Sichtbare Religion: Eine Einführung in die Religionswissenschaft 9783110536706, 9783110534078

This volume offers an introduction to the study of religion from the perspective of communication theory. It focuses on

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Sichtbare Religion: Eine Einführung in die Religionswissenschaft
 9783110536706, 9783110534078

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion oder wie die religionswissenschaftliche Perspektive erweitert wird
2. Theoretische Horizonte oder wie sichtbare Religion erfasst wird
3. Methodische Herausforderungen oder wie sichtbare Religion untersucht wird
4. Bilder der Welt oder wie religiöse Gesamtansichten repräsentiert werden
5. Das Unsichtbare sichtbar machen oder wie Transzendenz visuell erfahrbar wird
6. Alles unter Kontrolle oder wie Normativität medial vermittelt wird
7. Sichtbar reguliert oder wie Macht inszeniert wird
8. In guter Gesellschaft oder wie Gemeinschaften sich Über Bilder definieren
9. Private Ansichten oder wie religiöse Bilder das Individuum prägen
10. Bilder auf Wanderschaft oder wie Tradition und Innovation sich gegenseitig bedingen
11. Religion im kulturellen Imaginären oder wie sich Religion aus gemeinsamen Bildern speist
Literatur
Abbildungen
Autorinnen
Index

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Natalie Fritz, Anna-Katharina Höpflinger, Stefanie Knauß, Marie-Therese Mäder, Daria Pezzoli-Olgiati Sichtbare Religion

Natalie Fritz, Anna-Katharina Höpflinger, Stefanie Knauß, Marie-Therese Mäder, Daria Pezzoli-Olgiati

Sichtbare Religion

Eine Einführung in die Religionswissenschaft

ISBN 978-3-11-053407-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-053670-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-053738-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Vorwort 

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IX Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion oder wie die religionswissenschaftliche Perspektive erweitert wird Theoretische Horizonte oder wie sichtbare Religion erfasst wird 8 Emische, mediale und wissenschaftliche Blicke auf Religion Sichtbare Religion und die Sprache der Wissenschaft 17 18 Religiöse Bilder Religiöse Blicke, Blicke auf Religion 24 Kernthemen sichtbarer Religion 28 Methodische Herausforderungen 31 oder wie sichtbare Religion untersucht wird 32 Kultur als Produkt dynamischer Prozesse Kodieren und Dekodieren: zwei Seiten von Kommunikation 46 Die Position der Forschenden Bilder der Welt oder wie religiöse Gesamtansichten repräsentiert werden 50 Weltbild als umfassende Orientierung 52 56 Weltbild und visuelle Kommunikation Verbildlichung kosmischer Ordnung 57 64 Der betrachtende Mensch im Weltbild Blick, Körper und Raum in religiösen Weltbildern 69 Pluralität von Weltbildern 71 Das Unsichtbare sichtbar machen oder wie Transzendenz visuell erfahrbar wird 75 Begriffsklärung: Transzendenz, Transzendenzen, 78 Transzendieren Repräsentation und Regulierung von Transzendenz 82 Identitätsbildung und Regulierung durch sichtbare Transzendenz 89 Transzendenz als Erfahrung einer jenseitigen Welt 92 Transzendenz in der Immanenz des Sichtbaren 97

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Inhalt

Alles unter Kontrolle oder wie Normativität medial vermittelt wird 99 101 Normativität und sichtbare Religion Die Werbewirksamkeit normativer Genderdarstellungen 102 Repräsentation von normativen Blicken auf Gender 106 Visuelle Handlungsanweisungen 110 117 Normative Macht der Bilder Sichtbar reguliert oder wie Macht inszeniert wird 120 121 Die (audio‐)visuelle Repräsentation von Macht 122 Macht theoretisch Dokumentarische Sicht auf Nebenschauplätze 128 Denkmäler als Repräsentation von Macht 138 Sichtbare Religion zwischen Legitimierung von Macht und Widerstand 150 In guter Gesellschaft 153 oder wie Gemeinschaften sich über Bilder definieren Zwischen Regulierung und Identität 159 Hinterfragen kollektiver Stereotypen 164 167 Materielles Heilsversprechen an eine Gemeinschaft Geteilte Bedeutungszuschreibungen auf der visuellen Ebene Private Ansichten oder wie religiöse Bilder das Individuum prägen 174 Visuelle Repräsentation und individuelle Identitätsprozesse Materielle Emotionen 180 Spielend Identität bilden 185 190 Individualität, Zeitlichkeit und Materialität

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Bilder auf Wanderschaft oder wie Tradition und Innovation sich gegenseitig bedingen 193 Wanderungen durch Zeiten, Kulturen und gesellschaftliche Bereiche 194 Herausfordernde Innovationen in Tradierungsprozessen 198 203 Regulierende Blicke auf einen überlieferten Bilderfundus 206 Transformation und Adaptionsprozesse: eine Zwischenbilanz Die Bildung von Tradition als kreativer Prozess 207 Religion im kulturellen Imaginären oder wie sich Religion aus gemeinsamen Bildern speist Orientierung in der Vielfalt 214

214

Inhalt

Das kulturelle Imaginäre als theoretische Grundlage für visuelle Kommunikation 215 Wiederholung und Innovation als Grundtendenzen 220 Mentale und materielle Bilder als konstitutive Dimension der Gesellschaft 225 Von individuell und kollektiv herausfordernden Bildern 229

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Literatur Abbildungen Autorinnen Index

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VII

Vorwort Was passiert, wenn man beim wissenschaftlichen Studium der Religion besonders auf das achtet, was mit den Augen wahrnehmbar ist? Welche Aspekte von Religion sind oder werden sichtbar? Für wen? Und was müssen wir lernen, um diesen spezifischen Zugang zu religiösen Traditionen und Gemeinschaften zu pflegen? Dieses Buch bietet eine Einführung in die Erforschung visueller Aspekte von Religion. Es richtet sich sowohl an Studierende der Religionswissenschaft, der Theologie und der Fachbereiche, für die Religion und Visualität relevant sind, als auch an weitere Interessierte, die sich mit sichtbaren Aspekten von Religion auseinandersetzen. Die vorliegende Einführung verfolgt ein doppeltes Ziel: Sie möchte auf die Vielschichtigkeit von Sichtbarkeit im Kontext von Religion aufmerksam machen und sodann mögliche Wege ihrer Untersuchung aufzeigen. Visuelle Medien sind für religiöse Traditionen und Gemeinschaften konstitutiv. Ebenso wesentlich sind sie für die Fremdwahrnehmung von Religion. Weil mediale Elemente religiöser Traditionen in anderen gesellschaftlichen Bereichen aufgegriffen und adaptiert werden, wird die sichtbare Seite von Religion als zentrales Thema einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Religionswissenschaft in dieser Einführung mit den spezifischen Fragen der Analyse visueller Medien verbunden. Dazu werden methodische Ansätze und theoretische Überlegungen unterschiedlicher Disziplinen aufgenommen und den visuellen Gegenständen unserer Untersuchungen angepasst. Die vorliegende Einführung in die Religionswissenschaft ist folglich in einem stark interdisziplinär geprägten wissenschaftlichen Diskurs verankert. Die Ideen, Ansätze und Methoden in dieser Einführung speisen sich aus den Forschungs- und Lehrerfahrungen, die die Autorinnen im Rahmen ihrer akademischen Tätigkeiten an verschiedenen Universitäten und in unterschiedlichen Feldern gesammelt haben. Insbesondere gibt diese Einführung Ansätze wieder, die wir im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe Medien und Religion, die 2004 ins Leben gerufen wurde, entwickelt haben. Das wissenschaftliche Interesse für Visualität, Medialität und Materialität hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Sichtbare Religion wurde als Versuch konzipiert, einen plausiblen religionswissenschaftlichen Zugang zu diesen Forschungsfeldern aufzuzeigen, im Bewusstsein dafür, dass es viele weitere mögliche Zugänge gibt und geben soll – denn der akademische Austausch lebt von der Vielfalt und Differenz der Ansätze. Diese Einführung stellt ein erstes Angebot dar, wie visuelle Aspekte von Religion untersucht werden können und bietet eine Arbeitsgrundlage, die erweitert und weitergeführt werden kann. Die Diskussionsfragen am Ende jedes Kapitels können zum Selbststudium, zur Anleitung von Arbeitsgruppen oder als Inspiration für Seminarveranstaltungen verwendet werden. Sie sind so ausgewählt, dass sie auf Grenzfälle und komplexe Wechselwirkungen aufmerksam machen und die Lesenden dazu mohttps://doi.org/10.1515/9783110536706-001

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Vorwort

tivieren, ihre Forschungsinteressen kritisch zu reflektieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Den Fundus an Beispielen und Illustrationen in diesem Buch liefern die europäische Religionsgeschichte und zeitgenössische Gesellschaft. Wir beziehen uns auf Länder und Kulturen, deren Sprache wir verstehen und mit denen wir aus unserer Forschung vertraut sind. Das Buch ist grundsätzlich aus zwei Teilen aufgebaut. In den ersten drei Kapiteln werden die theoretischen und methodologischen Grundlagen in groben Zügen dargelegt. Anschließend wird dieser theoretische Rahmen anhand von Grundfragen der Religionswissenschaft in den Kapiteln 4 bis 10 vertieft und detailliert erörtert. Im Kapitel 11 wird abschließend der Ertrag eines Zugangs zu Religion aus der Perspektive von Visualität in einen größeren theoretischen Rahmen eingeordnet. Die Besprechung von Beispielen und die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen und historischen Bildern und Objekten zeigen die Tragweite und die Grenzen des jeweiligen theoretischen Ansatzes auf. So werden in der Analyse der ausgewählten Quellen methodische Strategien und Optionen in der konkreten Anwendung reflektiert. ›Sichtbare Religion‹ kennzeichnet weder eine Disziplin noch einen Gegenstand, sondern bestimmt eine spezifische Art und Weise, Religion als einem komplexen kulturellen Phänomen wissenschaftlich zu begegnen. Sichtbare Religion meint eine Art des Fragen-Stellens, eine Annäherung, die den intermedialen Charakter religiöser Kommunikation betont und spezifisch auf visuelle Phänomene fokussiert. Wir haben dieses Buch gemeinsam geschrieben. Die Kapitel entspringen einem intensiven Austausch in Tagungen und Videokonferenzen und einer zehnhändigen Schreibtätigkeit.Wir haben uns bemüht, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, die die Grenzen der eigenen disziplinären Zugehörigkeiten und Schwerpunkte zu überwinden vermag. Einen wesentlichen Beitrag zur Vereinheitlichung der Konzepte und der Sprache hat unsere Lektorin Dolores Zoé Bertschinger geleistet, die das Projekt mit kritischem Engagement und empathischem Blick begleitet hat. Wir danken ihr ganz herzlich für die Arbeit und die Zeit, die sie in dieses Manuskript investiert hat, sowie für ihre wertvollen Anregungen und Anmerkungen, die uns weitergebracht haben. Wir hoffen, dass Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, diese Einführung den Zugang zu sichtbarer Religion eröffnet und dass sie Sie ermutigt, neue Forschungsfelder in diesem faszinierenden Gebiet zu entdecken! München, Villanova und Zürich im Frühling 2018 Natalie Fritz Anna-Katharina Höpflinger Stefanie Knauß Marie-Therese Mäder Daria Pezzoli-Olgiati

1 Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion oder wie die religionswissenschaftliche Perspektive erweitert wird In gegenwärtigen Debatten wird Religion kontrovers und vielschichtig diskutiert. Die Frage nach dem angemessen Status des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen, das Vorkommen religiöser Symbole im öffentlichen Raum oder die sogenannten Kopftuch-Debatten sind Beispiele dafür. Bilder nehmen in diesen Auseinandersetzungen häufig eine zentrale Rolle ein. Um beim letzten Beispiel zu bleiben: Der Darstellung der ›muslimischen Frau‹ begegnet man in zahlreichen Medien, auf politischen Plakaten, im Internet, in Zeitungsberichten, wobei sie meist in schwarzen, den Körper verhüllenden Kleidern abgebildet wird. Solche Abbildungen stellen die verschleierte Frau stereotyp als Vertreterin eines als einheitlich konstruierten Islams dar. Tschador, Niqab, Burka oder Burkini werden in solchen Abbildungen und Berichten als Pars pro Toto für ›den Islam‹ eingesetzt. Sie repräsentieren eine angeblich unüberwindbare kulturelle Differenz, mit der einseitige und manchmal unreflektierte Vorstellungen von Rückständigkeit, fehlender Geschlechtergleichstellung und Fundamentalismus einhergehen.¹ Das Plakat für eine politische Initiative zugunsten des Bauverbots von Minaretten, das in der Schweiz im Jahr 2009 in einer Volksabstimmung beschlossen wurde, arbeitet genau mit diesem medial verbreiteten Stereotyp des schwarz verhüllten Frauenkörpers (Abb. 1).² Die Bildkonstellation mit den an Raketen erinnernden Minaretten, die die nationale Fahne durchbohren, unterstellt eine unmittelbare Verbindung mit Terrorismus und Gewaltbereitschaft. Dabei wirkt der Gegensatz zwischen dem weißen (christlichen) Kreuz auf dem Schweizer Wappen und den dunklen, bedrohlich wirkenden Minaretten besonders stark. Auf diese Weise wird das Argument gegen Minarette visuell zum Ausdruck gebracht, als plausibel präsentiert und mit normativen Vorstellungen verknüpft. Dass das Bauverbot von 57,5 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung angenommen wurde und die Bildkonstellation danach in politischen Kampagnen anderer Länder wieder auftauchte, unterstreicht die erfolgreiche Wirkung dieser visuellen Strategie (Abb. 2). Das vorgestellte Werbeplakat bringt eine bestimmte Konstruktion des Anderen visuell zum Ausdruck und prägt die politische Debatte über den Stellenwert von Religion in der Gesellschaft. Dabei macht es die Tragweite visueller Kommunikation in öffentlichen Räumen deutlich: Die schwarz verhüllte Figur verweist in solchen Bildkonstellationen nicht auf konkrete Frauen, sondern wird als stereotypes Merkmal zur Konstruktion von Differenz verwendet. Es geht um die Unterscheidung von mitteleuropäischem Eigenen und fremdem Anderen. Das Eigene wird mit gesellschaftli-

 Für die stereotype Visualisierung von Gender und Islam vgl. Lanwerd 2010 und 2011.  Zum Minarett-Bauverbot in der Schweiz vgl. Mayer 2011. https://doi.org/10.1515/9783110536706-002

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Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion

Abb. 1: Abstimmungsplakat als Beispiel für die Verbindung von Religion und Politik im öffentlichen Raum. Kampagne zur eidgenössische Volksinitiative Gegen den Bau von Minaretten in der Schweiz, 2009. Diese Aufnahme wurde in Zürich gemacht.

Abb. 2: Adaption des Plakats in Frankreich für die Kampagne Non à l’islamisme der rechts-nationalistischen Partei Front national von 2010.

Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion

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chem Fortschritt, Christentum oder Säkularisierung und Geschlechtergerechtigkeit assoziiert. Das Fremde dagegen wird mit religiös legitimierter Unterwerfung, Rückständigkeit und fehlenden Rechten von Frauen gleichgesetzt. In dieser Werbekampagne, die in einem politisch rechts stehenden, nationalistischen Lager verankert ist, gehört ›der Islam‹ zum negativen, öffentlich sichtbaren Auftreten des Anderen. Aber auch in anderen Bereichen des öffentlich-gesellschaftlichen Lebens ist Religion visuell präsent, etwa in ökonomischen Zusammenhängen. Ein Beispiel bietet die Werbung für Heinz Fit Ketchup, die 2007 von der Agentur Mark BBDO in Prag entworfen wurde (Abb. 3). Das Plakat zeigt eine grüne Schlange, die sich um eine rote Tomate windet. Darunter kann man »No Sin. More Tomatoes, Less Sugar« lesen und das Logo des Produktes sehen. Es findet sich hier ein visuelles Spiel mit der in der Hebräischen Bibel in Genesis 3 überlieferten und medial vielfach rezipierten Geschichte von Adam und Eva, der Schlange und der Frucht. Im Gegensatz zu dieser Erzählung, so suggeriert die visuelle Kombination von Bild und Text, ist das, was die Schlange anpreist, bei Heinz Fit Ketchup keine ›Sünde‹. Die Werbung geht davon aus, dass bei den intendierten Adressatinnen und Adressaten ein gewisses biblisches Wissen vorhanden ist. Gleichzeitig koppelt dieses Plakat ein maßgeblich visuell tradiertes Motiv (den

Abb. 3: Dieses Ketchup ist eine Versuchung, aber keine Sünde. Werbekampagne für Heinz Fit Ketchup, 2007.

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Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion

›Apfel‹, der in Genesis gar nicht genannt wird, sondern erst in der visuellen Umsetzung des Textes dazu kam) mit gegenwärtigen, normativen Fragen rund ums ›richtige‹ Essen.³ Während das Plakat für das Minarett-Bauverbot Religion vor allem als das bedrohliche Andere inszeniert, adaptiert die Werbung für Heinz-Ketchup auf humorvolle Weise ein religiöses Bildmotiv, das für eine breite Öffentlichkeit als bekannt und also Teil des ›Eigenen‹ vorausgesetzt wird. Beide Illustrationen verweisen auf (vermeintlich) geteilte Vorstellungen von Religion und prägen diese zugleich durch veränderte Adaptionen in politischen und ökonomischen Kontexten. Ein weiteres Beispiel für die Relevanz visueller Kommunikation von Religion in der Öffentlichkeit bildet die Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums. Religiöse Bauwerke sind imposante visuelle Marker, die den Raum nicht nur architektonisch und historisch prägen, sondern auch mögliche Identitätsprozesse im Sinne der Identifikation mit und Abgrenzung von einer religiösen Tradition in Gang setzen können. Man denke dabei an den bereits erwähnten Umgang mit Baugesuchen für Minarette oder an religiöse Bauwerke, wie den berühmten St. Michael’s Tower auf dem Hügel Glastonbury Tor im englischen Somerset oder die Kathedrale von Chartres, die zu touristischen Magneten wurden. Letztere illustrieren die visuelle Präsenz und Erkennbarkeit von Religion im öffentlichen Raum und die Bedeutung und Wirkung ihrer Sichtbarkeit. Da religiöse Verweise manchmal nur lose mit institutionalisierter Religion verbunden sind, verlangt der Fokus auf sichtbare Religion einen offenen, weiten Blick auf Religion. Die bisherigen Beispiele betonten die Relevanz von Bildern und Religion in zeitgenössischer Perspektive. Die Sichtbarkeit von Religion ist jedoch keineswegs ein nur modernes Phänomen. Visuelle Quellen bilden ein zentrales Kapitel der Religionsgeschichte. Die Palette von Beispielen reicht von antiken Tempelanlagen über die Kleidung religiöser Spezialistinnen und Spezialisten bis hin zu religiösen Motiven in der Kunst- und Filmgeschichte. Das Beispiel der Werbung für Heinz Fit Ketchup, das auf Bilder des sogenannten Sündenfalls verweist, zeigt deutlich, dass sich im Laufe der Tradierung bestimmter ikonographischer Konstellationen vielfältige Veränderungen und Adaptionen religiöser Motive vollziehen können.⁴ Sie werden in vielschichtigen Tradierungsprozessen weitergegeben und gleichen deshalb – wie Hans Belting es treffend beschreibt –, Nomaden, die durch Zeit und Raum wandern.⁵ Betrachtet man religiöse Tradierungsprozesse mit einem Fokus auf Visualität, dann wird die Geschichte der technischen Möglichkeiten zur Bildproduktion ein wichtiges Kapitel der Religionsforschung: Die Erfindung von Druck, Fotografie, Film oder Internet sind mit religiösen Institutionen, Symbolsystemen und Tradierungsprozessen verwoben. Die Wechselwirkungen zwischen Religion und Techniken der  Zur Bestimmung der Frucht als Apfel vgl. Knauß 2015.  Für einen Überblick über die Rezeption ikonographischer Konstellationen vgl. Malik/Rüpke/Wobbe 2007; Beinhauer-Köhler/Pezzoli-Olgiati/Valentin 2010.  Vgl. Belting 2001, 214.

Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion

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Sichtbarmachung prägen die Ausformung religiöser Systeme und stellen einen wichtigen Faktor von Innovation dar.⁶ Nicht nur die Art und Weise der Produktion von Bildern hängt von technologischen Erfindungen ab, sondern auch die Möglichkeit ihrer Reproduktion, Verbreitung und Vervielfältigung. In diesem Zusammenhang aufschlussreich ist das Phänomen der Geisterfotografie, das Mitte des 19. Jahrhunderts weit über spiritistische Kreise hinaus populär wurde und rege öffentliche Debatten über die Authentizität solcher Bilder auslöste.⁷ Die folgende Abbildung zeigt die Witwe von Abraham Lincoln mit dem (vermeintlichen) Geist ihres berühmten Ehemanns (Abb. 4). Das in den 1820er Jahren erfundene Verfahren der Fotografie bot die Möglichkeit, religiöse Fragen nach einem Leben jenseits des Todes dank einer innovativen visuellen Technik neu zu stellen: Fotos schienen die Existenz von Geistern zu ›beweisen‹. Dabei spielte die Idee der Authentizität von Fotografie eine große Rolle. Der Fotoapparat wurde als neutraler und objektiver Beobachter verstanden, dem in diesem Fall ein schärferer, weil technischer Blick auf die Wirklichkeit attestiert wurde, als er Menschenaugen möglich wäre.⁸ Rund um diese Geisterfotografien entstanden neue spiritistische Ideen und Handlungen, auf die ältere religiöse Institutionen zum Teil mit Abwehr reagierten. Da Fotografie als ›objektiv‹ wahrgenommen wurde, die Geisterbilder aber nicht in gängige römisch-katholische, evangelische oder anglikanische Vorstellungen des Jenseits passten, versuchten kirchliche Vertreter zu beweisen, dass es sich um Fälschungen handeln musste.⁹ Mediengeschichte im Sinne eines Wandels medialer Techniken ist also mit der Erforschung der visuellen Aspekte von Religion eng verflochten. Durch das Aufkommen neuer Medien ergeben sich neue Möglichkeiten, sich mit der Sichtbarkeit von Religion auseinanderzusetzen. Ebenso erlauben sie, religiöse Fragen auf eine neue Art zu stellen und visuell zu verarbeiten. Werbeplakate, Architektur, Fotografien, Gemälde und Zeichnungen ebenso wie materielle Objekte, Statuen, Altäre, religiöse Gerätschaften, Särge, religiöse Spiele oder archäologische Fundgegenstände zeugen von der Vielfalt visueller Religion. Hinzu kommen audiovisuelle und digitale Medien wie TV-Serien, Filme, Blogs, Webseiten und Social Media-Profile, die Visualität auf eine ganze eigene Weise neu inszenieren und mit anderen Medien verbinden. Sichtbare Religion verknüpft Fragen nach diachronen und synchronen Prozessen von Religion und schärft unseren Blick auf individuelle und kollektive Vorstellungen und Handlungen. Diese besondere Art der Annäherung an Religion versteht sich nicht als eine Alternative zu anderen Zu-

 Einige neuere Publikationen zu Technik und Religion sind Cheong 2012; Baffelli/Reader/Staemmler 2011; Mayer 2008; zum Verhältnis von Tradition und Innovation vgl. Kapitel 10 dieses Buches.  Vgl. als erste Einführung in den Spiritismus des 19. Jahrhunderts Hüsch 2005; Chéroux 2005; Kontou/Willburn 2012.  Vgl. als Einführung zu Theorien der Fotografie Geimer 2009.  Wie zentral die Vorstellungen der Kirche waren, wurde bei einem Gerichtsverfahren gegen William Mumler im Jahre 1869 deutlich, bei dem es um die Debatte ging, ob es sich bei Mumlers Geisterfotografien um Fälschungen handle oder nicht; vgl. dazu Kaplan 2008.

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Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion

Abb. 4: Fotografie, die angeblich Mary Todd Lincoln mit dem ›Geist‹ ihres Ehemanns Abraham Lincoln zeigt, entstanden um 1872, Albumindruck.

gängen, sondern als eine Erweiterung des Blicks und zwar im wörtlichen Sinne! Durch die Betrachtung visueller Medien, Quellen und Kommunikationsformen treten, wie wir aufzeigen werden, andere Aspekte religiöser Repräsentationen, Praktiken oder Gemeinschaften ins Blickfeld als bei der Arbeit mit Texten. Durch materielle Objekte werden beispielsweise Fragen nach unterschiedlichen Blickkulturen, nach Normie-

Das Forschungsfeld der sichtbaren Religion

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rungen des Sichtbaren und des Sehens sowie nach Identitätsprozessen aufgeworfen. Die Erweiterung oder Neuausrichtung des Blicks auf Religion hängt dabei auch von den jeweiligen Fragen ab, die an eine visuelle Quelle gestellt werden. Im vorliegenden Buch präsentieren wir in den einzelnen Kapiteln eine Reihe solcher Fragen. Dabei gehen wir von klassischen religionswissenschaftlichen Untersuchungsfeldern aus und zeigen anhand von Beispielen auf, was es bedeutet, das Visuelle der Religion ernst zu nehmen.

Fragen zur Vertiefung · Vergleichen Sie das Abstimmungsplakat der Volksinitiative Gegen den Bau von Minaretten (Abb. 1) und die Werbung für Heinz Fit Ketchup (Abb. 3): Welche Unterschiede fallen Ihnen auf? Welche Gemeinsamkeiten? Wie wird jeweils der Bezug zu Religion hergestellt? · Wie kann man den Bezug zu Religion in der Werbung für Heinz Fit Ketchup (Abb. 3) und der Fotografie von Mary Todd (Abb. 4) umreißen? Welches Verständnis von Religion scheint dabei hilfreich zu sein? Warum? · Welche Fragen interessieren Sie im Bereich von sichtbarer Religion? Warum?

2 Theoretische Horizonte oder wie sichtbare Religion erfasst wird Auf den ersten Blick mag Religion als klar erfassbares Phänomen erscheinen, als wissenschaftliche Kategorie ist Religion jedoch äußerst komplex. Die Darstellung eines Skeletts an der Wand eines Beinhauses kann eindeutig als Element eines religiösen Symbolsystems klassifiziert werden, ein vergleichbares Bild in einem Modegeschäft dagegen wird wohl eher als Dekoration betrachtet (Abb. 5 und 6). Wie also kann man entscheiden, ob etwas ›religiös‹ ist oder nicht? Ist die Eigenschaft, ›religiös‹ zu sein, einem visuellen Medium inhärent oder hängt sie vom Verwendungszusammenhang ab? In diesem Kapitel werden einige theoretische Überlegungen entwickelt, die für die Annäherung an die visuelle Seite von Religion wesentlich sind und helfen sollen, solchen Fragen nachzugehen.

Abb. 5: »Wenn ich Silber und Gold wollte, wäre ich Herr jedes Schatzes. Da ich aber gerecht und aufrichtig bin, lasse ich mich nicht vom Reichtum blenden«, sagt der als Skelett dargestellte Tod auf der frontalen Außenfassade des Beinhauses von Cauco (Graubünden, Schweiz), 17. Jahrhundert.

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Emische, mediale und wissenschaftliche Blicke auf Religion

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Abb. 6: Ein betendes Skelett im Schaufenster eines Londoner Modegeschäfts. Das Motiv stammt aus William Cheselden’s Osteographia or the Anatomy of the Bones, 1733, Tafel 36.

2.1 Emische, mediale und wissenschaftliche Blicke auf Religion Die Frage nach der Definition von ›Religion‹ füllt philologische, philosophische, theologische, religionswissenschaftliche und viele weitere Bibliotheken.¹ Besonders Disziplinen wie die Politikwissenschaft oder die Wirtschaftswissenschaft sind zunehmend an diesem Phänomen interessiert und definieren es gemäß ihren spezifischen Forschungsinteressen.² Anstatt hier der bestehenden breiten Palette an Religionsdefinitionen noch eine zusätzliche hinzuzufügen, möchten wir auf einige Grundunterscheidungen eingehen, die den Umgang mit den verschiedenen Konzepten von Religion erleichtern und eine bewusste, reflektierte Verwendung des Begriffes erlauben. Es gibt keine allgemeingültige Definition von ›Religion‹, die überall und immer einsetzbar wäre. Eine universale Definition scheint für ein so komplexes Phänomen  Für einen Überblick über verschiedene Definitionen von Religion sind etwa Woodhead 2011 und Schlieter 2010 sehr empfehlenswert.  Vgl. zum Verhältnis von Politik und Religion Liedhegener 2008, für einen wirtschaftstheoretischen Blick auf Religion Seele 2008.

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Theoretische Horizonte

wie Religion, das eng mit den jeweiligen kulturellen Bedingungen interagiert, ohnehin nicht sinnvoll. Deshalb empfiehlt es sich, die Konzepte davon, was Religion ist, nicht als universal anwendbare Wahrheit, sondern als einen Fundus von Zugängen wahrzunehmen – und gegenüber der Vielfalt an Antworten auf die Frage, welche Funktion Religion in der Gesellschaft übernimmt und wie sie mit anderen Gesellschaftsbereichen interagiert, zunächst einmal offen zu bleiben. Hat man sich einen Überblick über die verschiedenen Religionsdefinitionen sowie über ihre Leistungen und Grenzen verschafft, so ist es vor allem im Umgang mit visuellen Medien zentral, ›Religion‹ in Abstimmung mit der jeweiligen Forschungsfrage zu umreißen. Dafür ist folgende heuristische Unterscheidung von grundlegender Bedeutung: Im Umgang mit Religion lassen sich emische Blicke von involvierten Akteuren und Akteurinnen, medial-öffentliche Blicke auf religiöse Gemeinschaften, Traditionen und Motive sowie wissenschaftliche Blicke auf Religion unterscheiden. Sichtbare Religion ist an den komplexen Schnittstellen dieser Zugänge zu Religion angesiedelt und stellt deshalb eine besondere Herausforderung für das religionswissenschaftliche Arbeiten dar.

Emische Blicke Sowohl Gemeinschaften als auch Individuen entwerfen eigene Bilder von Religion, Religiosität, Glaube, der Welt, der Gesellschaft und den Menschen. Dasselbe gilt aber auch für religiöse Traditionen: Auch sie bringen im Laufe der Zeit und durch globale Diffusionsprozesse einen Wissensfundus hervor, der ihnen erlaubt, sich als kontinuierliche Tradition zu verstehen. Die Blicke von Religionsangehörigen auf sich selbst und ihre Gemeinschaften in Geschichte und Gegenwart sind nie fix oder eingleisig, sondern zeichnen sich durch synchrone Diversität und diachronen Wandel aus. In diesen Selbstwahrnehmungen spielen Sichtbarkeit und visuelle Medien eine zentrale Rolle. Eigene – der wissenschaftliche Begriff dafür ist ›emische‹ – Blicke auf Religionen werden stets gleichzeitig und von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren produziert und weitergegeben. Es gilt in Bezug auf Religion also erstens auf die Dimension der Selbstreflexion zu achten. Dazu gehören der Umgang von religiösen Spezialistinnen und Spezialisten mit visuellen Aspekten von Religion sowie die innertheologischen Auseinandersetzungen und normativen Diskurse über den Stellenwert, die Funktion und den Zugang zu visuellen Medien. Beispiele dafür sind die literarischen und ikonographischen Debatten über Bildverehrung und Bilderverbote in der Reformationszeit (Abb. 7) oder der restriktive Umgang mit bildlichen Darstellungen in islamischen und jüdischen Traditionen.³

 Zur Bilderfrage in der Reformation vgl. Stirm 1977, Weimer 1999 und Oelke 1992 sowie das Beispiel der Zilliser Holzdecke im Unterkapitel 4.3 dieses Bandes.

Emische, mediale und wissenschaftliche Blicke auf Religion

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Abb. 7: Eine polemische Darstellung aus der Reformationszeit von Bilderstürmern, die Statuen demontieren, verräumen oder verbrennen: Erhard Schön, Klagrede der armen verfolgten Götzen und Tempelbilder, um 1530, Holzschnitt, 13 × 34,7 cm, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.

Zweitens konstituieren sich emische Blicke auf Religion in der Praxis von Individuen und Gemeinschaften. Alltägliche religiöse Praktiken, persönliche Frömmigkeitsformen und Weltanschauungen sowie die Interaktionen von verschiedenen Gemeinschaften sind vielschichtig und nicht minder relevant für die Erforschung von Religion und Visualität. Diese beiden Ebenen – die Sicht von religiösen Spezialistinnen und Spezialisten sowie die religiöse Praxis im Alltag – interagieren ständig, verstärken sich gegenseitig oder stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Ein Beispiel für die Wechselwirkungen zwischen den vielfältigen Perspektiven auf Religion, die in einer Tradition koexistieren können, stellt das gegenwärtige Zelebrieren des christlichen Weihnachtsfests dar. In den verschiedenen Liturgien um Weihnachten spielt die Darstellung von Jesu Geburt eine zentrale Rolle. Unterschiedliche Umsetzungen vergegenwärtigen dieses Motiv visuell: Das Spektrum reicht von Freilichtspielen über Adaptionen fürs Fernsehen bis hin zum Aufstellen von Krippen in kirchlichen, öffentlichen oder privaten Räumen. Damit werden bestimmte normative Vorstellungen von Familie verbunden, öffentlich repräsentiert und gefördert, die nicht unbedingt von allen Menschen geteilt werden. Die Gewohnheit, die christliche Tugend der Caritas (Wohltätigkeit, Nächstenliebe) auszuüben, wird an Weihnachten in Geschenken materialisiert und hat diesem Fest heute eine unübersehbar kommerzielle Dimension verliehen. Persönliche, gemeinschaftliche, theologische und ökonomische Aspekte produzieren eine breite Palette an Repräsentationen des Weihnachtsfestes. Solche Repräsentationen zeigen einerseits Weihnachten gemäß den jeweiligen zeitlichen und kulturellen Vorstellungen, wobei persönliche und gemeinschaftliche Inszenierungen eine wichtige Rolle spielen. Andererseits verbreiten – oder hinterfragen – sie normative Wertvorstellungen wie den Umgang mit Mitmenschen, die Idee von Familie oder moralische Fragen nach Geben und Nehmen. Ein Beispiel für diese Vernetzung von Repräsentation und Normen ist weihnachtliches Kinderspielzeug: Beispielsweise produziert die deutsche Firma Playmobil, die System-

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Theoretische Horizonte

Abb. 8: Engel und Sankt Nikolaus als Playmobilfiguren.

Spielzeug herstellt, eine Reihe von Figuren, die zur materiellen Repräsentation des Weihnachtfestes dienen (Abb. 8). Mit der Inszenierung von Weihnachts-Playmobilfiguren sind Normen der Darstellung von Transzendenz (etwa der Engel) sowie Vorstellungen von Großzügigkeit und Gerechtigkeit (repräsentiert durch die Nikolaus-Figur) verbunden.⁴ Sie zeigen Kindern bestimmte religiöse Vorstellungen auf. Solche Visualisierungen können deshalb als emische Blicke auf Religion erfasst werden: Sie sind Teil der religiösen Sozialisierung innerhalb einer Familie und einer Gemeinschaft. Darüber hinaus verweisen sie auf das wirtschaftliche Interesse der Spielzeugindustrie an diesem Fest.

Öffentlich-mediale Blicke Gerade das Beispiel des Weihnachtsfestes zeigt, dass emische Blicke auf Religion nicht isoliert betrachtet werden können von dem, was in der medialen Öffentlichkeit in Bezug auf Religion geschieht. Filmische Großproduktionen, die thematisch dieses

 Zum Verhältnis von Religion und Normen vgl. Kapitel 6 dieses Bandes.

Emische, mediale und wissenschaftliche Blicke auf Religion

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Abb. 9: In E.T. – The Extraterrestrial (Steven Spielberg, USA 1981) fliegt Eliott (Henry Thomas) mit E.T. auf seinem Fahrrad durch die Nacht – eine Adaption des Santa Claus-Motives mit einem Außerirdischen.

Fest aufgreifen oder zur Weihnachtszeit lanciert werden, verbreiten eine relativ konventionelle Sicht auf die Familie, die trotz Krisen und allerlei Probleme zu Liebe und Harmonie findet. Mit diesem Motiv christlichen Ursprungs werden auf medialer Ebene bestimmte Wertvorstellungen und Ideale menschlicher Gemeinschaft transportiert. E.T. – The Extraterrestrial (Steven Spielberg, USA 1981) ist ein Filmklassiker, der zur Weihnachtszeit gerne im Fernsehen gezeigt wird (Abb. 9). Der Film erzählt die Geschichte einer zerrütteten Familie, die sich dank der Begegnung mit E.T. wieder rekonstituiert. Die Liebe der Außerirdischen, die irrtümlicherweise ihr Kleines auf der Erde verloren haben, lässt auch in der menschlichen Gemeinschaft starke Gefühle entstehen. Die dysfunktionale menschliche Familie löst ihre Probleme und die einzelnen Mitglieder übernehmen Verantwortung füreinander, sind füreinander da. Der Film transportiert stark christlich konnotierte Wertvorstellungen, die mit dem Topos der Heiligen Familie in Verbindung stehen.⁵ Während emische Perspektiven durch eine große Variabilität und Vielfalt charakterisiert sind, zeichnen sich mediale Diskurse zu Religion durch eine Tendenz zur Generalisierung aus. Sie verbreiten häufig eine Eindeutigkeit über Religion, die mit der Fülle der emischen Blicke kontrastiert. Mediale Blicke auf Religion arbeiten mit Stereotypen und Verallgemeinerungen, wobei ihre Bilder der Zementierung, Kritik oder Karikatur solcher Stereotypen dienen. Die medialen Blicke von Zeitungen, Zeitschriften, Plakaten, Werbungen oder Filmen prägen die öffentlichen und privaten

 Vgl. zum Motiv der Heiligen Familie im zeitgenössischen Filmschaffen Fritz 2018 und 2015a.

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Theoretische Horizonte

Vorstellungen von Religion maßgebend. Sie haben aber auch einen signifikanten Einfluss auf emische Sichtweisen, indem sie Perspektiven, Innensichten, Selbstwahrnehmungen von Individuen und Gemeinschaften repräsentieren, beeinflussen oder verändern. Das Werbevideo Sainsbury’s Official Christmas Advert 2014 mit dem Slogan »Christmas is for sharing« des britischen Konzern Sainsbury’s vermittelt sowohl Christen als auch Angehörigen anderer Religionen und Menschen, die keine religiöse Zugehörigkeit haben, ein bestimmtes, idealisierendes Bild von Weihnachten. Im Sainsbury’s Official Christmas Advert 2014 wird die Episode der Weihnachtswaffenruhe aus dem Ersten Weltkrieg inszeniert: Englische und deutsche Soldaten verlassen am Weihnachtstag 1914 die Schützengräben und verbringen gemeinsam einen idyllischen Tag. Zwei Soldaten teilen Erinnerungen an die Lieben zuhause und tauschen ihre Mäntel aus (Abb. 10a). Die Melodie von Stille Nacht und der Verweis auf die

Abb. 10a: Soldaten im Sainsbury’s Official Christmas Advert 2014 tauschen auf dem Kampfplatz Erinnerungen aus. Abb. 10b: Sainsbury’s Sicht auf Weihnachten.

Emische, mediale und wissenschaftliche Blicke auf Religion

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Adaption der Hymne Leaning on the Everlasting Arms des Films True Grit (Ethan und Joel Coen, USA 2010) tragen wesentlich zur Betonung des idyllischen Charakters des Werbevideos bei. Am Ende des Videos richtet sich der Blick der Kamera nach oben und der Satz »Christmas is for sharing« erscheint am Himmel (Abb. 10b). Sainsbury’s Official Christmas Advert 2014 ist eine Werbekampagne, in der christliche und besonders weihnachtliche Werte von Nächstenliebe und Friedfertigkeit mit der Erinnerung an Krieg und Gewalt sowie dem Angebot des Supermarkts verbunden werden. Der didaktisch anmutende Schlusssatz vermittelt die normative Interpretation, mit der das Publikum die gesehenen Bilder assoziieren soll. Die Kampagne zeigt die vielfältigen Interaktionen zwischen massenmedial vermittelten Bildern von Religion und politischen, künstlerischen und wirtschaftlichen Bereichen paradigmatisch auf. Mediale Blicke auf Religion sind wichtige Träger von Konzepten, die sowohl emische Perspektiven als auch die breitere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Religion beeinflussen.

Wissenschaftliche Blicke Wir haben bereits auf die zahlreichen Versuche hingewiesen, Religion zu definieren, und vorgeschlagen, diese Vielfalt als reichen Fundus für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen zu handhaben. Welche theoretische Annäherung an Religion mit welchen Fragen und methodischen Verfahren konsistent verbunden werden kann, werden wir im Laufe dieses Buches aufzeigen. Betrachtet man das breite Spektrum an Theorien der Religion insgesamt als wissenschaftlichen Blick auf Religion, dann ist es wichtig, daran zu erinnern, dass auch die wissenschaftlichen – und nicht nur die emischen und öffentlich-medialen – Blicke auf Religion in gesellschaftliche und kulturelle Umfelder eingebettet sind. Ebenso wie emische und öffentlich-mediale Blicke entstehen sie unter dem Einfluss von intellektuellen, politischen, ökonomischen und persönlichen Konstellationen.⁶ Die Religionswissenschaft selbst als akademische Disziplin prägt die Forschenden. Auch individuelle biografische Aspekte wie Gender, Herkunft, Vorbildung, Alter, religiöse oder weltanschauliche Orientierung sowie politisches Engagement formen Forschungsinteressen, die zudem immer im Austausch mit öffentlich-medialen Vorstellungen von Religion stehen. Die Religionswissenschaft ist deshalb kein einheitliches Gebilde, sondern eingebettet in und abhängig von kultur- und zeitspezifischen Vorstellungen. Wissenschaftliche Sichtweisen sind mit verschiedenen Denkkulturen assoziert, die sich sprachlich unterschiedlich ausformen: Indische, finnische oder italienische  Erläuterungen zu Religionsdefinitionen eingebettet in Gesamtwerk, Biographie und kulturellen Kontext des jeweiligen Autors liegen bei Michaels 2010 oder Waardenburg 1999 vor. Die systematische Darstellung der Beiträge von Religionswissenschaftlerinnen stellt nach wie vor ein Forschungsdesiderat vor. Einige Portraits finden sich bei Höpflinger/Jeffers/Pezzoli-Olgiati 2008.

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Theoretische Horizonte

Religionsforschungen basieren auf je verschiedenen, kultur- und zeitspezifisch geprägten Fragen und Vorstellungen von Wissenschaft. Sie sind abhängig von ökonomischen Strukturen, die durch die Finanzierung von Stellen und Forschungsprojekten akademische Tätigkeit erst ermöglichen. Die Regulierung wissenschaftlicher Tätigkeit ist dabei nicht zu unterschätzen: Ökonomische Prozesse interagieren mit politischen Fragen und gewisse Projekte werden finanziert oder sogar in Auftrag gegeben, weil sie für bestimmte Organisationen, den Staat oder die Gesellschaft allgemein als besonders relevant gelten. Die drei Zugänge zu Religion, die wir heuristisch unterschieden haben, interagieren ständig miteinander. Auf der einen Seite werden wissenschaftliche Studien von religiösen Gemeinschaften gelesen und können deshalb das (visuelle) Selbstverständnis und die Selbstrepräsentation verändern, andererseits prägen gesellschaftliche Fragen rund um sichtbare Religion und massenmedial vermittelte visuelle Inszenierungen die Auswahl von Forschungsgegenständen. Der Soziologe Anthony Giddens hat 1976 bezüglich soziologischer Forschung von einer notwendigen doppelten Hermeneutik gesprochen: »Der soziologische Beobachter kann das soziale Leben als ›Phänomen‹ nicht beobachten, ohne dass sein Wissen darüber seinen ›Forschungsgegenstand‹ immer schon mitkonstruiert. In dieser Hinsicht ist seine Position nicht von der eines jeden Gesellschaftsmitgliedes unterschieden«.⁷ Giddens beobachtet gleichzeitig ein »fortwährendes ›Abrutschen‹ der in der Soziologie geschaffenen Begriffe in den Sprachschatz derer, deren Verhalten mit ihnen eigentlich analysiert werden sollte, was leicht dazu führt, dass diese Begriffe damit wesentliche Grundzüge ihres Verhaltens bestimmen«.⁸ Wie es Giddens für Begriffe beschreibt, lässt sich dies auch für die wissenschaftliche Untersuchung von Religion formulieren. Die Veränderung religiöser, emischer Sichtweisen durch wissenschaftliche Studien ist besonders deshalb zu bedenken, weil Wissenschaft auch eine normative Wirkung entfaltet: Die Bezeichnung ›wissenschaftlich bestätigt‹ ist weit davon entfernt, ein neutrales Attribut zu sein. Wir verstehen die Unterscheidung von emischen, medialen und wissenschaftlichen Blicken als Hilfsmittel, um zwischen den verschiedenen Zugängen zu Religion zu unterscheiden (Abb. 11). Unterschiedliche Zugriffe auf Religion zu differenzieren, erlaubt es, die verschiedenen Absichten, die mit Religionsdefinitionen verbunden sind, leichter zu erkennen. Zudem sensibilisiert uns dieser Schritt für die vielfältigen Wechselwirkungen, Parallelen und Kontinuitäten der verschiedenen Arten, Religion zu erfassen. ›Religion‹ ist ein Begriff, der in Europa seit Jahrtausenden in Gebrauch ist und in allen erdenklichen Weisen und in zahlreichen Sprachen zu ganz unterschiedlichen Zwecken benutzt wurde. Es wäre naiv, wissenschaftlich von Religion zu sprechen, ohne diese komplexe Geschichte und vielfältigen Verwendungen des Begriffs zur Kenntnis zu nehmen. Sichtbare Religion ist darum so herausfordernd, weil

 Giddens 1984, 198.  Giddens 1984, 199.

Sichtbare Religion und die Sprache der Wissenschaft

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Abb. 11: Schematische Zusammenfassung der Unterscheidung und gegenseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Blicke auf Religion.

wir nicht umhin kommen, alle drei Perspektiven zu respektieren und zu reflektieren; denn auch wir Forschenden sind als soziale Wesen in das gesellschaftliche Umfeld, in dem Religion stattfindet, eingebettet.

2.2 Sichtbare Religion und die Sprache der Wissenschaft Wir haben bis jetzt sehr allgemein von ›Blicken‹ gesprochen und unsere Überlegungen anhand von visuellen Beispielen erörtert, weil wir auf diesen besonderen Aspekt von Religion fokussieren. Wissenschaft stützt sich jedoch mehrheitlich auf Sprache, vor allem in ihrer schriftlichen Form (wie dieses Buch ebenfalls zeigt). Wissenschaftliche Religionsdefinitionen konzeptualisieren das Phänomen in Texten. Die Differenz zwischen visuellen Quellen und Wissenschaftssprache stellt eine inhärente Herausforderung der Erforschung von Visualität und Religion dar. Daraus ergeben sich weitere erkenntnistheoretische Fragen: Wie kann man die Annahme begründen, dass es sinnvoll sei, eine bestimmte Bildkonstellation als ›religiös‹ zu erfassen? Wie erkennt man visuelle Verweise auf ein Abstraktum wie ›Religion‹? Wir gehen davon aus, dass Religionen als komplexe, intermediale Kommunikationssysteme verstanden werden können. Diese Kommunikationssysteme bedienen sich zahlreicher Ausdrucksmittel. Texte, Gebete, Bilder, Skulpturen, Theateraufführungen, Körper, Architektur, Musik, Gerüche und Tänze, Alltagsgegenstände oder das Internet sind allesamt mögliche Medien von Religion.⁹ Visuelle Medien stellen eine Ebene des Kommunikationssystems Religion dar, das auf eine bestimmte Art und Weise kodiert ist und dessen Repräsentationen stets in einem Kontext von Produktion, Distribution und Rezeption gelesen werden müssen. Dabei bilden sich oft Hierarchien unter den verschiedenen Medien aus, beispielsweise die Betonung der textlichen Ebene im Zuge der Reformation. Doch nicht in allen religiösen Traditionen nehmen

 Der Zürcher Religionswissenschaftler Fritz Stolz beschäftigte sich intensiv mit den verschiedenen Kommunikationsformen von Religion, die bei ihm Darstellungsebenen genannt werden; vgl. Stolz 2001a, 80 – 145.

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Theoretische Horizonte

Texte eine zentrale Bedeutung ein. Körper, Architektur oder Bilder können in der religiösen Praxis oder in der Medienberichterstattung über Religion oft sogar wesentlicher sein.¹⁰ Die grundlegende Differenz zwischen visueller und (wissenschafts‐)sprachlicher Darstellung, zwischen Repräsentation von Religion und wissenschaftlicher Konzeptualisierung von Religion bleibt dennoch bestehen. Diese Diskrepanz zwischen Kommunikation in Religion und wissenschaftlicher Kommunikation über Religion stellt eine zentrale Herausforderung dar, die wir in diesem Buch mitreflektieren möchten: Wie verändern sich wissenschaftliche Theorien und Methoden, wenn die visuelle Seite von Religion als eigenständiger und wichtiger Bereich in die Religionsforschung mit einbezogen wird? Da Bilder nicht primär mit Begriffen, sondern nach eigenen ikonischen Logiken arbeiten, verändert eine solche Sichtweise die theoretisch-wissenschaftliche Metasprache, die Forschungsmethode und auch das konkrete wissenschaftlichen Resultat. Es stellt sich die Frage, wie visuelle Kommunikation sinnvollerweise in schriftliche, wissenschaftliche Sprache ›übersetzt‹ werden kann und mit welchen Wissens- und Erfahrungsverlusten zu rechnen ist.¹¹ Die Reflexion der Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Medien sowie der Hierarchien verschiedener Kommunikationsformen auf emischer, medialer und wissenschaftlicher Ebene würden eine differenzierte Abhandlung aller möglichen Dimensionen von Intermedialität verlangen. In diesem Buch richtet sich die Aufmerksamkeit jedoch auf spezifische visuelle Medien, die wir in der Folge dieses theoretisch ausgerichteten Kapitels näher bestimmen möchten.

2.3 Religiöse Bilder Der Begriff ›Bild‹ ist – ganz ähnlich wie ›Religion‹ – seit Jahrhunderten Gegenstand von Abhandlungen und Definitionsversuchen.¹² In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Cultural Studies angelsächsischer Ausprägung und der verschiedenen kulturwissenschaftlichen Ausrichtungen in Kontinentaleuropa, hat die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für das Bild als eigenständiges Medium stark zugenommen.¹³ Dabei wird ›Bild‹ sehr breit gefasst und nicht mit den klassischen Gattungen der Malerei, Skulptur, Architektur oder der so-

 Vgl. Stolz 2004.  Vgl. dazu Beinhauer-Köhler 2017.  Für eine religionswissenschaftliche Erforschung von Religion signifikante Beiträge zur Visualität finden sich in Baxandall 1985; Mitchell 1986, 7– 46; Miles 1998; Böhme 1999; Boehm 1994 und 2001; Macho 2000; Imdahl 2001; Bräunlein 2004; einen Überblick über bildwissenschaftlich einflussreiche Positionen bietet Sachs-Hombach 2009.  Für eine übersichtliche Einführung in diese Entwicklung hin zum pictorial beziehungsweise iconic turn vgl. Maar/Burda 2004 und darin insbesondere Bredekamp 2004.

Religiöse Bilder

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genannt angewandten Kunst identifiziert.¹⁴ Es ist schwierig, Bilddefinitionen zu finden, welche der Spannbreite zwischen den ersten prähistorischen Zeugnissen darstellerischer Tätigkeiten und heutiger digitaler Produktion angemessen sind. Gottfried Boehm drückt die Bedeutung des Bildes folgendermaßen aus: Die Bilder repräsentieren kein abgeschlossenes Reich. Aber ihre Kultur lebt davon, dass sie die ihr innewohnende Fremdheit, ihr dichtes Schweigen und ihre anschauliche Fülle gegenüber dem fortwährenden Gemurmel der Diskurse und dem Lärm der Debatten behaupten. Jenseits der Sprache existieren gewaltige Räume von Sinn, ungeahnte Räume der Visualität, des Klangs, der Geste, der Mimik und der Bewegung. Sie benötigen keine Nachbesserung oder nachträgliche Rechtfertigung durch das Wort. Der Logos ist eben nicht nur die Prädikation, die Verbalität und die Sprache. Sein Umkreis ist bedeutend weiter. Es gilt ihn zu kultivieren.¹⁵

Die Logik der Bilder, ihre Fähigkeit, eine »konsistente Erzeugung von Sinn aus genuin bildnerischen Mitteln«¹⁶ zu schaffen, stehen bei Boehm im Zentrum. Diese Logik »ist nicht-prädikativ, das heißt nicht nach dem Muster des Satzes oder anderer Sprachformen gebildet. Sie wird nicht gesprochen, sie wird wahrnehmend realisiert«.¹⁷ Diese Aussage, die sich allgemein auf Bilder bezieht, ist für die Erforschung von visuellen Quellen im Kontext von Religion ganz zentral. Wie formulieren Bilder diese unaussprechliche Logik, die sich in der Begegnung mit den Betrachtenden entfaltet? Wie ereignet sich visuelle Kommunikation und wie könnte man sie erfassen? Wie wird Bedeutung visuell erzeugt? Aus religionswissenschaftlicher Perspektive ist es weiterführend, das Bild als vielschichtige Größe zu verstehen und ihm mit einer offenen Haltung zu begegnen, die es erlaubt, seinen Stellenwert in der Interaktion zwischen Religion und Kultur zu begreifen. Eine für die Erforschung von Religion und Visualität hilfreiche Annäherung an das Bild findet sich in Hans Beltings anthropologischem Bildbegriff. Nach Belting ist das Bild immer mit einer symbolischen Bedeutung verknüpft, die in der Wechselwirkung von materiellen und mentalen Bildern entsteht. Voraussetzung jedes Bildes sind also die jeweiligen Betrachtenden: Der Doppelsinn innerer und äußerer Bilder ist vom Bildbegriff nicht zu trennen und verrät gerade dadurch dessen anthropologische Fundierung. Ein ›Bild‹ ist mehr als ein Produkt von Wahrnehmungen. Es entsteht als das Resultat einer persönlichen oder kollektiven Symbolisierung. Alles, was in den Blick oder vor das innere Auge tritt, lässt sich auf diese Weise zu einem Bild

 Zur Erweiterung des Bildbegriffes durch die Kunsthistoriker der Hamburger Schule zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu der Aby Warburg, Erwin und Dora Panofsky, Fritz Saxl, Gertrud Bing und Ernst Cassirer gehörten, vgl. Gombrich 1992; Panofsky 1978; Kaemmerling 1991; sowie Unterkapitel 10.2 dieses Buches.  Boehm 2004, 43.  Boehm 2004, 28.  Boehm 2004, 29.

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klären oder in ein Bild verwandeln. Deshalb kann der Bildbegriff, wenn man ihn ernst nimmt, letztlich nur ein anthropologischer Begriff sein.¹⁸

Das Bild kann gemäß Belting in der gegenseitigen Spannung zwischen drei Dimensionen erfasst werden: dem Medium, dem Bild und dem Körper. Das Bild wird also erstens in seiner Materialität, als Gegenstand, Artefakt, Produkt oder als elektronisches Bilderzeugnis aufgefasst. Das jeweilige Medium ist Träger des Bildes, das nur durch diese mediale Sichtbarmachung überhaupt in einen Kommunikationsprozess eintreten kann. Zweitens verweist das Bild stets auf eine immaterielle, es transzendierende Dimension. Es ist die Dimension der Verweise, der Beziehungen zu anderen Bildern, Narrativen, Vorstellungen, Weltbildern, dem kulturellen Imaginären. Drittens lebt das Bild von der Begegnung mit Betrachtenden. In diesem Sinne ist das Bild ein Körper, der auf andere Körper trifft und erst dann eigentlich zum Bild wird, wenn es wahrgenommen wird. Folgen wir dieser Argumentation Beltings, dann ist der eigentliche Ort der Bilder der menschliche Körper. Dieser beherbergt nicht nur innere Bilder, sondern externalisiert sie und nimmt stets neue äußere Bilder auf.¹⁹ Eine letzte zentrale Kategorie neben Medium, Bild und Körper ist der Raum: Die Begegnung von Bild-Körper und Betrachter-Körper ereignet sich an einem bestimmten Ort im Raum. Die Annäherung an das Bild mit Belting hat im Kontext von sichtbarer Religion zahlreiche Implikationen: Gegenstand der Forschung sind nicht nur die ausgewählten Quellen als Artefakte, sondern auch die mentalen Bilder und die Verweise auf das größere Weltbild, in das ein Bild eingebettet ist. Weil das Verhältnis zwischen den Betrachtenden und der materiellen Quelle für das Bild konstitutiv ist, untersuchen wir visuelle Quellen prinzipiell als ›gesehene‹. Bestandteil jeder Bildanalyse ist also die Berücksichtigung der Rezeption durch die Betrachtenden, die affektiv, emotional und kognitiv involviert sind und das Bild durch ihre Körper prägen. Den vielfältigen Kommunikationsprozessen, in die eine visuelle Quelle eingebettet ist, kommt also primäre Bedeutung zu. Beltings Auffassung des Bildes geht von der Unterscheidung zwischen der materiellen Gestalt (dem Medium), bestimmten Verweisen (dem Bild im eigentlichen Sinn) und einem Bezug zu den Betrachtenden (der Dimension des Körpers) aus. Unterscheidet man diese drei Perspektiven, dann erscheint auch die Pragmatik des Bildes, seine performative Dimension, für eine religionswissenschaftliche Beschäftigung mit Visualität zentral. Angesichts dieses Bildverständnisses erweist sich ein kommunikationstheoretischer Zugang zu Religion und Visualität als dem Phänomen angemessen: Religion wird als Kommunikationssystem erfasst, mit besonderer Aufmerksamkeit für die visuellen Aspekte der Kommunikation. In diesem Kontext erscheint das Bild als zweifach dynamische Größe: Es ist geprägt durch die Spannung zwischen materieller Gestalt, Verweis und Körper sowie durch die Einbettung in einen (religiösen) Kom-

 Belting 2001, 11.  Zum Ort des Bildes vgl. Belting 1998.

Religiöse Bilder

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munikationsprozess, in dem das Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption immer neue Bedeutungszuschreibungen erlaubt. Diese Dimensionen visueller Quellen sollen anhand eines Artefaktes, das seit Jahrtausenden in Gebrauch ist, rekapituliert werden. Dabei möchten wir vor allem auf die Komplexität der verschiedenen Bildaspekte hinweisen. Die folgenden Abbildungen zeigen einen Megalith in Saint-Duzec in der bretonischen Gemeinde PlemourBodou (Côte-d’Armor) (Abb. 12a und b). Betrachtet man den Megalith in seiner medialen, materiellen Dimension, sind besonders zwei Aspekte wichtig. Einerseits handelt es sich um einen monumentalen, acht Meter hohen Stein in offener Landschaft, der auf vorhistorische Praktiken und Techniken zurückgeht.²⁰ Andererseits ist der Megalith im oberen Teil mit einer viel späteren Darstellung der Kreuzigung Christi versehen worden. Verschiedene Gegenstände und Figuren deuten auf dieses Ereignis hin: Man erkennt die Werkzeuge, die zur Kreuzigung dienten, und einzelne Elemente wie den Hahn, das Kleid Jesus, das Tuch der Veronika und eine weibliche Figur (Maria?, Veronika?), die auf die Passionsnarrative und ihre Rezeptionsgeschichte hinweisen. Auch eine Hand ist dargestellt, dazu kommen Sonne und Mond und einige ornamentale Verzierungen. Diese Elemente sind als Basrelief direkt auf der Oberfläche des Megaliths eingemeißelt. Die Darstellung Jesu am Kreuz hingegen wurde hinzugefügt, wie der Unterschied im Steinmaterial deutlich zeigt. Man geht davon aus, dass diese christlichen Elemente auf dem Menhir 1676 angebracht wurden.²¹ Die komplexe Interaktion von mentalen Bildern, Bildtradierungen und Narrativen sowie Praktiken, auf die der Megalith verweist, eröffnet viele spannende Perspektiven, denen man in der Erforschung einer solchen religionsgeschichtlich dichten Quelle nachgehen könnte. Hier seien drei mögliche Verweisrahmen hervorgehoben: vorhistorische Weltbilder und Praktiken, die lange nachgewirkt haben und heute noch im Kontext neopaganer Bewegungen verschiedenen Relektüren unterzogen werden; christliche Vorstellungen und Praktiken (wie Prozessionen) im Kontext der Kalvarien, der lebensgroßen Darstellungen der Passion Christi, die typisch für die bretonische Gegend im 17. Jahrhundert sind; (religions‐)historisch und kunstgeschichtlich interessierter Tourismus, der auf den Spuren der bretonischen Kultur wandelt. Je nachdem, welche Ansätze man vertiefen möchte, sind die entsprechenden Blicke, durch die der monumentale Stein und die jeweiligen Betrachtenden in Beziehung treten, unterschiedlich. Das Bedürfnis, den Menhir im 17. Jahrhundert zu ›christianisieren‹, deutet auf eine Konkurrenz zwischen unterschiedlichen religiösen Weltbildern und Praktiken hin. Die symbolische, visuelle Aneignung des Megaliths verweist also auf die emische Perspektive der Menschen, die den Megalith verändert

 Einige Hinweise über vorhistorische Religionen in Europa finden sich bei Elsas 2002, 47– 51; vgl. zur Datierung von Megalithen Giot 1993, 59 – 63.  Vgl. Rother 1987, 212.

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Theoretische Horizonte

Abb. 12a und b: Megalith in Saint-Duzec, Bretagne, ca. 8 × 3 m, 4000 – 2500 v. Chr. Die christlichen Basreliefs und das Kruzifix sind um 1670 entstanden.

Religiöse Bilder

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haben, auf die Macht des christlichen Gottes und auf die alten, paganen Vorstellungen. Je nachdem, wie man Religion hier auffassen möchte – als Innensicht von Christinnen und Christen und/oder Neopaganen, als kulturell signifikanter Faktor für die Kulturgeschichte der Bretagne oder als dynamische Größe, die sich im Kulturkontakt über Jahrtausende verändert und verschiedene, koexistierende Weltbilder umfasst –, fokussiert man auf unterschiedliche Rezeptionen dieses Artefakts. Seit Jahrtausenden in Gebrauch, übernahm es im Verlauf seiner langen Geschichte unterschiedliche Bedeutungen. Der Megalith liefert deshalb eine gutes Beispiel, um die Vielschichtigkeit des Bildes in der Erforschung von Religion auf der diachronen Ebene aufzuzeigen. Auch in zeitgenössischer Perspektive kann der Megalith verschieden gedeutet werden, je nachdem, wer ihn mit welchem Interesse anschaut. Dass beim Betrachten von Bildern in gleicher Kultur und Zeit auch eine grosse Vielfalt an Verweisen realisiert wird, lässt das nächste, kontroverse Beispiel erkennen (Abb. 13). Das Kruzifix, das an der Wand eines Klassenzimmers hängt, ist aus der Perspektive des Mediums nicht besonders bemerkenswert. Es handelt sich um eine einfache, billige Serienausführung aus Holz und Messing. Um die Verweise zu untersuchen, ist es deshalb sinnvoll, zuerst die Blicke, in denen das Kruzifix eingebettet ist, zu reflektieren. Das Kruzifix kann im Kontext einer geteilten Frömmigkeit im Katholi-

Abb. 13: Eine Wand im Schulraum einer öffentlichen Grundschule in der Schweiz.

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Theoretische Horizonte

zismus rezipiert oder als Hinweis auf eine in der Schweiz – die Fotografie wurde in diesem Land gemacht – dominante religiöse Tradition gelesen werden. Das Kruzifix könnte auch als ein Verweis auf die Schweiz als Teil des ›Abendlandes‹ oder auf die Dominanz einer kirchlichen Institution in diesem Land verstanden werden. Je nach Blick und Vorverständnis sind die visuellen und narrativen Verweise anders; in diesem Fall stehen sie häufig in Konflikt miteinander: Einige befürworten den expliziten Verweis auf Religion im Klassenzimmer als wichtigen Hinweis auf die dominante Tradition im Land, andere hingegen bekämpfen dieses Symbol im öffentlichen Raum einer staatlichen Schule, die religiös neutral sein soll. Diese kurze Analyse zeigt bereits auf, dass die Kommunikation um das Kreuz ganz anders verläuft, je nachdem, ob sie im engeren christlichen Umfeld, im öffentlichen Raum oder in der Schule verortet ist. Je nach Umfeld und Betrachtenden werden unterschiedliche Bedeutungszuweisungen des Kruzifixes vorgenommen.

2.4 Religiöse Blicke, Blicke auf Religion Wir halten fest, dass, während das Bild in seiner materiellen Form jeweils vorgegeben ist, sein Verweischarakter und seine Möglichkeit, (religiöse) Bedeutung zu generieren, vom Blick der Betrachtenden – von der Begegnung des Bild-Körpers mit dem Körper der Betrachtenden – abhängig ist. Visuelle Quellen wandern durch die Zeit und durch unterschiedliche gesellschaftliche Systeme. Je nach Kontext verändert sich der Kommunikationsprozess, in dem ihre Bedeutungen geformt werden. Die Kommunikationsprozesse rund um dasselbe visuellen Medium können erheblich variieren. Bilder sind also jeweils in bestimmten Blickkulturen angesiedelt. Die Rede von der Blickkultur hat sich in der deutschsprachigen Welt als Gegenüber des englischen visual culture etabliert. Sie betont die Wichtigkeit des Kontextes, in dem Bilder wahrgenommen werden, wobei damit, wie bereits gesagt, nicht nur die spezifisch historische Kontextualisierung gemeint ist, sondern die Vielfalt an Faktoren, welche die Kommunikationsprozesse beeinflussen, in die Bilder eingebettet sind. David Morgan definiert visual culture folgendermaßen: Visuelle Kultur ist das, was Bilder, Sehakte und dazu gehörige intellektuelle, emotionale und wahrnehmende Sensibilitäten tun, um die Welten, in denen Menschen leben, zu erbauen, zu erhalten oder zu transformieren. Die Untersuchung der visuellen Kultur ist die Analyse und Interpretation von Bildern und Arten zu sehen (oder der Blick), die die Akteurinnen und Akteure, Praktiken, Konzepte und Institutionen konfigurieren, die Bilder zum Einsatz bringen.²²

 »Visual culture is what images, acts of seeing, and attendant intellectual, emotional and perceptual sensibilities do to build, maintain, or transform the worlds in which people live. The study of visual culture is the analysis and interpretation of images and the ways of seeing (or gaze) that configure the agents, practices, conceptualities, and institutions that put images to work.« Morgan 2005, 33; Übersetzung durch die Autorinnen.

Religiöse Blicke, Blicke auf Religion

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Bei Morgans spezifischem Zugang zu sichtbarer Religion ist die pragmatische, handlungsorientierte Dimension visueller Kultur zentral. Einen etwas anderen Akzent legt Nicholas Mirzoeff. In seiner Definition geht es um die Wirkung und den Einfluss visueller Kultur im breiteren kulturellen Kontext: [V]isuelle Kultur wird in einem viel aktiveren Sinn gebraucht, indem auf die entscheidende Rolle der visuellen Kultur in der weiteren Kultur fokussiert wird, zu der es gehört. Eine solche Geschichte der visuellen Kultur würde die Momente betonen, in denen das Sichtbare infrage gestellt, diskutiert und transformiert wird, als ein ständig herausfordernder Ort sozialer Interaktion und Definition im Sinn von Klasse, Geschlecht oder racialized Identitäten.²³

In dieselbe Richtung weist auch die Beschreibung der visuellen Kultur von Sigrid Schade und Silke Wenk, wobei sie die Wichtigkeit von unsichtbaren und mentalen Bildern betonen: Der Begriff der visuellen Kultur umfasst aus unserer Perspektive etwa im Unterschied zu ›Visualität‹ nicht nur sichtbar, sondern auch unsichtbar Gemachtes. Er umfasst eine Vielzahl von sozialen Feldern und Tätigkeiten: Kunst, Populärkultur ebenso wie wissenschaftliche Illustration oder bildgebende Verfahren. Visuelle Kultur schließt alte, neue und neuste Medien ein, die nicht erst heute keineswegs nur ›visuell‹ sind und nur den Augensinn ansprechen, sondern mit Texten, mit Sprache, mit Zu-hören-Gegebenem notwendig verknüpft sind.²⁴

Die Aufmerksamkeit für intermediale Wechselwirkungen und die Komplexität der sozialen Bedingungen des Sehens weist auf eine notwendig offene Verwendung des Begriffs ›Blickkultur‹ hin. Die Betonung liegt auf der Einbettung des Schauens im jeweiligen soziokulturellen Umfeld und weniger auf einer exklusivistischen Auffassung von visueller Kultur als etwas Eigenes und Autonomes.²⁵ Daran schließt Bärbel Beinhauer-Köhler an, wenn sie die Vielfalt von koexistierenden Blicken insbesondere in religiösen Systemen und Traditionen unterstreicht. Die Interaktionen mit anderen sozialen Systemen sowie die Bedeutung des Schauens auch gegenüber Unsichtbarem sind für sie wesentliche Aspekte der Erforschung von Bildern in Religion.²⁶ Im Kontext von Religionen kann der Blick sehr genau reguliert sein.Wer darf wann was betrachten? Von wem und wann darf was wo und wie gesehen werden? Dies sind Fragen, die in religiösen Traditionen und Gemeinden durchaus explizit verhandelt werden und die in Zeiten der virtuellen Verbreitung von Bildern über das Internet und

 »[V]isual culture is used in a far more active sense, concentrating on the determining role of visual culture in the wider culture to which it belongs. Such a history of visual culture would highlight those moments where the visual is contested, debated and transformed as a constantly challenging place of social interaction and definition in terms of class, gender, sexual and racialized identities.« Mirzoeff 1999, 4; Übersetzung durch die Autorinnen.  Schade/Wenk 2011, 9.  Vgl. zu den Problemen des Kulturbegriffs in der Erforschung von Visualität Bal 2003.  Vgl. Beinhauer-Köhler 2010.

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Theoretische Horizonte

des Ausstellens von Objekten in Museen an Komplexität gewonnen haben. Beispiele dafür sind das Turiner Grabtuch oder die Gebetstücher der Hazara. Das Turiner Grabtuch besteht aus einem Leinengewebe von 4,41 auf 1,13 m, auf dem das gespiegelte Bild eines Verstorbenen eingeprägt ist. Das Tuch träg Spuren eines Brandes. Über seine Bedeutung und Entstehung zirkulieren zahlreiche Geschichten: Für manche handelt es sich um das Tuch, in das der Leichnam Jesu nach seinem Tod eingewickelt wurde, für andere ist es ein mittelalterliches Artefakt. Das Grabtuch wird seit 1578 im Turiner Dom aufbewahrt und kann nur zu bestimmten Zeiten gesehen werden. Eine Möglichkeit, das Tuch zu besichtigen, bot Papst Franziskus vom 19. April bis zum 24. Juni 2016 anlässlich des 200. Jubiläums der Geburt des heilig gesprochenen Giovanni Bosco (1815 – 1888), dem Gründer der Salesianer. Zu diesem Anlass wurde eine Website veröffentlicht, in der neben historischen, liturgischen und theologischen Überlegungen Informationen zum Besuch des Turiner Grabtuches zur Verfügung gestellt werden (Abb. 14). Auf www.sindone.org wird detailliert erklärt, wie der Besuch und die Betrachtung des Tuches ablaufen sollen. Der Besuch ist umsonst, muss aber online oder telefonisch im Voraus gebucht werden. Der Eintritt ist nur für eine bestimmte Zeit gültig. Zunächst können sich die Besucherinnen und Besucher auf einer Strecke von 850

Abb. 14: Papst Franziskus sitzt vor dem Grabtuch in der Turiner Kathedrale. Screenshot der Website www.sindone.org. Durch das Internet wird etwas sichtbar gemacht, was nur vor Ort und an bestimmten, seltenen Terminen gesehen werden darf.

Metern mittels Videos auf die Betrachtung des Tuchs vorbereiten. Der Weg führt schließlich in die Kathedrale, in der die Besuchenden einige Minuten vor dem Tuch

Religiöse Blicke, Blicke auf Religion

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verbringen dürfen.²⁷ Der Blick auf das Turiner Grabtuch ist geprägt von der Geschichte des Artefaktes und seiner bisherigen Rezeption. Das Medium der Fotografie spielt hier eine Schlüsselrolle: Erst durch die fotografischen Reproduktionen wurden die Körperspuren auf dem Tuch sichtbar gemacht, konnten verbreitet und reproduziert werden.²⁸ Maßgeblich für den Blick auf das Turiner Grabtuch sind aber nicht zuletzt die Anleitung und die Regulierung der Betrachtung durch den Heiligen Stuhl und die Turiner Diözese. Diese regulieren den Zugang zum Turiner Grabtuch nicht nur im physischen, sondern auch im virtuellen Raum, indem sie den potenziellen Besuchenden das ideale Verhalten im Vorfeld erläutern. Auch im alltäglichen Leben von Individuen sind Formen der religiösen Regulierung des Sehens verankert. Die Hazara, eine schi’itische religiöse Minderheit in Afghanistan, verwenden einen Gebetsstein, das mohr, zur Verrichtung der täglichen Gebete. Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich bewahrt eine kostbare Sammlung von handgestickten, kleinen Tüchern, dastmal-e mohr genannt, auf (Abb. 15).²⁹ Die dastmal-e mohr haben eine Seitenlänge von ca. 30 – 35 cm und wurden zuhause verborgen aufbewahrt und nur zu rituellen Zwecken hervorgeholt. Sie erfüllen zunächst zwei Funktionen: Einerseits schützen sie das mohr, den Gebetsstein, der eine zentrale Rolle in dieser besonderen, schi’itischen Gebetspraxis spielt; andererseits dienen sie, auf eine Matte, ein Tuch oder den gereinigten Fußboden gelegt, als Gebetsteppich en miniature. Ob ausgelegt auf dem Boden oder das mohr verhüllend, die dastmal-e mohr markieren während des Gebets einen transitorischen heiligen Raum. Unter dem Druck der zunehmenden Verfolgung der Hazara erhielten diese Gebetstücher eine neue Bedeutung: Nach der Flucht, im Exil, wurden sie in den Häusern aufgehängt, als Merkmal der Zugehörigkeit zum Volk der Hazara.³⁰ Und wenn die dastmal-e mohr schließlich in ethnographischen und religionshistorischen Sammlungen der Schweiz aufbewahrt und gezeigt werden,verändert sich der Blick auf sie nochmals: vom Blick des Betenden, über den Blick der im Exil Lebenden hin zum Blick von Menschen, die in Europa mit dem Erbe von bedrohten Völkern konfrontiert werden. In diesem zweiten Beispiel verändert sich also der gesellschaftliche Kontext des Blickes und damit auch die Regulierung des Sehens. Die Gebetstücher, einst sorgsam verwahrt und durch die Intimität alltäglicher Religionspraxis reguliert, werden im Kontext musealer Regulierungen zu ethnografischen Quellen und exponierten Ausstellungsgegenständen. Der private Raum des Hauses erlaubt einen Zugang zum Gebetstuch, der sich wesentlich vom Zugang im öffentlichen Raum des Museums unterscheidet. Im Museum wird das Bild aufbewahrt und geschützt sowie im Kontext

 Die Beschreibung der Etappen des Besuches kann unter http://www.sindone.org/santa_sindone/ la_sindone/00023931_La_Sindone.html [26.04. 2016] nachgelesen werden.  Vgl. Greimer, 2010, insbesondere 175 – 251, über Paul Vignon und die erste Fotografie des Turiner Grabtuches.  Gute Reproduktionen der Sammlung finden sich in Bucherer/Vogelsanger 2000.  Vgl. Vogelsanger 2000, 16 – 17.

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Theoretische Horizonte

Abb. 15: Dastmal-e mohr, 30 × 35 cm, zu Verkaufszwecken produziert, im Museumsshop des Völkerkundemuseums der Universität Zürich erworben.

anderer Bilder gezeigt. Für diese spezifische ›Aufbereitung‹ muss man entsprechend mit einer Eintrittskarte bezahlen.³¹ Der Blick ist wesentlicher Bestandteil einer visuellen Quelle. Folglich setzt die Erforschung des Blicks auch eine Aufmerksamkeit für den räumlichen Kontext der Rezeption voraus: Körper des Bildes und Körper der Betrachtenden begegnen sich in bestimmten Räumen, die Rezeptions- und Regulierungsprozesse wesentlich prägen.³²

2.5 Kernthemen sichtbarer Religion Zu Beginn des Kapitels haben wir auf die heuristische Grundunterscheidung von emischen, medialen und wissenschaftlichen Blicken hingewiesen. Dabei wurde die  Zu dieser Form der Regulierung vgl. Belting 1998 und Morgan 2012.  Zur unmittelbaren Wirksamkeit des Bildes, die aber aufgrund ihrer physischen Präsenz, ihrer medialen Körperlichkeit, dennoch vermittelt werden muss, vgl. Didi-Hubermann 1999, 2000 und 2007; Belting 2001; Belting/Haustein 1998.

Kernthemen sichtbarer Religion

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Frage einer bewussten Religionsdefinition offen gelassen und vorgeschlagen, die Vielfalt der Bestimmungen dieses Phänomens dem Gegenstand und der Grundfrage, der man nachgeht, anzupassen. Anstelle einer Religionsdefinition stellt dieses Buch unterschiedliche Leitfragen vor, die für die Erforschung sichtbarer Religion weiterführend sind. Ein solcher Zugang ermöglicht es, die Vielfalt der Fragestellungen im Kontext von Visualität und Religion aufzuzeigen und ein breites Spektrum an methodischen, theoretischen und inhaltlichen Facetten dieses Feldes zu besprechen. Jeder Grundfrage ist ein Kapitel in diesem Buch gewidmet. Eine erste Frage zielt auf die Möglichkeit von religiösen Symbolsystemen, Weltbilder zu entwerfen, zu tradieren und sich verändernde kulturelle Kontexte zu adaptieren. Welche Rolle spielt visuelle Kommunikation in der Vermittlung von Konzeptionen des Kosmos? Wie sind solche Weltbilder inszeniert? Welche Rezeptionen forcieren sie? Wir gehen davon aus, dass Bilder religiöse Weltbilder sichtbar machen: Damit liefern sie auch einen spezifischen Zugang zur transzendenten Dimensionen. Es geht also um die Gestaltung des Kontrastes und des Verhältnisses zwischen Immanenz und Transzendenz. Wie wird Transzendenz im Kontext visueller Kommunikation artikuliert? Wie werden Verweise auf jenseitige Dimensionen mit den spezifischen Mitteln des Bildes realisiert? Dies ist die zweite Grundfrage, die in diesem Einführungsband vertieft wird. Visuelle Repräsentationen von religiösen Weltbildern gestalten nicht nur die Kontinuitäten und Unterscheidungen zwischen transzendenten und immanenten Bereichen, sondern sind stets mit normativen Dimensionen verbunden. Eine weitere Grundfrage fokussiert auf Normativität in visuellen Medien in religiösen Symbolsystemen auseinander. Gibt es spezifische Möglichkeiten des Bildes,Werte zu vermitteln – sei es im Sinne der Bekräftigung oder auch der Subversion dominierender moralischer Diskurse? Eine vierte Grundfrage kreist um Machtdiskurse von und über Religion im spezifischen Fall der visuellen Kommunikation. Religiöse Symbolsysteme vermitteln Weltbilder, gestalten die Grenzen von Transzendenz und Immanenz, prägen Wertvorstellungen: Es geht also um den Zusammenhang dieser Leistungen mit Legitimierung oder Delegitimierung von Macht. Die folgenden zwei, miteinander verbundenen Themen knüpfen an das Vorangehende an. Einerseits stellen wir die Frage nach der Bedeutung von Bildern auf der Ebene der Gesellschaft und andererseits auf der Ebene des Individuums. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Rolle visueller Kommunikation im Kontext von gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Praktiken, sowie Identitätsprozesse und persönliche Dimensionen von Religion. Das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum ist auch in einer diachronen Perspektive zentral. In einem weiteren Schritt geht es deshalb um die Frage nach der Bedeutung von Bildern in religiösen Tradierungsprozessen. Welche Funktion übernimmt die visuelle Repräsentation in der Kontinuität eines religiösen Symbolsystems über die Zeit, durch verschiedene Kulturen und Organisationsformen von Gesell-

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Theoretische Horizonte

schaft? Wie verhalten sich Innovations- und Tradierungsprozesse zueinander? Wie ist das Verhältnis zwischen Tradition und Veränderung angesichts visueller Kommunikation zu erfassen? Im letzten Kapitel geht es um die Verbindung von Religion und Kultur: Mit der Kategorie des Imaginären wird die Leistung religiöser Bilder zusammenfassend konzeptualisiert.

Fragen zur Vertiefung · Diskutieren Sie Wechselwirkungen von emischen, medialen und wissenschaftlichen Blicken anhand der Abbildung 7. · Analysieren Sie die Darstellung des Skeletts am Beinhaus von Cauco (Abb. 5) und am Schaufenster des Londoner Modegeschäfts (Abb. 6) ausgehend von den Kategorien Bild, Medium und Körper. · Diskutieren Sie das Verhältnis zwischen dem Körper des Bildes und dem Körper der Betrachtenden anhand des dastmal-e mohr (Abb. 15) und des Turiner Grabtuchs.

3 Methodische Herausforderungen oder wie sichtbare Religion untersucht wird In diesem Kapitel steht die Frage im Zentrum, wie mit visuellen und materiellen Quellen gearbeitet werden kann. Es werden methodologische Überlegungen dargelegt, die der Erforschung visueller Gegenstände gerecht werden. Nicht nur das zu untersuchende Objekt allein, sei es nun zwei- oder dreidimensional, mit Ton und in Bewegung, wird in der Untersuchung berücksichtigt. Auch die Blicke und die Kommunikationsprozesse, in die die visuellen Quellen eingebettet sind, haben, wie im vorangehenden Kapitel bereits ausgeführt wurde, eine besondere Relevanz. Objekte werden je nach Produzenten, Betrachterinnen und sozialen, politischen und historischen Kontexten mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen. Diese vielfältigen möglichen Perspektiven sollen in der Untersuchung berücksichtig werden: Die Analyse fokussiert folglich nicht nur auf eine bestimmte visuelle Quelle und die Kommunikationsprozesse, die sich um sie entfalten, sondern ebenso auf die Veränderungen, die Bilder und Blicke durch Tradierungsprozesse erleben. Auch die Kontexte der Produktion und der Rezeption müssen deswegen in die Überlegungen einbezogen werden. Es ergeben sich dadurch zwei Aspekte, die für eine erste methodologische Einordnung grundlegend sind: einerseits der Gegenstand selbst und anderseits das Spannungsfeld von Produktion und Rezeption, in das der Gegenstand eingebettet ist. Mittels unterschiedlicher Methoden können Objekte mit bestimmten Fragestellungen in Verbindung gebracht werden. Methodisches Vorgehen ist dabei niemals statisch, sondern Dynamiken ausgesetzt, beispielsweise wenn ein methodisches Verfahren der visuellen Quelle angepasst oder wenn die Quelle durch die Analyse verändert wird. Deswegen ist es zentral, Methoden reflektiert anzuwenden und sich im Analyse- und Interpretationsprozess immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, was durch eine bestimmte Betrachtungsweise hervorgehoben und was dabei vernachlässigt wird. Die Kulturanalytikerin Mieke Bal bringt dieses methodische Bewusstsein mit folgenden Worten auf den Punkt: [I]hre Methoden liegen nicht in einem Werkzeugkasten und warten darauf, verwendet zu werden; sie sind ebenfalls Teil der Erkundung. Man verwendet nicht eine Methode, sondern man führt eine Begegnung zwischen verschiedenen [Methoden] durch, eine Begegnung, an der das Objekt teilnimmt, so dass Objekt und Methoden gemeinsam ein neues, nicht fest umrissenes Feld bilden. Hier wird die Reise zur instabilen Basis der Kulturanalyse.¹

 »[I]ts methods [are not] sitting in a toolbox waiting to be applied; they, too, are part of the exploration. You do not apply one method; you conduct a meeting between several, a meeting in which the object participates so that, together, object and methods can become a new, not firmly delineated, field. This is where travel becomes the unstable ground of cultural analysis.« Bal 2007, 1; Übersetzung durch die Autorinnen. https://doi.org/10.1515/9783110536706-004

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Methodische Herausforderungen

Bals Position wird von Sigrid Schade und Silke Wenk aufgenommen und weitergeführt, indem sie konkretisieren, wie sich ein Gegenstand durch die Analyse verändert: Ein Objekt wird zwar ›konstituiert‹, indem es aus einer Reihe von möglichen Objekten ausgewählt wird, weil es provoziert und fasziniert, aber es bleibt in der weiteren Analyse nie, was es zum Zeitpunkt seiner Auswahl war. Eingebettet in Fragen und Überlegungen, hin- und hergewendet und eingerahmt (framed) wird es sich in der Begegnung der Exploration am Ende verändern.²

Zur Veränderung des Objektes gehört auch die Transformation von visuellen, materiellen Quellen in digitale Dateien, auf denen die Untersuchung und die Vermittlung der Ergebnisse sichtbarer Religion heute größtenteils beruhen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Werk kann sich in einem ersten Schritt im Sinne einer phänomenologischen Betrachtungsweise auf das beschränken, was ein Individuum wahrnehmen kann. Dies geschieht über die Sinne, etwa durch das Sehen, Hören, Fühlen oder Riechen. In einem nächsten Schritt können wahrgenommene Einheiten und Formen analysiert und Bedeutungen zugesprochen werden.³ Dieser Schritt wird jedoch eingeschränkt bleiben, da die Bedeutung der formalen Aspekte eines Werkes auch von dem Kontext abhängen, in dem es hergestellt wurde sowie zugänglich war und ist. Die Analyse und Interpretation einer visuellen Quelle artikuliert sich also in einer Spannung zwischen dem Gegenstand, dem Produktionskontext, dem Rezeptionskontext und dem Standort der Forschenden. Je nach Fragestellung können diese Bereiche zwar unterschiedlich gewichtet werden, doch unterliegt jede Analyse der Beziehung zwischen diesen Betrachtungsweisen. Im vorangehenden Kapitel haben wir visuelle Quellen in der Verbindung von Medium, Bild (im Sinne des Verweises) und Blicken umrissen. Dabei wurde betont, dass immer eine Auswahl an Blicken besteht. Insbesondere wurde auf die Unterscheidung von emischen, medialen und wissenschaftlichen Blicken hingewiesen. Darüber hinaus bedingt der Fokus auf religiöse Gemeinschaften und Traditionen eine Verortung von Bildquellen in bestimmten Symbolsystemen, die immer Teil einer spezifischen Kultur sind. Methodisch erfassen wir also Kommunikationsprozesse, in denen Verweise auf religiöse Symbolsysteme verhandelt werden.

3.1 Kultur als Produkt dynamischer Prozesse Die oben aufgezeigten Momente eines Kommunikationsprozesses, der Gegenstand, die Produktion und die Rezeption, die es in der Arbeit mit visuellen Quellen zu beachten gilt, werden von den Vertretern der angelsächsischen Cultural Studies in einem

 Schade/Wenk 2011, 67, Hervorhebung im Original.  Einen möglichen Weg der Interpretation hat Erwin Panofsky beschrieben, indem er zwischen drei Phasen unterschieden hat, nämlich zwischen der vorikonographischen Beschreibung, der ikonographischen Analyse und der ikonologischen Interpretation; vgl. Panofsky 1979.

Kultur als Produkt dynamischer Prozesse

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Modell, dem circuit of culture, erfasst.⁴ Als Modell der Kulturkritik zu verstehen, basiert es auf den drei wesentlichen Aspekten, die einen kulturwissenschaftlichen Zugang ausmachen, nämlich Macht, Identität und Kultur. Denn die »Cultural Studies sind jene kulturelle Praxis, die untersucht, wie soziale und politische Identität qua Macht im Feld der Kultur (re‐)produziert wird.«⁵ In diesem Sinne erlaubt der circuit einerseits unterschiedliche Momente der Kommunikation zu differenzieren und andererseits die Interaktionen unter ihnen hervorzuheben. Als allgemeines Modell zur Erforschung von kulturellen Artefakten und Prozessen konzipiert, erweist es sich auch im Bereich der Erforschung von Religion und Visualität als gewinnbringend. Im Sinne eines methodologischen Rasters lassen sich unterschiedliche Fragen und Akzente beschreiben und zugleich Methoden der Erforschung (audio‐)visueller Quellen aus verschiedenen Disziplinen und wissenschaftlichen Traditionen in eine produktive Verbindung bringen. Damit können die verschiedenen Elemente kultureller Prozesse in ihrer dynamischen, oft instabilen und non-linearen Interaktion artikuliert werden. Dies wird in den folgenden Kapiteln mittels verschiedener Fallstudien aufgezeigt werden. Das Modell unterscheidet neben den bereits hervorgehobenen Kategorien Repräsentation, Produktion und Rezeption die Dimensionen der Identität und der Regulierung (Abb. 16).

Abb. 16: Das Modell des circuit of culture nach Stuart Hall (vgl. Hall 2013a, xviii).

 Vgl. du Gay/Hall/Janes/Mackay/Negus 1997, 4; sowie Hall 2013a, xvii–xxiv. Eine Darstellung der British Cultural Studies findet sich in Hall 2000, 34– 51. Einen Vergleich zwischen der angelsächsischen und der deutschen Ausprägung der cultural studies respektive der Kulturwissenschaft liefert Assmann 2008, 20 – 24; vgl. auch Smith 2001, 151– 166; und Burke 2005. Für eine allgemeine Einführung vgl. Moebius 2012; Marchart 2008.  Marchart 2008, 35.

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Methodische Herausforderungen

Die Kategorien dieses Modells heben theoretische, philosophische und wissenschaftspolitische Präferenzen in der Bezeichnung der verschiedenen Momente der Kommunikation hervor. Im Folgenden werden wir diese erläutern und gezielt auf die Erforschung visueller Phänomene beziehen. In diesem Sinne unterziehen wir das allgemein gehaltene Modell einer spezifischen, zielgerichteten Lektüre. Repräsentation gibt das englische representation wieder und bezieht sich auf (audio‐)visuelle Quellen, sowohl in ihrer Materialität als auch hinsichtlich der Verweise, die im Kontext eines Kommunikationsprozesses realisiert werden. Der Begriff betont den Verweischarakter und ist besonders im Kontext von Religion grundlegend, denn er bezieht sich auf die Materialität der Quelle hinsichtlich ihrer Bedeutungskonstruktion. Dabei kann es sich einerseits um intermediale Verweise handeln, etwa jene zwischen Text und Bild, wenn ein Bild zum Beispiel eine Szene aus dem Neuen Testament aktualisiert. Andererseits kann damit auch auf Transzendenz selbst verwiesen werden, zum Beispiel auf eine bestimmte Gottheit. Beide genannten Beispiele der Repräsentation können sich in einer Darstellung auch überschneiden. Grundlegend aber gehen wir davon aus, dass Repräsentationen die Welt bilden und sie nicht in erster Linie abbilden. ⁶ So verstanden, verfügen Repräsentationen über politische und soziale Dimensionen. Denn auf welche Art und Weise repräsentiert wird, entscheiden unter anderem Gruppen, Individuen oder Institutionen mit ihren je spezifischen Interessen der ›Welten-Bildung‹ und der Weltbilder, wie reflektiert auch immer dies geschehen mag. Die Kategorie der Produktion (production) verweist auf den Kontext, in dem eine visuelle Quelle entsteht. Wie wir anhand vielfältiger Beispiele zeigen werden, ist die Produktion ein dynamischer Prozess und kann nicht immer von der Rezeption unterschieden werden. Denn bei jedem Prozess der Rezeption wird neue Bedeutung produziert und die Quelle verändert sich. Andererseits ist die Produktion immer mit der Rezeption verbunden: Der Verweischarakter der Repräsentation setzt voraus, dass die (materielle) Produktion einer bestimmten Quelle in der Rezeption (und Adaption) eines bestimmten Motivs geschieht.⁷ In den englischsprachigen Cultural Studies wird die Rezeption als consumption bezeichnet. Consumption kann sowohl als ›Rezeption‹ als auch als ›Konsumption‹ wiedergegeben werden. Es handelt sich um zwei Begriffe, die Kommunikationsprozesse unterschiedlich gewichten und verorten.⁸ Je nach Fragestellung und Gegenstand kann der eine oder der andere Begriff angemessener erscheinen: Möchte man die aktive Rolle der Betrachtenden im Prozess des Schauens betonen, dann ist der Anschluss an Rezeptionstheorien weiterführend.⁹ Geht es eher um Spannungen im Kontext von politischen und ökonomischen Machtverhältnissen, wie zum Beispiel bei den subaltern oder postcolonial studies, dann ermöglicht der  Zur Vertiefung der Kategorie der representation ist die Lektüre von Hall 2013b, 1– 47, empfehlenswert.  Zur Dominanz des Rezeptions- über den Produktionsbegriff vgl. das Kommunikationsmodell von Odin 2015 und 2011.  Vgl. Nixon 1997.  Vgl. Eco 2010; Christie 2012.

Kultur als Produkt dynamischer Prozesse

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Begriff der Konsumption Regulierungsmechanismen im Rahmen unterschiedlicher Gesellschaftsbereiche hervorzuheben.¹⁰ Neben Repräsentation, Produktion und Rezeption verlangt das Modell des circuit of culture die Klärung der Aspekte der Regulierung (regulation) und der Identität (identity). Die Frage der Blickkulturen, die wir im vorangehenden Kapitel angeschaut haben, kann mit dem Begriff der Regulierung in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus geht es auch um Diffusionsprozesse: Wie zirkulieren visuelle Quellen in einem kulturellen Kontext? Von welchen materiellen, räumlichen, technischen, sozialen, politischen, institutionellen Bedingungen hängt die Möglichkeit ab, auf eine Repräsentation zu stoßen? Wie wird der Zugang zu einer Quelle reguliert? Um diese Fragen zu beantworten, reichen Kommunikationsmodelle nicht mehr aus, sondern hier ist der Rekurs auf andere Zugänge zu visuellen Quellen relevant, beispielsweise Verfahren aus der politischen Ikonographie.¹¹ Identitätsprozesse wiederum finden im Spannungsfeld der Aktivität der einzelnen Rezipierenden und gesellschaftlich geteilten Vorstellungen und Konventionen statt. Darum ist die Frage relevant, welche Zugehörigkeiten und Abgrenzungen durch visuelle Kommunikationsprozesse bekräftigt oder verunmöglicht werden. In der Analyse visueller Quellen kann der Aspekt von Identitätsprozessen im Anschluss an Boundary-Making-Ansätze vertieft werden.¹² Gemäß des circuit of culture soll die Analyse von Quellen nicht nur auf diese fünf Bereiche Rücksicht nehmen, sondern vor allem auf die Interaktionen zwischen ihnen. Für die Erforschung im Bereich der sichtbaren Religion sind auch andere Kategorisierungen denkbar, die dieses sehr allgemein gehaltene Modell spezifizieren oder erweitern. Diese Flexibilität gehört zu den Stärken des Modells: Ein großer Gewinn dieses methodologischen Ansatzes liegt in der Möglichkeit, unterschiedliche theoretische und methodische Zugänge miteinander in Verbindung zu bringen, ohne sie zu vermischen. Beispielsweise ist es möglich, den Aspekt der Rezeption sowohl historisch-hermeneutisch als auch sozialempirisch anzugehen, ohne die unterschiedlichen Voraussetzungen dieser Verfahren aus den Augen zu verlieren.¹³ Im Folgenden soll die methodologische Leistung des circuit of culture anhand der fotografischen Reproduktion einer Statue des Heiligen Franziskus aufgezeigt und rekapituliert werden (Abb. 17). Die Statue des Franz von Assisi, einer wichtigen Heiligenfigur in der römischkatholischen Tradition, wird zuerst aus der Perspektive der Repräsentation, des

 Vgl. Hall 2010, 20 – 23.  Vgl. das Handbuch der politischen Ikonographie von Fleckner/Warnke/Ziegler 2011.  Hall 2009 und Wimmer 2008 diskutieren den Begriff der Identität in zwei unterschiedlichen Ansätzen. Hall wählt einen kulturkritischen Ansatz und der Ethnologe Wimmer arbeitet ein MehrebenenModell des boundary making aus, das sowohl auf Gruppenprozesse als auch auf das Individuum eingeht.  Weiterführende Überlegungen zu diesen unterschiedlichen methodischen Zugängen finden sich in Bezug auf Kommunikation im Allgemeinen bei Fiske 2011, 128; in Bezug auf spezifisch visuelle Kommunikation bei Rose 2012b.

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Methodische Herausforderungen

Abb. 17: Statue des Heiligen Franz von Assisi im Kreuzgang der Basilica Santa Maria degli Angeli, Assisi.

Werkes an sich, untersucht. In diesem Schritt betrachtet man die Materialität der Statue, ihre Beschaffenheit, Farbgebung, die einzelnen Elemente ihrer Ikonographie und deren Zusammenhang. Darüber hinaus wird auf dieser Ebene der Analyse die Frage nach Verweisen untersucht: Wie wird Franziskus dargestellt? Auch mögliche Varianten und Auslassungen können hier ein Thema sein: Welche typischen Elemente der Ikonographie dieses Heiligen werden nicht gezeigt? Dafür sind Vergleiche mit anderen Darstellungen des Franziskus anzustellen. In diesem ersten Schritt kann mit der Statue selbst und mit einer fotografischen Reproduktion gearbeitet werden, wobei letzteres einige Einschränkungen mit sich bringt: Der räumliche Kontext wird reduziert, der dreidimensionale Gegenstandes wird auf einer zweidimensionalen Fläche

Kultur als Produkt dynamischer Prozesse

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wiedergegeben, gewisse Blicke werden durch die fotografische Fixierung verunmöglicht. In einem weiteren Schritt kann nach der Produktion gefragt werden. Wer hat die Statue in Auftrag gegeben und wer hat sie ausgeführt? Wann? Wo wurde sie hergestellt? Warum wurde sie produziert? Für welchen Raum? Auch Fragen nach den Bedingungen und Möglichkeiten einer bestimmten Herstellungstechnik gehören in diesen Zusammenhang. Handelt es sich um ein Unikat? Oder wurden Kopien davon produziert und falls ja, mit welchen Materialien, in welchen Größen, zu welchem Zweck? Zur Rekonstruktion des Produktionskontextes reicht der Gegenstand alleine nicht mehr aus. Hier müssen Informationen aus anderen Medien hinzugezogen werden. Es ist offensichtlich, dass die historische Perspektive für die Analyse der Produktion und der Repräsentation des Gegenstandes zentral ist. Ähnliches gilt für die Rekonstruktion der Rezeption: In dieser Phase der Analyse ist es wichtig, den Tradierungsprozess des Gegenstandes zu beachten. Denn während sich die materielle Herstellung der Statue in einer bestimmten Zeit verorten lässt, deckt ihre Rezeption die gesamte Zeitspanne von ihrer Herstellung bis zum Zeitpunkt der Untersuchung ab. Welcher Zeitpunkt oder welche Zeitspanne relevant ist, wird von der Fragestellung, auf der die Forschung basiert, vorgegeben. Die Frage der Rezeption leitet vom Werk zum Blick über: Es geht um die Analyse von Blicken als sozialer Praxis. Auf dem Bild sind Köpfe von Besuchern und Besucherinnen zu sehen, was darauf hinweist, dass die Statue der Öffentlichkeit zugänglich ist. Damit stellen sich Fragen nach dem räumlichen Kontext, der Verwendung der Statue, der Art und Weise, wie Menschen mit ihr umgehen, was sie mit oder vor dieser visuellen Quelle getan haben und tun. Liegt der Untersuchungsfokus auf der gegenwärtigen Verwendung, dann könnte an ein Vorgehen aus der sozialempirischen Forschung oder aus der visuellen Anthropologie angeschlossen werden, um die Rezeption der Statue aus der emischen Perspektive zu untersuchen. Des Weiteren wäre eine Verbindung zu anderen (religiösen) Praktiken möglich, die in Assisi stattfinden und die Statue in einen größeren Handlungskontext einbinden. Dem circuit of culture folgend ist die Frage nach Identitäten zu stellen, die um dieses Artefakt entstehen. Wer verehrt die Statue? Welche Art der Identifikation mit dem Heiligen Franziskus unterstützt sie? Ist die Verehrung dieser Statue mit einem kirchenkritischen Blick gekoppelt? Ist das Betrachten und Verehren der Statue mit einer Hinwendung zu den Werten, die Franziskus und der von ihm begründete Orden verbreiten, verbunden? Wie wird die Statue von der Institution präsentiert? Wer sind die idealtypischen Adressatinnen und Adressaten? Identitätsprozesse sind sehr dynamisch. Man könnte sich beispielsweise fragen, welchen Einfluss die Tatsache, dass der amtierende Papst den Namen Franziskus gewählt hat, auf die Besucherinnen und Besucher ausübt. Auch hier ist es möglich, historisch-hermeneutische mit sozialempirischen Methoden zu verbinden. Der letzte Schritt fokussiert auf die Regulierung der Blicke und der Rezeption. Wer hat Zugang zur Statue? Welche Institution reguliert ihn? Hinter der Statue liest man

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Methodische Herausforderungen

beispielsweise auf einem Schild: »Turteltauben nicht berühren«. Das Verhalten gegenüber der Statue wird dadurch geregelt: Sie darf zwar angeschaut, aber die zur Inszenierung gehörenden Vögel dürfen nicht angefasst werden. Die hier zu illustrativen Zwecken aufgeführten Fragen überschneiden sich teilweise und können nicht immer eindeutig einer einzigen Kategorie des circuit zugeordnet werden. Es sind aber auch nicht immer alle Perspektiven gleich wichtig, da sie je nach Fragestellung variieren und entsprechende Schwerpunkte gesetzt werden können und sollen. In einer Untersuchung wird deshalb stets begründet, auf welche Aspekte des circuit sich eine Frage bezieht und weshalb diese spezifischen Momente in die Überlegungen einbezogen werden. Wie oben bereits erwähnt, ist der circuit darauf angelegt, die Verbindung zwischen den Kategorien zu reflektieren. Wird beispielsweise nach der Rolle visueller Gegenstände im Rahmen der persönlichen Frömmigkeit von Menschen gefragt, dann ist eine Verbindung von Repräsentation, Rezeption und Identität wichtig. Stehen politische Legitimierungsstrategien durch visuelle Verweise auf religiöse Symbole im Zentrum, dann stellen die Interaktionen zwischen Produktion und Regulierung fundamentale Momente visueller Kommunikation dar. Das beschriebene Vorgehen dient dazu, den methodischen Aspekt einer Untersuchung zu strukturieren, indem die Fragestellung kritisch reflektiert und Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen verortet und verbunden werden. Es gründet prinzipiell auf der Annahme, dass Kommunikation die Grundlage der Kultur bildet, die Menschen dazu dient, die ihnen vorliegende Welt zu erfassen, zu reflektieren und ihr Bedeutung zu verleihen. Ein wesentliches Moment des Kommunikationsmodells der Cultural Studies, so wie sie Stuart Hall geprägt hat, stellt deshalb die representation dar, die er folgendermaßen einführt: Repräsentation ist ein wesentlicher Teil des Prozesses, durch den Bedeutung hergestellt und zwischen den Mitgliedern einer Kultur ausgetauscht wird. Sie involviert die Verwendung von Sprache, Zeichen und Bildern, die für Dinge stehen oder sie darstellen. Aber dies ist keineswegs ein einfacher oder geradliniger Prozess […].¹⁴

Die Repräsentation als wichtiger Aspekt in Kommunikationsprozessen verläuft nie linear. Dies gilt sowohl für sprachliche Ausdrücke als auch für (audio‐)visuelle Medien. Die Verbindung von Produktion, Repräsentation und Rezeption/Konsum gründet auf zwei Verfahren, die sich gegenseitig bedingen, aber nicht in einer mechanischen Ursache-Wirkung-Beziehung stehen.

 »Representation is an essential part of the process by which meaning is produced and exchanged between members of a culture. It does involve the use of language, of signs and images which stand for or represent things. But this is a far from simple or straightforwards process […]«. Hall 2013b, 1; Übersetzung durch die Autorinnen, Hervorhebungen im Original.

Kodieren und Dekodieren: zwei Seiten von Kommunikation

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3.2 Kodieren und Dekodieren: zwei Seiten von Kommunikation Wenn die Beziehungen zwischen den Kategorien des circuit of culture linear wären, dann wäre jede Form der Kommunikation eindeutig und repetitiv. Kommunikation ist jedoch etwas viel Komplexeres als die mechanische Vermittlung einer Botschaft von einem Sender zu einem Empfänger. Zur Erfassung der Komplexität von Kommunikation, die auch Ambiguität, Mehrdeutigkeit oder Missverständnis beinhalten kann, liegen zahlreiche Theorien vor, die auch für die Erforschung visueller Religion produktiv sind.¹⁵ Im Kontext der Kommunikationstheorie scheint es uns weiterführend, näher auf die Position von Stuart Hall einzugehen. Sein Ansatz basiert auf der Annahme, dass Kommunikationsprozesse – wie schon erwähnt – nicht linear sind – eine Grundannnahme, die zur Formulierung des circuit of culture geführt hat: Traditionell konzeptualisierte die Massenkommunikationsforschung den Kommunikationsprozess als Zirkulation, Kreis oder Schleife. Dieses Modell wurde wegen seiner Linearität – Sender/ Botschaft/Empfänger –, der Konzentration auf die Ebene des Austauschs von Botschaften und wegen der Abwesenheit einer strukturierten Konzeption der unterschiedlichen Momente als eine komplexe Beziehungsstruktur kritisiert. Aber es ist auch möglich (und nützlich), diesen Prozess als eine Struktur zu denken, die durch die Artikulation miteinander verbundener, aber unterschiedener Momente – Produktion, Zirkulation, Verbreitung/Konsum, Reproduktion – produziert und erhalten wird. Damit würde der Prozess als eine ›komplexe Struktur in Dominanz‹ gedacht, die durch die Artikulation verbundener Praktiken erhalten wird, von denen jede jedoch ihre Besonderheit erhält und ihre eigene, besondere Modalität, Form und Existenzbedingungen hat.¹⁶

Hall betont, dass der circuit als Methode der Gesellschafts- und Kulturkritik gedacht ist, bei der die Herstellung und der Austausch von Bedeutungen im Zentrum stehen. Der Gegenstand, von dem hier jedoch die Rede ist, ist kein materielles Produkt, sondern eine Botschaft. Und diese Botschaft wird im Kontext einer »diskursiven Produktion«¹⁷ hergestellt und transformiert. Seine Ausführungen zu Kommunikationsprozessen erläutert Hall am Beispiel des Fernsehens. In der Kommunikation zwischen einer Fernsehsendung und den Konsumentinnen und Konsumenten finden

 Umfassende Überblicke, die für die Erforschung sichtbarer Religion weiterführend sind, liegen bei Fiske 2011, Rose 2012b sowie Odin 2015 und 2011 vor.  »Traditionally, mass-communications research has conceptualized the process of communication in terms of a circulation, circuit or loop. This model has been criticized for its linearity – sender/ message/receiver – for its concentration on the level of message exchange and for the absence of a structured conception of the different moments as a complex structure of relations. But it is also possible (and useful) to think of this process in terms of a structure produced and sustained through the articulation of linked but distinctive moments – production, circulation, distribution/consumption, reproduction. This would be to think of the process as a ›complex structure in dominance‹, sustained through the articulation of connected practices, each of which, however, retains its distinctiveness and has its own specific modality, its own forms and conditions of existence.« Hall 2006, 233; Übersetzung durch die Autorinnen.  Hall (2006, 233) spricht von »discursive ›production‹«.

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Methodische Herausforderungen

sich einzelne Momente, die miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Sie gestalten die Botschaft mit. Dabei handelt es sich um Produktion, Zirkulation, Distribution/Konsumption und schließlich Reproduktion. Jedes dieser Momente weist im Kommunikationsprozess eine eigene Dynamik auf, die den nachfolgenden Prozess beeinflusst, ohne ihn jedoch voraussetzen zu können. Die Botschaft basiert auf Codes, die in syntagmatische Ketten eingebunden sind. Syntagmatische Ketten können in einem ersten Schritt als Bedeutungseinheiten, die aus einzelnen Codes bestehen und über eine bestimmte Reihenfolge oder Komposition verfügen, verstanden werden. Die nachfolgende Definition eines Codes erklärt dessen Bezug zu syntagmatischen Ketten und wie letztere schließlich Bedeutungen – sprich Botschaften – mittels Medien erzeugen und verbreiten. Ein Code ist ein System von Zeichen, das explizit oder implizit anerkannten Regeln unterworfen ist, worauf sich Angehörige einer bestimmten Kultur geeinigt haben. Folgende Eigenschaften umschreiben (bezeichnende) Codes. a) Codes können als eine Anzahl von Einheiten, sprich Paradigmen, arrangiert werden. b) Diese Einheiten werden ausgewählt und in syntagmatischen Ketten kombiniert, woraus eine Botschaft formuliert wird. c) Die syntagmatischen Ketten erhalten eine geteilte Bedeutung durch eine (implizite oder explizite) Übereinkunft zwischen den Rezipierenden des gleichen kulturellen Erfahrungsraumes. d) Bedeutungen werden mittels unterschiedlicher Kommunikationsmedien übertragen.¹⁸ Auf die nachfolgende Fotografie (Abb. 18) bezogen, können die eingeführten Begriffe wie folgt verwendet werden: Der Heiligenschien, der Mantel, das Blau, die Haltung von Mutter und Kind und der verdorrte Zweig über den Figuren stellen einzelne Codes dar. Die Frau mit dem Schleier, ein Kind liebevoll in den Armen haltend und mit einem Heiligenschein versehen, entspricht im römisch-katholischen Kontext dem visuellen Paradigma einer Maria, der Mutter von Jesus. Es gäbe auch andere Darstellungen einer Maria, die als solche erkannt werden könnten, oder es könnte auch eine ganz andere Figur hier stehen.¹⁹ Paradigmen sind austauschbare Elemente einer Botschaft. Im vorliegenden Beispiel wird Maria mit dem Jesuskind im Arm gezeigt. Dies wiederum ist ein zweites Paradigma oder auch Motiv, das ›Maria mit Jesuskind‹ genannt wird. Die Figur ist vor einem Fenster angebracht, was sie von der Umgebung der Hauswand abhebt. Über den beiden Figuren steckt ein vertrockneter Zweig, der als Code auf eine rituelle Praxis verweist. Zweig, Fenster, Jesus- und Mariafigur ergeben eine syntagmatische Kette und formen eine Botschaft, die von Personen des gleichen kulturellen Erfahrungsraumes geteilt werden kann. Von der Fotografin des Marienaltars wissen wir zudem, dass dieser kleine Altar sich in einer engen Gasse und ziemlich weit oben, eigentlich über den Köpfen der (wenigen) Vorbeigehenden befindet und es in Venedig zahlreiche solcher Altäre gibt. Dieser Altar  Die hier aufgeführte Auflistung ist eine Verdichtung; eine ausführlichere Diskussion findet sich in O’Sullivan/Hartley/Saunders/Montgomery/Fiske 1994.  Für eine Diskussion weiterer Mariendarstellungen vgl. Unterkapitel 10.2 dieses Bandes zu den Madonnen im Werk der Künstlerin Annelies Štrba.

Kodieren und Dekodieren: zwei Seiten von Kommunikation

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Abb. 18: Maria und Jesuskind an einer Hausmauer in Venedig.

könnte deshalb auch eine Schutz- und Segensfunktion haben und weniger ein effektiver Ort des Gebets darstellen. Syntagmatische Ketten bilden also Diskurse, in denen unterschiedliche Botschaften zirkulieren. Für Hall sind diese Diskurse nicht nur Orte der Vermittlung von Botschaften aufgrund von Codes. Die Verbreitung von Botschaften betrachtet er als eine Verbindung von unterschiedlichen Handlungen, die in einem bestimmten sozialen Umfeld stattfinden. Eine Medienanalyse arbeitet diesen Diskurs im Kontext der jeweiligen Praktiken und anhand der Akteure und Akteurinnen, die ihn prägen, heraus. Je nach Medium und Format gilt es, unterschiedliche Inventare von Codes zu berücksichtigen. Hall bezieht sich in seinem Modell auf das Fernsehen, bei dem je nach Format wiederum andere Codes verwendet werden, sei es für eine Nachrichtensendung, eine Fernsehserie oder einen Werbespot.²⁰ Die Botschaft wird demnach in der Produktion kodiert (encoding) und in der Rezeption dekodiert (decoding) (Abb. 19).

 Fiske unterscheidet anhand des Fernsehens drei verschiedene Ebenen von Codes: Die sozialen Codes, die schon vor der Aufzeichnung vorhanden sind und die Fiske »Realität« nennt. Dann die technischen Codes der Repräsentation, die vor der Kamera verwendet werden, wie Licht, Make-up, Kleidung, die Sprache der sozialen Akteure und Akteurinnen oder Darstellerinnen und Darsteller. Und schließlich die letzte Code-Ebene der Ideologie, wie zum Beispiel Sexismus, Patriachat oder Kapitalismus; vgl. Fiske 1987, 1– 20; vgl. auch Kapitel 7 dieses Bandes.

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Methodische Herausforderungen

Abb. 19: Stuart Halls Graphik verdeutlicht die Komplexität von Kommunikation in Prozessen des Kodierens und Dekodierens (in der originalen Graphik ist die Quelle die TV-Sendung, der Autor bezieht sich in seinen Erläuterungen auf dieses Massenmedium; vgl. Hall 2006, 236).

Wissensrahmen, Produktionsverhältnisse und technische Infrastruktur beeinflussen jeweils die Prozesse der Kodierung und der Dekodierung. Die unterschiedlichen Wissensrahmen beziehen sich auf die Informationen, die auf der Produktionsbeziehungsweise der Rezeptionsebene verfügbar sind. Die Produktionsverhältnisse sind bedingt durch institutionelle, ökonomische, politische und kulturelle Faktoren. Die technische Infrastruktur schließlich umfasst auf der Seite der Kodierung die technischen Apparate und Ausstattung zur Herstellung eines bestimmten Mediums und auf der Seite der Dekodierung die Technik, die notwendig ist, um die Botschaft zu rezipieren. Beim Fernsehen sind es beispielsweise die Infrastruktur zur Herstellung einer Fernsehsendung und die Technik, die den Empfang der Sendung überhaupt ermöglicht. Von einer technischen Infrastruktur kann auch bei anderen Medien – seien es Kleider oder Skulpturen – gesprochen werden, da auch diese auf bestimmten Apparaturen, Instrumenten, Techniken oder Materialen beruhen. Auf der Dekodierungsebene kann darunter die Möglichkeit verstanden werden, visuelle Gegenstände beispielsweise durch den Zugang zu Museen und Ausstellungen oder auch durch die technische Ausrüstung wie einen Computer oder das Internet überhaupt sehen zu können. Das encoding/decoding-Modell hebt nicht nur die Differenzen zwischen Kodierung und Dekodierung hervor, sondern auch die Wechselwirkung zwischen diesen Aspekten der Kommunikation. Jede Kodierung bedarf einer Dekodierung und auch die Dekodierung seitens der Rezipierenden kann wiederum als eine Form der Kodierung verstanden werden. Damit werden gleichzeitig die Unterschiede und die gegenseitige Bedingtheit von Produktion und Rezeption betont. Anhand einer Fotografie möchten

Kodieren und Dekodieren: zwei Seiten von Kommunikation

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Abb. 20: World Press Photo of the Year 2012 von Samuel Aranda, Sanaa, Yemen.

wir die Leistung dieses Modells veranschaulichen und vertiefen. Es handelt sich um das Bild von Samuel Aranda, das 2012 mit dem World Press Photo Award in der Kategorie »People in the News« ausgezeichnet wurde (Abb. 20). Bezüglich der technischen Infrastruktur lässt sich das Bild als Teil der professionellen Tätigkeit eines Fotojournalisten einordnen, der auf Konfliktgebiete spezialisiert ist. Der spanische Pressefotograf Samuel Aranda dokumentierte 2011 in verschiedenen Ländern den arabischen Frühling für die Agentur France-Presse. Unter anderem fotografierte er auch den Konflikt in Yemen. Das Bild wurde innerhalb eines Presseund Auftragskontextes für die New York Times produziert. Die Produktionsverhältnisse können deshalb als günstig für den Pressefotografen bezeichnet werden, da sie ihm innerhalb eines ökonomisch gesicherten Rahmens zu arbeiten erlaubten.²¹ Es ist auch anzunehmen, dass der Auftrag durch die New York Times mit dem Zugang zu bestimmten technischen Möglichkeiten wie einer Kameraausrüstung einherging. Für den Fotografen selbst waren die Produktionsverhältnisse eine Herausforderung, da er sich mitten ins Geschehen hineinbegeben musste. Hier kamen Samuel Aranda seine Erfahrungen in anderen Konfliktgebieten zu Gute, die er in seiner Arbeit als Pressefotograf bereits sammeln konnte. Dieser Aspekt kann zusätzlich zum Wissensrahmen gezählt werden. Hinzu kommt ein kulturelles Wissen des spanischen

 Die Yemen Times erklärt die Produktionsumstände des Fotos; vgl. http://www.yementimes.com/ en/1546/variety/374/Yemen%E2 %80 %99s-winning-World-Press-Photo.htm [11.05. 2017].

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Methodische Herausforderungen

Fotografen, dem sein Sujet mit großer Wahrscheinlichkeit vertraut war und der deshalb in einem ganz bestimmten Moment die Szene fotografisch festhielt. So berichtete Aranda im Interview mit The Guardian: Es war chaotisch. Alle weinten. Aber Fatima war ganz ruhig, als sie darauf wartete, dass ein Arzt ihren 18 Jahre alten Jungen sehen würde. […] Als Fatima hörte, dass Demonstranten getötet worden waren, ging sie direkt zu dieser Moschee, um zu sehen, ob Zayed dort war. Das ist der Moment, als sie sah, dass ihr Sohn lebte. Ihre Haltung und wie das Licht fiel, machte es einfach, die Aufnahme zu sehen. In Sekunden hatte ich fünf Bilder gemacht. Ich wusste, es war ein starkes Bild, aber ich war überwältigt von den Reaktionen darauf.²²

Die Figurenkonstellation verweist für Menschen, die mit der christlichen Ikonographie vertraut sind, auf das Paradigma der Pietà. Dieses Motiv der trauernden Maria mit dem toten Jesus auf dem Schoß wurde durch Werke wie Michelangelos Pietà (1498 – 1499) in der Basilika St. Peter in Rom weltweit bekannt. Auch Arandas Foto zeigt eine sitzende Mutter, die in einer zur Notfallstation umfunktionierten Moschee in Sanaa ihren Sohn in den Armen hält. Die drei Aspekte der technischen Infrastruktur, der Produktionsverhältnisse und des Wissensrahmens charakterisieren die Kodierung dieses Bild auf eine spezifische Art. Durch seine Veröffentlichung im Druck und online tritt das Foto in einen öffentlichen Diskurs, in dem es von den Rezipierenden dekodiert wird. In der analytischen Auseinandersetzung mit diesem Moment des Kommunikationsprozesses, der Dekodierung, erweisen sich wiederum die gleichen Aspekte als weiterführend. Dekodierung geschieht immer im Plural, da es eine Vielfalt von Rezipierenden gibt. Sie verfügen über unterschiedliche Wissensrahmen: Die direkt Involvierten vor Ort besitzen ein Wissen, das sich von demjenigen eines Bankangestellten, der die Zeitung in New York liest, unterscheidet. Während die Bevölkerung im Jemen zuerst gar keinen Zugang zum Bild hatte, konnten zeitungslesende New Yorker das Bild kurz, nachdem es aufgenommen wurde, betrachten. Die Mutter auf dem Foto von Aranda erzählte in einem Interview, dass sie das Bild zuerst auf dem Handy ihrer Tochter sah und dabei nicht das Gefühl hatte, dass sie auf dem Foto abgebildet wäre.²³ Dies zeigt exemplarisch, wie unterschiedlich der Zugang zur technischen Infrastruktur ist, die es erlaubt, das Bild zu sehen. Als die New York Times und World Press das Bild verbreiteten, waren die involvierten Personen anonyme Figuren, die zum allgemeinen Symbol für den arabischen Frühling stilisiert wurden. Vier Monate, nachdem das Bild

 »It was chaotic. Everyone was crying. But Fatima was completely calm as she waited for a doctor to see her 18-year-old boy. […] When Fatima heard that protesters had been killed, she went straight to this mosque to see if Zayed was there. This is the moment she found her son alive. Their pose and the way the light fell made it easy to see the shot. In a matter of seconds, I’d taken five frames. I knew it was a strong image, but I was overwhelmed by the reaction it got.« Phillips 2012; Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. http://yementimes.com/en/1546/variety/374/Yemen%E2 %80 %99s-winning-World-Press-Photo.htm [01.06.16].

Kodieren und Dekodieren: zwei Seiten von Kommunikation

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erschienen war, besuchte der Fotograf Mutter und Sohn und machte ihre Namen und Gesichter öffentlich (Abb. 21). Dadurch wurden die Produktionsverhältnisse des Bildes verändert. Hinter den Figuren dieser ikonischen Fotografie standen plötzlich zwei Menschen, die in Interviews eine Stimme erhielten. Dies zeigt, dass ein Bild eine unterschiedliche Bedeutung bekommt, sobald sich der Wissensrahmen ändert, in dem das Bild dekodiert wird. Stuart Hall unterscheidet in seinem Modell drei verschiedene Dekodierungsarten. Erstens spricht er von der dominant-hegemonialen Lesart, die von einer transparenten Kommunikation ausgeht, bei der sich Kodierung und Dekodierung entsprechen. Dazu kommt die ausgehandelte Lesart, die in der Dekodierung explizit macht, was die Kodierungsebene kommuniziert. Dies passiert, auch wenn nur einzelne Aspekte hinterfragt werden. In unserem Beispiel kann gefragt werden, warum die Zurschaustellung des leidenden oder vielleicht toten männlichen Körpers mit dem Motiv der Pietà verbunden wird. Was leisten solch dominante Lesarten (mindestens in einem christlich beeinflusstem Kontext)? Welche Bildverweise werden damit bedient? Geht es um eine Verbindung zur Idee des Sühneopfers, das mit der Figur des toten Jesus assoziiert werden kann? Eine ausgehandelte Lesart könnte der dominierenden Lesart eine Interpretation des männlichen, nackten Oberkörpers als Ausdruck von Schwäche und Hoffnungslosigkeit entgegensetzen. Schließlich unterscheidet Hall noch die oppositionelle Lesart, die eine quere Lektüre verfolgt und sich nicht auf die dominante Kodierung einlässt. Das kann zum

Abb. 21: Fatima Al-Qaws mit ihrem Sohn Zayed und anderen männlichen Mitgliedern der Familie in ihrem Zuhause.

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Methodische Herausforderungen

Beispiel bei einer feministischen Lesart der Fall sein, in der die verschleierte, sich sorgende Frau als idealisierte Darstellung von passiver, sich aufopfernder Mütterlichkeit kritisiert wird.²⁴ Die hier vorgestellten Modelle des circuit of culture und des Verhältnisses von Kodierung und Dekodierungen können (und sollten) durch andere Zugänge zur Kommunikation ergänzt werden, um spezifische Aspekte hervorzuheben oder besondere Vertiefungen vorzunehmen. Wie das möglich ist, werden wir in den kommenden Kapiteln aufzeigen, indem wir unterschiedliche theoretische Zugänge mit methodologischen Überlegungen verbinden. Wir haben die zwei Modelle ausgewählt und hervorgehoben, weil sie sich besonders gut eignen, um eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete, religionswissenschaftliche Untersuchung von visuellen Medien zu begründen und zu strukturieren. Darüber hinaus sind diese Kommunikationsmodelle auch anschlussfähig für inter- und transdisziplinär angelegte, komplexe Forschungsvorhaben.

3.3 Die Position der Forschenden In Kapitel 2 wurden unterschiedliche Blicke auf Religion als ein heuristisches Instrumentarium eingeführt, um die Vielfalt koexistierender Perspektiven auf sichtbare Religion hervorzuheben. In unseren theoretischen und methodologischen Überlegungen wurde auf die Wichtigkeit der Kontextualisierung jeder analytischen Annäherung an Religion – forschungsgeschichtlich oder zeitgenössisch – hingewiesen. In anderen Worten geht es in unserer eigenen Arbeit mit Bildern und (audio‐)visuellen Quellen darum, die Analyse- und Interpretationsarbeit hermeneutisch zu reflektieren. Diese Haltung, die allgemein für die Erforschung von Religion unentbehrlich ist, erscheint im Bereich von Visualität sogar noch dringender, weil der Zugang zu Bildern durch Blicke gewährleistet wird. Auch die Blicke von Forschenden sind mit ihren Körpern, ihren Emotionen und dem Fundus von (Seh‐)Erfahrungen aus ihrer Biographie und Sozialisierung verbunden und sind akademisch, kulturell, sozial, politisch, historisch und religiös eingebettet. Diese Verwurzelung in einem bestimmten Kontext – die universitäre Ausbildung ist ein wesentlicher Teil davon – macht die Forschenden zuletzt auch zu kompetenten Beobachterinnen und Betrachtern. Dennoch muss die eigene subjektive Verankerung kritisch hinterfragt werden, lebt die akademische Forschung doch von der Fähigkeit, eigene Beobachtungen und Ergebnisse argumentativ zu vermitteln und deren Plausibilität transparent zu machen. Dieser Vorgang wird in der Gestaltung des Eingangs zur Ausstellung Glaubenssache (Stapferhaus, Lenzburg, 2006) ausgedrückt (Abb. 22). Um eine Eintrittskarte für die Ausstellung erwerben zu können, müssen sich die Besucherinnen und Besucher für einen bestimmen Eingang entscheiden. Und genau

 Vgl. Hall 2006, insbesondere 240 – 245.

Die Position der Forschenden

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Abb. 22: Eingang zur Ausstellung Glaubenssache im Stapferhaus, Lenzburg, 2006.

so, wie hier noch vor dem Eintritt in die eigentliche Ausstellung eine Vorentscheidung über die Haltung zu den ausgestellten Objekten getroffen werden muss, so treffen auch Forschende Vorentscheidungen über ihr Verhältnis zu ihren Forschungsgegenständen – nicht immer so klar und kompromisslos wie im Fall der zwei Türen, aber mit nicht minder bedeutenden Auswirkungen auf ihre Haltung gegenüber dem zu Sehenden. Aus welcher Perspektive Forschende sehen und betrachten – durch welche Tür sie also metaphorisch schreiten –, entscheidet wesentlich darüber, was und wie sie sehen. Die Wahl des ›Eingangs‹ muss in der Forschung in jedem Fall reflektiert werden. Deshalb wollen wir zum Schluss von diesem Kapitel die grundlegende Frage stellen: Was geschieht, wenn wir ein Bild interpretieren? Analysieren und Interpretieren sind Tätigkeiten, die zwischen den einzelnen Rezipierenden und dem Objekt stattfinden.²⁵ Theoretische und methodische Annahmen beeinflussen den Vorgang, indem beide bestimmte Perspektiven auf den Gegenstand vorgeben und andere dagegen auslassen. Mieke Bal hebt in ihrem Konzept der Kulturanalyse folgende vier Aspekte hervor, die im Vorgang des Interpretierens eine Rolle spielen.²⁶ Erstens interagieren Objekte, Theorien, Methoden und Interpretierende im Analysevorgang. Insbesondere das Objekt spielt eine aktive Rolle, da es bei den Rezipie-

 Für eine Vertiefung vgl. Rose 2012a und 2012 b; Bredekamp 2010.  Vgl. Bal 2016, 24– 25.

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Methodische Herausforderungen

renden Überlegungen auslöst und zum Spekulieren animiert. Deshalb basiert ein Interpretationsprozess auf einer dialogischen Praxis sowohl zwischen dem Gegenstand und den Untersuchenden als auch unter den Untersuchenden. Bestehende Interpretationen sind Teil des Diskurses über ein Objekt, sie werden in Überlegungen miteinbezogen, indem ihnen widersprochen oder sie ergänzt werden. Zweitens gibt es keine Bedeutung ohne Interpretation, das heißt, ohne eine Tätigkeit des Deutens. Erst durch die Praxis des Interpretierens kann Bedeutung entstehen, auch im wissenschaftlichen Diskurs. Daraus folgt, dass Objekte keine absolute oder eindeutige Bedeutung haben und diese auch nicht im Werk selbst zu finden ist. Damit grenzen wir uns im Anschluss an Mieke Bal auch von einer positivistischen oder rein formalistischen Lesart ab, die aus entsprechenden Darstellungsformen eine objektive Lektüre generiert. Die Bedeutung von Objekten kann und muss sich deshalb im Laufe der Geschichte verändern. Drittens geht mit der performativen Praxis des Analysierens immer auch ein Lernprozess der Rezipierenden einher. Sie lernen in der Auseinandersetzung mit Objekten dazu und bilden ihre Sprache, ihr Schauen und Denken aus. Dies ist deshalb eine zentrale Beobachtung, weil sie hervorhebt, dass alle Individuen auf ihren Lektüreerfahrungen aufbauen. Auch Wissenschaftlerinen und Wissenschaftler werden also zu Interpretinnen und und Interpreten mit einem Repertoire, das auf bestimmten Wahrnehmungs- und Denkprozessen in interpretatorischen Verfahren aufbaut und sich laufend verändert. Viertens sollen visuelle Gegenstände aus einer historisch-analytischen Perspektive heraus unter Berücksichtigung ihres institutionellen Rahmens, von Machtverhältnissen und der aktuellen Situation, in der sich ein Gegenstand befindet, untersucht werden. Damit wird ganz das gegenwärtige Moment der wissenschaftlichen Rezeption hervorgehoben, das wiederum auf der Annahme basiert, dass Interpretation eine Praxis darstellt, die sowohl das Objekt als auch die Interpretin verändert. Angesichts dieser Reflexion kann durchaus nach der Funktion einer griechischen Vase und der Bedeutung der dargestellten Motive in ihrem historischen Kontext gefragt werden. Dies bedingt jedoch gleichzeitig ein Bewusstsein dafür, dass dieser historische Kontext aus einer zeitgenössischen Perspektive rekonstruiert wird. Die vier aufgeführten wesentlichen Aspekte eines Interpretationsvorganges beziehen sich auf die Hermeneutik der Kulturanalyse, die für die visuelle und mediale Religionsforschung grundlegend ist. Für die Forschenden stellen sie, wenn auch nicht immer explizit, eine Vorbedingung jedes interpretatorischen Verfahrens dar. Die folgenden Kapitel arbeiten mit den hier diskutierten methodologischen Voraussetzungen und auf der Basis des vorgestellten circuit of culture. Dieses Modell ist sowohl robust als auch flexibel genug, um die unterschiedlichen Gegenstände, denen wir uns zuwenden, erfassen zu können. Unsere grundlegende Frage dabei ist – ausdifferenziert in Einzelthemen – wie durch (audio‐)visuelle Medien ein Zugang zum bedeutungsschaffenden Prozess von Religion möglich ist und welche neuen Einsichten dieser Zugang ermöglicht.

Die Position der Forschenden

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Fragen zur Vertiefung · Diskutieren Sie mögliche Forschungsfragen für die Analyse des World Press Photo von Samuel Aranda (Abb. 20) und ordnen Sie Ihre Fragen gemäß den Kategorien des circuit of culture. Wo sehen Sie Überlappungen oder Wechselbeziehungen zwischen den Kategorien? Welche Fragen erscheinen Ihnen weiterführend? Warum? · Suchen Sie sich einen Gegenstand oder ein Bild aus und denken Sie die drei möglichen Lesarten nach Hall durch. Welche Unterschiede bemerken Sie? Welche Lesart bevorzugen Sie? Warum? · Ausgehend von der Fotografie des Eingangs zur Ausstellung Glaubenssache (Abb. 22): Sehen Sie eine Korrelation zwischen dem ausgewählten Eingang zur Ausstellung und möglichen Entscheidungen im Forschungsprozess? Worauf sollen wohl jene achten, die durch die Tür für ›Gläubige‹ gehen? Und jene, die als ›Ungläubige‹ die Ausstellung besuchen?

4 Bilder der Welt oder wie religiöse Gesamtansichten repräsentiert werden Die Gründungslegende des Mont-Saint-Michel, einer Klosteranlage in der Normandie, besagt, dass im Jahr 708 der Erzengel Michael dem Bischof Aubert von Avranches erschien und ihm befahl, eine Kirche auf diesem kleinen Felsen zu bauen, der bei Flut zur Insel wird. Historisch gesehen ist die Abtei das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung, in der theologische und religiöse, architektur-, kunst- und kulturgeschichtliche sowie soziale und politische Transformationen verschränkt sind. Kunsthistorisch kann in dieser Anlage, die zu den Höhepunkten mittelalterlicher Baukunst gehört, ein breites Spektrum von Stilen von der Romanik bis hin zur Spätgotik beobachtet werden. Auch die Spuren der zahlreichen Umfunktionierungen der Anlage sind gut sichtbar: Sie wurde beispielweise in der Mitte des 19. Jahrhundert als Gefängnis verwendet, heute hingegen stellt sie ein schützenswertes Monument, ein kulturelles Erbe dar. Als Paradebeispiel für eine Klosteranlage des mittelalterlichen Christentums wurde der Mont-Saint-Michel zum Empfang von mehr als 3,5 Millionen Besucher pro Jahr ausgerüstet. Der außergewöhnliche Bau, der auf einem Felsen von ungefähr 50 bis 70 Metern Höhe gründet, besteht aus mehreren Gebäuden, die aufeinander gebaut sind und seit Jahrhunderten den Gesetzen der Statik trotzen. Der höchste Punkt, der Spitzturm, misst 157 Meter. Je nachdem, ob Flut oder Ebbe herrscht, ist die Anlage eine Insel oder zu Fuß erreichbar; heute ist sie durch eine Brücke mit dem Festland verbunden (Abb. 23).¹ Die Anlage des Mont-Saint-Michel kann als Repräsentation eines christlichen, mittelalterlichen Weltbildes in architektonischer Form gesehen werden. Sie dokumentiert auf materielle Weise theologische Ideale christlichen Lebens und deren Veränderungen während des Mittelalters. Man kann dieses Gesamtwerk als ein Medium religiöser Kommunikation erfassen. In der spätgotischen Zeit versinnbildlichte der Mont-Saint-Michel die Funktion der Kirche als Vermittlerin zwischen der immanenten und der transzendenten Welt. Auch antizipierte das Kloster mit seinen spektakulären Gebäuden die Vorstellung des endzeitlichen Paradieses in der Gestalt des himmlischen Jerusalems. Die imposante Anlage vermittelte ein Bild der gesamten Welt als Schöpfung und als künftiges Paradies mittels der architektonischen Verweise auf das himmlische Jerusalem, ein zentrales Motiv, das auf das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, zurückgeht. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde die Anlage durch einen für damalige Verhältnisse gewagten und innovativen Bau erweitert, der von Pilgerinnen und Pilgern bald als Merveille (»Wunder«) be-

 Mehr Informationen zum Mont-Saint-Michel und zu den Plänen, die Abtei wieder zur Insel zu machen, finden sich in Legros 2005, sowie auf www.abbaye-mont-saint-michel.fr und www.projetmontsaintmichel.fr [01.05. 2018]. https://doi.org/10.1515/9783110536706-005

Bilder der Welt

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Abb. 23: Der Mont-Saint-Michel stellt ein Paradebeispiel einer mittelalterlichen Abtei dar. 1862 wurde die Klosteranlage in die Liste der französischen nationalen Monumente aufgenommen, 1979 in jene des UNESCO-Welterbes.

zeichnet wurde. Die Kostbarkeit und Raffiniertheit der Architektur vermittelten einen irdischen Einblick in eine eschatologische Dimension und in die räumlichen und künstlerischen Qualitäten der christlichen Heilsdimension. Als Vermittlerin zwischen Dies- und Jenseits – Dimensionen, die sowohl räumlich als auch zeitlich zu verstehen sind – nahm die Abtei eine zentrale Stellung in der damaligen Gesellschaft ein. Sie war im wahrsten Sinn des Wortes ein liminaler Bereich zwischen Erde, Wasser und Himmel. Trotz dieser besonderen Lage war Mont-SaintMichel ein anerkanntes Zentrum mittelalterlicher Wissensproduktion und -aufbewahrung, Manuskripte wurden hier hergestellt und die Bibliothek war bedeutsam. Auch deshalb war die Abtei nicht zuletzt auch ökonomisch und machtpolitisch bedeutsam. Insofern machte der Mont-Saint-Michel nicht nur die religiös fundierte Auffassung der Welt sichtbar, sondern fungierte als Spiegel der gesamten Gesellschaft: Die Anlage legte mittels ihrer materiellen Gestalt fest, wie eine christliche Gemeinschaft zu leben und welche Position sie im Kontext von Politik und Wirtschaft einzunehmen hatte. Den Menschen auf der Pilgerreise wurde das Weltbild, mit dem

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Bilder der Welt

sie vertraut waren, mit der Architektur vor Augen geführt und körperlich begehbar gemacht.² Die Lage zwischen Himmel, Meer und Erde sowie die Kostbarkeit und Beschaffenheit der Gebäude sind, wie bereits erwähnt, materielle Anspielungen auf das apokalyptische himmlische Jerusalem. Damit konnotieren sie die Anlage als Ort der Erwartung des Heils sowie als Antizipation eines eschatologischen Paradieses. Der Mont-Saint-Michel kann als materieller Kristallisationspunkt eines umfassenden religiösen Weltbildes angesehen werden, in dem unzählige Verweise auf das gesamte Symbolsystem verdichtet werden. Damit wurden damals die Pilgernden und werden heute die Touristinnen und Touristen wörtlich darüber ins Bild gesetzt, was die christliche Heilslehre für sie, für die Klostergemeinschaft, für die allgemeine Gesellschaft und für das heutige Welterbe bedeutet.

4.1 Weltbild als umfassende Orientierung Das Konzept des Weltbildes als konstitutives Element von Religion findet sich in verschiedenen Religionstheorien. Religiöse Weltbilder vermitteln eine Sicht auf die Welt, in der die Spannung von Immanenz und Transzendenz artikuliert wird. Dies ist ein konstanter, gemeinsamer Zug vieler Zugänge zur Religion. In einem Überblicksartikel von 2001 definiert Ernst Topitsch ›Weltbild‹ folgendermaßen: Unter Weltbild kann man die Gesamtheit der mehr oder weniger zusammenhängenden und oft von inneren Widersprüchen nicht freien Vorstellungen verstehen, die sich die Menschen von der Welt und ihrer eigenen Rolle innerhalb derselben machen; dazu gehören im weiterem Sinne auch die Seelen- und Jenseitsvorstellungen.³

Weltbilder erlauben also dem Menschen, sich in der Welt zu orientieren, ihr eine Bedeutung zu verleihen und einen eigenen Platz darin zu finden. Diese Vorstellungen werden kulturell tradiert und weitergegeben, sie sind – aus religionswissenschaftlicher Perspektive betrachtet – kulturelle Erzeugnisse, die auf Kommunikationsprozessen beruhen. Indem sich Menschen die Welt in Weltbildern vergegenwärtigen, machen sie sie verfügbar, können mit ihr interagieren und sie gestalten.⁴ Weltbilder sind vermittelte Vorstellungen der Welt, die von einem Kollektiv getragen werden. Wie aber kann die Beziehung dieses allgemeinen Modells menschlicher Sinnkonstitution mit der spezifischen Leistung von Religion verbunden werden? Wie bereits angedeutet, gibt es dazu unterschiedliche Zugänge. Bereits 1912 betont Emile Durkheim die Leistung von Religion in der Artikulierung der Grunddifferenz zwischen ›profan‹ und ›heilig‹. Aus systematischer Perspektive

 Für eine Annäherung an den Mont-Saint-Michel vgl. George/Pezzoli-Olgiati 2014.  Topitsch 2001, 355.  Vgl. Hall 2013a, xvii–xxvi.

Weltbild als umfassende Orientierung

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könne man die Welt in diese zwei Bereiche aufteilen, historisch gesehen aber sei das, was im jeweiligen Weltbild als heilig oder als profan gelte, kulturell bedingt: Alle bekannten religiösen Überzeugungen, wie einfach oder komplex sie auch seien, haben den gleichen Zug: sie setzten eine Klassifizierung der realen oder idealen Dinge, die sich die Menschen vorstellen, in zwei Klassen, in zwei entgegengesetzte Gattungen voraus, die man im allgemeinen durch zwei unterschiedliche Ausdrücke bezeichnet hat, nämlich durch profan und heilig. Die Aufteilung der Welt in zwei Bereiche, von denen der eine alles umfasst, was heilig ist, und der andere alles, was profan ist; das ist Unterscheidungsmerkmal des religiösen Denkens […]. Der Kreis der heiligen Objekte kann also nicht ein für alle Male bestimmt werden; sein Umfang ist je nach der Religion unendlich verschieden.⁵

Durkheims funktionalistische Annäherung an Religion wirkte nachhaltig auf die nachfolgenden Zugänge zu Religion. Entsprechend formuliert Thomas Luckmann die Frage, welche Rolle Religion in der Gesellschaft übernimmt und wie sie zur Bildung und Kohäsion von Gemeinschaften beiträgt, wie folgt: Wir müssen […] genau das in Frage stellen, was dem soziologischen Funktionalismus als Selbstverständlichkeit gilt.Welche sind die allgemeinen anthropologischen Bedingungen für das, was als Religion institutionalisiert werden kann? Welche Realität hat Religion als soziale Tatsache, noch bevor sie institutionalisiert wird? Wie bildet sie sich heran, bevor sie eine der verschiedenen historischen Formen religiöser Institutionen annimmt? […] Das sind Fragen von beträchtlicher Allgemeinheit. Und doch sollten sie, wie man bald sehen wird, in einen Zusammenhang mit noch allgemeineren theoretischen Problemen gestellt werden. Die uns bekannten Formen der Religion, mit Namen wie Stammesreligion, Ahnenkult, Kirche, Sekte usw., sind spezifische institutionelle Ausformungen symbolischer Universa. Symbolische Universa sind sozial objektivierte Sinnsysteme, die sich einerseits auf die Welt des Alltags beziehen und andererseits auf jene Welt, die als den Alltag transzendierend erfahren wird.⁶

Symbolische Universa sind Weltbilder, die sowohl den immanenten Alltag als auch transzendente Vorstellungen umfassen. Während Luckmann sich mit Weltbildern im Kontext der Frage nach der Institutionalisierung von Religion befasst, entwickelt Fritz Stolz diese Auffassung in einem kommunikationstheoretisch orientierten Zugang zu Religion weiter: Weltbilder zielen auf eine Totalität, sie sollen alles umfassen, womit der Mensch konfrontiert ist. Dabei ist er mit Elementen ganz unterschiedlicher Art befasst, mit Dingen, die ihm näher oder ferner liegen, solchen, die er durchschaut und beherrscht, und solchen, die er nicht durchschaut und die ihn beherrschen.⁷

Weltbilder vermitteln also eine grundlegende, umfassende Orientierung. Fritz Stolz interessiert die Frage, wie Weltbilder diese Funktion erfüllen. Dazu führt er das Kon-

 Durkheim 1998, 62.  Luckmann 1996, 79 – 80.  Stolz 2001b, 9.

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Bilder der Welt

zept einer Leitdifferenz zwischen Kontrollierbarem und Unkontrollierbarem ein. Weltbilder erzeugen eine Grundorientierung, indem sie solche Leitdifferenzen gestalten, modulieren und artikulieren: Die Begriffspaare Diesseits/Jenseits, Kultur/Natur, kontrollierbar/unkontrollierbar hängen also zusammen; es sind Kategorien, die es uns gestatten, die religiösen Weltbildkonstruktionen verschiedener Gesellschaften vergleichend zu betrachten, gewissermaßen ein Werkzeug zur Orientierung. Man kann solche Begriffspaare als Grundunterscheidungen oder Leitdifferenzen bezeichnen.⁸

Die Differenz von Immanenz und Transzendenz ist grundlegend für Stolz’ Annäherungen an Religion und bildet auch den gemeinsamen Nenner weiterer Religionsdefinitionen. In diesem Zusammenhang betont eine Position aus dem umfangreichen Werk des Soziologen und Systemtheoretikers Niklas Luhmann einen weiteren Aspekt: Zur Bezeichnung der beiden Werte des religionsspezifischen Codes eignet sich am ehesten die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz. Man kann auch sagen, dass eine Kommunikation immer dann religiös ist, wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet. Dabei steht Immanenz für den positiven Wert, für den Wert, der Anschlussfähigkeit für psychische und kommunikative Operationen bereitstellt, und Transzendenz für den negativen Wert, von dem aus das, was geschieht, als kontingent gesehen werden kann.⁹

Wie bereits bei Stolz wird auch hier die Artikulierung der Differenz von Immanenz und Transzendenz als Grundleistung religiöser Weltbilder bestimmt. Diese Frage wird aber nicht direkt im Kontext von Prozessen der Institutionalisierung von Religion gestellt, sondern im Hinblick auf die Kommunikationspraxis, in welcher die Weltbilder erzeugt werden. Dabei wird die Perspektive des Menschen auf das Spannungsverhältnis von Immanenz und Transzendenz betont: Es ist der Mensch, der Bilder transzendenter Dimensionen in der immanenten Welt entwirft. Der Mensch erfährt die ihn übersteigende Wirklichkeit mittels der jeweiligen Kultur und vor allem der jeweiligen Sprache, die unterschiedliche Codes umfassen kann. Auch der österreichische Religionswissenschaftler Johann Figl weist darauf hin: Das Begriffspaar Transzendenz/Immanenz hat in der Religionswissenschaft eine tragende Bedeutung, denn Religionen, die eine geschichtliche Wirklichkeit darstellen, verweisen mittels ›immanenter‹ Gegebenheiten, wie z. B. sichtbarer kultischer Handlungen oder heiliger Texte, auf eine sie selbst und die vorgegebene Welt überschreitende Transzendenz, wie immer diese im Konkreten erfahren und bezeichnet wird. Denn unter Transzendenzerfahrung kann zunächst das Erfahren einer Wirklichkeit verstanden werden, die die Normal- bzw. Alltagswelt (d. h. die der gewöhnlichen, sinnlichen Erfassung zugängliche Realität) übersteigt.¹⁰

 Stolz 2001b, 13; vgl. auch Stolz 2001a, 80 – 145.  Luhmann 2002, 77.  Figl 2005, 548 – 549.

Weltbild als umfassende Orientierung

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Menschen erfahren diese Leitdifferenz im Kontext religiöser Praxis, also durch »kultische Handlungen« oder »heilige Texte«, wie Figl schreibt. Anders formuliert: Die religiöse Orientierung, die durch Weltbilder geleistet wird, beruht einerseits auf der Spannung von Immanenz und Transzendenz, andererseits wird sie durch verschiedene Medien vermittelt. Gemäß diesen zuerst vom Funktionalismus, später von der Semiotik und der Kulturtheorie beeinflussten Zugängen zu Religion sind Weltbilder stets kommunikativ vermittelte. Hier lässt sich deshalb die Frage nach der spezifischen Leistung visueller Kommunikation in der Produktion und Rezeption von religiösen Weltbildern anschließen. Bevor wir jedoch darauf eingehen, müssen wir einen Schritt in die 1960er Jahre zurückgehen, um zwei wesentliche Dimensionen des Konzeptes Weltbild zu vertiefen. Die religionstheoretischen Positionen, die wir soeben vorgestellt haben, stehen in einer forschungsgeschichtlichen Kontinuität.¹¹ Sehr einflussreich für sie und weitere Autorinnen und Autoren war die Religionsdefinition von Clifford Geertz, die 1966 in einem kulturanthropologischen Sammelband veröffentlicht wurde. Für eine Annäherung an die sichtbare Religion ist diese Definition von grundlegender Bedeutung, weil sie die Frage nach der Kommunikation profiliert auf den Punkt bringt und grundlegende Aspekte von Weltbildern als Repräsentationspraxis der Leitdifferenz von Immanenz und Transzendenz aufzeigt. Religion ist nach Geertz (1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.¹²

Hier von Definition zu sprechen, ist möglicherweise irreführend. Eher verbindet Geertz verschiedene Beobachtungen aus der Ethnographie mit religionstheoretischen Überlegungen, so dass eine Art Konglomerat von Ansätzen entsteht, die er in seinem Artikel auch in verschiedene Richtungen weiterführend erläutert. Für unser Interesse an Visualität ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Konzept des Symbolsystems bedeutsam. Wie oben zitiert, bringen religiöse Symbolsysteme nach Geertz »Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung« hervor und sind deshalb kulturelle Modelle: Dieser Punkt wird bisweilen als Beweis dafür angeführt, dass Kulturmuster ›Modelle‹ seien, Mengen von Symbolen, deren Beziehungen zueinander die Beziehungen zwischen Größen, Prozessen oder was es sonst noch in physikalischen, organischen, sozialen und psychologischen Systemen gibt, ›nachbilden‹, indem sie sie ›abbilden‹, ›imitieren‹ oder ›simulieren‹.¹³

 Für einen Überblick vgl. Topitsch 2001.  Geertz 1987, 48; die englische Originalfassung erschien in Banton 1966, 1– 46. Für kritische Besprechungen vgl. Asad 1993; Schilbrack 2005; Spring 2008.  Geertz 1987, 52.

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Bilder der Welt

Mit ›Symbolsystem‹ meint Geertz also das, was wir als umfassende Orientierung leistende Weltbilder bezeichnet haben. Mit Geertz gesprochen repräsentieren Weltbilder die Welt, sie sind Modelle der Welt. Zentral für Geertz ist die Unterscheidung zweier Funktionen von Modellen: Es gibt Modelle von der Welt und Modelle für die Welt. Modelle von der Welt zeigen, wie die Welt ist und in diesem Sinne sind sie wirkmächtig. Modelle für die Welt haben einen Leitcharakter: Sie geben vor, wie die Welt sein sollte. Gemäß Geertz ist es dieser doppelte Charakter, der Symbolsysteme im Gegensatz zu anderen nichtsymbolischen Informationsquellen kennzeichnet: Für den Ethnologen liegt die Bedeutung von Religion darin, dass sie in der Lage ist, dem einzelnen Menschen oder einer Gruppe von Menschen allgemeine und doch spezifische Auffassungen von der Welt, vom Selbst und von den Beziehungen zwischen Selbst und Welt zu liefern – als Modell von etwas – wie auch darin, tiefverwurzelte, ebenso spezifische ›geistige‹ Dispositionen zu wecken – als Modell für etwas.Von diesen kulturellen Funktionen rühren wiederum ihre sozialen und psychologischen Funktionen her. Religiöse Vorstellungen bleiben nicht auf ihre besonderen metaphysischen Zusammenhänge beschränkt; sie bieten vielmehr ein System allgemeiner Ideen, mit dem die Erfahrung in vielen Bereichen – im intellektuellen, emotionalen, moralischen Bereich – sinnvoll ausgedrückt werden kann. […] Diese Glaubensvorstellungen liefern jedoch nicht bloß eine Erklärung, sondern eine Schablone. Sie interpretieren nicht nur die sozialen und psychologischen Prozesse in kosmischen Zusammenhängen – in dem Falle wären sie philosophisch, nicht religiös –, sie gestalten sie auch.¹⁴

Den Ansatz von Geertz rezipierend und auf das Verhältnis von Film und Religion bezogen, hebt John C. Lyden in seiner Monographie Film as Religion. Myths, Morals, and Rituals (2003) unter anderem die Bedeutsamkeit des doppelten Charakters des Weltbildes als Modell von und Modell für die Welt hervor. Er parallelisiert diese Dimensionen mit Weltanschauung (worldview) und Normativität (ethos).¹⁵ Das enge Verhältnis des Schauens mit Wertevermittlung wird auch von Margaret R. Miles im 1996 erschienenen Seeing Is Believing. Religion and Values in the Movies ¹⁶ thematisiert. Nach diesen Positionen, die sich mit dem spezifischen Fall des Filmes auseinandersetzen, sind Bilder und visuelle Kommunikation privilegierte Medien in der Vermittlung von Wertediskursen im Kontext von religiösen Symbolsystemen. Sie haben eine starke Wirksamkeit, begründen Praktiken und haben einen performativen Charakter.¹⁷

4.2 Weltbild und visuelle Kommunikation Religiöse Weltbilder vermitteln ein Gesamtbild der Welt, machen sie erschließbar als einen Kosmos, in dem Immanentes und Transzendentes, Kontrollierbares und Un   

Geertz 1987, 92– 93. Vgl. Lyden 2003, 42. Miles 1996. Zur normativen Macht religiöser Bilder vgl. Knauß/Pezzoli-Olgiati 2015.

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kontrollierbares in einem Verhältnis zueinander stehen. Gleichzeitig geben sie vor, wie diese Welt sein soll, sie regulieren und normieren also den Bezug zur Welt. Wenn wir zum Eingangsbeispiel dieses Kapitels zurückkommen: Die komplexe, außerordentliche Architektur des Mont-Saint-Michel verbildlicht christliche Gemeinschaft räumlich, organisatorisch, ästhetisch und theologisch. Zugleich prägte sie das Leben der Gemeinschaft, sowohl der darin wohnenden Mönche als auch der Pilgernden, die sie nur gelegentlich besuchten. In einer Gesellschaft, die vom Christentum geprägt war, stellte der Mont-Saint-Michel ein umfassendes Weltbild dar, verdichtete das gesamte Symbolsystem und hatte deshalb Vorbildcharakter. Visuelle Kommunikation spielt eine signifikante Rolle in der Vermittlung von Weltbildern: Dank der spezifischen Logik der Bilder kann sie die verschiedenen Dimensionen der Modelle von und für die Welt repräsentieren und die Betrachtenden auf vielfältige Weise darin involvieren. Visuelle Kommunikation vermittelt kosmische Konzepte nicht nur auf rationale Weise, sondern spricht den Menschen umfassender an: Affektive, emotionale, ästhetische Erfahrungen werden im Schauen realisiert.¹⁸ Zugleich vermitteln Bilder stets eine bestimmte Sicht auf das Weltbild: In der Begegnung von Bild-Körper und Menschen-Körper verorten sie die Betrachtenden im Raum und geben spezifische Perspektiven auf das Weltbild vor. Nicht zuletzt verfügt visuelle Kommunikation über die Möglichkeit, eine Gesamtsicht auf das Weltbild synchron darzustellen: Das Weltbild wird als ein zusammenhängendes Ganzes erlebt. Im Folgenden werden methodische Grundoptionen anhand verschiedener Beispiele erörtert. Für die Analyse von visuellen Quellen im Hinblick auf ihre Vermittlung von Weltbildern ist die Kategorie der Repräsentation grundlegend. In der Besprechung möglicher Ansätze wird sie mit den drei Dimensionen des Bildes als Medium, als Verweis und als Körper in Verbindung gebracht.¹⁹ Wir fragen also nach der visuellen Repräsentation religiöser Weltbilder als materielles Bild sowie nach den vielfältigen Verweisen auf andere Bilder und Medien. Darüber hinaus werden diejenigen Blicke berücksichtigt, die das Bild mitkonstituieren. In diesem Schritt werden die Kategorien der Repräsentation mit der Rezeption verbunden.

4.3 Verbildlichung kosmischer Ordnung Die Holzdecke der Kirche St. Martin in Zillis (Schweiz) ist die älteste mittelalterliche Holzdecke Europas, die bis heute erhalten ist. Ihre Entstehung wird auf die Zeit nach 1114 datiert.²⁰ Zillis befindet sich an einer alten Straße, die die nördliche mit der südlichen Seite der Alpen verbindet: Bregenz und der Bodensee werden zum einen  Zu dieser Form der Involvierung der Betrachtenden vgl. Unterkapitel 10.2 und 11.5 dieses Bandes.  Zu den drei Dimensionen des Bildes siehe Unterkapitel 2.3 dieses Bandes.  Vgl. für eine detallierte Darstellung der Decke, ihre historische Kontextualisierung und eine Beschreibung der Veränderung in den verschiedenen Restaurierungen Nay 2015; Poeschel 1941; BruggerKoch 1981.

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Abb. 24: Mittelalterliche bemalte Holzdecke von Zillis, die aus 153 Einheiten von ca. 90 × 90 cm besteht.

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über den Splügenpass mit dem Comersee, Como und Mailand, zum anderen über den San Bernardino-Pass mit Bellinzona und Locarno verbunden. Die Komposition der Holzdecke von Zillis besteht aus 153 Tafeln, die 1938 – 1940 in einer umfassenden Restaurationsarbeit neu angeordnet wurden. Schon während der Reformationszeit war die Reihenfolge der Szenen verändert worden, so dass die heutige Präsentation nicht mehr das ursprüngliche mittelalterliche Werk wiedergibt (Abb. 24).²¹ Die einzelnen Szenen sind auf zusammengesetzte Schindeln – noch heute ein typisches Material für Hausfassaden und Dächer im Kanton Graubünden – gemalt, die mit einer besonderen Grundierung versehen wurden. Es handelt sich nicht um das Werk einer Einzelperson, vielmehr wurden die Szenen von einer Werkstatt gefertigt.²² Um die Frage nach der Leistung eines solchen monumentalen Bildprogramms in der Darstellung eines mittelalterlichen christlichen Weltbildes zur Zeit des Investiturstreits zu beantworten, gibt es unterschiedliche methodische Optionen. Wir schlagen hier ein Vorgehen in zwei Schritten vor: Zuerst werden ausgewählte Tafeln exemplarisch untersucht (eine Analyse aller 153 Einzelbilder würde den Rahmen des vorliegenden Buches sprengen), anschließend fokussieren wir auf die Komposition als Ganzes. Abb. 25 zeigt ein Mischwesen, das aus der Kombination eines Fisches mit einem Elefanten resultiert. Dieses Ungeheuer bewegt sich auf einem Hintergrund in drei Registern: Im unteren Drittel ist Wasser gezeichnet, das mittlere Feld ist in Grau und das obere in einem hellen Gelbton gehalten. Diese Darstellung verweist, wie alle Tafeln am äußeren Rand der Gesamtkomposition (mit Ausnahme der Eckbilder), auf entfernte Meeresgebiete, in denen angeblich Misch-, Monster- und Fabelwesen leben. Die Randzonen deuten also auf das Chaotische und Bedrohliche hin.²³ In den inneren 105 Tafeln werden das Leben Jesu (98 Tafeln) und des Heiligen Martin (7 Tafeln) dargestellt. Die Bilder, in denen das Leben Jesus repräsentiert wird, verweisen meistens auf die Evangelien. Einige Szenen werden in einem Bild, andere in einer Bildserie dargestellt. Die Flucht nach Ägypten umfasst mehrere Tafeln: Auf einer Tafel (Abb. 26c) ist Joseph abgebildet. Mit der rechten Hand schwingt er eine Peitsche, um den Esel anzutreiben, in der Linken hält er einen Stab mit einem Sack für den Proviant und ein Gefäß für Wasser. Die Figur ist in der Mitte der Tafel positioniert, die Füße und das Wassergefäß ragen in den ornamentalen Rahmen hinein. In einer zweiten Tafel (Abb. 26b) sitzt Maria mit dem kleinen Jesus auf dem Esel. Die Mutter mit dem Kind wird in thronender Stellung mit einem starken Bezug zur typisch byzantinischen Ikonographie der Heilsbringerin (nikopoia) dargestellt. In ihre Hände fallen die Früchte eines sich vor ihr und Jesus niederwerfenden Baums. Joseph und Maria mit dem Kind auf dem Esel werden von einem Engel geführt (Abb. 26a). Die Füße des  Eine Rekonstruktion der Originalanordnung der Tafeln schlägt Nay 2015 vor.  Vgl. Brugger-Koch 1981, 131– 134.  Für eine detaillierte Analyse vgl. Nay 2015, 291– 310. Drei Abbildungen des Rahmens enthalten Szenen von Booten und Fischern (Abb. 24, rechts oben), ihre Interpretation ist umstritten.

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Abb. 25: Ein Mischwesen.

Engels zeigen wie auch bei Joseph den Laufschritt an; mit der rechten Hand weist er den Weg. An den Bildern fällt die Vorliebe für Details auf. Die Figuren von Joseph und dem Engel sind sehr dynamisch gestaltet, was einen gewissen Kontrast zu der Darstellung der thronenden Maria bildet. Diese Bildserie kann insgesamt als Verweis auf das Matthäusevangelium (2,14– 15) verstanden werden: Nachdem der schlafende Joseph im Traum von einem Engel vor der anstehenden Gefahr gewarnt worden ist (was an der Holzdecke in der vorangehenden Tafel dargestellt ist), steht er unverzüglich auf und bringt die Familie in Sicherheit. Die Episode des vor Maria und Jesus knienden Baums stammt hingegen aus dem apokryphen Pseudo-Matthäus-Evangelium (20,1– 2). Den Kleidern der verschiedenen Figuren an dieser Holzdecke kommt eine zentrale Bedeutung zu: Alle Figuren aus der Heilsgeschichte unterscheiden sich von den an-

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Abb. 26a–c: Bildserie der Tafeln mit der Flucht nach Ägypten.

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deren durch ihre Tuniken und darüber getragenen Togen, den weiten Obergewändern vornehmer Römer. Die anderen Figuren werden in zeitgenössischen, mittelalterlichen Kleidern dargestellt. Damit wird in diese Repräsentationen eine diachrone Zeitdimension eingefügt: Die heiligen Figuren, die aus einer vergangenen Zeit stammen, adressieren die Betrachtenden in der jeweiligen Gegenwart.²⁴ Alle Bilder sind von schwarz-weiß bemalten dekorativen Rahmen umrandet, was die Holzkonstruktion, die dazu dient, die Einzelbilder als Gesamtkomposition auf der Decke zu befestigen, optisch verstärkt. Auffallend ist die Suche nach Variationen in der Ornamentik. Die Bilder verweisen auf unterschiedliche Szenen und lassen sich auch als selbständige Einheiten deuten, was durch den Einzelrahmen betont wird. Dennoch ist ihre Betrachtung im Kontext des Gesamtwerkes unentbehrlich, um die Repräsentation des Weltbildes, das sie als Ganzes konstituieren, zu verstehen. Die Holzdecke ist charakterisiert durch den Kontrast des rahmenden Bildprogramms mit dem inneren, narrativ angelegten Programm. Im Rahmen wird das Meer als Bereich von gefährlichen Wesen dargestellt. Es ist, wie bereits gesagt, der Ort des Chaos, des Unkontrollierbaren. In den vier Ecken sind vier Winde als Engel dargestellt: In den zwei Eckbildern zum Chorraum hin (in Abb. 23 oben) können Aquilo als Nordwind und Auster als Südwind durch entsprechende Schriften identifiziert werden.²⁵ Aquilo und Auster verweisen auf die apokalyptischen Figuren, die die Winde zurückhalten, und damit auf die Ereignisse am Ende der Welt.²⁶ Im inneren Teil der Decke werden die Geschichte Jesu und des Heiligen Martin erzählt. Die Bilder thematisieren die Heilsgeschichte und ihre Folgen für die Christen, die das Kirchengebäude betreten. Die Geschichte Jesu im inneren Bildprogramm endet mit der Dornenkrönung. Das Fehlen der Kreuzigung und der Auferstehung kann vielleicht dadurch erklärt werden, dass diese zentralen Ereignisse der Passionsgeschichte an den Wänden der Kirche angebracht waren. Die Holzdecke gehört wahrscheinlich zu einem umfassenderen Bildprogramm, das für das gesamte Gebäude konzipiert wurde, aber die Bildzerstörung in der Reformationszeit nicht überlebt hat.²⁷ Die Holzkonstruktion, mit der die Einzeltafeln an der Decke befestigt wurden, besteht aus teils befestigten, teils verschiebbaren Holzlatten. Die zentralen Reihen auf der vertikalen und horizontalen Achse werden durch zweifache Latten umfasst, so dass optisch ein Kreuz entsteht, das sich über die ganze Komposition erstreckt. Der innere Zyklus macht die Relevanz der Heilsgeschichte als Orientierung in der Geschichte und in der Gegenwart deutlich. Den Betrachtenden der Decke eröffnet sich somit eine Sicht auf eine mittelalterliche Gesamtansicht der Welt (Abb. 27). Die äußeren Ränder der bekannten Welt sind von unkontrollierbaren Wesen bewohnt, die im übertragenen Sinn auch die Menschen bedrohen. Die Visualisierungen des Lebens Christi und des Heiligen Martin, dem die Kirche geweiht ist, liefern den    

Diese Überlegungen stützen sich auf Poeschel 1941, 87; Nay 2015, 81– 84; Brugger-Koch 1981, 46. Vgl. Brugger-Koch 1981, 27. Vgl. Brugger-Koch 1981, 41– 45. Zur Geschichte des Baus vgl. Nay 2015.

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Gläubigen Orientierung: Durch das Schauen nehmen sie an den heilsbringenden Ereignissen des Evangeliums teil, die in der Liturgie auch in anderen Formen und Medien vergegenwärtigt werden. Im Gegensatz zum Evangelium setzen die Bilder weder Lateinkenntnisse noch die Fähigkeit zu lesen voraus. Durch die raffinierte Beschaffenheit der Darstellung und das Spiel der Farben vermitteln sie ein christliches Weltbild auf eigene Weise. Dieser zweite Schritt der Analyse macht deutlich, dass dieses in sehr gutem Zustand erhaltene Werk eine Darstellung des mittelalterlichen Kosmos liefert, in dem die Heilsgeschichte im Zentrum steht. Der innere Teil, der Kontinent, ist der Bereich des Bekannten: Es ist der Bereich der Inkarnation Christi und setzt sich von den gefährlichen Randgebieten ab. Beide gehören jedoch zur Schöpfung Gottes. Das Betrachten der Kirchendecke lässt das irdische Leben als Ort der christlichen Offenbarung und der Hoffnung auf das Heil erkennen. Die Gläubigen können sich innerhalb dieser Ordnung zeitlich – in der Vergegenwärtigung der Geschichte Jesus – und räumlich – durch die physische Präsenz unter diesem Bild – verorten.²⁸

Abb. 27: Schema der verschiedenen Bereiche der mittelalterlichen Weltkarte gemäß der heutigen Anordnung der Einzelbilder.

 Weltbilder, in denen die Wahrnehmung der irdischen Dimension des Lebens in christlicher Perspektive als Weltkarte präsentiert wird, waren im 12. Jahrhundert verbreitet. Der Vergleich mit anderen visuellen Repräsentationen der Welt stellt methodisch einen weiteren aufschlussreichen Schritt dar, der es unter anderem erlaubt, die Besonderheit des ausgewählten Werkes herauszukristallisieren; vgl. dazu Englisch 2002; Sáenz-López Pérez 2014; Egel 2014.

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4.4 Der betrachtende Mensch im Weltbild Die allgemeine Frage nach der Leistung visueller Repräsentation in der Vermittlung religiöser Weltbilder, die wir anhand der Wechselwirkung von Medium,Verweisen und Blicken vertiefen, öffnet einen weiten Forschungsbereich, den wir im Kontext einer Einführung nicht auszuschöpfen vermögen. Die Zilliser Holzdecke ist ein herausragendes Beispiel für die Möglichkeit eines visuellen Artefakts, ein gesamtes Weltbild in zeitlicher und räumlicher Perspektive zu repräsentieren. Anhand dieses Beispiels wurde im vorherigen Abschnitt auf die Leistung in der Verbildlichung und Ordnung einer Weltanschauung fokussiert. Das nun folgende Beispiel wird ergänzend dazu hinsichtlich des vom Bild vorausgesetzten Blickes besprochen (Abb. 28). Das barocke Bild Speculum rationis kann heute im Beinhaus St. Michael in Oberägeri betrachtet werden.²⁹ Wahrscheinlich bildete es ursprünglich einen Teil des Altarbilds im gleichen Gebäude und war somit in ein größeres Bildprogramm integriert.³⁰ Das Bild zeigt einen Spiegel mit einer Innenseite und einem Rand, der in acht Bereiche unterteilt ist. Über diese Spiegelkonstruktion ist ein Band mit dem Titel des Werkes Speculum rationis und dem lateinischen Spruch Vive, Ut Aeternum Vivas (»Lebe, damit Du ewig leben wirst«) eingefügt. Unten ist der Stifter als Priester porträtiert, auf der gegenüberliegenden Seite das Wappen der Familie Iten. Aus dem unterem Band erfährt man den Namen, den Stand, die Herkunft des Stifters und das Datum (»Der ehrwürdige Johannes Iten, ein Zuger aus Ägeri, Leutpriester in Sarnenstorf, Aargau, ließ aus eigenem Vermögen diesen Altar errichten, 1677«). Neben der Figur wird das Alter (56 Jahre) angegeben. Im Spiegelrand sind vier kosmische Bereiche dargestellt: Paradies (Aeterna felicitas, oben), Gericht (Extremū Iudiciū, rechts), Fegefeuer (Purgatorium, als Feuerbrunnen dargestellt) und Hölle (Aeterna Damnatio, als Bärenrachen dargestellt, unten) sowie das irdische Leben (Vita Mundi, links), in dem Menschen gute Taten vollbringen (wie im Hintergrund durch vier Figuren gezeigt wird, die arbeiten oder beten) oder ein lasterhaftes Dasein führen können (beispielsweise indem man isst, trinkt und Karten spielt). Zwischen den kosmischen Bereichen stehen Engel, die den Betrachtenden Ratschläge erteilen, wie sie »leben können, damit sie ewig leben werden« (von oben rechts nach links): Considera ad quem finem creatus sis, serva mandata (»Betrachte, wozu Du geschaffen bist, halte die Gebote«) Considera quid moriturus justo Iudicisis repondurus (»Betrachte, dass Du im Tod dem gerechten Richter Rechenschaft ablegen musst«) Considera unde corpus sumptum sit Et inferni cruciatus aeternos (»Betrachte, woraus Dein Körper beschaffen ist und die ewigen Strafen der Hölle«)

 Für eine ausführliche Bildanalyse vgl. Odermatt-Bürgi 1984; Pezzoli-Olgiati 2016 und 2014, 112– 116; Grünenfelder 1992 und 1999, 280 – 282.  Odermatt-Bürgi 1984.

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Abb. 28: Speculum rationis, 1677, Öl auf Leinwand, 112 × 86 cm, Beinhaus St. Michael, Oberägeri, Kanton Zug (Schweiz). Considera beneficia Dei, et Vide ne per ingratitudinem Deum offendas (»Betrachte die Wohltaten Gottes und schaue, dass Du Gott nicht durch Undankbarkeit beleidigst«).

Die Sprüche der Engel passen thematisch sowohl zu den vier detaillierten Bereichen (auf die wir hier nicht eingehen können), als auch zum mittleren Bereich, in dem der

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Abb. 29: Spiegel der Vernunft, ca. 1488, kolorierte Xylographie, 40,4 × 29,1 cm.

Mensch im Mittelpunkt steht und auf den die Engel mit ihren Handgesten deutlich hinweisen.

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Dieser zentrale Teil des Bildes spiegelt im wörtlichen Sinn das Leben der Betrachtenden wider, die sich darin anschauen können. Der Mensch ist als Pilger mit Stab und Hut dargestellt. Mit zum Gebet gefalteten Händen überquert er eine Brücke. Das Gebet des Pilgers ist im hinzugefügten Spruchband beschrieben: Tu scis D(omi)ne, sed misere fiat Voluntas tua (»Du weißt alles, Herr, aber erbarme dich, dein Wille geschehe«). Beide Bilder, das Pilgern und die Brücke, sind Metaphern für den irdischen Lebensweg, auf dem der Mensch nur vorübergehend, während des irdischen Lebens, wandert. Der Teufel versucht, den Menschen von hinten zu packen und im irdischen Leben zurückzuhalten. Ein Engel zeigt dem Pilger eine Tafel, die am Kreuz Jesu, das auf einer Säule steht, die wiederum auf einem Baumstamm gründet, befestigt ist: Diliges Dominum Deum et Proximum tuum sicut teipsum (»Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst«) steht darauf. Auf der anderen Seite der Brücke lauert der Tod und hält seinen Todespfeil bereit, um den Pilger zu treffen. Mors nescia flecti (»Der Tod kann nie besiegt werden«), steht auf dem Spruchband. Die Uhr verstärkt das Motiv des plötzlichen Todes: Der Mensch ist nur vorübergehend auf dieser Erde und verlässt das irdische Leben im nackten Zustand, genauso wie er geboren wurde. Sein Ziel soll die »ewige Glückseligkeit« (Aeterna felicitas) im himmlischen Paradies sein. Unter der Brücke liegt der tote Pilger, der Pfeil hat ihn nicht verfehlt. Die drei Schädel sind Hinweise auf Golgotha, auf den Topos des Schädels Adams (der die Sünde in die Welt gebracht hat) zu Füßen des Kreuzes und Memento mori zugleich.³¹ Dieses Bild, das einen christlichen Kosmos repräsentiert, thematisiert mit visuellen Mitteln auf unterschiedliche Weise und sehr explizit den Blick, den es voraussetzt. Die Darstellung des Spiegels ist bereits ein deutlicher Hinweis auf das Schauen als eine moralisch aufgeladene Selbstbetrachtung.³² Die Betrachtenden erfahren durch das Schauen Wesentliches über ihr eigenes Leben als transitorische Phase und können es im Weltbild verorten. Der Spiegel unterstützt unterschiedliche Leserichtungen. Man kann den Blick entlang des Spiegelrahmens führen: Hier werden die vier dargestellten kosmischen Bereiche in Verbindung miteinander gebracht. Der Lebenswandel bestimmt, ob das Paradies, das Fegefeuer oder die Hölle das Ziel der irdischen Reise sein wird. Auch das Verhältnis zwischen dem Gericht und den verschiedenen Jenseitsbereichen wird im Spiegelrahmen thematisiert. Der Spiegel vermittelt eine christliche Kosmologie, in der das Leben auf der Erde nur einen neben drei weiteren kosmischen Bereichen darstellt. Der Sinn des menschlichen Lebens erschließt sich erst angesichts der transzendenten Jenseitsbereiche. Durch das Betrachten des Bildes werden diese in der Lebenswelt unsichtbaren Bereiche sicht- und erfahrbar. Der Blick kann aber auch der horizontalen Achse des Spiegels folgen. Diese Leserichtung fasst das Leben des Menschen zusammen, der auf seinem Lebensweg vom Tod getroffen wird und sich anschließend, von einem vermittelnden Heiligen beglei-

 Zu diesem Motiv vgl. Odermatt-Bürgi 1984.  Vgl. zur literarischen Gattung des Spiegels Jónsson 1995.

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tet, dem Gericht stellen muss. Damit wird die Biographie des einzelnen Menschen mit der kosmischen Dimension verknüpft. Die vertikale Achse betont die Relevanz des Todes Jesu Christi sowohl kosmologisch als auch für die einzelnen Gläubigen. Durch Jesu erlösenden Tod kann der Mensch von der Sünde befreit werden und zu neuem, jenseitigem Leben gelangen (der Baumstamm verweist vielleicht auf dieses Motiv): Im himmlischen Paradies warten die heilige Trinität und Maria, als Fürbitterin dargestellt, auf sie. Das Bild reguliert die verschiedenen Blicke durch die gemalten Texte, die ebenfalls schauend wahrgenommen werden. Die Wechselwirkung von Bild und Text in diesem Bild dient dazu, die normative Relevanz des Dargestellten hervorzuheben und die Verbindung zwischen Bild und Betrachtenden aus der Perspektive des Bildes zu deuten. Das Lesen wird somit visuell zum Ausdruck gebracht: Erst durch die Entzifferung der Bedeutung der lateinischen Texte, die zum großen Teil von den Engeln mitgeteilt werden, kann die Betrachtung des Bildes vervollständigt werden. In diesem Kontext ist interessant zu beobachten, dass der Priester, der das Bild in Auftrag gegeben hat, ein Buch in der Hand hält. Der vorausgesetzte Betrachter scheint somit der gelehrte Gläubige zu sein, der mit der Heiligen Schrift, der Lehre der Kirche und dem Lateinischen vertraut ist – und der das christliche Weltbild in Text und Spiegel vermitteln muss. Auch für die Analyse des Speculum rationis erweist sich die Kontextualisierung mithilfe vergleichbarer Bildproduktionen als weiterführend. Insbesondere der Vergleich mit einem älteren Druck aus den 80er-Jahren des 15. Jahrhunderts zeigt auf, dass sich das Altarbild auf eine Vorlage stützte (Abb. 29). Die ikonographische Parallele zwischen dem Speculum rationis und dem Spiegel der Vernunft auf der Ebene der Repräsentation ist evident, die Unterschiede umso interessanter: Die Texte der Vorlage aus dem 15. Jahrhundert sind auf Deutsch verfasst und die Technik des Drucks verweist auf die Weitergabe und Verbreitung des Motivs. Dagegen setzt das raffinierte, doppelt so große Ölbild, das fast 200 Jahre später entstand, ein ausgewähltes, gebildetes Publikum voraus, das Latein versteht. Die Repräsentation wird also im Laufe des Tradierungsprozesses der jeweiligen historischen Situation angepasst. Das dargestellte Weltbild zeigt zwar die gleichen Elemente und ikonographischen Konstellationen, die deskriptive und normative Wirkung des Weltbildes verändert sich jedoch in den verschiedenen Kontexten von Produktion und Rezeption. Der Speculum rationis zeigt die Relevanz der Begegnung des Bildes mit seinen Betrachtenden als wesentlichen Teil der Repräsentation eines Weltbildes. Dabei werden Facetten der Repräsentation des Weltbildes sowohl als Weltanschauung als auch als normatives Vorbild zum Ausdruck gebracht. In der Begegnung zwischen BildKörper und Betrachtenden wird eine religiöse Deutung des Kosmos und des Lebens vermittelt, die Gläubigen werden dadurch darüber ins Bild gesetzt, was die transzendente Dimension der Existenz für sie bedeuten soll. Aus dieser Perspektive ist insbesondere die Darstellung des menschlichen Körpers im Speculum rationis aufschlussreich: In der Vita Mundi unterscheiden sich die Menschen, die verschiedenen

Blick, Körper und Raum in religiösen Weltbildern

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Tätigkeiten nachgehen. Ihre Kleidung besagt einiges über ihren Lebenswandel, sozialen Status, Beruf und ihren Bezug zur Mode. Grundsätzlich aber sind alle Menschen als Pilgernde zu verstehen, die in diesem Gewand den Brückenweg des Lebens abschreiten. Im Jenseits sind sie alle erstmals gleich: Die Nacktheit des Körpers und der Hinweis auf seine Verwesung (der Tod als Skelett, die Schädel) erinnern daran, dass angesichts des Jüngsten Gerichtes alle Unterschiede aufgehoben sind. Nach dem Gericht bilden sich dann neue Hierarchien, je nachdem, welchem Bereich der verstorbene Mensch zugewiesen wurde.

4.5 Blick, Körper und Raum in religiösen Weltbildern Um diese visuell zum Ausdruck gebrachte Dimension der Körperlichkeit als Grundvoraussetzung der Existenz zu vertiefen, erscheint der Anschluss an ausgewählte Aspekte von Raumtheorien weiterführend.³³ Der Blick setzt nämlich eine Gleichzeitigkeit der Körper des Bildes und der Betrachtenden im gleichen Raum voraus. Der Raum, in dem sich Betrachtende und Bild begegnen, wird zum Ort, in dem das umfassende Weltbild, die kosmische Ordnung und die Stellung des Menschen darin wahrgenommen werden können. Hans Belting schreibt dazu: »In jeder Theorie der Wahrnehmung ist es ein Gemeinplatz, dass unser Bewusstsein ein Ort der Bilder ist. Wir sehen nicht nur Bilder der Welt, sondern die Welt in Bildern, in solchen Bildern, die wir uns selber machen.«³⁴ Die Betrachtenden werden selber zum Ort, in dem diese Bilder weiterleben und weitergegeben werden. In dieser Situation ist daran zu erinnern, dass immer nur da Bilder entstehen, wo wir sie sehen und deuten. Wir sind der einzige Ort, an dem Bilder empfangen und erinnert werden. […] Ohne unsern Blick gäbe es keine Bilder, sondern wären die Bilder etwas anderes oder gar nichts. Zwar empfangen wir Bilder von außen, aber wir machen sie zu unseren eigenen Bildern.³⁵

Demzufolge leben religiöse Weltbilder, die durch sie bestimmten Weltanschauungen und normativen Prägungen in ihren Betrachtenden, deren allgemeine Wahrnehmung der Welt wiederum reziprok geprägt wird. Das Verhältnis zwischen Repräsentation und Welt ist als stets dynamische, intensive Wechselwirkung zu verstehen, die an einem konkreten Ort stattfindet. In diesem Sinn kann Repräsentation als eine grundlegende Praxis erfasst werden, mit der sich der Mensch die ambivalente Welt, die ihn umgibt, verfügbar macht. Edward S. Casey bearbeitet das Verhältnis von Raum, Ort und Kultur in seinem 1996 erschienenen Artikel How to Get from Space to Place in a Fairly Short Stretch of Time. Phenomenological Prolegomena. Sein Zugang ist mit starken Bezügen zu den

 Einen ersten Einstieg in die Raumtheorie bieten Dünne/Günzel 2006.  Belting 1998, 34.  Belting 1998, 34– 35.

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Werken Edmund Husserls und Maurice Merleau-Pontys in der Phänomenologie verankert. Casey geht davon aus, dass menschliche Wesen (und auch andere Lebewesen) intrinsisch ortsgebunden sind. Durch unsere Wahrnehmung transformieren wir die allgemeine Kategorie des Raums, die der menschlichen Existenz vorgegeben ist, zu einem Ort, mit dem wir als allererstes körperlich in Beziehung treten. Diese Transformation des Raumes geschieht in und mittels des Körpers: Der lebende Körper ist die materielle Bedingung der Möglichkeit für die Ort-Welt, während er selbst ein Teil dieser Welt ist. Er ist grundlegend für den Ort und ein Teil des Ortes. So wie es keine Orte ohne Körper gibt, die sie erhalten und lebendig machen, so gibt es keine lebenden Körper ohne die Orte, die sie bewohnen und durchqueren.³⁶

Nach Casey sind wir nicht nur an Orten, sondern werden von Orten konstituiert: Mehr noch als Erdlinge sind wir Ortlinge und unser Wahrnehmungsappart selbst, unser fühlender Körper, reflektiert die Art von Orten, die wir bewohnen. […] [D]er Ort ist nicht nur ein bloßes Produkt oder ein Teil des Raumes, sondern so primär wie die Wahrnehmung, die Zugang zu ihm gibt.³⁷

Wahrnehmung also erlaubt uns, einen Bezug zum Raum aufzubauen, der zum Ort wird. Die Transformation von Raum zu Ort durch die Wahrnehmung ist als dynamische Wechselwirkung zu verstehen: Statt nur etwas Bestimmtes zu sein – zum Beispiel physisch, spirituell, kulturell, sozial –, nimmt ein gegebener Ort die Qualitäten der ihn Bewohnenden an und reflektiert diese Qualitäten in seiner eigenen Konstitution und Beschreibung und drückt sie in seiner Erscheinung als Ereignis aus: Orte sind nicht nur, sie geschehen. ³⁸

Im Kontext der sichtbaren Religion fragen wir nach der Bedeutung visueller Repräsentation in diesem dynamischen Prozess, in dem der Mensch mittels deskriptiv und normativ aufgeladener Bilder – Sinn- und Vorbilder – die Welt, die ihn umgibt, als geordnetes Ganzes wahrnimmt und sich darin verortet. Religiöse Weltbilder tragen,

 »The lived body is the material condition of possibility for the place-world, while being itself a member of that same world. It is basic to place and part of place. Just as there are no places without the bodies that sustain and vivify them, so there are no lived bodies without the places they inhabit and traverse.« Casey 1996, 24; Übersetzung durch die Autorinnen  »More even than earthlings, we are placelings, and our very perceptual apparatus, our sensing body, reflects the kinds of places we inhabit. […] [P]lace, rather than being a mere product or portion of space, is as primary as the perception that gives access to it.« Casey 1996, 19; Übersetzung durch die Autorinnen.  »Rather than being one definite sort of thing – for example, physical, spiritual, cultural, social – a given place takes on the qualities of its occupants, reflecting these qualities in its own constitution and description and expressing them in its occurrence as an event: places not only are, they happen.« Casey 1996, 27; Übersetzung durch die Autorinnen; Hervorhebung im Original.

Pluralität von Weltbildern

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wie wir gesehen haben, wesentlich bei zur Transformation des Raumes zu einem Ort, an dem Transzendenz erfahrbar wird.

4.6 Pluralität von Weltbildern Mittelalterliche Weltbilder haben heute einen musealen Charakter angenommen. Die Beispiele aus Zillis und Oberägeri, die in diesem Kapitel diskutiert wurden, befinden sich zwar immer noch in ihren jeweiligen ursprünglichen Gebäuden, sie werden aber vor allem als materielle Zeugnisse eines wertvollen Kulturerbes gepflegt und aufbewahrt. Die Kirche St. Martin in Zillis präsentiert sich heute als eine sehr gut restaurierte evangelisch-reformierte Kirche. Ihre weiß bemalten Wände erinnern an das ambivalente Verhältnis bestimmter Ausrichtungen der Reformation zur visuellen Kultur des Katholizismus.³⁹ Der nahegelegene, für das kleine Bergdorf überproportionierte Parkplatz verrät, dass die Kirche und das in unmittelbarer Nähe gelegene Museum von zahlreichen Interessierten besucht werden. Das Beinhaus St. Michael in Oberägeri dient nicht mehr dem Aufbewahren von Gebeinen, sondern ist als ein stiller Ort allen zugänglich, die es betreten möchten, sei es, um das Gebäude und seine Kunstschätze zu bewundern oder um die besinnliche Ruhe zu genießen. Nur wenige zeitgenössische Betrachterinnen und Betrachter, die diese Bilder anschauen, werden sie als eine Erklärung der allgemeinen Ordnung der Welt verstehen. Denn wir leben in einer Epoche, in der viele und unterschiedliche Weltbilder unsere Wahrnehmung der Welt prägen und konstituieren. Besonders dominant in diesem Spektrum an Weltvorstellungen sind wissenschaftliche Weltbilder.⁴⁰ Jürgen Mittelstrass drückt die Dominanz des wissenschaftlichen Weltbildes wie folgt aus: Dass in rationalen Kulturen nicht der Mythos, wie in vor-rationalen Kulturen, sondern die Wissenschaft die Welt macht, bedeutet nicht, dass damit auch eine Produktion von Weltbildern, die eine der Leistungen mythischer Kulturen darstellt, nicht mehr stattfände. Auch Wissenschaft hat vielmehr eine weltbildgenerierende Kraft. Sie macht nicht nur die Welt, in der rationale Kulturen leben, sie verschafft ihr auch ein Bild, in dem die Welt als das erscheint, was sie vermeintlich ›an sich‹ ist, als ›Natur‹, als ›Schöpfung‹, als ›Evolution‹ […]. Zu einem Begreifen der Wissenschaft gehört auch das Begreifen ihrer weltkonstituierenden und darin auch weltbildgenerierenden Kraft.⁴¹

Mit Mittelstrass werden die besprochenen Dynamiken in der Wahrnehmung des Lebensraums, die Weltbilder konstituieren, nochmals deutlicher. Die unterschiedlichen Deutungen der Welt bleiben nebeneinander bestehen und erheben je auf ihre Weise Anspruch auf allgemeine Orientierung. Dabei ist die Ausdifferenzierung und durchaus auch Konkurrenzierung unterschiedlicher Weltbilder in der europäischen Religions-

 Zur Bilderfrage in der Reformation vgl. Oelke 1992; Stirm 1977; Weimer 1999.  Vgl. dazu Stolz 2001b, 4.  Mittelstrass 1997, 231– 232.

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Bilder der Welt

Abb. 30: Planisphäre des Fra Mauro, um 1450 (?), Durchmesser 200 cm, Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana. Während die meisten Karten zu dieser Zeit geostet waren, ist diese nach Süden ausgerichtet.

geschichte seit der Renaissance und der frühen Neuzeit auch visuell bezeugt. Die Weltkarte des Fra Mauro zeigt auf exemplarische Weise die Entstehung und Emanzipierung wissenschaftlicher Weltbilder aus der religiösen Tradition (Abb. 30). Die Planisphäre des Fra Mauro ist ein Kompendium des geographischen Wissens des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Sie enthält präzise Informationen zur Kosmologie und Geographie, integriert jedoch auch historische und theologische Themen sowie Wissen aus Reiseberichten.⁴² Obwohl am Rande der Welt immer noch ein Ozean gezeigt ist, gilt die Aufmerksamkeit der möglichst getreuen Beschreibung der Konti-

 Eine ausführliche Analyse dieses Werkes findet sich in Egel 2014.

Pluralität von Weltbildern

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nente. Der Bezug zum religiösen Symbolsystem verschwindet aus der Erdkarte. Außerhalb des Globus (unten links) findet sich ein Verweis auf den Garten Eden und auf die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Das religiöse und das geographische Weltbild bleiben nebeneinander bestehen, visuell wird der Verweis auf die religiöse Tradition jedoch marginalisiert.⁴³ Das Weltbild dient hier dazu, eine andere Form der Orientierung zu leisten. In Zeiten der Entdeckungen neuer Kontinente erhalten geographische Kenntnisse eine ganz neue Bedeutung. Der Raum wird nun anders erkundet und visuell erfasst. Der Bezug zur Schöpfung und zur Heilslehre bleibt in der venezianischen Planisphäre bestehen, tritt jedoch in den Hintergrund. Das Bedürfnis, aus politischen, sozialen und ökonomischen Gründen die damals bekannte Welt zu bereisen, führt zu neuen Sichten auf das Territorium: Karten liefern eine auf der empirischen Erfahrung des Raumes und seiner rationalen Betrachtung basierende Weltsicht. In diesem Kapitel standen visuelle Quellen im Vordergrund, die wir im Hinblick auf ihre Leistung als Weltbilder, als Modelle für die und von der Welt untersucht haben. Dabei stand die Frage nach der Repräsentation einer allgemeinen Orientierung im Mittelpunkt, die dem Menschen ein Bild seiner Lebenswelt vermittelt und ihm erlaubt, sich darin zu verorten. Solche umfassende Blicke auf den Kosmos machen die Spannung zwischen Kontrollierbarem und Unkontrollierbarem, zwischen Transzendenz und Immanenz, sichtbar und erfahrbar. Methodisch wurden je nach Bild verschiedene Ansätze betont: Es wurde nach einzelnen Elementen und ihren Verweisen auf das religiöse Symbolsystem gefragt. Des Weiteren spielte die Frage nach der Gesamtkomposition, in denen die Einzelelemente und ihre Verweise eingebettet sind, eine zentrale Rolle. Der Vergleich mit anderen Bildern half, Kontinuitäten und Veränderungen der Kompositionen festzustellen. Für die Frage nach der Leistung von sichtbaren Weltbildern als umfassende Orientierung und nach der damit verbundenen Verortung des Menschen im Kosmos erweist sich die Untersuchung der vorausgesetzten Blicke als aufschlussreich: Der Blick konstituiert das Bild auf wesentliche Weise, er verbindet die Betrachterinnen und Betrachter mit der Materialität der Quelle. Durch das Schauen werden Weltbilder abgerufen und erfahren. Der Körper der Betrachtenden wird zum Ort, in dem die orientierenden Bilder ihre Wirkung entfalten. Durch diese Seherfahrung wird der Raum zum Ort, an dem die Betrachtenden Anteil an der transzendenten Welt haben und die Ordnung der Schöpfung und der Heilsgeschichte unmittelbar erleben können. Wir haben die Spannung von Immanenz und Transzendenz als einen gemeinsamen Nenner zahlreicher Religionstheorien besprochen. Was bedeutet jedoch Transzendenz im Hinblick auf sichtbare Religion? Im folgenden Kapitel wird diese Grundkategorie vertieft.

 Vgl. Farinelli 2014.

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Bilder der Welt

Fragen zur Vertiefung · Wie wirken sich die Materialität des Zilliser Bildprogramms (Abb. 24) und ihre architektonische Stellung im Kirchengebäude auf heutige Betrachtende aus? Formulieren Sie einige Arbeitshypothesen. · Analysieren Sie detailliert die vier kosmologischen Bereiche des Spiegel der Vernunft aus dem 15. Jahrhundert (Abb. 29). · Vergleichen Sie die Zilliser Holzdecke (Abb. 24) mit der Planisphäre des Fra Mauro (Abb. 30). Welche Blicke auf die Welt setzen diese zwei Werke voraus? Benennen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

5 Das Unsichtbare sichtbar machen oder wie Transzendenz visuell erfahrbar wird Eine rechteckige Leinwand ohne Rahmen, leicht von der Wand abgesetzt, bemalt mit einem tiefen, samtigen Blau. Keine Figuren, keine Formen, die die Fläche organisieren. Nicht einmal die Textur des Farbauftrags ist aus der Entfernung, die die Betrachtenden im Museum einzuhalten haben, zu erkennen (Abb. 31). Wir sehen ein

Abb. 31: Pures Blau zeigt Yves Klein auf seinem Monochrome bleu sans titre (IKB 191), 1962, Pigment, Harz, Leinwand, 65 × 50 cm.

https://doi.org/10.1515/9783110536706-006

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Blau, in dem wir uns verlieren können. Hier gibt es nicht ›Etwas‹ zu sehen. Unser Blick, mit dem wir normalerweise Gegenstände identifizieren, wird zu einem meditativen, quasi räumlichen Sehen. Verschiedene visuelle Dynamiken entwickeln sich: Der Blick geht in das Bild hinein, wie angezogen durch den Sog des satten Blaus, hinab in eine Tiefe, die sich in die Leinwand hinein und über sie hinaus eröffnet, in einen unendlichen Horizont, in dem die Begrenzungen des Bildes, der Wand, an der es hängt, des Museumsraums selbst sich auflösen. Der fehlende Rahmen, der das Bild klar in sich abgrenzen würde, und die leicht von der Wand abgesetzte Hängung schaffen Freiraum. Diese Sehbewegung in die Weite, die doch ein Versenken im puren Blau des Bildes ist, verlängert sich zu einer Sehbewegung ins Innere der Betrachterin oder des Betrachters hinein: Da es nichts Äußeres zu ›sehen‹ gibt, kehrt sich das Sehen nach innen und wird zur Versenkung in das betrachtende Ich. Sehen und Sein werden für einen Augenblick eins. Dieser Moment des Hinausblickens ins Unendliche bei gleichzeitiger Versenkung ins Innere ist geprägt von der Situation der Betrachtenden im Museum, stehend und umgeben von der Gegenwart anderer Besucherinnen und Besucher. Vielleicht dauert er deshalb nur ganz kurz, oder vielleicht dehnt er sich durch die Anziehungskraft der schieren Schönheit dieses leuchtenden Blautons auch länger aus. Nimmt man sich als Betrachterin etwas Zeit, drängen sich wohl bald Fragen auf: Was geschieht denn hier eigentlich? Was sehe ich? Wie sehe ich? Was hat eine blaue Leinwand im Museum zu suchen? Ist das nun Kunst? Oder eine Anregung zur Meditation? So oder so ähnlich könnte eine Begegnung mit einer der unterschiedlich großen Leinwände aus der Serie Monochromes bleus von Yves Klein (1928 – 1962) ablaufen.¹ Klein hat alle Elemente dieser Serie mit dem typischen, von ihm als International Klein Blue (IKB) patentierten Blauton bemalt. Sie sind Teil des Werkes eines Künstlers, dessen erklärtes Ziel es war, den Betrachtenden in der Begegnung mit seiner Kunst einen Moment der Wahrheit zu eröffnen.² Dazu bediente Klein sich unterschiedlicher Strategien. Er betonte in seinen Werken beispielsweise das Materielle und Körperliche, um dadurch die Aufmerksamkeit auf das Immaterielle zu lenken. So entwickelte er die Serie Anthropometrien, in der meist weibliche Modelle nackt und mit blauer Farbe übergossen die Leinwand mit ihrem Körper bemalten. Die Abdrücke dieser Körper auf der Leinwand zeugen zwar von der körperlicher Materialität des Malens. Trotzdem wirken die Bilder entfremdend und irritierend (Abb. 32). In einer Gegenbewegung zu dieser Betonung des Konkreten reduzierte Klein die Materialität bisweilen bis zum Nichts: Die Ausstellung La spécialisation de la sensibilité à l’état de matière première en sensibilité picturale stabilisé 1958 in der Galerie Iris Clert in Paris bestand buchstäblich aus Nichts – Klein inszenierte leere, weiß gestrichene Räume. In den Monochromes schließlich verband der Künstler diese beiden

 Für eine genauere Diskussion von Kleins Werk aus theologischer Perspektive vgl. Zordan/Knauß 2009.  Vgl. Rosenthal 1982, 102.

Das Unsichtbare sichtbar machen

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Abb. 32: In der Serie Anthropometrien fokussiert Yves Klein auf die körperliche Materialität und verfremdet sie zugleich, wie diese Beispiele aus der Website von Yves Klein zeigen.

Strategien, indem er materielle Bezüge durch die Konzentration auf Farbe und Oberfläche extrem reduzierte, aber doch nicht ganz aufgab. Das Material der Farbe und der Leinwand wird in den Monochromes so eingesetzt, dass es im Prozess des Sehens erkannt und zugleich überschritten wird. Es scheint, als wolle Klein die Betrachtenden dazu anleiten, Begrenzungen jeglicher Art zu überschreiten, indem sie in das Bild hinein und durch es hindurch sehen. Mit dieser Diskussion von Kleins Monochromes nähern wir uns jenem Thema an, das wir in diesem Kapitel behandeln wollen: Wie kann Transzendenz, wie kann das Unsichtbare und Jenseitige sichtbar und sagbar gemacht werden? Welche Darstellungsformen wurden und werden in religiösen Traditionen gewählt, um Erfahrungen von Transzendenz oder die Reflexion solcher Erfahrungen auszudrücken, und wie werden sie begründet? Wie interagieren bei dieser eigentlich unmöglichen Aufgabe Sichtbares und Nicht-Sichtbares? Welche Rolle spielen sichtbare Verweise auf Transzendenz in religiösen Gemeinschaften? Was bedeutet die Repräsentation von Transzendenz für das wahrnehmende Individuum und für die Gemeinschaft, deren Ordnung sich auch über ihr Verhältnis zu und ihren Umgang mit dem Sichtbaren ergibt? Mit dem Modell des circuit of culture lassen sich diese Fragen genauer ausdifferen-

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Das Unsichtbare sichtbar machen

zieren und methodisch erfassen.³ Sie fordern dazu heraus, insbesondere auf die Momente der Repräsentation, also Formen und Strategien der Darstellung des Transzendenten, und der Rezeption, also ihrer Einfügung in individuelle und kollektive bedeutungsschaffende Prozesse, zu fokussieren. Angesprochen sind auch die Momente der Regulierung, also der normierenden Dynamiken, die angemessene und unangemessene Darstellungen unterscheiden, sowie der Identität, also der individuellen und kollektiven Definition über geteilte Vorstellungen und Darstellungen von Transzendenz. Um uns dem Thema anzunähern, soll zunächst der nicht ganz einfache Begriff der Transzendenz geklärt werden. Der zweite Teil des Kapitels befasst sich mit zwei Zugängen zu der Frage nach der Sichtbarkeit der Transzendenz: Da wir in diesem Buch auf die europäische Religionsgeschichte fokussieren, die einerseits vom Christentum, andererseits seit der Moderne durch die Ausdifferenzierung sozialer Sphären geprägt ist, scheint es uns sinnvoll, sowohl kulturwissenschaftlich-theologische als auch religionssoziologische Zugänge zur Transzendenz zu integrieren. Sie erlauben es, Strategien in der Darstellung und Kommunikation von Transzendenz(erfahrungen) genauer zu analysieren sowie die Funktionen von Transzendenzdarstellungen für eine Gemeinschaft näher zu bestimmen. Abschließend werden diese Ansätze anhand der Analyse des Films Avatar von James Cameron (US 2009), in dem jenseitige ›Gegenwelten‹ verhandelt werden, erläutert.

5.1 Begriffsklärung: Transzendenz, Transzendenzen, Transzendieren Das deutsche Wort ›Transzendenz‹ wird vom lateinischen Verb transcendere abgeleitet, das ›überschreiten‹, ›übersteigen‹ sowohl von materiellen Hindernissen als auch Grenzen der Wahrnehmung und Erkenntnis bezeichnet. Im Deutschen ist Transzendenz ein Fachbegriff aus der platonischen Philosophie und, davon beeinflusst, der Theologie. Er bezeichnet nach dem Philosophen Jens Halfwassen teils die T[ranszendenz] des Absoluten und unser Transzendieren […] zu ihm hin im Überstieg über das Sein und alles Seiende, teils aber auch nur den Überstieg über eine ontologisch untergeordnete Seinsstufe zu einer sie übersteigenden, ontologisch übergeordneten Stufe.⁴

Man kann also zwischen einer graduellen Transzendenz, einem Überschreiten innerhalb der diesseitigen Wirklichkeit, und einer absoluten Transzendenz, die den Erfahrungsbereich des Menschen absolut überschreitet, unterscheiden. Transzendenz hat zum einen eine erkenntnistheoretische Dimension, wenn sie das Hinaufsteigen zu den ›reinen Ideen‹ meint, mit denen Platon das Ziel aller Philosophie fasste. Zum

 Vgl. die Einführung und Erläuterung des circuit of culture in Unterkapitel 3.1 dieses Bandes.  Halfwassen 1998, 1443.

Begriffsklärung: Transzendenz, Transzendenzen, Transzendieren

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anderen hat sie eine religiöse Dimension, wenn sie als »Heraustreten aus allen menschlichen Bemühungen [und als] ein Erfülltwerden vom Göttlichen«⁵ verstanden wird. In der näheren Bestimmung dieses breiten Begriffes übernimmt für unsere Fragestellung die Position des Soziologen Thomas Luckmanns eine wichtige Rolle. Sie führt uns in religionssoziologische Bestimmungen des Begriffes ein, die von der Frage nach der Leistung von Religion geprägt sind. Nach Luckmann ist Transzendenz ganz grundlegend das Überschreiten der biologischen Situation des Menschen, die sich alltäglich, mehr oder weniger bewusst, als ein Überschreiten unterschiedlicher Grenzen manifestiert. Im Detail unterscheidet Luckmann drei Ebenen: kleine, mittlere und große Transzendenzen.⁶ Kleine Transzendenzen sind jene, in denen Raum und Zeit überschritten werden, zum Beispiel das Jetzt in der Erinnerung an Vergangenes und das Hier in der Vorstellung dessen, was im Zimmer nebenan vor sich geht. Auch wenn diese Wirklichkeiten uns nicht unmittelbar zugänglich sind, so sind sie doch ihrer Möglichkeit nach erleb- und wahrnehmbar: Wir können alte Fotos von vergangenen Ereignissen anschauen oder aufstehen und nachsehen, was nebenan passiert. Bei mittleren Transzendenzen ist diese Möglichkeit nicht mehr gegeben, da sie den Erfahrungsraum des Subjekts überschreiten und so eine intersubjektive, soziale Dimension eröffnen. Hier geht es um die Wahrnehmungen und Erfahrungen anderer Menschen, die uns nur mittelbar zugänglich sind, sich aber auf eine gemeinsame Alltagswirklichkeit beziehen. So können wir den Schmerz einer anderen Person nicht selbst fühlen, ihn aber empathisch nachvollziehen. Diese Form der Transzendenz wird unter anderem durch sichtbare, teils kulturell konventionalisierte Codes wie Gesichtsausdruck, Gesten und Haltungen ermöglicht. Große Transzendenzen schließlich sind nach Luckmann solche, in denen der Bereich der Alltagswirklichkeit auf eine nicht erfahrbare Wirklichkeit hin überschritten wird. Zum Beispiel wird die unmittelbar empirisch und sinnlich wahrnehmbare Welt transzendiert, wenn wir träumen oder in die Welt eines ScienceFiction-Romans entführt werden. Der im zweiten Teil dieses Kapitels diskutierte Film Avatar bietet eine Gelegenheit für die Erfahrung solch ›anderer‹ Welten. Die Fähigkeit zur Transzendenz bestimmt auch der Soziologe Hans Joas in seiner Monographie Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz (2004) zunächst als allgemeine Fähigkeit des Menschen zur Selbsttranszendenz. Das Subjekt nimmt sich als geschichtlich gewordenes und bestimmtes Wesen wahr und entwirft sich in eine Zukunft hinein.⁷ Ohne diese Fähigkeit wäre menschliche Existenz im Alltag weder für das Individuum noch für die Gruppe möglich. Die menschliche Fähigkeit,Vergangenes, Zukünftiges oder räumlich Abwesendes dank der Imagination mit dem Hier und Jetzt in Bezug zu setzen oder auch empathisch Gefühle von anderen

 Halfwassen 1998, 1443.  Vgl. Luckmann 1996, 166 – 171.  Vgl. Joas 2004, 17.

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Menschen nachzuvollziehen und Wahrnehmungen zu kommunizieren, ist für Joas grundlegend. Die von ihm als Selbsttranszendenz bezeichneten Formen von Transzendenz sind an sich noch nicht religiös; sie entsprechen den oben genannten graduellen Transzendenzformen der kleinen und mittleren Transzendenz bei Luckmann. Sie sind aber die Voraussetzung dafür, dass Erfahrungen von religiöser Transzendenz – dem absolut Anderen – als solche gedeutet werden können.⁸ Transzendenz ist also eine Erfahrung des »Überschreitens einer Grenze«,⁹ ein Gefühl des »Über sich selbst Hinausgerissenseins«,¹⁰ das so faszinierend und »enthusiasmierend wie erschreckend«¹¹ sein kann. Religionssoziologische Annährungen an den Begriff der Transzendenz interessieren sich dafür, wie diese Erfahrung geschieht und welche Funktion sie für ein Individuum oder eine Gruppe hat. Mit der Frage danach, was in diesen Momenten der Überschreitung erlebt wird, beschäftigt sich vor allem die Religionsphilosophie. Unterschiedliche Ansätze versuchen das Transzendente inhaltlich als das Unendliche, das All, das Eine, die Weltseele oder Gott zu bestimmen.¹² In der platonischen Tradition wird Transzendenz als etwas verstanden, das der diesseitigen Welt gänzlich entgegengesetzt ist und durch die Unterscheidung von historisch oder materiell Gegebenem definiert ist. Dagegen verschieben gegenwärtige neue religiöse Bewegungen, die sich im Umfeld des sogenannten New Age verorten, die Transzendenzerfahrung oft in den innerweltlichen Raum und fokussieren auf Erfahrungen des Über-sich-Hinaustretens wie sexuelle Ekstase, körperliches Wohlbefinden oder die Verbindung mit der nichtmenschlichen Natur. Für Knoblauch ist diese Umdeutung der Transzendenz ein wichtiges Charakteristikum der zeitgenössischen Transformation des Religiösen.¹³ Die Konzentration auf das Was, auf den Gegenstand der Erfahrung (Transzendenz), und weniger auf das Wie, die Erfahrung selbst (Transzendieren), führt dazu, dass Transzendenz im strikten Gegensatz zur Immanenz verstanden wird. Daraus folgt, dass der Bereich der Transzendenz und des Heiligen den Lebensbereichen der Immanenz und des Profanen entgegengesetzt werden. Der Religionswissenschaftler Peter Bräunlein zeigt,¹⁴ dass dieses Argument dazu führt, das Objekt der Religion als etwas Unsichtbares und Immaterielles vorzustellen,

 Theologisch fasst Karl Rahner (1976, 42– 46) diesen Gedanken in der Beschreibung des Menschen als ›Wesen der Transzendenz‹, also ein Wesen, das durch die Fähigkeit zur Selbstüberschreitung charakterisiert ist.  Knoblauch 2009, 56.  Joas 2004, 17.  Joas 2004, 21.  Vgl. dazu Rudolf Ottos Idee des Heiligen (1963); Gerardus van der Leeuws Verständnis des Transzendenten als das Andere (1970); Karl Jaspers’ Deutung des Transzendenten als Gott oder das Umgreifende (1970); in östlichen Traditionen verweisen Begriffe wie Brahman (Weltseele) oder Nirwana auf das Transzendente.  Vgl. Knoblauch 2009, 24; sowie Heelas/Woodhead 2005.  Vgl. Bräunlein 2004, 17.

Begriffsklärung: Transzendenz, Transzendenzen, Transzendieren

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wie etwa bei Friedrich Heiler, der Religion als »Umgang mit dem transzendenten Gott, der jenseits aller sinnlichen Wahrnehmung ist, völlig unanschaulich«,¹⁵ beschreibt. Dagegen betont der Begriff Transzendenz, wenn er im Sinne des Transzendierens als Prozess verstanden wird, gerade die Möglichkeit des Hinübergehens über Trennungen und Unterscheidungen, wie Knoblauch unterstreicht: »Statt der Unterscheidung bezeichnet er [der Begriff des Transzendierens] die Verbindung und Entgrenzung als Überschreitung und Überwindung dessen, was als Grenze oder Differenz angesehen werden kann.«¹⁶ Im Verständnis Knoblauchs kommt dem Transzendieren also wesentlich das Merkmal des Verbindens und Überbrückens von an sich voneinander getrennten Erfahrungsbereichen zu. Dieses Verständnis von Transzendenz ist für die Erforschung sichtbarer Religion wichtig, weil sie uns erstens hilft, die Sichtbarmachung des Unsichtbaren in dieser Überschreitung von Erfahrungsräumen zu situieren, und zweitens dazu beiträgt, die Einheit und gleichzeitige Komplexität religiöser Weltbilder zu verstehen.¹⁷ Außerdem entspricht das Interesse am Prozess des Transzendierens unserer kulturwissenschaftlich geprägten Aufmerksamkeit dafür, wie Prozesse der Bedeutungsaushandlung ablaufen, und geht damit über die religionsphilosophische Definition und Analyse dessen, was Transzendenz ist, hinaus. Transzendenz und Transzendieren können also je nach religiöser Tradition, kulturellem Kontext oder wissenschaftlichem Zugang ganz unterschiedlich verstanden werden. Unsere Überlegungen in diesem Kapitel zur Möglichkeit der sichtbaren Vermittlung von Transzendenz und ihrer Funktion für Individuum und Gesellschaft beziehen sich vor allem auf die von der jüdischen und christlichen Tradition und der griechisch-römischen Philosophie geprägten europäischen und nordamerikanischen Kontexte. Angesichts der globalen Wanderung von visuellen Motiven und der gegenseitigen Beeinflussung von Religionen ist jedoch eine strenge Zuordnung von Motiven zu religiösen Traditionen weder möglich noch sinnvoll. Im Gegenteil kann gerade die Aufmerksamkeit für die gegenseitige Befruchtung visueller Kulturen zu einem vertieften Verständnis von Motiven und Darstellungsformen führen.¹⁸ Etwas generalisierend kann man zum Beispiel sagen, dass im Islam Gott als absolut transzendent und als der sinnlich wahrnehmbaren Welt ganz ›anders‹ vorgestellt wird. Jede materielle, bildliche Darstellung Gottes wird demnach als ein ImmanentMachen oder eine ›Ver-endlichung‹ Gottes verstanden und ist deshalb höchst problematisch.¹⁹ Im Judentum und Christentum wird tendenziell davon ausgegangen, dass durch Gottes Offenbarung in der Geschichte eine Erfahrung der Transzendenz möglich ist, ohne dass Gott deshalb selbst zu einer innerweltlichen Wirklichkeit

 Heiler 1961, 22.  Knoblauch 2009, 55.  Vgl. zum Thema Weltbilder Kapitel 4 dieses Bandes.  Vgl. Birgit Meyers Analyse des Einflusses indischer Ikonographie auf die Darstellung afrikanischer Geister in ghanaischen Videos; Meyer 2015, insb. Kapitel 5.  Vgl. Beinhauer-Köhler 2011; Naef 2007.

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wird.²⁰ Im Judentum bleibt das Verbot von Abbildungen Gottes (Exodus 20,2– 5; Deuteronomium 5,8) trotzdem prägend. Das Bilderverbot im Judentum wie im Islam ist aber nur hinsichtlich der Abbildung Gottes absolut; andere figürliche Darstellungen von Menschen, Tieren oder Pflanzen, auch in religiösen Kontexten, sind möglich und in der gesamten Geschichte dieser beiden Traditionen zu finden. Beispiele dafür sind etwa die Mosaiken der antiken Beth Alpha Synagoge aus dem 6. Jahrhundert im heutigen Israel mit ihren Darstellungen der Opferung des Isaak und des Zodiak oder auch die blühende, teils staatlich geförderte Streetart-Szene im modernen Teheran.²¹ In der historischen Entwicklung des Christentums ist die Lehre von der Inkarnation des transzendenten Gottes im Menschen Jesus von zentraler Bedeutung für die Möglichkeit der Repräsentation der Transzendenz. Exemplarisch ist folgendes Argument aus der Summa Theologiae von Thomas von Aquin: »Da aber im Neuen Testament Gott Mensch geworden ist, kann er in einem körperlichen Bild angebetet werden.«²² Thomas unterstreicht allerdings in derselben Passage, dass die dem Bild zuteil werdende Verehrung nicht dem Bild, einem Ding, selbst gilt, sondern dem im Bild Dargestellten. Diese Position war jedoch nicht unstrittig und die Rolle der Bilder wurde in der Geschichte des Christentums immer wieder in Frage gestellt, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird.

5.2 Repräsentation und Regulierung von Transzendenz Sichtbare Darstellungen der Transzendenz spielen in allen Religionen eine wichtige Rolle für die Kommunikation von Vorstellungen und Erfahrungen von Transzendenz. Da das Transzendente jedoch, wie bereits diskutiert, als der sichtbaren Welt entgegengesetzt definiert wird, stellt sich immer die Frage nach der Angemessenheit solcher Darstellungen. Bräunlein bemerkt, dass Formen der Transzendenzdarstellung immer wieder neu institutionell abgesichert werden müssen und sich deshalb in allen religiösen Traditionen (theologische) Reflexionen über die Legitimität von Darstellungen des Transzendenten und seiner Erfahrung finden.²³ Die christliche Tradition beschäftigt die Debatte um die Darstellbarkeit des NichtDarstellbaren seit Jahrhunderten. In der Ausdifferenzierung dieser Frage spielen die sogenannten Bilderstreite des 7. und 8. Jahrhunderts sowie des 16. Jahrhunderts eine wichtige Rolle.²⁴ Im ersten großen Konflikt um die Darstellbarkeit des Transzendenten

 Vgl. Schwöbel 2006.  Zu visuellen Traditionen in Islam und Judentum vgl. Gruber 2013; Bland 2000. Beispiele aus der Streetart-Szene Teherans sind in der Guardian-Bildergalerie zu finden: https://www.theguardian.com/ artanddesign/gallery/2015/feb/26/the-toast-of-tehran-irans-superstar-street-artist-in-pictures [19.01. 2018].  Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, Q. 25, Art. 3.  Vgl. Bräunlein 2009, 777.  Vgl. Belting 1990, insbesondere 166 – 169 und 510 – 515.

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standen die Ikonoklasten den Ikonophilen gegenüber. Für die Ikonoklasten war jede bildliche Darstellung eine Verendlichung des absolut transzendenten Gottes und der liturgische Umgang mit solchen Bildern Gotteslästerung und Idolatrie. Die Ikonophilen hingegen gingen davon aus, dass Gott sich in der Inkarnation selbst sichtbar gemacht hatte, und daher waren Bilder Christi für sie erlaubt. In ihrer Argumentation unterschieden die Ikonophilen das Bild deutlich vom Abgebildeten. Die Verehrung galt also nicht dem Bild selbst, sondern dem Abgebildeten, wie beim 2. Konzil von Nikaia 787 festgehalten wurde.²⁵ In der stark von der ikonophilen Tradition geprägten Ostkirche stellt die sichtbare Vermittlung von Transzendenz durch die Verehrung ihrer Darstellungen in Christus-, Marien- oder Heiligenikonen fortan einen wesentlichen Bestandteil der individuellen und kollektiven Frömmigkeitspraxis dar.²⁶ In der Westkirche hingegen kam den Bildern in der Folge eine nurmehr pädagogische Funktion zu: Bilder Christi dienten dazu, an Christus zu erinnern und den Glauben zu stärken. Ebenso sollten Darstellungen von biblischen Geschichten denjenigen, die nicht lesen konnten, die rettende Gegenwart Gottes in der Heilsgeschichte vor Augen führen.²⁷ Die Frage der Bilder entzweite die christliche Tradition also ein erstes Mal und sie blieb insbesondere in der Westkirche virulent. Denn die Frage nach der Rolle von Bildern der Transzendenz flammte im reformatorischen Bildersturm des 16. Jahrhunderts erneut auf. Die Reformatoren betonten das biblische Bilderverbot im Kontext der Gottesdienste und Kirchen.²⁸ Für sie lenkten Bilder die Frömmigkeit durch Sinnlichkeit und Weltlichkeit von Gott ab.²⁹ Wie Belting unterstreicht, ging es in diesem Bilderstreit weniger um die Bilder selbst, als um die mit ihrer Verehrung oder Ablehnung verbundene konfessionelle Identität sowie die Macht der Kirche, die durch die Bilder repräsentiert wurde.³⁰ In der mystischen Literatur spielen Bilder oder Statuen von Christus, den Heiligen oder biblischen Narrativen eine wichtige Rolle in der Motivation von Erfahrungen des ›Hinübergehens‹. Im 16. Jahrhundert berichtet Theresa von Avila, dass sie eines ihrer intensivsten religiösen Erlebnisse hatte, während sie eine Statue des gegeißelten Christus betrachtete.³¹ Deshalb förderte sie die Sammlung von Bildern und Statuen und bezog sie in ihre eigene religiöse Praxis und die ihrer Ordensschwestern ein. Auch von anderen Mystikerinnen und Mystikern ist bekannt, dass sie vor allem durch die Betrachtung von Passionsbildern oder Kreuzesdarstellungen die Passion Christi sozusagen mit ihm mit-erleiden und darin ein Eins-Sein mit Christus erfahren konnten.

 Die entsprechenden Texte des 2. Konzil von Nikaia, Definition über die heiligen Bilder, finden sich in Denzinger/Hünermann 2001, Nr. 601.  Vgl. Bräunlein 2009, 783 – 785.  Vgl. die entsprechende Argumentation Gregors des Großen in seinem Brief an Bischof Serenus von Marseile, in Denzinger/Hünermann 2001, Nr. 477.  Vgl. Stirm 1977; Weimer 1999.  Vgl. Hoeps 2007.  Vgl. Belting 2006, 177.  Vgl. Zordan 2012.

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Ein bekanntes Beispiel ist die Reklusin Juliana von Norwich, deren Betrachtung des Kruzifixes Grundlage und Ausgangspunkt ihres mystischen Werks wird.³² Hier verwischen sich die Grenzen zwischen der Erfahrungswirklichkeit der Rezipierenden, der bildlichen Darstellung und der ›jenseitigen‹ Wirklichkeit des gekreuzigten Gottessohns. Systematisch reflektiert werden diese ästhetischen Transzendenzerfahrungen erst im 20. Jahrhundert. Studien zur Rezeption von visuellen Medien betonen sinnliche Erfahrung als grundlegend für Sinnstiftung.³³ Sie rücken nicht nur das Sichtbare und das Sehen in den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit, sondern betonen die grundsätzlich synästhetische Form von bedeutungsstiftender Interaktion mit der Welt und tragen damit zu einer Erweiterung der Forschungsperspektive bei. So kann die visuelle Wahrnehmung einer Darstellung des leidenden Christus in den Sehenden auch taktile Empfindungen wie Schmerz, den Geschmack von Blut im Mund oder den Geruch von Angstschweiß erwecken. Durch diese synästhetische Wahrnehmung schreibt sich das Gesehene auf unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen in die Existenz der Sehenden ein und entfaltet seine Wirkung. Sichtbare Religion zu untersuchen, bedeutet also auch, andere Sinne als das Sehen zu berücksichtigen und zu analysieren, wie sie im Sehen mit angesprochen werden.³⁴ In Bezug auf die Darstellungsformen, durch die Transzendenz sichtbar gemacht werden soll, unterscheiden wir drei Strategien. Die erste kann durch die bereits diskutierte ästhetisch-mystische Erfahrung exemplifiziert werden. Hier werden realistische Darstellungsformen bevorzugt, die die Ähnlichkeit mit dem Dargestellten unterstreichen und direkte Identifikation und empathischen Nachvollzug anstreben. Diese Strategie verfolgt zum Beispiel die Kreuzigungsdarstellung des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald (Abb. 33). Die betonte Darstellung des Leidens Christi legt die Identifikation sowohl mit seinem Schmerz als auch mit der Trauer und dem Glauben der Zeuginnen und Zeugen des Ereignisses nahe, die Jesu Kreuzigung miterleben und beglaubigen. Da in dieser realistischen Strategie eine Ähnlichkeit zwischen dem Transzendenten und seiner materiellen Darstellung zumindest impliziert wird, gerät diese Form der Darstellung immer wieder unter den Verdacht der Vergegenständlichung des Ungegenständlichen und damit der Förderung von Idolatrie. Eine zweite Strategie verbleibt im Bereich figürlicher Darstellungen, wobei diese metaphorisch oder symbolisch Anwendung finden. Als Vorlage dienen häufig verbale Metaphern in heiligen Texten, die als Verweise auf die Transzendenz bereits eine lange Tradition haben.³⁵ Sie werden je nach kultureller Prägung und Konvention als im-

 Vgl. zum Thema Mystik und Kunst Hamburger 1991; für weiterführende Literatur außerdem McGinn 2003. Milhaven (1989) beschreibt seine eigenen Erfahrungen in der Begegnung mit mittelalterlichen Passionsdarstellungen im Kontext seiner Reflexion über mystische Erfahrungen.  So zum Beispiel Sobchack 1991.  Vgl. Pink 2011; Bräunlein 2009, 797.  Vgl. Luckmann 1996, 176.

Repräsentation und Regulierung von Transzendenz

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Abb. 33: Mitleiden mit dem Gekreuzigten in einem Auschnitt der Zentraltafel aus Matthias Grünewald (Mathis Gothart Neithart), Isenheimer Altar, 1512 – 1516, Öl auf Holz, Museum Underlinden, Collmar.

manente Bedeutungsträger und Symbole des Transzendenten verstanden, in denen ein Mehrwert an Bedeutung zum Ausdruck gebracht wird, der über das unmittelbar Sichtbare hinausgeht.³⁶ In der westlichen Kunst- und Kulturgeschichte geläufige visuelle Transzendenzsymbole sind zum Beispiel Sonne, Licht und Gold, Meer oder Himmel, die Elemente Wind oder Feuer, sowie Schleier, die verhüllen und doch transparent sind. Bekannt ist auch das Dreiecks als Symbol für die Trinität, das zum Beispiel in der Kirche des dänischen Ballum Sogn in Verbindung mit der Sonne und dem hebräischen Gottesnamen als Transzendenzsymbol verwendet wird (Abb. 34). Die dritte Strategie schließlich betont den bleibenden Unterschied zwischen der sinnlich wahrnehmbaren und der transzendenten Wirklichkeit, indem zunächst realistische und schließlich generell figürliche Darstellungskonventionen durchbrochen werden.³⁷ Diese Strategie findet sich schon in der frühen Ikonenmalerei, in der be-

 Vgl. Rombold 1980, 15; Nöth 2011, 312.  Vgl. Larcher 2005, 48 – 51.

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Das Unsichtbare sichtbar machen

Abb. 34: In dieser Darstellung, die sich in der Kirche Ballum Sogn, Dänemark, befindet, werden visuelle Motive wie das Dreieck als Symbol der Trinität und Sonnenstrahlen als Symbol des Göttlichen mit dem hebräischen Gottesnamen kombiniert.

wusst keine Versuche einer realistischen Darstellung unternommen wurden, um darauf zu verweisen, dass der dargestellte Christus (oder auch die Heiligen oder Maria) der ›ganz Andere‹ ist und bleibt, die Ikone also nur auf ihn verweist. Für die Kunst der Moderne und Gegenwart ist die selbstreflexive Kritik am Versuch, Wirklichkeiten abzubilden, maßgeblich. Sie greift in ihren Versuchen, das Transzendente auszudrücken, das Anliegen, realistische Abbildung zu verweigern, auf. Transzendenzdarstellungen als der Ausdruck von etwas, das dem Sichtbaren zugrunde liegt, aber entzogen bleibt, verlangen deshalb neue Darstellungsformen. Formale Ausdrucksmittel dieser Strategie sind etwa die Reduktion von Form und Farbe, das Brechen von Sehgewohnheiten, die Umdeutung von Motiven, Negation oder Übermalung, so dass das Immanente für das Transzendente durchsichtig werden kann.³⁸ Wie zu Beginn des Kapitels gezeigt, führt Yves Klein diese Entwicklungslinie mit seinen Monochromes ins Extrem, indem er die Darstellung auf die reine Farblichkeit reduziert. Das Beispiel macht aber auch deutlich, dass bei aller Reduktion die totale Verweislosigkeit nicht möglich ist: Es bleiben kulturell geprägte Assoziationen der Farbe Blau mit Himmel oder Meer, die in ihrer scheinbar unendlichen Weite als Transzendenzsymbole verstanden werden können. Zudem kann die Farbwahl auch

 Vgl. Larcher 2005, 56; Schwebel 2001, 213.

Repräsentation und Regulierung von Transzendenz

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Abb. 35: Der unendliche Himmel in Giottos Fresken der Kapelle der Scrovegni in Padua (1303 – 1305).

als religiöser oder kunstgeschichtlicher Verweis gelesen werden, zum Beispiel auf das traditionelle Blau des Mantels der Jungfrau Maria, oder auf das Blau des Himmelsfreskos an der Decke der Kapelle der Scrovegni von Giotto in Padua (Abb. 35), auf dessen Einfluss Yves Klein selbst verweist.³⁹ Diese Beobachtungen zeigen, dass in der Rezeption von Transzendenzdarstellungen das Vorwissen von Betrachterinnen und Betrachtern zur Deutung von Symbolik und Ikonographie eine zentrale Rolle spielt. Transzendenz wird nicht nur in Bildern oder Statuen erfahrbar gemacht, sondern auch durch andere materielle Objekte und mit ihnen verbundene Handlungen, die ja ebenfalls eine sichtbare Dimension haben. In vielen christlichen Gemeinschaften hat sich in den Sakramenten, ihrer Theologie und Praxis, eine Art der symbolisch vermittelten Transzendenzerfahrung entwickelt. Nach der Lehre der christlichen Kirchen (auch wenn mit erheblichen konfessionellen Unterschieden) werden dafür konkrete Handlungen (Handauflegung, Bezeichnung mit dem Kreuz, Salbung, Essen, Trinken) mit Materialien wie Wasser, Öl, Brot und Wein komplex miteinander verbunden, um Transzendenz nicht nur darzustellen, sondern nach dem Glauben dieser Gemeinschaften erfahrbar zu machen: Durch das gemeinsame Essen von Brot und Wein wird eine Gemeinschaft mit Jesus Christus hergestellt und in der Salbung der Heilige Geist vermittelt. Diese Transzendenzerfahrung erlangt durch ihre theologische Begrün-

 Vgl. Rosenthal 1982, 101.

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Das Unsichtbare sichtbar machen

dung, aber mehr noch durch ihre sozial kontrollierte Performation, Faktizität.⁴⁰ Sakramente werden als wirksame Zeichen der Transzendenz von der Kirche als der sie vermittelnden Institution genau reguliert und etablieren dadurch, dass sie die Einzelpersonen als Teil einer Gemeinschaft betreffen, eine kollektive Identität (wie in den Momenten der Regulierung und Identität im circuit of culture angesprochen). Damit verbundene Prozesse von Identitätsbildung drücken sich etwa in den katholischen Diskussionen um die Zulassung von geschiedenen Wiederverheirateten zur Kommunion aus oder in den protestantisch-katholischen Kontroversen um das Verständnis der Sakramente, ihre Anzahl und ihren Ritus.⁴¹ Die Untersuchung der Sichtbarmachung von Transzendenz ist nicht auf die Analyse von Darstellungsformen oder ihrer Verwendung in institutionellen Zusammenhängen beschränkt, sondern bezieht auch ihre Integration in den Alltag mit ein. David Morgan hat dies in seiner Monographie Visual Piety. A History and Theory of Popular Religious Images (1998) am Beispiel von Warner Sallmans Gemälde The Head of Christ gezeigt. Morgan macht die Transzendenzerfahrung hier nicht an der eher naiven, konventionellen Darstellung von Christus mit leicht nach oben gewandtem Blick fest. Im Unterschied zu den verfremdenden Strategien der modernen oder Gegenwartskunst vermittelt das Bild von Jesus als blonder, junger Mann die Transzendenz für viele Betrachtende durch ein Gefühl der Vertrautheit, evoziert durch das Wiedererkennen von stereotypen Dargestellung aus anderen Medien und Bildern.⁴² Zusätzlich zu diesem Gefühl des Vertrautseins drückt sich die Erfahrung von Transzendenz im Alltag vor allem auch darin aus, wie eine bestimmte Person mit dem Bild interagiert, also wie sie das Bild betrachtet, in der Wohnung positioniert oder zusammen mit anderen Objekten arrangiert.⁴³ Bilder sind nicht nur Bedeutungsträger und Verweise auf bereits erlebte Erfahrungen, sondern können aufgrund kommunikativer Dynamiken zum Anlass von neuen Transzendenzerfahrungen werden.⁴⁴ Dieser ›Mehrwert‹ entwickelt sich im Dreieck von Produktion, Repräsentation und Rezeption, in dem Erfahrungen ausgedrückt, sichtbar gemacht, nachvollzogen und schließlich zu eigen gemacht werden. Diese kommunikative Dynamik macht deutlich, dass sichtbare Verweise auf Transzendenz eine individuelle Dimension und gleichzeitig einen intersubjektiven, sozialen Charakter haben. Beide Aspekte lassen sich religionssoziologisch und kulturwissenschaftlich untersuchen.

 Vgl. die Religionsdefinition nach Geertz (1987) in Unterkapitel 4.1 dieses Bandes.  Zur Frage der wiederverheirateten Geschiedenen vgl. Franziskus 2016. Im Konzil von Trient war die Festlegung der Sakramente auf sieben nicht nur eine theologische Frage, sondern diente auch zur Definition des ›Katholischen‹ gegenüber den protestantischen Reformern; vgl. Denzinger/Hünermann 2001, Nr. 1600 – 1601.  Vgl. Morgan 1998, 17; sowie Unterkapitel 11.4 dieses Bandes.  Vgl. Morgan 1998, 152– 180.  Vgl. für diesen Abschnitt Knoblauch 2009, 72; Luckmann 1996, 174– 176.

Identitätsbildung und Regulierung durch sichtbare Transzendenz

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5.3 Identitätsbildung und Regulierung durch sichtbare Transzendenz Wie oben bereits erwähnt, unterstreicht Luckmann, dass Transzendenzerfahrungen für die Bildung des Selbst wesentlich sind: Die in ihnen ausgedrückten Deutungsmuster prägen individuelles Wissen von der Welt und damit Handlungsweisen, die sich in einer persönlichen Identität konsolidieren.⁴⁵ Sichtbare Symbole von Transzendenz vermitteln diese Deutungsmuster sinnlich und tragen so ganz unmittelbar zur Identitätsbildung bei. Der Mensch ist ein Wesen zwischen Vergangenheit und einer offenen Zukunft: Auch diese Transzendenzen der unmittelbaren biologischen Situation sind sinnlich vermittelt. Denn in der sinnlichen Wahrnehmung – etwa von Kleins Monochromes – wird nicht nur ein Inhalt vermittelt, sondern grundlegender noch Wahrnehmungsfähigkeit. Im Sehen nehmen wir uns selbst wahr als zum Sehen fähige, fühlende Wesen, die sich sinnlich auf die Welt beziehen. Indem wir diese Situation als unsere eigene erleben, überschreiten wir sie zugleich auch, denn auch andere Situationen als die eigene werden vorstellbar.Wie der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty gezeigt hat, ist es also paradoxerweise genau diese Bindung an die eigene körperlich-materielle Situation, die ein Hinausgreifen in die Welt und die ständige Überschreitung von immer neuen Grenzen der Wahrnehmung, des Denkens, der Vorstellungskraft ermöglicht.⁴⁶ Nur auf der Grundlage dieser Selbsterfahrung ist auch die Selbstüberschreitung in der Beziehung zu anderen Menschen möglich: Das Selbst erfährt sich als solches in der Anerkennung durch andere Menschen und gleichzeitig bedürfen soziale Strukturen des individuellen Subjekts, um sich realisieren zu können. Subjekt- und Gesellschaftsbildung prägen sich also wechselseitig.⁴⁷ Da in dieser Wechselbeziehung eine bestimmte Vorstellung von der Grundordnung der Welt, von Werten und Sinnentwürfen vermittelt wird, weist sie auch eine religiöse Relevanz auf.⁴⁸ Repräsentationen der Transzendenz spielen auch eine Rolle in der Ausbildung und Stärkung von kollektiven Identitäten. Die symbolische Bedeutung von visuellen Motiven ist Ergebnis sozialer Konventionen und ermöglicht Kommunikation unter den Mitgliedern einer Gruppe, was die Etablierung geteilter Deutungshorizonte, Ziele oder Normen ermöglicht.⁴⁹ Gruppenzugehörigkeit macht sich daher unter anderem daran fest, ob die symbolische Bedeutung von visuellen Motiven (an‐)erkannt und geteilt wird. Wie schon erwähnt, lassen muslimische und jüdische Gemeinschaften keine gegenständlichen Bilder des absolut transzendenten Gottes zu. Dagegen sind beispielsweise die römisch-katholische kollektive Identität oder jene der Kirchen der östlichen Tradition durch die Integration visueller Darstellungen der Transzendenz     

Vgl. Luckmann 1996, 85; zum Thema der Identität vgl. auch Kapitel 9 dieses Bandes. Vgl. Merleau-Ponty 1966. Vgl. Knoblauch 1993, 15. Vgl. Luckmann 1996, 88; Morgan 1998, 6. Vgl. Sandywell/Heywood 2012, 18 – 19; Morgan 1998, 47.

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geprägt. Ebenso wurde bereits die sichtbare, materielle Praxis der Sakramente als Moment der kollektiven Identitätsbildung erwähnt.⁵⁰ Es besteht also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Transzendenzverständnis und -erfahrung, religiöser Lehre, bildlicher Darstellung der Transzendenz und der Entwicklung individueller und kollektiver Identitäten. Insofern fördert die soziale Dimension von Transzendenzsymbolen Einheitlichkeit. Trotzdem besteht die Möglichkeit, Darstellungskonventionen und Deutungsmuster selbst zu ›transzendieren‹ und neue Formen zu entwickeln. Dabei muss Wiedererkennbarkeit gegeben sein: Zu radikale Brüche mit Konventionen können auch zu Ablehnung und Ausschluss führen, wie die immer wiederkehrenden Blasphemievorwürfe gegenüber bildlichen Darstellungen, die als unpassend oder sogar beleidigend verstanden werden, erkennen lassen. Die Untersuchung von Transzendenzverweisen und ihrer sozialen und individuellen Bedeutung darf sich daher nicht auf das Abfragen bekannter Symbole beschränken, sondern muss religiöse Transformationen und entsprechende visuelle Veränderungen einbeziehen. Das zunehmende Interesse an religiösen Praktiken aus dem Umfeld des sogenannten New Age hat zum Beispiel zur Folge, dass Heilungs-, Wellness-, oder Naturerfahrungen als Transzendenzerfahrungen gedeutet werden. Außerdem finden sich als Folge der Popularisierung von Religion Transzendenzverweise zunehmend auch in Formen der Populärkultur wie Musikvideos, Werbung oder Massenevents.⁵¹ Die Bedeutung von sichtbaren Transzendenzverweisen als Grundlage und Ausdruck sozialer Identität und eines geteilten Sinnhorizontes führt auch dazu, dass diese Symbole und Darstellungen mehr oder weniger stark und offenkundig reguliert werden. Sie sichern das Bestehen der Gruppe und nicht zuletzt der Institutionen, die durch ihre Produktion von und Deutungshoheit über Symbole, Riten, Gegenstände und Praktiken Transzendenzerfahrung vermitteln. Ideologien und auf ihnen beruhende Systeme werden auch durch die Kontrolle von Symbolen und ihnen zugeschriebene Bedeutungen abgesichert. Versuche, Repräsentationsformen zu kontrollieren und Identitäten zu festigen, finden sich in verschiedenen religiösen Traditionen: der Bilderstreit des 16. Jahrhunderts mit seinen Bilderzerstörungen und gegenseitigen Abgrenzungen, die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban 2001 oder Diskussionen im christlichen Kontext über ›legitime‹ Darstellungen von Christus. Ein Beispiel dafür ist die Skulptur Christa, mit der die Künstlerin Edwina Sandy das Leiden der Frauen repräsentieren wollte und die große Kontroversen auslöste (Abb. 36).⁵² Transzendenzdarstellungen, die gewohnte Symboliken und Konventionen durchbrechen, und die kritischen Reaktionen, die sie hervorrufen, zeigen, dass  Vgl. zur Diskussion kollektiver Identität in unterschiedlichen Kontexten Emcke 2000.  Vgl. Knoblauch 2009; zu Transzendenzverweisen in der Werbung Knauß 2016; für Beispiele von Musikvideos siehe auch Kapitel 8 dieses Bandes.  Vgl. Clague 2005, 84– 87.

Identitätsbildung und Regulierung durch sichtbare Transzendenz

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Abb. 36: Edwina Sandys Darstellung Christi als Frau in Christa, 1975, Bronze, Acrylglas, 104,1 × 88,3 × 19 cm hat zu Kontroversen geführt.

sichtbare Transzendenzverweise nicht nur einen Status quo festschreiben, sondern ihn in einer »Ästhetik des Widerspruchs zum Bestehenden«⁵³ in Frage stellen können. Dieser Widerspruch zum Bestehenden kann sich sowohl auf theologische Diskurse über Transzendenz, als auch auf die mit ihnen verbundenen sozialen Wirklichkeiten

 Larcher 2005, 51; vgl. auch Schrader 1972.

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beziehen, die damit kritisiert und in imaginativen Entwürfen anders vorgestellt werden. Denn Transzendenz bedeutet ja eben genau das – die Überschreitung des Gegebenen. Bilder, Texte, Performances und Filme stellen diese Visionen und Kritiken nicht einfach nur zur Disposition, sondern machen sie im Rezeptionsprozess als einem Akt der Transzendenz des Gegebenen auch erlebbar. Diese Erfahrung von Transzendenz ist dann nicht nur eine Überschreitung des unmittelbar Wahrnehmbaren, sondern bewirkt auch einen neuen Blick auf die gegebene Wirklichkeit. Sie erschafft neue Welten, wie die Analyse des Films Avatar im folgenden Abschnitt zeigt.

5.4 Transzendenz als Erfahrung einer jenseitigen Welt Der Film Avatar (James Cameron, US 2009) thematisiert Transzendenzfähigkeit und Transzendenzerfahrung auf vielfältige Weise. Schon sein Titel verweist auf Transzendenz und ihr Sichtbar-Werden in der materiellen Welt: In hinduistischen Traditionen bezeichnet avatāra die Herabkunft, Erscheinung oder Inkarnation des Göttlichen in der Welt. Im Kontext von virtuellen Wirklichkeiten wie Second Life und anderen Computerspielen wird die virtuelle Persona eines Menschen als ›Avatar‹ bezeichnet: Auch hier ist eine Überschreitung von Grenzen – zwischen der materiellen und der virtuellen Welt – im Begriff impliziert. Angesichts dieser Komplexität empfiehlt sich eine methodische Trennung zwischen der Analyse des Films selbst (das Moment der Repräsentation im circuit of culture) und der Momente der Produktion und Rezeption.⁵⁴ Wir wollen hier bei der Produktion einsetzen, denn ein bemerkenswerter Aspekt des Films ist seine Überschreitung technischer Möglichkeiten in der Filmproduktion: Avatar ist der erste Film, der mit einer 3D-Kamera gefilmt wurde und in 3D und IMAX 3D veröffentlicht wurde. Mit Avatar wurden erfolgreich neue Dimensionen für die 3D-Technik eröffnet, die auch zu ihrer zunehmenden Etablierung im Kino beitrugen. Erst digitale Techniken wie Motion Capture und CGI (computer generated images) ermöglichten die Erschaffung einer Welt mit menschenähnlichen Phantasiegestalten, die als Individuen wahrgenommen werden und Identifikation erlauben. Camerons Idee konnte deshalb 1996, als er ein erstes Treatment des Films schrieb, mit den Mitteln der damaligen Technik noch nicht realisiert werden. Der Film erzählt also nicht nur von einer neuen oder anderen Welt, sondern stellt filmtechnisch selbst eine neue Wirklichkeit dar, wie die New York Times am 17. Dezember 2009 titelte: A New Eden, Both Cosmic and Cinematic. ⁵⁵ Die technischen Innovationen liefern einen Reiz, der die Rezeption anregt: Die Zuschauer und Zuschauerinnen wollen sehen, wie die neue Technik funktioniert und sich auswirkt.

 Zur Einführung vgl. Kapitel 2 und 3 dieses Bandes zu den theoretischen Horizonten und methodischen Herausforderungen.  Dargis 2009.

Transzendenz als Erfahrung einer jenseitigen Welt

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Die neue 3D-Technik ermöglicht aber auch eine intensivierte Form der emotionalen Rezeption, in der die Zuschauerinnen und Zuschauer in die durch 3D simulierte Welt des Films eintreten und sich mit den Erfahrungen der Protagonistinnen und Protagonisten identifizieren. Dieser Effekt wird zusätzlich durch Kameraeinstellungen und Voice-over aus der subjektiven Perspektive des Protagonisten Jake (Sam Worthington) unterstützt.⁵⁶ Auch damit werden Grenzen überschritten: Die Grenzen der Rezeptionsmöglichkeiten im Film durch die ausgefeilte digitale Technik und das raumschaffende 3D, dessen größter Vorteil ist, dass die Technik selbst für die von ihr produzierten Bilder durchlässig und nicht mehr bewusst wahrgenommen wird.⁵⁷ Vor allem aber wird durch die technikgestützte Imagination die Grenze zwischen Publikum und Film aufgelöst, so dass die Rezipierenden mit Jake und Neytiri (Zoë Saldana) die wundersame Welt von Pandora und der Na’vi mit ihren eigenartigen Lebewesen, ihre Bedrohung durch die Menschen und schließlich ihre Rettung erleben, wie Manohla Dargis schreibt: »Mr. Cameron verwendet 3-D, um die immersive Erfahrung des spektakulären Kinos zu verstärken. […] er verwendet 3-D anscheinend, um den Raum zwischen Publikum und Leinwand zu verkleinern. Er bringt den Film zu Ihnen.«⁵⁸ Diese Elemente von Transzendenz in der Produktion und Rezeption werden durch weitere, narrative und formale Verweise auf Transzendenzerfahrungen verstärkt. Die Grundidee des Films setzt die Möglichkeit von Transzendenz voraus, nämlich die Überschreitung von körperlichen Grenzen in der Übertragung des Bewusstseins, Willens und der Handlungsfähigkeit von einem Menschen (Jake) auf einen Na’viAvatar. Als solcher soll Jake die Na’vis kennenlernen und sie zur Umsiedlung überreden, damit die Menschen ein reiches Rohstoffvorkommen ausbeuten können. Sollte dies nicht gelingen, werden sie mit militärischen Mitteln vertrieben. Diese technisch unterstützten Transzendenzen von Mensch zu Avatar sind in gewisser Weise die Voraussetzung für die selbstüberschreitende persönliche Entwicklung von Jake, die auf zwei Ebenen stattfindet: Auf physischer Ebene durch das Zurücklassens seines durch Behinderung begrenzten Körpers für einen gesunden, starken Na’vi-Körper,⁵⁹ und auf charakterlicher Ebene durch die Entwicklung vom militärischen Haudrauf zum Anführer und Retter der Na’vi. Motiviert von seiner Erfahrung der Überschreitung der menschlichen Existenzform transzendiert Jake sich selbst in der Fortentwicklung seiner Persönlichkeit, die in den paradigmatischen Entwicklungsschritten eines mythischen Helden dargestellt wird: Er wird durch ein Zeichen auserwählt, harten Proben ausgesetzt und akzeptiert schließlich seine Rolle als Retter und ist bereit, sich für

 Vgl. Erb 2014, 9 – 10.  Vgl. Dargis 2009.  »Mr. Cameron uses 3-D to amplify the immersive experience of spectacle cinema. […] he uses 3-D seemingly to close the space between the audience and the screen. He brings the movie to you.« Dargis 2009; Übersetzung durch die Autorinnen.  Diese dramaturgische Entscheidung ist aufgrund der Abwertung von Behinderung problematisch; vgl. Klassen 2013, 148.

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sein neues Volk, die Na’vi, zu opfern, um ihre Welt, die mittlerweile auch die seine geworden ist, zu retten.⁶⁰ Diese Selbsttranszendenz des Protagonisten ist eng verbunden mit den Transzendenzmomenten, die die Welt der Na’vi prägen und die innerhalb der filmischen Welt als Teil eines (natur‐)religiösen Systems vorgestellt werden. In der Weltsicht der Na’vi besteht eine Beziehung zwischen allen Lebewesen, ob noch am Leben oder schon gestorben, die als ein ›Energiefluss‹ beschrieben wird oder in personfizierter Form als Eywa auftritt, eine Lebenskraft, die alle Lebewesen auf Pandora miteinander verbindet. Mittels ihrer langen Zöpfe, deren Haare sich wie Fasern oder Energieleiter mit denen anderer Lebewesen verbinden können, haben die Na’vi an dieser Lebenskraft teil und überschreiten ihre zeitliche, räumliche und spezies-gebundene Wirklichkeit, um mit anderen Lebewesen, ihren Vorfahren oder der Natur zu kommunizieren (Abb. 37). Diese ›energetische‹ Kommunikation zwischen Menschen, Natur und anderen Lebewesen wird als grundlegend erachtet nicht nur für den einzelnen Na’vi als Teil des Energiestroms, sondern auch für den sozialen Zusammenhalt im Clan. Dies kommt zum Beispiel in einer Szene zum Ausdruck, in der Jake in den Clan aufgenommen wird: Alle Mitglieder sind in konzentrischen Kreisen durch die Hand, die sie der Person vor und neben sich auf die Schulter legen, miteinander verbunden. Dieses Kollektiv wird filmisch unterstrichen durch eine Totale auf das von den Clanmitgliedern gebildete Netz, die die ganze Gruppe auf einen Blick sichtbar macht (Abb. 38).

Abb. 37: Jake verbindet sich mit einem anderen Lebewesen in Avatar (James Cameron, US 2009).

 Für ein kulturüberschreitendes Modell der Entwicklung einer Heldenfigur vgl. Campbell 2008, 271– 315.

Transzendenz als Erfahrung einer jenseitigen Welt

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Abb. 38: Kollektive Vernetzungen in den Ritualen der Na’vi, Avatar (James Cameron, US 2009).

Diese Transzendenzerfahrungen werden in Avatar mit Hilfe visueller Metaphern sichtbar gemacht: Die Transformation des Menschen zum Avatar wird abstrakt durch Bewegung und Farbe repräsentiert (Abb. 39a–c); die subjektüberschreitende Einheit mit der Natur und anderen Lebewesen als eine Verschmelzung von Fasern; die Transzendenz des Einzelnen in die Gesellschaft als ein Netzwerk aus stützenden Händen und synchronen Bewegungen, durch die aus einzelnen Körpern ein Kollektivkörper entsteht. Camerons Darstellungsmittel unterstreichen ein Verständnis von Transzendenz, das stark auf die Immanenz bezogen bleibt und durch sie ermöglicht wird. Avatar reiht sich damit ein in die von Knoblauch konstatierte Verschiebung weg von der Begegnung mit dem ganz Anderen hin zu einer innerweltlichen Erfahrung, was bemerkenswerterweise mit Luckmanns Modell beinahe übereinstimmt. Die Transzendenz der unmittelbaren biologischen Situation des Menschen vermittelt und integriert Weltbilder, Ordnungen und Werte, die den Menschen als soziales Wesen in eine Gruppe einbinden und den Zusammenhalt der Gruppe sichern. Diese Transzendenzmomente sind Teil der fundamentalen religiösen Vorstellung der Na’vi von einer Verbindung zwischen allen Lebewesen. Durch diese Erfahrung und die Akzeptanz dieses bestimmten Weltbildes werden Zugehörigkeit zur Gruppe und gleichzeitig Selbstidentität konstituiert, wie im Fall von Jake deutlich wird. Die Kritik des Films an der gegenwärtigen Welt, die von Ausbeutung der Natur, Rassismus und Militarismus geprägt ist, scheint vielleicht etwas zu einfach geraten. Von Subtilität kann nicht die Rede sein, wenn im Film die Na’vi als »blaue Affen« bezeichnet werden, die Gier nach dem Rohstoff alle Menschlichkeit vergessen lässt und »Terror mit Terror bekämpft« werden soll. Ungewöhnlich für das Science-FictionGenre wird diese Kritik jedoch nicht im Rahmen einer dystopischen Welt, sondern in

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Abb. 39a–c: Farben und Formen symbolisieren den Übergang von Mensch zu Avatar, Avatar (James Cameron, US 2009).

Transzendenz in der Immanenz des Sichtbaren

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einer besseren, paradiesischen Welt geäußert, was eher dem Fantasy-Genre entspricht. Indem er Science-Fiction mit Fantasy vermischt, arbeitet Avatar also auch mit einer Überschreitung von Genre-Konventionen. Diese andere, bessere Welt der Na’vi ist jedoch der unseren nicht absolut jenseitig. Fauna und Flora, Sozialstruktur und Religion der Na’vi sind deutlich von Gegebenheiten unserer Welt inspiriert und zeigen problematische Züge der Romantisierung und Stereotypisierung amerikanischer Urvölker.⁶¹ Trotz dieser Schwächen wird in den Bildern des Films die sozialkritische Überschreitung der Realität von Gewalt gegen Menschen und Natur in der Vision einer Welt voller Frieden, Mitmenschlichkeit und Wertschätzung aller Lebewesen ausgedrückt. Damit wird eine Transzendenzerfahrung ermöglicht, mit der das Publikum auch dank der technischen Innovationen einen neuen Blick auf die eigene Wirklichkeit gewinnen kann. Die vom Regisseur selbst zum Ausdruck gebrachte Intention, mit seinem Film beim Publikum ein Gefühl von Verantwortung für die Umwelt und Motivation für ihren Schutz zu erwecken,⁶² findet ihren Reflex in zumindest einer direkt vom Film inspirierten Umweltschutzaktion: AvaTar Sands engagiert sich gegen die Gewinnung von Öl aus Sand in Kanada.⁶³

5.5 Transzendenz in der Immanenz des Sichtbaren Abschließend sollen vier Punkte hervorgehoben werden, die im vorliegenden Kapitel über Transzendenz und ihren Bezug zu sichtbarer Religion von zentraler Bedeutung sind. Zum einen hat sich gezeigt, dass die Verbindung von Sichtbarkeit und Transzendenz nicht unmittelbar evident ist: Schließlich wird Transzendenz definiert als ein Hinübergehen zu dem, was nicht unmittelbar wahrnehmbar ist. Diese Überschreitung kann auf mehr oder weniger radikale Weise geschehen, zum Beispiel mittels Erinnerungen oder in einer ekstatischen Erfahrungen des ›ganz Anderen‹. Der Fokus auf sichtbare Spuren der Transzendenzerfahrung und auf die Möglichkeit, solche Erfahrungen durch visuelle Formen zu evozieren, verweist darauf, dass auch die Erfahrung des ›ganz Anderen‹ unter Bedingungen der menschlichen Sinnlichkeit erfolgt und Immanenz und Transzendenz aufeinander bezogen sind. Die Betonung der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit in der Interaktion mit dem Sichtbaren, in dem das Unsichtbare aufscheint, unterstreicht also, dass sinnliche Wahrnehmung und Fähigkeit zur Transzendenz im Menschen verbunden und nicht entgegengesetzt sind. Diese Aspekte wurden in unseren Beispielen vor allem in der Untersuchung der Repräsentation und Rezeption deutlich, für die wir auf ikonographische Analysen von

 Vgl. dazu Klassen 2013, 148 – 155; Taylor 2013, 308 – 313.  Cameron, zitiert in Erb 2014, 7.  Vgl. Haluza-Delay/Ferber/Wiebe-Neufeld 2013.

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Motiven und Metaphern, eigene Rezeptionserfahrungen und den Niederschlag von Seherfahrungen in Rezensionen zurückgegriffen haben. Zweitens wurde deutlich, dass die Analyse visueller Darstellungen die soziale Dimension von Transzendenz betont, da Bilder Formen von Kommunikation sind und damit soziale Beziehungen voraussetzen. In der sichtbaren Darstellung werden Transzendenzerfahrungen als persönliche Erfahrungen in sozialen Sinnhorizonten verortet und kommunizierbar. Transzendenzsymbole wie Licht, Farbe oder Wind stellen also einerseits eine soziale Konvention der Kommunikation über Transzendenz dar, andererseits können sie als solche selbst Transzendenzerfahrungen evozieren. Und drittens unterstreicht unsere Diskussion der Transformation von normativen Darstellungsformen beziehungsweise die radikale Durchbrechung von visuellen Codes, dass eine ständige Wechselwirkung zwischen subjektiver Erfahrung und sozialem Deutungshorizont besteht. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Transzendenzverweise sozial kontrolliert werden, um Rezeptionsformen und Identitätsbildung zu regulieren. Methodologisch ist daher das Moment der Regulierung besonders wichtig, das einerseits in theologischen Reflektionen zur Angemessenheit von Darstellungsformen, und andererseits in religionssoziologischen Diskussionen von individueller und kollektiver Identitätsbildung zum Vorschein kommt. Mit dem Verweis auf die Paradoxie der Sichtbarkeit des Nicht-Sichtbaren wird viertens schließlich sowohl Offenheit für das, was hinter dem Sichtbaren ist, als auch Skepsis gegenüber dem unmittelbar Gegebenen zum Ausdruck gebracht. Hier zeigt sich, dass die Sichtbarmachung von Transzendenz und die dadurch ermöglichte Kommunikation eine wesentliche Rolle für Religion spielen, die sich auf unterschiedliche Weise im Wechselspiel von theologischer Reflexion, Darstellung und Praxis realisiert. Im folgenden Kapitel werden die Gedanken zur normativen Funktion von sichtbaren Medien in religiösen Traditionen, die wir im Kontext der Regulierung von Darstellungen von Transzendenz und den damit einhergehenden Identitätsbildungsprozessen angesprochen haben, weiterentwickelt.

Fragen zur Vertiefung · Welche Strategien der Transzendenzdarstellung finden sich im Isenheimer Altarbild (Abb. 33), dem Fresko der Kirche von Ballum (Abb. 34) und Kleins Monochrome bleu (Abb. 31)? Welche Dimensionen von Transzendenzerfahrungen werden jeweils angesprochen? · Luckmanns Modell spricht von drei Formen von Transzendenz. Welche Bezüge zu Sichtbarkeit finden sich in diesen Formen von Transzendenz? · Diskutieren Sie, auf welcher Ebene beziehungsweise welchen Ebenen von Luckmanns Transzendenzmodell sich der Film Avatar bewegt.

6 Alles unter Kontrolle oder wie Normativität medial vermittelt wird Ein Sessel geht vor einem heruntergekommenen, verbarrikadierten Haus in Flammen auf. Ein zerbrochener Kinderglobus liegt in einer Pfütze. Menschen laden hektisch ihr Hab und Gut in ihre Wagen ein. Der Blick aus einem vorbeifahrenden Auto zeigt ein düsteres Bild. »Oh no, oh yes, this is critical« singen Männerstimmen zu einem pulsierenden Rhythmus im Off. Vogelschwärme heben sich bedrohlich vom grauen Himmel ab. Ein junger, bärtiger Mann betrachtet neben seinem Auto stehend die gespenstische Szenerie, »Oh no, oh yes, pretty chemical«. Er schreitet über eine Wiese zu einer Baustelle. Stapelweise Holz und eine Rohkonstruktion sind zu sehen. Der bärtige Mann zeichnet an einem Bauplan, bohrt, hämmert – und endlich erkennt man einen hölzernen Schiffsrumpf. Im Hintergrund klagt die Männerstimme: »No man can walk alone«. Der Mann arbeitet unermüdlich, sogar nachts. Vor einem bedrohlich gewitterschwangeren Himmel ragt schließlich das fertige Schiff empor. Nun sitzt der Mann in einer hölzernen Koje und prüft, ob die Fenster auch wirklich dicht sind. »Living like you and me, the whole world wants to see«, erklingt es aus dem Off, wobei der pulsierende Beat nun mit einem instrumentalen Klangteppich unterlegt wird. Der Mann richtet seine hölzerne Musikanlage und das dazugehörige Fitnessstudio ein. Dann fegt er den Boden eines ebenfalls hölzernen, ovalen Raums, in dessen Mitte eine Stange angebracht und dessen Wand von Sesseln gesäumt ist. In der Hand hält der Mann einen schwarzen Deospray, auf dem in Goldlettern der Schriftzug »AXE 2012« prangt. Die nächste Einstellung zeigt den jungen Mann auf dem Deck stehend, wie er sich den unbehaarten, bloßen Oberkörper einsprüht. Sein weißes Hemd flattert im Wind, unerschrocken blickt er zum dunklen Horizont. Die Gewitterwolken wirken dunkel und dräuend, es blitzt. Eine männliche Stimme im Off erklärt »2012 kommt das Ende der Welt…«. Die Arche, denn das ist es, was dieser moderne Noah gezimmert hat, steht mit weit geöffnetem Rumpf und einem einladend ausgefahrenen Steg inmitten der Wiese (Abb. 40). Die Kamera schwenkt auf das umgebende Ödland, wo sich im hohen Gras etwas bewegt. Zwei attraktive junge Frauen mit wallenden Haaren gehen nebeneinander her. »…mach das Beste daraus!« Weitere Frauenpaare tauchen auf, knapp bekleidete Körper sind zu sehen, lange, schlanke Beine bewegen sich im Takt der Musik. »No man can walk alone«, skandiert der Sänger. Das Gesicht des modernen Noah verzieht sich zu einem überlegenen Lächeln. Es blitzt. Die Frauen schreiten einer Prozession gleich auf die Arche zu. »AXE 2012. Final Edition!« Ein Axe-Deospray und ein Duschgel liegen auf dem trockenen Boden, erste Regentropfen netzen das dürstende Erdreich. Dieser Werbefilm der Kosmetiklinie Axe, die zum weltweit tätigen Unilever-Konzern gehört, wurde Anfang 2012 als TV- und Kinowerbung ausgestrahlt. Er spielt in vielerlei Hinsicht mit Werten, Normen und Konventionen: Auf der ästhetischen Ebene wird die standardisierte Darstellung einer religiösen Erzählung abgerufen, auf der https://doi.org/10.1515/9783110536706-007

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Alles unter Kontrolle

Abb. 40: Dieser Noah möchte nur eine bestimmte Spezies auf seiner Arche.

Ebene der Inszenierung setzt sie auf heteronormative Genderstereotypen. Im Videoclip werden drei Narrativen miteinander verbunden: die Arche Noah (Gen 6 – 9), der Weltuntergang nach dem Mayakalender am 22.12. 2012 und der gesellschaftlich-kulturell geprägte Diskurs dessen, was einen ›richtigen Mann‹ und eine ›richtige Frau‹ ausmacht.¹ Im Folgenden soll anhand des Beispiels der Interrelation von Genderstereotypen und Religion geklärt werden, welche Rolle visuellen Medien in der Herstellung (religiöser) Normativität zukommt, und wie man sich diesem Themenkomplex aus religionswissenschaftlicher Perspektive annähern kann. Ausgegangen wird von der Prämisse, dass Normen grundlegende soziale Interaktionen regeln und als Leitlinien eine funktionierende Gesellschaft garantieren. Sie können je nach Zeit, Kultur und Gesellschaftsbereich variieren und sind also dynamisch, jedoch für eine jeweilige Gruppe verbindlich.² Normen sind Handlungsanweisungen für die Mitglieder einer Gesellschaft, die sich an den vorherrschenden Wertvorstellungen orientieren. Normen beziehen sich meist auf ethisch-moralische Maßstäbe, die wiederum häufig eng mit religiösen Wertvorstellungen verknüpft sind.³ Diese Normen und Werte werden den Angehörigen einer Gruppe während der Sozialisation durch unterschiedliche Medien kommuniziert: durch systematische Lehr- und Lernprozesse, Erfahrungen, Mythen, Vorbilder.⁴ Werte und Normen sind Teil des Weltbildes und strukturieren und ordnen durch ein komplexes Regelwerk von Vorgaben und Konsequenzen das Handeln in-

 Zu Normativität und Genderkonstruktion vgl. West/Zimmermann 1987; Fenstermaker/West 2002; Butler 1991.  Zum Bezug zwischen Gesellschaft und Regulierungsmechanismen oder Normen vgl. Korte/Schäfers 2010; Meuelmann 2013; Schönherr-Mann 2012.  Vgl. Stolz 2001a, 123 – 125.  Vgl. Berger/Luckmann 2000; Bahrdt 2000.

Normativität und sichtbare Religion

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nerhalb einer Gesellschaft. So helfen sie dem Individuum bei der Selbstpositionierung und Identitätsausbildung.⁵

6.1 Normativität und sichtbare Religion Wer aus einer religionswissenschaftlichen Perspektive auf sichtbare Religion blickt, kann die Frage nach Normativität auf zwei unterschiedlichen Ebenen stellen. Zum einen konstruieren religiös konnotierte Bilder selbst Normen und Wertvorstellungen, wie das Beispiel der Axe-Werbung zeigt. Zum anderen ist auch der wissenschaftliche Blick mit normativen Werten, die die Untersuchung sichtbarer Religion prägen, verbunden. Auch Wissenschaft, im vorliegenden Fall Religionsforschung, ist normativ geprägt.⁶ Die lange Zeit vorherrschende Fokussierung der Religionsforschung auf schriftliche Quellen kann beispielsweise als normative Quellenauswahl gewertet werden. Texte als Produkte intellektuellen Denkens waren der universitär eingebundenen Forschung leichter zugänglich und erschienen in diesem von der protestantischen Schriftkultur geprägten, eurozentrischen Weltbild als ›wertvoller‹.⁷ Diese Fokussierung führte jedoch zu einseitigen Darstellungen religiöser Traditionen. Die Frage nach der normativen Dimension der Religionsforschung stellt sich deshalb bezüglich der Untersuchung visueller Aspekte von Religion neu: Was bedeutet es, wenn (religions‐)wissenschaftlich auf die Sichtbarkeit von Religion fokussiert wird? Welche normativen Grundannahmen liegen diesem Zugang zugrunde? Ein erster normativer Wert, der mit einem Zugang zu sichtbarer Religion verbunden ist, liegt im Ideal der Flexibilisierung des wissenschaftlichen Blicks: Zahlreiche Untersuchungen visueller Religion versuchen die stereotype Unterscheidungen von ›Hoch-‹ und ›Volkskultur‹ aufzulösen.⁸ Je nach Fragestellung kann eine Heiligenstatue aus Plastik nämlich genauso bedeutungsvoll sein, wie ein ästhetisch komplexes Gemälde oder ein mit Juwelen besetzter kostbarer Gegenstand. Mit dem Blick auf sichtbare Religion ist ein zweiter normativer Aspekt verbunden: die Pluralisierung von Religion.⁹ Religiöse Vielschichtigkeit, Inkohärenz und Komplexität werden in religionswissenschaftlichen Untersuchungen visueller Phänomene oftmals erst wirklich sichtbar gemacht – und müssen als solche zugelassen und ak-

 Über Normativität und Religion ohne Fokus auf visuelle Quellen wurde rege geforscht. So fokussiert, um nur einige neuere Beispiele anzuführen, ein 2012 herausgegebener Sammelband von Luminati et al. auf die Autorität von Texten, wobei unter anderem auch Religion eine Rolle spielt. Einen guten religionsgeschichtlichen Überblick über religiöse Normativität präsentiert der Sammelband von Jansen/Oestmann 2011; zum Weltbild vgl. auch Kapitel 4 dieses Bandes.  Vgl. zur normativen Prägung der Religionsforschung Henriksen 2011; Donovan 1990.  Vgl. Kippenberg 1990; Bräunlein 2004; Pezzoli-Olgiati/Rowland 2011; Auffahrt/Rüpke 2005; Stolz 2001a und 2004.  So beispielsweise Morgan 2010; 2008; 1998; McDannell 1995; Hoover/Lundby 1995.  Vgl. Gilhus 2011, 95.

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zeptiert werden. Ebenso verhält es sich mit der Offenheit des Systems Religion, dessen Grenzen sich für andere kulturelle Systeme wie jene der Wirtschaft, Unterhaltung, Kunst oder Politik öffnen und dadurch unscharf werden.¹⁰ Während die erste Ebene der Verbindung von Religion und Normativität (die Analyse von religiösen Normen) in der Religionswissenschaft schon länger untersucht wird, ist die Reflexion der zweiten Dimension (das hermeneutische Hinterfragen der eigenen religionswissenschaftlichen Werte) noch immer nicht selbstverständlich. Beeinflusst wurde die religionswissenschaftliche Selbstreflexion unter anderem durch Theologen, Philosophinnen, Anthropologen sowie Ethnologinnen, die Feldforschung betrieben. Verstärkt wurde die Selbstreflexion auch durch die wissenschaftliche Erforschung der Wissenschaft selbst, in der Wissenschaftstheorie, die die Wissenschaft in die Sparte der wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstände überführt hat. Im Zuge dieser Selbstreflexion der Wissenschaft wurde auch die Dichotomie von ›forschendem Subjekt‹ und ›erforschtem Objekt‹ relativiert.¹¹ Einen wichtigen Beitrag leisteten hier die feministische Forschung und später die Gender Studies sowie die Kulturwissenschaften, die auf den Zusammenhang von normativen Werten, akademischen Machtstrukturen und wissenschaftlichen Theorien aufmerksam machen.¹² Beide Dimensionen, die Frage nach Werten und Normen in Religion und nach Werten und Normen in der Religionsforschung werden hier im Hinblick auf Gender verbunden. Standardisierte Vorstellungen über Gender werden nicht nur maßgeblich von Religion und hier besonders auch von visuellen Aspekten von Religion geprägt, sondern stellen sich auch für die Forschenden als besondere Herausforderung dar. Denn der oder die Forschende werden, trotz aller Reflexion und Abstraktion, in ihrem Forschungsalltag als genderisierte Personen wahrgenommen.¹³ Im Folgenden wird die Frage nach Normativität deshalb auf die nach einer visuell wahrnehmbaren religiösen Regulierung von Gendervorstellungen begrenzt. Zunächst wird der Axe-Clip genauer analysiert. Dann folgt ein Blick auf ein historisches Beispiel. In einer abschließenden Gegenüberstellung der zwei ausgewählten Fälle werden unsere Beobachtungen generalisiert.

6.2 Die Werbewirksamkeit normativer Genderdarstellungen Weshalb wirbt Axe mit einem modernen Noah, der seine Arche mit willigen Frauen füllt? Welche Inhalte werden mittels dieser Werbung transportiert? Auf welche normativen Größen nimmt der Spot Bezug? Man muss etwas ausholen, um diese Fragen beantworten zu können. Im nun folgenden Teil werden wir die Interaktion zwischen

   

Vgl. Beinhauer-Köhler/Pezzoli-Olgiati/Valentin 2010. Vgl. Heller 2010; sowie Pezzoli-Olgiati 2008. Vgl. Gilhus 2011; McCutcheon 1999, 289 – 398. Vgl. Höpflinger/Pezzoli-Olgiati 2012.

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Marketingstrategien und Genderstereotypen untersuchen und uns dazu des eingangs erwähnten Werbespots als Beispiel bedienen. Die Unilever-Kosmetiklinie Axe (in Großbritannien, Australien und Irland heißt die Marke Lynx) hat sich in den letzten drei Jahrzehnten aufgrund ihres markentypischen Kommunikationsstils unter Einbezug ausdifferenzierter, an die Marke gebundener Signale stetig weiterentwickelt.¹⁴ Als 1985 Männer-Deodorants auf dem Markt eingeführt wurden, versuchte man der anvisierten Käufergruppe besagten Hygieneartikel dauerhaft schmackhaft zu machen. Auf der visuellen Ebene kreierte man ein möglichst männliches Design für die Verpackung des Deos. Auf der olfaktorischen Ebene experimentierte man mit herben, moschuslastigen Duftkomponenten. Und auf der ideologischen Ebene wiederum hob man die verführerische Wirkung auf Frauen hervor. Die Inszenierung des Deos als ›Lockstoff‹ hatte Erfolg und die Angebotspalette von Axe verbreiterte sich stetig, der Konzern blieb der bewährten Vermarktungsstrategie jedoch treu. Die Werbevideos verkünden auch heute noch den ›Axe-Effekt‹, das Versprechen der Kosmetiklinie, dass mann allein durch die Benutzung des Deos Frauen ohne jede weitere Anstrengung verführen kann.¹⁵ Der so genannte Axe-Effekt, die vermeintliche Fähigkeit des Produkts, Männer auf Frauen unwiderstehlich wirken zu lassen, wird im bereits besprochenen Werbevideo in eine bekannte Narration aus dem Alten Testament eingebettet und mit einem humorvollen Seitenhieb auf einen aktuellen Diskurs über apokalyptische Szenarien verbunden. Der Spot zeigt mit einem Augenzwinkern, wie mann im Angesicht des drohenden Weltuntergangs das Beste aus der scheinbar ausweglosen Situation machen kann. Der Axe-Noah wird in diesem Marketingkontext als Held, Erretter vor dem Weltende und – das ist hinsichtlich der potenziellen Käuferschaft und des Produktimages wichtig – als Erzeuger eines künftigen Menschengeschlechts inszeniert. Der Werbefilm thematisiert demzufolge relativ explizit soziale Normen bezüglich Männlichkeit und Weiblichkeit. Doch weshalb wird ein Hygieneartikel, der lediglich ein spezifisches menschliches Bedürfnis abdecken soll, mit expliziten Genderstereotypen beworben, die zumindest angesichts der enormen Präsenz an kritischen Stimmen gegenüber heteronormativen Genderkonstruktionen in der europäisch-amerikanischen Gesellschaft längst obsolet scheinen? Auf welchen normativen Vorstellungen und Bedeutungszusammenhängen beruhen die Genderdarstellungen in der AxeWerbung? Wenn man von einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Medien und Kommunikation ausgeht, wird deutlich, dass der Mensch mit Zeichen kommuniziert, die je nach kulturellem Kontext unterschiedliche Assoziationen und Bedeutungen vermitteln.¹⁶ Aussagen werden mittels Zeichen kodiert, per Medien übermittelt und vom Empfänger wiederum dekodiert. Dieses stetige Kodieren-Dekodieren wird von

 Für diesen Abschnitt vgl. Munzinger/Musiol 2008, 141.  Mehr zu Werbestrategien und -wirksamkeit findet sich bei Bongard 2002; Gill 2007; Zurstiege 2007.  Zur Kommunikation siehe auch Unterkapitel 2.2 dieses Bandes.

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Stuart Hall als kommunikativer Prozess umschrieben.¹⁷ Medien konstruieren demzufolge Wirklichkeit, indem sie Bedeutungen, Werte und Inhalte repräsentieren, die von gesellschaftlicher Gültigkeit sind und dazu beitragen, die Realität zu ordnen und zu verstehen.¹⁸ Der US-amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman fasst dies folgendermaßen zusammen: […] eine Botschaft macht eine bestimmte, konkrete Aussage über die Welt. Die Formen unserer Medien und der Symbole, durch die sie einen Austausch ermöglichen, machen jedoch keine derartigen Aussagen. Eher gleichen sie Metaphern, die ebenso unaufdringlich wie machtvoll ihre spezifischen Realitätsdefinitionen stillschweigend durchsetzen.¹⁹

Wenn eine Kosmetiklinie wie Axe in einem Werbespot also Frauen und Männer medial auf eine spezifische Art und Weise inszeniert, um dadurch ihr Produkt zu verkaufen, muss ihre Marketingstrategie entsprechende Konventionen bezüglich der Darstellung von Frau und Mann einhalten. Die in der Werbung inszenierten Genderrepräsentationen dürfen, um erkennbar zu bleiben, nicht allzu innovativ sein, sondern müssen auf einem bereits etablierten, kulturell spezifischen Konventionskanon bezüglich der Darstellung von Geschlecht beruhen. Erving Goffman deutete diese Tatsache in seiner Untersuchung Gender Advertisements aus dem Jahre 1979 folgendermaßen: »Wenn wir die Geschlechtsrollen als kulturell feststehende Korrelate der Geschlechtszugehörigkeit definieren (sei es infolge der Biologie oder eines Lernprozesses), dann verweist die Darstellung der Geschlechter auf die konventionellen Porträts dieser Korrleate.«²⁰ Laut Goffman vermittelt Werbung durch gender display (Darstellung der Geschlechter), durch stetes Wiederholen von spezifischen Botschaften bezüglich Gender, ein Bild der Realität, das alsdann wirklich und wahr zu sein scheint.²¹ Die von Goffman Ende der 1970er Jahre untersuchten Werbeplakate erwiesen sich als hochstilisierte Versionen von genderspezifisch konventionalisierten Moral- und Wertvorstellungen sowie Verhaltenscodes, deren Bedeutungen gemeinhin verständlich sein mussten, damit sie auf den ersten Blick gedeutet werden konnten.²² Goffman verknüpfte diese Erkenntnis mit der marktorientierten Sinngebungskomponente von Werbung und erklärte pointiert: »Nun behaupte ich, daß die Aufgabe des Reklame-Designers, nämlich den Wert seines Produktes dramatisch darzustellen, nicht unähnlich der Aufgabe der Gesellschaft ist, wenn sie ihre sozialen Situationen

 Vgl. zu diesem Prozess die Ausführungen im Unterkapitel 3.2 dieses Bandes.  Vgl. Klaus 2001, 15.  Postman 1992, 19 – 20.  Goffman 1981, 10. Goffmans Zitat verdeutlicht, dass eine Unterscheidung zwischen biologischem, beziehungsweise erlerntem Geschlecht (sex) und sozial konstruiertem Geschlecht (gender) im Englischen zumindest auf sprachlicher Ebene möglich wäre, wohingegen man sich im Deutschen mit Umschreibungen wie biologisches/erlerntes und sozial konstruiertes Geschlecht begnügen muss, was allenthalben die Diskussion erschwert.  Vgl. Goffman 1981, 18 – 20.  Vgl. Goffman 1981.

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mit zeremoniellen und rituellen Zeichen ausstattet, die eine Orientierung der Beteiligten aneinander ermöglicht.«²³ Die von Axe verfolgte Marketingstrategie beruht auf einer spezifischen, sozial anerkannten Vorstellung davon, was männlich und erotisch ist und wie diese Attribute im Paarungsreigen hilfreich sind. Die Axe-Werbung zeigt, wie durch einen gezielten Einsatz des Deosprays der systematische Zusammenhang zwischen männlichem Duft, Körper und Sexappeal akzentuiert und eroberungstechnisch ›gewinnbringend‹ genutzt werden kann.²⁴ Insofern wird auf stereotypisierte Darstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zurückgegriffen, deren normativer Charakter sowohl identitäts- als auch sinnstiftend sein kann.²⁵ Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, wichtige Impulsgeberin für den Genderdiskurs, akzentuierte die soziale Komponente der Geschlechtskonstruktion in ihrem 1990 erschienenen Buch Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity folgendermaßen: Vielmehr ist die Geschlechtsidentität [gender, Anmerkung der Autorinnen] die wiederholte Stilisierung des Körpers, ein Ensemble von Akten, die innerhalb eines äußerst rigiden regulierenden Rahmens wiederholt werden, dann mit der Zeit erstarren und so den Schein der Substanz bzw. eines natürlichen Schicksals des Seienden hervorbringen. Eine politische Genealogie der Geschlechter-Ontologie wird also – wenn sie erfolgreich ist – den substantiven Schein der Geschlechtsidentität in die konstitutiven Akte dekonstruieren, diese Akte innerhalb des Zwangsrahmens verorten und durch die verschiedenen Kräfte erklären, die das gesellschaftliche Erscheinungsbild der Geschlechtsidentität kontrollieren.²⁶

Genderspezifische Identitäten konstituieren sich in der Art und Weise, wie etwas gendertypisch getan oder gerade nicht getan wird. Butler verschiebt den Fokus des Genderdiskurses damit weg von essentialistischen und biologistischen Geschlechterbildern und betont die Handlung, die Performativität, als maßgebliches Kriterium zur Ausgestaltung von Geschlecht als sex wie auch als gender. ²⁷ Performativität bei Butler meint dabei das alltägliche Verhalten innerhalb eines spezifischen, exakt strukturierten gesellschaftlichen Rahmens. Bereits die italo-amerikanische Feministin Teresa de Lauretis machte im 1987 erschienenen Buch Technologies of Gender darauf aufmerksam, dass Genderrepräsentationen eine konstruierte Größe seien, die dazu dienten, innerhalb eines patriarchalen Systems Macht zu verteilen und legitimieren:

 Goffman 1981, 116.  Vgl. Joachimsthaler 2008, 145 – 147.  Medienwissenschaftler John Fiske führt anhand eines Mädchenmagazins aus, wie ein heteronormatives Rollenverständnis beispielsweise durch die mediale Inszenierung naturalisiert wird. Die dadurch zementierten Weiblichkeits- und Männlichkeits-Stereotypen werden als natürlich und nachahmenswert betrachtet, werden überliefert, dienen aber letztlich einem patriarchalen Gesellschaftssystem, in dem die Frauen sich diesen Normen unterordnen müssen, wenn sie als Frauen wahrgenommen werden wollen; vgl. Fiske, 2011, 169 – 174.  Butler 1991, 60 – 61.  Zur Konstruktion von biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender) siehe Butler 1991, 112– 120.

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»Die Konstruktion von Gender setzt sich heute durch die verschiedenen Technologien von Gender (wie das Kino) und institutionelle Diskurse (wie Theorie) fort mit der Macht, das Feld sozialer Bedeutung zu kontrollieren und so Darstellungen von Gender zu produzieren, fördern und ›implantieren‹.«²⁸ Wenn in der Axe-Werbung Männer als Helden und Frauen als willenlose, wunderschöne, junge und langbeinige Geschöpfe inszeniert werden, dann verweist dies auf eine spezifische kulturelle Praxis der Genderkonstruktion, innerhalb eines spezifischen Realitätssystems, das auf bestimmten Normen und Werten gründet. Dieses System ist heteronormativ, das heißt, es geht von der Prämisse aus, dass es zwei klar voneinander abgrenzbare Gender gibt und diese sich natürlicherweise gegenseitig begehren. Dadurch werden Menschen, die nicht einem Gender zugeordnet werden können oder wollen, als widernatürlich stigmatisiert. Die strikte Aufteilung in zwei Geschlechter hat einen normierenden Charakter, nicht nur für das Individuum, sondern für alle Bereiche der Gesellschaft. In feministischen Theorien, den lesbian and gay studies und ab den 1980er-Jahren insbesondere den queer studies wurde diese Naturalisierung der Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität kritisiert und die hierarchischen Strukturen, die sich auf ihnen aufgebaut haben, herausgearbeitet.²⁹ Eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete, religionswissenschaftliche Analyse des Werbefilms mit einem genderfokussierten Blick macht deutlich, wie die normative kulturelle Konstruktion von Gender und Begehren durch audio-visuelle Medien als wichtiger gesellschaftlicher Bereich funktioniert.³⁰

6.3 Repräsentation von normativen Blicken auf Gender Der Axe-Noah wird als unscheinbarer, normaler aber durchaus zielgerichteter, beinahe stoischer Handwerker inszeniert, der sich auch in Jeans und T-Shirt von Wind und Wetter nicht beeindrucken lässt (Abb. 41 und 42). Männlichkeit wird in diesem Clip mit körperlicher Arbeit, die im wörtlichen Sinne durchaus auch schmutzig sein kann, mit Zielstrebigkeit und Gelassenheit gleichgesetzt. Ein solcher Mann bewahrt sogar im Angesicht des nahenden Weltuntergangs die Ruhe. Er weiß, dass er eine Mission zu erfüllen hat und schaut der Zukunft gelassen entgegen. Obwohl der Axe-Noah physisch nicht dem Bild eines Helden entspricht – er

 »The construction of gender goes on today through the various technologies of gender (e. g. cinema) and institutional discourses (e. g. theory) with power to control the field of social meaning and thus produce, promote and ›implant‹ representations of gender.« De Lauretis 1987, 18; Übersetzung durch die Autorinnen.  Zum Begriff Heteronormativität gibt es mittlerweile viel Literatur aus unterschiedlichen Disziplinen. Für eine Einführung aufschlussreich ist Hartmann/Klesse/Wagenknecht/Fritzsche/Hackmann 2007 und als Klassikerin der Genderforschung Butler 1991.  Zur kulturwissenschaftlichen Filmanalyse vgl. Mäder 2010; Pezzoli-Olgiati 2009; Wright 2007; Miles 1996.

Repräsentation von normativen Blicken auf Gender

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Abb. 41: Axe-Noahs männliche Aura wird über Attribute wie Kleidung und Werkzeug, aber…

Abb. 42: …auch die schmutzigen, geschundenen Arbeiterhände akzentuiert.

ist weder ausgesprochen muskulös, noch wirkt er athletisch –, so demonstriert er doch seine Erhabenheit, indem er die Situation aus einer erhöhten Lage gleichmütig betrachtet (Abb. 43). Dieser männliche Blick auf die Vorkommnisse entspricht dem anvisierten Zielpublikum und verdeutlicht indirekt, aber wirkungsvoll, wer die Kontrolle über die Situation behält.³¹ Die dargestellte Männlichkeit bestimmt sich im Verhältnis zur Darstellung der Weiblichkeit. Die Frauen im Werbespot sind sehr attraktiv: Die Kamera zeigt fein geschnittene Gesichter, lange Haare, schlanke Hälse und endlose Beine; alles Attribute, die in weiten Teilen der westlichen Welt mit weiblicher Schönheit und sexueller Anziehungskraft assoziiert werden. Bevor man eine Totale auf die Frauenprozession hin

 Zu den Blickachsen im Film vgl. Mulvey 2009.

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Abb. 43: Noah sprüht seine magere Brust gelassen ein letztes Mal mit Axe ein.

Abb. 44: Ein selbstsicherer Mann mit einer Mission.

zur Arche sieht, zeigt die Kamera noch einmal eine Großaufnahme des Gesichts des Axe-Noahs im Profil. Ein selbstgefälliges Lächeln scheint über sein Gesicht zu huschen (Abb. 44). Die dominante Stellung des Mannes oben auf der Schiffsbrücke, der die einziehenden Frauen unten in der Steppe beobachtet, wird noch deutlicher im Kontext der Konstruktion der Arche. Diese wurde so gebaut, dass die Frauen wie Legehennen unter Deck schlafen, sich im Fitnessraum ihren Traumkörper erarbeiten und danach ihre Attraktivität an einer Poledance-Stange unter Bewies stellen können (Abb. 45). Die visuelle Gleichsetzung der Frauen mit den Tieren, die in der biblischen Erzählung (Genesis 6, 17– 20) in die Arche einziehen, kann als weiterer Hinweis auf deren Unterlegenheit angesehen werden. Die Inszenierung verweist demnach gleichzeitig auf zwei verschiedenen Ebenen auf eine hierarchische Differenz der Gender: So befinden sich die aus dem umliegenden Ödland herannahenden Frauen einerseits auf einem tatsächlichen, visuell wahrnehmbaren, tieferen Niveau als der auf

Repräsentation von normativen Blicken auf Gender

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Abb. 45: Wessen Vergnügen dient die Poledance-Stange wohl?

dem Schiffsdeck thronende Noah, und andererseits deutet die assoziative Verbindung der Frauen mit Tieren (Giraffen und Elefanten, aber durchaus auch Kakerlaken und Mäuse) auf deren kulturell bedingte Unterlegenheit hin (Abb. 46). Die Visualisierung der Thematik des Weltuntergangs im Axe-Werbespot greift visuelle und inhaltliche, sozial legitimierte Normen und Werte auf, adaptiert sie für ihre Zwecke und versieht sie dadurch – teilweise – mit neuer Bedeutung. Die Werbung situiert sich innerhalb eines spezifischen religiösen Kontexts, der eine bestimmte, normierte Auslegung der Vorgänge nahelegt. Die apokalyptische Ausgangslage wird mit der (männlichen) Aussicht auf eine schöne neue Zeit verbunden. Das Wissen darum, wie die Geschichte von Noah und der Sintflut zu lesen ist, und inwiefern sie mit dem angeblichen Weltende des Mayakalenders in Verbindung zu bringen ist, bildet die erste Ebene des Werbevideos.³² Diese Ebene bekommt durch die Verknüpfung zweier zeitlich wie auch kulturell unterschiedlicher Narrative innerhalb des Werbekontexts eine neue Bedeutung: Das nahende Weltende kann mit dem neuesten Produkt von Axe durchaus als positiver Neuanfang gelesen werden. Die heteronormative Darstellung von Gender aus einer explizit männlichen Perspektive (sie sind die potenziellen Kunden) verweist auf Praktiken und Vorstellungen, die ihre Wurzeln im Alltag der Rezipierenden haben. Die überspitzte Inszenierung von Mann und Frau bezieht sich auf Normen, die auch in der heutigen – nicht nur in der biblischen – Gesellschaft präsent sind. Innovation oder Kritik ist hier nicht festzustellen.

 Das Werbevideo wurde im Jahr 2012, laut Mayakalender dem Ende der Welt, veröffentlicht und griff die damals grassierende mediale Hysterie über einen möglichen Weltuntergang für seine (Verkaufs‐) Zwecke auf.

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Abb. 46: Edward Hicks, Noah’s Ark, 1846, Öl auf Leinwand, 67 × 77 cm, Philadelphia Museum of Art.

6.4 Visuelle Handlungsanweisungen Der Axe-Werbespot rezipiert und vermittelt Gendernormen für ein internationales Publikum anhand von visuellen Codes. Die Verwendung von visuellen Quellen als Handlungsanweisungen für Männer oder Frauen ist jedoch keineswegs neu. Auch in der Religionsgeschichte finden sich vielfache Beispiele dafür. Im Folgenden soll deshalb dem männerfokussierten Axe-Clip das historische Beispiel eines Holzschnittes aus dem 16. Jahrhundert gegenüber gestellt werden, der Frauen ansprechen sollte. Bei dem ausgewählten Kölner Holzschnitt (Abb. 47) handelt es sich – und das ist für die Frage nach Normativität besonders interessant – nicht um ein narratives Bild, das Teil einer Erzählung ist oder selbst eine Geschichte erzählt. Er ist eine visuelle Handlungsanweisung, die mit dem Verhältnis von Text und Bild arbeitet. Ähnlich wie bei der Analyse der Holzdecke in der Kirche St. Martin in Zillis³³ soll in Bezug auf den

 Siehe für dieses Beispiel Unterkapitel 4.3 dieses Bandes.

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Holzschnitt auf die Verbindung unterschiedlicher Bildelemente geachtet werden; dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Relation zwischen den Bildelementen und den schriftlichen Textelementen. Um die Verweise, die Bildkonstellation und das Verhältnis von Bild und Text zu untersuchen, ist die Betrachtung des historischen Entstehungskontextes der Quelle von zentraler Bedeutung.Wir verbinden hier die Analyse der Repräsentation mit Aspekten der Produktion und der Rezeption. Der Holzschnitt aus Köln zeigt eine Frau im Stil des frühen 16. Jahrhunderts. Bei der Betrachtung der Frau fallen sofort einige Merkwürdigkeiten auf: Sie hat Pferdefüße, ein Schloss verschließt ihren Mund, Schlangen winden sich um ihre Taille, eine Taube sitzt ihr auf dem Mieder und sie hält seltsame Gegenstände in ihren Händen. Auffallend sind auch die schön gerahmten, poetischen schriftlichen Erklärungen, die das Bild ergänzen. Der Holzschnitt ist übertitelt mit den Worten »Diese Figur sol man schawen. Die bedewtet ein weyse Frawen.« Der Untertitel deutet darauf hin, dass es sich hierbei um eine klare Handlungsanweisung für Frauen handelt: »Welliche Frau darnach thut / Die ist an ehren wol behut.« Nun rekonstruieren wir zunächst die angesprochenen Bedeutungsfelder, auf die das Bild verweist. Das Bild zeigt eine schöne und für 1525 zwar modisch, aber schlicht gekleidete Frau.³⁴ Die Wulsthaube, die sie trägt, ist schmucklos und bedeckt das gesamte Haar. Das unter dem Kleid zu sehende Unterhemd ist nur mäßig bestickt und bedeckt ihr Dekolleté. Die Ärmel sind der Zeit entsprechend modisch geschlitzt, jedoch nicht mit kostbaren Bändern und Stickereien verziert. Auch die Schnürung des Oberteils ist bescheiden. Im Gegensatz zu der damaligen Mode, in der überbodenlange Kleider besonders modern waren und gerne kunstvoll hochgeschürzt getragen wurden, reicht das Kleid nur bis zu den Knöcheln; die auf den Rock aufgenähten Querstreifen sind zwar auch modisch, aber ebenfalls schlicht gehalten. Der einzige Schmuck, den die Dargestellte trägt, sind einfache Ringe an der rechten Hand. Die ›weyse Fraw‹ ist zwar durchaus der Mode entsprechend, aber bescheiden gekleidet. Bereits die Darstellung der Kleidung ist also normativ und soll als Vorbild dienen. Noch stärker zur Geltung kommen die normierenden Vorstellungen in den zusätzlichen Bildelementen. Der Mund der Frau ist mit einem Vorhängeschloss versehen. Die Inschrift dazu lautet: »Von gold trag ich vor meinem munde / Ein schloss tag nacht und alle stunde / Auff das er unnütz red vermeyd / Und niemand nur sein Eer abschneyd.« Das Schloss symbolisiert die als Ideal präsentierte Verschwiegenheit der Frau. Neben dem rechten Ohr der abgebildeten Frau ist ein übergroßer Schlüssel dargestellt, er deutet darauf hin, dass die Ohren für Gottes Wort aufgeschlossen sein sollen: »[…] Mein oren die will ich auffschliessen / Das sy thun hören Gottes wort […]«. Auf der Brust sitzt der Dame eine Taube, die sexuelle Treue symbolisiert. In der Rechten hält sie einen großen Krug, der die Freigiebigkeit gegenüber den Armen anzeigen soll, womit sie sich das ewige Leben erwirbt: »Den armen sol ich geren geben / Damit erwerb das ewig leben / Dass ich nit anderst finden kann / Das ich anders mög

 Zur deutschen Mode des 16. Jahrhunderts siehe das Kapitel zu Renaissancekleidung bei Thiel 2010.

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Abb. 47: Anton Woensam, Allegorie auf eine weise Frau, Holzschnitt, Köln um 1525.

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bringen darvan«. Unter dem Rock schauen zwei Pferdebeine hervor, die einen festen, sündenfreien Stand symbolisieren. Denn Sünde erscheint zwar süß, sie wird jedoch ›gallenbitter‹: »Auff pferdes füssen sol ich geen / Das ich in Eeren fest kann steen / Auff das ich nicht in sünde fall / Ist süss wird bitter als ein gall«. Um die Taille der Frau windet sich eine zweiköpfige Schlange (möglicherweise sind es auch zwei Schlangen), die, wie der Begleittext verrät, hier positiv konnotiert ist und die Keuschheit und die sexuelle Treue der idealen Frau symbolisiert: »Mit schlangen gürt ich meinen leyb. Allso sol thun ein bider³⁵ weyb. Die sich vor schandt grifft hüten will.Vor böser lieb unnd affenn spil.« In der Rechten hält sie einen von ihr nicht beachteten Spiegel. Der Spiegel nimmt zu dieser Zeit vielschichtige Bedeutungen ein. Im Kontext des Holzschnittes von Woensam wird er als ein typisches ikonographisches Symbol für Eitelkeit und Hoffart gelesen (wobei die gewölbte Form des Spiegels ebenfalls sehr typisch für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist). In diesem Spiegel erscheint nun statt des Abbildes der sich betrachtenden eitlen Frau Christus am Kreuz.³⁶ Dementsprechend lautet der dazu gehörige Spruch: »Hoffart die will ich auch vrschmehe. Unnd will in disen spiegel sehen. Daran uns Gott erarnet hat / Das thut ir Frawen ist mein rat.« Zuunterst rechts wird auf das Ziel des richtigen Handelns, das Erlangen eines Platzes in Gottes ewigem Himmelsreich, verwiesen, wobei wieder in die dritte Person gewechselt wird: »Welche Fraw hat ein solchen sitten / Die wirdt an Eeren nit verschnitten / Mag auch verdienen sicherleich / Von Gott sein Ewig Himelreich«. Das Bild besteht aus einzelnen ikonographischen Elementen, die je für sich genommen eine normative Aussage beinhalten und zusammen eine visuelle Anweisung für das richtige Verhalten einer Frau ergeben. Es ist diese Konstellation der Einzelelemente, die eine bestimmte Bildaussage bekräftigt. Dabei lässt sich eine interessante Relation zwischen Bild und schriftlichem Text beobachten: Der Text lenkt die Auslegung der Bildelemente in eine eindeutige Richtung, gibt einen deutlichen Lesehinweis vor und reduziert dadurch die Vieldeutigkeit des Bildes. Der beigefügte Text dient also der Festlegung einer eindeutigen Bedeutung des Bildes, ein Prozess, den wir als Monosemierung fassen können.³⁷ Monosemierungsprozesse sind in Bezug auf das besprochene Beispiel besonders wichtig, da das Bild als visuelle Handlungsanleitung dient und ›richtig‹ (der Intention des Urhebers gemäss) verstanden werden soll. Dass es sich beim Holzschnitt um eine Anweisung handelt, darauf lenkt auch die Tatsache, dass die gerahmten Texte in der ersten Person formuliert sind, wobei die Lesende zu einer Identifikation mit der abgebildeten Figur aufgefordert wird. Dies im Gegensatz zum Titel und Untertitel, die in der dritten Person von der Frau sprechen. Gleichzeitig sind die beigefügten poetischen Verse als Bildelemente mit Bilderrahmen und damals  ›Bieder‹ ist hier ein positiv konnotiertes Wort.  Vgl. die Thematik und Funktion des Spiegel der Vernunft in Unterkapitel 4.4 dieses Bandes sowie Jónsson 1995. Beide Spiegel, derjenige der Vernunft und derjenige von Woensam, deuten auf die Vergänglichkeit irdischer Dinge sowie die Zentralität eines tugendhaften Lebens hin.  Zu Monosemierungsprozessen siehe Fiske 2011, 110 – 111.

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üblichen Bilderrahmenkronen gestaltet. Die Verse sind also ikonographischer Teil des Bildes und nicht einfach eine randständige Erläuterung oder Kommentierung. Der Text wird zu einem für das Verständnis der normativen Ebene wichtigen Bildelement. Wie zentral er für die Interpretation ist, wird ersichtlich, wenn er weggelassen wird. Die Kopie von Woensams Stich (Abb. 48) könnte, wenn man die Vorlage Woensams nicht kennt, durchaus anders interpretiert werden als das Original. Die Pferdefüße und die Schlangen etwa könnten als negative Attribute des Teufels und der Versuchung, der Spiegel als Monstranz gedeutet werden.³⁸ Für eine Interpretation ist also immer auch der Entstehungskontext wichtig: Woensam, auch Anton von Worms genannt, geboren Ende des 15. Jahrhunderts in Worms und gestorben 1541 in Köln, war ein deutscher Renaissance-Künstler.³⁹ Er wurde berühmt durch seine Holzschnitte und Gemälde und fertigte auch Bibelillustrationen; beispielweise wurden 1529 für die Wormser Bibel von Peter Schöffer (dem

Abb. 48: Unbekannter Stecher, Kopie nach Anton Woensams Allegorie auf die weise Frau, Holzschnitt, Platte 27 × 21,4 cm, um 1558, Deutschland.

 Für eine Vertiefung dieses Themas und genauere Informationen zum Bild siehe Wolter 2002.  Genaueres zu seinem Leben und einen Katalog von Woensams Werken bietet Merlo 1864; kurz zum Leben auch Schnorrenberg 1898.

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Jüngeren) Woensams Holzschnitte verwendet.⁴⁰ Neben unzähligen christlichen Sujets stellte Woensam auch Abbildungen antik-mythologischer (wie die Taten des Herakles) und weltlicher Themen (etwa die Stadtansicht von Köln, Porträts des Kaisers Karl V., unzählige Wappen) her. Aufgrund seiner riesigen Werkanzahl sowie seiner Bekanntheit als Xylograph darf man davon ausgehen, dass Woensam prominent verhandelte Themen und die ikonographische Tradition seiner Zeit bestens kannte. In seiner Allegorie auf die weise Frau antwortet Woensam zunächst auf die populären Debatten über die Stellung der Frau. Im 16. Jahrhundert stößt man auf rege Diskussionen über die soziale und religiöse Stellung der (christlichen) Frau, die verbunden sind mit normativen Forderungen. Seit dem Mittelalter werden nicht nur Fragen nach der Gleichberechtigung der Geschlechter, beziehungsweise der Inferiorität oder Superiorität der Frau verhandelt, sondern auch Forderungen an das Verhalten der Frau gestellt.⁴¹ Wesentlicher Bestandteil dieser Debatten bildete die visuelle Umsetzung gewisser Argumente, durch die normative Vorstellungen über das ›richtige‹ und ›falsche‹, über das angemessene und nicht angemessene Genderverhalten konstruiert und verbreitet wurden. Beispielweise wurden Illustrationen des biblischen Gleichnisses über die fünf törichten und fünf klugen Jungfrauen oder die sogenannten Kardinaltugenden angefertigt.⁴² Auch eine der sieben Todsünden, die superbia (Hochmut, Stolz), wird traditionellerweise als eitle, sich in einem Spiegel betrachtende, übertrieben modisch gekleidete Frau inszeniert (Abb. 49). Woensams Allegorie auf die weise Frau ist als Gegenbild zu dieser stolzen Eitelkeit zu verstehen. Woensam spielt also auch mit der ikonographischen Tradition seiner Zeit. Dies ist am besten anhand der Pferdefüße auf dem Kölner Holzschnitt zu erkennen. Ikonographisch wird das Pferd neben dem Pfau oftmals mit der eitlen Frau in Verbindung gebracht (Abb. 49).⁴³ Bei Woensam ist es aber nicht mehr die unangemessen stolze Haltung des Pferdes, sondern sein fester Stand, der auf die ideale Frau übertragen wird. Es findet also eine Verschiebung der Semantik statt. Diese lässt sich auch am Spiegel, den Woensam der Frau in die Hand gelegt hat, erkennen: Der Spiegel ist das charakteristische Symbol für die superbia, denn die eitle Frau, die sich ganz ihrem Spiegelbild widmet, vergisst die Welt um sich herum. Die ideale Frau bei Woensam hingegen wendet den Blick vom Spiegel ab. In ihrem Spiegel zeigt sich weder ihr eigenes Gesicht noch das Abbild des Teufels – wie in einem Holzschnitt von Albrecht Dürer (Abb. 50) –, sondern das Abbild Christi. Anton Woensam spielt bei seiner Allegorie also mit ikonographischen Konventionen seiner Zeit, die er teilweise verfremdet, weshalb die erklärenden Schriftele-

 Bei der Wormser Bibel handelt es sich um die früheste protestantische Vollversion auf Deutsch.  Debatten um die religiöse und soziale Stellung der Frau haben in Europa eine lange Geschichte, angefangen bei der Querelle des femmes und insbesondere Christine de Pizans 1404 verfasstem Buch Von der Stadt der Frauen (1992); zur Rekonstruktion dieser Debatte vgl. Ferrari-Schiefer 1998.  Vgl. die Modekritikbilder bei Wolter 2002.  Vgl. auch Wolter 2002, Abb. 19; Abb. 23.

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Alles unter Kontrolle

Abb. 49: Georg Pencz, Superbia mit Spiegel, Pfauenflügeln und Pferd, aus der Serie Die sieben Todsünden, Kupferstich, Platte 8,1 × 5,2 cm, erste Hälfte 16. Jahrhundert, Deutschland.

mente besonders wichtig sind. Dabei gibt er eine positiv formulierte normative Anweisung, wie eine Frau sich moralisch korrekt zu verhalten habe, anstatt bildlich darzustellen, wie schändliches Handeln aussieht (der Teufel in Dürers Holzschnitt) und welche Konsequenzen das haben könnte.

Normative Macht der Bilder

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Abb. 50: Albrecht Dürer, Von eyner edlen frowen, abgedruckt in Geoffroy de la Tour Landrys Von den Exempeln der gotsforcht und erberkeit, Holzschnitt, 1493.

6.5 Normative Macht der Bilder Der Axe-Werbeclip und das allegorische Bild aus dem 16. Jahrhundert mögen medial grundverschieden sein, bezüglich der normativen Verweise sind sich die beiden Beispiele jedoch ähnlich: Beide vermitteln über visuelle Codes eine Anleitung zum ›richtigen‹ Handeln, wobei impliziert wird, dass mit diesem ›richtigen‹ Handeln Glück und Heil verbunden sind. Ähnlich wie religiöse Weltbilder vermitteln Werbeclip und Holzschnitt ein Heilsverspechen.⁴⁴ Woensam benennt dieses heilvolle Ziel explizit, bei

 Für den Religionssoziologen Martin Riesebrodt besteht der Kern von Religion in einem Komplex von Praktiken, die der Kommunikation mit übermenschlichen Mächten dienen und darauf abzielen, Heil zu stiften, Unheil jeder Art abzuwehren und Krisen zu bewältigen; vgl. Riesebrodt 2007.

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Alles unter Kontrolle

ihm geht es neben ›Ehre‹ um das ›ewige Leben‹ und den Eintritt ins ›ewige Himmelreich‹. Der Lohn für das richtige Verhalten ist bei ihm also vor allem ein Jenseitiger. Im Axe-Clip ist der Lohn für die Benutzung des ›richtigen‹ Deo-Sprays zunächst ein diesseitiger: Er besteht in der Eroberung einer Horde Frauen. Gleichzeitig wird aber auf ein mythologisches Ereignis verwiesen, das den Axe-Benutzer zum Überlebenden der Sintflut (sowie des ›Maya-Weltuntergangs‹) und zum Stammvater einer neuen Menschheit macht, was zusätzlich durch die Liedzeile »No man can walk alone« unterstrichen wird. Auch hier wird mit dem Gedanken an eine bestimmte Art des jenseitigen, ewigen Lebens gespielt. Normative Anweisungen sind also auch auf einer visuellen Ebene regulierende Forderungen, die mit einem bestimmten Ziel verbunden werden, das in Interaktion mit einem Heilsversprechen steht: Wenn man sich ›richtig‹ verhält, wird man auf die eine oder andere Art belohnt; wenn man sich ›falsch‹ verhält und den Forderungen nicht nachkommt, droht entsprechendes Unheil. Bei beiden ausgewählten Beispielen spielt die Kategorie Gender eine wichtige Rolle: Beide sind Anleitungen für ein genderspezifisches Verhalten, wobei gerade der Axe-Clip auch Werturteile über das ›andere Geschlecht‹⁴⁵ beinhaltet. Es wird deutlich, dass die Darstellungen von Gender im Kontext von kulturellen Sinngebungs- und Deutungsprozessen zu lesen sind, die als Orientierungshilfe in Bezug auf die Wirklichkeitskonstruktion – das Weltbild – dienen.⁴⁶ Der Religion kommt innerhalb dieser Wirklichkeitskonstruktion eine fundamentale Rolle zu: Als Symbolsystem bietet sie umfassende Orientierung und normiert den Umgang mit der Welt.⁴⁷ Wenn Religion nun als ein spezifisches Symbol- oder Kommunikationssystem innerhalb einer Kultur angesehen wird, das die Realität zu strukturieren und zu regulieren vermag, so stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln dies geschieht. Visuelle Quellen spielen eine maßgebliche Rolle bei der Konstruktion von Normativität, wobei deren große Reichweite – etwa ein weltweit ausgestrahlter und in zahlreiche Sprachen übersetzter Axe-Clip – zentral ist. Bei beiden ausgewählten Beispielen werden die normativen Aussage durch einen leicht humoristischen Unterton verstärkt, der sich in einer überraschenden Verfremdung von Bildelementen zeigt. Im Axe-Clip sind dies beispielweise der unbehaarte, kindliche Oberkörper des ›Helden‹ oder die Frauen anstelle der Tiere, die auf die Arche zugehen. Bei Woensam ist es die verfremdende Benutzung bekannter Bildelemente, wie die Pferdefüße, sowie die ungewöhnliche Bildkomposition, in der unterschiedliche Bildteile zu einem neuen Ganzen zusammenfügt wurden. Dieser humoristische Unterton camoufliert normative Aussagen und schützt vor Kritik hinsichtlich Sexismus und Frauenfeindlichkeit.

 Der Ausdruck wurde von der französischen Philosophin Simone de Beauvoir geprägt. Sie vertritt in ihrem 1949 erschienen Buch Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht 1951) die These, daß die Unterdrückung der Frau gesellschaftlich bedingt sei und die Männer die Frauen erst zu Frauen machen würden. Die Frau wird also zum ›anderen Geschlecht‹ gemacht, weil sie stets in Abhängigkeit zum Mann definiert wird.  Vgl. Berger/Luckmann 2000.  Zur Orientierungsleistung von Weltbildern vgl. Kapitel 4 dieses Bandes.

Normative Macht der Bilder

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Durch visuelle Quellen werden Werte also konstruiert, tradiert und kritisiert. Dabei kann Religion auf unterschiedlichen Ebenen eine Rolle spielen: Während Woensams Allegorie eng mit einem religiösen Weltbild und Heilsversprechen zusammenhängt, werden religiöse Elemente im Axe-Clip in einem kommerziellen Rahmen genutzt. Auch hier wird deutlich, dass sichtbare Religion nicht gesondert von anderen kulturellen Phänomenen untersucht werden kann. Gerade normative Regulierungen, die über die visuelle Ebene verlaufen, sind vielfach vernetzt mit unterschiedlichsten kulturellen und gesellschaftlichen Feldern. Der Aspekt der Regulation, der in diesem Kapitel hauptsächlich zum Tragen kam, wurde bei beiden Beispielen, so unterschiedlich sie auch sind, anhand visueller Elemente rekonstruiert. Die Bilder geben implizit und explizit Hinweise darauf, welche Normen sie vertreten und von den Rezipierenden einfordern. Dabei zeigt sich, dass Normierungen eng mit Prozessen der Identitätskonstruktion, beispielsweise als ›Frau‹ oder ›Mann‹ verbunden sind. Aber auch die Formung von Hierarchien und Differenzen, die mit Machtprozessen einhergeht, ist mit Regulierungen verknüpft. Im nächsten Kapitel wird diesen Machtprozessen genauer nachgegangen.

Fragen zur Vertiefung · Was bedeutet es, wenn in einer Werbung die Tiere der Arche Noah durch Frauenfiguren ersetzt werden? Wie kann man diese Verfremdung der religiösen Tradition deuten? · Fallen Ihnen weitere Werbungen ein, die implizite oder explizite Normen vermitteln? · Kann man von ›männlichen‹ und ›weiblichen‹ Blickkulturen sprechen? Diskutieren Sie die Pros und Kontras einer solchen Differenzierung. Auf welchen normativen Annahmen basiert diese Unterscheidung?

7 Sichtbar reguliert oder wie Macht inszeniert wird Der Dokumentarfilm Die Lage (DE 2012) von Thomas Heise zeigt, wie aufgrund des Papstbesuchs in Erfurt im Jahr 2011 eine ganze Stadt von Nervosität und Aufregung lahmgelegt wird: Autobahnen werden gesperrt, Zelte für die Messe aufgeschlagen, Absperrgitter aufgestellt, Behörden und Polizei bereiten sich auf die Begrüßungszeremonie vor. Die Stadt wird immer ruhiger, nur vereinzelt ist das Geräusch von Helikoptern zu hören, die das Geschehen aus der Luft kontrollieren. Spürhunde überprüfen das Gebiet, Scharfschützen richten sich auf den Dächern ein, ein Teppich wird auf dem Rollfeld des Flughafens ausgerollt. Die Polizeieskorte übt mit ihren Motorrädern auf einer Linie zu fahren, die Ehrengarde exerziert auf dem Flughafengelände, das Begrüßungskomitee übt seine Texte und die Blumenkinder werden angewiesen, wie sie sich zu verhalten haben. Das Großereignis Papstbesuch wird von Heise als ein minutiös geplantes Unterfangen wiedergegeben. Die Planung lässt dem Zufall keine Chance und ist auf die Disziplin und (Selbst‐)Regulierungsbereitschaft der Teilnehmenden absolut angewiesen. Dies unterstreicht der vom Regisseur als Kommentar vorgelesene Ablaufplan, während auf der Bildebene eine Karte des Flughafens, auf dem Papst Benedikt XVI. eintrifft, eingeblendet wird. Neben den Gebäuden sind auch die Positionen der Anwesenden aus Politik und Gesellschaft, der Blumenkinder und der Pressebühne auf dem Plan aufgeführt (Abb. 51). Thomas Heise zeigt in seinem schwarz-weiß gefilmten Dokumentarfilm, was die anderen, vom Vatikan zur Berichterstattung zugelassenen Medien nicht zeigten: das

Abb. 51: Lageplan des Flughafens, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012). https://doi.org/10.1515/9783110536706-008

Die (audio‐)visuelle Repräsentation von Macht

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Geschehen ›hinter den Kulissen‹.¹ Und tatsächlich findet in Heises Film der Papstbesuch sozusagen ohne die Hauptperson statt. Wir sehen das Oberhaupt der katholischen Kirche nur wenige Male, zuerst nach knapp einer Stunde Film, wie er geschützt vor der Menge im Papamobil vorbeifährt, und gleich anschließend aus weiter Ferne, wie er während der Messe in seinem Stuhl sitzt. Stattdessen fokussiert Die Lage in ruhigen und stilisierten Bildern darauf, wie die katholische Kirche in Zusammenarbeit mit dem Staatsdispositiv bestehend aus Polizei, Regierung und Sicherheitskräften eine ganze Stadt unter ihre Kontrolle bringt. Beide – der Staat und die katholische Kirche – sind Institutionen, die das Leben ihrer Mitglieder regulieren und disziplinieren und damit ihre Macht etablieren, stabilisieren und durchsetzen.

7.1 Die (audio‐)visuelle Repräsentation von Macht In diesem Kapitel wollen wir Fragen nach Macht und Visualität im Kontext religiöser Gemeinschaften anhand der Analyse von zwei Beispielen genauer untersuchen: dem schon eingeführten Dokumentarfilm Die Lage und dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Wir wollen untersuchen, wie politische und religiöse Macht durch (audio‐)visuelle Medien etabliert und legitimiert wird. Wie werden religiöse Codes eingesetzt, um Einfluss zu gewinnen und zu kommunizieren? Wie werden Wertesysteme durch Bilder vermittelt und ›naturalisiert‹? Wie prägen Machtträger die visuelle Kultur, zum Beispiel durch die Regulierung ihrer Ausdrucksformen? Und nicht zuletzt wollen wir fragen, inwiefern der Raum des Visuellen für Widerstand genutzt werden kann. Im circuit of culture ist das Thema der Macht am engsten mit dem Aspekt der Regulierung verknüpft: Produktions-, Repräsentations- und Distributionsprozesse sind von bestimmten politischen, ökonomischen, kulturellen und religiösen Interessen geprägt. Visualisierungen werden oftmals von Gruppierungen in Machtpositionen reguliert und kontrolliert, die bestimmen, was wie gezeigt werden kann und was nicht. Das extremste Beispiel hierfür ist, wenn Bilder, die einem Wertesystem widersprechen, zerstört werden.² Der circuit of culture hilft dabei, zu verstehen, wie Regulierungsprozesse und die Verbindung mit den anderen Momenten des circuit, der Repräsentation, Produktion, Konsumption und Identität, dazu beitragen, dass bestimmte Werte – religiöse und nicht religiöse –gesellschaftliche Diskurse prägen können. Mit dieser Systematik hilft der circuit auch zu eruieren, wo und wann gegen visuell kommunizierte Wertesysteme und Machtverhältnisse Widerstand geleistet werden kann. Zum

 Gemäß des Media Guides wurden nur bestimmte TV-Sender zugelassen, um über den Anlass zu berichten: »Aufgrund räumlicher und sicherheitsbedingter Einschränkungen übernehmen ausschließlich die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und privaten TV-Sender im Rahmen des Berliner Modells die Funktionen des Host-TV und produzieren gemeinsam das Weltbild (2).« Presseheft Die Lage 2012.  Vgl. zur Bilderfrage respektive -zerstörung auch das Unterkapitel 5.3 dieses Bandes.

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Sichtbar reguliert

Beispiel werden diejenigen Inhalte, die in der Produktion codiert werden, in der Rezeption nicht zwangsweise auch so decodiert – in diesem Fall ›misslingt‹ die Regulierung. Wie wir im Kapitel 3 bereits besprochen haben, lässt der von Stuart Hall aufgewiesene Bruch zwischen encoding und decoding Raum für Widerstand in Form von oppositionellen Lesarten. Das ›Querlesen‹ von Botschaften erlaubt es, umgedeutete Codes wieder in den Prozess von Produktion und Rezeption zu reintegrieren, Bedeutungen zu verschieben und die Regulierungsansprüche der Produktion zu unterwandern. In der Untersuchung von Machtverhältnissen anhand (audio‐)visueller Beispiele gilt es methodisch mehrere Herausforderungen zu berücksichtigen. Erstens ist die Visualisierung von Macht und Ideologie oftmals so sehr in den Alltag integriert, dass sie gar nicht als ›konstruiert‹ wahrgenommen, sondern als gegeben akzeptiert wird. Straßennamen oder Denkmäler werden im Alltag nicht oder sehr selten daraufhin befragt, wessen politische oder gesellschaftliche Macht sie mit welchen visuellen Strategien sichern. Wirklich ›sichtbar‹ werden sie erst, wenn Konflikte auftreten, die die etablierte Macht und ihre Visualisierungsstrategien in Frage stellen, zum Beispiel wenn Denkmäler nach einem Regimewechsel entfernt oder Straßen – oder ganze Städte – umbenannt werden.³ Zweitens stellt der Bruch zwischen der Produktion, deren Intention in Katalogen oder Widmungsreden zum Ausdruck kommen kann, und der oftmals weniger leicht zugänglichen individuellen Rezeption eine methodische Herausforderung dar.⁴ Deshalb bietet sich für die Untersuchung des Aspekts der Rezeption unter anderem eine Analyse an, bei der in einer Abwandlung der teilnehmenden Beobachtung das eigene Erleben, zum Beispiel des hier analysierten Denkmals, mit der Beobachtung möglicher Perspektiven der Besucherinnen und Besucher, soweit sie zugänglich sind, verbunden wird. Wichtig ist in jedem Fall, dass Visualisierungen von Macht und die Macht über Visualisierungen in ihrem weiteren kulturellen Kontext berücksichtigt werden. Überlegungen zum kulturellen Rahmen von Repräsentationsformen, zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von bestimmten visuellen Formen und zu Blickkulturen sind wesentlich für eine Analyse dieser Art. Sie geben Aufschluss darüber, wie Macht legitimiert wird und wie sich Machtansprüche ausdrücken oder in Frage gestellt werden.

7.2 Macht theoretisch Zunächst sollen einige theoretische Aspekte diskutiert werden, die der folgenden Analyse der Interaktion von Macht, Religion und Visualität zugrunde liegen. Dazu  So wurde etwa nach 1990 Karl-Marx-Stadt wieder zu Chemnitz; vgl. Kapferer 2012, 1.  Besucherbücher oder Mediendiskurse über kontroverse Denkmäler wie das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin können hier einen Einblick gewähren. Zu den methodologischen Schwierigkeiten ihrer Untersuchung des Vietnam Veterans Memorial vgl. Wagner-Pacifici/Schwartz 1991, 383.

Macht theoretisch

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greifen wir die theoretischen Ansätze des Philosophen Michel Foucault und des Soziologen Pierre Bourdieu auf, deren Überlegungen zu Macht und Habitus auch für die Entstehung der cultural studies wegweisend waren.⁵ Andere Beiträge zum sehr weiten theoretischen Feld der Macht referieren wir nur dort, wo Nuancen für ein genaueres Verständnis notwendig sind. Zuerst ist festzuhalten, dass alle sozialen Beziehungen immer ›macht-haltig‹ sind – dies mag ein Gemeinplatz sein, doch es lohnt sich trotzdem, sich diesen Grundsatz bewusst zu machen.⁶ Macht-haltige Beziehungen werden vor allem reflektiert, wenn es um politische Macht geht, wobei sie dann oftmals als einseitige Machtausübung, von ›oben‹ nach ›unten‹, verstanden werden. Jedoch ist Macht ebenso Teil von alltäglichen Beziehungen zwischen Menschen, die keine politische oder staatliche Machtfunktion haben. Darum können auch politisch ›Unterlegene‹ in anderen Beziehungen und Kontexten diejenigen sein, die Macht ausüben. Entgegen eher alltäglichen Vorstellungen von Macht, die erworben, besessen und durch legitime Gewalt etwa von einem Monarchen oder einer Regierung ausgeübt werden kann, entwickelte Foucault einen Machtbegriff, der darauf fokussiert, dass Macht in Beziehungen auftritt. Mit diesem Machtbegriff wird die oben erwähnte Unterscheidung von Herrschern und Beherrschten aufgehoben. Alle Beziehungen, auch die intimsten, sind Teil des komplexen Netzwerkes von Machtverhältnissen und tragen zu dessen Erhalt bei.⁷ Macht ist nicht mehr an einem Punkt, an einer Person oder Institution festzumachen, sondern sie ist ›überall‹, bei jedem und jeder Einzelnen, in allen Beziehungen und Strukturen einer Gesellschaft zu finden. Diese Machtbeziehungen und -strukturen versteht Foucault als Kommunikationsbeziehungen, »die über eine Sprache, ein Zeichensystem oder ein anderes Medium Information übertragen«.⁸ Daraus folgt, dass auch die visuelle Ebene als eine Form der Kommunikation in der Untersuchung von Machtverhältnissen eine wichtige Rolle einnimmt. Foucault zeigt, dass Machtverhältnisse deshalb so effektiv sind, weil sie individualisiert und internalisiert werden und die Akteurinnen und Akteure sich damit identifizieren. Das führt dazu, dass Machtstrukturen und Hierarchien in einer Gesellschaft durch eine Art Selbstkontrolle bewahrt werden.⁹ Dabei spielt Sichtbarkeit eine essentielle Rolle, wie Foucault am Beispiel von Benthams Panoptikum (Abb. 52) zeigt, das für ihn das Funktionieren von Macht in modernen Gesellschaften ideal veranschaulicht. Jeremy Bentham (1748 – 1832), ein Philosoph und Jurist, entwarf das

 Vgl. Hall 2000.  Vgl. Swartz 2013, 1.  Vgl. zum Folgenden Foucault 1977, 93 – 95.  Foucault 2013, 252.  Nichols (1981, 42) beschreibt dies wie folgt: »The grand deceit of ideology […] is that it employs recognition and desire to convince us of our own freedom, subject to no one.« (»Die große Täuschung der Ideologie […] ist, dass sie Wiedererkennung und Begehren verwendet, um uns von unserer eigenen Freiheit, die niemandem unterworfen ist, zu überzeugen.« Übersetzung durch die Autorinnen); zum Verhältnis von Individuum und Kollektiv vgl. auch Kapitel 8 dieses Bandes.

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Sichtbar reguliert

Abb. 52: Panoptikums-Skizze von Jeremy Benthams von 1791 aus der Werkedition von John Bowring von 1843.

architektonische Modell des Panoptikums, das vielfach einsetzbar ist, etwa als Gefängnis, Krankenhaus oder Fabrik. Das Panoptikum basiert auf dem Prinzip absoluter visueller Kontrolle: In einem äußeren Kreis befinden sich diejenigen Räume, in denen die zu Beobachtenden situiert sind. Sie werden von Aufsichtspersonen von einem Turm in der Mitte dieses Kreises aus beobachtet. Die Anordnung von Räumen und Lichtquellen ist dabei so gestaltet, dass die Beobachteten ständig sichtbar sind, sie jedoch selbst nicht sehen können, ob sie beobachtet werden. Das Resultat ist, dass die Beobachteten sich permanent so verhalten, als ob sie beobachtet würden – selbst wenn der Aufsichtsturm in der Mitte verlassen ist. Durch diese Internalisierung des Blickes der Überwachenden werden die Überwachten so zu Mitwirkenden ihrer eigenen Unterwerfung: »Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Un-

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terwerfung.«¹⁰ Die von Foucault beschriebene visuelle (Selbst‐)Kontrolle ist Teil der ›Technologie von Macht‹,¹¹ die sich in Regulierung und Disziplinierung realisiert und die in einem seiner Hauptwerke, Überwachen und Strafen (1975), detailliert analysiert werden. Macht wird gemäß Foucault mittels »objektiver Fähigkeiten«¹² produziert, also mittels körperlicher oder instrumenteller Fertigkeiten. Foucault erläutert anhand der Beispiele Militär und Schule, wie im 17. und 18. Jahrhundert französische Soldaten, Schüler und Arbeiter durch minutiöse Kontrolle diszipliniert und kontrolliert wurden. Im Unterschied zu vormodernen Gesellschaften, so Foucault, dient in modernen Gesellschaften Macht weniger der Unterdrückung als der Steigerung von Effizienz und Produktivität, die durch die Disziplinierung des Körpers erreicht wird. Die Interaktion mit Smartphones stellt ein zeitgenössisches Beispiel dar, mit dem die Angestellten rund um die Uhr erreichbar sind und oftmals erreichbar sein müssen. Die Erwartungshaltung der permanenten Erreichbarkeit kann sich sogar noch steigern, wenn die Kosten für das Gerät und die Monatsrechnung von der Firma übernommen werden. Das Smartphone steigert zwar Effizienz und Produktivität, aber gleichzeitig entsteht ein Machtgefälle im Kommunikationsprozess zwischen der Firma und den Angestellten. Mit dem Thema der Sexualität fokussiert Foucault auf ein weiteres zentrales Beispiel der Regulierung als Form von Macht. Denn die Sexualität »liegt am Kreuzpunkt der Disziplinierungs- und Regulierungsformen, und in dieser Funktion wird sie Ende des 19. Jahrhunderts zu einem erstrangigen politischen Instrument, das es ermöglicht, die Gesellschaft in eine Produktionsmaschine umzuwandeln.«¹³ Auch hier findet sich ein zeitgenössisches Beispiel, etwa in der Art, wie manche Werbungen oder Magazine weibliche Sexualität mittels ihrer Darstellung eines Ideals der willigen, verführerischen, vielleicht sogar sexuell aggressiven, aber letztlich stets auf den Mann hin orientierten Frau regulieren. Einerseits wird ein Bild sexueller Beziehungen entworfen, in denen Frauen Handlungsmacht¹⁴ ausüben und ihre Lust selbstbestimmt verfolgen. Andererseits ist dies paradoxerweise aber nur dann möglich, wenn sie sich überhaupt erst diesem heteronormativen Diskurs sexueller Höchstleistung unterworfen haben.¹⁵ Ein weiteres für uns wichtiges Konzept entwickelt Foucault im dritten Band seiner Trilogie Sexualität und Wahrheit. Es ist das Konzept der Pastoralmacht, das uns hilft,

 Foucault 1989, 260.  »Es gibt zwei große Revolutionen in der Technologie der Macht: die Entdeckung der Disziplin und die Entdeckung der Regulierung, die Perfektionierung einer anatomischen Politik und die Perfektionierung einer Biopolitik.« Foucault 1989, 231.  Foucault 2013, 220.  Foucault 2013, 232. Ähnliche Überlegungen stellte bereits der italienische marxistische Intellektuelle und Aktivist Antonio Gramsci an; vgl. Gramsci 2013, 286 – 299.  Vgl. Arendt 1970 zum Begriff von Macht als Handlungsmacht.  Vgl. Knauß 2014, 41– 42.

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das Verhältnis von Religion und Politik zu verstehen.¹⁶ Die im Kontext des mittelalterlichen Katholizismus untersuchte Pastoralmacht wird durch Techniken der Subjektivierung, zum Beispiel durch die innere Selbsterforschung in der Beichte, ausgeübt. Sie reguliert unter anderem die Beziehungen zwischen Individuen, indem ein Verhältnis vom Hirten, der führt, und Schafen, die geführt werden, etabliert und bekräftigt wird. Das Ziel dieser Form von Macht ist nach Foucault nicht an sich destruktiv oder oppressiv, sondern intendiert das Seelenheil aller Gläubigen. Auch wenn Foucault davon ausgeht, dass die kirchliche Institution ihre Machtposition seit dem 18. Jahrhundert verloren hat,¹⁷ besteht in seinen Augen diese Form von Macht in säkularisierter Form auch in modernen Gesellschaften weiter. Die Frage, wie (Pastoral‐) Macht unter diesen neuen Bedingungen ausgeübt wird, wird weiter unten anhand der Verknüpfung von weltlicher und kirchlicher Macht im Film Die Lage konkret untersucht. Zunächst gilt es jedoch festzuhalten, dass Macht bei Foucault mit der Möglichkeit zum Widerstand korreliert: Machtbeziehungen setzen die Freiheit des Subjekts voraus – andernfalls handelt es sich, wie bei der Sklaverei, um physischen Zwang.¹⁸ Wenn aber Macht nur über freie Subjekte ausgeübt wird, beinhaltet dies auch, dass sie sich der Macht widersetzen können. Foucault unterstreicht daher, dass es keine Macht ohne Widerstand gibt.¹⁹ Zusätzlich zu Foucaults Machtanalyse greifen wir auf Pierre Bourdieus Konzept der symbolischen Macht zurück, um besser zu verstehen, wie gesellschaftliche Macht etabliert und ausgeübt wird und welche Rolle die visuelle Dimension dabei spielt. Bourdieu definiert ›symbolische Macht‹ in seinem gleichnamigen Werk von 1977 als »die unsichtbare Macht, die sich nur mit der Beihilfe derer, die nicht wissen wollen, dass sie ihr unterworfen sind bzw. dass sie sie ausüben, ausüben lässt.«²⁰ Sie ist wirksam, gerade weil sie nicht (nur) durch die offene Gewalt sozialer – auch religiöser – Institutionen wirkt, sondern von den Subjekten in ihrem Verstehen und Erleben so internalisiert wird, dass sie als natürlich und legitim ›verkannt‹ wird, so dass ihre Subjekte zu Komplizen der Macht werden.²¹ In der Internalisierung werden Machtverhältnisse in den Körper eingeschrieben und – wie der Körper selbst auch – als natürlich wahrgenommen. Bourdieu fasst dies mit dem Begriff des Habitus: Ha-

 Vgl. für den folgenden Abschnitt Foucault 2013, 251– 254.  Vgl. Foucault 2013, 248.  Vgl. Foucault 2013, 255 – 257.  Vgl. Foucault 1977, 116.  »[…] ce pouvoir invisible qui ne peut s’exercer qu’avec la complicité de ceux qui ne veulent pas savoir qu’ils le subissent ou même qu’ils l’exercent.« Bourdieu 1977, 405; Übersetzung durch die Autorinnen. Das Konzept der symbolischen Macht weist viele Ähnlichkeiten mit dem von Gramsci entwickelten Konzept der Hegemonie auf; Gramsci meint damit die von einer gesellschaftlichen Gruppe durchgesetzte Vorherrschaft von Denkweisen und Überzeugungen, die unterhinterfragt Selbstverständnis und Handeln prägen; vgl. Gramsci 2013, 19 – 35.  Eine gute Einführung in Bourdieus Machtbegriff liefert Swartz 2013; zur Frage der Komplizenschaft vgl. Swartz 2013, 100.

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bitus ist für ihn »verkörperte Geschichte, die zur Natur gemacht wird«²². Nach Bourdieu ist Habitus ein System dauerhafter, übertragbarer Dispositionen oder Einstellungen, die strukturiert sind und zugleich strukturierend wirken.²³ Der Habitus umfasst entsprechend eine weite Bandbreite von körperlichen, kognitiven oder affektiven Haltungen und kann als direkter Effekt sowie als Reproduktionsmechanismus von symbolischer Macht verstanden werden.²⁴ Macht besteht deshalb stets im Wechselverhältnis von Materialität und Symbolik: Sie realisiert sich materiell und wird durch symbolische Bedeutung legitimiert.²⁵ Religion ist von Macht und Machtverhältnissen nicht ausgenommen, ganz im Gegenteil, wie Foucaults Analyse der Pastoralmacht gezeigt hat.²⁶ Nach Bourdieu ist Religion ein symbolisches System und eine Form symbolischer Kommunikation, die die Welt und unser Wissen davon differenzieren und strukturieren und sich deshalb in sozialen Differenzierungen und Hierarchien wiederfinden und diese legitimieren.²⁷ Bourdieu sieht Religion sogar als besonders geeignet, ideologisch wirksam zu werden, weil durch sie das Willkürliche absolut gesetzt und konsekriert werden kann.²⁸ Wie Kultur ist Religion eine Arena für die Auseinandersetzung um kulturelle Ressourcen und Kapital. Um symbolische Macht im religiösen Feld auszuüben, ist ›religiöses Kapital‹ in Form von explizitem religiösem Wissen, theologischer Reflexion und rituellem Handeln notwendig, womit sich religiöse Spezialistinnen und Spezialisten gegenüber der Laienschaft auszeichnen.²⁹ Auch wenn Bourdieu dies nicht im Detail ausführt, so lässt sich doch feststellen, dass die Kommunikation von religiösem Kapital und die Ausübung symbolischer Macht im religiösen Bereich auch auf visueller Ebene geschieht, indem nämlich die Zugehörigkeit zur dominanten Gruppe durch Körperhaltung, Kleidung, Praktiken und andere sichtbare Elemente ausgedrückt wird und das religiöse Symbolsystem sich in Ritualen und Repräsentationen sichtbar und hörbar darstellt. Für die folgenden Analysen des Dokumentarfilms Die Lage und des Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin beziehen wir vor allem drei zentrale Aspekte der Machttheorie von Foucault ein, nämlich den Ausdruck von Macht in Machtbeziehungen, die Internalisierung von Machtbeziehungen durch visuelle Strategien, sowie die Ko-Präsenz von Macht und Widerstand. Außerdem stützen wir uns auf

 »[…] histoire incorporée, faite nature« Bourdieu 1980, 94; Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. Bourdieu 1980, 88.  Vgl. Swartz 2013, 93.  Vgl. Swartz 2013, 38.  Neben Foucault und Bourdieu ist der französische Philosoph Louis Althusser ein weiterer wichtiger Machttheoretiker, der die Rolle der Religion diskutiert. Er fasst sie in seiner Gesellschaftsanalyse als einen der ›ideologischen Staatsapparate‹ (ISA), die Machtverhältnisse etablieren und konsolidieren; vgl. Althusser 1977.  Vgl. Bourdieu 1991, 3.  Vgl. Bourdieu 1991, 14.  Vgl. Bourdieu 1991, 10.

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Bourdieus Konzepte der symbolischen Macht und des Habitus, die helfen, Macht zu erkennen und ihre körperliche und naturalisierte Dimension aufzudecken.

7.3 Dokumentarische Sicht auf Nebenschauplätze Um zu zeigen, wie medial oder visuell vermittelte Machtbeziehungen analysiert werden können, werden im Folgenden zunächst einige ausgewählte methodologische Fragen bezüglich Repräsentation und Rezeption diskutiert. Sie strukturieren die Analyse des Filmbeispiels mit Blick auf das Verhältnis von Macht und Religion.

Repräsentationssysteme und Rezeptionen von Machtbeziehungen Wie in den einführenden Kapiteln 2 und 3 zu den theoretischen Horizonten und methodischen Herausforderungen sichtbarer Religion festgehalten wurde, stehen Medien immer in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext. Sie werden von jemandem hergestellt und von jemandem betrachtet oder konsumiert. So geht der britische Medien- und Kulturwissenschaftler John Fiske davon aus, dass jedes Repräsentationssystem und jeder mediale Diskurs in der Gesellschaft verankert sein muss, da sie sonst nicht verstanden werden können: »Diskurs ist eine Sprache oder ein Repräsentationssystem, das sich sozial entwickelt hat, um ein kohärentes Set von Bedeutungen über einen wichtigen Themenbereich zu schaffen und zu verbreiten«.³⁰ In Anlehnung an Foucault versteht Fiske mediale Diskurse als stets von Machtbeziehungen geprägte Kommunikationsbeziehungen. Diese lassen sich beispielsweise in einer Filmanalyse untersuchen. Fiske unterscheidet dazu drei Ebenen von Codes, nämlich die Produktions-, Repräsentations- und Rezeptionsebene.³¹ Zur ersten, der vorfilmischen Produktionsebene, gehören soziale Codes wie zum Beispiel Kleidung,Verhalten, Sprache, Gestik und Ausdruck und alles, was die Kamera festhält. Sie finden sich auf der vorfilmischen Ebene und bilden das ›Rohmaterial‹ der Filmaufnahmen. Gerade im Dokumentarfilm sind sich die sozialen Akteure und Akteurinnen nicht immer bewusst, dass sie von einer Kamera beobachtet werden. Ganz im Gegenteil zum Spielfilm: Hier erhalten die Schaupielerinnen und Schauspieler meistens eine Gage und verfügen über ein Bewusstsein für die Präsenz der Kamera, auch, weil sie von der Regie inszeniert werden. Auf der zweiten Ebene, der Repräsentationsebene, werden die sozialen Codes der ersten Ebene durch filmische Mittel

 »Discourse is a language or system of representation that has developed socially in order to make and circulate a coherent set of meanings about an important topic area.« Fiske 1987, 14; Übersetzung durch die Autorinnen. John Fiske hebt in seinem Ansatz die soziale und politische Dimension von medialer Kommunikation hervor und weist damit auf die darin enthaltenen machthaltigen Diskurse hin; vgl. dazu auch Kapitel 3.2 dieses Bandes.  Vgl. Fiske 1987, insbesondere 1– 20 sowie 149 – 178.

Dokumentarische Sicht auf Nebenschauplätze

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wie Kamera, Licht, Schnitt, Montage, Musik und Ton bearbeitet. Es handelt sich hier um Repräsentationscodes, also um filmästhetische Konventionen, mit deren Hilfe Charaktere, Handlungen, Themen und Ereignisse dargestellt und geformt werden. Vorfilmische Ereignisse werden – auch beim vermeintlich ›realistischen‹ Dokumentarfilm – ästhetisch mittels konventionalisierter, filmästhetischer Codes gestaltet, die immer auch auf ein gesellschaftlich akzeptiertes oder zumindest verbreitetes Wertesystem zurückgreifen. Damit ist die dritte Ebene, nämlich die Rezeptionsebene, angesprochen, auf der mit Hilfe der Codes der ersten und zweiten Ebene unter anderem Werte vermittelt werden. Die dritte Ebene der Rezeption können wir noch weiter ausdifferenzieren und zwei Kommunikationsbeziehungen zwischen Rezipierenden und Film unterscheiden: den ›ästhetischen Modus‹ und den ›Kunstmodus‹.³² Eine solche Unterscheidung ist angelehnt an den semio-pragmatischen Ansatz von Roger Odin, einen französischer Kommunikationswissenschaftler, der die Beziehung zwischen Film und Zuschauenden betont.³³ Beim ästhetischen Modus werden dem Film während der Rezeption bestimmte Werte zugeschrieben. Beim Filmschauen empfinden die Rezipierenden Emotionen, entdecken ästhetische Werte und leisten während der Rezeption kognitive Arbeit. Beim ästhetischen Modus steht die Wahrnehmung der Rezipierenden im Zentrum, was ihn vom Kunstmodus, bei dem die systematische Analyse zählt, unterscheidet. Beim Kunstmodus wird der Film als der »Institution Kunst zugehörig«³⁴ erkannt, was eine reflexive Rezeption impliziert, wie sie an Universitäten, Schulen und von der Kritik betrieben wird. Mit diesem Modus werden zum Beispiel synchrone und diachrone Vergleiche hergestellt. Es bietet sich an, diese beiden Modi in der Analyse heuristisch zu unterscheiden, da sowohl die Vermittlung von Werten als auch künstlerische Aspekte mit entsprechender Kontextualisierung berücksichtigt werden können. Fiskes und Odins Ansätze sind für die Analyse des Zusammenhangs von Macht und Religion anhand von visuellen Medien hilfreich: Mit Fiske wird auf der Repräsentationsebene die filmische von der vorfilmischen Ebene abgegrenzt, die mit jeweils unterschiedlichen Codierungen arbeiten. Auf der Rezeptionsebene wird mit Fiske der Blick auf die Vermittlung von Werten gerichtet und mit Odin zwei zusätzliche Modi, der ästhetische Modus und Kunstmodus, unterschieden. In der folgenden Analyse werden deshalb zunächst die staatlichen, kirchlichen und filmischen Machtbeziehungen (erste, vorfilmische Ebene) und danach die Repräsentationscodes wie Kameraführung, Schnitt und Tonführung, die auch in Machtbeziehungen eingebunden sind (zweite, filmische Ebene), herausgearbeitet. Auf der Rezeptionsebene werden zuletzt Fragen nach der Wertevermittlung im Zusammenhang von Macht und Religion diskutiert (dritte Ebene).

 Zu dieser Unterscheidung vgl. Mäder 2014.  Vgl. Odin 2002.  Odin 2002, 47.

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Dokumentarische Repräsentationsstrategien Wir untersuchen die vorfilmischen sozialen Codes, die filmästhetisch konventionalisierten Repräsentationscodes und die kommunizierten Werte anhand einer Szene in der 59. Filmminute von Die Lage, in der Papst Benedikt kurz zu sehen ist. Der Ton spielt in dieser Sequenz eine besondere Rolle, denn obwohl Heise in seinem Film nur Originalton verwendet, schneidet er diesen nicht immer synchron zum Bild. Diese Verschiebung zeigt sich daran, dass die Tonspur aus Musik oder Dialogen über mehrere Einstellungen hinweggezogen wird und damit die diegetische Originaltonquelle teilweise aus einer anderen Szene stammt. Die erste Einstellung der 59. Minute zeigt eine leere Strasse in Erfurt vor Beginn der Messe mit dem Papst. Dabei ist als unlokalisierbares Geräusch eine Sirene zu hören (Abb. 53). In den folgenden sechs Einstellungen werden Polizisten gezeigt, die das Geschehen beobachten, patrouillieren oder als Scharfschützen positioniert sind. Zuerst beobachtet die Kamera wartende Polizisten in einer Halbtotalen. Dann folgt sie kurz einem Passanten und kehrt wieder zurück zu den Beamten. Über Lautsprecher werden den »Pilgern«, wie sie in der Ansage von einer männlichen Stimme genannt werden, Anweisungen erteilt (Abb. 54). Die Lautsprecheransage zieht sich bis zur nächsten Einstellung hin, bei der die Kamera wieder bewegungslos das Geschehen beobachtet. Ein Polizist geht in Richtung Kamera, während im Hintergrund der Aufbau für die Freiluftmesse zu sehen ist (Abb. 55). Nach einem Schnitt auf ein modernes Gebäude werden in einer statischen Halbtotalen Polizisten gezeigt, die aus dem Fenster eines anderen Gebäudes schauen.

Abb. 53: Die leergefegten Straßen Erfurts, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

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Abb. 54: Patroullierende Polizisten Erfurts, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

Abb. 55: Einsamer Polizist in einer menschenleeren Straße, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

Der Klang von Kirchenglocken ist zu hören, der sich über die nächsten sechs Einstellungen hinwegzieht. In dem beschriebenen Filmausschnitt werden die vorfilmischen sozialen Codes, nämlich die Polizei und das Kirchengeläut, durch den Kamerablick gerahmt und durch die Tonaufnahme und -montage inszeniert. Die vorfilmischen sozialen Codes können zwei großen Institutionen zugeordnet werden, welche in der Darstellung des Papstbesuches visuell und auditiv dominieren: das Sicherheitsdispositiv des deut-

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schen Staates und die katholische Kirche. Bei der Ton- und Bildbearbeitung handelt es sich um die erwähnten filmästhetisch konventionalisierten Repräsentationscodes. Im Folgenden stehen diese Codes weiterhin im Fokus, wenn der vermeintliche Hauptakteur, der Papst, zum zweiten Mal im Bild erscheint. In einer 90 Sekunden langen Einstellung fährt Papst Benedikt XVI., flankiert von Bodyguards, in seinem Papamobil an den Menschen am Straßenrand vorbei.Während dieser Einstellung steht eine junge Polizistin im Vordergrund und beobachtet abgewendet vom vorbeirollenden Papst die Menge (Abb. 56). Der von Heise gewählte Bildaufbau ist irritierend, da die Bildschärfe auf der Polizistin liegt, die ihren Blick auf die Menge gerichtet hat, welche sich wiederum außerhalb des Bildrahmens befindet. Die Beamtin wird als Hauptakteurin inszeniert, während der Papst als eigentlicher Protagonist des Anlasses meistens verdeckt oder außerhalb der Bildschärfe bleibt. Der Blick auf den Papst wird erst zugelassen, als er kurz vor Ende dieser Einstellung direkt vor der Kamera vorbeifährt. Nach dem Schnitt werden noch einmal Scharfschützen gezeigt, die innerhalb des Kirchenturms Stellung bezogen haben. In der folgenden Einstellung endet das Glockengeläute und aus dem Off ist eine männliche Stimme zu hören. Es könnte sich um diejenige von Papst Benedikt handeln, der den Gottesdienst mit folgenden Worten eröffnet: »Der allmächtige Gott erbarme sich unser. Er lasse uns die Sünden nach und

Abb. 56: Die junge Polizistin (rechts unten) steht im Vordergrund, während hinter ihr der Papst im Papamobil vorbeifährt, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

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Abb. 57: Die Presse hinter Gittern, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

führe uns zum ewigen Leben.« Dazu kommen in einem Schwenk die Boxen der offiziellen Berichterstattenden vor Ort ins Bild, bei denen es sich um die zugelassenen Presseleute handelt (Abb. 57).³⁵ Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, wird die Presse vom Staat und der katholischen Kirche reguliert, indem nur ausgewählte Berichterstattende zugelassen werden. Mit dem Schwenk der Kamera kommt die Presse als offizielle Repräsentationsmacht ins Blickfeld, allerdings hinter einer Absperrung und als Subkadrage – eine Art Bild im Bild – inszeniert. In der nächsten Einstellung wird der Papst in einer Halbtotalen gezeigt. Er setzt sich hinter dem Altar auf einen Stuhl. Ein Messdiener setzt ihm die Mitra auf, der andere Messdiener wartet daneben. Anschließend setzen sich beide Messdiener links und rechts des Papstes und hören der Lesung zu. Während der Lesung schließt der Papst die Augen. Aus dem Off ist über Lautsprecher die Stimme eines Mannes zu hören, der einen Auszug aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Korinther vorliest (Abb. 58). Noch immer beobachtet die statische Kamera den Papst und die Messdiener, bis die Lesung sich schließlich dem Ende zuneigt und die Anwesenden mit »Dank sei Gott« antworten. Anschließend folgt live Instrumentalmusik. In der nächsten Einstellung kommt im Ton der Chor hinzu und singt das Glaubensbekenntnis. An dieser Stelle wurde die Montage zeitlich gerafft, denn in der katholischen Liturgie folgt das Glaubensbekenntnis nicht direkt auf die Lesung. Damit wird deutlich, dass auch ein

 Vgl. Presseheft Die Lage 2012.

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Sichtbar reguliert

Abb. 58: Der Papst schließt die Augen. während der Brief des Apostels Paulus vorgelesen wird, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

Dokumentarfilm auswählt, was er in welcher Reihenfolge zeigt, und das Geschehen nicht eins zu eins wiedergibt. Die Kamera hat den Blick mittlerweile auf ein Nebengeschehen gerichtet, bei dem Helfer eine Bahre bereitstellen. Dieses Verfahren stellt auch eine Form von Macht über die Darstellung dar und damit darüber, was das Filmpublikum sehen darf und was nicht. Dann folgt die einzige Großaufnahme dieser Sequenz und überhaupt eine der wenigen im ganzen Film. Eine Ordensfrau hinter der Abschrankung blickt zwischen zwei Metallträgern hindurch ernst in die Kamera (Abb. 59). Sobald das Glaubensbekenntnis angestimmt wird, steht sie auf. Die Großaufnahme, der intime Blick auf die Ordensfrau, die an der Messe teilnimmt und nicht in einer Kontrollfunktion tätig ist, wirkt überraschend. Sie strahlt eine große Ernsthaftigkeit aus und folgt den Regeln des Ablaufs, wie der katholische Ritus es einfordert. Mit einem Schnitt wechselt der Ort des Geschehens und in vier Einstellungen wird gezeigt, wie Sanitäter eine Person, die offenbar zusammengebrochen ist, auf einer Bahre aus der Menge wegtragen: Zunächst lösen die Sanitäter die Abschrankung, schieben sie zur Seite und holen die Person aus der Menge (Abb. 60). Zu Beginn beobachtet die Polizei das Geschehen nur. Dann stellen sie sich zwischen Sanitäter und die Kamera, ganz so, als würden sie den Blick auf die verletzte Person bewusst verdecken, um ihre Privatsphäre zu schützen (Abb. 61). Schließlich verschwinden die Sanitäter mit der Bahre in der Tiefe des Bildes, wo auch die Polizisten noch einmal zu sehen sind.

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Abb. 59: Die Ordensfrau lugt zwischen der Abschrankung hindurch, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

Abb. 60: Die Sanitäter rücken an…

Macht und Wertevermittlung Diese kurze Sequenz zeigt auf, wie Machtbeziehungen in Form von Disziplinierung und Regulierung mittels vorfilmischer, sozialer Codes und auf der Repräsentationsebene mittels filmischer Codes konstruiert werden. Dies soll im Folgenden zusam-

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Sichtbar reguliert

Abb. 61: …und die Polizei stellt sich schützend vor die verletzte Person, Die Lage (Thomas Heise, DE 2012).

mengefasst werden. Wie schon in der Analyse der einzelnen Einstellungen erwähnt, arbeitet Heise mit Originalton, den er zu den Bildern montiert. Der Ton wird auch dann kontinuierlich über mehrere Einstellungen gelegt, wenn sich das Setting oder Sujet ändert. Die Tonebene bedient sich vorfilmischer Codes, die auf religiöse oder staatliche Institutionen verweisen: die Sirene, die Lautsprecheransagen, die Kirchenglocken, das über Lautsprecher gelesene Gebet oder das gesungene Glaubensbekenntnis. Auch die meisten visuellen vorfilmischen Codes verweisen auf institutionelle Zugehörigkeiten wie Polizei, Gesundheitssystem, katholische Kirche und Presse. Die Kooperation zwischen Kirche und Staat bestimmt auf der vorfilmischen Ebene das gesamte Ereignis des Papstbesuches, bei dem Akteurinnen und Akteure aus Politik und Kirche aufeinandertreffen. Nur die Personen auf den höheren Hierarchieebenen haben die Möglichkeit, sich direkt auszutauschen, während das ›gemeine Volk‹ hinter Absperrgitter verbannt wird. Über Lautsprecher teilen die Organisatoren den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern mit, welche Bereiche für sie gesperrt sind. Diese Hinweise können dahingehend gelesen werden, dass sie den öffentlichen Bereich des Anlasses regulieren und Handlungen in diesem Raum disziplinieren. Wie geht die filmische Bearbeitung mit diesen vorfilmischen Codes um? Heise zeigt mittels langer Einstellungen und meist in Halbtotalen die Disziplinierungs- und Regulationsmechanismen der Institutionen Kirche und Staat so deutlich, dass sie teilweise buchstäblich bloßgestellt werden. Die Akteurinnen und Akteure können von uns Zuschauenden in einer schon fast voyeuristischen Haltung lange und ungestört beobachtet werden. Im ›richtigen Leben‹ wären wir gezwungen, irgendwann wegzuschauen, um nicht unhöflich zu wirken. Auch die Besucherinnen und Besucher werden von der Kamera ausgiebig beobachtet. Der besprochene Filmausschnitt zeigt

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auf, wie sie sich von den Ordnungskräften und Ansagen aus den Lautsprechern disziplinieren lassen: Ohne Widerspruch bleiben sie hinter den Schranken stehen und reihen sich auf dem riesigen Platz für den Gottesdienst ein. Deutlich wird auch, dass die Machtausübung und ihre Internalisierung ganz im Stile des benthamschen Panoptikums von Visualität geprägt sind: Die Polizeikräfte als primäre Akteurinnen und Akteure der Macht beobachten die Menge und greifen nur selten ein. Allein diese Blicke genügen, um die Menge zu kontrollieren. Die Ordnungs- und Sicherheitskräfte sind mit Gewehren, Pistolen, Funkgeräten, Feldstechern oder Bahren ausgestattet. Sie wurden dazu ausgebildet und erwarben die »objektiven Fähigkeiten«³⁶ – um Foucaults Terminologie zu verwenden –, um Mengen zu regulieren und disziplinieren. Auf der filmischen Repräsentationsebene wird damit neben der kirchlichen eine weitere Kommunikationsbeziehung von Macht herausgearbeitet, indem die Personen, die im öffentlichen Dienst für die Regulation und Disziplin zuständig sind, visuell ins Zentrum gerückt werden. In vielen Einstellungen und an diversen Schauplätzen wird gezeigt, wie die Ordnungskräfte über Funk, Lautsprecher oder direkt kommunizieren, Anweisungen geben oder ausführen. Die filmische Wiederholung des geteilten Vorhabens, den Ablauf des Anlasses zu regulieren und die Menge zu disziplinieren, hebt die Macht von Kirche und Staat hervor, die die Institutionen in Kommunikationsbeziehungen realisieren. Heise deckt mit seinem Fokus auf das Randgeschehen und seiner Darstellungsstrategie der langen, ruhigen und oftmals statischen Einstellungen das ganze Machtdispositiv auf, das diesen Besuch umrahmt. In diesem Kontext ist die Frage nach den Werten signifikant, welche die von Heise gewählten Repräsentationsstrategien vermitteln. Die Lage schafft einen Kontrapunkt zur vorfilmischen Realität und spielt mit dem Vorwissen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Einerseits hat das Publikum vermutlich bestimmte Bilder eines Papstbesuches aus der Tagespresse und dem Fernsehen im Kopf, die sich ästhetisch deutlich von Heises Filmbildern unterscheiden. Die asynchrone Tonspur, die schwarz-weißen Aufnahmen und die eher langen Einstellungen heben sich von gängigen Fernsehreportagen ab, die in Farbe und schneller geschnitten sind und zumeist mit einer synchronen Tonspur arbeiten. Andererseits zeigt Heises Blickverschiebung an den Rand des Geschehens, hin zum gesamten Sicherheitsdispositiv, dass der Papstbesuch aufwändig und dramatisch inszeniert wurde und dafür keine Material- und Personalkosten gescheut wurden. Dieser enorme organisatorische und finanzielle Aufwand wird unter der filmischen Lupe seziert und kritisch reflektiert. So zeigt der Film zwar auf, wie der Papstbesuch eine ganze Stadt zu verändern und ›ruhig zu stellen‹ vermag und welche Macht die Institution der katholischen Kirche noch immer besitzt. Durch die überlangen, oftmals fixen Einstellungen, die bewusst vom Hauptakteur, dem Papst, ablenken, wird jedoch auch das ganze Organisations- und Sicherheitsdispositiv zur Schau und damit in Frage gestellt. Die staatliche Macht, die diszipliniert und re-

 Foucault 2013, 232.

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guliert, und die Anwesenden, die sich disziplinieren und regulieren lassen, werden von Heise vorgeführt. Mit seinem ›Seitenblick‹ gelingt es ihm, die machtstabilisierenden Rituale von Staat und Kirche sichtbar zu machen und ihre Autorität zumindest filmisch zu untergraben. Konsequent endet die filmische Dekonstruktion von kirchlicher und staatlicher Macht mit einem letzten – verheißungsvollen – Blick auf die Helikopter der päpstischen Delegation, die in der Abenddämmerung in den Himmel aufsteigen, immer kleiner werden und schließlich ganz verschwinden.

7.4 Denkmäler als Repräsentation von Macht Mit unserem zweiten Beispiel ändern wir die Perspektive, um den Zusammenhang von Macht und Religion und seine Visualisierung in einem anderen Medium und in einer anderen Konstellation zu untersuchen. Denkmäler können als »Zeichenträger der Macht«³⁷ im öffentlichen Raum beschrieben werden und stellen den Zusammenhang von Macht und Religion auf unterschiedlichen Ebenen dar. Zum einen hat sich das Denkmal als kunsthistorisches Genre aus dem Grabmal entwickelt und verweist so auf einen religiösen Kontext von Begräbnisritualen, Totengedenken und Jenseitshoffnungen.³⁸ Zum anderen übernimmt die Denkmalsarchitektur oft Elemente der Sakralarchitektur und impliziert so eine göttliche Legitimation der Macht der Herrschenden. Das Lincoln-Memorial in Washington D.C. zum Beispiel greift Elemente der griechischen Tempelarchitektur auf und verbindet sie mit der überlebensgroßen Statue Lincolns in zeitgenössischer Kleidung zu einer Darstellung idealer politischer Macht (Abb. 62a und b). Die religiös-politische Inszenierung des Lincoln-Memorial kann als Repräsentation des manifest destiny (offenbare Bestimmung) der USA verstanden werden, einer Doktrin des 19. Jahrhunderts, die die Ausbreitung über den ganzen Kontinent und allgemein das Sendungsbewusstsein der Vereinigten Staaten von Amerika als von Gott zu einer besonderen (welt‐)politischen Rolle auserwählten Nation begünstigte und legitimierte. Die Lincoln-Statue selbst markiert darin dessen besondere historische Rolle als Bewahrer und Verteidiger der demokratischen Ideale und Grundwerte der USA im amerikanischen Bürgerkrieg. Öffentliche Denkmäler sind Ausdruck des gesellschaftspolitischen Selbstverständnisses und Medien der Selbstvergewisserung. Sie kommunizieren Werte, Prinzipien und Überzeugungen einer Gesellschaft, die nicht zwingend religiös begründet sein müssen, es aber sein können.³⁹ Zusätzlich materialisieren sich in Denkmälern

 Menkovic 1998, 1.  Vgl. Schuchard/Claussen 1985, 3; zur sakralen Ästhetik von Nationaldenkmälern, durch die sie dem profanen Bereich des Alltags entzogen werden, ihn bewusst transzendieren und auf eine andere Ebene heben vgl. Nipperdey 1985, 193.  Vgl. Claussen 1985, 173 – 174, sowie Nipperdey 1985, 191.

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Abb. 62a und b: Das Lincoln Memorial von außen und Lincolns Statue im Detail.

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geschichtspolitische Selbstdeutungsprozesse, die als »zivilreligiöse Narrative«⁴⁰ bezeichnet werden können. Denkmäler bieten explizite und implizite Anknüpfungspunkte, um zu analysieren, wie Religion öffentlich sichtbar gemacht und in die gesellschaftlichen Diskurse integriert wird. Diese Kommunikationsprozesse sollen anhand des Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin genauer diskutiert werden. Dazu wird das Denkmal in seinem räumlichen und diskursiven Kontext, also den Debatten um seine ästhetische Form und gesellschaftliche Funktion, analysiert. Diese Analyse wird mit eigenen Erfahrungen und Beobachtungen im Rahmen eines Besuchs in Beziehung gesetzt, um einen vertieften Einblick in die Rezeption des Denkmals zu gewinnen.⁴¹

Produktion als Auseinandersetzung mit Geschichte und Ästhetik Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde am 10. Mai 2005 nach einer langen und kontroversen Vorgeschichte eingeweiht.⁴² Schon seit 1975 gab es von verschiedenen Seiten die Forderung nach einer zentralen Gedenkstätte für alle Opfer der NS-Herrschaft, damals noch in Bonn.⁴³ Seit 1988 verfolgten Lea Rosh, Eberhard Jäckel und die Bürgerinitiative Perspektive Berlin e.V. eine andere Spur. Sie schlugen ein zentrales Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Jüdinnen und Juden vor. Erst 1999 wurde schließlich ein solches Denkmal vom Bundestag beschlossen und voll finanziert.⁴⁴ Viele Gründe sind für diese lange Entstehungsgeschichte des Denkmals verantwortlich. Dazu gehören unter anderem die Widmungsfrage, Suche nach einem geeigneten Ort, Wiedervereinigung und Umzug der Hauptstadt, Wettbewerbsbedingungen, Bundestagswahlen und daraus folgende neue politische Konstellationen.⁴⁵ Hier fokussieren wir vor allem auf zwei Punkte, die für die Analyse des Konnexes zwischen Macht, Religion und Sichtbarkeit wichtig sind: die Fragen der Form und Funktion des Denkmals. Zunächst wurde die Frage nach der angemessenen ästhetischen und formalen Gestaltung eines solchen Denkmals diskutiert. Es sollte das Gedenken an ein Ver-

 Leggewie/Meyer 2005, 17. Der Begriff ›Zivilreligion‹ wurde von Robert Bellah (1967) im Blick auf die USA und ihr bereits oben angesprochenes religiöses Selbstverständnis als ›auserwählte Nation‹ entwickelt. Eine Zivilreligion ist demnach nicht an eine historische religiöse Tradition gebunden, sondern verpflichtet Angehörige unterschiedlicher Religionen in einer Gesellschaft auf fundamentale politische und gesellschaftliche Werte.  Die folgenden Verweise auf die Rezeption des Denkmals beziehen sich auf die Feldnotizen von Stefanie Knauß vom 21.07. 2013.  Für Informationen zur Geschichte des Denkmals vgl. die Materialien veröffentlicht von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (2007) sowie aufbereitet auf der Website www.stiftungdenkmal.de [19.05. 2018].  Vgl. Thiemann 1985, 233 – 236.  Vgl. Rosh 2007, 9.  Vgl. für mehr Details zur Vorgeschichte Schlusche 2007.

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brechen anregen, das die Vorstellungskraft und ästhetische Ausdruckskraft schier überschreitet. Grundsätzlich ist hier eine Auseinandersetzung mit Theodor Adornos Diktum, es sei barbarisch, nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben, notwendig.⁴⁶ Obwohl im Kontext der Dichtung formuliert, bezieht sich diese Grundfrage nach der Möglichkeit von ästhetischer Kreation auch auf die besondere Kunstform eines Denkmals. Im öffentlichen Raum soll es an den Holocaust erinnern und aus dieser Erinnerung eine Lehre ableiten, ohne damit eine Ästhetisierung des Grauens, falsche Versöhnlichkeit oder Verharmlosung zu bewirken.⁴⁷ Es überrascht daher nicht, dass zwei Wettbewerbe und eine Überarbeitung des letztlich ausgewählten Entwurfs notwendig waren, bis schließlich mit dem Entwurf Eisenmann II eine als passend erscheinende ästhetische Ausdrucksform gefunden wurde. Dieser Entwurf eines Stelenfeldes (hervorgegangen aus einem ersten Vorschlag des Teams Peter Eisenmann und Richard Serra) wurde schließlich, erweitert um einen Ort der Information unter dem Stelenfeld, angenommen und realisiert. Eine weitere lebhafte Auseinandersetzung gab es um die Funktion des Denkmals im Kontext der Geschichte und nationalen Identität Deutschlands. Diese Debatte entbrannte an der Frage nach der Möglichkeit der Visualisierung von schuldhafter Geschichte und Verantwortung, der Erinnerung an Opfer und Täter, sowie an der Frage nach der Funktion eines Denkmals als Mahnung für die Zukunft.⁴⁸ Beispielhaft für zwei Positionen in dieser Debatte stehen die Meinungen Martin Walsers und Jürgen Habermas’. Walser lehnte in seiner Friedenspreisrede von 1998 die Idee eines solchen Denkmals mit folgender Begründung ab: »Mit seinem Gewissen ist jeder allein. Öffentliche Gewissensakte sind deshalb in der Gefahr symbolisch zu werden. Und nichts ist dem Gewissen fremder als Symbolik, wie gut sie auch gemeint sei.«⁴⁹ Für Walser sind öffentliche Visualisierung und Symbolisierung des Gedenkens und eine dadurch angeregte kollektive Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Holocaust nicht möglich. Erinnerung und Schuldbewusstsein können allein in der Innerlichkeit des Individuums, im Zwiegespräch des Ichs mit seinem Gewissen, geschehen. Dagegen versteht Habermas das Denkmal als sinnvolles und vielleicht sogar notwendiges »Zeichen einer geläuterten kollektiven Identität der Deutschen.«⁵⁰ Ein Denkmal zeige das Bild, das »die Bürger eines Landes von sich haben – wer sie sind und sein wollen.«⁵¹ Im Gegensatz zu Walser ist es für Habermas möglich, dieses Selbstbild in ein materielles Bild, ein Denkmal, umzusetzen und damit einen visuell-materiellen Bezug zwischen den Tätern, den Opfern und ihren Nachkommen herzustellen. Er unterstreicht die Notwendigkeit von Symbolen als visuelle und materielle Ausdrucksformen für das

 Vgl. Adorno 2003, 30.  Zur Frage der Holocaust-Erinnerung in Kunst und Denkmälern vgl. Thünemann 2005, 28; Young 2002, 12– 13.  Vgl. Menkovic 1998, 72– 73.  Walser 1998.  Habermas 1999.  Habermas 1999.

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kollektive Gedächtnis und die Identität einer Nation. Bemerkenswerterweise weist er darauf hin, dass es in einer säkularisierten Gesellschaft wie der deutschen zwar keinen geteilten religiösen Kontext mehr gebe, dass aber »überlieferte symbolische Ausdrucksformen und rituelle Praktiken begründungsfrei kollektive Verbindlichkeit erzeugen könnten.«⁵² Gerade wegen dieses Fehlens von geteilten religösen Motiven wird es zu einer Herausforderung, eine Darstellungsform zu finden, die den von Walser befürchteten verharmlosenden Monumentalismus vermeidet. Die schließlich erfolgreiche Realisierung des Werks in Form eines Stelenfeldes – ergänzt durch einen Ort der Information – versucht, sowohl der ästhetischen Frage nach dem angemessenen formalen Ausdruck der Erinnerung an den Holocaust als auch der Frage nach der Funktion des Denkmals im Kontext der deutschen Gesellschaft gerecht zu werden. Im folgenden Abschnitt wenden wir uns deshalb der Frage zu, wie diese Anliegen in der Rezeption aufgenommen und/oder verändert werden.

Körperliche und räumliche Rezeption Wie wird die Erinnerung an die Ermordung der Jüdinnen und Juden Europas während der NS-Zeit im Kontext deutscher Geschichte und Identität visualisiert und wie wird sie rezipiert? Die Entscheidung fiel auf einen abstrakten, nicht-figürlichen Entwurf: ein Stelenfeld von ca. 2700 querliegenden, dunkelgrauen Pfeilern in unterschiedlicher Höhe und unterschiedlichen, leichten Neigungswinkeln (Abb. 63). Das Denkmal befindet sich mitten in Berlin, unweit des Brandenburger Tors, auf einer Fläche in den früheren Ministergärten. Es liegt in nächster Nähe zu den Zentren der politischen Macht der Weimarer Republik, des NS-Staates und der heutigen Bundesregierung (Abb. 64).⁵³

Abb. 63: Eine Nahaufnahme des Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

 Habermas 1999.  Vgl. Schlusche 2007, 16 – 19.

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Abb. 64: Die Lage des Denkmals im Gefüge der Stadt.

Die Anordnung der unterschiedlich hohen, leicht schrägen Stelen auf hügeligem Untergrund führt zu einer Wellenbewegung zwischen Oberfläche und Untergrund, die Verunsicherung, aber auch Dynamik impliziert. Die Stelen sind in engen Reihen von weniger als einem Meter Abstand angeordnet, die eine individuelle Begehung des Feldes erzwingen. Die Enge der Reihen und die Höhe der Stelen evozieren Bedrückung und Orientierungslosigkeit. Und doch zwingt ihre strenge Anordnung die Besuchenden, weiter zu gehen (Abb. 65). Wolfgang Thierse, der zur Zeit der Einweihung des Werkes Präsident des deutschen Bundestags war, beschreibt die Erfahrung des Stelenfeldes so: Wer das scheinbar endlose Meer aus Steinblöcken durchschreitet, lässt den Alltagslärm hinter sich, ist auf sich allein gestellt, kann sich der Bedrängnis des Ortes, der körperlichen Empfindung von Beklommenheit nur schwer entziehen. Der spürt die große emotionale und sinnliche Kraft, die das Denkmal entfaltet. Hier kann man erahnen, was Einsamkeit, Ohnmacht und Verzweiflung bedeuten.⁵⁴

Das Gefühl von Orientierungs- und Kontrollverlust, das Thierse beschreibt, wird in einer kleinen Szene anlässlich eines Besuches des Stelenfeldes deutlich: Eine Mutter ruft immer wieder nach ihren beiden Kindern, die sich anscheinend im Labyrinth der

 Thierse 2007, 6.

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Abb. 65: Ein Gang im Stelenfeld.

Stelen verloren haben oder Verstecken spielen – ein emotionaler Verweis auf die andere, endgültige Form des Verlusts, an die das Denkmal erinnert. Die Ränder des Stelenfeldes öffnen sich zur umliegenden Stadt. Am zum Tiergarten gelegenen Rand wurden 41 Bäume gepflanzt, die das Stelenfeld mit der großen Parkanlage verbinden. Die graduelle Absenkung der Stelen am Rand des Feldes, bis sie flächig mit dem Gehweg abschließen, sorgt ebenfalls für einen fließenden Übergang zwischen dem Raum des Denkmals und dem Raum der Stadt. Durch diesen formal offenen Übergang wird das Denkmal und die Geschichte, an die es erinnert, in den Alltag und die Gegenwart integriert: Die Vergangenheit ist kein musealer Raum ohne Verbindung zum Heute, sondern ist, wie die Stelen und die Bäume, mit dem Leben der Menschen verflochten. Das Denkmal ist ein Ort mitten in der Stadt, an dem Geschichte, Politik, Kultur und Tourismus aufeinander treffen. Der Architekt Eisenmann hatte sich für das Stelenfeld gewünscht, dass es kein Ort der intellektuellen Erinnerung, sondern der Erinnerung durch Erfahrung sein möge.⁵⁵ Entsprechend lehnte er eine ›autorisierte‹ Interpretation des Denkmals ab.Vor Ort sind deshalb keine Informationstafeln oder Erklärungen angebracht. Dass jeder Mensch seine eigene Interpretation finden muss, wird durch die Isolierung beim Durchqueren des Feldes in den engen Stelengassen noch forciert. Dementsprechend fokussiert auch die öffentliche Führung, die angeboten wird, auf die Erfahrungen der Teilnehmenden und bietet nur die notwendigsten Informationen zu Vorgeschichte und Realisierung des Werkes.

 Vgl. Eisenman 2007, 12.

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Abb. 66: Der Ort der Information unter dem Stelenfeld.

Während das Denkmal vor allem auf Abstraktion und die individuelle Sinneserfahrung beim Gang durch das Stelenfeld setzt, verfolgt der darunter liegende Ort der Information eine andere Strategie, nämlich die der Personalisierung des Holocaust und seiner kognitiven Verarbeitung. Die Opfer erhalten – soweit dies möglich ist – ein Gesicht, einen Namen und eine Geschichte.⁵⁶ Dies geschieht auch hier durch Visualisierung in Form von Kartenmaterial, Photos, Videos und persönlichen Nachrichten von Ermordeten auf unterschiedlichen Materialien sowie durch das Design der Räume, an deren Decke sich die Stelen von oben im Negativ abzeichnen (Abb. 66). Die Visualisierung dient im Kontext des Ort der Information vor allem der Verarbeitung von Wissen, während sie im Stelenfeld affektiv-sinnlich funktioniert. Denkmal und Ort der Information funktionieren also räumlich und visuell als je eigene, komplementäre Elemente. Relevant für die Analyse eines Denkmals sind nicht nur Form und Vorgeschichte, sondern auch die Praktiken und Rituale, in denen die Rezipierenden mit dem Raum und der Materialität des Denkmals interagieren. Beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas fällt vor allem auf, wie unterschiedlich Kinder und Erwachsene mit dem Denkmal umgehen. Während die meisten Erwachsenen still durch die Reihen gehen

 Die Organisation Yad Vashem stellt die Namenssammlung der Ermordeten für weitere Recherchen auf www.yadvashem.org [19.05. 2018] zur Verfügung. Außerdem sind auf www.stiftung-denkmal.de [19.05. 2018] Interviews mit Überlebenden und weiteres Archivmaterial zugänglich.

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Abb. 67: Besucher und Besucherinnen am Rand des Stelenfeldes.

(mit gelegentlichen Pausen für Fotos), laufen die Kinder durch die aufsteigenden und abfallenden Gänge, spielen Verstecken oder hüpfen von Stele zu Stele und scheinen das Stelenfeld als Spielplatz wahrzunehmen (Abb. 67). Für viele mag dies ein problematischer, widersprüchlicher oder sogar pietätloser Umgang sein, welcher der Ernsthaftigkeit des Erinnerten zu widersprechen scheint. Die spielerische Interaktion kann jedoch an einem Ort, der an Mord und Qual erinnert, auch als ein Zeichen von Leben und Hoffnung verstanden werden. Auffallend ist außerdem, dass Friedhofsrituale – zum Beispiel das Niederlegen von Blumen als ein aus dem christlichen Kontext vertrautes Ritual oder von kleinen Steinen aus der jüdischen Tradition – weniger präsent sind, obwohl die Stelen in ihren Dimensionen an Särge oder Grabplatten und in ihrer Anordnung an Gräberreihen auf einem Friedhof erinnern.⁵⁷ Auch kunsthistorisch liegt die Assoziation mit dem Friedhof nahe, da der Typus der Stele historisch als Grabmal verwendet wurde und in ihrer vertikalen Dimension einen Bezug zum Himmel und Jenseits, »eine kosmischspirituelle Symbolik«⁵⁸ assoziiert. Andererseits sind unter den Stelen des Denkmals

 Andere Assoziationen, die eine Besucherin im Kontext einer Führung formulierte, sind die Barackenreihen der Konzentrationslager oder die Aufstellung der KZ-Häftlinge zum Appell.  Seib 1985, 117.

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eben keine Menschen begraben, so dass das Fehlen von Friedhofsritualen die beiden Erinnerungsorte – Denkmal und Friedhof – mit ihren je eigenen Praktiken klar unterscheidet. Diese Vielfalt von Interaktionen mit dem Denkmal – im erinnernden stillen Hindurchgehen, im geführten und angeleiteten Erleben, im kindlich-spielerischen Umgang mit der Architektur, in der ästhetischen Wertschätzung von Form und Anordnung, in der Assoziation mit anderen Erinnerungsorten und -ritualen – verweist darauf, dass die in der Visualisierung verwendeten Codes (in diesem Fall zum Beispiel die streng rechtwinklige Anlage, divergierende Bodenwellen usw.) zwar eine bestimmte Form der Rezeption intendieren mögen, diese jedoch nur teilweise kontrollieren können.

Das Denkmal als Medium zwischen Macht und Machtlosigkeit Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist als Nationaldenkmal⁵⁹ zu verstehen. Angeregt durch die Initiative von Bürgerinnen und Bürgern, situiert im Zentrum der politischen Macht in Berlin und finanziert durch den Bund ist es Ausdruck eines kollektiven Gedenkens und der kollektiven Verantwortung für ein Verbrechen, das von dem Staat, aus dem die Bundesrepublik hervorging, angeordnet worden war. Es visualisiert die Selbstversicherungsprozesse einer Gesellschaft, die ihre Identität in der Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit, auf die das Denkmal verweist, verhandeln und in Bezug auf ihre Gegenwart und Zukunft entwickeln muss.⁶⁰ Mit diesem Denkmal vermittelt Deutschland das Selbstbild eines geläuterten, schuld- und verantwortungsbewussten Staates, für den das ›Nie wieder‹ zur Gewalt der NS-Herrschaft zum Leitspruch geworden ist – eine durchaus nicht unwichtige außenpolitische Botschaft in den Jahren nach der Wiedervereinigung.⁶¹ Damit ist das Denkmal wie viele andere Nationaldenkmäler Ausdrucksform und Visualisierung der staatlichen Macht. Das Besondere an diesem Denkmal ist jedoch, dass hier Macht nicht als Sieg, Dominanz oder Größe dargestellt wird, sondern im Zusammenhang mit der Anerkennung von Verfehlung, Machtmissbrauch und Schuld. Implizit präsentiert sich Deutschland damit als vertrauenswürdige (Groß‐)Macht im europäischen und internationalen Kontext, was paradoxerweise als Legitimation von Ansprüchen auf eine größere Rolle in der internationalen Politik interpretiert werden kann.⁶² Im

 Schlusche (2007, 28) definiert das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als Nationaldenkmal, weil »es sich an die deutsche Gesellschaft richtet und in ihrem Namen gebaut wurde«.  Vgl. Thünemann 2005, 28; zum Verhältnis von Erinnerung, Tradition und Innovation auch Kapitel 10 dieses Bandes.  Ignaz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland lehnte auch deshalb die Aufstellung des Denkmals ab; vgl. Menkovic 1998, 72.  Vgl. für dieses Argument Schlusche 2007, 28; zum Typus des Nationaldenkmals und seiner Geschichte im deutschen Kontext Nipperdey 1985.

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Sichtbar reguliert

Denkmal für die ermordeten Juden Europas zeigt sich (politische) Macht für einen Moment macht-los, ohne dadurch aber ihre Macht zu verlieren, sondern sie verstärkt sie dadurch noch. Darin wird auch die komplexe Verbindung unterschiedlicher Dimensionen von Macht – politische Macht, die Deutungsmacht über die Vergangenheit, die Handlungsmacht von Institutionen und Personen – deutlich. Die religiösen Bezüge sind im Denkmal für die ermordeten Juden Europas sehr subtil. Damit unterscheidet es sich von anderen nationalen Denkmälern, zum Beispiel der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft – so nach vielen Umwidmungen der Gedenkstätte von der NS-Zeit über die DDR bis zur BRD der heutige offizielle Titel – in der Neuen Wache in Berlin (Abb. 68). Die vergrößerte Käthe-Kollwitz-Plastik einer Mutter mit dem Leichnam ihres Sohnes in der Gedenkstätte der Neuen Wache spielt auf das Pietà-Motiv an, in dem die trauernde Maria den Leichnam Jesu auf ihrem Schoß hält, und stellt damit einen eindeutigen Bezug zum Christentum her.⁶³ Damit wird ein Bezug zu einem christlich inspirierten Opfertod-Diskurs hergestellt, um dem gewaltsamen Tod der Opfer von Kriegen und Gewalt Bedeutung zu verleihen, was zu Kontroversen geführt hat.⁶⁴ Beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas gibt es dagegen – abgesehen von der kunstgeschichtlichen Genese der Stele aus dem Totenkult – keine offensichtlichen religiösen Bezüge. Es zeichnet sich vielmehr durch eine religiöse Offenheit aus, die von Habermas wie oben ausgeführt für eine säkularisierte Gesellschaft wie diejenige

Abb. 68: Harald Haacke, Vergrößerung von Käthe Kollwitz, Mutter mit totem Sohn, Bronze, 153 × 114 × 160 cm, seit 1993 in der Gedenkstätte der Neuen Wache, Berlin.

 Zum Pietà-Motiv vgl. das Beispiel des World Press Photo 2012 von Samuel Aranda in Unterkapitel 3.2 dieses Bandes.  Wie das Denkmal der Neuen Wache arbeiten auch viele Konzentrationslager-Gedenkstätten mit christlichen Motiven und haben durch ihr ikonographisches Programm Kontroversen mit jüdischen oder anders- beziehungsweise nicht-religiösen Opfergruppen ausgelöst.

Denkmäler als Repräsentation von Macht

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Deutschlands als notwendig erachtet wurde. Mit dieser Offenheit entzieht sich das Denkmal den teilweise problematischen Verbindungen zwischen Religion und Macht auf zweierlei Weise: Zum einen lässt es sich nicht instrumentalisieren, um politische Machtausübung oder Machtmissbrauch religiös zu verbrämen, wie dies im Kontext von Kriegerdenkmälern häufig geschieht.⁶⁵ Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas verweigert sich der machtvollen religiösen Legitimierung der Opfer. Zum anderen kann es von keiner religiösen Institution in Anspruch genommen werden, um ihre besondere Nähe zu den Opfern zu demonstrieren und damit Teilhabe an der politischen Macht zu beanspruchen. Durch seine visuelle Abstraktheit kann das Denkmal weder für die Bildpolitik des Staates noch für diejenige von Religion vereinnahmt werden. Nichtsdestotrotz gibt es implizite Bezüge zu Religion im Sinne einer Struktur, die die Kontingenz des menschlichen Lebens zu bewältigen hilft. Dies geschieht zunächst durch die bereits angesprochene Friedhofsästhetik und die kunst- und religionsgeschichtlichen Bezüge über den Typus der Stele, des Sarkophags und des Denkmals als Erinnerung an Verstorbene.⁶⁶ All diese Motive sind in einen transzendenten Horizont eingebettet. Dieser Horizont ist beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas mangels expliziter Bezüge zu einer bestimmten religiösen Tradition und ihren Jenseitsvorstellungen nicht inhaltlich gefüllt, kann aber – wenn die Besuchenden dafür offen sind – zum Beispiel im Kontrast zwischen der Enge der Stelenreihen, der Rauheit des Betons, der Disziplinierung der Bewegung durch die strengen Vorgaben der Architektur und der Offenheit des Himmels sowie der grünen Bäume am Ende der Reihen erfahren werden. Durch diese Integration in einen Horizont der Transzendenz im Sinn des Hinausgehens über das unmittelbar Gegebene⁶⁷ wird die Erinnerung an das Verbrechen, an Schuld und Verantwortung nicht geleugnet oder abgeschwächt, sondern im Gegenteil gerade erst für das Individuum als Mitglied der Gesellschaft annehmbar. Gerade die Unbestimmtheit des Denkmal für die ermordeten Juden Europas verweist auf Machtverhältnisse, die sich jedoch in einer kritischen Haltung ausdrücken: Die Integration der Besucherinnen und Besucher in einen offenen Deutungshorizont stellt politische und religiöse Macht mit ihren Absolutheitsansprüchen in Frage und verweist auf deren Kontingenz. Außerdem kann die Orientierungslosigkeit, die viele Menschen in der unübersichtlichen Situation und auf dem unebenen Boden des Stelenfeldes empfinden, eine Sehnsucht nach Orientierung hervorrufen. Gleichzeitig wird aber auch die Fähigkeit von politischen Systemen kritisiert, diese Orientierung umfassend anzubieten. Dem Denkmal gelingt es, das Individuum politischen oder

 Vgl. Menkovic 1998, 25 – 26 und 45. Zum Beispiel wurde dem Tod von Soldaten durch die Identifikation mit dem Opfertod Christi und der Aussicht auf zukünftigen Lohn im ewigen Leben ein religiöser Sinn gegeben, der sich visuell durch die Verwendung des Kreuzmotivs oder die Situierung eines Denkmals in Kirchen oder auf christlichen Friedhöfen ausdrückte.  Vgl. Schlusche 2007, 28 – 29.  Zur Transzendenz siehe Kapitel 5 dieses Bandes.

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Sichtbar reguliert

religiösen Machtdiskursen zu entziehen, weil die Erfahrungen von Transzendenz – so sie denn in diesem Denkmal gemacht wird –, subjektiv ist und nicht durch Texte, Symbole oder Handlungsanleitungen, die mit bestimmten religiösen Symbolsystemen assoziiert sind, bestätigt werden.

7.5 Sichtbare Religion zwischen Legitimierung von Macht und Widerstand Der Themenbereich Macht und Religion umfasst, wie die zwei untersuchten Beispiele zeigen, ganz unterschiedliche Aspekte. Es geht erstens darum, wie Religion selbst Macht ausübt. Der Film Die Lage verdeutlicht, wie der Besuch des Oberhauptes der römisch-katholischen Kirche auch heute noch in der Lage ist, eine ganze Stadt zum Stillstand zu bringen. Zweitens geht es um die Frage, wie religiöse und staatliche Macht zusammen wirken und sich gegenseitig unterstützen. Im Film wird dies durch die Fokussierung auf das staatliche Sicherheitsdispositiv, das sich beim Papstbesuch in den Dienst der Kirche stellt, gezeigt. Die kurz angesprochene Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft verweist ebenfalls darauf, wie religiös geprägte Motive und Erinnerungsformen im Dienste der staatlichen Selbstdarstellung in einem Denkmal aufgegriffen werden können. Und drittens umfasst unser Themenkomplex auch die Frage nach Brüchen in diesen Machtbeziehungen und den Möglichkeiten, Freiräume für Kritik und Widerstand zu schaffen. Die Lage ist ein Beispiel für einen solchen Bruch, da die konzentrierte Aufmerksamkeit auf die bis ins kleinste geplanten Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen die religiöse und politische Macht bloßstellen. Auch das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet unterschiedliche Widerstandsräume durch seine formale und inhaltliche Offenheit und die Verweigerung einer autorisierten Interpretation. Die Sinngebung wird damit zur Sache der und des Einzelnen. Religiöse Diskurse werden in diesem Beispiel weder für die staatliche Geschichtsdeutung oder sogar zur Rechtfertigung der Vergangenheit instrumentalisiert, noch kann sich eine religiöse Tradition als besonders bevorzugte Sinngebungsinstitution im Kontext der individuellen und kollektiven Identitätsbildung präsentieren. Die Beispiele des Films und des Denkmals zeigen zusätzlich auf, wie Macht – ob religiös oder staatlich – funktioniert. Es geht um Beziehungen und Verhältnisse, in denen Hierarchien etabliert, legitimiert und gefestigt werden. Die Machtverhältnisse müssen dabei nicht immer gewaltsam durchgesetzt werden, sondern sie funktionieren – wie mit Foucault und Bourdieu diskutiert wurde –, gerade deswegen, weil sie von den ›Machtlosen‹ internalisiert und als ›natürlich‹ wahrgenommen werden. Darauf verweist Heise deutlich, wenn er in Die Lage die Besucherinnen und Besucher zeigt, die fraglos den Absperrungen oder Lautsprecheransagen folgen. Auch beim Denkmal in Berlin ordnen sich die Erwachsenen in ihrer Raumerfahrung der streng rechtwinkligen Anlage unter. Aber gerade weil Macht in Verhältnissen entsteht und damit dynamisch ist, ist sie immer auch prekär: Manche Kinder folgen nicht wie die Er-

Sichtbare Religion zwischen Legitimierung von Macht und Widerstand

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wachsenen den schmalen Gängen, sondern springen über die Betonblöcke hinweg und finden ihre eigenen Wege durch das Stelenfeld. Die Analyse von Macht und Religion anhand von visuellen Medien erfasst verschiedene Ebenen und Dimensionen von Machtverhältnissen, die Strategien ihrer Sicherung sowie mögliche Brüche und Widerstände. Diese verschiedenen Facetten treten zutage, weil Akteurinnen und Akteure auf diversen Ebenen methodisch unterschieden und dadurch auch die unsichtbaren, subtilen Machtverhältnisse aufgezeigt werden können. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Heise die Kamera in einem langen Blick auf die Menge richtet, die kontrollierenden Sicherheitskräfte beobachtet und damit scheinbar gegebene Machtverhältnisse denaturalisiert. Zugleich potenzieren visuelle Medien die Komplexität von Macht und Religion, da sie selber Ergebnis von Handelnden in Machtverhältnissen sind. Die Lage thematisiert diese Produktionsverhältnisse und Regulierungen explizit: Der Regisseur hatte keine Dreherlaubnis für das Hauptgeschehen und musste deshalb eine Position am Rande finden, die ihm seinen subversiven Blick auf die ›Technologien der Macht‹ erst erlaubte. Heise übt auch seinerseits Macht aus, indem er entscheidet, welche Szenen und Bilder im Film zu sehen sind und welche nicht. Auch das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist von politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen geprägt und beeinflusst diese wiederum. Dies betrifft nicht nur die Ebene der Legitimation und Deutung des Denkmals, sondern auch dessen Produktion: Schließlich beschloss eine Bundestagsmehrheit seine Errichtung und nahm damit für sich in Anspruch, nationale Identität nach innen und außen darzustellen. Methodisch wurden in diesem Kapitel zur Analyse der Verhältnisse von Macht und Religion den Gegenständen entsprechend zwei ganz unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt. Beim Dokumentarfilm orientierte sich die Untersuchung an der semio-pragmatischen Analyse. Die filmische Repräsentation wurde in Beziehung zum Produktionskontexts des Films und dem institutionellen Rahmen des Papstbesuches in Erfurt untersucht. Konkret bedeutet dies, dass der Interpretationsrahmen die katholische Kirche, die Stadt Erfurt mit ihren zivilen Institutionen, den öffentlichen Staatsapparat und den Regisseur samt den filmischen Produktionsbedingungen umfasste. Die filmische Repräsentation wurde in der Untersuchung von sichtbarer Religion vor einem Hintergrund interpretiert, der ein Wissen über das mittlerweile historische Ereignis des Papstbesuches in Erfurt, die Regulierung der Medien durch die katholische Kirche, das Genre des Dokumentarfilms, die künstlerischen Strategien des Regisseurs, den deutschen Staatsapparat und dessen Sicherheitspositiv einbezog. Anders sieht es bei der Untersuchung des Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin aus, die das Denkmal in seinen politischen, historischen und sozialen Kontexten analysierte und diese mit der sinnlichen Erfahrung des Raums in Beziehung brachte. Auch hier mussten neben dem eigentlichen Gegenstand weitere Quellen hinzugezogen werden – etwa die Aussagen von Walser und Habermas oder die Meinung des Architekten Eisenmann –, um die Frage nach dem Zusammenspiel von Macht, Religion und Sichtbarkeit einzugrenzen. Die deshalb auf verschiedene Methoden angewiesene Analyse ergab keine abschließenden Antworten, sondern er-

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Sichtbar reguliert

weiterte durch den Fokus auf Visualität den bestehenden Diskurs von Macht und Religion. Die in diesem Kapitel diskutierten Fragen im Zusammenhang von Religion und (staatlicher) Macht sowie ihre Rolle in kollektiven Selbstdeutungsprozessen verweisen auf die Bedeutung von sichtbarer Religion für Gruppen und Gemeinschaften. Dieses Thema wird im folgenden Kapitel genauer ausgeführt.

Fragen zur Vertiefung · Wie wird Macht auf der Repräsentationsebene des Denkmals und des Dokumentarfilmes codiert? Welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten erkennen Sie, und worin könnten sie begründet sein? · Inwiefern nehmen die Zuschauerinnen und Zuschauer während der Filmrezeption an Machtdiskursen teil? Wer übt dabei Macht über wen aus? · Beschreiben und systematisieren Sie eigene Rezeptionserfahrungen von religiösen Machtsymbolen. Unterscheiden Sie dabei zwischen Ihrer Selbstwahrnehmung, Ihren Beobachtungen anderer Rezipierender und der Beschreibung in anderen Quellen.

8 In guter Gesellschaft oder wie Gemeinschaften sich über Bilder definieren Verängstigt flieht die US-amerikanische Pop-Sängerin Madonna in ihrem Video-Clip zum Lied Like a Prayer aus dem Jahr 1989 vor einer Gruppe Krimineller in eine Kirche.¹ Sie schließt die Tür hinter sich und singt dazu »I hear you call my name – and it feels like home« (Abb. 69a–c). Sie ist in Sicherheit, fühlt sich in den Kirchenräumen geborgen und, wie sich kurz darauf zeigt, innerhalb der religiösen Gemeinschaft, der die Räumlichkeiten gehören, aufgehoben. Madonna ist nun nicht mehr alleine, sondern in ›guter Gesellschaft‹. Dies ist insofern interessant, als die Kirchengemeinde hauptsächlich afroamerikanische Mitglieder hat, die jedoch die weiße² Madonna fraglos in ihrer Mitte begrüßen. Glaube vereint Menschen, so scheint der Clip vermitteln zu wollen. Die diffus schwarz-weißen Rückblenden, die das Geschehen vor Madonnas Flucht zeigen, legen nicht nur die Motivation der Sängerin, sich von der grausamen Welt in die Gemeinschaft anderer Gläubiger zurückzuziehen, dar. Sondern sie kritisieren auf einer Metaebene auch die ›alltägliche‹ Diskriminierung von Frauen und den latenten Rassismus. Die Rückschau zeigt nämlich, wie Madonna Zeugin eines sexuellen Übergriffs wird, der von weißen Männern an einer jungen weißen Frau verübt wird. Als die Polizei erscheint, wird ein junger Schwarzer Passant festgenommen, Madonna flieht daraufhin in die Kirche. Ihre laszive Aufmachung mit tief dekolletiertem Negligé und großem Kreuzanhänger kann als erotisch-feministisches Statement gegen die männerdominierte, lustfeindliche katholische Obrigkeit gelesen werden. Unbeeindruckt von den patriarchal geprägten Gendernormen bedeckt sie ihren Körper in der Kirche nicht, sondern zieht sich nach dem Eintreten gar aus und inszeniert ihre Weiblichkeit und ihre Sexualität ganz explizit. Ihr Tanz vor den brennenden Kreuzen könnte in diesem Kontext als Kritik an einer überholten religiösen Tradition gelesen werden (Abb. 70). Doch legt der Handlungsstrang um den zu Unrecht verhafteten Schwarzen, den Madonna im Heiligen, vor dem sie niederkniet, wiedererkennt, nahe, dass die brennenden Kreuze auf den institutionalisierten Rassismus verweisen, der die USA bis heute prägt und der beispielsweise in den Ritualen des Ku-Klux-Klans eine besondere Sichtbarkeit erhält.³ Ihr Tanz vor diesen Kreuzen verdeutlicht, dass Rassismus in Amerika nicht nur zum Alltag gehört, sondern auch mit religiösen Symbolen in Verbindung gebracht wird. Dass dies eine absurde Beziehung ist, exemplifiziert der Clip

 Lied auf dem Album Like a Prayer (Sire/Warner Brothers Records 1989), Singleauskopplung am 27.02.1989. Das Album war in verschiedenen Ländern, unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, im Großbritannien und in den Vereinigten Staaten, auf Platz 1 der Charts.  Vgl. zu der Schreibweise von ›weiß‹ und ›Schwarz‹ Eggers/Kilomba/Pieche/Arndt 2009.  Zur Geschichte des Ku-Klux-Klan vgl. Chalmers 1987. https://doi.org/10.1515/9783110536706-009

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In guter Gesellschaft

Abb. 69a–c: Madonna findet Zuflucht in einer Kirche.

Abb. 70: Madonna tanzt vor brennenden Kreuzen.

In guter Gesellschaft

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mit Blick auf die Schwarze Gemeinde, die Madonna fraglos integriert. Gelebte Nächstenliebe – der Kern des Christentums, auf das mit den unterschiedlichen Kreuzen und der Kirche ebenfalls verwiesen wird – müsste doch inklusiv und nicht exklusiv sein.⁴ Madonna überschreitet im Videoclip bewusst soziale und religiöse Grenzen und macht dadurch deutlich, dass Gemeinschaften und Zugehörigkeiten nicht durch Gender oder race bestimmt, sondern durch gemeinsame Werte und Weltanschauungen konstituiert und legitimiert werden sollten.⁵ Die von der Regisseurin Mary Lambert inszenierte visuelle Umsetzung von Like a Prayer wurde jedoch nicht in erster Linie als Gesellschaftskritik aufgefasst, sondern provozierte einen handfesten Skandal, der zur zeitweiligen Absetzung des Videos in verschiedenen Ländern führte. Einige Personen und Gruppierungen empfanden das Video als beleidigend und blasphemisch, weil Madonna nicht nur spärlich bekleidet einen Schwarzen Heiligen küsst, sondern dergestalt auch in der Kirche tanzt sowie mit religiösen Symbolen und Ikonographien spielt. Über zwanzig Jahre später wurde der Clip der ebenfalls US-amerikanischen PopSängerin Lady Gaga zu ihrem Lied Judas (2011) ähnlich kontrovers aufgenommen.⁶ Lady Gaga inszeniert sich darin als Maria Magdalena, die sich nicht zwischen Jesus und Judas, die beide Mitglieder einer Bikergang sind, entscheiden kann (Abb. 71). Lady Gaga wurde von konservativen, christlichen Gemeinschaften ähnlich wie Madonna vorgeworfen, sie spiele provokativ mit religiösen Symbolen und Narrativen, nur um kommerziell Erfolg zu haben.⁷ Dies verdeutlicht, dass spezifische Repräsentationsstrategien für unterschiedliche (religiöse) Gemeinschaften konstitutiv sind und sie von ›den Anderen‹, den Nicht-Mitgliedern, entsprechend wahrgenommen werden wollen. Verweisen Nicht-Mitglieder in einer ungewohnten Weise auf diese Ikonographie oder wird die neue Lesart eines Narrativs propagiert, so führt dies zwangsläufig zu einer Destabilisierung der Gemeinschaft. Dies lässt sich an einem dritten Beispiel zeigen. Der 2014 veröffentlichte Clip zu Katy Perrys Song Dark Horse ⁸ löste den Unmut

 Vgl. zur ambivalenten Rolle der Kirchen im anti-Schwarzen Rassismus zur Zeit der Sklaverei und bis heute Grimes 2017, 105 – 146.  Das hier angesprochene Paradigma der Diskriminierung wird in der sogenannten Intersektionalitätstheorie, die auf die Verbindung unterschiedlicher Machtdiskurse fokussiert, bearbeitet. Einen guten Überblick und Grundlagentexte zur Intersektionalität bietet die Plattform www.portal-intersektionalitaet.de. Gender und race – ein Begriff, der im deutschen, akademischen Diskurs deshalb nicht übersetzt wird, weil er historisch belastet ist – sind zwei Aspekte, die im Intersektionalitätsdiskurs eine zentrale Rolle spielen; vgl. Amesberger/Halbmayr 2005.  Lied auf dem Album Born this Way (Interscope/Streamline Records/Konvict 2011), Singleauskopplung am 15.4. 2011. Die Regie des Videos lag bei Lady Gaga und Laurieann Gibson. Das Album wurde international ein kommerzieller Erfolg.  Vgl. Gespräch mit Bill Donohue, Präsident der Catholic League, auf Fox News https://www.youtube.com/watch?v=h4Un71TAltI [12.01. 2017].  Lied auf dem Album Prism (Capital Records 2013), Singleauskopplung am 17.12. 2013. Die Regie des Videos führte Mathew Cullen. Auch dieses Lied und das Album waren kommerziell erfolgreich.

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In guter Gesellschaft

Abb. 71: Lady Gaga sitzt im Videoclip zum Lied Judas als Maria Magdalena auf einem Motorrad hinter Jesus, inszeniert als Biker.

gewisser islamischer Gruppen aus: Die US-amerikanische Pop-Sängerin spielt in diesem Clip Kleopatra (genannt »Katypätra«) und inszeniert sich als altägyptische Göttin Isis, die auf einer Pyramide ihre ausladenden Flügel öffnet (Abb. 72). Als Pharaonin lässt die Sängerin mehrere Verehrer zu Staub zerfallen oder verwandelt sie in Tiere oder Gegenstände. Einer der Verehrer trug in der Originalversion des Clips einen Schmuckanhänger mit dem Schriftzug des Namens Allah, was zu

Abb. 72: Katy Perry im altägyptischen Setting des Videoclips zum Lied Dark Horse.

In guter Gesellschaft

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heftigen Protestreaktionen von Seiten religiöser Gemeinschaften führte. Es wurde eine Onlinepetition zur Entfernung des Videos von Youtube eingereicht, die von mehr als 50.000 Menschen unterschrieben wurde.⁹ Der Anhänger wurde daraufhin im Video retouchiert, womit sich die Wogen wieder glätteten. Doch auch außerhalb der US-amerikanischen Pop-Industrie sind in Videoclips visuelle Bezüge zu Religion zu finden, die kollektive Dimensionen ansprechen und entsprechende Reaktionen bei den angesprochenen Gemeinschaften auslösen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die israelische Folk-Metal-Band Orphaned Land. Sie verfolgt das Ziel eines visuell-musikalisch propagierten interreligiösen Dialogs und eine entsprechende visuelle Inszenierung. In ihrem Videoclip zum Lied All Is One verbindet die Band Symbole und Figuren aus verschiedenen religiösen Traditionen (Abb. 73), unter anderem jüdischen, islamischen, christlichen und solchen aus dem Bereich des New Age mit einer visuellen und musikalischen Forderung nach interreligiösem Dialog und der Beendigung religiös motivierter Konflikte.¹⁰ Diese vier Beispiele von Madonna, Lady Gaga, Katy Perry und Orphaned Land legen stellvertretend für viele andere dar, dass Bezüge zu Religion in populärer Musik

Abb. 73: Videoclip-Still aus All Is One von Orphaned Land.

 Zum Katy Perry-Clip-Boykott siehe beispielsweise http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/music/news/katy-perry-causes-offence-by-burning-allah-pendant-in-dark-horse-music-video9153998.html; sowie https://www.theguardian.com/music/2014/feb/27/katy-perry-dark-horse-allahmusic-video-edited [beide 02.10. 2017].  Lied auf dem Album All Is One (Century Media 2013), Singleauskopplung am 07.07. 2013 zusammen mit dem Lied Brother.

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In guter Gesellschaft

und ihrer Inszenierung in Videoclips auffallend häufig vorkommen.¹¹ Im Kontext der Musikindustrie lassen sich Bezüge zu (religiösen) Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen erkennen.¹² Erstens sind Songs und die dazugehörigen Musikvideos auf der Ebene der Produktion kollektive Prozesse. Sie werden von einer großen Anzahl von Personen hergestellt und vermarktet. Die Musik und ihre visuelle Inszenierung werden zu einem globalisierten Handelsprodukt, das nationale Grenzen zu überschreiten versucht und sich an ein Publikum richtet, das bestimmten Werten wie Materialismus, Globalisierung, Demokratisierung verpflichtet ist. Hinsichtlich der medialen, beim Videoclip audiovisuellen, Repräsentation von Religion impliziert dieser intendierte Adressatenkreis bestimmte Umsetzungsstrategien, wie unten ausgeführt werden wird. Zweitens werden diese Musik-Videoclips breit rezipiert, wobei sich gruppendynamische Prozesse feststellen lassen, beispielsweise innerhalb von Fangruppen oder konträr dazu in kritischen Kreisen. Zumindest ein Teil der oben genannten Videoclips hat Reaktionen bei Personen und Gruppierungen ausgelöst, die sich aus ihrer Sicht medial nicht korrekt widergegeben fühlten. Ein medial inszenierter Boykott kann in diesem Sinne als öffentlich-kollektive Strategie gegen eine spezifische Außensicht auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft aufgefasst werden. Drittens werden in Musikvideos Kollektive inszeniert. Einzelpersonen repräsentieren dabei aufgrund identitärer Merkmale¹³ wie Gender, kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit eine gesellschaftliche Gruppe. Es ist allerdings auffallend, dass in allen vier genannten Videos diese Kategorien visuell hinterfragt werden. Auch kommerziell erfolgreiche Musikvideos bieten also durchaus die Möglichkeit, kulturell-kollektive Stereotypisierungen beispielsweise aufgrund von Gender oder race kritisch zu reflektieren. Viertens funktionieren diese Musik-Videoclips nur, weil sie kollektive Erwartungen hinsichtlich Religion und ihrer Repräsentation aufnehmen und adaptieren. Katy Perrys Videoclip beispielsweise inszeniert eine gängige Idee des alten Ägyptens, die auch in anderen Medien der Populärkultur – man denke an den entsprechenden Comic-Band von Asterix und Obelix – auftauchen. Katy Perrys Dark Horse nimmt aber nicht nur kollektive Vorstellungen bezüglich des antiken Ägyptens auf, sondern adaptiert sie gemäß dem Zeitgeschmack, also zeitlich gebundener kollektiver Moden. Es verleiht dem alten Ägypten eine persönliche, etwas kitschige Note, die wiederum dazu dient, eine bestimmte Lesart des Clips zu fördern, in diesem Fall einzutauchen in die typische bunte Katy-Perry-Welt. Die Verwendung und Wahrnehmung religiöser Symbole und Narrative sind Bestandteil komplexer sozialer Prozesse, in denen es letztlich um Orientierung und

 Vgl. zur Wechselwirkung zwischen Religion und zeitgenössischer Musik Till 2010; Bossius/Häger/ Kahn-Harris 2011; Heesch/Höpflinger 2014; Miller/Pinn/Freeman 2015; Partridge/Moberg 2017.  Zur Funktion von Medien für Gemeinschaften vgl. Assmann 2008 und 2009; Halbwachs 1991.  Diese verweisen anhand reduzierter Codes auf symbolische Bedeutungen, die über das zu sehende Individuum hinausgehen.

Zwischen Regulierung und Identität

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Bedeutungsproduktion geht.¹⁴ Videoclips sind mit kollektiven Vorstellungen von Religion verbunden und generieren von der Produktion bis hin zur Rezeption kollektiv geteilte Bedeutungen, weil sie in gesellschaftliche Prozesse wie Marktmechanismen, mediale Strategien oder Social Media-Diskurse integriert sind. Die Produzierenden adaptieren religiöse Symbole oder Narrative mit der Absicht, ein bestimmtes Publikum zu erreichen, das mit diesen Motiven vertraut ist und die Umsetzung im Clip entweder positiv als Ergänzung der bestehenden Bedeutung aufnimmt oder negativ als blasphemisch verwirft.Von Seiten der Produzierenden kann die negative Rezeption eines Clips, womöglich mit Zensurfolgen und medialer Skandalisierung des Themas, ökonomisch durchaus lukrativ sein. Im Hinblick auf die Produktentwicklung müssen die Produzierenden wirtschaftliche Mechanismen und soziopolitische Normen und Wertvorstellungen also stets mitbedenken. Die Rezipierenden dagegen evaluieren den durch den Clip verbreiteten Bedeutungsgehalt stets auf zweifache Weise: für sich als Individuum sowie als Angehörige einer Gruppe oder Gemeinschaft. Deutlich wird, dass solche Videoclips dem Individuum und der Gemeinschaft, in der es lebt, als Orientierung dienen. Regulierungen und identifikatorische Differenzierungen werden durch (audio‐)visuelle Medien repräsentiert, geformt und vermittelt. Im circuit of culture erscheint deshalb der Doppelpfeil zwischen Identität und Regulierung für einen Blick auf gemeinschaftsbildende Prozesse besonders gewinnbringend. Dabei verlaufen solche Interdependenzen über die Ebene der Repräsentation.

8.1 Zwischen Regulierung und Identität Die diesem Kapitel zugrunde liegende Frage lautet: Wie ermöglichen, ordnen und regulieren Menschen das gesellschaftliche Zusammenleben und welche Rolle spielen visuelle Medien in diesen Prozessen? Es geht um Fragen nach Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung – Begriffe, die der Soziologe Max Weber mit seinem Werk Wirtschaft und Gesellschaft (1922) maßgeblich geprägt hat – und die Rolle, die sichtbare Religion dabei spielt.¹⁵ Unter ›Vergemeinschaftung‹ versteht Weber eine soziale Beziehung, die auf einem emotionalen oder traditionsbedingten Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Beteiligten beruht. Als ›Vergesellschaftung‹ definiert er eine soziale Beziehung, die rational begründet ist und auf einem Interessensausgleich oder auf Interessensverbindungen beruht. Der Begriff ›Vergemeinschaftung‹ kann also eine Familie ebenso beschreiben wie einen freikirchlichen Bibelkreis oder eine Pfadfindergruppe; entsprechend würde es sich bei ›Vergesellschaftung‹ um zweckgebundene Gemeinschaften wie Schulklassen oder Arbeitskolleginnen handeln. Dadurch wird deutlich, dass die meisten

 Bezüglich der Orientierungsleistung von Weltbildern vgl. Kapitel 4 dieses Bandes.  Vgl. für diesen Abschnitt Weber 1976, 42– 44.

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In guter Gesellschaft

sozialen Gemeinschaften sowohl als ›Vergemeinschaftungen‹ als auch als ›Vergesellschaftungen‹ bezeichnet werden können, da eine Zusammengehörigkeit unter Arbeitskollegen entstehen kann, die nicht nur Gewinnoptimierung zum Ziel hat. Oder eine religiöse Gruppierung kann das Zugehörigkeits- oder Abhängigkeitsgefühl für ihre Zwecke ausnutzen. Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich vielfältige Fragestellungen hinsichtlich religiöser Gemeinschaften formulieren. Wir wollen im Folgenden zuerst über religiöse Vergemeinschaftung nachdenken und danach die Rolle visueller Medien miteinbeziehen. Auch der Soziologe Emile Durkheim stellte in seinen Schriften Über die Teilung der sozialen Arbeit (1893) und Die elementaren Formen des religiösen Lebens (1912) Fragen nach gesellschaftskonstituierenden Prozessen ins Zentrum. Er hat die sozial- und religionswissenschaftliche Frage nach Gemeinschaftsbildung zusammen mit Max Weber besonders stark geprägt. Seines Erachtens sind soziale Solidarität, eine bindende Moral und geteilte Repräsentationen besonders wichtig für den kollektiven Zusammenhalt.¹⁶ Das gemeinschaftliche Zusammenleben geschieht gemäß Durkheim in einem abgegrenzten Raum: Kollektiv geteilte Anschauungen, Vorstellungen und Erwartungen sind seines Erachtens kontextbezogen und gelten jeweils nur für bestimmte Gruppen von Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Solche kollektiv regulierenden und bindenden Ordnungssysteme können auch in religiösen Traditionen angestrebt werden. Religionen sind nicht nur verknüpft mit dem Heilsversprechen für ein Individuum, sondern sie sind auf verschiedenen Ebenen mit kollektiven Prozessen verbunden: Religiöse Rituale wie beispielsweise Weihnachten werden in Gruppen gefeiert, religiöse Regulierungen richten sich an spezifische Kollektive und religiöse Normen regeln das Alltagsleben von vielen Menschen, wenn es um Ernährung oder Kleidung geht.¹⁷ Religion als Teil von Kultur ist immer auch ein kollektives Phänomen, sie basiert gemäß Stuart Hall auf sogenannten shared meanings (geteilte Bedeutungen).¹⁸ Hall bezeichnet damit zeit- und kulturspezifisch geteilte kollektive Vorstellungen, Erwartungen und Bedeutungszuweisungen – etwas banal könnte man vielleicht von ›Zeitgeschmack‹ oder ›Mentalitäten‹ reden. Diese shared meanings werden gemäß Hall durch soziale Praktiken und unterschiedliche mediale Ausformungen vermittelt, »die Bedeutung und Wert für uns haben, die von anderen sinnvoll interpretiert werden

 Vgl. Durkheim 1977; zur Rolle visueller Repräsentationen das Spätwerk Durkheim 1998.  Der Soziologe Martin Riesebrodt legt in seiner Monografie Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen (2007) dar, dass nur eine auf den »Sinn religiösen Handelns orientierte Definition es ermöglicht, Religion als universales soziales Phänomen adäquat abzugrenzen« (108). Er ist der Meinung, dass Religion ein Feld komplexer und sinnhafter Praktiken sei. Die Beziehung der Gottheit zum Individuum bezieht also nach ihm ein Kollektiv mit ein. Die Praktiken würden zwischen den einzelnen Individuen sowie zwischen Individuen und Gottheiten vollzogen, wobei dies das spezifisch Religiöse ausmache: »Religion kann nur dann theoretisch gefasst werden, wenn sie von anderen Typen sozialen Handelns klar durch ihre spezifische Sinngebung abgegrenzt wird« (108).  Vgl. Hall 2009.

Zwischen Regulierung und Identität

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müssen oder die für ihren effektiven Einsatz auf Bedeutung angewiesen sind.«¹⁹ Das Kollektiv – ein Begriff, den wir mit Gemeinschaft gleichsetzen – kann also definiert werden als eine aufgrund von geteilten Bedeutungszuschreibungen bestehende und agierende Gruppe von Menschen. Kollektive sind dementsprechend keine fixen, statischen Entitäten, sondern historischen Veränderungen unterworfen, die mit der Anpassung von Vorstellungen und Erwartungen einhergehen. Welche Normen und Werte in einer bestimmten Gesellschaft vorherrschen, welche Handlungen soziales Prestige garantieren oder wer die Interpretation von Bildern und Filmen dominiert, unterliegt solch kollektiven, historisch variierenden Formen von Bedeutung. Weil Gemeinschaften aus Individuen bestehen, die Überzeugungen teilen, sind sie stetem Wandel unterworfen. Wenn ›alte‹ Mitglieder ein Kollektiv verlassen und ›neue‹ dazukommen, vollzieht sich eine interne Erneuerung. Gleichermaßen muss sich die Gemeinschaft auch innerhalb eines größeren sozialen Kontexts an die bestehenden Umstände anpassen und sich extern auferlegten Veränderungen angleichen. Durch diese Prozesse entstehen Traditionslinien, die sich für die Gemeinschaft und das Individuum als ›kollektives Gedächtnis‹ ausprägen.²⁰ Der Begriff des kollektiven Gedächtnisses wurde vom französischen Soziologen Maurice Halbwachs geprägt, der in seiner Studie La mémoire collective (1939) untersuchte, inwiefern soziale Aspekte die Erinnerung des Individuums prägen. Er kam zum Schluss, dass gemeinsame Bilder ein kollektives Gedächtnis begründen, das sowohl für die Gemeinschaft als auch für das einzelne Mitglied identitätsstiftend und legitimierend wirkt.²¹ Auch der Kunsthistoriker Hans Belting betont die Bedeutung von Bildern für das kollektive Gedächtnis, fokussiert aber auf die Wandelbarkeit dieses Gedächtnisses: Wie wir sagten, gehört die kollektive untrennbar zur individuellen Identität und macht aus dem Individuum ein Mitglied seiner eigenen Kultur, das aus deren Archiv seine Bilder abruft. Das gilt selbst in einer Welt, in welcher die Gemeinschaft die Kontrolle über die Bilder und den Halt in einer Kultur verliert. Es gilt auch für eine Zeit, in welcher globale Bilder Einfluss gewinnen. Auch Kulturen sind dem Wandel unterworfen und erneuern sich durch Vergessen nicht minder als durch Erinnerung. Auch Kulturen haben kollektive Körper, die der Zeit unterworfen sind.²²

Zur Gemeinschaft, die aufgrund des kollektiven, diachron entstehenden Gedächtnisses wandelbar ist, tritt der synchrone Aspekt der Flexibilität von Kollektivität hinzu: Das Individuum als Teil einer Gemeinschaft bewegt sich nicht nur in einer ›Lebenswelt‹²³, sondern in unterschiedlichsten Lebensbereichen. Diese Tatsache wirkt

 »Which carry meaning and value for us, which need to be meaningfully interpreted by others, or which depend on meaning for their effective operation.« Hall 2009, 9; Übersetzung durch die Autorinnen, Hervorhebungen im Original.  Vgl. auch Kapitel 10.5 in diesem Buch.  Vgl. Halbwachs 1991.  Belting 1998, 41.  Der Begriff wird hier im Sinne von Benita Luckmann verwendet. Die Soziologin geht in ihrer Studie The Small Life-Worlds of Modern Men (1970) von der Prämisse aus, dass der moderne Mensch sich

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sich auch auf sein Weltbild aus, das von mehreren interagierenden oder sich widersprechenden Vorstellungen geprägt ist. Die Dynamik und Flexibilität der individuellen Lebenswelten kann eine Gemeinschaft herausfordern, sie muss darauf reagieren. Entsprechend weist die französische Soziologin Danièle Hervieu-Léger in Religion as a Chain of Memory (2000) darauf hin, dass religiöse Gemeinschaften sich auf eine bestimmte Tradition berufen und diese zugleich ständig aktualisieren müssen, sofern sie für ihre Mitglieder und deren sich wandelnde Bedürfnisse attraktiv bleiben möchten: Wie können religiöse Institutionen mit ihrem vorrangigen Zweck der Erhaltung und Überlieferung einer Tradition ihr eigenes Autoritätssystem reformieren, das für die Kontinuität der Glaubenslinie essentiell ist, wenn Tradition sogar von Gläubigen nicht als das heilige ihnen Anvertraute, sondern als ethisch-kulturelles Erbe, ein Fundus von Erinnerung und ein Zeichenreservoir, das Individuen zur Verfügung gestellt wird, verstanden wird? Alle religiösen Institutionen, welche theologischen Begriffe von religiöser Autorität sie auch verwenden, sind mit dieser Frage konfrontiert. In jedem einzelnen Fall ist ihr Problem nicht primär das kulturelle Risiko für das symbolische Erbe in ihrem Besitz. Es wurde schon festgestellt, dass dieses in einer ungewissen Welt eine einzigartig wirkmächtige Attraktion ist. Das Problem ist die Möglichkeit, die ihnen offensteht, die wahre Erinnerung aufzulösen, die als eine Waffe gegen Gläubige verwendet werden kann, für die die subjektive Wahrheit ihrer eigenen Glaubenslinie primär ist.²⁴

Gemäß Hervieu-Léger stellt also die Fülle an Möglichkeiten zur Aktualisierung ein Problem dar. Es besteht die Gefahr, den ›wahren‹, also über Epochen tradierten Glauben, zu verfälschen, was zu Konflikten zwischen Individuen oder Gruppen und zu Abspaltungen führen könnte. Im Kontext dieser Überlegungen wird deutlich: Medien sind zentrale Bedeutungsträger von Kulturen, Gemeinschaften und Individuen durch Zeit und Raum. Denn kollektive Bedeutungen werden durch (audio‐)visuelle Medien nicht nur vermittelt, sondern geformt. Stuart Hall spricht deshalb zu Recht von einem ›Regime der Bilder‹.²⁵ Für die Ausbildung ›kollektiver Identitäten‹²⁶ wiederum spielen regulierte

täglich in unterschiedlichen Lebenswelten (small life-worlds) bewegt, in denen verschiedene Regeln und Normen gelten. Bei jedem Lebenswelt-Wechsel muss er oder sie die Verhaltensweisen der neuen Lebenswelt verinnerlichen und sich entsprechend verhalten.  »How can religious institutions, with their prime purpose of preserving and transmitting a tradition, reform their own system of authority – essential for the continuity of a line of belief – when the tradition is thought of, even by believers, not as a sacred trust, but as an ethico-cultural heritage, a fund of memory and a reservoir of signs at the disposal of individuals? All religious institutions, whatever the theological notions of the religious authority they deploy, are faced with this question. Their problem, in every single case, is not primarily the cultural risk to the symbolic heritage in their possession: the point has already been made that in an uncertain world this constituted a singularly potent attraction. The problem is the possibility open to them of dispersing the true memory that can be used as a weapon against believers for whom the subjective truth of their own line of belief is primary.« Hervieu-Léger 2000, 168; Übersetzung durch die Autorinnen.  Dieser Begriff ist angelehnt an Stuart Hall, der in Das Spektakel des ›Anderen‹ (2004) der Frage nachgeht, auf welche diskursiven Formen die Medien zurückgreifen, um Differenz darzustellen. Er geht

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mediale Überlieferungsprozesse eine wichtige Rolle: Wie Jesus Christus als Begründer des Christentums auszusehen hat, weiß ›man‹ aufgrund einer spezifischen regulierten Bildtradition, die sich über Jahrhunderte und via unterschiedlichster Medien ausgebildet hat, und nicht aufgrund der archäologischen und anthropologischen Rekonstruktionen des Durchschnittsmenschen im 1. Jahrhundert in Palästina.²⁷ Diese Bildtradition ist so ausgeprägt, dass eine durchschnittliche Europäerin (die nicht zwingend ein aktives Mitglied einer christlichen Gemeinschaft sein muss) eine Jesusfigur auf Anhieb erkennt, auch wenn sie außerhalb des biblischen Kontexts vorkommt. Mit diesem Erkennungsmechanismus spielt auch das bereits kurz besprochene Musikvideo der Band Orphaned Land, in dem sich der Leadsänger als Jesus inszeniert (Abb. 74).

Abb. 74: Der Sänger von Orphaned Land inszeniert sich im Clip zum Lied All is One als Jesus.

dabei davon aus, dass »das gesamte Repertoire an Bildern und visuellen Effekten, durch das ›Differenz‹ in einem beliebigen historischen Moment repräsentiert wird, als Repräsentationsregime bezeichnet« (115) werden kann.  Der Diskurs über kollektive Identitäten wird in verschiedenen akademischen Disziplinen geführt. Fruchtbare Anknüpfungspunkte für eine religionswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema finden sich beispielsweise in der Kulturwissenschaft bei Jan Assmann 2007 und Aleida Assmann 2008 und 2009; mit soziologischen Bezügen bei Hall 2008; Berger/Luckmann 2000; oder Dahinden/Moret/ Duemmler 2011; in der Sozialphilosophie bei Butler 1991, 1993; und Emcke 2000.  Zu den stereotypen wie auch sich ändernden Inszenierungen von Jesus und der Passion in der Kulturgeschichte vgl. Fritz/Mäder/Pezzoli-Olgiati/Scolari 2018; sowie das Unterkapitel 11.4 dieses Bandes.

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8.2 Hinterfragen kollektiver Stereotypen Die zu Beginn dieses Kapitels angesprochenen Musikvideos von Madonna, Lady Gaga, Katy Perry und Orphaned Land thematisieren verschiedene Aspekte der Kollektivität auf der Basis von Religion. Weil es ein besonders augenfälliges Beispiel der visuellen Reflexion von Stereotypen bezüglich Gemeinschaft, Religion, Gender und race ist, wollen wir im Folgenden Madonnas Video zum Lied Like a Prayer in Form einer Filmanalyse genauer betrachten.²⁸ Madonnas Videoclip zu Like a Prayer verbindet verschiedene Ebenen der Frage nach dem Individuum im Kontext einer Gemeinschaft. In den Lyrics zum Lied stellt sie zunächst fest, dass jeder alleine ist im Leben: »Life is a mystery / Everyone must stand alone / I hear you call my name / And it feels like home.« Mit diesen Zeilen verweist die queen of pop auf die Orientierungslosigkeit des Individuums in einer zunehmend unübersichtlichen Welt – und liefert auch gleich eine Lösung: Madonna erfährt im Gebet, in der körperlichen und geistigen Hinwendung zu einer transzendenten Gestalt Geborgenheit und Sicherheit. Als Zuhörende weiss man nie genau, ob das Lied von der innigen Beziehung zu einer Gottheit oder einer geliebten Person handelt. Diese Ambivalenz wird auch auf der visuellen Ebene nicht aufgelöst, vielmehr wird die angebetetete Heiligenstatue durch Madonnas verzweifelte Hinwendung plötzlich lebendig und reagiert auf die Sängerin wie ein Geliebter. Glaube ist also im Gebet die individuelle Zwiesprache vor und Vereinigung mit einer Heiligenstatue, Glaube ist aber zugleich auch ein kollektives Erlebnis, ist singen und tanzen mit einem Gospelchor (Abb. 75). Die Geborgenheit in der Kollektivität der tanzenden Gemeinde ist wie ein Traum: »It’s like a dream / No end and no beginning / You’re here with me it’s like a dream / Let the choir sing.« Das Gefühl des Aufgefangenwerdens wurde zuvor schon visuell akzentuiert, als Madonna sang »Oh God I think I’m falling« und von der Leadsängerin des Chors in ihrem freien Fall aus den Wolken aufgefangen wurde (Abb. 76).

Abb. 75: Die Leadsängerin, die tanzende Madonna und der Gospelchor.

 Als Einführungen in die Filmanalyse sind empfehlenswert: Bordwell/Thompson 2008; Faulstich 2002; Hickethier 1993; Korte 2001.

Hinterfragen kollektiver Stereotypen

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Abb. 76: Die afroamerikanischen Leadsängerin fängt Madonna auf und entlässt sie danach wieder in den Himmel.

Die erste Ebene von Kollektivität, die im Videoclip zu Like a Prayer angesprochen wird, ist die des Aufgehobenseins des Individuums in einer religiösen und physischen Beziehung mit dem Schwarzen Heiligen sowie in der religiösen Gemeinschaft mit einer Kirchgemeinde von Schwarzen. Dies wird im Clip durch eine Interrelation zwischen Liedtext und Videobild erreicht: Das, was Madonna besingt, wird durch das Bild konkretisiert. Auf einer zweiten Ebene geht Madonnas Videoclip dagegen weit kritischer mit Kollektivität um. Dies geschieht lediglich auf der visuellen Dimension; die auditive Ebene lässt diesen Aspekt nur erahnen. Der Videoclip erzählt in Rückblenden die Geschichte einer jungen Frau, die von einer Gruppe weißer Männer misshandelt wird. Ein junger Schwarzer Mann, gespielt von Leon Robinson, sieht dies und kommt der Frau zu Hilfe. In der Meinung, er habe das Verbrechen begangen, nimmt die Polizei den Mann fest. Madonna als Protagonistin des Videos wird Zeugin dieses Verbrechens und flüchtet daraufhin in die besagte Kirche. Dort betet sie zu der Statue eines Schwarzen Heiligen,²⁹ der dieselben Gesichtszüge trägt wie der junge Mann auf der Straße (und ebenfalls von Leon Robinson gespielt wird). Dieser Heilige beginnt zu weinen, wird lebendig, küsst Madonna und segnet sie. Dann verlässt er die Kirche. Daraufhin ergreift Madonna ein doppelschneidiges Messer, das beim nun verlassenen Heiligenaltar liegt, verletzt sich, worauf die Stigmata, die Wunden der Kreuzigung an den Händen und Füßen Jesu, auf ihrem Körper erscheinen (Abb. 77). Madonna ist nun für alle sichtbar ein Mitglied der christlichen Gemeinschaft, mehr noch, sie stellt in ihrem verwundeten Körper eine Art Christus-Figur dar. Anschließend tanzt und singt Madonna mit dem Chor und wirkt in dieser Gemeinschaft gestärkt. Am Ende hat sie den Mut und die Kraft, vor Gericht für den jungen Schwarzen Passanten, der noch hinter Gittern sitzt, zu sprechen und ihn so zu befreien. Die letzte Szene des Videoclips sorgt dann für eine Überraschung: Der Vorhang fällt, Chor, Leadsängerin, Madonna, Vergewaltiger und Retter verneigen sich und es wird klar, dass es sich bei der ganzen Inszenierung bloß um ein Theaterstück gehandelt hat.

 Laut der Regisseurin des Clips handelt es sich um St. Martin de Porres, einen peruanischen Dominikaner, der in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird; vgl. Hulsether 2005, 94.

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Abb. 77: Madonnas Stigmata.

Auf dieser narrativen Ebene des Videos wird eine Kritik an gemeinschaftlichen Stereotypen deutlich: Mit Ausnahme der Protagonistin und der Frau, die misshandelt wird, sind alle positiv konnotierten Figuren Schwarz, während die negativ inszenierten Figuren weiß sind. Das Video kritisiert hier kollektiv festgeschriebene rassistische Stereotypen und hinterfragt sie durch den Schwarzen Helfer, den Schwarzen Heiligen und die Schwarze Kirchgemeinde, die Geborgenheit anbietet.³⁰ Auf der visuellen Ebene wird Gemeinschaft im Clip also sowohl positiv als auch negativ dargestellt: Während die Schwarze Kirchgemeinde eine Gemeinschaft zeigt, die das Individuum in seiner Orientierungslosigkeit auffängt, kritisiert das Video gleichzeitig die Stereotypisierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe. Das Potenzial und die Gefahr von Kollektivität thematisiert der Clip zusätzlich auf verschiedenen Ebenen: Als Kleingruppe agieren die Verbrecher gegen eine individuelle und wehrlose Frau; als machtvolles Kollektiv bestimmen Polizei und Gericht, wer schuldig oder unschuldig ist³¹. Die Gemeinschaft kann dem Individuum zwar Orientierung in seiner Orientierungslosigkeit bieten, gleichzeitig ist Gemeinschaft immer mit Machtmechanismen und Hierarchie verbunden.³² Schließlich wird die Schwarze Kirchgemeinde nicht nur hinsichtlich der Hautfarbe tolerant inszeniert, sondern auch hinsichtlich der Genderpolitik: Die Chorleiterin ist zumindest im Kontext dieser Aufführung die führende religiöse Spezialistin.

 Vgl. zu visuell geformten rassistischen Stereotypen Hall 2004.  In der medial inszenierten, soziopolitischen Debatte über Kriminalität, ihre Verhütung und die Interventionen der Staatsgewalt wird immer wieder das racial profiling diskutiert, in dem sichtbare, stereotype Merkmale wie beispielsweise die Farbe der Haut oder die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gender zum Anlass für bisweilen ungerechtfertigte Machtausübungen der Polizei und des Staats werden. Mittlerweile haben sich gegen diese Art von Diskriminierung weltweit verschiedene Gruppierungen gebildet, die auch mit juristischen Mitteln und großem medialen Aufwand solche Machtdemonstrationen und -ausübungen anprangern. Siehe beispielsweise die Black Lives Matteroder die #MeToo-Bewegung, die gegen Gewalt gegen Schwarze und Frauen kämpfen; https://blacklives matter.com/; https://metoomvmt.org/ [beide 19.03. 2018].  Vgl. Hulsether 2005, 90; zum Verhältnis von Religion, Macht und Hierarchien Kapitel 7 dieses Bandes.

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Außerdem scheint sich niemand an Madonnas sexy Aufzug zu stören, der stark mit den wallenden Gewändern der Chorsängerinnen und -sänger kontrastiert. Schließlich befreit Madonna sich aus der Rolle des Opfers, indem sie die wahren Täter anzeigt. Madonna durchbricht in ihrem Videoclip mehrfach visuell stereotype Darstellungen: Der Schwarze Fremde ist ein Helfer (im Handlungsverlauf macht die Verbindung zum Heiligen diese Charakterisierung offensichtlich) und nicht der ›böse Schwarze Mann‹ der sexualisierten, rassistischen Stereotypen. Madonna lebt ihre weibliche Sexualität und lässt sich auch als Frau nicht von Normen einengen. Und Religion wird als Ort der Inklusion dargestellt, wohingegen die Verwendung religiöser Symbole in politischen Kontexten (die eine Exklusion bestimmter Individuen oder Gruppen anstreben) angeprangert wird. Eine der ›Botschaften‹ in Madonnas Video ist ein Aufruf zu Toleranz, Nächstenliebe und Gerechtigkeit; Aspekte, die – das Video verweist explizit darauf – auch Grundpfeiler des Christentums darstellen. Während das soeben betrachtete Videoclipbeispiel aus dem 20. Jahrhundert stammt, werfen wir mit einem zweiten Beispiel einen Blick in die Vergangenheit und die damals durch sichtbare Religion geformte Kollektivität.

8.3 Materielles Heilsversprechen an eine Gemeinschaft Ebenfalls mit normativen Richtlinien und der Bildung von Gleichheit und Gerechtigkeit arbeitet das zweite Beispiel, das wir für einen Blick auf Gemeinschaft und Religion ausgewählt haben: römisch-katholische Beinhäuser. Dabei handelt es sich um im Mittelalter entstandene, geweihte Kapellen, in denen Knochen von Verstorbenen aufbewahrt und öffentlich zugänglich ausgestellt wurden und zum Teil noch heute werden. Durch diese öffentlich sichtbaren Gebeine wird ein religiöses, kollektives Heilsversprechen visuell und materiell gestaltet. Eine Methode zur Untersuchung dieses Beispiels bietet die material history: Ausgehend vom materiellen Aspekt der Beinhäuser, wie er sich heute präsentiert, sowie von historischen Quellen, wird ihre religiös-kulturelle Bedeutung in der Vergangenheit rekonstruiert. Quellen sind also die noch erhaltenen Gebäude und Artefakte (Knochen) sowie historische Texte und Bilder wie alte Fotografien oder Kupferstiche.³³ Zunächst soll ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung von Ossarien gegeben werden, da die in solchen Kapellen propagierte Gemeinschaft eng mit der Geschichte dieser Gebäude zusammenhängt. In der späten Antike, als sich die von den Christinnen und Christen erhoffte Ankunft der Endzeit nicht allzu bald zu erfüllen schien, stellten sich für die christlichen Kirchen und ihre verschiedenen Abspaltungen grundlegende Fragen bezüglich der Konstituierung einer Gemeinschaft. Eine dieser Fragen, die bis ins Mittelalter debattiert wurde, war, was mit den einzelnen Menschen nach dem Tod bis zum An-

 Vgl. zu diesen verschiedenen Quellen Koudounaris 2010.

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brechen des sogenannten Jüngsten Tages geschehe und was die Bedingungen für eine individuelle Auferstehung an jenem ›Tag‹ seien.³⁴ Neben einem guten, den religiösen Normen entsprechenden Leben und einer unsterblichen Seele war dazu, so die Meinung etwa nach Ezechiel 37,1– 14,³⁵ auch der materielle Körper, also konkret die Gebeine, nötig. Dies führte dazu, dass die Knochen als Teile des materiellen Körpers in die religiöse Sphäre eingebettet wurden: Eine totale Zerstörung der sterblichen Überreste, zum Beispiel eine Verbrennung, verhindere, so die Idee, die leibliche Auferstehung.³⁶ Friedhöfe waren im Mittelalter, um die Verstorbenen unter den Schutz der Heiligen zu stellen, rund um die Kirchen angelegt, die sich wiederum mitten in den Siedlungszonen befanden.³⁷ Im Kontext größerer Siedlungen stellten sich alsbald Platzprobleme auf dem Friedhof ein.³⁸ Seit ungefähr dem 10. oder spätestens dem 11. Jahrhundert stieß man in verschiedenen Regionen Europas auf eine aufschlussreiche Lösung dieses Platzproblems: Es wurden kleine Kapellen auf dem Friedhof gebaut, in welche die aufgefundenen Gebeine gelegt wurden.³⁹ Diese Kapellen werden Beinhäuser, Ossarien, Karner, Seelenkapellen, in der Innerschweiz auch Kerchel oder Kerker, genannt. Zunächst scheinen es kleine Holzschuppen gewesen zu sein, aber bald wurden daraus gemauerte Kapellen, die ihrerseits einem oder mehreren Heiligen geweiht wurden. Ossarien dienten nicht nur als Aufbewahrungsraum für die Knochen Verstorbener, sondern um sie herum entwickelte sich alsbald eine vielfältige religiöse Praxis. Die Beinhäuser wurden zu Kapellen, um für die verstorbenen Verwandten zu beten, die nach römisch-katholischer Lehre im Fegefeuer von ihren Sünden geläutert werden, bis sie rein genug sind, um ins Himmelreich aufzusteigen. Die Knochensammlungen in Ossarien wurden auch zu einem Memento Mori stilisiert, das die lebenden Menschen an ihren eigenen Tod erinnern und zu einem ›guten‹ Leben anleiten sollte. Dieser normative Aspekt wurde, wie wir gleich sehen werden, von einer immer kunstvolleren Inszenierung der Knochen begleitet. Während Beinhäuser im Zuge der Reformation, die mit dieser römisch-katholischen Praxis wenig anfangen konnte, geschlossen wurden, erlebten sie in der sogenannten Gegenreformation der römisch-katholischen Kirche eine Blüte. Erst im 19. Jahrhundert ging ihre Bedeutung auch in römisch-katholischen Regionen zurück; viele Beinhäuser wurden geräumt, abgerissen oder umgewidmet. Dennoch existieren

 Zu den Konzilien, die Beinhäuser betreffen, vgl. Odermatt-Bürgi 2016, 63 und 70 – 77.  In Ezechiel 37, 1– 14 sieht der Prophet in einer Vision, wie Gott die Gebeine der Verstorbenen auferweckt.  Vgl. Odermatt-Bürgi 2016, 63.  Zum Schutz der Heiligen vgl. Odermatt-Bürgi 2016, 62.  Einen guten Überblick über die Geschichte der Friedhöfe bietet Sörries 2009.  Zur Geschichte von Beinhäusern siehe Koudounaris 2011 und Odermatt-Bürgi 2016.

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auch heute in verschiedenen Gebieten Europas mit Gebeinen gefüllte Friedhofskapellen.⁴⁰ Im Gegensatz zu den bei Madonna kritisierten Stereotypen der Ausgrenzung präsentieren Beinhäuser zunächst ein Ideal der kollektiven Egalität im Tod. Im Ossarium von Mistail (Abb. 78b) findet sich zum Beispiel der Memento Mori-Satz »Was wir sind, das werdet ihr, was ihr seid, das waren wir«, wobei bereits im Spruch die Toten (›wir‹) und die Lebenden (›ihr‹) als gegensätzliche Kollektive benannt werden. Im Gegensatz zur Welt der Lebenden liegen in den Knochensammlungen die Gebeine unabhängig von Gender, Stand, Beruf, Aussehen, Alter oder Intelligenz nebeneinander. Während es auf dem Friedhof durchaus standesgemäße Unterschiede gab – die Gräber in der Nähe der Kirche waren begehrter und oft den Einflussreicheren vorbehalten –, propagierten Beinhäuser eine Gleichheit im Tode, in der Individuen nicht mehr unterschieden werden können (Abb. 78a–d). Im österreichischen Wildschönau-Oberau sind 23 Schädel rund um einen Altar, der die Auferstehung Christi sowie Himmel und Hölle zeigt, in die Wand eingemauert. Diesen Gebeinen sind die Buchstaben des Alphabets auf die Stirn gezeichnet. Darunter, heute durch einen Altar verdeckt, ist der Spruch angebracht: »In diesem ABC sieh’, ob dein Nam’ nicht steh’! Jung und alt steht in meiner Gewalt – arm und reich sind mir gleich« (Abb. 79).⁴¹ Die Schädel bilden hier also eine symbolische Gemeinschaft im Tod. Die sozialen Unterschiede zu Lebzeiten werden nichtig, weder Bildung, noch Alter oder ökonomische Verhältnisse spielen in der Welt der Toten eine Rolle. Die sterblichen Überreste der Individuen werden bei der Inszenierung im Beinhaus zwar nicht in einem religiösen, aber in einem ästhetischen Sinn austauschbar. Was zählt, sind die Einhaltung der moralischen Forderungen der religiösen Institution und das Kollektiv der Toten. Dennoch richtet sich das Memento Mori als normative Forderung an die Lebendigen. Anhand einer visuellen Inszenierung von Kollektivität und Egalität der Toten wird das individuelle Verhalten der Angehörigen und deren Einbettung in die Gemeinschaft der Gläubigen reguliert. Dieser gemeinschaftlichen Einbettung diente auch das mit Beinhäusern verbundene Heilsversprechen: Wer im Ossarium seine letzte Ruhe fand, konnte sich der Geborgenheit im religiösen Kollektiv und dem Schutz transzendentaler Mächte, der Schutzheiligen, gewiss sein. Andersgläubige und Ketzer, Selbstmörder und ungetaufte Kinder wurden nicht auf dem Friedhof bestattet und deshalb auch nicht in diese Beinhausgemeinschaft integriert.⁴² Dies zeigt nicht zuletzt, wie bedeutsam die Taufe

 Siehe Koudounaris 2011. Für Beinhäuser in Österreich: Westerhoff 1989; Sörries 1996; in Deutschland: Zilkens 1983; im Elsass: Lang 1998; in der Schweiz: Odermatt-Bürgi 2016.  Westerhoff 1989, 177– 178.  Besonders der Ausschluss von letzteren, meist totgeborenen Kindern, konnte für Eltern eine schmerzhafte Ausgrenzung darstellen, weshalb es an Wallfahrtsorten wie in Oberbüren (Bern, Schweiz) verschiedene, nicht immer anerkannte Techniken gab, um totgeborene Kinder noch einmal kurz zum Leben zu erwecken und sie dann schnell zu taufen; vgl. Ulrich-Bochsler/Gutscher 1994.

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In guter Gesellschaft

Abb. 78a-d: Die Gebeinmassen in Eggenburg (Österreich), Mistail und Stans (Schweiz) und St. Michael, Weißenkirchen (Wachau, Österreich) lassen die einzelnen Verstorbenen in einem Kollektiv aufgehen.

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Abb. 79: Zwei der 23 in Wildschönau-Oberau (Österreich) eingemauerten Schädel. Die abgebildeten Schädel tragen die Buchstaben V und W auf der Stirn.

in der römisch-katholischen Kirche und damit die Integration in die Gemeinschaft bis ins 19. Jahrhundert, und vielerorts darüber hinaus, war. Beinhäuser inszenieren also, um diesen Gedanken zusammenzufassen, auf der visuellen Ebene eine egalitäre Gemeinschaft der zum auserwählten Kollektiv Gehörenden im Tod. Damit verbunden ist ein Heilsversprechen an diese Gemeinschaft. Durch die visuelle Inszenierung von gemeinschaftlicher Gleichheit wird jedoch auch eine normative Botschaft an die Lebenden gerichtet: Der Tod ist zwar unausweichlich, doch die heilsbringende Gemeinschaft im Tod ist nur jenen vorbehalten, die eine bestimmte, von der religiösen Institution vorgegebene Lebensführung befolgen.

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8.4 Geteilte Bedeutungszuschreibungen auf der visuellen Ebene Die beiden Beispiele aus den Bereichen der Popmusik und der Bestattungskultur haben gezeigt, dass sichtbare Religion maßgeblich zur Formung kollektiver Identitäten beiträgt, sei es bezüglich einer Gruppe von ›Auserwählten‹ in Beinhäusern oder der Kritik von rassistischen Stereotypen bei Madonna. Diese Formung von Gemeinschaften verläuft über geteilte Bedeutungszuschreibungen auf der visuellen Ebene, womit gemeinsames religiöses Wissen generiert und vermittelt wird. Durch (audio‐)visuelle Medien können kollektive Regulierungen und Hierarchien aber auch erfolgreich hinterfragt werden, wie beide Beispiele ebenfalls auf unterschiedliche Weise gezeigt haben: In Madonnas Video werden Hass und Gewalt gegen Frauen sowie rassistische Vorurteile kritisiert, wobei das religiöse Setting mit dem Schwarzen Heiligen und dem Gospelchor als utopische Gegenwelt ebenfalls in einem durchaus stereotypen Sinn inszeniert wird. In den Beinhäusern wird über die materielle Ebene eine Egalität der sterblichen Überreste inszeniert. Diese Präsentationsform kann im Sinne des Memento Mori, der Besinnung auf die Vergänglichkeit des Lebens und der sozialen Hierarchien Rückwirkungen auf das Leben der im Beinhaus Betenden haben. Auch hier wird Religion als normative Alternative zu sozialen Machtstrukturen stilisiert. Sichtbare Religion auf der kollektiven Ebene kann deshalb nicht losgelöst werden von Interaktionen und Schnittpunkten mit anderen Bereichen der Gesellschaft, wie Kunst, Politik oder Ökonomie. Die besprochenen Beispiele zeigen, dass Kollektivität und Individualität mit Blick auf sichtbare Religion Hand in Hand gehen. In dieser Verbindung werden die Ebenen der Repräsentation, der Identität und der Rezeption auf eine zeit- und kulturspezifische Weise verknüpft: Die eingangs gestellte Frage war, wie das Individuum sich in einen kollektiven Rahmen einbettet und wie sichtbare Religion dieses Zusammenleben formt. Die betrachteten Beispiele zeigen prägnant auf, wie durchlässig die Grenze zwischen dem Individuellen und Kollektiven ist, und zwar auf allen Ebenen des circuit of culture. Kollektive Vorstellungen über Religion prägen das individuelle religiöse Handeln, das wiederum kollektive Vorstellungen formt. Im nächsten Kapitel wird der Blick deshalb auf die Frage nach der Bedeutung sichtbarer Religion für das individuelle Leben geworfen.

Geteilte Bedeutungszuschreibungen auf der visuellen Ebene

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Fragen zur Vertiefung · Diskutieren Sie die Frage, weshalb Menschen Musikvideos wie jenes von Madonna oder Lady Gaga als beleidigend empfinden. Welche Interaktionen zwischen kollektiven Vorstellungen und individuellen Emotionen lassen sich herauskristallisieren? · Welche visuellen und materiellen Strategien lassen sich in den Beinhäusern (Abb. 78a–d) finden, um Gemeinschaft herzustellen? Um welche Art von Gemeinschaft handelt es sich? · Welche Kategorien von Differenz lassen sich anhand der beiden in diesem Kapitel diskutierten Beispiele festhalten? Wie stehen sie zueinander?

9 Private Ansichten oder wie religiöse Bilder das Individuum prägen Fein verzierte Rotgold-Glieder umschließen ein kleines Medaillon. Vor fremden Blicken geschützt sind darin zwei Fotografien versteckt. Wir haben es also mit einem personalisierten Erinnerungsstück zu tun. Dies ist die Uhrkette jedoch nicht nur wegen der beiden Fotos, sondern auch wegen des Geflechts aus Haar, das die Kette bildet. Diese Kombination aus Haar und Fotografien ergibt ein individualisiertes Schmuckstück, das so tatsächlich nur einmal auf der Welt existiert (Abb. 80). Diese Art von Erinnerungsschmuck wurde im Kontext der Trauerpraxis im 19. Jahrhundert verwendet. Die Uhrkette erinnerte an die verstorbene Person, die in diesem Fall – aufgrund der langen Haare – wohl weiblich war. Das Haar, das in dieses individualisierte Schmuckstück eingearbeitet worden war, bildete ein Pars pro Toto für die abwesende Person. Die Verstorbene blieb durch dieses Stellvertreterobjekt anwesend und in Erinnerung. Die Uhrkette aus Haargeflecht ist ein Beispiel dafür, wie materielle, sichtbare Objekte verwendet werden, um sich als Individuum in Beziehung zu anderen Individuen zu setzen und diesen Bezug zugleich in einem transzendenten Horizont zu verorten. Grundlegend stellt sich hier die Frage, wie visuelle Elemente Individualität repräsentieren und welche Rolle sie für die Identitätsbildung eines Individuums in einem religiösen Kontext spielen. Genauso wie sichtbare Religion kollektive Identi-

Abb. 80: Eine Uhrkette aus menschlichem Haar, spätes 19. Jahrhundert. https://doi.org/10.1515/9783110536706-010

Visuelle Repräsentation und individuelle Identitätsprozesse

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tätsprozesse anstoßen kann, formt sie nämlich auch individuelle Identitäten mit. Der Schmuck repräsentiert einerseits eine individuelle verstorbene Person und prägt andererseits die Identität der oder des Trauernden – eine Identität, die anderen Menschen durch das Schmuckstück kommuniziert werden kann. Diese individuellen Identitäten sind transitorisch; sie wandeln sich je nach kulturellem Kontext, sozialer Rolle, Ort und Zeit. Die Frage dieses Kapitels lautet also: Wie werden Identität und Individualität durch die sichtbaren Elemente einer Religion geprägt? Wie bereits in Kapitel 8 mit dem Fokus auf Gemeinschaft herauskristallisiert wurde, kann die Frage nach der Beziehung zwischen sichtbarer Religion und Individualität nicht gänzlich losgelöst von der Frage nach dem Kollektiv betrachtet werden. Das Individuum, seine Vorstellungen und Praktiken, sind geprägt von kollektiven Werten, Normen und Erwartungen. In der Identitätsbildung eignet sich eine Person kollektive Identitäten an und versteht sich als Individuum im Verhältnis zu diesen Gruppen. Außerdem reagieren Individuen auf Gemeinschaften und kollektive Identitätsbildungsprozesse, zum Beispiel indem sie sich kollektiv-religiöse Weltbilder aneignen, sie adaptieren oder ihnen widersprechen.¹ Und umgekehrt sind kollektive religiöse Weltbilder das Ergebnis von Verhandlungen individueller Ansichten.² Diese Wechselwirkung, und wie sie mittels visuellen Medien verhandelt werden kann, gilt es in diesem Kapitel zuerst genauer zu analysieren. Wir fragen auch danach, welche normativen Vorstellungen mit sichtbaren Formen von Religion verbunden sind:³ Inwiefern regulieren Religionen Individuen, ihre Praktiken und Repräsentationen? Welche Werte werden beim Individuum vorausgesetzt oder gefordert? Wie geht das Individuum mit religiösen Normen um? Und welche Rolle spielen sichtbare Objekte in der Kommunikation und Verstärkung von Identität? Im Folgenden skizzieren wir den theoretischen Rahmen dieser Fragen, die wir dann am Beispiel des oben bereits eingeführten Trauerschmuckes und anhand von Kinderspielzeug diskutieren wollen.

9.1 Visuelle Repräsentation und individuelle Identitätsprozesse Um die oben gestellten Fragen zu bearbeiten, fokussiert das vorliegende Kapitel primär auf das Moment der Identität im circuit of culture. ⁴ Identität kann als Identifikation mit den Bedeutungen, die einem Produkt in Prozessen der Produktion und Repräsentation zugeschrieben werden, konnotiert werden. Wesentliches Moment der Identität ist aber auch die Aneignung von Bedeutungen und ihre Einpassung in ein bereits bestehendes Weltbild im Zuge der Rezeption.⁵ Regulierungsmechanismen

 Vgl. Kracke/Roux/Rüpke 2013, 7– 9.  Zu Weltbildern vgl. Kapitel 4 dieses Bandes.  Zum Verhältnis von Normativität und Religion vgl. Kapitel 6 dieses Bandes.  Vgl. zum circuit of culture die Einführung in Unterkapitel 3.1 dieses Bandes; für die Frage der Identität Hall 2009.  Vgl. du Gay/Hall/Janes/Mackay/Negus 1997, 65.

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Private Ansichten

tragen dazu bei, dass intendierte Bedeutungen im Rezeptionsprozess assimiliert werden.⁶ Der circuit of culture ist jedoch keine Einbahnstraße, Identität ist nicht nur das Resultat der Aneignung von vorformulierten Bedeutungen. In der Rezeption haben Individuen den Freiraum, dem Produkt neue, persönliche Bedeutungen zuzuschreiben, die wiederum die Produktion und die Repräsentation beeinflussen. Rezeption und die darin stattfindende Identifikation kann also sowohl Aneignung von, als auch Widerstand gegen bestimmte Bedeutungen beinhalten,⁷ wobei der Grad von Anpassung und Kritik je nach Person und Situation variieren kann.⁸ Die Rezeption von sichtbaren Objekten bietet also die Möglichkeit, sich als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen, wenn Bedeutungen kollektiv geteilt werden, oder sich als Individuum davon abzugrenzen und damit die eigene Persönlichkeit und Individualität zu definieren. Die Relation zwischen Individuum und Gesellschaft ist dabei als prozessual zu denken. Beide Kategorien bedingen sich gegenseitig, auch wenn »das Verhältnis der Vielheit zu dem einzelnen Menschen, den wir ›Individuum‹ nennen, des Einzelnen zu der Vielheit der Menschen, die wir ›Gesellschaft‹ nennen, […] durchaus nicht klar«⁹ ist, wie der Soziologe Norbert Elias zugibt. Die Frage nach dem Individuum und seinem Selbst wird in unterschiedlichen Disziplinen unter verschiedene, teilweise synonym gebrauchte Begriffe gestellt: Ich, Selbst, Individuum, Person, Subjekt, Identität, Identifikation. Vielfach bezieht sich ›Identität‹ dabei auf die Identifikation eines Individuums mit einer Gruppe, also die Aneignung oder Zuschreibung einer kollektiven Identität, während ›Selbst‹ die Identität der einzelnen Person in Abgrenzung von einer Gruppe bezeichnet.¹⁰ Wir finden hier also zwei verschiedene Blickwinkel auf dieselben Prozesse. Die Begriffe ›Identität‹ und ›Selbst‹ werden oft mit Stabilität oder einer Essenz assoziiert, also mit etwas, das das Ich in seinem Grund dauerhaft, über alle Zeiten und Kontexte hinweg, ausmacht, während mit dem Begriff ›Identifikation‹ ein prozessuales, konstruktives, vorläufiges Verständnis von Identität verbunden wird. Mit dem Begriff ›Identifikation‹ wird es möglich, auch die Erfahrung, dass eine Person sich im Lauf ihres Lebens oder sogar gleichzeitig mit unterschiedlichen, manchmal widersprüchlichen Werten, Positionen oder Rollen identifiziert, zu erfassen.¹¹ Im Kontext des circuit of culture wollen wir auch Identität in diesem Sinne, also als dynamischen Prozess, verstehen. Entsprechend verwenden wir in diesem Kapitel die Termini ›Identität‹ und ›Identifikationsprozess‹ synonym. Identität, ein Sinn für Selbst-sein, ist grundlegend für das Selbstverständnis eines Individuums als eine Person, die sowohl durch Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen charakterisiert ist. Dabei definieren wir ›Selbst‹ mit dem Soziologen Anthony Elliott als »ein symbolisches Projekt, das uns

 Vgl. du Gay/Hall/Janes/Mackay/Negus 1997, 112.  Vgl. dazu Stuart Halls Konzept des encoding/decoding in Unterkapitel 3.2 dieses Bandes.  Vgl. du Gay/Hall/Janes/Mackay/Negus 1997, 102– 104.  Elias 1987, 9.  Vgl. Elliott 2001, 9.  Vgl. Wetherell 2010, 16.

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eine leitende Orientierung zu uns selbst, anderen Menschen und der weiteren Gesellschaft gibt«.¹² Auch das Selbst ist also keine dauerhafte, unwandelbare Essenz, sondern es wird im Sinne eines ›symbolischen Projektes‹ in Prozessen der Zugehörigkeit und Abgrenzung gebildet.¹³ In Prozessen der identitären Verortung spielen sichtbare Objekte und visuelle Inszenierungen eine zentrale Rolle: Kleidung, Haartracht, Schmuck oder Objekte wie Autos oder Smartphones sind Marker eines bestimmten Selbstverständnisses. Sichtbare Religion unterstreicht die dynamische Dimension von Identität, ohne ihre Kontinuität zu verleugnen, denn materielle Gegenstände wie der eingangs erwähnte Haarschmuck formen ein Selbst meist temporär. Sie können abgelegt, verändert, verschenkt oder zerstört werden. Ihre Bedeutung ist ihnen nicht inhärent, sondern entsteht durch Praktiken in Zeit und Raum oder wird ihnen bewusst zugeschrieben. Dennoch überdauern solche Gegenstände durch ihre Materialität einen gewissen Zeitraum, sind also widerständig und kontinuierlich. Ein Fokus auf materielle Gegenstände hebt die Kontinuität und gleichzeitige Kontext- und Zeitbezogenheit von Identität hervor. Eine Person, die die eingangs erwähnte Uhrkette trägt, wurde im 19. Jahrhundert als Trauernde und Erinnernde erkannt. Menschen, die ihr begegneten, konnten auf diese Veränderung reagieren, kondolieren oder Witze über den Tod als unpassend vermeiden. Trüge jemand diesen – noch immer gleich erhaltenen – Schmuck heute, reagierten die Menschen wohl anders. Der Schmuck würde vermutlich nicht mehr als Trauerbezeugung, sondern als altmodische Kuriosität gedeutet. Die Uhrkette und andere visuelle Marker liefern also Hinweise auf »den oder die Ort(e) oder Stellen, wo soziale Kategorien und soziale Beziehungen, symbolische Darstellungen und Hierarchien von Privileg und Nachteil zusammen kommen und als Formen von Subjektivität und Gemeinschaft gelebt werden«,¹⁴ wie der Psychologe Stephen Frosh schreibt. Letztlich kann eine Person, die die Uhrkette trägt, zwar wählen, ob sie sie tragen will oder nicht; sie kann entscheiden, ob sie über sie mit einer bestimmten Rolle in Verbindung gebracht werden will. Aber sie kann die Deutungen der Menschen, die die Kette an ihr sehen, nicht vollends beeinflussen. Theorien zur Identitätsbildung bewegen sich deshalb in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Determinierung und individueller Freiheit, zwischen der Betonung des Einflusses sozialer Strukturen und der Selbstbestimmung des Individuums. Identitätsbildung ist insofern eine notwendige Verhandlung von unterschiedlichen Anforderungen und Vorstellungen, die im Kontext von zeit- und kulturspezifischen Deutungen und Erwartungen

 »[…] a symbolic project that gives us a guiding orientation to ourselves, to other people, and to broader society.« Elliott 2001, 4; Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. zu Identität im Spannungsfeld von Zugehörigkeit und Abgrenzung Lamont/Molnar 2002; Dahinden/Moret/Duemmler 2011.  »[…] the place(s) or location(s) where social categories and social relations, symbolic representations and hierarchies of privilege and disadvantage come together and are lived out as forms of subjectivity and community.« Frosh 2010, 30; Übersetzung durch die Autorinnen.

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geschieht und auf die Menschen mit unterschiedlichen Strategien der Anpassung oder der Ablehnung reagieren.¹⁵ Identitätsbildung ist ein notwendiges Projekt des Individuums, was sowohl befreiend als auch beängstigend wirken kann, weil eine Person sich einerseits selbst entwerfen kann, aber damit auch die Verantwortung für diesen Selbstentwurf im Kontext sozialer Ansprüche tragen muss.¹⁶ Für das angemessene theoretische Verständnis von Individualität und Identität ist es also notwendig, die Spannung zwischen Selbst und Gesellschaft, Prägung und Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten.¹⁷ Religion spielt in diesem Zusammenhang eine aufschlussreiche Rolle, da sie einerseits zu den regulierenden sozialen Strukturen zählt, die dem Individuum bestimmte Rollen und Identitäten anbieten oder sogar aufdrängen. Andererseits erlaubt Religion aber auch, Raum zur freien Selbstbestimmung, möglicherweise auch im Widerstand gegen gesellschaftliche Prägungen, zu finden. Ein Beispiel hierfür wäre die Bedeutung von Religion im Zusammenbruch der sozialistischen Regimes in Osteuropa oder im arabischen Frühling, in denen sich Individuen und Gruppen im Widerstand zu den bisher gesellschaftlich wirksamen Normen definierten.¹⁸ Religionen situieren das Individuum innerhalb eines größeren Rahmens von Beziehungsgeflechten zwischen Menschen ebenso wie zwischen Mensch und Transzendenz. Und sie betonen gleichzeitig die Singularität des Individuums, etwa in Narrativen und Konzepten wie Schöpfung, Sünde, Erlösung, Bekehrung oder Auferstehung. Mit ihren Bildern, Geschichten, Traditionen und Werten bieten Religionen einen Rahmen, innerhalb dessen das Individuum Fragen nach sich selbst, nach dem Sinn des ›großen Ganzen‹, dem Woher und Wohin stellen und Antworten finden kann, die dazu beitragen, einen Sinn von Selbst innerhalb eines gegebenen Kontexts zu entwickeln.¹⁹ In dieser Dynamik zwischen Religion, Individuum und Kollektiv spielen visuelle Elemente eine besondere Rolle. Um sie in ihrer Bedeutung für Individualität und Identität zu erfassen, ist die Kategorie der Selbstrepräsentation hilfreich, die im theoretischen Entwurf des Soziologen Erving Goffman besonders zum Tragen kommt. Goffman beschreibt die Art und Weise, wie Individuen soziale Rollen übernehmen oder ablehnen, mit Hilfe von Theater-Metaphern. Die soziale Umwelt wird so einer Bühne gleichgesetzt, auf der sich die Individuen in verschiedenen Rollen bewegen. Hierbei betont Goffman vor allem – und das ist für unser Interesse an Religion in ihren  Dies hat die Religionswissenschaftlerin Jacqueline Grigo (2015) herausgearbeitet: Sie untersucht, wie Menschen, die religiöse Kleidung tragen, auf von außen auferlegte Identitätszuschreibungen reagieren und welche Strategien sie im Umgang mit oft diffamierenden Stereotypen entwickelt haben.  Vgl. zur Herausforderung von Identitätsbildung Giddens 1991, 175; Beck/Beck-Gernsheim 2009, 14.  Vgl. Elliott 2001; Wood 2010.  Interessanterweise berücksichtigen Werke zu Identität in den allermeisten Fällen Religion als Faktor der Identitätsbildung und Ausdrucksform von Identität und Individualität nicht; eine Ausnahme stellt das Handbuch von Wetherell/Mohanty (2010) mit einem eigenen Kapitel zu Religion dar; vgl. auch Auga 2014; Mahmood 2012.  Für eine sehr knappe Behandlung der Rolle von Religion in der Entwicklung kindlicher Identität vgl. Goodman 2002, 345.

Visuelle Repräsentation und individuelle Identitätsprozesse

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sichtbaren Formen wichtig – die Bedeutung des Körpers und die Kontrolle von körperlichen Handlungen und Haltungen, die fundamental für die Selbstpräsentation des Individuums in der angestrebten Rolle und Position sind. Die Kommunikation über Identität erfolgt also in Goffmans Theorie auch visuell, indem bestimmte Haltungen oder Gesten in einer Gesellschaft spezifische Bedeutungen vermitteln.²⁰ Der Körper ist sowohl Objekt von sozialen Regulierungs- und Kontrollmechanismen als auch Ausdrucksmedium von Individualität und Selbstsein. Goffman betont zwar vor allem Kontrolle und Management des Körpers durch das Selbst im Bestreben, gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Aber ebenso kann der Körper auch zum Ort von Widerstand gegen gesellschaftliche Normen werden, entweder absichtlich, etwa durch Tattoos, Kleidung oder Gesten, oder durch unbeabsichtigte soziale ›Fehler‹, zum Beispiel ein versehentliches unangebrachtes Verhalten bei einem Ritual.²¹ Visualität, Symbole, Körperhaltungen oder Bewegungen spielen also bei der Formung und Vermittlung von Identität und Individualität eine zentrale Rolle: Einerseits wird Bedeutung symbolisch angeboten und vom Individuum in der Konstitution des Selbst und dem Versuch der Beantwortung der Frage ›Wer bin ich‹ angeeignet, andererseits wird das individuelle Selbstverständnis visuell kommuniziert. Durch diese Selbstrepräsentation verankert sich das Individuum wiederum im sozialen Kontext. Visuelle Elemente bieten also Struktur und vermitteln Erwartungen, erlauben aber auch Widerstand oder eine Neubestimmung von Bedeutung. Visualität ist also fundamental für die Vermittlung von Innen und Außen, Individuum und Kollektiv, Tradition und Innovation. Will man sich dieser Spannung religionswissenschaftlich annähern, stellen sich zunächst methodische Fragen, denn die für die Forschung zugänglichen Daten sind zunächst individuelle Daten, auch wenn Fragestellungen und konzeptuelle Systematisierungen gemeinhin zu Verallgemeinerungen tendieren, wie der Religionswissenschaftler Fritz Stolz feststellt: Die unmittelbaren Daten, die dem Religionswissenschaftler zugänglich sind, sind immer individuelle Daten; nur wenn diese einem Abstraktionsprozess, einer Verallgemeinerung unterzogen werden, ergibt sich das allgemein Gültige und Verbindliche. Die Beschreibung eines religiösen Sachverhalts erfordert also bereits eine Beachtung zweier Gesichtspunkte: Man hat mit gesellschaftlich Vorgegebenem zu rechnen, welches individuell realisiert ist; das individuell Realisierte ist darzustellen als Verwirklichung einer gesellschaftlich vorgegebenen Möglichkeit.²²

 Goffman (1981) führt das sehr einleuchtend in Bezug auf Gender aus, das durch Körperhaltung und der Positionierung von Körpern kommuniziert und verstärkt wird. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre etwa das viel diskutierte man spreading, also wenn Männer mit weit geöffneten Beinen sitzen und durch die unangemessene Inanspruchnahme von Raum etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln (und den Verweis auf ihre Genitalien) ihre Überlegenheit markieren. Siehe auch Kapitel 6 dieses Bandes.  Vgl. dazu auch Judith Butlers (1991) grundlegenden Entwurf von Gender als Performativität, also als eine Identität, die in ihrem (normen-konformen oder widerständigen) Vollzug entsteht.  Stolz 2001a, 64.

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Kollektive Vorstellungen und Repräsentationen sind, so argumentiert Stolz, stets Sammlungen individueller Handlungen, die wiederum konkrete Realisierungen von kollektiven Möglichkeiten sind. Wir führen diese Interrelation im Folgenden anhand der für dieses Kapitel gewählten Beispiele aus. Zunächst untersuchen wir den bereits eingeführten Haarschmuck nach seiner Bedeutung für die individuelle Ausformung einer religiösen Sichtweise. Methodisch verfolgen wir dabei, vom materiellen Gegenstand ausgehend, eine historische Perspektive und fragen danach, welche Bedeutung diese Schmuckstücke zu verschiedenen Zeiten einnahmen. Als zweites folgt mit der Untersuchung von religiös konnotiertem Kinderspielzeug die Frage nach dem Wechselspiel zwischen individueller Sozialisation und kollektiven Normen.

9.2 Materielle Emotionen Die eingangs bereits diskutierte Uhrkette stammt aus dem 19. Jahrhundert, in dem die bürgerliche Trauerkultur ihre Blütezeit erlebte (Abb. 80). Durch das Inszenieren von Trauer konnte das aufstrebende Bürgertum materiellen Luxus ausleben, der nicht mit den religiös begründeten Moralvorstellungen im Hinblick auf Keuschheit und Bescheidenheit in Konflikt kam.²³ Denn man trug – zumindest offiziell – die oft opulente Trauerkleidung nicht aus egoistischer Eitelkeit, sondern um die verstorbene Person zu ehren. Trotz oder vielleicht genau wegen dieser moralischen Untermauerung der Trauerkultur konstituierte sich im materiellen Trauern ein neuer bürgerlicher Luxus, der die Identität des Bürgertums ausdrückte und sich gegen die Arbeiterinnenschaft, die sich dieses Trauern nicht leisten konnte, richtete.²⁴ Trauern wurde im 19. Jahrhundert quasi zu einer bürgerlichen Pflicht, die eng mit religiösen Praktiken und Normen verbunden war: Es galt, sich bescheiden zu geben, ein moralisch tadelloses Leben zu führen, sich idealerweise in die Privatsphäre zurückzuziehen und die religiösen Pflichten wahrzunehmen.²⁵ Frauen sollten sich in dieser Zeit nicht wiederverheiraten, Männer dagegen unterlagen dieser Norm nicht.²⁶ Zum Trauerstatus gehörte eine bestimmte Kleidung, die vor allem für Frauen verhüllend, matt und schwarz sein sollte und für beide Geschlechter Trauer- und Gedenkschmuck beinhaltete. Eine besondere Art dieses Trauerschmucks waren

 Vgl. zum Aufkommen der Trauerkleidung und ihrer Bedeutung für das Bürgertum Hoefer 2010.  Vgl. zu dieser Opulenz die zahlreichen Bilder in Hoefer 2010 und Taylor 1983, die zeigen, mit wie viel Stoff und Aufwand Trauerkleidung gestaltet wurde.  Zu den komplexen Regeln des Trauerstatus und seiner materiellen Ausformung siehe die Studien von Hoefer 2010; Taylor 1983.  »Widowers, unlike widows, were able to remarry as soon as they pleased, even while still in mourning for their first wife.« Taylor 1983, 133 (»Witwer, anders als Witwen, konnten wieder heiraten, sobald sie es wollten, selbst wenn sie noch für ihre erste Frau in Trauer waren.« Übersetzung durch die Autorinnen).

Materielle Emotionen

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Schmuckstücke aus menschlichem Haar.²⁷ Sie kamen im späten 18. Jahrhundert in Mode und erlebten im 19. Jahrhundert große Popularität.²⁸ Das Haar stammte in der Regel von der noch lebenden Person und wurde für den Fall des Todes aufbewahrt. Verarbeitet wurde das Haar nach dem Tod entweder professionell, etwa in Klosterarbeiten, oder in privatem Heimwerk. Letzteres sollte die innige Beziehung zur verstorbenen Person besonders ausdrücken. Für die Herstellung zu Hause gab es Anleitungsbücher. Das prominenteste davon ist ein Werk von Mark Campbell mit dem Titel Self-Instructor of the Art of Hair Work. Dressing Hair, Making Curls, Switches, Braids, and Hair Jewelry of Every Description aus dem Jahr 1867.²⁹ Campbell bot in seinem Buch Flechtmuster sowie Mustervorlagen von Broschen über Ringe bis zu Uhrketten an, die zuhause hergestellt werden konnten (Abb. 81).

Abb. 81: Tafel 25 aus dem Buch Self-Instructor of the Art of Hair Work. Dressing Hair, Making Curls, Switches, Braids, and Hair Jewelry of Every Description (1867) von Mark Campbell mit Mustervorlagen für Haar-Armbänder und Broschen.

 Vgl. zu diesem Schmuck Richter 2010; Zick 1980.  Zu Haar-Trauerschmuck im 18. Jahrhundert vgl. Holm 2004.  Das Buch ist online zugänglich auf https://archive.org/details/selfinstructorin00camp [02.02. 2017].

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Private Ansichten

Das Haar wurde meist durch Flechttechniken an einem Flechttisch (braiding table), ähnlich dem japanischen Marudai, zu Bändern und Kordeln verarbeitet (Abb. 82) und dann mit Gold- oder Silbergliedern zu einem Schmuckstück zusammengestellt. Eine andere Möglichkeit, vor allem auch bei kürzerem Haar, war, aus dem Haar oder Teilen davon Erinnerungs-Bilder herzustellen. Dabei wurden die Haare auf einen Untergrund drapiert, geklebt, manchmal auch gestickt, bevorzugt in typischen Memento-Mori- oder Erinnerungsmotiven wie Urnen, verlassenen Landschaften, verwelkenden Blumen oder Federn (Abb. 83). Als ein sichtbares Objekt bietet solcher Haarschmuck auf verschiedenen Ebenen Einsichten in die Beziehung von Religion und Individuum: Auf der Ebene der Pro-

Abb. 82: Eine Handwerkerin arbeitet 2010 während eines historischen Marktes in Rothrist (Schweiz) an einem modernen Flechttisch für Haarschmuck. Die Haarstränge werden mithilfe kleiner Gewichte in Form gehalten.

Materielle Emotionen

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Abb. 83: Eine Feder aus Haar in einem Toten-Erinnerungsbild, fotografiert am historischen Markt in Rothrist (Schweiz) 2010. Die Feder symbolisiert die Flüchtigkeit des Lebens.

duktion spielt das Individuum eine wichtige Rolle, weil das Material, das für den Schmuck verwendet wird, individuell und einzigartig ist. Das Haar sollte die verstorbene Person, wie bereits erwähnt, im Sinn eines Pars pro Toto vergegenwärtigen und die Erinnerung an sie lebendig halten. Was man heute noch zum Teil von Verliebten kennt, die sich gegenseitig eine Haarlocke schenken, damit sie symbolisch immer beieinander sein können, ist im Trauerschmuck über den Tod hinaus ausgeweitet. Dieser Schmuck war zwar höchst populär, aber dennoch wurde jedes Einzelstück in individueller Handarbeit hergestellt. Die idealisierte Herstellungsweise war die private, weil sie die Beziehung zwischen herstellender und verstorbener Person am besten im Schmuckstück ausdrücken und materialisieren konnte.

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Auf der Ebene der Rezeption gilt es zunächst zu bedenken, dass die Trauerinszenierung im 19. Jahrhundert sozial reguliert war. Opulentes Trauern diente, wie erwähnt, dazu, die bürgerliche Kultur von der Arbeiterschaft, die sich diese Trauerauszeit und die teure Ausstattung, die dafür nötig war, nicht leisten konnte, abzugrenzen. Die Trauerkultur speiste sich also aus kollektiven Vorstellungen, die wiederum auf sozialen, ökonomischen und kulturellen Verbindungen zwischen Individuen basierten. Vice versa setzte sie in bestimmten Kontexten die Bedeutung des Individuums für das Kollektiv fest, formte Familien- und Beziehungsstrukturen und war religiös untermauert. Denn je nach Verwandtschaftsgrad und Bindung zwischen den Individuen war die Trauerzeit länger oder kürzer. Die längste Trauerzeit war der Witwe für ihren Mann auferlegt, nicht etwa für ihre verstorbenen Kinder, was uns heute vielleicht überrascht. Gemäß der Kleidungshistorikerin Lou Taylor hatte eine Witwe in Großbritannien Ende des 19. Jahrhunderts mindestens zweieinhalb Jahre lang um den verstorbenen Ehemann zu trauern.³⁰ Manche Witwen, wie zum Beispiel Königin Victoria, die zu einem Vorbild für die Trauerkultur wurde, trauerten sogar ein Leben lang.³¹ Auf dieser Ebene kommunizierte Trauerschmuck also den besonderen sozio-religiösen Status des Trägers oder der Trägerin. Für die Trauernden, die den Schmuck trugen, ermöglichte der Haarschmuck eine materielle persönliche Verbindung mit der verstorbenen Person; diese wurde zusätzlich verstärkt, wenn wie im Falle des Uhrschmucks kleine Fotografien der oder des Verstorbenen integriert werden konnten (Abb. 80). Man trug die verstorbene Person materiell, durch das Haar, und visuell, durch das Foto, wortwörtlich auf dem Körper. Mit Hilfe des Schmuckstücks konnten Emotionen ausgedrückt und möglicherweise kanalisiert werden. Auf jeden Fall kann der Haarschmuck als eine individuelle Strategie gelten, mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen zurechtzukommen. Trauerschmuck formte und kommunizierte eine emotional aufgeladene, (meist) temporäre Identität als Trauernde oder Trauernder in einer individuell erlebten Situation des Verlusts auf einer visuellen Ebene, auf die andere Personen unmittelbar sozial reagieren konnten. Damit spiegelte er gleichzeitig kollektive Erwartungen an ein Individuum und im Umgang mit ihm. Auch unser zweites, zeitgenössisches Beispiel, Kinderspielzeug, weist die gleichzeitige Einschreibung von Kollektivität und Individualität durch materielle Objekte in einem religiösen Kontext auf.

 Vgl. Taylor 1983, 210.  Königin Victoria setzte als eine der ersten fotografische Selbstporträts als Propagandamittel im riesigen britischen Kolonialreich ein und inszenierte sich auch selbstbewusst in Trauer; vgl. Haener 2017.

Spielend Identität bilden

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9.3 Spielend Identität bilden Obwohl die Bildung der Identität einer Person ein Leben lang andauert, sind Kindheit und Jugend besonders intensive Zeiten, in denen ein Mensch in der Interaktion mit anderen einen Sinn von Selbst und Individualität entwickelt. Spielzeug und Spiele können zu den »kulturellen Werkzeugen«³² gezählt werden, die Kindern die Erwartungen der Gruppe vermitteln, und sind damit »für die Formung individueller Persönlichkeit und Kulturen bedeutsam«.³³ Der Entwicklungspsychologe Erik Erikson unterstreicht, dass Kinder durch die Interaktion mit Spielzeug und Mitspielenden physische (senso-motorische) wie psychische Fähigkeiten (beispielsweise den Umgang mit Konflikten) entwickeln sowie Formen der Interaktion mit anderen Menschen einüben.³⁴ Dabei lernen sie, sich selbst und andere zu verstehen, wobei das Lernen als spielerisch, also mit Freude und Spaß verbunden, erfahren wird.³⁵ Zu den durch Spiele vermittelten Erwartungen gehören auch religiös geprägte Rollen, Werte und Weltbilder, die zur Identitätsbildung eines Kindes beitragen. Die Relation von Religion und Spielzeug kann auf mindestens zwei Ebenen verstanden werden: Spielzeug kann einerseits explizite religiöse Informationen vermitteln, zum Beispiel in Form von Bibelquiz, Puzzle mit Motiven aus religiösen Texten oder Verkleidungen für religiöse Rollenspiele. Andererseits kann es die sinnstiftenden Funktionen einer Religion erfüllen und so zu einem Religionsäquivalent werden: »Spiele, Spielzeug und das Spiel dienen vielen Funktionen, nicht zuletzt derjenigen, dabei zu helfen, mit einer chaotischen, gewaltsamen und sogar gefährlichen Welt zurechtzukommen.«³⁶ Für die Untersuchung von Spielzeug als Element sichtbarer Religion ist es methodisch wichtig, eine feste Bedeutungszuschreibung zu vermeiden und sowohl die Intention der Produzierenden als auch die Erfahrungen der Spielenden zu berücksichtigen. Die Bedeutung von Spielen ist ihnen nicht inhärent, sondern prinzipiell veränderbar und entsteht in der individuellen Interaktion in einer bestimmten Situation. Historisches Material, Werbematerial, Kommentare auf Internetseiten oder Videos von spielenden Kindern können einen Einblick in diese unterschiedlichen Prozesse von Bedeutungszuschreibung gewähren.

 »cultural tools«, Dyer 2002, 90; Übersetzung durch die Autorinnen.  »significant in shaping individual personality and cultures«, Morgen 1989, 497; Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. Erikson 1989.  Zur Rolle von Spiel und Spielzeug in der kindlichen Entwicklung vgl. Morgen 1989; Bates 2002; Saifer 2002.  »Games, toys, and play serve many functions, not the least of which is to help cope with a chaotic, violent, and even dangerous world.« Morgen 1989, 504; Übersetzung durch die Autorinnen.

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Bei der Analyse von religiös konnotiertem Spielzeug wie einer Spielzeug-ArcheNoah³⁷ oder einem religiös assoziierten Weihnachtskostüm (Abb. 84) fällt zunächst seine Funktion in der Vermittlung von kollektiv geteilten Normen und Rollen auf. Historisch betrachtet war Spielzeug als eine pädagogische Vorbereitung auf das Leben als Erwachsene gedacht und entsprechend daraufhin ausgerichtet, Identitätsbildungsprozesse gemäß kollektiven Normen zu prägen.³⁸ Auch heute noch bietet das Puppenhaus kleinen Mädchen die Gelegenheit, sich Hausfrauenfähigkeiten spielerisch anzueignen, während Zinnsoldaten oder Miniaturhandwerkszeug Jungen in die Welt der sogenannten Männerberufe einführen. Dasselbe gilt für den religiösen Kontext. In einer katholischen Zeitschrift aus den USA von 1957 wirbt eine Anzeige für »Little Nun«- und »Little Priest«-Kostüme für Kinder als »Easter Inspiration«.³⁹ Aus dem Werbetext geht hervor, dass sich die Kinder mithilfe der Kostüme die entsprechenden Bewegungen und Verhaltensweisen, die mit diesen religiösen Rollen verbunden sind, aneignen können, nämlich »the quiet dignity of those who have dedicated their lives to the Church.« Die Intention der Produzenten dieser Kostüme ist dabei, soweit sich das aus dem Text der Anzeige erkennen lässt, ambitiös: Es geht nicht nur darum, ein paar vergnügliche Stunden als Priester oder Nonne zu verbringen, sondern darum, dass das Spiel mit diesen Kostümen Kinder dazu anleitet, ihr ganzes Leben auf ein katholisches Ideal hin auszurichten: »This fine imaginative play

Abb. 84: Religiös konnotierte Weihnachtskostüme für Kinder auf www.maskworld.com.

 Das Spielzeugmotiv der Arche ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt und wird bis heute in den verschiedensten Variationen und von verschiedenen Herstellern produziert; vgl. Cross 2004, 838.  Vgl. für einen historischen Überblick Cross 2004, 838 – 840; Morgen 1989, 498 – 502.  Werbeanzeige abgedruckt in McDannell 1995, 56.

Spielend Identität bilden

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will help them plan their lives […] the Catholic Way.« Kleine Kinderaltäre, Mini-Kelche oder Mini-Monstranzen ermöglichten Jungen (wohl weniger Mädchen?) die Rolle des Priesters für sich auszuprobieren und sich mit ihr zu identifizieren (oder nicht).⁴⁰ Und diese spielerische Identifikation mit religiösen Spezialisten ist heute keineswegs aus dem Spielerepertoire von Kindern verschwunden: Auf Youtube finden sich mehrere Videos von Jungen, die samt Gewändern, Kelchen und anderen Accessoires eine katholische Messe feiern (Abb. 85). In einem Bericht auf der Homepage der Verlagsgruppe Bistumspresse kommentiert der Autor das Wissen der Kinder um liturgische Vollzüge und Praxis anerkennend.⁴¹ Dies zeigt, dass auch hier – zumindest von Seiten des Kommentators – das Spiel als eine Möglichkeit, sich Wissen um religiöse Rituale und die Priesterrolle anzueignen, verstanden und gelobt wird. Auch im islamischen Kontext gibt es Spielzeug, das dazu anleitet, sich gemäß kollektiv geteilten religiösen Normen zu verhalten, zum Beispiel mit Puppen, mit deren Hilfe Kinder spielerisch die richtigen Gebetshaltungen oder das Tragen von angemessener Kleidung erlernen (Abb. 86). Da sowohl religiöse Rollen als auch Spielzeug häufig genderspezifisch sind, trägt die spielerische Übernahme von solchen Rollen auch dazu bei, eine der heteronormativen Genderordnung gemäße Identität zu festigen⁴² und die damit einhergehenden Möglichkeiten oder Einschränkungen für sich zu übernehmen und einzuprägen: Die Puppe Fulla modelliert das Tragen des Hijab für muslimische Mädchen, während

Abb. 85: Screenshot eines Videos auf Youtube, in dem der fünfjährige Isaiah die Messe feiert.

 Vgl. Gerber 2013.  Vgl. Gerber 2013.  Vgl. Albert Banduras social learning theory, dergemäß sich Gender vor allem durch die Imitation von Rollenmodellen festschreibt, diskutiert in Noppe 2002, 163; vgl. auch Bado-Fralick/Norris 2010, 47.

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Abb. 86: Die islamische Fulla gibt es in verschiedenen Varianten. Sie hat eine etwas geringere Oberweite als Barbie und ist mit Hijab und Kleid festlich angezogen. Wenn man einen Knopf in der Verpackung drückt, singt sie.

kleine katholische Jungen mit Kelch und Priesterkleidung spielen.⁴³ Hierbei wird Gender in einer stereotypen Weise konstruiert und anhand materieller Inszenierungen über die Sozialisation vermittelt. Alternativen, die Gendernormen durchbrechen oder genderneutral sind, gibt es immer noch selten, so dass Widerstand oder Kritik nur im Rahmen der Rezeption möglich sind.⁴⁴ Das Spielzeug trägt somit dazu bei, ein Kind in eine religiöse Tradition mit ihren spezifischen Praktiken und Überzeugungen zu sozialisieren, etwa wenn eine Spielzeug-Arche-Noah in den Kontext der Erzählungen aus Genesis von der Schöpfung, den Verfehlungen der Menschen, ihrer Strafe durch die Flut und Noahs Rettung gesetzt wird. Ein Kind kann sich dann in die Rolle Gottes, des verärgerten Schöpfers, des  Ein Video von einem Mädchen, das Messe-Feiern spielt, findet sich auf Youtube unseres Wissens nicht. In ihrer Studie weist Pasche Guignard (2012) allerdings darauf hin, dass Messe-Spielsets auch von Mädchen benutzt werden.  Vgl. zur Diskussion um genderspezifischen Spielzeug und die (langsamen) Reaktionen der amerikanischen Spielzeugindustrie Tabuchi 2015.

Spielend Identität bilden

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verängstigten Noah oder der zu rettenden Tiere hineinversetzen und diese Geschichten nachspielen. Zusammen mit dem Spiel mit der Arche Noah kann so ein bestimmtes Weltbild von einer Schöpfung, die von den Menschen gefährdet wird, Vorstellungen von Sünde und Bestrafung, Verantwortung für Mitgeschöpfe usw. vermittelt werden. Ein Individuum kann sich dann mit diesen Vorstellungen identifizieren, eigenes Verhalten dementsprechend bewerten und einen Platz in der Gemeinschaft finden. Das Spielzeug kann Zugehörigkeit zu einer religiösen Tradition signalisieren und verstärken, wenn etwa ein Arche-Noah-Set zur Taufe verschenkt wird, das Spielzeug also bewusst in die rituelle Deutung des individuellen Lebenszyklus im Kontext der religiösen Gemeinschaft integriert wird.⁴⁵ Die Religionswissenschaftlerin Florence Pasche Guignard unterstreicht »die Wichtigkeit von Spielzeug als Geschenk für Kinder zu bestimmten rituellen Anlässen und die Bedeutung, die das Erhalten von (religiösem und säkularem) Spielzeug als Geschenk in der sozialen Repräsentation der Identität von Kindern und Teenagern annimmt.«⁴⁶ Die Wahl des Geschenks steht hier in engem Zusammenhang mit dem Anlass: Ein religiös konnotiertes Geschenk wird für die Feier des religiösen Anlasses gewählt und unterstreicht die identitätsbildende Bedeutung des Feiertags. Wie bereits diskutiert, entsteht Individualität und Identität in der Spannung zwischen kollektiver Identität und individueller Freiheit. Dies wird am Beispiel des Spielzeugs besonders deutlich, das nicht nur die bisher unterstrichene Funktion hat, Normen und Zugehörigkeit zu kommunizieren, sondern das auch individuelle Kreativität, Imagination und Fantasie fördert. Die Welt, die in Spielen und mit Hilfe von Spielzeug erschaffen wird, ist zwar ein Teil der Alltagswelt und spiegelt ihre Strukturen, gleichzeitig ist sie diesen Strukturen und Erwartungen auch entzogen. Ein Spielzeug mag einem Kind eine bestimmte Rolle nahelegen, aber ob es sie den Erwartungen gemäß ausfüllt, oder ob nicht ein Junge das Nonnenkostüm überzieht oder ein Mädchen als Gott die Arche Noah mit Mann und Maus im Sturm in der Badewanne untergehen lässt, ja, selbst, ob es das Schiff als Arche Noah identifiziert oder als die Yacht eines arabischen Ölscheichs, das ist dem Einfluss der Produzierenden wie auch der Familie oder Gemeinschaft entzogen – auch wenn elterliche Sanktionen und Werbung für das Spielzeug die Anpassung an kollektive Normen forcieren können. Ein Spielzeug ist auch kein eindeutiger Marker von Zugehörigkeit: Ein Kind, das mit einer Arche Noah spielt, ist nicht notwendigerweise christlich. Es könnte sein, dass es als Muslim das Spielzeug von einer christlichen Freundin ausgeliehen hat oder als Hindu im Kindergarten mit den Tieren und dem Schiff spielt, ohne sich mit der

 Vgl. den User-Kommentar von Christina Schmidt vom 26.06. 2013 auf http://www.amazon.de/Haba-1169-HABA-Arche-Noah/dp/B0002HYFJ8/ref=sr_1_66?ie=UTF8&qid=1402489687&sr=8 – 66&keywords=arche+noah [07.02. 2018].  »The significance of toys as gifts given to children on specific ritual occasions, and the meaning that receiving toys (religious and regular) as gifts takes in the social representation of children’s and teenagers’ identities.« Pasche Guignard 2012, 201; Übersetzung durch die Autorinnen.

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Private Ansichten

dahinter stehenden Geschichte zu identifizieren. Spielzeug wird auch von Erwachsenen nicht nur wegen der damit assoziierten religiösen Werte, sondern auch aus anderen Gründen, zum Beispiel wegen seiner entwicklungsfördernden Funktion, gekauft. So deutet ein Online-Kommentar zur Playmobil-Mitnehm-Arche auf der Website von Amazon zwar den biblischen Hintergrund und die Möglichkeit, die Geschichte von Noah und der Sintflut nachzuspielen, an, unterstreicht allerdings, dass die Tiere den meisten Kindern aus dem Zoo bekannt sind und so sei es »also keineswegs zwingend notwendig, dass die Kinder die biblische Erzählung kennen.«⁴⁷ Der durch Spielzeuge eröffnete Freiraum von Fantasie und Imagination bietet die Möglichkeit, dass in der Interaktion mit religiös konnotiertem Spielzeug die damit verbundenen, kollektiv sanktionierten Normen und Rollen vermittelt werden. Diese können einer Person Stabilität und Struktur geben. Gleichzeitig wird damit Individualität in der Distanzierung von sozialen Normen sowie die Imagination eines eigenen Weltbildes gefördert. Bedeutung und Funktion von Spielzeugen sind offen und werden im kreativen Spiel von den mit diesen Objekten interagierenden Menschen eingeschrieben. Dabei ermöglicht die visuelle und materielle Dimension eine vielschichtige, nicht immer eindeutige Kommunikation von religiöser Identität und Zugehörigkeit.

9.4 Individualität, Zeitlichkeit und Materialität Obwohl Trauer-Haarschmuck und Kinderspielzeug auf den ersten Blick nichts gemein haben, hat sich gezeigt, dass sich ähnliche Fragen an beide stellen lassen. Wir wollen unsere Überlegungen anhand von drei Punkten rekapitulieren. Individualität drückt sich erstens aus der Perspektive von sichtbarer Religion in einem bestimmten Umgang mit visuellen oder materiellen Gegenständen aus. Diese Individualität kann sich in einer einzigartigen Produktion zeigen, wenn der Haarschmuck etwa in Heimarbeit aus den Haaren hergestellt wird oder ein Spielzeug für ein bestimmtes Kind aus Holz geschnitzt wird. Individualität kann sich aber auch auf die Rezeption eines sichtbaren Objektes durch ein Individuum beziehen. Oder sie kann auf der Ebene der Repräsentation angesetzt sein, beispielsweise wenn das Material wie das Haar Einzigartigkeit darstellt. Sichtbare Religion kann aber – und darauf haben wir in diesem Kapitel fokussiert – auch Identitäten formen und vermitteln. Die Uhrkette kommuniziert materiell die trauernde Rolle des Trägers und identifiziert ihn mit dieser Rolle. Gleichzeitig nährt der Schmuck die Erinnerung an die verstorbene Person auf individuelle Weise durch das verwendete Material, das Haar. Die verstor User-Kommentar von Leselampe vom 11.04. 2012 auf http://www.amazon.de/PLAYMOBIL-6765Meine-Mitnehm-Arche-Noah/dp/B00361FUG4/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1402489608&sr=8 – 1&keywords=arche+noah [07.02. 2018]. Dieser Kommentar entspricht den Produktbeschreibungen, die etwa im Fall der Playmobil-Mitnehm-Arche betonen, wie praktisch die Arche als Mitnehm-Spielzeug ist, aber die dahinter stehende religiöse Geschichte nicht erwähnen.

Individualität, Zeitlichkeit und Materialität

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bene Frau lebt durch das verwendete Haar im Schmuckstück weiter und formt die Identität des Trägers durch Erinnerungen mit. Spielzeug hingegen bietet Kindern bestimmte Strukturen, Weltbilder oder Rollen an, die in der Interaktion mit dem Spielzeug, anderen Mitspielenden oder assoziierten Erzählungen angenommen und in die eigene Identität eingefügt werden können. Gleichzeitig erlauben Spielzeug und die im Spiel geförderte Kreativität und Fantasie aber auch den kritischen Umgang mit den vorgeschlagenen Elementen. Sie fördern und prägen so Identitätsprozesse in der Distanzierung oder Affirmation von kollektiven Normen. Zweitens führen beide Beispiele den Aspekt der Zeit in die Interrelation von sichtbarer Religion, Identität und Individuum ein.Während der Haarschmuck einen in der Regel zeitlich vorübergehenden Trauerstatus einer Person anzeigt, ist Spielzeug Teil einer sich verändernden Sozialisationszeit. Spielzeug wird an ein bestimmtes Alter von Menschen angepasst, das heißt, es formt die Identität besonders von Kindern in einem bestimmten Zeitraum. Gleichzeit lässt der Fokus auf zwei materielle Medien deutlich werden, dass die Gegenstände selbst, Schmuck und Spielzeug, diese jeweiligen Identifikationsphasen überdauern können. Beide Beispiele zeigen also die Spannung zwischen der Kontinuität des Materials der Gegenstände und der Dynamik der damit verbundenen Identifikationsprozesse. Letztere sind zeit- und kulturspezifisch und darüber hinaus eng mit dem jeweiligen individuellen Handlungsspielraum und den persönlichen Vorstellungen verbunden. Ein Kinderspielzeug kann von einer Person gekauft werden, um es in ein Kunstwerk zu integrieren oder wissenschaftlich zu untersuchen. Beides sind individuelle Rezeptionsräume, die von der Produktion zunächst wohl nicht intendiert sind. Bei der Frage nach Individuum und Identität stellt sich also drittens die Herausforderung der Spannung zwischen kollektiver Determinierung, individueller Verwendung und Deutung sowie der Kontinuität des Materials. Diese Spannung zwischen kollektiver Determinierung und individueller Selbstbestimmung, zwischen der Integration in eine Gemeinschaft und der individualisierten Differenz kann in religiösen Kontexten als das Pendeln zwischen Tradition und Innovation verstanden werden. Traditionen entsprechen tendenziell kollektiv geteilten Werten oder Vorstellungen, die eine Generation überdauern. Innovationen gehen eher vom Individuum oder einer kleinen Gruppe aus oder werden diesen zugeschrieben, wirken dann jedoch auf eine Gruppe zurück und verändern oder festigen Traditionen. Diese Spannung zwischen Tradition und Innovation ist notwendig, um die Möglichkeit menschlicher Existenz als singuläres Individuum im Kontext sozialer Beziehungen zu verstehen. Sie wird deshalb im nächsten Kapitel weiter vertieft.

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Private Ansichten

Fragen zur Vertiefung · Wie kann ein massenproduziertes Schmuckstück, zum Beispiel ein Kreuz oder David-Stern, zum Ausdruck individueller Identität werden? · Analysieren Sie anhand des Beispiels der Puppe Fulla (Abb. 86), wie im Spiel mit ihr die Wechselwirkungen von Individualisierung und kollektiven Normen erlebt werden könnten. · Diskutieren Sie die verschiedenen Momente des circuit of culture (Produktion, Repräsentation, Rezeption, Identität und Regulierung) im Hinblick auf die Frage, in welchem Moment die kollektive Dimension stärker ist und in welchem Moment individualisierende Prozesse maßgeblich sind. Sehen Sie Unterschiede in der Analyse des Haarschmucks beziehungsweise des Spielzeugs?

10 Bilder auf Wanderschaft oder wie Tradition und Innovation sich gegenseitig bedingen Auf dem dunklen Boden eines ganz in Weiß gehaltenen Raumes eines Museums für zeitgenössische Kunst liegt eine Replik des Labyrinths der Kathedrale von Chartres. Die Form ist aus einem industriell produzierten Wollteppich geschnitten, der mit orientalischen Motiven in Blau und Senf auf einem beigen und roten Grund verziert ist. Die kleine Tafel an der Wand gibt Auskunft über den Werktitel und die Künstlerin und enthält eine Gebrauchsanweisung: Die Besucherinnen und Besucher werden eingeladen, einen Kunststoffschutz über die Schuhe zu ziehen und auf dem Wollteppich umherzugehen (Abb. 87). Su-Mei Tses Kunstwerk Proposition de détour ¹ steht zu Beginn dieses Kapitels, das sich mit der Spannung zwischen Tradition und Innovation in Überlieferungsprozessen beschäftigt. Damit möchten wir aufzeigen, wie religiöse Symbole, Motive und Konstellationen im Laufe der Zeit weitergegeben und neu interpretiert werden. Im Verlauf eines Tradierungsprozesses verändert sich der Kontext, in dem die Verweise

Abb. 87: Su-Mei Tse, Proposition de détour, 2008, bedruckter Wollteppich, 900 cm Durchmesser, hier im Kunstmuseum Luzern, 2010.

 Eine Besprechung des Werks findet sich bei Fischer/Bürgi 2010. https://doi.org/10.1515/9783110536706-011

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Bilder auf Wanderschaft

auf ein religiöses Symbolsystem rezipiert und adaptiert werden. Bedeutungszuweisungen wandeln sich somit auf der Zeitachse und auf der geografischen Ebene durch die Diffusion über die Grenzen von Kulturen und Religionen hinweg. Anhand eines zweiten Beispiels, in dem die Figur der Maria im Zentrum steht, wird in diesem Kapitel die Rolle von neuen Medien und Technologien hinsichtlich Tradierungsprozessen auf der Zeitachse hervorgehoben, wobei der Fokus auf den Wechselwirkungen von Religion und den bildenden Künsten liegt. Schließlich wird ausgehend von einem dritten Beispiel, das sich mit zeitgenössischer religiöser Architektur beschäftigt, eine weitere Dimension von Tradierungsprozessen diskutiert. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich hier von der Rezeption und der Veränderung religiöser Motive auf der diachronen Zeitachse zum Kontakt und Austausch zwischen unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften. Zugewanderte religiöse Organisationen sehen sich in neuen gesellschaftlichen Kontexten mit der Spannung zwischen der Treue zu ihren gewohnten visuellen Kommunikationsformen und der Notwendigkeit von Anpassungen an neue gesellschaftliche Kontexte konfrontiert. Um die Kontinuität einer religiösen Tradition zu garantieren, wird nun eine aktive Auseinandersetzung mit dem neuen Umfeld notwendig. Verhandlungen innerhalb der Gemeinschaft und Adaptionen an neue Bedingungen sind unabdingbar und spiegeln sich letztlich auch in den visuellen und architektonischen Umsetzungen.

10.1 Wanderungen durch Zeiten, Kulturen und gesellschaftliche Bereiche Mit Proposition de détour bewegt Su-Mei Tse die Museumsbesucherinnen und -besucher dazu, auf dem Gang durch die Ausstellung einen Umweg zu machen und in einen ungewöhnlich direkten Kontakt mit ihrem Werk zu treten. Damit knüpft sie an eine Praxis an, die man so auch in Chartres beobachten kann: Menschen aus aller Welt, die diese Kirche in Frankreich besuchen, beschreiten das Labyrinth aus dem 13. Jahrhundert und verweilen auf ihm; die einen im Spiel, die anderen in besinnlicher Absicht eine Kerze haltend, einige wollen barfuß die Kälte des Steinbodens spüren. Hier finden sich Pilger, die entlang des Jakobswegs wandern, Frauen mit Stäben in der Hand – es sind vermutlich Rutengängerinnen –, Touristinnen, die die Kirche als Paradebeispiel gotischer Baukunst bestaunen, und natürlich auch Bewohner der Stadt, die ihre Kirche als Ort des Gebets und des Gottesdienstes aufsuchen (Abb. 88). Das Beschreiten des Labyrinths von Chartres ist – symbolisch, imaginär und physisch – an vielen Orten in der Welt möglich, handelt es sich doch um ein Motiv, das beispielsweise in Parkanlangen gerne imitiert wird. Auch in Proposition de détour wurden Form und Maßstab des Originals eins zu eins übernommen, wodurch ein direkter Vergleich mit dem Chartres-Labyrinth evoziert wird. Umso deutlicher treten die Verfremdungseffekte, die das textile Artefakt birgt, hervor. Sie entstehen beispielsweise aus dem Kontrast zwischen den Materialien, dem Stein des Originals und der Wolle des zeitgenössischen Kunstwerks, oder aus der unterschiedlichen Muste-

Wanderungen durch Zeiten, Kulturen und gesellschaftliche Bereiche

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Abb. 88: Menschen beschreiten das Labyrinth in der Kathedrale Chartres.

rung, der Schlichtheit des steinernen Mosaiks und den elaborierten Mustern eines persischen Teppichs. Su-Mei Tses Inspirationsquelle für das Teppichmuster ist der Coronation Carpet, ein wertvolles Werk mit einer komplexen Geschichte (Abb. 89).² Dieser Teppich zirkulierte zwischen dem Iran, England und Amerika. Er wurde mehrmals von Wohlhabenden als Prestigeobjekt erworben und später weiterverkauft. Zur Krönung von Eduard VII. in der Westminster Abbey wurde am 9. August 1902 der Teppich vor dem Thron ausgelegt. Das Gemälde von Edwin Austin Abbey und der gängige Name Coronation Carpet zeugen noch heute von dieser Verwendung (Abb. 90). Auch wenn man Proposition de détour als Verweis auf den Coronation Carpet lesen möchte, stechen verfremdende Kontrasteffekte heraus: der kostbaren, handgearbeiteten Knüpftechnik des Coronation Carpet wird ein industrielles Massenverfahren entgegengesetzt. Proposition de détour verweist also auf zwei Werke, die innerhalb und jenseits ihres ursprünglichen religiösen und kulturellen Kontexts eine spezifische Anziehungskraft besitzen. Beide sind außerordentliche Artefakte, die dank Reproduktionen, Zitaten und Zirkulationsprozessen an vielen Orten präsent sind und in diesem Sinne ihre Wirkung weit über lokale Grenzen hinweg entfaltet haben. Der Bezug auf spezifische religiöse Traditionen ist dabei sehr deutlich: Das Labyrinth verweist auf

 Mehr über diesen besonders kostbaren Teppich aus dem 16. Jahrhundert, der sich heute im Los Angeles County Museum of Art befindet, ist bei Komaroff 2009 und Pal 1987 zu lesen.

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Bilder auf Wanderschaft

Abb. 89: Coronation Carpet, ca. 1520 – 1630, geknüpfte Wolle auf einer Baumwollgrundlage, 701 × 356,76 cm, LACMA, Los Angeles.

Wanderungen durch Zeiten, Kulturen und gesellschaftliche Bereiche

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Abb. 90: Edwin Austin Abbey, The Coronation of King Edward VII, ca. 1902 – 1907, Öl auf Leinwand, 275 × 458 cm, Buckhingam Palace, London.

eine christlich-mittelalterliche Vorstellung des Lebens als Weg,³ während der Teppich mit seinen raffinierten pflanzlichen und tierischen Motiven auf den Garten als Paradies verweist. Diese beiden Aspekte des Werks mit ihren je eigenen, kulturspezifischen Wurzeln machen jenseitige Dimensionen sichtbar.⁴ Proposition de détour verbindet zwei große religiöse Traditionen: Die Form spielt auf das Christentum, das Material und die Motive auf persisch-islamische Traditionen an. Dieser komplexen Verbindung religiöser und ikonographischer Motive begegnen die Besuchenden im säkularen Raum des Kunstmuseums.⁵ Sie werden aufgefordert, im buchstäblichen und übertragenen Sinne einen Umweg auf mehreren Ebenen zu machen: Das Labyrinth zu beschreiten anstatt dem vorgegebenen Ausstellungsweg zu folgen, eine besinnliche Praxis im Museum anstatt in einer Kathedrale zu vollziehen und sich mit religiösen Symbolen anstatt mit international beachteter, zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen. Diese Umwege, so legt das zeitgenössische Werk Proposition de détour nahe, ist den historischen Werken, auf die es verweist, ebenfalls eigen.

 Zur Bedeutung von Labyrinthen vgl. Kern 1999, 141– 142 und 207– 218.  Vgl. zum Verhältnis von Transzendenz und sichtbarer Religion Kapitel 5 dieses Bandes.  Zur Rolle des Museums und des Ausstellens aus religionswissenschaftlicher Perspektive vgl. Bräunlein 2004; Duncan 1995 und 1998; Locher 2002; Mohr 2011; Buggeln/Paine/Plate 2017.

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Bilder auf Wanderschaft

10.2 Herausfordernde Innovationen in Tradierungsprozessen Bilder wandern durch Raum und Zeit. Dadurch wird die Verbindung von Medium und Verweisen, von materiellen und mentalen Bildern, stets erneuert und in der Begegnung zwischen den Körpern der Bilder und den Körpern der Betrachtenden aktualisiert.⁶ Durch Tradierungsprozesse verändern sich Bilder und ihre Rezeptionen. Diese Fähigkeit von Bildern, durch Zeiten und Räume zu wandern, sich in neuen Konstellationen zu treffen und zu fusionieren, bildet den Kern von Tradierungsprozessen sichtbarer Religion. Die dialektische Beziehung zwischen Tradition und Innovation, zwischen Konstanz und Adaption, lässt sich im Rahmen zeitlicher, örtlicher, gesellschaftlicher und technischer Veränderungen als das zentrale Merkmal der Überlieferung und Rezeption visueller Quellen ausmachen. Anhand des folgenden Beispiels aus dem Werk der Schweizer Foto- und Videokünstlerin Annelies Štrba kann diese Wechselwirkung von Tradition und Innovation verdeutlicht werden. Die bunten, beinahe grellen Farben stechen von Weitem ins Auge, noch bevor das Motiv auf den großformatigen Leinwänden richtig erfasst werden kann. Erst wenn sie sich dem Bild annähern, begreifen die Betrachtenden die Tiefe und erkennen, wie sich zarte Umrisse aus dem Hintergrund lösen und zur Konstellation einer Mutter mit einem Kind fügen. Die Madonnendarstellungen Štrbas spielen mit der Grenze von Erfassbarem und Unerfassbarem, von Bekanntem und Verfremdetem. Die Künstlerin verwendet zwar neue Techniken, bedient sich aber ›alter‹ Bilder, also bereits existierender Kunstwerke, die längst Teil eines kollektiven visuellen Bilderfundus geworden sind.⁷ Dadurch erweitert Štrba nicht nur die Marienikonographie um eine neue Perspektive, sondern macht sie auch einem zeitgenössischen Publikum jenseits des Katholizismus zugänglich. Anhand der Ausstellung Heiliger Besuch von 2016 im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen (Schweiz) lässt sich exemplarisch aufzeigen, inwiefern Tradition und Innovation sich gegenseitig bedingen und Bilder durch die Medien und Zeiten wandern. Die Ausstellung inszenierte die Prozesse der medialen Überlieferung, indem sie den zeitgenössischen Drucken Štrbas hölzerne Madonnenstatuen aus dem Hochmittelalter gegenüberstellte. Dadurch wurde die Fluidität von Gestaltungskonventionen und die damit einhergehende Dynamik der Bedeutungszuschreibungen sichtbar gemacht (Abb. 91). Die direkte Konfrontation zeitgenössischer Kunst mit Artefakten aus dem 15. und 16. Jahrhundert im öffentlichen Raum des Museums zu Allerheiligen macht deutlich, dass Tradierung ein Prozess ist, der nicht auf die bloße Wiederholung von Motiven reduziert werden darf, sondern stets mit einer Weiterentwicklung und Aktualisierung  Zu dieser Bilddefinition vgl. Unterkapitel 2.3 dieses Bandes.  Der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Hans Belting geht von der Prämisse aus, dass Bilder über die Jahrhunderte hinweg aktualisiert wurden, es aber in diesem Sinne keine neuen Bilder gäbe. Der Bilderfundus, der unsere Gesellschaft konsolidiere und legitimiere, sei eine Aktualisierung der Bildreservoirs früherer Generationen; vgl. Belting 2001, 54– 55; sowie Unterkapitel 2.3 dieses Bandes.

Herausfordernde Innovationen in Tradierungsprozessen

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Abb. 91: Mittelalterliche Schöne Madonnen werden vor den Drucken der zeitgenössischen Künstlerin Annelies Štrba in der Ausstellung Heiliger Besuch im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen 2016 inszeniert.

einhergeht. Diese Erneuerung lässt sich einerseits auf der Ebene der Produktion, in diesem Fall unter Berücksichtigung der verwendeten künstlerischen Technik, identifizieren. Andererseits kann die Innovation auch auf der Ebene der Regulation festgestellt werden, da die Veränderung der Medienwahl neue Distributionswege ermöglicht, gewisse Vertriebsmöglichkeiten aber auch beeinträchtigt. Letztlich lässt sich auch auf der Ebene der Rezeption, dem soziokulturellen und -politischen Hintergrund, vor dem man etwas wahrnimmt, eine Erneuerung diagnostizieren. Manchmal – wie in diesem Beispiel – wird die Weiterentwicklung sogar auf allen drei Ebenen gleichermaßen vollzogen. Dabei dürfen die Regulierungsmechanismen, welche die jeweilige Repräsentation während ihrer Entstehung, Verbreitung und Wahrnehmung prägen, nicht vergessen werden. Gerade weil Gemeinschaften auf ›geteilten Bildern‹ beruhen, sind die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen abhängig von der Kommunikation, die vor dem Bild entsteht, und dem gesellschaftlichen Kontext, der sie prägt.⁸ Je nachdem, welche macht- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen vorherrschen, sind bestimmte Bildbedeutungen dominant und andere werden marginalisiert. Die Inhalte der in ei-

 Zur integrativen Wirkung von geteilten Bildern für eine Gesellschaft siehe Kapitel 8 sowie für die Funktion von kollektiven Bildern für die Identitätsbildung Kapitel 9 dieses Bandes.

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Bilder auf Wanderschaft

ner Tradition als konstitutiv geltenden Bilder und auch die Lesarten von gemeinschaftsstiftenden Artefakten werden durch die Regulierung der Produktion und der Verbreitung gesteuert und kontrolliert.⁹ Im Folgenden soll die bereits erläuterte Inszenierung von Štrbas Werk im Museum zu Allerheiligen auf den normativen Aspekt der Regulierung hin untersucht werden, um aufzuzeigen, inwiefern spezifische Darstellungsstrategien und damit verbundene Bedeutungsgenerierung mit machtpolitischen Überlegungen einhergehen und wie sich gesellschaftliche Veränderungen in neuartigen Repräsentationsformen und Bedeutungszuschreibungen äußern. Die ›Madonna mit Traube‹ oder ›Traubenmadonna‹ ist ein Darstellungstypus, der vor allem in den ländlichen Weinbaugebieten Süddeutschlands, Österreichs und Südtirols im Hoch- und Spätmittelalter populär war. In diesem religionshistorischen Kontext verweist die Traube als Ursprung des Weins auf das am Kreuz vergossene Blut Jesu, seine Passion und Auferstehung. Maria, die Trauben haltend, reicht die Möglichkeit zur Erlösung an die Gläubigen weiter, die in der Eucharistiefeier durch das Blut Christi an der Gnade teilhaben.¹⁰ Annelies Štrba inszeniert die Madonna mit Traube zwar auf einer Leinwand, jedoch bemalt sie die Unterlage nicht, sondern bringt das Motiv mittels einer Pigmentdrucktechnik, einem Edeldruckverfahren, an (Abb. 92). Anders als bei historischen Edeldrucken früherer Jahrzehnte, in denen man Papier mit einer Mischung aus in Chromat gebadeter Gelatine überzog und dann unter einem Negativ belichtete, bearbeitete Štrba die Fotografie eines ›alten Bildes‹ am Computer und druckte dieses mit spezieller, pigmenthaltiger Tinte per Tintenstrahldrucker auf das Trägermedium.¹¹ Das Motiv wird also mittels unterschiedlicher Techniken, der Fotografie und dem Druck, auf die Leinwand übertragen. Dabei kann die Künstlerin mit der Farbwahl, der Größe, der Pixelzahl spielen und das ›alte Bild‹ durch den Einsatz technischer Mittel zu einem ›neuen Bild‹, einer Adaption der früheren Repräsentation, formen. Auf Štrbas Madonna mit Traube rückt die zentrale Frucht aufgrund der Farbgebung etwas in den Hintergrund, der Blick der Betrachtenden wird primär von den hell strahlenden Köpfen von Maria und dem Kind eingefangen. Doch nimmt die Farbkombination des Bildes, die zwischen gelblich-grün und ocker-rötlich changiert, auf den zweiten Blick die typische Koloratur von Weinlaub auf. Die neuen Mittel, derer sich die Künstlerin bedient, um ihre Version der Madonna mit Traube sichtbar zu machen, verändern die ästhetische Wahrnehmung und erlauben inhaltlich neue Akzentsetzungen. In dieser Madonna mit Traube stehen nicht das auf dem Leidensweg vergossene Blut Jesu und die Vorahnung auf die Passion und Auferstehung im Zentrum, sondern die innigen Bande zwischen den zwei Figuren, auf deren hell leuchtende Köpfe der Blick der Betrachtenden zuerst fällt. Diese inhaltliche Fokussierung wird untermauert, wenn wir den Druck im Werkkontext der freischaffenden Künstlerin

 Vgl. zur politischen Ikonographie Warnke 2010.  Vgl. Volkmann 2002, 34– 35.  Eine Übersicht zu verschiedenen Druckverfahren findet sich in Autenrieth 2010.

Herausfordernde Innovationen in Tradierungsprozessen

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Abb. 92: Annelies Štrba, Madonna mit Traube, 2016, Pigmentdruck auf Leinwand, 125 x185 cm, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen.

verorten. Die Verbindung von Mutter und Kind spielt in Štrbas Œuvre eine zentrale Rolle. Neben der Konstellation mit Maria und dem Jesuskind finden sich in ihrem Werk Inszenierungen mit den eigenen Kindern, in letzter Zeit auch mit den Enkelkindern. Damit wird ein traditionelles religionshistorisches Motiv mit intimen Bildern aus der eigenen Familie und der spezifischen Perspektive der Künstlerin verwoben.¹²

 Die Diashow Shades of Time zeigt einige Impressionen davon, wie Štrba ihre eigene Familie über mehrere Jahrzehnte fotografisch inszenierte und festhielt; vgl. Štrba 1999. Auch das Video Max zeugt vom Interesse der Künstlerin an ihrer und der Familie im Allgemeinen. Mehr Informationen zum umfangreichen Werk sowie Bildmaterial der Künstlerin findet sich auf www.strba.ch [19.05. 2018].

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Bilder auf Wanderschaft

Bei Štrbas Bearbeitungen der Mutter-Kind-Konstellation findet eine Verschiebung statt – eine Konzentration auf die emotionale Nähe, die Liebe zwischen den Figuren. Das macht die Bilder auch für Rezipierende verständlich, die kaum christlich sozialisiert sind oder aus einem anderen kulturellen Kontext stammen. Durch künstlerische Techniken können Emotionen verdichtet und sichtbar gemacht werden, die sowohl kulturübergreifende Elemente als auch kulturspezifische Prägungen enthalten. Mit dieser Wirkweise von Bildern, ihrem Affektpotenzial, hatte sich bereits der Vorreiter der modernen Bildwissenschaft, Aby Warburg, intensiv auseinandergesetzt. Mit seinem Mnemosyne Bilderatlas und der Rede von der sogenannten Pathosformel zeigte er auf, wie emotional aufgeladene Symbole künstlerisch von einer Epoche an die nächste vererbt werden und dadurch im kollektiven Gedächtnis präsent bleiben.¹³ Aufbauend auf Warburgs Vorarbeit hat sich in den 1990er Jahren ein bildwissenschaftlicher Zweig ausgeprägt, bei dem die Bilderfahrung im Sinne einer Begegnung zwischen Betrachtenden und Bild und die Wirkkraft der Bilder im Vordergrund steht.¹⁴ Dieser Zweig der Bildwissenschaft wird als phänomenologischer Zugang bezeichnet, weil das Bild als Phänomen, als eine Erscheinung oder artifizielle Präsenz, die etwas bewirkt, aufgefasst wird.¹⁵ An Warburg anschließend kann festgehalten werden, dass geteilte Bilder – Bilder also, die in irgendeiner Form den Mitmenschen zugänglich gemacht werden – eine spezifische Wirkkraft haben, die nicht zeit- und gesellschaftsgebunden ist. Zugleich fungiert das materielle Bild, also das, was beispielsweise auf der Leinwand sichtbar wird, als Station einer Überlieferungshistorie, die den vorherrschenden soziopolitischen Umständen entsprechend neue Akzente setzt. Jede Sicht- oder Wahrnehmbarmachung eines Bildes führt zu kleineren oder größeren Bedeutungsverschiebungen. Im Beispiel von Štrbas Madonna mit Traube tritt die theologisch-didaktische Funktion des Traubenmotivs, das eine bestimmte Lesart der Komposition nahelegt, in den Hintergrund. Dagegen wird das affektive Potenzial der zwei Figuren, die einander in Liebe zugewandt dargestellt sind, akzentuiert. Štrbas Inszenierung öffnet den Kreis potenzieller Betrachterinnen und Betrachter, da sie ein ›altes‹ Bild reaktiviert und einem zeitgenössischen Publikum zugänglich macht. Zumal das Bild nicht in einer schwer zu erreichenden Kirche oder touristisch attraktiven Kapelle hängt, sondern in einem Museum, in das für ein kleines Entgelt grundsätzlich jede und jeder Interessierte Zutritt hat. Trotz Aktualisierungen bleibt das Bildmotiv Madonna und Kind in Annelies Štrbas Umsetzungen präsent und erkennbar. Der zentrale Verweis auf den christlich ge-

 Vgl. zu Warburgs Studien Gombrich 1992; Diers 2009, 181– 213.  Zur Bildwissenschaft siehe auch Unterkapitel 2.3 dieses Bandes.  So erklärt Klaus Sachs-Hombach, dass »die phänomenologische Bildtheorie den Bildstatus an die Bildwahrnehmung« (2010, 63) koppele. Zu den Vertretern einer phänomenologischen Bildwissenschaft zählen unter anderem Gottfried Boehm, Hans-Georg Gadamer, Horst Bredekamp oder Georges DidiHuberman. Weiterführende Literatur: Bredekamp 2010; Boehm 1994 und 2010; Didi-Huberman 2000; Gadamer 1993.

Regulierende Blicke auf einen überlieferten Bilderfundus

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prägten, kollektiven Bilderfundus zu den Motiven der Nächstenliebe und der Erlösung bleibt erhalten und wird weiterhin überliefert. Durch den veränderten gesellschaftlichen und künstlerischen Kontext der Produktion und Rezeption ist der Verweis auf bestimmte mariologische und christologische Interpretationen jedoch nicht mehr unbedingt vorauszusetzen. Durch die Adaption und Verfremdung eines bekannten Motivs regt die Künstlerin mit ihrem Werk die Betrachtenden an, sich Gedanken darüber zu machen, inwiefern unsere Sozialisierung von Bildern geprägt ist und wie wir auf unkonventionelle Repräsentationen von ›alten‹ Bildern reagieren. In diesem Sinne vermittelt das Werk eine Selbstreflexion über die Rolle von Tradierung in einer pluralisierten Gesellschaft.

10.3 Regulierende Blicke auf einen überlieferten Bilderfundus Wiederaufnahme, Adaption und Verfremdung sind innovative Arten des Umgangs mit Bildern, die Tradierungsprozesse ermöglichen und prägen. Dadurch werden alte Motive zu neuen Motiven, die neue Bedeutungen transportieren. Weshalb zu bestimmten Zeiten spezifische Bedeutungszuschreibungen dominanter waren als andere und was das mit Macht und Regulation zu tun hat, soll nun anhand eines Vergleichs von Abb. 91 und Abb. 93 ergründet werden. Wie wir bereits gesehen haben, zeigt Abb. 91 die Fotografie einer Installation, in der drei ›Schöne Madonnen‹-Skulpturen aus Holz vor einer Vielzahl eher kleinformatiger Madonnenportraits von Annelies Štrba arrangiert sind. Diese Inszenierung zielt darauf ab, eine typische Funktion von Maria hervorzuheben: Die Mutter Jesu fungiert in der christlichen Überlieferung als eine Projektionsfläche, auf die je nach Kontext divergierende Eigenschaften übertragen worden sind.¹⁶ Als ›Schöne Madonnen‹ beispielsweise werden Mariendarstellungen aus dem späten 13. und 14. Jahrhundert bezeichnet, die die äußere Schönheit der Madonna gemäß des zeitgenössischen Schönheitsideals unterstrichen und dadurch auf ihre innere Güte verwiesen.¹⁷ In den Darstellungen der Schönen Madonnen wird die Diskrepanz zwischen idealisierter Jungfräulichkeit der Muttergottes und erotisch aufgeladener, menschlicher Mutterschaft aufgehoben, indem Maria ästhetisch zum unerreichbaren Vorbild stilisiert wird. Diese »wunschbildhaft normativen Konstruktionen von Weiblichkeit«,¹⁸ wie die Kunsthistorikerin Helga Möbius es nennt, verdeutlichen auf einer ersten Ebene, dass intendierte Lesarten von den Produzierenden mittels spezifischer Um-

 »Als Projektionsfläche für Qualitäten eines weiblichen Geschlechtscharakters ist Maria ohnehin prädestiniert, sie nimmt am Ende des 14. Jahrhunderts, zusätzlich zur auch bildlich längst fixierten Mutterrolle, Zuschreibungen in sich auf, die bis dahin als unvereinbare topische Frauenbilder produziert worden waren.« Möbius 1991, 10.  Vgl. Schmidt 1995, 199.  Möbius 1991, 12; zu normativen Aspekten der Repräsentationen Marias in verschiedenen Kontexten und den jeweiligen Bedeutungszuschreibungen vgl. Knauß/Pezzoli-Olgiati 2015.

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Bilder auf Wanderschaft

setzungsstrategien evoziert werden. Je nach Auftraggeber kann sich demnach die zugeschriebene Bedeutung verändern. Das heisst, dass diejenigen, die innerhalb einer Gesellschaft die Machtposition besetzen, nicht nur die Lesart, sondern auch Darstellungskonventionen bezüglich gemeinschaftsstiftender und Macht legitmierender Bildmotive vorgeben. Dadurch unterdrücken sie zumindest zeitweilig oppositionelle und subversive Interpretationen oder Repräsentationsformen. Jutta Held stellt fest: Es scheint zur Gesetzmäßigkeit der kulturellen und künstlerischen Artikulation sozialer Konflikte zu gehören, dass von den verschiedenen gegnerischen Gruppen um dieselben Symbole gerungen wird. In der Regel werden diese von den stärkeren – den herrschenden – Partei gesetzt.¹⁹

Auf einer allgemeineren Ebene könnte man entsprechend behaupten, dass Bilder durch spezifische Regulierungsmechanismen, die Teil der sozialen Praxis sind, konventionalisiert werden. Ein Bild, das gemäß der ästhetischen Konventionen geschaffen wird, führt eine bestimmte Bedeutung fort, die mit der Wiedergabe eines spezifischen Weltbildes einhergeht und dadurch die Autoritätsansprüche einer dominierenden Sicht unterstreicht und gesellschaftliche Konstanz sowie Kohäsion garantiert.²⁰ Die Rezeption eines Bildes wird zur Routinehandlung, die auf bestimmten Sehgewohnheiten basiert und mit deutlich umrissenen Erwartungshaltungen verbunden ist – und die gerade deshalb irritiert werden kann (Abb. 93).²¹ Die Inszenierung in dieser Abbildung irritiert unsere Sehgewohnheiten aufgrund der Kombination von traditionellen und zeitgenössischen Madonnendarstellungen. Die hölzerne Madonna in sitzender Position wirkt sehr menschlich und aufgrund ihrer Größe und Einbettung in die Gesamtkomposition beinahe verloren. Religionshistorisch betrachtet, ist diese Verlorenheit der Figur erstaunlich, denn die Komposition wurde im religiösen und liturgischen Kontext, in dem sie entstanden ist, mit starken Gefühlen verbunden.²² Im Kontext der Inszenierung im Museum zu Allerheiligen ge-

 Held 1987, 35 – 36.  »Das hindert jedoch nicht, dass die unteren Schichten oder Klassen diese Symbole und Bilder übernehmen und ihnen derart deutliche Akzente ihrer eigenen gegenläufigen Interessen und Lebensziele aufprägen können, dass sie als Symbole der herrschenden Klasse unbrauchbar werden bzw. der neuerlichen Umformulierung bedürfen, um als Herrschaftsbilder fungieren zu können.« Held 1987, 36.  Scholz (2005) legt dar, dass Bilder grundsätzlich Zeichen sind, die konventionell sind, da sie der interpersonellen Kommunikation dienen und entsprechend verstanden werden müssen. Der Grad ihrer Arbitrarität hängt von der Motivation des Künstlers oder der Künstlerin ab, Konventionen zu überschreiten und Sehgewohnheiten zu durchbrechen. Schade/Wenk (2011) diskutieren in ihrer Einführung in die visuelle Kultur anhand von Panofskys Beschreibungs- und Interpretationsmodell, wie die Vorstellung einer ›richtigen‹ Interpretation mit der Prämisse einer homogenen Rezipientenschaft verbunden ist. Eine objektiv ›richtige‹ Interpretation kann es demzufolge nicht geben, nur eine, die den Konventionen der Gesellschaft entspricht (insbesondere 77– 82).  »Mary was the quintessence of European culture in which the most intimate feelings were drawn out in public – a world of images and of emotions on display«. Rubin 2010, 351 (»Maria war die Quintessenz der europäischen Kultur, in der die intimsten Gefühle in die Öffentlichkeit gebracht

Regulierende Blicke auf einen überlieferten Bilderfundus

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Abb. 93: Alt und neu im Dialog: Im Vordergrund steht die Thronende Jungfrau mit Kind und Engeln, im Hintergrund drei Madonnen von Annelies Štrba, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen (Schweiz).

raten die auf die Betrachtenden ausgerichteten Blicke der hölzernen Maria und des Kindes jedoch in Konkurrenz mit Štrbas Drucken. In diesen wird ausgerechnet das Gesicht der Figuren ausgeblendet. Die zusammengeführten Repräsentationen der Maria mit Kind aus unterschiedlichen Epochen entfalten durch ihre unterschiedlichen Techniken, Größen und Behandlung der Darstellungskonventionen eine das Publikum herausfordernde Wirkung. Im vorliegenden Inszenierungskontext aktualisieren Annelies Štrbas Drucke nämlich die Skulptur. Es entsteht eine Art Dialog und dadurch bereichert die Künstlerin den bestehenden Bilderfundus offensichtlich um eine neue Facette. Štrba präsentiert (über‐)mächtige und präsent wirkende Marien, die den weiblichen, lebensspendenden Körper gleichzeitig konkretisieren und transzendieren. Dadurch gelingt Štrba eine Umdeutung von Frauenbildern, die einem patriarchalen Gesellschaftssystem entstammen. Die mittelalterlichen Holzbildhauer, die meist Männer waren, fertigten ihre Kunstwerke im Auftrag von Institutionen oder Privaten nach bestimmten Vorgaben und Konventionen im Kontext christlich-katholischer Marienfrömmigkeit an. Ganz selbstverständlich haben auch sie sich an der bestehenden Ikonographie orientiert und diese mit ihren technischen Möglichkeiten und in

wurden – eine Welt von Bildern und Emotionen, die ausgestellt wird.« Übersetzung durch die Autorinnen); vgl. auch Pezzoli-Olgiati 2018.

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ihrem ureigenen Schnitz- oder Haustil mit spezifischen Materialien umgesetzt und so Maria für ihre Gesellschaft und ihre Zeit inszeniert. Štrba als freischaffende zeitgenössische Künstlerin lotet das Motiv für das vielschichtige Publikum der heutigen pluralisierten Gesellschaft aus und verweist auf kontroverse Diskurse über Mutterrollen und Körperbilder. Obwohl die Darstellungskonstellationen relativ konstant geblieben sind, haben sich die Regulierungsmechanismen in der Produktion und Rezeption der unterschiedlichen Werke, die die Installation verbindet, radikal verändert. Durch die außergewöhnliche Kombination von alten und neuen Mariendarstellungen macht diese Installation im Museum zu Allerheiligen die verschiedenen Facetten eines Bildmotivs und der damit verbundenen Praktiken sicht- und wahrnehmbar. Kunst ist, das hat sich an den zwei besprochenen Beispielen gezeigt, stets auch eine Art der Kulturanalyse. Sie setzt sich kritisch mit den für eine bestimmte Kultur konstitutiven Bildern auseinander und reflektiert sie unter anderem im Kontext der vorherrschenden Machtstrukturen. Wenn Kunst im Sinne einer Kulturanalyse betrieben wird, führt sie uns vor Augen, dass die Aktualisierung von Bildern durch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler letztlich die grundsätzliche Polysemie und Polyvalenz visueller Kommunikation ausdrückt.²³ Innovative Umsetzungen ›alter‹ Bilder zeigen auf, dass Bedeutungszuschreibungen nicht fixiert sind, sondern von Produktions- und Rezeptionskontexten abhängen. Die Schönen Madonnen geben eine Lesart vor, die einer spätmittelalterlichen, patriarchal geprägten Weltsicht entstammen. In der Ausstellung Heiliger Besuch werden sie beispielhaft mit den zeitgenössischen Adaptionen Štrbas kontrastiert, die einen emanzipierten, weiblichen Blick auf die Mutter-Kind-Darstellungen repräsentieren. Beide Arten der Repräsentation sind in einem bestimmten Kontext für ein bestimmtes Publikum geschaffen worden. Sie sind archivierbare Zeitzeugen eines spezifischen Moments der Überlieferung eines Bildes.

10.4 Transformation und Adaptionsprozesse: eine Zwischenbilanz Um die Dynamiken, die während eines diachronen, intermedialen Überlieferungsprozesses wirken, und die Transformationen, die dabei entstehen, aufzuzeigen, haben wir in diesem Kapitel auf ausgewählte Werke von zeitgenössischen Künstlerinnen aus unterschiedlichen Generationen und Kulturen fokussiert. Die besprochenen Werke von Annelies Štrba und Su-Mei Tse weisen gemeinsame Züge in der Art und Weise auf, wie sie sich mit dem Erbe der Geschichte, Theologie und gesellschaftlicher Praktiken auseinandersetzen. Neue und eigenständige Lesarten sowie komplexe Adaptionen des tradierten Bilderfundus erzeugen ein spannungsvolles Verhältnis zwischen den zeitgenössischen Werken, den Rezipierenden und den religionshistorischen Artefakten, auf die die aktuellen Arbeiten explizit verweisen.

 Vgl. Schade 2015; Fritz 2015b.

Die Bildung von Tradition als kreativer Prozess

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Štrba verarbeitet ein weit verbreitetes Motiv aus einer lokal verankerten, religiösen Tradition mit neuen Techniken. Die Ausstellung Heiliger Besuch fand in einem umgebauten und zum Museum umfunktionierten Kloster statt. Es lässt sich bei diesem Beispiel deshalb von einer räumlichen sowie kulturellen Kontinuität hinsichtlich der Tradition, die Štrba in ihrem Werk bearbeitet, sprechen. Su-Mei Tse hingegen verbindet Werke aus unterschiedlichen religiösen Traditionen, die weltweit rezipiert werden. Proposition de détour adressiert Ausstellungs- und Galleriebesuchende in verschiedenen Ländern. Die Einbettung der Rezeption in eine bestimmte religiöse Linie wird vom Werk selbst hinterfragt. Trotzdem bewegen sich beide diskutierten Beispiele in der Spannung zwischen religiös konnotiertem Raum und Kunstmuseum. Die Werke adaptieren religiöse Traditionen nicht nur auf der Ebene der Darstellung, sondern auch im Rezeptions- und Regulierungskontext. In der pluralisierten, ausdifferenzierten Gesellschaft werden religiöse Bilder zu musealen Exponaten, die zwar keine religiöse Funktion mehr haben, aber die Rolle und das Potenzial des religionshistorischen Fundus für das zeitgenössische künstlerische Schaffen hervorheben. Man kann zusammenfassend deshalb sagen, dass die beiden Beispiele zeitgenössischer Kunst bewusst auf religiöse Traditionen verweisen. Dabei reflektieren sie ihre eigene Rolle in der und für die Kultur mit künstlerischen Mitteln und reartikulieren sie im säkularen Raum des Museums.

10.5 Die Bildung von Tradition als kreativer Prozess Die Analyse der ausgewählten Werke macht die dynamischen Rezeptionsprozesse als Triebkraft der materiellen und visuellen Überlieferung von religiösen Motiven sichtbar. Möglicherweise ist dieser Befund der Tatsache geschuldet, dass die besprochenen Beispiele aus dem Bereich der zeitgenössischen Kunst stammen, in dem Artefakte ihre Bedeutung in der Wechselwirkung zwischen Kunstwerk, Kunstschaffenden und Rezipierenden entfalten. In diesem letzten Teil des Kapitels wollen wir deshalb der Frage nachgehen, ob und inwiefern Tradition auch innerhalb religiöser Gemeinschaften als dynamische Größe verstanden werden kann. Bei der Betrachtung von Religion im Kontext visueller Kommunikationsverfahren ist Tradition eine unverzichtbare Kategorie, weil sich mit ihr die Prozesse des Überdauerns und Überlieferns bestimmter Motive, Konventionen und Konstellationen über die Grenzen von Zeiten und Kulturen hinweg erfassen lassen. In ihrer einflussreichen Studie zum Verhältnis von Tradition, Erinnerung und Moderne schlägt die französische Religionssoziologin Danièle Hervieu-Léger folgende Definition vor: »Man wird dasjenige Tradition nennen, was das Gesamte an Repräsentationen, Bildern, theoretischen und praktischen Wissensformen, Verhalten, Einstellungen usw. umfasst, das eine Gruppe oder eine Gesellschaft im Namen der notwendigen Kontinuität zwischen

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Bilder auf Wanderschaft

Vergangenheit und Gegenwart akzeptiert.«²⁴ Die Orientierungsleistung religiöser Weltbilder ist sehr eng mit der Fähigkeit von Symbolsystemen verbunden, Generationswechsel zu überleben und sich neuen Kontexten anzupassen.²⁵ Aus diesem Grund ist es wichtig hervorzuheben, dass Tradition immer ein Spannungsfeld unterschiedlicher Formen von Flexibilität impliziert, die Wiederholung, Erneuerung und Regulierung miteinschließt.²⁶ Durch den friedlichen oder konfliktgeladenen Austausch mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, mit anderen religiösen Orientierungen und mit neuen medialen Entwicklungen drohen die visuellen Tradierungsprozesse religiöser Inhalte unterbrochen zu werden. Sie sind fragil und bedürfen einer ständigen, aktiven Pflege, damit religiöses Wissen, Praktiken und Organisationstrukturen die Zeiten überdauern können. Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat sich intensiv mit der kreativen Kraft der Traditionsbildung beschäftigt und das Konzept der invented tradition (›erfundene Tradition‹) geprägt.²⁷ Seine Studien fokussieren gesellschaftliche Praktiken, in denen Traditionen erschaffen werden, um beispielsweise eine bestimmte nationale Zugehörigkeit und Identität zu legitimieren und zu formen. Hobsbawm bezieht sich auf Praktiken und Rituale, die bestimmte Werte und Verhaltensnormen mittels Wiederholungen verbreiten. Dabei betont er, dass Traditionen nicht unbedingt alt sein müssen, sondern tatsächlich in kürzester Zeit erschaffen und propagiert werden können. Während Hobsbawm sich mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Praktiken und nicht gezielt mit religiösen Überlieferungsprozessen beschäftigt, argumentiert Hervieu-Léger mit direktem Bezug auf religiöse Tradierung. Hervieu-Léger interessiert die Frage, welcher Innovationen sich religiöse Institutionen in der säkularisierten Moderne bedienen, um an die ›Kette der Überlieferung‹ anzuschließen.²⁸ Die Konstruktion einer gemeinsamen Tradition ist gemäß Hervieu-Léger ein wesentlicher Aspekt der Bildung individueller und kollektiver religiösen Identitäten. Im Zentrum ihres Konzepts von Tradition in der Moderne steht deshalb die retrospektive Erzeugung eines gemeinsamen, geteilten Gedächtnisses, auf dem religiöse Praktiken und Rituale beruhen und durch das diese zugleich legitimiert werden. Die Frage nach der Kontinuität, aber auch Fragilität von Tradition ist für die Untersuchung von sichtbarer Religion wesentlich und dies nicht nur im Hinblick auf zeitgenössische Gesellschaften. Religiöse Gemeinschaften sind zu jeder Zeit verankert in den jeweiligen Kulturen, ihren Darstellungspraktiken und Prozessen der Produktion, der Rezeption und des Konsums von Bildern. So sehen sich religiöse Gemein-

 »On appelera tradition, dans cette perspective, l’ensemble des représentations, images, savoirs théoriques et pratiques, comportements, attitudes etc. qu’on groupe où une société accepte au nom de la continuité nécessaire entre le passé et le présent.« Hervieu-Léger 1993, 127; Übersetzung durch die Autorinnen.  Zum Weltbild vgl. Kapitel 4 dieses Bandes.  Vgl. Auerochs 2004, 29 – 33.  Vgl. Hobsbawm 2013.  Vgl. für diesen Abschnitt Hervieu-Léger 1993, 121– 146.

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schaften mit ihren spezifischen Überlieferungspraktiken in der zeitgenössischen europäischen Gesellschaft, die von Globalisierung, Migration und Akzeleration geprägt ist, jedoch vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Diese Herausforderungen wollen wir anhand des Haus der Religionen – Dialog der Kulturen in Bern diskutieren (Abb. 94). Das Haus der Religionen ist ein einzigartiges Projekt mit einer langen Planungsgeschichte, an der unterschiedliche soziale Akteure beteiligt waren: politische Gremien auf kommunaler und kantonaler Ebene, die staatlich anerkannten Kirchen, weitere religiöse Gemeinschaften, Vereine und Privatpersonen.²⁹ Im größten Teil dieses multifunktionalen Gebäudes, das im Dezember 2014 eingeweiht wurde und neben dem Haus der Religionen Geschäfte, Büros und Wohnungen umschließt, betreiben verschiedene religiöse Gruppierungen Gemeinschafts- und Kulträume. Hier finden sich ein hinduistischer Tempel, eine Moschee, eine Dergâh, ein buddhistisches Zentrum sowie eine kleine ökumenisch geprägte, christliche Kirche, die für diverse Denominationen wie die äthiopisch-orthodoxe Tewahedo-Kirche oder die HerrnhuterBrüdergemeinschaft konzipiert wurde. Zum Haus der Religionen gehören außerdem ein vegetarisches Restaurant und ein Kulturzentrum, wo der Dialog zwischen Kulturen und Religionen in einem vielfältigen Angebot gepflegt wird.³⁰ Die einzelnen Gemeinschaften besitzen und gestalteten ihre Räumlichkeiten eigenständig gemäß ihren Bedürfnissen, räumlichen Praktiken und finanziellen Möglichkeiten. Die Gemein-

Abb. 94: Fassade des Haus der Religionen am Europaplatz in Bern (Schweiz). Auf dem Dach des Vorbaus aus Glas erkennt man einen Altar (links), der aus dem hinduistischen Tempel herausragt, und eine Miniatur aus Messing (Mitte), die sehr diskret in Korrespondenz zum unten stehenden Eingang der Moschee auf ein Minarett hinweist.

 Vgl. zu dieser Entstehungsgeschichte Haas 2014.  Vgl. Berger 2015/2016; Haas 2016; Herzog/Blaser 2015; Widmer 2017.

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Bilder auf Wanderschaft

schaftsräume und -aktivitäten werden vom Verein Haus der Religionen verantwortet. Die Leitung ist einem professionellen Team anvertraut.³¹ Die Hausfassade präsentiert das Projekt des interreligiösen Dialogs im öffentlichen Raum mit architektonischen Mitteln (Abb. 94): Sie besteht vordergründig aus einer kunstvoll verzierten Glasfassade, durch die man – je nach Lichtverhältnissen – in die Gemeinschaftsräume und das Restaurant sehen und die Aktivitäten im Haus der Religionen beobachten kann. In der Nacht werden die Schlichtheit und das schiere Volumen des Gebäudes durch die Beleuchtung zur Geltung gebracht. Die nach außen urban und einheitlich wirkende Architektur beherbergt im Inneren eine überraschende Vielfalt an Stilen und visuellen Traditionen. Das Zusammenführen unterschiedlicher religiöser Gruppierungen unter ein gemeinsames Dach zwang die Gemeinschaften zu einer Rekonfigurierung ihrer architektonischen Tradition. Die Frage nach der kreativen und innovativen Gestaltung eines Sakralraums stellte sich im Haus der Religionen auch im Kontext der Bauvorgaben und gesetzlichen Vorschriften. In der Spannung zwischen der identitätsstiftenden Funktion überlieferter traditioneller Bauformen und den vorgegebenen räumlichen Möglichkeiten eines urbanen, multifunktionalen Gebäudes setzten die verschiedenen Gemeinschaften auf ganz unterschiedliche Strategien. Der hinduistische Tempel etwa wurde gemäß südindischer Bautradition gebaut. Die Altäre mit den opulenten, besonders elaborierten Figuren, Farben und Elementen wurden von extra eingeflogenen Handwerkern aus Indien vor Ort geschaffen (Abb. 95). Die Handwerker arbeiteten ohne gezeichnete Baupläne nach den Regeln ihrer Handwerkskunst, die sie sich in ihrem kulturellen Kontext angeeignet hatten. Dies führte zu Konflikten und entsprechenden Kompromisslösungen. Beispielsweise ragt ein Altar aus dem Gebäude heraus, weil die gebotenen Proportionen sich nicht auf die maximale Höhe des Gebäudes reduzieren ließen (Abb. 94). Der Kontrast zwischen der urbanen Glasarchitektur des Haus der Religionen und dem südindischen Baustil des Hindu-Tempels verändert das räumliche Gesamtergebnis und führt zur Bildung eines Unikats. Es ist äußerst innovativ, wie einerseits die notwendigen, identitätsstiftenden Verweise auf die traditionelle Baukunst integriert und umgesetzt wurden, und andererseits dem Bedürfnis nach repräsentativer Präsenz dieser eingewanderten religiösen Minderheit vonseiten politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure Respekt gezollt wird. Für den Bau der Moschee im Haus der Religionen waren die raumplanerischen Herausforderungen ganz andere. Hier musste die Ausrichtung der Moschee nach Mekka mit den vorgegebenen Rohbaubedingungen abgestimmt und architektonisch umgesetzt werden. Darüber hinaus stellte sich die Frage, mit welchen gestalterischen Elementen die geplante Moschee ausgestattet werden sollte, damit sie für ein Gros der verschiedenen muslimischen Gemeinden eine identitätsstiftende Wirkung entfalten könnte. Die unterschiedlichen Bauformen von Moscheen sind offenkundig sehr eng

 Vgl. http://www.haus-der-religionen.ch/team/ [15.09. 2017].

Die Bildung von Tradition als kreativer Prozess

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Abb. 95: Innenansicht des hinduistischen Tempels im Haus der Religionen.

mit den verschiedenen kulturellen und nationalen Hintergründen der jeweiligen muslimischen Vereine und Gemeinden verbunden. Dazu kam das Problem des Minarett-Bauverbots in der Schweiz. Dieses wurde im Haus der Religionen mit einer Minarett-Miniatur auf dem Dach gelöst. Außerdem mussten religiöse Reinheits- beziehungsweise Reinigungsvorschriften und der Wunsch, einen eigenen direkten Zugang zur Moschee zu haben, berücksichtigt werden. Das Ergebnis führte zur Fertigstellung der zur Zeit größten Moschee der Schweiz, die einem osteuropäischen Stil verpflichtet ist. Wir beschränken uns hier auf besagte zwei Kulträume, die ausgewählt wurden, weil sie aus dem eigentlichen Haus der Religionen herausragen und so unmittelbar von außen sichtbar sind. Sie zeigen auf, wie religiöse Gemeinschaften, die aufgrund von Migrationsbewegungen entstanden sind, an einem neuen Ort und unter neuen soziopolitischen Bedingungen ihre Bautraditionen reinterpretieren (müssen), sie erneuern und an jüngere Generationen überliefern. Im Falle des Haus der Religionen findet diese Überlieferung interessanterweise nicht nur an die Mitglieder der eigenen Gemeinschaft, sondern auch an die Besucherinnen und Passanten statt. Mit der Umgestaltung der physisch erfassbaren Räume gehen sowohl innere Prozesse der Adaption einher, die die Gemeindeorganisation, die Liturgie und Theologie betreffen, als auch äußere, welche die Wahrnehmung durch andere Religionsgemeinschaften anbelangen. Eine solche Entwicklung hin zu einem kreativen Umgang mit Traditionen

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Bilder auf Wanderschaft

ist weder selbstverständlich noch konfliktfrei, weil es dabei nicht nur um das Leben der Gemeinschaft und ihr Verhältnis mit dem Überlieferten geht, sondern auch um die Auseinandersetzung mit einem religiös pluralen Umfeld, die große Flexibilität verlangt. Die Idee des Haus der Religionen, unterschiedliche Kulträume mit einem Kulturzentrum an einem Ort und in einem Gebäude zu vereinen, suggeriert implizit, dass Religionen in ihren jeweiligen und kontingenten Formen Ausdruck eines homogenen gesellschaftlichen Systems sind und dass dieses System neben Läden und Restaurants städteplanerisch einheitlich erfasst werden kann. Die Ambivalenz dieser Vereinheitlichung bei gleichzeitigem Zusammenleben unterschiedlicher religiöser Gemeinschaften wird in der Gestaltung der Glasfassade zum Ausdruck gebracht (Abb. 94 und 96). Diese Fassade spiegelt die Mehrdeutigkeit des Gebäudes als Inszenierung der Vielfalt in der Einheit oder der Einheit durch Vielfalt. Auch die Spannungen zwischen verschiedenen Weltsichten und der Wunsch nach Dialog werden so sichtbar gemacht. Das Muster, das von einem Team von Künstlerinnen und Künstlern entworfen wurde, nimmt stilisierte Symbole aus den verschiedenen vertretenen Religionen auf und verbindet sie, ohne sie graphisch abzuschließen. Es ergeben sich unvollendete Formen, die sich an bekannten Elementen orientieren, aber im Hinblick auf die stattfindenden Veränderungen bewusst unfertig belassen werden. Die künstlerische Bearbeitung der überlieferten und religiös konnotierten Symbole ist nichts anderes als

Abb. 96: Detail der Verzierung auf der Glasfassade im Tageslicht.

Die Bildung von Tradition als kreativer Prozess

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eine Reflexion über den kreativen Prozess der Tradierung, die nur dann funktioniert, wenn sie sich den soziopolitischen Gegebenheiten anpasst, neue Medien einbezieht und dadurch ›alte‹ Bilder für eine neue Generation aktualisiert.

Fragen zur Vertiefung · Suchen Sie nach religionsgeschichtlichen Beispielen, in denen Bilder über Kultur-, Religions-, Zeit- und Raumgrenzen hinweg weitergegeben werden. Was bleibt konstant bei diesen Bildern? Was verändert sich? Warum? · Die Marienikonographie hat großes affektives Potenzial: Suchen Sie außerhalb der christlichen Tradition nach Beispielen für Repräsentationen mit ähnlicher emotionaler Wirkkraft. · Das Haus der Religionen vereint unterschiedliche religiöse Traditionen in einem Gebäude. Es gibt auch andere gesellschaftliche Orte, in denen religiöse Pluralität sichtbar wird. Suchen Sie eigene Beispiele. Welche visuellen Programme prägen diese Räume?

11 Religion im kulturellen Imaginären oder wie sich Religion aus gemeinsamen Bildern speist Ob Marienbilder am Pilgerortkiosk, Sintflut-Szenario im Hollywood-Blockbuster oder Luther als Lego-Figur: Religiöse Symbole, Narrative und Themen werden in vielen Kontexten verarbeitet, adaptiert und verbreitet. Wir sind beim letzten Kapitel angelangt, das eine Art offener Schluss von Sichtbare Religion ist. Dieses Buch wurde als Einführung konzipiert, es nimmt zahlreiche Methoden und theoretische Reflexionen aus der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Religionswissenschaft auf und diskutiert sie im Hinblick auf ihre Tragweite für die Analyse (audio‐)visueller Kommunikation.

11.1 Orientierung in der Vielfalt In den vorangehenden Kapiteln wurden unterschiedliche Verfahren anhand von ausgewählten religionshistorischen und zeitgenössichen Beispielen dargelegt und reflektiert. Damit wurde eine gewisse Orientierung in der Vielfalt an Zugängen generiert, die Leserinnen und Leser dazu motivieren soll, eigene Wege zu finden und Analyseschritte zu wagen. Entsprechend erheben wir weder einen Anspruch auf Vollständigkeit hinsichtlich der besprochenen Medien, Materialien und ihrer kulturellen Kontexte, noch kann es darum gehen, eine abgeschlossene Liste der wichtigsten theoretischen und methodischen Entwürfe für sichtbare Religion zu erstellen. Das Modell des circuit of culture diente uns in den einzelnen Kapiteln dazu, die vorgefundene Vielfalt an Quellen, Methoden und Theorien zu strukturieren und so die wesentlichen Dimensionen von Visualität und Religion anhand der Kategorien Repräsentation, Produktion, Rezeption, Distribution und Regulierung zu erfassen.¹ Bei diesen Kategorien handelt es sich um Momente eines Kommunikationsprozesses, in denen die konkreten, materiellen Bilder, Blicke und Sehkontexte sowie die Verweise und produzierten Bedeutungen umfassend analysiert werden können. Bilder sind vielfältig und (audio‐)visuelle Kommunikation ist komplex. Mit den in diesem Band dargelegten Zugängen haben wir versucht, dieser Vielfalt Raum zu lassen und der Komplexität zu begegnen, ohne sie in vorgefertigte Schemata zu zwängen. Die ausgewählten Quellen, Methoden und Theorien stehen in der Arbeit an sichtbarer Religion in ständiger Wechselwirkung. Durch unseren religionswissenschaftlichen, analytischen Blick entscheiden wir, welche Bilder für sichtbare Religion relevant sind und warum; wir heben bestimmte Motive und mögliche Blicke darauf hervor. In manchen Fällen wird eine bestimmte Sichtweise auf ein Bild erst in der  Zum circuit of culture vgl. Unterkapitel 3.1 dieses Bandes. https://doi.org/10.1515/9783110536706-012

Das kulturelle Imaginäre als theoretische Grundlage für visuelle Kommunikation

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Reflexion derselben konstruiert, denn der wissenschaftliche Blick ist, neben emischen und medialen Blicken, stets auch eine mögliche Form der Begegnung zwischen Menschen und visuellen Quellen.² Andererseits entfalten visuelle Medien Bedeutungen, die sich jenseits der Grenze rational vorgenommener und intersubjektiv nachvollziehbarer Bedeutungsrekonstruktionen bewegen. Intellektuelle Zugänge und Blickkulturen, theoretische Spekulation und Empirie bedingen sich gegenseitig. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt hervorzuheben: Wie bereits erwähnt, stammen sowohl das analytische Instrumentarium als auch die untersuchten Quellen aus dem gleichen Kulturraum. Würde eine sichtbare Religion, die in einem anderen akademischen Kontext entsteht und mit Bildern aus anderen Kulturen arbeitet, anders sein? Ganz bestimmt! In den vorangehenden Kapiteln stand die Frage im Zentrum, wie man mit den visuellen Seiten von Religion umgehen kann. In diesem abschließenden Kapitel geht es nun darum, hervorzuheben, welchen Beitrag diese Art von Forschung für die Religionswissenschaft als Disziplin leisten kann. In anderen Worten, wir möchten zeigen, welche Relevanz die Beschäftigung mit Visualität für die Religionsforschung im Allgmeinen übernimmt und welcher Erkenntnisgewinn sich auf der Theorieebene ergibt. Als Leitlinie dieses Schlusskapitels wurden visuelle Quellen ausgewählt, die ein zentrales Thema der europäischen Religionsgeschichte, die Passion Jesu, aufnehmen. Wir steigen mit der Frage nach einem geteilten Bilderfundus einer Gesellschaft, dem ›kulturellen Imaginären‹ ein, das als Voraussetzung für visuelle Kommunikation verstanden werden kann. Anschließend werden drei Aspekte davon vertieft: die Spannungsfelder zwischen Repetition und Erneuerung, zwischen Materialität und Immaterialität und zwischen individueller und kollektiver Rezeption.

11.2 Das kulturelle Imaginäre als theoretische Grundlage für visuelle Kommunikation Wir haben in Kapitel 10 betont, dass Bilder durch die Gesellschaft und durch die Zeiten wandern. Dabei kann sich ihr Bezug zu Religion grundlegend verändern. Die Materialität des Bildes bleibt mehr oder weniger konstant, obwohl die Stoffe oder das Medium, das es sichtbar macht, der Abnutzung ausgeliefert sind. Der Verweis des Bildes verändert sich grundlegend in seinen vielfältigen Rezeptionen sowie je nach Kontext des Sehens und der Art des Blicks, in dem die Begegnung von Bild und Betrachtenden stattfindet.³ Diese wichtige Relation zwischen Kontinuität und Veränderung möchten wir hier nochmals illustrieren anhand der berühmten Kreuzesabnahme des Malers Giovanni Battista di Jacopo di Gasparre, bekannt als Rosso Fiorentino, von 1521 (Abb. 97).

 Vgl. zu diesen drei Blicken das einführende Unterkapitel 2.1 dieses Buches.  Zu dieser Bilddefinition vgl. Unterkapitel 2.3 dieses Bandes.

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Religion im kulturellen Imaginären

Abb. 97: Rosso Fiorentino, Kreuzesabnahme, Öl auf Holztafel, 1521, 375 × 196 cm, Picanoteca civica, Volterra.

Ursprünglich wurde dieses Gemälde für die Cappella della Croce di Giorno in Volterra in der Toskana in Auftrag geben. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Bild mehrmals versetzt, bis es 1905 in die städtische Kunstsammlung, die Pinacoteca civica di Volterra, eingegliedert wurde. Dort lockt es heute als eines der bedeutendsten Werke der Kollektion zahlreiche Betrachterinnen und Betrachter an.

Das kulturelle Imaginäre als theoretische Grundlage für visuelle Kommunikation

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Die Darstellung bezieht sich auf einen bestimmten Moment der Passionsgeschichte. Fiorentinos Komposition vereint dabei zwei Szenen: Im oberen Bildteil wird der tote Jesus vom Kreuz abgenommen, um begraben zu werden, während im unteren Bildteil Johannes und eine Frau verzweifelt trauern. Die Figuren auf dem Bild sind kreisförmig um das Kreuz positioniert. Diese Kreisbewegung wird durch die zwei vertikalen Leitern und den Querbalken des Kreuzes unterstrichen. Maria von Magdala und die Gestalt des alten Mannes, der sich auf den Querbalken des Kreuzes stützt, tragen beide rot und verbinden auf der unteren und der oberen horizontalen Achse die Figuren am linken Bildrand mit jenen auf der rechten Bildseite. Johannes sticht durch seine Haltung heraus, weil er sich von der kreisförmigen Ordnung der anderen mit einer Geste der Verzweiflung abwendet. Zudem werden seine Kleider von einer außerbildlichen Lichtquelle von unten rechts besonders hervorgehoben. Rosso Fiorentinos Kreuzesabnahme zeigt einen spezifischen Moment der Passionsgeschichte, einem grundlegenden, multimedial tradierten Narrativ des Christentums. Die Rezeption dieses Moments variiert je nach Zuschauerin und Zuschauer aufgrund der jeweiligen Kontexte, Interessen, religiösen Sozialisation und Praxis. Im ursprünglichen Kontext einer Kapelle beispielsweise ist das bildliche Motiv Teil einer religiösen Praxis, in der Leiden und Tod inszeniert werden. Im Museum wird es dann zum kulturellen Topos, an dem ein Höhepunkt manieristischer Kunst illustriert werden kann.⁴ Auch wenn sich die Bedeutungen, die dieser spezifischen Repräsentation der Kreuzesabnahme von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis heute zugeschrieben werden, also erheblich unterscheiden können, bleibt der Bezug zur Passion Jesu doch bestehen. Um Konstanten und Variationen in der visuellen Kommunikation theoretisch zu erfassen, kann das Konzept des kulturellen Imaginären weiterführend sein, das aus der französischsprachigen Philosophiegeschichte hervorgeht.⁵ Es wird in den letzten Jahren vermehrt diskutiert, um die Präsenz und Diffusion von Religion in der zeitgenössischen Gesellschaft zu erfassen.⁶ Um den spezifischen Beitrag dieses Konzeptes zu verstehen, ist ein Hinweis auf Säkularisierungstheorien hilfreich. Säkularisierungstheorien fokussieren auf die Rolle von Religion in einer ausdifferenzierten Gesellschaft. Insbesondere beschreiben sie, wie religiöse Institutionen an gesellschaftlichem Einfluss verloren haben. Es wird angenommen, dass mit zunehmender Modernisierung die soziale Bedeutung der Religion abnimmt.⁷ Diese sozialwissenschaftliche Herangehensweise an die Marginalisierung von Religion beschreibt Tendenzen, die in vielen Gesellschaften zu beobachten sind, so dass etwa in zahl-

 Vgl. zum Stil Fiorentinos Wilmes 1985; für Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Museum Bräunlein 2004; sowie die Überlegungen in den Unterkapitel 2.4 und 10.1 dieses Bandes.  Für eine konzise und aussagekräftige Rekapitulation der Begriffsgeschichte des kulturellen Imaginären vgl. Wunenburger 2003.  Das Konzept des sozialen Imaginären spielt eine zentrale Rolle bei Taylor 2004.  Für diesen Abschnitt und eine weiterführende Rekapitulation der Debatte um die Säkularisierung vgl. Pollack 2011.

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Religion im kulturellen Imaginären

reichen europäischen Ländern kirchliche Institutionen stetig Mitglieder verlieren. Jedoch gibt es andere Phänomene, die diese theoretischen Ansätze (die wir hier nur in groben Zügen in Erinnerung gerufen haben) nicht zu erklären vermögen. Die starke Präsenz religiöser Repräsentationen im öffentlichen Raum etwa kontrastiert mit der Annahme der Marginalisierung von Religion. Die Verbreitung von Symbolen, Motiven und Narrativen aus religiösen Traditionen und Gemeinschaften in vielen Bereichen der Gesellschaft erscheint angesichts des Säkularisierungsparadigmas als paradox. Wie kann der Verlust an Einfluss und Bedeutung von religiösen Institutionen mit dieser starken Verbreitung von Verweisen auf Religion in der kulturellen Produktion theoretisch angemessen erfasst werden? Die Frage der verstärkten Präsenz von Religion im öffentlichen Raum wird zunehmend diskutiert und im Hinblick auf eine angemessene theoretische Betrachtung reflektiert. Ein wichtiger Aspekt dieser veränderten Verbreitung von Religion hat mit grundlegenden Veränderungen in der Medien- und Kommunikationstechnologie zu tun.⁸ Diese Veränderungen werden vom dänischen Medien- und Kommunikationswissenschaftler Stig Hjarvard als ›Mediatisierung von Religion‹ erfasst.⁹ Damit bezeichnet er neuartige Verbindungen von Medien und Religion – etwas das vermehrte Vorkommen religiöser Narrative und Motive im Film oder in der Werbung –, welche eine starke Präsenz von Religion im öffentlichen Raum mitverursachen. Aus historischer Perspektive kann darauf jedoch entgegnet werden, dass Religions- und Mediengeschichten schon immer eng verknüpft waren.¹⁰ Religiöse Kommunikation war – so zeigen auch die zahlreichen Beispiele in diesem Band – stets mit den anderen Bereichen der Gesellschaft verwoben, je nach Epoche auf unterschiedliche Weise. Die Idee der Mediatisierung von Religion schärft zwar den Blick für die Tatsache, dass Religion nicht auf religiöse Institutionen reduziert werden soll und dass es auch andere Akteurinnen und Akteure in der Gesellschaft gibt, die religiöse Inhalte, Symbole und Handlungen verbreiten und verändern. Wir wollen in diesem Kapitel jedoch einen Rekurs auf das Konzept des kulturellen Imaginären vorschlagen, weil es unseres Erachtens hilfreich ist, die Tradition der miteinander verwobenen Medienund Religionsgeschichte als wesentlichen Aspekt religiöser Symbolsysteme zu erfassen. Es liefert nämlich einen theoretischen Rahmen, in dem das Vorkommen, die Rolle und die Zirkulation religiöser Motive innerhalb einer Gesellschaft und ihrer Geschichte erklärt werden können. Das Konzept des Imaginären bildet so eine theoretische Grundlage, um das Funktionieren einer sich ständig verändernden und sich anpassenden (visuellen) Kommunikation zu begründen. Das Konzept des kulturellen Imaginären ist wie gesagt in der französischen Philosophie verankert. Einen guten Einstieg für eine Annäherung an dieses Konzept

 Vgl. die Darstellung der Ansätze in der aktuellen Forschung bei Herbert 2011.  Vgl. Hjarvard 2011.  Zu dieser historischen Verbindung und ihren Folgen für die gegenwärtige Gesellschaft vgl. Rüpke 2007.

Das kulturelle Imaginäre als theoretische Grundlage für visuelle Kommunikation

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bietet die Position des Historikers Jacques Le Goff. In seinem zentralen Werk L’imaginaire médiéval, erstmals erschienen 1985, schreibt er: Aber durch die Psychoanalyse, Soziologie und Anthropologie sowie die Reflexion über die Medien wissen wir mehr und mehr, daß das Leben des Menschen und der Gesellschaften mit Bildern genauso verbunden ist wie mit greifbareren Realitäten. Diese Bilder beschränken sich nicht auf die ikonographische und künstlerische Produktion, sie erstrecken sich genauso auf das Universum der mentalen Bilder. […] Die Bilder, die den Historiker interessieren, sind durch die Wechselfälle der Geschichte zusammengebraute kollektive Bilder, die entstehen, sich verändern und erneuern. Sie drücken sich durch Worte, durch Themen, aus. Sie werden durch die Überlieferung weitergegeben, von einer Zivilisation an eine andere entlehnt, sie zirkulieren in der diachronischen Welt der menschlichen Klassen und Gesellschaften. Sie gehören auch zur Sozialgeschichte, ohne sich auf sie zu beschränken. […] Das Imaginäre nährt den Menschen und veranlasst ihn zum Handeln. Es ist ein kollektives, soziales, historisches Phänomen. Eine Geschichte ohne das Imaginäre ist eine verstümmelte, körperlose Geschichte.¹¹

Das kulturelle Imaginäre kann gemäß Le Goff als eine konstitutive, historisch verankerte Dimension der Gesellschaft verstanden werden, die sowohl mentale Bilder als auch materielle Artefakte einschließt. Es handelt sich um einen vielfältigen, materiellen und immateriellen Fundus, der mit den Erwartungen, Repräsentationen, Vorstellungen, Geschichten, Ideen und Praktiken einer Gruppe oder einer Gemeinschaft zusammenhängt. Religiöse Bilder und Produkte sind ein Teil dieser gemeinschaftlichen wie gesellschaftlichen Grundlage.¹² Um auf Rosso Fiorentinos Darstellung zurückzukommen: Die Passionsgeschichte kann als Teil eines gemeinsamen kulturellen Imaginären aufgefasst werden und ist so auch jenseits der Grenzen des Christentums, einer von bestimmten konfessionellen Gruppen und Institutionen repräsentierten und gelebten Religion, präsent.

 Le Goff 1990, 12– 13; »Mais nous savons de mieux en mieux avec la psychanalyse, avec la sociologie, avec l’anthropologie, avec la réflexion sur les media, que la vie de l’homme et des sociétés est autant liée à des images qu’à des réalités plus palpables. Ces images ne se limitent pas à celles qui s’incarnent dans la production iconographique et artistique, elles s’étendent à l’univers des images mentales. […] Les images qui intéressent l’histoire, elles se forment, changent, se transforment. Elles s’expriment par des mots, des thèmes. Elles se sont légueés par les traditions, s’empruntent d’une civilisation à une autre, circulent dans le monde diachronique des classes et des socitétés humaines. Elles appartiennent aussi à l’histoire sociale sans s’y enfermer. […] L’imaginaire nourrit et fait agir l’homme. C’est un phénomène collectif, social, historique. Une histoire sans l’imaginaire, c’est une histoire mutilée, désincarnée.« Le Goff 1991, VI–VII.  Eine tiefgehende Untersuchung des Konzeptes des kulturellen Imaginären für die Religionsforschung in theoretischer Hinsicht und anhand zahlreicher Fallstudien findet sich in Pezzoli-Olgiati 2015a; dort findet sich auch eine ausführliche Bibliographie zum Thema.

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Religion im kulturellen Imaginären

11.3 Wiederholung und Innovation als Grundtendenzen In der visuellen Religionsforschung dient das theoretische Konzept des kulturellen Imaginären als Voraussetzung, um die Verbindung von Medium und Verweis in der Begegnung von Betrachtendem und Bild überhaupt denkbar zu machen. Der geteilte Fundus an materiellen und mentalen Bildern erlaubt es im Akt des Schauens, das Bild mit Bedeutungen zu versehen, die in einer bestimmten Gemeinschaft geteilt werden. Folglich wird das kulturelle Imaginäre auch als eine kohäsive Kraft einer Gesellschaft verstanden. Dieser Gedanke spielt im Werk des Philosophen und Psychoanalytikers Cornelius Castoriadis eine zentrale Rolle: Es besteht also eine Einheit der gesellschaftlichen Gesamtsituation; und bei der näheren Betrachtung erkennen wir, dass diese Einheit in letzter Instanz die Einheit und interne Kohärenz des ungeheuer komplexen Gewebes von Bedeutungen ist, die das gesamte Leben der betreffenden Gesellschaft und der sie in ihrer konkreten Leiblichkeit begründenden Individuen durchdringen, lenken und führen. Dieses Gewebe ist das, was ich das Magma der gesellschaftlichen imaginären Bedeutungen nenne, die der sie tragenden und verkörpernden Institution der betreffenden Gesellschaft sozusagen Leben einhauchen.¹³

Würde sich jedoch die Funktion des Imaginären auf die Kohärenz der Bedeutungsproduktion beschränken, dann könnte man nicht erklären, warum sich Gesellschaften verändern und wie sich innovative Momente in Tradierungsprozessen ereignen können.¹⁴ Für Castoriadis ist die kreative Dimension des Imaginären absolut zentral. Er versteht sie als poietische Kraft einer Kultur, das Neue zu denken: Vom Anbeginn der Geschichte sieht man das Erscheinen von radikaler Neuheit, und wenn wir nicht transzendentale Faktoren zu Hilfe nehmen wollen, um dies zu erklären, müssen wir definitiv eine Schaffenskraft postulieren, eine vis formandi, die menschlichen Kollektiven ebenso wie individuellen Menschen immanent ist. Daher ist es ganz natürlich, dass wir diese Fähigkeit der radikalen Innovation, diese Fähigkeit zu schaffen und zu formen, das Imaginäre und die Imagination nennen.¹⁵

Diese innovative Kraft des Imaginären wird auch vom französischen Philosophen Paul Ricœur näher beschrieben. Für ihn, ähnlich wie für Jacques Le Goff, bildet das Imaginäre die Voraussetzung, damit sich Menschen überhaupt mit Geschichte auseinandersetzen können.

 Castoriadis 2012, 22; Hervorhebungen im Original.  Zum Verhältnis von Tradition und Innovation vgl. Kapitel 10 dieses Bandes.  »From the start of history, one sees the emergence of a radical novelty, and if we do not wish to resort to transcendental factors to account for this, we definitely must postulate a power of creation, a vis formandi, immanent to human collectivities as well as to individual human beings. Consequently, it is quite natural that we call this faculty of radical innovation, this ability to create and to form, the imaginary and imagination.« Castoriadis 2007, 72; Übersetzung durch die Autorinnen, Hervorhebungen im Original.

Wiederholung und Innovation als Grundtendenzen

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Die Fähigkeit zu imaginieren, erlaubt den Menschen gemäß Ricœur ein »freies Spiel mit Möglichkeiten, in einem Zustand des Nicht-engangiert-Seins mit der Welt der Wahrnehmung und des Handelns.«¹⁶ In einem solch aufgehobenen Zustand können Menschen mit neuen Ideen, Werten und Arten, in der Welt zu sein, experimentieren. Dabei weist das Imaginäre als kollektive Dimension menschlicher Kreativität laut Ricœur zwei gegenläufige Tendenzen auf. Einerseits tendiert das Imaginäre zur Utopie, zu einer Form der Imagination, die von jeder Beziehung zur Wirklichkeit losgelöst ist. Utopien sind subversiv, lösen die Wirklichkeit auf und sind nirgends verankert. So macht das Imaginäre eine radikale, wenn auch unrealistische Form der Erneuerung denkbar. Andererseits ist das Imaginäre mit Ideologie verbunden, wobei Ideologie als die Realität verfälschendes Moment verstanden wird, das bereits Bestehendes festigt, indem es integrativ wirkt und die spezifische Lebensart, das spezifische Weltbild einer Gemeinschaft mittels medialer Inszenierungen legitimiert. Damit wird deutlich, dass das Imaginäre stets die Spannung zwischen Auflösung und Legitimierung der Realität, in der es verankert ist, in sich trägt.¹⁷ In Anlehnung an die besprochenen Positionen von Le Goff, Castoriadis und Ricœur kann das Imaginäre als zweideutiges Produkt von Imagination charakterisiert werden: Das Imaginäre tendiert zur Reproduktion, zur Mimesis und Wiederholung, und zugleich entfaltet es eine subversive, kreative Kraft, durch die radikale Erneuerung möglich ist.¹⁸ Deswegen kann im Imaginären sowohl Verbindendes als auch Destruktives entworfen werden, können Machstrukturen konsolidiert oder radikal infrage gestellt werden. Das Imaginäre ist per se heterogen: In ihm gründet die Spannung zwischen Kontinuität und Veränderungen, zwischen Tradition und Innovation. Die Aspekte religiöser Dimensionen des Imaginären möchten wir anhand des Filmes La ricotta (IT/FR 1962) illustrieren, in dem die Passion Jesu gleichzeitig in zwei gegensätzliche Richtungen erzählt wird. La ricotta ist einer der ersten Filme des italienischen Schriftstellers und Regisseurs Pier Paolo Pasolini. Im Filmvorspann verdeutlicht Pasolini, was die Passionsgeschichte für ihn bedeutet: Es ist nicht schwer, ratlose, zweideutige, schockierte Urteile über diese Geschichte vorauszusehen. Auf jeden Fall möchte ich hier klarstellen, dass ganz egal wie man ›La ricotta‹ aufnehmen mag, die Passionsgeschichte – an die ›La ricotta‹ indirekt erinnert – für mich die größte ist, die sich jemals ereignet hat, und dass die Texte, die sie erzählen, die erhabensten sind, die jemals geschrieben wurden. Pier Paolo Pasolini¹⁹

 »[…] un libre jeu avec des possibilités, dans un état de non-engagement à l’égard du monde de la perception ou de l’action.« Ricœur 1986, 245; Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. Ricœur 1986, 415 – 431.  Für eine weiterführende Diskussion der drei Positionen vgl. Pezzoli-Olgiati 2015b.  »Non è difficile prevedere per questo mio racconto dei giudizi interessati, ambigui, scandalizzati. Ebbene, io voglio qui dichiarare che, comunque si prenda ›La ricotta‹, la Storia della Passione – che indirettamente ›La ricotta‹ rievoca – è per me la più grande che sia mai accaduta, e i Testi che la

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La ricotta handelt vom Versuch eines namenlosen Regisseurs (gespielt von Orson Welles), zwei prominente Werke des italienischen Manierismus – darunter Rosso Fiorentinos bereits erwähnte Kreuzesabnahme – filmisch zu re-inszenieren.²⁰ Die Schauspielergruppe ist unmotiviert und undiszipliniert: Am Set wird gelacht, gegessen, getanzt und geflirtet. Der Regisseur versucht, das ungehorsame Ensemble zu disziplinieren und ordnet eine innige und pathetische Hingabe an die Inszenierung der Passionstableaus an – seines Erachtens die einzig denkbare Haltung angesichts der Bedeutung des Themas. Während die Filmarbeiten wegen der vielen Unterbrechungen und der ausufernden Unprofessionalität des Cast nur langsam vorangehen, erscheinen Prominente aus Politik, Medien und der römischen Oberschicht am Set. Sie möchten sich vor Ort ein Bild machen vom neusten Werk des als genial geltenden Regisseurs. Der Regisseur selbst entlarvt sich im Laufe des Films als Anhänger (und Verbreiter) einer dekadenten, ganz ausgehöhlten Erinnerungskultur der Passion. Sein Film berührt aus diesem Grund niemanden: Weder den inszenierten Figuren dieses Films-im-Film, noch den Schauspielerinnen und Schauspielern, noch den Journalisten oder sonstigen Prominenten geht diese Geschichte und ihre rückwärtsgewandte Nachinszenierung nahe. Das filmische Tableau, in dem der namenlose Regisseur Rosso Fiorentinos Kreuzesabnahme reproduziert, überführt die Motive der Passion und der Kreuzesabnahme schließlich vollends ins Groteske (Abb. 98).

Abb. 98: Die Reinszenierung von Rosso Fiorentinos Kreuzesabnahme in La ricotta (Pier Paolo Pasolini, IT/FR 1962).

raccontano i più sublimi che siano mai stati scritti.« Vorspann von La ricotta; Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. zur Rezeptionsgeschichte der Kreuzesabnahme Cropper (2014), die den Verweis auf Rosso Fiorentino in La ricotta ganz anders deutet als die Autorinnen des vorliegenden Bandes.

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Der groteske Charakter der Inszenierung wird unterstrichen durch die Schwarzen Gestalten links und rechts des Passionsgeschehens, die auf die lange Geschichte des europäischen Kolonialismus verweisen. Auch die Idee, Gemälde filmisch reinszenieren zu wollen, wird ins Lächerliche gezogen: Die Schauspielenden bewegen sich ständig, bohren in der Nase oder pfeifen nach einem Hund, der sich außerhalb des Sets aufhält – die Reduktion der bewegten filmischen Bilder auf ein statisches Gemälde ist zum Scheitern verurteilt. Auch die stark betonten Farben der manieristischen Tableaux, die sich von der filmischen Realität in Schwarz-Weiß absetzen, wirkt alles in allem überzeichnet. Die groteske filmische Nachinszenierungen der Gemälde bildet aber nur eine der zwei Passionsgeschichten, die Pasolini in La ricotta ineinander verschränkt. Die zweite Passionsgeschichte steht in krassem Gegensatz zur ersten. Der dekadenten und grotesken Nachinszenierung der manieristischen Gemälde wird das schicksalhafte Leben eines armen Menschen entgegengesetzt. Der arme Stracci (›Lumpen‹) kommt auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit oder wenigstens etwas Essbarem für sich und seine Familie auf das Filmset. Er wird als typischer Vertreter der mittellosen Schicht präsentiert: Als Arbeitsloser hat er keine Chance, den Anschluss an die Gesellschaft des rasanten Fortschrittes und des glamourösen Scheins zu finden. Er gehört zur sozialen Klasse der Verlierer, die nicht einmal über das tägliche Brot verfügen. Das (neutestamentlich verankerte) Thema des Hungers und Essens wird in La ricotta bereits im Titel angesprochen und in der filmischen Erzählung zum Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Diskriminierung und Ungerechtigkeit stilisiert. Stracci wird als Komparse für einen der zwei Räuber engagiert, die mit Jesus gekreuzigt werden sollen.Vom Filmensemble wird er verachtet, wie ein Tier behandelt und schließlich durch übermäßiges (Fr‐)Essen getötet. Mit seinem Tod am Kreuz stirbt nicht der Jesus der manieristischen Nachinszenierung der Passion, sondern der Benachteiligte der Moderne (Abb. 99). In dieser profilierten, sozialkritischen filmischen Aussage ist erst mit der Figur des Stracci ein authentischer Verweis auf die Passionsgeschichte möglich. Durch die Gegenüberstellung der grotesken Nachinszenierung eines manieristischen Jesus mit dem erbarmungslosen Tod Straccis kritisiert Pasolini die zeitgenössische kirchliche Institution und die christlich geprägte Gesellschaft mit den damit verbundenen Formen der Frömmigkeit und religiösen Praxis.²¹ La ricotta spielt auf sichtbare Weise mit den verschiedenen Dimensionen des kulturellen Imaginären: Der Film reflektiert die Verbindung von visueller Erinnerungskultur und deren Verweismechanismen explizit, indem er sie offen legt. Mit dem Verweis auf die Passion im Kontext einer elitären, rückwärtsgewandten und ausbeuterischen Machtkultur gelingt Pasolini eine treffende Parodie jenseits jeglicher Komik. Die Passion – so scheint der Film zu vermitteln – kann nur mit einer Hinwendung zu

 Vertiefte Analysen des Werkes finden sich bei Rall 2018 und Zwick 2018.

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Abb. 99: Nahaufnahme von Stracci am Kreuz, La ricotta (Pier Paolo Pasolini, IT/FR 1962).

den Benachteiligten angemessen repräsentiert werden. Entsprechend kann auch die Frage, wer Jesus war und ist, nur durch einen kritischen, subversiven Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse geklärt werden. Eine eigenwillige visuelle Antwort auf diese Frage liefert La ricotta mit einer Einstellung ganz zu Beginn des Films, noch vor der Inszenierung von Fiorentinos Kreuzesabnahme. Die Kamera gibt darin durch die Dornenkrone hindurch den Blick frei auf die römischen Borgate (meist ärmliche Vororte) (Abb. 100). Die filmische Inszenierung der Dornenkrone kann als Antwort auf die Frage gedeutet werden, wer Jesus in der modernen (italienischen) Kultur sein könnte. Damit stellt der Film ebenfalls zur Diskussion, welche Bedeutung die Passionsgeschichte in einer zwischen ökonomischem Aufschwung und tiefster Armut gespaltenen Gesellschaft noch haben kann. Pasolinis Film arbeitet bewusst mit der Ambivalenz des Imaginären, indem er unterschiedliche visuelle Praktiken der Erinnerung und Vergegenwärtigung der Passion kontrastiert und wertet. Damit werden die ideologischen und utopischen Dimensionen, die legitimierenden und subversiven Kräfte der Kunstproduktion und ihrer Rezeption inszeniert. Die Beziehungen zwischen Text und Bild, zwischen Tradition und Innovation, zwischen legitimierender Wiederholung und radikaler Erneuerung werden durch diese künstlerische Produktion reflektiert und dekonstruiert. Auf diese Art wird Pasolinis Film selbst zum Teil des kulturellen Imaginären und des (religiösen) Tradierungsprozesses, in dem Bestehendes aufgenommen und adaptiert wird. Wie wir sehen werden, geht Pasolinis filmisches Œuvre zu Jesus und der christlichen Tradition, das neben La ricotta auch Il Vangelo secondo Matteo (IT 1964) und weitere biblische Figuren umfasst, ab den 1960er Jahren selbst in den kulturell

Mentale und materielle Bilder als konstitutive Dimension der Gesellschaft

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Abb. 100: Sicht durch die Dornenkrone hindurch auf die Borgate, die Quartiere der Benachteiligten in Rom, La ricotta (Pier Paolo Pasolini, IT/FR 1962).

geteilten Fundus an materiellen und immateriellen Bildern ein.²² Pasolinis Inszenierungen inspirieren weitere Produktionen dazu, Elemente der Passionsgeschichte aufzugreifen und in ganz neue Richtungen weiterzuentwickeln.

11.4 Mentale und materielle Bilder als konstitutive Dimension der Gesellschaft Die Positionen zum Imaginären, die in diesem Kapitel bereits besprochen wurden, betonen, dass das Imaginäre sowohl materielle als auch immaterielle Bilder umfasst. Auch beim französischen Philosophen Jean-Jacques Wunenburger ist diese Verbindung zwischen den gedachten und den materiell umgesetzten Bildern wesentlich. Er korreliert sie mit der performativen Dimension der Bedeutungsproduktion: Im Spannungsfeld des Mentalen und Materiellen involvieren Bilder Individuen und Kollektive affektiv, emotional und normativ. In andern Worten: Bilder wirken, sie tun etwas mit ihren Rezipierenden. In Anlehnung an Gaston Bachelard, Gilbert Durant und Paul Ricœur schreibt Wunenburger: Das Imaginäre ist nicht zu trennen von mentalen oder materialisierten Werken, die jedem selbstbewussten Wesen dazu dienen, den Sinn des eigenen Lebens, der eigenen Handlungen und der eigenen Denkerfahrungen zu konstruieren. In diesem Sinne tragen die visuellen und

 Vgl. zur Rolle neutestamentlicher Elemente in Pasolinis Werk jenseits der Passionsfilme Zwick 2014.

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sprachlichen Bilder zur Bereicherung der Weltrepräsentationen (G. Bachelard, G. Durant) oder zur Erarbeitung der Identität des Ichs (P. Ricœur) bei.²³

Die Verbindung von mentalen und materiellen Bildern ist die Grundvoraussetzung, damit sich ein Individuum überhaupt als Teil einer Kultur erfahren kann. Die Wirksamkeit von mentalen Bildern auf die Wahrnehmung religiöser Traditionen wird auch im 60-minütigen Video Casting Jesus des deutschen Künstlers Christian Jankowski von 2011 demonstriert. Die Londoner Lisson Gallery hebt in ihrer Präsentation des Videos hervor, dass diese Performance eine Reaktion auf Mel Gibsons Film The Passion of the Christ (US 2004) war: Jankowski stellt in Frage, wie die katholische Kirche die künstlerische Darstellung Jesu heute wahrnimmt und wie dieses Bild seinerseits in die modernen Medien übersetzt wird. Die Inspiration für das Projekt hatte Jankowski, nachdem er 2003 zufällig die Dreharbeiten zu The Passion of the Christ in Cinecittà gesehen hatte.Während einer Drehpause sah Jankowski den Schauspieler James Caviezel, als Jesus gekleidet und mit künstlichem Blut bedeckt, wie er von zwei Priestern darin unterrichtet wird, den richtigen spirituellen und künstlerischen Ausdruck für die Rolle zu finden. Jankowski erklärt: ›Ich war inspiriert von diesem Bild und später, als ich The Passion of the Christ im Kino sah, faszinierte es mich, zu wissen, dass James Caviezels Schauspielerei auf Informationen von Experten innerhalb der Kirche basierte. Regisseur Mel Gibsons Verwendung von Priestern als Co-Regisseuren war spannend und ich wollte dieses Konzept einen Schritt weitertreiben, indem ich den Vatikan selbst entscheiden lasse, wer Jesus spielt.‹²⁴

In Casting Jesus werden drei Experten aus dem Vatikan mit der Aufgabe betraut, unter 13 professionellen Schauspielern jenen auszuwählen, der Jesus am besten darstellt (Abb. 101). Die Jesus-Kandidaten müssen ein Pflichtprogramm absolvieren, wie das Kreuz tragen (Abb. 102), das Brot brechen und eine Stelle aus dem Evangelium zitieren. Im Laufe des Videos wird deutlich, dass die Auswahlkommission eine ganz klare Idee hat, wie ein authentischer Jesus auszusehen hat und dass diese geteilte

 »L’imaginaire est inséparable d’œuvres, mentales ou materialisées, qui servent a chaque conscience pour construire le sens de sa vie, de ses actions et de ses expériences de penseée. À cet égard, les images visuelles et langières contribuent à enrichir la représentation du monde (G. Bachelard, G. Durant) ou à élaborer l’identité du Moi (P. Ricœur).« Wunenburger 2003, 29; Übersetzung durch die Autorinnen.  »Jankowski questions how the Catholic Church perceives the artistic representation of Jesus today and how, in turn, this image is translated into modern media. The inspiration for the project came to Jankowski after he chanced upon the filming of The Passion of the Christ in Cinecittà in 2003. During a break in filming, Jankowski witnessed actor James Caviezel, dressed as Jesus and covered in artificial blood, with two priests coaching him to find the right spiritual and artistic expression for the part. Jankowski explains: ›I was inspired by this image and later, when watching The Passion of the Christ in the cinema, it fascinated me knowing James Caviezel’s acting had been informed by experts from within the Church. Director Mel Gibson’s use of priests as co-directors was intriguing and I wanted to push this concept one step further by letting the Vatican themselves decide who Jesus is.‹« http://www. lissongallery.com/exhibitions/christian-jankowski-casting-jesus [31.12. 2017]; Übersetzung durch die Autorinnen.

Mentale und materielle Bilder als konstitutive Dimension der Gesellschaft

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Abb. 101: Die drei vatikanischen Experten in Christian Jankowski, Casting Jesus, 2011.

Abb. 102: Jesus-Übung in Christian Jankowski, Casting Jesus, 2011.

Vorstellung zur Auswahl eines bestimmten Kandidaten führen wird (Abb. 103). Der auserwählte Jesus ist langhaarig – genauso wie die Jesus-Gestalt in Rosso Fiorentinos Kreuzesabnahme in der grotesken Reinszenierung bei Pasolini und in Mel Gibsons The Passion of the Christ (Abb. 104). Casting Jesus demonstriert paradigmatisch, wie mentale Bilder von Darstellungskonventionen, die Teil eines kollektiven Bilderfundus sind, abhängen und wie sie neue materielle Bilder prägen. Diese festen Vorstellungen entstehen nicht nur innerhalb der kirchlichen Institutionen, sondern in einer komplizierten Beziehung zwischen Religion und anderen gesellschaftlichen Sphären wie Kunst und Medien. Die Kunst übernimmt im Falle von La ricotta wie auch von Casting Jesus eine doppelte

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Religion im kulturellen Imaginären

Abb. 103: Der Sieger von Casting Jesus.

Abb. 104: Jesus in The Passion of the Christ (Mel Gibson, US 2004).

Rolle: Einerseits speisen sich beide Werke aus der Interaktion von mentalen und materiellen Bildern, andererseits reflektieren sie explizit die Mechanismen und die Ambivalenzen des kulturellen Imaginären als einer konstitutiven Dimension der Gesellschaft. Wir können deshalb festhalten, dass das Imaginäre eine Basis darstellt, die Bedeutungszuweisungen innerhalb eines Kollektivs ermöglicht und Individuen mit Gruppen durch Kommunikationsprozesse auch über Generationen hinweg verbindet. Pasolini und Jankowski thematisieren in ihren Werken die Ambivalenz von JesusBildern zwischen Stereotypisierung und Vielfalt. Es handelt sich um selbstreflexive Werke, weil sie eine Diskussion über die Beziehung dieser Bilder zu Texten und mentalen Vorstellungen sowie über ihre Entstehung und ihre normative und regulierende Wirkung für eine bestimmte Gesellschaft eröffnen. Diese Werke bieten eine (audio‐)visuelle Reflexion über die Performanz des (Audio‐)Visuellen selbst und erheben somit einen hohen Interpretationsanspruch an das Publikum.

Von individuell und kollektiv herausfordernden Bildern

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11.5 Von individuell und kollektiv herausfordernden Bildern Die Wirkung des Imaginären in der Produktion und Rezeption von Bildern ist auch in Bereichen zu beobachten, die nicht eine primär intellektuelle, sozialkritisch ausgerichtete Rezeption evozieren, sondern die Zuschauenden affektiv und emotional ansprechen, um sie zu einem bestimmten Konsumverhalten zu animieren. Wir denken hier an das spezifische Beispiel der Werbung. Die italienische Firma Mokarabia lancierte ihre neuen Kaffeekapseln und die entsprechenden Kaffeemaschinen 2013 mit einer Werbekampagne, die von profilierten Persönlichkeiten im Bereich des Marketings und der Fotografie (darunter Gavino Sanna, der in der Werbebranche sehr bekannt ist) produziert wurde. Die Verbindung von Kaffeewerbung und religiösen Motiven, die bereits erfolgreich von Nespresso und Lavazza eingesetzt worden war, führte Mokarabia mit dem Werbespot Caffé Mokarabia, l’arte italiana del buongusto (›Mokarabia, die italienische Kunst des guten Geschmacks‹) weiter. Darin trinkt eine Gruppe von 13 gut angezogenen, lässigen männlichen Schönheiten unterschiedlichen Alters gemeinsam Mokarabia-Espresso (Abb. 105). Das Video, das aus bewegten schwarz-weiß Fotografien zusammengestellt ist, hebt zu Beginn einzelne Gestalten aus einer Gesamtgruppe hervor, so dass die Details der ausgesuchten casual outfits, die feinen Gewebe und Schnitte, die Gesichtszüge, die Haar- und Bartschnitte und der Akt des Kaffee-Trinkens ausgiebig zur Geltung kommen. Das Video endet mit einer Gesamtsicht auf die um einen Tisch arrangierte Gruppe frei nach Leonardo da Vincis Abendmahl, einem berühmten Fresko aus den Jahren 1495 – 1498, das sich in der Chiesa di Santa Maria delle Grazie in Mailand befindet (Abb. 106).

Abb. 105: Die Kaffee trinkenden Männer werden in Mokarabia, l’arte italiana del buongusto durch Porträts eingeführt.

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Religion im kulturellen Imaginären

Ausgerechnet in der Einstellung des Abendmahls wechselt der Film von SchwarzWeiß zu zarten Farben. Aus der Perspektive der Rezeption fallen die Ähnlichkeiten mit La ricotta auf: Es findet im Werbeclip ein charakteristisches Wechselspiel von Schwarz-weiß- und Farbaufnahmen statt und auch die Portraits der Figuren verweisen stilistisch auf Einstellungen in Pasolinis Passionsfilmen (Abb. 107). Auf YouTube hat Mokarabia den Spot folgendermassen kommentiert: An keinem anderen Ort der Welt außer Italien ist der Kaffee das A und O jedes Ereignisses. Bei uns gibt es Kaffeeduft überall und zu jeder Zeit. Der Kaffee ist unser Nationalgetränk, mit dem Pakte,

Abb. 106: Gesamtsicht auf die Männergruppe in zarten Farbtönen.

Abb. 107: Der blonde Mokarabia-Jesus in Caffé Mokarabia, l’arte italiana del buongusto.

Von individuell und kollektiv herausfordernden Bildern

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Verträge und Beziehungen geschlossen werden, und der der Freundschaft und Versöhnung ihren Ort gibt. Einen Kaffee anbieten – diese Geste gleicht dem ›Brotbrechen‹. Sie ist die alltäglichste Form der italienischen Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Viele schöne Dinge entstehen beim gemeinsamen Kaffeetrinken: Einvernehmen, Austausch, Liebe.²⁵

Dieser Kommentar zählt Werte auf, die als Ausdruck einer einheitlichen italienischen Kultur und Tradition präsentiert werden. Indirekt bezieht er sich auch auf die Passionsgeschichte: Das gemeinsame Kaffeetrinken sei ein Ausdruck von Gastfreundschaft und Großzügigkeit, der dem Brotbrechen gleichkomme. Die Inszenierung von da Vincis Abendmahl im Videoclip sowie der Vergleich des Kaffeetrinkens mit dem Brotbrechen im Kommentar können als Anspielungen auf ganz bestimmte Momente sowohl der italienischen Kunstgeschichte als auch der christlichen Tradition verstanden werden. Mokarabia vollzieht zudem eine bewusste Nachahmung der italienischen Kunstfertigkeit und -produktion, die als Sinnbild für eine neue Unternehmensstrategie verstanden werden kann.²⁶ Der Kampagne geht es nicht nur darum, ein Produkt zu promoten, sondern die italienische Fähigkeit, Ausgezeichnetes und Anerkanntes zu leisten, wieder sichtbar zu machen. Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen und ethisches Verhalten sowie gesellschaftliche Kohäsion zu propagieren, um der jungen Generation unter 40 Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Mokarabia will einem angeblichen Bedürfnis nach Erneuerung entsprechen und arbeitet dazu mit der Rückbesinnung auf ›italienische Werte‹ und vielfältige Bezüge zur Kunst- und Religionsgeschichte. Mokarabia setzt den kaffeetrinkenden Jesus also als Appell für solide, vertrauensstiftende Werte ein. Die Verkaufszahlen der neuen Produktlinie bestätigen den Erfolg dieser Strategie: Obwohl es 2013 im Bereich von Kaffeekapseln und korrelierten Produkten eine breite Palette an Alternativen auf dem Markt gab, entschieden sich zahlreiche Konsumentinnen und Konsumenten in Italien für Mokarabia.²⁷ Die vielschichtige Werbekampagne Caffé Mokarabia, l’arte italiana del buongusto zielt darauf ab, ein positives Gefühl der Italianità hervorzurufen. Durch die emotionale Einbindung der Rezipierenden soll Vertrauen in die historisch verankerte Stärke des Landes gestiftet werden, im Marketing, in der Mode, im Design, in der Küche, in der Kunst, im Film und – warum auch nicht – auch in der Religion. Die Verweise auf all diese ›italienischen Künste‹, wie sie im Namen der Kampagne bereits anklingen, können nur aufgrund eines geteilten Fundus an mentalen und materiellen Bildern funktionieren.  »In nessun luogo al mondo, come in Italia, il caffè è l’incipit e l’explicit di ogni avvenimento. Da noi, ovunque e a qualsiasi ora, c’è profumo di caffè. Il caffè è la bevanda nazionale con la quale si suggellano patti, contratti, relazioni, che dà luogo ad amicizie e pacificazioni. Offrire un caffè è un gesto che equivale allo ›spezzare il pane‹, è la forma più comune di generosità e ospitalità italiane. Molte cose belle nascono dal prendere un caffè insieme: un accordo, uno scambio, un amore.« https:// www.youtube.com/watch?v=wDhLPWeEjyQ [31.12. 2017], Übersetzung durch die Autorinnen.  Vgl. Crociani 2013.  Vgl. Bersani 2013.

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Es ist wahrscheinlich, dass Bilder, in denen ein zentrales Motiv des Christentums zu Werbezwecke eingesetzt wird, kontrovers aufgenommen werden. Aber auch empörte Reaktionen setzen voraus, dass man die Vielschichtigkeit des religiösen Bildes im kulturellen Kontext überhaupt erkennt. Die Verwendung solcher Bilder in der Werbung zeigt auf, dass das Imaginäre sowohl Individuen als auch Kollektive auf vielfältige Weise involviert und Menschen affektiv, emotional und kognitiv anspricht. Der Blick auf sichtbare Religion hebt besondere Aspekte der Relation von religiösen Symbolsystemen, Gemeinschaften und Traditionen mit der Kultur hervor. Religiöse Traditionen speisen durch Medien aller Art eine Vielzahl an Motiven, Narrativen, Praktiken, Werten, Bildern und Repräsentationen in den geteilten Fundus, ins kulturelle Imaginäre einer Gruppe oder einer Gesellschaft, ein. Gerade darin gründet die enge Wechselwirkung von Religion und Kultur, die in unterschiedlichen Epochen, Gesellschaften und politischen Organisationsformen auf unterschiedlichste Weise Gestalt annehmen kann. Setzt man sich mit der visuellen Seite von Religion auseinander, tritt diese Reziprozität zum Vorschein. Religion kann hier nicht mit Institutionen gleichgesetzt werden, sondern sie ist als Teil des kulturellen Imaginären zu untersuchen, in dem sich Individuelles und Kollektives, Materielles und Immaterielles, Wiederholtes und radikal Neues in jeweils unterschiedlichen Konstellationen, die medial umgesetzt werden, gegenseitig bedingen.

Fragen zur Vertiefung · Diskutieren Sie das Konzept des Imaginären. In welchem Verhältnis steht es zu Imagination und Utopie? · Vergleichen Sie Pasolinis La ricotta und die Werbung Mokarabia, l’arte italiana del buongusto. Welche Parallelen erkennen Sie? Welche Bedeutung wird dem Passionsmotiv in diesen so unterschiedlichen medialen Bearbeitungen verliehen? · Welche Rolle übernimmt Religion im heutigen kulturellen Imaginären Ihrer Meinung nach? Suchen Sie nach Beispielen, in denen religiöse Motive mit der Spannung zwischen Individuellem und Kollektivem, Materiellem und Immateriellen, Wiederholtem und radikal Neuem verbunden werden.

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Abbildungen Die Autorinnen danken allen Personen und Institutionen, die ihre Bilder mit freundlicher Genehmigung zum Abdruck zur Verfügung gestellt haben; in manchen Fällen waren die Besitzer des Copyrights nicht ausfindig zu machen. Umschlag: Abb. : Abb. : Abb. :

Foto: Daria-Pezzoli-Olgiati, Neggio Foto: Daria-Pezzoli-Olgiati, Neggio Eigenes elektronisches Archiv http://adsoftheworld.com/media/print/heinz_fit_ketchup_snake [. . ], Agentur: Mark BBDO Abb. : https://vicusyd.files.wordpress.com///cartes-de-visite.jpg [. . ] Abb. : Foto: Yves Müller, Zürich Foto: Daria-Pezzoli-Olgiati, Neggio Abb. : Abb. : © Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inventarnr. H Foto: Anna-Katharina Höpflinger, Kyburg Abb. : Abb. : Filmstill aus: E.T. – Der Außerirdische (Steven Spielberg, US ) :: Abb. a: Videostill aus: Sainsbury’s Official Christmas Advert , https://www.youtube.com/ watch?v=Jdobqufzms&nohtml=False [. . ], :: Abb. b: Videostill aus: Sainsbury’s Official Christmas Advert , https://www.youtube.com/ watch?v=Jdobqufzms&nohtml=False [. . ], :: Abb. : Eigene Grafik Abb. a: Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio Abb. b: Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio Abb. : Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio Abb. : Screenshot von http://www.sindone.org/diocesitorino/smagazine/index.jsp?idPagi na= [. . ] Abb. : Privatsammlung Daria-Pezzoli-Olgiati Abb. : Eigene Grafik in Anlehnung an Hall , xviii https://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Basilika_Santa_Maria_Angeli-Portiuncula.html Abb. : [. . ], © Joachim Schäfer, Ökumenisches Heiligenlexikon Abb : Foto: Dolores Zoé Bertschinger, München Abb. : Eigene Grafik in Anlehnung an Hall ,  Abb. : https://www.worldpressphoto.org/collection/photo//world-press-photo-year/sa muel-aranda [. . ] Abb. : http://lens.blogs.nytimes.com////in-sana-an-emotional-encounter/?_r= [..] Abb.: © Stapferhaus, Lenzburg, Foto D. Wyrsch Abb. : Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio Abb. : © Stiftung Kirchendecke Zillis Abb. : © Stiftung Kirchendecke Zillis Abb. a: © Stiftung Kirchendecke Zillis Abb. b: © Stiftung Kirchendecke Zillis Abb. c: © Stiftung Kirchendecke Zillis Abb. : Eigene Grafik Abb. : © Zuger Denkmalpflege Abb. : © Staatliche Graphische Sammlung München, Inv. N.  D Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:FraMauroDetailedMap.jpg [. . ] Abb.: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:IKB_.jpg [. . ] https://doi.org/10.1515/9783110536706-014

Abbildungen

Abb. :

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Screenshot, http://www.yvesklein.com/fr/oeuvres/index//anthropometries (Ausschnitt) [. . ]. Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mathis_Gothart_Grünewald_.jpg [. . ] Abb. : https://de.wikipedia.org/wiki/Dreieck_%Symbol%#/media/File:Dreieck_Kirche_ Ballum.jpg Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ceiling_-_Capella_degli_Scrovegni_-_Padua_ .jpg [. . ] Abb. : http://www.artnet.com/artists/edwina-sandys/christa-jionBpdXWEiqIOLkgHBw [. . ] Abb. : Filmstill aus: Avatar (David Cameron, US ), :: Abb. : Filmstill aus: Avatar (David Cameron, US ), :: Abb. a: Filmstill aus: Avatar (David Cameron, US ), :: Abb. b: Filmstill aus: Avatar (David Cameron, US ), :: Abb. c: Filmstill aus: Avatar (David Cameron, US ), :: Abb. : Videostill aus: AXE  Final Edition, https://www.youtube.com/watch?v=qe-RqLPJbKc [. . ], :: Abb. : Videostill aus: AXE  Final Edition, https://www.youtube.com/watch?v=qe-RqLPJbKc [. . ], :: Abb. : Videostill aus: AXE  Final Edition, https://www.youtube.com/watch?v=qe-RqLPJbKc [. . ], :: Abb. : Videostill aus: AXE  Final Edition, https://www.youtube.com/watch?v=qe-RqLPJbKc [. . ], :: Abb. : Videostill aus: AXE  Final Edition, https://www.youtube.com/watch?v=qe-RqLPJbKc [. . ], :: Abb. : Videostill aus: AXE  Final Edition, https://www.youtube.com/watch?v=qe-RqLPJbKc [. . ], :: Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Noahs_Ark.jpg [. . ] Abb. : aus: Gundula Wolter, Teufelshörner und Lustäpfel. Modekritik in Wort und Bild  – , Marburg: Jonas Verlag , , Abb.  Abb. : © Herzog Anton Ulrich Museum, Nr. XVI.H.IV.AB ., Herzog Anton Ulrich Museum, Braunschweig: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/FTMDEE SYDJPOCJDOTDBQXIWX [. . ] Abb. : aus: Gundula Wolter, Teufelshörner und Lustäpfel. Modekritik in Wort und Bild  – , Marburg: Jonas Verlag , , Abb.  Abb. : aus: Gundula Wolter, Teufelshörner und Lustäpfel. Modekritik in Wort und Bild  – , Marburg: Jonas Verlag , , Abb. . Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : The Works of Jeremy Bentham, , Band , Edinburgh: William Tait,  – , http://lfoll.s.amazonaws.com/titles//._Bk.pdf [. . ] Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. : Filmstill aus: Die Lage (Thomas Heise, DE ), :: Abb. a: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:LincolnMemorial.jpg [. . ]

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Abbildungen

Abb. b: https://commons.wikimedia.org/wiki/Lincoln_Memorial#/media/File:Lincoln_Memori al_(Lincoln_contrasty).jpg [. . ] Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_Holocaust_Memorial.jpg [. . ] Abb. : Screenshot von https://www.google.de/maps/place/Denkmal+f%C %BCr+die+ermorde ten+Juden+Europas/@.,.,z/data=! m! m! sx:xaeebc! m!d.!d. [. . ] Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Holocaust_monument.JPG [. . ]. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Holocaust_Memorial_Museum_Berlin_Interi Abb. : or_.jpg [. . ]. Abb. : Foto: Stefanie Knauß, Ardmore Abb. : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mother_with_her_Dead_Son_.jpg?use lang=de [. . ] Abb. a: Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], :: Abb. b: Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], :: Abb. c: Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Lady Gaga, Judas (Interscope Records ), https://www.youtube.com/ watch?v=wagnWrmzuc [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Katie Perry, Dark Horse (Capitol Records), https://www.youtube.com/ watch?v=KSOMAQBU [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Orphaned Land, All Is One (Century Media ), https://www.youtube. com/watch?v=BdsFALcRM [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Orphaned Land, All Is One (Century Media ), https://www.youtube. com/watch?v=BdsFALcRM [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], ::. Abb. : Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], :: Abb. : Videostill aus: Madonna, Like a Prayer (Warner Bros. Records ), https://vimeo.com/  [. . ], :: Abb. a: Foto: Yves Müller, Zürich Abb. b: Foto: Yves Müller, Zürich Abb. c: Foto: Yves Müller, Zürich Abb. d: Foto: Yves Müller, Zürich Abb. : Foto: Yves Müller, Zürich Abb. : Foto: Yves Müller, Zürich Abb. : Campbell, Mark, , Self-Instructor of the Art of Hair Work. Dressing Hair, Making Curls, Switches, Braids, and Hair Jewelry of Every Description, Tafel , https://archive.org/de tails/selfinstructorincamp [. . ] Abb. : Foto: Anna-Katharina Höpflinger, Kyburg Abb. : Foto: Anna-Katharina Höpflinger, Kyburg Abb. : Screenshot von http://www.maskworld.com/german/products/kostueme/-/kinder-kind erkostueme-/weihnachtskostueme-fuer-kinder [. . ] Abb. : Videostill aus: Isaiah Saying Mass –  Years Old, https://www.youtube.com/watch?v= qtrKOrmgIw [. . ], ::

Abbildungen

Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb : Abb. : Abb. :

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Foto: Anna-Katharina Höpflinger, Kyburg © Kunstmuseum Luzern, Foto: Andri Stadler Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio © LACAMA, Los Angeles © Royal Collection, London, RCIN , https://www.royalcollection.org.uk/collecti on//the-coronation-of-king-edward-vii- -  [. . ] Zur Verfügung gestellt von der Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Madonnenbilder der Künstlerin Annelies Štrba © Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, Foto: Ivan Ivic © Annelies Štrba Zur Verfügung gestellt von Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Madonnenbilder der Künstlerin Annelies Štrba, ©Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, Foto: Ivan Ivic Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio Foto: Ursula Jost, Zürich Foto: Daria Pezzoli-Olgiati, Neggio https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rosso_Fiorentino_-_Descent_from_the_ Cross_-_WGA.jpg [. . ] Filmstill aus: La ricotta (Pier Paolo Pasolini IT/FR ), :: Filmstill aus: La ricotta (Pier Paolo Pasolini IT/FR ), :: Filmstill aus: La ricotta (Pier Paolo Pasolini IT/FR ), :: Videostill aus: Christian Jankowski, Casting Jesus, Trailer, . . , https://www.you tube.com/watch?v=kveLrYGfQ [. . ], ::. Videostill aus: Christian Jankowski, Casting Jesus, Trailer, . . , https://www.you tube.com/watch?v=kveLrYGfQ [. . ], :: Videostill aus: Christian Jankowski, Casting Jesus, Trailer, . . , https:// www.youtube.com/watch?v=kveLrYGfQ [. . ], :: Filmstill aus: The Passion of the Christ (Mel Gibson, US ), :: Videostill aus: Mokarabia, l’arte italiana del buongusto, https://www.youtube.com/ watch?v=wDhLPWeEjyQ [. . ], :: Videostill aus: Mokarabia, l’arte italiana del buongusto, https://www.youtube.com/ watch?v=wDhLPWeEjyQ [. . ], :: Videostill aus: Mokarabia, l’arte italiana del buongusto, https://www.youtube.com/ watch?v=wDhLPWeEjyQ [. . ], ::

Autorinnen Natalie Fritz studierte in Zürich Skandinavistik und Religionswissenschaft. Im Herbst 2016 wurde sie mit einer vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Studie zum Motiv der »Heiligen Familie« im zeitgenössischen Arthouse-Kino promoviert. Ihre Forschungsinteressen umfassen Medien und Religion, insbesondere Film und Religion, die Interaktionen zwischen Bild- und Religionswissenschaft, das Verhältnis von Saga- und zeitgenössischer Kriminalliteratur und Religion. Anna-Katharina Höpflinger studierte Religionswissenschaft an der Universität Zürich. Sie promovierte 2010 zu Drachenkampfmythen in der Antike. Von 2009 – 2012 war sie Mitarbeiterin im Projekt »Uncovering Gender«, Universität Neuchâtel, von 2009 – 2014 Mitglied des Forschungsprojekts »Commun(icat)ing Bodies« der Universität Graz. Zwischen 2011 – 2016 arbeitete sie als Assistentin und Oberassistentin am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP). Seit 2016 ist sie an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Akademische Rätin tätig. Ihre Forschungsinteressen umfassen Kleidung, Körper und Religion, europäische Religionsgeschichte, Bestattungskultur sowie Religion und Heavy Metal. Stefanie Knauß promovierte in Theologie 2006 in Graz nach einem Studium der Theologie und Anglistik in Freiburg i.Br. und Manchester. Von 2007 bis 2011 hatte sie eine Post-Doc-Anstellung in Trento inne. Nach einem Forschungsprojekt zu Sexualität, Medien und Theologie in Zusammenarbeit mit der Universität Köln und der Humboldt-Universität Berlin wechselte sie 2013 an die Villanova University (Philadelphia, USA), wo sie als Associate Professor mit dem Fokus systematische Theologie sowie Theologie und Kultur lehrt und forscht. Ihre Forschungsinteressen sind Theologie und Kultur, Körper und Religion, Gender Studies und Theologie. Marie-Therese Mäder studierte Philosophie, Film- und Religionswissenschaft an der Universität Zürich und promovierte im Fach Religionswissenschaft im Bereich von Film und Religion. Von 2013 – 2016 war sie Oberassistentin am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP) der Universität Zürich, wo sie aktuell im Bereich Religion und Öffentlichkeit lehrt. Während der Post-Doc-Phase vertiefte sie ihre Forschungserfahrungen mit Aufenthalten am Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie an den Universitäten Yale und Harvard. Sie arbeitet als Dozentin für Medienethik an den Technischen Hochschulen Chur und Bern (CH), wo sie an der Modul-Entwicklung für Medienethik beteiligt ist. Seit 2006 ist sie Mitglied der Forschungsgruppe »Medien und Religion«. Ihre Forschungsschwerpunkte sind (Selbst-)Darstellungen religiöser Gemeinschaften in den Medien, dokumentarische Medien und Religion, Bilder als religiöse Praxis, die Passion in der Film- und Kulturgeschichte, sowie Zuschauerforschung im Bereich religiöser Persuasion. Daria Pezzoli-Olgiati studierte Theologie und Religionswissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Zürich. Es folgten die Promotion im Neuen Testament und die Habilitation in Religionswissenschaft, beides an der Universität Zürich. Forschungsaufenthalte in Rom, Oxford und Trento bereicherten ihre akademische Erfahrung. 2004 wurde sie SNF-Förderungsprofessorin für Religionswissenschaft und gründete die Forschungsgruppe »Medien und Religion« an der Universität Zürich. 2010 – 2016 war sie als Leiterin des interdisziplinären Zentrums für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP) tätig. Seit Oktober 2016 ist sie Professorin für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Medien und Religion, des Bildes, der Visualität und audiovisueller Medien in der Interaktion mit Religion, sowie in der Geschlechterforschung und der Raumtheorie im Bereich der Religionsforschung. Weitere Informationen: www.pezzoli-olgiati.ch. Weitere Informationen zu den Autorinnen und ihren Veröffentlichungen und Forschungsprojekten finden sich auf www.media-religion.org.

https://doi.org/10.1515/9783110536706-015

Index Abendmahl 229, 231 Adam und Eva 3, 73 Adorno, Theodor W. 141 All Is One 157, 163 Althusser, Louis 127 Anthropometrie 76 – 77 Apfel 3 – 4 Apokalypse 103, 109, 118 Aranda, Samuel 43 – 45 Arche Noah 99, 102, 110, 186, 188 – 190 Architektur 4, 194, 210 – 212 Arendt, Hannah 125 Arndt, Susan 153 Asad, Talal 55 Assmann, Aleida 158, 163 Assmann, Jan 32, 163 Auerochs, Bernd 208 Auferstehung 62, 168 Auffahrt, Christoph 101 Auga, Ulrike 178 Austin Abbey, Edwin 197 Autenrieth, Wolfgang 200 Avatar 78 – 79, 92 – 97 AvaTar Sands 97 Avatar, Konzept 92 Axe 99 – 109, 118 – 119 Bado-Fralick, Nikki 187 Baffelli, Erica 5 Bal, Mieke 25, 31, 47 – 48 Ballum Sogn 85 – 86 Bamiyan 90 Banduras, Albert 187 Banton, Michael 55 Bates, Janet W. 185 Baxandall, Michael 18 Beck-Gernsheim, Elisabeth 178 Beck, Ulrich 178 Beinhauer-Köhler, Bärbel 4, 18, 25, 81, 102 Beinhaus 8, 167 – 172 Bellah, Robert N. 140 Belting, Hans 19 – 20, 28, 69, 82 – 83, 161, 198 Benedikt XVI., Papst 120 – 121, 130, 132 – 133 Bentham, Jeremy 123 – 124 Berger, Matthias 209 Berger, Peter L. 100, 118, 163 Bersani, Antonella 231 https://doi.org/10.1515/9783110536706-016

Bild, Konzept 18 – 20, 28, 32, 57, 69 – 70, 73, 82, 198, 202 – 204, 214 – 215, 219 – 220 Bilderstreit 10 – 11, 62, 82 – 83, 90 Bilderverbot 82, 89 Bing, Gertrud 19 Bland, Kalman P. 82 Blaser, Michael 209 Blick 6, 10 – 17, 24 – 25, 32, 37, 64, 67 – 69, 73, 214 – 215, 220 Boehm, Gottfried 18 – 19, 202 Böhme, Gernot 18 Bongard, Joachim 103 Bordwell, David 164 Bossius, Thomas 158 boundary making 35 Bourdieu, Pierre 126 – 127, 150 Brahman 80 Bräunlein, Peter 18, 80, 82 – 84, 101, 197, 217 Bredekamp, Horst 18, 47, 202 Brugger-Koch, Susanne 57, 59, 62 Bubis, Ignaz 147 Bucherer, Paul 27 Buggeln, Gretchen 197 Burda, Hubert 18 Bürgi, Brigitte 193 Burke, Peter 33 Butler, Judith 100, 105, 163, 179 Cameron, James 78, 92 – 93, 97 Campbell, Joseph 94 Campbell, Mark 181 Casey, Edward S. 69 – 70 Cassirer, Ernst 19 Casting Jesus 226 – 228 Castoriadis, Cornelius 220 – 221 Chalmers, David Mark 153 Chartres, Kathedrale 4, 193 – 195 Cheong, Pauline H. 5 Chéroux, Clément 5 Cheselden, William 9 Christa 90 – 91 circuit of culture 33 – 35, 37 – 39, 46, 48, 77 – 78, 121, 159, 175 – 176, 214 Clague, Julie 90 Claussen, Horst 138 Claussen, Regina 138 Code 17, 39 – 42, 44 – 46, 54, 79, 98, 103, 117, 122, 128, 131 – 132, 135 – 136, 147

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Index

Coronation Carpet 195 – 197 Crociani, Andrea 231 Cropper, Elizabeth 222 Cross, Gary 186 Cultural Studies 18, 32 – 34 Dahinden, Janine 163, 177 Dargis, Manohla 92 – 93 Dark Horse 155 – 156, 158 dastmal-e mohr 27 – 28 De Beauvoir, Simone 118 De Lauretis, Teresa 105 – 106 De Pizan, Christine 115 Denkmal 122, 138 – 151 Denkmal für die ermordeten Juden Europas 121, 140 – 151 Didi-Huberman, Georges 28, 202 Die Lage 120 – 121, 130 – 138, 150 – 151 Diers, Michael 202 Diskurs 41, 44, 128 Distribution 40 Disziplinierung 125, 136 Dokumentarfilm 120 – 121, 128 – 138, 150 – 152 Donohue, Bill 155 Donovan, Peter 101 Du Gay, Paul 33, 175 – 176 Duemmler, Kerstin 163, 177 Duncan, Carol 197 Dünne, Jörg 69 Dürer, Albrecht 115 – 117 Durkheim, Emile 52 – 53, 160 Dyer, Jennifer R. 185 E.T. – The Extraterrestrial 13 Eduard VII., König 195 – 197 Egel, Nikolaus Andreas 63, 72 Eggers, Maureen Maisha 153 Eisenmann, Peter 141, 144, 151 Elias, Norbert 176 Elliott, Anthony 176 – 178 Elsas, Christoph 21 Emcke, Carolin 90, 163 Englisch, Brigitte 63 Erb, Cynthia 93, 97 Erikson, Erik 185 Erster Weltkrieg 14 Ezechiel 168 Familie 11, 13, 201 Farinelli, Franco 73

Faulstich, Werner 164 Fenstermaker, Sarah 100 Ferber, Michael P. 97 Fernsehen 39, 41 – 42 Ferrari-Schiefer, Valeria 115 Figl, Johann 54, 55 Filmanalyse 106, 128, 164 Fischer, Peter 193 Fiske, John 35, 39 – 40, 105, 113, 128 – 129 Fleckner, Uwe 35 Flucht nach Ägypten 59 – 61 Fotografie 5 – 6, 27 Foucault, Michel 123 – 127, 150 Franz von Assisi 35 – 38 Franziskus, Papst 26, 37, 88 Fra Mauro 72 Freeman, Bernard ‘Bun B’ 158 Friedhof 146 – 147, 149, 168 – 169 Fritz, Natalie 13, 163, 206 Frosh, Stephen 177 Gadamer, Hans-Georg 202 Gedächtnis 161 – 162 Geertz, Clifford 55 – 56, 88 Geimer, Peter 5 Geisterfotografie 5 – 6 Gemeinschaft 153 – 173, 175 – 176, 179, 184, 191, 199 Gender 100, 103 – 119, 153, 166 – 167, 179, 186 – 189 George, Mark 52 Gerber, Daniel 187 Gesellschaft 29, 153 – 173, 220 Gibson, Mel 226 – 228 Giddens, Anthony 16, 178 Gilhus, Ingvild Saelid 101 – 102 Gill, Rosalind 103 Giot, Pierre Roland 21 Giotto 87 Goffman, Erving 104, 178 Gombrich, Ernst Hans 19, 202 Goodman, Roberta Louis 178 Gramsci, Antonio 125 – 126 Gregor der Große, Papst 83 Greimer, Peter 27 Grigo, Jacqueline 178 Grimes, Katie Walker 155 Gruber, Christiane 82 Grünenfelder, Joseph 64 Grünewald, Matthias 84 – 85

Index

Günzel, Stephan Gutscher, Daniel

69 169

Haacke, Harald 148 Haarschmuck 174 – 175, 177, 180 – 184, 190 – 191 Haas, Hartmut 209 Habermas, Jürgen 141 – 142, 148, 151 Habitus 126 – 127 Häger, Andreas 158 Halbwachs, Maurice 158, 161 Halfwassen, Jens 78 Hall, Stuart 33, 35, 38 – 39, 41 – 42, 45, 52, 123, 160, 162 – 163, 166, 175 – 176 Haluza-DeLay, Randolph 97 Hamburger, Jeffrey 84 Hartley, John 40 Haus der Religionen 209 – 212 Haustein, Lydia 28 Hazara 27 Heelas, Paul 80 Heesch, Florian 158 Heil, Heilslehre 68, 73, 117 – 119, 171 Heiler, Friedrich 81 Heinz Ketchup 3, 4 Heise, Thomas 120 – 121, 130 – 138, 151 Held, Jutta 204 Heller, Birgit 102 Henriksen, Jan-Olav 101 Herbert, David E. 218 Hervieu-Léger, Danièle 162, 207 – 208 Herzog, Andreas 209 Heteronormativität 103, 106, 109, 125 Heywood, Ian 89 Hickethier, Knut 164 Hicks, Edward 110 Hinduismus 210 Hjarvard, Stig 218 Hobsbawm, Eric 208 Hoefer, Natascha N. 180 Hoeps, Reinhard 83 Holm, Christiane 181 Holocaust 140 – 141 Hoover, Stuart M. 101 Höpflinger, Anna-Katharina 15, 102, 158 Hulsether, Mark D. 165 – 166 Hüsch, Anette 5 Identität 4, 7, 29, 33, 35, 37, 78, 88 – 90, 105, 141, 158 – 159, 174 – 192

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Ideologie 122, 221, 224 Ikone 85 – 86 Ikonographie 4, 35 – 36, 44, 59, 68, 113 – 115, 198, 205, 213 Il vangelo secondo Matteo 224 Imaginäres 20, 30, 214 – 232 Imdahl, Max 18 Immanenz 54 – 56, 73, 80, 97 Individuum 29, 174 – 192 Innovation 30, 179, 191, 193 – 213 Intermedialität 18, 25, 36 Intersektionalität 155 Isenheimer Altar 84 – 85 Islam 1, 10, 82, 187 – 188, 210 Italianità 230 – 231 Jäckl, Eberhard 140 Janes, Linda 33, 175 – 176 Jankowski, Christian 226 – 228 Jansen, Nils 101 Jasper, Karl 80 Jeffers, Ann 15 Jerusalem, himmlisches 50, 52 Jesus 45, 59, 61 – 63, 163 – 164, 201 – 202, 215, 226 – 228 Joas, Hans 79 – 80 Jónsson, Einar Már 67, 113 Joseph 59 – 61 Judas 155 – 156 Judentum 10, 81 – 82 Juliana von Norwich 84 Kaemmerling, Ekkehard 19 Kahn-Harris, Keith 158 Kapferer, Judith 122 Kaplan, Louis 5 Katholizismus 71, 168 Kern, Hermann 19 Kilomba, Grada 153 Kippenberg, Hans Gerhard 101 Klassen, Chris 93, 97 Klaus, Elisabeth 104 Kleidung 69, 107, 111, 138, 160, 177 – 178, 180, 184, 187 Klein, Yves 75 – 77, 86 – 87, 89 Knauß, Stefanie 4, 56, 76, 90, 125, 203 Knoblauch, Hubert 80 – 81, 88, 90, 95 Kollwitz, Käthe 148 Komaroff, Linda 195

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Index

Kommunikation 1, 4, 6, 17 – 21, 29, 32 – 35, 38 – 46, 50, 52 – 57, 98, 104, 123, 127 – 129, 137, 194, 199, 206 – 207, 214 – 219 Konsumption 17, 34 – 35, 38 – 46, 54 – 55, 57, 103, 128, 137, 206, 214 Kontou, Tatiana 5 Körper 20, 24, 28, 45 – 46, 57, 64, 69 – 70, 73, 76 – 77, 89, 95, 99, 105, 118, 125, 127 – 128, 143, 153, 165, 179, 184, 198, 205 – 206 Korte, Helmut 164 Korte, Hermann 100 Koudounaris, Paul 167 – 169 Kracke, Bärbel 175 Kreuzesabnahme 215 – 217, 222, 224, 227 Kreuzigung 21, 62 Kreuz 23 – 24 La ricotta 221 – 225, 227 Labyrinth 194 – 195, 197 Lady Gaga 155 – 157, 164 Lamont, Michèle 177 Lang, Jean-Michel 169 Lanwerd, Susanne 1 Larcher, Gerhard 85 – 86, 91 Le Goff, Jacques 219, 221 Leggewie, Claus 140 Leonardo da Vinci 229, 231 Liedhegener, Antonius 9 Like a Prayer 153 – 155, 164 – 167 Lincoln-Memorial 138 – 139 Lincoln, Abraham 5 – 6, 138 – 139 Lincoln, Mary Todd 5 – 6 Locher, Hubert 197 Luckmann, Thomas 53, 79, 84, 88 – 89, 95, 100, 118, 163 Luhmann, Niklas 54 Luminati, Michele 101 Lundby, Knut 101 Lyden, John C. 56 Maar, Christa 18 Macho, Thomas 18 Macht 29, 33, 120 – 152 Mackay, Hugh 33, 175 – 176 Mäder, Marie-Therese 129, 163 Madonna 153 – 155, 164 – 167, 172 Mahmood, Sabha 178 Malik, Jamal 4 manifest destiny 138 Marchart, Oliver 33

Maria 40 – 41, 59, 61, 68, 194, 198 – 206 Martin von Porres, Heiliger 165 Martin von Tours, Heiliger 59, 62 – 63 Materialität 20, 34, 73, 76 – 77, 87, 127, 138, 177, 190 – 191, 214 – 215, 225 Matthäusevangelium 59 – 60, 63 Maya 109, 118 Mayer, Jean-François 1, 5 McCuthcheon, Russel T. 102 McDannell, Colleen 101, 186 Mediatisierung 218 Megalith von Saint-Duzec, Bretagne 21 – 23 Menkovic, Biljana 138, 141, 147, 149 Merleau-Ponty, Maurice 89 Merlo, Johann Jacob 114 Methodologie 31 – 49 Meuelmann, Heiner 100 Meyer, Birgit 81 Meyer, Erik 140 Michaels, Axel 15 Michelangelo 44 Miles, Margaret R. 18, 56 Milhaven, J. Giles 84 Miller, Monica R. 158 Minarett-Bauverbot 1, 2, 4, 21 Mirzoeff, Nicholas 25 Mitchell, W.J.T. 18 Mittelstrass, Jürgen 71 Moberg, Marcus 158 Möbius, Helga 203 Moebius, Stephan 33 Mohanty, Chandra Talpade 178 mohr 27 Mohr, Hubert 197 Mokarabia 229 – 231 Molnar, Virag 177 Monochrome bleu 75 – 77, 89 Monosemierung 113 Monster 59 – 60, 62 Mont-Saint-Michel 50 – 52, 57 Montgomery, Martin 40 Moret, Joëlle 163, 177 Morgan, David 24 – 25, 28, 88, 101 Morgen, Bernard 185 – 186 Moschee 210 – 211 Mulvey, Laura 107 Mumler, William 5 Munzinger, Uwe 103 Museum 27, 197, 207, 217 Musikvideo 153 – 159, 164 – 167, 172

Index

Musiol, Karl Georg Mystik 83 – 84

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Nächstenliebe 11, 15, 203 Naef, Silvia 81 Nay, Marc Antoni 57, 59, 62 Negus, Keith 33, 175 – 176 Neopaganismus 21, 23 New Age 80, 90 Nichols, Bill 123 Nikaia, 2. Konzil von 83 Nipperdey, Thomas 138, 147 Nirwana 80 Noah 106 – 109 Noppe, Illene C. 187 Norm, Normativität 6 – 7, 11, 29, 56, 70, 99 – 119, 175, 189 – 191 Norris, Rebecca Sachs 187 Nöth, Winfried 85 O’Sullivan, Tim 40 Odermatt-Bürgi, Regula 64, 67, 168 – 169 Odin, Roger 39, 129 Oelke, Harry 10, 71 Oestmann, Peter 101 Offenbarung des Johannes 50 Offenbarung 63, 81 Orphaned Land 157, 163 – 164 Otto, Rudolf 80 Paine, Crispin 197 Pal, Pratapaditya 195 Panofsky, Dora 19 Panofsky, Erwin 19, 32, 204 Panoptikum 124 Paradies 50, 52, 64, 67 – 68, 73 Paradigma 40, 44, 155 Partridge, Christopher 158 Pasche Guinard, Florence 188 – 189 Pasolini, Pier Paolo 221 – 225, 228, 230 Passion Jesu 21, 62, 83 – 84, 163, 215, 217, 219, 221 – 225 Pastoralmacht 125 – 127 Pencz, Georg 116 Performativität 105, 179 Perry, Katy 155 – 158, 164 Pezzoli-Olgiati, Daria 4, 15, 52, 56, 64, 101 – 102, 163, 203, 205, 219, 221 Phänomenologie 32, 70, 89, 202 Phillips, Sarah 44

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Pieche, Peggy 153 Pietà 44 – 45, 148 Pink, Sarah 84 Pinn, Anthony B. 158 Plate, S. Brent 197 Playmobil 11 – 12 Poeschel, Erwin 57, 62 Pollack, Detlef 217 Postman, Neil 104 Praxis, religiöse 11, 18, 27, 40, 55, 83, 87, 90, 98, 168, 187, 217, 223 Produktion 31 – 34, 37 – 38, 40, 43, 45, 128 – 129, 175, 199, 206, 229 Proposition de détour 193 – 195, 197, 207 Pseudo-Matthäus-Evangelium 60 racial profiling 166 Rahner, Karl 80 Rall, Veronika 223 Rassismus 153, 155, 165 – 167, 172, 223 Raum 20, 27 – 28, 36, 69 – 70, 73, 207, 211 – 212, 218 Reader, Ian 5 Reformation 10 – 11, 62, 71, 83, 168 Regulierung 33, 35, 37 – 38, 78, 88, 121, 159, 184, 199, 204, 206 Religion, Konzept 9 – 10, 15 – 18, 29, 54 – 55 Repräsentation 18, 33 – 34, 38, 68, 73, 78, 175 Rezeption 27, 31 – 34, 37 – 38, 44, 69, 78, 129, 175 – 176, 184, 198, 206, 229, 232 Richter, Isabel 181 Ricœur, Paul 220 – 221 Riesebrodt, Martin 117, 160 Ritual 95, 127, 138, 145 – 147, 160, 179, 187, 208 Rombold, Günter 85 Rose, Gillian 35, 39, 47 Rosenthal, Nan 76, 87 Rosh, Lea 140 Rosso Fiorentino 215 – 217, 219, 222, 224, 227 Rother, Almut 21 Rother, Frank 21 Roux, René 175 Rubin, Miri 204 Rüpke, Jörg 4, 101, 175, 218 Sachs-Hombach, Klaus 18, 202 Sáenz-López Pérez, Sandra 63 Saifer, Steffen 185

260

Index

Sainsbury 14 – 15 Sakrament 87 – 88, 90 Säkularisierung 217 – 218 Saldana, Zoë 93 Sallman, Warner 88 Sandy, Edwina 90 – 91 Sandywell, Barry 89 Saunders, Danny 40 Schade, Sigrid 25, 32, 204, 206 Schäfers, Bernhard 100 Schilbrack, Kevin 55 Schlange 3, 113 – 114 Schlieter, Jens 9 Schlusche, Günter 140, 142, 147, 149 Schmidt, Heinrich 203 Schmidt, Margarete 203 Schnorrenberg, Jakob 114 Scholz, Oliver Robert 204 Schön, Erhard 11 Schönherr-Mann, Hans-Martin 100 Schöpfung 50, 63, 71, 73, 178, 188 – 189 Schrader, Paul 91 Schuchard, Jutta 138 Schwartz, Barry 122 Schwebel, Horst 86 Schwöbel, Christoph 82 Scolari, Baldassare 163 Second Life 92 Seele, Peter 9 Seib, Gerhard 146 Sexualität 105, 107, 111, 113, 125, 167, 203 Sintflut 108, 118 Smith, Philip 33 Sobchack, Vivian 84 Sörries, Reiner 168 – 169 Speculum rationis 64 – 69, 71 Spiegel 67, 113 – 116 Spiegel der Vernunft 66, 68 Spiel, Spielzeug 185 – 191 Spielberg, Steven 13 Spring, Jason A. 55 St. Martin, Kirche, Zillis 57 – 64, 71 St. Michael’s Tower 4 St. Peter, Basilika, Rom 44 Staemmler, Birgit 5 Stereotyp 1, 13, 100, 166 – 167, 172 Stirm, Margarete 10, 71, 83 Stolz, Fritz 17 – 18, 53 – 54, 71, 100 – 101, 179 Štrba, Annelies 198 – 207 Sündenfall 3 – 4

Swartz, David 123, 126 – 127 Symbol 1, 19, 21, 24, 44, 53, 85 – 87, 89, 104, 153, 155, 157 – 159, 179, 193, 197, 204, 212, 218 Symbolsystem 4, 8, 29, 32, 52, 55 – 57, 73, 118, 194 Syntagmatische Kette 40 – 41 Tabuchi, Hiroko 188 Taylor, Bron 97 Taylor, Charles 217 Taylor, Lou 180, 184 The Head of Christ 88 The Passion of the Christ 226 – 228 Theresa von Avila 83 Thiel, Erika 111 Thiemann, Hermann-Wilhelm 140 Thierse, Wolfgang 143 Thomas von Aquin 82 Thompson, Kristine 164 Thünemann, Holger 141, 147 Till, Rupert 158 Topitsch, Ernst 52, 55 Tradition 29 – 30, 161, 179, 191, 193 – 213 Transzendenz 29, 54 – 56, 73, 75 – 98, 149, 174 Trauerkultur 174 – 175, 177, 180 – 184, 190 – 191 Trient, Konzil von 88 Trinität 68, 85 – 86 Tse, Su-Mei 193 – 195, 197, 206 – 207 Turiner Grabtuch 26 – 27 Ulrich-Bochsler, Susi Umwelt 97 Utopie 221, 224

169

Valentin, Joachim 4, 102 Van der Leeuw, Gerardus 80 Vergemeinschaftung 160 Vergesellschaftung 159 – 160 Victoria, Königin 184 Vignon, Paul 27 visual culture 24 – 25 Vogelsanger, Cornelia 27 Volkmann, Helga 200 Waardenburg, Jacques 15 Wagner-Pacifici, Robin 122 Walser, Martin 141, 151 Warburg, Aby 19, 202

Index

Warnke, Martin 35, 200 Weber, Max 159 – 160 Weihnachten 11 – 12, 14 – 15, 186 Weimer, Christoph 10, 71, 83 Weltbild 29, 50 – 74, 118 – 119, 204, 208 Weltkarte 63, 72 – 73 Wenk, Silke 25, 32, 204 Werbung 3 – 4, 14 – 15, 99 – 109, 103 – 104, 229 – 232 West, Candace 100 Westerhoff, Wolfgang 169 Wetherell, Margaret 176, 178 Widerstand 121, 126 – 127, 150 – 151, 179 Widmer, Jonas S. 209 Wiebe-Neufeld, Tim 97 Willburn, Sarah 5 Wilmes, Ulrich 217 Wimmer, Andreas 35 Wobbe, Theresa 4 Woensam, Anton 110 – 115, 117

Wolter, Gundula 114 – 115 Wood, Helen 178 Woodhead, Linda 9, 80 Worthington, Sam 93 Wunenburger, Jean-Jacques

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217, 225 – 226

Yad Vashem 145 Young, James E. 141 Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft 148, 150 Zick, Gisela 181 Ziegler, Hendrik 35 Zilkens, Stephan 169 Zimmermann, Don H. 100 Zivilreligion 140 Zordan, Davide 76, 83 Zurstiege, Guido 103 Zwick, Reinhold 223, 225