Jenseits von Religion?: Zur sozio-rhetorischen »Wende« in der Religionswissenschaft [1. Aufl.] 9783839431382

This study shows that not only are religious studies »beyond religion« possible, but that in concert with other related

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Jenseits von Religion?: Zur sozio-rhetorischen »Wende« in der Religionswissenschaft [1. Aufl.]
 9783839431382

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Anmerkungen
1 Einleitung
1.1 ‚Sozio-rhetorisch‘: Eine Begriffsklärung
1.2 Aufbau und Vorgehen
TEIL I: THEORETISCH-EXPLIKATIVE ÜBERLEGUNGEN
2 Der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘: Vertreter, Positionen und Kritik
2.1 Erdachte Religion und Kumulative Tradition: Vorläufer soziorhetorischer Kritik an Religion
2.2 Aufkommende Kritik am Religionsbegriff
2.3 Unterschiedliche Formen der Kritik am Konzept Religion
2.4 Russell T. McCutcheon
2.4.1 Die Fabrikation von ‚Religion‘
2.4.2 Religion und Religionswissenschaft im Rahmen einer Theorie der ‚Sozialen Formation‘
2.4.3 ‚Religion‘ und ‚Nichtreligion‘
2.4.4 Kritische Anmerkungen zu McCutcheon
2.5 Timothy Fitzgerald
2.5.1 Religionsphänomenologie und Vergleichende Religionswissenschaft: Liberale Theologie hinter dem Schleier objektiver Wissenschaft
2.5.2 ‚Religion‘, ‚Nichtreligion‘ und Kapitalismus
2.5.3 ‚Cultural Studies‘ anstelle von Religionswissenschaft
2.5.4 Kritische Anmerkungen
2.6 Talal Asad, Daniel Dubuission und Tomoko Masuzawa
2.6.1 Talal Asad
2.6.2 Daniel Dubuission
2.6.3 Tomoko Masuzawa
2.7 Kritische Anmerkungen zum ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘
2.7.1 Generelle Einwände
2.7.2 ‚Theologie-/Ideologie-Vorwurf‘
2.7.3 ‚Postmodernismus-Vorwurf‘
2.7.4 ‚Vorwurf des Verrats am eigenen Fach‘
3 Verortung des sozio-rhetorischen Ansatzes im disziplingeschichtlichen und regionalen Kontext
3.1 Periodisierung der Geschichte der Religionswissenschaft
3.1.1 Generelle Entwicklungen: Vorgeschichte und Entstehung als akademische Disziplin
3.1.2 Aufstieg und Vorherrschaft der Religionsphänomenologie
3.1.3 Exkurs: Religionsphänomenologie
3.1.4 Kritik und Abstieg der Religionsphänomenologie
3.1.5 „Marburg und die Folgen“
3.1.6 Neue Perspektiven: Methodische und theoretische Pluralisierung
3.2 Zwischenfazit
3.3 Geschichte der Religionswissenschaft in den USA
3.3.1 Weltparlament der Religionen und religiöser Liberalismus
3.3.2 Religionswissenschaft in den USA ab den 1960er Jahren
3.3.3 Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels und des Kalten Krieges auf die Religionswissenschaft in den USA
3.3.4 Aktuelle Entwicklungen
3.4 Fazit
4 Zwischenfazit
TEIL II: EMPIRISCH-EXEMPLARISCHE ÜBERLEGUNGEN
5 Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft
6 ‚Religion‘ und ‚Säkularität‘ in sozio-rhetorischer Perspektive
6.1 Religion, der private Raum und der moderne Staat
6.2 Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates
6.3 Der schmale Pfad: Überlegungen zu einer diskurstheoretischen Konzeptionalisierung von Säkularität
7 Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs
8 Abschließende Überlegungen
Literaturverzeichnis

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Steffen Führding Jenseits von Religion?

Religionswissenschaft

Für Lasse und Jonne

Steffen Führding, geb. 1981, lehrt und forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Religionswissenschaft sowie die Rolle »religiöser« Rhetorik bei der Identitätskonstruktion.

Steffen Führding

Jenseits von Religion? Zur sozio-rhetorischen »Wende« in der Religionswissenschaft

Zugl.: Hannover, Leibniz Universität, Diss., 2014 u. d. T. »Jenseits von Religion? Überlegungen zur sozio-rhetorischen »Wende« in der Religionswissenschaft«

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

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Inhalt

Vorwort | 7 Anmerkungen | 9 1

Einleitung | 11

1.1 ‚Sozio-rhetorisch‘: Eine Begriffsklärung | 15 1.2 Aufbau und Vorgehen | 21

TEIL I: THEORETISCH -EXPLIKATIVE ÜBERLEGUNGEN 2

Der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘: Vertreter, Positionen und Kritik | 29

2.1 Erdachte Religion und Kumulative Tradition: Vorläufer soziorhetorischer Kritik an Religion | 30 2.2 Aufkommende Kritik am Religionsbegriff | 31 2.3 Unterschiedliche Formen der Kritik am Konzept Religion | 37 2.4 Russell T. McCutcheon | 38 2.4.1 Die Fabrikation von ‚Religion‘ | 38 2.4.2 Religion und Religionswissenschaft im Rahmen einer Theorie der ‚Sozialen Formation‘ | 44 2.4.3 ‚Religion‘ und ‚Nichtreligion‘ | 49 2.4.4 Kritische Anmerkungen zu McCutcheon | 52 2.5 Timothy Fitzgerald | 55 2.5.1 Religionsphänomenologie und Vergleichende Religionswissenschaft: Liberale Theologie hinter dem Schleier objektiver Wissenschaft | 58 2.5.2 ‚Religion‘, ‚Nichtreligion‘ und Kapitalismus | 60 2.5.3 ‚Cultural Studies‘ anstelle von Religionswissenschaft | 63 2.5.4 Kritische Anmerkungen | 65 2.6 Talal Asad, Daniel Dubuission und Tomoko Masuzawa | 68 2.6.1 Talal Asad | 68 2.6.2 Daniel Dubuission | 73 2.6.3 Tomoko Masuzawa | 75 2.7 Kritische Anmerkungen zum ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘ | 79 2.7.1 Generelle Einwände | 80 2.7.2 ‚Theologie-/Ideologie-Vorwurf‘ | 87 2.7.3 ‚Postmodernismus-Vorwurf‘ | 91 2.7.4 ‚Vorwurf des Verrats am eigenen Fach‘ | 94

3

Verortung des sozio-rhetorischen Ansatzes im disziplingeschichtlichen und regionalen Kontext | 99

3.1 Periodisierung der Geschichte der Religionswissenschaft | 100 3.1.1 Generelle Entwicklungen: Vorgeschichte und Entstehung als akademische Disziplin | 103 3.1.2 Aufstieg und Vorherrschaft der Religionsphänomenologie | 109 3.1.3 Exkurs: Religionsphänomenologie | 110 3.1.4 Kritik und Abstieg der Religionsphänomenologie | 114 3.1.5 „Marburg und die Folgen“ | 116 3.1.6 Neue Perspektiven: Methodische und theoretische Pluralisierung | 120 3.2 Zwischenfazit | 124 3.3 Geschichte der Religionswissenschaft in den USA | 125 3.3.1 Weltparlament der Religionen und religiöser Liberalismus | 128 3.3.2 Religionswissenschaft in den USA ab den 1960er Jahren | 131 3.3.3 Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels und des Kalten Krieges auf die Religionswissenschaft in den USA | 134 3.3.4 Aktuelle Entwicklungen | 137 3.4 Fazit | 141 4

Zwischenfazit | 145

TEIL II: EMPIRISCH -EXEMPLARISCHE ÜBERLEGUNGEN 5

Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft | 153

6

‚Religion‘ und ‚Säkularität‘ in sozio-rhetorischer Perspektive | 167

6.1 Religion, der private Raum und der moderne Staat | 167 6.2 Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates | 184 6.3 Der schmale Pfad: Überlegungen zu einer diskurstheoretischen Konzeptionalisierung von Säkularität | 198 7

Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs | 215

8

Abschließende Überlegungen | 235

Literaturverzeichnis | 245

Vorwort

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht modifizierte Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Herbst 2014 von der Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover angenommen wurde. Bis zu ihrer erfolgreichen Fertigstellung vergingen mehrere Jahre, in denen ich von unterschiedlichen Personen auf verschiedenste Arten Anregungen, Rat und Unterstützung erhielt. Bei diesen Menschen möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken! Entstanden ist die Arbeit und das nun vorliegende Buch im Rahmen meiner Qualifikationsstelle in der Religionswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover. Ein großer Dank gilt Prof. Dr. Dr. Peter Antes vor allem für sein großes Vertrauen, seinen Rückhalt und die Freiräume, die es mir ermöglicht haben, meinen eigenen Ideen und Themen zu folgen. Zudem hat er die Arbeit lange begleitet und sie als Zweitprüfer bewertet. Ein besonderer Dank gilt zudem meiner Doktormutter, Prof. Dr. Wanda Alberts, die bereit war, die Betreuung in einem relativ späten Stadium der Arbeit zu übernehmen und mich gerade in den letzten Monaten der Fertigstellung immer wieder ermuntert und mit kritischen Ratschlägen begleitet hat. Darüber hinaus haben Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen fachlichen Kontexten zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ein besonderer Dank gilt Thorsten Paprotny dafür, dass er immer an mich geglaubt und dass er mir im richtigen Moment den entscheidenden Stoß gegeben hat, die Arbeit fertig zu stellen. Für ihre kritischen Anmerkungen, Hilfestellungen, Geduld und die Möglichkeit, sich über die Schwierigkeiten, die im Rahmen einer solchen Qualifikationsarbeit auftreten, auszutauschen, gilt mein Dank allen voran Edith Franke, Dagmar Fügmann, Björn und Corinna Maronga, Anna Neumaier und Jeanette Schröter, aber auch Stefan Schröder und Martin Trappe. Wichtig für den inhaltlichen Austausch und die Reflexion des eigenen Vorhabens waren die Gespräche und Begegnungen mit William Arnal, Willi Braun, Tim Jensen und Russell McCutcheon, die ich in den letzten Jahren persönlich

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kennen lernen durfte, und die immer gern zu einem Meinungsaustausch bereit waren. Für die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage danke ich Jil Klünder und Hanna Brier. Neben dem akademischen Umfeld hat mich während der Arbeit an meiner Dissertationsschrift natürlich auch und vor allem mein persönliches und familiäres Umfeld begleitet und unterstützt. Besonders meinen Eltern und Schwiegereltern bin ich für die vielfachen und unterschiedlichen Hilfestellungen sehr dankbar. Ohne Euren Einsatz wäre dieses Buch nie verwirklicht worden. Das gilt in noch größerem Maße für meine Frau und meine Kinder, bei denen ich mich an dieser Stelle für alles von Herzen bedanken möchte. Steffen Führding Hannover, im Februar 2015

Anmerkungen

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird für Personen oder Gruppen in der dritten Person Singular und Plural in der Regel nur die maskuline Form angegeben. Die feminine Form ist dabei, sofern nicht anders expliziert, mitzudenken. Abkürzungen für Eigennamen etc. (zum Beispiel DVRW [Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft]) werden bei der ersten Nennung im Text erläutert. Die Arbeit ist in der neuen, seit 2006 gültigen Rechtschreibung verfasst. In Zitaten wird die Rechtschreibung der Originalquelle wiedergegeben. Nach der neuen Rechtschreibung fehlerhafte, aber in der alten Rechtschreibung korrekte Schreibweisen (beispielsweise daß anstelle von dass) werden nicht als Fehler kenntlich gemacht. Die Kapitel im zweiten Teil des Buches basieren auf Aufsätzen, die bereits an anderen Stellen veröffentlicht wurden. Ich danke den jeweiligen im Folgenden aufgelisteten Herausgebern und Verlagen für die Erlaubnis, das Material hier verwenden zu dürfen. Führding, Steffen: Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft, in: Edith Franke/Verena Maske (Hg.), Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft und Kognitionsforschung: Ein Autorenworkshop mit Hubert Seiwert, Marburg Online Books: Marburg 2014, S. 5568. Führding, Steffen: Religion, Privacy and the Rise of the Modern State, Method and Theory in the Study of Religion 25 2013, S. 118-131. © Koninklijke Brill NV, Leiden, 2012. Führding, Steffen: Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates, in: Peter Antes/Arvid Deppe/Dagmar Fügmann/Steffen Führding/Anna Neumaier (Hg.), Konflikt - Integration - Religion: Religionswissenschaftliche Perspektiven, V&R unipress: Göttingen 2013, S. 29-44.

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Führding, Steffen: Der schmale Pfad: Überlegungen zu einer diskurstheoretischen Konzeptualisierung von Säkularität, in: Steffen Führding/Peter Antes (Hg.), Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, V&R unipress: Göttingen 2013, S. 71-86. Führding, Steffen: Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs: Überlegungen zu einer Analyse der Debatte um eine Verfassung für Europa, in: Aleksandra Lewicki/Melanie Möller/Jonas Richter/Henriette Rösch (Hg.), Religiöse Gegenwartskultur: Zwischen Integration und Abgrenzung, Lit Verlag: Berlin 2012, S. 35-52.

1 Einleitung

„[A] small group [of writers, Anm. SF] now focuses its attention not on arriving at a more scientifically or humanistically satisfying, retooled conception of religion, but instead, on the very fact that some human beings – scholars in the Euro-North American ‚scientific‘ tradition included – distinguish belief from practice, private from public, and, most generally, sacred from secular, and religion from irreligion. Recalling the work of Durkheim and Mauss from nearly a century ago (1903, reprinted 1963), the social act of classification has itself become the object of study. Some term this a socio-rhetorical approach.“1

Seit der Entstehung der Religionswissenschaft als akademische Disziplin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird die Frage diskutiert, was Religionswissenschaft eigentlich ist, wie ihr Gegenstand zu fassen ist und welche (methodologische und methodische) Ausrichtung sie hat. Durch den beginnenden Niedergang der fast 50 Jahre lang vorherrschenden Religionsphänomenologie2 in den 1960er Jahren wurden diese und ähnliche Fragen (wieder) besonders virulent und stehen bis heute im Raum. Eine Vielzahl von Ansätzen wurde vorgeschlagen und versuchsweise angewendet, um die ‚Lücke‘, die die Religionsphänomenologie als genuin religionswissenschaftliches Forschungsprogramm hinterlassen hat, zu schließen.3

1

McCutcheon, Russell T.: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, in: Arthur L. Greil/David G. Bromley (Hg.), Defining Religion: Investigating the Boundaries between the Sacred and Secular, Amsterdam 2003, S.139-162, S. 140. Hervorhebung durch Steffen Führding (S.F.).

2 3

Zur Religionsphänomenologie siehe Kapitel 3.1.3 dieser Arbeit. Vgl. Figl, Johann: Einleitung Religionswissenschaft - Historische Aspekte, heutiges Fachverständnis und Religionsbegriff, in: ders. (Hg.), Handbuch Religionswissenschaft: Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck, Göttingen 2003, S. 17-86, S. 27-31.

12 | J ENSEITS VON R ELIGION

Die Frage nach der Identität und damit oft verbunden auch nach der Autonomie der Religionswissenschaft berührt die Disziplin im Kern und ist gerade in Anbetracht der seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert wieder steigenden Aufmerksamkeit, die dem Faktor Religion entgegengebracht wird, besonders virulent. Diese Aufmerksamkeit führt dazu, dass auch andere Disziplinen, wie beispielsweise die Politikwissenschaft oder die Soziologie, den Gegenstand Religion (wieder) für sich entdecken.4 Edith Franke und Verena Maske sprechen vor diesem Hintergrund davon, dass „die Aufgabe und Methodik religionswissenschaftlicher Forschung auf neue Weise in Frage“5 gestellt wird. Damit steht auch die Frage nach der Identität und Autonomie der Disziplin als solche zur Disposition.6 Viele Autoren haben sich mit dieser drängenden Frage beschäftigt. In der vorliegenden Arbeit wird eine Antwortmöglichkeit vorgestellt und diskutiert, die konsequent zu Ende gedacht darauf zielt oder zielen kann, Religion als konstitutiven Gegenstand der Religionswissenschaft aufzugeben und die Disziplin ‚Jenseits von Religion‘ weiterzuführen. Dieser Vorschlag ist kontrovers und, wie bereits angedeutet, nicht der einzige Weg, der für die weitere Entwicklung der Religionswissenschaft vorgeschlagen wurde und wird. Bei allen Unterschieden, die die Antworten auf die Identitätsfrage der Religionswissenschaft hervorbringen, scheint es einen weitgehenden Konsens darüber zu geben, dass es sich bei der postphänomenologischen Religionswissen-

Für Beispiele postphänomenologischer Ansätze siehe anstelle vieler: Antes, Peter/ Geertz, Armin W./Warne, Randi R. (Hg.): New Approaches to the Study of Religion, Berlin [u.a.] 2008. Und siehe Whaling, Frank (Hg.): Theory and Method in Religious Studies. Contemporary Approaches to the Study of Religion, Berlin, New York 1995. 4

Ein gutes Beispiel hierfür stellt der um die Jahrtausendwende gegründete Arbeitskreis Politik und Religion in der ‚Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft‘ (DVPW) dar, der seitdem mit einer Reihe von Tagungen und Publikationen aktiv geworden ist. (Siehe DVPW - Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft: Arbeitskreis Politik und Religion der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 14.05.2014. http://www.dvpw.de/gliederung/ak/politik-und-religion/homepage.html).

5

Franke, Edith/Maske, Verena: Einleitung, in: dies. (Hg.), Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft und Kognitionsforschung: Ein Autoren‐Workshop mit Hubert Seiwert, Marburg 2014, S. 7-14, S. 7.

6

Vgl.

Franke/Maske:

Einleitung,

S.

7-8.

Und

vgl.

Führding,

Steffen/

AG Lehrforschungsprojekt: Warum Religionswissenschaft? Eine empirische Studie über die Gründe, Religionswissenschaft zu studieren, Marburg 2009, S. 146-147.

E INLEITUNG

| 13

schaft um eine empirische und humanwissenschaftliche Disziplin handelt.7 Was unter Religion zu verstehen ist und mit welchen Methoden sie am besten erforscht werden kann, ist aber weiterhin umstritten. Etwa seit den 1990er Jahren haben in diesem Kontext vor allem zwei neuere Ansätze besondere Aufmerksamkeit erregt.8 Zum einen handelt es sich dabei um die ‚Cognitive Science of Religion‘ (CSR)9, ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das bereits in den 1970er Jahren entstand und das Religion mittels kognitions- und evolutionswissenschaftlicher Herangehensweisen und Theorien erforscht. Seit dem ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert werden die Bemühungen verstärkt, die Theorien und Erkenntnisse der CSR in die Religionswissenschaft zu integrieren und als leitendes Paradigma zu etablieren, ohne dass dieses Ziel bisher verwirklicht werden konnte.10

7

Vgl. hierzu unter anderem Antes, Peter: Religionswissenschaft als humanwissenschaftliche Disziplin, Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 63 (1979), S. 275-282; Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 27; Hutter, Manfred: Religionswissenschaft im Kontext der Humanwissenschaften, Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 87 (2003), S. 3-20; Seiwert, Hubert: Systematische Religionswissenschaft: Theoriebildung und Empiriebezug, Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 61 (1977), S. 1-18; aber auch McCutcheon, Russell T.: What is the Academic Study of Religion? (18.08.2012), 29.08.2013. .

8

Vgl. Alles, Gregory D.: Study of Religion: An Overview, in: Lindsay Jones (Hg.), Encyclopedia of Religion: South American Indian Religions – Transcendence and Immanence, Detroit, London 22005, S. 8760-8767, S. 8766. Und vgl. Stausberg, Michael: The Study of Religion(s) in Western Europe (III): Further Developments after World War II, Religion 39 (2009), S. 261-282, S. 269.

9

Für einen fundierten religionswissenschaftlichen Überblick und Kritik der CSR siehe Schüler, Sebastian: Religion, Kognition, Evolution. Eine religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Cognitive Science of Religion, Stuttgart 2011. Siehe auch: Geertz, Armin W.: Cognitive Approaches to the Study of Religion, in: Peter Antes/Armin W. Geertz/Randi R. Warne (Hg.), New Approaches to the Study of Religion, Berlin [u.a.] 2008, S. 347-399. Und siehe Slone, D. Jason: Religion and Cognition. A Reader, Durhan 2006.

10 Siehe hierzu Seiwert, Hubert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, in: Edith Franke/Verena Maske (Hg.), Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswis-

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Zum anderen kann man etwa seit den 1990er Jahren vor allem in Nordamerika und in der englischsprachigen Religionswissenschaft die Etablierung einer Reihe relativ neuer Ansätze für die religionswissenschaftliche Forschung beobachten, die in dieser Arbeit mit Rückgriff auf Russell McCutcheon mit dem Begriff ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ zusammengefasst und bezeichnet werden sollen. Ähnlich wie bei der CSR reichen die Wurzeln weiter als in die 1990er Jahre zurück. Der Ansatz ist im Kontext der linguistischen Wende11 zu sehen, welche die Geistes- und Sozialwissenschaften in den 1980er Jahren erreichte. Besondere Bedeutung kommt vor allem den Arbeiten der sogenannten französischen Poststrukturalisten, allen voran Jaques Derrida und Michel Foucault, aber auch Theoretikern des Postkolonialismus, wie speziell Edward Said, zu.12 Durch eine Reihe kontrovers diskutierter Publikationen seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wird dieser Ansatz im religionswissenschaftlichen Diskurs bedeutsam. Zu nennen sind hier unter anderem McCutcheons Buch Manufacturing Religion13 aus dem Jahr 1997, Timothy Fitzgeralds Ideology of Religious Studies14 (2000), Daniel Dubuissions The Western Construction of Religion15 (2003) und Tomoko Masuzawas The Invention of World Religions16 (2005). Gemeinsam ist ihnen ein Perspektivwechsel, durch den nicht mehr die Phänomene als solche im Fokus

senschaft und Kognitionsforschung: Ein Autoren‐Workshop mit Hubert Seiwert, Marburg 2014, S. 15-31, vor allem S. 24-30. 11 Unter ‚linguistischer Wende‘ (‚linguistic turn‘) versteht man allgemein eine Entwicklung in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, in deren Zuge die Analyse von Sprache als Grundlage für die Lösung aller philosophischen Probleme gesehen wird. (Vgl. Hennigfeld, Jochem: Sprache. II. Philosophisch, in: Hans D. Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008, S. 16081610, S. 1609-1610.) 12 Vgl. Alles: Study of Religion, S. 8766. 13 McCutcheon, Russell T.: Manufacturing Religion. The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia, New York [u.a.] 2003. 14 Fitzgerald, Timothy: The Ideology of Religious Studies, New York [u.a.] 2000. 15 Dubuisson, Daniel: The Western Construction of Religion. Myths, Knowledge, and Ideology, Baltimore 2007. Dubuissons Buch erschien ursprünglich 1998 auf Französisch unter dem Titel L´Occident et la Religion: Mythes, Science et Idéologie (Ders.: L'Occident et la Religion. Mythes, Science et Idéologie, Brüssel 1998). Größere Bekanntheit erlangt es aber erst nach der Übersetzung ins Englische. 16 Masuzawa, Tomoko: The Invention of World Religions, or, How European Universalism was Preserved in the Language of Pluralism, Chicago 2005.

E INLEITUNG

| 15

des Interesses stehen, sondern die Prozesse, durch die Phänomene überhaupt erst als solche konstruiert werden. Auf diesen Aspekt wird weiter unten genauer eingegangen. Zunächst erfolgt eine Herleitung der hier Verwendung findenden Begrifflichkeit ‚sozio-rhetorisch‘.

1.1 ‚S OZIO - RHETORISCH ‘: E INE B EGRIFFSKLÄRUNG Der Begriff ‚sozio-rhetorische Interpretation‘ wird als Fachbegriff das erste Mal 1984 verwendet. Er geht auf den Neutestamentler Vernon K. Robbins zurück, der ihn in seinem 1984 erschienenen Buch Jesus the Teacher: Socio-rhetorical Interpretation of Mark17 einführt und damit seinen methodischen Zugriff bei der Interpretation biblischer Texte bezeichnet, in diesem Fall des Markusevangeliums. Bereits seit Mitte der 1970er Jahre hatte sich Robbins mit der Entwicklung des Ansatzes beschäftigt. Zunächst ging es ihm darum, Formen der rhetorischen und anthropologischen Interpretation bei der Beschäftigung mit Texten zusammenzubringen. Im Laufe der Zeit integrierten Robbins und andere sich an ihm orientierende Wissenschaftler theoretische und methodische Einflüsse aus der sozialwissenschaftlichen und postmodernen Kritik – um nur zwei zu nennen – und erweiterten den Ansatz Stück für Stück. Zudem wurde er auf immer mehr Feldern auch außerhalb der biblischen Literatur angewendet.18 Robbins fasst seinen Ansatz 1996 wie folgt zusammen: „Socio-rhetorical criticism is an approach to literature that focuses on values, convictions, and beliefs both in the texts we read and in the world in which we live […]. The approach invites detailed attention to the text itself. In addition it moves interactively into the world of the people who wrote the texts and into our present world.“19

Robbins bezieht in seine Textinterpretationen und -analysen Erkenntnisse aus der Anthropologie und Soziologie mit ein, die Informationen über die gesellschaftlichen Kontexte, wie zum Beispiel Machtrelationen oder soziale Klassen,

17 Robbins, Vernon K.: Jesus the Teacher. A Socio-Rhetorical Interpretation of Mark, Minneapolis 1992. 18 Vgl. Robbins, Vernon K.: Socio-Rhetorical Interpretation, in: David Edward Aune (Hg.), The Blackwell Companion to the New Testament, Malden 2010, S. 192-219, S. 192-195. 19 Robbins, Vernon K.: Exploring the Texture of Texts. A Guide to Socio-Rhetorical Interpretation, Harrisburg 1996, S. 1.

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in denen die Texte hergestellt aber auch interpretiert werden, liefern. In der Analyse müssen diese Aspekte mit der Untersuchung von Sprache als Kommunikationswerkzeug zwischen Menschen (auch innerhalb von Texten) verbunden werden. Es geht also darum zu analysieren, auf welche Weise Bedeutungen, Beziehungen etc. in Texten konstituiert und verhandelt werden. Robbins’ Anliegen ist es aus diesem Grund, in die Analyse der Texte den historischen und sozialen Ort der Textproduzenten, aber auch der Textinterpreten mit einzubeziehen, um aufzuzeigen, wie diese den Text und dessen Interpretation beeinflussen.20 Zentral ist dabei, dass ein Text nicht als einheitliches Gesamtwerk verstanden, sondern als aus unterschiedlichen Textebenen konstituiert betrachtet wird, die bei der Untersuchung berücksichtigt werden müssen.21 Insgesamt kann man festhalten, dass Texte in ihren jeweiligen Kontexten verortet verstanden und untersucht werden müssen – was übrigens auch für den Gebrauch von Sprache gilt. Darüber hinaus handelt es sich bei Robbins’ Ansatz nicht um eine einfache Methode, sondern eher um einen Methodenkasten, der bestimmte Ansätze bei der Analyse von Texten zusammenführt.22 Auch wenn die Verwendung des von Robbins maßgeblich entwickelten Ansatzes mittlerweile über die Grenzen der Forschung zur biblischen Literatur ausgeweitet wurde und prinzipiell auf die Analyse von Texten jeglicher Art angewendet werden könnte, wird er weiterhin vor allem von Neutestamentlern und Wissenschaftlern genutzt, die sich mit der Geschichte des frühen Christentums befassen. Einer dieser Wissenschaftler ist der kanadische Religionswissenschaftler Willi Braun, der 1995 eine der ersten Dissertationsschriften vorlegte, bei der dieser Ansatz Verwendung fand.23 Über ihn und William Arnal, einen weiteren Religionswissenschaftler aus Kanada, der sich mit dem frühen Christentum auseinandersetzt, kommt McCutcheon mit dem Ansatz und der Begrifflichkeit von Robbins in Kontakt. Arnal, Braun und McCutcheon kennen sich aus ihrer Doktoranden-Zeit an der Universität in Toronto. McCutcheon greift die Begrifflichkeit ‚sozio-rhetorisch‘ sowohl als Bezeichnung für sein eigenes Vorgehen auf, als auch für die Auseinandersetzung anderer Wissenschaftler mit einem ähnlichen Programm bei der Erforschung von ‚Religion‘, ohne damit Robbins’ Herangehensweise strikt zu übernehmen.24

20 Vgl. Robbins: Exploring the Texture of Texts, S. 1. 21 Siehe hierzu beispielsweise Robbins: Exploring the Texture of Texts, S. 2-3. 22 Vgl. Robbins: Socio-Rhetorical Interpretation, S. 207-208. 23 Vgl. Robbins: Socio-Rhetorical Interpretation, S. 194. 24 Vgl. Arnal, William/McCutcheon, Russell T.: The Sacred is the Profane. The Political Nature of „Religion“, New York 2013, S. xv.

E INLEITUNG

| 17

Zentral für McCutcheon ist die Grundüberlegung, dass jegliche Form von Bedeutung (Bedeutungszuweisung, ‚signification‘) als ein aktives Schaffen sozialer Welten zu sehen ist. Rhetorik wird von ihm daher nicht bloß als Redekunst, als Analyse von Rede und Stilmitteln oder gar einfach nur ‚Gerede‘ verstanden, sondern in einem sehr viel breiteren Sinne als ein Akt, der gesellschaftliche Wirklichkeiten schafft und, wie in Kapitel zwei noch zu zeigen sein wird, Machtwirkung besitzt. Eine letztgültige Bedeutung außerhalb des Diskurses gibt es für McCutcheon nicht. Hinter diesen Überlegungen scheint das Textverständnis Derridas auf, in dem ein textexternes, letztgültiges Signifikat negiert wird. „Ein Text-Äußeres gibt es nicht“25, wie Derrida in seiner Grammatologie postuliert. Bei allen Unterschieden im Detail ist den oben genannten Autoren (Dubuission, Fitzgerald, Masuzawa und McCutcheon) auf einer übergeordneten Ebene gemeinsam, dass sie einen fundamentalen Perspektivwechsel vornehmen. Nicht die Phänomene als solche (im Sinne historischer, sozialer, theologischer und anderer Wahrheiten), ihre Beschreibung oder Erklärung stehen im Fokus des Interesses, sondern die Erforschung der Konzepte oder klassifikatorischen Kategorien, mit denen die uns umgebende Welt benannt wird, sowie die Auswirkungen dieser Klassifikationsakte. Wie das am Anfang dieser Ausführungen stehende Zitat zeigt, geht es um die kritische Untersuchung des Aktes des Klassifizierens, also des Vorgangs, der aus ‚etwas‘ erst ‚etwas Bestimmtes‘ und damit Wahrnehmbares macht. Dieser Klassifizierungsakt wird von den Vertretern des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ sowohl als ein zutiefst sozialer als auch ein deutlich politischer Vorgang betrachtet.26 Genau in dieser Weise wird die Begrifflichkeit ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ in der vorliegenden Arbeit verstanden und verwendet. Vor dem Hintergrund eines diskursiven Wirklichkeitsverständnisses27 werden sprachliche, das heißt rhetori-

25 Derrida, Jacques: Grammatologie, Frankfurt am Main 1983, S. 274. 26 Man findet diese Vorstellungen zeitlich gesehen auch schon in Arbeiten vor denen der genannten Wissenschaftler. Innerhalb der Religionswissenschaft stellt vor allem Jonathan Z. Smith eine zentrale Bezugsgröße dar, aber auch Bruce Lincoln oder Burton Mack sind zu nennen. Außerhalb der Religionswissenschaft sind es vor allem der Anthropologe Talal Asad sowie der Literaturwissenschaftler Said, deren Werke einen wichtigen Referenzpunkt darstellen. 27 Vereinfacht ist damit gemeint, dass ich davon ausgehe, dass Wirklichkeit (im Sinne von Bedeutung) immer aktiv konstruiert und den Gegenständen zugewiesen wird. (Siehe hierzu Jäger, Siegfried: Die Wirklichkeit ist diskursiv. Vortrag auf dem Workshop des DISS vom 13.-15. Juni 1996 in Lünen (1996), 15.06.2013. http://www.diss-

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sche Klassifizierungsakte, als gesellschaftliche und politische Instrumente gesehen, mit denen aus bestimmten Interessen heraus die uns umgebende Welt eingeteilt und organisiert wird. Die Klassifikationsakte haben konkrete materielle Auswirkungen und sind nicht neutral.28 Auch die Klassifizierung der Arbeiten und Denkschulen von Autoren wie den oben genannten als ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ stellt ein solches Vorgehen mit all den dazugehörigen (problematischen) Implikationen dar. Beispielsweise besteht die Gefahr, die verschiedenen Ansätze zu verkürzen und zu homogenisieren und ihnen damit nicht mehr gerecht zu werden. Dennoch scheinen es die dargestellten Gemeinsamkeiten zu rechtfertigen, sie unter einer gemeinsamen Kategorie zu verhandeln. Dies wird in der Literatur auch implizit oder explizit immer wieder getan. Geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit der Kategorie Religion, die über eine rein etymologische oder begriffsgeschichtliche Behandlung oder die Kritik an (spezifischen) Religionsdefinitionen hinausgeht, und wird dabei ‚Religion‘ als geschaffene Kategorie verstanden, werden immer wieder die gleichen Autoren genannt.29 In erster Linie sind dies die bereits Auf-

duisburg.de/Internetbibliothek/Artikel/Wirklichkeit.htm). Der theoretische Hintergrund dieser Vorstellung findet sich zum einem in der Wissenssoziologie und zum anderen im französischen (Post-)Strukturalismus. (Vgl. Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner/Viehöver, Willy: Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit. Einleitende Bemerkungen zum Verhältnis von Wissenssoziologie und Diskursforschung, in: dies. (Hg.), Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit: Zum Verhältnis von Wissenssoziologie und Diskursforschung, Konstanz 2005, S. 7-21, besonders S. 7-9). 28 Vgl. Fauser, Markus: Einführung in die Kulturwissenschaft, Darmstadt 42011, S. 32; Keller/Hirseland/Schneider/Viehöver: Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit, S. 8-9; Jäger: Die Wirklichkeit ist diskursiv; McCutcheon, Russell T.: „They licked the Platter clean“. On the Co-Dependency of the Religious and the Secular, Method and Theory in the Study of Religion 19 (2007), S. 173-199, S. 176. 29 Vgl. Albinus, Lars: The Discipline of Religion: Structure, Meaning, Rhetoric. By Russell T. McCutcheon. Routledge, 2003. Journal of the American Academy of Religion 74 (2006), S. 524-528, S. 524; Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. xii; Engler, Steven: Review: The Western Construction of Religion. Myths, Knowledge, and Ideology, by Daniel Dubuisson, Religious Studies Review 32 (2006), S. 102; Martin, Craig: Masking Hegemony. A Genealogy of Liberalism, Religion, and the Private Sphere, London, Oakville 2010, S. 35; Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 6-7, Fußnote 9; Schilbrack, Kevin: Religions: Are There Any?, Journal of the American Academy of Religion 78 (2010), S. 1-27, S. 1, Fußnote 1; ders.: Phi-

E INLEITUNG

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gezählten Dubuission, Fitzgerald, Masuzawa und McCutcheon sowie Talal Asad und Jonathan Z. Smith.30 Letzterer nimmt nach der hier vertretenen Auffassung eine Sonderrolle ein. J. Z. Smith wird als wichtiger Vorläufer verstanden, aber nicht als eigentlicher Vertreter des Ansatzes, da bei ihm den konkreten materiellen Auswirkungen der Klassifikationsakte nicht dieselbe zentrale Bedeutung zukommt. Das gilt auch für Dario Sabbatucci, der ebenfalls häufiger in diesem Kontext genannt wird.31 Es wären auch andere Begrifflichkeiten als ‚sozio-rhetorisch‘ denkbar, um die hier verhandelten Ansätze zusammenzufassen. Eine Möglichkeit besteht darin, von poststrukturalistischen Zugängen zu sprechen,32 eine andere, von sozialkonstruktivistischen Ansätzen.33 Es ist richtig, dass die Arbeiten Asads, Fitz-

losophy and the Study of Religions. A Manifesto, Chichester, West Sussex 2014, S. 105-110; Strenski, Ivan: Review of: Critics not Caretakers: Redescribing the Public Study of Religion. By Russell McCutcheon, Journal of the American Academy of Religion 79 (2002), S. 427-430, S. 429; Wiebe, Donald: Review: The Western Construction of Religion: Myths, Knowledge, and Ideology, Implicit Religion 8 (2007), S. 312-314, S. 313. 30 Zwei weitere Religionswissenschaftler, die in diesem Kontext zwar selten – weshalb sie in der Arbeit keine weitere Beachtung finden – aber ab und an genannt werden, sind David Chidester und Richard King. Beide haben sich im Rahmen ihrer Studien zum Kolonialismus beziehungsweise Orientalismus mit der Kategorie Religion und der Religionswissenschaft als Disziplin in den jeweiligen Kontexten auseinandergesetzt. Zu nennen sind hier vor allem Chidesters Bücher Savage Systems (Chidester, David: Savage Systems. Colonialism and Comparative Religion in Southern Africa, Charlottesville, London 1996) und neuerdings der 2014 erschiene Band Empire of Religion (ders.: Empire of Religion. Imperialism and Comparative Religion, Chicago, London 2014) sowie Kings Buch Orientalism and Religion (King, Richard: Orientalism and Religion. Postcolonial Theory, India and 'The Mystic East', London 1999). 31 Sabbatucci wird im anglophonen Diskurs allerdings relativ selten rezipiert, was daran liegen könnte, dass der Aufsatz Kultur und Religion (Sabbatucci, Dario: Kultur und Religion, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Samuel Laubscher (Hg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Stuttgart 1988-2001, S. 43-58), der ihn mit der hier verhandelten Thematik vor allem in Verbindung bringt, nicht auf Englisch, sondern nur auf Deutsch vorliegt. 32 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (III), S. 269. 33 Vgl. Martin: Masking Hegemony, S. 35. Und vgl. Schilbrack: Religions: Are There Any?, S. 2.

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geralds, McCutcheons oder Masuzawas in unterschiedlicher Weise stark von den Überlegungen der Protagonisten des Poststrukturalismus – allen voran Derrida, Foucault oder des späten Roland Barthes – beeinflusst wurden. Die Vorstellungen, was überhaupt unter Poststrukturalismus zu verstehen ist und welche Wissenschaftler ihm zuzuordnen sind, sind allerdings vielfältig. „Die insgesamt so unklare Ausgangslage hat ihren schlichten Grund darin, dass es etwas wie den Poststrukturalismus gar nicht gibt“34, schreiben Stefan Münkler und Alexander Rösler in der Einleitung zu ihrem Buch Poststrukturalismus. Verbindend sei „neben einigen zentralen Thesen und kritischen Intuitionen ein unverkennbarer intellektueller Stil […].“35 Sozialkonstruktivismus ist ein ähnlich breiter Begriff, der heterogene Phänomene zusammenfasst. Durch seine inflationäre Verwendung ist er wenig trennscharf und wird auch für Arbeiten verwendet, die mit dem eigentlichen An-

Eine dritte Variante, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird, wäre, die Ansätze unter dem Stichwort Postmoderne einzuordnen, wie das anscheinend Gustavo Benavides macht. (Vgl. Benavides, Gustavo: North America, in: Gregory D. Alles (Hg.), Religious Studies: A Global View, London, New York 2008, S. 242-268, S. 245-247). Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Kritik am sozio-rhetorischen Ansatz wird an späterer Stelle dieses Stichwort behandelt. Zur Postmoderne siehe Engelmann, Peter: Einführung. Postmoderne und Dekonstruktion. Zwei Stichwörter zur zeitgenössischen Philosophie, in: ders. (Hg.), Postmoderne und Dekonstruktion: Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart 2010, S. 5-32. Und siehe Graf, Friedrich Wilhelm: Postmoderne. I. Soziologisch und sozialgeschichtlich, in: Hans D. Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008, S. 1514-1515. 34 Münker, Stefan/Roesler, Alexander: Poststrukturalismus, Stuttgart 22012, S. IX. Petra Gehring teilt diese Auffassung in ihrem Beitrag Poststrukturalismus (Vgl. Gehring,

Petra:

Poststrukturalismus,

in:

Hans

D.

Betz/Don

Browning/Bernd

Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008, S. 1518-1519) für das Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart (Betz, Hans D./Browning, Don/Janowski, Bernd/Jüngel, Eberhard (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008) nicht. Sie weist aber darauf hin, dass es sich um ein heterogenes Feld von Theorieansätzen handelt. (Vgl. Gehring: Poststrukturalismus, S. 1518). 35 Münker/Roesler: Poststrukturalismus, S. IX-X. Hervorhebung im Original.

E INLEITUNG

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liegen nichts mehr gemein haben.36 So kann auch der von Kevin Schilbrack gegen die hier unter dem Begriff ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ verhandelten Ansätze in Stellung gebrachte ‚kritische Rationalismus‘ tendenziell als Sozialkonstruktivismus bezeichnet werden.37 Mit dem Begriff ‚sozio-rhetorisch‘ oder ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ wird der Blick zum einen auf die weiter oben dargestellten theoretischen Grundannahmen, die die Autoren im Kern teilen, gelenkt. Zum anderen wird ein methodologischer Zugang für die Analyse der Rhetorik und der durch sie geschaffenen gesellschaftlichen Wirklichkeiten in den Fokus gerückt; sei es nun, dass die Analysen durch ein dekonstruktivistisches, ein genealogisches oder ein diskursanalytisches Vorgehen konkret methodisch umgesetzt werden. Damit erscheint die in Anlehnung an McCutcheon vorgeschlagene Terminologie für das hier verfolgte Anliegen als trennschärfer als die anderen Vorschläge, mit denen es aber zugegebenermaßen Überlappungen und Berührungspunkte gibt.

1.2 AUFBAU

UND

V ORGEHEN

Wie angedeutet entsteht der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ in den 1990er Jahren nicht ex nihilo, da man auch frühere Arbeiten mit diesem Label versehen kann. Vor allem im Laufe der letzten 20 Jahre erreichte der Ansatz aber eine besondere Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, unter anderem, weil er weitreichende Konsequenzen für die Religionswissenschaft als akademische Disziplin haben könnte. So wird beispielsweise der Vorwurf erhoben, dass der mit diesem Ansatz verbundene Perspektivwechsel zu einer Auflösung des Gegenstandes und (somit)

36 Vgl. Knoblauch, Hubert/Schnettler, Bernt: Konstruktivismus, in: Renate Buber/Hartmut Holzmüller (Hg.), Qualitative Marktforschung. Konzepte – Methoden – Analysen, Wiesbaden 2006, S. 127-137, S. 129, 131. Siehe zudem Hacking, Ian: Was heißt „Soziale Konstruktion“? Zur Konjunktur einer Kampfvokabel in den Wissenschaften, Frankfurt am Main 1999. 37 Schilbrack erkennt die Konstruktion von Gegenständen wie Religion an (vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, beispielsweise S. 89), zieht im Weiteren aber andere Konsequenzen als beispielsweise Fitzgerald und McCutcheon. Siehe hierzu Kapitel 2.7.1 der vorliegenden Arbeit. Zum nur scheinbaren Widerspruch von Rationalismus und (sozialen) Konstruktivismus siehe Vogel, Bertholt: Latours Popanz: Über Mißverständnisse des Sozialkonstruktivismus,

Deutsche

Vereinigung

.

für

Soziologie

(2013),

10.05.2014.

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der Disziplin Religionswissenschaft führen würde. Dies wird insbesondere im Falle Fitzgeralds deutlich, der eine Überführung (und damit Abschaffung) der Religionswissenschaft in eine Kulturwissenschaft fordert.38 In der vorliegenden Arbeit setze ich mich mit diesem Ansatz und seinen Implikationen für die Religionswissenschaft auseinander. Dabei werden vorrangig vier Ziele verfolgt. Erstens soll der Ansatz zunächst differenziert vorgestellt und zum besseren Verständnis in der Disziplingeschichte verortet werden. Zweitens geht es darum, den ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘ deutlicher in die religionswissenschaftliche Debatte in Deutschland einzubringen und seine Stärken für die Religionswissenschaft aufzuzeigen. Drittens wird ein Vorschlag vorgelegt, wie der Ansatz eindeutiger empirisch ausgerichtet werden kann. Als zentrales Anliegen wird viertens gezeigt, dass der Ansatz nicht zur Abschaffung der Religionswissenschaft führen muss, sondern sie im Gegenteil stärken kann. Um die genannten Ziele zu verwirklichen, wird nach dieser Einleitung im ersten Teil des Buches in Kapitel zwei zunächst der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ näher betrachtet und anhand der Überlegungen einiger wichtiger Vertreter vorgestellt. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Arbeiten Fitzgeralds und McCutcheons gelegt, da diese für die Betrachtungen im zweiten Teil (Kapitel fünf bis sieben) zentrale Bedeutung haben. Asad, Dubuission und Masuzawa, denen, wie oben ausgeführt, auch eine wichtige Rolle der hier im Fokus stehenden Form der Kritik an ‚Religion‘ zukommt, werden nur kursorisch vorgestellt. Dies hat unterschiedliche Gründe. Zum einen sind sie, wie angedeutet, für die späteren Überlegungen in diesem Buch nicht von gleicher zentraler Bedeutung. Zudem stehen in dieser Arbeit religionswissenschaftliche Beiträge im Vordergrund, weshalb Asad als Anthropologe trotz seiner Bedeutung für die Gesamtdiskussion nur insoweit eingeführt wird, wie es für die religionswissenschaftliche Debatte notwendig ist. Für Dubuission und Masuzawa als Religionswissenschaftler gilt dieses ‚Ausschlusskriterium‘ nicht. Allerdings steht bei Masuzawa nicht wie bei Fitzgerald und McCutcheon – sowie im Verlauf dieses Buchs – die Kategorie Religion, sondern der Begriff Weltreligionen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dubuission wiederum verhandelt ‚Religion‘ auch in dem hier zu Grunde gelegten Verständnis, ist aber in den Gesamtdiskurs kaum eingebunden. Im Kontext dieses zweiten Kapitels wird zudem auf die Kritik am ‚soziorhetorischen Ansatz‘ einzugehen sein. Wie Johann Figl in seinem Handbuch Religionswissenschaft39 2003 richtig bemerkt, sind viele der heutigen Entwicklungen und Diskussionen innerhalb der

38 Siehe hierzu unter anderem Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 10, S. 19-20.

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Religionswissenschaft – so auch die in Kapitel zwei beschriebenen – nur vor dem Hintergrund der Fachgeschichte verständlich.40 Daher wird in Kapitel drei ein summarischer Überblick über die Geschichte der Religionswissenschaft von ihren Anfängen bis heute mit einem Fokus auf (West-)Europa und Nordamerika gegeben und der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ in der Fachgeschichte verankert. Dabei geht es auch darum aufzuzeigen, warum dieser Ansatz vor allem in Nordamerika im wissenschaftlichen Diskurs sichtbar ist, bevor in Kapitel vier ein kurzes Zwischenfazit gezogen wird. Die folgenden Kapitel fünf bis sieben in Teil zwei des vorliegenden Buches gehen auf fünf Aufsätze zurück, die bereits verstreut an anderen Stellen publiziert wurden, aber in ihrer Zusammenführung in diesem Kontext helfen, die oben dargelegten Zielsetzungen zu verfolgen. Der Entstehungszeitraum der Aufsätze erstreckt sich über die Jahre 2008 bis 2013, wobei die entstehungsgeschichtlich ältesten Beiträge (Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft41 und Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs. Überlegungen zu einer Analyse der Debatte um eine Verfassung für Europa42) hier am Anfang und am Ende der Zusammenstellung stehen. Mit dem Kapitel Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft wird für das Konzept der Diskursgemeinschaft als Gerüst zur Reflexion und Bestimmung der Religionswissenschaft als akademischer Disziplin, in Abgrenzung zu einer allgemeinen Religionsforschung, plädiert. Für das in diesem Buch verhandelte Thema ist die These zentral, dass Religionswissenschaft sich von Religionsforschung vor allem durch ihr Potenzial als (Meta-)Wissenschaft abgrenzt, die Diskurse über Religion beschreibt und analysiert. Auch wenn es in dem Artikel nicht explizit angespro-

39 Figl, Johann (Hg.): Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck, Göttingen 2003. 40 Vgl. Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 18. Siehe auch Capps, Walter H.: Commentary, in: Lauri Honko (Hg.), Science of Religion, Studies in Methodology: Proceedings, Den Haag [u.a] 1979, S. 177-185, besonders S. 179. 41 Führding, Steffen: Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft, in: Edith Franke/ Verena Maske (Hg.), Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft und Kognitionsforschung: Ein Autoren‐Workshop mit Hubert Seiwert, Marburg 2014, S. 55-68. 42 Führding, Steffen: Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs. Überlegungen zu einer Analyse der Debatte um eine Verfassung für Europa, in: Aleksandra Lewicki/Melanie Möller/Jonas Richter/Henriette Rösch (Hg.), Religiöse Gegenwartskultur: Zwischen Integration und Abgrenzung, Berlin 2012, S. 35-52.

24 | J ENSEITS VON R ELIGION

chen wird, wird mit dieser Idee der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ als ein wichtiger und zentraler Aspekt von Religionswissenschaft mitgedacht. In Kapitel sechs wird in drei Schritten vor allem in Anlehnung an die Arbeiten von McCutcheon und Fitzgerald aufgezeigt, wie ein solcher Ansatz auf zentrale Begrifflichkeiten (Religion und Säkularität) der Religionswissenschaft angewendet werden kann.43 In Kapitel sieben (Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs) wird ein konkretes, in Teilen vom ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘ geprägtes Forschungsvorhaben vorgestellt und aufgezeigt, wie dieser Ansatz über die kritische Beschäftigung mit zentralen Begrifflichkeiten (der Religionswissenschaft) hinaus fruchtbar gemacht werden kann. Im Fokus stehen dabei nicht Ergebnisse, sondern grundlegende theoretische wie methodologische und methodische Überlegungen. Einigen der hier im Fokus stehenden Autoren wird der Vorwurf gemacht, sich allein auf der Ebene der Theorie zu bewegen und ‚empiriefern‘ zu sein.44 Als Gegenargument wird angeführt, dass auch Theorien und Arbeiten anderer Wissenschaftler eine empirische Datengrundlage bilden können, mit der man sich auseinandersetzen kann, und dass diese Beschäftigung eine Form von empirischer Forschung ist.45 Unter Rückgriff auf die Arbeiten Siegfried Jägers zur ‚Kritischen Diskursanalyse‘46 wird gezeigt, wie dieser An-

43 Kapitel sechs beruht auf den drei thematisch verbundenen Aufsätzen Religion, Privacy and the Rise of the Modern State (Führding, Steffen: Religion, Privacy and the Rise of the Modern State, Method and Theory in the Study of Religion 25 (2013), S. 118-131.), Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates (Führding, Steffen: Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates, in: Peter Antes/Arvid Deppe/Dagmar Fügmann/Steffen Führding/Anna Neumaier (Hg.), Konflikt – Integration – Religion: Religionswissenschaftliche Perspektiven, Göttingen 2013, S. 29-44.) und Der schmale Pfad: Überlegungen zu einer diskurstheoretischen Konzeptualisierung von Säkularität (Führding, Steffen: Der schmale Pfad: Überlegungen zu einer diskurstheoretischen Konzeptualisierung von Säkularität, in: Steffen Führding/Peter Antes (Hg.), Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, Göttingen 2013, S. 71-86). 44 Vgl. beispielsweise Benavides, Gustavo: What Raw Materials Are Used in the Manufacture of Religion?, Culture and Religion 1 (2000), S. 113-122, S. 113-114. Und vgl. Benavides: North America, S. 244.-245. 45 Vgl. beispielsweise McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 6-7, ders.: A Brief Response from a Fortunate Man, Culture and Religion 1 (2000), S. 131-139, S. 135-136. 46 Siehe zur Kritischen Diskursanalyse nach Jäger: Jäger, Siegfried: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, Münster

5

2009. Und siehe Jäger, Siegfried/

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satz auch im Sinne eines engeren Empirieverständnisses für die Untersuchung konkreter Phänomene genutzt werden kann. Im abschließenden, achten Kapitel wird resümierend der Frage nachgegangen, welche Chancen der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ für die Religionswissenschaft eröffnet und welche Probleme er birgt.

Zimmermann, Jens: Lexikon zur Kritischen Diskursanalyse. Eine Werkzeugkiste, Münster 2010.

Teil I: Theoretisch-explikative Überlegungen

2 Der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘: Vertreter, Positionen und Kritik

Wie in der Einleitung dargelegt, haben seit den 1990er Jahren Arbeiten von Religionswissenschaftlern vermehrt für Aufmerksamkeit und Diskussionen gesorgt, die sich zum einen intensiv mit der Kategorie Religion und der Rolle der Religionswissenschaft1 bei der Formierung dieser Kategorie auseinandersetzen, zum anderen aber auch einen spezifischen Perspektivwechsel bei dieser Auseinandersetzung vornehmen. Dieser Perspektivwechsel besteht darin, dass nicht religiöse Phänomene oder das Ringen um eine adäquate Religionsdefinition im Fokus der Wissenschaftler steht, sondern die Frage, was und aus welchem Grund als religiös oder Religion angesehen wird. Damit wird die Aufmerksamkeit auf den Akt des Klassifizierens verlagert. Zudem teilen die Autoren die Vorstellung, dass solche Klassifizierungsvorgänge nicht naturgegeben und neutral sind, sondern dass mit ihnen bestimmte Interessen und Zielsetzungen verbunden sind. Mit Sprache und damit verbunden mit Klassifikationen werden nicht nur die Voraussetzungen für spezifische soziale Welten, sondern diese Welten selbst geschaffen. Man hat es hier mit einem sozio-rhetorischen Vorgang zu tun. Die in diesem Rahmen verwendeten Strategien und Vorgehensweisen gilt es dazulegen und einer sozio-rhetorischen Analyse zuzuführen. In diesem Kapitel werden die Positionen wichtiger Vertreter dieses Ansatzes vorgestellt und einer kritischen Analyse unterzogen. Ziel dabei ist es, die unterschiedlichen Facetten des Ansatzes darzustellen, die zentralen Vorstellungen herauszuarbeiten und mit dem Ansatz verbundene Probleme aufzuzeigen. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, wird ein besonderes Augenmerk auf die

1

Bezieht man Arbeiten wie die des Anthropologen Asad mit ein, muss man über die Religionswissenschaft hinausgehend von der Rolle ‚westlicher‘ Wissenschaften sprechen.

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Arbeiten Russell McCutcheons und Timothy Fitzgeralds gelegt, die für diesen Ansatz von besonderer Bedeutung sind, und darüber hinaus auch den zentralen theoretischen Referenzrahmen für die Reflexionen im zweiten Teil dieser Arbeit bilden. Zunächst wird allerdings auf einige Überlegungen eingegangen, die sowohl Referenzpunkte für den hier behandelten Ansatz darstellen, als auch eine Abgrenzung von anderen Herangehensweisen bei der Auseinandersetzung mit dem Religionsbegriff annäherungsweise erlauben.

2.1 E RDACHTE R ELIGION UND K UMULATIVE T RADITION : V ORLÄUFER SOZIO - RHETORISCHER K RITIK AN R ELIGION Im Jahr 1982 schreibt der Chicagoer Religionswissenschaftler Jonathan Z. Smith im Vorwort zu seinem Aufsatzband Imagining Religion. From Babylon to Jonestown2: „Falls wir die archäologischen und textlichen Überlieferungen richtig verstanden haben, so hatte die Menschheit ihre ganze Geschichte lang Zeit, sich Gottheiten und Modi der Interaktion mit ihnen vorzustellen. Aber der Mensch, genauer gesagt der westliche Mensch, hatte bloß die letzten paar Jahrhunderte, um sich Religion vorzustellen. Genau Letzteres, die reflektierende Vorstellung, ist das zentrale Thema, mit dem sich jeder Religionswissenschaftler auseinandersetzen muss. Das soll heißen, während es eine erstaunliche Anhäufung von Fakten, Phänomenen, von menschlichen Erfahrungen und ihrem Ausdruck gibt, die in dieser oder jener Kultur, nach diesem oder jenem Kriterium, als Religion charakterisiert wird – gibt es keine Fakten für Religion selbst. Religion ist ausschließlich eine Schöpfung der Studien des Wissenschaftlers. Sie wird erschaffen durch die imaginativen Akte des Vergleichens und Verallgemeinerns, für die analytischen Zwecke des Wissenschaftlers. Religion hat keine Existenz außerhalb der akademischen Welt.“ 3

J.Z. Smith folgert aus diesen Überlegungen, dass Selbstreflexivität die vornehmste Aufgabe des Wissenschaftlers darstelle und er in der Lage sein müsse, die Wahl seiner Untersuchungsgegenstände bewusst vorzunehmen und die

2 3

Smith, Jonathan Z.: Imagining Religion. From Babylon to Jonestown, Chicago 1988. Smith: Imagining Religion, S. xi. Deutsche Übersetzung zitiert nach: McCutcheon, Russell T.: Religionswissenschaft. Einführung und Grundlagen. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Steffen Führding, Frankfurt am Main 2014, S. 217218. Hervorhebungen im Original.

D ER SOZIO - RHETORISCHE A NSATZ

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Gründe für die Auswahl darlegen zu können.4 Diesen Aspekt greift er am Ende seines 1998 erschienen Aufsatzes Religion, Religions, Religious5 auf, wenn er schreibt: „‚Religion‘ is not a native term; it is a term created by scholars for their intellectual purposes and therefore is theirs to define. It is a second-order, generic concept that plays the same role in establishing a disciplinary horizon that a concept such as ‚language‘ plays in linguistics or ‚culture‘ plays in anthropology. There can be no disciplined study of religion without such a horizon.“6

Auch hier wird die Vorstellung J. Z. Smiths deutlich, dass ‚Religion‘ vom Wissenschaftler im Zuge seiner Arbeit geschaffen wird und daher von ihm, durch seine Definitionstätigkeit, gefüllt werden muss. Dahinter steht ein aktiver Vorgang des Wissenschaftlers, der in einem Prozess des Klassifizierens und Vergleichens seine Gegenstände kreiert, ihnen dabei Bedeutung zuweist und sich diesen Vorgang und seine Auswirkungen bewusst machen muss. Im selben Aufsatz arbeitet der Autor heraus, dass das heute weitverbreitete Verständnis von Religion als eine vor allem persönliche und innerliche Glaubensangelegenheit eine Entwicklung seit dem 16. Jahrhunderts darstellt, in der der Begriff geweitet (universalisiert) und neu definiert wurde, wobei diese Veränderungen konkreten Interessen, meist in der Auseinandersetzung mit einem ‚Anderen‘, dienten. So spricht J. Z. Smith unter anderem von einem antikatholischen Reflex und „der ‚Evaluation‘ der neuentdeckten Religionen mit Beginn des 16. Jahrhunderts.“7

2.2 AUFKOMMENDE K RITIK

AM

R ELIGIONSBEGRIFF

Imagining Religion und das ihm voranstehende Diktum J. Z. Smiths stellt einen zentralen Wende- und Bezugspunkt im religionswissenschaftlichen Diskurs dar, zumindest wenn man den nordamerikanischen Kontext betrachtet. J. Z. Smiths

4 5

Vgl. Smith: Imagining Religion, S. xi. Smith, Jonathan Z.: Religion, Religions, Religious, in: Mark C. Taylor/Donald S. Lopez (Hg.), Critical Terms for Religious Studies, Chicago 1998, S. 269-284.

6

Smith: Religion, Religions, Religious, S. 281-282.

7

Vgl. Smith: Religion, Religions, Religious, S. 269, 271, 276. Zitat: S. 276.

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Wirken führt zu neuen Entwicklungen und Impulsen für die Disziplin und eine Vielzahl von Religionswissenschaftlern berufen sich auf ihn.8 Auch die Arbeiten McCutcheons oder Tomoko Masuzawas sind stark von J. Z. Smith beeinflusst.9 Auf die beiden – und andere Autoren, die mit dem ‚soziorhetorischen Ansatz‘ in Verbindung stehen – wird später noch näher eingegangen. Überblickt man die Religionswissenschaft allgemein, stehen die Aussagen J. Z. Smiths im Kontext einer Entwicklung, in der die Hinterfragung des Konzeptes Religion als einer klar von anderen Bereichen menschlicher Kultur oder Handelns abgrenzbaren Sphäre und die mit diesem Konzept verbundenen Implikationen in den Vordergrund rücken. Gustavo Benavides und Michael Stausberg sehen diese Entwicklung besonders in Europa verortet und verweisen vor allem auf Arbeiten von Fitzgerald, Daniel Dubuission und Dario Sabbatucci10. Stausberg nennt darüber hinaus auch Ernst Feil11 und Michael Haußig12.

8

Vgl. Benavides: North America, S. 244. Siehe auch Kapitel 3.3.4 in dieser Arbeit. Benavides kritisiert, dass viele der sich auf J. Z. Smith berufenden Wissenschaftler nur auf diese eine Aussage Bezug nehmen würden um damit ihre Arbeit abseits jeglicher Empirie zu legitimieren. Diese Entwicklung sieht Benavides sehr kritisch, wobei eine direkte Kritik an J. Z. Smith allerdings ausbleibt. (Vgl. Benavides: North America, S. 244.-245).

9

Siehe hierzu McCutcheon, Russell T.: Introducing Smith, in: Willi Braun/Russell T. McCutcheon (Hg.), Introducing Religion: Essays in Honor of Jonathan Z. Smith, London, Oakville 2008, S. 1-17. Vgl. Masuzawa, Tomoko: Reader as Producer: Jonathan Z. Smith on Exegesis, Ingenuity, Elaboration, in: Willi Braun/Russell T. McCutcheon (Hg.), Introducing Religion: Essays in Honor of Jonathan Z. Smith, London, Oakville 2008, S. 326-329, S. 326. Einen guten Einblick in J. Z. Smiths Bedeutung für andere Wissenschaftler gibt der von McCutcheon und Willi Braun herausgegebene Sammelband Introducing Religion. Essays in Honor of Jonathan Z. Smith (Braun, Willi/McCutcheon, Russell T. (Hg.): Introducing Religion. Essays in Honor of Jonathan Z. Smith, London, Oakville 2008). In diesem Band sind Aufsätze von 31 Wissenschaftlern versammelt, die in ihrem Wirken von J. Z. Smith stark beeinflusst wurden.

10 In der Regel wird in diesem Kontext auf Sabbatuccis Aufsatz Kultur und Religion (Sabbatucci: Kultur und Religion) verwiesen, in dem er Religion als Produkt der westlich-europäischen Geschichte identifiziert, die außerhalb dieses Kontextes kein Äquivalent besitzt. „Diese Kategorie ist […] nur solange gültig und funktional, als man im Umfeld der abendländischen Kultur bleibt, wo sie nur im Gegensatz zur Kategorie des Staatsbürgerlichen […] etwas bedeutet.“ (Vgl. Sabbatucci: Kultur und Religion, S. 4546. Zitat: S. 46). Trotz seiner lokalen Verortung und seiner nur lokal sinnvollen Ver-

D ER SOZIO - RHETORISCHE A NSATZ

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In diesem Zusammenhang kann man aus deutscher Perspektive auch noch Bertram Schmitz’ Arbeit „Religion“ und seine Entsprechungen im interkulturellen Bereich13 nennen, in der er den Religionsbegriff beziehungsweise seine Entsprechungen in etwa 100 Sprachen untersucht, und Peter Antes’ Aufsatz Religion einmal anders14, an den sich Schmitz bei seiner Untersuchung des Religionsbegriffs anlehnt.15

wertbarkeit sei dieses Konzept auf die gesamte Menschheit angewandt worden. Er selbst schlägt vor, den Religionsbegriff im Kulturbegriff aufzulösen. (Vgl. Sabbatucci: Kultur und Religion, S. 46, 55-58). 11 Feil, Ernst: Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs, Göttingen 1986-2007. 12 Haußig, Hans-Michael: Der Religionsbegriff in den Religionen, Bodenheim 1999. Vgl. Benavides: North America, S. 244. Und vgl. Stausberg, Michael: The Study of Religion(s) in Western Europe (I): Prehistory and History until World War II, Religion 37 (2007), S. 294-318, S. 300-301. 13 Schmitz, Bertram: „Religion“ und seine Entsprechungen im interkulturellen Bereich, Marburg, Hannover 1996. 14 Antes, Peter: „Religion einmal anders“, Temenos. Nordic Journal of Comparative Religion 14 (1978), S. 184-197. 15 Die genannten Autoren und Titel erschöpfen die Thematik nicht vollständig, sondern können ergänzt werden. Unter anderem durch den Sammelband von Michel Despland und Gérad Valleé Religion in History. The Word, The Idea, The Reality aus dem Jahr 1992, der einen wichtigen Beitrag zur Historisierung des Religionsbegriffs geleistet hat (Despland, Michel/Vallée, Gérard: Religion in History. The Word, the Idea, the Reality, Waterloo 1992) oder dem relativ neuen Buch von Brent Nongbri. Dieser zeigt in seinem 2013 erschienenen Werk Before Religion. A History of a Modern Concept (Nongbri, Brent: Before Religion. A History of a Modern Concept, New Haven 2013), anhand einer Analyse antiker Texte, dass für diese Epoche die für heute charakteristische Vorstellung von Religion als einem separaten und vom säkularen getrennten Bereich mit universeller Geltung nicht nachzuweisen sei. (Vgl. Nongbri: Before Religion, S. 154-156). Das gestiegene Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Religionsbegriff wird auch durch die Themenwahl für den 16. Kongress der ‚Internationalen Vereinigung für Religionsgeschichte‘ (IAHR) im September 1990 in Rom dokumentiert. Dieser stand unter der Überschrift The Notion of „Religion“ in Comparative Reaserch. Ein Teil der Beiträge, die sich nicht alle mit dem Relationsbegriff beschäftigen, liegen in den von Ugo Bianchi herausgegebenen Tagungsberichten vor. (Siehe Bianchi, Ugo

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Eine relativ frühe Form der kritischen Auseinandersetzung mit der Kategorie Religion, die noch genannt werden muss, weil sie für den nordamerikanischen Kontext besondere Bedeutung hat, ist das Buch eines zweiten einflussreichen Smith, nämlich Wilfred Cantwell Smiths 1962 veröffentlichtes Werk The Meaning and End of Religion.16 In diesem Buch arbeitet der Autor den Religionsbegriff als ein westliches – europäisches – Konzept relativ jungen Datums heraus und plädiert dafür, den Religionsbegriff aufzugeben.17 W. C. Smith stellt zu Beginn des Buches fest, dass sich die bisherigen Definitionsversuche von Religion als Fehlschläge herausgestellt hätten. Ausgehend von dieser Einschätzung schlägt er einen Perspektivwechsel vor, der dem später von McCutcheon vorgenommenen ähnelt, wie er eingangs dieser Arbeit zitiert wurde. Nach W. C. Smith solle man nicht weiter versuchen, nach einer Definition zu suchen, die klärt, was Religion oder die Natur von Religion wirklich ist. Vielmehr solle man sich dem Religionsbegriff selbst zuwenden.18 Dies tut W. C. Smith dann in der ersten Hälfte seines Buches19 und kommt dabei zu der oben bereits zusammengefassten Schlussfolgerung, dass der moderne Religionsbegriff und damit das, was wir unter Religion verstehen, ein relativ neues Phänomen sei.

(Hg.): The Notion of „Religion“ in Comparative Research. Rome, 3rd - 8th September, 1990, Rom 1994). 16 Smith, Wilfred Cantwell: The Meaning and End of Religion, Minneapolis 1991. 17 Vgl. Smith: The Meaning and End of Religion, S. 38, 50, 78-79. Kurt Rudolph stimmt in der Analyse über die historische Gebundenheit des Religionsbegriffs mit W. C. Smith weitgehend überein, zieht aber andere Konsequenzen. Er plädiert dafür, den Relationsbegriff im Rahmen einer kritischen Verwendung als „enteuropäisierte[n] bzw. de-ethnizentrierte[n] Terminus“ technicus weiter zu verwenden. (Vgl. Rudolph, Kurt: Inwieweit ist der Begriff „Religion“ eurozentrisch?, in: Ugo Bianchi (Hg.), The Notion of „Religion“ in Comparative Research: Rome, 3rd - 8th September, 1990, Rom 1994, S. 135-139. Zitat: S. 139). Denn er ist der Auffassung, dass „wir ohne metasprachlichen ‚Überbau‘ nicht auskommen, um wissenschaftlich zu generalisieren oder zu systematisieren.“ (Rudolph: Inwieweit ist der Begriff „Religion“ eurozentrisch?, S. 136-137). Wichtig sei, die objektsprachliche Ebene und die metasprachliche Ebene, auf der er den Begriff Religion ansiedelt, auseinander zu halten. (Vgl. Rudolph: Inwieweit ist der Begriff „Religion“ eurozentrisch?, S. 138). Hier erinnert seine Argumentation an die Schilbracks, auf die in Kapitel 2.7 eingegangen wird. 18 Vgl. Smith: The Meaning and End of Religion, S. 11-12. 19 Kapitel eins bis inklusive vier. Vgl. Smith: The Meaning and End of Religion, S. 15-118.

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Besonderes Gewicht komme den Entwicklungen im 17. Jahrhundert zu, mit denen sich die Bedeutung von Religion von einer eher personalen Frömmigkeitsvorstellung zu einem System von Glaubensüberzeugungen gewandelt habe. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert habe sich schließlich ein Verständnis von Religion als empirischer, historischer und soziologischer Größe herausgebildet.20 Der Autor schreibt: „The nineteenth century and the first half of the twentieth effected the radical and momentous shift from ideal to mundane actuality, from a theoretical system of doctrine to a sociological entity, an historical phenomenon.“21

Mit Blick auf den Religionsbegriff schlussfolgert W. C. Smith vor dem Hintergrund seiner historischen Betrachtung:

20 Vgl. Smith: The Meaning and End of Religion, S. 37-38, 78-79. Die These, dass es sich bei Religion im heutigen Verständnis um ein relativ neues Phänomen handelt, das sich, wie von den beiden Smiths gezeigt, über mehrere Etappen seit der Reformation entwickelte, gilt in den Grundzügen heute als gesichert. (Vgl. Bergunder, Michael: Indischer Swami und deutscher Professor: 'Religion' jenseits des Eurozentrismus, in: Michael Stausberg (Hg.), Religionswissenschaft, Berlin 2012,, S. 95-107, S. 95). Es muss aber angemerkt werden, dass es auch anderslautende Auffassungen gibt. So hat Giovanni Casadio herausgearbeitet, dass schon in der römischen Antike ein Religionsbegriff Verwendung fand, der mit dem heutigen Verständnis übereinstimmt. (Vgl. Casadio, Giovanni: Religion versus Religion, in: Jitse Dijkstra/Justin Kroesen/Yme Kuiper (Hg.), Myths, Martyrs, and Modernity: Studies in the History of Religions in Honour of Jan N. Bremmer, Leiden 2010, S. 301-326). Zudem haben beispielsweise Christoph Kleine und Karénina Kollmar-Paulenz versucht aufzuzeigen, dass auch in Japan und der Mongolei zumindest der Struktur nach inhaltlich vergleichbare Begrifflichkeiten aufzufinden seien, wodurch die ‚Exklusivität‘ des heutigen Religionskonzeptes als europäische ‚Erfindung‘ in Frage gestellt wird. (Vgl. Kleine, Christoph: Zur Universalität der Unterscheidung religiös/säkular: Eine systemtheoretische Betrachtung, in: Michael Stausberg (Hg.), Religionswissenschaft, Berlin 2012, S. 65-80; ders.: Säkulare Identität im „Zaubergarten“ des vormodernen Japan? Theoretische Überlegungen auf historischer Basis, in: Steffen Führding/Peter Antes (Hg.), Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, Göttingen 2013, S. 109-130. Und vgl. Kollmar-Paulenz, Karénina: Außereuropäische Religionsbegriffe, in: Michael Stausberg (Hg.), Religionswissenschaft, Berlin 2012, S. 81-94). 21 Smith: The Meaning and End of Religion, S. 78.

36 | J ENSEITS VON R ELIGION „My own suggestion is that the word [religion …; S.F.] and the concepts, should be dropped […]. This is on the grounds not merely that it would be helpful to do so; but more strongly, that it is misleading to retain them. I suggest that the term ‚religion‘ is confusing, unnecessary, and distorting.“22

W. C. Smith schlägt vor, Religion durch die Begriffe ‚Glaube‘ (faith) und ‚Kumulative Tradition‘ (cummulative traditon) zu ersetzen.23 Mit ‚Glaube‘ sind die inneren religiösen Erfahrungen einer einzelnen Person gemeint. Unter ‚Kumulativer Tradition‘ werden alle beobachtbaren Gegebenheiten einer religiösen Gemeinschaft (zum Beispiel Bräuche, theologische Systeme und Schriften) subsumiert. Der eigentliche religiöse Akt vollziehe sich im persönlichen Glauben des Einzelnen. Die kumulativen Traditionen seien die historischen Ausprägungen des persönlichen religiösen Lebens.24 Aus der Perspektive von Autoren wie Fitzgerald oder McCutcheon geht W.C. Smith seinen Weg mit dieser Schlussfolgerung nicht konsequent zu Ende. Der Historisierung der Kategorie Religion folgt eine Substitution des Begriffs, die weiterhin in essentialistischen Annahmen verhaftet bleibt. So bietet das ‚Glaube-Traditions-Konzept‘ eher einen Ansatzpunkt für eine pluralistische Theologie der Religionen als für eine kritische Religionswissenschaft.25

22 Smith: The Meaning and End of Religion, S. 50. 23 Diese Begrifflichkeiten erarbeitet er im zweiten Teil des Buches. Vgl. Smith: The Meaning and End of Religion, S. 119-203. 24 Vgl. Smith: The Meaning and End of Religion, S. 156-157. Siehe hierzu und vor allem zu den konkreten Folgen, die W. C. Smith für das religionswissenschaftliche Arbeiten sieht, seinen bereits 1959 erschienenen Aufsatz Vergleichende Religionswissenschaft: Wohin – Warum? (Ders.: Vergleichende Religionswissenschaft: wohin - warum?, in: Mircea Eliade/Joseph M. Kitagawa (Hg.), Grundfragen der Religionswissenschaft: Acht Studien, Salzburg 1963, S. 75-105). In diesem Aufsatz legt der Autor sein Programm für die Religionswissenschaft vor, das sich für lange Zeit als einzige wirkliche ‚Konkurrenz‘ zu Mircea Eliades ‚New Humanism‘ (siehe Kapitel 3.3.2 in dieser Arbeit) in Nordamerika etablieren konnte. 25 Vgl. beispielsweise McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 14-16. Siehe zudem Grünschloß, Andreas: Religionswissenschaft als Welt-Theologie. Wilfred Cantwell Smiths interreligiöse Hermeneutik, Göttingen 1994.

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2.3 U NTERSCHIEDLICHE F ORMEN K ONZEPT R ELIGION

DER

K RITIK

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AM

Die von Benavides und Stausberg oben angeführten Beispiele zeigen, dass es vor allem in den letzten 20 bis 30 Jahren eine vermehrte Hinwendung zur kritischen Reflexion und auch eine Infragestellung des Konzeptes Religion gegeben hat. Diese Hinwendung fällt, zumindest in Bezug auf die Konsequenzen, die aus der Kritik erwachsen, sehr unterschiedlich aus – was bei Benavides und Stausberg wenig Beachtung findet –, wie die gemachten Ausführungen zu den beiden Smiths deutlich machen. Beide wenden sich der Genese des Religionsbegriffs zu und verwerfen Religion als ontologischen Gegenstand. „Neither religion in general nor any one of the religions […] is in itself an intelligible entity, a valid object of inquiry or of concern either for the scholar or for the man of faith“,26 wie W. C. Smith festhält. Er ersetzt Religion durch sein bipolares Konzept von Glaube und Kumulativer Tradition, wobei er der für die Religionsphänomenologie beziehungsweise religiös orientierte Religionswissenschaft prägenden Vorstellung von primärer universeller und kulturübergreifender Essenz und historischer, sekundärer Manifestation verhaftet bleibt. J. Z. Smith hingegen hält als Klassifikationswerkzeug an Religion fest, spricht ihr aber jede Substanz ab. Religion wird bei ihm zur reinen intellektuellen und arbiträren Konstruktion des den Begriff verwendenden Wissenschaftlers. Dieser habe daher auch die Aufgabe, die Verwendung zu reflektieren. Sowohl Benavides als auch Stausberg betonen – mit kritischem Unterton –, dass es bei den oben aufgezählten Autoren, die sich mit der Kategorie Religion auseinandersetzen, auffalle, dass diese häufig in Unkenntnis des jeweils anderen schreiben. Benavides kritisiert vor allem, dass die nordamerikanischen, anglophonen Wissenschaftler nicht zur Kenntnis nehmen würden, was in anderen Sprachen und von Wissenschaftlern, die aus anderen Regionen stammen, erarbeitet wird. Gerade im Hinblick auf die Entwicklungen im Bereich der Theoriebildung hält er dies für schwierig.27 Antes sieht diese Tendenz und die damit verbundenen Probleme allerdings auch im europäischen Kontext gegeben.28

26 Smith: The Meaning and End of Religion, S. 12. 27 Vgl. Benavides: North America, S. 245. Und vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 300. 28 Vgl. Antes, Peter: A Survey of New Approaches to the Study of Religion in Europe, in: Peter Antes/Armin W. Geertz/Randi R. Warne (Hg.), New Approaches to the Study of Religion, Berlin [u.a.] 2008, S. 43-61, S. 43-44.

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Die Kritik von Benavides und Stausberg muss jedoch differenziert werden. Sie scheint bei genauer Betrachtung nicht vollständig zuzutreffen. Autoren wie Fitzgerald und McCutcheon stehen in einem inhaltlichen Austausch und beziehen auch Arbeiten Talal Asads oder teilweise, wenn auch in einem sehr begrenzten Maße, Dubuissions ein. Was fehlt, ist in der Regel eine Auseinandersetzung mit Autoren wie Feil und Sabbatucci, wie beispielsweise ein Blick in die jeweiligen Literaturverzeichnisse deutlich macht.

2.4 R USSELL T. M C C UTCHEON Stausberg schreibt, dass die Diskussionen um das Konzept Religion vor allem in den 1990er Jahren ein Thema gewesen seien.29 In diese Phase fällt auch die Veröffentlichung von McCutcheons Buch Manufacturing Religion. The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia.30 Schon der Titel macht deutlich, dass J. Z. Smith einen wichtigen Referenzpunkt für McCutcheon darstellt, wie insgesamt für die Debatte in Nordamerika.31 Gleichzeitig deutet sich mit der Verwendung des Begriff ‚manufacturing‘ anstelle des 1982 von J. Z. Smith verwendeten ‚imaging‘ eine Akzentverschiebung in der Perspektive an. McCutcheon überführt oder entwickelt den ‚imaginierenden‘ in einen ‚materiellen‘ Akt, wie Masuzawa überzeugend darlegt.32 Bei McCutcheon wird Religion nicht erdacht, sondern hergestellt. Zudem räumt er den materiellen Grundlagen und Auswirkungen der ‚Fabrikation‘ von Religion in seinen Erwägungen einen wichtigen Platz ein.

2.4.1 Die Fabrikation von ‚Religion‘ Manufacturing Religion, 1997 bei der Oxford University Press veröffentlicht, stellt den wissenschaftlichen Durchbruch McCutcheons dar und rückt ihn ins disziplinäre Rampenlicht. Das Buch gibt der Diskussion um die Kategorie Religion und der Religionswissenschaft als wissenschaftliche Disziplin wichtige Im-

29 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 301. 30 McCutcheon: Manufacturing Religion. 31 Siehe auch Kapitel 3.3.4 in dieser Arbeit. 32 Vgl. Masuzawa, Tomoko: The Production of ‚Religion‘ and the Task of the Scholar: Russell McCutcheon among the Smiths, Culture and Religion 1 (2000), S. 123-130, S. 128-129.

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pulse und eine spezifische Richtung, indem es das Fach und ihre Protagonisten sowie die Rolle, die die Religionswissenschaft bei der Herstellung der Kategorie Religion spielt ebenso in den Blick nimmt wie die damit verbundenen Auswirkungen. Das Buch und sein Autor erfahren eine große Aufmerksamkeit, wie eine Vielzahl von Rezensionen deutlich macht. In der Fachzeitschrift Culture and Religion. An Interdisciplinar Journal33 wird dem Buch ein von Luther H. Martin geleitetes Review Symposium eingeräumt. Martin schreibt in seiner Einleitung zu diesem Review Symposium zur Bedeutung des Werks: „Not unexpectedly, McCutcheon’s deconstruction of the category religion, as it has been employed in Western research, elicited controversy in the field. In reviews, the book has been both praised and scorned, and even, in the case of one major journal in the field, disregarded. It has even made its way into some classrooms […] where it elicited a productive discussion that certainly enlivened […] the field generally. “34

Die Reaktionen sind gespalten, wie Martin hier herausstellt. Armin Geertz nimmt das Buch in seiner Rezension35 beispielsweise sehr positiv auf und Fitzgerald lobt es als wichtige Kritik an der Kategorie Religion.36 Andere, wie Benavides oder Bryan Rennie, üben teilweise scharfe Kritik.37 Egal ob man den in dem Buch vorgetragenen Thesen gegenüber ablehnend oder positiv eingestellt ist, scheint die Einschätzung von Masuzawa zutreffend, dass niemand, der sich mit der Thematik zukünftig beschäftigen will, an diesem Buch vorbeikommt.38

33 Taylor & Francis Online: Culture and Religion: An Interdisciplinary Journal, 11.03.2014. . 34 Martin, Luther H.: Review Symposium on Russell T. McCutcheon's Manufacturing Religion: The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia, Culture and Religion 1 (2000), S. 95-97, S. 96. 35 Geertz, Armin W.: Rezension zu “McCutcheon, Russell T.: Manufacturing Religion: The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia“, The Journal of Religion 79 (1999), S. 508-509. 36 Fitzgerald, Timothy: Russell T. McCutcheon's Manufacturing Religion, Culture and Religion 1 (2000), S. 99-104. 37 Benavides: What Raw Materials Are Used in the Manufacture of Religion?. Rennie, Bryan: Manufacturing McCutcheon: The Failure of Understanding in the Academic Study of Religion, Culture and Religion 1 (2000), S. 105-112. 38 Vgl. Masuzawa: The Production of ‚Religion‘ and the Task of the Scholar, S. 123.

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Manufacturing Religion ist eine überarbeitete Version der Dissertation McCutcheons. Im Zentrum des Werks steht die Untersuchung der Verwendung und Nutzung der Kategorie Religion durch Wissenschaftler, vor allem in der Religionswissenschaft und der dazugehörigen Publikationsindustrie. Dem Autor geht es darum aufzuzeigen, wie der Gegenstand Religion diskursiv geschaffen wird und mit ihm die Religionswissenschaft als universitärer Ort der Erforschung dieses Gegenstandes. Als vorherrschend (zumindest in Nordamerika) identifiziert McCutcheon einen Diskurs, in dem Religion als Phänomen sui generis konzeptualisiert sowie präsentiert wird. Diese Konzeptualisierung habe konkrete, auch im engeren Sinne materielle Auswirkungen. So führe die Setzung von Religion als Phänomen sui generis zur Herstellung eines privilegierten Bereichs menschlicher Erfahrung, für dessen Erforschung es eigene (phänomenologische und hermeneutische) Methoden und Spezialisten brauche, die diese Methoden beherrschen. Mit dieser Argumentation werde die institutionelle Autonomie der Religionswissenschaft eingefordert als der Ort, an dem die genannten Spezialisten ihren Forschungen nachgehen. Insgesamt habe man es mit einem zirkulären Argument zu tun. „[T]he phenomenological method assumes that a transhistorical essence ultimately is the object of the study, and the fact that it is presumed that such an object exists in turn sanctions the phenomenological method.“39

Weil Religion sui generis ist, braucht es spezielle beschreibende und interpretative Methoden für ihre Erforschung. Diese Methoden wiederum müssen innerhalb einer autonomen Disziplin vorgehalten werden. „The call for autonomy of religious experiences and phenomena [...] is never far from the call for autonomous and unique methods and independent disciplinary location of the history of religions. “40

Gleichzeitig sei eine solche Abgrenzung gegenüber Disziplinen wie der Soziologie möglich, deren Methoden für die Erforschung von Religion als unbrauchbar, weil sie nicht den Kern träfen, disqualifiziert werden. McCutcheon sieht in diesem Vorgehen einen Versuch, den durch Methoden und Gegenstand geschaffenen (institutionellen) Bereich und die damit für die beteiligten Personen verbundenen intellektuellen und ökonomischen Privilegien zu sichern. Diese Privile-

39 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 67. 40 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 67-69. Zitat, S. 69.

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gien würden von der eigenen universitären Stelle bis zum Zugang zu den (populären) Medien reichen.41 „The material as well as social benefits that accompany the disciplinary study vary widely: secure and tenured university positions, endowed chairs, accessibility to government grants, access to a variety of archives and information, interviews in the popular media, and the general participation in producing and managing cultural capital.“42

Die Sicherung der eigenen Privilegien durch die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Autonomie im methodischen und im Objektbereich macht laut McCutcheon interdisziplinäre Forschung unmöglich.43 Dieser Ausschluss habe eine Verengung der Fragestellungen zur Folge. Vor allem die Hinterfragung von als Realität angesehenen Tatbeständen, die durch das Überschreiten von Disziplingrenzen ermöglicht wird, indem andere Fragestellungen, neue Blickwinkel und damit ‚andere‘ Realitäten eröffnet werden, bleibe auf der Strecke. Damit werde ein Erfassen der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Disziplinen und Realitäten unmöglich gemacht.44 Der ‚sui-generis-Diskurs‘ und seine Akteure, die McCutcheon auch als ‚private Affair‘-Tradition innerhalb der Religionswissenschaft bezeichnet – man könnte auch von einer religiösen Religionswissenschaft sprechen – marginalisiert nach Darstellung McCutcheons einen Gegendiskurs, in dem versucht wird, Religion mit naturalistischen Theorien zu erklären. McCutcheon sieht in den Vertretern dieser marginalisierten Ansätze die Akteure einer wissenschaftlichen Religionswissenschaft.45 Die Auffassung von Religion als Phänomen sui generis habe nicht nur einen verschleierten theologischen und ideologischen Charakter, sondern ist nach Einschätzung des Autors auch höchst problematisch. Die Folge dieses Konzeptes hat – wie angedeutet – zudem konkrete (materielle) Auswirkungen auf nahezu alle Gebiete der Gesellschaft, von der universitären Ebene bis hin zur politischen Weltordnung. So gehe es unter anderem darum, von materiellen Ungleichheiten durch die Betonung einer immateriellen Einheit der Menschheit abzulenken:

41 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 20-21. 42 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 21. 43 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 21. 44 Vgl. McCutcheon, Russell T: Critics not Caretakers. Redescribing the Public Study of Religion, Albany 2001, S. 132. 45 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 5-6.

42 | J ENSEITS VON R ELIGION „In the broadest possible perspective, then, this discourse on religion grounded in the scholarly privilege afforded by the sui generis claim, participates in a general liberal discourse that deemphasizes material difference for the sake of immaterial and abstract sameness.“46

Das Ziel des Buches beschreibt McCutcheon in der Einleitung wie folgt: „[M]y work can be read as an extended effort first to delineate clearly the lines of the regnant discourse, to name the ideological processes that function to establish and perpetuate it, and, in so doing, to identify some of the ‚names and faces‘ that constitutes its various sites.“47

Einen dieser zentralen Namen, den McCutcheon heraushebt, ist Mircea Eliade. Auf ihn und auf durch ihn beeinflusste Wissenschaftler fokussiert er seine Ausführungen.48 Er verwendet die ersten drei Kapitel49 darauf, um zum einen Eliades Ideen über die Natur von Religion und deren Implikationen herauszuarbeiten und zum anderen deren Rezeptionsgeschichte aufzuzeigen. In Kapitel vier verdeutlicht McCutcheon, wie der Diskurs über Religion als Phänomen sui generis in den Universitäten durch die dort stattfindende Lehre, vor allem in den Einführungsveranstaltungen und den verwendeten Einführungsbüchern, reproduziert wird. Generell sieht er eine Politik der Nostalgie am Werk („politics of nostalgia“). Damit ist gemeint, dass die Separierung von Religion von anderen Bereichen menschlicher Kultur und menschlichen Verhaltens als ahistorischer und kontextloser Gegenstand, der sich dann und wann in der Geschichte manifestiert, einhergeht mit der Vorstellung einer harmonischen Einheit der Menschheit, die in der Moderne verlorengegangen sei. Als Aufgabe von Religionswissenschaft werde es im vorherrschenden Diskurs angesehen, sich mit dieser idealen ‚Vorzeit‘ zu befassen und Wege zu finden, zu diesem Zustand zurückzugelangen. Im gleichen Zuge werde Religion von Fragen der Macht gelöst und vor Kritik durch naturalistische Erklärungen (Stichwort Reduktionismus) geschützt. Für McCutcheon ist dieser Vorgang, der sich hinter dem Anschein faktischer Objek-

46 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 4. 47 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. viii. 48 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 4. 49 Ideological Strategies and the Politics of Nostalgia S. 27-50; Autonomy, Discourses, and Social Privilege, S. 51-73 und The Debate on the Autonomy of Eliade, S. 74-100. Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion.

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tivität verberge, ein durch und durch ideologischer Vorgang, der auf theologischen Annahmen fuße.50 In Kapitel fünf The Category Religion in Recent Scholarship (S. 127-157) beschäftigt er sich mit der Verwendung der Kategorie Religion in der Religionswissenschaft, wobei er seinen Fokus zum einen auf eine von Eliade beeinflusste essentialistische Tradition legt, zum anderen auf eine in Konkurrenz dazu stehende naturalistische Strömung. In Kapitel sechs The Imperial Dynamic and the Discourse on Religion (S. 158-191) richtet der Autor seine Aufmerksamkeit auf die politischen Auswirkungen des ‚sui generis Diskurses‘ und versucht seine These, dass der Diskurs geopolitische Implikationen hat, an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen. Das abschließende Kapitel sieben Institutional Identity and the Significance of Theory (S. 192-213) nutzt McCutcheon für einen Ausblick auf die Zukunft der Religionswissenschaft und tritt für die stärkere Berücksichtigung naturalistischer Methoden und Theorien ein. Er vertritt nämlich die Auffassung, dass der Religionsbegriff nicht völlig nutzlos ist, sondern als beschreibende Kategorie und bei sorgfältiger und reflexiver Verwendung im Rahmen einer naturalistischen Theorie durchaus gerechtfertigt sein könnte.51 Bei genauerer Betrachtung verfolgt McCutcheon damit zwei – sich widersprechende – Ziele. Zum einen geht es ihm darum, den in der Religionswissenschaft vorherrschenden ‚sui-generis-Diskurs‘, inklusive der Mechanismen, die ihn erschaffen und am Leben halten und das durch ihn propagierte Religionskonzept zu kritisieren. Zum anderen tritt er für eine naturalistische Theorie von Religion ein.52 Nimmt man seine These von der ‚Fabrikation‘ der Kategorie im Rahmen des ‚sui-generis-Diskurses‘ ernst und geht davon aus, dass die Kategorie auf nichts verweist, dann ist der Ruf nach einer naturalistischen Erklärung von Religion schwer nachvollziehbar. Das Einzige, was vor dem Hintergrund der These der Fabrikation erklärungsbedürftig ist, ist der ‚Herstellungs‘- und Klassifikationsakt als solcher, wie auch Masuzawa richtigerweise herausstellt.53

50 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 3-5, 13, 15, 32-37, 67-73. Siehe auch ders.: A Brief Response from a Fortunate Man, S. 132-133. 51 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 55-56. Und vgl. McCutcheon: A Brief Response from a Fortunate Man, S. 133-134. 52 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. viii, xi-xii. 53 Vgl. McCutcheon: A Brief Response from a Fortunate Man, S. 136. Und vgl. Masuzawa: The Production of ‚Religion‘ and the Task of the Scholar, S. 129.

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2.4.2 Religion und Religionswissenschaft im Rahmen einer Theorie der ‚Sozialen Formation‘ Die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Ambivalenz zieht sich durch die Arbeiten McCutcheons in den 1990er Jahren und auch das von ihm 2001 veröffentlichte Buch Critics not Caretakers. Redescribing the Public Study of Religion54, eine 13 Beiträge umfassende Sammlung von Aufsätzen aus den Jahren 1997 bis 2000, ist davon geprägt. Wieder wird zwischen den beiden aus Manufacturing Religion bekannten Traditionen innerhalb der Religionswissenschaft unterschieden: einer ‚religiösen‘ Religionswissenschaft, die Religion als Phänomen sui generis versteht und mit eigenen Methoden in eigenen Einrichtungen verhandelt und gegen als reduktionistisch verstandene Herangehensweisen schützen will, und einer ‚wissenschaftlichen‘ Religionswissenschaft, die sich naturalistischen Ansätzen verschrieben hat.55 Die Kritik an der erstgenannten und weiter als dominant dargestellten Tradition und dem ‚sui-generis-Diskurs‘ wird fortgeführt. Ihr werden Alternativen aus dem Bereich der anderen Tradition entgegengestellt. Neu ist vor allem, dass McCutcheon nicht bei Beschreibung und Kritik stehen bleibt, sondern selbst einen Ansatz vorlegt, wie man ‚Religion‘ im Sinne einer naturalistischen Theoriebildung auffassen beziehungsweise erforschen sollte. Bei diesem Versuch greift er auf das Konzept der ‚Sozialen Formation‘ zurück, das er bei Burton Mack und Luis Althusser vorfindet.56 Vereinfacht zusammengefasst kann gesagt werden, dass McCutcheon unter einer ‚Sozialen Formation‘ im Hinblick auf Religion Prozesse versteht, die die Schaffung von gesellschaftlichen und individuellen Identitäten ermöglichen. Gleichzeitig bezeichnet eine ‚Soziale Formation‘ die aus den Prozessen hervorgegangenen und sich stetig verändernden Gesellschaftsstrukturen. Bei den angesprochenen Abläufen handelt es sich nach Darstellung des Autors um sozio-rhetorische Strate-

54 McCutcheon, Russell T.: The Discipline of Religion. Structure, Meaning, Rhetoric, London 2003. 55 Eine systematische Aufarbeitung von McCutcheons Darstellung und Einschätzung dieser beiden Strömungen sowie ein Überblick vor allem über die Schaffensphase McCutcheons bis etwa 2003 gibt der 2006 erschienene Band Cultur Critic oder Caretaker? von Steffen Führding (Vgl. Führding, Steffen: Culture Critic oder Caretaker? Religionswissenschaft und die Funktion für die Gesellschaft; eine Auseinandersetzung mit Russell T. McCutcheon, Marburg 2006, S. 16-92). 56 Vgl. hierzu McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 21-39. Siehe hierzu auch Mack, Burton L.: Social Formation, in: Willi Braun/Russell T. McCutcheon (Hg.), Guide to the Study of Religion, London, New York 2000.

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gien, wobei der ‚Mythenbildung‘ (mythmaking), der Verknüpfung der Gegenwart mit einem mythischen ursprünglichen Moment, eine besondere Bedeutung zukommt.57 Die von menschlichen Gemeinschaften verwendeten Strategien, wie die der Mythenbildung, sind in das Durkheim`sche Gesellschaftsverständnis eingebunden.58 Nicht die Individuen und ihre Taten etc. schaffen die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft schafft die Individuen. Das heißt, von Einzelnen oder Gruppen ausgeführte Handlungen/Strategien sind von den durch die Gesellschaft vorgegebenen Strukturen und Ressourcen abhängig. Demnach sind ‚Soziale Formationen‘ schon bei ihrer Entstehung vorhanden, da die grundlegenden Strukturen und Strategien, die Menschen innerhalb der Prozesse der sozialen Formation anwenden können, schon vorher gegeben sind. Während im Laufe des Prozesses nichts Übernatürliches oder Religiöses, sondern eine Reaktion auf das gesellschaftliche Leben stattfindet, werden die Strategien auf beschreibender Ebene als religiös bezeichnet, wenn sie zum Beispiel Diskurse über Götter bemühen.59 Allgemein dient die Theorie der ‚Sozialen Formation‘, zumindest wenn man McCutcheon folgt, dazu, die Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung sozialer Identitäten (oder sozialer Gruppen) – vor allem größerer Einheiten wie Nationen oder Staaten – zu erforschen und zu erklären. Dabei geht es in erster Linie darum, die in diesem Prozess verwendeten sozio-rhetorischen Strategien in den Blick zu nehmen, durch die viele unzusammenhängende ‚Einzelteile‘ (Handlungen, Vorstellungen, Zielsetzungen, Akteure etc.) zu einem scheinbaren Ganzen, einer sozialen Identität verbunden werden, wie eben den genannten Nationen, aber auch Religionsgemeinschaften oder wissenschaftlichen Disziplinen.60 Genau diesen Ansatz verwendet McCutcheon in seinem 2003 erschienen Buch The Discipline of Religion. Structure, Meaning, Rhetoric61, um sich noch einmal mit der Religionswissenschaft als Disziplin auseinanderzusetzen.

57 Vgl. McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 24-33. 58 Vgl. Durkheim, Émile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt am Main 21998, S. 28-30, S. 36-39. 59 Vgl. Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 57. 60 Vgl. McCutcheon: The Discipline of Religion, S. x-xii. Siehe auch: McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 21-39. 61 McCutcheon: The Discipline of Religion.

46 | J ENSEITS VON R ELIGION „[A]pplying a theory of social formation to an academic discipline in order to understand the role played by various rhetorics in creating and sustaining seemingly coherent social identities. These identities, like all social identities, come with issues of turf and privilege and the never-ending threat of fracture and dissolution.“62

Während auf den ersten Blick der Band nicht viel Neues liefert,63 deutet sich in ihm eine Perspektivverschiebung an. Wieder handelt es sich um eine Sammlung von bereits vorher veröffentlichten Aufsätzen aus den 1990er Jahren und dem beginnenden 21. Jahrhundert. Allerdings fehlt den Aufsätzen, vor allem den nach der Jahrtausendwende erschienenen, der Ruf nach einer naturalistischen Theorie von Religion. Auch die Vorstellung, dass Religion im Sinne J. Z. Smiths bei sorgfältiger und reflexiver Nutzung als sinnvolles Werkzeug genutzt werden kann, verblasst. Stärker in den Vordergrund tritt der zweite Aspekt der Überlegungen J. Z. Smiths, nämlich der nach der kritischen Hinterfragung und Reflexion des Definitionsaktes. Vor allem in Teil drei des Bandes und hier in den Kapiteln elf und zwölf wird die Perspektivverschiebung deutlich. McCutcheon stellt dort die Geschichte und den Gebrauch der Kategorie Religion ganz in den Fokus seiner Arbeit und fordert, den Klassifizierungsakt als solchen – also das Benennen von etwas als Religion oder nicht – zur Aufgabe religionswissenschaftlicher Forschung zu machen. McCutcheon schreibt hierzu: „My point is that the future of the study of religion […] does not lie in searching for a more adequate or accurate definition of religion; instead, it lies in the direction of a thoroughly self-reflexive historicization of the very existence of this socio-cognitive category, regardless its definition“.64

Einige Seiten später wiederholt der Autor die Forderung nach einer selbstreflexiven Historisierung der Kategorie Religion fast wörtlich und spezifiziert seine Vorstellungen von der zukünftigen Aufgabe von Religionswissenschaft weiter: „[T]he future of the study of religion‘ (and as Foucault said above, ‚the quotation marks have a certain importance‘) does not lie in the direction of searching for a more a more adequate or accurate definition of religion that accords with, protects, or recovers the interior and prior zone called faith. […] Instead, it lies in the direction of thoroughly historicizing

62 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. x. 63 Vgl. Stuckrad, Kocku von: Review: The Discipline of Religion: Structure, Meaning, Rhetoric by Russell T. McCutcheon, Numen 51 (2004), S. 216-218, S. 216. 64 McCutcheon: The Discipline of Religion, S. 235. Hervorhebungen im Original.

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the private/public, belief/practice, Church/State, and sacred/secular binaries, scrutinizing their historical development, their rhetorical deployment, questioning the narrative widely accepted by historians that the engine of secularization drives European history, and asking what is entailed in presuming that any moment of human praxis […] somehow escapes the uncharted ebb and flow of contingent and thus contestable social history.“65

Unter Bezugnahme auf J. Z. Smith fährt McCutcheon fort, dass man ernstnehmen müsse, dass es sich bei ‚Religion‘ nicht um eine Eigenbezeichnung handelt, sondern um eine Kategorie, mit der bestimmte Aspekte von Kultur klassifiziert wurden und werden. Daher könne es nicht lediglich darum gehen, den politischen, sozialen, historischen etc. Kontext religiöser Untersuchungsgegenstände mit zu bedenken. Vielmehr müsse der Vorgang der Klassifizierung von etwas als ‚religiös‘ selbst untersucht werden, ebenso wie die Frage, was mit dieser Klassifizierung, der eine Unterscheidung von anderen Bereichen inhärent ist, erreicht wird oder werden soll.66 Für McCutcheon ist der moderne Religionsdiskurs mit dem ihm zughörigen, im letzten Zitat genannten binären Begriffspaaren (privat/öffentlich, Glaube/Praxis etc.) eng mit der Entstehung des modernen, westlichen, liberalen Staates verknüpft, ja mache diesen überhaupt erst möglich: „[L]arge-scale socio-political organizations such as the liberal nation-state may not have been possible without the modern disciplining concept religion and the so-called civil, social institutions made possible by the infectious presupposition of a set apart private zone of belief, meaning, and value.“67

Auf diese Position McCutcheons, die bereits früher in seinem Werk angelegt ist, aber hier eine Ausweitung erfährt,68 wird vor allem in den Kapiteln 6.1 und 6.2 dieser Arbeit näher eingegangen. Sie ist eng an die Vorstellungen Asads und William Arnals angelehnt, die beide der neuzeitlichen Konzeption von Religion einen zentralen Platz in der Konfiguration der Moderne zuweisen.69 Auch die

65 McCutcheon: The Discipline of Religion, S. 259. Hervorhebungen im Original. 66 Vgl. McCutcheon: The Discipline of Religion, S. 259. 67 McCutcheon: The Discipline of Religion, S. 261. Hervorhebungen im Original. 68 Siehe Kapitel zehn in McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 155-177. 69 Vgl. Asad, Talal: Genealogies of Religion. Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam, Baltimore 1997, vor allem S. 40-43. Und vgl. Arnal, William: Definition, in: Willi Braun/Russell T. McCutcheon (Hg.), Guide to the Study of Religion, London, New York 2000, S. 21-34, S. 30-33. Siehe auch ders.: The Segregation of

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Erwägungen Fitzgeralds, die später noch genauer besprochen werden, gehen in eine ähnliche Richtung. Allerdings steht bei McCutcheon der eigentliche Klassifizierungsakt stärker im Zentrum der Aufmerksamkeit; bei Fitzgerald ist es eher die Genealogie des Religionsbegriffs beziehungsweise des Religion/SäkularitätBinärs.70 McCutcheon stellt die Religionswissenschaft in diesem Buch nicht als eine neutrale Wissenschaft dar, deren Vertreter per Beschreibung, Klassifizierung und gegebenenfalls Analyse objektives Wissen über Religion und religiöse Gegenstände erarbeiten. Vielmehr wird Religionswissenschaft als eine Disziplinierungstechnik präsentiert, die eine zentrale Rolle bei der Schaffung spezifischer Gesellschaftsformationen spielt und mit deren Hilfe Macht ausgeübt werden kann.71 Dies gilt auch und besonders für die Kategorie Religion, die durch die Disziplin mit geschaffen und aufrechterhalten wird. Während der Ausgangspunkt von The Discipline of Religion die Anwendung der Theorie der ‚Sozialen Formation‘ auf die Religionswissenschaft ist, endet das Buch in gewisser Weise mit einer Weitung des Gegenstandes. Religion und ‚religiöse Diskurse‘ werden nun als sozio-rhetorische Werkzeuge im Kontext der Formierung des modernen Staates, als eine Form eines großflächigen gesellschaftlichen Verbundes, vorgestellt. In direkter Bezugnahme auf Michel Foucault sieht McCutcheon ‚Religion‘ (und andere mit dem Religionsdiskurs verbundene Kategorien) als Werkzeug, mit denen Individuen in eine soziale Einheit eingebunden werden können.72

Social Desire: „Religion“ and Disney World, Journal of the American Academy of Religion 69 (2001), S. 1-19. 70 Zudem ist Fitzgerald stärker an der Bedeutung von Religion für die Entstehung und Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems und die Rolle des Kolonialismus in diesem Prozess interessiert. 71 Vgl. McCutcheon: The Discipline of Religion, S. 235-236, 241. An dieser Stelle wird McCutcheons Prägung durch Michel Foucault und seine Ausführung zur Gouvernementalität besonders deutlich. Mit Gouvernementalität meint Foucault Institutionen, Praktiken und Handlungen, mit denen Individuen wie Kollektive gelenkt werden. Der Autor verwendet den Begriff in Rahmen seiner Analysen von Macht. (Vgl. Lemke, Thomas: Gouvernementalität, in: Clemens Kammler/Rolf Parr/Ulrich Johannes Schneider/Elke Reinhardt-Becker (Hg.), Foucault-Handbuch: Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart, Weimar 2008, S. 260-263, S. 260-261. Siehe unter anderem: Foucault, Michel (Hg.): Analytik der Macht, Frankfurt am Main 2005; ders.: Geschichte der Gouvernementalität, Frankfurt am Main 22009). 72 Vgl. McCutcheon: The Discipline of Religion, S. xvii-xviii.

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2.4.3 ‚Religion‘ und ‚Nichtreligion‘ Die Disziplinierungsmacht von ‚Religion‘ sowie die Kritik an der Kategorie und ihre Anwendung bildet auch in dem 2013 zusammen mit Arnal herausgegebenen Sammelband The Sacred is the Profane. The Political Nature of „Religion“73 den Hintergrund. Die beiden Wissenschaftler führen in diesem Band acht Aufsätze74 zusammen, die von Einleitung und Nachwort gerahmt werden. Als Ziel des Buches beschreiben die beiden Autoren im Vorwort den Wunsch, nicht nur an der aktuellen Debatte um die Adäquatheit des Religionsbegriffs teilnehmen zu wollen, sondern diese Debatte auch kritisch zu begleiten. Es reiche nämlich nicht aus, den Begriff oder die Kategorie Religion kritisch zu hinterfragen, wie es in den letzten Jahren vielfach geschehen sei, und den Begriff gegebenenfalls fallen zu lassen. Vielmehr müsse auch das Konzept Religion aufgegeben werden, also die Idee und die Implikationen, die mit ‚Religion‘ verbunden sind.75 Dies sei aber bisher nicht ausreichend geschehen.76 In dem Buch wird noch einmal die bekannte Sicht McCutcheons auf die Religionswissenschaft und vor allem ‚Religion‘ rekapituliert. Religionswissenschaft fuße auf der Verwendung der Kategorie Religion, die mittlerweile weltweit verbreitet ist und umgangssprachlich verwendet werde. Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Kategorie ursprünglich nicht um einen generischen und universellen, sondern um einen historischen, geographisch und gesellschaftlich spezifischen Begriff gehandelt habe. Verortet wird

73 Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane. 74 Fünf der acht Aufsätze wurden von McCutcheon verfasst, drei von Arnal. Sieben Aufsätze sind bereits vorher schon an anderer Stelle veröffentlicht worden, einer (Kapitel sechs: Maps of Nothing in Particular. Religion as Cross-cultural Taxon) sowie die Einleitung und das Nachwort wurden für den Band neu verfasst. Arnal und McCutcheon betonen, dass sie trotz der unterschiedlichen Autorschaft hinter den Artikeln und Thesen des jeweiligen anderen stehen. (Vgl. Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. xi.) 75 Ein typisches Argumentationsmuster, das hier Arnal und McCutcheon im Blick haben, ist anzuerkennen, dass es in bestimmten Zeitepochen oder kulturellen Zusammenhängen keinen Begriff für Religion gibt oder gegeben hat und dass man daher auch auf die Verwendung des Begriffs verzichtet. Gleichzeitig hält man aber an dem Konzept fest, das hinter dem Begriff steht. Beispiel: Kultur ‚A‘ hat keinen Begriff für Religion. Das bedeutet aber nicht, dass das Phänomen als solches nicht in der Kultur existiert, auch wenn nicht darüber gesprochen wird. 76 Vgl. Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. xiii.

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die Entwicklung des modernen Religionskonzeptes in (West-)Europa beginnend mit der Frühen Neuzeit und diese müsse im Rahmen der Entstehung des modernen liberalen Staates gesehen werden. Die Kategorie sei als Klassifikationsinstrument genutzt worden, durch die spezifische soziale Welten geschaffen und die Beziehungen zu ‚anderen‘ organisiert worden seien. Dabei sei Religion vor allem evaluativ gebraucht worden. Im Hinblick auf Religion wurden andere als gleich oder ungleich bewertet und damit sei das Verhältnis zu diesen anderen organisiert worden.77 Arnal und McCutcheon nennen hier als ein Beispiel die Unterscheidung von eigener Religion und fremdem Aberglauben, eine Unterscheidung mit konkreten Auswirkungen auf das Verhalten den anderen gegenüber. Anders gesagt weisen die Autoren darauf hin, dass die Kategorie Religion als Alltagskategorie von Akteuren zur Herstellung und Regulierung sozialer Welten genutzt wurde. Die Übernahme dieser Kategorie in die Religionswissenschaft und die damit verbundene Umwandlung in eine analytische Kategorie habe dazu geführt, dass historisch und geographisch höchst unterschiedliche und unverbundene Phänomene durch Beschreibung und ‚kreativen‘ Vergleich – oft unter Ausblendung der Kontexte – eine universelle Kategorie und ein alle Menschen betreffendes Phänomen etabliert worden sei (Stichwort ‚Homo religiosus‘).78 Diese Vorstellung sei mittlerweile nicht nur in einem kleinen Zirkel von Wissenschaftlern in die Kritik geraten – wie es in den früheren Werken von McCutcheon immer den Anschein hatte –, sondern habe sich zu einer relativ breiten Bewegung ausgeweitet. Wie bereits angedeutet, geht den Autoren die Kritik aber nicht weit genug oder bleibe, besser gesagt, auf halber Strecke stehen. Es reiche nämlich nicht aus, Religion in den Plural zu setzen und ein ‚nichtstatisches‘ Verständnis des Gegenstandes zu entwickeln. Auch reiche es nicht aus, den Fokus von inneren Beweggründen und Vorstellungen auf beobachtbares Verhalten zu verschieben. Damit sei nur ein scheinbarer Fortschritt und Erfolg erzielt. Folgt man Arnal und McCutcheon, kann man davon sprechen, dass man es nur mit einer phänotypischen Veränderung zu tun hat; der Genotyp bleibt. Der Plural ersetzt den Singular. Um aber bestimmen zu können, was mit den Pluralbegriffen (Religionen, Christentümer etc.) erfasst werden soll, bleibt (implizit) das Konzept von Religion im Singular erhalten.79

77 Diese Argumentation findet sich unter anderem so auch bereits bei J. Z. Smith, beispielsweise in seinem Aufsatz von 1998. Vgl. Smith: Religion, Religions, Religious. Siehe auch oben in dieser Arbeit. 78 Vgl. Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. 3. 79 Vgl. Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. 11-13.

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Würde man die Kritik an der Kategorie wirklich ernstnehmen und den ganzen Weg gehen, hätte dies weitreichendere Folgen als den Übergang vom Singular zum Plural. Mit dem Fallenlassen nicht nur der Kategorie, sondern auch der dahinterstehenden Vorstellungen müsste eine Reformulierung oder zumindest eine Reflexion des kompletten Begriffsapparats einhergehen. Denn nach Auffassung der beiden Autoren bestimmt die Kategorie Religion auch das Verständnis anderer Kategorien wie Christentum oder Theologie: „For instance, among the earliest known uses of ‚Christian‘ and ‚Christianity‘ are those in the letters of Ignatius of Antioch, in the second century C. E. In these uses […] he is not opposing these labels to anything like secularity (which would be anachronistic); rather, such terms function as identity labels for group and institutional affiliations […] Thus, be a ‚Christian‘ in this historical period, one need not have a concept of ‚religion‘ – or […] any of its modern, idealist synonyms: spirituality, faith, belief, or lived experience. All one needs are other social identities that are understood by Ignatius as not-Christian. To rephrase it: There’s nothing religious (as we today use this term) about being Christian, or even a theologian, in prior historical areas.“80

Betrachtet man Begriffe wie Christentum oder Theologie nicht vor der Hintergrundfolie von ‚Religion‘, sondern in ihrem eigenen Kontext, erhalten sie eine andere Bedeutung, die sich von unserem Verständnis unterscheiden kann, zumindest aber andere Problemlagen und Fragestellungen in den Vordergrund rückt. Generell müsse man sich bewusst machen, dass jedwede Kategorie geschaffen und nicht naturgegeben ist. Kategorien würden mit bestimmten Zielsetzungen geschaffen, um sie zur Verwirklichung der Ziele zu benutzen. Das gilt auch für die Werkzeuge (= Kategorien), die Wissenschaftler schaffen. Damit seien auch wissenschaftliche Kategorien, Begriffe etc. nicht neutral, sondern von Interessen geleitet. „Tools […] are used by social actors in specific situations for strategic purposes”81, heben die Autoren hervor. Daher sind die Werkzeuge auch nicht stabil und unendlich einsetzbar, sondern müssen den sich verändernden Umständen angepasst oder auch aufgegeben werden, wenn sie nicht mehr ihren Zweck erfüllen.82 Ferner sollten sich Wissenschaftler im Klaren darüber sein, dass Bedeutung Bedeutungssysteme voraussetzt, die ebenfalls nicht neutral entwickelt, sondern gesellschaftlich bestimmt sind. Nähme man diese Überlegun-

80 Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. 11. 81 Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. 4. 82 Vgl. Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. 3-4.

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gen ernst, ergäben sich für die Religionswissenschaft Konsequenzen: Anstelle Religion als neutrale, wissenschaftliche (und analytische) Kategorie zu verwenden, müsse man sie historisieren, erforschen, wie und warum die Kategorie geschaffen sowie verwendet wurde und weiterhin verwendet wird (inklusive der dabei leitenden Interessen und Ziele) und sie als Analysekategorie aufgeben. Für die Religionswissenschaft bedeutet das einen grundlegenden Perspektivwechsel, indem ihre Aufgabe in der Erforschung von Klassifikationsprozessen und der Schaffung von Bedeutung gesehen wird.83 Damit werden in diesem Band die zentralen Vorstellungen McCutcheons vor allem seit Mitte des letzten Jahrzehnts noch einmal zusammengefasst: Die Forderung nach einer naturalistischen Theorie von Religion ist verschwunden, wohingegen nun die kritische Analyse des Konzeptes Religion und der Klassifizierungsakt von etwas als (Nicht-)Religion oder (nicht-)religiös ins Zentrum religionswissenschaftlicher Arbeit gerückt werden.

2.4.4 Kritische Anmerkungen zu McCutcheon Die Überlegungen McCutcheons, wie sie eben in einem wichtigen Ausschnitt dargestellt wurden, haben immer wieder – teilweise heftige – Kritik provoziert. Diese stammt nicht nur von Vertretern jener Form von Religionswissenschaft, die McCutcheon selbst ablehnt und seinerseits kritisiert, sondern auch von Kollegen aus dem vermeintlich eigenen Lager. Besonders deutlich wird das an der Kritik Donald Wiebes, in den 1990er Jahren McCutcheons Doktorvater an der Universität von Toronto, auf die im Rahmen einer generellen Kritik am ‚soziorhetorischen Ansatz‘ weiter unten noch eingegangen wird.84 An dieser Stelle geht es in erster Linie um Kritikpunkte, die weniger den Ansatz als solchen, sondern die Arbeiten McCutcheons im Speziellen betreffen. Bereits angesprochen wurde die Vermischung von zwei sich widerstreitenden Zielsetzungen (Genealogie und Dekonstruktion von ‚Religion‘ und Eintreten für eine naturalistische Religionstheorie) in den Arbeiten der 1990er Jahre und den ersten zwei bis drei Jahren des neuen Jahrtausends. Hier liegt nicht nur ein inhaltliches Problem vor. Dieser Widerspruch führt nach meinem Dafürhalten

83 Vgl. Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane, S. 4-6, 14-16, 171-173. 84 Siehe Wiebe, Donald: The Politics of Wishful Thinking? Disentangling the Role of the Scholar-Scientist from that of the Public Intellectual in the Modern Academic Study of Religion, Temenos. Nordic Journal of Comparative Religion 41 (2005), S. 7-38.

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auch mit dazu, dass das Werk teilweise als ‚konfus‘ wahrgenommen wird. So schreibt beispielsweise Hans Penner in einer Rezension zu Manufacturing Religion: „Reading Manufacturing is frustrating. You know from the very beginning where McCutcheon stands but his argument is often fudged, blunted, or confused.“85 Vielleicht ist diese Konfusion auch der Grund dafür, dass seine Ideen nicht richtig verstanden werden. Dies ist zumindest McCutcheons zwischenzeitliche Selbstwahrnehmung, wie ein Blick in das Vorwort zu seinem Buch The Discipline of Religion zeigt.86 Ob es sich nun um eindeutige und nachvollziehbare Aussagen oder Ideen handelt oder nicht, McCutcheon wiederholt diese häufig, was seinen Arbeiten von unterschiedlichen Seiten den Vorwurf eingebracht hat, redundant zu sein. Das gilt sowohl für die Argumente innerhalb ein und desselben Buches wie auch über die verschiedenen Bücher hinweg. So hält Roland Grimes in einer Rezension zu Critics not Caretakers fest: „They [die Beiträge in dem besprochenen Band; Anmerkung S.F.] present a strong, though redundant, argument.“87 Und Kocku von Stuckrad schreibt zu The Disciplin of Religion: „[T]he book does not add anything significant to the arguments McCutcheon has put forth earlier.“88 Prominenter diskutiert, vor allem durch die Einlassungen von Benavides, wird der Vorwurf, dass McCutcheon sich in reiner Theoriereflexion verliere und ein wirklicher empirischer Gegenstand – in Form konkreter Religionen – fehle.89

85 Penner, Hans: Review of Manufacturing Religion. It's Deja Vu All Over Again, Teaching Theology and Religion 2 (1999), S. 56-57, S. 56. Vgl. auch Griffiths, Paul: Review of: Manufacturing Religion: The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia, First Things. A Monthly Journal of Religion and Public Life 81 (1998), S. 48. Und vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 26; Strenski: Review of: Critics not Caretakers, S. 428. Und vgl. in etwas weniger scharfer Form: Beyer, Peter: Comptes rendus/Reviews of Books: Manufacturing Religion: The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia Russell T. McCutcheon New York and Oxford: Oxford University Press, 1997, Studies in Religion/Sciences Religieuses 29 (2000), S. 360-361, S. 360. 86 Vgl. McCutcheon: The Discipline of Religion, S. ix-x. 87 Grimes, Roland L.: Review of: Critics not Caretakers: Redescribing the Public Study of Religion, by Russell T. McCutcheon, Studies in Religion/Sciences Religieuses 30 (2001), S. 463-664, S. 463. Vgl. auch Beyer: Comptes rendus/Reviews of books: Manufacturing Religion, S. 361. 88 Stuckrad: Review: The Discipline of Religion, S. 216. 89 Vgl. Benavides: What Raw Materials Are Used in the Manufacture of Religion?, S. 113-114.Vgl. auch ders.: The Ideology of Religious Studies. Religious Studies be-

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Tendenziell ist diese Kritik nachzuvollziehen, wenn man einen engen Empiriebegriff anlegt und man Dekonstruktion und Diskursanalyse nicht als empirische Methoden versteht. Daher ist es mir auch ein Anliegen im zweiten Teil des Buches,90 einen auch im engeren Sinne empirischen Zugang vorzuschlagen. Wissenschaftler und ihre Arbeiten selbst zum primären Gegenstand der Analyse zu erklären halte ich hingegen für legitim, soweit man damit die Analyse anderer Diskursebenen91 nicht ausschließt.92 Ein letzter Kritikpunkt, der an dieser Stelle benannt werden soll, stammt von Ivan Strenski. In einer Rezension zum Buch Critics not Caretakers schreibt er: „[M]ajor claims in this book are so uncontroversial as to make wonder why they are being made here in the twenty-first century. In the end, despite the many things readers will agree. McCutcheon insists on kicking open doors.“93

Später fährt er fort, dass McCutcheon mit seinem Ansatz nicht nur offene Türen bei seinen Kollegen einrennen, sondern sich auch mit den falschen ‚Feinden‘ auseinandersetzen würde. Die Gefährdung einer wissenschaftlichen Religionswissenschaft geht für Strenski nicht von Vertretern einer liberalen Theologie und

tween Science and Ideology, Religious Studies Review 27 (2001), S. 105-108, S. 105, 107 (Fußnote 5). Und vgl. Benavides: North America, S. 244-245. 90 Vgl. Kapitel 7. 91 Nach Siegfried Jäger werden Diskurse auf unterschiedlichen Ebenen geführt oder kommen auf unterschiedlichen Ebenen (Wissenschaft, Politik, Alltag, Medien etc.) vor. So kommt auch der von McCutcheon untersuchte Religionsdiskurs nicht nur auf Ebene der Wissenschaft vor, sondern kann auch auf einer anderen Ebene, beispielsweise der der Medien, analysiert werden. (Vgl. Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 163-164). 92 Um Benavides nicht Unrecht zu tun, muss darauf hingewiesen werden, dass er die Auseinandersetzung mit Fachvertretern nicht ablehnt. Er hält sie allein aber für ungenügend, um Aussagen über Religion treffen zu können. Dazu sei es nötig ins ‚echte‘ Feld zu gehen und dann die Ergebnisse abzugleichen. Aufgrund seiner Ausführungen entsteht allerdings der Eindruck, dass er eine solche Kritik nicht anbringen würde, läge der Fall umgekehrt und McCutcheon hätte sich die Hände wirklich bei der Feldarbeit ‚schmutzig‘ gemacht. So lobt er Fitzgerald dafür, dass er auch Feldforschung in Japan und Indien durchgeführt hat. (Vgl. Benavides: What Raw Materials Are Used in the Manufacture of Religion?, S. 113-114. Und vgl. Benavides: The Ideology of Religious Studies, S. 105, 107 [Fußnote 5]). 93 Strenski: Review of: Critics not Caretakers, S. 428.

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in diesem Sinne eingestellten Religionswissenschaftlern des 19. Jahrhunderts aus, denen sich McCutcheon zuwendet, sondern von gegenwärtigen Entwicklungen. Dabei hat er vor allem Akteure im Blick, die im Zuge postmoderner Ideen eine ‚Retheologisierung‘ der Religionswissenschaft anstreben würden,94 und jene, die Religion als Konzept aufgeben und durch Kultur ersetzen wollen, wobei er neben Masuzawa vor allem Fitzgerald hervorhebt.95

2.5 T IMOTHY F ITZGERALD Drei Jahre nach McCutcheons Manufacturing Religion erschien ebenfalls bei der Oxford University Press Fitzgeralds viel diskutiertes Buch The Ideology of Religious Studies96. Seine Argumentation fällt stringenter aus, als es bei McCutcheon in Manufacturing Religion der Fall ist. Anstelle zwischen einer Kritik an der Vorstellung von Religion als einem Phänomen sui generis und einem Plädoyer für eine naturalistische Erforschung von Religion zu changieren, plädiert Fitz-

94 Auf diesen Aspekt wird später in Rahmen grundsätzlicher Kritik am hier vorgestellten Ansatz eingegangen. 95 Vgl. Strenski: Review of: Critics not Caretakers, S. 429. Auch wenn Strenski diese Kritik im Rahmen einer Rezension zu McCutcheons Buch aus dem Jahr 2001 vorbringt, kann man sie in Gänze auch auf die anderen Arbeiten bis etwa 2003 übertragen, da diese denselben inhaltlichen Fokus aufweisen. Ob Strenski auch für die späteren Arbeiten konstatieren würde, dass McCutcheon offene Türen einrennt, ist spekulativ, scheint aber eher nicht denkbar, da der Ruf nach einer naturalistischen Theorie von Religion in diesen Arbeiten fehlt. 96 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies. Neben einer Reihe von Rezensionen in wichtigen Fachzeitschriften (beispielsweise Long, Jeffery D.: The Ideology of Religious Studies by Timothy Fitzgerald. Review, The Journal of Religion 81 (2001), S. 494-496) wurde auch dieses Buch mit einem Review Symposium gewürdigt, an dem sich Benson Saler (Saler, Benson: The Ideology of Religious Studies. Some Reflections on Fitzgerald's Thesis, Religious Studies Review 27 (2001), S. 103-105), Gustavo Benavides (Benavides: The Ideology of Religious Studies) und Frank Korom (Korom, Frank J.: The Ideology of Religious Studies. (H)ideology: The Hidden Agenda of Religious Studies, Religious Studies Review 27 (2001), S. 108-111) beteiligten. Fitzgeralds Antwort auf die drei Beiträge beschließt das Symposium (Fitzgerald, Timothy: The Ideology of Religious Studies. A Response to Saler, Benavides, and Korom, Religious Studies Review 27 (2001), S. 110-115).

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gerald für ein vollkommendes Fallenlassen des Religionsbegriffs und eine Auflösung der Religionswissenschaft. Grundsätzlich geht es Fitzgerald in seiner Argumentation um drei miteinander verwobene Aspekte, die sich auch in seinen anderen Publikationen, wie beispielsweise dem 2007 erschienenen Buch Discourse of Civility and Babarity. A critical History of Religion and Related Categories, wiederfinden:97 • •



Religion ist als wissenschaftliche Analysekategorie unbrauchbar. Die Schaffung der Kategorie Religion muss im Kontext der Entstehung des westlichen, liberalen kapitalistischen Systems gesehen werden und ist daher ideologisch belastet. Der Disziplin Religionswissenschaft kommt bei der Etablierung und Stützung des modernen Religionsdiskurses eine zentrale Rolle zu und sie muss ebenso wie der Religionsbegriff, abgeschafft werden.

Während der erste Aspekt sicherlich diskutiert werden kann ist er in der Argumentation des Autors der mit der geringsten Sprengkraft. Wiederholt weist Fitzgerald darauf hin, dass die Kategorie Religion viel zu weit und ungenau sei, um einen kulturübergreifenden, spezifischen Aspekt menschlichen Denkens oder Handelns zu isolieren beziehungsweise zu benennen. Daher tauge die Kategorie als Analysewerkzeug wissenschaftlichen Arbeitens nicht, ja sie sei sogar kontraproduktiv, weil sie nicht nur nichts Spezifisches in den Fokus rücke, sondern das Untersuchungsfeld sogar verstellen und das Verständnis ‚fremder‘ Kulturen behindern könne. Fitzgerald schreibt hierzu: „Religion cannot reasonably be taken to be a valid analytical category since it does not pick out any distinctive crosscultural aspect of human life.“98 Fitzgerald verdeutlicht das an einer Reihe von Beispielen (Weihnachtskuchen, Rituale, Hexerei etc.), die gemeinhin Religion

97 Die Gewichtung der Aspekte unterscheidet sich in den beiden Büchern. Die Kritik an der Religionswissenschaft nimmt – wie der Name schon nahe legt – in Ideology of Religious Studies eine bedeutendere Position ein. In Discourse of Civility and Babarity steht hingegen die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kategorie Religion und ihrer Verflechtung mit anderen Kategorien sowie die Bedeutung des Religionsdiskurses für die Entstehung des westlichen, liberal-kapitalistischen Systems sehr viel stärker im Fokus. 98 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 4. Vgl. unter anderem auch ebenda, S. 17; ders.: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, Method and Theory in the Study of Religion 9 (1997), S. 91-110, S. 105.

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zugeordnet werden (können), aber so unterschiedlich sind, dass sich kein kleinster gemeinsamer Nenner erkennen lässt.99 Die hier vorgebrachte Kritik ist nicht sonderlich originell, sondern in dieser oder ähnlicher Form auch von anderen an dem Religionsbegriff geübt worden.100 Für sich allein kann mit ihr eine Aufgabe der Kategorie allerdings nicht hinreichend begründet werden. Vielmehr könnte man sie zum Anlass für Reformulierungen des Konzeptes nehmen mit dem Ziel, eine wissenschaftlich gehaltvollere und damit brauchbare Definition zu erarbeiten.101 Genau dies sei aber aufgrund des zweiten angesprochenen Aspektes laut Fitzgerald nicht möglich. Das eigentliche Problem liegt für ihn nämlich in den ideologischen (theologischen) Implikationen, die mit der Kategorie Religion zusammenhängen. Fitzgerald schreibt: „I suggest that the presentation of a basically theological idea as a science of religion is a confusion bordering on mystification. Sometimes the confusion can be sorted out through the kind of intellectual work that takes concepts and deliberately fixes them with a distinctive analytical meaning so that they can function as useful tools of analysis. But in some cases, and I believe that ‚religion‘ is one of them, where there exists competition for control over the use of a category between parties with fundamentally different agendas, then intellectual clarification may not be sufficient.“102

In diesem Zitat wird zunächst deutlich, dass die Kategorie Religion aufgrund der wirkenden Diskursmächte nicht einer Klärung zugeführt werden kann, wie es bei

99

Vgl. Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 26. Siehe auch ders.: Playing Language Games and Performing Rituals: Religious Studies as Ideological State Apparatus, Method & Theory in the Study of Religion 15 (2003), S. 209-254, S. 229-230.

100 Siehe hierzu unter anderem Martin: Masking Hegemony, S. 17-19. Und siehe: Dubuisson: The Western Construction of Religion, S. 40-52, besonders S. 40-41. 101 Im weiteren Sinne könnte man McCutcheons Eintreten für eine naturalistische Erforschung von Religion hierzu zählen. In dieser Perspektive sind auch die Beiträge der Autoren in dem von Tim Jensen und Mikael Rothstein herausgegebenen Band Secular Theories on Religon (Jensen, Tim/Rothstein, Mikael (Hg.): Secular Theories on Religion. Current Perspectives, Kopenhagen 2000) zu sehen. Ein weiteres Beispiel, bei dem der Versuch, eine brauchbarere Religionsdefinition vorzulegen, im Zentrum steht, ist Detlef Pollacks Aufsatz Was ist Religion? Probleme der Definition (Pollack, Detlef: Was ist Religion? Probleme der Definition, Zeitschrift für Religionswissenschaft 3 (1995), S. 163-190). 102 Fitzgerald: A Response to Saler, Benavides, and Korom, S. 111.

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anderen Begrifflichkeiten theoretisch möglich ist. Vielmehr bestehe ein Interesse an der verwirrenden, ja geradezu mystifizierenden Verwendung der Kategorie. An anderer Stelle schreibt er zu diesem Punkt: „Even attempts […] to redefine the concept of religion and make it work as a nontheological analytical tool fail. Meanings are not merely a question of definition but also of power. I suggest that this category is now far too deeply embedded in a legitimation process within western societies, in the dominant relation of those societies with nonwestern societies or with ethnic minorities living within western societies, to be successfully liberated from the semantic hold of liberal ecumenical theology.“103

In beiden Zitaten wird angesprochen, dass es sich bei Religion um eine theologisch geprägte Kategorie handele. Für Fitzgerald ist sie von zentraler Bedeutung für die Etablierung und Aufrechterhaltung der modernen, liberal-kapitalistischen Ideologie des Westens.104 Sich diese Vorstellung genauer zu vergegenwärtigen ist wichtig, um die volle Tragweite seiner Kritik an der Kategorie Religion nachvollziehen zu können.105

2.5.1 Religionsphänomenologie und Vergleichende Religionswissenschaft: Liberale Theologie hinter dem Schleier objektiver Wissenschaft Grundsätzlich schließt sich Fitzgerald McCutcheons Einschätzung aus Manufacturing Religion an, dass die Religionswissenschaft und die Bedeutung der Kategorie Religion durch eine theologische Agenda dominiert und kontrolliert sei.106 Dies gelte mit Abstrichen auch für mit Religion in enger Verbindung stehende Begrifflichkeiten wie das Sakrale oder Transzendenz. Verschleiert werde die theologische Agenda dadurch, dass sie ‚getarnt‘ in Gestalt der Religionsphänomenologie auftrete. Diese sieht Fitzgerald letztendlich als ein Geschöpf einer im

103 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 19. 104 Vgl. Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 20. 105 Siehe hierzu Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 19-24; ders.: A Response to Saler, Benavides, and Korom, S. 111. Und siehe ders.: A Response to Steven Engler, „'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion“, Studies in Religion/Sciences Religieuses 40 (2011), S. 443-455, S. 443. 106 Vgl. Beispielsweise Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 92, Anmerkung 2.

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Deismus gründenden liberalen und ökumenischen Theologie, die sich dezidiert christlicher Symbole und Begrifflichkeiten zugunsten scheinbar neutraler Terminologien entledigt habe. Als Beispiel für eine solche ‚neutrale‘ Kategorie nennt Fitzgerald unter anderem ‚das Heilige‘. Zentral sei, dass Religion im Kern als ein Glaube an Gott oder an die Transzendenz – oder erweitert an Götter etc. – definiert werde, worin Fitzgerald genuin theologische Vorstellungen am Wirken sieht.107 Der Autor räumt ein, dass nicht alle Religionswissenschaftler von dieser theologischen Agenda getrieben seien. Trotzdem würde durch sie Religion auf Basis des ‚Glaubens an etwas‘ definiert und von anderen Aspekten der Kultur isoliert.108 In der Konsequenz wird Religion also als eigenständiges, nicht reduzierbares und universelles Phänomen verstanden, das im Verhältnis zu anderen Bereichen der Welt steht (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft), durch diese aber nicht erklärt werden kann und wesensmäßig getrennt von diesen anderen Bereich ist. Religion wird im Rahmen dieses sui-generis Verständnisses zudem als ein natürlicher Gegenstand präsentiert, den die Religionswissenschaft, neutral und konfessionell ungebunden, wissenschaftlich erforschen kann. Doch diese Idee sei ein Mythos: „The idea that we can study ‚religion‘ and ‚religions as phenomena having a ‚social dimension‘ or alternatively as a distinctive class of institutions or experiences that are so widely existent that they deserve separate academic departments for theirs´ study and analysis, is a myth.“109

107 Vgl. Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 91-92, 95, 97, 104. 108 Vgl. Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 92. Fitzgerald nennt noch eine dritte Gruppe von Forschern, die sich der Problematik bewusst seien und den Gegenstandsbereich daher im Sinne einer humanwissenschaftlichen Wende reformulieren würden. Das heißt, dass Religion als rituelle Praktiken und symbolische Ordnungssysteme innerhalb von Kultur erforscht werde. Allerdings würde dieser Perspektivwandel häufig nicht mit Überarbeitung der Analysekategorien einhergehen. Genau durch diesen Umstand werde ‚Religion‘ dann zu dieser viel zu breiten Kategorie, mit der alles und nichts erfasst werden kann und die sie als Analysewerkzeug unbrauchbar mache. (Vgl. Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 92-93). 109 Fitzgerald: A Response to Saler, Benavides, and Korom, S. 111.

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Für Fitzgerald ist dies aber nicht irgendein Mythos, sondern die Grundlage für die Ideologe des Kapitalismus. „I am arguing that the category religion is at the heart of modern western capitalist ideology and that it mystifies by playing a crucial role in the construction of the secular, which to us constitutes the self-evidently realm of scientific factuality, rationality and naturalness.“110

2.5.2 ‚Religion‘, ‚Nichtreligion‘ und Kapitalismus Die Kategorie Religion darf nach Auffassung Fitzgeralds nicht allein für sich gesehen werden, sondern muss in ihrer Verbindung zur Säkularität verstanden werden. Dies ist in Ideology of Religious Studies bereits angelegt, wird aber in Discourse of Civility and Babarity sytematisch weitergetrieben. Nicht nur in diesem Sinne ist dieses zweite Buch in gewissem Maße als Vertiefung und Erweiterung der Positionen Fitzgeralds zu sehen. Während der Autor in Ideology of Religoius Studies vor allem an Indien und Japan vorführt, warum die Kategorie Religion und der moderne Religionsdiskurs nicht als kulturübergreifende Analysekategorie taugen, erweitert er diese These nun auf den europäischen und amerikanischen Kontext.111 Seinem Verständnis nach ist ‚Religion‘ zunächst ein westlicher und christlich geprägter Begriff – bis gegen Ende des Mittelalters prinzipiell gleichzusetzen mit ‚christlicher Wahrheit‘ –, der im Laufe der Frühen Neuzeit und Neuzeit hin zu einer generischen und universellen Kategorie transformiert wird. Diese Transformation muss nach Fitzgerald im Zusammenhang mit einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandlungsprozess in Westeuropa seit der Frühen Neuzeit gesehen werden, der zum Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft und des liberal-kapitalistischen Systems führte. ‚Religion‘ komme hierbei eine Schlüsselrolle zu, dürfe aber nicht als Solitär gesehen werden.112 Religion könne

110 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 20. Vgl. hierzu auch: Fitzgerald: Playing Language Games and Performing Rituals, S. 225, 228. 111 Vgl. Fitzgerald, Timothy: Discourse on Civility and Barbarity. A Critical History of Religion and Related Categories, New York, Oxford 2007; Fitzgerald: A Response to Steven Engler, S.444. 112 Diese Perspektive kritisiert Fitzgerald in Discourse on Civility and Babarity bei einer Reihe von Autoren, die sich – seiner Meinung nach mehr oder weniger – um die Erforschung der Geschichte der Kategorie ‚Religion‘ verdient gemacht haben; so auch bei J. Z. Smith und Masuzawa, die von der grundsätzlichen Ausrichtung her eher auf

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nur im Beziehungsgeflecht zu anderen Kategorien verstanden werden.113 Dies treffe – wie bereits gesagt – vor allem auf die Kategorie Säkularität zu. ‚Religion‘ und ‚Säkularität‘ definierten sich gegenseitig und seien als binäres Paar untrennbar miteinander verbunden. Während sie zunächst im Kontext des Christentums nicht als zwei wesensmäßig verschiedene Kategorien aufgefasst worden seien, sondern eher als Abstufungen innerhalb eines allumfassenden Ganzen, habe sich das ab etwa dem 17. Jahrhundert geändert. Während Religion nach und nach als Bereich des innerlichen, privaten Glaubens definiert worden sei, sei Säkularität als das Nichtreligiöse bestimmt worden, dem der öffentliche, politische, wirtschaftliche etc. Bereich zugeordnet wird. Diese Dichotomie ist für Fitzgerald zentral für die Entwicklung der liberal-kapitalistischen Idee des Westens und Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen der neu entstehenden bürgerlichen Klasse und der alten Ordnung, gegen deren Vorgaben und Begrenzungen sie sich richtete, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Diese zielten vor allem auf politische und ökonomische Vorhaben, die durch Kirche und König behindert worden seien. Die Reformulierung des weltlichen und religiösen Bereichs als voneinander wesensmäßig getrennte Bereiche, die die Trennung von Staat und Kirche zur Folge gehabt hätte, sei die Grundvoraussetzung dafür, dass die bürgerliche Gesellschaft überhaupt entstehen konnte.114 Fitzgerald schreibt hierzu: „The distinction is fundamental to the creation of a civil society, of representative elected government, of freedom against arbitrary arrest and imprisonment, of the rights to private property and other freedoms.“115

Ein zentrales Moment in dieser Entwicklung ist die Schaffung des säkularen Raums als scheinbar neutrale, weil natürliche Sphäre, wie Fitzgerald immer wieder hervorhebt. Das Nichtreligiöse werde als Bereich der objektiven Fakten etabliert, womit auch die mit diesem Bereich assoziierten Felder wie Politik, Wirtschaft oder Recht als neutral, objektiv und naturgegeben legitimiert würden. Zu-

einer Linie mit Fitzgerald liegen. (Vgl. Fitzgerald: Discourse on Civility and Barbarity, S. 48-49). 113 Vgl. Fitzgerald: Discourse on Civility and Barbarity, S. 48-49. 114 Vgl. Fitzgerald: Discourse on Civility and Barbarity, S. 15-22, 143-163. Und vgl. ders.: Encompassing Religion. Privatized Religions and the Invention of Modern Politics, in: ders. (Hg.), Religion and the Secular. Historical and Colonial Formations, London 2007, S. 211-240, S. 214-231; ders.: Playing Language Games and Performing Rituals: Religious Studies as Ideological State Apparatus, S. 226. 115 Fitzgerald: A Resopnse to Saler, Benavides, and Korom, S. 111.

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dem werde Wissen als wissenschaftliches und damit vermeintlich ‚objektives‘ Wissen unabhängig von kirchlichen Traditionen und Ideologien ermöglicht. Folgt man Fitzgerald, so sorgt das Religion-Säkularitäts-Binär dafür, auf der einen Seite bestimmte (vormals allgemeinverbindliche) Vorstellungen in einen neuen, privaten Raum, nämlich Religion, zu ‚verbannen‘, während auf der anderen Seite eine Sphäre individueller Freiheiten, Gesetze und Märkte, die scheinbar objektiven und natürlichen Regeln gehorchen, geschaffen wird. 116 In diesem Prozess werde Religion zu einem Gegenstand gemacht, den man mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden neutral und objektiv erforschen könne. Folge man dieser Vorstellung, wie es nicht nur im Rahmen der Religionswissenschaft weit verbreitet sei, übersehe man ihre ideologische und verschleiernde Dimension. „[T]he secular is itself a sphere of transcendental values, but the invention of religion as the locus of the transcendent serves to disguise this and strengthens the illusion that the secular is simply the real world seen aright in its self-evident factuality. […] The creation of the secular […] can be seen in this light as the mystification project of western imperialism, for it disguises the western exploitation of the world and the unequal relations which in fact exist between nations.“117

Vor allem in Form des nordamerikanischen Konstitutionalismus des 18. Jahrhunderts sieht Fitzgerald eine Materialisierung dieser Ideen. Die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion/Kirche werde zudem zum Zeichen von Modernität.118 Im Zuge von Kolonialismus und Imperialismus seien die im Zusammenhang mit dem Religions-Säkularitäts-Binär beschriebenen Vorstellungen in die Welt exportiert worden.119 Fitzgerald notiert hierzu: „As part of the enlightenment project the classification of ‚religions‘ or ‚religious phenomena‘ was also driven by the desire to dominate the world through the imposition of Euro-American knowledge.“120

116 Vgl. Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 13-15; Fitzgerald: A Resopnse to Saler, Benavides, and Korom, S. 111; ders.: Discourse on Civility and Barbarity, S.11-13, 24-26; Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 233-234. 117 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 15. 118 Vgl. Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 8. 119 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 234. 120 Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 7.

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Die Kolonialisierung und damit Unterdrückung der kolonialisierten Gesellschaften sei häufig mit dem scheinbar widersprüchlichen Argument einhergegangen, die Menschen zu befreien. Befreiung sei dabei als Befreiung von undemokratischen lokalen Eliten und Aberglauben verstanden worden. Dies sei durch eine ganze Reihe von Maßnahmen, wie die Einführung neuer Produktionsweisen, eines neuen (westlichen) Bildungssystems, aber auch durch die Einsetzung neuer lokaler Eliten geschehen. Besondere Bedeutung sei aber der Implementierung des westlichen modernen Religionskonzeptes, mit der Trennung von Religion und Säkularität zugekommen, das vorher in den Gesellschaften schlicht nicht existiert habe. „The distinction between religion and the secular was […] introduced into non-western cultures through values and institutions such as freedom of worship and secular courts independent of control of traditional ideologies and elites.“121

Kolonialisierung und Unterdrückung hätten nicht nur auf physischer Gewalt basiert, sondern auch auf der Einführung des westlichen Wissenssystems, das den Rahmen vorgab, nach dem die Gesellschaften organisiert wurden und sich organisieren mussten.122

2.5.3 ‚Cultural Studies‘ anstelle von Religionswissenschaft Der Religionswissenschaft als verschleierter Form einer liberalen, ökumenischen Theologie weist Fitzgerald eine zentrale Rolle bei der Herstellung und Aufrechterhaltung des im Vorangegangenen beschriebenen Mythos zu. Sie trage dazu bei, dass Religion als Phänomen sui generis und von Machtfragen isoliert beziehungsweise frei wahrgenommen werde. Damit stütze sie die Legitimierung einer liberal-kapitalistischen Ideologie.123 Ein zentraler Aspekt in diesem Kontext ist für Fitzgerald, dass der Fokus auf eine scheinbare transzendente Einheit der Menschheit gelenkt und die materiellen Unterschiede zwischen den Menschen und insbesondere zwischen dem Westen sowie den (ehemaligen) Kolonien verdeckt werde.124

121 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 30. 122 Vgl. Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 30-31, 159-180. 123 Vgl. Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 91, S. 100; Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. iv, 13-15, 23, 33-53. 124 Vgl. Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 100-101.

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Wie dargelegt, sieht Fitzgerald keine Möglichkeit die Kategorie Religion in einer solchen Weise zu verändern, dass aus ihr zum einen ein analytisch wertvoller Terminus wird und zum anderen die ideologischen Implikationen aufgehoben werden können. Daher plädiert er dafür, den Begriff vollständig aufzugeben und in diesem Zuge auch die Religionswissenschaft aufzulösen beziehungsweise in eine neue Disziplin zu überführen. Er spricht hier von einer ‚theoretisch informierten Ethnographie‘ oder ‚Cultural Studies‘125. Fitzgerald könnte sich aber auch die Bezeichnung ‚Humanwissenschaft‘ vorstellen. Diese Überführung ist für den Autor kein willkürlicher Akt, sondern vielmehr die logische Folge seiner vorgetragenen Kritik. Wenn man das ‚sui generis-Problem‘ wirklich lösen und das mit ihm zusammenhängende Religionsverständnis aufgeben wolle, sei Religionswissenschaft nicht mehr von der Erforschung von Kultur zu unterschieden. „I propose that religious studies be rethought and represented as cultural studies, understood as the study of institutions and the institutionalized values of specific societies, and the relation between those institutionalized values and the legitimation of power.“126

Fitzgerald vertritt einen weiten Institutionenbegriff. Er versteht darunter alles, was kollektiv und wertgeschätzt wird und eine tiefergehende Bedeutung für eine Gruppe hat. Konkret können dies Klassifikationssysteme, Riten, Texte, Ge-

125 Der Begriff ‚Cultural Studies‘ kann nicht einfach mit ‚Kulturwissenschaften‘ übersetzt oder gleichgesetzt werden. Die ‚Cultural Studies‘ stammen aus Großbritannien und den USA und entwickelten sich unabhängig von den Kulturwissenschaften. Im deutschen Sprachraum stellen sie nach Markus Fauser ein relativ neues Phänomen dar. (Vgl. Fauser, Markus: Einführung in die Kulturwissenschaft, Darmstadt 42011, S. 32). Die ‚Cultural Studies‘ sind von einem „emanzipatorische[n] Bildungsideal mit politischen Wirkabsichten“ (Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 32) geprägt. Zu den Gründern zählt der Brite Richard Hoggert, auf den sich auch Fitzgerald bezieht. (Vgl. Fitzgerald: A Response to Saler, Benavides, and Korom, S. 112). Besondere Bedeutung kommt auch Stuart Hall zu, der Überlegungen aus Strukturalismus und Poststrukturalismus (besonders Foucault) in die ‚Cultural Studies‘ integrierte. Allgemein erlangt im Kontext der Cultural Studies die Analyse des Verhältnisses von Kultur und Macht eine zentrale Rolle, wobei die Kategorie Kontext besonders wichtig wird. „Kultur umfasst die Praktiken und Produkte, die nur kontextuell, im gelebten Umfeld verfügbar sind.“ (Vgl. Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft, S. 32-35. Zitat, S. 33). 126 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 10.

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schichten, Objekte und vieles anderes sein. Diese Institutionen und institutionalisierten Werte müssten in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext gesehen und erforscht werden.127 Dies könne im Rahmen einer ‚theoretisch informierten Ethnographie‘ oder den ‚Cultural Studies‘ besser funktionieren als innerhalb der Religionswissenschaft. Zum einen, weil die vorgeschlagenen Alternativen dem konkreten Kontext der zu untersuchenden Gegenstände besondere Aufmerksamkeit zollen würden. Zum anderen, weil der Grad der Selbstreflexion über die eigenen Begriffe, Konzepte und Theorien sehr viel stärker ausgeprägt sei als in der Religionswissenschaft, der er diese Reflexionsfähigkeit abspricht.128

2.5.4 Kritische Anmerkungen Der Verweis auf den höheren theoretischen Reflexionsgrad innerhalb der von Fitzgerald für die Erforschung von Kultur favorisierten Disziplinen stellt einen Antwortversuch auf einen der zentralen Kritikpunkte an seinem Vorschlag dar, den Religionsbegriff aufzugeben und stattdessen von Kultur zu sprechen. Kultur sei ein nicht weniger problematisches und ideologisch belastetes Konzept als Religion, werfen ihm beispielsweise Frank Korom und Benson Saler vor. Insgesamt seien analytische und wissenschaftliche Kategorien immer umstritten, wenn sie aus der Objektsprache abgeleitet werden. 129 Steven Engler sieht eine problematische Vermengung zwischen zwei zentralen Anliegen Fitzgeralds, die er besonders in einer Auseinandersetzung mit dem Buch Discourses on Civility and Babarity herausarbeitet. Auf der einen Seite gehe es Fitzgerald um ein genealogisches oder historiographisches Projekt, nämlich die Geschichte des Religionskonzeptes herauszuarbeiten. Auf der anderen Seite stehe die Kritik an der gegenwärtigen Verwendung der Kategorie in der Wissenschaft. Beide Anliegen hält Engler für gerechtfertigt und wichtig, doch sei die Verschränkung problematisch. Das gilt für Engler vor allem, weil Fitzgerald das erste Projekt so betreibe, dass es den Anliegen des zweiten diene. Hier steht der Vorwurf im Raum, dass die Genealogie des Begriffs nicht differenziert genug erfolgt, um die zentrale Argumentation für die Kritik der gegenwärtigen

127 Vgl. Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 10, 14, 17, 19, 233. 128 Vgl. Fitzgerald: A Resopnse to Saler, Benavides, and Korom, S. 112. 129 Vgl. Saler: The Ideology of Religious Studies, S 103. Siehe hierzu auch Rudolph: Inwieweit ist der Begriff „Religion“ eurozentrisch?

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Verwendung des Konzeptes nicht zu gefährden.130 In der Tat arbeitet Fitzgerald in erster Linie einen Diskursstrang heraus, in dem ‚Religion‘ zunächst als Glaube und private Angelegenheit und in einem weiteren Schritt als generisches Konzept entwickelt wird. Dabei handelt es sich nicht um die einzigen Religionskonzepte, was Fitzgerald allerdings auch eingesteht. Für Fitzgerald ist der von ihm dargestellte Diskurs aber der dominante und daher für die Entwicklung besonders wichtig.131 Ein Aspekt, der mit dieser Kritik in Verbindung steht, betrifft die Quellenlage. Diese sei für die weitreichenden Thesen in Discourses on Civility and Babarity zu eng.132 Fitzgerald trifft seine Aussagen auf Grundlage der Analyse einiger weniger, dafür seiner Einschätzung nach aber zentraler historischer Dokumente und ergänzt sie durch Informationen aus der Sekundärliteratur anderer Wissenschaftler. Vor allem diesen zweiten Aspekt kritisiert Engler gerade vor dem Hintergrund, dass die historische Analyse die Kritik des gegenwärtigen Gebrauchs der Kategorie unterstützen soll: „If Tim is right that modern voices necessarily reflect the ideological distortions that he purports to find […] then he faces a dilemma: he must either do the work of retrieving a less distorted history (based on work with primary sources), or he must admit that the secondary sources that he analyses are just one more set of texts that reflect modern ideological uses of ‚religion‘.133

Auch methodisch ist nicht immer klar, wie er seine Textauswahl vornimmt. Zudem fehlt eine Kontextualisierung beziehungswiese historiographische Einbettung der Texte.134

130 Vgl. Engler, Steven: Response to Timothy Fitzgerald, Studies in Religion/Sciences Religieuses 40 (2011), S. 456-460, S. 457. 131 Vgl. Fitzgerald: A Response to Steven Engler, S. 445-448. Und vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 234-236. 132 Vgl. Godlove, Terry F.: Discourse on Civility and Barbarity: A Critical History of Religion and Related Categories. By Timothy Fitzgerald, Journal of the American Academy of Religion 78 (2010), S. 304-306, S. 306. Vgl. Engler: Response to Timothy Fitzgerald, S. 457. 133 Engler: Response to Timothy Fitzgerald, S. 458. 134 Vgl. hierzu auch: Lofton, Kathryn: Discourse on Civility and Barbarity: A Critical History of Religion and Related Categories. By Timothy Fitzgerald. Oxford: Oxford University Press, 2007, Church History 78 (2009), S. 461-463, S. 462.

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Ein weiterer Kritikpunkt betrifft ebenfalls das Buch Discourses on Civility and Babarity, aber auch Fitzgeralds Darlegungen in seinem Beitrag im Sammelband Religion and the Secular. Dort stellt er zwei konkurrierende Religionsdiskurse gegenüber: die ‚allumfassende Religion‘, die im Mittelalter vorherrschend gewesen sei, und das neuzeitliche, generische Religionskonzept. Während er, wie gezeigt, den modernen Religionsdiskurs als ideologisch kritisiert, entsteht im Hinblick auf den im Mittelalter dominanten Religionsdiskurs der Eindruck, dass dieser nicht ideologisch geprägt sei. Zudem fehlt für diesen Diskurs die Historisierung, was den Eindruck verstärkt.135 Ein letzter Aspekt betrifft Fitzgeralds Ablehnung von Religion als wissenschaftliches Konzept. Wie oben ausgeführt, bringt er eine Reihe von Argumenten für seine Position an und zieht die Schlussfolgerung, dass man nicht Religion, sondern Kultur erforschen soll und schlägt daher Folgendes vor: „I propose that religious studies be rethought and represented as cultural studies, understood as the study of institutions and the institutionalized values of specific societies, and the relation between those institutionalized values and the legitimation of power.“136

Damit scheint er ‚Religion‘ in Kultur und Religionswissenschaft in den ‚Cultural Studies‘ aufzulösen. Es stellt sich aber die Frage, ob man es mit einer wirklichen Auflösung zu tun hat, die zu etwas grundsätzlich anderem führt, oder ob es sich nicht nur um eine Substitution handelt. Wenn er den Begriff Religion durch Kultur bloß ersetzt, wäre dann nicht auch folgende Ableitung möglich?: ‚Religion is understood as institutionalized values of specific societies, and the relation between those institutionalized values and the legitimation of power‘. Bei aller Vehemenz, mit der Fitzgerald Religion ablehnt und eine Möglichkeit einer sinnvollen und verantwortbaren Verwendung der Kategorie im Rahmen einer reflektierten und theoriegeleiteten Nutzung ausschließt,137 könnte man ihn so interpretieren, dass er implizit eine Religionsdefinition vorlegt. Dieser Eindruck verstärkt sich durch folgenden Aspekt: Fitzgerald scheint eine relativ klare Vorstellung zu haben, was zu Religion gehört und was nicht: nämlich ‚Politik‘, ‚Ritual‘ und ‚Soteriologie‘. Er beteuert zwar, hiermit keine Religionsdefinition im Sinne

135 Vgl. hierzu auch: Engler, Steven: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, Studies in Religion/Sciences Religieuses 40 (2011), S. 419-442, S. 427428. 136 Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 10. 137 Vgl. beispielswiese Fitzgerald: A Resopnse to Saler, Benavides, and Korom, S. 110112; ders.: A Response to Steven Engler, S. 443-445.

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eines Dimensionenmodells vorlegen zu wollen, sondern das Konzept durch sein Aufbrechen in kleinere Einheiten aufzulösen. Der Hinweis Schilbracks auf die Ähnlichkeit mit einer Definition auf Basis von Familienähnlichkeiten ist trotzdem schlüssig.138

2.6 T ALAL ASAD , D ANIEL D UBUISSION UND T OMOKO M ASUZAWA Zwei weitere Autoren und eine Autorin, die für die Erwägungen im zweiten Teil dieser Arbeit nicht die gleiche zentrale Stellung besitzen wie McCutcheon und Fitzgerald, aber wesentlich für die hier im Fokus stehende Form der Debatte um ‚Religion‘ sind, müssen zumindest kursorisch erwähnt werden. Dabei handelt es sich um den Anthropologen Talal Asad, den Religionswissenschaftler und Anthropologen Daniel Dubuission sowie die Religionswissenschaftlerin Tomoko Masuzawa.

2.6.1 Talal Asad Wie in fast jeder Phase der Disziplingeschichte (siehe hierzu Kapitel drei) sind auch für die hier verhandelten Entwicklungen Einflüsse von außerhalb der Religionswissenschaft zentral. Eine wichtige Rolle nehmen dabei die Überlegungen Asads ein, der stark von den Arbeiten Foucaults und Edward Saids beeinflusst ist.139

138 Vgl. Fitzgerald, Timothy: Ritual, Politics, and Soteriology in Ambedekar Buddhismus, Indian Journal of Buddhist Studies 5 (1994), S. 25-44, S. 25-40; ders.: The Ideology of Religious Studies, S. 25, 121-134. Und vgl. Schilbrack, Kevin: The Social Construction of „Religion“ and Its Limits. A Critical Reading of Timothy Fitzgerald, Method and Theory in the Study of Religion 24 (2012), S. 97-117, S. 110-111. 139 Vgl. Ruff, Jeffrey C.: Study of Religion: The Academic Study of Religion in North America, in: Lindsay Jones (Hg.), Encyclopaedia of Religion: South American Indian Religions - Transcendence and Immanence, Detroit, London 22005, S. 8784-8789, S. 8787. Und vgl. McCutcheon: Religionswissenschaft, S. 162-163.

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Besonders die 1993 veröffentlichte Aufsatzsammlung Genealogies of Religion140 und das zehn Jahre später publizierte Buch Formations of the Secular141 haben den Diskurs um die Kategorie Religion beeinflusst. Der Sammelband von 1993 enthält neben der Einleitung acht Aufsätze, die in der Zeit seit 1983 entstanden und unterschiedliche Gegenstandsbereiche (beispielsweise die Rolle von Schmerz und Wahrheit im mittelalterlichen christlichen Ritual, transkulturelle Kritik oder die ‚Rushdie-Affäre‘) behandeln.142 Zusammengehalten werden diese Aufsätze durch das ihnen zugrunde liegende Interesse Asads an der Genealogie (westlicher) anthropologischer Kategorien. Der Autor geht der Frage nach, wie es dazu kommt, dass westliche Kategorien, allen voran Religion, als universelle Konzepte Anwendung finden.143 Zentral für die Kritik an der Kategorie Religion als relativ neue und europäische Erfindung mit den hier bereits mehrfach dargestellten Implikationen ist der erste Aufsatz im Sammelband Genealogies of Religion. Unter der Überschrift The Construction of Religion as an Anthropological Category (S. 27-54) setzt sich Asad kritisch mit der Religionsdefinition Clifford Geertz’ auseinander.144 Für Geertz ist Religion: „(1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, daß (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.“145

140 Asad, Talal: Genealogies of Religion. Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam, Baltimore 1993. 141 Asad, Talal: Formations of the Secular. Christianity, Islam, Modernity, Stanford 2003. 142 Für einen guten und detaillierten inhaltlichen Gesamteindruck des Buches siehe die ausführliche sowie informierte Rezension von Peter van der Veer im Journal Social History: Van der Veer, Peter: The Modernity of Religion. Review: Genealogies of Religion: Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam by Talal Asad, Social History 20 (1995), S. 365-371. 143 Vgl. Asad: Genealogies of Religion, S. 1-2. 144 Zu Clifford Geertz‘ Religionsdefinition siehe: Geertz, Clifford: Religion als kulturelles System, in: ders. (Hg.), Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1987, S. 44-95. 145 Geertz: Religion als kulturelles System, S. 48.

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Zu Beginn des Kapitels stellt Asad fest, dass 1993 in der Anthropologie ein Religionsverständnis vorherrschend gewesen sei, das ‚Religion‘ als von anderen Teilen der Gesellschaft oder Kultur separiertes Phänomen sui generis verstehe. Dieses Konzept sei allerdings nicht universal, sondern neueren Datums und würde den Interessen des modernen Liberalismus und dem westlichen Gesellschaftsentwurf dienen.146 Religion werde von Macht getrennt, ein für Asad zentraler Vorgang bei solchen Religionsdefinitionen, wie auch in den anderen Aufsätzen deutlich wird. Dabei sei es letztendlich Macht, die unterschiedlichen Dispositionen zum Durchbruch verhelfen würde und nicht der Bereich der Symbole, der ein bedeutsames Element in Geertz’ Religionsdefinition darstellt.147 Eine universale Religionsdefinition, wie Geertz sie anstrebt, sei nicht möglich, weil jeder Definitionsversuch selbst Produkt (historischer) diskursiver Prozesse sei. Die Auseinandersetzung mit Geertz` Definition dient dazu, diese These exemplarisch zu belegen.148 Bruce Lincoln fasst die Überlegungen Asads in einer Rezension des Buches sehr treffend zusammen: „Talal Asad describes how models of religion as an autonomous essence originate in a Western post-reformation setting and serve the purposes of secular liberals (who wish to confine religion) as well as those of religious liberals (who wish to defend it against state power).“149

Darüber hinaus weist Asad darauf hin, dass es schwierig sei, das Konzept Religion auf Religionen‘ außerhalb ‚des Westens‘ anzuwenden, ja sogar die Anwendung auf das vorreformatorische Christentum hält er für problematisch; ein Aspekt, der, wie gezeigt, auch im Rahmen des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ ein wichtiges Argument darstellt. Nimmt man McCutcheons Manufacturing Religion als Beispiel für die Rezeption von Genealogies of Religion durch Vertreter des hier vorgestellten Ansatzes, verdichtet sich der Eindruck, dass sie sich auf dieses erste Kapitel, ja so-

146 Vgl. Asad: Genealogies of Religion, S. 27-29. 147 Vgl. beispielsweise Asad: Genealogies of Religion, S. 29, 35. 148 Vgl. Asad: Genealogies of Religion, S. 28-30. 149 Lincoln, Bruce: Review: Genealogies of Religion: Discipline and Reasons of Power in Christianity and Islam by Talal Asad, History of Religions 35 (1995), S. 83-86, S. 83.

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gar nur auf einige wenige Seiten150 aus diesem beschränkt.151 Das wird auch bei Arnal deutlich, der Asads Buch als solches zwar als Beispiel für einen Perspektivwechsel hin zur Dekonstruktion der Kategorie bei der Beschäftigung mit Religion hervorhebt,152 sich im Folgenden aber auf ausgewählte Passagen des ersten Aufsatzes bezieht und Asads Vorstellungen zur Konstruktion der Kategorie Religion und ihren Nutzen für liberale ‚Erfordernisse‘ weiter zuspitzt: „I would go even farther than […, Asad; S.F.]: the very concept of religion as such – as an entity with any distinction whatsoever from other human phenomena – is a function of these same processes and historical moments, that generate an individualistic concept of it […]. The concept of religion is a way of demarcating a certain socio-political reality that is only problematized with the advent of modernity in which the state at least claims to eschew culture per se. Further, one of the current political effects of this separation […] is the evisceration of substance, that is, collective aims, from the state.“153

Diese Erwägungen, die darin münden, dass der Staat als ‚Sicherungsanstalt der individuellen Bedürfnisbefriedigung‘ – also als moderner liberal-kapitalistischer (National-)Staat – konzeptualisiert wird,154 übernimmt McCutcheon in seinen Arbeiten.155 Während ‚Religion‘ im Mittelpunkt des Buches von 1993 steht, legt Asad in jenen zusammengetragenen sieben Aufsätzen aus der 2003 veröffentlichten Sammlung Formations of the Secular den Fokus auf die Kategorie Säkularität. Eigentliches Ziel dieses Buches ist der Entwurf einer Anthropologie des Säkularismus und eine Auseinandersetzung mit der politischen Doktrin des Säkularismus156. Diese Doktrin sei – gerade in der Zeit nach den Anschlägen auf New

150 In erster Linie geht es um die einführenden Erörterungen auf den Seiten 27-30 und den kurzen Teil, in dem Asad die Konstruktion von Religion in der Frühen Neuzeit in Europa (S. 40-42) beschreibt. 151 McCutcheon geht in Manufacturing Religion an sieben Stellen auf Asad ein (S. 5, 109, 133-134, 152, 158, 191, 220). Mit einer Ausnahme geht es jedes Mal um den genannten Aufsatz. 152 Vgl. Arnal: Definition, S. 30-31. 153 Arnal: Definition, S. 31-32. Hervorhebungen im Original. 154 Vgl. Arnal: Definition, S. 32. 155 Vgl. beispielsweise McCutcheon: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 150-152. 156 Asad versteht unter Säkularismus den Prozess der Transzendierung und Vermittlung unterschiedlicher (potentiell konfliktärer) Identitäten, die auf Religion, Geschlecht

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York und Washington vom 11. September 2001 – ein viel diskutiertes Thema. Vor allem steht die Frage im Vordergrund, ob es sich beim Säkularismus um eine Notwendigkeit handele, um weltweit Humanität durchzusetzen und Konflikte zu regulieren oder aber um ein Diktat ‚des Westens‘, mit dem die eigene Weltsicht dem Rest der Welt aufoktroyiert werde. Für Asad hängen diese Diskussionen eng mit der Verhältnisbestimmung von Säkularismus als politischer Doktrin und dem ‚Säkularen‘ als Ontologie und Epistemologie zusammen.157 Im Gegensatz zum Säkularismus sei die Kategorie des ‚Säkularen‘ bisher kaum untersucht worden. Landläufig gelte sie als das Gegenüber des Bezugsobjekts von Religion, das im Sakralen gesehen wird. Während das Sakrale mit Irrationalität in Verbindung gebracht werde, werde das Säkulare als rationaler Raum, in dem Politik, Wirtschaft und Wissenschaft angesiedelt seien, konzeptualisiert; ein Konzept, das eng mit der Theorie des Liberalismus verbunden sei. Für Asad selber ist das Säkulare (wie Religion) keine wesensmäßig festgelegte Kategorie. Vielmehr sei veränderlich, was man mit der Kategorie fasse. Er sieht das Säkulare nicht als dem Religiösen (zeitlich) nachgelagert an – wie es viele Säkularisierungstheorien nahelegen – und auch nicht als Bruch vom Religiösen beziehungsweise Religion. „I take the secular to be a concept that brings together certain behaviours, knowledges, and sensibilities in modern life“, schreibt der Autor.158 Das in diesem Zitat angesprochene moderne Leben oder besser: die Modernität ist für Asad ein Projekt: „[A] project […] that certain people in power seek to achieve. The project aims at institutionalizing a number of […] principles: constitutionalism, freedom of the market – and secularism.“159

Dieses Projekt, das sich im 19. Jahrhundert ausbildet, benötige bestimmte ‚Rahmenbedingungen‘, zu denen die Schaffung des Säkularen im heutigen Verständnis gehöre. Für die von Asad angestrebte Anthropologie des Säkularismus ist

oder Klasse beruhen, im Prinzip der Staatsbürgerschaft. Secularism „is an enactment by which a political medium (representation of citizenship) redefines and transcends particular and differentiating practices of the self that are articulated through class, gender, and religion.“ (Asad: Formations of the Secular, S. 5). Hervorhebungen im Orginal. 157 Vgl. Asad: Formations of the Secular, S. 21-22. 158 Vgl. Asad: Formations of the Secular, S. 23-25. Zitat, S. 25. 159 Asad: Formations of the Secular, S. 13.

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daher die Untersuchung – in Form einer Genealogie in Anlehnung an Foucault – der Kategorien des Religiösen (beziehungsweise Religion) und in diesem Fall besonders des Säkularen grundlegend und notwendig.160 Diese Gedanken greifen Fitzgerald und McCutcheon auf und verarbeiten sie.161

2.6.2 Daniel Dubuission Wie die beiden gerade genannten Werke Asads reiht sich Dubuissions The Western Construction of Religion in die Liste der Bücher ein, die regelmäßig genannt werden, wenn es um die sozio-rhetorische Kritik der Kategorie Religion geht. Dabei blieb das Werk nach seinem Erscheinen 1998 außerhalb des französischsprachigen Raums erst einmal unbeachtet. Das änderte sich mit der Veröffentlichung der englischsprachigen Übersetzung fünf Jahre später. Im Jahr 2005 war das Buch Gegenstand eines Panels in Rahmen einer Tagung der ‚American Academy of Religion‘ (AAR), das Grundlage für ein ausführliches Review Symposium im Fachjournal Religion im Jahr darauf war.162 Dubuission geht in seinen Überlegungen davon aus, dass es sich bei der Religionswissenschaft um eine historische Größe handelt, die ihren Ursprung in Westeuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat. Da der Gegenstand der Religionswissenschaft, die Kategorie Religion, eng mit dem Selbstverständnis ‚des Westens‘ verbunden sei, habe diese historische Einbettung der Religionswissenschaft Konsequenzen, die man sich bewusst machen müsse. Für den

160 Vgl. Asad: Formations of the Secular, S. 12-17, besonders S. 14. 161 Siehe hierzu unter anderem Fitzgerald: Encompassing Religion. Und siehe McCutcheon, Russell T.: „They licked the Platter clean“. On the Co-Dependency of the Religious and the Secular, Method and Theory in the Study of Religion 19 (2007), S. 173-199. Und siehe Arnal/McCutcheon: The Sacred is the Profane. 162 Vgl. Engler, Steven/Miller, Dean: Review Symposium: Daniel Dubuisson, The Western Construction of Religion, Religion 36 (2006), S. 119-178, S. 119, Fußnote 1. Über die Beiträge dieses Symposiums hinaus erschien eine Reihe von Rezensionen in einschlägigen Fachzeitschriften. So sieht beispielsweise Bryan Rennie das Buch in seiner Rezension für The Journal of Religion eher kritisch (vgl. Rennie, Bryan: Book Review: The Western Construction of Religion: Myths, Knowledge, and Ideology, The Journal of Religion 87 (2007), S. 315-316), wohingehen Wiebe trotz einiger Einwände ein überwiegend positives Fazit in der Zeitschrift Implicit Religion zieht. (Vgl. Wiebe: Review: The Western Construction of Religion).

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Autor stellt sich die Frage, ob die Disziplin es geschafft habe, sich so aus ihrem Entstehungskontext zu lösen, dass es möglich war oder ist, sinnvolle wissenschaftliche Theorien und Verfahren zur Erforschung des Gegenstandes zu entwickeln, oder ob die Disziplin weiterhin deswegen nur einem lokalen, typischen wie bloß für das westliche Selbstverständnis zentralen Konzept nachhänge.163 Für Dubuission ist Religion eine europäische Kreation, die zentral für das westliche Denken und das Verständnis ‚des Westens‘ von Welt ist. Er schreibt, „[…] that the notion of religion is a typical Western creation; […] it has, moreover, supplied the nucleus about which the West has constructed its own universe of values and representation; and […] in this capacity, it has influenced the totality of our ways of conceiving and thinking the world […].“164

Für die Religionswissenschaft folgert er daraus: „[T]he history of religions, despite its scientific pretensions, initially appears in the intellectual history of the West as the heir to a Western vision of the world and of humanity that was itself determined by it Christian antecedents.“165

Die zentrale Rolle, die nach Dubuission ‚Religion‘ für Europa einnimmt, arbeitet er in diesem Buch heraus und nimmt damit in dieser Hinsicht eine spezifische Schwerpunktsetzung vor, in der eine Besonderheit dieses Werks liegt. Der Autor bleibt aber nicht bei dieser Darstellung und der Kritik an der Kategorie stehen, sondern schlägt mit dem Konzept der ‚Kosmographischen Formationen‘ (‚cosmographic formations‘) einen Ersatz für die inadäquate, weil nur lokale und auf Europa oder den Westen anwendbare Kategorie Religion vor. Das Konzept der Kosmographischen Formationen sei neutraler und erschöpfender. Grundlage dieser Kategorie ist Dubuissions Auffassung, dass die Schaffung und Aufrechterhaltung von kosmographischen Ordnungen, die mit sozialen Ordnungen verknüpft sind, ein universelles Phänomen darstelle. Wie diese Ordnungen im Einzelnen aussehen, sei dann spezifisch und kontextabhängig und müsse auch so erforscht werden. So stellt ‚Religion‘ die westliche Version einer Kosmographischen Formation dar. Im europäischen Kontext ist es daher weiterhin legitim, von Religion zu sprechen.166

163 Vgl. Dubuisson: The Western Construction of Religion, S. 1-6, vor allem S. 1, 5-6. 164 Dubuisson: The Western Construction of Religion, S. 39. 165 Dubuisson: The Western Construction of Religion, S. 39. 166 Vgl. Dubuisson: The Western Construction of Religion, S. 50-51, 201-213.

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Die Vorteile der von ihm vorgeschlagenen Kategorie liegen seiner Meinung nach darin begründet, dass sie erstens alles das umfasse, was man bisher unter Religion subsumiert habe. Nun würden aber auch jene Aspekte und Phänomene, die aufgrund der christlichen Konnotation von Religion nicht erfasst würden, hier ihren Platz finden. Zweitens würde die Verwendung dazu führen, sich mit der ‚menschlichen Verfasstheit‘ als solcher auseinanderzusetzen und nicht nur in der einen oder anderen Form mit ihrer Repräsentanz.167 Damit würden drittens viele der Debatten in der Religionswissenschaft als lokales, nämlich westliches beziehungsweise europäisches Problem erkennbar und damit mehr oder weniger marginalisiert.168

2.6.3 Tomoko Masuzawa Eine letzte zentrale Akteurin in dem hier behandelten Kontext ist Masuzawa. Sie wurde mit ihrem 1993 erschienenen Buch In Search of Dreamtime169 bekannt. Dort führt sie Jacques Derridas Methode der Dekonstruktion in die Religionswissenschaft ein und wendet sie auf Religionstheorien an, wobei die Frage nach den ‚Ursprüngen‘ eine besondere Rolle spielt.170 Derrida wird in der 2005 erschienenen zweiten Monographie Masuzawas The Invention of World Religions171 nicht behandelt. Die Studie ist diesmal als Diskursanalyse angelegt und findet große Beachtung.172 Das Buch wird häufig in

167 Als grundlegend für die menschliche Verfasstheit sieht Dubuission, wie angedeutet, die grundsätzliche Schaffung und Aufrechterhaltung von kosmischen Ordnungen, die in Bezug zu sozialen Ordnungen gesetzt würden. Wie diese Ordnungen im spezifischen aussehen, sei dann kontextabhängig und divers. 168 Vgl. Dubuisson: The Western Construction of Religion, S. 17, 199-200. 169 Masuzawa, Tomoko: In Search of Dreamtime. The Quest for the Origin of Religion, Chicago 1993. 170 Vgl. Segal, Robert A.: Book Review: The Invention of World Religions; or, How European Universalism Was Preserved in the Language of Pluralism, The Journal of Religion 87 (2007), S. 146-148, S. 146. Siehe auch ders.: Book Review: In Search of Dreamtime: The Quest for the Origin of Religion, Marburg Journal of Religion 75 (1995), S. 301-302. 171 Masuzawa: The Invention of World Religions. 172 Neben einer Vielzahl von Rezensionen in einschlägigen Zeitschriften widmen die Herausgeber der Method und Theory in the Study of Religions Masuzawas Buch eine eigene Sonderausgabe (siehe MTSR 20:2, 2008). Die Beiträge dieser Sonderausgabe

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einem Atemzug mit den anderen in diesem Kapitel behandelten Werken genannt.173 Der Titel legt eine Nähe zu McCutcheons Manufacturing Religion und J. Z. Smiths Imaging Religion nahe. Wichtige Grundannahmen, allen voran die Vorstellung, dass Religion eine geschaffene Kategorie neueren Datums ist, teilt sie mit ihren Kollegen. Anders als McCutcheon setzt sich die Autorin in diesem Buch allerdings nicht in erster Linie mit der Genese und den Implikationen des Begriffs Religion (und der Disziplin Religionswissenschaft) auseinander, sondern mit dem Konzept ‚Weltreligionen‘.174 Ausgangspunkt ist ihre Beobachtung, dass bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Kategorie ‚Weltreligionen‘ als Klassifikation keine Rolle gespielt habe. Vielmehr sei bis zu diesem Zeitpunkt ein Klassifikationssystem dominant gewesen, mit dem die Europäer die Welt in vier Bereiche – Christentum, Judentum, Mohammedanismus (als zeitgenössische Bezeichnung für den Islam) und ‚Rest‘ – eingeteilt hätten. Im 19. Jahrhundert habe diese Klassifikation ihre Dominanz verloren und sei in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch das Klassifikationssystem ‚Weltreligionen‘ ersetzt worden, also einer Auflistung von Religionen, die mit diesem Label versehen wurden. Diese Veränderung werde häufig

gehen auf ein Panel während der American Academy of Religion Tagung 2005 in Philadelphia zurück, in dessen Rahmen Masuzawas Buch diskutiert wurde. (Vgl. Segal, Robert: The Invention of World Religions: The Critics, Method & Theory in the Study of Religion 20 (2008), S. 111-113, S. 111.) Neben einem Beitrag von Robert Segal, der das Panel leitete, enthält die Sonderausgabe Beiträge von Cathrin Bell (Bell, Catherine: Extracting the Paradigm—Ouch!, Method & Theory in the Study of Religion 20 (2008), S. 114-124), Richard King (King, Richard: Taking on the Guild: Tomoko Masuzawa and The Invention of World Religions, Method & Theory in the Study of Religion 20 (2008), S. 125-135), Robert Orsi (Orsi, Robert: The „So-Called History“ of the Study of Religion, Method & Theory in the Study of Religion 20 (2008), S. 134-138) und Masuzawa selbst (Masuzawa, Tomoko: What Do the Critics Want?—A Brief Reflection on the Difference between a Disciplinary History and a Discourse Analysis, Method & Theory in the Study of Religion 20 (2008), S. 139-149). 173 Masuzawa weist selbst darauf hin, dass ihr Anliegen in diesem Buch eigentlich weniger auf die Auseinandersetzung mit der Disziplingeschichte (wie vor allem bei McCutcheon 1997, 2001 und 2003 sowie bei Fitzgerald 2000) gerichtet sei, sondern: „[H]ow the discourse on the plurality of religion […] has had an enormous role in the trouble formation of ‚the West‘ qua universal subject position […].“ (Masuzawa: What Do the Critics Want?, S. 145. Hervorhebung im Original. 174 Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 20.

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positiv als eine Bewegung hin zu einem größeren Inklusivismus und zu religiöser Pluralität gedeutet. Masuzawa interessiert nun, wie es zu dieser Veränderung gekommen ist. Klar ist für sie, dass der Wechsel nicht Ergebnis neuer empirischer Erkenntnisse und damit verbunden einer differenzierteren und genaueren Beschreibung der Welt ist. Man habe es eher mit einer grundlegenden Veränderung europäischer Selbstvergewisserung und der Beziehung der Europäer zum Rest der Welt zu tun. Der ‚neue‘ Pluralismus sei immer noch eine Form des europäischen Universalismus und der Hegemonie.175 Eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung und Durchsetzung des Diskurses zum Thema Weltreligionen hätten die im 19. Jahrhundert neu entstandenen wissenschaftlichen Disziplinen gespielt, allen voran die vergleichende Sprachwissenschaft, die durch ihre Funde zu einer neuen Sicht auf die Ursprünge Europas geführt habe. Besondere Bedeutung komme auch der vergleichenden Theologie zu, in der die verschiedenen Religionen der Welt verglichen worden seien mit dem Ziel, die Einmaligkeit und Überlegenheit des Christentums herauszustellen.176 Grundsätzlich stehe hinter dem Konzept ‚Weltreligionen‘ die Vorstellung, dass Religion ein universelles und zeitloses Phänomen ist, das Gesellschaften so präge, dass über die jeweilig in einer Gesellschaft vorherrschende Religion Aussagen über die Gesellschaft getroffen werden könnten.177 Masuzawa hält diese Vorstellungen für problematisch: „To be sure, these are mostly, precritical, unreflected assumptions on the order of streetcorner opinions, but when it comes to the subject of religion, it appears that the scholarly world is situated hardly above street level.“178

Für die Autorin geht es bei der Auseinandersetzung mit (Welt-)Religionen und der Veränderung des dominanten Diskurses in diesem Bereich – wie gesagt – in

175 Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. xi-xiv. 176 Siehe Masuzawa: The Invention of World Religions, Kapitel zwei, S. 72-104. 177 Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 1, 18. Ein Beispiel aus der Wissenschaft hierfür, das auch Masuzawa nennt, wären Max Webers Arbeiten zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen (siehe Weber, Max: Religion und Gesellschaft. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Frankfurt am Main 2006, S. 291-1193); ein anderes Huntingtons Vorstellungen im Kampf der Kulturen (Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München 52002). 178 Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 1.

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erster Linie immer um das Ringen der Europäer um ihre Identität und das Verhältnis zu den ‚anderen‘, wobei die europäische Hegemonie den ‚anderen‘ gegenüber legitimiert werde.179 „[T]hroughout the nineteenth century, endless speculation on the differences and similarities between religions continually provided opportunities for modern Europeans to work out the problem of their own identity and to develop various conceptions of the relation between the legacy of Christianity on the one hand and modernity and rationality on the other.“180

Die Rolle des Christentums – bisher als prägende Kraft gesehen – für die Zukunft Europas sei umstritten gewesen. Insgesamt sieht die Autorin den modernen Religionsdiskurs in einen Säkularisierungs- und ‚othering‘ Diskurs eingebunden. Religion sei von den sich selbst als aufgeklärt verstehenden Europäern als etwas Separiertes und auch im Verschwinden Begriffenes gesehen worden. Die ‚anderen‘, das heißt die Nichteuropäer, aber auch nichtgebildete Europäer oder Bewohner des Kontinents in früheren Zeiten, würden weiterhin als unter dem Einfluss von Religion stehend gesehen und beschrieben.181

179 Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 17-20. 180 Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 18. 181 Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 19-20. Siehe hierzu David Chidester(Chidester: Savage Systems). Dort beschreibt der Autor, wie das Zuschreiben und Absprechen von Religion eng mit der Politik des Kolonialismus in Verbindung steht. Solange es Konflikte zwischen der indigenen Bevölkerung und den Eroberern gab, sei der indigenen Bevölkerung in der Regel Religion abgesprochen worden, was einhergegangen sei mit einer Enthumanisierung der Gruppen, wodurch der Kampf gegen sie zusätzlich legitimiert worden sei. (Vgl. Chidester: Savage Systems, S. 11-26. Vgl. auch: Atwood, David: Religion in der neuen Zeit: Konflikte im Epochenwandel, in: Peter Antes/Arvid Deppe/Dagmar Fügmann/Steffen Führding/Anna Neumaier (Hg.), Konflikt - Integration - Religion: Religionswissenschaftliche Perspektiven, Göttingen 2013, S. 75-90, S. 78-79). David Atwood weist auf einen Aspekt hin, der bei Chidester keine genauere Betrachtung erfährt, nämlich die Veränderungen in Europa beziehungsweise dem Zentrum. So könne man beobachten, dass bis in das 19. Jahrhundert Religion als Identitätsmarker für Europa eine wichtige Rolle spielt, nicht aber mehr in den 1930er Jahren. Jetzt seien Kategorien wie Vernunft und Rationalität für die europäische Selbstbeschreibung zentral geworden, die Europa zu- und Afrika abgesprochen wurden. (Vgl. Atwood: Religion in der neuen Zeit, S. 79-80).

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Der ‚Weltreligionendiskurs‘ ist für Masuzawa deshalb so bedeutsam, weil er nach seiner ‚Herstellung‘ in den europäischen Universitäten ein Werkzeug zur Abgrenzung und homogenisierenden Zusammenfassung großer Teile sozialer, kultureller und politischer Praktiken von Menschen in anderen Teilen der Welt geworden sei. Die besondere Wirkmächtigkeit dieses Werkzeuges hänge damit zusammen, dass jede Wertvorstellung als an eine religiöse Basis gebunden verstanden worden sei. Damit verbindet sich ein zentraler Aspekt, der bereits bei McCutcheon und Fitzgerald angesprochen wurde: „[I]t spiritualizes what are material practices and turns them into expressions of something timeless and suprahistorical, which is to say, it depoliticizes them.“182

2.7 K RITISCHE ANMERKUNGEN ZUM ‚ SOZIO - RHETORISCHEN ANSATZ ‘ Neben der Kritik im Detail an der Arbeit der einzelnen Autoren, wie sie schon für Fitzgerald und McCutcheon jeweils kurz dargestellt wurde, kann man für die hier unter der Überschrift ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ verhandelten Überlegungen auch übergreifende Kritikpunkte aufführen. Eine solche übergreifende, systematische und redliche Auseinandersetzung hat bisher nur Kevin Schilbrack vorgelegt.183 Mit Abstrichen kann man dies auch für Engler behaupten, der sich allerdings nicht übergreifend mit den hier versammelten Autoren auseinandergesetzt hat. Vielmehr hat sich Engler in einer Reihe von (Rezensions-)Aufsätzen mit den Positionen von Fitzgerald und McCutcheon befasst.184 Vergleicht man die unterschiedlichen Kritikpunkte miteinander, die den Positionen der Vertreter des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ entgegengebracht werden, kann man diese mit den Stichworten ‚Theologie-/Ideologie-Vorwurf‘, ‚Postmodernismus-Vorwurf‘ und ‚Vorwurf des Verrats am eigenen Fach‘ benennen.

182 Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 20. Zitat, S. 20. 183 Siehe hierzu Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, vor allem S. 83-111; ders.: The Social Construction of „Religion“ and Its Limits; ders.: Religions: Are There Any?. 184 Siehe hierzu: Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion; ders.: Two Problems with Constructionism in the Study of Religion, Revista de Estudos da Religião 5 (2005), S. 28-34; ders.: Response to Timothy Fitzgerald.

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2.7.1 Generelle Einwände Einige der eben aufgezählten ‚Vorwürfe‘ werden von Schilbrack in seinen systematischen Reflexionen aufgegriffen. Schilbrack selbst sieht sich als Vertreter eines ‚kritischen Realismus‘,185 der zum einen die Geschaffenheit und historische Herkunft des Religionskonzeptes akzeptiert, zum anderen ‚Religion‘ gleichzeitig als soziale Realität verstanden wissen will.186 Der Wert von Schilbracks Erörterungen besteht darin, dass der Autor die Positionen der Kritiker des Religionskonzeptes, die auch in dieser Arbeit im Fokus stehen, ernst nimmt. Erst nach dem Versuch, die Überlegungen nachzuvollziehen, stellt er seine Gedanken vor und übt Kritik an den anderen Ansätzen. Daher bieten sich Schilbracks Ausführungen dazu an, noch einmal die bisher dargestellten Positionen zusammenzufassen und gleichzeitig mögliche Gegenpositionen aufzuzeigen. Schilbrack sieht die Kritik an der Kategorie Religion auf drei Ebenen angesiedelt, die grundsätzlich mit einer sozialkonstruktivistischen Perspektive verbunden sind: 1. 2.

‚Religion‘ ist eine soziale Konstruktion; ‚Religion‘ ent- und verstellt die Phänomene, auf die die Kategorie angewendet wird, und

185 Schilbrack grenzt die Perspektive des ‚kritischen Realismus‘ von der eines ‚naiven Realismus‘ ab. Im Rahmen des ‚naiven Realismus‘ werde Religion als Phänomen sui generis verstanden. Diese Position ist für den Autor nicht zu legitimieren, daher lehnt er sie ab. (Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 85). Zum ‚kritischen Realismus‘ siehe Bräuer, Holm: Realismus, in: Wulff D. Rehfus (Hg.), Handwörterbuch Philosophie: Onlineausgabe, Göttingen 2003, 15.06.2014.

186 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 85-86. Auch wenn sich Schilbrack als kritischen Realisten und nicht als Vertreter des kritischen Rationalismus sieht, schimmert hier eine Anknüpfung an Karl Poppers ‚DreiWelten-Theorie‘ durch, nach der es neben der physikalischen Welt (Welt 1) und der Welt des Bewusstsein des Menschen (Welt 2) auch ein Reich der Gedanken (Welt 3) gibt. Diese dritte Welt, der Ort Ideen, sei ebenso real wie die beiden anderen Welten. (Vgl. zum Beispiel Popper, Karl Raimund: Objektive Erkenntnis, Hamburg 1984, vor allem S. 109-112). Zum ‚kritischen Rationalismus‘ und der Kritik an ihm siehe zum Einstieg: Schülein, Johann August/Reitze, Simon: Wissenschaftstheorie für Einsteiger, Wien 2002, S. 143-168.

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‚Religion‘ ist eine soziale Konstruktion, die ideologisch motiviert geschaffen wird.187

Der Autor sieht im Grunde zwei Möglichkeiten mit den Kritikpunkten umzugehen, die im Folgenden dargestellt werden. Entweder könne man die Kategorie verwerfen und/oder durch ein anderes Konzept ersetzen. Das habe Konsequenzen für die Religionswissenschaft, die bei dieser Option in der Regel auch aufgelöst oder zumindest grundsätzlich überdacht und umgestaltet werden müsste. Oder man könne anerkennen, dass die Kategorie problematisch ist, sie aber gleichwohl beibehalten. Voraussetzung dafür sei, dass man sie reflektiert verwende und den Versuch unternehme eine gehaltvollere Definition zu erarbeiten.188

2.7.1.1 „‚Religion‘ ist eine soziale Konstruktion“ Die vorgebrachte Kritik an der Kategorie Religion auf der ersten Ebene bezieht sich vor allem darauf, dass es sich bei ihr nicht um eine universale Kategorie handele, sondern im Kern um eine ‚lokale‘ und relativ neue Erscheinung, die in (West-)Europa von Christen durch die Abstraktion eigener Praktiken und Vorstellungen hergestellt wurde. Die Vorstellung von Religion als Glaubenssystem stamme aus dem 17. Jahrhundert; die Vorstellung von Religion als generischem Konzept, dass alle Kulturen teilten, sei im 19. Jahrhundert entstanden. Dabei werde übersehen, dass das so gefüllte Konzept zeitlich vor dem 17. Jahrhundert und geographisch außerhalb von Europa (und Nordamerika nach der Kolonisierung durch die Europäer) nicht existiert habe. Vielmehr seien die Aspekte, die angesichts des heutigen Religionskonzeptes als getrennte Bereiche von Kultur verstanden werden, vorher nicht unterscheidbar gewesen.189 Soweit die Kritik der Vertreter des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ an der Kategorie Religion. Schilbrack hält dem entgegen, dass die Kategorie zwar konstruiert sei, aber trotzdem existiere. Denn die Geschaffenheit des Gegenstandes sage zunächst nichts über ihre Wirklichkeit beziehungsweise ihren ontologischen Status aus. ‚Religion‘ sei kein natürlicher Gegenstand der Welt, wie beispielsweise ein

187 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 86-88. 188 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 88. Dies entspricht auch der Position Englers. (Siehe Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion; ders.: Response to Timothy Fitzgerald). 189 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 86.

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Stein, und existiere daher auch nicht unabhängig vom menschlichen Denken und Sprechen. Doch das habe die Kategorie mit anderen gesellschaftlichen Konstrukten – man könnte in Anlehnung an Karl Popper auch von Objekten der ‚dritten Welt‘ sprechen –, die an gesellschaftliche Konventionen gebunden sind (beispielsweise Staaten oder Grenzen), gemeinsam. Schilbrack spricht daher von einer konstruierten und fragilen Ontologie, betont aber, dass dies nicht gleichbedeutend damit sei zu behaupten, dass es Religion nicht gibt. Nur weil es sich um einen abhängigen Faktor handele, folge daraus eben nicht, dass solche Gegenstände nicht existieren würden. In Anlehnung an Erwägungen von John Searle hält der Autor fest, dass Religion (wie andere gesellschaftlich abhängige Objekte) zwar ontologisch subjektiv, aber epistemisch objektiv sei. Damit ist gemeint, dass die Konstrukte zwar von Menschen abhängig seien, die sich auf sie verständigen, diese aber gleichzeitig faktisch unabhängig davon existieren, was Einzelne darüber denken.190 Diese Überlegungen setzen bisher allerdings voraus, dass das Konzept oder die Kategorie den Beteiligten bekannt ist. Genau das wird aber von Kritikern der Kategorie Religion als Problem angeführt, wenn der Begriff auf Kontexte außerhalb Europas oder zeitlich gesehen vor dem 17. Jahrhundert verwendet wird. Schilbrack übernimmt diese Kritik zunächst, wenn er schreibt: „To identify a practice, or properly to describe it, one must restrict oneself to concepts and beliefs that inform that practice. An action performed by a person is informed by the understanding of that person, and this understanding of the action is what it makes it the action that it is.“191

Allerdings könne man auch ein fremdes Konzept unter der Voraussetzung verwenden, dass es sich um eine ‚Neubeschreibung‘192 der lokalen Praktiken hande-

190 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 90-91. Vgl. hierzu auch Martin, Craig: A Review of Timothy Fitzgerald's Discourse on Civility and Barbarity, Journal for Cultural and Religious Theory (JCRT) 9 (2008), S. 22-27, S. 25-26. 191 Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 93. 192 Schilbrack verwendet den Begriff ‚Redescription‘, der vor allem im Werk J. Z. Smiths eine zentrale Rolle einnimmt und einen von mehreren Schritten im wissenschaftlichen Arbeitsprozess darstellt. Der (religions-)wissenschaftliche Analyseprozess muss demnach drei Ebenen im Blick haben. Die erste Ebene ist die Ebene der (religiösen) Handlungen und Glaubensvorstellungen. Die zweite Ebene stellt eine unkritische Reproduktion der ersten Ebene durch die wissenschaftliche Beschreibung dar. Auf der dritten Ebene erfolgt eine kritische Neubeschreibung des Phänomens,

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le. Um dem Problem einer ‚konzeptionellen Gewalt‘ vorzubeugen, also dem unberechtigten Überstülpen etischer Kategorien auf die untersuchten Phänomene in einer Art und Weise, die diesen nicht gerecht werden, schlägt Schilbrack vor, die beschreibende von der interpretierenden Ebene konsequent zu unterscheiden. Damit ist gemeint, dass bei der Identifizierung und Beschreibung eines Phänomens die emischen Konzepte herangezogen werden müssten. In einem zweiten Schritt könne es aber angemessen sein, das Beschriebene durch eine Neubeschreibung mit anderen Konzepten zu erklären. Konkret müsse eine Aussage dann im Prinzip wie folgt aussehen: „Eine Gruppe praktiziert (etwas, das sie als X beschreibt, ich aber interpretiere als) Religion.“193 Die Aussage in Klammern müsse nicht immer benannt, wohl aber mitgedacht werden. Zudem müsse die Neubeschreibung begründet werden194 und kritisierbar sein, da sie nicht per se passend sein muss. Dies sei vor allem deshalb so, weil die Bedeutung von Religion nicht selbstevident ist.195 Einen Wert haben Neubeschreibungen – und sind zugleich gerechtfertigt – für den Autor, wenn die Aspekte, welche die jeweilige Definition vorgibt, auch unabhängig von der Begrifflichkeit strukturelle Zusammenhänge aufweisen. Wichtig ist es ihm zu betonen, dass damit nicht gesagt sei, dass die beforschte Gruppe religiös sei, ohne es zu wissen und/oder ohne eine Begriff dafür zu haben, sondern nur, dass es sinnvoll sein kann, einen Teil der vorgefundenen Handlungen und Vorstellungen als Religion oder religiös neu zu beschreiben.196

die aus der Theorie abgeleitete Konzepte und Begriffe nutzt, um das Phänomen theoriegeleitet erklären zu können. Dabei kommt dem Vergleich eine zentrale Bedeutung zu. [McCutcheon übernimmt dieses Vorgehen zumindest in seiner Frühphase explizit. (Siehe hierzu Fuehrding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 34-39.] Man könnte auch von Konstruktionen zweiten Gerades sprechen, wie es beispielsweise Monika Wohlrab-Sahr und Aglaja Przyborski in Bezugnahme auf Alfred Schütz tun. (Vgl. Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika: Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch, München 22009, S. 25-52, besonders S. 26-27). 193 Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 94. Übersetzung S.F. 194 Für Schilbrack ist für die Legitimität einer Neubeschreibung wichtig, dass sie einen (erkenntnistheoretischen) Wert haben muss. (Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 95-96). 195 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 93-96. 196 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 96.

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2.7.1.2 „Der Begriff ‚Religion‘ ent- und verstellt die Phänomene, auf die er angewendet wird“ Diese Kritik setzt die erste Ebene der Kritik voraus und spezifiziert sie. Der Vorwurf, dass die Kategorie den Blick auf die Wirklichkeit verstelle und den so klassifizierten Phänomen Gewalt antue, taucht bei allen vorgestellten Autoren auf, ist aber bei Fitzgerald besonders ausgeprägt.197 Schilbrack fasst die Kritik so zusammen, dass es sich bei ‚Religion‘ um eine fehlerhafte soziale Konstruktion handele. Das Problem werde darin gesehen, dass die Kategorie nicht neutral sei, sondern aufgrund ihres christlichen, westlichen und modernen Ursprungs unvermeidliche Konnotationen mit sich trage. Schilbrack identifiziert drei Aspekte der Kritik, die diesen Hintergrund teilen.198 •





Der generische Begriff werde auf heterogene Phänomene angewendet, verdecke diese Heterogenität und führe zu einer essentialistisch aufgefassten, ahistorischen, monolithischen Homogenität. (Problem der Verdinglichung) Die Einteilung der Welt in unterschiedliche (relativ) getrennte Bereiche des Religiösen und Nichtreligiösen (Politik, Wirtschaft etc.) setze ein modernes Religionsverständnis voraus, das die Mehrheit der Menschen in der Geschichte nicht geteilt hätte. (Problem der Autonomie) Häufig werde besonders die Innerlichkeit betont, worin eine klare christliche Konnotation der Kategorie gesehen werde, die nicht universalisierbar sei. (Problem der Privatisierung)

Für Schilbrack gibt es zwei mögliche Lösungsstrategien, um mit den genannten Problemen umzugehen. Entweder müsse man neue Begriffe entwickeln oder vorhandene Begriffe neu definieren und überarbeiten. Die erste Möglichkeit könne man in zwei Formen realisieren. Entweder, indem man Kategorien einführe, die einen größeren Bereich abdecken – als Beispiel hierfür nennt er Dubuissions Kosmographische Formation, man könnte aber auch an Ninian Smarts ‚Weltanschauungen‘ denken –, die damit wirklich universell anwendbar seien. Dies sieht er auch bei Dubuissions Ansatz verwirklicht, kritisiert aber zu Recht, dass die von Dubuission verwendete Begrifflichkeit zutiefst eurozentrisch ist.199 Damit stellt sich die Frage, ob man mit diesem

197 Vgl. beispielsweise Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 17. 198 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 86-87. 199 Dubuission bezieht sich bei der Wahl der Begrifflichkeit auf Begriffe griechischen Ursprungs, die in der Vergangenheit oft genutzt worden seien, um die Vorrangstel-

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Vorgehen vor allem den Problemen, die Schilbrack auf der dritten Ebene ansiedelt – die der bewusst ideologischen Verwendung der Begrifflichkeit –, wirklich entgeht. Die zweite Möglichkeit sieht er darin, den Religionsbegriff zugunsten engmaschigerer Konzepte aufzugeben, wie es Fitzgerald mit den Kategorien ‚Soteriologie‘, ‚Ritual‘ und ‚Politik‘ – zumindest in seinem Buch von 2000 – tut. Damit könne man nicht nur den Blick schärfen, sondern auch die drei genannten Probleme dieser Ebene umgehen. Im Unterschied zu polytetischen Definitionen200 werde bei diesem Vorgehen der Religionsbegriff in der Regel komplett aufgegeben. Genau das kritisiert Schilbrack aber, da es vorkommen könne, dass ein Phänomen alle definierten Bereiche umfasse und man dann wieder auf ein umfassenderes Konzept angewiesen sei. Fitzgeralds Rückgriff auf Kultur hält er dabei für nicht zielführend.201 Greife man auf die zweite Möglichkeit zurück, die hier dargestellten Probleme zu lösen, also vorhandene Begrifflichkeiten weiter zu verwenden, müsse man die drei Probleme (Problem der Verdinglichung, der Autonomie und der Privatisierung) bedenken und versuchen, sie durch Reflexivität zu lösen.202

2.7.1.3 „‚Religion‘ ist eine soziale Konstruktion, die ideologisch motiviert geschaffen wird“ Die dritte Ebene der Kritik, die Autoren wie Dubuission oder Fitzgerald vorbringen, lautet, dass die Konstruktion von ‚Religion‘ interessegeleitet sei und spezifischen politischen, ökonomischen etc. Interessen diene. Ein Beispiel hierfür ist John Lockes Konzeptualisierung von Religion als private, vom politischen Bereich getrennte Angelegenheit, die dem Ziel dient, Konflikte zu entschärfen, aber auch wirtschaftliche Interessen des aufstrebenden Bürgertums seiner Zeit zu befriedigen.203

lung Europas zu legitimieren, wie Schilbrack ausführt. Zudem stehe Immanuel Kant an zentraler Stelle Pate für Dubuissions Überlegungen, womit diese eng mit der Aufklärung als dem europäischen Projekt der Moderne in Verbindung stehen würden; damit sei das Konzept der kosmischen Formation ähnlich problematisch gebunden wie der Religionsbegriff. (Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 99). 200 Siehe hierzu McCutcheon: Religionswissenschaft, S. 93-100, 143. 201 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 98-100. 202 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 100-101. 203 Siehe hierzu die Kapitel 6.1 und 6.2 dieser Arbeit.

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Bei der Kategorie Religion handele es sich also um eine ideologische Konstruktion, die unterschiedlich genutzt werde, je nachdem, wie es die eigene Zielsetzung verlangt. So finde man Strategien, anderen Gruppen Religion abzusprechen und diese beispielsweise als abergläubisch zu diffamieren. Religion zu haben wird dabei als wesentliches Kennzeichen für Menschsein verstanden. So geht mit dem Absprechen von Religion auch eine Aberkennung des Menschseins der Mitglieder der anderen Gruppe einher, zumindest aber eine Abwertung der anderen. Dabei spielt die Vorstellung, dass sich diese nicht auf demselben Entwicklungsstand befinden, eine wichtige Rolle. Mit dieser Vorstellung würden dann die Herrschaft über diese anderen, nicht vollwertigen Menschen und der Kolonialismus legitimiert.204 Auch die gegenteilige Strategie, nämlich andere als (zu) religiös und damit unterentwickelt, weil nicht den modernen Vorstellungen entsprechend zu klassifizieren, diene dem gleichen Zweck. Immer sei Religion Teil des imperialistischen Projekts der ‚westlichen‘ Welt und damit nicht nur keine neutrale Kategorie, sondern ein politisches Werkzeug, das materiellen Interessen diene. Dieses konzeptionelle Werkzeug entstehe in einem spezifischen geographischen und historischen Kontext und diene der ideologischen Rechtfertigung der europäischen Expansion.205 Schilbrack wirft Fitzgerald, Dubuission und anderen vor, dass sie einem ‚genetischen Fehlschluss‘ unterliegen, ein Argument, das auch Engler in gleicher Weise vorbringt.206 Gemeint ist der Einwand, dass die spätere Verwendung eines Begriffs nicht von der ursprünglichen Begriffsbedeutung und -verwendung determiniert wird oder zumindest nicht sein muss. Diskurse können sich ändern und könnten auch umgedreht werden, so dass der zunächst unterdrückende Charakter sich wandele und von den Unterdrückten zu eigenen Zwecken genutzt werden könne.207 Zudem – und hier geht Schilbrack wieder in eine Gesamtansicht der Thematik über – könne die vorgebrachte Kritik am Religionskonzept im Detail wie im Gesamten auch von theologischer Seite vorgebracht werden. Schilbrack nennt als Beispiele unter anderem Karl Barth, in dessen Theologie der Religionskritik

204 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 87-88. 205 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 87-88. 206 Vgl. Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, S. 425: ders.: Response to Timothy Fitzgerald, S. 457-458. 207 Vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 101-103.

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eine zentrale Rolle zukommt,208 und Paul Griffiths, auf den an späterer Stelle noch einmal eingegangen wird. Zwar gäbe es die von den in diesem Kapitel dargestellten Autoren in den Fokus gerückte Fabrikation von Religion als Phänomen sui generis und die ideologische Vorstellung eines ‚homo religiosus‘ mit all den angesprochenen Implikationen, doch sei die Gleichung, dass Theologen oder andere Wissenschaftler mit einer ähnlichen Zielsetzung die Kategorie Religion automatisch befürworten, falsch. Ganz im Gegenteil kommt Schilbrack zu dem Schluss, dass die von Fitzgerald und anderen vorgebrachte Kritik an ‚Religion‘ Teil einer postmodernen Spielart von Theologie sei: „In my judgement, the critique of ‚religion‘ can at least be perfectly put to theological or ecumenical use. At the most, the critique of ‚religion‘ is simply part of theology in its postmodern incarnation.“209

Er äußert hier eine Kritik, die man unter dem Stichwort ‚Theologie-/IdeologieVorwurf‘ zusammenfassen kann.

2.7.2 ‚Theologie-/Ideologie-Vorwurf‘ Der ‚Theologie-‚ oder ‚Ideologie-Vorwurf‘ zählt zu den immer wieder vorgebrachten Kritikpunkten an den Arbeiten der oben vorgestellten Autoren.210 Der Grund hierfür scheint in erster Linie an der Infragestellung des ‚säkularen Raums‘ als Ort des ‚Faktischen‘, ‚Objektiven‘ und ‚Neutralen‘ zu liegen, aus dem heraus sich Wissenschaft auf eben diesen Grundlagen (objektiv und neutral) mit ihren Gegenständen auseinandersetzt. Ist das ‚Säkulare‘ ein ideologisches und mit Wertvorstellungen aufgeladenes Produkt, kann eine Sonderstellung wissenschaftlichen Wissens gegenüber anderen Wissensformen, die nicht dem säkularen Bereich entspringen, nicht mehr beansprucht werden.211 Zumindest inter-

208 Vgl. Thaidigsmann, Edgar: Barth, Karl, in: Bernd Lutz (Hg.), Metzler-PhilosophenLexikon: Von den Vorsokratikern bis zu den neuen Philosophen, Stuttgart 21995, S. 76-79, S, 77-78. 209 Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 105. 210 Vgl. Griffiths: Review of: Manufacturing Religion, S. 48. Und vgl. Schilbrack: The Social Construction of „Religion“ and Its Limits, S. 113-115; ders.: Philosophy and the Study of Religions, S. 105. Und vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 9. 211 Vgl. Schilbrack: The Social Construction of „Religion“ and Its Limits, S. 113-115.

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pretieren Autoren wie Schilbrack Aussagen wie die folgende von Fitzgerald in diese Richtung: „All paradigms rest on metaphysical assumptions […] which always need to be made explicit […]. In this sense we are not different from theologians.“212 Ob man Fitzgerald zwangsläufig in diese Richtung interpretieren muss, ist allerdings fraglich. Als alternatives Interpretationsangebot wären diese Zeilen so zu verstehen, dass zum einen keine Wissenschaft frei von Axiomen ist und dass es zum anderen keine außerhalb der Diskurse liegende feste und objektive Perspektive (eine Art ‚Gottesblick‘213) gibt und man daher die eigenen (theoretischen und axiomatischen) Positionen, auf deren man Aussagen über die Wirklichkeit trifft, offenlegen und mit bedenken muss. Diese Interpretation würde nicht dazu führen, dass man Aussagen nicht mehr unterscheiden könnte und jede gleich legitim wäre. Auf diesen Aspekt wird später noch einmal eingegangen. Interessant ist, dass Schilbrack, zumindest in einem Aufsatz aus dem Jahr 2012, McCutcheon vom Theologievorwurf freispricht, da er weiterhin einen von ‚Religion‘ getrennten Raum zur wissenschaftlichen Erforschung von ‚Religion‘ voraussetzt. Schilbrack schreibt: „[T]hey [McCutcheon und Wiebe; Anmerkung S.F.] argue that if the study of religion is going to be appropriate for the secular academy, then precisely what it must do is to carve out a domain distinct from religion where they can do their own thinking, to separate the teaching about religion from the teaching of religion. Their goal is to exclude theology as a way of thinking from the academy, so that the academy will be wholly naturalistic.“214

Paul Griffiths liest McCutcheons Manufacturing Religion hingegen als „Prolegomena zur Theologie“215. „Everything is, in the end and in the beginning, theology“216, so Griffiths. Dieser konfrontiert McCutcheon also anders als Schilbrack im genannten Artikel mit dem Theologievorwurf. Allerdings begründet er

212 Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 97. 213 Siehe hierzu: Joy, Morny: Beyond a God's-Eye View: Alternative Perspectives in the Study of Religion, in: Armin W. Geertz/Russell T. McCutcheon (Hg.), Perspectives on Method and Theory in the Study of Religion: Adjunct Proceedings of the XVII Congress of the International Association for the History of Religions, Mexico City 1995, Leiden 2000, S. 110-140. 214 Schilbrack: The Social Construction of „Religion“ and Its Limits, S. 114. 215 Griffiths: Review of: Manufacturing Religion, S. 48. 216 Griffiths: Review of: Manufacturing Religion, S. 48.

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diesen nicht im Hinblick auf die Dekonstruktion des ‚Säkularen‘217 und den daraus resultierenden Folgen. Griffiths argumentiert vielmehr, dass in McCutcheons Vorgehen Wertvorstellungen und Überzeugungen, die auf einer nicht empirischen und vortheoretischen Ebene liegen, mit einfließen würden und damit letztendlich die gleichen Voraussetzungen wie für theologische oder religiöse Überlegungen vorliegen würden.218 Griffiths sieht seine eigene Position durch Argumente wie die Fitzgeralds oder McCutcheons gestärkt. „It affirms, after all, only what theologians ought already to think, which is that an attempt to make sense and use of an idea of religion that systematically rejects theological assumptions will fail.“219

Diese Argumentation wird häufig damit verbunden, einem theologischen oder religiösen Ansatz bei der Erforschung von ‚Religion‘ den gleichen Rang wie der säkularen Erforschung von Religion an den Universitäten einzuräumen. Dies ist besonders in den USA ein wichtiges Thema, da dort durch den ersten Verfassungszusatz eine religiöse Beschäftigung mit Religion an öffentlichen Universi-

217 Das wäre auch schwer möglich, da McCutcheon in Manufacturing Religion die Konstruktion des Säkularen nicht thematisiert. Dies ist erst in späteren Publikationen der Fall, wie beispielsweise in den Aufsätzen, die im gemeinsamen Buch mit Arnal zusammengetragen sind. 218 Vgl. Griffiths: Review of: Manufacturing Religion, S. 48. Mit der Frage, inwieweit voraussetzungslose Wissenschaft möglich ist, hat sich im Hinblick auf die Religionswissenschaft Oliver Freiberger auseinandergesetzt. (Siehe Freiberger, Oliver: Ist Wertung Theologie? Beobachtungen zur Unterscheidung von Religionswissenschaft und Theologie, in: Gehbard Löhr (Hg.), Die Identität der Religionswissenschaft: Beiträge zum Verständnis einer unbekannten Disziplin, Frankfurt am Main 2000, S. 97-121). Seine Schlussfolgerung entspricht dem wissenschaftlichen common sense, nämlich dass eine solche voraussetzungslose Wissenschaft nicht möglich ist. Er weist aber zu Recht darauf hin, dass Theologen, zumindest wenn sie als solche bekenntnisgebundenen theologischen Fragestellungen nachgehen, einer doppelten Vorbedingung unterworfen sind. (Vgl. Freiberger: Ist Wertung Theologie?, S. 99-106, besonders S. 101-104). 219 Griffiths, Paul: The Very Idea of Religion, First Things. A Monthly Journal of Religion and Public Life 103 (2000).

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täten untersagt ist,220 anders als beispielsweise im deutschen Universitätssystem, in dem theologische Fakultäten an staatlichen Hochschulen etabliert sind. Aber auch für die Religionswissenschaft in Deutschland ist diese Debatte interessant und zwar im Hinblick auf die Abgrenzung der Religionswissenschaft von den Theologien.221 Diese Abgrenzung und die Grundlegung der Religionswissenschaft als rein wissenschaftliche Disziplin ist auch das Anliegen Wiebes.222 Wie an anderer Stelle in dieser Arbeit ausgeführt, muss Wissenschaft allein betrieben werden, um objektives Wissen zu schaffen. Er spricht davon, dass es um uneigennütziges (‚disinterested‘) Wissen gehe und darum, „öffentliches Wissen über öffentliche Fakten (in diesem Fall, Religionen und Religion)“ bereitzustellen.223 „It [Religionswissenschaft] is directed to cognitive ends rather than moral, social, political, economic, or other practical goals appropriate to ‚the public square‘.“224 Das hier von Wiebe formulierte Ziel religionswissenschaftlicher Forschung sieht er durch Wissenschaftler, die sich seiner Meinung nach nicht wissenschaftlichen Zielsetzungen verschrieben hätten, gefährdet. Zu diesen Wissenschaftlern zählt er auch McCutcheon, dessen Ideen er auf einer strukturellen Ebene mit theologischen Forderungen gleichsetzt und sie als ideologisch brandmarkt.225

220 Vgl. beispielsweise Wiebe, Donald: The Politics of Religious Studies. The Continuing Conflict with Theology in the Academy, New York 1999, S. 69-90. Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 3.3.3 genauer eingegangen. 221 Siehe dazu beispielsweise den oben zitierten Aufsatz von Oliver Freiberger: Freiberger: Ist Wertung Theologie?. 222 Siehe hierzu unter anderem Wiebe, Donald: ‚Why the Academic Study of Religion?‘. Motive and Method in The Study of Religion, in: Tim Jensen/Mikael Rothstein (Hg.), Secular Theories on Religion: Current Perspectives, Kopenhagen 2000, S. 261-279. 223 Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 8, 29, 34. Zitat, S. 29. Übersetzung S.F. 224 Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 29. 225 Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 9, 20-28 (besonders S. 26, 27), 29, 34. Zur Reaktion McCutcheons auf die Vorwürfe Wiebes siehe: McCutcheon, Russell T.: A Response to Donald Wiebe from an East-Going Zax, Temenos. Nordic Journal of Comparative Religion 42 (2006), S. 93-109.

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2.7.3 ‚Postmodernismus-Vorwurf‘ In der Regel geht der Theologie- oder Ideologievorwurf einher mit dem Postmodernismus-Vorwurf. Die theoretischen Grundannahmen, die in engem Bezug zu den französischen Poststrukturalisten stehen, würden zu einem Relativismus führen, der auch theologischen und religiösen Ansätzen (innerhalb der Religionswissenschaft) wieder Tor und Tür öffnen würde.226 Auch wenn Wiebe McCutcheon nicht direkt vorwirft, dass er ein solches postmodernes Anliegen unterstützt, stellt er bei seiner generellen Kritik eine Verbindung zu postmodernen Versuchen her, deren Ziel es ist, eine Beschäftigung mit ‚Religion‘ auf metaphysischen oder religiösen Grundlagen in den Universitäten zu legitimieren.227 Er schreibt: „[I]n the late 1980s and early 1990s one begins to see the rhetoric of postmodernism gain strength in the cases being made on behalf of a religion-political agenda for the discipline, with a concomitant attack on scholarly-scientific professionalism in the field as a reigning ideology.“228

Diese Rhetorik ist für Wiebe verbunden mit einer anderen Entwicklung seit Beginn der 1990er Jahre, nämlich der Forderung, dass der Religionswissenschaftler sich als ‚öffentlicher Intellektueller‘ (‚public intellectual‘) zu betätigen habe. Wiebe sieht diese Forderung äußerst kritisch. Die Rolle des öffentlichen Intellektuellen sei damit verbunden, den Fokus weg von purer Wissenschaft – wie oben beschrieben – zu lenken und (Religions-)Wissenschaft aus politischen oder religiösen Motiven heraus zu betreiben. Das aber gefährde die Wissenschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit der Religionswissenschaft. Wiebe sieht zwei sich zunächst scheinbar entgegenstehende Prägungen dieses Typs, denen gemeinsam sei, dass sie ihre Aufgabe darin sehen würden (oder denen die Aufgabe zugewiesen würde), zu moralischen oder gesellschaftlichen Themen einen Beitrag zu leisten.229

226 Vgl. Benavides: North America, S. 245-248. Und vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 20. 227 Eine theologische oder religiöse Beschäftigung mit Religion im Sinne der ‚religiösen Kritiker‘ an den Universitäten in den USA muss nach Wiebe allerdings gar nicht erst wieder herbeigeführt werden, da die gängige Beschäftigung in diesem Bereich schon diesem Ansatz entspreche. (Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 14. Siehe hierzu auch ders.: The Politics of Religious Studies). 228 Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 20. 229 Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 7-10.

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Die erste dieser beiden Prägungen ist nach Wiebe die des ‚religiösen Kritikers‘; die zweite die des ‚Religionskritikers‘. Wobei strukturell beide trotz ihrer zunächst unterschiedlichen Erscheinung (religiös affirmativ/säkular religionskritisch) im Prinzip identisch seien. „[B]oth views of the ‚religious studies public intellectual‘ see engagement in political or religio-political activity as an essential element in the academic study of religion.“230 Beide Formen sind für Wiebe ideologisch motiviert und stehen einer wissenschaftlichen Religionswissenschaft im Wege.231 Damit setzt er McCutcheon mit einem überzeugten Theologen gleich. Denn dieser dient als Idealtyp des säkularen öffentlichen Intellektuellen, der als Religionskritiker fungiert. William Dean, ebenfalls Religionswissenschaftler, allerdings mit einer dezidiert religiösen Agenda, wird als Beispiel eines Vertreters des religiösen Kritikers vorgestellt. Das Anliegen von Deans religiösem Kritiker qua öffentlichen Intellektueller sei es, zum Wohlergehen der Gesellschaft beizutragen, indem er sich mit den religiösen Werten einer Gesellschaft befasst und diese fördert. Dabei gehe es nicht um objektive Wissenschaft, sondern um die Förderung religiöser Anliegen wie zum Beispiel die Förderung des spirituellen Erbes oder der Herstellung einer guten Gesellschaft auf Grundlage dieses Erbes. Wiebe führt eine ganze Reihe von Beispielen für ein solches Vorgehen an.232 McCutcheons Religionskritiker bewege sich zwar einerseits auf dem Boden der objektiven Wissenschaft, mit der Religion beschrieben und erklärt werden soll. Er gehe aber über die damit verbundene unideologische Kritik der Wissenschaft hinaus. Es reiche ihm nicht im Sinne Kurt Rudolphs Kritik zu üben,233 sondern er wolle Religion als Illusion

230 Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 9. 231 Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 10. 232 Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 10-20. 233 Wiebe verweist hier auf Rudolphs Aussage, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit religiösen Überzeugungen und Vorstellungen immer einen religionskritischen Impetus habe (vgl. hierzu Rudolph, Kurt: Die Religionswissenschaft zwischen Ideologie- und Religionskritik, in: Gritt Maria Klinkhammer/Steffen Rink/Tobias Frick (Hg.), Kritik an Religionen: Religionswissenschaft und der kritische Umgang mit Religionen, Marburg 1997, S. 67-76, S. 72-73), denn: „Religionen werden ihres Anspruchs Wahrheit, Autorität und göttliche Offenbarung zu sein, entkleidet und auf dem geschichtswissenschaftlichen, soziologischen und psychologischen Seziertisch analysiert. [...] Die wissenschaftliche Methode vertreibt auch in diesem, für die Menschheit so existentiell tiefen Bereich ihres Erkennens und Handelns, wenn sie sich ihm zuwendet, den Hauch und Glanz des überirdischen Nimbus, der Epiphanie

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entlarven, als soziales Konstrukt, dessen Strukturen und Wirkmechanismen man aufdecken müsse, um den Menschen bei der Emanzipation aus ihrer Verstricktheit zu helfen.234 Für Wiebe ist es strukturell und vom Ergebnis her gedacht gleich, dass die eine Form des ‚öffentlichen Intellektuellen‘ religiösen Anliegen verpflichtet ist und dabei auch metaphysische Erklärungsmuster zulassen will und normative Aussagen zur ‚guten Gesellschaft‘ tätigt, während die andere Prägung auf einer rein materialistischen Grundlage argumentiert und nur naturalistische Erklärungen akzeptiert, um die Welt zu erklären wie sie ist, und nicht um zu sagen, wie sie sein soll. Denn beides ist, wie mehrfach angesprochen, für Wiebe Ideologie und steht seinem Verständnis von objektiver und neutraler (Religions-)Wissenschaft entgegen. Der Autor argumentiert hier rhetorisch geschickt, indem er beide Formen des ‚öffentlichen Intellektuellen‘ gleich stellt und letztendlich als ideologisch entlarvt. Im Kern scheint es ihm dabei aber weniger um die beiden Ansätze zu gehen, sondern darum, sein eigenes Verständnis von Religionswissenschaft zu propagieren, wobei er die Unterschiede zwischen dem Ansatz McCutcheons und dem Deans vernachlässigt, um beide als unterschiedliche Seiten der gleichen, aber falschen Medaille zu präsentieren.235 So werden die unterschiedlichen Positionen zur Akzeptanz beziehungsweise Ablehnung metaphysischer Erklärungen oder normativer Aussagen im wissenschaftlichen Kontext nicht thematisiert.

des Göttlichen oder der ‚letzten Wirklichkeit‘.“ (Ders.: Die ideologiekritische Funktion der Religionswissenschaft, in: ders. (Hg.), Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft, Leiden 1992, S. 81-103, S. 91. ) 234 Vgl. Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?, S. 20-28, besonders S. 22-23, S. 26. Hier interpretiert Wiebe McCutcheon meines Erachtens falsch. Meiner Lesart nach geht es McCutcheon nicht darum Menschen aus der religiösen Knechtschaft zu befreien oder ihnen ihre Religion zu nehmen. Normative Aussagen, also Aussagen, wie Menschen leben sollen, gehören für McCutcheon nicht in die Religionswissenschaft; die Mechanismen und Funktionen zu erklären, wie die Welt funktioniert, hingegen schon. Damit stellt Religionswissenschaft Wissen bereit, das Menschen in die Lage versetzt, selbst und fundiert zu entscheiden. (Vgl. Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 58-62. Vgl. auch: Spiers, Brad: Book Review of McCutcheon „Manufacturing Religion: The Discourse on Sui Generis Religion and the Politics of Nostalgia“,

(2014),

21.05.2014.

, S. 2, Fußnote 1. 235 Siehe: McCutcheon: A Response to Donald Wiebe from an East-Going Zax.

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Interessant zu sehen ist, dass McCutcheon sich selbst mit dem Postmodernismusproblem auseinandergesetzt hat und es auch als Problem ansieht.236 Er schreibt: „The relativizing brought about by the postmodern turn has provided what some theologians see to be the means of reclaiming lost ground. We now find theologians arguing that they too, along with those who practice rationalist or naturalist discourses, have a place in the work of the public university […].“237

Der Versuch, über den mit der Postmoderne verbundenen Relativismus theologische oder metaphysische Theorien (von Religion) in der Religionswissenschaft zu legitimieren und mit naturalistischen oder rationalistischen Theorien gleichzusetzen, lehnt er ab; ein Aspekt auf den im Rahmen der abschließenden Überlegungen noch einmal zurückgekommen wird.

2.7.4 ‚Vorwurf des Verrats am eigenen Fach‘ Neben den bisher genannten Kritikpunkten, die in erster Linie inhaltlicher Natur sind, liegt ein letzter eher auf einer institutionellen und (fach-)politischen Ebene. Hierbei geht es darum, dass die hier aufgeführten Autoren letztendlich eine eigenständige Religionswissenschaft mit dem dazugehörigen institutionellen Apparat gefährden oder sogar bewusst aufgeben würden. Während im Rahmen postmoderner Argumentationen eine (Re-)Sakralisierung und Gefährdung einer wissenschaftlichen Religionswissenschaft befürchtet wird, geht der hier verhandelte Vorwurf weiter, da er die Religionswissenschaft in jeglicher Form berührt. Vornehmlich stammt diese Kritik von Vertretern eines Verständnisses von Religionswissenschaft, das man als wissenschaftlich im Sinne einer Auffassung nennen kann, wie sie in der ‚Internationalen Vereinigung für Religionswissenschaft‘ (IAHR)238 vertreten wird. So wirft Engler Fitzgerald in einer ausführlichen Auseinandersetzung239 mit seinem Buch Discourse on Civility and Barbarity vor, das Kind mit dem Bade

236 Siehe beispielsweise McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 103-121. 237 McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 104. 238 Siehe hierzu die Kapitel 3.1.4 und 3.1.5 dieser Arbeit. 239 Vgl. Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion. Siehe hierzu auch den sich anschließenden Gedankenaustausch von Fitzgerald und Engler in der

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auszuschütten. Seiner Meinung nach hat Fitzgerald zwar Recht mit seiner Kritik an einem unreflektierten Gebrauch des Begriffs Religion, der durchaus belastet sei. Er sei aber zu schnell mit der Forderung, sich von der Kategorie zu verabschieden. Engler sieht durchaus eine Möglichkeit, ‚Religion‘ als brauchbares Werkzeug zu verwenden, nämlich dann, wenn der Begriff kritisch, im Rahmen einer expliziten Theorie verwendet wird. Er versucht sein Argument damit zu belegen, dass es gute Beispiele für eine solche kritische und konstruktive Verwendung des Begriffs gebe. „There are some very live and kicking babies in the bathwater of ‚religion‘.“240 Dazu zählt er interessanterweise auch McCutcheon, dem andere ebenfalls vorwerfen, das Fach abschaffen zu wollen.241 Englers ganzer Artikel ist davon bestimmt, einen Weg aufzuzeigen, wie man auf der einen Seite Fitzgeralds Kritik am Religionsbegriff gerecht wird, ohne dabei auf der anderen Seite den Begriff und damit in der Konsequenz auch das Fach als solches aufzugeben. So schreibt der Autor: „DCB attacks the viability of religious studies as a discipline“242, um etwas später fortzufahren: „[W]e can agree in part with DCB’s critique – i.e. that ‚generic religion‘ is ideological – without agreeing with the conclusion that this ideological function is all that there is to study. That is, ‚religion‘ is ideological in the sense that it is often used this way, not in the sense that its meaning is identical or co-extensive with its ideological (ab)use. The study of religion (with ‚religion‘ as a guiding thirdorder term) continues to be viable in light of recognition that ‚religion‘ is always an ideologically loaded term, always opposed to other categories.“243

Nur weil es keinen wirklichen Gegenstand – im Sinne einer Ontologie – gäbe, auf den Religion verweise, bedeute das nicht, dass man die Disziplin aufgeben müsse.244 Mit einem Hinweis darauf, dass wissenschaftliche Disziplinen nicht allein durch epistemische Kategorien (genuiner Gegenstand und eigene Methode)

gleichen Fachzeitschrift: Fitzgerald: A Response to Steven Engler, und Engler: Response to Timothy Fitzgerald. 240 Vgl. Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, S. 422-423. Zitat, S. 423. 241 Vgl. Strenski: Review of: Critics not Caretakers, S. 429-430. 242 Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, S. 428. 243 Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, S. 429. 244 Hierzu passt die oben dargestellte Argumentation Schilbracks zum ontologischen Status von Religion als sozialem Konstrukt.

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zu begründen sind, sondern auch durch diskursive Prozesse, argumentiert er, 245 dass die Disziplin trotz Fitzgeralds Kritik zu legitimieren sei. 246 Auch Frank Korom stellt den Nutzen, den eine Aufgabe der Religionswissenschaft als Disziplin mit sich bringen würde, in Frage. Für ihn bedeutet die Aufgabe des Religionsbegriffs, dass dem Fach der Gegenstand abhanden komme und es damit seine Legitimität verliere. In der Logik Fitzgeralds würde das gleiche Problem aber theoretisch auch andere Disziplinen betreffen, wenn diese ihre Begriffe kritisch hinterfragen. „If we continued in this counterproductive vein, the entire academy would crumble like a house of cards.“247 Eine Verlagerung der Forschung in übergeordnete Einheiten, wie in die von Fitzgerald vorgeschlagenen Humanwissenschaften, hält er ebenfalls für nicht zielführend. Zum einen, weil es auch dort theoretische und methodologische Differenzen geben würde, die die von Fitzgerald aufgedeckten Probleme nicht lösen würde, zum anderen aber aus pragmatischen Gründen. „Blurring disciplinary boundaries means that many talented individuals remain unemployed after their studies, because of their interdisciplinary tendencies.“248 Aus ähnlichen pragmatischen Gründen, oder vielleicht besser auf Grundlage solcher materiellen Erwägungen, gründet auch ein Teil der Kritik Penners an McCutcheon. Er wirft ihm vor, dass seine Überlegungen zur Abschaffung der Disziplin führen würden: „Any good Dean hearing this advice should dissolve that department […]. Wilson’s [McCutcheon bezieht sich in seiner Argumentation befürwortend auf ihn,249 Anmerkung S.F.] advice is fatal to the well-being of a Department of Religion.“250 Eine ähnliche Argumentation nutzt der bereits zitierte Strenski. Dieser macht als eigentliches Ziel der Kritik McCutcheons am Religionskonzept den Liberalismus aus. Liberalistische Ansätze in der Religionswissenschaft befördern ein Religionsverständnis, das Religion als privatisierte, individuelle Angelegenheit konzeptualisiert. Strenski spricht dabei von Frömmigkeit.

245 Siehe hierzu auch: Engler, Steven/Stausberg, Michael: Introductory Essay. Crisis and Creativity: Opportunities and Threats in the Global Study of Religion\s, Religion 41 (2011), S. 127-143. 246 Vgl. Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, S. 429. 247 Korom: The Ideology of Religious Studies, S. 109. 248 Korom: The Ideology of Religious Studies, S. 210. 249 Vgl. McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 208. 250 Penner: Review of Manufacturing Religion, S. 57.

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„But mere piety is not really McCutcheon’s main target. There is more to McCutcheon’s strategy than aversion for piety: there is his resistance to reform coupled with his will to revolution in the study of religion that spells its elimination.“251

Strenski erkennt durchaus die von McCutcheon angesprochenen Missstände in der Religionswissenschaft an, ist aber mit den Lösungsvorschlägen McCutcheons nicht einverstanden, da er durch sie die Existenz der Disziplin gefährdet sieht. Und in der Tat fordert McCutcheon in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit seiner Kritik am sui generis Diskurs eine interdisziplinäre und multimethodische Religionswissenschaft. Man kann diese Gedanken zum Status der Religionswissenschaft analog zu Volkhard Krechs Konzeptualisierung der Religionswissenschaft als Forschungsfeld jenseits von Disziplingrenzen lesen.252 Für den amerikanischen Kontext sieht McCutcheon für eine solche Form der Religionswissenschaft Ende der 1990er Jahre keine wirklichen Realisierungschancen und zwar neben ökonomischen Aspekten vor allem aus dem Grund, dass einer solchen Ausrichtung eine Kritik am vorherrschenden Religionsdiskurs inhärent sei. Er schreibt: „The extension of my position is that one reason why such cross-disciplinary programs are not attractive is that they presuppose and necessitate a radical critique of religion as it is presently conceived by the majority of scholars.“253

Daher sieht er selbst, dass die Kritik am sui generis Diskurs zum Ende der Religionswissenschaft führen könnte, gleichzeitig aber neue Perspektiven eröffnet: „Although the critique of sui generis religion might hasten death of the academic discipline variously known in English as religious studies, history of religions, and comparative religion, it might simultaneously open way for a cross-disciplinary, decentred study of this intriguing aspect of human communities.“254

Grundsätzlich ist Strenskis Kritik an McCutcheon und die Befürchtung, dass sein revolutionärer Weg ähnlich wie Gary Leases radikales Vorgehen an der Univer-

251 Strenski: Review of: Critics not Caretakers, S. 429. 252 Vgl. Krech, Volkhard: Wohin mit der Religionswissenschaft? Skizze zur Lage der Religionsforschung und zu Möglichkeiten ihrer Entwicklung, Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 58 (2006), S. 97-113. 253 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 21. 254 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. 21.

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sität von Kalifornien,255 zu einem Ende der Religionswissenschaft führe, daher nachvollziehbar.256 Das gilt genauso für die anderen hier zusammengetragenen und sich generell auf den vorgestellten Ansatz bezogenen Ängste im Hinblick auf die Zukunft des Fachs. Allerdings muss man meines Erachtens, zumindest was die Vorstellungen McCutcheons (bezogen auf sein Gesamtwerk) betrifft, nicht zwangsläufig die hier von Penner oder Strenski gesehenen Konsequenzen ziehen. Vor dem Hintergrund der im zweiten Teil dieser Arbeit vorgenommen Überlegungen wird im abschließenden Kapitel der Arbeit aufgezeigt werden, wie der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ innerhalb der Religionswissenschaft fruchtbar gemacht und die Disziplin gestärkt werden kann.

255 In die Verantwortung von Lease fällt die Schließung des Instituts für Religionswissenschaft an der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. Nach seiner Einschätzung hatte das dortige Programm mehr mit einer Kirche als mit einem wissenschaftlichen Institut gemeinsam, was ihn veranlasste im Zuge einer kritischen Evaluation die Einrichtung zu schließen. Vgl. Allen, Charlotte: Is Nothing Sacred?: Casting Out the Gods from Religious Studies, Lingua Franca 6 (1996), S. 30-40, S. 38-39. 256 Strenski: Review of: Critics not Caretakers, S. 429-430.

3 Verortung des sozio-rhetorischen Ansatzes im disziplingeschichtlichen und regionalen Kontext

Den in Anlehnung an Russell McCutcheon unter dem Begriff ‚sozio-rhetorischer Ansatz‘ zusammengefassten Ideen und Überlegungen kommen, wie gezeigt, ab den 1990er Jahren, vor allem in und von Nordamerika ausgehend, besondere Bedeutung zu. Die im vorangegangenen Kapitel dargestellte Kritik an der Kategorie Religion und die kritischen Reflexion der Religionswissenschaft bei der Konzeptualisierung der Kategorie spielt besonders im wissenschaftlichen Diskurs Nordamerikas (vor allem in den USA) eine wichtige Rolle. Den sozio-rhetorischen Ansatz allerdings nur als ein nordamerikanisches oder bestenfalls angloamerikanisches Phänomen zu sehen, das in (Kontinental-)Europa und anderswo nur am Rande zur Kenntnis genommen wird, ist verkürzt. Das machen beispielsweise die in Kapitel zwei kurz angesprochenen Arbeiten von Dario Sabbatucci (1923-2002) und vor allem Daniel Dubuission und Timothy Fitzgerald deutlich.1 Beide Wissenschaftler stammen aus Europa (Italien und Frankreich) und arbeiten beziehungsweise arbeiteten im europäischen Kontext. Es konnte auch unter anderem in Anlehnung an Michael Stausberg gezeigt werden, dass in Europa, vor allem in den 1990er Jahren, eine lebhafte Debatte um den Religionsbegriff geführt wurde. Allerdings zogen und ziehen die wenigsten die gleiche radikale Konsequenz aus den mit dem Religionsbegriff verbundenen Problemen.2 Das gilt gleichwohl auch für Nordamerika, wo die Vertreter des ‚soziorhetorischen Ansatzes‘ zwar eine größere Gruppe ausmachen, im Hinblick auf die

1

Sabbatucci ist allerdings tendenziell eher wie J. Z. Smith einzuordnen, also als ein Vorläufer nicht aber zentraler Vertreter des Ansatzes.

2

Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 9.

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Gesamtzahl der Religionswissenschaftler aber eine kleine Gruppe bilden. Daher kann man zunächst festhalten, dass sich die Situation in Europa nicht grundsätzlich von der in Nordamerika unterscheidet. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Auseinandersetzung dort mit größerer Vehemenz und letztendlich auch Konsequenz geführt wird, wie gerade die Arbeiten McCutcheons zeigen. Will man die Auseinandersetzung verstehen, muss man die Debatte und den Ansatz im nordamerikanischen Kontext im Allgemeinen und im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung der Religionswissenschaft dort im Speziellen betrachten. Darüber hinaus ist es notwendig, die unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der Religionswissenschaft in Europa und Nordamerika zu vergleichen. Dies wird im Folgenden geschehen, beginnend mit einigen Überlegungen zur Periodisierung der Disziplingeschichte. Daran schließen sich Ausführungen zur Entwicklung des Faches von den Anfängen bis in die Gegenwart an, bevor dann der Fokus speziell auf die Situation in Nordamerika – in erster Linie die USA – gelegt wird.

3.1 P ERIODISIERUNG DER G ESCHICHTE R ELIGIONSWISSENSCHAFT

DER

Befasst man sich mit der Geschichte der Religionswissenschaft, stößt man in der Regel auf eine Einteilung der Disziplingeschichte in zwei Phasen.3 Die erste Phase, meist als die klassische bezeichnet, reicht von der Entstehung der Disziplin etwa Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Dieser wird als Zäsur gesehen, in deren Nachgang die bis heute andauernde zweite, gegenwärtige Phase der Disziplingeschichte beginnt. Diesen beiden Abschnitten vorangestellt werden zumeist Ausführungen zur Vorgeschichte der Disziplin, aus der sie sich entwickelt hat.4

3

Vgl. hierzu beispielsweise Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (III), S. 261. Und vgl. Whaling, Frank: Introduction, in: ders. (Hg.), Theory and Method in Religious Studies: Contemporary Approaches to the Study of Religion, Berlin, New York 1995, S. 1-39, S. 2.

4

Als das Referenzwerk zur Geschichte der Religionswissenschaft gilt bis heute Eric Sharps Comparative Religion (Sharpe, Eric J.: Comparative Religion. A History, London 22003) in seiner erweiterten Auflage aus dem Jahr 1986. Auch in diesem Werk wird die angesprochene Darstellungsweise in Vorgeschichte, klassische und gegenwärtige Phase deutlich, wobei vor allem Entwicklungen bis zum Zweiten Weltkrieg bzw. 1950 einen breiten Raum einnehmen.

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Stausberg, der diese Einteilung aufgreift, erklärt ihren Nutzen damit, dass sie sich weniger nach institutionellen oder wissenschaftsinternen Entwicklungen richtet, als an allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Prozessen orientiert. Er sieht hierin den Vorteil, dass diese Faktoren eher einen allgemeinen relevanten Rahmen für die Entwicklungen in einem größeren geographischen Kontext – wie in seinem Fall Westeuropa – vorgeben als beispielsweise institutionelle Veränderungen, die sehr eng an den jeweiligen nationalen Kontext gebunden seien. Stausberg nennt neben dem Zweiten Weltkrieg weitere Ereignisse, die Auswirkungen auf die Entwicklung der Religionswissenschaft gehabt hätten und sich ebenfalls als Zäsurpunkte anbieten würden, wie der Erste Weltkrieg, die Studentenrevolutionen von 1968, der Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 oder auch die Terroranschläge von New York und Washington 2001.5 Er deutet hier an, dass die Periodisierung der Religionswissenschaft vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen auch in anderer Form vorgenommen werden könnte. Trotzdem hält er an der Zweiteilung und dem Zweiten Weltkrieg als ‚Demarkationslinie‘ fest. Die besondere Bedeutung des Zweiten Weltkrieges für die Disziplin hat Frank Whaling in seiner Einleitung zu den Contemporary Approaches6 herausgearbeitet. Für ihn stellt er eine wichtige Zäsur dar – sowohl im Hinblick auf den „allgemeinen kulturellen Hintergrund, vor dem Religionswissenschaft betrieben wird“, als auch in Bezug auf „die Ansätze der Forschung, die aus diesem Hintergrund erwachsen“.7 Zwar sieht Whaling auch Kontinuitäten zwischen der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, doch seien die Unterschiede dominant, so dass sich die Einteilung rechtfertigen lasse. „[I]t would be the Second World War that would prove to be the most significant catalysis for wider change“.8 Er identifiziert zehn Faktoren9, die den angesprochenen Hintergrund nachhaltig be-

5

Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (III), S. 261-262.

6

Whaling: Theory and Method in Religious Studies.

7

Vgl. Whaling: Introduction, S. 1-24, besonders S. 2-3. Zitat, S. 3. Übersetzung SF.

8

Whaling, Frank: A Brief History of the Study of Religion, DISKUS 7 (2006), 15.06.2013. http://www.basr.ac.uk/diskus/diskus7/whaling.htm.

9

1. Zusammenbruch der europäischen Imperien und Dekolonialisierung; 2. Ausbreitung des Marxismus in Politik und Wissenschaft; 3. Nationalismus und Staatsgründungen; 4. Modernisierung und Ökonomisierung der Gesellschaften; 5. Weiterentwicklung der Naturwissenschaften; 6. Industrialisierung und Urbanisierung; 7. Voranschreitende Beherrschung der Natur durch den Menschen; 8. Migration; 9.Entstehung neuer Machtblöcke und 10. Globalisierung. (Vgl. Whaling: Introduction, S. 2-10).

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einflusst haben sollen. Darunter finden sich Entwicklungen wie die Auflösung der europäischen Imperien, Dekolonialisierung und das Entstehen neuer Nationalstaaten. Aber auch allgemeine Modernisierungsprozesse und Entwicklungen in den Naturwissenschaften gehören dazu sowie der rückläufige Einfluss des Christentums in Europa. Alle diese Einflüsse hätten nicht nur die Rahmenbedingungen für Religionswissenschaft verändert, sondern hätten auch zu neuen Perspektiven und Fragestellungen geführt, wie der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion und Wissenschaft oder von Religion und Ökologie.10 Derselbe Autor zeigt, dass auch andere Periodisierungen der Disziplingeschichte denkbar und möglich sind. In einem neueren Aufsatz aus dem Jahr 2006 teilt Whaling die Geschichte der Religionswissenschaft in vier Zeitabschnitte (1850 bis 1900, 1900 bis 1950, 1950 bis etwa 1985 und 1985 bis heute) ein.11 Eine Einteilung in drei Phasen legen die Classical Approaches12, Contemporary Approaches und New Approaches13 to the Study of Religion nahe, die im Hinblick auf die methodologischen und theoretischen Entwicklungen in der Religionswissenschaft als wichtige Referenzwerke gelten können. Jede dieser drei Publikationen behandelt zentrale Entwicklungen in der Religionswissenschaft, die einem mehr oder weniger klar abgegrenzten Zeitabschnitt zugeschrieben werden. So stellt Jacques Waardenburg in seinen Classical Approaches wichtige Persönlichkeiten und Entwicklungen von der Entstehungsphase der Religionswissenschaft bis etwa 1950 vor.14 Whaling sieht die von ihm herausgegebenen Contemporary Approaches in direkter Nachfolge zur Waardenburgs Arbeit und behandelt die Zeit von etwa 1950 bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts.15 Peter Antes, Armin Geertz und Randi Warne befassen sich mit der Zeit ab dem ausgehenden 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart.16

Whaling beschreibt diese Faktoren und die durch sie hervorgerufenen Änderungen relativ ausführlich und arbeitet immer wieder auch die Unterschiede zwischen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach heraus. (Vgl. ebenda, S. 11-24). 10 Vgl. Whaling: Introduction, S. 11-24. 11 Vgl. Whaling: A Brief History of the Study of Religion. 12 Waardenburg, Jacques: Classical Approaches to the Study of Religion. Aims, Methods and Theories of Research, New York [u.a.] 1999. 13 Antes/Geertz/Warne: New Approaches to the Study of Religion. 14 Vgl. Waardenburg: Classical Approaches to the Study of Religion, S. VI. 15 Vgl. Whaling: Introduction, S. 2. 16 Vgl. Antes, Peter/Geertz, Armin W./Warne, Randi R.: Introduction, in: dies. (Hg.), New Approaches to the Study of Religion, Berlin [u.a.] 2008, S. 1-9, S. 1.

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3.1.1 Generelle Entwicklungen: Vorgeschichte und Entstehung als akademische Disziplin Unabhängig davon nach welchen Kriterien – gesellschaftlich-politischen oder wissenschaftsimmanenten – man die Periodisierung vornimmt, besteht weitgehende Einigkeit darüber, die Entstehung der Religionswissenschaft als akademische Disziplin zeitlich im 19. Jahrhundert – etwa ab der Jahrhundertmitte – und geographisch in Westeuropa zu verorten.17 Zentren der Entwicklungen stellten England, Frankreich, die Niederlande und Deutschland dar.18 Zudem werden auch Dänemark, Schweden und Norwegen zu den ‚Ursprungsländern‘ gerechnet. Erst ab Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Ausweitung nach Italien, Nordamerika (Kanada und USA) und Japan.19 Die Vorläufer beziehungsweise Wurzeln der Religionswissenschaft sind vielfältig. In Aufsätzen und Büchern zur Geschichte der Disziplin20 wird in der Regel eine Entwicklungslinie bis in die griechische Antike gezogen. Die kritische Auseinandersetzung von griechischen Naturphilosophen wie Xenophanes (ca.

17 Gregory Alles stimmt zwar grundsätzlich mit der hier vorgetragenen Einschätzung überein, warnt aber davor, die Entwicklungen außerhalb Europas gering zu schätzen, und nimmt diese bei seiner Darstellung mit in den Blick. (Vgl. Alles: Study of Religion, vor allem S. 8761 und S. 8764). 18 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 294, S. 303. 19 Vgl. Rudolph, Kurt: Religionswissenschaft. I. Geschichte, in: Hans D. Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008, S. 399-403, S. 402-403. Anders als Rudolph sieht Sharpe die Anfänge der Religionswissenschaft in den USA bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 136-138. Siehe hierzu auch Kitagawa, Joseph M.: Religionsgeschichte in Amerika, in: Mircea Eliade/Joseph M. Kitagawa (Hg.), Grundfragen der Religionswissenschaft: Acht Studien, Salzburg 1963, S. 185-229). Auf diesen Aspekt wird weiter unten noch eingegangen werden. 20 Für einen ersten Überblick in deutscher Sprache vgl. u.a. Kohl, Karl-Heinz: Wissenschaftsgeschichte. Geschichte der Religionswissenschaft, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Samuel Laubscher (Hg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Stuttgart 1988-2001, S. 217-262. Und vgl. Junginger, Horst: Religionswissenschaft, in: Christoph Auffarth/Jutta Bernard/Hubert Mohr (Hg.), Metzler Lexikon Religion: Gegenwart, Alltag, Medien, Stuttgart 1999, S. 183-186. Und siehe Rudolph: Religionswissenschaft.

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570 bis etwa 470 vor unserer Zeitrechnung) mit mythologischen Schriften – allen voran den Homerischen Epen – ihre Überlegungen zum Ursprung der Götter, die Entwicklung erster ‚Religionstheorien‘, kurz: die relativ distanzierte Reflexion über Religion in dieser Zeit wird als ein erster, wichtiger Entwicklungsschritt benannt. Neben der Antike wird dann der jüdisch-christliche Monotheismus als weiterer wichtiger Ausgangspunkt dargestellt, der wie der Umgang mit diesem Erbe als Wegbereiter der Religionswissenschaft angesehen wird.21 Renaissance, Reformation, das Zeitalter der Entdeckungen sowie Aufklärung und Romantik und die zunehmende Informationen über außereuropäische Religions- und Glaubensformen stellen diesen Darstellungen nach wichtige Wegpunkte für das spätere Entstehen einer akademischen Religionswissenschaft dar.22 Besondere Bedeutung wird dabei vor allem der Aufklärung zugeschrieben, zumindest wenn man Kurt Rudolph folgt.23 Für ihn ist die Religionswissenschaft ein Kind eben jener Epoche und damit untrennbar mit den Werten der Aufklärung verbunden und ihnen verpflichtet. „Toleranz, Kritik, Objektivität, Geschichte und Humanität sind ihre alten und heutigen Wesenszüge“, so Rudolph.24 Als Gegenbewegung zur Aufklärung und Kritik vor allem an ihrem Rationalitätsdik-

21 Sharpe stellt das christliche Mittelalter im Vergleich zur griechisch-römischen Antike eher als Rückschritt dar. Die kritische Distanz zur und Reflexion der Religion sei einer apologetischen Auseinandersetzung mit anderen Religionen als dem Christentum gewichen. Damit habe nicht mehr der Wunsch nach Erkenntnis über Religion/-en im Vordergrund gestanden, sondern die Darstellung der christlichen Überlegenheit und Stilisierung als einzige Religion. „The Greek philosophers were committed to a quest for information, and a quest for truth; the Christian theologians were committed to a soteriology, and within a cultic framework to a quest of perfection.“ (Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 1-10. Zitat, S. 10). 22 Vgl. Junginger: Religionswissenschaft, S. 183-184. Und vgl. Rudolph: Religionswissenschaft, S. 399-400. Und siehe Preus, James S.: Explaining Religion. Criticism and Theory from Bodin to Freud, Atlanta 1996. 23 Als weiteres Beispiel unter vielen für einen Autoren, der die Anfänge in der Aufklärung verortet, siehe Preus: Explaining Religion. 24 Vgl. Rudolph, Kurt: Grundpositionen der „Religionswissenschaft“, in: ders. (Hg.), Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft, Leiden 1992, S. 67-80, vor allem S. 67-68, 78-80. Zitat, S. 68. Hervorhebungen im Original. Siehe auch ders.: Die religionskritische Tradition in der Religionswissenschaft, in: Hans G. Kippenberg (Hg.), Religionswissenschaft und Kulturkritik: Beiträge zur Konferenz The History of Religions and Critique of Culture in the Days of Gerardus van der Leeuw (1890 1950); [Groningen, 1 - 3 May, 1989], Marburg 1991, S. 149-156, S. 150-151.

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tum werden von führenden Vertretern der Romantik wie Johann Gottfried Herder oder, und in Bezug auf die Religionswissenschaft von besonderer Bedeutung, Friedrich Schleiermacher das Gefühl und die Emotion in den Mittelpunkt gestellt.25 In Abgrenzung zu Rudolph sieht Hans G. Kippenberg in der Romantik die eigentliche Grundlage für die Religionswissenschaft gelegt. Der „Bruch mit dem Vernunftglauben der Aufklärung“26 und die Kritik an der Rationalitätsforderung der Aufklärung fielen laut Kippenberg mit der Ausbildung der Religionswissenschaft als wissenschaftlicher Disziplin zusammen und bildeten ihre historischen Wurzeln. Schon allein die zeitliche Differenz von einem Jahrhundert zwischen Aufklärung und Entstehung der Religionswissenschaft stelle ein deutliches Indiz für seine Annahme dar. Daher hält Kippenberg fest: „Die Religionswissenschaft war […] eher ein Kind der romantischen Kritik an der Aufklärung als der Aufklärung selber.“27 Stausberg stellt in seiner dreiteiligen Aufsatzserie zur Religionswissenschaft in Westeuropa28 die Vorgeschichte der akademischen Religionswissenschaft

25 Vgl. Rudolph: Die religionskritische Tradition in der Religionswissenschaft, S. 150151. Und vgl. Kohl: Wissenschaftsgeschichte, S. 236-237. 26 Kippenberg, Hans G.: Einleitung: Religionswissenschaft und Kulturkritik, in: ders. (Hg.), Religionswissenschaft und Kulturkritik: Beiträge zur Konferenz The History of Religions and Critique of Culture in the Days of Gerardus van der Leeuw (1890 1950); [Groningen, 1 - 3 May, 1989], Marburg 1991, S. 13-28, S. 22. 27 Vgl. Kippenberg: Einleitung: Religionswissenschaft und Kulturkritik, S. 19-22. Zitat, S. 20. Folgt man McCutcheon, lassen sich die grundsätzlichen Konflikte und Fronten innerhalb der (nordamerikanischen) Religionswissenschaft, die er, etwas vereinfacht wiedergegeben, als eine Auseinandersetzung zwischen Essentialisten und Funktionalisten beschreibt, darauf zurückführen, dass die eine Seite (Essentialisten, religiöse Religionswissenschaft, Caretaker sind nur drei Bezeichnungen, die McCutcheon verwendet) sich in der romantischen Tradition bewegt, die andere Seite (Funktionalisten, wissenschaftliche Religionswissenschaft, ‚Critics‘) hingegen sich an der Aufklärung orientiert. (Vgl. McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 3-6. 28 Stausberg, Michael: The Study of Religion(s) in Western Europe (II): Institutional Developments after World War II, Religion 38 (2008), S. 305-318; ders.: The Study of Religion(s) in Western Europe (III). In zusammengefasster und gekürzter Form liegen die Aufsätze als Beitrag unter dem Titel Western Europe (ders.: Western Europe, in: Gregory D. Alles (Hg.), Religious Studies: A global view, London, New York 2008, S. 14-49) in Gregory Alles Buch Religious Studies. A Global View (Alles, Gregory D. (Hg.): Religious Studies. A Global View, London, New York 2008) vor.

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nicht im gleichen Maße als kohärentes Narrativ dar. Vielmehr verweist er darauf, dass einzelne Wissenschaftler jeweils unterschiedliche Epochen mit unterschiedlichen Begründungen als wegbereitend herausgestellt hätten. Auch er betont, dass Aufklärung und Romantik eine besondere Bedeutung zugeschrieben wurden und werden. Ähnlich wie Kippenberg, der für den Vorrang der Romantik als Ausgangspunkt der Religionswissenschaft mit der zeitlichen Einordnung der Epochen in Bezug zur Entstehung der Disziplin argumentiert, weist Stausberg darauf hin, dass zwischen Romantik29 und Entfaltung der Religionswissenschaft als akademischer Disziplin noch etwa 75 Jahre gelegen hätten. Für ihn sind daher weitere Entwicklungen mit in den Blick zu nehmen, die zur Formierung der Religionswissenschaft führten. Unter anderen nennt er den Kolonialismus, die Entdeckung und Übersetzung ‚heiliger‘ Texte, eine zunehmende Trennung von Kirche und Staat, Entdeckungen im Bereich der Sprach- und Geschichtswissenschaften oder die Entwicklung der Evolutionstheorie.30 Besonders das Aufkommen der Evolutionstheorie und des Entwicklungsgedankens ist für Eric Sharpe für die Entstehung der Religionswissenschaft von fundamentaler Bedeutung. Allen Ansätzen der Beschäftigung mit Religion in der Geschichte der Menschheit habe eine verbindende Methode und ein Prinzip gefehlt, die den Anforderungen der Geschichte und der Wissenschaft zur selben Zeit genügt hätten. Mit der Übertragung des zentralen Entwicklungsgedankens aus der biologischen Evolutionstheorie auf Religion und Kultur sei dieses vereinende Prinzip gefunden und die Entstehung einer wissenschaftlichen Disziplin Religionswissenschaft ermöglicht worden.31 Auch Rudolph und Kippenberg schreiben der Evolutionstheorie und dem Entwicklungsgedanken besondere Bedeutung bei der Entstehung der Religionswissenschaft zu.32 Bot die Evolutionstheorie einen ersten gemeinsamen theoretischen Rahmen, an dem sich die entstehende Disziplin ausrichten konnte, führte

29 Stausberg macht dies am Erscheinungsjahr von Schleiermachers Reden 1799 (Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Stuttgart 1993) fest. (Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 299). 30 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 297-303. 31 Sharpe: Comparative Religion, S. 26, 47-71. 32 Vgl. Kippenberg, Hans G.: Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne, München 1997, S. 56-59. Und vgl. Rudolph: Grundpositionen der „Religionswissenschaft“, S. 67.

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„die Entzifferung unbekannter Kulturen und die Erschließung zahlreicher Quellen zur Frühgeschichte Europas wie aller anderer Kontinente zu einer Fülle neuen Wissens […], das den bisherigen Fächerkanon der Universitäten, vor allem bezogen auf Religion innerhalb der christlichen Theologie, total sprengte“33,

wie Peter Antes mit Bezug auf Kippenberg konstatiert.34 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Religion damit ein weitverbreiteter Untersuchungsgegenstand in unterschiedlichen Bereichen geworden. Das beschriebene Anwachsen von Informationen über Religionen und Glaubensvorstellungen ließ ein Ordnen (Kategorisieren, Klassifizieren, Systematisieren) des Materials notwendig werden. Es kam zu einer Verwissenschaftlichung, Professionalisierung und Ausdifferenzierung des wissenschaftlichen Vorgehens und in diesem Zuge zu Entwicklungen neuer akademischer Disziplinen wie der Religionswissenschaft. Diese Entwicklung manifestiert sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Einrichtung erster Lehrstühle für Religionsgeschichte innerhalb und außerhalb theologischer Fakultäten. Als Beispiele hierfür können die Universitäten in Genf 1873, Amsterdam und Leiden 187735 und Paris 1880/86 gelten. In Deutschland wurde der erste Lehrstuhl allerdings erst 1910 in Berlin eingerichtet. Leipzig (1912), Marburg und Bonn (jeweils 1920) folgten.36 Will man die Entstehung der Religionswissenschaft mit einem Namen verbinden, so müsste man den des deutschen Indologen und Sprachwissenschaftlers Friedrich Max Müller (1823 – 1900) nennen, der ab 1846 in England lebte und lehrte.37 Er war es, der den Begriff Religionswissenschaft programmatisch in seinen Schriften prägte und die Etablierung einer philologisch-historischen so-

33 Antes, Peter: Was ist Religion?, in: ders. (Hg.), Religionen im Brennpunkt: Religionswissenschaftliche Beiträge 1976-2007, Stuttgart 2007, S. 190-195, S. 190. 34 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 45-59. 35 In den Niederlanden begünstigte die Trennung von Staat und Kirche die Entstehung der Religionswissenschaft, da in diesem Zuge die theologischen Fakultäten von der reformierten Kirche abgespalten und konfessionell unabhängige Lehrstühle eingerichtet wurden. (Vgl. Kohl: Wissenschaftsgeschichte, S. 241. Und vgl. Rudolph: Religionswissenschaft, S. 402). Dieser Vorgang zeigt, dass auch konkrete politische Entwicklungen Einfluss auf die Herausbildung und Entwicklung des Faches hatten und haben. 36 Vgl. Rudolph: Religionswissenschaft, S. 402. 37 Zu Friedrich Max Müller siehe Klimkeit, Hans-Joachim: Friedrich Max Müller (18231834), in: Axel Michaels (Hg.), Klassiker der Religionswissenschaft: Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, München 22004, S. 29-40.

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wie vergleichenden Disziplin zur Untersuchung der großen Religionen der Menschheit einforderte. Müllers Eintreten für die Religionswissenschaft geht der Einrichtung der ersten Lehrstühle nur um wenige Jahre voraus.38 Neben ersten Lehrstühlen entwickelten sich seit Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts weitere wichtige Institutionen, welche die Religionswissenschaft als Disziplin stärkten. So wurde 1900 in Paris die erste internationale Tagung für Religionsgeschichte ausgerichtet, der in den folgenden Jahren weitere folgen sollten. Referenzwerke, wie das Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart39 (die erste Auflage erschien zwischen 1909-1913) oder die Encyclopedia of Religion and Ethics40, entstanden und trugen zur Disziplinierung der Religionswissenschaft ebenso bei wie Lehrbücher oder Vorlesungsreihen zu religionsgeschichtlichen Themen in Großbritannien, beispielsweise die Gifford-Lectures.41 Das Ende der Formierungsphase der Religionswissenschaft wird unterschiedlich datiert. Folgt man Stausberg, kann man davon sprechen, dass sie bis in die 1920er Jahre anhielt.42 Ähnliches legen Kippenbergs Überlegungen in Die Entdeckung der Religionsgeschichte nahe. Sharpe hingegen sieht die Gründungsphase schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgeschlossen. Er datiert diesen Abschluss anhand Louis H. Jordans Buch Comparative Religion: Genesis and Growth43 aus dem Jahr 1905, das er als ersten geschichtlichen Überblick über die Entwicklung der neuen Disziplin bezeichnet. Sharpe betont noch einmal, dass die Evolutionstheorie beziehungsweise der Entwicklungsgedanke bis zu diesem

38 Im seinem Aufsatzband Chips from a German Workshop von 1867 (Müller, Friedrich Max: Chips from a German Workshop, London 1867) verwendet er die Bezeichnung „science of religion“ (Religionswissenschaft) erstmalig in der angeführten Bedeutung. Zwei Jahre später erscheint eine Übersetzung dieser Aufsätze in mehreren Bänden in deutscher Sprache. Der erste Band trägt den Untertitel Beiträge zur vergleichenden Religionswissenschaft. (Ders.: Beiträge zur vergleichenden Religionswissenschaft, Leipzig 1869). 39 Schiele, Friedrich Michael/Zscharnack, Leopold (Hg.): Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch gemeinverständlicher Darstellung, Tübingen 19091913. 40 Hastings, James (Hg.): Encyclopaedia of Religion and Ethics, Edinburgh 1908-1921. 41 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I), S. 308-312. 42 Neben Sharpe (vgl. Sharpe: Comparative Religion, vor allem S. 1-143) gibt Kippenberg einen guten und umfangreichen Einblick in die Vorgeschichte und Formierungsphase der Religionswissenschaft (Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte). 43 Jordan, Louis Henry: Comparative Religion. Its Genesis and Growth, Atlanta 1986.

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Moment das zentrale Integrationsmerkmal für die Religionswissenschaft dargestellt habe. Doch auch wenn dieser Gedanke in den Folgejahren weiterhin wichtig geblieben sei, habe seine zentrale Bedeutung ab Beginn des 20. Jahrhunderts abgenommen und er sei zunehmend in die Kritik geraten. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sieht Sharpe daher auch kein zentrales verbindendes Element in dieser Form mehr, sondern spricht von einer methodologischen Revolution in der Religionswissenschaft.44 Neue Einflüsse aus dem Bereich der Sozialanthropologie, Soziologie und Psychologie und anderer Fächer wie vor allem der Theologie seien diskutiert sowie als theoretische Anleihen in die Religionswissenschaft aufgenommen worden.45

3.1.2 Aufstieg und Vorherrschaft der Religionsphänomenologie Insgesamt sei die Religionswissenschaft besonders in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einem starken Einfluss der (protestantischen) Theologie ausgesetzt gewesen, wie Sharpe vor allem im Kapitel Religion, Comparative and Absolute46 seines Buches aufzeigt. Er verweist nicht nur auf die Einflüsse der ‚Religionsgeschichtlichen Schule‘, sondern auch besonders auf Nathan Söderblom (1866-1931), Rudolf Otto (1869-1937) und Friedrich Heiler (1892-1967). Diese drei gelten heute in der einen oder anderen Weise als wichtige Vertreter respektive Wegbereiter (Otto) der Religionsphänomenologie, deren Aufstieg in die Zwischenkriegszeit fällt.47 Die Religionsphänomenologie stellte die vorherrschende Strömung innerhalb der Religionswissenschaft der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre dar. Stausberg weist auf die vielen religionsphänomenologischen Handbücher hin, die in den zwei Nachkriegsjahrzehnten publiziert wurden und eine große Verbreitung fanden, sowie die prägende Bedeutung von Wissenschaftlern wie Gustav Mensching (1901-1978, Deutschland), Claas J. Bleeker (1898-1983, Niederlande) oder Geo Wiedengren (1907-1996, Schweden) für den europäischen Kontext hin.48 Für den US-amerikanischen Kontext ist insbesondere der aus Rumänien

44 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 142-143. 45 Siehe Sharpe: Comparative Religion, S. 144-219. 46 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 144-171. 47 Vgl. Hock, Klaus: Einführung in die Religionswissenschaft, Darmstadt 2002, S. 5867, vor allem S. 59, S. 66. 48 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (III), S. 265.

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stammende Mircea Eliade als einer der bedeutenden Vertreter dieser Richtung zu nennen.

3.1.3 Exkurs: Religionsphänomenologie Die Subsumierung der genannten Wissenschaftler unter dem Label Religionsphänomenologie sowie die Rede von ‚der‘ Religionsphänomenologie im Allgemeinen, stellt bei genauem Hinsehen eine Verkürzung dar, unterscheiden sich die Ansätze dieser Personen doch teilweise deutlich.49 Douglas Allan beispielsweise macht idealtypisch vier verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern aus, die den Begriff Religionsphänomenologie verwenden und ihr zugeordnet werden. Die erste Gruppe benutzt ihn in einem sehr breiten und vagen Sinne zur Erforschung des Phänomens Religion. Die zweite Gruppe ist mit den Namen der skandinavischen Religionshistoriker Widengren und Åke Hultkrantz (19202006) verbunden. Hier wird Religionsphänomenologie als vergleichendes Studium und Klassifikation verschiedener religiöser Phänomene verstanden. Der dritten Gruppe sind Religionswissenschaftler wie der Niederländer Gerardus van der Leeuw (1890-1950), der deutsche Joachim Wach (1898-1955) und Eliade (19071986) zuzuordnen.50 Sie verstehen unter Religionsphänomenologie eine bestimmte Disziplin beziehungsweise Methode innerhalb der Religionswissenschaft und haben den größten Einfluss auf das heutige religionswissenschaftliche Verständnis von Religionsphänomenologie. Die vierte und letzte Gruppe stellt eher ein Sammelbecken für andere mit der Religionsphänomenologie in Verbindung gebrachte Wissenschaftler dar, die vor allem durch die philosophische Phänomenologie51 und theologische Einflüsse geprägt sind. Vertreter dieser

49 Vgl. Tworuschka, Udo: Religionswissenschaft. Wegbereiter und Klassiker, Köln 2011, S. 7. Für eine ausführliche Erörterung siehe auch King, Ursula: Historical and Phenomenological Approaches, in: Frank Whaling (Hg.), Theory and Method in Religious Studies: Contemporary Approaches to the Study of Religion, Berlin, New York 1995, S. 41-176. 50 Wach und noch mehr Eliade lehrten und wirkten vor allem in den USA und hinterließen dort deutliche Spuren. 51 Phänomenologie bedeutet zunächst einfach die Lehre von den Erscheinungen. In der Regel wird sie mit dem Namen Edmund Husserl (1859-1938) in Verbindung gebracht, der als Begründer der phänomenologischen Philosophie gilt. Allerdings wird der Begriff Phänomenologie sehr unterschiedlich gebraucht, je nachdem in welchem Kontext er verwendet wird. So handelt es sich bei der Religionsphänomenologie weder in der

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Gruppe sind unter anderem Rudolf Otto (1869-1937) und Max Scheler (18741928).52 Eine etwas andere Einteilung der verschiedenen Strömungen innerhalb der Religionsphänomenologie nimmt Klaus Hock vor. Bezugnehmend auf eine Einteilung von Bleeker unterscheidet er drei Richtungen der Religionsphänomenologie: • •



die ‚deskriptive Religionsphänomenologie‘ beschreibe und klassifiziere einzelne Phänomene; die ‚typologische Religionsphänomenologie‘ erforsche zusammengehörige Gruppen von Phänomenen, auf deren Grundlage sich unterschiedliche Typen von Religionen unterscheiden und einsortieren lassen; die ‚phänomenologische Religionsforschung im engeren Sinne‘ untersuche Wesen, Struktur und Bedeutung religiöser Phänomene. Personell ist sie mit der bei Allan genannten dritten Gruppe identisch.53

Allan nennt fünf Charakteristika54 der philosophischen Phänomenologie, die für die Religionsphänomenologie allgemein von Bedeutung sind:

einen noch in der anderen Form in der Regel nicht um eine direkte Umsetzung der Phänomenologie Husserls. Allerdings werden bei ihr Anleihen vorgenommen, wie Allans Aufzählung zeigt. (Vgl. Thiel, Christian: Phänomenologie, in: Jürgen Mittelstraß/Siegfried Blasche/Gereon Wolters/Martin Carrier (Hg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 2004, S. 115-119, S. 115-118. Und vgl. Bergunder, Michael: Religionsphänomenologie. II. Religionsphilosophisch, in: Hans D. Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 4

2008, S. 354-355).

52 Vgl. Allan, Douglas: Phenomenology of Religion, in: Lindsay Jones (Hg.), Encyclopedia of Religion, Detroit 22005, S. 7086-7101, S. 7086-7087. 53 Vgl. Hock: Einführung in die Religionswissenschaft, S. 56-57. Eine weitere mögliche Einteilung, die ‚beschreibende Religionsphänomenologie‘, ‚verstehende Religionsphänomenologie‘ und ‚Neustil- Phänomenologie‘ unterscheidet, schlägt Waardenburg vor. (Vgl. Waardenburg, Jacques: Refelections on the Study of Religion. Including an Essay on the Work of Geradus van der Leeuw, Den Haag [u.a.] 1978, S. 91-137). Bei dieser Einteilung handele es sich allerdings nur um eine erste Orientierung, die der Religionsphänomenologie nicht vollständig gerecht werden könne. (Vgl. Hock: Einführung in die Religionswissenschaft, S. 56-57).

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Beschreibende Natur: Die (Religions-)Phänomenologie ist von ihrem Selbstverständnis her eine beschreibende Wissenschaft, die eine Abkehr von philosophischen Theorien und Konzepten zu Gunsten direkter Intuition und Beschreibung der Phänomene fordert, so wie sie in der unmittelbaren Erfahrung erscheinen. Sie versucht, die Natur der Phänomene, die Art, wie sich die Erscheinungen selbst manifestieren, zu beschreiben. Dabei soll auf die korrekte Beschreibung der Gesamtheit der Manifestationen des Phänomens in der menschlichen Erfahrung geachtet werden. Daher beschreibt die Phänomenologie die Vielgestaltigkeit und Komplexität der Erfahrungen, wobei sie versucht, Reduktionismus zu vermeiden. Antireduktionismus: Der phänomenologische Antireduktionismus soll Menschen dabei helfen, sich von unkritischen Vorannahmen zu befreien, um so zu einer tieferen und direkteren Erfahrung und damit zu einer genaueren Beschreibung dieser Erfahrungen zu gelangen. Auf die Religionsphänomenologie bezogen bedeutet dies, dass Religion als ein nicht reduzierbares Phänomen interpretiert wird, weshalb Religionsforscher die sich in den Untersuchungsgegenständen ausdrückende genuine religiöse Intentionalität respektieren sollen. Intentionalität: Intentionalität beschreibt in diesem Kontext die Eigenart psychischer Phänomene, die im Unterschied zu physischen Phänomenen immer auf etwas gerichtet sind, das heißt immer Bewusstsein von etwas sind. „In order to identify, describe, and interpret the meaning of phenomena, phenomenologists must be attentive to the intentional structures of their data: to the intentional structures of consciousness with their intended referents and meanings“55.

Für die Identifizierung, Beschreibung und Interpretation der Bedeutung religiöser Phänomene sollen die Wissenschaftler daher die intentionale Struktur ihrer Untersuchungsgegenstände beachten. Ein Beispiel hierfür bietet Rudolf Otto: „[For him], the priori structure of religious consciousness is consciousness of its intended ‚numinous object‘“56.

54 Für die nachfolgenden Ausführungen zu den fünf Charakteristika vgl. Allan: Phenomenology of Religion, S. 7088-7089, 7093-7096. 55 Allan: Phenomenology of Religion, S. 7088. 56 Allan: Phenomenology of Religion, S. 7094.

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Nach Meinung der Religionsphänomenologen legt religiöse Erfahrung transzendente Strukturen offen, in denen Menschen eine heilige, übernatürliche Bedeutung sehen. Diese Intentionalität sei in einen historischen Kontext eingebunden. Die religiöse Sprache, die in einem hohen Maße als symbolhaft, mythologisch etc. aufgefasst wird, deute auf heilige und bedeutungsvolle Strukturen hin. Die intentionale Bedeutung liege nie unvermittelt vor, sondern brauche immer einen Vermittler, um Eingang in die menschliche und vergängliche Welt zu finden. An dieser Stelle werden in der Religionsphänomenologie Symbole für die Offenlegung der Bedeutung wichtig, in denen sich die übernatürliche Bedeutung manifestiere und durch die diese gedeutet werden können. Bracketing; Epoché: Das antireduktionistische Bestehen auf die Nichtreduzierbarkeit intentionaler, unmittelbarer Erfahrungen hat bei vielen Religionsphänomenologen die Verwendung der phänomenologischen Epoché (Enthaltung von Werturteilen) als Methode zur Folge. Diese Methode wird oft auch als die Methode des Aus- beziehungsweise Einklammerns (Method of Bracketing) bezeichnet, die sich jeglicher Urteile über das Sein oder Nichtsein der Gegenstände enthält. Durch dieses Ausklammern soll sich der Phänomenologe der direkten Erfahrung bewusst werden und Zugang zu den wesensmäßigen Strukturen erhalten können. Dieser Einstellungswandel wird von Edmund Husserl als phänomenologische Reduktion bezeichnet. Für die Erforschung von religiösen Phänomenen bedeutet dies, dass sich die Forschenden unter Ausklammerung der eigenen Vorannahmen mit Hilfe der Empathie in die religiöse Welt der befragten Person hineinversetzen sollen, um so die religiöse Bedeutung der erfahrenen Phänomene zu erfassen. Zu diesem emphatischen Sich-Hineinversetzen gehört als weiterer Schritt die kritische Interpretation der gemachten Erfahrungen. Eidetische Reduktion: (eidos = griechisch: Wesen) Nicht die Einzelfälle intentionalen Erlebens bestimmter Menschen sollen der Gegenstand der Phänomenologie sein, sondern die wesensmäßigen Grundsätze der Erfahrungen oder Erlebnisse, das heißt Phänomenologie wird zur Wesensschau. Sie ist der zentrale Akt phänomenologischer Analyse, die Einblick in das Wesen und die Bedeutung des Phänomens geben soll. In der Religionsphänomenologie wird dabei oft die methodologische Kritik vernachlässigt. So entfällt der Prozess der Selbstreflexion, in dem offen gelegt wird, wie man zu den Ergebnissen kam.

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3.1.4 Kritik und Abstieg der Religionsphänomenologie Die oben angeführten Einteilungen von Allan und Hock machen deutlich, dass unter der Bezeichnung Religionsphänomenologie sehr unterschiedliche Ansätze zusammengefasst werden. So werden auch im engeren Sinn religionsgeschichtlich arbeitende Wissenschaftler, wie beispielsweise Widengren, hier subsumiert. Gerade die Verhältnisbestimmung zwischen Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie (im engeren Sinne) führte zu Auseinandersetzungen, wie Johann Figl festhält.57 Insgesamt sorgte der Begriff Religionsphänomenologie und seine Verwendung immer wieder für Verwirrung.58 Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Religionsphänomenologie, ebenso wie der Entwicklungsgedanke in der Formierungsphase der Disziplin, lange Zeit das vorherrschende Paradigma darstellte. Für Sharpe und Stausberg hatte die Religionsphänomenologie diese Rolle vor allem in den zwei Nachkriegsjahrzenten inne; Figl spricht gar von mehr als einer fünfzigjährigen Dominanz.59 Unabhängig von der genauen Dauer der religionsphänomenologischen Epoche ist unbestreitbar, dass sie die Disziplin prägte und weitestgehend als Identifikationskern diente. Unumstritten war die Religionsphänomenologie allerdings nie. Dies wird deutlich, wenn man die Entwicklungen im Fach nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet. Sharpe weist zu Recht darauf hin, dass man die theoretischen und methodologischen Entwicklungen innerhalb der Religionswissenschaft besonders gut an den Diskussionen innerhalb der 1950 gegründeten ‚Internationalen Vereinigung für Religionsgeschichte‘ (IAHR) nachvollziehen kann.60 Die Gründung der Vereinigung wurde vor allem von Europäern vorangetrieben. Unter den 29 Unterzeichnern, die dem Weltkongress in Amsterdam, auf dem die Vereinigung gegründet wurde, als Organisationskomitee vorstanden, waren nur vier Amerikaner. Dies spiegelt nach Sharpe die internationale Situation in der Religionswissenschaft der damaligen Zeit wider. Die Mitglieder der IAHR verschrieben

57 Vgl. Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 26. 58 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 278. 59 Vgl. Figl: Einleitung, S. 28. 60 Zu der Entwicklung der IAHR und den Diskussionen innerhalb der Vereinigung siehe: Geertz, Armin W./McCutcheon, Russell T.: The Role of Method and Theory in the IAHR, in: dies. (Hg.), Perspectives on Method and Theory in the Study of Religion: Adjunct Proceedings of the XVII Congress of the International Association for the History of Religions, Mexico City 1995, Leiden 2000, S. 3-37. Und siehe Jensen, Tim: The EASR within (the World Scenario of) the IAHR. Observations and Reflection, HISTORIA RELIGIONUM. An International Journal 2 (2010), S. 61-90.

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sich der akademischen Erforschung von Religion. Damit seien bestimmte wissenschaftliche Standards (Orientierung an den Standards der historischen und philologischen Forschung, wie sie sich um die Jahrhundertwende entwickelt hatten, Ablehnung theologischer Ansätze bei der Erforschung von Religion und die phänomenologische Methode) impliziert, aber nicht konkret dargelegt worden, so Sharpe. Die IAHR sei im Großen und Ganzen eine Organisation von dem „Ethos des säkularen Historikers“61 verpflichteten und zumeist in Europa beheimateten Wissenschaftlern. Sharpe sieht in den Jahren 1958-1960 einen wichtigen Wendepunkt in der methodologischen Debatte innerhalb des Weltverbandes. Der damalige Generalsekretär der IAHR hatte eine Öffnung der Vereinigung für Wissenschaftler aus dem asiatischen Raum und dem Nahen Osten angemahnt, war doch beispielsweise der Weltkongress 1950 eine fast allein von westlichen Wissenschaftlern besuchte Veranstaltung gewesen. Die Ausrichtung des Weltkongresses 1958 in Tokio ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Die auf dem Kongress dargelegten Positionen führten zu heftigen Debatten um die methodologische Ausrichtung der IAHR. Mit dem ‚Orient‘ war hier nämlich nicht nur ein geographischer Aspekt gemeint, sondern er wurde auch mit einem spezifischen wissenschaftlichen Ansatz gleichgestellt. So schreibt Bleeker im Rückblick auf den Tokioter Kongress und das ‚Ausgreifen‘ der IAHR auf den Osten 1960: „Everybody who knows the Orient even superficially will realize that the subjects of the history of religions are approached in a different way in the East from that in the West.“62

Er charakterisiert den vermeintlich westlichen Ansatz als einen der aristotelischen Logik verpflichteten, wohingegen der östliche Ansatz von einem intuitiven Nacherleben geprägt sei.63 Ausführlich fasst er die beiden Ansätze wie folgt zusammen: „On the one hand the oriental student is inclined to contend that the very heart of religion can best be reached by intuition and that the ultimate result of the study of religious phenomena must be a deeper insight in the actual value of religion. On the other hand the western student of the history of religions is convinced that his sole task consists of a

61 Sharpe: Comparative Religion, S. 271, Übersetzung S.F. Siehe hierzu auch weiter unten die Ausführungen zum Fünfpunkte-Programm von Zwi Werblowsky. 62 Bleeker, Cornelis J.: The Future Task of the History of Religions, Numen 7 (1960), S. 221-234, S. 223. 63 Vgl. Bleeker: The Future Task of the History of Religions, S. 225.

116 | J ENSEITS VON R ELIGION painstaking study of greater or minor segments of a certain religion in order to understand their religious meaning in a tentative way and that he has to refrain from pronouncing any kind of value judgments.“64

Dieses scheinbare Aufeinandertreffen östlicher und westlicher Wissenschaft, also des intuitiven Zugangs zu Religion auf der einen Seite mit dem Ziel das eigene Leben zu bereichern und das Wissen über die Realität und die Wahrheit oder den Wert von Religion zu vertiefen und des tendenziell säkularen, wertneutralen und westlich ‚wissenschaftlichen‘ Motiven verschriebenen Ansatzes auf der anderen Seite, war bei genauerer Betrachtung allerdings kein genuin west-östlicher Konflikt. Vielmehr waren diese beiden Denkrichtungen auch in der europäischen und amerikanischen Religionswissenschaft schon länger angelegt gewesen, sorgten nun aber in der IAHR verstärkt für Konflikte, die in den folgenden Jahren noch zunehmen sollten, wie Sharpe herausstellt.65 Diese wurden in besonderer Intensität auf der nächsten Tagung 1960 in Marburg ausgetragen.

3.1.5 „Marburg und die Folgen“ „[I]t is clear that Marburg was in many ways to be a watershed, for the simple reason that there methodological discussions established itself for the first time as an integral part of IAHR procedure.“66

In dem bereits oben zitierten Aufsatz Bleekers, der die publizierte Version eines Vortrags während des Marburger Kongresses darstellt, greift er die Probleme und Auseinandersetzungen auf. Er sieht die Notwendigkeit, beiden Ansätzen Rechnung zu tragen, und glaubt, dass die Religionsphänomenologie eine ideale Möglichkeit dazu biete. „In the East scholars primarily seek for the essence of religion. The phenomenology of religion is on the same track […] the phenomenological method [… is, S.F.] an ideal combination of the western and the eastern approach to the study of the history of religions.“67

64 Bleeker: The Future Task of the History of Religions, S. 226. 65 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 268-272. 66 Sharpe: Comparative Religion, S. 277. 67 Bleeker: The Future Task of the History of Religions, S. 230.

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Bleeker verteidigt in diesem Beitrag die Religionsphänomenologie gegen Kritik, ordnet die Religionswissenschaft gleichzeitig zaghaft den Humanwissenschaften zu und grenzt sie entschieden von der Theologie ab.68 Als direkte Antwort auf diesen Beitrag reagierte Zwi Werblowsky in Marburg mit einem FünfpunkteProgramm, in dem er Bleekers Positionen scharf kritisierte und die grundlegenden methodologischen Prinzipien, auf denen die IAHR fußen sollte, darlegte. Dieses Programm wurde von einer Reihe weiterer ganz unterschiedlicher Religionswissenschaftler, darunter Personen wie Eliade und Joseph M. Kitagawa, unterstützt.69 Zusammengefasst verortete Werblowsky die Religionswissenschaft entschieden in den Humanwissenschaften, die religiöse Phänomene empirisch als Teil menschlicher Kultur untersuchen. (Punkt 2) Sie sei wissenschaftlichen Methoden und Maßstäben verpflichtet, die weltweit Geltung hätten. Damit wandte sich der Verfasser gegen Vorstellungen, es gäbe eine westliche Religionswissenschaft, die auf diesen Grundlagen beruhe, und eine östliche Religionswissenschaft, die einen eher ganzheitlichen, intuitiven Ansatz vertrete (Punkt 1). Die Beschäftigung mit der Wahrheitsfrage schloss er aus der Religionswissenschaft aus (Punkt 2 und 3). Den Wert religionswissenschaftlicher Forschung sieht er in wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlichem Ethos selbst begründet und nicht in äußeren Faktoren (Punkt 4). Abschließend forderte Werblowsky, dass politische, soziale, religiöse und andere Motive und Überzeugungen nicht den Charakter der Vereinigung beeinflussen dürften.70

68 Vgl. Bleeker: The Future Task of the History of Religions, S. 227. 69 Vgl. Schimmel, Annemarie: Summary of the Discussion, Numen 7 (1960), S. 235239, S. 235. 70 Vgl. Schimmel: Summary of the Discussion, S. 236-237. Auch die in den Punkten vier und fünf angesprochenen Aspekte hatte Bleeker in seinem Beitrag behandelt und hatte im Unterschied zu Werblowsky tendenziell eine entgegengesetzte Position vertreten. (Vgl. Bleeker: The Future Task of the History of Religions, S. 224, S. 226-227). Eine vergleichbare Position vertritt Donald Wiebe etwa 30 Jahre später. In Rückgriff auf Max Webers Überlegungen zur Wissenschaft als Beruf (siehe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf, Stuttgart 2006) fordert er, dass Religionswissenschaft nicht aus ideologischen oder religiösen Motiven betrieben werden dürfe. Religionswissenschaft müsse wie jede Wissenschaft allein aus einer wissenschaftsintrinsischen Motivation und dem Streben nach objektivem Wissen heraus betrieben werden. Wiebes Kritik richtet sich zwar auch gegen Vertreter der Religionsphänomenologie, aber ebenso – und das ist im Kontext dieser Arbeit besonders interessant – gegen Ansätze, wie sie

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Stausberg sieht in der Diskussion auf der IAHR-Tagung in Marburg eine Abkehr von theologischen und religiösen Agenden in der IAHR.71 Auf jeden Fall stellt der Kongress einen zentralen Wendepunkt in den Debatten um die theoretische und methodologische Ausrichtung dar. Diese verschärften sich in den nächsten Jahren zunehmend. Sharpe verweist auf ein Auseinanderdriften zwischen den Positionen europäischer Wissenschaftler, die zumindest formal weiterhin einem religionsgeschichtlichen Ansatz verhaftet blieben, und den US-amerikanischen Kollegen, die sich nun einem religionsphänomenologischen Ansatz ‚eliadischer‘ Provenienz verschrieben,72 ein Aspekt, auf den später noch genauer eingegangen wird. Werblowskys Fünfpunkte-Programm stellte auch eine massive Kritik an der Religionsphänomenologie im engeren Sinne dar. Vor allem Bleekers Behauptung, „the value of the religious phenomena can be understood only if we keep in mind that religion is ultimately a realisation of a transcendent truth“73, rief Widerspruch hervor. Wie oben erwähnt, lehnte Werblowsky den Einbezug der Frage nach einem absoluten Wert in das religionswissenschaftliche Arbeiten

von McCutcheon oder Fitzgerald propagiert werden. (Vgl. Wiebe: 'Why the Academic Study of Religion?', S. 264-266, S. 272-276. Siehe auch: Wiebe: The Politics of Wishful Thinking?). 71 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (II), S. 315. Seiwert schreibt dazu, dass die Religionsphänomenologie mit „dem Messer der Wissenschaftstheorie“ (Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, S. 22) geschlachtet worden sei, da sie Kriterien wie empirischer Überprüfbarkeit nicht mehr genügt hätte. (Vgl. Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, S. 22.) Bretislav Horyna deutet das Ende der Religionsphänomenologie anders. Nach ihm ist sie kein Opfer sich ändernder wissenschaftlicher Kriterien geworden, sondern „war von Anfang an in ihrer Selbstsicherheit ein Selbstmordkandidat“ (Horyna, Bretislav: Idiotae Responsa, in: Edith Franke/Verena Maske (Hg.), Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft und Kognitionsforschung: Ein Autoren‐Workshop mit Hubert Seiwert, Marburg 2014, S. 91-98, S. 96). Die Mängel, die zu ihrem Niedergang führten, trug diese Richtung nach Horyna von Anfang an in sich und dadurch konnte sie sich in dem Moment, in dem sie sich kritischen Anfragen ausgesetzt sah, nicht mehr halten. (Vgl. Horyna: Idiotae Responsa, S. 95-96). 72 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 279-281, S. 286. 73 Bleeker: The Future Task of the History of Religions, S. 227.

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vollständig ab.74 Die Kritik an der Religionsphänomenologie75 führte letztendlich zum Niedergang ihrer Bedeutung als leitendem Paradigma innerhalb der Religionswissenschaft, eine Position, die sie, wie beschrieben, für lange Zeit innegehabt hatte. Eine ähnliche Rolle hat spätestens seit den 1970er Jahren kein Ansatz in der Religionswissenschaft mehr ausfüllen können. Vielmehr ist seitdem nicht nur eine Pluralisierung der Ansätze, sondern auch eine gewisse Verunsicherung im Hinblick auf die disziplinäre Identität zu beobachten. Zumindest sieht Figl in der seit etwa 1970 aufkommenden „Vielfalt von Strömungen [… auch, S.F.] eine Suche nach dem Selbstverständnis der Disziplin“.76 Vor diesem Hintergrund ordnet er das neu entstandene Interesse an der eigenen Fachgeschichte – vor allem im Hinblick auf Theorie und Methodologie – ein.77

74 Vgl. auch Figl: Einleitung, S. 26-27. 75 Kernkritikpunkte, die an die Religionsphänomenologie herangetragen wurden und werden, sind die Vorwürfe ahistorisch zu arbeiten und die Phänomene nicht in genügender Weise in ihren Kontexten zu sehen. Dabei komme es zu unzulässigen Verallgemeinerungen und Essentialisierungen. Zudem werde bei der Auswahl der Gegenstände arbiträr vorgegangen, um eigene Theorien oder kryptotheologische Vorstellungen zu stützen. (Vgl. Michaels, Axel: Religionsphänomenologie. I. Religionswissenschaftlich, in: Hans D. Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008, S. 352-354). Ein weiterer, vor allem methodologischer Kritikpunkt zielt im Kern auf den doppelten Irrationalismus, also darauf, dass religiöse Erfahrung sowohl Gegenstand als auch Erkenntnisprinzip der klassischen religionsphänomenologischen Forschung ist. (Vgl. Lehmann, Karsten/Kurth, Stefan: Kulturwissenschaftliche Methoden in der Religionswissenschaft, in: dies. (Hg.), Religionen erforschen: Kulturwissenschaftliche Methoden in der Religionswissenschaft, Wiesbaden 2011, S. 7-19, S. 10). Für eine pointierte Kritik an der Religionsphänomenologie siehe auch Rudolph, Kurt: Das Problem der Autonomie und Integrität der Religionswissenschaft, in: ders. (Hg.), Geschichte und Probleme der Religionswissenschaft, Leiden 1992, S. 37-66. 76 Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 27-28. 77 Vgl. Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 27-31.

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3.1.6 Neue Perspektiven: Methodische und theoretische Pluralisierung Sharpe stellt die methodologische Pluralisierung der Religionswissenschaft zu dieser Zeit und das aufkommende Interesse an theoretischen, methodologischen und fachgeschichtlichen Fragen78 in den Kontext des sich auflösenden religionsphänomenologischen Paradigmas. Allerdings akzentuiert er seine Überlegungen anders als Figl. Er hebt stärker auf sich allgemein verändernde Rahmenbedingungen ab, wie es auch Stausberg noch ausführlicher tut. Das endgültige Ende der letzten europäischen Imperien und die Konsolidierung der Machtblöcke führt nach Sharpe dazu, dass Religionen, die bisher nur als Objekte westlicher Forschung vorkamen, als lebendige und gegenwärtige Traditionen in den Blick kommen und einfordern, als eben solche behandelt zu werden. Zudem wird die Vormachtstellung westlicher Werte und westlichen Einflusses in Frage gestellt, was zumindest in Teilen der Religionswissenschaft zu einem Überdenken bisheriger Positionen geführt habe. Daneben habe sich in den 1970er Jahren die klassische Säkularisierungstheorie als nicht mehr haltbar herausgestellt und neue Denkweisen nötig gemacht.79 Auf die sich verändernden gesellschaftlichen (und politischen) Verhältnisse geht auch Stausberg ein. Zumindest für Westeuropa weist er auf die abnehmende Bedeutung des (institutionalisierten) Christentums hin, das Aufkommen ‚Neuer Religiöser Bewegungen‘ (NRB) – ein Punkt, der auch für Sharpe von Bedeutung ist 80 – sowie den sich verändernden religiösen Hintergrund der neuen Generation von Wissenschaftlern.81 Diese gesellschaftlichen Veränderungen trugen sicherlich zu einer Perspektiverweiterung auf zeitgenössische Phänomene und Prozesse sowie zu einer Hinwendung zu sozialwissenschaftlichen Ansätzen bei.82 Sichtbar wird die Bedeu-

78 Siehe hierzu auch: Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (III), S. 267-268. Siehe hierzu auch Walter H. Capps, der auffordert, sich mit der Disziplingeschichte zu beschäftigen und ein Narrativ zu entwickeln, um Veränderungen – gerade methodologischer Art – überhaupt erst richtig einordnen und nachvollziehen zu können. (Vgl. Capps: Commentary, S. 179-180). 79 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 295-297. 80 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 297. 81 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (II), S. 314-316. 82 Siehe hierzu Knoblauch, Hubert: Qualitative Religionsforschung. Religionsethnographie in der eigenen Gesellschaft, Paderborn 2003, S. 1-25. Und siehe: Franke, Edith:

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tung der Sozialwissenschaften für die Religionswissenschaft in der (Um-) Benennung von Instituten und Fachvereinigungen. Wurde traditionell der Name Religionsgeschichte (History of Religion/s) verwendet und damit die historische Ausrichtung betont, wird ab den 1970er Jahren die Bezeichnung Religionswissenschaft (Study of Religion/s) immer häufiger genutzt. Stausberg führt als Beispiele unter anderem die Umbenennung der ‚Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte‘ (DVRG) in ‚Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft‘ (DVRW) 2005 oder die Gründung der ‚Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft‘ 1977 an. In den 1990er Jahren wurde ebenfalls die Umbenennung der IAHR diskutiert,83 eine Debatte, die aktuell wieder an Kraft gewonnen hat.84 Das verstärkte Aufkommen sozialwissenschaftlicher Strömungen innerhalb der Religionswissenschaft sieht Sharpe als einen möglichen Grund für die zunehmende Beschäftigung mit methodologischen Fragestellungen. Innerhalb sozialwissenschaftlicher Disziplinen sei die Beschäftigung mit methodologischen Problemen, anders als in der klassischen Religionswissenschaft, traditionell weit verbreitet gewesen.85 Diese letzten Ausführungen zeigen, dass Sharpe – wie oben angesprochen – eine (tendenziell) andere Akzentsetzung bei der Erklärung

Die Erforschung lokaler Religionen als Aufgabe der Religionswissenschaft, in: dies. (Hg.), Fremd und doch vertraut: Eindrücke religiöser Vielfalt in und um Hannover, Marburg 2005, S. 11-22. 83 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (II), S. 309. Siehe auch Sharpe: Comparative Religion, S. 298. 84 Siehe hierzu Jensen, Tim: IAHR e-Bulletin Supplement, March 2013 (2013), 15.02.2014. , S. 1220; ders.: IAHR e-Bulletin Supplement Liverpool Edition August 2013 (2013), 15.02.2014. , S. 4250; ders.: IAHR e‐Bulletin Supplement November 2013 (2013), 15.02.2014. , S. 3. 85 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 308.

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für das Aufkommen methodologischer Debatten in den 1970er Jahren86 vornimmt als beispielsweise Figl.87 Sharpes Darstellung der Geschichte der Religionswissenschaft endet Mitte der 1980er Jahre. Für die Zeit seitdem sind vor allem zwei Einflüsse prägend für die Entwicklung der Religionswissenschaft.88 Dabei handelt es sich nach Hock zum einen in den 1980er Jahren um die Postmoderne Wende und zum anderen um die Postkolonialen Wende der 1990er Jahre.89 Der Verweis von Hock auf den Einfluss der Postmoderne ist relativ unklar, weil er offen lässt, was er genau meint. Der Begriff Postmoderne stellt ein umstrittenes und nicht klar definiertes Konzept dar, das seinen Ausgangspunkt in der Kunst, Philosophie und Literaturkritik hat. Eine Extremposition sieht in der Postmoderne einen starken Relativismus, der bis zu einer neuen Form des Nihilismus reicht. 90 Auch der Begriff

86 Sharpe verweist auf die zunehmende Zahl von Artikeln und Büchern zu theoretischen und methodologischen Fragestellungen und die Bedeutungszunahme dieser Fragestellungen auf den IAHR Tagungen. Besonders hebt er den Kongress in Turku im Jahr 1973 hervor, auf dem Fragen der Theorie und Methodologie der Religionswissenschaft erstmals explizit im Zentrum standen. (Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 299-300). 87 Vgl. Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 27-31. 88 Siehe zu den unterschiedlichen ‚cultural turns‘ und den damit einhergehenden Veränderungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 4

2010.

89 Vgl. Hock, Klaus: Religionswissenschaft. III. Modellbildung, in: Hans D. Betz/Don Browning/Bernd Janowski/Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Tübingen 42008, S. 407. 90 Vgl. Kivisto, Peter: Postmodernism, Encyclopaedia of Religion and Society (06.11.2007), 16.05.2014. . Der britische Literaturkritiker Terry Eagleton unterscheidet zwischen den Begriffen Postmodernismus und Postmoderne. „Das Wort ‚Postmodernismus‘ bezieht sich im Allgemeinen auf eine Form zeitgenössischer Kultur, während ‚Postmoderne‘ auf eine spezifische historische Periode verweist. Die Postmoderne ist eine intellektuelle Strömung, die misstrauisch ist gegenüber den Begriffen von Wahrheit, Vernunft, Identität und Objektivität, von universalem Fortschritt oder Emanzipation, von singulären Rahmenkonzepten, ‚großen Erzählungen‘ oder letzten Erklärungsprinzipien.“ (Eagleton, Terry: Die Illusionen der Postmoderne. Ein Essay, Stuttgart 1997, S. VII). In ihrer Vorstellung, dass die Welt kontingent und unbegründet ist, stehe sie damit den Leit-

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Postkolonialismus, der von Hock angesprochen wird, ist nicht eindeutig. Hinter der ‚postkolonialen Wende‘ verbergen sich unterschiedliche Strömungen. Wichtig für den religionswissenschaftlichen Kontext ist es, dass es nicht nur um die historische und politische Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe geht. Vielmehr setzt sich in der postkolonialen Diskussion die Einsicht durch, dass Macht über die (ehemals) Kolonialisierten nicht nur ökonomisch ausgeübt wurde und wird, sondern auch durch das westliche Wissenssystem. Daher geraten westliche Theoriebestände und Begriffe selbst in die Kritik und werden reflektiert.

motiven der Aufklärung entgegen. (Vgl. Eagleton: Die Illusionen der Postmoderne, S. VII). Wie der Titel des Buches schon andeutet, lehnt Eagleton die Vorstellungen der Postmoderne ab. Wolfgang Welsch betont, dass die Postmoderne keine Zeitbestimmung darstellt, also eine Epoche nach der Moderne, sondern eine bestimmte Geisteshaltung, die auch innerhalb der Moderne vorhanden, nicht aber dominant ist. Die Moderne ist gekennzeichnet von den großen Metaerzählungen. „Sie gaben je eine Leitidee vor, die alle Wissensanstrengungen und Praktiken einer Zeit versammeln und auf ein gemeinsames Ziel hin ausrichten sollte: Emanzipation durch Wissenschaft in der Aufklärung, Teleologie des Geistes im Idealismus [...]. Jeweils ein großer Entwurf mit einer Methode und einem Ziel; und jeder von ihnen versprach das Heil für alle und im Ganzen.“ (Welsch, Wolfgang: Topoi der Postmoderne, in: Hans Rudi Fischer/Arnold Retzer/Jochen Schweitzer (Hg.), Das Ende der großen Entwürfe, Frankfurt am Main 2

1993, S. 35-55, S. 36). Im postmodernen Denken ist der Glaube an diese Metaerzäh-

lungen verlorengegangen. Die Bejahung der Absolutheitsansprüche wird abgelehnt, was aber nicht zu einer Form des Nihilismus führt, sondern zu einer Bejahung von Pluralität, die positiv gewertet wird. (Vgl. Welsch: Topoi der Postmoderne, S. 35-39). Eine wichtige Feststellung für die vorliegende Arbeit ist, dass es auch weiterhin möglich ist, ‚wahre‘ Aussagen zu treffen. Voraussetzung dafür ist, im Kontext der anerkannten Pluralität bei jeder Aussage die Bedingungen mitzudenken, unter denen sie Gültigkeit besitzen. Wenn etwas wahr sein soll, müssen die Wahrheitsbedingungen offengelegt werden, es muss also gesagt werden, in welchem Kontext die Aussage wahr ist. So muss eine ernsthafte Wissenschaft über ihre Objekte sprechen, „indem sie zugleich deren Bedingungen und die Bedingungen ihres Sprechens thematisiert.“ (Vgl. Welsch: Topoi der Postmoderne, S. 48-50. Zitat, S, 49). Siehe auch Fischer, Hans Rudi: Zum Ende der großen Entwürfe. Eine Einführung, in: Hans Rudi Fischer/Arnold Retzer/Jochen Schweitzer (Hg.), Das Ende der großen Entwürfe, Frankfurt am Main 21993., S. 9-34. Und siehe Graf: Postmoderne.

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Dabei werden die Machtstrukturen und die Hegemonie des Westens insgesamt in Frage gestellt.91 Anders als Hock sieht Stausberg die Religionswissenschaft allerdidngs nicht im gleichen Maße von diesen Entwicklungen beeinflusst wie andere Disziplinen, allen voran die Anthropologie.92

3.2 Z WISCHENFAZIT Insgesamt kann am Ende dieses kursorischen Überblicks über die allgemeine Disziplingeschichte der Religionswissenschaft für das in dieser Arbeit verfolgte Ziel festgehalten werden, dass man es spätestens seit Beginn der 1970er Jahre mit einer theoretischen und methodologischen Pluralisierung zu tun hat. Diese hängt mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und dem Ende der Religionsphänomenologie als Leitparadigma zusammen. Versuche, ein neues, verbindendes und einheitliches Paradigma zu etablieren, wie es vor allem der Versuch darstellt, die Religionswissenschaft in eine Kulturwissenschaft zu überführen,93 sind bisher nicht von Erfolg gekrönt. Vielmehr konkurrieren unterschiedli-

91 Vgl. Bachmann-Medick: Cultural Turns, S. 186-193. Im Hinblick auf die Religionswissenschaft siehe Chidester, David: Colonialism, in: Willi Braun/Russell T. McCutcheon (Hg.), Guide to the Study of Religion, London, New York 2000 S. 423437. Eine allgemeine Einführung in postkoloniale Theorien bietet zudem Ina Kerner: Kerner, Ina: Postkoloniale Theorien zur Einführung, Hamburg 2013. 92 Vgl. Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (II), S. 312. 93 Für den deutschen Kontext sind hier vor allem die Arbeiten Burkhard Gladigows zu nennen, der Ende der 1980er Jahre erste wegbereitende Ideen einer kulturwissenschaftlichen Religionswissenschaft vorlegte. (Vgl. Auffarth, Christoph/Rüpke, Jörg: Einleitung, in: Burkhard Gladigow, Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft. Herausgegeben von Christoph Auffahrth und Jörg Rüpke, Stuttgart 2005, S. 7-21. Das Handbuch

religionswissenschaftlicher

Grundbegriffe

(HRWG)

(Cancik,

Hu-

bert/Gladigow, Burkhard/Laubscher, Matthias Samuel (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Stuttgart 1988-2001) stellt einen sichtbaren Ausdruck des Versuchs dar, die Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft zu etablieren. Siehe zu dieser Thematik auch: Kippenberg, Hans Gerhard/Stuckrad, Kocku von: Einführung in die Religionswissenschaft. Gegenstände und Begriffe, München 2003, besonders S. 11-16. Siehe zudem Koch, Anne: Die Religionswissenschaft als Theorieschmiede der Kulturwissenschaften. Religionsökonomische und kognitionswissenschaftliche Zugänge im Test, in: dies. (Hg.), Watchtower Religionswissenschaft:

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che Ansätze miteinander.94 Einer dieser ‚postphänomenologischen‘ Ansätze95 stellt der hier im Mittelpunkt stehende ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ dar, der in Kapitel zwei vorgestellt wurde. Er konkurriert damit mit anderen Vorstellungen, was Religionswissenschaft ist und wie sie betrieben werden soll. Während die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, wie und warum sich seit den 1970er Jahren neue Ansätze in der Religionswissenschaft entwickelt haben, wurde die besondere Bedeutung des hier verhandelten Ansatzes für den nordamerikanischen Kontext, speziell den US-amerikanischen, noch nicht begründet. Um dies zu tun, ist eine Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der Religionswissenschaft in diesem Zusammenhang notwendig.

3.3 G ESCHICHTE DER R ELIGIONSWISSENSCHAFT 96 IN DEN USA Während die bisherigen Ausführungen einen grundsätzlichen Einblick in die Geschichte der Religionswissenschaft gegeben haben, wie sie in Standardwerken wie Sharpes Comparative Religion oder einschlägigen Lexika und Handbuchartikeln dargestellt wird, geht es – wie angemerkt – im Folgenden um einen genaueren Blick auf die geschichtliche Entwicklung der Disziplin in Nordamerika, und insbesondere in den Vereinigten Staaten. Dabei ist immer auch die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion, die durch den ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten festgeschrieben ist, mit zu bedenken. Diese verbietet im Prinzip die konfessionelle oder religiöse Beschäftigung mit Religion an öffentlichen Universitäten, einen Aspekt auf den weiter unten noch genauer eingegangen wird. Sharpe führt im Hinblick auf die Formierungsphase der Religionswissenschaft in den USA aus, dass sich die Situation nicht grundlegend von der in

Standortbestimmungen im wissenschaftlichen Feld, Marburg 2007, S. 33-53. Siehe zudem Klenk, Moritz: Religionswissenschaft als systematische Kulturwissenschaft. Überlegungen zu einer Synthese von Systemtheorie und kulturwissenschaftlicher Religionsforschung, Bayreuther Beiträge zur Erforschung der Religiösen Gegenwartskultur 2 (2010), S. 1-60, S. 8-22. 94 Siehe hierzu anstelle vieler den Überblick von Figl: Figl: Einleitung, S. 27-31. 95 Die Bezeichnung ‚postphänomenologisch‘ ist von Johann Figl übernommen. (Figl: Einleitung Religionswissenschaft, S. 28). 96 Die folgenden Ausführungen stellen eine vollständig überarbeitete und erweiterte Version dar von Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 24-29.

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Europa unterschieden habe. Divergierende Entwicklungen beschreibt er erst für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere ab den 1960er Jahren. 97 Karl-Heinz Kohl verweist zwar auf zunächst ähnliche Entwicklungen in den USA im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, hält aber fest, „daß eine vergleichbar eigenständige Entwicklung des Fachs [wie in Europa, Anmerkung S.F.] hier sowohl durch die Existenz einer Vielzahl gesellschaftlich einflußreicher christlicher Denominationen […] als auch […] durch die besondere Struktur des auf private Zuwendungen in hohem Maße angewiesenen amerikanischen Universitätswesens behindert worden ist.“98

Erst in den 1930er Jahre habe es eine wirkliche Annäherung an europäische Entwicklungen und Standards gegeben. Andere Autoren, wie beispielsweise Darryl G. Hart und Jeffrey Ruff vertreten die Position, dass die Entstehung der Religionswissenschaft in den USA erst in den 1960er Jahren verortet werden kann.99 Diese unterschiedlichen Vorstellungen hängen teilweise damit zusammen, was die jeweiligen Autoren konkret unter Religionswissenschaft verstehen. Einigkeit scheint weitestgehend darin zu bestehen, dass der Religionswissenschaft vor ihrer Etablierung andere Formen der (universitären) Auseinandersetzung mit Religion vorausgingen. So schreibt Donald Wiebe, dass sich Religion bereits im Curriculum der früheren kolonialen Universitäten gefunden habe. Zu dieser Zeit sei es im Wesentlichen um die Ausbildung protestantischer Geistlicher gegangen. Darüber hinaus gehörten theologische Angebote zum Programm für alle Studierenden. Während der Kolonialzeit sei die Auseinandersetzung also stark konfessionell geprägt gewesen und religiöse Bildung habe zum Bildungsideal gehört. Wissen und das Erlangen von Wissen sei immer auf ein Wissen über Gott bezogen worden und religiöse Bildung als wichtig für die moralische und charakterliche Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft verstanden worden. Die Angebote wurden von den protestantischen Denominationen bestimmt. Erst 1789 wurde eine erste katholische Einrichtung etabliert. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden laut Wiebe die theologischen Angebote aus den protestantischen Universitäten in die theologischen Seminare und Divinity Schools ausgelagert, was dazu geführt habe, dass sich die Erforschung von Religion nicht

97 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 138, 279-286. 98 Kohl: Wissenschaftsgeschichte, S. 256. 99 Vgl. Hart, Darryl G.: The University Gets Religion. Religious Studies in American Higher Education, Baltimore, London 1999, S. 10-13. Und vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8785.

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wie andere Disziplinen an den Universitäten habe entwickeln können. Bei dieser Einschätzung folgt Wiebe Hart.100 Hart zeichnet in seinem Buch The University Gets Religion101 die historischen Diskussionen um Religion als Gegenstand der universitären Lehre und Forschung in den USA nach und nimmt eine Einteilung der Entwicklung seit der Zeit nach dem Bürgerkrieg in drei Zeitabschnitte vor. Diese legt er wie folgt fest: • 1870 – 1925; • 1925 – 1965; 102 • 1965 – bis heute.

Wichtig zu betonen ist, dass die Entwicklungen in diesem Bereich nach Ansicht Harts vor allem eine Geschichte der protestantischen Einmischung in die amerikanische Hochschulbildung darstellt,103 ein Aspekt, auf den später noch eingegangen wird. An dieser Stelle sind die Beschreibungen der Epochen durch Hart nicht weiter relevant. Wichtig ist, dass sie sich in etwa mit den Einteilungen anderer Autoren decken. In der postkolonialen Zeit, vor allem im letzten Viertel, kam es zu einer grundlegenden Veränderung des amerikanischen Hochschulsystems. Der amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) und wissenschaftliche Entdeckungen wie das Aufkommen des Darwinismus‘ hatten die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen in den USA verändert. Die moderne Forschungsuniversität entstand.104 Aus vielen Colleges seien Universitäten entstanden und es habe einen Professionalisierungsschub gegeben, der auch erste Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Religionswissenschaft geboten habe. Diese habe sich aber nicht

100 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 70, S. 92-93. 101 Hart: The University Gets Religion. 102 Bis heute bedeutet in diesem Fall bis gegen Ende der 1990er Jahre. (Vgl. Hart: The University Gets Religion, S. 12-13). 103 Vgl. Hart: The University Gets Religion, S. 12. 104 Vgl. Shepard, Robert Stephen: God's People in the Ivory Tower. Religion in the Early American University, Brooklyn 1991, S. 1-2. Nach Hart wird diese Entwicklung in der Regel als ein Säkularisationsprozess des Hochschulwesens beschrieben, was er für verkürzt und falsch hält. Vielmehr hätte der Protestantismus weiter direkten und indirekten Einfluss auf diesen Bereich genommen, sei es durch die Unterstützung von Einrichtungen oder Personen oder sei es durch die ‚moralische‘ Amalgamierung der handelnden Personen. (Vgl. Hart: The University Gets Religion, S. 11-12).

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entwickeln können, da eine Säkularisierung der Bildungseinrichtungen und eine Auseinandersetzung mit Religion nicht stattgefunden habe. Nach wie vor sei es eher um religiöses Wissen als um wissenschaftliches Wissen über Religion gegangen. Verändert habe sich nur, dass sich die starke konfessionelle Orientierung zugunsten einer allgemeineren religiösen Orientierung verschoben hätte.105 Kitagawa schreibt, dass es bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kein oder kaum Interesse an der Auseinandersetzung mit anderen Religionen als den christlichen gegeben habe. Er begründet das mit dem im Prinzip rein chritlichen Hintergrund der Kolonien und späteren USA. Daher habe nur die Beschäftigung mit den einzelnen Denominationen wirklich interessiert. Dies habe sich aber mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verändert und auch andere Religionen seien in den Fokus gerückt. Als Beleg dafür führt er eine Reihe von Publikationen und die Bereitstellung erster Lehrstühle an, die seiner Auffassung nach im engeren Sinne als religionswissenschaftlich angesehen werden können. Dabei handelt es sich unter anderem um Einrichtungen an der Cornell Universität und in Harvard 1891 sowie an der Brown Universität und an der Universität von Chicago 1892.106

3.3.1 Weltparlament der Religionen und religiöser Liberalismus In den von Kitagawa beschriebenen Kontext fiel ein Ereignis, das von vielen als ein Meilenstein für die Entwicklung der Religionswissenschaft in den USA angesehen wurde. 1893 tagte das erste Weltparlament der Religionen in Chicago, an dem auch viele der damaligen amerikanischen Religionswissenschaftler teilnahmen. Die Teilnahme erfolgte allerdings nicht in ihrer Funktion als Wissenschaftler, sondern als Anhänger ihrer jeweiligen religiösen Traditionen. Laut Kitagawa waren in der Wahrnehmung vieler Amerikaner das Weltparlament der Religionen und Religionswissenschaft eng miteinander verbunden. Besonders die Frage nach der Möglichkeit einer Einheit aller Religionen sei für die damali-

105 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 93-94. 106 Vgl. Kitagawa: Religionsgeschichte in Amerika, S. 185-188. Siehe auch: Ruff: Study of Religion, S. 8784. Und siehe Sharpe: Comparative Religion, S. 136-138. Eine detaillierte Darstellung der Entwicklungen, vor allem an den für diesen Kontext zentralen Universitäten Boston University, University of Chicago, Cornell University, Harvard Divinity School, New York University und University of Pennsylvania, gibt Robert Shepard in seinem Buch God’s People in the Ivory Tower. (Shepard: God's People in the Ivory Tower).

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gen Zeitgenossen von besonderem Interesse gewesen. Diese Frage beschäftigte auch das Parlament in Chicago, wobei der Religionswissenschaft für deren Beantwortung eine besondere Kompetenz zugeschrieben wurde, selbst wenn es sich, wie Kitagawa vermerkt, um keine religionswissenschaftliche Frage handele. In Anlehnung an George Thomas wurde Religionswissenschaft nun zum einen als Wissenschaft verstanden, was sie als neutrale Instanz bei Konflikten zwischen Christentum und anderen Religionen erscheinen ließ. Zum anderen seien „[v]iele Liberale […] davon überzeugt [gewesen], daß die Religionsphilosophie [hier als Religionswissenschaft, Anmerkung S.F.] auch ohne christliche Voraussetzungen religiöse Probleme gültig lösen könne.“107 Das Weltparlament sei ein Ausdruck und Zeichen für den damals in den USA weit verbreiteten religiösen Liberalismus gewesen. Diese Gemengelage hätte ein Interesse an religionsvergleichender Forschung hervorgebracht, so Kitagawa. Ruff weist darauf hin, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Beschäftigung mit Religion weg von einer rein christlich apologetischen Perspektive hin zu einer etwas breiteren Perspektive öffnet. Von „einer vollwertigen Religionswissenschaft, wie sie in Europa entstand“108, könne man allerdings zu dieser Zeit nicht sprechen,109 was die vorangegangen Aussagen zum Weltparlament der Religionen deutlich machen. Wiebe schätzt – in Auseinandersetzung mit den Ausführungen Robert Shepards – die Entwicklungen zum Ende des 19. Jahrhunderts noch einmal etwas anders ein. Während sich in Europa zu dieser Zeit Ansätze einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religionen herausgebildet hätten, seien die Ansätze in den USA immer noch von rein theologischen, kirchlichen Interessen geleitet gewesen. Das könne man besonders gut an der Einrichtung einer Professur für Vergleichende Theologie an der Universität von Boston im Jahr 1873 ablesen, deren Aufgabe eigentlich die wissenschaftliche Untersuchung von Religionen gewesen sei, die sich aber nie aus den Vorgaben der theologischen Fakultät habe befreien können. Ähnliches gelte für die Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität New York, die sich zwar wissenschaftlich verstand, aber stark apologetisch geprägt gewesen sei.110 Ein kurzes Aufleuchten einer wissenschaftlichen Religionswissenschaft habe es nur unter Morris Jastrow (1861–1921) an der Universität von Pennsylvania gegeben, der sich der historischen Methode als Grundlage für Religionswissen-

107 Vgl. Kitagawa: Religionsgeschichte in Amerika, S. 188-191. Zitat, S. 191. 108 Ruff: Study of Religion, S. 8784. Übersetzung S.F. 109 Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8784. 110 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 71-72.

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schaft verschrieben habe. Kurz nach seinem Tod seien aber wieder religiöse Töne angeschlagen worden.111 Die besondere Bedeutung, die laut Shepard, William Rainey Harper (1856 – 1906) in Chicago und Charles William Eliot (1834 – 1926) in Harvard für die Entwicklung des Faches zukommt,112 sieht Wiebe kritisch. Beide hätten nicht wirklich eine wissenschaftliche Religionswissenschaft ins Leben gerufen, sondern wissenschaftliche mit religiösen Interessen vermengt. Weiterhin sei die Ausbildung von Klerikern und geistlichen eine ihrer Aufgaben gewesen, auch wenn wissenschaftliche Ansätze akzeptiert worden seien.113 Religionswissenschaft sei eine Hilfswissenschaft für die Theologie geblieben, um Missionare und Geistliche auszubilden. Dem Christentum sei immer eine Vorrangrolle eingeräumt worden. Die Entwicklung einer unabhängigen, wissenschaftlichen Religionswissenschaft habe nicht stattfinden können, selbst wenn im 19. Jahrhundert eine Anhebung des wissenschaftlichen Niveaus stattgefunden habe.114 Daher folgert Wiebe, auch mit Blick auf die Situation der Religionswissenschaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts: „This must be clearly recognized if one is to understand why the current debates over the role of theology in programs of Religious Studies in the university curriculum have unfolded as they have. Early Religionswissenschaft in the American University context was, in effect, a ‚Christian Religionswissenschaft.‘“115

Auch wenn man die Entwicklungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts positiver bewertet als Wiebe, wie es beispielweise Kitagawa tut, scheinen die Einschätzungen für die folgenden Jahrzehnte nahe beisammen zu liegen. Sowohl Kitagawa als auch Wiebe und Shepard116 sehen einen Niedergang religionswissenschaftlicher Forschung oder dessen, was manche dafür hielten. Unterschiedliche Begründungen werden hierfür angeführt. Zum einen wird auf das Aufkommen einer neuen theologischen Orthodoxie und einen Rückgang der religiös-liberalen Einstellung, die für die Entwicklung der

111 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 72. 112 Eliot, Professor für Chemie, war von 1869 bis 1909 Präsident der Universität in Harvard; Harper, Professor für semitische Sprachen und Religion, war der erste Präsident der Universität von Chicago von 1891 bis 1906. 113 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 73. 114 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 72-73. 115 Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 73. 116 Vgl. Shepard: God's People in the Ivory Tower, S. 4-6.

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vorhergehenden Jahre wichtig war, hingewiesen.117 Zum anderen werden die verstärkte Orientierung am naturwissenschaftlichen Paradigma in den Hochschulen118, aber auch das Fehlen von Berufsaussichten für Absolventen und der Mangel an einer ausgebildeten Fachidentität genannt.119 Ab den 1940er Jahren habe das Feld, mehr oder weniger bis heute, wieder einen Aufwind erlebt, der unter anderem mit den Erfahrungen der Weltkriege, dem erschütterten (naturwissenschaftlichen) Fortschrittsglauben und dem steigenden Interesse an religionsvergleichenden Inhalten etc. im Zusammenhang stehe.120 Trotzdem hat sich nach Wiebes Verständnis auch jetzt keine Religionswissenschaft im eigentlichen Sinne ausgebildet. Vielmehr hätten weiterhin religiöse Vorstellungen bei der Beschäftigung mit Religion im Vordergrund gestanden; wissenschaftliche Forschungen zu Religion hätten im Prinzip nur in anderen Disziplinen stattgefunden, wie der Anthropologie oder der Soziologie.121 Mit dieser Kritik steht Wiebe, wie bereits eingangs der Ausführungen zur Geschichte der Religionswissenschaft in den Vereinigten Staaten angesprochen, nicht alleine.

3.3.2 Religionswissenschaft in den USA ab den 1960er Jahren Hart macht die Entstehung einer akademischen Religionswissenschaft an der Gründung der ‚American Association for Religion‘ (AAR) 1964 fest.122 McCutcheon konstatiert, dass es erst seit den späten 1950er und frühen 1960er

117 Vgl. Kitagawa: Religionsgeschichte in Amerika, S. 191-194. 118 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 95-96. 119 Vgl. Shepard: God's People in the Ivory Tower, S. 123-129. 120 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 97-98. Hart sieht den Aufschwung schon vorher einsetzen. Nachdem die erste Periode von einer eher außercurricularen Beschäftigung mit Religion gekennzeichnet gewesen sei: „[T]he formal emergence of the field [took part; S.F.] in the period from 19251965. These four decades witnessed the formation of a body of scholars with a common interest in teaching religion in an academically respectable manner. This was also the time when religion emerged institutionally as an academic department at most of the colleges and universities where it is now taught and studied.“ (Vgl. Hart: The University Gets Religion, S. 12. Zitat, S. 10). 121 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 100-103. 122 Vgl. Hart: The University Gets Religion, S. 13.

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Jahren zu nennenswerten Institutsgründungen an öffentlichen Universitäten kam. Er sieht diesen Aufschwung stark mit den Namen Eliade und Joseph Campbell (1904-1987) verknüpft, die der Disziplin zu Popularität verhalfen.123 Auch Ruff weist auf die besondere Bedeutung einzelner Akteure hin. Neben Eliade, den er für besonders bedeutsam hält, sind dies Erwin Ramsdel Goodenough (18931965), Wilfred Cantwell Smith (1916 – 2000) und Ninian Smart (1927 – 2001). Trotz aller Unterschiede verbindet sie, nach Ruff, eine Vorstellung von Religion als Phänomen sui generis, das in einem interpretierenden und verstehenden Sinne erforscht werden müsse.124 „Smith, Eilade, and Smart all argued that the academic study of religion need to be a broad utilitarian and humanistic study and not some kind of strictly (and only) objective historical study of particular traditions.“125

Besonders der Einfluss Mircea Eliades auf die Entwicklung der Religionswissenschaft in den USA kann nicht überschätzt werden.126 Hatte er 1960 noch Werblowskys Fünfpunkte-Programm mit unterzeichnet, folgte er schon kurz darauf einer anderen methodologischen Ausrichtung. Sharpe sieht hier ein Auseinanderdriften der nordamerikanischen und der europäischen beziehungsweise der in der IAHR propagierten Religionswissenschaft. Während man in Europa Werblowskys Programm und einer in erster Linie historisch ausgerichteten Vorgehensweise verpflichtet geblieben sei, habe Eliade einen anderen Weg geprägt. Diesen Ansatz, der kennzeichnend für die sogenannte Chicagoer Schule werden sollte – zu der Joachim Wach, Eliades Vorgänger in Chicago, sowie Eliades Kollegen und Schüler Kitagawa und Charles Long als prominente Begründer gezählt werden –, stellte Eliade in seinem programmatischen Aufsatz History of Religion and A new Humanism127 dar. Der Aufsatz war zugleich der erste in dem von den

123 Vgl. McCutcheon, Russell T.: Critical Trends in the Study of Religion in the United States, in: Peter Antes/Armin W. Geertz/Randi R. Warne (Hg.), New Approaches to the Study of Religion, Berlin [u.a.] 2008, S. 317-343, S. 321. Und vgl. McCutcheon: What is the Academic Study of Religion?. 124 Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8785. 125 Ruff: Study of Religion, S. 8786. 126 Siehe hierzu unter anderem Wedemeyer, Christian K./Doniger, Wendy: Hermeneutics, Politics, and the History of Religions. The Contested Legacies of Joachim Wach and Mircea Eliade, New York 2010. 127 Eliade, Mircea: History of Religions and a New Humanism, History of Religions 1 (1961), S. 1-8.

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Genannten neugegründeten Journal History of Religions. Dieses sollte sich nicht nur mit religionsgeschichtlichen Forschungen beschäftigen, sondern auch mit Fragen der Hermeneutik, die nach Sharpe in Europa eher nicht thematisiert wurden.128 Eliade fordert in besagtem Artikel, dass religionswissenschaftliche Arbeit über historische Forschung hinausgehen und die wahre Bedeutung des religiösen Gegenstandes verstehen und selbst kreativ aktiv werden müsse. Die religionsgeschichtliche Forschung habe bisher eine Entschlüsselung der wahren und tieferen Bedeutung der religiösen Phänomene vernachlässigt. Eliade zufolge müsse dies nachgeholt werden, um der kulturellen Funktion der Religionswissenschaft nachzukommen, die darin liege, ein vertieftes Verständnis der Menschheit zu fördern.129 Eliades Ansatz, wie er ihn in diesem Artikel skizziert, kann mit dem Begriff ‚kreative Hermeneutik‘ zusammengefasst werden. Es möchte über die Beschreibung der religiösen Phänomene in ihrer historischen, soziologischen, ökonomischen, psychologischen etc. Dimension hinaus die tieferliegende Bedeutung religiöser Phänomene freilegen. Das genuin Religiöse soll in den Blick genommen und dafür der Gegenstand in seiner eigenen Modalität130 verstanden werden. Dabei geht es ihm einerseits darum, die Kreativität des menschlichen Geistes offenzulegen, und anderseits darüber hinaus diese zu fördern, wie Ulrich Berner festhält.131 Religionswissenschaft wird damit unter anderem zu einer Orientierungswissenschaft.132 History of Religion and A new Humanism stellt das Manifest der Chicagoer Schule dar, die der Religionswissenschaft eine dialogische Ausrichtung gibt und sie dem Humanismus verpflichtet.133 Dem Religionswissenschaftler wird damit eine aktive Rolle im weltweiten kulturellen Dialog und bei der Suche nach der inneren Bedeutung von Religion zugewiesen. Sharpe sieht diesen Ansatz zwar nicht als Gegenentwurf zu den von Werblowsky verfassten Prinzipien der IAHR, er weite aber das Verständnis und die Aufgabe von Religionswissenschaft ungemein. In den USA der 1960er Jahre ha-

128 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 279. 129 Vgl. Eliade: History of Religions and a New Humanism, S. 2, 3, 6. 130 Vgl. Eliade: History of Religions and a New Humanism, S. 4, 6. 131 Vgl. Berner, Ulrich: Mircea Eliade (1907-1986), in: Axel Michaels (Hg.), Klassiker der Religionswissenschaft: Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, München 22004, S. 343-353, S. 347-349, besonders S. 349. 132 Berner: Mircea Eliade (1907-1986), S. 350. 133 Vgl. Tworuschka: Religionswissenschaft, S. 258.

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be sich diese humanistisch orientierte Religionswissenschaft, begünstigt durch gesellschaftliche und politische Veränderungen, auf die gleich zurückzukommen sein wird, durchsetzen können.134 „[O]penings began to be found for teaching of comparative religion under the Chicago programme, not as religion in any traditional sense, but as the ‚new humanism‘ Eliade claimed it to be. All in all, then, the climate of popular opinion was changing fairly rapidly during the late 1950s and early 1960s, but changing subtly away from the stated ideals of the IAHR.“135

Auch in der Folgezeit habe sich in den USA eine Abkehr von den Prinzipien der IAHR und von einer Religionswissenschaft fortgesetzt, die sich rein aus einem wissenschaftlichen Verständnis heraus legitimiert. Sharpe führt hierfür als Beispiel W. C. Smith an, der für eine engagierte Religionswissenschaft eintritt136 und die Religionswissenschaft de facto zu einer Welttheologie im Sinne der Völkerverständigung entwickelt.137

3.3.3 Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels und des Kalten Krieges auf die Religionswissenschaft in den USA Wie bereits angedeutet, hängt der Aufstieg der humanistischen Religionswissenschaft in den USA auch mit sich ändernden gesellschaftlichen Kontexten zusammen. Hier stellen die 1960er Jahre eine Zäsur dar, in der die Vorherrschaft der protestantischen Kirchen gebrochen wurde. Vor dem Hintergrund einer pluraler werdenden Gesellschaft – der sich ebenfalls auf die Zusammensetzung an den Universitäten auswirkte – habe sich Religionswissenschaft als Bestandteil des universitären Curriculums nur noch wissenschaftlich begründen lassen und nicht mehr mit dem Hinweis auf die gesellschaftsprägende Kraft von Judentum und Christentum, die eine Beschäftigung mit Religion notwendig mache, wie Wiebe ausführt.138 Wegbereitend für die Institutionalisierung der Disziplin war zudem ein Gerichtsurteil aus dem Jahre 1963. Wie bereits oben erwähnt, schreibt der erste Zu-

134 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 279-281. 135 Sharpe: Comparative Religion, S. 281. 136 Vgl. Sharpe: Comparative Religion, S. 282-284, 286. 137 Vgl. Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 102-108, besonders S. 106-107. 138 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 77-78.

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satzartikel der amerikanischen Verfassung vor: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet [...]“139. Juristen unterscheiden diese Verfügungen nach der ‚establishment clause‘ und der ‚free exercise clause‘. Zusammengefasst sagen sie aus, dass es der Regierung weder erlaubt ist, eine bestimmte Religion zu fördern oder zu bevorzugen, noch die Bürger in der Wahl und Ausübung ihrer Religion zu behindern. Anfang der 60er Jahre gerieten diese Bestimmungen in den Fokus eines Gerichtsverfahrens. Die Familie Schempp klagte gegen die Schulbehörde ihres Heimatbezirkes, da sie durch das Schulgebet das Recht ihres Kindes auf freie Religionswahl und damit auch die Wahl, nicht religiös zu sein, beschnitten sah. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Schulbehörde die Rechte der Schüler verletzt – nicht nur durch die Unterstützung einer bestimmten christlichen Weltanschauung, sondern allgemein durch die Förderung einer religiösen Weltanschauung. Der zuständige Richter erklärte im Zusammenhang mit dem Urteil konfessionellen Unterricht und religiöse Indoktrination für verfassungswidrig. Gleichzeitig, und das sollte große Auswirkungen auf die Religionswissenschaft haben, vertrat er den Standpunkt, dass zu jeder Erziehung und Bildung vergleichendes oder historisches Wissen über Religion sowie Religionen und deren Verhältnis zur Fortentwicklung der Zivilisation gehöre. Damit ergaben sich staatliche Fördermöglichkeiten für nicht konfessionsgebundene Einrichtungen, die sich der Geschichte verschiedener Religionen, dem Religionsvergleich und der Rolle der Religion in der Geschichte widmen.140 Diese Entscheidung führte dazu, dass viele politisch und theologisch liberal eingestellte Wissenschaftler eine andere Begründungsstrategie für die Integration von Religion in das Curriculum der öffentlichen Hochschulen wählten.141 Diesen

139 Erster Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, 17. September 1787, Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, 15.05.2014. . Der erste Zusatz gehört zu den ‚Bill of Rights‘ und ist 1791 in Kraft getreten. 140 Vgl. McCutcheon: Religionswissenschaft. Einführung und Grundlagen, S. 77-82. Siehe hierzu FindLaw | Cases and Codes: Abington School District, PA v. Schempp (1963), 15.05.2014. . 141 McCutcheon spricht hier von einem neuen Mittelweg (‚middle path‘), der große Hoffnungen geweckt habe. (Vgl. McCutcheon: Critical Trends in the Study of Religion in the United States, S. 322.) Mit Mittelweg ist eine Beschäftigung mit Religion an den Universitäten jenseits von Theologie und positivistischen Ansätzen gemeint.

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neuen ‚mittleren Weg‘ zwischen Theologie und positivistischen Ansätzen stellte die ‚Chicagoer Schule‘ um Eliade mit ihrem oben genannten Ansatz bereit. Ihre liberal-humanistische Denkrichtung, die Religion als private Erfahrung definierte, wurde als nicht theologisch eingestuft und daher als Bereich gesehen, in dessen Grenzen die Religionswissenschaft öffentlich gefördert werden konnte.142 Theologie und konfessionell gebundene Religionswissenschaft hingegen waren nach der Auslegung des ersten Verfassungszusatzes nun an öffentlichen Universitäten nicht mehr erlaubt und konnten so nur innerhalb privater Institutionen betrieben werden.143 Einen weiteren Grund für die voranschreitende Institutionalisierung der Religionswissenschaft vermutet McCutcheon in der auf den Kalten Krieg gerichteten Politik der US-Regierung Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre. Die Erfahrungen der russischen Überlegenheit in der Raumfahrt144 hätten die USRegierung veranlasst, eine Bildungsoffensive zu starten, von der auch die Religionswissenschaft profitiert habe. Während zunächst theologische Einrichtungen gefördert wurden, hätte sich nach dem Gerichtsurteil von 1963 ein Wechsel zur Religionswissenschaft vollzogen. Dabei sei es im Prinzip zu einer Umetikettierung gekommen. Wurden bis zur Gerichtsentscheidung liberale protestantische

Dabei ist anzumerken, dass es neben der Beschäftigung mit Religion innerhalb der Religionswissenschaft (damit ist hier auch ihre Form als christliche Religionswissenschaft vor den 1960er Jahren gemeint) auch Religionsforschung außerhalb religionswissenschaftlicher Institute gab und gibt. Wiebe würde wohl sogar sagen, dass man fast nur bei dieser Form von Religionsforschung außerhalb der religionswissenschaftlichen Einrichtungen von ‚wirklicher‘ Religionswissenschaft sprechen kann. Ruff weist darauf hin, dass vor allen in den Sozialwissenschaften parallel zu der Entwicklung in der humanistischen Religionswissenschaft andere Tendenzen vorherrschten und man dort Religion als kulturelles, gesellschaftliches Phänomen verhandelte. Dabei wurde Religion kein besonderer Status eingeräumt, sondern genauso in den Blick genommen wie Politik oder Ökonomie, und damit Ansätze in Anschlag gebracht, die in der Religionswissenschaft eliadischer Prägung als reduktionistisch kritisiert wurden. Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8786). 142 Vgl. McCutcheon: Critical Trends in the Study of Religion in the United States, S. 322-323. 143 Vgl. Geertz/McCutcheon: The Role of Method and Theory in the IAHR, S. 12. Siehe hierzu auch Hart: The University Gets Religion, S. 200-208. 144 Ein Stichwort in diesem Kontext ist der sogenannte ‚Sputnikschock‘, der auf den russischen Start des sowjetischen Satelliten Sputnik folgte, durch den die sowjetische Fähigkeiten in der Raumfahrt deutlich wurden.

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Einrichtungen gefördert, waren es nach dem Urteil liberal humanistische. Daher seien viele liberale Theologen einfach „dem Geld gefolgt“145 und auf die humanistische Richtung eingeschwenkt.146 Der jungen Religionswissenschaft in den USA sei dann der Kampf gegen den gottlosen Kommunismus zugewiesen, aber auch von ihren Vertretern aktiv aufgenommen worden. Hier verweist McCutcheon wieder auf Eliades ‚New Humanism‘.147

3.3.4 Aktuelle Entwicklungen Seit dem Gerichtsurteil von 1963 hat eine beachtliche Entwicklung stattgefunden. Nach Informationen von Warne lassen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den USA mindestens 1265 religionswissenschaftliche Studienprogramme finden. Angesiedelt sind diese in öffentlichen, privaten nichtkonfessionellen sowie katholischen und protestantischen Einrichtungen, sodass sich neben der im engeren Sinne eigentlichen Religionswissenschaft auch Theologie und Bibelstudien in den Studienprogrammen finden.148 Warne berichtet in ihren Ausführungen zur Religionswissenschaft in Nordamerika, dass das Christentum stark im Fokus steht. Begründet sieht sie diesen unter anderem durch den Ansatzpunkt der ‚American Academy of Religion‘149,

145 McCutcheon, Russell T.: 'Just follow the Money': The Cold War, the Humanistic Study of Religion, and the Fallacy of Insufficent Cynism, Culture and Religion 5 (2004), S. 41-69. 146 Vgl. McCutcheon: 'Just follow the Money', S. 42-59. 147 Vgl. McCutcheon: 'Just follow the Money', S. 56. 148 Vgl. Warne, Randi R.: New Approaches to the Study of Religion in North America, in: Peter Antes/Armin W. Geertz/Randi R. Warne (Hg.), New Approaches to the Study of Religion, Berlin [u.a.] 2008, S. 13-41, S. 13, 15. 149 Die AAR ist mit ungefähr 9000 Mitgliedern die heute größte Vereinigung von Wissenschaftlern, die zum Thema ‚Religion‘ arbeiten. 1909 wurde sie als ‚Association of Biblical Instructors in American Colleges and Secondary Schools‘ gegründet und 1922 in ‚National Association of Biblical Instructors‘ umbenannt. Ende der 50er Jahre und zu Beginn der 60er Jahre kam es zu einer Auseinandersetzung um die inhaltlichen Zielsetzungen und über das Selbstverständnis der Vereinigung. Aus dem Diskussionsprozess ging 1964 die AAR hervor. Sie steht in enger Verbindung mit der ‚Society of Biblical Literature‘ (SBL).

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Religionswissenschaft als ein stark christliches Unterfangen zu sehen. Des Weiteren weist sie auf die sich mit den Aussagen des oben genannten Richters deckende Einschätzung führender Vertreter der AAR hin, dass jeder Studierende einer Ausbildung bedürfe, die das Wissen über Religion und damit die Religionswissenschaft beinhalte.150 Demnach findet sich die Religionswissenschaft an vielen Universitäten als Bestandteil des geisteswissenschaftlichen Curriculums wieder. Die ihr innerhalb dieses Curriculums zugedachte Aufgabe ist es, den Studierenden die Werte der ‚eigenen‘ Kultur und die Fähigkeit zur Toleranz anderen Werten gegenüber zu vermitteln. Damit werde der Religionswissenschaft ein bedeutender Beitrag zum nation-building zugedacht, so McCutcheon.151 Etwa in den letzten drei Jahrzehnten hat sich in Bezug auf Theorie und Methoden in der Religionswissenschaft allerdings ein programmatischer Wechsel in Nordamerika vollzogen. Eine große Bedeutung für diesen Wechsel kommt Jonathan Z. Smith zu. Er übt mit seinen Ansichten und Forderungen einen großen Einfluss auf eine neue Generation von Forschern in Nordamerika aus. Zu J. Z. Smiths Grundannahmen zählt sein Verständnis von Religion als ein von Forschern geschaffenes Konstrukt; „[T]here is no such thing as ‚religion‘ per se“152, fasst Warne eines seiner zentralen Postulate zusammen.153 Mit diesem

„AAR members include those who have a secular interest in the study of religion, as well as those whose research springs from participation in a religious tradition or community of practice. By bringing together secular scholars with scholars who are themselves religious, the AAR helps to ensure that academic reflection about religion does not become disjoined from the realities of religious practice and that religious theorists open their work to criticism.“ (American Academy of Religion, 01.03.2014. ). Wie aus diesem Zitat und anderen Texten von der offiziellen Homepage der Vereinigung hervorgeht, ist ihr daran gelegen, Religion sowie ihre Erscheinungsformen und Manifestationen aus unterschiedlichen Perspektiven zu untersuchen, säkularen wie religiösen. Dabei steht der Schutz der Religion vor unsachgemäßer Behandlung (was auch immer das bedeuten mag) im Vordergrund. (Vgl. American Academy of Religion). Weitere Informationen über die Struktur, Geschichte und Aktivitäten der AAR findet man unter http://www.aarweb.org. 150 Vgl. Warne: New Approaches to the Study of Religion in North America, S. 15-17. 151 Vgl. McCutcheon: Critical Trends in the Study of Religion in the United States, S. 319-320. 152 Warne: New Approaches to the Study of Religion in North America, S. 24. Hervorhebung im Original. 153 Siehe hierzu auch Kapitel 2.1 und 2.2 dieser Arbeit.

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Verständnis von Religion verbindet sich die Forderung, von der Suche nach dem Wesen von Religion abzurücken und sich der Untersuchung von Klassifikationen zuzuwenden.154 Gerade seit Mitte der 1990er Jahre greift diese neue, von J. Z. Smith beeinflusste Generation von Forschern eine ältere und durch Eliade geprägte Wissenschaftlergeneration und deren Positionen an. Dem essentiellen Verständnis Eliades und seiner ‚Anhänger‘ von Religion als einem bestimmbaren Phänomen, das tiefe menschliche Sehnsüchte nach Sinn und Transzendenz anspricht, stellt die jüngere Wissenschaftlergeneration grundsätzlich andere Theorien entgegen. Warne geht so weit, dass sie die Angriffe der durch J. Z. Smith beeinflussten Wissenschaftler gegen die Ideen der anderen Tradition als einen „blood sport“155 bezeichnet, mit dem Ziel, Eliades Ideen auszumerzen.156 Trotzdem gibt es noch immer einflussreiche Vertreter des humanistisch orientierten Ansatzes, die Religion als Phänomen sui generis und einen entsprechenden Umgang mit diesem Phänomen fordern, wie beispielsweise die Arbeiten von Diana Eck zeigen.157 Von einer organisierten Form der Gegenbewegung zu einer ‚religiösen‘/‚humanistischen‘ Religionswissenschaft kann man ab den 1980er Jahren sprechen. Ein sichtbares Zeichen stellt die Gründung der ‚North American Association for the Study of Religion‘ (NAASR) im Jahr 1985 dar. Diese ist in Konkurrenz und Opposition zur AAR zu verstehen; in ihrer Zielsetzung wendet sie sich gegen religiös oder ideologisch geprägte Religionsforschung in jeglicher Form.158 Im Verbandszweck wird als Ziel benannt: „to encourage the historical, comparative, structural, theoretical, and cognitive approaches to the study of religion among North American scholars; to represent North American scholars of religion at the international level; and to sustain communication between North American scholars and their international colleagues engaged in the study of religion.“159

154 Vgl. Warne: New Approaches to the Study of Religion in North America, S. 24. 155 Warne: New Approaches to the Study of Religion in North America, S. 24. 156 Vgl. Warne: New Approaches to the Study of Religion in North America, S. 24. 157 Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8787. 158 Siehe hierzu: Martin, Luther H./Wiebe, Donald: Establishing a Beachhead: NAASR, Twenty

Years

Later,

NAASR,

01.03.2014.

159 North American Association for the Study of Religion: About the North American Association for the Study of Religion, 01.03.2014. .

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Diese Frontstellung erinnert an die weiter oben dargestellte Debatte von Marburg 1960 und bietet einige Parallelen, die an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden können. Wiebe, einer der Mitbegründer der NAASR, sieht in den Entwicklungen der 60er und 70er Jahre zwar Veränderungen, aber keine grundlegende Neuausrichtung bei der Beschäftigung mit Religion an den Hochschulen. Diese sei weiterhin eine theologisch beziehungsweise religiös oder auch humanistisch motivierte und es habe nur vereinzelte Versuche gegeben, eine wirkliche, wissenschaftliche Religionswissenschaft zu etablieren.160 Damit gehört er zu einer Reihe von Wissenschaftlern, die sich kritisch mit der eigenen Disziplin auseinandersetzen. Ruff schreibt zu den gegenwärtigen Entwicklungen in der nordamerikanischen Religionswissenschaft: „Beginning from different backgrounds and presuppositions, contemporary scholars employ the principle of contesting and examining everything, not just the subject matter but also scholarship and the academy itself.“161

Die Disziplin und ihre Vertreter werden kritisch unter die Lupe genommen. Dabei gerät auch der Religionsbegriff selbst in die Kritik, wie der Verweis auf J. Z. Smith oben und die Ausführungen in Kapitel zwei bereits gezeigt haben. Diese Entwicklungen erhalten von außen, das heißt aus anderen Disziplinen, wie beispielsweise der Anthropologie, immer wieder Nahrung, wie Ruff mit Verweis auf die Arbeiten von Edward Said und Talal Asad festhält.162 Ebenfalls seit Mitte der 90er Jahre versuchen einige Wissenschaftler die Trennung zwischen wissenschaftlich und religiös aufzulösen oder zumindest zu überdenken. Ihre Argumentation stützt sich auf postmoderne Überlegungen. In einem postmodernen Kontext sei die Position überholt, Religionswissenschaft dürfe in öffentlichen Universitäten nur wissenschaftlich und nicht religiös gelehrt werden. Gleiches gelte für die Vorstellung, eine wissenschaftliche Methodologie allein könne alles erklären. Die Auffassung, Inklusivismus wie Liberalismus seien nur verdeckte Spielarten des weiterhin dominanten Christentums, würde zudem zurückgewiesen, so Warne.163

160 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 91-113. 161 Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8786. 162 Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8786-8787. Siehe hierzu auch Benavides: North America, S, 244. 163 Vgl. Warne: New Approaches to the Study of Religion in North America, S. 25-26. Und vgl. Benavides: North America, S, 246-247.

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3.4 F AZIT Das Bild der Religionswissenschaft in Nordamerika ist nicht einheitlich. Um die Situation nachvollziehen und einschätzen zu können, ist es wichtig zwei miteinander verbundene Aspekte festzuhalten: Zum einen der Einfluss des Protestantismus und des religiösen Liberalismus auf die Religionswissenschaft und zum anderen die überragende Bedeutung von Eliade und der Chicagoer Schule mit ihrem Konzept des ‚neuen Humanismus‘. Obwohl es an den Darlegungen von Hart in seinem Buch zur Religionswissenschaft an amerikanischen Universitäten grundsätzliche Kritik gibt,164 wie beispielsweise an seiner unklaren Terminologie, bleibt seine Einschätzung der Rolle des Protestantismus für die Entstehung der Religionswissenschaft nachvollziehbar und für das hier verfolgte Anliegen zentral. Hart schreibt zu den Argumenten für eine Integration des Themas Religion in das Curriculum der Universitäten: „What these arguments reveal is a strategy for the Study of Religion in American colleges and universities that a generation of almost exclusively mainline Protestant clergy and academics devised. Their aim, first, was to promote the study of religion under the broad umbrella of the Protestant denominations’ campus ministers. Then in the 1960s, when the traditional looked especially tattered, religious studies reinvented itself as an academic field of critical inquiry. But this new academic appearance never hides completely the older ministerial one.“165

Als die gesellschaftlichen Transformationen vor allem zu Beginn und während der 1960er Jahre sowie die Rechtsprechung einer konfessionellen Religionswissenschaft die Grundlage entziehen, wird diese SLücke von Eliade genutzt und gefüllt. Der amerikanische Religionswissenschaftler Michael Altman schreibt am 02. Oktober 2013 in einem Blogbeitrag dazu: „My hypothesis is this: Eliade provided an intellectual bridge between liberal Protestant understandings of comparative religion such as James Freeman Clarke’s Ten Great Religions, and the experimental hot house of 1960s and 1970s college campuses. In the wake of the Schempp decision, with the doors flung wide open for some sort of secular study of

164 Siehe hierzu: Hutcheson, Philo A.: The University Gets Religion: Religious Studies in American Higher Education (Review), The Journal of Higher Education 73 (2002), S. 420-423. 165 Hart: The University Gets Religion, S. 10.

142 | J ENSEITS VON R ELIGION religion, in walked a Romanian philosopher and intellectual who could simultaneously represent European seriousness while rejecting the European tradition of functionalist theories of religion, and give many American students what they wanted - a comparative religion that told them the sacred was real, that it could be found outside the dogmatism of their parents, and that it could transform them.“166

Ergänzt man Altmans Aufzählung um die neue Integrationspolitik der Vereinigten Staaten in den 1960er Jahren und den Einfluss des Kalten Krieges auf die amerikanische Bildungspolitik der damaligen Zeit, ist dieser Hypothese voll zuzustimmen. Wie weiter oben erwähnt, kann die Rolle von Eliade und die auf ihn zurückgehende Tradition vor allem in den USA nicht überschätzt werden. Das sieht auch Wiebe so, wenn er schreibt: „Indeed, given the power of and range of Eliade’s work, it is not entirely inappropriate to think of Eliade himself as a cultural force shaping the field […].“167

Die Publikationen und das Wirken von Eliade und der in seiner Tradition stehenden Wissenschaftler blieben nicht nur auf die Universitäten beschränkt, sondern fanden vor allem vor den 1980er Jahren ihren Weg hinaus in die Gesellschaft und prägten das Bild von Religionswissenschaft und Religion.168 Die Ansätze, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, müssen in der Auseinandersetzung mit der (bis heute) dominanten Position Eliades und des ‚neuen Humanismus‘ gesehen werden. Hinzu kommen postmoderne Tendenzen, die versuchen, auch in den USA theologische und religiöse Ansätze in die Universitäten zu bringen. Vergleicht man diese Situation mit der deutschen, wird deutlich, dass diese grundsätzlich anders gelagert ist. Auch wenn die Mitglieder des Wissenschaftsrates in ihren Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen169 dazu auffordern, die

166 Altman, Michael J.: The History of Religion in American Religious History; Or, the Eliadian Roots of Liberal Religion (2013), 27.02.2014. . 167 Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 100. 168 Vgl. Ruff: Study of Religion, S. 8786. Siehe auch Benavides: North America, S. 252. 169 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen (2010), 02.03.2014. .

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noch in theologischen Fakultäten befindlichen religionswissenschaftlichen Professuren aus diesen herauszulösen, um unter anderem zu einem klareren Bild zu kommen,170 ist doch festzuhalten, dass die Grenzen zwischen Religionswissenschaft und Theologie in Deutschland sehr viel deutlicher gezogen sind als in den USA. Auch in Deutschland finden sich Religionswissenschaftler, die man im weitesten Sinne mit Eliades neuem Humanismus oder ähnlichen Vorstellungen in Verbindung bringen kann. Gleichzeitig finden sich Theologen im engeren Sinne in der Regel in den Theologien wieder und es konnte sich eine wissenschaftliche Religionswissenschaft (in Anlehnung an IAHR-Prinzipien) als dominante Strömung innerhalb der deutschen Religionswissenschaft entwickeln. Das Verbot theologischer Einrichtungen zumindest an den öffentlichen Universitäten in den USA hat dazu geführt – und führt noch immer dazu – dass theologisch (sei es in einem konfessionellen, sei es in einem religiös-liberalen Sinne) ausgerichtete Wissenschaftler ihren Platz in den religionswissenschaftlichen Instituten suchen und dabei die eigenen Absichten verschleiern, um den Vorgaben des ersten Zusatzartikels zu entsprechen.171 Man kann die Situation in Deutschland selbstverständlich nicht auf ganz Europa übertragen, dazu sind die nationalen Unterschiede im Wissenschaftssystem zu groß und die gesellschaftlichen Umstände zu disparat.172 Doch gilt tendenziell

170 Vgl. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen, S. 88-89. Und vgl. Bochinger, Christoph: Vielfalt der Religionen und religionswissenschaftliche Kompetenz. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats im Horizont säkularer Kulturwissenschaften (2010), 02.03.2014. , S. 7. Siehe zudem Antes, Peter: Religionswissenschaft und Theologie. Abgrenzung – aber wie?, Berliner Theologische Zeitschrift (BThZ) 29 (2012), S. 20-31. 171 Diese Ausführungen beruhen auf einer persönlichen Korrespondenz mit Russell McCutcheon über die Lage in den USA aus dem Jahr 2010. 172 Neben den oben vielfach zitierten Artikeln von Stausberg (Stausberg: The Study of Religion(s) in Western Europe (I);ders.: The Study of Religion(s) in Western Europe (II), ders.: The Study of Religion(s) in Western Europe (III)) gibt vor allem Peter Antes‘ Aufsatz A Survey of New Approaches to the Study of Religion in Europe einen guten Überblick bezüglich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in einzelnen europäischen Ländern. (Siehe Antes: A Survey of New Approaches to the Study of Religion in Europe).

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für (West-)Europa insgesamt, dass sich die Situation grundsätzlich von der in den USA unterscheidet.173 In einer Rezension zu einer Festschrift für Donald Wiebe setzt sich Tim Jensen mit Wiebes kritischer Einschätzung auseinander, ob eine wirklich wissenschaftliche Religionswissenschaft möglich ist: „Is a truly academic science of religion existing only as an exception from the rule? Are the contributors to this collection but a few exceptional scholars? Have Wiebe and Martin, J. Z. Smith, Lincoln, Ivan Strenski, Gary Lease, McCutcheon, Thomas Tweed, Gustavo Benavides, Gregory Alles, to mention but a random handful of (male) U.S. based, well known, and, I think, influential international scholars—all of them arguing for and acting out a secular or nonreligious, scientific study of religion—really lost the fight now fought for so many years? And, what about all the scholars working outside the United States, not least in Europe, in less religious environments, in locations where a fairly emancipated ‚Religionswissenschaft‘ has been in place for quite a while? I too think there are lots of failures, and the fight certainly is ongoing, and it is no doubt ‚up hill‘ in many ways and places. However, there are scholars and places, also within departments named Study of Religion or Religious Studies where studies of religion in line with Wiebe’s visions are being carried out, refined, and redefined. The work of Wiebe and like-minded scholars has not been in vain. […] Many of the study-of-religions publications over the last thirty-five years […], the scholars mentioned, NAASR […] and things happening outside the—in many ways—parochial U.S. scene bear witness also to progress.“174

Dieses Zitat macht noch einmal die Einschätzung deutlich, dass die Entwicklungen in Nordamerika und Europa in bestimmten Bereichen anders verlaufen sind und die Bedingungen für eine Religionswissenschaft, die sich wissenschaftlichen Standards verpflichtet weiß, in den USA schwieriger sind als diesseits des Atlantiks. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Ausführungen auf den letzten Seiten wird verständlich, wieso einerseits der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ im nordamerikanischen Diskurs eine sehr viel stärkere Bedeutung hat als in Europa und weshalb die mit ihm verbundenen Diskussionen in Europa nur unvollständig nachvollzogen werden können.

173 Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 69-70. 174 Jensen, Tim: Bookreview: Failure and Nerve in the Academic Study of Religion. Essays in Honor of Donald Wiebe. Edited by William Arnal, Willi Braun, and Russell T. McCutcheon. Equinox, 2012, Journal of the American Academy of Religion 82 (2014), S. 264-270, S. 5-6.

4 Zwischenfazit

Am 11. September 2013 hielt der ehemalige Vorsitzende der Internationalen Vereinigung für Religionsgeschichte und emeritierte Religionswissenschaftler Michael Pye den Eröffnungsvortrag auf der 22. Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft in Göttingen. Unter dem Titel „Digging for Theory“1 setzt er sich mit dem Verhältnis zwischen Gegenstand, Theorie und Methode auseinander. In seinen einleitenden Überlegungen fordert er das Verhältnis von Theorie und Methode umzukehren. Nicht wie seiner Meinung nach üblich, solle man abstrakte theoretische Überlegungen an den Anfang der wissenschaftlicher Arbeit stellen und dann Methoden vermitteln, mit denen man sich schlussendlich konkreten Forschungen zuwenden kann. Vielmehr sollen die Vermittlung der Methoden und die empirische Arbeit am Beginn stehen, auf deren Grundlage dann Theoriebildung betrieben werden könne. Im Kontext dieser Forderung sag Pye relativ zu Beginn des Vortrages Folgendes: „I have little time for those armchair methodologists and theorists who tell us how to do our job […] Most of them live in North America without ever having tried to do it themselves. I do I think you know how they are.“2

Pye kritisiert hier einige Kollegen als Lehnstuhltheoretiker, die sich ihre Hände nicht im echten Feld schmutzig machen würden. Aus dem Kontext seiner Aussage wird deutlich, dass er mit seiner Kritik in erster Linie Vertreter des soziorhetorischen Ansatzes im Blick hat. Diese verortet er geographisch vor allem in Nordamerika. Den sozio-rhetorischen Ansatz als vornähmliche nordamerikanisches Phänomen zu sehen, wie es hier bei Pye den Anschein hat, ist allerdings verkürzt.

1

Pye, Michael: Digging for Theory, Göttingen 11.09.2013.

2

Pye: Digging for Theory.

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Der spezifische nordamerikanische und vor allem US-amerikanische Kontext, mit der dort etablierten Trennung von Staat und Religion (Stichwort: ‚Wall of Seperation‘), aber auch die Rolle der USA in und für die moderne Welt,3 sind sicher wichtig für die dargestellten Debatten. Die Entwicklung der Religionswissenschaft und des Religionsdiskurses in diesem Kontext lassen bestimmte Probleme – wie beispielsweise ideologische und theologische Agenden, die sich hinter einer Religionsgeschichte eliadischer Prägung verstecken – deutlicher zum Vorschein kommen, als das in vielen europäischen Ländern der Fall ist. Die Öffnung hin zu sozialwissenschaftlichen Theorien und Diskursen und ihre Integration in die Religionswissenschaft, beispielsweise in Deutschland seit den 1980er Jahren, wie die Existenz einer etablierten universitären Theologie hat die europäische (zumindest aber die deutsche) Religionswissenschaft tendenziell vor einigen Schwierigkeiten bewahrt, mit denen sich die Kollegen in Nordamerika auseinandersetzen müssen.4 Es wäre interessant zu sehen, ob Donald Wiebe seine Kritik an der Religionswissenschaft in gleicher Weise aufrechterhalten würde, hätte er sein akademisches Berufsleben in Europa verbracht.5 Auf den Unterschied zwischen den USA und Europa zielt auch Tim Jensen ab, wenn er schreibt, dass sich in weniger religiösen Umfeldern als in den USA eine emanzipierte Religionswissenschaft ausgebildet habe.6 Armin Geertz hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass es ähnliche Auseinandersetzungen auch in Europa gegeben hat. Allerdings sei es hier um ei-

3

Auf diesen zweiten Punkt wurde und wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Er stellt aber ein lohnendes Projekt für weitere Forschungen dar. Vor allem Fitzgerald weist immer wieder auf die Bedeutung für den generischen Religionsdiskurs hin, die das US-amerikanische Streben nach Macht und Vorherrschaft, sowie die Vorstellung, dass die USA die Verkörperung der modernen, liberalen und demokratischen Werte darstellen, habe. Vgl. Fitzgerald: Playing Language Games and Performing Rituals, S. 226-227; ders.: Discourse on Civility and Barbarity, S. 41, 309.

4

Vgl. Geertz: Rezension zu “McCutcheon, Russell T.: Manufacturing Religion, S. 509.

5

Diese Frage ist sicherlich spekulativ. Allerdings deutet Wiebe selbst an, dass die Entwicklung der Religionswissenschaft außerhalb Amerikas besser verlaufen sei; das bedeutet in diesem Falle, dass sich gerade in Europa eine wissenschaftliche Religionswissenschaft – zumindest tendenziell – habe entwickeln können. Vgl. Wiebe: The Politics of Religious Studies, S. 69-70.

6

Vgl. Jensen: Bookreview: Failure and Nerve in the Academic Study of Religion, S. 5-6.

ZWISCHENFAZIT

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ne Emanzipation von den Theologien gegangen und nicht darum, diese auf versteckten Wegen in die Universitäten zu schmuggeln.7 Trotzdem: Ginge es hier um Wiebes zentrales Anliegen, nämlich die Etablierung einer rein wissenschaftlich orientierten Religionswissenschaft,8 die Religion als normalen Gegenstand der Humanwissenschaften im Rahmen naturalistischer Theorien auffasst und erforscht, dann könnte die Kritik an der Religionswissenschaft und der Kategorie Religion mit Verweis auf die unterschiedlichen Kontexte in Nordamerika und Europa vielleicht erklärt werden. Die Kritik an ‚Religion‘ und Religionswissenschaft ist aber noch auf einer anderen Ebene angesiedelt, die viel zu oft übersehen wird. Bei allen Unterschieden und auch berechtigter Kritik geht es Autoren wie Timothy Fitzgerald und Russell McCutcheon nicht (mehr) um Religion in Form einer bestimmten Tradition oder um eine (naturalistische) Theorie von Religion. Es geht ihnen um die Kategorie Religion und damit um eine Theorie von ‚Religion‘. Während Fitzgerald dabei eher eine kritische Genealogie des Religionsbegriffs (und andere, mit ihm verbundene Kategorien) im Sinn hat, die letztendlich zu einer, nach seiner Meinung,9 Verwerfung der Kategorie führt, zielt McCutcheon auf einen anderen Aspekt ab. McCutcheon rückt die Klassifizierungsprozesse als solche ins Zentrum, überlegt, warum überhaupt ganz unterschiedliche Handlungen, Vorstellungen etc. als Religion oder religiös klassifiziert werden und welche Techniken und Ziele damit zusammenhängen. Daher kann man davon sprechen, dass es McCutcheon auch um eine Theorie von Klassifikationsprozessen und der Herstellung von Bedeutung geht. Beide Autoren, wie auch Talal Asad und Tomoko Masuzawa, schreiben der Kategorie Religion eine zentrale Rolle bei der Konfiguration der Moderne zu. Es sei an dieser Stelle nur noch einmal an die Stichworte Individualismus, liberaler Nationalstaat, Kapitalismus erinnert. Sollten die Autoren mit dieser These, die sie nicht allein vertreten,10 und die in der vorliegenden Arbeit als gültig angenommen wird, Recht haben, handelt es sich nicht um ein im Kern nordamerikanisches Problem. Die Kritik würde weit über diesen Kontext hinaus zutreffen und Konsequenzen haben, auch für die Religionswissenschaft allgemein. Dass

7

Vgl. Geertz: Rezension zu „McCutcheon, Russell T.: Manufacturing Religion“,

8

Vgl. Kapitel 2.7.2 dieser Arbeit.

9

Wie dargelegt kann man von einer Substitution sprechen, siehe Kapitel 2.5.4.

S. 509.

10 Siehe beispielsweise auch Arnal: The Segregation of Social Desire. Siehe auch Dumont, Louis: Individualismus. Zur Ideologie der Moderne, Frankfurt am Main 1991. Und siehe Martin: Masking Hegemony.

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mit der Kritik an der Kategorie Religion gleichzeitig eine Aufgabe der Disziplin verbunden werden muss, wie es Fitzgerald fordert,11 scheint nicht zwangsläufig notwendig zu sein. Die folgenden Kapitel im zweiten Teil dieser Arbeit beschäftigen sich in unterschiedlicher Form mit diesem Aspekt. In Kapitel fünf wird auf die Überlegungen des Leipziger Religionswissenschaftlers Hubert Seiwerts aus dem Jahr 2008 Bezug genommen, die dieser in seinem Aufsatz Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft und Kognitionsforschung anstellt. Dabei werden eigene Gedanken zur Identität und Aufgabe von Religionswissenschaft vorgelegt. Im Gegensatz zu anderen Vorstellungen12 wird der disziplinäre Charakter der Religionswissenschaft betont. Dieser wird nicht epistemologisch, sondern durch die Einführung des Konzeptes der Diskursgemeinschaft begründet.13 In diesem Konzept werden Disziplinen als Gruppen von Wissenschaftlern mit relativ homogenen Bedeutungskonventionen verstanden und die Entstehung und Reproduktion dieser Bedeutungskonventionen in den Fokus des Interesses gerückt. Vor diesem Hintergrund werden einige Entwicklungen in der (deutschen) Religionswissenschaft betrachtet und es wird gefordert, Religionswissenschaft nicht auf eine reine Religionsgemeinschaftenwissenschaft oder bloße Religionsforschung zu begrenzen. Vielmehr muss ihr Potenzial als Metawissenschaft genutzt werden. Aufgabe von Religionswissenschaft ist es danach, sich (auch) mit der wissenschaftlichen Beschreibung und Analyse der unterschiedlichen Diskurse über Religion (auf den verschiedenen Diskurssträngen) auseinanderzusetzen, um damit überhaupt erst zu Religionswissenschaft zu werden. Diese Forderung deckt sich mit den Vor-

11 Wie in Kapitel 2.7.4 dargelegt, wird dieser Vorwurf auch gegen McCutcheon erhoben. Tatsächlich gibt es – wie gezeigt – Aussagen, die so gelesen werden können. Allerdings kann man McCutcheon auch so lesen, dass er eine bestimmte Form von Religionswissenschaft, die er in der ‚sui-generis-Tradition‘ verwirklicht sieht, zugunsten einer interdisziplinär ausgerichteten und arbeitenden Disziplin aufgeben will. McCutcheons Religionswissenschaft sieht sicherlich anders aus als das, was die meisten (deutschen) Fachvertreter heute als Religionswissenschaft sehen. Das bedeutet aber nicht, dass es das Fach in veränderter Form nicht weiter geben kann. 12 Siehe hierzu unter anderen: Krech: Wohin mit der Religionswissenschaft?. 13 Steven Engler und Michael Stausberg legen ähnliche Überlegungen in einem gemeinsamen Aufsatz aus dem Jahr 2011 vor, in dem sie die kulturellen und sozialen Aspekte für die Konstituierung einer Disziplin betonen (Wissenschaftliche Disziplin als Stamm). Vgl. Engler/Stausberg, besonders S. 129-134.

ZWISCHENFAZIT

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stellungen des in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten ‚soziorhetorischen Ansatzes‘. Ganz im Sinne des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ und der in Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft aufgestellten Forderung wird in Kapitel 6.1 die Rolle der Kategorie Religion während der Formierung des modernen Staates beleuchtet. Es wird die These aufgestellt, dass beginnend mit der Frühen Neuzeit ein neuartiger Religionsdiskurs geschaffen wurde, der von einer binären, liberalen Rhetorik (Gegenüberstellungen von Begriffspaaren wie Religion/Staat und privat/öffentlich) geprägt ist. Diese Rhetorik wird als zentral für die Schaffung des modernen Staates angesehen. In Anlehnung an Russell McCutcheon wird zunächst auf Beispiele aus der politischen Theorie der Frühen Neuzeit eingegangen, um die These zu belegen. Daran anschließend werden Arbeiten zweier deutscher Wissenschaftler (Ernst Walter Böckenförde und Karsten Fischer) analysiert und die Rolle untersucht, die diese der Religion bei der Entstehung des modernen Staates zuweisen. Dabei wird deutlich, dass sowohl Böckenförde als auch Fischer die angesprochene liberale Rhetorik verwenden und damit zur Stabilisierung des spezifischen Religionsdiskurses beitragen. Im nächsten Teilkapitel Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates werden einige Überlegungen aus 6.1 noch einmal aufgegriffen und vertieft. Ausgehend von einer Zurückweisung der These, dass die Säkularisierung die Grundbedingung für die Existenz des modernen Staates darstelle, wird ein Perspektivwechsel vorgenommen. Die säkularisierungstheoretische Sicht auf die Entstehung des modernen Staates setzt implizit oder explizit eine ‚religiöse‘ Welt voraus, die in einem geschichtlichen Prozess säkularisiert wird. Demgegenüber wird hier argumentiert, dass ‚Religion‘ (in einer spezifischen Form) und ‚Säkularität‘ erst seit Beginn der Frühen Neuzeit erfunden wurden, um die Entstehung des modernen Staates zu ermöglichen und durchzusetzen. Die Funktion der Konfliktregulierung durch die Schaffung eines privaten Bereichs, in den konfligierende Ansprüche verwiesen werden konnten (und können), steht dabei im Mittelpunkt. Die These wird anhand einer Analyse ausgewählter Gedanken der drei frühneuzeitlichen politischen Philosophen Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau belegt, die wegbereitend für den neuartigen Religionsdiskurs waren. Das letzte Teilkapitel kann als komplementäres Gegenstück zu Kapitel 6.2. gesehen werden. Während dort die Kategorie Religion im Vordergrund stand, geht es hier um die Konzeptualisierung von ‚Säkularität‘. Ausgehend von einem diskursiven Wirklichkeitsverständnis wird in Anlehnung an Autoren wie Kim Knott und Russell McCutcheon eine Perspektivverschiebung vorgeschlagen. Während beispielsweise säkularisierungstheoretische Ansätze in der Regel von

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einem substantiellen Gegenstandsverständnis geprägt sind, wird hier dafür plädiert, sich mit den Klassifizierungsprozessen auseinanderzusetzen, durch die Handlungen, Institutionen etc. als religiös oder säkular eingeteilt werden. Am Beispiel von Timothy Fitzgerald wird dabei die Historizität und Kontextgebundenheit der Kategorie ‚Säkularität‘ aufgezeigt und überlegt, welche Konsequenzen sich daraus für die Religionswissenschaft ergeben. In Kapitel sieben wird aufgezeigt, wieso und wie der europäische Identitätsdiskurs anhand einer Analyse der Debatte um einen Verfassungsvertrag für Europa aus religionswissenschaftlicher Perspektive durchgeführt werden kann. Ausgehend von der Darstellung unterschiedlicher Positionen, die ‚Religion‘ eine besondere Bedeutung in diesem Identitätsdiskurs zuweisen, wird die Verfassungsdebatte als eine zentrale Arena dieses Diskurses herausgearbeitet. Nach einer Verortung der Verfassungsdebatte als Macht- und Ausgrenzungsdiskurs wird unter Bezugnahme auf McCutcheon der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘ als religionswissenschaftliche Möglichkeit vorgestellt, sich mit dem Diskurs auseinanderzusetzen. Anhand der methodischen Überlegungen des Duisburger Diskursanalytikers Siegfried Jäger werden die theoretischen Vorgaben des soziorhetorischen Ansatzes operationalisiert und im Folgenden ein konkretes Forschungsdesign für die Untersuchung entfaltet, sowie erste empirische Ergebnisse vorgelegt. Auf einer eher theoretischen Ebene besteht das Fazit der Ausführungen darin, sowohl die Säkularisierungstheorie als auch Vorstellungen von Europa als christlichem Abendland, die bei der Analyse des Verhältnisses von Religion und Staat/Europäischer Union als Analysekategorien weit verbreitet sind, zu verwerfen. Vielmehr wird gefordert, die Rhetorik von Säkularisierung und christlichem Abendland in diesem Kontext selbst zum religionswissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand zu machen.

Teil II: Empirisch-exemplarische Überlegungen

5 Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft

Was ist Religionswissenschaft? Die Identität der Religionswissenschaft ist seit ihrer Entstehung als akademische Disziplin im ausgehenden 19. Jahrhundert immer wieder kontrovers diskutiert worden. Zahlreiche Aufsätze, Bücher, Tagungsbeiträge – ja ganze Tagungen – oder in neuerer Zeit Diskussionen auf elektronischen Diskussionslisten legen hiervon ein beredtes Zeugnis ab. Nicht selten wurde dabei auch die Überlegung laut, ob es sich bei der Religionswissenschaft überhaupt um eine akademische Disziplin handelt. Der Aufsatz Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften von Hubert Seiwert reiht sich in diese Diskussionen ein. Ausgehend von der Frage, ob „es überhaupt eine Religionswissenschaft“ gebe1 oder ob man Religionswissenschaft nicht eher als einen Sammelbegriff für religions-bezogene Wissenschaften verstehen muss, der keine eigene Substanz hat, beschäftigt sich der Autor damit, wie man Religionswissenschaft bestimmen kann. Dabei geht er auf den scheinbaren Antagonismus zwischen einer historisch-philologisch und einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Religionswissenschaft ebenso ein wie auf die Herausforderungen der naturwissenschaftlich orientierten Cognitive Science of Religion. Seine Ausführungen deuten an, was bei einem Blick in grundlegende Publikationen zu Fragen von Theorie und Methodik in der Religionswissenschaft augenfällig wird: Religionswissenschaft ist geprägt von einer großen Diversität theoretischer wie methodischer Ansätze.2 Daher mögen die genannten Fragen Seiwerts ebenso nahe

1

Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissen-

2

Vgl. anstelle vieler: Antes/Geertz/Warne: New Approaches to the Study of Religion.

schaften und Kognitionswissenschaften, S. 1.

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liegen wie der Versuch, Religionswissenschaft nicht als eigenständige Disziplin, sondern als Forschungsfeld zu bestimmen.3 Eine wissenschaftliche Disziplin ist in der Regel durch einen eigenen Gegenstandsbereich und (eine) eigene, auf diesen Gegenstandsbereich bezogene Methode/-n gekennzeichnet.4 Wie angedeutet zeichnet sich die Religionswissenschaft durch eine Methodenpluralität aus – eine genuin eigenständige Methode gibt es nicht. Und auch das genannte zweite konstitutive Kriterium für eine wissenschaftliche Disziplin erfüllt die Religionswissenschaft nicht: Sie besitzt kein Monopol auf den Gegenstand „Religion“. Dies illustriert der Trend zur Religionsforschung in unterschiedlichen Disziplinen von der Geschichtswissenschaft über die Soziologie und Politikwissenschaft bis hin zu den Neurowissenschaften. Zudem bleibt offen, was unter Religion zu verstehen ist, ein Punkt, der hier allerdings nicht weiter ausgeführt werden soll.5

D AS K ONZEPT

DER

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Studien zur Disziplinarität zeigen allerdings, dass es neben den von Krech verwendeten theoretischen und klassischen Definitionsmerkmalen einer Disziplin noch andere Möglichkeiten ihrer Bestimmung gibt. Diese gehen weniger von theoretischen Setzungen als vielmehr von einer Analyse konkreter Disziplinen und ihrer Entstehungs- sowie Reproduktionsprozesse aus. Nach David Shumway und Ellen Messer-Davidow wird eine akademische Disziplin durch Wissen und Macht charakterisiert.6 „A discipline’s knowledge is the content of its academic inquiry and teaching; its power – the ways in which students are ‚disciplined‘ and proper succession is established – materializes in its institutions“ fasst Oliver Freiberger7 die Kernaspekte der Autoren zusammen. Besondere Bedeutung für

3

Vgl. Krech: Wohin mit der Religionswissenschaft?.

4

Vgl. Krech: Wohin mit der Religionswissenschaft?, S. 96.

5

Siehe hierzu unter anderem: McCutcheon: Manufacturing Religion und Smith: Religion, Religions, Religious.

6

Vgl. Shumway, David R./Messer-Davidow, Ellen: Disciplinarity. An Introduction,

7

Freiberger, Oliver: The Disciplines of Buddhist Studies. Notes on Religious Commit-

Poetics Today 12 (1991), S. 202. ment as Boundary-Marker, Journal of the International Association of Buddhist Studies 30 (2007), S. 300.

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die Konstituierung einer Disziplin erhalten im Ansatz von Shumway und Messer-Davidow neben einem gemeinsamen Gegenstandsbereich die Institutionen, in denen der innerdisziplinäre Diskurs geführt und die Mitglieder der Disziplin sozialisiert werden. Neben Instituten/Seminaren zählen unter anderem Fachverbände, fachwissenschaftliche Zeitschriften und Publikationsformate, PeerReview-Systeme und Einrichtungen zur Forschungsförderung zu diesen Institutionen. Der Schritt zu einer eigenständigen Disziplin wird allerdings erst durch einen dritten Faktor vollzogen, der mit dem Stichwort „Grenzarbeit“ bezeichnet wird. Disziplinen sind keine statischen Entitäten, sondern werden durch rhetorische Akte konstruiert und reproduziert. „[D]isciplinary practitioners, who consider themselves to be members of disciplinary communities, engage in a differentiating activity called ‚boundary-work‘. Boundary-work entails the development of explicit arguments to justify particular divisions of knowledge and of the social strategies to prevail in them.“8

Diese „Grenzarbeiten“ sind sowohl für die Etablierung als auch für die Absicherung einer Disziplin Grundlage. Sie werden genutzt, um neue Gegenstandsbereiche zu erschließen und die Angehörigen der Disziplin zu regulieren. Dabei geht es auch darum festzulegen, was innerhalb der entsprechenden Disziplin „erlaubt“ ist, also welche „Spielregeln“ innerhalb der Disziplin gelten.9 Die Institutionen

Ich danke Oliver Freiberger, der mich auf den Ansatz von David Shumway und Ellen Messer-Davidow und seine produktive Verwendung für die Religionswissenschaft aufmerksam gemacht hat. 8

Shumway/Messer-Davidow: Disciplinarity, S. 208.

9

Als ein aktuelles Beispiel für diese Art diskursiver Aushandlungs- und Regulierungsprozesse, also des „boundary-working“ kann die Anfang 2011 geführte Debatte über die Bedeutung der Evolutionsforschung für die Religionswissenschaft auf der EmailDiskussionsliste Yggdrasill gelten. Der Versuch Michael Blumes, der Evolutionsforschung (mehr) Raum und Gewicht in der Religionswissenschaft zu verschaffen, löste heftige Diskussionen aus und stieß auf eine breite Ablehnung. Die Ablehnung wurde zumeist damit begründet, dass man für die Religionswissenschaft keinen Mehrwert in den Ansätzen der Evolutionsforschung sehe. Ohne die Debatte an dieser Stelle im Detail darstellen, analysieren sowie bewerten zu können und zu wollen, kann an ihr aufgezeigt werden, dass das, was als Religionswissenschaft gelten darf und was nicht, diskursiv ausgehandelt wird. Sie ist ein Beispiel, wie versucht wird, Grenzen zu verschieben und Grenzen der Disziplin aufzurichten bzw. aufrechtzuerhalten. Die Debat-

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einer Disziplin sind Arenen dieser Prozesse. Die Regulierungen erfolgen beispielsweise über das Ablehnen oder Annehmen von Aufsätzen (disziplinäre Zeitschriften, Peer-Review) oder die Annahme bzw. Verweigerung von Promotionen und Habilitationen (Fakultäten, Kommissionen etc.). Hierin wird auch noch einmal der angesprochene Machtaspekt besonders deutlich. Man kann den Ansatz von Shumway und Messer-Davidow unter das Konzept der „Diskursgemeinschaft“ fassen. Diskursgemeinschaften stellen nach dem Kommunikationswissenschaftler Karl-Heinz Pogner soziale Gruppen dar, die über gemeinsame Regeln für den Gebrauch einer ihnen eigenen (Fach-)Sprache und Problemdefinition verfügen. Sie geben einen Rahmen für Handlungspraktiken und Meinungen vor und beschränken diese damit zugleich. Durch das Handeln der Mitglieder einer Diskursgemeinschaft wird dieser Rahmen reproduziert und modifiziert, so dass man nicht von einem starren Gebilde, sondern von einem dynamischen Prozess sprechen kann. Diskursgemeinschaften sind „nicht notwendigerweise und zu jeder Zeit harmonische Gruppen ohne Konflikte oder gar frei von ungleich verteilter diskursiver, sozialer und ökonomischer Macht“10. Ich würde sogar sagen, dass sie immer durch eine Ungleichverteilung dieser Aspekte geprägt sind, da der herrschafts- oder machtfreie Diskurs eine Illusion ist. Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen kann man in Abwandlung der Definition Siegfried Jägers von Diskursgemeinschaft bezogen auf wissenschaftliche Disziplinen kurz zusammenfassen: Disziplinen sind „nichts anderes als Gruppen von Menschen [d. h. Wissenschaftler mit, S. F.] [.] (relativ) homogenen Bedeutungskonventionen“11. Da Bedeutungskonventionen immer einem historischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozess unterliegen, ist der Aspekt der „Grenzarbeiten“ in dieser Definition mit enthalten.12 Ort der Aushandlung sind die Institutionen der jeweiligen Disziplin, wie sie von Shumway und Messer-Davidow benannt werden. Oliver Freiberger hat exemplarisch die „Wertneutralität“ und die „OutsiderPerspektive“ als zentrale Themen der rhetorischen Konstruktion der Religions-

te kann nachgelesen werden: https://www. lists.uni-marburg.de/lists/sympa/info /YGGDRASILL (Zugriff 01.04.2011). 10 Karl-Heinz Pogner: Text- und Wissensproduktion am Arbeitsplatz:. Die Rolle der Diskursgemeinschaften und Praxisgemeinschaften, S. 3 (2007), 15.06.2013. . 11 Jäger, Siegfried: Die Wirklichkeit ist diskursiv, in: Margarethe Jäger/Frank Wichert (Hg.), Rassismus und Biopolitik: Werkstattberichte. Forschungsberichte des DISS 1996, Duisburg 1996, S. 9. 12 Vgl. Jäger: Die Wirklichkeit ist diskursiv, S. 9.

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wissenschaft herausgearbeitet, über die die Grenzen der Disziplin – vor allem gegenüber den Theologien – konstruiert werden. „In der Religionswissenschaft wird [.] die Zurückstellung der religiösen Perspektive [= Innenperspektive, S. F.] für zentral erachtet. Zwar ist jeder Religionswissenschaftler [.] in individueller Weise determiniert. Er sollte darüber reflektieren und danach streben, sich diese Vorbedingungen bewusst zu machen. In der Forschung soll er aber in konsequente Distanz zu seinen Vorbedingungen und seinem daraus erwachsenen Standpunkt treten. Damit ist die Forderung verknüpft, die Distanz zum Studienobjekt einzuhalten (epoche). Diese ‚doppelte Distanz‘ in der Forschung – zum eigenen religiösen bzw. weltanschaulichen Standpunkt wie zum untersuchten Gegenstand – wird wohl von den meisten Religionswissenschaftlern der Gegenwart als Grundprämisse der religionswissenschaftlichen Arbeit angesehen.“13

Die Einhaltung der Außenperspektive auf Religion stellt wie die Enthaltung bei der (normativen) Bewertung nach Freiberger den aktuellen Grundkonsens in der Religionswissenschaft dar. Dabei handelt es sich um eine „vorherrschende [.] Übereinkunft“ der Mehrheit, was nicht ausschließt, dass einzelne diesen Grundkonsens nicht teilen und die Übereinkunft in Frage stellen. Hier zeigt sich der prozesshafte Charakter der Diskursgemeinschaft.14 Als ein anderes Beispiel für die Dynamik und die Regeln der Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft kann die Stellung der Religionsphänomenologie dienen. Egal, ob man wie Seiwert annimmt, dass die Religionsphänomenologie „mit dem Messer der Wissenschaftstheorie geschlachtet wurde“15 oder Horyna folgt, der den von Anfang an suizidalen Charakter dieser religionswissenschaftlichen Ausrichtung betont, der unter sich veränderten Bedingungen zum Tragen kam,16 zeigt der Umgang mit ihr den sich verändernden hegemonialen Diskurs innerhalb der (deutschen) Religionswissenschaft. Betrachtet man die Texte von Religionswissenschaftlern im Hinblick auf ihre Positionierung zur Religionsphänomenologie genauer, kann man spezifische Sprachregelungen und Verhaltensmuster konstatieren und die diskursiven Regeln der Gemeinschaft aufzeigen. War die Religionsphänomenologie lange Zeit etabliert und anerkannt,

13 Freiberger: Ist Wertung Theologie?, S. 118-119. 14 Freiberger: Ist Wertung Theologie?, S. 119. Siehe hierzu auch: Freiberger: The Disciplines of Buddhist Studies, S. 314-316. 15 Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, S. 22. 16 Vgl. Horyna: Idiotae Responsa, S. 96.

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gehört es heute zum „guten Ton“, sich von dieser Strömung abzugrenzen und sich von dieser Form religionswissenschaftlicher Forschung zu distanzieren.17

N EUERE

INSTITUTIONELLE

E NTWICKLUNGEN

Für die Zugehörigkeit zu einer Diskursgemeinschaft ist die Aneignung der der Gemeinschaft eigenen Regeln, der spezifischen Sprache sowie Verhaltensweisen und Handlungspraktiken notwendig. Vor diesem Hintergrund verdient eine Entwicklung der letzten zehn Jahre genauere Beachtung, die für die Frage, was Religionswissenschaft ist, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erhalten könnte und deshalb hier kurz angesprochen werden soll.

R ELIGIONSWISSENSCHAFT VON B OLOGNA

UNTER DEN

B EDINGUNGEN

Seiwert verweist auf die Probleme, allein schon die institutionelle Form des Faches zu fassen, wobei er auf die verschiedenen Bezeichnungen und Einbettungen in unterschiedliche Fakultäten verweist. Schon bisher war es aufgrund dieser Umstände nicht ganz einfach, religionswissenschaftliche Einrichtungen und Studiengänge an Universitäten zu identifizieren. Die mit den unterschiedlichen Bezeichnungen zumeist verknüpften methodologischen Implikationen waren aber zumindest für die „Insider“ klar und nachvollziehbar. Wichtiger aber noch, es gab eine ganze Reihe grundständiger religionswissenschaftlicher Studiengänge, die Studierende vom ersten bis zum letzten Semester durchliefen und so durch den disziplinären Diskurs geprägt und in die Diskursgemeinschaft eingeführt wurden. Gerade in den ersten Jahren des Studiums läuft meines Erachtens der von Shumway und Messer-Davidow angesprochene Disziplinierungs- bzw. Sozialisationsprozess ab, in dem die Spielregeln einer Disziplin erlernt werden.18

17 Siehe hierzu: Schröder, Stefan: Zwischen Popularität, Geschichte und wissenschaftstheoretischer Kritik: Vergleich der Darstellung der Religionsphänomenologie in der deutschen religionswissenschaftlichen Einführungsliteratur anhand ausgesuchter Beispiele, unveröffentlichte B.A.-Arbeit, Hannover 2007. 18 Auf die Probleme, die bei einem Quereinstieg in eine Disziplin vorliegen, hat Michael Pye hingewiesen (Vgl. Pye, Michael: Methodological Integration in the Study of Religions, in: Tore Ahlbäck (Hg.), Approaching Religion. Part I: Based on Papers Read at the Symposium on Methodology in the Study of Religion Held at Åbo, Finland, on the

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Durch den Bolognaprozess befinden sich die (deutschen) Hochschulen in einem tiefgreifenden Umgestaltungsprozess, der – zumindest an vielen Orten – zusätzlich durch strikte Sparanforderungen an die Universitäten verschärft wird. Geraten durch die Sparvorgaben vornehmlich die den neoliberalen Marktideologien oft nicht entsprechenden Geistes- und Sozialwissenschaften – die Wirtschaftswissenschaften als Teil der Sozialwissenschaften lasse ich hier einmal außen vor – allgemein unter Druck, trifft dies im Zusammenhang mit der Einführung der gestuften Studiengänge kleine Fächer wie die Religionswissenschaft besonders. Aufgrund ihrer personellen Ausstattung ist es nur an wenigen Standorten möglich, grundständige Studienangebote im Fach Religionswissenschaft anzubieten. Die neuen Studienprogramme ermöglichen nur noch an einigen Standorten ein „rein“ religionswissenschaftliches Studium vom ersten Bachelorbis zum letzten Mastersemester.19 Die neuen Studiengänge, in denen die Religionswissenschaft ein inhaltlicher Anteil neben anderen ist, beispielsweise im Rahmen von Regional- (Asienwissenschaften in Bonn) oder Kulturwissenschaften (Vergleichende Kulturwissenschaften in Marburg), müssen nicht per se schlecht sein und eröffnen sicherlich auch neue Chancen. Doch müssen die daraus entstehenden Folgen für das Fach und die Fachidentität noch abgewartet werden. Die Einschätzung von Hans Kippenberg und Kocku von Stuckrad, dass die Etablierung der neuen Studiengänge das Fach zukünftig festigen wird, scheint meines Erachtens allerdings zu optimistisch.20 Gleiches gilt für die institutionellen Veränderungen in den letzten Jahren, die teilweise aus dem Zusammenhang mit der Studiengangsumstellung, aber teilweise auch aus anderen Gründen, wie dem Wunsch vieler Universitätsleitungen nach größeren und angeblich leistungsfähigeren Einheiten, resultieren. Beispiele sind hier Bonn, wo sich die Religionswissenschaft als Abteilung im Institut für Orient- und Asienwissenschaften wiederfindet oder Hannover, wo Religionswissenschaft und Theologie 2009 in einem gemeinsamen Institut zusammengelegt wurden. Auch hier sind die Folgen für die Fachidentität noch nicht abzusehen. Doch sollte die Entwicklung aufgrund der Bedeutung des institutionellen Set-

4th-7th August 1997, Stockholm 1999, S. 189-205). Auf diesen Aspekt wird weiter unten noch eingegangen. 19 Nur noch an vier Standorten ist dies unter der Bezeichnung Religionswissenschaft möglich. Sieht man von klassischen Disziplinbezeichnungen ab, kommt man auf sechs bis sieben Standorte. Vgl. Rink, Steffen (2007): BA-/MA-Studiengänge Religionswissenschaft. Im Auftrag der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft (2007), 15.06.2013. 20 Vgl. Kippenberg/Stuckrad: Einführung in die Religionswissenschaft, S. 19.

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tings einer Disziplin für die Aufrechterhaltung ihrer Identität kritisch im Auge behalten werden. Noch aus einem anderen Aspekt heraus können die sich verändernden institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen für die Religionswissenschaft zu einem Problem werden. Studierende der Religionswissenschaft scheinen eher zufällig zu ihrem Studienfach zu kommen. „Ein mehr oder weniger diffuses Interesse an Religion/-en aus gesellschaftlichen und politischen oder aus persönlichen Motiven, das im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der eigenen (Nicht-)Religiosität steht, führt [.] zur Einschreibung in die Religionswissenschaft. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Fach selbst findet vor Studienaufnahme nur in Ausnahmefällen statt.“21

Dieses diffuse Interesse am Gegenstandsbereich „und die Umstellung auf gestufte Studiengänge, in deren Gefolge eine Vielzahl neuer Studiengänge mit Bezeichnungen abseits der traditionellen Disziplinen entsteht“22, könnte für die Religionswissenschaft problematisch werden. „Der Aufbau von Studiengängen ohne religionswissenschaftliche Beteiligung, die sich inhaltlich und von der Bezeichnung her mit Religion und Religionen beschäftigen, kann dazu führen, das bisherige Klientel der Religionswissenschaft ‚abzuwerben‘ [.]. Auch wenn Wissenschaft nicht von wissenschaftsfernen Faktoren abhängen sollte, werden neben Drittmittelquoten die Studierendenzahlen einen wichtigen Aspekt für die zukünftige Entwicklung der Religionswissenschaft in der deutschen Hochschullandschaft spielen.“23

Die Identität der Religionswissenschaft Die genannten Entwicklungen der letzten Jahre haben die institutionelle Bestimmung der Religionswissenschaft nicht einfacher gemacht. Daher scheint Seiwerts Frage berechtigt, ob die Religionswissenschaft überhaupt institutionell bestimmbar ist oder ob nicht einfach jede Religionsforschung als Religionswissenschaft anzusehen sei.24 Gerade in den letzten Jahren gibt es Tendenzen zu

21 Führding/AG Lehrforschungsprojekt: Warum Religionswissenschaft?, S. 146-147. 22 Führding/AG Lehrforschungsprojekt: Warum Religionswissenschaft?, S. 147. 23 Führding/AG Lehrforschungsprojekt: Warum Religionswissenschaft?, S. 147. 24 Vgl. Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, S. 16.

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dieser Gleichsetzung, wie es der 2006 erschienene Aufsatz von Volkhard Krech Wohin mit der Religionswissenschaft? Skizze zur Lage der Religionsforschung und zu Möglichkeiten ihrer Entwicklung oder die mehr oder weniger synonyme Verwendung von Religionsforschung und Religionswissenschaft in Hubert Knoblauchs Buch Qualitative Religionsforschung25 beispielhaft illustrieren. Trotzdem ist die Gleichsetzung von Religionsforschung und Religionswissenschaft eine unsachgemäße Verkürzung, die der Religionswissenschaft nicht gerecht wird. Es sind meiner Meinung nach fünf Aspekte, die für die Religionswissenschaft charakteristisch sind und diese inhaltlich als Disziplin konstituieren: 1. 2. 3. 4. 5.

Wertneutralität und Außenperspektive, eine globalhistorische und komparative Sichtweise, die diskursive Verbindung sozialwissenschaftlicher und historisch-philologischer Forschung, eine spezifische Methodenpluralität sowie die Religionswissenschaft als Metawissenschaft.

Wertneutralität und Außenperspektive Die beiden ersten Aspekte wurden weiter oben schon kurz angesprochen und sollen hier nicht weiter vertieft werden. Es bleibt festzuhalten, dass sie in erster Linie als Grenzbestimmung gegenüber den Theologien dienen und aktuell die dominierende Sichtweise in der Religionswissenschaft darstellen.26

Globalhistorische und komparative Sichtweise Ein weiteres Charakteristikum, das hier nur kurz benannt werden soll, ist die globalhistorische und komparative Sichtweise. Religionswissenschaft hat sich seit ihrer Entstehung immer mit Gegenständen unterschiedlicher geographischer Räume beschäftigt und früher als andere Disziplinen die europäischen Grenzen „verlassen“. Dass der Vergleich, wenn er nicht ahistorisch und mit der entsprechenden Kontextualisierung betrieben wird, zu den Kernbestandteilen der Religionswissenschaft gehört, ist weithin unstrittig.

25 Vgl. Knoblauch, Hubert: Qualitative Religionsforschung. 26 Siehe hierzu Freiberger: Ist Wertung Theologie? Und ders.: The Discipline of Buddhist Studies.

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Diskursive Verbindung von sozialwissenschaftlicher und historisch-philologischer Forschung Kontroverser wird ein drittes Charakteristikum diskutiert. Der in den letzten Jahren in Deutschland immer wieder aufschwelende Streit um die Ausrichtung der Religionswissenschaft zwischen sozialwissenschaftlicher und historisch-philologischer Richtung wird vor allem vor dem Hintergrund „persönlicher“ und materieller Interessen verständlich. „Sieht man einmal von diesen persönlichen Interessen ab, [.] dann fällt es schwer, einen sachlichen Grund für einen Antagonismus zwischen historischer und sozialwissenschaftlicher Religionswissenschaft zu finden.“27

Einblicke in die Auseinandersetzung bieten nicht nur die lebhaften und engagierten Diskussionen in Yggdrasill im Vorfeld der Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft 2005 und im Herbst 2007. Im Vorwort zur Publikation der Tagungsergebnisse der dritten Tagung des Arbeitskreises Asiatische Religionsgeschichte (AKAR) in der DVRW verweisen die drei Autoren auf die „höchst alarmierende, zunehmende Abwanderung deutscher Religionswissenschaftler/innen [mit historisch-philologischem Forschungsprofil, S. F.] ins Ausland oder die einschlägigen Spezialdisziplinen.“28 Als Beispiele hierfür verweisen sie auf sich selbst. Gleichzeitig „beunruhigt“ sie die Berufungspraxis der vorangegangenen Zeit, bei der Religionswissenschaftler mit historischphilologischem Hintergrund kaum berücksichtigt wurden.29 Hier werden die wissenschaftspolitischen Konsequenzen der Auseinandersetzung um die methodische und inhaltliche Ausrichtung der Religionswissenschaft deutlich, die eng mit der Verteilung der knappen zur Verfügung stehenden Ressourcen in Form von Professoren- und Professorinnenstellen einhergehen. Russell McCutcheon bringt den materiellen Kern der Auseinandersetzung in einem ähnlichen Zusammenhang auf den Punkt:

27 Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, S. 17. 28 Deeg, Max/Freiberger, Oliver/Kleine, Christoph: Vorwort, in: Peter Schalk/u.a. (Hg.), Im Dickicht der Gebote: Studien zur Dialektik von Norm und Praxis in der Buddhismusgeschichte Asiens, Uppsala 2005, S. 5. 29 Vgl. Deeg/Freiberger/Kleine: Vorwort, S. 5.

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„The material as well as social benefits that accompany the disciplinary study vary widely: secure and tenured university positions, endowed chairs, accessibility to government grants, access to a variety of archives and information, interviews in the popular media, and the general participation in producing and managing cultural capital.“30

Seiwert (2011) wie auch Krech (2006) weisen zurecht darauf hin, dass der Gegensatz von sozialwissenschaftlich orientierter Religionswissenschaft auf der einen und historisch-philologisch ausgerichteter Religionswissenschaft auf der anderen Seite nur ein scheinbarer ist. Folgt man Seiwert und blendet die Macht- und Ressourcenfrage aus, lassen sich kaum wissenschaftliche Gründe für eine Unvereinbarkeit der beiden methodisch-inhaltlichen Ausrichtungen der Religionswissenschaft finden. „[I]n der Praxis konzentriert sich der Unterschied zwischen beiden Ansätzen im Wesentlichen auf die zeitliche Dimension des Gegenstandes, woraus sich freilich einige methodische Konsequenzen ergeben“31, so Seiwert. Krech hebt die Angewiesenheit beider Orientierungen auf einander hervor: „Wenn sich eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Religionsforschung nicht in künstlich erzeugten Daten (Umfragen, Interviews, etc. […]) verlieren und wenn sie ihre systematischen Fragen am Material entwickeln und erproben will, ist sie auf die philologische Arbeit angewiesen. Sie allein versteht es, eng am Textmaterial und an den durch sie konstituierten Traditionen zu arbeiten. Quellenkritik, Übersetzungs- und Datierungsfragen etc. sind für die historische und gegenwartsbezogene Sozialwissenschaft unverzichtbar.“32

Doch nicht nur eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Religionswissenschaft ist auf die historisch-philologische Arbeit angewiesen. Dies gilt auch in die andere Richtung, da die sozialwissenschaftlichen Ansätze den Rahmen für die analytische Arbeit liefern.33 Das diskursive Aufeinanderbeziehen der beiden Orientierungen hebt diese aus „bloßer“ Geschichts- bzw. Sozialforschung heraus und gehört zu den spezifischen Charakteristika der Religionswissenschaft.

30 McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 21. 31 Seiwert: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften, S. 18. 32 Krech: Wohin mit der Religionswissenschaft?, S. 103-104. 33 Vgl. Krech: Wohin mit der Religionswissenschaft?, S. 104.

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Methodenpluralität und ihre Konsequenzen Wie im vorangegangenen Abschnitt im Zitat Seiwerts angesprochen, haben die beiden Ansätze mehrere Konsequenzen, die ihren Niederschlag im Methodischen finden. Die Implikationen der unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen für die Datenarten und damit für die anzuwendenden Methoden hebt auch Michael Pye in einem Aufsatz hervor. Er führt aus, dass durch die unterschiedlichen Datensorten bzw. Quellen (mündliche, geschriebene, materielle), mit denen es Religionswissenschaftler zu tun haben, unterschiedliche Methoden bei der Erforschung des Gegenstandsbereichs erforderlich sind. Diese Erfordernisse würden zu einem Methodenmix aus historischen, philologischen und sozialwissenschaftlichen Methoden führen, der für die Religionswissenschaft charakteristisch sei.34 Die Methodenpluralität in der Religionswissenschaft birgt einige Fallstricke. Ganz im Sinne des Konzepts der Diskursgemeinschaft verweist Pye auf das Problem, dass dieser Methodenmix eben nicht als spezifische Methodenkonfiguration wahrgenommen wird, hin. Daher bringe der Quereinstieg von Wissenschaftlern in die Religionswissenschaft, die in anderen Disziplinen methodisch und theoretisch ausgebildet wurden, oft Missverständnisse mit sich. Die Prägung, die diese Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in ihren jeweiligen Disziplinen erfahren haben, könnten die meisten nicht hinter sich lassen, wenn sie sich der Erforschung von „Religion“ zuwenden. Dies werde immer dann problematisch, wenn der Religionswissenschaft ihr eigener methodischer Ansatz (der spezifische Methodenmix) abgesprochen bzw. übersehen und schlussfolgernd verkündet werde, dass Methoden unreflektiert übernommen werden könnten.35 „A clear lesson that has been learned is that religion is not the exclusive domain of any particular discipline. [.] Thus, any reasonable study of religion must at least assume linguistic, historical, comparative, social, psychological, political and cognitive dimensions. Scholars from these disciplines continue to contribute to the study of religion, but scholars who specialize in the study of religion must of necessity develop inter-disciplinary competence and theoretical sophistication.“36

34 Vgl. Pye: Methodological Integration in the Study of Religions, S. 193. 35 Vgl. Pye: Methodological Integration in the Study of Religions, S. 193. 36 Antes, Peter/Geert Armin W. Warner, Randi R.: Conclusion, in: dies. (Hg.), New Approaches to the Study of Religion Vol. 2: Textual, Comparative, Sociological, and Cognitive Approaches, Berlin, New York 2008, S. 458.

D ISKURSGEMEINSCHAFT R ELIGIONSWISSENSCHAFT

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Hier wird zum einen deutlich, dass die Religionswissenschaft einen multi- methodischen Ansatz vertritt, der, wenn man Pye folgt, nicht beliebig ist, und zum anderen, wie wichtig eine fundierte Ausbildung in der Theorie- und Methodendiskussion der Religionswissenschaft ist. Es ist notwendig, die jeweilige Methode in den für die Religionswissenschaft spezifischen Methodenmix und der religionswissenschaftlichen Theoriebildung zu verorten. Für diese Verortung ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte des Faches Religionswissenschaft und den im Rahmen dieser Geschichte ablaufenden Theorie- sowie Methodenüberlegungen und -entwicklungen erforderlich. Daher muss einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte, den Theorien und Methoden der Religionswissenschaft vor allem, aber nicht nur in den Studiengängen ein breiter Platz neben der methodischen und „inhaltlichen“ Ausbildung eingeräumt werden.

Religionswissenschaft als Metawissenschaft Die Auseinandersetzung mit der Geschichte, den Theorien und Methoden der Religionswissenschaft führt zu einem letzten und meines Erachtens zentralen Charakteristikum, das die Religionswissenschaft von anderen Formen der Religionsforschung abhebt. Religionswissenschaft befasst sich nicht nur mit materialen Religionen – vor allem für diese Beschäftigung sind die bisher aufgeführten Punkte zentral –, sondern auch mit der wissenschaftlichen Beschreibung und Analyse der wissenschaftlichen Diskurse über Religion. Dabei geht es zum einen um die Analyse der eigenen Disziplin. Die hier betriebene Dekonstruktion der eigenen Begrifflichkeiten, Theorien und Methoden ist keine unbedeutende oder selbstzerstörerische Fingerübung, sondern zentral für die Selbstbestimmung der Disziplin. Zum anderen geht es aber auch um die Beschreibung und Analyse der Diskurse über Religion in anderen Disziplinen. Aufgrund eigener – zum Teil problematischer Erfahrungen – bei der Bestimmung und Erforschung von „Religion“, ist die Religionswissenschaft prädestiniert, die Schwierigkeiten, Zentrismen aber auch Interessen aufzuzeigen, die bei der Verwendung der Kategorie Religion in den Wissenschaften (wie den gesellschaftlichen Diskursen) eine Rolle spielen. Mit dieser Beschreibung und Analyse geht die Religionswissenschaft über andere Formen der Religionsforschung hinaus und etabliert sich nicht nur als eigenständige Disziplin, sondern wird zudem zu einer Art Metadisziplin.

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Eine Verkürzung der Religionswissenschaft auf eine „Religionsgemeinschaftenwissenschaft“ gefährdet ihre Existenz als eigenständige Disziplin und beraubt sie eines wichtigen Teils ihres Potenzials. Die Selbstreflexion wie die Reflexion der Verwendung des Begriffs Religion kann den Weg frei machen für neue Anläufe im Bereich der Begriffs- und Theoriebildung, in der es seit dem Untergang der Religionsphänomenologie krankt, was die Religionswissenschaft im öffentlichen Diskurs zu marginalisieren droht.

F AZIT Die vorangegangenen Überlegungen stellen mit dem Konzept der Diskursgemeinschaft einen analytischen Rahmen zur Reflexion und Bestimmung der Religionswissenschaft als akademische Disziplin dar. Dabei kommt der Untersuchung der rhetorischen Konstruktion der Disziplin sowie ihrer Institutionen als Arena der diskursiven Aushandlungsprozesse eine besondere Rolle zu. Gleichzeitig sind die Überlegungen ebenfalls ein Akt der rhetorischen Konstruktion der Religionswissenschaft und der disziplinären Grenzarbeit. Sie sind damit als ein Beitrag zu einer kritischen Diskussion zu verstehen.

6 ‚Religion‘ und ‚Säkularität‘ in sozio-rhetorischer Perspektive

Die kritische Auseinadersetzung mit der Kategorie Religion – aber auch anderen wie vor allem der Kategorie Säkularität –, ihrer geschichtlichen Genese und der Verwendung des Konzepts gehört wie geschildert zu den Kernanliegen des ‚sozio-rhetorischen‘ Ansatzes. Die Entwicklung der beiden Kategorien ist eng mit der Entstehung des modernen Nationalstaates verwoben, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

6.1 R ELIGION ,

DER PRIVATE R AUM UND DER MODERNE S TAAT

Religion ist Privatsache. Sie ist – oder sollte zumindest – vom öffentlichen Raum, hier vor allem im Sinne des Politischen, getrennt sein und nichts mit diesem zu tun haben. Unter diesen Umständen können wir trotz aller religiösen Differenzen innerhalb eines Gemeinwesens zusammenleben, da so erreicht wird, dass diese Differenzen nicht in einer Weise ausagiert werden, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen. Denn es handelt sich bei Religion – wie gesagt – um eine private und nicht um eine öffentliche Angelegenheit. So oder so ähnlich klingen die Stimmen des liberalen Diskurses, wenn über Religion und das Verhältnis von Religion und Staat sowie öffentlichen und privaten Raum nachgedacht wird. Craig Martin analysiert in seinem Buch Masking Hegemony, wie diese liberale „Religion ist Privatangelegenheit“-Rhetorik funktioniert. Er beschreibt die Zielsetzung seines Buches wie folgt:

168 | J ENSEITS VON R ELIGION „The public/private and religion/state binaries are taken for granted by almost everyone […] This book tells a story about where this type of rhetoric about ‚religion and politics‘ comes from, how it works, what it accomplishes, and what it obscures.“1

Martin argumentiert, dass die private/öffentliche Rhetorik als Konsequenz aus der Reformation und der ihr nachfolgenden, sogenannten Religionskriegen, wie dem Dreißigjährigen Krieg, geschaffen wurde und zeigt auf, wie Religion in der politischen Theorie der Frühen Neuzeit konzeptualisiert wurde.2 Den Grund für diese Rhetorik sieht er in dem Versuch, Rahmenbedingungen – in Form religiöser Toleranz – zu schaffen, die ein Zusammenleben der unterschiedlichen Konfessionen ermöglichen. Dazu wurde dem Staat das Recht abgesprochen, in die Glaubensvorstellungen seiner Bürger einzugreifen, so lange diese nicht die öffentliche Ordnung oder das Gemeinwohl bedrohten. Dies sei möglich gewesen, indem Religion zur reinen Privatangelegenheit erklärt worden sei, die in Bezug auf den öffentlichen Bereich als unerheblich betrachtet werden konnte. Martin beschreibt hier die in liberalen Kreisen weit verbreitete Vorstellung von der Entstehung einer öffentlichen, politischen und der von ihr getrennten unpolitischen, privaten Sphäre. Dieser privaten Sphäre wird Religion zugeordnet und ihr aufgrund des unpolitischen Charakters das Gefahrenpotential genommen.3 Martin bleibt aber nicht bei der Darstellung und Analyse der Entstehung der öffentlichen/privaten etc. Rhetorik und ihrer Wirkungsweisen stehen, sondern geht einen Schritt weiter. Das ist das Innovative an seiner Arbeit. Er zeigt eindrucksvoll, dass wir es entgegen den verbreiteten Vorstellungen nicht mit einer Phase der Privatisierung von Religion zu tun haben, die in die Trennung von Staat und Kirche mündete. „However, it is more important to note that the application of the language of ‚privatization‘, insofar as it fails to bring into relief the circulation of power from civil to state institutions brought about through private education, socialization, and the distribution of ideology, may in fact serve the interests of those ‚privatized‘ civil institutions whose ideology is thereby rendered theoretically inconsequential, undiagnosed, and free circulate invisibly.“4

1

Martin: Masking Hegemony, S. 7.

2

Vgl. Martin: Masking Hegemony, S. 33-57.

3

Vgl. Martin: Masking Hegemony, S. 1-7.

4

Martin: Masking Hegemony, S. 54.

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Hier wird sein zentrales Anliegen deutlich. Er schafft es aufzuzeigen, dass die öffentliche Sphäre, aller liberalen Rhetorik zum Trotz, weiterhin (in der Frühen Neuzeit wie aktuell) immer noch durch die christliche Ideologie bestimmt wird. Die Möglichkeit von Religionsgemeinschaften in die Sozialisierung und Bildung von Menschen einzugreifen, führe dazu, dass so massiv Einfluss auf die Definition von Gemeinwohl und dessen, was als Bedrohung für die öffentliche Ordnung angesehen wird, genommen werde. Dies sei nun allerdings nicht mehr einfach auf den ersten Blick zu erkennen, sondern durch die vorherrschende Rhetorik von Religion als Privatangelegenheit verdeckt. „The problem with this way of thinking is that it renders invisible and inconsequential the fact that those institutions colloquially called religions are free to distribute ideology and socialize citizens in ways that have profound political effects.“5

Die von Martin untersuchte liberale Rhetorik spielt eine zentrale Rolle bei der „Entstehung“ des modernen Staates. Die zu ihr gehörenden Begriffspaare wie öffentlich/privat, politisch/apolitisch, Staat/Religion bzw. Kirche sind ein zentraler Faktor bei der Schaffung einer ganz spezifischen sozialen Welt, die ein solches Konstrukt wie den modernen Staat erst ermöglicht. Auf diesen Aspekt verweist unter anderem Russell T. McCutcheon.6 In Anlehnung an ihn soll diesem Vorgang an Bespielen aus der politischen Philosophie der Frühen Neuzeit nachgegangen werden, bevor explizit die Frage nach der Rolle von Religion bei der Entstehung des modernen Staates an zwei deutsche Autoren gerichtet wird. Martin legt seinen Fokus bei der Entstehung der von ihm untersuchten Rhetorik auf John Locke (1632 – 1704). Neben Locke sind in diesem Kontext mit Thomas Hobbes und Jean-Jacke Rousseau zwei weitere wichtige Vordenker der politischen Theorie zu nennen. Sie sind nicht nur wichtig in Hinblick auf die von Martin untersuchte Rhetorik, sondern auch für die theoretische Grundlegung des modernen Staates. Folgt man Autoren wie Talal Asad, William Arnal7 oder McCutcheon, kann man zeigen, dass ‚Religion‘ seit dem Aufkommen der Moderne eine Schlüsselrolle für die Vorgabe und Kontrolle von Organisations- und Handlungsrahmen spielt und somit zentral für die Entstehung und Genese des modernen Staates ist.

5

Martin: Masking Hegemony, S. 30.

6

Siehe hierzu: McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance. Und ders.: The Discipline of Religious Studies, besonders S. 252-290.

7

Siehe hierzu Asad: Genealogies of Religion. Und: Arnal: Definition.

170 | J ENSEITS VON R ELIGION „As suggested […] by Asad and Arnal, at the dawn of modernity, ›religion‹ played a key role in efforts to name and control ways of acting and organizing. ›Religion‹ was thus linked with such notions as diversity and civility, public interest and private opinion, and of course, tolerance.“

8

Hobbes sah in den Bürger- und Glaubenskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts eine Rückkehr in den Naturzustand des Menschen vor der Staatenbildung. In diesem Naturzustand, in dem alle Menschen gleich seien und nach Selbsterhaltung strebten, herrsche der Krieg aller gegen alle. Gelöst worden sei dieser Zustand durch die (vertragliche) Übertragung der Souveränität auf eine Versammlung von Personen bzw. einen einzelnen Herrscher, dem die Aufgabe zukomme, den Kriegszustand zu beenden. Sinn und Zweck des Staates liegt also in der Erzwingung des Friedens. Der durch den Rechtsverzicht der Einzelnen neu entstehende Souverän wird von Hobbes Leviathan genannt. Dieser Leviathan steht über den gesellschaftlichen Gruppen und außerhalb des geschlossenen Vertrages. Um seiner Aufgabe der Schutz- und Friedenssicherung nachzukommen „[d]arf er nach Hobbes auch die Freiheit der Meinung und Religionsausübung unterdrücken. Eigentum gibt es nur mit Genehmigung des Souveräns und Gerechtigkeit ist das, was durch die Gesetze bestimmt wird.“9 Den Ausgangspunkt der gewaltsamen Auseinandersetzungen seiner Zeit sah Hobbes im kirchlichen Glauben. „Die Unbedingtheit des Glaubens erzeugt eine eigene Dynamik. Weil die Gegner Glaubensgemeinschaften sind und damit metaphysische Größen ins Spiel kommen, muss der Staat selber zum Gott werden, um den inneren Frieden des Gemeinwesens zu wahren.“10

In vorchristlichen Zeiten habe die Religion im Dienste des Gemeinwohls gestanden. Mit dem frühen Christentum habe sich dies durch die Trennung von Gottesreich und staatlicher Gesetzgebung geändert. Jesus habe verlangt, die Gesetze des Staates zu akzeptieren und keinen anderen Folge zu leisten. Dieser Grundsatz sei im Laufe der Zeit durch die Schuld von kirchlichen Würdenträgern verschüttet worden.11

8

McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 147.

9

Speth, Rudolf: Thomas Hobbes, in: P. Massing/G. Breit (Hg.), Demokratie-Theorien von der Antike bis zur Gegenwart: Texte und Interpretationen, Bonn 2003, S. 94-98, S. 98.

10 Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 15. 11 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 15-16.

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„Die Kirche habe gemessen an der Schrift keinerlei Recht, von den Bürgern Gehorsam zu verlangen. ‚Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt, deshalb können seine Diener keinen Gehorsam in seinem Namen fordern, es sei denn sie sind Könige.‘ Diese Argumentation von lief auf eine rigorose Unterscheidung der öffentlichen von der privaten Religion hinaus“.12

Alles, was im öffentlichen Bereich religiös verbindlich ist, ist vom Souverän sanktioniert. Die private Religion solle daher nur im nicht-öffentlichen Raum praktiziert werden, da die Öffentlichkeit der privaten Religion das politische Gemeinwohl gefährde.13 „Der Leviathan steht für den kirchlichen Staat bzw. die christliche Staatskirche. Schwert und Hirtenstab sind in der Hand ein und desselben Souveräns […] Dieser ist Vizekönig […] und Statthalter […] Gottes auf Erden, unmittelbar unter Gott, wenngleich vom Menschen geschaffen und legitimiert. Im christlichen Staat erfüllt der Souverän seine friedensstiftende Funktion als oberster Priester und letztentscheidende Instanz der Interpretation bei konfligierenden religiösen Lehren. Seine Entscheidungsgewalt bezieht sich freilich nur auf die äußeren Kulthandlungen und Lippenbekenntnisse, nicht auf die innerliche Glaubensüberzeugung der Bürger“.14

Hobbes trifft, wenn man Hans G. Kippenberg und Ulrich Weiss folgt, eine Unterscheidung zwischen privaten Glaubensvorstellungen und staatlicher bzw. öffentlicher Religion. Die bei Hobbes angedeutete Unterscheidung von öffentlichem Interesse oder besser öffentlicher Ordnung und privater Meinung wird von Locke explizit herausgearbeitet. Anders als Hobbes stellt sich Locke gegen das Recht des Herrschers, die öffentlichen Formen der Religion festlegen zu dürfen, und fordert die strikte Trennung von Staat und Kirche.15 Da Religion Ansprüche hinsichtlich einer nicht sichtbaren Welt geltend mache, schlägt Locke die Gewährung von Toleranz in Form von Glaubensfreiheit vor. Die staatliche Gewalt solle und dürfe nur eingreifen, um das Zusammenleben und die Interaktionen zwischen den

12 Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 15. 13 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 14-17. 14 Weiss, Ulrich: Thomas Hobbes. Leviathan, in: Theo Stammen (Hg.), Hauptwerke der Politischen Theorie, Stuttgart 1997, S. 205-211, S. 208. 15 Vgl. Euchner, Walter: John Locke. Epistola de Tolerantia, in: Theo Stammen (Hg.), Hauptwerke der Politischen Theorie, Stuttgart 1997, S. 277-279, S. 277, 278.

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Bürgern zu sichern.16 Auf die religiösen Überzeugungen der Bürger/-innen bezöge sich die staatliche Kompetenz hingegen nicht. „Es könne nämlich nicht angenommen werden, dass jemand die Sorge für das eigene Seelenheil anderen übertragen habe, denn die Wahl des richtigen Weges hierzu sei ureigenste Angelegenheit eines jeden“.17 Dies führe dazu, dass jeder glauben und bezeugen könne, was er oder sie will. Nicht erlaubt sei aber, zu versuchen, die privaten Glaubensvorstellungen allgemein verbindlich zu machen.18 An dieser Stelle erlangt das Kirchenverständnis Lockes Bedeutung. Kirche ist für ihn der Zusammenschluss von gleichgesinnten Gläubigen wie in einer Art bürgerlichem Verein. Aufgabe der Kirche sei die öffentliche Verehrung Gottes, zu deren Zwecke Lehren und Glaubensformeln sowie die äußere Form des Gottesdienstes festgelegt werden müssten. Da die theologischen Überzeugungen spekulativ seien und weder Politik noch Gesellschaft betreffen würden, sei ihnen gegenüber absolute Toleranz zu gewähren. Das gelte auch für die äußeren Formen des Gottesdienstes. Erst in dem Moment, in dem theologische Praktiken und Auffassungen die öffentliche Moral betreffen und wenn durch die kirchlichen Lehren und Praktiken die bürgerlichen Rechte gefährdet seien, hätte der Staat die Erlaubnis einzugreifen.19 Religion wird also von Locke (stärker und entschiedener noch als von Hobbes) im persönlichen und innerlichen Bereich verortet. Hierin sieht Locke die Grundlage für die bürgerliche Gesellschaft, denn erst die Trennung in einen öffentlichen und einen privaten Bereich verhindere die Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die das Seelenheil des Einzelnen im Blick haben und denjenigen, die sich um das Gemeinwohl sorgen. Allerdings sind die Grenzen dessen, was als Allgemeinwohl und als Gefährdung der öffentlichen Ordnung verstanden wird, relativ eng. Martin zeigt vor allem in Kapitel zwei und drei seines Buches auf, dass Locke die jeweiligen Allgemeinwohlvorstellungen letztendlich aus lokalen Bräuchen, Moralvorstellungen und allen voran entfachten Wünsche/Begierden abgeleitet versteht. Diese aber sind durch Bildung und Sozialisation der scheinbar apolitischen Institutionen weiterhin stark durch das Christentum geprägt. So galt in den Vorstellungen Lockes religiöse Toleranz auch nur in einem relativ engen Rahmen. Katholiken oder Atheisten wurden von ihr beispielsweise nicht eingeschlossen.20

16 Vgl. Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 147. 17 Euchner: John Locke, S. 278. 18 Vgl. Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 147. 19 Vgl. Euchner: John Locke, S. 278. 20 Vgl. Martin: Masking Hegemony, S. 33-108.

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Wie Hobbes und Locke geht Rousseau davon aus, dass die Menschen im Naturzustand frei und gleich sind.21 Rousseau führt aus, dass Jesus mit seinen Lehren22 den göttlichen vom weltlichen Bereich getrennt habe. Die „heidnischen“ Zeitgenossen des frühen Christentums hätten diese Trennung immer als ein vorgeschobenes Argument angesehen und die Befürchtung gehegt, die Christen würden nur auf den rechten Moment warten, um selbst die weltliche Herrschaft zu übernehmen. Dies sei dann auch eingetreten. Die daraus resultierende politische Einflussnahme der Christen habe zu einer Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche (=öffentlich-privat) geführt, die sich aus Rousseaus Sicht als ein endloser Konflikt zwischen der weltlichen und der kirchlichen Jurisdiktion darstellt.23 Durch diesen Konflikt werde eine gute Politik in christlichen Staaten unmöglich gemacht.24 Die Lösung des Konflikts zwischen beiden Bereichen sieht Rousseau in einer Internalisierung der Glaubensüberzeugungen. Daher hätten marginale oder in der Entstehung begriffene soziale Formationen (wie es das Christentum in seinen Anfängen darstellte) keine andere Wahl, als sich diese Unterscheidung der beiden Bereiche zu Nutzen zu machen, um überleben zu können. Dem König zu geben, was des Königs ist, und Gott das, was Gottes ist, stellt ein faszinierendes Beispiel des social engineering dar. So erhalten die aufkommenden sozialen Formationen die Möglichkeit, sich zu entfalten, da sie der vorherrschenden sozialen Formation deutlich machen, ihre Vorherrschaft nicht brechen zu wollen und sich gleichzeitig darauf berufen können, dass ihr Anliegen rein im privaten geistigen und damit anerkannt geschützten Bereich angesiedelt ist.25 Für die Konstituierung des Staates ist nach Rousseau die Wiedervereinigung von Staat und Kirche notwendig. Das mag sich nach den vorangegangenen Ausführungen zunächst widersinnig anhören, wird aber im Weiteren logisch. Als Mittel zur (harmonischen) Wiedervereinigung biete sich die Romantisierung des

21 Vgl. Speth: Thomas Hobbes, S. 121-122. 22 Hier geht es in erster Linie um Matthäus 22, 21b: „Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaiser ist, und Gott, was Gottes ist!“ Vgl. dazu auch, McCutcheon Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149. 23 Diese Überlegung setzt voraus, dass die politische Aktivität nicht zu einer Einheit von Staat und Kirche oder einer Unterordnung des Staates unter die Kirche geführt hat, sondern dass beide Institutionen nebeneinander bestehen. 24 Vgl. McCutcheon Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149. 25 Vgl. McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149.

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frühen Christentums an, welches als Religion angesehen werde, deren Anhänger sich ihm aus rein innerlichen Überzeugungen und Vorlieben zuwendeten.26 Diese romantisierte und internalisierte Form des christlichen Glaubens nennt Rousseau die Religion des Menschen bzw. die „wahre Religion“.27 Sie sei abgegrenzt von der Religion des Bürgers. Erstere sei vollkommen innerlich, ohne äußere Zeichen wie Tempel etc. und beschränke sich auf den Kult des höchsten Gottes.28 Die Religion des Bürgers sei immer einem bestimmten Land zugeordnet, durch das auch die zu verehrenden Götter vorgeschrieben würden. Sie habe ihre eigenen Dogmen, Riten und Kulte. Die wahre Religion könne der Mensch nur durch das Gefühl, nie aber durch den Verstand erlangen. Daher kommt nach Kippenberg der Kategorie Gewissen eine besondere Bedeutung zu. Es werde bei Rousseau zur unfehlbaren Instanz, „die die Maxime des sozialen Handelns verlässlich und verbindlich vorschreibt“.29 Die Forderungen des Gewissens stünden daher außerhalb jeder Diskussion.30 „Aus dieser Konzeption einer Religion des Menschen zog Rousseau [..] die logische Konsequenz, daß alle politischen Gemeinschaften von Anbeginn religiös legitimiert gewesen sein müssen.“31

Kippenberg führt weiter aus, dass so jeder Staat nach Ansicht Rousseaus seine eigenen Götter verehrt hat und, wenn er Kriege geführt hat, so dann in ihrem Namen. Erst mit dem Christentum hätte sich die Situation verändert. „Das Christentum habe den Krieg zwischen den Völkern ein Ende bereitet und den Polytheismus entmachtet. Da es aber die politischen von den religiösen Loyalitäten getrennt habe und Kirche und Staat konkurrierende Ansprüche auf die Loyalität der Bürger gestellt hätten, sei eine nicht abreißende Kette von Bürgerkriegen die Folge gewesen.“32

Daraus ergebe sich für die europäische Religionsgeschichte das Problem, dass nationale, in gewissem Sinne vorchristliche Religionen den Krieg zwischen den

26 Vgl. McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149. 27 Vgl. McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149 28 Vgl. McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149. 29 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 24. Zitat: ebd. 30 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 21-24. 31 Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 24. 32 Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 24.

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Völkern fördern würden, das Christentum hingegen zu Kriegen zwischen den Bürgern führe. Das Dilemma wird von Rousseau durch den Gesellschaftsvertrag gelöst. Grundlage dieses Vertrages könne weder die Religion des Menschen noch die des Bürgers sein, sondern es brauche eine zivile Religion, die vom Souverän allen Bürgern verpflichtend vorgegeben werden müsse. Diese Zivilreligion hat gemäß Rousseau zwei Ziele. Zum einen müsse sie erreichen, dass sich alle Bürger/-innen als Brüder bzw. Schwestern sehen und zum anderen, dass sie ihr Vaterland lieben.33 Dieser Punkt ist gemeint, wenn von der zunächst widersinnigen Wiedervereinigung von Staat und Kirche gesprochen wird. Obwohl sich die drei Philosophen in Teilen ihrer Aussagen und Anliegen widersprechen, teilen sie eine gemeinsame Grundannahme. Wir haben es hier mit einer stark individualistischen Gesellschaftslehre zu tun. McCutcheon sieht diese in Rousseaus Aussage „Der Mensch wir frei geboren, und überall liegt er in Ketten“34 treffend zusammengefasst.35 This „highly individualist sociology […] makes it possible for them [Hobbes, Locke und Rousseau; S.F.] to imagine a pure, individual zone of preference and opinion which is free from public intervention and control and thus no threat to the ruling sovereign’s practical interests“.36

Die individualistische Gesellschaftslehre ermöglicht die Annahme eines ursprünglichen, individuellen Bereiches, der frei von öffentlicher Einflussnahme ist. In Anlehnung an den amerikanischen Philosophen Robert Solomon sieht McCutcheon in dieser Annahme eine „transzendentale Vortäuschung“, da ein transzendentaler Raum, also ein Raum außerhalb der Gesellschaft, angenommen wird, ohne dass er real existiert.37 Hobbes, Locke und Rousseau nehmen aus ganz praktischen Interessen Klassifizierungen (öffentlich/privat etc.) vor und verbinden damit bestimmte Ziele in Hinblick auf die gesellschaftliche bzw. staatliche Ordnung. Dabei werden bestimmte Bereiche der einen oder der anderen Seite zugeordnet. In den angeführten Beispielen werden jeweils die auf ein aktives Agieren ausgerichteten Felder (Ökonomie, Politik, etc.) dem öffentlichen Raum zugeordnet. Religion als Glaubensüberzeugung hingegen wird in den privaten Raum verwiesen. Die Stabilität

33 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 25-26. 34 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 5. 35 Vgl. McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 146. 36 McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 146. 37 Vgl. McCutcheon: Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 145-147.

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des Staates hat dabei jedes Mal höchste Priorität. Hobbes versucht, diese Stabilität durch eine christliche Staatskirche und den Verweis des persönlichen Glaubens in den privaten Bereich herzustellen. Locke plädiert mit dem gleichen Ziel für eine strikte Trennung von Kirche und Staat und siedelt den Glauben und die Religion allein im Privaten an. Rousseau hingegen plädiert für eine öffentliche, für alle verbindliche Zivilreligion und verortet darüber hinausgehende bzw. abweichende Glaubensüberzeugungen im Privaten. Diese Klassifizierungsakte sind also nicht reine Rhetorik, sondern haben konkrete Machtfolgen. Sie ermöglichen ganz spezifische Formen gesellschaftlicher „Wirklichkeit“, indem sie von Organisations- und Handlungsrahmen für das gesellschaftlichen Zusammenlebens vorgeben und kontrollieren dieses. Martin betrachtet die Konzeptionalisierung von Religion in der politischen Theorie der frühen Neuzeit im Hinblick auf die von ihm untersuchte liberale Rhetorik. Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, stellt sie aber auch eine zentrale Wegmarke bei der Entstehung des modernen Staates dar. Fragt man nach der Rolle von „Religion“ bei der Entstehung des modernen Staates, wird in der Literatur nicht selten auf die Bedeutung des Säkularisierungsprozesses verwiesen. Dabei fällt auf, wie selbstverständlich die durch die geschilderten rhetorischen Akte geschaffenen sozialen Welten als natürlich und notwendig angesehen werden, ohne sie kritisch zu hinterfragen, wie im Folgendem gezeigt wird. In der Regel wird Religion als hinderlich für die Moderne und die Säkularisierung als Bedingung für den modernen Staat gesehen, wie der Politikwissenschaftler Terrance Carroll festhält.38 Nicht immer muss allerdings die bei dieser Einschätzung mitschwingende normative Annahme, dass es sich bei der Säkularisierung um einen reinen Verfallsprozess von Religion handelt, zutreffen. Der deutsche Staatsrechtler und ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Walter Böckenförde39 sowie der deutsche Politikwissenschaftler Karsten Fischer40 können dafür als Beispiele fungieren. Darüber hinaus kann man an ihnen exemplarisch illustrieren, welche Rolle liberale Wissenschaftler Religion bei der Ausbildung des modernen Staates zuschreiben.

38 Vgl. Carroll, Terrance G.: Secularization and States of Modernity, World Politics 36 (1984), S. 362- 382, S. 262. 39 Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Entstehung des Staates als Vorgänger der Säkularisierung, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt am Main 1976, S. 42-64. 40 Fischer, Karsten: Die Zukunft einer Provokation. Religion im liberalen Staat, Berlin 2009.

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Zentral in der Argumentation Böckenfördes wie Fischers ist die Vorstellung, dass die Entstehung des liberalen Staats und sein eigentliches Ziel in der Einhegung des potentiellen Gewaltpotentials von Religion, das aus widerstreitenden Wahrheitsansprüchen resultiert, wurzeln.41 Diese Überlegungen sind vor allem vor dem Hintergrund der Frage zu sehen, wie „kollektiv verbindliche Entscheidungen“ in Gemeinwesen herbeigeführt werden können,42 beziehungsweise worin die Legitimität des Staatswesens gründet.43 Der Säkularisierungsbegriff wird von beiden Wissenschaftlern relativ eng und spezifisch gefasst. Säkularisierung wird als geschichtlicher Prozess verstanden, in dessen Folge sich das Politische vom Religiösen ablöst und das Politische letztendlich die Vorrangstellung über das Religiöse gewinnt. In Hinblick auf die Ausbildung des modernen Staates wird vor allem der Reformation und der damit verbundenen Kirchspaltung sowie den konfessionell begründeten Bürgerkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts besondere Bedeutung in diesem Prozess zugeschrieben. Hier verorten sie den entscheidenden Säkularisierungsschritt, der zur endgültigen Lösung des Politischen vom Religiösen führt. Allerdings beginnt der Prozess nicht erst mit der Reformation in der frühen Neuzeit, sondern erhält hier eine spezifische Wende.44 Die Anfänge des Säkularisierungsprozesses, im dargestellten Sinne einer Ablösung des Politischen vom Religiösen, datieren die beiden Wissenschaftler unterschiedlich. Einig sind sich die Autoren, dass Trennung beider Bereiche unter vormodernen Bedingungen nicht existiert habe bzw. existieren könne. Nach Böchenförde beginnt der Ausdifferenzierungsprozess mit dem Investiturstreit (1057-1122).45 Für Fischer stellt der Investiturstreit nur einen wichtigen zweiten Schritt dar. Er verortet einen ersten Säkularisierungsschritt im antiken Griechenland. Hier seien erste Ideen zur Unterscheidung des religiösen und des politischen Bereiches aufgekommen.46 Nach Fischer bewegt sich der moderne Staat in einem Spannungsfeld von Politik, Recht und Religion. Erstmals wurde das „Politische“ im antiken Grie-

41 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 50. 42 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 9. 43 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 4243, S. 57-61. 44 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 43-44. Und vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 9-25. 45 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 44-49. 46 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 17-24, besonders S. 17-18.

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chenland als eigener Bereich formuliert, als allein „den Entscheidungen freier Bürger unterworfene Angelegenheit“47. Dies geschieht, indem die Herstellung kollektiver verbindlicher Entscheidungen nicht mehr an das Transzendente gebunden wird. Religion wird fortan als apolitisch verstanden. Damit wird Freiheit nicht mehr religiös, sondern allein durch die politischen Entscheidungen der Bürger begrenzt und die Autonomie des Politischen vom Religiösen begründet. Dies hat Auswirkungen auf die geltenden Rechtsvorstellungen. Bestand das Recht bis dahin vor allem in althergebrachten Rechtsnormen, die ohne Überprüfung angewendet wurden, sollte nur die aktive Rechtssetzung der Bürger in den Vordergrund treten.48 Fischer sieht hier einen ersten Säkularisierungsvorgang, der dazu führte, „Politik als eigengesetzlichen, menschlichen Handlungsbereich unter Bedingungen der Freiheit“49 zu konstituieren. Einen Vorgang, der durch das Christentum lange Zeit verdrängt wurden sei.50 Als Folge findet sich im Mittelalter kein eigenständiges Politikverständnis an. Während dieser Epoche sei Herrschaft ganz auf christliche Normen ausgerichtet und damit jede weltliche Ordnung dem Religiösen untergeordnet worden. Der Herrscher verkörperte Volk und Staat und war mit ihnen identisch. Eine Konzeption, für den sich der Begriff Personenverbandsstaat durchgesetzt hat. Erst mit dem Investiturstreit gegen Ende des 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts, sei diese Weltsicht wieder aufgebrochen worden. Der Streit zwischen Kirche und Kaiser um das Recht, Bischöfe einzusetzen (Investitur), habe die Vorherrschaft der Kirche bestätigt und die königliche Macht auf den weltlichen Bereich beschränkt. Die damit einhergehende Entsakralisierung des Königtums habe erstmals im Mittelalter die Voraussetzungen für einen autonomen weltlichen bereich geschaffen. Diese Unterscheidung zwischen geistiger und weltlicher Macht habe die „weltlichen Angelegenheiten als eigenständiger menschlicher Handlungsbereich mit einer spezifischen Logik (wieder) erkennbar“ gemacht.51 Böckenförde sieht dies ganz ähnlich. Fischer führt aus, dass sich in den folgenden Jahrhunderten die Idee durchgesetzt habe, dass legitime Herrschaft von einer rechtmäßigen Gesetzgebung abhängt. Diese sei Aufgabe der Bürger. Die Vorstellung kann auf den Nenner gebracht werden, dass das Gesetz regieren soll und auch der Herrscher diesem un-

47 Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 17. 48 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 9-17. 49 Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 18. 50 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 9, 18. 51 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 21. Zitat: ebenda.

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tersteht. Zudem wird die Gemeinwohlvorstellung von transzendenten Ordnungsvorstellungen losgelöst und funktionalisiert. Dies habe nicht nur eine „Säkularisierung des politischen Denkens“52 zur Folge gehabt, sondern eröffnete auch die Möglichkeit konkurrierender Auffassungen bei der Definition des Gemeinwohls. Mit dieser Entwicklung war nach Fischer ein wichtiger Schritt hin zur modernen Staatstheorie zurückgelegt, wiewohl sich die Vorstellungen immer noch im Bereich vormoderner Vorstellungen bewegten. Mit der Unterscheidung zwischen kirchlicher und weltlicher Gewalt und der damit einhergehenden Entsakralisierung des Königtums, war keine völlige Loslösung des Politischen vom Religiösen verbunden.53 Böckenförde weist daraufhin, dass für die Legitimation von Herrschaft und Gemeinwesens das Christentum immer noch unbestrittene Grundlage gewesen sei.54 Die Überwindung der politischen Theologie des Mittelalters sei dann ein Ergebnis der Glaubensspaltung und -kriege gewesen. Nun stellte sich die Frage nach einer politischen Ordnung, die das gemeinsame Zusammenleben unter Bedingungen der Glaubensspaltung ermöglichte. Martin setzt an diesem Punkt mit seiner Analyse ein. Während Böckenförde und Fischer die aufkommenden Überlegungen und Entwicklungen mehr oder weniger unkritisch und notwendig darstellen, untersucht Martin diese Überlegungen und Entwicklungen als rhetorische oder diskursive Prozesse und kritisiert wie oben dargelegt. Nach Meinung der beiden deutschen Autoren wurde die Lösung für das Problem in einer grundsätzlichen Trennung von Religion und Politik gefunden.55 Die weltlichen Herrscher fungierten nicht mehr als Vollzugsbeamten ihrer Religionsgemeinschaft, die von der religiösen Wahrheit Abweichende unterdrückten, sondern nahmen die geistlichen Angelegenheiten selbst in die Hand. Zur Herstellung und Sicherung des Friedens und der politischen Ordnung stellte sich die Politik über die streitenden Religionsparteien. Gemeinwohl und Gemeinwesen wurden nicht mehr religiös legitimiert, sondern innerweltlich. Theoretisch fundiert werden diese Entwicklungen durch die Ideen der französischen „Politiques“. Unter den „Politiques“ versteht man eine um Ausgleich bemühte Partei während der französischen Religionskriege. Zu einem der wichtigsten Vertreter zählt der Jurist und Staatsmann Michel de l’Hôpital (15051573). Für diese Partei bestand die vorrangige Aufgabe der Regierung in der Si-

52 Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 23. 53 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 22-24. 54 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 48. 55 Genau diese Auffassung kritisiert Martin, da mit ihr der weiterhin bestehende gegenseitige Einfluss beider Sphären aufeinander verdeckt wird.

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cherung von Frieden und Ordnung. Frieden erfuhr dabei eine neue Definition und wurde nicht mehr wie zuvor als „Leben in der Wahrheit“ verstanden, sondern als Abwesenheit vom Krieg. Die einzige Möglichkeit zur Sicherung von Frieden und Ordnung wurde in einer starken Monarchie gesehen. Der Befehl des Königs wurde als oberstes Gesetz gesehen, dem alle Folge zu leisten hatten. Der König als Repräsentant des Staats wird als neutrale Instanz gesehen, die über den Bürgern und deren Auseinandersetzung steht. Die konfessionelle Frage wird von den Politiques somit nicht mehr als politisches, sondern als kirchliches Problem verstanden. Zugespitzt formuliert, findet hier die Trennung von Religion und Politik statt. Gleichzeitig erlangt das Politische die Vorrangstellung vor dem Religiösen.56 Die im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts einsetzende Konfessionalisierung sieht Böckenförde nicht als Widerspruch zu dieser Entwicklung, sondern eher als ihre Bestätigung. Das Prinzip der Staatsreligion, dass sich mehr oder weniger flächendeckend in Europa durchsetzt und im „cuius regio, euis religio“ des Westfälischen Friedens seine juristische Entsprechung erfährt, sieht Böckenförde als einen Zeichen des politischen Primats, da es sich hierbei nicht um eine Frage nach religiöser Wahrheit handele. Vielmehr gehe es um die Sicherung der staatlichen Ordnung und damit um eine politische Überlegung.57 Während bei Böckenförde die Politiques um Michel de l’Hôpital als Gewährsmänner für die Ausformulierung einer säkularen Staatstheorie sind, stützt sich Fischer in seiner Argumentation vor allem auf Jean Bodin (1529-1596). Religion sei ihrer zentralen politischen Rolle enthoben und auf die Stufe eine privaten Weltanschauung herabgestuft worden. Der Staat habe zu gewährleisten, dass die privaten Glaubensanschauungen friedlich und gesellschaftsverträglich ausgeübt werden. Politische Herrschaft und Ordnung werde vom Rückbezug auf Religion gelöst. Hierin sehen Fischer wie Böckenförde den zentralen Prozess der Säkularisierung.58 Die Überwindung der politischen Theologie des Mittelalters und die Hinwendung zu einer innerweltlichen Staatslegitimation sind nach Fischer schon in den staatstheoretischen Überlegungen des Absolutismus angelegt, deren wichtigster Vertreter Bodin ist. Ebenfalls geprägt von den Erfahrungen der französi-

56 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 49-53. 57 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 49-50. 58 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 50. Und vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 11, S. 29-33, S. 43-44.

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schen Religionskriege, trat Bodin dafür ein, die verloren gegangene Sicherheit, Ordnung und Freiheit durch einen starken Staat in Person des souveränen Fürsten wiederherstellen. Der Souveränitätsbegriff nimmt eine zentrale Rolle in den Überlegungen Bodins ein. In seinem „Les six livres de la république“ (1576) arbeitet er den Begriff der Souveränität als Grundlage des Staates aus. Zentrales Kennzeichen von Souveränität ist das Recht, gültige Gesetze erlassen zu können. Dabei ist der souveräne Herrscher nur an seine eigenen Gesetze gebunden. Das Gesetz wird allen anderen Dingen übergeordnet und ist die höchste Instanz im Land. Widerstand gegen das Gesetz ist nicht erlaubt. In dieser Vorstellung wird auch Religion dem Gesetz und damit dem souveränen Herrscher untergeordnet. In diesem Zuge wird sie zur Privatangelegenheit erklärt und entpolitisiert. Wie in den Vorstellungen der Politiques versucht auch Bodin damit, den starken Staat als neutrale Instanz über die widerstreitenden Konfessionen zu erheben und diese zu befrieden.59 Fischer verweist darauf, dass diesen Überlegungen mit einer Unterscheidung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft einhergehen. Der Staat wird als einer „funktional auf die Ordnungswahrung konzentrierten Sicherheitsagentur“60 verstanden und von der bürgerlichen Gesellschaft unterschieden. Die bürgerliche Gesellschaft wird als unpolitisch und in privaten Angelegenheiten von staatlicher Einmischung freier Nutzenmaximierer verstanden. Der Staat soll als neutrale Instanz über den (ökonomischen wie religiösen) Einzelinteressen stehen und gleichzeitig den Raum für diese Einzelinteressen in Form der bürgerlichen Gesellschaft garantieren.61 Einen Höhepunkt in der theoretischen Absicherung der Loslösung der Politik von Religion sehen sowohl Böckenförde wie Fischer in der politischen Philosophie des Engländers Thomas Hobbes erreicht. Hobbes skizziert in seinen Arbeiten den säkularen Staat, dessen Aufgabe in der Absicherung von Frieden und Sicherheit, sowie der Bedürfnisbefriedigung seiner Bürger liege. Obwohl es sich beim Hobbes’schen Staat um einen christlichen Staat handelt, ist die Staatsbegründung nicht religiös, sondern zweckrational, wie Böckenförde feststellt.62 Weder bei Bodin noch bei Hobbes ist der Souverän vertraglich gebunden, sonst wäre er nicht souverän. Er wird nicht als Vertragspartner, sondern als Ergebnis der Vertragsschlüsse der Bürger gesehen. Spätere Staatstheoretiker gehen

59 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 29-33, S. 43-44. 60 Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 33. 61 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 33. 62 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 5455. Und vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 33-34.

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über diese Vorstellung hinaus. Es kommt zu einer Ausdifferenzierung zwischen der Rechtspflicht und deren Kontrolle, die bei Bodin und Hobbes noch nicht angedacht war. Der Herrscher war zwar an seine eigenen Gesetze und konstitutionelle Vorgaben gebunden, eine Kontrolle war aber nicht möglich. John Locke und Montesquieu nutzen die Unterscheidung von Rechtspflicht und deren Kontrolle, also die Verteilung der Staatsgewalt auf unterschiedliche Institutionen, zur Erweiterung des Souveränitätsbegriffs hin zur Vorstellung der Volkssouveränität. Nach der Ausdifferenzierung von Religion und Politik findet nun eine Ausdifferenzierung von Politik und Recht statt. Die Rechtssetzung ist Aufgabe und Vorrecht der Politik, die allerdings von nun an das Recht gebunden ist. Hierin sieht Fischer einen weiteren Kern des Säkularisierungstheorems, nämlich die Einrichtung einer weltlichen Rechtsprechung über weite Bereiche des Lebens, die vorher unter kirchlichem Einfluss standen.63 Immer mehr rücke die Vernunft in das Zentrum politischen Handelns und werde zu seiner Richtschnur. Ihren Höhe- und vorläufigen Endpunkt sehen Böckenförde und Fischer in der Französischen Revolution von 1789.64 Fasst man die Überlegungen Böckenfördes und Fischers noch einmal zusammen, sehen die beiden Autoren die zentrale Rolle von Religion bei der Entstehung des modernen Staates in ihrer Domestizierung und Privatisierung. In einem langen Prozess der Säkularisierung wird Religion in mehreren Schritten immer mehr aus dem öffentlichen und politischen Raum in den privaten und unpolitischen Raum verdrängt. Der primäre Zweck des modernen Staates wird in der Neutralisierung des Gefahrenpotentials von Religion verortet. Die Genese des modernen Staates und der dabei bedeutsame Säkularisierungsprozess werden dabei zwar nicht als widerspruchsfrei, aber doch im Großen und Ganzen positiv, notwendig und zielgerichtet dargestellt. Böckenförde und Fischer machen die „Säkularisierung“ zu einem Kernkonzept für die Analyse der Entstehung des modernen Staates und weisen damit Religion bzw. dem Umgang mit Religion eine zentrale Rolle zu. Letztendlich handelt es sich dabei aber um nichts Anderes, als die oben aufgezeigt liberale Rhetorik von öffentlich/privat, Staat/Kirche etc., deren Anfänge – wie oben dargestellt – in der frühen Neuzeit liegen. Ähnlich wie Hobbes, Locke oder Rousseau argumentieren Böckenförde und Fischer mit der Notwendigkeit, Religion im Privaten zu verorten, um den Staat und seine Stabilität zu garantieren. Daran ändert auch nichts, dass beide in Religion weiterhin einen wichtigen Faktor für den Zu-

63 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 35-37. 64 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung, S. 5557. Und vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 33-34.

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sammenhalt in einer Gesellschaft sehen. Der Staat dürfe sich zwar nicht in die gesellschaftliche Werte und Normen Bildung einmischen, müsse aber die Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Bürger frei über die weltanschaulichen Bindungskräfte bestimmen können. Religion sowie das Verhältnis von ihr zum Staat ist in ihren Vorstellungen so konfiguriert, dass sie keine Gefahr für das Gemeinwesen darstellen kann.65 McCutcheon schreibt hierzu: „Whether this rhetorical space is used by such writers to ensure the safety of their own dissenting group, under siege from a dominant group, or used by them to limit the scope of influence exercised by dissenters, the outcome is the same: a status quo is effectively reproduced by individualizing and marginalizing opposition“.66

Der Staat selbst ist nicht mehr in der Lage, kollektive Ziele vorzugeben, sondern nur noch den Wettbewerb von individuellen Interessen zu sichern.67 Gleichzeitig lässt die verwendete Rhetorik dies als selbstverständlich und notwendig erscheinen. Ansätze wie die McCutcheons rücken diesen Aspekt in den Fokus und geben die Möglichkeit, scheinbar Notwendiges als Kontingentes zu kritisieren und zu hinterfragen. Ein erster Schritt, um über alternativen, in diesem Falle zum modernen liberal-kapitalistischen Nationalstaat nachzudenken. Martins Verdienst ist es, auf einen in diesem Kontext bisher zu wenig beachtetetn Aspekt aufmerksam zu machen. Sein überzeugender Hinweis, dass, aller liberalen Rhetorik zum Trotz, der private Bereich Einfluss auf den öffentlichen nimmt, lässt die Beziehung zwischen den beiden Bereichen neu in den Blick kommen. Mit seinen Überlegungen zur Analyse der liberalen Rhetorik fügt er damit der Werkzeugkiste zur Untersuchung der Rolle von Religion in historischen und aktuellen Diskursen, wie beispielsweise bei der Frage nach der Funktion von Religion bei der Entstehung des modernen Staates, ein weiteres Werkzeug hinzu.

65 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 45-47. 66 McCutcheon: The Discipline of Religion, S. 262. 67 Siehe McCutcheon: The Domestication of Dissent.

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6.2 D IE E RFINDUNG VON R ELIGION IM E NTSTEHUNGSKONTEXT DES MODERNEN S TAATES Am Anfang war der Konflikt – ein Konflikt, der aus dem Aufbrechen der christlichen Einheitskirche des Mittelalters und der Pluralisierung der christlichen Konfessionen zu Beginn beziehungsweise während der Frühen Neuzeit in Europa resultierte und erst mit der Entstehung des modernen liberalen und säkularen Staates beendet werden konnte. Diese Vorstellung bestimmt bis heute die Überlegungen zur Entstehung des modernen Staates und zum Verhältnis von „Religion“ und „Politik“. Der moderne (liberale) Staat wird als eine Reaktion auf die Erfahrungen der Konfessionsspaltung in Folge der Reformation gesehen. In der Vervielfältigung der christlichen Konfessionen und damit auch der absoluten Wahrheitsansprüche liege die Ursache der sogenannten Religionskriege im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Lösung der oft blutigen und zerstörerischen Konflikte sei in der „Säkularisierung öffentlicher Diskurse [über das Allgemeinwohl, Anm. SF] im Interesse einer Minimierung der schlimmsten Auswirkungen religiöser Uneinigkeiten“68 zu finden. Jeffery Stout weist hier auf die Bedeutung der Säkularisierung für die Überwindung des Konflikts und damit einhergehend auf die Entstehung des modernen Staates hin. Damit ist er kein Einzelfall. Der Politikwissenschaftler Terrance Carroll führt aus, dass in der (wissenschaftlichen) Literatur zur Entstehung des modernen Staates immer wieder die zentrale Bedeutung der Säkularisierung beziehungsweise des Säkularisierungsprozesses betont werde. Er schlussfolgert vor diesem Hintergrund, dass eine Vorstellung vorherrscht, in der Religion in der Regel als hinderlich für die Moderne angesehen und in der die Säkularisierung als Bedingung für den modernen Staat postuliert werde.69 Dabei werden verschiedene Etappen und Wegmarken der Säkularisierung ausgemacht, die je nach Autor auch etwas differieren können. Einig sind sich die Vertreter dieser Vorstellung aber in der zentralen Rolle der Reformation und ihrer Folgen. Mittlerweile bleibt dieses Narrativ zur Entstehung des modernen Staates nicht mehr unwidersprochen. So verweist beispielsweise der Religionssoziologe José Casanova darauf, dass nicht der säkulare Staat, sondern vielmehr der kon-

68 Stout, Jeffery: The Flight from Authority. Religion, Morality and the Quest for Autonomy, Notre Dame 1981, S. 241. Übersetzung durch den Autor. 69 Vgl. Caroll: Secularization and States of Modernity, S 362. Hubert Seiwert hat überzeugend argumentiert, dass die Vorstellung der Unvereinbarkeit von Religion und Moderne ein historisches Produkt ist, das im Selbstbild der Moderne angelegt ist. Vgl. Seiwert: Religion in der Geschichte der Moderne.

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fessionelle Staat als Ergebnis der Religionskriege zu sehen sei: „Nirgendwo in Europa führten religiöse Konflikte zur Säkularisierung, sondern vielmehr zur Konfessionalisierung des Staates und zur Territorialisierung von Religionen und Völkern.“70 Darüber hinaus habe die Entwicklung hin zum konfessionellen Territorialstaat schon vor der Reformation eingesetzt. 71 Diesen Aspekt greift auch William T. Cavanaugh unter einem etwas anderen Blickwinkel auf und spitzt ihn zu: „The ‚Wars of Religion‘ were not the events which necessitated the birth of the modern state; they were in fact themselves the birthpangs of the State. These wars were not simply a matter of conflict between ‚Protestantism‘ and ‚Catholicism‘, but were fought largely for the aggrandizement of the emerging State over the decaying remnants of the medieval ecclesial order.“72

Unbestritten ist, dass die Vertreter der Staatsvertragslehre in der Frühen Neuzeit und Neuzeit stark von den Erfahrungen der Religions- und Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts beeinflusst waren. Politische Philosophen wie Thomas Hobbes (1588-1679), John Locke (1632-1704) und Jean-Jaques Rousseau (17121778), auf die weiter unten eingegangen wird, verarbeiteten diese Erfahrungen in ihren Überlegungen, wobei sie die Frage nach gerechter Herrschaft, der Funktionsfähigkeit des Staates73 und damit einhergehend der Regulierung abweichender beziehungsweise im Konflikt stehender Interessen innerhalb eines Staates in den Mittelpunkt stellten. Betrachtet man die Interpretation der politischen Theorie der Frühen Neuzeit durch Autoren des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, so fällt auf, dass auch diese Interpretation häufig vor dem Hintergrund säkularisierungstheoretischer Überlegungen erfolgt. Nur beispielhaft sei hier auf den Staatsrechtler ErnstWalter Böckenförde, dessen Aufsatz „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“74 große Beachtung gefunden hat, oder auf den Politikwissenschaftler Karsten Fischer75 verwiesen.76

70 Casanova, José: Europas Angst vor der Religion, Berlin 2009, S. 10. 71 Vgl. Casanova: Europas Angst vor der Religion, S. 10. 72 Cavanaugh, William T.: „A fire strong enough to consume the house“. The Wars of Religion and the Rise of the State, Modern Theology 11 (1995), S. 397-420, S. 398. 73 Vgl. Brockard, Hans: Nachwort, in: Jean-Jacques Rousseau (Hg.), Vom Gesellschaftsvertrag: Oder Grundsätze des Staatsrechts, Stuttgart 2011, S. 187-246, S. 203. 74 Vgl. Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung. 75 Vgl. Fischer: Die Zukunft einer Provokation.

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Die säkularisierungstheoretische Lesart der politischen Philosophie der Frühen Neuzeit wie die Deutung der Rolle von Religion und Säkularisierung für die Entstehung des modernen Staates ist einem grundlegenden Problem verhaftet. In Säkularisierungstheorien wird vereinfacht gesagt (implizit oder explizit) davon ausgegangen, dass es zunächst eine „religiöse“ Welt gegeben hat, die nach und nach in einem historischen Prozess entzaubert, das heißt säkularisiert wurde oder wird. Religion wird als das Primäre und als natürlicher (Ur-)Zustand der Welt gesehen, dem etwas (Nachgeordnetes) widerfährt. Die Analogie zu den Überlegungen von Religionsphänomenologen wie Mircea Eliade ist frappierend:77 Die „in ihrer Totalität profane Welt, der gänzlich entsakralisierte Kosmos, [ist] eine neue Entdeckung in der Geschichte des menschlichen Geistes. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu zeigen, durch welche geschichtlichen Prozesse und infolge welcher Veränderungen in der geistigen Einstellung der moderne Mensch seine Welt entsakralisiert und eine profane Existenz angenommen hat. Uns genügt die Feststellung, daß die Entsakralisierung die totale Erfahrung des nicht religiösen Menschen der modernen Gesell schaften kennzeichnet“78.

Meines Erachtens erliegen solche Ansätze, auch wenn sich viele wohl nicht in einer religionsphänomenologischen Tradition sehen würden, einem „strukturellen sui-generis-Problem.“79 Unter anderem haben der Anthropologe Talal Asad und der Religionswissenschaftler Timothy Fitzgerald in ihren Arbeiten gezeigt, dass man vor der Frühen Neuzeit und außerhalb des (west-)europäischen Kontextes „Religion“ – zumindest im heutigen Verständnis als einen separierten Bereich, oft verknüpft mit Vorstellungen innerlichen Glaubens und Erlebens – nicht

76 Auf diesen Aspekt kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Interessierten Lesern sei für eine nähere Auseinandersetzung folgender Aufsatz empfohlen: Führding: Religion, Privacy and the Rise of the Modern State. 77 Siehe hierzu Führding: Der schmale Pfad. 78 Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Frankfurt am Main 1998, S. 16. 79 Unter dem „strukturellen sui-generis-Problem“ verstehe ich Argumentationsstrukturen, die sich scheinbar von der Vorstellung abgrenzen, dass „Religion“ ein Phänomen sui generis sei, gleichzeitig aber Religion doch einen besonderen Status zuschreibt, durch den der so klassifizierte Bereich wieder zu etwas „Einmaligem“ wird. Siehe hierzu Führding, Steffen: Methoden für die Religionswissenschaft. Professionalisierung und Fachidentität, Zeitschrift für junge Religionswissenschaft 8 (2013), S. 56-66, S. 64.

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nachweisen kann.80 Folgt man diesen Autoren, die nur stellvertretend für eine ganze Reihe weiterer Wissenschaftler stehen,81 wurde das, was wir heute unter „Religion“ verstehen, durch einen Diskurs geschaffen, der sich in der ganz spezifischen, historischen und gesellschaftlichen Situation Westeuropas des 16. bis 18. Jahrhunderts entwickelte und eng mit der Entstehung des Nationalstaates und seiner Erfordernisse verbunden ist.82

Liberale Rhetorik, Religion und der moderne Staat Dieser sich in der Frühen Neuzeit entwickelnde und in seiner Form neuartige Diskurs ist geprägt durch die Verwendung binärer Paare wie: Politik/Religion, Staat/Kirche, öffentlich/privat, äußerlich/innerlich etc. Der Religionswissenschaftler Craig Martin spricht von einer „liberalen Rhetorik“ die in dieser Zeit aus ganz spezifischen Interessen heraus geschaffen wurde.83 Diese liberale Rhetorik stellt einen zentralen Baustein eines charakteristischen Religionsdiskurses dar, durch den unsere heutige Kategorie Religion überhaupt erst geschaffen wurde und spielt eine ebenso zentrale Rolle bei der Entstehung des modernen Staates. Besonders anschaulich kann man diesen neuen Diskurs in den Arbeiten der drei politischen Philosophen Hobbes, Locke und Rousseau aufzeigen, wie es etwa Russell McCutcheon – an den die Ausführungen im Folgenden in erster Linie angelehnt sind – getan hat.84 Die drei Genannten zählen zu den zentralen Figuren bei der Etablierung dieses Diskurses. Timothy Fitzgerald hat durch eine Analyse zeitgenössischer Dokumente nachgewiesen, dass eine Einteilung der Welt in einen religiösen und einen nicht-

80 Ob man deswegen „Religion“ als deskriptive und analytische Kategorie völlig verwerfen sollte, wie es beispielsweise Timothy Fitzgerald (Vgl. unter anderem Fitzgerald: The Ideology of Religious Studies, S. 12, 245. Fitzgerald: Discourse on Civility and Barbarity, S. 15, 97) tut, muss an dieser Stelle offen bleiben. Zur weiteren Auseinandersetzung siehe: Schilbrack: The Social Construction of „Religion“ and Its Limits. 81 Siehe hierzu unter anderem: Dubuisson: The Western Construction of Religion Masuzawa: The Invention of World Religions. McCutcheon: The Discipline of Religion. 82 Vgl. Arnal: Definition; ders.: The Segregation of Social Desire Und vgl. Asad: Genealogies of Religion, besonders S. 27-54. 83 Vgl. Martin: Masking Hegemony. 84 Vgl. hierzu vor allem McCutcheon: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance.

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religiösen Bereich – mit der damit zusammenhängenden Unterteilung der Welt in eigenständige Sphären wie Religion, Ökonomie, Politik, die zwar miteinander interagieren können, im Wesen aber voneinander unabhängig und grundverschieden sind – bis weit in die Frühe Neuzeit hinein im Denken und Handeln weiter Teile der Bevölkerung nicht vorkam. Er spricht von einer allumfassenden Religion (Encompassing Religion), die mit der „christlichen Wahrheit“ gleichgesetzt werden kann, die das Weltbild der Menschen geprägt habe.85 Dies gilt auch für die Zeit, in der Thomas Hobbes lebte.

Thomas Hobbes Der „Leviathan“86, Thomas Hobbes’ in der heutigen Zeit wohl am meisten nachwirkendes staatstheoretisches Werk, stellt daher keine Deskription der zeitgenössischen Umstände im engeren Sinne dar. Vielmehr muss man wohl von normativen Überlegungen sprechen. Hobbes beschreibt die Welt beziehungsweise den Staat, wie er seiner Meinung nach aussehen und organisiert sein soll, um ganz spezifischen Zielen zu dienen, auf die gleich einzugehen sein wird. Es gibt „einen öffentlichen und einen privaten Gottesdienst; der erste wird von dem ganzen Staat, der letztere aber von einem einzelnen Bürger geübt. Die Einrichtung des öffentlichen Gottesdienstes hängt ganz vom Staat ab; der private steht zwar einem jeden frei, solange er im verborgenen geübt wird, die öffentliche Ausübung geschieht nie ganz ohne Furcht entweder wegen der Gesetze oder wegen der Personen, welche dabei zugegen sind, denn beides bewirkt eine Art von Zwang.“87

Hobbes unterscheidet hier den öffentlichen vom privaten Raum. Alles, was im öffentlichen Raum religiös verbindlich ist, unterliegt der Sanktionierung des Souveräns. Neben der „öffentlichen“ Religion spricht Hobbes auch von einer „privaten“ Religion, die ihren Platz allerdings nur im nicht-öffentlichen Raum haben darf, weil sie – da es sich letztendlich um individuelle Glaubensvorstellungen handelt –, öffentlich gemacht, das politische Gemeinwohl gefährde.88 Der

85 Vgl. Fitzgerald: Discourse on Civility and Barbarity. Und: Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion. 86 Hobbes, Thomas: Leviathan. Erster und zweiter Teil, Stuttgart 2012. 87 Hobbes: Leviathan, S. 300. 88 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 14-17.

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Schutz des politischen Gemeinwohls, also des Staates, stellt Hobbes’ zentrales Anliegen dar. Die Erfahrungen der sogenannten Religions- und Glaubenskriege seiner Zeit, die er im Leviathan verarbeitete, führen zu Überlegungen, wie solche Konflikte überwunden beziehungsweise gebannt werden können und wie Herrschaft und Gemeinwesen organisiert sein müssen, um funktionsfähig zu sein. Hobbes interpretiert die Konflikte als eine Rückkehr in den Naturzustand des Menschen vor der Staatenbildung. In diesem Naturzustand, in dem alle Menschen gleich seien und nach Selbsterhaltung streben, herrsche der Krieg aller gegen alle. Gelöst worden sei dieser Zustand durch die (vertragliche) Übertragung der Souveränität auf eine Versammlung von Personen oder einen einzelnen Herrscher, dem die Aufgabe zukomme, den Kriegszustand zu beenden. Sinn und Zweck des Staates liegen damit in der Erzwingung des Friedens. Hobbes nennt den durch den Rechtsverzicht der Einzelnen neu entstehenden Souverän „Leviathan“ oder den „sterblichen Gott“89. Dieser Leviathan steht über den gesellschaftlichen Gruppen und außerhalb des geschlossenen Vertrages.90 Der konstatierte Rückfall in den Naturzustand wurzelte seiner Meinung nach in den Absolutheitsansprüchen der Konfessionen. Hans Kippenberg schreibt hierzu: „Die Unbedingtheit des Glaubens erzeugt eine eigene Dynamik. Weil die Gegner Glaubensgemeinschaften sind und damit metaphysische Größen ins Spiel kommen, muss der Staat selber zum Gott werden, um den inneren Frieden des Gemeinwesens zu wahren.“91

Die konkurrierenden Wahrheitsansprüche der unterschiedlichen Konfessionen stellen nach Hobbes eine neue Situation dar. Bis zur Glaubensspaltung im Zuge der Reformation sieht er eine Konkurrenzsituation zwischen „göttlicher“ und „weltlicher“ Ordnung gegeben. Innerhalb des „göttlichen“ Bereichs habe es diese Konkurrenz (innerhalb eines Staatswesens) allerdings nicht gegeben, auch wenn Religion nicht immer in einer einheitlichen Gestalt aufgetreten sei. Religion, so legt der Autor es in Kapitel zwölf „Von der Religion“ dar, gründe im Glauben an und der „Furcht vor Geister[n], [der] Unkenntnis […von] Ursachen, [sowie der] Verehrung gefürchteter Dinge und Vorbedeutungen“92. Diese Aspekte seien nicht nur Grundlage der Religion, sondern auch ihr Kern. Dieser habe unterschiedliche Ausformungen erfahren, die allerdings alle darauf angelegt ge-

89 Hobbes: Leviathan, S. 155. 90 Vgl. Hobbes: Leviathan, S. 151-156. 91 Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 15. 92 Vgl. Hobbes: Leviathan, S. 98-103. Zitat ebenda, S. 103.

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wesen seien, das Gemeinwohl zu wahren.93 Gleichzeitig sei erreicht worden, die konkurrierenden Ansprüche der Religion und des Staates an den Bürger einzuhegen und einer Lösung zuzuführen. Eine besondere Form, diesen Konkurrenzkonflikt zu lösen, sei im frühen Christentum mit der Forderung angelegt, Gottesreich und staatliche Ordnung grundlegend zu trennen. Diese Trennung sieht Hobbes paradigmatisch in der Forderung festgeschrieben, dem Kaiser zu geben, „was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist!“94, also die Gesetze des Staates zu akzeptieren und keinen anderen Folge zu leisten. Dieser Grundsatz sei im Laufe der Zeit durch eine unsachgemäße Auslegung der Schrift und falsche Lehren kirchlicher Amtsträger verschüttet worden. Zudem habe die Kirche Autoritätsansprüche gegenüber den Bürgern erhoben. Diese stünden ihr nach korrekter Schriftauslegung aber nicht zu.95 Hobbes begründet das damit, „daß das Reich Christi nicht von dieser Welt“ ist: Deshalb können seine Diener (falls sie keine Könige sind) keinen Gehorsam in seinem Namen fordern.“96 Diese Argumentation von Hobbes läuft auf eine rigorose Unterscheidung öffentlicher von privater Religion hinaus, wie auch Kippenberg festhält.97 Ulrich Weiss fasst die hier rhetorisch vorgenomme Unterscheidung des innerlichen und privaten Glaubens, dem keine politische Macht zukommt, von einem äußeren, politischen und machtvollen Bereich des Staates in Anlehnung an Hobbes so zusammen: „Der Leviathan steht für den kirchlichen Staat bzw. die christliche Staatskirche. Schwert und Hirtenstab sind in der Hand ein und desselben Souveräns […] Dieser ist Vizekönig […] und Statthalter […] Gottes auf Erden, unmittelbar unter Gott, wenn gleich vom Menschen geschaffen und legitimiert. Im christlichen Staat erfüllt der Souverän seine friedensstiftende Funktion als oberster Priester und letztentscheidende Instanz der Interpretation bei konfligierenden religiösen Lehren. Seine Entscheidungsgewalt bezieht sich freilich nur auf die äußeren Kulthandlungen und Lippenbekenntnisse, nicht auf die innerliche Glaubensüberzeugung der Bürger.“98

Religion ist bei Hobbes nicht komplett vom öffentlichen und politischen Bereich getrennt; aber er nimmt eine rhetorische Unterscheidung in einen privaten Glau-

93 Vgl. Hobbes: Leviathan, S. 98-112. 94 Mt 22,21. 95 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 15-16. 96 Hobbes, Thomas: Leviathan, Hamburg 1996, S. 418. 97 Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 16. 98 Weiss: Thomas Hobbes, S. 208.

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ben und die öffentliche Religion vor. Damit geht ebenso eine Unterscheidung von öffentlichem Interesse beziehungsweise öffentlicher Ordnung und privaten Interessen einher, wobei letztere marginalisiert werden.99 Darauf, dass es Hobbes nicht um transzendente Wahrheitsansprüche geht, sondern ganz profan um Macht, weist McCutcheon hin. Er hebt hervor, dass Hobbes seine Einteilung der Welt in einen privaten Bereich, dem der Glaube der Einzelnen zugeordnet wird, und dem davon getrennten öffentlichen und politischen Bereich vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Machtinteressen (wie oben angesprochen) vornimmt.100 Es ist interessant zu sehen, dass sich Hobbes des politischen Charakters und der Machtwirkungen solcher Klassifizierungsakte bewusst zu sein scheint: „Die Furcht vor mächtigen unsichtbaren Wesen, mögen sie nun ersonnen oder auch durch zuverlässige historische Nachrichten bestätigt und öffentlich angenommen worden sein, ist Religion; sind sie nicht öffentlich angenommen, so ist es Aberglaube.“101

Die Frage, was als Religion zählt, ist also nicht so sehr eine Frage von Wahrheit, sondern von Macht. Religion wird als Religion angesehen, weil sie öffentlich erlaubt und anerkannt ist. Darin unterscheidet sie sich vom Aberglauben. Religion, oder vielmehr das, was als solche angesehen wird, ist darüber hinaus im Prinzip „eine Angelegenheit persönlicher Vorlieben“.102 Der „natürliche Keim der Religion [… hat] durch die verschiedenen Vorstellungen, Urteile und Leidenschaften ebenso verschiedene Gebräuche hervorgebracht […], daß oft das, was in dem einen Staate als gesetzmäßig angenommen ist, in dem anderen verspottet wird.“103

John Locke Etwa 35 Jahre nach dem Erscheinen des Leviathans schreibt John Locke im Winter 1685/86 im niederländischen Exil seinen berühmten „Toleranzbrief“104, der 1689 erstmals anonym veröffentlicht wurde. Wie schon Hobbes verarbeitet

99

Vgl. Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 72-73.

100 Vgl. McCutcheon: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 264. 101 Hobbes: Leviathan, S. 53. 102 Vgl. McCutcheon: The Discipline of Religious Studies, S, 147. Zitat: ebenda. Übersetzung durch den Verfasser. 103 Hobbes: Leviathan, S. 103. 104 Locke, John: Ein Brief über die Toleranz, Hamburg 1996.

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Locke in seinem Werk die Erfahrungen der Bürgerkriege seiner Zeit.105 Auch bei Locke kommt dem richtigen Verhältnis zwischen Religion und Staat eine wichtige Rolle bei der Konfliktvermeidung und für die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens zu. Der Autor arbeitet mit den schon bekannten rhetorischen Mitteln unter der Verwendung der binären Wortpaare wie öffentlich/privat, Staat/Kirche, Politik/Religion. „[D]ie Sorge für die Seelen [kann] deswegen nicht der staatlichen Obrigkeit obliegen, weil deren Macht nur im äußeren Zwange liegt; aber die wahre und heilbringende Religion liegt in der inneren Gewissheit des Urteils, ohne die nichts für Gott annehmbar sein kann. Und solcher Art ist die Natur des Urteilsvermögens, daß es nicht zum Glauben von etwas mit Gewalt erzwungen werden kann.“106

Locke konzeptionalisiert Religion als persönliche, innerliche, ja private Glaubensangelegenheit. Ihr gegenübergestellt sind die öffentlichen Angelegenheiten des Staates. Dessen Aufgabe besteht in der Sicherung und Durchsetzung der bürgerlichen Interessen: „Bürgerliche Interessen nenne ich Leben, Freiheit, Gesundheit, Schmerzlosigkeit des Körpers und den Besitz äußerer Dinge wie Geld, Ländereien, Häuser, Einrichtungsgegenstände und dergleichen.“107 Über den äußeren, öffentlichen und politischen Bereich hinaus erstreckt sich die Macht des Staates nicht. In die privaten Glaubensangelegenheiten, egal ob damit die Inhalte des Glaubens oder die äußere Form der Gottesdienste und Zeremonien gemeint sind, soll sich die weltliche Macht nicht einmischen, solange das Gemeinwesen und -wohl nicht bedroht wird. Diese Einteilung eines öffentlichen (politischen, ökonomischen, machtvollen) und eines privaten Bereichs, in dem Locke Religion verortet, ist für ihn Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft, denn erst die Trennung in diese beiden Bereiche verhindere die Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die das „Seelenheil“ des Einzelnen im Blick haben und denjenigen, die sich um das Gemeinwohl sorgen. Allerdings sind die Grenzen dessen, was als Allgemeinwohl und als Gefährdung der öffentlichen Ordnung verstanden wird, relativ eng. Martin zeigt auf, dass Locke die jeweiligen Allgemeinwohlvorstellungen letztendlich aus lokalen Bräuchen, Moralvorstellungen und allen voran aus entfachten Wünschen und Begierden (desire) abgeleitet versteht.108 Diese aber sind durch Bil-

105 Vgl. Specht: John Locke, S. 9-26. 106 Locke: Ein Brief über die Toleranz, S. 15. 107 Locke: Ein Brief über die Toleranz, S. 13. 108 Vgl. Martin: Masking Hegemony, S. 91-96.

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dung und Sozialisation der scheinbar apolitischen Institutionen weiterhin stark durch das (protestantische) Christentum geprägt.109 So galt in den Vorstellungen Lockes religiöse Toleranz auch nur in einem relativ engen Rahmen. Katholiken oder Atheisten wurden von ihr beispielsweise nicht eingeschlossen.110 Anders als Hobbes stellt sich Locke also gegen das Recht des Herrschers, die öffentlichen Formen der Religion festlegen zu dürfen, und fordert die strikte Trennung von Staat und Kirche. Da die theologischen Überzeugungen spekulativ seien und weder Politik noch Gesellschaft betreffen würden, sei ihnen gegenüber absolute Toleranz zu gewähren. Das gelte auch für die äußeren Formen des Gottesdienstes. Erst in dem Moment, in dem theologische Praktiken und Auffassungen die öffentliche Moral betreffen und wenn durch die kirchlichen Lehren und Handlungen die bürgerlichen Rechte gefährdet seien, hätte der Staat die Erlaubnis einzugreifen.111 Auf die religiösen Überzeugungen der Bürger bezieht sich die staatliche Kompetenz nach Locke hingegen nicht. Walter Euchner führt dazu weiter aus: „Es könne nämlich nicht angenommen werden, dass jemand die Sorge für das eigene Seelenheil anderen übertragen habe, denn die Wahl des richtigen Weges hierzu sei ureigenste Angelegenheit eines jeden“112.

Dies führe dazu, dass jede/-r glauben und bezeugen könne, was er oder sie will. Nicht erlaubt sei aber zu versuchen, die privaten Glaubensvorstellungen allgemein verbindlich zu machen.113

Jean-Jacques Rousseau Die Ideen sowie Argumentationsstrukturen Hobbes und Lockes lassen sich einige Jahrzehnte später in den Arbeiten Jean-Jacques Rousseaus wieder finden. Während es auf inhaltlicher Ebene zum Teil deutliche Unterschiede gibt (etwa in der Frage der Staatsform), verwendet Rousseau dieselben rhetorischen Techniken, um seine Ziele zu verwirklichen. Auch bei ihm findet man wieder die Verwendung des binären Paares privat/öffentlich mit all den dazugehörigen anderen

109 Siehe hierzu Martin: Masking Hegemony, S. 91-108. 110 Vgl. Locke: Ein Brief über die Toleranz, S. 95. 111 Vgl. Euchner: John Locke. S. 277-278. 112 Euchner: John Locke, S. 278. 113 Vgl. McCutcheon: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 147.

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Begriffspaaren, mit denen auf die Herstellung einer speziellen gesellschaftlichen Ordnung hingearbeitet wird. Rousseau konzeptionalisiert einen privaten, innerlichen Raum, der von einer öffentlichen Sphäre abgegrenzt wird, in der das staatliche bzw. politische Handeln stattfindet. Gegen Ende seiner Ausführungen im vierten Buch, Kapitel acht – dem Kapitel, das er der Religion widmet – in „Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts“114 aus dem Jahr 1762 schreibt Rousseau: „Die Untertanen sind dem Souverän über ihre Ansichten nur insoweit Rechenschaft schuldig, als diese für das Gemeinwesen erheblich sind. Nun ist es ja für den Staat sehr wohl wichtig, dass jeder Bürger eine Religion hat, die ihn seine Pflichten lieben heißt; aber die Dogmen dieser Religion interessieren den Staat und die Glieder nur insoweit, als sie sich auf die Moral beziehen und auf die Pflichten, die diejenige, der sie (die Religion) bekennt, gegenüber den andern zu erfüllen gehalten ist. Darüber hinaus mag jeder Anschauungen hegen, wie es ihm gefällt, ohne dass dem Souverän eine Kenntnis davon zustünde. Denn in der anderen Welt besitzt er keinerlei Befugnis, und es ist auch nicht seine Sache, welches Los der Untertanen in einem künftigen Leben sei, voraus gesetzt, dass sie in diesem hier guten Bürger sind.“115

Diese Zeilen stellen eine Art Fazit seiner Überlegungen zur Religion dar. Religion ist für ihn der zentrale Faktor für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie ist daher für ein funktionierendes Gemeinwesen wichtig. So seien auch alle politischen Gemeinwesen von Anfang an religiös legitimiert gewesen.116 Allerdings unterscheidet er dabei verschiedene Formen von Religion. Zunächst beginnt Rousseau besagtes Kapitel scheinbar mit einer Abhandlung über die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Religion und Staat. Er beschreibt die Zeit vor dem Aufkommen des Christentums als eine, in der es keine Unterscheidung beider Bereiche gegeben habe: „Wenn man fragt, warum es im Heidentum, wo jeder Staat seinen Kult und seine Götter hatte, keine Religionskriege gab, so antworte ich, dass das gerade daher kam, dass kein Staat, der sowohl einen eigenen Kult als eine eigene Regierung hatte, zwischen seinen Göttern und seinen Gesetzen unterschied.“117

114 Rousseau, Jean-Jacques (Hg.): Vom Gesellschaftsvertrag. Oder Grundsätze des Staatsrechts, Stuttgart 2011. 115 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 155. 116 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 24. 117 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 145.

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Kriege seien im Namen dieser Götter zwischen den Gemeinwesen geführt worden. Mit dem Aufkommen des Christentums habe sich dies grundlegend geändert. Jesus sei gekommen, „um ein geistiges Reich auf Erden zu errichten; dies hatte durch die Trennung des theologischen Systems vom politischen zu Folge, dass der Staat aufhörte, einer zu sein, und verursachte die inneren Spaltungen, die nie aufgehört haben, Unruhe unter den christlichen Völkern zu stiften. Da nun diese Vorstellung eines Königreiches von einer anderen Welt den Heiden nie in die Köpfe wollte, betrachteten sie die Christen immer als echte Aufständische, die, bei heuchlerischer Unterwürfigkeit, nur auf den Augen blick warteten, sich unabhängig und zu Herren zu machen und sich geschickt der souveränen Gewalt zu bemächtigen, die sie in ihrer Schwäche anzuerkennen vorgaben. Das war der Grund für ihre Verfolgungen. Was die Heiden befürchtet hatten, ist eingetreten; hierauf hat alles sein Gesicht verändert, die demütigen Christen haben ihren Ton geändert, und alsbald hat man dieses Königreich, angeblich von einer anderen Welt, auf dieser hier unter einem sichtbaren Oberhaupt zum härtesten Despotismus werden sehen. Unterdessen ist aus dieser doppelten Gewalt da es immer einen Fürsten und bürgerliche Gesetze gab ein ständiger Konflikt der Gesetzgebung erwachsen, der in den christlichen Staaten jede gute Staatsordnung unmöglich gemacht hat, und nie war man endgültig sicher, ob man dem Herrn oder dem Priester zum Gehorsam verpflichtet war.“118

118 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 147. McCutcheon arbeitet heraus, dass Rousseau am historischen Beispiel aufzeigt, wie der Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Akteuren durch die Internalisierung von Überzeugungen gelöst wurde, in dem die zunächst unterlegende Gruppe eine Unterscheidung zwischen einem diesseitigen und einem jenseitigen Bereich machte um damit nicht in Loyalitätskonflikte zu gelangen. McCutcheon spricht hier von „einem faszinierenden Beispiel des social engineering.“ (Vgl. McCutcheon: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 149. Zitat: ebenda). So erhalten die aufkommenden sozialen Formationen die Möglichkeit, sich zu entfalten, da sie der vorherrschenden sozialen Formation deutlich machen, ihre Vorherrschaft nicht brechen zu wollen und sich gleichzeitig darauf berufen können, dass ihr Anliegen rein im privaten geistigen und damit anerkannt geschützten Bereich angesiedelt ist.

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Um diesen Zustand, der eine gute Staatsordnung unmöglich mache, zu überwinden, ist nach Rousseau die Wiedervereinigung von Staat und Kirche notwendig. In diesem Punkt greift er auf Hobbes zurück und schreibt: „Unter allen christlichen Autoren ist der Philosoph Hobbes der einzige, der das Übel und sein Heilmittel richtig gesehen und der vorzuschlagen gewagt hat, die beiden Köpfe des Adlers wieder zu vereinigen und alles auf eine politische Einheit zurück zu führen, ohne die weder ein Staat noch eine Regierung jemals gut verfasst sein werde.“119

Anders als Hobbes geht es ihm aber nicht um die Errichtung einer Staatskirche innerhalb eines absolutistischen Staates. Vielmehr setzt er auf eine politische Vernunftreligion, der sich alle Bürger zugehörig fühlen können. Diese entwickelt er durch das Abgrenzen zweier sich unterscheidender Religionstypen: die Religion des Bürgers und die Religion des Menschen (wahre Religion). Die Religion des Bürgers sei immer einem bestimmten Land zugeordnet, durch das auch die zu verehrenden Götter vorgeschrieben würden. Sie habe ihre eigenen Dogmen, Riten und Kulte. Das Vorbild für die Religion des Menschen sieht Rousseau im frühen Christentum, das sich vom Christentum seiner Zeit vollständig unterscheide. In romantisierender Form stellt er sich dieses frühe Christentum und im Anschluss daran die Religion des Menschen als rein innerliche Religion vor, der sich die Menschen aus inneren Überzeugungen und Vorlieben anschließen würden. Sie besäße keine äußeren Zeichen wie Tempel oder Riten und beschränke sich auf einen „rein inneren Kult des obersten Gottes“.120 Die wahre Religion könne der Mensch nur durch das Gefühl, nie aber durch den Verstand erlangen. Der Kategorie Gewissen kommt beim Erkennen der wahren Religion eine besondere Bedeutung zu, da es als unfehlbare Richtschnur nicht zu hintergehen sei.121 Für die europäische Religionsgeschichte ergebe sich das Problem – fasst Kippenberg zusammen –, dass nationale, in gewissem Sinne vorchristliche Religionen den Krieg zwischen den Völkern fördern würden, das Christentum hingegen zu Bürgerkriegen führe. Das Dilemma wird von Rousseau durch den Gesellschaftsvertrag gelöst. Grundlage dieses Vertrages könne weder die Religion des Menschen noch die des Bürgers sein, sondern es brauche eine zivile Religion, die vom Souverän allen Bürgern verpflichtend vorgegeben werden müsse. Diese Zivilreligion hat gemäß Rousseau zwei Ziele: Zum einen müsse sie errei-

119 Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 149. 120 Vgl. Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag, S. 149-150. Zitat: ebenda. 121 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 21-24.

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chen, dass sich alle Bürger als Brüder beziehungsweise Schwestern sehen, und zum anderen, dass sie ihr Vaterland lieben.122 Der Einfluss des Souveräns endet aber, wie eingangs zitiert, beim privaten Glauben. Solange die Glaubensvorstellungen in ihrem innerlichen und privaten Bereich bleiben, kann, ja muss jeder glauben was er für richtig hält, weil er hier allein seinem Gewissen verpflichtet ist – vorausgesetzt, dass das dem Gemeinwohl nicht abträglich ist.

Schlussbemerkung Hobbes, Locke und Rousseau verorten die Konflikte ihrer Zeit letztendlich in den konkurrierenden Machtansprüchen zwischen kirchlichen und staatlichen Akteuren. Die Lösung besteht für sie in der Schaffung zweier getrennter Bereiche. Die Einteilung der Welt, die hier vorgenommen wird, (öffentlich/privat, Staat/Kirche etc.) stellt keine neutrale Beschreibung der historischen Umstände dar. Sie ist ein durch und durch politischer Akt. Die auf ein aktives Agieren ausgerichteten Felder (Ökonomie, Politik, etc.) werden dem öffentlichen Raum zugeordnet. Religion als Glaubensüberzeugung hingegen wird in den privaten Raum verwiesen. Allen dreien geht es um die Regulierung von Konflikten, die durch widerstreitende Wahrheitsansprüche entstehen. Die vor allem im 16. bis 18. Jahrhundert vorgenommene Konzeptionalisierung von Religion – wie in den Werken der drei dargestellten Autoren – hat dabei zwei Funktionen. Zum einen schützt sie abweichende Meinungen, indem sie sie in einem apolitischen Bereich des privaten Glaubens ansiedelt. Zum anderen wird gleichzeitig der Status Quo aufrechterhalten, durch die Internalisierung der Konflikte. Kollektive Ziele, Wünsche und Begierden werden privatisiert sowie allgemeinverbindliche Werte als Gegenstand der individuellen Wahlfreiheit konstituiert. Gleichzeitig wird der Staat unter negativen Vorzeichen allein zum Instrument der Durchsetzung des Individualismus. Der Politologe Carsten Fischer beschreibt dies folgendermaßen: „Beispielhaft in der Hobbes’schen Unterscheidung zwischen privater fides und öffentlicher confessio, wird nun […] zwischen dem Staat als einer funktional auf die Ordnungswahrung konzentrierten Sicherheitsagentur und der bürgerlichen Gesellschaft als einer

122 Vgl. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte, S. 25- 26.

198 | J ENSEITS VON R ELIGION Sphäre unpolitischer, egoistischer und in diesen privaten Belangen von staatlicher Einflussnahme freier Nutzenmaximierer unterschieden.“123

Der Staat steht den Einzelinteressen der Individuen neutral gegenüber und garantiert den Raum für die Existenz und das Ausleben derselben. Betrachtet man die Entstehung des modernen Staates und sein Verhältnis zur Religion aus dieser Perspektive und nicht unter säkularisierungstheoretischen Vorzeichen, wird deutlich, dass die Erfindung von Religion Hand in Hand mit der Durchsetzung des modernen Staates geht, ihn sogar erst ermöglicht. Die wie beschrieben konzeptionalisierte Kategorie Religion wird für die Konfliktregulierung genutzt, indem konkurrierende Vorstellungen und Ansprüche in den geschaffenen privaten Raum verwiesen werden und ein öffentliches Ausagieren unterbunden und damit das bestehende System stabilisiert wird.

6.3 D ER

SCHMALE P FAD : Ü BERLEGUNGEN ZU EINER DISKURSTHEORETISCHEN K ONZEPTIONALISIERUNG VON S ÄKULARITÄT

Die „in ihrer Totalität profane Welt, der gänzlich entsakralisierte Kosmos, [ist] eine neue Entdeckung in der Geschichte des menschlichen Geistes. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu zeigen, durch welche geschichtlichen Prozesse und infolge welcher Veränderungen in der geistigen Einstellung der moderne Mensch seine Welt entsakralisiert und eine profane Existenz angenommen hat. Uns genügt die Feststellung, daß die Entsakralisierung die totale Erfahrung des nicht religiösen Menschen der modernen Gesellschaften kennzeichnet und daß es für ihn infolgedessen immer schwieriger wird, die existentiellen Dimensionen des religiösen Menschen der archaischen Gesellschaften wiederzufinden“.124

Einleitung Während Religion mittlerweile schon seit längerer Zeit wieder ein großes Thema in der Öffentlichkeit und im wissenschaftlichen Diskurs ist, ist erst in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse am Thema „Säkularität“ aufgekommen. Initiativen wie die Schaffung des „Nonreligion and Secularity Research Network

123 Fischer: Die Zukunft einer Provokation, S. 33. 124 Eliade: Das Heilige und das Profane, S. 16.

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(NSRN)“125, die Einrichtung des ersten Studiengangs für „Secular Studies“126 oder die Gründung der Zeitschrift „Secularism and Nonreligion“127 sind genau wie dieser Sammelband ein Ausdruck dieses Interesses. In den folgenden Ausführungen wird die Frage im Mittelpunkt stehen, wie eine Religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik aussehen kann und dabei ein Ansatz vorgeschlagen, der sich vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten im angloamerikanischen Diskurs entwickelt hat.

Der breite Weg: Säkularität in säkularisierungstheoretischer Perspektive „The world today is massively religious, is anything but the secularized world that had been predicted […] by so many analysts of modernity. There are, however, two exceptions to this proposition […] In western Europe, if nowhere else, the old secularization theory would seem to hold. With increasing modernization there has been an increase in key indicators of secularization, both on the levels of expressed beliefs […] and, dramatically, on the level on church-related behavior“.128

In den vergangenen Jahren und mittlerweile beinahe Jahrzehnten ist die Rolle von Religion in Politik, Gesellschaft und Staat wieder zunehmend diskutiert worden. Vielen dieser Diskussionen liegt die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Nichtreligion bzw. dem Säkularen/Säkularität129 implizit oder explizit

125 NSRN Online: Offizielle Webseite (2013), 15.06.2013. . 126 Pitzer College: Secular Studies (2013), 15.06.2013. . 127 Secularism

and

Nonreligion:

Offizielle

Webseite

(2013),

15.06.2013.

. 128 Berger, Peter L.: The Desecularization of the World: A Global Overview, in: ders. (Hg.), The Desecularization of the World: Resurgent Religion and World Politics, Washington, D.C, Grand Rapids 1999, S. 9. 129 Die Begriffe „das Säkulare“ und Säkularität werden synonym und zwar im Sinne von „Nichtreligion“ verwendet. Das geschieht aus heuristischen Gründen im Bewusstsein, dass es unterschiedliche Definitionsvorschläge gibt. Siehe dazu: Quack, Johannes: Was ist „Nichtreligion“? Feldtheoretische Überlegungen zu einem relationalen Verständnis eines eigenständigen Forschungsgebiets, in: Steffen Führding/Peter Antes (Hg.), Säkularität in religionswissenschaftlicher Perspektive, Göttingen 2013, S. 87-107. Und anstelle von vielen Lee, Lois: Research Note. Talking

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zu Grunde. Dieses Verhältnis ist auch Gegenstand in dem vielbeachteten Artikel des Religionssoziologen Peter Berger „Desecularization of the World: A Global Overview“ aus dem Jahr 1999. Berger räumt in diesem Aufsatz ein – wie das voranstehende Zitat zeigt –, dass sich die unter dem Stichwort „Säkularisierungstheorie“ zusammengefassten Überlegungen zur Entwicklung von „Religion“ in modernen Gesellschaften als falsch erwiesen hätten. Bemerkenswert ist dies, weil Berger selbst Jahre lang zu denjenigen gehörte, die die Auffassung vertreten, dass mit zunehmender Modernisierung eine Abnahme der Bedeutung von Religion in der Öffentlichkeit einhergehe.130 Die Säkularisierungsthese allerdings allein auf die Bedeutungsabnahme von Religion in der Öffentlichkeit zu reduzieren, greift zu kurz. Eine der momentan wirkungsmächtigsten Überlegungen zu dieser These stammt vom Religionssoziologen José Casanova. Er kritisiert die gängigen Säkularisierungsvorstellungen, da in ihnen drei unterschiedliche Prozesse, die analytisch auseinandergehalten werden müssten, als eine Theorie präsentiert würden. Folgende drei Annahmen müssen seiner Meinung nach auseinander gehalten werden: 1. Säkularisierung als gesellschaftlicher Ausdifferenzierungsprozess, in dem sich „die Ablösung und die Emanzipation weltlicher Bereiche von religiösen Einrichtungen und Normen“131 vollzieht; 2. Säkularisierung als Rückgang religiöser Überzeugungen und Praktiken und 3. Säkularisierung als Zurückdrängung der Religion in die Privatsphäre. Nur der erste Prozess ist für ihn konstitutiv für das Verhältnis von Religion und Moderne, die beiden anderen „zufällige“ geschichtliche Entwicklung.132 Trotz der teilweise massiven Kritik an der Säkularisierungsthese, in die sich Berger – und auch Casanova – einreihen, stellt sie bis heute den quantitativ umfangreichsten Erklärungsversuch für das Verhältnis von Religion zu allgemein als nichtreligiös betrachteten Bereichen wie Politik, Gesellschaft und Staat dar. Egal, ob bei diesen Versuchen auf Annahmen von struktureller Differenzierung, Privatisierung oder Niedergang in Bezug auf Religion rekurriert wird, es wird dieselbe Ontologie verwendet und postuliert: eine zunächst religiöse Welt wird Schritt für Schritt entzaubert und somit säkularisiert. Vor dieser Grundüberzeu-

about a Revolution. Terminology for the New Field of Non-Religion Studies, Journal of Contemporary Religion 27 (2012). 130 Siehe hierzu unter anderem: Berger, Peter L.: Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1980. 131 Casanova, José: Religion und Öffentlichkeit. Ein Ost-/Westvergleich, Transit 8 (1994), S. 21-41, S. 22. 132 Vgl. Casanova: Religion und Öffentlichkeit, S. 21-25.

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gung kann dann diskutiert werden, wie weit der Säkularisierungsprozess fortgeschritten ist, ob es zu einer Rückkehr der Religionen kommt, etc.133 Die britische Religionswissenschaftlerin Kim Knott macht darauf aufmerksam, dass die Dominanz der Säkularisierungsthese so stark wurde, dass auch die Kritiker der These bzw. Wissenschaftler mit anderen Blickwinkeln gezwungen waren, ihre Vorstellungen in Bezug auf die Säkularisierungsthese zu artikulieren.134 Egal, wie diese Autoren zur Säkularisierungsthese stehen und wie sie das Verhältnis von Religion und Säkularität bestimmen, haben sie ein substantielles Verständnis von Religion und Säkularität gemeinsam. Das heißt, dass die Begrifflichkeiten für sie auf konkrete, empirische Phänomene (Gruppen, Institutionen, Prozesse etc.) in der natürlichen Welt verweisen.135 Das ist auch im zitierten Aufsatz von Peter Berger so. Ganz selbstverständlich wird von Religion und Religionen gesprochen. Dabei werden diese Kategorien als ahistorische Gattungsbegriffe verwendet, deren Bedeutungen klar zu sein scheinen. Religion oder Religionen in Form konkreter Traditionen136 werden dabei als Entitäten aufgefasst, die im Kern von anderen Bereichen wie dem der Politik oder Ökonomie getrennt sind. Dies wird an Aussagen wie den beiden folgenden deutlich: „To assess the role of religion in international politics, it would be useful to distinguish between political movements that are genuinely inspired by religion and those that use religion as a convenient legitimation for political agendas based on quite non-religious interests“.137 „Certain religious institutions have lost power and influence in many societies, but both old and new religious beliefs and practices have nevertheless continued in the lives of individuals, sometimes taking new institutional forms and sometimes leading to great explo-

133 Vgl. Knott, Kim: Theoretical and Methodological Resources for Breaking Open the Secular and Exploring the Boundary between Religion and Non-Religion, Historia Religionum 2 (2010), S. 115-133, S. 116-118. 134 Vgl. Knott: Theoretical and Methodological Resources for Breaking Open the Secular and Exploring the Boundary between Religion and Non-Religion, S. 117-118. 135 Vgl. Knott: Theoretical and Methodological Resources for Breaking Open the Secular and Exploring the Boundary between Religion and Non-Religion, S. 117-118. 136 Berger nennt verschiedene Spielarten „des“ Christentums und „des“ Islams aber auch „den“ Buddhismus. 137 Berger: The Desecularization of the World, S. 15.

202 | J ENSEITS VON R ELIGION sions of religious fervor. Conversely, religiously identified institutions can play social or political roles“.138

Eine Unterscheidung in Gruppierungen, die religiös beeinflusst sind, und solche, die Religion bloß als Legitimierung ihrer Ziele nutzen, um die Rolle von Religion in der internationalen Politik zu untersuchen, würden keinen Sinn machen, wenn man Religion nicht als eigenständigen Bereich sehen würde, der von den anderen Bereichen getrennt ist.139 Nicht die Kategorien wie Religion und Politik, sondern die Beziehungen zwischen diesen vermeintlich getrennten Bereichen rücken in den Fokus des Interesses. Der Berger-Text eignet sich auch, um auf einen anderen Aspekt, der schon kurz gestreift wurde, hinzuweisen. Religion und Säkularität werden in einem zeitlichen Abfolgeverhältnis zueinander gesehen. Das Säkulare/Säkularität wird als eine geschichtliche, der Religion/dem Religiösen nachgelagerte „Erfindung“ oder Entwicklung gesehen, die das Religiöse beschränkt. Religion existiert in dieser Vorstellung zunächst unabhängig und zeitlich vor dem Säkularen. Die eingangs zitierten Passagen aus Mircea Eliades Buch „Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen“ illustrieren diese Vorstellung idealtypisch. Der Mensch, der in dieser Perspektive als homo religiosus140 konzeptualisiert wird, lebt in seiner historischen Urform in einer heiligen Welt. Unterschiedliche Entwicklungen führen zu einer Entsakralisierung der Welt, die zum modernen und aus Eliades Sicht bemitleidenswerten säkularen Menschen führen. Diese Auffassung findet sich mehr oder weniger offensichtlich und mehr oder weniger modifiziert in einem Großteil der Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Säkularität wieder; auch bei Berger, wenn er etwa schreibt : „My point is that the assumption that we live in a secularized world is false. The world today, with some exceptions […] is as furiously religious as it ever was“.141 Eine andere Einschätzung ist für Berger auch gar nicht möglich, da er in Religion eine anthropologische Konstante sieht, die zum Menschsein gehört. „The religious impulse, the quest for meaning that transcends the restricted space of empirical existence in this world, has been a perennial feature of humanity“.142

138 Berger: The Desecularization of the World, S. 3. 139 Auf diesen Aspekt wird später noch genauer eingegangen. 140 Vgl. Das Heilige und das Profane, S. 175-176. 141 Berger: The Desecularization of the World, S. 2. Hervorhebung durch den Autor. 142 Berger: The Desecularization of the World, S. 13.

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Der schmale Pfad: Säkularität in diskurstheoretischer Perspektive Neben diesem ersten Weg der Verhältnisbestimmung von Religion und Säkularität, dem ein substantielles Verständnis beider Bereiche zugrunde liegt, findet sich in der Literatur noch ein zweiter, in den letzten Jahren immer stärker beschrittener Weg. Auf diesem Pfad nähert man sich nicht den Phänomenen als solchen, sondern untersucht „Religion“ und „Säkularität“ als Konzepte oder klassifikatorische Kategorien. Dabei geht es darum, zu ergründen, wie diese Konzepte geschaffen und verwendet werden. „Religion“ und „Säkularität“ werden nicht als natürliche Gegenstände verstanden und auch nicht als Kategorien, die auf Dinge in der natürlichen Welt verweisen. Vielmehr werden „Religion“ und „Säkularität“ in diesen Ansätzen als diskursiv geschaffene Kategorien untersucht.

Diskursive Wirklichkeit Wissenschaftler, die diesen zweiten Pfad betreten, stellen Kategorien und Klassifizierungsprozesse in das Zentrum ihrer Untersuchungen. Ausgehend von einem diskursiven Wirklichkeitsverständnis werden solche Klassifizierungsprozesse nicht als neutrale oder „unschuldige“ Vorgänge verstanden. Vielmehr stellen sie aktive, interessengeleitete Handlungen dar. Grundlegend für diese Ansätze, und daher wichtig festzuhalten, ist zunächst das diskursive Wirklichkeitsverständnis. Anders als in der Widerspieglungstheorie wird hier davon ausgegangen, dass die Bedeutung „von etwas“ „als etwas“ nicht im bezeichneten Gegenstand selbst liegt, sondern dem Gegenstand zugeschrieben wird. Die Bedeutungen sind kontingent, im Diskurs143 historisch erzeugt und tradiert sowie abhängig vom jeweiligen spezifischen Kontext. Durch die Bedeutungszuweisung werden die Dinge erst zu Dingen und für den Menschen wahrnehmbar. Siegfried Jäger schreibt hierzu:

143 In Anlehnung an Siegfried Jäger (der sich vor allem auf Michel Foucault und Jürgen Link stützt) und andere verstehe ich unter Diskurs Flüsse von sozialen Wissensvorräten (in Form von Reden und Texten) durch die Zeit. Er unterliegt gewissen Regeln und besitzt Machtwirkungen, weil er das Handeln von Menschen bestimmt (vgl. Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 78). Für eine genauere Darstellung des hier vertretenden Diskursverständnisses siehe die Ausführungen in Kapitel 7 (S. 225-227) dieser Arbeit.

204 | J ENSEITS VON R ELIGION „Ein Ding, dem ich keine Bedeutung zuweise, ist für mich kein Ding; ja, es ist für mich völlig diffus, unsichtbar oder sogar nicht existent; ich sehe es nicht einmal, weil ich es übersehe. […] alle bedeutende Wirklichkeit ist deshalb für uns vorhanden, weil wir sie bedeutend machen; oder auch weil sie von unseren Vorfahren oder unseren Nachbarn Bedeutung erhalten, zugewiesen bekommen hat, die für uns noch wichtig ist“.144

Klassifizierungsakte sind nichts anders als die hier beschriebene Bedeutungszuweisung. Um diese vielleicht theoretischen Behauptungen anschaulicher zu machen, können zwei Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen herangezogen werden. Peter Antes hat in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997 zur Frage, ob es christlichen und islamischen Fundamentalismus gibt, überzeugend aufgezeigt, dass die Klassifizierung von etwas als Fundamentalismus bzw. fundamentalistisch wesentlich mehr über jene aussagt, die sie vornehmen, als über die Gruppen, die damit bezeichnet werden. Die Rede vom Fundamentalismus ist eine wirksame, rhetorische Strategie um ein bestimmtes Modernisierungsverständnis zu stützen und gegen Kritik zu schützen. „Als einziger Bezugspunkt gilt offenbar die Kritik an einem gewissermaßen dogmatisch festgelegten Modernisierungsverständnis, das sich selbst nicht mehr der Diskussion stellt, sondern alle, die davon […] unter Berufung auf überkommene religiöse Werte abweichen, als ‚religiöse Fundamentalisten‘ bezeichnet und dadurch gesellschaftlich unmöglich machen will“.145

Erreicht wird damit, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Motiven der als fundamentalistisch abgestempelten Gruppierungen verhindert wird. „Solange das Fundamentalismuskonzept bei der prinzipiellen Wahlentscheidung zwischen Fundamentalismus und Moderne stehen bleibt und die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Erfolges sog. fundamentalistischer Agitatoren auslässt, ist es sozialpolitisch unproblematisch, weil jede kritische Rückfrage an die Weisen der Modernisierung und jede Frage nach ihren Opfern ausgeblendet bleibt“.146

144 Jäger: Die Wirklichkeit ist diskursiv, S. 7. 145 Antes, Peter: Gibt es christlichen und islamischen Fundamentalismus?, in: Gritt Maria Klinkhammer/Steffen Rink/Tobias Frick (Hg.), Kritik an Religionen: Religionswissenschaft und der kritische Umgang mit Religionen, Marburg 1997, S. 199-206, S. 203. 146 Antes: Gibt es christlichen und islamischen Fundamentalismus?, S. 203.

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Für die zumeist westlichen Vertreter des Fundamentalismuskonzeptes ist dies praktisch, weil sie die gesellschaftlichen und materiellen Ursachen der von ihnen als fundamentalistisch abgestempelten Phänomene, die eng mit den eigenen (ökonomischen) (Macht-)Interessen zusammenhängen, auf diese Weise nicht näher in den Blick nehmen müssen. Ein zweites, von Russell McCutcheon entlehntes Beispiel,147 soll die Interessengeleitetheit noch deutlicher machen. Im Mai 1893 musste der oberste Gerichtshof über eine Klage der Händler Nix gegen den Steuereintreiber des Hafens von New York, Hedden, entscheiden. Hedden hatte Steuern auf eingeführte Tomaten erhoben, weil er diese als Gemüse ansah. Auf Gemüse wurde im Unterschied zu Früchten eine Steuer fällig. Die einführenden Händler wollten ihre Tomaten aber als Früchte, die steuerfrei eingeführt werden konnten, deklariert sehen. Das Gericht entschied schlussendlich, dass Tomaten als Gemüse anzusehen seien (obwohl das einer klassischen botanischen Zuordnung widerspricht) und damit die Abgaben zu Recht entrichtet wurden. An den Beispielen können unterschiedliche Aspekte aufgezeigt werden. Zunächst wird deutlich, dass ein Interesse vorliegen muss, um überhaupt etwas als etwas zu klassifizieren. Hätte beispielsweise die Einordnung der Tomate in die eine oder andere Gattung keine praktischen Auswirkungen (Steuereinnahmen bzw. -abgaben) für die beteiligten Prozessparteien gehabt, ist unwahrscheinlich, dass sie auf die Idee gekommen wären, diesen Gerichtsprozess zu führen. Darüber hinaus kann gezeigt werden, dass Klassifizierungsprozesse konkrete Auswirkungen haben – in diesem Falle ökonomische – und Fragen von Macht eine zentrale Rolle spielen.148 Klassifizierungen sind also zunächst einmal „beliebig“ und kontingent, insofern sie nichts mit einer inneren Qualität des Bezeichneten zu tun haben. Es handelt sich um externe Zuschreibungen. McCutcheon fasst dies wie folgt zusammen: „Names and identities are not neutral and thus interchangeable descriptors of items in the natural world. Instead, they are devices that we use and argue over while making a world that suits our differing purposes“.149 Und an anderer Stelle im gleichen Aufsatz hält er fest: „Classification, then, is hardly mere jargon. Neither is it simply the passive recognition of already existing values and

147 Vgl. McCutcheon: „They licked the Platter clean“, S. 184. 148 Zudem macht der Verweis auf die botanische Klassifizierung deutlich, dass es gleichzeitig unterschiedliche, zum Teil konkurrierende Klassifikationssysteme geben kann. Welches wann und wie zum Einsatz kommt, ist ebenfalls eine Frage von Macht und Interesse, kann aber hier nicht weiter behandelt werden. 149 McCutcheon: „They licked the Platter clean“, S. 184.

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identities. Instead, it is evidence of both prior interests and upcoming consequences“.150

Diskursive Schaffung von Religion und Säkularität Wie mit den Tomaten und dem Fundamentalismus verhält es sich auch mit den hier im Zentrum stehenden Kategorien „Religion“ und „Säkularität“. Die „Erfindung“ von Religion in unserem heutigen Verständnis als ein relativ offener Gattungsbegriff, der einen separierten Bereich menschlicher Erfahrung und menschlichen Handelns – oft verknüpft mit Vorstellungen von etwas Innerlichem und Privatem – bezeichnet, begann während der Frühen Neuzeit in (West-)Europa. In dieser ganz spezifischen historischen und gesellschaftlichen Situation entwickelte sich ein neuartiger Religionsdiskurs, der eng mit der Entstehung des Nationalstaates verbunden ist.151 Wie an anderer Stelle dargestellt152, diente (und dient) die Konzeptualisierung von Religion als eigenständiger, innerlicher Bereich der Konfliktregulation, die zur Schaffung einer ganz spezifischen Gesellschaftsformation führte, deren Handlungs- und Organisationsrahmen den modernen Staat ermöglichte. „Religion“ wurde in diesem Diskurs aber nicht alleine erschaffen, sondern zusammen mit anderen Kategorienwie Säkularität (im Sinne von Nichtreligion), Politik und Wirtschaft. „Religion“ und „Säkularität“ stellen ein zusammengehörendes Begriffspaar dar, wobei der eine Begriff ohne den anderen nicht gedacht werden kann.153 Während sich der größere Teil der vorliegenden Untersuchungen154 in erster Linie mit der Geschichte bzw. Konstruktion der Kategorie „Reli-

150 McCutcheon: „They licked the Platter clean“, S. 176. 151 Vgl. hierzu Arnal: Definition. Ders.: The Segregation of Social Desire und Asad: Genealogies of Religion. 152 Vgl. Führding: Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates. 153 Vgl. McCutcheon: „They licked the Platter clean“, S. 178. 154 Zu den einflussreichsten Vertretern dieser Debatte zählen vor allem Dubuisson: The Western Construction of Religion; Masuzawa: The Invention of World Religions; McCutcheon: The Discipline of Religion; Smith: Religion, Religions, Religious. Die hier vorgenommene Argumentation und ihre Implikationen werden teilweise stark kritisiert. Einen Eindruck davon gibt der Aufsatz von Kleine in diesem Band. Doch auch „unverdächtige“ Autoren, wie Wilfred Cantwell Smith, der nicht der Tradition der hier angeführten Wissenschaftler zu zurechnen ist, haben überzeugend die Ent-

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gion“ auseinandersetzt, untersucht der Religionswissenschaftler Timothy Fitzgerald „Religion“ in einem Beziehungsnetz zu anderen Kategorien, die im gleichen Diskurs aufkommen.155 Er zeigt anhand einer Analyse historischer Dokumente vom Mittelalter bis in die Neuzeit auf, dass sich ab der Frühen Neuzeit ein grundsätzlicher Wandel im Religionsdiskurs vollzog, der im 18. und 19. Jahrhundert an Kraft gewann und an dessen (vorläufigem) Ende „unser“ modernes Verständnis von Religion als Gattungsbegriff steht.156 Im Mittelalter habe man es mit einem holistischen Konzept von Religion zu tun gehabt. Religion habe alle Lebensbereiche umfasst, eine Unterscheidung eines religiösen von anderen Bereichen sei nicht möglich gewesen. Daher spricht Fitzgerald von der „Encompassing Religion“, also der allumfassenden Religion. Hierbei handelt es sich nicht um einen unspezifischen Gattungsbegriff; vielmehr hatte Religion eine sehr spezifische Bedeutung im Sinne von „christlicher Wahrheit“. Außerhalb dieser christlichen Wahrheit habe nach dem damaligen Verständnis nichts existieren können, wie Fitzgerald fortfährt. Die konkreten Begrifflichkeiten „religiös“ und „säkular“ hätten daher auch sich stark vom heutigen Gebrauch unterscheidende Inhalte gehabt. Das Adjektiv „religiös“ bezeichnete eine besondere Gruppe von Personen und Einrichtungen innerhalb der Kirche: vor allem Mönche, Nonnen und Klöster.157 „Säkular“ wurde als Attribut für einen anderen Teil des Klerus verwendet, der seinen Tätigkeiten außerhalb dieser Einrichtungen nachging.158 Die Begriffe bezeichneten also nicht zwei voneinander wesensmäßig getrennte Bereiche, die ggf. irgendwie miteinander interagieren, sondern unterschiedliche Funktionen innerhalb eines Systems, der encompassing Religion. Hier wird ein zentraler Punkt Fitzgeralds deutlich: Die Ka-

wicklung der Kategorie Religion in diesem Kontext herausgearbeitet (siehe hierzu Smith: The Meaning and End of Religion). 155 Siehe hierzu Fitzgerald: Introduction; ders.: Encompassing Religion. Und ders.: Discourse on Civility and Barbarity. 156 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 234-235. 157 Dieses Verständnis von „religiös“ fußt auf die Rückführung des lateinischen „Religio“ auf das Adjektiv „religious“, also sorgfältig/gewissenhaft bedanken und bezieht sich auf die korrekte Durchführung von (kultischen) Handlungen. Siehe hierzu unter anderem Antes: „Religion einmal anders“, S. 186-189; Smith: Religion, Religions, Religious, S. 269-270. 158 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 220-221.

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tegorien sind für eine Anwendung auf den Kontext nicht sinnvoll, ja sogar unbrauchbar.159 Fitzgerald bringt noch weitere Beispiele, um seine Position zu untermauern. So stellten auch kirchliches und weltliches Recht keinen Widerspruch und getrennte Bereiche dar, sondern übernahmen spezifische Aufgaben innerhalb desselben durch die christliche Lehre definierten Bereiches. Die Welt der Menschen sei durch eine Totalität geprägt gewesen, die vom christlichen Erlösungsversprechen her gesehen werden müsse und jedem seinen Platz in der Gesellschaft im Prinzip von Geburt an zuweise. Das Individuum spielt in diesem Gedankenkosmos keine Rolle. Fitzgerald macht deutlich, dass es in einer so strukturierten Welt keinen Sinn machte zu fragen, ob ein bestimmter Akteur nun säkular oder religiös (im heutigen Verständnis) ist, „the distinction [between church and state] is only intelligible as a division of functions within an ideological totality“. Und weiter: „We can see […] that the secular was either a status of churchmen (the secular priest) or a power invested in institutions and office holders that was subordinated to, and encompassed by religion. […] it was all about religion, because religion meant Christian Truth“.160

Um die Vorstellungswelt der Menschen zu verstehen, muss berücksichtigt werden, dass ihnen eine Unterscheidung des Gemeinwesens von Religion fremd war, wie Fitzgerald heraus stellt. Eine Trennung von Religion und Gesellschaft gab es nicht. „‚Religion‘ and the ‚Commonweal‘ are two different ways of talking about the same thing, which is the divine order of the World“.161 Erste Brüche in diesem Verständnis der Welt macht Fitzgerald ab dem 17. Jahrhundert aus, doch habe sich der Diskurs bis ins 18. Jahrhundert gehalten (und ist auch bis heute noch nicht vollkommen verschwunden).162

159 Fitzgerald schlägt vor, dass es mehr Sinn machen würde, im Rahmen dieses Kontextes mit den Begriffen Sakral und Profan zu arbeiten, die getrennt vom den Begriffen Religion und Nichtreligion gesehen werden und ein „mehr oder weniger“ Verhältnis beschrieben (Fitzgerald: Discourse on Civility and Barbarity, S. 71-108). 160 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 221-225. Zitate ders.: Encompassing Religion, S. 222. 161 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 223-224. Zitat: ders.: Encompassing Religion, S. 224. 162 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 235.

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Der neue Religionsdiskurs brachte ein privatisiertes Konzept von Religion hervor, in dem Religion von einem nicht religiösen Bereich getrennt ist. Eine besondere Rolle kam dabei dem Philosophen John Locke zu, der eine präskriptive Unterscheidung von Religion und Gesellschaft traf und Religion im privaten Bereich verortete.163 „Obedience, as the willing submission of the individual to the order of the whole, is fundamental. The homilies preach against the individual prioritization of the interests of the individual to those of the state-church had to be turned upside down by Locke and other powerful rhetoricians in order to arrive at the modern liberal dominance of rational selfinterest and the rights of individuals“.164

Die Privatisierung von Religion führt dazu, dass so etwas wie der öffentliche, säkulare Raum erstmals gedacht werden konnte. Die auf ein aktives Agieren ausgerichteten Felder wie Ökonomie, Politik, etc. wurden diesem öffentlichen Raum zugeordnet, dem auch das alleinige Gewaltmonopol zugesprochen wurde. Im Zuge dessen kam es zur einer „Neudefinition“ der Vorstellungen vom Gemeinwohl und Gemeinwesen, die nun von religiösen Vorstellungen losgelöst zu sein schienen.165 Die Veränderung des Religionsdiskurses – oder vielleicht besser: das Entstehen des Religionsdiskurses166 – hatte unterschiedliche Gründe, deren Ursprünge

163 Vgl. Führding: Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates. Fitzgerald sieht in Locke den wichtigsten und ersten Vertreter, der eine klare Unterscheidung des religiösen vom nichtreligiösen Bereich vornahm (Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 214). Angelegt ist diese Überlegung aber auch schon bei früheren Gelehrten wie dem Philosophen Thomas Hobbes (vgl. Führding: Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates). 164 Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 225. 165 Craig Martin hat allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass diese neuen Vorstellungen immer noch, wenn auch nun verdeckt, von christlichen in erster Linie protestantischen Vorstellungen geprägt waren. Siehe hierzu Martin: Masking Hegemony. 166 Fitzgerald (wie andere, siehe vor allem Asad: Genealogies of Religion und ders.: Formation of the Secular) macht wie gezeigt deutlich, dass man vor der Frühen Neuzeit nicht von Religion im heutigen Verständnis sprechen kann. Im Sinne einer Trennschärfe der Begriffe wäre daher zu überdenken, ob man vor dieser Zeit überhaupt vom Religionsdiskurs sprechen sollte. Den Begriff bzw. die Kategorie „Religion“ lehnt Fitzgerald selbst ab.

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im historischen und geographischen Kontext liegen. In Hinblick auf Locke und andere, die sich gegen den älteren und zu ihrer Zeit immer noch vorherrschenden Diskurs der „allumfassenden Religion“ wendeten, nennt Fitzgerald vor allen Dingen den Wunsch nach religiöser Toleranz, also die eigene Religion ohne Einmischung des Staates leben zu können. „[I]t was […] people engaged in serious struggles of power who, since the late seventeenth century, wished to redefine current usages in order to gain some specific interest, such as toleration of certain limited (although significant) forms of dissents, or to make possible changes in property rights, or to free trade or finance from existing ideological and/or legal controls, all of which accumulated into a combined challenge of the status quo“.167

Zum einen spielten die Folgen der Reformation, die zu einer Vervielfältigung christlicher Wahrheitsansprüche geführt haben, eine zentrale Rolle. Die Konzeptualisierung von „Religion“168 als unpolitischer, innerlicher Bereich hatte dabei zwei Funktionen. Zum einen schützte sie abweichende Meinungen, indem sie sie in einem apolitischen Bereich des privaten Glaubens ansiedelte. Zum anderen wurde gleichzeitig der Status Quo aufrechterhalten, durch die Internalisierung der Konflikte bzw. der konfligierenden Wahrheitsansprüche, die so nicht mehr im Öffentlichen ausagiert werden konnten. Kollektive Ziele, Wünsche und Begierden wurden privatisiert sowie allgemeinverbindliche Werte als Gegenstand der individuellen Wahlfreiheit verortet. Gleichzeitig wurde der Staat unter negativen Vorzeichen allein zum Instrument der Durchsetzung des Individualismus.169

167 Fitzgerald: Introduction, S. 11-12. 168 Religion wird hier schon nicht mehr im Sinne des alten Diskurses gebraucht, sondern als Gattungsbegriff. Auch hierbei kommt Locke eine besondere Rolle zu, als einer der ersten, die den Begriff Religion nicht nur für das Christentum verwenden, wenn dieses auch die wahre Religion bleibt, sondern auch außerhalb des Christentums die Möglichkeit für Religion sehen (vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 215). 169 Vgl. Führding: Die Erfindung von Religion im Entstehungskontext des modernen Staates. Und vgl. Ders.: Culture Critic oder Caretaker?, S. 77-78. Zudem siehe hierzu Arnal: The Segregation of Social Desire.

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Zur Materialisierung des neuen Diskurses kam es, wenn man Fitzgerald, aber auch McCutcheon170 folgt, im Konstitutionalismus der neuen nordamerikanischen Staaten und der entstehenden USA. Hier fand nach Fitzgerald eine Umkehrung der herrschenden Gemeinwohlvorstellungen statt. Das politische Gemeinwesen wurde nun (verfassungs-)rechtlich vom religiösen Bereich geschieden und ein nichtreligiöser, säkularer Raum geschaffen.171 „Religion, als private Überzeugung aufgefasst, ist allein auf den persönlichen und privaten Bereich festgelegt, eine Umsetzung im politischen Handeln wird abgelehnt, da politische, materielle, empirische und ökonomische Angelegenheiten dem Bereich des Staates zugeordnet sind“.172

Religion ist in diesem Prozess zu einem nicht nur rechtlichen Objekt geworden, sondern auch zu einem Objekt, das man von einer vermeintlich neutralen Position aus, die im säkularen Bereich verortet ist, untersuchen kann. Dieser nichtreligiöse Bereich wurde dabei (nach und nach) als neutraler Ort rationaler Weltdeutung konzeptualisiert. Bei Locke war dieses Verständnis von Säkularität im Kern angelegt, aber noch nicht voll entfaltet. Für die Entfaltung waren weitere Entwicklungen, die im Zuge der wissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts mit der Ausbildung eines spezifischen Objektivitätsverständnisses erfolgten, notwendig. In diesem Zuge veränderten sich auch die Vorstellungen von den Kategorien des „Natürlichen“ und „Übernatürlichen“, die ebenfalls als nun getrennte Bereiche konstruiert wurden.173 Zum anderen macht Fitzgerald auf die Bedeutung des Kolonialismus und die Interessen an einer bestimmten Form von Markt aufmerksam. „The colonial aspect is crucial because of the idea of a ‚secular‘ realm of natural reason, scientific knowledge, civil society and the nation state is inseparable from the development of constitutions, world trade and capitalist markets. These in turn have a symbiotic relationship with the development of a generic concept of ‚religion‘ and ‚religions‘ based on Protestant Christian origins but projected universally“.174

170 Vgl. McCutcheon: The Category of „Religion“ and the Politics of Tolerance, S. 150152. 171 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 230-231. 172 Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 77. 173 Vgl. Fitzgrald: Introduction, S. 7. Und vgl. ders.: Encompassing Religion, S. 216, 218. 174 Fitzgerald: Introduction, S. 9.

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Auf der einen Seite beförderte der Kontakt zu „fremden“ Völkern durch die Entdecker und Kolonialmächte das neue Religionsverständnis. Der Wunsch, die Praktiken und Institutionen der kolonialisierten Völker zu „verstehen“ und das Wissen über sie zu ordnen, wurde nach gängigen europäischen Klassifikationssystemen der damaligen Zeit vorgenommen, die als höher stehend betrachtet wurden.175 Auf der anderen Seite – und im Zusammenhang mit der Absicherung der eigenen Vormachtstellung beziehungsweise der eigenen politischen und ökonomischen Interessen – wurden die neuen Konzepte durch die Kolonialmächte in die Welt gebracht und institutionalisiert.176 „The idea of secular (in the sense of non religious) scientific knowledge of a material world that is objective and external to the observer presupposes some idea of the observing subject who can stand back from the world and make factually true propositions about it. This idea of the possibility of objectivity has been fundamental for Enlightenment concepts of the natural and social sciences. Not only does it turn the world into an object, or a system of objects, and us into master observers, it turns all other people and their visions of reality into objects subordinated to our master gaze and method“.177

175 Vgl. Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 213-124. Wissen und Klassifizierung sind, wie oben dargelegt nicht einfach neutral. Es geht hier nicht nur darum andere Gruppierungen oder Gesellschaften mit ihnen fremden Kategorien zu Beschreiben und besser zu verstehen, sondern Herrschaft über sie auszuüben. Siehe hierzu unter anderem Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1976. Und ders: Was ist Kritik?, Berlin 1992. 176 Vgl. Fitzgerald: Introduction, S. 9. Und vgl. ders.: Encompassing Religion, S. 232234. 177 Fitzgerald: Encompassing Religion, S. 234.

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Fazit „[T]he categories ‚religion‘ and ‚politics‘, or ‚sacred‘ and ‚secular‘, [do not] refer to actual qualities in the real world. Instead, they are nothing more or less than codependent, portable discursive markers whose relationship we can date to a specific period in early modern Europe“.178

Die Abgrenzung zwischen „Religion“ und „Säkularität“ ist nicht eindeutig und ständigen Veränderungen unterworfen. Bei aller – zum Teil auch berechtigten – Kritik an Fitzgerald179 machen seine Überlegungen diesen Aspekt deutlich. Die jeweilige Verwendung ist von Interessen geleitet. Das Begriffspaar „Religion“ und „Säkularität“ ist dabei zumindest für Fitzgerald zunächst eng mit der Absicherung kolonialer Interessen und später des liberalen, kapitalistischen Systems verbunden. Zudem spielt es eine zentrale Rolle bei der Etablierung des modernen, liberalen Staates und bei der Aufrechterhaltung dieser spezifischen Gesellschaftsformation. Wichtig festzuhalten erscheint mir nach dem Gesagten, dass die historische und kulturelle Gebundenheit dieser Kategorien zu reflektieren ist. Damit ist kein Urteil darüber gesprochen, ob man das „Säkulare“ wie sein alter ego „Religion“ als Kategorie in der (Religions-)Wissenschaft verwerfen soll oder muss. Wenn man die dargestellte Interessengeleitetheit, also den gesellschaftlichen und politischen Charakter des Klassifikationsprozesses, zu Grunde legt, kann die Antwort auf diese Frage auch anders als bei Fitzgerald oder McCutcheon ausfallen. Peter Antes kommt im zitierten Artikel zu dem Urteil, dass es religiösen Fundamentalismus „weder als ein Universalphänomen noch als eine Erscheinung innerhalb einzelner Religionen“180 gebe. Allerdings könne es durch die andauernde Verwendung der Kategorie langfristig wirklich zu einer Entstehung von Fundamentalismus kommen.181 Ähnlich könnte die Einschätzung in Bezug auf die hier verhandelten Kategorien ausfallen. Auch wenn das „Säkulare“ und „Religion“ historische und kontextgebundene Erfindungen sind, hat der Religionsdiskurs im Laufe der Zeit eine Stärke entwickelt, die dazu geführt hat, dass Religion überall

178 McCutcheon: „They licked the Platter clean“, S. 197. 179 Auf die Kritik an Fitzgeralds Überlegungen wurde in diesem Kontext nicht eingegangen. Siehe hierzu aber unter anderem Hughes, Aaron: Timothy Fitzgerald. Discourse on Civility and Barbarity: A Critical History of Religion, Religion 38 (2008). 180 Antes: Gibt es christlichen und islamischen Fundamentalismus?, S. 206. 181 Antes: Gibt es christlichen und islamischen Fundamentalismus?, S. 205-206.

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auf der Welt als Kategorie verwendet wird und man daher sagen kann, dass sich Religion nun als empirisches Phänomen materialisiert hat. Andererseits kann man die Frage stellen, ob es aus analytischer Sicht einen Mehrwert hat, an den Kategorien „Religion“ und „Säkularität“ festzuhalten. Vor allem ihre systemstabilisierende Funktion ist kritisch zu hinterfragen. Gerade aufgrund der Wirkungsmächtigkeit von Klassifizierungsprozessen bleibt es eine zentrale Aufgabe der Religionswissenschaft, sich damit auseinanderzusetzen, warum Handlungen, Vorstellungen und Gruppierungen als „religiös“ klassifiziert und andere dem „säkularen“ Raum zugeordnet werden, denn wie gezeigt handelt es sich dabei nicht um einen unschuldigen Akt, sondern um einen durch und durch politischen Vorgang, der spezifischen Interessen dient und Machtwirkung hat.

7 Religionswissenschaftliche Perspektiven auf den europäischen Identitätsdiskurs Überlegungen zu einer Analyse der Debatte um eine Verfassung für Europa

Einleitung: Zwischen Säkularisierung und Wiederkehr der Religionen In einem 1999 veröffentlichten Aufsatz räumt der Religionssoziologe Peter L. Berger ein, dass sich die unter dem Stichwort „Säkularisierungstheorie“ zusammengefassten Überlegungen zur Entwicklung von „Religion“ in modernen Gesellschaften als falsch erwiesen hätten. Auch er habe zu den Wissenschaftlern gehört, die die Auffassung vertraten, dass mit zunehmender Modernisierung eine Abnahme der Bedeutung von Religion in der Öffentlichkeit einhergehe, um die Annahmen der Säkularisierungstheorie einmal verkürzt wiederzugeben. Entgegengesetzt zu dieser bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts gängigen Auffassung konstatiert Bergernun: „The world today is massively religious, is anything but the secularized world that had been predicted [...] by so many analysts of modernity.“1 Berger benennt allerdings zwei Bereiche, für die die Säkularisierungstheorie weiter zutreffen würde. Zum einen sei dies eine Gruppe westlich geprägter Intellektueller, vor allem mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Zum anderen handele es sich um (West-)Europa. „In western Europe, if nowhere else, the old secularization theory would seem to hold. With increasing modernization there has been an increase in key indicators of seculariza-

1

Berger: The Desecularization of the World, S. 9.

216 | J ENSEITS VON R ELIGION tion, both on the levels of expressed beliefs [...] and, dramatically, on the level on churchrelated behaviour.“2

Die Vorstellung des europäischen Sonderwegs im Hinblick auf die Entwicklung von „Religion“ hat die Auffassung von der US-amerikanischen Ausnahme abgelöst,3 um die Theorie mit den empirischen Befunden in Einklang zu bringen. Nicht nur Berger räumt Europa eine Sonderstellung ein. Die Vorstellung findet sich beispielsweise auch in den Arbeiten des britischen Soziologen Steve Bruce und der ebenfalls aus Großbritannien stammenden Soziologin Grace Davie oder des deutschen Historikers Hartmut Lehmann wieder,4 um nur drei Personen zu nennen. Der Frage, ob es sich bei diesem Perspektivenwechsel wirklich nur um ein Rückzugsgefecht der Vertreter des Säkularisierungsparadigmas handelt, wie von einigen ihrer Gegenspieler behauptet wird, kann und soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Allen Reden über die Wiederkehr der Götter und Religion zum Trotz, kann aber festgehalten werden, dass die Vorstellung von Europa als der säkularisierten Weltregion weiterhin verbreitet ist. Das gilt nicht nur für Teile der Wissenschaft, sondern auch für das Selbstverständnis vieler Europäer.5 Auf diesen Aspekt weist der Religionssoziologe José Casanova hin, wenn er schreibt, dass

2

Berger: The Desecularization of the World, S. 9.

3

Die Vereinigten Staaten von Amerika gelten als hochmodernes Land, in dem Religion äußerst vital ist. Diese Beobachtung ist mit der klassischen Säkularisierungsthese, die von einem Rückgang der Bedeutung von Religion bei zunehmender Modernisierung ausgeht, nicht vereinbar. Um dieses Phänomen zu erklären, wurden die USA zur Ausnahme von der Regel erklärt. Die „natürliche“ Entwicklung von Religion unter Bedingungen der Moderne laufe generell wie in (West-)Europa ab, das das Vorbild für die These lieferte. Die USA stelle aus unterschiedlichen Faktoren eine Ausnahme dar, mit der die Regel aber nicht zu widerlegen sei. Diese Annahme hat sich nun gedreht, so dass vom europäischen Sonderweg gesprochen wird.

4

Siehe hierzu unter anderem: Bruce, Steve: God is Dead. Secularization in the West, Oxford 2002; Davie, Grace: Europe. The Exceptional Case, London 2002; Lehmann, Hartmut: Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion?, Göttingen 2004.

5

Vgl. Casanova, José: Religion, European Secular Identities and European Integration, in: Timothy A. Byrnes/Peter J. Katzenstein (Hg.), Religion in an Expanding Europe, Cambridge, New York 2006, S. 65-92, S. 66.

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„europäische Säkularisierungstheorien mehr als Deskriptionen sozialer Prozesse [sind]; sie sind vielmehr kritische Genealogien der Religion und normative Teleologien, für die der Niedergang der Religion das Ziel der Geschichte ist.“6

Die in Westeuropa zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gemachte empirische Beobachtung einer Abnahme religiöser Bindung und Praxis bei gleichzeitiger Modernisierung habe ihre Qualität als wissenschaftliche Deskription verloren und sei zu einem normativen teleologischen Konzept geworden. Dieses Konzept setzt einerseits Modernität mit Säkularisierung und andererseits Unvereinbarkeit mit (traditioneller) Religion gleich; eine Gleichung, die das Selbstverständnis vieler Europäer präge und unhinterfragt bleibe.7 Gerade vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses hätten der europäische Verfassungsprozess und die Diskussion über einen möglichen Türkeibeitritt zur Europäischen Union „unerwartete ‚religiöse‘ Irritationsmomente hervorgebracht.“8 Globalisierungs- und Migrationprozesse als äußere sowie Erweiterung und Integration als innere Faktoren stellen die EU vor neue Herausforderungen, auch im Hinblick auf ihre Selbstdefinition und die virulente Identitätsproblematik des Gemeinwesens. Diese exogenen und endogenen Einflüsse führten, so Casanova, zu einem Wiedererstarken von Religion im öffentlichen Raum.9

Ausgangslage: Europäische Identität und Religion Wo verlaufen Europas Grenzen? Für welche Werte steht es? Was macht Europa aus und vor allem: was soll Europa in Zukunft ausmachen? Diese Fragen sind bis heute mehr oder weniger unbeantwortet geblieben. Die damit zusammenhängende Identitätsproblematik stellt der US-amerikanische Politologe Peter J. Katzenstein ins Zentrum seiner Überlegungen zur Rolle von Re-

6

Casanova, Josè: Die religiöse Lage in Europa, in: Hans Joas/Klaus Wiegand (Hg.): Säkularisierung und die Weltreligionen, Frankfurt am Main 2007, S. 322-351, S. 337.

7

Einen anschaulichen und breiteren Überblick zur Entwicklung des „modernen“ Selbstverständnisses, welches Religion als nicht vereinbar mit der modernen Rationalität ansieht, bietet ein Aufsatz von Hubert Seiwert aus dem Jahr 1995. Vor allem der Charakter der sich selbsterfüllen- den Prophezeiung dieser Vorstellungen kann hier nachvollzogen werden: Seiwert, Hubert: Religion in der Geschichte der Moderne, Zeitschrift für Religionswissenschaft 3 (1995), S. 91-101.

8

Casanova: Religion, European Secular Identities and European Integration, S. 344.

9

Casanova: Religion, European Secular Identities and European Integration, 343-344.

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ligion in der europäischen Politik. Mehr noch als Casanova und im Gegensatz zu Berger hebt er das Erstarken des Faktors „Religion“ in der unionseuropäischen Politik hervor. Die Versuche, durch die Angleichung von Rechtsnormen10 und kulturpolitische Maßnahmen wie Schüleraustausche, neue Schulbücher oder europäisch geförderte Film- und Fernsehproduktionen Antworten auf Identitätsfragen zu finden, haben sich nach Katzenstein aus unterschiedlichen Gründen als untauglich erwiesen. Somit sei der Kern des entstehenden europäischen Gemeinwesens nicht mit Inhalt gefüllt worden. Die Osterweiterung der Union 2004 stellt die Tragweite dieses Defizits für Katzenstein besonders anschaulich dar. Die Erweiterung um zehn vor allem mittel- und osteuropäische Länder und die damit verbundenen Europäisierungsprozesse11 haben die Frage nach dem Wesen des europäischen Gemeinwesens – also seiner Identität – dringlicher gemacht,12 denn es stellt sich immer mehr die Frage: „What constitutes the core of the Europe that is being enlarged and that is being made more European?“13 Die „säkulare Politik“ der EU biete auf diese Frage keine Antworten, so der Politologe. Die Versuche einer (säkularen) rechtlichen und kulturellen Europäisierung der Mitgliedstaaten der EU hätten bisher nicht zu einer kollektiven europäischen Identität beitragen können. Dieser unbesetzte Raum lasse nun Platz, der von „religiöser Politik“ eingenommen werde:14 „Problematic legal and undefined cultural Europeanization leave ample space at the core of the European polity that religious politics is beginning to occupy.“15

10 Jedes Land, das der Europäischen Union beitreten will, muss sein Rechtsystem durch die Übernahme gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben (hierbei geht es um mehrere zehntausend Seiten) an die Rechtsnormen der Union anpassen. Vgl. Katzenstein, Peter J.: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, in: Timothy A. Byrnes/Peter J. Katzenstein (Hg.), Religion in an Expanding Europe, Cambridge, New York 2006, S. 1-33, S. 20. 11 Europäisierung ist ein relativ neuer Begriff. Allgemein kann man darunter Prozesse verstehen, die Bereiche der jeweiligen politischen Systeme einzelner (National-) Staaten durch europäische Integrationspolitik beeinflussen und verändern. Vgl. Maarten Vink: What is Europeanization And Other Questions on a New Research Agenda. Paper for the Second YEN Research Meeting on Europeanisation, University of Bocconi, 22-23 November 2002 (2002), 10.09.2007. . 12 Vgl. Katzenstein: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, S. 22. 13 Katzenstein: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, S. 22. 14 Vgl. Katzenstein: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, S. 24. 15 Katzenstein: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, S. 33.

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Anders formuliert, dient die unbeantwortete Identitätsfrage für den Faktor „Religion“16 als Einfallstor in die europäische Politik. Religion bietet nach Meinung Katzensteins ein größeres Potential für die Beantwortung der Identitätsfrage als die erwähnten rechtlichen oder kulturellen Europäisierungsprozesse, die er dem Bereich säkularer Politik zuordnet. Dieses Potential sieht er darin begründet, dass es mit Religion verbundene Themen im Gegensatz zu Themen, die den säkularen Politikbereichen entstammen, schaffen würden, eine breite politische und vor allem öffentliche Debatte auszulösen und damit eine gesamteuropäische Öffentlichkeit herzustellen. Als Beispiele hierfür nennt Katzenstein den „Kopftuchstreit“, die Diskussion um den Beitritt der Türkei als Staat mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung, aber auch die Auseinandersetzungen um die Rolle von Religion und Religionen im Verfassungsvertrag für die Europäische Union.17

Die historische Entwicklung und die Verfassungsdebatte Die Frage nach „der“ europäischen oder unionseuropäischen Identität ist nicht neu und begleitet das Gemeinwesen seit seiner Gründung. Sie hat aber seit den 1990er Jahren an Vitalität gewonnen, wofür zwei Aspekte zentral erscheinen: 1.

Mit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches und dem Ende des Ost-WestKonflikts fiel ein konstitutives Element der Selbstdefinition der Europäischen Gemeinschaft weg. Die Selbstdefinition in Abgrenzung zum Systemgegner im Osten verschwand quasi über Nacht. Die Idee des demokratischen Systems und die Hoffnung auf Friede und Wohlstand in einem geei-

16 Peter Katzenstein nimmt Religion in erster Linie als transnationalen religiösen Gemeinschaften in den Blick. Unter diesen Gemeinschaften versteht er Staatsgrenzen überschreitende Einheiten. (Vgl. Katzenstein: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, S. 1). Ich verwende den Begriff „Religion“ als Arbeitsbegriff. Dabei wird die Pluralität religiöser Sachverhalte und Traditionen mitgedacht. Mit dem Faktor „Religion“ sind nicht nur die religiösen Gemeinschaften in Sinne Katzensteins gemeint, sondern darüber hinausgehend sämtliche Themen, die mit der Kategorie Religion in Verbindung gebracht werden und im öffentlichen Diskurs auftauchen. Es geht also nicht nur um Organisationen oder Akteure, sondern auch Ideen und Vorstellungen, die landläufig mit Religion assoziiert und im Diskurs kommuniziert werden. 17 Vgl. Katzenstein: Multiple Modernities as Limits to Secular Europeanization?, S. 30.

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2.

nigten Europa, die so anziehend auf viele mittel- und osteuropäische Staaten in der Nachwendezeit gewirkt hatten, war wenigstens für die westeuropäischen Staaten längst – zumindest mehr oder weniger – Realität und verlor an Anziehungskraft. Als alleiniger Kern für das Gemeinwesen taugen diese Ideen daher nicht mehr.18 Neben der zeitgeschichtlichen Wende war die Europäische Gemeinschaft Ende der 1980er Jahre im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration an ihr Ende gekommen. Das wirtschaftliche Projekt war abgeschlossen, ohne dass die politische Integration im gleichen Maße vorangekommen wäre. Der Wunsch, die Union über einen wirtschaftlich-rechtlichen Raum hinaus zu einer politischen Gemeinschaft zu entwickeln, der seitdem im Vordergrund steht, hat zur Einleitung eines tiefgreifenden Transformationsprozesses geführt.

Dieser Transformationsprozess wurde mit dem Vertrag von Maastricht und der damit einhergehenden Gründung der Europäischen Union 1992/93 eingeleitet. Diese neue Phase der europäischen Integration löste zunächst vor allem in Politik und Wissenschaft verstärkte Debatten über die Finalität der Union, also das Ziel der Integration, und damit ihrer Zukunft aus.19 Die im Anschluss an die Regierungskonferenz von Nizza 2001 beginnende Diskussion über einen Verfassungsvertrag für die Europäische Union muss in Zusammenhang mit dieser Entwicklung gesehen werden und stellt einen neuen Höhepunkt der Debatte über die Identität der Europäischen Union dar. Als besonders konfliktträchtig offenbart sich in diesem Diskussionsprozess ein Themenbereich, den die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am 22. Januar 2007 in einem Interview im Nachrichtenmagazin Fokus anspricht. In diesem Gespräch bemängelt Merkel den fehlenden Gottesbezug im Entwurf des europäischen Verfassungsvertrags und fügt hinzu, dass sie sich „ein klareres Bekenntnis zu den christlichen Wurzeln [Europas] gewünscht“ hätte.20 Mit der Frage nach religiösen Bezügen im Verfassungstext greift Merkel ein Thema auf, dass vor allem während der Verhandlungen im „Konvent über die Zukunft Europas“ und den anschließenden Regierungskonferenzen (2001-2004) eine bedeu-

18 Vgl. hierzu unter anderem: Biedenkopf, Kurt: In Vielfalt geeint. Was hält Europa zusammen?, Transit 26 (2003), S 29-47, S. 31-35. 19 Becker, Peter/Leiße, Olaf: Die Zukunft Europas. Der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union, Wiesbaden 2005, S. 20-23. 20 Vgl. Focus-online: Merkel vermisst christliche Bezüge (2007), 15.06.2013. . Zitat: ebenda.

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tende Rolle gespielt hat und in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurde.21 Bei der „Verfassungsdebatte“ handelt es sich um einen zentralen Kristallisationspunkt des Identitätsdiskurses. Verfassungen kommt im Rahmen ihrer symbolischen Funktionen22 die Aufgabe der Integration und Identitätsstiftung zu,23 so dass zumindest neben der rechtlich-institutionellen Neuordnung der Europäischen Union im Verfassungsgebungsprozess der Versuch gesehen werden kann, eine europäische Identität zu konstruieren. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm geht sogar so weit, dass er die Bemühungen um die Verfassung allein unter dem identitätstiftenden Gesichtspunkt wertet.24 Die „Verfassungsdebatte“ stellt nicht nur ein prominentes und anschauliches Beispiel für den Identitätsdiskurs dar, sondern auch eine Arena des Zusammentreffens von Politik und Religion. Kaum ein anderes Ereignis der europäischen Politik der letzten Jahre hat so rege wissenschaftliche und öffentliche Debatten über Religion inspiriert wie der Europäische Verfassungsvertrag.25 Bereits bei der Ausarbeitung der Präambel zur Europäischen Grundrechtcharta 1999 durch den Grundrechtskonvent unter Leitung des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog stellte die Frage nach einer religiösen Bezugnahme ein konfliktträchtiges Problem dar. Der Rechtswissenschaftler Kolja Naumann führt hierzu aus:

21 Neben einer Flut von Artikeln in einer Vielzahl von Printmedien (siehe unten) und anderer Medienbeiträge wurden zahlreiche wissenschaftliche Werke zum Thema veröffentlicht. Als Beispiele können genannt werden: Altermatt, Urs/Delgado, Mariano/Vergauwen, Guido (Hg.): Euopa: Ein christliches Projekt? Beiträge zum Verhältnis von Religion und europäischer Identität, Stuttgart 2008. Und: Fürst, Walter/Drumm, Joachim/Schröder, Wolfgang M. (Hg.): Ideen für Europa. Christliche Perspektiven der Europapolitik, Münster 2004. 22 Verfassungen erfüllen als „multi-funktionale Gebilde“ unterschiedliche Aufgaben in politischen Gemeinwesen. Klassisch teilt man diese Aufgaben in instrumentelle und symbolische Funktionen ein. Siehe hierzu Scholl, Bruno: Europas symbolische Verfassung. Nationale Verfassungstraditionen und die Konstitutionalisierung der EU, Wiesbaden 2006, S. 36. 23 Scholl: Europas symbolische Verfassung, S. 38. 24 Vgl. Grimm, Dieter: Integration durch Verfassung. Absichten und Aussichten im europäischen Konstitutionalisierungsprozess, Leviathan 32 (2004), S. 449-463. 25 Siehe Anmerkung 21 dieses Kapitels.

222 | J ENSEITS VON R ELIGION „Bemerkenswert an der Debatte um einen religiösen Bezug ist, dass an ihr die ganze Charta zu scheitern drohte. Ein solch heftiges Aufeinanderprallen sich widersprechender Ansichten gab es sonst nur bezüglich sehr weniger Grundrechte und wegen keiner anderen Stelle der Chartapräambel.“26

Im „Verfassungskonvent“ wurde die Präambelproblematik vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen lange Zeit bewusst nur am Rande diskutiert.27 Trotzdem ließ es sich nicht verhindern, dass der Streit um die Formulierung wieder aufbrach. Dieser Streit polarisiert(e) wie kein anderes Thema und fand eine breite Öffentlichkeit. Olivier Duhamel notiert hierzu: „While hearing the vehemence of certain speakers, one could belief that it is the European Constitution, that will decide, finally, the question of the existence of God!“28 Neben Unstimmigkeiten, ob in den Text überhaupt eine religiöse Referenz aufgenommen werden soll, gab es vor allem heftige Debatten um einen möglichen Gottesbezug und die Nennung „der“ religiösen Wurzeln Europas. Hierbei wurde in erster Linie darüber gestritten, ob das angenommene Erbe genauer definiert und ein Verweis auf die jüdisch-christlichen Wurzeln und Werte vorgenommen werden soll.

Die Verfassungsdebatte als Macht- und Ausgrenzungsdiskurs Um was geht es bei dieser Auseinandersetzung? Kocku von Stuckrad sieht in der Beschreibung Europas als christliche Wertegemeinschaft – die Teile des Verfassungsdiskurses mitprägt – eine „Meistererzählung“, die nicht auf historischen Tatsachen beruhe, sondern auf bestimmten (Macht)-Interessen.29 Auch Christoph

26 Naumann, Kolja: Eine religiöse Referenz in einem Europäischen Verfassungsvertrag, Tübingen 2008, S. 22. 27 Vgl. Schröder, Wolfang M.: Gott im europäischen Projekt rechtsstaatlicher Demokratie. Zur Analyse des europäischen Präambelstreits, in: Walter Fürst/Joachim Drumm/Wolfgang M. Schröder (Hg.), Ideen für Europa: Christliche Perspektiven der Europapolitik, Münster 2004, S. 343-372, S. 349-350. 28 Duhamel, Oliver: Igniting the Spirits, European Constitutional Law Review 1 (2005), S. 13-16, S. 12. 29 Stuckrad, Kocku von: Die Rede vom „Christlichen Abendland“. Hintergründe und EInfluss einer Meistererzählung, in: Christian Augustin/Johannes Wienand/Christiane Winkler (Hg.), Religiöser Pluralismus und Toleranz in Europa, Wiesbaden, S. 235247, S. 240-242.

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Auffarth geht davon aus, dass das Bild eines christlichen Abendlandes auf die bürgerlichen Kirchen im 19. Jahrhundert zurückzuführen sei, die sich so gegen die Säkularisierungsbestrebungen des modernen Staates zur Wehr zu setzen versuchten.30 Religionswissenschaftler wie von Stuckrad verleugnen hierbei nicht die Bedeutung, die das Christentum in seinen vielfältigen Ausprägungen für die Geschichte und Entwicklung Europas gespielt hat und spielt. Angezweifelt wird von ihnen aber (meines Erachtens zu Recht) die Aussagekraft, die dieser Vorstellung vom christlichen Abendland als Analyseinstrument für die europäische Religionsgeschichte zukommt, da das konstitutive Element der Pluralität für die europäische Religionsgeschichte aus den Augen verloren wird.31 Dass es bei dem Bezug auf christliche Werte vorrangig um Machtinteressen und Abgrenzung geht, nimmt auch der Politikwissenschaftler Armin Adam an. Er vertritt die Auffassung, dass „[d]ie Debatte über die Bedeutung des Christentums für ein vereinigtes Europa [...] nur mit Blick auf die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei geführt“ wird.32 „Beobachtet werden können [...] Argumentationsstrategien, die sich einer Konstruktion dieses vorgeblichen [christlichen, S.F.] Erbes und seiner Bedeutung für die politische Gegenwart bedienen. Die Bedeutung des Christentums für die Idee Europa erschöpft sich in der Begründung eines Widerstandes gegen den Beitritt der Türkei. Und in der Möglichkeit, die Nüchternheit eines ökonomisch begründeten Vereinigten Europas symbolisch aufzupolieren.“33

30 Auffarth, Christoph: Pluralismus, Religion und Mittelalter. Das Mittelalter als Teil der Europäischen Religionsgeschichte?, in: ders. (Hg.), Religiöser Pluralismus im Mittelalter?: Besichtigung einer Epoche der europäischen Religionsgeschichte, Berlin 2007, S. 11-23, S. 17-18. 31 Vgl. Stuckrad: Die Rede vom „Christlichen Abendland“. Ein anschauliches Beispiel europäischer Religionsgeschichtsschreibung, die vom Pluralismus als Interpretationsmodell für die europäische Religionsgeschichte ausgeht, stellt das zweibändige Werk von Hans Kippenberg, Jörg Rüpke und Kocku von Stuckrad dar: Kippenberg, Hans G./Rüpke, Jörg/Stuckrad, Kocku von (Hg.): Europäische Religionsgeschichte. Ein Mehrfacher Pluralismus, Göttingen 2009. 32 Adam, Armin: Res Publica Christiana? Die Bedeutung des Christentums für die Idee 'Europa', in: Hartmut Behr/Mathias Hildebrandt (Hg.), Politik und Religion in der Europäischen Union: Zwischen nationalen Traditionen und Europäisierung, Wiesbaden 2006, S. 23-32, S. 31. 33 Adam: Res Publica Christiana?, S. 32. Die ausgrenzende Funktion, die Verweise – auch im Rahmen der Verfassungsdebatte – auf das christliche Erbe haben, hebt u. a.

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Adam spricht hier die ausgrenzende Funktion und Feindbildkonstruktion des Rekurses auf ein religiöses Erbe an – eine Problematik, die im Hinblick auf Identitätsdiskurse eine wichtige Rolle spielt. Aber nicht nur das Europabild als christliches Abendland stellt eine verkürzte Konstruktion dar, die von Akteursinteressen geleitet wird, um eigenen normativen Positionen Geltung zu verschaffen. Auch diejenigen, die eine religiöse Referenz im Verfassungsvertragswerk mit Hinweis auf die säkulare Identität Europas ablehnen, argumentieren nicht auf der Ebene historischer Tatsachen. Wie das „christliche Abendland“ entbehrt die Vorstellung vom alleinigen säkularen Charakter Europas der empirischen Grundlage und stellt sich als eine weitere diskursiv gestrickte Meistererzählung dar. Von Stuckrad schreibt hierzu: „Beide Konzepte verdanken sich einer bestimmten Rhetorik, die der Identitätsstiftung dient, jedoch historische Prozesse nur unvollständig abbildet. Dessen ungeachtet brachte jene Rhetorik einen eigenen Diskurs hervor, der sich in Machtstrukturen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten manifestierte.“34

Die religionswissenschaftliche Perspektive Die Analyse solcher Diskurse und ihrer Materialisierungen in Machtstrukturen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten stellt der nordamerikanische Religionswissenschaftler Russell T. McCutcheon in das Zentrum einer modernen und kritischen religionswissenschaftlichen Forschung. Religion bzw. besser Diskurse über das, was man umgangssprachlich mit dem Konstrukt Religion identifiziert, wird dabei als ein sozio-rhetorisches Werkzeug verstanden, mit dem Identitäten und Machtstrukturen konstruiert, legitimiert und aufrecht erhalten werden.35 In Rückgriff auf Hans Kippenberg und Kocku von Stuckrad kann man im Hinblick auf die bisherigen Ausführungen diese Annahme vereinfacht wie folgt umformu-

auch der Erfurter Islamwissenschaftler Jamal Malik hervor. Vgl. Malik, Jamal: Die EU in ihrem Verhältnis zu Religionsgemeinschaften und ihrem religiösen Erbe. Inwieweit ist Europa ein christliches Projekt?, in: Hartmut Behr/Mathias Hildebrandt (Hg.), Politik und Religion in der Europäischen Union: Zwischen nationalen Traditionen und Europäisierung, Wiesbaden 2006, S. 95-110, S. 100. 34 Stuckrad: Die Rede vom „Christlichen Abendland“, S. 235. 35 Vgl. Führding: Culture Critic oder Caretaker?, unter anderem. S. 87-92.

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lieren: Religionen sind Instrumente der Selbstverortung.36 Durch den Rückgriff auf tradierte Erzählungen autorisieren sie Lokales als Universelles und Kontingentes als Notwendiges. Dieses Werkzeug gilt es zu dekonstruieren und kritisch zu hinterfragen. Eine lohnende Möglichkeit, die mit Blick auf die konkrete religionswissenschaftliche Forschung teilweise vage bleibenden theoretischen und methodologischen Überlegungen McCutcheons zur Rolle des Faktors „Religion“ in den europäischen Verfassungs- bzw. Identitätsdiskurs einzubeziehen, scheinen die diskursanalytischen Arbeiten Siegfried Jägers zu sein. Im Unterschied zu McCutcheon gibt Jäger eine konkrete Werkzeugkiste an die Hand,37 die bei der Untersuchung des Themas hilfreich ist. Obwohl beide zu sehr unterschiedlichen Themen arbeiten und hier keine Berührungspunkte aufweisen, ergibt sich bei näherem Betrachten der theoretischen Grundannahmen ein hoher Grad an Übereinstimmung. Dies wird deutlich, wenn man McCutcheons Überlegungen zur Aufgabe religionswissenschaftlicher Forschung mit jenen vergleicht, die Jäger zur Aufgabe einer kritischen Diskursanalyse anstellt. Diese definiert Jäger als „die Analyse aktueller Diskurse und ihrer Macht-Wirkung, um das Sichtbarmachen ihrer (sprachlichen und ikonographischen) Wirkungsmittel, insbesondere um die Kollektivsymbolik, die zur Vernetzung der verschiedenen Diskursstränge beiträgt, und insgesamt um die Funktion von Diskursen als herrschaftslegitimierende und -sichernde Techniken in der bürgerlich-kapitalistischen modernen Industriegesellschaft.“38

Diese Auffassung trifft sich mit den Vorstellungen McCutcheons zur Aufgabe der Religionswissenschaft.39

Der Diskurs – Eine Definition Aber was sind Diskurse überhaupt und warum lohnt ihre Untersuchung? Die Literatur kennt unzählige Definitionsvorschläge für die Kategorie „Diskurs“.40 In

36 Vgl. Kippenberg/Stuckrad, Religionswissenschaft. 37 An dieser Stelle soll nicht weiter auf die Vorschläge zum methodischen Vorgehen bei der Analyse von Diskursen eingegangen werden. Eine ausführliche Darstellung inklusive konkreter Beispiele gibt Jäger in: Jäger: Kritische Diskursanalyse, besonders S. 158 bis 222. 38 Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 84. 39 Vgl. Führding: Culture Critic oder Caretaker?, S. 87-92.

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Anlehnung an Jäger und andere verstehe ich unter Diskurs Flüsse von sozialen Wissensvorräten (in Form von Reden und Texten) durch die Zeit. Der Diskurs ist eine gesellschaftliche Redeweise, die institutionalisiert ist. Er unterliegt gewissen Regeln und besitzt Machtwirkungen, weil er das Handeln von Menschen bestimmt. Diskurse sind Ergebnis historischer und sozialer Prozesse. Das heißt, sie werden nicht durch einzelne Subjekte produziert. Sie sind aber gleichzeitig nicht unabhängig von den Menschen. Im Gegenteil: Diskurse sind Resultat menschlicher Tätigkeit. Zugleich sind sie die Ergebnisse des gesamtgesellschaftlichen Handelns der Subjekte, die historisch überliefertes Wissen aufnehmen, es verarbeiten und an andere in der Gegenwart und für die Zukunft weitergeben. Diese Weitergabe kann in sprachlicher oder aber auch in vergegenständlichter Form erfolgen, wie Siegfried Jäger festhält.41 Es wird also deutlich, dass das Individuum einerseits in Diskurse verstrickt ist und sich andererseits am Weiterspinnen der Diskurse beteiligt. (Das gilt übrigens auch für Wissenschaftler.) Die Bedeutung und der Sinn von „etwas“ für das Individuum wird nicht einfach einer präexistenten „Wirklichkeit“ entnommen, sondern vielmehr der „Wirklichkeit“ aktiv zugewiesen. Diese Bedeutungszuweisung setzt voraus, dass der Mensch die entsprechende Bedeutung kennt, sie gespeichert hat. Das Bewusstsein des Menschen wird durch seinen Umgang mit der Objektwelt, die wiederum in einen bestimmten historischen und gesellschaftlichen Kontext gebunden ist, bestimmt. In der Tätigkeit wird die Objektwelt in subjektive Bedeutung überführt und gleichzeitig die subjektive Bedeutung in den objektiven Resultaten der Tätigkeit (Sprache, Schrift, Architektur etc.) materialisiert.42 Durch Tätigkeit eignen sich Menschen die Wirklichkeit, in der sie leben, in Form von Bedeutungszuschreibungen an. Die Aneignung der Wirklichkeit erfolgt „vermittelt über andere Menschen, über geltende Normen und Werte, Routinen, [...] die ‚Sprache‘ usw.“43 Zu bedenken ist, dass diese Wirklichkeit selbst nur ein historisches Produkt ist, das durch herrschende Diskurse geformt wurde und wird. Dies erinnert an Berger und Luckmanns Überlegungen zur gesell-

40 Als Einführung zu den Themen „Diskurs“, Diskurstheorie“ und „Diskursanalyse“ bieten sich an: Bublitz, Hannelore: Diskurs, Bielefeld 2003; oder Mills, Sara: Der Diskurs. Begriff, Theorie, Praxis, Tübingen 2007. 41 Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 78. 42 Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 89-90. 43 Vgl. Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 90. Zitat ebenda, S. 90.

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schaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit,44 aber auch an Émile Durkheims Vorstellungen45 zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, die eine zentrale Grundlage für die theoretischen Überlegungen McCutcheons darstellen. Nicht die Individuen und ihre Taten etc. schaffen die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft schafft die Individuen, das heißt, von Einzelnen oder Gruppen ausgeführte Handlungen sind von durch die Gesellschaft vorgegebenen Strukturen und Ressourcen abhängig. Gleichzeitig seien diese Bedingungen und ihr Einfluss auf das Individuum eine Folge von Entscheidungen und Handlungen vorhergehender Generationen, die wiederum in einer komplexen, nicht selbstgeschaffenen sozialen Welt lebten. So kann McCutcheon zusammenfassen, dass Gesellschaftsformationen uns schaffen und sie gleichzeitig von uns geschaffen sind.46 An diesem Punkt reicht es für das hier verfolgte Anliegen festzuhalten, dass Diskurse in einem Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft produziert werden. Stark vereinfacht geben die Diskurse praktisch die Rahmenbedingungen für menschliches Handeln vor und entwickeln so Machtwirkungen. Gleichzeitig wirkt der oder die Einzelne auf den Diskurs ein und entwickelt ihn weiter.

44 Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1980. 45 McCutcheon bezieht sich in seinen Vorstellungen deutlich auf das „Durkheimsche Gesellschaftskonzept“. Vgl. McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 31-32. Für Durkheim drückt die Kategorie Gesellschaft weitaus mehr aus als einfach nur die Summe von Individuen. Gesellschaft ist das, was die Menschen miteinander verbindet. Dabei ist es nicht der physische Bereich, sondern die aus diesem Bereich resultierenden moralischen Bande, die Zusammenhalt schaffen, d. h. „Gesellschaft“ produzieren. Die Individuen und ihre jeweilige Psyche stellen das Substrat der Gesellschaft dar. Gleichzeitig geht die Gesellschaft nicht aus dem Individuum bzw. den Individuen hervor, sondern das individuelle Leben aus dem kollektiven. Vgl. Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 28-30, S. 36-39. Und vgl. Kippenberg, Hans G.: Émile Durkheim (1858-1917), in: Axel Michaels (Hg.), Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, München 1997, S. 103-119; S. 109-110. 46 Vgl. McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 26-28.

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Die Verfassungsdebatte im Medienkurs Bezieht man nun diese Überlegungen auf die oben aufgeworfene Fragestellung, kann am Beispiel der „Verfassungsdebatte“ mit einer Diskursanalyse zum einen aufzeigt werden, welche Aufgabe Religion innerhalb des Identitätsdiskurses zugewiesen wird. Zum anderen können die mehrfach erwähnten Machtinteressen aufgespürt und dargestellt werden. Diskurse laufen auf verschiedenen Diskursebenen ab. Diskursebenen sind soziale Orte, an denen gesprochen wird. Beispiele hierfür sind die Wissenschaft, der Alltag, die Politik oder die Medien. Für eine Untersuchung der Verfassungsdebatte bietet sich im besonderen Maße die Diskursebene der Medien und hier vor allem die Leitmedien im Printsektor an. Diese Diskursebene weist eine hohe Verflechtung mit anderen Diskursebenen auf, indem beispielsweise Elemente aus dem Politikerdiskurs oder aus den Spezialdiskursen der Wissenschaft aufgenommen werden. „Ein wichtiges Charakteristikum des Mediendiskurses ist es [...], daß dieser nicht nur und nicht einmal in erster Linie Realitäten abbildet, sondern daß er vielmehr selbst Realität ist und als Applikationsvorgabe für gesellschaftliches und individuelles Handeln funktioniert, (Massen) Bewußtsein nicht nur informiert, sondern formiert.“47

Eine Untersuchung der Printmedien bietet sich an, da sie den wohl wichtigsten und wirksamsten Teil der Mediendiskursebene ausmachen. Als Teil der Massenmedien kommen ihnen in modernen, demokratischen System in sämtlichen gesellschaftlichen Teilbereichen zentrale Aufgaben zu. „Im soziokulturellen Bereich sind sie wesentlich an den Sozialisations- und Inkulturationsprozessen beteiligt, in deren Verlauf das gesellschaftliche Normen- und Wertesystem von den Mitgliedern der Gesellschaft aufgenommen und verhaltensleitend internalisiert wird.“48

Mit dieser Aussage weist der Politikwissenschaftler Heribert Schatz auf die orientierungsstiftende Funktion der Massenmedien hin. Gerade in einer durch Ver-

47 Jäger, Siegfried/et. al.: Der Spuk ist nicht vorbei. Völkisch-nationalistische Ideologeme im öffentlichen Diskurs der Gegenwart, Duisburg 1998, S. 19. 48 Vgl. Schatz, Heribert: Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, in: Werner Weidenfeld (Hg.), Deutschland-Handbuch. Eine doppelte Bilanz 1949-1989. Bonn 1989, (Studien zur Geschichte und Politik, 275), S. 389–401, S. 389.

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änderungs- und Ausdifferenzierungsprozesse sowie den damit einhergehenden Wertewandel charakterisierten Gesellschaft werde das Wirklichkeitsbild von Gruppen und Individuen von Presse und Rundfunk geprägt.49 Darüber hinaus werden den Massenmedien ganz allgemein vier zentrale Funktionen in pluralen und demokratischen Systemen zugewiesen: 1. Herstellung von Öffentlichkeit 2. Information, 3. Mitwirkung an der Meinungsbildung sowie 4. Kontrolle und Kritik.50

Besondere Bedeutung kommt den Leitmedien zu, da sie nicht nur über eine hohe allgemeine Reichweite verfügen, sondern vor allem von Entscheidungsträgern und den „Führungseliten“ sowie anderen Medien genutzt werden. Darüber hinaus betreiben Leitmedien „Agenda-Setting“ (durch das frühzeitige Aufgreifen von Themen) und schaffen Bezugsrahmen, die andere Medien dann aufgreifen.51

Erste Zwischenergebnisse Die bisher gemachten Ausführungen machen deutlich, dass sich der europäische Identitätsdiskurs auch in (deutschen) Leitmedien vollzieht und dabei die Rolle, die dem Faktor „Religion“ in dieser Frage zukommt, an dieser Stelle untersucht werden kann. Bei einer ersten Analyse52 der deutschen (politischen) Wochenmagazine Focus, Spiegel und Stern, die ich Ende 2007 durchführte, konnte ich meinen Erwartungen zuwider allerdings nur wenig Hinweise auf einen breiten Diskurs finden, wie ihn beispielsweise die Überlegungen Katzensteins hätten erwarten lassen. Die drei genannten Medien wurden auf die Fragestellung hin untersucht, wie und inwieweit der Faktor „Religion“ eine Rolle in der Berichterstattung zur eu-

49 Vgl. Schatz: Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, S. 389. 50 Vgl. Schatz: Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, S. 389. Vgl. Meyn, Hermann: Massenmedien in Deutschland, Konstanz 2001, S. 34. 51 Wilke, Jürgen: Leitmedien und Zielgruppenorgane, in: Jürgen Wilke (Hg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 302-329, S. 302-303. 52 In erster Linie ging es mir darum, einen Materialkorpus für eine weitergehende diskursanalytische Untersuchung zusammenzustellen und einen ersten Eindruck vom Material zu gewinnen.

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ropäischen Verfassung spielt. Dazu wurden zunächst sämtliche Artikel, die im Zeitraum von Januar 2000 bis zum Juli 200753 erschienen, in der „Pressedatenbank“ von Gruner + Jahr (G+J)54 gesichtet. Jeder Artikel, der im Lektorat55 mit den Schlagworten „Europa“ und „Verfassung“ beschrieben wurde, wurde für eine genauere Untersuchung ausgewählt. Bei dieser Suche fanden sich insgesamt 124 Artikel. Diese 124 Artikel wurden dann hinsichtlich der Kategorie „Religion“ durchsucht. Unter die Kategorie wurden sämtliche Begriffe subsumiert, die umgangssprachlich dem Bereich Religion zugeordnet werden oder mit ihm in Verbindung stehen, wie zum Beispiel „Christentum“, „christliche Wurzeln“, „Islam“, „religiöser Fundamentalismus“, „Gott“, „Laizität“ oder „Säkularität“. Die Suche ergab, dass lediglich in 14 der 124 Artikel neben dem Thema „Europa“ und „Verfassung“ auch das Thema „Religion“ angesprochen wird. Der Spiegel berichtet am häufigsten über den europäischen Verfassungsvertrag. Für den Untersuchungszeitraum liegen 81 Artikel vor. In sieben dieser 81 Artikel taucht auch das Thema „Religion“ auf. Für den Focus lassen sich 34 Artikel unter der beschriebenen Lektoratsbezeichnung finden. In vier der 34 Artikel wird u. a. das Thema „Religion“ angesprochen. Der Stern beschäftigt sich im Untersuchungszeitraum kaum mit dem Thema „Europa“ und „Verfassung“. Nur neun Artikel wurden im entsprechenden Zeitraum mit den gesuchten Begriffen durch das Lektorat beschrieben. In drei dieser Artikel spielt „Religion“ eine Rolle. Diese erste quantitative Auswertung sagt allerdings nichts darüber aus, ob das Thema Religion im Zusammenhang mit dem Thema „europäischer Verfassungsvertrag“ vorkommt. Wie erläutert, wurden die Artikel über die Kombinati-

53 Das Jahr 2000 bezeichnet den Beginn des Post-Nizza-Prozesses, in dessen Rahmen die größeren strukturellen Reformen der Europäischen Union öffentlich debattiert wurden und der Verfassungsprozess angestoßen wurde. Vom 21. bis 23. Juni 2007 tagte in Deutschland der Europäische Rat, auf dem der Verfassungsvertrag ad acta gelegt und die Neuordnung der EU durch einen neuen Reformvertrag beschlossen wurde. Der Untersuchungszeitraum umfasst also die Zeit vom Aufkommen des Verfassungsprozesses bis zu dessen endgültigem Scheitern. 54 Ausführliche Informationen zur Pressedatenbank finden sich im Internet unter: http://www.pressedatenbank.guj.de/, gesichtet am 01.09.2007. 55 Die G + J Pressedatenbank arbeitet mit einem „intellektuellen Lektorat“. (Vgl. http://www.pressedatenbank.guj.de/PDB/Leistungen.htm, gesichtet am 01.09.2007). Das heißt, dass die einzelnen Artikel gelesen, dem Sinn nach erschlossen und dann entsprechend verschlagwortet (indexiert) werden.

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on der Lektoratsbezeichnungen Europa und Verfassung gefunden. Nicht jeder Artikel, dem diese Begriffe zugeordnet wurden, beschäftigt sich allein oder hauptsächlich mit dem europäischen Verfassungsvertrag. Für die Zuweisung der Beschreibung reicht es aus, dass das Thema in irgendeiner Form angesprochen wird. So wurde das Thema Religion teilweise auch ohne einen Bezug zum Verfassungsthema genannt. Der Begriff „religiöser Fundamentalismus“ wird beispielsweise in einem Artikel erwähnt, der zusammen mit anderen Gefährdungen für die Europäische Union wie Wirtschaftskriminalität aufgezählt wird. Außer dem Begriff „Religiöser Fundamentalismus“ kommt die Kategorie „Religion“ im betreffenden Artikel nicht mehr vor. Ein Bezug zur Verfassungsthematik kann weder indirekt noch direkt hergestellt werden. Wählt man allein die Artikel, in denen ein direkter Bezug zwischen „Religion“ und „Verfassung“ nachweisbar ist, bleiben zehn übrig. In diesen finden sich vor allem kleinere Abschnitte, in denen auf einen möglichen Gottesbezug in der Verfassung bzw. eine Verankerung des „christlichen Erbes“ Europas eingegangen wird. Im Focus wird in zwei Artikeln ein direkter Zusammenhang zwischen der Verfassungsthematik und „Religion“ hergestellt. In beiden besteht die Verbindung in der Frage nach einer Nennung des Christentums im Verfassungstext. In einem Artikel aus dem Juni 2003 beschäftigen sich die Autoren mit dem kurz zuvor vorgelegten Verfassungsvertragsentwurf und diskutieren vor allem die in ihm enthaltenen „Fußangeln und Fallstricke“56. Diese werden in erster Linie in der ungeklärten Frage des Beitragssystems für die EU gesehen. Zudem werden wichtige Punkte des Entwurfs, wie vorgesehene Ämter, vorgestellt. Abschließend wird auf Bedenkenträger und Versuche, diese vom Vertragswerk zu überzeugen, eingegangen. In diesem Kontext kommt die Sprache auf „Religion“. Dabei wird auf die Kritik eines CSU-Abgeordneten verwiesen, der ein Bekenntnis zum Christentum im Verfassungsvertrag vermisst. „Wo immer Angela Merkel vergangene Woche in London Europaskeptiker traf, warb die CDU-Vorsitzende um Zustimmung zur EU-Verfassung. [...] In der Fraktion ist die Stimmung anders. In der letzten Sitzung kamen gar elf der 15 kritischen Reden von CDUMdBs, die Führung schwieg. CSU-Mann Johannes Singhammer bemängelt erweiterte Zuständigkeiten und vermisst das Bekenntnis zum Christentum.“57

56 Berbalk, Ottmar/et. al., Haare in der Suppe, in: Fokus 25/2003 vom 16.06.2003. 57 Berbalk/et. al: Haare in der Suppe.

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Ansonsten kommt die Kategorie „Religion“ im kompletten Artikel nicht weiter vor und es werden keine weiteren Zusammenhänge zur Thematik hergestellt. Den eindeutigsten Hinweis auf die Debatte um den Gottesbezug im Verfassungstext findet man in einem Spiegelinterview aus dem November 2003 mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Zwischen Fragen zur Anzahl der Kommissare sowie zur Stimmengewichtung im Rat und Überlegungen zu einem europaweiten Referendum über die Verfassung bringen die Interviewer relativ unvermittelt die Sprache auf „die christlichen Grundwerte“ und werfen die Frage auf, ob diese in der Verfassung Erwähnung finden sollten. Schüssel tritt in seiner Antwort für einen Verweis auf die christlichen Wurzeln Europas in der Verfassungspräambel ein. Für ihn stellt dieser Verweis nur die Nennung einer allgemein bekannten Tatsache dar, die für die europäische Identität von Bedeutung sei. Gleichzeitig solle diese Nennung aber nicht ausgrenzend wirken oder Einflüsse anderer Religionen auf Europa negieren. Für ihn ist dies so selbstverständlich, dass er die „ganze Diskussion darüber fast schon beschämend“ findet.58 Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass in den drei untersuchten politischen Wochenzeitschriften das Thema „Religion“ in direktem Zusammenhang zur Verfassungsthematik quantitativ kaum auftaucht. Dieser Eindruck verstärkt sich zudem, wenn man den Umfang der Thematik innerhalb der jeweiligen Artikel betrachtet. Die Art des Umgangs mit dem Thema „Verfassung“ und „Religion“ in den wenigen Fundstellen legt allerdings die Vermutung nahe, dass eine öffentliche Debatte stattgefunden hat. Wie die angeführten Beispiele zeigen, wird auf eine Diskussion um den Gottesbezug im Verfassungstext eingegangen, allerdings ohne den Diskussionsgegenstand näher zu erläutern oder selbst direkt an ihr teilzunehmen. Ein Blick in die deutsche Tagespresse zeigt ein anderes Bild. Betrachtet man die vier in Deutschland zu den überregionalen Tageszeitungen gezählten Organe „Die Welt“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), „Frankfurter Rundschau“ (FR) und „Süddeutsche Zeitung“ (SZ), die als Leitmedien, wie oben beschrieben, nicht nur den Medien-, sondern auch den gesamtgesellschaftlichen Diskurs mitprägen, findet sich eine erhebliche Anzahl von Artikeln,59 in denen sich die

58 Ertel, Manfred/Kremb, Jürgen: „Für Zwerge sind wir zu groß“, in: Der Spiegel 47/2003 vom 17.11.2003. 59 Momentan liegen mir 405 Artikel aus den genannten Tageszeitungen vor. Die Zahl ist allerdings noch nicht aussagekräftig, da ich momentan nur bei der „Welt“ Zugriff auf sämtliche Ausgaben des kompletten Untersuchungszeitraums habe (145 Artikel). Für die SZ konnten bisher die Jahrgänge 2000 bis 2003 (32 Artikel), für die FR die Jahr-

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Kategorien „Verfassung“ und „Religion“ auch in direktem Bezug zueinander finden lassen. Die als eher konservativ geltenden Zeitungen Welt und FAZ berichten dabei häufiger über das Thema als die zwei als liberal geltenden anderen Zeitungen.60

Ausblick Will man der Frage nach der Bedeutung von Religion in der Debatte über eine Verfassung für Europa und damit auch hinsichtlich des Identitätsdiskurses weiter nachgehen, ist eine qualitative Analyse des Materialkorpus notwendig, um die dem Diskurs zugrundeliegenden Strukturen und Positionen differenziert herauszuarbeiten. Die Untersuchung ist aus zwei Gründen wichtig: 1. spricht nach einer ersten Durchsicht der Tageszeitungsartikel Einiges für die Annahmen der oben erwähnten Wissenschaftler Armin Adam und Jamal Malik, dass die Diskussionen um die Nennung des christlichen Erbes Europas und die Aufnahme eines Gottesbezuges im Rahmen der Verfassungsdebatte Teil eines Ausgrenzungsdiskurses ist, der sich gegen eine mögliche Aufnahme der Türkei in die Europäische Union richtet. Allerdings müsste für eine differenzierte Betrachtung aus meiner Sicht unter anderem überprüft werden, ob mit der Frage nach dem Gottesbezug die gleichen Interessen und diskursiven Strategien verbunden sind wie bei der Forderung nach der Benennung des christlichen Erbes und ob alle Akteure, die jene Positionen vertreten, die gleichen Argumentationsstränge verfolgen. 2. muss meines Erachtens bei der Analyse stärker berücksichtigt werden, dass auch diejenigen, die sich gegen eine „religiöse“ Fundierung oder Aufwertung des europäischen Gemeinwesens aussprechen, ebenfalls aus ganz bestimmten (Macht-)Interessen heraus agieren. Diese Interessen dürfen nicht als bloße (europäische) „Normalität“ gelten, von der sich die Stimmen „der Anderen“ als besonders abheben. Das gerade die Positionen derer, die starke Vorbehalte gegen eine wie auch immer geartete religiöse Referenz im Verfassungsvertrag haben, von besonderem Gewicht sind, lässt sich an der letztendlich vorgelegten Präambelformulierung zeigen. Die Formel:

gänge 2003-2007 (80 Artikel) und für die FAZ die Jahrgänge 2000-2005 (148 Artikel) erfasst werden. 60 Vgl. Meyn: Massenmedien in Deutschland, S. 104-107.

234 | J ENSEITS VON R ELIGION „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben [...]“61,

weist nur einen sehr schwachen Bezug auf ein nicht genauer definiertes religiöses Erbe auf. Betrachtet man die oft sehr viel weitergehenden Forderungen vor allem christdemokratischer Politiker oder Vertreter religiöser Gemeinschaften, kann man nicht behaupten, dass sich diese durchgesetzt haben.62 Mit der Abkehr von den Vorstellungen „der“ Säkularisierungstheorie und denen des „christlichen Abendlandes“ als Analysekategorien für die europäische Religionsgeschichte und damit auch für die Untersuchung von Religion in Politik und Gesellschaft der gegenwärtigen Europäischen Union kann offengelegt werden, dass diese Vorstellungen letztendlich zwei Seiten des gleichen Diskurses darstellen. Das Ergebnis einer Analyse, die die Rhetorik von Säkularisierungsthese und „christlichem Abendland“ selbst als untersuchungswürdigen Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung ansieht, könnte ein neues und differenziertes Bild der Bedeutung von Religion im europäischen Verfassungsund auch Identitätsdiskurs sein.

61 Läufer, Thomas (Hg.): Verfassung der Europäischen Union. Verfassungsvertrag vom 29. Oktober 2004. Protokolle und Erklärungen zum Vertragswerk, Bonn 2005, S. 32. 62 Vgl. Schröder: Gott im europäischen Projekt rechtstaatlicher Demokratie.

8 Abschließende Überlegungen

Kann es eine Religionswissenschaft jenseits von Religion geben? Diese Frage wurde in den vorangegangenen Kapiteln in unterschiedlichen Kontexten mehrfach implizit und explizit angesprochen. Wie gezeigt werden konnte, besteht ein zentraler Kritikpunkt an den Arbeiten von Autoren wie Daniel Dubuission, Timothy Fitzgerald oder Russell McCutcheon in dem Vorwurf, dass sie mit der Dekonstruktion von Religion (und Religionen) nicht nur den Gegenstand von Religionswissenschaft auflösen, sondern damit auch die Disziplin überflüssig machen und in der Konsequenz liquidieren würden. Religionswissenschaft jenseits von Religion ist in dieser Lesart scheinbar nicht möglich. Das (zentrale) Ziel der vorliegenden Arbeit war es, entgegen dieser pessimistischen Deutung der möglichen Konsequenzen des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘, unter denen die Positionen der verhandelten Wissenschaftler – allen voran Fitzgerald und McCutcheon – zusammengefasst wurden, aufzuzeigen, wie dieser Ansatz die Disziplin stärken kann. Zu diesem Zweck wurden die Positionen der Vertreter des ‚soziorhetorischen Ansatzes‘ systematisch herausgearbeitet und in der Disziplingeschichte verortet. Als besonderes Merkmal des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ hat sich die kritische (genealogische und dekonstruktivistische) Auseinandersetzung mit der Kategorie Religion und verwandter Kategorien, wie beispielsweise jener des Säkularen, unter der Prämisse einer Perspektivverschiebung herausgestellt. Durch diese Perspektivverschiebung wird der Fokus von der Bedeutung oder dem Inhalt einer Kategorie auf die Herstellung von Bedeutung und auf den Akt der Klassifizierung verschoben. Nicht das Wesen von Religion steht im Vordergrund, sondern die Mechanismen und rhetorischen und diskursiven Strategien, die es ermöglichen von etwas als ‚Religion‘ oder ‚Nichtreligion‘ zu sprechen, wobei auch der Analyse von Machtkonstellationen in diesem Vorgang eine wichtige Bedeutung zukommt. Man kann diese Überlegungen zum Gegenstand

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der Forschung mit den Worten François Ewalds im Vorwort zu Michel Foucaults Dispositive der Macht1 wie folgt zusammenfassen: „Die Wahrheit, der Diskurs und das Wissen sind nicht mit dem Sein, mit dem Objekt, der Realität oder den Dingen in Beziehung zu bringen, sondern mit den Machttechniken, die sie ermöglichen, produzieren, ihnen die Bedingung ihrer Möglichkeit geben und sie zugleich legitimieren und konsolidieren.“2

Im Hinblick auf die Verortung des Ansatzes in der Fachgeschichte hat sich zum einen gezeigt, dass der Ansatz im Rahmen des Ringens um die Fachidentität in der postphänomenologischen Phase der Religionswissenschaft gesehen werden muss, die durch eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und durch das Fehlen eines einheitlichen Paradigmas gekennzeichnet ist. Zum anderen ist der Ansatz zwar vor allem im US-amerikanischen Kontext aufgrund unterschiedlicher Faktoren, wie des starken Einflusses des von Mircea Eliade begründeten ‚New Humanism‘, besonders bedeutsam und präsent, man kann aber nicht von einem ausschließlich nordamerikanischen Diskurs sprechen, der für den Rest der Welt und damit für Europa und Deutschland unerheblich ist. Die scharfe Kritik, mit der sich Autoren wie Fitzgerald und McCutcheon konfrontiert sehen, zielt neben inhaltlichen Aspekten wie der Frage, was ein geeigneter Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung ist, vor allem auf die angenommen Konsequenzen ihrer Positionen für den Erhalt der Disziplin. Wie vor allem in Kapitel 2.7.4 herausgearbeitet, spielen dabei in erster Linie nicht inhaltliche Auseinandersetzungen die entscheidende Rolle, sondern materielle Erwägungen oder vielleicht sogar Ängste. Das machen beispielsweise Frank Koroms Bedenken gegenüber Fitzgerald klar, wenn er darauf verweist, dass allein aus ökonomischen Gründen disziplinäre Grenzziehungen notwendig sind, um beispielsweise Stellen vergeben oder einnehmen zu können.3 Mit der Diskussion verbunden ist meines Erachtens eine spezielle Vorstellung, wie wissenschaftliche Disziplinen entstehen und legitimiert werden können. So weist beispielsweise Hans Penner in seiner Kritik an McCutcheon darauf hin, dass dieser übersehen würde, dass die meisten Geistes- und Sozialwissen-

1

Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978.

2

Ewald, Francois: Einleitung. Foucault – Ein Vagabundierendes Denken, in: Michel Foucault: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 7-20, S. 16.

3

Vgl. Korom: The Ideology of Religious Studies, S. 110.

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schaften ihre Existenz dem Postulat eines eigenen Gegenstandsbereichs nicht reduzierbarer Art (sui generis) verdanken. Insofern hätten sich die Religionsphänomenologen richtig verhalten, wenn auch aus falschen Gründen.4 In solchen Argumentationen wird von der epistemologischen Annahme ausgegangen, dass sich eine wissenschaftliche Disziplin durch einen genuinen, eigenen Gegenstand und/oder eine eigene Methode legitimiert. Was diesen Aspekt betrifft, konnte in der Arbeit gezeigt werden, dass über die erkenntnistheoretische Begründung hinaus andere Faktoren für die Begründung von wissenschaftlichen Disziplinen von zentraler Bedeutung sind. Steven Engler und Michael Stausberg sprechen unter Bezugnahme auf Forschungen zum Hochschulwesen5 von kulturellen, sozialen und institutionellen Faktoren (beispielsweise Fachsprache, Legitimierungspraktiken und Institutionen) sowie von der „pädagogischen Dimension“6, die spezifische Curricula und die Initiation in die charakteristischen Denkweisen einer Disziplin umfasst.7 Das von mir in Kapitel fünf vorgeschlagene Konzept der Diskursgemeinschaft, in dem wissenschaftliche Disziplinen wie die Religionswissenschaft als „Gruppen von Menschen mit relativ homogener Bedeutungskonvention“ konzeptualisiert werden, umfasst die genannten Aspekte. Zudem wird in diesem Konzept in Anlehnung an Oliver Freiberger der Rolle von ‚Disziplinierungsprozessen‘ und der ‚Grenzarbeit‘ eine zentrale Stellung eingeräumt. Die ‚Grenzarbeiten‘ sind zum einen nach innen gerichtet, wobei es um die Aushandlung dessen geht, was innerhalb der Disziplin erlaubt ist. Zum anderen richten sie sich nach außen, um die eigene Disziplin von anderen abzugrenzen. Ein prägnantes Beispiel für eine solche Grenzarbeit stellt die in Kapitel 2.7.3 diskutierte Kritik Donald Wiebes an McCutcheon dar. Wiebe versucht hier nach innen sein spezifisches Verständnis von Wissenschaft vorzugeben, das an Max Webers Ideal des Wissenschaftlers anknüpft, der idealtypisch ‚um des Wissens willen‘ Wissenschaft betreibt; andere Positionen, wie die McCutcheons, versucht er zu delegitimieren. Dieses Vorgehen richtet sich aber nicht nur nach innen, sondern errichtet auch eine Grenze nach außen, indem es theologische, metaphy-

4

Vgl. Penner: Review of Manufacturing Religion, S. 57.

5

Beispielsweise Becher, Tony/Trowler, Paul R.: Academic Tribes and Territories. Intellectual Enquiry and the Culture of Disciplines, Buckingham 22001.

6 7

Engler/Stausberg: Introductory Essay, S. 131. Übersetzung S.F. Vgl. Engler/Stausberg: Introductory Essay, S. 129-132. Siehe hierzu auch: Smith, Jonathan Z.: The Necessary Lie: Duplicity in the Disciplines, University of Chicago, 30.05.2014.

.

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sische und normative Ansätze bei der Erforschung von Religion ausschließt. Gleichzeitig zeigen Positionen wie die von Paul Griffiths, dass versucht wird, genau solche, hier von Wiebe abgelehnte Ansätze, als (religions-)wissenschaftlich zu legitimieren. Von dieser Seite (Griffiths’) werden Positionen, wie beispielsweise Fitzgeralds, als scheinbare Möglichkeit genutzt, um die eigenen Ziele zu erreichen. Zumindest wird Vertretern des ‚soziorhetorischen Ansatzes‘ vorgeworfen, eine solche Steilvorlage zu bieten, wie mit den Ausführungen zum ‚Theologie- und Ideologievorwurf‘ in Kapitel 2.7.2 gezeigt werden konnte. Die Infragestellung des säkularen Raums als neutralem Ort des Faktischen, der als wesensmäßig getrennt vom religiösen Raum konzeptualisiert wird und somit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Religion aus einer herausgehobenen und neutralen Ebene legitimiert, führt dazu, dass genau diese Legitimität angezweifelt wird.8 Soweit ist den Kritikern am ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘ zuzustimmen. Daraus allerdings abzuleiten, dass zum einen ‚alles geht‘9 und erlaubt ist und zum anderen eine Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und metaphysischen oder theologischen Erklärungen nicht möglich ist, halte ich für falsch. Das gilt auch für Wiebes Vorwurf an McCutcheon, dass dieser mit seinen Arbeiten genau so einer Argumentation Vorschub leisten würde. McCutcheon macht deutlich, dass er strikt zwischen wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Aussagen unterscheidet. Er wendet sich zwar gegen ein modernes, totalisierendes Theorieverständnis, in dem eine Theorie im Sinne der ‚Großen Erzählungen‘10 im Prinzip alles erklären kann und gegen ein Verständnis von Theorie, in dem diese mit der Wirklichkeit, die sie beschreibt und erklären soll, selbst gleichgesetzt wird, tritt aber dennoch für wissenschaftliche Theoriebildung ein. Diese Theorien müssen als Modelle von Wirklichkeit verstanden

8

Zum Verlust der privilegierten Stellung von Wissenschaft gegenüber anderen Bereichen (Narrativen) siehe Lyotard, Jean-François (Hg.): Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 72012. Einen Versuch, die Diagnose Lyotards, dass keinem Narrativ mehr eine übergeordnete Integrationsfunktion beziehungsweise ein Vorrang zukommt und dass unterschiedliche Sprachspiele auf gleicher Ebene unübersetzbar nebeneinander stehen, konstruktiv für die Religionswissenschaft zu wenden, unternimmt Dagmar Fügmann. (Siehe Fügmann, Dagmar: Spiel' nicht mit den Schmuddelkindern: Religionswissenschaft zwischen Wertneutralität und Normativität, in: Peter Antes/Arvid Deppe/Dagmar Fügmann/Steffen Führding/Anna Neumaier (Hg.), Konflikt - Integration - Religion: Religionswissenschaftliche Perspektiven, Göttingen 2013, S. 15-27).

9

Siehe hierzu: Feyerabend, Paul: Wider den Methodenzwang, Frankfurt am Main 13

2008.

10 Vgl. Lyotard: Das postmoderne Wissen, hier besonders, S. 23-27, S. 99-106.

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werden und im Sinne des kritischen Rationalismus falsifizierbar sein.11 Damit aber sind Erklärungsmuster aus der Wissenschaft ausgeschlossen, deren Annahmen auf metaphysischen oder theologischen Spekulationen beruhen. „Applied to theories, theoretical skyhooks posit the existence and role for one or more forces completely external to the historical realm (e.g., Plato’s realm of the Forms for an example, [or] any Creator in any cosmogony …]. Theoretical cranes, on the other hand, are products of, and therefore inextricably part of, the historical world that is to be explained […]. In other words, we make cranes for specific jobs and purposes, whereas skyhooks are simply presumed to be just out there, waiting to help or to be invoked. [… I]n the discourse of the university, where our claims to knowledge are not privileged but open to debate and scrutiny, all we have are cranes.“12

An anderer Stelle beschreibt McCutcheon sein Theorieverständnis wie folgt: „Theories are […] a meta-activity, a higher-order cognitive map designed to provide a rational, explanatory account for just this or that series of experiences, observations, and events that we as scholar deem important, puzzling, or curious.“13

McCutcheon ist meiner Auffassung nach in diesem Theorieverständnis zuzustimmen, wird in ihm doch noch einmal die strategische Bedeutung und Kontextgebundenheit von Theorie deutlich. Theorien sind Hilfsmittel, mit denen der Wissenschaftler und die Wissenschaftlerin Gegenstände und Fragen bearbeiten können, die ihm oder ihr wichtig oder interessant erscheinen. Theorien sind aber nicht mit den Gegenständen identisch. Gleichzeitig wird – wie erwähnt – nicht alles zugelassen, weil diese Theorien bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, um als wissenschaftlich anerkannt zu werden. Im Hinblick auf das Modell der Diskursgemeinschaft kann man diesen Aspekt wie folgt einordnen: Als Diskursgemeinschaft ist die Religionswissenschaft in einen größeren diskursiven Kontext, nämlich den der Wissenschaft, eingebunden. Auch für die Wissenschaft allgemein gelten diskursive Spielregeln, ähnlich wie in den einzelnen Disziplinen. Will man Religionswissenschaft als einen Teil von Wissenschaft verorten,

11 Vgl. McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 103-121, besonders S. 111-114. 12 McCutcheon: Manufacturing Religion, S. x-xi. 13 McCutcheon: Critics not Caretakers, S. 112. Hervorhebungen im Original.

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müssen diese Spielregeln eingehalten werden, die sich von denen anderer Bereiche unterscheiden.14 Bedeutsam ist es daher, dass man die jeweiligen Axiome und Prämissen unter denen die eigenen Aussagen wahr sein und gelten sollen, offenlegt. Sieht man einmal davon ab, dass Fitzgerald die Auflösung der Religionswissenschaft fordert, kann man seine in Kapitel 2.7.2 behandelten Aussagen, dass Wissenschaft und Theologie beide auf nicht begründbaren Annahmen beruhen, auch in folgende Richtung deuten: Die jeweiligen Vorannahmen müssen offengelegt werden und kritisierbar sein. Für diese Interpretation spricht, dass er keine Kritik an Theologie übt, die sich als solche mit den ihr eigenen Prämissen zu erkennen gibt. Seine Kritik gilt – wie dargelegt – einer liberalen, ökumenischen Theologie, die sich hinter dem Schein einer neutralen, objektiven Wissenschaft im Gewand der Religionsphänomenologie versteckt.15 Die bisherigen, kurz zusammengefassten Ausführungen zeigen, dass auch unter den Prämissen des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ eine Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Ansätzen und Aussagen möglich ist. Noch nicht geklärt sind die Fragen, ob die Kategorie Religion zu verwerfen und die Religionswissenschaft aufzugeben ist, wie es Fitzgerald fordert. Antworten darauf sind unter anderem auf Basis der Überlegungen in Kapitel sechs möglich. In den Untersuchungen zu den Kategorien Religion und Säkularität in den genannten Kapiteln konnte aufgezeigt werden, dass die rhetorische Konstruktion von Religion seit der Frühen Neuzeit konkrete (materielle) Auswirkungen hat. Die Schaffung des Religion-Nichtreligion-Binärs im modernen Verständnis ist zentral für das Aufkommen des liberalen Verfassungsstaates und des liberalkapitalistischen Systems. Die Rolle von Religion als Instrument der Konfliktregulierung – durch die Verlagerung von konkurrierenden (Wahrheits-)Ansprüchen in den neu geschaffenen privaten Raum und die Transzendierung von materiellen Unterschieden zu Gunsten einer ‚geistigen‘ Einheit, konnte dabei als zentral herausgearbeitet werden. Genauso bedeutsam ist die Etablierung des scheinbar neutralen Raums des Säkularen. Fitzgerald zieht, wie dargelegt, die Schlussfolgerung, dass ‚Religion‘ so stark in die ‚Ideologie der westlichen Moderne‘ verstrickt sei, dass man das Konzept komplett aufgeben müsse – und nicht nur das Konzept, sondern auch die Disziplin, die es erforscht. Hier muss Fitzgerald widersprochen werden. Trifft seine Einschätzung über die Rolle

14 Diese Unterscheidung ist meiner Auffassung nach allerdings axiomatischer und praktischer Natur, nicht essentieller. Siehe dazu auch Fußnote 8 dieses Kapitels. 15 Vgl. Fitzgerald: A Critique of „Religion“ as a Cross-Cultural Category, S. 97.

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von ‚Religion‘ zu – was zumindest in den Grundzügen hier nicht in Abrede gestellt wird – ist es aus meiner Sicht umso mehr geboten, sich mit der Kategorie zu befassen. Dass es sich bei ‚Religion‘ nicht nur um eine bloße Idee von Wissenschaftlern handelt, sondern um eine soziale Konstruktion, die weit über die Universitäten hinaus Wirkungsmacht hat, hebt beispielsweise Kevin Schilbrack richtigerweise hervor. Er schlägt vor, dass man daher Religionen und religiöse Phänomene erforschen kann und soll. Einen ähnlichen Weg wählt Steven Engler, wenn er einen „mittleren Grund“16 (Übersetzung S.F.) beschreiten möchte, der die Probleme des Religionsbegriffs ernst nimmt und durch eine theoretische Einbindung für eine reflexive Verwendung des Begriffs, plädiert.17 Mit dem ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘ wird eine andere Alternative zur Verfügung gestellt und eine andere Konsequenz gezogen. Der mit diesem Ansatz verbundene Perspektivwechsel führt dazu, die Klassifizierungsakte und damit die Frage, welche Strategien die soziale Konstruktion möglich machen, welche Ziele mit ihnen verfolgt werden und wem sie nützen, in den Blick zu nehmen. Wie an anderer Stelle geschrieben, geht es nicht darum, die Bedeutung von etwas zu erforschen, sondern um die Erforschung der Mechanismen und Strategien, welche diese Bedeutung ermöglichen sowie der Auswirkungen, die diese Strategien zeitigen. Greift man das Beispiel aus meinen Forschungen zur ‚Europäischen Verfassungsdebatte‘ auf, das in Kapitel sieben vorgestellt wurde, geht es nicht darum zu fragen, ob die Europäische Union wirklich christliche Wurzeln hat, eine christliche Wertegemeinschaft oder doch ein Hort der Säkularisierung ist. Vielmehr stellt sich die Frage, was mit diesen Zuschreibungen und Klassifizierungen jeweils bezweckt wird. Ohne dies an dieser Stelle vertiefen zu können, wäre eine Interpretationsmöglichkeit, die der Perspektivwechsel eröffnet, die Debatte als ‚othering-Diskurs‘ offenzulegen, in dessen Rahmen es darum geht, integrierend nach innen zu wirken (‚Unionbuilding‘) und die materiellen Unterschiede und Verwerfungen innerhalb der Gemeinschaft durch den Verweis auf immaterielle, aber alle verbindende Werte und Wurzeln zu transzendieren.18 In dem hier angesprochen Kapitel sieben dieser Arbeit wurde zudem ein Vorschlag für eine stärkere empirische Fundierung des Ansatzes vorgelegt. Da-

16 Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, S. 422. 17 Vgl. Kapitel 2.7.4 Und vgl. Engler: 'Religion,' 'the Secular' and the Critical Study of Religion, beispielsweise S. 422. Und vgl. Schilbrack: Philosophy and the Study of Religions, S. 177-203. 18 Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dieser Thematik siehe: Führding, Steffen: Marketing Christian Roots, in: Russell T. McCutcheon (Hg.), Fabricating Origins: Working with Culture on the Edge, London, im Erscheinen.

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mit wird auf die vorgestellte Kritik reagiert, dass Autoren wie Tomoko Masuzawa oder McCutcheon sich allein auf einer (meta-)theoretischen Ebene befinden würden. Wie bereits dargelegt, trifft dieser Vorwurf meines Erachtens nur bei einem engen Empirieverständnis zu. Trotzdem ist die Kritik nachzuvollziehen und ernstzunehmen. Die in Kapitel sieben in Grundzügen vorgestellte Methode der ‚Kritischen Diskursanalyse‘ (KDA) nach Siegfried Jäger steht wie herausgearbeitet auf ähnlicher theoretischer Grundlage wie der ‚sozio-rhetorische Ansatz‘. Dabei ermöglicht sie aufgrund ihrer sehr konkreten methodischen Ausarbeitung19 eine empirische Umsetzung der theoretischen Grundannahmen, die über das Vorgehen des ‚close reading‘ hinausgeht, das beispielsweise Maszuzawas Buch The Invention of Worldreligions oder Fitzgeralds Band Discourse on Civility and Babarity zugrunde liegt.20 Die KDA ermöglicht ein regelgeleitetes und methodisch kontrolliertes Vorgehen bei der Erforschung der Klassifizierungsprozesse und ihrer Auswirkungen. Eine besondere Stärke des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ liegt meines Erachtens nach darin begründet, dass man durch ihn das Substantiv ‚Religion‘ und nicht nur die mit dem Adjektiv versehenen Gegenstände wie religiöse Handlungen, religiöse Menschen oder religiöse Kultur in den Blick bekommt. Der ‚soziorhetorische Ansatz‘ ermöglicht es Religionswissenschaftlern, die Kategorie empirisch zu erforschen, die ihrer Wissenschaft den Namen gibt, ohne dabei auf metaphysische Spekulationen zurückgreifen zu müssen. Fasst man Religion als diskursive Kategorie und strategisches Klassifikationswerkzeug auf, wie es in dieser Arbeit getan wurde, wird die Religionswissenschaft als Disziplin weder geschwächt noch abgeschafft. Vor diesem Hintergrund kann man zwar konstatieren, dass man sich jenseits von Religion in einem klassischen Verständnis befindet. Insgesamt kann aber abschließend festgehalten werden, dass der ‚soziorhetorische Ansatz‘ die Religionswissenschaft als wissenschaftliche Disziplin stärkt, unter anderem indem er ihr ihren Gegenstand gewissermaßen in transformierter Form zurückgibt.

19 Auf die spezifischen Details des methodischen Programms konnte in dieser Arbeit nur am Rande eingegangen werden. Vgl. hierzu Jäger: Kritische Diskursanalyse, vor allem S. 158-214. 20 Masuzawa schreibt beispielsweise zum methodischen Vorgehen in ihrer Forschung zu besagtem Band, dass sie in erster Linie eine bestimmte Auswahl der für ihr Vorhaben relevanten Literatur auf der einen Seite durch ‚speed-reading‘ erschlossen habe und auf der anderen Seite ausgewählte Titel einer genaueren Analyse mit Hilfe von ‚slow reading‘ zugeführt habe. Vgl. Masuzawa: The Invention of World Religions, S. 32.

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Was folgt aus diesem Befund für die Religionswissenschaft mit Blick auf die Zukunft? Der Soziologe Urs Stähli fasst Ansätze wie den hier vorgestellten als poststrukturalistisch auf und bezeichnet diese als Parasiten. In leichter Abwandlung seiner Aussagen zur Soziologie kann man mit Blick auf die Religionswissenschaft sagen: „Als weitsichtige Parasiten entziehen die poststrukturalistischen Interventionen ihrem Gastgeber aber nicht die Lebensgrundlage – denn dies würde ihre eigene Aktivität gefährden. Dennoch ist die zuweilen gespenstische Gegenwart nicht folgenlos für […die Religionswissenschaft]. An die Stelle eines stabilen, geschlossenen Gegenstands wie [… Religion] tritt nun die Untersuchung des Scheiterns der Gegenstandskonstitution – ein Scheitern, das immer auch die Eröffnung neuer (Denk-)Möglichkeiten beinhaltet.“21

Eine dieser Möglichkeiten aber auch Konsequenzen ist, den religionswissenschaftlichen Gegenstand nicht mehr außerhalb des religionswissenschaftlichen Diskurses zu verorten und die Konstruktion des Gegenstandes, die „selbst in Machtkämpfe und widersprüchliche Artikulationsweisen eingelassen“22 ist, noch stärker zum Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung zu machen.23 Ein Anfang dabei ist bereits gemacht. Nun gilt es, den Weg weiterzugehen, den Ansatz fortzuentwickeln und die Religionswissenschaft als kritische Gesellschaftswissenschaft zu stärken, die mit ihren Forschungen wichtige Erkenntnisse zu Machtverhältnissen und Legitimierungspraktiken beitragen kann.

21 Stäheli, Urs: Poststrukturalistische Soziologien, Bielefeld 2000, S. 7. 22 Stäheli: Poststrukturalistische Soziologien, S. 28. 23 Vgl. Stäheli: Poststrukturalistische Soziologien, S. 27-28.

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Religionswissenschaft Judith Könemann, Saskia Wendel (Hg.) Religion, Öffentlichkeit, Moderne Transdisziplinäre Perspektiven (unter Mitarbeit von Martin Breul) März 2016, ca. 260 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3005-3

Tommi Mendel Common Roads – Pilgern und Backpacking im 21. Jahrhundert Buch und DVD April 2015, 152 Seiten, kart., mit DVD, 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3019-0

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