Sicherheit, Geschlecht und Minderheitenpolitik: Kritische Perspektiven auf die britische Antiterrorstrategie 9783839439777

What are the consequences of involving the civil society in the battle against terrorism? The book examines the part Mus

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Sicherheit, Geschlecht und Minderheitenpolitik: Kritische Perspektiven auf die britische Antiterrorstrategie
 9783839439777

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Einleitung
2. „Making Subjects into Citizens“: Citizenship und Subjektivierung als Aushandlungsprozess
3. Subjektivierungsprozesse als Thema von Diskursanalyse
4. Konstruktionen muslimischer Frauen – Staatliche Diskurse am Beispiel der Prevent-Strategie
5. Zwischen Sicherheitsdebatten und Selbstermächtigung: Der Aktivismus muslimischer Frauen in Großbritannien
6. Muslimische Frauenorganisationen und Sicherheitspolitik – das Beispiel der Prevent-Strategie
7. Sicherheitspolitik, Empowerment und die Aushandlung von Citizenship
Literaturverzeichnis

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Catharina Peeck-Ho Sicherheit, Geschlecht und Minderheitenpolitik

Gender Studies

Catharina Peeck-Ho, geb. 1983, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich »Soziologische Theorie« an der Leibniz Universität in Hannover. Promoviert hat sie im Rahmen des Kollegs »Demokratie, Wissen und Geschlecht in einer transnationalen Welt« an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen Versicherheitlichung, Geschlecht und soziale Bewegungen.

Catharina Peeck-Ho

Sicherheit, Geschlecht und Minderheitenpolitik Kritische Perspektiven auf die britische Antiterrorstrategie

D.30 Dissertation, Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main, 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © bruiser / fotolia Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-3977-3 PDF-ISBN 978-3-8394-3977-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 7 1.

Einleitung | 9

1.1 Gegenstandsbestimmung: Prevent, muslimische Frauen und die Aushandlung von Zugehörigkeit | 11 1.2 Hintergründe der Forschung: Diskurse um muslimische Frauen, den Islam und soziale Konflikte in Großbritannien | 14 1.3 Forschungsstand | 23 1.4 Fragestellung | 31 1.5 Aufbau der Arbeit | 33 2.

„Making Subjects into Citizens“: Citizenship und Subjektivierung als Aushandlungsprozess | 35

2.1 Neoliberale Gouvernementalität, Citizenship und Subjektivierung | 37 2.2 Empowerment | 48 2.3 Die Aushandlung von Citizenship: Ebenen von Zugehörigkeit und Differenzierung | 54 2.4 Zusammenfassung: Citizenship als Subjektivierungsprozess | 63 3.

Subjektivierungsprozesse als Thema von Diskursanalyse | 65

3.1 Erkenntnistheoretische und ethische Grundlagen der Forschung | 66 3.2 Der Datenkorpus und das Vorgehen bei der Auswertung von Daten | 71 3.3 Die Wissenssoziologische Diskursanalyse und ihre Operationalisierung im Rahmen dieser Forschung | 84 3.4 Zusammenfassung | 97

4.

Konstruktionen muslimischer Frauen – Staatliche Diskurse am Beispiel der Prevent-Strategie | 99

4.1 Muslimische Frauen und Prevent: Orientierungspunkte | 100 4.2 Zentrale Deutungsmuster der Rolle muslimischer Frauen | 110 4.3 Zusammenfassung | 118 5.

Zwischen Sicherheitsdebatten und Selbstermächtigung: Der Aktivismus muslimischer Frauen in Großbritannien | 121

5.1 Muslimische Frauenorganisationen: Arbeitsfelder und Selbstverortungen | 122 5.2 „British Muslim Woman“ – Diskurse um Zugehörigkeit aus Sicht der Frauenorganisationen | 133 5.3 Empowerment als Thema und Strategie muslimischer Frauenorganisationen | 149 5.4 Zusammenfassung | 153 6.

Muslimische Frauenorganisationen und Sicherheitspolitik – das Beispiel der Prevent-Strategie | 155

6.1 6.2 6.3 6.4

Bewertungsgrundlagen der Prevent-Strategie | 156 Interpretationen von Prevent | 166 Positionierungen in Diskursen um Prevent | 185 Zusammenfassung: Die Prevent-Strategie als polarisierender Faktor | 196

7.

Sicherheitspolitik, Empowerment und die Aushandlung von Citizenship | 199

7.1 Ausblick | 206 Literaturverzeichnis | 209

Danksagung

Das vorliegende Buch basiert auf meiner Dissertation, die ich im Frühjahr 2016 an der Goethe Universität in Frankfurt eingereicht habe. An dieser Stelle möchte ich allen Kolleg_innen, Freund_innen und meiner Familie danken, ohne deren Zuspruch und Unterstützung dieses Buch nicht möglich gewesen wäre. Zunächst danke ich meinen Gutachterinnen Helma Lutz und Gabriele Griffin für die kritischen Anmerkungen, hilfreichen Tipps und für das Vertrauen, während der vergangenen Jahre. Mein Dank gilt auch meinem Colloquium an der Goethe Universität in Frankfurt, für die ausführlichen Rückmeldungen und produktiven Treffen sowie den Mitgliedern des internationalen Promotionsprogramms „Demokratie, Wissen und Geschlecht in einer transnationalen Welt“ (IPP Transnational). Meinen Kommilitoninnen vom Centre for Women’s Studies an der University of York, besonders Elin Montelius, danke ich für neue Perspektiven und Jane Barnett für ein Zuhause während meiner Aufenthalte. Der Heinrich Böll Stiftung danke ich für die großzügige Förderung des Projektes. Ferner gilt mein Dank dem Arbeitsbereich „Soziologische Theorie“ an der Leibniz Universität in Hannover, besonders Mathias Bös und Nina Tiesler für die Unterstützung und Ermunterung. Das Gleiche gilt für Eva Kalny, Rolf Pohl, Wolfgang Gabbert und Ingo Bultmann vom Institut für Soziologie. Danke an Stefanie Weuffen für die inspirierenden Diskussionen während unserer gemeinsamen Aufenthalte in Großbritannien und in Hannover. Für konstruktive Kritiken und Korrekturen in der Endphase, danke ich Franziska Ohde und Veronika Ott. Ein besonderer Dank auch an Eva Vojinovic für die inhaltlichen Anmerkungen und ihre geduldige Unterstützung

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in allen Lebenslagen sowie Claudia Froboese für die Gespräche am WGTisch und die vielen Bücher, die sie mir geliehen hat. Vielen Dank an Caroline und Adolf Peeck, die mich auf dem gesamten Weg unterstützt haben. Ein ganz besonderer Dank gilt Daniel Ho, der einen Großteil der Arbeit begleitet hat, für die intensiven Gespräche, den Rückhalt und nicht zuletzt die Kritik in der Endphase. Danke auch an Jannes für seine Geduld und seinen Optimismus.

1. Einleitung

Der Beginn des Jahrtausends markiert einen Wandel in den Diskursen um Muslim_innen: Die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 sowie in Madrid (2004) und London (2005), zu denen sich jeweils das Netzwerk Al Qaida bekannte, rückten sowohl ihre Rolle in nicht muslimischen Ländern als auch die Gesellschaftsstrukturen in muslimischen Ländern in den Blickpunkt westlicher Medien (Riley, 2013). Bereits seit Kolonialzeiten hatte es Tendenzen gegeben, Muslim_innen mit dem „Orient“ zu assoziieren und diesen als Gegenbild zu Europa zu konstruieren (Said, 1979). Nach dem Ende des Kalten Krieges gewannen sie durch weltpolitische Ereignisse wie den Golfkrieg 1991 an Aktualität (Polaschegg, 2005, S. 18). Besonders die Debatte um islamistischen Terrorismus führte zu einem Wandel, der die Diskurse um das gesellschaftliche Zusammenleben in Europa zunehmend beeinflusste. Nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center waren es nicht mehr nur konservative und rechtsgerichtete politische Kräfte, die meinten, einen „Kampf der Kulturen“ (Huntington, 1996) zu identifizieren, sich für „Integration“ einsetzten und multikulturelle Politiken als gescheitert betrachteten. War die These eines Konfliktpotenzials, das sich aus Konstruktionen kultureller Differenzen ergebe, zuvor in erster Linie von Vertreter_innen der Neuen Rechten hervorgebracht worden, wurde sie nun zu einem Teil des politischen Mainstream und mit Debatten um Sicherheit verknüpft.1 1

Eines der bekanntesten Beispiele für die damit verbundenen Rhetoriken ist die Rede von David Cameron auf dem Münchner Sicherheitskongress im Frühjahr 2011. Hier stellt der Premierminister Großbritanniens ein angenommenes Ver-

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Eine politische Folge und ein Ausdruck dieser Sicherheitsdebatten waren die Antiterrorstrategien, die in verschiedenen europäischen Staaten und im angloamerikanischen Raum konzipiert wurden. Der britischen Antiterrorstrategie kommt hier eine besondere Rolle zu, denn indem sie mit Programmen verbunden wurde, deren Ziel die Förderung von „Integration“ war, wurde eine diskursive Verknüpfung von Terrorismus und innenpolitischen Debatten um Minderheitenpolitik geschaffen, die andere Länder erst einige Jahre später und in geringerem Maße in politische Programme umsetzten.2 Im Rahmen der Prevent-Strategie wurden nach 2005 bedeutende Summen zur Verfügung gestellt, um Maßnahmen sozialer Arbeit mit Muslim_innen zu finanzieren. Eine der Zielgruppen des Programms sind muslimische Frauen. Deren Empowerment3 wurde speziell in den ersten Jahren als Grundlage für wirksame Maßnahmen gegen Radikalisierungsprozesse betrachtet. Dagegen werden vorwiegend junge muslimische Männer als potenzielle Terroristen konstruiert. Dieser Fokus weist auf einen Diskurs hin, in dessen Rahmen Geschlecht eine zentrale Kategorie darstellt. Darüber hinaus deutet sich an, dass Differenzierung nicht nur über kulturalisierte Konstruktionen des Islam stattfindet, sondern auch zwischen Muslim_innen wirksam ist. Unter ihnen werden mehr oder weniger gefährdete Gruppen identifiziert und somit potenzielle Partner_innen oder Zielgruppen staatlicher Maßnahmen festgelegt.

sagen multikultureller Politiken ins Zentrum seiner Analyse von Radikalisierungsprozessen

in

Großbritannien:

(http://www.bbc.com/news/uk-politics-

12371994 (7.2.2016) 2

Beispiele finden sich u.a. in den USA: „Empowering Local Partners to Prevent Extremism in the United States“ (Vereinigte Staaten, seit 2011) und in Deutschland: „Initiative Demokratie stärken“ (Deutschland, seit 2010).

3

Eine Reihe von Begriffen, die in dieser Arbeit vorkommen, wurden bewusst nicht aus dem Englischen übersetzt, da sie mit spezifischen Debatten aus dem angloamerikanischen Raum zusammenhängen und eine Übersetzung die Konnotationen soweit verändern würde, dass sie dem Gegenstand nicht mehr gerecht würde. Das betrifft die Begriffe Empowerment, Citizenship und Community und damit in Verbindung stehende Debatten, ferner technologies of citizenship, active citizenship und activist citizenship, community leadership und community cohesion.

E INLEITUNG | 11

1.1 G EGENSTANDSBESTIMMUNG : P REVENT , MUSLIMISCHE F RAUEN UND DIE AUSHANDLUNG VON Z UGEHÖRIGKEIT Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Auswirkungen von Antiterrorstrategien und den damit in Verbindung stehenden transnationalen Diskursen um Islamismus auf Zugehörigkeit und Citizenship in Europa. Staatliche Praktiken zum Empowerment von muslimischen Frauen in Großbritannien werden mit dem Ziel untersucht, diskursive Anschlüsse und Verschiebungen in Bezug auf Selbst- und Fremdzuschreibungen zu analysieren. Sie geben Hinweise darauf, in welcher Weise Zugehörigkeit in diese Art von politischen Programmen eingeschrieben ist, welche Wirkungsweisen das beinhaltet und wie sich vor diesem Hintergrund auch die Bedingungen und Inhalte von Citizenship wandeln. Der Fokus liegt auf der Rezeption der sogenannten Prevent-Strategie durch muslimische Frauenorganisationen und Aktivistinnen. Prevent ist einer der vier Pfeiler der britischen Antiterrorstrategie CONTEST4 und beinhaltet Maßnahmen mit muslimischen Frauen, die eingebunden werden sollen, um Radikalisierungsprozesse zu verhindern. Muslimische Frauen – so die Kalkulation – können Behörden unterstützen oder selber auf Betroffene einwirken. Das Empowerment muslimischer Frauen dient also nicht gleichstellungspolitischen Erwägungen, sondern ist mit bestimmten Erwartungen an sie verbunden. Gleichzeitig kann beobachtet werden, dass auch muslimische Frauenorganisationen Empowerment als Zielsetzung und Strategie formulieren. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen unterschiedliche Bezugnahmen auf das Empowerment muslimischer Frauen vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Debatten besitzen. Die Prevent-Strategie wurde 2007 unter der New-Labour-Regierung eingeführt und hat seither verschiedene Neuerungen erfahren. In den ersten Jahren war die Arbeit auf Muslim_innen fokussiert und es wurden im Rahmen des „Winning Hearts and Minds“ Ansatz (DCLG, 2007c) große

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Die anderen Pfeiler heißen „Pursue“, „Protect“ und „Prepare“. Die jeweiligen Themenbereiche setzen unterschiedliche Schwerpunkte, die im gesamten darauf zielen, Anschläge in Großbritannien zu verhindern und im Falle eines Attentats vorbereitet zu sein (Home Office, 2011a).

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Summen für die Arbeit auf lokaler Ebene bereitgestellt.5 In dieser Zeit wurden Zielgruppen für Prevent-Arbeit bestimmt. Unter ihnen stechen muslimische Frauen und Jugendliche ganz besonders ins Auge: Beide werden als Zielgruppen für Empowerment-Maßnahmen betrachtet, die Radikalisierungsprozesse stoppen sollen (DCLG, 2007c). Soziale Arbeit, so die Kalkulation, ist ein adäquates Mittel im Kampf gegen Terrorismus, da sie soziale Konflikte einbezieht und im besten Falle entschärfen kann. Auf diese Weise kam eine enge Verbindung zwischen Diskursen um Terrorismus und Diskursen um den Zusammenhalt von Communities (community cohesion) zustande. Indem die Umsetzung auf nationaler Ebene zu dieser Zeit vorwiegend vom Ministerium für Communities und lokale Regierung (Department for Communities and Local Government, abgekürzt: DCLG) koordiniert wurde, wurde sie institutionell verankert. 2011 folgte die als „Lord Carlile-Report“ bekannt gewordene Evaluation (Carlile, 2011) und daraufhin die Neuausrichtung der Strategie. Die

5

Die Budgets der Prevent-Strategie setzen sich zusammen aus Geldern für die Koordination und Bezahlung von Polizeikräften, die für die Umsetzung verantwortlich sind, die Entwicklung und Unterstützung von Strategien zur Einschätzung von Gefahren und damit verbundenen Interventionsmöglichkeiten. Die hier untersuchten Aktivitäten, in denen die Zusammenarbeit mit Communities gefördert wird, beträgt in der Strategie von 2010/11 etwa 1% der Ausgaben (Home Office, 2011b, S. 101). Das war in den Anfangsjahren des Programms noch anders. So wurde das Gesamtbudget von Prevent in den Jahren 2009/10 mit 47 Millionen Pfund angegeben, von denen 5,1 Mio. für den so genannten Community Leadership Fund (DCLG, 2007b)vorgesehen waren, dessen Ziel es war, Projekte zur Unterstützung und Veränderung von Repräsentationsstrukturen in den muslimischen Gemeinden zu finanzieren und dabei in besonderem Maße Frauen und Jugendliche zu berücksichtigen. Danach sank es auf 37 Millionen bzw. 36 Millionen Pfund in den Finanzjahren 20010/11 und 2011/12. (Home Office , 2011b, S. 100 - 101). Seit 2011 werden die Budgets nicht mehr veröffentlicht. Auf Nachfrage an das Innenministerium im Frühjahr 2015 wurde mir mitgeteilt, dass sie seit 2011 von einem jährlichen Budget von 36 Millionen Pfund auf 40 Millionen Pfund im Finanzjahr 2014-15 gestiegen sind. Unter ihnen sind jährlich ca. 5 Millionen Pfund für Maßnahmen auf lokaler Ebene vorgesehen, die auch die Arbeit mit muslimischen Communities beinhalten (Home Office, 2015, Brief).

E INLEITUNG | 13

Zielgruppen von Prevent sind seitdem auf dem Papier nicht mehr so klar definiert wie zuvor. Muslimische Frauen werden im Strategiepapier zur neuen Strategie nicht berücksichtigt. Allerdings weisen Maßnahmen von Behörden und die Gründung des Projekt Shanaz6, eines Netzwerkes muslimischer Frauen zur Bekämpfung von Terrorismus durch die Polizei, darauf hin, dass sie nach wie vor eine wichtige, wenn auch weniger offen ausgesprochene, Rolle spielen. Generell beinhaltet die aktuelle Prevent-Strategie den zusätzlichen Bezug auf andere Extremismen. Speziell Rechtsextremismus wird einbezogen. Dazu kommt, dass Prevent nicht mehr in Zusammenarbeit zwischen DCLG und Innenministerium (Home Office) umgesetzt wird, sondern an das Innenministerium, die Polizei und lokale Behörden abgegeben wurde (Thomas, 2013). Das DCLG konzentriert sich seither auf Maßnahmen, die das Thema Extremismus in einem breiten Kontext bearbeiten, wobei dies im Rahmen der Strategie nicht genauer definiert wird (Home Office, 2011b, S. 6). Weiterhin wurden 25 lokale Schwerpunktregionen eingerichtet und eine größere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Internet für Vernetzungs- und Radikalisierungsprozesse gelegt (Home Office, 2011b, S. 8-9). Seit 2011 hat Überwachung eine zentralere Rolle eingenommen, als das in den Strategien zuvor der Fall war. Diese Tendenz bestätigt sich in neueren Veröffentlichungen zu Antiterrormaßnahmen. Besonders hervor sticht dabei ein seit 2015 gültiges Papier des Department of Education. Es weist Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen an, auf Anzeichen für Radikalisierung ab dem frühen Kindesalter zu achten und gibt Hinweise, wie mit Kindern, die als gefährdet eingestuft werden, umzugehen sei (Dep. of Education, 2015). Die von der britischen Regierung herausgegebenen Dokumente (HM Government, 2010, 2012, 2015), im Besonderen die Aktualisierungen des mit Prevent verbundenen ChannelProgramms von 2010, das sich direkt an Einzelpersonen richtet, die als gefährdet eingestuft werden, in den Jahren 2012 und 2015, weisen ebenfalls auf eine Zunahme von Überwachung als Teil von Prevent- Maßnahmen hin (HM Government, 2010, 2012, 2015). Prevent ist mehr als eine Politik, die Terrorismus verhindern soll, sondern genuin mit Zuschreibungen und Aushandlungsprozessen von Zugehö-

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Informationen zu Projekt Shanaz finden sich auf den Seiten des National Police Chiefs Council (NPCC) unter: http://www.npcc.police.uk/NPCCBusinessAreas /PREVENT/EngagingWomeninPrevent.aspx (11.2.2016).

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rigkeit verbunden. Sie manifestieren sich in der Konzeption von Zielgruppen und in der Umsetzung von Maßnahmen, insbesondere Maßnahmen sozialer Arbeit, die in Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen umgesetzt werden. Thema der Arbeit sind Prevent-Maßnahmen und ihre Rezeption durch muslimische Frauenorganisationen. Anders als in einer reinen Evaluation der Wirksamkeit der Fall wäre, soll es hier auch darum gehen, wie über dieses politische Programm Citizenship verhandelt wird und welche Ebenen von Zugehörigkeit dabei eine Rolle spielen.

1.2 H INTERGRÜNDE

DER F ORSCHUNG : D ISKURSE UM MUSLIMISCHE F RAUEN , DEN I SLAM UND SOZIALE K ONFLIKTE IN G ROSSBRITANNIEN

Die Anschläge in London am 7. Juli 20057 prägten die Diskussion um Islamismus in Großbritannien maßgeblich. Die Tatsache, dass die Terroristen Briten waren, schien die Notwendigkeit konkreter politischer Maßnahmen zu bestätigen. So musste die Möglichkeit einbezogen werden, dass gesellschaftliche Ungleichheiten im Land einen Anteil an der Entwicklung besaßen, die zu den Anschlägen geführt hatten. Dabei wurde auf Deutungsmuster sozialer Konfliktlagen zurückgegriffen, die bereits zuvor wirkmächtig waren. Die Programme, die letztlich im Rahmen der Antiterrorstrategien entwickelt wurden, sind demnach nur zu verstehen, wenn der gesellschaftspolitische Kontext und damit verbundene Diskurse in die Erklärung einbezogen werden. In der Arbeit mit muslimischen Frauen, wie sie im Rahmen von Prevent stattfindet, spielen Fragen nach ihrer Rolle innerhalb der britischen Gesellschaft, aber auch Konflikte um Repräsentationsstrukturen in den Communities eine Rolle. Des Weiteren sind Diskurse um den Islam ebenso wie um den Umgang mit sozialen Konflikten in Großbritannien Teil des Rahmens, in dem die Prevent-Strategie entwickelt wurde.

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Eine detaillierte Beschreibung der Ereignisse findet sich unter anderem auf der Internetpräsenz der BBC unter: http://news.bbc.co.uk/1/shared/spl/hi/uk/05/london_blasts/what_happened/html/ (2.11.2013).

E INLEITUNG | 15

1.2.1 Muslimische Frauen in Großbritannien Das Bild muslimischer Frauen, wie es sich in den medialen Debatten in Großbritannien zeigt, ist widersprüchlich: Einerseits sind sie in den vergangenen Jahren deutlich sichtbarer geworden, andererseits sind das Kopftuch und andere Formen der Verschleierung ein Thema von Auseinandersetzungen um Differenzierung und Zugehörigkeit, die unter anderem in den Medien geführt werden (Afshar, 2008; Ahmad, 2010a; Dwyer, 1999). Es finden sich Parallelen zu Diskursen um Zugehörigkeit wie sie vor und besonders nach dem 11. September 2001 auch in anderen nicht-muslimischen Ländern vorkommen (Khalid, 2011; Lutz, 1989, 1991, 1999; Riley, 2013). Muslimischen Frauen wird dabei oftmals die Rolle eines Opfers und Symbols patriarchaler Verhältnisse zugeschrieben – eine Sicht, die eine kulturalisierte und homgenisierende Perspektive auf den Islam zu Grunde legt. Die Aktivistin und Autorin Amrit Wilson schreibt über diese Entwicklung: „Während der letzten Phase der ethnisierenden Ära in den 1990er Jahren begann die Dämonisierung des Islam in Amerikas globaler Strategie in den britischen Medien auf die Art und Weise abzufärben, in der ethnische Minderheiten konstruiert wurden. Dabei erzeugten sie einen spezifisch anti-muslimischen Rassismus. Die Konstruktion des ‚muslimischen Mannes‘ (und in jüngerer Zeit ‚der muslimischen Frau‘) als fanatisch, fundamentalistisch, gewalttätig und der Treue gegenüber externen und Europa feindlich gesinnten Kräften verpflichtet, rückte in den Vordergrund rassistischer Symboliken. In dieser Phase wurden zudem Kultur und Religion verbunden und Bevölkerungsgruppen, die zuvor nach Sprache oder Herkunftsregion kategorisiert wurden, wurden in erster Linie über ihre Religion gekennzeichnet. ‚Muslim_in‘ wurde die neue ‚Ethnizität‘.“ (Wilson, 2007, S. 31)

Nicht zuletzt, um eine Gegenposition zu diesen Stimmen zu artikulieren, haben sich muslimische Frauen organisiert. Sie intervenieren in die Diskurse um ihre gesellschaftliche Positionierung, die Stellung des Islam in nichtmuslimischen Ländern sowie über Radikalisierung. In Großbritannien haben sich bereits seit den 1980er Jahren muslimische Frauengruppen gebildet, die soziale Arbeit leisten und politische Kampagnen verfolgen. Gegen den Widerstand konservativer männlicher community leader und ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung durch den Staat, der mit diesen, als vertrauenswürdig eingestuften Akteuren, zusammenarbeitete, begannen sie

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eigene Strukturen zu bilden (Burlet & Reid, 1998; Gilliat-Ray, 2010). So schreibt die Aktivistin Humera Khan 2004 über die Positionierungen muslimischer Frauen innerhalb muslimischer Organisationen und den Aktivismus von Frauenorganisationen: „Die meisten muslimischen Organisationen haben eine Lücke in Bezug auf Frauen und junge Leute. Beteiligten Frauen wird selten Autorität zugesprochen […]. […] Ausgeschlossen von Entscheidungsprozessen waren die muslimischen Frauen, die soziale Bedarfe an vorderster Front unterstützen wollen, dazu gezwungen, sich selbst relevant zu machen. Während man sie nicht notwendigerweise bei Fototerminen und in hochkarätigen Delegationen sieht, trifft man sie bei Schulungen im Bildungsbereich, den Medien, Sozialarbeit, Gesundheit und Beratung. Muslimische Frauen sind nun eine stille aber wirksame Präsenz in Körperschaften des öffentlichen Rechts und anderen öffentlichen Arenen. Sie werden zunehmend Fachbereichsleiterinnen, Direktorinnen von Abteilungen und Vorsitzende von Ausschüssen. Frauenorganisationen sind führend darin, Agenden zu setzen und dringend gebrauchte Sozialprogramme zu entwickeln, die Familien unterstützen und Communities heilen.“ (Khan, 2004)

Diese Tendenz hat sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt: Es entstehen zunehmend Repräsentationsstrukturen, die Religion in den Vordergrund des Aktivismus von Frauen stellen, und im Zuge von Prevent staatlich gefördert werden. Kategorien wie Rasse/Ethnizität oder Klasse haben dabei aus Sicht von Kritikerinnen dieser Prozesse an Bedeutung verloren. So haben säkular ausgerichtete Frauengruppen, folgt man der Aktivistin und Soziologin Sukhwant Dhaliwal, im Bereich des sozialen und politischen Engagements seit den 1980er Jahren sukzessive abgenommen. Auch sie betrachtet diesen Prozess als Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, innerhalb derer der Bezug auf religiöse Kategorien immer stärker in den Mittelpunkt gerückt ist (Dhaliwal, 2003). Hannana Siddiqui, die wie Dhaliwal bei der Londoner Organisation Southall Black Sisters8 aktiv ist,

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Southall Black Sisters (SBS) ist eine im Londoner Stadtteil Southall ansässige Frauenorganisation, die sich besonders im Bereich der häuslichen Gewalt einsetzt. Seit ihrer Gründung im Jahr 1979 hat sie sich zu einer der bekanntesten Organisationen entwickelt, die sich unterschiedlichen Themenfeldern widmet

E INLEITUNG | 17

bemerkt, dass sich Organisationen in den 1990er Jahren zunehmend darauf konzentrierten, ihr Engagement zur Vermittlung von Religion zu nutzen (Siddiqhi, 2003, S. 279). Andere Positionen betonen, dass Leistungen für Frauen aus dem südasiatischen Raum9 lange Zeit nur in geringem Maße staatlich gefördert wurden. Im Rahmen multikultureller und antirassistischer Politiken wurden den Communities interne Konfliktlösungsmechanismen und Formen sozialer Unterstützung zugeschrieben, die Frauen aus Sicht von Aktivistinnen benachteiligten (Brown, 2006, S. 422-423). Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen kritisieren eine Homogenisierung von Communities im Zuge antirassistischer und multikultureller Politiken und benennen damit verbundene Problemlagen, beispielsweise bei der Vergabe von Mitteln für soziale Projekte, aber auch in Bezug auf Fragen der Repräsentation von Minderheiten (Patel, 2004; Werbner, 1991). Muslimische Frauenorganisationen und Projekte, die sich speziell an diese Zielgruppe wenden, werden aus dieser Perspektive als Antwort auf besondere Bedarfe an Unterstützungsleistungen betrachtet. 1.2.2 Die diskursive Verknüpfung von Islam und Gewalt Mit den Anschlägen vom 7. Juli 2005 ist eine Verschärfung der Debatten um sozialen Zusammenhalt und Integration verbunden. Norman Bettison, der 2007 Polizeipräsident der West Yorkshire Police geworden war, fasste die Entwicklung in einem Kommentar 2009 zusammen: „Sie [Anm.: die Attentäter vom Juli 2005] waren die ersten Selbstmordattentäter, die das Vereinigte Königreich zum Ziel hatten. […] Von Al-Qaida inspirierter Terrorismus war nicht mehr länger eine entfernte Bedrohung, sondern ein Angriff auf das Zentrum des Vereinigten Königreichs. Noch schockierender war […] Entdeckung,

und sich als black feminist und damit ausdrücklich säkular positioniert. (Gupta, 2003) 9

Mit dem Begriff „südasiatischer Raum“ übersetze ich das im britischen Zusammenhang gängige South Asia, dass sich insbesondere auf die Staaten Indien, Pakistan und Bangladesh bezieht, aus denen die Mehrzahl der britischen Muslim_innen eingewandert ist.

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dass die Attentäter alle im Vereinigten Königreich geboren waren, hier gelebt, gearbeitet und im Falle von zweien Familien gegründet hatten.“ (Bettison, 2009, S. 129)

Nach den London bombings vom Juli 2005 erschien die Notwendigkeit, Handlungsoptionen in der Auseinandersetzung mit Islamismus in Großbritannien zu entwickeln, notwendiger denn je. Der Islam war bereits im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 verstärkt mit Gewalt und einer terroristischen Gefährdung in Verbindung gebracht worden. Diese Assoziation wurde nach 2005 noch verstärkt, was nicht zuletzt darin resultierte, dass gesellschaftlicher Ausschluss gefördert wurde: „Die Verbindung von Islam und Gewalt wurde mit der Gewalttat vom 11. September und den darauf folgenden Polemiken zum ‚Krieg gegen den Terror‘ auf drastische Art etabliert. Im britischen Kontext erlangte das eine neue und wesentlich unmittelbarere Relevanz mit den Attentaten in London am 7. Juli 2005. Großbritannien war nun mit der Realität ‚einheimischer‘ Attentäter konfrontiert, und Britanniens muslimische Communities erlangten eine neue und starke Basis dafür, außerhalb der nationalen Norm platziert zu werden. Die Frage danach, wie akzeptable Teilhabe von muslimischen Communities am Leben in Großbritannien gestärkt werden könnte, wurde nun durch eine parallele Agenda komplettiert: der Einführung von Maßnahmen, die ihrem Status als Sicherheitsbedrohung entsprechen.“ (Husband & Alam, 2011, S. 2)

Im Rahmen der Prevent-Strategie wurden Prozesse von Differenzierung, in denen sowohl Trennlinien zwischen Muslim_innen und nicht Muslim_innen als auch zwischen „moderaten“ und „extremistischen“ Muslim_innen etabliert wurden, institutionell verankert. Der Bericht „Preventing Extremism Together Working Groups“ vom Oktober 2005 (Home Office, 2005) wurde nur drei Monate später vom Innenministerium veröffentlicht und bestimmt die zentralen Themen und Zielgruppen für die folgenden Jahre. So wird die Zusammenarbeit mit Imamen, muslimischen Frauen und Jugendlichen als erfolgsversprechend eingeschätzt. Der Fokus von Antiterrormaßnahmen wird auf die Arbeit auf lokaler Ebene gelegt und es werden Felder wie Bildung und Polizeiarbeit diskutiert (Home Office, 2005).

E INLEITUNG | 19

1.2.3 Sozialer Zusammenhalt als staatlicher Diskurs und der Einfluss auf die Grenzen und Möglichkeiten politischer Positionierung Neben der diskursiven Verknüpfung von Islam mit terroristischer Gefahr ist auch der Umgang mit sozialen Konflikten innerhalb Großbritanniens ein wichtiger Einflussfaktor auf die Diskurse um Prevent und den damit verbundenen Umgang mit Muslim_innen. Bereits lange vor den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn hat sich herauskristallisiert, dass Marginalisierung und Generationenkonflikte innerhalb der asiatisch stämmigen Communities soziale Konflikte mit sich brachten. Im Sommer 2001 hatte es Unruhen in Bradford, Oldham und anderen Städten Nordenglands gegeben. Analysen heben hervor, dass die Gründe für die Ausschreitungen überwiegend asiatisch stämmiger Jugendlicher vieldimensional sind. So wird neben dem Verweis auf sozioökonomische Marginalisierung und gesellschaftlichen sowie institutionellen Rassismus herausgestellt, dass Proteste rechtsextremer Gruppen einen Auslöser darstellten. Während die National Front (NF) in dieser Zeit in einigen der betroffenen Städte gegen Einwanderung mobilisierte, auf Demonstrationen „Rechte für Weiße“ forderte und rassistische Beleidigungen rief, hatte die British National Party (BNP) seit 1999 zunehmend ihre Mitgliederzahlen erhöht und war in lokalen Gremien verstärkt vertreten. All diese Einflüsse spielen in den Erklärungen der Unruhen eine Rolle (Bagguley & Hussain, 2003). Trotzdem wurden sie von rechtsgerichteten Gruppierungen und zunehmend auch von Akteuren aus der politischen Mitte herangezogen, um „Integration“ zu einer zentralen Forderung von Minderheitenpolitik zu machen (Burnett, 2008). Der Sozialwissenschaftler Arun Kundnani bezeichnet diesen Diskurs als „Integrationismus“. „Integration“ sei in diesem Zusammenhang in erster Linie als einseitige Anpassungsleistung zu verstehen und beziehe sich vorwiegend auf Muslim_innen: „Seit 2001 haben die existierenden rechtsgerichteten Kritiker_innen des Multikulturalismus deshalb neue Alliierte aus der Mitte und der Linken des politischen Spektrums gefunden. Alle sind sich darin einig, dass das ‚Management‘ kultureller Diversität die Wurzel vieler Schlüsselprobleme der britischen Gesellschaft ist. Darüber hinaus sind es Muslim_innen, die in der Kakophonie der Stimmen, die diese neue von den Medien angetriebene ‚Integrationsdebatte‘ ausmachen, regelmäßig heraus-

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gegriffen werden; es ist ihre kulturelle Differenz, der Grenzen gesetzt werden müssen; es sind sie, die ihr kulturelles Erbe im Rahmen von ‚Britishness‘ zusammenfassen müssen, sie sind es, die ihre Loyalität zu (unklar bestimmten) britischen Werten erklären müssen. Um das Jahr 2004 herum, scheint die gesamte liberale Intelligenz ihre frühere Toleranz von kultureller Diversität aufgegeben und diesen neuen ‚Integrationismus‘ (‚integrationism‘) übernommen zu haben. Er redefiniert Integration effektiv als Anpassung an britische Werte anstatt als – wie es Roy Jenkins 1966 erklärt hat – ‚Chancengleichheit, begleitet von kultureller Diversität in einer Atmosphäre gegenseitiger Toleranz‘. Nach dem 7. Juli erreichten integrationistische Forderungen eine neue Intensität. Trevor Phillips sprach von Britannien als Land, das ‚in die Segregation schlafwandelt‘ („sleepwalking to segregation“). Die Toleranz von Diversität argumentierte er, habe zu isolierten Communities geführt, ‚in denen aus Sicht einiger Leute spezielle separate Werte angewendet werden sollten‘. Die Antwort auf den 7. Juli, so fügte er hinzu, ‚soll daran erinnern, was es heißt britisch zu sein.“10 (Kundnani, 2007, S. 26-27)

Die Kritik am Multikulturalismus, wie sie in den politischen und medialen Debatten Großbritanniens geführt wird, findet sich, wie bereits oben angeklungen ist, auch in anderen Ländern Europas. Der britische Diskurs ist deshalb besonders interessant, weil Großbritannien als einziger europäischer Nationalstaat Multikulturalismus als politische Leitlinie etablierte und in dieser Hinsicht den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien näher steht als die kontinentaleuropäischen Länder. Die Argumente für eine Forderung nach „Integration“ sind trotzdem vergleichbar mit denen in anderen europäischen Ländern. So wird der politische Multikulturalismus für gesellschaftliche Segregation verantwortlich gemacht, wobei diese häufig einseitig – als Selbstsegregation der „zu integrierenden“ Minderheit – wahrgenommen wird (Kundnani, 2007, S. 27). Eine Reaktion auf die Konflikte in den nordenglischen Städten waren politische Programme zur Stärkung des Zusammenhalts der Communities (community cohesion) und zu einer Verstärkung der Interaktion zwischen

10 Roy Jenkins war ein britischer Labour-Politiker. Trevor Philips hat die aktuellen medialen und politischen Debatten um Multikulturalismus zunächst als Labour Politiker und seit 2003 für die Commission for Racial Equality und später die Equality and Human Rights Commission maßgeblich geprägt. Von Kritiker_innen wurde ihm wiederholt ein Rechtsruck vorgeworfen.

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unterschiedlichen Communities. Bedeutungszuschreibungen und Strategien zur Förderung von community cohesion haben seither einen wichtigen Stellenwert innerhalb der britischen Politik, im Bereich der sozialen Arbeit und in den Sozialwissenschaften eingenommen. Folgt man dem Stadtsoziologen David Robinson ist der Begriff erst mit den Ereignissen vom Sommer 2001 zu einem Referenzpunkt für politische Entscheidungsträger_innen geworden. Dabei enthält das Konzept unterschiedliche Implikationen: Während das Konzept der community cohesion zum einen der Erklärung sozialer Konflikte dient, bildet es andererseits einen Ausgangspunkt für politische Maßnahmen zu deren Bekämpfung (Robinson, 2008, S. 15). Ein für politische Programme äußerst wirkungsmächtiger Beitrag zu diesem Thema, in dem die von Kundnani kritisierte Perspektive deutlich wird, ist der so genannte „Cantle Report“ (Cantle, 2001). Unter Federführung des britischen Innenministeriums analysierte das Community Cohesion Review Team (CCRT) in diesem Bericht die Ursachen der Konflikte in Bradford, Oldham und Burnley. Die Autor_innen befassen sich in einem eigenen Kapitel mit community cohesion und liefern eine Definition des Konzeptes, die auch in sozialwissenschaftlichen Arbeiten diskutiert wird (Flint & Robinson, 2008, S. 2-6). Die Förderung von community cohesion dient aus Sicht der Autor_innen dazu, gesellschaftlichen Ausschluss zu bekämpfen (Cantle, 2001, S. 13). Zusammenhalt wird im Cantle Report auf fünf unterschiedliche Dimensionen bezogen: gemeinsame Werte und bürgerliche Kultur (common values and civic culture), soziale Ordnung und soziale Kontrolle (social order and social control), gesellschaftliche Solidarität und die Reduzierung von Vermögensungleichheiten (social solidarity and reduction of wealth disparities), soziale Netzwerke und soziales Kapital (social networks and social capital), Ortsbindung und Identität (place attachment and identity). Das Programm ist in der Tendenz politisch konservativ angelegt. Das wird deutlich, wenn man die mit dem Aspekt social order and social control assoziierten Zustände in den Blick nimmt. So wird hier zwar Toleranz und die Anerkennung von Differenz genannt, zugleich wird sozialer Zusammenhalt mit einer Abwesenheit von Bedrohungen für die existierende Ordnung übersetzt. Auf diese Weise bekommt community cohesion eine Bedeutung auf nationalstaatlicher Ebene. Es geht bei dem Konzept nicht einfach um ein friedliches Zusammenleben, sondern um die Unterstützung existierender Gesellschaftsstrukturen und Herrschaftsverhältnisse. Der

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Punkt „gemeinsame Werte und bürgerliche Kultur“ (common values and civic culture) nimmt dies mit der Forderung nach der Unterstützung politischer Institutionen auf und deutet weiterhin die rhetorische Abkehr von multikulturellen Politiken an: Gemeinsame Zielsetzungen, Wertvorstellungen und Verhaltenskodexe werden hier als grundlegende Bedingungen eines erfolgreichen Zusammenlebens betrachtet. (Cantle, 2001, S. 13). Die Förderung von community cohesion dient in der Definition aus dem Cantle Report als Grundlage für eine Gesellschaft die möglichst frei von Konflikten ist. Es kann zusammenfassend festgestellt werden, dass ein angenommenes Fehlen von community cohesion in drei unterschiedlichen, aber zueinander in Bezug stehenden Debatten, eine Schlüsselposition in der Argumentation der britischen Regierung einnimmt: Es dient der Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit. Dabei werden Unterschiede in den Besitzverhältnissen thematisiert. Allerdings wird soziale Segregation auch auf „Kultur“ oder „Religion“ bezogen. Das Beispiel der Auseinandersetzungen in verschiedenen nordenglischen Städten 2001 illustriert diese Tendenz. Multikulturelle Politiken werden in dieser Debatte scharf kritisiert und für soziale Segregation verantwortlich gemacht. „Integration“ wird zum politischen Ziel erklärt. Dieser „Integrationismus“ beinhaltet, folgt man Arun Kundnani (2007) und anderen Autor_innen, rassistische Tendenzen und steht mit neoliberalen Politiken in Verbindung (siehe auch: Burnett, 2008). Ein Fehlen von community cohesion wird – und das ist für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung – als Grundlage für Terrorismus angenommen. Der Cantle Report liefert eine im Wesentlichen politische Definition von community cohesion. Mit dem Vorschlag, den Begriff social cohesion anstelle von community cohesion zu verwenden, versuchen einige Autor_innen problematische Aspekte des Begriffes zu thematisierten, was auch teilweise gelingt11. So kritisieren Flint und Robinson, dass Tendenzen gesellschaftlicher Polarisierung in der Logik von community cohesion, nicht in dem Maße thematisiert werden können wie es aus ihrer Sicht notwendig erscheint:

11 Siehe insbesondere den Band: „Promoting social cohesion. Implications for policy and practice.“ von Ratcliffe und Newman (2011)

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„In diese Logik werden Bevölkerungsgruppen, die als ‚fremd‘ und ‚anders‘ bezeichnet werden, mitsamt den Vierteln, in denen sie leben, problematisiert, während die Aufmerksamkeit von der wachsenden räumlichen Polarisierung der Gesellschaft auf Basis von Einkommen und Klasse abgelenkt wird. […] Während die Medien von den Fronten der zerrütteten Gesellschaft berichten – typischerweise porträtiert als innenstädtische Stadtviertel und Siedlungen in der Peripherie – bleibt der Rückzug der Wohlhabenden in bewachte Wohnanlagen und die selbstgewählte Segregation der Mittelklasse in sozial einheitliche Zonen unhinterfragt.“ (Flint & Robinson, 2008, S. 2)

An dieser Stelle soll nicht diskutiert werden, inwieweit das Konzept social cohesion dazu dienen kann, diese Kritikpunkte umzusetzen. Dennoch ist festzuhalten, dass sowohl die politischen und medialen Debatten um community cohesion, als auch die damit verbundenen politische Programme, die Diskurse um Minderheitenpolitik maßgeblich geprägt haben. Der Diskurs um Zusammenhalt in der britischen Gesellschaft kann insofern nicht ohne weiteres von den Sicherheitsdiskursen getrennt betrachtet werden.

1.3 F ORSCHUNGSSTAND Diskurse um die Rolle von muslimischen Frauen im Rahmen der PreventStrategie bedienen sich unterschiedlicher Anknüpfungspunkte, die in dieser Arbeit untersucht werden. Eine Grundlage und ein mögliches Ergebnis von Prevent sind Frauengruppen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Prevent-Gelder nur von Organisationen und nicht von Einzelpersonen beantragt werden können (Home Office, 2011b). Organisierungsprozesse sind also eine Vorrausetzung, um Maßnahmen innerhalb dieses Programms durchführen zu können. Die Forschung gründet sich demnach auf Arbeiten, die den Aktivismus muslimischer Frauen untersuchen. Einen zweiten Strang von Arbeiten, auf die hier aufgebaut wird, bilden Studien zur Prevent-Strategie und zur Partizipation von Muslim_innen in Großbritannien. Hier wird das Programm oftmals im Hinblick auf die Wirksamkeit, im Hinblick auf die Zielsetzungen und auf mögliche Kritikpunkte untersucht. Im dritten Abschnitt werden Studien vorgestellt, die sich schwerpunktmäßig mit der Rolle muslimischer Frauen im Rahmen von Prevent auseinandersetzen.

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1.3.1 Muslimische Frauen, Aktivismus und die Aushandlung von Zugehörigkeit Um die Kategorie Geschlecht in den Fokus zu rücken und dabei besonders auf muslimische Frauen einzugehen, schließe ich an Debatten über den politischen Aktivismus muslimischer Frauen in Großbritannien an (Burlet & Reid, 1996; Werbner, 1996b). Religion ist in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Kategorie von Selbstpositionierung geworden (Dhaliwal, 2003) und hat an Sichtbarkeit gewonnen (Brah & Thomas, 2011). Diese Entwicklung beeinflusst das Verständnis von Feminismus und seiner Beziehung zum Säkularismus. Eine enge Verbindung zwischen feministischer Bewegung und Säkularismus wird zunehmend hinterfragt, während Religion als Mobilisierungsfaktor an Bedeutung gewinnt (Brah & Thomas, 2011). Die muslimischen Frauenorganisationen, die hier untersucht wurden, unterscheiden sich also von der Mehrzahl so genannter black and minority ethnic organisations (BME), die seit den 1970er Jahren entstanden. Viele der Frauenorganisationen, die sich seit dieser Zeit gegründet haben und Themen wie beispielsweise häusliche Gewalt aufgriffen, bezogen sich verstärkt auf Kategorien wie race, class und gender (Gupta, 2003). Seit den 1980iger Jahren werden die Möglichkeiten und Grenzen zur Selbstorganisation von Frauen in Bezug auf ihre gesellschaftliche Positionierung diskutiert. In diesen Debatten werden unter anderem Geschlecht, Ethnizität, Religion und Klasse im Hinblick auf ihre Verschränkungen und ihre Auswirkungen auf politische Teilhabe diskutiert (Anwar & Werbner, 1991; YuvalDavis & Anthias, 1989; Yuval-Davis & Werbner, 1999). Auf diese Weise ermöglichen die Autor_innen eine Analyse, die die Mehrdimensionalität sozialer Positionierungen einbezieht. Wichtige Arbeiten, die sich mit der Partizipation von Muslim_innen in Großbritannien befassen und dabei auch die Rolle muslimischer Frauen in den Blick nehmen, stammen von der Sozialanthropologin Pnina Werbner. Transnationale Solidaritäten und damit verbundene Mobilisierungsprozesse widersprechen sich aus Sicht der Autorin nicht, sondern können vielmehr eine Grundlage für aktive gesellschaftliche Teilhabe bilden. Dementsprechend plädiert die Autorin für eine Betrachtung von Muslim_innen als gesellschaftliche Bereicherung und ihrer Partizipation als Grundlage für neue Formen multikultureller Politiken (Werbner, 2000). Die Autorin befasste sich schon in den 1990er Jahren mit der Teilhabe von Muslim_innen in

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Großbritannien und untersucht ethnische Politiken vorwiegend auf lokaler Ebene. In ihren Arbeiten kritisiert sie unter anderem die Homogenisierung ethnischer Interessen im Zuge von Minderheitenpolitiken, die sie auch als Grundlage für Konflikte um Ressourcen und um Deutungsmacht betrachtet, die sich lokal manifestieren, zum Beispiel wenn es um die Frage der Repräsentation von Communities geht (Werbner, 1991). Geschlecht spielt hier eine wichtige Rolle, wie die Autorin in einem Aufsatz über den Aktivismus einer Frauengruppe in den 1990er Jahren zeigt (Werbner, 1996b). Kulturelle Konstruktionen von Weiblichkeit, insbesondere von Mutterschaft können – so die Autorin – wichtige Grundlagen für politischen Aktivismus und den Widerstand gegen Autoritäten bilden (Werbner, 1996a). Werbners Arbeiten verweisen auf Aspekte, die auch in der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen. Sie können ergänzt werden durch den Verweis auf zwei Aufsätze von Stacy Burlet und Helen Reid, die sich ebenfalls mit Geschlechterkonflikten innerhalb der Communities auseinandergesetzt haben (Burlet & Reid, 1996, 1998). Es fragt sich, welche Prozesse durch diese Kritiken von Frauengruppen und dem Infragestellen von männlich geprägten Repräsentationstrukturen in Gang gesetzt wurden und inwieweit sie bis heute eine Rolle spielen. Neuere Arbeiten, die sich mit muslimischen Frauen befassen, richten den Fokus unter anderem auf ihre Rolle innerhalb von Moscheen (Bano & Kalmbach, 2012) und den Repräsentationen von Musliminnen in den Medien und im Rahmen von politischen Diskursen (u.a.: Afshar, 2008; Ahmad, 2010a). Ihnen gemein ist, dass die Kontextualisierung häufig mit Bezugnahme auf transnationale Diskurse um den Islam geschieht. Haleh Afshar attestiert den Diskursen um muslimische Frauen, neue Formen des Orientalismus hervorzubringen (Afshar, 2008). Insofern können diese Arbeiten beispielsweise zu US- amerikanischen Studien in Bezug gesetzt werden, die sich mit den Repräsentationen muslimischer Frauen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auseinandersetzen und ebenfalls orientalistische Tendenzen erkennen (Riley, 2013; Zine, 2006, 2007). Robin Lee Riley geht in ihrer Studie über die transnationalen Diskurse um muslimische Frauen auf die Inhalte der sehr widersprüchlichen Bilder ein, die mit ihnen nach dem 11. September 2001 verbunden werden. Sie werden in den Erzählungen um Islamismus sowohl als Opfer westlicher Bomben oder muslimischer Männer als auch als potenzielle Mütter zukünftiger Terroristen und Gefahr dargestellt. Die Autorin schließt aus diesen Grenzziehungsprozessen, dass es darum geht, einen Feind zu konstruieren (Riley, 2013, S. 1-2).

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Ihre Studie verdeutlicht, welche Bilder die Erfahrungen muslimischer Frauen prägen. Jasmin Zine betrachtet die hier diskutierten Konstruktionen als grundlegenden Einfluss auf die feministische Praxis muslimischer Frauen: „In der Epoche nach dem 11. September navigieren muslimische Frauen sowohl zwischen rassifizierten als auch vergeschlechtlichten Politiken, die auf verschiedenartige Weise die Wege beschreiben, in denen ihre Körper und Identitäten mit Narrativen belegt, definiert und reguliert werden. Die Rhetorik der Befreiung muslimischer Frauen ist in dieser Dialektik angesiedelt. Auf der einen Seite stehen unübersehbare Unterstellungen von ideologischem Extremismus und auf der anderen Rassismus und Islamophobie. Die feministische Praxis muslimischer Frauen wird innerhalb und gegen diese diskursiven Terrains geprägt und definiert.“ (Zine, 2007: 27)

Dieser Einwand ist auch für den vorliegenden Zusammenhang bedeutsam. Er weist darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit einem Programm wie Prevent durchzogen ist von Diskursen um Zugehörigkeit, die mit Geschlechterzuschreibungen einhergehen. Weiterhin knüpfe ich in der vorliegenden Arbeit an Studien an, die sich mit den Identitätskonstruktionen muslimischer Frauen befassen. Im Gegensatz zu den genannten Studien, die Diskurse um muslimische Frauen untersuchen, beziehen sich Forschungen innerhalb dieses Feldes stärker auf die Kategorie british als Zuschreibung (u.a.: Brown, 2006; Dwyer, 1999, 2000). Das hängt zum einen mit den Unterschieden im methodischen Vorgehen zusammen, da oftmals mit Interviews gearbeitet wird. Andererseits kann die Selbstbeschreibung als muslimische Frau auch der Aneignung von politischer und rechtlicher Handlungsmacht einhergehen und somit an nationalstaatliche Zuschreibungen gebunden sein (Brown, 2006). 1.3.2 Die Prevent-Strategie Prevent-Maßnahmen, die im Rahmen sozialer Arbeit oder politischer Kampagnen mit Muslim_innen arbeiten, werden in der Literatur meist als „Prevent“ oder als „Preventing Violent Extremism“ (PVE) diskutiert (Thomas, 2010, S. 443). Studien zu Prevent beziehen sich in der Regel auf zwei grundlegende Themen: Zum einen geht es darum, den Erfolg des Programms in Bezug auf das selbstgesteckte Ziel „Terrorismus“ zu verhindern, zu messen. Andererseits wird die Konzeption und die Ansprache von Mus-

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lim_innen im Rahmen des Programms kritisch hinterfragt (Birt, 2009; Kundnani, 2009, 2011; Thomas, 2010, 2012; Turley, 2009). Die Art der Umsetzung, die Mittelverteilung und die alleinige Konzentration auf Muslim_innen als Zielgruppe von Prevent wurde von unterschiedlichen Beobachter_innen kritisiert (u.a. O’Toole; Modood et al., 2013; Thomas, 2010; Turley, 2009). Auch Behörden, die für die Umsetzung auf lokaler Ebene verantwortlich waren, warnten vor Konflikten, die aus ihrer Sicht aus einer mit Prevent einhergehenden Stigmatisierung von Muslim_innen oder ungleichen Mittelzuweisungen resultieren könnten. In der Folge wurden die Strategie in Städten wie Bradford oder Leicester nur in veränderter Form und unter anderem Namen implementiert (Bradford siehe: House of Commons, 2010, S. Ev 16; Leicester siehe: O’Toole; Modood et al., 2013). Arun Kundnani liefert mit „Spooked. How not to Prevent Violent Extremism“ (Kundnani, 2009) eine Studie, in der die Umsetzung und Konzeptionierung von Prevent umfassend kritisiert wird. Der Autor identifiziert die Trennung zwischen „moderaten“ und „extremistischen“ Muslim_innen als Kernaspekt und Grundlage für die Arbeit im Rahmen der Strategie. Nach Auffassung des Autors handelt es sich um einen wesentlichen Aspekt des politischen Umgangs mit Muslim_innen in Großbritannien. Während der Kampf gegen den Terrorismus in den ersten Jahren vorwiegend militärisch geführt wurde, sieht der Autor einen Wandel der im „Hearts and Minds“ Ansatz (DCLG, 2007c) der Strategie zum Ausdruck kommt. Zentrum dieses Ansatzes ist der Kampf um Wertvorstellungen, die als Dichotomie erscheinen: „Moderate“ Muslim_innen werden als potenzielle Partner_innen des Staates betrachtet, während „extremistische“ Ideen bekämpft werden sollen (Kundnani, 2009, S. 35-39). Die damit verbundenen Maßnahmen hält der Autor in vielen Bereichen für problematisch, wobei besonders seine Kritik am Fokus der Strategie auf Communities hervorsticht. So plädiert er dafür, Muslim_innen als Bürger_innen anzusprechen, ihre Perspektiven auf das Thema gleichwertig zu behandeln und Ausgrenzung auf diese Weise zu vermeiden (Kundnani, 2009, S. 41). Die Neuausrichtung von Prevent im Jahre 2011 hat diese Probleme aus Sicht des Autors nicht gelöst. Einer der am meisten kritisierten Teile der Strategie ist das „Channel Project“, in dem es um die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen geht. Dies wurde in der Strategie von 2011 gestärkt. Kundnani betont außerdem, dass seitdem eine Ausweitung des Begriffs Radikalisierung stattgefunden hat.

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Von nun an gilt nicht mehr nur die Unterstützung von Gewalt, sondern eine Ablehnung „britischer Werte“ (British values) an sich als potenzielle Gefahr. Der Personenkreis derer, die in die Raster von Prevent fallen, weitet sich mit der Neuordnung der Strategie, so die Befürchtung des Autors, aus (Kundnani, 2011, S. 1). Neuere Studien konzentrieren sich auf die Veränderungen zwischen der alten und der neuen Strategie, aber auch auf die Frage, wie Teilhabe vor diesem Hintergrund realisiert wird. Zu Beginn des Jahres 2013 erschien die Studie „Taking Part. Muslim Participation in Contemporary Governance.“ (O’Toole, et al., 2013), die einen breiten Überblick über die Entwicklungen der Teilhabe von Muslim_innen in Großbritannien ermöglicht und die Prevent-Strategie thematisiert. Ausgehend von der These, dass die Lobbyarbeit muslimischer Organisationen zu einer Sichtbarmachung von Muslim_innen in der Öffentlichkeit geführt habe (O’Toole, et al., 2013, S. 6), wird untersucht, wie sich Muslim_innen innerhalb der letzten Jahre in politische Prozesse eingebracht haben und wie die britische Regierung umgekehrt mit ihnen zusammengearbeitet hat. Dabei wurde in erster Linie mit qualitativen Methoden gearbeitet: so wurden Interviews geführt, teilnehmende Beobachtungen und Dokumentanalysen genutzt (O’Toole, et al., 2013, S. 10). Die Autor_innen kommen unter anderem zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit von Staat und Muslim_innen in Großbritannien sich nicht auf Sicherheitsaspekte reduzieren ließe, wobei die Vermischung verschiedener Politikfelder12 im Zuge von Prevent zu Spannungen – u.a. zwischen unterschiedlichen staatlichen Akteur_innen – geführt habe (O’Toole, et al., 2013, S. 11). Weiterhin sei die Entwicklung der Repräsentationsstrukturen von Muslim_innen nicht vollkommen unkritisch zu bewerten: So habe die britische Regierung zwar eine Demokratisierung unterstützt, allerdings wurden auch Repräsentationsorgane eingeführt (u.a. die Muslim Women’s Advisory Group und das Sufi Muslim Council), deren Mitglieder zwar ein breites Wissen um das Feld besitzen würden, jedoch nicht notwendigerweise die Interessen größerer Bevölkerungsanteile spiegeln würden (N. O’Toole, et al., 2013, S. 12).

12 Die Autor_innen nennen hier: „equalities and diversity; partnerships with faith and inter-faith-based bodies for the pruposes of welfare and service delivery; and security and counter terrorism.“ (O'Toole et. al., 2013: 11).

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Ein Teil der Autor_innen der oben genannten Studie haben einen Beitrag zu einer Serie von Artikeln zur Prevent-Strategie beigetragen, die auf dem Onlineforum „Public Sprit“ des Centre for Ethnicity an der University of Bristol veröffentlich wurden.13 Sie tragen Kritikpunkte an Prevent zusammen und erneuern sie. Dabei wird auf die oben genannten lokalen Unterschiede in der Umsetzung des Programms (O’Toole; Modood et al., 2013) verwiesen. Daneben existieren in dieser Serie Artikel anderer namhafter Autor_innen zum Thema. So wird auch im Kontext der neuen PreventStrategie eine Verstärkung der Isolation muslimischer Communities ausgemacht, die sich aus den verstärkten Überwachungsmaßnahmen ergibt. Die Konstruktion einer potenziell verdächtigen Gruppe im Rahmen von Prevent ist nach Auffassung von Imran Awan nach 2011 weiterhin zu beobachten (Awan, 2013). Arshad Isanjee untermauert dieses Argument anhand eines Beispiels aus Birmingham und erläutert wie dort in Wohngebieten mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung auch besonders viele Kameras installiert wurden. Begründet wurde das Vorgehen, folgt man seinem Artikel, durch die Intention Terrorismus bekämpfen zu wollen. Der Autor spricht von einer „Stigmatisierung des muslimischen Raumes“ im Kontext von Prevent-Maßnahmen (Isakjee, 2013). Paul Thomas geht soweit, das Ende von Prevent zu fordern. Auch Korrekturen im Zuge der Neuordnung 2011 seien seiner Auffassung nicht ausreichend, um die grundlegenden Problemlagen, die dem Programm inne wohnen, zu lösen (Thomas, 2013). Im gleichen Forum beschreibt Maria Norris 2015 die durchaus beunruhigende Entwicklung, dass Informationen über die Strategie immer schwerer zugänglich gemacht werden. Im Kontakt mit lokalen Behörden im Rahmen der eigenen Forschungsarbeit wurden der Autorin, sogar banale Informationen zu den dafür zugänglichen Ressourcen und über Maßnahmen, wiederholt verweigert. Anders als es in den ersten Jahren von Prevent der Fall war, werden zunehmend Sicherheitsbedenken von Seiten der Behörden genannt, um diese Praxis zu begründen (Norris, 2015).

13 Informationen und Artikel finden sich unter: http://www.bristol.ac.uk/ethnicity/projects/publicspirit/ (31.1.2016)

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1.3.3 Muslimische Frauen und die Prevent-Strategie Der Umgang mit Geschlecht im Rahmen von PVE-Maßnahmen wird von den oben genannten Autor_innen nicht oder nur in Ansätzen thematisiert. Katherine Brown widmet sich der Dimension Geschlecht innerhalb von Prevent und den damit verbundenen Implikationen. In einem Beitrag, der ebenfalls auf dem Portal Publicspirit erschienen ist (Brown, 2013), verweist die Autorin wie Kundnani (siehe oben) auf eine Trennung zwischen moderat und extremistisch, die Prevent zu Grunde liegt und die aus ihrer Sicht mit spezifischen mit Geschlechterkonstruktionen einhergeht. Speziell für die Strategie vor 2011 attestiert sie eine dem Programm unterliegende Annahme, dass muslimische Frauen in Großbritannien einen moderaten Islam vertreten und die als anfällig für extremistische Ideen konstruierten Männer beeinflussen können. Obwohl diese Dichotomie nach 2011 nicht mehr existiere, sei Prevent dennoch zu kritisieren, da Frauen von nun an marginalisiert werden (Brown, 2013). Folgt man der Autorin, hat Prevent im Umgang mit muslimischen Frauen seit 2011 eher ihre Ausgrenzung verstärkt. Angesichts der oben beschriebenen Tendenzen einer Zunahme von muslimischen Frauenorganisationen seit Beginn des Jahrtausends fragt sich, wie diese Prozesse sich aus dem Blickwinkel der Organisationen darstellen und inwieweit die von Brown festgestellte Marginalisierung auch mit bewussten Abgrenzungsprozessen in Bezug auf Antiterrormaßnahmen zusammenhängt. Die Konstruktion einer Gruppe als besonders förderungswürdig geht einher mit homogenisierenden Tendenzen. Dieser Aspekt wird besonders von der Religionswissenschaftlerin Sophie Gilliat-Ray stark gemacht. Sie problematisiert in ihrem Buch über Muslim_innen in Großbritannien (2010) sowohl die Intentionen des Programms als auch die fehlende Berücksichtigung von Ungleichheiten. Ein Empowerment von Frauen, das nicht dem Selbstzweck dient, sondern aus sicherheitspolitischen Erwägungen geschieht, hält sie für kritikwürdig (Gilliat-Ray, 2010, S. 221). In einer Studie des Center for Human Rights and Global Justice (CHR&GJ, 2012) der New York University wird die Rolle von Geschlecht in der britischen Strategie im Vergleich zum US-amerikanischen Pendant in den Blick genommen. Die Forscher_innen kritisieren das Fehlen einer ausführlichen Auseinandersetzung mit Geschlecht im Kontext des so genannten „Krieg gegen den Terror“ (CHR&GJ, 2012, S. 1). Daraus leiten sie eine

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Notwendigkeit ab, dass Regierungen sich der Kategorie Geschlecht annehmen. In einer qualitativen Studie untersuchen sie die Parallelen und Unterschiede im Umgang mit Geschlecht anhand eines Vergleiches der beiden britischen Prevent-Strategien im Kontrast zum U.S.-Pendant „Empowering Local Partners“ (White House, 2011). Obwohl bestimmte Grundannahmen über muslimische Frauen, wie die Rolle in der Familie (CHR&GJ, 2012, S. 4) benannt werden, bleibt die Kritik an den damit verbundenen Stereotypen implizit. Ebenso wenig wird die Intention des Staates, der muslimische Frauen in erster Linie als Helferinnen im Kampf gegen Terrorismus betrachtet, in dieser Studie kritisch in den Blick genommen, so dass hier Forschungsbedarf besteht.

1.4 F RAGESTELLUNG Die in den letzten Abschnitten skizzierten Forschungen über die PreventStrategie zeichnen sich in der Mehrzahl durch eine kritische Haltung zu den Wirkungsweisen des Programmes aus. Obwohl die Tendenz der Stigmatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe von unterschiedlichen Autor_innen benannt wird, werden damit verbundene Aushandlungsprozesse von Zugehörigkeit nicht umfassend thematisiert. In dieser Arbeit wird diese Verbindung zwischen Antiterrormaßnahmen und der Aushandlung von Citizenship in ihrer Verknüpfung zu anderen Ebenen von Zugehörigkeit untersucht. Der Fokus richtet sich auf muslimische Frauen als der Gruppe, die einerseits zur erklärten Zielgruppe von Prevent-Maßnahmen wurde und andererseits in ihren Alltagserfahrungen und im Rahmen ihres politischen Aktivismus auf vielfältige und dynamische Weise durch die mit den oben skizzierten Debatten verbundenen Geschlechterkonstruktionen geprägt ist. Die der Arbeit zu Grunde liegende Frage habe ich wie folgt formuliert: Wie stellen sich Aushandlungsprozesse um Citizenship im Rahmen von Prevent dar und welche Konsequenzen ergeben sich im Hinblick auf die Wirkungsweisen der Strategie vor dem Hintergrund ihrer Zielsetzung, Radikalisierung zu verhindern? Die Erkundung der vielfältigen und dynamischen Formen von Aushandlungsprozessen um Citizenship legt es nahe, den Fokus auf die Subjektivie-

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rungsprozesse zu legen, mit denen sie in Verbindung stehen. Es geht also nicht in erster Linie darum, die Effizienz von Prevent oder damit verbundene Stigmatisierungsprozesse zu untersuchen. Vielmehr soll sie als Teil der Diskurse um Muslim_innen, Sicherheit und sozialen Zusammenhalt behandelt werden, in der sich spezifische Deutungsmuster der Positionierung von Muslim_innen und speziell von muslimischen Frauen in der britischen Gesellschaft kristallisieren und institutionell verankert werden. So soll gezeigt werden, wie im Rahmen von Prevent Zugehörigkeiten definiert, zugeschrieben, angeeignet und in den Dienst von Diskursen um Sicherheit, Gleichstellung und sozialen Zusammenhalt gestellt werden. Mit dieser Fragestellung verbunden sind unterschiedliche Schwerpunkte, die in jeweils eigenen Kapiteln untersucht werden. Um die Konstruktionen muslimischer Frauen als Angerufene aber auch als Akteurinnen im Spannungsfeld der skizzierten Diskurse thematisieren und auf Prevent beziehen zu können, werden Fremd- und Selbstzuschreibungen als dynamische Aspekte von Subjektivierungsprozessen untersucht. Es wurde bereits zuvor auf die Relevanz des Begriffes Empowerment für die Diskurse hingewiesen. An ihm lassen sich nicht nur die unterschiedlichen Zielsetzungen, die mit Prevent verbunden werden, illustrieren, sondern er weist generell darauf hin, dass das Programm als Regierungstechnik mit spezifischen Zielsetzungen zu verstehen ist. Daher wird das Konzept in den unterschiedlichen Kapiteln in Bezug auf seine theoretischen Implikationen und auf die Bedeutungszuschreibungen durch unterschiedliche Akteur_innen diskutiert. Ein weiterer Bereich betrifft die diskursiven Anschlüsse, die den Äußerungen zu Prevent und zum Aktivismus der nicht ausdrücklich mit dem Thema Sicherheit verbunden wird, zugrunde liegen. Sie können Aufschluss darüber geben, inwieweit die Diskurse um Muslim_innen in Großbritannien durch die Sicherheitsthematik durchzogen sind, welche Diskurse damit verbunden werden und was für Dynamiken das beinhaltet.

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1.5 AUFBAU

DER

ARBEIT

Der Aufbau der Arbeit orientiert sich an der oben formulierten Fragestellung und den damit in Verbindung stehenden Themenfeldern. Im nächsten Kapitel wird Citizenship im Hinblick auf die mit dem Konzept in Verbindung stehenden Formen von Zugehörigkeit diskutiert. Vor diesem Hintergrund werden unterschiedliche Konzeptionen von Citizenship vorgestellt, die die damit verbundenen Subjektivierungsprozesse in den Mittelpunkt stellen. Das Empowerment muslimischer Frauen wird in den genannten Debatten als zentrales Ziel von Maßnahmen genannt. Daher wird im folgenden Kapitel der theoretische Hintergrund der Debatten um Empowerment von Frauen diskutiert. Empowerment wird hier im Sinne Barbara Cruikshanks als technology of citizenship (Cruikshank, 1999) betrachtet. Es wird diskutiert, was das Konzept beinhaltet und welche theoretischen Hintergründe damit verbunden sind. Cruikshanks Ansatz eröffnet die Möglichkeit, die spezifischen Probleme des Empowerment-Ansatzes zu thematisieren. Da die Prevent Maßnahmen, um die es hier geht, die Zielgruppe nicht nur als Bürgerinnen, sondern darüber hinaus auch als Mitglieder von Communities und als muslimische Frauen ansprechen, ist die Aneignung von Citizenship im vorliegenden Kontext mit weiteren Dimensionen von Zugehörigkeit verknüpft, die ebenfalls diskutiert werden. In Kapitel 3 werden methodische und erkenntnistheoretische Überlegungen beschrieben, die dieser Forschung zu Grunde lagen. Insbesondere Vorannahmen aus dem Bereich feministischer Standpunkttheorien haben das Vorgehen der Datenerhebung und Auswertung geprägt und werden im Hinblick darauf reflektiert, um die Arbeit auf diese Weise zu kontextualisieren. Die Daten werden im zweiten Teil vorgestellt und der Prozess ihrer Erhebung beschrieben. Im letzten Abschnitt geht es um die Wissenssoziologische Diskursanalyse (Keller, 2005, 2007, 2011, 2012, 2014), die als Grundlage zur Auswertung der Daten herangezogen wurde. Sie wird begründet und die Operationalisierung im Zusammenhang mit der vorliegenden Fragestellung beschrieben. Dazu werden Grundlagen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse erläutert und relevante Begriffe diskutiert. In Kapitel 4 geht es um die Ansprache muslimischer Frauen im Rahmen der Prevent-Strategie. Die Entwicklung der Strategie in Hinblick auf die Art und Weise, wie muslimische Frauen darin vorkommen, wird nachgezeichnet. Dazu wird der Bericht „Preventing Extremism Together – Work-

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ing Groups“ (Home Office, 2005) als Grundlage späterer Maßnahmen analysiert. Die Entwicklungen des Programms werden bezogen auf den zeitlichen Ablauf und das Verhältnis von nationalen und lokalen Maßnahmen skizziert. Weiterhin werden zentrale Deutungsmuster muslimischer Frauen, wie sie sich in den Strategiepapieren wiederfinden, untersucht. Thema des 5. Kapitels ist die Entwicklung muslimischer Frauenorganisationen vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Debatten. Dabei stehen insbesondere die Arbeitsfelder und Selbstverortungen muslimischer Frauen im Zentrum. Sie bilden die Basis für eine Diskussion der Kategorie „British Muslim Woman“ und ihrer Anknüpfung an Diskurse, beispielsweise um Religion, die Zugehörigkeit zu Großbritannien und die Kategorie „Frau“ als Grundlage von Solidarität. Empowerment wird als wichtiges Thema muslimischer Frauenorganisationen benannt und im Hinblick auf damit verbundene Bedeutungszuschreibungen untersucht, um mögliche Parallelen zwischen den Diskursen von Frauenorganisationen und staatlichen Diskursen zu diskutieren. Darauf folgt in Kapitel 6 die Auswertung zur Thematisierung der Prevent-Strategie durch muslimische Frauenorganisationen. Die Positionierungen von Aktivistinnen und Organisationen in Bezug auf die Sicherheitsdiskurse zeigen, inwieweit Regierungsdiskurse angeeignet, kritisiert und problematisiert werden, und können so auf Prozesse gegenseitiger Vereinnahmung verweisen. Gleichzeitig lässt sich aufzeigen, wie Organisationen Strategien des Umgangs mit staatlichen Diskursen und den damit verbundenen Praktiken entwickeln und umsetzen. In diesem Zusammenhang wird auch das Interesse des Staates am Empowerment von muslimischen Frauen thematisiert und die Frage aufgeworfen, inwieweit staatliche Konzepte und das Verständnis von Empowerment, wie es durch die Frauenorganisationen artikuliert wird, vereinbar sind. Kapitel 7 bildet den Schlussteil der Arbeit. Neben einer Zusammenfassung der in Kapitel 4, 5 und 6 diskutierten Ergebnisse, werden Unterschiede in den Perspektiven auf Empowerment aufgegriffen und die Frage nach Möglichkeiten des Widerstandes aus Perspektive von Frauengruppen gestellt.

2. „Making Subjects into Citizens“1: Citizenship und Subjektivierung als Aushandlungsprozess

Eine Grundannahme der Studie besteht darin, dass die Prevent-Strategie nicht nur darauf abzielt, Sicherheit herzustellen, sondern dass hier implizit und explizit über Zugehörigkeit verhandelt wird. Das deutet sich in den Zielgruppen an, die das Programm anspricht und die Konstruktionen von Geschlecht, Alter, Klasse und Religion beinhalten. Daher soll die PreventStrategie einerseits als Regierungstechnik untersucht werden, die darauf abzielt, Bürger_innen zu erschaffen, indem gesellschaftliche Partizipation eingefordert, in Empowerment-Programmen gefördert und definiert wird. Andererseits werden die Positionierungen von Aktivistinnen und Frauenorganisationen als Akte, in denen Citizenship ausgeübt wird, und somit als Teil von Aushandlungsprozessen um Citizenship untersucht. In diesem Kapitel wird Citizenship dementsprechend als Aspekt neoliberaler Gouvernementalität und als Aushandlungsprozess diskutiert. Dabei liegt der Fokus auf den damit verbundenen Subjektivierungsprozessen. Diese Einschränkung kann den Vorwurf einbringen, dass zentrale Werke zum Thema ausgeblendet würden.2 Ich habe mich dennoch dafür entschieden, denn eine Fokussierung eröffnet die Möglichkeit, ausführlich zu diskutieren, wie Citizenship mit bestimmten Regierungstechniken verbunden ist. 1

Das Zitat lehnt sich an einen Satz aus dem ersten Kapitel des Buches „Acts of

2

Ein ausführlicher Überblick über das Konzept Citizenship inklusive seiner Im-

Citizenship“ von Engin Isin und Greg Nelsen an (E. Isin & Nelsen, 2008, S. 18). plikationen für Debatten um Gesellschaft, Wirtschaft und Politik findet sich u.a. in der Einführung von Isin und Turner (E. F. Isin & Turner, 2002).

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Das beinhaltet auch die Frage, auf welche Weise Zugehörigkeit und Partizipation konstruiert und für Diskurse um Regierung, inklusive der damit verbundenen Praktiken, nutzbar gemacht werden. Citizenship ist für mich nur eingeschränkt im Sinne eines administrativ zugewiesenen Status interessant. Da die Mehrzahl der Muslim_innen in Großbritannien aus den ehemaligen Kolonien eingewandert ist und formal die britische Staatsbürgerschaft besitzt, ist die Frage nach der Partizipation von Migrant_innen, die keinen solchen Aufenthaltsstatus besitzen, in diesem Kontext sekundär. Darüber hinaus würde sie den Rahmen der vorliegenden Forschung übersteigen. Im Zentrum steht demgegenüber wie die Zugehörigkeit trotz eines Passes Gegenstand permanenter Verhandlung ist und im Rahmen der aktuellen Diskurse um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt sowohl in Frage gestellt wird als auch durch Regierungstechniken hergestellt werden soll. Die subjektivierenden Wirkungen von Citizenship bedeuten nicht, dass sie in diesem Kontext die einzige relevante Kategorie von Selbst- und Fremdzuschreibungen ist. Auch die möglichen Verknüpfungen zu anderen Formen von Zugehörigkeit, wie sie im Rahmen der oben beschriebenen Subjektivierungsprozesse eine Rolle spielen, werden thematisiert. Zum einen ist die von Engin F. Isin herausgearbeitete Begrifflichkeit bedeutsam: Seine Konzepte der „Akteure“ (actors) und „Akten“ (acts) (E. Isin, 2009; E. Isin & Nelsen, 2008) legen den Fokus auf Aneignungsprozesse von Citizenship und ermöglichen so, die Positionierungen von Aktivist_innen zu untersuchen. Zum anderen betrachte ich die subjektivierende Wirkung so genannter technologies of citizenship (Cruikshank, 1999), Regierungstechniken, die dazu dienen sollen, Citizens zu erschaffen. Empowerment ist eine wichtige technology of citizenship, die auch im vorliegenden Kontext zum Tragen kommt und zweischneidig, sowohl in ihren Zielsetzungen, als auch in den Wirkungsweisen, ist. Die darin enthaltenen Ambivalenzen werden im Verlauf des Kapitels detaillierter diskutiert. Im letzten Teil sollen diese Überlegungen mit verschiedenen Ebenen von Selbst- und Fremdpositionierung innerhalb der Diskurse um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt in Verbindung gebracht werden. Das Verhältnis von Citizenship und Community wird näher beleuchtet, ebenso wie die Konstruktion muslimische Frauen und die damit verbundenen Implikationen. Die hier untersuchten Maßnahmen sind insofern Beispiele für politics of belonging (Nira Yuval-Davis, 2011), die sich nicht ohne weiteres von den hier untersuchten Diskursen trennen lassen und die Diskurse um Prevent, ebenso wie das

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Diskursfeld „Sicherheit und sozialer Zusammenhalt“ stark beeinflussen können. Das Konzept Citizenship bildet eine Klammer unter der Fragen nach Zugehörigkeit, aber auch Prozesse der Gouvernementalisierung gesellschaftlicher Bereiche diskutiert werden können. Dabei geht es an dieser Stelle nicht um eine erschöpfende Diskussion sozialwissenschaftlicher Debatten um Citizenship, sondern vielmehr darum, das Konzept im Hinblick auf die Frage dessen, wie die damit verbundenen Dynamiken von Zugehörigkeit und Abgrenzung mit Diskursen um Regierung und damit verbundenen Praxen in Verbindung stehen.

2.1 N EOLIBERALE G OUVERNEMENTALITÄT , C ITIZENSHIP UND S UBJEKTIVIERUNG In seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität hat Michel Foucault Ende der 1970er Jahre (Foucault, 2006a, 2006b) ein Konzept entwickelt, das speziell seit den 1990er Jahren von unterschiedlichen Autor_innen aufgegriffen, weiterentwickelt und für die Analysen aktueller Politiken nutzbar gemacht wurde (Bröckling, 2003a, 2003b; Cruikshank, 1999; Dean, 1995, 1999; Lemke, 2001). Gegenstände waren unter anderem der Diskurs um Sicherheit nach den Anschlägen vom September 2001 (Lemons, 2004), Dynamiken von Einflüssen gouvernementaler Interventionen auf den politischen und gesellschaftlichen Aktivismus auf lokaler Ebene (Kwon, 2013; Shaw, 2012) und soziale Bewegungen (Baumgarten & Ullrich, 2012). Gouvernementalität umfasst eine Reihe von unterschiedlichen Prozessen, die im Zusammenhang mit historisch zu verortenden Diskursen um Souveränität, die Legitimation und die Praxis von Regierung stehen. Foucault setzt sich in seinen Vorlesungen zur „Geschichte der Gouvernementalität“ (Foucault, 2006a, 2006b) mit der historischen Entwicklung von Herrschaft seit dem Mittelalter auseinander und analysiert die Art und Weise, wie Regierung sich in dieser Zeit verändert hat und unter welchen Bedingungen sie ausgeübt werden kann. Entgegen einer politischen Theorie, die Souveränität als Problem begreift, das sich in erster Linie für Monarchien stellt, argumentiert er für eine Betrachtung der Veränderungen, die durch die Entstehung von Nationalstaaten in Europa in Bezug auf das Verhältnis von Staat und den Menschen, die innerhalb eines Territoriums le-

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ben, entstehen (Foucault, 2006b, S. 141-159).3 Foucault sieht eine Verknüpfung zwischen Ökonomie und Politik, die im Zuge der historischen Entwicklung der Diskurse um Regierung stattfindet. Diese Verknüpfung – und damit auch eine besondere Bedeutung ökonomischer Rationalitäten und Fragestellungen im Rahmen politischer Prozesse – ist ein wesentlicher Aspekt „gouvernementaler Vernunft“ (Foucault, 2006a, S. 56). Im aktuellen gesellschaftlichen Kontext ist insbesondere die Analyse neoliberaler Gouvernementalität zentral, die im Rahmen der Gouvernementalitätsforschung in den vergangenen Jahren weiterentwickelt wurde. So behandelten Studien unter anderem Anstrengungen zum Empowerment von Bevölkerungsgruppen (Bröckling, 2003b; Cruikshank, 1999), Arbeitslosigkeit (Dean, 1995; Pühl, 2003; Rau, 2005), Wellness (Duttweiler, 2005) oder Sicherheit (Lemons, 2004). Ihnen gemein ist die Kritik an einer „Ökonomisierung des Sozialen“ (Lessenich, 2003, S. 80), die mit der Betonung der Eigenverantwortung von Individuen einhergeht. Diese Logik führe dazu, dass die Produktion von Ungleichheiten auf struktureller Ebene in den Hintergrund rückt, was unter anderem eine Depolitisierung sozialer Ungleichheitslagen zur Folge hat (insb. Pühl, 2003). Ein zentraler Aspekt in der Abgrenzung eines neoliberalem gouvernementalem Staatsverständnisses zu anderen Formen der Regierung4 liegt in der Konzeption des Verhältnisses zwischen dem Souverän und seinen Untertanen bzw. dem Staat und seinen Bürger_innen.5 Die Unterschiede in den Verhältnissen zueinander haben unter anderem die Folge, dass Diskurse um Zugehörigkeit und Partizipation

3

In der vierten Vorlesung aus der o.g. Vorlesungsreihe zur „Geschichte der Gouvernementalität“ erläutert Foucault ausführlich die Aspekte, die diese Art der Regierung von der Souveränität der Fürst_innen früherer Jahrhunderte unterscheiden. Von Bedeutung (u.a. in Bezug auf die Legitimation von Macht) ist hier seiner Ansicht nach u.a. der Ort der Regierung (innerhalb oder außerhalb der Gesellschaft), die Veränderung in den Zielsetzungen (Erhaltung der Souveränität vs. Konzentration auf die Dinge die gelenkt werden) und deren „richtige Anordnung“ und damit die Einführung der Ökonomie im Sinne einer Verwaltung der Bevölkerung (Foucault, 2006b).

4

Hier stehen speziell die Entwicklungen der Diskurse um das Regieren seit dem

5

Die Unterschiede werden ausführlich bei Cruikshank (Cruikshank, 1999: 20ff.)

europäischen Mittelalter im Fokus (Foucault, 2006a; 2006b:141–159) diskutiert.

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vor dem Hintergrund gouvernementaler Regierungsweisen andere Implikationen transportieren, als es beim Verhältnis zwischen beispielsweise einem Fürsten und seinen Untertanen der Fall ist.6 Bürger_innen (citizens) und Untertan_innen stehen jedoch nicht in einem rein dichotomen Verhältnis zueinander, denn Citizenship kann aktiv gefördert werden und besitzt insofern prozesshaften Charakter. (Cruikshank, 1999, S. 20 ff.) In diesem Rahmen werden Bedingungen für politische Partizipation geschaffen und spezifische Subjektpositionen ausgehandelt. 2.1.1 Die Veränderung von Subjektivierungsstrukturen im Diskurs um das Regieren Es wurde bereits angedeutet, dass neoliberale Gouvernementalität eine Veränderung der Subjektivierungsstrukturen mit sich bringt. Die Ursache und Folge dieser Entwicklung ist, dass Selbstverantwortung verstärkt in den Mittelpunkt der Diskurse ums Regieren rückt. Direkte staatliche Kontrolle wird in diesem Zuge zunehmend durch Selbstkontrolle abgelöst und Regierung dadurch komplexer: Sie ist nicht mehr als reine Handlung eines abgrenz- und fassbaren Staates zu verstehen, sondern schafft Citizens, die im gleichen Zuge eingebunden werden. Dieser Prozess hat Folgen für die Subjektivierungsstrukturen, die im Folgenden diskutiert werden. In seiner Auseinandersetzung mit Foucaults Subjektbegriff verweist der Philosoph Robert Lembke darauf, dass das Subjekt in seiner Definition als „Untertan, das in immer schon bestehende gesellschaftliche Verhältnisse eingepasst werden muss und zu deren Erhaltung beizutragen hat“ (Lembke, 2005, S. 2), eng mit dem Begriff der Subjektivierung in Verbindung steht: „Einerseits wird (Anm.: der Begriff des Subjekts bei Foucault) als radikal anthropomorph ausgewiesen – es gibt keine transzendente Größe mehr, die als unvordenkliches Subjekt fungieren könnte –, andererseits wird er individualisiert […], indem er an die jeweiligen Einzelnen zurückgebunden wird. Subjekte sind nunmehr die Mitglieder eines politischen Gebildes, die in dessen immer schon bestehende Struk-

6

Die Unterschiede liegen u.a. in den Zielsetzungen von Regierung und den Beziehungen zwischen Herrschenden bzw. Regierenden zu den Menschen in einem Territorium. Eine ausführliche Diskussion findet sich in der 4. Vorlesung vom 1. Februar 1978 (Foucault, 2006b, S. 140 ff.)

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turen eingebunden werden müssen. Dieser konkret-soziologische Subjektbegriff geht einher mit einer radikalen Verzeitlichung: Weil das Subjekt als etwas begriffen wird, das sich durch Sozialisationsprozesse innerhalb eines selbst keineswegs stabilen politischen Zusammenhangs erst herausbildet, ist es vom Prozess seiner Konstituierung eigentlich nicht zu unterscheiden, ist nie endgültig fertig; darum verwendet Foucault zunehmend den Begriff der Subjektivierung, der das Prozesshafte, den beständigen Charakter des Werdens, besser zum Ausdruck bringt.“ (Lembke, 2005, S. 2)

Der Entwicklungsgedanke, der im Subjektivierungsbegriff enthalten ist, deutet ferner darauf, dass Subjekte als Produkte von Diskursen und somit dem Zusammenspiel von Wissen und Macht verstanden werden können (Hall, 2001; Spies, 2009). Anders als es die Begriffe auf den ersten Blick zu implizieren scheinen, schließen sich Unterwerfung und Freiheit dabei nicht aus, sondern sind Aspekte desselben Prozesses, in dessen Zentrum unterschiedliche Positionierungen im Diskurs ermöglicht oder verhindert werden. Diese Subjektpositionen artikulieren sich in Anrufungen7 und werden als solche angenommen. Sie sind demnach ein zentraler Bestandteil gesellschaftlicher Zuschreibungspraktiken. Die Nähe zwischen Subjekten und Subjektpositionen bedeutet allerdings nicht, dass es möglich ist, Subjekte auf die jeweiligen Positionierungen zu reduzieren. Im Gegenteil ist die Option, je nach Situation verschiedene (und das bedeutet auch: möglicherweise widersprüchliche) Subjektpositionen anzunehmen, konstitutiv für Subjektivierungsprozesse. Subjektpositionen sind also vielfältig und gleichzeitig weder unbegrenzt, noch frei wählbar (s.a.: Spies, 2009). Sie werden durch die mit ihnen verbundenen Diskurse und darin enthaltene Machtverhältnisse bestimmt, ohne diese auf strukturelle Ungleichheiten reduzieren zu können (Brah, 1996, S. 84 ff.). Subjekte dagegen sind mit unterschiedlichen Diskursen konfrontiert und über sie hinaus an außerdiskursive Ereignisse gebunden.

7

Zum Begriff der Anrufung ist auf Althussers Aufsatz „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ (Althusser, 1977) zu verweisen. Spies betont, dass Subjekte Subjektpositionen einnehmen, indem sie sich von diskursiven Ereignissen anrufen lassen (Spies, 2009).

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„Gewiss wirken Diskurse an der Subjektkonstitution mit, bieten ‚Subjektpositionen‘ an, tragen sie an menschliche Akteure heran. Doch stehen diese Akteure im Kreuzfeuer zahlreicher diskursiver Anrufungen; und viel wichtiger: Sie sind stets eingebettet in soziale Situationen und lebensweltliche Erfahrungen, in Empfinden, Erleben und Erleiden, durchlaufen Sozialisationsprozesse unterschiedlichster Art, sind gezwungen zu improvisieren, zu handeln, zu deuten, abzuwägen; finden sich in komplexen, schillernden, unübersehbaren Vorkommnissen wieder, mit denen sie sich handlungspragmatisch auseinandersetzen müssen. Nur in extremen Sonderfällen wird sich deswegen eine ‚gelebte‘ Subjektivierung eindeutig einem einzigen Diskurskontext zurechnen lassen, und selbst wenn dies gelingen sollte, ist sie eine Form der ‚Interpretation‘.“ (Keller, 2012, S. 69-70)

Subjektpositionen hängen demnach eng mit den Anrufungen zusammen, denen die Subjekte begegnen, so dass eine Untersuchung hier ansetzen kann. Anrufungsprozesse sind durch zwei Perspektiven geprägt – der des oder der Angerufenen und des- bzw. derjenigen der oder die anruft. Aus diesem Grund werden hier die Perspektiven unterschiedlicher Akteure im Diskurs um „Prevent“ einbezogen, um darüber das Spannungsfeld von Subjektpositionen zu erforschen. Kellers Einwand verweist weiterhin darauf, dass Subjekte spezifische und durchaus unterschiedliche Erfahrungshorizonte mit sich bringen. Diese prägen die Strategien, die sie wählen und somit die Subjektpositionen, die sie in bestimmten Situationen einnehmen wollen und können. Aus diesem Gedanken lässt sich ein mögliches Potenzial für die Veränderung von Subjektpositionen schließen, die sich aus den Diskursen selbst nicht immer erklären lässt. Die Veränderung der Subjektivierungsstrukturen schafft neue Rahmenbedingungen für soziale und politische Teilhabe und somit auch neue Subjektpositionen. Das bedeutet potenziell auch, dass neue Möglichkeiten der Vereinnahmung von Forderungen, Konzepten und politischen Ansätzen durch die neuen Interventionsmöglichkeiten entstehen. 2.1.2 Citizenship, Staat und Subjektivierung im historischen Kontext Die Ursprünge des Konzeptes Citizenship werden von vielen Autor_innen auf die griechische Antike zurückgeführt, in der volljährige Männer die

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Selbstverwaltung innerhalb der Polis ausübten. Es wird im Hinblick auf den Wandel des Verständnisses von Citizenship und die Konsequenzen für die Mitglieder des damit verbundenen politischen Gebildes diskutiert (Heater, 2004; E. Isin, 2002; Magnette, 2001). Citizenship wird historisch und in unterschiedlichen regionalen und politischen Kontexten auf unterschiedliche Weise gebraucht. Die Konzepte und Bedeutungszuschreibungen hängen deshalb eng mit den politischen Zielen und Hintergründen derer zusammen, die sie benutzen. Darüber hinaus können sie sowohl umstritten, als auch in sich widersprüchlich sein: „Definitionen von Citizenship sind politisch motiviert und in variierenden Graden in sich widersprüchlich (zum Beispiel individuelle Bürger_innenrechte versus kollektive Rechte) oder in Konkurrenz zueinander. Plant identifiziert die ‚klassischen/liberalen‘ und die ‚liberal/sozialdemokratischen‘ Ansätze als die einflussreichsten Modelle, die Citizenship in Britannien beeinflusst haben.“ (Storrie, 2004, S. 55)

Beide Konzeptionen seien marktwirtschaftlich ausgerichtet und erklären persönliche Freiheit zum Ideal. Folgt man dem Autor, besteht ihr wesentlicher Unterschied in der Bewertung staatlicher Interventionen: Während das „klassische“ Modell einen auf das Minimum reduzierten Staat bevorzugt und dementsprechend persönliche Verantwortung und active citizenship hervorhebt, wird staatliches Eingreifen in der sozialdemokratischen Variante als legitimes Mittel zur Korrektur sozio-ökonomischer Ungleichheiten angesehen (Storrie, 2004, S. 55). Trotz dieser Unterschiede prägen beide Ansätze die aktuellen Debatten um Citizenship und können in der Praxis nicht immer strikt getrennt werden. Bürger_innen unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht von Untertanen (Cruikshank, 1999, S. 19-28; Foucault, 2006b, S. 139ff). Hierbei geht es nicht nur um den Aspekt der Zugehörigkeit, der durch Papiere formalisiert wird, sondern ganz besonders um die Frage der Rechte und Pflichten und damit letztlich der eigenen Rolle im politischen Gefüge. Während Untertanen kaum Einflussmöglichkeiten besitzen, sind Staatsbürger_innen aufgefordert, aktiv an politischen Prozessen teilzuhaben und sie zu gestalten. Das bedeutet, es gibt bestimmte (wenn auch z.B. durch Wahlen reglementierte) Formen von aktiver Teilhabe an Gesetzgebung und öffentlichen Entscheidungen. Die Legitimation geht dann nicht mehr von Gott (verkörpert durch den Souverän) aus, sondern

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von der Bevölkerung selber, womit ein grundlegender Wandel in den Prozessen von Subjektivierung markiert ist: Das Individuum gerät in den Blickpunkt des Interesses. Der Soziologe Jean Claude Kaufmann betont in seiner Auseinandersetzung mit dem Konzept des Individuums, dass dieses an einen spezifischen historischen Kontext gebunden und nicht getrennt werden könne von der Entstehung moderner Nationalstaaten (Kaufmann, 2005, S. 64). Folge man dem Historiker und Philosophen Marcel Gauchet, beginne der Staat zum Ende des 16. Jahrhunderts damit, die soziale Kontrolle zu verschärfen und auf diese Weise eine neue Bedeutung zu erlangen. Im europäischen Kontext biete dies die Grundlage dafür, dass „der Staat die soziale Bindung an sich reißt, ein Zeichen der Geburt des modernen Staates, denn in dieser Operation entfaltet sich erst der Begriff des Staates“ (Gauchet, 2002; in: Kaufmann, 2005, S. 64).

Für Kaufmann sind Subjektivierungsprozesse gesellschaftlich verankert (Kaufmann, 2005, S. 78) und in ihrer spezifischen Ausrichtung untrennbar von Prozessen staatlicher Bürokratisierung zu verstehen. Gleichzeitig manifestiert sich im Staat: „ein politischer Wille, die Gesellschaft zu organisieren, die Identitäten in ihren Schranken zu halten 8, hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung der Personen mit anderen Mitteln etwas herzustellen, das der Integration in die Gemeinschaft von einst gleichkommt.“ (Kaufmann, 2005, S. 65)

Dieser Prozess, so Kaufmann, ist verbunden mit einer Auflösung der Gemeinschaften, die bis dahin das Leben der Menschen bestimmten, und führt dazu, dass das Individuum sich verstärkt als Subjekt konstituiert

8

Die Auseinandersetzung mit dem Identitätsbegriff bildet den Kern von Kaufmanns Studie. Dieser ist aus Sicht des Autors nicht zu trennen von staatlicher Bürokratisierung. Die Formulierung, dass Identitäten durch den Staat „in ihren Schranken“ gehalten werden, illustriert Kaufmann an konkreten Beispielen. So nennt er die Einführung von Ausweispapieren (Carte d’identité) und die damit verbundene Zuweisung nationaler Bezugspunkte als Beispiel für moderne Praxen staatlicher Intervention (Kaufmann, 2005, S. 24). Sie sind ausschlaggebend für Subjektivierungsprozesse.

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(Kaufmann, 2005, S. 64). Kaufmann untersucht diese Fragen vorwiegend am Beispiel Frankreichs. Ähnliche Prozesse finden sich allerdings auch in Großbritannien und speziell im Norden Englands, wo die industrielle Revolution massive Verstädterungsprozesse auslöst und auf diese Weise neue Gemeinschaften und Identifikationen schafft. Der Autor lässt außer Acht, dass die Kategorie „Klasse“ mit diesen Prozessen sehr stark in den Mittelpunkt rückte und für die Arbeiterinnen sicherlich oftmals bedeutender war als die Identifikation über Citizenship. Er zeigt allerdings auf, wie mit diesen Entwicklungen die Grundlagen für Diskurse um Citizenship und Zugehörigkeit gelegt werden. Dabei ist die Verbindung zur Nation als „vorgestellter Gemeinschaft“ (Anderson, 1996) zu ziehen, die bis heute Einfluss auf den Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten besitzt. Citizenship ist eng mit dieser Frage sozialer Bindung verbunden, die anders strukturiert ist, als das in anderen Formen der Zugehörigkeit der Fall ist. In dem Moment, in dem der Nationalstaat als „vorgestellte Gemeinschaft“ („imagined community“) (Anderson, 1996) ein zentraler Identfikationsrahmen für seine Bürger_innen und Teilhabe am politischen Geschehen als integrativer Faktor verstanden wird, entsteht auch die Notwendigkeit, die Bedingungen für die Teilhabe auszuhandeln. Ein Beispiel für Techniken, die in diesem Zusammenhang entstehen, ist das verwaltungstechnische Zuweisen von (notwendigerweise vereinfachten) Identitäten in Form von Ausweispapieren, die der Klassifizierung von Bürger_innen dienen (Kaufmann, 2005, S. 24). Andere Beispiele sind Bevölkerungsstatistiken und Studien, die politischen Akteur_innen als Entscheidungsgrundlage dienen sollen und oftmals gesellschaftlich breit diskutiert werden (Supik, 2013).9 Citizenship, Nation und soziale Bindung hängen demnach eng zusammen. Politische Teilhabe stellt mit Aufkommen des neoliberalen Staates nicht mehr nur eine Möglichkeit dar, sondern wird zunehmend zur Pflicht. Das spiegelt sich ganz besonders im Konzept der active citizenship, wie es

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Das gilt speziell für den britischen Kontext, wie ein Blick in große Zeitungen wie den „Guardian“ und die gängigen Nachrichtensendungen zeigt. Statistiken sind hier sehr verbreitet, um soziale Sachverhalte zu beschreiben und ggf. zu problematisieren. Der „Guardian“ betreibt beispielsweise einen Blog, der lediglich dem Zweck dient, Statistiken wieder zu geben: http://www.theguardian.com/news/datablog (zuletzt abgerufen am 24.01.2014).

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in Großbritannien diskutiert wird und in die Debatten um die Teilhabe von Minderheiten und zum Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten Eingang gefunden hat (Symonds, 2010; Nira Yuval-Davis, 2011, S. 59ff). Im folgenden Abschnitt soll es in Abgrenzung zur s.g. activist citizenship (E. Isin, 2009) diskutiert werden. 2.1.3 Active vs. activist citizenship: Citizenship als Teilhabe an Regierung Idealtypisch betrachtet bedeutet die oben beschriebene neoliberale Rationalität einen grundlegenden Wandel im Verhältnis zwischen dem Staat und den Menschen. Staatsbürger_innen haben ein anderes Verhältnis zum Staat und sind aufgefordert zu partizipieren, das heißt an der alltäglichen Praxis des Regierens teilzuhaben (Nira Yuval-Davis, 2011, S. 46). Werbner betrachtet Citizenship demnach als Prozess, in dem Bedeutungszuschreibungen über Mitgliedschaft und Politik umkämpft sind: „Jenseits von individuellen Rechten kann Citizenship als historisch spezifische Verkörperung der legitimen Autorität einer politischen Gemeinschaft begriffen werden. Kämpfe um Citizenship sind folglich Kämpfe um die grundlegende Bedeutung von Politik und Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft.“ (Werbner, 1996a)

Das in Großbritanniens politischen Debatten populäre Konzept der active citizenship wird von Werbner in dem zitierten Aufsatz verwendet, in den darauf folgenden Jahren jedoch von unterschiedlichen Seiten kritisiert (u.a. Symonds, 2010). Es kann als extreme Form dieser Vorstellung betrachtet werden, da es aktive Partizipation einfordert, die über die Teilnahme an Wahlen und das Befolgen von Gesetzen hinausgeht. Yuval-Davis stellt fest, dass diese Konzeption gleichzeitig die Kritik am Wohlfahrtsstaat implementiert und dazu dient, dessen Rückzug zu legitimieren: „In Britannien wurde ‚der aktive Bürger‘ als Alternative zum Wohlfahrtsstaat vorgeschlagen, in dem ‚der Bürger‘ – konstruiert als ökonomisch erfolgreiches männliches Familienoberhaupt aus der Mittelklasse – seine Bürgerpflichten erfüllt, indem er überschüssiges Geld und Zeit ‚an die Community‘ weitergibt […]. In diesem Diskurs hört Citizenship deshalb auf, ein politischer Diskurs zu sein und wird zum freiwilligen Engagement in der Zivilgesellschaft, in der die sozialen Rechte der Armen,

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konstruiert als passive Bürger_innen, zumindest teilweise von Leistungsansprüchen in Almosen umgewandelt werden würden.“ (Nira Yuval-Davis, 1997, S. 84)

Auf diese Weise, so die Autorin im Folgenden, wird Citizenship nicht nur depolitisiert, sondern erhält eine hierarchische Note mit der Trennung von „aktiven“ und „passiven“ Bürger_innen, wobei letztere mit denjenigen in Verbindung gebracht werden, die insbesondere aus ökonomischen Gründen nicht die Möglichkeit der Teilhabe besitzen, während „aktive“ Bürger_innen, wie im Zitat beschrieben, eher der Mittelklasse zugeschrieben werden. Das in den folgenden Abschnitten als Regierungstechnik beschriebene Konzept des Empowerment korrespondiert mit dieser Vorstellung insofern, dass es sehr ähnliche Implikationen besitzt. Im Kontrast zu active citizenship steht Isins Konzept der activist citizenship, in dem Aneignungsprozesse von politischer Teilhabe in den Mittelpunkt gerückt werden. Yuval-Davis bringt die Foki und Themenfelder der activist citizens auf den Punkt: „Diese active citzens engagieren sich für unterschiedliche Bürger_innenrechte (citizenship rights), die oftmals die Grenzen zwischen Menschenrechten und Bürger_innenrechten (civil rights) transformieren. Sie setzen sich außerdem für neue zusätzliche Arten von Rechten ein wie ökologische, indigene und sexuelle. Wichtig ist, dass activist citizens nicht für ihre Rechte, die ihrer Gruppierung oder Kollektivität allein kämpfen; ihr Fokus des Engagements kann alles von der lokalen Nachbarschaft, national, regional oder global sein. Citizenship wird ‚in Wandel‘ versetzt (putting citizenship ‚in flux‘) und die Grenzen und Artikulationen von Rechten – und Pflichten – zwischen dem Staat und über den Staat hinaus werden verwischt.“ (Nira Yuval-Davis, 2011, S. 60)

Isins Ausgangspunkt liegt in der Auseinandersetzung mit globalen sozialen Prozessen, die die Arbeitsbedingungen verändern und Migrationsprozesse sowie Veränderungen in der ökonomischen und sozialen Struktur, sowohl auf lokaler Ebene als auch global, mit sich bringen. Sie führen dazu, dass neue Rechts- und Handlungssubjekte, Subjektivitäten und Identitäten entstehen. Im Rahmen dieser Prozesse verändert sich auch das Verständnis von Citizenship, das nicht mehr nur die Mitgliedschaft innerhalb eines Staates bezeichne, sondern zunehmend auf die Praxen, Rechte in unterschiedlichen nationalen und internationalen Arenen einzufordern, bezogen

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wird (E. Isin & Nelsen, 2008, S. 16). Citizenship bedeutet demnach in erster Linie weder den Besitz eines Passes, noch die in der Vorstellung des active citizen proklamierte Teilhabe. Vielmehr geht es darum, einen aktiven Part in politischen Aushandlungsprozessen zu spielen. Der Autor betrachtet Citizenship als spezifische Subjektposition, die nicht zwingend mit dem Status einhergehen muss. Die Grundbegriffe seiner Analyse von Citizenship sind Akteure (actors), Orte (sites), Maßstäbe (scales) und Akte (acts): „Die Akteure von Citizenship sind nicht notwendigerweise jene, die den Status besitzen. Wenn wir Citizenship als eine eingerichtete (instituted) Subjektposition verstehen, kann sie durch unterschiedliche Kategorien von Subjekten ausgeübt und inszeniert werden, darunter Fremde, Migrant_innen, Geflüchtete, Staaten, Gerichte und so weiter […]. Das Politische ist nicht auf ein bereits geschaffenes Territorium oder seine legalen ‚Untertanen‘ begrenzt: es geht immer über sie hinaus. Citizenship als Subjektivität stellt diese Konzeption des Politischen dar. Deshalb können die Akteure von Citizenship nicht im Vorfeld der Analyse eines gegebenen Ortes oder Maßstabes definiert werden […]. Die ‚sites‘ von Citizenship sind Felder der Auseinandersetzung, in denen bestimmte Themen, Interessen, Einsätze, ebenso wie Themen Konzepte und Objekte zusammenkommen. Die ‚scales‘ sind Bereiche der Anwendbarkeit, die diesen Feldern der Auseinandersetzung angemessen sind.“ (E. Isin, 2009, S. 370)

Sites und scales sind nicht immer deutlich voneinander trennbar. Das macht der Autor am Beispiel des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte deutlich, der gleichzeitig einen Ort für die Austragung von Rechtstreitigkeiten auf nationaler Ebene sein kann und damit den Maßstab, innerhalb dessen diese Konflikte ausgetragen werden, ausdehnt (E. Isin, 2009, S. 377). Übertragen auf den vorliegenden Zusammenhang ist die site also das diskursive Feld – der Diskurs um muslimische Frauen im Rahmen der Prevent-Strategie und in einem größeren Zusammenhang die Debatten um Sicherheit und Zugehörigkeit in Großbritannien. Der Anwendungsbereich (scale) Großbritannien als rechtliches Konstrukt und als Identifikationsrahmen auf den sich diese Aushandlungsprozesse beziehen. Diese Trennung ist in der Analyse der vorliegenden Diskurse nützlich, da darin deutlich wird, dass das diskursive Feld über den Rahmen Großbritannien hinausgeht und durch transnationale Debatten um den Islam und die Positio-

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nierung muslimischer Frauen in muslimischen und nicht-muslimischen Gesellschaften geprägt ist. Um strategische Positionierungen in den Fokus zu nehmen, stehen hier dennoch die acts of citizenship im Vordergrund. Aus Sicht von Isin entsteht Citizenship im Dialog und hängt zusammen mit Subjekten, deren Forderungen und damit verbundenen Differenzierungspraktiken. Akte müssen nicht immer auf den ersten Blick als politisch wahrgenommen werden, konstituieren jedoch neue Positionierungen, die auch das Gesamtgefüge verändern (E. Isin & Nelsen, 2008, S. 18). Der Autor diskutiert action und act als zwei Konzepte, die häufig gleichgesetzt werden, sich jedoch an wesentlichen Punkten unterscheiden. Beispielsweise benötigt action anders als act nicht notwendigerweise handelnde Akteure oder ist durch eine vorangegangene Entscheidung ausgelöst worden (E. Isin, 2009, S. 378).10 Acts of citizenship sind demnach als politische Praxen zu verstehen, die nicht routiniert erfolgen. Isin grenzt sie von sozialen Tätigkeiten wie wählen oder Steuern zahlen ab, indem er darauf verweist, dass sie Routinen durchbrechen (E. Isin, 2009, S. 379). Acts of citizenship beinhalten demnach ein subversives Potenzial. Sie stellen eine Möglichkeit dar, Subjektpositionen zu verändern und Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Insofern gehen sie nicht nur über active citizenship hinaus, sondern meinen etwas grundsätzlich anderes. Isins Ansatz eignet sich in besonderer Weise, um Aktivismus zu erforschen und die mit der Positionierung innerhalb eines Diskurses verbundenen Aushandlungsprozesse besser zu verstehen. Dabei liegt der Fokus tendenziell auf den Aktivist_innen. Um die Beziehungen zwischen staatlicher Intervention und Aktivismus ebenfalls einzubeziehen, wird im Folgenden das Konzept Empowerment, verstanden als Regierungstechnik, eingeführt.

2.2 E MPOWERMENT Eine Reihe von Maßnahmen, die im Rahmen der Prevent-Strategie durchgeführt wurden, zielen auf das Empowerment bestimmter Bevölkerungsgruppen – unter anderem muslimischer Frauen und Jugendlicher – ab.

10 Mit Bezug auf Robert Ware nennt der Autor sechs Bedingungen dafür, dass etwas als act bezeichnet wird. Dies und die ausführliche Diskussion der beiden Konzepte findet sich bei Isin 2008 (19 ff.) und 2009 (378 ff.).

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Ebenso findet sich der Begriff Empowerment an zentralen Stellen in den Texten und Aussagen von muslimischen Frauenorganisationen. Es bleibt in der Regel unklar, inwieweit die Vorstellung dessen, was Empowerment bedeutet, ähnlich ist und welche Unterschiede existieren. Was für Aneignungsprozesse können hier beobachtet werden und worin liegen sie begründet? Vor dem Hintergrund dieser Fragen soll das Konzept im Rahmen meiner Forschung genauer beleuchtet werden. Dabei wird auf Ansätze aus dem Bereich der Gouvernementalitätsstudien zurückgegriffen. Darauf aufbauend wird Empowerment als technology of citizenship (Cruikshank, 1999) dargestellt und die Bezüge zu Aushandlungsprozessen um Citizenship hergestellt. 2.2.1 Empowerment: Regierungstechnik zwischen Selbstermächtigung und Selbstregierung Aus Perspektive der Gouvernementalitätsstudien befindet sich das Konzept Empowerment in einem Spannungsfeld, da sich zwar Möglichkeiten zur Selbstermächtigung ergeben, die aber gleichzeitig reguliert und kanalisiert werden. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Empowerment aufgrund seiner Vieldeutigkeit sehr anschlussfähig ist. Bröckling beschreibt unterschiedliche Aspekte des Begriffes: „Empowerment hat […] eine deskriptive wie eine präskriptive Seite; es ist gleichermaßen Ziel, Mittel, Prozess und Ergebnis persönlicher wie sozialer Veränderungen. Der Terminus bezeichnet sowohl eine Wertorientierung, an der sich Handeln ausrichten soll, wie auch ein theoretisches Modell, um Veränderungsprozesse auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene zu beschreiben.“ (Bröckling, 2004, S. 55)

In seinem Zitat deutet der Autor bereits an, dass die Konzeption von Empowerment unterschiedliche Dimensionen beinhaltet und mit einem Potenzial zur Vereinnahmung des Begriffes einhergeht. Programme zum Empowerment von Bevölkerungsgruppen sind mit unterschiedlichen Interessenlagen und politischen Hintergründen kompatibel. Damit verbunden sind potenziell unterschiedliche Intentionen der Akteure, die Programme implementieren, entwickeln und/oder durchführen.

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„Die Linke setzte auf Empowerment, um politischen Widerstand zu mobilisieren; Konservative erhofften sich die Stärkung von Nachbarschaft, Familie und anderer Gemeinschaften, um so die Kluft zwischen Individuum und staatlichen ‚Megastrukturen‘ zu überbrücken; Liberale schließlich sahen Empowerment als eine Strategie, um soziale Konflikte zu befrieden und von staatlicher Unterstützung unabhängige, ökonomisch rationale Akteure hervorzubringen.“ (Bröckling, 2004, S. 56-57)

Empowerment erscheint aufgrund der Anschlussfähigkeit plausibel für sehr unterschiedliche Akteure11 (Bröckling, 2003b, S. 324) und kann in den oben genannten unterschiedlichen Konzeptionen von Citizenship, die im britischen Diskurs eine Rolle spielen, eine mehr oder weniger zentrale Rolle einnehmen. Mitchell Dean erklärt die Attraktivität des Konzeptes dadurch, dass Empowerment generell als Weg zu größeren Partizipationsmöglichkeiten betrachtet wird (Dean, 1999, S. 67). Aus der Perspektive demokratischer Regierungen ermöglichen die damit verbundenen Programme Verantwortung an die Bürger_innen zu delegieren und damit auf legitime Weise Tatkraft zu demonstrieren. Von Aktivist_innen und in der Sozialen Arbeit wird Empowerment als Mittel zur Selbstermächtigung verstanden (u.a. Stark, 1996). Diese verschiedenen Intentionen und das damit verbundene unterschiedliche Verständnis können in der Praxis, aber auch in der theoretischen Auseinandersetzung, mit dem Konzept Widersprüche erzeugen, beispielsweise, wenn Empowerment in erster Linie als Kritik gegenüber staatlichen Politiken verstanden wird oder wenn es – wie im vorliegenden Fall – ein Mittel darstellt, um andere Ziele (in diesem Falle die Herstellung von Sicherheit) zu erreichen. Sie bedeuten allerdings auch, dass Dynamiken gegenseitiger Vereinnahmung zu neuen Diskursformationen und Subjektpositionen führen können, da das Feld dessen, was in welchem Zusammenhang legitim gesagt werden kann, geöffnet wird. Empowerment kann insofern ebenso ein Teil von activist citizenship sein, wie es von staatlicher Seite nutzbar gemacht werden kann. Der Diskurs um Empowerment zeichnet sich dadurch aus, dass er die Betroffenen in dem Sinne homogenisiert, dass es ihnen – so die Annahme – an Macht fehle. Die Frage der tatsächlichen Veränderung von Machtver-

11 Der Autor nennt hier u.a. Bürger_inneninitiativen, Psychotherapeut_innen, Personalmanger, oder Entwicklungsprogramme großer internationaler Organisationen (Bröckling, 2004, S. 55).

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hältnissen ist dabei nicht zwingend das Ziel von Empowerment: So stellt die Trennung zwischen denen, die Macht haben und denen, denen es daran fehlt, eine Grundlage des Empowerment-Gedankens dar (Cruikshank, 1999, S. 70-72). Diese Dichotomie zwischen Machtlosigkeit und Macht weist darauf hin, dass der Empowerment-Gedanke Machtverhältnisse in sich trägt und reproduziert. Macht wird beim Empowerment als Ressource begriffen, die prinzipiell allen zugänglich ist, so dass im besten Falle gleichwertige Akteure miteinander interagieren (Bröckling, 2004, S. 57ff.). Durch diese Vorstellung wird das Konzept auch innerhalb neoliberaler Politiken attraktiv, denn beim Empowerment steht die individuelle Selbstverantwortung und nicht die Benennung und Veränderung struktureller Ungleichheiten im Mittelpunkt. 2.2.2 Empowerment als technology of citizenship Mitchell Dean weist in seiner Einführung in die Gouvernementalitätsstudien (Dean, 1999) auf Aspekte von Empowerment hin, die die oben skizzierte Anschlussfähigkeit des Konzeptes auf demokratische Diskurse um Partizipation beziehen. „Der Gedanke, dass Opfer sozialer Ungleichheiten und Diskriminierung, ökonomischer Deprivation und politischer Subordination ‚empowered‘ werden, ihren Status als Opfer abzustreifen und aktiv an der Transformation ihres Zustandes teilzunehmen […], knüpft an die partizipatorischen Aspekte demokratischer Traditionen an, bewahrt und radikalisiert gleichzeitig, die Betonung auf Autonomie und Selbstbestimmung, die in vielen Varianten des Liberalismus gefunden werden kann. Er legt nahe, dass der Wert politischer Vereinbarungen an dem Grad gemessen werden kann, in dem sie es allen Bürger_innen ermöglichen, an Entscheidungsprozessen teil zu haben.“ (Dean, 1999, S. 67)

Dean schreibt Empowerment hier eine normative Funktion zu, die im Kontext liberaler Konzeptionen von Citizenship besonders wirksam wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass es denjenigen, an die sich Programme zum Empowerment richten, an Vermögen fehlt, „vollständig“ zu partizipieren. Implizit wird suggeriert, dass ihre Entwicklung hin zu Bürger_innen noch nicht abgeschlossen sei. Dieses Paradox weist darauf hin, dass eine idealtypische Trennung zwischen Untertan_in und Bürger_in nur bedingt greift.

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Weiterhin weist es auf das oben beschriebene Machtverhältnis hin, dass dem Empowerment-Konzept zu Grunde liegt und das in der Trennung derjenigen besteht, die bereits „empowered“ sind von denjenigen, die sich im Prozess des Empowerment befinden. Ausgehend von einer Konzeption von Citizenship, die deren prozesshaften Charakter in den Vordergrund stellt (insb. Isin, 2009; Isin & Nelsen, 2008; Werbner, 1996a; Yuval-Davis, 2011; Yuval-Davis, Kannabiran, & Vieten, 2006; Yuval-Davis & Werbner, 1999), können Aushandlungsprozesse als genuiner Bestandteil von Citizenship verstanden werden. Programme zum Empowerment, wie sie hier untersucht werden, sind Instrumente und Ausdruck davon und spiegeln gesellschaftliche Diskurse um Zugehörigkeit. Die Politologin Barbara Cruikshank wendet sich mit ihrem Konzept der technologies of citizenship (Cruikshank, 1999) gegen eine Dichotomie von Untertan und Bürger_in. Sie begreift das Schaffen von Staatsbürger_innen innerhalb liberaler Demokratien als Prozess, der von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur_innen getragen wird: „Individuelle Subjekte werden über Prozesse in Bürger_innen transformiert, die ich technologies of citizenship nenne: Diskurse, Programme und anderen Taktiken, deren Ziel darin besteht, Individuen politisch aktiv zu machen und in die Lage zur Selbstregierung zu versetzen. Beispiele können eine Kampagne zur Organisierung der Nachbarschaft, ein Empowerment-Programm, Aufklärung über sicheren Geschlechtsverkehr, eine Unterkunft für misshandelte Frauen, soziale Dienstleistungen, die Selbsthilfe, Selbstversorgung oder Selbstbewusstsein fördern, oder eine radikaldemokratische Soziale Bewegung sein.“ (Cruikshank, 1999, S. 1-2)

Die Autorin schreibt diesen Prozess als doppelseitig, denn die Möglichkeiten für politische Aktivität werden zugleich geschaffen und kanalisiert. In ihrer Studie zu Programmen, die darauf abzielen, einkommensschwache Bevölkerungsgruppen in den USA zu empowern, untersucht die Autorin Empowerment als eine technology of citizenship. Sie dient dazu, Staatsbürger_innen zu „korrigieren“ (Cruikshank, 1999, S. 4) und ist ebenso wie die oben genannten Beispiele zur Stärkung von Teilhabe ein vorherrschender Bestandteil liberaler demokratischer Gesellschaften. Die Intention der „Hilfe zur Selbsthilfe“ arbeitet also in einer Logik, die es Subjekten ermöglicht, eine bestimmte Autonomie zu erlangen und politisch zu partizipieren, wird von Cruikshank jedoch als spezifische Form der Regierung identifiziert, die

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auf das freiwillige Befolgen von Regeln setzt. Staatsbürger_innen sind aus dieser Perspektive gleichzeitig Effekte und Instrumente liberaler Regierung (Cruikshank, 1999, S. 4). Cruikshank erklärt ihre Sympathie für radikale partizipatorische Demokratie, nimmt allerdings nicht an, dass die oben genannten Programme eine Lösung für soziale Ungleichheit im Sinne einer grundlegenden Veränderung von Machtverhältnissen bieten können (Cruikshank, 1999, S. 2). Dagegen steht aus meiner Sicht das Argument, dass die mit den Regierungstechniken verbundenen Veränderungen der Subjektivierungssstrukturen zu neuen Subjektpositionen führen können. Insofern ist eine Veränderung diskursiver Felder, Themen und Strukturen im Rahmen von EmpowermentProgrammen durchaus denkbar. In Abgrenzung zu Cruikshank argumentiere ich daher, die Perspektive auf Empowerment-Programme als Möglichkeit der Selbstermächtigung auf individueller Ebene und als Faktor zur Veränderung von Diskursfeldern nicht aus dem Blick zu verlieren und gleichzeitig ihre regulativen Effekte in die Analyse einzubeziehen. Diese Zweischneidigkeit ist besonders im vorliegenden Zusammenhang bedeutsam: Trifft staatlich initiiertes Empowerment auf den Bedarf nach Empowerment durch Selbstorganisierung, können die daraus resultierenden Widersprüche im Verständnis des Konzeptes, aber auch in den daraus folgenden Maßnahmen besonders deutlich hervortreten. Diskurse um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt in Großbritannien sind durchzogen von Narrativen, die mit dem Einschluss und der Abgrenzung von jeweils bestimmten Teilen der Bevölkerung zusammenhängen, mit angenommenen und konkreten Gefährdungslagen in Verbindung gebracht werden. In den hier untersuchten Programmen zum Empowerment von muslimischen Frauen sind diese Prozesse eingeschrieben. Erst wenn Verhandlungen über Zugehörigkeit in der Analyse als solche benannt und verstanden werden, kann auch nachvollzogen werden, wie bestimmte Subjektpositionen zustande kommen und Wirkungsmacht erlangen können. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die in dieser Studie untersuchten technologies of citizenship, die Bürger_innen nicht nur als solche ansprechen, sondern weitere Ebenen von Zugehörigkeit einbeziehen, die kontextabhängig unterschiedlich wirksam und miteinander verbunden, wenn auch nicht frei von Widersprüchen sind. In den folgenden Abschnitten werden die Ebenen diskutiert, die im vorliegenden Kontext besonders zentral sind.

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2.3 D IE AUSHANDLUNG VON C ITIZENSHIP : E BENEN VON Z UGEHÖRIGKEIT UND D IFFERENZIERUNG Neben der Möglichkeit, Rechte für sich zu beanspruchen und Konflikte auszutragen, werden über Citizenship Differenzstrukturen organisiert, wie Werbner und Yuval-Davis herausstellen. Sie betrachten Citizenship als soziales und politisches Konstrukt, das gleichzeitig den Raum zu politischer Auseinandersetzung öffnet und beschränkt: „Es ordnet Konflikt, kanalisiert und zähmt ihn; es benennt und klassifiziert kollektive Unterschiede; es bestimmt wie, wo und wann Unterschiedlichkeit legitim ‚repräsentiert‘ werden kann und wer als ‚anders‘ in der politischen Arena zählt, die selbst ein soziales Konstrukt ist. Citizenship definiert die Grenzen von staatlicher Macht und wo eine Zivilgesellschaft oder die private Sphäre freier Individuen beginnt.“ (Werbner & Yuval-Davis, 1996, S. 2)

Citizenship wird von den Autorinnen als voraussetzungsreich, prozesshaft und in Zusammenhang mit Prozessen von Differenzierung stehend, beschrieben. Sie geht insofern mit der Herstellung und Reproduktion sozialer Ungleichheiten einher und ist eng mit Machtverhältnissen verbunden. So erstaunt es nicht, dass Alltagsdefinitionen kultureller und politischer Eliten aus Sicht von Werbner und Yuval-Davis Einfluss auf das Verständnis des Konzeptes besitzen, wobei der Dialog und die sozialen und historischen Verhältnisse, in denen ihr eine Rolle zugeschrieben wird, im Vordergrund stehen. Die Annahmen darüber, wer als gesellschaftlich und kulturell zugehörig angesehen wird, schaffen unterschiedliche Praxen, Formen der Interaktion sowie institutionelle Arrangements und Vorstellungen über deren Zukunft (Werbner & Yuval-Davis, 1996, S. 3). Insofern ist Citizenship also als Prozess zu verstehen, der in vieler Hinsicht historisch, politisch und gesellschaftlich verortet ist, dabei jedoch den Blick auf die Gestaltung zukünftiger Prozesse richtet. Damit hängt das Konzept eng mit Subjektivitäten zusammen und bedeutet mehr als die formelle und institutionell bestätigte Zugehörigkeit zu einem Staat. Staatsbürger_innen sind nicht einfach Besitzer_innen eines Passes mit bestimmten Rechten und Pflichten, sondern ihr Status wird kontinuierlich gesellschaftlich verhandelt. Zugleich ist Citizenship historisch mit dem modernen Nati-

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onalstaat verknüpft, ohne dass die damit verbundenen Politiken und Zuschreibungen die Gleichen sind (Nira Yuval-Davis, 2011, S. 81). „Obwohl sie historisch innerhalb eines einzigen sozialen Feldes koexistieren, stand die offenkundige Betonung von Rationalität, Individualität und der Herrschaft des Gesetzes durch demokratische Citizenship in regelmäßiger Spannung und sogar im Gegensatz zu den nationalistischen Appellen an gemeinschaftliche Solidaritäten und primordiale Gefühle von Boden und Blut. […] Nationale Subjektivitäten sind in der Vergangenheit verwurzelt, in den Opfern nationaler Helden zu Gunsten des Überlebens der Gemeinschaft, in kollektiven Momenten der Freude, Trauer und extremer Gefahr, sogar der Niederlage.“ (Werbner & Yuval-Davis, 1996, S. 1-2)

Ein weitgehend homogen vorgestelltes Territorium spielt in Definitionen von Citizenship eine zentrale Rolle, trotzdem können unterschiedliche zugeschriebene Nationalitäten oder ethnische Gruppen einbezogen werden. Die Autorinnen weisen auf die Möglichkeit der Überschneidung von Kategorien der Selbst- und Fremdzuschreibung hin, die durchaus im Konflikt miteinander stehen können. Sie schlagen vor, Citizenship als vielschichtig zu begreifen und verweisen auf die Verbindung zur Zugehörigkeit zu (konkreten und vorgestellten) Gemeinschaften, die lokal oder regional angesiedelt sein können, aber auch den nationalen Kontext oder transnationale darüber hinausgehende politische Gemeinschaften beinhalten können. Darüber hinaus sei nationale Zugehörigkeit nicht notwendigerweise auf eine Nation beschränkt (Nira Yuval-Davis, 2011, S. 69). Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Dimensionen von Selbst- und Fremdzuschreibung im britischen Kontext ist auch Tariq Modoods Konzept der „Multikulturellen Citizenship“ (multicultural citizenship) zu verstehen. Der Autor fokussiert sich auf den Umgang mit Muslim_innen in westlichen Ländern und betrachtet seine Arbeit als Antwort auf damit verbundene aktuelle Kritiken am Multikulturalismus. Multikulturelle Citizenship fordert die Anerkennung von Differenzen aufgrund der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Gruppen: „Bei der Idee multikultureller Citizenship handelt es sich um eine Kritik an der kulturellen Assimilation, die Nationalstaaten traditionell von Migrant_innen und Minderheiten einfordern und am liberalen Individualismus, der keinen Raum für Gruppen hat. […] Multikulturelle Citizenship basiert auf der Idee, dass Bürger_innen in-

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dividuelle Rechte besitzen, diese aber nicht einheitlich sind, und ihre Citizenship ist umrissen durch spezifische Menschengruppen mit spezifischen Kulturen und Geschichten. Citizenship ist keine monistische Identität, die komplett von anderen Identitäten, die für Bürger_innen wichtig sind, getrennt werden kann oder diese transzendiert. Diese Gruppenidentitäten sind ständig präsent und jede Gruppe hat ein Recht darauf, Teil des zivilen Ganzen zu sein, für sich selbst und die Vision des Ganzen zu sprechen. Infolgedessen ist Citizenship ein kontinuierlicher Dialog.“ (Modood, 2010, S. 52-53).

Der Autor betrachtet Citizenship also nicht lediglich als rechtlichen Status oder identitätsstiftendes Moment. Vielmehr bedeutet sie – verstanden vor dem Hintergrund multikultureller Politiken – das Potenzial ihre eigenen Bedingungen zu verhandeln, ohne dabei auf einseitige Assimilation zu setzen (Modood, 2010, S. 54). Mit dieser Konzeptualisierung multikultureller Citizenship, die die Möglichkeit aktiver Gestaltung zu Grunde legt, geht es Modood anders als Werbner und Yuval-Davis nicht in erster Linie darum, Ungleichheiten in den Blickpunkt zu rücken. Vielmehr sollen daraus entstehende Möglichkeiten und Verhandlungsräume als solche benannt und damit letztlich eingefordert werden. Ein Beispiel für diese Prozesse können die oben diskutierten Akte von Citizenship (E. Isin, 2009; E. Isin & Nelsen, 2008) darstellen. Der Verweis auf die Öffnung von Verhandlungsräumen deutet auf damit verbundene Möglichkeiten, Subjektpositionen zu entwickeln. Gleichzeitig ist es denkbar, dass dies mit Vereinnahmungsprozessen einhergeht. So können Kategorien oder politische Forderungen, die von Aktivist_innen formuliert werden, in den Dienst staatlicher Projekte gestellt werden, die den ursprünglichen Zielen entgegenstehen, wie es in Abschnitt 2.2 am Beispiel des Konzeptes Empowerment diskutiert wurde. Das Aushandeln von Teilhabemöglichkeiten kann insofern sowohl Gefahren als auch Chancen für die jeweiligen politischen Zielsetzungen beinhalten. In den folgenden beiden Abschnitten werden Kategorien von Selbstund Fremdzuschreibung diskutiert, die für den vorliegenden Zusammenhang relevant sind. Obwohl technologies of citizenship als Regierungstechniken auf die Subjekte als Bürger_innen abzielen, sprechen sie diese nicht notwendigerweise als solche an. Die Ebenen von Selbst- und Fremdzuschreibung hängen eng mit gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Großbritannien zusammen, weshalb sie in den folgenden Abschnitten innerhalb dieses Zusammenhangs beschrieben werden. Vor diesem Hinter-

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grund können Kontinuitäten und Brüche innerhalb von Diskursen benannt und gedeutet werden. 2.3.1 Citizenship und Community – widersprüchliche Zugehörigkeiten Die Anschläge vom 7. Juli 2005 und die darauf folgenden politischen Auseinandersetzungen haben verdeutlicht, dass der Besitz eines Passes und die Sozialisation in einem Land nicht automatisch ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft erzeugen. Prevent zielt nicht in erster Linie auf individuelle Staatsbürger_innen ab, sondern behandelt diese als Teil von Communities – nämlich lokaler Communities bzw. als Teil einer Community – der Muslim_innen in Großbritannien. So ist die Community eine der Ebenen, auf denen die Zielgruppe von Prevent angesprochen wird. Sie kann zur Adressierung als Bürger_innen – insbesondere zu individualistischen Konzeptionen von Citizenship – im Widerspruch stehen. Das Konzept Community ist generell bedeutsam für das Verständnis von Minderheitenpolitik in Großbritannien. Wie bereits in der Einleitung ausgeführt wurde, war die britische Diskussion um den Umgang mit sozialen Konflikten in den vergangenen Jahren besonders auf den Zusammenhalt der Communities, die s.g. community cohesion gerichtet. Obwohl der Begriff Community in der Sozialpolitik im und in den gesellschaftlichen Debatten Großbritanniens also einen festen Platz einnimmt, ist seine Bestimmung weder eindeutig noch unumstritten (Plant, 1978, S. 79-80). Aus seiner Perspektive orientieren sich Besetzungen des Konzeptes an den politischen Hintergründen derer, die davon sprechen. Plant unterscheidet zwischen liberalen, konservativen und marxistischen Zugängen zum Konzept der Community, wie es in Großbritannien diskutiert wurde12(Plant, 1978, S. 106). Trotz der damit verbundenen Widersprüche ist ihnen eine Bedingung gemein, die allen Konzepten der Community zugrunde liegt und den Gedanken der Gemeinschaftlichkeit ins Zentrum rückt: „Allerdings wurde bereits argumentiert, dass Community nur existieren kann, wenn Menschen bestimmte Intentionen miteinander teilen, gegenseitig bestimmte Auffas-

12 Eine ausführliche Diskussion der unterschiedlichen Positionen findet sich in dem oben zitierten Aufsatz von Plant (Plant, 1978).

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sungen übereinander besitzen und sich in bestimmter Weise wertschätzen. Ein Gemeinschaftssinn (sense of community) kann nicht als Konsequenz einer Strategie hervorgebracht werden, die aus eigennützigen und nicht gemeinschaftlichen Gründen eingebracht wurde. […] weil Community teilweise eine Sache bestimmter angenommener Beziehungen zwischen Personen ist, sind die Intentionen, die diese Beziehungen hervorbringen, von entscheidender Bedeutung.“ (Plant, 1978, S. 105-106)

Mit der Bestimmung von Beziehungen, die auf emotionaler Verbundenheit beruhen, als konstitutives Element von Gemeinschaften folgt der Autor gängigen Definitionen von Gemeinschaft, insbesondere Max Webers Definition von Vergemeinschaftung (Weber, 1922, S. 22). Auch Benedict Anderson betont die Gemeinsamkeit und das Gefühl der Zugehörigkeit auf Basis von gefühlsmäßiger Bindung. Sie bildet einen Teilaspekt seiner Definition der Nation als „vorgestellter Gemeinschaft“. Verstanden als „ ‚kameradschaftlicher‘ Verbund von Gleichen“ werden allerdings auch Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse innerhalb dieser Gruppe ausgeblendet (Anderson, 1996, S. 17). So thematisieren Kritiker_innen an homogenisierenden Tendenzen im politischen Umgang mit Communities, die damit verbundene Konstitution von Machtverhältnissen (Werbner, 1991). Vor diesem Hintergrund fragt sich, auf welche Bezüge Communities im vorliegenden Kontext zurückgreifen, um die genannte emotionale Verbundenheit herzustellen. Anhand des folgenden Beispiels kann gezeigt werden, dass sie unterschiedlicher Art sein können. In einem Aufsatz zu Ethnizität in Großbritannien schreibt die Anthropologin Wenonah Lyon: „Die Südasiatischen Mitglieder der Peshkar13 sind definitiv britisch; aber sie sind außerdem definitiv Mitglieder einer spezifischen Gemeinschaft innerhalb Britanniens. Verbindungen zum Subkontinent sind ziemlich spärlich: sie haben Verwandte dort, sie genießen eß in den Urlaub zu fahren, sie sind stolz auf ihre Geschichten und ihre Kulturen. Verbindungen zur lokalen bangladeschischen oder pakistanischen oder indischen Community sind in keinster Weise spärlich. Diese Gemeinschaften sind extrem wichtig für sie. Sie nehmen an religiösen, kulturellen und nationalen Feiertagen teil und sehen das nicht als widersprüchlich, damit britisch zu sein. Sie

13 Die Autorin bezieht sich hier auf die Theatergruppe in Oldham, in der sie ihre Forschung durchgeführt hat.

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sind sowohl britisch als auch pakistanischer, indischer oder bangladeschischer Herkunft.“ (Lyon, 1997, S. 189)

Das Zitat beschreibt nicht nur die verschiedenen Identifikationen, sondern deutet an, mit welchen Assoziationen der Begriff Community verbunden wird, wobei diese jedoch vage bleiben. Die Autorin sieht „britisch sein“ nicht im Widerspruch zur Identifizierung mit einer Community. Diese kann über Konstruktionen von Religion, Kultur oder einer anderen Nation definiert sein und wird mit Verwandtschaftsverhältnissen, einem Bezug auf Geschichte oder mit bestimmten Praktiken assoziiert. Der Verweis auf nationale Feste deutet darauf hin, dass Bezugnahmen situativ in unterschiedlicher Weise erfolgen. So können einzelne Ereignisse bestimmte Selbstzuschreibung für einen begrenzten Zeitraum stärken. In Bezug auf den Raum, den die Community einnimmt, wird sie in den britischen Diskursen häufig als nachbarschaftliches Umfeld verstanden. Dieses Konzept kann von anderen Gemeinschaften abgegrenzt werden, weil sich Menschen einerseits vergleichsweise früh als Teil von ihr wahrnehmen. Zum anderen bildet sie eine konkrete Gemeinschaft, in der sich die Mitglieder tatsächlich begegnen (Brah, 1996, S. 93). Daneben existiert die Verwendung des Begriffes als „vorgestellter“ Gemeinschaft, ein Aspekt, der in der Auseinandersetzung mit Religion zum Tragen kommt. Anderson betrachtet die religiöse Gemeinschaft als eine der klassischen vorgestellten Gemeinschaften, die bereits lange bevor die Nation in Erscheinung trat, von Bedeutung war. Er nennt die gemeinsame „heilige“ Sprache und die damit verbundenen Zeichen als entscheidende Elemente, die Bindung hervorbringen und verstärken (Anderson, 1996, S. 21). Im vorliegenden Kontext ist diese Vorstellung der Ummah als transnationaler Gemeinschaft nicht unwesentlich, da sie einen möglichen Bezugspunkt für Muslim_innen darstellt und mit ihr weiterhin homogenisierende Konstruktionen des Islam verbunden sein können. Die Ummah kann insofern mit Diskursen um Zugehörigkeit in Verbindung stehen. Darüber hinaus kann der Begriff „Muslim Community“ im vorliegenden Kontext auf eine vorgestellte Gemeinschaft der Muslim_innen in Großbritannien bezogen sein. Hier zeigt sich, dass Communities – in Abhängigkeit von Kontext und Situation – unterschiedliche Bedingungen für Mitgliedschaft, Bezugs- und Überschneidungspunkte untereinander besitzen können.

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Die erwähnten Aspekte von Community werden in Alltagsdiskursen, in denen der Begriff Community verwendet wird, sicherlich nicht in jedem Falle reflektiert. Zur Analyse der Konnotationen, die der Begriff impliziert, ist allerdings gerade das Element der emotionalen Bindung sehr zentral, da es einen grundlegenden Unterschied in der Konzeption von Community im Unterschied zu Citizenship beinhaltet: Citizenship gründet sich auf den Gedanken der Rechte und Gemeinsamkeit entsteht über das Ideal der gleichen Rechte, die erstritten und zugestanden werden. Community betont die emotionale Verbindung zwischen Menschen und steht besonders individualistischen Konzeptionen von Citizenship gegenüber. Eine Ansprache von Bürger_innen als Teilen von Communities, wie sie in Großbritanniens politischen Auseinandersetzungen immer wieder stattfindet, ist insofern nicht widerspruchsfrei und soll im Kontext der Auswertung von Daten zur Prevent-Strategie, auch im Hinblick auf die damit verbundenen Probleme, thematisiert werden. 2.3.2 Muslimische Frauen: Orientalismus und Empowerment Eine weitere Ebene von Selbst- und Fremdzuschreibung, die hier mit Citizenship in Verbindung gesetzt wird, ergibt sich aus den expliziten Geschlechterzuschreibungen, die in den Diskursen um Terrorismus und Sicherheit in Großbritannien eine Rolle spielen und in der Anrufung von „muslimischen Frauen“ im Rahmen der Prevent-Strategie zum Tragen kommen. Konstruktionen, in denen Kultur, Geschlecht, Religion und Rasse miteinander in Verbindung stehen, bilden Grundlagen für Prozesse von Selbst- und Fremdzuschreibungen und können insofern Marker für Abgrenzungsprozesse betrachtet werden. Ein bekanntes Beispiel ist die Rede von David Cameron auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2011. Er bezeichnete Terroristen als „young men, who follow a completely perverse, warped interpretation of Islam and who are prepared to blow themselves up and kill their fellow citizens“14 In Aussagen wie dieser findet sich nicht nur die Unterscheidung zwischen „falschen“ und „richtigen“ Interpre-

14 http://www.telegraph.co.uk/news/politics/david-cameron/8305346/ Muslims-must-embrace-our-British-values-David-Cameron-says.html (20.10.2012).

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tationen des Islam, sondern ganz besonders die klare Zuschreibung islamistischer Gewalt als männlich. Dieses Erklärungsmuster hat sich in den vergangenen Jahren verschoben und insbesondere junge Frauen gerieten als so genannte jihadi brides15 in den Fokus des Interesses. Prevent ist jedoch in einer Zeit entstanden, als Frauen in erster Linie als Gegenmodell oder als Mutter potenzieller Terroristen eine Rolle spielten. Das wirft die Frage auf, inwieweit Geschlechterzuschreibungen im Rahmen des Programms eine Rolle spielen und wie sie sich entwickelt haben. Die Relevanz der Kategorie Geschlecht im Rahmen von Zugehörigkeitspolitiken wird von Helma Lutz, Ann Phoenix und Nira Yuval-Davis bereits in ihrer Einleitung zum 1995 erschienenen Buch „Crossfires“ herausgestellt. Sie verweisen auf geschlechtsspezfische Unterschiede in der Art und Weise wie Männer und Frauen aus den gleichen rassifizierten, ethnischen und religiösen Gruppen positioniert sind. Sie zu verstehen ist aus ihrer Perspektive grundlegend um gegen Diskriminierung vorzugehen (Lutz, Phoenix, & Yuval-Davis, 1995, S. 1). Diese Feststellung gilt auch für die gesellschaftlichen Diskurse im Rahmen der Sicherheitsdebatten. Religion und Geschlecht sind in diesem Zusammenhang keine klar trennbaren Kategorien, sondern vermischen sich in Konstruktionen von muslimischen Frauen miteinander und mit damit verbundenen Annahmen, beispielsweise über Kultur und Ethnizität. Die Konstruktion der „muslimischen Frau“ ist insofern eine recht Spezifische, die ihren Ursprung in orientalistischen Diskursen hat. In ihnen tritt die Beziehung zwischen Kolonisator_in und Kolonisierten als Machtverhältnis in Erscheinung, in dem das (männlich gekennzeichnete) koloniale Subjekt nicht nur durch die Anwendung (z.B. militärischer) Gewalt unterdrückt wird, sondern Kolonialismus sich in einem Zusammenspiel aus Sprache, institutioneller Gewalt und diskursiven Praktiken artikuliert, in dem Geschlechterbeziehungen als generell dysfunktional und gewalttätig gegenüber Frauen erscheinen. Damit einher geht die Konstruktion des Eigenen als funktional, so dass beispielsweise das Eingreifen westlicher Länder als legitimes Mittel erscheint (Afshar, 2008). Ei-

15 Zum diesem Thema kann auf die zunehmdende Zahl von Berichten in den briti, schen Medien verwiesen werden, beispielsweise den Bericht „Britain s Jihadi Brides“, der im April 2015 auf BBC 2 gesendet wurde. Weitere Informationen: http://www.bbc.co.uk/mediacentre/proginfo/2015/14/britains-jihadi-brides (1.10.15)

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ne Viktimisierung muslimischer Frauen ist aus Sicht von Kahf der Kern dieser Narrative, die in unterschiedlichen Variationen existieren und Repräsentationen von willigen Komplizinnen, ebenso wie widerständigen Subjekten beinhalten können (Kahf, 1999, S. 1). Die Forderung nach einer „Befreiung“ muslimischer Frauen knüpft hier an und betrifft auch ihre Positionierung innerhalb nicht-muslimischer Gesellschaften in Europa. Lutz erklärt den Narrativ von der vorwiegend benachteiligten migrantischen Frau über die Kulturalisierung von Diskriminierung: „Die Basis für die Benachteiligung ist allgemein in der Beobachtung verwurzelt, dass ‚muslimische‘ Migrantinnen spezielle Einschränkungen erleben, die aus ihrem kulturellen Erbe entstammen. Das islamische Wertesystem wird als diskriminierend und repressiv gegenüber Frauen betrachtet und garantiere, dass Männer eine legitimierte Macht über Frauen ausüben können. Somit wird die benachteiligte soziale Position muslimischer Frauen als Problem betrachtet, das – so die Annahme – ihren Ursprüngen in einer repressiven Kultur entstammt.“ (Lutz, 1991, S. 121)

Orientalistische Zuschreibungen muslimischer Frauen können dennoch sehr widersprüchlich sein. So existieren westliche Vorstellungen der „orientalischen“ Frau seit dem Mittelalter in unterschiedlicher Form und wurden je nach gesellschaftspolitischem und historischem Kontext für politische Interessen nutzbar gemacht (Kahf, 1999). Heutige Narrative haben ihre Ursprünge in der Kolonialzeit und dienten zunächst der Legitimation kolonialer Herrschaft. „Allgemein formuliert, die These von Diskursen über den Islam der einen Kolonialismus männlicher Dominanz mit Feminismus vermischt – die These des neuen kolonialen Islamdiskurses der Frauen ins Zentrum stellt – war, dass der Islam von Natur aus und in unveränderlicher Weise repressiv gegenüber Frauen sei, dass der Schleier und die Trennung diese Repression versinnbildlichen und dass diese Bräuche die fundamentalen Gründe für die generelle und umfassende Rückständigkeit islamischer Gesellschaften seien. Nur wenn diese Praktiken als ‚Wesen‘ des Islam (und daher der Islam als solcher) verworfen würden, könnten muslimische Gesellschaften damit beginnen, auf dem Weg der Zivilisation voran zu kommen.“ (Ahmed, 1992, S. 151-152)

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Die Aktualität dieser Konstruktion bestätigt sich in einer Reihe von Arbeiten zu Diskursen um islamistischen Terrorismus aus den vergangenen Jahren. Feministische Forschungen zur Konstruktion muslimischer Frauen im Rahmen der Sicherheitsdebatten in den USA haben wiederholt den Rückgriff auf orientalistische Stereotype und damit die Kontinuitäten zu kolonialen Kontexten herausgestellt (Khalid, 2011; Riley, 2013; Zine, 2006, 2007). Im europäischen Kontext wird die Kleidung muslimischer Frauen zum Symbol authentischen Glaubens (Lutz, et al., 1995, S. 10). Afshar setzt sich mit den damit verbundenen Bedeutungszuschreibungen, speziell für die Zeit nach den Anschlägen in New York und London, auseinander. Die Autorin spricht von einer modernen Form des Orientalismus, in dessen Rahmen Frauen, die sich verschleiern, zu Objekten werden, die gleichzeitig Ängste verkörpern und Mitleid auslösen (Afshar, 2013). Bezüge zu kolonialen Kategorien und ein rassistischer und musliminnenfeindlicher Diskurs sind also auch in der britischen Debatte bis heute präsent (Afshar, 2008, 2013; Ahmad, 2010a, 2010b; Wemyss, 2009). Die genannten Autorinnen deuten darauf hin, dass muslimische Frauen mit sehr widersprüchlichen Bildern konfrontiert sind und die Selbst- und Fremdzuschreibung „Muslimin“ immer wieder erklären und legitimieren müssen. Dies kann auch für den Diskurs um die Prevent-Strategie gelten. Die Identifikation von Kontinuitäten zu kolonialen Diskursen, ebenso wie Entwicklungen, die sich durch diskursive Interventionen seitens muslimischer Frauen ergeben, sind insofern wichtige Ansatzpunkte, die auch im Rahmen dieser Forschung eine Rolle spielen.

2.4 Z USAMMENFASSUNG : C ITIZENSHIP S UBJEKTIVIERUNGSPROZESS

ALS

Citizenship wurde in den vorangegangenen Abschnitten voriwegend im Sinne eines Subjektivierungsprozesses beschrieben, in dem staatsbürgerliche Rechte eingefordert werden, und der damit gleichzeitig konstitutiv für die Zuschreibung von Zugehörigkeit ist. Praxen von Selbst- und Fremdpositionierung spielen dabei eine tragende Rolle als Grundlage von Subjektpositionen. Insofern stellt Citizenship einen Aushandlungsprozess dar, der Konstruktionen von Differenz und Identität sowie Prozesse von Vereinnahmung beinhaltet. Barbara Cruikshank greift Foucaults Arbeiten zur

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Gouvernementalität auf und untersucht Empowerment als technology of citizenship (Cruikshank, 1999), die nicht dazu dient, Machtverhältnisse als solche in Frage zu stellen, sondern Citizens zu produzieren. Die Programme zum Empowerment muslimischer Frauen im Rahmen von Prevent werden als Beispiel für diese Form von Regierungstechniken untersucht: Sie fördern die Fähigkeit zur Selbstregierung, reproduzieren bestimmte Konstruktionen muslimischer Frauen und weisen ihnen spezifische Positionen im Bereich des Sozialen zu. Folgt man Cruikshanks Überlegungen, findet hier eine Gouvernementaliserung politischen Aktivismus statt. Andererseits wird Isins Konzept der activist citizenship (E. Isin, 2009; E. Isin & Nelsen, 2008) herangezogen, das subversive Momente innerhalb dieser Prozesse nicht nur zulässt, sondern ausdrücklich einbezieht. Vor diesem Hintergrund wird die These aufgestellt, dass Empowerment-Programmen unterschiedliche Ebenen von Differenzierung zu Grunde liegen, deren Anrufung dazu dient, Subjektpositionen zu konstituieren. Akteure knüpfen an bestehende Diskurse an und verändern auf diese Weise die Bedingungen für die Zuschreibung von Legitimität in Aussagen. Die Möglichkeiten der Positionierung konstituieren sich innerhalb dieses diskursiven Rahmens und sind dementsprechend kontextabhängig. Im Kapitel wurden zentrale Ebenen von Differenzierung und Anrufung diskutiert, die im vorliegenden Kontext eine Rolle spielen. Die Community als Ebene der Ansprache von Muslim_innen im Rahmen von Prevent und die Kategorie „muslimische Frau“ spielen eine Rolle. Letztlich sind es Dynamiken von Fremd- und Selbstzuschreibung, die über den Einfluss von Empowerment-Programmen und über die Bedingungen und Grenzen für die Aneignung von Citizenship entscheiden. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann die in der Einleitung formulierte Fragestellung insofern expliziert werden, dass die Aushandlung von Citizenship hier als begrenzt offener Prozess betrachtet wird, in dem Subjektpositionen entwickelt und eingenommen werden. Sie werden im Rahmen von Empowerment gleichzeitig ermöglicht, legitimiert und kanalisiert. Der Versuch der Nutzbarmachung von Bevölkerungsgruppen im Rahmen von Prevent ist insofern nicht einseitig, sondern wird durch die jeweiligen Zielgruppen beeinflusst. Im folgenden Kapitel werden diese Überlegungen um eine Auseinandersetzung mit den Methoden und ihrer Operationalisierung sowie erkenntnistheoretischer Implikationen im vorliegenden Kontext ergänzt.

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ganisationen einbezogen und durch Leitfadeninterviews mit sieben Repräsentantinnen ausgewählter Organisationen ergänzt (siehe Abschnitt 3.2). Wichtige Grundlagen der Erhebung und Auswertung der Daten bilden Überlegungen zu meiner Positionierung im Feld und zu einem ethischen Vorgehen im Forschungsprozess. Sie werden zunächst skizziert, um deutlich zu machen, welche erkenntnistheoretischen Annahmen die Forschung prägen. Danach wird der Datenkorpus detailliert dargestellt und im Hinblick auf den Ablauf der Feldforschung und deren Einfluss auf das Forschungsdesign diskutiert. Die Auswertung der Daten orientiert sich an Überlegungen aus der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller, 2005, 2007, 2011, 2012). Sie wird im Folgenden in Hinblick auf die Art und Weise erläutert, in der sie in dieser Studie umgesetzt wurde. Zum Ende werden zentrale Punkte zusammengefasst und in Bezug auf die darauf folgenden Analysekapitel gesetzt.

3.1 E RKENNTNISTHEORETISCHE UND ETHISCHE G RUNDLAGEN DER F ORSCHUNG Die Auseinandersetzung mit Subjektivierungsprozessen vor dem Hintergrund ihrer diskursiven Rahmenbedingungen legt nahe, dass die Positionierung der jeweiligen Forscherin oder des Forschers nicht außen vor gelassen wird. Sie hat, in Verbindung mit dem Versuch einer ethisch vertretbaren Forschungspraxis, maßgeblichen Einfluss auf die Möglichkeiten, Daten zu erheben und auszuwerten. Ihre Wirkung betrifft die Reaktionen von Interviewpartner_innen, prägt die Aussagen, die sie tätigen, und die Möglichkeiten, eigene Vorannahmen und Zuschreibungen von Forscher_innenseite zu reflektieren. Vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Brisanz, die das Thema Sicherheitspolitik und Muslim_innen in Europa besitzt, gilt das in besonderer Weise. Insofern bilden die folgenden Überlegungen zu erkenntnistheoretischen Zugängen und zur Ethik in Forschungsprozessen eine Grundlage dieser Forschung, die im Folgenden dargestellt wird.

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3.1.1 Fragen der Positionierung vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse Die Stereotype, mit denen Muslim_innen in Europa konfrontiert sind, können in einer Studie zur britischen Antiterrorstrategie nicht außen vor gelassen werden. Ganz besonders nach den Anschlägen in New York vom 11. September 2001 und – für den britischen Kontext von besonderer Bedeutung – in London vom 7. Juli 2005 schienen die Auseinandersetzungen darum, wer ‚dazugehört‘ und was Zugehörigkeit in einer multikulturellen Gesellschaft bedeutet, sich zuzuspitzen. Das daraus entstandene Klima hat die Forschung entscheidend geprägt, denn die damit verbundenen Debatten tauchten nicht nur in den Interviews wiederholt auf, sondern auch in den Gesprächen und Erfahrungen, die ich im Rahmen verschiedener Aufenthalte in Großbritannien zwischen 2008 und 2015 gemacht habe. Orientalistische Stereotype und die Rede vom „Kampf der Kulturen“ (Huntington, 1996) sind keine Erfindung der Zeit nach dem 11. September 2001. Trotzdem erhielten sie, wie bereits in der Einleitung ausführlich diskutiert wurde, in dieser Zeit eine neue Bedeutung. In der Folge sahen Muslim_innen sich in ihrem Alltag stärker als zuvor Angriffen von unterschiedlichen Seiten ausgesetzt, wobei Frauen in besonderer Weise von den damit in Verbindung stehenden Auseinandersetzungen betroffen waren und bis heute sind. So wird ihre Kleidung, speziell das Kopftuch und die Burka häufig erwähnt, wenn Fragen nach Zugehörigkeit diskutiert werden und/oder Frauen ein Opferstatus im Islam zugesprochen wird (u.a.: Afshar, 2008; Ahmad, 2010b). Muslim_innenfeindliche Übergriffe oder Anfeindungen1 stellen allerdings nur die Spitze des Eisberges dar: In meinen Ge-

1

In Großbritannien wird Muslim_innenfeindlichkeit seit einigen Jahren verstärkt in den Medien diskutiert. Sie äußert sich in verbalen und körperlichen Übergriffen. Die Zeitung Independent berichtete am 27.12.2013 von Statistiken der Metropolitan Police, die einen dramatischen Anstieg von Übergriffen im Jahre 2013 (500) verzeichnen. Im Vergleich dazu hatte es 336 dokumentierte Fälle 2012 und 312 im Jahr 2011 gegeben. Die Verbindung zur Diskussion um islamistischen Fundamentalismus deutet sich dadurch an, dass insbesondere in der Zeit, nachdem der Soldat Fusilier Rigby im Mai 2013 ermordet worden war, allein 104 Fälle verzeichnet wurden, im Juni 108 Fälle (vgl.: The Independent, 27.12.2013). Der Sozialwissenschaftler Christopher Allen stellt fest, dass die öf-

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sprächen mit in Großbritannien lebenden Muslim_innen innerhalb des Zeitraumes der Forschung2, wurden diese gesellschaftspolitischen Entwicklungen häufig thematisiert. Gerade die Debatten um Terrorismus standen im Vordergrund und es wurde deutlich, dass viele der Gesprächspartner_innen wiederholt damit konfrontiert sind, ihren Glauben zu rechtfertigen. Die Reaktionen darauf schienen unterschiedlich zu sein: von einem Bekenntnis zur britischen Gesellschaft und demokratischen Werten bis zu einer Empörung darüber, dass Muslim_innen homogenisiert und als potenzielle Terrorist_innen stereotypisiert werden, wurden unterschiedliche Positionen artikuliert. Da es sich nicht um dokumentierte Materialien handelt, werden diese Gespräche hier nicht im Detail analysiert. Dennoch spielen sie eine Rolle, denn sie verweisen aus meiner Sicht auf wichtige Aspekte, die auch in sozialwissenschaftlichen Arbeiten der vergangenen Jahre untersucht wurden. Beispielsweise deuten sich die Besonderheiten der Stellung von Muslim_innen in der britischen Gesellschaft an, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 unter anderem in den Medien verstärkt orientalisiert werden (Poole, 2002, S. 3) und deren Zugehörigkeit zur britischen Gesellschaft durch die meist implizite und zuweilen explizite Annahme, sie würden ein Sicherheitsrisiko darstellen, in Frage gestellt wird (Ahmad, 2010b, S. 245). Vor dem Hintergrund dieses in Frage stellens von Zughörigkeit zur britischen Gesellschaft, war auch meine eigene Positionierung zum Themenfeld, ein Aspekt mit dem ich mich wiederholt auseinandergesetzt habe. Wesentliche erkenntnistheoretische Zugänge dieser Studie stammen aus dem Bereich feministischer Standpunktheorie und aus der Debatte um Insider/Outsider-Positionen (u.a. Haraway, 2001; Harding, 1993; Wray, 2010), die mir die Reflexion meines eigenen Standpunktes erleichterten. Ein Ziel ist es demnach, den Prozess der Wissensproduktion weitestmöglich transparent zu machen. Donna Haraway leitet aus diesem Prozess eine Form von

fentliche Debatte darum in Großbritannien insbesondere durch den s.g. Runnymede Report von 1997 angestoßen wurde (Allen, 2010, S. 3) 2

So konnte ich u.a. mit meinen muslimischen Kommilitoninnen an der Universität York diskutieren. Weiterhin hatte ich – im Rahmen zweier Exkursionen, die ich im Herbst 2012 und im Herbst 2013 mit Studierenden der Leibniz Universität Hannover durchführte – Gelegenheit mit zwei Imamen, die in Leeds tätig sind, zu sprechen. Hinzu kam eine Reihe von Gesprächen, die sich in meinem Umfeld in Leeds und York ergaben.

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Objektivität ab, die sich gegen eine als neutral begriffene Wissenschaft wendet und die Position des Subjektes im Prozess der Wissensproduktion bewusst thematisiert (Haraway, 2001, S. 320). Dieses Anliegen bedeutet im vorliegenden Kontext, dass meine Auseinandersetzung sich nicht auf die im Theoriekapitel dargelegten theoretischen Überlegungen zur Aushandlung von Citizenship und die Situation von Muslim_innen in Europa und Großbritannien beschränkt, sondern darüber hinaus die eigene Positionierung im Diskurs in den Vorüberlegungen, der Phase der Datenerhebung und der Analyse einbezieht. Aus diesem Grund wurde zu Beginn des Absatzes das gesellschaftspolitische Klima skizziert, wie ich es in der Zeit vor und während der Forschung wahrgenommen habe und das auch meine Interpretationen geprägt hat. Als weiße, nicht religiöse Deutsche nehme ich weiterhin eine relative Außenseiterinnenposition in den Feldern ein, die hier diskutiert werden. Wray und Barthomomew betonen die grundlegende Bedeutung von Reflexivität im Rahmen qualitativer Forschung. Dabei machen sie deutlich, dass Gefühle von Zugehörigkeit und Abgrenzung im Rahmen von Forschungsprozessen eine zentrale Rolle spielen und aus diesem Grund der Reflexion bedürfen. Zugleich problematisieren sie starre Dichotomien von insider vs. outsider und machen deutlich, dass beide Positionen sich durchaus überschneiden können (Wray, 2010). Eine vergleichbare Position findet sich bei Mullings, die das Dynamische innerhalb von Prozessen der Positionierung herausstellt und sich gegen einen strengen Dualismus wendet. Aus dieser Perspektive sollten insider und outsider-Positionen immer als relational, situativ und in der Entwicklung befindlich angesehen werden (Mullings, 1999, S. 340). Meine eigene Außenseiterinnenrolle hat die Forschung stark beeinflusst. Bereits in der Phase der Recherche war sie wichtig, denn so war eine grundlegende Einarbeitung ins Themenfeld von Nöten. Anknüpfungspunkte, die mir das Erschließen des Feldes vereinfachten und in den späteren Interviews als Grundlage für den Aufbau eines Verhältnisses zur Interviewpartnerin dienlich waren, ergaben sich aus vorherigen Forschungserfahrungen, die ich im Ramen meines Studiums gesammelt hatte und über Erfahrungen als Aktivistin in Deutschland. Dementsprechend waren sie vergleichsweise oberflächlich, was nicht nur von Nachteil war. So sehe ich einen Vorteil darin, dass ich dem Thema sehr offen gegenüber stand, was im Falle einer besseren Einbindung in dieses doch sehr umstrittene Feld möglicherweise nicht der Fall gewesen wäre. Auch im Verlauf des For-

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schungsprozesses und im Verfassen der Studie hatte meine Positionierung als Außenseiterin Auswirkungen. So waren beispielsweise meine Aufenthalte in Großbritannien zeitich begrenzt, was dazu führte, dass die Möglichkeit, Interviews zu führen, deutlich eingeschränkt war und aktuelle Entwicklungen nur über Medienberichte und Veröffentlichungen zugänglich waren. Die Außenseiterinnenrolle wurde also nicht zuletzt dadurch verfestigt, dass der direkte Kontakt zu Akteur_innen auf eine begrenzte Zahl von Aufenthalten in Nordengland beschränkt war und Erkenntnismöglichkeiten diesbezüglich eingeschränkt wurden. Andererseits wurde auf diese Weise eine Distanzierung ermöglicht, die durchaus Vorteile beinhaltete. So konnten bestimmte Fragestellungen und Aspekte detaillierter in den Fokus genommen werden. In Abschnitt 3.2.3.3 befasse ich mich ausführlicher mit meiner Außenseiterinnenrolle im Interviewprozess. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass es sich bei meiner Rolle um eine relative Außenseiterinnenposition handelt und die Konzeption, der Ablauf, ebenso wie Ergebnisse der Forschung davon beeinflusst wurden. 3.1.2 Herausforderungen und Strategien ethischer Forschungspraxis Neben der Reflexion des gesellschaftspolitischen Kontext und der eigenen Positionierung, ist die Frage einer transparenten und respektvollen Forschungspraxis von Bedeutung. Sie stellte sich im vorliegenenden Fall besonders in der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Interviews, die im Rahmen der Studie geführt wurden. Der Forschungsprozess war mit zwei Aufenthalten als Gastdoktorandin am Centre for Women’s Studies an der Universität in York verbunden3. Es galt ein besonderes Augenmerk auf die Forschungsrichtlinien der Gastinstitution zu richten. Daher beziehe ich mich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Richtlinien der Britisch Sociological Association (BSA, 2002). Konkret werden Organisationen, soweit das im Hinblick auf öffentliche Statements möglich ist, anonymisiert. Die sieben Interviews mit Aktvistinnen, die als Repräsentantinnen von muslimischen Frauenorganisationen interviewt wurden, und mit Vertreter_innen von Regierungsinstitutionen wurden in Großbritannien

3

Die Aufenthalte fanden im Herbst 2013 (28. September bis 6. Dezember) und im Frühjahr 2014 (24. Februar bis 12. März) statt.

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durchgeführt. Ein wichtiger Anspruch war es dabei, einen informierten Konsens mit den Interviewpartner_innen herzustellen (siehe Abschnitt 3.2.3.4). Grundsätzlich ist es im Rahmen einer Forschung zu politischem Aktivismus, speziell wenn Veröffentlichungen der beteiligten Organisationen im Internet zu finden sind, nicht einfach, Anonymität zu gewährleisten. Direkte Zitate aus Veröffentlichungen können mit vergleichsweise einfachen Mitteln gefunden werden. Dennoch bleibt es wichtig, die Anonymität der interviewten Aktivist_innen zu wahren. Um Einzelpersonen weitest möglich zu anonymisieren, wird in dieser Arbeit eine Trennung gemacht zwischen Informationen, die öffentlich zugänglich sind (beispielsweise die Existenz bestimmter Programme, der Zeitraum der Gründung von Organisationen) und Positionierungen aus den Interviews (u.a. Stellungnahmen zur Gründung der Organisation, zu gesellschaftlichen Konflikten und zu Prevent). Auf diese Weise wird die Zuordnung der Interviews zu den anderen Materialien erschwert. Die jeweiligen Ergebnisse werden voneinander getrennt analysiert. Auf diese Weise sollen forschungsethische Standarts eingehalten werden, ohne auf den Rückgriff auf eine der Datensorten verzichten zu müssen.

3.2 D ER D ATENKORPUS UND DAS V ORGEHEN DER AUSWERTUNG VON D ATEN

BEI

Zu Beginn der Forschung stand eine Internetrecherche, in der unterschiedliche Materialien zum Themenfeld in Augenschein genommen wurden. Sowohl die Standpunkte von muslimischen Frauenorganisationen, Kommentare in Zeitschriften und Videos und Publikationen der Regierung waren von Interesse, um auf diese Weise einen Einblick in das Feld zu erlangen. Nach dieser recht breiten Recherche stellte sich die Frage danach, welche Materialien für die konkrete Fragestellung relevant waren. Schnell wurde allerdings auch deutlich, dass eine Analyse der Veröffentlichungen von Organisationen und Institutionen aus dem Feld zwar zur Beantwortung der Fragestellung beiträgt, da aus ihnen das Framing von Maßnahmen und Standpunkten deutlich wird, zugleich aber auch ihre Grenzen hat. So ist es schwierig, aus diesen bereits in Entscheidungsprozessen ausgehandelten Standpunkten etwas über deren Entwicklungen zu erfahren. Um einen um-

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fassenderen Blick auf das Forschungsfeld zu ermöglichen, werden unterschiedliche Datensorten kombiniert. Mit dem Ziel, die Verhältnisse unterschiedlicher Akteure zueinander und damit in Verbindung stehende Subjektpositionen innerhalb der Diskurse um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt herauszuarbeiten, werden Aussagen staatlicher Behörden und Perspektiven von einzelnen Aktivistinnen und veröffentlichte Aussagen muslimischer Frauenorganisationen verglichen und zueinander ins Verhältnis gestellt. Trotz der notwendigen Einschränkungen im Hinblick auf die Datenmengen sollen auf diese Weise Dynamiken von Positionierung im Feld analysiert werden. Die Daten, die für diese Studie zusammengestellt wurden, sind drei Bereichen zuzuordnen: • • •

Veröffentlichungen staatlicher Behörden zur „Prevent“ Strategie (nationale und regionale Ebene) Veröffentlichungen und Internetauftritte von 22 muslimischen Frauenorganisationen Leitfadeninterviews mit sieben Repräsentantinnen muslimischer Frauenorganisationen aus den 22 Frauenorganisationen

In den folgenden Abschnitten werden die Materialien und das Erhebungsverfahren im Detail beschrieben. 3.2.1 Die Perspektive staatlicher Behörden Die Analyse stützt sich einerseits auf Veröffentlichungen, die von Verwaltungsorganen und Institutionen der britischen Regierung herausgegeben wurden. Sie betreffen vorwiegend die Prevent-Strategie. Darüber hinaus wurden wenige zentrale Publikationen zu den Themen sozialer Zusammenhalt und Zusammenhalt in Communities herangezogen. Der große Umfang der Veröffentlichungen zum Thema Prevent machte es notwendig, diese zu systematisieren und diejenigen, die detaillierter ausgewertet werden sollten, im Hinblick auf ihre Relevanz auszuwählen. Für die Veröffentlichungen der Regierung aus den ersten Jahren der Prevent-Strategie wurde eine Notiz mit einer Aufstellung von Publikationen zum Programm von der Bibliothek des britischen Unterhauses (Maer, 2008) herangezogen. Sie weist darauf hin, welche Texte für die Mitglieder des Unterhauses als lesenswert erachtet wurden, und gibt somit Hinweise auf den Wirkungsgrad von Veröffent-

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lichungen und ihre Relevanz. Für die Zeit nach 2008 und insbesondere seit 2011 wurden sowohl Grundlagentexte, darunter die Prevent Strategie von 2011 (Home Office 2011), herangezogen. Hinzu kamen Dokumente lokaler Behörden und eine Stellungnahme zu den Maßnahmen und Budgets, die das Innenministerium mir 2015 auf eine Anfrage hin geschickt hat. Aufgrund der Entwicklungen im Fokus der Strategie und den beteiligten Insitutionen wurde der Zugang zu Informationen besonders nach 2011 erschwert, so dass diese wesentlich aufwändiger gesucht werden mussten. 3.2.2 Veröffentlichungen muslimischer Frauenorganisationen Die Organisationen, deren Materialien genutzt werden, definieren sich explizit als muslimische Frauenorganisation. In ihnen haben sich vorwiegend muslimische Frauen organisisert und ihre Arbeit richtet sich vorwiegend an diese Zielgruppe. Die Anzahl dieser Art von Organisation ist nach wie vor vergleichsweise überschaubar, wobei anzumerken ist, dass sie seit Beginn des Jahrtausends ansteigt.4 Die Auswahl der Materialien war insofern komplexer, dass nicht alle eigene Stellungnahmen zu Prevent veröffentlicht haben. Zugleich war es aber wichtig, nicht nur diejenigen einzubeziehen, die Beiträge zu Prevent veröffentlicht haben, sondern sich dem Programm verweigern. Für die Ausführungen in diesem Kapitel wurden im Rahmen einer Internetrecherche 22 Frauenorganisationen aufgelistet, im Hinblick auf ihr Betätigungsfeld (politische Kampagnen, Soziale Arbeit, kulturelle Aktivitäten), den Ort und ihre Selbstbeschreibung untersucht (siehe Anhang). Von ihnen wurden 10 ausgewählt, die sich über die Kategorie „Muslimin“ definieren, und die unterschiedliche Positionierungen im Feld aufzeigen. Von diesen Organisationen wurden Veröffentlichungen und Stellungnahmen zu den Sicherheitsdebatten mit Fokus auf Prevent herangezogen und ausgewertet. Dabei waren insbesondere die Positionierungen im Feld von Interesse. Wichtig war es ,in den Homepages und den Veröffentlichungen nicht nur Stellungnahmen zum Thema einzubeziehen, sondern – gerade im Falle von Organisationen, die sich diesbezüglich nicht äußerten – einen Einblick

4

Bezugsrahmen ist hier der Vergleich mit Minderheitenorganisationen, die sich auf Hautfarbe, Nationalität oder Ethnizität beziehen und die in größerer Anzahl vertreten sind (siehe insbesondere auch Kapitel 5.1).

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in die Rhetorik und die Argumentationen zu bekommen, mit denen sie ihren Aktivismus begründeten. Ihre Selbstdarstellungen auf Homepages und in gedruckten Materialien wurden in Bezug auf die Konstruktion von muslimischen Frauen, die Intention, sich über Religion zu organisieren, die Angebote, die sie für muslimische Frauen machen, und das Verhältnis zu den Sicherheitsdebatten untersucht. 3.2.3 Die Interviews Im Rahmen dieser Forschung wurden im Herbst 2013 und im Frühjahr 2014 sieben Leitfadeninterviews mit Akteur_innen im Feld durchgeführt. Darunter waren sechs Interviews mit sieben muslimischen Frauen. Sie wurden persönlich oder – in zwei Fällen, in denen ein Treffen nicht möglich war – unter Zuhilfenahme des Programms „Skype“ interviewt. Ein Interview mit einem Verwaltungsangestellten, der auf lokaler Ebene für die Koordination von Prevent zuständig ist, schloss sich an. Letzteres diente der Sammlung von Hintergrundinformationen und wurde nicht systematisch ausgewertet. In den folgenden Abschnitten werden die Vorüberlegungen und die Umsetzung beschrieben. 3.2.3.1 Die Auswahl der Teilnehmer_innen Um herauszufinden, mit welchen Argumenten sich Akteur_innen im Feld bewegen und bestimmte Standpunkte vertreten, wurden Leitfadeninterviews mit sieben Aktivist_innen geführt, die als Vertreterinnen von muslimischen Frauenorganisationen angesprochen wurden. Unter ihnen waren zwei Frauen, die für staatliche Behörden tätig waren und in diesem Zusammenhang an der Umsetzung von Prevent beteiligt sind. Weiterhin wurde eine Person interviewt, die im Bereich der Verwaltung auf regionaler Ebene mit Prevent betraut ist. Der erste Schritt zur Durchführung der Interviews war die Auswahl geeigneter Organisationen. Der Fokus des Interesses lag in diesem Falle auf Organisationen, die sich explizit als „muslimisch“ definieren. Nachteilig an diesem Vorgehen ist sicherlich, dass Minderheitenorganisationen, die sich über nationale oder ethnische Kategorien (pakistanisch, kurdisch etc.) definieren und zunehmend über die Dachverbände von Organisationen muslimischer Frauen organisiert sind, nicht einbezogen werden. Diese Prozesse, die auch auf eine zunehmende Bedeutung von Religion als Grundlage von

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Aktivismus hinweisen, können insofern nur angedeutet werden. Dennoch habe ich mich dafür entschieden, diese Selbstbeschreibung zu einem maßgeblichen Kriterium zu machen, um die Entwicklung in den Identitätspolitiken und die Begründung für die Entscheidung, sich als Muslimin zu organisieren, untersuchen zu können. Es sollte thematisiert werden, welche Parallelen es in den Entwicklungen dieser Organisationen, ihren Themen und Argumentationen gibt, und wie diese mit Prevent zusammenhängen. Auf diese Weise sollte ihre Positionierung in den Diskursen um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt beschreibbar gemacht werden. Um diese Fragen auch in Bezug auf die Bandbreite des Feldes diskutieren zu können, wurden Organisationen gewählt, die sich in Stellungnahmen öffentlich zu Prevent positioniert haben, und verglichen mit solchen, die das Programm nicht offen thematisieren. Über eine Internetrecherche wurden geeignete Organisationen gesucht und aufgelistet. Eine regionale Beschränkung gab es nicht, um einen möglichst breiten Zugang zu ermöglichen. Bereits an dieser Stelle wurden Kriterien festgelegt, die potenziell wichtig für die Auswertung sind. So wurden in einer Tabelle sowohl der Name und die Kontaktdaten der jeweiligen Organisation als auch Angaben über den Schwerpunkt ihrer Arbeit („Fokus auf sozialer Arbeit oder politische Kampagnen“), das Gründungsjahr, der Ort, der Wirkungsgrad („regional“ oder „national“) und die zentralen Zielsetzungen („Eigenbeschreibung“) festgehalten, um in den späteren Phasen einen schnellen Überblick über die jeweiligen Organisationen bekommen zu können. Der Punkt „Fokus auf sozialer Arbeit/politische Kampagnen“ wurde im Laufe der Forschung erweitert, da ich wiederholt auf Vereine und Organisationen stieß, die verstärkt in den Bereichen „Kultur und Sport“ aktiv waren. Da weiterhin Überschneidungen mit Organisationen existierten, die politische Kampagnen oder Soziale Arbeit als ihren Schwerpunkt nennen, schien es sinnvoll, dies auch fassen zu können. Die Organisationen wurden per Email und Telefon kontaktiert, um Interviewtermine mit den Repräsentantinnen von sechs Organisationen zu vereinbaren. Der Zugang zum Feld war weniger schwierig, als ich es zunächst vermutet hatte. Ich war davon ausgegangen, dass die Aktivistinnen wenig Zeit und Interesse daran hätten, mit einer Doktorandin aus Deutschland über die Entwicklungen in Großbritannien zu sprechen. Diese Sorge war allerdings unbegründet. Der Versuch per Telefon Kontakt aufzunehmen war nicht erfolgreich: So wurde ich wiederholt darauf verwiesen, dass

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ich eine Anfrage per Email stellen sollte. Das hatte den Vorteil, dass wichtige Informationen im Vorfeld schriftlich mitgeteilt werden konnten. Die Frauen wurden als Repräsentantinnen der jeweiligen Organisation angesprochen. Daher ging ich davon aus, dass sie ähnliche Termine häufig wahrnehmen mussten. In der Praxis traf dies nur in den Fällen zu, in denen ich mit Organisationen sprach, die sich auf politische Kampagnen spezialisiert haben. Eine Aktivistin begann das Interview mit dem Kommentar, dass sie es mittlerweile leid sei, über die Prevent-Strategie zu sprechen. Im Nachgespräch betonte sie, dass es kaum möglich sei, all die Interviewtermine wahrzunehmen. In der Regel haben die Aktivistinnen jedoch sehr offen auf meine Fragen reagiert. Von vier Frauen wurde weitere Unterstützung angeboten. Eine Interviewpartnerin verwies mich auf andere Akteure im Feld und stellte den Kontakt zu einem weiteren Interviewpartner her. Es zeigte sich weiterhin schnell, dass die ursprünglich vorgesehene Trennung zwischen Repräsentantin einer Organisation, Repräsentant_in der Regierung und Expert_in nicht sinnvoll ist. Jede der Frauen kann als Expertin in ihrem Feld angesehen werden. Einige arbeiten schon über Jahre oder Jahrzehnte in dem Bereich und haben vielfältige Erfahrungen gesammelt. Insofern greifen allzu starre Abgrenzungen nur bedingt. Das hat sich in den Fragebögen niedergeschlagen, wie im folgenden Abschnitt dargestellt wird. 3.2.3.2 Das Erstellen und die Inhalte der Fragebögen Zu Beginn wurden im Brainstorming Fragen gesammelt, die für den Kontext von Bedeutung sind. Dabei war es zunächst geplant, zwei unterschiedliche Fragebögen zu erstellen: einen für Interviews mit Aktivistinnen, einen anderen für Expertinnen im Feld. Es stellte sich in der näheren Beschäftigung mit den Hintergründen der Interviewpartner_innen schnell heraus, dass diese Trennung nicht aufrecht zu erhalten ist. Eine Reihe von Aktivistinnen arbeitet als Sozialarbeiterinnen oder Sozialwissenschaftlerinnen und viele sind an Forschungstätigkeiten zum Feld beteiligt. Einige sind zugleich in Organisationen aktiv und arbeiten gleichzeitig für die Regierung im Rahmen von Prevent. Aus diesem Grund entschied ich mich dafür, einen Fragebogen mit den zentralen Themenbereichen zu erstellen, der je nach dem Hintergrund der Interviewpartner_in angepasst wurde. Der Fragebogen deckte die folgenden Themenbereiche ab:

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• • • •

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Fragen, die die Geschichte, Zielsetzungen und Aktivitäten der Organisation betreffen (organisation) Fragen zu Identitätskonstruktionen und persönlichen Engagement der Aktivistin (identity) Fragen zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (frame) der Arbeit und zu Prevent (Prevent) Fragen zum Diskurs um muslimische Frauen (discourse), insbesondere zur Konstruktion von empowerment (empowerment)

Leitfaden für die Interviews Interview Structure Person is addressed as: activist, expert, government representative etc. Name of organisation: Type: social, campaigning etc. Year of foundation: Organisation: Topics and narratives on the development of the organisation (background: information on websites) • How was the organisation founded? • What is its field of work? • What kind of services do you provide? • What kind of political issues are you concerned about? • What is your target group and why? Identity: Constructions of identity as activists/organisation • Why did you choose this field? • Why do you focus on Muslim women? Why did the organisation choose this identification as the basis for its activism? • How did you become an activist? Frame: Perceptions of the social frame of their work • In what way have the conditions of your work changed during the time the organisation is existing? • How have the governmental funding patterns changed during the period and with what effects on you/your organisation?

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Prevent: Perceptions of the influence of “Prevent” • An important part of my project is the so called “Prevent” strategy. What do you know about it? • In how far has your work been affected by it? Discourse: Discourse on Muslim women and positioning within it • Has public opinion on Muslim women changed during the last decade and how? • What has led to these changes? Empowerment: Constructions of empowerment • Why is it important to empower the group of women you are focussing on (more concrete according to self-definitions)? • What are the concrete actions you take to empower women? • Do you think the governmental discourse on empowerment reflects the needs of your target group? (Muslim women/Bangladeshi women etc.?) Als die jeweiligen Fragen überarbeitet und in die Themenbereiche eingeordnet waren, stand ein Leitfaden zur Verfügung, der allen Interviews zu Grunde lag und auf diese Weise eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den Interviews ermöglicht. In einem dritten Schritt wurde der Leitfaden im Hinblick auf die jeweilige Organisation spezifiziert. Dazu wurden Informationen von den Webseiten und aus Veröffentlichungen der Organisationen herangezogen und bestimmte Informationen (zum Beispiel die Geschichte der Gründung) mit den Fragen abgeglichen. Auf dieser Basis wurden Fragen entweder gestrichen oder aber neu formuliert, um auf diese Weise genauere Aussagen zum Thema zu bekommen. Beim Erstellen der Fragebögen und später in den Interviews war es von besonderer Bedeutung herauszufinden, ob bestimmte Begriffe aus den Regierungsdebatten für die Interviewpartner_innen relevante Kategorien darstellen. Dabei sollte nach Möglichkeit vermieden werden, wichtige Kategorien vorzugeben und im besten Falle dafür gesorgt werden, dass die Interviewpartner_innen die jeweiligen Themenfelder selbst anschneiden. Auf diese Weise konnten Rückschlüsse über die Relevanz von z.B. Prevent oder der Kategorie Empowerment für die Interviewpartnerinnen gezogen werden. Es sollte ermöglicht werden, Verbindungen in den Argumentationen

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von Regierung und muslimischen Frauenorganisationen zu identifizieren und zu diskutieren. Andererseits war es ein Anspruch, die Kategorien, in denen bestimmte Themen gefasst wurden, nicht vorweg zu nehmen. Aus diesem Grund wurde möglichst abgewartet, ob beispielsweise Prevent von den Aktivistinnen als wichtiges Thema genannt wird. Wenn dies nicht der Fall war, wurden die damit verbundenen Fragen zum Ende hin gestellt. Im Herbst 2013 und im Frühjahr 2014 wurden die Interviews mit Aktivistinnen und Regierungsangestellten aus unterschiedlichen englischen Städten und einer Stadt in Schottland geführt. Zunächst war es geplant gewesen, alle Interviewpartner_innen persönlich zu treffen. Aus terminlichen Gründen war das jedoch nicht immer möglich, so dass zwei Interviews per Skype durchgeführt wurden. Der Vorteil an so genannten voice over internet protocol (deutsch: IP-Telefonie) Technologien liegt darin, dass die jeweiligen Gesprächspartner_innen nicht ortsgebunden sind und die Situation eines direkten Gespräches – anders als bei Telefoninterviews – weitgehend aufrechterhalten werden kann. Dies war auch für mich von großem Wert. Gleichzeitig ergaben sich Nachteile aus dieser Situation. So war die Umgebung, in der die Frauen tätig sind (ihr Büro, ihr Stadtteil etc.), für mich nicht erlebbar war, was eine Kontextualisierung der Daten erschwerte. Anders als bei Organisationen, die ich in ihren eigenen Räumlichkeiten treffen konnte oder die es mir erlaubten, an Aktivitäten teilzunehmen, war das „Erlebnis“ insofern auf die direkte Interviewsituation beschränkt. Ein großes Problem besteht darin, dass die Zuverlässigkeit von Skype-Verbindungen nicht in jedem Fall gegeben ist. In einem der Interviews sorgten wiederholte Unterbrechungen dafür, dass der Redefluss massiv gestört wurde und zentrale Themenbereiche wiederholt angesprochen werden mussten. Eine Folge war, dass die Interviewpartnerin, nachdem sie anfangs sehr weit ausgeholt hatte, immer kürzere Antworten gab und wichtige Informationen potenziell verloren gegangen sind. Ein dritter Punkt betrifft die Frage des Datenschutzes, da die Gesprächsdaten vom Unternehmen über einen Zeitraum von 30 Tagen bis 90 Tagen gespeichert werden (Skype, 2015). Insofern ist die Anonymität von Interviewten, im Zuge von Skype-Interviews im Prinzip nicht gewährleistet. Es zeigte sich im Kontext dieser Forschung dementsprechend, dass Skype und ähnliche Programme zwar den großen Vorteil besitzen, dass sie den geographischen Rahmen für Forschungen enorm erweitern können, jedoch eine Reihe von Nachteilen mit sich bringen. Dementsprechend erscheint es sinnvoll, nach Möglichkeit direkte Ge-

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sprächssituationen vorzuziehen. Vor dem Hintergrund ethischer Erwägungen ist darüber hinaus die Nutzung und Speicherung der Daten zu berücksichtigen. 3.2.3.3 Machtbeziehungen und Dynamiken der Positionierung im Rahmen der Interviews Als weiße Deutsche befand ich mich gegenüber den britischen muslimischen Aktivistinnen, in einer Außenseiterinnenposition. Das war nicht immer von Nachteil: So stellte ich fest, dass Muslim_innen mir in Gesprächen und Interviews häufig sehr grundsätzliche Informationen über ihren Glauben (u.a. die Bedeutung des Wortes halal) und die politischen Entwicklungen in Großbritannien gaben. Diese Positionierung verhinderte also, dass ein gemeinsames Verständnis von Dingen angenommen wurde, was möglicherweise irreführend gewesen wäre. Die Frauen, mit denen ich sprach, gaben mir Erklärungen, die ich zum Teil darauf zurückführe, dass sie von meiner Seite keine umfassenden Erfahrungen im Feld erwarteten. So erklärte mir eine der Interviewpartnerinnen mit dem Hinweis, dass sie nichts über meine Kenntnisse zum Thema wisse, ausführlich ihr Verständnis der britischen Minderheitenpolitik seit den 1980er Jahren. Andererseits führte meine Position in einzelnen Fällen dazu, dass Informationen oberflächlich blieben und wichtige Nachfragen vorsichtig gestellt werden mussten, ohne die Interviewte zu unterbrechen. Weiterhin kam es immer wieder vor, dass Interviewpartner_innen mich nach den Verhältnissen in Deutschland befragten, so dass ich oftmals schon zu Beginn des Gespräches den Eindruck hatte, mich positionieren zu müssen. Das schien mir nicht immer günstig zu sein, da ich mir unsicher war, inwieweit das Einfluss auf den Verlauf des Gespräches nahm. Andererseits schien eine betonte Zurückhaltung eher zu einer Skepsis seitens der Gesprächspartner_innen zu führen, die vor dem Hintergrund des oben skizzierten gesellschaftspolitischen Klimas durchaus nachvollziehbar erscheint. Daraus folgte, dass ich mir im Vorfeld der Interviews sehr genau Gedanken darum gemacht habe, wie ich mein Interesse und meine Intentionen begründe: Einen Umgang mit dieser Situation habe ich gefunden, indem ich meinen Hintergrund als Aktivistin in Hannover und die damit verbundene Zusammenarbeit mit jungen muslimischen Frauen genannt habe. Weiterhin fanden sich wiederholt Anknüpfungspunkte mit den Frauen, die gegen eine starre Dichotomisierung von Insider-/Outsiderpositionen

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sprechen und deutlich machen, dass diese sich auch im Verlauf von Interviews verändern können (Mullings, 1999; Wray, 2010, S. 8). Zwei der Frauen hatten ebenfalls ein sozialwissenschaftliches Studium absolviert. Eine hatte zwar nicht Sozialwissenschaften studiert, sich im Laufe ihres Aktivismus allerdings Kenntnisse angeeignet, die sie zur Durchführung von Befragungen nutzt. All diese Frauen waren etwa in der gleichen Altersgruppe wie ich, so dass wir durchaus gemeinsame Themen finden konnten. Es fiel in diesem Zusammenhang auch auf, dass die jüngeren Frauen einen akademischen Hintergrund eher betonten als die Älteren. Das ist aufgrund der geringen Anzahl von Interviews möglicherweise ein Zufall, kann allerdings auch die Entwicklung von Frauenselbstorganisation und die Professionalisierung von ehemals eher auf soziale Arbeit ausgerichteten Gruppen hinweisen, die an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden kann. Das Alter der Interviewpartnerinnen und, wie ich vermute, auch der Altersunterschied beeinflussten die Interviewdynamik. Während die jüngeren Frauen Anknüpfungspunkte mit mir aufbauten, indem sie mich beispielsweise zum Essen oder zu späteren Besuchen einluden, Interesse an der Forschung bekundeten und von eigenen Forschungserfahrungen berichteten, nahmen die älteren Frauen oft eine bestimmendere Rolle ein. Im Interview mit der Vertreterin einer seit den 1980er Jahren etablierten Organisation zeigte sich das deutlich, als sie meinen Einführungstext als Ausgangspunkt einer Erzählung über ihre Organisation nahm und meine Fragen nicht abwartete, was mich zunächst verunsicherte. Erst im zweiten Teil hatte ich die Möglichkeit, bestimmte Aspekte nachzufragen. Da die Themen, die für mich interessant waren, von ihr thematisiert wurden, bot das Interview trotzdem sehr interessantes Material und hatte den Vorteil, dass die Kategorien, die sie benutzte, nicht von mir vorgegeben wurden. Es zeigte sich also, inwieweit die Aushandlung von Machtbeziehungen einen Teil des Interviewprozesses darstellt und dabei nicht grundsätzlich von einer hegemonialen Positionierung von Wissenschaftler_innen ausgegangen werden kann. Generell wurde ich wiederholt nach der deutschen Debatte um muslimische Frauen gefragt, was sicherlich damit zu tun hatte, dass ich Erfahrungen in Deutschland als Grund für mein Forschungsinteresse angab. In einem Fall schien die Interviewpartnerin davon auszugehen, dass ich eine bestimmte Aktivistin in Deutschland in jedem Falle kennen und mit ihr sprechen müsse. Die Situation trat direkt zu Beginn des Gespräches auf und indem die Interviewpartnerin mich wiederholt auf die Bedeutung der genannten Akti-

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vistin aufmerksam machte, begann sie den Verlauf des Gesprächs zu bestimmen. Das verunsicherte mich, war aber besonders ein Problem, weil ich spezifische Fragen stellen wollte, die gerade nicht den Aktivismus muslimischer Frauen in Deutschland betrafen. Obwohl es mir durchaus interessante Hinweise auf die Vernetzung muslimischer Frauenorganisationen gab, entschied ich mich dafür, auf den Leitfaden zu verweisen, um das Thema wieder auf mein Interessensfeld zu leiten. Die breiten Erfahrungen der Aktivistin, die auch beruflich Vorträge zum Themenfeld Sicherheit und Prevent hält, führten dennoch dazu, dass sie das Gespräch weitgehend bestimmte. Generell ermöglichte mir meine Rolle als Außenseiterin Fragen nach den Entwicklungen in den Debatten um Multikulturalismus, die Rolle von muslimischen Frauen in Führungspositionen, Musliminnenfeindlichkeit und die Rolle der Sicherheitsdebatten zu stellen. Die ausführlichen Antworten, die ich dazu zuweilen erhielt, führe ich nicht zuletzt darauf zurück, dass von Seiten meiner Gesprächspartnerinnen davon ausgegangen wurde, dass ich mich nur begrenzt im Themenfeld auskennen würde. Eine allzu große Naivität und ein offen zur Schau getragenes fehlendes Wissen über die Debatten ist in diesem Zusammenhang sicherlich nicht frei von Problemen und kann dazu führen, dass die Interviewerin als zu wenig informiert wahrgenommen und nicht ernst genommen wird. In der Folge können Aussagen zu unspezifisch bleiben und Unklarheiten produzieren: In einem Fall begann die Interviewpartnerin nicht mehr die Namen der Organisationen zu nennen, die sie kritisiert, sondern nur noch von „muslimischen Verbänden“ zu sprechen. Zumeist waren die Interviews jedoch trotz und wiederholt gerade wegen dieser Außenseiterinnenrolle durchaus produktiv. Im Rückblick haben die Dynamiken in den Interviews gezeigt, wie stark sie durch die jeweiligen Positionierungen der Beteiligten geprägt sind. 3.2.3.4 Fragen der Ethik in Bezug auf die Interviews Im Rahmen der Interviews war es zentral, einen informierten Konsens mit den Interviewpartner_innen herzustellen. Um diesen einlösen zu können, wurden die Teilnehmenden zunächst per Email kurz und prägnant über meine Person und grundlegende Fragestellungen der Forschung informiert. Im Emailwechsel wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass ich aufkommende Fragen gerne jederzeit beantworten würde. Direkt vor dem Interview wurden diese Ziele wiederholt und dabei auch kurz auf meinen persönlichen Hintergrund und die Beziehung zum Thema eingegangen, um

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auf diese Weise zu erklären, warum ich mich mit der Selbstorganisation muslimischer Frauen auseinandersetze. Im Rahmen von qualitativen Interviews ist es gängig, eine Konsensform zu erstellen, die vor dem Interview mit den Interviewpartner_innen diskutiert und unterschrieben wird. Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass die Bedingungen des Gespräches von allen Beteiligten diskutiert und dokumentiert werden. Auf diese Weise kann ein gewisser Vertrauensschutz durch Transparenz gewährleistet werden. Ein möglicher Nachteil einer Konsensform, der hier weniger bedeutsam war, liegt darin, dass bestimmte Gruppen (zum Beispiel illegalisierte Migrant_innen) verunsichert werden und nicht mehr am Interview teilnehmen wollen. Im vorliegenden Falle war es allerdings aus praktischen Gründen nicht immer möglich, eine solche Form zu erstellen: Im Falle der Skype Interviews wäre der Aufwand, die Form im Vorfeld an die Beteiligten zu schicken und später wieder zurück zu bekommen nicht zuletzt für die Interviewpartnerinnen vergleichweise hoch gewesen. Da es sich bei ihnen zudem um Aktivistinnen handelte, die regelmässig Interviews geben, wurde auf diese Möglichkeit verwiesen und sie waren einverstanden, darauf zu verzichten. Stattdessen wurde ein besonderer Wert darauf gelegt, die Bedingungen des Interviews zu Beginn zu erklären und Raum für Fragen seitens der Interviewpartner_innen zu schaffen. Das betraf auch die Frage nach dem Wunsch nach Anonymität. Aufgrund dessen, dass die Teilnehmer_innen als Repräsentant_innen einer Organisation oder Institution angesprochen wurden, war ich zunächst nicht sicher, ob Anonymität überhaupt gewünscht sei. Insbesondere Organisationen die – so erste Überlegungen – in politischen Kampagnen tätig waren, könnten durchaus Interesse daran haben, ihre Standpunkte offen zu vertreten. Daher wurde vor dem Beginn der Interviews jeweils danach gefragt, ob die Teilnehmenden Anonymität wünschten. Die Antworten fielen unterschiedlich aus: so war ein Teil der Interviewpartner_innen damit einverstanden, namentlich genannt zu werden, jedoch wurde es von niemandem ausdrücklich gewünscht. Ein anderer Teil wollte anonym bleiben. Um einen einheitlichen Umgang hiermit zu finden, entschied ich mich, die Interviews zu anonymisieren. Zum Ende des Interviews wurden die Teilnehmer_innen noch einmal auf die Forschung aufmerksam gemacht und angeboten, sie auf mögliche

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Veröffentlichungen der Ergebnisse in englischer Sprache hinzuweisen. Auf diese Weise sollte größtmögliche Transparenz hergestellt werden.

3.3 D IE W ISSENSSOZIOLOGISCHE D ISKURSANALYSE UND IHRE O PERATIONALISIERUNG IM R AHMEN DIESER F ORSCHUNG Bei der Prevent-Strategie handelt es sich um ein Feld, in dem Diskurse um Sicherheit, sozialen Zusammenhalt und muslimische Frauen in Großbritannien miteinander verschränkt werden. In der Analyse sollen spezifische Ambivalenzen und Dynamiken des Feldes im Hinblick auf die damit verbundenen Subjektivierungsprozesse5 beschrieben werden. Kontinuitäten und Widersprüche in den Aneignungsprozessen von Citizenship sollen herausgearbeitet und vor dem Hintergrund des gesellschaftspolitischen Kontexts analysiert werden. Der Ansatzpunkt für die Auswertung von Daten in der vorliegenden Studie ist die von Reiner Keller erarbeitete Wissenssoziologische Diskursanalyse (Keller, 2005, 2007, 2011, 2012). Dieses Forschungsprogramm stellt die Begrifflichkeiten und Vorgehensweisen zur Verfügung, auf die ich mich methodisch stütze. Es ermöglicht die Analyse der inhaltlichen Strukturierung von Diskursen. So können zentrale Aussagen in Bezug zueinander gesetzt und als Teil eines – durchaus widersprüchlichen – Systems von Aussagen untersucht werden. Sie werden dargestellt und in einem weiteren Schritt mit Rückgriff auf Clarke (Clarke, 2012) als Konfliktfelder analysiert. Auf dieser Basis können Aussagen über Kontinuitäten zu anderen diskursiven Feldern und mögliche Subjektpositionen herausgearbeitet werden. Wissenssoziologische Diskursanalyse erlaubt es, die Ebene der Akteure mit in die Analyse einzubeziehen und auf diese Wei5

Der Einwand, dass stärker hermeneutisch orientierte Verfahren für die Analyse von Subjektivierungsprozessen besser geeignet sind, ist für einen Teil der ausgewerteten Daten sicherlich gültig: So existieren einzelne Interviews, die sich durchaus für eine zweite Auswertung mit Hilfe geeigneter Methoden eignen. Dies gilt allerdings nicht für die Mehrzahl, die aufgrund eines meist auf etwa eine Stunde begrenzten Zeitrahmens als Leitfadeninterviews durchgeführt wurden. Der Vorteil im gewählten Vorgehen liegt weiterhin darin, dass die Breite unterschiedlicher Positionierungen auf diese Weise abgebildet werden kann.

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se dichotome Vorstellungen von „den Muslim_innen“, die in Opposition zu einem relativ abstrakt erscheinenden Staat stehen, zu vermeiden.6 Ein weiterer Grund, die Akteur_innen in die Analyse einzubeziehen, leitet sich aus der Fragestellung ab: Die Frage nach dem Einfluss bestimmter politischer Prozesse auf die Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Grenzen politischen Aktivismus beinhaltet auch die Frage danach, welche Arten von Organisationen von den genannten Programmen profitieren, wer PreventGelder einsetzt und wer sich vom Programm mit welcher Begründung abgrenzt. Auch hier ist ein beispielhafter Rückbezug auf Akteure, in der Auseinandersetzung mit Positionierungen sinnvoll. Im angloamerikanischen Raum nimmt die Wissenssoziologische Diskursanalyse im Kontrast zu anderen Formen der Diskursanalyse, insbesondere der Critical Discourse Analysis (Fairclough, 2010 [1995]) eine weniger prominente Rolle ein. Speziell die ideologiekritischen Elemente von Critical Discourse Analysis legen es durchaus nahe, sie für den vorliegenden Kontext heranzuziehen und Fairclough hat in einem Aufsatz über die Verbindungen zwischen Kapitalismus, Krieg und Terrorismus damit in Verbindung stehende Fragen aufgeworfen (Fairclough, 2010, S. 502). Für die Wissenssoziologische Diskursanalyse spricht in dieser Studie aus meiner Sicht der Analyseschritt der Phänomenstruktur der im folgenden Abschnitt erläutert wird und die Möglichkeit eröffnet einen Überblick über durchaus widersprüchliche Diskursstränge zu schaffen. Diese können in einem nächsten Schritt mit Rückgriff auf die von Adele Clarke (Clarke, 2012) entwickelten positional maps dargestellt werden, so dass hier nicht nur deutlich gemacht werden kann, welche Positionierungen in Diskursen eingenommen werden, sondern auch, welche nicht besetzt werden. Aus die-

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Ein Beispiel hierfür ist die Veröffentlichung „Prevent Extremism Together“ (2005), die kurze Zeit nach den Anschlägen vom Juli 2005 von der Regierung veröffentlicht wurde und die Ergebnisse von Arbeitsgruppen vorstellt, die in Reaktion auf das Attentat Strategien entwickelten, um Terrorismus in Großbritannien vorzubeugen. „Prevent Extremism Together“ kann insofern als Grundsatzpapier verstanden werden, als es die Themen und Zielgruppen der folgenden Jahre benennt. Die Autor_innen sind Vertreter_innen muslimischer Organisationen, so dass sich hier bereits andeutet, dass die Regierung Muslim_innen nicht generell ausschließt, sondern – im Gegenteil – bestimmte Gruppen explizit einbindet.

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sem Blickwinkel ist Wissenssoziologische Diskursanalyse durchaus adäquat, sich dem vorliegenden Themenfeld zu nähern. In diesem und den folgenden Abschnitten wird die wissenssoziologische Diskursanalyse (Keller, 2005, 2007, 2011, 2012) im Hinblick auf ihre Operationalisierung im vorliegenden Kontext thematisiert. Kellers Ziel ist es, unterschiedliche Ansätze der Wissenstheorie, insbesondere die von Peter Berger und Thomas Luckmann mit Foucaults Diskurstheorie und daraus folgenden Überlegungen aus dem Bereich der Cultural Studies, feministischer Theorie und postkolonialer Theorie zu verbinden. Sie sind sich im Bezug auf die Annahme ähnlich, dass Wissen sozial konstruiert, stabilisiert und legitimiert wird und Erfahrungen auf diese Weise generiert werden (Keller, 2011, S. 58-59). Aufgabe der Wissenssoziologischen Diskursanalyse ist es, diese Prozesse der Konstitution von Sinnzusammenhängen und damit verbundene Deutungsmuster und Handlungsstrukturen im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Effekte zu untersuchen (Keller, 2011, S. 59). In den folgenden Abschnitten erläutere ich Grundbegriffe der Wissenssoziologischen Diskursanalyse, die für den vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind und als Grundlage für die Operationalisierung der Diskursanalyse im vorliegenden Forschungsprojekt dienen. 3.3.1 Grundlagen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse Kellers Diskursbegriff basiert weitestgehend auf den Ansätzen von Foucault (Keller, 2005, S. 230). Daraus leitet der Autor einen Diskursbegriff ab, in dem Aussagen und Praktiken in Zusammenhang zueinander stehen und die Grundlage für die Konstitution und Reproduktion von Wissen schaffen. „Als Diskurs bezeichne ich einen Komplex von Aussageereignissen und darin eingelassenen Praktiken, die über einen rekonstruierbaren Strukturzusammenhang miteinander verbunden sind und spezifische Wissensordnungen der Realität prozessieren. Dieser Strukturzusammenhang umfasst die den Ereignissen gemeinsamen Regeln und Ressourcen der Diskursformation. Er bezieht sich auf die Konstitution der Inhalte und auf die Äußerungsmodalitäten.“ (Keller, 2005, S. 230)

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Diskurse werden als „Aussagenkomplexe“ (Keller, 2005, S. 231) verstanden, deren Zusammenhang auf struktureller Ebene im Rahmen der Diskursanalyse untersucht werden soll. Dementsprechend wird Wissen als historisch und gesellschaftlich produziert und verortet betrachtet und ist immer nur im Kontext einer bestimmten „Wissensordnung“ von Bedeutung. Soziale Praktiken sind Teil von Diskursen, die mit ihnen verbunden sind oder sich unabhängig von ihnen entwickeln können. Für die Reproduktion von Diskursen sind darüber hinaus Dispositive entscheidend. Sie stellen „die materielle und ideelle Infrastruktur“ (Keller, 2005, S. 230) dar. Keller unterscheidet zwischen Äußerungen, die Diskursfragmente enthalten können, und Aussagen, die dem Gehalt von Äußerungen entsprechen. In der Wissenssoziologischen Diskursanalyse wird der strukturelle Zusammenhang von Äußerungen in Bezug auf ihre Funktion innerhalb von Diskursen untersucht (Keller, 2005, S. 231). Zur Analyse von Diskursen schlägt Keller vier unterschiedliche Konzepte vor, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte legen: Er unterscheidet Deutungsmuster, Phänomenstrukturen, Klassifikationen und narrative Strukturen (Keller, 2005, S. 235 ff.; 2007). Auf Basis einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des Deutungsmusters, wie er in der Objektiven Hermeneutik, dem symbolischen Interaktionismus und der Hermeneutischen Wissenssoziologie diskutiert wird7, macht er den Begriff für die Wissenssoziologische Diskursanalyse nutzbar. Dabei betont der Autor, dass die Analyse von Deutungsmustern auf deren Genese und die Entwicklungen gerichtet ist. Sie entstehen aus den diskursiven Deutungen sozialer Akteure, die ihrerseits: „[…] in ihrer Diskurspraxis in institutionell-organisatorische Felder und symbolische Kämpfe eingebunden sind. Der Begriff des Deutungsmusters bezeichnet dann grundlegende bedeutungsgenerierende Schemata, die durch Diskurse verbreitet werden und nahe legen, worum es sich bei einem Phänomen handelt. Diskurse verknüpfen verschiedene Deutungsmuster zu spezifischen Deutungsarrangements. Sie rekurrieren dabei auf den gesellschaftlich verfügbaren Wissensvorrat solcher Muster; sie vermögen jedoch auch – und gerade das zeichnet Diskurse aus – neue Deutungsmus-

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Die ausführliche Diskussion findet sich in Kapitel 4 von Kellers „Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms.“ (Keller, 2005, S. 235-238)

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ter zu generieren und auf der gesellschaftlichen Agenda zu platzieren“ (Keller, 2005, S. 238)

Insofern sind Deutungsmuster veränderbar – so der Autor weiter – und können von Akteuren strategisch genutzt werden. Beispielsweise wählen soziale Bewegungen Deutungsmuster, die ihrem Mobilisierungspotenzial zu Gute kommen (Keller, 2005, S. 238). Deutungsmuster werden durch Klassifikationen ergänzt, die dazu dienen, Phänomene in Schemata einzuordnen und auf diese Weise erfahrbar zu machen. Da Klassifikationen auf kollektive Wissensvorräte zurückgreifen, sind sie eng an den sozialen und historischen Kontext gebunden. Weiterhin können Diskurse im Wettstreit um Klassifikationen miteinander liegen, die Interpretationen und Zuschreibungen von Legitimität zur Verfügung stellen. „Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Kontingenz und Strukturierungsleistung von Kassifikationen, sondern auch ihre performative Wirkung, etwa dann, wenn adminitrative ethnische Kategorisierungen zur Grundlage von Selbstbeschreibung und Identitätspolitik ethnischer Gruppen werden bzw. solche Gruppen erst durch den Klassifikationsprozess herstellen, wie dies unter anderem in Untersuchungen zur ‚Identitätspolitik‘ beschrieben wurde […].“ (Keller, 2007)

Diese Möglichkeiten der strategischen Nutzbarmachung von Deutungsmustern und Klassifikationen sollen in der vorliegenden Auseinandersetzung mit Aktivismus einbezogen werden. Über die Analyse von Deutungsmustern können Vereinnahmungsprozesse beschrieben und analysiert werden. Damit in Zusammenhang stehen auch Strategien strategischer Positionierung. Im vorherigen Kapitel wurde das von Isin (E. Isin, 2009; E. Isin & Nelsen, 2008) entwickelte Konzept activist citizenship beschrieben, das dazu dient, Praktiken der Positionierung von Aktivist_innen zu untersuchen. Die Übernahme und Weiterentwicklung von Deutungsmustern kann in diesen Zusammenhängen dazu dienen, neue politische Handlungsoptionen zu erschließen und Dynamiken von Diskursen zu verändern. Ein wichtiges Mittel, das dazu dienen soll die Aushandlungsprozesse und damit verbundene Anrufungen und Positionierungen untersuchen zu können, ist die Phänomenstruktur. Diskursive Zuschreibungen eines bestimmten Themas werden herausgearbeitet und als Ausdruck unterschiedli-

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cher Dimensionen im Diskurs in einer Struktur organisiert. Aussagen dienen dabei der Bestimmung eines spezifischen Problemfeldes und beschreiben beispielsweise Merkmale, geben Wertungen ab oder schreiben Verantwortung zu.8 Die Phänomenstruktur unterstützt die inhaltliche Erschließung eines Diskurses, indem sie unterschiedliche Dimensionen eines Diskurses zu einer „Phänomenkonstellation“ (Keller, 2005, S. 243) verbindet. Mit Hilfe dieses Zugangs soll ermöglicht werden, auch die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Diskursen (Sicherheit, sozialer Zusammenhalt, muslimische Frauen u.s.w.) besser zu verstehen und auf diese Weise das Feld zu beschreiben, in dem sie sich bewegen. In dieser Studie werden die Diskurse unterschiedlicher Akteure getrennt betrachtet. Die relativ eindeutigen Konstruktionen muslimischer Frauen, wie sie sich in den Veröffentlichungen von Behörden zeigen, werden mit Positionierungen von Frauenorganisationen verglichen. Es wird gezeigt, wie die hier untersuchten Verhandlungsprozesse um Zugehörigkeit ablaufen, mit welchen Konstruktionen gearbeitet wird und wie diese ähnlich oder unterschiedlich besetzt sein können. Das Erstellen der Phänomenstrukturen von Diskursen unterschiedlicher Akteursgruppen zielt darauf ab, deren jeweilige Positionierung und ihre Strategien im Umgang mit Regierungstechniken besser zu verstehen. Narrative Strukturen setzen die oben genannten Kategorien in Beziehung zueinander. Sie bieten den „roten Faden“, der die Dimensionen von Phänomenstrukturen mit Deutungsmustern und den dazu gehörigen Klassifikationen verbindet und auf diese Weise eine spezifische Erzählung generiert: „Narrative Strukturen sind nicht einfach nur Techniken der Verknüpfung sprachlicher Elemente, sondern […] als konfigurativer Akt der Verknüpfung disparater Zeichen und Aussagen in Gestalt von Erzählungen ein Grundmodus der menschlichen Ordnung von Welterfahrung. Als Aussagen haben sie performativen Charakter: sie konstituieren (bestreitbare) Weltzustände als Erzählungen, in denen es handelnde Akteure, Ereignisse, Herausforderungen, Erfolge und Niederlagen, ‚Gute‘ und ‚Böse‘ etc. gibt.“ (Keller, 2005, S. 246-247)

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Eine ausführliche Auflistung findet sich in Kellers Buch zur Grundlegung der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller, 2005, S. 244)

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Bei der Herstellung von Erzählstrukturen werden oftmals Kausalzusammenhänge konstruiert, auf die Akteure zurückgreifen und die Notwendigkeit von Handlung betont. Im Falle öffentlicher Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Themen, so Keller, greifen Akteure in unterschiedlicher Weise auf eine gemeinsame Erzählung zurück, die diese Kausalitäten beinhaltet. Auf diese Weise werden unterschiedliche Dringlichkeiten, Lösungsvorschläge, Verantwortlichkeiten und weiteres legitimiert. Zuletzt möchte ich betonen, dass Wissenssoziologische Diskursanalyse ausdrücklich auf Verfahren der qualitativen Sozialforschung zurückgreift. Diese werden allerdings in bestimmter Weise und mit spezifischen Zielsetzungen angewendet, da die Grundannahme darin liegt, dass die untersuchten Materialien9 Manifestationen von Wissensordnungen darstellen und als solche behandelt werden. Die damit verbundene Rekonstruktionssarbeit kann unterschiedliche quantitative und qualitative Verfahren nutzen, um vergleichsweise große Textmengen zu erschließen. Sie zielt auf textübergreifende „Strukturen der Aussageproduktion“ (Keller, 2011, S. 74) und richtet sich somit auf Gruppen von Aussagen (Keller, 2011, S. 74-75). „Diskurse stehen immer in einem interdiskursiven Kontext und Bezug zu historisch diachronen und synchronen Diskursformationen. Sie müssen sukzessive aus einzelnen Aussagenzusammenhängen rekonstruiert werden. Diese Aggregation von Einzelergebnissen zu Aussagen über ‚den‘ Diskurs markiert den zentralen Unterschied zu den meisten qualitativen Ansätzen, die pro Text (in der Regel Interviews) von einer in sich konsistenten und geschlossenen Sinn- oder Fallstruktur ausgehen, d.h., einen Text als vollständiges Dokument genau eines Falles betrachten. Typisch für die diskursanalytische Perspektive auf natürliche Textsorten ist gerade die zugleich heterogene und partielle Repräsentation diskursspezifischer Elemente; deswegen müssen die Ergebnisse der Analyse einzelner Texte aufeinander bezogen werden.“ (Keller, 2011, S. 74)

Dementsprechend wird in der Wissenssoziologischen Disursanalyse auch zwischen einzelnen Äußerungen unterschieden, die in Texten oder Interviews zu finden sind und aus denen Aussagen rekonstruiert werden können (Keller, 2011, S. 68). Diese Aussagen sind also bereits ein Produkt der

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Der Autor spricht konkret von „Texte(n), Praktiken oder Artefakte(n)“ (Keller, 2011, S. 74).

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Analyse und spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Diskurse und diskursive Felder zu beschreiben. 3.3.2 Die Rolle und Bedeutung von Akteur_innen innerhalb von Diskursen Ein wesentlicher Grund dafür, in der vorliegenden Studie mit der Wissenssoziologischen Diskursanalyse zu arbeiten, liegt darin, dass – anders als andere Formen der Diskursanalye – ein Akteurskonzept eingeführt wird. Keller begründet das mit der Rolle von Akteuren, die aus seiner Sicht konstitutiv für die Diskurse als solche ist: „Diskurse sprechen nicht für sich selbst, sondern werden erst durch Akteure und deren Sprachakte ‚lebendig‘. Soziale Akteure schaffen die entsprechenden materiellen, kognitiven und normativen Infrastrukturen eines Diskurses und orientieren sich in ihren (diskursiven) Praktiken an den Regeln der jeweiligen Diskursfelder, bspw. an den Publikationszwängen der Medienberichterstattung oder des wissenschaftlichen Diskurses.“ (Keller, 2005, S. 248)

Insofern handelt es sich bei Akteur_innen auch um diejenigen, die Diskurse auf eine bestimmte Weise aufgreifen, sie umdeuten und für sich nutzbar machen können. Sie sind es, die über die Definitionen dessen, was als wahr angenommen wird, und die Bewertung dieser Wahrheiten maßgeblich bestimmen. Das gilt sowohl für öffentliche Debatten als auch beispielsweise in der wissenschaftlichen Wissensproduktion und der Durchsetzung von Wissen (Keller, 2011, S. 66). In Institutionen ebenso wie im privaten Bereich, handeln die Akteur_innen im Rahmen von Diskursen und fungieren auch als Repräsentant_innen von Interessengruppen. Die Möglichkeiten, sich innerhalb von Diskursen Gehör zu verschaffen, sind durch ein „mehr oder weniger hierarchisches Netz von institutionell konfigurierten Rollensets“ (Keller, 2005, S. 248) bedingt und hängen insofern eng mit Machtverhältnissen zusammen. Metaphern und Erzählmuster, die Akteur_innen nutzen (Keller, 2011, S. 66), geben Hinweis auf Identitätspolitiken und somit den Umgang mit Fremd- und Selbstzuschreibungen. Neben den handelnden Akteur_innen spricht Keller von „implizierten“ Akteur_innen, die zu Teilen von Diskursen werden, weil über sie gesprochen wird (Keller, 2014). Diese Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Arten, wie Akteur_innen in Dis-

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kursen in Erscheinung treten können, ermöglicht die Diskussion von Machtverhältnissen im Rahmen von Diskursen. Keller unterscheidet weiterhin zwischen Akteur_innen und den Adressat_innen von Diskursen. Während Adressat_innen im Wesentlichen für die Rezeption von Diskursen zuständig sind (Keller, 2005, S. 229), intervenieren Akteur_innen aktiv. Im vorliegenden Kontext ist diese Trennung nur bedingt sinnvoll. Obwohl sie die Identifikation unterschiedlicher Subjektpositionen vereinfachen kann, wird dabei außer Acht gelassen, dass Adressat_innen gleichzeitig Akteur_innen von Diskursen sein können. Im vorliegenden Beispiel wird das deutlich, wenn konkrete Gruppen von Akteur_innen und Adressat_innen genauer betrachtet werden. Folgende Gruppen spielen in den Daten, die hier untersucht wurden, eine direkte oder indirekte Rolle: • • • • •

Muslimische Aktivistinnen Muslimische Frauenorganisationen Staatliche Behörden Muslimische Frauen in Großbritannien Die Öffentlichkeit

Im Fokus dieser Arbeit stehen die drei erstgenannten Gruppen, wobei Aussagen von muslimischen Aktivistinnen sich in den Veröffentlichungen von Frauenorganisationen ebenso wie in Texten wiederfinden, die von den Verwaltungsorganen und politischen Akteuren veröffentlicht wurden. Eine Trennung, wie sie hier vorgenommen wurde, ermöglicht es insbesondere die unterschiedliche Nutzung von Begrifflichkeiten, speziell des Begriffes Empowerment, zu untersuchen und auf diese Weise Aufschluss über Vereinahmungsprozesse zu erhalten. Weiterhin weist eine Trennung unterschiedlicher Akteursgruppen auf Machtbeziehungen innerhalb von Diskursen, da es möglich wird, Positionierungen auch im Hinblick auf ihre Wirkmächtigkeit zu untersuchen. Auf diese Weise kann die Dimension der sozialen Ungleichheit einbezogen werden. Die untersuchten Gruppen sind sehr heterogen und mit spezifischen Subjektpositionen verbunden. Weiterhin wird deutlich, dass Adressat_innen und Akteur_innen von Diskursen sich überschneiden. Im Folgenden werden die Überlegungen zu den drei relevanten Gruppen detaillierter skizziert:

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Akteursgruppe „muslimische Aktivistinnen“: Frauen, die ihren Aktivismus auf den muslimischen Glauben gründen. Auf dieser Grundlage werden soziale Probleme und politische Projekte zunehmend sichtbarer in den Diskursen um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt in Großbritannien. Viele von ihnen sind aktiv in Frauenorganisationen, so dass hier ein Potenzial von Überschneidungen besteht. Andere positionieren sich individuell, sind tätig als Wissenschaftlerinnen oder Politikerinnen. Damit verweisen sie auf mögliche Subjektpositionen innerhalb des Feldes. In diesem Kontext wurden Aktivistinnen interviewt, die in Frauenorganisationen und in der sozialen Arbeit tätig sind und diese repräsentieren. Sie sind neben ihrem Aktivismus tätig für die Polizei, arbeiten in der Verwaltung, als Hausfrauen, in Familienunternehmen oder als Sozialarbeiterinnen. Da ihre Positionierungen nicht notwendigerweise identisch sind mit den öffentlichen Aussagen von Organisationen, werden sie getrennt von diesen untersucht. Ein Großteil von Aussagen in den beiden Kapiteln zu Frauenorganisationen stammt dementsprechend aus den Interviews mit Aktivistinnen. Meines Erachtens geben sie Aufschluss darüber, wie muslimische Frauen sich zu den genannten Diskursen positionieren, an welche Themenfelder angeknüpft wird und wo im Zuge von Interviews auch Positionen deutlich werden, die in öffentlichen Stellungnahmen nicht artikuliert werden. Sie weisen weiterhin auf Anrufungen hin, mit denen muslimische Frauen konfrontiert sind.10 Akteursgruppe „Frauenorganisationen“: Es gibt eine zunehmende Zahl von Frauenorganisationen, die sich zentral über die Kategorie Muslim definieren. Damit unterscheiden sie sich von „klassischen“ Minderheitenorganisationen, die in der Regel über nationale Kategorien oder über race definiert wurden. Die zunehmende Zahl von muslimischen Frau-

10 Ein Beispiel wäre die Aussage einer Interviewpartnerin, die gleich zu Beginn des Interviews erklärt, dass sie „genug davon“ habe, über die Prevent-Strategie zu sprechen („I guess I’m fed up of talking about the ‚Prevent‘ agenda in a way.“ (Interview mit Arifa, Organisation 1)). Aus öffentlichen Stellungnahmen der Organisation wird diese Einstellung, die damit zusammenhängen kann, dass die Interviewpartnerin sehr häufig danach gefragt wird, nicht deutlich. Vielmehr betont die Organisation andere Themenfelder und bestätigt so den umfassenden Anspruch, den auch die Interviewpartnerin im weiteren Verlauf wiederholt nennt.

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enorganisationen weist auf spezielle Problemlagen und potenziell auch auf Veränderungen von Finanzierungsschemata hin, die andere Ebenen von Selbtzuschreibung in den Hintergrund treten lassen. So ist es durchaus denkbar, dass Organisierungsprozesse strategische Bedeutung haben. Darauf verweist auch das Beispiel des Dachverbands muslimischer Frauenorganisationen, dessen Mitglieder auch Organisationen sind, die sich über andere Kategorien, beispielsweise Nationalität, organisieren. Die hier untersuchten Organisationen sind sehr heterogen, sowohl im Bezug auf ihre Zielsetzungen (politische Arbeit, Kultur, Sport, soziale Arbeit) als auch im Bezug auf ihre Aktivist_innen (u.a. im Hinblick auf Klasse und Alter), und ihre Positionierungen im Rahmen aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Akteursgruppe „staatliche Behörden“: Diese Akteursgruppe besteht aus Verwaltungsorganen, Entscheidungsträger_innen, Berater_innen und anderen politischen Akteur_innen. Es handelt sich um Institutionen, Einzelpersonen und Gruppierungen, die auf unterschiedlichen Ebenen (u.a. lokal und national) aktiv sind. Ihnen gemein ist, dass sie in einem bestimmten diskursiven Rahmen als Vertreter_innen der britischen Regierung auftreten und damit eine spezifische Funktion im Diskurs einnehmen. Sie repräsentieren den Staat und sind Akteure rechtlicher, administrativer und politischer Diskurse. Der Begriff „Regierung“ ist hier nicht gleichzusetzen mit dem, was Foucault als Regierung beschreibt (Foucault, 1991), sondern bezieht sich auf den Bereich des Staates.

Die Diskurse um Sicherheit, sozialen Zusammenhalt und muslimische Frauen in Großbritannien werden von den genannten Gruppen stark beeinflusst. Die Prevent-Strategie – so eine These – hat den Aktivismus von muslimischen Frauen in bestimmter Weise gefördert und kanalisiert. Andererseits ergeben sich hierdurch neue Möglichkeiten der Intervention. In den folgenden Abschnitten wird die Auswertung der Daten im Detail beschrieben. 3.3.3 Die Auswertung der Daten Ähnlich wie in anderen Formen von Diskursanalysen ist auch die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Prozess zu verstehen, in dem um Interpretationen und Positionen gerungen wird. Die damit verbundene Annahme,

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dass Wissen sozial konstruiert und reproduziert wird, ist vereinbar mit Überlegungen aus dem Bereich feministischer Standpunktheorie (s.o.). In der Praxis bedeutet das, dass Interpretationen und deren Hintergründe als solche deutlich werden sollten. „Diskursanalytiker müssen das Risiko der Interpretation eingehen und können nicht mehr tun, als erstens dieses Risiko als Chance zu begreifen, kreative Strategien für die Methodik zu entwickeln, und zweitens dieses Risiko dadurch versuchen zu minimieren, dass sie ihre eigenen Interpretationen ebenso konsequent infrage stellen wie diejenigen Wirklichkeitskonstruktionen, auf die sich ihre Interpretationen beziehen.“ (Karis 2013: 102)

Die Aufgabe im Prozess der Auswertung besteht also nicht zuletzt darin, Erkenntnisse zu hinterfragen und Interpretationsspielräume bewusst offen zu lassen, ohne dabei beliebig zu werden. Dementsprechend sollte eine Offenheit in Bezug auf Topoi und Deutungsmuster innerhalb des Diskurses gewährleistet werden und trotzdem nicht die Fragestellungen aus dem Blick verlieren. Hinsichtlich der Auswertung von konkreten Äußerungen stellt sich also die Frage, welche Arten von Konstruktionen muslimischer Frauen hier eine Rolle spielen. Welche Inhalte werden transportiert und wo finden sich auch Widersprüche? Welche Positionen werden muslimischen Frauen zugeschrieben und wie verorten sie sich selber? Um diese Fragen beantworten zu können, werden Äußerungen nicht nur im Hinblick auf ihren Aussagegehalt, sondern auch auf die unterschiedlichen Diskursstränge untersucht, an die an sie anknüpfen. Weiterhin sollen Begrifflichkeiten und Kategorien im Hinblick auf unterschiedliche Deutungsmuster untersucht werden. Sie geben Aufschluss über Strategien der Selbstpositionierung und über Vereinnahmungsprozesse. Dabei ist es besonders interessant zu untersuchen, inwieweit Konzepte von unterschiedlichen Akteuren mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt werden. Keller weist neben den Regeln von Kommunikation in Diskursen als Analysefeld auch auf die Bedeutung von Ressourcenverteilung innerhalb von Diskursen hin. Aus diesen beiden Aspekten entstehen zwei zentrale Fragen: „Wer darf in legitimer Weise wo sprechen? Was kann/darf wie gesagt werden?“ (Keller 2011: 67) Diese Fragen bestimmen über die Regeln von Diskursen und über ihre Inhalte. Sie ermöglichen die Untersuchung unterschiedlicher Fragestellungen, die sich auf die Erzeugung von Diskursen, der Konstitution diskursiver Phänomene, ihrer

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Machtwirkungen oder auf das Verhältnis unterschiedlicher Diskurse zueinander beziehen können (Keller, 2005, S. 258-263).11 In der vorliegenden Forschung sind insbesondere die Dynamiken der Erzeugung der genannten Diskurse und ihre Verhältnisse zueinander von Interesse. Sie geben Aufschluss über die Aushandlungsprozesse, die hier stattfinden. Konkret können die meiner Forschung zugrunde liegenden Fragen folgendermaßen formuliert werden: • • • •

Wer spricht über muslimische Frauen? In welchen Zusammenhängen wird über sie gesprochen? Was wird über sie gesagt? Wie werden sie konstruiert? Wie werden sie mit Fragen von Sicherheit und Zugehörigkeit in Verbindung gesetzt? In welcher Weise werden sie als Citizens konstruiert und positionieren sich als solche?

Die Antwort auf diese Fragen gibt Auskunft über die Dynamiken und Funktionsweisen des Diskurses um Frauen im Rahmen von Prevent im engeren Sinne und um die Konstruktionen von Geschlecht im Zusammenhang mit den Debatten um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt in Großbritannien im weiteren Sinne. Der Diskurs um muslimische Frauen in Großbritannien wird in dieser Studie im Hinblick auf seine Verknüpfungen zu den Sicherheitsdiskursen untersucht, um damit in Verbindung stehende Verhandlungen um Zugehörigkeit, insbesondere Citizenship, in den Fokus zu rücken. Zu diesem Zweck wurden relevante Äußerungen zunächst nach Feldern organisiert, die sich ihrerseits zum einen aus den Vorüberlegungen ergaben, die bereits das Erstellen von Interviewleitfäden geleitet hatten. Zum anderen wurden Kategorien aus den Materialen gebildet und so unerwartete Ergebnisse, wie Anknüpfungen an Diskurse, die nicht Teil der Vorüberlegungen waren, einbezogen. In einem nächsten Schritt wurden die Äußerungen typisiert und zu Aussagen zusammengefasst. Diese dienen als Grundlage der Phänomen-

11 Keller nennt weiterhin das Verhältnis von Diskursen zum Alltagswissen und zu Alltagspraktiken (Keller, 2005, S. 259-260). Da auch diese meiner Ansicht nach diskursiv ist, ist der Verweis auf die Möglichkeit der Untersuchung von Verhältnissen zwischen Diskursen meiner Ansicht nach ausreichend.

S UBJEKTIVIERUNGSPROZESSE ALS THEMA

VON

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strukturen der Diskurse unterschiedlicher Akteure, die im Folgenden erstellt wurden. Auf diese Weise konnten die verschiedenen Elemente des Diskurses benannt und die Dimensionen dessen, was gesagt wird, erschlossen werden. Zugleich konnten die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen im Vergleich zueinander analysiert werden. Wie bereits oben erklärt wurde, handelt es sich bei den inhaltlichen Ausführungen der Dimensionen von Phänomenstrukturen nicht um Originalzitate, sondern um Verdichtungen, die einzelne Aussagen zusammenfassend auf den Punkt bringen. Sie werden im weiteren Verlauf der Auswertung durch Originalzitate belegt und stellen typische Beispiele für die Aussagen dar, die im Zusammenhang mit den verschiedenen Dimensionen des Diskurses gemacht wurden. Wo es sinnvoll erschien, die Spannungsfelder möglicher Positionierungen illustrieren zu können, wurden widersprüchliche Aussagen kontrastiert. Um die Aussagen aus Phänomenstrukturen in Positionierungen auf grundlegende Konfliktfelder beziehen zu können, werden zu ausgewählten Themenbereichen positional maps (Clarke, 2012) erstellt. Sie dienen dazu, das Spektrum der Positionierungen innerhalb des Diskurses abzustecken und dabei auch Positionierungen zu markieren, die nicht eingenommen werden. Auf diese Weise ermöglichen sie es, Aspekte zu identifizieren, die im Rahmen von Diskursen nicht gesagt werden und die auf Grenzen von Subjektpositionen hinweisen (Clarke, 2012, S. 124). Es ist wichtig zu beachten, dass die Positionierungen, wie sie sich in den positional maps finden, weder an einzelne Personen noch an Organisationen gebunden sind. Diese können durchaus widersprüchliche Positionierungen einnehmen (Clarke, 2014). So dient dieses Instrument in erster Linie dazu, das Diskursfeld abzustecken, die zentralen Konflikte darin zu markieren und die Grenzen zu benennen, innerhalb derer legitime Subjektpositionen eingenommen werden können.

3.4 Z USAMMENFASSUNG In diesem Kapitel wurden methodische und methodologische Überlegungen zur Forschung genannt und ihre Umsetzung in der Feldforschung diskutiert. Zunächst ging es um ethische, erkenntnistheoretische und gesellschaftspolitische Fragen, die das Forschungsdesign, den Prozess der Datenerhebung und die Auswertung der Daten beeinflusst haben. Meine Position als relati-

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ve Außenseiterin im Feld hat bestimmte Dynamiken hervorgerufen, die thematisiert und im Hinblick auf ihre Implikationen für die Durchführung der Forschung diskutiert wurden. Sie betrafen unter anderem unterschiedliche soziale Positionierungen, mögliche Anknüpfungspunkte und Machtverhältnisse, die sich auch in der Interviewsituation widerspiegeln können. Auch forschungspraktisch hatte die Außenseiterinnenrolle Auswirkungen, die hier diskutiert wurden. Darauf folgend wurde die Auswahl, Erhebung und Auswertung der Daten beschrieben und erläutert, wie in der vorliegenden Arbeit Akteursgruppen gebildet wurden. Obwohl klare Abgrenzungen ihre eigenen Probleme besitzen und sowohl Positionierungen als auch Sprecher_innen durchaus Doppelrollen innehaben können, wurde diese Strategie gewählt, um auf diese Weise Dynamiken von Vereinnahmung sichtbar machen zu können. Darüber hinaus wurde die Vorbereitung und Durchführung der Erhebung beschrieben. Die Auswertung qualitativer Interviews, in Kombination mit Dokumenten von muslimischen Frauenorganisationen und von staatlichen Behörden ermöglicht es, das Feld aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Nachdem diese Materialien vorgestellt wurden, ging es um die Wissenssoziologische Diskursanalyse (Keller 2005, 2007, 2011) als Grundlage für den Auswertungsprozess. Sie wurde mit Bezug auf ihre Anwendung in der vorliegenden Studie erläutert. Der Diskursbegriff, wie er in diesem Rahmen Verwendung findet, die Begriffe Deutungsmuster, Klassifikationen und Phänomenstrukturen wurden diskutiert. Neben den Erkenntnismöglichkeiten im Hinblick auf die inhaltliche Strukturierung von Diskursen und die Beziehungen von Aussagen zueinander, wurde die Einführung eines Akteurskonzeptes als ein wichtiger Grund für die Wahl dieses Ansatzes genannt. Zuletzt die Auswertung als inhaltlicher strukturierender Prozess, der viele unterschiedliche Äußerungen und deren Beziehungen zueinander umfassen kann, erläutert. In den folgenden Kapiteln werden die Ergebnisse dieses Vorgehens vorgestellt. Zunächst beginne ich mit einer Analyse der Thematisierung muslimischer Frauen durch die Behörden im Rahmen der Prevent-Strategie. In Kapitel 5 und 6 folgen die Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen und Aktivistinnen.

4. Konstruktionen muslimischer Frauen – Staatliche Diskurse am Beispiel der Prevent-Strategie

Die Diskurse um Prevent sind durchzogen von Deutungsmustern, die Erklärungen für Terrorismus und Strategien zur Intervention in Radikalisierungsprozesse anbieten. Muslimische Frauen nehmen in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung ein: Sie stellen – zumindest in den ersten Jahren – ausdrücklich eine Zielgruppe von Prevent-Maßnahmen dar und sollen mit dem Programm gefördert werden. Dies findet im Rahmen von Empowerment-Programmen statt, die aus Sicht des Staates dazu dienen, Frauen Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen und es ihnen erleichtern zu intervenieren, wenn sie mit fundamentalistischen Auslegungen des Islam konfrontiert sind. Die Art der Einbindung von muslimischen Frauen in die britische Antiterrorstrategie wirft eine Reihe von Fragen auf, denen in diesem Kapitel nachgegangen wird. Im Vordergrund steht dabei die Nutzbarmachung von Empowerment-Maßnahmen als Regierungstechnik vor dem Hintergrund einer Verknüpfung von Gleichstellungs- und Sicherheitspolitik. Weiterhin soll die Konstruktion der Zielgruppe „muslimische Frauen“ beleuchtet und im Hinblick auf damit verbundenen diskursiven Anschlüsse, insbesondere im Hinblick auf mögliche Ausgangspunkte für Verhandlungen um Zugehörigkeit, analysiert werden. Es wird danach gefragt, auf welchen Grundlagen Prevent entwickelt wurde und wie muslimische Frauen als Akteurinnen darin vorkommen. Darauf folgt die Analyse der Rolle muslimischer Frauen als handelnde Akteurinnen, besonders aber als implizierte Akteurinnen in den staatlichen Veröffentlichungen zu Prevent. Ziel ist es, einen Überblick über den Rahmen zu schaffen, in dem sich muslimische

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Frauenorganisationen vor dem Hintergrund der miteinander verknüpften Debatten um sozialen Zusammenhalt und Sicherheitspolitik bewegen.

4.1 M USLIMISCHE F RAUEN UND P REVENT : O RIENTIERUNGSPUNKTE Muslimische Frauen stellen in den Jahren bis 2011 eine wichtige Zielgruppe von Prevent-Maßnahmen dar. Vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen und kritischer Interventionen durch Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen (u.a.: Kundnani, 2009; Thomas, 2010; Turley, 2009) wurde die Strategie weiterentwickelt. Von den ersten Arbeitsgruppen, die die damalige Labour-Regierung eingesetzt hatte, um Strategien gegen Islamismus zu entwickeln, über den flächendeckenden Einsatz von Kameras, bis hin zu aktuellen Neuerungen, die Überwachungsmaßnahmen bereits ins Kindesalter ausdehnen (DE, 2015), hat sich auch die Rolle muslimischer Frauen als Akteurinnen in den staatlichen Diskursen um Prevent verändert. 4.1.1 „Preventing Extremism Together – Working Groups“ In direkter Reaktion auf die Anschläge vom Juli 2005 setzte die britische Regierung Arbeitsgruppen ein, die die Aufgabe hatten, in kurzer Zeit Ansätze zu entwickeln, die dazu dienen sollten, „gewalttätigen Extremismus“ (violent extremism) zu verhindern (Home Office, 2005: 2). Der daraus entstandene Report „Preventing Extremism Together“ (Home Office, 2005), im Folgenden PET abgekürzt, erschien im Oktober 2005. Einige Aussagen über muslimische Frauen, die im Bericht zitiert werden, sollen an dieser Stelle ausführlicher analysiert werden. Diese Sonderstellung hängt damit zusammen, dass der Bericht eine der wenigen Veröffentlichungen seitens der britischen Regierung darstellt, in der muslimische Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen zu Wort kommen und namentlich genannt werden. PET kann darüber hinaus als Grundsatzpapier für die weiteren Debatten um Sicherheit und die Partizipation von Muslim_innen betrachtet werden, das insofern einflussreich war, dass es Deutungen gesellschaftlicher Konfliktlagen wiedergibt, die sich in den Folgejahren auch in den Veröffentlichungen muslimischer Frauenorganisationen wiederfinden. Er legt die Grundlage für

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die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und muslimischen Frauenorganisationen und kann insofern auch zur Erklärung von Prozessen diskursiver Vereinnahmung herangezogen werden. PET legt den Schwerpunkt auf islamistischen Extremismus und weist darauf hin, welche Dringlichkeit staatliche Behörden einer schnellen Entwicklung von Maßnahmen im gesellschaftlichen Klima in den Wochen nach den Anschlägen zuwiesen. Damit legt das Dokument einen Grundstein für den von unterschiedlichen Seiten kritisierten Fokus auf Muslim_innen im Rahmen der PreventStrategie (u.a. Kundnani, 2009; Thomas, 2010; Turley, 2009). Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe zum Bereich „Engaging with Muslim Women“ widmet sich der Frage, auf welche Weise sie in die Arbeit gegen Extremismus einbezogen werden können. Die Autorinnen des Berichtes sind muslimische Frauen, die bereits als Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen oder Politikerinnen in der Öffentlichkeit stehen. Sie empfehlen: „Dialog und Kommunikation, die auch eine Vertiefung der Beziehungen zwischen Regierungsinstitutionen und muslimischen Frauen beinhaltet. Die Bildung einer nationalen Kampagne und Koalition, die die Sichtbarkeit muslimischer Frauen erhöht und sie darin bestärkt, informierte und aktive Bürgerinnen innerhalb der Gesellschaft zu sein; die Stärkung existierender Organisationen und deren Vernetzung, das beinhaltet eine Konsolidierung der guten Arbeit, die bereits passiert, mit der Perspektive ihre Entwicklung zu unterstützen und zu vereinfachen.“ (Home Office, 2005: 5)

Diese drei zentralen Strategien werden in der Zusammenfassung zu Beginn des Berichtes genannt und in einem gesonderten Kapitel begründet. Sie werden ergänzt durch Überlegungen zu ihrer Umsetzung und Beispielprojekte, die mögliche Handlungsoptionen nachvollziehbar machen (Home Office, 2005: 36-43). Musliminnen – so das Hauptanliegen – sollen politisch und gesellschaftlich partizipieren. Sie werden im Rahmen des Papiers in erster Linie als Bürgerinnen des britischen Staates angesprochen, wobei Assoziationen zum Konzept active citizenship geweckt werden. Anders als in späteren Veröffentlichungen zu Prevent steht demnach nicht die Mitgliedschaft in einer Communities im Zentrum. Der Schwerpunkt auf der Rolle muslimischer Frauen als aktive Teilhaberinnen an Zivilgesellschaft bestätigt sich im Hinweis auf fehlende Vorbilder für muslimische Frauen.

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„Derzeit gibt es seine Unterrepräsentation muslimischer Frauen in den Spitzenpositionen des öffentlichen und privaten Sektors. Dieser Mangel an Vorbildern, hat Frauen dazu gebracht zu glauben, dass die höheren Bereiche der Zivilgesellschaft für sie irrelevant, schwer realisierbar oder außerhalb der Reichweite muslimischer Frauen seien.“ (Home Office 2005: 36)

In diesem Zitat findet sich eine Tendenz, die sich in späteren Veröffentlichungen von staatlichen Behörden und muslimischen Frauenorganisationen wiederholt: Strukturelle Ungleichheiten werden zwar benannt, jedoch auf individuelle Erfahrungen wie fehlende Vorbilder zurückgeführt. Diese Art der Deutung von Ungleichheiten wurde zur Grundlage für verschiedene Programme zum Empowerment muslimischer Frauen, die von Frauenorganisationen – teils mit Unterstützung durch Prevent-Ressourcen, teils über andere Geldgeber umgesetzt wurde. Insofern ist PET nicht nur relevant als Regierungsdokument, in dem Grundlagen für die Implementation politischer Maßnahmen gelegt wurden, sondern in dem auch bestimmte gemeinsame Ausgangspunkte zwischen den Diskursen von Frauenorganisationen und staatlichen Behörden erkennbar sind. Neben dieser Funktion als gemeinsamer Bezugspunkt für staatliche Behörden und für Frauenorganisationen, die Gelder im Rahmen von Prevent beantragen wollen, erweckt der Text an einigen Stellen den Eindruck, dass es hier auch darum geht, gängige Deutungen der Stellung von Frauen in muslimischen Ländern in Frage zu stellen. „Länder im arabischen Raum, Bangladesh und Pakistan bieten positive Beispiele von hochengagierten berufstätigen muslimischen Frauen. Die Untersuchung von Möglichkeiten und Zugängen zum Arbeitsplatz für Frauen, kann helfen, Beispiele für gute Verfahren zu entwickeln, die im ganzen Vereinigten Königreich angewendet werden können.“ (Home Office 2005: 36)

Dieser Verweis bricht stereotype Vorstellungen von der Stellung von Frauen in muslimischen Ländern auf und ermöglicht es den Autorinnen, sowohl Muslim_innen in Großbritannien als auch Nicht-Muslim_innen zu vermitteln, dass der Islam und die öffentliche Sichtbarkeit von Frauen nicht im Widerspruch zueinander stehen. Diskurse um Geschlechterrollen im Islam werden hier ebenso verhandelt wie die offensichtliche Frage nach der Teilhabe als Staatsbürgerinnen in Großbritannien. Zugleich wird in dem Ver-

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weis nicht genannt, dass einzelne Frauen in diesen Ländern zwar Führungspositionen einnehmen, ihre politische Teilhabe von vielen Autor_innen jedoch gesamtgesellschaftlich betrachtet als unzureichend bewertet wird (Aurat Foundation, 2013; Jamal, 2005; Jamal & Langohr, 2009; Panday, 2013). Insofern ist der Vorbildcharakter, der hier suggeriert wird, durchaus zu hinterfragen. Im Vorwort des Berichtes wird auf Tendenzen zunehmender Muslim_innenfeindlichkeit vor dem Hintergrund der Anschläge vom 7. Juli 2005 aufmerksam gemacht. Dennoch finden sich in den Empfehlungen der Arbeitsgruppe nur wenige direkte Bezüge zu diesen und anderen politischen und gesellschaftlichen Debatten. Trotzdem lassen sich aus der Art und den Inhalten des Textes Rückschlüsse über Auseinandersetzungen ziehen, die bereits lange vor den Anschlägen vom Juli 2005 begannen. So knüpft die Betonung der Notwendigkeit einer Stärkung von Repräsentationsstrukturen an Diskurse um die Repräsentationsstrukturen von Muslimischen Communities an, wie sie in der Einleitung dieses Bandes diskutiert wurden. PET spiegelt insofern Aushandlungsprozesse verschiedener Art wieder und knüpft an Diskurse an, die von muslimischen Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen bereits lange vor Einsetzung der Arbeitsgruppen thematisiert wurden. Indem sie im Kontext der Auseinandersetzung mit Terrorismus neu artikuliert werden, wird die Grundlage für eine Politik gelegt, die die Beteiligung muslimischer Frauen als Strategie vorsieht, um soziale Konflikte zu lösen. Auf der einen Seite werden auf diese Weise Möglichkeiten geschaffen, um Projekte zu fördern, die muslimischen Frauen mehr Teilhabe ermöglichen. Andererseits wird die diskursive Verknüpfung unterschiedlicher Themenbereiche, insbesondere die Verbindung zwischen Terrorismus und sozialen Konflikten in Großbritannien mit PET verstärkt. Das Papier legt eine Grundlage für die Vereinnahmung feministischer Forderungen nach Partizipationsmöglichkeiten durch Diskurse um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt.

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4.1.2 Muslimische Frauen im Rahmen von Prevent: Entwicklungen In den frühen Jahren der Prevent-Strategie (2005 - 2011) wurde eine Reihe von Grundsatzpapieren und Berichten herausgegeben, die sich mit der Umsetzung auf nationaler und lokaler Ebene befassen. Besondere Bedeutung besitzen in diesem Zusammenhang das im letzten Absatz beschriebene Grundsatzpapier „Preventing Extremism Together. Working Groups“ von 2005 (Home Office, 2005) und die Veröffentlichungen der folgenden Jahre, in denen Leitlinien des Programms definiert werden (DCLG, 2007b, 2007c; Home Office, 2008a, 2009, 2011b). Für die Analyse der Diskurse um muslimische Frauen ist weiterhin der Bericht „Empowering Muslim Women: Case Studies.“ (DCLG, 2008a) zu nennen, da er sich vergleichsweise ausführlich mit Projekten zum Thema befasst und eines der wichtigsten Beispiele für Texte zur Implementation des Programms darstellt. Da muslimische Frauen sowohl eine Zielgruppe von Maßnahmen bilden als auch Kooperationspartnerinnen von staatlichen Behörden sein sollen, kann zwischen Schulungsmaßnahmen und Projekten unterschieden werden, die die Vernetzung muslimischer Frauen anstreben. Während letztere durch staatliche Stellen initiiert wurden, werden erstere in der Regel von Frauenorganisationen durchgeführt, die zu diesem Zweck Mittel beantragen können. Mit der Vernetzung muslimischer Frauen wird das Anliegen verfolgt, Repräsentationsorgane zur Beratung der Regierung zu schaffen. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Muslim Women’s Advisory Group, eine Gruppe aus zunächst 19 und später 26 muslimischen Frauen, die von der Regierung von Gordon Brown einberufen wurden, um politische Entscheidungsträger_innen zu beraten (Allen & Guru, 2012). Ihre Ziele werden von Ministerin Hazel Blears in folgendem Zitat beschrieben. „Auf nationaler Ebene habe ich eine Gruppe von aufregenden, tatkräftigen Frauen aus einem weiten Spektrum von Communities und Traditionen eingeladen, die die Regierung im Hinblick darauf beraten sollen, wie wir dies umsetzen können. Als Botschafterinnen und Vorbilder, werden sie einen Unterschied machen, indem sie einfach zeigen, was Frauen erreichen können. Aber wirklicher Wandel dreht sich nicht nur um die nationale Debatte. Er bedeutet auch einen praktischen Unterschied auf der lokalen Ebene.“ (DCLG, 2008a: 3)

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Es ist zu beachten, dass Blears im Zitat die im letzten Abschnitt genannte Figur der Vorbilder (role models) nennt und damit eine Formulierung aufgreift, die bereits im Grundsatzpapier von 2005 eine Rolle spielt, jedoch auch eine Tendenz zur Individualisierung von strukturellen Ungleichheiten transportiert. Darüber hinaus betont sie eine enge Verzahnung der nationalen und der lokalen Ebene. Konkrete Projekte, die über die individuelle Ebene hinausweisen und gerade in den Anfangsjahren durch PreventGelder finanziert werden, wurden dementsprechend lokal angesiedelt. Sie betreffen unter anderem Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Politik oder Sport (DCLG, 2008a). Die Vorbildfunktion, die von der Ministerin erwähnt wird, übernahmen aus Sicht von politischen Entscheidungsträger_innen die Mitglieder der Muslim Women’s Advisory Group, so dass die Auswahl von Mitgliedern für diese Gruppe vorwiegend über dem ihnen zugeschriebenen Vorbildcharakter begründet wurde. 2010 wurde das Scheitern dieser Gruppe offenbar, als Shaista Gohir, ein führendes Mitglied, öffentlich die Legitimität der Gruppe in Frage stellte (Allen & Guru, 2012). In der Zeit nach 2011 ist der Zugang zu Dokumenten deutlich eingeschränkter. Seither beruhen die Leitlinien der Strategie auf dem Dokument von 2011 (Home Office, 2011b). Muslimische Frauen sind zumindest auf dem Papier nur noch eine Nebenerscheinung und werden nicht mehr oder nur noch selten und in Bezug auf konkrete Maßnahmen genannt. So wird lediglich auf Projekte aus den vergangenen Strategien Bezug genommen ohne dabei detaillierter auf die Inhalte und den Erfolg der Projekte einzugehen (Home Office, 2011b: 28-29, 104). Ein Abschnitt zur Neufokussierung von Prevent verweist auf das Thema im Kontext von Aktivitäten außerhalb Großbritanniens, gibt aber ebenfalls keine Begründung: „All unsere Arbeit zur Terrorismusbekämpfung muss eine internationale Komponente beinhalten und Prevent ist keine Ausnahme. […] Es ist deshalb unverzichtbar, dass Prevent Arbeit in Übersee gewissenshaft priorisiert wird. Aber in der Vergangenheit hat das FCO1 Aktivitäten in Übersee finanziert, die die Stabilität von Gemeinschaften fördern und weiterführende, den Zusammenhalt betreffende, Ziele verfolgen sollten (zum Beispiel Englischkurse für Imame und das Empowerment mus-

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Foreign and Commonwealth Office, vergleichbar mit dem deutschen Auswärtigen Amt.

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limischer Frauen). Wir glauben nicht, dass diese Arbeit im Sinne von Prevent effektiv war, daher hat sich der Fokus seitdem verschoben.“ (Home Office, 2011b: 37)

Dieses plötzliche und nur sehr knapp begründete Ausblenden der zuvor vergleichsweise ausführlich diskutierten Gruppe lässt sich nur schwer aus den zentralen Publikationen erklären. Sogar die als „Lord Carlile Report“ bekannt gewordene Publikation zum Thema, die als Grundlage der Neuausrichtung der Prevent-Strategie gilt, gibt keine Hinweise und thematisiert Frauen als Zielgruppe von Prevent-Maßnahmen nicht (Carlile, 2011). Lediglich die Veröffentlichung „Prevent Strategy: Equality Impact Assessment“, die auf Befragungen und Gruppendiskussionen mit Menschen beruht, die Erfahrungen mit dem Programm gemacht haben2, thematisiert Geschlechterverhältnisse als Aspekte von Diskriminierung (HM Government, 2011). „[...] die große Mehrheit glaubt, dass Männer, aufgrund der Voranahme, dass das Risiko der Radikalisierung bei ihnen am größten sei, am negativsten von Prevent betroffen seien. Das hat wahrscheinlich dazu geführt, dass sie sich stereotypisiert und anvisiert fühlten (z.B. durch Polizeikontrollen). Eine kleinere Gruppe glaubte, dass Frauen durch die (der Strategie zu Grunde liegenden) Annahmen männlicher Dominanz, negativ betroffen waren und dass mehr getan werden sollte, um die Balance herzustellen. Dagegen gab es außerdem die Sichtweise, dass es schwierig ist, manche Gruppen zu erreichen, ohne Geschlechterfragen zu begegnen. Beispielsweise könnte Prevent in Bezug auf Frauen als ein Versuch betrachtet werden, traditionelle Beziehungen zwischen den Geschlechtern innerhalb bestimmter Kulturen zu untergraben. Im Gegenzug glaubten manche der Befragten, dass Prevent einen positiven Einfluss auf Frauen gehabt hat. Einige nehmen eine Ungleichbehandlung von Frauen innerhalb mancher Gruppen wahr und Prevent hatte das Potenzial, die Beschränkungen, die ihre Teilhabe in der Agenda blockieren, aufzuheben, indem sie darin bestärkt wurden, Intoleranz anzugehen und eine aktivere Rolle in der Gesellschaft zu spielen. “ (HM Government 2011a: 9)

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Genauere Angaben zur Auswahl der Teilnehmer_innen der Studie und zur Methode werden in der Veröffentlichung nicht gemacht, so dass die Ergebnisse nur begrenzt nachvollziehbar erscheinen.

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Im Zitat werden sehr unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Aussagen vom Befragten zu Prevent zusammengefasst. Der Erfolg oder Misserfolg der Strategie wird auf die damit verbundenen Möglichkeiten zum Empowerment von Frauen, aber auch in Bezug auf stigmatisierende Effekte diskutiert. Die Autor_innen fassen Aussagen zusammen und geben sie unkommentiert wieder, wobei insbesondere der Verweis auf „traditionelle“ Geschlechterrollen auffällt, der auf „Kulturen“ bezogen und nicht hinterfragt wird. Damit machen sie deutlich, wie groß Unterschiede in den Bewertungsgrundlagen von Prevent sind und dass diese eng mit Fragen von Zugehörigkeit in Verbindung stehen. Dennoch liefert das Zitat ebenfalls keine Erklärung für die Entwicklungen von Prevent seit 2011. Ein möglicher Ansatzpunkt zu deren Verständnis bietet die Neuausrichtung des Programms als solches. Die Koordination von Überwachungsmaßnahmen, im Rahmen des so genannten Channel-Programms (HM Government, 2010, 2012, 2015), das einen Teil der Prevent-Strategie darstellt, hat seither einen wesentlich höheren Stellenwert. Weiterhin liegt die Verantwortung von nun an bei den Sicherheitsbehörden und beim Innenministerium, so dass die Unterstützung von Maßnahmen sozialer Arbeit, zumindest auf dem Papier, im Rahmen von Prevent deutlich abgenommen hat. Frauen werden seit 2011 nicht mehr als Zielgruppe von PreventMaßnahmen benannt, so dass die Soziologin Katherine Brown von einer Blindheit gegenüber der Kategorie Geschlecht im Rahmen der aktuellen Strategie spricht (Brown, 2013). Es gibt jedoch unterschiedliche Hinweise darauf, dass muslimische Frauen auch in der aktuellen Strategie eine Zielgruppe darstellen. Neben Empowerment-Programmen, die von einzelnen Frauenorganisationen nach wie vor durchgeführt werden, und der Mitarbeit von Organisationen an Programmen, die Radikalisierung in Schulen verhindern sollen, wurde das Projekt Shanaz initiiert, das auf eine engere Zusammenarbeit zwischen muslimischen Frauen und Sicherheitsbehörden abzielt (NPCC, 2016). „Projekt Shanaz wurde vom NPCC Büro des Nationalen Prevent Koordinators entwickelt, um zu verstehen, welche Wahrnehmung Frauen von Prevent Aktivitäten haben und sich darüber auszutauschen wie lokale Polizeikräfte Teilnahmehürden überwunden haben.“ (NPCC, 2016)

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Hier wird neben der Verbindung zwischen lokaler Ebene und nationaler Ebene deutlich, dass Frauen auch mit der neuen Prevent-Strategie nach wie vor eine Zielgruppe von Maßnahmen sind. Insofern sollte aus meiner Sicht betont werden, dass es sich um eine Dethematisierung handelt, die in keinster Weise bedeutet, dass die mit ihnen verbundenen Konstruktionen nicht mehr wirkmächtig sind. Da Prevent durch das National Police Chiefs Council und damit durch die Sicherheitskräfte koordiniert wird, sind soziale Arbeit und Gleichstellung weiter in den Hintergrund gerückt. PreventMaßnahmen, die muslimische Frauen einbeziehen, dienen dazu, einen Zugang zu ihnen zu schaffen und sie zur Kooperation mit den Behörden zu bewegen. Im Rahmen der aktuellen Prevent-Strategie wurde demnach die Sichtbarkeit muslimischer Frauen als Zielgruppe eingeschränkt. Das heißt auch, dass Kritik an konkreten Maßnahmen erschwert wird. 4.1.3 Nationale Rahmenbedingungen und lokale Umsetzung: Die Orientierung von Prevent Zu Beginn des letzten Abschnittes wurde Ministerin Hazel Blears zitiert, die eine enge Verzahnung zwischen der nationalstaatlichen und der lokalen Ebene als wichtige Grundlage für gesellschaftliche Veränderungen betrachtet und dies im Rahmen von Prevent nutzen will. Während auf nationaler Ebene die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen festgelegt werden, liegt die konkrete Umsetzung von Maßnahmen in der Regel in den Händen lokaler Behörden und Organisationen. „Während die Bewältigung von gewalttätigem Extremismus eine nationale Priorität ist, kann die Natur der Herausforderung von Ort zu Ort stark variieren. Deshalb sind Ansätze, die von Whitehall ausgehen, nicht genug. Die Arbeit mit lokalen Communities – besonders muslimischen Communities – um lokale Lösungen zu liefern, ist der Schlüssel. Es geht nicht nur um lokale Autoritäten, es geht um breite kulturelle Aktivitäten und religionsübergreifende Arbeit in unseren Communities. Es ist die Art von Arbeit, die Menschen zusammenbringt und betont, dass es mehr gibt, was uns eint als trennt.“ (DCLG, 2007c: 7)

Die unterschiedlichen Bedingungen auf lokaler Ebene machen es aus Sicht von politischen Entscheidungsträger_innen notwendig, auf Ebene der Communities zu arbeiten. Aktivitäten sollen dabei ausdrücklich nicht nur

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auf den Kontakt mit lokalen Autoritäten beschränkt sein, sondern kulturelle Aktivitäten einbeziehen und die Arbeit mit verschiedenen Glaubensrichtungen beinhalten. Obwohl die Umsetzung von Prevent seit 2011 in den Händen des Innenministeriums und der Sicherheitsorgane und nicht mehr beim Department for Communities and Local Government liegt, wurde diese Verzahnung mit der Einführung von Schwerpunktgebieten, in denen Prevent von Koordinator_innen umgesetzt wird (Home Office, 2011b: 9), beibehalten. In so genannten priority areas wurden Stellen geschaffen, die innerhalb der lokalen Verwaltungen für die Umsetzung von Prevent verantwortlich sind. So veröffentlicht beispielsweise die Stadt Bradford seit 2012 in jährlichen Abständen Maßnahmenpläne, um über aktuelle Maßnahmen im Rahmen von Prevent zu informieren (Bradford Metropolitan District Council, 2012, 2013). Diese Entwicklung weist auf eine Institutionalisierung von Prevent auf lokaler Ebene hin. Die Verbindung zwischen nationalen Rahmenbedingungen und der lokalen Umsetzung von Projekten findet sich auch im Bereich der Arbeit mit muslimischen Frauen. Auf nationaler Ebene werden vor allem Vernetzungsprozesse und die Förderung von Repräsentationsorganen angestrebt, wie die Beispiele der oben erwähnten Muslim Women’s Advisory Group und des Project Shanaz zeigen. Letzteres führt zudem gemeinsame Veranstaltungen mit der Polizei durch, so dass die Verbindung zur lokalen Ebene mit konkretem sicherheitspolitischen Bezug hier zu beobachten ist. Weitere Beispiele nennt der Bericht „Empowering Muslim women: case studies“ (2008). Unter ihnen wird das „Hounslow leadership training“ (DCLG, 2008a, S. 44-45) beschrieben. Es wurde 2007 durchgeführt und ist ein Beispiel für eine Schulungsmaßnahme, die auf nationaler Ebene formulierte Zielsetzungen auf lokaler Ebene umgesetzt hat. Das Programm zeigt beispielhaft, mit welchen Vorannahmen und Zielsetzungen Empowerment Programme im Rahmen von Prevent arbeiten: „Das Ziel des Kurses war es, Frauen darin zu bestärken, in der ersten Reihe zu stehen, wenn die Verbreitung extremistischer Ideologien unter jungen Muslim_innen bekämpft wird. Muslimische Frauen können einen gewaltigen Beitrag zur Thematisierung sozialer Probleme in der muslimischen Community leisten, darunter den Mangel an Wahlmöglichkeiten für Frauen, Zwangsehen, Ehrenmorde und die Partizipation von Frauen in Moscheen und dem öffentlichen Leben.“ (DCLG, 2008a, S. 44)

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Das Zitat verdeutlicht, dass im Rahmen von Prevent-Maßnahmen unterschiedliche soziale Konflikte miteinander assoziiert werden. Anders als es auf den ersten Blick erscheint, geht es nicht nur um die Auseinandersetzung mit Terrorismus. Themen wie Ehrenmorde und Zwangsheiraten werden im Zuge der Prevent-Maßnahme zu einem Teil des Phänomens Extremismus. Auf diese Weise wird die Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse inklusive einer Dichotomisierung von moderaten und extremistischen Muslim_innen auch auf lokaler Ebene fortgesetzt. In der Auseinandersetzung mit der nationalen Konzeption und lokalen Umsetzung von Prevent-Maßnahmen kann ein zentrales Deutungsmuster identifiziert werden: Terrorismus wird als Problem verortet, dessen Adressierung nicht von gesellschaftlichen Konfliktlagen getrennt werden. Im Kampf gegen Terrorismus werden demnach unterschiedliche Diskurse miteinander verknüpft. Der lokale Kontext bildet den zentralen Ort, an dem darüber entschieden wird, ob Radikalisierungsprozesse erfolgreich sind. Mit diesem Ansatz trägt Prevent sozialen Konfliktlagen Rechnung, gleichzeitig wird die Grundlage für stigmatisierende Effekte gelegt. Die Entwicklungen in der Rolle muslimischer Frauen, die in den Diskursen um Prevent als implizierte und handelnde Akteurinnen eine Rolle spielen, gehen einher mit Deutungsmustern über ihre Rolle innerhalb der Familie und der Community, die sich demgegenüber kaum entwickelt haben. Sie werden in den folgenden Abschnitten diskutiert.

4.2 Z ENTRALE D EUTUNGSMUSTER DER R OLLE MUSLIMISCHER F RAUEN In den folgenden Absätzen werden zentrale Deutungsmuster über muslimische Frauen in der britischen Gesellschaft analysiert. Sie stammen aus Veröffentlichungen der Prevent-Strategie und zeigen auf, wie die Intention zum Empowerment muslimischer Frauen von staatlicher Seite begründet wird. Die Mehrzahl der Zitate stammt aus den ersten Jahren der PreventStrategie, wobei Äußerungen aus dem Grundsatzpapier PET (2005) mit späteren Veröffentlichungen verglichen werden, um Entwicklungen beschreiben zu können, die sich aus der Umsetzung ergeben. Aufgrund diskursiver Entwicklungen mögen in den vergangenen Jahren weitere Deu-

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tungsmuster an Bedeutung gewonnen haben3. Die im Folgenden ausgeführten Tendenzen sind jedoch nach wie vor wirksam. 4.2.1 Homogenisierung vs. Heterogenität? Die Konstruktionen muslimischer Frauen im Zusammenhang mit Prevent sind in vielfacher Hinsicht widersprüchlich. Zunächst ist das Verhältnis zwischen einer Betonung ihrer Heterogenität und der Tendenz zur Homogenisierung zu benennen. Der oben bereits beschriebene Bericht „Preventing extremism together“ (Home Office, 2005) liefert Beispiele für die erstgenannte Tendenz. Sowohl die Verallgemeinerung von Zuschreibungen von Frauenrollen im Islam, als auch ihrer Positionierung in der britischen Gesellschaft wird kritisiert: „Muslimische Frauen, die im Vereinigten Königreich leben, können nicht einfach definiert oder als singuläre, homogene Gruppe betrachtet werden. Umfassende Aussagen über die Rolle von Frauen im Islam sind oft mit Schwierigkeiten belastet. Bei vielen prägen politische, sozioökonomische und kulturelle Dynamiken die Weise, in der muslimische Frauen ihren Glauben praktizieren.“ (Home Office, 2005: 38)

Diese Äußerung knüpft an aktuelle religionswissenschaftliche Diskurse über den Islam in Großbritannien an (u.a.: Gilliat-Ray, 2010: 41 ff.; Modood, 2003). Die Heterogenität des Islam wird in diesen Debatten auf unterschiedliche Auslegungen und Praxen zurückgeführt. So biete der Islam zwar die vorgestellte Gemeinschaft der umma, sei mit bestimmten Mythen und geschichtlichen Entwicklungen ebenso wie mit einer geographischen Orientierung mit Mecca als Zentrum verbunden (McLoughlin, 2010), werde jedoch in unterschiedlichen Kontexten auf verschiedene Weise praktiziert. Im multikulturellen Charakter der britischen Gesellschaft spiegelt sich

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Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die in den britischen Medien als jihadi brides thematisierten jungen Frauen, die in die Gebiete des so genannten Islamischen Staates reisen. Das Phänomen stand im Zeitraum, in dem die Forschung durchgeführt wurde, noch nicht im Zentrum, ist jedoch seither stärker ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt. So werden zukünftige Arbeiten zur Rolle von Geschlecht im Rahmen von Antiterrorstrategien dieses Thema sicherlich ausführlicher beleuchten.

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diese Diversität, die auf Unterschiede in den sozioökonomischen Positionierungen, in politischen Orientierungen und im Kulturverständnis zurückgeführt wird. Mit der Betonung der Heterogenität, die sich in dieser Veröffentlichung der Regierung zeigt und deren Autorinnen muslimische Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen sind, wird demnach auf ein spezifisches Wissen über den Islam Bezug genommen, das homogenisierenden Diskursen entgegensteht und sie delegitimiert. Damit gelingt die Abgrenzung vom Orientalismus ebenso wie von extremistischen Gruppierungen, die dem Islam eine größere Eindeutigkeit zuschreiben. Spätere Veröffentlichungen der Prevent-Strategie befassen sich kaum mit Religion, sondern stellen die gesellschaftliche Positionierung von muslimischen Frauen ins Zentrum. Diese erscheint wesentlich homogener, als es in Äußerungen wie dem oben zitierten Absatz noch anklingt. „Es gibt heute mindestens 800.000 muslimische Frauen, die in Britannien leben. Sie haben einen einzigartigen Blick auf die Herausforderungen, denen die Communities, in denen sie leben, begegnen – ob es die Bedrohung von gewalttätigem Extremismus, antisoziales Verhalten oder junge Leute sind, die sich isoliert und ausgeschlossen fühlen. Sie sind auch einzigartig positioniert, um diese Probleme zu lösen, indem sie inakzeptables Verhalten in die Schranken weisen und die, die es nötig haben, unterstützen.“ (DCLG, 2008a:. 6)

Es wird hier nicht nur angenommen, dass Musliminnen eine besondere Perspektive auf soziale Probleme besitzen. Darüber hinaus wird ihnen eine Position zugeschrieben, die sie als besonders geeignet beschreibt, um gegen diese vorzugehen. Es bleibt sowohl in diesem Absatz, als auch in den darauf folgenden unklar, worin diese Position und diese besondere Perspektive besteht. „Muslimische Frauen müssen sowohl in ihren eigenen Communities als auch in der Gesellschaft eine Schlüsselrolle darin spielen, Vorurteile und Stereotype anzugehen. Sie besitzen ein weitgehend unerschlossenes Potenzial, die Einstellungen in Frage zu stellen, die gewalttätige extremistische Ideen nähren können. Muslimische Frauen sind im Zentrum der Communities und übernehmen eine Vielzahl von Rollen. Widerstandsfähige Communities können ohne ihre aktive Partizipation weder gebildet noch erhalten werden.“ (DCLG, 2008a: 41)

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Die Aussage ist typisch in „Prevent“-Veröffentlichungen aus dieser Zeit (DCLG, 2008b: 6; HM Government, 2008a: 7; 2008b: 17; 2009: 90). Frauen wird eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung von Vorurteilen und Stereotypen zugeschrieben, die sowohl die Community als auch die britische Gesellschaft betrifft. Weiterhin werden sie im Zentrum der Communities verortet und vor dem Hintergrund dieser Positionierung heraus wird ihnen ein Potenzial zugeschrieben, das es ihnen ermöglicht, extremistische Ideen zu bekämpfen. Um dies auch nutzen zu können, sei jedoch Unterstützung notwendig, da alltägliche Anforderungen, ein fehlendes Selbstbewusstsein und strukturelle Ungleichheiten dazu führen können, dass Frauen an Grenzen stoßen, wenn sie sich zivilgesellschaftlich beteiligen wollen. „Allzu oft bleiben die Stimmen muslimischer Frauen ungehört. Manche haben nicht das Selbstbewusstsein oder die Fähigkeiten, ihre Ansichten zu verteidigen. Andere stehen praktischen Barrieren gegenüber, wie der Balance zwischen Arbeit und/oder Familienleben mit anderen Rollen. Unter Umständen können sie Stereotypen und Fehlannahmen unterworfen sein und deshalb nicht in die öffentliche Debatte einbezogen werden.“ (DCLG, 2008b: 30)

Zitate wie dieses erinnern an orientalistische Konstruktionen muslimischer Frauen, da sie trotz der Einschränkung „Allzu oft…“ („all to often…“) homogenisierend wirken. Muslimische Frauen erscheinen als Opfer individueller Beschränkungen und gesellschaftlicher Diskriminierung. Strukturelle Ungleichheiten deuten sich in dem Verweis auf die Vereinbarkeit unterschiedlicher Rollen zwar an, werden aber nicht als solche kritisiert. Darüber hinaus erscheint dieses Bild muslimischer Frauen als Widerspruch zu der zentralen Rolle, die ihnen im vorigen Zitat zugeschrieben wurde. Aus diesen Widersprüchlichkeiten zwischen Homogenisierung, einer Betonung der Heterogenität muslimischer Frauen und aus einer zugeschriebenen Rolle als marginalisierte Gruppe, der ein großes Potenzial innewohnt, wird das Empowerment muslimischer Frauen begründet. Staatlich initiierte Empowermentprogramme im Rahmen der Prevent-Strategie bedienen sich gleichstellungspolitischen Überlegungen, um diese politisch nutzbar zu machen. In den folgenden Absätzen werden damit in Verbindung stehende Konstruktionen muslimischer Frauen analysiert.

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4.2.2 Muslimische Frauen als Mütter potenzieller Terroristen Die Position der Mutter nimmt in den Aussagen über das Empowerment muslimischer Frauen im Rahmen von Prevent eine Sonderstellung ein, die sich bereits früh andeutet. So wird im folgenden Zitat zwar auf vielfältige Rollen muslimischer Frauen verwiesen, Mütter stehen dennoch an zentraler Stelle: „Besonders die Rollen von Müttern/Frauen im Kern der Familie, am Arbeitsplatz und inmitten von Communities müssen breit und in Bezug auf unterschiedliche Kontexte erkundet werden. Die Lösung zur gesellschaftlichen Inklusion von Frauen liegt konsequenterweise darin, die unzähligen und komplexen Rollen, die sie innehaben, zu entdecken. Zu diesem Zweck sollte das Empowerment muslimischer Frauen im Vereinigten Königreich durch die Regierung und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts mit einem Verständnis der Relevanz von Verantwortung, Ehre und Pflicht angestrebt werden.“ (Home Office, 2005: 38)

Positionierungen von muslimischen Frauen sind aus Sicht der Autorinnen vielfältig und eng verknüpft mit den jeweiligen sozioökonomischen, politischen und kulturellen Kontexten, in denen sie sich bewegen. Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass Mütter und Frauen in Bezug auf die Familie verknüpft werden. Damit entsprechen die Autorinnen einem Muster, das in den Folgejahren im Rahmen von Veröffentlichungen zur Prevent-Strategie immer wieder zu finden ist. In einer Pressemitteilung des DCLG aus dem Jahr 2007 wird die Familie ebenfalls als zentraler Ort gekennzeichnet, an dem Frauen Einfluss nehmen. „Hazel Blears glaubt, dass Frauen immer eine unschätzbare Rolle im Zentrum ihrer Familien, ihrer Communities und in der Gesamtgesellschaft innehaben; das trifft besonders auf muslimische Frauen zu. Als Mütter, Töchter, Schwestern, Ehefrauen schweißen sie ihre Familien zusammen. Als lokale Führungspersönlichkeiten machen sie ihre Communities stärker. Es gibt mindestens 800.000 muslimische Frauen, die heute in Großbritannien leben. Muslimische Frauen habe eine einzigartige moralische Autorität im Zentrum ihrer Familien, um die falsche und pervertierte Ideologie in Frage zu stellen, die von Extremist_innen verbreitet wird und unseren jungen

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Leuten die Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, sich vom Hass abzuwenden.“ (DCLG, 2007a)

Frauen wird also nicht nur eine spezifische Rolle zugewiesen, sondern aus dieser wird eine Möglichkeit der Intervention in Radikalisierungsprozesse abgeleitet. Neuere Strategiepapiere erwähnen diese Rolle nicht. Hinweise darauf, dass die Dethematisierung von Frauen in der neuen PreventStrategie nicht dazu geführt hat, dass dieses Deutungsmuster verworfen wurde, finden sich jedoch im Rahmen einzelner Polizeiaktionen. So berichtet die Zeitung Guardian im April 2014 von einem Aufruf der Manchester Metropolitan Police, die muslimische Mütter darum bittet, sich an die Polizei zu wenden, wenn sie den Verdacht haben, dass ihre Söhne in den Krieg nach Syrien ausreisen wollen (Dodd, Laville, & Pidd, 2014). Als diskursive Strategie erinnert die Betonung der Mutterrolle an konservative Konstruktionen von Familie und ermöglicht es dem Staat, Aufgaben abzugeben. Obwohl die Politiken der konservativen Tory-Partei in Großbritannien seit der Thatcher-Ära stark ökonomisch orientiert waren, wurden sie immer wieder von einer Rhetorik begleitet, die „traditionelle“ Familienwerte in den Mittelpunkt stellte (Daniel, 2011; Peele, 2012). Bereits im frühen 20. Jahrhundert hatte es Kampagnen gegeben, die Frauen dazu aufriefen, den Kampf gegen Sozialismus in die Familien zu tragen. Während des Kalten Krieges wurden die Kampagnen von konservativen Frauen weitergetragen: „Konservative Frauen waren selbst begeisterte Vehikel dieser Botschaft. Die Betonung der Partei auf eine Bedrohung der häuslichen Ordnung und speziell dem moralischen Wohl der Kinder, galt als etwas das ‚an der Schwelle gut ankam‘ (‚go down well on the doorstep‘) und mit Sicherheit eine führende Rolle für Frauen im Kampf gegen Sozialismus beinhaltete.“ (Jarvis, 2001: 307)

Diese Art konservativer Diskurse scheint sich im Rahmen der PreventStrategie fortzuführen. Obwohl sich das Feindbild im Laufe der Jahrzehnte geändert hat und es aus diesem Grunde in erster Linie muslimische Frauen sind, denen ein besonderer Zugang zu potenziell gefährdeten Jugendlichen zugeschrieben wird, ähneln sich die Argumentationen auffällig. Sie reproduzieren die Vorstellung, dass Frauen für die Erziehung der Kinder zuständig sind und schreiben auf diese Weise Geschlechterrollen fest. In der An-

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rufung muslimischer Frauen als Mütter und Schwestern von (männlichen) Terroristen wird erneut deutlich, dass es hier nicht vorwiegend darum geht, Gleichstellung durch Empowerment zu erreichen, sondern das Empowerment im Rahmen von Prevent dem Ziel dient, Terrorismus zu verhindern. 4.2.3 Musliminnen als Repräsentantinnen muslimischer Communities In den Zitaten oben wurde neben der Rolle, die Frauen in Bezug auf ihre Familie einnehmen, wiederholt auf die Community und die Gesellschaft verwiesen. Prevent hatte in den ersten Jahren einen ausdrücklichen Fokus auf die Arbeit mit Communities, was sich nicht zuletzt darin äußerte, dass das Department for Communities and Local Government (DCLG) als zuständiges Ministerium neben dem Innenministerium mit Prevent betraut war. Die Community als Bezugsraum ist dabei eng verknüpft mit der Vorstellung einer Notwendigkeit von Führungsstrukturen, die es zu unterstützen gilt, um die in der Einleitung diskutierte community cohesion herzustellen und zu fördern. In den ersten Jahren kann Prevent nur bedingt von den Maßnahmen des DCLG getrennt werden, deren Ziel darin besteht Repräsentationsstrukturen in den Communities zu implementieren oder zu unterstützen: „Wir unterstützen lokale Führungspersonen, die Extremismus die Stirn bieten und bauen ihre Fähigkeiten, die Zukunft ihrer Communities zu gestalten, aus.“ (DCLG: 2008b: 4) Eine detaillierte Begründung für diese Strategie findet sich nicht, es wird jedoch betont, dass bestimmte Arten von community leaders vom Staat unterstützt werden. Eine mögliche Interpretation dieses Hinweises ist, dass es aus Sicht des Staates nicht um die Existenz von Repräsentationsstrukturen als solchen geht, sondern um Kooperationspartner_innen. 2007 und 2008 wurde im Rahmen von Prevent der Community Leadership Fund eingeführt, der sich insbesondere an Muslim_innen richtete. Muslimische Frauen stellten neben Jugendlichen und so genannten faith leaders – insbesondere Imamen (DCLG, 2007b: 6) eine der Zielgruppen für diese Geldmittel dar (DCLG, 2007b: 4), die unter anderem zur Finanzierung von Empowerment Programmen bereitgestellt wurden. Ein Schwerpunkt liegt auch hier in der Verbindung von Empowerment mit sicherheitspolitischen Erwägungen. So ist der Fokus auf Extremismus eine Voraussetzung, um Mittel beantragen zu können:

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„Projekte sollten Frauen in die Lage versetzen, Maßnahmen gegen Extremismus zu ergreifen, z.B. indem Frauen unterstützt werden, gewalttätige extremistische Ideologien in Frage zu stellen, mit gefährdeten Individuen in Kontakt zu treten, um sie zu unterstützen oder den Widerstand gegen extremistische Ideen und Einflüsse in der Community aufzubauen. Um Frauen darin zu bestärken, eine proaktive Führungsrolle in der Vorbeugung gegen Extremismus zu übernehmen, kommt die Finanzierung von Projekten in Frage, die: Frauen in die Lage versetzen, sich die Fähigkeiten und die Selbstsicherheit anzueignen, Führungspositionen anzustreben; Frauen darin bestärken, eine vollständige und aktive Rolle innerhalb ihrer Communities und in der Gesamtgesellschaft zu spielen; die Barrieren angehen, die Frauen von vollständiger und gleicher Teilhabe innerhalb der Communities und in der Gesamtgesellschaft abhalten. Jede Art von Empowerment-Arbeit sollte zeigen, wie Frauen, die vom Projekt profitieren, das nutzen um in der Präventionsarbeit gegen Extremismus voranzukommen.“ (DCLG, 2007b: 6)

Die Verknüpfung eines Förderns von Führungsstrukturen in den Communities mit Diskursen um Radikalisimusprävention wird im Zitat deutlich. Der Staat zielt darauf ab, Empowerment-Programme zu unterstützen, die die Beteiligung von Frauen stärken sollen und sie im gleichen Schritt nutzbar machen. Gleichzeitig befindet er sich in der Situation, dass Prevent Maßnahmen auch vor Stimmen legitimiert werden müssen, die die Gefahr sehen, dass Projekte gefördert werden, die extremistische Ziele verfolgen (Carlile, 2011: 4-5). Die Unterstützung von Repräsentationsstrukturen im Rahmen von Prevent bewegt sich demnach in einem schwierigen und stark eingegrenzten diskursiven Feld und kann nur vor dem Hintergrund der Gesamtstrategie verstanden werden. Es ist nicht verwunderlich, dass der Erfolg des Anliegens in Frage gestellt wurde, wie der Politikwissenschaftler Arun Kundnani in seiner Studie zur Prevent-Strategie erläutert. „Es gab in den vergangenen Jahren zunehmend die Wahrnehmung, dass die bestehenden nationalen und lokalen Repräsentationsstrukturen über ‚ethnic community leaders‘ ihre Nützlichkeit überdauert haben. Aber mit Prevent bauen die Zentralregierung und lokale Behörden auf die gleichen Strukturen für zuverlässige ‚Partner‘ in der Arbeit gegen Terrorismus. [...] Ein Angestellter einer lokalen Behörde in den Midlands hat uns erzählt, dass die Verteilung von Prevent-Mitteln eine Sache gegen-

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seitigen Einverständnisses war, die ‚Arbeit für die Jungs‘4 beinhaltete. Es spielen sich eine Menge patriarchaler Politiken ab und die Führungsstrukturen in Communities sind wirklich ein Streitpunkt. Wer hat das Recht ein community leader zu sein? Wo passt Geschlecht da rein?“ (Kundnani, 2009: 36)

Aus dieser Perspektive ist die Strategie, Gleichheit zwischen den Geschlechtern auf Ebene der Repräsentationsstrukturen zu fördern, nicht aufgegangen. Im Gegenteil habe das Programm Strukturen unterstützt, die Gleichberechtigung verhindern. Das hat sich auch mit der Neuorientierung von Prevent nicht grundlegend geändert, denn seither gehört die Stärkung von durchlässigeren Führungsstrukturen, die auch Frauen zugängig sind, nicht mehr zum Fokus der Strategie. Nun rücken Maßnahmen in den Vordergrund, die das Vertrauen muslimischer Frauen in die Polizei und die Sicherheitskräfte stärken sollen (NPCC, 2016). Das deutet darauf hin, dass ein Zugang zu Musliminnen geschaffen werden soll, um über sie Informationen über Radikalisierungsprozesse zu erhalten. Die Orientierung auf die Ebene der Communities, wie sie in den ersten Jahren der Prevent-Strategie beobachtet werden kann, verweist darauf, dass multikulturelle politische Ansätze in der Praxis trotz zunehmender Forderungen nach Integration eine wichtige Rolle spielen. Der Versuch, den Zugang zur Basis über die Repräsentationsstrukturen von Communities zu erlangen und mit Hilfe von Empowerment-Programmen bestimmte Strukturen zu fördern, ist ein Ausdruck davon. Er verdeutlicht, dass staatliche Intervention im britischen Kontext die Ebene der Communities nicht außer Acht lassen kann, da sie als Identifikationsrahmen und Ausgangspunkt für Aktivismus eine zentrale Rolle spielen.

4.3 Z USAMMENFASSUNG Muslimische Frauen sind eine Zielgruppe von Prevent-Maßnahmen und fungieren darüber hinaus als handelnde Akteurinnen, die an den Grundlagen des Programms beteiligt sind. Der Staat reagiert mit ihrer Anrufung auf

4

Die Originalformulierung des Satzes ist umgangssprachlicher: „A local authority worker in the Midlands told us that the allocation of Prevent funding has been a ‚nod nod thing‘ involving ‚jobs for the boys‘.“ (Kudndnani, 2009: 36)

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soziale Konflikte im Land und verbindet sie mit Sicherheitsdiskursen. Prevent ist also mehr als eine Antwort auf die terroristische Bedrohung, sondern versucht gleichzeitig Konflikte um Führungsstrukturen in den Communities zu lösen. Das ist nicht nur ein Resultat von staatlicher Intervention, sondern wird von muslimischen Frauen mitgetragen, wie sich in einzelnen Grundsatzpapieren zeigt, die von (durch staatliche Behörden ausgewählten) Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen erarbeitet wurden. Gleichzeitig führt es zu einer engen Verknüpfung zwischen Diskursen um Sicherheit, Terrorismus und soziale Konflikte im Land, die stigmatisierend wirken kann. Das Empowerment muslimischer Frauen im Kontext von Prevent dient, so wurde in diesem Kapitel verdeutlicht, keinem gleichstellungspolitisch motivierten Selbstzweck. Vielmehr soll es nutzbar gemacht werden, um den Zugang staatlicher Behörden zu muslimischen Communities zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund war es in den ersten Jahren von Prevent das ausdrückliche Ziel, muslimischen Frauen Zugang zu Führungspositionen zu ermöglichen. Es sollte insbesondere durch die Etablierung von Repräsentationsstrukturen und Unterstützung von Vernetzungsstrukturen auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Dieses Anliegen ging einher mit Konstruktionen muslimischer Frauen, die gleichzeitig ihre Heterogenität betonten und homogenisierend wirkten. In den Veröffentlichungen zur Prevent-Strategie erscheinen sie als gesellschaftlich marginalisiert, ihnen wird dennoch ein potenziell großer Einfluss innerhalb der Familie und der Communities zugeschrieben. Mit dieser Deutung wird eine Konstruktion muslimischer Frauen verbunden, die diese in der Regel im Kontext von Familienstrukturen verortet. Besonders die Mutterrolle und ein daraus resultierender Einfluss auf Jugendliche werden hervorgehoben. Gleichzeitig trägt der Staat die Verantwortung für Radikalisierungsprozesse mit Prevent in die Communities und führt auf diese Weise neben den Forderungen nach Integration, multikulturelle Politiken in der Praxis fort. Das war unter den Labour-Regierungen, die Prevent in den ersten Jahren verantwortet haben, nicht erstaunlich, wird aber auch in der erneuerten Strategie nicht grundsätzlich verworfen. Die inhaltlichen und strukturellen Entwicklungen der Prevent-Strategie, die in diesem Kapitel beschrieben wurden, deuten darauf hin, dass sich vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen zum Umgang mit Terrorismus, aber auch mit den Inhalten des Programms, Deutungsmuster verschoben haben. Mit der Neuordnung im Jahre 2011 er-

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scheint auch die Arbeit mit muslimischen Frauen als Zielgruppe von Empowerment-Maßnahmen beendet. Dagegen sprechen Initiativen wie das Projekt Shanaz, in dessen Rahmen die Zusammenarbeit zwischen muslimischen Frauen und Polizeikräften gefördert werden soll und das sich ebenfalls auf das Empowerment von muslimischen Frauen beruft. Anders als es in ersten Jahren von Prevent der Fall war, sind Informationen zu dieser Art von Projekten wesentlich schwieriger zugänglich. Neben der Dethematisierung von Geschlecht im Zuge der aktuellen Strategie verweist das darauf, dass Diskurse um Prevent auf weniger Akteure begrenzt werden und eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Gefahren und Chancen sicherheitspolitischer Maßnahmen tendenziell eingeschränkt wird. Das Kapitel zeigt darüber hinaus, dass die Prevent zu Grunde liegenden Konstruktionen muslimischer Frauen sich unterschiedlicher Diskurse bedienen, um die Strategie zu legitimieren. Darunter finden sich Bezüge auf religionswissenschaftliche Diskurse, in denen der Islam als heterogen und offen konstruiert wird. Andererseits können homogenisierende Tendenzen beobachtet werden, die insbesondere dann zum Tragen kommen, wenn Maßnahmen, mit Verweis auf die Marginalisierung und das Potenzial muslimischer Frauen, legitimiert werden sollen. Es zeigt sich, dass Prevent einen diskursiven Raum schafft, in dem verhandelt wird, wer als zugehörig gilt und wer nicht. Während eine kritische Haltung zur Strategie dabei nicht zum Ausschlusskriterium werden muss, ist die Positionierung als moderate Muslimin (im Kontrast zu den Extremist_innen) zentral, da sie die Grundlage bildet, um Citizenship beanspruchen zu können.

5. Zwischen Sicherheitsdebatten und Selbstermächtigung: Der Aktivismus muslimischer Frauen in Großbritannien

In diesem Kapitel geht es um die Entwicklung aktueller muslimischer Frauenorganisationen in Großbritannien. Im Zentrum stehen Positionierungen von Organisationen und Aktivistinnen seit 2001, die aus meiner Sicht nicht von aktuellen Diskursen um Sicherheitspolitik zu trennen sind. In ihnen wird deutlich, wie eng Terrorismus mit sozialen Konflikten und mit Konstruktionen von Zugehörigkeit verbunden wird. Das Empowerment muslimischer Frauen gilt, wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, als effektives Mittel gegen Radikalisierungsprozesse und wurde besonders in den ersten Jahren der Prevent-Strategie staatlich gefördert. Zu diesem Zweck wurden bestehende Repräsentationsstrukturen und Vernetzungsprozesse durch Behörden unterstützt und neue Organisationen ins Leben gerufen. Bevor im nächsten Kapitel diskutiert wird, welche Strategien Frauenorganisationen im Umgang mit Prevent entwickelt haben, soll es hier um die Grundlagen gehen, an die sie anküpfen und aus denen sie ihren Aktivismus begründen. Im ersten Teil des Kapitels werden Motive zur Gründung muslimischer Frauenorganisationen und damit in Verbindung stehende Abgrenzungen zu anderen Akteur_innen diskutiert. Die Kategorie British Muslim Woman ist intersektional zu verstehen und bietet vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Debatten in Großbritannien und transnationaler Diskurse um den Islam eine Zuschreibungskategorie, die dazu dient, Aktivismus zu begründen und den Bedarf nach Empowerment zu legitimieren. Sie wird im darauf folgenden Teil diskutiert. Mit Hilfe dieses doppelten Zugangs zum Feld werden unterschiedliche Ebenen der Anknüpfung an die jeweiligen Diskur-

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se im Hinblick auf damit verbundene Konfliktfelder untersucht. Sie bilden die Grundlage für eine Auseinandersetzung mit dem Konzept Empowerment aus der Perspektive von muslimischen Frauenorganisationen.

5.1 M USLIMISCHE F RAUENORGANISATIONEN : ARBEITSFELDER UND S ELBSTVERORTUNGEN Die Gründung muslimischer Frauenorganisationen, wie sie in den vergangenen Jahren in Großbritannien stattgefunden hat, ist untrennbar mit aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen verbunden. Sie beziehen sich in ihrem Aktivismus auf soziale Konflikte in Großbritannien, auf nationale und transnationale Diskurse um den Islam und auf feministische Forderungen nach Gleichstellung. Obwohl bereits seit den 1980er Jahren ein vermehrter Bezug auf Religion als Grundlage von Selbstorganisierung beobachtet wurde (Brah & Thomas, 2011; Dhaliwal, 2003), haben sich auffällig viele von ihnen innerhalb der letzten 15 Jahre gegründet. Muslimische Frauen waren zuvor vorwiegend in Organisationen tätig, deren Selbstbeschreibungen über andere Kategorien wie Nationalität oder Hautfarbe vorgenommen wurden. Sie galten damit als Minderheitenorganisationen, die nicht als relgiös verstanden wurden. Diese black and minority ethnic organisations (im Folgenden: BME Organisationen) existieren bis heute und sind in der Praxis oft eng verbunden mit muslimischen Frauenorganisationen. So finden sich unter den Mitgliedern des Dachverbandes muslimischer Frauenorganisationen auch Organisationen, die sich in ihrem Namen auf nationale Zuschreibungen beziehen. Trotz dieser Verknüpfungen weist die vermehrte Entstehung von Organisationen, die die Subjektposition Muslim women als Ausgangspunkt von Aktivismus einnehmen, auf diskursive Verschiebungen hin, die mit aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Verbindung stehen und in denen sich Zuschreibungsmuster von Zugehörigkeit wandeln. Grundsätzlich kann dabei zwischen Organisationen unterschieden werden, die vorwiegend auf lokaler Ebene aktiv sind und solchen, die sich der Vernetzung, Kampagnenarbeit oder Weiterbildung auf nationaler Ebene widmen. Darüber hinaus gibt es Organisationen, die beide Ebenen verbinden. Muslimische Frauenorganisationen leisten Netzwerk-, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit auf nationaler Ebene, stellen soziale Dienste auf lokaler Ebene bereit und initiieren Kampagnen mit unterschiedlicher

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Reichweite. Der Bezug auf gesellschaftspolitische Konflikte wird im Folgenden an den Motiven zur Gründung von Organisationen verdeutlicht. 5.1.1 „…forward the cause of British Muslim women in the United Kingdom. “ 1 – Forderungen nach politischer Teilhabe Einer der wichtigsten Ausgangspunkte der Entstehung muslimischer Frauenorganisationen besteht in der Forderung nach erweiterten Möglichkeiten politischer Partizipation Sie steht in Verbindung mit der bereits im letzten Kapitel erwähnten Kritik an den Repräsentationsstrukturen muslimischer Communities. Aktivistinnen betonen, dass Frauen sowohl in den nationalen muslimischen Interessenverbänden als auch auf lokaler Ebene in der Regel nicht gleichgestellt sind. Eine mögliche Antwort darauf ist die Gründung von Organisationen, die sich speziell an Frauen richten und deren Interessen vertreten. So beschreibt Djamila die Einschränkungen, die die Gründerinnen von Organisation 3 in von Männern dominierten Organisationen erlebt haben, als Ausgangspunkt für die Gründung der Organisation: „Die Direktorin und die zwei Mitgründerinnen waren zuvor stark in die Arbeit des führenden islamischen Verbandes involviert. Irgendwann kamen sie zu einem Punkt, an dem ihnen auffiel, dass diese Organisation und andere in Großbritannien das Thema Gechlecht nicht angingen und nichts dafür taten, die Sache muslimischer Frauen im Vereinigten Königreich voranzubringen. Außerdem hatten sie das Gefühl, dass es innerhalb dieser Organisationen eine gläserne Decke gibt, so dass Positionen in den entscheidenen Gremien für sie nicht ereichbar waren. Obwohl sie einen Großteil der Arbeit machten, wurden sie nicht als Gleichbereichtigte innerhalb dieser Organisationen anerkannt. Daher lösten sie sich und gründeten Organisation 3, um ihre Arbeit zu Frauenrechten und Ungleichheiten, die speziell muslimische Frauen betreffen, weiterführen zu können.“ (Interview mit Djamila, Organisation 3)

In Djamilas Äußerung spiegeln sich die bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit thematisierten Auseinandersetzungen um legitime Repräsentations-

1 Die englischsprachigen Zitate stammen aus den Interviews, die für diese Studie geführt wurden. Ich habe sie (anders als die Zitate im Fließtext) nicht übersetzt, um den Ton weitmöglich zu erhalten.

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strukturen von Muslim_innen in Großbritannien. Sie bezieht sich im Zitat auf die individuellen Erfahrungen zweier Aktivistinnen, über die hier berichtet wird, und wiederholt die Gründungsgeschichte, wie sie auf der Homepage der Organisation wiedergegeben wird. Die Ungleichheiten, die sie anspricht, sind in diesem Falle auf der Ebene nationaler Organisationen verortet, finden sich aber auch in Organisationen die lokal tätig sind. Dabei macht Djamila deutlich, dass sich ihre Organisation speziell im Rahmen der Forderung nach Partizipationsmöglichkeiten an Frauen wendet, die aufgrund ihrer Ausbildung und ihres beruflichen Status nicht die typischen Zielgruppen für Sozialarbeit sind. Mit Bezug auf die Situation in ihrer Heimatstadt im Südwesten Englands analysiert sie die Ungleichheiten auf lokaler Ebene und erklärt, warum die Empowerment-Kurse, die die Organisation durchführt, notwendig sind: „Muslimische Frauen brauchen dort keine soziale Arbeit, fühlen sich aber innerhalb ihrer eigenen Community marginalisiert. Deshalb geht es darum, ihnen das Selbstvertrauen zu geben, um bei uns an Bord zu kommen. Ein Großteil der Arbeit in der Community wird von Männern gemacht, die das Potenzial einer Hälfte der Gemeinschaft ignorieren. Insofern ging es darum, diese Frauen zusammen zu bringen. Sie waren Lehrerinnen, Richterinnen, Wissenschaftlerinnen, die eine Stimme hatten und die diese auch gehört wissen wollten und die sagen wollten, in welcher Weise islamische Theologie sie zurückstellte. Sie konnten Wissenschaftlerinnen in Spitzenpositionen innerhalb der Mainstream-Gesellschaft sein, aber wenn es darum ging, eine muslimische Frau zu sein, wurde ihnen nicht erlaubt zu sprechen. In einer Versammlung mussten sie ihre Fragen aufschreiben und Männern erlauben, für sie zu sprechen, denn die Stimmen von Frauen sollten nicht hörbar sein.“ (Interview mit Djamila, Organisation 3)

Aus dieser Diskrepanz zwischen der Positionierung von Frauen in ihren Berufen und ihrer Rolle innerhalb der Repräsentationsorgane von Communities, leitet die Aktivistin eine Notwendigkeit zur Veränderung ab. Sie grenzt sich dabei nicht nur von Organisationen ab, die vorwiegend durch Männer geprägt sind, sondern stellt auch die Auslegung von Glaubenssätzen in Frage, in denen Frauen eine öffentliche Rolle aberkannt wird. Die Gründung muslimischer Frauenorganisationen kann vor diesem Hintergrund als Antwort auf Diskriminierung und als Moment betrachtet werden, in dem Empowerment durch Selbstermächtigung umgesetzt wird. Von Frauen etablier-

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te Strukturen dienen dabei nicht zwangsläufig der Repräsentation von Muslim_innen, sondern können ebenso neue Räume für soziale Interaktion, die Ausübung der Religion und die Debatte über Fragen der Auslegung von religiösen Regeln eröffnen. Ein Beispiel, das im Jahr 2015 mediale Aufmerksamkeit erhielt, war der Beginn der Planung einer Moschee, die von Frauen geleitet wird (siehe 5.2.3). In den Zitaten ist eine Abgrenzung zwischen Frauen und Männern ersichtlich, die sich in den genannten Unterschieden im Hinblick auf den Fokus und die Methoden von Aktivismus zeigt. Konflikte um Repräsentation betreffen allerdings nicht nur das Verhältnis zu Organisationen, in denen Männer maßgeblich Entscheidungen treffen und den Anspruch erheben, alle Muslim_innen zu repräsentieren, sondern prägen auch die Verhältnisse einiger Frauenorganisationen zueinander. So stellt Banan die Legitimation, der Muslim Women’s Advisory Group in Frage: „Wer sind diese Leute? Wer hat sie ausgewählt? Wer hat sie in diese Position gebracht? Die Regierung hat ausgesucht, wen sie in diesen Gruppen haben wollte. Und das hing mit Extremismus und Terrorismus zusammen. Ihre Agenda drehte sich nur darum und hatte nichts mit den weiter führenden Themen zu tun, den fundamentalen Themen, den holistischen Themen der Community, darum ging es nicht. Und wir glauben, dass man Erfahrungen an der Basis haben muss, denn ansonsten hat man niemanden, der mit einem zusammenarbeitet. Als wir begannen kritische Themen innerhalb der Community anzusprechen, wurden wir stark kritisiert. ‚Wer bist du? Du bist Feministin. Du bist dies, du bist das.‘ wie auch immer, viel Kritik. Und nun haben wir sehr viel harte Arbeit geleistet und ich glaube, wir haben Vertrauen in den Communities gebildet. Das dauert Jahre und Jahrzehnte. Es passiert nicht über Nacht. Du must tatsächlich mit ihnen im Schlamm sein [to be in the mud with them], du musst zu ihnen gehören. Du musst von ihnen kommen. Du musst ein Teil von ihnen sein. Du musst mit ihnen leiden. Du musst mit ihnen zusammen sein.“ (Interview mit Banan, Organisation 4)

Vor dem Hintergrund, dass die Muslim Women’s Advisory Group zum Zeitpunkt des Interviews bereits seit mehreren Jahren als gescheitert galt (siehe 4.1.2), ist die Kritik, die hier formuliert wird, nicht überraschend, jedoch fällt die Vehemenz auf, mit der Banan ihre Position artikuliert. Sie verweist nicht zuletzt darauf, dass Legitimation ein wichtiges Thema für die Organisation ist. Da die Aktivistin im Interview die Glaubwürdigkeit

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von Organisationen anzweifelt, die nicht aus der Arbeit innerhalb von lokalen Communities entstanden sind, sondern im Zuge der Antiterrorstrategien von der Regierung eingesetzt wurden, bleibt ihr Einwand aktuell und wird unterstrichen durch die starke Betonung der Notwendigkeit von Legitimität, die aus ihrer Sicht aus der Nähe zur Community und langjähriger gemeinsamer Arbeit entsteht. Er deutet darauf hin wie umstritten Repräsentationsstrukturen sind und verweist auf Konflikte zwischen den Frauenorganisationen untereinander und mit anderen Akteuren. Insbesondere die wiederholte Betonung der Kritik, der die Organisation ausgesetzt war in Kombination mit dem Veweis auf die Notwendigkeit langfristiger Kooperation, um Glaubwürdigkeit herzustellen, grenzt Organisation 4 von denen ab, die erst in den vergangenen Jahren entstanden sind. Obwohl Vernetzung untereinander als notwendiges Mittel betont wird und einige Organisationen zusammenarbeiten, erscheint das Feld hier disparat und durch ebensoviele Konflikte wie Bezüge zueinander gekennzeichnet. Speziell die Äußerungen im zweiten Teil des Abschnitts machen deutlich, dass die Forderung nach Partizipation und der damit verbundene Anspruch muslimische Frauen zu repräsentieren mit Fallstricken behaftet ist. Muslimische Frauenorganisationen benötigen aus Sicht der Aktivistin einen Zugang zur Basis, der sie legitimiert. Diese Perspektive wird von vielen Aktivitinnen geteilt und findet sich implizit in Äußerungen, die den Bezug zur Basis in besonderer Weise betonen. Sogar Organisationen die sich auf nationaler Ebene als Repräsentationsorgane verstehen, präsentieren die Basis als entscheidende Instanz, wenn es darum geht, Themenbereiche zu bestimmen und Positionen zu gesellschaftspolitischen Fragen zu artikulieren. Sie verstehen Konsultationen, Schulungen und wissenschaftliche Arbeiten als Mittel, um die Interessen muslimischer Frauen zu sammeln. In diesem Sinne wird die Kooperation mit Frauen in ganz Großbritannien in der Frage nach wichtigen Themen von Organisation 1 als zentraler Bestandteil der Arbeit dargestellt: „Eine unserer ersten Aktivitäten war es […] Frauen nach ihren Bedarfen zu fragen. Diese ‚Hörübung‘ wurde in einem Bericht veröffentlicht, in dem sowohl der existierende Raum für die volle Partizipation muslimischer Frauen in der Gesellschaft, als auch ungerechte Barrieren identifiziert wurden. Diese Analyse bleibt, neben der ständigen Interaktion unserer Mitglieder untereinander und mit Frauen in der Community, die Hauptinspiration für unsere Arbeit. In unserer Arbeit geht es darum, die

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Grundlagen der Lebensumstände muslimischer Frauen zu verändern und nicht nur Dienstleistungen zu verbessern.“ (Organisation 1, Homepage 2012-15)

Die Ergebnisse der Befragung von muslimischen Frauen werden in dieser Darstellung als zentrale Bezugspunkte für die Arbeit der Organisation dargestellt. Sie formuliert den Anspruch, den Anschluss an deren Erfahrungen nicht zu verlieren und setzt ihn über regelmäßige Konsultationen der Mitglieder um. Muslimische Frauen sollen nicht nur repräsentiert werden. Darüber hinaus versucht die Organisation basisdemokratische Strukturen zu etablieren, die deren Bedarfe ermitteln und möchte auf diese Weise den Spagat zwischen Interessenvertretung auf nationaler Ebene und der Basisarbeit realsieren. 5.1.2 „How about us? Particularly this issue affects us.“ – Die Auseinandersetzung mit sozialen Konflikten Die Forderung nach Teilhabemöglichkeiten für muslimische Frauen hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sie sich mit gesellschaftspolitischen Konflikten auseinandersetzen. Diese betreffen Themenbereiche wie die Armut und Diskriminierung von Muslim_innen in Großbritannien und die Marginalisierung von Jugendlichen und ihre Auswirkungen. Zumeist beziehen sich Aktivistinnen und Organisationen auf Großbritannien, immer wieder geht es aber auch um politische und soziale Entwicklungen auf globaler Ebene. Die Auseinandersetzung mit Terrorismus wird von einzelnen als Ausgangspunkt für Aktivismus betrachtet. Arifa erklärt aus diesen Entwicklungen auch die vermehrte Entstehung muslimischer Frauenorganisationen, die in die damit verbundenen Diskurse intervenieren. „Okay, es gab einige Organisationen. Aber seit 2005, als die London Bombings – ich würde sagen – passiert sind, begannen Aktivistinnen überall aufzutauchen. […] Ich schätze der Wendepunkt war tatsächlich 2001, der 11. September. Seit dem 11. September bis zum 7. Juli 2005 und danach waren muslimische Communities plötzlich im Rampenlicht. Jeder wollte wissen, was Muslime denken, besonders die Regierung und die Medien. Aber wenn man schaut, mit wem die Medien und die Regierung gesprochen haben, stellt man fest, dass es Männer waren. Das wurde wirklich offensichtlich in Fernsehinterviews und Einladungen der Regierung. Es waren Männer. Und dann dachten Frauen: ‚Warte mal, was ist mit uns? Warum redet nie-

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mand mit uns?‘ Und daraufhin begannen Aktivistinnen auf der Bildfläche zu erscheinen. Kleine Gruppen schossen aus dem Boden, weil sie aufgebracht und verärgert waren, sagten sie: ‚Was ist mit uns? Speziell dieses Thema betrifft uns.‘ Denn Frauen werden als erste zu Zielen, weil sie einfacher ins Visier genommen werden können. Sie sind am meisten sichtbar und am meisten angreifbar.“ (Interview mit Arifa, Organisation 1, 42.25).

Neben den Aspekten, die bereits oben diskutiert wurden, ist hervorzuheben, dass auch Arifa einen Geschlechterkonflikt wahrnimmt, der aus ihrer Sicht jedoch besonders im Zuge der Diskurse um Islamismus zu Tage getreten ist. Die Aktivistin beschreibt die Diskrepanz zwischen einem gesellschaftlichen Klima, in dem besonders muslimische Frauen von Diskriminierung betroffen sind und deren Wahrnehmung, diese Erfahrungen nicht öffentlich artikulieren können. Dieses Narrativ stellt muslimische Frauen ins Zentrum der aktuellen Diskurse. Ohne ihre Beteiligung ist es aus Sicht der Aktivistin nicht sinnvoll, über Muslim_innen in Großbritannien zu sprechen. Damit bietet sich ein Anknüpfungspunkt zu den Konstruktionen muslimischer Frauen, wie sie im vorangegangenen Kapitel diskutiert wurden und die ihre Interventionsmöglichkeiten auf Ebene der Community und der Familie hervorheben. Anders als es in den staatlich geförderten EmpowermentProgrammen der Fall ist, wird Partizipation in dieser Äußerung mit Sichtbarkeit in den Medien und bei politischen Entscheidungsträger_innen verknüpft. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen betrifft also zum einen die nationale Ebene, auf der eine Reihe von Frauenorganisationen Sichtbarkeit einfordern. Sie kann sich aber auch auf lokale Prozesse beziehen, wie das folgende Beispiel zeigt. Die mit den Diskursen um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt verbundene gesellschaftliche Polarisierung und Diskriminierung von Muslim_innen hat Fraueninitiativen hervorgerufen, die sich gegen Rassismus und Ausgrenzung positionieren. Subaia beschreibt im Interview eine Initiative von Frauen, gegen einen Aufmarsch der rechtsgerichteten English Defence League: „Die English Defence League kam 2010 nach […]. Und sie kamen letzten Monat wieder. Im Jahr 2010 trafen einige von uns sich, um zu überlegen, was wir als Frauen tun konnten. Und das waren Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen und Glaubensrichtungen, Atheistinnen etc. Sechs oder sieben von uns saßen um den

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Tisch herum und wir kamen überein, dass wir versuchen würden etwas zu tun, auch wenn es wirklich einfach wäre, und grüne Bänder an dem Tag zu verteilen.“ (Interview mit Subaia, Organisation 5)

Auch hier besitzt das Geschlecht eine besondere Bedeutung als Ausgangspunkt von Organisierungsprozessen. Die Zusammenarbeit zwischen Frauen unterschiedlichen Glaubens stellt eine Strategie dar, um sich auf lokaler Ebene politisch zu positionieren. Andere Organisationen beschreiben ähnliche Episoden in denen Kooperationen mit anderen Gruppen in antirassistischen Bündnissen oder in Beratungsgremien der Regierung eine Rolle spielt. Diese Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen demonstriert eine grundsätzliche Offenheit der Organisationen, die hier im Mittelpunkt stehen. Sie positionieren sich als Teil der britischen Gesellschaft und kooperieren dementsprechend mit Gruppen aus dem Spektrum der Zivilgesellschaft. 5.1.3 „They have this idea that it's an ASIAN need. So therefore it has to be CURRY“ – Bedarfe muslimischer Frauen als Grundlage für Aktivismus Ein zentrales Motiv für die Entstehung von muslimischen Frauenorganisationen ist die Benennung von Bedarfen muslimischer Frauen, die aus Sicht von Aktivistinnen besonders auf Ebene der Communities deutlich werden. Aus dieser Vorstellung ergibt sich die oben bereits genannte Tendenz, eine enge Beziehung zur Basis in den eigenen Selbstdarstellungen zu betonen. Konkret äußert sie sich häufig in Projekten, die auf lokaler Ebene umgesetzt werden und sich an den Interessen derjenigen orientieren, die teilnehmen. Sie richten sich auf alltagspraktische Fragen, die im engeren Sinne religiös – d.h. auf den Islam als Religion bezogen – sein können, den Islam als kulturellen Bezugsraum aufgreifen oder einen Raum der sozialen Interaktion von muslimischen Frauen bieten wollen. Ziel ist es, ein breiteres Angebot von Aktivitäten in den Bereichen Kultur, Politik und Gesellschaft zu schaffen, die vorwiegend an die Bedürfnisse der Zielgruppen, insbesonderer muslimischer Frauen, angepasst sind. So betonen die Vertreterinnen von Organisation 2, die vorwiegend soziale und kulturelle Aktivitäten für muslimische Frauen, aber auch Familien und Jugendliche anbietet, dass ein

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geringes Angebot an sozialen Aktivitäten für muslimische Frauen in ihrer Stadt der Ausgangspunkt für die Gründung der Organisation war. „Wir haben einfach rausgefunden, dass es eine Menge religiöser Gruppen und Einflüsse gab, aber nichts, wo die Damen hingehen konnten, um sich zu treffen. Nicht nur für Damen, sondern auch für Männer, im Grunde für Familien. Also haben wir einfach angefangen, Feste zum Fastenbrechen zu veranstalten. (…) So entwickelte es sich mit der Zeit. Wir haben einfach mit sozialen Dingen wie diesen angefangen. Mit der Zeit haben wir festgestellt, dass wir spezifische Dinge tun sollten, vielleicht für die Kinder. Also haben wir Jugendgruppen gegründet, oder speziell für Mütter zum Beispiel eine Krabbelgruppe.“ (Interview mit Marija, Organisation 2)

Im Laufe des Interviews führen die Interviewpartnerinnen aus, dass die Angebote, die zuerst gemacht wurden, um muslimische Frauen zu erreichen, nach deren Bedürfnissen verändert wurden. So wurde ein Sprachkurs nicht angenommen, während ein Nähkurs großen Zuspruch gefunden habe. Mit diesem Hinweis verdeutlichen sie, dass sozialer Austausch und Teilhabe aus ihrer Sicht die Interessen derjenigen berücksichtigen sollte, die die Zielgruppe von Maßnahmen sind. Damit nehmen sie Stellung zu einem Thema, das bereits zur Zeit des Interviews Konfliktpotenzial beinhaltet und seither an Brisanz zugenommen hat. So werden fehlende Sprachkenntnisse in den britischen Diskursen, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, als gesellschaftliches Problem thematisiert, das mit integrationistischen Diskursen in Verbindung steht.2 In einigen Fällen hängt der Verweis auf die Bedarfe muslimischer Frauen mit einer Kritik an der britischen Minderheitenpolitik und damit verbundenen multikulturellen Diskursen zusammen. Dieser Aspekt spielt besonders für Organisation 4 eine Rolle, die, aufgrund ihres vergleichsweise frü-

2

Die Sprachkenntnisse muslimischer Frauen waren in der Vergangenheit wiederholtes Thema öffentlicher Debatten um Integration. Seit den 1990er Jahren wurde wiederholt darauf verwiesen, dass Teile der muslimischen Bevölkerung nicht ausreichend English sprechen (Gilliat-Ray, 2010, S. 122). Im Frühjahr 2016 initiierte die aktuelle Regierung unter David Cameron eine Initiative, in deren Rahmen 20 Millionen Pfund für Sprachkurse eingeplant sind. Sie ist durchaus umstritten, da das erfolgreiche Bestehen als Bedingung für einen gesicherten Aufenthaltsstatus gilt (Mason & Sherwood, 2016).

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hen Gründungsdatums, wesentlich stärker in die damit verbundenen Auseinandersetzungen involviert war. So wird das Thema besonders von Banan hervorgehoben, die am Gründungsprozess Mitte der 1980er Jahre beteiligt war: „Es gab Ausschreitungen in den früheren 1980er Jahren, die waren der Antrieb, um Gleichstellungspolitiken im öffentlichen Bereich einzuführen. Das entwickelte sich von einem Kampf für Gleichheit auf der Straße, dahin den öffentlichen Sektor tatsächlich bedarfsgerecht zu gestalten. Es ging um Identität und Selbsthilfe und sehr viel darum, Dienstleistungen auf der Basis von ‚asiatischen‘ Bedarfen oder ‚schwarzen‘ Bedarfen zur Verfügung zu stellen. Und was heißt das? Weißt du, man hat einen ganzen Kontinent und selbst, wenn man nicht über den gesamten asiatischen Kontinent nachdenkt, denkt man an Indien, Pakistan und Bangladesh. Und abhängig davon, wo man lebt – wenn du in Brent oder Leicester bist, bedeutet das Gujarati Hindus, oder wenn du in Bradford bist, heißt das Pakistanis. Es war also unterschiedlich und sie brachten all diese Bedarfe durcheinander. Ich gebe dir ein sehr einfaches Beispiel wie halal Essen, okay? Sie haben die Idee, dass es sich um einen asiatischen Bedarf handelt, deshalb muss es Curry sein. Also dachten wir: Nein! Es ist eine religöse Sache und macht nichts, ob es ein englisches Gericht ist. Also wollten wir als Frauen plötzlich, dass unsere Kinder bestimmte Einrichtungen haben. Ich möchte mein Kind in einer Betreuungseinrichtung, in der es meine religiöse und kulturelle Erziehung von einem frühen Alter an bekommt. Also das war es, was uns dazu gebracht hat uns politisch einzubringen.“ (Interview mit Banan Organisation 4, 5:34)

Ausgangspunkt für politischen Aktivismus, wie es im Zitat beschrieben wird, ist die Abgrenzung und Kritik an der Minderheitenpolitik der britischen Regierung. Sie wird mit dem Verweis auf religiös begründete Bedarfe begründet. Diese Strategie ist entscheidend, weil sie muslimischen Frauenorganisationen eine Legitimationsgrundlage bietet, die über die in den vorigen Abschnitten diskutierten gesellschaftspolitischen Entwicklungen hinausgeht. Aus der skizzierten Perpektive sind muslimische Frauenorganisationen unabhängig von Terrorismus und einer Betroffenheit von gesellschaftlicher Diskriminierung notwendig. Gemeinsamkeiten werden nicht über geteilte Rassismuserfahrungen oder nationale Bezüge, sondern über den geteilten Glauben konstruiert. Die Gemeinschaft der Muslim_innen bekommt über regionale Schranken hinaus Bedeutsamkeit, die als konstitutiv

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für Organisierungsprozesse verstanden wird und in der Religion nicht vom Alltag getrennt wird. So werden insbesondere tägliche Erfahrungen und Probleme als Bedarfe muslimischer Frauen verstanden und grenzen die Organisationen von anderen Frauenorganisationen ab. Ähnliche Gegendiskurse zu Minderheitenpolitiken, die z.B. ethnische und nationale Kategorien ins Zentrum rücken, werden auch von Organisationen artikuliert, die neueren Datums sind und die ebenfalls eine Kritik multikultureller Ansätze in der sozialen Arbeit formulieren: „Während es grundsätzlich wichtig ist, dass Dienstleister kulturell sensibel sind, können manche so genannten multikulturellen Pratiken oder Politiken zum Problem beitragen, indem sie Diversität innerhalb der muslimischen Communities ignorieren. Das wird durch ein fehlendes Verständnis der Unterschiede zwischen religiösen, kulturellen und patriachalen Normen verschärft. Kulturelle Sensibilität kann zum Beispiel dazu führen, dass Dienstleister keine LGBT Themen oder Frauenrechte in Bezug zu Muslim_innen thematisieren, weil sie sehr wahrscheinlich negative Reaktionen auslösen. Dazu kommt, dass Dienstleister oftmals annehmen, Muslim_innen seien nicht LGBT und dass LGBT Personen keine Muslim_innen sein können. Das ist eine Annahme, die häufig von Führungspersonen und Mitgliedern muslimischer Communities ebenso wie von den Medien bekräftigt werden. Obwohl viele Dienstleister begonnen haben, Frauenspezifische, LGBT spezifische, rassenspezifische oder religionsspezifische Services anzubieten, übersieht diese Aufgliederung häufig die Bedarfe muslimischer LBT Frauen.“ (Organisation 9, 2002)

Als Organisation, die schwerpunktmässig mit lesbischen Frauen arbeitet, wird von den Autorinnen ein besonderer Bedarf gesehen, der sich aus den Verhältnissen innerhalb muslimischer Communities und Familien ergibt. Es wird kritisiert, dass multikulturelle Politiken oftmals mit einer Homogenisierung von Communities einhergehen, die den Bedarfen vieler Muslim_innen nicht entsprechen. Die Art und Weise, wie unterschiedliche Normen ineinanderwirken und spezifische Diskriminierungserfahrungen generieren, ist aus Sicht der Organisation zentral in der Auseinandersetzung mit Ungleichheit. Aus diesem Grund betreibt sie eine Homepage, die betroffenen Frauen und andere Interessierten Informationen zur Verfügung stellt. Sie generieren ein Wissen über den Islam, das als Gegendiskurs zu patriachalen Normen fungieren soll und bringen auf diese Weise neue Subjektpositionen hervor.

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Unabhängig davon, für welche Ziele die Organisationen eintreten, verweisen sie auf ein Wissen über die Bedarfe muslimischer Frauen, das anderen verschlossen ist und das als Ausgangspunkt für Aktivismus fungiert. Daraus ergeben sich Spielräume für Praxen der Positionierung. Konkret können das acts of citizenship sein, die auf bestimmte Zustände aufmerksam machen und neue Subjektpositionen hervorbringen, wie im oben genannten Beispiel lesbischer muslimischer Frauen. Auch die Kritik an der britischen Minderheitenpolitik, die als Grundlage für Organisiserungsprozesse gesehen wird, kann vor dem Hintergrund zunehmender Muslim_innenfeindlichkeit als Akt der Aneignung und Besetzung der Kategorie Muslim betrachtet werden. Themen, die als relevant betrachtet werden, werden eingebracht und gängige Diskurse um muslimische Frauen in Frage gestellt.

5.2 „B RITISH M USLIM W OMAN “ – D ISKURSE Z UGEHÖRIGKEIT AUS S ICHT DER F RAUENORGANISATIONEN

UM

Nach den Motiven zur Gründung von muslimischen Frauenorganisationen und den damit verbundenen Interventions- und Legitimationsstrategien soll nun eine weitere Ebene untersucht werden, die Aufschluss über diskursive Bezüge und Positionierungen gibt. Bei der Subjektposition British Muslim Woman handelt es sich um eine intersektionale Kategorie, die vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Debatten in Großbritannien und transnationaler Diskurse um den Islam zu verstehen ist. Sie begründet Aktivismus und kann auch dazu dienen, einen Bedarf nach Empowerment zu legitimieren. Zu diesem Zweck knüpfen Aktivistinnen und Organisationen an unterschiedliche Diskurse an, reproduzieren damit verbundene Deutungsmuster, eignen sich zenrale Kategorien an und deuten sie gegebenenfalls um.

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5.2.1 „To what extent must we, as Muslim women, prove the extent of our Britishness?“ – Musliminnen zwischen Bekenntnissen von Zugehörigkeit und gesellschaftlicher Marginalisierung „Britishness“ ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Begriff medialer und politischer Debatten geworden. Muslim_innen sind in besonderer Weise von ihnen betroffen: Narrative über Ereignisse der letzten Jahre, angefangen bei den Ausschreitungen 2001 bis hin zu den Attentäten vom 7. Juli 2005, haben dazu geführt, dass ihre Zugehörigkeit zur britischen Gesellschaft insbesondere von rechten Gruppen, aber auch in konservativen Kreisen, in Frage gestellt wird. Auf die damit verbundenen „integrationistischen“ (Kundnani, 2007) Forderungen, die in der Einleitung diskutiert wurden, reagieren Frauenorganisationen auf unterschiedliche Weise. In einem Bericht zur Situation von muslimischen Frauen in Großbritannien artikulieren die Autorinnen eine Irritation in Bezug auf Forderungen nach Integration: „Zwei Drittel der Muslim_innen identifizieren sich als british. Viele Frauen hatten das Gefühl, die so genannte ‚muslimische Identitätskrise‘ (‚Muslim identity crisis‘) sei ein Mythos der Medien, aber andere berichteten, dass sie sich ausgeschlossen und verfremdet durch die Einstellungen anderer Leute fühlten. Es gab eine Tendenz der Irritation und Verwirrung über die konstanten Forderungen an Muslim_innen sich zu ‚integrieren‘. Frauen hatten das Gefühl, britisch und stolz darauf zu sein. Viele meinten, die Aufrufe an sie ‚integriert‘ in ein Land zu sein, zu dem sie sich bereits zugehörig fühlen, haben rassistische und fremdenfeindliche Untertöne, so dass sie sich von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt fühlten. Es gab eine starke Unterstützung von Kommunikation zwischen Kulturen und verschiedenen Religionen. Frauen hatten das Gefühl, dass es einen Bedarf an Kommunikation unter allen Glaubensrichtungen gab und dass dies etwas war, das alle Communities gemeinsam angehen sollten.“ (Organisation 1, 2006)

Im Zitat wird die Sprache wissenschaftlicher Studien genutzt, um Ergebnisse von Gruppendiskussionen mit britischen muslimischen Frauen, die auf Initiative der Organisation durchgeführt wurden, wiederzugeben. Die Distanz des Textes, dessen Ergebnisse sich auf die Meinungen von nicht genauer bestimmten Muslim_innen in Großbritannien stützen, konstruiert ei-

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nen Bezug zur Basis, wie er bereits im letzten Absatz diskutiert wurde. Die Kritikpunkte, die hier formuliert werden, erscheinen vor diesem Hintergrund nicht als politische Positionierungen der Organisationen. Stattdessen wird auf diese Weise der Repräsentationsanspruch unterstrichen, denn sie artikuliert ein bestimmtes Wissen über die Einstellungen muslimischer Frauen in Großbritannien. Gleichzeitig werden generalisierende Formulierungen verwendet, wenn es um das Bekenntnis zu Großbritannien geht, was darauf schließen lässt, dass es durchaus darum geht, sich als Teil der britischen Gesellschaft positionieren. Auf inhaltlicher Ebene wird Kritik an einer Interpretation sozialer Konflikte geübt, in der die Forderung nach Integration von Muslim_innen im Zentrum steht. Es wird betont, dass die Mehrzahl der Muslim_innen sich als britisch betrachtet und Forderungen nach Integration mit Unverständnis gegenüber steht. Auf diese Weise werden integrationistische Diskurse als gegenstandslos delegitimiert. Dagegen wird ein Modell gegenseitiger Kommunikation angeführt, dass den Austausch zwischen unterschiedlichen Glaubensrichtungen vorsieht. Die diskursive Figur der „Muslim identity crisis“, die hier genannt wird, hat nicht ausgedient, sondern wird im Gegenteil in jüngerer Zeit in Medien und Artikeln unterschiedlicher politischer Ausrichtung herangezogen, um soziale Konflikte zu kommentieren3. Trotz wiederholter Verweise auf Prozesse der Ausgrenzung, die mit Debatten um „Britishness“ einhergehen, ist das Thema demnach aktuell. Der Umgang mit impliziten und expliziten Forderungen sich als „British“ zu positionieren, variiert jedoch: Während einige Frauenorganisationen Kampagnen initiieren, in denen Patriotismus demonstriert werden soll, üben andere Kritik an derartigen Bekenntnissen. So wirbt die Kampagne

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Siehe unter anderem den Artikel in dem Vergewaltigungen junger Frauen und Mädchen in der nordenglischen Stadt Rotherham thematisiert werden: „A Muslim identity crisis. Rotherham and the failure of multiculturalism‘‘, erschienen im Weekly Standard am 15.9.2014 (http://www.weeklystandard.com/a-muslimidentity-crisis/article/804397 (15.1.2016) oder den Kommentar: ,,After the London bombings on 7 July I became a ‚British Muslim‘ – suddenly my religious identity took centre stage‘‘, erschienen im Independent am 6.7.2015: http://www.inde pendent.co.uk/voices/comment/after-the-london-bombings-on-july-7-i-wasdubbed-a-british-muslim-for-the-first-time-suddenly-my-10369529.html (15.1.2016).

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„Making a Stand“ (2014), die von Organisation 3 initiiert wurde, mit einer Frau, die eine britische Flagge als Kopftuch trägt. Andere lehnen derartige Bekenntnisse ab, wie das folgende Zitat zeigt: „Bis zu welchem Grad müssen wir als muslimische Frauen das Ausmaß unserer Britishness beweisen? Was genau ist Britishness und wie legen wir unsere britischen Werte fest? Das ist die Art von Fragen, die aufkommen, wenn man an die aktuelle Medienberichterstattung über muslimische Frauen und das Kopftuch denkt. Nimmt man zum Beispiel das umstrittene Mohnblumenkopftuch4, entworfen als Möglichkeit für muslimische Frauen ‚einen Schritt weiter‘ zu gehen und den ‚400 000 muslimischen Soldaten, die an der Seite von britischen Truppen gekämpft haben‘ zu gedenken und das Union-Jack-Kopftuch, wie es auf dem Titel der Sun unter der Überschrift ‚Vereint gegen den IS‘ erschienen ist. Man muss nicht erwähnen, dass man weder den Union Jack braucht, um gegen die Gräueltaten zu sein, die der IS begeht, noch dass wir Befürworterinnen von Extremismus sind, wenn wir kein Mohnblumenkopftuch tragen. Können wir im Verhältnis zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft als weniger britisch betrachtet werden, wenn wir uns dagegen entscheiden? In der Tat ist das die Implikation, wenn ein religiöses Symbol genutzt wird, um für britische Werte zu werben. Chris Allen, der an der Universität Birmingham zu antimuslimischen Hassverbrechen [hate crime] forscht, sagte ‚Das Tragen – oder nicht Tragen – eines patriotischen Kopftuchs wird zu einem verschleierten Test der Loyalität.‘ Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, wenn Studien zeigen, dass muslimische Frauen das größte Risiko tragen, Opfer eines islamophoben Angriffs zu werden.“ (Organisation 5, 2015)

Im Zitat wird betont, dass Britishness nicht durch das offene Tragen patriotischer Symbole bestimmt wird. Diejenigen, die der permanenten Aufforderung nach dieser Art des Bekenntnisses zu Großbritannien nachkommen, werden kritisiert, weil sie damit – so der Vorwurf – die Diskriminierung von Muslim_innen letztlich stützen. Die Autorin verleiht ihrer Kritik Rückhalt, indem sie den Sozialwissenschaftler Christopher Allen heranzieht, der die britischen Debatten um das Thema maßgeblich geprägt hat (Allen, 2007, 2010). Der Verweis auf gesellschaftliche Marginalisierung und Muslim_innenfeindlichkeit dient dazu, sich legitim gegen die Forderung eines

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Mit einer einer künstlichen Mohnblume, genannt rememberance poppy wird in Großbritannien traditionell an die Toten des ersten Weltkriegs gedacht.

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Bekenntnisses zu Großbritannien zu positionieren. Darüber hinaus fällt auf, dass immer wieder an wissenschaftliche Diskurse angeknüpft wird. So kann, wie im ersten Zitat, die Form und Sprache von Texten an wissenschaftliche Studien erinnern oder es werden Bezüge zu den Aussagen von Wissenschaftler_innen gezogen, wie im vorliegenden Beispiel. Diese Strategie kann als spezifische Form von Positionierung und Abgrenzung gelesen werden: Zum einen werden Deutungsmuster delegitimiert, in deren Rahmen muslimische Frauen als Abhängige von Männern erscheinen, die ohne Ausbildung an den Haushalt gebunden sind. Zum anderen stellen Erkenntnisse, die als „wissenschaftlich“ gekennzeichnet sind, die Legitimität anderer Wissensformen in Frage und stützen auf diese Weise inhaltliche Aussagen und Kritikpunkte, im Rahmen politischer Auseinandersetzungen. Die Verknüpfung von sozialen Zusammenhalt und Zugehörigkeit kristallisiert sich in der Debatte um „Britishness“. Es zeigt, dass die Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen und Aktivistinnen durchaus polarisiert sind. Einige kommen den Forderungen nach deutlichen Bekenntnissen zu Großbritannien nach, andere kritisieren dies als einen Diskurs, der die Marginalisierung von Muslim_innen verstärkt. Gegenpositionen zur Forderung nach Integration und sozialem Zusammenhalt verweisen auf die gesellschaftliche Marginalisierung von Muslim_innen und Muslim_innenfendlichkeit und untermauern ihre Erkenntnisse häufig über den Anschluss an wissenschaftliche Diskurse. Das schafft Legitimität und Abgrenzung, sowohl gegenüber den religiösen Diskursen von islamistischen Gruppen, als auch gegenüber integrationistischen Forderungen. 5.2.2 „The unifying thing is not the Islam, it’s WOMEN.“ – „Frau-# S ein“ als Erfahrung und Thema von muslimischen Frauenorganisationen Obwohl es sich bei den hier untersuchten Organisationen um Muslim Women’s organisations handelt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Zugehörigkeit oder die Möglichkeit, an Aktivitäten teilzunehmen, auf muslimische Frauen beschränkt ist. Einige von ihnen betonen eine große Offenheit, auch gegenüber nicht-Muslim_innen, die mit der Erfahrung des „FrauSeins“ in Verbindung steht:

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„Das verbindende Element ist nicht der Islam, es ist das Frau-Sein. Frauenthemen sind die Verbindung für uns. Ob du deine Periode hast, oder in der Menopause bist oder schwanger. Die Frauen lieben es, über ihre Wehen zu reden, wie sie die Wehen erlebt haben. Das hat offensichtlich nichts mit dem Islam zu tun.“ (Interview mit Thabit und Marija, Organisation 2)

„Frau-Sein“ wird im Zitat auf bestimmte körperliche Erfahrungen bezogen. Der gegenseitige Austausch, über die Periode, über Geburtserfahrungen und die Menopause, sieht die Aktivistin als Grundlage für Gemeinsamkeiten, die über den Glauben hinausgehen und die Solidarität schaffen. Auf diese Weise wird Weiblichkeit biologisiert und eng an Mutterschaft und damit in Verbindung stehende körperliche Vorgänge gekoppelt. Dieser Ansatz bestätigt sich in anderen Teilen des Interviews, in denen die Familie als zentraler Bezugsraum für muslimische Frauen konstruiert wird, der für den Aktivismus dieser Organisation bestimmend ist: „All die anderen Gruppen machen etwas wie eine Veranstaltung oder einen Ausflug, aber wir bringen den Aspekt der Familie ein. Wo du deine Kinder bringen und mitsingen kannst. Also haben wir Kinder, Essen und Getränke. […] Das ist es was wir tun, wenn wir mit anderen Gruppen zusammenarbeiten.“ (Interview mit Thabit und Marija Organisation 2)

Im Interview erscheint der Bezug zur Familie als positiv besetzter Aspekt des Aktivismus muslimischer Frauen, der die Vernetzungsarbeit mit anderen Minderheitengruppen bereichert. Damit verbunden wird eine spezifische Art und Weise, Politik zu machen, die neben den gemeinsamen Zielen auch die soziale Interaktion in den Vordergrund stellt. Über Mutterschaft als konstitutives Moment von Positionierung einiger muslimischer Frauenorganisitionen werden Aktionsformen ebenso wie die Inhalte von politischen Forderungen begründet. So erklärt eine andere Aktivistin im Interview, dass die Möglichkeiten für Frauen durch ihre Mutterrolle eingeschränkt sein können: „Viele von uns haben Familien und wir als Mütter können nicht wie die Männer zu endlosen Sitzungen gehen.“ (Interview mit Banan, Organisation 4)

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Es wird deutlich, dass die Aktivistin die Verantwortung für die Kindererziehung Frauen zuschreibt und die oben bereits diskutierte Verortung von Frauen als Mütter für sie eine wichtige Bezugskategorie darstellt. Darüber hinaus begründet sie die Themenfelder ihrer Organisation über Mutterschaft. Sie bezieht die Arbeit mit Familien auf den Zustand von Gesellschaften und verortet sie auf diese Weise als politisch: „Es geht besonders um Familien. Und ich denke, die meisten muslimischen Frauen würden mir zustimmen, dass es die Familie ist, um die sie sich Sorgen machen. […] Wenn die Familie in Schwierigkeiten steckt, wenn die Familie von einem gesellschaftlichen Übel betroffen ist, tangiert das die gesamte Gesellschaft. Deshalb müssen wir mit der Familie auf der untersten Ebene umgehen und Menschen dort helfen wo sie Hilfe benötigen.Gesunde Familien sorgen für gesunde Communities. Deshalb haben wir Schwierigkeiten mit Politiken der Regierung. Sie denken von der Spitze aus. Sie können nicht alle Probleme lösen, die wir haben. […] Und das gilt nicht nur für Muslim_innen, sondern für alle.“ (Interview mit Banan, Organisation 4)

Mutterschaft, so wird in den Zitaten deutlich, stellt für einige Aktivistinnen eine wichtige Bezugskategorie dar, die nicht getrennt wird von politischem Handeln. Als Ausgangspunkt für Aktivismus ist sie konstitutiv für Aktionsformen und politische Inhalte. In diesen Positionierungen finden sich Anknüpfungspunkte an die in Kapitel 4.2.2 diskutierten Diskurse um Mutterschaft im Rahmen der Prevent-Strategie, die in engem Bezug zu konservativen politischen Programmen stehen. Gleichstellung ist dabei nicht das vordringliche Ziel dieser Organisationen, stattdessen wird der Dienst an der Gemeinschaft der Austausch muslimischer Frauen untereinander und mit anderen in den Vordergrund gestellt. Nicht alle Aktivistinnen stellen Mutterschaft so stark ins Zentrum wie die Interviewpartnerinnen in den zitierten Passagen. Darüber hinaus zeigt sich, dass traditionelle Rollenmodelle von einigen Organisationen durchaus in Frage gestellt werden. Besonders hervorstechend ist Organisation 9, die eben diese Strukturen kritisiert und als Grundlage von Ungleichbehandlung und Diskriminierung, besonders von LGBT-Personen bekämpft. Obwohl einzelne Interviewpartnerinnen Frauen und Männern ausdrücklich unterschiedliche Rollen zuschreiben, findet sich auch die Betonung einer Offenheit gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen. Für diese Aktivistinnen stellt Feminismus einen wichtigen Bezugspunkt dar, wobei ein spezifisches

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Verständnis und eine Abgrenzung zu anderen Feminismen artikuliert wird. Dies kann sich, wie das folgende Zitat zeigt, durchaus an historischen Entwicklungen in Großbritannien orientieren und damit die Identifikation als Britin hervorheben. „Eine Menge Frauen werden immer selbstbewusster, weißt du. Es geht das Wort einer Suffragettenbewegung um, denn das ist es, was wir brauchen: eine Suffragettenbewegung von muslimischen Frauen. Denn ich denke, wir wurden von der feministischen Bewegung ignoriert, weil wir unsere Religion haben. Und ich glaube nicht, dass uns das eine Hilfe war. Aber es geht darum, Feministinnen dazu zu bringen, zu erkennen, dass auch dies thematisiert werden muss, Frauen einen Beitrag leisten und muslimische Frauen ebenfalls ein Teil dieses Wandels sein müssen.” (Interview mit Djamila, Organisation 3)

Djamila fordert, dass muslimische Frauen auch von Feministinnen als Teil eines sozialen Wandels begriffen werden, weil auch sie Teilhabe einfordern. Es wird die Offenheit gegenüber der feministischen Bewegung deutlich gemacht. Gleichzeitig wird der Bezug zur Religion nicht verworfen, sondern bleibt ein konstitutives Moment der eigenen Auseinandersetzung mit Ungleichheiten. Diese Einstellung wird zum Leitprinzip der Arbeit von Organisation 1: „Prinzip 1: Wir sind eine islamische feministische Bewegung, die den Geist der Gleichheit und Gerechtigkeit im Koran benutzt, um menschliche Interpretationen (auf Basis von Kultur und Tradition), die Frauen und Mädchen diskriminieren in Frage zu stellen und gleiche Rechte und Chancen für alle zu erreichen.“ (Organisation 1, 2015)

Im islamischen Feminismus wird der Koran zur Grundlage feministischer Forderungen nach Gleichheit gemacht. Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wird als menschliche Fehlleistung interpretiert, die mit Kultur und Tradition in Verbindung steht.5 Der Islam bleibt demnach Ausgangspunkt für die eigene Auseinandersetzung und dient dazu, Geschlechterver-

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Zu den Standpunkten islamischen Feminismus verweise ich auf die Arbeiten von Leila Ahmed, insbesondere auf das Werk „Women and Gender in Islam“ (Ahmed, 1992) und auf die Arbeiten von Margot Badran (Badran, 1995, 2009)

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hältnisse kritisch zu hinterfragen. Damit positionieren sich die Aktivistinnen in einem Feld, das sehr umstritten ist, deutlich für eine Anerkennung von Religion. Konstruktionen von Mutterschaft und Familie spielen für einige Organisationen eine zentrale Rolle spielen und beeinflussen die Themen und Aktionsformen muslimischer Frauenorganisationen. Dieser Einfluss hängt mit den Interessen zusammen, die Frauen aufgrund bestimmter Erfahrungen zugschrieben werden, kann aber auch mit der Einschränkung von Möglichkeiten in Verbindung stehen, die sich daraus ergeben, das sie häufig für die Kindererziehung zuständig sind. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt ist islamischer Feminismus, der als Grundprinzip vom Dachverband muslimischer Frauenorganisationen genannt wird und die Verbindung zwischen Gleichstellung und Religion sucht. Die Verschränkung zwischen Geschlecht und Religion wird hier deutlich, ist aber nicht für alle gleichermaßen relevant. 5.2.3 „Islam can mean many different things to different people“ – Der Glaube vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Debatten Der islamische Feminismus wurde im letzten Abschnitt als wichtiger Bezugspunkt einiger muslimischer Frauenorganisationen beschrieben. Die Interpretation heiliger Schriften, insbesondere des Koran, dient hier als Grundlage für Forderungen nach Gleichstellung. Diese Deutung des Islam als prinzipiell egalitär ist mit den Arbeiten feministischer Autorinnen verbunden, die die Ungleichbehandlung der Geschlechter in islamischen Gesellschaften in Frage stellen, ohne die Religion als solche zu verwerfen (u.a. Ahmed, 1992; Badran, 1995). Mit diesem Verständnis verbundene Praxen betreffen die Repräsentationsstrukturen von Communities, die in dieser Arbeit an verschiedenen Stellen thematisiert wurden. Sie können Forderungen nach Gleichstellung in politischen Gremien, aber auch in religiösen Kontexten, beinhalten. Ein Beispiel ist der Bau einer Moschee in Bradford, der von Organisation 5 im Jahr 2015 initiiert wurde. Die Aktivistinnen beschreiben die religiösen und sozialen Hintergründe für diese Initiative wie folgt:

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„Für Muslim_innen sind Moscheen ein essentieller Teil des Lebens, die einen spirituell erhebenden Raum für Gebete, Reflexionen und die Einheit mit Gott zur Verfügung stellen. Eine Moschee ist ein geheiligter Ort für alle Muslim_innen, egal ob männlich oder weiblich. Idealerweise sollten Moscheen einen sicheren Ort für die gesamte Gemeinschaft bieten. Außerdem sollten sie saubere und adäquate Gebetsorte mit gleichem Zugang zu allen Einrichtungen für Frauen und Männer zur Verfügung stellen. Die Einbindung von Frauen in alle Lebensbereiche ist unverzichtbar auch auf der Leitungsebene. Leider gibt es einen wachsenden patriachalen Unterton, der durch Bürokratie verdeckt wird und im Wesentlichen zur Exklusion von Frauen aus den Räumen der Moscheen führt.” (Organisation 5, 2015)

Die Autorinnen beschreiben einen Widerspruch zwischen der religiös begründeten Notwendigkeit der Moschee als Raum der Reflexion und des Gebetes und des Auschlusses von Frauen aus diesem Raum. Die Ungleichbehandlung von Frauen wird demnach nicht religiös begründet, sondern auf einen zunehmenden „patriachalen Unterton“ zurückgeführt. Auch Djamila spricht im Interview von einem verstärkten Konservativismus innerhalb der muslimischen Community, dessen Grundlagen an dieser Stelle nicht analysiert werden können, da die emprischen Daten zu wenige Hinweise dazu enthalten. Es kann jedoch festgehalten werden, dass muslimische Frauen Deutungsmacht über religiöse Normen beanspruchen. Diese diskursive Strategie äußert sich in Praxen der Positionierierung, die mit der Aneignung von Kenntnissen über die Religion verbunden werden. Insofern handelt es sich um einen Prozess, in dem die Subjektposition „muslimische Frau“ im Kontext der Auseinandersetzung um legitimes Wissen über den Islam eingenommen und mit Inhalten besetzt wird. Die Positionierung stellt eine Abgrenzung zu orientalistischen Konstruktionen muslimischer Frauen, ebenso wie zu Auslegungen dar, die als extremistisch gekennzeichnet sind. Typisch für islamischen Feminismus ist zudem die aktive Auseinandersetzung mit religiösen Wertvorstellungen, so dass die Zuwendung zur Religion keine Zwangsläufigkeit impliziert. Thabit beschreibt sie als Entscheidungsprozess und Hinwendung zum Glauben, die freiwillig stattfindet: „Zunächst einmal gibt keinen Zwang, keinen Druck in der Religion. Ich habe mich entschlossen, Muslimin zu sein, als ich im Alter von 12 Jahren war, denke ich. Es gab niemanden in meiner Familie, der mich dazu erzogen hat Muslimin zu sein. Mein Vater wollte, dass wir westlich sind und sie sprachen englisch und so. Also

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weiß ich aus meiner eigenen Erfahrung, wie das Umfeld um mich herum war. Und ich wollte Spiritualität in meinem Leben und wann immer man Leute trifft, die zum Islam konvertiert sind oder wenn man ihre Reise zum Islam beobachtet, stellt man fest, dass sie in eine muslimische Familie geboren sein können, aber es gibt dennoch einen Punkt, an dem sie sich entscheiden, Muslim_in zu sein. Und das kann zu jedem Zeitpunkt passieren, wenn sie Kinder oder wenn sie älter sind.” (Interview mit Thabit, Organisation 2)

Muslimische Frauen in Großbritannien, so die Botschaft, sind selbstbestimmt in ihrem Verhältnis zum Islam. Dieses Verständnis von Religion platziert sie in einen säkularen Kontext und ist insofern anschlussfähig an Diskurse, innerhalb derer Religion als private Entscheidung betrachtet wird. Darüber hinaus kann die Offenheit, die hier betont wird, auch als Gegendiskurs sowohl zu konservativen Auslegungen des Islam als auch zu gesellschaftspolitischen Debatten über den Islam in nicht-muslimischen Ländern interpretiert werden. Die Interviewpartnerinnen präsentieren sich als Vermittlerinnen, die aufzeigen, dass Zugehörigkeit zur britischen Gesellschaft, politische Teilhabe und gesellschaftliches Engagement vereinbar mit Religiosität sind. Das offene Verständnis des Islam, das von muslimischen Frauenorganisationen vertreten wird, betrifft jedoch nicht nur theologische Fragen. So betont Organsation 9 in ihrer Selbstbeschreibung explizit, dass sie sich nicht als religiöse Organisation betrachtet. Der Islam wird als Bezugspunkt konstruiert, der durchaus unterschiedlich besetzt sein kann: „Islam kann viele unterschiedliche Dinge für unterschiedliche Menschen bedeuten. Manchmal sprechen Leute über den ‚Islam‘, wenn sie sich auf Kultur oder Traditionen eines bestimmten Landes oder einer spezifischen Gruppe von Menschen beziehen. Manchmal benutzen Leute das Wort ‚Islam‘, um über das Praktizieren religiöser Rituale oder über Spiritualität zu sprechen. Außerdem benutzen Leute den Begriff ‚Islam‘, um über politische Standpunkte zu sprechen und manchmal nehmen sie Bezug auf das so genannte ‚Islamische Gesetz‘ oder die shari’ah. Diese Sammlung von Regeln, Normen und Gesetzen ist wiederum von mehreren Denkschulen unterschiedlicher individueller Meinungen muslimischer Gelehrter erfunden worden. Organisation 9 nutzt den Begriff ‚Islamische Gesetze‘, um sowohl über die shari’ah, als auch über moderne staatliche Gesetze zu sprechen, die beanspruchen, darauf zu basieren.“ (Organisation 9: 2015)

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Organisation 9 ist besonders inklusiv und stellt ein Beispiel dar, für Ansätze, die den Islam über religiöse Schriften und Normen hinaus auch als Raum begreifen, der durch unterschiedliche kuturelle Praktiken und Traditionen geprägt wird. Anders als in orientalistischen Deutungsmustern erscheint er nicht statisch, sondern prozesshaft, an gesellschaftspolitische Diskurse gebunden und heterogen. Frauenorganisationen beziehen die Möglichkeit von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern ein, thematisieren sie allerdings als Ausdruck von Kultur und Tradition. Diese Strategie ermöglicht es ihnen, Religion nicht als Bezugsraum zu verwerfen, gleichzeitig wird der Konstruktionscharakter von Kultur und Tradition in dieser Perspektive nicht thematisiert. Die Negativfolie für den Islam, wie er von den Frauenorganisationen vertreten wird, bildet Islamismus. Zitate wie das Folgende illustrieren die Intention Gegennarrative zu islamistischen Diskursen zu entwickeln und zeigen, dass die Trennung zwischen ‚moderaten‘ und ‚extremistischen‘ Auslegungen des Islam auch in den Diskursen der Organisationen wirksam ist. „Obwohl die Praktiken von ISIS islamischen Werten widersprechen, beanspruchen sie für sich dem Islam zu folgen und verwenden eine blumige Sprache. Ihre Strategie erweist sich als erfolgreich, weil eine kleine Anzahl junger Muslim_innen bereit ist, das komfortable Leben im Vereinigten Königreich aufzugeben und Familienbindungen für sie zu opfern. Folglich müssen alle Gegennarrative ihr oberflächliches und pervertiertes Verständnis vom Islam offenlegen und deutlich machen, dass wer für ISIS stirbt, nicht als Märtyrer angesehen wird, der ein Ticket für den Himmel besitzt.” (Organisation 1, 2015)

Das Wissen um den Islam, wie es im Diskurs und in der Praxis des selbsterklärten „Islamischen Staates“ artikuliert wird, wird als oberflächlich und pervertiert beschrieben und auf diese Weise delegitimiert. Organisation 1 grenzt sich nicht nur ausdrücklich davon ab, sondern konstruiert einen Gegensatz zu „islamischen Werten“, wie sie sie vertritt. Das Aneignen und die Produktion von Wissen über den Glauben spielt also eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, sich zu positionieren und Partizipation einzufordern. Junge Leute werden als besonders anfällig für islamistische Diskurse beschrieben, so dass diese Interpretation durchaus anschlussfähig an staatliche Deutungsmuster von Islamismus ist. Großbritannien erscheint im Zitat als

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ein komfortabler Ort, an dem die Familie verortet ist, was darauf schließen lässt, dass in dem Zitat auch die Selbstbeschreibung als britische Muslim_innen vorhanden ist. Die im Zitat artikulierte Gegenüberstellung der Praxen des Islamischen Staates und dem Islam, wie er von den Aktivistinnen vertreten wird, reproduziert die Linie zwischen ‚moderatem‘ Islam und Extremismus, wie sie auch in der britischen Antiterrorstrategie vorkommt. Die Häufigkeit ähnlicher Äußerungen erklärt sich aus dem oben beschriebenen Eindruck, die eigene Zugehörigkeit zu Großbritannien betonen zu müssen. So kann der Rückgriff auf moderat-extemistische Binarität als Versuch gelesen werden, legitim in Diskursen um Zugehörigkeit und Extremismus intervernieren zu können. Neben Stellungnahmen fungieren auch Erklärungen über Islamismus als Praxis der Positionierung. „Sie haben die Religion in keinster Weise studiert. Sie kennen sie einfach nicht. Also wenn man auf Meinungen wie diese trifft, mit bärtigen Männern und verschleierten Frauen. Sie nehmen sie einfach als Realität an, ohne zu wissen, dass sie selbst sie in Frage stellen müssen oder was die Basis ihrer Religion ist. Sie haben sie nicht studiert. Es ist wie die Bibel. Du kannst einzelne Zeilen daraus nehmen und sie außerhalb des Kontexts benutzen. Und das ist das gleiche mit dem Koran. Wenn du ihn nicht studiert hast, kennst du den Zusammenhang nicht.“ (Interview mit Djamila, Organisation 3)

Djamila spricht an dieser Stelle nicht nur als Aktivistin, sondern auch als Expertin für Radikalisierungsprozesse, die regelmässig Workshops zu diesem Thema anbietet. Die Zielgruppen sind muslimische Frauen und Polizist_innen, die sie im Rahmen von Prevent-Maßnahmen ausbildet. Aus dieser Perspektive ist die Deutung, dass Islamismus in erster Linie auf Unwissen beruht, ebenfalls als Teil eines Gegendiskurses zu lesen. Dem damit verbundenen Wissen wird die Legitimität entzogen, gleichzeitig werden dichotome Konstruktionen, die Extremist_innen und moderate Muslim_innen gegenüber stellen, reproduziert. In den Interviews mit Aktivistinnen und in den Veröffentichungen von Organisationen deutet sich an unterschiedlichen Stellen an, dass diese Tendenz auch eine Reaktion auf aktuelle Diskurse ist, in denen Glaubenssätze aus dem Islam herangezogen werden, um Terrorismus zu erklären und die scharf verurteilt werden:

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„Verschaffen wir uns Klarheit, bevor wir die Religion hinterfragen. Und schauen wir sie uns an. Du kannst dich umdrehen und sagen ‚Ich bin Muslimin‘, losgehen und die Straftat begehen. Heißt das, dass du eine gute Muslimin bist? Du kannst sagen du bist Christin und die Straftat begehen. Heißt das, du bist eine gute Christin? Nur weil jemand ihnen einen Label gegeben hat, heißt das nicht, dass ihre Taten mit der Religion vereinbar sind.“ (Interview mit Jasira, Organisation 10)

Jasira positioniert sich gegen eine Gleichsetzung von Taten, die im Namen des Islam begangen werden und dem Glauben. Es wird deutlich wie eng die Positionierung als Muslimin mit gesellschaftspolitischen Konflikten verknüpft ist. Das bedeutet für Muslim_innen, die im Feld aktiv sind, sich in einem permanenten Abgrenzungs- und Erklärungsprozess zu befinden, der aktuell nicht von Auslegungen der Religion getrennt werden kann. So sind Auslegungen außerhalb der Klassifikation moderat vs. extremistisch in einem gesellschaftlichen Klima, in dem das Bekenntnis zu Großbritannien immer wieder eingefordert wird, nur schwer denkbar. Die Auseinandersetzung mit dem Islam als Religion nimmt eine wichtige Bedeutung in der Praxis der Organisationen ein. Sie geht einher mit der Debatte um die Rolle von Frauen innerhalb des Islam und muslimischen Frauen in der britischen Gesellschaft. Die Interpretation des Islam als offenem Begriff, der kulturelle, politische und religiöse Aspekte beinhalten kann und als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft dient, in der Muslim_innen leben, ist ein wichtiger Bestandteil des Selbstverständnisses der muslimischen Organisationen, wie sie es nach außen präsentieren. Gleichzeitig findet eine deutliche Abgrenzung von Islamismus und Terrorismus statt, der als unislamisch gekennzeichnet wird. Konservative Auslegungen werden vielfach kulturalisiert, so dass die Religion als solche unangetastet bleibt. In den hier skizzierten Positionierungen wird auch deutlich, dass die Frauenorganisationen, die untersucht wurden, um Deutungsmacht ringen, Gegennarrative zu konservativen Auslegungen des Islam entwickeln und sich auf diese Weise als Teil der britischen Gesellschaft platzieren.

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5.2.4 „…if I was to say who is probably discriminated against the most, it’s probably Muslim women.“ – Diskriminierung als geteilte Erfahrung britischer muslimischer Frauen In den vorigen Absätzen ist die Marginalisierung muslimischer Frauen in der britischen Gesellschaft, innerhalb von Communities und in den Repräsentationsstrukturen muslimischer Organisationen, wiederholt thematisiert worden. So wurde auf die Auswirkungen einer diskursiven Verknüpfung von Sicherheit, sozialen Zusammenhalt und Zugehörigkeit verwiesen, die in der Debatte um „Britishness“ offenbar wird. Weiterhin wurde auf die Kritik von Aktivistinnen an patriachalen Tendenzen innerhalb muslimischer Familien und Communities verwiesen, die nicht mit dem Islam, sondern mit Kultur und Tradition verknüpft werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der an diese Themenfelder anknüpft, ist die Erfahrung gesellschaftlicher Diskriminierung, die als konstitutives Moment der Marginalisierung von muslimischen Frauen begriffen wird. „Und ich glaube außerdem: Ja, ich weiß, alle Frauen aus Minderheiten werden diskriminiert. Wenn ich jedoch sagen sollte, wer wahrscheinlich am meisten diskriminiert wird, sind es vermutlich muslimische Frauen. Weil es bei ihnen multiple Schichten sind: Es ist weil sie Frauen sind, wegen des ethnischen Hintergrundes, wegen ihres Glaubens. Denn im aktuellen politischen Klima sind Muslim_innen immer aus den falschen Gründen in den Nachrichten. Sie werden von rechten Gruppen wie der EDL ins Visier genommen. Und es gibt sogar andere Minderheitengruppen, die Teil der EDL werden, zum Beispiel haben sie Mitglieder, die Sikh sind.“(Interview mit Arifa, Organisation 1)

Die Interviewpartnerin nennt unterschiedliche Gründe für die Diskriminierung muslimischer Frauen, die in ihrer Verschränkung zu einer besonderen Betroffenheit führen. Sie verweist auf verschiedene Ebenen von Diskriminierung und schließt daraus, dass muslimische Frauen im Vergleich zu anderen Frauen aus Minderheitengruppen stärker betroffen sind. Mit dieser Ansicht steht die Arifa nicht alleine dar. Häufig wird auf die Zunahme von Übergriffen auf Musliminnen verwiesen:

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„Neben den sozioökonomischen Faktoren, die die muslimische Gemeinschaft unter die am meisten deprivierten auf einer breiten Skala, inklusive in Bezug auf Einkommen, Gesundheit, Bildung und Wohnungswesen platzieren, sind muslimische Frauen aufgrund des aktuellen Klimas der Islamophobie eine besonders gefärdete Gruppe in der Gesellschaft. Das wurde durch die Wahrnehmung der Bedrohung durch islamistischen Extremismus verschärft und darüber hinaus wurden 2005/6 Themen, die den hijab und den niqab (Gesichtsschleier) betreffen, politisiert. Das führte dazu, dass manche Islamophoben das Gefühl hatten, es sei legitim, sichtbar muslimische Frauen zu belästigen.“ (Organisation 6)

Im Zitat wird die Kleidung muslimischer Frauen als Grund für ihre besondere Sichtbarkeit und damit in Verbidnung stehende Übergriffe beschrieben. Es wird auf die Politisierung von Verschleierung verwiesen und ein gesellschaftliches Klima, in dem die offene Feindlichkeit gegenüber Muslim_innen zunimmt. Diese Tendenzen werden von unterschiedlichen Wissenschaftler_innen kritisch thematisiert (Afshar, 2013; Allen, 2007, 2010; Githens-Mazer & Lambert, 2010), so dass Anschlüsse zwischen den Diskursen der Frauenorganisationen und wissenschaftlichen Diskursen erkennbar sind. In diesen und ähnlichen Zusammenhängen verweisen Organisationen auf die seit einigen Jahren steigende Anzahl muslim_innenfeindlicher Übergriffe6 als Teil dieses Klimas. Ein Aspekt dieser Entwicklung besteht in der Homogenisierung muslimischer Frauen: „Inmitten dieser dramatischen Ereignisse7 begannen muslimische Frauen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken – mit dem Schleier, der ein Symbol für politische Debatten um Integration, Zusammenhalt und Radikalisierung wurde. Ein großer Teil dieser Berichterstattung porträtierte muslimische Frauen als die bezwunge-

6

Zum Vergleich siehe die Statistiken zum Thema „Islamophobic Crime“ der London Metropolitan Police (http://www.met.police.uk/crimefigures/) und die Veröffentlichungen

der

Nichtregierungsorganisation

MAMA

Project

(http://tellmamauk.org/tag/statistics/), insbesondere der Report We fear for our lives. Offline and online experiences of anti-Muslim hostility (Imran Awan & Zempi, 2015). 7

Die Autorinnen beziehen sich hier auf außenpolitische Entwicklungen und Muslim_innenfeindlichkeit seit dem 11.9.2001, zunehmende Forderungen nach Integration und die damit verbundene Kritik am Multikulturalismus.

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nen Opfer repressiver patriachaler Kulturen, mit der weit verbreiteten Annahme, dass sie eine große homogene Gruppe seien. Tatsächlich gibt es eine große Vielfalt muslimischer Frauen in der ganzen Welt, begonnen bei den enorm unterschiedlichen Kulturen des mittleren Ostens, Südostasiens, Südasiens, Jugoslaviens, Nordafrikas und den südlichen Teilen der ehemaligen UDSSR. Und die Erfahrung der Frauen in allen diesen Ländern ist einzigartig für sie – ebenso wie es für Frauen im Vereinigten Königreich oder den Vereinigten Staaten der Fall ist.“ (Organisation 5, 2009)

Organisation 5 problematisiert in diesem Zitat die Homogenisierung muslimischer Frauen, die aus ihrer Sicht in den Diskursen gespiegelt wird. Ähnlich wie in den vorangegangenen Zitaten, wird die Botschaft transportiert, dass muslimische Frauen stark von den aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten betroffen sind. Die Beispiele für Herkunftsregionen und der Betonung einzigartiger Erfahrungen von muslimischen Frauen aus unterschiedlichen Kontexten, kann als Gegenstrategie zu den homogenisierenden Tendenzen in den Diskursen um Musliminnen gelesen werden, die eine wichtige Rolle einnimmt. So handelt es sich bei dem Zitat um einen Ausschnitt aus einer Buchveröffentlichung, in der unterschiedliche muslimische Frauen mit dem Ziel porträtiert werden, die Vielfalt ihrer Erfahrungen und Positionen zu dokumentieren und öffentlich zugänglich zu machen. Die Diskriminierung und Marginalisierung muslimischer Frauen wird, wie hier gezeigt wurde, von Frauenorganisationen thematisiert. Sie betrifft unterschiedliche Ebenen, von gesellschaftspolitischen Diskursen um den Islam bis hin zu sozioöokonimischen Bedingungen und wird als mehrdimensional wahrgenommen. Aus den Erfahrungen von Diskriminierung leiten viele Organisationen und Aktivistinnen Forderungen nach einem Empowerment muslimischer Frauen ab.

5.3 E MPOWERMENT ALS T HEMA UND S TRATEGIE MUSLIMISCHER F RAUENORGANISATIONEN Die Forderung nach Empowerment knüpft an die in diesem Kapitel skizzierten Diskurse an. Aus der Marginalisierung muslimischer Frauen in breiten gesellschaftlichen Bereichen wird ein Bedarf nach Organisierung abgeleitet, der als Teil von Empowerment betrachtet wird. Maßnahmen können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Solche, die auf Aktivistinnen zielen und

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solche, die muslimische Frauen im Alltag unterstützen sollen. Erstere beinhalten insbesondere die Vernetzung untereinander im Rahmen von Konferenzen und Kursen, in denen aktuelle Themen diskutiert werden. Sie betreffen die Arbeitsfelder der Organisationen, religiöse Fragen und aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen. Das Empowerment muslimischer Frauen im Alltag soll beispielsweise in Diskussionsrunden zu politischen Themen, gemeinsamen Aktivitäten, aber auch durch Beratung in Rechtsfragen oder religiösen Fragen erreicht werden und wird demnach mit Vernetzung, Beratung und Informationen in Verbindung gebracht. Es besteht aus Sicht der Aktivistinnen darin, sich ein bestimmtes Wissen anzueignen und auf dieser Basis Handlungsmacht zu generieren. Beispielsweise wird häufig auf ein Potenzial verwiesen, das muslimische Frauen in sich tragen. So beschreibt Organisation 6 eine zentrale Zielsetzung ihrer Arbeit wie folgt: „Unser Ziel ist es, muslimische Frauen zu inspirieren, ihr wahres Potenzial zu erfüllen. Wir bestärken Frauen darin, vollständig in allen Bereichen der Gesellschaft zu partizipieren, ohne Angst vor Diskriminierung oder Ungleichheit zu haben.“ (Organisation 6: 2015)

In ähnlicher Weise, wie es in Kapitel 4 für Prevent ausgeführt wurde, wird muslimischen Frauen ein Potenzial zugeschrieben, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschöpft sei. Ein wesentlicher Gegensatz zur Antiterrorstrategie besteht in der Zielsetzung. So dient die Unterstützung über Empowerment, Maßnahmen mit dem Ziel gesellschaftlicher Gleichstellung, einem Selbstzweck. Vor diesem Hintergrund erscheint es erklärungsbesdürftig, dass es auffällige Überschneidungen zwischen den Formulierungen gibt, die muslimische Frauenorganisationen nutzen und die in Veröffentlichungen zu Prevent auftauchen. Sie verweisen darauf, dass PreventMaßnahmen Prozesse diskursiver Vereinnahmung befördert haben, was nicht zuletzt mit gemeinsamen Bezugspunkten zusammenhängt. So wurde im letzten Kapitel auf das Grundsatzpapier „Prevent Extemism Together“ (2005) verwiesen, dessen Abschnitt über muslimische Frauen als Zielgruppe von Antiterrormaßnahmen von muslimischen Aktivistinnen verfasst wurde. Hier wird deutlich, dass der Wunsch nach Partizipation auch bedeutet, dass die eigenen Zielsetzungen in den Dienst von staatlichen Projekten gestellt werden.

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Empowerment-Maßnahmen rufen die Subjekte als Citizens und in erster Linie als Individuen an. Sie zielen zwar auf eine Beseitigung struktureller Ungleichheiten, gehen in der konkreten Arbeit aber von den Einzelnen aus, denen Wahlfreiheit und gleiche Chancen ermöglicht werden sollen. Das zeigt sich beispielsweise in den Projekten, in denen über verschiedene Medien, beispielsweise in kurzen Filmen, Büchern und in Ausstellungen, Erzählungen einzelner Frauen präsentiert werden. Die Ziele dieser Projekte, die in den vergangenen Jahren von unterschiedlichen Organisationen8 in ähnlicher Weise konzipiert und umgesetzt wurden, bestehen darin, die Stimmen muslimischer Frauen öffentlich zu machen, Vorbilder zur Verfügung zu stellen und Frauen unterschiedliche Lebensentwürfe zu zeigen, aber auch Identifikationspunkte zu bieten. Die Diskriminierung muslimischer Frauen wird zum Ausgangspunkt des folgenden Projektes: „Organisation 1 hat erkannt, dass muslimische Frauen aller Altersgruppen multiplen Barrieren durch ihre Ethnizität, das Geschlecht, den Glauben und die Kleidung begegnen. Sie sehen sich aufgrund der Kultur außerdem mit internen Barrieren innerhalb ihrer Communities konfrontiert. Das bedeutet, dass sie nicht immer ihr volles Potenzial erreichen. Dennoch gibt es in der Geschichte und aktuell viele positive Beispiele muslimischer Frauen in diversen Arbeitsfeldern und Führungspositionen. Deshalb haben wir die folgenden Materialien produziert, die negative Stereotype muslimischer Frauen hinterfragen und muslimische Frauen inspirieren ihr größtes Potenzial in dem Feld ihrer Wahl zu erreichen, indem wir weibliche Vorbilder aus diversen Sektoren hervorheben.“ (Organisation 1, 2011-15)

Auch in diesem Zitat wird ein Potenzial muslimischer Frauen benannt, welches sie aufgrund externer Faktoren (Ethnizität, Geschlecht, Glaube, Kleidung) und von Faktoren innerhalb von Communities (Kultur) nicht ausschöpfen können. Als positive Beispiele für Empowerment werden Frauen

8

Im Sample haben insbesondere Organisation 1, Organisation 5 und Organisation 6 größere Projekte dieser Art umgesetzt. Andere (insbesondere Organisation 3) arbeiten in ihren Workshops mit dem Mittel, Vorbilder zu zeigen, ohne dass dies ein gesondertes Projekt darstellt. Darüber hinaus existieren eine Reihe von kleineren Projekten, die ähnlich arbeiten, hier jedoch nicht berücksichtigt wurden, weil in dem Fall eine größere Anzahl von Organisationen in die Auswertung hätte einbezogen werden müssen.

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genannt, die beruflich erfolgreich sind oder Führungspositionen innehaben. So geht es darum, mehr muslimische Frauen in Führungspositionen zu bringen. Im Interview mit Arifa wurde dieser Punkt gesondert nachgefragt, da die Fokussierung auf berufliche Erfolge sehr hervorstechend erscheint. Auf die Frage nach den Auswahlkriterien für die Frauen, die vorgestellt werden, antwortet sie: „Es könnte jede sein. Weißt du, es könnte eine Sportlerin, eine Geschäftsfrau, eine Aktivistin, eine Berufstätige sein, jede die etwas tut, das andere Mädchen ebenfalls inspiriert. […] Auf der Titelseite ist es eine Umweltschützerin, es gibt eine Person, die Theaterstücke schreibt, eine ist Radiomoderatorin, eine Ingenieurin. Ein Mädchen könnte wirklich alle diese Dinge tun wollen. […] Also im Grunde sind es diverse Berufe. […] Für das Buch habe ich versucht, diese eine Frau zu bekommen. Sie hat, ich weiß nicht, zehn Kinder. Und ich dachte: ‚Wow!‘ Ich meine, ich habe drei und auf die aufzupassen ist hart und sie hat zehn. Was für eine erstaunliche Mutter sie sein muss, mit diesen ganzen Kindern umzugehen. Also haben wir versucht, sie reinzunehmen, aber es hat nicht richtig funktioniert. Aber du hast Recht. Ich denke der Grund, warum ich das nicht priorisiert habe, ist, dass wir – Frauen und Mädchen – das die ganze Zeit sehen. Sie sehen ihre Mütter zu Hause, wie sie alles unter einen Hut bringen und Mütter sind. Das ist es, was sie sehen. Also ich denke, ich wollte eine Alternative zeigen.“ (Interview mit Arifa, Organisation 1)

In diesem Abschnitt wird deutlich, dass Projekte zum Empowerment muslimischer Frauen auch als Ausgangspunkt für eine Stärkung von Subjektpositionen fungieren, die aus Sicht der Aktivistinnen nur schwer zugänglich sind. Die Erzählungen einzelner Frauen, die erfolgreich außerhalb des Haushaltes sind, sollen dazu dienen, jungen Mädchen und Frauen alternative Lebensformen als zukünftige Möglichkeit zu erschließen. Insofern setzt diese Art von Projekten an die Geschichten einzelner an und zielt darauf, bestimmte Subjektivierungsprozesse in Gang zu setzen. Sie dienen dem Ziel, strukturelle Ungleichheiten letztlich zu beseitigen. Es wird deutlich, dass das Empowerment muslimischer Frauen aus Sicht der Frauenorganisationen von den staatlich geförderten Empowerment-Maßnahmen im Rahmen von Prevent zu unterscheiden ist. Diese Unterschiede betreffen vorangig die Zielsetzungen Andererseits zeigt sich, dass die Sprache, in der über das Thema Empowerment geredet wird, die Begriffe und Formalisierungen, die genutzt werden, um Maßnahmen zu beschreiben, sich durchaus ähnelt.

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Die damit verbundene Anschlussfähigkeit des Konzeptes (Bröckling, 2003b, 2004), die bereits in Kapitel 4 diskutiert wurde, bestätigt sich also.

5.4 Z USAMMENFASSUNG In diesem Kapitel ging es um Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen, die als mögliche Empfängerinnen von Prevent-Ressourcen im Zentrum dieser Arbeit stehen. Die Entstehung von Organisationen, die die Kategorie „Muslim“ in den Mittelpunkt rücken, damit Religion zur zentralen Bezugskategorie machen und sich (auch) der politischen Kampagnenarbeit widmen, hängt mit gesellschaftspolitischen Konflikten in Großbritannien zusammen und reflektiert diese. Tätigkeitsfelder, zentrale Themen und Positionierungen von muslimischen Frauenorganisationen wurden im Hinblick auf damit verbundene Subjektivierungsprozesse und Anschlüsse an Maßnahmen zum Empowerment muslimischer Frauen untersucht. Auf diese Weise wurde der Sektor muslimischer Frauenorganisationen, im Hinblick auf seine Entwicklungen der vergangenen Jahre skizziert und Themenfelder benannt, die im vorliegenden Kontext von Interesse sind. Es fällt auf, dass muslimische Frauenorganisationen eine Vielfalt von Themenbereichen und Aktivitäten aus dem Feld sozialer Arbeit und politischer Kampagnenarbeit abdecken. Dabei existieren Organisationen, die sich eines eher breiten Spektrums annehmen, neben solchen, die sich auf ein bestimmtes Themenfeld konzentrieren. Weiterhin wurde gezeigt, dass insbesondere diejenigen Organisationen, die im Bereich der politischen Kampagnenarbeit tätig sind, sich aktiv mit aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten befassen. Sie intervenieren in Diskurse, in denen die Zugehörigkeit von Muslim_innen in Großbritannien, die Rolle muslimischer Frauen und soziale Konflikte innerhalb der Communities verhandelt wird. Die von ihnen artikulierten Gegendiskurse dienen dazu, sich von homogenisierenden Konstruktionen des Islam, aber auch von islamischem Extremismus abgrenzen. In ihnen wird die Positionierung als Britinnen mit einer Kritik an hegemonialen Deutungen von Britishness und integrationistischen Ansätzen verknüpft. Zugleich reproduzieren gerade deutliche Abgrenzungen von extremistischen Gruppen die Binarität zwischen moderaten und extremistischen Auslegungen des Islam, die aktuelle Diskurse durchziehen. Das Empowerment muslimischer Frauen macht aus Sicht der Organisationen und Aktivis-

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tinnen einen wichtigen Teil der Arbeit aus und gründet sich auf einer Konstruktion von Musliminnen als strukturell benachteiligt und von Diskriminierung betroffen. Es kann sowohl als Strategie, aber auch als Zielsetzung begriffen werden, die einzelne anspricht und sie mit Hilfe von Vorbildern, durch das Erlangen von Bildung und Austausch untereinander, auffordert ihre Situation zu verbessern. Das Ziel dieser Programme ist aus der Perspektive der Frauenorganisationen eine Veränderung bestehender Ungleichheiten. Anders als die Empowerment-Maßnahmen im Rahmen von Prevent dient es in diesem Zusammenhang also einem Selbstzweck. Hier zeigt sich ein Konfliktpotenzial zwischen Frauenorganisationen und staatlichen Diskursen, das im nächsten Kapitel untersucht werden soll. Daneben exitistieren zahlreiche Bezugspunkte zwischen Prevent und den Diskursen muslimischer Frauenorganisationen, wie die moderat vs. extremistisch Dichotomie, die hier bereits genannt wurden und im nächsten Kapitel untersucht werden. Da Prevent aus Sicht der Organisationen ein wesentlicher oder für einige sogar der einzige Weg ist, über den die Regierung und die Sicherheitskräfte mit Muslim_innen in Kontakt treten und in dessen Rahmen sie eine Rolle spielen, ist eine Positionierung nahezu unvermeidlich und hängt eng zusammen mit den hier erläuterten Debatten um Britishness und die Situation von muslimischen Frauen.

6. Muslimische Frauenorganisationen und Sicherheitspolitik – das Beispiel der Prevent-Strategie

In den vorangegangen Kapiteln wurden Konstruktionen muslimischer Frauen im Rahmen von Prevent und die Entwicklung muslimischer Frauenorganisationen in Großbritannien dargestellt. Die Deutungsmuster über gesellschaftspolitisch relevante Themen und die damit verbundenen Konstruktionen muslimischer Frauen standen im Zentrum. Beides bildet den Hintergrund zum Verständnis der folgenden Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen zur Prevent-Strategie. Sie geben Aufschluss über die damit verbundenen Subjektivierungsprozesse und die Wirkungsweisen des Programms. Subjekte greifen auf Deutungsmuster von Radikalisierungsprozessen, Geschlechterzuschreibungen und die Effekte von Prevent zurück. Auf diese Weise bringt der Diskurs um das Programm spezifische Subjektpositionen hervor. Sie werden über die zentralen Konfliktlinien beschrieben, um deutlich zu machen, wie umstritten Positionierungen in vieler Hinsicht sein können. Das Kapitel beginnt damit, dass die Fragen thematisiert werden, die in der Auseinandersetzung mit Prevent verhandelt werden. Es folgt ein Abschnitt über Interpretationen der Strategie, ihrer Inhalte und Zielsetzungen. Im dritten Teil des Kapitels werden die Positionierungen zu Prevent herausgearbeitet.

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6.1 B EWERTUNGSGRUNDLAGEN P REVENT -S TRATEGIE

DER

Die Art und Weise wie Prevent von Seiten muslimischer Frauenorganisationen bewertet und interpretiert wird, hängt mit zwei grundlegenden Themen zusammen. Zum einen geht es darum, wie Radikalisierungsprozesse gedeutet werden und inwieweit die Strategie eine adäquate Antwort darauf bietet. Weiterhin wird die Art und Weise thematisiert, wie Frauen in der Strategie vorkommen. Die Vielzahl von Äußerungen zur Prevent-Strategie gründet sich demnach auf zwei zentrale Fragen: Es geht darum, inwieweit Prevent dazu geeignet ist, Terrorismus zu verhindern und um die Rolle, die muslimischen Frauen im Rahmen des Programms zugeschrieben wird. Beide Aspekte werden im Folgenden thematisiert. 6.1.1 Prevent als Antwort auf Radikalisierungsprozesse 1 Interpretationen und Bewertungen von Prevent Maßnahmen liegt häufig die Frage zugrunde, inwieweit die Strategie eine adäquate Antwort auf Radikalisierungsprozesse bietet, ob sie geeignet ist, sie zu stoppen und ihrem Ziel, Terrorismus zu verhindern, somit entspricht. Damit in Verbindung stehen unterschiedliche Erklärungsansätze für die Hinwendung zu islamistischen Gruppen, die in drei unterschiedliche Bereiche geordnet werden können: Zum einen wird auf soziale Faktoren zurückgegriffen, um diese Prozesse zu erklären, weiterhin spielen das Verhältnis zum Islam als soziokulturell konstruierten Raum und Konstruktionen von Islamismus eine Rolle. In der Tabelle auf der folgenden Seite werden Aussagen zur Dimension „Gründe für Radikalisierung und Interpretationen“ im Hinblick auf diese drei Ebenen sortiert und die Faktoren zusammengefasst, die aus Sicht der Organisationen zu Radikalisierungsprozessen führen.

1

Indem der Begriff Radikalisierungsprozesse hier aufgegriffen wird, wird auch die Trennung zwischen Extremismus und moderatem Islam reproduziert. Das birgt seine eigenen Probleme, denn es suggeriert, dass klare Trennlinien existieren, und ist aus meiner Sicht ein Aspekt der Forderungen nach Bekenntnissen, denen sich Aktivistinnen ausgesetzt sehen. Da es sich um eine Kategorie handelt, die in den vorliegenden Diskursen sehr wirkmächtig ist und es darum geht, wie Frauenorganisationen sie besetzten, habe ich sie dennoch beibehalten.

MUSLIMISCHE FRAUENORGANISATIONEN UND SICHERHEITSPOLITIK | 157

Tabelle 1: Erklärungsansätze für Radikalisierungsprozesse Ebene A: soziale Faktoren



• •

gesellschaftliche Marginalisierung: Diskriminierung, Ungleichheit Rassismus und Islamophobie soziales Umfeld

Ebene B: Verhältnis zum Islam als soziokulturellem Raum • •

außenpolitische Entwicklungen fehlende religiöse Bildung von Muslim_innen in Großbritannien

Ebene C: Konstruktionen von Islamismus •

• •



Empowerment durch die Hinwendung zum radikalen Islam Popstatus von Islamist_innen Attraktivität anti-westlicher Narrative Konstruktionen von Geschlecht

Besonders gesellschaftliche Faktoren in Großbritannien und die Wirkung, die islamistische Narrative auf junge Menschen haben können, werden als Erklärungsmuster für Radikalisierung herangezogen. Die Marginalisierung und Diskriminierung von Muslim_innen in der britischen Gesellschaft spielt eine zentrale Rolle. Sie äußert sich aus Sicht von Aktivistinnen in ungleichen sozio-ökonomischen Voraussetzungen und der Ausgrenzung durch direkten und institutionellen Rassismus und Muslim_innenfeindlichkeit. Der soziale Ausschluss führt zu einer Stärkung von patriarchalen Strukturen, so dass junge Leute in einem Umfeld aufwachsen können, dass sie für radikale Interpretationen islamischer Glaubenssätze offen macht. Eine Hinwendung zu anti-westlichen Narrativen, so die Deutung, hängt zusammen mit der Erfahrung gesellschaftlichen Ausschlusses. Ein Beispiel für diese Haltung ist das folgende Zitat aus einer Stellungnahme zur PreventStrategie: „Wir stimmen zu, dass sozio-ökonomische Deprivation und Barrieren zur vollen und gleichwertigen Teilhabe an der Gesellschaft (z.B. Diskriminierung) zu Entfremdung führen können, und dass sie eine Vorbedingung dafür sein kann, die Menschen offen für die Botschaft extremistischer Anwerber macht. Wir glauben, dass dies der vordringliche Fokus der Entwicklung sein kann, aber nicht als PVE markiert werden

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sollte. […] Wir glauben, die Regierung legt nicht genug Betonung auf den Einfluss von Islamophobie – sowohl direkt und institutionell – besonders auf das Gefühl von Zugehörigkeit und Identität bei jungen Leuten.“ (Organisation 6, 2009)

In der Analyse wird auf Themenfelder verwiesen, die bereits im letzten Kapitel als wichtige Einflussfaktoren auf die Subjektpositionen von Muslim_innen thematisiert wurden. Die Feindschaft gegenüber dem Islam und die daraus erwachsende Diskriminierung von Muslim_innen im Alltag führt dazu, dass sich junge Menschen radikal-islamischen Ideen zuwenden. Weiterhin stimmen die Autorinnen Aussagen, die als Teil der Prevent-Strategie getätigt wurden, bis zu einem gewissen Grad zu: So wird sozioökonomischer Ausschluss als Faktor genannt, der auch die Hinwendung zu Islamismus nach sich ziehen kann. Gleichzeitig wird darauf insistiert, dass die Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte nicht als Antiterrormaßnahme stattfinden soll. Während die Kritik in diesem Zitat eher vorsichtig geäußert wird, finden sich in den Aussagen anderer Organisationen deutlichere Worte: „Jahrzehnte muslimischer sozioökonomischer Benachteiligung wurden bis zum Zensus 2001 statistisch versteckt, der endlich eine Frage zu Glaubensidentität hatte. Zu guter Letzt hat das die öffentliche Aufmerksamkeit auf die extreme soziale Ausgrenzung der muslimischen Community gelenkt. Wir glauben, dass diese soziale Exklusion ein Faktor ist, der dazu beiträgt, eine kleine Minderheit anfällig für gewalttätigen Extremismus zu machen. Der erstaunlich hohe Grad an Deprivation in der muslimischen Community bedeutet, dass es jede Rechtfertigung dafür gibt, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, Maßnahmen zur Entwicklung der Communities bereitzustellen und Strategien zum Zusammenhalt von Communities zu entwickeln, die sich speziell an Muslim_innen richten, ohne das über die PVE-Agenda umzusetzen.“ (Organisation 4, 2009)

In dieser Äußerung zeigt sich ein Verständnis, das – typisch für die britischen Debatten – die Messung von Diskriminierung über statistische Daten als gleichstellungspolitisches Instrument befürwortet (Supik, 2013, S. 18 ff.). So steht neben Prevent auch die Minderheitenpolitik Großbritanniens mit ihrem Fokus auf Ethnizitätsdaten im Zentrum der Kritik und es wird ein Zusammenhang von Diskriminierung und Radikalisierung gezogen. Prevent ist aus Sicht von Organisation 4 nicht das geeignete Mittel, um den

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damit verbundenen sozialen Konflikten zu begegnen. In diesen Zitaten deutet sich an, was von Wissenschaftler_innen bestätigt wird, die sich mit der Zunahme von Diskriminierung im Zuge der aktuellen Sicherheitsdiskurse befassen (u.a.: Allen, 2007; Imran Awan & Zempi, 2015; Birt, 2009). Die Feministin Haleh Afshar nennt diese Prozesse, in denen Muslim_innen als „andere“ konstruiert und kategorisiert werden, in einem Aufsatz von 2013 „Politiken der Angst“ (politics of fear), deren Ergebnis letztlich in zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung mündet (Afshar, 2013). Andererseits treten innerhalb dieser Prozesse bestimmte Entwicklungen im Verhältnis der Frauenorganisationen zum Islam hervor. Er wird nicht als Religion mit einer einheitlich zu interpretierenden Lehre verstanden, sondern als sozialer, in vieler Hinsicht kulturalisierter und geographisch assoziierter Raum, in dem Interpretationen von Religion durchaus umstritten sein können. Djamila beschreibt Erklärungsmuster für Islamismus, die sie als Grundlage ihrer eigenen Auseinandersetzung mit Prevent versteht und in ihrer Arbeit umzusetzen versucht: „Und innerhalb der muslimischen Community selbst ist diese wachsende konservative Ideologie, die von Frauen angenommen oder ihnen auferlegt wird. Sie sagt ihnen, dass sie innerhalb der privaten Sphäre verortet sind. Dass es wirklich keinen Platz für sie in der öffentlichen Sphäre gibt. Das wächst also unglücklicherweise. Du weißt, dass der Bedarf für unsere Arbeit in vieler Hinsicht hier liegt. Und nebenher gibt es die Ideologie, die dafür sorgt, dass Mitglieder der muslimischen Community glauben, nicht Teil des Mainstream zu sein, oder dass sie überlegen sind oder dass das Land, in dem sie leben, kein gesundes Umfeld für sie bietet. Also haben sie nicht dieses Gefühl von Loyalität und Zugehörigkeit. Sie werden zunehmend marginalisiert.“ (Interview mit Djamila, Organisation 3)

Marginalisierung wird von der Interviewpartnerin als dialektischer Prozess von Fremd- und Selbstabgrenzung beschrieben, der auch Dynamiken innerhalb der muslimischen Community einschließt. Sie erklärt fehlende Zugehörigkeitsgefühle über einen wachsenden Konservativismus, der mit einer Verortung von Frauen in der privaten Sphäre einhergeht und aus ihrer Sicht eine problematische Entwicklung darstellt. Der Kampf um Deutungsmacht darüber, was Islam bedeutet, welche Rollen Frauen darin spielen und wie diese anhand religiöser Schriften zu begründen sind, äußert sich konkret in den Maßnahmen der Organisationen und in den damit ver-

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bundenen Diskursen und wurde im letzten Kapitel detaillierter thematisiert. Im vorliegenden Zitat zeigt sich, dass es den Aktivistinnen nicht nur darum geht, Radikalisierung zu verhindern. Vielmehr wird im gleichen Zuge eine alternative Deutung des Islam hervorgehoben, die an die Forderungen nach Partizipation, wie sie von muslimischen Frauen bereits vor Prevent formuliert wurden, anknüpft. Diese Entwicklungen finden vor dem Hintergrund der Ausgrenzung von Muslim_innen im Land statt, gleichzeitig stehen sie mit außenpolitischen Prozessen in Verbindung. Einige Organisationen (insb. Org. 1 und 4) verweisen in diesem Zusammenhang auf die britische Außenpolitik, die gerade in den ersten Jahren der Prevent-Strategie als Erklärungsmuster für Radikalisierungsprozesse diente. Insbesondere die Kriege und die Menschenrechtsverletzungen im Iran und in Afghanistan haben Betroffenheit, Unverständnis und Solidarität zu den Muslim_innen in diesen Ländern bei der muslimischen Bevölkerung in Großbritannien ausgelöst. Aus Sicht der Aktivistinnen konnten die Vertreter_innen radikaler islamischer Strömungen darauf aufbauen und Anhänger_innen gewinnen. Im dritten Block der Tabelle geht es um Erklärungsmuster, die sich auf den Islamismus als potenziell attraktives Gedankengut für junge Menschen beziehen. Der Einfluss von Onlineplattformen und islamistischen Predigern ist ein häufig genannter Faktor, der auch im Rahmen der Prevent-Strategie seit 2011 ins Zentrum gerückt ist. Die Strategien des islamischen Staates werden von einigen als Form des Empowerment beschrieben (Org. 1, 3), wobei auch betont wird, dass sie mit sehr deutlichen Rollenzuschreibungen für Männer und Frauen arbeiten: Frauen wird – so erläutert eine Aktivistin in einem Lehrvideo, das Organisation 3 zur Präventionsarbeit in Schulen zur Verfügung stellt – ein Ehemann versprochen. Darüber hinaus biete die Gemeinschaft mit anderen Frauen und die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten Attraktivität. Junge Männer fühlen sich aus dieser Perspektive durch die Männlichkeitskonstruktionen, die in islamistischen Videos propagiert werden, angezogen. Insbesondere das Bild des Kriegers sei hervorstechend. Der Gebrauch des Wortes Empowerment für die Strategien des „Islamischen Staates“ findet sich erst, seitdem die Reisen von jungen Muslim_innen in die Kriegsgebiete im Irak und in Syrien verstärkt thematisiert werden. Gleichzeitig treten einige Aktivistinnen zunehmend als Expertinnen zum Thema auf, was nicht zuletzt mit den Aktualisierungen der Diskurse in den vergangenen Jahren und einem steigenden Bedarf an Erklä-

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rungen für diese Prozesse zusammenhängt. 2 Insofern können hier neue Subjektpositionen identifiziert werden, die durch die Debatte hervorgebracht wurden. Sie stehen in einem engen Zusammenhang zu Prevent, denn viele dieser Expertinnen führen Maßnahmen im Rahmen der Strategie durch. Die Inhalte von Aussagen, die hier ausgewertet wurden, verändern sich im Laufe der Entwicklungen seit 2005. So nehmen Erklärungsmuster, wie sie im Bereich C zu finden sind, in jüngerer Zeit (d.h. etwa seit 2013) zunehmend Raum ein. In diesem Zusammenhang wird die Wirkung sozialer Netzwerke besonders in den Mittelpunkt gestellt. Dabei wird von den Frauenorganisationen versucht, ein relativ differenziertes Bild der Konstruktionen und Strategien von Islamismus, wie sie durch aktuelle Gruppen (insbesondere den islamischen Staat) genutzt werden, zu zeichnen. Ältere Interpretationsweisen (etwa zwischen 2005 und 2011) zielen zumeist auf die sozialen Faktoren und manchmal auf außenpolitische Entwicklungen und die Reaktionen darauf von Seiten britischer Muslim_innen, finden sich allerdings nach wie vor und werden an aktuelle Entwicklungen angepasst. Speziell das Argument der Marginalisierung und Diskriminierung von Muslim_innen spielt eine wichtige Rolle, sowohl bei Gegnerinnen von Prevent (Org. 4 und 6) als auch bei Befürworterinnen. Insofern kann festgestellt werden, dass Deutungsmuster von Radikalisierungsprozessen sich nicht grundlegend verschoben haben, jedoch differenzierter sind, als es in den ersten von Prevent der Fall war. Prevent hat dies teilweise aufgenommen und konzentriert sich seit 2011 auf die Stärkung der Sicherheitsorgane und die Überwachung von verdächtigen Personen. Damit wurde der Kritik an einer Vermischung von Politiken zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und des Zusammenhalts in den Communities entsprochen, gleichzeitig aber die Stigmatisierung von Muslim_innen fortgeführt. Die Interpretationen von Radikalisierungsprozessen stellen eine Grundlage für die Bewertung des Erfolges von Prevent dar. Bevor dies in den folgenden Abschnitten diskutiert wird, wird nun eine zweite Grundlage für die Bewertung von Prevent diskutiert. Die Positionierungen muslimischer

2

Siehe speziell auch die Lehrvideos, die von Organisation 3 als Unterrichtsmaterial für Schulen konzipiert wurden und über die Stiftung „London Grid for Learning“ online zur Verfügung gestellt werden: http://www.lgfl.net/esafety/Pages/counter-extremism.aspx (20.03.2016)

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Frauen im Rahmen des Programms werden aus Sicht der Frauenorganisationen dargestellt. 6.1.2 Prevent und die Positionierung muslimischer Frauen Die Art und Weise, wie muslimische Frauen in Diskursen um die PreventStrategie vorkommen, wird unter den Frauenorganisationen, die sich in diesem Feld bewegen, sehr unterschiedlich bewertet. Ein Teil der Organisationen, insbesondere diejenigen, die im Bereich Extremismusbekämpfung aktiv sind, betonen das Potenzial, das Prevent aus ihrer Sicht für Frauen bietet und stellen die damit verbundenen Konstruktionen von Geschlecht nicht in Frage. Andere problematisieren die Intentionen des Programms und die darin enthaltenen Analysen sozialer Konstellationen, speziell in Bezug auf Geschlechterrollen. In Kapitel 4 wurde gezeigt, dass Frauen im Rahmen von Prevent häufig in Relation zu ihren Familien und speziell als Mütter vorkommen. Aus dieser Positionierung wird ein möglicher positiver Einfluss auf Jugendliche abgeleitet. Gleichzeitig wird versucht, sie dazu zu bewegen, sich an die Behörden zu wenden, wenn sie den Verdacht haben, dass ihre Kinder von extremistischen Ideen angezogen werden. Auch im Rahmen des politischen Aktivismus vieler muslimischer Frauen spielt Mutterschaft eine wichtige Rolle, wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde. Vor diesem Hintergrund ist die folgende Aussage aus einer Kampagne zu verstehen, in der sich muslimische Frauen gegen Extremismus positionieren und die von einer Organisation initiiert wurde, die Prevent-Maßnahmen durchführt: „Wir haben diese Kampagne 2014 gestartet, weil wir den Schaden stoppen wollten, der von Extremist_innen angerichtet wird, die junge Köpfe in unseren Communities vergiften. Als Mütter verloren wir unsere Kinder, die sich von uns abgewendet haben und es stattdessen vorzogen, sich dem mörderischen so genannten Islamischen Staat anzuschließen. Sie waren online von Hasspredigern radikalisiert worden, die die Botschaft eines falschen Islam forcieren.“ (Organisation 3, 2014)

In dem Zitat wird eine direkte Betroffenheit der Autorinnen und derjenigen, für die sie beanspruchen zu sprechen, konstruiert. Die als Mütter Angerufenen beklagen den Verlust ihrer Kunder und positionieren sich gegen Islamismus. Eine ganze Generation von Jugendlichen, so scheint es aus die-

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ser Perspektive, wird zu potenziellen Anänger_innen des „Islamischen Staates“. Das wird vor dem Hintergrund, dass es sich um eine nationale Kampagne handelt, die sich nicht nur an betroffene Mütter, sondern an alle möglichen Musliminnen richtet, besonders deutlich. Mutterschaft wird in diesem Zusammenhang zur Subjektposition, aus der eine Notwendigkeit zum Bekenntnis zu Großbritannien abgeleitet wird. Diese Art von Selbstpositionierung wird von anderen Aktivistinnen sehr kritisch gesehen, wie in Abschnitt 5.2.1 anhand von Beispielen erläutert wurde. Eine deutliche Kritik an der Ansprache von Musliminnen als Mütter potenzieller Terroristen findet sich in den Aussagen unterschiedlicher Organisationen und bezieht sich vorwiegend auf die damit verknüpften Rollen innerhalb von Antiterrormaßnahmen. Organisation 6 macht in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2009 deutlich, dass die Analyse der Regierung aus ihrer Sicht nicht zutreffend ist: „Wir glauben, dass die Analyse der Regierung, Frauen könnten besonders als Mütter die ‚Radikalisierung‘ junger Leute verhindern und dabei helfen, Extremismus zu verhindern, übermäßig vereinfachend und unrealistisch ist – natürlich müssen Frauen eine Rolle spielen, aber die Lösungen sind komplex und überwiegend außerhalb der Kontrolle von Frauen.“ (Organisation 6, 2009)

In dieser Äußerung wird der Partizipationsanspruch muslimischer Frauen aufrechterhalten, die Konstruktion von Müttern als Helferinnen des Staates im Kampf gegen Terrorismus allerdings abgelehnt. Die Kritik an den Rollenzuschreibungen muslimischer Frauen betrifft auch die Aufforderung zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen. Sie wird von vielen Aktivistinnen als vordringliches Ziel von Prevent Maßnahmen wahrgenommen und abgelehnt. Banan glaubt darüber hinaus, dass dieses Ziel unter den gegebenen Bedingungen nicht umzusetzen ist: „Ich ging zu einem Treffen der Polizei und sie sagten ‚Wisst ihr, als Mütter solltet ihr die Taschen eurer Kinder durchsuchen und schauen, was sie vorhaben, schauen, ob sie an Terrorismus interessiert sind‘. Aber wie auch immer, der Punkt ist, dass sie Frauen oder Mütter oder was auch immer benutzen wollten, um ihre Kinder auszuspionieren. Grundsätzlich wollten sie mit Frauengruppen zusammenarbeiten, also gingen Frauen dahin. Und ich habe mit dem Sachbearbeiter gesprochen, mit den Leuten an der Spitze. Sie wollten, dass wir Frauen beibringen, wie sie ins Internet

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gehen und sehen können, auf welchen Seiten ihre Kinder surfen. Wir fanden aber heraus, dass die meisten dieser Frauen nicht mal wussten, wie sie einen Computer benutzen können. Denn es gab keine Gruppen, keine Organisationen. Es gab keine muslimischen Frauenorganisationen.“ (Interview mit Banan, Organisation 4, 34:24)

Im Zitat deutet sich an, dass die Tendenz der Strategie, die Kategorien „Frauen“ und „Mütter“ diskursiv zu verbinden, bei einigen Aktivistinnen durchaus Irritation auslöst. Schulungsmaßnahmen spielen, so wie hier beschrieben wird, nur insofern eine Rolle, dass sie Frauen dazu in die Lage versetzen sollen, die Internetaktivitäten ihrer Kinder zu überprüfen. Die Interviewpartnerin steht dieser Intention kritisch gegenüber und weist darüber hinaus auf konkrete Schwierigkeiten in der Umsetzung hin, die sie mit einem fehlenden Organisierungsgrad muslimischer Frauen in Großbritannien verknüpft. Das im Zitat artikulierte Verständnis von Prevent macht nachvollziehbar, dass das Programm eher misstrauisch betrachtet wird. Die Kritik an einer Zuschreibung und Naturalisierung der Mutterrolle, wie sie im Rahmen von Prevent stattfindet, wurde in den ersten Jahren des Programms vor allem durch Aktivistinnen und von Organisationen formuliert, die dem Programm skeptisch gegenüber standen. In den Folgejahren wurde sie allerdings von Akteuren vereinnahmt, die Prevent-Maßnahmen befürworten oder sogar umsetzen. Im folgenden Zitat deutet sich diese Art von Diskursverschiebungen an. Homogenisierende Konstruktion von Frauen als Mütter und der Gedanke von Mutterschaft wird kritisiert und gleichzeitig in den Dienst des Sicherheitsgedankens gestellt. „Zum Beispiel können die Vorstellungen, die politische Entscheidungsträger_innen über muslimische Frauen haben, dazu führen, dass sie die Fähigkeiten dieser Frauen unterschätzen und die Ziele niedrig stecken – indem sie ihnen Rollen als Mütter, Erzieherinnen und sanfte Einflüsse innerhalb des Heims zuweisen. Indem wir uns an muslimische Frauen in dieser engstirnigen Art angenähert haben, haben wir einige ausgegrenzt und die Inklusion anderer nur in Arten und Weisen erreicht, die entweder eine abgemilderte Version dessen sind, was sie hätten leisten können oder mit denen sie sich nicht wirklich wohl fühlen. Sicherlich sind Frauen oftmals am besten zuhause und in der Community platziert, um die ‚Absenz des Normalen oder die Präsenz des Abnormalen‘ vor allen anderen zu bemerken, denn sie haben intime praktische Kenntnisse darüber, wie ‚normal‘ aussieht und sich anfühlt. Sicherlich sollten sie mit dem Wissen ausgestattet werden, wie sie diese Belange ansprechen

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können, so dass sie nicht stumme Zeuginnen der Wege in den Extremismus werden. Damit sie verwirrte junge Köpfe beruhigen und die schützen können, die anfällig für die Rekrutierung von Terroristen sind. Aber Frauen sind weit über die Rolle der Mutter nützlich. Extremist_innen erkennen das.“ (Organisation 10, 2012)

Ähnlich wie es von einigen Aktivistinnen in Interviews und Stellungnahmen kritisiert wird, thematisiert die Sprecherin hier die Festschreibung der Mutterrolle für muslimische Frauen. Diese sei homogenisierend und potenziell problematisch. Anders als es in den Aussagen von anderen Frauenorganisation der Fall ist, wird dies allerdings nicht wegen seiner stigmatisierenden Funktion problematisiert, sondern zum Sicherheitsrisiko erklärt und in den Dienst von Prevent gestellt. In der Übernahme und Umdeutung von gängigen Kritiken an dem Programm deuten sich Diskursverschiebungen und Verfestigungen an. Im Kontrast zu früheren Texten erscheinen nun auch Frauen als potenziell durch islamistische Rhetorik gefährdete Zielgruppe. Gleichzeitig werden die Konstruktionen von muslimischen Frauen, verortet in der Familie und Community unterstützt. Die Idee einer Nutzbarmachung muslimischer Frauen wird aufrechterhalten, was vor dem Hintergrund, dass es muslimische Frauen sind, die hier sprechen besonders auffällt und die Frage aufwirft, inwieweit es sich hier um eine Strategie handelt, um sich Deutungsmacht in der Auseinandersetzung mit staatlichen Behörden anzueignen. Die enge Verknüpfung zwischen Organisation 10 mit den Sicherheitsbehörden legt diese Deutung nahe. Es zeigt sich auch, dass der Bezug auf Kritiken an Prevent genutzt wird, um die eigene Position zu stärken, ohne sie grundlegend zu verändern. Hier wurde verdeutlicht, dass bereits die Grundlagen für eine Thematisierung von Terrorismus sehr eng mit Zuschreibungen von Geschlecht und Zugehörigkeit zu Großbritannien in Verbindung stehen. Die Art und Weise und der Grad in dem sie von Frauenorganisationen übernommen werden, ist sehr unterschiedlich und gibt erste Hinweise darauf, dass Prevent stark umstritten ist. Während zahlreiche Organisationen Konstruktionen von Mutterschaft und damit verbundene Forderungen an Frauen kritisieren, eignen sich gerade Organisationen, die mit den Behörden im Rahmen von Prevent zusammenarbeiten, den staatlichen Diskurs an. Auf Basis der in diesem Abschnitt diskutierten Grundlagen in den Deutungen von Radikalisierungsrozessen und in Bezug auf die Konstruktion von Frauen als Mütter und Helferinnen des Staates im Kampf gegen Terrorismus, sollen im Fol-

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genden die Interpretationen der Auswirkungen von Prevent seitens der Frauenorganisationen diskutiert werden.

6.2 I NTERPRETATIONEN

VON

P REVENT

Nachdem in den vergangenen Abschnitten der Frage nachgegangen wurde, inwieweit Annahmen von Prevent aus Sicht der Frauenorganisationen adäquate Antworten auf Terrorismus bieten können, geht es im Folgenden um die Interpretationen und Einschätzungen über die Auswirkungen der Strategie. Es wurde bereits angedeutet, dass Positionierungen zu Prevent sehr unterschiedlich sind. Mit Hilfe von Positions-Maps und einer Graphik wird in den folgenden Abschnitten dargestellt, welche Konflikte diesen Positionierungen zugrunde liegen und mit welchen Interpretationen des Programms sie in Verbindung stehen. 6.2.1 Prevent als Chance oder Gefahr für Muslim_innen Prevent ist nicht zuletzt deshalb umstritten, weil die Auswirkungen des Programms für Muslim_innen in Großbritannien und speziell für muslimische Frauen unterschiedlich interpretiert werden. Dabei wird die Betonung entweder auf die Chancen, die im Programm gesehen werden, oder die Gefahren, die das Programm nach Ansicht der Sprecherinnen beinhaltet, gelegt. Die Graphik auf der folgenden Seite macht deutlich, dass die Aussagen in der Regel einen der beiden Aspekte in den Vordergrund stellen und relativierende Positionen, die beides abwägen oder die weder Chancen, noch Gefahren im Programm sehen, zumindest im Rahmen der vorliegenden Daten nicht artikuliert werden. Positionierungen zur Prevent-Strategie sind insofern polarisiert. Es zeigt sich, dass die Bewertungskritierien für Prevent unterschiedlich sind. Während die einen besonders die Chancen betonen, die das Programm muslimischen Frauen aus ihrer Sicht ermöglicht hat, legen andere den Fokus auf die Stigmatisierung, die aus ihrer Sicht durch Prevent verstärkt wird. Dieser Vorwurf resultiert aus der Konstruktion von Muslim_innen als Zielgruppe des Programms. Vor 2011 war dieser Aspekt noch deutlicher als heute, denn Prevent war auf Terrorismus fokussiert, der im Namen des Islam verübt wurde (HM, 2008a).

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Abbildung 1: Auswirkung von Prevent: Chancen vs. Gefahren

Prevent bietet musl. Frauen eine Plattform, um Anliegen zu kommunizieren. Wichtige Initiativen werden ermöglicht.

Die Einbindung von Frauen macht es möglich, Terrorismus effektiv zu bekämpfen.

Prevent produziert sozialen Ausschluss.

Zivile Rechte und Freiheiten werden aufgelöst.

Frauen werden benutzt, um zu spionieren.

Diskriminierung wird durch Prevent verstärkt.

Prevent verbreitet Angst unter Muslim_innen.

Soziale Konflikte werden verstärkt.

Chancen sind zahlreich

Gefahren überwiegen

„Die Prevent-Strategie behandelt die gesamte Muslimische Community als ein ‚potenziell terroristisches‘ Risiko. Die Unterscheidung zwischen anderen Formen von Antiterrorarbeit und Prevent ist, dass die Regierung sich von spezifischen und erkennbaren Antiterrormaßnahmen hin zu einem Ansatz bewegt hat, der auf der Community basiert und die gesamte muslimische Community durch eine Reihe von Initiativen anvisiert, die normalerweise über Bereiche wie den Zusammenhalt der Communities (community cohesion) und Community-Entwicklung geliefert wird. Der Ansatz ist prinzipiell falsch, denn es sollte keinen Ansatz geben, der gewalttätigen Extremismus anpackt und die gesamte Community als potenzielle Terrorist_innen verleumdet. Nicht alle Muslim_innen sind potenzielle Terrorist_innen – die große Mehrheit gewöhnlicher gesetzestreuer Muslim_innen sollte nicht in dieser Art stigmatisiert werden. Dieses umfangreiche und gut finanzierte Programm, das auf lange Sicht in die Kerndienstleitungen lokaler Gemeindevertretungen eingebettet werden soll, macht Terrorismus permanent synonym mit Muslim_innen. Es ist beschämend und erniedrigend gegenüber der Mehrheit anständiger gesetzestreuer Muslim_innen.“ (Organisation 4, 2009, Hervorhebung: Originalzitat)

Die Verknüpfung der Themenfelder Soziale Arbeit und Zusammenhalt in den Communities mit Maßnahmen gegen Terrorismus wird im Zitat als

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grundlegend falscher Ansatz beschrieben. Die Folge sei eine Gleichsetzung von Muslim_innen mit potenziellen Terrorist_innen. Diese Deutung von Prevent wird als Grundlage gesellschaftlicher Polarisierung betrachtet. Die hier zitierten Organisationen kommen unabhängig davon, dass sie mit Prevent-Geldern gearbeitet haben zu dem Schluss, dass die Nutzung von Ressourcen für konkrete, wirksame und nachhaltige Maßnahmen konfliktbehaftet und nicht immer umzusetzen ist. Diese Position ist unter den Kritikerinnen der Strategie sehr verbreitet und bezieht sich hier auf die Zeit von 2011, sie bleibt allerdings aktuell. Mit der Erneuerung von Prevent geht zwar die Ausweitung der Zielgruppen einher, dieses Anliegen wird allerdings im gleichen Schritt zurückgenommen. So wird auch in der neuen Strategie wiederholt darauf verwiesen, dass Islamismus im Fokus bleibt und als wichtigstes Sicherheitsrisiko eingeschätzt wird (Home Office, 2011b, S. 5-6). Darüber hinaus wurde die Verknüpfung von sozialer Arbeit auf lokaler Ebene mit Terrorismus zwar formal gelöst, das bedeutet aber nicht, dass stigmatisierende Effekte abgenommen haben. So wird der Fokus auf Muslim_innen auch im Rahmen anderer Formen der Terrorismusbekämpfung reproduziert, die Teil von Prevent-Maßnahmen sind, beispielsweise im Rahmen der Ausstattung von Stadtteilen mit Kameras (Isakjee, 2013). Trotz der Veränderungen durch die neue Strategie, konnten die damit verbundenen Bedenken demnach nicht ausgeräumt werden. Subaia erklärt im Interview, dass dies auch zu einer Ablehnung von Prevent-Geldern durch lokale Akteure geführt hat und Gelder nur unter bestimmten Bedingungen angenommen wurden. „Birmingham ist wirklich ein gutes Beispiel, wo sie überall viele Kameras installiert haben […]. Ich bin mir sicher, dass auch Bradford so und so viele Kameras hat. Ich denke, was passiert ist, als dieses Geld zur Verfügung stand, war, dass viele BMEOrganisationen hinter diesem Geld her waren. Ich war Teil der ersten Diskussionen in [Name der Stadt], als der Leiter der Stadtverwaltung sagte: ‚Wir wollen dieses Geld nicht. Wir fassen dieses Geld nicht an.‘ Dann kam ein Minister der Regierung nach [Name der Stadt], setze sich und sagte: ‚Ihr werdet dieses Geld nehmen, weil es da ist.‘ Und wir sagten: ‚So, wenn uns gesagt wird, dass wir dieses Geld nehmen müssen, werden wir es in verschiedenen Communities verwenden. Wir werden es nicht nur für muslimische Gruppen benutzen.‘ Also das war die Art von Bedingung dafür, dass wir das Geld in [Name der Stadt] akzeptiert haben.“ (Interview mit Subaia, Organisation 5)

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In der Stadt aus der Subaia kommt, hat sich die Stadtverwaltung früh dagegen gewehrt Gelder im Rahmen von Prevent anzunehmen, da die Sorge bestand, dass durch stigmatisierende Wirkungen soziale Konflikte noch verschärft werden könnten (siehe zu dieser Problematik auch: House of Commons, 2010, S. 94). Die Folge war eine Ausweitung der Strategie in einer Weise, dass die Projekte dort bis heute nicht auf Muslim_innen fokussiert sind. Die Stadt, die aufgrund ihrer sozialen Konflikte, immer wieder im Zentrum der Diskurse um sozialen Zusammenhalt steht, hat insofern eine Strategie gefunden, Prevent-Gelder zu nutzen und die stigmatisierenden Effekte zu verringern. Die Fokussierung auf Muslim_innen im Rahmen der Strategie wird, wie sich zeigt, nicht nur von muslimischen Frauenorganisationen und Aktivistinnen, sondern auch von lokalen Verwaltungen als mögliche Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben eingeschätzt. Weiterhin zeigt sich im Zitat, dass Aktivistinnen in lokale Entscheidungsstrukturen eingebunden sind. Klare Trennlinien zwischen staatlichen Akteuren und Aktivismus können nicht gezogen werden, stattdessen positionieren sich Aktivistinnen als Teil kritischer Zivilgesellschaft. Die Stigmatisierung von Muslim_innen hat währenddessen nicht abgenommen. So wurden 2015 Antiterrormaßnahmen eingeführt, die nun auch muslimische Kinder und Jugendliche in den Fokus rücken. Der Counter-Terrorism and Security Act sieht vor, dass Schulen und Betreuungseinrichtungen für Kinder Risikoeinschätzungen vornehmen und darauf basierende Maßnahmen zur Verhinderung von Radikalisierung durchführen (Dep. of Education, 2015). Diese Entwicklung wird von Subaias Organisation scharf kristiert. In einer Rückschau auf die erste Jahreshälfte wird auf die damit verbundenen Gefahren für junge Muslim_innen verwiesen. „Währenddessen veröffentlichte im Vereinigten Königreich das Innenministerium Pläne, Antiterrortraining für Erzieherinnen einzuführen, damit sie extremistisches Verhalten an unseren Kleinkindern und Babys erkennen und identifizieren können. Racial Profiling wird auf ein absolutes Extrem getrieben, wenn wir erwägen, dass der Wutanfall eines Kindes darin resultieren könnte, dass es unter den neuen Antiterrormaßnahmen des Innenministeriums verdächtigt wird, zur Terrorist_in zu werden. Ich für meinen Teil lehne es ab zu akzeptieren, dass es in irgendeiner Weise dazu beiträgt, Terrorismus zu verhindern, wenn Lehrer_innen und Tagesmütter in Spioninnen verwandelt werden. Tatsächlich wird es größere Enttäuschung, Desintegration und Entfremdung von einem sehr frühen Alter an auslösen. Eine stärkere Spal-

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tung einzuleiten ist sicherlich nicht das, was im Kampf gegen Terrorismus gebraucht wird. Während ich selbst keine Kinder habe, beunruhigt es mich, dass das bedingungslose Vertrauen und die Liebe meines Neffen für seine Lehrer_innen eines Tages in Konflikt steht, mit Misstrauen und einer Agenda, die auf Schubladendenken beruht und in der es darum geht, wie ein potenzieller Baby-Terrorist erkannt werden kann.“ (Organisation 5, 2015)

Im Zitat zeigt sich, dass Antiterrormaßnahmen im Jahr 2015 ähnliche Befürchtungen auslösen wie in den Anfangsjahren der Prevent-Strategie. Die Ausweitung von Maßnahmen auf Kinder wird als weiterer Schritt der Ausgrenzung begriffen und kritisiert. Seit 2011 wurde die Lage aus Sicht einiger Organisationen insofern verschärft, wobei insbesondere das Problem der stigmatisierenden Effekte nicht gelöst, sondern weiterhin verstärkt wurde. Prevent betrifft allerdings nicht nur die Muslim_innen, die möglicherweise ins Visier der Strategie geraten, sondern alle Menschen, die in Großbritannien leben. Diesen Aspekt hebt Organisation 6 hervor: „Wir befürchten, die Aushöhlung von Bürgerrechten für Muslim_innen und in der Tat allen Bewohner_innen des Vereinigten Königreichs, wird ein Resultat der Implementation einer Reihe von Sicherheitsmaßnahmen sein.“ (Organisation 6, 2009)

Während die Organisation ebenfalls die Befürchtung äußert, dass Muslim_innen negativ durch Prevent betroffen sind, werden Antiterrormaßnahmen hier als gesellschaftliches Problemfeld thematisiert. Insofern kann das Zitat auch als Reaktion auf zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum und die Einschränkung ziviler Rechte verstanden werden. Es deutet darauf hin, dass Citizenship im Rahmen von Sicherheitsdiskursen eingegrenzt wird und Konzepte demokratischer und multikulturell gedachter Partizipation, wie sie in Kapitel 2 diskutiert wurden, durch assimilatorische Konzeptionen von Citizenship ersetzt werden, in denen die Bedingungen für das Ausüben zivilgesellschaftlicher Teilhabe deutlich enger gefasst sind. Zugleich wird in den Kommentaren der Widerstand gegen diese Diskurse und die Aneignung von Citizenship durch muslimische Frauenorganisationen deutlich. Im Beharren auf Bürgerrechten beanspruchen sie Partizipation und fordern demokratische Strukturen von eben dem Staat ein, der diese zunehmend einschränkt und der Sicherheit opfert. Auf diese Weise

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positionieren sie sich ausdrücklich als Teile der britischen Zivilgesellschaft und gegen die Ausgrenzung von Muslim_innen. In scharfem Gegensatz zu diesen Problematisierungen der PreventStrategie, als Gefahr für den Zusammenhalt in der britischen Gesellschaft und Grundlage von Polarisierung, stehen Positionen, in denen Prevent als Chance begriffen wird. Dabei wird zumeist auf die Effektivität von Prevent-Maßnahmen, aber auch auf die Möglichkeiten, die muslimischen Frauengruppen dadurch eröffnet werden, verwiesen. Prevent hat bei einigen Organisatonen zunächst Erwartungen hervorgerufen, die teilweise revidiert wurden, von manchen aber auch als bestätigt angesehen werden. So veröffentlicht Organisation 1 2008 eine Stellungnahme, in der die mit Prevent verbundenen Hoffnungen zusammengefasst werden. Damit verbunden ist die Einschätzung von Empowerment-Maßnahmen im Rahmen von Prevent als Chance, die für unterschiedliche Seiten positive Einflüsse beinhaltet: „Die Pläne bedeuten nicht, dass von allen muslimischen Frauen erwartet wird, Politikerinnen, Schulleiterinnen, Richterinnen etc. zu werden – ebenso viele entscheiden sich, zuhause zu bleiben. Dennoch glaube ich, dass alle muslimischen Frauen entsprechend ihrer Fähigkeiten positiv zur Gesellschaft und zu ihren Communities beitragen können. Ich erkenne außerdem an, dass alle Frauen Empowerment bauchen – nicht nur muslimische Frauen. Sollten muslimische Frauen aber die Gelder ablehnen, nur weil nicht alle Communities einbezogen werden? Wenn muslimische Frauen, die die Hälfte der muslimischen Bevölkerung stellen, weiterhin ohne Macht sind, kann die muslimische Community keine Fortschritte machen, besonders weil Mütter einen wichtigen Einfluss auf ihre Kinder ausüben. Wenn der Prozess des Empowerment muslimischer Frauen auch hilft Extremismus anzugehen, dann ist dies sicher ein positives Ergebnis, das wir alle willkommen heißen sollten – also ist es schwer zu verstehen, warum manche dieser Idee ablehnend gegenüber stehen.“ (Organisation 1, 2008)

Im Zitat werden muslimische Frauen deutlich als nicht-empowered markiert, dies jedoch relativiert, indem von einem Bedarf aller Frauen an einem Empowerment gesprochen wird. Prevent wird von der Aktivistin eher als eine Funktion des Empowerment unter anderen beschrieben, während der positive Einfluss, den Frauen auf die Gesellschaft ausüben sollen, betont wird. Die Positionierung gibt sich pragmatisch und grenzt sich ab von Stimmen, die Prevent schon früh kritisiert haben und die im Text indirekt

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eine Rolle spielen. Mit dem Verweis auf Positionen, die Prevent ablehnen, wird der eigenen Zustimmung Nachdruck verliehen.3 Empowerment wird mit der Möglichkeit, den Beruf frei zu wählen und, wie im nächsten Zitat deutlich wird, der Teilhabe an Entscheidungsprozessen assoziiert. „Die Idee (Anm.: der Prevent-Strategie) ist, dass Frauen die empowered sind, besser vorbereitet sein werden, um in Entscheiderinnenpositionen innerhalb ihrer Communities und der Gesellschaft zu gelangen und außerdem selbstbewusster darin sein werden, Missstände und Probleme zu thematisieren. […] Muslimische Frauen sind einfach eine brachliegende Ressource – es gibt etwa 800.000 muslimische Frauen im Vereinigten Königreich. Sie stellen ein gewaltiges Potenzial als Vorbilder dar, die eine aktive Rolle in allen Bereichen des öffentlichen Lebens spielen können und Kinder großziehen, die produktive und aktive Mitglieder der Gesellschaft sind.“ (Organisation 1, 2008)

Im Zitat wird die Arbeit mit muslimischen Frauen im Rahmen von “Prevent” in erster Linie als Chance begriffen, ein bestimmtes Potenzial nutzbar zu machen. Es ist auffällig, dass Frauen, ähnlich den Veröffentlichungen der Prevent-Strategie, als Ressource wahrgenommen werden und ihr Empowerment auf diese Weise funktionalisiert wird. Ihre Aufgabe, wie sie im Zitat beschrieben wird, besteht darin, das öffentliche Leben aktiv mitzugestalten und ihre Kinder zu produktiven und aktiven Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen, ohne dass die Autorin detailliert darauf eingeht, was das heißt. Damit wird das Interesse von Frauen an einem Empowerment in den Dienst einer Lösung gesellschaftlicher Konfliktlagen gestellt. Diese Art der Argumentation erinnert an Prevent, indem hier die Kernaussagen weitgehend unkritisch übernommen werden. Maßnahmen im Rahmen von Prevent erweisen sich hier als technologies of citizenship, nicht zuletzt deshalb, weil sie Aktivistinnen einbinden, indem sie ihre Forderungen übernehmen und in den Dienst staatlicher Interessen stellen. Der Appell an die Verantwortung der Frauen als Bürgerinnen steht in enger Verbindung dazu. So lautet ein Auszug aus der Beschreibung eines Empowerment-Trainings, wie es Organisation 3 anbietet:

3

Nur wenige Monate später verändert die Organisation ihre Rhetorik und beginnt Prevent expliziter zu kritisieren (siehe auch 5.2.1).

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„Frauen können dabei helfen, ihre Communities zu schützen und eine dringend gebrauchte Stimme in der Arbeit für den Frieden und gegen Extremismus zu werden. Dieses Trainingsprogramm sollte Frauen ihre eigene Handlungsfähigkeit und ihre Verantwortung darin bewusst machen, Extremismus gegenüber zu treten. Der Kurs zielte deshalb darauf: 1. Extremistische Ideologien zu hinterfragen und MainstreamStimmen zu unterstützen, indem Frauen mit den notwendigen Fähigkeiten ausgestattet werden, Probleme in ihrer Community selbstbewusst anzusprechen. 2. Die Stabilität der Community aufzubauen, indem Frauen in die Lage gebracht werden, proaktive Mitglieder innerhalb der Strukturen der Communities wie Moscheen, Kulturzentren und Bildungszentren zu sein. 3. Gefährdete Individuen zu unterstützen, indem Frauen ausgebildet werden, die eine wichtige Beziehung zum jeweiligen Individuum haben.“ (Organisation 3, 2015)

Einige Frauenorganisationen, so illustriert dieses Zitat, stellen sich in den Dienst staatlicher Interessen und appellieren an die Verantwortung muslimischer Frauen als Bürgerinnen. Die Unterstützung von Frauen, die auf eine stärkere Partizipation abzielt, dient aus dieser Perspektive dem Zweck, die Communities zu stärken, um Terrorismus zu bekämpfen. Dieser Ansatz unterscheidet sich sehr deutlich von den oben zitierten Positionen, in denen eine Abwägung von Chancen und Risiken aus Sicht der Frauen von Belang ist. Frauen werden als Gruppe beschrieben, die einen Zugang zu den Communities besitzen, der anderen verwehrt ist. Daraus wird eine Verantwortung von Seiten der Frauen konstruiert und gleichzeitig an das Gefühl der Zugehörigkeit muslimischer Frauen – sowohl zur Community als auch zur britischen Gesamtgesellschaft - appelliert. Das Engagement für Prevent erscheint nicht als freiwillige Teilhabe an Gesellschaft, sondern als staatsbürgerliche Verantwortung, die sich aus der spezifischen Positionierung muslimischer Frauen ergibt. Der staatliche Diskurs um Prevent wird in diesem Zitat rezipiert, das sehr anschaulich zeigt, wie active citizenship auch durch bestimmte Aktivist_innen übernommen wurde, die sich auf diese Weise als wichtige Teile der Gesellschaft positionieren. Das Empowerment von Frauen als solches ist in dieser Argumentation nachrangig, stattdessen steht die Einbindung in Antiterrormaßnahmen im Vordergrund. Unter den Positionierungen zu Prevent finden sich neben den genannten Aussagen auch Reformvorschläge zur Strategie. So macht Organisation 4 deutlich, dass es nicht darum geht, Antiterrormaßnahmen grundsätzlich ab-

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zulehnen. Im folgenden Zitat wird eine Veränderung des Fokus des Programms vorgeschlagen: „Wir glauben, die Regierung muss das Folgende ebenso zielstrebig unternehmen, wie die Durchsetzung der Prevent-Strategie: 1. Die Strategie im Hinblick auf die muslimische Community überdenken. Anstatt die gesamte muslimische Community durch das Prisma Antiterrorismus zu betrachten, sollte es mit den Menschen als Bürger_innen umgehen, die die Unterstützung ihrer Regierung benötigen. 2. Die Verbindung des Zusammenhalts und der Entwicklung von Communities mit Antiterrormaßnahmen beenden […] 3. Die Gleichstellung von Initiativen unterstützen und zum Kerngeschäft machen, die Muslim_innen als sozial exkludierte Gemeinschaft behandeln und von PVE trennen. […] 4. Die Auseinandersetzung mit Islamophobie und institutioneller anti-muslimischer Diskriminierung innerhalb von Institutionen priorisieren. Betroffen wären die Zentralregierung, lokale Behörden, Gesundheitswesen, Polizei und andere. 5. Die Entstehung lokaler Infrastruktur innerhalb der muslimischen Community vereinfachen, beispielsweise durch die Entwicklung eines muslimischen Freiwilligensektors der muslimische Bedürfnisse breit bedient. […] 6. Die diversen Communities in Britannien zusammenbringen, damit die breiten Probleme, die uns alle betreffen, gemeinsam angegangen werden, inklusive die, die dafür sorgen, dass viele junge Leute aus unterschiedlichen Communities sich der Gesellschaft gegenüber ablehnend und von ihr ausgeschlossen fühlen. (Organisation 4, 2009)

Hier werden sehr konkrete Ansatzpunkte zu einer Veränderung der Strategie genannt und dabei das Motiv der Marginalisierung von Muslim_innen in der britischen Gesellschaft und die Ausgrenzung auch innerhalb von Prevent-Maßnahmen adressiert. Im Kern wird dafür plädiert, Prevent vom Zusammenhalt in den Communities (community cohesion) zu trennen und Muslim_innenfeindlichkeit nicht nur als Problem zu erkennen, sondern mit konkreten Projekten dagegen vorzugehen. Die Ausgrenzung junger Menschen wird als generelles gesellschaftliches Thema behandelt, dass sich nicht auf die Muslim_innen in Großbritannien beschränkt. Diese Vorschläge spiegeln somit typische Kritikpunkte an Prevent. Die Aussage gibt eine Positionierung wieder, die das Programm weder grundsätzlich ablehnt, noch positiv beurteilt. Vielmehr geht es darum, die Inhalte zu verändern. Dennoch würde eine Umsetzung der Vorschläge in der Konsequenz bedeuten, dass Prevent in der Weise, wie es in der Zeit umgesetzt wurde, abge-

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schafft würde. Mit der Neugestaltung des Programms zwei Jahre später wurden einige der Forderungen – insbesondere die Trennung zwischen Prevent und der Arbeit für den Zusammenhalt in den Communities – zunächst umgesetzt, mit der Erneuerung des Fokus auf Muslim_innen als Zielgruppe hat sich in der Praxis für diese Gruppe jedoch wenig geändert. Beim Rückbezug der Aussagen auf Akteurinnen zeigen sich darüber hinaus zeitliche Entwicklungslinien. So können widersprüchliche Aussagen für Diskursverschiebungen stehen und auf Entwicklungen innerhalb der Organisationen verweisen. So haben einige Prevent zunächst als Chance wahrgenommen, ihre Perspektive in den Folgejahren allerdings verändert. Beispielhaft für diese Tendenzen kann der oben zitierte Text, der von Organisation 1 im Jahr 2008 veröffentlicht wurde und muslimische Frauen als Ressource begreift, die es nutzbar zu machen gelte, um Extremismus bekämpfen zu können, mit einem weiteren Abschnitt verglichen werden. Im ersten Zitat ist auffällig, dass Frauen – ähnlich wie es in den Veröffentlichungen staatlicher Behörden vorgesehen ist – funktionalisiert werden. Ihr potenzielles Interesse an einem Empowerment wird in den Dienst der Lösung gesellschaftlicher Konfliktlagen gestellt und nicht als solches zur Zielsetzung gemacht. Nur ein Jahr später hat sich der Diskurs der Organisation verändert. Im folgenden Zitat deutet sich an, dass dies auch mit einer Enttäuschung über die Umsetzung des Programms zu tun hat: „Bedenken wurden darüber ausgedrückt, wie muslimische Frauen in der ‚Prevent‘Agenda benutzt werden. Muslimische Frauen sind eine der am meisten deprivierten Gruppen im heutigen Britannien, die ohnehin empowered werden sollten. Es gibt die Befürchtung, dass die Fähigkeiten muslimischer Frauen gestärkt werden, um ihre Familien ‚auszuspionieren‘, anstatt vollständig an der Gesellschaft teilzuhaben und die Barrieren zu überwinden, die ihnen entgegenstehen. […] Darüber hinaus sind andere gläubige und säkulare Frauengruppen feindselig gegenüber muslimischen Frauengruppen eingestellt, da ‚Prevent‘-Gelder an sie gingen. Da muslimische Frauen eine wichtige Stellung auf der politischen Agenda der Regierung innehaben, wurde die National Muslim Women’s Advisory Group4 vor bald zwei Jahren ins

4

Eine führende Aktivistin der Organisation war Mitglied der National Muslim Women’s Advisory Group (NMWAG). Dabei handelte es sich um eine 2007 gegründete Initiative des Department for Communities and Local Government,

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Leben gerufen. Zu dieser Zeit schien es eine gute Idee zu sein, da die Stimmen muslimischer Frauen oftmals nicht von politischen Entscheidungsträger_innen gehört werden. In den letzten zwei Jahren hatten die Frauen wenig Möglichkeiten, Politik zu beeinflussen. […] Die Regierung hat eine wirkliche Chance verpasst, muslimische Frauen in Entscheidungsprozesse einzubinden – etwas, dass sogar muslimische Communities nicht tun.“ (Organisation 1, 2009)

Beide Äußerungen wurden innerhalb eines Jahres getätigt und unterscheiden sich dennoch sehr stark. Nicht nur der Inhalt, auch der Ton hat sich im Vergleich zum ersten Zitat radikal verändert. Wurden Frauen dort speziell im Hinblick auf die Potenziale beschrieben, die mit Prevent verbunden sind, steht nun die Betonung ihrer Marginalisierung im Vordergrund. Die mit Prevent verbundenen Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Damit nähert sich Organisation 1 den Argumentationen an, die von anderen Organisationen bereits zuvor formuliert wurden und die von nun an den Bezug auf das Programm stark bestimmen. In der Graphik zu Beginn des Abschnitts wird darüber hinaus deutlich, dass Interpretationen, die in den Auswirkungen von Prevent eher ein Gefahrenpotenzial sehen, vielfältiger sind. Die Gegenposition zur Betonung potenzieller Gefahren stellt insbesondere die Ressourcen in den Vordergrund, die im Rahmen von Prevent zur Verfügung gestellt wurden. Sie haben aus Sicht einiger Aktivistinnen Projekte in Gang gebracht und Empowerment gefördert. Im nächsten Abschnitt wird dem Einfluss von Prevent als Programm zum Empowerment muslimischer Frauen detaillierter nachgegangen. 6.2.2 Empowerment im Rahmen von Prevent als Ausgangspunkt für Aktivismus Das Empowerment muslimischer Frauen im Rahmen von PreventMaßnahmen ist gerade in den Anfangsjahren der Prevent-Strategie als wichtige Zielsetzung formuliert worden und spielt bis heute eine Rolle, wenn auch weniger offen, als es bis 2011 der Fall war. Mit PreventRessourcen finanzierte Projekte sollen, wie in Kapitel 4 beschrieben, aus

deren Zweck darin bestand, muslimische Frauen in den Bereich Antiextremismus einzubeziehen.

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Sicht der Regierung Terrorismus und Radikalisierung thematisieren. Die Bewertung dieser Maßnahmen ist auf zwei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. Einerseits geht es um die Intentionen des Empowerment von muslimischen Frauen, andererseits um die Auswirkungen der Maßnahmen. Die damit verbundenen – durchaus widersprüchlichen – Positionen hängen eng damit zusammen, wie stark Organisationen ihre Eigenständigkeit betonen und wertschätzen oder das Empowerment muslimischer Frauen als Ergebnis von Prevent betrachten. Es wird deutlich, dass Empowerment in diesem Zusammenhang, besonders aus Sicht von Aktivistinnen, als Prozess und Möglichkeit der Selbstorganisierung und Teilhabe betrachtet wird. In der Positions-Map unten werden die zentralen Positionierungen illustriert. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen einer Konzeption von Empowerment als Selbstermächtigung und der Abhängigkeit von Prevent-Maßnahmen. Aktivistinnen, die Empowerment als Zielsetzung und Strategie verstehen, in der es in erster Linie um Selbstermächtigung geht, betonen die eigene Autonomie. Dementsprechend lehnen sie die Einmischung in die eigene Arbeit ab. Darüber hinaus unterscheidet sich dieses Verständnis von Empowerment von dem anderer, auch durch die Ablehnung des Machtverhältnisses, das dem Konzept aus Sicht von Kritiker_innen inne wohnt (siehe Kapitel 2.2.1). Beispielhaft ist der folgende Interviewausschnitt. Hier erklären Marija und Thabit (Organisation 2) im Interview, warum sie ein Empowerment im Sinne von Prevent nicht benötigen: Interviewerin: „Was denkt ihr über das Emowerment im Rahmen von Prevent?“ Thabit: „Wir sind empowered. Wir sind mit sehr wenig Geld empowered.“ Marija: „Wie können Sie uns empowern, weißt du? Wir müssen uns selbst empowern. Es ist nicht Geld, das dich empowered. Es ist dein Talent, es sind deine Fähigkeiten, es ist deine Community. Es ist das miteinander Zusammenkommen, das ist es, was dich empowered. Es ist nicht Geld.“ (Interview mit Marija und Thabit, Organisation 2)

Die Aktivistinnen artikulieren in dieser kurzen Passage gleich zwei der Positionierungen, die in der Positions-Map links dargestellt sind und in denen der Schwerpunkt auf der Autonomie der Aktivistinnen liegt. Die Äußerung von Thabit steht dabei für Aussagen, die die eigene Autonomie ins Zentrum rücken. Prevent wird keine Relevanz zugeschrieben und die Gelder im Rahmen des Programms abgelehnt. Sehr ähnlich ist die Aussage von Mari-

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ja, die mit ihrem Bezug auf die Community eine etwas andere Konnotation einnimmt. Anders als in der obigen Aussage geht es dabei nicht darum zu betonen, dass Empowerment bereits erreicht ist, sondern andere Faktoren als Prevent als Grundlage zu benennen. Individuelle Talente und Fähigkeiten werden genannt, aber auch die Community, die im Zitat einen zentralen Bezugspunkt darstellt. Diese kritischen Beiträge zu Prevent werden kontrastiert durch Positionen, die Prevent als Möglichkeit sehen, die Frauen die Chance bietet, ihre Potenziale zu verwirklichen. Jasira glaubt, dass Frauen durch das Programm sichtbarer wurden. Nach dem Einfluss von Prevent gefragt, antwortet sie: Abbildung 2: Positions-Map Empowerment: Selbstermächtigung vs. Abhängigkeit

Empowerment als Selbstermächtigung

Wir sind empowered./Wir müssen uns selber empowern.

Frauen werden unterstützt, um ihr Potenzial verwirklichen zu können. Wenn das Empowerment muslimischer Frauen dazu dient, Extremismus zu verhindern, ist allen geholfen.

Das eigene Talent, die Community und das direkte Umfeld sorgen für das Empowerment.

Erst Prevent hat Frauen eine Stimme gegeben.

Empowerment als Abhängigkeitsverhältnis

„Frauen. Frauen an der Spitze des Wandels. Frauen wissen, was in ihren Communities los ist, sie wissen es. Sie treffen sich und du kannst sie fragen nach jemandem, der in dem Gebiet lebt, wer geheiratet hat, wer nicht geheiratet hat, wer sich mit

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wem zerstritten hat. Sie werden dir alles erzählen. Frauen wissen, was in ihren Communities los ist. Und sie sind einflussreich in ihren Communities, Leute schauen zu ihnen auf, Leute fragen nach Rat und ändern, was sie ihnen raten.“ Interviewerin: „Und du würdest sagen, dass dies vor Prevent nicht der Fall war?“ Jasira: „Ich denke, es war der Fall. Dennoch, wenn du es dir genau anschaust sind nun die Mütter diejenigen, die sich zum Wandel bekennen. Es war vorher nicht so wahrnehmbar. Es ist nun offensichtlicher. Die wirklich einflussreichen Leute in den Communities sind nun Frauen.“ (Interview mit Jasira, Organisation 10)

Jasira beschreibt im Zitat einen Wandel, den sie auf Prevent zurückführt. Ihrer Ansicht nach wurde die Position von Frauen innerhalb der Communities gestärkt und ihr Einfluss trat stärker in den Vordergrund. Muslimischen Frauen wird hier Wirkungsmacht unabhängig von Prevent zugeschrieben, ihre Sichtbarkeit jedoch auf das Programm zurückgeführt. Die Interviewsequenz macht deutlich, mit welchen Argumentationen Aktivistinnen, die sich dafür entschieden haben im Rahmen von Prevent zu arbeiten, dies begründen. Djamila argumentiert sehr ähnlich, schreibt Prevent allerdings noch grundlegenderen Einfluss zu. Anders als Jasira kritisiert sie die fehlenden Interventionsmöglichkeiten muslimischer Frauen innerhalb der Communities und in den Interessenverbänden von Muslim_innen im Lande sehr deutlich. Das folgende Zitat von ihr steht für die Position, die Prevent den größtmöglichen Einfluss zuschreibt. Auf die Frage danach, inwieweit das Programm die Bedingungen für den Aktivismus muslimischer Frauen in Britannien verändert hat, antwortet sie: „Ich denke das hat es. Ich denke, es war genau das, was wir brauchten, denn aus meiner Sicht wurden muslimische Frauen vorher komplett ignoriert. Und es gab viele Probleme, die einfach nicht angesprochen wurden, also gab uns Prevent wirklich eine Plattform. Es wurde damit begonnen, die Stimmen muslimischer Frauen direkt an die Spitze des Diskurses zu bringen und ich denke, es war der Auslöser, den wir wirklich brauchten.“ (Interview mit Djamila, Organisation 3)

Für Djamila wurde muslimischen Frauen erst im Rahmen von Prevent ermöglicht, ihre Themen zu artikulieren. Der letzte Satz verdeutlicht die Relevanz, die dem Programm zugeschrieben wird. So wird sogar von Kritikerinnen betont, dass die Ressourcen, die im Rahmen von Prevent zur Verfügung gestellt wurden, durchaus Möglichkeiten eröffnet haben. Organisatio-

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nen konnten gegründet werden und Aktivistinnen bekamen finanzielle Unterstützung, um ihre Arbeit professioneller zu gestalten. Ein wichtiger Konfliktpunkt ist diesbezüglich die Nachhaltigkeit der Maßnahmen, die sehr umstritten ist. Während gerade Aktivistinnen, deren Rhetoriken sehr stark mit denen von Behörden und Polizei vergleichbar sind und die mit diesen Akteuren kooperieren, eher Erfolge des Programms betonen, glauben andere, dass über einen temporären Einfluss hinaus wenige Veränderungen bewirkt wurden. Banan geht davon aus, dass viele muslimische Frauengruppen erst in diesem Kontext und in Abhängigkeit zu den damit verbundenen Geldern entstanden. Organisation 4 für die sie interviewt wurde, ist die älteste Organisation im Feld und wurde bereits in den 1980er Jahren gegründet. Die Aktivistin attestiert den im Zuge von Prevent neu gegründeten Organisationen fehlende Nachhaltigkeit und den Mitgliedern zu wenig Erfahrung. Dies hängt, so die Perspektive, auch mit den Modalitäten der Mittelvergabe im Rahmen von Prevent zusammen: „Also viele dieser Gruppen werden gegründet, Frauen-Foren, dies und jenes. Ich würde gerne wissen, wo sie nun sind. Denn sie waren nicht nachhaltig. Sie waren nicht offiziell. Sie waren so, dass Frauen sich plötzlich organisiert haben, als das Geld zur Verfügung gestellt wurde, um diese Gruppen zu gründen. Es waren Gelder, die nicht dauerhaft zur Verfügung gestellt wurden, also sind viele dieser Projekte gescheitert. […] Denn wie bekommst du nachhaltiges Geld nach drei Jahren? Und außerdem gab es nicht so viele Frauenorganisationen und sie mussten sie gründen, sie waren künstlich. Sie konnten nicht überleben, denn als das Geld nicht mehr floss, waren auch sie am Ende.“ (Interview mit Banan, Organisation 4)

Die Aktivistin beschreibt die Gründung von Frauenorganisationen im Zuge der Prevent-Strategie als wenig erfolgreich: Aufgrund der Begrenzung der Mittelzuweisungen auf wenige Jahre seien Initiativen auf diese Zeit begrenzt gewesen. Die Aktivistin nimmt hier eine deutliche Gegenposition zu denjenigen Stimmen ein, die Prevent als sehr wichtig und einflussreich für den Aktivismus muslimischer Frauen betrachten. Dem Anliegen, Repräsentationsorgane für muslimische Frauen zu schaffen, steht sie skeptisch gegenüber: „Und wir sind nicht bereit, selbst wenn wir ein Repräsentationsorgan brauchen. Denn wir brauchen Diversität in unseren Organisationen, wir brauchen erfahrene

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Leute, die Expertise in unterschiedlichen Fragen haben, es könnte Kinderfürsorge sein oder es könnte Wohnungswesen sein oder was auch immer. […] Unsere Strukturen sind nicht soweit. Wenn wir ein Repräsentationsorgan haben, wie soll es gewählt werden?“ (Interview mit Banan, Organisation 4)

Die Aktivistin scheint sich an dieser Stelle gegen den Vertretungsanspruch einiger Organisationen zu richten. Ohne dass dies ausdrücklich gesagt wird, kann vermutet werden, dass die Kritik sich gegen Organisation 1 richtet, die als Dachverband muslimischer Frauenorganisationen in Großbritannien auftritt. Eine Repräsentation muslimischer Frauen sei nicht umsetzbar, da aus Sicht der Aktivistin es zu wenige Erfahrungen gerade in den neuen Organisationen gibt. Vor dem Hintergrund, dass Organisation 4 bereits vergleichsweise lange existiert und Banan seither in verschiedenen lokalen und nationalen Gremien aktiv war, deuten sich neben der legitimen Kritik an fehlenden Organisationsstrukturen auch mögliche Konflikte zwischen den Frauenorganisationen an. Diese sind, so lassen die Aussagen über Prevent schließen, durch das Programm verstärkt worden, da im Zuge der Strategie einer Positionierung dafür oder dagegen kaum ausgewichen werden kann und die jeweiligen Positionen, wie sich bereits in den vorigen Abschnitten gezeigt hat, nicht immer vereinbar sind. Wie sich zeigt, gehen die Einschätzungen darüber, ob Empowerment im Rahmen von Prevent wünschenswert und gelungen ist, weit auseinander. Sie stehen in enger Verbindung zum Verständnis davon, was Empowerment sein soll, aber auch inwieweit bei Prevent-Gelder sinnvoll verteilt wurden. Darüber hinaus spielen die individuellen Erfahrungen und Positionierungen von Aktivistinnen eine Rolle. Auch hier wird deutlich, dass Prevent-Maßnahmen unterschiedlich aus unterschiedlichen Standpunkten heraus sehr verschieden bewertet werden. 6.2.3 Prevent und Konflikte um Ressourcen In der Einleitung wird darauf verwiesen, dass hohe Summen für Maßnahmen im Bereich der Prevent-Strategie zur Verfügung gestellt wurden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Ressourcenverteilung im Kontext von Prevent ebenfalls einen Gegenstand von Auseinandersetzungen darstellt. Das betrifft im Besonderen die ersten Jahre der Strategie, da Prevent-Gelder in dieser Zeit ausdrücklich vorgesehen waren, um Maß-

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nahmen sozialer Arbeit zu fördern. So wurden im Rahmen des community leadership fund im Jahr 2007 650.000 Pfund bereitgestellt, um Projekte auf lokaler Ebene zu fördern (DCLG, 2007b, S. 3). Die Kritik an einer Fokussierung auf Muslim_innen schlägt sich in der Bereitschaft nieder, Gelder zu beantragen. Daraus entstehen aus Sicht der Frauenorganisationen spezifische Konfliktkonstellationen, wie im folgenden Zitat herausgestellt wird: „Der aktuelle Schwerpunkt von PVE hat den unerwünschten Effekt, Spannungen zwischen den Communities zu schaffen, die Geld erhalten und denen, die das nicht tun. Außerdem sind viele muslimische Organisationen, die in den Feldern Gleichstellung, dem Zusammenhalt in den Communities und Armutsbekämpfung arbeiten, zurückhaltend damit, PVE-Gelder zu beantragen. Sie befürchten, dass das bedeutet, dass die gesamte muslimische Community als potenziell terroristisch betrachtet wird und sie den Eindruck erwecken, mit der Vorannahme der Strategie einverstanden zu sein, die die Bedrohung durch Terrorismus, der von Al Qaida inspiriert ist, als zentral sieht.“ (Organisation 6, 2009)

Mit dem Verweis auf die Befürchtung, problematische Vorannahmen der Prevent-Strategie zu unterstützen, wird hier auf einen wichtigen Kritikpunkt aufmerksam gemacht. Viele Organisationen, die im Feld tätig sind, stehen Prevent sehr kritisch gegenüber und werfen denjenigen, die Gelder beantragen eine Unterstützung diskriminierender Tendenzen vor. Dieses Deutungsmuster wird von unterschiedlichen Akteur_innen thematisiert, wobei es sich nicht nur auf Organisationen bezieht, die soziale Arbeit oder politische Kampagnen machen, sondern darüber hinaus auch die Zielgruppe von Maßnahmen betrifft. Organisation 4 hat in der Anfangszeit der Strategie Prevent Ressourcen genutzt, um soziale Projekte mit Jugendlichen durchzuführen. Die damit verbundenen Vermittlungsschwierigkeiten werden im folgenden Zitat aus einer Stellungnahme zur Prevent-Strategie deutlich: „Die Abneigung, Gelder über PVE zu erhalten, ist sehr groß und bei den Anlässen, als die Quelle der Finanzierung bekannt war, mussten wir erklären, dass unsere Projekte innerhalb eines persönlichen Entwicklungsrahmens durchgeführt wurden. Es war nur dem Vertrauen der Community in Organisation 4 geschuldet, dass wir in der Lage waren, die Ängste und das Misstrauen innerhalb der Community zu beruhigen.“ (Organisation 4, 2008)

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Die Prevent-Maßnahmen, die hier thematisiert werden, beziehen sich die Community als Aktionsraum und Gruppe. Damit sind sie ein typisches Beispiel für die Prevent-Strategie der ersten Jahre. Organisation 4 stellt heraus, dass die Umsetzung von Projekten mit Schwierigkeiten behaftet war. Gleichzeitig verweist sie auf den eigenen besonderen Zugang zur Community, der es ermöglicht habe, dennoch Prevent-Gelder zu nutzen. Die Organisation steht der Strategie grundsätzlich kritisch gegenüber und positioniert sich ausdrücklich gegen die Stigmatisierung von Muslim_innen durch das Programm. Aus Sicht der Aktivistinnen beinhaltet die Strategie ein großes Konfliktpotenzial. Nur bestimmte Organisationen seien überhaupt in der Lage, die Gelder, die zur Verfügung gestellt werden, wirksam zu nutzen. Banan geht im Interview, das fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Zitates oben geführt wurde, auf die Förderung auf Projektebene ein. Neben der Kurzlebigkeit von Organisationen, die der begrenzten Förderdauer von Projekten geschuldet sei (siehe oben), kritisiert sie den Gründungsprozess der nur auf den Möglichkeiten für Fördergelder beruhe: „Und ich ging zu diesem Treffen in […], wo es viele Projekte gab. Und ich schaute mir die Stände an, um mit den Verantwortlichen zu sprechen. Die meisten von ihnen hatten nicht mal mit dem Projekt begonnen und es war fast Jahresende und sie sagten: ‚Oh, wie haben keine Gruppen. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Wir mussten erst Gruppen gründen.‘“ (Interview mit Banan, Organisation 4, 35:43)

Prevent, so erklärt die Interviewpartnerin, hat nur zeitweise eine Stärkung von Aktivismus hervorgebracht. Die Frage nach einer nachhaltigen Nutzung der Ressourcen wird von ihr mit dem Organisationsgrad und der Erfahrung derjenigen in Verbindung gebracht, die die Projekte koordinieren. Organisationen, die erst im Zuge des Programms entstanden sind, seien nicht in der Lage, nachhaltige Projekte zu entwickeln, da es ihnen an Expertise fehle. So sind die Auswirkungen von Prevent aus Sicht der Aktivistin sehr begrenzt. Die Perspektive und die Interpretationen von Banan geben Aufschluss über den spezifischen Diskurs dieser Organisation, die bereits seit den 1980er Jahren existiert und der bereits im letzten Abschnitt thematisiert wurde. Im Interview und in den Veröffentlichungen der Organisation wird auf die langjährigen Erfahrungen verwiesen und es wird auch an unterschiedlichen Stellen der Kontrast zu neueren Organisationen verdeutlicht. Die Abgrenzungsprozesse, die hier stattfinden, verweisen darauf,

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dass im Diskurs um Prevent auch Konflikte zwischen Organisationen und ihren Repräsentationsansprüchen hervortreten. Neben den Konflikten um die Nutzung von Prevent-Ressourcen zwischen Muslim_innen, wurde dem Programm vorgeworfen, dass sich die Möglichkeiten, Ressourcen für soziale Arbeit zu beantragen, grundlegend verändert haben. Dahinter steckt die Beobachtung, dass Gelder für Projekte, die den Austausch zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen fördern sollten oder auf nicht religiöse Minderheitenorganisationen konzentriert waren, abgezogen wurden (House of Commons, 2010, S. 106). Diese Konflikte finden sich in den Diskursen der Frauenorganisationen wieder und wurden in den Interviews thematisiert. Auf die Frage, warum sie sich über die Kategorie Muslim women organisieren, antwortet Arifa: „Eine Menge Leute fragen uns das, zum Beispiel als die Prevent-Agenda geschaffen wurde und das Geld zugänglich war, gab es asiatische Frauengruppen und BMEFrauen, die sagten ‚Warum gründet ihr euch als glaubensbasierte Organisation oder definiert euch als Muslimin und warum können diese Frauen nicht in einer BMEGruppe oder einer asiatischen Frauengruppe beitreten?‘. Und ich denke, eins der Argumente war, dass muslimische Frauengruppen durch Prevent finanziert wurden und es unfair sei und Gelder von all diesen anderen BME und asiatischen Gruppen abgezogen wurden. Mein Argument dazu ist: Zunächst einmal war Prevent ein spezieller, zusätzlicher Geldtopf. Also hatte es vorher nicht existiert. Also wurde das Geld nicht von diesen Organisationen abgezogen. Es war ein zusätzlicher Geldtopf und selbst wenn wir nicht existiert hätten, wäre es nicht an sie gegangen. (Interview mit Arifa, Organisation 1)

In Arifas Äußerung fällt besonders auf, dass sie die Frage nach der Organisierung über die Kategorie „muslimische Frau“ direkt mit der PreventStrategie verbindet und dass sie erklärt, häufig danach gefragt zu werden. In dieser Dynamik, die im Interview nicht beabsichtigt war, deuten sich die oben genannten Konflikte um die Verteilung von Ressourcen an und werden von der Interviewpartnerin dann auch explizit thematisiert. Eine Verbindung zwischen der staatlichen Förderung muslimischer Organisationen und ihrer Gründung wird demnach von unterschiedlichen Akteuren gezogen und kritisch gesehen. Arifa betont dagegen die Unabhängigkeit zwischen Prevent-Geldern und der Finanzierung von klassischen Minderheitenorganisationen stark und legitimiert auf diese Weise die Strategie ihrer

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Organisation: So hat Organisaion 1 bis 2011 Gelder für Projekte beantragt, die aus Sicht von Aktivistinnen das Empowerment junger Frauen fördern. In ihnen nimmt das Thema Terrorismus vergleichsweise wenig Raum ein. Das Anliegen der Aktivistin scheint darin zu bestehen, klarzustellen, dass sie die Organisation, die sie vertritt, nicht in Konkurrenz zu anderen Organisationen gesehen werden will: Mit dem Verweis darauf, dass PreventGelder zusätzlich zur Verfügung gestellt worden sind, legitimiert sie die Nutzung dieser finanziellen Ressourcen und formuliert einen Gegendiskurs zu einem wichtigen Kritikpunkt, der von außen an die Organisationen herangetragen wurde. Wie sich zeigt, sind die Interpretationen der Auswirkungen von Prevent umstritten und betreffen wesentlich mehr als Fragen der effektiven Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen. Vielmehr spiegeln sie Diskurse über die Positionierung von Muslim_innen in Großbritannien über damit in Verbindung stehende Auslegungen von Religion und die Existenz legitimer Repräsentationsstrukturen wieder. Sie eröffnen ein diskursives Feld, in dem diese Themen gemeinsam verhandelt und in den Kontext staatlicher Sicherheitspolitiken gestellt werden. Letzteres hat zur Folge, dass die Diskurse um Zugehörigkeit im Rahmen von Prevent in einer bestimmten Weise begrenzt werden. Assimilatorische Forderungen nehmen einen zunehmend großen Raum ein und werden von den muslimischen Frauenorganisationen, die im Zentrum dieser Arbeit stehen, unterschiedlich reflektiert. So hängen die Positionierungen zu Prevent mit einer Vielzahl von Themen zusammen. Anhand von Positionsmaps werden sie im Folgenden als Konflikte über „Autonomie vs. Kooperation“ und „Ethik vs. Effizienz“ skizziert.

6.3 P OSITIONIERUNGEN IN D ISKURSEN UM P REVENT Die Positionierungen zur Prevent-Strategie stehen in enger Verbindung zu den oben skizzierten Interpretationen und gründen auf die damit verbundenen Annahmen. In Kapitel 2 wurde ausgeführt, dass Subjektpositionen innerhalb von Diskursen entstehen und folglich an Machtverhältnisse gebunden sind. Sie können zugleich umstritten und konflikthaft sein und auf ähnlichen Erzählungen und Wissensformationen beruhen. Insofern sind Diskurse konstitutiv für die Möglichkeiten dessen, was gesagt werden kann. In den folgenden Absätzen werden sie, wie es bereits in Absatz 6.2.2 umge-

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setzt wurde, anhand von Positions-Maps (Clarke, 2012) dargestellt und analysiert. Indem das Material über die Konflikte „Ethik vs. Effizienz“ und „Autonomie vs. Kooperation“ erschlossen wird, sollen zentrale Konflikte herausgearbeitet werden. Dabei werden nicht nur ausdrücklich artikulierte Positionen einbezogen, die Positions-Maps verweisen auch auf jene, die nicht eingenommen werden und damit auf mögliche Begrenzungen legitimer Positionierung. 6.3.1 „Do I have a responsibility to make a contribution?“ – Ethik vs. Effizienz Eine Konfliktlinie, die in den Argumentationsstrukturen von Frauenorganisationen zum Thema Prevent eine Rolle spielt, orientiert sich an den Kriterien Ethik und Effizienz. Dabei ist es nicht notwendigerweise der Fall, dass ein Aspekt im Vordergrund steht, wie die Positions-Map auf der folgenden Seite zeigt. Jedoch kann festgestellt werden, dass Aussagen, die für Prevent argumentieren, eher die Effizienz der Strategie in den Vordergrund stellen, während Kritik daran in erster Linie aufgrund von ethischen Erwägungen geübt wird. Es wurde bereits an unterschiedlichen Stellen darauf verwiesen, dass der Fokus des Programms auf alle Muslim_innen in Großbritannien einen Schwerpunkt der Kritik an Prevent darstellt. Vor dem Hintergrund ethischer Erwägungen wird dieses Thema besonders betont. So schreibt Organisation 1 in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2009: „Der aktuelle Ansatz, die gesamte muslimische Community ins Visier zu nehmen, um das Problem des gewalttätigen Extremismus anzugehen, ist moralisch falsch. Die weitreichenden Implikationen der Prevent-Agenda für die muslimische Community wurden von der Regierung vollkommen ignoriert. Es gibt wenige Belege dafür, dass die Regierung den massiven Schaden anerkennt, der durch die Politiken angerichtet wurde, die damit zu tun haben, gewalttätigen Extremismus zu verhindern.“ (Organisation 1, 2009)

Die Prevent-Strategie wird in dieser Äußerung als Grundlage eines Schadens betrachtet, dem die britische Regierung aus Sicht der Organisation nicht in angemessener Weise begegnet. Diese Art der Positionierung findet sich sehr häufig, insbesondere von Organisationen, die sich als Repräsentationsorgane für muslimische Frauen in Großbritannien verstehen. Für

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ethisch fragwürdig hält Organisation 4 beispielsweise die Sammlung von Informationen, die aus Sicht von Aktivistinnen Teil des Programms ist. Darüber können mögliche Verhaftungen von Unschuldigen, die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und den Communities langfristig erschweren. „Dies ist nicht nur ethisch suspekt. Informationen, die in dieser Art und Weise gesammelt wurden, können irreführend sein und falsch gedeutet werden. Sie können dazu führen, dass junge Muslim_innen als potenzielle Terrorist_innen etikettiert oder sogar festgenommen werden wie beispielsweise im Falle der Khar Brüder in Ilford. Fehler wie diese können sehr teuer in Hinblick auf den Verlust an Vertrauen in die Polizei werden und – wie in diesem Fall – die Kooperation in Zukunft einschränken.“ (Organisation 4, 2009)

Abbildung 3: Positions-Map: Ethik vs. Effizienz

Ethik zentral

Der Fokus auf Muslim_innen ist unethisch.

Prevent ist ethisch nicht vertretbar und trifft die Falschen. Frauen sollen Verantwortung im Kampf gegen Terrorismus übernehmen. Frauen sind prädestiniert als Mittlerinnen zwischen Communities und Regierung.

Effizienz zentral

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Mit dem Verweis auf möglicherweise neu entstehende Konflikte durch das Programm wird der Effizienzgedanke aufgenommen, so dass hier der moralische Aspekt eine Rolle spielt und darüber hinaus auch die Wirksamkeit der Strategie in Frage gestellt wird. Diese erscheint nicht nur als generell erfolglos, sondern es wird darauf verwiesen, dass ihre Effekte den Absichten entgegenstehen. Als Beispiel wird das Verhältnis zu den Behörden genannt, das durch Prevent gefährdet sei. Die Strategie – so wird argumentiert – könne dazu führen, dass die Bereitschaft zu kooperieren, in einem Klima, das Muslim_innen stigmatisiert, abnimmt. Um das Argument zu untermauern, wird auf den Fall einer unrechtmäßigen Verhaftung hingewiesen, die im Rahmen von Politiken gegen gewalttätigen Extremismus stattgefunden hat. Verbesserungsbedarf an Prevent wird demnach insbesondere in der Art und Weise der Adressierung von Zielgruppen gesehen. Dies betont auch Organisation 6, die für eine Auseinandersetzung mit Terrorismus plädiert, die Islamismus als einen Aspekt der Gefährdung nationaler Sicherheit unter anderen versteht: „Wir glauben, dass das Vereinigte Königreich vielen Bedrohungen gegenüber steht und Terrorismus der von Al Qaida inspiriert wurde, nur einen Teil davon bildet. Wir denken, dass die Wichtigkeit dieser Bedrohung übermäßig betont wird – und dies hat negative Effekte auf die Communities. Es wäre sehr viel besser, die Bedrohung durch Terrorismus als Teil allgemeiner nationaler Sicherheit anzugehen, als einen Aspekt auszuwählen, der dazu beiträgt, den Islam zu ‚dämonisieren‘.“ (Organisation 6, 2009)

Anstatt die Ursachen von Extremismus zu bekämpfen, so das Argument, würden diese durch die mit dem Programm verbundene Fokussierung auf Muslim_innen und die Verbindung von Fragen des sozialen Zusammenhalts mit dem Kampf gegen Extremismus gestärkt. Das Programm wird demnach weder als ethisch vertretbar noch als effizient beschrieben. Diese Kritik ist aus der Perspektive von Muslim_innen nachvollziehbar. Mit der Ausweitung der Zielgruppen von Prevent im Jahre 2011 wurde ihr nur vordergründig entsprochen, denn die Fokussierung auf Islamismus als wichtigste Gefahr unter anderen bleibt erhalten (Home Office, 2011a, 2011b). Gleichzeitig bleibt damit ungelöst, was eine Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen für die Gesamtgesellschaft bedeutet und mit welchen Einschränkungen sie verbunden ist.

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Organisationen, die Gegenpositionen zu diesen vergleichsweise kritischen Interventionen entwickeln, thematisieren Vor- und Nachteile der PreventStrategie häufig nicht. So werden Prevent-Maßnahmen laut Homepage zwar von Organisation 3 durchgeführt, die Strategie aber nicht im Hinblick auf ihre Wirkungsweisen diskutiert. Stattdessen werden Frauen als besonders geeignet für den Kampf gegen Terrorismus beschrieben: „Heute habe ich eine Kampagne unterstützt, die von der Polizei Avon und Somerset und Polizeikräften im ganzen Land initiiert wurde, um Aufmerksamkeit für die Gefahren zu schaffen, die mit einer Verwicklung in den Konflikt einhergehen und hervorheben sollen, wie muslimische Frauen eine Schlüsselrolle darin spielen können, junge Menschen zu schützen. […] Muslimische Frauen sind in einer einzigartigen Position, um Söhne und Familienmitglieder zu beeinflussen, müssen aber mit dem notwendigen Wissen und den Gegennarrativen ausgestattet werden, die es ihnen erlauben, den Argumenten entgegen zu wirken, die Extremist_innen benutzten, um gefährdete Individuen zu ködern.“ (Organisation 3, 2014)

Diese Äußerung steht beispielhaft für eine Position, die eine effiziente Strategie gegen Terrorismus in den Mittelpunkt stellt und die Funktionalisierung von muslimischen Frauen dabei außen vor lässt. Stattdessen wird Prevent als Möglichkeit begriffen, selbstständig aktiv zu werden. Diese Vorstellung findet sich in einer stärkeren Form auch im nächsten Zitat. Das Engagement gegen Terrorismus wird hier zur Pflicht erklärt, wobei an die Frauen als Mitglieder von Communities appelliert wird. „Das, was wir alle in Erinnerung behalten müssen, wenn es um irgendeine Strategie geht, egal ob sie von der Regierung oder den Menschen ausgearbeitet wurde, ist, dass wir alle zusammen arbeiten müssen, damit sie funktioniert. Wir müssen uns zuerst fragen: ‚Habe ich eine Verantwortung, meinen Teil beizutragen?‘ Dann müssen wir uns fragen, ob wir genug zu einem positiven Wandel beitragen oder nicht! […] Wir haben eine Pflicht, das Wort zu ergreifen und ein Bewusstsein für die Themen Radikalisierung und Terrorismus zu schaffen. Alle Mitglieder von Communities müssen aktiv sein. Wir müssen die Gemeinschaften kennen, in denen wir leben. Wenn wir alle nur die Verantwortung dafür übernehmen, uns weiterzubilden und uns selbst, unsere Familien und die 40 Häuser, die uns umgeben, zu beschützen, werden wir schließlich alle eine Art von Beitrag leisten. Wenn Menschen zusammen

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kommen und das Wort ergreifen, sind die Möglichkeiten endlos.“ (Organisation 3, 2012)

In diesem Zitat nimmt ebenfalls Ethik einen wichtigen Stellenwert ein, allerdings ist sie inhaltlich anders besetzt als in den Äußerungen von Kritikerinnen des Programms. Das ethisch korrekte Handeln, wie es hier verstanden wird, bedeutet das Engagement für die Strategie und greift Argumentationslinien aus den Debatten um active citizenship auf. Effizient werden diese Maßnahmen durch die Vernetzung untereinander. Insofern ist die Positionierung, die in der Positions-Map mit dem Titel „Frauen sollen die Verantwortung im Kampf gegen Terrorismus übernehmen“ überschrieben ist, ebenfalls durch die Pole Ethik und Effizienz geprägt. Die damit verbundenen Inhalte sind jedoch andere. Somit ist die Schlussfolgerung, dass die Gegnerinnen der Strategie vorwiegend ethische Argumente nennen, während Befürworterinnen die Effizienz betonen, nur eingeschränkt gültig. Vielmehr beinhalten die unterschiedlichen Aussagen auch verschiedene Interpretationen dessen, was als richtiges Handeln verstanden wird. Es ist beachtenswert, dass dies insbesondere in den ersten Jahren des Programms stattfindet und für die Zeit zwischen 2011 und 2015 wenige Stellungnahmen existieren. Erst 2015 finden sich zunehmend kritische Interventionen. So wird der Counter-Terrorism and Security Act (2015) mit seinen Implikationen in Bezug auf die Überwachung von Kindern und Jugendlichen in Bildungseinrichtungen (DE, 2015) von Organisation 5 scharf kritisiert (siehe 6.2.1). Organisation 2 schließt sich in dieser Zeit der Kampagne „Together Against Prevent“ der Organisation Netpol an, die die stigmatisierenden Effekte für Muslim_innen und die zunehmenden Auswirkungen für politische Aktivist_innen problematisiert5. Diese Entwick-

5

An dieser Stelle kann nicht ausführlich auf die Inhalte der Kampagne des Network for Police Monitoring (NETPOL) eingegangen werden, der sich unterschiedliche Organisationen und Aktivistinnen angeschlossen haben. Ein wichtiger Kritikpunkt, der Grundlage für weitere Forschungsarbeiten zum Thema sein kann, ist die Intransparenz von Prevent und Auswirkungen des Einschränkens von Persönlichkeitsrechten, die auch Aktivist_innen betreffen, die nicht zur Zielgruppe gehören. Das lässt darauf schließen, dass die Ausweitung der Zielgruppen 2011, die von einigen als Ende der Stigmatisierung von Muslim_innen

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lung verweist auf diskursive Erneuerungen, die mit aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Zusammenhang stehen. Sie haben dazu beigetragen, dass Prevent nach wie vor aktuell ist und trotz der Neuordnung 2011 nicht die Tendenzen abgelegt hat, die von den Organisationen kritisiert werden. 6.3.2 „…we should be able to act as a critical friend“ – Autonomie vs. Kooperation Ein zentraler Konflikt in den Positionierungen von Frauenorganisationen in Bezug auf Prevent betrifft die Frage, inwieweit sie mit den Behörden im Rahmen der Strategie zusammenarbeiten. Sie ist nicht zuletzt deshalb relevant, weil hier die konkrete Umsetzung von Maßnahmen im Mittelpunkt steht. Insofern gibt die Analyse der Aussagen von Organisationen zu diesem Thema Hinweise auf die Prozesse, die im Zuge der Implementation des Programms stattgefunden haben. Es existieren Positionen, die Autonomie im Sinne der Abgrenzung von der Regierung betonen und solche, die eine Kooperation mit der Regierung anstreben. Das gilt in besonderem Maße für Maßnahmen, die mit Prevent-Geldern finanziert wurden, da sie, wie im letzten Abschnitt erläutert wurde, sehr umstritten sind. Die Positions-Map auf der folgenden Seite vereint Aussagen, die mit der Gründung von Organisationen, ihren Maßnahmen und ihren Interpretationen von Prevent zusammenhängen. Sie bilden eine wichtige Grundlage für die Positionierung im Feld. Dabei fällt auf, dass sehr unterschiedliche, wenn auch nicht alle denkbaren Positionierungen eingenommen werden. So finden sich Aussagen, die die Autonomie als Gegensatz zur Arbeit mit Prevent betrachten, ebenso wie solche, die eine finanzielle Unterstützung mit Mitteln aus dem Programm als vereinbar mit eigenständigen Positionen und der Kritik an staatlichen Politiken begreifen. Andere sind in der Umsetzung von Prevent tätig oder sogar durch Initiativen der Regierung gegründet und betonen trotzdem die Eigenständigkeit der Organisation. Es zeigt sich, dass Autonomie ein wichtiges Thema für die Organisationen ist, die hier untersucht wurden.

präsentiert wird, lediglich eine Einschränkung ziviler Rechte bedeutet. „Informationen zur Kampagne finden sich auf der Homepage: https://netpol.org/campaigns/together-against-prevent/ (26.3.2016)

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In der Analyse von Interviews und Dokumenten wird deutlich, dass eine Reihe von Organisationen die Arbeit mit Prevent-Geldern grundsätzlich ablehnt. Diese Position wird einerseits damit begründet, dass die Zielsetzungen des Programms nicht in einer Förderung der Zielgruppen bestehen, sondern dass es darum geht, Sicherheitsrisiken zu identifizieren und zu diesem Zweck Daten zu sammeln. So erklärt Organisation 4 in einer Stellungnahme zu Prevent, dass sie die mit dem Programm verbundenen Zwecke als solche für fragwürdig hält: „Es ist klar, dass Informationen, die über Projekte an der Basis gesammelt werden, für geheimdienstliche Zwecke genutzt werden. Es wird von Muslim_innen verlangt werden, sich gegenseitig auszuspionieren und sie werden infiltriert werden, um ‚potenzielle Terrorist_innen‘ und Risiken zu identifizieren. Das betrifft zum Beispiel Fußballvereine für Jungen, Mentoring-Programme, Projekte gegen häusliche Gewalt und Foren für Frauen und junge Menschen.“ (Organisation 4, 2009)

Abbildung 4: Positions-Map: Autonomie vs. Kooperation

Autonomie zentral

Prevent schränkt die Entscheidungsmöglichkeiten über Aktivitäten ein.

Prevent Gelder unterstützen die Arbeit der Organisation.

Kooperation und Kritik sind gleichwertige Aspekte des Verhältnisses zur Regierung.

Die Organisation ist eine Prevent Initiative und arbeitet auf Basis staatlicher Ressourcen.

Kooperation zentral

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Eine Zusammenarbeit mit Prevent wird vor diesem Hintergrund als Eingriff in die eigene Autonomie betrachtet und abgelehnt. Die Sorge, für die Beschaffung von Informationen missbraucht zu werden, stellt ein zentrales Argument in der Positionierung gegen Prevent dar und vergleichbare Äußerungen finden sich sehr regelmäßig. Sie können auch mit einer grundlegenden Weigerung zusammenhängen, Prevent-Gelder anzunehmen. Im Interview mit Organisation 2 deutet Thabit an, dass Prevent Muslim_innen kriminalisiert und dass sie Zweifel bezüglich der Verwendung der Gelder hat. Ein sehr wichtiges Argument ist für sie allerdings auch die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Aktivitäten der Gruppe: „Und es ist nicht gut, Geld zu nehmen, das uns davon abhält, bestimmte Aktivitäten umzusetzen. Ich würde uns da nicht einschränken wollen. Wenn wir Geld für einen Bus bekommen, den wir für einen Ausflug mit Familien zu einer Farm nutzen können, benutzen wir das Geld für den Bus. Wir können es nicht für etwas anderes benutzen, das ist in Ordnung. Aber wenn wir als muslimische Frauengruppe Geld für die Kurse bekommen, die wir geben, sind wir eingeschränkt in dem, was wir tun können. Oder jemand ist dabei, der zuschaut. Das ist nicht gesund. Das ist keine gesunde Einstellung und Umgebung, in der wir funktionieren können. Also brauchen wir diese Art von Geld nicht.“ (Interview mit Marija und Thabit, Organisation 2, 32:15)

Die Organisation hat sich in unterschiedlichen Kontexten öffentlich gegen Prevent positioniert. Im vorigen Absatz wurde darauf verwiesen, dass sie aktuell die Initiative „Together Against Prevent“ unterstützt, die das Thema Überwachung öffentlich macht und Unterstützung für Aktivistinnen bietet. Eine derart deutliche Abgrenzung vom Programm findet sich im Rahmen des Samples nicht häufig. In der Mehrzahl wird Prevent zwar problematisiert, jedoch wurden mindestens zeitweise Gelder für Aktivitäten bezogen. Für die Organisationen, die hier untersucht wurden, kann festgestellt werden, dass die Kooperation mit der Regierung in der Regel eher gesucht wird. Arifa bringt diese Positionierung in der folgenden Äußerung auf den Punkt. Sie erklärt, wie ihre Organisation, die aus einer Initiative der ehemaligen Labour-Regierung entstanden ist, sich zunehmend von deren Interessen abgegrenzt hat:

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„Ich denke, wir wollten in einer Position sein, in der wir die Regierung kommentieren konnten, wenn sie etwas Gutes tut. Aber wenn sie etwas tut, womit wir nicht glücklich sind, oder eine Politik implementieren, mit der wir nicht glücklich sind, sollten wir in der Lage sein, als kritische Freundinnen zu handeln. Es ist einfacher das zu tun, wenn du nicht mit ihnen verbunden bist.“ (Interview mit Arifa, Organisation 1, 3:37)

Dieses Zitat fasst eine Vielzahl von Äußerungen zusammen, denn es verdeutlicht, dass die Frauenorganisationen, die hier untersucht wurden, sich in der Mehrzahl nicht als Opposition begreifen. Um das zu verdeutlichen, wird die ausdrückliche Abgrenzung zu Terrorismus seitens der Organisationen oftmals an den Beginn von Stellungnahmen zu Prevent platziert. Die ausdrückliche Betonung der Identifikation mit der britischen Gesellschaft kann als ein Indikator dafür gelesen werden, dass diese in Frage gestellt wird (siehe 5.2.1). Gleichzeitig handelt es sich um ein Zugeständnis an die Legitimität aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse und weist auf deren Wirkungsmacht hin. Organisation 6, die Prevent in einer Stellungnahme deutlich kritisiert, gibt ein Beispiel für diese Art von Aussagen. Das Zitat stammt aus den ersten Absätzen des Papiers: „(Organisation 6) ist gegen Terrorismus in jeglicher Form und der Islam verurteilt das Töten unschuldiger Menschen ausdrücklich – es ist ganz und gar gegen die Werte einer Religion, die in ihrer genauen Definition Frieden bedeutet. Wir sind der Aufgabe verpflichtet, sicher zu stellen, dass muslimische Frauen vollständig in der Lage sind, gesellschaftlich teilzuhaben, und zwar auf Augenhöhe mit allen anderen. Unsere Anmerkungen sollten unter diesem Blickwinkel gesehen werden.“ (Organisation 6, 2009)

Eine Kritik an Prevent ist demnach mit Fallstricken behaftet und benötigt zumindest den Verweis darauf, dass das Ziel, Terrorismus zu verhindern, geteilt wird. Das macht deutlich, wie stark die Diskurse um Sicherheit mit Zuschreibungen von Zugehörigkeit verknüpft sind. Das Misstrauen gegenüber Muslim_innen wurde aus Sicht von Aktivtistinnen trotz aller Trennungen zwischen moderaten Auslegungen des Islam und Extremismus durch Prevent geschürt. Damit haben auch die Perspektiven einer Kritik am Programm bestimmte diskursive Grenzen, die eingehalten werden.

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Eine Besonderheit stellen Organisationen dar, die durch staatliche Initiativen entstanden sind und nach wie vor mit den Behörden eng kooperieren. Dabei fällt besonders auf, dass auch in diesen Fällen Autonomie thematisiert wird. Ein auffallendes Beispiel ist die folgende Äußerung, die vom Internetauftritt des National Police Chiefs Council (NPCC) stammt und die Organisation aus Sicht der Behörde erklärt: „(Organisation 10) wurde vom Büro des nationalen Prevent-Koordinators des NPCC6 entwickelt, um zu verstehen, welche Wahrnehmung Frauen über PreventAktivitäten haben und sich darüber auszutauschen, wie lokale Polizeikräfte Hürden zur Zusammenarbeit überwinden können. (Organisation 10) wurde gegründet, um Barrieren einzureißen und Frauen dazu zu ermutigen, eine aktive Rolle in der Prevent-Agenda der Regierung zu spielen. Das Netzwerk ist nun eine unabhängige Körperschaft und bietet eine Plattform für die Gruppe, auf Augenhöhe an Entscheidungsprozessen um die Entwicklung der Politik und der Strategie teilzuhaben und in einem Bereich der Polizeiarbeit mit zu entscheiden, der direkt einen Einfluss auf sie ausübt.“ (NPCC, 2016)

Es fällt hier auf, dass die Organisation als unabhängige Körperschaft beschrieben wird, was vor dem Hintergrund ihrer Gründungsgeschichte widersprüchlich erscheint. Die Beschreibung der ursprünglichen Zielsetzungen und die Aktivitäten der Organisation, die nach wie vor gemeinsame Veranstaltungen mit der Polizei durchführt, unterstützen den Eindruck, dass das Netzwerk in erster Linie dazu dienen soll, Frauen in die PreventAgenda einzubinden. Vor dem Hintergrund der in den vergangenen Absätzen skizzierten Konflikte und Interpretationen des Programms, lässt diese Beschreibung darauf schließen, dass es darum geht, die Strategie nicht als Teil staatlicher Interventionen zu präsentieren, sondern ein gemeinsames Ziel und Aktivitäten zu schaffen, so dass eine größere Akzeptanz für die

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Das NPCC ist eine Kooperation verschiedener Polizeidienstellen, die laut Selbstbeschreibung nationale Strategien zur Unterstützung der Polizeiarbeit entwickelt. (http://www.npcc.police.uk/, 30.11.2015) Seit April 2015 ersetzt NPCC die Association of Chief Police Officers (ACPO), die im s.g. Parker Report (Parker, 2013) als zu teuer kritisiert wurde. Das lässt darauf schließen, dass Organisation 10, die bereits 2012 existierte ursprünglich durch das ACPO gegründet wurde.

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Strategie erreicht werden kann. Insofern kann diese Positionierung hier als vergleichsweise enge Kooperation einer muslimischen Frauenorganisation mit staatlichen Behörden gelesen werden. Neben der Konstruktion einer Unabhängigkeit von den Polizeikräften ist auffallend, dass die Sichtbarkeit der Organisation vergleichsweise gering ist. Obwohl sie im Interview Ende 2013 von einer Vertreterin als künftiges zentrales nationales Netzwerk muslimischer Frauen in Großbritannien angekündigt wurde, hat sich in den Folgejahren nur wenig getan, was über den Internetauftritt der Organisation oder des NPCC bekannt gemacht worden wäre. So macht es den Eindruck, dass auch dieser Versuch, eine enge Kooperation zwischen muslimischen Frauen und Polizei im Bereich Terrorismus aufzubauen, mittelfristig gescheitert ist. Die Positionierungen zu Prevent sind durchdrungen von der Auseinandersetzung mit der Autonomie muslimischer Frauenorganisationen. Ihnen ist gemein, dass sie die Unabhängigkeit vom Staat betonen, was vor dem Hintergrund gängiger Interpretationen von Prevent nicht überraschend erscheint. Die Strategie gilt als stigmatisierend und förderlich für den gesellschaftlichen Ausschluss von Muslim_innen in Großbritannien, so kann die Betonung der Selbstbestimmung als Strategie gelesen werden, die eigene Arbeit zu legitimieren. Darüber hinaus finden sich einzelne Organisationen, die sich ausdrücklich abgrenzen, um staatlichen Einfluss zu vermeiden. Für andere bedeutet die Arbeit im Rahmen des Programms nicht unbedingt die Aufgabe der eigenen Autonomie. Gerade die Organisationen, die die Interessen von muslimischen Frauen im Rahmen von Konsultationsprozessen und in Kampagnen vertreten, nehmen dabei eine Position ein, in der sie sich kritisch äußern, ohne dabei in Opposition zum Staat zu treten.

6.4 Z USAMMENFASSUNG : D IE P REVENT -S TRATEGIE ALS POLARISIERENDER F AKTOR Nachdem in Kapitel 4 die Thematisierung muslimischer Frauen im Rahmen von Prevent und in Kapitel 5 die Entstehung und die Anknüpfungspunkte muslimischer Frauenorganisationen untersucht wurde, ging es hier um eine Verknüpfung dieser unterschiedlichen Aspekte. Die Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen zur Prevent-Strategie wurden untersucht, um auf diese Weise Erkenntnisse über die damit verbundenen Subjektivie-

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rungsprozesse zu gewinnen. Sie geben Hinweise auf die Wirkungsweisen des Programms und dienen insofern der Beantwortung der Fragestellung, die dieser Arbeit zu Grunde liegt. Die Diskurse um Prevent, so hat sich gezeigt, sind gekennzeichnet durch widerstreitende Positionierungen zur Strategie. Einige problematisieren, dass Empowerment im Rahmen von Prevent nicht nur der Abwehr von Terrorismus dient, sondern mit Fragen nach Zugehörigkeit verknüpft wird. Sie leiten daraus eine stigmatisierende Wirkung des Programms ab, die nicht nur im Hinblick auf ihre ethische Vertretbarkeit, sondern auch in Bezug auf die Effizienz der Strategie aus Sicht von Aktivistinnen fragwürdig ist. Dem entgegen, stehen Positionen, die muslimischen Frauen ein besonderes Potenzial zuschreiben, Terrorismus zu verhindern und daraus eine Verantwortlichkeit ableiten, die unter anderem in der Kooperation mit Prevent gesehen wird. Der Einfluss von Programmen zum Empowerment muslimischer Frauen auf ihren Aktivismus wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die Positionen zu dieser Frage sind in der Folge sehr vielfältig und zum Teil widersprüchlich. Während einige Aktivist_innen ihnen ein großes Potenzial zur Förderung muslimischer Frauen attestieren, betonen andere, dass Empowerment nicht durch Förderung von außen zustande kommen kann. Die Subjektpositionen, die hier eingenommen werden, stehen in enger Verbindung mit der eigenen Einbindung in Prevent-Maßnahmen, sind aber gleichzeitig das Resultat individueller Erfahrungen und politischer Hintergründe. Darüber hinaus hat das Programm aus Sicht von Frauenorganisationen Ressourcenkonflikte befördert. Das betrifft zum einen Konflikte zwischen anderen BME-Organisationen und den neu entstehenden muslimischen Frauenorganisationen, die sich mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dass sie Gelder für Projekte binden, die sich lediglich an Muslim_innen richten. Weiterhin wird über Konflikte berichtet, die zwischen Akteuren stattfinden, die sich für oder gegen die Arbeit mit Prevent-Ressourcen positionieren. Muslim_innen stehen Prevent-Maßnahmen besonders kritisch gegenüber, da sie Stigmatisierung und Überwachung fürchten. Diese Konflikte sind nicht unter den gegebenen Umständen aufzulösen, wie in den vergangenen Kapiteln verdeutlicht wurde. Prevent bindet die Subjekte einerseits ein, indem an bestehende Diskurse angeknüpft und an die Zugehörigkeit zur britischen Gesellschaft appelliert wird und befördert andererseits gesellschaftlichen Ausschluss. Gesellschaftliche Konflikte werden aufgegriffen und in

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den Dienst staatlicher Interessen gestellt. So werden Hoffnungen geweckt, dass gleichstellungspolitische Ziele näher rücken und gleichzeitig die Stigmatisierung von Muslim_innen betrieben. Je nach Perspektive können dem Programm demnach unterschiedliche und teils widersprüchliche Wirkungsweisen zugeschrieben werden, die Polarisierung eher befördern, als dass sie gesellschaftliche Gleichstellung, Partizipation und Autonomie ermöglichen. Erst in der Abgrenzung von Prevent werden die Grundlagen eines Austausches geschaffen, der auf Solidarität beruht, anstatt durch Behörden initiiert, und mit den oben genannten Konflikten behaftet ist. Für die Aushandlung von Citizenship bedeutet das, dass in diesem Prozess eine Transformation von active citizens, die staatliche und neoliberale Diskurse reproduzieren, hin zu activist citizens stattfindet. Letztere sind es, die Zuschreibungen kritisch hinterfragen, sich gegen Stigmatisierung positionieren und damit, um ein Zitat von Isin aufzugreifen, von Subjekten zu handelnden Akteuren werden (E. Isin & Nelsen, 2008, S. 18). Damit wird auch deutlich, dass das Verhältnis zwischen active citizenhsip und activist citizenship ein Spannungsfeld ist und es sich nicht um klar abgrenzbare Gegensätze handelt.

7. Sicherheitspolitik, Empowerment und die Aushandlung von Citizenship

Das Empowerment von Frauen, so die Kalkulation der PreventMaßnahmen, die hier untersucht wurden, trägt dazu bei, Radikalisierungsprozesse zu verhindern. Frauen, die an den dafür konzipierten Foren und Workshops teilnehmen, seien eher bereit mit den Sicherheitsorganen zusammen zu arbeiten. Darüber hinaus könne ein steigender Einfluss von Frauen innerhalb der Communities soziale Konflikte verringern oder zumindest dazu beitragen, sie effizienter zu bearbeiten. Prevent oder „Preventing Violent Extremism“ (PVE) zielt als Teil der britischen Antiterrorstrategie CONTEST darauf ab, Terrorismus auf britischem Staatsgebiet zu verhindern. Besonders in den ersten Jahren waren muslimische Frauen eine wichtige Zielgruppe des Programms. Obwohl sie seit 2011 nicht mehr im Strategiepapier vorkommen, wurde seitens der Behörden auch danach noch versucht, muslimische Frauen einzubinden. Diese Einbindung findet im Wesentlichen über Frauenorganisationen statt, die die Hauptempfängerinnen der Prevent-Gelder für Empowerment-Maßnahmen sind. Sie sollen als Mittlerinnen zwischen staatlichen Behörden und Frauen an der Basis auftreten und standen daher im Zentrum dieser Forschung. Die Wirkungen der Strategie werden, wie ich im letzten Kapitel gezeigt habe, sehr unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits attestieren muslimische Aktivistinnen und Frauenorganisationen Prevent stigmatisierende Effekte. Aufgrund dessen, dass das Problemfeld islamistischer Terrorismus in erster Linie über die muslimischen Communities bekämpft wird, reproduziert das Programm eine diskursive Verbindung zwischen Islam und Islamismus, die aus ihrer Sicht dazu führt, dass gesellschaftliche Ausgrenzung eher ver-

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stärkt, als verhindert wird. Gleichzeitig werden soziale Konflikte innerhalb der Communities und bestehende Forderungen nach Partizipationsmöglichkeiten aufgegriffen, wenn auch nur, um sie in den Dienst von Antiterrorpolitiken zu stellen. Das daraus entstehende Spannungsfeld zwischen Stigmatisierung und der Förderung von Teilhabe verstehe ich als Hinweis darauf, dass im Rahmen von Prevent mehr verhandelt wird, als Fragen der Sicherheit. Innerhalb des Programms geht es darüber hinaus um Zugehörigkeit, so dass es mit spezifischen Subjektivierungsprozessen in Verbindung steht. Citizenship steht im Zentrum dieser Aushandlungsprozesse und wird mit anderen Differenzkategorien verbunden, so dass gerade muslimische Frauen in eine sehr spezifische Position gebracht werden, die auf die Teile des Programmes zurückwirkt, die sie adressieren. Diese Prozesse wurden in den vergangenen Kapiteln untersucht und in Hinblick auf die Wirkungsweisen der Prevent-Strategie analysiert. In Kapitel 2 wurde der Begriff Citizenship als Bezugspunkt für die hier untersuchten Programme diskutiert. Um die damit in Verbindung stehenden Subjektivierungsprozesse untersuchen zu können, wurden Maßnahmen zum Empowerment muslimischer Frauen mit Cruikshank (1999) als technologies of citizenship gefasst. Sie dienen der Schaffung und Entwicklung von Bürger_innen und sind insofern gleichermaßen Ausdruck und Instrument dieser Subjektivierungsprozesse. Citizenship ist also weder statisch noch eindimensional, sondern kann als Prozess verstanden werden, der unterschiedliche Zugehörigkeiten einschließt, die ihrerseits situativ unterschiedlich wirksam und durchaus widersprüchlich sein können. Auf den vorliegenden Kontext bezogen, wurde die Zugehörigkeit zu Communities als Gegenmodell und Aspekt britischer Citizenship diskutiert. Weiterhin ging es um die Auseinandersetzungen mit Geschlecht und Citizenship. Geschlecht spielt im Rahmen der Diskurse um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt eine zentrale Rolle und ist kaum von Konstruktionen des Islam als Religion und Kultur zu trennen. Der Islam wird in diesen Diskursen häufig kulturalisiert und Muslim_innen ethnisiert. Diese theoretischen Überlegungen wurden im dritten Kapitel durch eine Diskussion der methodischen und methodologischen Ansatzpunkte erweitert, die die Grundlage für die Forschung gebildet haben. Die Reflexion der eigenen Positionierung als relative Außenseiterin in den Diskursen um Sicherheit und sozialen Zusammenhalt und um den Aktivismus muslimischer Frauen in Großbritannien wurde als erkenntnistheoretische Herausforde-

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UND DIE

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rung benannt. Sie hatte Einfluss auf den Forschungsprozess, beginnend bei der Einarbeitung im Feld, über den Prozess der Datenerhebung bis hin zur Auswertung und zum Verfassen der Arbeit. Die Außenseiterinnenrolle manifestierte sich nicht zuletzt darin, dass der direkte Kontakt zu Akteur_innen auf eine begrenzte Zahl von Aufenthalten in Nordengland beschränkt war. Diese Aspekte wurden in Hinblick auf ihren Einfluss auf Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis diskutiert, bevor der Datenkorpus vorgestellt wurde. Die Auswertung der Daten orientierte sich an Verfahren aus der Wissenssoziologischen Diskursanalyse, die im folgenden Abschnitt in Hinblick auf ihre Operationalisierung in der vorliegenden Arbeit diskutiert wurde. Die Möglichkeit, die Ebene der Akteur_innen in die Diskursanalyse einzubeziehen, erschien vor dem Hintergrund gängiger Dichotomisierungen von „den Muslim_innen“ und einem abstrakt erscheinenden Staat von besonderer Dringlichkeit. Indem Aussagen auf (durchaus heterogene) Akteursgruppen bezogen werden, zeigt sich, dass ähnliche Äußerungen innerhalb diskursiver Formationen aus unterschiedlichen Positionen heraus getätigt werden können. Gleichzeitig können die Rahmenbedingungen dessen, was von wem in legitimer Weise gesagt werden kann, untersucht werden. Vor diesem Hintergrund wird es möglich, Grenzen und Perspektiven von politischem Aktivismus zu diskutieren. Die Kapitel 4, 5 und 6 stellen die Ergebnisse der Analyse dar. In diesem Rahmen werden die Hintergründe der Diskurse um Prevent und ihre Verhältnisse zu den Fremd- und Selbstpositionierungen muslimischer Frauen diskutiert. Weiterhin ging es um Deutungsmuster der Strategie und ihrer Wirkungsweisen als Grundlage für eine Diskussion der unterschiedlichen Positionen, die Frauenorganisationen diesbezüglich einnehmen. Im Zentrum des vierten Kapitels standen Aussagen aus der Prevent-Strategie, die zur Arbeit mit muslimischen Frauen gemacht werden. Dabei waren die zeitlichen und diskursiven Entwicklungen im Umgang mit muslimischen Frauen und in den Konstruktionen muslimischer Frauen von besonderem Interesse. Sie geben Aufschluss darüber, wie sich Prevent entwickelt hat, so dass gezeigt werden konnte, dass trotz der Neufokussierung der Strategie im Jahre 2011 Frauen eine Rolle spielen, die durchaus ähnliche Vorannahmen und Maßnahmen beinhaltet, wie es zuvor der Fall war. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass sie wesentlich intransparenter ist: Informationen sind in den vergangenen Jahren schwerer zugängig, als das zuvor der Fall war. Die Akteure der Diskurse um Prevent werden, so scheint es, redu-

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ziert – ein Aspekt, der auch als Reaktion auf die Kritik an den Zielen des Programms und den mit ihm verbundenen Stereotypen gelesen werden kann. Im Sinne einer Einbindung möglichst vieler Akteure spricht das für den Misserfolg der Strategie. Es hat sich weiterhin gezeigt, dass die Homogenisierung und die Betonung der Heterogenität muslimischer Frauen im Rahmen des Programms ein besonderes Spannungsfeld darstellen: Während die Vielfalt muslimischer Frauen einerseits beschworen und als Pool wahrgenommen wird, aus dem Verbündete in der Bekämpfung von Radikalisierungsprozessen gewonnen werden können, suggeriert die Konstruktion einer Gruppe, die es zu „empowern“ gilt, Homogenität. Das Empowerment muslimischer Frauen im Rahmen von Prevent dient nicht nur der Auseinandersetzung mit Terrorismus, sondern betrifft auch andere soziale Konflikte: Ganz besonders in den ersten Jahren der Strategie sollen Rassismus und Muslim_innenfeindlichkeit, sozioökonomische Spannungen und die daraus erwachsende Polarisierung der Gesellschaft im Rahmen dieses Projektes gemeinsam bekämpft werden. Die daraus erwachsene Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse bedeutet umgekehrt auch, dass sie verstärkt mit Fragen der Sicherheit assoziiert werden. Die Versicherheitlichung verschiedener gesellschaftlicher Konfliktfelder, wie sie in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen Bereichen zu beobachten ist, kann am Beispiel des Programms also deutlich gezeigt werden. Kapitel 5 befasste sich mit den Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen als Akteur_innen in den Diskursen um Sicherheit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Aktivismus in Großbritannien. Die vermehrte Gründung muslimischer Frauenorganisationen in den vergangenen Jahren ist vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen, nationaler sowie transnationaler Diskurse um den Islam und seiner Rolle in nicht-muslimischen Gesellschaften und Debatten um islamischen Feminismus zu verstehen. Damit verbunden ist die Zuschreibung „British Muslim Woman“. Sie vereint unterschiedliche Dimensionen von Zugehörigkeit und Differenz und ist insofern nicht frei von Widersprüchen. Gleichzeitig bedeutet sie eine deutliche Positionierung als Britin und verbindet diese mit den Kategorien Religion und Geschlecht, anstelle beispielsweise von nationalen Zuschreibungen, die innerhalb von anderen BME-Organisationen eine wichtige Rolle spielen. Die hier untersuchten Organisationen betonen den transnationalen Charakter des Islam, schreiben ihm in der Regel eine große Offenheit in Bezug auf Interpretationsweisen

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zu und schaffen auf diese Weise Anschlussfähigkeit an gesellschaftliche Diskurse um demokratische Teilhabe und Gleichstellung. Sie wird durch die Ablehnung fundamentalistischer Auslegungen des Islam verstärkt, wobei dichotome Konstruktionen von moderat versus islamistisch durchaus kritisch gesehen werden. Einige beziehen sich auf den islamischen Feminismus als Grundlage für die eigenen politischen Forderungen nach Teilhabe. Weiterhin beziehen sie sich auf die Kategorie „Frau“, die neben der Religion ein Element darstellt, das die prinzipielle Offenheit gegenüber NichtMusliminnen einschließt. Familie und speziell die Mutterrolle werden von vielen der Frauenorganisationen als zentrale Bezugskategorien beschrieben, die wesentlichen Einfluss auf die Themen, die Formen, Möglichkeiten und Grenzen von Aktivismus besitzt. Empowerment ist ebenfalls eine wichtige Bezugskategorie und der Bedarf danach wird durch die Stellung innerhalb der britischen Gesellschaft und innerhalb der muslimischen Community begründet: Diskriminierung und Marginalisierung betreffe Frauen in besonderer Weise, daher sei es notwendig, hier Arbeit zu leisten. Die damit in Verbindung stehende Annahme geteilter Erfahrungen, die muslimische Frauen in Großbritannien betreffen, transportiert die Tendenz zur Homogenisierung, schreibt Frauen aber auch das Potenzial zu, selber aktiv gegen diese Positionierung vorzugehen. Insofern existieren durchaus Parallelen zu den Empowerment-Diskursen des Staates, wobei die Zielsetzung von Programmen in der Regel jedoch eine andere ist: Empowerment dient aus Sicht der Organisationen gleichstellungspolitischen Zielen und nicht dem Kampf gegen Terrorismus. Kapitel 6 drehte sich um die unterschiedlichen und in mancher Hinsicht widersprüchlichen Positionierungen muslimischer Frauenorganisationen zur Prevent-Strategie. Aus ihnen wurden Schlussfolgerungen über die Verknüpfung von Prevent mit anderen Diskursen und die damit verbundenen Wirkungsweisen des Programms gezogen. Im Rahmen der Positionierung zu Prevent werden das Verhältnis zum Staat und Fragen der Autonomie ebenso thematisiert, wie gesellschaftliche Konflikte und die Möglichkeiten und Grenzen von Interventionen. Darüber hinaus, stehen sie in Verbindung mit Debatten um die Verteilung von Ressourcen. Die Konflikte, die sich hier offenbaren, sind nicht ohne weiteres lösbar und hängen mit der Art und Weise zusammen, wie Prevent legitimiert wird. Das Empowerment muslimischer Frauen im Zuge der Strategie kann nur vermittelt werden, weil Forderungen nach Partizipation, die von Aktivistinnen früher formuliert

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wurden aufgegriffen und in den Dienst der Strategie gestellt werden. Die Folge ist ein sehr umstrittenes diskursives Feld, denn die Stigmatisierung von Muslim_innen steht dem gleichstellungspolitischen Ziel entgegen. Muslimische Frauenorganisationen – so zeigt sich – sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert, da sie einerseits von den Ressourcen profitieren können, die im Rahmen von Prevent zur Verfügung gestellt werden und andererseits mit den Zielen und Vorannahmen des Programms oftmals nicht einverstanden sind. Aufgrund dessen, dass der Umgang mit diesem Dilemma nicht einheitlich ist, entstehen neue Konflikte, die die Vernetzung zwischen Organisationen erschweren können. Insofern hat Prevent die Polarisierung des Feldes befördert. Es wurde also gezeigt, dass die Anknüpfungspunkte von Prevent weit über die Entwicklung von Strategien gegen Terrorismus hinausgehen. Insofern ist die Strategie vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse zu verstehen, in die gleichstellungspolitische Forderungen mit Diskursen um die Zugehörigkeit von Muslim_innen zu Großbritannien verknüpft werden. Damit kann Prevent auch als Kristallisationspunkt unterschiedlicher diskursiver Anknüpfungen gelesen werden, die sich in der Auseinandersetzung mit der Strategie zu einer neuen Formation entwickelt haben. Sicherheit, sozialer Zusammenhalt, Geschlechterrollen und das Verhältnis zu nationalen und religiösen Zuschreibungsmustern finden sich zu einem neuen Diskurs zusammen und bewirken Prozesse der Versicherheitlichung. Die Effekte dieser Entwicklung sind durchaus zweischneidig: So wurden zwar kurzfristig Gelder für bestimmte Projekte zur Verfügung gestellt und neue Möglichkeiten politischer Intervention geschaffen. Andererseits wurde die Verknüpfung von Zugehörigkeit, Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, Sicherheit und sozialen Konflikten innerhalb und außerhalb der muslimischen Community im Rahmen der Strategie verstärkt. Diese Tendenz hat sich auch mit der Umgestaltung von Prevent im Jahr 2011 nicht wesentlich geändert, da zwar andere Formen von Terrorismus einbezogen wurden, Islamismus jedoch nach wie vor im Zentrum steht, Überwachungsmaßnahmen zugenommen haben und ein Ansatz, der Terrorismus als Problem rahmt, dass auf gesamtgesellschaftlicher Ebene adressiert werden sollte, nicht in Sicht ist. Die Demonstration von Heterogenität und religiöser Offenheit, wie sie von einigen Organisationen als Strategie genutzt wird, ist vor dem Hintergrund dieser diskursiven Entwicklungen nur begrenzt wirksam.

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Die Einbindung muslimischer Frauen in die Strategie im Sinne einer staatlich initiierten Kooperation ist wiederholt gescheitert und hat eher Ängste vor Stigmatisierung und einer Instrumentalisierung von Gleichstellungspolitik geweckt, deren Ziel die Beschaffung von Informationen ist. So sind Empowerment-Maßnahmen ähnlich umstritten wie das Programm selbst. Während eine relativ große Einigkeit darüber herrscht, dass Empowerment für muslimische Frauen wichtig ist, sind Inhalte und Strategien dazu sehr heterogen. Es geht im Kern um Sichtbarkeit und Teilhabe im öffentlichen Raum. Je nach Zielsetzung und Arbeitsfeldern der Organisation kann das verknüpft sein mit Partizipation im Rahmen politischer Entscheidungsprozesse oder mit der Erweiterung von Entscheidungsspielräumen im Alltag. Das Konzept Empowerment, so zeigt sich hier, besitzt nach wie vor Strahlkraft für alle möglichen Projekte und ein großes Potenzial zur Vereinnahmung durch unterschiedliche Diskurse, Akteure und politische Ziele. Die von Bröckling (Bröckling, 2004) hervorgehobene Anschlussfähigkeit des Konzeptes wird im Kontext dieser Prozesse deutlich, allerdings zeigt sich auch, dass sie einen Preis hat. Der Konsens um die Notwendigkeit eines Empowerment und um die damit verbundenen Strategien ist brüchig, so dass Prevent bei einigen Hoffnungen hervorgerufen hat, die später enttäuscht wurden und von anderen Teil der Frauenorganisationen nach wie vor positiv gesehen wird. Das Programm wird je nachdem, welche Zielsetzungen in den Vordergrund gestellt werden, entweder als Chance für Aktivismus oder als Gefahr für Muslim_innen und für die Autonomie von Organisationen betrachtet. Es wird deutlich, dass das Feld der Positionierungen weitaus heterogener ist, als es in Studien dargestellt wird, die vorwiegend auf die kritischen Stimmen dem Programm gegenüber verweisen. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass Prevent die Diskurse um das Empowerment muslimischer Frauen reguliert und auf diese Weise einschränkt: Indem muslimische Frauen in spezifischen Weisen angerufen werden, wird festgelegt, was legitimes und illegitimes Wissen über den Islam ist. Die Akte der Positionierung von Aktivistinnen und Organisationen können Verhandlungsräume eröffnen, die vor dem Hintergrund der Tendenzen zur Versicherheitlichung jedoch immer stärker an Bedingungen geknüpft sind. Auf theoretischer Ebene konnte gezeigt werden, dass im Rahmen der Implementation von technologies of citizenship bestimmte Diskurse um gesellschaftliche Konflikte, Problemfelder und Differenzen staatlich aufge-

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griffen werden. Zugehörigkeit spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, um Zielgruppen zu konstruieren und Maßnahmen zu legitimieren. Gleichzeitig können sie jedoch auch polarisierende Tendenzen befördern, besonders in einem Feld, das gesellschaftlich derart umstritten ist, wie das hier untersuchte. Technologies of citizenship brauchen diskursive Anknüpfungspunkte, die ihrer Legitimierung dienen und schaffen damit neue Konfliktlinien. Es wird deutlich, dass lediglich die Abgrenzung von Prevent, durch die hier untersuchten Frauenorganisationen, zum Empowerment muslimischer Frauen auf Basis von gegenseitiger Solidarität und im Sinne von Gleichstellung beitragen kann. Übertragen auf die theoretischen Begrifflichkeiten, die im zweiten Kapitel diskutiert wurden, bedeutet das: Erst im Zuge der Abgrenzung von Prevent werden aus den active citizens, die an staatliche Diskurse angepasst sind und diese weitgehend rezipieren, activist citizens, die sie kritisch hinterfragen und auf diese Weise Citizenship als solche aushandeln.

7.1 AUSBLICK Diskurse um Sicherheitspolitik, sozialen Zusammenhalt und Geschlecht werfen nicht zuletzt aufgrund von Diskursverschiebungen und Erneuerungen, eine Reihe neuer Fragen auf, von denen an dieser Stelle nur ein kleiner Ausschnitt skizziert werden kann. So betreffen mögliche Themen und Forschungsfragen sowohl die Frage nach den Konstruktionen von Geschlecht, speziell von muslimischen Frauen vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, als auch neuere Entwicklungen der Strategie, die seit 2015 verstärkt auf den Bildungsbereich ausgeweitet wurde und gleichzeitig von einer zunehmenden Intransparenz gekennzeichnet ist. Daneben lohnt es sich, das Spannungsfeld von Citizenship, Versicherheitlichung und Multikulturalismus vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren beobachteten Zunahme von Anschlägen in Europa weiterhin im Blick zu behalten. Die Thematisierung und Konstruktion von Geschlecht im Rahmen von Diskursen um Terrorismus und Sicherheit ist mit transnationalen Diskursen um den Islam und seine Rolle in nicht-muslimischen Gesellschaften verknüpft. In dieser Arbeit wurde darauf verwiesen, dass an die Stelle des von Samuel Huntington in den 1990er Jahren ausgerufenen „Kampf der Kulturen“ (Huntington, 1996) zunehmend Dichotomien zwischen Extremismus

S ICHERHEITSPOLITIK, E MPOWERMENT

UND DIE

A USHANDLUNG

VON

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und so genannten moderaten Auslegungen des Islam treten. Sie verweisen auf diskursive Entwicklungen, die es auch in Hinblick auf damit verbundene Zuschreibungen von Geschlecht zu untersuchen galt. Die Thematisierung muslimischer Frauen als Mütter potenzieller Terroristen wird zunehmend durch Diskurse um junge Frauen ergänzt, die sich extremistischen Gruppen anschließen. Zuschreibungen dieser, als so genannte jihadi brides in den britischen Medien bezeichneten Frauen, haben Eingang in die Diskurse gefunden und greifen auf gängige Konstrukte der Unterwerfung muslimischer Frauen zurück. Es zeigt sich, dass Geschlechterzuschreibungen trotz aller Kritik nach wie vor sehr wirkmächtig sind, wenn es um die Erklärung von Islamismus geht. Die damit verbundenen Abgrenzungsprozesse gilt es weiterhin zu diskutieren. Über die Entwicklungen der Prevent-Strategie als solcher fällt einerseits auf, dass es zunehmend schwerer wird, Informationen zum Themenfeld zu bekommen. Ich habe bereits an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, dass die Anzahl und Zugänglichkeit von Dokumenten sich stark verändert hat. Die anfänglich sehr gut dokumentierten und öffentlich gemachten Maßnahmen können mit der politischen Situation nach den Anschlägen von 2005 zusammenhängen, in der die Durchführung von konkreten Maßnahmen demonstriert werden sollte. Diese Praxis führte zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte, die sowohl die Ressourcenverteilung betraf als auch mit Antiterrormaßnahmen verbundenen Stereotypisierungen und mögliche gesellschaftliche Konflikte. Mit der Strategie von 2011 ändert sich das Bild. Prevent wurde stärker auf den Aspekt der Überwachung fokussiert, Maßnahmen zum Empowerment von muslimischen Frauen und Jugendlichen existieren nach wie vor, es gibt jedoch kaum Veröffentlichungen dazu. Auch Behörden erschweren den Zugang zu Informationen zunehmend und begründen diese Praxis mit Sicherheitsbedenken. Das wirft die Frage auf, inwieweit es dabei darum geht, den öffentlichen Diskurs um adäquate Sicherheitsmaßnahmen einzuschränken und würde bedeuten, dass die Strategie, die zu Beginn durchaus auf die Partizipation ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gesetzt hat, diesbezüglich nicht erfolgreich war. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Entwicklung von Prevent betrifft die Ausweitung der Zielgruppen. So wurden 2015 neben Jugendlichen als potenzielle Risikogruppe von Antiterrormaßnahmen auch Kinder einbezogen. Schulen und Betreuungseinrichtungen sind seither aufgefordert, eigene Risikoeinschätzungen vorzunehmen und gegebenenfalls mit den Behörden in

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Kontakt zu treten. Das hat Befürchtungen über weitere Stigmatisierung hervorgerufen und weist darauf hin, dass Überwachung noch stärker und expliziter als das früher kommuniziert wurde, im Zentrum der Strategie steht. Weiterhin kritisieren Nichtregierungsorganisationen, dass Prevent nicht nur Muslim_innen stigmatisiert, sondern zunehmend herangezogen wird, um politische Aktivist_innen unterschiedlicher Hintergründe als potenzielle Terrorist_innen zu überwachen. Anstatt über die Ausweitung der Zielgruppen 2011 also Stigmatisierung zu verhindern, wurden die alten beibehalten und neue Zielgruppen geschaffen. So kann die aktuelle Prevent-Strategie kaum als adäquate Reaktion auf die Kritik an den ursprünglichen Maßnahmen betrachtet werden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde gezeigt, dass muslimische Frauen dennoch zunehmend in diese Diskurse intervenieren. Auch wenn die Möglichkeiten dazu im Rahmen des Programms diskursiv eingeschränkt werden, hat Prevent letztlich Partizipation gefördert, indem das Empowerment von muslimischen Frauen zur staatlichen Aufgabe gemacht wurde. In den vergangenen Jahren wurden Frauenorganisationen gegründet, die den skizzierten Entwicklungen mehrheitlich kritisch gegenüberstehen und aktive Teilhabe einfordern. Ihre Positionierungen zeigen jedoch, dass die Voraussetzung für Empowerment in der kritischen Auseinandersetzung mit Prevent und letztlich in der Abgrenzung vom Programm besteht.

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Soziologie Uwe Becker

Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3056-5 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99E (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker

Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart. 11,99 E (DE), 978-3-8376-3040-4 E-Book PDF: 10,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99E (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.)

Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis 2016, 352 S., kart., zahlr. farb. Abb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3377-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3377-5

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Soziologie Carlo Bordoni

Interregnum Beyond Liquid Modernity 2016, 136 p., pb. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3515-7 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99E (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Sybille Bauriedl (Hg.)

Wörterbuch Klimadebatte 2015, 332 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3238-5 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3238-9

Mathias Fiedler, Fabian Georgi, Lee Hielscher, Philipp Ratfisch, Lisa Riedner, Veit Schwab, Simon Sontowski (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung Jg. 3, Heft 1/2017: Umkämpfte Bewegungen nach und durch EUropa April 2017, 236 S., kart. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3571-3

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