Sic notus Achilles?: Episches Narrativ und Intertextualität in Statius' Achilleis [1. ed.] 9783381107223, 9783381107216, 9783381107230

In Statius' Achilleis bewegt sich der namensgebende Held des Werkes, der den antiken und modernen Leser:innen aus H

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Sic notus Achilles?: Episches Narrativ und Intertextualität in Statius' Achilleis [1. ed.]
 9783381107223, 9783381107216, 9783381107230

Table of contents :
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Inhalt
Vorwort
1‍ ‍Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?
1.1‍ ‍Das Proöm der Achilleis: Angekündigte Intertextualität
1.2‍ ‍Die Achilleis in der Forschung
1.3‍ ‍Ziele der Arbeit
2‍ ‍Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis
2.1‍ ‍Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder
2.1.1‍ ‍Strukturreferenzen
2.1.1.1‍ ‍Poseidons Beschwörung des Seesturms in der Odyssee (Hom. Od. 5,270–290)
2.1.1.1.1‍ ‍Hintergrundhandlung vor Poseidons Monolog
2.1.1.1.2‍ ‍Poseidons Monolog
2.1.1.1.3‍ ‍Neptuns Verhältnis zur αἶσα
2.1.1.2‍ ‍Junos Bitte um einen Seesturm in der Aeneis (1,34–80)
2.1.1.2.1‍ ‍Hintergrundhandlung vor Junos Monolog
2.1.1.2.2‍ ‍Junos Monolog
2.1.1.2.3‍ ‍Junos Ankunft bei Aeolus
2.1.1.2.4‍ ‍Junos Rede
2.1.1.2.5‍ ‍Aeolus’ Antwort
2.1.1.2.6‍ ‍Juno, die fata und ihr intertextuelles Strukturvorbild
2.1.2‍ ‍Thetis’ Bitte um einen Seesturm
2.1.2.1‍ ‍Hintergrundhandlung vor Thetis’ Monolog
2.1.2.2‍ ‍Thetis’ Monolog
2.1.2.3‍ ‍Thetis’ Ankunft bei Neptun
2.1.2.4‍ ‍Thetis’ Rede
2.1.2.5‍ ‍Neptuns Antwort
2.1.2.6‍ ‍Thetis und ihre intertextuellen Strukturvorbilder
2.2‍ ‍Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich
2.2.1‍ ‍Achill in Chirons Bericht
2.2.1.1‍ ‍Einleitung des Berichts durch Thetis’ Rede
2.2.1.2‍ ‍Chirons Bericht
2.2.2‍ ‍Achill bei seiner Ankunft
2.2.2.1‍ ‍Achill als Jäger
2.2.2.2‍ ‍Achill als Lyraspieler und Sänger der κλέα ἀνδρῶν
2.3‍ ‍Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros
2.3.1‍ ‍Tellus tutissima. Thetis’ Auswahl des Verstecks
2.3.2‍ ‍Achills Metamorphose
2.3.2.1‍ ‍Achills Zustimmung
2.3.2.1.1‍ ‍Thetis’ Rede und ihre Wirkung
2.3.2.1.2‍ ‍Tatsächliche Überzeugung durch Deidamia
2.3.2.2‍ ‍Durchführung und Ergebnis der Metamorphose
2.3.3‍ ‍Angewandte Ars. Deidamias Verführung
2.3.3.1‍ ‍Achill auf Skyros im Kyklos und in Euripides’ Skyrioi
2.3.3.2‍ ‍Achill als bukolischer Liebhaber bei Ps.-Bion
2.3.3.3‍ ‍Achill als Exemplum in Ovids Ars amatoria
2.3.3.4‍ ‍Achill als geschickter Verführer in der Achilleis
2.3.4‍ ‍Die Aufdeckung von Achills Identität als Mann
2.3.4.1‍ ‍Die Szenerie des Bacchusfestes
2.3.4.2‍ ‍Achills innerer Monolog
2.3.4.3‍ ‍Die Vergewaltigung und ihre Folgen
2.3.5‍ ‍Die Aufdeckung von Achills wahrer Identität als epischer Held
2.3.5.1‍ ‍Odysseus, Achill und Deidamia beim Gastmahl
2.3.5.2‍ ‍Die Tanzvorführung für die Griechen
2.3.5.3‍ ‍Achills Metamorphose zum Krieger
2.3.6‍ ‍Placatus placidissimus. Die Wiederherstellung des Friedens auf Skyros und gleichzeitige Kriegsvorbereitungen für Achill
2.3.7‍ ‍Achills Abschied von Skyros und Deidamia
2.3.8‍ ‍Achill als epischer Held auf Skyros
2.4‍ ‍Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition
2.4.1‍ ‍Die Griechen auf Aulis und ihre Suche nach Achill
2.4.1.1‍ ‍Rüstung und Katalogerzählung
2.4.1.2‍ ‍Die Heeresversammlung auf Aulis
2.4.1.3‍ ‍Kalchas’ Prophetie
2.4.1.4‍ ‍Odysseus’ und Diomedes’ Achilleis als Prequel zur Dolonie
2.4.2‍ ‍Die Kriegsgründe in Odysseus’ Darstellung
2.4.3‍ ‍Achills Apolog: Seine Erziehung durch Chiron
2.4.3.1‍ ‍Achills Erziehung als Vorbereitung auf den Trojanischen Krieg
2.4.3.2‍ ‍Semiferi Chironis alumnus. Ein Kentaur als Erzieher
3‍ ‍Die Achilleis als intertextuelles und psychologisierendes Prequel
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Primärliteratur zur Achilleis
Primärliteratur zu weiteren Autoren
Sekundärliteratur
Index Locorum

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Sic notus Achilles? Episches Narrativ und Intertextualität in Statius’ Achilleis

von Björn Sigurjónsson

Sic notus Achilles?

CLASSICA MONACENSIA CLASSICA Münchener Münchener Studien Studien zur Klassischen Philologie Herausgegeben von Martin Herausgegegeben von MartinHose Hoseund und Claudia Wiener Wiener 61 · 2023 Band 53 2018

Björn Victor Sigurjónsson

Sic notus Achilles? Episches Narrativ und Intertextualität in Statius’ Achilleis

Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Diss. Ludwig-Maximilians-Universität 2023 DOI: https://doi.org/10.24053/9783381107223 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: [email protected] CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-381-10721-6 (Print) ISBN 978-3-381-10722-3 (ePDF) ISBN 978-3-381-10723-0 (ePub)

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Proöm der Achilleis: Angekündigte Intertextualität . . 1.2 Die Achilleis in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 12 18 24

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Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder 29 2.1.1 Strukturreferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1.1.1 Poseidons Beschwörung des Seesturms in der Odyssee (Hom. Od. 5,270–290) . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1.1.2 Junos Bitte um einen Seesturm in der Aeneis (1,34– 80) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.1.2 Thetis’ Bitte um einen Seesturm . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.1.2.1 Hintergrundhandlung vor Thetis’ Monolog . . . . . . 45 2.1.2.2 Thetis’ Monolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.1.2.3 Thetis’ Ankunft bei Neptun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.1.2.4 Thetis’ Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.1.2.5 Neptuns Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.1.2.6 Thetis und ihre intertextuellen Strukturvorbilder . 72 2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.2.1 Achill in Chirons Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.1.1 Einleitung des Berichts durch Thetis’ Rede . . . . . . 75 2.2.1.2 Chirons Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.2.2 Achill bei seiner Ankunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.2.1 Achill als Jäger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.2.2 Achill als Lyraspieler und Sänger der κλέα ἀνδρῶν 94 2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros . . . . . . . . . 100 2.3.1 Tellus tutissima. Thetis’ Auswahl des Verstecks . . . 100

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Inhalt

2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.3 2.3.3.1

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Achills Metamorphose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Achills Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Durchführung und Ergebnis der Metamorphose . . 127 Angewandte Ars. Deidamias Verführung . . . . . . . . 135 Achill auf Skyros im Kyklos und in Euripides’ Skyrioi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2.3.3.2 Achill als bukolischer Liebhaber bei Ps.-Bion . . . . 137 2.3.3.3 Achill als Exemplum in Ovids Ars amatoria . . . . . . 140 2.3.3.4 Achill als geschickter Verführer in der Achilleis . . 143 2.3.4 Die Aufdeckung von Achills Identität als Mann . . 152 2.3.4.1 Die Szenerie des Bacchusfestes . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2.3.4.2 Achills innerer Monolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2.3.4.3 Die Vergewaltigung und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . 159 2.3.5 Die Aufdeckung von Achills wahrer Identität als epischer Held . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2.3.5.1 Odysseus, Achill und Deidamia beim Gastmahl . . 166 2.3.5.2 Die Tanzvorführung für die Griechen . . . . . . . . . . . 176 2.3.5.3 Achills Metamorphose zum Krieger . . . . . . . . . . . . 180 2.3.6 Placatus placidissimus. Die Wiederherstellung des Friedens auf Skyros und gleichzeitige Kriegsvorbereitungen für Achill . . . . . . . . . . . . . . . 191 2.3.7 Achills Abschied von Skyros und Deidamia . . . . . . 200 2.3.8 Achill als epischer Held auf Skyros . . . . . . . . . . . . . 209 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition . 212 2.4.1 Die Griechen auf Aulis und ihre Suche nach Achill 212 2.4.1.1 Rüstung und Katalogerzählung . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2.4.1.2 Die Heeresversammlung auf Aulis . . . . . . . . . . . . . 222 2.4.1.3 Kalchas’ Prophetie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2.4.1.4 Odysseus’ und Diomedes’ Achilleis als Prequel zur Dolonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2.4.2 Die Kriegsgründe in Odysseus’ Darstellung . . . . . . 252 2.4.3 Achills Apolog: Seine Erziehung durch Chiron . . . 262 2.4.3.1 Achills Erziehung als Vorbereitung auf den Trojanischen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 2.4.3.2 Semiferi Chironis alumnus. Ein Kentaur als Erzieher 276

Die Achilleis als intertextuelles und psychologisierendes Prequel . 279

Inhalt

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur zur Achilleis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur zu weiteren Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Index Locorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Herbst 2022 an der Ludwig-Maximi‐ lians-Universität München eingereicht habe. Gedankt sei an erster Stelle meiner Doktormutter Prof. Dr. Claudia Wiener, die mich schon im Studium in ihrem Seminar im Sommersemester 2015 für Statius’ Achilleis begeisterte. Danke für die hervorragende Betreuung! Mein Dank gilt ebenfalls Prof. Dr. Markus Janka, der als Zweitgutachter für die Dissertation fungierte und in dessen Forschungsseminar „Verjüngte Antike“ ich zwei Kapitel der Dissertation vorstellen durfte. Hier danke ich auch allen Teilnehmenden des Seminars für ihre weiterführenden Hinweise. Für die gute Betreuung bei der Buchlegung sei Tillmann Bub und Iris Stein‐ maier vom Narr Francke Attempto Verlag gedankt. Besonders danke ich auch meiner Frau Regina, mit der ich viele Textstellen intensiv diskutiert habe und die mir auch eine unschätzbare Hilfe bei der Durch‐ sicht des Manuskripts war. Zuletzt gilt mein Dank auch meinen Eltern Henriette Doppler-Sigurjónsson und Guðmundur Sigurjónsson, die mich während meines Studiums und der Promotion unterstützt haben.

1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos? Jugend- und Kindheitserzählungen von bekannten literarischen Helden machen einen besonderen Reiz aus. In dieser Form des Prequels1 lernt der Leser den ihm bekannten Helden noch einmal kennen, erfährt, wie er zu dem wurde, als der er aus dem Vorgängerwerk bekannt ist. Die Kindheits- und Jugenderzählung füllt also eine offensichtliche Leerstelle im Leben des Helden. Einen besonderen Reiz üben für den Leser dabei Vorverweise und Referenzen auf schon bekannte Taten des Helden aus. Ein antikes Beispiel für solch eine Jugenderzählung stellt Statius’ Achilleis dar. Hier erhält der Leser Einblicke in Achills Erziehung durch den Kentauren Chiron, Achills schon damals heroische Taten und seine erste Liebe auf Skyros, für die er sich als Mädchen verkleiden lässt. Im Rahmen der Jugenderzählungen stellt Statius’ Achilleis jedoch einen Sonderfall dar: Zwar ist die Handlung der beiden erhaltenen Bücher im Umfang von 960 und 167 Versen in sich geschlossen. Wie aber aus dem Proöm deutlich wird, war die Achilleis auf einen weitaus größeren Zeitraum angelegt. Das uns erhaltene Fragment, das Achills Jugend bis zur Fahrt nach Aulis schildert, umfasst also nur einen kleinen Teil des eigentlich intendierten Werks;2 eine Bezeichnung der Achilleis als Epyllion ist also irreführend.3 Auch von einem Prequel zur Ilias können wir somit nur sprechen, weil wir allein den uns überlieferten Teil des Werkes untersuchen. Hätte Statius sein Werk vollendet, könnten die Referenzen auf das Geschehen der Ilias als epische Vorverweise, d. h. intratextuelle Verweise auf Geschehnisse der Achilleis, aufgefasst werden. Allerdings bleibt natürlich offen, wie Statius die Ilias rezipiert hätte. Eine bloße Nacherzählung der Ilias erscheint kaum plausibel. Auf jeden Fall hatte die Achilleis, als sie in ihrer jetzigen Form veröffentlicht wurde, den Effekt eines

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Bei dem Begriff Prequel handelt es sich um eine Analogiebildung zu engl. sequel, um ein Vorgängerwerk zu beschreiben: „Prequels focus on the action that took place before the original narrative. […] A prequel assumes that the audience is familiar with the original – the audience must rework the narrative so that they can understand how the prequel leads up to the beginning of the original.“ (Silverblatt [2007], 211). Dieser Terminus, der zunächst vor allem für populäre Filme genutzt wurde, kann auch auf (antike) literarische Werke übertragen werden. Vgl. Simms (2018), 1. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Statius’ Tod dazu geführt hat, dass die Achilleis nicht vollendet wurde. Vgl. bspw. Augoustakis (2016), 196. Anders Kytzler (2000), 53, der die Hypothese aufstellt, Domitians Tod habe Statius’ weitere literarische Produktion verhindert. So Villaseñor (2004), 30.

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

Prequels der Ilias. Dass Statius sein Werk als Vorgänger der Odyssee vorstellt, bliebe jedoch, auch wenn er die Achilleis vollendet hätte, ein auffallendes Merkmal dieses Epos. Der fragmentarische Zustand erschwert also die Interpretation des Werkes auf der Ebene der epischen Gesamtstruktur. Die Aussagen des Proömiums lassen für Zielsetzung und Strukturen wichtige Angaben erwarten.

1.1 Das Proöm der Achilleis: Angekündigte Intertextualität Sprachlich lässt sich das Proöm durch den jeweiligen Adressaten der Verse in drei Abschnitte gliedern: Im ersten an die Muse gerichteten Teil (1–7) erfolgt wie üblich die Inhaltsangabe des Epos. Im zweiten Teil (8–13), der an Apollon gerichtet ist, bittet die Dichter-Persona Apoll um göttliche Inspiration, wobei auf die Erfolge der Thebais verwiesen wird. Der letzte Abschnitt (14–19) richtet sich an Domitian und beinhaltet Statius’ recusatio, ein Epos zu schreiben, in dem der Kaiser der Held ist. Das Thema der Achilleis soll Achill sein, der mit seinem Patronym als Enkel des Aiakos bezeichnet wird und das Epitheton ornans eines großen Helden trägt (Magnanimum Aeaciden, Stat. Ach. 1,1).4 Dabei wird besonders seine Herkunft betont: Er ist der Nachkomme, den Jupiter gefürchtet hat und den er als seinen Nachfolger verhindert hat (formidatamque Tonanti | progeniem et patrio vetitam succedere caelo, 1 f.).5 Damit werden Bezüge zu Proteus’ Prophezeiung, Thetis werde einen Sohn gebären, der seinen Vater übertreffen werde (Ov. met. 11,221– 223), deutlich. Während Jupiter in den Metamorphosen seinem Enkel Peleus befiehlt, seine eigentlich geplante Rolle auszuüben (in suaque Aeaciden succedere vota nepotem | iussit, Ov. met. 11,227f.), hat dies auf Achill den gegenteiligen Effekt: Jupiter hindert ihn daran (vetitam, Ach. 1,2),6 in seiner Rolle im Himmel 4 5

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Vgl. auch sein Epitheton ornans in der Ilias μεγάθυμος (Hom. Il. 17,214, 18,226, 19,75, 20,498, 21,153, 23,168). Davis (2015), 159 m. Fn. 10 hebt die Kunstfertigkeit des ersten Verses der Achilleis hervor, der aus lediglich vier Wörtern besteht. Weit hergeholt ist jedoch seine Ansicht, dass dies auf Ovids Liebesdichtung verweise, da Ovid in den Metamorphosen deutlich öfter als Vergil in der Aeneis derartige Verse benutze. Ganiban (2015), 75 sieht in der Art des Verses einen Bezug zu Homer und zu den hellenistischen Dichtern. Russell (2014), 115 sieht in den Adjektiven formidatam und vetitam eine Feminisierung Achills. Zuerst sei Achill Mann (magnanimum), dann Frau und dann wieder Mann (viri, 3). „The grammar enacts the plot; the opening lines of the piece […] reproduce Achilles’ move from Thessaly to girl on Scyros to man on the ship to Troy that takes up of the fragment as we have it.“ Allerdings ist diese Interpretation schwierig, da sich die Adjektive ja nicht auf Achill selbst beziehen, sondern auf progeniem. Nach Russells

1.1 Das Proöm der Achilleis: Angekündigte Intertextualität

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als Herrscher der Götter nachzufolgen (succedere, 2). Obwohl Achill ja Jupiter nicht zum Vater hat, bleibt der Himmel dabei dennoch das patrium caelum. Dies entspricht der Inszenierung der „Quasi-Jupiter-Sohnschaft“ Achills, die ein Leit‐ motiv der Achilleis ist.7 Thetis, Achill und auch andere Personen betonen dabei immer wieder, dass Achill beinahe ein Sohn Jupiters ist. Gleichzeitig erscheint er, wie ich auch zeigen will, immer wieder göttlich und sein Verhalten und seine Erscheinung bieten Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Jupiter-Söhnen sowie mit Jupiter selbst. Im Mittelpunkt der Achilleis sollen also ein einzelner bedeutender Mann und seine Taten stehen (acta viri, 3). Damit reiht sich die Achilleis in die Tradition von Epen wie der Odyssee und der Aeneis ein, die ebenfalls im Proöm einen einzelnen ins Zentrum ihrer Darstellung rücken (ἄνδρα, Hom. Od. 1,1; virum Verg. Aen. 1,1). Zusätzlich ist Achill beziehungsweise sein Zorn natürlich auch das Thema der Ilias. Auf diese bezieht sich auch die Dichter-Persona der Achilleis: Obwohl Achills Taten durch Homers Dichtung schon sehr berühmt sind (quamquam acta viri multum inclita cantu | Maeonio, 3 f.),8 rechtfertigt Statius sein Vorhaben mit dem Desiderat der epischen Darstellung von Achills Taten, die im engen Zeitraum der Ilias nicht erzählt werden konnten (sed plura vacant, 4). Dabei soll die ganze Persönlichkeit des Helden (ire per omnem | […] heroa, 4 f.) dargestellt werden, was der Dichter mit seiner Begeisterung für Achill begründet (sic amor est, 5).9 Wie Rosati betont, knüpft also Statius damit an den von Homer

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Argumentation würden bspw. in Verg. Aen. 7,257f. so auch die Römer, deren große Taten Latinus durch Faunus angekündigt worden waren (huic progeniem uirtute futuram | egregiam), feminisiert. Vgl. Schetter (1960), 129–131. Dies betont auch Jean Méheust, der hierin neben Ver‐ weisen auf Achills Rolle vor Troja das bestimmende Motiv der Achilleis sieht. Vgl. Méheust (1971), XXXII–XXXIV. Ähnlich auch Bernstein (2008), 113 f., der von „Jupiter as a preferred social father“ (ebd. 114) spricht. Heslin (2005), 74 vertritt hier die Ansicht, dass die Erwähnung von Homer unepisch sei, da Homer oft erwähnt werde, wenn es zu einer recusatio, Epik zu schreiben, komme. So auch Keith (2017), 284. Homer steht jedoch für die Gattung Epik. Statius verweigert sich hier nicht Epik zu schreiben, sondern will Ereignisse vor, während und nach der Ilias erzählen. Der Verweis auf Homer zeigt also gerade, dass er ein Epos schreiben will, in dem er die Leerstellen füllen will. Vgl. auch Vessey (1986), 3008, Hinds (1998), 124, Villaseñor (2004), 28. Myers (2015), 187 sieht darin den Anspruch, ein zweiter Homer zu werden. Anders Koster (1979), 208, der amor auf Achills Liebe bezieht, und Feeney (2004), 97 f., der amor als Ankündigung des Themas sieht. So auch McAuley (2010), 42, die dies als „the ‚amorous‘ contaminatio of the epic tradition“ sieht. Siehe aber Barchiesi (1996), 58.

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

bekannten Charakter an und stellt dabei den Menschen Achill ins Zentrum seiner Darstellung.10 Dies soll ausgehend von seinem Versteck auf Skyros und der Aufdeckung seiner wahren Identität durch Odysseus (Scyroque latentem | Dulichia proferre tuba, 5 f.) über die gesamte Zeit des Trojanischen Krieges (tota […] Troia, 7) geschehen und damit über den Endpunkt der Ilias (nec in Hectore tracto | sistere, 6 f.) hinausgehen.11 Wie die Metamorphosen Verwandlungen vom Anbeginn der Zeit bis in die augusteische Zeit behandeln sollen (deducite, Ov. met. 1,4), so soll Achill12 von seiner Jugend bis zu seinem Tod Thema der Achilleis sein (iuvenem deducere, 7).13 Statius’ Ansatz, Achills ganze Biographie zu bieten, hat zu Kritik an der Achilleis geführt. Schließlich habe Aristoteles sich in seiner Poetik gerade gegen solche biographischen Epen gewandt und Ilias und Odyssee wegen des

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Vgl. Rosati (1992a), 233f: „Ma Stazio […] non intende rovesciare un paradigma nel suo contrario, non cerca l’anti-modello: vuole semplicemente esplorare zone fino ad ora rimaste oscure o poco frequentate, offrire un’immagine di Achille che ce lo mostri davvero omnis (tale cioè non solo in senso cronologico-biografico, percorrendo l’intera parabola della sua esistenza, ma anche in estensione ‘orizzontale’, nei vari e diversi aspetti della sua personalità).“ Ebd., 234. Zu Deutungen, dass die Achilleis über Achills Tod hinausgehen und seine Hochzeit im Jenseits mit Iphigenie, Medea oder Polyxena beinhalten sollte, s. Nuzzo (2012), 8 f. m. Fn. 33. Dass Achill hier als iuvenis bezeichnet wird, deutet jedoch nicht auf eine Ausrichtung auf das Thema Liebe hin (so Koster [1979], 191 f., der iuvenis mit adulescens gleichsetzt und auf den adolescens als Liebhaber in der Komödie verweist). Auch in der Ilias ist Achill ein Ephebe. Zum Terminus deducere vgl. Koster (1979), 192–196. Allerdings steht mit deducere in der Achilleis nicht die Reduktion des Stoffes im Vordergrund, um den Stoff „in einzelnen Episoden nach Art der Kleindichtung darstellen“, sondern das kontinuierliche „Geleiten auf einem Weg“ (ebd., 196). Vgl. auch ThlL V,1 (1910), 282.32, s.v. dēdūco unter der Bed. „de serie, ordine i. q. continuare“ ad loc. „i. facta Achillis per universum tempus Troiae obsessae cantare.“ Siehe als Parallele auch Quint. inst. 9,3,57 und Flor. epit. 3,12,3. Zum Bezug auf Ovids Metamorphosen vgl. auch Hardie (1993), 63 Fn. 8. Barchiesi (2005), 70 Fn. 30 sieht dagegen deducere als Hinweis auf „lighter poetry“, wie es seiner Ansicht nach die Metamorphosen sind, und sieht dementsprechend in einem „deductus Achilles“ eine „reduced version of the sublime hero of Homer.“ Siehe jedoch Ripoll/Soubiran (2008), 153 (ad 1,7): „Que le verbe deducere puisse avoir, dans certains cas, un sens métapoétique n’implique pas que celui-ci soit systématiquement présent dans tout texte poétique. Or ici, l’on peut douter que l’emploi de deducere avec une personne comme complément d’objet (au lieu d’un mot du type carmen) soit de nature à activer ce sémantisme (surtout avec iuvenem!); la superposition de deux niveaux métaphoriques totalement différents sur le plan du sens, l’un évident (l’escorte) et l’autre latent (la «reduction»), parait plutôt de nature à embrouiller les choses.“ Augoustakis (2016), 198 liest deducere dagegen als Anspielung auf Hochzeitsbräuche. Achill werde vom Dichter nach Troja und zu seinem dortigen Ruhm geführt, wie die Braut von ihrem Vater zum Bräutigam geführt werde.

1.1 Das Proöm der Achilleis: Angekündigte Intertextualität

15

nicht biographischen Ansatzes gelobt.14 Diese Kritik am ganzheitlichen Zugriff, der angeblich die Einheitlichkeit der Handlung verhindere, knüpft an die ältere Forschung an, die Statius’ Epen insgesamt als „kyklisch“ geringschätzte. So wertet Turolla die Achilleis nur deshalb positiv, da sie nicht abgeschlossen sei und somit das angekündigte omne nicht erfülle.15 Allerdings geht diese Eingrenzung des „echten“ Epos viel zu weit. Aristoteles sagt nur, dass ein einziger Held im Mittelpunkt nicht ausreicht, um die Einheit der Handlung herzustellen (Aristot. poet. 1451a,16–30).16 Bei einer engeren Auslegung von Aristoteles’ Maßstäben könnte man praktisch kein nachhomerisches Epos als gutes Epos bewerten. Auch ganze Untergattungen wie das historische Epos müssten ausgeschlossen werden. Allerdings signalisiert Statius in den ersten sieben Versen der Achilleis mit ihrer Inhaltsangabe im Akkusativ, dem Anruf der diva17 und den expliziten Verweisen auf den Dichter und auf die Inhalte der Ilias, dass er sich an Homer orientiert.18 In seinem zweiten Anruf wendet sich der Dichter an Apollon.19 Diese Bitte um göttliche Inspiration ist eng verbunden mit Statius’ bisheriger Dichterlaufbahn. Apollon soll Statius, wenn er sich in seiner bisherigen Dichtung als würdiger Dichter gezeigt hat (si veterem digno deplevimus haustu, 8), göttlich inspirieren 14

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Vgl. Koster (1979), 191 Fn. 11 und Marinčič (2008), der davon ausgeht, dass sich Statius mit seinem Proöm von Aristoteles habe absetzen wollen und auf Struktur habe verzichten wollen. Vgl. auch Marinčič (2010/11), 91, wo er die Achilleis als prädramatisch bezeichnet. Ähnlich auch Davis (2015), 157, der in Bezug auf Aristoteles die Achilleis als „a poem which breaks the rules“ bezeichnet. Heslin (2005), 80–82 sieht in Bezügen auf kyklische Epen einen Bluff, den Statius schnell mit seinem Beginn auflöse. Ähnlich wie Aristoteles auch Hor. ars. 146–152, wo Homer für seine Auswahl und den Einstieg medias in res gelobt wird. Lineares bzw. biographisches Erzählen wird jedoch nicht explizit verboten. Turolla (1956), 137: „[Sc. Stazio] non capisce che proprio in quell’ansia di omne e di totum, proprio qui è ragione massima di suo difetto; massima ragione di grandezza per Omero e per Virgilio. Per fortuna, aggiungeremo, che, in rapporto ad Achille almeno, il totum è rimasto parte e che perciò appunto forse il frammento dell’Achilleide, come faremo vedere, nel suo primo canto almeno, è riuscito opera notevole e senza dubbio superiore alla Tebaide.“ Vgl. auch Hose (2023), 261 (ad 51a, 24–30), der die Stelle dahingehend interpretiert, dass Aristoteles sich dagegen wendet „‚alle möglichen Begebenheiten […] aus dem Leben des Odysseus“ zu erzählen „die für sich genommen ohne kausalen Bezug zueinander stehen im Sinne der Aristotelischen Forderung nach Notwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit“. Kozák (2014), 218 liest refer als Verweis auf si forte reponis Achillem in Hor. ars 120. Vgl. McNelis (2015a), 578f. Feeney (2004), 88 f. sieht dies als Verweis auf Achills Tod durch Apollons Hand. Zum Anruf von Apollon am Beginn eines Epos vgl. auch Apoll. Rhod. 1,1. Anders Davis (2015), 158, der Apollon für eine unpassende Wahl für einen Anruf hält.

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

(da fontes mihi, Phoebe, novos, 9) und ihn damit zum Apollonpriester machen (fronde secunda | necte comas, 9 f.).20 Zur Begründung hebt er seine Bedeutung als Dichter hervor: Er ist kein neuer Dichter, sondern den Musen schon bekannt (neque enim Aonium nemus advena pulso, 10),21 es handelt sich bei der Achilleis nicht um ein Erstlingswerk eines Mannes, der sich noch nicht als vates hervorgetan hat (nec mea nunc primis augescunt tempora vittis, 11). Statius’ Ruf als Epiker liegt dabei in der Thebais begründet: Das Land um Theben kennt seinen Namen (scit Dircaeus ager, 12) und durch die Thebais hat Statius eine solche Bedeutung erlangt, dass er für Theben denselben Rang einnimmt wie der mythische Stadtgründer Amphion (meque inter prisca parentum | nomina cumque suo numerant Amphione Thebae, 12 f.).22 Durch seine Dichtung ist Statius also zum zweiten Stadtgründer von Theben geworden, womit er seine herausragende Eignung für ein weiteres Werk beweist. Im dritten Abschnitt des Proöms spricht der Dichter Domitian an (at tu, 14), der damit eine ähnliche Stellung wie Apollon erhält (tu modo, 8). Wie schon in der Thebais (Stat. Theb. 1,17–33) entschuldigt sich Statius dafür, noch kein Epos über den Kaiser zu verfassen (da veniam, Ach. 1,17). Wie er selbst in der Thebais und wie auch Horaz gegenüber Augustus (Hor. epist. 2,1,257–259) rechtfertigt der Dichter die recusatio, da er sich ein solches Werk noch nicht zutraue und noch trepidus (17) bei dem Gedanken daran sei.23 Die Achilleis soll Statius als Trainingsplatz besser auf die anspruchsvollste Aufgabe vorbereiten (patere hoc sudare parumper | pulvere, 17 f.), um dann über den Kaiser schreiben zu können.24 Statius habe dazu aber noch nicht das Selbstvertrauen (te longo necdum fidente paratu | molimur, 18 f.). Wenn die Achilleis als Vorstufe für einen Panegyricus auf Domitian dienen soll, wäre damit auch die biographische Erzählweise

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Hinds (1998), 96 f. deutet secundus im Sinne seiner These von der inszenierten „secondariness“, die er in der Achilleis untersucht. Statius inszeniere sich als Nachfolger von Homer und Vergil und hier auch von sich selbst. Vgl. dazu u. S. 52 Fn. 173 . Für Heslin (2005), 77 f. ist Aonium nemus eine antiepische recusatio, da die Kollokation auch in Prop. 3,3,42 vorkomme. Allerdings will ja gerade Statius von der Quelle trinken, von der Properz nicht trinken soll. Insgesamt ist die Referenz m. E. auch eher schwach. Wenn man sie unbedingt deuten will, handelt es sich um die recusatio einer recusatio. Vgl. auch Barchiesi (1996), 54f. Vgl. dazu auch Bessone (2014). Dass die recusatio in der Achilleis kürzer als die der Thebais ist und nicht einzelne Taten des Kaisers aufgezählt werden, führt m. E. nicht dazu, dass beim Leser der „Eindruck einer physischen Schwächung und daher Ungeeignetheit für ein Domitian-Epos bestä‐ tigt werden.“ (Bitto [2016], 122). Vgl. Nuzzo (2012), 4 f., der in der Kürze des Proöms im Vergleich mit der Thebais eine Nähe zu klassischen Epos-Proömien sieht. Vgl. dazu auch Taveira Baptista/Ribeiro Leite (2019), 125 f. Anders Bitto (2016), 121 der darin eine Abwertung der Achilleis sieht.

1.1 Das Proöm der Achilleis: Angekündigte Intertextualität

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von Kindheit an gerechtfertigt, die für die Herrscherpanegyrik typisch ist. Zugleich soll in dieser panegyrischen Synkrisis Domitian über den größten griechischen Helden gestellt werden (magnusque tibi praeludit Achilles, 19).25 Die Formulierung praeludit scheint auf einen niedrigeren Platz innerhalb der Gattungshierarchie hinzuweisen. Da Statius in dem den Silven vorangestellten Brief an Stella (Stat. silv. 1 praef.)26 die Silven mit dem Vergil zugeschriebenen Culex und der Homer zugeschriebenen Batrachomyomachia vergleicht und dabei das Verb praeludere benutzt,27 wird praeludit oft als Ankündigung eines niedrigeren Stils in der Achilleis gelesen.28 Doch praeludere im poetologischen Sinne kann sich durchaus auch auf das genus sublime beziehen (Gell. 19,11,2)29 und bezeichnet damit ein Werk, das zeitlich vor einem anderen Werk entstanden ist.30 Statius’ Thebais und Achilleis sind somit Werke vor einem noch herausra‐ genderen Werk über Domitian. Die Abstufung findet also innerhalb der Gattung Epos statt: Das künftige Werk über Domitian wird in panegyrischer Hyperbel einen noch höheren Anspruch als beide Vorgängerwerke haben. Domitian muss Achill übertreffen, aber natürlich bleibt ein Werk über Achill ein Epos mit hohem Anspruch. Dadurch, dass die Achilleis der Vorläufer für das noch zu verfassende alles übertreffende Werk über den Kaiser ist, erhält sie zusätzliche Dignität,31 während gleichzeitig Achills Größe auf Domitian abstrahlt.

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Dies bedeutet jedoch nicht, dass Achill und Domitian somit gleichgestellt werden. So Konstan (2016), 381–385, der davon ausgehend in den ersten beiden Versen der Achilleis und dem Verweis auf Achills Quasi-Jupitersohnschaft Herrscherkritik sieht, da Vespasian nicht gewollt habe, dass Domitian sein Nachfolger werde. Stat. silv. 1, praef.: sed et Culicem legimus et Batrachomachiam etiam agnoscimus, nec quisquam est inlustrium poetarum qui non aliquid operibus suis stilo remissiore praeluserit. Vgl. auch ThlL VI,1 (1924), 696.26f., s.v. praelūdo unter der Bed. „respiciuntur carmina minora, leviora, quae quis scribit, antequam aggrediatur maiora“. Vgl. Koster (1979), 179, Heslin (2005), 79 f., Klodt (2009), 221 f., Russell (2014), 105–107, Bitto (2016), 94 Fn. 346. In Bezug auf von Platon in der Jugend verfasste Tragödien. Vgl. Nuzzo (2012), 6. Vgl. Aricò (1996), 187: „Non più, dunque, una netta contrapposizione di forme poetiche nettamente diverse – dal testo staziano non sembra ricavarsi un’antitesi di fondo tra epos storico ed epos mitologico –, ma l’accostamento di due diversi impegni, dei quali il ‘minore’ riceve pregio e dignità proprio dall’essere anticipazione del ‘maggiore’.“

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

1.2 Die Achilleis in der Forschung Die Achilleis fand in der Forschung jedoch lange nur wenig Beachtung.32 Nach Margit Benkers 1987 vorgelegter Dissertationsschrift erschien 2005 mit Peter Heslins The Travestite Achilles die erste Monographie, die nur der Achilleis gewidmet war. Neben der dort weit ausgeführten Rezeptionsgeschichte in der Frühen Neuzeit wollte Heslin einen Beitrag zur Intertextualität in lateini‐ schen Werken, besonders zur frühen Ovidrezeption leisten und wagte sich mit psychoanalytischer Perspektive an die antike Literatur. Ein weitergreifender Vergleich mit den Vorstellungen von Achill in Homers Ilias und bei späteren Autoren bleibt bei Heslin jedoch meist auf Teilbereiche beschränkt. Vor allem die psychoanalytischen Fragestellungen führen zu anachronistischen Schlussfolge‐ rungen, die zum Teil nicht dem antiken Götter- und Heldenbild entsprechen. Denn antike Leser hatten sich durch die der Achilleis vorangegangene Literatur schon Vorstellungen von Achill gebildet, die nicht unbedingt mit dem modernen Bild eines Helden korrespondieren. So sollte nach Horaz’ de arte poetica ein Dichter Achill in einem geplanten Werk übereinstimmend mit den literarischen Vorbildern keineswegs kontrolliert und bedacht darstellen: Aut famam sequere aut sibi conuenientia finge scriptor. honoratum si forte reponis Achillem, impiger, iracundus, inexorabilis, acer iura neget sibi nata, nihil non arroget armis. (Hor. ars 119–122).

Auch wenn Achill in der Ilias der Held ist, der das Kampfgeschehen in der Schlacht entscheidet, wurde sein Charakter im Rom der frühen Kaiserzeit wie auch schon in Homers Ilias also keineswegs durchgehend vorbildlich gesehen.33 Stattdessen galt Achill bis in die Spätantike als Paradebeispiel für den erbarmungslosen, von Zorn getriebenen Krieger.34 Ausgehend von Heslin sieht ein Teil der neueren angelsächsischen und deutschsprachigen Forschung in der Achilleis zwar diesen offensichtlichen Widerspruch zum modernen Heldenbild. Die Studien, die nachweisen wollen, dass Statius’ in klarem Gegensatz zu Homers Achill stehe, kommen zu diesem Urteil, weil die literarischen Traditionen nur selektiv ausgewertet werden, so

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Zur älteren Forschung vgl. Speranza (1971), 5–17. Zum Forschungsstand bis 2003 vgl. Kißel (2004), 117–123. King (1987), 2–28 betont die Ambiguität des Achillbildes bei Homer. Er changiere zwischen seiner Selbstaussage als dem Besten der Achaier (ἄριστον Ἀχαιῶν, Hom. Il. 1,244) und dem Ungeheuer im Kampf. Vgl. King (1987), 130.

1.2 Die Achilleis in der Forschung

19

dass sie die Beurteilung des Helden aus moderner Perspektive zu bestätigen scheinen. So bezeichnet Heslin die Achilleis als „transvestite sex-farce“35. Des Weiteren sei Achills Darstellung respektlos36 und Heldenmut werde in der Achilleis pervertiert.37 Fernand Delarue wiederum vertritt die Meinung, dass es in Statius’ Achilleis grundsätzlich keine homerischen Einflüsse gebe, sondern bewusst nur eine Rezeption der nachhomerischen Literatur zu Achill stattfinde. Dies versucht er zu belegen, indem er Widersprüche zur Ilias aufzeigt.38 Claudia Klodt fasst den statianischen Achill als „kriegsversessene[n], verant‐ wortungs- und herzlose[n] ungezogene[n] Tunichtgut“39 auf. Diese Einschät‐ zung begründet sie damit, dass Achill ohne Rücksicht auf die Jungen eine Löwenmutter töte und Deidamia ohne Nachdenken schwängere. Die Erziehung durch den Kentauren Chiron habe dazu geführt, dass Achill zum monstrum geworden sei.40 Hieraus folgert Klodt, dass es sich bei Statius’ Achilleis um eine „ironische Destruktion homerischen Heldentums“ handle.41 Dieser Befund deckt sich jedoch weder mit dem antiken Heldenbild noch mit dem ambiguen Bild Achills in der Ilias und auch nicht mit dem Ansehen, das Chiron in der Antike als Erzieher innehatte.42 Wenn die Achilleis als Parodie43 oder als eine ironisierte Darstellung44 auf‐ gefasst wird, fällt oft eine unscharfe Benutzung der Begriffe auf. Tatsächlich fällt „es schwer, die einzelnen Erscheinungsformen des Komischen präzise voneinander zu unterscheiden.“45 Achill bewegt sich als Held der Achilleis in Situationen, die den typischen Situationen eines Epos wie der Ilias nicht entspre‐ 35 36 37 38

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Heslin (2005), XII. Vgl. Heslin (2005), XIII. Vgl. Heslin (2005), 165. Vgl. Delarue (2000), 48f.: Ähnlichkeiten in der Handlung, die Delarue im Widerspruch zu seiner These feststellt, seien aufgrund der Tradition unvermeidbar gewesen. Allerdings bedeutet die Tatsache, dass ein Text Widersprüche zu einem anderen aufweist, noch nicht, dass er nicht auch Parallelen aufweisen kann. So stellt Herbert Juhnke in seiner Habilitationsschrift in der Achilleis mehrere zu ihren Entsprechungen in der Ilias parallel aufgebaute Szenen sowie Anspielungen auf das homerische Epos fest. Er führt diese jedoch nicht weiter aus: Vgl. Juhnke (1972), 162–172. Klodt (2009), 190. Vgl. Klodt (2009), 203f. Vgl. Klodt (2009), 179–182, 190. Zu Chiron als Erzieher der bedeutenden antiken Helden: Vgl. Brillante (1991) und Fantham (2003). Vgl. hierzu Barchiesi, der verschiedene Deutungsmöglichkeiten des Epos ausführt: Barchiesi (1996), 61f. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 23f. Kablitz, Andreas: Komik, Komisch, in: RLW II (2007), 289.

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

chen; oft erhält der Leser ein größeres Hintergrundwissen als einzelne Figuren. Durch diese Spannungen zwischen den Erwartungen des Lesers und den tatsächlichen Handlungen der Figuren im Epos entstehen häufig Situationen der Komik.46 Diese Komik ist jedoch nicht als Ironie im allgemeinen Sinne47 oder Parodie48 zu werten. Stattdessen fällt diese Komik oft unter den Bereich der tragischen beziehungsweise dramatischen Ironie: „In der Tragödie erkennt der Zuschauer oft hinter einer scheinbar unverfänglichen Äußerung […] eine aus der Sicht der Figur unfreiwillige, aus der Sicht von Autor und Publikum aber um so gezieltere Anspielung auf die spätere Katastrophe.“49 Wegweisendes Merkmal der dramatischen Ironie ist also der Wissensvorsprung des Rezipienten gegenüber den agierenden Personen. Der Begriff der dramatischen Ironie geht jedoch über die Gattung Drama hinaus. So führt Müller Odysseus’ unerkannte Anwesenheit unter den Freiern im 21. Gesang der Odyssee und das Vorwissen des Lesers gegenüber den Freiern, die nicht ahnen, dass es sich bei dem Bettler um Odysseus handelt, als ein frühes Beispiel dafür auf, wie dramatische Ironie auch im Epos wirkt.50 Diese Form der Ironie „destruiert“51 also nicht die Gattung und führt auch nicht zu einer Epos-Parodie oder macht die Achilleis in Verbin‐ dung mit Einzeltextreferenzen zu einem „Parodic Mini-Cento“52. Stattdessen werden der Komik durch das epische Narrativ Grenzen gesetzt.53

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Zur Erwartungsdurchbrechung als Mittel der Komik vgl. Aristot. rhet. 3,11,6. Vgl. auch Kablitz, Andreas: Komik, Komisch, in: RLW II (2007), 290. Für Ironie ist die Negativität ein bestimmendes Kriterium. Vgl. Stempel (1976), 229–232. Ohne diese „tritt an die Stelle der Ironie die genüßliche oder sympathetische Freude am Anderen, Verschiedenen, das bei aller vorgegebenen Distanz, in der es sich zum Sprecher oder Erzähler befindet, in seiner Berechtigung nicht angetastet wird.“ Ebd., 232. Dabei soll hier Parodie als „Verfahren distanzierender Imitation von Merkmalen eines Einzelwerkes, einer Werkgruppe oder ihres Stils“ (Verweyen, Theodor/Witting, Gun‐ ther: Parodie, in: RLW III (2007), 23) aufgefasst werden. Asmuth (2016), 122f. Vgl. Müller, Wolfgang G.: Ironie, in RLW II (2007), 188. So Klodts Terminologie. Bessone (2020b), 161. Die Bezeichnung als Cento ist dabei völlig abwegig. Handelt es sich doch dabei um eine „Schreibweise, bei der aus einem Einzeltext oder Textkorpus Sätze bzw. Syntagmen selegiert und ohne Veränderung zu einem neuen Text kombiniert werden.“ Theodor Verweyen/Witting, Gunther: Cento, in: RLW I (2007), 293. Siehe dazu auch Ripoll (2007), 57: „D’une façon générale, l’épopée de Stace intègre une dose de comique nettement supérieure à celle des autres épopées gréco-latines connues, mais ne s’y dissout pas pour autant; […] le poète, tout en pratiquant une large ouverture transgénérique, pose nettement les limites de sa propre démarche en rétablissant, le moment venu, le sérieux épique. Il est assurément excessif de parler ici d’« épopée comique » ou de parodie d’épopée.“

1.2 Die Achilleis in der Forschung

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Ganz im Gegensatz zu Claudia Klodt, Peter Heslin und Fernand Delarue geht Peter Davis gerade den verschiedenen Einflüssen von Epikern auf Statius’ Achill nach. Dabei macht er an einzelnen Beispielen deutlich, wie neben Homers Achill auch literarische Figuren wie Vergils Aeneas, Valerius Flaccus’ Iason und Statius’ eigener Theseus aus der Thebais auf die Gestaltung seines Helden in der Achilleis einwirkten.54 Auch zu Catulls carmen 64, in dem unter anderem die Hochzeit von Peleus und Thetis beschrieben wird, lassen sich Bezüge nachweisen. Diese Intertextualität wird in der Regel an den Szenen der Achilleis festgemacht, in denen Achill Lyra spielt und über sich selbst beziehungsweise seine Eltern singt (vgl. Stat. Ach. 1,188–194, 572–579, 2,96–167). Dabei lassen sich Einzeltextreferenzen auf Catulls carmen 64 nachweisen.55 Dániel Kozák folgert aufgrund der übereinstim‐ menden Thematik, dass Achills Lieder in der Achilleis als eine Art Prototyp für Catull erscheinen sollen und damit in der Logik der Achilleis das Rezipierte als Rezeption erscheint.56 Statius’ Achill rezipiert jedoch auch Ovids Ars amatoria 57 und verführt in Übereinstimmung mit den Ratschlägen der Ars amatoria Deidamia. Dabei zeigt sich Achill als „wise lover“58, der die an Ovids Ars amatoria angelehnten quinque gradus amoris verinnerlicht hat. Da Catulls carmen 64 und vor allem durch Ovids Liebesdichtung in der Ars amatoria Achills Darstellung und Verhalten beeinflussen, gelangt schließlich Peter Davis zu der Bewertung, dass die Achilleis nur ein Epos in Anführungszeichen sei, weil diese rezipierten Werke in ihrer Grundhaltung antiepisch seien.59 Auch Denis Feeney betont Ovids Einfluss auf die Achilleis. Auf einen kriegerischen Beginn folge bis zum Ende des ersten Buches ein Abschnitt, der sich stark an Ovid orientiere. Dies zeige sich daran, dass in diesem Textstück die Liebe einen bestimmenden Teil einnehme.60 Wie jedoch François Ripoll ausführt, entspricht die Atmosphäre der Achilleis mehr der von Ovids Metamorphosen als der der Ars amatoria oder der Aeneis.61

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Vgl. Davis (2015), 164–167. Vgl. Hinds (1998), 125–128, Kozák (2016), 68–71. Vgl. Kozák (2016), 65f. Zur Rezeption der Personen von Achill und Deidamia in Ovids Ars amatoria vgl. Davis (2006), 129–135. Sanna (2007), 207. Vgl. Davis (2015), 169–172. Vgl. Feeney (2004), 92f. Vgl. Ripoll (2015), 69–71. So auch Hinds (1998), 136f.: „it is an epic: a markedly Ovidian, markedly metamorphic epic. Young love in an unwarlike land secluded from the outside world; an uneasy mixture of courtship and rape; disguise, deception, cross-dressing, ambiguities of sex, gender and identity: this is not the core stuff of Roman epic at large

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

Die elegischen Einflüsse auf die Darstellung Achills sind dabei zwar nicht zu vernachlässigen, aber sie bestimmen das Achillbild nicht allein. Gianpiero Rosati zeigt dies in seinem Aufsatz,62 der in leicht veränderter Form auch als Vorwort zu einer italienischen Übersetzung der Achilleis erschien:63 Dadurch, dass Statius’ Achill nicht nur in einer einzigen Tradition verortet werden kann und seine heroisch kriegerische Identität mit der des Liebhabers verbunden wird, wirkt seine Persönlichkeit komplexer.64 Dies zeigt sich auch am Stil der Achilleis: Elegische Elemente gehen einher mit Charakteristika des antiken Epos, wie beispielsweise Verweise auf Achills Berufung zum Helden und sein künftiges Schicksal oder der grundsätzliche Aufbau als Epos. Daher sollte die Achilleis auch als vollwertiges und ernsthaftes Epos angesehen werden.65 Die epische Form und ihre Diktion bleiben bewahrt,66 die erhaltenen Teile des Epos stehen in ihrem Spiel mit mythologischen und literarischen Vorbildern deutlich in der Tradition von Ovids Metamorphosen. Alan Cameron wiederum zeigt, dass auch die Fragmente der Achilleis schon in besonderem Maße auf den Trojanischen Krieg hinführen. Zum einen steht Achill schon nach dem ersten Buch kurz vor Troja und auch die Erzählung seiner Jugend nimmt, obwohl dies vielleicht möglich gewesen wäre, nicht mehr Bücher ein.67 Zusätzlich hebt Cameron die Hinweise auf den späteren Achill hervor, die er als „darker hints of the Trojan tragedy that will follow“68 bezeichnet. Insgesamt betont also Cameron, dass Statius’ Achill fest in der homerischen Tradition verwurzelt ist.69 Gerade auch die Anspielungen auf die Thebais, die Ruth Parkes herausgearbeitet hat, stützen diese Auffassung.70 Gregor Bitto hat dagegen in seiner 2016 erschienenen Habilitationsschrift71 die Achilleis in Relation zur Odyssee gesetzt. Dabei stützt er sich auf die antike Literaturtheorie von Pseudo-Longin, der der Ilias als Homers frühem und damit kraftvollem Werk Pathos und der Odyssee als Alterswerk Ethos zuschreibt. Dabei sieht Pseudo-Longin, wie Bitto zeigt, als Kennzeichen des Ethos und damit

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(except in its interludes); but it is the core subject-matter of Ovid’s particular brand of epic.“ Rosati (1992a). Rosati (1994). Vgl. Rosati (1992a), 265f. Vgl. Aricò (1996), 198f. Vgl. Ripoll (2015), 69f. Vgl. Cameron (2009), 20–22. Cameron (2009), 22. Vgl. Cameron (2009), 20–22. Vgl. Parkes (2008). Bitto (2016).

1.2 Die Achilleis in der Forschung

23

des Alters die Neigung des Dichters zum Fabulieren und zur Darstellung von Alltagsgeschehen. Die Abkehr von der wiederholten Darstellung starker Lei‐ denschaften (οὐδὲ τὴν πρόχυσιν ὁμοίαν τῶν ἐπαλλήλων παθῶν), dem raschen Wechsel in der Handlung und dem kämpferischen Stil (οὐδὲ τὸ ἀγχίστροφον καὶ πολιτικὸν) sieht er als Zeichen nachlassender Kraft an (Long. sublim. 9,13). Dieses Konzept überträgt Bitto auf die Achilleis: Dabei interpretiert er metapoetische Aussagen der Silvae als poetologische Hinweise darauf, dass Statius, nachdem er die Thebais in Anlehnung an die Ilias verfasst hatte, die Achilleis als ethisches72 Alterswerk verstanden wissen wollte. In den Einflüssen anderer Gattungen erkennt Bitto eine Methode zur Pathosreduzierung im Epos.73 Somit lehnt auch er die Deutung der Achilleis als parodistisches Epos ab.74 Mit seiner Analyse der Pathosreduzierung geht Bitto jedoch oft deutlich zu weit. Wie ich auch im Verlauf meiner Analyse der Achilleis zeigen werde, sieht er beispielsweise auch eigentlich an Homer und andere Epiker angelehnte Darstellungen als pathosreduziert. Durch Anspielungen auf andere Texte geht nicht das Genre des Textes, auf den angespielt wird, auf das Epos über.75 Die Gattung Epos entwickelt sich auch nach der Archaik weiter. Und auch die Ilias ist nicht so ausschließlich martialisch, wie es manchen Kommentatoren scheint.76 Auch gattungsübergreifende intertextuelle Bezüge sind typisch für das kaiserzeitliche Epos. Achills Aufenthalt auf Skyros, der seinen Eintritt in den Trojanischen Krieg verzögert, widerspricht keinesfalls den Gattungskonventionen, wie sich an epischen Vorbildern zeigt: Auch Odysseus hält sich bis zum fünften Gesang der Odyssee insgesamt sieben Jahre auf Kalypsos Insel auf und hat davor ein Jahr bei Kirke verbracht. Auch Jason wird in Apollonios’ Argonautika (1,601–909) beziehungsweise Valerius Flaccus’ Argonautica (2,72–427) durch seine Liebesbeziehung zu Hypsipyle bei seiner Mission, das Goldene Vlies zu holen, aufgehalten. Genauso ergeht es Aeneas bei Dido, bis Merkur ihn an seinen Auftrag erinnert. In der Achilleis nimmt dieser Aufschub mit 400 Versen (1,560–960) zwar einen relativ großen und in der Forschung hauptsächlich beachteten Teil des Werkes ein. Diese Thematik wirkt innerhalb der Achilleis

72 73 74 75 76

Zur Achilleis als ethischem Werk: vgl. schon Delarue (2000), 191–221 und Ripoll/Sou‐ biran (2008), 17–22. Vgl. Bitto (2016), 138–147. Vgl. Bitto (2016), 144f. Auch hellenistische Einflüsse sind nicht per se antiepisch (so Parkes [2008], 384). So sind beispielsweise die Argonautika ein bedeutendes hellenistisches Vorbild für die Aeneis. Man denke beispielsweise an die Liebesszenen wie zwischen Paris und Helena oder Hera und Zeus oder die Abschiedsszene von Hektor und Andromache.

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1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

jedoch nur so dominant, da sie einen großen Teil des Fragments ausmacht.77 Der Umfang des Aufenthalts an sich ist vergleichbar mit dem in den Epen über die Fahrt der Argonauten, und die Skyros-Episode ist kürzer als der Aufenthalt von Aeneas bei Dido. Anderer Gattungen können innovativ auf das Genre Epos einwirken.78 Rosati bezeichnet deswegen die Achilleis als „epica dell’ambiguità“,79 betont aber auch, dass Achill seine kriegerischen und martialischen Züge bewahrt.80

1.3 Ziele der Arbeit Bedeutend für die Bewertung, wie andere Gattungen einwirken, ist das epische Narrativ, durch das die Achilleis als Epos gekennzeichnet ist und durch das es gelingen kann, dem Leser Statius’ Achill als junge Version des bekannten Helden aus der Ilias vorzustellen. Die Achilleis erzählt die Ereignisse, die dem Leser aus nichtepischen Prätexten wie Euripides’ leider verlorenen Skyrioi oder Ovids Ars amatoria bekannt sind. Die Erzählung wird, wie ich zeigen will, dabei neu akzentuiert und Achill erscheint in der Achilleis auch in unepischen Situationen, in die andere Gattungstraditionen einwirken, männlicher und heroischer als in den nichtepischen Prätexten. Deswegen soll in der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet werden, wie sich dieses Narrativ durch die ganze Achilleis zieht. Auch Ovid greift in den Metamorphosen auf Prätexte aus verschiedenen Gat‐ tungstraditionen zurück und akzentuiert sie neu. Allerdings kann man gerade am Beispiel des Achill-Stoffes sehen, dass er dabei ein anderes Ziel – im Sinne seiner Verwandlungsthematik (auch der Verwandlung von Gattungen) – mit anderen Mitteln verfolgt.81 Der Unterschied zu Statius wird schon makrostruk‐ turell sehr deutlich an Ovids ungewöhnlicher Auswahl der Episoden, der extrem unterschiedlichen Länge der Episoden und der assoziativen Verknüpfung.82 Als

77 78 79 80 81 82

Vgl. Bardon (1962), 743 f., Burck (1979), 352 f., Aricò (1986), 2932. Vgl. Barchiesi (1996), 61. Rosati (1992a), 233. Vgl. Rosati (1992a), 265f. Für den Trojanischen Krieg und Achilles’ Rolle vor der Ilias und im Anschluss an die Ilias hat u. a. Sophia Papaioannou (2007) eine gründliche Untersuchung vorgelegt. Die Zeugung des Achill ist eine typische Verwandlungssage, denn es ist Proteus, der als Verkünder der Zukunft Thetis’ Schicksal beeinflusst und durch seine Auskunft Peleus hilft, die Meeresgöttin zu besiegen und Achill zu zeugen (Ov. met. 11,221–265). Achills Sieg über Cygnus (12,64–145) ist ein typisch epischer Zweikampf, doch auch wegen der Verwandlung des besiegten Cygnus ausgewählt. Er wird aber von den wesentlich

1.3 Ziele der Arbeit

25

weiterer Unterschied fällt die Perspektivierung durch ungewöhnliche Erzähler‐ figuren oder Situationen und entsprechende Darstellungstechniken auf.83 Im Unterschied zu Ovid wird umso deutlicher hervortreten, dass Statius in der Episodenauswahl und Komposition, aber auch in der Perspektivierung durch die epischen Figuren an seinen Anspruch gebunden bleibt, die vollständige Le‐ bensgeschichte Achills als Epos zu erzählen. Im Rahmen der Untersuchung der Intertextualität sind nicht nur Einzeltextreferenzen bedeutsam, wobei zum Teil sogar mithilfe von markers 84 auf die Bedeutsamkeit eines einzelnen Intertextes verwiesen wird. Sehr wichtig für Statius’ Achilleis sind, wie ich zeigen will, Strukturreferenzen:85 Durch diese wird auf Figuren- und Handlungskonstella‐ tionen der Prätexte verwiesen. Teilweise betrifft dies in der Achilleis Prätexte, die dieselbe Geschichte aus nichtepischer Perspektive erzählt haben, und die nun mit der Konzentration auf den heroischen Achill neu erzählt und gedeutet werden. Andererseits wird mittels Strukturreferenzen auf epische Prätexte verwiesen, wodurch die Achilleis sich in ihrer epischen Tradition verortet. Diese Auseinandersetzung mit den vorausgehenden Traditionen durch den Transfer von Merkmalen der (homerischen) Figuren und Handlungskonstel‐ lationen auf die Vorgeschichte (und die von Statius geplante nachfolgende Handlung der Ilias) erfordert von Statius eine sorgfältige Psychologisierung der handelnden Personen, d. h. eine psychologisch gestaltete Handlungsmoti‐ vierung, die ebenfalls herausgearbeitet werden soll. Um dieses Zwischenspiel zwischen intertextuellen Bezügen und der Neuak‐ zentuierung durch das epische Narrativ herauszuarbeiten, soll zunächst der Beginn der Achilleis analysiert werden. Anhand des Seesturmes, den Thetis auszulösen versucht (Stat. Ach. 1,20–98), soll exemplarisch gezeigt werden, wie in der Achilleis zu mehreren epischen Prätexten gleichzeitig Intertextualität

83

84 85

längeren Erzählungen in der Kampfpause überboten, die sich mit der Siegesfeier in Achills Zelt verbindet. Insgesamt liegt der Fokus der Erzählung im Sinne einer „Anamorphose“ auf den in der vorherigen Literatur kaum behandelten Stellen. Vgl. zum Begriff der Anamorphose Papaioannou (2005), 44. Nestor werden die Verwandlungserzählungen der Kampfpause in den Mund gelegt; sie bestehen aus epischen Kampfhandlungen von Helden, die die aktuellen trojanischen Helden noch übertreffen (vgl. dazu Papaioannou [2007], 87 f.): die Geschlechtsumwand‐ lung der Caenis in den Helden Caeneus (met. 12,169–209), der Kampf der Lapithen und Kentauren (12,210–535) und der Tod von Nestors verwandlungsfähigen Bruder durch Hercules (12,536–572). Achills Tod wird Anlass zum Redeagon des iudicium armorum zwischen Ajax und Odysseus, die ihr jeweils eigenes Achill-Bild mit Bezug auf ihre eigene Rolle und Bed. in den Mittelpunkt rücken. Zur unterschiedlichen Markierung von Intertextualität mithilfe von markers vgl. Broich (1985). Vgl. zur Struktur-Reproduktion als Konzept der Intertextualität Karrer (1985).

26

1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

aufgebaut wird (2.1).86 Der Seesturm in der Odyssee (Hom. Od. 5,270–290), der schon für die Aeneis (Verg. Aen. 1,34–80) Strukturreferenz ist, fungiert dabei gleichzeitig mit dem der Aeneis als Referenz für die Achilleis. Bedeutend dabei ist, dass in keinem Fall Struktur und Inhalt lediglich reproduziert werden. Durch die Variation geschieht für den Leser Unerwartetes oder bestimmte Aspekte werden anders akzentuiert.87 Hierauf soll Achills erste Charakterisierung – auch im Vergleich zu anderen jugendlichen Heroen – bei seinem ersten Auftritt im Werk untersucht werden, als Thetis ihn bei Chiron abholt (2.2). Im nächsten größeren Abschnitt soll die Darstellung von Achills Aufenthalt auf Skyros folgen (2.3). Als Mädchen verkleidet befindet sich Achill dort in einer Situation, die für einen epischen Helden untypisch ist. Vor allem hier wird der Einfluss anderer Gattungen und die Auseinandersetzung mit ihnen besonders deutlich. Bestimmend dafür ist zunächst Thetis’ Auswahl von Skyros (2.3.1). Interessant für das Heldenbild ist zunächst, wie Thetis’ rhetorische Versuche scheitern, Achill davon zu überzeugen, sich als Mädchen zu verkleiden (2.3.2). Wie ich zeigen will, liegt dies nicht an ihrer Rhetorik, sondern an Achills heroischer Grundeinstellung. Erst als es mit seiner Männlichkeit vereinbar ist, lässt er die Verkleidung zu, um Deidamia verführen zu können. Die Verbindung von Liebe und Krieg mag also in ihrem Anteil relativ hoch und damit für ein Epos neu sein,88 sie macht aber gerade in der für Achills Männlichkeit schwierigen Episode auf Skyros deutlich, dass Achill sich nicht aus Feigheit oder anderen als unmännlich empfundenen Gründen als Mädchen versteckt hält.89 Achill wird erst durch seine sich entwickelnde Liebe zu Deidamia dazu bewegt, die Verkleidung durch seine Mutter anzunehmen. Wie herausgearbeitet werden soll, erscheint Achill auf Skyros zwar als Mädchen, wird dabei aber trotz

86

87 88

89

Weitere Beispiele sind das Apollon-Gleichnis (Stat. Ach. 1,165f.), das auf die Aeneis (Verg. Aen. 4,143–150) und Apollonios’ Argonautika (Apoll. Rhod. 1,307–311) rekurriert (vgl. 2.2.2.1), sowie die Darstellung des sich Verliebens, das auf Nausikaa (Hom. Od. 6,99–134) sowie Merkur und Herse (Ov. met. 2,711–736) verweist. Dadurch wird jedoch nicht das Genre Epos verworfen. So Heslin (2005), 108 f., Ganiban (2015), 80 f. Stattdessen macht gerade die variatio den Reiz eines neuen Epos aus. Reine Reproduktion statt Innovation würde das Genre erlahmen lassen. Vgl. Koster (1979), 207 f. Hier sollte jedoch auch der fragmentarische Zustand des Werkes betrachtet werden. Spekulationen, wie folgende Bücher gestaltet worden wären (vgl. Koster (1979), 189 f., 207 f.) oder die gar den Inhalt einzelner Bücher betreffen (vgl. Feeney [2004], 97), haben hierfür kaum eine sichere Grundlage. Vgl. auch Méheust (1971), XVI–XXI. Auch ist die Verbindung von Liebe und Krieg an sich keineswegs Statius’ Innovation. Vgl. Ovids militat omnis amans (Ov. am. 1,9,1).

1.3 Ziele der Arbeit

27

der durch seine Mutter vorgenommenen Metamorphose als amazonenhaft und beinahe maskulin wahrgenommen. Vor allem im Vergleich mit bukolischen und elegischen Prätexten und deren Akzentuierung soll im Folgenden herausgearbeitet werden, wie im Epos Achills Rolle anders als in diesen Prätexten akzentuiert wird (2.3.3). Dabei wird, wie gezeigt werden soll, Achills Männlichkeit stärker hervorgehoben und auch seine eigentliche Bestimmung zum Krieger wird in seinem Handeln deutlich. Zudem ist, wie ich zeigen will, Achill in keiner Hinsicht ein elegischer Liebhaber. Seine erfolgreichen Versuche, Deidamia zu verführen, mögen sich zwar an den quinque gradus amoris der Ars amatoria orientieren. Diese leitet jedoch keineswegs dazu an, ein elegischer Liebhaber nach dem Prinzip des servitium amoris zu werden. Stattdessen setzt sich Ovid in der Ars amatoria kritisch mit der elegischen Tradition auseinander. Achill ist auch mit seiner Verführungstechnik höchst erfolgreich, Deidamia ist keine dura puella, die Achill als Liebhaber erweichen muss. Zudem fühlt sich Achill in Statius’ Achilleis göttlich und wird auch immer wieder vom Erzähler als Quasi-Jupitersohn stilisiert.90 Er folgt in seinem Verhalten gegenüber Deidamia dem Verhalten der Götter und dabei insbesondere Jupiters Verhalten in Ovids Metamorphosen gegenüber sterblichen Frauen. Eine „große Befreiung aus der Welt der Frauen“91 ist für Achill somit nicht nötig. Auch unter Frauen kann Achill Mann sein. Aus der Frauenrolle befreit sich Achill Schritt für Schritt. Während er durch die Vergewaltigung und die auch danach fortgeführte Beziehung zu Deidamia zunächst nur dieser gegenüber seine Männlichkeit offenbart, die auch schon mit seiner Rolle als Krieger verbunden ist (2.3.4), wird seine heroische Identität allen nach der Ankunft von Odysseus und Diomedes offenbart (2.3.5). Wie ich zeigen will, trägt auch der Abschied von Skyros zur weiteren Psychologisierung von Achills Wesen bei. Während er sich gegenüber Lykomedes als geschickter Redner erweist (2.3.6), zeigt sich bei seinem Abschied von Deidamia, wie nun Achill auf den Trojanischen Krieg ausgerichtet ist (2.3.7). Im letzten Hauptteil der Arbeit soll nachgewiesen werden, wie sich die Achil‐ leis in bestimmten Episoden selbst in ihrer epischen Tradition verortet. Dies wird insbesondere in der Episode des in der Forschung bisher weniger beachteten Aufenthalts der Griechen auf Aulis deutlich (2.4.1): Dieser knüpft zunächst an typische Rüstungs- und Katalogerzählungen des Epos an. Dabei werden die allgemeine Kriegsbegeisterung und das Ausmaß des Kriegs deutlich. Wie ich 90 91

Vgl. Schetter (1960), 129–131. Dies betont auch Jean Méheust, der hierin neben Ver‐ weisen auf Achills Rolle vor Troja das bestimmende Motiv der Achilleis sieht. Vgl. Méheust (1971), XXXII–XXXIV. Koster (1979), 207.

28

1 Statius’ Achilleis – Ein Anti-Epos?

zeigen will, steigert die Heeresversammlung auf Aulis weiter die dramatische Spannung und zeigt die Erwartungshaltung der Griechen gegenüber Achill. Schon bevor er seine Heldentaten im Krieg vollbracht hat, ist er für die Griechen ein größerer Held als alle anderen anwesenden Helden. Auch Kalchas’ Prophetie steht in der Tradition von Prophetien im Epos. Da in ihr die bisherige Handlung reflektiert wird, ist sie zusätzlich auch bedeutsam für Achills Charakterisierung. Für Odysseus’ und Diomedes’ Suche nach Achill dient die Dolonie als Strukturreferenz. Dabei ist interessant, wie sich die Achilleis in ihrer epischen Tradition verortet und sich mit ihren Vorbildern auseinandersetzt, so dass diese in der erzählten Zeit späteren Ereignisse eine Folge der Ereignisse der Achilleis werden. Auch Odysseus’ Rede über die Ursachen des Krieges bereitet Achills Rolle als prototypischer Held der Ilias vor (2.4.2). Gleichzeitig lässt sich aufzeigen, dass die Rede typisch für den Helden der Odyssee und seine Manipulationskunst ist. Im letzten Kapitel (2.4.3) wiederum steht Achills Erziehung, wie er sie selbst in seiner Erzählung darstellt, im Mittelpunkt. Hier soll untersucht werden, wie Achills jugendliche Taten und die Elemente der Erziehung durch Chiron mit dem antiken Heldenbild vereinbar sind. Dabei soll herausgearbeitet werden, wie die Erziehung Traditionen von der Archaik bis in die Kaiserzeit aufnimmt, Chiron in Achill eine heroische Grundeinstellung implementiert und Achill systematisch auf den Trojanischen Krieg vorbereitet wird. Im Rahmen dieser Analyse soll auch Chirons besondere Rolle als Kentaur und Erzieher zahlreicher Helden in den Blick genommen werden.

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis 2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder Die auf die Achilleis wirkenden epischen Einflüsse lassen sich auch anhand von Thetis’ vergeblicher Bitte an Neptun, einen Seesturm heraufbeschwören zu dürfen (Stat. Ach. 1,20–98), aufzeigen. Hier wird in der Forschung allgemein eine intertextuelle Beziehung zu Thetis’ an Zeus gerichteten Bitten in der Ilias (Hom. Il. 1,495–530)92 und zu Junos Bitte um einen Seesturm in der Aeneis (Verg. Aen. 1,34–80) angenommen.93 Ein weitergehender Vergleich dieser

92 93

Vgl. Juhnke (1972), 165. So verweist Klodt (2009), 183 Fn. 8 auf Cowan (2005), XVIIf. Dieser verweist in XXIII Anm. 29 wiederum wie Feeney (2004), 86 Fn. 4 u. 5 auf Hinds (1998), 96. Dieser verweist wieder auf Hardie (1993), 63 f., der hier ohne weitere Verweise und Belege in einem Satz eine Ähnlichkeit der Szene zu Junos Rede in der Aeneis postuliert. Claudia Klodt verweist zusätzlich als Beleg für eine Anspielung zu Vergils Juno auf Hardie (1989), 9–14. Dieser Aufsatz behandelt jedoch nur Intertextualität der Thebais. Allerdings weist schon Kuerschner (1907), 15 auf eine mögliche imitatio der Aeneis hin. Dagegen eher kritisch Legras (1908), 48 f., der Unterschiede zwischen Aeneis und Achilleis hervorhebt: „Il est facile de reconnaître dans le passage une double imitation, du moins un double souvenir. Thétis, dans l’Achilléide veut submerger Pâris et Hélène, comme Junon dans l’Énéide. Mais là s’arrête la ressemblance entre les deux poètes; la situation est toute différente, et les paroles des deux déesses sont si conformes à cette situation qu’on ne relève pas chez Stace une seule imitation de détail. Il n’est pas même certain que la scène de l’Achilléide amenât la pensée sur celle de l’Énéide.“ Ebd., 48. Aricò (1986), 2933 wiederum zählt kurz einzelne einander entsprechende Elemente auf. Auch Ripoll/Soubiran (2008), 28 f., Nuzzo (2012), 21 f. und Uccellini (2012), 54 weisen ebenfalls kurz auf die Aeneis als Strukturvorlage hin. Bitto (2016), 193–196 sieht zwar auch für je einzelne Teile der Szene die Beschwörung des Seesturms durch Juno in der Aeneis als Modellvorlage, betont aber insgesamt den Einfluss anderer Prätexte. So hebt er den Einfluss von Aen. 5,779–826 hervor, da „die Personenkonstellation eher der Venus-Szene (göttliche Mutter bittet für sterblichen Sohn; Venus allerdings um ruhige See, Thetis hingegen um einen Sturm für die zukünftigen Feinde ihres Sohnes)“ entspreche. Auch Heslin (2005), 109 sieht die Imitation der Anfangsszene der Aeneis, differenziert aber zwischen der Imitation des Dichters und der Imitation, die durch Thetis geschehe, die in Kenntnis der Aeneis Junos Modell imitiere. Dieser Ansatz erweist sich jedoch als sehr schwierig, da die Ereignisse der Aeneis in der erzählten Zeit noch lange nicht geschehen sind.

30

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Texte mit der Achilleis, der über den Absatz bei Juhnke94 und Mulders kurzen lateinischsprachigen Aufsatz von 195595 hinausgeht, ist jedoch bisher nicht erfolgt. Um herauszuarbeiten, wie Statius epischen Vorbildern folgt, soll zunächst der grundsätzliche Aufbau von Szenen, in denen ein Gott einen Seesturm heraufbeschwören (lassen) will, vorgestellt werden. Bedeutsam für Statius im Sinne einer strukturellen Intertextualität ist, wie ich zeigen will, hier zum einen die Beschwörung des Seesturms im fünften Buch der Odyssee durch Poseidon (Hom. Od. 5,270–290). Bislang wurden anhand dieser Szene nur Einzelreferenzen aufgezeigt.96 Zum anderen ist neben diesem Strukturvorbild Junos erfolgreiche Bitte um einen Seesturm (Verg. Aen. 1,34–80) bedeutsam, die ebenfalls herangezogen werden soll. Wie schon Richard Heinze dargestellt hat, diente dabei das Schema des Sturms in der Odyssee als Vorlage für den in der Aeneis.97 Für die Achilleis bildet der Szenenaufbau von Junos Bemühungen um einen Sturm in der Aeneis die Hauptreferenz. Allerdings bleibt, wie auch die erwähnten Einzelreferenzen zeigen, auch der Sturm der Odyssee als epische Referenz bestehen und kann als wichtiger Vergleichspunkt zum versuchten Seesturm in der Achilleis herangezogen werden. Auch zu Valerius Flaccus’ Argonautica lassen sich Parallelen ausmachen. Da der dortige Seesturm (Val. Fl. 1,574–607), der durch Boreas heraufbeschworen wird, jedoch im Aufbau hauptsächlich ebenfalls dem Vorbild der Aeneis und

94 95

96

97

Vgl. Juhnke (1972), 164 f. Hier findet sich eine Aufzählung von Textstellen der Ilias und der Achilleis, die sich laut Juhnke entsprechen. Mulder (1955), 120 vertritt hier die Meinung, Vergils Aeneis habe größeren Einfluss auf Thetis’ Darstellung in der Achilleis als die Ilias: „sententias gravissimas sumpsit de Aeneide, res minores illustravit exornavitque Homerum praeter alios secutus.“ Gleichzeitig sieht Mulder auch Parallelen zu Didos Darstellung in der Aeneis. Vgl. ebd., 126f. Jannaccone vergleicht hier Poseidons Rückkehr von den Äthiopen in der Odyssee mit seiner Rückkehr von Oceanus in der Achilleis. Vgl. Jannaccone (1950), 50 (ad 1,52). Grundsätzlich zu Intertextualität bei Statius mit einem homerischen Vorbild und der vergilischen Rezeption in der Thebais (10,49–83) vgl. Kytzler (1955), 111–122. Poseidons Monolog ist hier ausschlaggebend für die von Juno gesprochenen Monologe in ersten und siebten Buch. Vgl. Heinze (31913=1995), 428 f., 182. Oft wird jedoch nur für den anschließenden Sturm Intertextualität mit dem Sturm in der Aeneis und Stürmen in anderen römischen Epen angenommen. Dies geschieht meist nur anhand von Einzelreferenzen. Vgl. Faesi/Kaegi (1901), 151 f. (ad 5,294, 299, 306), Hainsworth (1988), 173 f. (ad 5,291–6), Heubeck/West/Hainsworth (1988), 280 (ad 5,291–6), Dunsch (2013), 44–49. So gehört bei Burck (1978), 5 f. die Szene, in der Juno Aeneas erblickt, nicht zum Seesturm. Er lässt diese Szene mit Vers 50, d. h. Junos Ankunft bei Aeolus, beginnen. Allgemeine Vergleiche von Seesturmszenen in der lateinischen Literatur ziehen Statius’ Achilleis nicht als Vergleichspunkt heran. Siehe z. B. Friedrich (1956).

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

31

Odyssee folgt,98 soll dieser nur herangezogen werden, um Einzeltextreferenzen zur Achilleis aufzuzeigen. Dies gilt auch für Thetis’ Bitten im ersten Gesang der Ilias, die sich zwar strukturell unterscheiden, aber für die Deutung der Achilleis wichtige Einzelreferenzen bieten. 2.1.1 Strukturreferenzen Wie also schon angedeutet wurde, gibt es für die Szene eines Seesturms seit der Odyssee (5,270–384) eine epische Tradition. Diese wird von Vergil rezipiert, der dann wiederum für andere Epiker wie Statius als Vorbild dient. Wie aus den folgenden Tabellen deutlich wird, wird dabei das Schema aus der Odyssee verändert und erweitert: 270–285

Poseidon erblickt den fahrenden Helden.

270–281

Hintergrundhandlung: Odysseus fährt über das Meer.

279–281

Die Berge des Phäakenlandes erscheinen.

282–284a

Poseidon erblickt Odysseus.

284b–285

Folge: Zorn und Monolog mit seinem θυμός

286–290

Poseidons Monolog

286f.

Erkenntnis, dass andere Götter in seiner Abwesenheit über Odysseus entschieden haben

288f.

Odysseus nähert sich den Phäaken, wo er seinem Schicksal (αἶσα) zu leiden entkommen wird.

290

Entschluss, Odysseus vorher Unheil zu bringen

291–384

Seesturm

Tab. 1: Hom. Od. 5,270–290 34–37a

Juno erblickt den fahrenden Helden.

34f.

Hintergrundhandlung: Aeneas und seine Begleiter fahren über das Meer.

36–37a

Cum inversum: Juno spricht aufgrund ihres aeternum vulnus.

37b–49

Junos Monolog

98

Vgl. Shelton (1974), 14.

32

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

37b–38

Soll Juno als Besiegte Aeneas nicht von Italien abhalten können?

39a

Sie wird von den fata am Handeln gehindert.

39b–45

Pallas durfte wegen des Frevels nur eines einzigen die griechische Flotte versenken.

46–48a

Als Jupiters Schwester und Gattin ist sie im Gegensatz dazu machtlos.

48b–49

Ihre Machtlosigkeit ist eine Bedrohung für ihr numen.

50–63

Ankunft bei Aeolus und Ekphrasis des Ortes

64–76

Junos Rede

64

Einleitung der Rede: Juno spricht supplex.

65f.

Anrede und Begründung der Rede mit Aeolus’ Aufgabengebiet

67f.

Auf dem Meer befindet sich ein Juno feindliches Volk.

69f.

Aufruf zur Vernichtung der Schiffe

 

Aeolus erhält die Nymphe Deiopeia als Belohnung.

76–80

Aeolus’ Antwort

 

Absoluter Gehorsam des Aeolus

 

Begründung: Aeolus verdankt Juno alles.

81–143

Seesturm

Tab. 2: Verg. Aen. 1,34–80

Wie am Vergleich deutlich wird, reproduziert die Beschwörung des Seesturms in der Aeneis die Struktur der Parallelstelle in der Odyssee: Die Gottheit erblickt den ihr feindlichen Helden, der zuvor in der Hintergrundhandlung das Meer be‐ fahren hat und beinahe das Ziel erreicht hat, von dem ihn die Gottheit abhalten will. Dies führt zu einer Zornesregung, die dann im Monolog weiter ausgeführt wird und zu einer Entscheidung führt. Poseidon kann als Meeresherrscher sofort selbst den Seesturm beschwören, während Juno dafür Aeolus aufsuchen muss. Schon in der Aeneis wird damit durch den Wechsel der Gottheit die Struktur erweitert und damit komplexer. In der Achilleis ist die Situation, dadurch dass hier Thetis die handelnde Gottheit ist, nochmals verändert. In seiner Struktur folgt das Geschehen in der Achilleis allerdings ganz der Aeneis und damit im ersten Teil auch der Struktur der Odyssee:

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

33

20–29

Thetis erblickt Paris.

20f.

Bisher Geschehenes: Raub der Helena

22–24

Hintergrundhandlung: Paris fährt über das Meer.

25f.

Cum inversum: Thetis’ Erschrecken

27–29

Sofortiges Handeln: Auftauchen mit Schwestern

30–50a

Thetis’ Monolog

31f.

Interpretation der Flotte als Angriff auf sie selbst und Erfüllung der Prophezeiungen

33–38a

Künftige Folgen des Raubs der Helena: Für den Trojanischen Krieg wird Achill gesucht und will selbst gehen.

38b–43

Achill übt bei Chiron sicher schon Kriegsspiele: Folge: Schmerz

44–46

Verpasste Gelegenheit, Schiffe beim Auslaufen zu versenken

47–51a

Das Krieg auslösende Unrecht, eine Versenkung ist daher zu spät; dennoch Entschluss, Neptun um einen Sturm zu bitten

51b–60

Ankunft bei Neptun und Ekphrasis seiner Umgebung

51b–54a

Günstiger Zeitpunkt: Neptun kehrt von Oceanus heim. Ruhige Umge‐ bung

54b–57a

Neptuns Begleiter

57b–60

Neptun und sein Gespann

61–76

Thetis’ Rede

61

Anrede als genitor und rector

62–65

Seit Jason: Missbrauch der Meere für Verbrechen

66–70

Paris’ momentanes Verbrechen und die schmerzhaften Folgen für Men‐ schen, Götter und sie selbst; Venus’ Undank

71–73a

Keine Halbgötter an Bord, somit besteht kein Hinderungsgrund. Aufruf zur Vernichtung durch Neptun oder Thetis selbst

73b–76

Versenkung ist kein Zeichen von inclementia, sondern ihr Recht als Mutter; sonst auftretende Folgen für Thetis

77–79

Thetis’ bittende Haltung vor Neptun; Neptun antwortet freundlich und lädt sie auf seinen Wagen ein.

80–94

Neptuns Antwort

80–83

Fata und Götterbeschluss zum trojanischen Krieg verbieten ein Ein‐ greifen.

34

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

84–91a

Trost: Achills blutige Taten vor Troja; Achill wird nicht als Peleus’ Sohn erscheinen, sondern als Jupiters Sohn.

91b–94

Rache erfolgt nach dem Fall Trojas mit Verfolgung der Griechen.

95–98

Folge: Kein Seesturm: Thetis ist niedergeschlagen und hat neue Pläne in Thessalien.

Tab. 3: Stat. Ach. 1,20–98

Thetis erblickt wie Juno und Poseidon ihren Feind, der über das Meer fährt. Dies führt auch bei ihr zu einer Gefühlsregung. Anders als bei Juno und Poseidon ist sie jedoch weniger von Zorn motiviert als von Furcht. Bei allen drei Gottheiten mündet der darauffolgende Monolog in den Entschluss, die Schiffe versenken zu wollen. Juno und Thetis müssen, da sie selbst keinen Sturm beschwören können, dafür eine Gottheit aufsuchen, deren Umgebung daraufhin beschrieben wird. Sie halten beide supplex (Verg. Aen. 1,64, Stat. Ach. 1,50) eine Rede, auf die dann die Antwortrede des Gottes folgt. Die auffälligste Abweichung vom durch die Odyssee etablierten Schema „Seesturm“ ist in der Achilleis jedoch das Ergebnis: Entgegen der Erwartungen des Lesers99 löst Thetis keinen Seesturm aus. Dieses unterschiedliche Ergebnis verlangt daher einen eingehenderen Ver‐ gleich, in dem die Gestaltung besprochen werden soll: Daraus soll sich ergeben, ob der Erfolg beziehungsweise Misserfolg durch die Situation, die in der Hintergrundhandlung deutlich wird, durch die Handlungsmotive, die in den Monologen deutlich werden, durch die Wahl der Ansprechpartner oder durch die Reden, mit denen die Gottheiten ihre Bitten artikulieren, begründet ist.   2.1.1.1 Poseidons Beschwörung des Seesturms in der Odyssee (Hom. Od. 5,270–290) 2.1.1.1.1 Hintergrundhandlung vor Poseidons Monolog Der Seesturm, der Odysseus im fünften Buch der Odyssee (270–384) trifft (vgl. Übersicht Tab. 1 unter 2.1.1), ist die einzige Szene in der Odyssee, in der Poseidon, der Hauptgegner des Helden, explizit als Verursacher des widrigen Geschehens genannt wird. Allerdings zeigen die Apologe das Geschehen aus Sicht des zurückblickenden Odysseus, der anders als der epische Erzähler keinen vollen Einblick in das Handeln der Götter hat. Auch in der Seesturmszene erkennt er selbst Poseidon nicht als Urheber und vermutet stattdessen, dass Zeus für den Seesturm verantwortlich ist (Hom. Od. 5,303–305). Dagegen nennen mit 99

Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 28.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

35

Autorität ausgestattete Personen (z. B. Teiresias) in den Apologen Poseidons Zorn, der durch Polyphems Blendung entstanden ist, als Ursache für Odysseus’ Leiden (Hom. Od. 11,101–103).100 Dieser Seesturm, der zu Odysseus’ Schiffbruch führen wird und dessen Darstellung Irene de Jong in ihrem narratologischen Kommentar zur Odyssee als „brilliant example of the ‘zooming in’ technique“101 bezeichnet, findet am 18. Tag von Odysseus’ Reise zu den Phäaken statt. Odysseus befindet sich auf dem Floß, das er zuvor nach Anweisung der Göttin Kalypso gefertigt hat (Hom. Od. 5,162–164, 234–261). Als πομπή hat sie ihn mit Kleidung, Vorräten und Wein ausgestattet sowie ihm einen günstigen Fahrtwind geschickt (263– 267). Das Spannen der Segel wird im Aorist geschildert (πέτασ᾽ ἱστία, 269). Die folgende Hintergrundhandlung, die Odysseus’ Tätigkeiten während der Fahrt beschreibt, wird hierauf durchgehend im Imperfekt beziehungsweise mit präsentischen Partizipien beschrieben (270–278).102 Die einsetzende Handlung im Aorist wird zunächst aus Odysseus’ Perspektive dargestellt (279–281). Am 18. Tag erscheinen ihm die schattigen Berge des Phäakenlandes (ὀκτωκαιδεκάτῃ δ᾽ ἐφάνη ὄρεα σκιόεντα, 279), die aus seinem Blickwinkel an einen Schild erinnern (280 f.). Seine Ankunft und Rettung erscheint ihm somit schon nah. Die Fokalisierung auf Odysseus endet aber hierauf: τὸν δ᾽ ἐξ Αἰθιόπων ἀνιὼν κρείων Ἐνοσίχθων τηλόθεν ἐκ Σολύμων ὀρέων ἴδεν· εἴσατο γάρ οἱ πόντον ἐπιπλώων. ὁ δ᾽ ἐχώσατο κηρόθι μᾶλλον, κινήσας δὲ κάρη προτὶ ὃν μυθήσατο θυμόν· (Hom. Od. 5,282–285) Als der Fürst und Erderschütterer von den Aithiopen zurückkam, sah er ihn schon von weitem von seinem Standpunkt auf den Solymerbergen. Denn er segelte über das Meer und bewegte sich in seine Richtung. Da aber kochte in seinem Inneren der Zorn noch weiter hoch, er schüttelte den Kopf und sprach zu sich selbst folgende Worte:

Noch einmal wird dem Hörer beziehungsweise Leser Odysseus vor Augen geführt, wie er über das Meer fährt: Dieses Mal jedoch nicht aus dem Blickwinkel des Erzählers, sondern aus Poseidons, der von den Äthiopen zurückkehrt. 100

101 102

Vgl. Grethlein (2017), 212 f. Paul Murgatroyd (2015), 444–447 vermutet deshalb auch, dass Poseidon bei Aiolos, den Laistrygonen und den Rindern des Helios Odysseus und seinen Gefährten Schaden zufügt, jedoch nur als δαίμων bezeichnet wird, da hier Odysseus Erzähler ist. Dagegen zu Zeus in der Odyssee als Vollstrecker für andere Götter vgl. Schmidt (2003), 9–13. De Jong (2001), 139. Eine Ausnahme in diesem Abschnitt bildet lediglich die Beschreibung der Sternbilder, an denen sich Odysseus orientiert, die konsequenter Weise im Präsens steht.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Hierbei wird auch sein erhöhter Standpunkt auf den Solymerbergen in Lykien beziehungsweise nach Martin Wests Konjektur den westsizilischen Elymer‐ bergen erwähnt.103 2.1.1.1.2 Poseidons Monolog Der hierauf folgende Monolog Poseidons wird, wie für Monologe bei Homer grundsätzlich typisch, durch die Wahrnehmung ausgelöst.104 Hierfür wird im Aorist εἴσατο nochmals Odysseus’ Erscheinen105 hervorgehoben. Dieses Sehen führt bei Poseidon zu einer Verstärkung seines Zornes (ἐχώσατο κηρόθι μᾶλλον), die sich äußerlich im Kopfschütteln106 und im folgenden Monolog zeigt: ὢ πόποι, ἦ μάλα δὴ μετεβούλευσαν θεοὶ ἄλλως ἀμφ᾽ Ὀδυσῆι ἐμεῖο μετ᾽ Αἰθιόπεσσιν ἐόντος; καὶ δὴ Φαιήκων γαίης σχεδόν, ἔνθα οἱ αἶσα ἐκφυγέειν μέγα πεῖραρ ὀιζύος, ἥ μιν ἱκάνει. ἀλλ᾽ ἔτι μέν μίν φημι ἅδην ἐλάαν κακότητος. (Hom. Od. 5,286–290) Oh je! Haben die Götter denn jetzt wirklich im Nachhinein ihren Beschluss über Odysseus geändert, als ich bei den Aithiopen war? Er ist schon wirklich nahe am Land der Phaiaken! Vom Schicksal ist festgelegt, dass er dort seine lange Leidenszeit, die ihn betroffen hat, hinter sich lässt. Aber ich sage, dass ich ihn noch weiter ins Unglück treiben werde!

Nach dem Ausruf ὢ πόποι beklagt sich Poseidon darüber, dass die Götter nun in seiner Abwesenheit anderes bezüglich Odysseus (ἀμφ᾽ Ὀδυσῆι, 287) beschlossen hätten. Gleichzeitig sei Odysseus schon dem Land der Phäaken nah, in dem ihm durch das Schicksal (αἶσα, 288) vorherbestimmt sei, ein Ende seiner Leiden zu finden. Dies macht Poseidons sofortiges Handeln erforderlich, das in seinen Entschluss mündet, Odysseus vor seiner Ankunft im Land der Phäaken ausreichend Leiden zu bringen (ἅδην ἐλάαν κακότητος, 290). Nach Ende des Monologs setzt Poseidon diesen Vorsatz in die Tat um und beschwört

103

104 105 106

Hier wäre wohl der Berg Eryx der vom Dichter als Poseidons Aussichtspunkt gedachte Berg. Vgl. West (2011), West (2014), 179, sowie seine Edition der Odyssee. Zur Konjektur der Elymerberge jedoch schon zuerst Christian Gottlieb Heyne in seinem Kommentar zur Aeneis: Vgl. Heyne (1787), 38 f. (ad 7,286). Dies gilt für die vier göttlichen Monologe wie für die menschlichen. Vgl. De Jong (2001), 140 (ad 5,286–290). Schadewaldt (1958), 69 f. deutet die Form εἴσατο wohl als Form von εἶμι. Anders Faesi/Kaegi (1901), 151 (ad 5,281), die die Form von εἴδομαι ableiten. Vgl. auch Auten‐ rieth/Kaegi (1999), s.v. EIΔ, 73 f. Vgl. zum Kopfschütteln als Zeichen des Ärgers Stanford (1961), 302 (ad 5,285).

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

37

mit dem Dreizack den Seesturm herauf, den er aufrechterhält, bis Odysseus’ Floß versenkt ist und der Held an Land schwimmen muss. 2.1.1.1.3 Neptuns Verhältnis zur αἶσα Im Vergleich zu den weiter unten behandelten Texten ist auch Poseidons Umgang mit Odysseus’ Schicksal interessant. Jens-Uwe Schmidt vertritt die Meinung, dass Poseidons Eingreifen mit dem Seesturm sich am Rande der zugestandenen Vergeltung befände und spricht ihm das Recht für diese Eigen‐ mächtigkeit ab.107 Allerdings erkennt Poseidon die αἶσα an und versucht nicht, diese zu verändern.108 Die Wirkung der Vorherbestimmung durch die αἶσα entfaltet sich nämlich erst im Land der Phäaken. Durch Poseidons Eingreifen wird Odysseus’ dortige Rettung aus seinem Leiden nur zeitlich aufgeschoben und nicht verändert. Dies geht auch aus Kalypsos Worten an Odysseus hervor, die sie nach Hermes’ Götterbesuch in ihrer zweiten Rede und nach einem Schwur auf das Wasser der Styx (5,185f.) an ihn richtet: εἴ γε μὲν εἰδείης σῆισι φρεσὶν, ὅσσα τοι αἶσα κήδε᾽ ἀναπλῆσαι πρὶν πατρίδα γαῖαν ἱκέσθαι, ἐνθάδε κ᾽ αὖθι μένων σὺν ἐμοὶ τόδε δῶμα φυλάσσοις (Od. 5,206–208) Wenn du dir nur in deinem Herzen bewusst wärest, wie viel Leid du zur Erfüllung deines Schicksals durchstehen musst, bevor du deine Heimat erreichst, dann würdest du mit mir hier an diesem Ort bleiben und dieses Haus hüten.

Die αἶσα sieht somit ebenfalls das nochmalige Leiden des Odysseus vor, bevor er in der Heimat ankommt. Kalypsos vorherige Auskunft in ihrer ersten Rede an Odysseus zu seiner Fahrt verbarg somit die Bestimmung des weiteren Leidens noch im Konditionalsatz und dem dortigen diffusen Verweis auf das Walten der olympischen Götter: […] πέμψω δέ τοι οὖρον ὄπισθεν, ὥς κε μάλ᾽ ἀσκηθὴς σὴν πατρίδα γαῖαν ἵκηαι, αἴ κε θεοί γ᾽ ἐθέλωσι, τοὶ οὐρανὸν εὐρὺν ἔχουσιν, οἵ μεο φέρτεροί εἰσι νοῆσαί τε κρῆναί τε. (Hom. Od. 5,167–170) Ich will dir einen günstigen Rückenwind schicken, damit du ganz unversehrt in deiner Heimat ankommst, wenn die Götter, die den weiten Himmel beherrschen und die im Planen und im Ausführen besser als ich sind, es wollen.

107 108

Vgl. Schmidt (2003), 38 mit Fn. 136. Vgl. Buchheit (1963), 62.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Durch die αἶσα ist somit schon Odysseus’ Leiden vor Scheria und das göttliche Eingreifen vorherbestimmt. Odysseus erhält hierüber nach seinem misstraui‐ schen Nachhaken auch eine relativ konkrete Antwort. Diese αἶσα akzeptiert er jedoch, um heimkehren zu können (Vgl. Od. 5,221–224). Die Änderung des Götterwillens in Bezug auf Odysseus (ἀμφ᾽ Ὀδυσῆι, Od. 5,287), die Poseidon beklagt, betrifft nur den Aufenthaltsort bei Kalypso. Durch Poseidons Eingreifen wird die αἶσα nicht verändert, sondern erst zur Vollen‐ dung gebracht, da Odysseus die Rettung ja nicht bei Kalypso vorherbestimmt ist, sondern bei den Phäaken. Poseidons Ziel ist auch nicht, Odysseus zu vernichten, sondern ihm möglichst viel Unheil zu bringen.   2.1.1.2 Junos Bitte um einen Seesturm in der Aeneis (1,34–80) 2.1.1.2.1 Hintergrundhandlung vor Junos Monolog Schon Richard Heinze hatte Parallelen zwischen der oben besprochenen Szene in der Odyssee und den Monologen der Juno im ersten und siebten Buch der Aeneis (Verg. Aen. 1,34–49, 7,286–322) festgestellt.109 Er vergleicht diese Monologe dabei mit den Götterprologen der Tragödie.110 Die Seesturmszene, die hier nur bis zum Ausbruch des Sturms analysiert werden soll (vgl. Tab. 2 unter 2.1.1),111 beginnt wie die der Odyssee mit der Beschreibung des Hintergrundgeschehens im Imperfekt. Für Aeneas und seine Flotte stellt sich die Lage günstig dar: Sie sind laeti, können kaum mehr von Sizilien aus erblickt werden, setzen die Segel und fahren über die See, als eingeleitet durch ein cum inversum ein plötzlicher Umschwung der Handlung einsetzt: Vix e conspectu Siculae telluris in altum vela dabant laeti et spumas salis aere ruebant, cum Iuno aeternum servans sub pectore vulnus, haec secum: […] (Verg. Aen. 1,34–37) 109

110 111

Vgl. Heinze (31913=1995), 182, 428 f. Junos Rede im siebten Buch ist ebenfalls nach dem homerischen Vorbild eingeleitet. Juno erblickt hier Aeneas und die Trojaner (laetum Aenean classemque, Verg. Aen. 7,288) vom Gipfel des Pachynums in Sizilien. Ihre Rede wird durch eine wörtliche Übersetzung von Vers 5,285 der Odyssee eingeleitet: tum quassans caput haec effundit pectore dicta (Verg. Aen. 7,292). Auf diese Rede folgt dann Junos Bitte um Allectos Eingreifen, die nun zu Land die fata verzögern soll. Zu einigen Parallelen zwischen den Monologen der Juno vgl. Fraenkel (1945), 3. Zum Vergleich der Szenen in Buch 1 und 7 mit Fokus auf Aeolus vgl. Cowan (2015). Vgl. Heinze (31913=1995), 429. So auch Kühn (1971), 13 f. Zur Szene als Einleitung der odysseeischen Werkhälfte vgl. Pöschl (1950), 41–46. Zu den in der Gesamtkomposition aufeinander abgestimmten Teilen in vorherigem Ge‐ schehen und tatsächlichem Seesturm vgl. Burck (1978), 5–9.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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Die Beschreibung von Junos Gefühlen, die zu ihrem Monolog und ihrem hierauf folgenden Handeln führen (36), erinnern dabei stark an den Vers der Odyssee (ὁ δ᾽ ἐχώσατο κηρόθι μᾶλλον, Hom Od. 5,284), in dem Poseidons Zorn beschrieben wird, der dadurch entsteht, dass er Odysseus erblickt. Der Grund für ihren Zorn wird zusätzlich als aeternum […] vulnus (36) beschrieben, wodurch im Vergleich zur als Referenz herangezogenen Odyssee das Ausmaß des göttlichen Zorns nochmals gesteigert wird.112 2.1.1.2.2 Junos Monolog Anders als Poseidons Monolog in der Odyssee beginnt Junos Monolog113 nicht mit sachlichen Feststellungen nach einem Klagelaut (Hom. Od. 5,286–289).114 Stattdessen beginnt Juno ihre Klage mit sich selbst: haec secum: ‘mene incepto desistere victam nec posse Italia Teucrorum avertere regem? Quippe vetor fatis. Pallasne exurere classem Argivum atque ipsos potuit submergere ponto, unius ob noxam et furias Aiacis Oilei? ipsa Iovis rapidum iaculata e nubibus ignem, disiecitque rates evertitque aequora ventis illum exspirantem transfixo pectore flammas turbine corripuit scopuloque infixit acuto; ast ego, quae divum incedo regina Iovisque et soror et coniunx, una cum gente tot annos bella gero. et quisquam numen Iunonis adoret praeterea aut supplex aris imponet honorem?’ (Verg. Aen. 1,37–49)

Diesen Monolog fasst Martina Steinkühler als Selbstagitation auf, die die „pa‐ radoxe Ohnmacht der Sprecherin“115 deutlich werden lässt. Besonders deutlich wird dabei Junos Bezug der Ereignisse auf sich selbst.116 Diese „Ich-Bezogen‐ heit“117, die sich bei Juno zeigt, wird formal durch das stark betonte Personal‐ 112 113 114 115 116 117

Eine Diskussion des aeternum vulnus findet sich bei Adler (2003), 78–80. Zu Bezügen auf Lukrez in der Aeolus-Episode und im Seesturm vgl. Hardie (1986), 90–97, 176–183, 237–240. Zu Monologen allgemein bietet Offermann (1968) eine Zusammenstellung zahlreicher Monologe, die sehr kurz besprochen werden. Vgl. Buchheit (1963), 62. Steinkühler (1989), 69. So auch Buchheit (1963), 62: „Die Ich-Bezogenheit hält an bis zur ängstlichen Schluß‐ frage.“ Buchheit (1963), 62.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

pronomen me am Anfang ihrer Rede deutlich. Die exklamatorischen Infinitive (mene […] desistere […]| nec posse, 37 f.) zeigen dabei die besondere Erregtheit der Sprechenden.118 Diese ersten zwei Verse fassen dabei den Inhalt ihres Monologs zusammen. Juno sähe sich besiegt, wenn Aeneas und die Trojaner in Italien an‐ kämen und will diese Einschränkung ihrer Macht nicht hinnehmen. Die fata,119 die die Besiedelung Italiens vorsehen und einer endgültigen Vernichtung der Trojaner entgegenstehen, spricht sie hierauf nur voller Ironie und Verachtung aus:120 Quippe vetor fatis (39). Als Zeichen für die sie betreffende Ungerechtigkeit führt Juno hierauf die Bestrafung des Ajax durch Pallas Athene an. Diese habe die Flotte der Argiver verbrennen und versenken dürfen nur aufgrund der Schuld eines einzigen. Zur Vernichtung des Ajax, der schon im Vers zuvor stark hervorgehoben wird (unius ob noxam et furias Aiacis Oilei? 41), habe Athene sogar Jupiters Blitz benutzen dürfen. Hierauf führt sie den genauen Ablauf von Ajax’ Bestrafung mit grausamen Details aus. Allerdings weicht diese Darstellung von Ajax’ Tod von ihrer homerischen Vorlage (Hom. Od. 4,499–511) ab. Hier entkommt nämlich zunächst Ajax durch Poseidons Eingreifen dem Zorn der Athene (καί νύ κεν ἔκφυγε κῆρα, καὶ ἐχθόμενός περ Ἀθήνηι, Hom. Od. 4,502). Erst seine Götterlästerung (4,503f.) führt dazu, dass Poseidon sein Schiff am gyraiischen Felsen zerschmettert und Ajax in die Tiefe gezogen wird. Bei Vergil hat dagegen Athene wie bei Euripides (Eur. Tro. 48–97) von Jupiter/Zeus den Blitz erhalten (Tro. 80f., 92–94)121. Auch hier ist es jedoch Poseidon, der die Schiffe und Seefahrer versenken soll und nicht Athene selbst (Tro. 82–84).122 Juno schreibt somit Athene in ihrem Monolog ein weitergehendes Handeln als in der traditionellen Überlieferung zu. Die Bestrafung des Ajax beschreibt Juno somit im Vergleich zu Homer hyperbolisch.123 Nachdem sie Ajax’ Bestrafung dargestellt hat, stellt Juno sich selbst als starken Gegensatz zu Pallas Athene heraus und hebt die ihr nicht erteilte Erlaubnis, die Trojaner zu vernichten, hervor (ast ego, Aen. 1,46). Dabei betont sie

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Vgl. Brosin (1883), 11 (ad 1,37), Binder (2019b), 19. Zum Begriff des Fatums in der Aeneis vgl. Binder (2019a), 165–170; Eigler (2012) mit Vergleich zu den homerischen Begriffen. Vgl. z. B. Brosin (1883), 11 (ad 1,39), Williams (2002), 163 (ad 1,39), Austin (1971), 41 (ad 1,39). James Henry interpretiert diese Stelle so, dass Juno von einer Vormacht der Götter vor dem Fatum ausgeht. Vgl. Henry (1873=1969), 235. Eur. Tro. 80f.: ἐμοὶ δὲ δώσειν φησὶ πῦρ κεραύνιον, | βάλλειν Ἀχαιοὺς ναῦς τε πιμπράναι πυρί. Tro. 92–94: ἀλλ’ ἕρπ’ Ὄλυμπον καὶ κεραυνίους βολὰς | λαβοῦσα πατρὸς ἐκ χερῶν καραδόκει, | ὅταν στράτευμ’ Ἀργεῖον ἐξιῇ κάλως. Eur. Tro. 82–84: σὺ δ’ αὖ, τὸ σόν, παράσχες Αἰγαῖον πόρον | τρικυμίαις βρέμοντα καὶ δίναις ἁλός, | πλῆσον δὲ νεκρῶν κοῖλον Εὐβοίας μυχόν. Vgl. West (1979), 78.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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ihren Status als göttliche Herrscherin (divum incedo regina, 46) sowie als Jupiters Schwester und Ehefrau (Iovisque | et soror et coniunx, 46 f.), der sie eigentlich von Pallas Athene absetzen sollte. Stattdessen kämpfe sie ohne Unterstützung jahrelang gegen ein ganzes Volk, das antithetisch zum zuvor aufgeführten Ajax (unius […] Aiacis, 41) gesetzt wird, der ja nur ein Mann sei: una cum gente tot annos | bella gero (47 f.). Schließlich schlussfolgert sie, dass diese Situation der Ohnmacht ihr Ansehen als Göttin bei den Menschen bedroht und dazu führen könnte, dass ihrem folg‐ lich machtlosen numen keine Gebete und Opfer mehr dargebracht würden.124 Wie Buchheit herausgestellt hat, ist der Monolog von persönlichen Gefühlen wie Überheblichkeit, Verblendung und gekränktem Ehrgeiz bestimmt.125 Juno überführt sich somit selbst, und dem Leser wird klar, dass sie aus falschen Gründen handelt.126 2.1.1.2.3 Junos Ankunft bei Aeolus Während dieses Monologs, nach dessen Abschluss nochmals Junos Zorn her‐ vorgehoben wird (Talia flammato secum dea corde volutans, 50), ist die Göttin in Äolien angekommen. Es folgt eine Ekphrasis des Ortes und ihres Herrschers, Aeolus (50–63). Diesem wurde von Jupiter als pater omnipotens die Bewachung und das Zügeln der Winde anvertraut, die ansonsten Meer, Land und Himmel und damit alle göttlichen Herrschaftsbereiche mit sich rissen (maria ac terras caelumque profundum | quippe ferant rapidi 58 f.). 2.1.1.2.4 Junos Rede Diese ihr eigentlich untergeordnete Gottheit spricht Juno supplex an: ad quem tum Iuno supplex his vocibus usa est: ‘Aeole, namque tibi divum pater atque hominum rex et mulcere dedit fluctus et tollere vento, gens inimica mihi Tyrrhenum navigat aequor, Ilium in Italiam portans victosque penates: incute vim ventis submersasque obrue puppes, aut age diversos et dissice corpora ponto. sunt mihi bis septem praestanti corpore Nymphae,

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Eine Antwort hierauf erhält Juno in Verg. Aen. 12,840: nec gens ulla tuos aeque celebrabit honores. Hier auch in Bezug auf Vers 1,47: es germana Iovis Saturnique altera proles (12,830). Vgl. Buchheit (1963), 59–61. Vgl. Thornton (1976), 78.

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quarum quae forma pulcherrima Deiopea, conubio iungam stabili propriamque dicabo, omnis ut tecum meritis pro talibus annos exigat, et pulchra faciat te prole parentem.’ (Verg. Aen. 1,64–75)

Dabei folgt Junos Rede zu Beginn dem Gebetsstil. Auf die invocatio der Gottheit (65 f.), folgt die pars epica (67 f.), an die schließlich mit den preces (69 f.) der abschließende Teil eines Gebets anschließt.127 Auf die Anrede des Aeolus folgt Junos Erklärung, weshalb sie ihn aufsucht. Dies erklärt sie mit seinem Aufgabenbereich. Seine durch Jupiter erteilte Aufgabe sei es die Meeresfluten durch Wind zu beruhigen oder aufzutürmen. Damit ist jedoch Aeolus’ Aufgabenbereich im Vergleich zur Darstellung durch den epischen Erzähler leicht verändert: […] regemque dedit qui foedere certo et premere et laxas sciret dare iussus habenas. (Verg. Aen. 1,62f.)

Wie auch später an Neptuns Reaktion auf den Seesturm deutlich wird, der mit seiner emotionalen Aposiopese den Winden mit ihrer Vernichtung droht, ist es keineswegs Aeolus’ Aufgabe eigenständig Seestürme zu beschwören: Tantane vos generis tenuit fiducia vestri? iam caelum terramque meo sine numine, venti, miscere, et tantas audetis tollere moles? Quos ego…! sed motos praestat componere fluctus. Post mihi non simili poena commissa luetis. Maturate fugam, regique haec dicite vestro: non illi imperium pelagi saevumque tridentem, sed mihi sorte datum. Tenet ille immania saxa, vestras, Eure, domos; illa se iactet in aula Aeolus, et clauso ventorum carcere regnet.’ (Verg. Aen. 1,132–141)

Die Fluten, deren Aufwühlen Juno in ihrer Rede als Aeolus’ Aufgabenbereich aufführt, liegen in Wirklichkeit in Neptuns Aufgabenbereich (mihi sorte datum, 139). Nur auf seine Veranlassung wäre es den Winden und Aeolus erlaubt, Stürme zu verursachen (meo sine numine […] | tantas audetis tollere moles? 134 f.). Aeolus ist, wie Neptun Eurus und Zephyrus ihrem Herrn als deutliche Zurechtweisung ausrichten lässt, nur Herrscher über das Gefängnis der Winde und nicht über das Meer.

127

Vgl. Binder (2019b), 22. Zum Gebet vgl. auch Graf, Fritz: Gebet, in: DNP 4 (1998), 831.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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Zusätzlich zu dieser Kompetenzverschiebung, die es Aeolus erst erlaubt, die Winde für den Seesturm auszuschicken, schmeichelt ihm in Junos Rede allein schon diese Ausweitung seiner Kompetenzen und macht ihn so bereitwilliger für ihren Plan.128 Auf diese Anrede folgt in Junos Rede die Beschreibung des Zustands, aufgrund dessen sie Aeolus aufsucht. Dies ist wieder der Ausgangszustand, der überhaupt zum Eingreifen der Juno geführt hat: Die Trojaner, mit deren Bezeichnung (gens inimica mihi, 67) Juno die una gens aus ihrem Monolog aufnimmt (47), fahren über das Meer, um Ilion und die besiegten Penaten nach Italien zu bringen. Schließlich gibt Juno Aeolus den Befehl, gegen Aeneas’ Flotte vorzugehen. Dies erfolgt in Form von vier Imperativen, die Aeolus zwei Handlungsoptionen einräumen: Aeolus soll entweder mit einem Sturm, für den er den Winden die Möglichkeit geben soll (incute vim ventis, 69), die Schiffe versenken und vom Meer bedecken lassen (submersasque obrue puppes, 69),129 oder die corpora der Trojaner (aut age diversos et dissice corpora ponto, 70) und nach Servius’ Deutung auch deren Schiffe über das Meer verteilen (Serv. Aen. 1,70).130 Auf diese Anweisungen hin verspricht Juno in formelhafter, ritueller Sprache131 Aeolus die herausragend schöne Nymphe Deiopeia, die er als Beloh‐ nung heiraten soll und die ihm Nachwuchs schenken soll (Aen. 1,71–75).132 2.1.1.2.5 Aeolus’ Antwort Aeolus’ Rede schließt hierauf direkt an: Aeolus haec contra: ‘tuus, o regina, quid optes explorare labor; mihi iussa capessere fas est. tu mihi, quodcumque hoc regni, tu sceptra Iovemque

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Den letzten Vers der Antwort des Aeolus könnte man hier fast als Erkenntnis dieser Aus‐ weitung seines Aufgabenbereichs lesen: nimborumque facis tempestatumque potentem. Verg. Aen. 1,80. Vgl. hierzu auch Serv. Aen. 1,69 SUBMERSASQUE OBRVE PUPPES ordo est sensu; ante enim est ut obruantur fluctibus, et sic submerguntur. id est obrue, ut submergas. Kühn (1971), 16 argumentiert hier dafür, dass dieses Versprengen schon eine vorsich‐ tigere Formulierung sei als obrue puppes und weniger brutal sei. Mit dem Imperativ dissice corpora ponto ist jedoch Junos Anweisung kaum weniger explizit. Ob die Schiffe völlig im Meer verschwinden oder die Trümmer über das Meer verteilt werden, macht faktisch kaum einen Unterschied. Vgl. Binder (2019b), 23. Vgl. hier auch die Intertextualität mit Hom. Il. 14,267–269, wo Hera Hypnos eine der Grazien als Bestechung anbietet. Zur Adaption an das römische Eheideal vgl. Williams (1968), 373f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

concilias, tu das epulis accumbere divum, nimborumque facis tempestatumque potentem.’ (Verg. Aen. 1,76–80)

Er zeigt sich dabei sehr unterwürfig und bereit, jeden Befehl zu befolgen. Dies begründet er mit seiner Dankbarkeit gegenüber Juno, der er seine Stellung als Herrscher über die Winde verdanke (78–80).133 Direkt hieran schließt die Beschreibung des Seesturms an (81–123), dessen Ausgestaltung jedoch hier nicht analysiert werden soll. 2.1.1.2.6 Juno, die fata und ihr intertextuelles Strukturvorbild Im Vergleich zu Poseidon in der Odyssee zeigt Juno ein anderes Verhältnis zum Schicksal: Während Poseidon im Rahmen der αἶσα handelt, ist Juno bewusst, dass die fata Aeneas’ Ankunft in Latium vorhersehen (Quippe vetor fatis, 39). Dennoch bittet sie Aeolus um das Versenken der Schiffe. Servius fasst deswegen Junos an Aeolus gerichtete Rede als rhetorischen Trick auf: sciendum sane est artem hanc esse petitionis, ut minora inpetrare cupientes maiora poscamus. quod etiam nunc Iuno facit. scit namque se fatis obstare non posse, sed hoc agit, ut eos arceat ab Italia. (Serv. Aen. 1,70)

Juno handle also so, um die Trojaner von Italien noch etwas länger abzuhalten und nicht in der Hoffnung, sie gänzlich vernichten zu können. Auf jeden Fall würden ihre Anweisungen jedoch den fata widersprechen, wenn sie voll ausgeführt würden. James Henry leitet hieraus ab, dass Juno die fata grundsätzlich missachte und die Meinung vertrete, dass ihr Götterwille Vor‐ rang habe.134 Allerdings sind die fata nicht in allen Einzelheiten festgeschrieben. So ist auch Aufschub möglich.135 Zusätzlich befindet sich Juno mit der Beschwörung eines Seesturms nicht wie Poseidon in der Odyssee in ihrem eigenen Machtbereich136 und wendet sich für den Seesturm mit Aeolus an eine Gottheit, die dazu keine Machtbefugnis hat. In ihrer Rede an Aeolus schreibt sie ihm jedoch diese Funktionen zu und verlangt in ihren Imperativen dann die Erfüllung dieser Funktion. Durch den epischen Erzähler wird diese Handlung bei Poseidons Beruhigung des Seesturms klar bewertet: nec latuere doli fratrem Iunonis et irae (Aen. 1,130). Dass Juno, indem sie sich an Aeolus als untergeordnete Gottheit wendet, die eigentlichen Zustän‐ 133 134 135 136

Besonders betont durch den Gegensatz der gehäuft auftretenden Personalpronomina tu und mihi. Vgl. Henry (1873=1969), 235. Ähnlich auch Buchheit (1963), 62. Vgl. Binder (2019a), 169 f. Zum Verhältnis von Fatum und freiem Willen vgl. Duckworth (1956). Vgl. McKay (1989), 255, Buchheit (1963), 62.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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digkeiten umgeht, ist somit laut Neptuns Urteil heimtückisch und geschieht aufgrund ihres Zorns auf die Trojaner. 2.1.2 Thetis’ Bitte um einen Seesturm   2.1.2.1 Hintergrundhandlung vor Thetis’ Monolog Wie die Aeneis beginnt die Achilleis direkt nach dem Proömium in medias res (vgl. Übersicht Tab. 3 unter 2.1.1).137 Auch in der Achilleis ist für die weitere Handlung ausschlaggebend, dass die Gottheit, d. h. hier Thetis, einen Seefahrer erblickt. Dabei folgt das Geschehen der Struktur in Odyssee und Aeneis: Solverat Oebalio classem de litore pastor Dardanus incautas blande populatus Amyclas plenaque materni referens praesagia somni culpatum relegebat iter, qua condita ponto fluctibus invisis iam Nereis imperat Helle, cum Thetis Idaeos – heu numquam vana parentum auguria! – expavit vitreo sub gurgite remos. nec mora et undosis turba comitante sororum prosiluit thalamis: fervent coeuntia Phrixi litora et angustum dominas non explicat aequor. (Stat. Ach. 1,20–29)

Zunächst wird das Hintergrundgeschehen im Imperfekt geschildert. In der Achilleis wird dieses zusätzlich noch durch das bisherige Geschehen (20 f.), nämlich den Raub der Helena, ergänzt. Paris,138 der pastor Dardanus,139 ist schon von Spartas Küste abgesegelt und hat dabei wie in Ovids Heroides (Ov. epist.

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Vgl. hierzu auch Horaz’ Ratschläge in de arte poetica, 147–152: nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo: | semper ad eventum festinat et in medias res. | non secus ac notas auditorem rapit, et quae | desperat tractata nitescere posse relinquit | atque ita mentitur, sic veris falsa remiscet,| primo ne medium, medio ne discrepet imum. Zur Bedeutung des Paris in Statius’ Werk als desjenigen, der Achill töten wird, vgl. Ripoll (2000), 103f. Delarue (2003), n. p. argumentiert, dass diese Bezeichnung Distanz zwischen Leser und dem als poeta doctus inszenierten Autor schaffe: „La périphrase pastor Dardanus, l’obscurité délibérée des noms géographiques relèvent d’une érudition qui, dans la tradition alexandrine, établit une distance entre lecteur et événement.“ Allerdings ist davon auszugehen, dass der intendierte Leser der Achilleis eine solche Bezeichnung ohne Probleme verstand. Vgl. auch Hor. carm. 1,15,1–5, in dem Paris nur als pastor bezeichnet wird: Pastor cum traheret per freta navibus | Idaeis Helenen hospitam, | ingrato celeris obruit otio | ventos, ut caneret fera | Nereus fata.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

16,259f., 17,91f., 17,182) durch blanditiae140 erreicht, dass Helena mit ihm und der trojanischen Flotte fährt.141 Damit erfüllt er die Prophezeiung seiner Mutter Hekuba (Ach. 1,22), in deren Beschreibung in der Achilleis mit Wortentspre‐ chungen wieder auf Paris’ Selbstbeschreibung in Ov. epist. 16 angespielt wird.142 Gleichzeitig baut dabei Statius mit einem Selbstzitat (praesagia somni, Stat. Theb. 5,620) auch Intertextualität zur Thebais auf. Die Fahrt des Paris143 wird dabei durch den epischen Erzähler als schuldhaft bewertet (culpatum relegebat iter, Ach. 1,23). Ripoll deutet diese Wertung als Anzeichen dafür, dass die Achilleis progriechisch sei.144 Allerdings trägt Paris in Venus’ Rede an ihren Sohn im zweiten Buch der Aeneis auch das Epitheton culpatus (Verg. Aen. 2,602). Die Ortsangabe geschieht mit dem Verweis auf die in eine Nereide verwan‐ delte Helle, die nun als Poseidons Ehefrau145 und als Meeresgöttin in dem nach ihr benannten Meer wohnt. Mit diesem Verweis auf Helle und ihr jetziges Wesen wird nicht nur die Perspektive auf die der Meergötter verschoben, sondern auch schon Thetis’ Verweis auf die Argonauten in ihrer Rede an Neptun vorbereitet. Wie in der Aeneis wird das Geschehen durch ein cum inversum eingeleitet (Ach. 1,25): Wieder ist es der Anblick des Seefahrers, der eine starke Emotion der Gottheit hervorruft. Während Odysseus und Aeneas in der Odyssee und der Aeneis Zorn hervorrufen, ist es hier Furcht, die durch Paris’ Anblick ausgelöst wird (expavit, 26). Durch einen Einschub des epischen Erzählers in Form eines Klagerufes wird auch deutlich, dass diese Furcht nicht unberechtigt ist (heu

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Ov. epist. 16,259f.: et comitum primas, Clymenen Aethramque, tuarum | ausus sum blandis nuper adire sonis. 17,91f.: his ego blanditiis, si peccatura fuissem, | flecterer; his poterant pectora nostra capi.17,182: et tu, me miseram! blandus, et una domus. Zu incautas […] Amyclas vgl. Ov. epist. 16,299–302: Ipse tibi hoc suadet rebus, non voce, maritus, | neve sui furtis hospitis obstet, abest. | Non habuit tempus, quo Cresia regna videret, | aptius – o mira calliditate virum! Ov. epist. 16,45f.: illa sibi ingentem visa est sub imagine somni | flammiferam pleno reddere ventre facem. Zu relegere für einen Weg zurücklegen vgl. Ov. trist. 1,10,24f. auch in Bezug auf eine Fahrt nach Troja: Hellespontiacas illa relegit aquas, | Dardaniamque petit, auctoris nomen habentem. Vgl. Ripoll (2000), 104. Vgl. zu dieser eher selteneren Variante des Mythos um Helle: Friedländer, Paul: Helle 2, in: RE VIII,1 (1912), 161. Vgl. auch Ov. epist. 19,123–128, Ov. fast. 3,873f., Val. Fl. 1,50, sowie Val. Fl. 2,587–591, in der Helle ebenfalls am Hellespont (Phrixea […] | aequora, Val. Fl. 2,585f.) als neue Schwester der Thetis die Argonauten anspricht: ecce autem prima volucrem sub luce dehiscens | terruit unda ratem vittataque constitit Helle, | iam Panopes Thetidisque soror iamque aurea laeva | sceptra tenens, dum sternit aquas proceresque ducemque | aspicit et placidis compellat Iasona dictis. Hier gerichtet an die Asche des Phrixus auch die Entsprechung zu fluctibus invisis: pater ipse profundi | has etiam sedes, haec numine tradidit aequo | regna nec Inois noster sinus invidet undis (Val. Fl. 2,605–607).

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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numquam vana parentum | auguria! 25 f.). Wie in Hom. Od. 5,283 und Verg. Aen. 7,289 wird der Punkt, von dem aus die Gottheit den Seefahrer, den sie versenken will, erblickt, genannt: Thetis erblickt Paris vom Meeresgrund146 aus (vitreo sub gurgite, Ach. 1,26).147 Ihr Blickwinkel folgt dabei den intertextuellen Strukturvorbildern in einer „correspondance «par symétrie»“148: Poseidon und Juno erblicken ihren Gegner aus der Höhe, Thetis vom Meeresgrund aus. Thetis verliert hierauf keine Zeit (nec mora, 27) und taucht begleitet von der Schar ihrer Schwestern auf (turba comitante sororum, 27). Der Hellespont ist sogar zu klein für die große Zahl der Meernymphen (angustum dominas non explicat aequor, 29).149 Gregor Bitto interpretiert die Anwesenheit der Schwestern bei Thetis’ Rede mit Verweis auf Servius (quia vehementior adfectus est sine conscio, Serv. Aen. 1,37) und dessen Interpretation der Aeneis im frühen fünften Jahrhundert als Pathosreduktion.150 Allerdings wird Thetis schon in Ilias und Odyssee oft in Begleitung ihrer Schwestern dargestellt: So findet sich in Hom. Il. 18,37–49 über 13 Verse eine Aufzählung der Namen verschiedenster Nymphen, die bei Thetis’ Klage um Achill anwesend sind. Diese begleiten Thetis auch zu ihrem Sohn: ὣς ἄρα φωνήσασα λίπε σπέος· αἳ δὲ σὺν αὐτῆι δακρυόεσσαι ἴσαν, περὶ δέ σφισι κῦμα θαλάσσης ῥήγνυτο· ταὶ δ᾽ ὅτε δὴ Τροίην ἐρίβωλον ἵκοντο ἀκτὴν εἰσανέβαινον ἐπισχερώ, ἔνθα θαμειαὶ Μυρμιδόνων εἴρυντο νέες ταχὺν ἀμφ᾽ Ἀχιλῆα. (Hom. Il. 18,65–69) 146 147

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Siehe hier auch der Aufenthaltsort der Thetis in der Ilias, als Achill wegen seiner ungerechten Behandlung durch Agamemnon klagt: ἡμένη ἐν βένθεσσιν ἁλὸς παρὰ πατρὶ γέροντι (Hom. Il. 1,358, 18,36). Für die Bezeichnung sub gurgite für den Aufenthaltsort von Meeresgöttern (hier Proteus) vgl. auch Verg. georg. 4,395, bzw. einer Flussnymphe 4,321f.: mater, Cyrene mater, quae gurgitis huius | ima tenes. Nuzzo (2012), 43 verweist als Vorlage auf die Verse Catull. 64,183 und Verg. Aen. 5,209, in denen gurgite remos ebenfalls als Versende steht. Allerdings liegt hier jeweils ein völlig anderer Kontext vor. Vitreus bezeichnet auch eine meergrüne bzw. -blaue Farbe (Plin. nat. 9,100). Vgl. auch Verg. Aen. 7,759: vitrea […] unda. Das Adjektiv findet sich ebenfalls im vierten Buch der Georgica für die Beschreibung des Palastes eines Flussgottes: vitreisque sedilibus omnes | exstipuere (Verg. georg. 4,350f.). Hier findet sich auch eine Entsprechung zu thalamis (Stat. Ach. 1,29): At mater sonitum thalamo sub fluminis alti | sensit (Verg. georg. 4,333f.). Delarue (2000), 75. Allerdings vergleicht Delarue die Textstelle nur mit der Vorlage in der Aeneis. Feeney (2004), 88 sieht diese Textstelle als metapoetischen Hinweis auf die Schwierigkeiten des Dichters: „All of these passages refer to the challenge facing the poet, who must negotiate his own way through these crowded seas as he follows the (especially Ovidian) metaphor of progressing through his composition as if on a sea-voyage.” So auch Kozák (2013), 248, der dies als Hinweis auf „the literary belatedness of the Achilleid” auffasst. Vgl. Bitto (2016), 188f.

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So sprach sie und verließ die Höhle. Sie (sc. die Nereiden) gingen weinend mit ihr, und rings um sie brach sich die Meereswelle. Und als sie nun zu der fruchtbaren Troas gekommen waren, gingen sie nacheinander an Land, wo die Schiffe der Myrmidonen hinaufgezogen worden waren und dicht gedrängt um den schnellen Achilles lagen.

Wie bei Statius durchbrechen hier die Nereiden das Meer und steigen auf. Während des gesamten Gesprächs zwischen Achill und Thetis bleiben sie bei Homer anwesend (Hom. Il. 18,139). Auch in der Odyssee ist Thetis bei ihrer Klage um den toten Achill begleitet von zahlreichen Nereiden (μήτηρ δ᾽ ἐξ ἁλὸς ἦλθε σὺν ἀθανάτηις ἁλίηισιν | ἀγγελίης ἀΐουσα, Hom. Od. 24,47f.). Auch Thetis’ Auftauchen in der Achilleis folgt einem homerischen Vorbild (καρπαλίμως δ᾽ ἀνέδυ πολιῆς ἁλὸς ἠΰτ᾽ ὀμίχλη, Hom. Il. 1,359): Dieser Vergleich mit dem wie Nebel schäumenden Meer wird durch fervent (Ach. 1,28) aufgenommen.151 Die geschilderte Szenerie dient also keineswegs zur Pathosreduktion, sondern greift homerische Wendungen auf. Auch wird durch Thetis’ Begleitung der Affekt Trauer nicht gedämpft, sondern wie auch in der homerischen Vorlage eher verstärkt.   2.1.2.2 Thetis’ Monolog Direkt nach dem Durchstoßen des Meeres (30), das ebenfalls an eine homerische Formulierung anknüpft (ἥ γ᾽ ἀνεδύσετο κῦμα θαλάσσης, Hom. Il. 1,496),152 beginnt Thetis ihren Monolog: Illa ubi discusso primum subit aera ponto, ‘Me petit haec, mihi classis’ ait ‘funesta minatur, agnosco monitus et Protea vera locutum. Ecce novam Priamo facibus de puppe levatis fert Bellona nurum: video iam mille carinis Ionium Aegaeumque premi; nec sufficit, omnis quod plaga Graiugenum tumidis coniurat Atridis: iam pelago terrisque meus quaeretur Achilles, et volet ipse sequi. Quid enim cunabula parvo Pelion et torvi commisimus antra magistri? Illic, ni fallor, Lapitharum proelia ludit

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Die Beschreibung des Meeres mit dem Verb fervere ist dabei in der lateinischen Literatur durchaus üblich. Vgl. Uccellini (2012), 62 (ad 1,28–29). Vgl. Verg. georg. 1,327, Aen. 4,409, 567, Lucan. 6,67, Stat. silv. 4,3,61. Bei Homer ist das Auftauchen der Thetis aus dem Meer die direkte Vorerzählung vor ihrer Hikesie bei Zeus. Bei Statius ist vor ihren Bitten noch ihr Monolog zwischenge‐ schaltet.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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inprobus et patria iam se metitur in hasta. O dolor, o seri materno in corde timores! Non potui infelix, cum primum gurgite nostro Rhoeteae cecidere trabes, attollere magnum aequor et incesti praedonis vela profunda tempestate sequi cunctasque inferre sorores? Nunc quoque – sed tardum, iam plena iniuria raptae. Ibo tamen pelagique deos dextramque secundi, quod superest, complexa Iovis per Tethyos annos grandaevumque patrem supplex miseranda rogabo unam hiemem.’ […] (Stat. Ach. 1,30–51)

Wie Juno in der Aeneis beginnt Thetis ihren Monolog,153 der, wie Schetter her‐ ausgearbeitet hat, von Leidenschaft geprägt ist,154 mit me (31). Paris’ Entführung der Helena empfindet sie als Angriff auf sich selbst, der durch die classis […] funesta (31)155 unternommen wird.156 Mit Helenas Entführung erfüllt sich, wie Thetis erkennt, eine Prophetie des Proteus (agnosco monitus et Protea vera locutum, 32). Nuzzo vertritt in seinem Kommentar zur Textstelle die Ansicht, dass hier auf seine Prophetie in Ov. met. 11,221–223157 verwiesen wird.158 Allerdings ist in dieser Prophetie nicht die Rede von Achills Tod vor Troja; die Verse bei Ovid sind stattdessen Grundlage für das statianische Konzept von Achills Quasi-Jupitersohnschaft.159 Eher ist hier davon auszugehen, dass es sich bei der Prophetie, auf die sich Thetis in ihrem Monolog bezieht, um eine uns ansonsten nicht bekannte Prophezeiung des allgemein für seine Voraussagen bekannten Meergreises handelt.160 153

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Offermann, der Monologe im antiken Epos untersucht, weist dem Monolog der Thetis eine Zwischenstellung zwischen Klage- und Zornesmonolog zu. Dabei betont er die Sonderstellung des Monologs bei Statius, der nicht dem typischen Schema folgt. Vgl. Offermann (1968), 150–152. Vgl. Schetter (1960), 141. Zu funesta als Nominativ Sg. in Bezug auf classis vgl. ThlL VI,1 (1924), 1585.14f., s.v. fūnestus, Brinkgreve (1913), n. p. (ad. 1,31). Anders in ihren Übersetzungen Rupprecht (1984), 5 und Nuzzo (2012), 45, die funesta als nominalisierten Akk. Neutrum auffassen. Vgl. zur Verbindung von funestus mit Paris auch Ilias Latina, 234: belli causa Paris, patriae funesta ruina, sowie Ilias Latina, 253: Paris, exitium Troiae funestaque flamma. Ov. met. 11,221–223: Namque senex Thetidi Proteus ‘dea’ dixerat ‘undae, | concipe; mater eris iuvenis, qui fortibus actis | acta patris vincet maiorque vocabitur illo.’ Vgl. Nuzzo (2012), 44. Ripoll/Soubiran (2008), 158 (ad 1,32) sprechen von einer Kom‐ plettierung der Prophetie aus den Metamorphosen durch die Ergänzung des Schicksals Achills. Vgl. Schetter (1960), 129–131. Vgl. Herter, Hans: Proteus 1, in: RE XXIII,1 (1957), 963f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Dabei klingt in Paris’ Darstellung an, wie Aeneas in Junos Zornesrede im siebten Buch der Aeneis als Paris alter (Verg. Aen. 7,321) dargestellt wird. Hier wie dort ist Bellona Brautführerin (et Bellona manet te pronuba, Aen. 7,319; novam Priamo […] | fert Bellona nurum, Ach. 1,33f.); die Hochzeit mit ihren Fackeln161 ist für Thetis wie für das neue und alte Troja funestus (Aen. 7,322, Ach. 1,31). Thetis verbindet dabei ihre aktuelle Wahrnehmung (ecce, Ach. 1,33) mit der Zukunft, die sie schon vor Augen hat (video iam, 34): Thetis’ Angst steigert sich dabei immer weiter und wird plastisch erfahrbar: Sie sieht schon, wie aufgrund der Entführung der Helena die Flotte der Griechen das ägäische und ionische Meer befährt. Und es ist auch nicht genug (nec sufficit, 35), dass für die Atriden, die als tumidi bezeichnet werden,162 ganz Griechenland zusammengerufen wird. Auch Thetis’ Achill (iam pelago terrisque meus quaeretur Achilles, 37) wird für den Trojanischen Krieg überall gesucht. Das Schlimmste für Thetis jedoch ist, dass nach ihrer Einschätzung (ni fallor, 40) Achill selbst gerne in den Krieg ziehen will (et volet ipse sequi, 38).163 Dies führt sie auf die Erziehung durch den torvus magister (39) Chiron zurück. Das Epitheton ornans torvus impliziert hier mehrere Eigenschaften, die Chiron als Erzieher ausmachen: Torvus kann mit Strenge und Männlichkeit verbunden sein,164 jedoch auch auf Chirons nichtmenschliche Natur als Kentaur hinweisen.165 Für Bonadeo weist schließlich das Epitheton auf Chirons männlichen und strengen Erziehungsstil hin. Dadurch, dass Achill zum epischen Helden erzogen wird, wird auch Chiron mit der „marca ‘eroica’ della torvitas“ verbunden.166 161 162

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Diese haben hier eine Doppelbedeutung als Hochzeits- und Unheilsfackeln. Vgl. Mé‐ heust (1971), 71 Anm. 20, Ripoll/Soubiran (2008), 158 f. (ad 1,33). Die Verbindung der Atriden mit dem Epitheton tumidus findet sich erstmals in Statius’ Silven: si quondam magno Phoenix reverendus Achilli | litus ad Iliacum Thymbraeaque Pergama venit | imbellis tumidoque nihil iuratus Atridae, | cur nobis ignavus amor? Stat. silv. 3,2,96–99. Phoenix ist hier im Gegensatz zu Achill Agamemnon durch einen Schwur verpfichtet. Vgl. Laguna (1992), 228. Vgl. jedoch auch Sen. Tro. 301, wo Pyrrhus Agamemnon als tumidus bezeichnet. Dabei zitiert Statius die Ilias (in Bezug auf Patroklos und Achill): σφὼ δὲ μάλ᾽ ἠθέλετον (Hom. Il. 11,782). Claudia Klodt sieht die bei Homer folgenden Ermahnungen der Väter als Gegensatz zur Kampfbegierde der Freunde. Vgl. Klodt (2009), 183, Fn. 9. Allerdings sind auch Peleus’ Worte in der Ilias keineswegs pazifistisch: Πηλεὺς μὲν ᾧ παιδὶ γέρων ἐπέτελλ᾽ Ἀχιλῆϊ | αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων (Hom. Il. 11,783f.). Zu torvus wie oft bei Statius im Sinne von männlich vgl. Georges 2, 3159, s.v. torvus, OLD, 2152, s.v. torvus. Siehe z. B. torva atque virilis | gratia (Stat. silv. 2,6,40f.) oder torva Minervae | ora (Stat. Ach. 2,52f.). Vgl. auch zur Beschreibung des als Mädchen verkleideten Achills durch Thetis: torva genas aequandaque fratri (Ach. 1,351). Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 159 f. (ad 1,39). Vgl. Bonadeo (2011), 88.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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Während der erste Teil der von Thetis geäußerten rhetorischen Frage den Beginn ihrer an Achill gerichteten Rede in der Ilias aufnimmt (ὤ μοι τέκνον ἐμόν, τί νύ σ᾽ ἔτρεφον αἰνὰ τεκοῦσα, Hom. Il. 1,414), bezieht sich der zweite Teil ihrer Frage (quid enim cunabula parvo |Pelion et torvi commisimus antra magistri? Ach. 1,38f.) darauf, wie der kleine Achill Chiron anvertraut wurde und welchen Erziehungsauftrag dieser erhalten hat. Dies schildern Valerius Flaccus’ Argonautica in Peleus’ Rede vor der Abfahrt der Argonauten: hoc, superi, servate caput! Tu cetera, Chiron, da mihi! Te parvus lituos et bella loquentem miretur; sub te puerilia tela magistro venator ferat et nostram festinet ad hastam. (Val. Fl. 1,267–270)

Es ist also bei Valerius Chirons Aufgabe, Achill von kriegerischen Auseinan‐ dersetzungen, wie beispielsweise denen der Lapithen, zu erzählen und ihn gleichzeitig mit Kinderwaffen zur Jagd und zur Handhabung von Peleus’ Speer auszubilden. In Thetis’ Monolog übt sich also ihrer Befürchtung nach schon Achill, den Thetis in ihrer Rede als inprobus (Ach. 1,41) bezeichnet,167 am aufgetragenen Erziehungsprogramm. Er spielt die Kämpfe mit den Lapithen nach (Lapitharum proelia ludit, 40)168 und misst sich schon an der Lanze seines Vaters (patria iam se metitur in hasta, 41). All diese Tätigkeiten deuten auf seine Vorbereitung als Kämpfer und epischer Held hin. Peleus’ Waffe wird dabei keineswegs zum „Kinderspielzeug“169, durch den eine ironische Entfremdung vom homerischen Achill stattfindet, wie Claudia Klodt argumentiert. Stattdessen trainieren Achill und Patroklos auch bei Valerius Flaccus gemeinsam schon als kleine Kinder zuerst mit leichten Waffen (pariterque leves puer incitet hastas, Val. Fl. 1,409). 167

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Improbus kann auch im Sinne von audax verwendet werden: „i. q. impudicus, audax, saevus […] α praevalet notio insolentiae (fere i. q. indecens)“ ThlL VII,1 (1938), 691.6–9, s.v. improbus. Siehe auch in Bezug zur Stelle in diesem Abschnitt: Ebd., 691.18. Auch später in der Achilleis (1,569) wird Achill als improbus bezeichnet: Dort ist improbus jedoch im Kontext des Liebhabers zu verstehen. Vgl. Den Abschnitt A, b, α, II „speciatim in re amatoria“ in: ThlL VII,1 (1938), 691.51–71, s.v. improbus. Siehe auch die Erklärung von Brinkgreve (1913), n. p. (ad. 1,41): „non solum is qui mala facit sed etiam is qui bona non suo loco vel tempore vel modo facit improbus est.” Brinkgreve führt hier auch weitere Beispiele bei Statius für einen solchen Gebrauch von improbus auf. Ähnlich ist auch Aphrodites Anrede an ihren Sohn Eros bei Apoll. Rhod. 3,129 als ἄφατον κακόν. Die Anspielungen auf die Kentauromachie sollen jedoch meiner Ansicht nach nicht auf Thetis’ Befürchtungen hindeuten, dass es Konflikte zwischen Chiron und Achill geben könnte, wie Chinn (2013), 321 meint. Vor dem Hintergrund des antiken Gedankenho‐ rizonts ist Chinns Vorstellung, dass Thetis damit quasi-rassistisch agiere, sehr abwegig. Klodt (2009), 185.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Auch in Statius’ Achilleis bereitet sich Achill also gemäß dem Auftrag seines Vaters bei Chiron für seine Tätigkeit als Held vor170 und ist nun, wie Thetis befürchtet, auf diesem Weg schon sehr weit fortgeschritten. Thetis’ Befürchtungen führen zu einem Ausruf des Schmerzes und der Furcht (o dolor, o seri materno in corde timores! Ach. 1,42).171 Hierauf findet Thetis assoziativ zu einer Entscheidung: Sie bedauert, nicht sofort nach der Abfahrt von Paris’ Flotte in Troja schwere See heraufbeschworen zu haben und sein Schiff zusammen mit ihren Schwestern verfolgt zu haben. Im Gegensatz zu Juno in Verg. Aen. 7,308f. (ast ego, magna Iovis coniunx, nil linquere inausum | quae potui infelix) hat Thetis nicht gehandelt.172 In Form einer Aposiopese (nunc quoque, Ach. 1,47) kommt Thetis auf die Idee, die Schiffe auch jetzt noch versenken zu können. Sofort erkennt sie jedoch, dass es hierfür eigentlich schon zu spät ist (sed tardum, 47), da der Raub schon vollzogen ist. Sie entscheidet sich aber trotzdem dafür (ibo tamen, 48), die Meeresgötter und Neptun als den zweiten Jupiter173 (secundi […] Iovis, 49 f.) um einen Seesturm 170

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Siehe auch Dilke (1954=2005), 84 (ad 1,41): „he is already strong enough to wield a full-sized weapon.” Vgl. auch Veenhusen (1671) [Britannicus], 812 (ad 1,41), Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,41), Rosati (1994), 79 und Beltran Noguer (1980), 8. Jannaccone (1950), 48 (ad 1,41) fasst dagegen metitur als Messen der Größe auf: „misura la sua statura con la lancia paterna“. Diese Auffassung vertreten auch Nuzzo (2012), 45, Shackleton Bailey (2003b), 315 und Traglia/Aricò (1987), 1009 in ihren Übersetzungen. Siehe jedoch ThlL VIII (1952), 885.26–887.50, s.v. mētior, wo Stat. Ach. 1, 41 unter den übertragenen Bedeutungen unter II A eingeordnet wird „i. q. aestimare, taxare, considerare sim. (sc. non quaesita certa magnitudine […]).” McAuley (2016), 355 deutet dies als einen von Thetis geäußerten metapoetischen Gedanken: „she bemoans her helpless secondariness in the face of prewritten tradition.“ Zur These der inszenierten secondariness bzw. belatedness in der Achilleis siehe auch unten S. 52 Fn. 173. Auf eine ähnliche Formulierung verweist Dilke (1954=2005), 85 (ad 1,43), der hier eine Bezugnahme zu Didos Rede in Verg. Aen. 4,600f. sieht: Non potui abreptum divellere corpus et undis | spargere? Hinds sieht dies als einen intertextuellen Hinweis auf Thetis’ Bitten im ersten Buch der Ilias. Vgl. Hinds (1996), 96–98. Feeney (2004), 86 sieht secundus als Hinweis auf Venus’ Bitten im ersten Buch der Aeneis. Heslin (2005), 108 f. folgt Hinds und Feeney und schlägt zusätzlich vor, secundus als einen Hinweis auf Thetis’ Scheitern zu deuten. Dabei verweist er auf Catull. 4,20f., wo Juppiter […] secundus als günstiger Wind zu verstehen ist: „With exquisite irony the helpless Thetis designates the figure she wants to lobby for a ship-destroying storm by the name ‘good weather’.” Heslin (2005), 109. Ganz im Gegensatz dazu deutet Bernalte Calle (2012), 39 Fn. 39 secundus in der Hinsicht, dass hier mitschwingt, dass Neptun Thetis grundsätzlich gewogen ist. Kozák (2013), 254–256 bezieht secundus Iuppiter auf Val. Fl. 1,506–508. Da hierfür die Vorlage im ersten Buch der Aeneis läge, sei dies ein Hinweis auf den Rang von Originalität und Intertextualität bei Statius: „Statius’ Neptune is thus secondary to a Jupiter already characterized as secondary to Vergil’s; secundi Iovis, in this sense, is an acknowledgment

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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zu bitten.174 Zusätzlich zum demütigen Bittgestus (supplex miseranda, 50) will sie seine rechte Hand dabei umfassen und auf das Alter ihrer Großmutter Tethys und ihren grandaevus pater (50) verweisen. Dabei handelt es sich wohl um Nereus, der bei Homer oft als Thetis’ Aufenthaltsort genannt wird (παρὰ πατρὶ γέροντι, Hom. Il. 1,358, 17,324, 18,36) und der Teil ihrer Benennung als silberfüßige Thetis ist.175 Es handelt sich damit nicht um Okeanos oder gar um Neptuns gestürzten Vater Saturn oder Uranos.176 Dabei muss Thetis einer anderen Überzeugungsstrategie als in der Ilias folgen, in der sie Zeus gegenüber

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not just of the Achilleid’s ‘secondariness’, but also of its ‘secondariness in the second degree’. According to the Romantic ideal of ‘originality’, this acknowledgment would probably seem to be a sign of aesthetic flaw and inferiority; but in the context of Silver Latin literature, such a hint […] may also be read as a proud announcement of poetic talent” Kozák (2013), 255 f. Allerdings ist die Bezeichnung keineswegs so unüblich wie Kozák zur Stützung seiner These suggeriert (Kozák [2013], 255). Siehe hierzu schon in der Ilias als Bezeichnung von Hades. Hom. Il. 9,457: Ζεύς […] καταχθόνιος. Analog dazu in Verg. Aen. 4,638: Iuppiter Stygius. In Bezug auf Neptun finden sich auch zahlreiche Verbindungen mit secundus: Sen. Herc. f. 599: et tu, secundo maria qui seceptro regis; Lucan. 4,110f.: sic, sorte secunda | aequorei rector, facias, Neptune tridentis; Sen. Phaedr. 904: et qui secundum fluctibus regnum moves; Sen. Med. 597f.: sed furit uinci dominus profundi | regna secunda. bei Val. Fl. 4,130 als Selbstbezeichnung Neptuns: reges preme, dure, secundos! Auch in Stat. silv. 3,2,14, Lucan. 5,622, wird das Meer als regnum secundum bezeichnet. Neptun als secundus rex bzw. Iuppiter secundus steht somit in der epischen und tragischen Tradition und ist keineswegs ein Indiz auf ein angekündigtes „Epigonentum“. Offermann (1968), 151 verweist auf Sil. 17,225–235 als Vorlage für den gesamten Monolog der Thetis bei Statius. Allerdings finden sich abgesehen von der Wortentspre‐ chung ibo (Sil. 17,232, Stat. Ach. 1,48) und dem Bereuen nicht getätigter Handlungen keine weiteren Hinweise auf Intertextualität. Vgl. ἀργυρόπεζα Θέτις θυγάτηρ ἁλίοιο γέροντος, Hom. Il. 1,538, 1,556; θυγάτηρ ἁλίοιο γέροντος, Il. 24,562; Od. 4,365 in Bezug auf die Nereide Eidothea; alle Nereiden: κοῦραι ἁλίοιο γέροντος, Od. 24,58, sowie vor der Aufzählung von Kindern der Nereiden (Psamathes Phokos und Thetis’ Achill) in Hes. Theog. 1003: αὐτὰρ Νηρῆος κοῦραι ἁλίοιο γέροντος. Zur Identifizierung mit Okeanos vgl. Dilke (1954=2005), 85 (ad 1,50), Nuzzo (2012), 47, Ripoll/Soubiran (2008), 161 (ad 1,41) sowie Jannaccone (1950), 49 (ad 1,50). Jannaccone verweist hier auf Hom. Il. 14,201 und 14,302, nach der Okeanos in der homerischen Tradition Thetis’ Vater sei. An den genannten Stellen wird Okeanos jedoch nicht als ihr Vater, sondern als θεῶν γένεσις bezeichnet. Nuzzo und Ripoll/Soubiran begründen ihre Identifikation mit Ov. met. 2,509f., wohl, da hier Okeanos als senex bezeichnet wird und auch Tethys erwähnt wird: ad canam descendit in aequora Tethyn | Oceanumque senem. Allerdings verweist eher diese Stelle bei Ovid auf die bei Jannaccone zitierten Stellen. Die Darstellung als Greis ist typisch für die Beschreibung männlicher Meeresgötter. Zu Saturn vgl. Mozley (1928=1969), 513: „his aged sire“, Nuzzo (2012), 46. Ein Verweis auf Saturn würde wohl kaum Thetis’ Argumentation vor Neptun stützen oder ihn wohlgesinnter stimmen. Für die Identifikation mit Nereus vgl. Méheust (1971), 8.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

nicht Verwandtschaftsbeziehungen aufführt, sondern mit ihren vergangenen Leistungen in Wort und Tat überzeugen will (εἴ ποτε δή τι | ἢ ἔπει ὤνησας κραδίην Διὸς ἠὲ καὶ ἔργωι, Hom. Il. 1,394f.; Ζεῦ πάτερ εἴ ποτε δή σε μετ᾽ ἀθανάτοισιν ὄνησα | ἢ ἔπει ἢ ἔργωι, Hom. Il. 1,503f.). Wie Brinkgreve in seinem Kommentar erklärt, dient dieser Verweis, den Thetis anbringen will, der Stützung ihrer ansonsten schwachen Argumente. Sie will so Neptuns Wohlwollen erreichen.177 Das Ziel ihrer geplanten Rede, einen Sturm beschwören zu dürfen (unam hiemem, Ach. 1,51), steht dabei am Ende ihres Monologs in besonders betonter Stelle.178   2.1.2.3 Thetis’ Ankunft bei Neptun Wie Juno hat Thetis während ihrer Entscheidungsfindung schon den Weg zu der Gottheit zurückgelegt, die sie um Hilfe anflehen will: Dixit magnumque in tempore regem aspicit. Oceano veniebat ab hospite, mensis laetus et aequoreo diffusus nectare vultus, unde hiemes ventique silent; cantuque quieto armigeri Tritones eunt scopulosaque cete Tyrrhenique greges circumque infraque rotantur rege salutato; placidis ipse arduus undis eminet et triplici telo iubet ire iugales; illi spumiferos glomerant a pectore cursus, Pone natant delentque pedum vestigia cauda; (Stat. Ach. 1,51–60)

Für Thetis’ Bitten an Neptun sind die Gelegenheit und der Zeitpunkt günstig (in tempore regem | aspicit, 51 f.): Wie Zeus vor Thetis’ Bitte in der Ilias (Hom. Il. 1,423f., 1,493–495) und auch Poseidon in der Odyssee (Hom. Od. 5,282) kehrt Neptun gerade vom Gelage bei Okeanos heim. Hiervon ist er noch laetus (Ach. 1,53), sein Gesicht ist nektarverschmiert (aequoreo diffusus nectare vultus, 53). Deswegen ist auch seine

177 178

Zu Uranos vgl. in der Übersetzung bei Shackleton Bailey (2003b), 317: „by Tethys’ years and her aged father“ Sowie a. a. O. Fn. 13: „Neptune’s father Saturn cannot […] be meant. In Hesiod (Theogony 106) Tethys’ father is Uranus (‘Sky’).“ Claudia Klodt fasst wohl grandaevumque patrem als Bezugspunkt ihrer Bitten auf. In ihrer Auffassung ist Neptun Thetis’ Vater. Vgl. Klodt (2009), 182. Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,49): „Qui aliquid petit neque bonas causas habet propter quas is a quo petitur concedere debeat, ad benignitatem alterius se vertit. Benignissimi fere sunt homines qui pietate commoventur.“ Vgl. Jannaccone (1950), 49 (ad 1,51) und Méheust (1971), 72. Anm. 8.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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Umgebung, die in der darauffolgenden Ekphrasis179 geschildert wird, friedlich.180 Die Beschreibung selbst fokussiert sich dabei immer mehr auf Neptun, der im Zentrum des Geschehens steht, und sein Gespann: Stürme und Winde sind ruhig (unde hiemes ventique silent, 54), auch die bewaffneten Tritonen erzeugen friedliche Musik (cantuque quieto | armigeri Tritones eunt, 54 f.). Um Neptun herum springen cete, d. h. Wale oder andere große Meerestiere (scopulosaque cete,181 und die zu Delphinen verwandelten tyrrhenischen Seeräuber (Tyrrhenique greges, 56).182 Das friedliche und fröhliche Bild umrahmt Neptun, der aus den sanften Wellen (placidis […] undis, 57) herausragt und dessen Gespann den erzeugten Schaum mit den Schwänzen tilgt (60).183

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183

Zur Ekphrasis als Mittel zur Vermittlung von Stimmungen vgl. Reitz, Christiane: Ekphrasis B. Lateinisch, in: DNP 3 (1997), 945f. Unde bezieht sich dabei nicht auf eine grundsätzliche sturmberuhigende Wirkung von Neptuns Anwesenheit, wie Ripoll/Soubiran (2008),162 (ad 1,54) mit Verweis auf Verg. Aen. 1,135; 154–156 und 5,820f. argumentieren. Im ersten wie fünften Buch der Aeneis greift Neptun aktiv und willentlich in das Geschehen auf dem Meer ein. Zu Neptun als sturmbeschwörender und sturmberuhigender Gottheit vgl. Durst, Michael/Witte, Hanna: Poseidon, in: RAC 28 (2018), 3 f. Gregor Bitto (2016), 195 fasst in Bezug auf Dilke (1954=2005), 86 (ad 1,54) unde als temporale Konjunktion auf. Thetis habe den Sturm schon beschworen, den Neptun dann wieder beruhigt habe. Neptun sei in tempore gekommen, um den Sturm wieder zu beruhigen. Für diese Interpretation gibt es jedoch keine stützenden Hinweise im Text. Thetis sucht ja Neptun auf, um von ihm die Erlaubnis zu erhalten und hat damit wohl kaum schon den Sturm beschworen. Der Vers 1,54 ist somit keine „leere epische Konvention“ und zeigt keinen „paradoxe[n] Befund des sturmerzeugenden und sofort wieder -legenden Neptun“ (Bitto [2016], 195). Die Verbindung mit Neptuns doppelgestaltigen Pferden, die Bitto aus der von ihm angenommenen Paradoxie ableitet, ist somit auch hinfällig. Zu cete als Begleitern von Meergöttern vgl. ThlL III (1908), 976.77–84, s.v. cētus. Vgl. auch Hom. Il. 13,27f.: βῆ δ᾽ ἐλάαν ἐπὶ κύματ᾽· ἄταλλε δὲ κήτε᾽ ὑπ᾽ αὐτοῦ | πάντοθεν ἐκ κευθμῶν, οὐδ᾽ ἠγνοίησεν ἄνακτα. Auch hier zeigen die Meerestiere in Anwesenheit des Gottes menschliche Züge. Vgl. Elliger (1975), 70. Die friedlichen Meerungeheuer dienen hier also nicht zur Pathosreduktion (Vgl. Bitto [2016],199), sondern sind Element der homerischen Beschreibung des mit seinem Wagen in den Kampf ziehenden Poseidon. Zum Delphin als Reittier der Thetis siehe Val. Fl. 1,130–133: hic sperata Tyrrheni tergore piscis | Peleos in thalamos vehitur Thetis; aequora delphin | corripit, sedet deiecta in lumina palla | nec Iove maiorem nasci suspirat Achillen. Deo in Vers 130 ist dabei eine Konjektur von Kramer, die Ehlers in seiner Edition nicht übernimmt. Deo würde sich dann auf Jupiter beziehen. Als zusätzliche Konjektur schlägt Kramer auch sperata Iovi vor. Für deo Kleywegt (2005), 90 (ad 1,130–133). Vgl. zum Mythos: Wellmann, Max: Delphin 1, in: RE IV,2 (1901), 2508, Hom. h. 7,6–57, Ov. met. 3,582–691, Apollod. 3,37f., Hyg. fab. 134. Zu Delphinen als Poseidons Begleitern in seiner ikonischen Darstellung vgl. auch Wellmann, Max: Delphin 1, in: RE IV,2 (1901), 2508 f., Hünemörder, Christian: Delphin, in: DNP 3 (1997), 401. Schetter (1960), 141 betont dabei die Kontrastierung der „Angst der Thetis mit einem freundlichen Gegenüber“, das sich auch im weiteren Verlauf der Handlung bei ihrem Treffen mit Chiron fortsetze.

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2.1.2.4 Thetis’ Rede Der vergilischen Struktur folgend beginnt Thetis nach der Ekphrasis der Um‐ gebung ihre an Neptun gerichteten Bitten: cum Thetis: ‘O magni genitor rectorque profundi, aspicis in qualis miserum patefeceris usus aequor? Eunt tutis terrarum crimina velis, ex quo iura freti maiestatemque repostam rupit Iasonia puppis Pagasaea rapina. en aliud furto scelus et spolia hospita portans navigat iniustae temerarius arbiter Idae, eheu quos gemitus terris caeloque daturus, quos mihi! Sic Phrygiae pensamus gaudia palmae, hi Veneris mores, hoc gratae munus alumnae. has saltem – num semideos nostrumque reportant Thesea? – si quis adhuc undis honor, obrue puppes, aut permitte fretum! Nulla inclementia: fas sit pro nato timuisse mihi. Da pellere luctus, nec tibi de tantis placeat me fluctibus unum litus et Iliaci scopulos habitare sepulcri.‘ (Stat. Ach. 1,61–76)

In der invocatio wendet sich Thetis an Neptun als magni genitor rectorque profundi (61).184 Neptun wird also in seiner Funktion als Beherrscher und Lenker des Meeres angesprochen. Ein expliziter Verweis auf Tethys oder den grandaevus pater (50), mit denen Thetis bei Neptun Mitleid erreichen wollte, fehlt. Allerdings wird auch mit genitor profundi auf seine Rolle als pater familias der Meergottheiten verwiesen. Thetis beginnt ihre Bitte an Neptun hochemotional:185 In Form einer Frage macht sie Neptun auf ihre eigene Wahrnehmung (aspicis, 62) aufmerksam. Dabei wird das Meer durch

184

185

Vgl. zu dieser Anrede auch die Bezeichnungen für Neptun in Ov. met. 11,202 (tridentiger tumidi genitor profundi) und 11,207 (rector maris) im Kontext der Erbauung der troja‐ nischen Stadtmauern und des Betrugs durch die Trojaner, aus denen die Bezeichnung bei Statius kombiniert wird. Rector ist dabei eine übliche Bezeichnung für Neptun (Vgl. ThlL XI, 2 [2016], 428.45–54, s.v. rēctor). Vor Ovid wird auch genitor als Bezeichnung für Neptun gebraucht, allerdings ohne eine weitere Verbindung mit mare. Vgl. Verg. Aen. 1,155, 5,817. Dort ist genitor eher eine Ehrbezeichnung: „nomen honoris (III [genito]r dicitur persona, cui ob aetatem dignitatem auctoritatem cultus tamquam patri debetur)” ThlL VI, 2 (1929), 1820.28f., s.v. genitor. Beltran Noguer (1980), 9 betont hierzu auch die Selbstsicherheit, mit der Thetis spricht: „Y Thetis, que habla segura de que a ella, diosa poderosa, no se le puede negar nada, le pide que destruya la flota de este segundo Jasón, el raptor.”

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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das Adjektiv miser (62) personifiziert und in der Kritik der Meeresgöttin an der Seefahrt die in derartigen Klagen übliche Bezeichnung der Seefahrer mit miser auf das Meer übertragen.186 Gleichzeitig wird Neptun für diesen Zustand des Meeres verantwortlich gemacht (aspicis in qualis miserum patefeceris usus | aequor? 62 f.). Dass Neptun die Seefahrt zugelassen hat, hat zu dem jetzigen Zustand geführt. Wie Thomas Gärtner187 und Ruth Parkes188 in ihren kurzen Aufsätzen festgestellt haben, besteht für den Beginn von Thetis’ Rede (61–65) eine deutliche intertextuelle Beziehung zu Valerius Flaccus’ Argonautica. Diese Intertextualität wird in Ach. 1,65 schließlich mit dem Verweis auf Jason (rupit Iasonia puppis Pagasaea rapina, 65) als einem eindeutigen marker deutlich angezeigt: Ob der Leser tatsächlich vor der Folie des valerianischen Vorbilds die besprochenen Nuancen erkennt, hat Statius keineswegs dem Zufall überlassen. Denn er sichert die Anspielung auf das Argonautenepos seines flavischen Vorgängers gewissermaßen ab, indem er seine Thetis […] den Argonautenführer Jason, der die von Statius imitierten Worte spricht, erwähnen lässt.189

Dabei werden die Folgen davon, dass bei der ersten Seefahrt überhaupt das Schiff der Argonauten nicht versenkt wurde,190 in Thetis’ Rede mit denen kontrastiert, die sich Jason in den Argonautica, bevor die Argo in See sticht, als Folgen der Seefahrt ausmalt: o quantum terrae, quantum cognoscere caeli permissum est, pelagus quantos aperimus in usus! (Val. Fl. 1,168f.)

Thetis tauscht in ihrer Rede die Quantitätsadverbialien in Jasons Rede bei Valerius Flaccus (quantum und quantos) durch die Qualitätsadverbiale qualis (Ach. 1,62) aus. So erfährt der usus der Seefahrt abhängig von Thetis völlig anders gearteter Aussageabsicht191 einen ganz anderen Sinn: Die „Fortschrittsleistung“ 186 187 188 189 190

191

Vgl. z. B. Stat. silv. 3,2,61f.: Quis rude et abscissum miseris animantibus aequor | fecit iter?; Prop. 3,7,31f.: Terra parum fuerat, fatis adiecimus undas: | Fortunae miseras auximus arte vias. Vgl. Gärtner (2000). Vgl. Parkes (2009a). Gärtner (2000), 145. Zum Motiv der ersten Seefahrt in Verbindung mit den Argonauten vgl. auch Jupiters Rede bei Val. Fl. 1,556f.: pateant montes silvaeque lacusque | cunctaque claustra maris. Vgl. damit auch Thetis’ Abwandlung: aspicis in qualis miserum patefeceris usus | aequor? Ach. 1,62f. Zur Jasons Aussageabsicht in seiner Rede siehe die Übersicht zur Deutung in der Forschung bei Gärtner (2000), 144 f. insbesondere mit 144 Fn. 3. Vgl. ebenfalls Davis (2015), 163.

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bei Valerius Flaccus wird in Thetis’ Rede zum „Anfangspunkt eines moralischen Niedergangs“192. Gleichzeitig greift Thetis dabei typische Motive der Kritik der Seefahrt auf:193 Wie beispielsweise im Argonautenchorgesang von Senecas Medea (Sen. Med. 301–379) erscheint Jason als (Frauen)räuber.194 Der Bruch der iura freti (Ach. 1,64) und die Verletzung der maiestas (64) des Meeres durch Jason haben in Thetis’ Darstellung zur Ausbreitung eigentlicher Festlandverbrechen auf das Meer geführt. Die personifizierten crimina hätten dabei nichts zu befürchten (eunt tutis terrarum crimina velis, 63). Mit der demonstrativen Interjektion en (66) verweist Thetis auf Paris’ gerade stattfindendes Verbrechen, der in der Reihe der Frauenräuber steht (aliud furto scelus, 66). Durch die Stellung am Satzanfang wird dabei besonders betont, dass Paris, der iniustae temerarius arbiter Idae (67), gerade in diesem Augenblick über das Meer segelt. Anders als Juno, die von Beginn an auf ihre persönliche Feindschaft mit den zu versenkenden Seefahrern verweist (gens inimica mihi Tyrrhenum navigat aequor, Verg. Aen. 1,67), beginnt Thetis mit den allgemeinen Folgen des Raubs der Helena. Nach einem Ausruf des Schmerzes zählt sie auf, wem der Raub der Helena Schmerzen bereiten wird: eheu quos gemitus terris caeloque daturus, | quos mihi! (Ach. 1,68). Dabei steht sie selbst mit der Wiederholung von quos sehr stark betont am Ende der Klimax. Die Formulierung quos gemitus (68) selbst greift dabei qualis usus (62) aus dem Beginn ihrer Rede wieder auf. Mit Paris’ Fahrt über das Meer sieht Thetis Jupiters Prophezeiung bezüglich des Trojanischen Krieges in Valerius Flaccus’ Argonautica, die auch Neptun später in seiner Antwort wieder aufgreifen wird, erfüllt: veniet Phrygia iam pastor ab Ida, qui gemitus irasque pares et mutua Grais dona ferat. quae classe dehinc effusa procorum bella, quot ad Troiae flentes hiberna Mycenas, quot proceres natosque deum, quae robora cernes oppetere et magnis Asiam concedere fatis! (Val. Fl. 1,549–554)

Durch Paris, den aus seinen Taten resultierenden Trojanischen Krieg und den dortigen Tod ihres Sohnes195 entstehen für Thetis die von Jupiter vorhergesagten Schmerzen (gemitus). Für das Geschehen insgesamt macht Thetis Venus verant‐ wortlich. Der Preis für die Schönste im Parisurteil geht auf Thetis’ Kosten (sic 192 193 194 195

Gärtner (2000), 145. Vgl. die Textstellen bei Uccellini (2012), 86 f. (ad 1,63–65). Zu einzelnen wörtlichen und inhaltlichen Entsprechungen vgl. Davis (2006), 14. Dieser ist Teil der proceres natosque deum.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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Phrygiae pensamus gaudia palmae, Ach. 1,69). Sarkastisch bezeichnet sie den Raub der Helena als gratae munus alumnae (70).196 Nachdem sie so vor Neptun deutlich länger als Juno vor Aeolus begründet hat, warum sie ihn als Bittstellerin aufgesucht hat, beginnt sie mit ihren an ihn gerichteten Aufforderungen: Nach dem Beginn has saltem (71), der nach Ruth Parkes darauf anspielt, dass Neptun in Valerius Flaccus’ Argonautica die Versenkung der Argo durch die Winde verhindert hat,197 folgt ein Einschub, der etwaige Einwände gegen eine Versenkung ausräumen soll: num semideos no‐ strumque reportant | Thesea? (71 f.) Es sind weder die Argonauten an Bord198 noch Neptuns Sohn Theseus.199 Dilke200 und andere ihm folgende Kommentatoren201 gehen hier davon aus, dass Theseus zur Mannschaft der Argo zu zählen ist,202 und Statius sich damit auf eine andere uns unbekannte Variante des Mythos stützt.203 Theseus muss jedoch in dieser Aufzählung nicht unbedingt zur Argo gehören.204 Denn es handelt sich bei Theseus auch um einen weiteren mehrfa‐ 196 197 198 199

200 201 202

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204

Venus als Schaumgeborene ist eine alumna der Meeresgötter. Vgl. auch Hes. theog. 191f.: τῷ δ᾽ ἔνι κούρη | ἐθρέφθη, wobei hier im Lateinischen das Passiv von τρέφω mit alumna wiedergegeben wird. Vgl. Parkes (2009a), 110–112. Vgl. die magni deum […] nati in den Argonautica (Val. Fl. 1,1). Die Bezeichnung semidei für die Argonauten ist nur bei Statius gebräuchlich. Vgl. Stat. Theb. 3,518, 5,373, Ach. 2,77. Vgl. auch OLD, 1907, s.v. semideus. Durch die Bezeichnung der Argonauten als semidei werden diese jedoch nicht für Thetis zu einem positiven „standard of nobility that Paris fails to meet“ (Heslin [2005], 111). Lediglich die Gründe, die zur Zeit der Argonauten einer Versenkung im Weg standen, sind bei Paris nicht erfüllt. Vgl. Dilke (1954=2005), 88 (ad 1,71). Vgl. Nuzzo (2012), 50 (ad 1,71–73), Uccellini (2012), 93 (ad 1,71f.), Méheust (1971), 74 Anm. 10, Shackleton Bailey (2003b), 318 Fn. 19. Anders jedoch Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,71f.) und Jannaccone (1950), 53 (ad 1,71), die semideos und Thesea als Hendiadyoin sehen, da ansonsten die rhetorische Frage bejaht werden müsste, da ja Helena auch eine Halbgöttin ist: „hendiadyoin; cum permultis locis haec figura periphrasis analytica sit per speciem speciemque, nil mirandum est hic pro singulari collectico pluralem generalem ad speciem indicandam inveniri. semideos enim stricto sensu interpretari non possumus, quod nemo nisi pessimus auctor ita scribit ut rhetoricae quaestioni positive possit, si is qui interrogat negativum responsum expectat. Est autem Helena semidea”. Dagegen Getty (1957), 99, der Plut. Theseus 29,3, Hyg. fab. 14,5, Apollod. 1,111 und Dion Chrys. 37,14, aufführt, um zu belegen, dass eine Begleitung durch Theseus durchaus eine bekannte Variante des Mythos war. Allerdings ist bei Dion Chrys. 37,14f. nur die Rede davon, dass Theseus nach der Rückkehr der Argo in Korinth bei Festspielen teilnimmt. Bei Apoll. Rhod. (1,101–103) als der maßgeblichen Bearbeitung des Argonautenmythos wird die Version einer Argonautenfahrt mit Theseus jedoch explizit ausgeschlossen. So interpretiert auch Mozley (1928=1969), 515 Fn. b: „They are no Argonauts, nor Theseus”.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

chen Frauenräuber, der gut mit Paris und den Argonauten verbunden werden kann: Hier könnte zum einen beim Rezipienten anklingen, dass nach einigen Mythen auch Theseus zuvor Helena entführt haben soll.205 Hauptsächlich ist hier jedoch als bekanntester Mythos, der mit Theseus einen Frauenraub verbindet, der Raub der Ariadne zu nennen.206 Schon in Apollonios’ Argonautika wird die Liebesgeschichte von Ariadne und Theseus mit der von Medea und Jason parallelisiert (Apoll. Rhod. 3,997–1007, 4,430–434) und schließlich in Catulls carmen 64 (50–264) mit der Ekphrasis der Decke in die Rahmenhandlung um die Hochzeit von Thetis und Peleus eingewebt. Um noch größeren moralischen Druck auf Neptun aufzubauen, verbindet Thetis ihre hierauf folgenden Bitten mit der Ehre seines Herrschaftsbereichs: si quis adhuc undis honor (Ach. 1,72). 207 Mit diesem Verweis auf die Ehre wird auch die veränderte Argumentationsstruktur im Vergleich zu ihrer Bitte an Zeus im ersten Gesang der Ilias, in der sie auf Achills Ehre, die wiederhergestellt werden soll, verweist, deutlich: Dort verbindet Thetis als Abschluss ihrer Rede an Zeus die Erfüllung ihrer Bitten mit ihrer eigenen Ehre: ἠ᾽ ἀπόειπ᾽, ἐπεὶ οὔ τοι ἔπι δέος, ὄφρ᾽ εὖ εἴδω ὅσσον ἐγὼ μετὰ πᾶσιν ἀτιμοτάτη θεός εἰμι. (Hom. Il. 1,515f.) Oder lehne meine Bitte ab – denn du hast ja nichts zu befürchten – damit ich genau erkenne, wie wenig Ehre ich als Gott unter allen genieße.

Die Thetis der Achilleis dagegen argumentiert bis zu ihren eigentlichen Bitten scheinbar hauptsächlich mit ihrer Sorge um das Wohl des Meeres, das Neptun anvertraut ist, und allgemeinen Folgen, die sich aus Paris’ Raub der Helena ergeben. Lediglich Thetis’ Ausruf quos mihi (Ach. 1,69) macht ihre wahren Intentionen deutlich. Hieran schließt Thetis ihre eigentlichen Bitten an: obrue puppes, | aut permitte fretum! (72 f.). Damit wird noch einmal direkt auf das Strukturvorbild der Aeneis und Junos dortige Bitten verwiesen: incute vim ventis submersasque obrue puppes, aut age diversos et dissice corpora ponto. (Verg. Aen. 1,69f.)

Allerdings erweitert Thetis mit der zweiten Alternative zusätzlich noch Neptuns Möglichkeiten. Wenn er selbst den Seesturm nicht durchführen will, dann

205 206 207

Vgl. Méheust (1971), 74 Anm. 10. Vgl. Plut. Theseus 31, Diod. 4,63, Scol. Il. 3,242 (Dindorf), Hyg. fab. 79,1. So auch Terzaghi (1956), 14. Anders Alepidou (2019), 814 m. Fn. 54, die undae als metonymisch für Thetis auffasst.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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kann dies Thetis mit seiner Erlaubnis auch selbst tun.208 In dieser Differenz zur Aeneis, in der Juno den Sturm ja nicht selbst durchführen will, sondern ihn beauftragt, sieht Nuzzo den großen Unterschied zur gesamten Modellvorlage in der Aeneis.209 Im letzten Abschnitt ihrer Rede rechtfertigt Thetis nochmals moralisch ihre Bitte, indem sie auf die Folgen des Raubs der Helena für sich selbst verweist. Ihr Verhalten will sie nicht als inclementia (Ach. 1,73) verstanden wissen.210 Ihre Bitte soll dabei dem fas211 entsprechen (fas sit | pro nato timuisse mihi, 73 f.). Hierdurch wird ein starker Gegensatz zu Junos Rede in der Aeneis, die Juno mit einem Bestechungsversuch beendet, aufgebaut. Dieser Gegensatz soll noch weiter unten genauer im Abschnitt zum Vergleich der strukturellen Vorbilder mit der Umsetzung in Statius’ Achilleis erörtert werden (Thetis und ihre intertextuellen Strukturvorbilder). Thetis verbindet das Motiv für ihr Handeln, die Furcht um ihren Sohn, mit einer nochmaligen Aufforderung an Neptun: Hierbei werden jedoch ver‐ schiedene Bitten überliefert. Nach dem Puteanus (codex Parisinus 8051)212 bittet Thetis Neptun, ihre Trauer zu vertreiben (da pellere luctus, 74). In allen anderen Codices außer dem Etonensis 150 (adtolle fructus E: da tollere fructus E2), dessen 208

209 210 211 212

Keineswegs ist m. E. für den Leser (und Neptun) aus dem Kontext undeutlich, welche Pläne Thetis mit diesem zweiten Teil ihrer Bitte verfolgt, wie Bitto (2016), 193 zur Stützung seiner These der Pathosreduktion aufführt: „Auch Thetis fügt ein aut hinzu, allerdings aut permitte fretum (A[ch]. 1,73). Sie lässt also im Ungewissen, was genau sie mit der ihr überlassenen Macht über das Meer zu tun gedenkt.“ Ein anderer Zweck, als Paris’ Flotte selbst zu versenken, erscheint in der Textpragmatik kaum möglich. Vgl. Nuzzo (2012), 21f. Bessone (2020b), 135 f. liest dies als einen Verweis auf die divum inclementia in Verg. Aen. 2,602, d. h. die Zerstörung Trojas. Allerdings wird m. E. dadurch nicht automatisch ein „‘minor’ epic level“ (ebd. 136) angekündigt. Zur Wendung fas sit als Teil von Bitten an Götter vgl. ThlL VI,1 (1913), 288.69f., s.v. fās: unter der Bed. „petitur precibus, ut [fa]s sit aliquid facere (quod abit in locutionem; Gloss. sit mihi [fa]s, liceat mihi)“. Der Puteanus wurde von Alfred Klotz (1927) in seiner Edition der Thebais und Achilleis den anderen ihm verfügbaren Handschriften grundsätzlich vorgezogen. Klotz (1905) begründet dies damit, dass ein Vorläufer von P Priscian im sechsten Jahrhundert vorgelegen habe. Allerdings finden sich, wie Klotz selbst feststellt, bei Priscian auch Varianten von ω und Priscian zitiert oft auch gegen P ω. Vgl. Klotz (1905), 342. Willy Morel (1941), 75 bezeichnet diese Bevorzugung des Puteanus gar als „superstitious cult“. Zum Wert der Handschrift P, der hoch sei, aber nicht zu stark gemacht werden dürfe, siehe auch Dilke (1962) und Hall (2008), 137–148, 213–221, 228. Für einen sehr hohen Wert von P jedoch Shackleton Bailey (2003a), 5: „Like Juvenal’s Montepessulanus, it has no peer.” Vgl. auch Terzaghi (1956), insb. 13 f., der in seinem Aufsatz herausarbeitet, dass P und die anderen Handschriften gleichwertig zu behandeln sind und von einer Handschrift abstammen. P hat des Weiteren die meisten Fehler.

62

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Variante inhaltlich nicht zu vertreten ist,213 findet sich die Variante da tollere fluctus (BCKQRU). Anders als Dilke seine Entscheidung für P begründet,214 wäre da tollere fluctus nicht repetitiv. Stattdessen würde die Variante, wie Nuzzo ausführt, Thetis’ in Vers 72 f. geäußerte Bitten nochmals spezifizieren und intensivieren: in realtà la locuzione permitte fretum (v. 73) allude in generale a una temporanea ‘delega’ di Nettuno a Thetis circa dei moti ondosi, mentre da tollere fluctus sarebbe una specifica richiesta di autorizzazione a scatenare la furia dei marosi contro le navi troiane.215

Auch wenn die Kollokation tollere fluctus schon vor Vergil belegt ist (Lucil. 1,40f. [Marx] = 1,47f. [Christes/Garbugino]), so würde diese Variante noch einmal auf die Aeolus-Episode in der Aeneis verweisen.216 Während Juno Aeolus noch fälschlicherweise die Funktion, die Stürme zu beherrschen, in den Mund gelegt hatte (tibi divum pater atque hominum rex | et mulcere dedit fluctus et tollere vento, Verg. Aen. 1,65f.), um ihr Ziel zu erreichen, würde sich Thetis hier an die zuständige Gottheit wenden und nicht wie Juno die eigentlichen Zuständigkeiten umgehen. Wenn man dagegen annimmt, dass sich diese Variante als Wiederholung von Neptuns Antwort dabo tollere fluctus (Ach. 1,92) in Vers 74 eingeschlichen hat,217 und damit da pellere luctus annimmt, wäre dieser Vers inhaltlich noch enger mit den Versen 75 f. verbunden. Zum Gefühl der Furcht käme dann das der Trauer (luctus). Thetis stellt nun die Folgen, die Achills Tod für sie hätte, ganz in den Mittel‐ punkt ihrer Rede: Neptun soll nicht, indem er ihre Bitte ablehnt, beschließen, dass Thetis nicht mehr das ganze Meer bewohnt (nec tibi de tantis placeat me fluctibus unum | litus […] habitare, 75 f.)218 und sich stattdessen nur noch an 213 214 215 216 217 218

Vgl. Jannaccone (1950), 54 (ad 1,74), Méheust (1971), 75 Anm. 13 und Uccellini (2012), 94 (ad 1,73f.). Vgl. Dilke (1954=2005), 88 (ad 1,74). Diese Ansicht übernehmen auch Traglia (1969), 429, Méheust (1971), 75 Anm. 13 und Ripoll/Soubiran (2008), 165 (ad 1,74). Nuzzo (2012), 50 (ad 1,73–76). Ripoll/Soubiran (2008), 165 (ad 1,74) vermuten hier, dass es sich bei dieser Variante um einen Abschreibfehler handelt, der durch die Aeneis-Kenntnisse des Abschreibers beeinflusst ist. Vgl. Dilke (1954=2005), 88 (ad 1,74), Nuzzo (2012), 50 (ad 1,73–76) und Uccellini (2012), 94 (ad 1,73f.). Auch hier ist die Textgestalt unsicher. P überliefert unam, wodurch sich Thetis von den nichtgenannten anderen Meernymphen abheben würde. Zudem erschien vielen sowohl unam als auch das von allen anderen Codices überlieferte unum nicht sinnvoll, weshalb hier zahlreiche Konjekturen entstanden sind. Für die Variante unum argumentiert

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

63

Trojas Küste beim Grabmal des Achill aufhält (et Iliaci scopulos habitare sepulcri, 76).219 Thetis’ Rede folgt eine Beschreibung ihres Redegestus: Orabat laniata genas et pectore nudo caeruleis obstabat equis. […] (Stat. Ach. 1,77f.)

An ihrem Auftreten wird ihre Verzweiflung deutlich: Wie eine Trauernde220 hat sie ihre Wangen zerkratzt und steht mit entblößtem Oberkörper221 Neptuns Pferden im Weg.222 Seit Heslin wird Thetis’ Rede in der angelsächsischen Forschung oft als wenig überzeugend wahrgenommen: Thetis is a poorly equipped poseur, whose literary incompetence contrasts with the mastery shown by the male characters. On the level of characterization, her discourse represents her as someone whose rhetoric does the opposite of what it should: it betrays her weakness rather than enhances the strength of her argument. We shall consider whether, in the patriarchal economy of Latin epic, there might not be something that can be called particularly “feminine” about such a character.223

219 220 221

222

223

jedoch Dilke (1954=2005), 88 f. (ad 1,75f.) sehr überzeugend in seiner ausführlichen Diskussion der Textstelle. Siehe auch Traglia (1969), 429–431, der Argumente gegen die Variante unam sammelt. Zu Achills Grabmal siehe auch unten Seite 57. Vgl. Uccellini (2012), 96 (ad 1,77). Der nackte Oberkörper dient hierbei nicht, wie Bitto (2016), 198 im Vergleich mit Venus in der Thebais suggeriert, dazu, Neptun sexuell zu erregen (ähnlich auch Bessone [2018],171), sondern entspricht typischem Trauergestus, der mit höchster Verzweiflung verbunden ist. Vgl. dazu auch die Parallelstellen für pectore nudo Lucan. 3,619, Stat. Theb. 7,481 und 11,418. Oft sind mit dieser Beschreibung auch Bitten verbunden: Vgl. Stat. Theb. 7,481, Theb. 11,418 und Caes. Gall. 7,47,5. Bitto (2016), 201 und 194 Fn. 37 sieht hier einen Gegensatz zu den an Mars gerichteten Bitten der Venus in der Thebais (3,260–316). In der ähnlich geschilderten Szene werde eine Pathosreduktion im Übergang zwischen Rede und Antwort durch den erst nachgeschobenen Redegestus dadurch verhindert, dass in der Thebais Mars Venus beim Absteigen von seinem Wagen verletze (laedit in amplexu dictisque ita mulcet amicis Stat. Theb. 3,294). Allerdings wird m. E. hier eher in der Thebais durch die Beschreibung des Kriegsgottes als einem Gott mit Koordinationsproblemen Komik erzeugt. Vgl. auch ad. loc. Lesueur (1990), 139 Anm. 26: „ce détail donne à la scène une pointe de réalisme familier.“ Heslin (2005), 114.

64

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Dies macht Heslin an verschiedenen Aspekten fest: a)

b)

c)

d)

224

225 226 227 228 229

Thetis wende sich an die falsche Gottheit: In der Aeneis wende sich Venus an Neptun, um um ruhige See zu bitten (Verg. Aen. 5,779–826). Somit rufe sie das falsche epische Modell auf, wenn sie einen Sturm erzeugen wolle: „Thetis is making a big mistake. We readers of Virgil know that the result of Venus’ interview was not a storm but rather a promise of safe crossing for a Trojan prince. Thetis seems not to know that.“224 Stattdessen hätte Thetis wie Juno in der Aeneis handeln sollen.225 Mit dem Verweis auf die Argonauten und deren Raub unterminiere Thetis ihre Argumentation: Mythologische Exempla, die in römischen Reden verwendet würden, beinhalteten nicht den Redner oder andere anwesende Personen. Mit diesem Exemplum beklage sich Thetis über das Verhalten ihres eigenen Ehemannes und die Hochzeit mit ihm. Gleichzeitig könne der Verweis auf die Argonauten Neptun verärgern, da Söhne von ihm Argonauten gewesen seien.226 Thetis’ Verweis auf Venus (1,70) trage nichts zur Argumentation bei. Dies sei Zeichen einer „‘female’ jealousy over Venus’ victory in the beauty contest on Mount Ida.”227 Zusätzlich sei dies ihrer Argumentation abträg‐ lich, da sie sich ja wie Venus im fünften Buch der Aeneis an Neptun wende.228 Die Formulierung quos mihi (1,69), mit der Thetis ihre zukünftige Trauer hervorhebt, fasst Heslin als intertextuellen Verweis auf quos ego in Verg. Aen. 1,135 auf. Da Neptun hierauf das Meer beruhige, unterminiere Thetis durch ihre unwissende Anspielung ihre Bitten.229

Heslin (2005), 108. Vgl auch Ebd., 109 „Thetis may have supernatural insight into the future, thanks to Proteus (Ach. 1,32), but we and the poet know our Virgil, which is even more useful in this situation. We being educated readers of epic, know that if you want to create a storm, you have to act like Juno; if you want to prevent one, you act like Venus. Thetis, lacking an elite, Roman, male education, does not know this.” Nach Heslins Ansicht (ebd.,113f.) zeigt sich in Thetis’ Verhalten und angeblich unpassenden Anspielungen auf Prätexte der Achilleis ihre Weiblichkeit. Zudem entstehe dadurch Komik, dass eine griechische Gottheit Latein spreche und dabei lateinische Klassiker falsch benutze. Allerdings ist fraglich, inwieweit Götter wie Neptun als von den Griechen übernommene Götter erschienen sind. Ebenfalls fraglich ist, wie Thetis bzw. Neptun von in der erzählten Zeit noch nicht geschehenen Ereignissen Kenntnis haben sollten. Vgl. Heslin (2005), 107f. Vgl. Heslin (2005), 110–112. Heslin (2005), 112. Vgl. Heslin (2005), 112. Vgl. Heslin (2005), 112f.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

65

Diese Argumentation lässt sich allerdings abschwächen beziehungsweise wi‐ derlegen: a)

b)

c)

d)

230 231

Die Tatsache, dass eine andere Gottheit (Venus) Neptun in einem das römische Epos prägenden Werk um ruhige See gebeten hat, macht Neptun nicht nur für ruhige See zuständig. Ganz im Gegenteil ist es ja Neptun/ Poseidon der im literarischen Vorbild zur Aeneis den Seesturm beschwört. Eine reine immer neue Reproduktion der Personenkonstellation, wie dass Thetis nun Aeolus aufsuchen müsste, würde dazu führen, dass im nach‐ vergilischen Epos keine Neuerungen mehr eingeführt werden könnten. Intertextualität lebt auch von der Veränderung zum Vorbild und ist keine pure Reproduktion. Der Verweis auf die Argo ist in Thetis’ Rede weniger ein Exemplum oder eine similitudo, die Heslin in seiner Argumentation praktisch gleichsetzt,230 sondern der historische Ausgangspunkt, seit dem das Meer Verbrechen ausgesetzt ist. In der Erzählzeit kann dieses Geschehen als mythologisches Exemplum verwendet werden. In der erzählten Zeit, d. h. im Mythos, handelt es sich bei einem Verweis auf die Argo nicht um einen Verweis auf lange zuvor Geschehenes, sondern um einen kausalen Zusammenhang, den Thetis aufbaut. Für Thetis ist die Argo kein Mythos und damit auch kein mythologisches Exemplum. Meines Erachtens ist es zweifelhaft, dass Neptun dies als Affront sich und seinen Söhnen gegenüber empfindet. Der zweite Verweis auf die Argo mit ihren semidei (1,69) an Bord ist auch kein erschrecktes Erkennen des vorherigen Fehlers und ein Versuch, dies wie‐ dergutzumachen, sondern soll mögliche Einwände gegen die Versenkung vorab entkräften. Thetis’ Verweis auf Venus ist nicht völlig grundlos. Schließlich ist ihre Bestechung beim Parisurteil dafür ursächlich, dass Paris Helena entführt und damit den Trojanischen Krieg auslöst. Thetis hat auch nicht am Schön‐ heitswettbewerb teilgenommen, woraus Eifersucht auf Venus entstehen könnte. Zur Reproduktion von Personenkonstellationen siehe oben unter a). Ein intertextueller Verweis auf Verg. Aen. 1,135 sollte nicht überbetont werden. Die Verbindung des Relativpronomens mit einem Personalpro‐ nomen ist keineswegs selten. So liefert allein eine Suche nach der Verbin‐ dung quos ego in der Datenbank PHI Latin Texts 90 Treffer.231

Vgl. Heslin (2005), 110 mit Fn. 10. https://latin.packhum.org/search?q=%23quos+ego (06.09.2022).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Stattdessen ist meines Erachtens Thetis’ Rede durchaus geschickt gehalten, muss aber aufgrund der feststehenden fata erfolglos bleiben: Thetis’ Argumentationsstrategie ist dabei ganz auf Neptun als Herrscher über das Meer ausgerichtet: Sie spricht ihn als genitor rectorque (61) an und macht so deutlich, dass er als pater familias und als Herrscher Verantwortung für sie und das Geschehen auf dem Meer trägt. Thetis beginnt ihre Rede mit dem allgemeinen Unrecht, das das miserum aequor (62 f.) erleiden muss. Hierin ordnet sie auch die Entführung der Helena ein. Dabei zeigt sie die schrecklichen Folgen für die menschliche und göttliche Welt auf. Ganz am Ende der Klimax stehen die Folgen für sie selbst. Auch Einwände, die die Versenkung vorheriger Meeresräuber verhindert haben, wie zum Beispiel, dass bei der Fahrt der Argo viele Halbgötter an Bord waren, räumt sie aus. Um diese Folgen abzuwenden, bittet sie schließlich Neptun darum, die Schiffe zu versenken beziehungsweise sie selbst versenken zu dürfen. Dies entspräche ihrem Recht als Mutter. Ihre Bitte endet schließlich mit den Folgen für sie selbst, d. h. ihrer künftigen Trauer um Achill, wenn Paris nicht aufgehalten wird. Thetis’ Argumentation verbindet also ihr eigenes (und damit Achills) Schicksal mit den weltgeschichtlichen Folgen des Trojanischen Krieges.   2.1.2.5 Neptuns Antwort Neptun reagiert hierauf freundlich und lädt Thetis auf seinen Wagen ein:232 […] sed rector aquarum invitat curru dictisque ita mulcet amicis: (Stat. Ach. 1,78f.)

Seine Rede, die auf diese Einleitung des epischen Erzählers folgt, wird also in dieser als freundlich und beruhigend beschrieben: ‘Ne pete Dardaniam frustra, Theti, mergere classem; fata vetant: ratus ordo deis miscere cruentas Europamque Asiamque manus, consultaque belli Iuppiter et tristes edixit caedibus annos. quem tu illic natum Sigeo in pulvere, quanta aspicies victrix Phrygiarum funera matrum, cum tuus Aeacides tepido modo sanguine Teucros

232

Jannaccone (1950), 55 (ad 1,79) sieht dies mit Verweis auf die Sammlung weiterer Beispiele durch Miedel (1891/92) als Anachronismus, der das Geschehen mit einer Einladung in den Wagen des Kaisers parallelisiert. Dies bedeute einen großen Ehrerweis durch den Kaiser. Vgl. auch Méheust (1971), 75 Anm. 16, der Jannaccones Kommentar kürzt und dabei fälschlich Miedel als Urheber dieser Parallelisierung angibt.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

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undabit campos, modo crassa exire vetabit flumina et Hectoreo tardabit funere currus inpelletque manu nostros, opera inrita, muros! Pelea iam desiste queri thalamosque minores: crederis peperisse Iovi; nec inulta dolebis cognatisque utere fretis: dabo tollere fluctus, cum reduces Danai nocturnaque signa Caphereus exseret et dirum pariter quaeremus Ulixem.’ (Stat. Ach. 1,80–94)

Auf Neptuns deutliche Absage folgt die Erklärung mit dem vorherbestimmten Schicksal: fata vetant (81).233 Damit zitiert Statius’ Neptun nicht nur die Überle‐ gungen aus Junos Monolog (quippe vetor fatis, Verg. Aen. 1,39),234 die ja eigentlich eine abschlägige Antwort durch Aeolus erwarten ließen, sondern nimmt wie schon in der Thebais (hoc mihi ius nec fata uetant, Stat. Theb. 3,316)235 ein vergilisches Element (nec fata vetabant, Verg. Aen. 8,398) aus einer Antwort auf Bitten (hier Venus an Vulcanus) auf. Gleichzeitig beziehen sich die fata auf die Jupiterprophezeiung in den Argonautica (Val. Fl. 1,531–560),236 die den griechischen Sieg im Trojanischen Krieg und damit den Übergang seiner Gunst von Asien auf Griechenland und schließlich auf Rom beinhalten (accelerat sed summa dies Asiamque labantem | liquimus et poscunt iam sua tempora Grai, Val. Fl. 1,542f.). Bei Statius hat der Götterrat diese Konfrontation schon beschlossen und Jupiter die Kriegspläne festgelegt. Als Trost für Thetis folgt nun eine Schilderung von Achills künftigen Helden‐ taten.237 Diese ist in Form eines Ausrufs gestaltet, der Thetis Achills Größe als Held (quem tu illic natum Sigeo in pulvere, Ach. 1,84) und seine zahlreichen Siege über trojanische Gegner zeigen soll (quanta | aspicies victrix Phrygiarum funera matrum, 84 f.). Dabei nimmt Neptun ganz Thetis’ Perspektive ein, die dabei deutlich durch das Personalpronomen tu betont wird:238 Sie wird ihren Sohn als gewaltigen Helden vor Troja auf dem Schlachtfeld sehen und durch seine Taten wird Thetis selbst zur Siegerin bei den Bestattungen seiner geschlagenen Gegner. Gleichzeitig wird, 233 234 235 236 237 238

Heslin (2005), 113 deutet den Ausspruch fata vetant (1,81) als Einleitung einer Para‐ phrase des Gesangs der Parzen durch Neptun, indem er die fata mit den Parzen gleichsetzt. Vgl. Mulder (1955), 126 und Kozák (2013), 253 m. Fn. 20. Für die Bezugnahme auf diese Wendung in der Thebais ist m. E. noch Ov. met. 3,548 zu nennen, in der von dem vom fatum bestimmten Ende Thebens die Rede ist. Vgl. dazu auch Augoustakis (2016), 206f. So auch in Bezug auf die gesamte Prophezeiung Lauletta (1993), 89. Delarue (2000), 76 f. sieht diese Prophezeiung als intertextuellen Bezug zur Jupiterprophezeiung im ersten Buch der Aeneis. Vgl. auch später tuus Aeacides (Stat. Ach. 1,86).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

wie Rosati betont, durch die Ortsangabe Sigeo in pulvere (84) eine tragische Ironie deutlich. Schließlich wird das Adjektiv Sigeus nicht nur synonym für trojanisch gebraucht, sondern ist Sigeum auch der Ort, an dem Achills Grabmal traditionell verortet wurde.239 Auch kann pulvis nicht nur als Kampfplatz aufgefasst werden,240 sondern auch mit Trauer in Verbindung gebracht werden.241 Allerdings bedeutet dies nicht, dass diese Verortung „unfreiwillig ironisch“ sei, da Neptun und Thetis nichts vom Ort des Grabes oder gar seinem Tod wüssten.242 Gerade das Ende ihrer an Neptun gerichteten Bitten macht dies deutlich (nec tibi de tantis placeat me fluctibus unum | litus et Iliaci scopulos habitare sepulcri. 75f.). Im späteren Verlauf der Rede wird ebenfalls deutlich, dass auch Neptun Achills Tod bewusst ist und er diesen Thetis gegenüber auch nicht verheimlicht (nec inulta dolebis, 91). Stattdessen kann in Neptuns Antwort beim Leser beides anklingen: Thetis wird ihren Sohn sowohl im Kampf als auch bei seiner Bestattung als gewaltigen Helden wahrnehmen. Die einzelnen Taten ihres Sohnes, die nun von Neptun erwähnt werden, weisen dabei starke inhaltliche und auch wörtliche Parallelen zum Gesang der Parzen in Catulls carmen 64243 auf: Hier wie dort gelten die trauernden Mütter als Beleg für Achills virtutes (illius egregias virtutes claraque facta | saepe fatebuntur gnatorum in funere matres, Catull. 64,348f.). Wie schon oben gezeigt, ist es auch bei Statius die Zahl der Beerdigungen (quanta | […] funera matrum, Ach. 1,84f.), die bei Thetis als Adressatin der Prophezeiung Stolz auslösen soll.244 Auch die folgenden eineinhalb Verse (cum tuus Aeacides tepido modo sanguine Teucros | undabit campos, 86 f.), die eine zeitliche Bestimmung der vorangehenden zwei Verse bieten, finden eine Entsprechung bei Catull: non illi quisquam bello se conferet heros, | cum Phrygii Teucro manabunt sanguine 245 (Catull. 64,343f.). In der Achilleis fokussiert 239 240 241 242 243 244

245

Vgl. Rosati (1994), 83 Fn. 35. Zu Achills Grab in Sigeum als Touristenattraktion auch in römischer Zeit vgl. Rose/Körpe (2016), 374–377 und Minchin (2016),262–265. Vgl. ThlL X,2 (2009), s.v. pulvis, 2630.49–61 (Z. 55 ad loc.). Mit der Bed. „luctus, supplicatio.“ ThlL X,2 (2009), s.v. pulvis, 2631.39–51. Vgl. Klodt (2009), 219. Zur epischen Atmosphäre des Gesangs der Parzen vgl. Lauletta (1993), 92. Stoevesandt (1994/95), 180 geht mit Verweis auf Achills Mitleid mit Priamos im 24. Gesang der Ilias davon aus, dass dies nicht Homers Intention entspräche. Vgl. allerdings Horn (2014), 206 f., der herausarbeitet, dass „die Trauer eines berühmten Vaters die Leistung des siegreichen Helden betont.“ (Horn [2014], 206). Der Verweis auf die trauernden Mütter mag aus heutiger Perspektive „moralisch fragwürdig“ (Klodt [2009], 219) sein. Trauernde Frauen galten aber in antiken Triumphdarstellungen als Zeichen des Sieges. Vgl. z. B. die Darstellung auf Münzen nach Caesars Sieg in Gallien: RRC 448/3 und RRC 468/1. Campi ist dabei eine von Mynors übernommene Konjektur des Humanisten Achilles Statius. Wie alle anderen Konjekturen, wie z. B. terrae oder auch fines, würde eine hieraus erfolgende Ableitung von Intertextualität einen Zirkelschluss beinhalten. Statius’ Konjektur terrae würde auch die in den Handschriften überlieferten wenig Sinn ergebenden Varianten teuen und tenen als Abschreibfehler erklären.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

69

Neptun das Geschehen im Trojanischen Krieg noch mehr auf Achill: Während bei Catull in Bezug auf ein homerisches Bild (ῥέε δ᾽ αἵματι γαῖα μέλαινα, Hom. Il. 15,715, 20,494) die bluttriefenden Felder (manabunt, Catull. 64,344) als zeitliche Angabe für die im Gesang beschriebenen fata dienen, ist es bei Statius Achill persönlich, der die Felder mit Blut tränkt (undabit, Ach. 1,87). Wie in Catulls carmen 64,357–360 folgt in der Achilleis hierauf Achills Kampf mit dem Skamander aus dem 21. Gesang der Ilias, wobei bei Statius der Flussgott jedoch nicht namentlich genannt wird (modo crassa exire vetabit | flumina, 87 f.).246 Dieser Kampf wird bei beiden lateinischen Autoren mit dem Verstopfen des Flusses durch getötete Gegner zusammengefasst.247 Diese Darstellung deutet Claudia Klodt als „Kolorierung der Tötungsakte als Sporterfolge“248 und damit als Zeichen einer Ironisierung der Ilias.249 Allerdings rezipieren hier Catull und Statius die Ilias, wobei sie sich auf eine Rede des Flussgottes Xanthos/Skamander beziehen. In dieser beklagt sich der Flussgott über Achills Schlachten, bei dem teils nur noch einzelne getötete Gegner aufgezählt werden:250 ‘ὦ Ἀχιλεῦ, περὶ μὲν κρατέεις, περὶ δ᾽ αἴσυλα ῥέζεις ἀνδρῶν· αἰεὶ γάρ τοι ἀμύνουσιν θεοὶ αὐτοί. εἴ τοι Τρῶας ἔδωκε Κρόνου παῖς πάντας ὀλέσσαι, ἐξ ἐμέθεν γ᾽ ἐλάσας πεδίον κάτα μέρμερα ῥέζε· πλήθει γὰρ δή μοι νεκύων ἐρατεινὰ ῥέεθρα, οὐδέ τί πηι δύναμαι προχέειν ῥόον εἰς ἅλα δῖαν στεινόμενος νεκύεσσι· σὺ δὲ κτείνεις ἀϊδήλως. (Hom. Il. 21,214–220). Achill, du bist zwar übermächtig stark, aber du verübst weit schlimmeres Unrecht als andere Männer. Denn immer helfen dir die Götter selbst. Wenn dir Kronos’ Sohn

246

247 248 249

250

Fantham (1979), 458 f. wählt statt vetabit die Variante tardabit aus P. Deswegen sieht sie Intertextualität zu Senecas Troades 186f.: corporibus amnes clusit et quaerens iter | tardus cruento Xanthus erravit vado. Dagegen Lauletta (1993), 91 f., der Catulls weit größeren Einfluss auf die Darstellung in der Achilleis betont. Siehe hierzu auch Verg. Aen. 5,804–808: cum Troia Achilles | exanimata sequens impingeret agmina muris, | milia multa daret leto, gemerentque repleti | amnes nec reperire viam atque euolvere posset | in mare se Xanthus. Klodt (2009), 219 Fn. 115. Klodt (2009), 219 Fn. 115 sieht zudem in der „chiastische[n] Verteilung der Attribute“ ein komisches Element: undare käme eigentlich dem Fluss zu, das Adjektiv crassus passe besser zum Staub. Allerdings ist crassus keine unübliche Beschreibung von Wasser. Hierzu finden sich im ThlL IV (1908), 1104.27–1105, Z 17, s.v. crassus unter der Bed. „de rebus non solidis, aquis, liquidis, sim.“ zahlreiche Beispiele. Auch undare ist durchaus passend gewählt im Kontext seines Vorbilds in Catull. 64, der sich ja auf ein homerisches Bild stützt. Vgl. z. B. Hom. Il. 21,209f.: ἔνθ᾽ ἕλε Θερσίλοχόν τε Μύδωνά τε Ἀστύπυλόν τε | Μνῆσόν τε Θρασίον τε καὶ Αἴνιον ἠδ᾽ Ὀφελέστην.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

gewährte, die ganze Troas zu zerstören, so steig aus mir heraus und verübe deine entsetzlichen Taten in der Ebene. Mein schönes Flussbett ist wirklich voll von Leichen und ich kann meinen Strom überhaupt nicht mehr ins göttliche Meer fließen lassen, weil ich verstopft von Leichen bin. Du tötest entsetzlich.

Diese „hyperrealistische Plastizität“251 des von Leichen verstopften Flusses ist somit, wie am homerischen Vorbild deutlich wird, keine Ironisierung von Achills Aristie, sondern eine direkte fast wörtliche Bezugnahme.252 Neptun zählt hierauf folgend noch weitere Achills Heldentum bestimmende Taten auf: die Schleifung Hektors (Hectoreo tardabit funere253 currus, Ach. 1,88), die als einzige der aufgeführten Taten nicht auch bei Catull genannt wird, und ultimativ den Fall der Stadt (inpelletque manu nostros, opera inrita, muros! 89). Wie in Catulls carmen 64,367 (Neptunia solvere vincla) dient dabei der Verweis auf den Erbauer Neptun als Bezeichnung für die Mauern. All diese Taten, d. h. die Zusammenstellung aus beliebten Stellen der Ilias, führen Neptun zu dem Schluss, dass Thetis nun keinen Grund für Klagen mehr haben sollte, dass sie Peleus heiraten musste und Achill deshalb sterb‐ lich ist (Pelea iam desiste queri thalamosque minores, Ach. 1,90).254 Ihr Sohn wird einem Sohn Jupiters gleichkommen (crederis peperisse Iovi, 91). Achills Quasi-Jupitersohnschaft als leitendes Motiv der Achilleis wird somit schon in Neptuns Prophezeiung deutlich. Man wird dadurch Achill vor Troja für einen Sohn Jupiters halten können, Achills Göttlichkeit wird aber dennoch verhindert sein.255 Als weiteren Trost und als Rache (nec inulta dolebis, 91) bietet Neptun Thetis an, ihr das Meer zu einem späteren Zeitpunkt zu überlassen. Wenn man in Ach. 1,74 von da tollere fluctus ausginge, würde dabo tollere fluctus in der Antwort in 1,92 diese Bitte wiederaufnehmen und so den späteren Zeitpunkt

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Klodt (2009), 219. Zur Bewertung der Aristie in der Ilias vgl. Horn (2014), 201–213, der in seiner Einord‐ nung in das homerische Heldenkonzept betont, dass es sich hier nicht um die Entartung einer Aristie handle und Achills Unbarmherzigkeit durch seine Rache gerechtfertigt sei. Dagegen Stoevesandt (1994/95), 170–185, die die Meinung vertritt, dass in Catulls Parzenlied nur Achills ihrer Meinung nach negative Taten aus der zweiten Werkhälfte aufgeführt würden. Man beachte bei Homer jedoch zusätzlich zu Horns Ausführungen auch die Perspektive des trojafreundlichen Gottes, der diese Worte spricht und der später für die Trojaner Partei ergreift. Seine Bewertung von Achills Taten entspricht somit nicht unbedingt der des epischen Erzählers. Jakobi (1988), 231 f. verweist hier auf Sen. Tro. 413–415 und vertritt deswegen Lactan‐ tius’ Lesart pondere. Zum homerischen Vorbild für solche Klagen der Thetis vgl. Hom. Il. 18,429–435. Vgl. Schetter (1960), 130f.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

71

noch stärker betonen. Vertritt man dagegen da pellere luctus in Vers 1,74, so würde hier zwar nicht noch einmal das Thema, wem es erlaubt ist, Seestürme zu beschwören, verhandelt werden, sondern hier erstmals der Bezug zu Verg. Aen. 1,66 (et mulcere dedit fluctus et tollere) hergestellt werden. Allerdings würden sich hier ähnliche Implikationen wie durch ein Zitat in 1,74 ergeben.256 Auch hier würde dies betonen, dass es sich dann um eine rechtmäßige Beschwörung eines Seesturms und rechtmäßiges Versenken der Schiffe handeln wird, die durch die dafür zuständige Gottheit erlaubt beziehungsweise sogar erwünscht ist. Mit den Gelegenheiten, zu denen Thetis mit Neptuns Erlaubnis einen See‐ sturm beschwören darf, schließt Statius wieder an seine epischen Vorbilder für Seestürme an: Auf den Sturm (cum reduces Danai nocturnaque signa Caphereus | exseret, Ach. 1,93f.), der die griechische Flotte am Kap Kaphereus vernichtet (Hom. Od. 4,499–511),257 hatte schon Juno in ihrem Monolog (Verg. Aen. 1,39–45) verwiesen. Die Seestürme, mit denen Neptun und Thetis gemeinsam Odysseus verfolgen werden (dirum pariter quaeremus Ulixem, Ach. 1,94), verweisen wiederum direkt auf Statius’ und Vergils Strukturvorbild, den Sturm vor dem Land der Phäaken in der Odyssee (5,270–384).258 Dadurch, dass Neptun hier Thetis auf einen späteren Zeitpunkt nach dem Trojanischen Krieg für die Bestrafung verweist, agiert er ähnlich wie Zeus in der Ilias (7,459–463): Dort vertröstet Zeus Poseidon, der die Mauer der Griechen zerstören will, auf die Zeit nach der Abfahrt der Griechen in ihre Heimat. Für Thetis ist jedoch die Aussicht auf eine künftige Rache kein Trost: Dixerat. illa gravi vultum demissa repulsa, quae iam excire fretum et ratibus bellare parabat Iliacis, alios animo commenta paratus, tristis ad Haemonias detorquet bracchia terras. (Stat. Ach. 1,95–98).

Sie ist niedergeschlagen (vultum demissa, 95) und traurig (tristis, 98), da sie nicht wie geplant einen Seesturm beschwören und die trojanischen Schiffe versenken darf. Deshalb wendet sie sich nach Thessalien, wobei sie sich schon andere Pläne überlegt.

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Siehe dazu oben S. 61f. Vgl. zu diesem Sturm auch z. B. Ov. met. 14,470–476 und Sen. Ag. 557–576. Aufgrund dieses Verweises auf in der erzählten Zeitebene noch folgende Stürme, die nun auch aufgrund der Handlung der Achilleis geschehen, bezeichnet Ganiban (2015), 80 die Achilleis als „prequel“ bzw. „precursor“ zu Odyssee und Aeneis.

72

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

2.1.2.6 Thetis und ihre intertextuellen Strukturvorbilder Auch wenn die Struktur der Szene ähnlich wie in der Aeneis ist, lassen sich deutliche Unterschiede herausarbeiten: Wie Aricò betont, sind dabei die unter‐ schiedlichen Beweggründe der Göttinnen entscheidend: Ma le motivazioni, nei due casi, sono assolutamente diverse. Nell’‘Eneide’ è la vis, l’ira […], che provoca l’intervento divino; nell’‘Achilleide’ l’amore materno.259

Deutlich wird auch das unterschiedliche Verhalten der beiden Göttinnen in ihrer Bittrede: Während Juno hauptsächlich Befehle gibt und versucht Aeolus zu bestechen, versucht Thetis Neptun von ihrem Plan, Paris’ Flotte zu versenken, zu überzeugen. Wie oben gezeigt wurde (2.1.2.4), ist ihre Rede darauf ausgelegt, Neptun zu einem Eingreifen aufgrund des Unrechts zu bewegen. Dabei betont sie, dass ihr Wunsch keine inclementia, sondern fas sei. Für den Leser steht also in ihrer Darstellung ein von ihr in dieser Situation beschworener Seesturm im Widerspruch zu Junos Handlungen in der Aeneis, die in der Aeneis durch Kommentare des epischen Erzählers oder durch andere Götter negativ gewertet werden (z. B. Verg. Aen. 1,4, 1,11, 1,130, 5,781). Thetis versucht folglich, sich von einem solchen ungerechten Verhalten abzugrenzen. Wie aus Neptuns freundlicher Reaktion deutlich wird, nimmt er ihr ihre Bitte nicht übel; sie könnte durchaus in ihrer Argumentation überzeugend sein, Neptun kann ihr aber aufgrund der entgegenstehenden fata nicht entsprechen.260 Stattdessen tröstet er Thetis mit Achills kommender Größe und künftiger Rache an den Griechen. Dass sich Thetis anders als Juno verhält, ist dabei natürlich auch auf das unterschiedliche Machtgefälle zurückzuführen.261 Während sich Juno an eine weit unter ihr stehende Gottheit wendet,262 wendet sich Thetis an Neptun, dem sie untergeordnet ist, und der der Herrscher des Weltbereichs ist, in dem sie lebt. Anders als Juno wendet sie sich jedoch an die für Seestürme eigentlich zuständige Gottheit. Nur weil auch Venus sich in der Aeneis (5,779–815) an Neptun wendet, um einen Seesturm zu verhindern, ist, anders als Heslin suggeriert, die an Neptun gerichtete Bitte um Erlaubnis nicht ungerechtfertigt. Wie aus Neptuns Reaktion auf den Sturm der Aeneis deutlich wird, hat Juno durch ihre Bitte an Aeolus ungerechtfertigt in seinen Aufgabenbereich einge‐

259 260 261 262

Aricò (1986), 2933f. So auch Mulder (1955), 128, der dies als Leitmotiv der Achilleis wahrnimmt: „Ipsa vero exemplorum variatio demonstrat poetam non minus quam in Thebaide certam aliquam sententiam in omnibus rebus depingendis observare studuisse: fata vetant.“ Vgl. Delarue (2000), 77 f. und Davis (2015), 162f. Vgl. auch Ripoll/Soubiran (2008), 28.

2.1 Thetis’ Bitte um einen Seesturm und die epischen Vorbilder

73

griffen. Die Stürme entgehen nur ihrer Bestrafung, da Neptun nun das Meer beruhigen muss. Als Meeresgöttin hätte Thetis auch selbst die Fähigkeit, einen Sturm zu beschwören, braucht dazu als untergeordnete Gottheit aber Neptuns Erlaubnis, wenn sie nicht Bestrafung fürchten will. Zudem wendet sie sich an die Gottheit, von der die epische Tradition eines Seesturms in der Odyssee ausgeht. Neptun ist also eigentlich ein geeigneter Ansprechpartner für einen erwünschten Seesturm, kann allerdings aufgrund der fata nicht handeln. Im Übrigen sollte Thetis’ Scheitern im Vergleich zu Juno nicht überbetont werden. Schließlich scheitert im Endeffekt auch diese dadurch, dass Neptun eingreift und das Meer beruhigt, bevor die Aeneaden versenkt und völlig über das Meer verstreut sind. Bedeutsam sind dabei auch die unterschiedlichen Funktionen der beiden Reden in den jeweiligen Werken, wie sie Aricò herausarbeitet: E diversa è anche la funzione delle due scene nell’ambito e in rapporto con la narrazione successiva. Nell’ ‘Eneide’ l’intervento di Giunone dà l’avvio all’intera vicenda – una vicenda di peregrinazioni e di sofferenze (Aen. 1,3 ss.) che solo con la fine del poema avrà il suo epilogo –; nell’ ‘Achilleide’, al contrario, l’intervento di Teti incide solo su un piccolo spazio della storia di Achille, giustificando il momento sciriaco, come episodio in se concluso nell’ambito del poema.263

Thetis’ Versuch, einen Seesturm zu beschwören, dient somit dazu, ihre Motiva‐ tionen deutlich zu machen. Dies soll dem Leser erklären, weshalb ein großer Held wie Achill sich auf Skyros in Frauenkleidern vor dem Trojanischen Krieg versteckt. Aus Thetis’ Rede wird deutlich, dass sie von großer Furcht um ihren Sohn umgetrieben wird, der aufgrund ihrer Heirat mit einem Sterblichen ebenfalls sterblich ist. Dies folgt der homerischen Tradition, in der Thetis auch noch vor Troja oft Achills Schicksal, vor Troja sterben zu müssen, beklagt (Hom. Il. 1,414–418, 18,429–437).264 Diese Furcht um Achill ist auch ausschlaggebend für ihren hierauf folgenden zweiten Versuch, Achill vor dem Krieg zu bewahren. Achill kann sich damit ohne größeren Verlust von virtus – beziehungsweise wie gezeigt werden wird gerade aus männlichen Gründen (vgl. 2.3.2) – als Mädchen verkleiden. Wie auch schon in der Aeneis werden durch den Monolog und das grundsätzliche Handeln der Göttin ihr Charakter und ihre Motive dargestellt. Gleichzeitig dient diese Szene hier wie dort dazu, das kommende Geschehen im Epos zu erklären.

263 264

Aricò (1986), 2934. Vgl. auch Achills eigene Worte in Hom. Il. 18,86–90.

74

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Dass Thetis mit ihrem Versuch scheitert, bedeutet nicht, dass damit das Genre Epos verworfen wird265 oder dem Werk so die nötige Energie, um die Handlung in Gang zu setzen, fehlt.266 Für ein ernsthaftes Epos hätte Statius nicht, wie Heslin der Meinung ist, die Szene genau wie in der Aeneis gestalten müssen, wobei Thetis dann ohne Erlaubnis einen Sturm beschworen hätte, den Neptun dann wieder beruhigt hätte.267 Ein solche reine Reproduktion wiederspräche deutlich dem Streben antiker Autoren nach Originalität. Die Struktur der epischen Vorbilder wird – wie zum Beispiel ja schon bei Vergils Sturm in der Aeneis – aufgenommen und auf diese verwiesen, gleichzeitig aber so verändert, dass dadurch wieder etwas Neues generiert wird.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich Beim hierauf folgenden Besuch bei Chiron (Ach. 1,101–231), der im Aufbau ebenfalls einem homerischen Schema folgt,268 wird dem Leser Achill erstmals

265

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So Ganiban (2015), 80 f. McAuley (2016), 349 sieht dagegen darin, dass im ersten Buch Thetis als einer Frau „narrative agency“ zugestanden wird, eine Gefährdung des generischen Status der Achilleis als Epos. Dies werde durch ihr Scheitern und Odysseus’ patriarchalen Wortschatz im zweiten Buch zurechtgerückt. Dadurch kommentiere Statius Fragen von Gender in der Aeneis. Dies berühre die Frage, ob dort Frauen wirkliche agency zugesprochen werden könne, da Venus ja von Jupiter und den fata unterstützt werde. Thetis handle mit ihrem Verständnis der Aeneis subversiv. Vgl. McAuley (2016), 358. Allein schon sie als Frau habe diesen Effekt: “the presence of women in epic is always generically subversive and transgressive.” McAuley (2010), 42. Allerdings wird durchaus in Werken, die allgemein zum Genre Epos gezählt werden, Frauen und vor allem Göttinnen agency zugesprochen. Vgl. z. B. in der Ilias Thetis oder Hera (z. B. Hom. Il. 14,187–241) oder Juno in der Aeneis, die ja weder die fata noch Jupiter in ihrem Handeln auf ihrer Seite hat. Zusätzlich fasst McAuley (2016), 387–389 das Thema der Mutter als Metapher für poetisches Schaffen auf. Es sei damit ein „alluringly subversive symbol for both generation and destruction.“ (McAuley [2016], 387) So könne eine neue Verbindung zur Vergangenheit der Gattung aufgebaut werden. Vgl. Hardie (1993), 63: „The epic storm that does not take place, so far from unleashing the energy necessary to set the poem in motion, would in fact have made it impotent in removing the material of the hero’s martial exploits.“ Vgl. Heslin (2015), XI–XIV. Vgl. Juhnke (1972), 165 f., der diese Stelle in Bezug zu Thetis’ Besuch bei Hephaistos und Charis in Hom. Il. 18,368–477 setzt: „Das erweiterte homerische Besuchsschema wird – mit einer sachbedingten Verkürzung infolge des Wegfalls der Rolle der Charis – unverändert übernommen, so daß die Wahrscheinlichkeit zufälliger Entsprechungen als recht gering veranschlagt werden darf.“ Ebd., 166. Ripoll/Soubiran (2008), 173 (ad 1,126f.) verweisen zusätzlich auf eine Parallele zu Hom. Od. 5,81: Wie Hermes sehe

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

75

vor Augen geführt. Bevor er dabei selbst auftritt, wird Thetis und dem Leser Achills jüngste Entwicklung von Chiron vorgestellt (143–158). Im Folgenden soll nun herausgearbeitet werden, wie Achill in dieser Szene beschrieben wird und dabei zwischen kindlichem und schon heldenhaftem Verhalten changiert. 2.2.1 Achill in Chirons Bericht   2.2.1.1 Einleitung des Berichts durch Thetis’ Rede Direkt nach ihrer Ankunft in Thessalien und einer längeren Ekphrasis des Ortes (vgl. 2.4.3.2) spricht Thetis Chiron an und fragt nach ihrem Sohn. Diese Rede hält Thetis, wie aus dem Kommentar des epischen Erzählers nach der Rede deutlich wird, um Chiron zu täuschen und ihn dazu zu bewegen, Achill mit ihr ziehen zu lassen: […] sic ficta parens: neque enim ille dedisset, si molles habitus et tegmina foeda fateri ausa seni. tunc ipse refert: […] (Stat. Ach. 1,141–143)

Dabei entspricht der erste Teil der Rede noch Thetis’ tatsächlichen Befürch‐ tungen und ihrer Ungeduld, die durch Achills Abwesenheit verstärkt werden: Iamdudum tacito lustrat Thetis omnia visu nec perpessa moras: ‘Ubinam mea pignora, Chiron, dic’, ait, ‘aut cur ulla puer iam tempora ducit te sine? […] (Stat. Ach. 1,126–129)

Thetis vermisst ihren Sohn und wirft dabei Chiron eine Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht als Erzieher vor. Ihr erscheint es unverantwortlich, dass Achill überhaupt schon Zeit ohne Chiron verbringt. Hierauf folgt jedoch die Schilderung eines angeblichen Albtraums,269 auf‐ grund dessen weitere Maßnahmen nötig seien: […] non merito trepidus sopor atraque matri signa deum et magnos utinam mentita timores? namque modo infensos utero mihi contuor enses,

269

Thetis nicht sofort den eigentlich Gesuchten und beginne das Gespräch mit ihrem Gast. Vgl. zu Hom Il. 18,369–19,4 als Vorbild für Statius’ Achilleis auch Bettenworth (2004), 40. Vgl. ebd., 45 das Übersichtsschema einer typisch epischen Gastmahlszene, der auch das Gastmahl in der Achilleis entspricht. Zu diesem Albtraum auch im Vergleich zu weiteren Albträumen von Frauen im römischen Epos vgl. Guipponi-Gineste (2010).

76

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

nunc planctu livere manus, modo in ubera saevas ire feras; saepe ipsa – nefas! – sub inania natum Tartara et ad Stygios iterum fero mergere fontes. hos abolere metus magici iubet ordine sacri Carpathius vates puerumque sub axe peracto secretis lustrare fretis, ubi litora summa Oceani et genitor tepet inlabentibus astris Pontus. ibi ignotis horrenda piacula divis donaque – sed longum cuncta enumerare vetorque. trade magis!’ […] (Stat. Ach. 1,129–141)

Während ihr unruhiger Schlaf (trepidus sopor, 129) wahr sein mag, sie selbst mit Paris’ Fahrt die Anzeichen für den kommenden Krieg gesehen hat (atraque matri | signa deum, 129 f.) und ihre Furcht sicher den Tatsachen entspricht (magnos utinam mentita timores, 130), ist ihr Traum erfunden. Sie habe geträumt, wie sich gegen ihren Mutterleib Schwerter richteten (infensos utero mihi contuor enses, 131), ihre Hände vom Trauergestus blau würden (planctu livere manus, 132) und wilde Tiere auf ihre Brüste losgingen (in ubera saevas | ire feras, 132 f.). Die Bedrohung für Achill wird also in Thetis’ Träumen zur körperlichen Bedrohung für sie als Mutter.270 Diese Art von Träumen erscheint durch die Temporaladverbialen modo (131), nunc (132), und nochmals modo (132) als häufige Variation eines Themas. Zusätzlich sei ein sich häufig wiederholender Traum (saepe, 133), wie sie Achill ein zweites Mal in die Styx eintauche (ad Stygios iterum fero mergere fontes, 134).271 Auf diesen überzeugend geschilderten Traum hin, der beim Leser und auch bei ihrem eigentlichen Adressaten Chiron Mitleid für die Mutter, die von Angst getrieben wird, erzeugen kann,272 will sie, wie sie behauptet, Sühnemaß‐ nahmen ergreifen: Proteus (Carpathius vates, 136) habe ein magisches Ritual am äußersten Endes des Okeanos, d. h. am Ende der bewohnten Welt, befohlen. Bisher wurde für die Beschreibung dieses Vorwands nur Intertextualität mit Didos Verhalten im vierten Buch der Aeneis angenommen, in dem Dido Anna ebenfalls mit einem vorgeblichen magischen Ritual täuscht. So verweist Jannaccone auf Verg. Aen. 4,480, wo Dido die Herkunft der Priesterin, die ihr das Ritual befohlen haben soll, mit Oceani finem iuxta beschreibt.273 Dilke sieht zusätzlich eine Parallele 270 271 272 273

Vgl. Mendelsohn (1990), 299. Zur Schilderung, wie Achill in die Styx eingetaucht wird, vgl. Harrauer (2010). Vgl. Guipponi-Gineste (2010), 109, die die überzeugende Schilderung herausarbeitet und den Effekt ‘Mitleid mit Thetis’ für den Leser annimmt. Dieser erzeugte Affekt lässt sich auch auf Chiron übertragen. Vgl. Jannaccone (1950), 67 (ad 1,137f.) mit Druckfehler als 4,48.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

77

zwischen magicum sacrum und magicae artis (Aen. 4,493).274 Dieser Ansicht folgen auch Ripoll/Soubiran und Uccellini in ihren Kommentaren.275 Zusätzlich will Dilke in Aeneis 4,498 aufgrund seiner Annahme von Intertextualität die Variante von P1 iubet statt dem allgemein akzeptierten iuvat vorziehen:276 „[T]he reading iubet should be accepted rather than iuvat, as St[atius] has clearly copied the former.“277 So würde eine Parallele zwischen abolere nefandi | cuncta viri monimenta iubet monstratque sacerdos (Verg. Aen. 4,496f.) und hos abolere metus magici iubet ordine sacri (Ach. 1,135) entstehen. Allerdings würde erst bei einem so starken Eingriff in den Text der Aeneis, der meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist und der Didos Rede viel an Aussagekraft nehmen würde, tatsächlich nennenswerte Intertextualität entstehen. Die Herkunft der Priesterin verweist eher auf Didos eigentliches Ziel, den Tod, indem auf Odysseus’ Zielort im elften Gesang der Odyssee verwiesen wird. Die angeblichen Parallelen bleiben also insgesamt schwach und die Intertextualität ist keineswegs so deutlich, dass man wie Heslin sagen könnte, Thetis folge nun Didos Modell.278 Somit lässt sich auch kaum argumentieren, dass „im Unterschied zu den früheren Anklängen der Thetis an vergilische Gottheiten, […] Thetis nun gewissermaßen ein menschliches Modell“279 wähle. Damit wird auch nicht „auf einer intertextuellen Ebene […] eine Reduzierung des Pathos auf das Pathos einer enttäuschten Sterblichen und nicht mehr einer zürnenden oder besorgten Göttin erreicht.“280 Sprache und Stil erinnern dabei viel mehr an eine Nekyia, wie sie Odysseus im elften Gesang der Odyssee unternimmt: So entsprechen die litora summa | Oceani (Ach. 1,137f.) Odysseus’ Beschreibung ἣ δ᾽ ἐς πείραθ᾽ ἵκανε βαθυρρόου Ὠκεανοῖο (Hom. Od. 11,13.), die secreta freta Kirkes Beschreibung der Unter‐ weltsflüsse (Hom. Od. 10,513–515) und ignotis horrenda piacula divis | donaque der Beschreibung des Opfers, das Odysseus für die Toten darbringen soll (Hom. Od. 10,517–520, 531–534, 11,23–36). Bei den ignoti divi handelt es sich, wie im Vergleich zu Val. Fl. 3,426 deutlich wird, um die Totengötter,281 die bei Homer 274 275 276 277 278

279 280 281

Vgl. Dilke (1954=2005), 95 (ad 1,135 ff.). Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 174 (ad 1,135–139) und Uccellini (2012), 128 f. (ad 1,135–139). Vgl. Dilke (1954=2005), 95 (ad 1,135 ff.). Dilke (1954=2005), 95 (ad 1,135 ff.). Vgl. Heslin (2005), 116 f. Hier argumentiert Heslin, dass ein solches Verhalten geschickter sei als eine Imitation von Junos Verhalten, da beide Frauen einen anderen dazu bringen wollten, etwas sonst Inakzeptables zu tun. Durch Didos Tod sei auch für Thetis’ Vorhaben ein schlechter Ausgang vorhersehbar. Bitto (2016), 206. Bitto (2016), 206. Nach dieser Argumentation würde jedoch wohl auch schon in der Aeneis Pathosreduktion stattfinden. Vgl. dazu das Sühnopfer für die Toten, das Mopsus in den Argonautica durchführen lässt: Val. Fl. 3,426f.: circum humiles aras ignotaque nomina divum | instituit. Vgl. Manuwald (2015), 178 (ad 3,426f.), die hier humilis als Indiz sieht, dass es sich dabei

78

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

allerdings persönlich genannt und als ἴφθιμος (Hades) beziehungsweise ἐπαινή (Proserpina) (Hom. Od. 10,534, 11,47) bezeichnet werden. Thetis beendet ihre Rede mit einem Schweigegebot, das ihr für den geheimen Ritus auferlegt sei: sed longum cuncta enumerare vetorque (Ach. 1,140). Chiron solle Achill lieber gleich übergeben: trade magis! (141)282 Dieses abrupte Ende ihrer Rede deutet dabei nicht auf ihre rhetorische Inkompetenz hin,283 sondern unterstreicht vielmehr das Unheimliche: Post indicationes illas ignotis horrenda nescio quid extraordinarii expectatur; tacendo poeta legentes non prohibet sibi quidquid volunt fingere, quem effectum adiuvat etiam intenditque vetorque.284

Gerade durch die Aposiopese und den Verweis vetorque erhält Thetis’ Rede noch mehr Wirkung und der unheimliche Effekt des Verweises auf ein Opfer für Unterweltsgötter wird verstärkt.   2.2.1.2 Chirons Bericht Für Chiron ist Thetis’ Rede überzeugend und er stimmt sofort ihren vorgege‐ benen Plänen zu: […] ‘Duc, optima, quaeso, duc, genetrix, humilique deos infringe precatu. nam superant tua vota modum placandaque multum invidia est. non addo metum, sed vera fatebor:

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um Totengötter handeln könnte. Ignotus wird oft auch in Verbindung mit magischen Ritualen gebraucht: Vgl. z. B. Ov. met. 14,299, Lucan. 6,113, 495. Zum Gedanken eines unbekannten Unterweltsgottes vgl. auch Lucan. 6,497–499. In Bezug von ignotus auf nox Sen. Herc. f. 942f. Heslin (2005), 117 f. empfindet magis als zweideutig. Statt magis im Sinne von potius zu verstehen, wie es alle modernen Kommentare erklären, sei es möglich auch magīs, d. h. „übergib ihn den Zauberern“ zu lesen. Damit untergrabe Thetis unterschwellig ihre Argumentation, da sie Achill dann an andere Personen wieder weitergebe. Zur allgemein akzeptierten Deutung siehe jedoch Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,141), Jannaccone (1950), 67 (ad 1,141), Dilke (1954=2005), 95 (ad 1,141), Uccellini (2012), 131 (ad 1,141) und Nuzzo (2012), 60 (ad 1,141–143) sowie in ihren Übersetzungen Méheust (1971), 12 und Ripoll/Soubiran (2008), 107. So Heslin (2005), 117f.: „Thetis’ impatience, her abrupt curtailment of the argument, and the peremptory way she makes her demand are further signs of her lack of rhetorical fluency. She has not fully thought out the details of her lie, and so abruptly brings it to a halt.“ Ebd., 117. Sowie später: „Thetis is successful in her appeal to Chiron, but even here her unique style of self-destructing argument is apparent.“ Ebd., 118. Ebenso Ganiban (2015), 81f. Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,139).

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

79

nescio quid magnum – nec me patria omina fallunt – vis festina parat tenuesque supervenit annos. olim et ferre minas avideque audire solebat imperia et nostris procul haut discedere ab antris; nunc illum non Ossa capit, non Pelion ingens Pharsaliaeve nives. ipsi mihi saepe queruntur Centauri raptasque domos abstractaque coram armenta et semet campis fluviisque fugari; insidiasque et bella parant tumideque minantur. olim equidem, Argoos pinus cum Thessala reges hac veheret, iuvenem Alciden et Thesea vidi – sed taceo.’ (Stat. Ach. 1,143–158)

Chiron spricht Thetis als optima […] | […] genetrix (143 f.) an und stimmt ihrem angegebenen Vorhaben zu. Ein Sühneopfer hält er dabei für sinnvoll: Chirons Ansicht nach übersteigt Achills künftiges Heldentum, auf das Thetis, wie er glaubt, hofft, das übliche Maß: nam superant tua vota modum (145). Chiron, kann, wie später in seiner Rede deutlich wird, Achills Entwicklung richtig einschätzen (nec me patria omina fallunt, 147). Chiron erkennt, dass viel göttlicher Neid (invidia, 146) entstanden ist und deswegen gesühnt werden muss.285 Humilis precatus (144) ist daher durchaus für Thetis angebracht. Dies sieht er durch seine Beobachtungen bestätigt. Er wolle damit nicht Thetis’ Furcht verstärken, werde aber die Wahrheit sagen (non addo metum, sed vera fatebor, 146). Dabei entspricht seine Wahrnehmung Achills zukünftigem Heldentum: The masculine destiny to which Achilles is called at the end of the completed portion of the Achilleid is, of course, an eminent literary tradition. It is not just any glorious mythical future, but specifically the plot of the Iliad that beckons. Chiron recognizes this.286

Chiron sieht dabei etwas Großes im Entstehen begriffen: nescio quid magnum […] | vis festina parat tenuesque supervenit annos (147 f.). Wie Heslin heraus‐

285

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Vgl. Fantham (1999), 62: „Diplomatically he remarks that Achilles’ extraordinary talents must have provoked divine jealousy: his premature development (vis festina) augurs some future greatness. This is, of course, what every parent longs to hear, but it is also something Statius’ readers know to be true”. Heslin (2005), 295.

80

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

gestellt hat, besteht hierbei Intertextualität mit Properz’ Ankündigung der Aeneis:287 cedite, Romani scriptores, cedite, Grai! nescio quid maius nascitur Iliade. (Prop. 2,34,65f.)

Somit verweist Chiron auf das magnum (Ach. 1,147), d.h. die Ilias, das bei Properz zum maius (Prop. 2,34,66), d. h. der Aeneis, gesteigert wird.288 Achills Erzieher sieht in Achill schon die Grundlage für sein heldenhaftes Handeln in der Ilias reifen: Statius says “great” (magnum) instead of “greater” (maius), because it is not something greater than the Iliad that is in preparation for Achilles, it is the Iliad itself that is in preparation.289

Gleichzeitig kann nach Heslin nescio quid magnum (Ach. 1,147) als metapoeti‐ scher Wink auf Statius’ Selbsteinschätzung des eigenen Epos gelesen werden.290 Somit verordnet sich die Achilleis in ihrer epischen und homerischen Tradition und damit auf ähnlicher Ebene wie die Ilias.291 Chiron betont vor seinem eigentlichen Bericht noch einmal seine Expertise als Helden-Erzieher, die sich quasi als Ringkomposition um seinen Bericht zieht:292 Chiron ist nicht vom Wissen um die Prophezeiung, die Achill eine große Zukunft als epischer Krieger verheißt (nec me patria omina fallunt, 147), beziehungsweise seine eigenen Wünsche für sein Ziehkind geblendet,293 287

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Vgl. Heslin (2005), 296. Schon kurz notiert wurde zuvor diese Anspielung bei Koster (1979), 201 Fn. 34. Auch Ovid verweist wohl in seinem Brief von Medea an Jason (Ov. epist. 12,212) auf diese Verse bei Properz. Vgl. Hinds (1993), 41–43 und Barchiesi (2001b), 113. Gegen diese Intertextualität spricht sich Nuzzo (2012), 60 (ad 1,143–148) aus, der auf zwei weitere ähnliche Stellen (Petron. 83,7, Gell. 17,2,19) verweist. Allerdings könnte auch die Beschreibung des poeta als senex canus, qui videretur nescio quid magnum promittere bei Petron auf Properz’ Ankündigung der Aeneis anspielen und einen besonderen Witz erzeugen. Heslin (2005), 296. Vgl. Heslin (2005), 296. Nach Bitto (2016), 207 „kommt Heslin hier der Deutung der Achilleis als Ethos-Epos auf mittlerer Ebene nahe.“ Allerdings entspricht ja gerade das magnum der Ilias und damit keinem „Ethos-Epos“. Vgl. dazu auch Ov. am. 3,1,24: incipe maius opus und Ov. am. 3,1,70: grandius […] opus, wo wie in Ov. epist. 12,212 auf die höherstehende Gattung, d. h. das Epos bzw. die Tragödie verwiesen wird. Vgl. Spoth (1992), 203 f. Zum Bezug von Ov. epist. 12,212 auf die Metamorphosen als Epos und dabei insbesondere auf met. 7,276 vgl. Williams (2012). Vgl. Chirons Verweis, dass er auch schon andere junge Helden gesehen hat: Ach. 1,156f. Die patria omina werden unterschiedlich interpretiert: Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,147) deutet dies – wohl in Anlehnung an Maturantius (1508), 183 (patria) – als Art von

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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sondern hat selbst die Erfahrung zu beurteilen, wenn er einen jungen Helden vor sich hat. Achills Entwicklung zum Helden, die Chiron beobachtet hat,294 kommt dabei vor der eigentlich hierfür gewöhnlichen Zeit: tenuesque supervenit annos (148). Wie schon Willy Schetter festgestellt hat, vollzieht sich Achills Entwicklung dabei in einer dreifachen Stufenfolge295 beziehungsweise einer „pathetische[n] Steigerung“296: Diese geht vom eigentlichen Urzustand (olim, 149) aus, der als Hintergrundhandlung für Achills jetzige Veränderung geschildert wird: Zuvor war Achill gefügig gegenüber Drohungen, gehorsam und entfernte sich nie weit weg von der Höhle (et ferre minas avideque audire solebat | imperia et nostris procul haut discedere ab antris, 149 f.). Im Gegensatz dazu steht sein nun auftretendes Verhalten (nunc, 151): Neben dem Ungehorsam gegenüber Chiron zieht es Achill immer weiter weg von der Behausung des Kentauren: Sein Aktionsbereich erstreckt sich schon über ganz Thessalien, wobei ihn weder gewaltige Gebirge (non Ossa capit, non Pelion ingens, 151) noch schlechte Witterung (Pharsaliaeve nives, 152) aufhalten. Schließlich erreichen Chiron

294 295 296

Prophezeiungen, die stolze Väter grundlos für ihre Kinder machen: „Vanitas patrum propria quae efficit ut res nullius momenti magnum filii ingenium, praeclaram indolem, egregiam fore eius gloriam portendere, patefacere credant.“ So auch Jannaccone (1950), 68 (ad 1,147), Méheust (1971), 12 Anm. 8. und Heslin (2005), 288 f. Zusätzlich verweist Jannaccone auf ungenannte ältere Kommentatoren, die dies als Verweis auf Achills Größe im Vergleich zu seinem Vater gedeutet hätten. Damit bezieht sie sich wohl ebenfalls auf Maturantius (1508), 183 (patria): „patria omina: quibus ominatum fuerat achillem (!) patre suo longo maiorem fore“. Dilke (1954=2005), 95 f. (ad 1,147) sieht patria omina als die Gabe der Weissagung, die Chiron durch seinen Vater Kronos verliehen worden sei. Aufgrund dessen wollte Soubiran patria durch die Konjektur propria ersetzen. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 176 (ad 1,147). Nuzzo (2012), 60 (ad 1,143–148) versteht Dilkes Aussage als „le profezie fatto da mio padre“. Die Interpretation der omina als Chirons Weisagekunst lässt sich jedoch kaum mit der eigentlichen Wortbedeutung verbinden. Vgl. ThlL IX,2 (1974), 573.37–578.13, s.v. ōmen. Soubirans Konjektur ist m. E. nicht unbedingt nötig, da es sich in den folgenden Versen nicht um eine Prophetie handelt, sondern um Chirons Wahrnehmung von Achills Entwicklung. Mit Nuzzo eine Prophetie von Kronos hier anzunehmen, ist im Kontext kaum sinnvoll. Deswegen würde ich wie Maturantius patrius auf Achills Vater Peleus beziehen. Kozák (2013), 257–258 sieht dies als Verweis auf Val. Fl. 1,255–259 und Achills dortiges Verhalten, das auf sein künftiges Heldentum hinweist. Möglich wäre auch ein Bezug auf die Prophezeiung, die Achills Vater Peleus bei seiner Hochzeit mit Thetis gemacht wird (Catull. 64,323–381). So könnte man die patria omina als „die Prophezeiungen für seinen Vater“ auffassen. Für Kozák (2013), 257 deutet vis festina auf Chirons Erziehungsauftrag für Achill bei Val. Fl. 1,270 hin: nostram festinet ad hastam. Vgl. Schetter (1960), 132. Bitto (2016), 207.

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zahlreiche Beschwerden von anderen Kentauren (ipsi mihi saepe queruntur | Centauri, 152 f.): Diese eigentlich sehr kriegerischen und aggressiven Wesen297 sind hilflos gegenüber Achills Taten: Dieser plündert ganz offen ihre Häuser aus (raptasque domos, 153), stiehlt ihr Vieh (abstractaque coram | armenta, 153 f.) und vertreibt sie von Feldern und Flüssen (semet campis fluviisque fugari, 154). Dabei handelt es sich nicht mehr um „boyish pranks“298. Achill geht damit Tätigkeiten nach, die ganz denen eines homerischen Helden entsprechen: Das Plündern der Stadt nach der Einnahme gehört zum heldenhaften Verhalten (vgl. Hom. Od. 8,514). Auch der Raub von Vieh ist für Odysseus nach seiner Heimkehr eine ganz normale Methode, um seine Bestände wieder aufzustocken (vgl. Hom. Od. 23,356f.). Wie schon oben besprochen,299 entspricht das Vertreiben der Feinde von Feldern und insbesondere von Flüssen Achills Tätigkeit in der Ilias. Im Übrigen stimmt Achills Verhalten mit dem anderer junger Helden überein. Dies wird zum Beispiel im Vergleich zu Romulus und Remus bei Livius deutlich: Ita geniti itaque educati, cum primum adolevit aetas, nec in stabulis nec ad pecora segnes venando peragrare saltus. Hinc robore corporibus animisque sumpto iam non feras tantum subsistere sed in latrones praeda onustos impetus facere pastoribusque rapta dividere et cum his crescente in dies grege iuvenum seria ac iocos celebrare. (Liv. 1,4,8f.)

Wie auch Achill beginnen Romulus und Remus, sobald sie herangewachsen sind, zunächst ihren Aktionsradius zu erweitern. Sobald ihre Kräfte gestiegen sind, jagen sie nicht mehr nur wilde Tiere, sondern überfallen auch Räuber. Ihr Verhalten ähnelt also sehr Achills Entwicklung. Wie für Romulus und Remus bei Livius (1,5,3) folgt auch für Achill in der Achilleis eine Reaktion der Überfallenen: Die Kentauren bereiten Krieg gegen Achill vor und wollen ihm auflauern (insidiasque et bella parant, Ach. 1,155). Zusätzlich stoßen sie Drohungen aus, wenn sie Chiron besuchen. Je nach Lesart sind sie dabei tumidi (EBRCKQ) beziehungsweise timide (P). Eine Form von tumidus300 würde den Zorn der Kentauren betonen,301 während timide, das vor

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Vgl. bspw. Chirons Charakterisierung ex negativo im Vergleich zu seinen Verwandten in Ach. 1,111–115 und die Kentauren im homerischen Epos: Hom. Il. 2,742–744, Od. 21,295–304. Heslin (2005), 181. Vgl. S. 68f. Kohlmanns Konjektur tumide wird in vielen Editionen übernommen. Méheust (1971), 13 Anm. 2 und Ripoll/Soubiran (2008), 177 begründen dies zusätzlich mit der wilden Natur der Zentauren, zu denen tumide besser passe.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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allem in italienischen Ausgaben übernommen wird,302 durch das Oxymoron zwischen timide und minantur herausheben würde, wie eingeschüchtert die Kentauren durch Achill sind.303 Diese Auswirkungen von Achills Verhalten könnten auch erklären, weshalb Chiron zuvor davon gesprochen hatte, dass viel Neid besänftigt werden müsse (placandaque multum | invidia est, 145 f.). Chiron könnte hier Thetis’ Träume als Folge von Achills Verhalten und die daraus resultierende Bedrohung durch die Kentauren sehen. Hieraufhin verweist Chiron auf andere junge Helden, die er früher gesehen hat: Als die Argonauten (Argoi reges, 156) nach Thessalien gekommen seien, habe er den jungen Herkules und Theseus gesehen (iuvenem Alciden et Thesea vidi, 157). Dabei wird er nicht aufgrund seines Alters geschwätzig,304 sondern verfolgt damit ein bestimmtes Ziel: Chiron kann damit seine Expertise belegen. Er weiß, wie sich junge Helden verhalten. Achill kommt schon an das Verhalten von großen griechischen Heroen im Jugendalter heran.305 Die Aposiopese spricht für sich. Achill, so läßt Chiron durchblicken, übertrifft schon bei weitem die Helden der Argonautengeneration. Inhaltlich gesehen sind dies alles keine Neuigkeiten. Der größte griechische Held vor Troja ist Achill schon in der Ilias. Damit ist auch seine Hinordnung auf den Trojanischen Krieg gegeben.306

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Jannaccone (1950), 69, Rosati (1994), 90, Nuzzo (2012), 60 und Uccellini (2012), 14. Auch Dilke (1958), 711 Fn. 2 sprach sich später für timide aus und bezeichnete tumide als „a slip in the present writer’s edition“. So auch Dilke (1963), 503. Nicola Terzaghi (1956), 3 begründet dabei den Vorzug von timide als lectio difficilior: „In I 155 tumideque minantur è sicuramente trivializzazione di P, perché non si capiva questa parola accanto a bella parant, e non si vide come essa mettesse in rilievo il timore nutrito dai Centauri, non ostante la loro forza, davanti alla esuberanza del fanciullo Achille.“ Vgl. Uccellini (2012), 136 f. (ad 1,152–155), Nuzzo (2012), 61 (ad 149–155). So Bitto (2016), 208. Bitto sieht den Verweis auf die Helden der Argo als Unterbrechung der pathetischen Rede, sie diene also der Pathosreduktion. Ganz im Gegenteil wird m. E. hier noch mehr Pathos aufgebaut, da Achill ja vom Alter her noch nicht Herkules oder Theseus entspricht, aber dennoch schon ähnliches Verhalten zeigt. Siehe Maturantius (1508), 183 (sed taceo): „praestantior visus est, voluit dicere.” So auch Jannaccone (1950), 70 (ad 1,158): „[I]ncerto è cosa avrebbe detto, forse voleva preporre Achille ad Ercole ed a Teseo.“ So auch Fantham (2003), 119 und Parkes (2009b), 476 f. Dagegen Ripoll/Soubiran (2008), 177 (ad 1,156f.) und Ripoll (2014), 99 f., die 1,156f. als Verweis auf Val. Fl. 1,255–263 lesen. Chiron wolle an die dortige Begeisterung Achills für Herkules erinnern. Schetter (1960), 133. So auch Hibst (2004), 265, der sich – auch sprachlich – sehr an Schetter anlehnt.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Seine Ausführungen in dieser Richtung bricht Chiron jedoch ab (sed taceo, 158):307 Achill ist angekommen und Thetis kann sich nun selbst ein Bild von ihm machen.308 2.2.2 Achill bei seiner Ankunft   2.2.2.1 Achill als Jäger Achills Erscheinen lässt Thetis sofort erblassen: Figit gelidus Nereida pallor (158). Auch wenn für Thetis Achills Anblick erschreckend ist, ist seine Beschrei‐ bung nicht eindeutig schrecklich. Thetis’ Erschrecken ist vielmehr dadurch begründet, dass sie nun erkennt, wie heldenhaft Achill schon ist:309 ille aderat multo sudore et pulvere maior, et tamen arma inter festinatosque labores dulcis adhuc visu: niveo natat ignis in ore purpureus fulvoque nitet coma gratior auro. necdum prima nova lanugine vertitur aetas, tranquillaeque faces oculis et plurima vultu mater inest, qualis Lycia venator Apollo cum redit et saevis permutat plectra pharetris. (Stat. Ach. 1,159–166)

Dabei ist sein Bild bestimmt von einer Mischung aus Beschreibungselementen, für ein Kind beziehungsweise einen Helden, wie er für die Darstellung von jugendlichen Helden insbesondere auch bei Statius typisch ist.310 Diese Jugend‐ lichen sind oft von „elements of an ambiguity that is often fatal to the puer in battle“311 gekennzeichnet. Achill, dessen Darstellung La Penna als „l’ultima creazione di Stazio nella sua galleria di efebi“312 bezeichnet, erscheint dabei zunächst als heldenhafter Krieger:

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Heslin (2005),182 erklärt dies damit, dass Chiron nicht wolle, dass Achill die „quasi-parental discussion“ mithöre. So auch Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,156): „Chiron iuvenem videns tranquille eum laudare desinit, cum coram eo id facere nolit”. Bessone (2018), 173 fasst den Effekt folgendermaßen zusammen: „The young Achilles, thanks to the narrative cutting, literally superimposes his image onto that of the greatest heroes and thus supplements by action the words of his teacher, truncated by aposiopesis.“ Vgl. Sanna (2008), 205, Ganiban (2015), 82. Vgl. zu ephebischen Helden bei Statius Schetter (1960), 43–48, Sanna (2008) und La Penna (1996) = La Penna (2000), 135–168. Sanna (2008), 195. La Penna (1996), 176.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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Kennzeichnend für ihn sind Schweiß und Staub: multo sudore et pulvere maior (159). Dies macht Achill jedoch nicht zum „halbwüchsigen Wilden“313; Schweiß und Staub stehen stattdessen topisch für den Krieg314 und bringen Achill damit in die Nähe eines epischen Kriegers (maior, 159).315 Sanna betont dabei den Unterschied zu den anderen kindlichen Helden bei Statius: In a line which recalls epic feats (1.159 […]), sweat and dust constitute a heroic and ennobling element for young Achilles, not so much an aesthetic decoration increasing the puer’s delicate charm as with Parthenopaeus. This line, emphatically closed in a strong hyperbaton by the word maior, through chiasmus and alliteration helps to increase the espressive (!) range and the character’s stature (multo sudore et puluere maior).316

Anders als bei anderen pueri sind für Achill Schweiß und Staub nicht nur dekorative Zierde, sondern konstitutiv für seinen Charakter. Wie die anderen Kinder-Helden ist jedoch auch Achill von Ambiguität gekennzeichnet: Trotz seiner Waffen und seiner Anstrengungen317 ist Achill noch süß anzusehen 313 314 315

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Koster (1979), 202. Vgl. Sanna (2005), 418 und Sanna (2008), 195–197. So auch Keith (2017), 290. Keith sieht Achill noch nicht als Krieger, aber vergleicht ihn mit einem trainierenden Athleten. Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,159) notiert hierzu: „S[tatius] autem voc. magnus synonymisque saepe ad quamvis rem vel personam laudabilem praesertim autem deos hominesque regios indicandos utitur“. Hier auch zahlreiche Belegstellen dafür. Vgl. zu dieser Deutung auch Dilke (1954=2005), 96 (ad 1,159), der maior als „more impressive“ übersetzt. Vgl. auch Uccellini (2012), 139 (ad 1,159). Für Chinn (2015), 175–178, der Ach. 1,159–161 metapoetisch liest, ist maior ein Hinweis auf die Wirkung von Statius’ Dichtung. Durch den Schweiß und Staub, den der Dichter beim Dichten aufwende, werde Achill „a greater poetic creation“ (ebd. 175). Sudor und pulvis fasst Chinn dabei als metapoetische Begriffe für das Dichten auf, da mit Verweis auf McNelis (2007), 50–75 und Lovatt (2002), 84 f. in Stat. Theb. 2,273–276 Vulkans Arbeit an Harmonias Halsband metapoetisch für die des Dichters am Werk stehe. Vulkans Arbeit werde als schweißtreibend beschrieben. Zudem seien seine Kyklopen docti, was ein eindeutiger Hinweis auf Metapoetik sei. Im Proöm der Achilleis (1,17f.) werde dann pulvis mit sudare verbunden. Maior in Stat. Ach. 1,159 setzt Chinn in Bezug zu Hom. Od. 6,229–231, wo Athene Odysseus größer erscheinen lässt. Diese göttliche Tätigkeit übernehme in der Achilleis der Dichter. Allerdings bleiben diese Bezüge eher konstruiert und waren sicherlich auch für den antiken Leser kaum nachvollziehbar. Auch verbindet m. E. auch Achill selbst, wie von Chinn (2015), 175 f. behauptet in Ach. 2,154–158 nicht sudor mit Dichtung. Stattdessen betont Achill an der genannten Stelle, dass ihm Speerwerfen, Ringen und Boxen genauso wenig Schweiß bereitet haben wie das Lyraspiel. Sanna (2008), 205. Vgl. dazu auch Sanna (2005), 427. Die Bezeichnung der labores als festinati kann dabei als Hinweis auf Achills Geschick‐ lichkeit und Schnelligkeit, für die er schon bei Homer bekannt ist, gelesen werden. Chinn (2015), 176 f. liest dies jedoch auf als hastig verfasste Gelegenheitsdichtung, d. h. Statius’ Silven. Arma stehe für das Epos.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

(dulcis adhuc visu, 161).318 Sein schneeweißes Gesicht färbt sich rot und seine Haare strahlen schöner als Rotgold.319 Achills Gesichtsfarbe entspricht dabei der typischen Darstellung von Epheben,320 während seine blonde Haarfarbe typisch für griechische Heroen ist.321 Achill wächst noch kein erster Bart, weshalb er sich noch im ersten Lebensabschnitt, d. h. der pueritia, befindet (necdum prima nova lanugine vertitur aetas, 163).322 Achills Blick ist ruhig und sein Gesicht ähnelt – wie in Statius’ Darstellungen von Epheben üblich – dem seiner Mutter (plurima vultu | mater inest, 164 f.).323 Mit einem epischen Gleichnis wird der erste Teil seiner Beschreibung abgeschlossen: Achill ähnelt ganz Apoll, wenn er aus Lykien von der Jagd zurückkehrt und seine Jagdausrüstung mit der des Dichtergottes austauscht: […] qualis Lycia venator Apollo cum redit et saevis permutat plectra pharetris. (Stat. Ach. 1,165f.)

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Zu dulcis als Bezeichnung für einen Epheben-Helden (Parthenopaeus) vgl. Stat. Theb. 9,701f. Abwegig ist Benkers (1987), 71–74 These, dass es sich hierbei um Herrscherkritik handeln könnte, da Domitian kahlköpfig gewesen sei. Vgl. zur Einschätzung dieser Monographie auch Ripoll/Soubiran (2008), 27 Fn. 50: „Les lecteurs qui ont envie de rire un peu pourront voir à ce sujet la thèse délirante de M. BENKER“. Vgl. ebenfalls zur Frage der Herrscherkritik in Statius’ Achilleis Hibst (2004), 268 f., der zum Schluss kommt, das Epos sei Panegyrik. Vgl. Sanna (2004), 294 f. und Sanna (2008), 199 m. Fn. 11. Auch bei Apollonios wird der Ephebe Hylas ähnlich dargestellt, kurz bevor er von einer Quellnymphe entführt wird. Vgl. Apoll. Rhod. 1,1229–1232. Damit überschneidet sich diese Beschreibung mit der junger Frauen. Vgl. z. B. Verg. Aen. 12,605f. Gutzwiller (1981), 74 sieht hier eine Anspielung auf [Bion] 2,18f., wo Achills Aussehen auf Skyros beschrieben wird. Auch dort ist seine Gesichtsfarbe weiß, die sich dann rötet. Gutzwiller stellt dabei auch die Differenzen zur Achilleis heraus: Während Achill in [Bion] 2 feminin dargestellt wird, ist für Gutzwiller die Röte in der Achilleis ein Zeichen für einen jungen Helden („[T]he bloom of youth on a young man who already displays his heroic qualities.“). Zu [Bion] 2 vgl. auch unten 2.3.3.2. Chinn (2022), 168–170 verweist auf Apollons Darstellung in Tib. 3,4,27–34, wo der Gott ebenfalls weiß und purpurrot beschrieben wird (et color in niveo corpore purpureus, Tib. 3,4,30). In der Ilias sind viele Helden ξανθός: Achill selbst (Hom. Il. 1,197, 23,141), Menelaos (3,284, 4,183, 4,210, 17,6, 17,18, 17,113, 17,124, 17,578, 17,673, 17,684, 23,293, 23,401, 23,438) und Meleager (2,642,). Auch Jason (Apoll. Rhod. 1,1084, 3,1017) und Rhadaman‐ thys (Hom. Od. 7,323) sind blond. Zur Einteilung der Lebensalter vgl. Eyben (1973). Zur Bedeutung des Bartes für das Erwachsenwerden und der depositio barbae vgl. Hurschmann, Rolf: Bart. II. Griechen‐ land und Rom, in: DNP 2 (1997), 457f. Vgl. z. B. die Darstellung von Parthenopaeus in Atalantes Darstellung: dum […] vultusque recedunt | ore mei. (Stat. Theb. 4,336f.). Vgl. auch Sanna (2005), 426 Fn. 33, Sanna (2008), 213 Fn. 42, Mendelsohn (1990), 300 und La Penna (1996), 166.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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Aufgrund zahlreicher Übereinstimmungen in ihrer Beschreibung und in ihren Fähigkeiten wurde Apollon schon für die Ilias als Modell für Achill ange‐ nommen.324 Wie Uccellini herausgearbeitet hat, ist auch in der Achilleis ein Vergleich mit Apollon für Achill besonders günstig: Zum einen deutet das gewählte Gleichnis in der Achilleis sowohl zurück als auch voraus: Apollon ist Jäger und geht zu seiner Tätigkeit als Gott der Dichtung über. Genauso kommt Achill von der Jagd zurück und wird später auf der Lyra spielen. Apollon ist eine ephebisch dargestellte Gottheit, die darin sehr gut mit Achills Darstellung übereinstimmt: „Apollo è il dio, eternamente sbarbato, che rappresenta il simbolo della giovanile virilità“.325 Zudem verbindet Achill mit Apollon die „Koexistenz der scheinbar widersprüchlichen gewalttätigen und musischen Züge“.326 Das Gleichnis selbst steht dabei in einer Tradition von Gleichnissen:327 Zum einen entspricht es dabei dem im vierten Buch der Aeneis, als sich Aeneas und Dido auf der Jagd befinden:328 […] ipse ante alios pulcherrimus omnis infert se socium Aeneas atque agmina iungit qualis ubi hibernam Lyciam Xanthique fluenta deserit ac Delum maternam invisit Apollo instauratque choros, mixtique altaria circum Cretesque Dryopesque fremunt pictique Agathyrsi; ipse iugis Cynthi graditur mollique fluentem fronde premit crinem fingens atque implicat auro, tela sonant umeris: haud illo segnior ibat Aeneas, tantum egregio decus enitet ore. (Verg. Aen. 4,141–150)

Auch in diesem Gleichnis kehrt Apollon aus Lykien zurück. Aeneas erfüllt dabei zwei von Apolls Tätigkeiten: Wie Apoll die Feiernden in seinem Heiligtum anleitet, so verbindet Aeneas die beiden Gruppen der Trojaner und Karthager. Auch in seinem Aussehen ragt er heraus: Er erscheint so wie der Gott, der auf seinem heimatlichen Berg jagt und dabei die Pfeile sausen lässt (tela sonant umeris, 149). Wie bei Statius werden hier zwei eher gegensätzliche Tätigkeiten

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Vgl. Rabel (1990), Robbins (1993), 19 f. und Mackie (1997), 7f. Uccellini (2012), 144. Bitto (2016), 211. Für Keith (2017), 290 bezieht sich das Gleichnis auf Hor. carm. 3,1,47f. und 2,10,18–20. Allerdings benutzt Horaz in carm. 3,1,47f. lediglich dasselbe Verb permutare und in 2,10,18–20 werden nur Bogen und Lyra als Apollons Attribute erwähnt. Vgl. hierzu McNelis (2015b), 190–192.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

des Gottes verbunden: Er ist mit der friedfertigen Anordnung der Chöre beschäftigt, während die Feiernden dazu lärmen. Als Gegensatz dazu erscheint seine gefährliche Seite als Bogenschütze. Zusätzlich verweist das Gleichnis auf das im ersten Buch der Aeneis, in dem Dido mit Diana verglichen wurde (Verg. Aen. 1,498–502), zurück.329 Auch bei Statius findet das Apollon-Gleichnis seine Relation: Hier allerdings als Vorverweis auf den Vergleich von Deidamia mit Diana (Ach. 1,294f.)330 und vom verwandelten Achill mit Hekate (1,344–348). Das Apollon-Gleichnis in der Aeneis rekurriert wieder auf ein Gleichnis bei Apollonios von Rhodos:331 οἷος δ’ ἐκ νηοῖο θυώδεος εἶσιν Ἀπόλλων Δῆλον ἀν’ ἠγαθέην ἠὲ Κλάρον, ἢ ὅγε Πυθώ ἢ Λυκίην εὐρεῖαν ἐπὶ Ξάνθοιο ῥοῇσι – τοῖος ἀνὰ πληθὺν δήμου κίεν, ὦρτο δ’ ἀυτή κεκλομένων ἄμυδις. […] (Apoll. Rhod. 1,307–311) Wie Apollon aus seinem von Düften erfüllten Tempel durch das heilige Delos oder Klaros oder auch durch Pytho oder das an den Ufern des Xanthos gelegene weite Lykien schreitet: So schritt Jason durch die Volksmenge, und wie aus einem Mund erscholl ermunternder Zuruf.332

Auch bei Apollonios dient das Apollon-Gleichnis dazu, den Helden, d. h. hier Jason, von der Menge abzuheben. Er ist so erhaben wie Apoll, wenn er durch Lykien und andere Orte schreitet. Dabei löst er große Begeisterung bei der Menge aus. Eine weitere Ähnlichkeit, die auch Apollonios’ Gleichnis mit denen bei Vergil und Statius verbindet, ist eine Entsprechung mit einem Gleichnis für die Geliebte des Helden. Auch Medea wird mit Artemis/Diana/Hekate verglichen (Apoll. Rhod. 3,876–884).333 Es zeigt sich also, dass die Apollon-Gleichnisse, in deren Tradition sich die Achilleis stellt, ein episches Element sind, die den Helden des Epos mit einer Gottheit vergleichen. Damit stellt das Gleichnis heraus, wie sehr der Held sich von anderen gewöhnlichen Menschen unterscheidet. Dieser Vergleich mit dem Gott entspricht damit Formeln des homerischen Epos wie δῖος Ἀχιλλεύς, das

329 330 331 332 333

Vgl. Williams (2002), 345 (ad 4,143f.), Binder (2019b), 301 (ad 4,141). Vgl. dazu auch unten S. 124. Vgl. Binder (2019b), 302 (ad 4,141), Unte (1994), 227. Alle in dieser Arbeit zitierten Übersetzungen von Apollonios von Rhodos folgen der Übersetzung von Glei/Natzel-Glei (2007). Vgl. Clausen (2002), 36–40, McNelis (2015b), 193.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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nach TLG-Suche in der Ilias 57 mal belegt ist,334 oder seiner Anrede θεοῖς ἐπιείκελ’ Ἀχιλλεῦ (Il. 9,494, 23,80, 24,486, Od. 24,36), die nur für ihn belegt ist.335 Die Wirkung von Achills Auftreten und seiner außerordentlichen Gestalt wird noch einmal dadurch gesteigert, dass er fröhlich ist: forte et laetus adest – o quantum gaudia formae adiciunt: fetam Pholoes sub rupe leaenam perculerat ferro vacuisque reliquerat antris ipsam, sed catulos adportat et incitat ungues. quos tamen, ut fido genetrix in limine visa est, abicit exceptamque avidis circumligat ulnis, iam gravis amplexu iamque aequus vertice matri. (Stat. Ach. 1,167–173)

Achill hat gerade mit dem Schwert eine Löwenmutter getötet, die erst vor kurzem geworfen hat, und sie in der Höhle zurückgelassen. Achill nimmt daraufhin ihre Jungen mit und spielt mit ihnen (incitat ungues, 170). Diese wirft er jedoch weg, als er seine Mutter bei Chiron erblickt. Claudia Klodt wertet dies als die „mutwillige Tötung der Löwenmutter“, für die Achill keine „wirkliche Scham“336 empfinde. In der Tat empfindet er überhaupt gar keine Scham und ist stattdessen laetus über die Tat (167). Auch im zweiten Buch der Achilleis, als Achill Odysseus und Diomedes von seiner Erziehung durch Chiron berichtet (vgl. 2.4.3), führt Achill die Tötung der Löwin als eine seiner Taten auf (seducta iugis fetae spelunca leaenae, 2,125). In diesem Bericht wird jedoch klar, dass Chiron der Initiator und Förderer dieses Verhalten ist. Achill darf Chiron erst Küsse geben, nachdem dieser Achills facta (2,126) festgestellt hat. Er überprüft die Waffen des blutbespritzten Achill auf Gebrauchsspuren (2,126–128). Achill tötet die Löwin also nicht aus Hunger, wie Elaine Fantham aufgrund seiner Ernährung als Kind spekuliert,337 sondern da er von Chiron zu solchem Jagdverhalten angeregt wird. Chiron gilt als Begründer der Jagd, die er von Diana und Apollo als Geschenk bekommen hat (Xen. kyn. 1,1). Somit ist es folgerichtig, dass Chiron auch in der Achilleis bei der Erziehung des Helden diese Tradition erfüllt.

334 335 336 337

Thesaurus Linguae Graecae. Digital Library, hg. v. Maria C. Pantelia, aufrufbar über h ttp://stephanus.tlg.uci.edu (06.09.2022). Ein ähnliches Epitheton für Helden wäre auch ἀντίθεος, das jedoch nur für andere Helden bei Homer belegt ist. Klodt (2009), 202. Vgl. Fantham (2003), 120 Fn. 23.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Bei der Jagd auf eine Löwin mit Jungen, die Statius darstellt, handelt es sich um ein beliebtes Motiv in der lateinischen Literatur.338 Dieses Motiv nimmt seinen Ausgang bei Homer (Hom. Il. 18,318–322). Achill wird nach Patroklos’ Tod mit einem bärtigen Löwen (λὶς ἠϋγένειος, Il. 18,318) verglichen, dessen Jungen von einem Jäger geraubt wurden. In der lateinischen Literatur ist es vor allem die Löwin, die als besonders gefährlich wahrgenommen wird, wenn sie Junge hat. Vor allem bei Ovid wird sie zu einem beliebten Bild. So betont er in der Ars amatoria die Gefährlichkeit einer säugenden Löwin (Ov. ars 2,375). Auch die Wortverbindung feta leaena, die Statius verwendet, ist ovidisch.339 So wird der Adressat in In Ibin folgendermaßen verwünscht: feta tibi occurrat patrio popularis in arvo sitque Phalaeceae causa leaena necis. (Ov. Ib. 499 f.)

In den Fasti findet sich von der Ausgangslage her eine Stelle, die der Jagdszene bei Statius ähnelt, in der auch das Vokabular in sehr großen Teilen mit Statius’ Schilderung übereinstimmt: nondum stabat Atlas umeros oneratus Olympo cum satus est forma conspiciendus Hyas: hunc stirps Oceani maturis nixibus Aethra edidit et nymphas, sed prior ortus Hyas. dum nova lanugo est, pavidos formidine cervos terret, et est illi praeda benigna lepus: at postquam virtus annis adolevit, in apros audet et hirsutas comminus ire leas; dumque petit latebras fetae catulosque leaenae, ipse fuit Libycae praeda cruenta ferae. (Ov. fast. 5,169–178)

Hyas, der Sohn einer Okeanide, beginnt im Ephebenalter (dum nova lanugo est, Ov. fast. 5,173) mit der Jagd. Dabei beschränkt er sich zuerst auf Tiere, die sich besonders durch ihre Furchtsamkeit auszeichnen wie Hirsche und Hasen. Erst als seine virtus mit wachsendem Alter steigt (postquam virtus annis adolevit, 175), wagt er es, Eber und Löwen zu jagen.340 Diese Jagd wird Hyas schließlich

338 339 340

Vgl. Steier, August: Löwe, in: RE XIII,1 (1926), 988. Die Wortverbindung wird ebenfalls von Silius Italicus rezipiert. Auch hier gilt sie als besonders gefährlich (Kartalo non pauidus fetas mulcere leaenas, Sil. 1,406) bzw. wird die Gefährlichkeit der Löwin für ein episches Gleichnis genutzt. Vgl. Sil. 10,124–127. Zur Jagd auf gefährliche Tiere, in der sich die virtus zeigt, vgl. auch Ov. met. 10,709, wo Adonis trotz Venus’ Warnungen vor Ebern und Löwen auf die Jagd nach ihnen geht: sed stat monitis contraria virtus.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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zum Verhängnis: Er wird von einer Löwin getötet, deren Jungen er stehlen will. Der Jäger wird somit selbst zur Beute: dumque petit latebras fetae catulosque leaenae, | ipse fuit Libycae praeda cruenta ferae (177 f.). Wie Brookes in seinem Kommentar zu den Fasti herausgearbeitet hat, wird Hyas zuvor als Held herausgestellt:341 Each of these three lines contributes to the portrayal of the hero as a fortunate character. Hyas’ beauty (170), his impressive family background (171) and his seniority (172) are established.342

Der jugendliche Hyas ist jedoch im Vergleich zu Achill als ein deutlich gerin‐ gerer Held einzustufen. Er beginnt erst mit der Jagd, als ihm sein erster Bart sprießt (dum nova lanugo est, Ov. fast. 5,173). Erst einige Jahre später beginnt er mit der Jagd auf Eber und Löwinnen. Achill dagegen hat noch keinen Bartwuchs (necdum prima languine vertitur aetas, Ach. 1,163), als er von der Jagd zurückkehrt. Er ist somit bei der Löwenjagd viel jünger und im Gegensatz zu Hyas auch erfolgreich. Achill hat als puer schon mindestens so viel virtus wie Hyas als junger Mann. Zudem ist Achill als kindlicher Löwenjäger in der vorangegangenen Tradition festgeschrieben: Auch bei Pindar (Pind. N. 3,43–50) erlegt er als παῖς (44) Löwen, was als μεγάλα ἔργα (44) bezeichnet wird. Die Jagd auf eine Löwin mit Jungen wurde also von antiken Lesern keines‐ wegs als grausam angesehen.343 Stattdessen handelt es sich dabei um eine heroische Tat, bei der der Jäger in Lebensgefahr gerät. Dabei werden Achills Tapferkeit und Mut deutlich.344 Achill zeigt sich insgesamt als geschickter und klüger als Hyas. Er beseitigt die gefährliche Bedrohung durch die Löwin, bevor er die Jungen stiehlt. Gleichzeitig zeigt sich am Spielen mit den Löwenkindern (sed catulos adportat et incitat ungues, Ach. 1,170),345 dass Achill noch ein Kind ist.346 Sobald er jedoch 341 342 343 344 345

346

Murgatroyd (2005), 11 bezeichnet ihn als „the handsome and brave Hyas“. Brookes (1992), 101. Kritik an Tierhetzen und Zirkusspielen allgemein entstand nicht aus Tierschutzgründen oder Ähnlichem, sondern war rein philosophisch begründet. Vgl. Sen. ep. 7,1–6. Ripoll/Soubiran (2008), 179 (ad 1,168–170) verweisen zusätzlich auf Achills löwenar‐ tigen Charakter, der mit dieser Szene korrespondiere. Bitto (2016), 212 f. liest ungues als Verweis auf Hor. carm. 1,6,17–20: Da Horaz in seiner recusatio eines Panegyrikos auf Agrippa als sein eigentliches Thema u. a. die proelia virginum | sectis in iuvenes unguibus acrium (17 f.) aufführe, sei dies ein Hinweis darauf, dass sich Achill „lieber in weniger epischen Gefilde mit den kleinen Nachkommen“ (ebd., 213) bewege. Allerdings ist m. E. diese Verbindung, die nur durch ein identisches Wort in unterschiedlichem Kasus aufgebaut wird, sehr schwach und somit kaum zu halten. Vgl. Rosati (1992a), 237.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

seine Mutter erblickt, wirft er die Löwenjungen fort und umarmt seine Mutter stürmisch (exceptamque avidis circumligat ulnis, 172).347 Für Thetis ist er dabei schon schwer (iam gravis amplexu, 173) und er ist gleich groß wie sie (iamque aequus vertice matri, 173). Die Beschreibung von Achills erstem Erscheinen wird schließlich von seiner Begleitung abgeschlossen: insequitur magno iam tunc conexus amore Patroclus tantisque extenditur aemulus actis, par studiis aevique modis, sed robore longe, et tamen aequali visurus Pergama fato. (Stat. Ach. 1,174–177)

Achill folgt Patroklos, der mit ihm in sehr engem Verhältnis steht: Ob mit magnus amor die nachhomerische homosexuelle Beziehung zwischen Achill und Patroklos gemeint ist348 oder einfach nur auf die bei Homer angelegte tiefe Freundschaft verwiesen wird,349 bleibt uneindeutig.350 Patroklos kommt Achill in seiner heldenhaften Einstellung und seinem Verhalten gleich (par studiis aevique modis, 176) hinsichtlich seiner Kraft übertrifft ihn Achill jedoch bei Weitem (sed robore longe, 176). Auch hier wird deutlich gemacht, dass alles auf den Trojanischen Krieg und die Bestimmung der beiden Helden, wie sie dem Leser auch aus der Ilias bekannt war, hinausläuft: Patroklos wird ein ähnliches Schicksal wie Achill erleiden (aequali visurus Pergama fato, 177). Der Fokus schwenkt jedoch gleich wieder auf Achill: Protinus ille subit rapido quae proxima saltu flumina fumantisque genas crinemque novatur fontibus: Eurotae qualis vada Castor anhelo intrat equo fessumque sui iubar excitat astri. miratur comitque senex, nunc pectora mulcens nunc fortis umeros; angunt sua gaudia matrem. (Stat. Ach. 1,178–183) 347 348 349

350

Auch damit zeigt sich sein noch kindliches Wesen. Vgl. Rosati (1992a), 237. So Uccellini (2012), 148 (ad 1,174–177). So Ripoll/Soubiran (2008), 179 (ad 1,174–177). Vgl. dazu die Bed. von amor als „II de affectu inter cognatos, amicos, cives, sim.“ ThlL I (1905), 1968.65–1969.45, s.v. amor. Zur besonderen Stellung von Patroklos als Freund vgl. Fantuzzi (2012a), 190–201, 210 f. Eine detaillierte Diskussion ihrer Beziehung findet sich auch bei Clarke (1987), 390–396, der Achill und Patroklos als „lovers from their heart“ (ebd., 395) bezeichnet, aber sich nicht auf eine sexuelle Beziehung der beiden Helden festlegen will. Hier findet sich auch eine Diskussion der Stellen, die von Lesern als homosexuelle Anspielungen gelesen werden konnten. Vgl. ebd., 381–388. Zur nachhomerischen Tradition einer homosexuellen Beziehung vgl. Fantuzzi (2012a), 214–265. Vgl. Fantuzzi (2012a), 263–265.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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Achill springt in den nächsten Fluss und wäscht sich im Wasser Wangen und Haare. In einem weiteren epischen Gleichnis wird Achill nun mit Kastor verglichen:351 Er ähnelt diesem, wenn er mit seinem Pferd in den Eurotas steigt und mit der Reinigung sein Sternbild wieder zum Leuchten bringt.352 Chiron bewundert Achill (miratur, 182), frisiert ihn (comit, 182) und streicht über Achills starken Körper (nunc pectora mulcens | nunc fortis umeros, 182 f.). Bei Thetis dagegen bewirkt Achills Auftreten Furcht: angunt sua gaudia matrem (183). Dabei ist grammatikalisch nicht ganz eindeutig, wessen Freude Thetis Furcht bereitet: Méheust bezieht sua dabei auf Achill: II ne s’agit plus ici seulement de contraste entre la peur de Thétis et la joie d’autrui (cf. I, 53; 101; 122; 127); c'est la joie même d’Achille qui devient pour la Néréide sujet de crainte: elle est vraiment attonita. 353

Demnach bereitet Achills Freude am heroischen Verhalten Thetis Angst.354 In diese Richtung geht auch Brinkgreve, der Thetis’ Furcht unter anderem darin begründet sieht, dass ihr Sohn sich wohl nicht vor dem Trojanischen Krieg verstecken wolle.355 Die meisten anderen Kommentatoren und Übersetzer deuten die Stelle jedoch als zwiespältige Empfindung, die Thetis bewege: Sie

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353 354 355

Dabei dient, wie Ripoll/Soubiran (2008), 180 (ad 1,178–181), Ripoll (2014), 85–87 und Parkes (2014), 338 m. Fn. 72 herausgestellt haben, ein Gleichnis bei Val. Fl. 7,644–646 als Vorbild: Protinus in fluvium fumantibus evolat armis | Aesonides, qualis Getico de pulvere Mavors | intrat equis uritque gravem sudoribus Hebrum. Neben den verbalen Übereinstimmungen ähneln sich beide Gleichnisse auch inhaltlich: Auch hier wäscht sich der mit Schweiß und Staub bedeckte Held (h. Jason) nach seiner Heldentat (h. dem Sieg über die erdgeborenen Krieger) im Fluss und wird dabei mit Mars verglichen. McNelis (2015b), 193 f. arbeitet dazu heraus, dass Kastor aufgrund seiner ephebenhaften Darstellung gut zu Achill passt. Vgl. dazu auch Stat. Theb. 5,440: nudus uterque genas. Housman (1915), 33 hat hier zuerst auf die Imitation von Kall. h. 5,23–25 verwiesen: ἁ δὲ δὶς ἑξήκοντα διαθρέξασα διαύλως, | οἷα παρ’ Εὐρώτᾳ τοὶ Λακεδαιμόνιοι | ἀστέρες. Dort wird Athene bei der Sorge um ihre Pferde in einem Gleichnis mit den sterngleichen Dioskuren am Eurotas verglichen. Heslin (2005), 184 m. Fn. 72 fasst die Stelle in der Achilleis dagegen lediglich als ikonographische Darstellung des Reiters mit Stern über seinem Kopf auf. Kastor betrete den Fluss als Mensch und nicht als Stern. Gerade in der Gleichsetzung des Helden mit seinem Sternbild liegt jedoch der Witz des Gleichnisses und die Weiterentwicklung des kallimacheischen Gleichnisses. Vgl. gegen Heslin auch Chinn (2013), 328 f. Fn. 36. Vgl. zur Darstellung der Dioskuren auch Stat. Theb. 5,440. Méheust (1971), 81 Anm. 6. So auch Rupprecht (1984), 11 in seiner Übersetzung: „sein Freuen macht bange die Mutter.“ Vgl. Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,183).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

freue sich über die heldenhafte Erscheinung ihres Sohnes, fürchte aber damit auch Achills Tod.356 Ob nun Thetis’ Furcht im Gegensatz zu ihrer eigenen Freude, der Chirons oder Achills steht, so ist sie doch auf jeden Fall durch Achills heldenhafte Erscheinung attonita (185).   2.2.2.2 Achill als Lyraspieler und Sänger der κλέα ἀνδρῶν Im Verlauf des Abends zeigt Achill, dass er von Chiron jedoch nicht nur im Umgang mit Waffen geschult wurde, sondern auch eine Ausbildung in Lyraspiel und Gesang erhalten hat: tunc libare dapes Baccheaque munera Chiron orat et attonitae varia oblectamina nectens elicit extremo chelyn et solantia curas fila movet leviterque expertas pollice chordas dat puero. canit ille libens inmania laudum semina: quot tumidae superarit iussa novercae Amphitryoniades, crudum quo Bebryca caestu obruerit Pollux, quanto circumdata nexu ruperit Aegides Minoia bracchia tauri, maternos in fine toros superisque gravatum Pelion: hic victo risit Thetis anxia vultu. (Stat. Ach. 1,184–194)

Nachdem Chiron Thetis Speisen und Wein angeboten hat, stimmt er eine Lyra und reicht sie Achill. Mit Achills Lyraspiel verweist Statius auf die κλέα ἀνδρῶν, die Achill in der Ilias besingt (Hom. Il. 9,186–191).357 Auch dort wird die trostspendende Wirkung des Gesangs deutlich: τὸν δ᾽ εὗρον φρένα τερπόμενον φόρμιγγι λιγείῃ καλῇ δαιδαλέῃ, ἐπὶ δ᾽ ἀργύρεον ζυγὸν ἦεν, τὴν ἄρετ᾽ ἐξ ἐνάρων πόλιν Ἠετίωνος ὀλέσσας· τῇ ὅ γε θυμὸν ἔτερπεν, ἄειδε δ᾽ ἄρα κλέα ἀνδρῶν. (Hom. Il. 9,186–189) Sie trafen ihn an, wie er seinem Herz Freude bereitete mit der hellklingenden, schönen und wohl verfertigten Lyra, auf der ein silberner Steg befestigt war. Er hatte sie nach

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357

Vgl. Jannaccone (1951), 74 (ad 1,183), Ripoll/Soubiran (2008), 180 (ad 1,183), Uccellini (2012), 153 f. (ad 1,183) und Nuzzo (2012), 65 (ad 1,182f.), der jedoch in seiner Überset‐ zung unbestimmt bleibt. Vgl. auch die englischen Übersetzungen Mozley (1928=1969), 523 und Shackleton Bailey (2003b), 327. Vgl. auch Rosati (1992a), 238. Als Beschreibung des Gesangs epischer Dichter findet sich die Wendung auch bei Hom. Od. 8,73 und Theokr. 16,2.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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der Eroberung der Stadt des Eetion aus der Beute erworben: Mit dieser bereitete er sich Freude und sang also vom Ruhm der Männer.

Während Achill in der Ilias für sich selbst singt, soll in der Achilleis sein Gesang Thetis trösten (solantia curas | fila, Ach. 1,186f.). Das Thema von Achills Gesang ist dabei eine Umschreibung der κλέα ἀνδρῶν, wobei hier ein besonderes Augenmerk auf die Ursprünge ihres Erfolgs gelegt wird:358 inmania laudum | semina (188 f.). In seinem Gesang singt Achill über Herkules’ Heldentaten, Pollux’ Sieg über Amykos, Theseus’ Kampf gegen den Minotaurus und zuletzt über Thetis’ Hochzeit mit Peleus.359 Zum Inhalt seines Gesangs finden sich gegensätzliche Deutungen: Während Elaine Fantham Achills Gesang als Beweis für den Erfolg einer aristokratischen Erziehung sieht,360 interpretiert Claudia Klodt die Inhaltsangabe durch den epischen Erzähler als ein Mittel der Destruktion des homerischen Achills. Da Achill in seinem Gesang bei der Beschreibung der Heldentaten der Heroen sehr viele Quantitätsadjektive und -pronomina verwendet, deutet sie den Gesang als unreflektiert und primitiv im Heldenverständnis.361 Dies manifestiert sich ihrer Meinung nach an Achills eigener Beschreibung seiner musischen Erziehung im zweiten Buch der Achilleis (vgl. 2.4.3): Priscosque virum mirarer honores (Ach. 2,158). Diese Tätigkeit versteht Claudia Klodt als „bürgerliche[n] Ehr‐ geiz“ und „kindliches Schwärmen“362. Claudia Klodts Formulierung ist jedoch 358

359

360 361 362

In der Achilleis finden sich im Kontext von Achills Erziehung daneben auch weitere Umschreibungen bzw. Übersetzungen: monstrare lyra veteres heroas (Ach. 1,118) und priscosque virum mirarer honores (Ach. 2,158). Vgl. auch Río Torres-Murciano (2014), der die Rezeption der κλέα ἀνδρῶν von Homer bis Statius verfolgt. Hinds (1998), 126–129 deutet dies als Singen von Catulls carmen 64 durch Achill. Statius schaffe so eine neue Tradition durch die Anspielung auf die Tradition. Dem folgt Kozák (2016), 66–71, der zusätzlich verbale Parallelen herausarbeitet. Seiner Ansicht nach deuteten auch die Formen von nectere bzw. nexus in der Achilleis auf das Motiv des Webens in Catull. 64 hin. Das Weben von Text(ur) sei dabei eine metapoetische Metapher. Durch die Erwähnung von Theseus’ Kampf werde Catulls gesamtes carmen 64, d. h. Binnen- und Rahmenhandlung, in Erinnerung gerufen. Weiterführend ist die Studie von Río Torres-Murciano (2014), v. a. 185–191, der den Gesang in metapoetische Diskussionen über den Gesang einbindet. Achills Gesang erfülle hier zwei Funktionen gleichzeitig: Er fördere Achills Werden zum Helden und tröste Thetis. Damit bewirke derselbe Gesang bei unterschiedlichen Zuhörern unterschiedliche Affekte: „Un mismo tipo de música puede, pues, afectar el ánimo de diversos oyentes en diversos modos, y puede, en consecuencia, ser utilizado con distintos fines.“ Ebd., 191. Vgl. Fantham (2003), 119f. Vgl. Klodt (2009), 191–194. Klodt (2009), 193. Bitto (2016), 216 rezipiert Klodt, teilt jedoch ihre Wahrnehmung als Ironisierung nicht, sondern übernimmt ihre Wertung als kindliches Verhalten und deutet dies deswegen als „Ethisierungsstrategie“.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

höchst missverständlich. Abgesehen von den fehlleitenden Implikationen der Begriffe „bürgerlicher Ehrgeiz“ und „bürgerliche[s] Milieu und das kleinliche Statusdenken“363, die auf das Bürgertum der Neuzeit verweisen, sind honores beziehungsweise κλέα im Kontext der Polis auch nicht Inbegriff des Strebens gewöhnlicher Bürger. Honos ist ein Ziel der aristokratischen Gesellschaft. Das Streben nach dieser Ehre wird nicht negativ angesehen. Des Weiteren können, wie Nuzzo in seinem Kommentar mit einem Verweis auf Tibull 3,7,31 herausstellt,364 prisci honores auch im Sinne von Ansehen und Ruhm verstanden werden. Die Häufung der Quantitätsadjektive und -pronomina zeigt tatsächlich, dass Achill daran interessiert ist, auf welche Weise die Helden gesiegt haben.365 Dem liegt allerdings noch kein falsches Heldenverständnis zugrunde. Wenn im Epos bei der Beschreibung von Heldentaten Termini technici verwendet werden, hat der Autor kein falsches Heldenbild. Die laudum semina sind stattdessen Teil von Chirons pädagogischem Programm und sollen Achill zur imitatio der Helden der vorangegangenen Generation bewegen.366 Mit den Heldentaten, die für Achill vorbildhaft sind, wird gleichzeitig auch auf literarische Vorbilder für Statius’ Achilleis verwiesen.367 Während Herku‐ les’ Taten noch eher allgemein gehalten sind und lediglich ein grundsätzlich beliebtes literarisches Thema aufgreifen,368 verweist Pollux’ Ringkampf mit Amykos (crudum quo Bebryca caestu | obruerit Pollux, Ach. 1,190f.) auf die ausführliche Darstellung desselben in Apollonios’ Argonautika (Apoll. Rhod. 2,1–97 und zur Wahl der Boxriemen [ἱμάς] 2,51–66).369 Dabei überträgt Statius die Eigenschaft der Boxriemen (ἱμάντες ὠμοί, 2,52f.), die Vergil im Kontext der 363 364 365 366 367

368

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Klodt (2009), 222. Vgl. Nuzzo (2012), 189 (ad 2,154–158). Es handelt sich dabei also auch nicht um „minor philological details“ (Kozák [2013], 259). Vgl. Río Torres-Murciano (2014), 191. In Sen. Tro. 830–835 erhält Achill bei Chiron ebenfalls die für den Krieg nötigen irae dadurch, dass er über Kriege singt. Heslin (2005), 88–93 betont hierbei das besondere Interesse hellenistischer Dichter an diesen Themen. Dadurch, dass Achill als der große Held vor Troja solche Themen behandle, wolle Statius einen hellenistischen Zugang zu einem homerischen Thema rechtfertigen. Dem schließt sich auch Uccellini (2012), 157 f. (ad 1,188–194) an. Heslin (2005), 89 verweist hier darauf, dass das Aufzählen der zwölf Taten des Herakles ein besonders beliebtes Thema der hellenistischen Dichter gewesen sei. Vgl. insgesamt zu Herakles im griechischen Epos Bär (2018). Zu Verfassern einer Herakleis vgl. auch Aristot. poet. 1451a,19–23. Auch zwischen Theokr. 22 und Apollonios bestehen Interdependenzen. In Theokr. 22,2f., 80 f. werden die Boxriemen beschrieben. Vgl. auch Val. Fl. 4,250f. Eine weitere davon inspirierte Kampfbeschreibung findet sich beispielsweise im Kampf zwischen Herkules und Antaeus (Lucan. 4,610–653).

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

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Leichenspiele für Anchises mit crudus caestus (Verg. Aen. 5,69) wiedergegeben hatte, auf Amykos selbst. Wie Heslin zeigt, spiegelt die Darstellung besonders seine heroischen Interessen: Statius attributes to Achilles a precise knowledge of the equipment used in the bout between Pollux and Amycus, and an appreciation of the importance of such mythical detail. […] As a hero, he combines a “professional” interest in the boxing equipment used by Pollux and an aetiologizing poetic mode that is indebted to the Alexandrian tradition. Achilles validates the accuracy of the epic tradition and at the same time he gives us an idea of his own, violent literary tastes.370

Auch bei Theseus’ Kampf gegen den Minotaurus interessieren Achill technische Details: Hier geht es ihm um den Griff, mit dem Theseus das Ungeheuer im Ringkampf besiegt hat.371 Das letzte Thema von Achills Gesang, Thetis’ Hoch‐ zeit,372 ist schließlich als einziges unkriegerisch und bringt Thetis deswegen zum Lächeln (hic victo risit Thetis anxia vultu. Ach. 1,194).373 Achill zeigt also, dass er durch Chiron auch eine aristokratische Ausbildung im Gesang erhalten hat374 und diese sehr gut beherrscht.375 Mit dem Thema seines Gesangs signalisiert er dem Leser und auch Thetis, dass er daran interessiert ist, sich in die Reihe der Helden einzureihen376 und dass er verschiedene Techniken kennt, um selbst ähnlich handeln zu können. Der Inhalt seines Gesangs ist somit keineswegs kindlich, sondern protoheroisch. Damit wird deutlich, dass Chirons

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374 375 376

Heslin (2005), 90. Zu dieser Variante des Mythos, die v. a. in Rom verbreitet war, vgl. Heslin (2005), 90f. Hinds (1998), 127 f. sieht dadurch, dass Thetis’ Hochzeit, mit der auf Catull. 64 angespielt werde, in einer Reihe von Heldentaten erwähnt werde, eine Neuverortung des Epyllions durch Achill/Statius in der Tradition als heroisches Epos. Catull habe nicht auf so direkte Art und Weise diesen Anspruch erhoben. Gegen diese Bezüge spricht sich Uccellini (2012), 157 (ad 1,188–194) aus. Wenn Achill die Prophezeiung der Parzen als Selbstvergewisserung seiner epischen Zukunft vorgetragen hätte, hätte dies wohl kaum einen positiven Effekt auf Thetis’ Stimmung gehabt. Vgl. Fantham (2003), 119. Zum Bezug des Liedes auf anwesende Personen vgl. Betten‐ worth (2004), 98–100, die epische Gastmahlszenen untersucht, und dabei zwei Arten von Liedern unterscheidet: Lieder über kosmologische Zusammenhänge bzw. Taten von Göttern und Heroen, sowie Lieder, die anwesende Personen betreffen. Achill verbindet hier beide Inhalte. So auch Bettenworth (2004), 98 Fn. 225, die betont, dass Achill hier dem „Ideal des kriegerisch und musisch gebildeten Heroen“ entspricht und auch das Singen zur Lyra beim Gastmahl in der epischen Tradition steht. Vgl. Asso (2020), 672. Vgl. Parkes (2009b), 477.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Erziehung zum Helden erfolgreich verlaufen ist.377 Über Heldentaten zu singen, ist gleichzeitig typisch für Achills Charakter.378 Beim Schlafen zeigt sich jedoch wieder, dass Achill noch Kind ist:379 nox trahit in somnos; saxo collabitur ingens Centaurus blandusque umeris se innectit Achilles, quamquam ibi fida parens, adsuetaque pectora mavult. (Stat. Ach. 1,195–197)

Achill kuschelt sich wie gewohnt in Chirons Arme, obwohl auch seine Mutter anwesend ist.380 In der späteren Beschreibung seines Schlafes zeigt sich ebenfalls sein noch kindliches Verhalten: ipsa dehinc toto resolutum pectore Achillem, qui pueris sopor, Haemonii de rupibus antri ad placidas deportat aquas et iussa tacere litora; […] (Stat. Ach. 1,228–231)

Achills Schlaf ist, als er von Thetis zum Delphingespann getragen wird, so tief, dass er nichts von seiner Umgebung mitbekommt. Sein ganzer Körper ist dabei erschlafft. Dieser Schlaf wird vom epischen Erzähler als typisch für Kinder bezeichnet: qui pueris sopor (229). Insgesamt zeigt sich also, dass Achill, wie Thetis ihn bei Chiron antrifft, zwischen heldenhaftem und kindlichem Verhalten changiert: Thetis’ vorgegebenem Opfer am Okeanos stimmt Chiron sofort zu, da er dieses für begründet hält: Aus seinem Bericht wird deutlich, dass Achill in letzter Zeit weit über sich hinausgewachsen ist und sein Verhalten nicht mehr dem eines gewöhnlichen puer entspricht. Stattdessen sieht er Großes im Entstehen begriffen. Achill hat sich schon zum protoiliadischen Helden entwickelt: Er zeigt nicht mehr seinen früheren kindlichen Gehorsam gegenüber seinem Erzieher und ihn hält es nicht mehr in der Nähe von Chirons Höhle. Stattdessen bekommen andere Kentauren zu spüren, wie Achill sich zum Helden entwickelt. In seinen Überfällen auf diese zeigt sich, dass sich Achill schon wie ein epischer Held verhält. Dieses Verhalten entspricht auch dem anderer jugendlicher Helden

377 378 379 380

Vgl. Fantham (1999), 63 sowie Fantham (2003), 119f. Vgl. auch Ov. met. 12,162f.: quid enim loqueretur Achilles, | aut quid apud magnum potius loquerentur Achillem? Vgl. Fantham (1999), 63. Fantham (1999), 63 sieht dies als Zeichen für Chirons erfolgreiche Erziehung, der Achills Liebe zu ihm geweckt habe. Im Gegensatz dazu steht Heslins Deutung (2005), 118, der dies als Zurückweisung von Thetis als Mutter sieht.

2.2 Achill bei Thetis’ Ankunft: Protoiliadischer Held und Kind zugleich

99

wie Romulus und Remus. Als Ringkomposition zieht sich dabei um Chirons Bericht die Betonung seiner Expertise beim Erkennen junger Helden. Er wird in seiner Einschätzung nicht von der ihm bekannten Prophezeiung um Achills Schicksal getäuscht. Weiterhin ist es ihm aus Autopsie (Herkules und Theseus) bekannt, wie sich junge Helden verhalten. Diese Helden übertrifft Achill jetzt schon. Auch bei seinem Erscheinen wird deutlich, dass Achill zum Helden prädesti‐ niert ist. Schweiß und Staub, in die Achill gebadet ist, sind typisch für einen Krieger. Gleichzeitig ist er aber auch noch süß und zeigt Kennzeichen eines Kindes. Diese sind typisch für die Darstellung eines Epheben beziehungsweise puer. Sie überschneiden sich dabei zwar mit Wesenszügen für junge Frauen, Achill wirkt durch sie jedoch nicht verweichlicht. Stattdessen wird deutlich, dass die kriegerischen Elemente nicht nur dekorativ für Achill, sondern für ihn konstitutiv sind und ihn über andere heldenhafte Epheben herausheben. Mit dem epischen Gleichnis, in dem Achill mit Apollon verglichen wird, stellt sich die Achilleis in eine Tradition von epischen Gleichnissen. Wie bei Vergil und Apollonios wird damit betont, wie weit der Held über andere Protagonisten her‐ ausragt. Weiterhin finden in allen drei Epen die Gleichnisse eine Entsprechung in einem Diana/Artemis/Hekate-Gleichnis für die Liebhaberin des Helden. In der Achilleis ist das epische Gleichnis besonders passend, da zum einen Apollons Darstellung als ephebische Gottheit gut zu Achill passt. Zum anderen wird dadurch auch auf Achills spätere Tätigkeit als Lyraspieler vorverwiesen. In der Jagd auf die Löwenmutter, die, wie aus Achills späteren Bericht deutlich wird, von Chiron gefördert wurde, erweist Achill besonderen Mut. Sein Erfolg hebt ihn von deutlich älteren Helden wie Hyas ab. Auch ist die Jagd auf Löwen in der Tradition für Achill festgelegt. Er erscheint damit nicht grausam oder unreflektiert, sondern besonders heroisch. Gleichzeitig zeigt sein Spielen mit den Löwenjungen, dass Achill noch ein Kind ist und gerne spielt. Durch Achills heldenhafte Erscheinung wird Thetis’ Furcht noch verstärkt. Im weiteren Verlauf des Abends demonstriert Achill, dass er von Chiron auch eine aristokratische Erziehung in Lyraspiel und Gesang erhalten hat. In den κλέα ἀνδρῶν, die Achill hier besingt, überwiegt der Fokus auf die Art des Sieges der Helden. Zum einen wird dadurch deutlich, dass sich Achill unter diese Helden einreihen will und er auch die Techniken der Helden kennt. Durch Chiron hat Achill das nötige Know-How als Held erlernt. Andererseits verweisen die Heldentaten auch auf Epen wie die Argonautika als literarische Vorbilder für die Achilleis.

100

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Im Schlaf zeigt sich wieder, dass Achill noch ein Kind ist. Beim Einschlafen kuschelt er sich an Chiron. Sein Schlaf wird als besonders tief und damit typisch für ein Kind beschrieben.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros 2.3.1 Tellus tutissima. Thetis’ Auswahl des Verstecks Um Thetis’ Motivationen besser verstehen zu können, sind auch ihre Gründe bedeutsam, die sie dazu bewegen, Skyros als Versteck für Achill auszuwählen. Als Achill bei Chiron eingeschlafen ist, bedenkt Thetis verschiedene Orte, an denen sie Achill verstecken könnte:381 At Thetis undisonis per noctem in rupibus astans, quae nato secreta velit, quibus abdere terris destinet, huc illuc divisa mente volutat. proxima, sed studiis multum Mavortia, Thrace; nec Macetum gens dura placet laudumque daturi Cecropidae stimulos; nimium opportuna carinis Sestos Abydenique sinus. placet ire per artas Cycladas; hic spretae Myconosque humilisque Seriphos et Lemnos non aequa viris atque hospita Delos gentibus. inbelli nuper Lycomedis ab aula virgineos coetus et litora persona ludo audierat, duros laxantem Aegaeona nexus missa sequi centumque dei numerare catenas. haec placet, haec timidae tellus tutissima matri. (Stat. Ach. 1,198–211)

Die geographischen Angaben, die Thetis hier macht, haben in der Literatur zu verschiedensten Deutungen geführt. Während ein Teil der Forschung Statius sogar stellenweise geographische Unkenntnis unterstellt,382 versucht McNelis

381 382

Zur epischen Tradition der Schilderung eines Helden oder Gottes, der nachts neue Pläne bedenkt, vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 183 (ad 1,198–216). Vgl. hier v. a. Hom. Il. 24,3–13, wo Achill vor Hektors Schleifung ebenfalls am Meer nachdenkt. Hier irritiert die Forschung neben der nicht korrekt wiedergegebenen Distanz von Thessalien zu Thrakien v. a. die Einordnung von Lemnos und Skyros unter die Kykladen. So Soubiran (2006), 657 Fn. 1: „Une telle approximation (Stace semble entendre par « Cyclades » toutes les îles de la mer Égée) étonne chez un poète aussi érudit.“ Vgl. auch Köstlin (1876), 533, Jannaccone (1950), 137 (ad 1,677), Dilke (1954=2005), 99 (ad

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

101

Thetis’ gedankliche Route mit anderen Prätexten zu verbinden.383 Dabei ver‐ bindet er Thetis’ Gedankengang mit der Route von Leto/Latona vor der Geburt von Apoll und Diana im homerischen Hymnos auf Apoll (Hom. h. 3,29–44): The hymn’s description of her circular pattern of movement establishes a kind of proximity between the western Aegean (and specifically Pelion) and Thrace. Thetis’ mental movements, then, recall Leto’s actual wanderings. Statius’ reworking of the Homeric hymn not only links Thetis with Latona but it also situates his poetic geography in a tradition of topographical incongruity.384

Der Hymnos zählt dabei verschiedene Orte auf, an denen Apoll verehrt wird, die aber Leto nicht aufgenommen haben. Allerdings werden im Hymnos weit mehr Orte als bei Statius genannt. Lediglich Athen, Thrakien (zweimal), Skyros, Lemnos und Delos kommen in beiden Aufzählungen vor. Andere Orte bei Statius wiederum fehlen im homerischen Hymnos. Dass im Hymnos auf den thrakischen Athos (Θρηίκιός τ᾽ Ἀθόως, Hom. h. 3,33) die Bergspitzen des Pelion (Πηλίου ἄκρα κάρηνα, Hom. h. 3,33) folgen, ist wohl eher ein schwaches Indiz dafür, dass deswegen aus Thetis’ Perspektive Thrakien proxima (Ach. 1,201) ist.385 Bedeutsam für Thetis als Göttin ist auch nicht so sehr, wie weit die Orte tatsächlich von Thessalien entfernt sind, sondern womit die Orte assoziiert werden. Gleichzeitig erfüllt die Ausführlichkeit der Überlegungen verschiedene Funktionen: Es wird deutlich, wie sorgfältig Thetis bei ihrer Auswahl ist und wie wichtig ihr ein unkriegerischer Aufenthaltsort für Achill ist.386 Zusätzlich erscheint Skyros durch die lange Aufzählung anderer Orte als weit abgelegen.387

383 384 385 386 387

1,201), und ebd. 129 (ad 1,677 ff.), Shackleton Bailey (2003b), 328 Fn. 32 u. 33, Méheust (1971), 15 Fn. 1 und Ripoll (2008), 150 f. Vgl. McNelis (2009). McNelis (2009), 240. So McNelis (2009), 239f. Vgl. Bitto (2016), 217. Allerdings sehe ich hier, anders als Bitto (2016), 217 Fn. 139, den Wortreichtum nicht als Alterskennzeichen. Siehe dagegen zum besonders epischen Vokabular, das Statius in der Achilleis verwendet Mota (2002). Vgl. Ripoll (2008), 154.

102

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Abb. 1: Thetis’ Suche nach einem Versteck388

Anders als Leto im Apollon-Hymnos bewegt sich Thetis nicht beständig auf ihren Zielort hin. Allerdings ist auffällig, dass Skyros, d. h. der Ort, den Thetis wählen wird, im Zentrum eines Kreises steht, den Thetis mit den aufgerufenen Orten schafft. Zudem kreuzt ihre Bewegung beziehungsweise ihr Blick von einem Ort zum anderen mehrmals Skyros (vgl. Abb. 1). Die Insel steht also schon geographisch in der Mitte von Thetis’ Denken. Auch ist ihre Vorgehensweise nicht unsystematisch: Thetis folgt dem griechischen Festland von Norden

388

Grundlage der Karte ist: Historicair/Sdaubert: Blank Map of Aegean Sea, aufgerufen unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Blank_Map_of_Aegean_Sea.svg#/me dia/File:Blank_Map_of_Aegean_Sea.svg unter der Lizenz Creative Commons Attribu‐ tion-Share Alike 3.0 Unported, Lizenz unter: https://creativecommons.org/licenses/by -sa/3.0/deed.en, zuletzt aufgerufen am 06.09.2022.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

103

aus über Thrakien, Makedonien und Attika.389 Diese Gegenden bilden auch eine thematische Einheit: Die dortigen Völker sind kriegerisch und würden Achill zum Krieg noch mehr anstacheln (studiis multum Mavortia, Thrace, 201; Macetum gens dura, 202;390 laudumque daturi | Cecropidae stimulos, 202 f.). Sestos und Abydos, die Heimat von Hero und Leander,391 schließt Thetis aufgrund des hohen Schiffsverkehrs am Hellespont als Verbindung von Europa und Asia aus. Dem antiken Leser ruft die Beschreibung der Städte als nimium opportuna carinis (203) vielleicht die Überquerung des Hellesponts durch Xerxes mit einer Schiffsbrücke und damit das kriegerische Ereignis, für das die beiden Städte berühmt sind, in Erinnerung.392 Thetis wendet sich hierauf den Kykladen zu:393 Mykonos und Seriphos werden aufgrund ihrer sprichwörtlichen Armut verworfen (humilis, 205).394 McNelis verweist hier auf den Katalog der Inseln, die Minos gegen Athen unterstützen und unter denen sich ebenfalls Mykonos und Seriphos befinden (Ov. met. 7,463f.). Deshalb weise vielleicht Thetis die Inseln als zu kriegerisch zurück.395 Humilis steht bei Statius wie in Ov. met. 7,463 in Bezug auf Mykonos nicht zur Beschreibung der Höhe der Insel,396 sondern dient der Beschreibung der Lebensumstände. Es besteht also auch kein Widerspruch zu Verg. Aen. 3,76 Mycono e celsa. Weiterhin ist Seriphos eine Insel, auf der ein anderer Held,

389 390 391

392 393

394 395 396

So auch Britannicus, zitiert nach Amar/Lemaire (1827), 508 (ad 1,201): „Bonum ordinem secutus est poeta in locorum numeratione. Nam Europae a Scythia, prima est Thracia, deinde Macedonia, post Attica.” Gens dura ist hier m. E. keineswegs negativ aufzufassen, wie Bitto (2016), 217 mit der Umschreibung als „zu harte[r] Lebensweise“ suggeriert. Dass dies bei der Erwähnung der Orte mitschwingt und dem intendierten Leser bewusst wird, ist meiner Ansicht nach auch daran ersichtlich, dass die Erzählung der beiden Liebenden so bekannt war, dass bspw. in Verg. georg. 3,258–263 weder Leanders Name, der lediglich als iuvenis bezeichnet wird, noch die beiden Orte genannt werden müssen. Vgl. auch Serv. georg. 3,258: Leandri nomen occultavit, quia cognita erat fabula. Vgl. auch die Anspielungen in Verg. georg. 1,207 mit Serv. georg. 1,207, Hor. epist. 1,3,4. Vgl. Hirschfeld, Gustav: Abydos 1, in: RE I,1 (1893), 129 f. Vgl. zur Bekanntheit auch Lucan. 2,674, 6,55, Mela 2,26. Bitto (2016), 217 m. Fn. 141 sieht die Kykladen mit erotischen Themen verbunden, da Kalchas, der in seiner Vision Thetis’ Weg nachempfindet, Thetis als per Cycladas altas | […] turpi quaerentem litora furto (Ach. 1,530f.) beschreibt. Hier wird jedoch meiner Ansicht nach mit furtum nicht Deidamias Vergewaltigung beschrieben, sondern, dass Achill vor den Griechen versteckt wird. Mykonos ist dabei vor allem für seinen Geiz bekannt, Seriphos wurde seit der Klassik wegen seiner Armut und mangelnden Bedeutung verspottet. Vgl. Bürchner, Ludwig: Seriphos 2, in: RE II,2 (1923), 1732, Herbst, Rudolf: Mykonos, in: RE XVI,1 (1933), 1031f. Vgl. McNelis (2009), 241f. So McNelis (2009), 242.

104

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Perseus, aufgewachsen ist und kann deshalb von Thetis auch als zu kriegerisch und zu förderlich für heldenhaftes Verhalten gesehen werden. Lemnos kommt wiederum für Thetis aufgrund ihrer Vorgeschichte als män‐ nerfeindliche Insel nicht in Frage (Lemnos non aequa viris, 206). Gleichzeitig werden damit mit den Argonautika von Apollonios (Apoll. Rhod. 1,601–909) beziehungsweise Valerius Flaccus (Val. Fl. 2,72–427) und Statius’ eigener Thebais (Stat. Theb. 5,48–498) epische Vorbilder evoziert, in denen Jasons Aufenthalt auf Lemnos eine ähnliche Funktion erfüllt wie Achills Aufenthalt auf Skyros: Wie in der Achilleis wird der epische Held auch dort durch eine Liebesbeziehung zu einer Königstochter, mit der er auch Kinder zeugt, von seiner eigentlichen Mission aufgehalten. Delos, bei dessen Besuch Helden im Epos oft Prodigien oder Vorhersagen ihrer Zukunft erhalten (Hom. Od. 6,162f., Verg. Aen. 3,73–120, Ov. met. 13,630– 702), ist zu stark besucht: hospita Delos | gentibus. (Ach. 1,206f.).397 Somit ist Delos, Latonas Zufluchtsort bei der Geburt von Apollon und Diana, für Thetis kein geeigneter Ort, um Achill zu verstecken. Thetis erinnert sich jedoch an einen göttlichen Auftrag, die Überprüfung der Fesselung des Hekatoncheiren Aigaion,398 bei dem sie an der Insel Skyros vorbeigekommen ist. Heslin vertritt die Ansicht, dass Statius hier absichtlich die Ilias missinterpretiere und durch ein „distorting frame“399 Thetis’ Rolle in der Ilias für die Leser umdeute. Nach Statius’ Deutung habe Thetis in Hom. Il. 1,401 (ἀλλὰ σὺ τόν γ᾽ ἐλθοῦσα θεὰ ὑπελύσαο δεσμῶν), nicht Zeus’ Fesseln gelöst, sondern Aigaions.400 Dies habe Folgen für ihre Rolle: He alludes to Homer’s text in a way that reduces her from being the goddess who unbound Zeus (with the help of Briareus) to being Zeus’ messenger and turnkey. A jailkeeper in the Achilleid, a jailkeeper in the Iliad, Thetis is not the agent of stability in heaven, but a messenger “sent” (missa, 1.210) on behalf of more powerful gods.401

397 398

399 400 401

Dass Delos wie in Ov. met. 6,190 als Epitheton hospita trägt, bedeutet nicht, dass impliziert wird, dass auch in der Achilleis Delos noch schwimmend gedacht werden kann und so Lemnos zu den Kykladen gezählt werden kann (so McNelis [2009], 242 f.). Vgl. zu dieser Variante des Mythos, der scheinbar im Widerspruch zu Thetis und Aigaion als Zeus’ Helfern in Hom. Il. 1,396–406 steht, Tümpel, Karl: Aigaion 1, in: RE I,1 (1893), 945–947. Zum Mythos einer Gegnerschaft zwischen Aigaion und den Olympiern vgl. zwei Gleichnisse in Verg. Aen. 10,565–568 und Stat. Theb. 2,595–601. Vgl. auch die Vorbeifahrt der Argonauten an Aigaion in Apoll. Rhod. 1,1165. Heslin (2005), 163. Vgl. Heslin (2005), 161–163. Heslin (2005), 163.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

105

Bitto folgt Heslin und deutet dies als „Ethisierungsstrategie“.402 Allerdings hebt gerade dieser Auftrag Thetis weit von anderen Nymphen ab. Sie erfüllt damit Aufgaben, die sonst nur mächtige Götter wie Pluto (Ov. met. 5,346–363) durchführen.403 Skyros, an dem Thetis selbst erst vor Kurzem vorbeigekommen ist (audierat, Ach. 1,209), ist gekennzeichnet durch einen friedfertigen Königshof (inbellis […] aula, 207) und durch spielende Mädchen (virgineos coetus et litora persona ludo, 208).404 Mit diesem Versteck ist Thetis endlich zufrieden: Für sie ist Skyros tellus tutissima (211). Verdeutlicht wird Thetis’ Suche und ihre Furcht als Mutter durch ein episches Gleichnis: qualis vicino volucris iam sedula partu iamque timens, qua fronde domum suspendat inanem; providet hic ventos, hic anxia cogitat angues, hic homines: tandem dubiae placet umbra, novisque vix stetit in ramis et protinus arbor amatur. (Stat. Ach. 1,212–216)

Thetis wird mit einer Vogelmutter verglichen, die einen Nistplatz sucht und dabei bei verschiedenen Bäumen mögliche Gefahrenquellen für ihr Junges abwägt. Wie Thetis springt die Vogelmutter von Baum zu Baum und malt sich dort jeweils unterschiedliche Gefahren aus.405 Sobald sie aber den richtigen Ort gefunden hat (tandem dubiae placet umbra, 215), verliebt sie sich sofort in den Baum (protinus arbor amatur, 216). Anders als von einigen aufgefasst,406 steht das Gleichnis in einer reichen Tradition und ist keineswegs ungewöhnlich. Zum einen handelt es sich dabei um ein Tiergleichnis, wobei ein solcher Ansatzpunkt für ein episches Gleichnis typisch ist. Auch in der Ilias (Hom. Il. 9,323f.) vergleicht Achill sich und seine Rolle bei den Griechen mit der Sorge einer Vogelmutter um ihre Jungen.407 Vögel, 402 403 404 405 406

407

Vgl. Bitto (2016), 218 f (Zitat: 218). Auf die Vorgeschichte der Entführung der Proserpina, wo Pluto Typhoeus’ Fesselung überprüft, verweisen Ripoll/Soubiran (2008), 184 (ad 1,207–210) als Parallele für die Achilleis. Vgl. zur Darstellung von Skyros in der gesamten Achilleis Ripoll (2008). Im Prodigium vor dem Trojanischen Krieg in Ov. met. 12,13–17 symbolisiert ebenfalls eine Schlange, die Vogeljungen und Vogelmutter in ihrem Nest verschlingt, den Krieg. So Bitto (2016), 219, der das Gleichnis als poetologisches Gleichnis für den Übergang vom Pathos zum Ethos deutet. Auch Nuzzo (2012), 70 (ad 1,212–216), Ripoll/Soubiran (2008), 185 (ad 1,212–215) betonen, dass es kein Vorbild für das Gleichnis gebe, verweisen aber auf Hor. epod. 1,19–22 (eine Vogelmutter fürchtet sich wegen Schlangen) als Vergleichstext. Vgl. McNelis (2009), 244.

106

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

denen von Bauern die Jungen gestohlen wurden, dienen in der Odyssee (Hom. Od. 16,216–219) als Vergleichspunkt für Telemachos und Odysseus. Auch in der Thebais wird Hypsipyle nach Opheltes’ Tod mit einer trauernden Vogelmutter verglichen (Stat. Theb. 5,599–604). Durch das Gleichnis in der Achilleis wird dem Leser noch einmal ein Blick in Thetis’ Innenleben gewährt. Wie für die Vogelmutter ist ihre Hauptmotivation die Furcht um ihr Kind. Dadurch wird auch beim Leser Sympathie für Thetis und ihre Handlungen erzeugt. Sobald sie Skyros ausgewählt hat, legt sich etwas ihre Furcht und sie ist begeistert von dem Versteck, das sie gefunden hat. Dies wird auch aus Thetis’ abschließender Bitte an Skyros deutlich, nachdem sie Achill bei Lykomedes zurückgelassen hat: tunc excepta freto longe cervice reflexa abnatat et blandis adfatur litora votis: ‘Cara mihi tellus, magnae cui pignora curae depositumque ingens timido commisimus astu, sis felix taceasque, precor, quo more tacebat Creta Rheae; te longus honos aeternaque cingent templa nec instabili fama superabere Delo, et ventis et sacra fretis interque vadosas Cycladas, Aegaeae frangunt ubi saxa procellae, Nereidum tranquilla domus iurandaque nautis insula; ne solum Danaas admitte carinas, ne, precor! ‘Hic thiasi tantum et nihil utile bellis:’ hoc famam narrare doce, dumque arma parantur Dorica et alternum Mavors interfurit orbem, – cedo equidem – sit virgo pii Lycomedis Achilles.’ (Stat. Ach. 1,382–396)

Es handelt sich dabei um ein formelles Gebet, wobei auf die Invocatio pars epica und preces folgen, die dann noch einmal durch eine zweite pars epica und preces intensiviert werden: 384

Invocatio: Skyros als cara tellus

384f.

Pars epica I: Achill wurde Skyros anvertraut.

386f.

Preces I: Bitte um Gunst und um die Imitation von Kretas Verbergen für Rhea

387–392

Pars epica II: Lohn für Skyros: Ehre, Tempel und Übertreffen von Delos; Skyros als künftige Nereideninsel

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

392–396

107

Preces II: Bitte, während der Kriegsrüstungen und des Krieges keine Griechen zuzulassen und den Ruf als Fraueninsel zu etablieren

Tab. 4: Thetis’ Gebet (Ach. 1,384–396)

Die Insel Skyros, die Thetis als tellus tutissima (211) eingestuft hatte, ist für sie in der Invocatio nun eine cara tellus (384). Eine erste Begründung, weshalb Skyros Thetis wohlgesonnen sein soll, liegt darin, dass Achill Skyros als depositum ingens (385) anvertraut wird. Dabei wird auch deutlich, was Achill für Thetis bedeutet: Achill ist ihr sehr wichtig, seine Zukunft ist für sie aber mit großen Sorgen verbunden (magnae […] pignora curae, 384). Thetis erkennt selbst ihre Furcht und rechtfertigt damit die von ihr angewandte List bei Achills Unterbringung (timido commisimus astu, 385). In den preces, die mit dem formelhaften Beginn sis felix (386) höchst eindring‐ lich gestaltet werden,408 ruft Thetis verschiedene Vorbilder für das Verstecken ihres Sohnes auf: Adressatengerecht geschieht dies aus der Perspektive der Inseln: Jupiters Geburtsinsel Kreta soll für Skyros ein Vorbild sein: sis felix taceasque, precor, quo more tacebat | Creta Rheae (386 f.). Für Heslin ist diese Evokation „splendidly absurd“409, da ja Kreta gerade durch das Lärmen der Kureten das Schreien des neugeborenen Zeus/Jupiters verborgen habe. Somit sei Kreta ein ungeeignetes mythologisches Exemplum für eine Insel, die schweigen solle.410 Allerdings ist Kreta an sich kein schlecht gewähltes Beispiel. Dies zeigt auch Kallimachos’ Hymnos auf Delos, in dem Delos sich rühmt, andere von Göttern verehrte Orte nun zu übertreffen: Dabei handelt es sich meist um berühmte Geburtsstätten und ihre Verehrung durch die dort geborenen Götter, wobei auch Kreta und Zeus genannt werden (Kall. h. 4,269–273). Als Quasi-Jupitersohn folgt Achill den Spuren seines Beinahe-Vaters, indem er von seiner Mutter auf einer Insel versteckt wird. Achill wiederum wird zwar nicht vor Kronos, aber vor den fata versteckt. Thetis geht es nicht nur darum, dass Achills Anwesenheit verschwiegen wird, sondern dass seine Männlichkeit übertönt wird. Das Geschrei von Mädchen, durch das Skyros ja erst Thetis aufgefallen ist, soll, wie auch aus dem zweiten Teil der preces deutlich wird, Skyros von den Kriegsrüstungen der Griechen ausnehmen.

408 409 410

Vgl. zum Gebrauch von (sis) felix im Anruf von Göttern ThlL VI,1 (1915), 439.16–439.22, s.v. fēlīx unter der Bed. „II spectat ad religionem: B i. q. propitius, de dis, numinibus“. Vgl. auch Serv. Aen. 1,330. Heslin (2005), 136. Vgl. Heslin (2005), 136f.

108

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Die zweite pars epica umfasst die vota, die Thetis Skyros für die Erfüllung ihres Gebetes verspricht:411 Die Insel soll langandauernd verehrt werden (longus honos, 387) und Tempel sollen auf der Insel erbaut werden (aeternaque cingent | templa, 387 f.). Damit soll Skyros auch Delos, Latonas Zufluchtsort für Apollons und Dianas Geburt, übertreffen (nec instabili fama superabere Delo, 388).412 Zum anderen soll Skyros eine den Meeresgöttern heilige Insel werden, was Skyros von anderen Inseln abheben würde. Dies zeigt sich auch an der Darstellung der Nachbarinseln. Die Beschreibung der Kykladen413 (interque vadosas | Cycladas, Aegaeae frangunt ubi saxa procellae, 389 f.) erinnert dabei an Delos’ Beschreibung in Kallimachos’ Hymnos an die Insel: κείνη δ’ ἠνεμόεσσα καὶ ἄτροπος †οἷά θ’† ἁλιπλήξ […] πόντῳ ἐνεστήρικται· ὁ δ’ ἀμφί ἑ πουλὺς ἑλίσσων Ἰκαρίου πολλὴν ἀπομάσσεται ὕδατος ἄχνην· (Kall. h. 4,11;13–14) Sie ist den Winden ausgesetzt und nicht bebaut; und sie, die von Wellen gepeitscht wird, […] liegt fest im Meer. Dieses strömt heftig um sie herum und befreit sich vom vielen Schaum der Ikarischen See.

Die Kykladen werden von Thetis wie Delos im kallimacheischen Hymnos beschrieben: An diesen brechen sich die Stürme der Ägäis beziehungsweise eines Teils davon, des Ikarischen Meeres. Im Gegensatz dazu soll Skyros in Thetis’ votum stehen. Es soll für die Winde und die Meeresbrandungen heilig 411 412

413

Es handelt sich also nicht um eine Prophetie, die nicht erfüllt wird und die damit Thetis’ Unfähigkeit als epische Gottheit demonstriert, wie Heslin (2005), 134 meint. Für Heslin (2005), 134 f. ist hier die Bitte, die Leto im homerischen Hymnos an Delos richtet (Hom. h. 3,51–60, mit Schwur in 3,84–88), ein Modell für Thetis’ Bitte. Auch wenn die intertextuellen Bezüge eher schwach bleiben – auch Leto verspricht Delos einen Tempel und Ehre – so ist hier auf jeden Fall die Lage der Sprecherinnen ähnlich. Allerdings ist Letos Bitte eher eine suasio, auf die die Insel auch antwortet, während Thetis’ Bitte, wie oben gezeigt, einem Gebetsschema folgt. Für Heslin (2005), 136 ist die Tatsache, dass Thetis Skyros unter den Kykladen verordnet, ein Hinweis darauf, dass Skyros sich zu diesem Zeitpunkt an einem andern Ort befunden habe: „Statius implies that Scyros was eventually forced to drift from its original location in the Cyclades, where it had been located in the heroic era, and arrived in its present location only later, having been compelled to wander north as a result of its failure to carry out its part in Thetis’ bargain.“ Allerdings gibt es für eine ‘Bestrafung’ der Insel durch Thetis im Text keine Anhaltspunkte. Vgl. dazu auch Ripoll/Soubiran (2008), 209 (ad 1,389f.). Auch ist in der Antike nicht eindeutig, dass Skyros nicht zu den Kykladen gezählt wird. Für Serv. Aen. 2,477 ist Skyros una de Cycladibus. Plinius lässt sich so verstehen, dass Skyros zwei Inselgruppen zuzuordnen ist: Scyrum supra dictam, sed Cycladum et Sporadum extimam (Plin. nat. 4,72). Es ist eher unwahrscheinlich, dass Servius durch das Lesen der Achilleis in seiner Erklärung beeinflusst war (so Heslin [2005], 135 Fn. 65).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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sein: et ventis et sacra fretis (Ach. 1,389). Auch durch die Lage gegenüber den anderen Inseln soll also Skyros Delos (und die anderen Kykladen) übertreffen. Skyros soll eine ruhige Heimstätte für die Nereiden werden (Nereidum tranquilla domus, 391) und als Insel der Meeresgötter von den Seeleuten angerufen werden (iurandaque nautis | insula, 391 f.). Anders als in Kallimachos’ Hymnos, wo Delos die anderen Kykladen, die zwar auch sehr verehrungswürdig sind (Κυκλάδες, αἳ νήσων ἱερώταται εἰν ἁλὶ κεῖνται, Kall. h. 4,3), übertrifft, soll nun Skyros die Rolle als sacra insula einnehmen. Bedingung hierfür ist Thetis’ eindrückliche Bitte, dass Skyros keine griechi‐ schen Schiffe zulässt. Diese Bitte wird durch die Wiederholung ne, precor (393) noch einmal intensiviert. Skyros soll dafür seinen Ruf als Fraueninsel verbreiten: ‘Hic thiasi tantum et nihil utile bellis’ (393). Skyros soll nur für seinen Bacchuskult bekannt sein und für die Kriegsrüstungen der Griechen unbrauchbar erscheinen. Dies soll Skyros solange tun, wie die Griechen zum Krieg rüsten und Krieg außerhalb von Skyros herrscht. Zuletzt verabschiedet sich Thetis und endet mit dem Wunsch, dass Achill eine der Jungfrauen bei Lykomedes sein solle: sit virgo pii Lycomedis Achilles (396). Thetis’ Aussage ist dabei zweideutig: Achill soll als Mädchen erscheinen und somit verborgen bleiben. Gleichzeitig ist natürlich Achill noch immer ein Junge, der keine sexuelle Erfahrung hat.414 Mit den thiasi (393), die Skyros kennzeichnen sollen, findet allerdings auch schon ein Vorverweis auf die dionysischen Riten statt, bei denen Achill diesen Status verlieren wird und hierauf sicher keine virgo mehr sein wird (2.3.4). Thetis geht also bei der Auswahl von Skyros äußerst umsichtig vor. Wie auch durch das Vogelmutter-Gleichnis verdeutlicht wird, wägt sie für jeden Ort die Gefahren ab. Kriegerische und zu sehr besuchte Orte lehnt sie deswegen ab. Auch soll der Ort für Achill ausreichend komfortabel sein, weshalb sie Inseln, die humiles sind, ausschließt. Schließlich fällt ihre Wahl auf Skyros, eine Insel, die gekennzeichnet ist durch einen friedfertigen König und spielende Mädchen. Für Thetis wird die tellus tutissima damit sofort zur cara tellus. In ihrem Gebet, das sie als votum an die Insel richtet, inszeniert Thetis Skyros hierauf als neues Kreta beziehungsweise Delos. Skyros soll sich ähnlich wie Kreta verhalten und es soll durch die Verbreitung eines Rufs als unkriegerische Fraueninsel Achill vor den Gefahren bewahren. Bei Erfüllung ihres Wunsches, dass die Griechen Skyros nicht erreichen und Achill nicht nach Troja bringen, soll Skyros Apollons Insel in jeder Hinsicht übertreffen und eine Insel der Meeresgötter werden. Auch soll Skyros von Meeresgottheiten wie Winden und 414

Im Bezug von virgo auf Männer im vgl. OLD, 2071, s.v. virgo unter der Bed. 2: „also masc., applied to a man without sexual experience.“

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Brandungen begünstigt werden und somit einen besonderen Status unter den anderen Inseln der Kykladen erlangen. Apollon als ein Gott, der Achill sehr stark ähnelt, und Jupiter als sein Beinahe-Vater bleiben also auch hier Vorbilder für Achills Darstellung. 2.3.2 Achills Metamorphose   2.3.2.1 Achills Zustimmung 2.3.2.1.1 Thetis’ Rede und ihre Wirkung Die Beschreibung von Achills’ Ankunft auf Skyros beginnt mit einer ausführli‐ chen epischen Zeitangabe415 für den Sonnenaufgang: Iam premit astra dies humilique ex aequore Titan rorantes evolvit equos et ab aethere magno sublatum curru pelagus cadit, at vada mater Scyria iamdudum fluctus emensa tenebat, exierantque iugo fessi delphines erili, cum pueri tremefacta quies oculique patentes infusum sensere diem. stupet aere primo: quae loca, qui fluctus, ubi Pelion? omnia versa atque ignota videt dubitatque agnoscere matrem. (Stat. Ach. 1,242–250)

Die Götterwagen der beiden Götter bewegen sich gegenläufig: Während Thetis’ Wagen und die Delphine, ihre Zugtiere, wieder im Meer verschwunden sind, steigt Sols Wagen mit den frisch angespannten Sonnenrössern aus dem Meer auf. Der allessehende Gott kann also Thetis nicht verraten, da sie schon angekommen ist. Nach dieser Zeitangabe wird auf Achill fokalisiert. Dabei wird Achills Verwirrung deutlich: Er erwacht dadurch, dass seine Ruhe plötzlich gestört wird (tremefacta quies, 247), seine Augen sind aufgerissen und bemerken den Tagesanbruch. Sofort tritt seine erste Reaktion ein: Achill hat sein inneres Gleichgewicht völlig verloren (stupet, 248), was auch aus seinen drei Fragen deutlich wird: Quae loca, qui fluctus, ubi Pelion? (249) Er ist verwirrt, da er nicht weiß, wo er sich befindet. Seine Verwirrung geht sogar so weit, dass er unsicher ist, ob er seine Mutter vor sich hat (dubitatque agnoscere matrem, 250). Dementsprechend ist Achill voller Furcht (pavens, 251), als Thetis ihn – ganz

415

Zur Bedeutung von epischen Zeitangaben in der Achilleis vgl. Kozák (2007).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

111

in Anlehnung an einen Formelvers der Ilias 416 – mit der Hand ergreift und ihn anspricht: occupat illa manu blandeque adfata paventem: ‘Si mihi, care puer, thalamos sors aequa tulisset, quos dabat, aetheriis ego te conplexa tenerem sidus grande plagis, magnique puerpera caeli nil humiles Parcas terrenaque fata vererer. nunc inpar tibi, nate, genus, praeclusaque leti tantum a matre via est; quin et metuenda propinquant tempora et extremis admota pericula metis. cedamus, paulumque animos submitte viriles atque habitus dignare meos. si Lydia dura pensa manu mollesque tulit Tirynthius hastas, si decet aurata Bacchum vestigia palla verrere, virgineos si Iuppiter induit artus, nec magnum ambigui fregerunt Caenea sexus, has sine, quaeso, minas numenque exire malignum. mox iterum campos, iterum Centaurica reddam lustra tibi: per ego hoc decus et ventura iuventae gaudia, si terras humilemque experta maritum te propter, si progenitum Stygos amne severo armavi – totumque utinam! –, cape tuta parumper tegmina nil nocitura animo. cur ora reducis quidve parant oculi? pudet hoc mitescere cultu? per te, care puer, cognata per aequora iuro, nesciet hoc Chiron.’ […] (Stat. Ach. 1,251–274)

Thetis’ Rede lässt sich dabei folgendermaßen gliedern: 252–255

Bei einer angemessenen Heirat wäre Thetis die Mutter eines hohen Gottes und müsste jetzt keine Angst um Achill haben.

256–258

Achill ist nur ein Halbgott, gefährliche Zeiten nahen.

259f.

Schlussfolgerung: Achill soll nachgeben und Thetis’ Schutzmaßnahmen sowie die weibliche Erscheinung für sich akzeptieren.

416

Diesen verwendet Thetis selbst zweimal, um Achill zu trösten: Hom. Il. 1,361, 24,127: χειρί τέ μιν κατέρεξεν, ἔπος τ᾽ ἔφατ᾽ ἔκ τ᾽ ὀνόμαζεν. Auch in den anderen Belegstellen wird ein Kind (Il. 5,372) bzw. eine Ehefrau (Il. 6,485) so getröstet.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

260b–264

Heroische Exempla für Verkleidungen als Frau

265

Erneute Bitte, die Verwandlung zuzulassen

266–267a

Belohnung: Aussicht auf baldige Rückkehr zu Chiron

267b–271a

Thetis’ bisherige Leistungen für Achill mit erneuter Bitte zur Verklei‐ dung

271b–274a

Bemerken der ablehnenden Reaktion ⟹ Versprechen, dass Chiron nichts erfahren wird.

Tab. 5: Thetis’ erster Überzeugungsversuch (Ach. 1,252–274a)

Nachdem Thetis Achill als care puer (252) angesprochen hat, beginnt sie ihre suasio mit Überlegungen im Irrealis, die sie mit ihrer eigenen Hochzeit verbindet: Wenn sie durch das Schicksal, wie es angemessen gewesen wäre (sors aequa, 252), die Hochzeit erhalten hätte, die das Schicksal ihr eigentlich zugeteilt hatte (quos dabat, 253) und Thetis damit Jupiter geheiratet hätte, dann wäre Achill nun ein bedeutender himmlischer Gott (aetheriis ego te complexa tenerem | sidus grande plagis, 253 f.), den sie im Olymp in Armen halten könnte. Uccellini verweist in ihrem Kommentar auf wörtliche Parallelen dieser Stelle zu Verg. Aen. 8,578–583.417 Die intertextuellen Bezüge sind dabei recht deutlich. Schon die Ausgangslage ist ähnlich: Pallas ist dabei, in den Krieg zu ziehen, in dem er auch umkommen wird. Sein Vater Euander ergreift – wie auch Thetis – die Hand seines Sohnes (dextram complexus euntis, Aen. 8,558). In seiner nun folgenden Abschiedsrede spricht Euander seinen Sohn ebenfalls als care puer (8,581) an. Euander, der sich wie Thetis um das Schicksal seines Sohnes im Krieg sorgt (sin aliquem infandum casum, Fortuna, minaris, 8,578), beschreibt den idealen und sicheren Zustand im Eltern-Sohn-Verhältnis ähnlich wie Thetis mit dum te […] | complexu teneo (8,581f.). Euanders Pallas befindet sich also in sicherer Geborgenheit seines Vaters, aus der er sich in den todbringenden Krieg begibt. Für Thetis’ Achill dagegen ist dieser Zustand irreal (conplexa tenerem, Ach. 1,253) und wurde durch die sors iniqua verhindert. Im alternativen Fatum-strang sieht sich Thetis als magni […] puerpera caeli (254), die nicht die Parzen oder menschliches Schicksal (terrena […] fata, 255) fürchten müsste. Dabei nimmt sie schon völlig den Blickwinkel der Mutter eines Jupitersohnes ein: Für sie sind die Parzen humiles (255). Ähnlich wie bei Achill von einer Quasi-Jupitersohnschaft gesprochen werden kann, kann man also feststellen, dass sich Thetis als Quasi-Jupitergattin sieht. 417

Vgl. Uccellini (2012), 188 (ad 1,252f.).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Eingeleitet mit nunc wendet sich Thetis nun direkt Achill zu und beginnt mit den Folgen, die sich für Achill daraus ergeben, dass sie mit Peleus einen Sterbli‐ chen geheiratet hat. Dabei wird Achill ein zweites Mal – dieses Mal als nate (256) – angesprochen, wobei tibi in V. 256 mihi aus V. 252 entgegengestellt wird. Die Folgen sind für Achill existentiell: Seine Abstammung ist ihm nicht angemessen (inpar tibi […] genus, 1,256),418 er ist nur ein Halbgott und infolgedessen sterblich. Dieser Zustand wird durch die jetzt entstehende Lage noch gesteigert: quin et metuenda propinquant | tempora et extremis admota pericula metis (257 f.). Dadurch, dass die tempora personifiziert werden und eine mit Wagenrennen verbundene Metapher (extremae metae, 258) verwendet wird, ergibt sich ein anschauliches Bild, durch das die Schnelligkeit der herannahenden Gefahr deutlich wird. Thetis’ Gemütszustand steht damit ganz im Gegensatz zu dem, den sie als Mutter eines Jupitersohnes hätte (nil […] vererer, 255). Aus diesen Feststellungen resultieren für Thetis mehrere Aufforderungen: Die erste, die Aufforderung zum Rückzug vor den Gefahren (cedamus, 259), richtet sich noch an sie selbst und ihren Sohn. Die folgenden zwei Imperative sind dann nur noch an Achill gerichtet: Achill soll ein wenig seine Männlichkeit unterdrücken (paulumque animos submitte viriles, 259)419 und Thetis’ weibliches Erscheinungsbild durch entsprechende Kleidung für sich akzeptieren (habitus dignare meos, 260). Ihre Argumentation versucht Thetis nun durch mythologische Exempla zu stärken, die tatsächlich später für Achills Verhalten Vorbildwirkung haben 418

419

Heslin (2005), 121 liest genus impar in Verbindung mit Ov. am. 2,17,21f. Da Ovid so seine Amores bezeichne, beträfe es auch den generischen Status der Achilleis: „The Achilleid, like Achilles, is the offspring of mismatched parents: the epic on the one hand and other poetic traditions, including love elegy, on the other.“ Ebenso Barchiesi (2005), 53. Ovid führt in am. 2,17,15–20 verschiedene Verbindungen von Göttinnen und niedrigerstehenden Helden bzw. Göttern (darunter auch Thetis und Peleus) auf. Von diesen Beziehungen ausgehend bezeichnet er auch die Verbindung des heroischen Hexameters mit dem Pentameter im elegischen Distichon als genus impar. M.E. ist genus impar damit noch keineswegs feststehend mit der Liebeselegie verbunden. So führt Ovid in am. 1,9,33–40 epische Helden wie Hektor und Achill als Beleg für Liebende auf. Damit wird nicht das Epos zur Liebeselegie, sondern durch den Verweis auf den epischen Liebhaber der elegische Liebhaber – und die Elegie – aufgewertet. Stattdessen zielt impar in Ach. 1,256 meiner Meinung nach eindeutig auf Achills nicht erfolgte Abstammung von Jupiter (ohne dass eine doppeldeutige semantische Aufladung von genus beabsichtigt wäre). Siehe auch zur Bedeutung von impar im Sinne von „inferior natu“ ThlL VII,1 (1937), 519.46–64, s.v. impār und zur Bezeichnung nicht standesgemäßer Heiraten ThlL VII,1 (1937), 519.71–77, s.v. impār. Damit folgt Statius ganz der epischen Tradition: Achill unterdrückt seinen animus virilis auf Skyros. Dieser wird durch Odysseus’ List wieder aufgedeckt: arma ego femineis animum motura virilem | mercibus inserui, Ov. met. 13,165f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

sollen.420 Dabei vermeidet sie die Gründe beziehungsweise den Zweck zu nennen, aufgrund derer die jeweiligen Helden und Götter die weibliche Erschei‐ nung gewählt haben. Die Exempla umfassen dabei verschiedene Ebenen: Her‐ kules’ Sklavendienst für Omphale, mit dem Thetis beginnt, ist mit weiblichen Tätigkeiten verbunden:421 si Lydia dura | pensa manu mollesque tulit Tirynthius hastas (260 f.). Herkules422 webte423 und trug Thyrsosstäbe424: Gleichzeitig lässt Thetis diese Tätigkeit als Heldentat erscheinen,425 indem sie die Tätigkeit mit militärischen Termini technici (hastae) verbindet und sie mit tulit in die Reihe der labores Herculis stellt. Bacchus wiederum wird als Beispiel für das Tragen weiblicher Kleidung aufgerufen. Dabei versucht Thetis, das Argument auszuräumen, dass das Tragen einer palla für einen Mann nicht angemessen sei (decet, 262).426 Jupiter, der sich als Mädchen verkleidet,427 dient als Beispiel für eine körperliche Erscheinung als Frau: virgineos si Iuppiter induit artus (263). Mit Kaineus als Exemplum soll schließlich für Achill deutlich werden, dass eine Verwandlung ungefährlich ist und nicht das Heldentum schmälern muss: nec magnum ambigui fregerunt Caenea sexus (264).428

420 421 422 423 424

425 426

427 428

Vgl. hierzu insgesamt Gärtner (2004). Zum Herkules-Exemplum vgl. McNelis (2020), 448. Dabei handelt es sich gleichzeitig um ein Exemplum aus der Liebeselegie (Prop. 3,11,17– 20), zu dem auch Einzeltextreferenzen aufgebaut werden: tam dura traheret mollia pensa manu. (Prop. 3,11,20) Auch schon in der Ilias dient Herkules für Achill als Exemplum, dem er nachfolgen will. Vgl. Hom. Il. 18,117–121. Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,261) deutet auch molles […] hastas im Kontext des Webens und sieht sie als Weberschiffchen. Ripoll/Soubiran (2008), 191 (ad 1,260f.) entscheiden sich aufgrund bildlicher Darstel‐ lungen von Achill mit Bacchus-Attributen für Thyrsosstäbe als Bedeutung von ha‐ stae. Ebenfalls für diese Deutung plädieren Jannaccone (1950), 85 (ad 1,261), Dilke (1954=2005), 103 (ad 1,260f.), Méheust (1971), 85 Anm. 2., Nuzzo (2012), 76 (ad 1,261–265) und Uccellini (2012), 195 f. (ad 1,260f.). Vgl. auch McNelis (2020), 447, der herausarbeitet, dass Herkules’ Verkleidung nicht seinem Status als Helden schadet. McNelis (2020), 445 f. verweist zusätzlich auf die Bedeutung von Herkules und Bacchus in enkomiastischen Texten als mythologische Beispiele für Eroberer. Bacchus verliere traditionell durch seine Verkleidung auch nicht seine Autorität. „In this respect, Thetis’ rhetoric cleverly exploits paradoxical perspectives in which a paradigmatic conqueror was willing to disguise himself in female clothing.“ Ebd., 446. Vgl. zu Jupiters List, um sich Kallisto zu nähern: Ov. met. 2,425: protinus induitur faciem cultumque Dianae. Chinn (2013), 323 f. liest die Stelle als Anspielung auf die Kentauromachie, bei der Kaineus getötet wurde. Nicht die ambigui sexus, sondern die Kentauren hätten Kaineus getötet. Dies sei durch Thetis’ Angst vor Achills Auseinandersetzungen mit den Kentauren begründet. Ähnlich Russell (2014), 110, der ausführt, dass Kaineus wie

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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In seiner Untersuchung der Exempla hat Gärtner herausgearbeitet, dass mit Jupiter und Kaineus die letzten beiden Exempla nicht ganz zu Achills Verwand‐ lung passen. Schließlich fordert Thetis von Achill keine echte Verwandlung zur Frau, sondern er soll nur die habitus (260) beziehungsweise tegmina (271) einer Frau annehmen. Jedoch deutet Jupiters Exemplum auf Achills spätere Motivation und seine Vorgehensweise, um Deidamia näher zu kommen hin. Er „praefiguriert […] die erotische Rolle Achills in der Deidamia-Episode.“429 Kaineus wiederum deutet nach Gärtner auf Achills Rückverwandlung zum Mann hin, mit dem auch sein Tod verbunden ist.430 Also spiegelt sich in den beiden scheinbar unpassenden Gleichnissen in Wirklichkeit geradezu prophetisch der vom Dichter geplante Fortgang seines Werkes. Dieser Effekt steigert sich noch dadurch, daß die Gleichnisse von einer Thetis ausgesprochen werden, die das erste praefigurierte Ereignis (welches wenige Verse später wirksam werden wird, 283 ff.), die Liebe Achills zu Deidamia, noch nicht vorausahnen kann, das zweite, den Tod Achills, zwar als ständige Vorahnung vor Augen hat, aber mit der durch die besprochene Exempelreihe gerechtfertigten Handlungsweise gerade abwenden will.431

Gleichzeitig unterstützt auch die Tatsache, dass Jupiter und Kaineus mehr als eine oberflächliche Verwandlung unternommen haben, Thetis’ Argumentation: Die mythologischen Exempla haben sogar mehr unternommen, als Thetis von Achill verlangt.432 Da diese heroischen Vorbilder und Götter sich ebenfalls als Frau verkleidet haben, so führt Thetis ihre Argumentation fort, soll dies auch Achill zulassen: has sine, quaeso, minas numenque exire malignum (265). Akzeptiert man die Konjekturen von Postgate (hac) und Hall (sic) für das von allen Textzeugen außer

429 430 431 432

Achill nicht durch die Zeit als Frau gebrochen würde, aber implizit so auf Achills Tod verwiesen werde. Gärtner (2004), 13. Vgl. auch Cyrino (1998), 233 Fn. 98. Vgl. Gärtner (2004), 10–15. Gärtner (2004), 15. Vgl. dazu auch Koster (1979), 202, der so Kaineus’ Exemplum deutet. Vgl. auch McAuley (2010), 45: „Thetis uses Ovidian exempla of heroes and gods, who are famous for their hyper-masculinity yet who undergo gender mutation, as powerful rhetorical precedents to persuade her macho little boy to do something supposedly far less transgressive by comparison: to just “put on a dress” for a while.“ Anders Heslin (2005), 122–124, der Kaineus als schlechtgewähltes Beispiel sieht, da Kaineus für Transsexualität und nicht Transvestismus stehe. So auch Albrecht (1999), 283, der von einem „horrifying effect“ aller Beispiele ausgeht.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

P überlieferte has,433 so unterstreicht Thetis ihre Bitten als Folge ihrer voraus‐ gegangenen Exempla. Mit dem einheitlich überlieferten has würde Thetis auf ihre Ausführungen in den Versen 1,257f. verweisen. Gleichzeitig fordert Thetis Achill auf, der nubes maligna (P) beziehungsweise dem numen malignum (ω) so zu entgehen. Hierbei ist meiner Ansicht nach numen malignum vorzuziehen, da die Argumente für nubes schwach sind,434 während dagegen numen auf Jupiters göttlichen Plan zur Vernichtung Trojas,435 wie er in der Nyktomachie der Aeneis beschrieben wird, anspielt:436

433

434

435

436

Klotz (1927) und Dilke (1954=2005) nehmen in ihren Editionen Postgates Konjektur, die zuvor Wilkins (1904) lediglich in den Apparat aufgenommen hatte, in den Text auf. Dilke (1954=2005), 103 (ad 1,256) erklärt sein Vorgehen damit, dass er so die grammatikalisch sinnlose Variante hae in P erklären will. Hac sieht er dann als eine genauere Bestimmung von exire: „Postgate’s emendation, hac going closely with exire, improves the sense and accounts for P’s reading.” Uccellini (2012), 199 (ad 1,165), die wie alle späteren Editionen bis auf Hall (2007) diese Konjektur übernimmt, übersetzt das Adverb von hic an dieser Stelle mit „in questo modo“. Ähnlich übersetzen auch Mozley (1928=1969), 529 und Shackleton Bailey (2003b), 333 hac mit „this way“. Allerdings wird das Adverb hāc entweder als Angabe der Bewegungsrichtung (Vgl. Vgl. ThlL VI,3 [1938], 2747.8–2748.52, s.v. hic unter der Bed. „adv. hāc I notione directionis vigente.“) oder im Sinne einer Ortsangabe benutzt. (Vgl. ThlL VI,3 [1938], 2748.53–70, s.v. hic unter der Bed. „adv. hāc II usu secundario: A notione directionis evanescente fere i. q. hic.“) Für die Bed. „II B notione directionis mutata i. q. huc“ (Vgl. ThlL VI,3 [1938], 2748.71–72, s.v. hic), auf die sich vielleicht Dilke beziehen will, findet sich nur ein spätantiker Beleg. Für die Bed. hac ratione führt der ThlL nur zwei Belegstellen bei Tertullian, wo die Argumentation jeweils durch illac fortgeführt wird. Vgl. ThlL VI,3 (1938), 2748.50–52, s.v. hic unter der Bed. „adv. hāc I B sensu translato fere i. q. hac ratione (… illa r.)“. Wie Nuzzo (2012), 77 (ad 261–265) darlegt, ist auch der Versanfang einzigartig, wobei hac sine lege ruunt in Ov. met. 2,204 keine wirkliche Parallelstelle darstellt, da es sich bei Ovid ja um die Präposition sine handelt. Hall (2007) erkennt wohl die Schwierigkeiten von hac und konjiziert deshalb sic. Allerdings ist meiner Ansicht nach eine Konjektur an dieser Stelle nicht nötig. Die Variante has, die die Handschriften von ω vertreten, ist grammatikalisch und inhaltlich sinnvoll. Neben der Superiorität von P wird hier oft damit argumentiert, dass die Formulierung statianisch sei. Vgl. Dilke (1954=2005), 103 (ad 1,265), Ripoll/Soubiran (2008), 192 (ad 1,265). Den dort genannten Stellen ist jedoch gemeinsam, dass sie kaum Ähnlichkeiten mit Ach. 1,265 aufweisen: So erzeugt Tisiphone in Theb. 1,124 eine stinkende Wolke; in Theb. 2,321 wird mit nubes ein Plan spezifiziert; in Theb. 4,512 Teiresias’ ernste Stirn beschrieben. Auch in silv. 1,3,109 und 3,3,147 wird nubes nicht ähnlich gebraucht. Für numen in Verbindung mit malignus siehe dagegen Iuv. 4,10,111. Vgl. Binder (2019b), 170 f. (ad 2,619). Vgl. OLD, 1202, s.v. numen unter der Bed. 3 „Divine power as controlling events or activities, divine will or sanction“ und Georges 2, 1215, s.v. numen: „inimica Troiae numina magna deum, das gegen Troja feindselige mächtige Walten der Götter, Verg.“ Diese Formulierung wird wohl auch schon in Ov. Pont. 2,8,38 rezipiert: numina sint precibus non inimica meis.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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apparent dirae facies inimicaque Troiae numina magna deum. (Verg. Aen. 2,622f.)

Thetis sieht hier also noch eine letzte Möglichkeit, Achills Teilnahme an Jupiters consulta belli (Ach. 1,82), die Neptun ihr schon angekündigt hatte, zu verhindern. Thetis intensiviert hierauf nochmals ihre Bitten: Nach ihrem Versprechen, Achill bald wieder zu Chiron zurückzubringen (266–267a), beschwört sie ihn bei seiner Schönheit (decus, 267) und den Freuden der Jugend, die er noch erleben soll (ventura iuventae | gaudia, 267 f.). Hierauf versucht sie ihn mit ihren bisherigen Verdiensten, die nicht umsonst geschehen sein sollen, für sich zu überzeugen: Achill zuliebe (te propter, 269) habe sie das Festland und den ge‐ ringen Ehemann ertragen (si terras humilemque experta maritum, 268). Genauso habe sie ihren Sohn in der Styx gewappnet (si progenitum Stygos amne severo | armavi, 269 f.). Dies schränkt sie jedoch mit dem Optativ totumque utinam! (270), der auf Achills Schicksal vorausverweist, ein.437 Hiermit verbindet sie eine erneute Wiederholung ihrer Bitten: Sie macht deutlich, dass die Verkleidung als Frau sicher und dabei nur oberflächlich sei (tuta […] | tegmina, 270 f.). Zusätzlich geschehe sie nur für kurze Zeit (parumper, 270) und schade seiner heldenhaften Einstellung nicht (nil nocitura animo, 271). Thetis wird jedoch klar, dass ihre bisherige Argumentation bei Achill keinen Erfolg hatte. Dies wird ihr aus seiner mimischen Reaktion auf ihre Rede deutlich: cur ora reducis | quidve parant oculi? pudet hoc mitescere cultu? (271 f.) Thetis führt dies auf Scham zurück, die Achill aufgrund einer solchen Verkleidung empfinde (pudet hoc mitescere cultu? 272).438 Das Scheitern ihrer Rede versucht sie deswegen möglichst eindringlich durch einen Schwur auf Achill selbst und ihre Verwandten, die Meergötter, dadurch abzuwenden, dass sie Achill versichert, dass Chiron von Achills Verkleidung nichts erfahren wird (nesciet hoc Chiron, 274). Thetis’ Rede bleibt jedoch zunächst ohne Erfolg: […] sic horrida pectora tractat nequiquam mulcens; obstant genitorque roganti nutritorque ingens et cruda exordia magnae indolis. […] (Stat. Ach. 1,274–277) 437

438

Bitto (2016), 231 erklärt hierzu, dass ein solcher Vorverweis nicht Thetis’ Rede unter‐ miniert: „Es ist ja nur dem Leser (oder allenfalls prophetisch Begabten), nicht aber Achill als Zuhörer in diesem Moment ein Wissen über die anders verlaufende Zukunft zugänglich.“ Fantham (1979), 459 verweist hier auf Sen. Tro. 503–506 als Vorlage für diesen Abschnitt der Rede. Besonders auffällig ist hier die ähnliche Reaktion des Kindes auf den Vorschlag, sich zu verstecken (quid retro fugis? 503), und die Analyse der Mutter (agnosco indolem: | pudet timere, 504 f.).

118

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Aus der Einschätzung des epischen Erzählers wird allerdings deutlich, dass dies nicht an Thetis’ Rede liegt.439 Sie bearbeitet (tractat, 274) Achill, der in einem Vorausgriff auf seine Zukunft vor Troja schon jetzt als schrecklicher Krieger (horrida pectora, 274) erscheint, und kann ihn auch nicht beruhigen (nequiquam mulcens, 275). Dies geschieht aus drei Gründen: Ihn hindern sein Vater Peleus (genitor, 275) und seinen Ziehvater Chiron (nutritor ingens, 276), sowie seine langsam deutlich werdende Naturanlage als Krieger (cruda exordia magnae | indolis, 275 f.). Dabei ist es nicht nur der Gedanke an Peleus und Chiron, der Achill abhält.440 Stattdessen ist mit Peleus Achills Herkunft und mit Chiron seine Erziehung verbunden. Somit wird Achill von allen Faktoren, die bestimmen, dass er zum Helden wird, am Nachgeben gehindert.441 Gleichzeitig hat Thetis, wie Bitto zeigt, all diese Punkte in ihre Rede integriert.442 Thetis scheitert also nicht aufgrund ihrer Rede, sondern weil Achill zu heldenhaft ist und deswegen noch nicht überredet werden kann. Interessant ist hier auch der Vergleich mit Parthenopaeus in der Thebais, zu dem sich schon oben in der Beschreibung seines Aussehens Parallelen ergeben haben (vgl. 2.2.2.1). Auch wenn Parthenopaeus ein weniger heroischer puer ist als Achill (er hat noch Probleme beim Erlegen von Ebern [Stat. Theb. 4,322–326]), so ist er genauso wie Achill noch ein Ebenbild seiner Mutter443 und will in den Krieg ziehen. Seine Mutter Atalante bittet ihn hierauf, erst später in den Krieg zu ziehen (Stat. Theb. 4,318–340).444 Wie zuerst auch Achill weigert sich Parthenopaeus. Später wird Parthenopaeus gerade deswegen fallen, weil er noch als puer in den Kampf gezogen ist.445 Deswegen zieht Ruth Parkes aus ihrem Vergleich der beiden Textstellen folgenden Schluss: Parthenopaeus is not yet ready for war. […] Achilles also seems too young. […] If he were to leave for Troy immediately, he might similarly fail to outlive his first aristeia. The poem appears to be on a fast-track to its Iliadic part, to war, but with an immature version of its hero posing a threat to narrative expectations.446

439 440 441 442 443 444 445 446

So auch Aricò (1986), 2938, der Thetis’ rhetorische Kunst hervorhebt. Anders Heslin (2005), 118f. So Dilke (1954=2005), 104 (ad 1,275f.), Ripoll/Soubiran (2008), 193 (ad 1,275) und Uccellini (2012), 202 (ad 1,275f.). Vgl. auch Rosati (1992a), 252, der hervorhebt, dass Achill damit seine Identität als Held bekräftigt. Vgl. Bitto (2016), 231. Vgl. Stat. Theb. 4,336f. und Ach. 1,164f. Zum Vergleich der beiden Stellen vgl. Parkes (2008), 386f. Vgl. Stat. Theb. 9,855f. puerque videtur | et sibi. Parkes (2008), 387.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

119

Natürlich ist Achill schon weiterentwickelt als Parthenopaeus und ein außer‐ gewöhnlicher Heldenknabe. Allerdings ist es ihm tatsächlich möglich, durch Thetis’ List noch weiter heranzuwachsen. Achill ist, als er nach seiner Entde‐ ckung mit Odysseus und Diomedes nach Aulis fährt, kein puer mehr, sondern Vater und Ehemann. Er wird auch in Troja nicht sofort im Kampf, wie es für einen puer typisch ist, sterben. In einem epischen Gleichnis, das eine Art Scharnierfunktion zwischen Achills widerstrebendem Verhalten und seinem späteren Nachgeben erfüllt, wird Achill im Anschluss an Thetis’ Rede mit einem jungen Pferd verglichen: […] effrenae tumidum velut igne iuventae si quis equum primis submittere temptet habenis: ille diu campis fluviisque et honore superbo gavisus non colla iugo, non aspera praebet ora lupis dominique fremit captivus inire imperia atque alios miratur discere cursus. (Stat. Ach. 1,277–282)

Wie ein Pferd, wenn es gezähmt werden soll, widerspenstig ist, so ist auch Achill nicht gehorsam, folgt nicht seiner Mutter und wundert sich über die neuen Anweisungen. Gleichzeitig wird aber damit auch deutlich, dass Achill wie das Pferd nachgeben wird. Allerdings wird im Nachhinein deutlich, dass Achill nicht zähmbar ist: Im Moment seiner Entdeckung durch Odysseus (vgl. 2.3.5.3) wird Achill mit einem scheinbar gezähmten Löwen verglichen, der, sobald er das Blitzen von Stahl gesehen hat, wieder wild wird (Ach. 1,858–863). Die beiden Gleichnisse bilden dabei einen Rahmen um die Episode auf Skyros. Während Achill auf Skyros ist, ist er scheinbar gezähmt wie das junge Pferd nach dem Anlegen von Trense und Zügel (= Anlegen der weiblichen Kleidung), sobald er jedoch Waffen sieht und anscheinend Gefahr droht, wird er wieder wild und zum Krieger. 2.3.2.1.2 Tatsächliche Überzeugung durch Deidamia Die Erzählung steckt nach Achills Antwort in einer Sackgasse:447 Obwohl Achill der Tradition gemäß sich auf Skyros als Mädchen verkleiden muss, scheint dies nun für Thetis aussichtslos zu sein. Die Faktoren, die Achill zum Heldentum bestimmen, lassen nicht zu, dass er nachgibt. Der epische Erzähler leitet mit zwei Fragen zur Erklärung über, weshalb Achill sich doch überzeugen ließ: Quis deus attonitae fraudes astumque parenti contulit? indocilem quae mens detraxit Achillem? (Stat. Ach. 1,283f.) 447

Vgl. Rosati (1992a), 240.

120

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Mit dem Beginn quis deus, durch den ein besonderer Fokus auf die Erzählung gelegt wird,448 wird besonders die epische Tradition, in der die Szene steht, betont: Durch die für das Epos typische Frage, welcher Gott das Geschehen ausgelöst hat,449 wird die Wie-Spannung erhöht.450 Zwar wird die Frage vom epischen Erzähler nicht beantwortet,451 dadurch aber, dass Achill sich in Dei‐ damia verliebt und so zu überzeugen ist, wird klar, dass es sich bei dem deus um Amor/Cupido handelt.452 Dies wird vor allem in Vers 284 deutlich. Hier führt Statius die Eigenschaften auf, die Eros schon in Hesiods Theogonie hat: λυσιμελής, πάντων τε θεῶν πάντων τ’ ἀνθρώπων δάμναται ἐν στήθεσσι νόον καὶ ἐπίφρονα βουλήν. (Hes. theog. 121 f.) Er ist gliederlösend und bezwingt im Herzen den Verstand und planvolles Denken aller Götter sowie aller Menschen.

So wie Eros in der Theogonie den νόος und die ἐπίφρων βουλή überwältigt, so verändert sich bei Statius Achills mens und stimmt ihn um (detraxit, Ach. 1,284). Wie in Ovids Metamorphosen, in denen Medea einen nescioquis deus (Ov. met. 7,12) verspürt, wird auch hier Amor nicht als handelnde Gottheit genannt; sein Wirken wird dennoch deutlich. Die Szene, in der Achill Deidamia erblickt, entspricht dabei einer typischen epischen Szene, in der ein Gott oder Held eine schöne Jungfrau erblickt. Prägend als Strukturreferenz hierfür ist Hom. Od. 6,99–134:

448 449 450

451 452

Vgl. Bitto (2016), 233. Diese Frage steht oft im Proöm oder ist oft mit einem erneuten Musenanruf verbunden. Vgl. bspw. Hom. Il. 1,8, Verg. georg. 4,315, Verg. Aen. 9,77, 12,500 (ohne Musenanruf), Sil. 5,420. Der Ersatz einer Was-Spannung durch eine Wie-Spannung führt jedoch nicht zu einer Reduktion des Pathos (so Bitto [2016], 233). Stattdessen ist die Wie-Spannung typisch für die großen Rahmenlinien eines Epos. Für den Leser der Aeneis ist bspw. klar, dass Aeneas in Latium ankommen wird. Entscheidend ist, wie er ankommt. Dies betonen Ripoll/Soubiran (2008), 194 (ad 1,283) und Bitto (2016), 233. So auch Feeney (1991), 376 Fn. 199, der dies für besonders auffällig hält und der „divine intervention“ in der Achilleis für „conspicuously missing“ hält. So auch Feeney (2004), 92. Anders Heslin (2005), 125, der von Glück („chance“) spricht. Für Tanner (1986), 3032 f. handelt es sich um eine stoische Frage, die auf die Alternativen fatum oder providentia hinausläuft.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

6,99f.

Spielen der Jungfrauen

6,101–109

Nausikaa übertrifft wie Artemis ihre Begleiterinnen.

6,110–126

Odysseus nimmt Nausikaa wahr.

6,127–129

Er macht sich für die Begegnung zurecht.

6,130–134

Episches Gleichnis: Der innere Zustand des Helden: Wolf

121

Tab. 6: Odysseus erblickt Nausikaa (Hom. Od. 6,99–134)

In den Metamorphosen greift Ovid diese Szene in der Erzählung, wie Merkur sich in Herse verliebt, auf und variiert sie leicht: 2,711–713

Opfern der Jungfrauen für Athene

2,714f.

Merkur nimmt die Jungfrauen wahr.

2,716–721

Episches Gleichnis: Der innere Zustand des Helden: Geier

2,722–725

Herse übertrifft ihre Begleiterinnen wie Lucifer die restlichen Sterne und wie Phoebe Lucifer.

2,726–730

Merkur verliebt sich.

2,731–736

Er macht sich für die Begegnung zurecht.

Tab. 7: Merkur erblickt Herse (Ov. met. 2,711–736)

Statius bezieht sich auf Ovid met. 2,711–736 als Strukturreferenz für die gesamte Szene:453 1,285–289

Opfern der Jungfrauen für Athene

1,290–300

Alle sind schön, Deidamia übertrifft die anderen wie Venus die Meer‐ nymphen, Diana die Najaden, sie gleicht einer friedlichen Athene.

1,301–312

Achill verliebt sich.

453

Vgl. Dilke (1954=2005), 105 (ad 1,285f.) und Ripoll/Soubiran (2008), 194 (ad 1,285–317), die als Parallele lediglich das Opfer für Pallas sehen. Weitergehende Ansätze zum Vergleich der beiden Szenen finden sich bei Uccellini (2012), 206 f. (ad 1,285–289) und Bitto (2016), 234–238.

122

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

1,313–317

Episches Gleichnis: verliebter Jungstier

1,318–337

Achill lässt sich überzeugen und für die Begegnung zurechtmachen.

Tab. 8: Achill erblickt Deidamia (Ach 1,285–337)

Wie also schon für die Beschwörung des Seesturmes gezeigt wurde (vgl. 2.1), wird auch hier mithilfe von Strukturreferenzen auf epische Vorbilder verwiesen. Gleichzeitig bestehen auch, wie im Folgenden gezeigt werden wird, Einzelreferenzen zu den genannten Prätexten. Nachdem, wie oben dargestellt, Amors Wirken als deus ex machina angekün‐ digt wurde, wird im ersten Teil der Szene Deidamia ins Geschehen eingeführt: Palladi litoreae celebrabat Scyros honorum forte diem, placidoque satae Lycomede sorores luce sacra patriis, quae rara licentia, muris exierant dare veris opes divaeque severas fronde ligare comas et spargere floribus hastam. omnibus eximium formae decus, omnibus idem cultus et expleto teneri iam fine pudoris virginitas matura toris annique tumentes. sed quantum virides pelagi Venus addita Nymphas obruit, aut umeris quantum Diana relinquit Naidas, effulget tantum regina decori Deidamia chori pulchrisque sororibus obstat. illius et roseo flammatur purpura vultu et gemmis lux maior inest et blandius aurum: atque ipsi par forma deae est, si pectoris angues ponat et exempta pacetur casside vultus. (Stat. Ach. 1,285–300)

Wie Merkur in den Metamorphosen erblickt Achill bei Statius Mädchen, die Pallas opfern.454 Auch die Zeitangabe entspricht der in den Metamorphosen: So wie in der Achilleis zufällig gerade auf Skyros für die an der Küste verehrte Pallas455 ein Fest gefeiert wird (celebrabat […] | forte diem, 285 f.) wird auch in den Metamorphosen, als Merkur vorbeifliegt, gerade zufällig die Göttin verehrt (illa forte die, Ov. met. 2,711). Wie in den Metamorphosen und anders als in der

454 455

Für Ripoll/Soubiran (2008), 194 (ad 1,285–317) ist die Lokalisation der Szene an der Küste eine Parallele zur Odyssee. Vgl. die Deutung von Pallas litorea in ThlL VII,2 (1976), 1514.23f., s.v. lītoreus und Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,285).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

123

Szene in der Odyssee sieht in der Achilleis der Held, der sich verlieben wird, diese erste Hintergrundhandlung. Auch das Vorhaben der Mädchen ist ähnlich:456 Die Mädchen der Achilleis wollen Pallas Gaben des Frühlings darbringen (veris opes, Ach. 1,288), Kränze aufsetzen (fronde ligare comas, 289) und ihre Lanze mit Blumen schmücken (spargere floribus hastam, 289). Die athenischen Mädchen in den Metamorphosen tragen, wie es Brauch ist (de more, Ov. met. 2,711), ihre heiligen Gegenstände für das Opfer in Blumenkörben (pura coronatis portabant sacra canistris, 713). Stephen Hinds deutet die Szene als Feminisierung der Gottheit: To offer a tendentious paraphrase: Deidamia and her sisters worship a masculinized female, the goddess of war; and they do so by making her more feminine.457

Bitto wiederum baut darauf auf und deutet die Blumen als „Sinnbild des pathosgedämpften Ethos-Epos.“458 Allerdings sind Blumen in der Antike nicht so eindeutig der weiblichen Sphäre zugeordnet wie heute. So ist es beispielsweise beim Symposion üblich, Blumenkränze zu tragen. Das Tragen von Blumen effeminiert also keineswegs den Träger. Allerdings gelten Blumen auch als Zeichen der Fruchtbarkeit und sexuellen Reife.459 Blumen sind schon seit der archaischen Lyrik mit Attraktivität460 und in der homerischen Dichtung mit Verführung461 verbunden. Ein Beispiel aus der lateinischen Dichtung für eine solche Verbindung eines Mädchens mit Blumen ist Proserpina, die in Ov. met. 5,390–394 gerade Blumen pflückt, als sie von Hades geraubt wird. Die Blumen, mit denen die Mädchen in der Achilleis Pallas’ Statue schmücken, charakteri‐ sieren also nicht die Göttin, sondern die Mädchen, die damit als sexuell attraktiv dargestellt werden. Dies wird auch im weiteren Verlauf deutlich: Wie in der Odyssee folgt auf die Beschreibung der Tätigkeit eine immer stärkere Fokussierung auf das Mädchen, um das sich im Folgenden die Handlung dreht. Wie in beiden epischen Vorbildern überragt auch hier Deidamia die anderen Mädchen um Längen. Die Beschreibung der Schönheit der anderen Mädchen nimmt jedoch in der Achilleis weit mehr Platz ein und wird durch die Anapher omnibus […] omnibus besonders betont. Alle sind herausragend 456 457 458 459 460 461

Taisne (1994), 80 sieht als zusätzliche Parallele Reigen von Mädchen bzw. Frauen in den homerischen Hymnen. Hinds (2000), 237. Vgl. Bitto (2016), 234 f. (Zitat: 234). Vgl. Sebesta (2000), 130, der die Blumen, mit denen Chiron Peleus und Thetis in Catull. 64,279–294 beschenkt, nicht nur als Zeichen ihrer sexuellen Verbindung, sondern auch als Symbol für ihre Nachkommenschaft, d. h. Achill, deutet. Vgl. Brockliss (2019), 25–39, Zusammenfassung 39. Vgl. Brockliss (2019), 41–73, Zusammenfassung 72f.

124

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

schön (omnibus eximium formae decus, 290), alle sind gleich herausgeputzt (omnibus idem | cultus, 290 f.) und alle haben ihre sexuelle Reife erlangt und sind damit bereit für die Ehe. Dieser letzte Aspekt wird in einem Trikolon besonders hervorgehoben: Für sie ist es schon Zeit ihre sexuelle Scham (pudor) abzulegen (expleto teneri iam fine pudoris, 291), sie sind reif für die Entjungferung in der Hochzeitsnacht (virginitas matura toris, 292) und sie sind im Alter ihrer höchsten Attraktivität462 beziehungsweise im Alter, in dem sich am meisten die Leidenschaft Bahn bricht (annique tumentes, 293).463 Wie Nausikaa in der Odyssee und Herse in den Metamorphosen übertrifft auch Deidamia ihre Gefährtinnen um Weiten. Auch in der Achilleis wird dies durch das Gleichnis mit Göttinnen und deren Begleitern ausgedrückt: Durch den Vergleich mit Venus wird nochmals Deidamias sexuelle Attraktivität hervorgehoben (293 f.).464 Diana (294 f.) wiederum, mit der der Vergleichspunkt aus den Strukturvorbildern aufgegriffen wird,465 verdeutlicht Deidamias Jung‐ fräulichkeit. Gleichzeitig wird offenbar, dass Deidamia Achills Gegenstück ist. Wie oben gezeigt (2.2.2.1), korrespondiert hier in der Achilleis wie in anderen epischen Vorbildern ein Vergleich der Geliebten mit Diana einem Gleichnis, in dem der Liebende mit Apollon verglichen wird. Deidamias Schwestern sind schön,466 Deidamia ist weit schöner: Ihr Gesicht ist rosig gefärbt (roseo flammatur purpura vultu, 297), und sogar ihr Schmuck glänzt schöner als der ihrer Schwestern (et gemmis lux maior inest et blandius aurum, 298). In einem zweiten Vergleich wird Deidamia nun mit einer friedli‐ chen Athene verglichen (299 f.), wenn sie ihre Aigis und ihren Helm ablegt und damit ihr Gesicht einen friedlichen Ausdruck annimmt (pacetur, 300). Hierbei ist die Besonderheit, dass Deidamia in ihrer Schönheit nicht nur mit der Göttin verglichen wird, sondern der Göttin gleichkommt (ipsi par forma deae est, 299). Deidamias göttlich wirkende Schönheit hat auf Achill sofortige Wirkung: hanc ubi ducentem longe socia agmina vidit, trux puer et nullo temeratus pectora motu deriguit totisque novum bibit ossibus ignem. nec latet haustus amor, sed fax vibrata medullis in vultus atque ora redit lucemque genarum tinguit et inpulsam tenui sudore pererrat. 462 463 464 465 466

Vgl. OLD, 1987, s.v. tumeo unter der Bed. 1c „as a sign of growth or maturity“. Vgl. OLD, 1987, s.v. tumeo unter der Bed. 3 „to be inflamed with passion or unrest“. Vgl. auch Albrecht (1999), 285 und Panoussi (2013), 340. Zu Artemis/Diana als typischem Vergleichspunkt für Mädchen vgl. auch McNelis (2015a), 591. Tillard (2008), 87 notiert hier als Parallele zu Nausikaa die Gleichheit der Begleiterinnen.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

125

lactea Massagetae veluti cum pocula fuscant sanguine puniceo vel ebur corrumpitur ostro, sic variis manifesta notis palletque rubetque flamma repens. eat atque ultro ferus hospita sacra disiciat turbae securus et inmemor aevi, ni pudor et iunctae teneat reverentia matris. (Stat. Ach. 1,301–312)

Für Achill ist es Liebe auf den ersten Blick: In dem Augenblick, in dem er Deidamia erblickt (ubi […] vidit, 301), wird an Achills körperlicher Reaktion deutlich, dass er sich verliebt hat. Er erstarrt (deriguit, 303), die Liebe, die als ignis (303) beziehungsweise fax (304) dargestellt wird, dringt bis in sein Innerstes, färbt hierauf sein Gesicht rot und erzeugt leichten Schweiß. Der Vorgang des Verliebens wird zuvor in Anlehnung an Verg. Aen. 1,660,467 wo Cupido die Liebe zwischen Dido und Aeneas bewirken soll (ossibus implicet ignem), hier aktiv mit bibit ausgedrückt:468 totisque novum bibit ossibus ignem (Ach. 1,303).469 Diese Reaktion wird durch ein episches Gleichnis verdeutlicht, das zwei Bilder aus eigentlich kriegerischen Kontexten aufnimmt. Zum einen wird mit dem Vergleich der mit Blut vermischten Milch eine Formulierung aus dem zweiten Chorlied von Senecas Oedipus aufgegriffen, in dem Bacchus’ Erfolge dargestellt werden (lactea Massagetes qui pocula sanguine miscet, Sen. Oed. 470).470 Der zweite Vergleichspunkt – Elfenbein wird durch Purpur gefärbt – rezipiert ein Gleichnis aus der Ilias: ὡς δ᾽ ὅτε τίς τ᾽ ἐλέφαντα γυνὴ φοίνικι μιήνῃ Μῃονὶς ἠὲ Κάειρα παρήϊον ἔμμεναι ἵππων· […] τοῖοί τοι Μενέλαε μιάνθην αἵματι μηροὶ εὐφυέες κνῆμαί τε ἰδὲ σφυρὰ κάλ᾽ ὑπένερθε. (Hom. Il. 4,141f., 146 f.) So wie wenn irgendeine mäonische oder karische Frau Elfenbein mit Purpur färbt, um als Backenschmuck für Pferde zu dienen, […] färbten sich Menelaos’ muskulöse Schenkel, Schienbeine und schöne Knöchel darunter.

Nach einer Verwundung werden Menelaos’ blutüberströmte Schenkel damit verglichen, wie eine Frau einen elfenbeinernen Wangenschmuck für Pferde mit

467 468 469 470

Vgl. McNelis (2015a), 591. Vgl. dazu auch Verg. Aen. 1,749 longumque bibebat amorem. Nach Panoussi (2013), 341 wird durch die Intertextualität Achills Attraktivität weiter gesteigert und seine Verbindung mit Deidamia erscheint als vorherbestimmt. Zum Topos der Blut und Milch trinkenden Skythen vgl. auch Verg. georg. 3,461–463 und ebenfalls im Kontext der Expansion über fremde Völker Hor. carm. 3,4,34–36.

126

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Purpur färbt. In der Aeneis wird dieses Bild dann wieder aufgegriffen,471 um Lavinias Gesichtsfarbe nach der versuchten Beschwichtigungsrede ihrer Mutter an Turnus darzustellen: Indum sanguineo ueluti uiolauerit ostro | si quis ebur, (Verg. Aen. 12,67f.). Mit dem Rückgriff auf das Gleichnis der Ilias wird in der Aeneis Lavinias Reaktion noch mehr in den Kontext des Krieges und der Schlacht gestellt. Auch in der Achilleis ist durch die beiden Elemente des Gleichnisses ein ähnlicher Effekt festzustellen:472 „Achilles’ desire is so intensely masculine that it draws in the fierce warriors who drink milk mixed with blood.“473 Dass Achills Reaktion auf Deidamia durchaus männlich ist, ergibt sich aus dem Verhalten, das er zeigen würde, wenn seine Mutter nicht anwesend wäre: Er würde wie ein Krieger im Kampfrausch (ferus, 310) das Opfer seiner künftigen Gastgeber (hospita sacra, 310) zersprengen und dabei keine Rücksicht auf die Menge oder sein Alter nehmen (turbae securus et inmemor aevi, 311).474 Das Einzige, das ihn abhält, ist sein Schamgefühl (pudor, 312) und der Respekt vor seiner Mutter (reverentia matris, 312).475 In einem zweiten Gleichnis wird jedoch deutlich, dass Achill noch nicht ganz erwachsen ist: ut pater armenti quondam ductorque futurus, cui nondum toto peraguntur cornua gyro, cum sociam pastus niveo candore iuvencam aspicit, ardescunt animi primusque per ora spumat amor, spectant hilares obstantque magistri. (Stat. Ach. 1,313–317)

Anders als Odysseus oder Merkur wird Achill nicht mit einem per se bedrohli‐ chen Tier wie einem Wolf oder Geier verglichen. Stattdessen wird Achill mit einem noch nicht ganz ausgewachsenen Jungstier verglichen, der eine wunder‐ schöne junge Kuh erblickt und deshalb zum ersten Mal voller Temperament seine Liebe zeigt. Der Vergleich mit dem jungen Stier ist dabei durchaus passend: Wie der Stier seine Herde führen wird (ductorque futurus, 313), so wird Achill

471

472 473 474 475

Ob auch schon Ennius (et simul erubuit ceu lacte et purpura mixta, Enn. Ann. 11,361 Skutsch) das homerische Gleichnis rezipiert (vgl. Sfyroeras [2014], 236 f.), ist kaum zu sagen, da ein Verweis auf Elfenbein fehlt. Aus dem fehlenden Kontext des Fragments lässt sich kaum auf das Geschlecht des Sprechers schließen. Anders Ripoll (2015), 69, der den Inhalt des Gleichnisses der Achilleis nur mit der Aeneis vergleicht und daraus schließt, dass Achill durch einen Vergleich mit Lavinia feminisiert wird. Sfyroeras (2014), 243. Vgl. hierzu auch Ripoll (2015), 68. Dadurch zeigt er auch, dass er sowohl kindliche als auch schon erwachsene Züge hat. Vgl. Albrecht (1999), 286f.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

127

die Myrmidonen anführen. In seiner Reaktion auf Deidamia zeigen sich die Anfänge seines männlichen Verhaltens (ardescunt animi, 316). Der Effekt des Tiergleichnisses ist auch ein ganz anderer als bei Odysseus oder Merkur und wird hier zusätzlich aus der Reaktion der Hirten deutlich: Für sie ist es ein fröhlicher Anblick (spectant hilares, 317), wobei sie jedoch den Jungstier an weiteren Schritten hindern (obstant, 317). Dieser Übergang in die Perspektive der Betrachter leitet gleichzeitig auf Thetis über, die ähnlich reagiert und die Situation nutzt, um Achill in ihre Richtung zu lenken.476   2.3.2.2 Durchführung und Ergebnis der Metamorphose Thetis erkennt sofort die Zeichen, dass Achill sich verliebt hat und nutzt die Gelegenheit zu einer kurzen suasio: Occupat arrepto iam conscia tempore mater: ‘Hasne inter simulare choros et bracchia ludo nectere, nate, grave est? gelida quid tale sub Ossa Peliacisque iugis? o si mihi iungere curas atque alium portare sinu contingat Achillem!’ (Stat. Ach. 1,318–322)

Mit ihren zwei rhetorischen Fragen geht sie auf Achills vorherige abwehrende Haltung ein. Dabei geht sie sehr geschickt vor: Zum einen deutet sie Achills Zurückweisung der Verwandlung um: Dass Achill unehrenhaftes Verhalten abwehren wollte, stellt sie so dar, als habe er Beschwernisse (grave, 320) ver‐ meiden wollen. Dadurch, dass Thetis von dieser Annahme in ihrer ersten Frage ausgeht, kann Achill der ersten Frage innerlich nur zustimmen: Ein Reigentanz ist keine schwer zu bewältigende Aufgabe. Mit der zweiten rhetorischen Frage macht Thetis Achill deutlich, dass Thessalien, das als unwirtlich dargestellt wird (gelida, 320), nichts Vergleichbares zu bieten hat (quid tale, 320). Im letzten Teil macht sie voller Pathos deutlich, wie sehr sie sich wünscht, seinen Liebesschmerz zu lindern477 beziehungsweise die Liebenden478 zu vereinen (iungere curas, 321).479 Gleichzeitig macht sie Achill damit deutlich, dass sie 476 477 478 479

Ähnlich auch Koster (1979), 203, der die Zahl der Gleichnisse als Indiz für Achills große Erregung deutet und der das letzte Gleichnis als ein Gleichnis „zur Beschreibung der außerordentlichen Situation“ sieht. Vgl. ThlL IV (1909), 1474.80–1475.41, s.v. cūra inter der Bed. „II B spectatim: 1 i. q. amor, desiderium, dolor amoris“. Vgl. ThlL IV (1909), 1475.42–60, s.v. cūra unter der Bed. „II B 2 metonymice de persona amata“. Vgl. auch Dilke (1954=2005), 107 (ad 1,321f.), Méheust (1971), 86 f. Anm. 6. Bitto (2019), 104 verweist hier auf Hom. Il. 24,130f. als Vorbild und sieht iungere curas als Übersetzung von μίσγεσθ᾽ (131). Für Ripoll/Soubiran (2008), 200 (ad 1,321) will Thetis die Liebe für ihren Sohn mit der für ihren künftigen Enkel verbinden.

128

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

alle amourösen Avancen und auch möglichen Nachwuchs (alium […] Achillem, 322) billigt. Das ist vermutlich das überzeugende Argument, so dass Achill weitgehend nachgibt: mulcetur laetumque rubet visusque protervos obliquat vestesque manu leviore repellit. (Stat. Ach. 1,323f.)

Dies zeigt sich wieder an seiner körperlichen Reaktion: Er wird milder, errötet froh, senkt seinen sonst kühnen Blick und leistet weniger Widerstand, sich verkleiden zu lassen. Thetis nutzt sofort diese Gelegenheit: aspicit ambiguum genetrix cogique volentem iniecitque sinus; tum colla rigentia mollit submittitque graves umeros et fortia laxat bracchia et inpexos certo domat ordine crines ac sua dilecta cervice monilia transfert; et picturato cohibens vestigia limbo incessum motumque docet fandique pudorem. qualiter artifici victurae pollice cerae accipiunt formas ignemque manumque sequuntur, talis erat divae natum mutantis imago. nec luctata diu; superest nam plurimus illi invita virtute decor, fallitque tuentes ambiguus tenuique latens discrimine sexus. (Stat. Ach. 1,325–337)

Hierbei wird besonders ihre Wahrnehmung betont: Thetis sieht (aspicit, 325), dass Achill in seiner Entscheidung schwankt (ambiguum, 325) und, wenn man Heinsius’ Konjektur (cogi statt cogit) folgt,480 gezwungen werden will.481 Akzeptiert man dagegen cogit aus allen Handschriften wird durch das Trikolon und den parallelen Aufbau der Kola Thetis’ energisches Handeln deutlich. Sie nimmt die günstige Lage wahr, zwingt ihn dazu – wobei durch das Oxymoron cogitque volentem deutlich wird, dass jedenfalls ein Teil von ihm dies auch will – und legt ihm schon weibliche Kleidung an (iniecitque sinus, 326). Hierauf macht sich Thetis an die körperliche Verwandlung. Dazu verbirgt sie die körperlichen Merkmale, die Achill als künftigen Krieger kennzeichnen. Thetis

480 481

Heinsius’ Konjektur ist m. E. auch schwer syntaktisch zu begründen: Der Anschluss mit -que verbindet cogi mit dem ersten Kolon auf einer Ebene wie iniecit. In Cogique volentem wird oft eine Parallele zu pugnando vinci se tamen illa volet in Ov. ars 1,666 gesehen, wobei auf Deidamia als Ovids Beispiel für eine Frau, die gezwungen werden will, verwiesen wird. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 201 (ad 1,325), Uccellini (2012), 225 (ad 1,325), Davis (2015), 172, Bessone (2018), 176f.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

129

lässt Achills muskulösen Hals weicher werden (colla rigentia mollit, 326), lässt seine Schultermuskulatur schrumpfen (submittitque graves umeros, 327) und seine Armmuskeln erschlaffen (fortia laxat | bracchia, 327 f.). Zusätzlich frisiert sie seine ungezähmte Mähne und übergibt ihm eine ihrer Halsketten (monilia, 329).482 Schließlich bringt sie ihm das richtige Verhalten als Mädchen bei: Dazu gehört vor allem das richtige Gehen und die richtige Bewegung mit Frauenkleidung sowie Zurückhaltung beim Sprechen (fandique pudorem, 331). Thetis wird bei dieser Verwandlung mit einem Künstler verglichen, der eine Wachsfigur modelliert.483 Dieses Gleichnis dient in erster Linie dazu, die Verwandlung zu veranschaulichen. Das Wachs wird durch die Technik des Künstlers so lebensecht, dass die Figur zu leben scheint.484 Damit werden Thetis’ Verwandlungskünste besonders plastisch beschrieben. Thetis hat bei der Verwandlung keine größeren Schwierigkeiten (nec luctata diu, 335).485 Dies erklärt der epische Erzähler dadurch, dass sich Achill aufgrund seines Alters (superest, 335)486 noch durch die Schönheit (decor, 336) eines puer auszeichnet. Allerdings leistet schon Achills Männlichkeit Widerstand (invita virtute, 336). Sein Aussehen als Mädchen ist dennoch täuschend echt (fallitque tuentes, 336) und sein Geschlecht, das nicht eindeutig ist, (ambiguus […] sexus, 337) ist gut verborgen (tenuique latens discrimine, 337).487 482

483

484

485

486 487

Alepidou (2019), 815 f. vertritt die These, dass es sich dabei um eine von Hephaistos für Thetis hergestellte Halskette handle (Hom. Il. 18,400–402) und damit Thetis Peleus’ Rolle übernehme, der ihm die von Hephaistos hergestellten Waffen übergeben hat, die später Hektor erbeutet. Damit übernehme Thetis die Vaterrolle und verliere ihren iliadischen Charakter. Vgl. zum Terminus technicus mit pollice Büll, Reinhard/Moser, Ernst: Wachs, in: RE Suppl. XIII (1973), 1358. Anders Heslin (2005), 129, der imago als Ahnenmaske deutet. Zum Bild des Formens von Wachs als Metapher für die Erziehung vgl. Holman (1997), 80f. Vgl. Brinkgreve (1913), n. p. (ad 1,332), Dilke (1954=2005), 108 (ad 1,332f.), Méheust (1971), 21 Anm. 2, Ripoll/Soubiran (2008), 202 (ad 1,332–334), Uccellini (2012), 228 (ad 1,332–4) und Nuzzo (2012), 86 (ad 1,332–334). Verbunden mit dieser Interpretation ist auch der Vergleich mit Pygmalion in Ov. met. 10,284–286, den Hinds (1998), 139 sowie Ripoll/Soubiran, Uccellini und Nuzzo a. a. O. ziehen. Ganiban (2015), 83 und Bessone (2018), 177 f. interpretieren diesen Bezug auf Pygmalion als metapoetischen Hinweis. Dadurch wolle Thetis die epische Tradition verändern. Mit nec luctata diu wird nochmals deutlich, dass der Gott Amor Achills Umdenken bewirkt, da die Formulierung (wie schon Ach. 1,283f. in Bezug auf Ov. met. 7,12) darauf verweist, wie sich Medea in Ovids Metamorphosen aufgrund von Amors Eingreifen verliebt (et luctata diu, Ov. met. 7,10). Vgl. auch oben S. 120. D.h. in der Zeit seines Übergangs von der pueritia zur iuventus. Vgl. Rosati (1992a), 239. Vgl. auch zum Gesicht von Epheben, das nicht klar einem Geschlecht zugeordnet werden kann Hor. carm. 2,5,24. Vgl. insgesamt zu den Entsprechungen zu Hor. carm. 2,5,21–24 La Penna (1996), 178 und Myers (2015), 184f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Wie weit Achills Verwandlung geht, wird unterschiedlich bewertet: So betont McAuley stark den körperlichen Aspekt der Verwandlung und spricht von einer „category confusion between transvestism/transsexualism“ in der Achilleis:488 „Achilles’ transvestism, supposedly aesthetic and sartorial only, is in fact a physical alteration, an infringement of his bodily boundaries.“489 Wie jedoch Franchet d’Espèrey herausgearbeitet hat, handelt es sich bei Achills Verwandlung keineswegs um eine vollständige Geschlechtsumwandlung.490 Stattdessen erweckt Achill nur scheinbar den Eindruck, ein Mädchen zu sein. Dies wird an verschiedenen Autorkommentaren deutlich: Die Verwandlung ist eine Täuschung der Mutter (mendacia matris, 1,605), die, wie aus Thetis’ Anweisungen deutlich wird, für Achill der Annäherung an Deidamia dienen soll (incepti […] mendacia furti, 342). Des Weiteren nimmt Lykomedes Achill als occultum Aeaciden (364) auf.491 Ähnlich wird er auch in der Überleitung der Handlung von der Episode auf Aulis auf die Geschehnisse vor Odysseus’ Ankunft wieder eingeführt: occultum falsi sub imagine sexus | Aeaciden furto iam noverat (1,560f.). Achill ist also unter dem Anschein, er habe ein anderes Geschlecht, getarnt. Bezeichnend hierfür ist auch, dass Achill auf Skyros nie mit seinem dortigen Namen492 bezeichnet wird, sondern mit seinem männlichen Namen oder seinem Patronym. Achill ist durch Thetis’ Verwandlung nicht zur Frau geworden, sondern er ähnelt einem weiblicher wirkenden Mann wie beispielsweise Bacchus493 oder einer männlich wirkenden Frau. Thetis korrigiert nur die Züge, die zu offensichtlich männlich sind.494 Wie Aricò herausstellt, ist die Glaubwürdigkeit des ambiguus sexus essentiell für das Narrativ der Achilleis: La „ambiguità sessuale“ (ambiguus … sexus) è la condizione che assicurerà la credibilità della finzione e della convivenza del giovane con la schiera femminile; nel contempo,

488 489 490 491 492

493 494

Vgl. McAuley (2016), 362–364. Zitat: Ebd., 362. McAuley (2016), 363. Vgl. Franchet d’Espèrey (2006), 451f. Zu der hier erfolgenden Elision Kozák (2020), 322 f. Vgl. z. B. Hyg. fab. 96,1: [Thetis] commendavit eum in insulam Scyron ad Lycomedem regem, quem ille inter uirgines filias habitu feminino servabat nomine mutato; nam uirgines Pyrrham nominarunt, quoniam capillis flavis fuit et Graece rufum pyrrhon dicitur. Genauso wird bei Hygin (fab. 97,15) Pyrrha als Vater von Neoptolemos/Pyrrhus genannt und nicht Achill. Zu weiteren Namen von Achill auf Skyros vgl. Escher-Bürkli, Jakob: Achilleus 1, in: RE I,1 (1893), 226. So Taisne (1976), 370. Vgl. Aricò (1986), 2938. Vgl. auch Rosati (1992a), 239, der betont, dass die Weiblichkeit nicht vollständig ist und nicht in Antithese zu männlichen Zügen steht.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

131

essa non frustra le esigenze della caratterizzazione eroica (invita virtute), già delineata nella epifania tessalica e destinata a emergere dopo il momento sciriaco.495

Erst dadurch also, dass die Verwandlung halbwegs glaubwürdig ist und Achill als Mädchen mit männlichen Zügen durchgehen kann (vgl. auch seine Vorstellung vor Lykomedes: torva genas aequandaque fratri, 351), ist es möglich, dass seine Aufnahme durch Lykomedes dem Leser glaubwürdig erscheinen kann. Trotz seiner nun weiblichen Erscheinung bleibt sein späteres heroisches Auftreten weiter möglich. Diese Verwandlung wird oft als „Ovidisierung“ des Epos gelesen.496 Allerdings steht die Verwandlung des epischen Helden durch eine Gottheit in einer langen epischen Tradition.497 So lässt Athene Odysseus in Hom. Od. 6,227–237 beim Zusammentreffen mit Nausikaa schöner und größer werden und sorgt für volleres Haar. Bei dieser Tätigkeit wird sie mit einem Kunsthandwerker verglichen, der etwas vergoldet. In Od. 13,429–438 lässt sie ihn wiederum altern und in Od. 23,156–162 macht sie Odysseus vor der Wiedererkennung durch Penelope wieder schön, wobei die Verse Od. 23,157–162 Od. 6,230–235 wörtlich entsprechen. Auch in der Aeneis (Verg. Aen. 1,588–593) lässt Venus Aeneas schöner erscheinen, wobei sie ebenfalls mit einem Künstler verglichen wird, der Elfenbein bearbeitet oder Silber beziehungsweise Marmor mit Gold einfasst. Die Verwandlung des Helden ist also weniger von Ovid beeinflusst, sondern entspricht der epischen Konvention vor dem Zusammentreffen zwischen Held und Frau im Epos. Dadurch, dass Thetis’ Verwandlungskünste mit der Model‐ lierung von Wachs verglichen werden, wird aber gleichzeitig deutlich, dass sie doch starke Veränderungen vornehmen kann. Auf dem Weg zu Lykomedes instruiert Thetis Achill ein weiteres Mal: Procedunt, iterumque monens iterumque fatigans blanda Thetis: ‘Sic ergo gradum, sic ora manusque, nate, feres comitesque modis imitabere fictis, ne te suspectum molli non misceat aulae rector et incepti pereant mendacia furti.’ dicit et admoto non cessat comere tactu. sic ubi virgineis Hecate lassata Therapnis ad patrem fratremque redit, comes haeret eunti mater et ipsa umeros exsertaque bracchia velat; 495 496 497

Aricò (1986), 2938f. Vgl. Hinds (1998), 138–140, Feeney (2004), 91 f., McAuley (2010), 45 f., Ganiban (2015), 83, Ripoll (2015), 64 und Bessone (2018), 177. Vgl. Ripoll (2015), 63f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

ipsa arcum pharetrasque locat vestemque latentem deducit sparsosque tumet conponere crines. (Stat. Ach. 1,338–348)

Sie ermahnt Achill zur richtigen Haltung und dazu, die künftigen Gefährtinnen in ihrer Art zu imitieren. Damit sich Achill auch tatsächlich an die Anweisungen hält, warnt sie davor, dass Lykomedes Verdacht schöpfen könnte und ihn nicht zum Frauenbereich des Palastes zulassen könnte (molli non misceat aulae, 341). Damit wären Achills weitere Pläne, eine heimliche Liebesbeziehung zu beginnen, hinfällig (incepti pereant mendacia furti, 342). Thetis nutzt also nochmals Achills frisch entbrannte Liebe zu Deidamia, um ihn zu dem von ihr gewünschten Verhalten zu bewegen. Das Bild, wie Thetis nun Achill durch das Haar streicht und es kämmt, wird in einem epischen Gleichnis veranschaulicht. Hier wird Achill mit Hekate bezie‐ hungsweise Diana verglichen. Durch den Vergleichspunkt wird das Gleichnis in Bezug zu den vorangegangenen Gleichnissen gesetzt, in denen Achill mit Dianas Bruder Apollon (1,165f.) und Deidamia mit Diana (1,293–296) verglichen wurde.498 Die Situation ist ähnlich wie im Apollon-Gleichnis: Hekate kehrt nach Hause zurück. Je nach Textzeugen kehrt Diana ermüdet entweder aus Therapne in Lakonien499 beziehungsweise Therapnai, einer Stadt in Boiotien500 oder auf Kreta,501 zurück (virgineis Hecate lassata Therapnis, 344 [P]), das wie sie selbst als jungfräulich beschrieben wird und damit als ihre besondere Kultstätte herausgestellt wird, oder sie kehrt müde von der Jagd zurück (virgineis Hecate lassata pharetris, 344 [ω]). Ihre Mutter Latona ist dabei ganz nah an ihrer Seite (comes haeret eunti, 345) und versucht ihre zerzauste Erscheinung wieder geordneter erscheinen zu lassen. Sie verhüllt Dianas Schultern und Arme, richtet ihren Köcher, zieht ihr während der Jagd hochgerutschtes Kleid wieder nach unten und ist stolz darauf, ihre verstreuten Haare zu ordnen. Durch das epische Gleichnis wird nicht nur die Situation bildlich veranschau‐ licht, sondern auch die Verwandlung mit der weiteren Erzählung verknüpft. Durch die Verbindungen mit dem Apollon-Gleichnis (1,165f.)502 wird schon

498 499

500 501 502

Vgl. Feeney (2004), 89–91, Bitto (2016), 250. Vgl. zu der Stadt, die hier für gewöhnlich identifiziert wird, Bölte, Felix: Therapne, in: RE II,9 (1934), 2350–2365. Allerdings wird diese Stadt, die sonst bekannt für ihre kultische Verehrung der Helena ist, nur an dieser Stelle mit einem Kult der Diana in Verbindung gebracht. Ein weiteres Problem ist die Verbindung von Therapne mit dem Adjektiv virgineus, was für Bölte „unverständlich“ (ebd., 2363) ist. Willy Morel hat deswegen dem Verfasser des RE-Artikels mündlich lassata rapinis vorgeschlagen. Vgl. ebd., 2363. Vgl. Fiehn, Karl: Therapnai 1, in: RE II,9 (1934), 2350. Vgl. Herbst, Rudolf: Therapnai 2, in: RE II,9 (1934), 2350. Vgl. dazu auch Feeney (2004), 90f.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

133

Thetis’ hierauf anschließende Vorstellung von Achill als Schwester seiner selbst vorbereitet. Wie Diana eine sehr große Ähnlichkeit zu ihrem als Epheben dargestellten Zwillingsbruder hat, ähnelt auch Achill nach seiner Verwandlung seiner vorherigen Erscheinung. Achill muss wie auch Diana, die ja in ihrem Verhalten und Auftreten ebenfalls oft männliche Züge zeigt, von seiner Mutter noch zu weiblicherem Auftreten hergerichtet werden.503 Dadurch, dass sowohl Achill als auch Deidamia mit Diana verglichen werden, wird nochmals deutlich, dass Deidamia Achills Gegenstück ist.504 Nach diesen letzten Korrekturen an Achills Auftreten geht Thetis energisch vor, indem sie ohne Anmeldung, Begrüßung und einleitende lobende Anrede in medias res geht: Protinus adgreditur regem atque ibi testibus aris ‘Hanc tibi’ ait ‘nostri germanam, rector, Achillis – nonne vides ut torva genas aequandaque fratri? – tradimus. arma umeris arcumque animosa petebat ferre et Amazonio conubia pellere ritu. sed mihi curarum satis est pro stirpe virili; haec calathos et sacra ferat, tu frange regendo indocilem sexuque tene, dum nubilis aetas solvendusque pudor; neve exercere protervas gymnadas aut lustris nemorum concede vagari. intus ale et similes inter seclude puellas; litore praecipue portuque arcere memento. vidisti modo vela Phrygum: iam mutua iura fallere transmissae pelago didicere carinae.’ (Stat. Ach. 1,349–362)

Thetis spricht sofort Lykomedes an und wählt dabei als Ort für ihre Rede geschickt die Altäre, die bei einem sterblichen Sprecher Vertrauenswürdigkeit suggerieren würden. Sie kommt direkt auf ihr Anliegen zu sprechen und macht die bisher unbekannte Existenz einer Tochter manifest (nonne vides, 351) und verkündet, dass sie Lykomedes „Achills Schwester“ übergibt (tradimus, 352), wobei sie die körperliche Ähnlichkeit zu ihrem Bruder heraushebt. In ihrer

503 504

Franchet d’Espèrey (2006), 445 betont hier den Unterschied zwischen Diana und Achill: Während Diana von ihrer Tätigkeit, die mit dem anderen Geschlecht verbunden ist, zurückkehrt, dient Thetis’ Handeln Achills Verkleidung als Mädchen. McNelis (2015b), 197 sieht durch die korrespondierenden Vergleichspunkte Achill und Deidamia beinahe gleichgestellt. Dies gelte vor allem für den Anschein, den andere von ihnen hätten.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

narratio (352–354) legt Thetis hierauf dar, dass „Achills Schwester“ dem Vorbild ihres Bruders zu sehr gefolgt sei, Kriegerin und Jägerin werden wollte (arma umeris arcumque animosa petebat, 352) sowie nach Vorbild der Amazonen nicht heiraten wollte. Sie habe aber schon mit Achill genug Sorgen und wolle deswegen, dass ihre Tochter umerzogen werde. Hierauf beginnt sie mit Anweisungen, die sie an Lykomedes richtet (355–360): Dies sind zunächst Anweisungen, was Achill nun tun soll, nämlich Körbchen (calathi, 355) und Opfergaben (sacra, 355) zu tragen,505 und dass sich Lykomedes bis zur Hochzeit des Mädchens in dieser Hinsicht mit aller Macht durchsetzen soll (tu frange regendo | indocilem sexuque tene, 355 f.).506 Hierauf folgen die Anweisungen, welches Verhalten Lykomedes verhindern soll. Er soll keine Ringkämpfe (neve exercere protervas | gymnadas, 357 f.)507 und Jagdausflüge (lustris nemorum concede vagari, 358) zulassen, die ja vor ihm Achills wahre Identität offenbaren würde. Stattdessen soll Lykomedes Achill im Palast erziehen (intus ale, 359), nur mit Mädchen zusammenkommen lassen (similes inter seclude puellas, 359) und von der Küste fernhalten (litore praecipue portuque arcere memento, 360). Diese letzte Forderung unterstreicht Thetis mit dem warnenden Beispiel des Raubs der Helena, wobei intratextuelle Bezüge zum Beginn der Achilleis deutlich werden: Thetis verweist Lykomedes auf seine eigene kürzlich erfolgte Wahrnehmung (vidisti modo, 361) der trojanischen Schiffe und verbindet diese mit Kritik an der Erfindung der Seefahrt: Die personifizierten Schiffe hätten schon gelernt, von beiden Seiten anerkanntes Recht (mutua iura, 361) zu brechen. Damit überträgt sie ihre eigene Wahrnehmung (1,25f.) auf Lykomedes und verknüpft diese mit ihrer Argumentation vor Neptun (1,63–67). Thetis’ Rede hat sofort Erfolg: Accedit dictis pater ingenioque parentis occultum Aeaciden – quis divum fraudibus obstet? – accipit; ultro etiam veneratur supplice dextra et grates electus agit. […] (Stat. Ach. 1,363–366)

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507

Zur Konnotation dieser Tätigkeiten als typisch weiblich vgl. Panoussi (2013), 338. Franchet d’Espèrey (2006), 448 zieht hier eine Verbindung zu dem epischen Gleichnis in Ach. 1,277–282, wo Achill mit einem ungezähmten Pferd verglichen wurde. Dagegen Russell (2014), 102 f., der frange in den Kontext einer Kastration setzt. Siehe allerdings Panoussi (2013), 338, der herausstellt, dass in der griechischen und lateinischen Literatur Wildheit ein typisches Merkmal von unverheirateten Mädchen, die gezähmt werden müssten, sei. Panoussi (2013), 338 f. weist zusätzlich auf die Interpretationsmöglichkeit der gymnades als Riten, die in Griechenland mit ritueller Nacktheit von Mädchen verbunden sind, hin.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

135

Aufgrund von Thetis’ dicta und ihrem darin bewiesenen ingenium stimmt Lykomedes ihr zu und nimmt den als Mädchen verkleideten Achill (occultum Aeaciden, 364) auf. Durch eine Interjektion des epischen Erzählers wird deutlich, dass Lykomedes als Mensch gegenüber Listen, die die Götter spinnen, hilflos ist: quis divum fraudibus obstet? (364) Lykomedes geht aber sogar darüber hinaus (ultro, 365) und zeigt Thetis seine Verehrung (veneratur supplice dextra, 365) und dankt ihr dafür, dass er auserwählt wurde (grates electus agit, 366). Es zeigt sich also, dass Thetis’ Rede trotz oder gerade wegen ihrer Unhöflich‐ keit und ihres autoritären Auftretens sehr geschickt ist.508 Sie verbindet als „piccolo capolavoro di ambiguità“509 ihre Fiktion mit Körnchen der Wahrheit: Dadurch, dass Achills männliche Züge offen eingestanden werden, bietet sich für Thetis die Möglichkeit, Lykomedes ganz für ihre Zwecke zu instrumen‐ talisieren. Lykomedes selbst soll dafür sorgen, dass Achill kein männliches Verhalten zeigt. Dabei ist es für Thetis nur günstig, dass Lykomedes glaubt, ein zu männliches Mädchen vor sich zu haben. Dadurch, dass Lykomedes darauf achten soll, dass „Achills Schwester“ nicht ihre Weiblichkeit verleugnet, verhindert er damit gleichzeitig die Aufdeckung der wahren Identität des einge‐ schlichenen Helden. Ähnlich verhält es sich mit der Warnung vor den Schiffen. Thetis hat – anders als sie vorgibt – keine Angst vor den frauenraubenden Trojanern, sondern vor den Griechen auf der Suche nach ihrem Achill.510 Thetis’ Trugrede mischt Lüge und Wahrheit, geht auf ihr Gegenüber ein und manipuliert Lykomedes so geschickt, dass er sich sogar noch für das Kuckucksei bedankt.511 Erst durch Odysseus, den Meister der Trugreden, in dessen Tradition auch Thetis’ Rede steht, wird ihre List vor Lykomedes aufgedeckt werden. 2.3.3 Angewandte Ars. Deidamias Verführung Nachdem Thetis Skyros verlassen hat (vgl. 2.3.1) und die Heeresversammlung der Griechen in Aulis stattgefunden hat (vgl. 2.4.1), wechselt der Ort der Erzählung wieder auf Skyros zurück. Die Narratio, in der im Rückblick die inzwischen entstandene Beziehung zwischen Achill und Deidamia erzählt wird,

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Anders Heslin (2005), 132–134, der, indem er sich auf Untersuchungen zur Rede von Frauen in der römischen Komödie stützt, argumentiert, dass Thetis „discursive ‘transvestism’“ (ebd. 133) zeige, indem sie als weibliche Gottheit einem Mann Befehle gebe, ohne diese höflich abzuschwächen. Rosati (1992a), 239. Vgl. Rosati (1992a), 239f. Dass der Leser gegenüber Lykomedes hier einen Wissensvorsprung besitzt und so über Lykomedes schmunzeln kann, dient dem Ziel des delectare. Vgl. Albrecht (1999), 288.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

nimmt dabei starken Bezug auf ihre Prätexte, Pseudo-Bions Epithalamium Achillis et Deidameiae ([Bion] 2 Gow)512 und Ovids Ars amatoria.513 Im Folgenden sollen deshalb kurz die bedeutendsten Prätexte – soweit sie fassbar sind – und ihre Bezüge untereinander vorgestellt werden.   2.3.3.1 Achill auf Skyros im Kyklos und in Euripides’ Skyrioi In der Ilias wurde Achill bei Peleus rekrutiert (Hom. Il. 11,769–775). Skyros erscheint in der Ilias dagegen als Stadt, die Achill erobert hat (Il. 9,668).514 In der Odyssee dagegen erzählt Odysseus Achill in der Unterwelt, dass er seinen Sohn Neoptolemos von Skyros nach Troja gebracht hat (Od. 11,506–509). Nach Proklos’ Zusammenfassung der Kypria verschlug es Achill aufgrund eines Seesturmes nach Skyros, wo er Deidamia heiratete (Prokl. Chrestomathia 80 Severyns = PEG I Cypria Argumentum p. 41.39f.). Im Gegensatz dazu schreibt ein Homer-Scholion (Schol. Hom. T 326 = PEG I Cypria fr. 19) Achills Travestie dem epischen Kyklos zu.515 Im Unterschied zur späteren Version ist es in diesem Scholion Peleus, der Achill nach Skyros bringt. Zudem weiß Lykomedes um die Identität von Achill und steckt ihn selbst in Mädchenkleider. Die Gesandtschaft, die Achill holen soll, besteht hier aus Odysseus, Nestor und Phoinix und deckt durch die auch bei Statius erzählte List (vgl. 2.3.5) Achills Identität auf.516 Euripides’ Bearbeitung des Stoffes in den Skyrioi, die nur in Fragmenten überliefert sind, ist – soweit dies für uns greifbar ist – die ausschlaggebende literarische Bearbeitung von Achills Aufenthalt auf Skyros, nach der sich spätere Autoren richten. Aus der Hypothesis (TrGF 5,1 test. iia) wird die Vorgeschichte der Tragödie deutlich: Hier ist es Thetis, die Achill auf Skyros versteckt, nachdem sie von seinem drohenden Schicksal, vor Troja zu sterben, erfahren hat. Sie verkleidet ihn deswegen als Mädchen und vertraut dieses Lykomedes an (TrGF 5,1 test. iia, 12–17). Achill wird zusammen mit Lykomedes’ Tochter Deidamia erzogen. Mit ihr zeugt er heimlich ein Kind (17–22). Die Griechen um Agamemnon haben durch einen Orakelspruch erfahren, dass sie ohne Achill

512 513 514 515

516

Vgl. Fantuzzi (2012a), 59, 71–74, Fantuzzi (2012b), 304f. Vgl. Sanna (2007), Micozzi (2007) sowie Fantuzzi (2012a), 65–71. Zur antiken Diskussion, ob es sich bei der Insel Skyros um einen anderen Ort als die Stadt Skyros in der Ilias handelt vgl. Fantuzzi (2012b), 284f. Heslin (2005), 203–205 hält die Darstellung des Fragments für nicht plausibel und den Scholiasten für unzuverlässig. Siehe aber Tsagalis (2012), der für drei konkurrierende Traditionen für Achills Rekrutierung plädiert: Die der Ilias 9,668, die der Kypria und die des Homer-Scholions. Vgl. insgesamt zu Achills Jugend in der frühgriechischen Epik Fantuzzi (2012b), 283– 286.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Troja nicht erobern können. Deswegen schicken sie Diomedes und Odysseus517, um Achill in Skyros abzuholen. Die Handlung setzt – ähnlich wie in der Achilleis – zu einem Zeitpunkt ein, als Deidamia gerade dabei ist, ihr Kind zu gebären518 und die Griechen in Skyros eintreffen.   2.3.3.2 Achill als bukolischer Liebhaber bei Ps.-Bion Einen Gegenentwurf zu dieser epischen beziehungsweise tragischen Darstel‐ lung von Achills Aufenthalt auf Skyros bildet das Epithalamium Achillis et Deidameiae ([Bion] 2 Gow).519 Der Vergleich mit dem Epithalamium ist dabei auch besonders fruchtbar für die Herausarbeitung des epischen Narrativs der Achilleis. Das anonym im Corpus Theocriteum überlieferte Fragment, das heute Bion oder einem seiner Schüler zugeschrieben wird,520 behandelt bis zum Abbruch in Vers 32 Achills Verkleidung als Mädchen auf Skyros und seine Annäherungsver‐ suche an Deidamia. Der bukolische Rahmen der Erzählung in Form eines Dialogs zwischen den Hirten Myrson und Lykidas (1–9), in dem Myrson Lykidas dazu auffordert, ein bukolisches Lied zu singen (Σικελὸν μέλος ἁδὺ λιγαίνειν, 1), stellt das Epithalamium in die von Theokrit ausgehende bukolische Tradition (vgl. die Einleitung von Theokr. 1).521 Zudem findet dadurch, dass Lykidas aufgefordert wird, ein Lied nach dem Vorbild des Liedes, das Polyphem an Galateia gerichtet hat, vorzutragen ([Bion] 2,2f.), eine Anknüpfung an Theokrits Idyll 11 statt.522 So, wie dort Polyphem zum bukolischen Liebhaber wurde, erhält auch Achill im Epithalamium bukolische Züge.523 In der Inhaltsvorgabe, die Myrson Lykidas macht (5–9), werden die starken Bezüge zur epischen Tradition deutlich. Diese wird jedoch aus erotischer Perspektive betrachtet.524 So werden aus der μῆνις

517 518 519 520

521 522 523 524

In der Hypothesis, die an dieser Stelle einige Lücken aufweist, ist nur Diomedes’ Name erkennbar. Zu Odysseus’ Anwesenheit vgl. aber TrGF 5,1 fr. 683a. Vgl. hierzu den Dialog zwischen der Amme und Lykomedes in TrGF 5,1 fr. 682. Bei dem in den Handschriften überlieferten Titel Ἐπιθαλάμιος Ἀχιλλέως καὶ Δηδαμείας handelt es sich vermutlich um eine spätere editorische Klassifikation. Vgl. Fantuzzi (2012b), 283. Während für Reed (1997), 29 das Fragment zu primitiv für Bion ist, da angesprochene Gedanken nicht weiterentwickelt würden, sieht Bernsdorff (2006), 171 Fn. 18 keine Gründe, die gegen Bions Autorschaft sprechen würden. Zur Diskussion insgesamt: Fantuzzi (2012b), 287–291. Vgl. Beckby (1975), 561, Bernsdorff (2006), 171, Sistakou (2007), 87. Vgl. Fantuzzi/Hunter (2004), 176 Fn. 152, Bernsdorff (2006), 191, Sistakou (2007), 87f. Zum Vergleich zwischen Polyphem bei Theokrit und Achill im Epithalamium, der darauf hinausläuft, dass Achill der erfolgreiche Liebhaber ist, s. Fantuzzi (2012a), 46–48. Vgl. Fantuzzi (2012b), 291 f, 296–299. Weiterhin kann auch die Erzählung der Vorge‐ schichte als Referenz auf die kyklischen Epen gesehen werden. Vgl. Sistakou (2007), 88.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

[…] Πηληϊάδεω Ἀχιλῆος, die die Muse in Hom. Il. 1,1 besingen soll (ἄειδε), heimliche Küsse und heimlicher Sex (λάθρια Πηλεΐδαο φιλάματα, λάθριον εὐνάν, [Bion] 2,6),525 die Lykidas schon einmal unter großem Erfolg besungen hat (ᾆδες, 5) und nun wiederholen soll. Schon in der Inhaltsangabe durch Myrson fällt auf, dass im Epithalamium allein Achill für seine Verkleidung (ἕσσατο φᾶρος, 7) und Erscheinung als Mädchen (ἐψεύσατο μορφάν, 7) auf Skyros verantwortlich gemacht wird. Thetis’ Rolle im Geschehen wird nicht erwähnt. Dies verstärkt sich noch weiter in Lykidas’ Gesang vom Σκύριος ἔρως (5). Als nach Helenas Entführung (10 f.)526 Sparta alle Griechen zum Kampf gegen Troja zusammenruft, fehlt kein Grieche (11b–14) außer Achill. Dieser wird sehr deutlich mit den anderen Griechen kontrastiert: […] οὐδέ τις Ἕλλην, οὔτε Μυκηναίων οὔτ’ Ἤλιδος οὔτε Λακώνων, μεῖνεν ἑὸν κατὰ δῶμα φυγὼν δύστανον Ἄρηα. λάνθανε δ’ ἐν κώραις Λυκομηδίσι μοῦνος Ἀχιλλεύς, ([Bion] 2,12–15) Und kein einziger Grieche – weder ein Mykener noch ein Eleer noch ein Spartaner – blieb in seinem Haus und floh vor dem zerstörerischen Krieg. Es verbarg sich allein Achill unter Lykomedes’ Mädchen.

Während die Einigkeit der Griechen aus verschiedensten Städten betont wird, von denen keiner vor dem in der Gestalt von Ares personifizierten Krieg flieht, ist Achill der Einzige (μοῦνος, 15), der dies tut. Er versteckt sich (λάνθανε, 15) unter den Mädchen des Lykomedes. Auffällig im Vergleich zu den zuvor be‐ sprochenen Stellen der Achilleis ist (vgl. 2.3.2), dass Achill sich im Epithalamium aktiv versteckt und nicht von Thetis dazu gebracht wird. Hierauf folgt die Beschreibung seiner Tätigkeiten und seines Aussehens auf Skyros: Anstatt etwas über den Umgang mit Waffen zu lernen, lernt Achill mit Wolle umzugehen (εἴρια δ’ ἀνθ’ ὅπλων ἐδιδάσκετο, 16) und den Besen (κόρος, 17)527 zu schwingen. Er erscheint dabei ganz wie ein Mädchen (ἐφαίνετο δ’ ἠύτε κώρα, 17): Er verhält sich genauso weiblich wie die anderen Mädchen (ἴσον τήναις θηλύνετο, 18), seine schneeweißen Wangen werden wie bei den Mädchen rot

525 526 527

Vgl. Gutzwiller (1981), 74. Diese Entführung wird ebenfalls bukolisch dargestellt. Vgl. Sistakou (2007), 88, Fantuzzi (2012b), 296f. Die Stelle ist unsicher. Vgl. Hopkinson (2015), 523 Fn. 4.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

139

beziehungsweise schminkt er sich die weißen Wangen rot528 (τόσον ἄνθος | χιονέαις πόρφυρε παρηίσι, 18 f.), er setzt seine Schritte wie ein Mädchen (τὸ βάδισμα | παρθενικῆς ἐβάδιζε, 19 f.) und trägt einen Schleier (καλύπτρη, 20). Als Gegensatz zu seiner Erscheinung wird jedoch seine innere Einstellung herausgehoben: θυμὸν δ’ ἀνέρος εἶχε καὶ ἀνέρος εἶχεν ἔρωτα (21). Mit dieser männlichen Einstellung und seiner männlichen sexuellen Begierde sind auch seine Annäherungsversuche an Deidamia verbunden,529 die hierauf geschildert werden: Er sitzt den ganzen Tag neben ihr (ἐξ ἀοῦς δ’ ἐπὶ νύκτα παρίζετο Δηιδαμείᾳ, 21), gibt ihr Handküsse (ἐφίλει χέρα, 23)530 und hebt oft die Aufzüge (στάμονα, 24) des Webstuhls hoch, um das Gewebte zu loben (23 f.). Genauso isst er immer mit ihr gemeinsam und setzt alles daran, mit ihr gemeinsam schlafen gehen zu können (πάντα δ’ ἐποίει | σπεύδων κοινὸν ἐς ὕπνον, 25 f.). Deshalb versucht er, bevor das Fragment abbricht, in dem noch erhaltenen Teil seiner Rede, Deidamia hiervon zu überzeugen. Dafür weist er sie zunächst darauf hin, dass es sonst üblich ist, dass Schwestern zusammen schlafen. Allerdings schliefen er und Deidamia allein (αὐτὰρ ἐγὼ μούνα, μούνα δὲ σύ, 28). Seine hierauf folgende Argumentation geht von seiner Ähnlichkeit zu Deidamia aus, die er mit der Anapher αἱ δύο heraushebt: αἱ δύο παρθενικαὶ συνομάλικες, αἱ δύο καλαί, | ἀλλὰ μόναι κατὰ λέκτρα καθεύδομες (29 f.). Diese Ähnlichkeit steht in Achills Argumentation im klaren Gegensatz dazu, dass sie beide allein schlafen.531 Achill argumentiert also im erhaltenen Teil des Gedichts rein aus weiblicher Perspektive und stellt deutlich heraus, dass er ein Mädchen ist. Dies verhält sich stimmig mit Achills Darstellung im Epithalamium: In the pastoral pleasance the conflicts of live center on love, and war has no place. […] The bulk of the epyllion as we have it develops this depiction of Achilles in an anti-heroic posture. The greatest hero of the Trojan War not only shuns military service but does it by disguising himself as a woman. […] In the Epithalamium there is no outward hint of his true masculinity. In the appearance he is soft and feminine.532

In der bukolischen Darstellung seines Aufenthalts auf Skyros wandelt sich auch das Achillbild: Er erscheint nicht mehr als epischer Krieger und es gibt für 528 529 530 531 532

So Beckbys Deutung der Stelle. Vgl. Beckby (1975), 315. Vgl. Cyrino (1998), 229. Vgl. Theokr. 11,55 zu Handküssen, die sich der Liebende (dort Polyphem) wünscht, wenn er keine Küsse auf den Mund geben darf. Beckby (1975), 563 und Fantuzzi (2012b), 303 f. sehen hier einen Bezug auf Sappho fr. 168b [Voigt] ἔγω δὲ μόνα κατεύδω. Damit würde ein besonderer Witz entstehen, wenn Achill auf einen Text anspielen würde, der als homosexuell verstanden werden kann. Gutzwiller (1981), 74.

140

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Außenstehende keine Indizien dafür, dass er ein Mann ist. Er fügt sich perfekt unter die Mädchen ein, spricht auch als ein solches533 und argumentiert aus der Perspektive eines Mädchens. Weiterhin wird er für sein Verhalten vollständig verantwortlich gemacht. Thetis und ihre Motive werden verschwiegen. Achill scheint selbst dem Krieg entgehen zu wollen. Im Gegensatz zur Darstellung von Polyphem in Theokr. 11 als bukolischem Liebhaber ist Achill im Epithalamium jedoch erfolgreich.534 Dies wird, auch wenn zuvor das Fragment abbricht, aus Myrsons Inhaltsangabe deutlich: ἠείδη κατὰ παστὸν Ἀχιλλέα Δηιδάμεια ([Bion] 2,9). Achill wird also im Narrativ des Epithalamiums mit Deidamia in ihrem Bett Geschlechtsverkehr haben.   2.3.3.3 Achill als Exemplum in Ovids Ars amatoria In einem mythologischen Exemplum 535 (Ov. ars 1,681–704), in dem die Bedeu‐ tung männlicher Initiative herausgehoben wird, bezieht sich Ovids Ars deutlich auf das Epithalamium Achillis et Deidameiae ([Bion] 2 Gow).536 Der Mythos wird dabei als fabula nota vorgestellt, der die Wiedergabe jedoch verdient (non indigna referri, Ov. ars 1,681). Thema des Mythos ist für Ovid, wie Deidamia und Achill als Paar zusammenfanden: Scyrias Haemonio iuncta puella viro (682). Wie bei [Bion] beginnt auch in der Ars die Erzählung mit dem Raub der Helena (Ov. ars 1,683–686). Allerdings erscheint Paris nicht mehr als handelndes Subjekt, seine Rolle als Hirte (βωκόλος, [Bion] 2,10) und der aus der Entführung resultierende Schmerz der verlassenen Oinone (Οἰνώνῃ κακὸν ἄλγος, [Bion] 2,11) werden nicht mehr erwähnt. Stattdessen wird die Szene aus göttlicher Perspektive – und zwar speziell aus Venus’ Sicht – betrachtet: iam dea laudatae dederat mala praemia formae colle sub Idaeo vincere digna duas; iam nurus ad Priamum diverso venerat orbe, Graiaque in Iliacis moenibus uxor erat. (Ov. ars 1,683–686)

Venus, die aus Sicht des Erzählers den Preis für die Schönste völlig zu Recht gewonnen hat (vincere digna duas, 684), hat ihr Versprechen schon gehalten. Helena, die nüchtern nur als eine Schwiegertochter für Priamos aus einem 533 534 535 536

Vgl. die femininen Formen, mit denen Achill in [Bion] 2,27–30 von sich spricht. Dies wird auch durch intertextuelle Bezüge zwischen den beiden Texten deutlich. Vgl. Fantuzzi (2012b), 292–294. Zur Funktion der Exempla in der Ars amatoria vgl. Heldmann (2001), 355–361 [5–11]. Vgl. Hollis (1977), 138 (ad 1,681–704). Dabei ist das Epithalamium vor allem als Strukturreferenz bedeutsam. Vgl. Pianezzola (1993), 262 (ad 1,681). Anders James (2016), 97–100, die davon ausgeht, dass Ovid in der Vergewaltigung durch einen als Frau verkleideten Mann von Terenz’ Eunuchus inspiriert sei.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

141

anderen Erdteil bezeichnet wird (685), ist in Troja angelangt und hat dort die Rolle einer Ehefrau, wobei nochmals der Gegensatz zwischen Griechenland und Troja betont wird (Graiaque in Iliacis moenibus uxor, 686). Insgesamt erscheint die Entführung nicht mehr in einem bukolischen Setting. Stattdessen werden die großen Züge der Geschichte mit göttlichem Handeln und dem Gegensatz zwischen Europa und Asien in den Blick genommen. Wie im Epithalamium folgt hierauf die Musterung der Griechen für den Krieg gegen Troja (687 f.). Anders als dort ist es jedoch nicht die personifizierte Stadt, die die Griechen zusammenruft, sondern Menelaos als laesus maritus (687). Auch wird hier anders als im Epithalamium nicht so sehr ein Gegensatz zwischen allen Griechen und Achill aufgebaut, sondern zwischen den Griechen (omnes, 687), der so entstehenden publica causa (688) und Menelaos (dolor unius, 688). Die Struktur der Erzählung in der Ars folgt weiter der des Epithalamiums. Auf die Musterung folgt Achills Abwesenheit: turpe, nisi hoc matris precibus tribuisset, Achilles veste virum longa dissimulatus erat. (Ov. ars 1,689f.)

Dadurch, dass die Verantwortung für Achills Verkleidung Thetis zugewiesen wird, erscheint die Verkleidung nicht mehr als turpe. Stattdessen hat Achill in der Ars dadurch, dass er den Bitten (preces) seiner Mutter gefolgt ist, seine Pflicht im Sinne der pietas erfüllt.537 Auch wird seine weibliche Erscheinung auf Skyros deutlich abgeschwächt. Aus dem scheinbaren Mädchen (ἐφαίνετο δ’ ἠύτε κώρα, [Bion] 2,17) wird ein Mann, der seine Männlichkeit unter langer Kleidung verbirgt. In einer Apostrophe wendet sich hierauf der Erzähler der Ars amatoria an Achill: quid facis, Aeacide? non sunt tua munera lanae: tu titulos alia Palladis arte petas. quid tibi cum calathis? clipeo manus apta ferendo est; pensa quid in dextra, qua cadet Hector, habes? reice succinctos operoso stamine fusos! quassanda est ista Pelias hasta manu. (Ov. ars 1,691–696)

Dabei stehen Achills weiblich konnotierte Tätigkeiten auf Skyros in den an ihn gerichteten Fragen im Gegensatz zu den kriegerischen Tätigkeiten, zu denen er jeweils im Anschluss an eine Frage aufgefordert wird. Achill soll sich nicht

537

Vgl. Hollis (1977), 139 (ad 1,689).

142

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

mit Webarbeit beschäftigen,538 sondern sich in Pallas’ Waffenkunst auszeichnen. Statt Körbchen soll er seinen Schild, statt Wolle und Spindeln soll er in seiner rechten Hand seine Lanze, mit der er Hektor töten wird, halten. Durch die Kontrastierung seiner Tätigkeit und seiner zukünftigen Rolle vor Troja wird dabei deutlich, dass er zu Webarbeiten nicht geeignet ist.539 Hierauf folgt die Schilderung der Vergewaltigung: forte erat in thalamo virgo regalis eodem: haec illum stupro comperit esse virum. viribus illa quidem victa est – ita credere oportet –, sed voluit vinci viribus illa tamen. (Ov. ars 1,697–700)

Anders als bei [Bion] 2,25–32, wo Achill alles unternimmt, um mit Deidamia zusammen schlafen zu gehen, und auch dafür eine suasio aus weiblicher Perspektive hält, geschieht dies in der Ars amatoria zufällig (forte, Ov. ars 1,697). Durch die Vergewaltigung (stuprum, 698) erfährt Deidamia, dass Achill ein Mann ist (comperit esse virum, 698). Damit nimmt Ovid eine Formulierung aus dem Epithalamium auf: ἠείδη κατὰ παστὸν Ἀχιλλέα Δηιδάμεια ([Bion] 2,9). Dabei erkennt Deidamia im Epithalamium Achill, während in der Ars zusätzlich betont wird, dass sie seine Männlichkeit erkennt.540 Im Sinne seiner Argumentation, dass die Initiative vom Mann ausgehen soll, relativiert der Erzähler jedoch die Vergewaltigung.541 Es ist eine Forderung des Anstands (oportet, Ov. ars 1,699) zu glauben, dass tatsächlich Gewalt im Spiel war. Der Widerstand des Mädchens ist nur vorgetäuscht,542 da sonst ihr pudor (705) verletzt wäre. Als Beweis hierfür dienen ihm Deidamias spätere Versuche, Achill von seiner Abfahrt nach Troja abzuhalten (701–704).543 Im Vergleich zwischen der Darstellung im Epithalamium Achillis et Deida‐ meiae und der in Ovids Ars amatoria wird deutlich, dass in der Ars die Bukolisie‐ rung des Mythos zurückgenommen wird. Stattdessen wird der Raub der Helena aus globaler und – passend für die Liebesdichtung – aus Venus-freundlicher

538 539 540 541 542 543

Dimundo (2003), 252 macht hier auf Parallelen in der Beschreibung von Herkules’ Tätigkeiten bei Omphale in Ov. ars 2,219f. aufmerksam. Vgl. Dimundo (2003), 252f. Fantuzzi (2012a), 68 deutet dies auch als Beispiel für die Unausweichlichkeit für das Annehmen der männlichen Rolle durch den Mann in der Ars amatoria. Vgl. auch Dimundo (2003), 254 Vgl. Gutzwiller (1981), 75. Eher unwahrscheinlich ist die Deutung von Heyworth (1992), 61, es könne sich bei Deidamias Wunsch mane (Ov. ars 1,701) um den Wunsch nach einer langsameren Vorgehensweise beim Sex im Sinne der Ars handeln. Siehe hierzu auch Dimundo (2003), 253.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

143

Perspektive betrachtet. Auch andere Personen wie Menelaos als laesus maritus erscheinen in ihrer Darstellung als vom Thema des Lehrgedichts Betroffene. Achills Aufenthalt auf Skyros ist nicht mehr ein feiges und unmännliches Verhalten, sondern wird zum Akt der pietas gegenüber seiner Mutter umge‐ deutet. Insgesamt wird Achills weibliche Erscheinung nicht so stark wie im Epithalamium hervorgehoben. Der Fokus liegt eher auf Achills Verhalten, das im Kontrast zu der Rolle steht, die er als der epische Krieger par excellence vor Troja einnehmen soll. Wie in [Bion] 2 bleibt der Ort der Vergewaltigung ein Schlafzimmer im Palast. Allerdings wird in der Ars Achills Männlichkeit deutlich stärker betont: Die Vergewaltigung ist Zeichen seiner Männlichkeit und anders als im Epithalamium erreicht er dies nicht, indem er seine Weiblichkeit betont.   2.3.3.4 Achill als geschickter Verführer in der Achilleis Auch Statius’ Achilleis bezieht sich meines Erachtens in der Darstellung von Achills Aufenthalt auf Skyros auf das Epithalamium. Dabei gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte, in der Darstellung von Achills Tätigkeiten und seinem Auftreten jedoch eine klare Umdeutung, so dass Fantuzzi in seinem Kapitel zu Deidamia von „Statius and the dignification of Achilles at Scyros“544 spricht. Die Vorgeschichte ist ähnlich,545 wird jedoch in epischer Breite erzählt: Paris’ Entführung der Helena (pastor | Dardanus, Ach. 1,20f.) bildet den Ausgangspunkt des Epos. Die im Epithalamium ([Bion] 2,11–14) und in der Ars amatoria (Ov. ars 1,687f.) hierauf folgende Heeresversammlung der Griechen in Aulis nimmt in der Achilleis großen Raum ein (Ach. 1,397–559) und verortet das Werk in der epischen Tradition (vgl. 2.4.1). Nach dem Ortswechsel von Aulis nach Skyros trägt der epische Erzähler die zur erzählten Zeit bereits geschehenen Ereignisse zwischen Thetis’ Verabschiedung und dem Aufbruch von Odysseus und Diomedes aus Aulis nach: At procul occultum falsi sub imagine sexus Aeaciden furto iam noverat una latenti Deidamia virum; sed opertae conscia culpae cuncta pavet tacitasque putat sentire sorores. (Stat. Ach. 1,560–563)

Die Verse 560–563a rekurrieren dabei auf die Inhaltsangabe des Epithalamiums durch Myrson ([Bion] 2,6–9) mit teilweise wörtlichen Entsprechungen im Lateinischen. Deidamia hat schon Achills Männlichkeit erkannt, wobei Aeaciden […] noverat […] | Deidamia virum (Ach. 1,561f.) eine Übersetzung von ἠείδη

544 545

Fantuzzi (2012a), 71. Vgl. Sanna (2007), 214.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

[…] Ἀχιλλέα Δηιδάμεια ([Bion] 2,9) ist. Achill ist davor unter dem Anschein, dem anderen Geschlecht anzugehören, getarnt (occultus falsi sub imagine sexus, 560). Dies entspricht dem Effekt von Vers sieben des Epithalamiums: πῶς παῖς ἕσσατο φᾶρος, ὅπως δ’ ἐψεύσατο μορφάν. Während im Epithalamium der Geschlechtsverkehr, der zum Erkennungsvorgang führt und in einem Schlaf‐ zimmer vollzogen wird (κατὰ παστὸν, 9), als λάθριος εὐνή (6) bezeichnet wird, wird dieser in Statius’ Achilleis zu einem furtum latens (Ach. 1,561). Wie noch unten dargestellt werden wird (siehe 2.3.4), verlegt Statius den Geschlechtsver‐ kehr vom Schlafzimmer ins Freie und in den Kontext des Dionysosfestes. Bei der Bezeichnung für den Geschlechtsverkehr an sich wird in der Achilleis, anders als in der Ars amatoria, nicht so sehr die Vergewaltigung (stuprum, Ov. ars 1,698), sondern die Heimlichkeit der Handlung betont (furtum, Ach. 1,561). Auf die Zusammenfassung der Ereignisse folgt die Darstellung ihres Ablaufs: namque ut virgineo stetit in grege durus Achilles exsolvitque rudem genetrix digressa pudorem, protinus elegit comitem, quamquam omnis in illum turba coit, blandeque novas nil tale timenti admovet insidias: illam sequiturque premitque improbus, illam oculis iterumque iterumque resumit. nunc nimius lateri non evitantis inhaeret, nunc levibus sertis, lapsis nunc sponte canistris, nunc thyrso parcente ferit, modo dulcia notae fila lyrae tenuesque modos et carmina monstrat Chironis ducitque manum digitosque sonanti infringit citharae, nunc occupat ora canentis et ligat amplexus et mille per oscula laudat. (Stat. Ach. 1,564–576)

Achills Bemühungen um Deidamia beginnen, nachdem seine Mutter gegangen ist. Dies löst seinen rudis pudor (565).546 Achill wird dabei als durus Achilles (564) bezeichnet. Damit wird zum einen auf ein heroisches Epitheton ornans verwiesen (vgl. durus Achilles, Ilias Latina 191, 988). Hierdurch entsteht ein Gegensatz zwischen Achill und der mollitia des virgineus grex (Ach. 1,564), die auf die Aufdeckung von Achills männlicher Identität vorausweist.547 Zum anderen handelt es sich bei durus um ein Adjektiv, das gerne in der Liebeselegie 546

547

Vgl. zum pudor und der Anwesenheit seiner Mutter, die Achill hindern, auch Ach. 1,312. Mit dem Verschwinden des pudor ist auch eine Grundvoraussetzung für die Anwendung der Techniken der Ars amatoria gegeben. Vgl. Ov. ars 1,607f.: fuge rustice longe | hinc Pudor. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 229 (ad 1,564).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

145

verwendet wird, um damit die aus Perspektive des elegischen Liebhabers dura puella beziehungsweise dura domina zu beschreiben.548 Anders als in der Liebeselegie ist es jedoch gerade nicht die Geliebte, sondern der Liebhaber, der durus ist. Achill wählt sich sofort Deidamia als beste Freundin, der er nicht mehr von der Seite weicht (elegit comitem, 566). Hierauf wendet Achill novae insidiae (567 f.) an der ahnungslosen Deidamia (nil tale timenti, 567) an. Diese Techniken sind Teil der Liebeskunst (blande, 567) und entsprechen Anweisungen der Ars amatoria. 549 Achill, der ja schon in Ovids Ars amatoria (1,11–16) als Beispiel für das Ideal eines gelehrigen Schülers diente, wird hier zum gelehrigen Schüler, der die Ars umsetzt:550 Achill muss, sobald er auf Skyros angekommen ist, nicht nach Begegnungen mit Frauen suchen. Da er sich umschwärmt von Mädchen wiederfindet, erüb‐ rigt sich dieser erste Schritt der Ars.551 Der darauffolgende Schritt, eines der Mädchens zu treffen, ist auch schon geschehen. Elegit comitem (Ach. 1,566) entspricht der Anweisung elige cui dicas ‘tu mihi sola places.’ (Ov. ars 1,42). Achill wählt die Freundschaft mit Deidamia als Weg zu amor (vgl. Ov. ars 1,720–722). Er folgt Deidamia überall hin (illam sequitur, Ach. 1,568), sucht also die Nähe der Frau, die er verführen will (vgl. Ov. ars 1,491–497), ist ständig in ihrer Nähe und erzeugt so einen Effekt der Gewohnheit (vgl. ars 2,345–348). Er drückt sich an sie (premit, Ach. 1,568), sucht also auch ihre körperliche Nähe (vgl. Ov. ars 1,139–142, 149–154, 605 f.). Daran, dass Achill Deidamia immer wieder mit Blicken verschlingt (illam oculis iterumque iterumque resumit, Ach. 1,569), wird seine Begierde deutlich. Deidamia ist das Zentrum seiner Aufmerksamkeit, was durch die Anapher illam (568 f.) herausgehoben wird. Sein Verhalten dabei wird als improbus (569) bewertet. Achill benimmt sich damit so, dass er die Regeln des Anstands übertritt.552 Auch damit kommt er dem Ratschlag der Ars amatoria nach, diesen Eindruck ruhig in Kauf zu nehmen: pugnabit primo, fortassis et ‘improbe!’ dicet (Ov. ars 1,665). Dabei ist auch die Parallele mit

548 549

550 551 552

Vgl. ThlL V,1 (1934), 2308.75–2309.17, s.v. dūrus unter der Bed. B 2 „speciatim in amore“. Vgl. zu dieser Umschreibung als Bezeichnung für die Ars amatoria Sanna (2007), 209. Vgl. insgesamt zu Achill als Anwender der Ars Aricò (1986), 2944 und zu zahlreichen Parallelen seines Verhaltens mit Anweisungen der Ars Sanna (2007), 209–215. Davis (2006), 132 weist darauf hin, dass jedoch Achills Verkleidung als Mädchen dem in der Ars geforderten männlichen Auftreten des Liebenden widerspricht. Vgl. Micozzi (2007), 129f. Vgl. Micozzi (2007), 130. Vgl. den Abschnitt A, b, α, II „speciatim in re amatoria“ in: ThlL VII,1 (1938), 691.51–71, s.v. improbus und die Bezeichnung von Eros als ἄφατον κακόν (Apoll. Rhod. 3,129). Vgl. zur Bedeutung auch Sanna (2007), 209f.

146

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Stat. Theb. 1,253 aufschlussreich, wo Jupiter im Kontext seiner Ehebrüche mit sterblichen Frauen von Juno als improbus bezeichnet wird.553 Jupiter ist für Achill als Quasi-Jupitersohn554 ein ständiger Vergleichspunkt, mit dem er auch, wie unten noch besprochen wird, im Rahmen seiner Bemühungen um Deidamia verglichen wird (Ach. 1,580–591). Hierauf wird durch die fünfmalige Wiederholung von nunc (570–575) die rasche Abfolge betont, in der Achill verschiedene insidiae anwendet. Er drängt sich so eng wie möglich an ihre Seite: nunc nimius lateri non evitantis inhaeret (570). Damit befolgt er den Ratschlag der Ars, sich an die Seite der Frau zu schmiegen: iunge tuum lateri, qua potes usque, latus (Ov. ars 1,140). Er sucht auch sonst in jeder Hinsicht ihre Nähe, indem er sie mit Kränzen (levibus sertis, Ach. 1,571), Blumenkörben (canistris, 571) und dem Thyrsosstab bewirft, der so leicht ist, dass er keine Schmerzen verursacht (thyrso parcente, 572). Während eine Reihung von Anaphern mit nunc vorausgeht, wird Achills nächster Schritt, sein Unterricht im Lyraspiel, durch die Einleitung mit modo besonders betont. Er zeigt ihr die Saiten des Instruments, das er gut beherrscht (notae | […] lyrae, 572 f.), und Melodien, die er von Chiron gelernt hat. Schließlich führt er ihre Hand und lässt sie selbst die Kithara anschlagen (digitosque sonanti | infringit citharae, 574 f.). Achill nutzt also seine Begabung (si vox est, canta! Ov. ars 1,595), um Deidamias Zuneigung zu gewinnen. Gleichzeitig hat er dabei die Möglichkeit ihre Hand zu berühren (vgl. Ov. ars 1,578). In den Gesangsunterricht bindet Achill weitere Techniken der Ars amatoria ein: Er küsst sie während des Singens (occupat ora canentis, Ach. 1,575), womit er laut Ovids Ars eine Vorstufe zum Geschlechtsverkehr erreicht hat. Ovid betont dabei, dass es sich beim Kuss um die Einverständniserklärung der Frau zum Geschlechtsverkehr handelt. Der Mann würde die Frau enttäuschen, wenn er an dieser Stelle aufgeben würde (vgl. Ov. ars 1,663–672). Achill umarmt Deidamia (ligat amplexus, Ach. 1,576), steigert also immer weiter den Körperkontakt und lobt sie, indem er sie endlos küsst (mille per oscula laudat, 576). Dadurch erfüllt er auch das praeceptum, der Frau durch Lob und Schmeicheleien zu gefallen (vgl. Ov. ars 1,619–630). Die mille oscula stellen dabei einen Bezug zu Catull. 5,7 (da mi basia mille) und den ihn rezipierenden Amores her. implicuitque suos circum mea colla lacertos et, quae me perdunt, oscula mille dedit. uincor […] (Ov. am. 2,18,9–11)

553 554

Vgl. Sanna (2007), 210. Vgl. Schetter (1960), 129–131.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

147

Im Gegensatz zur Elegie kehren sich jedoch die Verhältnisse um. Anders als in den Amores ist der männliche Liebhaber der Gebende und die Frau die Emp‐ fangende. Die aus römischer Sicht verkehrten Verhältnisse der Elegie werden also durch Achills Anwendung der Ars amatoria wieder in das gewöhnliche Verhältnis gebracht. Durch die Bezüge der Achilleis auf Ovids Ars wird also Achill nicht elegisiert.555 Stattdessen wird seine Unabhängigkeit von einer solchen Beziehung mit vertauschten Rollen deutlich. Achills Anwendung der Ars amatoria zeigt dabei erste Erfolge: illa libens discit, quo vertice Pelion, et quis Aeacides, puerique auditum nomen et actus adsidue stupet et praesentem cantat Achillem. ipsa quoque et validos proferre modestius artus et tenuare rudes attrito pollice lanas demonstrat reficitque colos et perdita dura pensa manu; […] (Stat. Ach. 1,577–583)

Deidamia erfährt über Achill und seine bisherigen Taten, staunt darüber (adsidue stupet, 579) und singt schließlich in Achills Anwesenheit über ihn selbst (praesentem cantat Achillem, 579). Damit übertrifft Achill auch die Ratschläge der Ars zum Schreiben von Liebesbriefen (Ov. ars 1,455–468): Achill erweckt nicht nur den Eindruck, er sei praesens (468), sondern ist es tatsächlich. Wie Akontios, der in der Ars als Beispiel genannt wird (457 f.), lässt Achill seine Geliebte die Worte über ihn vortragen und erweckt damit, auch wenn sie ihn noch nicht erkannt hat, wohl den erwünschten Effekt: insciaque est uerbis capta puella suis (458). Auch Deidamia unterrichtet Achill: Sie bringt ihm bei, sich trotz seines starken Körperbaus sittsamer (modestius, Ach. 1,580) zu bewegen. Genauso zeigt sie ihm, wie er mit Wolle umzugehen hat. Dabei zeigt sich jedoch, dass Achill für diese Arbeit nicht geschaffen ist. Sein Daumen ist wund von der Arbeit (attrito pollice, 581) und Deidamia muss, nachdem Achill gewebt hat, die Spinnrocken richten und die Fäden seiner Webarbeit wieder auftrennen. Achill ist mit seiner dura manus (582 f.) dafür nicht geeignet.556 In der Schilderung von Achills Webarbeit werden intertextuelle Bezüge zur Darstellung des webenden Herkules bei Properz deutlich.557 In seiner Vorstel‐ lung vor den Priesterinnen, zu deren Heiligtum er Zugang erhalten will, erzählt 555 556 557

So Sanna (2007), 207f. Panoussi (2013), 339 f. hebt heraus, dass es sich bei Achills Problemen, sich als Mädchen zu geben, um ein durchgehendes Phänomen im ersten Buch der Achilleis handelt. Vgl. Bitto (2016), 288.

148

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Herkules nach einer kurzen Anspielung auf seine heroischen Taten (Prop. 4,9,35–41) von seinem Aufenthalt bei Omphale, um zu beweisen, dass er nicht so gefährlich ist, wie es auf den ersten Blick scheint: sin aliquem uultusque meus saetaeque leonis terrent et Libyco sole perusta coma, idem ego Sidonia feci seruilia palla officia et Lydo pensa diurna colo, mollis et hirsutum cepit mihi fascia pectus et manibus duris apta puella fui. (Prop. 4,9,45–50)

Wie Achill beschäftigt sich Herkules, der eine palla (47) und sogar einen Büstenhalter (fascia, 49) trägt, mit Webarbeit. Mit dem Spinnrocken (colus, 48) arbeitet er an seinem täglichen Pensum Webarbeit (pensa diurna, 48). Anders als Achill stellt er sich jedoch bei Properz trotz seiner durae manus als apta puella dar. Statius rezipiert Herkules und Omphale in der Thebais,558 wo er in einem Gleichnis die Göttin Virtus, die sich in die Seherin Manto verwandelt und damit ihre männlichen Züge mit weiblicheren mischt, mit Herkules in Frauenkleidern vergleicht: […] sic Lydia coniunx Amphitryoniaden exutum horrentia terga perdere Sidonios umeris ridebat amictus et turbare colus et tympana rumpere dextra. (Stat. Theb. 10,646–649)

Hier hingegen dient Herkules als Beispiel für eine unpassende Vermischung von Männlichem und Weiblichem. So sprengt er mit seinen Schultern das von Properz bekannte Gewand (Sidonios […] amictus, 648), bringt die Spinnrocken in Unordnung (turbare colus, 649) und zerstößt das Tympanon mit seiner zu starken rechten Hand. Achill ähnelt also, indem er beim Spinnen scheitert, ganz dem Herkules der Thebais, der genau wie Achill seine Webarbeit verdirbt. Bei Achill wie bei Herkules ist perdere (Stat. Theb. 10,648, Ach. 1,582) das Ergebnis, wenn sich der Mann mit Frauenarbeit beschäftigt. Damit stehen sie im Gegensatz zu Properz’ Herkules, der im Rahmen eines Paraklausithyrons um Einlass bittet.559 Mit dem Spinnen und den deutlichen intertextuellen Bezügen zur Darstellung von Herkules und Omphale erfüllt damit Achill auch eines der heroischen

558 559

Vgl. Bitto (2016), 288f. Allerdings wird auch Herkules diese Rolle aufgeben und gewaltsam das Tor aufbrechen.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

149

Modelle, die Thetis in ihrer Überzeugungsrede (vgl. 2.3.2.1.1) für ihn entworfen hat. Auch abgesehen von den nicht unbedingt sehenswerten Handarbeitserzeug‐ nissen ist Achills Verkleidung als Mädchen nicht völlig überzeugend: […] vocisque sonum pondusque tenentis, quodque fugit comites, nimio quod lumine sese figat et in verbis intempestivus anhelet, miratur; iam iamque dolos aperire parantem virginea levitate fugit prohibetque fateri. (Stat. Ach. 1,583–587)

Deidamia wundert sich über den Klang (sonum, 583) und das Gewicht (pondus, 583) seiner Stimme. Neben diesen körperlichen Merkmalen ist auch sein Ver‐ halten gegenüber Deidamia auffällig, in dem sich seine Verliebtheit zeigt: Er sucht nur den Kontakt zu ihr und nicht zu den anderen Mädchen (fugit comites, 584) Er starrt sie zu sehr an und keucht unpassend (intempestivus, 585) beim Sprechen. Achill will schon seine Identität offenlegen (dolos aperire parantem, 586), doch Deidamia will davon nichts wissen, flieht und hindert ihn so am Geständnis. Der epische Erzähler gibt als Grund hierfür ihr für eine Jungfrau typisches wankelmütiges Wesen (virginea levitas, 587) an.560 Achills und Deidamias Verhältnis wird hierauf mittels eines epischen Gleich‐ nisses veranschaulicht:561 sic sub matre Rhea iuvenis regnator Olympi oscula securae dabat insidiosa sorori frater adhuc, medii donec reverentia cessit sanguinis et versos germana expavit amores. (Stat. Ach. 1,588–591)

Als Vergleichspunkt für Achill ist Jupiter gewählt, mit dem er ja im Rahmen seiner Quasi-Jupitersohnschaft562 in besonderer Beziehung steht und der ja auch schon von Thetis in Ach. 1,263 als Modell für Achill aufgerufen wurde. Dabei bestehen verschiedenste Anknüpfungspunkte zwischen Achill und Jupiter. Wie Achill ist Jupiter ein junger Mann, als er die Annäherungsversuche an seine Schwester Juno beginnt. So wie Achill mit seiner Anwendung der Ratschläge der Ars amatoria novae insidiae (567 f.) an der ahnungslosen Deidamia (nil tale timenti, 567) angewandt hat, handelt auch der oberste Gott. Er gibt seiner 560 561 562

Zur uneindeutigen Haltung von Deidamia vgl. Bessone (2018), 180. Das Gleichnis knüpft dabei thematisch an die Ekphrasis des Gewandes für Junos Statue in Theben in Stat. Theb. 10,61–64 an und stellt die Vorgeschichte der dort beschriebenen Hochzeitsnacht dar, mit der Statius Hom. Il. 14,295f. rezipiert. Vgl. Juhnke (1972), 168f. Vgl. Schetter (1960), 129–131. Vgl. zur Stelle auch Aricò (1986), 2944.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

sorglosen Schwester (securae sorori, 589) Küsse, die den Zweck haben, sie zu verführen (oscula insidiosa, 589). Dabei hat er noch die Rolle des Bruders inne (frater adhuc, 590), die sich jedoch wandelt, sobald die Küsse ihren gewünschten Zweck erfüllt haben und Junos Scheu vor der Tatsache, dass sie es mit ihrem Bruder zu tun hat, gefallen ist (medii donec reverentia cessit | sanguinis, 590 f.). Die Erkenntnis der gegenseitigen Liebe lässt Juno erschrecken (expavit, 591). Vermutlich lässt sich so auch Deidamias virginea levitas (587) einordnen. Sie erschrickt vor ihrer Liebe zu Achill und lässt deshalb nicht zu, dass er sich offenbart. Durch das Gleichnis selbst erhält auch Achills Aufenthalt auf Skyros und seine Verkleidung als Mädchen epische gravitas. Achill verhält sich auf Skyros entsprechend der Tradition, die Jupiter selbst begründet hat. Gleichzeitig hat auch dieses Gleichnis eine Scharnierfunktion in der Erzählung zwischen Achills Versuchen, Deidamia zu verführen, sowie seiner Offenbarung gegenüber Dei‐ damia und dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs.563 Im Vergleich mit den beiden Prätexten wird deutlich, dass in der Achilleis ein anderes Bild von Achill gezeichnet wird. Thetis’ Intervention, die im Epithalamium Achillis et Deidameiae nicht erwähnt wurde, wird in der Achilleis viel Platz (Ach. 1,20–396) gegeben. In der Achilleis ist die Tatsache, dass Achill sich auf Skyros aufhält, auch nicht so sehr ein Akt der pietas wie in der Ars amatoria – er weigert sich zunächst, der Bitte seiner Mutter zu entsprechen (vgl. 2.3.2.1.1) –, sondern der Aufenthalt geschieht, da er sich Hals über Kopf in Deidamia verliebt (vgl. 2.3.2.1.2). Achill versteckt sich nicht auf Skyros, um dem Kampf zu entgehen, sondern er befindet sich dort, um Annäherungsversuche an Deidamia zu unternehmen. Das Narrativ betont dabei, dass die Verantwortung für die Verkleidung allein Thetis trägt.564 Anders als im Epithalamium geht Achill nicht in der Schar der Mädchen auf und kommt den Mädchen nicht in jeder Hinsicht gleich. Stattdessen wird an seinem Umgang mit den Webutensilien deutlich, dass Achill zu Frauenarbeit nicht geeignet ist und er diese in seinem ungeschickten Umgang zerstört. Auch sein Auftreten als Mädchen ist nicht vollendet, Deidamia muss ihm zeigen, wie das trotz seines muskulösen Körperbaus besser möglich ist. Sie wundert sich über sein sonderbares Verhalten, an dem seine Verliebtheit deutlich wird, hindert ihn aber auch seine Identität zu offenbaren. Seine weiblichen Tätigkeiten verfolgen anders als im Epithalamium und in der Ars einen Zweck. Alle Gegenstände und Tätigkeiten, die Ovids Ars amatoria 563 564

Vgl. auch Juhnke (1972), 168 f., Bitto (2016), 289f. Vgl. Fantuzzi (2012a), 75.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

151

in der Apostrophe (Ov. ars 1,691–696) hinterfragt, gebraucht Achill im Rahmen seiner Methoden, mit denen er versucht, Deidamia zu verführen. Die Methoden selbst werden dabei mit militärischen Begriffen beschrieben,565 was wiederum auf Achills epische Identität hinweist. Gerade dadurch, dass Achill Ratschläge der Ars anwendet, gelingt es ihm, nicht zum elegischen Liebhaber zu werden, sondern als Gebender in der Bezie‐ hung das traditionelle Rollenverständnis auszufüllen. Der Achill der Achilleis ist nicht nur in seinem θυμός ein Mann, sondern auch unter Frauenkleidern in großen Teilen seines Handelns: Coming after the epic, tragic, and erotic elaborations of Achilles at Scyros, Statius seems to opt for a structural, overarching plan of dignification; […] not even the period preceding the exposure is presented as a calm/sweet time of full dedication to eros, but it looks rather like a time of frustration anticipating the recovery of virility and departure for the war. This larger structural plan does, however, leave a space to deal with the details in a different way. A series of erotic hints is interspersed in the narrative of Achilles’ stay in the gynaeceum, and they fully reflect the objective eroticism of the situation. In other words, Statius’ Achilles is clearly destined to become a man again, and a warrior, and this predestination is discernible even from his first days of disguise and erotic passion.566

Auch wenn Elemente der Liebeselegie aufgenommen werden und das Thema die Liebe ist, bleibt das epische Narrativ erhalten. Der Einfluss der Gattung Liebeselegie und des Themas Liebe sprengt also nicht die Gattung Epos, sondern bereichert sie:567 Statius’ Achill ist dazu determiniert, Krieger zu werden. So wird auch die Liebe aus epischer Perspektive erzählt. Anders als der Achill des Epithalamiums nähert sich Achill in der Achilleis wie ein Mann Deidamia an und gibt auch durch Zeichen zu erkennen, dass er dies ist. Seine Methoden entsprechen dabei in großen Teilen Anweisungen der Ars amatoria. Durch die Vergleiche mit Jupiter beziehungsweise die Bezüge auf Herkules wird deutlich, dass er sich nicht nur männlich, sondern sich schon quasi-gött‐ lich und einem Jupitersohn entsprechend verhält. Dieses Hinwegsetzen über menschliche Normen wird sich auch in Deidamias Vergewaltigung zeigen,

565 566 567

Vgl. Feeney (2004), 93, der als Beispiele novas […] admovet insidias (567 f.), sequiturque premitque (568), lateri […] inhaeret (570), ferit (572), occupat (575) und ligat (576) aufführt. Vgl. auch Micozzi (2007), 130–132, Bessone (2018), 179. Fantuzzi (2012a), 74. Vgl. Micozzi (2007), 141 f., die auch die Nachwirkung auf den Roman betont. „Siamo […] di fronte alla ‘rivoluzionaria’ inserzione nel racconto epico staziano di un topos amatorio confluito con successo nel romanzo.“ Ebd., 141.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

durch die Achill wie schon in der Ars amatoria endgültig seine Männlichkeit beweist. 2.3.4 Die Aufdeckung von Achills Identität als Mann   2.3.4.1 Die Szenerie des Bacchusfestes Statius verlegt den Ort der Vergewaltigung vom Bett des Schlafzimmers ([Bion] 2,9, Ov. ars 1,697) in die freie Natur. Dazu wird zunächst in einer kurzen Ekphrasis der Hain, in dem die Feier für Bacchus stattfinden soll, vorgestellt: Lucus Agenorei sublimis ad orgia Bacchi stabat et admissum caelo nemus; huius in umbra alternam renovare piae trieterida matres consuerant scissumque pecus terraque revulsas ferre trabes gratosque deo praestare furores. (Stat. Ach. 1,593–597)

Der Hain, dessen Beschreibung in der Form an die typische Beschreibung von Hainen im Epos anknüpft,568 erweckt mit seinem sich hoch erhebenden Blätterdach einen ehrwürdigen Eindruck. Dabei kann durch die mitklingende literarische Tradition folgender Eindruck entstehen: Ces quelques mots introductifs suffisent en fait à évoquer à l’esprit du lecteur, en qui ils réveillent la mémoire littéraire des bois sacres de la poésie épico-tragique, un lieu mystérieux où quelque chose de terrible va se passer: la suggestion prime la description.569

Durch die Beschreibung des Ortes und auch durch den Tempuswechsel zu Imperfekt und Plusquamperfekt entsteht die Erwartung auf eine ingressive dramatische Handlung. Der Ort selbst ist speziell dem Bacchus-Kult gewidmet (ad orgia Bacchi, 593), der dort in den für den Kult typischen Abständen von zwei Jahren (alterna trieteris, 595) gefeiert wird.570 Die Hauptträgerinnen des Kultes sind die Mütter (piae […] matres, 595). Sie führen dabei für den Gott die typischen Elemente der Dionysosverehrung aus:571 In ritueller Raserei (furores, 597) zerreißen sie Vieh (scissumque pecus, 596) und schwingen aus der Erde ausgerissene Stäbe (terraque revulsas | ferre trabes, 596 f.). 568 569 570 571

Vgl. z. B. Verg. Aen. 1,441, 8,86, Lucan. 3,399, Stat. Theb. 4,419f. Vgl. Vessey (1986), 3009 f., Ripoll/Soubiran (2008), 233 (ad 1,593), Nuzzo (2012), 118 (ad 1,593–597). Ripoll/Soubiran (2008), 233 (ad 1,593). Vgl. Schlesier, Renate: Dionysos (Διόνυσος), in DNP 3 (1997), 658. Siehe auch den Vergleich mit Euripides’ Bakchen bei McNelis (2020), 451f.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

153

Für Männer dagegen ist der Zugang zur Feier verboten: lex procul ire mares; iterat praecepta verendus ductor, inaccessumque viris edicitur antrum. nec satis est: stat fine dato metuenda sacerdos exploratque aditus, ne quis temerator oberret agmine femineo: tacitus sibi risit Achilles. (Stat. Ach. 1,598–602)

Dieses Verbot wird stark betont: Lex (598) hat die Anfangsstellung im Vers, das Verbot wird mittels einer rituellen Formel ausgedrückt,572 die praecepta (598) durch Lykomedes als verendus | ductor (598 f.) nochmals wiederholt und ein zusätzlicher Erlass herausgegeben (edicitur, 599). Darüber hinaus gibt es, um das Eindringen von männlichen Störern (temerator, 601) zu verhindern, eine Einlasskontrolle durch eine respekteinflößende Priesterin (metuenda sacerdos, 600). Für Achill hat das jedoch keine Auswirkungen. Er reagiert darauf nur, indem er still in sich hineinlacht (tacitus sibi risit Achilles, 602). Rosati zieht hier eine Parallele zu Jupiters Reaktion, als er feststellt, dass seine Verwandlung in Diana erfolgreich ist, um sich Kallisto anzunähern:573 ridet et audit | et sibi praeferri se gaudet (Ov. met. 2,429f.). Damit wird ein weiterer Bezug zu den Vorbildern hergestellt, mit denen Thetis versucht hat, Achill zu überzeugen (virgineos si Iuppiter induit artus, Stat. Ach. 1,263). Achill nimmt auch keine Rücksicht darauf, sich unauffällig zu verhalten und führt die Gruppe der Mädchen an: illum virgineae ducentem signa catervae magnaque difficili solventem bracchia motu – et sexus pariter decet et mendacia matris – mirantur comites. nec iam pulcherrima turbae Deidamia suae tantumque admota superbo vincitur Aeacidae, quantum premit ipsa sorores. (Stat. Ach. 1,603–608)

Auffällig dabei ist vor allem das militärische Vokabular:574 Wie ein Feldherr in der Schlacht seine Truppen lenkt, indem er durch die Position der Feldzei‐ chen die Marschrichtung anzeigt,575 trägt Achill die Symbole des Chors der Jungfrauen, der als caterva (603) ebenfalls mit einen militärischen Terminus

572 573 574 575

Vgl. Vessey (1986), 3010 m. Fn. 184. Vgl. Rosati (1992a), 247. Vgl. auch schon zuvor agmen femineum (602) als Bezeichnung für alle Frauen, die am Fest teilnehmen. Zur Kollokation signa ducere vgl. Liv. 38,21,3, Lucan. 4,739f. Vgl. auch ThlL V (1932), 2141.36f., s.v. dūco.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

technicus verbunden wird. Dabei bewegt er seine starken Arme (magna bracchia, 604) in einem komplizierten Bewegungsablauf. Die Art, wie er diese Tätigkeit ausübt, löst bei den zuschauenden Mädchen Verwunderung beziehungsweise Bewunderung aus. Durch einen Autorkommentar wird deutlich, dass sein Verhalten sehr gut sowohl für sein wahres Geschlecht (sexus, 605) als auch für seine Verkleidung als Mädchen (mendacia matris, 605) passt.576 Auch in Bezug auf die Schönheit zeigt sich Achills Überlegenheit. Wie zuvor Deidamia ihre Schwestern übertroffen hat (1,293–298), so übertrifft er – weiterhin durch militärisches Vokabular ausgedrückt (vincitur […] premit, 608) – jetzt Deidamia.577 Sobald Achill die Attribute einer Mänade annimmt, die zum Teil auch Dionysos’ Attributen entsprechen, erscheint er den anwesenden Frauen als Epiphanie des Gottes: ut vero e tereti demisit nebrida collo errantesque sinus hedera collegit et alte cinxit purpureis flaventia tempora vittis vibravitque gravi redimitum missile dextra, attonito stat turba metu sacrisque relictis illum ambire libet pronosque attollere vultus. talis, ubi ad Thebas vultumque animumque remisit Euhius et patrio satiavit pectora luxu, serta comis mitramque levat thyrsumque virentem armat et hostiles invisit fortior Indos. (Stat. Ach. 1,609–618)

Er trägt über seinen Schultern das Fell eines Rehkitzes, bindet die Falten seines Kleides mit Efeuranken hoch und bindet sich purpurne Bänder um seine blonden Schläfen. Zusätzlich erzittert der mit Efeu bekränzte Thyrsosstab (redimitum missile, 612) in seiner Hand. In dieser Aufmachung ist er dem Gott so ähnlich, dass die Frauen sich so verhalten, als wäre der Gott tatsächlich erschienen. Sie sind plötzlich voller Furcht (attonito stat turba metu, 613) und lassen die Opferhandlungen ruhen. Hierauf wollen sie sich ihm nahen (ambire, 614)578 und ihre zu Boden gerichteten Blicke auf ihn richten, wobei sie dies aus Ehrfurcht kaum wagen (pronosque attollere vultus, 614). In einem epischen Gleichnis wird die Verbindung zwischen Achill und Dionysos noch deutlicher. Dabei entspricht Achill nicht einer friedlichen, 576 577 578

Vgl. auch Dilke (1954=2005), 124 (ad 1,605). Vgl. Vessey (1986), 3012. Vgl. ThlL I (1905), 1849.47–65, s.v. ambio unter der Bed. „II accedente notione petendi, rogandi de petitoribus, supplicantibus“.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

155

sondern einer kriegerischen Erscheinung des Gottes. So wie jetzt Achill war Dionysos, als er nach einem Erholungsaufenthalt in Theben (ubi ad Thebas vultumque animumque remisit, 615) zum Krieg gegen die Inder aufbrach. Der Gott lässt dafür den Luxus hinter sich, bewaffnet sich mit seinem Thyrsosstab und erscheint so fortior (618). Durch das Gleichnis wird also ein weiteres Mal verdeutlicht, dass nun Achill eine männlichere Rolle annehmen wird. Wie Achill befindet sich Dionysos zum Zeitpunkt des Gleichnisses in einer Übergangsphase579 zwischen eher weiblichem zu männlichem Verhalten.580 Den Indern, gegen die Dionysos zieht, entspricht für Achill langfristig Troja, kurzfristig seine Offenbarung als Mann vor Deidamia.581 Im Gleichnis wird allerdings die gewöhnliche Vergleichsperspektive umge‐ dreht: Auf die Beschreibung von Achills Auftreten folgt das Gleichnis, das mit dem So-Teil (talis) beginnt. Achill ist also der Vergleichspunkt für Dionysos. Die gewöhnliche Perspektive eines epischen Gleichnisses, in dem ein Held im So-Teil mit einem Gott im Wie-Teil verglichen wird, wird also genau umgedreht. Achill ist so deutlich eine Epiphanie des Gottes, dass er für Dionysos der Bezugspunkt ist. Er ist tatsächlich fortior als Dionysos, der nach Indien aufbricht.   2.3.4.2 Achills innerer Monolog Nach dieser Darstellung der Szenerie und Achills Inkarnation von Bacchus wird durch eine epische Zeitangabe zum entscheidenden Moment übergeleitet: Scandebat roseo medii fastigia caeli Luna iugo, totis ubi Somnus inertior alis defluit in terras mutumque amplectitur orbem. (Stat. Ach. 1,619–621)

Der Mond, der durch die Mondgöttin Luna personifiziert wird, ist gerade am Aufgehen und Somnus, der Gott des Schlafes, hat der Erde Schlaf gebracht und hält sie umfangen. Dies hat auch Wirkung auf die Bacchantinnen auf Skyros: Die Frauen sind erschöpft und ruhen etwas aus (consedere chori, 622) und auch die Becken werden nicht mehr geschlagen (paulumque exercita pulsu | aera tacent, 622 f.). Achill ist getrennt vom Rest (tenero cum solus ab agmine Achilles, 623) und führt dabei einen inneren Monolog:

579 580 581

Da hier durch ein Gleichnis der Übergang zwischen zwei Handlungen verdeutlicht wird, stellt Heslin (2005), 254 einen Bezug zum Apollongleichnis in Ach. 1,165f. her. McNelis (2020), 450 arbeitet heraus, dass im Gleichnis Bacchus seine weiblichen Attribute ablegt und stattdessen männliche annimmt. Vgl. Sturt (1982), 836.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

haec secum: ‘Quonam timidae commenta parentis usque feres? primumque imbelli carcere perdes florem animi? non tela licet Mavortia dextra, non trepidas agitare feras? ubi campus et amnes Haemonii? quaerisne meos, Sperchie, natatus promissasque comas? an desertoris alumni nullus honos, Stygiasque procul iam raptus ad umbras dicor, et orbatus plangit mea funera Chiron? tu nunc tela manu, nostros tu dirigis arcus nutritosque mihi scandis, Patrocle, iugales: ast ego pampineis diffundere bracchia thyrsis et tenuare colus – pudet haec taedetque fateri – iam scio. quin etiam dilectae virginis ignem aequaevamque facem captus noctesque diesque dissimulas. quonam usque premes urentia pectus vulnera? teque marem – pudet heu! – nec amore probabis?’ (Stat. Ach. 1,624–639)

Zu Beginn des Monologs stellt Achill seine Ungeduld und seinen Unwillen über die List (commenta, 624) seiner Mutter dar (Quonam […] | usque feres, 624 f.).582 Für Achill ist Skyros aufgrund der Friedfertigkeit der Insel ein imbellis carcer (625), in dem er gehindert wird, seine ersten Heldentaten auszuüben.583 Damit geht in seiner Wahrnehmung seine ganze Jugend verloren (primum […] perdes | florem animi, 625 f.). In einer Reihe weiterer Fragen wird Achills Unzufriedenheit noch weiter deutlich: Er darf weder für den Krieg (Mavortia dextra, 626) mit Speeren werfen oder Pfeilen schießen, noch auf die Jagd gehen. Dabei stellen schon die trepidae ferae (627), d. h. fliehendes Wild wie Rehe, Achills gesenkten Anspruch heraus. Zuvor hat er sich mit so einfacher Beute nicht abgegeben, sondern lieber gefährliches Wild wie Löwen oder Bären gejagt (vgl. Ach. 2,121–125). Jetzt darf er nicht einmal Wild jagen, das wenig Ehre einbringt. Achill hat zusätzlich Heimweh nach Thessalien: Er sehnt sich nach der thessalischen Ebene und den Flüssen des Landes, wendet sich direkt an den Flussgott Sperchios und fragt 582 583

Ripoll/Soubiran (2008), 237 (ad 1,624) sehen den Beginn mit quo usque als quasi ciceronianisch im Stil des Beginns der ersten Catilinarie. Abad Del Vecchio (2021) liest carcer doppeldeutig: Neben der Bedeutung als Ge‐ fängnis verweist sie auch auf die Startboxen beim Rennen: „interpreting carcer as a “starting gate” here, in addition to “prison”, helps the reader visualize the hero’s restlessness, encapsulating his all- consuming amor belli that urges him – the wild horse domesticated – finally to burst out of his carcer’s confines, ready to start in earnest the epic race around the corner.“ Ebd., 229f.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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sich, ob dieser sein Schwimmen vermisst (quaerisne meos, Sperchie, natatus, 1,628)584 und auf das Opfer seiner Haare wartet (promissasque comas, 629), das den Übergang vom Epheben zum Mann anzeigt.585 Hierauf denkt er an Chiron. Er sieht sich dabei als fahnenflüchtigen Schüler, dem nun keine Ehre zukommt (desertoris alumni | nullus honos, 629 f.).586 Achill ist der Meinung, dass man nun vielleicht schon glaubt, er sei tot. Damit verbunden stellt er sich vor, wie Chiron nun um ihn trauert (plangit mea funera, 631). Dabei wird deutlich, wie eng das Verhältnis zu seinem Ziehvater ist. Chiron fühlt sich orbatus (631), als hätte er seinen eigenen Sohn verloren. Damit werden Parallelen zur Ilias deutlich: In seiner Klage über den toten Patroklos stellt der homerische Achill seinen Vater Peleus als trauererfüllt dar (χήτεϊ τοιοῦδ᾽ υἷος, Hom. Il. 19,324), da Achill fern von der Heimat vor Troja kämpft (Hom. Il. 19,323–325). Hierauf baut er in der Achilleis einen starken Gegensatz zwischen sich und Patroklos auf: Patroklos wird dabei durch die zweimalige Wiederholung des Personalpronomens tu und den Vokativ herausgehoben. Patroklos kann nun alle Tätigkeiten ausüben, die Achill gerne ausüben würde und von denen er durch seinen Aufenthalt auf Skyros abgehalten wird. Patroklos nimmt sogar Achills Besitz an sich, der für seine kriegerische Identität bestimmend ist. Es ist Achills Bogen, den Patroklos spannt (nostros tu dirigis arcus, Ach. 1,632), und das Pferdegespann, das Patroklos nutzt, wurde für Achill gezüchtet (nutritosque mihi […] iugales, 633). In Achills Vorstellung übernimmt Patroklos die eigentlich ihm zugedachte Rolle vor Troja. Patroklos verhält sich dabei wie im 16. Gesang der Ilias und nimmt Achills Waffen und sein Gespann an sich.587 Achill nimmt also in Gedanken schon die Situation der Patroklie vorweg, in der Patroklos’ Rüstung mit Achills Waffen im Endeffekt zu seinem Tod führen wird. Da er

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586 587

Damit wird auch auf seine Tätigkeit bei Thetis’ Ankunft bei Chiron verwiesen. Vgl. Ach. 1,178–181 (vgl. 2.2.2.1). Auch in seinem Rückblick auf seine Jugend zählt der Aufenthalt im Sperchios zu seiner Ausbildung zum Helden. Vgl. Ach. 2,143–153 (vgl. 2.4.3.1). Auch in der Ilias (Hom. Il. 23.141–153) sind Achills Haare dem Sperchios gelobt. Dort hat sie Peleus bei Achills Abfahrt nach Troja für Achills sichere Heimkehr versprochen. Achill schert sie für Patroklos, da ihm klar wird, dass er nicht mehr heimkehren wird. Anders als bspw. Ripoll/Soubiran (2008), 238 (ad 1,629) sehe ich in der Achilleis keinen direkten Bezug auf dieses konkrete Gelübde, sondern das Opfer der Haare als Übergangsritus zur Geschlechtsreife. Vgl. dazu Sommer, Leopold: Haaropfer, in: RE VII,2 (1912), 2106 f. Heslin (2005), 260 vergleicht das Opfern einer Locke mit einer Selbstkastration. Siehe jedoch zur Gewöhnlichkeit des Opfers Sommer, Leopold: Haaropfer, in: RE VII,2 (1912), 2105–2109. Damit wird deutlich, dass auch für Achill auf Skyros die Ehre einen hohen Stellenwert einnimmt. In der Ilias wird gerade die Ehrverletzung zum Auslöser, dass Achill nicht mehr mitkämpft und damit zum desertor wird. Vgl. Taisne (2008), 100, Ripoll/Soubiran (2008), 238 (ad 1,632f.), Davis (2015), 164.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

allerdings den Ausgang nicht kennt, beneidet er Patroklos darum, dass dieser sich im Gegensatz zu ihm heroisch verhalten darf. Seine eigene Lage sieht er im klaren Gegensatz zu Patroklos (ast ego, 634): Er hat schon gelernt Thyrsosstäbe elegant zu schwingen (pampineis diffundere bracchia thyrsis, 634) und zu spinnen (tenuare colus, 635). Dieses Wissen, das durch die Anfangsstellung im Vers stark betont wird (iam scio, 636), ist für Achill eine große Schande, die er sich kaum eingestehen kann (pudet haec taedetque fa‐ teri, 635). Dass Achill auch seine Liebe zu Deidamia bisher nicht offen gestanden hat (dissimulas, 638), steigert seine Frustration noch weiter (quin etiam, 636). Achill nimmt hierauf den Beginn seines Monologs wieder auf: quonam usque premes urentia pectus | vulnera? (638 f.) Für Achill ist es eine große innere Last, dass er seine Liebe zu Deidamia nicht deutlich gemacht hat. Sein erstes Ziel ist nun, seine Männlichkeit wenigstens in der Liebe wiederzugewinnen. Dass er derzeit in keiner Hinsicht von anderen als Mann wahrgenommen werden kann, nimmt Achill als große Schande wahr (pudet heu! 639). Die Beziehung zu Deidamia ist für ihn nun die Gelegenheit, seine Männlichkeit zu beweisen (teque marem […] nec amore probabis? 639). Der Monolog ist also in seiner Gesamtheit nicht nur ein Klagemonolog, sondern im Endeffekt ein Entscheidungsmonolog, der die Handlung des Epos entscheidend vorantreibt.588 Dies zeigt sich auch an Achills sofortigem Handeln nach Abschluss des Monologs. Gleichzeitig dient der Monolog auch Achills Charakterisierung: In a most dignified way, Statius’ Achilles at the same time both corrects himself and recovers his identity on his own. As a result, Odysseus’ tricks will only serve to make this recovery public.589

Schon durch den Monolog beweist Achill sich innerlich seine Männlichkeit, die er faktisch durch die Vergewaltigung vollzieht und die später durch Odysseus’ List allen klar wird. Achill umreißt dabei in seinem Monolog zwei Kernaspekte seiner männlichen Identität: Seine kriegerische (624–633) und seine sexuelle Männlichkeit (636–639). Während er die kriegerische Rolle erst voll mit dem Ergreifen der Waffen erfüllen wird, kann er seine sexuelle Rolle sofort mit der Vergewaltigung erfüllen.590

588 589 590

Vgl. Fantuzzi (2013), 154. Fantuzzi (2013), 155f. Vgl. Franchet d’Espèrey (2006), 452 f. Siehe auch Mendelsohn (1990), 305 f. der argumen‐ tiert, dass Achill durch die Vergewaltigung sich von Thetis als dominanter Mutterfigur lossagt und so seine eigene Rolle einnimmt.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

159

2.3.4.3 Die Vergewaltigung und ihre Folgen Nachdem sich Achill so entschlossen hat, seine Männlichkeit zu beweisen, ergreift er die Initiative. Dabei geht er gewaltsam vor: Sic ait et densa noctis gavisus in umbra tempestiva suis torpere silentia furtis vi potitur votis et toto pectore veros admovet amplexus; vidit chorus omnis ab alto astrorum et tenerae rubuerunt cornua Lunae. (Stat. Ach. 1,640–644)

Er freut sich über die für sein Vorhaben günstige Lage: Die Nacht ist dunkel, alles ist ruhig und nichts bewegt sich. Mit Gewalt (vi, 642) vollzieht er den Geschlechtsverkehr mit dem Objekt seiner Begierde (potitur votis, 642). Im Gegensatz zu den Umarmungen, die er zuvor in seinen Versuchen, Deidamia zu verführen, angewandt hatte (ligat amplexus, 576), wird der Geschlechtsverkehr nun als wahre Umarmung (veros […] | amplexus, 642 f.) bezeichnet. Mit der Vergewaltigung folgt Achill dem Vorbild seines Vaters in den Metamorphosen:591 exhibita estque Thetis: confessam amplectitur heros et potitur votis ingentique inplet Achille. (Ov. met. 11,264f.)

Dabei lehnt sich die Schilderung sprachlich eng an das Vorbild an, was durch die Einzelreferenzen amplexus – amplectitur und potitur votis deutlich wird. Mit dem Versanfang vi potitur knüpft Statius wiederum an Verg. Aen. 3,56 und Val. Fl. 1,520 an, wo mit dieser Kollokation nicht sexuelle Gewalt, sondern der Raub von Gütern, verbunden ist. Achill knüpft mit der Vergewaltigung also nicht nur an das Verhalten seines Quasi-Vaters Jupiter an, sondern auch an seinen wirklichen Vater und seine eigene Zeugung.592 Die einzigen Zeugen für das Geschehen sind die Sterne und die jungfräuliche Mondgöttin Luna, deren Sichel vor Scham errötet, als sie Achill und Deidamia erblickt. Bezeichnend hierbei ist das göttliche Handeln, das durch die Wahr‐ nehmung des Geschehens nicht einsetzt. Anders als Pentheus in Euripides’ Bakchen,593 die für die Darstellung von Mänaden in der späteren Literatur wegweisend sind, wird Achill für seinen Frevel beim Bacchusfest nicht bestraft. Achills Eindringen in den Kult hat den genau gegenteiligen Effekt wie das von

591 592

593

Vgl. Heslin (2005), 266 f., Chinn (2013), 326. Gleichzeitig erfüllt er damit die Prophezeiung, seinen Vater zu übertreffen: Während für Peleus Thetis’ Vergewaltigung mit einem langwierigen Kampf verbunden ist, geschieht die Vergewaltigung in der Achilleis ohne Hindernisse und direkt im Anschluss an seinen Entschluss, Deidamia zu vergewaltigen. Vgl. Cyrino (1998), 236, Heslin (2005), 251–253, Tillard (2008), 88.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Pentheus. Während Pentheus von seiner Familie getötet wird, schafft Achill seine Familie, indem er Pyrrhus zeugt. Pentheus wird zum Gespött (Eur. Bacch. 854), Achill lacht selbst über die Gelegenheit (tacitus sibi risit Achilles, Ach. 1,602) und ähnelt dabei Herkules, der ebenfalls auch in Frauenkleidern lachen kann und damit eine Art von Kontrolle über die Travestie behält (Ov. fast. 2,355f.).594 Achill ähnelt nicht einem Störer des Kults wie Pentheus, sondern dem Gott selbst.595 Er hat somit von den anderen Frauen nichts zu fürchten: illa quidem clamore nemus montemque replevit; sed Bacchi comites discussa nube soporis signa choris indicta putant; fragor undique notus tollitur, et thyrsos iterum vibrabat Achilles, (Stat. Ach. 1,645–648)

Die Bacchantinnen deuten Deidamias Schreie, als sie durch diese erwachen, als ein Zeichen für den erneuten Beginn der Feier. An dieser nimmt auch Achill teil und schwingt weiter Thyrsosstäbe.596 Indem sich Achill also nach dem Vorbild seines Quasi-Vaters Jupiter verhält und dabei als Inkarnation seines Quasi-Bruders Bacchus erscheint, drohen ihm nicht die Konsequenzen, die ansonsten männliche Störer zu fürchten hätten. Achill erscheint so sehr als Inkarnation des Gottes, dass er die in den ekstatischen Tänzen vermittelte Vision der Mänaden von Geschlechtsverkehr mit dem Gott597 ausübt. Bevor er sich jedoch weiter an der Bacchusfeier beteiligt, tröstet er Deidamia. Dies geschieht in erster Linie dadurch, dass er sich als Achill vorstellt: ante tamen dubiam verbis solatus amicis: ‘Ille ego – quid trepidas? – genitum quem caerula mater paene Iovi silvis nivibusque inmisit alendum Thessalicis. […] (Stat. Ach. 1,649–652)

Achill stellt sich dabei besonders heraus. Dies geschieht im Stil einer Selbstvor‐ stellung einer besonders bedeutenden Person. So stellt sich Vergils Dichter-Per‐ sona im Vorproöm der Aeneis beziehungsweise dem ihr vorangestellten Epi‐ gramm vor,598 auf das sich auch Ovid mit dem Aufgreifen des Beginns ille ego, 594 595 596 597 598

Vgl. McNelis (2020), 452. Vgl. Heslin (2005), 253. Bessone (2018), 182 betont auch hier das verwendete militärische Vokabular. Vgl. Schlesier, Renate: Dionysos (Διόνυσος), in: DNP 3 (1997), 654. Heslin (2005), 254–256 deutet die Vergewaltigung im Kontext eines Phallus-Rituals bei Bacchusfeiern. Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena | carmen, et egressus silvis vicina coegi | ut quamvis avido parerent arva colono, | gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis | arma virumque cano (Serv. Aen. praef., Don. uita 42). Dabei ist für unsere Fragestellung unerheblich, ob die Verse tatsächlich von Vergil stammen oder es sich

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

161

(qui) in am. 2,1,2 und trist. 4,10,1599 bezieht. Gleichzeitig hat der Beginn von Achills Vorstellung ein göttliches Vorbild. So stellt sich, ähnlich wie Achill Deidamia, nachdem er sie vergewaltigt hat, in den Metamorphosen Sol Leucothoe vor, bevor er sie vergewaltigt:600 ‘ille ego sum’ dixit, ‘qui longum metior annum, omnia qui video, per quem videt omnia tellus, mundi oculus. mihi (crede!) places.’ pavet illa metuque et colus et fusus digitis cecidere remissis. (Ov. met 4,226–229)

Wie Achill hat sich zuvor Sol in eine Frau, nämlich Leucothoes Mutter, verwan‐ delt. Voller Selbstbewusstsein stellt er sich Leucothoe über seine Funktion als Sonnengott vor. Dadurch braucht er wie ja auch Vergil im Vorproöm nicht seinen Namen zu nennen. Genauso geht es Achill, der sich ebenfalls nicht über seinen Namen vorstellen muss: Dadurch, dass er seine Herkunft und Erziehung erwähnt, wird Deidamia und dem Leser seine Identität klar. Wie Leucothoe nach Sols Rede ist Deidamia vor Achills Rede furchtsam (quid trepidas? Ach. 1,650). Für Achills Selbstverständnis ist seine Quasi-Jupitersohnschaft bestimmend. Deshalb stellt er sich nicht als Peleus’ Sohn vor, sondern als denjenigen, den Thetis beinahe Jupiter geboren hätte (genitum quem caerula mater | paene Iovi, 650 f.).601 Das zweite Element, das Achill bestimmend für seine Identität hält, ist seine Erziehung in Thessalien, die er als rau und naturgeprägt darstellt (silvis nivibusque inmisit alendum | Thessalicis, 651 f.). Dabei macht Achill deutlich, dass es sich hierbei um seine wahre Identität handelt, zu der sein Aufenthalt auf Skyros nicht beiträgt: […] nec ego hos cultus aut foeda subissem tegmina, ni primo te visa in litore: cessi

599 600 601

dabei erst um eine spätere Hinzufügung handelt. Sie waren wohl jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Abfassung des zweiten Buches der Amores schon bekannt. Vgl. zur Forschungsdiskussion Kayachev (2011), bes. 75 Fn. 2. Kayachev (2011), 78–80 arbeitet dabei heraus, dass es sich dabei um das Genre eines Vorwort–Epigramms handelt, das in der hellenistischen Tradition steht. Koster (1979), 205 Fn. 36 sieht hier vor allem den Bezug zur Tristie und deutet quid trepidas als Anzeichen, Deidamia habe die dortige Fortführung qui fuerim tenerorum lusor amorum im wörtlichen und nicht übertragenen Sinn erwartet. Vgl. Davis (2006), 134. Damit besteht auch eine Parallele zu Apollons Vorstellung gegenüber Daphne in den Metamorphosen. Nachdem dieser sich zunächst herausgestellt hat, was er nicht ist (non ego sum pastor, Ov. met. 1,513) stellt er sich wie Achill nicht mittels seines Namens, sondern über seine Herkunft und Tätigkeiten vor. Teil davon ist auch sein Vater Jupiter (Iuppiter est genitor, met. 1,517).

162

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

te propter, tibi pensa manu, tibi mollia gesto tympana. quid defles magno nurus addita ponto? quid gemis ingentes caelo paritura nepotes? ‘Sed pater –’ ante igni ferroque excisa iacebit Scyros et in tumidas ibunt haec versa procellas moenia, quam saevo mea tu conubia pendas funere: non adeo parebimus omnia matri.’ (Stat. Ach. 1,652–660)

Achill betont, dass er sich nur wegen Deidamia als Mädchen verkleidet hat. Diese Verkleidung empfindet er als ehrschmälernd (foeda […] | tegmina, 652 f.). Achill macht dabei ganz seine Liebe zu Deidamia verantwortlich, was sich auch sprachlich dadurch ausdrückt, dass ihre Rolle durch die je zweimalige Wieder‐ holung des Personalpronomens in den Formen te (652 f.) beziehungsweise tibi (654) im Gegensatz zu ihm (ego, 652) hervorgehoben wird. Für Achill ist, dass er Thetis nachgegeben hat (cessi, 653),602 und weibliche Tätigkeiten verrichtet (654 f.) ein Liebesbeweis für Deidamia (te propter, 654).603 Um Deidamia weiter zu für sich zu gewinnen, versucht er sie davon zu über‐ zeugen, dass sie keinen Grund zum Klagen hat, da es sich bei ihm um eine gute Partie handelt. Die beiden Fragen, die er hierfür an sie richtet, sollen deutlich machen, dass sie völlig grundlos klagt. Sie bauen dabei aufeinander auf, indem sie unterschiedliche Bereiche abdecken. Mit der ersten Frage (655) thematisiert Achill eine Ehe mit ihm (nurus, 655). In der zweiten Frage beschäftigt er sich damit, dass Deidamia mit ihm Nachkommenschaft zeugen wird. Dabei wird seine besonders noble Herkunft deutlich: Er kann mütterlicherseits auf die Meeresgötter (ponto, 655) verweisen und väterlicherseits auf Jupiter (caelo, 656). Gleichzeitig setzt er Deidamia, indem er sie als ingentes caelo paritura nepotes

602

603

Barchiesi (1997), 216 f., Heslin (2005), 100 f. und Bessone (2020b), 157 f. lesen dies als Intertextualität mit Verg. Aen. 6,460, wo Aeneas in der Unterwelt gegenüber Dido sein Verhalten rechtfertigt (inuitus, regina, tuo de litore cessi.). Mit ähnlichen Worten rechtfertige Achill seinen Aufenthalt wie Aeneas sein Gehen. Sehr fragwürdig ist Heslins Konjektur tu statt te in 653 um eine klangliche Ähnlichkeit von invitus zu finden (tu visa in). Für Bessone (2020b), 158 f. zitiert Achill hier Didos te propter (Verg. Aen. 4,320f.). Zusätzlich verweist sie auf die elegische Konnotation. Siehe jedoch auch Thetis’ Argumentation für Achills Verkleidung als Mädchen, in der sie ihre Ehe mit Peleus als etwas darstellt, das sie ertragen hat, um Achill als Sohn zu erhalten (si terras humilemque experta maritum | te propter, Ach. 1,268f.).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

163

(656) bezeichnet, in Bezug zu Thetis, die sich selbst zuvor als magni puerpera caeli (254) bezeichnet hat.604 Auf einen Einwand Deidamias (sed pater, 657),605 den Achill unterbricht, bevor sie ihre Befürchtungen äußern kann, was ihr Vater tun könnte, wenn er von Achills Tat erführe, reagiert Achill harsch. Dabei spricht er ganz als epischer Krieger und droht, Skyros zu verwüsten und die Mauern zu erstürmen,606 falls Lykomedes planen sollte, Deidamia aufgrund der Verbindung mit Achill, die er nun als conubium bezeichnet, mit dem Tod zu bestrafen (657–660).607 Seine Drohung unterstreicht er damit, dass sein Gehorsam gegenüber seiner Mutter Grenzen hat, die er in einem solchen Fall überschreiten würde (non adeo parebimus omnia matri, 660). Für Deidamia ist diese Rede nicht so tröstend, wie dies durch die Einleitung der Rede angekündigt wurde (solatus, 649): Obstipuit tantis regina exterrita monstris, quamquam olim suspecta fides, et comminus ipsum horruit et facies multum mutata fatentis. (Stat. Ach. 1,662–664)

Seine Drohungen, ihre Heimat in Schutt und Asche zu legen, sind für Deidamia monstra. Dadurch ist sie voller Staunen und Schrecken. Ihre Reaktion entspricht dabei einer typisch epischen Situation, in der die Reaktion auf ein Ereignis, das die Handlung wesentlich beeinflusst, dargestellt wird.608 Daran ändert auch nichts, dass sie schon länger Achills Ehrlichkeit hinterfragt hat (suspecta fides, 604

605 606 607 608

Vgl. Dilke (1954=2005), 127 (ad 1,656). Aricò (1986), 2947 verweist als Parallele für dieses Motiv auf die Trostrede der Römer an die geraubten Sabinerinnen in der Ars amatoria: Atque ita ‘quid teneros lacrimis corrumpis ocellos? | Quod matri pater est, hoc tibi’ dixit ‘ero.’ (Ov. ars. 1,129f.). Im Gegensatz zur Ars amatoria würde in der Achilleis nicht so sehr die menschliche Natur betont, sondern der herausragende Status, den Achill innehat und den damit auch Deidamia erreichen kann. Zur Deutung als Einschub von Deidamia in Achills Rede vgl. Rosati (1994), 131 Fn. 152., Heslin (2005), 138 f. Fn. 70. Anders Ripoll/Soubiran (2008), 241 (ad 1,657), die dafür plädieren, dass Achill hier einen Einwand vorwegnimmt bzw. zitiert. Heslin (2016), 89–91 sieht dies als einen Verweis auf die alternative mythologische Tradition, Achill habe Skyros erobert (Hom. Il. 9,668). Damit zeigt sich auch, dass Achill keineswegs „the humblest and most feminine of lovers“ (Bessone [2020b], 159) ist. Vgl. Aricò (1986), 2947, Ripoll/Soubiran (2008), 242 (ad 1,662). Insgesamt sind Perfekt‐ formen von obstupescere typisch für das Epos und besonders für Vergils Aeneis. So finden sich von den insgesamt 58 Perfektformen, die die Suche von PHI Latin Texts in der in die Datenbank eigespeisten Latinität findet, 11 in der Aeneis und 8 in den Metamorphosen. Von Prosaautoren stammen nur 12 Belege. Bei einem der Belege bei Cicero handelt es sich um eine Übersetzung der Ilias (Cic. div. 2,62). Vgl. https://latin.packhum.org/stats ?q=obstipui (06.09.2022).

164

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

663).609 Seine Nähe – bezeichnet durch den militärischen Terminus technicus comminus (663) – erzeugt Schrecken und sein Gesicht hat sich während seiner Rede sehr verändert (facies multum mutata, 663). Achills Gesichtsausdruck hat sich also dem Inhalt seiner Drohungen angepasst. Sein Blick ist grimmig und kriegerisch geworden. Deidamia stürzt die Situation in Gewissenskonflikte: quid faciat? casusne suos ferat ipsa parenti seque simul iuvenemque premat, fortassis acerbas hausurum poenas? et adhuc in corde manebat ille diu deceptus amor: silet aegra premitque iam commune nefas; […] (Stat. Ach. 1,665–669)

Sie hätte die Möglichkeit, ihrem Vater von der Vergewaltigung zu erzählen. Dann würde sie jedoch sich und Achill belasten (premat, 666). Dabei fürchtet sie vor allem, dass Achill bestraft werden könnte (hausurum poenas, 667). Jetzt wird auch der Erfolg von Achills Bemühungen um Deidamia deutlich (vgl. 2.3.3.4). Die Liebe zu Achill, die sie sich erst jetzt eingesteht (diu deceptus amor, 668), bleibt auch nach der Vergewaltigung bestehen (adhuc in corde manebat, 667). Deswegen schweigt sie, auch wenn ihr das Kummer bereitet (aegra, 668). Die Schuld ist dabei schon geteilt (iam commune nefas, 669). Diese Schuldzuschreibung ist einerseits durch Deidamias Schweigen zu erklären. Andererseits weist sie darauf hin, dass Deidamia nun freiwillig mit Achill Geschlechtsverkehr hat. Der Abschluss des Rückblicks ist ganz Euripides’ Skyrioi verpflichtet.610 Achill und Deidamia überzeugen gemeinsam die Amme (precibus […] victa duorum, 670), ihnen zu helfen, ihren außerehelichen Sex (furta, 669) begehen zu können. Dieser gelingt es auch, Deidamias Schwangerschaft bis zu ihrer Entbindung zu verbergen (669–674). Wenn man die Vergewaltigung in Statius’ Achilleis mit der in Ovids Ars amatoria (1,697–700) vergleicht, fällt als bedeutender Unterschied die Lokalisierung der Ereignisse auf.611 Durch die Verlegung des Ortes der Vergewaltigung vom Bett in die Wildnis des Bacchusfestes findet keine Elegisierung der Situation statt.612 Stattdessen wirkt sie deutlich archaischer als in der zivilisierten Umgebung des 609 610 611 612

Kozák (2019), 159 erklärt hierzu, dass der Begriff fides hier sowohl das Vertrauen in ihn als auch seine wahre Identität umfasst. Vgl. Aricò (1986), 2947, Ripoll/Soubiran (2008), 242 (ad 1,662–674). Vgl. dazu mit einem Überblick verschiedener Deutungen Ripoll/Soubiran (2008), 232 f. (ad 1,593–618). So Sanna (2007), 207 Fn. 3.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

165

Schlafzimmers. Durch diese Umgebung wird Achill zum Handeln motiviert: „Le tenebre notturne e l’atmosfera orgiastica sono gli elementi esteriori che, in maniera poeticamente congruente, stimolano e incoraggiano l’audacia del giovane.“613 Auch die dionysischen Riten hindern ihn nicht an der Ausübung seiner Männlichkeit,614 sondern ermöglichen diese erst und fördern sie. Auch die Vergewaltigung selbst ist nicht inkonsistent mit Achills sonstiger Charakterzeichnung. Wie Villaseñor betont, ist für Achills epischen Charakter seine Männlichkeit, die dazu führt, dass er sich verliebt, determinierend. Ge‐ nauso charakteristisch für Achill sind auch seine Ungeduld und seine Bereit‐ schaft, Gewalt anzuwenden. Die Vergewaltigung ist somit nur schlüssig615 und entspricht den Forderungen an den Charakter eines Achills in Horaz’ de arte poetica (Hor. ars. 121f.). In seinem Verhalten zeigt sich Achill jedoch nicht nur männlich, sondern folgt göttlichem Verhalten. Damit entspricht er Göttern wie seinem Quasi-Vater Jupiter. Auch in seinem Selbstverständnis folgt er göttlichen Vorbildern wie Sol. In seinem Auftreten zeigt er solche Ähnlichkeit zu Jupiters Sohn Bacchus, dass er wie eine Epiphanie des Gottes verehrt wird. Im Unterschied zu anderen Störern des Bacchus-Kultes hat Achill somit keine Konsequenzen zu fürchten, sondern hat – ähnlich wie Herkules – auch als Frau verkleidet Kontrolle über die Situation. Im Rahmen der Vergewaltigung wird seine kriegerische Seite noch deutlicher: Durchgängig wird seine Vorgehensweise mit militärischen Termini technici beschrieben. Auf die Andeutung von Gefahren reagiert er – in der männlichen Beschützerrolle, die er nun angenommen hat – als Krieger und droht mit Krieg und Verwüstung. Diese männliche Kriegerrolle übt er jedoch zunächst nur gegenüber Deidamia aus. Erst Odysseus’ Ankunft und seine Listen offenbaren der Öffentlichkeit auch diese Rolle. Thetis, Deidamia und Achills gesamter Aufenthalt auf Skyros scheint ein Hindernis auf dem Weg des Helden nach Troja zu sein. Andererseits werden erst durch Achills Liebesbeziehung zu Deidamia wichtige Faktoren für den Trojanischen Krieg geschaffen. Zum einen wird so Pyrrhus gezeugt, dessen Anwesenheit für den Sieg der Griechen vor Troja notwendig ist. Zum anderen kann, wie unten gezeigt wird (2.4.2), Achill die Kriegsgründe so besser nach‐ vollziehen und für den Krieg motiviert werden.616

613 614 615 616

Aricò (1986), 2945. So Panoussi (2013), 346. Vgl. Villaseñor (2004), 32. Vgl. Villaseñor (2004), 33.

166

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

2.3.5 Die Aufdeckung von Achills wahrer Identität als epischer Held   2.3.5.1 Odysseus, Achill und Deidamia beim Gastmahl Nachdem Odysseus und Diomedes auf Skyros angelangt sind (vgl. 2.4.1.4) und sich bei Lykomedes als Kundschafter für den Krieg gegen Troja vorgestellt haben, kommt es zu einer ersten Begegnung zwischen Odysseus und Achill. Dies geschieht im Rahmen eines Gastmahls,617 zu dem Lykomedes geladen hat: Rumor in arcana iamdudum perstrepit aula, virginibus qua fida domus, venisse Pelasgum ductores Graiamque ratem sociosque receptos. iure pavent aliae, sed vix nova gaudia celat Pelides avidusque novos heroas et arma vel talis vidisse cupit. […] (Stat. Ach. 1,750–755)

Schon zuvor haben die Mädchen im Frauenbereich des Palastes (arcana […] aula, 750) von der Ankunft der Helden erfahren. Bei Achill hat die Ankunft der griechischen Helden jedoch eine andere Reaktion zur Folge als bei den Mädchen: Während sich diese zurecht (iure, 753) fürchten, kann Achill seine Freude kaum verbergen. Er ist davon begeistert, ihm noch unbekannte Helden (novos heroas, 754) kennenzulernen und Waffen (arma, 754) sowie andere Ausstattung der Helden zu sehen (vel talis, 755). Alle anderen sind schon beim Bankett anwesend, als Lykomedes’ Töchter und Achill ihren Auftritt haben: […] iamque atria fervent regali strepitu et picto discumbitur auro, cum pater ire iubet natas comitesque pudicas natarum. subeunt, quales Maeotide ripa, cum Scythicas rapuere domos et capta Getarum moenia, sepositis epulantur Amazones armis. (Stat. Ach. 1,755–760)

Vielleicht, um seinen Töchtern Freier zu verschaffen, lässt er seine Töchter und deren Gefährten – aus seiner Perspektive comites pudicae (757) – zu diesem Zeitpunkt erscheinen, so dass ihre Anwesenheit besonders betont wird. Dabei zeigt sich, dass Achills männliche Weiblichkeit auf das Auftreten der Mädchen, die ihn umgeben, abgefärbt hat. Sie erscheinen, wie in einem epischen Gleichnis deutlich wird, als Amazonenschar, die nach Kriegszügen gegen die Skythen und Geten ihr Essen einnimmt. Heslin deutet dieses Gleichnis als 617

Ripoll (2012), 126 verweist auf den epischen Topos des Gastmahls und des Empfangs durch den König, der hier verwirklicht wird.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

167

Verdeutlichung des unweiblichen Verhaltens der Mädchen, da ehrbare Frauen in Griechenland nicht an Gastmählern teilnahmen.618 Allerdings war in der römischen Kaiserzeit die Anwesenheit von Frauen und auch Kindern beim Gastmahl keineswegs mehr ungewöhnlich.619 Die vorherigen Tätigkeiten der Amazonen, die im Gleichnis beschrieben werden, entsprechen dagegen zum Teil Tätigkeiten, die Achill selbst bei Chiron ausgeübt hat. Wie die Amazonen die Häuser der Skythen geplündert haben (Scythicas rapuere domos, 759), so hat Achill die Häuser der Kentauren geplündert (queruntur | Centauri raptasque domos, 1,152f.). Auch das Erobern von Stadtmauern – im Gleichnis capta Getarum | moenia (759 f.) – gehört zu den Fähigkeiten, die Achill sich zuschreibt (1,657f.). In der Abwandlung eines Verses der Aeneis, wo – ebenfalls in einem epischen Gleichnis – Camilla mit den Amazonen verglichen wird (pictis bellantur Amazones armis, Verg. Aen. 11,660), wird deutlich, dass nun alle Mädchen wie Kriegerinnen erscheinen (sepositis epulantur Amazones armis, Ach. 1,760). Dies geschieht trotz der eigentlich unkriegerischen Atmosphäre des Gastmahls620 und, obwohl Achills Begleiterinnen anders als Camilla und ihre Begleiterinnen keine Waffen tragen, die ein möglicher Vergleichspunkt für ein derartiges Gleichnis sein könnten. Odysseus nutzt sofort die Gelegenheit, die Mädchen genauer zu betrachten: tum vero intentus vultus ac pectora Ulixes perlibrat visu, sed nox inlataque fallunt lumina et extemplo latuit mensura iacentum. at tamen erectumque genas oculisque vagantem nullaque virginei servantem signa pudoris defigit comitique obliquo lumine monstrat. (Stat. Ach. 1,761–766)

Dabei achtet er besonders auf das Gesicht und die Ausformung der Brust (vultus ac pectora, 761).621 Betont wird dabei besonders seine Konzentration (intentus, 761) und Genauigkeit (perlibrat, 762). Aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse

618 619 620

621

Vgl. Heslin (2005), 153. Vgl. Binder, Gerhard: Gastmahl. III. Rom, in: DNP 4 (1998), 804. Zu einer Übersicht zu unterschiedlichen Deutungen des Gleichnisses vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 253 f. (ad 1,758–760). Sturt (1982), 838 f. erklärt in Anlehnung an ältere Forschung (Duncan [1914], 99 f.) die Differenz zwischen der kriegerischen Aktivität der Amazonen mit den Tätigkeiten der Mädchen durch den Einfluss von künstlerischen Abbildungen derartiger Szenen. Deshalb habe Statius den Kontext des Gleichnisses nicht beachtet. Feeney (2004), 95 f. sieht hier vor allem Odysseus’ „male gaze“ (95) und betont deswegen die Bedeutung der Brust. Dennoch ist es gerade das Gesicht (vultus) und der dort sichtbar werdende Blick, der Achill zuerst verrät.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

kann Odysseus hieraus jedoch keine sicheren Erkenntnisse ziehen.622 Dennoch fällt ihm Achill besonders auf, da dieser sich nicht wie ein typisches Mädchen verhält. Achill hält seinen Kopf und damit seinen Blick aufrecht (erectumque genas, 764), und lässt neugierig seinen Blick schweifen (oculisque vagantem, 764). Auch sonst zeigt er keine Zeichen weiblicher Zurückhaltung (pudor, 765). Dies richtet Odysseus’ ganze Aufmerksamkeit auf ihn (defigit, 766). Deswegen macht er auch Diomedes mit einem Augenzwinkern auf das Mädchen, hinter dem er Achill vermutet, aufmerksam. Deidamia erkennt jedoch die Gefahr, dass Achills männliche Identität aufgedeckt wird, und greift ein: quid nisi praecipitem blando complexa moneret Deidamia sinu nudataque pectora semper exsertasque manus umerosque in veste teneret et prodire toris et poscere vina vetaret saepius et fronti crinale reponeret aurum? [Argolicis ducibus iam tunc patuisset Achilles.] (Stat. Ach. 1,767–772)

Durch die rhetorische Frage623 wird deutlich, dass Achill ohne Deidamias Eingreifen schon zu diesem Zeitpunkt entdeckt worden wäre. Sie umarmt ihn zärtlich und hält ihn damit zurück, als er schon aufspringen will (praecipitem, 767). Weiterhin bedeckt sie ständig (semper, 768)624 seine Brust, Hände und Schultern wieder mit Kleidung,625 verbietet ihm mehrmals (saepius, 771) männ‐

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Bessone (2018), 184 liest dies im Kontext von Ov. ars 1,245–250, 3,754. Während dort allerdings beim Gastmahl die Schönheit des Mädchens bei Lampenlicht nicht klar ersichtlich wird, sind in der Achilleis aufgrund der Lichtverhältnisse die sekundären Geschlechtsmerkmale nicht zweifelsfrei zu identifizieren. Hall (2007) übernimmt als einziger moderner Editor statt quid (P) quod (ω) und tilgt nicht Vers 772, der nur in manchen Handschriften überliefert ist, sondern verbindet diesen mit den Versen 767–771 zu einem Satz. Vgl. auch Nuzzo (2012), 142 (ad 1,772). Als relativer Satzanschluss würde sich quod auf das Augenzwinkern beziehen. Allerdings ist m. E. Vers 772 zu tilgen, da sich die Verben im Irrealis der Gegenwart in 767–771 (moneret, teneret, vetaret, reponeret), die die Situation besonders dramatisch darstellen, auf dieselbe Zeitebene beziehen wie der Irrealis der Vergangenheit in 772. Vor allem innerhalb eines Satzes wäre ein solcher grammatikalischer Bruch höchst ungewöhnlich. Halls Konjektur saepe statt semper ist hier m. E. nicht nötig. So wird Deidamias ununterbrochenes Handeln deutlich. Mit der Konjektur bestünde eine Korrelation zwischen saepe (768) und saepius (771). Dass betont werden soll, dass Achill noch häufiger nach Wein verlangen will als seine Kleidung gerichtet werden muss, ist m. E. unwahrscheinlich. Damit handelt Deidamia gegen Anweisungen der Ars amatoria, wie eine Frau Männern auffallen soll. Vgl. Bessone (2018), 184. Achill soll somit erstens überhaupt nicht auffallen. Andererseits kann er nicht wie eine Frau Aufmerksamkeit erregen, da ansonsten sein unweiblicher Körper auffallen würde.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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liches Verhalten, wie von der Liege aufzustehen (prodire toris, 770) und nach Wein zu verlangen. Zusätzlich richtet sie ihm öfter den Schmuck, den er in den Haaren trägt (crinale […] aurum, 771). Nach dem Essen626 erfüllt Lykomedes die Pflicht eines guten Gastgebers im Epos und leitet die auf das Essen folgenden Gespräche ein:627 Ut placata fames epulis bis terque repostis, rex prior adloquitur paterisque hortatur Achivos: ‘Invideo vestris, fateor, decora inclita gentis Argolicae, coeptis; utinam et mihi fortior aetas, quaeque fuit, Dolopas cum Scyria litora adortos perdomui, fregique vadis, quae signa triumphi vidistis celsa murorum in fronte, carinas! saltem si suboles, aptum quam mittere bello [possem, plena forent mihi gaudia namque iuvarem] – nunc ipsi viresque meas et cara videtis pignora: quando novos dabit haec mihi turba nepotes?’ (Stat. Ach. 1,773–783)

Zunächst stellt Lykomedes heraus, dass er Odysseus und Diomedes um den Ruhm, den sie sich vor Troja erwerben werden (invideo vestris […] coeptis, 775 f.), beneidet. Dabei spricht er sie höchst erhaben als decora inclita gentis | Argolicae (775) an. Damit übernimmt er eine Anrede aus den homerischen Epen für Odysseus (πολύαινʼ Ὀδυσεῦ, μέγα κῦδος Ἀχαιῶν, Hom. Il. 9,673, 10,544, Od. 12,184),628 deren zweiten Bestandteil schon Cicero in Cic. fin. 5,49 als O decus Argolicum übersetzt hatte.629 Statius übernimmt also Teile der bekannten Übersetzung des homerischen Formelverses, bringt diese durch seine Hinzufügung inclita noch genauer an das homerische Original, indem er damit das dortige πολύαινʼ aufnimmt. Lykomedes bedauert, dass er nicht mehr das Alter für einen solchen Krieg (fortior aetas, Ach. 1,776) hat. Hierauf erinnert er jedoch an seine früheren militärischen Erfolge gegen einen Angriff der Doloper auf Skyros, den er zurückgeschlagen habe (perdomui, fregique vadis, 778). Als Zeichen für seinen Sieg hat er die Schiffsschnäbel der eroberten Schiffe als signa triumphi (778) an der Stadtmauer anbringen lassen. Allerdings hat Lykomedes keine männliche

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Die Trennung von Essen und Trinkgelage entspricht dabei griechischem Brauch. Vgl. Bettenworth (2004), 159 m. Fn. 119. Vgl. bspw. Hom. Od. 3,67f., Verg. Aen. 8,184f., Lucan. 10,172. Die Anrede μέγα κῦδος Ἀχαιῶν ist ansonsten nur für Nestor gebräuchlich. Vgl. Hom. Il. 3,202. 10,87, 10,555, 11,511, 14,42, Od. 3,79. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 255 (ad 1,775).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Nachkommenschaft (saltem si suboles, 780), die geeignet wäre, um sie nach Troja zu schicken (mittere bello, 780). Damit rechtfertigt er auch, dass er an den Kriegsbemühungen der Griechen nicht teilgenommen hat. Dafür verweist er auch auf die sinnliche Wahrnehmung (videtis, 782) von Odysseus und Diomedes: Er besitzt selbst kaum mehr Kraft (vires, 782)630 und hat nur Töchter (cara […] | pignora, 782 f.). Dies verbindet er mit dem ungeduldigen Wunsch, dass ihm seine Töchter Enkel schenken könnten: quando novos dabit haec mihi turba nepotes? (783) Diesen Wunsch, den ihm Achill in tragischer Ironie schneller, als ihm lieb ist, erfüllen wird, äußert Lykomedes wohl auch, um auf die Heiratsfähigkeit seiner Töchter gegenüber den potentiellen Freiern hinzuweisen.631 Odysseus weiß die Gelegenheit zu nutzen (arrepto tempore, 784). Sein Handeln wird dabei mit dem von Thetis parallelisiert. Er verhält sich so wie Thetis, die, nachdem sich Achill in Deidamia verliebt hat, die Gelegenheit – ebenfalls ausgedrückt durch arrepto […] tempore (1,318) – zu einer kurzen Rede und dann Achills Verwandlung nutzt (vgl. 2.3.2.2). Wie Thetis’ Rede zuvor Achill dazu bringt, weitgehend nachzugeben, so wird auch Odysseus’ Rede dazu beitragen, Achill noch weiter davon zu überzeugen, dass er sich als epischer Krieger offenbaren muss, was dann schlussendlich zu seiner Metamorphose zum Krieger führen wird. Die Gelegenheit für Odysseus ist hier Lykomedes’ Bedauern, nicht teilnehmen zu können, an das er anknüpfen kann. Während die Rede der Form nach an Lykomedes adressiert ist, ist der eigentlich intendierte Hörer Achill, der für den Zug gegen Troja begeistert werden soll: dixerat, et sollers arrepto tempore Ulixes: ‘Haut spernenda cupis; quis enim non visere gentes innumeras variosque duces atque agmina regum ardeat? omne simul roburque decusque potentis Europae meritos ultro iuravit in enses. rura urbesque vacant, montes spoliavimus altos, omne fretum longa velorum obtexitur umbra; tradunt arma patres, rapit inrevocata iuventus. non alias umquam tantae data copia famae fortibus aut campo maiore exercita virtus.’ (Stat. Ach. 1,784–793)

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Vires ist hier doppeldeutig. Lykomedes ist nicht nur körperlich geschwächt, sondern hat auch keine Streitkräfte. Vgl. Ach. 1,924: viresque excusat Achivis. Für eher unplausibel halte ich die Deutung, dass Lykomedes seine Töchter als vires bezeichnet. Vgl. Bitto [2016], 311 Fn. 506. Vgl. Ripoll (2020), 251.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Nach Odysseus’ Darstellung ist die Teilnahme am Trojanischen Krieg höchst begehrenswert (haut spernenda cupis, 784). Diese Attraktivität begründet er mit der weltumspannenden Mobilisierung des Krieges. Jeder will, so suggeriert Odysseus, die unzähligen Völker (gentes | innumeras, 785 f.),632 ihre Anführer (variosque duces, 786) und die Truppen der einzelnen Könige (agmina regum, 786) sehen.633 Dieser Beginn von Odysseus’ Rede ist ganz auf Achills Interessen abgestimmt, die sich auch bei der Ankunft von Odysseus und Diomedes zeigten: Durch den Krieg gegen Troja kann er ihm noch unbekannte Helden und die mit ihnen verbundenen Waffen und Heeresabteilungen kennenlernen (753–755). Um das Ausmaß der Kriegsvorbereitungen deutlich zu machen, rekapituliert Odysseus eine Kurzzusammenfassung der Rüstungsvorbereitungen, die der Heeresversammlung in Aulis vorausgehen (vgl. 2.4.1.1).634 Alle heldenhaften Männer (omne simul roburque decusque, 786) Europas haben ihren Schwur abgeleistet (vgl. 1,454f.). Deswegen ist Griechenland von Männern entvölkert (rura urbesque vacant, 789; vgl. 441–443), die Bäume der Bergwälder sind gefällt (montes spoliavimus altos, 789; vgl. 425–429), und das ganze Meer ist von Schiffen bedeckt (790; vgl. 443–446). Allgemeine Kriegsbegeisterung herrscht: Die Väter übergeben ihren Söhnen die Waffen (tradunt arma patres, 791) oder die Jugend nimmt diese unaufgefordert an sich (rapit inrevocata iuventus, 791; vgl. 423 f.). Schließlich preist Odysseus den Krieg als die ultimative Gelegenheit an: Nirgendwo und nie zuvor sonst habe es für tapfere Männer (fortibus, 793) die Möglichkeit gegeben, sich so viel Bekanntheit zu erwerben (tantae data copia famae, 792). Genauso träfe das auf das Feld der virtus zu. Um sie auszuüben, habe es nie ein größeres Kampf- und Übungsfeld (campus maior, 793) gegeben. Als guter Redner beachtet Odysseus die Stimmung seiner Zuhörerschaft und passt daran seine Rede an: aspicit intentum vigilique haec aure trahentem, cum paveant aliae demissaque lumina flectant, atque iterat: ‘Quisquis proavis et gente superba, quisquis equo iaculoque potens, qui praevalet arcu, omnis honos illic, illic ingentia certant

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Diese Aussage lässt sich auch auf Odysseus selbst und die Beschreibung in Hom. Od. 1,3 beziehen: πολλῶν δ᾽ ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα. Ripoll (2020), 251 arbeitet hierzu den Wissensvorsprung des Lesers gegenüber Odysseus heraus, der nicht weiß, dass sich diese Beschreibung am meisten auf den Sprecher Odysseus beziehen wird. Bessone (2018), 186 liest Vers 186 mit Verweis auf Hor. ars 73 f. als Umschreibung für die Ilias. Auch wenn die Zahl der Verse in der direkten Rede geringer ausfällt, macht das den epischen Topos jedoch kaum weniger pathetisch, wie Bitto (2016), 312 behauptet.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

nomina: vix timidae matres aut agmina cessant virginea; o multum steriles damnatus in annos invisusque deis, si quem haec nova gloria segnem praeterit.’ exisset stratis, ni provida signo Deidamia dato cunctas hortata sorores liquisset mensas ipsum complexa. sed haeret respiciens Ithacum coetuque novissimus exit. (Stat. Ach. 1,794–805)

Der bisherige Teil der Rede hat Achill angesprochen. Er ist aufmerksam (in‐ tentus, 794) und hört gespannt zu (vigilique haec aure trahentem, 794). Damit wird ein zweites Mal die Differenz zu den anderen Mädchen (aliae, 795) deutlich. Diese empfinden aufgrund von Odysseus’ Rede Furcht (paveant, 795) und blicken bei diesem für sie unpassenden Thema zu Boden (demissaque lumina flectant, 795). Wie schon zuvor ist es der furchtlose Blick, der Odysseus Achills Männlichkeit verrät.635 Dies führt dazu, dass Odysseus seine Rede nochmals intensiviert (iterat, 796). Die Rede wird damit vollends zur Werberede: Odysseus macht klar, dass jeder, der von guter Herkunft ist (proavis et gente superba, 796) und jeder, der gut im Umgang mit verschiedensten Waffen ist (797), nur vor Troja Ehre erwerben kann (omnis honos illic, 798).636 Durch die Anapher quisquis (796 f.) betont Odysseus dabei besonders stark, dass dies für jeden gilt. Aber auch die Bedeutung von Troja als alleinigem Ort, an dem in dieser Heroengeneration Ruhm erworben werden kann, wird durch die zentrale Stellung im Vers der Doppelung illic, illic, die durch die Penthemimeres getrennt wird, hervorgehoben. Vor Troja findet die Auseinandersetzung der größten Helden statt (ingentia certant | nomina, 798 f.). Hierauf geht Odysseus auf Achills individuelle Situation ein. Er behauptet, dass Mütter, denen er eine grundsätzliche Ängstlichkeit zuschreibt (timidae matres, 799), und Mädchengruppen (agmina […] | virginea, 799 f.) die Krieger dabei kaum aufhalten (vix cessant, 799). Damit versucht er Achill zu beweisen, dass er ungerecht behandelt wird, wenn er nicht nach Troja ziehen darf. Alle anderen Helden dürfen; Achill wird dagegen von seiner Mutter und Deidamia davon abgehalten. Seine Rede lässt Odysseus mit einer Verdammung derjenigen enden, die nicht am Krieg gegen Troja teilnehmen. Diese seien dazu verdammt, ihr Leben nutzlos zu verbringen (steriles damnatus in annos, 800), und seien den

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Vgl. Bessone (2018), 184f. Dilke (1954=2005), 135 (ad 1,798) interpretiert honos hier in einem konkreten Sinn, d. h. im Sinne davon, dass dort Menschen jedes Ranges zu finden sind.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Göttern verhasst (invisusque deis, 801).637 Odysseus erhöht zudem den Zeitdruck für die Entscheidung: Der Krieg erscheint dabei als Chance zu Ruhm (nova gloria, 801), die bei zu trägem Handeln (segnis, 801) vorübergehen könnte (praeterit, 802). In der Rede zeigt sich Odysseus’ ganzes rhetorisches Geschick und seine Fähigkeit, seine Rede perfekt an den Zuhörer anzupassen. Dies wird auch darin deutlich, dass er Aspekte anspricht, die Achill selbst in seinem Monolog vor seiner Entscheidung, Deidamia zu vergewaltigen, geäußert hat.638 Odysseus spricht dazu in Vers 797 gerade die kriegerischen Tätigkeiten an, die Achill am meisten vermisst: Speerwerfen, Bogenschießen und der Umgang mit seinem Pferdegespann (Vgl. 1,632f.). Der von Achill beklagten mangelnden Möglichkeit, sich auf Skyros Ehre zu erwerben (nullus honos, 630), steht die Möglichkeit gegenüber, sich vor Troja größten Ruhm zu erwerben (omnis honos illic, 798). Odysseus bewertet auch Thetis ähnlich wie Achill: Für Achill ist sie eine timida parens (624); Odysseus bewertet Mütter grundsätzlich als timidae matres (799), wobei er dabei natürlich für seinen intendierten Hörer Achill auf Thetis anspielt. Zusätzlich ahnt Odysseus die Liebesbeziehung zwischen Achill und Deidamia, die er beim Gastmahl beobachtet hat. Diesen Grund, der Achill daran hindert, sich zu bekennen, spricht er mit dem Verweis auf die agmina virginea (799 f.) ebenfalls – sehr diskret – an. Auch die Ankündigung, dass diejenigen, die den Krieg verpassen, die Chance ihres Lebens verpassen, entspricht Achills größten Befürchtungen, auf Skyros seine Jugend zu vergeuden (625 f.). Odysseus weiß, dass Achill eigentlich in den Krieg ziehen will, aber noch durch seine Verpflichtungen gegenüber seiner Mutter und Deidamia daran gehindert wird, nachzugeben: Although the cunning of Ulysses is great, Achilles’ desire to be known as a man and win a warrior’s fame is even greater, and Ulysses realizes the youth will come of his own accord (ultro, 720).639

Ziel der Rede ist also nicht, Achill zu etwas zu überreden, was er eigentlich nicht will, sondern seinen eigentlichen Willen nochmals so zu verstärken, dass er

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Damit werden die zwei Pfade im Leben angesprochen, die Achill gemäß der epischen Tradition (Hom. Il. 9,410–416) wählen kann: Ein kurzes, aber dafür äußerst ruhmreiches Leben oder ein langes, aber ruhmloses Leben. Vgl. Ripoll (2020), 250. Vgl. Ripoll (2020), 249 m. Fn. 45. Cyrino (1998), 237.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

nicht mehr durch weibliche Intervention davon abgehalten werden kann, seine wahre Identität als epischer Krieger zu offenbaren.640 Indem diese Rede Achill so anspricht, hat sie vollen Erfolg. Dass er sich zu erkennen gibt (exisset stratis, 802), verhindert jedoch Deidamia, die sich immer mehr als Odysseus’ Gegenspielerin entpuppt. Wie Odysseus, der entsprechend der epischen Tradition das Epitheton ornans providus (542, 698) trägt,641 so ist auch Deidamia provida (802). Sie übt ihre Rolle als Anführerin der Mädchen aus, gibt ein Signal (signo | […] dato, 802 f.), ermahnt ihre Schwestern (cunctas hortata sorores, 803) und verlässt das Gastmahl (liquisset mensas, 804). Dabei hält sie Achill umarmt (ipsum complexa, 804). Durch das militärische Vokabular, das mit den Aktionen eines Feldherrn verbunden ist,642 und die Häufung der Parti‐ zipialkonstruktionen im Satz wird Deidamias schnelles und effektives Handeln deutlich. Die Umarmung ist dabei wie schon zuvor (767) ihr Mittel, um Achill zurückhalten zu können. Dennoch wird deutlich, dass Achill sich offenbaren will: Er zögert, den Mädchen zu folgen (haeret, 804), blickt zu Odysseus zurück (respiciens Ithacum, 805) und bildet die Nachhut der Mädchentruppe (novissimus exit, 805). Odysseus, der nun seine Rede nicht mehr an Achill richten kann, verändert hierauf wieder den Duktus der Rede, deren Adressat jetzt nur noch Lykomedes ist: ille quoque incepto paulum ex sermone remittit, pauca tamen iungens: ‘At tu tranquillus in alta pace mane carisque para conubia natis, quas tibi sidereis divarum voltibus aequas fors dedit. ut me olim tacitum reverentia tangit! is decor et formae species permixta virili.’ (Stat. Ach.1,806–811)

Sobald Achill nicht mehr anwesend ist, thematisiert Odysseus in seiner Rede nicht mehr den Krieg (incepto paulum ex sermone remittit, 806), den er voller

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Vgl. auch Fantuzzis Deutung von Achills Warten auf Skyros: „As for Achilles, in Statius he views his disguise as an imprisonment and longs for the heroic/martial dimension which consistently belongs to him, though he accepts the need to wait on painful standby at Scyros.“ Fantuzzi (2012a), 78. Ripoll (2020), 248 führt in seinem Aufsatz über Odysseus in der Achilleis verschiedene Epitheta auf, die in der Achilleis sein homerisches Epitheton ornans πολύτροπος bzw. πολύμητις übersetzen. Providus gehört dabei zu den in positiven Kontexten gebrauchten Epitheta. Vgl. OLD, 1760, s.v. signum unter der Bed. „8 (esp. in military context) A […] sign for action, signal (audible or, more rarely, visible).“ sowie ThlL VI,3 (1940), 3008.63–3009.5, s.v. hortor unter der Bed. γ ΙΙ: „de imperatore, duce sim. milites […] animante“.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Pathos zuvor verherrlicht hat.643 Die Rede unterbricht er damit aber nicht sofort (pauca tamen iungens, 807), sondern manipuliert nun Lykomedes. Dafür markiert er einen neuen Abschnitt durch den Konnektor at in Verbindung mit dem Personalpronomen tu. Damit macht er deutlich, dass sich seine vorherigen Worte nicht auf Lykomedes bezogen haben. Dieser soll weiter in Frieden auf Skyros leben (tranquillus in alta | pace mane, 807 f.) und für seine Töchter Hochzeiten arrangieren (para conubia, 808). Diese Aufforderung verbindet er mit einem Lob der Töchter, deren Schönheit er mit der von Göttinnen vergleicht (809 f.). In zwei Ausrufen macht Odysseus am Schluss seiner Rede deutlich, wie sehr er von Lykomedes’ Töchtern beeindruckt ist: Odysseus behauptet, er sei durch ihr eindrucksvolles und angemessenes Verhalten (reverentia, 810) so beeindruckt, dass er in ehrfurchtsvolles Schweigen verfallen sei (me […] tacitum, 810). Dieses Lob bezieht sich damit gerade auf das Verhalten, durch das die anderen Mädchen wie gewöhnliche Mädchen erscheinen. Achill dagegen ist Odysseus aufgefallen, indem er sich nicht damit konform verhalten hat. Das Lob der Schönheit und des Verhaltens (decor, 811) der Mädchen verbindet Odysseus mit dem Hinweis, dass diese Schönheit Elemente männlicher Schönheit trage (formae species permixta virili, 811). Diesen Hinweis auf Achills Anwesenheit unter den Mädchen versteht Lykomedes in seiner Naivität nicht und lässt sich unbewusst von Odysseus für die Suche nach Achill einspannen. Lykomedes deutet Odysseus’ Aussagen über die Mädchen als Interesse an ihnen und versucht, Odyssseus und Diomedes über die Nacht hinaus auf Skyros zu halten: occurrit genitor: ‘Quid si aut Bacchea ferentes orgia, Palladias aut circum videris aras? et dabimus, si forte novus cunctabitur auster.’ excipiunt cupidi et tacitis spes addita votis. cetera depositis Lycomedis regia curis tranquilla sub pace silet, sed longa sagaci nox Ithaco, lucemque cupit somnumque gravatur. (Stat. Ach. 1,812–818)

Lykomedes bietet Odysseus an, die Mädchen beim Bacchuskult (Bacchea ferentes | orgia, 812 f.) oder bei einem Opfer für Pallas Athene (Palladias aut circum […] aras, 813) beobachten zu können. Damit spricht er gerade die zwei Situationen an, die für Achills Beziehung zu Deidamia entscheidend sind: Bei einem Opfer für Pallas hat sich Achill in Deidamia verliebt und bei einem Bacchusfest hat er sie vergewaltigt und damit eine erste männliche Rolle gefunden. Diese Vorführung der Mädchen kündigt Lykomedes als eine Gelegenheit an, sollten

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Vgl. Bitto (2016), 312f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Odysseus und Diomedes wegen ungünstiger Winde auf Skyros bleiben müssen (si forte novus cunctabitur auster, 814). Diese Offerte dient weiter dazu, die Helden als potentielle Schwiegersöhne für seine Töchter zu gewinnen. Dadurch, dass er ihnen den Hinweis gibt, ihren verzögerten Aufbruch auf schlechte Winde zu schieben, ermöglicht er ihnen, ohne große Probleme ihren Aufenthalt auf Skyros auszudehnen. Diese Versuche, Odysseus und Diomedes noch weiter für seine Töchter zu begeistern, spielen den Helden in die Karten. Sie sind begierig (cupidi, 815) auf diese neue Gelegenheit und sie sind nun nicht mehr nur aufgrund ihrer geheimen Hoffnungen zuversichtlich (tacitis spes addita votis, 815). Lykomedes’ Hof verhält sich in der darauffolgenden Nacht schon gemäß Odysseus’ Ratschlag (tranquillus in alta | pace mane, 807 f.) und zeigt sich völlig sorglos (tranquilla sub pace silet, 817).644 Den Gegensatz zu diesem sorglosen Schlaf bildet Odysseus, der sich nach der Gelegenheit am nächsten Tag sehnt (lucemque cupit, 818) und kaum schlafen kann (somnumque gravatur, 818).645 Die Schilderung des Schlafs ist dabei ein typisches Element einer Gastmahlszene im Epos. Dadurch, dass Odysseus diesen kaum findet und auch in der Nacht seine Pläne durchdenkt, gelingt es, die Spannung auch über die Nacht hinweg aufrecht zu erhalten und die Erwartung auf das kommende Geschehen zu steigern.646   2.3.5.2 Die Tanzvorführung für die Griechen Auch am nächsten Tag läuft alles nach Odysseus’ Erwartungen: Vixdum exorta dies et iam comitatus Agyrte Tydides aderat praedictaque dona ferebat. (Stat. Ach. 1,819f.)

Dabei wird auch weiterhin die Ungeduld der Helden deutlich: Der Tag hat kaum begonnen und schon hat Diomedes Odysseus’ Aufträge ausgeführt, die er auf dem Weg zu Lykomedes gegeben hatte (vgl. 1,712–725). Deswegen ist er be‐ gleitet von ihrem Signalhornbläser Agyrtes und trägt Geschenke (praedictaque dona, 820). Mit diesen Geschenken findet ein Rückverweis (praedicta) auf Odys‐ seus’ Einkäufe statt, über die sich Diomedes gewundert hatte: verschiedenstes Zubehör und Kleidung für den Bacchuskult. Zusammen damit sollte Diomedes einen sehr schön verarbeiteten Schild mitnehmen. Den genauen Zweck dieser

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Vgl. Dilke (1954=2005), 135 (ad 1,817), Bitto (2016), 313. Odysseus wird insgesamt häufig als schlafloser Held dargestellt. Vgl. Sacerdoti (2014), 15–17. Vgl. Bettenworth (2004), 176 m. Fn. 163 in Analogie zur Gastmahlszene im dritten Buch der Aeneis. Anders Bitto (2016), 313, der dies als Methode deutet „eine zu starke Erregung von Emotionen zu vermeiden“.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Gegenstände kennt – außer dem Leser mit Vorwissen – bisher nur Odysseus, der dazu nur unklare Andeutungen gemacht hat (ultro confessum in proelia ducent | Peliden, 720 f.). Die Handlung verdichtet sich hierauf: Auch die Mädchen sind schon bereit zur Vorführung: nec minus egressae thalamo Scyreides ibant ostentare choros promissaque sacra verendis hospitibus. nitet ante alias regina comesque Pelides: qualis Siculae sub rupibus Aetnae Naidas Hennaeas inter Diana feroxque Pallas et Elysii lucebat647 sponsa tyranni. (Stat. Ach. 1,821–826)

Sie wollen, wie von ihrem Vater versprochen, den geehrten Gästen (verendis | hospitibus, 822 f.) ihre Reigentänze (choros, 822) und heiligen Handlungen (sacra, 822) zeigen. Wieder ragen aus der Schar der Mädchen Deidamia und Achill hervor.648 Sie sind dabei eine solche Einheit, dass sie als Kollektiv im Singular gefasst sind (nitet ante alias regina comesque | Pelides, 823 f.).649 Sie werden dabei in einem epischen Gleichnis mit Diana, Athene und Proserpina vor deren Entführung auf Sizilien (Elysii […] sponsa tyranni, 826) verglichen. Die Göttinnen überstrahlen dabei die sie umgebenden Najaden von Henna.650 Das Gleichnis korrespondiert dabei mit dem in Ach. 1,294f., wo Deidamia mit Diana, die die Najaden an Schönheit übertrifft, verglichen wurde. Hier wird zusätzlich Achill mit in dieses Gleichnis aufgenommen.651 Damit gehen verschiedene Implikationen einher: Zum einen fühlt sich Achill so kriegerisch wie Athene. Durch die Verbindung mit der Darstellung von Proserpina kurz vor ihrer Entführung wird zusätzlich deutlich, dass die Ruhe auf Skyros bald gestört werden wird. Aus Deidamias Perspektive wird Achill von Odysseus letztendlich in den Tod geraubt werden.

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M.E. müsste hier statt der in ω überlieferten Variante lucebat aus Gründen der Kon‐ gruenz lucebant aus R stehen. Siehe jedoch die modernen Editionen, die der Mehrzahl der Handschriften folgen. Für McNelis (2015b), 202 weist der Gebrauch des Patronyms Pelides (824) hier schon auf Achills kriegerische Bestimmung voraus. Anders als in Vers 826 kann der Singular in Vers 823 dadurch gerechtfertigt werden, dass der Anschluss mit -que erfolgt und damit eine sehr enge Verbindung von Achill und Deidamia geschaffen wird. Vgl. die Parallele zum Gleichnis in Val. Fl. 5,344–347, wo Medea und ihre Begleiterinnen mit Proserpina, die von Athene und Diana begleitet wird, und ihren Begleiterinnen verglichen werden. Vgl. Dilke (1954=2005), 136 (ad 1,824 ff.), Kotova (2021), 632f. Vgl. McNelis (2015b), 202. Vgl. zur Schönheit, die Achill ausstrahlt und die auch Deidamias Schönheit übertrifft, auch Ach. 1,606–608.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Hierauf werden die komplizierten Tanzschritte erklärt, die die Mädchen für die Besucher zum Besten geben: iamque movent gressus thiasisque Ismenia buxus signa dedit, quater aera Rheae, quater enthea pulsant terga manu variosque quater legere recursus. tunc thyrsos pariterque levant pariterque reponunt multiplicantque gradum, modo quo Curetes in actu quoque pii Samothraces eunt, nunc obvia versae pectine Amazonio, modo quo citat orbe Lacaenas Delia plaudentesque suis intorquet Amyclis. (Stat. Ach. 1,827–834)

Der erste Tanz ist ein Tanz für Bacchus (thiasis, 827), der von einer Flöte mit für den Bacchuskult typischen Melodien begleitet wird (Ismenia buxus, 827).652 Hierbei läuft zunächst alles in vollkommener Symmetrie ab: Während im ersten Abschnitt durch die Anapher quater (828 f.) die viermalige Wiederholung einzelner Elemente des Bacchuskultes herausgehoben ist, wird hierauf durch die zweimalige Wiederholung von pariterque (830) betont, dass die Schrittfolge von allen Mädchen eingehalten wird. Der Tanz entspricht dabei Tänzen, wie sie auch die Kureten oder die Samothraker in ihrem Mysterienkult (pii Samothraces, 832) durchführen.653 Hierauf ändert sich der Tanz (nunc, 833): Sie führen jetzt einen Tanz mit dem Titel „Kamm der Amazone“ (pectine Amazonio, 833) vor, der für die Diana-Verehrung typisch ist und ansonsten von Spartanerinnen (Lacaenas, 833) in Amyklai durchgeführt wird. Der Aufbau der Darstellung der Tänze ist dabei parallel: Der Beginn des Tanzes wird durch tunc beziehungsweise nunc eingeleitet, worauf im Präsens der Ablauf beschrieben wird. Der Tanz wird im Abschluss mit modo quo (831, 833) mit anderen bekannten Tänzen verglichen. Der zweite Tanz jedoch, der im Gegensatz zum ersten ein reiner Frauentanz ist, läuft chaotisch ab: tunc vero, tunc praecipue manifestus Achilles nec servare vices nec bracchia iungere curat; tunc molles gressus, tunc aspernatur amictus plus solito rumpitque choros et plurima turbat. sic indignantem thyrsos acceptaque matris tympana iam tristes spectabant Penthea Thebae. (Stat. Ach. 1,835–840)

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Vgl. auch zu den bacchischen Elementen Panoussi (2013), 348–350. Die Assoziation mit den Kureten passt gut zu Achill. Bei diesem Tanz könnte es sich um ein Initiationsritual junger Krieger mit Schilden und Tympana gehandelt haben. Vgl. Gordon, Richard L.: Kureten, in: DNP 6 (1999), 934 f. Mit Samothrake könnte auch Troja assoziiert werden. Von dort sieht Poseidon in Hom. Il. 13,12f. bis Troja.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Bei der Vorführung dieses Tanzes kommt Achills wahre Identität offen zum Vorschein (manifestus Achilles, 835). Die Bedeutung dieses Augenblicks wird dabei stark betont (tunc vero, tunc praecipue, 835). Achill beschließt, vielleicht auch unter dem Einfluss von Odysseus’ Rede,654 kein weibliches Verhalten vor Kriegern wie Odysseus und Diomedes mehr zu zeigen. Neben dieser Selbstreflexion beeinflussen auch die Zuschauer Achill:655 Somit sorgt er sich nicht mehr um die richtige Abfolge der Tanzschritte (servare vices, 836) oder die richtige Haltung (bracchia iungere, 836). Noch mehr als sonst (plus solito, 838) zeigt er, dass er von grazilem Schreiten (molles gressus, 837) oder weiblicher Kleidung nichts wissen will (aspernatur amictus, 837). Folglich durchbricht er die Ordnung des Reigens (rumpitque choros, 838) und sorgt für größte Unordnung (plurima turbat, 838).656 Dabei wird Achill mit Pentheus verglichen. Er macht nun so wie dieser in der Verkleidung als Bacchantin einen sehr unglaubwürdigen Eindruck. Achill weist nun die Thyrsosstäbe und Tympana (acceptaque matris | tympana, 839 f.) von sich und widersetzt sich wie Pentheus auch seiner Mutter. Der signifikante Unterschied zwischen Achill und Pentheus ist jedoch der spezifische Wille der jeweiligen Mutter, der sie sich widersetzen. Während Agaue Dionysos verehren will und nicht will, dass ihr Sohn als Mann diesen Kult stört, will Thetis, dass Achill als Mädchen verkleidet bleibt und diese Verkleidung nicht ablegt. Achill hat, anders als Pentheus, zuvor mit seiner Verkleidung Erfolg gehabt und konnte am Bacchusfest teilnehmen. Auch die Folgen, die sich daraus ergeben, dass Pen‐ theus und Achill als unglaubwürdige Bacchantin auftreten, sind unterschiedlich: Pentheus wird von seiner Mutter zerrissen;657 Achill gelingt es im Gegensatz zu Pentheus, seine männliche Identität wiederherzustellen,658 und er kann hierauf nach Troja ziehen.659 Achills wahre Identität wird also für die Zuschauer – außer für Lykomedes – schon während des Tanzes deutlich. Achill ist nun vollends innerlich davon 654 655 656

657 658 659

Vgl. Fantuzzi (2012a), 79. Vgl. auch Taisne (1976), 374. McNelis (2015b), 202 führt dies weiter: „Achilles, facing the possibility of being the object of male desire, refuses to dance and, by implication, to adopt a submissive role.“ Damit entspricht er dem Topos eines als Frau verkleideten Mannes wie Herkules, der weiblich konnotierte Tätigkeiten nicht korrekt ausführen kann (Stat. Theb. 10,649). Vgl. zur Parallele Sturt (1982), 835 Fn. 8. Siehe auch zuvor Achills Scheitern im Weben (Ach. 1,581–583). Vgl. auch im Gleichnis den Hinweis auf den tragischen Ausgang der Verkleidung: tristes […] Thebae (Ach. 1,840). Vgl. Cyrino (1998), 237. Sturt (1982), 837 sieht im Tod, den Pentheus’ Verkleidung zur Folge hat, eine Parallele zu Achill und dessen Tod vor Troja. So auch Cyrino (1998), 237 Fn. 108.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

überzeugt, dass er sich nicht mehr weiblich verhalten sollte und lehnt deswegen weibliche Tänze ab. Dabei demonstriert er seine Ungeschicklichkeit bei weib‐ lichen Tätigkeiten, die dem aufmerksamen Zuschauer deutlich machen, dass es sich bei ihm um Achill handeln muss. Er steht kurz davor, sich selbst zu offenbaren.660   2.3.5.3 Achills Metamorphose zum Krieger Nachdem schon beim Tanz Achills Männlichkeit ziemlich deutlich geworden ist, kann Odysseus seine List anwenden, mit der er Achill dazu bringen will, sich der Welt als epischer Krieger zu präsentieren: Solvuntur laudata cohors repetuntque paterna limina, ubi in mediae iamdudum sedibus aulae munera virgineos visus tractura locarat Tydides, signum hospitii pretiumque laboris, hortaturque legant, nec rex placidissimus arcet. (Stat. Ach. 1,841–845)

Die Tanzgruppe, die mit dem militärischen Terminus technicus cohors (841) beschrieben wird, löst sich nach dem Tanz und dem Lob, das sie dafür erhalten hat (laudata, 841), auf. Die Mädchen gehen hierauf wieder in das Haus ihres Vaters. Dort hat Diomedes schon alles weitere dafür präpariert, dass Odysseus’ List nun ausgeführt werden kann. Die Vorbereitungen dafür sind schon länger abgeschlossen (iamdudum, 842) und die List ist bestens vorbereitet: Mitten in der Halle des Palasts sind Geschenke aufgestellt, die die Aufmerksamkeit von Mädchen erregen sollen (munera virgineos visus tractura, 843). Diese Geschenke werden ihnen von Odysseus und Diomedes als Gastgeschenk (signum hospitii, 844) und als Belohnung für die Mühe, die sie sich mit dem Tanz gemacht haben (pretiumque laboris, 844), angeboten. Diomedes fordert die Mädchen auf, sich etwas auszuwählen (hortaturque legant, 845). Dies verhindert Lykomedes nicht, der mit seinem Epitheton ornans placidissimus als allzu arglos dargestellt wird. In einem Kommentar des epischen Erzählers wird dies noch einmal verdeutlicht: heu simplex nimiumque rudis, qui callida dona Graiorumque dolos variumque ignoret Ulixem! (Stat. Ach. 1,846f.)

660

Vgl. Fantuzzi (2013), 156 Fn. 8.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Dabei handelt es sich um eine Variation des Motivs aus Laokoons Rede im zweiten Buch der Aeneis:661 et procul ‘o miseri, quae tanta insania, cives? creditis avectos hostis? aut ulla putatis dona carere dolis Danaum? sic notus Ulixes? (Verg. Aen. 2,42–44)

Laokoons Aussage über die konkrete Situation des Trojanischen Pferdes und den Umgang mit diesem wird bei Statius verallgemeinert und grundsätzlich auf den Umgang mit den Griechen und Odysseus bezogen. Damit ist die Tatsache, dass Lykomedes den Griechen und ihren Geschenken vertraut, nicht so sehr insania wie in der konkreten Situation der Aeneis, sondern Zeichen mangelnder gesellschaftlicher Erfahrung (simplex nimiumque rudis, Ach. 1,845). Anders als die Trojaner – für die dies nur eine rhetorische Frage ist (sic notus Ulixes? Aen. 2,44) – kennt er tatsächlich Odysseus nicht (ignoret Ulixem, Ach. 1,846). Durch den Autorkommentar wird Lykomedes’ Naivität auch im Vergleich dazu, wie sein Eingehen auf Thetis’ List bewertet wurde, nochmals gesteigert. Während dies als menschliche Machtlosigkeit gegenüber dem Handeln der Götter gewertet wurde (quis divum fraudibus obstet? 1,364), ist es hier allein seine Arglosigkeit, die dazu führt, dass er überlistet wird. Die Mädchen zeigen, als sie die Geschenke sehen, das Verhalten, das Odysseus von ihnen erwartet hat: hic aliae, qua sexus iners naturaque ducit, aut teretes thyrsos aut respondentia temptant tympana, gemmatis aut nectunt tempora limbis; arma vident magnoque putant donata parenti. (Stat. Ach. 1,848–851)

Dies wird durch ihr Geschlecht, das nicht nach Höherem strebt, (sexus iners, 848) und ihre damit einhergehende Naturanlage (natura, 848) begründet. Sie probieren die Thyrsosstäbe und Tympana aus (temptant, 849), die Odysseus mitgebracht hat, und binden sich die edelsteinbesetzten Bänder (gemmati limbi, 850) um die Schläfen. Die Waffen, die neben den Geschenken, die für die Mädchen bestimmt sind, stehen, halten sie für ein Geschenk für ihren Vater (putant donata parenti, 851) und beachten sie nicht weiter. Ganz anders reagiert Achill, als er die Waffen erblickt: at ferus Aeacides, radiantem ut comminus orbem caelatum pugnas – saevis et forte rubebat bellorum maculis – adclinem conspicit hastae, 661

Vgl. Ripoll (2007), 55, Ripoll (2020), 252.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

infremuit torsitque genas, et fronte relicta surrexere comae; nusquam mandata parentis, nusquam occultus amor, totoque in pectore Troia est. (Stat. Ach. 1,852–857)

Achill zeigt sich, sobald er aus der Nähe (comminus, 852) Schild und Lanze erblickt hat, als Krieger. Er trägt nun das Epitheton ornans ferus (852), das er zuletzt bei seiner Ankunft auf Skyros getragen hat (310). Dort hätte er, wenn Thetis’ Anwesenheit ihn nicht gehindert hätte, als Krieger die Schar der Mädchen zersprengt. In den Schild, den Achill erblickt,662 sind Darstellungen von Kämpfen einge‐ arbeitet (caelatum pugnas, 853). Er ist keineswegs ein Schild, der nur als Zierde dient, sondern ein Gebrauchsgegenstand. Rötliche Blutflecken sind von den letzten Kämpfen mit ihm zurückgeblieben und erwecken einen schrecklichen kriegerischen Eindruck (saevis […] bellorum maculis, 853 f.). Dieser Anblick hat einen körperlichen Effekt auf Achill. Er brüllt auf (infre‐ muit, 855), verdreht die Augen (torsitque genas, 855) und seine Haare stellen sich auf (surrexere comae, 856).663 Wie schon zu dem Zeitpunkt, als sich Achill in Deidamia verliebt hat (vgl. 2.3.2.1.2), folgt auf das Sehen der Mentalitätswechsel, der auch von außen gut wahrnehmbar ist (1,301–310). Hier hebt der Anblick der Waffen den Effekt auf, als Achill zuvor Deidamia am Strand gesehen hatte: In Achills Innerem (pectus, 857) ist nun nirgends (nusquam, 856 f.) mehr Platz für Thetis’ Anweisungen (mandata parentis, 856) oder seine bisher geheim gehaltene Liebe zu Deidamia (occultus amor, 857). Stattdessen ist er nun ganz von seiner Mission, vor Troja zu kämpfen, erfüllt (totoque in pectore Troia est, 857). Klodt vergleicht die Darstellung dieses Schildes mit der homerischen Schild‐ beschreibung, in der der Schild menschliches Leben in seiner Vielfalt darstellt.664

662

663 664

McNelis (2015b), 203 betont sehr stark, dass der Schild mit Gold beschlagen ist (vgl. Ach. 1,723). Dieses Element sei charakteristisch für Venus und mit ihr assoziierte erotische Objekte. Allerdings hat auch der Schild, den Hephaistos für Achill fertigt, goldene Elemente (vgl. Hom. Il. 18,475). Genauso verhält es sich bei Aeneas’ Schild (vgl. Verg. Aen. 8,445). Wenig überzeugend ist m. E. auch, dass Achills Aufmerksamkeit für den strahlenden Schild ein Zeichen für weibliche Aspekte seiner Persönlichkeit seien, da die Aufmerksamkeit für schöne strahlende Objekte eine weibliche Eigenschaft sei. Vgl. Panoussi (2013), 350. Siehe hierzu auch die Reaktion der Mädchen auf den Schild in Ach. 1,851, die diesen nicht beachten. Bitto (2016), 321 vergleicht Achills körperliche Reaktion auf die Waffen mit Kalchas’ Reaktion auf das Nahen des Gottes. So wie Kalchas von Apollon erfüllt werde, werde nun Achill durch die Waffen inspiriert. Vgl. Klodt (2009), 188–191.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Der Unterschied zu den pugnae des Schildes in der Achilleis lässt sie auf Achills Persönlichkeit schließen: Seine Kampfbegier ist vollkommen unreflektiert, seine Motivation rein egoistisch. […] Deshalb kann der Schild, der seine Metamorphose vom Mädchen zum Mann bewirkt, nichts sein als ein Kriegsgerät. Auf ihm sind einzig pugnae und Blutflecken zu sehen […], denn nichts anderes hat in Achills Hirn Platz.665

Der Schild, den Achill hier an sich nimmt, entspricht jedoch der Beschreibung seines ursprünglichen Schildes, der später von Hektor erbeutet werden sollte, in Eur. El. 452–475, wo Kämpfe den Großteil des Schildes bedecken.666 Achill erlebt auf Skyros durch Odysseus’ List nicht so sehr die Metamorphose zum Mann, sondern vom Geliebten/Ehemann zum Krieger. Dies ist eine prinzipielle Entscheidung, die Hephaistos’ Schild mit der Darstellung der Stadt im Frieden bzw. im Krieg als Lebensentscheidung einfordert. Tatsächlich trifft Achill seine Entscheidung spontan und ohne diese zu reflektieren. Seine instinktive Reaktion beweist jedoch seine kriegerische Natur. Auch weiterhin zeigt die Darstellung Parallelen zu Achills vorheriger Me‐ tamorphose in ein Mädchen. Dem Gleichnis eines jungen Pferdes, das noch gezähmt werden muss (vgl. Ach. 1,278–282) entspricht ein Gleichnis, in dem Achill mit einem scheinbar gezähmten Löwen667 verglichen wird:668 ut leo, materno cum raptus ab ubere mores accepit pectique iubas hominemque vereri edidicit nullasque rapi nisi iussus in iras, si semel adverso radiavit lumine ferrum, eiurata fides domitorque inimicus, in illum prima fames, timidoque pudet servisse magistro. (Stat. Ach. 1,858–863)

Der Löwe, mit dem Achill verglichen wird, wurde als säugendes Junges (materno cum raptus ab ubere, 858) von seiner Mutter geraubt und dann dressiert (mores | accepit, 858 f.). Dabei hat er gelernt, sich die Mähne kämmen zu lassen (pectique iubas, 859), Scheu vor Menschen zu haben (hominemque vereri, 859) und sich nur auf Befehl zum Zorn hinreißen zu lassen (nullasque rapi nisi iussus in iras,

665 666 667 668

Klodt (2009), 190f. Siehe auch die Zusammenfassung der Schildbeschreibung: τοιάδε σήματα δείματα | Φρύγια (Eur. El. 456f.). Vgl. zum Bezug auf Euripides Fantuzzi (2012a), 79 Fn. 159. Zur epischen Tradition von Schlachtszenen auf Schilden vgl. auch Ripoll (2012), 122f. Barchiesi (2005), 64 verweist auf Aischyl. Ag. 717–726 als motivische Vorlage für das Gleichnis und hebt den hohen Stil hervor. Vgl. Franchet d’Espèrey (2006), 449, Ripoll (2012), 127.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

860). Sobald dieser Löwe einmal eine Waffe (ferrum, 861) erblickt, kündigt er seine Treue auf (eiurata fides, 862), der Dompteur wird sein Feind (domitorque inimicus, 862) und seine erste Aggression richtet sich gegen diesen (in illum | prima fames, 862 f.). Zusätzlich empfindet er Scham, diesem gehorcht zu haben (timidoque pudet servisse magistro, 863).669 Interessant ist der Vergleich des Gleichnisses mit Achills Situation: Achill wird nicht aus den Händen seiner Mutter geraubt, sondern aus seiner Jugendzeit bei Chiron, wo er seine kriegerische Identität ausleben kann. Stattdessen ist Thetis die Räuberin, was auch aus Kalchas’ prophetischer Rede auf Aulis deutlich wird, in der der Seher die Ereignisse nacherlebt (Quo rapis, 526). Aber auch Deidamia wird als Räuberin verantwortlich gemacht, da sich Achill in sie verliebt (ei mihi raptus abit! quaenam haec procul inproba virgo? 535). Achill hat sich von Thetis und Deidamia zurecht machen lassen, was dem Kämmen der Löwenmähne entspricht. Auf Skyros hat er gelernt, seine kriegerischen Instinkte zurückzuhalten. Diese brechen nun jedoch durch den Anblick der Waffen hervor. Dadurch, dass er brüllt, die Augen verdreht und seine Haare sich aufstellen, wirkt Achill sehr animalisch und gleicht dem Löwen. Anhand des Gleichnisses wird deutlich, dass es nicht möglich ist, Achills kriegerische Identität zu unterdrücken. Er ist wie der Löwe, der ein typischer Vergleichspunkt für epische Helden ist,670 letztendlich nicht zähmbar.671 Die Gleichnisse von dem zu zähmenden jungen Pferd und dem Löwen, dessen Zähmung erfolglos war, umschließen die Handlung auf Skyros. Das Löwengleichnis lässt sich dabei als Kommentar zum Pferdegleichnis lesen. Achills kriegerische Männlichkeit kann nur temporär unterdrückt werden, aber nicht längerfristig. Wie bei dem Löwen, der sich schämt, dem nun so furchtsamen Dompteur gehorcht zu haben (timidoque pudet servisse magistro, 863), stellt sich auch bei Achill Scham ein, seiner timida mater672 gehorcht zu haben:

669

670 671 672

Ein Vorbild für das Gleichnis ist Lucan. 4,237–242, wo Petreius mit einem gezähmten Wildtier verglichen wird, das Blut leckt und dadurch wieder wild wird. Dabei zeigen sich im Auslöser der Rückverwandlung Umgewichtungen: In der Achilleis ist es das Sehen einer Waffe, die dieses Geschehen auslöst. Die Handlung wird also auf eine abstraktere und positiv besetzte Ebene des Krieges gehoben. Nicht das Blutvergießen an sich ist der Auslöser, sondern allein die Waffen. So wird Achill im Kampf selbst zweimal mit einem Löwen verglichen. Vgl. Hom. Il. 18,318–322, 20,164–175. „The simile […] makes clear that the hero’s transvestism had been an unnatural condition which was forced upon him by his mother, but which never had a deeper impact on his soul“ Fantuzzi (2012a), 80. Zu Thetis als timida mater bzw. timida parens vgl. Ach. 1,211, 534, 592, 624, 799.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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ut vero accessit propius luxque aemula vultum reddidit et simili talem se vidit in auro, horruit erubuitque simul. […] (Stat. Ach. 1,864–866)

Diese Scham entsteht,673 als er sein Spiegelbild und damit seine weibliche Er‐ scheinung (talem se vidit, 865) in der Reflexion des goldenen Schildes erkennt.674 Gleichzeitig mit der Scham entsteht bei Achill auch Schrecken über sich selbst (horruit erubuitque simul, 866). Der Schrecken ist eigentlich sonst ein Effekt, den Achill auf andere ausübt: Seine Brust wird als horrida pectora (1,274) beschrieben und er versetzt die Mädchen auf Skyros (cunctae […] horrent, 375) und Deidamia im Speziellen in Schrecken (ipsum | horruit, 663 f.). Hier erschrickt er selbst vor seinem eigenen Anblick, da dieser nicht dem Anblick entspricht, mit dem er als Krieger andere in Schrecken versetzen will.675 Die Konfrontation mit der Reflexion seiner weiblichen Erscheinung beschleunigt dabei auch seine Ablösung von diesem Bild.676 Innerlich ist Achills Entscheidung gefallen, sein einziges Ziel ist nun der Trojanische Krieg. Nach außen hin ist dies aber noch nicht deutlich geworden.677 Deshalb spricht ihn Odysseus direkt an: […] tunc acer Ulixes admotus lateri summissa voce: ‘Quid haeres? scimus’ ait, ‘tu semiferi Chironis alumnus, tu caeli pelagique nepos, te Dorica classis, te tua suspensis exspectat Graecia signis, ipsaque iam dubiis nutant tibi Pergama muris. heia, abrumpe moras! sine perfida palleat Ide, et iuvet haec audire patrem, pudeatque dolosam sic pro te timuisse Thetin.’ […] (Stat. Ach. 1,866–874)

673 674 675

676 677

Chinn (2015), 118 deutet das Erröten (erubuit) nicht als Scham, sondern als Kennzeichen des epischen Kriegers: „Achilles’ blush is no longer the blush of a pretty young boy, nor that of an amorous lover. It is the blush of an excited (potential) warrior.“ Zum Schild als Spiegel und zweitem Schritt in der Rückverwandlung vgl. Barchiesi (2005), 63 f., Bessone (2018), 187f. Augoustakis (2016), 218 argumentiert, dass erst dadurch, dass sich Achill im Spiegel sieht, seine Männlichkeit und epische Bestimmung zutage tritt. Er ist jedoch schon zuvor dadurch, dass er Schild und Speer erblickt hat, ganz von seiner Bestimmung überzeugt (totoque in pectore Troia est, Ach. 1,857). Vgl. Ripoll (2012), 123. Fantuzzi (2012a), 79 macht deutlich, dass schon allein der Anblick der Waffen gereicht hätte, Achill zu überzeugen.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Diese Rede, die nur Achill hören soll (admotus lateri summissa voce, 867), soll Achill den letzten Anstoß geben, sich zu offenbaren.678 Deshalb macht Odysseus Achill mit der Frage Quid haeres? (867) deutlich, dass es keinen Grund gibt, jetzt noch zu zögern. Gleichzeitig verweist er auf den Effekt seiner ersten Rede. Diese hatte zur Folge, dass Achill Deidamia nur zögerlich gefolgt ist (haeret, 804). Jetzt soll er dagegen seiner Bestimmung und damit Odysseus folgen. Odysseus macht Achill zunächst klar, dass ihm und Diomedes Achills wahre Identität bekannt ist (scimus, 868). Diese Identität verknüpft Odysseus mit den Charakteristika, die auch Achill selbst für seine Identität sehr wichtig sind. Die Appellfunktion, die diese Aufzählung bewirken soll, wird dabei die Wiederholung unterschiedlicher Formen des Personalpronomens tu in jedem der hierauf folgenden fünf Kola. Zunächst spricht er ihn als Chirons Ziehkind an: tu semiferi Chironis alumnus (868). Die Erziehung bei Chiron ist für Achills Identität bestimmend: Für die Griechen auf Aulis ist er der ingens magni Chironis alumnus (526). Er verweist auch mehrmals selbst auf seine dortige Erziehung (631, 651 f.). Wie aus seiner späteren Erzählung deutlich wird, ist für Achill seine Erziehung durch Chiron die Grundlage für sein künftiges Verhalten als Held (vgl. 2.4.3). Weiterhin ist für Achill seine Abstammung besonders wichtig. Auf diese verweist Odysseus mit der Anrede tu caeli pelagique nepos (869). Auf diese göttliche Herkunft von Himmels- und Meeresgöttern hat Achill schon gegen‐ über Deidamia im Rahmen seiner Selbstvorstellung nach der Vergewaltigung verwiesen (1,655f.) und er wird nochmals auf sie zurückkommen, um Lykomedes von seiner guten Herkunft zu überzeugen (1,898f.). Hierauf kommt er, wie schon in seiner ersten Rede vor Achill, auf die Heeresversammlung der Griechen auf Aulis zu sprechen. Diesmal fügt er hinzu, wie sehr die Griechen nach Achills Unterstützung verlangen (1,467–482). Gleichzeitig macht er deutlich, wie eng das Band zwischen Achill und den übrigen Griechen ist (te tua […] exspectat Graecia, 870). Dabei scheint alles kriegsbereit zu sein (suspensis […] signis, 870) und nur noch auf Achills Ankunft zu warten. Während bisher Odysseus’ Erzählung mit der des epischen Erzählers übereingestimmt hat, greift er nun zur Hyperbel: Trojas Mauern schwankten schon vor Achill: ipsaque iam dubiis nutant tibi Pergama muris (871). Abgesehen davon, dass die Eroberung Trojas noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird und Achill selbst diese nicht mehr erleben wird, ist die Bezeichnung dubii muri für die von Poseidon und Apollon erbauten gewaltigen Mauern Trojas eine gewaltige Untertreibung.

678

Kaum nachzuvollziehen ist Barchiesis Ansatz, in Odysseus’ Rede alle T-Laute hervor‐ zuheben und daraus ein die Rede untermalendes Trompetengeräusch zu sehen. Vgl. Barchiesi (2001a), 348, Barchiesi (2005), 65f.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

187

Odysseus lässt seine Rede mit Aufforderungen enden: Verstärkt durch die Interjektion heia wird Achill dazu aufgefordert, nun nicht mehr zu zögern (abrumpe moras, 872). Hierauf macht Odysseus Achill die Folgen einer positiven Entscheidung deutlich. Dabei knüpft er an die Rede an, mit der Thetis – zunächst erfolglos – versucht hat, Achill zu überzeugen, sich als Mädchen zu verkleiden. Während Thetis mit hac sine, quaeso (1,265) verbunden hatte, dass Achill so unheilvolle Vorzeichen abwenden könne (minas nubemque exire malignam, 1,265), verknüpft Odysseus mit sine nicht das Verhindern schlechter Ereignisse, sondern die positiven Folgen. Nur durch Achills Teilnahme können die treulosen Trojaner in einem gerechten Krieg in Angst und Schrecken versetzt werden (perfida palleat Ide, 872). Zudem betont er die Wirkung auf Achills Eltern: Sein Vater Peleus wird sich darüber freuen (iuvet haec audire patrem, 873), während Thetis sich ihrer Furcht schämen soll (pudeatque dolosam | sic pro te timuisse Thetin, 873 f.). Odysseus’ Rede in der Achilleis stellt dabei auch Bezüge zu der Rede her, von der Odysseus in den Metamorphosen behauptet, dass er sie auf Skyros gehalten habe, als er sich beim Streit um Achills Waffen als dessen würdiger Nachfolger stilisiert:679 arma ego femineis animum motura virilem mercibus inserui, neque adhuc proiecerat heros virgineos habitus, cum parmam hastamque tenenti ‘nate dea,’ dixi ‘tibi se peritura reservant Pergama. quid dubitas ingentem evertere Troiam?’ iniecique manum fortemque ad fortia misi. (Ov. met. 13,165–170)

In den Metamorphosen schreibt sich Odysseus einen möglichst großen Anteil an Achills Rückverwandlung zu. Die Rede, die er selbst nacherzählt, geschieht zu einem anderen Zeitpunkt: Achill hält schon die Waffen in der Hand (parmam hastamque tenenti, 167), die eigentlich den Effekt haben sollen, seine Männlich‐ keit zu wecken (animum motura virilem, 165). In der Achilleis hat er jedoch zum Zeitpunkt der Rede die Waffen noch nicht in der Hand. Dennoch ist allein durch den Anblick der Waffen seine Kriegsbegeisterung entbrannt. Der Odysseus der Metamorphosen macht jedoch allein seine Rhetorikkünste dafür verantwortlich. Im späteren Verlauf der Rede erweist er sich sogar als Super-Sophist und erklärt sich dank seiner Aufdeckung von Achills Identität zum Urheber aller Taten, die Achill erreicht hat (vgl. Ov. met. 13,171–178). Die Reden, die Odysseus vor Achill hält beziehungsweise behauptet, gehalten zu haben, ähneln sich:

679

Vgl. Davis (2006), 138, Ripoll (2015). 65f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Der Frage, mit der Odysseus’ Rede in den Metamorphosen endet (quid dubitas ingentem evertere Troiam? Ov. met. 13,169), entspricht die, mit der Odysseus’ Rede in der Achilleis beginnt (Quid haeres? Ach. 1,867). Allerdings wird hier auch ein semantischer Unterschied deutlich: Während bei quid haeres? klar ist, dass Achill eigentlich schon überzeugt ist und nur nach dem Grund der zeitlichen Verzögerung gefragt wird, wird bei quid dubitas? deutlich, dass Achill in den Metamorphosen noch zögert und zweifelt. In der Achilleis folgt auf die einleitende Frage, die anders als die Anrede nate dea (Ov. met. 13,168) medias in res geht, Achills herausragende Herkunft, die auch in den Metamorphosen Ajax und Odysseus als Argumentation dafür dient, dass sie Achill beerben sollten (vgl. Ov. met. 13,22–28, 141–147). Odysseus argumentiert in dieser Rede für sich selbst ähnlich (deus est in utroque parente, Ov. met. 13,147) wie in seiner Rede in der Achilleis, wo er Achills Herkunft hervorhebt. Das Warten der Griechen auf Achill als den bestimmenden Helden vor Troja fehlt in der an Achill gerichteten Rede in den Metamorphosen, in denen diese Rede ja auch wesentlich kürzer ist. Wie in den Metamorphosen (tibi se peritura reservant | Pergama! Ov. met. 13,168f.) ist Achills Bestimmung, Troja zu Fall zu bringen, ein wesentliches Argument in der Achilleis (ipsaque iam dubiis nutant tibi Pergama muris, Ach. 1,871), das durch tibi betont wird.680 Gleichzeitig steht Odysseus’ Rede in der Achilleis auch in der Tradition der Rede im vierten Buch der Aeneis, in der Merkur Aeneas dazu ermahnt, Karthago und damit Dido zu verlassen (Verg. Aen. 4,560–570).681 Während dort Merkur seine Aufforderung mit heia age, rumpe moras (Verg. Aen. 4,569) verstärkt, geschieht dies in der Achilleis mit heia, abrumpe moras (Ach. 1,872). Für Achill bedeutet sein Aufenthalt bei Deidamia auf Skyros etwas Ähnliches wie für Aeneas der Aufenthalt bei Dido in Karthago: Für beide Helden verzögert er der Erfüllung ihrer göttlichen Mission.682 Diese Verzögerung ist jedoch aufgrund der mythologischen Tradition für das Epos notwendig. In der Achilleis ist Odysseus’ Rede nicht ausschlaggebend dafür, dass sich Achill zum epischen Krieger verwandelt. Vielmehr ist es der Anblick der Waffen, der Achill zuvor innerlich vollends von seiner Bestimmung vor Troja überzeugt hat. Zur äußerlichen Verwandlung führt der Trompetenstoß.

680 681

682

Vgl. Ripoll (2015), 66. Ripoll (2015), 66 argumentiert hier überzeugend, dass wahrscheinlich schon Verg. Aen. 4,560–570 die Vorlage für Odysseus’ Rede in den Metamorphosen war (Ov. met. 13,168f.). In der Achilleis würde jedoch die Anrede nate dea der Strategie widersprechen, Achill vom Einfluss seiner Mutter zu befreien. Stattdessen entspricht der Verweis auf Chiron und die kosmischen Götter mehr dem virilen und martialischen Ton der Rede. Siehe auch Ripoll (2020), 254–256. Vgl. Ripoll (2015), 66.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

189

Dieser ist Teil der List, deren weitere Ausführung direkt an Odysseus’ Rede in der Achilleis anschließt: […] iam pectus amictu laxabat, cum grande tuba sic iussus Agyrtes insonuit; fugiunt disiectis undique donis inplorantque patrem commotaque proelia credunt. illius intactae cecidere a pectore vestes, iam clipeus breviorque manu consumitur hasta – mira fides – Ithacumque umeris excedere visus Aetolumque ducem: tantum subita arma calorque Martius horrenda confundit luce penates. inmanisque gradu, ceu protinus Hectora poscens, stat medius trepidante domo, Peleaque virgo quaeritur. […] (Stat. Ach. 1,874–885)

Eigentlich wäre Achill schon überzeugt. Er will schon sein Obergewand von der Brust lockern (laxabat, 875),683 als Agyrtes in die Kriegstrompete (tuba, 875) bläst. Nun zeigt sich gänzlich der Unterschied zwischen Achill und den Mädchen. Diese fliehen (fugiunt, 876); ihre Geschenke werden wie Truppenteile zersprengt (disiectis undique donis, 876).684 Die Mädchen suchen Schutz bei ihrem Vater (inplorantque patrem, 877), da sie glauben, dass es zu Kämpfen kommt (commotaque proelia credunt, 877). Ganz anders verhält es sich bei Achill. Bei ihm setzt, sobald er die Trompete gehört hat, eine körperliche Verwandlung ein, die übernatürliche Züge trägt.685 Die Kleidung fällt ihm vom Oberkörper, ohne dass er sie berührt hätte (intactae, 878). Im nächsten Augenblick (iam, 879) hält er den Schild und die Lanze in der Hand. Dadurch, dass sich Achill jedoch in diesem Augenblick auch körperlich noch weiterentwickelt und nun seine Gestalt als Krieger annimmt, ist diese Lanze plötzlich viel kleiner (brevior, 879). Durch einen Einschub des epischen Erzählers (mira fides, 880) wird deutlich, dass es sich hierbei um ein kaum zu glaubendes Wunder handelt.686 Mit seinen Schultern überragt er nun Odysseus 683

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McAuley (2016), 365 sieht hier als Subjekt Odysseus, der Achill auszieht. Dagegen spricht jedoch das Imperfekt als Bezeichnung der Hintergrundhandlung bzw. des kona‐ tiven Aspekts und intactae […] vestes (878). Bei einer solchen Übergriffigkeit wäre doch Perfekt zu erwarten. Dass Odysseus so handelt, scheint mir auch unwahrscheinlich, da dies ja zusätzlich dem eigentlichen Plan der Helden widersprechen würde. Vgl. ThlL V,1 (1913), 1383.27–1383.40, s.v. disicio unter der Bed. „2 t. t. rei militaris: a de dissipatis in proelio i. q. fugare, pellere“. Vgl. Cyrino (1998), 238. Zum Ausdruck mira fides für das Wunder vgl. Kozák (2019), 147f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

und Diomedes (umeris excedere visus, 880). Achills plötzliche Annahme der Waffen (subita arma, 881) und die dadurch entstandene Kampfeshitze (calorque | Martius, 881 f.) haben zu einer plötzlichen Veränderung der Szenerie geführt. Die Halle des Königspalastes, in dem völliges Chaos herrscht (confundit, 882), ist nun in ein grauenhaftes Licht wie kurz vor einem Kampf getaucht (horrenda […] luce, 882).687 Achill erweist sich jetzt in seinem Aussehen völlig als epischer Krieger. Seine Haltung ist die eines herausragenden Kriegers in Kampfbereitschaft (inmanisque gradu, 883 f.).688 Achill wirkt ganz wie sein späteres iliadisches Ich. Dies zeigt sich daran, dass er von seiner Haltung her auch Hektor zum Kampf fordern könnte (ceu protinus Hectora poscens, 883). Achill, der in der Mitte der Halle kampfbereit steht, bildet dabei den Gegensatz zu den übrigen Bewohnern des Hauses, die verängstigt sind (stat medius trepidante domo, 884). Zwischen Achill, der nun als die Epiphanie eines Kriegers im Palast steht, und dem Mädchen, als das er sich ausgegeben hatte, besteht nun kaum mehr Ähnlichkeit, so dass man „Achills Schwester“ vergeblich sucht (Peleaque virgo | quaeritur, 884 f.). Mit der Aufdeckung seiner Identität verlässt Achill völlig seine weibliche Rolle.689 Achills Verwandlung zum epischen Krieger geht also in drei Schritten von‐ statten. Beim Gastmahl fällt er durch männliches Verhalten auf und will sich nach Odysseus’ dortiger Rede schon offenbaren. Deidamia, die sich hier als Odysseus’ würdige Gegenspielerin erweist, kann dies jedoch gerade noch verhindern, indem sie mit den anderen Mädchen den Tisch verlässt. Bei der Tanzvorführung für Odysseus und Diomedes stört Achill, sobald nur für Frauen bestimmte Tänze getanzt werden, mit seiner typisch männlichen Ungeschickt‐ heit in weiblichen Tätigkeiten den Tanz und die Harmonie der Mädchen. Erst die dem Leser bekannte List mit versteckten Waffen und dem Blasen der Kriegs‐ trompete führt zur Auflösung. Aber auch dieser Schritt lässt sich wieder in drei Gelegenheiten unterteilen, bei denen es dem Leser möglich erscheinen kann, dass nun Achills Identität ans Licht kommt. Diese sind wiederum in Form einer Steigerung aufgebaut.690 Nachdem Achill die Waffen gesehen hat, ist er davon überzeugt, dass es seine Aufgabe ist, nach Troja zu ziehen. Nach Odysseus’ Rede will er schon seine Mädchenkleidung ablegen. Dies kulminiert jedoch im Blasen

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Vgl. auch Bessone (2018), 188f. Vgl. ThlL VI,2 (1932), 2145.17–2145.43, s.v. gradus unter der Bed. 3b „de positione militum comminus pugnantium, i. stantium, ne loco moveantur, pedibus passis“. Vgl. Bernstein (2008), 120. Vgl. Aricò (1986), 2952.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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der Trompete. Achill muss nicht mehr selbst seine Kleidung ablegen, sondern sie fällt ohne eigenes Zutun, während sein Körper wächst und zu dem des herausragenden Kriegers wird, der er vor Troja sein wird. Insgesamt wird durch diese drei Schritte die Handlung dramatisiert und die Spannung gesteigert. Der Leser erwartet jederzeit, dass jetzt der Augenblick gekommen ist, an dem sich Achills wahre Natur offenbart. Letztendlich findet diese Verwandlung zwar zu dem Zeitpunkt statt, wo sie auch durch die Tradition lokalisiert wird. Dadurch jedoch, dass die Erwartungshaltung des Lesers zuvor so stark gesteigert wird, wird das Blasen der Trompete der dramatische Höhepunkt, nach dem Achill als epischer Krieger in Kampfhaltung in der Könighalle erscheint.691 Interessant ist auch seine Metamorphose an sich. Diese wird, anders als seine Verwandlung in ein scheinbares Mädchen, nicht durch eine Gottheit ausgelöst, wie das beispielsweise auch für Ovids Metamorphosen üblich ist. Achill verwan‐ delt sich selbst, als scheinbar Gefahr droht. Seine epische Kriegeridentität ist so stark, dass sie Achill verwandelt, und ist damit quasigöttlich. Die Verwandlung geschieht auch zum richtigen Augenblick. Anders als andere Heldenknaben wie Parthenopaeus ist Achill nun körperlich reif für den Krieg und kann sich damit dauerhaften großen Ruhm erwerben.692 Er ist nun anderen homerischen Helden wie Diomedes oder Odysseus körperlich überlegen. 2.3.6 Placatus placidissimus. Die Wiederherstellung des Friedens auf Skyros und gleichzeitige Kriegsvorbereitungen für Achill Achill steht in seiner Erscheinung als epischer Krieger in Lykomedes’ Königspa‐ last. Das Mädchen, als das sich Achill verkleidet hat, ist verschwunden. Während Achill also im Glanz des Kriegers alles in Furcht und Schrecken versetzt, trauert Deidamia darum, dass nun Achills wahre Identität offenliegt. […] Ast alia plangebat parte retectos Deidamia dolos, cuius cum grandia primum lamenta et notas accepit pectore voces, haesit et occulto virtus infracta calore est. (Stat. Ach. 1,885–888)

Deidamia trauert nach dem typischen Klageritus (plangebat, 885) über die aufge‐ deckte List (retectos | […] dolos, 885 f.). Vermutlich befinden wir uns also auf dem Höhepunkt von Euripides’ Skyrioi,693 wo φόβος und ἔλεος (Aristot. poet. 1449b, 691 692 693

Vgl. Ripoll (2012), 126–128. Vgl. La Penna (1996), 179. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 270 f. (ad 1,885–926).

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27) ihre volle Wirkung entfalten. Sobald Achill Deidamias Klagen (grandia […] | lamenta, 886 f.) wahrgenommen hat, schwächt sich seine Kriegsbegeisterung merklich ab (virtus infracta, 888). Grund hierfür ist seine verborgene Liebe zu Deidamia (occulto […] calore, 888). Wie schon zuvor (804, 867) wird er aufgehalten (haesit, 888). Hierdurch findet jedoch keine Pathosreduktion statt.694 Nicht nur Achills Erscheinung als epischer Held ist pathosgeladen, sondern auch die Affekte Trauer und Liebe, die hierauf eintreten, erhöhen das Pathosniveau. Deidamias Trauer führt dazu, dass Achill den Ernst der Situation für sich und Deidamia erkennt und sich Lykomedes zuwendet:695 demittit clipeum regisque ad lumina696 versus attonitum factis inopinaque monstra paventem, sicut erat, mediis697 Lycomedem adfatur in armis: (Stat. Ach. 1,889–891)

Er senkt seinen Schild (demittit clipeum, 889), stellt sich Lykomedes gegenüber auf und blickt ihn dabei an (ad lumina versus, 889). Er senkt also nicht den Blick aus Scham oder Ehrfurcht gegenüber dem König, als er ihn anspricht (adfatur, 891). Zwischen Achill und Lykomedes besteht dabei ein klarer Gegensatz: Während Lykomedes von den Ereignissen wie vom Donner gerührt dasteht (attonitum factis, 890), aufgrund von Achills unerwarteter und schreckenser‐ regender Verwandlung, die mit göttlichem Wirken assoziiert wird, zittert (inopinaque monstra paventem, 890) und praktisch handlungsunfähig ist, spricht ihn Achill unter Waffen an (mediis […] in armis, 891). Dies entspricht seiner

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697

So Bitto (2016), 325, der von einer „antiklimaktische[n] Bewegung zum Pathos-Höhe‐ punkt“ spricht. Dass Achill Lykomedes um die Hand seiner Tochter bittet, lässt ihn jedoch nicht die weibliche Rolle einer Bittenden annehmen. So Bernstein (2008), 130. Hier folgt der Text nicht Dilkes Edition (1954=2005), die die Variante limina vertritt. Stattdessen folge ich Hall, der die Variante lumina in Handschriften gefunden hat, die Dilke nicht zur Verfügung standen. Die Variante, dass Achill sich in Richtung von Lykomedes’ Augen richtet, ergibt weit mehr Sinn, als wenn Achill, der sich wie alle anderen im Palast befindet, in Richtung der Türschwelle blickt. Auch hier bevorzuge ich Halls Edition. Die Variante aus P nudis, der ansonsten alle modernen Editionen folgen, ergibt m. E. wenig Sinn. Achill ist nicht unbewaffnet, seine Waffen sind nicht von der Art, dass sie sonst verhüllt wären und eine Enallage auf den nackten Achill halte ich für unwahrscheinlich. Vermutlich handelt es sich in P um einen Abschreibfehler von mediis, die in anderen Handschriften aus Sinngründen zur Variante nudus (E R) verbessert wurde, die Jannaccone vertritt. Mediis […] in armis (ω) würde der vorherigen Darstellung von Achills Epiphanie als Krieger entsprechen. Die Kollokation ist dabei ein militärischer Terminus technicus. Vgl. Cic. Mil. 30, Verg. Aen. 11,815, Verg. georg. 2,283.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Erscheinung seit seiner durch den Trompetenstoß ausgelösten Verwandlung (sicut erat, 891).698 Achill beginnt seine Rede mit einer captatio benevolentiae: ‘Me tibi, care pater – dubium dimitte pavorem –, me dedit alma Thetis: te pridem tanta manebat gloria; quaesitum Danais tu mittis Achillem, gratior et magno, si fas dixisse, parente et dulci Chirone mihi. sed corda parumper huc adverte libens atque has bonus accipe voces: (Stat. Ach. 1,892–897)

In seiner Rede lenkt Achill geschickt den Fokus von sich selbst auf Lykomedes. Er spricht ihn als care pater an und fordert ihn auf, sich nicht weiter zu fürchten (dubium dimitte pavorem, 892). Zunächst macht er deutlich, dass es sich bei ihm um denjenigen handelt, der Lykomedes von Thetis anvertraut wurde (me dedit alma Thetis, 893). Dabei wird durch die Versanfangsstellung von me in 892 f. Achills eigene Person besonders hervorgehoben. Ihm gegenüber steht Lykomedes (me tibi, 892), dessen Rolle durch die dreimalige Wiederholung des Personalpronomens tu in unterschiedlichen Kasus stark betont wird (892–894). Den Ruhm, den sich in der erzählten Zeit später Odysseus in den Metamorphosen zuschreibt, Achill nach Troja geschickt zu haben (fortemque ad fortia misi, Ov. met. 13,170), verspricht Achill nun Lykomedes (quaesitum Danais tu mittis Achillem, Ach. 1,894). Diesen Ruhm (gloria, 894) stellt er als einen Ruhm dar, der schon lange dem unkriegerischen Lykomedes durch das Schicksal zugesprochen war (te pridem tanta manebat | gloria, 893 f.). Damit erfüllt Achill gleichzeitig Lykomedes’ Wünsche, selbst beziehungsweise durch einen Nachfahren im Krieg Ruhm erwerben zu können (1,775–780). Hierauf intensiviert Achill seine captatio benevolentiae, indem er deutlich macht, welche Bedeutung Lykomedes angeblich für ihn hat. Er stellt seine Beziehung zu Lykomedes als enger (gratior, 895) dar als die zu seinem bedeutenden Vater (magno […] parente, 895) und seinem Ziehvater Chiron (dulci Chirone, 896). Dabei wird durch die Einschrän‐ kung si fas dixisse (895) deutlich, dass diese Ehrenstellung, die er Lykomedes einräumt, und die Bevorzugung vor seinem eigenen Vater beziehungsweise Chiron weit über das gewöhnliche Maß hinausgeht. Bevor er mit seiner Rede fortfährt, bittet er Lykomedes, den er libens und bonus (897) stimmen will, um wohlwollende Aufmerksamkeit für sein Anliegen (896 f.).

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Feeney (2004), 96 betont stattdessen Achills Nacktheit, an der scheinbar seine Männ‐ lichkeit deutlich wird, als konstituierendes Element der Szene.

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Dabei handelt es sich um die Hochzeit mit Deidamia, um die er im darauffol‐ genden Teil der Rede bittet: Peleus te nato socerum et Thetis hospita iungunt adlegantque suos utroque a sanguine divos. unam virgineo natarum ex agmine poscunt: dasne? an gens humilis tibi degeneresque videmur? non renuis? iunge ergo manus et concipe foedus atque ignosce tuis. tacito iam cognita furto Deidamia mihi; quid enim his obstare lacertis, qua potuit nostras possessa repellere vires? me luere ista iube; pono arma et reddo Pelasgis et maneo. quid triste fremis? quid lumina mutas? iam socer es’ – natum ante pedes prostravit et addit – ‘iamque avus. inmitis quotiens iterabitur ensis, turba sumus.’ tunc et Danai per sacra fidemque hospitii blandusque precum conpellit Ulixes. (Stat. Ach. 1,898–911)

Dazu stellt er nicht in der ersten Person einen Antrag im Futur, sondern stellt im Indikativ Präsens als Tatsache fest, dass die Familien von Peleus und Thetis mit Lykomedes eine Verbindung eingehen. Achill selbst erscheint als das Instrument, mit dem Peleus und Thetis Lykomedes zum Schwiegervater machen (te nato socerum, 898). Dabei geht er zu Recht davon aus, dass die sexuelle Verbindung von Achill und Deidamia jedenfalls von Thetis gebilligt wurde: […] o si mihi iungere curas atque alium portare sinu contingat Achillem! (Stat. Ach. 1,321f.)

Dem Wunsch, den Thetis in ihrer an Achill gerichteten Rede geäußert hatte, entspricht nun das Faktum (iungunt, 898). Achill bezeichnet dabei Thetis als Lykomedes’ hospita. Damit erreicht er zweierlei: Zum einen scheint es so, als sei Thetis mit diesem Ziel zu Lykomedes gekommen. Andererseits wird Lykomedes damit deutlich, dass er die Ehre hat, Thetis’ Gastfreund zu sein. In diese Richtung zielt auch der nächste Vers, in dem Achill Lykomedes verdeutlicht, dass seine Herkunft herausragend ist (adlegantque suos utroque a sanguine divos, 899).699 Wie schon zuvor gezeigt, ist diese Herkunft Achill besonders wichtig. Sie konnte von Odysseus dazu genutzt werden, Achill von seiner Bestimmung weiter zu überzeugen (tu caeli pelagique nepos, 869). In Ach. 1,655f. hatte Achill nach ihrer 699

Vgl. zur Formulierung auch Odysseus’ Darstellung seiner eigenen Herkunft (deus est in utroque parente, Ov. met. 13,147), auf die schon zuvor Bezug genommen wurde (vgl. S. 188).

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Vergewaltigung Deidamia angekündigt, sie werde nun die Schwiegertochter des Meeres (magno nurus addita ponto, 655) und dem Himmel Enkel gebären. Genauso kündigt er Lykomedes an, dass er nun sein Schwiegervater wird (socer, 898). Achill übernimmt nun die Rolle seiner Eltern und bittet in deren Namen nachdrücklich (poscunt, 900) um eine seiner Töchter. Mit einer Reihe von Fragen überrumpelt er hierauf Lykomedes. Mit dasne (901) fragt er nach seiner Zustimmung. Als er diese wohl nicht sofort erhält, hebt er mit der rhetorischen Frage an gens humilis tibi degeneresque videmur? (901) nochmals seine Herkunft hervor. Gleichzeitig wird dabei nochmals deutlich, dass Achill auch im Namen seiner Familie spricht (videmur). Eine Ablehnung würde die Ehre von Achills gens verletzen, die sich durch die Ehe ja mit einer deutlich niedriger stehenden Familie verbindet. Dass Lykomedes nicht ablehnt (non renuis? 902), fasst Achill als Zustimmung auf und fordert Lykomedes auf, die Ehe zu schließen (iunge ergo manus et concipe foedus, 902). Nachdem er so Lykomedes suggeriert hat, der Ehe schon zuzustimmen, fügt er daran die Aufforderung an, seiner eigenen Familie zu verzeihen (atque ignosce tuis, 903), zu der er selbst sich hier unter Umständen schon zählt. Hierauf eröffnet er ihm, dass er mit Deidamia eine heimliche Liebesbeziehung führt und der Geschlechtsverkehr schon vollzogen ist (tacito iam cognita furto | Deidamia mihi, 903 f.). Die Schuld dafür nimmt er jedoch ganz auf sich, indem er deutlich macht, dass Deidamia keine Möglichkeit hatte, sich ihm zu widersetzen. Dabei macht er nochmals deutlich, dass es sich bei ihm um einen kaum zu bezwingenden Krieger handelt. Niemand – auch nicht Deidamia – kann seinen Muskeln Widerstand leisten (quid enim his obstare lacertis, 904). Der darauffolgende Vers ist in der Handschrift P korrupt und wurde von Kohlmann zu qua potuit nostras possessa repellere vir verbessert. Mit dieser Variante würde die erste Frage nochmals verstärkt werden. Dagegen würde die in ω überlieferte Variante quae700 potuit nostras possessa evadere flammas auf der ersten Frage in 904 aufbauen. Damit würde auch das vorzeitige Sinnverhältnis des Partizips possessa mehr Sinn ergeben: Welche Frau könnte Achill widerstehen, wenn sie einmal mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt hat?701 Dies würde dann aus Achills selbstbewusster Sicht erklären, weshalb Deidamia die Vergewaltigung ihrem Vater nicht angezeigt hat und stattdessen weiter mit ihm – und nun wohl freiwillig – den Geschlechtsverkehr vollzogen hat (vgl. Ach. 1,669).

700 701

Für das Relativpronomen sind in den Handschriften die verschiedensten Varianten überliefert: qui (EK2), quid (BCKQU), que (R), quo (H). Vgl. Britannicus, zitiert nach Amar/Lemaire (1827), 583 (ad 2,231) „flammas. Amores et amplexus“.

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Achill ist bereit, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen (me luere ista iube, 906). Er bietet Lykomedes an, seine Waffen wieder niederzulegen, sie den Griechen zurückzugeben (pono arma et reddo Pelasgis, 906) und auf Skyros zu bleiben (et maneo, 907). Wie ein guter Redner nimmt Achill die Emotionen seines Zuhörers wahr und reagiert darauf: Achills Eröffnung stößt bei Lykomedes auf Ablehnung: Durch lautes Stöhnen macht er seine Traurigkeit und seinen Unwillen deutlich (quid triste fremis? 907) und verändert seinen Blick (quid lumina mutas? 907). Deswegen stellt Achill ihn vor vollendete Tatsachen und teilt ihm mit, dass er faktisch durch den Vollzug der Ehe vor der Eheschließung schon Achills Schwiegervater ist (iam socer es, 908). Die Dramatik der Situation steigert er noch dadurch, dass er Lykomedes seinen Sohn vor die Füße legt (natum ante pedes prostravit, 908) und ihm mitteilt, dass er zusätzlich schon Großvater geworden ist (iamque avus, 909).702 Nach Achills Argumentation muss Lykomedes, wenn er Achill und Deidamia mit dem Tod bestrafen will, nun auch zusätzlich sein Enkelkind töten. Durch Achills Ausruf inmitis quotiens iterabitur ensis! (909) hat dies eine besonders dramatische Wirkung. Achill ist zusammen mit Deidamia und dem Kind als Familie eine Einheit, die zu bestrafen viel Blutvergießen kosten würde: turba sumus (910). Achills Rede unterstützen die Griechen zusätzlich durch Bitten, unter denen Odysseus besonders hervorgehoben wird (blandusque precum conpellit Ulixes, 911). Ihre Argumentation läuft besonders auf die heiligen Handlungen, die vollzogen wurden, und damit die Ehrverpflichtung hinaus, die Lykomedes gegenüber Achill hat, da er ihn als Gast aufgenommen hat (per sacra fidemque | hospitii, 910 f.). Dies sind jedoch nicht die Argumente, die Lykomedes dazu bringen, nachzu‐ geben. Dieser wägt nun die verschiedenen Argumente gegeneinander ab: ille, etsi carae conperta iniuria natae et Thetidis mandata movent prodique videtur depositum tam grande deae, tamen obvius ire tot metuit fatis Argivaque bella morari; fac †velit†: ipsam illic matrem sprevisset Achilles. nec tamen abnuerit genero se iungere tali: vincitur. arcanis effert pudibunda tenebris Deidamia gradum, veniae nec protinus amens credit et opposito genitorem placat Achille. (Stat. Ach. 1,912–920)

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Damit erfüllt Achill gleichzeitig Lykomedes’ Wunsch nach männlicher Nachkommen‐ schaft, den er zuvor gegenüber Odysseus und Diomedes geäußert hatte (vgl. Ach.1,780). Vgl. auch Gärtner (2010), 300.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Zunächst werden die Gründe aufgeführt, die für Lykomedes dagegen sprechen, Achill Deidamia heiraten zu lassen. Dabei wird jedoch schon zu Beginn klar, dass diese Gründe ihn letztendlich nicht zurückhalten werden (etsi, 912). Dazu zählt das Unrecht, das seine Tochter durch Achill erlitten hat (carae conperta iniuria natae, 912), aber vor allem auch Thetis’ Aufträge (Thetidis mandata, 913). Der Schutz von Achill, den Thetis selbst gegenüber der Insel Skyros als depositumque ingens (1,385) bezeichnet hat, nimmt er selbst auch als depositum tam grande deae (914) war. Allerdings erkennt auch Lykomedes Achills Bestimmung und hat nicht den Mut, sich den fata zu widersetzen (tamen obvius ire | tot metuit fatis, 914 f.) und den Krieg gegen Troja weiter zu verzögern (Argivaque bella morari, 915). Die Echtheit der folgenden zwei Verse (916 f.) wurde teils angezweifelt.703 Nach den meisten Editionen lauten sie folgendermaßen: fac †velit†: ipsam illic matrem sprevisset Achilles. nec tamen abnuerit704 genero se iungere tali: (Stat. Ach. 1,916f.)

Nach Interpretation der meisten Übersetzer, würde der erste Teil des Verses ein Zugeständnis ausdrücken. Gesetzt den Fall, dass Lykomedes Achill zurückhalten würde, dann hätte Achill sich sogar seiner Mutter widersetzt.705 Grammatika‐ lisch ist der Vers jedoch problematisch: Mit fac und Konjunktiv wird gewöhnlich ein Imperativ verstärkt.706 Eine Aufforderung des epischen Erzählers an Lyko‐ medes, Achill als Schwiegersohn abzulehnen, wäre jedoch hier kaum sinnvoll. Will man die Konzession ausdrücken, müsste man fac velle wie in Verg. Aen. 4,540 und Stat. Theb. 2,449 konjizieren:707 fac velle – ipsam illic matrem sprevisset Achilles – nec tamen abnuerit genero se iungere tali: (Stat. Ach. 1,916f.)

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Vgl. Dilke (1954=2005), 140 (ad 1,916), Nuzzo (2012), 160 (ad 1,916). Ausführlich auch zu den Gründen Thomas (1966), 115f. Hall (2007) hat hier die Variante abnueret. Ein Irrealis der Gegenwart ergibt hier jedoch keinen Sinn. Lykomedes stimmt ja im Endeffekt zu. Vgl. Britannicus, zitiert nach Amar/Lemaire (1827), 584 (ad 2,241) „fac velit. Occurrit, quae posset fieri objectioni. Si, inquit, ipsa mater filium domi continere voluisset, filius matris obedientiam abjecisset, quasi dicat non mirum esse si a Lycomede retentus non sit. – Fac velit. Saubaudi, retinere.“ Vgl. auch Shackleton Bailey (2003b), 381 „Suppose he so desired, Achilles would have spurned even his mother in this.“ So auch Thomas (1966), 117 f., die argmentiert die Konjuntive seien als „virtual oratio obliqua“ (ebd. 118) erklärbar. Vgl. Kühner/Stegmann II,1, 205 (§ 52,1), ThlL VI,1 (1912), 105.1–47, s.v. facio. Zu fac mit einem Infinitiv zum Ausdruck einer Bedingung auch Cic. de orat. 2,226, Cic. S. Rosc. 97 und Cic. Phil. 2,5.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Damit würde deutlich, dass, selbst wenn Lykomedes eigentlich ablehnend gestimmt wäre, er doch zustimmen würde. Er hat zwar Thetis’ Auftrag nicht ausgeführt, aber er erkennt, dass er sich den fata nicht entgegenstellen und den Trojanischen Krieg nicht aufhalten kann. Und selbst, wenn er es gewollt hätte, hätte sich, wie im Einschub deutlich wird, Achill selbst seiner Mutter, der Göttin, widersetzt – und damit erst recht einem schwachen König wie Lykomedes. Wo er jetzt jedoch die Gelegenheit hat, seine Tochter mit einem Mann wie Achill zu verheiraten, kann er dies kaum ablehnen.708 Ein Schwiegersohn wie Achill ist eine Ehre. Somit ist es klar, dass Lykomedes’ Entscheidung für Achill fällt: Er wird überzeugt (vincitur, 918). Deidamia kann dies zunächst kaum glauben (veniae nec protinus amens | credit, 919 f.) und stellt sich hinter Achill und stimmt so ihren Vater zufrieden (opposito genitorem placat Achille, 920), der so erkennt, dass auch Deidamia mit Achill als ihrem Ehemann zufrieden ist. Lykomedes, der schon zuvor von Odysseus und dem epischen Erzähler als placidissimus (1,729, 845) bezeichnet worden ist, hat nun wieder seinen friedlichen Grundzustand erreicht. Der restliche Tag ist von Kriegsvorbereitungen und der Hochzeit zwischen Achill und Deidamia geprägt: Mittitur Haemoniam, magnis qui Pelea factis impleat et classem comitesque in proelia poscat. nec non et geminas regnator Scyrius alnos deducit genero viresque excusat Achivis. tunc epulis consumpta dies, tandemque receptum709 foedus et intrepidos nox conscia iungit amantes. (Stat. Ach. 1,921–926)

Es werden Boten nach Thessalien geschickt, die Peleus über die bedeutenden Ereignisse in Kenntnis setzen sollen (magnis qui Pelea factis | impleat, 921 f.).710 Wichtig für Achill und seine Rolle vor Troja ist, dass diese gleichzeitig um Schiffe (classem, 922) und Schlachtgefährten (comitesque in proelia, 922) bitten sollen. Es ist also alles bereit, dass Achill in Aulis auf die Myrmidonen stoßen 708

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710

Parkes (2008), 397 Fn. 89 zieht hier eine Parallele zu Stat. Theb. 2,189f.: subicit: 'anne aliquis soceros accedere tales | abnuat? Im Vergleich zu Adrastos, der Polyneikes seine Tochter als Ehefrau anbiete finde in der Achilleis ein Umschwung in den Machtverhält‐ nissen statt. Hier folge ich nicht der Edition von Dilke (1954=2005), sondern der Mehrheit der Handschriften. Die Variante retectum (P) macht meines Erachtens an dieser Stelle wenig Sinn. Dass Achill und Deidamia eine Liebesbeziehung geführt haben, wird ja nicht erst nach der Hochzeitsfeier entdeckt. Gemeint ist damit m. E. Achills Verwandlung zum epischen Krieger und nicht so sehr die Heirat von Achill und Deidamia. So Bitto (2016), 329.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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kann. Auch von Lykomedes erhält Achill militärische Unterstützung. Dieser lässt für seinen Schwiegersohn zwei Schiffe vom Stapel laufen (geminas […] alnos | deducit genero, 923 f.)711 und entschuldigt sich nochmals bei den Griechen für seine geringen Streitkräfte (viresque excusat Achivis, 924). Darauf findet das Hochzeitsbankett statt (tunc epulis consumpta dies, 925) und Achill und Deidamia nehmen, ohne Furcht vor einer Entdeckung haben zu müssen (intrepidos […] amantes, 926), in der Nacht ihre Liebesverbindung wieder auf (tandemque receptum | foedus, 925 f.). Achills Rede war also höchst erfolgreich. Dabei hat er geschickt Lykomedes manipuliert und ist auf seine Emotionen eingegangen. Letztendlich bleibt Ly‐ komedes nichts anderes übrig als nachzugeben, da er von Achill vor vollendete Tatsachen gestellt wird und die Aussicht auf einen solchen Schwiegersohn alle dagegensprechenden Gründe aufwiegt. Dass er Lykomedes rhetorisch überzeugt hat und nicht durch Waffengewalt, stellt keine Pathosreduktion dar.712 Vielmehr sind Überzeugungsreden auch ein typisches Element für Epen wie die Ilias, die von Ps.-Longin den Pathosepen zugeordnet werden.713 Zusätzlich sind die Affekte, die durch die Rede ausgelöst werden, keineswegs marginal. Lykomedes, der eigentlich sonst ein sehr ruhiger König ist (placidissimus, 729, 845), erlebt in kurzer Abfolge die verschiedensten Affekte (vgl. movent, 913) wie Furcht vor Achill als Krieger, Freude über Achills schmeichelnde Worte, Mitleid mit Deidamia, Angst, den fata und den Griechen Widerstand zu leisten, und schließlich den Wunsch, einen Schwiegersohn wie Achill zu haben. Auch nach Abschluss der Rede ist zwar Lykomedes placatus, aber nicht seine Umgebung. Nun wird durch die Rüstungen auch auf Skyros deutlich, dass alles auf den Trojanischen Krieg hinausläuft. Die eigentliche Hochzeitsfeier wird sehr gerafft dargestellt und erscheint als Vollendung und – im Gegensatz zu anderen Hochzeiten, die den Beginn einer Beziehung markieren – als Abschluss der Liebesbeziehung zwischen Achill und Deidamia.

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Bitto (2016), 329 fasst deducere „poetologisch als kallimacheisch markiert“ auf. Daher finde Pathosreduzierung statt. Vgl. jedoch zur gewöhnlichen Kollokation naves deducere in militärischen Kontexten ThlL V,1 (1910), 278.44–278.66, s.v. dēdūco unter der Bed. 2b „naves in mare mittere“. Auch dass die Flotte klein ist und deswegen kallimacheischen Ansprüchen auf ein dichterisches Werk entspricht, halte ich für keine überzeugende Deutung. Vgl. Bitto (2016), 328. Siehe bspw. Odysseus’ Rede im zweiten Buch der Ilias, die die Griechen überzeugt, nicht zu fliehen, oder Priamos’ Rede im 24. Gesang der Ilias, mit der er Hektors Leichnam auslöst.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

2.3.7 Achills Abschied von Skyros und Deidamia Während Achill voller Kriegsbegeisterung Vorbereitungen für den Trojanischen Krieg getroffen hat, treibt der Krieg in der Hochzeitsnacht vor allem Deidamia um:714 Illius ante oculos nova bella et Xanthus et Ide Argolicaeque rates, atque ipsas cogitat undas auroramque timet. cara cervice mariti fusa novi lacrimas iam solvit et occupat artus: (Stat. Ach. 1,927–930)

Vor Deidamias Augen stehen die Schauplätze des Trojanischen Krieges (nova bella, 927) und damit die Orte, an denen Achill kämpfen wird: Der Skamander (Xanthus, 927) und das Idagebirge (Ide, 927). Zudem denkt sie an die Schiffe der Griechen beziehungsweise das Schiffslager (Argolicaeque rates, 928). Das Meer, das Achill überqueren muss, um nach Aulis beziehungsweise Troja zu kommen, bereitet ihr Sorgen (ipsas cogitat undas, 928)715 und sie fürchtet sich vor dem Morgen, an dem Achill sie verlassen wird (auroramque timet, 929). Sie umschlingt Achills Nacken (cara cervice mariti | fusa novi, 929 f.), beginnt zu weinen (lacrimas iam solvit, 930), umarmt ihn und spricht Achill damit sehr emotional an (occupat artus, 930). In ihrer Abschiedsrede, die in ihrer Form und ihren Elementen typisch für das Epos ist,716 mischt Deidamia Elemente eines Propemptikons 717 mit Elementen der Klage einer verlassenen Heroine:718

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Heslin (2005), 138 weist auf die Uneindeutigkeit von illius hin. Erst in Vers 929 wird durch mariti deutlich, dass es sich bei dem Subjekt um Deidamia und nicht Achill handelt. Allerdings dauert der „Schock“ des Lesers, dass Achill sich vor dem Morgen fürchten könnte (auroramque timet) nicht allzu lange. Schon im selben Vers wird dies aufgelöst. Die Verse 927 f. würden auch für Achills Stimmung passen. Vgl. dazu auch unten zu Achills Stimmung und seinem Auftreten am nächsten Morgen (2.3.7). Damit denkt sie sehr menschlich. Mit der Meeresgöttin Thetis als Mutter kann von einem Seesturm für Achill kaum Gefahr ausgehen. Vgl. die Dissertation von Jöne (2017), 313–333 zu „Abschiedsszenen Liebender im lateinischen Epos“ mit der Behandlung der Stelle in der Achilleis. Aufgrund der ähnlichen Motivik wurden auch Parallelen zu Argias an Polynikes gerichteter Rede vor dem Auszug in den Krieg in Stat. Theb. 2,334–352 gezogen. Vgl. Juhnke (1972), 170 f., Gärtner 2010, 304 f., Parkes 2008, 398, Bitto (2016), 332–336. Allerdings gibt es keine Einzeltextreferenzen. M.E. soll hier nicht bewusst ein Bezug aufgebaut werden, es handelt sich lediglich um Topoi von Abschiedsreden. So Heslin (2005), 139. Vgl. Rosati (1992a), 256–261, Rosati (1996), 146, Bessone (2002), 189 f., Heslin (2005), 141–143, Bessone (2016), 193–196.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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‘Aspiciamne iterum meque hoc in pectore ponam, Aeacide? rursusque tuos dignabere partus719, an tumidus Teucrosque lares et capta reportans Pergama virgineae noles meminisse latebrae? (Stat. Ach. 1,931–934)

Deidamia beginnt ihre Klage mit der Frage, ob sie wohl je Achill, den sie mit seinem epischen Patronym Aeacides anspricht,720 wiedersehen wird (Aspiciamne iterum, 931) und sich an seine Brust lehnen kann (meque hoc in pectore ponam, 931). Hierauf fragt sie Achill, ob er jemals nach Skyros zurückkehren wird. Die ansonsten hauptsächlich berücksichtigten Handschriften haben hier die Lesart: rursusque tuos dignabere portus (932). Dagegen wurde hier schon seit den ersten Inkunabeldrucken der Achilleis statt portus partus konjiziert (Fer. Ven.), was als Variante auch in frühen Codices (Z2 Z8) aus dem zwölften Jahrhundert vorkommt. Erst seit Dilke schreiben Editionen, die ihm hauptsächlich folgen,721 wieder portus. Dilke fasst dies als Metapher für Skyros als sicherem Zufluchtsort auf.722 Mit partus würde Deidamia dagegen auf ihren Sohn als einen möglichen Grund verweisen, weshalb Achill Skyros wieder aufsuchen sollte.723 Deidamia fürchtet, dass sich Achill nach der Eroberung Trojas nicht an seinen Aufenthalt auf Skyros erinnern will (virgineae noles meminisse latebrae, 934). Dabei stellt sie sich vor, dass Achill dann voller Stolz auf seine heroischen Taten ist (tumidus,

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Hier weicht der Text von Dilke (1954=2005) ab. Siehe die auf den Text folgende Erklärung. Jöne (2017), 319 sieht dies als Beleg dafür, dass Deidamia hier nicht so sehr ihren Ehemann anspricht, sondern den epischen Krieger Achill. So Shackleton Bailey (2003b), Ripoll/Soubiran (2008), Rosati (1994), Hall (2007) und Nuzzo. Anders Méheust (1971), Marastoni (1974) und Traglia/Aricò (1987). Vgl. Dilke (1954=2005), 141 (ad 1,932). Allerdings ist meines Erachtens diese Metapher nicht unbedingt verständlich und mit den Stellen bei Cicero, die Dilke nennt, kaum vergleichbar. Auch im Vergleich mit den Stellen im ThlL zu dieser Bedeutung von portus wird deutlich, dass dieses Bild meist gebraucht wird, wenn entweder die Seefahrtsme‐ taphorik schon ausgebaut ist oder portus in einem Hendiadyoin oder Ähnlichem durch beispielsweise requies erklärt wird. Vgl. ThlL X,2 (1980), 62.52–63.77, s.v. portus unter der Bed. B 2. „respicitur periculorum perfugium, salus, requies, otium sim.“. Rosati (1992b), 276 sieht weniger einen metaphorischen Sinn, sondern eher einen realen Sinn. D.h. mit portus wäre Achills Rückkehr nach Skyros gemeint. Die Argumentation von Ripoll/Soubiran (2008), 276 (ad 1,932), dass partus hier unpas‐ send wäre, da damit das Kind aus Perspektive der Mutter bezeichnet wird, halte ich für nicht überzeugend. Schließlich spricht Deidamia über ihr Kind. Rosati (1992b), 276 f. argumentiert, partus müsse zurückgewiesen werden, da im elegischen Kontext der Rede ein Verweis auf den Sohn unangemessen sei. Verlassene Frauen würden ansonsten nur darüber klagen, dass sie selbst von ihrem Mann verlassen würden. Vgl. jedoch bspw. Ov. epist. 6,119–124 (Hypsipyle an Iason).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

933) und mit Beute beladen heimkehrt (Teucrosque lares et capta reportans | Pergama, 933 f.). Mit ihrer Befürchtung, Achill könnte Skyros verschweigen wollen, hat Deidamia Recht: Achill lässt später seinen Bericht über seine Jugend bei Chiron mit et memini et meminisse iuvat: scit cetera mater (Ach. 2,167) enden. Achill will tatsächlich Skyros nicht erwähnen, während seine Kindheit in Thessalien das ist, woran er sich erinnern will. Allerdings hat sie mit ihrer Vorhersage, dass Achill aus Troja zurückkehren wird, Unrecht. Für den Leser, der dies natürlich weiß, erhält damit Deidamias Abschied eine tragische Färbung, die auf Achills bevorstehenden Tod hinweist. Deidamia wird hierauf von ihrer Erkenntnis überwältigt, dass ihr kaum noch Zeit mit Achill vergönnt ist. Dies macht sie mit mehreren verzweifelten Fragen und Ausrufen deutlich: quid precer, heu, timeamve prius? quidve anxia mandem, cui vix flere vacat? modo te nox una deditque inviditque mihi. thalamis haec tempora nostris? hicne est liber hymen? o dulcia furta dolique, o timor! abripitur miserae permissus Achilles. (Stat. Ach. 1,935–939)

Sie weiß nicht, um was sie bitten soll (quid precer, 935), oder was sie als erstes fürchten soll (timeamve prius, 935). Genauso ist sie ratlos, was sie Achill als Mahnungen auf den Weg geben soll (quidve anxia mandem, 935).724 Dies erklärt sie mit der kurzen Zeit, die kaum zum Weinen ausreicht (cui vix flere vacat, 936). Mit Achill bleibt ihr nur eine einzige Nacht, die Deidamia personifiziert. Dadurch, dass diese Nacht Deidamia Achill gleichzeitig gibt und Achill am nächsten Tag gehen wird, empfindet sie diese Nacht als grausam (deditque | inviditque mihi, 936 f.). Dies verdeutlich sie nochmals mit zwei empörten Fragen. Durch diese wird deutlich, dass die Ehe viel zu kurz ist, wenn Achill am darauffolgenden Tag gehen muss (thalamis haec tempora nostris? 937), und sie und Achill ihre Ehe deswegen nicht frei ausleben können (hicne est liber hymen? 938). Deswegen sehnt Deidamia sich nun nach der Zeit vor der Ehe, als sie die Liebesbeziehung mit Achill heimlich führte. Diese Zeit verklärt sie in einem affektiven Ausruf verstärkt durch die Partikel o als dulcia furta dolique (938). Selbst die Furcht, die sie damals verspürt hat, scheint ihr nun erstrebenswert (o timor! 939). Gerade zu dem Zeitpunkt, als ihr der (sexuelle) Umgang mit Achill erlaubt wurde (permissus Achilles, 939), wird er ihr geraubt (abripitur miserae, 939).

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Jöne (2017), 319 f. deutet die Häufung der Daktylen in Vers 935 als Zeichen, „dass Deidamia ihre Gedanken aufgewühlt „heraussprudeln“ lässt“.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

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Hierauf fordert Deidamia Achill auf, zu gehen, und verbindet diese Auffor‐ derung mit zusätzlichen Mahnungen: I – neque enim tantos ausim revocare paratus –, i cautus, nec vana Thetin timuisse memento, i felix nosterque redi! […] (Stat. Ach. 1,940–942)

Deidamia wagt es genauso wenig wie Lykomedes (914 f.), die Vorbereitungen für den Trojanischen Krieg zunichtezumachen (tantos […] revocare paratus, 940) und Achill auf Skyros zurückzuhalten. Deswegen fordert sie ihn in drei aufeinander folgenden Versen mit besonders betontem i am Versanfang auf, nach Troja aufzubrechen. Achill soll jedoch vorsichtig sein (i cautus, 941) und daran denken, dass Thetis’ Angst um Achill nicht grundlos war (nec vana Thetin timuisse, 941). Ihre letzte Aufforderung, zu gehen verbindet sie mit Glückwünschen für Achills Reise (i felix, 942) und der Mahnung, als ihr treuer Ehemann nach Skyros zurückzukehren (nosterque redi! 942). Deidamia erkennt jedoch sofort, dass sie damit fast zu viel von Achill verlangt: […] nimis improba posco: iam te sperabunt lacrimis planctuque decorae Troades optabuntque tuis dare colla catenis et patriam pensare toris, aut ipsa placebit Tyndaris, incesta nimium laudata rapina. ast egomet primae puerilis fabula culpae narrabor famulis aut dissimulata latebo. (Stat. Ach. 1,942–948)

Die Eifersucht, die Deidamia dabei zeigt, ist dabei auch ein typisches Element einer Abschiedsrede.725 Damit will sie auch seinen Widerspruch und den Treue‐ schwur (956–959) provozieren. Den Wunsch nach Achills Treue bezeichnet sie als nimis improba (942) und verkehrt damit die Wertbegriffe. Deidamia stellt sich nun vor, dass die Troerinnen, die trotz der Trauer über den Verlust ihrer Männer schön sind (lacrimis planctuque decorae, 943), sich nach Achill sehnen (te sperabunt, 943), hoffen, von ihm versklavt zu werden (optabuntque tuis dare colla catenis, 944), und die Schuld, die Troja auf sich geladen hat, in Achills Bett ableisten wollen (patriam pensare toris, 945). Schließlich kommt Deidamia auf Helena zu sprechen, die sie abschätzig als incesta nimium laudata rapina (946) bezeichnet. Deidamia kann sich auch hier vorstellen, dass diese Achill gefallen könnte (aut ipsa placebit | Tyndaris, 945 f.). Damit ahnt sie eine von

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Vgl. Jöne (2017), 322 m. Fn. 1204.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Achills Liebesbeziehungen voraus, die in den Kypria dargestellt wurden.726 Sich selbst sieht sie als Gegensatz zu Achills künftigen Liebschaften vor Troja (ast egomet, 947). Deidamia prophezeit, dass von ihrer Liebe und Ehe nur noch eine Jugendgeschichte übrigbleibt, die unter Dienern kursieren wird (narrabor famulis, 948)727 oder gänzlich unbekannt sein wird (aut dissimulata latebo, 948). Selbst im Falle, dass von ihr erzählt werden sollte, wäre sie nicht als Achills Ehefrau bekannt, sondern als seine erste Jugendliebe (primae puerilis fabula culpae, 947). Um weiter Achill nah sein zu können, bietet Deidamia schließlich Achill an, ihn zu begleiten: quin age, duc comitem; cur non ego Martia tecum signa feram? tu thyrsa manu Baccheaque mecum sacra, quod infelix non credet Troia, tulisti. (Stat. Ach. 1,949–951)

Deidamia schlägt vor, dass sie als Kriegerin Achill nach Troja begleiten könnte (quin age, duc comitem, 949).728 Für Deidamia spricht in ihrer Argumentation nichts dagegen, dass sie zusammen mit Achill in den Krieg zieht (cur non ego Martia tecum | signa feram? 949 f.). Der Grund hierfür ist Achills Exemplum: Wenn Achill sich als Mädchen verkleiden konnte, weshalb sollte dann nicht Deidamia eine männlich konnotierte Tätigkeit ausüben können?729 Dabei macht sie deutlich, dass ihrem Ziel (signa feram, 950) Achills vorherige Tätigkeit entspricht (thyrsa manu Baccheaque […] | sacra […] tulisti, 950 f.; vgl. auch 1,603). Genauso ist die Hervorhebung ihrer Person (ego, 949) in ihrem Wunsch parallel zu Achill (tu, 950) aufgebaut. Während Achill auf Skyros Deidamias Begleitung war (mecum, 950), so will sie nun vor Troja seine Begleitung (tecum, 949) sein. Dass sich der epische Krieger Achill als Mädchen verkleidet hat, erscheint im Nachhinein als eine so unglaubliche Erzählung (quod infelix non credet Troia, 951), dass Deidamia es auch für möglich hält, dass sie selbst als epische Kriegerin bestehen könnte.

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Ἀχιλλεὺς Ἑλένην ἐπιθυμεῖ θεάσασθαι, καὶ συνήγαγεν αὐτοὺς εἰς τὸ αὐτὸ Ἀφροδίτη καὶ Θέτις. (Prokl. Chrestomathia 80 Severyns = PEG I Cypria Argumentum p. 42.59f.). Jöne (2017), 324 versteht unter famulis Achills Geliebte vor Troja. Siehe auch Klodt (2009), 197. Vgl. dazu das „Comes-Motiv“ in Abschiedsreden Jöne (2017), 451–459. Vgl. auch Heslin (2005), 139: „What constitutes gender if not the performance of certain gender-specific roles? If performative competence is what makes a man go to war and a woman stay home, then what a priori reason is there to prevent a woman from trying a male role? […] [I]f a man like Achilles can perform adequately the duties of the female, then the potential exists for the gender bar to be crossed in the other direction, too.“

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

205

Zum Schluss ihrer Rede kommt Deidamia wieder auf ihren gemeinsamen Sohn mit Achill zu sprechen: attamen hunc, quem maesta mihi solacia linquis, hunc saltem sub corde tene et concede precanti hoc solum, pariat ne quid tibi barbara coniunx, ne qua det indignos Thetidi captiva nepotes.’ (Stat. Ach. 1,952–955)

Wenn alle vorherigen Bitten nutzlos waren (attamen, 952), so soll Achill doch wenigstens die Erinnerung an seinen Sohn Pyrrhus aufrechterhalten (hunc saltem sub corde tene, 953). Für Deidamia ist Pyrrhus der Trost (solacia, 952), den Achill ihr auf Skyros zurücklässt. Anders als Dido in der Aeneis, die das Fehlen eines solchen Sohnes als Trost beklagt (Verg. Aen. 4,327–330), ist Deidamia somit nicht infelix, sondern nur maesta (952).730 Die Liebe, die Achill für seinen Sohn empfindet, verbindet sie mit der einzigen Bitte, die Achill ihr unbedingt erfüllen soll (concede precanti | hoc solum, 953 f.) und auch tatsächlich erfüllen wird: Deidamia soll die einzige Frau sein, mit der Achill Kinder zeugt. Das mögliche Kind einer Trojanerin (barbara coniunx, 954) bezeichnet sie dabei abschätzig als eine Sache (pariat ne quid, 954). Achill soll an seine göttliche Abstammung denken und Thetis nicht zumuten, von einer Gefangenen weitere Enkel zu bekommen. Nur Deidamias Kind ist Thetis würdig, andere wären indigni nepotes (955).731 Deidamias Rede bewegt Achill emotional: talia dicentem non ipse inmotus Achilles solatur iuratque fidem iurataque fletu spondet et ingentis famulas captumque reversus Ilion et Phrygiae promittit munera gazae. inrita ventosae rapiebant verba procellae. (Stat. Ach. 1,956–960)

Er tröstet sie (solatur, 957), schwört ihr Treue (iuratque fidem, 957) und vergießt als eine Art Trankopfer dazu seine Tränen (iurataque fletu | spondet, 957 f.). Zusätzlich verspricht ihr Achill Dienerinnen (ingentis famulas, 958), ganz Troja (captum […] | Ilion, 958 f.) und Phrygiens Schätze (Phrygiae […] gazae, 959) als Geschenk.732 Durch einen Kommentar des epischen Erzählers wird jedoch

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Kozák (2013), 265 f. verweist auf Val. Fl. 2,422–424, zu dem sich auch Einzeltextrefe‐ renzen finden, als Parallele für das Motiv, das wiederum Didos Rede rezipiert. Jöne (2017), 327 Fn. 1226 zieht hier eine Verbindung zu Ov. epist. 3,69–74, wo Briseis sich wünscht als captiva von Achill nach Griechenland mitgenommen zu werden, aber die Ehe mit Achill einer würdigen Griechin überlässt. Vgl. auch Rosati (1992a), 162f. Damit greift er Deidamias Übertreibung aus Ach. 1,933f. auf. Vgl. Jöne (2017), 328.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

deutlich, dass Achill seine Versprechungen nicht einhalten wird. Wie Theseus in Catulls carmen 64 seine Versprechen gegenüber Ariadne bricht (irrita ventosae linquens promissa procellae, Catull. 64,59), so wird auch Achill dies tun. Anders als Theseus ist Achill, wenn er seine Versprechen bricht, jedoch nicht aktiv tätig (linquens), sondern passiv (rapiebant, Ach. 1,960). Es sind die fata, die Achill daran hindern, zu Deidamia zurückzukehren.733 Am nächsten Morgen, mit dem das zweite Buch der Achilleis beginnt und an dem Achill mit den Griechen nach Aulis aufbricht, leitet eine sehr ausführliche epische Zeitangabe den Beginn des Tages ein: Exuit implicitum tenebris umentibus orbem Oceano prolata dies, genitorque coruscae lucis adhuc hebetem vicina nocte levabat et nondum excusso rorantem lampada ponto. et iam punicea nudatum pectora palla insignemque ipsis, quae prima invaserat, armis Aeaciden – quippe aura vocat cognataque suadent aequora –prospectant cuncti iuvenemque ducemque nil ausi meminisse pavent; sic omnia visu mutatus rediit, ceu numquam Scyria passus litora Peliacoque rates escendat ab antro. (Stat. Ach. 2,1–11)

Der Sonnenaufgang über dem Meer spiegelt sich dabei in Achills Auftreten:734 Dieser hat nun wieder sein strahlendes und gleichzeitig schreckenerregendes Auftreten als epischer Krieger angenommen. Seine Brust ist entblößt (nudatum pectora, 5) von seinem purpurnen Umhang (punicea […] palla, 5)735 und er sticht durch die Waffen hervor, die er in der Verwandlungsszene an sich genommen hat (insignemque ipsis […] armis, 6). Er selbst ist besonders motiviert, da ihn der günstige Wind, den er spürt (aura vocat, 7), genauso wie das Meer lockt (cognataque suadent | aequora, 7 f.). Aufgrund dieses Auftretens richten sich

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Vgl. auch Heslin (2005), 144 „Words that for Catullus were a token of the faithlessness of men become here an acknowledgment of the futility of mortal plans and hopes.“ Ansatzweise so schon Schetter (1960), 153–155, der die Echtheit des Verses diskutiert. Anders Davis (2015), 168, der davon ausgeht, dass Achill nun Theseus’ negative Rolle übernimmt. So wie die Sonne über dem Meer erscheint, erscheint Achill strahlend und als Krieger am Strand von Skyros. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 280 (ad 2,1–30). Die Palla ist nicht nur das Gewand für römische Frauen, sondern auch die Kleidung der Schauspieler. Deswegen werden auch Heroen und Götter mit Palla dargestellt. Vgl. Kreis-von Schaewen, Renate: Palla 1, in: RE XVIII, 3 (1949), 155.

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

207

alle Blicke auf ihn (prospectant cuncti, 8). Zum ersten Mal erscheint Achill nun nicht mehr nur mit seinem Patronym als Krieger (Aeaciden, 7), sondern auch als junger Mann und Anführer einer Heeresabteilung (iuvenemque ducemque, 8). Seine Erscheinung ist so imposant, dass die Zuschauer es nicht wagen, sich daran zu erinnern, wie Achill sich auf Skyros als Mädchen verkleidet hat (nil ausi meminisse pavent, 9). Sein Aussehen ist nun völlig verändert (sic omnia visu | mutatus rediit, 9f.) und macht seinen Aufenthalt auf Skyros völlig vergessen (ceu numquam Scyria passus | litora, 10 f.).736 Sein Auftritt ist so, als hätten Odysseus und Diomedes ihn von Chirons Höhle abgeholt (Peliacoque rates escendat ab antro, 11). Der Aufenthalt auf Skyros, der nun als unfreiwilliges Exil erscheint (passus, 10), hat Achills Heldentum nicht geschadet. Vielleicht wird erst dadurch, dass Achill sich auf Skyros aufgehalten hat und dort zunächst die männliche Rolle des Liebhabers angenommen hat, die Vielschichtigkeit des Helden ermöglicht.737 Odysseus, der schon aus den homerischen Epen für seine besondere Ortho‐ praxie in der Ausführung der Opfer bekannt ist, ermahnt hierauf Achill, den Meeresgöttern Opfer für eine günstige Fahrt darzubringen:738 tunc ex more deis – ita namque monebat Ulixes – aequoribusque austrisque litat fluctuque sub ipso caeruleum regem tauro veneratur avumque Nerea: vittata genetrix placata iuvenca. hic spumante salo iaciens tumida exta profatur: ‘Paruimus, genetrix, quamquam haut toleranda iuberes, paruimus nimium: bella ad Troiana ratesque Argolicas quaesitus eo.’ sic orsus et alno insiluit penitusque Noto stridente propinquis abripitur terris: et iam ardua ducere nubes incipit et longo Scyros discedere ponto. (Stat. Ach. 2,12–22)

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So auch Hinds (2000), 241–244, der untersucht, wie im zweiten Buch Achills Verkleidung als Mädchen verschwiegen wird „What the poet does early in Book 2, I think, is to emplot a number of moves whose cumulative effect is to put the Scyrian action under erasure, sous rature, in a kind of programmatic damnatio memoriae of the episode“. (Ebd., 241). Vgl. Barchiesi (2001a), 352: „Nell’Achilleide […] Achille cresce come eroe contro la tentazione dell’otium di corte a Sciro.“ Damit findet jedoch keine Pathosreduktion statt, da so kein Seesturm entsteht (so Bitto [2016], 338 f.). Das (erfolgreiche) Opfern für Meeresgötter ist nicht unüblich für das Epos. Vgl. Verg. Aen. 3,118–120, 5,772–778, Val. Fl. 1,659–680.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Für die Meeresgötter und Winde bringt Achill Opfer dar, Neptun (fluctuque sub ipso | caeruleum regem, 13 f.) und seinem Großvater Nereus opfert er einen Stier. Thetis selbst wird durch das Opfer einer jungen Kuh wieder günstig gestimmt (vittata genetrix placata iuvenca, 15). Achill wirft die Eingeweide, die, da sie prall sind und keine Makel aufweisen (tumida exta, 16), glücksverheißend sind, in die schäumende See. Während dieser Opferhandlung spricht er seine Mutter, die Gottheit, als Priester (profatur, 16), aber gleichzeitig sehr bestimmt an. Damit unterscheidet sich seine Rede stark von einem gewöhnlichen Gebet, wie es bei einem solchen Anlass üblich wäre. Es existiert zwar eine kurze invocatio (genetrix, 17), auf die die pars epica folgt, in der Achill stark seinen Gehorsam gegenüber den unerträglichen Befehlen (haut toleranda, 17) seiner Mutter betont (paruimus […] | paruimus nimium, 17 f.). Hierauf folgen jedoch keine preces, sondern im Indikativ die Feststellung (quaesitus eo, 19), dass er sich entschieden hat in den Trojanischen Krieg zu ziehen (bella ad Troiana, 18) und zur griechischen Heeresversammlung zu stoßen (ratesque | Argolicas, 18 f.). Achill löst sich damit vollends von den Vorgaben seiner Mutter. Die Rede unterstreicht gleichzeitig sein dynamisches Handeln. Direkt nach dem Ende seiner Rede (eo, 19) springt er auf das Schiff (alno | insiluit, 19 f.). Sofort entfernt sich sein Schiff in großer Geschwindigkeit von Skyros (penitusque […] | abripitur, 20 f.). Aus Achills Perspektive bildet sich Dunst um die Insel (ardua ducere nubes | incipit, 21 f.) und sie wird kleiner (longo Scyros discedere ponto, 22). Auch wenn Achill später nochmals einen kurzen Moment der Traurigkeit erlebt, als er daran denkt, dass er nun Deidamia zurücklässt (vgl. 2.4.2), zeigt er sich in der Abschiedsszene als epischer Krieger: Während Deidamia um ihn besorgt ist, freut er sich, nun über das Meer nach Troja in den Krieg fahren zu können. Sein ganzes Auftreten strahlt Zuversicht und Optimismus aus. Achill hat sich mit seiner Abfahrt von den Weisungen seiner Mutter emanzipiert. Gleichzeitig wird durch Vorausverweise deutlich, dass Achill nicht nach Skyros zurückkehren wird und vor Troja fallen wird. Deidamias zuvor geäußerte Befürchtungen gehen jedoch teilweise fehl. Achill ist als Krieger so überzeugend, dass Deidamia kaum die Möglichkeit bedenkt, er könnte vor Troja sterben. Stattdessen kommt sie – zu Recht – zu dem Schluss, dass für Achill sein Aufenthalt auf Skyros nicht ruhmreich war und er sie selbst deshalb verleugnen und nach dem Sieg nicht zurückkehren könnte. Auch Achills Attraktivität auf Frauen sieht sie als Gefahr für ihren Status, die sie, wie sie einsieht, jedoch nicht verhindern kann. Deswegen mildert sie ihre Bitte ab, indem sie nur darum bittet, die einzige Mutter von Achills Nachkommenschaft zu sein. Dadurch, dass deutlich wird, dass nicht er selbst sein Versprechen, nach dem Krieg zurückzukehren, bricht,

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

209

sondern die fata ihn hindern werden, legt sich hier der Schatten des Krieges über Achill. Gleichzeitig wird damit auch seine epische Bestimmung deutlich. 2.3.8 Achill als epischer Held auf Skyros Insgesamt zeigt sich also auch auf Skyros trotz des Einflusses anderer Gattungen ein klares episches Narrativ, das sich durch die Handlung zieht. Für Thetis wird die Insel Skyros, die sie wegen seiner Friedlichkeit auswählt, zum Zufluchtsort für ihren halbgöttlichen Sohn. Dabei inszeniert sie die Insel als zweites Kreta beziehungsweise Delos und stellt damit Skyros in die Tradition von Inseln, die mächtige Götter wie Jupiter und Apollon versteckt haben. Gleichzeitig sind diese beiden Götter ein wichtiges Vorbild für Achill. Während Achills Quasi-Jupitersohnschaft ein durchgehendes Motiv der Achilleis ist, ist Apollon schon seit der Ilias ein Vorbild für Achill. Auf Skyros lässt sich Achill nicht durch Überredung davon überzeugen, sich als Mädchen zu verkleiden, da dies seiner Naturanlage als Krieger, seiner Herkunft als Sohn des Helden Peleus und seiner Erziehung durch Chiron widerspräche. Für den Fortlauf des Epos ist jedoch entscheidend, dass Achill nicht sofort nach Troja zieht. Würde er sofort zu dem Zeitpunkt, als Thetis ihn bei Chiron abholt, in den Krieg ziehen, würde er wie Parthenopaeus in der Thebais als puer zwar vielleicht eine große Aristie erleben, aber bald darauf fallen. Die Verzögerung des Krieges bietet ihm also die Möglichkeit, noch weiter zu altern und damit das richtige Alter für den Krieg zu erlangen. Der Aufschub ist also nötig, damit er überlebt, bis er Hektor töten kann. Zudem muss er auf Skyros Pyrrhus zeugen, der ja nach Achills Tod auch eine wichtige Funktion bei der Eroberung Trojas hat. Tatsächlich verliebt sich Achill in Deidamia und kann so davon überzeugt werden, seiner Mutter nachzugeben. Als Strukturreferenz dafür, dass sich Achill Hals über Kopf in Deidamia verliebt, dient Nausikaa in der Odyssee und Herse in Ovids Metamorphosen. Durch epische Gleichnisse wird der Vorgang des Verliebens in einen kriegerischen Kontext gesetzt. Auch Achills Reaktion würde der eines epischen Kriegers entsprechen, wenn seine Mutter nicht anwesend wäre. Thetis nutzt die Situation und kann Achill davon überzeugen, sich als Mädchen verkleiden zu lassen. Durch diese Verwandlung wird Achill nicht zur Frau, sondern er ist nur als solche getarnt. Er ähnelt einem weiblicher wirkenden Mann wie Bacchus, der als Jupiters Sohn und damit Quasi-Bruder ein wichtiges Vorbild für Achill auf Skyros werden wird. Auf Skyros unternimmt Achill, sobald seine Mutter abgereist ist, alles, um eine Beziehung zu Deidamia aufzubauen. Die Erzählung setzt sich dabei bewusst von literarischen Vorbildern wie Ps.-Bions Epithalamium Achillis et Deidameiae

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

und der Darstellung in Ovids Ars amatoria ab. Besonders Thetis’ Eingreifen und ihre Verantwortung wird in der Achilleis stärker betont. Seine Männlichkeit kommt damit viel deutlicher zum Tragen. Während Ovid gegenüber Ps.-Bion, der dies als Feigheit darstellt, Achills Gehorsam gegenüber Thetis’ Anweisungen als Akt der pietas rechtfertigt, geht Statius in seiner Rechtfertigung weiter: Achill verweigert sich Thetis’ ersten Befehlen und lässt sich erst durch Deidamias Anwesenheit überzeugen. Er befindet sich auf Skyros, da er dort Deidamia verführen kann. Achills Männlichkeit wird auch im Umgang mit den anderen Mädchen deutlich. Er ist zu Frauenarbeit wie Weben nicht geeignet. Achill übt in der Achilleis weibliche Tätigkeiten nur mit dem Ziel aus, Deidamia zu verführen. Dazu adaptiert er Methoden der Ars. Gerade dadurch gelingt es ihm, nicht zum elegischen Liebhaber zu werden, sondern weiter der Gebende und der Bestim‐ mende in der Beziehung zu sein und damit männlich zu bleiben. Durchgehend wird auch für sein Verhalten militärisches Vokabular gebraucht, was wiederum auf seine kommende Verwandlung zum epischen Krieger hindeutet. Insgesamt folgt er mit seiner Verwandlung göttlichen Vorbildern wie Herkules und Jupiter. Durch Deidamias Vergewaltigung beweist Achill sich seine Männlichkeit. Die Verkleidung als Mädchen ist für ihn unerträglich. Diese Vergewaltigung geschieht nicht wie bei Ps.-Bion und Ovid im Schlafzimmer, sondern im Rahmen eines Bacchusfestes in der Wildnis. Dadurch wirkt sein Verhalten weit archai‐ scher. Davor ist Achill als Epiphanie des Gottes aufgetreten, bei der er dem Konzept des Gottes so nah gekommen ist, dass Achill ein Bezugspunkt für den Gott ist und nicht umgekehrt. Achill hat als Bacchus’ Inkarnation nichts zu befürchten, obwohl er als verkleideter Mann den Kult stört. Während Achill durch die Vergewaltigung und den späteren einvernehm‐ lichen Geschlechtsverkehr mit Deidamia in seine sexuelle Rolle als Mann gefunden hat, wird seine kriegerische Männlichkeit offenbar, nachdem Odys‐ seus und Diomedes auf Skyros angelangt sind. Mehrmals zeigt sich beim Bankett und der Tanzvorführung Achill beinahe allen als Mann. Deidamia kann dies jedoch immer im letzten Augenblick verhindern. Als Achill die für ihn ausgelegten Waffen erblickt, ist er innerlich davon überzeugt, nach Troja zu gehen. Das Blasen der Kriegstrompete wäre dafür eigentlich nicht mehr nötig. Hierdurch wird jedoch eine Metamorphose ausgelöst. Achill entwickelt sich auf einen Schlag so, dass er Odysseus und Diomedes körperlich weit übertrifft. Diese Metamorphose in der scheinbar gefährlichen Situation macht Achills Kriegeridentität deutlich, die so stark ist, dass sie quasi göttlich ist und folglich wie eine von göttlichen Kräften ausgelöste Metamorphose wirken kann. Achill gelingt es, Lykomedes, der von den unerwarteten Ereignissen erschüt‐ tert ist, mit rhetorischem Geschick und seinem neuen Selbstvertrauen davon zu

2.3 Epos und andere Traditionen. Achill auf Skyros

211

überzeugen, ihm Deidamia zur Frau zu geben. Dabei geht er auf Lykomedes’ starke Emotionen ein und stellt ihn vor vollendete Tatsachen. Letztendlich kann Lykomedes nicht ablehnen, da er einen Schwiegersohn wie Achill aufgrund seiner Herkunft und seines künftigen Heldentums nicht zurückweisen kann. Während Skyros für Achill zum Krieg rüstet, wird die Hochzeit in sehr geraffter Form dargestellt. Sie bildet den Abschluss der Liebesbeziehung zwischen Achill und Deidamia. Auch in Deidamias Abschiedsrede scheint der Trojanische Krieg durch. Für den Leser bekommt ihre Rede eine besondere tragische Färbung, da er weiß, dass Achill nicht zurückkehren wird. Dies wird auch durch den Kommentar des epischen Erzählers noch einmal unterstrichen. Am darauffolgenden Tag wird durch Achills Auftritt deutlich, dass er nun ganz ein epischer Krieger ist. Dies wird auch dadurch verstärkt, dass er nun so furchteinflößend ist, dass die Zuschauer es nicht wagen, sich an seine Verkleidung zu erinnern. Es erscheint unglaubwürdig, dass ein solcher Krieger sich als Mädchen verkleiden konnte. Beim Opfern zeigt Achill, dass er sich von seiner Mutter gelöst hat. Er bittet sie nicht um Erlaubnis, sondern teilt ihr seine Entscheidungen mit. Auch bei der Abfahrt zeigt sich die Dynamik des Geschehens. Sobald Achill auf das Schiff nach Aulis gesprungen ist, entfernt es sich mit großer Geschwindigkeit von Skyros. Auch auf Skyros bleibt die Achilleis ein Epos und Achill ein epischer Held. Selbst die Szenen, in denen sich die Einflüsse anderer Gattungen stark zeigen, sind davon geprägt. Dies wird beispielsweise an der durchgehenden Benutzung militärischer Termini technici, der Strukturreproduktion der epischen Vorbilder und typischen epischen Szenen deutlich. Mit den Verweisen auf göttliche Vorbilder für Achill wie Jupiter, Herkules und Bacchus wird sein Verhalten teilweise legitimiert. Hierbei wird er auch in einen göttlichen Kontext gesetzt. Achill bleibt auch auf Skyros ein Mann und spricht auch aus männlicher (und kriegerischer) Perspektive. Die Verkleidung als Mädchen ist für ihn zwar zuerst nützlich, aber letztendlich unerträglich. Sobald er sich vor allen als Mann offenbart hat, zeigt er seine selbstbewusste Haltung und seinen Willen, vor Troja seine epische Bestimmung zu finden. Letztendlich kann er weder von Thetis noch von Deidamia aufgehalten werden, sein Fatum zu erfüllen. Für andere wie Lykomedes ist es sinnlos, einen derartigen Versuch zu unternehmen. Sie erkennen, dass dies von vornherein ein aussichtsloses Unterfangen ist. Gleichzeitig ist Achills Aufenthalt auf Skyros gut vergleichbar mit dem anderer Helden wie Aeneas in Karthago und Jason auf Lemnos. Für die Helden stellt dies zwar eine Verzögerung dar. Allerdings wird hierdurch auch ihr Charakter genauer gezeichnet. Achill ist schon in der Tradition vor Statius ein

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Frauenschwarm (vgl. beispielsweise den Chor in Eur. Iph. A., 206–230) und strotzt vor Selbstbewusstsein. Dadurch, dass der epische Held die Frau, mit der er – mit Ausnahme von Aeneas – auch ein Kind gezeugt hat, wegen seiner epischen Mission verlässt, wird gleichzeitig deutlich, dass er dieser epischen Mission alles unterordnet.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition 2.4.1 Die Griechen auf Aulis und ihre Suche nach Achill   2.4.1.1 Rüstung und Katalogerzählung Wie zuvor gezeigt (vgl. 2.3), zieht sich das epische Narrativ auch durch Hand‐ lungen, die auf den ersten Blick nicht episch erscheinen. Auch dort werden immer wieder Achills Männlichkeit sowie seine Anlage und Erziehung zum Helden betont. Abseits von Skyros wird dies, wie in den folgenden Kapiteln ge‐ zeigt werden soll, noch viel deutlicher. Vor allem die Ereignisse auf Aulis liegen jedoch bisher deutlich weniger im Fokus der Forschung als beispielsweise die auf Skyros. Dies liegt auch an der Stoßrichtung der dominierenden Forschung: Cela vient sans doute de ce que l’ambiance néo-homérique de l’épisode d’Aulis tranche avec la couleur alexandrine certes prédominante, mais non exclusive, dans le reste du poème, et qui suscite davantage la sympathie de la critique.739

Da die meisten Darstellungen den Einfluss anderer Gattungen nach hellenis‐ tischem Vorbild auf die Achilleis betonen, sich auf Aulis jedoch nur schwer Verbindungen zur Bukolik oder Liebeselegie ziehen lassen, wird dieser Teil der Achilleis weit weniger beachtet. Nachdem Thetis Achill auf Skyros Lykomedes übergeben hat und ihre Ab‐ schiedsworte an die Insel gerichtet hat (vgl. 2.3.1), findet der Schauplatzwechsel nach Aulis statt, wo sich die griechische Flotte versammelt: Interea meritos ultrix Europa dolores dulcibus armorum furiis et supplice regum conquestu flammata movet; quippe ambit Atrides ille magis, cui nupta domi, facinusque relatu asperat Iliacum: captam sine Marte, sine armis progeniem caeli Spartaeque potentis alumnam, 739

Ripoll (2019), n. p. [1].

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

213

iura, fidem, superos una calcata rapina. hoc foedus Phrygium, haec geminae commercia terrae? quid maneat populos, ubi tanta iniuria primos degrassata duces? – coeunt gens omnis et aetas: (Stat. Ach. 1,397–406)

Eine besondere Rolle kommt dabei dem Kontinent Europa zu, der personifiziert wird:740 Durch die Stellung im Vers nach der Penthemimeres ist er und seine Rolle als ultrix (397) besonders herausgehoben. Gleichzeitig wird mit dieser Formulierung auf Neptuns Prophezeiung über Achills Schicksal verwiesen: Der Beschluss des Götterkonzils (vgl. 2.1.2.5), es zu einem blutigen Krieg zwischen Europa und Asien kommen zu lassen (1,81–83), verwirklicht sich nun. Europas Schmerz wird vom epischen Erzähler als gerechtfertigt bewertet (meritos […] dolores, 397). Gleichzeitig wird jedoch der amor belli, der Europa ergriffen hat, als angenehm empfundenes Rachebedürftnis dargestellt (dulcibus armorum furiis, 398). Dabei ist der Wahnsinn bei Euripides spezifisch für Menelaos’ Verhalten nach Helenas Entführung (καθ᾽ Ἑλλάδ᾽ οἰστρήσας δρόμῳ, Eur. Iph. A. 77) und wird hier auf ganz Europa übertragen.741 Im weiteren Verlauf der Achilleis überträgt Odysseus Europas Darstellung als ultrix (397) auf Menelaos und bezeichnet ihn gegenüber Lykomedes als ultor (731). Der Zorn, der Europa hier bewegt, ist dabei ausgelöst (flammata, 399) durch das sehr nachdrückliche und bittende Wehklagen der Söhne des Atreus, Menelaos und Agamemnon (supplice regum | conquestu, 398 f.). Der epischen Tradition entsprechend ist auch bei Statius Agamemnon der dominierende Part bei den Bestrebungen gegen Troja, obwohl ja nicht seine Ehefrau entführt worden ist (Atrides | ille magis, cui nupta domi, 399 f.).742 Die negative Beschreibung der Atriden, die Thetis begonnen hat (tumidi, 36), setzt sich dabei fort. Natürlich (quippe, 399) ist es nicht Menelaos, der für den Krieg wirbt (ambit, 399), sondern sein Bruder, der traditionell als heroischer angesehen wird. Agamemnon bauscht dafür in seinem Bericht (relatus, 400), der in indirekter Rede zusammengefasst wird, Paris’ Tat auf und lässt sie schlimmer erscheinen als sie es tatsächlich ist (facinus […] | asperat Iliacum, 400 f.): Der Raub der Helena

740 741 742

Anders Moul (2012), 289, die mit Europa nicht den Kontinent Europa identifiziert, sondern die mythologische Person. Ripoll (2000), 106 und Ripoll/Soubiran (2008), 210 (ad 1,397–440) verweisen auf Eur. Iph. A. 77 ff. als Vorlage für die gesamten Rüstungen der Griechen. Traglia/Aricò (1987), 1033 (ad 1,399–403) und Aricò (1986), 2940 Fn. 67 beziehen dies auf Menelaos. Rosati (1992b), 273 f. argumentiert inhaltlich dagegen. Allerdings ist ein Bezug von nupta auf Helena mit einer inhaltlichen Ergänzung von rapta schon grammatikalisch nicht möglich, da dafür statt des Lokativs ein Separativ stehen müsste. Vgl. auch Jannaccone (1950), 100 (ad 1,400).

214

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

entspricht nicht dem Kodex eines epischen Kriegers, da der Frauenraub nicht im Rahmen eines Kriegszuges zustande gekommen ist (sine Marte, sine armis, 401). Zusätzlich handelt es sich bei ihr um eine sehr bedeutende Frau, da sie Jupiters Tochter (progeniem caeli, 402) und Ziehkind des spartanischen Königs (Spar‐ taeque potentis alumnam, 402) ist. Agamemnons Anklage richtet sich haupt‐ sächlich gegen den Bruch der Gastfreundschaft. Er macht deutlich, dass durch einen einzigen Raub verschiedenste Rechtsformen gebrochen wurden: Neben den menschlich gemachten Rechten (iura, 403) und dem Bruch des gegenseitig verpflichtenden Vertrauensverhältnisses zwischen Gast und Gastgeber (fides, 403) klagt er ein Verbrechen gegen die Götter (superi, 403) an, d. h. unter anderem ein Verbrechen gegenüber Jupiter als Beschützer der Gastfreundschaft und als Eidwahrer. Gleichzeitig ist dem Leser klar, dass es die suggerierte Einigkeit der Götter gegen diese Tat nicht gibt. Schließlich unterstützt Venus Paris aktiv bei der Entführung und auch die trojafreundlichen Götter wenden sich danach nicht von der Stadt ab. Auch für Agamemnon ist die Entführung ein Teil des Konflikts zwischen Europa und Asien: Analog zu dem bekannten Vorwurf aus der Aeneis, dass den Griechen nicht zu trauen ist (Verg. Aen. 2,42–49), macht Agamemnon diesen Vorwurf den Trojanern. Sarkastisch fragt er in zwei rhetorischen Fragen die Zuhörer, ob dies Teil des Freundschaftsvertrags zwischen Griechen und Trojanern (hoc foedus Phrygium, 404) und der Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten sein soll (haec geminae commercia terrae? 404).743 Schließlich macht er in einer Hyperbel deutlich, dass anderen weniger bedeutenden Menschen noch viel größeres Unheil droht (quid maneat populos, 405), wenn es schon einen Mann der Führungsschicht treffen konnte (ubi tanta iniuria primos | degrassata duces, 405 f.). Agamemnons pathetische und aufstachelnde Rede hat vollen Erfolg:744 Griechen aus allen Poleis und jeden Alters schließen sich ihm an (coeunt gens omnis et aetas, 406). Dies leitet eine Katalogerzählung ein,745 in der deutlich wird, dass die Vorbereitungen für den Trojanischen Krieg ganz Griechenland erfasst haben. Diese Katalogerzählung beinhaltet zwar nicht den fakultativen Musenanruf,746 stellt aber Bezüge zum Schiffskatalog der Ilias her, wie im Folgenden deutlich werden sollen. Die Erzählung, die aus Perspektive

743 744 745 746

Für Ripoll (2000), 106 argumentiert Agamemnon auf zwei Ebenen: Recht (iura, fides) und Diplomatie (foedus, commercia). Zur rhetorischen Ausgestaltung vgl. auch Ripoll (2000), 106 m. Fn. 135. Zu einer Definition des Katalogs vgl. Reitz (1999), 359f. Vielleicht kann der Musenanruf auch entfallen, da der epische Erzähler auf literarisch tradiertes Wissen wie den Schiffskatalog bei Homer und den Katalog in der Parodos der Eur. Iph. A. (164–302) zurückgreifen kann. Dieser ist ebenfalls ohne Musenanruf, da es sich hier um einen Bericht aus Autopsie handelt.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

215

des epischen Erzählers einen Überblick über ganz Griechenland gibt, lässt sich folgendermaßen gliedern: 407–422

Griechische Städte und Gegenden und ihr Beitrag zum Krieg

407–411

Nicht nur die Peleponnes, sondern die ganze griechische Welt ist be‐ troffen.

412–422

Griechische Städte und ihre Rüstungsgüter bzw. Truppen

423–437

Die Rüstungen in Griechenland allgemein

423–425

Alles wird für den Krieg genutzt: Alte Waffen und Weihegaben für die Götter

426–429a

Roden der Wälder

429b–437

Eisen und seine Verwendungen für den Krieg

438–440

Thessalien als Ausnahme: Ruhe und Klage über Peleus’ und Achills Alter

441–446

Fazit: Griechenland wird durch die Kriegsbegeisterung entvöl‐ kert, das Meer kann die Schiffe kaum fassen.

Tab 10: Kriegsrüstungen in Griechenland (Ach. 1,407–446)

Zunächst werden die Gegenden, die Agamemnon mit seinem Aufruf in Kriegs‐ begeisterung versetzt, aufgerufen: nec tantum exciti, bimari quos Isthmia vallo claustra nec undisonae quos circuit umbo Maleae, sed procul, admotas Phrixi qua semita iungi Europamque Asiamque vetat, quasque ordine gentes litore Abydeno maris alligat unda superni. fervet amor belli concussasque erigit urbes. aera domat Temese, quatitur navalibus ora Eubois, innumera resonant incude Mycenae, Pisa novat currus, Nemee dat terga ferarum, Cirrha sagittiferas certat stipare pharetras, Lerna gravis clipeos caesis vestire iuvencis. dat bello pedites Aetolus et asper Acarnan, Argos agit turmas, vacuantur pascua ditis Arcadiae, frenat celeres Epiros alumnos, Phocis et Aoniae iaculis rarescitis umbrae, murorum tormenta Pylos Messenaque tendunt. (Stat. Ach. 1,407–422)

216

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Dabei wird deutlich, dass die Mobilmachung die gesamte griechische Welt umfasst. Es werden nicht nur die Bewohner der Peleponnes, die dies bei der Entführung der Frau des spartanischen Königs eigentlich betreffen würde, zu den Waffen gerufen. Die Peleponnes und damit ihre Bewohner werden dabei mit ihren navigatorischen Eckpunkten, dem Isthmus von Korinth (Isthmia […] | claustra, 407 f.) und Kap Malea (undisonae […] umbo Maleae, 408), beschrieben. Die Teilnehmer, die zum Kriegszug herbeigerufen werden, kommen dagegen auch von weither (sed procul, 409).747 Als Beispiel werden die Griechen, die in der Nähe des Hellesponts wohnen (admotas Phrixi qua semita iungi | Europamque Asiamque vetat, 409 f.) und die Städte am Schwarzen Meer, die durch den Hellespont mit der Küste von Abydos verbunden sind (quasque […] gentes | litore Abydeno maris alligat unda superni, 410 f.) genannt.748 Diese Völker werden mit ordine spezifiziert. Die Deutung dieses Ablativs ist schwierig.749 Wenn man ordine genauso wie gentes aus dem Relativsatz herauszieht, könnte man Jannaccones Deutung heranziehen: „una dopo l’altra.“750 Damit würde stark betont werden, dass sich alle Städte anschließen und sich praktisch ein Zug von Schiffen vom Schwarzen Meer bis nach Aulis zieht.751 Bevor einzelne Städte und Völker genannt werden, zieht der epische Erzähler nochmals ein kurzes Fazit zur Kriegsstimmung: Diese ist voll entbrannt (fervet amor belli, 412) und führt dazu, dass sich die Städte, die zuvor von der Nachricht über die Entführung erschüttert waren, voller Euphorie an Kriegsvorbereitungen machen (concussasque erigit urbes, 412). Anders als im Schiffskatalog der Ilias (Hom. Il. 2,484–770) werden jedoch im Folgenden nicht die Anführer und die Anzahl der Schiffe genannt, die die 747 748

749

750 751

Die von Hall (2007) vertretene Variante amotae mit einem Bezug auf gentes würde nochmals verstärken, dass diese Völker weit von Sparta entfernt sind. Damit umfasst das griechische Aufgebot auch Völker wie die Thraker, die in der Ilias für Troja kämpfen. Der Krieg gegen Troja wird zum panhellenischen Feldzug, wobei die Regionen, die Griechenland zugeordnet werden, aus zeitgenössischer Sicht ausgewählt werden. Vgl. Ripoll (2010), n. p. [7]. Die meisten Kommentatoren äußern sich nicht zu ordine. Auch den Übersetzern bereitet der Satz Schwierigkeiten. So lässt Nuzzo (2012), 97 ordine in seiner Übersetzung aus. Shackleton Bailey (2003b), 343 zieht ordine in den Relativsatz hinein: „peoples that the wave of the upper sea binds in their sequence on Abydos’ coast.“ Ebd., 344 Fn. 55 kritisiert er aber selbst seine Übersetzung von 410f.: „The translation is mechanical, since there seems to be no coherent sense to be got out of quasque … superni.“ Ähnlich in ihrer Übersetzung auch Méheust (1971), 24 und Rosati (1994), 111. Mozley (1928=1969), 539 sieht litore als Ablativus loci und lokalisiert damit die genannten Völker in der Gegend um Abydos. Jannaccone (1950), 103 (ad 1,410). Vgl. auch ordo im OLD, 1267 s.v. ordo unter der Bed. „7 A line (of persons, animals, vehicles, etc.) moving or standing one behind another“.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

217

jeweiligen Gegenden beisteuern, sondern die Rüstungsgüter, die sie für den Krieg erzeugen. Die Aufzählung umfasst dabei Kriegsgegenstände jeglicher Art sowie besondere Truppengattungen: Temese, das schon aus der Odyssee (1,184) für seine Erzgruben bekannt ist, schmiedet Eisen (aera domat, 413).752 Die Kriegsvorbereitungen auf Euböa und in Mykene sind laut hörbar: Während die Küste der Insel von den zu Wasser gelassenen Schiffen erschüttert wird (quatitur navalibus ora, 413), hallt Mykene von Ambossen wider. Das in Elis gelegene Pisa erneuert die Streitwagen (Pisa novat currus, 415), die ja aus den Kämpfen in der Ilias bekannt sind. Nemea, das dadurch bekannt ist, dass Herkules’ den nemeischen Löwen bezwungen und sein Fell getragen hat, stellt entsprechend dieser Tradition Tierfelle (Nemee dat terga ferarum, 415). Kirrha, das zu Delphi gehört und damit mit Apollon assoziiert wird, befüllt voller Begeisterung (certat, 416) Köcher mit Pfeilen. Lerna wiederum, in dem Dionysos als βουγενής verehrt wird,753 bespannt Schilde mit Rindsleder (Lerna gravis clipeos caesis vestire iuvencis, 417). Hierauf folgen Truppen: Ätolien und Akarnanien stellen Fußsoldaten (dat bello pedites Aetolus et asper Acarnan, 418). Argos wiederum stellt Kavallerie (Argos agit turmas, 419). Auch die für den Kriegszug nötigen Tiere werden aufgezählt: Vieh kommt aus Arkadien, dem Land des Pan und der Bukolik. Dort leeren sich die Weiden (vacuantur pascua ditis | Arcadiae, 419 f.)754 und aus Epiros kommen schnelle Pferde (frenat celeres Epiros alumnos, 420). Im nächsten Schritt folgen die Wurfgeschosse: Die Wälder von Phokis und von Aonien dienen als Material für die Produktion von Wurfspeeren. Pylos und Messena stellen Belagerungsgeräte her (murorum tormenta, 422).755 Nach dieser personalisierenden Aufzählung der Städte und Gegenden, die nach dem geordnet ist, was sie für den Krieg stellen, wird nochmals deutlich, dass die Kriegsvorbereitungen allumfassend sind: nulla inmunis humus; velluntur postibus altis arma olim dimissa patrum, flammisque liquescunt dona deum; ereptum superis Mars efferat aurum. nusquam umbrae veteres: minor Othrys et ardua sidunt

752 753 754

755

Schetter (1960), 145 Fn. 21 sieht dies als „bemerkenswerte homerische Reminiszenz“. Vgl. zur Verbindung stiergestaltiger Götter mit Lerna Meuli, Karl: Lernaia 2, in: RE XII,2 (1925), 2089f. Für Bitto (2016), 262 ist die Kürze des Katalogs ein Kennzeichen der „Ethisierung“ des Werkes. Als Beispiel dient ihm Arkadien: In der Thebais (4,275–304) gebe es einen ausführlichen Exkurs zu Arkadien. In der Achilleis sei dives ein poetologischer Hinweis auf die mögliche Fülle des Stoffes, die hier jedoch nicht ausgeschöpft werde (vacuantur). Die Erzeugnisse der Gegenden und Städte entsprechen dem, was für sie typisch ist. Vgl. besonders zur Rolle von Pylos und Messena Williams (1986).

218

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Taygeta, exuti viderunt aera montes. iam natat omne nemus; caeduntur robora classi, silva minor remis. ferrum lassatur in usus innumeros, quod rostra liget, quod muniat arma, belligeros quod frenet equos, quod mille catenis squalentis nectat tunicas, quod sanguine fumet vulneraque alta bibat, quod conspirante veneno inpellat mortes; tenuant umentia saxa attritu et pigris addunt mucronibus iras. nec modus aut arcus lentare aut fundere glandes aut torrere sudes galeasque attollere conis. (Stat. Ach. 1,423–437)

Diese allgemeinen Rüstungen stehen wiederum in Bezug zu ihren epischen Vorbildern: Während die Kriegsrüstungen der Aeneis im vorher so friedlichen Latium (Verg. Aen. 7,623–640) übertroffen werden, ähneln die Rüstungen denen in Argos, wie sie in der Thebais (3,580–597) dargestellt werden. Kein Fleckchen Erde bleibt von den Kriegsvorbereitungen verschont (nulla inmunis humus, 423). Die Dynamik und Schnelligkeit des Geschehens werden dabei durch die folgenden kurzen asyndetisch gereihten Kola mit zahlreichen Par‐ tizipialkonstruktionen deutlich: Die jetzige Generation reißt die Waffen der vorausgehenden Generation an sich (velluntur […] | arma olim dimissa patrum, 423 f).756 Die Waffen sind nun nicht mehr wie zuvor im Frieden an Pfosten angebrachte Zierde des Hauses (postibus altis, 423), sondern werden nun ihrem eigentlichen Zweck zugeführt. Auch die Götter bleiben nicht unverschont: Ihre Weihegaben (dona deum, 425) werden eingeschmolzen (flammisque liquescunt, 424). Mars als personifizierte Gottheit des Krieges macht nun das Gold, das den olympischen Göttern entrissen worden ist (ereptum superis, 425), zu etwas Wildem und Kriegerischem (efferat aurum, 425). Der Krieg betrifft also nicht nur die Menschen, sondern greift auch auf die Tempel der Götter über. Der Ausbruch des Trojanischen Krieges wird auch landschaftlich sichtbar: Alle älteren Bäume wurden gefällt (nusquam umbrae veteres, 426) und somit schrumpfen hohe und unzugängliche Gebirge wie das Othrys- und das Taygetos-Gebirge. Auch die Berge werden personifiziert und vermenschlicht. Sie sind entkleidet (exuti, 427) und können nun den Himmel sehen (viderunt aera montes, 427). Die Abholzung betrifft jeden kleinen Wald (iam natat omne nemus, 428). Die großen Hölzer werden für den Bau der Schiffe verwendet (caeduntur robora classi, 428), kleinere für die Ruder (silva minor remis, 429). Das Fällen der Wälder für den Schiffsbau 756

Parkes (2008), 391 f. betont die Intertextualität des amor belli mit dem in der Thebais, die sich hier auch an Einzeltextreferenzen festhalten lässt (Theb. 3,580–582).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

219

ist dabei ein typisches Motiv für das Ende des goldenen und silbernen und den Beginn des eisernen Zeitalters (vgl. Ov. met. 1,94–96, 132–134). Mit dem Trojanischen Krieg hat dieses endgültig begonnen.757 Während in Ovids Weltzeitaltern das Eisen als Ursprung des Bösen (in‐ ritamenta malorum, Ov. met. 1,140) den Krieg als Konsequenz hat (prodit bellum, 142), ist es hier umgekehrt: Der Krieg führt zum Gebrauch des Eisens. Dieses wird für verschiedenste Zwecke geschmiedet (ferrum lassatur758 in usus | innumeros, 429). Auf den Hinweis, dass die Verwendungsmöglichkeiten unzählbar sind (innumeros, 429),759 folgt eine Aufzählung von verschiedenen Gegenständen, die nun für den Krieg hergestellt werden. Die Vielzahl wird dabei durch die Anapher quod der sechs sich auf ferrum beziehenden explika‐ tiven Relativsätze hervorgehoben (430–434). Die Aufzählung an sich ordnet die Gegenstände, wobei sie gleichzeitig im Verlauf der Aufzählung immer martialischer und blutrünstiger werden. Zunächst werden Gegenstände zur Befestigung oder Verwahrung aufgezählt: Befestigungen für die Schiffsschnäbel (quod rostra liget, 430), Schutzhüllen von Waffen (quod muniat arma, 430) und Zaumzeug für die Schlachtrösser (belligeros quod frenet equos, 431). Schließlich folgt Ausrüstung für die Schlacht: Kettenhemden (quod mille catenis | squalentis nectat tunicas, 431 f.), Stichwaffen (quod sanguine fumet | vulneraque alta bibat, 432 f.) und heimtückische Waffen, die mit Gift beschmiert sind (quod conspirante veneno | inpellat mortes, 433 f.) wie der Pfeil, der Philoktet verwunden wird, und der, der Achill durch Paris’ beziehungsweise Apollons Hand töten wird. Auch die Waffen werden personifiziert und erscheinen damit blutrünstig. Zusätzlich werden sie geschliffen (tenuant umentia saxa | attritu, 434 f.). Die so geschärften Waffen, die zuvor stumpf waren, erhalten so irae (435), womit in erster Linie auf ihre Schärfe verwiesen wird. Andererseits personifiziert dies die Waffen noch weiter und schreibt ihnen zusätzlich Emotionen zu. Auch in anderer Hinsicht herrscht bei den Kriegsrüstungen kein Maß (nec modus, 436): Im Übermaß werden Bögen biegsam gemacht (arcus lentare, 436), Kugeln gegossen (fundere glandes, 436), Spitzen durch Hitze gehärtet (torrere sudes, 437) und Helme mit Helmbüschen ausgestattet (galeasque attollere conis, 437).

757 758 759

Vgl. bspw. den Kontrast zwischen nondum […] | montibus in liquidas pinus descenderat undas (Ov. met. 1,94f.) und iam natat omne nemus (Ach. 1,428). Es wäre überlegenswert, ob hier nicht statt lassatur laxatur stehen müsste. Im ThlL ist die genannte Stelle als ein Beispiel für Abschreibfehler aufgeführt. Vgl. ThlL VII,2 (1976), 989.44–46 s.v. lasso. Zur (Un)zählbarkeit als Merkmal des Katalogs vgl. Reitz (2017), 106.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

In der Darstellung der Rüstungen werden also mehrere Kataloge miteinander verbunden. Auf einen Katalog der Gegenden Griechenlands und ihren Beitrag zum Krieg folgt eine Darstellung der nun allgemein produzierten Rüstungsgüter. In diese ist wiederum ein Katalog der Gegenstände integriert, die aus Eisen hergestellt werden. Auffällig dabei ist, dass nicht die Anführer der Griechen und ihr Beitrag zum Krieg genannt werden, sondern dass allein die Kriegsbegeiste‐ rung und die Rüstungen, die überall geschehen, im Fokus stehen. Ganz anders verhält es sich in Thessalien, dessen Nennung an die zuvor aufgezählten Landschaften wieder anknüpft: hos inter motus pigram gemit una quietem Thessalia et geminis incusat fata querellis, quod senior Peleus nec adhuc maturus Achilles. (Stat. Ach. 1,438–440)

Thessaliens Sonderstellung wird dabei hervorgehoben: Es ist die einzige Gegend (una, 438), die nicht von den Kriegsrüstungen betroffen ist (hos inter motus, 438). Da in Griechenland allgemeine Kriegsbegeisterung herrscht, klagt Thessalien über die Ruhe (pigram gemit […] quietem, 438) und beschwert sich über das Schicksal (incusat fata, 439). Der Grund dafür ist zweigeteilt: Peleus ist alt und kann deswegen am Krieg nicht teilnehmen (senior Peleus, 440); Achill ist noch zu jung für den Krieg (nec adhuc maturus Achilles, 440). Wie im Schiffskatalog der Ilias (Hom. Il. 2,769f.) steht Achill auch hier an letzter Stelle. In beiden Fällen kämpft er nicht: In der Ilias aufgrund seines Zorns gegenüber Agamemnon (ὄφρ᾽ Ἀχιλεὺς μήνιεν, Hom. Il. 2,769), in der Achilleis, da er noch nicht das richtige Alter erreicht hat. Während in der Ilias durch die Muse deutlich gemacht wird, dass es sich bei Achill um den besten Kämpfer vor Troja mit den besten Pferden handelt (ὃ γὰρ πολὺ φέρτατος ἦεν, | ἵπποι θ᾽ οἳ φορέεσκον ἀμύμονα Πηλεΐωνα, Il. 2,769f.), der in seiner Abwesenheit vom Schlachtfeld von Eumelos und Ajax dem Großen als den Besten vertreten wird (Il. 2,761–768), ist Achill in der Katalogerzählung der Achilleis der einzige Krieger, der überhaupt erwähnt wird. Wie auch später deutlich wird (Ach. 1,473–482), ist Achill schon der größte Held unter den Griechen, bevor er zu ihnen gestoßen ist. Mit dieser Fokussierung auf Achill ist auch im Vergleich mit Homer „die Abwandlung des Schiffskatalogs […] einer Achilleis völlig angemessen“760. Der Katalog knüpft dabei an den Truppenkatalog der Thebais an. Wie schon der Truppenkatalog in der Aeneis (Verg. Aen. 7,641–817) ist der Katalog in die epische Erzählung integriert.761 Der Katalog bei Statius steht „im Dienst der an‐

760 761

Juhnke (1972), 167. Vgl. Kühlmann (1973), 307.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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gestrebten Grundstimmung“ und ist „nicht als Szene für sich berichtet, sondern so gestaltet, daß die Partie durch Vorausverweisung auf das spätere Geschehen und durch den Bezug auf die Gesamthandlung des Epos sich organisch in die Darstellung einfügt.“762 Abgesehen von Thessalien ist nun ganz Griechenland auf dem Weg nach Aulis: Iam Pelopis terras Graiumque exhauserat orbem praecipitans in transtra viros insanus equosque Bellipotens. fervent portus et operta carinis stagna suasque hiemes classis promota suosque attollit fluctus; ipsum iam puppibus aequor deficit et totos consumunt carbasa ventos. (Stat. Ach.1,441–446)

Mars als der personifizierte Krieg hat, wie im Fazit der vorherigen Darstellung (iam, 441) deutlich wird, unter seinem Beinamen Bellipotens (443) die Peloponnes (Pelopis terras, 441) und die gesamte griechische Welt entvölkert (Graiumque exhauserat orbem, 441). Diese Kriegsbegeisterung, die Männer und Pferde in Schiffe gestürzt hat (praecipitans in transtra viros […] equosque, 442), wird als Wahnsinn charakterisiert (insanus, 442). Die Masse der Schiffe, die nun aufbricht, ist so groß, dass sie Einfluss auf das Meer hat: Die Häfen und schiffbaren Gewässer schäumen (fervent, 443) von den sie befahrenden Schiffen. Zusätzlich erzeugt die Flotte, nachdem sie aufgebro‐ chen ist (classis promota, 444), ihr eigenes Wetter auf dem Meer. Sie erzeugt Stürme (suasque hiemes, 444) und Strömungen (suosque | attollit fluctus, 444 f.). Schließlich reicht das Meer für die Schiffe nicht mehr aus (aequor | deficit, 445 f.) und jeder Wind, der auf dem Meer weht, füllt die Segel der griechischen Schiffe (totos consumunt carbasa ventos, 446).763 Damit wird klar, dass die Kriegsanstrengungen über jedes Maß hinausgehen und alles umfassen. Trotz dieser Übermacht fehlt jedoch Achill. Dies wird nochmal deutlich, sobald die Griechen ihren Sammlungspunkt Aulis erreicht haben.

762 763

Kytzler (1969), 229f. Reitz (2017), 109 f. sieht hier eine Leerstelle, da hier ein Schiffskatalog zu erwarten sei. Diese Erwartung werde weiter durch prima ratis (447) gesteigert, aber sofort enttäuscht. Gerade die Betonung von Achills besonderer Rolle unter den Helden macht jedoch einen Schiffskatalog überflüssig. Stattdessen wird durch den vorangegangenen Rüstungskatalog die allgemeine Kriegsstimmung verdeutlicht. Einzelne andere Helden haben in der Achilleis kein solches Gewicht wie Achill.

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2.4.1.2 Die Heeresversammlung auf Aulis Die Darstellung der Heeresversammlung in Aulis knüpft eng an die Rüstungen zum Krieg an. Gleichzeitig bietet die Beschreibung von Aulis die Möglichkeit auf künftige Ereignisse im Epos vorauszugreifen: Prima ratis Danaas Hecateia congregat Aulis, rupibus expositis longique crepidine dorsi Euboicum scandens Aulis mare, litora multum montivagae dilecta deae, iuxtaque Caphereus latratum pelago tollens caput. ille Pelasgas ut vidit tranare rates, ter monte ter undis intonuit saevaeque dedit praesagia noctis. (Stat. Ach. 1,447–453)

Besonders wird dabei herausgehoben, dass Aulis, dessen Ort und Lage genau beschrieben wird (448 f.), Hekate heilig ist (Hecateia […] Aulis, 447). Zum einen wird damit auf die Handlung der Iphigenie auf Aulis vorverwiesen, die zeitlich unmittelbar auf die Handlung der Achilleis, wie sie uns überliefert ist, folgt. Hierauf deutet auch die Bezeichnung der Küste als litora multum | montivagae dilecta deae (449 f.) hin. Gleichzeitig wird Hekate hier nicht einfach nur als Synonym für Diana verwendet: Mit Hekate ist auch das Unheil verbunden, das auf die Griechen zukommt. Am Kap Kaphereus wird, wie auch schon von Neptun angekündigt (1,93f.), ein großer Teil der griechischen Flotte nach der Beendigung des Trojanischen Krieges untergehen. Dieses Kap wird so beschrieben, dass eine Verbindung zur Hexengöttin Hekate gezogen werden kann. So hebt es seinen Kopf aus dem Meer, um zu „bellen“ (latratum pelago tollens caput, 451). Natürlich ist damit das Brechen der Wellen an den Felsen gemeint.764 Allerdings sind Hunde auch Attribute der Hekate und sie bellt auch selbst, um Ritualen zuzustimmen.765 Auch die Zahl drei ist für Hekate als die dreigestaltige Göttin bedeutend. Das Kap lässt je dreimal von den Felsen und dreimal von den Wellen her ein Donnern hören (ter monte ter undis | intonuit, 452 f.), sobald es die griechischen Schiffe sieht (ut vidit tranare rates, 452). All dies sind dunkle Vorzeichen, die den Sturm ankündigen (saevaeque dedit praesagia noctis, 453). Durch die Verbindung mit Hekate und somit zur Unterwelt erscheint der epische Vorverweis noch unheilvoller. Zunächst ist jedoch die Heeresversammlung vor allem für die Trojaner unheilbringend: coetus ibi armorum Troiae fatalis, ibi ingens iuratur bellum, donec sol annuus omnes 764 765

Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 215 (ad 1,451). Vgl. Sen. Med. 840f.: Vota tenentur: ter latratus | audax Hecate dedit.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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conficeret metas. tunc primum Graecia vires contemplata suas; tunc sparsa ac dissona moles in corpus vultumque coit et rege sub uno disposita est. […] (Stat. Ach. 1,454–459)

Aulis ist der Ort, an dem das griechische Heer zusammenkommt, das Troja zerstören wird (coetus ibi armorum Troiae fatalis, 454), und wo der Eid geleistet wird, gegen Troja zu kämpfen (ibi ingens | iuratur bellum, 454 f.). All dies geschieht innerhalb eines Jahres (donec sol annuus omnes | conficeret metas, 455 f.). Durch die Wiederholung von ibi (454) und tunc (456 f.) wird zunächst der Ort und dann der Zeitpunkt betont. Die Heeresversammlung führt dazu, dass Griechenland nun erstmals seine Macht erkennt (tunc primum Graecia vires | contemplata suas, 456 f.). Die zuvor zerstreute und uneinige Menge (sparsa ac dissona moles, 457) wird nun zu einem Ganzen (in corpus vultumque coit, 458) und hat unter einem König Ordnung erhalten (rege sub uno | disposita est, 458 f.). Dies wird mittels eines Gleichnisses verdeutlicht: […] sic curva feras indago latentes claudit et admotis paulatim cassibus artat. illae ignem sonitumque pavent diffusaque linquunt avia miranturque suum decrescere montem, donec in angustam ceciderunt undique vallem; inque vicem stupuere greges socioque timore mansuescunt: simul hirtus aper, simul ursa lupusque cogitur et captos contempsit cerva leones. (Stat. Ach. 1,459–466)

Mit dem Tiergleichnis steht die Achilleis in der Tradition mehrerer Gleichnisse, die in der Ilias vor dem Schiffskatalog stehen und verdeutlichen, wie die Heerführer die ungeordnete Masse der Krieger ordnen:766 Dort entsprechen die Krieger, als sie in die Ebene des Skamander aufbrechen, Vogelschwärmen, die laut und ungeordnet sind (Hom. Il. 2,459–466). Dort angekommen sind sie wie ein Schwarm Fliegen im Frühling an einem Bauernhof (Il. 2,467–473) und werden wie Ziegen, die, wenn sich zwei Herden vermischt haben, von den Hirten mühelos auseinandergetrieben werden können, wieder geordnet (Il. 2,474–477). 766

Anders Moul (2012), 293–295, die das Gleichnis nur mit den Tiergleichnissen für einzelne Krieger im Kampf vergleicht und deswegen zum Schluss kommt, das Gleichnis stünde nicht in homerischer Tradition. Deswegen diene es der Entmännlichung und Entheroisierung der Griechen. Ähnlich auch Bitto (2016), 266, der der Ansicht ist, dass so „das zuvor (bes. 1,456–458) aufgebaute Pathos gewissermaßen […] ins Ethos aufgelöst“ wird.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Das Tiergleichnis der Achilleis ist dagegen ein Jagdgleichnis. Die Griechen werden mit Wildtieren (feras […] latentes, Ach. 1,459) verglichen, die bei einer Treibjagd zusammengetrieben werden: Der Kreis der Jäger schließt die Tiere ein (curva […] indago […] | claudit, 459 f.) und treibt sie mit Netzen zusammen (admotis paulatim cassibus artat, 460). Das Gleichnis nimmt hierauf die Perspektive der Tiere ein. Sie fürchten sich vor dem Feuer und dem Lärm, den die Jäger erzeugen (ignem sonitumque pavent, 461), und verlassen deswegen das unwegsame Gelände, in dem sie sich aufgehalten haben (diffusaque linquunt | avia, 461 f.). Dabei wundern sie sich, wie ihr gewohnter Berg immer weiter schrumpft (miranturque suum decrescere montem, 462), bis sie alle in eine enge Grube fallen (donec in angustam ceciderunt undique vallem, 463). Die einzelnen Tierarten (greges, 464) staunen über die anderen (inque vicem stupuere, 464). Durch die Angst werden sie zahm und kämpfen nicht mehr gegeneinander (socioque timore | mansuescunt, 464 f.). In ihrer Situation sind nun alle Tiere gleich. Gleichzeitig werden gefährliche Tiere wie ein Eber, eine Bärin und ein Wolf gefangen (simul hirtus aper, simul ursa lupusque | cogitur, 465 f.). Auch ein ungefährlicheres Tier wie eine Hirschkuh beachtet nun gefährliche Tiere wie Löwen nicht (captos contempsit cerva leones, 466).767 In der Achilleis werden also weitaus gefährlichere und edlere Tiere als Vergleichspunkt für die Krieger gewählt. Zwar gibt es damit auch in der Achilleis ungefährlichere Krieger, die den Hirschkühen entsprechen. Allerdings überwiegt der Eindruck, der von den Raubtieren ausgeht. Gleichzeitig nehmen die Anführer der Griechen im Gleichnis der Achilleis eine dominantere Rolle ein als die in der Ilias. Als Jäger treiben sie die Krieger zusammen und ordnen sie nicht nur wie die Hirten der Ilias. In der Ilias sind die Griechen dagegen schon „gezähmt“ und leicht zu kontrollieren. Das Zusammenbringen der griechischen Truppen in Aulis ist also Voraussetzung für die Ordnung des Heeres in Troja. Allerdings haben die Anführer der Griechen auf Aulis einen schweren Stand im Vergleich zu Achill, obwohl dieser ja abwesend ist: Sed quamquam et gemini pariter sua bella capessant Atridae famamque avida virtute paternam Tydides Sthenelusque premant, nec cogitet annos Antilochus septemque Aiax umbone coruscet armenti reges atque aequum moenibus orbem, consiliisque armisque vigil contendat Ulixes, omnis in absentem belli manus ardet Achillem, 767

Die Auflösung der Grenzen zwischen jagenden und gejagten Tieren ähnelt Situationen wie der Sintflut in Ovids Metamorphosen (1,304–308).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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nomen Achillis amant et in Hectora solus Achilles poscitur; illum unum Teucris Priamoque loquuntur fatalem. quis enim Haemoniis sub vallibus alter creverit effossa reptans nive? cuius adortus cruda rudimenta et teneros formaverit annos Centaurus? patrii propior cui linea caeli, quemve alium Stygios tulerit secreta per amnes Nereis et pulchros ferro praestruxerit artus? haec Graiae castris iterant traduntque cohortes. (Stat. Ach. 1,467–482)

Die Haupthelden der Ilias sind in Aulis vertreten und schon ganz auf den Trojanischen Krieg ausgerichtet. Mit dieser Aufzählung wird ein wichtiges Element des Schiffskataloges nachgetragen. Dadurch jedoch, dass durch den Konzessivsatz die Bedeutung der schon in Aulis anwesenden Helden einge‐ schränkt wird und die gemeinen Soldaten sofort Achill vermissen, wird wieder Achill ins Zentrum der Handlung gestellt.768 Das heldenhafte Verhalten der Heroen reicht nicht aus, so dass all ihre Handlungen im Potentialis beschrieben werden.769 In der Aufzählung der Helden nehmen Agamemnon und Menelaos als Anführer des griechischen Heereszuges den ersten Platz ein. Dabei wird nochmals deren Egoismus betont: Der Trojanische Krieg ist eigentlich der Krieg der beiden Atriden (sua bella capessant, 467), die als eine Einheit aufgefasst werden (gemini pariter […] | Atridae, 467 f.). Diomedes und sein Wagenlenker Sthenelos (vgl. Hom. Il. 4,365–367) schlagen als Tydeus’ und Kapaneus’ Söhne eine Brücke zu Statius’ eigener Thebais. Sie wollen den Ruhm ihrer Väter durch ihren Ehrgeiz, Heldentaten zu vollbringen, übertreffen (famamque avida virtute paternam | […] premant, 468 f.).770 Nestors Sohn Antilochos, der in

768 769

770

Vgl. Juhnke (1972), 167f. Ripoll (2019), n. p. [4] sieht im Gedanken, dass sich alle nach Achill sehnen, einen Bezug zu Hom. Il. 9,89–172, wo die griechischen Anführer bedrängt von den Trojanern sich nach Achill sehnen: „Stace y a puisé l’idée fondamentale selon laquelle l’entrée en jeu d’Achille est l’objet d’une vive attente collective, ce qui lui permettait de mettre en valeur la figure de son héros encore enfant en faisant entrevoir proleptiquement à travers lui le futur « super-guerrier » iliadique à l’intervention duquel tout le monde serait un jour suspendu.“ Wie allerdings auch Ripoll eingesteht, beeinflusst nur das Motiv die Achilleis. Weitergehende Intertextualität mit Il. 9 ist nicht festzustellen. M.E. lässt sich dies auch als metapoetischer Verweis lesen. Die Achilleis steht in der Tradition der Thebais. Achill übertrifft in seiner Heldenhaftigkeit aber entsprechend der Tradition die Helden der Thebais. Vgl. auch Parkes (2008), 392 f. Feeney (2004), 88 f. sieht zusätzlich die Siebenzahl der griechischen Helden als einen Verweis auf die Thebais. Da im Trojanischen Krieg aber ein einziger Held ausschlaggebend sei, verlangen die Truppen nach Achill.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

der Ilias Achilles’ Gefährte ist (Hom. Il. 23,556) und ihn mit Patroklos und Ajax in der Unterwelt begleitet (Hom Od. 11,467–470), denkt nicht an sein Alter, sondern ist bereit für den Krieg (nec cogitet annos, Ach. 1,469). Ajax wiederum fällt durch seinen besonderen Schild auf, durch den er schon in der Ilias bekannt ist. Auch die Beschreibung dieses Schildes rezipiert die Ilias: Es ist aus sieben Rindshäuten gefertigt (septemque Aiax umbone coruscet | armenti reges, 470 f., vgl. Hom. Il. 7,220–223) und ähnelt einem Turm (σάκος ἠΰτε πύργον, Il. 7,219) beziehungsweise in Statius’ Übersetzung Stadtmauern (aequum moenibus orbem, Ach. 1,471). Auch Odysseus wird genannt. Er ist, wie es für seine Beschreibung typisch ist, listenreich, aber auch ein guter Kämpfer (consiliisque armisque vigil contendat Ulixes, 472). All diese Helden und die Taten, die von ihnen zu erwarten sind, reichen nicht an Achill heran, weshalb die Krieger sich in ihrer Gesamtheit (omnis […] belli manus, 473) nach ihm sehnen (ardet Achillem, 473). Dies geschieht, obwohl er noch abwesend ist (absentem, 473). Achill ist, bevor er überhaupt erst gekämpft hat, die Verkörperung des Kriegshelden schlechthin: Die Soldaten lieben seinen Namen (nomen Achillis amant, 474) und betonen seine einzigartige Stellung unter den Griechen. Für den Kampf gegen Hektor fordert man als einzigen Kämpfer Achill (in Hectora solus Achilles | poscitur, 474 f.).771 In ihrer Wahrnehmung ist er auch der Einzige, der den Untergang der Trojaner und ihres Königs Priamos bewirken kann (illum unum Teucris Priamoque loquuntur | fatalem, 475 f.). Rhetorische Fragen, die immer wieder das Interrogativpronomen aufgreifen und die sich immer wieder um dieses Thema kreisenden Gespräche der griechischen Soldaten im Heerlager auf Aulis wiedergeben (Graiae castris iterant traduntque cohortes, 482),772 machen die Gründe hierfür deutlich und lassen es als selbstverständlich erscheinen, dass Achill den Vorrang vor den andern Helden hat.773 Vor allem seine Kindheit und Jugend, die ihn einzigartig machen, sind dafür ausschlaggebend. Die Gründe werden dabei von natürlichen zu übernatürlichen gesteigert:774 Achill ist als Kleinkind in den Tälern Thessaliens durch tiefsten Schnee, in den er sich seine Bahn gegraben hat, gekrabbelt (effossa reptans nive, 477)775 und damit unter (und an) härtesten Bedingungen groß geworden (creverit, 477). Weiterhin gilt 771 772 773 774 775

Durch die dreimalige Wiederholung seines Namens wird Achill m. E. jedoch nicht erotisiert (so Bitto [2016], 267), sondern seine Bedeutung für den Trojanischen Krieg hervorgehoben. Reitz (2017), 110 bezieht den Vers auf die gesamte Aufzählung und spricht deswegen von einem „Beinahe-Katalog“. Die Aufgabe des Katalogisierens werde dabei den Beteiligten übertragen. Vgl. Ripoll (2019), n. p. [6]. Vgl. Ripoll (2019), n. p. [6]. Ripoll (2019), n. p. [6] spricht von einem locus horridus, der hier entwickelt wird.

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die Erziehung durch den Kentauren Chiron als sehr bedeutend. Er hat Achill vom Kleinkindalter an (adortus | cruda rudimenta, 477 f.) bis zum Alter eines puer erzogen (teneros formaverit annos, 478). Zusätzlich ist auch für die Griechen Achills Quasi-Jupitersohnschaft bedeutend. Für sie kann niemand näher mit Jupiter verwandt sein als Achill (patrii propior cui linea caeli, 479). Dass Thetis Achill in die Styx getaucht und so für äußere Verletzungen unverwundbar gemacht hat (ferro praestruxerit, 481), ist ein weiterer Grund, weshalb die Griechen Achill fordern. Damit ragt Achill über die anderen Helden weit hinaus und es ist von ihm weit mehr zu erwarten. Selbst unter den Heeresführern gesteht man Achill diese herausragende Stellung zu: cedit turba ducum vincique haud maesta fatetur. sic cum pallentes Phlegraea in castra coirent caelicolae iamque Odrysiam Gradivus in hastam surgeret et Libycos Tritonia tolleret angues ingentemque manu curvaret Delius arcum, stabat anhela metu solum Natura Tonantem respiciens, quando ille hiemes tonitrusque vocaret nubibus, igniferam quot fulmina posceret Aetnen. (Stat. Ach. 1,483–490)

Achills Heldentum steht dermaßen außer Konkurrenz, dass die Schar der ver‐ sammelten Helden (turba ducum, 483) neidlos eingesteht, dass Achill sie über‐ trifft (vincique haud maesta fatetur, 483). Dies wird durch ein episches Gleichnis verdeutlicht, durch das Achill noch weiter als „héros quasi jupitérien“776 stilisiert wird. Dafür werden die griechischen Helden mit den olympischen Göttern und ihren Vorbereitungen vor der Gigantomachie verglichen. Die Rüstungsszene der Götter rezipiert dabei die in Lucan. 7,144–150. Der Fokus liegt in der Achilleis jedoch weniger auf der Rüstung, sondern im Unterschied zwischen untergeord‐ neten olympischen Göttern und Jupiter selbst.777 So werden bis auf Neptun (Lucan. 7,147), der Jupiter in seinem Ansehen noch nahekommen könnte, alle Götter und ihre Bewaffnung aus dem Gleichnis bei Lucan übernommen. Dadurch wird noch deutlicher, dass Mars mit seiner Lanze (Ach. 1,485f.), Athene mit der Aigis (486) und Apollon mit seinem Bogen (487) nicht an Jupiter heranreichen. Die ganze Natur achtet nur auf Jupiter (solum Natura Tonantem | respiciens, 488 f.) und ist dabei voller Furcht (stabat anhela metu, 488). Auch Jupiter ist wie Achill noch nicht bewaffnet. Die ganze Welt befindet sich in einem Zustand der Spannung, wann er zum Kampf Unwetter heraufbeschwören wird 776 777

Ripoll/Soubiran. (2008), 219 (ad 1,484–490). Ripoll/Soubiran. (2008), 219 (ad 1,484–490). Zur Rezeption des Gleichnisses bei Lucan vgl. auch Ripoll (2014), 90f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

(quando ille hiemes tonitrusque vocaret | nubibus, 489 f.) und wie stark er sich mit den Blitzen der Kyklopen bewaffnen wird (igniferam quot fulmina posceret Aetnen, 490). Achill ist also nicht nur ein Quasi-Jupitersohn, sondern hat unter den Heroen eine Rolle inne wie Jupiter unter den olympischen Göttern. Bevor er überhaupt erst zu den Griechen gestoßen ist, übertrifft er die anderen Heroen hinsichtlich des Ruhms, den er genießt. Auch nochmals in Abgrenzung zu den weiblich konnotierten Tätigkeiten, die Achill auf Skyros ausführen wird, betont Statius dadurch, dass Achill als prototypischer Held prädestiniert ist.778 Dadurch, dass Achill noch gar nicht anwesend ist, sondern alles auf ihn wartet, wird die dramatische Spannung weiter gesteigert.779   2.4.1.3 Kalchas’ Prophetie In dieser Situation greift Protesilaos, dem bestimmt ist, als erster vor Troja zu fallen, ein und bedrängt den Seher Kalchas: Atque ibi dum mixta vallati plebe suorum et maris et belli consultant tempora reges, increpitans magno vatem Calchanta tumultu Protesilaus ait – namque huic bellare cupido praecipua et primae iam tunc data gloria mortis: ‘O nimium Phoebi tripodumque oblite tuorum Thestoride, quando ora deo possessa movebis iustius aut quaenam Parcarum occulta recludes? cernis ut ignotum cuncti stupeantque fremantque Aeaciden? sordet volgo Calydonius heros et magno genitus Telamone Aiaxque secundus; nos quoque – sed Mavors et Troia arrepta probabunt. illum neglectis – pudet heu! – ductoribus omnes belligerum ceu numen amant. dic ocius: aut cur serta comis et multus honos? quibus abditus oris quave iubes tellure peti? nam fama nec antris Chironis patria nec degere Peleos aula. heia, inrumpe deos et fata latentia vexa,

778

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Vgl. Ripoll (2019), n. p. [7] „Ce même Achille que nous voyons sous les traits charmants d’un puer immature et efféminé de type alexandrin au niveau de la narration principale est en même temps le héros prédestiné d’un univers épique grandiose et tonitruant que ce passage nous fait entrevoir par le biais de la comparaison.“ Vgl. Ripoll (2019), n. p. [4].

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laurigerosque ignes, si quando, avidissimus hauri! arma horrenda tibi saevosque remisimus enses, numquam has inbelles galea violabere vittas, sed felix numeroque ducum praestantior omni, si magnum Danais pro te dependis Achillem.’ (Stat. Ach. 1,491–513)

Die Hintergrundhandlung ist dabei weiterhin die Heeresversammlung. Diese wird nun damit umschrieben, dass die unterschiedlichen Gefolgschaften der Heeresführer das Lager in Aulis errichtet haben (mixta vallati plebe suorum, 491) und die Heerführer selbst über den richtigen Zeitpunkt für den Krieg und die Überfahrt nach Troja beraten (maris et belli consultant tempora, 492). Als Ver‐ sinnbildlichung der allgemeinen Kriegsbegeisterung dient dabei Protesilaos.780 Indem er Kalchas zur Prophetie zwingt, übernimmt er Odysseus’ Rolle in Sinons Lügengeschichte im zweiten Buch der Aeneis. Diese Verbindung zwischen der Abfahrt von Troja und von Aulis wird durch einen intertextuellen Verweis deutlich: Die zweite Vershälfte nach der Trithemimeres (increpitans magno vatem Calchanta tumultu, 493) entspricht bis auf die Verschiebung eines Wortes dem Vers der Aeneis (hic Ithacus vatem magno Calchanta tumultu | protrahit in medios, Verg. Aen. 2,122f.). Allerdings handelt es sich bei der folgenden Prophetie um eine echte Prophetie und nicht um eine falsche erzwungene Prophetie im Rahmen einer Lügenerzählung. Die Parallele zu Odysseus in der Aeneis färbt jedoch auf Protesilaos’ Charakterzeichnung ab. Er verhält sich dem Seher gegenüber ähnlich respektlos wie Odysseus.781 Dies wird noch deutlicher, da in der Achilleis nicht Sinon eingebettet in Aeneas’ Erzählung, sondern der epische Erzähler berichtet. Protesilaos’ Verhalten wird vom Erzähler aber in einem Einschub begründet. Protesilaos ist besonders begierig, Krieg zu führen (namque huic bellare cupido | praecipua, Ach. 1,494f.), und sein Fatum, als erster vor Troja zu fallen, ist schon festgelegt und sichert ihm Ruhm (primae iam tunc data gloria mortis, 495). Protesilaos klagt Kalchas zunächst als pflichtvergessenen Seher an (Phoebi tripodumque oblite tuorum, 496). Dies geht über das normale Maß hinaus (nimium, 496). Die Lage der Griechen schildert Protesilaos als besonders dringlich: Es wird keinen Zeitpunkt geben, zu dem es gerechtfertigter ist, 780 781

Vgl. Ripoll (2019), n. p. [8]. Auch in Hom. Il. 1,101–108 wird Kalchas von Agamemnon für seine Prophezeiungen gescholten, da ihm die Auskunft nicht gefällt. Vgl. Juhnke (1972), 168, Fantuzzi (2012a), 85 f. Parkes (2008), 393–395 verweist zusätzlich auf die Thebais (3,598–669) als Parallele, wo Capaneus den Seher Amphiaraus attackiert. Parkes betont dabei, dass diese Parallele Protesilaos’ epische Männlichkeit hervorhebt. Eine weitere Parallele ist sein baldiger Tod aufgrund seiner Kriegslust. Vgl. hierzu auch Ripoll (2019), n. p. [8].

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

dass Kalchas eine Prophezeiung äußert (quando ora deo possessa movebis | iustius, 497 f.). Dies verbindet er damit, dass er Kalchas unterstellt, vielleicht schon erfahrene Schicksalssprüche vor den anderen zu verheimlichen (aut quaenam Parcarum occulta recludes? 498). Hierauf weist er Kalchas auf seine sinnliche Wahrnehmung hin (cernis ut, 499):782 Alle staunen und sprechen über Achill (stupeantque fremantque, 499), obwohl er doch eigentlich als Held noch ein unbeschriebenes Blatt ist (ignotum, 499). Im Gegensatz zu Achill steht in Protesilaos’ Darstellung die Behandlung der anderen Helden. Diomedes erfährt keine besondere Achtung unter den Kriegern (sordet volgo Calydonius heros, 500). Ajax ist, wie ja auch im Schiffskatalog der Ilias (ἀνδρῶν αὖ μέγ᾽ ἄριστος ἔην Τελαμώνιος Αἴας | ὄφρ᾽ Ἀχιλεὺς μήνιεν, Hom. Il. 2,768f.) nach Achill nur der zweitbeste Kämpfer (et magno genitus Telamone Aiaxque secundus, Ach. 1,501). Dabei hebt sich Protesilaos selbst hervor, indem er sich (nos quoque, 502) als Abschluss der explizit genannten Helden nennt, die missachtet werden. Dieser Ehrverlust für die Helden lässt sich jedoch durch die Rolle, die Achill im künftigen Krieg spielen wird, und seinen Beitrag an der Eroberung Trojas wettmachen (sed Mavors et Troia arrepta probabunt, 502). Protesilaos beschreibt die Verehrung, die Achill erwiesen wird, als quasigöttlich: Achill nimmt für die gewöhnlichen griechischen Krieger die Rolle einer Kriegsgottheit ein (illum […] omnes | belligerum ceu numen amant, 503 f.). Ganz im Gegensatz dazu stehen die anderen Helden, die im Vergleich zu Achill nicht beachtet werden. Dies ist mit Schande für die Heroen verbunden (neglectis – pudet heu! – ductoribus, 503). Protesilaos zeigt sich nun sehr ungeduldig. Er fordert von Kalchas eine schnelle Antwort (dic ocius, 504) und verbindet diese Aufforderung damit, dass er Kalchas’ Status, der ihm als Seher von den Griechen eingeräumt ist, in Frage stellt (aut cur | serta comis et multus honos? 504 f.). Erst darauf gibt er zu verstehen, wozu genau Kalchas die Götter befragen soll. Kalchas soll untersuchen, wo Achill versteckt ist (quibus abditus oris, 505) und wohin die Griechen fahren sollen, um ihn abzuholen (quave iubes tellure peti, 506). Diese Frage begründet Protesilaos damit, dass Achill sich gemäß Gerüchten nicht dort aufhält, wo es zu vermuten wäre, nämlich in Chirons Höhle oder in Peleus’ Königspalast (nam fama nec antris | Chironis patria nec degere Peleos aula, 506 f.). In seiner Tätigkeit als Weissager soll Kalchas sich gegenüber den Göttern und den fata rücksichtslos zeigen und gewaltsam die Wahrheit erzwingen (inrumpe deos et fata latentia vexa, 508). Die Aufforderung, die von Apollon gegebene 782

Der Verweis auf die sinnliche Wahrnehmung als rhetorischer Beweis ist eine Parallele zu mehreren Bitten und Aufforderungen in der Achilleis. Vgl. Ach. 1,62f. (Thetis gegen‐ über Neptun), 1,351 (Thetis gegenüber Lykomedes), 1,782f. (Lykomedes gegenüber den Griechen).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

231

prophetische Gabe mit größtem Eifer anzunehmen (laurigerosque ignes, si quando, avidissimus hauri! 509), verbindet er nochmals mit der Feststellung, dass gerade jetzt der Zeitpunkt sehr geeignet ist (si quando, 509). Als letzten Punkt kommt Protesilaos quasi in einer pars epica darauf zu sprechen, welche Leistungen die Griechen Kalchas gegenüber erbracht haben und welcher Lohn ihm für eine Prophetie zu Achill winkt. Kalchas wurde erlaubt, keine Waffen zu tragen (arma horrenda tibi saevosque remisimus enses, 510) und ausschließlich in seiner Funktion als Apollopriester am Kriegszug teilzunehmen. Dadurch wird er in seinem Dienst an der Gottheit nicht eingeschränkt (numquam has inbelles galea violabere vittas, 511). Der Lohn, den Kalchas empfangen wird, nimmt die Form eines Makarismos an: Kalchas wird besonderes Ansehen unter den anderen Heroen genießen (felix numeroque ducum praestantior omni, 512), wenn es ihm gelingt, Achill aufzuspüren. Achill wird damit zu Kalchas’ Stellvertreter, den er in den Kampf schickt (si magnum Danais pro te dependis Achillem, 513). Damit färbt auf Kalchas wiederum ein Teil seines Ruhms ab. Odysseus’ Argumentation im Streit um Achills Waffen, er sei Achills würdiger Nachfolger, da er ihn zu den Griechen gebracht habe (per quem magnus Danais successit Achilles, Ov. met. 13,134), überträgt Protesilaos damit auf Kalchas. Dieser letzte Teil seiner Rede ist jedoch eigentlich nicht mehr nötig, da schon seit längerer Zeit (iamdudum, 514) deutlich wird, dass Kalchas eine Prophetie empfängt: Iamdudum trepido circumfert lumina motu intrantemque deum primo pallore fatetur Thestorides; mox igne genas et sanguine torquens nec socios nec castra videt, sed caecus et absens nunc superum magnos deprendit in aethere coetus, nunc sagas adfatur aves, nunc dura sororum licia, turiferas modo consulit anxius aras flammarumque apicem rapit et caligine sacra pascitur. exsiliunt crines rigidisque laborat vitta comis, nec colla loco nec in ordine gressus. tandem fessa tremens longis mugitibus ora solvit, et oppositum vox eluctata furorem est: (Stat. Ach. 1,514–525)

Kalchas’ Beschreibung ist dabei typisch für eine Prophetie im Epos:783 Für den Be‐ trachter wird durch die körperliche Reaktion des Sehers deutlich, dass eine Prophetie

783

Vgl. Ripoll (2010), n. p. [2].

232

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

bevorsteht.784 Unruhig lässt Kalchas seinen Blick schweifen (trepido circumfert lumina motu, 514) und durch die Blässe des Sehers wird deutlich, dass Phoebus dabei ist, von seinem Körper Besitz zu ergreifen (intrantemque deum primo pallore fatetur, 515). Hierauf verdreht er seine feurigen und blutunterlaufenen Augen (igne genas et sanguine torquens, 516). Kalchas nimmt nun seine unmittelbare Umgebung nicht mehr wahr (nec socios nec castra videt, 517). Während seine Wahrnehmung auf menschlicher Ebene derartig eingeschränkt ist (caecus et absens, 517), nimmt er nun die göttliche Welt und die dort festgeschriebenen fata wahr. Anders als Vergils Sibylle oder Lucans Phemonoe ergründet Kalchas selbst die Zukunft, indem er für seine Prophetie unterschiedliche Quellen konsultiert. Durch die dreimalige Anapher nunc wird dabei deutlich, wie er in schneller Abfolge von einem Betrachtungsgegenstand zum nächsten wechselt. Er nimmt die Götterkonzile, die die fata auch in Bezug auf den Trojanischen Krieg festgelegt haben, wahr (superum magnos deprendit in aethere coetus, 518), und befragt sowohl die Vögel, die mit ihrem Flug die Zukunft vorhersagen (sagas adfatur aves, 519), als auch direkt die Fäden der Parzen (dura sororum | licia, 519 f.). Schließlich konsultiert er die Altäre vor sich (turiferas modo consulit anxius aras, 520) und bringt sich dabei noch weiter in Trance. Dazu inhaliert er den Rauch, der von dem dort verbrannten Weihrauch aufsteigt (flammarumque apicem rapit et caligine sacra | pascitur, 521 f.). Nun verstärken sich die körperlichen Anzeichen dafür, dass Kalchas gleich eine Prophetie von sich geben wird: Seine Haare stellen sich auf (exsiliunt crines, 522), worauf sich seine Kopfbinde, die ihn als Priester kennzeichnet, kaum mehr auf den starr gewordenen Haaren halten kann (crines rigidisque laborat | vitta comis, 522 f.). Zusätzlich rollt sein Kopf haltlos umher (nec colla loco, 523) und er taumelt (nec in ordine gressus, 523). Während also die Symptome der Besessenheit vor allem denen gleichen, die Lucans Phemonoe zeigt,785 kann Kalchas die äußerlichen Anzeichen des Wahnsinns überwinden (oppositum vox eluctata furorem est, 525) und anders als bei den Seherinnen bei Vergil und Lucan wird nicht die Kontrolle des Sehers durch den Gott betont. Letztendlich hört er auf zu brüllen (fessa tremens longis mugitibus ora | solvit, 524 f.) und kann mit seiner Prophezeiung beginnen:786 ‘Quo rapis ingentem magni Chironis alumnum femineis, Nerei, dolis? huc mitte: quid aufers? non patiar: meus iste, meus. tu diva profundi?

784 785 786

Vgl. z. B. Verg. Aen. 6,77–80, Lucan. 5,162–176. Rollen des Kopfes (169 f.), gesträubtes Haar (171), Verlieren der Priesterbinde (170 f.), Kopfrollen (172) und Taumeln (169). Augoustakis (2016), 215 hält aus nicht nachvollziehbaren Gründen hier Chiron für den Sprecher.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

233

at787 me Phoebus agit. latebris quibus abdere temptas eversorem Asiae? video per Cycladas altas attonitam et turpi quaerentem litora furto. occidimus: placuit Lycomedis conscia tellus. o scelus! en fluxae veniunt in pectora vestes. scinde, puer, scinde et timidae ne cede parenti. ei mihi raptus abit! quaenam haec procul inproba virgo?’ (Stat. Ach. 1,526–535)

Anders als in Ilias und Aeneis gibt Kalchas hier keine Auskunft über die Gegenwart oder Zukunft, sondern über Ereignisse der Vergangenheit. Die Prophetie stammt also aus dem dritten Zeitbereich, den er mit seiner Sehergabe erfassen kann (ὃς ᾔδη τά τ᾽ ἐόντα τά τ᾽ ἐσσόμενα πρό τ᾽ ἐόντα, Hom. Il. 1,70). Kalchas vollzieht die bisherigen Geschehnisse des Epos nach und versucht dabei diese auch durch Apostrophen zu beeinflussen. Zunächst wendet er sich an Thetis und fragt sie, wohin sie Achill bringt. Diese Tat ist für Kalchas ein Raub (Quo rapis, Ach. 1,526),788 der, wie es typisch für Frauen sei, nicht offen, sondern durch eine List begangen wird (femineis […] dolis, 527). Achill dagegen wird als gewaltiger Held und Chirons Ziehkind charakterisiert (ingentem magni Chironis alumnum, 526). Dabei erhält auch Chiron das Epitheton ornans magnus, das für Helden charakteristisch ist. Gleichzeitig fordert Kalchas in diesem „geistige[n] Duell mit Thetis“789 diese auf, Achill nach Aulis zu bringen (huc mitte, 527). Als Thetis dieser Aufforderung nicht nachkommt (quid aufers? 527), spricht Kalchas ihr das Recht, über Achill zu verfügen, ab. Er kündigt an, dass er sie nicht gewähren lassen wird (non patiar, 528) und dass Achill ihm gehört (meus iste, meus, 528).790 Als Seher sieht er sich einer Meeresgottheit wie Thetis überlegen. Einem möglichen Einwand, er mische sich als Mensch in das Handeln der Götter ein und achte nicht Thetis’ Status (tu diva profundi? 528), entgegnet er daher, dass er als Phoebus’ Seher ihr überlegen sei (at me Phoebus agit, 529). Diese Überlegenheit beweist Kalchas auch dadurch, dass er Thetis’ Handeln weiter verfolgen kann. Das Gebet (vgl. 2.3.1), das Thetis an die Insel Skyros gerichtet hat (384–396), war damit erfolglos. Kalchas, der wie der Dichter von Apollon

787 788 789 790

Wie Hall (2007) folge ich hier Sandströms Konjektur at, statt dem in allen Codices überlieferten et. Mit et würde Kalchas ausdrücken, dass er und Thetis von Phoebus geleitet werden, was keinen Sinn ergibt. Moul (2012), 296 f. deutet quo rapis als Anspielung auf Hor. carm. 3,25,1f. (quo me, Bacche, rapis tui plenum). M.E. ist jedoch ist jedoch die Anspielung nicht klar genug ersichtlich, dass damit Achills spätere Rolle als Inkarnation des Gottes präfiguriert würde. Koster (1979), 204. Anders Econimo (2021), 762, die von Apollon als Sprecher ausgeht, womit Achills Tod angesprochen würde.

234

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

inspiriert ist,791 kann quasi der zuvor geschilderten Handlung des Epos folgen. Er kann Thetis’ Gedankengang, wo sie Achill verstecken soll (latebris quibus abdere temptas | eversorem Asiae? 529 f.), nachvollziehen. Genauso sieht er, wie Thetis die einzelnen Inseln der Kykladen durchgeht, um das perfekte Versteck für Achill zu finden (video per Cycladas altas | […] quaerentem, 530 f.). Kalchas stellt dabei wörtliche Bezüge zur vorangegangenen Erzählung des epischen Erzählers her: Thetis’ Suche wird dort mit quibus abdere terris | destinet (199 f.) beschrieben und ihre Überprüfung der einzelnen Inseln mit placet ire per artas792 | Cycladas (204 f.). Auch die Beschreibung von Thetis als attonita (531) baut Bezüge zur Darstellung des epischen Erzählers auf. Thetis wird mit diesem Adjektiv beschrieben, nachdem sie wahrgenommen hat, wie sehr Achill trotz seines Alters schon einem Helden ähnelt (1,185, 283). Für Kalchas ist Achills Entführung aus den Händen von Chiron ein turpe furtum (531). Durch Ausrufe steigert sich das Pathos weiter: Die Handlung nimmt damit eine fatale Wendung (occidimus, 532), dass Thetis die Insel Skyros auswählt, die zur Mitwisserin ihres Verbrechens wird (placuit Lycomedis conscia tellus, 532). Kalchas wertet seine nächste Beobachtung als großes Verbrechen (o scelus! 533): Achill werden Mädchenkleider angezogen (fluxae veniunt in pectora vestes, 533), was durch die Partikel en (533) nochmals hervorgehoben wird. Kalchas richtet sich nun direkt an Achill und spiegelt damit Achills Widerstand.793 Er fordert ihn zweimal auf, die neue Kleidung zu zerreißen (scinde, puer, scinde, 534) und seiner Mutter nicht nachzugeben (ne cede parenti, 534). Kalchas ist jedoch nicht erfolgreich, was durch seinen klagenden Ausruf deutlich wird: ei mihi raptus abit! (535). Der Grund dafür ist Deidamia, die Achill nachgeben lässt (haec procul inproba virgo? 535).794 Der sexuell anziehende Effekt, den Deidamia auf Achill hat, spiegelt sich in ihrer Beschreibung. So wie Achill später in seinem Verhalten improbus (569) 791 792 793

794

Die Inspiration von Kalchas und der Dichter-persona durch Apollon bedeutet aber nicht, dass Kalchas als Stellvertreter des Dichters spricht (so Econimo [2021], 761 f.). Ω hat auch in Vers 204 die Variante altas. Die Ausnahme bildet P mit der Variante artas. Fantuzzi (2012a), 87–89 arbeitet hierzu Ov. ars 1,691–695 als Intertext heraus. Die dortigen an Achill gerichteten Apostrophen des vates der Ars würden hier von Kalchas vorgebracht. Durch Kalchas’ Prophetie könne Achill von den Griechen auf Skyros abgeholt werden. Damit sichere er Achills epische Zukunft. „Calchas’ speech may be read as a sort of epic dignification of Ovid’s manipulation of his narrative, which intends to present the prophet as a successful guardian of Achilles’ adherence to his destiny as an epic character.“ Ebd., 88. Vgl. ebenso Fantuzzi (2013), 156–162. Moul (2012), 296 ist der Ansicht, dass nicht entschieden werden kann, ob es sich bei der virgo um Achill oder Deidamia handelt. So auch Fantuzzi (2013), 160 f. Econimo (2012), 765–768 spricht sich für Achill aus. Allerdings spricht der begründende Konnektor nam für die Identifizierung mit Deidamia. Da Achill Deidamia erblickt, gibt er nach und lässt sich verstecken (raptus abit).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

235

ist, ist sie eine inproba virgo, die Achills Aufmerksamkeit auf sich zieht, obwohl sie von ihm noch weit entfernt ist (procul, 535).795 Die Dramatik der Prophetie wird noch dadurch weiter gesteigert, dass Kalchas direkt im Anschluss zusammenbricht:796 Hic nutante gradu stetit amissisque furoris viribus ante ipsas tremefactus conruit aras. (Stat. Ach. 1,536f.)

Kalchas bleibt schwankend stehen, er hört auf, den Wahnsinn zu kontrollieren (amissisque furoris | viribus, 536 f.), und bricht zuckend zusammen (tremefactus conruit, 537). Durch die Prophetie verortet sich die Achilleis weiter in der epischen Tradi‐ tion.797 Die Rahmenhandlung, die beinhaltet, dass der Seher massiv zu seiner Prophetie gedrängt wird, ist dabei typisch für die Behandlung von Sehern im Epos. Auch die Beschreibung der körperlichen Reaktion des Sehers knüpft an die epischen Vorbilder an. Diese werden in ihrer Dramatik sogar noch weiter gesteigert. Die Prophetie selbst stellt Verbindungen zur Darstellung des epischen Erzählers her, der ebenso wie Kalchas von Apollon inspiriert ist. Hier findet noch eine zusätzliche Bewertung der Handlungen aus griechischer Perspektive statt: Thetis begeht ein Verbrechen, indem sie Achill von Chiron entführt. Dass Achill sich verstecken lässt, wird auch in der Prophezeiung durch Deidamias Erscheinen gerechtfertigt. Sein Motiv ist männlich und nicht wie im Prätext von Ps.-Bion feige. Kalchas’ Zusammenbruch am Ende der Prophetie ist hochdramatisch und steigert die Spannung auf den weiteren Verlauf und die Bemühungen der Griechen, Achill in Skyros für den Trojanischen Krieg abzuholen.   2.4.1.4 Odysseus’ und Diomedes’ Achilleis als Prequel zur Dolonie Nachdem Kalchas zusammengebrochen ist, fokalisiert die Erzählung auf Odys‐ seus und Diomedes. Als Strukturreferenz für Odysseus’ und Diomedes’ Auf‐ bruch von Aulis und Ankunft auf Skyros dient dabei ein Teil der Dolonie im zehnten Gesang der Ilias,798 nämlich der Teil der Dolonie, in dem Diomedes 795 796 797 798

Zur sexuellen Deutung von improbus vgl. Fantuzzi (2013), 164f. Anders Bitto (2016), 282, der „im finalen Erschöpfungszustand des Calchas“ ein Zeichen für die Ethisierung der Achilleis sieht. Vgl. zum Zusammenbrechen des Mediums im Anschluss an die Prophetie auch Lucan. 5,224. Ripoll (2010), n. p. [2] betont hier die epische Sichtweise der Achaier, die im Gegensatz zu Thetis’ Blick auf Achill stehe. Bisher wurden Parallelen wie das Wolfsgleichnis nur einzeln betrachtet. Vgl. Juhnke (1972), 169 f. Ripoll (2020), 244 sieht die Parallele im Gespräch zwischen Odysseus und Diomedes (Ach. 1,538–559) mit der Dolonie. Vgl. auch Aricò (1986), 2943 und Perutelli

236

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Odysseus als Gefährten wählt, mit ihm aufbricht und schließlich auf Dolon trifft (Hom. Il. 10,241–375). Dies wird deutlich, wenn man den Aufbau der beiden Textstellen vergleicht: 241–273

Aufbruch aus dem Lager

241–247

Diomedes wählt Odysseus als Gefährten. Der listenreiche Odysseus könnte sie selbst aus dem Feuer zurückführen.

248–253

Odysseus mahnt zur Eile.

254–273

Rüstung und Zurücklassen der Griechen

274–348

Odysseus und Diomedes auf dem Weg zum Lager der Trojaner

274–276

Odysseus und Diomedes hören einen Reiher als günstiges Zeichen der Pallas Athene.

277–295

Gebet und Gelübde an die Göttin

296–298

Löwengleichnis

299–337

Hektor im Rat der Trojaner: Dolon meldet sich als Kundschafter.

338–348

Gespräch zwischen Odysseus und Diomedes über das weitere Vorgehen

349–377

Überfall auf Dolon und Flucht desselben

360–364

Jagdhundegleichnis: Verfolgung der Beute

Tab. 9: Hom. Il. 10,241–375: 538–559

Aufbruch aus dem Lager

538–545a

Diomedes wählt Odysseus als Gefährten. Der listenreiche Odysseus könnte Achill selbst im Okeanos bei den Meeresgöttern finden.

545b–552

Odysseus warnt vor den Folgen eines Misserfolgs.

553–559

Auflösung der Versammlung und Aufbruch

675–688

Fahrt nach Skyros

689–725

Odysseus und Diomedes auf dem Weg zu Lykomedes

(2006a), 100. Ein Vergleich von Ach. 1,538–749 mit der Dolonie als Strukturreferenz ist bisher nicht erfolgt. Anders Bitto (2016), 282–285, der als Strukturreferenz Capaneus und Amphiaraus in Stat. Theb. 3,598–677 sieht. Capaneus’ zweite provozierende Rede nach der Prophetie werde durch die Reden von Odysseus und Diomedes ersetzt.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

237

689–697a

Ankunft auf Skyros: Über der Insel erscheint Pallas Athene als günstiges Zeichen

697b–698a

Anbetung der Göttin

698b–704a

Odysseus und Diomedes steigen zu Lykomedes’ Palast empor.

704b–708

Wolfsgleichnis

709–725

Gespräch zwischen Odysseus und Diomedes über das weitere Vorgehen

726–749

Zusammentreffen mit Lykomedes

726–737a

Trugrede des Odysseus

737b–742a

Erfolg: Lykomedes führt die Griechen in den Palast.

742b–749

Jagdhundegleichnis: Aufspüren der Beute

Tab. 10: Stat. Ach. 1,538–749

Wie in der Ilias ist es auch in der Achilleis Diomedes, der Odysseus anspricht und zur Teilnahme auffordert:799 tunc haerentem Ithacum Calydonius occupat heros: ‘Nos vocat iste labor: neque enim comes ire recusem, si tua cura trahat. licet ille sonantibus antris Tethyos aversae gremioque prematur aquosi Nereos, invenies. tu tantum providus astu tende animum vigilem fecundumque erige pectus: non mihi quis vatum dubiis in casibus ausit fata videre prior.’ […] (Stat. Ach. 1,538–545)

Anders als in der Ilias hat sich Odysseus jedoch vor Diomedes’ Rede nicht als Freiwilliger gemeldet (Hom. Il. 10,231f.). Er zögert noch (haerentem Ithacum, Ach. 1,538).800 Für Diomedes dagegen ist klar, dass er Odysseus als seinen Partner bei der Unternehmung haben will. Mit nos vocat iste labor (539) macht er deutlich, dass er sich und Odysseus als ein eingespieltes Team sieht. Damit greift er der

799 800

Vgl. Juhnke (1972), 168. Ripoll (2020), 244 f. deutet dies als eine Fokussierung auf Odysseus’ Haupteigen‐ schaft. Die Konzentration auf den listenreichen Odysseus führe dazu, dass andere Eigenschaften des Helden weitgehend ausgeblendet würden. Dies bezeichnet er als eine „‘purification’ of Homer“ (ebd. 244). Somit werde Statius’ Odysseus zum „Super-Ulysses“ (ebd. 244). Anders Bitto (2016), 283 Fn. 384, der darin Pathosreduktion erkennt.

238

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Entwicklung in der erzählten Zeit voraus. Diomedes wird später in zahlreichen Taten Odysseus’ Partner sein: Neben ihrer Zusammenarbeit in der Dolonie sind die beiden Helden auch diejenigen, die Philoktet von Lemnos abholen und das Palladion rauben, womit sie einen wichtigen Beitrag zur Beendigung des Tro‐ janischen Krieges leisten. Die in der erzählten Zeit eigentlich erste gemeinsame Heldentat (iste labor) passt in ihrer Bedeutung in diese Reihe und verlangt deswegen die Beteiligung der beiden Helden (nos vocat). Gleichzeitig macht Diomedes klar, dass er auch bereit wäre, an Unternehmungen teilzunehmen (comes ire, 539), die von Odysseus ausgehen (si tua cura trahat, 540).801 Auch damit werden die Voraussetzungen für die zukünftigen gemeinsamen Taten der Helden gelegt, die gleichzeitig das literarische Vorbild für Odysseus und Diomedes in der Achilleis darstellen. Wie in der Ilias macht Diomedes klar, dass er mit Odysseus an seiner Seite Unmögliches erreichen könnte. Während dies in der Ilias die Rückkehr aus dem Feuer ist (Hom. Il. 10,246f.), betont Diomedes in der Achilleis, dass Odysseus Achill selbst dann finden würde, wenn er sich am Grunde des Okeanos in Thetys’ Höhlen befände (Ach. 1,540f.). Auf diese mit licet (540) eingeleitete Bedingung folgt im Hauptsatz Futur (invenies, 542), woraus Diomedes’ absolutes Vertrauen in Odysseus und seinen Einfallsreichtum in problematischen Situationen deutlich wird (tu tantum providus astu, 542). Diomedes wiederholt mit dieser für Odysseus typischen Eigenschaft ein Kom‐ pliment aus dem Gespräch in der Ilias (ἐπεὶ περίοιδε νοῆσαι, Hom. Il. 10,247), steigert dieses aber noch weiter: Nachdem er Odysseus aufgefordert hat, seine Konzentration und Geisteskraft auf die neue Aufgabe zu richten (tende animum vigilem fecundumque erige pectus, Ach. 1,543), vergleicht er ihn mit Sehern. Odysseus übertrifft all diese in seiner Fähigkeit, die Zukunft vorherzusehen (non mihi quis vatum […] ausit | fata videre prior, 545). Dies zeigt sich vor allem in unsicheren Lagen (dubiis in casibus, 544). Wie in der Ilias folgt hierauf Odysseus’ Entgegnung: […] subicit gavisus Ulixes: ‘Sic deus omnipotens firmet, sic adnuat illa virgo paterna tibi! sed me spes lubrica tardat: grande quidem armatum castris inducere Achillem, sed si fata negent, quam foedum ac triste reverti!

801

Damit wird in der Achilleis nicht das Rollenverhältnis zwischen Odysseus und Dio‐ medes umgekehrt (so Aricò [1986], 2943). Die Aussage bezieht sich auf künftige Unternehmungen. Auch in der Dolonie wählt sich Diomedes zunächst Odysseus als Gefährten. Im Vorgehen ist dann jedoch auch dort Odysseus der bestimmende Part. Vgl. Hom. Il. 10,338–348.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

239

vota tamen Danaum non intemptata relinquam. iamque adeo aut aderit mecum Peleius heros, aut verum penitus latet et sine Apolline Calchas.’ (Stat. Ach. 1,545–552)

Odysseus beginnt mit der Bitte um göttliche Unterstützung. Jupiter und Athene sollen bestätigen, dass es sich tatsächlich so verhält, wie es Diomedes dargestellt hat. Athene, die in der Ilias für Diomedes ein Argument war, Odysseus auszu‐ wählen (φιλεῖ δέ ἑ Παλλὰς Ἀθήνη, Hom. Il. 10,245), ist dabei für Odysseus noch mit Diomedes’ Vater verbunden (illa | virgo paterna tibi, Ach. 1,546f.). Odysseus trägt dennoch Bedenken, den Auftrag zu übernehmen,802 und wägt dabei die Vorund Nachteile für sein Ansehen als Held ab. Kalchas’ Prophetie bietet ihm nur eine spes lubrica (547): Sollte es ihm gelingen, den Krieger Achill nach Aulis zu bringen (armatum castris inducere Achillem, 548), wäre damit natürlich großer Ruhm verbunden (grande, 548). Der mögliche Ruhm wird für Odysseus jedoch durch die Aussichten eingeschränkt (quidem, 548), die ihn erwarten, sollte er Achill nicht nach Aulis bringen können. In diesem Fall würden seine Ehre und sein Ansehen Schaden erleiden (quam foedum ac triste reverti! 549). Allerdings sichert sich Odysseus für diesen Fall vor der Versammlung ab. Sollte es ihm nicht gelingen, läge es an den fata und nicht an seinem Einsatz (si fata negent, 549). Trotz dieser Gefahr für sein Image (tamen, 550) verspricht er, sich der Sache anzunehmen und zu versuchen, den Auftrag zu erfüllen. Dieser erscheint dabei als sehnlicher Wunsch (vota […] Danaum, 550), dessen sich Odysseus annehmen und dabei nichts unversucht lassen will (non intemptata relinquam, 550). Er verspricht hierfür, dass sein Einsatz so groß sein wird, dass er entweder mit Achill zurückkehren wird (aut aderit mecum Peleius heros, 551) oder mit seinem Misserfolg bewiesen wäre, dass Kalchas ein falscher Seher ohne göttliche Inspiration ist (aut verum penitus latet et sine Apolline Calchas, 552).803 Mit dieser Rede, die für seinen literarisch tradierten Charakter typisch ist, sichert sich Odysseus gegen alle Eventualitäten ab und zeigt sich misstrauisch gegenüber allen. Der Abschied der Helden aus der Heeresversammlung ist im Vergleich zur Ilias deutlich ausgebaut und stellt durch die Gleichnisse wieder einen Bezug zu den Gleichnissen her, die zuvor die Heeresversammlung beschrieben haben (1,459–466):

802 803

Juhnke (1972), 168 sieht darin eine Parallele zur Dolonie, wo Odysseus „eine Probe seiner Umsicht mit dem nüchternen Hinweis auf die vorgerückte Nachtstunde“ gebe. Damit wird keineswegs „die wahrheitsentsprechende Kraft und Fähigkeit des Sehers“ betont. So Bitto (2016), 283.

240

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Conclamant Danai stimulatque Agamemno volentes. laxantur coetus resolutaque murmure laeto agmina discedunt, quales iam nocte propinqua e pastu referuntur aves, vel in antra reverti melle novo gravidas mitis videt Hybla catervas. (Stat. Ach. 1,553–557)

Zunächst machen die Griechen ihre Begeisterung deutlich (conclamant Danai, 553) und Agamemnon feuert die Freiwilligen nochmals an (stimulat, 553). Wie sich die Heeresversammlung auflöst, wird durch Vergleiche verdeutlicht. Die Griechen verhalten sich so wie Vögel, die abends von ihren Futterstellen heimkehren (e pastu referuntur aves, 556) oder Bienen, die mit frischem Honig (melle novo gravidas, 557) in ihren Stock zurückkehren. Vor allem mit dem ersten Vergleich wird ein Bezug zu den Gleichnissen des Schiffskatalogs der Ilias her‐ gestellt, die schon zuvor in der Beschreibung der Heeresversammlung rezipiert wurden. In einem der Gleichnisse vor dem eigentlichen Katalog wurden die Griechen in der Ebene des Skamander mit Vogelschwärmen verglichen, die sich an einem Fluss aufhalten und dabei laut kreischen (Hom. Il. 2,459–463). Dieses homerische Gleichnis wird auch in der Aeneis rezipiert (Verg. Aen. 7,691–702). Hier wird der Gesang von Messapus’ Heer mit Schwänen verglichen, die von der Futtersuche heimkehren (cum sese e pastu referunt, Verg. Aen. 7,699). Gleichzeitig scheint bei Vergil Kritik an den Kriegern auf, die mit den Vogelschwärmen verglichen werden: nec quisquam aeratas acies ex agmine tanto misceri putet […] (Verg. Aen. 7,703f.).

Für den epischen Erzähler ist der Vergleich mit dem Vogelschwarm ein so ungewöhnlicher Vergleichspunkt für Krieger, dass durch den Potentialis eine Distanzierung von den Soldaten stattfindet.804 Es erscheint kaum möglich, dass aus diesen Männern Krieger werden. Statius jedoch verwendet den Vergleich in einem anderen Kontext für das Heer. Während das Gleichnis bei Homer und Vergil veranschaulicht, wie das Heer ungeordnet zusammentritt, stellt der Vergleich in der Achilleis dar, wie das Heer nach seiner Versammlung verrich‐ teter Dinge auseinander geht. Auch das Bienengleichnis vermittelt dasselbe Bild,

804

Vgl. auch Donats Kritik an Messapus’ Heer (Claud. Don. Aen. 7,695 p. 101,14: reprehendit istos poeta, quia, cum irent ad bellum, procul dubio periculis rerum expositos delectabat ire conpositis in ordinem numeris et regis festa percurrere.) und zum Gleichnis (Claud. Don. Aen. 7,700 p. 101,17: hos cantantis et ordinibus conpositis in bella tendentis conparat poeta generi avium quae sunt inertes et non confusae volitant et, quotiens pasto ventre fuerint, satietatem suam canorae vocis gratulatione testantur.).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

241

wobei man hier einen Bezug zum in der Ilias direkt anschließenden Fliegen‐ gleichnis (Hom. Il. 2,469–471) sehen kann. Im Vergleich zu den Griechen in der Ilias erscheint das Handeln der Griechen in der Achilleis deutlich zielgerichteter und auch die Vergleichspunkte gestehen den Kriegern höhere dignitas zu. Statt der Rüstungsszene in der Dolonie brechen die beiden Helden mit dem Schiff zu ihrem Ziel auf: nec mora, iam dextras Ithacesia carbasus auras poscit, et in remis hilaris sedere iuventus. (Stat. Ach. 1,558f.)

Dies geschieht ohne weiteren Verzug (nec mora, 558). Die heitere Stimmung und Zuversicht setzen sich auch dabei fort. Odysseus’ Mannschaft ist beim Aufbruch fröhlich (hilaris […] iuventus, 559). Bei Statius entspricht die Zeit bis zur Ankunft auf Skyros genau dem Zeit‐ raum, in dem Achill seine Annäherung an Deidamia vorantreibt und Deidamias Schwangerschaft geheim gehalten werden kann (Vgl. Ach. 1,560–674). Sobald der Fokus wieder auf Odysseus und Diomedes liegt, wird die Zielstrebigkeit, mit der sie ihren Auftrag verfolgen, deutlich: Iamque per Aegaeos ibat Laertia flexus puppis, et innumerae mutabant Cyclades oras; iam Paros Olearosque latent; iam raditur alta Lemnos et a tergo decrescit Bacchica Naxos, ante oculos crescente Samo; iam Delos opacat aequor: ibi e celsa libant carchesia puppi responsique fidem et verum Calchanta precantur. audiit Arquitenens Zephyrumque e vertice Cynthi inpulit et dubiis pleno dedit omina velo. it pelago secura ratis: quippe alta Tonantis iussa Thetin certas fatorum vertere leges arcebant aegram lacrimis ac multa gementem, quod non erueret pontum ventisque fretisque omnibus invisum iam tunc sequeretur Ulixem. (Stat. Ach. 1,675–688)

Odysseus fährt durch die Ägäis, wobei die Inseln der Kykladen am Schiff vor‐ beiziehen (mutabant Cyclades oras, 676). Diese werden als unzählbar (innumerae, 676) dargestellt.

242

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Abb. 2: Odysseus’ Route nach Skyros805

Der Kurs selbst entspricht nicht der logischen Route von Aulis nach Skyros (vgl. Abb. 2), was zu teils harscher Kritik an Statius geführt hat.806 Vor allem Lemnos ist schwierig zu erklären. Wenn man nicht eine andere Insel wie Tenos konjiziert, um innerhalb der Kykladen zu bleiben und eine nachvollziehbarere Route zu erhalten,807 passiert Odysseus zu Beginn seiner Reise zwischen Paros und Lemnos und Lemnos und Naxos zweimal Skyros. Auch der Weg innerhalb

805

806 807

Grundlage der Karte ist: Historicair/Sdaubert: Blank Map of Aegean Sea, aufgerufen unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Blank_Map_of_Aegean_Sea.svg#/me dia/File:Blank_Map_of_Aegean_Sea.svg unter der Lizenz Creative Commons Attribu‐ tion-Share Alike 3.0 Unported, Lizenz unter: https://creativecommons.org/licenses/by -sa/3.0/deed.en, zuletzt aufgerufen am 06.09.2022. Vgl. Legras (1908), 58: „On ne saurait imaginer développement plus malheureux: l’absurdité géographique de ces zigzags à travers les Cyclades est choquante, la couleur est nulle, et le mouvement mécanique des vers déplaît extrêmement.“ So ein Vorschlag von Claudia Wiener.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

243

der Kykladen ist keineswegs sinnvoll. Erst ab Delos fährt Odysseus geradewegs nach Skyros. Bevor Odysseus also in Skyros ankommt, unternimmt er auf der Suche nach Skyros808 eine kleine Odyssee durch die Ägäis. Dadurch werden nicht nur die mindestens neun Monate zwischen der Heeresversammlung in Aulis und Odysseus’ Ankunft auf Skyros erklärt. Zusätzlich ist der Odysseus der Achilleis so sehr mit dem Odysseus aus den Irrfahrten der Odyssee konsistent, dass es ihm auch in der Achilleis nicht gelingt, Skyros direkt anzusteuern.809 Durch die Anapher iam (675, 677, 679) wird der zurückgelegte Weg des Schiffes betont. Die Fahrt wird dabei aus Perspektive der Fahrenden dargestellt. Die Passage zwischen Paros und Olearos ist schon nicht mehr sichtbar (iam Paros Olearosque latent, 677), Lemnos wird knapp passiert (raditur, 677), Naxos wird am Horizont immer kleiner (a tergo decrescit Bacchica Naxos, 678), während gleichzeitig Samos immer größer wird (ante oculos crescente Samo, 679). Gleich darauf nimmt Delos die sichtbare Meeresfläche vor dem Schiff ein (iam Delos opacat | aequor, 679 f.). Dort führen Odysseus und Diomedes eine Libation durch (libant, 680) und bitten darum, dass Kalchas’ Orakelspruch vertrauenswürdig ist (responsique fidem et verum Calchanta precantur, 681). Apollon erhört ihre Gebete (audiit, 682) und schickt ihnen als Zeichen günstigen Wind (dubiis pleno dedit omina velo, 683). Auch die sonstige Fahrt erfolgt sicher (it pelago secura ratis, 684): Als Rückverweis auf Thetis’ gescheiterten Versuch, einen Seesturm zu beschwören, um Paris’ Schiff zu versenken (1,30–97), wird nochmals auf die fata verwiesen. Jupiters Beschlüsse (alta Tonantis | iussa, 684 f.) hindern Thetis auch jetzt daran, das Fatum zu verändern (certas fatorum vertere leges, 685). Sonst hätte sie schon jetzt einen Seesturm heraufbeschworen (quod non erueret pontum, 687) und Odysseus verfolgt (invisum iam tunc sequeretur Ulixem, 688), womit wiederum auf Neptuns tröstendes Versprechen Bezug genommen wird (dirum pariter quaeremus Ulixem, 94). Auch damit wird weiter deutlich, dass sich die Achilleis als Vorgeschichte zur Odyssee versteht. Der Seesturm nach der Abfahrt von Troja und die Nostoi werden somit auch zu einem

808 809

So erklärt auch später Diomedes ihre lange Fahrt: longas penitus quaesisse per undas | Scyron (Ach. 2,92f.). Zusätzlich ist auch die Atmosphäre bedeutend, die mit diesen Orten vermittelt wird: Die Inseln entsprechen dabei zum Teil den Inseln (Lemnos, Delos), die Thetis auf der Suche nach einem Versteck durchgegangen ist (Ach. 1,204–206). Naxos als Insel des Bacchus passt thematisch zu Achills Aufenthalt auf Skyros. Gleichzeitig steht Odysseus’ Fahrt auch in der Tradition von Aeneas’ Fahrt durch die Kykladen (Verg. Aen. 3,124–127), wo ebenfalls ein Teil der erwähnten Inseln denen der Achilleis entspricht (Naxos, Olearos, Paros). Vgl. Aricò (1986), 2948, Ripoll/Soubiran (2008), 243 (ad 1,677–680).

244

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

„Vergeltungswerk“, das Thetis anstrengt.810 Gleichzeitig wird mit dem Verweis auf die fata die persönliche Ebene mit einer universellen Dimension verbunden: Es wird deutlich, dass der Versuch, die fata zu manipulieren, nutzlos ist.811 Stattdessen wird dadurch, dass Thetis voller Trauer ist (aegram lacrimis ac multa gementem, 686), ebenfalls auf Achills Schicksal vor Troja und seinen Tod vorausverwiesen. Aber auch die Bezüge zur Dolonie werden deutlich: Die göttliche Bestätigung des Auftrags der Helden durch Athene, die sich Odysseus zuvor in seiner Antwort auf Diomedes’ Vorschlag gewünscht hatte, folgt zwar anders als in der Ilias nicht unmittelbar nach dem Aufbruch (Hom. Il. 10,274–276), aber bei ihrer Ankunft auf Skyros: Frangebat radios humili iam pronus Olympo Phoebus et Oceani penetrabile litus anhelis promittebat equis, cum se scopulosa levavit Scyros; in hanc totos emisit puppe rudentes dux Laertiades sociisque resumere pontum imperat et remis Zephyros supplere cadentes. accedunt iuxta, et magis indubitata magisque Scyros erat placidique super Tritonia custos litoris. egressi numen venerantur amicae Aetolusque Ithacusque deae. […] (Stat. Ach. 1,689–698)

Dass die Ankunftszeit am späten Nachmittag mit einer epischen Paraphrase (689–691) gestaltet ist, lässt erkennen, dass nun eine bedeutsame Handlung folgt. Weiterhin wird dabei die Perspektive von Odysseus und Diomedes einge‐ nommen: Vor ihnen erhebt sich die Insel aus dem Meer (se scopulosa levavit | Scyros, 691 f.). Odysseus befiehlt hierauf verschiedene Manöver, um sich der Insel zu nähern.812 Da die günstigen Winde, die Apollon zur Unterstützung geschickt hat, jetzt nachlassen, müssen Odysseus’ Gefährten dies nun mit Rudern ausgleichen (remis Zephyros supplere cadentes, 694). Sobald sie der Insel näher kommen, wird immer deutlicher, dass sie die richtige Insel angesteuert haben (magis indubitata magisque | Scyros erat, 695 f.). Anders als in der Ilias, wo die beiden Helden einen Reiher als Zeichen der Athene vorbeifliegen hören, dabei aber betont wird, dass sie ihn nicht sehen können (Hom. Il. 10,274–276), 810 811 812

Vgl. Schetter (1960), 143. Damit findet auch keine Pathosreduktion statt (so Bitto [2016], 300 f.). Ganz im Gegenteil wird damit auf künftige pathetische Epos-Handlungen vorausverwiesen. Vgl. Aricò (1986), 2948. Zu den nautischen Manövern und ihren literarischen Vorbildern vgl. Soubiran (2006).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

245

sehen sie in der Achilleis die Göttin selbst als Unterstützerin ihrer Mission über der Insel (placidique super Tritonia custos | litoris, 696 f.). Wie in der Ilias (Il. 10,277–294) verehren die beiden Schützlinge der Athene hierauf am Strand die Göttin (egressi numen venerantur amicae | […] deae, Ach. 1,697f.). Odysseus zeigt sich weiterhin seinem Charakter entsprechend als providus heros (698): […] tunc providus heros, hospita ne subito terrerent moenia coetu, puppe iubet remanere suos; ipse ardua fido cum Diomede petit. sed iam praevenerat arcis litoreae servator Abas ignotaque regi ediderat, sed Graia tamen, succedere terris carbasa. procedunt, gemini ceu foedere iuncto hiberna sub nocte lupi: licet et sua pulset natorumque fames, penitus rabiemque minasque dissimulant humilesque meant, ne nuntiet hostes cura canum et trepidos moneat vigilare magistros. Sic segnes heroes eunt campumque patentem, qui medius portus celsamque interiacet urbem, alterno sermone terunt; […] (Stat. Ach. 1,698–711)

Seiner Mannschaft befiehlt er, beim Schiff zurückzubleiben (puppe iubet rema‐ nere suos, 700), damit nicht der Eindruck entsteht, er plane einen Überfall auf Skyros (hospita ne subito terrerent moenia coetu, 699).813 Er selbst bricht mit Diomedes in das bergige Inselinnere auf (ardua […] | […] petit, 700 f.). Diomedes trägt dabei das Epitheton ornans fidus (700), womit er nochmals aus Sicht der literarischen Tradition als der Gefährte des Odysseus präfiguriert wird. Obwohl die Fahrt nach Skyros in der erzählten Zeit eine der ersten gemeinsamen Taten von Odysseus und Diomedes ist, wird ihr Verhältnis aus späterer Perspektive dargestellt. Ihre Ankunft wird jedoch schon zuvor Lykomedes gemeldet. Der Wächter Abas – vielleicht genauso wie Deidamias Amme Personal aus Euripi‐ des’ Skyrioi – hat schon gemeldet (ediderat, 703), dass sich fremde Schiffe (ignota, 702) genähert haben. Leichte Entwarnung bezüglich einer möglichen Gefahr bietet die Tatsache, dass es sich um griechische Schiffe handelt (sed Graia tamen, 703). In einem epischen Gleichnis, das Bezüge zum Löwengleichnis der Ilias (Hom. Il. 10,297f.) erkennen lässt, werden nun Diomedes und Odysseus mit zwei 813

Ripoll (2020), 247 zieht hierin eine Parallele zur Aeneis: Odysseus imitiere Aeneas’ kluges Verhalten im ersten Buch beim Aufbruch nach Karthago (Verg. Aen. 1,305–313) und vermeide unkluges Verhalten wie bei Euander (8,107–110).

246

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Wölfen verglichen.814 Wie in der Ilias (βάν ῥ᾽ ἴμεν, 297) ist auch in der Achilleis der Vergleichspunkt ihre Art zu gehen (procedunt, Ach. 1,704). Auch der Zeitpunkt ist gleich: Die Löwen der Ilias streifen durch die dunkle Nacht (διὰ νύκτα μέλαιναν, Il. 10,297); die Wölfe der Achilleis durch eine Winternacht (hiberna sub nocte, Ach. 1,705). Während durch die homerischen Löwen allerdings ausgedrückt wird, dass Odysseus und Diomedes schon Blut vergießen (ἂμ φόνον, ἂν νέκυας, διά τ᾽ ἔντεα καὶ μέλαν αἷμα, Il. 10,298), steht im deutlich ausführlicheren Gleichnis der Achilleis die Vorbereitung auf den Überfall im Fokus: Auch die Gründe für den kommenden Überfall werden psychologisiert. Obwohl die Wölfe und ihre Jungen hungrig sind (licet et sua pulset | natorumque fames, Ach. 1,705f.),815 verhalten sie sich ruhig, verbergen dabei ihre eigentliche Natur (penitus rabiemque minasque | dissimulant, 706 f.) und schleichen sich unter Ausnutzung der Deckung an ihre Beute an (humilesque meant, 707).816 Damit wollen sie vermeiden, dass die Hirtenhunde sie ankündigen (ne nuntiet hostes | cura canum, 707 f.) und die Hirten somit wachsam sind (trepidos moneat vigilare magistros, 708). Wie die Wölfe tarnen sich Odysseus und Diomedes im Sic-Teil des Gleichnisses. Sie gehen besonders lässig (segnes heroes eunt, 709) und unterhalten sich miteinander (alterno sermone terunt, 711), während sie das Feld zwischen Landestelle und dem Hauptort der Insel überqueren. Damit sind sie weiter unauffällig und ihre Ankunft lässt keine kriegerischen Absichten vermuten, was Lykomedes misstrauisch machen könnte.817

814 815 816

817

Vgl. Juhnke (1972), 169 f., Ripoll (2020), 245. Zum Motiv der hungrigen Wölfe und ihrer Jungen vgl. auch Verg. Aen. 2,355–358. Vgl. Pice (2003), 262, Ripoll (2020), 245. Bitto (2016), 301–303 interpretiert das Gleichnis als poetologisches Gleichnis zur Pathos-Reduktion, da die Wölfe ihre gewaltsamen Instinkte unterdrückten. Dies läge daran, dass Odysseus und Diomedes sich einem potentiellen Verbündeten näherten. Allerdings wird gerade durch das Gleichnis deutlich, dass Lykomedes kein Verbündeter ist. Lykomedes übernimmt die Rolle der Hirten, die dann von einem plötzlichen Überfall überrascht werden. Somit baut das Gleichnis ganz im Gegenteil Spannung auf die Vollendung von Odysseus’ Plan auf. Vgl. auch Aricò (1986), 2949: „[M]a che al contrario trova giustificazione e pertinenza nel significato che l’impresa dei due eroi assume nella vicenda: una missione ‘ostile’ […], mascherata sotto la parvenza di una pacifica ambasciata.“ Für Juhnke (1972), 169 f. zeigt sich eine „leise Unstimmigkeit des Gleichnisses“ (ebd. 169), da Diomedes und Odysseus ja nicht verborgen bleiben, sondern ungefährlich erscheinen wollten. Er erklärt dies durch „die – vielleicht nur teilbewußte – Überlage‐ rung des gegenwärtigen Handlungsverlaufs durch einen Abschnitt des iliadischen“. Allerdings geht es Odysseus und Diomedes genauso wie den Wölfen darum, dass ihre Absicht, einen Überfall zu begehen, erst im letzten Moment deutlich wird. Während die Wölfe sich tarnen, indem sie nicht mehr sichtbar sind, tarnen Odysseus und Diomedes ihre eigentlichen Absichten und werden deswegen nicht als Gefahr wahrgenommen.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

247

Wie auch in der Ilias unterhalten sich die Helden über ihr weiteres Vorgehen, um zu ihrem Ziel zu gelangen: […] prior occupat acer Tydides: ‘Qua nunc verum ratione paramus scrutari? namque ambiguo sub pectore pridem verso, quid inbelles thyrsos mercatus et aera urbibus in mediis Baccheaque terga mitrasque huc tuleris varioque aspersas nebridas auro. hisne gravem Priamo Phrygibusque armabis Achillem?’ illi subridens Ithacus paulum ore remisso: ‘Haec tibi, virginea modo si Lycomedis in aula est fraude latens, ultro confessum in proelia ducent Peliden; tu cuncta citus de puppe memento ferre, ubi tempus erit, clipeumque his iungere donis, qui pulcher signis auroque asperrimus astat; nec sat erit: tecum lituo bonus adsit Agyrtes occultamque tubam tacitos adportet in usus.’ (Stat. Ach. 1,711–725)

Diomedes erkundigt sich bei Odysseus nach der Methode (ratio, 712), mit der er der Wahrheit auf den Grund gehen will (verum […] scrutari, 712 f.). Da er sich schon länger fragt, was Odysseus plant, ist er verwirrt (ambiguo sub pectore pridem | verso, 713 f.), weil dieser vor der Ankunft auf Skyros Zubehör für den Bacchuskult eingekauft hat: Thyrsosstäbe (inbelles thyrsos, 714), Becken (aera, 714), Felle und Mitren (Baccheaque terga mitrasque, 715) sowie goldbesprengte Felle von Hirschkälbern (varioque aspersas nebridas auro, 716). Für Diomedes ergeben diese Einkäufe keinen Sinn und als einzige – aber absurde – Möglichkeit erscheint ihm, Achill mit diesen Dingen zu bewaffnen (hisne […] armabis Achillem, 717). Achill wird dabei in Diomedes’ Frage mit seiner epischen Bestimmung vor Troja verbunden: Dabei wird mit seiner Apposition (gravem Priamo Phrygibusque, 717) besonders seine Rolle als erfolgreicher Kämpfer gegen Priamos’ Söhne818 und insgesamt die Trojaner betont. Diese Vorstellung und sein eigener Wissensvorsprung vor Diomedes, der dem des Lesers entspricht, lassen Odysseus nachsichtig lächeln (illi subridens

818

Ripoll (2020), 245 spricht hier von einer Korrektur gegenüber der Ilias. Durch das Gleichnis der Achilleis komme besser das für Odysseus typische Verhalten zur Geltung. Vgl. dazu auch Neptuns Prophezeiung in Ach. 1,84–87. Vgl. zu Priamos’ Trauer als Kennzeichen von Achills Erfolg Horn (2014), 206f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Ithacus paulum ore remisso, 718).819 Wie in der Dolonie (Hom. Il. 10,338–348) ist es Odysseus, der den Plan vorgibt. Allerdings eröffnet er diesen Diomedes noch nicht, sondern legt nur das Ziel dar und gibt Diomedes Anweisungen:820 Durch die mitgebrachten Gegenstände, soll sich Achill, falls er sich auf Skyros als Mädchen verkleidet befinden sollte (virginea modo si Lycomedis in aula est | fraude latens, Ach. 1,719f.), von sich aus offenbaren und damit in den Kampf ziehen (ultro confessum in proelia ducent, 720). Diomedes erhält die Anweisung, die Gegenstände zum richtigen Zeitpunkt (ubi tempus erit, 722) herbeizubringen (tu cuncta citus de puppe memento | ferre, 721 f.). Hierzu soll er einen Schild hinzufügen (clipeumque his iungere donis, 722), der mit Szenen bemalt (pulcher signis, 723) und goldbeschlagen ist (auroque asperrimus, 723). Die Ausführung der List geht noch darüber hinaus (nec sat erit, 724): Diomedes soll zudem den Trompeter Agyrtes mitnehmen (tecum lituo bonus adsit Agyrtes, 724), der seine Kriegstrompete jedoch verbergen soll (occultamque tubam, 725). Mit dem Oxymoron tacitos adportet in usus (725) drückt Odysseus aus, wie raffiniert seine geplante List ist: Durch diese wird die Funktion der Trompete von einer offenen Ankündigung zu einem listigen und heimlichen Mittel umgedeutet. Hierauf treffen die beiden Helden mit Lykomedes zusammen: Dixerat, atque ipso portarum in limine regem cernit et ostensa pacem praefatus oliva: ‘Magna, reor, pridemque tuas pervenit ad aures fama trucis belli, regum placidissime, quod nunc Europamque Asiamque quatit. si nomina forte huc perlata ducum, fidit quibus ultor Atrides: hic tibi, quem tanta meliorem stirpe creavit magnanimus Tydeus, Ithaces ego ductor Ulixes. causa viae – metuam quid enim tibi cuncta fateri, cum Graius notaque fide celeberrimus? – imus explorare aditus invisaque litora Troiae, quidve parent –’[…] (Stat. Ach. 1,726–737)

Odysseus zeigt mit einem Olivenzweig seine friedlichen Absichten (ostensa pacem praefatus oliva, 727) und beginnt, wie so oft beim ersten Zusammentreffen

819 820

Dieser Wissensvorsprung wird besonders im Vergleich zur Aeneis deutlich. Dort ist es Jupiter, der aufgrund seines Wissensvorsprungs bzgl. der fata Venus gegenüber lächelt (olli subridens, Verg. Aen. 1,254). Vgl. auch Verg. Aen. 12,829. Aricò (1986), 2949 legt dar, dass hierdurch Spannung erzeugt wird, die für die Entwick‐ lung der List notwendig ist.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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mit Fremden, mit einer Trugrede.821 Als guter Lügner vermischt er Wahrheit mit Fiktion: Er verweist Lykomedes, den er wegen seiner friedfertigen Natur als regum placidissime (729) anspricht, auf den Trojanischen Krieg, von dem Lyko‐ medes sicher schon gehört hat (pridemque tuas pervenit ad aures, 728). Dieser ist schon jetzt höchst berühmt (magna […] | fama trucis belli, 728 f.) und führt zum Zerwürfnis zwischen Europa und Asien (Europamque Asiamque quatit, 730). Damit lassen sich auch Bezüge zu Neptuns Verkündung der Ergebnisse des Götterkonzils herstellen (miscere cruentas | Europamque Asiamque manus, 81 f.). Seine und Diomedes’ Selbstverstellung leitet er nur scheinbar bescheiden mit der Vermutung ein, dass vielleicht die Namen der am Trojanischen Krieg teilnehmenden Anführer auch schon nach Skyros gedrungen sind (si nomina forte | huc perlata ducum, 730 f.). Die Tatsache, dass die Atriden die Erfüllung des Schwurs, Helenas Ehemann im Falle einer Entführung Gefolgschaft zu leisten, eingefordert haben, der er sich ja selbst entziehen wollte, deutet er als Vertrauensbeweis um (fidit quibus ultor Atrides, 731) und stellt somit die Anführer und sich selbst als besonders vertrauenswürdig dar.822 Weiterhin unter dem Anschein besonderer Höflichkeit stellt er zuerst Diomedes über seine Abstammung von Tydeus vor, den dieser noch übertreffe (quem tanta meliorem stirpe creavit | magnanimus Tydeus, 732 f.). Sich selbst stellt er kurz als Herrscher über Ithaka vor (Ithaces ego ductor Ulixes, 733). Als vorgeschobenen Grund für die Reise gibt er vor, eine Erkundungsfahrt zur Küste vor Troja zu unternehmen (imus | explorare aditus invisaque litora Troiae, 736). Dabei schmeichelt er Lykomedes und hebt seine besondere Vertrauenswürdigkeit hervor (notaque fide celeberrimus, 735), die neben der Tatsache, dass es sich bei Lykomedes auch um einen Griechen handelt (cum Graius, 735), dazu führt, dass er ihm angeblich die Wahrheit sagen kann (metuam quid enim tibi cuncta fateri, 734). Gleichzeitig setzt Odysseus Lykomedes mit dem Begriff fides in die Nähe zu den Kämpfern vor Troja, die er ja zuvor mit fidit quibus ultor Atrides (731) umschrieben hat. Odysseus will seine angebliche Mission noch weiter ausbreiten (quidve parent, 737), wird jedoch von Lykomedes in seiner Rede unterbrochen: […] medio sermone intercipit ille: ‘Adnuerit Fortuna, precor, dextrique secundent ista dei! nunc hospitio mea tecta piumque inlustrate larem.’ simul intra limina ducit. (Stat. Ach. 1,737–740)

821 822

Vgl. Aricò (1986), 2949. Auch hier werden Bezüge zur bisherigen Erzählung deutlich: Während in der Darstel‐ lung des epischen Erzählers zuvor Europa die Rolle der ultrix (397) eingenommen hatte, ist es nun Agamemnon, der als ultor auftritt. Vgl. auch S. 213.

250

2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Ohne Weiteres erfahren zu wollen, bittet Lykomedes Fortuna und andere günstig gestimmte Götter, Odysseus’ Vorhaben zu unterstützen, und bittet die Gäste in seinen Palast. Lykomedes zeigt sich nun als Gastgeber; Odysseus stellt dagegen inzwischen erste Nachforschungen an: nec mora, iam mensas famularis turba torosque instruit. interea visu perlustrat Ulixes scrutaturque domum, si qua vestigia magnae virginis aut dubia facies suspecta figura; porticibusque vagis errat totosque penates, ceu miretur, obit: velut ille cubilia praedae indubitata tenens muto legit arva Molosso venator, videat donec sub frondibus hostem porrectum somno positosque in caespite dentes. (Stat. Ach. 1,741–749)

Während die Diener die Halle für das Symposion vorbereiten (mensas famularis turba torosque | instruit, 741 f.) geht Odysseus mit Gründlichkeit vor: Dies geschieht dadurch, dass er alles genau betrachtet (visu perlustrat, 742) und das Haus durchstöbert (scrutaturque domum, 743). Um Achill unter den Mädchen identifizieren zu können, sucht er nach einem großen Mädchen (si qua vestigia magnae | virginis, 743 f.), einem Gesicht, das nur unsicher dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann (dubia facies, 744) oder einem Körperbau, der vermuten lässt, dass es sich hierbei um einen Mann handelt (suspecta figura, 744). Dazu geht er scheinbar ziellos durch die Säulenhallen des Palastes (porticibusque vagis errat, 745) und heuchelt Interesse für Lykomedes’ Penaten beziehungsweise seinen Palast (totosque penates, | ceu miretur, obit, 745 f.), um das Haus genauer untersuchen zu können.823 In dieser Tätigkeit wird er mittels eines epischen Gleichnisses mit einem Jäger und seinem Jagdhund verglichen. Auch damit folgt die Szene der Komposition der Dolonie bis zu Dolons Gefangennahme. Als Odysseus und Diomedes diesen verfolgen, werden sie mit Jagdhunden bei der Treibjagd verglichen, die ihre Beute hetzen (Hom. Il. 10,360–364). Der Jagdhund aus dem Gleichnis der Achilleis ist dagegen ein Hund, der seine Beute aufspürt. Er ist dabei nicht der direkte Vergleichspunkt des Gleichnisses, sondern der Jäger, der mit dem Molosser nach dem Nachtlager seiner Jagdbeute (cubilia praedae, Ach. 1,746) sucht. Die Fährte verfolgt er dabei 823

Ripoll (2020), 245 f. hebt die Häufung des Vokabulars zum Thema Suchen und Betrachten hervor, was Odysseus’ typischer Charakterzeichnung entspricht. Anders Perutelli (2006b), 89 f., der Odysseus’ Listen in der Achilleis als untypisch für den Helden sieht, da sie zu simpel seien.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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unbeirrt (indubitata tenens […] legit arva, 747), wobei der Hund stumm bleibt (mutus, 747) und damit die Beute nicht aufschreckt. Insgesamt wird deutlich, wie zielgerichtet das Vorgehen ist: Der Jäger geht so vor, bis er das gejagte Tier schlafend (porrectum somno, 749) in seinem Versteck (sub frondibus, 748) vorfindet. Dass das gejagte Tier als hostis (748) bezeichnet wird, das Schlafen durch den Ausdruck positosque in caespite dentes (749) versinnbildlicht wird und damit besonders die Zähne des schlafenden Tieres betont werden, deutet darauf hin, dass es sich bei der Jagdbeute auch um ein gefährliches Tier wie einen Wolf oder Löwen handelt.824 An dieses Gleichnis schließt direkt Odysseus’ erstes Zusammentreffen mit Achill an (vgl. 2.3.5.1). Somit wird durch das Gleichnis deutlich, dass Odysseus auf jeden Fall Achill aufspüren wird. Dadurch, dass im Gleichnis der eigentliche Kampf mit dem gejagten Tier geschildert wird, findet keine Reduktion des Pathos statt.825 Stattdessen entsteht die Erwartung auf eine künftige pathetische Handlung, sobald Achill aufgespürt ist (vgl. auch 2.3.5.3). Durch die Bezüge zur Dolonie wird weiter deutlich, dass Statius die Achilleis als Prequel zur Ilias inszeniert. Die Strukturreferenzen machen deutlich, dass sich die Geschehnisse des in der erzählten Zeit folgenden Epos durch Ereignisse der Achilleis erklären lassen. So wird die Dolonie zu einer Unternehmung, zu der sich Odysseus sofort freiwillig meldet, da er mit Diomedes als Begleiter schon auf Skyros gute Erfahrungen gemacht hat.826 Durch den Verweis auf die fata gilt dies nicht nur für die Dolonie, sondern auch für Achills Tod und Odysseus’ Nostoi in der Odyssee. Insgesamt verortet sich die Achilleis damit deutlich in ihrer epischen Tradition und beansprucht als Beginn des Trojanischen Sagenkreises einen bedeutenden Platz unter den anderen Troja-bezogenen Epen. Damit tritt Statius auch in Wettstreit mit den anderen Epen: Thus, in order to rise the intertextual pleasure of critical distantiation, Statius incites the reader to reread some famous texts of other authors with a critical eye, so as to suggest that his own version of the myth is, by comparison, the most clever and elaborate one, since his Ulysses is, by comparison, the shrewdest of all.827

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Tillard (2008), 90 sieht in der Achilleis einen Gegensatz zwischen weiblicher (Thetis) und männlicher List (Odysseus und Diomedes). Die männliche List werde durch das Gleichnis gegenüber der weiblichen aufgewertet. So Bitto (2016), 305. Vgl. Ripoll (2020), 250. Ripoll (2020), 257.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Gerade durch die Verweise auf die homerischen Epen inszeniert er die Achilleis als ein Epos par excellence und seine Helden als protoiliadische Helden, denen das Konzept der homerischen Helden in ihrer Reinform innewohnt. Dadurch, dass Odysseus und Diomedes auf Skyros als homerische Helden auftreten, und durch die Strukturreferenzen zur Dolonie sowie die epischen Gleichnisse in homerischer Tradition wird deutlich, dass von beiden Gefahr als Krieger ausgeht, dass sie Achill aufspüren werden und mit ihnen der Trojanische Krieg auf Skyros Einzug halten wird. 2.4.2 Die Kriegsgründe in Odysseus’ Darstellung Auch nachdem sich Achill als epischer Krieger offenbart hat und mit Odysseus und Diomedes mit von Skyros aufgebrochen ist (vgl. 2.3.7), zeigt Odysseus die für ihn typischen Charakterzüge. Als sich die Liebenden noch lange gegenseitig nachblicken und Achill trauert, da er Deidamia verlässt, greift Odysseus ein: ille quoque obliquos dilecta ad moenia vultus declinat viduamque domum gemitusque relictae cogitat: occultus sub corde renascitur ardor datque locum virtus. sentit Laertius heros maerentem et placidis adgressus flectere dictis: (Stat. Ach. 2,27–31)

Achill richtet seinen Blick nicht mehr direkt auf den Ort, den er liebgewonnen hat (obliquos dilecta ad moenia vultus | declinat, 27 f.),828 und denkt an das Haus, das nun ohne anwesenden Krieger leer ist (viduamque domum, 28), sowie an Deidamias Trauer (gemitusque relictae, 28). Durch diese Emotionen kommt auch wieder seine Liebe zu Deidamia zum Vorschein, die zuvor von seiner kriegerischen Mission überschattet worden ist (occultus sub corde renascitur ardor, 29). Dafür gibt nun auch seine Identität als Krieger Raum (datque locum virtus, 30).829 Odysseus bemerkt dies (sentit, 30) und reagiert darauf direkt mit einer Rede. Das Ziel dieser Rede wird deutlich durch das explizit genannte officium oratoris flectere (31), das starke Affekte hervorrufen soll.

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Rosati (2005), 147 deutet dies als Scham über unheroische Gefühle. Relictae (28) liest er als Verweis auf das Genre von Ovids Heroides. Rosati (1992a), 253 mit Fn. 61 verweist zum Thema des Konflikts zwischen virtus und ardor auf Rekonstruktionen zu Euripides’ Skyrioi, die dies als Thema des Dramas ausmachen.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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Dazu macht Odysseus Achill auf seine Bestimmung als Held aufmerksam: ‘Tene’ inquit, ‘magnae vastator debite Troiae, quem Danaae classes, quem divum oracula poscunt, erectumque manet reserato in limine Bellum, callida femineo genetrix violavit amictu commisitque illis tam grandia furta latebris speravitque fidem? nimis o suspensa nimisque mater! an haec tacita virtus torperet in umbra, quae vix audito litui clangore refugit et Thetin et comites et quos suppresserat ignes? nec nostrum est, quod in arma venis sequerisque precantis; venisses –’ dixit; […] (Stat. Ach. 2,32–42)

Bezeichnend ist dabei schon seine Anrede als magnae vastator debite Troiae (32): Die Anrede als Städtezerstörer (πτολίπορθος) ist dabei nicht nur für Odysseus selbst üblich,830 sondern auch eines der Epitheta ornantia, die Achill in der Ilias trägt.831 Hier wird die Eigenschaft genau auf Troja bezogen (magnae […] Troiae), um die schicksalhafte Beziehung und Verpflichtung Achills zu kennzeichnen: Das große Troja hat keinen geringeren als Achill verdient, womit Achills Ehrgeiz auf das Ziel, nämlich Trojas Zerstörung, fokussiert wird. Achill hat zwar diese Tat noch nicht vollbracht, aber durch göttliches Orakel wurde seine Mitwirkung als erforderlich für den Sieg der Griechen angekündigt, weshalb durch ihn eine wichtige Voraussetzung zur Erfüllung des Orakelspruchs gegeben ist (debite).832 Dementsprechend verlangen sowohl die griechische Heeresversammlung (Danaae classes, 33) als auch die Göttersprüche (divum oracula poscunt, 33) nach Achill. Seine besondere Rolle wird durch die Anapher quem (33) betont. Zusätzlich ist der Trojanische Krieg für Achill bestimmt (manet, 34).833 Dieser wird als Personifikation vorgestellt: Der Krieg steht schon aufbruchsbereit da und wartet am schon aufgeschlossenen Tor des Janustempel auf Achills Eintreffen (erectumque manet reserato in limine Bellum, 34).834 Im Gegensatz zu dieser Bestimmung steht Thetis’ Handeln: Odysseus bezeichnet sie als callida […] genetrix (35), die Achill durch ihr Handeln und die Verkleidung als Mädchen (femineo […] amictu, 35) Schaden zugefügt hat

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Vgl. Hom. Il. 2,278, 10,363, Od. 8,3, 14,447, 16,442, 18,356, 22,283, 24,119. Vgl. Hom. Il. 8,372, 15,77, 21,550, 24,108. Vgl. ThlL V,1 (1910), 105.10 s.v. dēbeo unter der Bed. „fere i. q. fatalis“. Vgl. ThlL VIII (1937), 291.33–76 s.v. maneo unter der Bed. „B i. q. fato, lege sim. paratum, proximum, destinatum esse, imminere, instare“. Zum Bild und der Verbindung mit Janus vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 283 (ad 2,34).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

(violavit, 35).835 Somit deutet Odysseus die Tatsache, dass Thetis Achill auf Skyros versteckt hat (commisitque illis […] latebris, 36), als Raub (tam grandia furta, 36). Allerdings stellt er Thetis’ Handeln als von vornherein sinnlos dar: Bei solchen Handlungen war von Achill kein längerfristiger Gehorsam beziehungs‐ weise Loyalität gegenüber seiner Mutter zu erwarten, wie Odysseus mit seiner empörten Frage verdeutlicht (speravitque fidem? 37). Mit einem Ausruf macht er deutlich, dass Thetis aufgrund ihrer Angst um Achill als überfürsorgliche Mutter zu bewerten ist (nimis o suspensa nimisque | mater, 37 f.). Dass Achills virtus untätig hätte bleiben können und er auf Ruhm hätte verzichten können, erscheint Odysseus gänzlich unmöglich (an haec tacita virtus torperet in umbra, 38). Als Beweis hierfür dient ihm Achills Reaktion auf den Trompetenstoß (vix audito litui clangore, 39), die die Antithese zu Thetis’ Verhalten darstellt. Er ließ hierauf sofort Thetis, seine Freundinnen und seine heimliche Liebe hinter sich (refugit | et Thetin et comites et quos suppresserat ignes, 39 f.). Schließlich spricht Odysseus sich selbst das Verdienst ab (nec nostrum est, 41), Achill in Waffen gerüstet und für Troja abgeholt zu haben (quod in arma venis sequerisque precantis, 41). Achill wäre auch sonst nach Troja gekommen (venisses, 42). Odysseus’ List wäre somit nicht nötig gewesen. Damit widerspricht Odysseus deutlich seiner in der erzählten Zeit späteren eigenen Darstellung im Streit um Achills Waffen, wo er es allein als sein Verdienst heraushebt, dass er Achill zum Krieger gemacht hat (iniecique manum fortemque ad fortia misi, Ov. met. 13,170) und nach Troja geschickt hat (per quem magnus Danais successit Achilles? Ov. met. 13,134). Odysseus darf dabei die Motivierung für den Krieg nicht als seine eigene Leistung herausstellen, weil er sonst Achills Ehre kränken würde. Zudem will er Skyros als eine durch Thetis fremdbestimmte Episode darstellen, während Troja als die von ihm selbst gewählte Erfüllung seines Schicksals erscheinen soll. Er ist also nicht ehrlicher als der Odysseus der Metamorphosen.836 Die Rede in der Achilleis hat einen anderen Adressaten: Die Feststellung, dass Achill freiwillig mitgekommen ist, dient auch als captatio benevolentiae. Dabei gestaltet Odysseus seine Rede, die nur aus rhetorischen Fragen und Ausrufen besteht, so, dass er Achill suggeriert, es seien alles schon seine eigenen Gedanken gewesen. Der Trojanische Krieg erscheint so als eigentlicher Entschluss Achills, der sich entschieden hatte, sich zunächst in der Liebe als Mann zu erweisen (Ach. 1,624–636). Odysseus erreicht mit der Rede sein Ziel: Deidamia ist ihm nun wie der restliche Aufenthalt peinlich. So unterbricht Achill ungeduldig Odysseus, bevor 835 836

McAuley (2016), 350 erklärt violavit als eine Vergewaltigung von Achill durch die Verkleidung als Mädchen. So Davis (2006), 138.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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dieser weiter erzählen kann, und will nicht mehr über die Gründe für seinen Aufenthalt und seine Verkleidung als Mädchen hören: […] quem talibus occupat heros Aeacius: ‘Longum resides exponere causas maternumque nefas; hoc excusabitur ense Scyros et indecores, fatorum crimina, cultus. tu potius, dum lene fretum Zephyroque fruuntur carbasa, quae Danais tanti primordia belli, ede: libet iustas hinc sumere protinus iras.’ (Stat. Ach. 2,42–48)

Achill weist die zu lange Darstellung (Longum resides exponere causas, 43) von den Gründen für die Verzögerung und Thetis’ unverantwortlichem Handeln (maternumque nefas, 44) zurück. Im Futur stellt er heraus, dass seine künftigen Taten als Krieger seinen Aufenthalt auf Skyros und die unwürdige Verkleidung, die er nun als fatorum crimina (45) bezeichnet, entschuldigen werden (hoc ex‐ cusabitur ense, 44). Mit dem demonstrativen Verweis auf sein Schwert versichert er Odysseus auch seine kriegerische Haltung. Diese Ablehnung, mehr über Skyros zu hören, verbindet er mit der Aufforderung (ede, 48), die Ursachen des Trojanischen Krieges darzulegen (quae Danais tanti primordia belli, 47), solange das Meer friedlich ist. Aus dieser Erzählung will Achill für den kommenden Krieg gerechten Zorn schöpfen (libet iustas hinc sumere protinus iras, 48).837 Achill schließt also mit Skyros ab und will sich nun ganz auf den Krieg fokussieren. Dabei bestehen nicht nur Parallelen zur typischen Einleitung einer Binnen‐ erzählung im Epos, wo der Protagonist zum Erzählen aufgefordert wird (vgl. Odysseus bei Alkinoos [Hom. Od. 8,548–586] und Aeneas bei Dido [Verg. Aen. 1,753–756]),838 sondern auch zu Eposproömien: Hierfür ist sowohl die Angabe der Gründe (exponere causas, Ach. 2,43) typisch (vgl. bspw. causas tantarum expromere rerum, Lucan. 1,67; causas memora, Verg. Aen. 1,8; tantarum causas irarum, Sil. 1,17), als auch die Kurzangabe des Themas (maternumque nefas, Ach. 2,44) sowie die Frage nach dem auslösenden Beginn (primordia, 47, vgl. Sil. 1,20, Stat. Theb. 1,4). Die Darstellung von Achills Travestie auf Skyros soll nun ganz abgeschlossen werden.839 Stattdessen soll eine Fokussierung auf den

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King (1987), 129 und Newlands (2012), 98 sehen in den irae einen Verweis auf das Thema der Ilias, die μῆνις. Zu den irae als „Heldenzorn“, der den Krieger zum Kampf antreibt vgl. jedoch Erler (1992). Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 284 (ad 2,43–48). Hinds (2000), 242 sieht dies als einen Schritt zur damnatio memoriae der Episode auf Skyros, die durch Achill selbst vorgeschlagen wird.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Trojanischen Krieg erfolgen. Bezeichnend ist dabei auch das Ziel der irae. Damit greift Achill ebenfalls ein typisches Motiv der Proömien auf (vgl. Verg. Aen. 1,4, 1,11, Sil. 1,17, Stat. Theb. 1,11). Odysseus beginnt seine Erzählung mit dem Parisurteil: Hic Ithacus paulum repetito longius orsu: ‘Fertur in Hectorea, si talia credimus, Ida electus formae certamina solvere pastor sollicitas tenuisse deas, nec torva Minervae ora nec aetherii sociam rectoris amico lumine, sed solam nimium vidisse Dionen. atque adeo lis illa tuis exorta sub antris concilio superum, dum Pelea dulce maritat Pelion, et nostris iam tunc promitteris armis. ira quatit victas; petit exitialia iudex praemia; raptori faciles monstrantur Amyclae. (Stat. Ach. 2,49–59)

Vorerst distanziert sich Odysseus von seiner eigenen Darstellung und kenn‐ zeichnet diese als Hörensagen (fertur, 50) und mythologische Erzählung (si talia credimus, 50). Diese Marker dienen nicht so sehr dazu, die Glaubwürdigkeit der Erzählung vom Urteil des Paris zu unterminieren,840 sondern dadurch, dass die Verantwortung auf Seiten der Götter minimiert wird, kann Paris noch weiter verantwortlich gemacht werden.841 Durch die Ortsangabe und der Verbindung des Idagebirges mit Hektor (in Hectorea […] Ida, 50) wird schon zu Beginn die Verbindung zum Trojanischen Krieg deutlich. Paris als Hirte und Schiedsrichter über den Schönheitswettstreit der Göttinnen habe die Göttinnen ganz in seiner Hand gehabt (sollicitas tenuisse deas, 52), aber weder Minerva noch Juno beachtet, sondern nur Venus. Dabei wird deutlich, dass Paris seiner Rolle als Unparteiischem nicht gut nachgekommen ist: Die beiden unterlegenen Göttinnen hat Paris mit keinem freundlichen Blick gewürdigt (amico | lumine, 53 f.), während er Venus als einzige im Übermaß betrachtet habe (solam nimium vidisse Dionen, 54). Paris lehnt kriegerischen Erfolg (torva Minervae | ora, 52 f.) und Macht (aetherii sociam rectoris, 53) zugunsten der Liebe ab. Damit ist er vergleichbar mit Achill, der sich jedoch nun für den Krieg entschieden hat.842 Nun betont Odysseus die Verbindung zu Achill: Seinen Bericht gibt er jetzt auch nicht mehr als Gehörtes wieder, sondern als Faktum im Indikativ. Der auslösende Streit entstand in Achills Höhle, d. h. der Höhle, in der ihn Chiron 840 841 842

So Augoustakis (2016), 212. Vgl. Ripoll (2010), n. p. [11]. Zu weiteren Parallelen zwischen Paris und Achill vgl. Heslin (2005), 176.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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aufgezogen hat (lis illa tuis exorta sub antris, 55), während der Hochzeit seiner Eltern, wobei Thetis nicht erwähnt wird, sondern der Berg Pelion es ist, der Pe‐ leus zu seiner Vermählung verhilft (dum Pelea dulce maritat | Pelion, 56 f.). Schon bei dieser Hochzeit wird Achills Bestimmung als Kämpfer für die Griechen im Trojanischen Krieg offenbar (et nostris iam tunc promitteris armis, 57) womit auf das Lied der Parzen in Catull 64,323–381 verwiesen wird. Gleichzeitig erscheint Achills Bestimmung somit beinahe als Folge des Parisurteils. In einer schnellen Abfolge in kurzen Hauptsätzen schildert Odysseus nun die Geschehnisse bis zu Helenas Entführung: Die unterlegenen Göttinnen sind nun zornentbrannt und werden somit zu Gegnerinnen der Trojaner (ira quatit victas, 58). Paris dagegen fordert seine Belohnung ein, die für ihn jedoch letztendlich unheilbringend ist (petit exitialia iudex | praemia, 58 f.). Venus zeigt daraufhin Paris, der nun als raptor (59) bezeichnet wird, das leicht zugängliche (faciles, 59) Amyklai, wo er Helena rauben kann. Hierauf schwenkt der Fokus auf Paris: ille Phrygas lucos, matris penetralia caedit turrigerae veritasque solo procumbere pinus praecipitat terrasque freto delatus Achaeas hospitis Atridae – pudet heu miseretque potentis Europae! – spoliat thalamos, Helenaque superbus navigat et captos ad Pergama devehit Argos. (Stat. Ach. 2,60–65)

Paris fällt in den phrygischen Wäldern – wie später auch Aeneas mit Kybeles Erlaubnis (Verg. Aen. 9,85–89) – für den Schiffsbau die Bäume, die der Göttin heilig sind (matris penetralia caedit | turrigerae, Ach. 2,60f.). Diese werden per‐ sonifiziert und fürchten, gefällt zu werden (veritasque solo procumbere pinus, 61). Dadurch lässt Odysseus schon das Fällen der Bäume als Frevel erscheinen,843 der mit der Topik der ersten Seefahrt verbunden wird.844 Paris fährt also zielgerichtet ab, um Helena zu rauben, und es handelt sich bei der Entführung nicht um blinden Zufall oder Liebe auf den ersten Blick. Sobald Paris in Griechenland angekommen ist (freto delatus, 62), raubt Paris Helena. Dabei wird durch die Satzstellung mit hospitis Atridae (63) am Versanfang und die darauffolgende empörte Interjektion pudet heu miseretque potentis | Europae! (63 f.) besonders der Bruch der Gastfreundschaft und der Ehrverlust für den gesamten Kontinent Europa betont, der trotz seiner Macht gedemütigt wird. Zudem erscheint anders als noch in der Darstellung des epischen Erzählers (incautas blande populatus 843 844

Vgl. Ripoll (2000), 107, Ripoll (2020), 254. Vgl. zur Topik auch den Beginn von Thetis’ an Neptun gerichteter Rede (Ach. 1,61–66) und die Ausführungen dazu unter 2.1.2.4. Vgl. auch Enn. Medea exul TrRF 2 fr. 89,1–5.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Amyclas, 1,21) der Raub der Helena als reiner Raub und nicht als freiwilliges Begleiten (spoliat thalamos, 2,64). In beiden Fällen wird Paris’ Handeln jedoch mit militärischen Termini technici beschrieben. Die Darstellung des Raubs nähert sich der von Thetis an, die Helena vor Neptun als spolia hospita (1,66) bezeichnet hat. Paris ist stolz auf seine Tat, Helena geraubt zu haben (Helenaque superbus, 2,64) und bringt seine Beute, die hyperbolisch als das eroberte Argos bezeichnet wird (captos […] Argos, 65), nach Troja. Hierauf stellt Odysseus die Kriegsvorbereitungen der Griechen dar: inde dato passim varias rumore per urbes, undique inexciti sibi quisque et sponte coimus ultores: quis enim inlicitis genialia rumpi pacta dolis facilique trahi conubia raptu ceu pecus armentumve aut vilis messis acervos perferat? haec et non845 fortes iactura moveret. non tulit insidias divum imperiosus Agenor mugitusque sacros et magno numine vectam quaesiit Europen aspernatusque Tonantem est ut generum; raptam Scythico de litore prolem non tulit Aeetes ferroque et classe secutus semideos reges et ituram in sidera puppim: nos Phryga semivirum portus et litora circum Argolica incesta volitantem puppe feremus? usque adeo nusquam arma et equi, fretaque invia Grais? (Stat. Ach. 2,66–80)

Allerdings unterscheiden sich auch die Vorbereitungen der Griechen auf den Trojanischen Krieg inhaltlich von der vorherigen Darstellung des epischen Erzählers: Zunächst geht das Gerücht von Helenas Entführung durch die Städte Griechenlands (dato passim varias rumore per urbes, 66), was dazu führt, dass sich alle freiwillig zum Krieg melden. Somit braucht es keine Werber (inexciti sibi quisque, 67) und alles geschieht auf freiwilliger Basis (sponte, 67). Intratextuell wird dabei auf den Katalog der sich rüstenden Städte und Gegenden (Ach. 1,406–427) verwiesen. Dies geschieht mit der Herkunftsangabe undique und dem marker coimus, der auf die Einleitung des Katalogs coeunt gens omnis et aetas (1,406) anspielt. Dort erscheint die Heeresversammlung jedoch eher als Folge von gezielter Werbung der Atriden (supplice regum | conquestu, 1,398f.) und insbesondere von Agamemnon (quippe ambit Atrides, 1,399). Im

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Hier folge ich der Edition von Hall, der die Variante haec et non (L) der Variante haec etiam vorzieht.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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deutlichen Gegensatz zu Odysseus’ Darstellung als freiwillige Zusammenkunft empörter Griechen steht seine eigene mythologische Tradition, nach der er sich wahnsinnig stellte, um eine Teilnahme am Krieg zu verhindern. So jedoch stilisiert er sich selbst und die anderen Griechen zu ultores (2,68).846 Während dieser angebliche Eifer Odysseus als Argument für die gerechte Sache dient,847 verfolgen die anschließenden mythologischen Exempla das Ziel, auch Achill für die Rolle eines Rächers einzunehmen. Zunächst macht Odysseus mithilfe einer rhetorischen Frage deutlich, dass jeder die Sache unterstützen würde (quis […] perferat? 68–71). Dazu fasst er nochmals den Sachverhalt zusammen: Die Ehepartner und ihr Eheverhältnis seien dadurch, dass unerlaubte Listen angewandt worden seien, gewaltsam getrennt worden (inlicitis genialia rumpi | pacta dolis, 68 f.) und die mit der Ehe metonymisch verbundene Ehefrau848 ohne Schwierigkeiten geraubt worden (facilique trahi conubia raptu, 69). Diesen Vorgang vergleicht Odysseus mit dem Raub von Vieh oder Garben nach der Ente (ceu pecus armentumve aut vilis messis acervos, 70). Wie zuerst Brinkgreve herausgestellt hat,849 besteht dabei Intertextualität mit der Ilias: Dort legt Achill im Streit um Chryseis in der Versammlung die Gründe dar, weshalb er am Trojanischen Krieg teilnimmt. Die Trojaner hätten ihm kein Vieh gestohlen (οὐ γὰρ πώποτ᾽ ἐμὰς βοῦς ἤλασαν οὐδὲ μὲν ἵππους, Hom. Il. 1,154) und auch nicht seine Ernte zerstört (οὐδέ ποτ᾽ ἐν Φθίηι ἐριβώλακι βωτιανείρηι | καρπὸν ἐδηλήσαντ᾽, Il. 1,155f.). Stattdessen sei er Agamemnon gefolgt, um diesem einen Gefallen zu tun (ὄφρα σὺ χαίρηις, 158) und um die Ehre der beiden Atriden zu retten (τιμὴν ἀρνύμενοι Μενελάωι σοί τε, κυνῶπα, | πρὸς Τρώων, 159 f.). Damit inszeniert Statius die Achilleis weiter als zeitlichen Vorläufer der Ilias, in dem die Grundlage für das Verhalten der Helden im Epos gelegt wird. Allerdings übernimmt so Achill in der Ilias nur Odysseus’ Argumente, warum er nicht teilnimmt. Im Streit mit Agamemnon wird deutlich, dass Achill ansonsten mit dem epischen Erzähler der Achilleis in seiner Einschätzung übereinstimmt. Seine rhetorische Frage beantwortet Odysseus selbst: haec et non fortes iactura moveret. (Ach. 2,71) Ein solcher Verlust würde selbst nicht so tapfere

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Damit erhält der Trojanische Krieg gerade nicht „Züge eines elegischen Konflikts zwischen Liebhaber und Ehemann der puella.“ (so Bitto [2016], 346). Mit der Bezeich‐ nung der Krieger als ultores wird der Trojanische Krieg zu einem bellum iustum aus griechischer Perspektive. Vgl. auch die Bezeichnung ultrix für Europa (1,397), die Odysseus zunächst auf Menelaos (1,731) und hier auf alle Griechen überträgt. Vgl. Ripoll (2010), n. p. [11]. Vgl. zur Stelle ThlL IV (1907), 816.36 s.v. cōnūbium unter der Bed. „metonymice: de uxore“. Vgl. Brinkgreve (1913), n. p. im Similienenapparat zu 2,70.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Männer zum Handeln bewegen.850 Mit mythologischen Exempla verdeutlicht Odysseus, dass es sich beim Krieg mit Troja um eine natürliche Folge des Frauenraubs handelt.851 Dies erreicht er auch durch die abfallende dignitas der Räuber in seinen Exempla. Als erstes Beispiel dient ihm Agenors Reaktion auf Europas Entführung durch Jupiter. Europas Vater tolerierte auch göttliche Listen nicht (non tulit insidias divum, 72), suchte nach Europa (quaesiit Europen, 74) und lehnte Jupiter als Schwiegersohn ab (aspernatusque Tonantem est | ut generum, 74 f.). Als zweites Beispiel dient Odysseus Medea:852 Auch ihre Mitfahrt mit den Argonauten deutet er als Raub und parallelisiert sie gleichzeitig mit Europa, indem er sie als von der Küste geraubtes Mädchen darstellt (raptam Scythico de litore prolem, 75) und ihre Mithilfe bei der Erfüllung der Jason auferlegten Aufgaben verschweigt. Auf diesen Raub reagiert Aeetes wie Agenor und duldet dies nicht, wobei der Anfang von Vers 72 wiederholt wird (non tulit, 76). Dass die Männer, unter deren tutela die geraubte Frau steht, dies nicht gleichmütig hinnehmen, wird somit zur generellen Folge eines solchen Raubes. Somit verfolgt Aeetes die Argonauten mit seiner Flotte und mit Waffengewalt (ferroque et classe secutus, 76). Allerdings wird auch bei den Argonauten ihre gute Herkunft als Halbgötter herausgestellt (semideos reges, 77). Zudem wird auch ihr Schiff als Sternbild an den Himmel versetzt werden (ituram in sidera puppim, 77). Ganz im Gegensatz dazu steht Paris:853 Er ist als Phryger kein echter Mann (Phryga semivirum, 78), während es sich bei Jupiter um den höchsten Gott und bei den Argonauten um Habgötter gehandelt hat. Sein Schiff ist eine incesta puppis (79), während Jupiter Europa mit seiner göttlichen Erscheinung als Stier weggebracht hat (magno numine vectam, 73) und die Argonauten Medea mit der später vergöttlichten Argo mitgenommen haben. Somit erscheint es in der Schlussfolgerung des Enthymems als völlig widersinnig, dass die Griechen eine andere Reaktion zeigen könnten als Agenor und Aeetes (nos […] | […] feremus? 78 f.). Ironisch macht er zudem deutlich, dass es keinen Hinderungsgrund für die Griechen gibt: In Griechenland gibt es genügend Waffen und Pferde und auch das Meer ist für die Griechen passierbar (usque adeo nusquam arma et equi,

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Die Variante haec etiam fortes iactura moveret, der Dilke (1954=2005) und die meisten anderen Editoren folgen, ergibt wenig Sinn. In diesem Fall würde Odysseus sich selbst und die anderen Griechen nicht zu den fortes zählen. Feeney (2004), 102 f. verweist als Parallele zu den Exempla auf den Beginn von Herodots Historien, wo u. a. diese Beispiele den Grundstein für den Konflikt zwischen Asien und Europa legen. Hdt. 1,1–3. Vgl. auch Moul (2012), 290–292. Vgl. auch Thetis’ Verweis auf Medea und die Argonauten in ihrer Rede an Neptun (Ach. 1,63–65). Zur Charakterisierung von Paris vgl. auch Ripoll (2000), 107f.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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fretaque invia Grais? 80). Die Konzentration auf Paris als Achills Antagonist hat dabei verschiedene Implikationen: Cette concentration sur ces deux figures a à la fois un intérêt dramatique et une portée symbolique. Intérêt dramatique, puisque cela préfigure le meurtre d’Achille par Pâris, qui devait être un point culminant de Achilléide. Intérêt symbolique aussi, puisque les deux personnages représentent des valeurs et des attitudes morales opposées: Pâris se laisse guider par la luxuria en enlevant Hélène, alors qu’Achille a choisi la uirtus en s’arrachant aux bras de Déidamie pour se joindre à l’expédition; Pâris est un semiuir amolli alors qu’Achille a retrouvé son identité́ de uir momentanément occultée.854

Mit Paris ist nicht nur Achills Tod verbunden, sondern er verkörpert insgesamt den Gegensatz zu der Rolle, die Achill nun als der Held vor Troja schlechthin angenommen hat. Zuletzt bezieht Odysseus die mythologischen Exempla auf Achill und vermit‐ telt ihm dadurch den Eindruck, dass ein Frauenraub auch ihm geschehen könnte: quid si nunc aliquis patriis rapturus ab oris Deidamian eat viduaque e sede revellat attonitam et magni clamantem nomen Achillis?’ illius ad capulum rediit manus ac simul ingens inpulit ora rubor; tacuit contentus Ulixes. (Stat. Ach. 2,81–85)

Dazu stellt er ihm lebhaft vor Augen, wie sich jemand daran machen könnte, Deidamia zu entführen (patriis rapturus ab oris | Deidamian eat, 81 f.). Dieser Mann würde Deidamia dann aus dem dann leeren Haus mit Gewalt reißen. Dabei greift Odysseus’ Beschreibung des Hauses (viduaque e sede, 82) die des epischen Erzählers auf, der auf Achills Emotionen vor der Rede fokalisiert war (viduamque domum, 28). Auch dadurch wird deutlich, wie gut die Rede an Achill angepasst ist. Deidamia könnte sich dabei vor Schreck nicht rühren (attonitam, 83) und würde dabei Achills Namen rufen (magni clamantem nomen Achillis, 83). Die von Odysseus heraufbeschworene Situation ist so eindringlich, dass sich bei Achill sofort wieder eine körperliche Reaktion einstellt: Sein Griff geht zum Schwert (illius ad capulum rediit manus, 84) und sein Gesicht wird gleichzeitig tiefrot (ingens | inpulit ora rubor, 84 f.), wodurch sein Zorn körperlich sichtbar wird. Somit kann Odysseus mit dem Effekt seiner Rede zufrieden sein (tacuit contentus Ulixes, 85): Ihm ist tatsächlich das Ziel seiner Rede, flectere, gelungen.855 854 855

Ripoll (2000), 108. Anders Koster (1979), 206 Fn. 37, der daraus, dass Diomedes im Anschluss Achill bittet von seiner Kindheit zu erzählen, schlussfolgert, dass Achill weiter abgelenkt werden müsse und Odysseus Rede damit keinen Erfolg gehabt habe.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Die Erzählung von der Ursache des Krieges ist höchst pathetisch und genau auf Achill als Adressaten zugeschnitten, der sich ira für den Krieg gewünscht hat.856 Die Liebe zu Deidamia, die ihn sonst vom Krieg abhalten würde, ist es nun, die ihn dazu antreibt für die Sache der Griechen kämpfen zu wollen. Gerade die Situation, dass Achills Mädchen geraubt wird, mit der Odysseus Achill dazu bringt, sich für den Trojanischen Krieg zu motivieren, führt in der Ilias dazu, dass er sich bis zur Wiederherstellung seiner Ehre aus den Kämpfen zurückzieht. Auch hier geht seine Hand zum Schwert, als Agamemnon ankündigt, Briseis sich zu holen, und Achill kann nur durch göttliche Intervention davon abgehalten werden, gegen Agamemnon zu kämpfen (Hom. Il. 1,188–222).857 Auch dieser Textabschnitt bereitet also Achills Wesen, wie es aus dem bedeutendsten Prätext, der Ilias, bekannt ist, vor. Die Gründe für sein dortiges Handeln können aus der Achilleis entnommen werden. Durch Odysseus’ Reden erfüllt auch Achills Aufenthalt auf Skyros seinen Zweck für den Trojanischen Krieg: Skyros und die Liebe zu Deidamia werden zu Gründen, weshalb er vor Troja kämpfen will. Gleichzeitig sind beide Reden typisch für Odysseus: Er mischt Wahres mit Fiktionalem und verdreht die Tatsachen so, dass sie für ihn ihren Zweck erfüllen. Odysseus’ Rolle ist somit konsistent mit den epischen Prätexten. Auch narratologisch ist Odysseus’ Darstellung der Kriegsursachen be‐ deutsam. Dadurch, dass diese nicht zu Beginn des ersten Buches erfolgt, wird ein Einstieg in das Epos medias in res ermöglicht, die Dynamik der Erzählung wird nicht abgeschwächt und die Erzählung von Achills Aufenthalt auf Skyros wird damit abgeschlossen.858 2.4.3 Achills Apolog: Seine Erziehung durch Chiron Für den jungen Achill ist besonders seine Jugend bei Chiron bedeutsam, auf die er immer wieder verweist und die auch für sein Handeln bestimmend ist. So ist Chiron ein Grund, weshalb Achill zunächst die Verkleidung als Mädchen verweigert (1,274). In seinem Entscheidungsmonolog, sich als Mann zu erweisen, ist es ebenfalls Chiron, an dessen Trauer über sein Verschwinden er denkt und der ihn somit an seine männliche Rolle als Krieger erinnert (1,631). Auch Deidamia gegenüber stellt er sich nach der Vergewaltigung als derjenige vor, der im rauen Thessalien erzogen wurde (1,650–652). Achill sieht sich Chiron

856 857 858

Vgl. Ripoll (2000), 107. Vgl. Davis (2015), 165, Bessone (2020a), 103f. Vgl. Ripoll (2010), n. p. [11].

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

263

eher verpflichtet als seinem leiblichen Vater Peleus. Auch für andere Personen trägt er das Epitheton ornans alumnus Chironis (1,526, 868). Neben der Erzählung von Thetis’ Ankunft bei Chiron (vgl. 2.2) ist zu Achills Jugend vor allem seine eigene Erzählung im zweiten Buch der Achilleis auf‐ schlussreich. Nachdem Odysseus dort seine Ausführungen zu den Gründen des Trojanischen Krieges beendet hat, fordert Diomedes Achill zum Erzählen auf: Excipit Oenides: ‘Quin, o dignissima caeli progenies, ritusque tuos elementaque primae indolis et, valida mox accedente iuventa, quae solitus laudum tibi semina pandere Chiron virtutisque aditus, quas membra augere per artes, quas animum, sociis multumque faventibus edis? sit pretium longas penitus quaesisse per undas Scyron et his primum me arma ostendisse lacertis.’ (Stat. Ach. 2,86–93)

Diomedes spricht Achill höchst ehrenvoll als dignissima caeli | progenies (86 f.) an. Zwar ist Achill mit seinem Großvater Aiakos natürlich auch ein wahrer Urenkel des Jupiter, mit der Ansprache und deren sprachlicher Nähe zum Proöm (formidatamque Tonanti | progeniem et patrio vetitam succedere caelo, Stat. Ach. 1,1f.) übernimmt jedoch auch Diomedes hier die Inszenierung von Achill als Quasi-Jupitersohn. Achill soll von seinen Gewohnheiten als Kind (ritusque tuos, 87) und den Grundlagen für seine Begabung zum Helden erzählen (elementaque primae | indolis, 87 f.). Zudem soll er von seiner Erziehung durch Chiron berichten. Bezeichnend für Achill ist dabei seine früh einsetzende Jugend, mit der die Entwicklung seiner Kräfte verbunden ist (valida mox accedente iuventa, 88). Für Diomedes ist Achills Entwicklung eng mit Chiron verknüpft, der die Erziehung dauerhaft und mit System durchgeführt hat. Dies zeigt sich schon grammatikalisch daran, dass alle folgenden Infinitive von dem auf Chiron bezogenen Partizip solitus (89) abhängig sind. Achill soll schildern, wie Chirons Erziehung die Grundlage für seinen Ruhm gelegt hat (laudum […] semina, 89). Dabei geht es ihm sowohl um die didaktische Herangehensweise mit heroen‐ kindgerechten Zugängen zur virtus (virtutisque aditus, 90) als auch um genaue Techniken (artes, 90) zum Muskelaufbau (membra augere, 90) und zur Stärkung des animus (91).859 So wie Odysseus im 13. Buch der Metamorphosen Achills 859

Hiermit verbunden ist neben Mut eine seelische und charakterliche Größe. Magnanimus ist das Epitheton ornans großer Helden, das auch Statius für Achill verwendet (Magna‐ nimum Aeciden, Ach. 1,1. Vgl. auch (in Bezug auf Herkules) Lucan. 4,611: Magnanimum Alciden, Verg. Aen. 1,260, 9,204: Magnanimum Aenean. Vergil verwendet es auch für Jupiter (Verg. Aen. 12,144, 12,878).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Waffen als Belohnung fordert, fordert Diomedes diese Erzählung als Belohnung dafür, dass er nach Skyros gefahren ist und Achill als erster für den Krieg bewaffnet hat, wobei mit der Heraushebung von Achills Oberarmen nochmals sein muskulöser Körperbau betont wird (his primum me arma ostendisse lacertis, 93).   2.4.3.1 Achills Erziehung als Vorbereitung auf den Trojanischen Krieg Achills Erzählung wird durch einen Autorkommentar eingeleitet: Durch die rhetorische Frage Quem pigeat sua facta loqui? (94) wird einerseits Achills Stolz auf seine Leistungen als Kind deutlich. Andererseits beginnt er seine Rede bescheiden (tamen ille modeste | incohat, 94 f.), wirkt dabei noch unsicher und beinahe so, als würde man ihn dazu zwingen (ambiguus paulum propiorque coacto, 95). Diese anfängliche Unsicherheit, die sich dann jedoch wieder legt, zeigt sich auch am Beginn seiner Rede: ‘Dicor et in teneris et adhuc reptantibus annis, Thessalus ut rigido senior me monte recepit, non ullos ex more cibos hausisse nec almis uberibus satiasse famem, sed spissa leonum viscera semianimisque lupae traxisse medullas. haec mihi prima Ceres, haec laeti munera Bacchi, sic dabat ille pater. mox ire per invia secum lustra gradu maiore trahens visisque docebat adridere feris nec fracta ruentibus undis saxa nec ad vastae trepidare silentia silvae. iam tunc arma manu, iam tunc cervice pharetrae, et ferri properatus amor durataque multo sole geluque cutis; tenero nec fluxa cubili membra, sed ingenti saxum commune magistro. (Stat. Ach. 2,96–109)

So distanziert sich zunächst Achill von der Erzählung seiner frühesten Kindheit, indem er diese als Hörensagen kennzeichnet (dicor, 96).860 Hierbei geht es um sein Kleinkindalter, als er selbst noch nicht laufen konnte (et in teneris et adhuc reptantibus annis, 96). Nachdem Chiron, den er respektvoll als Thessalus […] senior (97) bezeichnet, ihn in seiner rauen Behausung (rigido […] monte, 97) 860

Dieser Verweis auf die infantile Amnesie erinnert auch an Telemachs Ausführungen zu Odysseus’ Vaterschaft, die er nicht sicher bestätigen kann, da er wie jeder Mensch bei seiner eigenen Zeugung nicht anwesend war (μήτηρ μέν τέ μέ φησι τοῦ ἔμμεναι, Hom. Od. 1,215, τοῦ μ᾽ ἔκ φασι γενέσθαι, Hom. Od. 1,220). Kozák (2012), 84 sieht dicor als einen Verweis auf die Traditionen zu Achills Kindheit.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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aufgenommen habe, habe er keine gewöhnliche Nahrung erhalten und auch keine Muttermilch getrunken (non ullos ex more cibos hausisse nec almis | uberibus satiasse famem, 98 f.). Stattdessen habe er zähe Eingeweide von Löwen (spissa leonum | viscera, 99 f.) und das Mark einer halbtoten Wölfin erhalten (semianimisque lupae traxisse medullas, 100). In den darauffolgenden Versen (101 f.) endet jedoch die Distanzierung. Diese Art der Ernährung wird zum Fakt: Die vorgestellten Speisen waren Achills erste Nahrung (haec mihi prima Ceres, 101) und seine ersten Getränke (haec laeti munera Bacchi, 101), die er von Chiron erhalten hat (sic dabat ille pater, 102). Claudia Klodt sieht von dieser Ernährung ausgehend eine von Beginn beste‐ hende Determination Achills auf ein Monster hin: Der anstelle von Brot und Wein mit den noch zuckenden Eingeweiden wilder Tiere genährte, völlig unzivilisierte puer der Achilleis hingegen kann nur noch zu dem monstrum werden, als das ihn die römische Tradition gewöhnlich sah.861

Zur Deutung dieser Stelle hat Donald Robertson in den 1940er Jahren beige‐ tragen. Er vergleicht in seinem Aufsatz The Food of Achilles die Darstellung dieser frühkindlichen Ernährung bei Statius mit einer frühattischen Amphora aus der Mitte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts862 sowie Beschreibungen bei Pseudo-Apollodor (Apollod. 3,172) und Pindar (Pind. N. 3,43–50).863 Vor allem bei Apollodor, von dem auch an anderer Stelle ein Einfluss auf Statius angenommen wird864 und dessen Beschreibung fast den Eindruck einer Kurz‐ fassung der Achilleis macht (Apollod. 3,172–174), wird die Ähnlichkeit zu Statius deutlich: ὁ [i. e. Χείρων] δὲ λαβὼν αὐτὸν ἔτρεφε σπλάγχνοις λεόντων καὶ συῶν ἀγρίων καὶ ἄρκτων μυελοῖς, καὶ ὠνόμασεν Ἀχιλλέα (πρότερον δὲ ἦν ὄνομα αὐτῷ Λιγύρων) ὅτι τὰ χείλη μαστοῖς οὐ προσήνεγκε. (Apollod. 3,172). Der [Chiron] nahm ihn auf und ernährte ihn mit Eingeweiden und Knochenmark von Löwen, Wildschweinen und Bären. Und er nannte ihn Achill (zuvor hieß er Ligyron), weil er seine Lippen nicht an Brüste gelegt hatte.

861 862 863 864

Vgl. Klodt (2009), 204. CVA Berlin (1) Taf. 5. Vgl. Robertson (1940). Vgl. zur Darstellung auf der Amphora auch Beazley (1986), 9f. Vgl. Andersen Vinilandicus (2009), 231. Allerdings ist die Datierung des Werkes umstritten. Es muss nach 61/60 v. Chr. entstanden sein. Vgl. Dräger (2005), 838. Sollte es jedoch nach Statius entstanden sein, so könnten Statius und Apollodor dieselben Quellen verwendet haben.

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Wie bei Statius wird Achill hier mit den Eingeweiden von Löwen ernährt. Hinzu kommen noch die Eingeweide von Wildschweinen. Das Mark stammt bei Apollodor nicht von einer Wölfin. Ein weiterer Unterschied ist, dass keine Rede davon ist, dass diese Eingeweide und Knochen einem gerade noch lebenden Tier entnommen worden sind. Apollodor dient diese Geschichte zusätzlich als Aition für Achills Namen. Da er mit seinen Lippen nicht die Brüste einer Frau berührt habe, habe Chiron ihn nach dieser besonderen Tatsache benannt.865 Bei Pindar wiederum wird ein älterer Achill vorgestellt, der im Alter von sechs Jahren zum ersten Mal Löwen und Eber erlegt. Deren Körper bringt er zu Chiron: σώματα δὲ παρὰ Κρονίδαν | Κένταυρον ἀσθμαίνοντα κόμιζεν (Pind. N. 3,47f.). Die Tierkörper werden noch atmend zu Chiron geschleppt.866 Robertson argumentiert hier, dass Pindar die Tradition des von Eingeweiden genährten Achills unterdrücken wollte und deshalb diese Form der Erzählung wählte. Auch die Halsamphora, die Robertson bespricht, zeigt das Bestehen dieser Tradition. Diese zeigt, wie Peleus den jungen Achill Chiron zur Erziehung übergibt. Chiron trägt dabei einen Löwen, einen Eber und einen Wolf oder Bär.867 Hintergrund dieser Tradition ist eine Praktik der sympathetischen Magie.868 In dieser Form der Magie wird davon ausgegangen, dass äußerlich ähnliche Dinge auch innerlich ähnlich sind.869 Deshalb kann Achill durch das Verzehren der Tiereingeweide und des Markes Eigenschaften der Tiere übernehmen. Die Nahrung ist noch zuckend, da so von einer höheren Wirksamkeit der Magie ausgegangen wird.870 Bei Statius unterzieht Chiron Achill einem Sympathiezauber mit Löwen und mit einer Wölfin. In der antiken Literatur werden dabei dem Löwen Eigenschaften wie Tapferkeit, Kraft und Mut zugeschrieben. Damit galt er auch als Sinnbild des Kriegers und des Männlichen.871 Auch Achill wird in der Ilias in zwei epischen Gleichnissen mit einem Löwen verglichen (Hom. Il. 18,318–322, 20,164–175). Er erhält sogar das Epitheton θυμολέοντα (Il. 7,228), das in der Ilias ansonsten nur Herakles trägt (Il. 5,639). Der Wolf wird als edel, wild, raublustig und unzähmbar angesehen.872 In einem epischen Gleichnis der Ilias, 865 866 867 868 869 870 871 872

Zu den Aitien für Achills Namen vgl. auch Heslin (2005), 175–181. Eine Diskussion anderer Varianten an dieser Stelle findet sich bei Robertson (1940), 179 f. Vgl. Robertson (1940), 177, 180. Vgl. Dräger (2005), 586. Vgl. Wandrey, Irina u.A.: Magie, Magier, in: DNP 7 (1999), 657. Vgl. Robertson (1940), 177f. Vgl. Hünemörder, Christian/Fischer, Susanne: Löwe, in: DNP 7 (1999), 392, sowie Steier, August: Löwe, in: RE XIII,1 (1926), 973. Vgl. Hünemörder, Christian: Wolf, in: DNP 12,2 (2002), 567.

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in dem die Myrmidonen mit Wölfen verglichen werden (Il. 16,156–166), wird auch die besondere Kraft der Wölfe herausgehoben (157). Die Eigenschaften der gewählten Tiere, deren Kräfte auf Achill übergehen sollen, decken sich also mit denen eines großen Kriegers.873 Dass Achill mit diesen Tieren verglichen wird, ist zum Teil schon in der Ilias angelegt. Statius hätte jedoch auch diese Tradition wie Pindar unterdrücken können. So erweckt Achill einen wilden und archaischen Eindruck.874 Aus der Tatsache des Verzehrs folgt jedoch nicht ein monströses Verhalten des späteren Achill. Stattdessen wird durch das Essen die Grundlage für Achills Heldentum gelegt, indem er die kriegerischen Eigenschaften dieser Tiere übernimmt. Auch sonst dient die Erziehung dazu, Achill auf seine Rolle als Krieger vorzu‐ bereiten. Dazu bringt Chiron ihm Furchtlosigkeit bei: Achill lernt, sich durch Wildverstecke zu bewegen (ire per invia secum | lustra, 102 f.). Dabei ist Achill noch so klein, dass er den Schritten seines Lehrers kaum hinterherkommt (gradu maiore trahens, 104). Vor den Wildtieren, denen sie begegnen, soll er keine Angst haben, sondern lernt sie anzulächeln (visisque docebat | adridere feris, 103 f.). Genauso lernt er keine Angst vor scharfkantigen Steinen in Flüssen (fracta ruentibus undis | saxa, 104 f.) und vor der Stille im Wald zu haben (vastae trepidare silentia silvae, 105). Achill ist als Kind schon ein kleiner Krieger: Er hält in seinen Händen Waffen (iam tunc arma manu, 106)875 und trägt am Rücken einen Köcher (iam tunc cervice pharetrae, 106), wobei durch die Anapher iam tunc der sehr frühe Zeitpunkt betont wird. Bei Achill setzt schon verfrüht die Begeisterung für Waffen ein (ferri properatus amor, 107). Gleichzeitig macht Achill damit gegenüber Diomedes deutlich, dass dieser nicht wie behauptet (his primum me arma ostendisse lacertis, 93) Achill als erster Waffen angelegt hat, sondern Achill schon längst zuvor zum Krieger bestimmt war. Zudem erfüllt Achill schon als Kind die Topik für einen guten Feldherrn:876 Er erträgt Hitze und Frost, wodurch sich seine Haut härtet (durataque multo | sole geluque cutis, 107 f.), und schläft nicht in einem bequemen Bett, sondern gemeinsam mit Chiron auf einem Stein (tenero nec fluxa cubili | membra, sed ingenti saxum commune magistro, 108 f.). Der Wahrheitsgehalt seines Berichts wird in Bezug auf seine Schlafgewohnheiten durch einen intratextuellen Ver‐ 873 874 875 876

Vgl. auch Braund/Gilbert (2004), 252 f., 278–280. Vgl. auch Ripoll (2012), 130. Zu Achills kleinen Kinderwaffen vgl. auch Pind. N. 3,44f. und Val. Fl. 1,409. Vgl. Fantham (1999), 64, Ripoll/Soubiran (2008), 295 (ad 2,108f.). Die Feldherrntopik ist dabei auch Teil der Heldentopik. Zudem wird Achill später als dux/βασιλεύς der Myrmidonen eine ähnliche Rolle einnehmen.

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weis gestützt: Bei Thetis’ Besuch war Chiron, der hier ebenfalls das Attribut ingens trägt, am Abend auf dem Stein eingeschlafen (saxo collabitur ingens | Centaurus, 1,196), woraufhin Achill an ihn gekuschelt eingeschlafen ist. In seinem zwölften Lebensjahr nimmt das Training durch Chiron noch intensivere Formen an: vix mihi bissenos annorum torserat orbes vita rudis, volucris cum iam praevertere cervos et Lapithum877 cogebat equos praemissaque cursu tela sequi; saepe ipse gradu me praepete Chiron, dum velox aetas, campis admissus agebat omnibus, exhaustumque vago per gramina passu laudabat gaudens atque in sua terga levabat. saepe etiam primo fluvii torpore iubebar ire supra glaciemque levi non frangere planta. hoc puerile decus. quid nunc tibi proelia dicam silvarum et saevo vacuos iam murmure saltus? numquam ille inbelles Ossaea per avia dammas sectari aut timidas passus me cuspide lyncas sternere, sed tristes turbare cubilibus ursos fulmineosque sues, et sicubi maxima tigris aut seducta iugis fetae spelunca leaenae. ipse sedens vasto facta exspectabat in antro, si sparsus nigro remearem sanguine; nec me ante nisi inspectis admisit ad oscula telis. (Stat. Ach. 2,110–128)

Großen Raum nimmt dabei das Lauftraining ein: Achill soll Hirsche (praevertere cervos, 111) und die Pferde der Lapithen (Lapithum […] equos, 112), die durch besondere Schnelligkeit bekannt sind,878 überholen.879 Zudem soll er Geschosse, die zuvor abgeschossen wurden, verfolgen (praemissaque cursu | tela sequi, 112 f.). Zusätzlich jagt Chiron Achill über alle Felder (agebat, 114). Dies geschieht in vollem Galopp (admissus, 114) und in höchster Geschwindigkeit (gradu […] praepete, 113). Sobald Achill völlig erschöpft ist und kaum mehr laufen kann (exhaustumque vago per gramina passu, 115), lobt ihn Chiron, zeigt dabei seine eigene Freude über Achills Erfolg (laudabat gaudens, 116) und hebt ihn auf 877 878 879

Hier folge ich der Konjektur von Hall, der Lapithum als Gen. Pl. wie in Verg. Aen. 7,305 statt Lapithas (ω) vorschlägt. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 295 (ad 2,111–116). Chinn (2013), 324 f. sieht darin eine Anspielung auf die Kentauromachie in Ov. met. 12,210–535.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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seinen Rücken.880 Damit zeigt Achill schon in seiner Kindheit die Schnelligkeit, für die er in der Ilias bekannt ist und die sich in seinen Epitheta ornantia widerspiegelt. So wird Achill in der Ilias 30-mal als πόδας ὠκὺς Ἀχιλλεύς (z. B. Hom. Il. 1,58), sechsmal kürzer als ὠκὺς Ἀχιλλεὺς (z. B. 19,295), 21-mal als ποδάρκης δῖος Ἀχιλλεύς (z. B. 1,121), achtmal als πόδας ταχὺς (z. B. 13,249) und viermal als ποδώκης (z. B. 18,234) bezeichnet.881 Speziell das Überholen der Hirsche erfüllt die Prophezeiung der Parzen bei der Hochzeit von Peleus und Thetis (praevertet celeris vestigia cervae, Catull. 64,341)882 und gibt auch Achills ungewöhnliche Jagdmethode ohne Netze und Hunde als Kind wieder, wie sie Pindar schildert (Pind. N. 3,51f.). Zusätzlich soll Achill auf erst leicht gefrorenen Flüssen (primo fluvii torpore, 117) gehen und dabei seine Geschicklichkeit zeigen, indem er nur leicht auftritt (levi non frangere planta, 118). Damit wird die Feldherrntopik, Kälte ertragen zu können, zusätzlich mit Achills besonderer Geschicklichkeit verbunden.883 Achill selbst bezeichnet dies voller Stolz als puerile decus (119). Eine weitere Steigerung zeigt sich in Achills Tätigkeit als Jäger, die er schon in der Einleitung mit einer rhetorischen Frage als herausragend darstellt (119 f.): Die Jagd stilisiert Achill zu militärischen Auseinandersetzungen und bezeichnet sie als proelia […] | silvarum (119 f.). Zudem macht er den Erfolg deutlich, den er erreicht hat: In den bewaldeten und gebirgigen Gegenden hört man nun kein Gebrüll gefährlicher wilder Tiere mehr (saevo vacuos iam murmure saltus, 120). Achill hat sie dort also ausgerottet.884 Chiron lässt ihn nicht ungefährliche (inbelles […] dammas, 121) oder scheue Tiere (timidas […] lyncas, 122) jagen, wie das für sein Alter als puer oder auch für Epheben typisch wäre (vgl. Ov. met. 10,537–552).885 Stattdessen soll Achill gefährliche Tiere erlegen. Dazu

880

881 882 883 884 885

Eine Parallele findet sich in einem gewöhnlich getilgten Vers der Argonautica (Schenkl [1871], 12 hält den Vers für vom Dichter annotiert, lehnt aber ein Asyndeton zur Verknüpfung mit den beiden zusammengehörigen vorherigen Versen ab, weshalb er den Vers tilgt). Dort lernt Patroklos, als er Chiron als Gefährte für Achill übergeben wird, auf Chiron zu reiten (discat eques placidi conscendere terga magistri, Val. Fl. 1,410). Zu den statistischen Angaben vgl. den Thesaurus Linguae Graecae. Digital Library, hg. v. Maria C. Pantelia, aufrufbar über http://stephanus.tlg.uci.edu (06.09.2022). Vgl. Hinds (1998), 125f. Auch Parthenopaeus lernt in seiner Kindheit über gefrorene Flüsse zu kriechen (astrictos didici reptare per amnes, Stat. Theb. 9,797). Allerdings liegt dort der Fokus auf dem Aushalten der Kälte und nicht auf seiner Geschicklichkeit. Damit erfüllt Achill als Kind eine für Herkules typische Tätigkeit. Vgl. z. B. Diod. 4,17,3. Vgl. insgesamt zum Herkulestopos Gruppe, Otto: Herakles, in RE Suppl. III (1918), 1009f. Bei Chirons Anweisungen handelt es sich um die umgekehrten Anweisungen von Venus an Adonis. Während dieser nur ungefährliche Tiere wie die dammae jagen soll, soll Achill gerade die Tiere jagen, die Adonis nicht jagen darf: Eber, Bären und Löwen.

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gehören Bären, die Achill in ihren Höhlen aufstöbert (tristes turbare cubilibus ursos, 123), aggressive Wildschweine (fulmineosque sues, 124), sowie, wenn nur irgendwie auffindbar (sicubi, 124), ein riesiger Tiger (maxima tigris, 124) oder eine Löwin, die Jungen geworfen hat (seducta iugis fetae spelunca leaenae, 125). Wie herausragend die Jagd dieser Tiere gegenüber der Jagd gewöhnlicher Jäger ist, zeigt exemplarisch ein Vergleich mit den Prätexten für die Eberjagd. Während in einem epischen Gleichnis der Thebais der Jäger es nicht wagt, die Eber – ebenfalls fulmenei sues (530 f.) – zu stören, die miteinander kämpfen (Stat. Theb. 11,530–534), wird der junge Odysseus bei der Eberjagd – auch hier wird der feurige Blick des Ebers betont (πῦρ δ᾽ ὀφθαλμοῖσι δεδορκώς, 446) – schwer verletzt, wobei er sich seine charakteristische Narbe am Oberschenkel zuzieht (Hom. Od. 19,428–458). Die Erzählung von der Löwin nimmt wiederum Bezug auf die Löwin, die Achill bei Thetis’ Ankunft erlegt hatte (fetam Pholoes sub rupe laenam | proculerat ferro, Ach. 1,168f.), und bestätigt damit weiter dem Leser den Wahrheitsgehalt von Achills Erzählung. Ebenfalls wie bei Thetis’ Ankunft wartet Chiron, während Achill jagt, auf dessen Rückkehr (1,119–121). Dabei erwartet er von Achill, dass er von seinen Taten berichtet (facta, 2,126) und blutbespritzt heimkehrt (sparsus nigro remearem sanguine, 127). Zusätzlich inspiziert er seine Waffen. Erst dann darf Achill Küsse erhalten (nec me | ante nisi inspectis admisit ad oscula telis, 127 f.). Am meisten Platz in der Ausbildung nimmt aber die direkte Vorbereitung auf den Kampf (129–153) ein. Ein Teil davon besteht aus Faktenwissen über das Kriegswesen, Waffengattungen und die Völker, die diese verwenden: iamque et ad ensiferos vicina pube tumultus aptabar, nec me ulla feri Mavortis imago praeteriit. didici, quo Paeones arma rotatu, quo Macetae sua gaesa citent, quo turbine contum Sauromates falcemque Getes arcumque Gelonus tenderet et flexae Balearicus actor habenae quo suspensa trahens libraret vulnera tortu inclusumque suo distingueret aera gyro. (Stat. Ach. 2,129–136)

Achill wird auf Kämpfe mit benachbarten Völkern vorbereitet (ad ensiferos vicina pube tumultus, 129). Diese Ausbildung ist umfassend (nec me ulla feri Mavortis imago | praeteriit, 130 f.) und geschieht systematisch über längere Zeit hinweg (aptabar, 130). Als Beispiel für sein erworbenes Wissen (didici, 131) führt Achill einzelne Völker, ihre typischen Waffen und ihre Verwendung

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auf (131–136).886 Die exemplarisch genannten Völker umfassen nähere Völker, nämlich solche, die in Makedonien ansässig sind, wie die Paeones und Macetae, aber auch Völker der ganzen bekannten Welt von skythischen Völkerschaften im Osten (132–134) zu den Bewohnern der Balearen im Westen (134–136). Achill erwirbt jedoch nicht nur Kenntnisse, sondern auf für den Kampf nützliche Fähigkeiten: vix memorem cunctos, etsi bene gessimus, actus. nunc docet ingentes saltu me iungere fossas, nunc caput aerii scandentem prendere montis, quo fugitur per plana gradu, simulacraque pugnae excipere inmissos curvato umbone molares ardentesque intrare casas peditemque volantis sistere quadriiugos. memini, rapidissimus ibat imbribus adsiduis pastus nivibusque solutis Sperchios vivasque trabes et saxa ferebat, cum me ille immissum, qua saevior impetus undae, stare iubet contra tumidosque repellere fluctus, quos vix ipse gradu totiens obstante tulisset. stabam equidem, nec887 me referebat concitus amnis et latae caligo fugae; ferus ille minari desuper incumbens verbisque urgere pudorem. nec nisi iussus abi: sic me sublimis agebat gloria, nec duri tanto sub teste labores. (Stat. Ach. 2,137–153)

Achill macht zunächst deutlich, dass Chirons Programm so vielfältig war, dass es kaum möglich ist, alle Einzelheiten zu erwähnen (vix memorem cunctos […] actus, 137). Dabei betont er, dass diese Verkürzung nicht darauf zurückzuführen ist, dass er irgendwelche Teile davon schlecht absolviert hätte und er sie deswegen verschweigen wollte (etsi bene gessimus, 137). Achill lernt riesige Gräben zu überspringen (docet ingentes saltu me iungere fossas, 138). Dabei ist Achills besondere Sprungkraft auch eine Eigenschaft, für die Achill aus der Ilias bekannt ist. So wird Achills Sprung, als er versucht dem Skamander zu entkommen, mit dem Abstoß eines Adlers verglichen (Hom. Il. 21,251–254). Ebenfalls lernt er, hohe Berge zu besteigen (caput aerii scandentem prendere montis, 139) und die richtige Laufweise, um über eine Ebene wie 886 887

Die Vorbereitung auf einzelne Völker ist auch Teil der Erziehung bei Pind. N. 3,60–63. Hier folgt der Text Halls Edition und damit ω gegen P (sed). Schon der Tempusgebrauch spricht für nec. Bei sed wäre bei der dann ingressiven neuen Handlung Perfekt zu erwarten.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

die vor Troja zu fliehen (quo fugitur per plana gradu, 140). Zudem finden Kampfsimulationen statt (simulacra pugnae, 140): Mit seinem Rundschild wehrt Achill Felsblöcke ab, die ihm zugeworfen werden (excipere inmissos curvato umbone molares, 141) und trainiert so die Verteidigung mit dem Schild unter schwierigsten Umständen. Somit wäre Achill auch für den Zweikampf mit Aineas in der Ilias gerüstet, der auf ihn einen gewaltigen Stein werfen will (ὃ δὲ χερμάδιον λάβε χειρὶ | Αἰνείας, μέγα ἔργον, ὃ οὐ δύο γ᾽ ἄνδρε φέροιεν, | οἷοι νῦν βροτοί εἰσ᾽, Hom. Il. 20,285–287), bevor er von Poseidon aus dem Kampf entführt wird, da seine Niederlage sicher wäre. Genauso lernt Achill, brennende Häuser zu betreten (ardentesque intrare casas, 142) und zu Fuß Viergespanne in voller Fahrt aufzuhalten (peditemque volantis | sistere quadriiugos, 142 f.). Das Anstemmen gegen den flutgeschwollenen Fluss Sperchios (143–153) nimmt den größten Raum in der Darstellung der Ausbildung für den Krieg ein und wird als besonderes Ereignis mit memini (143) betont.888 Die Beschreibung des Flusses ähnelt dabei – teils mit Einzelreferenzen – stark dem Acheloos, der Theseus in den Metamorphosen daran hindert, ihn zu überschreiten, bis er etwas abgeschwollen ist (Ov. met. 8,549–559). Der Sperchios ist reißend (rapidissimus ibat, 143), da er wegen Regenfällen (imbribus adsiduis pastus, 144) und der Schneeschmelze viel Wasser mit sich führt. Genauso verhält es sich beim Acheloos: Auch hier hat es geregnet, der Fluss ist dementsprechend imbre tumens (Ov. met. 8,550). Die Schneeschmelze, die zum Anschwellen des Acheloos geführt hat (nivibus de monte solutis, Ov. met. 8,556), entspricht sprachlich dem im Falle des Sperchios (nivibusque solutis, Ach. 2,144), wobei sie bei Ovid noch um die Herkunftsangabe ergänzt ist. Der Sperchios führt frisch ausgerissene und deswegen noch grünende Baumstämme und Steine mit sich (vivasque trabes et saxa ferebat, 145). Dies ist ebenfalls beim Acheloos der Fall: Er führt massive Baumstämme mit sich und die mitgeführten Steine erzeugen lautes Tosen (ferre trabes solidas obliquaque volvere magno | murmure saxa solent, Ov. met. 8,552f.). Während Theseus den Fluss nicht überschreitet und der Flussgott ihm zusätzlich die tödlichen Gefahren für junge Männer im Fluss deutlich macht (Ov. met. 8,556f.), schickt Chiron Achill in einen solchen Fluss (me […] immissum, Ach. 2,146) und befiehlt ihm, an einem Ort, wo die Strömung stark ist, stehen zu bleiben (qua saevior impetus undae, | stare iubet contra, 146 f.) und gegen diese zu kämpfen (tumidosque repellere fluctus, 147). Dabei macht Achill deutlich, dass Chiron von ihm etwas verlangt hat, was der Kentaur trotz seines körperlichen Vorteils mit vier Beinen selbst kaum könnte (quos vix ipse

888

Zu weiteren Szenen von Kämpfen mit Flüssen (μάχη παραποτάμιος) im Epos vgl. Biggs (2019).

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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gradu totiens obstante tulisset, 148). Und tatsächlich bleibt Achill stehen (stabam equidem, 149) und wird nicht zurückgetrieben (nec me referebat concitus amnis | et latae caligo fugae, 149 f.). Chiron droht ihm währenddessen, setzt ihn unter Druck und appelliert an sein Ethos als Krieger, nicht nachzugeben und damit einen Ehrverlust hinzunehmen (ferus ille minari | desuper incumbens verbisque urgere pudorem, 150 f.). Damit hat Chiron auch Erfolg: Achill weicht erst, als er dazu aufgefordert wird (nec nisi iussus abi, 152). Daraus schlussfolgert Achill für sich selbst, dass der Ruhm etwas ist, für das er sehr viel zu ertragen bereit ist (sic me sublimis agebat | gloria, 152 f.). Gleichzeitig stellt er fest, dass mit Chiron als Lehrer selbst so schwere Aufgaben leicht waren (nec duri tanto sub teste labores, 153).889 Die einzelnen Elemente der Erziehung mögen hart erscheinen, aber Achill ist bei Chiron – auch weil er gefordert wird – glücklich.890 Dass Achill im flutgeschwollenen Sperchios standhalten soll, bereitet ihn dabei auf den Kampf mit dem Flussgott Skamander in der Ilias (Hom. Il. 21,232–384) vor. Anders als dort erhält er in der Achilleis auch keine göttliche Unterstützung,891 sondern muss allein standhalten. Damit übertrifft er auch andere Helden wie Theseus in den Metamorphosen, die einen Tag abwarten, bevor sie einen ähnlichen Fluss überschreiten. Achill wird jedoch nicht nur auf den Kampf vorbereitet: nam procul Oebalios in nubila condere discos et liquidam nodare palen et spargere caestus, ludus erat requiesque mihi; nec maior in istis sudor, Apollineo quam fila sonantia plectro cum quaterem priscosque virum mirarer honores. quin etiam sucos atque auxiliantia morbis gramina, quo nimius staret medicamine sanguis, quid faciat somnos, quid hiantia vulnera claudat, quae ferro cohibenda lues, quae cederet herbis, edocuit monitusque sacrae sub pectore fixit iustitiae, qua Peliacis dare iura verenda gentibus atque suos solitus pacare biformes. (Stat. Ach. 2,154–165)

Er wird im Diskuswerfen (procul Oebalios in nubila condere discos, 154), Ringen (liquidam nodare palen, 155) und Faustkampf (spargere caestus, 155) auf Wett‐ 889 890 891

Chiron erfüllt damit das Ideal eines guten Feldherrn wie Ripoll/Soubiran (2008), 304 (ad 2,153) u. a. mit Verweis auf Lucan. 8,887 (illo teste) zeigen. Damit stellt die Zeit bei Chiron das Gegenteil zum Aufenthalt auf Skyros dar, wo er über seine Untätigkeit und die mollitia traurig ist. Vgl. La Penna (1996), 177. Vgl. Ripoll/Soubiran (2008), 303 (ad 2,150f.).

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

kämpfe vorbereitet, die bei Homer ein wichtiges Element der Adelskultur sind und im 23. Gesang der Ilias im Kontext der Leichenspiele für Patroklos dargestellt werden.892 All diese Sportarten bereiten Achill keine Mühe, sondern sind bei seinem kriegerischen Training eine Erholung (ludus erat requiesque mihi, 156). Dies illustriert Achill damit, dass ihm die Vorbereitung auf Agone genauso wenig schwitzen haben lassen (nec maior in istis | sudor, 156 f.) wie Lyraspiel (Apollineo quam fila sonantia plectro | cum quaterem, 157 f.)893 und Gesang894. Dieser Gesang hat dabei den Ruhm früherer Helden zum Thema (priscosque virum mirarer honores, 158). Damit nimmt Statius Bezug auf die κλέα ἀνδρῶν, die Achill in der Ilias besingt (Hom. Il. 9,186–191) und auf die schon zuvor bei Thetis’ Besuch bei Chiron verwiesen worden war (vgl. 2.2.2.2). Weiterhin erhält Achill eine Ausbildung in der Heilkunst. Diese war schon bei Homer ein Teil der Ausbildung Achills durch Chiron (Hom. Il. 11,832). Achill lernt den Einsatz von Tränken und Heilkräutern (sucos atque auxiliantia morbis | gramina, Ach. 2,159f.), um Blut zum Stocken zu bringen (quo nimius staret medicamine sanguis, 160), Schlafmittel zu verabreichen (quid faciat somnos, 161) und Wunden zu verschließen (quid hiantia vulnera claudat, 161). Zudem erfährt er, wann man chirurgisch vorgehen muss (quae ferro cohibenda lues, 162)895 und wann man Kräuter einsetzen kann (quae cederet herbis, 162). Zudem erhält Achill auch eine Unterweisung in göttlichem Recht (monitusque sacrae […] | iustitiae, 163 f.): Diese hat Achill dank Chiron völlig verinnerlicht (sub pectore fixit, 163). Chiron ist dabei in zweierlei Hinsicht ein hervorragender Lehrer: Er erscheint als weiser Gesetzesstifter der Völker in der Umgebung des Pelion (qua Peliacis dare iura verenda | gentibus, 164 f.). Gleichzeitig kann er durch das Recht seine eigene zwiespältige Natur als Kentaur unter Kontrolle bringen (suos solitus pacare biformes, 165). Insgesamt zieht Achill einen positiven Schluss zu seiner Erziehung durch Chiron: hactenus annorum, comites, elementa meorum et memini et meminisse iuvat: scit cetera mater.’ (Stat. Ach. 2,166f.)

892 893 894 895

Anders Bitto (2016), 351 f. der in der Vorbereitung auf sportliche Agone eine Sublimie‐ rung der Gewalt auf unkriegerische Bereiche sieht. Auch bei Val. Fl. 1,408f. ist das Lyraspiel ein wichtiger Lehrgegenstand, den Chiron Achill vermittelt. Für Newlands (2012), 179 Fn. 42 stellt Achill seinen Gesang gegenüber Diomedes als hypermaskulin dar. Zu Chiron als Erfinder der Chirurgie vgl. auch Hyg. fab. 274,9. Gleichzeitig wird dabei auf sympathetisch-magische Heilungen wie die von Telephos durch Achill verwiesen.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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An die Zeit bei Chiron erinnert er sich gerne (et memini et meminisse iuvat, 167). Von der Zeit auf Skyros, für die er Thetis verantwortlich macht, will er nicht erzählen (scit cetera mater, 167).896 Mit der Erziehung wird die „Schande“ der weiblichen Lebensweise auf Skyros ausgeglichen. Auch im Rahmen seiner Erziehung zeigt sich bei Achill die Spannung zwischen Erotischem und Heroischem: Dabei wird jedoch deutlich, dass der epische Achill gerade nicht dem Liebhaber der Ars amatoria entspricht. Im Gegensatz zum Wein beim Gastmahl als den munera Bacchi (Ov. ars 1,565) steht Achills Ernährung mit rohen Eingeweiden (Ach. 2,101). Während der Liebhaber auch unter dem Einfluss des Weins beim Gastmahl lachen soll (Ov. ars 1,239) und Frauen das richtige Lachen üben (discunt etiam ridere puellae, Ov. ars 3,281), lehrt Chiron Achill wilde Tiere anzulachen (docebat | adridere feris, Ach. 2,103f.). An Stelle der ersten Liebe zu einer Frau tritt Achills frühe Liebe zum Umgang mit Waffen (ferri properatus amor, 107).897 Diese haben Vorrang vor seiner Belohnung, den oscula (128). In der Summe zeigt sich also, dass die Elemente der Erziehung Achills sehr stark auf die Eigenschaften des homerischen Achills ausgerichtet sind. Claudia Klodt vertritt hier die Ansicht, dass dadurch Achills Leistung banalisiert wird, da sie ihm antrainiert wurde.898 Aber auch dem antiken Leser muss deutlich gewesen sein, dass ohne Training hohe Leistungen kaum möglich sind. Aus der Tatsache, dass ein Held oder Sportler zuvor hart trainiert hat, folgt nicht konsequenter‐ weise eine Abwertung der Leistung.899 Stattdessen ist auch beispielsweise bei Pindar Achills Werden zum Helden auf Anlage und Training zurückzuführen.900 Auch Chiron ist Achills Nähe zu den Heroen, die er von früher kennt, deutlich. Dies hat er Thetis gegenüber mit einer Aposiopese herausgestellt (Ach. 1,156– 158, vgl. 2.2.1.2). Achill verhält sich als Kind ähnlich wie der erwachsene Achill in der Ilias. Zwischen dem Kind und dem Erwachsenen besteht eine Kontinuität.901

896

897 898 899 900 901

Anders Heslin (2005), 63 Fn. 21, der dies auf die Zeit vor der Erziehung bei Chiron bezieht. Dies mache keinen Sinn, da Achill es schon zuvor abgelehnt habe, über Skyros zu reden. Siehe aber bspw. McAuley (2016), 346. M.E. bezieht sich der Vers, v. a., wenn man ihn zusätzlich als einen Verweis auf Cetera quis nescit? in Ov. am. 1,5,25 liest, speziell auf Achills sexuelle Beziehung zu Deidamia. Dies steht im Gegensatz zu dem properatus amor, der Pluto erfasst, als er Proserpina sieht (Ov. met. 5,396). Vgl. Klodt (2009), 200–202. So auch Kozák (2012), 83: „What he possesses by birth is only a potential for excellence; he can become excellent in fact only through long and careful education.“ Vgl. Brillante (1991), 11f. Vgl. Most (2008), 219f.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Auch der Einfluss auf die spätere Literatur kann wichtige Hinweise zur Deutung geben: So wird Statius’ Schilderung von Achills Jugend allgemein als Vorbild aufgefasst (Auson. 8,12–23) und hatte damit unter anderem einen be‐ sonderen Einfluss auf die Panegyrik, in der der statianische Achill beispielsweise bei Claudian (carm. 7,23f., 59–62, 10,16–19) und Sidonius (carm. 6,15, 7,169–173) als Vergleichspunkt zu dem zu lobenden Kaiser diente.902   2.4.3.2 Semiferi Chironis alumnus. Ein Kentaur als Erzieher Chiron und seine Erziehung sind also bestimmend für Achills Heldentum.903 Chiron wird in der Tradition als Erzieher zahlreicher Helden – unter anderem auch von Odysseus, Diomedes und Aeneas – genannt (Xen. kyn. 1,2). Seine be‐ rühmtesten Schüler waren jedoch Achill und Asklepios.904 In der Achilleis wird Chiron von Odysseus als semifer (Ach. 1,868) bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein Epitheton, das in der Literatur grundsätzlich in Bezug auf Chiron oder andere Kentauren benutzt wird (Vgl. Stat. silv. 2,1,89, Lucan. 6,386, Stat. Theb. 9,220, Ov. met. 2,633). Chiron ist also von seiner natürlichen Disposition aus gesehen ein Wesen zwischen Mensch und Tier. Im Zusammenhang mit diesem Wesen als Kentaur wurden verschiedene damit verbundene Implikationen auf die Erzogenen geäußert. In Bezug auf die Fasti (Ov. fast. 5,379–414) vertritt Boyd die These, dass Chirons Wesen als lediglich halber Mann auf die anwesenden Heroen Achill und Herkules abfärbe. Beide sieht sie als schwankend zwischen

902 903

904

Vgl. zur Rezeption der Achilleis in der Spätantike Pavlovskis (1965). Zu Chiron bzw. Phoinix als Achills Erzieher in der Ilias vgl. Robbins (1993), 7–12. Zu den verschiedenen Traditionen von Achills Jugend in der Vasenmalerei vgl. auch Johansen (1939). Vgl. zu archäologischen Quellen auch Foucher (1996) und Cameron (2009), 5–11. Cameron hebt in seiner Interpretation der Achilleis die Parallelen zwischen Bildzyklen zu Achill auf Schalen und Wandmalereien und Statius’ Achilleis hervor. Dies könnte dadurch bedingt sein, dass sowohl die bildenden Künstler als auch Statius ein vielleicht illustriertes mythographisches Handbuch verwendet hätten. Auch könnte Statius nach Camerons Ansicht die uns bekannten pompejanischen Wandmalereien beziehungsweise ähnliche Malereien aus eigener Anschauung gekannt und für die Achilleis genutzt haben. Bis auf die pompejanischen Wandgemälde sind jedoch die meisten der von Alan Cameron aufgeführten archäologischen Zeugnisse römischen Ursprungs nach Statius zu datieren. Es könnte sich beispielsweise bei der Achillesplatte des Silberschatzes von Kaiseraugst also auch um eine Rezeption der Achilleis handeln. In diesem Fall würden diese archäologischen Zeugnisse jedoch auch Hinweise auf die positive Deutung der Achilleis durch Zeitgenossen und Leser der Spätantike geben. Vgl. Mathé: (1995), 45 f., Fantham (2003), 111. An Achill waren auch die verlorenen praecepta Chironis (Χείρωνος ὑποθῆκαι) gerichtet, die Pindar Hesiod zuschreibt. Vgl. dazu und zum Verhältnis mit der ebenfalls verlorenen Cheironeia Hall (2020), 308–312.

2.4 Selbstverortung der Achilleis in ihrer epischen Tradition

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großer männlicher Stärke und Transvestitismus.905 Für Statius’ Chiron kann ein solcher Einfluss allerdings nicht gelten. Gerade die Erinnerung an Chiron ist es, die Achill zunächst von der Verkleidung abhält (Ach. 1,274) und auf Skyros in seinem Entscheidungsmonolog (1,631) mit dazu bewegt, seine Männlichkeit mit Deidamias Vergewaltigung auszuüben. Chiron hat also die gegenteilige Wirkung auf Achill. Des Weiteren wurde argumentiert, dass Chirons tierische Hälfte zur Folge gehabt habe, dass Achill verwildert und damit zum Untier geworden sei.906 Chirons animalische Hälfte wird jedoch nicht nur negativ gesehen. So vereint Chiron bei Statius für Beate Baier „Kraft und Wildheit des Tiers mit dem menschlichen Intellekt“907. Gerade deshalb wird Chiron auch als der ideale Lehrer für junge Heroen gesehen.908 Somit wird klar, dass Chiron nicht als gewöhnlicher triebgesteuerter blutrünstiger Kentaur galt. Schon in der Ilias wurde er als δικαιότατος Κενταύρων (Hom. Il. 11,832) bezeichnet. Auch Statius differenziert im ersten Buch der Achilleis sehr stark zwischen Chiron und anderen Kentauren (Ach. 1,111–115), die in einem Autorkommentar als nefandi (111) bezeichnet werden. Im Gegensatz zu diesen, die mit der Kentauromachie assoziiert werden (111–114), finden sich in Chirons Höhle nur Jagdwaffen (pharetrae insontes, 115) und Jagdtrophäen (inania terga ferarum, 115). Auch die Jagd ist etwas, womit sich Chiron aufgrund seines Alters nicht mehr beschäftigt (haec quoque dum viridis, 116); jetzt ist er völlig harmlos (inermis, 116) und beschäftigt sich nur noch mit der Heilkunde (nosse salutiferas dubiis animantibus herbas, 117) sowie dem Lyraunterricht (monstrare lyra veteres heroas alumno, 118). Chiron gelingt es, wie oben erwähnt, indem er sich am göttlichen Recht orientiert, seine animalische Natur zu unterdrücken (2,163–165). Somit kann er gerade hierdurch Achill als passendes Vorbild dienen. Insgesamt zeigt sich also, dass Statius’ Achill von Chiron auf den Trojanischen Krieg vorbereitet wird. Dies geschieht im Gegensatz zur Ilias von frühester Kindheit an und streng systematisch. Obwohl Chiron ein Kentaur ist, kann er als idealer Lehrer für Heroen gelten. Seine animalische Hälfte kann er selbst durch das Recht zügeln. Auch damit kann er als Vorbild für Heroen gelten. Die Elemente der Erziehung verweisen in starkem Maße auf Fähigkeiten, die Achill in der Ilias besitzt. Die Erziehung zielt dabei auf körperliche und charakterliche

905 906 907 908

Vgl. Boyd (2001), 74–78. Anders auch Davis (2015), 161 f. zu den Fasti, der die Meinung vertritt, dass der Fokus dort auf seiner menschlichen Natur liegt. Vgl. Fantham (2003), 120–122, Robbins (1993), 16, Tillard (2008), 91. Baier (2006), 297. Vgl. Mathé (1995), 62.

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2 Das epische Narrativ in Statius’ Achilleis

Stärkung. Achill soll furchtlos und abgehärtet werden. Erstes Mittel hierzu ist die Ernährung als Kleinkind. Dadurch, dass Achill die noch zuckenden Eingeweide von Löwen und das Mark einer halbtoten Wölfin isst, sollen mit sympathetischer Magie die Eigenschaften der Tiere auf Achill übertragen werden. Wolf und Löwe, denen kriegerische und edle Charakterzüge zugeschrieben werden, sind dem Leser auch schon durch epische Gleichnisse in der Ilias als Vergleichspunkte für Achill bekannt. Chiron trainiert von Beginn an Achills läuferische Fähigkeiten, so dass er das zugehörige Epitheton ornans zurecht tragen darf. Auch die Jagd gefährlicher Tiere ist ein wichtiges Element der Erziehung auf den Krieg hin. Diese muss Achill allein bewältigen, er wird aber bei der Rückkehr in Chirons Höhle von diesem kontrolliert. Die eigentliche Vorbereitung auf den Krieg umfasst sowohl Wissen als auch Fähigkeiten für den Krieg. Somit ist Achill im Kampf fähig, sein Wissen umzusetzen und anzuwenden. Auch wenn die Vorbereitung auf den Kampf einen großen Teil seiner Erzäh‐ lung ausmacht, wird Achill dennoch nicht nur darauf vorbereitet. Achill ist auch in anderen Bereichen, die die griechische aristokratische Bildung ausmachen, herausragend: Er ist gerüstet für sportliche Wettkämpfe, ist unterwiesen im Recht und hat gelernt, Lyra zu spielen. Zusätzlich hat er auch Kenntnisse in Heilkunde erworben. Durch Rückverweise auf die vom epischen Erzähler berichtete Handlung wird dabei die Glaubwürdigkeit von Achills Darstellung unterstrichen. Auch wenn Achill selbst von seiner Jugend erzählt, ist seine Darstellung somit glaubwürdig. Folglich kann nicht nur Achill mit Stolz auf seine Erziehung zurückblicken, sondern auch Chiron, dem es gelingt bei Achill eine heroische Grundeinstellung zu implementieren. Somit kann Thetis’ Versuch, ihn als Mädchen zu verkleiden, um ihn vor dem Trojanischen Krieg zu bewahren, keinen Erfolg haben. Erst durch Chirons Erziehung kann Achill als der griechische Held schlechthin vor Troja gelten.

3 Die Achilleis als intertextuelles und psychologisierendes Prequel Insgesamt zeigt sich also, dass die Achilleis verschiedene Gattungen und mytho‐ logische Traditionen in vielfacher Weise rezipiert. Dabei wird jedoch deutlich, dass Achill im Spannungsfeld zwischen Heldentum und Erotik immer auch Held bleibt und seine heroischen Aspekte im Endeffekt überwiegen. Als Prequel der Ilias, also des Heldenepos schlechthin, setzt sich das epische Narrativ erwartungsgemäß durch, gerade wenn eine kritische Auseinanderset‐ zung mit verschiedenen auch außerepischen Traditionen zu Achill festgestellt werden kann. Wiedererkennungseffekte betreffen die Charakterisierung der jeweiligen Figuren: Sie sollten sich in den neu erzählten, zeitlich früheren Situationen nicht abweichend von dem Charakter verhalten, den sie in den bekannten (späteren) Situationen bei Homer (und anderen der Achilleis vorausgehenden Texten) zeigen. Weitere Wiedererkennungseffekte betreffen auch Strukturreferenzen, d. h. die Vergleichbarkeit von Situationen und Personenkonstellationen bei Homer oder anderen Autoren wie Vergil. Damit verbunden sind auch die Motivierungen der chronologisch späteren, schon bekannten Handlungen und Ereignisse durch die Vorgeschichten der Achilleis. Bei der Psychologisierung der handelnden Personen liegt der Fokus zunächst auf Thetis und dann auf Achill: Thetis’ gescheiterte Bitte um einen Seesturm dient unter anderem ihrer Charakterisierung. In ihrem Handeln ist sie von Sorge um ihren Sohn getrieben, den sie im Wissen um seinen frühen Tod im Trojani‐ schen Krieg bewahren will. Dass ihr Plan scheitert, liegt an den fata, die Achill als den Helden schlechthin vor Troja vorsehen. Genauso wie ihre intertextuellen Vorbilder, die sich ebenfalls dem Schicksal unterwerfen müssen, kann Thetis ihr Ziel nicht erreichen. Ihr Verhalten entspricht also ihrer Rolle als besorgter Mutter, wie sie sich auch in der Ilias zeigt. Durch Neptuns Prophezeiung wird Achills Bestimmung zum Krieger vor Troja schlechthin deutlich. Gleichzeitig werden durch Neptuns Trostworte die Ereignisse der Achilleis zum Auslöser der Ereignisse der Odyssee. Thetis wird sich dafür rächen, dass Odysseus Achill nach Troja bringt, indem sie ihn mit Seestürmen nach dem Trojanischen Krieg verfolgen wird. Die Odyssee erhält also in der Achilleis ein neues Aition. Als Thetis bei Chiron ankommt, zeigt sich an Achills Verhalten seine Bestimmung zum Helden. Gleichzeitig wird an seinem Aussehen und seinem noch kindlichen Verhalten deutlich, dass er noch nicht erwachsen ist. Chiron kann als erfahrener

280

3 Die Achilleis als intertextuelles und psychologisierendes Prequel

Erzieher großer Helden dieses Verhalten einschätzen. Dabei wird deutlich, dass Achill schon an andere Heroen herankommt, obwohl er noch sehr jung ist. Auch Achill macht deutlich, dass er ein Held werden will. Bei Thetis’ Auswahl von Skyros als Versteck wird weiterhin ihre Besorgnis deutlich. Gleichzeitig stellt sie Achill in die Tradition seines Quasi-Vaters Jupiter beziehungsweise seines beinahe Bruders Apollon, indem sie Skyros als zweites Kreta beziehungsweise Delos inszeniert. Achill, der sich als künftiger Held versteht und dabei als Vorbilder seinen leiblichen Vater und die Erziehung durch seinen Ziehvater Chiron aufruft, gibt Thetis’ Überredungsversuchen nicht nach. Da Achill tatsächlich noch zu jung für den Trojanischen Krieg ist und er auf Skyros auch Pyrrhus zeugen muss, ist sein Aufenthalt auf Skyros notwendig für das Narrativ des Trojanischen Krieges. Seine Liebe zu Deidamia, in die er sich verliebt, sobald er sie zum ersten Mal sieht, bewegt Achill dazu, sich verkleiden zu lassen. Damit distanziert sich die Achilleis deutlich von literarischen Vorbildern wie Ps.-Bions Epithalamium und Ovids Ars amatoria. Achill befindet sich nicht deswegen auf Skyros, weil er feige nicht am Krieg teilnehmen will oder weil er den Befehlen seiner Mutter gehorcht, sondern weil er Deidamia gewinnen will. Auch bei Achills Tätigkeiten als Mädchen wird durch seine Ungeschicklichkeit seine Männlichkeit deutlich. An Deidamia wendet er Methoden der Ars an, um ihr Liebhaber zu werden. Seine männliche Rolle als Gebender behält er dabei. Die Vergewaltigung, die Statius in der Wildnis bei Riten für Dionysos stattfinden lässt, wirkt archaisch und dient Achill als Beweis seiner Männlichkeit, da ihm die Verkleidung als Mädchen unerträglich ist. Achill, der als Bacchus’ Epiphanie auftritt, hat dabei nichts zu befürchten. Seine Rolle als Krieger wird offenbar, nachdem Odysseus und Diomedes auf Skyros eingetroffen sind. Nachdem Deidamia zunächst noch verhindern konnte, dass Achill sich offenbarte, erblickt Achill schließlich die Kriegswaffen und ist in diesem Moment vom Trojanischen Krieg überzeugt. Im Augenblick der vermeintlichen Gefahr wandelt sich Achill auch körperlich in einer quasi-göttlichen Verwandlung und wird zum kampfbereiten epischen Krieger. Im Folgenden überrumpelt Achill Lykomedes, der Achill als schon defacto Schwiegersohn nicht ablehnen kann. Im Abschied von Deidamia, der auf die sehr gerafft dargestellte Hochzeit folgt, zeigt sich Achills und Deidamias Tragik, die sich nicht wiedersehen werden, da Achill vor Troja fallen wird. Am Tag des Aufbruchs erweist sich Achill als äußerst dynamischer Krieger, der sich von Thetis als übervorsorglicher Mutter gelöst hat. Auch wenn sich also Achill teilweise in unepischen Situationen bewegt, die weniger kriegerisch sind als sein Handeln in der Ilias, bleibt er dennoch ein epischer Held. Dabei dienen ihm Jupiter, Herkules und Bacchus als Vorbilder.

3 Die Achilleis als intertextuelles und psychologisierendes Prequel

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Auch unter Frauen bleibt er männlich und spricht als Krieger. Seine Anlage und Erziehung zum Krieger bleiben stets deutlich. Skyros verzögert nur seine Fahrt nach Troja, während sein Charakter genauer beschrieben werden kann. Diese mit dem literarischen Vorbild konsistente Charakterzeichnung ist typisch für ein Prequel, weshalb auch kein „weiblicher“ Achill zu erwarten ist. Auf Aulis stellt sich die Achilleis in ihre epische Tradition. Als Prequel zu den homerischen Epen inszeniert sie sich gleichzeitig als Auslöser für dortige Ereignisse und Handlungsmotivationen. Die Katalogerzählung der griechischen Städte und ihres Beitrags zum Trojanischen Krieg stellt Bezüge zum homeri‐ schen Schiffskatalog und zu Kriegsrüstungen wie die der Aeneis oder Thebais her. Der Trojanische Krieg umfasst dabei die ganze griechische Welt. Auch diese Erzählung fokussiert auf Achills Rolle. An letzter Stelle steht Thessalien, das vom Rüsten zum Krieg ausgenommen wird, da Achill noch nicht alt genug ist. Auch auf Aulis steht Achill im Zentrum der Handlung, da alle nach Achill verlangen, obwohl die anderen Helden schon versammelt sind. Es erscheint selbstverständlich, dass Achill für den Trojanischen Krieg benötigt wird und er die anderen Helden übertreffen wird. Auch Kalchas’ Prophetie steht in der epischen Tradition: Dabei ist sowohl die Rahmenhandlung als auch die Schilderung des Mediums charakteristisch für eine epische Prophetie. Von Apollon inspiriert vollzieht Kalchas das bisherige Geschehen der Achilleis nach. Die Verantwortung für Achills Verkleidung wird dabei Thetis und vor allem Deidamia zugeschrieben. Die Dolonie ist die Strukturreferenz für Odysseus’ und Diomedes’ Suche nach Achill. Odysseus ist mit seinem tradierten Charakter so konsistent, dass er erst nach einer Irrfahrt durch die Ägäis nach Skyros gelangt. Gleichzeitig erscheint die Suche nach Achill als eine Voraussetzung für die eigentliche Strukturrefe‐ renz der Dolonie. Dies gilt nicht nur für die Dolonie, sondern auch Odysseus’ Irrfahrten der Odyssee, die so in der Achilleis durch Thetis’ Rachewunsch bedingt sind, dem sie aufgrund der fata bei Odysseus’ Fahrt nach Skyros noch nicht nachgeben darf. Die Rede, mit der er Achill die Kriegsgründe erklärt, ist eine für Odysseus typische Rede, die Wahrheit und Fiktion verbindet und damit über‐ zeugend wirkt. So wird Achills Liebe zu Deidamia von einem Hinderungsgrund zu einem Grund, der Achill für den Kampf motiviert. Somit schließt die Rede die Episode auf Skyros ab und ermöglicht durch den Nachtrag der Kriegsgründe einen dynamischen Einstieg zu Beginn des Epos. Auch Achills Erziehung durch Chiron, von der er selbst berichtet, orientiert sich am homerischen Achill. Er wird durch Chiron auf verschiedene Situationen des Trojanischen Krieges vorbereitet. Die Erziehung umfasst dabei die charakterliche und körperliche Vorbereitung, aber auch Wissen, das er im Kampf umsetzen kann. Insgesamt

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3 Die Achilleis als intertextuelles und psychologisierendes Prequel

sieht sich Achill so sehr als kommenden Helden, dass seine Verkleidung als Mädchen keinen dauerhaften Erfolg haben kann. Vielfältige Bezüge zu den Prätexten der Achilleis und eine Auseinander‐ setzung mit unterschiedlichen Traditionen um Achill im Epos und anderen Gattungen werden also deutlich. Die Achilleis kehrt jedoch in ihrer Darstellung die deutlichen intertextuellen Bezüge um. Sie wird zur Grundlage für die in der erzählten Zeit nachfolgenden Epen und kann so als Prequel einen besonderen Rang einnehmen, indem sie Leerstellen füllt. Gleichzeitig werden durch die Psychologisierung der Hauptpersonen deren Handlungsmotivationen deutlich. Achill erscheint trotz seiner Verkleidung als Mädchen als quasigöttlicher Heros, der vor Troja seine Bestimmung finden wird.

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Index Locorum Aischyl. Ag. (ed. West) 717–726: 183 Fn. 667 Apollod. (ed. Wagner) 1,111: 59 Fn. 203 3,37: 55 Fn. 182 172: 256 172–174: 256 Apoll. Rhod. (ed. Fraenkel) 1,101–103: 59 Fn. 203 307–311: 88f., 26 Fn. 86 601–909: 23, 104 1084: 86 Fn. 321 1165: 104 Fn. 398 1229–1232: 86 Fn. 320 2,1–97: 96 3,129: 51 Fn. 167, 145 Fn. 552 876–884: 86 997–1007: 60 1017: 86 Fn. 321 4,430–434: 60 Aristot. poet. (ed. Kassel) 1449b,27: 191f. 1451a,16–30: 15 1451a,19–23: 96 Fn. 368 rhet. (ed. R. Kassel) 3,11,6: 20 Fn. 46 Auson. (ed. Green) 8,12–23: 276 [Bion] 2 (ed. Gow) 1–32: 137–140 6–9: 143

9: 142, 152 10: 140 11: 140 11–14: 143 17: 141 18f.: 86 Fn. 320 25–30: 142 Caes. Gall. (ed. Hering) 7,47,5: 63 Fn. 221 Catull. (ed. Mynors) 4,20f: 52 Fn. 173 5,7: 146 64,1–408: 21, 95 Fn. 359, 97 Fn. 372 50–264: 60 59: 206 183: 47 Fn. 147 279–294: 123 Fn. 459 323–381: 81 Fn. 293, 176 341: 269 343f.: 68 344: 69 348f.: 68 357–360: 69 367: 70 Cic. Catil. (ed. Clark) 1,1: 156 Fn. 582 de orat.(ed. Wilkins) 2,226: 197 Fn. 707 div. (ed. Ax) 2,62: 163 Fn. 608 fin. (ed. Moreschini) 5,49: 169

302

Mil. (ed. Clark) 30: 192 Fn. 697 Phil. (ed. Clark) 2,5: 197 Fn. 707 S. Rosc. (ed. Clark) 97: 197 Fn. 707 Claud. Don. Aen. (ed. Georgii) 7,695: 240 Fn. 804 7,700: 240 Fn. 804 Claudian. carm. (ed. Hall) 7,23f.: 276 7,59–62: 276 10,16–19: 276 Cypria (PEG I) Argumentum: 136, 204 fr. 19: 136 Diod. (ed. Oldfather) 4,17,3: 269 Fn. 884 4,63: 60 Fn. 205 Dion. Chrys. (ed. Arnim) 37,14: 59 Fn. 203 Enn. ann. (ed Skutsch) 11,361: 126 Fn. 471 Medea exul (TrRF 2) fr. 89,1–5: 257 Fn. 844 Eur. Bacch. (ed. Kopff) 854: 160 El. (ed. Basta Donzelli) 452–475: 183 456f.: 183 Fn. 666 Iph. A. (ed. Günther) 164–302: 214 Fn. 746 206–230: 212

Index Locorum

Skyrioi (TrGF 5,1) fr. 682: 137 Fn. 518 fr. 683a: 137 Fn. 517 test. iia: 136f. Tro. (ed. Biehl) 48–97: 40 80f.: 40 82–84: 40 92–94: 40 Flor. epit. 3,12,3: 14 Fn. 13 Gell. (ed. Holford-Strevens) 17,2,19: 80 Fn. 288 19,11,2: 17 Hdt. (ed. Rosén) 1,1–3: 260 Fn. 851 Hes. theog. (ed. Solmsen) 1003: 53 Fn. 175 121f.: 120 191f.: 59 Fn. 196 Hom. Batr.: 17 h. (ed. Allen/Halliday/Sike) 3,29–44: 101 33: 101 51–60: 108 Fn. 412 7,6–57: 55 Fn. 182 8,40–88: 108 Fn. 412 Il. (ed. West) 1,1: 138 8: 120 Fn. 449 58: 269 70: 233 101–108: 229 Fn. 781 121: 269 154: 259

Index Locorum

155f.: 259 158: 259 159f.: 259 188–222: 262 197: 86 Fn. 321 244: 18 Fn. 33 358: 47 Fn. 146, 53 359: 48 361: 111 Fn. 416 394f.: 54 396–406: 104 Fn. 398 401: 104 414: 51 414–418: 73 423f.: 54 493–495: 54 495–530: 29 496: 48 503f.: 54 515f.: 60 538: 53 Fn. 175 556: 53 Fn. 175 2,278.: 253 Fn. 830 459–463: 240 459–466: 223 467–473: 223 469–471: 241 474–477: 223 484–770: 216 642: 86 Fn. 321 742–744: 82 Fn. 297 761–768: 220 768f.: 230 769f.: 220 3,202: 169 Fn. 628 284: 86 Fn. 321 4,141–147: 125f. 183: 86 Fn. 321 210: 86 Fn. 321

303

365–367: 225 5,372: 111 Fn. 416 639: 266 6,485: 111 Fn. 416 7,219: 226 222–223: 226 228: 266 459–463: 71 8,372: 253 Fn. 831 9,89–172: 225 Fn. 769 186–191: 94, 274 323f.: 105 410–416: 173 Fn. 637 457: 53 Fn. 173 494: 89 668:136, 163 Fn. 606 673: 169 10,87: 169 Fn. 628 231f.: 237 241–375: 236 245: 239 246f.: 238 247: 238 274–276: 244 277–294: 245 297f.: 245 338–348: 238 Fn. 801, 248 360–364: 250 363: 253 Fn. 830 544: 169 555: 169 Fn. 628 11,511: 169 Fn. 628 769–775: 136 782: 50 Fn. 163 783f: 50 Fn. 163 832: 274, 277 13,12f.: 178 Fn. 653 27f.: 55 Fn. 181 249: 269

304

14,42: 169 Fn. 628 187–241: 74 Fn. 265 201: 53 Fn. 176 267–269: 43 Fn. 132 295f.: 149 Fn. 561 302: 53 Fn. 176 15,77: 253 Fn. 831 715: 69 16,156–166: 267 17,6: 86 Fn. 321 18: 86 Fn. 321 113: 86 Fn. 321 124: 86 Fn. 321 214: 12 Fn. 4 324: 53 578: 86 Fn. 321 673: 86 Fn. 321 684: 86 Fn. 321 18,36: 47 Fn. 146, 53 37–49: 47 65–69: 47f. 86–90: 73 Fn. 264 117–121: 114 Fn. 422 139: 48 226: 12 Fn. 4 234: 269 318–322: 90, 184 Fn., 183 368–477: 74 Fn. 268 369–19,4: 75 Fn. 268 400–402: 129 Fn. 482 429–435: 70 Fn. 254 429–437: 73 475: 182 Fn. 662 19,75: 12 Fn. 4 295: 269 323–325: 157 324: 157 20,164–175: 184 Fn. 670, 266 285–287: 272

Index Locorum

494: 69 498: 12 Fn. 4 21,153: 12 Fn. 4 209f.: 69 Fn. 250 214–220: 69f. 232–384: 273 251–254: 271 550: 253 Fn. 831 23,1–897: 274 80: 89 141: 86 Fn. 321 141–153: 157 Fn. 585 168: 12 Fn. 4 293: 86 Fn. 321 401: 86 Fn. 321 438: 86 Fn. 321 556: 226 24,1–804: 68 Fn. 244 3–13: 100 Fn. 381 108: 253 Fn. 831 127: 111 Fn. 416 130f.: 127 Fn. 479 486: 89 562: 53 Fn. 175 Od. (ed. West) 1,1: 13 3: 71 Fn. 632 215: 264 Fn. 860 220: 264 Fn. 860 184: 217 3,67f.: 169 Fn. 627 79: 169 Fn. 628 4,365: 53 Fn. 175 499–511: 40, 71 502: 40 503f.: 40 5,81: 74 Fn. 268 162–164: 35 167–170: 37

Index Locorum

185f.: 37 221–224: 38 234–261: 35 263–267: 35 269: 35 270–278: 35 270–290: 26 270–384: 31, 71 279–281: 35 282: 54 282–285: 35f. 283: 47 284: 39 285: 38 Fn. 109 286–289: 39 286–290: 36f. 303–305: 34 6,99–134: 26, Fn. 86, 120f. 162f.: 104 227–237: 131 229–231: 85 Fn. 315 7,323: 86 Fn. 321 8,3: 253 Fn. 830 73: 94 Fn. 357 514: 82 548–586: 255 10,513–515: 77 517–520: 77 531–534: 77 534: 78 11,13: 77 23–36: 77 47: 78 101–103: 35 467–470: 226 506–509: 136 12,184: 169 13,429–438: 131 14,447: 253 Fn. 830

305

16,216–219: 106 442: 253 Fn. 830 18,356: 253 Fn. 830 19,428–458: 270 21,1–434: 20 295–304: 82 Fn. 297 22,283: 253 Fn. 830 23,156–162: 131 356f.: 83 24,36: 89 47f.: 48 58: 53 Fn. 175 119: 253 Fn. 830 Hor. (ed. Klingner) ars 73f.: 171 Fn. 633 119–122: 18 120: 15 Fn. 17 121f.: 165 146–152: 15 Fn. 14, 45 Fn. 137 carm. 1,6,17–20: 91 Fn. 345 15,1–5: 45 Fn. 139 2,5,24: 129 Fn. 487 10,18–20: 87 Fn. 327 3,1,47f.: 87 Fn. 327 4,34–36: 125 Fn. 470 25,1f.: 233 Fn. 788 epist. 1,3,4: 103 Fn. 391 2,1,257–259: 16 epod. 1,19–22: 105 Fn. 406 Hyg. fab. (ed. Marshall) 14,5: 59 Fn. 203 79,1: 60 Fn. 205 96,1: 130 Fn. 492 97,15: 130 Fn. 492

306

134: 55 Fn. 182 274,9: 274 Fn. 895 Ilias Latina (ed. Scaffai) 191: 144 234: 49 Fn. 156 253: 49 Fn. 156 988: 144 Iuv. (ed. Willis) 4,10,111: 116 Fn. 434 Kall. h. (ed. Pfeiffer) 4, 3: 109 269–273: 107 5,23–25: 93 Fn. 352 Liv. (ed. Ogilvie) 1,4,8f.: 82 5,3: 82 38,21,3: 153 Fn. 575 Long. sublim. (ed. Mazzucchi) 9,13: 22f. Lucan. (ed. Shackleton Bailey) 1,67: 255 2,674: 103 Fn. 392 3,399: 152 Fn. 568 619: 63 Fn. 221 4,110f.: 53 Fn. 173 237–242: 184 Fn. 669 610–653: 96 Fn. 369 611: 263 Fn. 859 739f.: 153 Fn. 575 5,162–176: 232 Fn. 784 224: 235 Fn. 796 622: 53 Fn. 173 6,55: 103 Fn. 392 67: 48 Fn. 151 113: 78 Fn. 281

Index Locorum

386: 276 495: 78 Fn. 281 497–499: 78 Fn. 281 7,144–150: 227 147: 227 8,887: 273 Fn. 889 10,172: 169 Fn. 627 Lucil. 1,40f. [Marx] = 1,47f. [Christes/Gar‐ bugino]: 62 Mela (ed. Parroni) 2,26: 103 Fn. 392 Ov. am. (ed. Ramírez de Verger) 1,5,25: 275 Fn. 896 9,1: 26 Fn. 89 9,33–40: 113 Fn. 418 2,1,2: 161 17,15–20: 113 Fn. 418 17,21f.: 113 Fn. 418 18,9–11: 146f. 3,1,24: 80 Fn. 291 1,70: 80 Fn. 291 ars (ed. Ramírez de Verger) 1,11–16: 145 42: 145 129f.: 163 Fn. 604 139–142: 145 140: 146 149–154: 145 239: 275 245–250: 168 Fn. 622 455–468: 147 491–497: 145 565: 275 568: 145 595: 146 605f.: 145

Index Locorum

607: 144 Fn. 546 619–630: 146 663–672: 146 665: 145 666: 144 Fn. 481 681–704: 140–143 687f.: 143 691–695: 234 Fn. 793 691–696: 151 697: 245 697–700: 142 698: 144 720–722: 145 2,219f.: 142 Fn. 538 345–348: 145 375: 90 3,281: 275 754: 168 Fn. 622 epist. (ed. Showerman) 3,69–74: 205 Fn. 731 6,119–124: 201 Fn. 723 12,212: 80 Fn. 287, 80 Fn. 291 16,45f.: 46 Fn. 142 259f.: 46, 46 Fn. 140 299–302: 46 Fn. 141 17,91f.: 46, 46 Fn. 140 182: 46 m. Fn. 140 19,123–128: 46 Fn. 145 fast. (ed. Alton/Wormell/Courtney) 2,355f.: 160 3,873f.: 46 Fn. 145 5,169–178: 90f. 379–414: 276 Ib. (ed. Owen) 499f.: 90 met. (ed. Tarrant) 1,4: 14 94: 219 Fn. 757 94–96: 219

307

132–134: 219 140: 219 142: 219 304–308: 224 Fn. 767 513: 161 Fn. 601 517: 161 Fn. 601 2,425: 114 Fn. 427 429f.: 153 509f: 53 Fn. 176 633: 276 711: 122 711–713: 123 711–736: 26 Fn. 86, 121 3,548: 67 Fn. 235 582–691: 55 Fn. 182 4,226–229: 161 5,346–363: 105 390–394: 123 396: 275 Fn. 897 6,190: 104 Fn. 397 7,10: 129 Fn. 485 12: 120, 129 Fn. 485 276: 80 Fn. 291 463f.: 103 8,549–559: 272 10,284–286: 129 Fn. 484 537–552: 269 709: 90 Fn. 340 11,202: 56 Fn. 184 207: 56 Fn. 184 221–223: 12, 49 221–265: 24 Fn. 82 227f: 12 264f.: 159 12,13–17: 105 Fn. 405 64–145: 24 Fn. 82 162f.: 98 Fn. 378 169–209: 25 Fn. 83 210–535: 25 Fn. 83, 268 Fn. 879

308

536–572: 25 Fn. 83 13,22–28: 188 134: 231, 254 147: 188, 194 Fn. 699 165f.: 113 Fn. 419 165–170: 187 168f.: 188 m. Fn. 681 170: 193, 254 171–178: 187 630–702: 104 14,299: 78 Fn. 281 470–476: 71 Fn. 257 Pont. (ed. Owen) 2,8,38: 116 Fn. 436 trist. (ed. Hall) 1,10,24f.: 46 Fn. 143 4,10,1: 161 Petron. (ed. Müller) 83,7: 80 Fn. 288 Pind. N. (ed. Maehler) 3,43–50: 91, 265 44f.: 267 Fn. 875 47f.: 266 51f.: 269 60–63: 271 Fn. 886 Plin. nat. (ed. Jan/Mayhoff) 4,72: 108 Fn. 413 9,100: 47 Fn. 147 Plut. Theseus (ed. Ziegler) 29,3: 59 Fn. 203 31: 60 Fn. 205 Prop. (ed. Fedeli) 2,34,65f.: 80 3,3,42: 16 Fn. 21 7,31f.: 57 Fn. 186 11,17–20: 114 Fn. 421

Index Locorum

4,9,35–41: 148 9,45–50: 148 Quint. inst. (ed. Shackleton Bailey) 9,3,57: 14 Fn. 13 Sappho (ed. Voigt) fr. 168b: 139 Fn. 531 Scol. Il. (ed. Dindorf) 3,242: 60 Fn. 205 Sen. Ag. (ed. Zwierlein) 557–576: 71 Fn. 257 ep. (ed. Reynolds) 7,1–6: 91 Fn. 343 Herc. f. (ed. Zwierlein) 599: 53 Fn. 173 942f.: 78 Fn. 281 Med. (ed. id.) 301–379: 58 597f.: 53 Fn. 173 840f.: 222 Fn. 765 Oed. (ed. id.) 470: 125 Phaedr. (ed. id.) 904: 53 Fn. 173 Tro. (ed. id.) 186f.: 69 Fn. 246 301: 50 Fn. 162 413–415: 70 Fn. 253 503–506: 117 Fn. 438 830–835: 96 Fn. 366 Serv. (ed. Thilo) Aen. praef. 160 Fn. 598 1,37: 47 69: 43 Fn. 129 70: 43f.

Index Locorum

330: 107 Fn. 408 2,477: 108 Fn. 413 georg. 1,207: 103 Fn. 391 3,258: 103 Fn. 391 Sidon. carm. (ed. Loyen) 6,15: 276 7,169–173: 276 Sil. (ed. Delz) 1,17: 255f. 20: 255 406: 90 Fn. 339 5,420: 120 Fn. 449 10,124–127: 90 Fn. 339 17,225–235: 53 Fn. 174 Stat. Ach. (ed. O. A. W. Dilke) 1,1: 263 Fn. 859 1–7: 12–15 8–13: 15f., 12, 14–19: 16f., 12, 17f: 85 Fn. 315 20f.: 143 20–29: 45–48 20–98: 25, 33f. 20–396: 150 21: 258 25f.: 134 30–51: 48–54 30–97: 243 50: 34 51–60: 54f. 61–66: 257 Fn. 844 61–76: 56–63 62f.: 230 Fn. 782 63–65: 260 Fn. 852 63–67: 134

309

66: 258 74: 70 77f.: 63 78f: 66 80–94: 66–71 81f.: 249 84–87: 247 Fn.: 818 93f.: 222 95–98: 71 101–231: 74 111–115: 82 Fn. 297 111–118: 277 118: 95 Fn.: 358 119–121: 270 126–129: 75 129–141: 75–78 141–143: 75 143–158: 78–84 152f.: 167 156–158: 275 158–166: 84–89 164f.: 118 Fn. 443 165: 26 Fn. 86 165f.: 86f. 155 Fn. 579 167–173: 89–92 168f.: 270 174–177: 92 178–181: 157 Fn. 489 178–183: 92–94 184–194: 94–98 185: 234 188–194: 21 195–197: 98 198–211: 100–105 204–206: 243 Fn. 808 211: 184 Fn. 672 212–216: 105f. 228–231: 98 242–250: 110

310

251–274: 110–117 254: 163 263: 149, 153 265: 187 268f: 162 Fn. 603 274: 185, 262, 277 274–277: 117–119 277–282: 119, 134 Fn. 506 278–282: 183 283: 234, 129 Fn. 485 283f.: 119f. 285–300: 122–124 285–337: 121f. 289: 123 293–296: 132 293–298: 154 294f.: 88, 177 301–310: 182 301–312: 124–126 312: 144 Fn. 546 313–317: 126f. 318: 170 318–322: 127f. 321f.: 194 323f.: 128 325–337: 128–131 338–348: 131–133 344–348: 88 349–362: 133f. 351: 50 Fn. 164, 230 Fn. 782 363–366: 134f. 364: 181 375: 185 382–396: 106–109 384–396: 233 385: 197 397: 249 Fn. 822, 259 Fn. 846 397–406: 212–214 397–559: 143

Index Locorum

398f.: 258 406–427: 258 407–422: 215–217 407–446: 215 423–437: 217–222 423f.: 171 425–429: 171 438–446: 220f. 441–443: 171 443–446: 171 447–466: 222–224 454f: 171 459–466: 239 467–482: 186, 224–227 473–482: 220 483–490: 227f. 491–513: 228–231 514–525: 231f. 526: 184, 186, 263 526–535: 232–235 530: 103 Fn. 393 534: 184 Fn. 672 535: 184 536f.: 235 538–552: 237–239 538–559: 235 Fn. 798 538–749: 236f., 236 Fn. 798 542: 174 553–559: 239–241 560–563: 143f. 560–674: 241 560–960: 23 560f.: 130 564–576: 144–147 567f.: 149 569: 51 Fn. 167 572–579: 21 577–583: 147–149 580–591: 46

Index Locorum

581–583: 179 Fn. 656 583–587: 149 588–591: 149f. 592: 184 Fn. 672 593–597: 152 598–602: 153 603–608: 153f., 606–608: 177 Fn. 651 609–618: 154f. 619–621: 155 622–639: 155–158 624: 173, 184 Fn. 672 624–636: 254 625f.: 173 630: 173 631: 186, 262, 277 632f.: 173 633f.: 185 640–644: 159f. 645–652: 160f. 650–652: 262 651f.: 186 652–660: 161–163 655f.: 186, 194 657f.: 167 662–674: 163f. 669: 195 675–688: 241–244 689–711: 244–246 698: 174 711–725: 247f. 723: 182 Fn. 662 726–740: 248–250 729: 198 741–749: 250–252 750–755: 166 753–755: 171 755–760: 166f. 761–766: 167f.

311

767–783: 168–170 775–780: 193 780: 196 Fn. 702 782f.: 230 Fn. 782 784–793: 170f. 794–805: 171–174 799: 184 Fn. 672 804: 186 806–818: 174–176 819–826: 176f. 827–834: 178 835–840: 178–180 841–851: 180f. 845: 198 852–866: 181–185 857: 185 Fn. 675 858–863: 119 866–874: 185–187 867: 188 868: 263, 276 874–885: 189f. 885–891: 191–193 898f.: 86 912–926: 196–199 924: 170 Fn. 630 927–939: 200–202 933f.: 205 Fn. 732 940–955: 203–205 956–960: 205f. 2,1–22: 206–208 27–42: 252–254 42–48: 254–256 49–59: 256f. 60–85: 257–261 77: 59 Fn. 198 86–93: 263f. 92f.: 243 Fn. 807 94–109: 264–268 96–167: 21

312

101: 275 103f.: 275 107: 275 110–128: 268–270 121–125: 156 125: 89 126: 89 126–128: 89 128: 275 129–153: 270–273 143–153: 157 Fn. 584 154–158: 85 Fn. 315 154–167: 273–275 158: 95 Fn. 358, 95 167: 202 silv. (ed. Marastoni) 1,praef.: 17 1,3,109: 116 Fn. 434 2,6,40 f: 50 Fn. 164 1,89: 276 3,2,14: 53 Fn. 173 2,61f.: 57 Fn. 186 2,96–99: 50 Fn. 162 3,147: 116 Fn. 434 4,3,61: 48 Fn. 151 Theb. (ed. Hall) 1,4: 255 11: 256 17–33: 16 124: 116 Fn. 434 253: 146 2,189f.: 198 Fn. 708 273–276: 85 Fn. 315 321f.: 116 Fn. 434 334–352: 200 Fn. 716 449: 197 595–601: 104 Fn. 398 3,260–316: 63 Fn. 222 294: 63 Fn. 222

Index Locorum

316: 67 518: 59 Fn. 198 580–582: 218 Fn. 756 580–597: 218 598–677: 229 Fn. 798 4,275–304: 217 Fn. 754 318–340: 118 322–326: 118 336f.: 86 Fn. 323, 118 Fn. 443 419f.: 152 Fn. 568 512: 116 Fn. 434 5,48–498: 104 373: 59 Fn. 198 440: 93 Fn. 351, 93 Fn. 352 599–604: 106 620: 46 7,481: 63 Fn. 221 9,220: 276 701f.: 86 Fn. 318 797: 269 Fn. 883 855f.: 118 Fn. 445 10,61–64: 149 Fn. 561 646–649: 148 649: 179 Fn. 656 11,418: 63 Fn. 221 530–534: 270 Ter. Eun. 140 Fn. 536 Theokr. (ed. Gow) 11,1–81: 137, 140 55: 139 Fn. 530 16,2: 94 Fn. 357 22: 96 Fn. 369 Tib. (ed. Luck) 3,4,27–34: 86 Fn. 320 7,31: 96 Val. Fl. (ed. Ehlers)

Index Locorum

1,1: 59 Fn. 198 50: 46 Fn. 145 130–133: 55 Fn. 181 168f.: 57 255–259: 81: Fn. 293 255–263: 83 Fn. 305 267–270: 51 270: 81 Fn. 294 408f.: 274 Fn. 893 409: 51, 267 Fn. 875 410: 269 Fn. 880 506–508: 52 Fn. 173 520: 159 531–560: 67 542f.: 67 549–554: 58 556f.: 57 Fn. 190 574–607: 30 659–680: 207 Fn. 738 2,72–427: 23, 104 422–424: 205 Fn. 730 587–591: 46 Fn. 145 605–607: 46 Fn. 145 3,426: 77 426f.: 77 Fn. 281 4,130: 53 Fn. 173 250f: 96 Fn. 369 5,344–347: 177 Fn. 650 7,644–646: 93 Fn. 351 Verg. Aen. (ed. Conte) 1,1: 13 4: 72, 256 8: 255 11: 72, 256 34–37: 38f. 34–49: 38 34–80: 26, 30

313

37–49: 39–41 39: 67 39–45: 71 47: 41 Fn. 124 50–63: 41 62f.: 42 64: 34 64–75: 41–43 65f.: 62 66: 71 67: 58 69f.: 60 76–80: 43f. 130: 24, 72 132–141: 42 135: 55 Fn. 180, 64f. 154–156: 55 Fn. 180 155: 56 Fn. 184 260: 263 Fn. 859 305–313: 245 Fn. 813 441: 152 Fn. 568 498–502: 88 588–593: 131 660: 125 753–756: 255 2,42–44: 181 42–49: 214 122f.: 229 355–358: 246 Fn. 815 602: 46, 61 Fn. 210 622f.: 116f. 3,56: 159 73–120: 104 76: 103 118–120: 207 124–127: 243 Fn. 809 4,143–150: 26 Fn. 86, 87f. 320f.: 162 Fn. 603 327–330: 205

314

409: 48 Fn. 151 480: 76 493: 77 496f.: 77 540: 197 560–570: 188 m. Fn. 681 567: 48 Fn. 151 600f.: 52 Fn. 172 638: 53 Fn. 173 5,69: 97 209: 47 Fn. 147 772–778: 207 Fn. 738 779–815: 72 779–826: 29 Fn. 93, 64 781: 72 804–808: 69 Fn. 247 817: 56 Fn. 184 820f.: 55 Fn. 178 6,77–80: 232 Fn. 784 460: 162 Fn. 602 7,257f.: 13 Fn. 6 286–322: 38 288: 38 Fn. 109 289: 47 292: 38 Fn. 109 305: 268 Fn. 877 308f.: 52 319: 50 321: 50 322: 50 623–640: 218 641–817: 220 691–704: 240 759: 47 Fn. 147 8,86: 152 Fn. 568

Index Locorum

107–110: 245 Fn. 813 184f.: 169 Fn. 627 398: 67 445: 182 Fn. 662 558: 112 578–583: 112 9,77: 120 Fn. 449 85–89: 257 204: 263 Fn. 859 10,565–568: 104 Fn. 398 11,660: 167 815: 192 Fn. 697 12,67f.: 126 144: 263 Fn. 859 500: 120 Fn. 449 605f.: 86 Fn. 320 829: 248 Fn. 819 878: 263 Fn. 859 culex: 17 georg. (ed. Conte) 1,207: 103 Fn. 391 327: 48 Fn. 151 2,283: 192 Fn. 697 3,258–263: 103 Fn. 391 461–463: 25 Fn. 470 4,315: 120 Fn. 449 321f.: 47 Fn. 147 333f.: 47 Fn. 147 350f.: 47 Fn. 147 395: 47 Fn. 147 Xen. kyn. (ed. Marchant) 1,1: 89 1,2: 76

Classica Monacensia Münchener Studien zur Klassischen Philologie herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Die Classica Monacensia verstehen sich als Präsentationsforum für aktuelle Ergebnisse von Forschungsprojekten zur antiken Literatur, die an der LMU München entstanden sind. Seit mehr als 25 Jahren erscheinen in der Reihe Monographien, kommentierte Textausgaben und Sammelbände aus Themenbereichen der Griechischen und Römischen Antike. Der Schwerpunkt liegt dabei auf literaturwissenschaftlicher Forschung in Verbindung mit historischen und philosophischen Fragestellungen. Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https://www.narr.de/literaturwissenschaft/ reihen/classica-monacensia/ Band 31 Regina Höschele Verückt nach Frauen Der Epigrammatiker Rufin 2005, XII, 156 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6205-0 Band 32 Gunther Martin Dexipp von Athen Edition, Übersetzung und begleitende Studien 2006, XII, 287 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6242-5 Band 33 Patrizia Marzillo Der Kommentar des Proklos zu Hesiods „Werken und Tagen“ Edition, Übersetzung und Erläuterung der Fragmente 2010, LXXXVIII, 458 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6353-8

Band 34 Helmut Löffler Fehlentscheidungen bei Herodot 2008, X, 242 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6381-1 Band 35 Gregor von Nazianz Über Vorsehung Περὶ Προνοίας Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Andreas Schwab 2009, 142 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6418-4 Band 36 Peter Grossardt Achilleus, Coriolan und ihre Weggefährten Ein Plädoyer für eine Behandlung des Achilleus-Zorns aus Sicht der vergleichenden Epenforschung 2009, XII, 159 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6483-2 Band 37 Regina Höschele Die blütenlesende Muse Poetik und Textualität antiker Epigrammsammlungen 2010, X, 375 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6552-5

Band 38 Alexander Müller Die Carmina Anacreontea und Anakreon Ein literarisches Generationenverhältnis 2010, VIII, 300 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6575-4 Band 39 Andreas Patzer STUDIA SOCRATICA Zwölf Abhandlungen über den historischen Sokrates 2012, X, 370 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6579-2 Band 40 Maria Gerolemou Bad Women, Mad Women Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie 2011, X, 442 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-6580-8 Band 41 Karin Mayet Chrysipps Logik in Ciceros philosophischen Schriften 2010, 340 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6581-5 Band 42 Nikolaos Vakonakis Das griechische Drama auf dem Weg nach Byzanz Der euripideische Cento Christos Paschon 2011, 184 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6582-2 Band 43 Evanthia Tsigkana Studien zu Euripides’ Elektra Das Motiv der Erwartung im griechischen Drama 2012, 320 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6724-6

Band 44 Margot Neger Martials Dichtergedichte Das Epigramm als Medium der poetischen Selbstreflexion 2012, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6759-8 Band 45 Isabella Wiegand Neque libere neque vere Die Literatur unter Tiberius und der Diskurs der res publica continua 2013, XIV, 362 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6811-3 Band 46 Sophia Bönisch-Meyer/Lisa Cordes/ Verena Schulz/Anne Wolsfeld/Martin Ziegert (Hrsg.) Nero und Domitian Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich 2014, VIII, 485 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6813-7 Band 47 Fabian Horn Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung 2014, IV, 388 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6837-3 Band 48 Jan-Markus Pinjuh Platons Hippias Minor Übersetzung und Kommentar 2014, 264 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6849-6 Band 49 Olga Chernyakhovskaya Sokrates bei Xenophon Moral – Politik – Religion 2014, XII, 279 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6863-2

Band 50 Lukians Apologie Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Markus Hafner 2017, 159 Seiten €[D] 38,00 ISBN 978-3-8233-8071-9 Band 51 Manuel Caballero González Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur 2017, 628 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6991-2 Band 52 Philipp Weiß Homer und Vergil im Vergleich Ein Paradigma antiker Literaturkritik und seine Ästhetik 2017, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8110-5 Band 53 Andreas Patzer Von Hesiod bis Thomas Mann Dreizehn Abhandlungen zur Literaturund Philosophiegeschichte 2018, 245 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8190-7 Band 54 Vicente Flores Militello tali dignus amico Die Darstellung des patronus-cliensVerhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal 2019, 366 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8296-6 Band 55 Alexander Schütze, Andreas Schwab (eds.) Herodotean Soundings The Cambyses Logos 2023, 429 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-8329-1

Band 56 Margot Neger Epistolare Narrationen Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius 2021, 448 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8345-1 Band 57 Alexander Sigl Die Modellierung epikureischer personae in der römischen Literatur 2023, 511 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-8503-5 Band 58 Maria Anna Oberlinner Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris 2023, 285 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8526-4 Band 59 Cagla Umsu-Seifert Olympiodors Kommentar zu Platons Alkibiades Untersuchung, Text, Übersetzung und Erläuterungen 2023, 690 Seiten €[D] 118,00 ISBN 978-3-8233-8590-5 Band 60 Manuela Wunderl Das Symposion bei Herodot 2023, ca. 625 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-381-10111-5 Band 61 Björn Victor Sigurjónsson Sic notus Achilles? Episches Narrativ und Intertextualität in Statius’ Achilleis 2023, 314 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-381-10721-6

In Statius’ Achilleis bewegt sich der namensgebende Held des Werkes, der den antiken und modernen Leser:innen aus Homers Ilias als der Krieger schlechthin bekannt ist, in unkriegerischen Situationen: Bevor er nach Troja aufbricht, versteckt ihn seine Mutter als Mädchen verkleidet auf der Insel Skyros, um ihn vor dem Krieg zu bewahren. Auch diese Ereignisse waren bekannt, sie wurden allerdings in nichtepischen Gattungen wie der Bukolik, Tragödie und dem Liebes-Lehrgedicht dargestellt. Ziel der Arbeit ist es, zu zeigen, mit welchen Mitteln die Erzählung in Statius Achilleis im Vergleich zu diesen Prätexten neu akzentuiert wird, Achill heroischer und männlicher wirken kann und damit seine Bestimmung zum Helden deutlich wird. Die Arbeit bietet eine Besprechung aller zentralen Stellen der Achilleis.

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ISBN 978-3-381-10721-6