Vergimus in senium: Statius‘ Achilleis als Alterswerk [1 ed.] 9783666208713, 9783525208717, 9783647208718

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Vergimus in senium: Statius‘ Achilleis als Alterswerk [1 ed.]
 9783666208713, 9783525208717, 9783647208718

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Ewen Bowie, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Karla Pollmann, Christiane Reitz, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 202

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Gregor Bitto

Vergimus in senium Statius’ Achilleis als Alterswerk

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Verantwortliche Herausgeberin: Christiane Reitz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0085-1671 ISBN 978-3-647-20871-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: »Odysseus erkennt Achill unter den Töchtern des Lycomedes«, 1791. Louis Gauffier 1761–1801. Foto: Erik Cornelius / Nationalmuseum Stockholm © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

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Für Katrin

Sic nostrum senium quoque, quia iam dicere grandia maturum ingenium negat nec spirant animas fibrae, angustam studii viam et callem tenuem terit, tantum ne male desidi suescant ora silentio. Terentianus Maurus (praef. 51–58) Θέλω λέγειν Ἀτρείδας, θέλω δὲ Κάδμον ᾄδειν, ὁ βάρβιτος δὲ χορδαῖς ἔρωτα μοῦνον ἠχεῖ. ἤμειψα νεῦρα πρώην   καὶ τὴν λύρην ἅπασαν· κἀγὼ μὲν ᾖδον ἄθλους Ἡρακλέους, λύρη δέ ἔρωτας ἀντεφώνει. χαίροιτε λοιπὸν ἡμῖν, ἥρωες· ἡ λύρη γάρ μόνους ἔρωτας ᾄδει. Anacreontea 23

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A Einleitung und methodische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Eine Hinführung: Moderne Alterswerkdiskussionen . . . . . . . . 13 2. Alterswerkvorstellungen in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.1 Antike Altersdiskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2 Alterswerkvorstellungen in der Antike . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3 Methodische Schlussfolgerungen für die Interpretation der Achilleis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Konzeptionen von Gesamt- und Alterswerken in hellenistischer und römischer Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.1 Kallimachos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2 Poseidippos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.3 Ennius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.4 Vergil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.5 Horaz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.6 Properz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.7 Ovid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.8 Prosa: Cicero, Seneca, Quintilian . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.9 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 B Erster Hauptteil: Die Konzeption der Achilleis im Überblick . . . . . . 97 1. Die Silven und das Bild des alternden Dichters . . . . . . . . . . . . 97 2. Die Achilleis als Alterswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2.1 Das Proöm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2.2 Die Alterswerk- und Ethos-Konzeption im Überblick . . . . . . 127 2.2.1 Personenkonstellation und Hauptcharakter . . . . . . . . 127 2.2.2 Gattung und elegische Motivik . . . . . . . . . . . . . . . 138 2.2.3 Epische Virilität und Transvestitismus . . . . . . . . . . 149 2.2.4 Altersschwäche des Erzählers/Dichters . . . . . . . . . . 152

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Inhalt

3. Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4. Die Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Die Konzeption der Achilleis in der Forschung . . . . . . . . . . . . 177 C Zweiter Hauptteil: Die Konzeption der Achilleis im Detail . . . . . . . 185 1. Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) . . . . . . . . 185 2. Thetis bei Chiron (A. 1,95–241) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2.1 Thetis’ Ankunft (1,95–158) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2.2 Achills Ankunft (1,159–197) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2.3 Thetis’ Pläne (1,198–241) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) . . . . . . . . . . . . . 225 3.1 Thetis’ erster Versuch (1,242–282) . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.2 Deidamia und Achills Verkleidung (1,283–348) . . . . . . . . . 232 3.3 Thetis und Lycomedes (1,349–378) . . . . . . . . . . . . . . . . 250 3.4 Thetis’ Abschied (1,379–396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Kriegsvorbereitungen in Griechenland (A. 1,397–559) . . . . . . . . 258 4.1 Kriegsvorbereitungen (1,397–446) . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4.2 Die Flotte in Aulis (1,446–559) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 4.2.1 Sammlung in Aulis (1,446–466) . . . . . . . . . . . . . . 265 4.2.2 Ruf nach Achill (1,467–490) . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4.2.3 Protesilaus (1,491–513) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 4.2.4 Prophezeiung des Calchas (1,514–537) . . . . . . . . . . . 274 4.2.5 Diomedes und Odysseus (1,538–559) . . . . . . . . . . . 282 5. Achill auf Skyros (A. 1,560–674) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 5.1 Achill und Deidamia (1,560–592) . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 5.2 Das Bacchus-Fest (1,593–639) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 5.3 Die Vergewaltigung Deidamias und die Folgen (1,640–674) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 6. Odysseus und Diomedes (A. 1,675–818) . . . . . . . . . . . . . . . . 300 6.1 Annäherung an Skyros (1,675–725) . . . . . . . . . . . . . . . . 300 6.2 Erster Empfang bei Lycomedes (1,726–818) . . . . . . . . . . . . 303

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Inhalt

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7. Achills Entdeckung (A. 1,819–926) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7.1 Achill tanzt (1,819–840) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7.2 Achill wird enttarnt (1,841–885) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 7.3 Versöhnung und Heirat (1,885–926) . . . . . . . . . . . . . . . . 325 8. Achills Abschied (A. 1,927–2,30a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 8.1 Hochzeitsnacht und Abschied (1,927–960) . . . . . . . . . . . . 330 8.2 Abfahrt von Skyros (2,1–30a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 9. Odysseus und Achill (A. 2,30b–167) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9.1 Odysseus’ Reden (2,30b–85) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9.2 Achills Kindheit (2,86–167) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 D Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

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Vorwort

Dieses Buch stellt eine leicht überarbeitete Veröffentlichung meiner Habilita­ tionsschrift dar, die im Sommersemester 2015 von der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt angenommen worden ist. Zu großem Dank bin ich zuallererst Herrn Prof. Dr. Bardo M. Gauly (Eichstätt) verpflichtet, der in vielen Gesprächen die Entwicklung der Gedanken und Argumentationen begleitet hat: arguit ambigue dictum, mutanda notavit. Die entscheidende methodische Nachfrage im ersten Stadium der Arbeit verdanke ich Prof. Dr. Gernot M. Müller (Eichstätt), der sich außerdem der Mühe des Gutachtens unterzogen hat. Auch den beiden externen Gutachtern, Herrn Prof. Dr. Alexander Arweiler (Münster) und Herrn Prof. Dr. Markus Schauer (Bamberg) möchte ich an dieser Stelle herzlich für Ihre Anregungen danken. Unschätzbare Hilfe verdanke ich der argusäugigen Lektüre von Dr. Jens­ Gerlach (Hamburg), der mich vor manchem Versehen und Fehler bewahrt hat. Ebenso sei Dr. Friedrich Heberlein (Eichstätt) für seine sorgfältige Korrektur­ lesung herzlich gedankt. Finanzielle Unterstützung für die Drucklegung habe ich dankenswerterweise von der Sprach-und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt erhalten. Ich danke den Herausgebern der Hypomnemata, insbesondere Frau Prof. Dr. Christiane Reitz (Rostock), für die Aufnahme in die Reihe. An letzter und darum umso prominenterer Stelle danke ich meiner Frau­ Katrin, ohne deren Anteilnahme und Abschirmung von vielen Alltagssorgen diese Arbeit nicht hätte entstehen können und der ich darum dieses Buch widmen möchte!

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A Einleitung und methodische Grundlagen

1. Eine Hinführung: Moderne Alterswerkdiskussionen Bei der Uraufführung fiel Tschaikowskys 6. Symphonie durch. Acht Tage darauf starb Tschaikowsky. Nicht einmal zwei Wochen später wurde die Symphonie Pathétique anlässlich eines Gedenkkonzertes wieder aufgeführt und begeisterte das Publikum. Sie wurde in der Kritik als sublimer Schwanengesang gedeutet und geschätzt.1 Letzte Werke faszinieren uns, sie werden nicht selten von einer geradezu mystischen Aura umgeben. Und diese Art der biographischen Fiktion um das Werk herum steuert das Rezeptionsverhalten erheblich, wie das Beispiel Tschaikowsky zeigt. Besonders seit dem 19. Jahrhundert finden sich viele theoretisch-essayis­ tische oder analytische Schriften, die sich diesem Phänomen widmen. Altersstil/ -werk bzw. Spätstil/-werk sind die hier oftmals synonym gebrauchten Termini. Um für einen einleitenden Überblick eine Ordnung in die Vielfalt der Diskurse und Ansätze zu bringen, von denen ich nur einen Bruchteil aus verschiedenen Disziplinen (insbesondere Musikwissenschaft, Literatur, Malerei) vorstellen kann,2 1 Vgl. Poznansky 1988, 213 f. für die entsprechenden Dokumente. Vgl. auch Micznik 1996, 164 f., die auf Tschaikowsky als Parallele für die Rezeption von Mahlers 9. Symphonie verweist. 2 Außerdem sei einschränkend hinzugefügt, dass ich mich auf bestimmte prägnante Momente der ausgewählten jeweiligen Alters- bzw. Spätwerkonzepte beschränke, ohne stets der gedanklichen Fülle der genannten Arbeiten gerecht werden zu können. Exemplarisch sind allerdings die Ausführungen zu Adorno umfangreicher angelegt. Für ausführlichere Besprechungen verweise ich bes. auf McMullan 2007, außerdem auf Zanetti 2012, bes. 31–205 (letzterer jedoch mit teilweise verkürzten Darstellungen der zitierten Positionen, s. u.). Ausführlich widmet sich Schwieren 2014 in dezidiert kulturwissenschaftlicher Perspektive der Entwicklung des Alterswerkbegriffs, die ich schlaglichtartig wiedergeben möchte, da sie die obige systematisch orientierte Skizze in historischer Perspektive ergänzt: Diese Entwicklung habe ihren Ausgangspunkte in genie-ästhetischen Vorstellungen des 18. Jh. genommen, die mit der Konzentration auf den Autor auch dessen Lebensalter in den Fokus rücken. Eine literarästhetische Verwendung bilde sich im 19.  Jh. heraus, wobei Goethes spätere Werke und der Umgang mit ihnen wichtige Impulse geben. Ende des 19./Anfang des 20. Jh. erhalte der Alterswerkbegriff zusätzlich zu den physiologischen Aspekten auch psychologische. Besonders mit Adorno und in der Folge in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg sei das Alterswerk als Spätwerk bzw. der Spätstil als kritisches Instrument genutzt worden. Mit Butler 1963 trete die einflussreiche Perspektive der life review hinzu. Ende des 20./Anfang des 21. Jh. sei besonders der Zusammenhang zwischen Alter und Kreativität/Produktivität von Forschungsinteresse geworden. Die historische Begriffsentwicklung von Goethe bis Adorno nimmt auch Barone 1996, 108–267 in Blick.

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Einleitung und methodische Grundlagen

werde ich im Folgenden unterscheiden zwischen einer autorzentrierten und werkzentrierten Perspektive bzw. einer materiellen und ideellen: Alterswerk/-stil im definitorischen Sinne legt den Schwerpunkt auf den Kunstschaffenden und die chronologische Komponente der letzten Lebensphase. Dabei reicht die Spanne von einem häufig anzutreffenden primär chronologischen Gebrauch zur epochalen Gliederung eines künstlerischen Gesamtwerks bis hin zu einem physischen Verständnis: Der Verfall des Körpers und der geistigen Fähigkeiten, die Nähe zum Tod sowie die Rückschau und Zusammenfassung sind zentrale Momente. Hier ergeben sich auch interdisziplinäre Verknüpfungspunkte zur biologischen und psychologischen Forschung. Als Stichworte seien nur life review3 und narrative gerontology4 genannt. Der Musikwissenschaftler Joseph Straus möchte sogar so weit gehen, in diesem Sinne den Altersstil als disability style zu verstehen, bei dem die physische Konstitution des Produzenten sein Produkt in direkter Weise bewusst und unbewusst beeinflusst, also gewissermaßen das Kunstwerk ein Abbild des alternden Künstlers ist.5 Demgegenüber ist der Spätstil bzw. das Spätwerk ein stärker ideelles Konzept mit einer allerdings beträchtlichen Spannweite: von einem historischen bis zu einem, wie Muxeneder6 es genannt hat, utopischen Begriff. Historisch ist wiederum in doppelter Weise zu verstehen: Spätheit in Bezug auf die Vergangenheit und die Zukunft. Notley7 hat für Brahms dieses Gefühl der Spätheit und Nostalgie, des vergangenheitsorientierten Spätstils herausgearbeitet: spät im Sinne eines Zuspätseins bzw. sich zu spät Empfindens des Künstlers in Form seines Werkes.8 Eine zukunftsgewandte Spätheit ist allerdings in der musikwissenschaftlichen Forschung des 20. Jahrhunderts besonders einflussreich gewesen: das Spätwerk, das auf später Kommendes vorausweist. Es wird dann auf das Experimentelle, Zeitunabhängige und dadurch Isolierte fokussiert. In seinem Aufsatz »Spätstilaspekte« formuliert Niemöller dies so: [Der Spätstil erscheine als] »eine letzte Ausprägung des Eigenstils in geschlossener persönlicher Gestaltungsweise. […]. Dabei kann in manchem Spätwerk, wie bei Bach und Beethoven, die Akzentuierung von ungewöhnlichen kompositorischen Positionen so stark sein, dass ein unmittelbares Anknüpfen an sie nicht möglich erscheint, also

3 Vgl. dazu Butler 1963; dieses Konzept wird von de Luce 1989 für die Ovid-Interpretation genutzt. 4 Vgl. dazu den Überblick von Randall 2012. 5 Straus 2008, bes. 6 f. und 12. 6 T. Muxeneder, Online-Einführung zu op. 41 der Seite schoenberg.at des Arnold Schönberg Centers Wien (http://www.schoenberg.at/index.php?option=com_content&view=article &id=222&Itemid=386&lang=de, [21.7.2014]) 7 Notley 2007. 8 Vgl. auch Kohlschmidt 1962 zu allgemeinen Überlegungen zum Phänomen der Spätzeitlichkeit, sowie Nolte 1990 zur Problematik des Begriffs der Spätzeit.

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Moderne Alterswerkdiskussionen

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auch kein kontinuierlicher Tradierungsprozess stattfindet. […] Der Spätstil eines Komponisten ist jedoch nicht mit seinem Alterswerk überhaupt gleichzusetzen. […] Ein wirklicher Spätstil setzt ein neues Stadium in der Kompositionsweise voraus, das sich deutlich durch eigenständige stilistische Züge abhebt. […] In gewisser Weise muss deshalb die Frage nach dem Spätstil relativ unabhängig vom Lebensalter, das ein Komponist erreicht, gesehen werden. […] Ein charakteristischer Spätstil gibt sich vielfach durch eine gewisse Emanzipation vom allgemeinen Zeitstil zu erkennen. […] Der Komponist beschreitet in dem Zeitpunkt ungewöhnliche Wege, in dem er den Höhepunkt seines Könnens und seiner Materialbeherrschung erreicht hat, das Wagnis also durch bewiesene Meisterschaft abgesichert ist.«9

Man sieht hier wesentliche Prämissen des Spätstils zusammengefasst, die alle von zwei zentralen Vorstellungen abhängen: der Zeitlosigkeit und einer Gültigkeit über ein Individuum bzw. einen Einzelfall hinaus. Einen Spätstil gibt es unabhängig vom Alter des Komponisten, er befindet sich nicht mehr innerhalb der zeitgenössischen Normen, sondern verweist auf eine kommende Zeit; er ist nicht an eine bestimmte Epoche gebunden, sondern kann für so unterschiedliche Komponisten wie die von Niemöller herangezogenen Gesualdo, Bach, Beethoven, Liszt, Verdi und Schönberg und deren Epoche in Anspruch genommen werden. Ja, es ist sogar ein wichtiges Untersuchungsziel Niemöllers, solche überindividuellen Tendenzen in den Spätwerken verschiedener Komponisten auszumachen.10 Wie der Begriff Spätstil deutlich macht, stehen für Niemöller formal-strukturelle Kategorien im Vordergrund, z. B. Ausweitung der Tonalität bzw. dissonantere Harmonik, zyklische Verknüpfung von Einzelwerken durch monothematische und motivische Bezüge, konventionswidrige Handhabung traditioneller Formen wie der Fuge.11 Vielleicht ist dies zu einem nicht geringen Teil dem höheren Grad an Abstraktheit der Kunstform Musik geschuldet. Wendet man sich literaturwissenschaftlichen Betrachtungen von Spätwerken zu, so steht oft das Thematische bzw. der Charakter des Werkes im Vordergrund. So hat z. B. Dowden in seinem 1874 erschienenen Buch über Shakespeare dessen letzte Werke folgendermaßen charakterisiert: »In the latest plays of Shakspere [sic], the sympathetic reader can discern unmistakably a certain abandonment of the common joy of the world, a certain remoteness from the usual pleasures and sadnesses of life, and at the same time, all the more, this tender bending over those who are like children still absorbed in their individual joys and sorrows. Over the beauty of youth and the love of youth, there is shed, in these plays of Shakspere’s final period, a clear yet tender luminousness, not elsewhere to be perceived in his writings.«12 9 Niemöller 1986, 175 f. bzw. 179 f. 10 Niemöller 1986, 179. 11 Vgl. Niemöller 1986, 181 f. 12 Dowden 1874, 415.

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Einleitung und methodische Grundlagen

Dowden lässt offen, woher diese Veränderung stammt. Eine direkte Verbindung zum physischen Alter gibt es nicht. Immerhin ist Shakespeare erst 46 Jahre alt, als er sich vom Theater zurückzieht. Über die Thematik gibt es dann auch eine Verbindung zum Alterswerk im engeren Sinne. So haben Muir und Greene Shakespeare zu den späten Werken anderer Dramatiker in Beziehung gesetzt, nämlich zu Racine und Ibsen bzw. ­Ibsen und Sophokles.13 Die gemeinsame thematische Linie sei eine religiöse Bekehrung bzw. Zeit und Todesnähe. Aber gerade die Todesnähe ist eben nicht zwingend ausschließlich mit hohem Alter verbunden, was dazu geführt hat, gerade jung verstorbene Schriftsteller in einem gewissermaßen beschleunigten Lebenslauf zu deuten14 und solche Künstler »so zu behandeln, als seien sie alt«.15 Doch möchte ich nun auf die wahrscheinlich einflussreichsten theoretischen Überlegungen zum Spätstil zu sprechen kommen, die u. a. auch im Hintergrund von Niemöllers Ausführungen stehen. Es handelt sich um Adornos Beschäftigung mit Beethovens späten Werken.16 Über mehrere Jahrzehnte hat Adorno Skizzen und Entwürfe für ein Beethovenbuch gesammelt, in dem die späten Werke sicher ein gedankliches Zentrum gebildet hätten, dieses jedoch nie fertig stellen können. Veröffentlicht wurden zu Lebenszeit nur ein kurzer Essay unter dem Titel »Beethovens Spätstil« (1934 geschrieben)17 und ein Rundfunkvortrag aus dem Jahr 1966.18 Hinzukommt die Sammlung der Fragmente durch Rolf Tiedemann, die sich auf knapp 50 Seiten belaufen.19 Im Folgenden werde ich hauptsächlich von Adornos Rundfunkvortrag ausgehen, der die geschlossenste Darstellung von Adornos Spätstilvorstellungen bietet und im Gegensatz zum früheren Essay weniger metaphorisch-abstrakt gehalten ist. Adorno spricht mit Blick auf den Spätstil Beethovens von einer Tendenz zur Dissoziation, zum Zerfall (267), nicht im Sinne eines Kompositionsverfahrens, sondern als Kunstmittel. Die späten Werke seien im geistigen Sinne fragmentarisch trotz ihrer Abgeschlossenheit. In Beethovens Spätwerken trete das Subjekt von der Musik zurück, überlasse die Erscheinung sich selbst. Damit kündigten sie das Ideal der Harmonie im Sinne der ästhetischen Harmonie (268). Sie seien eine Kritik seiner klassizistischen Werke (269). »Der Spätstil Beethovens ist nicht einfach eine Reaktionsform eines gealterten Menschen oder gar die eines 13 Muir 1961; Greene 1967. 14 McMullan 2007, 273. 15 McMullan 2007, 284: »[…] to address the artist as if he were old, to ignore the chronological age […].« Vgl. auch Straus 2008, 3 mit Bezug auf die früh Verstorbenen Mozart und Schubert: »The age with which a composer may write late works varies considerably.« 16 Gesammelt und herausgegeben v. R. Tiedemann (= Adorno 1993). 17 Adorno 1993, 180–184. 18 Adorno 1993, 263–274. 19 Adorno 1993, 184–233.

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Moderne Alterswerkdiskussionen

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solchen, der, weil er ertaubt ist, des sinnlichen Materials nicht mehr ganz mächtig wäre.« (270) Beethoven habe auch in der Spätstilphase Werke im Stil der mittleren Phase schreiben können. Im Spätstil herrschten Extreme von Einstimmigkeit und Polyphonie ohne mittlere Harmonie vor. »Die Musik hat gleichsam Löcher, kunstvolle Brüche. Dadurch wird das Affirmative, das Hedonis­tische, das der Musik sonst innewohnt, erstmals […] gekündigt […].« (270) An der­ Tonalität werde zwar festgehalten, aber sie werde zugleich gebrochen (271). Das rätselhafteste Phänomen des späten Beethoven seien »geschrumpfte und mit Bedeutung überladene, scheinbar aber konventionelle Stellen, die übrigbleiben und die etwas von Zaubersprüchen haben.« (271 f.). Es erfolge keine Reinigung von der Floskel, sondern sie selber werde durchsichtig gemacht, zum Sprechen gebracht (272). Insgesamt werde in einem Prozess der musikalischen Entmythologisierung ein Verzicht auf den Schein der Harmonie geübt, und darin liege, so Adorno, ein Ausdruck der Hoffnung. Wie Rose Subotnik20 herausgearbeitet hat, ist diese Auffassung von Beet­ hovens Spätstil nicht von Adornos Philosophie zu trennen, sondern vielmehr ein weiterer Ausdruck dieser. Für Adorno lasse sich in der modernen Gesellschaft nur in der Negation die Autonomie des Subjekts von der Gesellschaft bewahren. Insofern sei Beethoven ein erstes Beispiel für das künstlerische Subjekt in der modernen Gesellschaft, das durch Abkehr vom Affirmativen sich seinen Freiraum bewahre. Entscheidend sei dabei, dass das biologische Alter keine Rolle spiele, sondern Beethoven synchron laut Adorno im mittleren und späten Stil schreibe.21 Es ist zu Beginn von einer sauberen Trennung zwischen materiellem und ideellem Verständnis gesprochen worden. Doch müssen die Dinge an dieser Stelle durch eine Grauzone verkompliziert werden: Auch das biologische Alter kann als Ausgangspunkt zu idealisierten, quasi-mythischen Ansichten vom Künstler in der letzten Lebensphase führen. Brinckmann setzt in einem 1925 erschienenen kunsthistorischen Essay mit 60 einen großen Einschnitt im Leben an: Es lasse der erotische Trieb nach und es finde eine »Umformung einstiger Geistigkeit statt, die ehrfurchtgebietend und erschütternd ist. Die Schöpferkraft des Menschen neigt sich zur Ruhe, doch sie tut es mit einem letzten weiten Blick im Angesicht der Ewigkeit.«22

20 Subotnik 1975. Ausführlicher zu Adornos ästhetischer Auseinandersetzung mit Beethoven vgl. Urbanek 2010, darin bes. 217–256 zu Adornos Konzeption von Beethovens Spätstil mit einer Erprobung seiner Ansätze für die Beethovenanalyse. 21 Adorno 1993, 270. Vgl. auch McMullan 2007, 271–284 zur theoretischen Diskussion eines altersunabhängigen Spätstils. 22 Brinkmann 1925, 16.

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Einleitung und methodische Grundlagen

Brinckman spricht von einem »Zurücktreten der Triebimpulse in ihrer Differenzierung, [… einem] Entgleiten unendlich vieler Funktionen in einen Zustand der Funktionslosigkeit, wo völlig in sich ausbalanzierte Kräfte als Harmonie empfunden werden, wo die Verschmolzenheit an die Stelle der Relationen getreten ist.«23

Man vergleiche dazu den Psychologen Erich Neumann, demzufolge der Künstler die Entwicklungsphasen der Kultur durchlaufe und im Alterswerk eine Transzendierung der Kunst erreiche: »In der menschlichen Gestaltung erscheint auf dieser Stufe eine symbolische Welt des Numinosen, in der die Gegensätze von Innen und Außen ebenso überwunden scheinen, wie die von Natur und Kunst, und das Numinose des Hintergrundes der Welt, von Natur und Psyche, gelangt in diesen Werken heimlicher Alchemie zu seiner Synthese.«24

Wer dachte, dass es eine einigermaßen einheitliche Auffassung von letzten Werken gäbe, bzw. dass die Unterscheidung Alterswerk – Spätwerk nicht nur heuristischen, sondern ontologischen Status beanspruchen könnte, dürfte jetzt enttäuscht sein.25 Der schon erwähnte Joseph Straus versucht der Vereinzelung durch zwei Übersichten Herr zu werden: einmal Qualitäten, die letzten Werken zugeschrieben werden, zum anderen sechs Metapherncluster für späte Werke.26 Die Bandbreite der Qualitäten ist nicht nur außerordentlich groß, sondern wie an Dowden und Adorno zu sehen, geradezu widersprüchlich, zwischen Zorn und Heiterkeit, Einfachheit und Komplexität ist auf den vier eng beschriebenen Seiten alles zu finden. Die Benennung der Metapherncluster ist geschickt: introspektiv, spröde, schwierig, verdichtet, fragmentarisch, retrospektiv (introspective, austere, difficult, compressed, fragmentary, retrospective). Doch stehen auch hier z. B. die retrospektiv genannten Metaphern (lyrisch, sentimental, ­heiter – lyrical, sentimental, serene etc.) den schwierig genannten entgegen ­(abstrakt, herb, unerfreulich – abstract, bitter, formidable etc.).27 Straus’ Lösung ist die Konzentration auf den schon erläuterten disability-Aspekt. Edward Said hat in einem 2006 postum erschienenen Buch »On Late Style« die Zweiteilung von lateness in einem harmonischen und einem widerspenstigen 23 Brinkmann 1925, 34 f. 24 Neumann 1954, 104. 25 Vgl. auch Taberner 2013, 196–199 über old-age style und late style, die sich in einer­ epochalen lateness als gesellschaftlichem Kontext verbinden. 26 Straus 2008, 8–11 bzw. 12. 27 Burnham 2011, 411 betont die Pluralität und spricht von late styles. Vgl. auch Clark 1971, der zwischen den Alterswerken unterschiedlicher künstlerischer Medien (Malerei p. 6–23, ­Musik 23 f., Literatur 24–26) unterscheidet, die jeweils eigene Charakteristika aufwiesen.

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Begriffsverständnis gleich zu Beginn gesetzt, um sich dann ganz bewusst nur noch dem zweiten Typus zuzuwenden;28 dementsprechend auch der Untertitel des Buches »Music and Literature against the grain« und seine intensive Auseinandersetzung mit Adorno im einleitenden Kapitel. Saids Buch ist allerdings weniger eine theoretische Reflexion über das kritische Konzept, als »a ­celebration of a certain manifestation of lateness«, wie in der kritischen Diskussion bemerkt wurde.29 Genau diese hat jedoch in den folgenden Jahren eine intensivere Beschäftigung mit dem Konzept ausgelöst. Ein Sammelband »Late Thoughts«30 und Gordon McMullans »Shakespeare and the idea of late writing«31 sind hier im Besonderen zu nennen.32 In der Einleitung des Sammelbands33 führt Karen Painter aus, dass erst im 19.  Jh. den späten Werken von Künstlern besondere Bedeutung beigemessen worden sei. Bis dahin sei der größte Wert für einen alternden Künstler keine Veränderung, d. h. keinen Verfall zu zeigen im Vergleich zu früheren Werken. 28 Anders hingegen Jens 1997, 15, der diese Antithese »nur vordergründig« nennt, denn beide Typen seien von einer Radikalität gekennzeichnet, es gehe immer »um den Willen, zu Ende zu führen: gelegentlich um den Preis der Revokation eigener Entwürfe, öfter um Ergänzung und Verbesserung, Vollendung des Vor-Geleisteten willen.« 29 McMullan 2007, 13. Vgl. auch Gourgouris 2005, der Saids z. T. schon vor 2006 publizierte Überlegungen zum Spätstil als Deutungsinstrument zur Lektüre für Saids eigene letzte Werke nimmt. 30 Painter/Crow 2006. 31 McMullan 2007. Fast zeitgleich erschien mit McDonald 2006 eine stilistische Untersuchung von Shakespeares letzten Stücken: McDonald grenzt sich bewusst vom emphatischen (und zuweilen zu essayistischen) Verständnis des späten Stils ab (9–15, p. 10 Fn. 17 sogar mit Vorverweis auf McMullan 2007) und stellt seine detaillierte stilistische Analyse demgegenüber. So erhält die Qualifizierung ›spät‹ insbesondere eine chronologische und relationale Nuance. In einem Schlusskapitel wendet sich McDonald auch interpretatorischen Implikationen der stilistischen Veränderungen zu (219–254), die nicht nur den Kontext des Gesamtwerkes bedenken (vgl. 220–226 zum retrospektiven Rückgriff auf Früheres), sondern auch die zeitgenössischen literarischen Entwicklung miteinbeziehen (vgl. z. B. 235–244 zur weiblichen Leserschaft der Zeit und der Gattungscharakteristik der späten Stücke als romance). Chen 2015 deutet Shakespeares späte Stücke und deren Stil als Reaktionen eines Künstlers, dessen eigene ästhetische Prinzipien zwar im Wesentlichen unverändert bleiben, wobei aber sich ändernde äußere Gegebenheiten wie die veränderte Zusammensetzung seiner Schauspieltruppe oder wechselnde Mitautoren bei gleichbleibenden ästhetischen Prämissen zu anderen Ergebnissen führen. 32 Allerdings ist gerade in den letzten Jahren auf vielen Gebieten ein großes Interesse an der Frage nach dem Alter zu verzeichnen: vgl. z. B. Zeitschrift für Germanistik 2/2012 zum Thema »Alter und Literatur«, Taberner 2013 über vier deutsche Schriftsteller der Gegenwart und ihr Alterswerk (Grass, Klüger, Wolf, Walser) vor dem Hintergrund des individuellen­ Alterns und einer alternden Gesellschaft (mit jeweils unterschiedlichen Ausrichtungen der Altersstile der vier genannten Autoren) oder den interdisziplinären Sammelband von Boehm et al. 2014 zum Altern im 19. Jahrhundert. Knight 2013 deutet Woody Allens Filme seit 1992 als Alterswerke im Sinne von Said 2006 mit einem stark biographischen Einschlag. 33 Painter 2006a.

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Im Laufe des 19. Jh. habe sich eine spezielle Aura um letzte Werke entwickelt, insbesondere durch die Annahme einer Transzendenz in Todesnähe (2). Das alte Modell Geburt-Wachstum-Verfall sei zugunsten eines starken Interesses an den letzten Werken eines Künstlers aufgegeben worden. Einflussreich sei die romantische Vorstellung vom Abschied von der Welt (4). In den 70er Jahren des 20. Jh. habe man sich im Zuge der Abkehr von biographischen Interpretationen auch vom Spätstil-Konzept distanziert. Sowohl Biographie als auch Stilgedanke34 seien als interpretatorische Instrumente kritisch hinterfragt, eine teleologische oder periodisierende Geschichtsschreibung diskreditiert worden. Geblieben sei nur noch eine chronologisch-pädagogische Verwendung des Begriffs (5). Die Faszination für lateness bleibe, auch wenn ein kohärenter Stil nicht mehr kritisches Gerüst sein könne (6). Painter schlägt daher vor, sich auf die Diskurse von Spätheit eher als auf die Spätheit selbst zu konzentrieren. Spätheit sei wichtiger für Rezeption als die Produktion von Kunst (7). So kann sie z. B. in einem Aufsatz dieses Bandes zeigen,35 wie Mozarts letzte Lebensphase nach Erscheinen der ersten Beethovenbiographen nach diesem Muster umgedeutet wurde und man so ein düsteres Spätwerk auch für Mozart erhielt. Auch McMullan verortet den Ursprung des Spätstilkonzeptes im 19. Jh. Es sei ein in der Romantik entwickeltes und verwurzeltes Konzept, das zwar früh­ moderne Vorformen habe, aber für einen Autor wie Shakespeare und seine späten Stücke nicht sinnvoll anwendbar sei (5/22). Die Idee stamme insbesondere von Komponistenbiographien des 19. Jahrhunderts zu Beethoven und Mozart und der Auseinandersetzung mit Goethe her (13).36 Für die Annahme, dass es einen charakteristischen, abgeklärten Spätstil Shakespeares gebe, habe (der bereits oben zitierte) Dowden einen prägenden Einfluss ausgeübt (159). McMullan arbeitet drei wichtige Prämissen des Konzepts Spätstil heraus: Die Annahme eines Spätstils bedinge, dass dieser transkulturell, überzeitlich und transgenerisch sei (26 f.). Daraus ergäben sich aber Widersprüche: Man könne z. B. ­Adornos Begriff nicht als transkulturell und überzeitlich verstehen, da er eine moderne Gesellschaft voraussetze. Dann könne er nicht nur das Scheitern der Moderne repräsentieren (278). Wenn man demgegenüber sich auf das biologische Alter beziehe, stehe man vor dem Problem, dass Künstler wie Mozart oder Keats kein hohes Alter erreicht haben und darum Umstände betont wurden, die denen des Alters entsprechen, wie Krankheit o.ä. Auch für McMullan ist Spätstil eher eine Lese- und Deutungspraxis, ein Diskurs denn eine ontologische Kategorie (5). Dementsprechend können auch 34 Vgl. auch García Düttmann 2008 zum problematischen Verhältnis von Stil und Spätstil. 35 Painter 2006b. 36 Vgl. auch Schwieren 2014, 129–166 zur Bedeutung von Goethes Selbstinszenierung in seinen späten Werken und der Reaktion der Goethephilologie des 19. Jh. für die Entwicklung des ästhetischen Alterswerkbegriffs.

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Künstler erst in Anlehnung an ein solches Konzept Spätwerke schaffen, die diesem entsprechen (191, McMullan nennt Picasso als ein Beispiel).37 Vorromantisch habe es höchstens Vorstufen gegeben. Und eben darum sei dies kein interpretatorisch anwendbares Konzept für Shakespeare.38 McMullans Suche nach den Vorformen führt uns nicht nur in Shakespeares Zeit, sondern auch in die Antike und bietet die ideale Brücke zur Frage nach eventuellen antiken Äquivalenten.39 McMullan sieht z. B. in Horaz c.1,31, in dem dieser für ein Alter nicht ohne Kithara bittet, einen von vielen Vorläufern für das selbst-erzählte Ende einer Künstlerkarriere. Auch die rota Vergilii mit ihrer Entwicklungsvorstellung in generischer Hinsicht sei hier zu nennen. Mit Augustinus habe eine spirituelle Aufwertung des Alters eingesetzt. Zudem habe es in der christlichen Tradition eine besondere Bedeutung der letzten Worte vor dem Tod gegeben. In frühmodernen Interpretationen solcher letzten Worte sieht McMullan »seeds of late writing«,40 aber eben noch kein fertiges Konzept. Gleiches gelte für Plinius (NH 35,145), der über unvollendete Gemälde Folgendes schreibt: illud vero perquam rarum ac memoria dignum est, suprema opera artificum inperfec­ tasque tabulas, sicut Irim Aristidis, Tyndaridas Nicomachi, Mediam Timomachi et quam diximus Venerem Apellis, in maiore admiratione esse quam perfecta, quippe in iis liniamenta reliqua ipsaeque cogitationes artificum spectantur, atque in lenocinio commendationis dolor est manus, cum id ageret, exstinctae. Jenes aber ist überaus ungewöhnlich und erwähnenswert, dass die letzten Werke von Künstlern und unvollendeten Gemälde, wie die Iris des Aristeides, die Tyndariden des Nikomachos, die Medea des Timomachos und die schon erwähnte Venus des Apelles, in höherer Bewunderung stehen als die vollendeten Werke, weil in ihnen die Umrisse 37 Barone 1996, 275–330 untersucht Wagners Selbstinszenierung als late artist, die an Goethe und Beethoven orientiert ist. 38 Vgl. demgegenüber Zanetti 2012, bes. 209–317 der das Spätwerk als relationalen Begriff innerhalb eines Gesamtwerkes in dem Sinne versteht, dass ein Rückblick auf das Frühere bzw. eine retroperspektive Deutung des Schaffens gegegeben werde. Er spricht von »Automonumentalisierungsprozessen« in Spätwerken (280 f.) und erstellt detailliert er­ scheinende Analyseraster (293–297) und Typologien (303 und 317), die jedoch eine Fülle an zusätzlichen Texten (Entwürfe, verschiedene Editionen etc.) voraussetzen, die für antike Texte nicht greifbar ist, bzw. letztlich so sehr im Allgemeinen verbleiben, dass über bekannte Untersuchungsperspektiven wie life review oder Selbstkanonisierung hinaus wenig Spezifisches zu gewinnen ist. Bezeichnenderweise werden gerade die methodisch reflektierten Positionen von McMullan 2007 und Painter 2006a nur knapp behandelt und sehr einseitig dargestellt (203 f.), was die methodischen Probleme eines allgemeinen Spätwerkbegriffs zudeckt (auch wenn er nur heuristisch verwendet werde, wie Zanetti p. 321 argumentiert). Ebenso bezeichnend ist der Umgang mit de la Motte-Haber 1990 auf p. 288 f., der die grundlegenden Zweifel an einer transhistorischen Anwendbarkeit (de la Motte-Haber 1990, 43 f.) auslässt. 39 McMullan 2007, 193–225. 40 McMullan 2007, 215.

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vorhanden sind und die Gedanken der Künstler unmittelbar gesehen werden können, und als empfehlender Reiz wirkt die Trauer über die Hand, die starb, als sie dies vollbrachte.41

Dies sei keine Beschreibung von late style avant la lettre, sondern »looks forward two millenia to current debates over late works«.42 In der Tat ist das Problem bei Plinius folgendes: Der Schmerz über den Verlust und das Denken an das, was hätte sein können, sind das Auschlaggebende. So heißt es zuvor über einen Maler: »Wenn er nicht in seiner Jugend gestorben wäre, wäre niemand ihm vergleichbar.« (nisi in iuventa obiisset, nemo compararetur, 35,134). Man findet in der Antike mehrere bekannte Motive, die zu einem Spätstilkonzept passen: der gerade erwähnte frühe Tod eines Begabten (mors immatura)43 oder das puer-senex-Ideal44 (ein schon in der Jugend erreichter Grad an Altersweisheit). Es dürfte aber aus den Ausführungen zum Spätwerkkonzept deutlich geworden sein, dass für die altersunabhängige Vorstellung von besonderer Qualität, egal in welcher Ausprägung, spezifisch moderne philosophische Prämissen vorliegen müssen. Insofern ist McMullan Recht zu geben. Darin scheint mir auch der Grund für seine ergebnislose Suche nach antiken Vorläufern zu liegen. Allerdings ist das Altern und sein Einfluss auf den Menschen eine universelle Erfahrung des Menschen. Man darf also erwarten, dass auch in der Antike Überlegungen wenn nicht zu Spätwerken, so doch zu Alterswerken bzw. allgemeiner formuliert zum Einfluss des Alters auf die künstlerische Produktion in der letzten Lebensphase angestellt worden sind. Gleichwohl müssen diese antiken Vorstellungen zum Alter und zu Alterswerken nicht deckungsgleich mit modernen Konzepten sein, was ein weiterer Grund für McMullans negativen Befund darstellen dürfte.45 Ebenso ist darum zu erwarten, dass es in 41 An dieser Stelle sei vorausweisend ein genereller Hinweis zu den Übersetzungen in dieser Arbeit angefügt: Die Übersetzungen stammen soweit nicht anders vermerkt von mir und sind zur Dokumentation des eigenen Verständnisses beigefügt. Sie erheben keinerlei Anspruch auf einen literarischen Wert unabhängig von diesem Zweck. Stellen, die in den Fußnoten nur verweisend zitiert und nicht im Haupttext besprochen werden, bleiben darum unübersetzt, was zudem den Vorteil hat, den Fußnotenapparat nicht noch weiter anwachsen zu lassen. 42 McMullan 2007, 213. 43 Zu diesem Motiv vgl. Lausberg 1970, 153, bes. Fn. 2–4. 44 Für Literatur dazu vgl. Fuà 1995, 194 Fn. 47. Für Gnilka 1972 ist der Gedanke der Transzendierung des Alters, der dem puer-senex-Ideal zugrunde liegt, ein wichtiger Ausgangspunkt für die christliche Altersauffassung, die auf eine aequalitas der Lebensalter (vgl. 115–135) hinstrebt und als pädagogisches Ideal den puer senex ansieht (vgl. 165–170); vgl. auch Gnilkas Zurückverfolgung dieser Alters-Transzendenzidee auf die antike (insbes. hellenistische) Philosophie (Gnilka 1972, 49–71). 45 Hier ist besonders an psychologische oder mystifizierende Vorstellungen vom Alter zu denken (vgl. z. B. oben zu Brinkmann und Neumann), die auf modernen Prämissen beruhen und sich darum von antiken Auffassungen unterscheiden.

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der Folge – diesmal allerdings ganz im Sinne McMullans (und auch Painters) – auch Rezeptionen solcher Überlegungen zu künstlerischen Alterswerken gibt. In dieser Perspektive ist es dann auch sinnvoll ein literarisches Werk als Alterswerk zu deuten. Diese Grundannahmen sind es auch die die Struktur dieser Arbeit bestimmen, die am Beispiel von Statius’ Achilleis eine exemplarische Interpretation eines Alterswerkes im Sinne McMullans und Painters unternimmt. Übertragen wird auf antike Literatur dabei kein spezieller moderner Ansatz zu Alterswerken, sondern das methodische Gerüst, das die Kategorie Alterswerk als Ansatzpunkt für eine produktive Rezeption einer Deutungspraxis begreift. Ziel ist es nicht, einen überzeitlichen Begriff von Alterswerken zu destillieren und ihn dann auf ein antikes Werk zu applizieren. Die Prämisse ist lediglich, dass im Unterschied zu einem bestimmten Alterswerk- bzw. Spätwerkbegriff das Diskursphänomen selbst nicht auf spezifisch modernen Voraussetzungen beruht und darum überzeitlich sein kann, nämlich dass ›Alterswerk‹ zunächst eine Lese- und Deutungspraxis ist, die in zweiter Instanz für die literarische Produktion genutzt wird, um einen bestimmten Rezeptionseffekt zu erzeugen, der in der Aktivierung der Deutungskategorie ›Alterswerk‹ beim (zeitgenössischen) Leser besteht. Die inhaltliche Füllung dieser Kategorie wird dabei aus der zeitgenössischen bzw. vorhergehenden Diskussion gewonnen, auf die Dichter und Leser rekurrieren können. Die These meiner Arbeit lautet dementsprechend, dass Statius sein zweites Epos vor dem Hintergrund vorhandener Ideen zur künstlerischen Produktion im Alter modelliert.46 Er erschafft dazu in seinen Silven das Bild eines alternden Dichters und konzeptioniert die Achilleis als Nachfolgewerk zur Thebais, das in seiner Gestaltung auf einen alternden Dichter schließen lässt. Wichtig ist dabei, dass nicht das wirkliche Alter des Statius oder seine tatsächliche physische Konstitution in den Blick genommen werden sollen, da sich darüber keine validen Aussagen treffen lassen und solcherart Daten nur sehr bedingt Grundlage für die Interpretation eines literarischen Werkes sein können. Vielmehr soll gezeigt werden, wie Statius in expliziter Form sich als Alternder dem Publikum in den Silven präsentiert und so eine Rezeptionshaltung für die Lektüre der Achilleis erzeugt, so dass entsprechende Textsignale auf der Mikro- und der Makroebene im Epos vom Publikum als Belege für einen alternden Dichter gelesen werden. 46 Dies ist unabhängig davon zu betrachten, in welchem biologischen Alter Statius sich befand. Als Datierungshinweise werden die Angaben der Silven genommen (s. B 1.) und zumeist ein Geburtsdatum um 50 n. Chr. errechnet (für eine Übersicht über die ermittelbaren biographischen Daten: vgl. z. B. die Kommentare von Coleman xv–xx, Newlands 1–3 und bes. umfangreich belegt: Gervais v–ix). Einen externen Terminus für ein gewisses Alter erhalten wir, wenn der in Iuv. Sat. 7,87 angesprochene Verkauf eines Librettos an den ca. 83 v. Chr. ermordeten Pantomimen Paris (vgl. zu diesem Leppin 1992, 272–275 mit einer einleitenden Aufstellung aller Belege) zutreffen sollte (vgl. dazu auch B 1.).

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Einleitung und methodische Grundlagen

Dafür werden zunächst in einem theoretischen Teil antike Alterswerkvorstel­ lungen in den Blick genommen (A 2.2.), unter denen der von McMullan nicht erwähnte Exkurs Ps.Longins zur Odyssee als Alterswerk Homers einen prominenten Platz beansprucht (9,11–15).47 Da ein wichtiges Element bei der Erschaffung eines Alterswerkes die Vorstellung eines künstlerischen Gesamtwerkes darstellt, soll in einem zweiten Punkt die Idee des literarischen Oeuvres, das ein Dichter selbst konzeptioniert, in seiner Entwicklung von den Alexandrinern bis zu den Augusteern nachvollzogen werden (A 3.). Der erste Hauptteil (B) ist dem Bild des alternden Dichters in den Silven gewidmet (B 1.). Auf eine Überblicksdarstellung zur Achilleis als konzeptioniertem Alterswerk (B 2.) folgt anhand der im theoretischen Teil erarbeiteten Kriterien eine detaillierte Gesamtinterpretation des erhaltenen Teils in Form eines linearen Durchgangs (C). Der Schlussteil (D) bringt nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse einen Ausblick für weitere Forschungen auf diesem Gebiet.

2. Alterswerkvorstellungen in der Antike 2.1 Antike Altersdiskurse Das Alter in der Antike ist besonders in der Forschung der letzten Jahrzehnte zu einem gut untersuchten Thema geworden: Das etwas einseitige frühere Bild von der allgemeinen Hochschätzung für das Alter in der Antike, wie es z. B.­ Richardson48 für den griechischen Kulturraum zeichnete, ist inzwischen durch vielfältige Spezialstudien bereichert und differenziert worden.49 Wichtig ist da 47 Interessanterweise hat bereits der Kommentator Russell Ps.Longins Deutung der Odyssee als komödiennahes Alterswerk mit Shakespeares späten Stücken wie A Winter’s Tale oder The Tempest parallelisiert (Russell zu 9,15), die, wie McMullan 2007 dargelegt hat, von Dowden (s. o.) ausgehend als Alters- bzw. Spätwerke (um)interpretiert worden sind, auch wenn dies eher eine retrospektive Zuschreibung sein dürfte. 48 Richardson 1933. 49 Bibliographien zur älteren Forschung bieten Eyben 1989 und Suder 1991, einen Forschungsüberblick zum Thema Alter in der Antike und Ergänzungen zu Suder bietet Sigismund 2003, 8–35 bzw. 371–373; neuere Tendenzen in der Forschung (bes. mit Blick auf Brandt 2002, Cokayne 2003 und Parkin 2003) und einen methodischen Ausblick für die weitere Arbeit findet man bei Laes 2005. Um nur einige Arbeiten aus den letzten Jahrzehnten zu nennen: 1) Sammelbände zu verschiedenen Aspekten: Bakhouche 2003 (demographisch, medizinisch, literarisch), Gutsfeld/ Schmitz 2003 (verschiedene Zeiten und Kulturkreise innerhalb der Antike); 2) epochenübergreifende Sammelbände unter Einbeziehung der Antike: Herrmann-Otto 2004, Thane 2005, Crisciani et al. 2009 (Alter bei Aristoteles und in der antiken Medizin sowie mittelalterliche Rezeptionen beider Traditionen); 3) interdisziplinäre Sammelbände: Elm von der Osten et al. 2009 (Alterstopoi), Fitzon et al. 2012 (Alterszäsuren und Lebensalter), Krötzl/­Mustakallio 2011; 3) Spezialdarstellungen Rom: Parkin 2003 (bes. in demographischer und sozialgeschichtlicher

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Alterswerkvorstellungen in der Antike

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bei, die Antike allein aufgrund der Epochenabgrenzung nicht als statische Einheit ohne kulturelle, chronologische und geographische Unterschiede aufzufassen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es behielt im griechischen Kulturraum nicht wie im römischen der Vater die Hausgewalt bis zu seinem Lebensende, sondern bis etwa zum 60. Lebensjahr und verlor dann seine herausgehobene soziale Stellung und war sogar dem Sohn untergeordnet.50 Wenn nun in dieser Arbeit die Rezipientensteuerung im Hinblick auf die Stilisierung eines Epos als Alterswerk untersucht werden soll, so ist der spezifische Kontext des Dichters zu betrachten. Das bedeutet für Statius’ Achilleis, dass die frühe Kaiserzeit, am Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr., auf italischem Boden, für Statius’ Publikum wohl genauer zu fassen als Wirkungs- und Lebensstätten seines Primärpublikums in Rom und Neapel, im Fokus steht. Allerdings gilt es dabei wiederum zwei Bereiche grundlegend zu trennen: Der eine u ­ mfasst Perspektive), Cokayne 2003 (bes. in literarisch geformter Darstellung); mit einem Fokus auf dem Prozess des Alterns bzw. dem Lebenslauf: Harlow/Laurence 2002 und 2007 (letzteres ein interdisziplinärer Sammelband); 4) (vorrangig) literarische Darstellungen von Alten: Falkner 1985 (Euripides), de Luce/Falkner 1989 (griechisch/römisch), Falkner 1995 (Homer, Lyrik, Tragödie), Mattioli 1995 (2 Bände: griechisch/römisch, z. T. auch Epigraphik u. a.), ­Nikolopoulos 2003 (Ovids Metamorphosen, auch Alte als Erzählerfiguren), Moodie 2009 (metaliterarische Elemente der Altendarstellung bei Terenz), Greene/Skinner 2010 (der ›neue‹ S­ appho-Papyrus), Möller 2014 (zu unterschiedlichen, auch poetologisch aufgeladenen Alters- und Zeitkonzeptionen bei Mimnermos und Solon); 5) Kulturgeschichtliche Überblicke: Brandt 2002, WagnerHasel 2012 und der Ausstellungskatalog »Alter in der Antike – Die Blüte des Alters aber ist die Weisheit« (Bonn 2009, hrsg. vom Landschaftsverband Rheinland), der viele kurze Essays zu unterschiedlichen Bereichen zur Darstellung von Alten, bes. im archäologischen Feld und mit griechischem Schwerpunkt, allerdings mit einer prägnanten Zusammenschau zur gesellschaftlichen Stellung der Alten in Rom von J. Timmer (pp. 135–140). Zum Themenkomplex Alter und Tod/Suizid vgl. Brandt 2010. Außerdem sei noch auf den umfangreichen RAC -Artikel von Gnilka 1983 zum Thema Greisenalter hingewiesen. Eine Analyse dreier (bei Stobaios exzerpierter) antiker Schriften über das Alter von Muso­ nius, Favorinus und Iuncus, von denen ersterer ein ungefährer Zeitgenosse des Statius ist, im Rahmen der antiken Literatur über das Alter bietet Sigismund 2003. Göckenjan 2000 zeigt die Wandlungen der Altersbilder und -diskurse von der Antike bis ins 20. Jahrhundert auf, wobei der Schwerpunkt auf der Neuzeit liegt und in eine scharf­ sinnige Analyse der besonderen Ausprägungen der Altersdiskurse im ausgehenden 20. Jahrhundert mündet. 50 Schmitz 2003, 89 f. Die Zahl 60 soll an dieser Stelle allerdings nicht implizieren, dass es eine einheitliche Abgrenzung für das Alter bzw. Greisenalter gegeben hätte: vgl. zu dieser Frage Gnilka 1983, 996–1001, sowie Parkin 2003, 15–26 (dort auch generell zu den unspezifischen und kontextabhängigen relationalen Bezeichnungen der Altersstufen wie iuvenis oder senex) und die Tabelle p. 279, in der die verschiedenen Auffassungen über den Beginn des Alters aufgelistet sind (von 42 bis 77 Jahren); 299–301 versammelt Parkin verschiedene, insbes. medizinische Stufen des Greisenalters. Zur Relativität des Altersbegriffs in der Selbstbeschreibung bei Cicero vgl. Vidén 2008/9. Zu Altersgrenzen im Rahmen der Ausübung gesellschaftlicher Funktionen und Ämter in der griechisch-römischen Antike (Wahlrecht, Wehrpflicht, Kult etc.) vgl. Timmer 2008.

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die s­oziale Realität des alternden Menschen in den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten im ausgehenden ersten nachchristlichen Jahrhundert, der andere die besonders in der Literatur51 kondensierten Topoi und Erwartungen, die nicht notwendigerweise mit der Lebenswelt korrelieren müssen. Das bedeutet, dass z. B. alternde Könige in den statianischen Epen, Adrast in der Thebais oder­ Lycomedes in der Achilleis, keinen Bezug zu einem alternden Kaiser Vespasian haben müssen, der in Statius’ Lebenszeit fällt, indem sie auf ihn anspielen bzw. seine Charakteristika spiegeln oder dem Publikum eine enkomiastische oder subversive Verbindung suggerieren. Im Gegenteil weisen beide viel eher auf den lucanischen Pompeius und wie dieser zugleich auf Latinus und Euander in der Aeneis zurück.52 Insofern sind literarische Altersbilder für ein imaginiertes bzw. stilisiertes Alterswerk sogar entscheidender als reale, denn um den Eindruck zu erwecken, dass es sich beim vorliegenden Werk um das Epos eines alternden Dichters handelt, müssen eher die literarischen Vorstellungen über das Alter und die Alternden evoziert werden, als die zu beobachtende lebensweltliche Realität.53 Natürlich kann im Sinne des New Historicism auch ein literarischer Diskurs als Teil eines umfassenden Begriffs von Lebenswelt betrachtet werden und insofern Wechselwirkungen mit den anderen Teilen dieser Welt zeitigen.54 Allerdings ist eine Unterscheidung dennoch sinnvoll, wenn man bedenkt, dass ein römischer Leser des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zwar in einem bestimmten historischen und sozialen Kontext, in dem er steht, einen bestimmten Text liest, dennoch aber auf dem literarischen Feld in seiner Lektüre eine Nähe zu Altersbildern bspw. der attischen Tragödie oder der griechischen Philosophie aufbaut, auch wenn die ihn umgebenden sozialen und historischen Bedingungen völlig davon verschieden sind. Wenn nun ein solchermaßen gebildeter Leser sich einem römischen Epos widmet, wird er auch diese literarischen Kenntnisse aktivieren und sie als mindestens ebenso wenn nicht noch mehr sinnstiftend wahrnehmen, als einen Bezug zur eigenen Gegenwart. Unbeschadet der sozialgeschichtlich notwendigen Differenzierung der antiken Altersbilder, von der zuvor die Rede war, kann die gleichzeitige Rezeption verschiedener Texte un 51 Dies ist im weiteren Sinne gemeint und soll neben der fiktionalen Literatur bzw.­ Dichtung auch philosophische, rhetorische, medizinische Texte etc. umfassen. Generell zur literarischen Quellenlage zum Thema Alter in der Antike vgl. Wagner-Hasel 2012, 14 f. und Cokayne 2003, 3–5. 52 Pompeius: Luc. 1,129–131; Latinus: Aen. 7,45 f.; Euander: Aen. 8,508 f./560–71. Zu den Alten bei Vergil und der nachfolgenden Epik vgl. Riganti 1995. 53 Dass über diese im Rückblick durchaus keine Einigung, auch nicht in einem bestimmten Teilbereich, zu erzielen ist, demonstrieren so unterschiedliche Deutungen der Rolle der Alten in der römischen Gesellschaft: laut Parkin 2003, 241–247 marginalisiert, laut Cokayne 2003, 179 f. hingegen in Abhängigkeit vom sozialen Status und den persönlichen Eigenschaften durchaus wertgeschätzt. 54 Vgl. z. B. die im wahrsten Sinne des Wortes grundlegenden Überlegungen von Greenblatt 1980, 3–5.

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terschiedlicher Herkunft innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens eine literarische Synchronizität erzeugen, die nicht so sehr die jeweiligen sozialen Bezüge der Einzeltexte in den Blick nimmt, als vielmehr die transkulturellen und transhistorischen Bezüge der Texte untereinander. Dies dürfte bei dem beschriebenen Beispiel des alternden Königs genau der Fall sein: Adrast und Lycomedes als alternde Könige werden nicht dadurch verständlicher, dass man ihre Vorgänger Latinus und Euander als literarische Gestalten gerade eines augusteischen Dichters begreift, sondern die innerliterarischen Linien verfolgt, die auf motivischer und struktureller Ebene verlaufen: Literaturgeschichte transzendiert zumindest in diesem Fall Sozialgeschichte.55 Das soll nicht bedeuten, dass damit die besonders romantisch inspirierte Abtrennung des ästhetischen Bereichs von der Alltagswelt wieder aufgenommen werden soll, was gerade angesichts eines Autors wie Statius und seiner Silven geradezu widersinnig erschiene. Vielmehr soll eine methodische Absicherung durch eine Konzentration auf einen bestimmten Moment der Rezeption der 55 Zum Alter als Diskursphänomen vgl. auch Göckenjan 2000, 14–17: »[D]ieses polarisierende Konzept Alter [sc. die Gleichzeitigkeit von positiver und negativer Wertung des Alters seit der Antike] [ist] nicht Alterswirklichkeit, sondern Deutungskonzept, höchstens vielleicht, eine Kondensierung der vielfältigen Lebensformen, die sich in einem höheren kalendarischen Lebensalter finden mögen.« (15) »Alter als einen Diskurs konstanter und fluktuierender Deutungsmuster zu analysieren heißt allerdings nicht etwa, die Reduktion von Wirklichkeit zu kritisieren. Kommunikation fordert Verdichtung, Typisierung.« (16) Prägnant auch zur Rezeption: »Die Antike hat der Moderne Alter als Repräsentations-, als Symbolform hinterlassen, nicht als Lebensform oder als Theorie des Alterns und der alten Leute.« (55). Letzteres dürfte vielleicht angesichts des therapeutischen Impetus für ein gutes Alter(n), wie er bei Cicero de sen. (s. u.) deutlich wird, etwas zu kurz greifen. Gerade wenn Göcken­jan 2000, 52 f. feststellt, dass der »Altersdiskurs der Antike […] vor allem auf die Frage der richtigen Ordnung des Lebens und daher der richtigen Lebenseinstellung [abzielt]. […] Alters­ diskurse sind Versuchsanordnungen zu durchaus abweichenden Regelungsproblemen.«, so scheint mir z. B. durch die Gegenüberstellung von Cic. de sen. und Sen. Epist. mor., die bei Göckenjann 2000, 52 zu einseitig ausfällt, zu sehen zu sein, dass für Cicero tatsächlich das Alter auch als es selbst im Mittelpunkt steht (vgl. de sen. 1 f. zur Adressatenorientierung), während es bei Seneca vor allem Testfeld für philosophische Haltungen, eher im Sinne­ Göckenjans, ist, der Seneca allerdings in die »Nähe der späteren alltäglichen Ratgeberliteratur« stellt. Weniger normativ als empirisch dürften auch die medizinischen Äußerungen zu verstehen sein. Dass hingegen gerade die normative Diskussion eine breite Rezeption in der Neuzeit erfahren hat, darin ist Göckenjan zuzustimmen. Dass darüber hinaus selbstverständlich für den Oberschichtdiskurs, zu dem auch Cic. de sen. gehört, die Frage nach einem Alter ohne sozialen Statusverlust virulent war, zeigt Cokayne 2007. Einen Mittelweg, ähnlich Parkin 2003 und Cokayne 2003, schlägt Wagner-Hasel 2012, 15 für ihre kulturgeschichtliche Betrachtung des Alters in der Antike ein: »Gemeinsames Merkmal ist der im hohen Maße geformte Charakter der Aussagen über das Alter. Individuelle Erfahrungen sind kaum zu greifen, sondern es geht fast immer um gesellschaftliche und politische Ordnungsvorstellungen. […] In der Kombination von diskursanalytischen und sozialgeschichtlichen Verfahren sehe ich die einzige Möglichkeit, hinter der geformten Rede über das Alter den Alltag alter Menschen in der Antike zu greifen.«

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Achilleis geleistet werden und damit gleichsam eine Verschmelzung von produktions- und rezeptionsästhetischer Perspektive: die implizierte Sinnstiftung beim intra- und intertextuell56 orientierten Lesen dieses Epos, auf die der Text durch seine Gestaltung abzielt, nämlich ein oder, genauer gesagt, sogar das Alterswerk eines Epikers zu sein. Um zu verstehen, dass nicht einfach ein Alternder sich artikuliert, sondern ein alternder Dichter sein zweites Epos vorlegt, ist dementsprechend der Bezug zu anderen alternden Dichtern bzw. zu Bildern von eben diesen entscheidender als derjenige zu alternden Zeitgenossen allgemein. So stellt sich der Bezug der alternden Herrscher bei Statius zu ihren vergilischen und lucanischen Vorgängern gewissermaßen als Analogon zum Bezug zwischen Statius und seinen alternden dichtenden Vorgängern dar, wobei hier zusätzlich die theoretischen Diskussionen über alternde Dichter mit ins Spiel kommen, die im Folgenden näher behandelt werden sollen und die wiederum literarische Alterstopoi mithineinbringen.57 Daher soll als Grundlage für die folgenden Ausführungen ein kurzer Überblick über die verschiedenen (literarischen) Alterstopoi gegeben werden, auf die verständlicherweise auch die Diskussion über alternde Künstler immer wieder rekurriert. Hervorstechendes Merkmal des Alterns dürfte in der antiken wie auch der modernen Wahrnehmung der körperliche Verfall sein. Seneca dürfte wohl eine verbreitete Vorstellung aufgreifen, wenn er das Alter als unheilbare Krankheit bezeichnet.58 Antike Mediziner schränken eine solche Extremposition ein: G ­ alen weist daraufhin, dass eine Krankheit widernatürlich sei, das Alter hingegen nicht. Allerdings empfiehlt die Beschaffenheit des alternden Körpers, ihn wie denjenigen eines Rekonvaleszenten zu behandeln.59 Auch wenn bei den körper 56 Der Begriff der Intertextualität wird in dieser Arbeit im Sinne von Genettes Definition als »effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text« verstanden (1993, 10), wobei be­sonders Genettes dritte Subkategorie der Anspielung von Bedeutung ist. Vgl. dazu auch die methodischen Überlegungen zur Anspielung in Bitto 2012a, 31–36. 57 Vgl. auch die Spiegelung des alternden Dichters in den Figuren Adrast und Lycomedes: s. dazu B 2.2.1. Metaliterarische Darstellungen von Alten macht Moodie 2009 bei Terenz aus. Zur Sprache der Alten bei Terenz, die entsprechend antiker theoretischer Überlegungen (vgl. z. B. Ps.Dem. de eloc. 7; Cic. de sen. 55; Ps.Longin 9,12) durch Häufung von Synonymen und pleonastischen Verbindungen gekennzeichnet ist, vgl. Karakasis 2005, 62–82. 58 Epist. 108,28: senectus enim insanabilis morbus est. Für Parallelen vgl. Sigismund 2003, 282 Fn. 302. 59 Gal. de san. tuend. 1,5 (p. 21 Kühn vol. VI) und 5,4 (p. 330 f. Kühn vol. VI). Für eine Übersicht über medizinische Auffassungen zum Alter, unter denen Galen prominent figuriert, vgl. Cokayne 2003, 34–44: Ein Kernpunkt bei der Erklärung des Alterungsprozesses in der antiken Medizin ist dabei die Vorstellung eines körperinternen Wärme- oder Feuchtigkeitsverlustes, der sich über die ganze Lebenszeit erstrecke und im Alter so weit gediehen sei, dass er ein Ungleichgewicht der Körpersäfte verursache (vgl. dazu die Stellensammlung bei Cokayne 2003, 185 Anm. 4, auch mit abweichenden antiken Meinungen). Zu medizinischen Aspekten des Alterns in der Antike und den Wechselbeziehungen zwischen medizinischen Schriften und denen über das Alter vgl. Sigismund 2003, 264–296.

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lichen Beschwerden weitgehend Einigkeit zu beobachten ist,60 so lässt sich doch eine strenge Opposition in der Bewertung dieser Tatsache und ihrer Wirkungen feststellen.61 Gilt es den einen als Ausweis für das unschöne Wesen des Alters, dass nicht nur der Körper, sondern auch der Geist befallen wird, so argumentieren die anderen, dass man den körperlichen Verfall zumindest z. T. kompensieren könne, und dieser außerdem den Geist nicht beeinträchtigen müsse, ja sogar das Alter eine besondere Geistesleistung gerade aufgrund der körperlichen Einschränkungen ermögliche.62 Diese Dichotymie lässt sich exemplarisch63 an der sog. περὶ γήρως- Literatur beobachten, die offensiv auf die negative Sicht des Alters mit einem positiven Gegenentwurf reagiert und deren Ursprünge auf das erste Buch der platonischen Politeia zurückzuverfolgen sind64 und deren Spuren sich auch in Ciceros de senectute nachweisen lassen,65 einem Traktat, der neben Plutarchs An seni gerenda sit res publica, der die Spezialfrage nach der politischen Tätigkeit der Alten behandelt,66 die einzig vollständig erhaltene Schrift dieses Typus darstellt.67 Darin werden vier Vorwürfe an das Alter vom älteren Cato widerlegt: Zwang zur Untätigkeit, körperliche Schwächung, Beraubung von Genüssen, Todesnähe.68 Cato weist auf die vielen Betätigungsfelder auch für ­Ä ltere hin 60 Ohne körperliche Beeinträchtigung im Alter zu leben, gilt als Ausnahme: vgl. Sen. Epist. mor. 58,34. 61 Vgl. die ausführlichen Sammlungen und Besprechungen von antiken Stellen bei Parkin 2003, 60–89 (unterschieden in ernste 60–79 und populäre Ansichten 79–89) und Cokayne 2003, 59–133 (gegliedert in: 59–74 allgemeines Nachlassen der geistigen Kräfte; 75–90 spezifische negative mentale Dispositionen, 91–111: Weisheit und Erfahrung, 115–133: Sexualität). 62 Zum Topos der nachlassenden Sinneslust im Alter als philosophisches Argument für eben dieses vgl. ausführlicher Sigismund 2003, 296–305. 63 Vgl. auch das spätantike Florilegium des Stobaios (5. Jh. n. Chr.) Buch 4, Kap. 50, wo auf eine Sammlung von Stellen, die belegen, dass das Alter nicht schlecht ist (ὅτι οὐ φαῦλον), solche folgen, die das Alter tadeln (ψόγος) und abschließend solche, die zeigen, dass Verstand das Alter unbeschwerlich und voller Respekt werden lässt (ὅτι τὸ γῆρας ἀνεπαχθὲς καὶ πολλῆς αἰδοῦς ἄξιον, ἡ σύνεσις ἀπεργάζεται). Einen Überblick über Stobaios und dieses Kapitel über das Alter gibt Sigismund 2003, 46–66. 64 So z. B. Gnilka 1983, 1012: »Das Kephalosgespräch markiert den Ausgangspunkt der Spezialliteratur περὶ γήρως.« Zu dieser Platonstelle s. auch den Exkurs unter 2.1. 65 Vgl. für Platon-Reminiszenzen aus der Kephalos-Passage der Politeia in Cic. de sen. Powells Kommentar p.  111–113, sowie 195, 198 f., 251. Stull 2013 liest diese intertextuellen Platon-Referenzen als kontrastive Zeichen einer römischen Inkulturation, die auch politische Konsequenzen impliziert. 66 Eine vielfach quellenkritisch, z. T. kommentarähnliche Untersuchung dieser Schrift (bes. des zweiten Teiles) bietet Senn 1978; Xenophontos 2012 untersucht Plutarchs kompositionelle Prinzipien in An seni. 67 Für einen Überblick zur περὶ γήρως-Literatur vgl. neben Gnilka 1983, 1021–1024 auch Sigismund 2003, 67–74 und 330–345. 68 Vgl. de sen. 15: Etenim cum complector animo, quattuor reperio causas cur senectus­ misera videatur: unam quod avocet a rebus gerendis, alteram, quod corpus faciat infirmius, tertiam quod privet fere omnibus voluptatibus, quartam quod haud procul absit a morte.

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(de sen. 15b–26), betont die Priorität des Geistes gegenüber dem Körper ­(27–38), stellt den körperlichen Genüssen die geistigen als höherwertig gegenüber (­ 39–66a) und legt schließlich dar, dass der Tod unabhängig vom Alter eintreten kann und zudem das Alter ein natürliches Ende darstellt, sowie Hoffnung auf ein Jenseits besteht (66b–85). Wie sehr das Ganze durchaus rhetorische Strategie und nicht in allen Punkten erlebte Wirklichkeit des Alternden sein kann, wird durch die Gegenüberstellung von Anfang und Ende der Schrift deutlich: Cicero spricht seinem Adressaten Atticus gegenüber von der Last des Alters (onere […] aut iam urgentis aut certe adventantis senectutis, de sen. 2), Cato nennt am Ende das ­A lter leicht (levis est senectus, de sen. 85). Die Idealfigur Cato hat erreicht, was Cicero anfangs nur beabsichtigte (hoc onere […] ­levari volo, de sen. 2).69 In der negativen Sichtweise werden den Alten neben den körperlichen Gebrechen70 spezifische unangenehme Charaktereigenschaften nachgesagt, zu denen besonders Pessimismus, Reizbarkeit, Geschwätzigkeit, Geiz und Feigheit zählen.71 Um ein Beispiel etwas näher auszuführen, sei Aristoteles heranbezogen. Dieser bietet eine beeindruckend umfangreiche Auflistung der negativen Charakteristika des alten Menschen72 im Rahmen seiner Beschreibung unterschiedlicher Publikumskreise, auf die der Redner seine Rede anlegen müsse (Rhet.  2,13).73 Die Alten seien ‒ und ich greife hier nur einige Beispiel heraus ‒ aufgrund der Fülle schlechter Erfahrungen, die das Leben und insbesondere ein langes 69 Zur Idealisierung Catos bei Cicero (nicht nur in de sen.) vgl. Kammer 1964; die Historizität gegenüber der Idealisierung betont allerdings Spahlinger 2005, 60–66. Zu de sen. als Teil des philosophischen Gesamtwerkes vgl. A 3.8. Nicht nur die Figur des alternden Politikers Cato legt zudem mit Blick auf den alternden Autor Cicero politische Implikationen nahe, vgl. dazu Zarecki 2014, 135–145 (in Verbindung mit de am. und de off.). 70 Vgl. dazu die Übersicht über die antiken Testimonien bei Sigismund 2003, 265–285: Dazu gehören nachlassende Sinneswahrnehmungen, körperliche Schwächung und damit einhergehend Bewegungseinschränkungen, nachlassendes Erinnerungsvermögen, äußere körperliche Zeichen (runzlige Haut, weiße Haare, Zahnausfall). Medizinische Listen mit­ Altersgebrechen bieten z. B. Corp. Hippocr. aph. 3,31 und Celsus de med. 2,1,22 f. 71 Vgl. dazu die Sammlungen von antiken Ansichten in dieser Reihenfolge bei Cokayne 2003, 78–87. 72 Vgl. ähnlich imposant auf lateinischer Seite und in zeitlicher Nähe zu Statius: Iuv. Sat. 10,188–288, wo die Probleme des Alters als Gegenargumente zum Wunsch nach langem Leben dienen. Darin dürfte auch der Grund für die extreme Zuspitzung der Altersprobleme an dieser Stelle liegen (vgl. auch die folgende Fußnote). 73 Einschränkend muss allerdings der Einwand von Göckenjan 2000, 39–42 hinzu­gefügt werden, dass es sich hier nicht so sehr um eine Altersschelte per se handelt, als vielmehr um eine »Formulierung idealer Persönlichkeitsmerkmale« (40) in einem für Aristoteles typischen Dreischritt zwischen Mangel – Mitte – Übermaß, der auch auf Altersstufen bezogen wird. Für ein umfassenderes Bild der Einschätzungen des Alters bei Aristoteles, das positive und negative Züge herausstellt, vgl. Dyroff 1939, 24–34. Vgl. auch Gnilka 1983, 1014: »Für Aristoteles’ Wertung der geistig-ethischen Qualitäten des G[reisenalters] darf nicht allein die Stelle in der Rhetorik herangezogen werden. Andere Äußerungen ergeben ein differenzierteres Bild.« (vgl. dazu seinen folgenden Überblick über andere Aussagen).

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biete, in hohem Maße mißtrauisch (οὔτε διαβεβαιοῦνται οὐδέν) und zögerlich (ἀμφιδοξοῦντες προστιθέασιν ἀεὶ τὸ ἴσως καὶ τάχα, καὶ πάντα λέγουσιν οὕτως, παγίως δ᾽ οὐδέν), feige und ängstlich (δειλοὶ καὶ πάντα προφοβητικοί); sie hingen am Leben aus der Sehnsucht nach dem nicht Vorhandenen (φιλόζωοι […] διὰ τὸ τοῦ ἀπόντος εἶναι τὴν ἐπιθυμίαν); sie seien selbstverliebter als notwendig (φίλαυτοι μᾶλλον ἢ δεῖ) und lebten eher durch Erinnerung als durch Hoffnung, da der größte Teil des Lebens schon vorüber sei (καὶ ζῶσι τῇ μνήμῃ μᾶλλον ἢ τῇ ἐλπίδι· τοῦ γὰρ βίου τὸ μὲν λοιπὸν ὀλίγον τὸ δὲ παρεληλυθὸς πολύ). Auffällig ist allerdings, dass Aristoteles nicht auf die körperlichen Beschwerlichkeiten als Auslöser für die negativen Veränderungen eingeht, sondern auf charakterliche Entwicklungen, die durch die lange Lebenszeit und die gemachten Erfahrungen bewirkt werden. Dieser Fokus ist sicherlich dadurch zu erklären, dass mit Beginn des zweiten Buches der Charakter von Redner und Publikum Teil einer Überzeugungsstrategie im Rahmen einer forensischen Rede im Mittelpunkt steht. Insofern erscheint die charakterliche Entwicklung innerhalb eines Typus-Denkens Jugend-Reife-Alter von allgemeinerer Gültigkeit und damit Verwertbarkeit für den Redner als körperliche Veränderungen, die kontingenter sind. Eine Generation vor Statius und in dessen sowie die seiner Leser Lebenszeit hineinragend äußert sich Seneca in seinen Epistulae morales, die er, wie er vielfach sagt,74 als alter Mann schreibt, auch über das Alter(n).75 Zwei Dinge sind dabei zentral: der Gedanke der Todesnähe, die auch zur allgemeinen philosophischen Reflexion zum Umgang mit dem Tod führt,76 und die philosophische Seite des Alterns, die durch die Freiheit von Lüsten erlangt wird bzw. die die körperlichen Gebrechen durch geistige Tätigkeit sublimiert.77 Insofern kann das Alter 74 Vgl. Epist. mor. 12,1; 26,1; 27,2; 34,1; 35,2; 45,2; 48,5; 61,1 f.; 70;1 f.; 76,1 f.; 77,3; 83,3 f.; 86,14; 104,2; 108,17. 75 Eine kommentierte Sammlung der Stellen aus den Briefen und anderen Werken bietet De Caria 1977. Zu Nat. Quaest. 3 pr. 1–4 vgl. A 3.8.  76 Vgl. den Gedankengang von Epist. mor. 30: 1–3 beginnen mit dem Exempel des Bassus Aufidius und dessen Umgang mit dem Alter; den Rest der Epistel (4–17) nimmt dann das Thema Tod ein. Vgl. auch die ähnliche Gliederung von Epist. mor. 12 (1–5: Alter, 6–11: Tod). Zur Gedankenentwicklung des Eingangs dieser Epistel vgl. Devallet 2003. Vgl. auch Maurach 1970, 66: »Ep. 12 sucht die Todesnähe fruchtbar zu machen […].« und Richardson-Hay 349: »[…] having begun ep. 12 with the new and unexpected subject of his own age, Seneca then proceeds to put forth one subject after another […]. A list would include life […], death […], suicide […], […].« Zur literarischen Konstruktion der Eingangspassage von Epist. mor. 12 vgl. Watson/ Watson 2009, 213–221. Überhaupt erscheint der Tod bzw. die Vorbereitung auf ihn als das Charakteristische am Alter (vgl. Epist. mor. 61,2–4; 68,12–14). 77 Vgl. Epist. mor.12,5; 26;2; 30,3; vgl. auch 76,1–3 zum selbstverständlichen philosophischen Lernen auch im Alter, das jedoch im Lichte der Ermahnung von 76,5 nicht als Ideal, sondern eventuelle Notwendigkeit erscheint.

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sogar als Blütezeit der Seele bezeichnet werden.78 Sobald aber dieser Ausgleich nicht mehr möglich ist, weil auch die geistige Kapazität in Mitleidenschaft gezogen ist, argumentiert Seneca für eine rechtzeitige Beendigung des eigenen Lebens.79 Dennoch betont Seneca die Unvermeidlichkeit des Alterns und Sterbens als eines natürlichen Prozesses.80 Deutlich wird auch hier, dass nicht das Alter an sich Diskussionsgegenstand ist, sondern gewissermaßen die materia bzw. das argumentum für eine philosophische Ermahnung: zum rechten Umgang mit Tod und der Nutzung der Lebenszeit sowie zum Aufweis, dass für den Weisen körperliche Einschränkungen nicht bindend sind und sogar aus dem geistigen Verfall ein Ausweg besteht, der die Selbstbestimmung bewahrt.81 Alter und Tod stellen dabei im Sinne eines argumentum a fortiori Extrem­bedingungen dar, unter denen sich die philosophischen Maximen und Haltungen gültig zeigen und damit umso mehr für den Alltag tauglich erscheinen sollen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass körperliche und seelische Gebrechen zusammen mit mentalen Beeinträchtigungen zu einer negativen Einschätzung des Alters beitragen können, wobei die Verteidiger des Alters gerade den Punkt der körperlichen Veränderungen ins Positive wenden und von ihm ihre Verteidigungsstrategie ableiten, denn für mentale Beeinträchtigungen lassen sich nur Gegenbeispiele als Gegenargumente anbringen,82 aber keine allgemeine, gewissermaßen philosophische Strategie finden, die auf eine andere Wertung hinausläuft. Das nicht abzuleugnende Faktum des körperlichen Verfalls hingegen kann auch positiv genutzt werden, im Sinne einer dadurch entstehenden Freiheit von ohnehin niederen körperlichen Lüsten und für geistigere Betätigungen. 78 Epist. mor. 26,2: Viget animus et gaudet non multum sibi esse cum corpore […]. Exultat et mihi facit controversiam de senectute: hunc ait esse florem suum. 79 Epist. mor. 58,35. Vgl. auch zuvor 58,33: Sofern geistige Gesundheit und körperliche Unversehrtheit vorhanden sind, wird das Alter als sehr positiv gesehen (de hoc tamen quaere­ mus, pars summa vitae utrum faex sit an liquidissimum ac purissimum quiddam, si modo mens sine iniuria est et integri sensus animum iuvant nec defectum et praemortuum corpus est […]). 80 Epist. mor. 26,4; 30,10. 81 Angedeutet wurde dieser Befund schon von De Caria 1977, 9. Vgl. auch Epist. mor. 76,1– 5, wo ein lernender Greis Seneca sich als mahnendes Beispiel hinstellt, möglichst früh mit philosophischen Studien zu beginnen und diese nicht auf die letzte Lebensphase zu verschieben. Ausführlicher zu Senecas Äußerungen über das Alter neben De Caria 1977, 8–44 vgl. z. B. Motto 2009 und Fuà 1995, 210–238. Letzterer allerdings gewichtet Senecas Aussagen anders, als dies oben geschehen ist, und bezeichnet z. B. Epist. mor. 12 als »un vero e proprio pezzo de senectute« (228; so auch Devallet 2003, 512: »un véritable De senectute«), was gerade im Vergleich mit Ciceros de senectute eine nicht ganz angemessene Übertreibung sein dürfte, da das Alter nicht gleichermaßen als es selbst Thema ist, sondern die Todesnähe sehr bald die Gedankenführung bestimmt. Allerdings sieht Fuà selbst grundlegende Unterschiede zwischen Cicero und Seneca hinsichtlich der (philosophischen) Beschäftigung mit dem Alter: s. Fuà 1995, 210– 212 und zählt p. 221 in Senecas Sicht das Alter zurecht zu den adiaphora (vgl. Epist. mor. 93,7). 82 Vgl. z. B. die Anekdotenreihe, die Cicero seinem Sprecher Cato in den Mund legt, um das Schwinden der Erinnerung und der geistigen Kräfte als Argument gegen das Alter zu widerlegen (de sen. 21–23).

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Die beschriebene Dichotοmie wird uns, wie gesagt, auch bei der folgenden Betrachtung von künstlerischen Alterswerken wieder begegnen.83

2.2 Alterswerkvorstellungen in der Antike Die folgenden Betrachtungen antiker Vorstellungen von künstlerischen Alters­ werken sollen ihren Ausgangspunkt gewissermaßen deduktiv von dem zentralen Text in dieser Frage nehmen, Ps.Longins Exkurs zu Ilias und Odyssee in seiner Abhandlung Über das Erhabene. In der Folge werden dann die Linien nachgezeichnet, die zu den in diesem Text anzutreffenden Ansichten führen. Dies betrifft insbesondere die Entwicklung eines rhetorischen Begriffspaars von Aristoteles über Cicero zu Quintilian. Sowohl mit Letzerem als auch wahrscheinlicherweise mit Ps.Longin84 bewegen wir uns im Jahrhundert von Statius’ Lebenszeit. Insofern können beide Autoren als zeitgenössischer Hintergrund für Alterswerkkonzepte gelten, mit deren Kenntnis Statius auch bei seinen Lesern rechnen kann. Was Ps.Longin so zentral für die Frage nach antiken Auffassungen für Alters­ werke werden lässt, ist seine scheinbare Einzigartigkeit: scheinbar deshalb, weil bei Ps.Longins Schrift dem modernen Leser das Moderne und Besondere zunächst ins Auge fällt, wie die Hochschätzung des unkontrollierten Genies gegenüber glatter Regelpoesie in Kap. 33.85 Allerdings steht er, wie in der neueren 83 Ausgeklammert wurden mit Blick auf den Hauptuntersuchungsgegenstand der Arbeit christliche Altersauffassungen: vgl. dazu z. B. Gnilka 1972 und 1983, 1052–1094, sowie Fuhrer 2012 zu Augustins aetates-Lehre. Zu antiken jüdischen und christlichen Altersbildern und -konzepten vgl. auch den Sammelband Mattioli 2007. 84 Einen Überblick über die verschiedenen Datierungsvorschläge gibt Häußler 1995: Die Datierung in das erste nachchristliche Jahrhundert ist als communis opinio zu bezeichnen (allerdings reicht die Spanne der Vorschläge bis ins 6. Jh.). Häußler selbst datiert den Traktat auf die tiberianische Zeit (p. 149 f.). De Jonge 2012 verortet das Werk in intellektueller Nähe zur augusteischen Literarkritik (Dionysios von Halikarnassos) und erwägt darum das erste nachchristliche oder sogar das Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts als Datierung (de Jonge 2012, 273 Fn. 5). Gerade die Diskussion über den Verfall der Redekunst, die z. B. für Heldmann 1982, 287 noch entscheidend für eine Datierung nach Tacitus’ Dialogus gewesen ist (dagegen Häußler 1995, 159–163), ebenso wie den Hinweis auf den weltweiten Frieden (44,6) sieht de Jonge eher im Kontext augusteischer Zeit. Vgl. auch Mazzuchi xxxii–xxxiv für eine Auflistung von Argumenten für eine augusteische Datierung. 85 Dies lässt sich gut an der immensen Nachwirkung Ps.Longins in der neuzeitlichen Poetikdiskussion ablesen, vgl. dazu z. B. Fritz 2011, 168, der zugleich vor einer zu starken­ Dichotomie zu klassizistischen Positionen warnt: »Demnach wäre das nachdrückliche Eintreten für Longin, formelhaft gesprochen, Signum eines Bewusstseins für die Grenzen der Regelästhetik und für die Notwendigkeit ihrer Auflockerung – eines Bewusstseins, das offenbar auch innerhalb des Klassizismus möglich war.« und 169: »Das Sublime verweist auf ein ästhetisches Surplus, das sich der normativen Verfügung durch die Kunstlehre entzieht und daher Genie fordert, das […] konstitutiv ist für gewisse ästhetische Erfahrungen, die ein bloßes Wohlgefallen an schöner Regelmäßigkeit übersteigen.«

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Einleitung und methodische Grundlagen

Forschung längst gesehen wurde,86 in einer rhetorischen Tradition,87 der er eine persönliche Note durch seine Schwerpunktsetzung verleiht. Einzigartig bleibt Ps.Longin insofern aber, als er sich kumuliert und explizit zu Alterswerken äußert und in dieser Dichte und Tiefe tatsächlich in der erhaltenen antiken Literatur allein dasteht. Er greift dabei aber ihm Vorausgehendes auf und bündelt es brennpunktartig. Ziel der Schrift ist es, aufzuzeigen, wie ein Redner die Qualität des ὕψος, die üblicherweise mit ›Erhabenheit‹ wiedergegebene beeindruckende Wortgewalt, erreichen kann. Dabei kommt er natürlich auch auf den großen Homer zu sprechen und widmet sich in einem Exkurs dem Vergleich von Ilias und Odyssee, der hier vollständig wiedergegeben sei (9,11–15): (11) […] δείκνυσι δ’ ὅμως διὰ τῆς Ὀδυσσείας (καὶ γὰρ ταῦτα πολλῶν ἕνεκα προσεπιθεωρητέον), ὅτι μεγάλης φύσεως ὑποφερομένης ἤδη ἴδιόν ἐστιν ἐν γήρᾳ τὸ φιλόμυθον. (12) δῆλος γὰρ ἐκ πολλῶν τε ἄλλων συντεθεικὼς ταύτην δευτέραν τὴν ὑπόθεσιν, ἀτὰρ δὴ κἀκ τοῦ λείψανα τῶν Ἰλιακῶν παθημάτων διὰ τῆς Ὀδυσσείας ὡς ἐπεισόδιά τινα [τοῦ Τρωικοῦ πολέμου]88 προσεπεισφέρειν, καὶ νὴ Δί’ ἐκ τοῦ τὰς ὀλοφύρσεις καὶ τοὺς οἴκτους ὡς πάλαι που προεγνωσμένοις89 τοῖς ἥρωσιν ἐνταῦθα προσαποδιδόναι. οὐ γὰρ ἀλλ’ ἢ τῆς Ἰλιάδος ἐπίλογός ἐστιν ἡ Ὀδύσσεια· ἔνθα μὲν Αἴας κεῖται ἀρήιος, ἔνθα δ’ Ἀχιλλεύς, ἔνθα δὲ Πάτροκλος, θεόφιν μήστωρ ἀτάλαντος· ἔνθα δ’ ἐμὸς φίλος υἱός.   (13) ἀπὸ δὲ τῆς αὐτῆς αἰτίας, οἶμαι, τῆς μὲν Ἰλιάδος γραφομένης ἐν ἀκμῇ πνεύματος ὅλον τὸ σωμάτιον δραματικὸν ὑπεστήσατο καὶ ἐναγώνιον, τῆς δὲ Ὀδυσσείας τὸ πλέον διηγηματικόν, ὅπερ ἴδιον γήρως. ὅθεν ἐν τῇ Ὀδυσσείᾳ παρεικάσαι τις ἂν καταδυομένῳ τὸν Ὅμηρον ἡλίῳ, οὗ δίχα τῆς σφοδρότητος παραμένει τὸ  μέγεθος. οὐ γὰρ ἔτι τοῖς Ἰλιακοῖς ἐκείνοις ποιήμασιν ἴσον ἐνταῦθα σῴζει τὸν τόνον, οὐδ’ ἐξωμαλισμένα τὰ ὕψη καὶ ἱζήματα μηδαμοῦ λαμβάνοντα, οὐδὲ τὴν πρόχυσιν ὁμοίαν τῶν ἐπαλλήλων παθῶν, οὐδὲ τὸ ἀγχίστροφον καὶ πολιτικὸν καὶ ταῖς ἐκ τῆς ἀληθείας φαντασίαις καταπεπυκνωμένον· ἀλλ’ οἷον ὑποχωροῦντος   εἰς ἑαυτὸν Ὠκεανοῦ καὶ περὶ τὰ ἴδια μέτρα †ἐρημουμένου90 τὸ λοιπὸν φαίνονται τοῦ μεγέθους ἀμπώτιδες κἀν τοῖς μυθώδεσι καὶ ἀπίστοις πλάνος. (14) λέγων δὲ ταῦτ’ οὐκ ἐπιλέλησμαι τῶν ἐν τῇ Ὀδυσσείᾳ χειμώνων καὶ τῶν περὶ τὸν Κύκλωπα καί τινων ἄλλων, ἀλλὰ γῆρας διηγοῦμαι, γῆρας δ’ ὅμως Ὁμήρου· πλὴν ἐν 86 Prägnant gefasst von Russell 1995, 152: »In fact he represents a tradition.« (vgl. auch Russells folgende Beispiele 153 f.) Vgl. außerdem den Forschungsüberblick bei de Jonge 2012, 274 f. sowie seinen eigenen Ansatz. 87 Unter diesem Sammelbegriff sind Schriften zur Rhetorik im weiteren Sinne gemeint (sowohl rhetorische Theorie wie Aristoteles’ Rhetorik als auch rhetorische Analyse wie­ Dionysios v. Halikarnassos’ Demosthenes und in Dialogform erfolgende Erörterungen zur Rhetorik wie Ciceros de Oratore). 88 Von Russell Wilamowitz folgend getilgt, vgl. jedoch die Verteidigung bei Bühler 1964, 54 f. 89 Russell übernimmt hier Reiskes Konjektur -oις, vgl. dagegen allerdings Bühler 1964, 55 f. 90 Die überlieferte Lesung wird von Bühler 1964, 65 verteidigt.

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Alterswerkvorstellungen in der Antike

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ἅπασι τούτοις ἑξῆς τοῦ πρακτικοῦ κρατεῖ τὸ μυθικόν. παρεξέβην δ’ εἰς ταῦθ’, ὡς ἔφην, ἵνα δείξαιμι ὡς εἰς λῆρον ἐνίοτε ῥᾷστον κατὰ τὴν ἀπακμὴν τὰ μεγαλοφυῆ παρατρέπεται, οἷα τὰ περὶ τὸν ἀσκὸν καὶ τοὺς ἐν Κίρκης συοφορβουμένους, οὓς ὁ Ζωίλος ἔφη χοιρίδια κλαίοντα, καὶ τὸν ὑπὸ τῶν πελειάδων ὡς νεοσσὸν παρατρεφόμενον Δία καὶ τὸν ἐπὶ τοῦ ναυαγίου δέχ’ ἡμέρας ἄσιτον τά τε περὶ τὴν μνηστηροφονίαν ἀπίθανα. τί γὰρ ἂν ἄλλο φήσαιμεν ταῦτα ἢ τῷ ὄντι τοῦ Διὸς ἐνύπνια; (15) δευτέρου δὲ εἵνεκα προσιστορήσθω τὰ κατὰ τὴν Ὀδύσσειαν, ὅπως ᾖ σοι γνώριμον ὡς ἡ ἀπακμὴ τοῦ πάθους ἐν τοῖς μεγάλοις συγγραφεῦσι καὶ ποιηταῖς εἰς ἦθος ἐκλύεται. τοιαῦτα γάρ που τὰ περὶ τὴν τοῦ Ὀδυσσέως ἠθικῶς αὐτῷ βιολογούμενα οἰκίαν οἱονεὶ κωμῳδία τίς ἐστιν ἠθολογουμένη. (11) […] Es zeigt Homer dennoch durch die Odyssee auf (und dies ist um vieler Aspekte willen noch darüber hinaus zu betrachten), dass, wenn eine große Natur schon beim Niedergang ist, im Alter die Fabulierlust ein Charakteristikum ist. (12) Offenbar wird auch aus vielen anderen Dingen, dass er diese Dichtung (sc. die Odyssee) als zweites komponiert hat, aber auch daraus, dass er übrige Teile aus den trojanischen Ereignissen in die Odyssee wie Episoden [des trojanischen Krieges] einfügt, und, beim Zeus, auch daraus, dass er das Jammern und die Klagen den Heroen wie Personen, die schon längst bekannt sind, dort hinzudichtet. Nichts anderes nämlich als eine Ergänzung91 zur Ilias ist die Odyssee: Dort nämlich liegt der kriegerische Aias, dort Achilleus, dort Patroklos, den Göttern gleich ein Ratgeber, dort mein lieber Sohn.92 (13) Aus dem gleichen Grund, glaube ich, hat er, als er die Ilias in der Blüte der geis­ ti­gen Kraft geschrieben hat, das ganze Werk dramatisch (δραματικόν)93 und leidenschaftlich (ἐναγώνιον)94 gestaltet; als er aber die Odyssee geschrieben hat, den größeren Teil erzählend (διηγηματικόν),95 was charakteristisch für das Alter ist. Daher könnte man in der Odyssee Homer mit einer untergehenden Sonne vergleichen, deren Größe auch ohne Intensität erhalten bleibt.96 Er bewahrt nämlich nicht die gleiche 91 Der Ausdruck ἐπίλογος hat Anstoß erregt, vgl. Bühler 1964, 56–58. Überzeugend sieht Bühler jedoch darin eine »substantivische Wiedergabe dessen, was – sehr häufig – verbal so ausgedrückt wird ›in der Odyssee wird das in der Ilias Fehlende ergänzt‹« (56) mit einer Übersteigerung des Gedankens (57). 92 Od. 3,109–111, gesprochen von Nestor an Telemachos. 93 Vgl. zum Terminus Bühler 1964, 59, der drei Stufen unterscheidet: (1) »im poetischtechnischen Sinn Terminus für diejenige Dichtungsgattung in der ausschließlich die handelnden Personen reden«, (2) von einem Epos, »wenn es relativ viele aus lebendiger Wechselrede bestehende Partien enthält«, (3) im stilistischen Sinn »von Handlung erfüllt, dramatisch bewegt«. Letzteres wird von Bühler favorisiert. 94 Von Bühler 1964, 60 f. unter Prüfung der Belege aus kommentierender Homerliteratur als »Stilbegriff mit der Bedeutung ›heftig‹, leidenschaftlich‹« gedeutet. 95 Nach Bühler 1964, 61 Terminus technicus »für die Erzählung des Dichters im Gegensatz zur unmittelbaren Wiedergabe von Reden«. In zwei Homerscholien sieht Bühler auch die Entwicklung einer Sonderbedeutung »für die Erzählung ruhiger, vom Kampf abgewandter Ergebnisse« (schol. T. Il. 11,599; schol. bT Il. 14,153). Der Unterschied δραματικόν – διηγηματικόν sei ursprünglich für die einzelnen Dichtungsarten geprägt, hier jedoch auf die »innere Darstellungsform übertragen«. 96 Von ὕψη δίχα πάθους spricht Longin 8,2 (Verweis von Bühler 1964, 62).

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Einleitung und methodische Grundlagen

Spannung wie in jenen Gesängen der Ilias, auch ist nicht gleichermaßen eine Höhe, die niemals abfällt, bewahrt, auch nicht der gleiche Fluss an wiederholten Leidenschaften, auch nicht rascher Wechsel (der redenden Personen),97 kämpferischer Stil (πολιτικόν)98 und die Dichte an wirklichkeitsnahen plastischen Darstellungen;99 sondern wie wenn der Okeanos sich ins sich selbst zurückzieht und rings um seine eigenen Grenzen sich †entblößt, zeigt sich [bei Homer] im Übrigen ein Rückgang der Größe und ein Abschweifen im Mythischen und Unglaublichen. (14) Wenn ich das sage, habe ich nicht die Stürme in der Odyssee und die Ereignisse um den Kyklopen und einiges andere vergessen, sondern ich beschreibe zwar das Alter, das Alter eines Homer dennoch:100 Aber in allen diesen Episoden siegt kontinuierlich das Mythische über das Realistische. Ich habe einen Exkurs zu diesem Thema gemacht, wie ich sagte, damit ich aufzeigen kann, wie sich große Geister beim Nachlassen der Kräfte zum Plaudern zuweilen sehr leicht hinwenden, wie die Ereignisse um den Schlauch (des Aiolos) und die nach Schweineart bei Kirke Gehaltenen, die Zoilos101 weinende Ferkel nannte, und Zeus, der als Kind von Tauben aufgezogen wurde [Od. 12,63], und [Odysseus,] der beim Schiffbruch zehn Tage ohne Nahrung [blieb], und die unglaubwürdigen Dinge bei der Tötung der Freier.102 Wie anders als tatsächlich Traumbilder des Zeus103 sollen wir das nennen? (15) Um einer zweiten Sache willen sollen diese Dinge über die Odyssee mit vorgebracht worden sein, damit dir erkenntlich ist, dass sich das Nachlassen der Kräfte im Pathos bei den großen Autoren und Dichtern ins Ethos auflöst. Solcherart104 sind nämlich die Alltagshandlungen,105 die im Hause des Odysseus von Homer in ethischer Form dargestellt werden, wie eine auf Ethos-Wirkung angelegte Komödie.106 97 So Mazzucchi 178. 98 Zum Terminus vgl. Bühler 1964, 63. Dagegen sieht Mazzucchi 178 mit Bezug auf Arist. Poet. 1450b7 f. und weitere Rhetoren den Gegensatz πολιτικῶς und ῥητορικῶς, so dass ersteres als »con ›naturalezza‹« zu verstehen sei. Allerdings ist dann der Gegensatz zur Odyssee nicht mehr deutlich, weshalb ich Bühlers Verständnis den Vorzug gebe. 99 Zu den Termini vgl. Bühler 1964, 64. 100 Für Parallelen vgl. Bühler 1964, 67. 101 Russell zu 9,14 überlegt, ob die Kritik des Zoilos sich auf die Vulgarität der Beschreibung oder die Unwahrscheinlichkeit von weinenden Schweinen bezog. Zu Zoilos vgl. auch Mazzucchi 181 f. 102 Für Parallelen zur kritischen Beurteilung dieser Teile der Odyssee in der Antike vgl. Bühler 1964, 69–71. 103 Zur Problematik dieser Stelle vgl. Bühler 1964, 72–74, der unter Vorbehalt die Änderung von τοῦ Διός in γέροντος vorschlägt. Russell zu 9,14 erwägt, dass Homer als Zeus der Dichter gemeint sein könne und »the effect of the phrase ›Zeus dreams‹ is then that of bonus dormitat Homerus.« Dagegen jedoch Mazzucchi 182. 104 Zur syntaktischen Schwierigkeit des Satzes, die durch τοιαῦτα hervorgerufen wird, vgl. Bühler 1964, 74 f. Obige Übersetzung versucht eine möglichst wörtliche Wiedergabe. 105 In 9,13 war von lebensnahen Bildern die Rede (ταῖς ἐκ τῆς ἀληθείας φαντασίαις), also realistischen. Hier hingegen ist das Alltägliche (βιολογούμενα) gemeint. 106 Vgl. auch Bühler 1964, 75 für die Verbindung von lebensnaher Darstellung und Komödie. Wie Mazzucchi 183 f. sieht, gilt die Einschränkung der Lebensnähe für die Vorgänge im Haus des Odysseus und schließt damit die Ereignisse der Bücher 5–12 aus. Die obige Übersetzung ist bereits eine Vorwegnahme der hier vertretenen und im Folgenden erläuterten Deutung des Ethos-Begriffs an dieser Stelle bei Ps.Longin.

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Alterswerkvorstellungen in der Antike

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Ps.Longins Vergleich von Ilias und Odyssee führt zu einer aufschlussreichen Betrachtung der Odyssee als Alterswerk. Dem Fokus seiner Schrift entsprechend bietet Ps.Longin zwar keine umfassende Betrachtung von Alterswerken, aber immerhin arbeitet er mithilfe dieses Fokus auf der Erhabenheit bestimmte Charakteristika heraus. Den Schluss seiner Ausführungen bildet die Beobachtung, dass sich bei großen Künstlern der Charakter der Dichtung vom Pathos zum Ethos verändere. Diese Beobachtung gilt ihm nach dem Hinweis auf das Streben nach Vervollständigung zugleich als Abschluss wie auch als Ausgangspunkt für die aufgezählten Phänomene. Wie aus 9,15 deutlich wird, gilt dies aber eben nicht nur für Homer.107 Vielmehr ist Homer für Ps.Longin ein Musterbeispiel für das Alterswerk eines großen Künstlers. Die Eigenschaften, die Ps.Longin einem solchen Alterswerk zuschreibt, lassen sich dementsprechend­ systematisieren: (1) Streben nach Vervollständigung des früheren Werkes (ἐπίλογος) (2) Entwicklung vom (reifen) Pathos zum Ethos (ἡ ἀπακμὴ τοῦ πάθους […] εἰς ἦθος ἐκλύεται) (3) Neigung zur Darstellung des Alltäglichen und Nähe zur Komödie (βιολογούμενα, […] οἱονεὶ κωμῳδία τίς ἐστιν ἠθολογουμένη) (4) Erhabenheit bleibt im Wesentlichen erhalten, trotz abnehmender Intensität (δίχα τῆς σφοδρότητος παραμένει τὸ μέγεθος)108 (5) dennoch gelegentliches109 Abebben der Erhabenheit, daher sind nicht mehr in gleicher Weise zu beobachten: (a) durchgehend beibehaltene Spannung und Erhabenheit (οὐ […] ἴσον […] σῴζει τὸν τόνον, οὐδ’ ἐξωμαλισμένα τὰ ὕψη) (b) Fluss aufeinanderfolgender Leidenschaften (τὴν πρόχυσιν ὁμοίαν τῶν ἐπαλλήλων παθῶν) (c) rascher Wechsel der Sprechenden (τὸ ἀγχίστροφον) (d) kämpferischer Stil (πολιτικόν) (e) Dichte an wirklichkeitsnahen plastischen Darstellungen (ταῖς ἐκ τῆς ἀληθείας φαντασίαις καταπεπυκνωμένον) 107 Vgl. auch die den Exkurs einleitende allgemeine Formulierung in 9,11. 108 Dieser Punkt ist mit einer gewissen Einschränkung wohl nur Homer ganz zuzubilligen (vgl. 9,14). 109 Dies ergibt sich durch eine Harmonisierung von Sonnen- bzw. Ozeanvergleich (s. o. 3. bzw. 4). Die beibehaltene Größe im Sonnenvergleich (παραμένει τὸ μέγεθος) und das Ab­ ebben der Größe im Ozeanvergleich (τοῦ μεγέθους ἀμπώτιδες) sind streng genommen widersprüchlich. Doch auch der Ozean bleibt stets der gleiche, wie die Sonne (ähnlich ­Mazzucchi 178). Insofern sind abebbender Ozean und untergehende Sonne doch verwandte, wenn auch letztlich nicht vollständig widerspruchsfrei eingesetzte Bilder, die eine gewisse Einbuße bei gleichzeitigem Erhalt der Substanz bedeuten. Diese Gleichzeitigkeit lässt sich auch bei der­ Betrachtung von fehlerfreien Durchschnittskünstlern und vor Fehlern nicht gefeiten Genies in Kap. 33 beobachten. Zudem geht Ps.Longin auch von der Existenz von ὕψη δίχα πάθους aus (8,2).

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Einleitung und methodische Grundlagen

(6) erzählender (διηγηματικόν), nicht mehr dramatischer, leidenschaftlicher Charakter (δραματικὸν […] καὶ ἐναγώνιον) (7) Abschweifen ins Mythische und Unglaubwürdige (κἀν τοῖς μυθώδεσι καὶ ἀπίστοις πλάνος 9,13) aus Erzählfreude (εἰς λῆρον ἐνίοτε ῥᾷστον κατὰ τὴν ἀπακμὴν τὰ μεγαλοφυῆ παρατρέπεται 9,14; vgl. auch ἴδιόν ἐστιν ἐν γήρᾳ τὸ φιλόμυθον 9,11). Wenn sich, wie im Folgenden zu sehen sein wird, Quellen für die einzelnen Elemente dieses Alterswerkkonzeptes finden lassen, so scheint mir die eigentümliche Leistung des Ps.Longin doch die kohärente Verknüpfung zu sein. Auffällig ist zwar, dass das Alter zu zwei einander entgegensetzt erscheinenden Entwicklungen führen soll, die sich zwar in unterschiedlichen Büchern bzw. Handlungsorten, aber doch im gleichen Werk beobachten lassen: zum einen die Alltagsnähe wie in der Komödie durch die Neigung zum ἠθικόν, zum anderen das Abschweifen ins Unrealistische und Mythische durch das φιλόμυθον. Eine Überschreitung des Ethos ist für Ps.Longin in der Odyssee an das Unrealistische/Mythische geknüpft (vgl. 9,14: πλὴν ἐν ἅπασι τούτοις κτλ.). Neben der einzigartigen Ausführlichkeit ist aber gerade dieser Ansatz eines dynamischen Spannungsfeldes und einer nicht nur statischen Auffassung von Kriterien beachtenswert. Dass Ps.Longin generell von einer dynamischen Auffassung ausgeht, zeigen auch die relativen Kategorien, die er anbringt: nicht die gleiche Spannung, nicht die gleiche Höhe, nicht der gleiche Fluss an Leidenschaften usw. D. h. der Unterschied zwischen Ilias und Odyssee ist nicht primär essentiell, sondern graduell. Das ist gerade mit Blick auf die Einheitlichkeit der Gattung Epos nicht unwichtig. In seiner gründlichen Untersuchung dieses Exkurses hat Bühler die Entwicklung der zentralen Elemente dieser Gedanken anhand seines Quellenvergleichs folgendermaßen zusammengefasst: »Mit Sicherheit sind jedenfalls zwei Gedanken vor ihm [sc. Ps.Longin] nachweisbar: die spätere Auffassung der Odyssee110 und ihr ›ethischer‹ Charakter gegenüber der Ilias.111 Die Verbindung dieser beiden Gedanken führte zur Erklärung der Odyssee als Alterswerk, wobei die ebenfalls vorliegende Anschauung, dass der ›ethische‹ Stil erst das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses sei, wesentlich mitwirkte.«112

110 Bühler 1964, 45–47 versammelt alle Stellen zur antiken Prioritätsfrage sowie die­ Scholien, die eine Relation zwischen Odyssee und Ilias (Rückverweis oder Vorverweis) pos­ tulieren. 111 Bühler 1964, 47–49. Bühler sieht Aristoteles als Ursprung an (Poet. 1459b14). Dazu weiteres s. u. 112 Bühler 1964, 52. Inwiefern der Gedanke, dass die Erzählfreude des Alters ins Phantastische führt (s. o. Punkt 7), Ps.Longin eigen ist, möchte Bühler jedoch offen lassen.

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Alterswerkvorstellungen in der Antike

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Zurecht mahnt Bühler113 allerdings zur Vorsicht, Menekrates, den Homererklärer und Verfasser einer Σύγκρισις Ὀδυσσείας καὶ Ἰλιάδος, als Urheber für den Gedanken der Odyssee als Alterswerk heranzuziehen.114 Denn die Erschöpfung (ἀσθένεια), die Homer laut Menekrates bei der Arbeit an der Ilias befallen habe, sei nicht bedenkenlos mit Altersschwäche gleichzusetzen. Zudem weist Bühler auf die unterschiedliche Fragestellung hin: Menekrates wolle klären, warum die Ilias mit dem Tod Hektors und nicht der Eroberung Trojas ende. Ps.Longin hingegen mache das Alter bzw. die Altersschwäche zum »tragenden Prinzip seiner ästhetischen σύγκρισις.«115 Allerdings spricht Menekrates, wie auch Ps.Longin 9,12, von λείψανα (Überresten) mit Blick auf die von der Ilias nicht behandelten Ereignisse. Zumindest kann also ein Leser, der bereits mit dem Alterswerkdiskurs in Bezug auf Homer vertraut ist, eine solche Haltung bei Menekrates angedeutet finden. Was das Konzept des Alterswerkes angeht, kommt Bühler zwar nach einer Durchmusterung der antiken Literatur zu folgendem ernüchternden Schluss: »Das Ergebnis dieser dürftigen und recht disparaten Zeugnisse ist bescheiden.«116 Dennoch scheint es mir, wie ich im Folgenden darlegen möchte, möglich, u. a. unter Ausnutzung der von Bühler versammelten Parallelen sowie der genaueren Betrachtung der Entwicklung des Begriffspaars Pathos/Ethos, Ps.Longins Traditionshintergrund deutlich werden zu lassen, so dass die Pathos-Ethos-Opposition und die mit ihr in Verbindung stehenden Auswirkungen auf die künstlerische Gestaltung nicht im Sinne eines extratextuellen kritischen Instrumentariums gesehen werden soll, sondern im Sinne einer Rezeptionshaltung, die – entsprechend der einleitend formulierten These (A 1.) – in der Achilleis und den sie begleitenden Silven aufgebaut wird. Dass im Alter die Kräfte nachlassen und sich dementsprechend auch das Werk eines Künstlers ändert, ist ein Gedanke, der sich mehrfach belegen lässt. In einer Vita des Thukydides heißt es bspw., dass dieser das achte und letzte Buch seines Geschichtswerkes nur summarisch ausgeführt habe, da er keine 113 Bühler 1964, 48 f. 114 Vgl. Schol. bT Il. 24,804a: Μενεκράτης φησὶν αἰσθόμενον ἑαυτοῦ ἀσθενείας τὸν ποιητὴν καὶ τοῦ μὴ ὁμοίως δύνασθαι φράζειν σιωπῆσαι τὰ μεθ’  Ἕκτορα. καλῶς δὲ ἐταμιεύσατο τὰ λοιπὰ ἑαυτῷ τῶν †ζητημάτων† εἰς τὴν Ὀδύσσειαν· μικρὰ γὰρ ἦν ἡ ὑπόθεσις περὶ τῆς οἰκίας Ὀδυσσέως μόνον· τὰ γὰρ λείψανα ἐκεῖ ἃ μὲν Ὀδυσσεύς, ἃ δὲ Νέστωρ καὶ Μενέλαος, ἃ δὲ Δημόδοκος κιθαρίζων φασίν. ἄλλως τε πολιορκίαν μακρὰν οὐκ ἄξιον διηγεῖσθαι. 115 Gewissermaßen ein überindividuelles Analogon zu der Verfallserscheinung des Einzeldichters bietet der topische Gedanke des Verfalls der Redekunst als Verfall einer Gattung: vgl. dazu die Arbeit von Heldmann 1982, darin bes. Kapitel 3 über die »Grundformen antiken Verfalls- und Entwicklungsdenkens« und Kap. 4 zur epochalen Gliederung in literaturgeschichtlich orientierten Texten. Zum Topos des alternden Rom, sc. der Entwicklung des römischen Reiches in Analogie zum Altern des Menschen, vgl. neben dem grundlegenden Artikel von Häußler 1964 auch Bessone 2008 und Galdi 2009. 116 Bühler 1964, 49–51, Zitat: 51.

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Einleitung und methodische Grundlagen

Kraft mehr zur Ausschmückung gehabt habe.117 Der Redner Isokrates bekennt am Anfang einer Rede, dass er sich als 94-jähriger nicht mehr des rhetorischen Schmucks wie in seiner Jugend bediene und auch nicht dementsprechend beurteilt werden will, sondern dass er altersangemessen seinen Stil verändert habe. Wem aber seine Rede kraftloser erscheine, solle nicht im Vergleich zur früheren Fülle und Vielfältigkeit urteilen, sondern nur nach dem für die gegenwärtige Rede gesetzten Thema.118 Der ältere Seneca entschuldigt seinen Söhnen als den Adressaten gegenüber die Beschaffenheit seiner Controversiae in der Praefatio des ersten Buches119 durch sein Alter, das sich insbesondere negativ auf sein vormals exzellentes Gedächtnis ausgewirkt und damit auch die Abfassung der Controversiae in Mitleidenschaft gezogen habe. Er präzisiert dies folgendermaßen (Contr. 1 praef. 4 f.): Fiat quod vultis: mittatur senex in scholas. illud necesse est impetrem, ne me quasi certum aliquem ordinem velitis sequi in contrahendis quae mihi occurrent; necesse est enim per omnia studia mea errem et passim quidquid obvenerit adprehendam. controversiarum sententias fortasse pluribus locis ponam in una declamatione dictas; non enim, dum quaero aliquid, invenio, sed saepe quod quaerenti non comparuit, aliud agenti praesto est; quaedam vero, quae observantia mihi et ex aliqua parte se­ ostendentia non possum occupare, eadem securo et reposito animo subito emergunt. aliquando etiam seriam rem agenti et occupato sententia diu frustra quaesita intem 117 Markellinos vit. Thuk. 44, p. 195 West. = 235–242 Piccirilli (in Abgrenzung zu anderen Ansichten, dass das achte Buch von seiner Tochter, von Xenophon oder Theopompos stamme): τισὶ δέ, καί μᾶλλον τοῖς χαριεστέροις, Θουκυδίδου μὲν εἶναι δοκεῖ, ἄλλως δ’ ἀκαλλώπιστος, δι’ ἐκτύπων γεγραμμένη, καὶ πολλῶν πλήρης ἐν κεφαλαίῳ πραγμάτων καλλωπισθῆναι καὶ λαβεῖν ἔκτασιν δυναμένων. ἔνθεν καὶ λέγομεν ὡς ἀσθενέστερον πεφράσθαι ὀλίγον, καθότι ἀρρωστῶν αὐτὴν φαίνεται συντεθεικώς. ἀσθενοῦντος δὲ σώματος βραχύ τι καὶ ὁ λογισμὸς ἀτονώτερος εἶναι φιλεῖ· μικροῦ γὰρ συμπάσχουσιν ἀλλήλοις ὅ τε λογισμὸς καὶ τὸ σῶμα. Vgl. dazu auch den Kommentar Piccirrillis 142 f. zur modernen Diskussion. Zu verschiedenen Theorien der Zuschreibung und der Heterogenität des Materials dieser Vita vgl. Piccirilli xv–xxx und Maitland 1996. Die Quellenlage lässt eine Datierung des Materials spekulativ werden. Maitland 1996, 556 sieht in 44 als Ursprung einen mit Hermogenes’ Ansichten vertrauten Kompilator. 118 Panath. 1–4: νεώτερος μὲν ὢν […] περὶ ἐκείνους ἐπραγματευόμην, τοὺς περὶ τῶν συμφερόντων τῇ τε πόλει καὶ τοῖς ἄλλοις  Ἕλλησι συμβουλεύοντας, καὶ πολλῶν μὲν ἐνθυμημάτων γέμοντας, οὐκ ὀλίγων δ᾽ ἀντιθέσεων καὶ παρισώσεων καὶ τῶν ἄλλων ἰδεῶν τῶν ἐν ταῖς ῥητορείαις διαλαμπουσῶν καὶ τοὺς ἀκούοντας ἐπισημαίνεσθαι καὶ θορυβεῖν ἀναγκαζουσῶν. νῦν δ᾽ οὐδ᾽ ὁπωσοῦν τοὺς τοιούτους. ἡγοῦμαι γὰρ οὐχ ἁρμόττειν οὔτε τοῖς ἔτεσι τοῖς ἐνενήκοντα καὶ τέτταρσιν, ἁγὼ τυγχάνω γεγονώς, οὔθ᾽ ὅλως τοῖς ἤδη πολιὰς ἔχουσιν, ἐκεῖνον τὸν τρόπον ἔτι λέγειν, ἀλλ᾽ ὡς ἅπαντες μὲν ἂν ἐλπίσειαν εἰ βουληθεῖεν, οὐδεὶς δ᾽ ἂν δυνηθείη ῥᾳδίως πλὴν τῶν πονεῖν ἐθελόντων καὶ σφόδρα προσεχόντων τὸν νοῦν. τούτου δ᾽ ἕνεκεν ταῦτα προεῖπον, ἵν᾽ ἤν τισιν ὁ μέλλων δειχθήσεσθαι λόγος μαλακώτερος ὢν φαίνηται τῶν πρότερον διαδεδομένων, μὴ παραβάλλωσι πρὸς τὴν ἐκείνων ποικιλίαν, ἀλλὰ πρὸς τὴν ὑπόθεσιν αὐτὸν κρίνωσι τὴν ἐν τῷ παρόντι δεδοκιμασμένην. Vgl. auch Isocr. Phil. 27 f. 119 Contr. 1 Praef. 2–5.

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Alterswerkvorstellungen in der Antike

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pestive molesta est. necesse est ergo me ad delicias componam memoriae meae, quae mihi iam olim precario paret. Es soll geschehen, was ihr wünscht: Der Greis werde in die Schule geschickt. Folgendes muss ich aber von euch erbitten, dass ihr nicht wolltet, dass ich gleichsam einer bestimmten sicheren Ordnung bei der Zusammenstellung der Dinge folge, die mir einkommen. Ich muss nämlich alle meine Studien durchstreifen und verstreut aufgreifen, was mir begegnet. Ich werde Sentenzen aus controversiae, die vielleicht in einer einzigen Deklamation gemacht wurden, an vielen Orten anbringen. Denn ich finde nicht [immer etwas], wenn ich es suche, sondern oft es ist so, dass mir, was mir nicht zugänglich war, als ich es suchte, präsent ist, wenn ich etwas anderes behandele. Einige Dinge aber, die ich, wenn sie mir begegnen und sich von einer bestimmten Seite zeigen, nicht greifen kann, gerade diese tauchen dann plötzlich in meinem Geist auf, wenn er ruhig und entspannt ist. Zuweilen fällt mir, wenn ich etwas Ernsthaftes betreibe und damit beschäftigt bin, eine bestimmte Sentenz, die ich lange vergeblich gesucht habe, zu ungelegener Zeit zur Last. Ich muss mich also auf die Kapriolen meines Gedächtnisses einlassen, das mir schon lange nur widerwillig gehorcht.

Zurecht weist Sussman120 darauf hin, dass es sich um eine Fiktion handele, dass Seneca alles ausschließlich aus seiner Erinnerung schöpfe, sondern dass er auch schriftliche Quellen genutzt habe.121 Insofern verortet Sussman122 solche Aussagen berechtigter Weise auch innerhalb der Bescheidenheitstopik von Praefationes. Im Rahmen der hier verhandelten Frage ist jedoch der Aspekt relevant, wie sich die physische und mentale Veränderungen des Alters in der antiken Wahrnehmung auf die literarische Produktion auswirken. Dafür kann Seneca als ein Zeugnis dienen, da gerade Topik auf eine Mainstream-Wahrnehmung abzielt. Für die Entwicklung des Redestils in Abhängigkeit vom Lebensalter haben wir darüber hinaus mehrere Zeugnisse. Neben einem noch zu besprechenden bei Plutarch überlieferten, vermeintlichen Sophokles-Zitat (s. u. Exkurs), zeigt, wie Bühler aufgewiesen hat, auch Cicero diese Vorstellung von einem »jugendlichen Überschwang« zu einer abgeklärten Reife.123 120 Sussman 1978, 76–83. 121 Vgl. allerdings Gunderson 2003, 29–58 zur Bedeutung der memoria beim älteren Seneca. 122 Sussman 1978, 54 f. 123 Bühler 1964, 49 f. in Verbindung zweier Stellen: Cic. or. 107 und Brut. 8; an letzterer Stelle heißt es: cumque ipsa oratio iam nostra canesceret haberetque suam quandam maturitatem et quasi senectutem. Vgl. auch Accius (bei Gell. 13,2,5), der gegenüber dem älteren Pacuvius die Entwicklung seines dichterischen Ingeniums mit Äpfeln vergleicht (quae dura et acerba nascuntur, post fiunt mitia et iucunda). Der Aspekt des Alters wird in dieser Anekdote allerdings weniger durch Accius repräsentiert, der eher auf die Reife, als auf das Alter abzielt. Pacuvius hingegen, der als grandi iam aetate et morbo corporis diutino adfectus beschrieben wird (Gell. 13,2,2), kritisiert nach einer Rezitation des Atreus, dass Accius zwar Großes verfasst habe (grandia), dies ihm aber ein wenig zu spröde und bitter erscheine (duriora paulum et acerbiora, 13,2,3). Wollte man Accius so verstehen, dass er sich noch Pacuvius annähern werde, könnte man seine Worte auf einen Altersstil beziehen.

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Das Verhältnis von Ilias und Odyssee als Opposition von Pathos und Ethos zu bestimmen, hat bereits Aristoteles in der Poetik getan (Poet. 24, 1459b7–15): ἔτι δὲ τὰ εἴδη ταὐτὰ δεῖ ἔχειν τὴν ἐποποιίαν τῇ τραγῳδίᾳ, ἢ γὰρ ἁπλῆν ἢ πεπλεγμένην ἢ ἠθικὴν ἢ παθητικήν· καὶ τὰ μέρη ἔξω μελοποιίας καὶ ὄψεως ταὐτά· καὶ γὰρ περιπετειῶν δεῖ καὶ ἀναγνωρίσεων καὶ παθημάτων· ἔτι τὰς διανοίας καὶ τὴν λέξιν ἔχειν καλῶς. οἷς ἅπασιν Ὅμηρος κέχρηται καὶ πρῶτος καὶ ἱκανῶς. καὶ γὰρ τῶν ποιημάτων ἑκάτερον συνέστηκεν ἡ μὲν Ἰλιὰς ἁπλοῦν καὶ παθητικόν, ἡ δὲ Ὀδύσσεια πεπλεγμένον (ἀναγνώρισις γὰρ διόλου) καὶ ἠθική […]. Außerdem muss das Epos die gleichen Arten wie die Tragödie haben, entweder nämlich einfach, verflochten, ethisch oder pathetisch. Und auch die Bestandteile sind außer Musik und optischer Präsentation die gleichen. Auch der Peripetien, Wiedererkennungen und Leiden bedarf es. Außerdem muss sich die Gedankenführung und Wortwahl gut fügen. Von allen diesen Dingen macht Homer in vollendeter Weise wie kein zweiter Gebrauch. Er hat nämlich auch seine beiden Dichtungen so zusammengestellt, dass die Ilias einfach und pathetisch ist, die Odyssee verflochten, da sie gänzlich Wiedererkennung ist, und ethisch […].

Zu Recht hat Christopher Gill hier auf eine zunächst irritierend wirkende Unterscheidung der beiden homerischen Epen hingewiesen: »It may seem rather puzzling that the Odyssey should be regarded as any more ›expressive of ethos‹ than the Iliad. Does not Achilles, for instance, notably reveal his ethos, by his speeches in Book Nine as well as by his actions? And yet, one can see that the Odyssey does, in a clearer and more straightforward way, contain the kind of ethos Aristotle is especially concerned with, in epic as well as tragedy, that is, ethos demarcated by excellence or defectiveness, showing men up as good or bad.«124

Darüber hinaus hat Gill in diesem Zusammenhang auf eine nicht immer hinreichend gewürdigte Einschätzung des Aristoteles in Bezug auf die Verbindung zwischen Komödie und Odyssee aufmerksam gemacht: In der Odyssee erhielten am Ende die Guten und Schlechten, was sie jeweils verdienten. Dies sei für die Tragödie nach Aristoteles nur die zweitbeste Art des Endes, aber für die Komödie angemessen.125 Diese Vorwegnahme der späteren Verbindung von Ethos und Komödie, auf die wir bereits bei Ps.Longin gestoßen sind und die in der Folge noch eine wichtige Rolle spielen wird, ist umso erstaunlicher, da, wie Gill

124 Gill 1984, 151. Gill verweist für diese klare Charakterscheidung auf Poet. 2, 1448a1–5/11 f.; 3, 1448a25–29 und 4, 1448b24–38. 125 Gill 1984, 151; Arist. Poet. 13, 1453a30–36: δευτέρα δ᾽ ἡ πρώτη λεγομένη ὑπὸ τινῶν ἐστιν σύστασις, ἡ διπλῆν τε τὴν σύστασιν ἔχουσα καθάπερ ἡ Ὀδύσσεια καὶ τελευτῶσα ἐξ ἐναντίας τοῖς βελτίοσι καὶ χείροσιν. δοκεῖ δὲ εἶναι πρώτη διὰ τὴν τῶν θεάτρων ἀσθένειαν· ἀκολουθοῦσι γὰρ οἱ ποιηταὶ κατ᾽ εὐχὴν ποιοῦντες τοῖς θεαταῖς. ἔστιν δὲ οὐχ αὕτη ἀπὸ τραγῳδίας ἡδονὴ ἀλλὰ μᾶλλον τῆς κωμῳδίας οἰκεία […].

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anmerkt, die Neue Komödie126 eines Menander, zu der dieser Bogen üb­licher­ weise geschlagen wird, Aristoteles noch nicht bekannt sein konnte.127 Dies scheint jedoch nur ein punktueller Vergleichspunkt für Aristoteles zu sein, da er im vierten Kapitel darauf hinweist, dass Ilias und Odyssee sich zur Tragödie verhalten, wie der homerische Margites zur Komödie.128 Es gilt dennoch festzuhalten, dass Aristoteles zwar die Ausbildung unterschiedlicher Gattungen an die unterschiedlichen Charaktere der jeweiligen Dichter bindet,129 an eine Verbindung von ethischer Gestaltung mit dem Alter des Dichters aber offensichtlich nicht gedacht hat. Sie kann sich allerdings, wie Bühler gesehen hat,130 sekundär daraus ergeben, dass man, wie es Ps.Longin u. a. auch tut, die Odyssee inhaltlich als Fortsetzung der Handlung der Ilias begreift und die Frage nach der Priorität der Entstehung zugunsten der Ilias entscheidet. Dann wird die Odyssee zum zweiten Werk, zum zweiten Werk desjenigen Dichters, der in der Literatur und der bildenden Kunst stets als alter Mann dargestellt wird.131 Damit die Verknüpfung von Ethos und Alter aber gelingt, ist ein Begriffswandel nötig. Denn auch wenn es leicht vorzustellen ist, warum ein jüngerer Dichter einen affektiven Stil pflegt, so ist es eigentlich nicht zu verstehen, warum die Konzentration auf den Charakter eine Besonderheit des Alters sein soll. In der rhetorischen Tradition allerdings durchläuft das Begriffspaar Pathos/ Ethos genau die ›benötigte‹ Bedeutungsentwicklung, die auch von der rhetorischen Forschung bereits beschrieben worden ist.132 126 Kritisch gegenüber der konventionellen Unterteilung der griechischen Komödie ist Csapo 2000, der die drei Phasen alt-mittel-neu eher als synchrone Stilvarianten denn als diachrone Entwicklung sehen möchte. Erst die Selektion von Autoren (sc. Aristophanes und Menander als herausragende Vertreter) und der Stücke in der philologischen Literatur der Folgezeit, die auf dem peripatetischen Entwicklungsdenken fuße, rufe diesen Eindruck hervor, wobei diese Selektion aber gerade aufgrund dieses Denkens erfolgt sei (bes. p. 115–117). 127 Gill 1984, 151 Fn. 16. 128 Poet. 4, 1448b38–1449a2. 129 Vgl. Poet. 4, 1448b24–38. 130 Bühler 1964, 52 (s. o.). 131 Vgl. zu Homerbildnissen Zanker 1995, 21–28 und 161–165. Zwar bemerkt Bühler 1964, 49 Fn. 2, dass die Vorstellung Homers als generell alter Mann nicht mit der Entwicklung bei Ps.Longin in Verbindung zu bringen sei. Doch ist bei der Priorität der Ilias dann nicht die Odyssee umso mehr ein Alterswerk, d. h. von den Charakteristika eines noch fortgeschritteneren Alters gekennzeichnet? 132 Dies jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten vgl. z. B. Fantham 1973, Gill 1984, Wisse 1989, Fortenbaugh 1994b. Parodi Scotti 1996, 7–60 bezieht auch die spätantike Entwicklung mit ein. Friedrich Heberlein macht mich per litteras auf die linguistische Seite dieses Begriffswandels aufmerksam: »Offenbar haben wir es mit der Bereinigung einer heterogenen Ausgangssituation zu tun, denn von den Begriffen Logos, Pathos und Ethos sind zwei wirkungsästhetisch und einer, das Ethos, charakterologisch und nur mittelbar wirkungsästhetisch. Der Wandel des Ethos-Begriffs zu einer stilistisch-wirkungsästhetischen Kategorie reorganisiert

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In der Rhetorik bestimmt Aristoteles133 Pathos und Ethos zusammen mit­ Logos als die drei Beweismöglichkeiten, d. h. Überzeugungsmittel, wie man den Zuhörer für sich einnehmen kann (Kap. 1,2, 1356a1–20): entweder indem er seine Emotionen anspricht (Pathos), oder sich selbst als Redner als vertrauenswürdigen Charakter darstellt (Ethos), oder durch sachlich zutreffende oder zutreffend erscheinende Argumentation (Logos): τῶν δὲ διὰ τοῦ λόγου ποριζομένων πίστεων τρία εἴδη ἔστιν· αἱ μὲν γάρ εἰσιν ἐν τῷ ἤθει τοῦ λέγοντος, αἱ δὲ ἐν τῷ τὸν ἀκροατὴν διαθεῖναί πως, αἱ δὲ ἐν αὐτῷ τῷ λόγῳ διὰ τοῦ δεικνύναι ἢ φαίνεσθαι δεικνύναι. διὰ μὲν οὖν τοῦ ἤθους, ὅταν οὕτω λεχθῇ ὁ λόγος ὥστε ἀξιόπιστον ποιῆσαι τὸν λέγοντα· τοῖς γὰρ ἐπιεικέσι πιστεύομεν μᾶλλον καὶ θᾶττον, περὶ πάντων μὲν ἁπλῶς, ἐν οἷς δὲ τὸ ἀκριβὲς μὴ ἔστιν ἀλλὰ τὸ ἀμφιδοξεῖν, καὶ παντελῶς. δεῖ δὲ καὶ τοῦτο συμβαίνειν διὰ τοῦ λόγου, ἀλλὰ μὴ διὰ τοῦ προδεδοξάσθαι ποιόν τινα εἶναι τὸν λέγοντα. οὐ γάρ ὥσπερ ἔνιοι τῶν τεχνολογούντων τιθέασιν134 ἐν τῇ τέχνῃ τὴν ἐπιείκειαν τοῦ λέγοντος ὡς οὐδὲν συμβαλλομένην πρὸς τὸ πιθανόν, ἀλλὰ σχεδὸν ὡς εἰπεῖν κυριωτάτην ἔχει πίστιν τὸ ἦθος. διὰ δὲ τῶν ἀκροατῶν, ὅταν εἰς πάθος ὑπὸ τοῦ λόγου προαχθῶσιν· οὐ γὰρ ὁμοίως ἀποδίδομεν τὰς κρίσεις λυπούμενοι καὶ χαίροντες, ἢ φιλοῦντες καὶ μισοῦντες· πρὸς ὃ καὶ μόνον πειρᾶσθαί φαμεν πραγματεύεσθαι τοὺς νῦν τεχνολογοῦντας. περὶ μὲν οὖν τούτων δηλωθήσεται καθ᾽ ἕκαστον, ὅταν περὶ τῶν παθῶν λέγωμεν· διὰ δὲ τοῦ λόγου πιστεύουσιν, ὅταν ἀληθὲς ἢ φαινόμενον δείξωμεν ἐκ τῶν περὶ ἕκαστα πιθανῶν. Es gibt drei Arten von Beweismitteln durch die Rede: Die einen funktionieren durch das Ethos des Redners, die anderen in einer gewissen Gestimmtheit des Zuhörers, die dritten in der Rede selbst durch das Beweisen oder dadurch, den Eindruck zu er­wecken, man beweise etwas. Durch das Ethos also [geschieht es], wenn die Rede so gesprochen wird, dass sie den Redner glaubwürdig macht: Den Anständigen nämlich glauben wir mehr und schneller, in Bezug auf alle Dinge einfach so, worin es aber kein genaues Wissen gibt, sondern Raum für Zweifel, sogar gänzlich. Es muss dies aber auch durch die Rede [selbst] sich ergeben, nicht durch eine vorher gefasste Ansicht über die Art des Redners. Es ist nämlich nicht so, wie einige Rhetoriklehrer es in ihrer Lehre festsetzen, das gesamte semantische Feld zu einer Opposition ›kognitiv‹ (Logos): affektiv (Pathos/Ethos). Der grundlegende Mechanismus ist dabei die Reduktion einer Bedeutungskomponente, nämlich der personalen, beim Ethos-Begriff, sodass die mittelbare wirkungsästhetische Bedeutungskomponente zu einer unmittelbaren werden kann. Das ganze findet offenbar unter dem ›Druck‹ des Pathos-Begriffes statt.« 133 Zur Verbindung von aristotelischer Poetik und Rhetorik in diesem Punkt vgl. Gill 1984, 154 f. Für eine ausführliche Studie zu den unterschiedlichen Nuancen des Ethos-Begriffs im aristotelischen Werk vgl. Woerther 2007, der im ersten Teil auch die voraristotelische Verwendung untersucht. Mit Blick auf das Untersuchungsziel wird hier nur der rhetorische Gebrauch betrachtet. Verbindungen zwischen aristotelischer Rhetorik und Poetik behandelt Kraus 2005, bes. 75–83 zu Ethos und Pathos. Beim Ethos bestehe eine Brücke über die Charakterdarstellung, in der Poetik einer Figur im literarischen Werk, in der Rhetorik des Redners. Bei einem primär stilistisch konnotierten Ethos-Begriff späterer Zeit, bedarf es neben einem Überrest des aristotelischen Begriffsverständnisses, wie bei Quintilian, des Umwegs über die persona des Dichters (s. u.). 134 Überlieferter Text, so Kassel gegen Ross’ OCT.

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dass die Anständigkeit des Redners nichts zur Glaubwürdigkeit beiträgt, sondern das Ethos hat sozusagen beinahe das überzeugendste Beweismittel [in sich]. Durch die Zuhörer [funktioniert die Überzeugung], wenn sie von der Rede zu einer bestimmten Emotion erregt werden: Wir entscheiden nämlich nicht gleich, in Trauer und Freude oder Zuneigung und Hass. Dahin gehen sogar einzig unserer Ansicht nach die Bemühungen der gegenwärtigen Rhetoriklehrer. Über diese Dinge wird einzeln alles deutlich werden, wenn wir über die Emotionen sprechen; durch die Redegestaltung sind [die Zuhörer] überzeugt, wenn wir etwas Wahres oder anscheinend [Wahres] von demjenigen darlegen, was jeweils überzeugend ist.

Ganz deutlich wird hier, dass Ethos ganz prägnant die Darstellung bzw. Selbstdarstellung des Charakters des Redners und sekundär die entsprechende Wirkung auf das Publikum meint.135 Der Anfang des zweiten Buches der Rhetorik ist dementsprechend auch dieser Charakterdarstellung des Redners gewidmet, wobei herausgearbeitet wird, dass es drei Ursachen seien, warum ein Redner glaubwürdig erscheine: Klugheit (φρόνησις), Tugend (ἀρετή), Wohlwollen (εὔνοια).136 Überhaupt sieht Aristoteles eine Nähe der Rhetorik zu Untersuchungen über den Charakter.137 Darum wird ein großer Teil  des zweiten Buches neben den Emotionen (πάθη)138 und ihren Wirkungen auf Entscheidungen (Kap.  2–11) auch den Charaktertypen gewidmet, die sich nach Alter,139 Herkunft, Reichtum etc. ausdifferenzieren lassen (Kap. 12–17). Neben dieser Hauptlinie der terminologischen Verwendung von Ethos und Pathos gibt es, wie Gill beobachtet hat, eine wichtige Ausnahme, die auf die zukünftige stilistisch orientierte Entwicklung vorausweist, ohne sie jedoch eigentlich vorwegzunehmen.140 Das siebente Kapitel des dritten Buches der Rhetorik handelt von der stilistischen Angemessenheit, die in Verbindung mit der Überzeugungskraft gebracht wird: Für die behandelten Gegenstände sollen angemessene Worte gefunden werden, so dass der Redner z. B. bei frevelhaften Handlungen entsprechend zornig sein soll. Auf diese Weise wird der Redner auch eine solche Emotion bei seinen Zuhörern hervorrufen. Charakterlich angemessen soll die Rede für den Redenden sein, d. h. in ihrer Sprachform den Charakter des Sprechenden widerspiegeln.141 135 Wie Carey 1994, 35 bemerkt, besteht über diese emotionale Wirkung eine Verbindung zum Pathos. Außerdem seien die Redner selbst in ihren Reden nicht so streng in der Trennung wie Aristoteles (43). Von der späteren Inklusion von Ethos und Pathos in ein emotionales Spektrum sind wir aber noch weit entfernt. 136 Rhet. 2,1 1378a6–19. Für Beispieluntersuchungen für die Ethos-Erzeugung bei attischen Rednern vgl. z. B. Parodi Scotti 1996, 139–217, Carey 1994 und Russell 1990. 137 Rhet. 1,2, 1356a25 f.: τὴν ῥητορικὴν οἷον παραφυές τι […] τῆς περὶ τὰ ἤθη πραγματείας. 138 Zum Begriff der Emotionen bei Aristoteles vgl. den Kommentar von Rapp II 543–554. 139 Zu diesem Abschnitt s. o. die einleitenden Ausführungen zum Alter in der Antike (A 2.1.). 140 Gill 1984, 155. 141 Rhet. 3,7, 1408a10–32: τὸ δὲ πρέπον ἕξει ἡ λέξις, ἐὰν ᾖ παθητική τε καὶ ἠθικὴ καὶ τοῖς ὑποκειμένοις πράγμασιν ἀνάλογον. […] παθητικὴ δέ, ἐὰν μὲν ᾖ ὕβρις, ὀργιζομένου λέξις, […]

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Fortenbaugh hat dafür argumentiert, dass bereits mit dem frühen P ­ eripatos nach Aristoteles eine Umdeutung des Begriffspaares Pathos/Ethos als abgestufte Qualitäten für Emotionen erfolgt sei.142 Sicherer können wir bei den rhetorischen Schriften Ciceros diese Verschiebung beobachten.143 Im zweiten Buch von de Oratore übernimmt Cicero,144 allerdings ohne die Termini,145 die Dreiteilung der Überzeugungsmittel,146 wobei besonders Pathos und Ethos ausführlich behandelt werden.147 Das, was dem aristotelischen Ethos entspräche, zielt, Cicero zufolge, durch seine moderate Ausdrucksweise auf ein Wohlwollen nicht nur für den Redner, wie bei Aristoteles, sondern auch – und hier kommt die unterschiedliche juristische Situation zum Tragen148 – für den Angeklagten beim Publikum (2,182 f.): Sed haec adiuvant in oratore: lenitas vocis, vultus pudor[is significatio], verborum comi­tas; si quid persequare acrius, ut invitus et coactus facere videare. Facilitatis, liberalita­tis, mansuetudinis, pietatis, grati animi, non appetentis, non avidi signa proferre peru­tile est; eaque omnia, quae proborum, demissorum, non acrium, non pertinacium, non litigiosorum, non acerborum sunt, valde benevolentiam conciliant abalienantque ab eis, in quibus haec non sunt; itaque eadem sunt in adversarios ex contrario conferenda. [183] Sed genus hoc totum orationis in eis causis excellit, in quibus minus potest inflammari animus iudicis acri et vehementi quadam incitatione; non enim semper fortis oratio quaeritur, sed saepe placida, summissa, lenis, quae maxime commendat reos. Aber diese Dinge sind nützlich bei einem Redner: Sanftheit der Stimme, Anständig­keit der Miene, Milde in der Wortwahl; wenn du etwas heftiger verfolgen willst, [hilft es,] καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων δὲ ὁμοίως. πιθανοῖ δὲ τὸ πρᾶγμα καὶ ἡ οἰκεία λέξις· […] καὶ συνομοπαθεῖ ὁ ἀκούων ἀεὶ τῷ παθητικῶς λέγοντι, κἂν μηθὲν λέγῃ. […] καὶ ἠθικὴ δὲ αὕτη ἡ ἐκ τῶν σημείων δεῖξις, ὅτι ἀκολουθεῖ ἡ ἁρμόττουσα ἑκάστῳ γένει καὶ ἕξει. […]. 142 Fortenbaugh 1994a, 185–191. Für Theophrasts Theorie der Emotion vgl. Fortenbaugh 1985. Vgl. außerdem Fortenbaugh 1994b, 1521 f. zu den Resten eines rhetorischen Handbuchs Pap. Oxy. 410. 143 Fortenbaugh 1994b, 1522. Deutlicher als andere weist Wisse 1989, 236–245 darauf hin, dass bei Cicero noch keine vollständige Gleichung von Ethos mit milden Affekten zu beobachten ist, wie in der Folgezeit, sondern diese immer als Emotionen gegenüber dem Redner bzw. Klienten verstanden werden. Für Ciceros Gebrauch des Ethos in den Reden vgl. May 1988. 144 Zu Ciceros Rezeption der aristotelischen Rhetorik vgl. z. B. Zinsmaier 2005. Da es an dieser Stelle nur um den systematischen Aspekt der Rhetorik geht, bleibt die Dialoghandlung von de Oratore und die Zuweisung der Aussagen zu bestimmten Sprechern hier unberücksichtigt. Vgl. aber zur Bedeutung des Dialogaspektes bei der Interpretation von de Oratore Müller 2011b. 145 Vgl. zu dieser Vermeidung griechischer Termini in de Oratore Fantham 1973, 262 Fn. 1. 146 Vgl. de Or. 2,128: Meae totius rationis in dicendo et istius ipsius facultatis, quam modo Crassus in caelum verbis extulit, tres sunt res, ut ante dixi: una conciliandorum hominum,­ altera docendorum, tertia concitandorum. 147 Ethos: de Or. 2,182–184; Pathos: 2,185–215. 148 Vgl. Fantham 1973, 271 f.; Gill 1984, 156 und Fortenbaugh 1988, 260 f.

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dass du wider Willen und gezwungen dies zu tun scheinst. Sehr nützlich ist es, die­ Anzeichen für Umgänglichkeit, Großzügigkeit, Sanftheit, Pflichtgefühl, eines dankbaren, nicht eines begehrlichen oder gierigen Gemütes zu tragen; und alle diese Dinge, die Zeichen von Anständigen, Bescheidenen, nicht Wilden oder Trotzigen, Streitsüchtigen und Verbitterten sind, die in hohem Maße Wohlwollen hervorrufen und von all denen entfernen, in denen diese Dinge nicht sind; daher sind die gleichen Dinge in Umkehrung gegen die Gegner zu wenden. [183] Aber diese ganze Art der Rede ist in den Fällen erfolgreich, in denen das Gemüt des Richters weniger durch eine leidenschaftlich-wilde Erregung entflammt werden kann; es ist nämlich nicht immer eine ener­gische Redeweise gefragt, sondern oft eine angenehme, zurückhaltende, sanfte, die vor allem die Angeklagten empfiehlt.

Für dieses Wohlwollen wird das Publikum in seinen Affekten durch eine milde Rede auch milde gestimmt.149 Damit wird, wie Fortenbaugh es formuliert, »die aristotelische Unterscheidung zwischen Ethos und Affekterregung als Überzeugungsmittel hinfällig«.150 Zinsmaier hat dies eine »Emotionalisierung des Ethos-Begriffs bei Cicero« genannt.151 Elaine Fantham hat die Bedeutung dieser Betonung herausgearbeitet: »The Ciceronian emphasis on the act of conciliare, of winning benevolence, has converted the unstressed motive of Aristotle’s proof into its actual method. At the same time, the Aristotelian discussion of content has been largely displaced by Cicero’s emphasis on style and manner of delivery.«152

Sie macht dementsprechend folgende vier Ursachen für Ciceros Neuakzentuie­ rung aus: Anpassung an den römischen Kontext, Ambivalenz der aristotelischen Verwendung des Beweismittels Ethos als Charakterdarstellung des Redners und als Wirkung auf das Publikum, Ciceros stilistisches Interesse.153 149 Vgl. auch in der Behandlung des Pathos zur Abgrenzung von diesem: de Or. 2,200 f. und 211 f. Fortenbaugh 1988, 264 f. nimmt gerade die Konzentration auf die Gewinnung des Wohlwollens als Beleg dafür, dass Cicero hier nicht so sehr von Aristoteles selbst als vielmehr von voraristotelischem rhetorischem Handbuchwissen über das Exordium einer Rede be­ einflusst sei. Entgegen dem hier vorgestellten u. a. auf Fantham 1973 und Gill 1984 fußenden Verständnis vom ciceronischen Ethos betonen Enos/Rossi Schnakenberg 1994 stärker die ganzheitliche bzw. synkretistische Ausrichtung des Ethos-Verständnisses bei Cicero. Auf diese Weise rückt Cicero näher an Quintilian (s. u.). 150 Fortenbaugh 1994b, 1522. Vgl. auch Zinsmaier 2005, 136, dass bei Aristoteles das Ethos zur rezeptionellen Dispositionierung für die Argumentation dient, bei Cicero hingegen für den Redner einnehmen soll. 151 Zinsmaier 2005, 136 152 Fantham 1973, 271. 153 Fantham 1973, 272 f. Vgl. auch Wisses Unterscheidung eines rationalen Ethos bei­ Aristoteles und eines Ethos der Sympathie bei Cicero (1989, 234–237/245–248). Vgl. allerdings Sluiter 1994, 255 f., dass Wisse hier wie auch andernorts »oversubtle« in seinen Unterscheidungen ist.

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In dem etwa ein Jahrzehnt später entstandenen Orator werden die Aufgaben des Redners (probare, delectare, flectere) mit entsprechenden Stilhöhen korreliert und dabei eine Dreiteilung vorgestellt, die eine strukturelle und inhaltliche Ähnlichkeit zu den drei Überzeugungsmitteln aufweist, wobei das Wohlwollen beim Publikum das verbindende Element darstellt.154 Dieses Ethos nimmt dabei eine mittlere Stilebene ein (Or. 69): Sed quot officia oratoris, tot sunt genera dicendi: subtile in probando, modicum in delectando, vehemens in flectendo […]. Es gibt aber ebenso viele Aufgaben des Redners wie Redearten: subtil beim Beweis, gemäßigt beim Erfreuen, heftig bei der emotionalen Regung.

An späterer Stelle werden dann auch von Ethos und Pathos abgeleitete Begriffe bei der Affekterregung gebraucht (Or. 128): Duo restant enim, quae bene tractata ab oratore admirabilem eloquentiam faciunt. Quorum alterum est, quod Graeci ἠθικὸν vocant, ad naturas et ad mores et ad omnem vitae consuetudinem accommodatum; alterum, quod idem παθητικὸν nominant, quo perturbantur animi et concitantur, in quo uno regnat oratio. Illud superius come iucundum, ad benevolentiam conciliandam paratum; hoc vehemens incensum incitatum, quo causae eripiuntur: quod cum rapide fertur, sustineri nullo pacto ­potest. Zwei Dinge bleiben übrig, die vom Redner gut behandelt eine bewundernswerte Bered­samkeit erzeugen. Von denen ist eines, was die Griechen ἠθικόν nennen, an Natur, Sitten und die ganze Lebensgewohnheit angepasst; das andere, was eben diese mit παθητικόν bezeichnen, wodurch der Geist aufgewühlt und erregt wird, worin besonders die Rede herrscht. Jenes erstere ist freundlich und angenehm, zur Schaffung von Wohlwollen geeignet; dieses aber ist wild, entbrannt, erregt, wodurch die Fälle [der Gefahrenzone] entrissen werden: Wenn dies packend vorgetragen wird, kann es auf keine Weise im Zaum gehalten werden.

Ganz deutlich werden Ethos und Pathos für verschiedene Zustände, die ein Redner/Historiker155 bei seinem Publikum hervorrufen kann, eine Generation später bei Dionysios von Halikarnassos gebraucht.156 Dieser schreibt im Vergleich der beiden Stile von Thukydides und Lysias (Dem. 2): 154 Vgl. genauer dazu Fantham 1973, 274 f. zum Ersatz von conciliare durch delectare, um die stilistische Nuancierung zu betonen und sich von der aristotelischen Verwendung als­ Beweismittel zu distanzieren. 155 Wie der Anfang des Kapitels deutlich macht, fasst Dionysios Historiker, Philosophen und Redner in diesem Punkt als eine Kategorie. 156 Vgl. auch Kraus 2003, 696. Allerdings sieht Gill 1984, 158 mit Fn. 47 in Dem. 18 und 22 Belege für Überreste der aristotelischen Begriffsverwendung (bes. in 18 als unterschiedliche Überzeugungsmittel, von denen Isokrates sich zu sehr auf das/sein Ethos verlege).

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ἣ μὲν γὰρ καταπλήξασθαι δύναται τὴν διάνοιαν, ἣ δὲ ἡδῦναι, καὶ ἣ μὲν συστρέψαι καὶ συντεῖναι τὸν νοῦν, ἣ δὲ ἀνεῖναι καὶ μαλάξαι, καὶ εἰς πάθος ἐκείνη προαγαγεῖν, εἰς δὲ ἦθος αὕτη καταστῆσαι. Der eine nämlich [sc. des Thukydides] ist in der Lage den Verstand zu erschüttern, der andere [sc. des Lysias] zu bezaubern; und der eine spornt und strengt den Geist an, der andere löst und besänftigt ihn, und jener [kann] ins Pathos führen, dieser aber ins Ethos versetzen.

Quintilian schließlich, dessen Werk zeitgleich mit der Achilleis in die 90er Jahre des ersten Jahrhunderts n. Chr. zu datieren ist, zeigt in der Behandlung von Pathos und Ethos eine umfangreiche Bedeutungsaufladung des Ethos-Begriffs mit einer expliziten Beschreibung von Ethos/Pathos als emotionalem Effektgegensatz (Inst. or. 6,2).157 Er beginnt mit einem generellen Lob der Beredsamkeit, die durch die ihr eigene Fähigkeit zur Gefühlssteuerung dem bloßen Darlegen von Beweisen über­ legen sei (6,2,1–7). Die aristotelische Dreiteilung der Überzeugungsmittel wird hier also auf eine Zweiteilung reduziert, denn als Proprium der Redekunst wird die emotionale Kontrolle der Zuhörer aufgefasst.158 Quintilian unterscheidet im Anschluss zwei Arten von Gefühlen, eben Pathos und Ethos (6,2,8). Die Probleme mit einer lateinischen Wiedergabe versucht er dahingehend zu lösen, dass er sich auf einige »Vorsichtigere« (cautiores) beruft, die Pathos als erregte Emotionen, Ethos hingegen als sanfte und gesetztere definieren: adfectus concitatos bzw. mites atque compositos (6,2,9). Eine generelle temporale Einschränkung dahingehend, dass Ethos dauerhaft, Pathos hingegen zeitlich begrenzt sei, referiert Quintilian zwar, macht aber Ausnahmen geltend (6,2,10). Außerdem seien Pathos und Ethos zuweilen von gleichem Wesen (interim ex eadem natura), so dass Pathos die intensivere Form (maius), Ethos die abgeschwächtere meine­ (minus): Ein Beispiel sei das Verhältnis von amor und caritas (6,2,12). In der Beschreibung, wie das Ethos zu erreichen sei, lehnt sich Quintilian stark an Cicero und die frühere Tradition an und betont das Wohlwollen des Publikums, das ein liebenswürdig wirkender Redner bei seinen Zuhörern hervorrufe (6,2,13: non solum mite ac placidum, sed plerumque blandum et humanum et ­audi­en­ ti­bus amabile atque iucundum). Im Folgenden geht Quintilian verschiedene Ethos-begünstigende Konstellationen durch: wenn nahestehende Personen oder junge Menschen betroffen sind, wenn die Gegnerseite maßlos ist (6,2,14–16). Zwischen Ethos und Pathos liege die Liebe zu Verwandten und die Sehnsucht nach ihnen (6,2,17). Abschließend werden Voraussetzungen für die Erzielung von Ethos seitens des Redners genannt (6,2,18 f.). Hierin zeigt sich Quintilian 157 Vgl. auch Gill 1984, 158 f. und Kraus 2003, 696. 158 Vgl. 6,2,5: ubi vero animis iudicum vis adferenda est et ab ipsa veri contemplatione­ abducenda mens, ibi proprium oratoris opus est.

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wiederum Aristoteles sehr nahe, dessen Ethos-Begriff ja vom Redner und dessen Charakterdarstellung ausging.159 Als angemessene Stilhöhe für das Ethos empfiehlt Quintilian die mittlere Stilebene (6,2,19). Den Unterschied zum Pathos versucht Quintilian durch einen Vergleich zu fassen: Ethos sei der Komödie ähnlicher, Pathos der Tragödie (illud comoediae, hoc tragoediae magis simile, 6,2,20).160 Das Pathos richtet sich auf die Erzeugung von Gefühlen wie Zorn, Hass, Furcht, Neid und Mitleid (haec pars circa iram odium metum invidiam miserationem fere tota versatur, 6,2,20). Wie diese erzeugt werden, geht Quintilian im Folgenden durch (6,2,21–24). Die effektivste Möglichkeit zur Erzeugung dieser Affekte allerdings, die Quintilian als über die bloße Theorie hinausgehendes Erfahrungswissen seinerseits präsentiert, sei, als Redner selbst von ihnen ergriffen zu sein, was man durch entsprechende Imaginationen vor dem geistigen Auge in besonderem Maße er­reichen könne (6,2,25–31). Diese visiones verbindet Quintilian mit dem Ideal der ἐνάργεια­ (6,2,32–36).161 Nicht nur chronologisch schließt sich hier der Bogen zu Ps.Longin, sondern auch inhaltlich. Denn Ps.Longin versteht, wie in der Forschung auch gesehen wird, die Begriffe Pathos und Ethos vorwiegend stilistisch bzw. auf die emotionale Intensität bezogen.162 Diese Quantifizierung bildet dann auch die Brücke zum Alter: So wie die heftigen Gefühle im Alter mit der Körperkraft nachlassen – ein antiker Topos zumindest philosophischer bzw. allgemein ethisch orientierter Literatur–,163 so müsste dann nach biographistischer Logik auch die emotionale Intensität des Werkes nachlassen, mithin eine Entwicklung vom Pathos zum Ethos stattfinden. Den Unterschied in der Entwicklung von Ethos/­ Pathos von Aristoteles zu Ps.Longin hat Gill in einer treffenden Zusammenschau dargelegt: Longinus’ comment on the Iliad and Odyssey has a superficial similarity to Aristotle’s. But the two writers are clearly using ethos and pathos to mean rather different things, and they make their comment from a different general viewpoint. For both of them, perhaps, pathos has connotations of violence; but that of emotion is a much stronger conno 159 Vgl. auch Quint. 6,2,13. 160 Gill 1984, 160 hält diesen Vergleich angesichts von Menanders Art der Komödie für sinnvoller als den impliziten aristotelischen Vergleich (s. o.). Russell 1990, 212 sieht in der Verbindung von Ethos und Komödie auch einen Reflex auf die griechische Gerichtspraxis, bei der alltägliche Angelegenheiten von Durchschnittsbürgern verhandelt wurden, wie in der Komödie. 161 Zu diesem vgl. z. B. Zanker 1981 und Otto 2009. 162 Gill 1984, 160; Kraus 2003, 697. Zum Platz der Emotionen in Ps.Longins ὕψος-Konzept vgl. Innes 1995, bes. 326–329 im Zusammenhang mit der Pathos-Ethos-Antithese (u. a. ›niedrige‹ Emotionen wie Vergnügen oder Mitleid sind konträr zum Pathos, entsprechen aber dem Ethos). 163 Vgl. z. B. Kephalos im ersten Buch von Platons Politeia (dazu s. u.), weiteres findet sich in der Stellensammlung bei Cokayne 2003, 203 Anm. 1 und 7. S.a. oben A 2.1.

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tation in Longinus, and one that is much more resonant and suggestive in On the Sublime than it is in the Poetics. Ethos in Longinus’ comment may have some connotations of ›character‹ and ›characterization‹, as being an element in Menandrian ›ethical realism‹ (ἠθικῶς … βιολογούμενα) or ›comedy of manners‹ (κωμῳδία … ἠθολογουμένη). But ethos in Longinus is primarily a stylistic term, associated with ›sweetness‹, ›irony‹, ›urbanity‹, ›charm‹, and that seems to be an important association here. The more moral connotations of ethos in Aristotle, the association with ›good‹ character, and the idea that, in the Odyssey, good characters (and bad) end up with what they deserve – this is an element that is either completely absent, or at most implicit, in Longinus’ comment.164

Aus der bereits erwähnten Zusammenstellung der antiken Zeugnisse zur künstlerischen Altersproduktion hat Bühler den Schluss gezogen, dass es zwei antike Ansichten gegeben habe: 1) eine Abnahme der körperlichen Kräfte bei gleichzeitiger Zunahme der geistigen (vgl. z. B. Kephalos und Sophokles, s. u.); 2) eine miteinander in Verbindung stehende Abnahme von körperlichen und geistigen Kräften (vgl. z. B. oben zur Thukydides-Vita des Markellinos).165 Als dritte Gruppe dürfte man m. E. zusätzlich unterscheiden können, dass es trotz körperlichen Verfalls bzw. unabhängig davon ein gleichbleibendes geistiges Niveau gebe. Ein Zeugnis für eine solche Auffassung haben wir z. B. in der bekannten Sophokles-Anekdote, die uns u. a.166 in Ciceros Schrift über das Alter erhalten ist und die genau zur Illustration dieses Arguments für das Alter herangezogen wird (de sen. 22): Manent ingenia senibus, modo permaneat studium et industria; neque ea solum in claris et honoratis viris, sed in vita etiam privata et quieta. Sophocles ad summam senectutem tragoedias fecit; quod propter studium cum rem neglegere familiarem vide­retur, a filiis in iudicium vocatus est, ut quemadmodum nostro more male rem gerentibus patribus bonis interdici solet, sic illum quasi desipientem a re familiari removerent iudices; tum senex dicitur eam fabulam quam in manibus habebat et proxime scripserat, Oedipum Coloneum, recitasse iudicibus, quaesisseque num illud carmen desipientis videretur; quo recitato sententiis iudicum est liberatus. Die Geisteskraft bleibt den Greisen erhalten, solange nur geistige Betätigung und Antrieb andauern, und dies nicht nur bei berühmten und geehrten Männern, sondern auch bei einem privaten und ruhigen Leben. Sophokles hat bis ins höchste Alter Tragödien geschrieben; als er wegen dieser Betätigung seine familiären Angelegenheiten zu vernachlässigen schien, wurde er von seinen Söhnen vor Gericht gerufen, damit, 164 Gill 1984, 164. Im Folgenden verweist Gill zwar auch auf einige Gemeinsamkeiten, stellt ab 165 jedoch heraus, dass Aristoteles und Ps.Longin von unterschiedlichen Positionen aus arbeiten und zu einer unterschiedlichen Bestimmung und Einschätzung des Ethos­ gelangen. 165 Bühler 1964, 50 f. 166 Vgl. auch Plutarch, An seni 785a, weiteres s. Powell zu de sen. 22 (p. 150 f.), u. a. zur problematischen Fassung der Vita (Soph. 13) und der möglichen Herkunft der Anekdote aus einer Komödie.

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wie man nach unserer Sitte denjenigen Vätern, die das Vermögen schlecht verwalten, den Umgang mit Gütern untersagt, so die Richter ihn [Sophokles] gleichsam dement von der Besorgung der Familienangelegenheiten abzögen. Daraufhin soll der Greis das Stück, das er gerade in den Händen hielt und jüngst geschrieben hatte, den Ödipus auf Kolonos, vor den Richtern rezitiert und gefragt haben, ob dies etwa als­ Dichtung eines Dementen erscheine. Auf diesen Vortrag hin ist er durch richterlichen Bescheid freigesprochen worden.

Gleiches macht Cato bei Cicero167 in der Folge u. a. auch für andere griechische Dichter geltend (Homer, Hesiod, Simonides und Stesichoros, de sen. 23). Die Altersproduktion lateinischer Dichter wie Naevius und Plautus dient demgegenüber – wohl als typisierender Unterschied griechisch-römisch eingesetzt – als Argument dafür, dass es auch im Alter erfreuende Tätigkeiten gebe, wie die zu den leviora studia zählende dichterische Arbeit (de sen. 50). So finden wir alle drei theoretisch denkbaren Reaktionen der geistigen Tätigkeit allgemein und der dichterischen Produktion im Speziellen auf den im Alter stattfindenden körperlichen Abbau in antiken Zeugnissen belegt: Parallelität, Kontrast, Unabhängigkeit. Je nach dem argumentativen Kontext wird dabei das gleiche Phänomen unterschiedlich gedeutet. Der Verlust der körperlichen Leidenschaften kann als abgeklärte philosophische Ruhe oder Erlahmen der emotionalen Intensität aufgefasst werden. Vor diesem Hintergrund gesehen erweist sich die ausführliche Diskussion des Altersstils bei Ps.Longin nicht als originäre Besonderheit dieser Schrift, sondern gewissermaßen als ein Brennpunkt der antiken Diskussion, die uns zumeist nur in Fragmenten und Andeutungen fassbar ist. Eine Kenntnis des Ps.Longin seitens Statius ist bei einer Datierung vor oder um die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts denkbar,168 doch m. E. nicht der entscheidende Punkt. Ps.Longin fasst unter seinem speziellen Fokus eine rhetorisch basierte Einschätzung der Stilentwicklung Homers, die mit dem bis dahin bzw. bis zu Statius’ Lebenszeit entwickelten Instrumentarium nicht nur ihm möglich ist. Q ­ uintilian belegt auf lateinischer Seite und exakter datiert die entscheidende Begriffsentwicklung von Pathos und Ethos. Eine Anwendung auf Homer zusammen mit der Identifikation der Odyssee als Alterswerk ist dann nur noch ein kleiner Schritt, der zumindest für uns von Ps.Longin vollzogen wurde. 167 Dass es sich dabei um Ciceros eigene Ansichten handelt, macht er in de sen. 3 deutlich: iam enim ipsius Catonis sermo explicabit nostram omnem de senectute sententiam. Vgl. auch de am. 4 zur Wahl des Sprechers Cato: Es habe keinen geeigneteren gegeben, da er sehr lange ein Greis gewesen sei und er sogar im Alter im Vergleich mit anderen eine Blütezeit erlebt habe. Vgl. dazu Wulfram 2009, 9–34, der Ciceros de sen. gewissermaßen als dramatischen Monolog Catos liest. 168 Unbesorgt ist hier Ripoll 19, der allein aufgrund einer chronologischen Argumentation von einer zweifelsfreien Kenntnis spricht (»le Traité du Sublime du Pseudo-Longin, que Stace connaissait sans doute aussi«).

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Exkurs: Sophokles über seine Stilentwicklung Als Ergänzung zu der bei Ps.Longin thematisierten Pathos/Ethos-Entwicklung bei Homer soll im Folgenden ein als Selbstaussage des Sophokles bei Plutarch169 überliefertes Zeugnis zu seiner stilistischen Entwicklung herangezogen werden: ὥσπερ γὰρ ὁ Σοφοκλῆς ἔλεγε τὸν Αἰσχύλου διαπεπαιχὼς170 ὄγκον, εἶτα τὸ πικρὸν καὶ κατάτεχνον τῆς αὐτοῦ [αὑτοῦ]171 κατασκευῆς172, τρίτον ἤδη τὸ τῆς λέξεως μεταβάλλειν173 εἶδος, ὅπερ ἐστὶν ἠϑικώτατον καὶ βέλτιστον, οὕτως οἱ φιλοσοφοῦντες, ὅταν ἐκ τῶν πανηγυρικῶν καὶ κατατέχνων εἰς τὸν ἁπτόμενον ἤθους καὶ πάθους λόγον μεταβῶσιν, ἄρχονται τὴν ἀληθῆ προκοπὴν καὶ ἄτυφον προκόπτειν. Wie nämlich Sophokles sagte, dass er sich (zuerst) am pompösen Stil des Aischylos vergnügt habe, dann am Bitteren und Technischen seiner [od. der eigenen] Konstruktion, als drittes aber die Art der Diktion zu derjenigen geändert habe, die diejenige mit dem höchsten Grad an Ethos darstellt und die beste ist, so beginnen auch die­jeni­ gen, die philosophieren, wenn sie vom Virtuosen und Technischen zu dem Diskurs gelangen, der sich mit Charakter und Emotion befasst, wirklichen und uneitlen Fortschritt zu machen.

Bowra hat sich intensiv mit dieser Passage auseinandergesetzt und durch vergleichende Betrachtung eine möglichst genaue Vorstellung von der Aussagekraft der einzelnen Termini zu gewinnen versucht.174 Er gelangt dabei zu folgendem Verständnis: »[…] Sophocles’ remark, put into oratio recta, means this: ›After practising to the full the bigness of Aeschylus, then the painful ingenuity of my own invention, now in the third stage I am changing to the kind of diction which is the most expressive of character and best.‹«175

Außerdem hat Bowra es unternommen, anhand der erhaltenen Stücke bzw. Fragmente diese Stadien nachzuweisen. Die Antigone stelle dabei das dritte Sta 169 Plut. de prof. 79b = T 100 TrGF. 170 Vgl. dazu die Liste der Vorschläge bei Pelling 2007, 218 f. Fn. 40. Zum Verständnis des überlieferten διαπεπαιχώς Bowra 1953, 110 f. und Pelling 2007, 213–215. 171 Dazu Pelling 2007, 204 mit Fn.1; wie aus 204 und 217 deutlich wird, mit Präferenz für die Änderung zu αὑτοῦ (nach E. Müller und Bergk). Allerdings bedeutet dies letztlich keinen großen Unterschied, denn in beiden Fällen stehen in der zweiten Phase das Unangenehme und Technische der Dramen dieser Phase im Mittelpunkt, einmal in Anlehnung an ­Aischylos, das andere Mal bereits mit Blick auf das eigene Werk. 172 Zur Konstruktion (Ellipse oder Zeugma) vgl. Pelling 2007, 217 f. 173 Vgl. dazu Bowra 1953, 120 f. und Pelling 2007, 208 Fn.13. 174 Bowra 1953, in 11 Thesen zusammengefasst von Pelling 2007, 206–208. 175 Bowra 1953, 125.

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dium dar, in welchem Sophokles sich zum Zeitpunkt der Aussage befinde.176 Laut Bowra dürfte es sich dann um ein unverändertes Zitat handeln, wenn die einzelnen Termini nicht zur Ausdrucksweise der späteren literarkritischen Terminologie passen.177 Darum zieht er nun zeitgenössische Quellen zur Erklärung heran und es wird deutlich, dass Bowra den Wortlaut für den des Sophokles hält. Bereits Post und Lloyd-Jones haben diesen Punkt kritisiert und gehen von einer Umarbeitung Plutarchs aus.178 Mehr als ein halbes Jahrhundert später hat sich Pelling erneut mit dieser Selbstbetrachtung des Sophokles beschäftigt und besonders gegen Bowra den Zitatkontext betont.179 Es gehe in Plutarchs Schrift, wie der Titel180 schon andeute, um die Fortschritte in der Tugend und das eigene Bewusstsein darum. In diesem Kontext sei auch das Sophokles-Zitat zu sehen.181 Bei Plutarch gebe es drei Stufen der philosophischen Entwicklung: eine unsichere erste Phase, dann hartes Training, als drittes schließlich eine Zeit der stabilen Tugend (»period of settled virtue«).182 Die Beschreibung von Sophokles’ zweiter Stufe (τὸ πικρὸν καὶ κατάτεχνον τῆς αὐτοῦ [αὑτοῦ] κατασκευῆς) sei doppeldeutig, da die Termini rhetorisch-literarkritisch bezogen auf das Werk und philosophisch auf die Arbeit am eigenen Charakter zu verstehen seien.183 In der dritten Stufe bezeichne ἠθικώτατoν philosophisch verstanden »›characterful‹ in the sense that it is both best for and truest to Sophocles’ own character«, wobei nicht »full of not just any character, but good character« gemeint sei. Das bedeute dann auch, dass die Werke Ausdruck dieses Charakters seien.184 Bowra wollte ἠθικώτατoν als »expressive of character« mit Bezug auf die Dramenfiguren verstehen.185 So könne der reale Sophokles dieses Wort verwendet haben, aber es passe nicht in Plutarchs Kontext.186 Die Formulierung der dritten Stufe scheine zunächst auszusagen, dass es sich nur um eine stilistische Veränderung handele (τὸ τῆς λέξεως εἶδος). Demgegenüber wollte Bowra zeigen, dass Sopho 176 Bowra 1953, 124 f. 177 Bowra 1953, 109. 178 Post 1947, 250; Lloyd-Jones 1955, 158. Die verschiedenen Hypothesen zur Herkunft des Zitats stellt Pelling 2007, 205 f. Fn. 5 zusammen (aus Sophokles’ Werk über den Chor, mündliche Überlieferung und spätere Zitierung in einem rhetorischen Handbuch, in den ­Epidemiae des Ion von Chios). 179 Vgl. allerdings zuvor schon Pinnoy 1984, der sich kritisch mit Bowras terminologischen Ergebnissen auseinandersetzt (s. u.). 180 Πῶς ἄν τις αἴσθοιτο ἑαυτοῦ προκόπτοντος ἑπ’ ἀρετῇ / πρὸς ἀρετήν bzw. Quomodo quis suos in virtute sentiat profectus; dazu Pelling 2007, 209 Fn. 19. 181 Pelling 2007, 208 f. 182 Pelling 2007, 212. 183 Pelling 2007, 216 f. 184 Pelling 2007, 219. 185 Vgl. Bowra 1953, 122. 186 Pelling 2007, 222.

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kles mehr generelle Aspekte seiner Kunst gemeint habe.187 Pelling deutet, aufgrund der philosophischen Ausrichtung seiner Lesart, auch die Erwähnung der Lexis in diesem Sinne: »The point is that even in matters of diction Sophocles, by this stage of perfection, was choosing a style that was good for character and virtue.«188 So gelangt Pelling zu dem Schluss, dass Plutarch, auch wenn er wohl wichtige Aspekte beibehalten haben werde, das Zitat dem Kontext angepasst habe, da eine vollständige Ambivalenz der Termini bereits im Original unwahrscheinlich sei.189 Für ein solches Verständnis der dritten Stufe bietet das Griechische allerdings keinen Anhalt: eine Hinzufügung von καί könnte hier den gewünschten Sinn ›sogar‹ geben; stattdessen grenzt ἤδη einfach die nun folgende Entwicklung ab,190 der stilistische Fokus bleibt. Hinzukommt die von Pelling zugestandene Ambivalenz der Formulierung der zweiten Stufe, die eine literarkritische Konnotation deutlich beinhaltet. Die Orientierung an Aischylos vollends in der ersten Stufe kann nicht hauptsächlich als philosophisch-ethisch gelesen werden, da der stilistische Bezug zum literarischen Vorgänger Aischylos ganz ohne Zusammenhang wäre. So bleibt die Feststellung, dass, auch wenn Plutarch eine An­passung an seinen Kontext vorgenommen hat, dennoch eine ganz wesentlich stilistisch konnotierte Entwicklung des Sophokles bewahrt ist. Wichtig ist zudem der präzisierende Hinweis von Pinnoy, dass das Zitat in eine Erörterung des philosophischen Fortschritts eingepasst ist, der anhand einer stilistischen Entwicklung bei der Verfertigung von λόγοι deutlich werde.191 Gegen Pelling scheint mir eine andere Deutung der Kontextualisierung notwendig, die mit dem Ethos-Begriff zusammenhängt. Ähnlich wie bei Ps.Longin wird Sophokles’ Stilentwicklung, die wohl weniger als tatsächliche Selbstaussage, denn als ihm in den Mund gelegter Ausspruch anzusehen sein wird, als Wandlung vom Pathos zum Ethos aufgefasst, ohne dabei jedoch bestimmte Altersstufen jeweils explizit zu machen. Die Ruhe und Abgeklärtheit, die in stilistischer Hinsicht mit dem Ethos verknüpft ist, kann Plutarch mit einer besonneneren Art des Philosophierens in Verbindung bringen, die man sich nach gewissen ersten Schritten aneignen kann. Im Unterschied zu Ps.Longin wird die Wendung zum ἠθικόν also von Plutarch positiv gesehen. An anderer Stelle bei Plutarch wird deutlich, dass er diese Abgeklärtheit explizit mit dem Alter­ verbindet.192

187 Vgl. Bowra 1953, 108/115. 188 Pelling 2007, 224 (Hervorhebung im Original). 189 Pelling 2007, 225–227. 190 So auch Pinnoy 1984, 163. Vgl. auch Pinnoy 1984, 163 f., der die Herkunft des Zitats in einem literarkritischen Werk aus dem Kreis um Dionysios von Halikarnassos verortet. 191 Pinnoy 1984, 160. 192 An seni 786a-b und 788c, sowie den Schluss 797e-f.

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Diese Entwicklung passt, und das dürfte bei der Einarbeitung des Zitats in diesen Kontext eine wichtige Rolle gespielt haben,193 zu dem, was bei Platon im ersten Buch der Politeia der alte Kephalos als Sentenz des Sophokles anführt.194 Kephalos sei dabei gewesen, als jemand Sophokles gefragt habe, wie es bei ihm in Liebesdingen stehe, worauf dieser geantwortet habe, dass er vor diesen glücklicherweise geflohen sei, indem er wie ein Sklave einem wütenden und grausamen Herren entlaufen sei. Kephalos bestätigt diese Ansicht, dass es im Alter einen Frieden und eine Freiheit von solchen Dingen gebe. Wenn die Lüste aufhörten, sich auszustrecken und nachließen, dann geschehe ganz und gar, was Sophokles gesagt habe, nämlich eine Befreiung von vielen rasenden Herren. Dass sich diese Freiheit von Lüsten nicht nur auf die Liebe bezieht, wird aus der Einleitung zu dieser Anekdote deutlich, wo es heißt, dass die meisten im Alter sich nach Lüsten der Jugend in der Liebe, in Speis und Trank und andere Dingen solcherart sehnten.195 Abschließend fügt Kephalos aber hinzu, dass es weniger auf das Alter als den Charakter (τρόπος) der Menschen ankomme. Auch wenn der Charakter im einzelnen entscheidet, so bietet doch das Alter eine besondere Gelegenheit für eine philosophischere Lebensart, insofern der Mensch eine größere Freiheit von körperlichen Lüsten erfährt und sich auf diese Weise leichter auf anderes konzentrieren kann.

193 Vgl. auch An seni 788e, wo Plutarch die gleiche Sentenz des Sophokles wie Platon zitiert, sowie Cic., de sen. 47. 194 Pol. 329b7–d4: νῦν δ’ ἔγωγε ἤδη ἐντετύχηκα οὐχ οὕτως ἔχουσιν καὶ ἄλλοις, καὶ δὴ καὶ Σοφοκλεῖ ποτε τῷ ποιητῇ παρεγενόμην ἐρωτωμένῳ ὑπό τινος· »Πῶς,« ἔφη, »ὦ Σοφόκλεις, ἔχεις πρὸς τἀφροδίσια; ἔτι οἷός τε εἶ γυναικὶ συγγίγνεσθαι;« καὶ ὅς, »Εὐφήμει,« ἔφη, »ὦ ἄνθρωπε· ἁσμενέστατα μέντοι αὐτὸ ἀπέφυγον, ὥσπερ λυττῶντά τινα καὶ ἄγριον δεσπότην ἀποδράς.« εὖ οὖν μοι καὶ τότε ἔδοξεν ἐκεῖνος εἰπεῖν, καὶ νῦν οὐχ ἧττον. παντάπασι γὰρ τῶν γε τοιούτων ἐν τῷ γήρᾳ πολλὴ εἰρήνη γίγνεται καὶ ἐλευθερία· ἐπειδὰν αἱ ἐπιθυμίαι παύσωνται κατατείνουσαι καὶ χαλάσωσιν, παντάπασιν τὸ τοῦ Σοφοκλέους γίγνεται, δεσποτῶν πάνυ πολλῶν ἐστι καὶ μαινομένων ἀπηλλάχθαι. ἀλλὰ καὶ τούτων πέρι καὶ τῶν γε πρὸς τοὺς οἰκείους μία τις αἰτία ἐστίν, οὐ τὸ γῆρας, ὦ Σώκρατες, ἀλλ’ ὁ τρόπος τῶν ἀνθρώπων. Aber auch Platon habe ein differenzierteres Verständnis vom Alter gehabt, das die Probleme des physischen und mentalen Verfalls nicht übergehe: so Gnilka 1983, 1014, der zudem hervorhebt, dass Platon keine automatische Entwicklung der geistigen Fähigkeiten mit dem Altern verbindet, sondern, »die Vollendung im G[reisenalter] lebenslange Bemühung voraussetzt (z. B. resp. 6,497e/8c)«. In diesen Zusammenhang gehören auch die Beobachtungen von ­Bartels 2012, dass in den Nomoi die Alten mit dem höchsten Grad an Fähigkeit zur ästhetischen Würdigung von Musik ausgestattet sein, aufgrund ihrer Fortschritte in der ἀρετή und der Entfernung von der ἡδονή. Ausführlicher zur nuancierten Sicht Platons auf das Alter vgl. den Überblick bei Stein 1966, 65–78. 195 Resp. 329a-b.

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2.3 Methodische Schlussfolgerungen für die Interpretation der Achilleis Gill schließt seine Ausführungen zur Pathos/Ethos-Unterscheidung mit der Bemerkung, dass eine weitere Untersuchung besonders für literarkritische Grundannahmen der lateinischen Literatur aufschlussreich wäre.196 In der Tat scheint die ohnehin vorhandene Verbindung von Rhetorik und Dichtung in der Kaiser­ zeit besonders stark.197 So verwundert es auch nicht, wenn Martial, Statius’ Zeitgenosse, den Rhetor Quintilian in einem Epigramm als vagae moderator summe iuventae und gloria Romanae togae apostrophiert (2,90).198 Statius selbst adressiert Quintilian zwar nicht direkt. Allerdings ist das vierte Buch seiner Silvae ebenso wie 4,4 darin Vitorius Marcellus gewidmet, der auch der Widmungsträger von Quintilians Institutio ist.199 Diese Parallelität von Zeit und Adressat kann nicht mehr als ein Indiz sein, das zur Unterstützung einer inhaltlichen Verbindung dienen kann. Doch wie Barchiesi demonstriert hat, lassen sich tatsächlich Verbindungen zwischen der Konstruktion einer oratorischen Männlichkeit bei Quintilian und dem cross-dressing in der Achilleis festmachen.200 Demgegenüber soll hier eine andere Ebene der Verbindung zwischen Rhetorik und Epik in den Blick genommen werden: die Konzeption als Ethos-Epos vor dem Hintergrund der antiken Alterswerksdiskussion, wie sie besonders bei Ps.Longin greifbar ist. Delarue hat in einem Kapitel seiner Statius-Monographie bereits die Relation beider Epen Thebais und Achilleis als Pathos- bzw. Ethos-Epos beschrieben.201 Er 196 Gill 1984, 166. 197 Vgl. dazu von Albrecht 1999, 21–32 zur Bedeutung der Rhetorik für die Epik, bes. die kaiserzeitliche Epik; sowie Bernstein 2013, wie deklamatorisches Training sowohl bei Dichtern in den Schaffensprozess einwirkt, als auch bei Lesern die Rezeption beeinflusst. Vgl. außerdem Hardie 2013 und Schrijvers 2006 für die Bedeutung des Konzepts der Erhabenheit für das Verständnis flavischer Dichtung. Vgl. jedoch schon Keith 1999 zur körperlichen Meta­phorik der augusteischen Liebeselegie in Beziehung zur antiken Rhetorik. 198 Für eine ironische Lesart dieses Epigramms votiert Holzberg 2002, 82–85; vgl. dagegen jedoch Williams 270 f. Als komische Reaktion auf Quintilians Ideale deutet Lorenz 2014 das Martial-Epigramm, wobei er die Vielschichtigkeit von 2,90 betont, die sich, abhängig davon in welchem Kontext (umgebende Epigramme, Adressat etc.) es betrachtet wird, ergibt. 199 Stat. Silv. 4 praef. 1 f.; Quint. Inst. or. 1 praef. 6; 4 praef. 1; 6 praef. 1.  200 Barchiesi 2005a, vgl. die Ausführungen zu 1,326–348. Vgl. darüber hinaus Taisne 1979 zum Einsatz rhetorischer Topoi und praecepta bei Statius. Taisne legt zurecht Wert darauf, dass Statius sich frei dieses Repertoires bediene und nicht in sklavischer Abhängigkeit stehe (Taisne 1979, 119). Zum Gebrauch epideiktischer Formeln in den Silven vgl. auch Hardie 1983, Kap. 7. Für eine rhetorische Analyse der Reden in der Thebais vgl. Dominik 1994, bes. Kap. 3 zu rhetorischen Redetypen. 201 Delarue 2000, 191–231. Vgl. auch Vessey 1973, 57 f. für die Thebais als Pathos-Epos­ (allerdings im Sinne eines psychologisierenden Epos, das sich auf entsprechende Emotionen,

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geht dabei insbesondere von dem in der Poetik von Aristoteles entwickelten Unterschied beider homerischer Epen aus (s. o.). Ohne Differenzierung in der Bedeutungsentwicklung werden Ps.Longin und Quintilian herangezogen und mit den aristotelischen Begriffen korreliert.202 Daraus entwickelt Delarue zwei Hauptpunkte203 seiner Betrachtung: die Personencharakteristik und die verflochtene Komposition (πεπλεγµένον).204 Dabei versteht Delarue Ethos als Konzentration auf den Charakter bzw. auf die Darstellung von Handlungen eines bestimmten Charakters und versucht dementsprechend eine verstärkte Konzentration auf die psychologische Motivation in der Achilleis zu beweisen.205 D ­ elarue schließt mit dem bloßen Hinweis auf Silv. 4,4,70 und den alternden Homer bei Ps.Longin.206 Bisher hat Delarues Deutung nur eine einzige produktive Rezeption größeren Umfangs erfahren, nämlich Ripolls Kommentar.207 In seiner Einleitung bezeichnet er dies als bisher schlüssigste Gesamtinterpretation.208 In seinem Kommentar macht er auf der Basis von Delarues Konzeption eine Fülle von Einzel­ beobachtungen zur Ethos-Gestaltung bestimmter Passagen.209 Wie der vorhergehende Überblick über die Begriffsentwicklung gezeigt hat, ist eine harmonisierende Deutung von Aristoteles mit Ps.Longin (und Quintilian) jedoch kein methodisch haltbares Verfahren, da sich jeweils unterschiedliche Grundpositionen gegenüberstehen.210 In theoretischer Hinsicht ergeben sich folgende Positionen: 1) Mithilfe der antiken Literarkritik lässt sich die A ­ chilleis als wie Quintilian sie als Pathos qualifiziert (6,2,20: ira, odium, metus, invidia, miseratio), bei den dargestellten Figuren konzentriert). 202 Delarue 2000, 195 f. In der Folge greift auch Ripoll 19 in einem substantiellen Punkt zu kurz, wenn er behauptet, dass Ps.Longin die aristotelische Unterscheidung der homerischen Epen aufnehme. 203 Zu verschiedenen m. E. zutreffenderen Detailbeobachtungen wie zu den Proömien vgl. meine entsprechenden Ausführungen ad locc. 204 Delarue 2000, 209–221 bzw. 221–229. 205 Delarue 2000, 214–219, unter Rückgriff auf Aristoteles’ προαίρεσις-Begriff. 206 Delarue 2000, 231. 207 Vgl. daneben auch seine auf dem Kommentar aufbauenden Aufsätze Ripoll 2007, 2008b und 2010. 208 Ripoll 17–22 zur Achilleis als Ethos-Epos, 18 zum Bezug zu Delarue. Allerdings offenbart Ripoll 20 eine Mischung aus biographischer und literarischer Lesart, wodurch die literarische Karriere des Statius nicht mehr primär im Sinne einer Selbstdarstellung erscheint, sondern vorrangig der Einfluss des biographischen Alters auf die literarische Alterskonstruktion in den Blick kommt: »Il est possible que Stace, sentant venir la vieillesse (cf. Silv., IV, 4, 70), ait songé à couronner son oeuvre littéraire par une épopée éthique succédant à son é­ popée pathétique, de façon à ce que propre ›vieillesse‹ littéraire rappelât celle d’Homère.« 209 Vgl. den thematischen Index p. 317 s.v. alexandrinisme, amour (et influence de la p­ oésie érotique), comédie/comique, dédramatisation, ironie; darüber hinaus Ripoll 2007 zur Konzeption des Lycomedes. 210 Vgl. dagegen Núňez 2009: Auf der Basis der aristotelischen Ethos/Pathos-Konzeption bietet Núňez eine Untersuchung der (Selbst)Darstellung des Erzählers (Ethos) und der beim Publikum hervorgerufenen Affekte (Pathos) in Heliodors Aithiopika. Auf diese Weise gelingt

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Ethos-Epos im vorrangig aristotelischen Sinne deuten, dies allerdings nicht immer erfolgreich.211 2) Oder aber man versteht sie als Alterswerk mit Ethos-Ausrichtung, wie Ps.Longin es für Homer herausarbeitet. Wie sich bei der Einzelanalyse zeigen wird, lassen sich von beiden Positionen aus z. T. ähnliche Ergebnisse erzielen und es sind dort auch viele der Anregungen ­R ipolls, der die erste Position vertritt, dankbar aufgenommen worden. Wie schon Legras212 zeigt, kann man auch ohne das Ethos-Konzept zur Einschätzung einer auf Ausgewogenheit und harmonische Wirkung hin gestalteten Achilleis gelangen (über Thetis’ Besuch bei Chiron und die Entdeckung Achills auf Skyros: »Tout y est préparé, disposé, équilibré dans uns manière parfaite.«) Demgegenüber bietet das Ethos in Verbindung mit dem Alterswerkgedanken eine Möglichkeit, den antiken Leserhorizont miteinzubeziehen. Ein noch stimmigeres und zugleich auch methodisch abgesicherteres Konzept scheint mir durch den Einbezug der Selbstdarstellung des Epikers in den Silven zu gewinnen zu sein sowie durch den Rekurs auf eine einheitliche Definition des Pathos/ Ethos-Unterschiedes, wie ihn Ps.Longin und Quintilian bieten, insbesondere unter Beachtung der Verknüpfung mit dem Alter bei Ps.Longin (vgl. auch B 5.). Auf diese Weise vermeidet man auch einen unerklärlichen Widerspruch von Position 1), der zufolge Charakterdarstellungen als Besonderheit oder gar Alleinstellungsmerkmal des Alters klassifiziert werden und damit einem Reifewerk zumindest nicht in gleichem Maße zuzuerkennen sein dürften (vgl. auch Gills Zusammenfassung, s. o.). Es führt nämlich zu seltsamen Interpretationsverrenkungen, wenn man Ilias und Odyssee bzw. Thebais und Achilleis nebeneinander in rein aristotelischem Sinne ohne Alterswerkkonnotation betrachtet und dann Ilias bzw. Thebais Charakterdarstellung ab- bzw. Odyssee und ­Achilleis in besonderem Maß zusprechen muss.213 Folgt man demgegenüber der hier vorgeschlagenen Deutung, so erhält man ein nicht primär auf Handlungsführung ausgerichtetes Konzept wie bei Aristoteles, das für ein Handlungsfragment ohnehin ungeeignet ist, sondern ein auf rhetorische Merkmale ausgerichtetes, das stilistische und rezeptionelle Elemente in Form der Gefühlssteuerung vereint, wobei eine generische Analogie zur Komödie, insbesondere Menanders,214 mit eingeschlossen ist. Die generische eine methodisch überzeugende Verwendung rhetorischer Theorie auf literaturwissenschaftlichem Gebiet. 211 Vgl. auch meine Ausführungen zu A. 1,841–885 zur Wiedererkennung. 212 Legras 1908, 47. 213 Vgl. gegen eine solche Auffassung z. B. Dominik 1994, 205–235 zur Charakterisierung von Personen in der Thebais durch ihre Reden. 214 Diese Spezifizierung trifft Russell zu 9,15 und sie erscheint gerechtfertigt vor dem Hintergrund des antiken Lobs für Menanders Lebens- und Alltagsnähe (vgl. z. B. Aristophanes v. Byzanz bei Syrian. in Hermog. II 23 Rabe, Man. Astr. 5,475 f.; Quint. 10,1,69), die Ps.Longin ja auch an der Odyssee hervorhebt.

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Wendung von Pathos/Ethos ist bei Ps.Longin durch οἱονεὶ κωμῳδία τίς ἐστιν ἠθολογουμένη (9,15) durchaus im ganz speziellen Sinne gemeint: Die ­Odyssee gleicht in denjenigen Episoden, die in Odysseus’ Haus spielen, einer Komödie, sc. weil sie durch ihre Intrigenhandlungen und die Konzentration auf familiäre Konflikte strukturelle und motivische Ähnlichkeiten aufweisen, die sie von der martialischen Welt der Ilias oder auch der Abenteuerhandlung der Odyssee grundlegend unterscheiden. Allgemeiner noch ist die Wendung bei Quintilian, der grundsätzlich das Ethos mit dem Affektzustand, den eine ­Komödie auslöst, vergleicht (6,2,20). Dass gerade eine Komödie nach Art Menanders mit Homer in Verbindung gebracht wird, mag zunächst überraschen. Interessanterweise wird Menander aber bei Quintilian und seinen Zeitgenossen nach Homer als bedeutender Dichter genannt.215 Citroni erklärt dies damit, dass der homerische Margites nicht mehr, wie noch von Aristoteles, für echt gehalten wurde, und damit der Spitzenplatz im Bereich Komödie gewissermaßen neu zu besetzen war.216 Sowohl die Diskussion bei Ps.Longin als auch bei Quintilian ist durch ein graduelles Verständnis von Pathos und Ethos gekennzeichnet.217 Dies erlaubt eine wechselseitige Konturierung: d. h. dass Ethos-Momente in der Thebais das Pathos stärker hervortreten lassen218 bzw. umgekehrt, dass das Ethos-Epos­ Achilleis durch Pathos-Momente profiliert wird.219 In diesem Sinne lässt sich auch die Argumentation von Aricò umkehren: Er versucht eine größere Nähe zur Thebais herauszustellen,220 das ganze erste Buch der Achilleis habe einen »patetico sentimentalismo«221 wie die Thebais. Gerade diese Vergleichbarkeit hat m. E. die Funktion, die Distanz herausarbeiten: Thebais und Achilleis haben eine Schnittmenge, stehen sich aber komplementär gegenüber. Diese Komple 215 Vgl. dazu Citroni 2006, 9–12. Dabei verweist Citroni auch auf Doppelhermen mit dem Antlitz beider Dichter. Für Statius vgl. Silv. 2,1,113–119. 216 Citroni 2006, 11 f. 217 Vgl. schon Horaz, Ars 93 f.: interdum vocem comoedia tollit / iratusque Chremes tumido delitigat ore. 218 So auch Delarue 2000, 213 f. Vgl. auch Klodt 2009, 180 Fn. 2 für Literatur zu komischen Zügen (auch im Sinne des Grotesken und Absurd-Lächerlichen bzw. Schauerlich-Unterhaltsamen) in der Thebais, die generell allerdings Klodt m. E. etwas überbetont. Zu alexandrinischen Elementen in der Thebais vgl. Reitz 1985; zu elegischen Motiven Bessone 2002. Einen, allerdings auf Distanzierung angelegten Bezug zu ovidischen Landschaftsbeschreibungen in der Thebais arbeitet Newlands 2004 heraus. 219 Vgl. auch Méheust xxxvif. zur l’art du contraste in der Achilleis und Taisne 1994, 326, die von »mélange de grandeur et de grâce« spricht. Einen hervorragenden Überblick über das Aushandeln verschiedener Grenzen (Gattung, gender, literarische Tradition) in der Achilleis bietet Newlands 2012, 61–71. 220 Aricò 1986, 2959–2962. 221 Aricò 1986, 2959. Sobald Achill erst einmal entdeckt sei, sei er auch ein epischer Held; es werde also gewissermaßen das Ende seiner Reife dargestellt (p. 2960 f.). Aricò 1996 bestärkt diese Position, z. B. p. 196 durch den Vergleich Thetis-Atalante.

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mentarität wird gewissermaßen retrospektiv durch eine entsprechende Kon­zep­ tion der Achilleis erzeugt, und zugleich wird in den Silven dem Leser ein episches Diptychon in Aussicht gestellt.222 Geht man von der Selbststilisierung eines Alterswerkes anhand der bei Ps.Longin greifbaren Kriterien aus, so dürfte einen vielleicht die implizit negative bzw. apologetische Anlage überraschen. Ps.Longin entschuldigt Homer mit dem Sonnenvergleich geradezu (9,13 s. o.). Wenn die Odyssee nur ein zweitbestes Werk ist,223 würde dann ein Dichter nur ein zweitbestes Werk konzipieren bzw. seinem Leser genau dies suggerieren wollen? Die Entwicklung zum Ethos erscheint bei Ps.Longin jedoch nur deswegen negativ konnotiert, weil sein Werk sich den Quellen der Erhabenheit widmet und diese eher mit dem Pathos as­ soziiert ist.224 D. h. was Ps.Longin über die Charakteristika eines Alters­werkes offenbart, ist immer vor dem Hintergrund dieser Diskussion der Erhabenheit zu sehen. Dies mindert die Bedeutung dieses Exkurses keineswegs. So wie in antiken Diskussionen über das Alter eine Bestimmung desselben durch die Relation zu früheren Altersstufen erreicht wird,225 so umreißt auch Ps.Longin die Eigenarten eines künstlerischen Alterswerkes durch die Relation zum früheren Werk. Er fasst dabei diese Relation in eine rhetorische Terminologie, die auch zum Tenor der restlichen Schrift passt, und benennt die emotionale Qualität der Reifephase mit Pathos, die des Alters mit Ethos. Auf diese Weise vereint Homer zwei Qualitäten im Laufe seines Lebens in sich, die sonst jeweils nur einem Redner bei Ps.Longin zugesprochen werden. So hat bspw. im Vergleich mit Demosthenes Hypereides zwar Witz und Anmut (34,2: u. a. τό τε ἠθικὸν ἔχει μετὰ γλυκύτητος ἡδύ… πολὺ τὸ κωμικὸν καὶ μετὰ παιδιᾶς εὐστόχου κέντρον), berührt seine Hörer aber nicht in der erschütternden Weise wie Demosthenes: »eher könnte einer gegenüber zuckenden Blitzen seine Augen öffnen als seinen aufeinanderfolgenden emotionalen Ausbrüchen (τοῖς ἐπαλλήλοις ἐκείνου πάθεσιν) entgegenschauen.« (34,4) Das apologetische Moment in 9,11–15 wird im direkten Vergleich mit den Rednern zu einem enkomiastischen. Negativ erscheint das Alterswerk Homers höchstens dann, wenn man ausschließlich auf der Suche nach Pathos und Erhabenheit ist. Für sich genommen bietet Homers episches Diptychon allerdings einen einmaligen Kosmos stilistischer Qualitäten, der sich durch das Spektrum Pathos/Ethos auch neutral beschreiben lässt, da nicht prinzipiell in der rheto­ 222 Vgl. dazu B 1. 223 Und hierin sind sich Aristoteles und Ps.Longin sogar einig: Gill 1984, 164. 224 Vgl. dazu Gill 1984, 160–162. Gill zitiert dabei u. a. die prägnante Sentenz in 29,2: πάθος δὲ ὕψους μετέχει τοσοῦτον, ὁπόσον ἦθος ἡδονῆς. 225 Vgl. die charakterliche Bestimmung der drei Lebensalter Jugend, Reife, Alter als unterschiedlich anzusprechende Publikumskreise in der aristotelischen Rhetorik (2,12–14) oder die Bestimmung der charakterlichen Eigenschaften dieser drei Lebensalter bei der literarischen Darstellung in Horaz’ Ars 156–178.

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rischen Theorie dem Ethos eine negative Einschätzung anhaftet, wie z. B. ­Cicero zeigt. So kann man aus Ps.Longin das ohnehin rhetorisch konnotierte Begriffspaar Pathos/Ethos für die Analyse eines Alterswerkes gewinnen und es durch eine Annäherung an den rhetorischen Ursprung, wie er bei Cicero greifbar wird, seiner negativen Einschätzung, die bei Ps.Longin lediglich kontextbedingt und nicht systematischen Ursprungs ist, wieder entkleiden. Auf eine solche Betrachtung des Alterswerks kann Statius dann auch positiv konnotiert rekurrieren.226 Zudem ist er in der für einen lateinischen Dichter einzigartigen Lage, ein zweites Epos zumindest in Angriff zu nehmen. Als Modell für ein solches Oeuvre bleibt da nur der Rückgriff auf Homer.227 Darüber hinaus ergibt sich durch einen rhetorischen Ethos-Begriff die Möglichkeit, eine Verbindung zu unepischen Gattungen wie der Komödie, wie bei Ps.Longin und Quintilian, und auch der Lyrik oder der Elegie, wie in der Achilleis, zu schaffen und zugleich eine Brücke zu kallimacheischen Stilprinzipien zu schlagen.228 Bei Quintilian hat das Ethos einen Teil  seiner auch bei Cicero prominenten ursprünglichen Bedeutung des Wohlwollens, das ein Redner durch sein Auftreten bei seinem Publikum hervorruft, behalten. In diesem Punkt des self­ fashioning berühren sich der Redner und der Dichter,229 zumal ein Dichter wie Statius, der durch seine Silven in der uns erhaltenen Literatur insofern eine besondere Stellung einnimmt, als dass ein Epiker seinen Image-Aufbau auch außerhalb der Epik, aber diese ganz besonders betreffend, vollzieht.230 Nur in dieser Hinsicht kann ein ›aristotelischer Rest‹ im Ethos-Begriff sinnvoll für eine Alterswerk-Untersuchung sein, wie ihn auch Quintilian ihn seine EthosKonzeption integriert (s. o. zu Quint. 6,2,13/18 f.). Nicht eine Charakterdarstel-

226 Vielleicht gehört hierher auch eine Passage aus den Silven (4,2,1–10): Vergil und H ­ omer haben Didos bzw. Alkinoos’ Palast würdig beschrieben. Statius könnte das mit Domitians Palast nicht tun, d. h. um über Domitian zu dichten, braucht man einen Epiker wie Vergil oder Homer. Allerdings wird hier gerade der Homer der Odyssee als Vergleichspunkt heran­ gezogen: Soll man verstehen, dass die Kräfte weder für einen zweiten Vergil, ja nicht einmal für einen zweiten alternden Homer reichen, sondern nur für eine nicht-epische Silve? Zu bedenken ist dabei allerdings, dass Statius einen konvivialen Vergleichspunkt aus dem Epos brauchte, um seine Essenseinladung mit Silv. 4,2 zu überhöhen, und die Odyssee dafür geeigneteres Vergleichsmaterial als die Iias zur Verfügung stellt. 227 Allgemein zu Homerparallelen in der Achilleis vgl. die Sammlung von Parallelstellen bei Juhnke 1972, 370–375 und seine Diskussion speziell zu parallelen Szenenstrukturen ­162–172, mit einem zusammenfassenden Vergleich gegenüber der Homerimitatio in der­ Thebais 172–184. 228 Vgl. ausführlicher dazu B 2.2.2. und 3., und die Einzelanalysen in C. 229 Vgl. auch Dugan 2005 zu Ciceros literarischem self fashioning in rhetorischer Theorie und Praxis. Zum Begriff des self fashioning in diesem Sinne vgl. Greenblatt 1980, 1–3. Als weitere Parallele, die zeitlich näher zum Hauptgegenstand der Untersuchung, Statius’ Achilleis, liegt, vgl. Gauly 2008 zu Plinius’ Selbstdarstellung in den Briefen. 230 Vgl. dazu B 1. 

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lung überhaupt ist dann bezeichnend für das Alter, wie es von Delarue ange­ nommen wird, sondern das Ethos des alternden Dichters, seine charakterliche Selbstdarstellung ist Teil der Konzeption des Werkes bzw. sie ist seiner Selbstkommentierung, wie in Statius’ Silven, als Rezeptionshinweis für den Leser eingeschrieben. Zusammenfassend lassen sich aus der Betrachtung des Ps.Longin im rhetorischen Kontext also folgende Parameter für ein (stilisiertes) Alterswerk eines Epikers gewinnen, die für eine entsprechende Untersuchung der Achilleis heran­ gezogen werden können: (1) Abzielen auf eine stilistisch konnotierte Ethos-Wirkung, die sowohl ein auf Sympathie orientiertes Bild vom Redner bzw. Epiker/Erzähler erzeugen als auch den Leser in einen Zustand moderater und vorwiegend angenehmer Affektlage versetzen soll; (2) Zurückdrängen der entgegengesetzten emotionalen Intensität des Pathos231 in stilistischer und thematischer Hinsicht bzw. nur profilierender Einsatz desselben; (3) Inkorporation von Unepischem, z. B. durch die Annäherung an die Komödie, das motivisch, thematisch, stilistisch und strukturell die Ethos-Wirkung hervorrufen kann, die insbesondere mit diesem Genre assoziiert ist. Als Resultat entsteht gewissermaßen ein stilistisch-generischer Hybrid:232 ein im hierarchischen Gattungssystem per definitionem als Epos auf der höchsten Ebene angesiedeltes Werk allerdings in mittlerer Stilebene; 231 Eine eindrucksvolle Beschreibung der intensiven Affektwirkung, die eine Demosthenes-Lektüre bei Dionysios von Halikarnassos auslöst, findet sich in Dem. 22. Insofern ist für diese Untersuchung ein Verständnis von Pathos im Sinne einer emotionalen Erregung, einer perturbatio animi (vgl. Cic. Tusc. 4,11) entscheidend, der ein emotionaler Ruhe- bzw. Ausgeglichenheitszustand, Ethos, gegenübersteht. Zum Begriff Pathos für Emotion überhaupt und die Begriffsentwicklung von Platon bis Cicero vgl. Konstan 2006. Für einen Überblick über die verschiedenen Konzeptionen von Emotion in der antiken Philosophie vgl. auch Krajczinski/Rapp 2009. 232 Dies ist als Unterschied zu einem rein generischen Hybrid gemeint, der verschiedene Gattungen fusioniert. In Ps.Longins Betrachtung ist die Odyssee nämlich keine epische Komödie oder komödiantisches Epos, sondern ein Epos mit Elementen aus der Komödie. Der generische Rahmen des Epos bleibt damit also gerade intakt. Vgl. auch Müller 2011a, der eine generische Untersuchung der politischen Dichtungen Claudians auf der Basis strukturalistischer Ansätze unternimmt, die »Gattungen nicht über die sie konstituierenden Elemente zu beschreiben suchen, sondern nach den Beziehungen dieser Elemente zueinander fragen und in bestimmten wiederkehrenden Regeln, nach denen die konstitutiven Elemente zusammenwirken, die gattungskonstituierenden Parameter erkennen wollen.« (56). Dieser Ansatz ist von Müller mit Blick auf Claudians Dichtungen, die Epik und Panegyrik verbinden, formuliert. Bei der Achilleis scheint mir im Unterschied dazu jedoch – dies sei vorausgreifend gesagt – keine generische Hybridisierung, sondern eine funktionale Aufnahme bes. elegischer Elemente in die Epos-Konzeption vorzuliegen (vgl. dazu den folgenden Punkt B 2.2.2.).

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(4) (inszenierter) Kontrast zwischen Weitschweifigkeit233 auf der einen Seite und fehlender Kraft zur Ausschmückung bzw. nur summarischer Darstellung auf der anderen Seite; (5) eine mythologisierende Erzählfreude an Wundersamem und, rational be­ urteilt, Unglaubwürdigem. Die mittlere Stilebene war von Quintilian als angemessen für das Ethos empfohlen worden (6,2,19, s. o.). Interessanterweise findet sich darüber hinaus eine Verbindung von mittlerer Stilebene und Alter, die in der antiken Diskussion, u. a. bei Cicero und Quintilian, aber auch bei Statius selbst,234 mit drei homerischen Charakteren parallelisiert wird: Odysseus steht für den hohen Stil, der alte Nestor für den mittleren, Menelaos für den einfachen Stil.235 Dies steht im Einklang mit der generellen Auffassung von Homer als dem Urheber der Rhetorik.236 Implizit zu den bisher genannten Parametern gehört ein doppelter Bezug zum bisherigen Werk, der sich in der paradoxen Einheit von Fortführung und Distanz äußert (vgl. die Odyssee als Fortsetzung der Ilias bei Ps.Longin 9,12): Das Alterswerk ist zum einen erkennbar ein Werk des gleichen Dichters und Teil  seines bisherigen Schaffens, zugleich aber von diesem durch seine neuen Qualitäten abgesetzt. Erst diese Bezogenheit macht ein Alterswerk zum Alterswerk, denn es braucht wie das Lebensalter einen Bezug zu einer Vergangenheit, um als solches erkennbar zu sein (s. dazu A 3.).237 Bei einer solchen Zusammenstellung kann es nicht darum gehen, gewisser­ ma­ßen eine Liste zur Abarbeitung für den Dichter bzw. den Leser vorzulegen. 233 Zur Weitschweifigkeit des Alters vgl. die Belege bei Bühler 1964, 51. Besonders interessant ist die Verbindung von Altersschwäche und Geschwätzigkeit bei Ps.Demetr. de eloc. 7: οἱ γέροντες μακρολόγοι διὰ τὴν ἀσθένειαν. 234 Vgl. Silv. 5,3,114 f. und dazu den Kommentar von Gibson ad loc. 235 Vgl. dazu Kennedy 1957, 26–28 und die dortigen Belege, u. a. Cic. Brut. 40/50; Quint. 12,10,64. Vgl. außerdem die Sammlung der Belege bei Radermacher 1951, 6–9. Frobish 2003 sieht sogar Homers Darstellung der drei Charaktere und insbesondere Nestors als wichtigen Ursprung für Aristoteles’ Ethos-Konzeption insofern an, als dass bei Aristoteles der Redner auf das Alter seines Publikums achten müsse bzw. selbst altersangemessen sich in seiner Diktion darstellen solle. Vgl. außerdem Cic. de sen. 28 zum Redestil des Greises: senis sermo­ quietus et remissus, [….] senis compta et mitis oratio. 236 Vgl. die Belege bei Radermacher 1951, 9 f., am ausführlichsten darunter Quintilian 10,1,46–50, der u. a. die Affekterzeugung lobt (10,1,48). 237 In Verbindung mit dem bisher diskutierten Phänomen der Modellierung einer persona nach einem literarhistorischen Vorbild bzw. der wechselseitigen Korrelierung von der Entwicklung der persona in autobiographisch erscheinender Perspektive und der Wahl der Gattung, des Stoffes etc. steht eine in der ganzen Antike in vielfältigster Form zu beobachtende Topik, die auf eine Korrelation von Redeweise und Charakter abzielt: vgl. dazu die grundlegende Untersuchung von Möller 2004, darunter bes. 61–78 zu Aristoteles’ Konzept der Ausdifferenzierung der Gattungen nach den Charakteren der Autoren im vierten Kapitel der Poetik, sowie 137–165 zu Cicero über diese Analogie innerhalb der Rhetorik und 167–261 zu Seneca in Verbindung mit einer ethischen Perspektive. Mit Blick auf Statius ist hier die An-

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Dies würde auf eine sklavische Entsprechung der Praxis zu theoretischen Überlegungen hinauslaufen, die einer Dichtung wie der Achilleis nicht gerecht würde. So scheint mir bspw. eine Deutung wie Delarues zur Beschreibung Chirons überinterpretiert.238 Er verbindet die in A. 1,123 f. betonte Doppelgestalt des Kentauren mit dem bei Ps.Longin (9,13) erwähnten Abschweifen Homers ins Mythische. Allerdings verbindet Ps.Longin, wie bereits oben gesagt, gerade dieses Mythische mit Episoden, die nicht zur Ethos-Gestaltung passen (9,14). Sollte davon abgesehen diese Stelle tatsächlich auf einen mythologischen Effekt angelegt sein, so stünde sie seltsam isoliert in der Achilleis, die sonst auf Mythisches und Unglaubliches gerade verzichtet, also die Nähe zum Alltäglichen betont. Vielmehr spannen die Einzelpunkte einer solchen Zusammenstellung gewissermaßen einen Raum auf, in dem sich ein Alterswerk bzw. ein als Alterswerk konzipiertes Epos bewegen kann, ähnlich den dynamischen und relationalen Kriterien des Ps.Longin. Diese relationalen Parameter bedingen eine nicht unwesentlich auf dem intertextuellen Vergleich basierende Untersuchung der Achilleis. Primärer Bezugstext ist dabei die Thebais, da Statius, wie oben bereits angedeutet, durch sein zweites Epos ein Vergleichsmoment mit Homers aus zwei Epen bestehendem Hauptwerk erschafft, das von Ps.Longin zur Illustration der Altersentwicklung eines Dichters herangezogen wurde. Zusätzlich zu diesen intratextuellen Analysen können intertextuelle Bezüge zu anderen Epen sowie anderen Gattungen die Ethos-Konzeption profilieren. Beides entspricht nämlich antiker Praxis, d. h. dem Horizont, den ein zeitgenössischer Leser des Statius hat bzw. auf den Statius abzielen kann. Ps.Longin (34,2–4) demonstriert z. B. die pathetische Natur des Demosthenes im Vergleich zum ethischen Hypereides, wählt also einen Bezugspunkt der gleichen Gattung aus. Darüber hinaus ist eine transgenerische Perspektive zu den niederen Gattungen durch die Analogie Pathos/Tragödie – Ethos/Komödie angelegt. Die Zahl der potentiell zu betrachtenden Intertexte ist dabei zuweilen überaus hoch,239 d. h. dass eine Auswahl bei der vergleichenden Analyse geboten ist, die jeweils an entsprechender Stelle auch begründet werden muss, auch wenn eine so getroffene Auswahl nicht immer die einzig mögliche Entscheidung darstellen wird. Ziel muss es daher sein, aus dem vielstimmigen Chor der intra- und intertextuellen Stimmen der Achilleis, die für das jeweilige Untersuchungsziel entscheidenden Stimmen hervorzuheben.240 knüpfung von Silv. 4,4,97 f. (s. B 1.) an diese Topik in Horaz’ Ars (38–40) ein wichtiges Indiz auf der Meta-Ebene dafür, dass auch die Analogie Redeweise/Charakter einen entsprechenden literarkritischen Rezeptionshintergrund für die im Folgenden (s. B) vorgestellte Engführung von Selbststilisierung und Eposkonzeptionierung bildet. 238 Delarue 2000, 227 f. 239 Vgl. z. B. die Ausführungen zur Calchas-Szene (1,513–537). 240 Als Analogie zu dieser Art der Interpretation lässt sich vielleicht die orchestrale Instrumentierung heranziehen. Dies sei an einem Beispiel demonstriert: Anton Webern hat 1934/35

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Einleitung und methodische Grundlagen

Was die ästhetische Gestaltung von affekterzeugenden Erzählungen betrifft, hat Knape mit der Prägung und Erläuterung des Begriffs Pathosnarrativ eine nützliche Kategorie geschaffen und zugleich eine Unterscheidung zwischen rhetorischer und literarischer Verwendung etabliert. Ihm zufolge sind Pathos­narrative »keine expressiven Sprechakte (wie etwa Klage, Schwur, Geständnis) oder ähnliche Äußerungsformen. Sie sind nicht einfache Feststellungen von Gefühlsregungen (also nicht konstativ über die Semantik des Gefühlswortschatzes abgewickelt), sie kommentieren und argumentieren nicht, sondern bringen Pathos ästhetisch über die Vorführung von Vollzug zum Vorschein. […] Rhetorisch geht es darum, wie es mittels Pathos­narrativen gelingen kann, Affekte in irgendeiner kommunikativen Absicht zu evozieren (Apellfunktion). […] Die poetologische Frage wäre […] die Frage nach […] der überzeugenden Hervorbringung einer realitätsnahen, rein semiotisch erzeugten virtuellen Realität […] (Mimesis oder Darstellungsfunktion).«241

Analoges ließe sich dann auch für ein Ethosnarrativ zugrunde legen, bei dem ebenfalls die Inszenierung des Ethos im Mittelpunkt steht. Mithilfe dieser Begriffe ließe sich die Achilleis als Ethosnarrativ bezeichnen, in dessen virtueller Ethos-Realität die epische Tradition eine Transformation erfährt, wobei Pathosmomente keinen karikierenden oder subversiven, sondern kontrastiv affirmierenden Charakter haben und damit Teil der Inszenierung des Ethos sind. Zugleich vereint die Ethos-Projektierung der Achilleis, wie die beiden Hauptteile B und C zeigen sollen, die von Knape beschriebene rhetorisch-deklarative Komponente, in Form der Silven und des Achilleis-Proöms, sowie eine virtuelle in Form des Achilleis-Narrativs im Anschluss an das Proöm.

3. Konzeptionen von Gesamt- und Alterswerken in hellenistischer und römischer Literatur Für ein antikes Konzept des künstlerischen Alterswerkes ist nicht nur die eben behandelte Opposition Pathos/Ethos von Bedeutung, sondern, wie bereits anhand von Ps.Longin 9,12 gezeigt, auch die Idee eines Gesamtwerkes, das ein Künstler im Laufe seines Lebens erschafft. Durch die Tätigkeit der als Philodas sechsstimmige Ricercare aus Bachs ›Musikalischem Opfer‹ von 1747 orchestriert. Bach hat das wohl ausschließlich für Cembalo gedachte Stück in seinen sechs Stimmen auf sechs Linien notiert, um die Gleichwertigkeit der Stimmen zu betonen. Webern überträgt nun die einzelnen Melodieverläufe nicht stets gleichbleibenden Instrumenten, sondern bricht diese durch verteilte Klangfarben auf (sog. Klangfarbenmelodie). Dadurch entstehen für den Hörer motivische Bezüge innerhalb einer Stimme und zwischen den einzelnen Stimmen, die bei Bach angelegt sind, aber deren Hervorhebung bzw. Herausarbeitung Weberns Interpretation des bachschen Ricercares ist. 241 Knape 2010, 44, vgl. auch 32 zur Einführung des Begriffs Pathosnarrativ.

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Konzeptionen von Gesamt- und Alterswerken

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logen und Dichter produktiven Alexandriner gelangt die Idee des Oeuvres von der editorischen Praxis in den Bereich der literarischen Produktion. Es findet eine Literarisierung der Textproduktion und Textrezeption statt. Waren zuvor literarische Werke an spezifische Anlässe gebunden, wie Feierlichkeiten für den Olympiensieg oder Theateraufführungen zu Ehren des Dionysos, so rückt mit der Idee der Sammlung und Edition des Einzelnen in Gedichtbüchern und in spezifischen Corpora242 auch die Idee des Zusammenhangs der Einzelteile in Relation zur (inszenierten) Biographie des Autors in den Vordergrund.243

3.1 Kallimachos Seine Aitia eröffnet Kallimachos mit einem berühmten und vielrezipierten Prolog, in dem er auch auf sein Alter zu sprechen kommt, das als Teil der Argumentation erscheint. Zum einen referiert er die Kritik seiner Gegner, die einen Widerspruch zwischen der kindlichen Knappheit seiner Werke und der Anzahl seiner Jahre sehen (frg. 1,5 f. Pf.)244:    […] ἔπος δ’ἐπὶ τυτθὸν ἐλ[… παῖς ἅτε, τῶν δ’ ἐτέων ἡ δεκὰς οὐκ ὀλίγη. das Wort nur auf Kleines…, wie ein Kind; die Zahl der Jahrzehnte aber ist nicht gering.

Zum anderen ist ein Hinweis auf das Alter in die Zikadenmetapher der Verse 30–36 eingearbeitet245 und Kallimachos nutzt das Alter als Gegenargument, da er sich aufgrund der lebenslangen Unterstützung durch die Musen gerechtfertigt fühle (frg. 1,37 f. Pf.): 242 Zur Komposition von Büchern vgl. den Überblick zur Entwicklung des Buchwesens und des Denkens in Büchern bei Hutchinson 2008, 1–42. Vgl. dazu auch Barchiesi 2005b, der gegenüber einer sehr stark ästhetisierenden Untersuchung von Gedichtbüchern als künstlerischem Ausdruck stattdessen für ein offeneres Modell argumentiert, das auch die praktische Realität der Buchproduktion und Buchzusammenstellung mitbedenkt. 243 Für das Phänomen der inszenierten Dichterkarriere bei antiken und nachantiken Autoren vgl. u. a. Lipking 1981, Cheney/de Armas 2002, Hardie/Moore 2010. Vgl. außerdem Cahn 2004 für Überlegungen zu neuzeitlichen Gesamtausgaben eines Autors, deren Wirkabsicht wesentlich mit der Schaffung von cultural authority verbunden wird. Für Korenjak 2005, 219 ist Vergil der erste für uns fassbare antike Dichter, der ein Gesamtwerk konzipiert. Im Folgenden sollen allerdings wichtige Vorläufer aufgezeigt werden. 244 Im Kallimachostext folge ich Harder allerdings ohne die Ergänzung ἑλ[ίσσω, da hier nur der Altersaspekt entscheidend ist. Harder II zu frg. 1,5–6 bringt allerdings gute Argumente für diese Ergänzung (zu verstehen als ›turn in one’s mind‹) und gegenüber anderen Vorschlägen vor. 245 Zur Verbindung von Zikade mit Alter und Unsterblichkeit vgl. Harders Kommentar II zu frg. 1,30 Pf.

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Einleitung und methodische Grundlagen

… Μοῦσαι γὰρ ὅσους ἴδον ὄθματι παῖδας μὴ λοξῷ, πολιοὺς οὐκ ἀπέθεντο φίλους. Wen die Musen nämlich als Kind nicht mit schiefem Auge angesehen haben, dem sind sie auch im Alter noch freundlich gesonnen.

Pfeiffer hat den Aitienprolog gegen die Telchinen als Zusatz einer zweiten Auflage (oder einer Ausgabe gesammelter Werke) verstanden und damit Zustimmung geerntet sowie zu unterschiedlichen Verfeinerungen dieser These Anlass gegeben.246 Nicht unwesentlich dürfte zu dieser Deutung der Hinweis auf das eigene Alter beigetragen haben. Insofern lässt sich diese Theorie nicht als Beleg für eine Ausgabe im späten Alter verwenden, zumal wenn laut Asper »die Funktion der Hinweise auf das eigene Alter vor allem die ist, den [sc. folgenden] Traum einzuleiten«.247 Entscheidender scheint mir in der hier verhandelten Frage der Epilog der Aitia (frg. 112 Pf.). In dessen letztem Vers leitet Kallimachos von den Aitia zu seinen Iamben über und verbindet so seine Einzelwerke zu einem Gesamtwerk in einer Gesamtausgabe: αὐτὰρ ἐγὼ Μουσέων πεζὸν [ἔ]πειμι νομόν (Ich indessen will zur niederen Musenweide übergehen, frg. 112,9 Pf.).248 Auf diese Weise entsteht beim Leser – und hier ist als ein antikes Beispiel Statius selbst zu nennen, der ihn als Callimachus senex bezeichnet249 – der Eindruck eines alternden Autors, der 246 Pfeiffer 1928, 339 f. Vgl. für die weitere Forschungsgeschichte den Überblick in Harders Kommentar I, 2–4. 247 Asper 2004, 26 Fn. 114. Vgl. darüber hinaus Cameron 1995, 174–184, der durch viele Parallelen seine These zu stützen versucht, dass die Hinweise auf das Alter nicht für eine Spätdatierung des Aitien-Prologs sprechen müssen, sondern dass bereits ein Mann in den Vierzigern sich in der Antike als alt fühlen durfte. Kritik an Camerons Datierung anhand von Paralleltexten (u. a. Eur. Herc. fur. 637–700) bei Livrea 1997. Die schlüssigste Interpretation scheint mir Ambühl 2005, 385–413 vorgelegt zu haben, die eine poetologische Verwendung von Jugend und Alter bei Kallimachos sowohl hinsichtlich der dichterischen Selbstdarstellung als auch der narrativ inszenierten Figuren ausmacht, die eine literarhistorische Nuance impliziert; vgl. dazu den Schlussteil D. Vgl. darüber hinaus­ bereits Hunter 2001 zur poetologischen Verwendung des Alters bei Kallimachos und hellenistischen Zeitgenossen, sowie zur Zurückverfolgung bestimmter Gedankenfiguren auf die archaische und klassische Literatur. 248 Zur metaliterarischen Deutung von πεζός vgl. die Parallelen in Harders Kommentar II zu frg. 112,9 Pf.; dort auch eine ausführliche Begründung dafür, dass ein Übergang zu den Iamben gemeint sein dürfte. Dieses Verfahren der Werkverknüpfung erinnert an das Ende von Hesiods Theogonie, wo die letzten beiden Verse in einigen Handschriften die beiden Eröffnungsverse des Frauen­ katalogs darstellen (νῦν δὲ γυναικῶν φῦλον ἀείσατε, ἠδυέπειαι / Μοῦσαι Ὀλυμπιάδες, κοῦραι Διὸς αἰγιόχοιο). In der Tat lässt sich der Frauenkatalog als Fortsetzung der Theogonie lesen, die mit den Kindern von Göttinnen und sterblichen Männern endete. Allerdings unterscheidet Kallimachos von Hesiod die Explizitheit der metatextuellen Referenz. Vgl. dazu auch­ Cameron 1995, 156. Ausführlicher zur Buchstruktur der Aitia vgl. Hutchinson 2008, 42–63. 249 Silv. 1,2,253.

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in der Retrospektive die Werke seines Lebens zu einem Lebenswerk zusammenfügt und dadurch neue Querverbindungen herstellt, in diesem Falle durch die generische Referenz von höherer zu niederer Gattung.250 Hunter spricht in diesem Zusammenhang vom Alter als poetic code,251 in dem sich eine in der hellenistischen Literatur konventionalisierte Verbindung vom Alter des Dichters und dem dauerhaften, durch die Werke bereits erworbenen Ruhm zeigt, für die auch das im Folgenden zu behandelnde Gedicht des Poseidippos ein Beispiel sei.252

3.2 Poseidippos Die als Siegelgedicht bekannte Elegie SH 705 von Kallimachos’ Zeitgenossen Poseidippos ist von Gauly als »Einleitung eines Gedichtbuches […], das erklärtermaßen als Alterswerk konzipiert war, also wohl als vom Autor komponierte Sammlung früherer Gedichte« bezeichnet worden.253 Eine solche Sammlung von Einzelgedichten des Poseidippos als Epigrammbuch ist uns zwar durch den Mailänder Papyrus greifbar: »Dennoch kann das Siegelgedicht nicht die Einleitung zu dem durch den Mailänder Papyrus überlieferten Gedichtbuch sein, weil dagegen der papyrologische Befund steht, dass es sich bei dieser Rolle um den Anfang eines Buches handelt. Denkbar ist aber, dass die Sphragis eine Ausgabe letzter Hand in mehreren Büchern eröffnete, von denen eines jetzt durch den Papyrusfund kenntlich geworden ist. In jedem Fall zeigen Epigrammbuch und Siegelgedicht ein vergleichbares Bewusstsein von den durch das neue Medium der Papyrusrolle veränderten Bedingungen für die Produktion und Rezeption von Gedichten.«254

In dem Siegelgedicht bittet Poseidipp die Musen: στυγερὸν συναείσατε γῆρας (5). Unter Rückgriff auf einen Herausgeber des Siegelgedichts, Lloyd-Jones,255 hat Gauly γῆρας (Greisenalter) als Titel der Sammlung gedeutet, »der darauf verwiese, dass ein Dichter den poetischen Ertrag seines Lebens vorstellt«.256 Passender 250 Vgl. jedoch zur schwierigen Frage nach Bedeutung und Stellung von frg. 112 Cameron 1995, 141–162. Cameron allerdings sieht frg. 112 als ursprünglichen Epilog von Aitien 1–2, der dann von einem späteren Editor ans Ende gesetzt wurde. Kritik und weitere Literatur bei Kerkhecker 1999, 286 f. 251 Hunter 2001, 247. 252 Hunter 2001, 249. 253 Gauly 2005, 42. 254 Gauly 2005, 43. Zum Epigrammbuch des Mailänder Papyrus vgl. den Sammelband von Gutzwiller 2005, darin insbesondere ihren eigenen Beitrag zur Buchkomposition: Gutzwiller selbst hält es für möglich, dass das Siegelgedicht diese Sammlung beschloss (317–319). Der Beitrag von William Johnson (70–80) beschäftigt sich mit der physischen Erscheinung dieser auf Papyrus erhaltenen Ausgabe im Kontext des antiken Buchwesens. 255 Lloyd-Jones 1990, 173 und 190 f. 256 Gauly 2005, 38 f., Zitat: 39.

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Einleitung und methodische Grundlagen

weise nehmen die letzten Verse den Gedanken des Alters und der abgeschlos­ senen Lebensleistung explizit wieder auf (24b–28). Es wird sogar der Nachkommen und des Erbes gedacht. Darüber hinaus hat Gauly257 dafür argumentiert, dass die Elegie sich auf die Errichtung einer Ehrenstatue für Poseidippos beziehe und dass eine in römischer Kopie erhaltene Skulptur258 den Dichter inklusive Buchrolle zeige, auf die das Siegelgedicht auch hinweise (17 f.). Überzeugend sieht Gauly im Attribut der Buchrolle keine Konvention, sondern für die Zeit des Poseidippos, das 3. Jh. v. Chr., eine Innovation:259 »Die Buchrolle in ihrer [sc. der Statue] Hand verweist wie die Komposition des Mailänder Epigrammbuches und die Reflexionen des Siegelgedichtes auf das Bewusstsein davon, wie grundlegend sich die Produktion und Rezeption von Gedichten durch die Publikation von Gedichtbüchern gewandelt haben.«260

Zu diesem Bewusstseinswandel gehört dann auch, so ließe sich der Gedanke fortführen und in Verbindung mit Kallimachos bringen, die dichterische Produktion und Publikation mit dem Lebensalter zu korrelieren, so dass im Alter ein retrospektives Gesamtwerk entstehen kann, auf das der Leser explizit hingewiesen wird.

3.3 Ennius Ein frühes Beispiel in römischer Literatur für die explizite Selbstdarstellung als alter Dichter im eigenen Werk bietet Ennius im Proöm zum 16. Buch der Annales (frg. 401 Skutsch mit Kommentar: post aetate pigret suffere laborem).261 Aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustands lassen sich jedoch über die Beziehung von Gesamtwerk und Alter keine zuverlässigen Aussagen treffen. Farrell262 sieht in Ennius allerdings den Urheber eines Karriere-Modells für einen Dichter mit der Epik als Höhepunkt. Während frühere griechische Dichter bis zum Hellenismus sich im Wesentlichen nur auf einem Gebiet bzw. einer Gattung betätigt und die antiken Viten zur Zementierung der homogenen, aus den Werken herauszulesenden personae beigetragen hätten, zeigten die hellenistischen Dichter eine bewusst angestrebte Vielfalt der Gattungen. Auf römischer Seite habe der veränderte soziale Status der Dichter zu einer entscheidenden Änderung geführt: 257 Gauly 2005, 41–45. 258 Vgl. die Abbildung bei Gauly 2005, 47. 259 Gauly 2005, 44: »Der hier gezeigte Poseidipp ist einer der ersten Dichter, die mit Buchrolle abgebildet werden.« 260 Gauly 2005, 45. 261 Vgl. darüber hinaus frg. inc. sed. lxix (~ Cic. de sen. 14) und lxx (~ Gellius 17,21,43). 262 Farrell 2002.

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Den Gedanken einer Karriere habe Ennius durch die Orientierung am aristokratischen cursus honorum auf die Dichtung übertragen, wobei der Preis der militärischen Erfolge des Patrons sich in dichterischer Form in der Gattung der Epik niederschlage.263 Lucilius und Catull hätten in der Folge die dichterische Laufbahn als Alternative zur militärischen Karriere etabliert. Vor diesem Hintergrund sei Vergils im Folgenden skizzierte Konzeption der aufsteigenden Dichterkarriere zu sehen. Besonders intensiv wird nämlich die hellenistische Idee des Gedichtbuchs264 und damit in Verbindung stehend die Vorstellung eines Werkzusammenhanges in augusteischer Zeit in der römischen Literatur rezipiert.

3.4 Vergil Vergil verknüpft seine drei Werke durch explizite intertextuelle Referenzen.265 So endet das vierte Buch der Georgica mit einer Sphragis, die in ihrer zweiten Hälfte nicht nur die üblichen Angaben wie Namen, Herkunft und Leistungen enthält, sondern auch eine geradezu rahmenbildende Variation des ersten­ Eklogen-Verses (4,563–566): illo Vergilium me tempore dulcis alebat Parthenope studiis florentem ignobilis oti, carmina qui lusi pastorum audaxque iuventa, Tityre, te patulae cecini sub tegmine fagi.

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Zu jener Zeit nährte mich Vergil die angenehme Parthenope [= Neapel] in der Blüte meiner Studien der Muße ohne Ruhm [d. h. nicht mit dem traditionell auf militärischem Feld erworbenen Ruhm], der ich Hirtengedichte spielerisch verfasst und wagemutig in der Jugend dich, Tityrus, unter dem Dach einer weiten Buche besungen habe.

Die erste Ekloge begann mit dem Vers: Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi (Tityrus, der du unter dem Dach einer weiten Buche ruhst). Durch diese 263 Farrell 2002, 37–40. 264 Bei Untersuchungen von Gedichtbüchern standen zunächst besonders die Anordnungs­ prinzipien von Einzelgedichten innerhalb eines Buches im Mittelpunkt, vgl. aus der Fülle der Untersuchungen u. a. Port 1926 und Michelfeit 1969 zu augusteischen Gedichtsbüchern insgesamt, van Sickle 1980 insbesondere zu Vergils Eklogen (mit einem ersten Teil, der auf die physischen Gegebenheiten antiker Bücher und Kallimachos als Vorläufer eingeht). Dies stellt gewissermaßen die mikrostrukturelle Ebene der Komposition eines Werkes dar, im Unterschied zu einer mehrere Werke übergreifenden Beziehung, die ein Gesamtwerk herstellt. Vgl. Fowler 2000, 247 f. In der Mitte dazwischen stehen Untersuchungen, die mehrere Bücher umfassende Sammlungen in den Blick nehmen wie Froesch 1968 zu Epistulae ex Ponto 1–3. 265 Vgl. dazu auch Korenjak 2005, 219 f. Ausführlicher zur Aeneis als inszeniertem Höhebzw. Schlusspunkt des Gesamtwerkes vgl. Theodorakopoulos 1997. Putnam 2010 zeigt einheitsstiftende Motivwiederholungen in den vergilischen Werken auf.

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Einleitung und methodische Grundlagen

Wiederaufnahme werden Eklogen und Georgica zu einer Einheit zusammengebunden als Teile eines Gesamtwerkes des sich selbst nennenden Dichters.266 Zugleich wird diese Einheit chronologisch sortiert: Die Eklogen werden als Jugendwerk klassifiziert (vgl. 4,465: iuventa), implizit wird dadurch das vorliegende Werk einer darauffolgenden Phase zugeordnet. Im Proöm zum dritten Buch der Georgica kündigt Vergil ein höheres Werk an, zunächst in bildlicher Form eines reich verzierten Tempels, der die Taten des Augustus preisend darstellt (Georg. 3,10–39). Nach einer kurzen Unterbrechung, die zum gegenwärtigen Inhalt überleitet (3,40–45), kommt Vergil nochmals auf den zukünftigen Plan zurück und gibt nach dem pindarischen Bild des Tempels nun eine Beschreibung, die genauer auf den generischen Status schließen lässt: Schlachten will er besingen und ewigen Ruhm bewirken (3,46–48: […]­ dicere pugnas / Caesaris et nomen fama tot ferre per annos. […]). Durch diese Themenankündigung und den Ruhmesgedanken ist das Epos als nächstes Werk­ umschrieben.267 Für die im Unterschied zu den beiden Vorgängerwerken unvollendete Aeneis haben wir Rückbindungen an das bisherige Werk nur in Form des sog. Vorpro­ öms, das separat in der auf Sueton zurückgehenden, in Donats Kommentar überlieferten Vita268 und in Servius’ Praefatio zu seinem Aeneis-Kommentar269 erhalten ist: Ille ego qui quondam gracili modulatus avena carmen et egressus silvis vicina coegi ut quamvis avido parerent arva colono, gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis (arma virumque cano…). Ich, der ich einst auf zartem Rohr ein Lied spielte und aus den Wäldern gegangen die benachbarten Felder zwang, dass sie dem Bauern, sei er auch gierig, Frucht tragen, ein willkommenes Werk für den Landmann, will nun des Mars schreckliche (Waffen und den Mann besingen…). 266 Vgl. auch Fowler 2000, 247 f. und Schade 2008. 267 Vgl. bei Vergil selbst als Parallele Ecl. 6,6 f. 268 Über das genaue Ausmaß des suetonischen Anteils und der Interpolationen Donats in dieser Vita besteht durchaus Uneinigkeit: vgl. so unterschiedliche Ergebnisse wie Bayer 2002 [1952] (zur obigen Stelle: 298–303, suetonisch) und Paratore ³2007 [²1950] (zur obigen Stelle: 213–245, interpoliert). Ich orientiere mich im Folgenden aufgrund seiner vorsichtigen Vorgehensweise an Bayers Ergebnissen (vgl. auch seine Zusammenfassung auf den Seiten 3­ 29–332). 269 Servius comm. in Aen. p.  2,15–21 Thilo-Hagen: Die Herausgeber Tucca und Varius hätten auf Augustus’ Geheiß nichts hinzufügen, sondern nur Überflüssiges entfernen dürfen und dementsprechend die eigentlichen ersten vier Verse gestrichen. Bei Sueton/Donat übergibt Vergil selbst Varius und Tucca seine Manuskripte mit der Maßgabe, nichts von ihm Unveröffentlichtes herauszugeben. Durch Augustus beauftragt (auctore Augusto) habe­ Varius nur eine oberflächliche Korrektur vorgenommen (summatim emendata), darunter die Streichung der ersten vier Verse (p. 64,5–65,7 Reifferscheid [= p. 36,6–38,8 f. Brugnoli/Stok]).

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Die unentscheidbare Frage nach der möglichen Echtheit oder Unechtheit dieses Vorproöms will ich übergehen,270 um etwas im Rahmen der hier verhandelten Frage Wichtigeres daran aufzuzeigen. Wer auch immer diese Verse verfasst hat, ist mit der Idee der Verknüpfung einzelner Werke zu einem Oeuvre vertraut und hat eine Leerstelle wahrgenommen: Eklogen und Georgica sind, wie eben gezeigt, als zusammengehörig markiert; demzufolge müsste auch die Aeneis eine solche Markierung tragen, die in umgekehrter Richtung Kallimachos’ generische Überleitung reproduziert: diesmal nicht von der höheren zu niederen, sondern von der niederen zur höheren Gattung. Diese geradezu perlenartige Aneinanderreihung ist auch in dem bekannten Epigramm zu beobachten, das nach antikem Zeugnis auf Vergils Grab zu lesen gewesen sei:271 Mantua me genuit, Calabri rapuere, tenet nunc Parthenope. cecini pascua, rura, duces. Mantua hat mich geboren, Kalabrien geraubt, es birgt mich nun Parthenope. Besungen habe ich Weiden, Äcker und Feldherrn.

Die epigrammatisch zugespitzte, aufsteigende Entwicklung von den Eklogen zur Aeneis, von der spielerischen Jugenddichtung zum reifen Epos, hat im Mittelalter eine systematisierende Ausfaltung zur rota Vergili erfahren, die Werke, Stilhöhen, Charaktere, Tiere, Handlungsorte etc. zu einem aufsteigenden Dreierschema verknüpft.272 Wie wenig dies auch zur wirklichen Interpretation beitragen mag, es bestimmt doch ganz wesentlich die Rezeptionshaltung des L ­ esers, 270 Austin 1968 lehnt eine Echtheit aus stilistischen und überlieferungsbedingten Gründen ab. Entgegnungen bieten Hansen 1972 und Koster 1988, 31–47. Vgl. für Statius Feeney 2004, 100, der Vergils »own announcement of his escalation from non-epic to epic« mit Achills Enttarnung in A. 1,881 f. in Verbindung bringt (arma calorque / Martius horrenda). Neuere Artikel offerieren Zuschreibung an verschiedene Urheber: vgl. z. B. Kayachev 2011 (der Herausgeber Varius, allerdings nicht im Sinne einer Fälschung, sondern als eine Art editorischer Einleitung) oder Maleuve 2003 (Augustus [sic!]). Scafoglio 2010, 11–30 spricht sich gegen eine Zugehörigkeit des Vorproöms zum Text der Aeneis aus, erwägt aber p. 28 f., dass Vergil selbst oder wahrscheinlicher ein Rezitator diese Verse für die Einleitung einer Rezitation verfasst haben könnten. Zum Vorproöm im Rahmen einer Untersuchung der Selbstnennung oder Nichtnennung des Autors insbes. bei Homer und Vergil und der mit dem Autornamen verbundenen symbolischen Bedeutung für den Leser vgl. Peirano 2013. 271 Sueton/Donat p. 63,4–8 Reifferscheid (= p. 34,5–8 Brugnoli/Stok). Zur Rezeption dieses Epigramms vgl. Frings 1998, sowie Putnam/Ziolkowski 2008, 404–420 für eine Stellensammlung zu Vergils Grab in der Literatur von Statius bis ins Mittelalter. 272 Vgl. dazu den Überblick von Stabile 1988. Vgl. darüber hinaus den Sammelband von Cheney/de Armas 2002 zur Inszenierung dichterischer Karrieren in Mittelalter und Neuzeit in Anlehnung an Vergil. Eine wichtige Rolle spielt Vergil auch in der Betrachtung von Dichterkarrieren bes. neuzeitlicher Dichter bei Lipking 1981, der drei Momente einer solchen Karriere in den Blick nimmt: Anfang, Reife und Tod/Nachruhm.

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Einleitung und methodische Grundlagen

unabhängig davon, ob ein späterer Grammatiker oder der Dichter selbst solche Verknüpfungen vornimmt.273 Ein wichtiger Unterschied trennt Vergil in diesem Punkt aber von den beiden zuvor besprochenen hellenistischen Dichtern. Seine Eklogen werden noch mit einer Altersstufe, sc. der Jugend, verknüpft, für die beiden späteren Werke ist dies nicht mehr der Fall. Auch nach den Georgica wird dies nicht nachgeholt und die Aeneis zumindest nicht explizit zum Alterswerk umstilisiert. Allenfalls implizit ist für den Leser zu erschließen, dass die Georgica und in noch stärkerem Maße die Aeneis als Werke der Reifezeit oder im letzteren Fall auch des (beginnenden) Alters zu lesen sind. Vielleicht spielen hier ganz elementare Realien eine Rolle: Vergil lebte nicht lang genug, sc. wie Kallimachos und Poseidippos, um sein Ouevre entsprechend einzuteilen und in einer Gesamtausgabe zu sortieren. Interpretiert man die drei Werke Vergils als aufsteigende Linie mit einem epischen Gipfelpunkt stellt sich unweigerlich die Frage nach der durch den frühen Tod verhinderten Fortsetzung. Hier wäre ein Raum für ein Alterswerk oder zumindest eine Sphragis à la Poseidippos, die der Aeneis ein paratextuelles Ende verleiht.274

3.5 Horaz Auch Horaz hat die einzelnen Teile seines Oeuvres durch mehr oder weniger explizite metatextuelle Signale zu einer Einheit verknüpft. Das Ende des Epodenbuches wird durch das Wort exitus markiert (Epod. 17,81).275 Den Übergang in 273 Eine frühes Beispiel für die Rezeption dieser Dreiteilung des vergilischen Oeuvres bietet Ov. Am. 1,15,25: Tityrus et fruges Aeneiaque arma legentur. Während Lukrez und Tibull zuvor bzw. danach namentlich genannt werden (23 f./27 f.), wird auf Vergil nur durch seine drei Werke verwiesen. Most 1987, 204–209 zeigt, dass der Culex strukturell die Dreiteilung des vergilischen Werkes spiegelt. Vgl. schon Fraenkel 1952, 6–8, dass der Verfasser des Culex gezielt die persona eines jungen Vergil annimmt, um dem biographischen Interesse nach einem Jugendwerk des großen Dichters nachzukommen. Zur Echtheitsfrage beim Culex vgl. den Überblick bei Gall 1999, 253–267 (insgesamt gegen eine Zuschreibung zu Vergil) sowie die neuere Diskussion bei Seelentag 2012, 9–17, die die Position von Güntzschel 1972 als communis opinio bezeichnet (Datierung unter Tiberius). Als gelehrte Parodie auf die drei kanonischen Werke Vergils deutet Mindt 2011 den Culex. 274 Zum unvollendeten Status der Aeneis vgl. die Überlegungen von O’Hara 2010. Zur Sphragis als Paratext vgl. Peirano 2014. Sie arbeitet dabei anhand von Verg. Georg. 4,559– 566, Hor. c. 3,30 und Prop. 1,21–22 die Verbindung zwischen Buchende und Todesnähe (sc. Sphragis als Epitaph) heraus, sowie pp. 238–242 die Buchplatzierung von Sphragides, die den Grenzstatus der Sphragis nicht nur mit autobiographischen Endmomenten, sc. dem Tod, in Verbindung bringt, sondern auch dem physischen Ende der verschriftlichten Form des Werkes am Ende der Papyrusrolle. Auf diese Weise wird in mehrfacher Form durch die Sphragis ein Ende signalisiert. Für einen Überblick über theoretische Grundlagen zur Paratextualität vgl. Jansen 2014, 3–9. 275 Zu Buchenden vgl. Fowler 2000, 251–259.

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eine andere Gattung zeigt das Prologgedicht zur ersten Odensammlung durch die Schlussbitte an Maecenas an: quodsi me lyricis vatibus inseres (c. 1,1,35). Gegen Ende der ersten Odensammlung findet sich ein Gedicht, das in Form einer Weihe des lyrischen Instruments den Abschied von der Liebesdichtung explizit benennt (c. 3,26). Darüber hinaus sind Anfang und Schluss der Sammlung, sc. 1,1 und 3,30, durch ihre inhaltliche Verwandtschaft als programmatische Gedichte und durch ihre metrische Korrespondenz auf einander als Rahmen bezogen.276 Wie Oliensis gesehen hat, endet das pindarische Gedicht 3,30 sogar mit einer Referenz an das Ende des ersten pindarischen Olympienbuches.277 Das chronologisch sich anschließende erste Buch der Episteln wird durch einen ausführlichen Prolog eingeleitet, der den Gattungswandel mit einem Gesinnungswandel und dem Alter verknüpft (Epist. 1,1,1–12): Prima dicte mihi, summa dicende Camena, spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antiquo me includere ludo? non eadem est aetas, non mens. Veianius armis Herculis ad postem fixis latet abditus agro, 5 ne populum extrema totiens exoret harena. est mihi purgatum crebro qui personet aurem: »solve senescentem mature sanus equum, ne peccet ad extremum ridendus et ilia ducat.« nunc itaque et versus et cetera ludicra pono, 10 quid verum atque decens, curo et rogo et omnis in hoc sum; condo et compono quae mox depromere possim. Maecenas, genannt bist du in meinem ersten Werk und bist in meinem letzten auch zu nennen, du verlangst, dass ich, der ich schon genug vor dem Publikum stand und längst vom Fechterstab entlassen bin, mich wieder im alten Spiel einschließe? Nicht Alter, nicht Geist sind gleich. Veianius ist verborgen auf dem Lande, nachdem er seine Waffen am Pfosten des Hercules-Tempels aufgehängt hat, damit er nicht so oft am Rand der Arena das Volk bittet. Mir tönt häufig einer im gespitzten Ohr: »Sei klug und entlass rechtzeitig das alternde Pferd, damit es nicht bis zum Letzten lächerlich fehl geht und seine Eingeweide schleppt.« Daher lege ich nun Verse und die übrige Spielerei ab: Was wahr und geziemend, darum kümmere ich mich und frage danach, und gehe ganz darin auf; ich lagere ein und stelle zusammen, was ich bald entnehmen kann.

Die Abkehr von der lyrischen Dichtung wird mit der Altersangemessenheit begründet:278 Während spielerische Verse etwas für die Jugend sind, so philosophi­ 276 Innerhalb der ersten drei Bücher wird nur in diesen beiden Gedichten der stichische Asklepiadeus verwendet. 277 Oliensis 1998, 104 Fn.3: comam bzw. χαίταν. 278 Vgl. als Parallelen für die Altersangemessenheit bestimmter Themen und Gattungen u. a. Cic. de sen. 2, Prop. 2,10,7; Ov. Fast. 2,5 f. (s. u.).

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Einleitung und methodische Grundlagen

schere Literatur, die nach ethischen Grundlagen forscht, etwas für das Alter. Ausschließlich das Alter und die damit einhergehende Veränderung der Geisteshaltung werden als Ursache für den Wandel von Stil und Thema angegeben. Außerdem schlagen diese ersten Verse durch den Adressaten einen Bogen zu den Anfängen von Horaz’ dichterischer Produktion. Maecenas wird von Horaz nicht nur am Anfang seines Oeuvres überhaupt genannt, sondern am Anfang der jeweils ersten Werke einer Gattung (Epod. 1,4; Sat.1,1; c. 1,1,1; Epist. 1,1,3). Darauf weist Horaz mit dem ersten Vers dieser neuen Gattung der Versepistel hin.279 Das Ende des gleichen Buches bildet durch die Wiederaufnahme des Altersmotivs einen Rahmen. Den Schluss von Epist. 1,20 und damit des ganzen Buches bildet eine Sphragis mit ihren typischen Elementen: 1,20–23: Herkunft und Leistung; 1,20,24 f. Charakter; 1,20,26–28: Alter und zugleich Publikationsdatum. Im Jahr der Konsuln Lepidus und Lollius, also 20 v. Chr., gibt Horaz als 44-jähriger die Sammlung heraus.280 Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass nach dem Epistelbuch doch wieder eine Odensammlung folgt, die laut dem erhaltenen Exzerpt aus Suetons Horazvita auf Druck von Seiten des Augustus entstanden sein soll.281 Das vierte Odenbuch beginnt mit folgenden zwei Strophen (4,1,1–8): Intermissa, Venus, diu   rursus bella moves? Parce precor, precor. Non sum qualis eram bonae   sub regno Cinarae. Desine, dulcium mater saeva Cupidinum,   circa lustra decem flectere mollibus iam durum imperiis: abi,   quo blandae iuvenum te revocant preces.

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Nach langer Unterbrechung, Venus, treibst du wieder Kriege? Lass ab, ich bitte, bitte dich. Ich bin nicht mehr so, wie noch unter der Herrschaft der guten­ Cinara. Höre auf, wilde Mutter süßer Eroten, mich spröden, der ich etwa fünf Jahrzehnte zähle, deinen zarten Befehlen zu unterwerfen: Geh fort, wohin dich die schmeichelnden Bitten der jungen Männer rufen.

279 Harrison 1995 analysiert Hor. Epist. 1 unter dem Blickwinkel der Vermittlung ethischer Philosophie und der Nutzung des Briefmediums. Zur Gattung der Versepistel vgl. die Untersuchung von Wulfram 2008. 280 Vgl. auch die Retrospektive auf das eigene Werk mit apologetischem Einschlag in der vorhergehenden Epistel 1,19,21–33. 281 Sueton p. 46,2–7 Reifferscheid: scripta quidem eius usque adeo probavit mansuraque perpetuo opinatus est, ut […] eumque coegerit […] tribus Carminum libris ex longo intervallo quartum addere. Natürlich ist Suetons Vita nicht frei von biographistischen Spekulationen, vgl. allgemein dazu Graziosi 2009, 156–158.

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Geradezu überdeterminiert erscheint der Fortsetzungscharakter: durch das Eröffnungswort intermissa und die zusätzliche Bestimmung rursus.282 Der Wandel der Person wird wiederum thematisiert (4,1,3 f.) und wiederum das Alter genannt (4,1,6) und in Gegensatz zur Jugend gesetzt (4,1,8). Die Idee der Altersangemessenheit bestimmter Tätigkeiten tritt auch hier auf, diesmal jedoch nicht zur Begründung der Abkehr von der bisherigen Dichtung, sondern als apologetisches Moment. Das Bewusstsein um das decorum sei da, aber die Macht der Venus einfach zu groß. Darum endet das Gedicht mit der (Teil)Rückkehr in die Rolle des Liebeslyrikers (4,1,33–40), wobei der dort erwähnte Ligurinus (4,1,33) einen Bogen zu 4,10283 spannt, wo Ligurinus das Altern mit seinen Konsequenzen zur Ermahnung vorgehalten wird. Der retrospektive Charakter des vierten Odenbuches lässt sich in vielen Gedichten belegen. 4,3 schaut nach einer Eingangsreferenz auf Kallimachos’ oben zitiertes Wort über die lebenslange Begleitung der Musen auf Erfolg und Anerkennung des Dichters zurück.284 4,6 leistet eben dies an einem konkreten­ Beispiel: der Abfassung des Carmen Saeculare. In indirekter Form wird der andauernde Ruhm des Dichters einem Mädchen, das an der Aufführung beteiligt war, in den Mund gelegt (4,6,41–44). In 4,11 findet sich die einzige Erwähnung des Maecenas in Buch vier, dessen Geburtstagsfeier vorbereitet wird (4,11,18–20). Angesprochen wird eine Frau namens Phyllis, die als die letzte der Liebschaften bezeichnet wird, da eine weitere Liebesbeziehung ausgeschlossen wird (4,11,31–34: age iam, meorum / finis amorum / (non enim posthac alia calebo / femina)  […].  – Auf nun, letzte meiner Liebschaften – ich werde nämlich künftig für keine andere Frau entbren­nen […].). In verwandelter Form erscheint hier der Topos des leidenschaftsärmeren Alters wieder: Ein weiteres Entbrennen für eine Frau ist nicht mehr möglich, darum wird diese Frau die letzte bleiben.285 Die letzten Werke des Horaz schließlich, das zweite Epistelbuch und die Ars poetica,286 setzten diese Linie der Verknüpfung von Alter und dichterischer Produktion fort. In Epist. 2,2,41–57 fasst Horaz seinen eigenen Werdegang von der Ausbildung in Rom und Athen, über seine Beteiligung am Bürgerkrieg bis zum Beginn als Dichter zusammen. Selbstironisch kommentiert er diesen Berufswechsel mit den bekannten Versen, dass die Armut ihn zum Dichten gebracht

282 Auf der Ebene intratextueller Referenz trägt das exakte Zitat von c. 1,19,1 in c. 4,1,5 dem Fortsetzungscharakter Rechnung. 283 Vgl. zu diesem Gedicht und seiner Bedeutung für das vierte Odenbuch Bitto 2012a, 438–440, mit weiterer Literatur dort. 284 Hor. c. 4,3,1 f. ~ Kallimachos Ait. frg. 1,37 f. Pf. 285 Andeutungen in dieser Richtung gibt es schon vom Vierzigjährigen: vgl. c. 2,4,21–24. 286 Dafür, dass letztere vermutlich Teil dieses Buch war, argumentiert Harrison 2008.

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habe (paupertas inpulit audax / ut versus facerem, 2,2,51 f.).287 Er fährt mit einem altersbedingten Abschied von der Literatur fort (2,2,55–57): singula de nobis anni praedantur euntes: eripuere iocos, venerem, convivia, ludum; tendunt extorquere poemata: quid faciam vis? Einzelnes rauben uns die Jahre im Vorübergehen: Scherze, Liebe, Mähler und Spiel haben sie uns entrissen. Sie streben danach, mir die Dichtungen zu entwenden. Was soll ich deiner Ansicht nach tun?

Einen doppelten Abschied erzwingt das Alter: nicht nur von Themen der leichten Muse, wie wir es schon am Anfang des ersten Epistelbuches gesehen haben, sondern auch von der Dichtung überhaupt.288 Auch wenn diese Aussagen in einen speziellen Briefkontext eingebettet sind, tragen sie doch zur Selbst­stili­ sierung des Dichters vor seinem Publikum bei, besonders wenn man den Hinweis auf das Alter vor dem Hintergrund der Aussagen der vorangegangenen Werke liest. In einer Epist. 1,1 vergleichbaren Antithese werden in der Folge Dichtung als leichte Beschäftigung der Jugend und philosophische Betätigung als eigentliches Ziel gegenüber gestellt (2,2,141–144). Diese Passage bildet die Brücke zum zweiten Teil des Briefes, der sich ethischen Fragen widmet (2,2,145–216).289 Am Ende des Briefes verbinden sich in typisch horazischer Weise ethische und poetologische Maximen (2,2,214–216): lusisti satis, edisti satis atque bibisti: tempus abire tibi est, ne potum largius aequo rideat et pulset lasciva decentius aetas. Du hast genug gespielt, genug gespeist und getrunken: Es ist Zeit für dich zu gehen, dass dich, der du mehr getrunken hast als angemessen, ein Lebensalter nicht belächelt und herumstößt, das passender sich ausgelassen gibt.

Die Schlussmahnung zum altersangemessenen Verhalten ist zugleich eine Erinnerung an das bereits behandelte altersangemessene Dichten (2,2,55–57, s. o.), das sich der leichten Muse und der ausgelassenen Spielerei hingeben kann, während diese Freiheit für das Alter nicht mehr gilt. Vielleicht ist in diesem Sinne 287 Dies ist aus dem Briefkontext zu verstehen: Armut, so die ironische Behauptung, sei ein Grund für die Dichtung gewesen. Da dies nun nicht mehr zutreffe, sei hierin ein Grund dafür zu suchen, dass Horaz seinem Adressaten Florus keine Gedichte geschickt habe (vgl. Epist. 2,2,24 f.), vgl. auch die folgende Fußnote. 288 Im Folgenden nennt Horaz weitere Gründe für seinen Rückzug: u. a. können seine Leser sich nicht auf eine gewünschte Gattung einigen (2,2,58–64); das schwierige Stadtleben (2,2,65–86); Konventionen von Rezitation und Konkurrenz (2,2,87–105). 289 Im Aufbau orientiere ich mich an Brinks Kommentar.

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auch der Hinweis in der Ars zu lesen, dass Horaz selbst nun nicht (mehr?) dichte, sondern sich der Lehre widme (nil scribens ipse docebo, Ars 306).290 Auffällig ist immerhin, dass ein Gebetswunsch aus dem ersten Odenbuch, nach einem Alter nicht ohne Dichtung (nec turpem senectam / degere nec cithara carentem, c. 1,31,19 f.), im späteren Werk gerade durch das Alter nicht in Erfüllung zu gehen scheint. Ganz deutlich lassen sich in den einzelnen Werken des Horaz Querverbindungen ausmachen, die von einer Gattung zu einer anderen überleiten oder auf Früheres zurückgreifen. Häufig ist dabei die literarische Entwicklung mit dem biologischen Alter des Dichters verknüpft, ja es dient sogar als ein entscheidendes Kriterium für die poetologische Gattungs- und Themenwahl. Eine wichtige Denkfigur ist dementsprechend die Altersangemessenheit bestimmter Themen und damit auch Gattungen, so dass sich eine Entwicklung von Spielerischem zu Philosophischem beobachten lässt. Zwar erfährt diese Entwicklung durch das vierte Odenbuch eine Durchbrechung in ihrer Linearität, wird allerdings in den letzten Werken wieder aufgefangen. Dem Leser wird so eine literarische Karriere von ihren Anfängen bis zu einem selbstgewählten Schlusspunkt vorgeführt, die sich in einem bewusst konzipierten Gesamtwerk äußert.291

3.6 Properz In der Verknüpfung von Gesamtwerk und Alter ist Properz weniger explizit als Horaz, gleichwohl bietet er einige bedenkenswerte Passagen. An einer interpretatorisch umstrittenen Stelle des jetzigen zweiten Buches nennt Properz im Rahmen einer Imagination seines eigenen Begräbnisses als seine Lebensleistung drei Bücher.292 Unklar ist, ob damit z. B. eine Neuausgabe der drei ersten Bücher gemeint ist oder eine drei Bücher umfassende Ausgabe, die 2a, 2b (als jetziges zweites Buch überliefert) und 3 enthielt.293 Deutlich wird eine mehrere Bücher umfassende Rahmenbildung am Ende des dritten Buches. Properz kündigt das fünf Jahre dauernde servitium amoris auf, das mit den ersten Versen des ersten Buches schon mit einem Jahr Dauer dem Leser eröffnet wurde.294 290 Zu beachten ist bei einer solchen Interpretation nicht die eigentliche Entstehungszeit, sondern die sich durch den Buchkontext ergebenden Bezugsmöglichkeiten der einzelnen Gedichte untereinander. 291 Ausführlicher zu Horaz’ Selbstinszenierung seiner literarischen Karriere vgl. Harrison 2010. 292 2,13,25 f.: sat mea sat magna est si tres sint pompa libelli,/quos ego Persephonae maxima dona feram. 293 Vgl. dazu den einleitenden Überblick in Fedelis Kommentar zu Prop. 2. 294 3,25,3: quinque tibi potui servire fideliter annos. Vgl. dazu 1,1,7: iam toto furor hic non deficit anno. Vgl. auch Fowler 2000, 246 f. Wallis 2013 zeigt auf, dass es sich bei dem Schlussgedicht 3,24/25 um ein inszeniertes false closure handelt, das durch 4,1 rückwirkend bestätigt wird.

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Das vierte Buch beginnt mit einem Doppelprogramm, das Aitien als neues Gebiet einführt (4,1,1–70) und zugleich eine Rückkehr zur Liebeselegie annonciert ­(4,1,71–150). Cynthia taucht in nur zwei Gedichten des vierten Buches auf, als Erscheinung aus dem Totenreich (4,7) und in einem fehlgegangenen Liebesabenteuer (4,8).295 Die tote Cynthia erinnert Properz daran, dass sie lange sein Werk bestimmt habe (longa mea in libris regna fuere tuis, 4,7,50), er nun die an sie gerichtete Dichtung vernichten solle (quoscumque meo fecisti nomine versus,/ure mihi: ­desine laudes habere meas, 4,7,77 f.) und er ihr bald ins Totenreich folgen werde (mecum eris et mixtis ossibus ossa teram, 4,7,94). Obwohl die hier erstmals im vierten Buch auftauchende Figur der Cynthia eine Kontinuität zum vorangegangenen Werk herstellt, ruft die Rede dieser Figur zu einem starken Bruch auf: Nicht länger Dichter der Cynthia solle Properz sein, ja nicht mehr lange solle er überhaupt am Leben sein. Wie ein zusätzliches metatextuelles Signal wirkt da das Eingangswort der Schlusselegie, die wiederum die Rede einer toten Frau ist: desine (4,11,1). Ein biographisch orientierter Leser kann dies als Hinweis auf einen wenn nicht alternden so zumindest dem Tode nahen Dichter lesen, der gewissermaßen das ganze vierte Buch zum Siegel seines Gesamtwerkes macht.296

3.7 Ovid Ovids Werke sind durch eine Fülle von Querverweisen und Anspielungen miteinander verbunden.297 Im Folgenden möchte ich nur einige explizite und für die vorliegende Fragestellung besonders relevante Fälle diskutieren. 295 Vgl. Hutchinson 189 zur Fiktionalität der Cynthia-Figur, die besonders durch die Abfolge der beiden Gedichte 4,7 und 8 deutlich wird. 296 Vgl. auch Heyworth 2010 zur Entwicklung der elegischen persona bei Properz. Für das vierte Buch betont Heyworth allerdings die Irritation (sc. die Reihenfolge 4,7–4,8 die eine sinnvolle Entwicklung ad absurdum führt, und 4,11 als Schlussgedicht, mit einer Cynthia entgegengesetzten Figur). 297 Vgl. dazu z. B. die umfassende Studie zum Selbstzitat bei Ovid von Frings 2005 sowie Schmitzer 2013 zur ›Selbstkanonisierung‹ Ovids. Zur Orientierung Ovids an Vergil hinsichtlich der Modellierung einer poetischen Laufbahn vgl. Farrell 2004. Zu der in der Rezeption entwickelten Dichotomie einer vergilischen vs. ovidischen Dichterkarriere vgl. Hardie 2007. Vgl. außerdem die von Martelli 2013, 3 beobachtete editorische Gemeinsamkeit der Werke Ovids: »All of Ovid’s major literary works, from the Amores to the Ex Ponto, are presented to us as having changed shape – whether by being extended, contracted or otherwise transformed – following a preliminary moment of completion or, indeed, ›publication‹.« Die Außergewöhnlichkeit des ovidischen Werks hinsichtlich Umfang und Häufigkeit autobiographischer Inszenierungen, die die einzelnen Werke in ein komplexes Geflecht von Beziehungen stellen, betonen Barchiesi/Hardie 2010, 59, die im weiteren Verlauf, nach einem Kurzüberblick über diese autobiographische Inszenierung (60–65), sich dem Bezug zum Vorläufer Gallus und der Rezeption bei Apuleius und Boccaccio widmen.

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Gleich dem ersten seiner Werke, den Amores, stellt in der zweiten uns erhaltenen Auflage Ovid ein editorisches Epigramm voran, das darauf hinweist, dass das vormals fünf Bücher umfassende Werk nun auf drei reduziert sei.298 Das Schlussgedicht299 der Amores enthält in seinen letzten beiden Distichen den Abschied von der Liebeselegie und den Übergang zu einem anderen Genre, wie wir es in vergleichbarer Weise bei Kallimachos gesehen haben (Am. 3,15,17–20): corniger increpuit thyrso graviore Lyaeus;   pulsanda est magnis area maior equis. inbelles elegi, genialis Musa, valete,   post mea mansurum fata superstes opus. Der horntragende Lyaeus hat mit gewichtigerem Thyrsos getönt: Ein größeres Feld ist von großen Pferden zu durcheilen. Zarte Elegien, fröhliche300 Muse, lebt wohl, nach meinem Tod wird mein Werk überleben und bleiben.

Die kleinere Gattung der Liebeselegie wird zugunsten der größeren der Tragödie, verkörpert durch ihren Gott Dionysos, verlassen. Allerdings wird hier wohl weniger die Fortsetzung in einer Gesamtausgabe als der Hinweis auf ein neues Werk zu sehen sein. Zudem schließt sich hier der Rahmen zu Am. 3,1, wo der Dichter sich für die Elegie und gegen die Tragödie entscheidet, u. a. mit dem Hinweis, 298 Dass dies tatsächlich zutrifft, wird schon aus dem oben im Folgenden zitierten Übergang zur Medea-Tragödie deutlich. Vgl. außerdem Am. 2,18,11–34, wo nacheinander auf die Tragödie, die Ars und die Heroides als existierende Werke verwiesen wird. In Tr. 4,10,57–60 hingegen sagt Ovid deutlich, dass die Amores sein erstes Werk seien, das in seiner Jugend zum ersten Mal erschienen sei. Neben anderen hat Barchiesi 1988, 101–103 die Existenz einer ersten Auflage bestritten und diese zu einer Fiktion Ovids erklärt. Ähnlich auch Holzberg 1997, 41–43. Vgl. den knappen Forschungsüberblick bei Bretzigheimer 2001, 91 Fn.1. Neuer­ dings hat sich Beck 2014, bes. 32–68 wieder mit dieser Frage beschäftigt: Seine Kernthese lautet, dass Ovid für die Erstellung des dritten Buches der Ars Material aus den letzten beiden Amores-Büchern verwendet und zugleich mit Ars 3 die zweite Auflage der Amores in drei Büchern produziert habe. Unabhängig von dieser Frage scheint mir Martelli 2013, 35–67 einen interpretatorisch fruchtbaren Weg aufgezeigt zu haben, der auch im Rahmen der hier verhandelten Fragestellung von Bedeutung ist: Sie liest die uns erhaltene Fassung der A ­ mores wie ein Leser, der ein Wissen um eine erste Auflage hat, dem jedoch diese nicht zur Verfügung steht. Allein das Wissen um die Umarbeitung führe zur rezeptionellen Konstruktion eines »commentary on the transmitted text of the Amores« (38), des nicht erhaltenen Originals anhand der erhaltenen Revision. Vgl. auch Oliensis 2014, 209 f., die zwar auch der These von einer fiktiven ersten Auflage zuneigt, dennoch aber die auktoriale Selbstkontrolle und die Selbststilisierung als Autor im emphatischen Sinne in diesem Eröffnungsepigramm als die entscheidenden Elemente ansieht. 299 Vgl. aber auch Oliensis 2014, bes. 217–223, die Am. 1,15 nicht als paratextuelles Ende des ersten Buches, sondern auch die Darstellung des Autors in dieser buchschließenden Elegie als Teil der elegischen (Dichter)-Persona liest und somit auch die Paratextualität in das autobiographische Spiel der Liebeselegie mitheinnimmt. Ähnliches könnte man dann auch für Am. 3,15 in Anschlag bringen. 300 Vgl. OLD s.v. genialis 3b.

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dass die Tragödie ihm nur noch kurze Zeit zugestehen möge (Am. 3,1,66). Die Eröffnungselegie schließt damit, dass ein größeres Werk bevorstehe (Am. 3,15,20). In geradezu paradoxer Form wird im dritten Buch der Amores die Liebeselegie zum Distanzierungspol von sich selbst innerhalb ihrer selbst.301 Doch auch außerhalb der Liebeselegie nutzt Ovid diese zur poetologischen Standortbestimmung. Im Proöm des zweiten Fastenbuches heißt es (Fast. 2,3–8): nunc primum velis, elegi, maioribus itis:   exiguum, memini, nuper eratis opus. ipse ego vos habui faciles in amore ministros,   cum lusit numeris prima iuventa suis. idem sacra cano signataque tempora fastis:   ecquis ad haec illinc crederet esse viam?

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Nun zum ersten Mal302 bewegt ihr euch, Elegien, mit größeren Segeln: Vor kurzem noch, ich erinnere mich, wart ihr ein schmales Werk. Ich selbst habe euch als zugängliche Diener in Liebesdingen gehabt, als meine frühe Jugend mit ihren Metren gespielt hat. Das gleiche Ich singt nun heilige Handlungen und in Festkalendern bestimmte Zeiten: Wer hätte gedacht, dass hierher ein Weg von dortaus führt?

Die durch das Metrum identifizierten Elegien dienen nun einem anderen Stoff, sie sind nicht mehr für spielerische Liebesdichtung eingesetzt, sondern sollen Vehikel für einen anderen Inhalt sein, der aber seine Affinität zur kallima­che­ ischen Poetik nicht aufgibt. Vielmehr erinnert die Formulierung s­ acra sig­na­ta­ que tempora an die Wendung, mit der Properz seine Wandlung zum römischen Kallimachos im vierten Buch beschrieben hatte: sacra diesque canam (4,1,69).303 Der Unterschied beider Werke, Amores und Fasti, ist also nicht in einem generischen Gegensatz wie bei Horaz Epist. 1,1 zu sehen, sondern in der thematischen Ausrichtung. Gleichwohl kommt das Element der Altersangemessenheit mit hinein: Liebesdichtung sei ein Werk der Jugend (Fast. 2,6) und, so dürfen wir erschließen, zu dieser rechnet sich Ovid als Verfasser der Fasti nicht mehr. 301 Dies passt zu den Schlüssen, die von Albrecht 2000 aus seiner Untersuchung der A ­ mores im Gesamtwerk Ovids zieht: Die zweite, uns erhaltene Auflage der Amores »vermittelt dem Leser in bewusster Distanzierung ein Bild nicht nur der Gattung ›Liebeselegie‹, sondern auch […] von Ovids Gesamtwerk, wie es dem Dichter damals vorlag oder vorschwebte.« (179). Ausführlicher zur Buchkomposition von Am. 3 vgl. Hutchinson 2008, 177–199. 302 Das Proöm zum zweiten Buch wurde in der früheren Forschung häufig als ursprüngliches Proöm zum ersten Buch gedeutet, das nach Augustus’ Tod durch das GermanicusProöm ersetzt worden sei. Vgl. dazu den Forschungsüberblick und die Gegenargumente neuerer Forschung bei Robinson 51–56. Insgesamt zu den Revisionen der Fasti und den interpretatorischen Konsequenzen für den Leser vgl. Martelli 2013, 104–144. 303 So jedenfalls der überlieferte Text, Heyworth hingegen übernimmt Wellesleys Konjektur deosque und sieht die Ursache für den Fehler sogar in einem falschen Ovidbezug­ (Heyworth 2007, 424: »A scribe has brought Propertius’ programme closer to Ovid’s fasti.«).

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Das Proöm der Metamorphosen bietet zwei implizite poetologische Hinweise, die das Werk mit den vorausgehenden elegischen Dichtungen und den parallel entstehenden Fasti verknüpfen (Met. 1,1–4): In nova fert animus mutatas dicere formas corpora; di, coeptis (nam vos mutastis et illa[s]) adspirate meis primaque ab origine mundi ad mea perpetuum deducite t/Tempora carmen. Mein Geist treibt mich an, von Gestalten, die in neue Körper verwandelt wurden, zu sprechen; Götter, meinen Anfängen (denn ihr habt auch jene verändert) seid gewogen und vom ersten Ursprung der Welt an bis zu meinen ›Zeiten‹ führt das durchgängig komponierte Gedicht.

Statt illas in Vers 2 illa mit Bezug auf coeptis zu lesen, ist von Tarrant u. a. damit begründet worden, dass am Versende deutlich werde, dass kein elegisches Distichon vorliege, sondern der stichische Hexameter, also der metrische Scherz von Am. 1,1,1–4 (der Diebstahl eines Versfußes durch Cupido) wieder rückgängig gemacht und der Übergang von der Elegie zur Epik geschaffen worden sei.304 Darüber hinaus hat Barchiesi dafür argumentiert, das ad mea tempora in Vers 4 doppeldeutig auf das Incipit der Fasti hinweise: Tempora cum causis.305 Besonders zahlreich werden Retrospektiven in der Exildichtung.306 Denn die Ars als ein Grund für die Relegation und die Andersartigkeit der aktuellen dichterischen Produktion, die durch die gegenwärtigen Umstände bedingt ist, sind häufige Motive. So heißt es gleich am Anfang des ersten Buches der Tristien in der Anrede an das Buch (Tr. 1,1,105–122), dass es die ordentlich aufgereihten Brüder der Vorgängerwerke sehen werde (positos ex ordine fratres, Tr. 1,1,107) 304 Tarrant 1982, 351 Fn.  35. Vgl. auch die Forschungsüberblicke zum Problem illa/illas bei O’Hara 2004/5, 149 Fn. 1 sowie zu Tarrants Deutung des Übergangs von Elegie zum Epos O’Hara 2004/5, 150 Fn.  3. Für weitere interpretatorische Ansätze zum Metamorphosen-Proöm und seiner generischen Aussage vgl. neben dem bereits genannten O’Hara 2004/5 auch Gildenhard/Zissos 2000. 305 Barchiesi 1991, 6 f. Zusätzlich hat Barchiesi an dieser Stelle eine kalendarische Verbindung beider Werke, Fasti und Metamorphosen aufgezeigt: Die Metamorphosen endeten (vor Caesar und Augustus) damit, wie Aesculap nach Rom gekommen sei (15,622–744). Das Fest des Aesculap falle auf den ersten Januar und bilde so eine Brücke zum Jahresbeginn mit den Fasti. 306 Vgl. auch de Luce 1989, die Butlers Konzept des life review auf Ovids Exilgedichte anwendet (Butler 1963). Dieser Vorstellung entsprechend neigt das Alter zu einer Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit, worin de Luce Rückgriffe gerade auf die Jugenddichtung, insbes. die elegische Situation der Amores, verortet. Zu den Exilgedichten in ihrem generischen Status als Elegie innerhalb des ovidischen Gesamtwerks und der historischen Entwicklung der Elegie vgl. Nagle 1980, 19–70. Brandt 2002, 180 stellt die positiv konnotierten Alten in den Metamorphosen und den Fasti dem negativen Altersbild in der früheren elegischen und der Exildichtung gegenüber und begründet diese Entwicklung biographisch mit der Verbannung. Implizit wird bei Brandt jedoch deutlich, dass jeweilige Kontexte und Gattungskonventionen nicht zu unterschätzende Faktoren darstellen.

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und sich zu diesen, wenn auch im Charakter unterschiedlich, nämlich traurig und nicht mehr fröhlich, gesellen solle (Tr. 1,1,119–122).307 Das siebente Gedicht gibt sich als editorische Anweisung hinsichtlich der Metamorphosen: Durch die Relegation sei die Arbeit vor der Vollendung unterbrochen worden (Tr. 1,7,11–14). Der Dichter habe das unvollendete Gedicht verbrannt, doch habe es noch andere Abschriften gegeben (1,7,15–26). Damit diese allerdings in dem Bewusstsein um den unvollendeten Status von den Lesern zur Kenntnis genommen würden, sollen drei Distichen jeder Ausgabe vorangestellt werden, die den Leser darüber informieren (1,7,27–40, die letzen sechs Verse enthalten diese ›Mahnung‹ an den Leser).308 Dieser editorische Gewaltakt der Verbrennung eines unvollendeten Werkes findet sich auch mit Bezug auf die erste Auflage der Amores in Tr. 4,10,63 f. und erinnert309 zugleich an den in Suetons (bei Donat exzerpierter) Vergilvita überlieferten testamentarisch verfügten Wunsch, die unvollendete Aeneis nicht herauszugeben, sondern zu verbrennen.310 Neben dem präfatorischen Epigramm der Amores, das auf das Vorproöm der Aeneis rekurriert,311 haben wir hier eine weitere gesuchte Anknüpfung an Vergils editorisches Vorgehen. Das zweite Tristien-Buch ist eine groß angelegte Verteidigungsrede des Dichters vor Augustus, in der das eigene Werk und die Relation zur Literaturgeschichte verständlicherweise einen breiten Raum einnehmen. Ovid stellt seiner anstößigen Ars das große Werk der Metamorphosen gegenüber, die ein Lob des Augus­ tus enthalten und viele Belege für seinen eignen Charakter.312 An das Ende der­ apologetisch eingesetzten Literaturgeschichte unter erotischem Blickwinkel setzt 307 Vgl. auch Tr. 3,14,25 f. 308 Vgl. dazu Hinds 1985, 21–26, der Tr. 1,1 zunächst im intertextuellen Lichte der Metamorphosen liest (21–25) und die rezeptionelle Wirkung des neuen elegischen Vorpröoms in Tr. 1,7 auf die Lektüre der Metamorphosen untersucht (25 f.). Zur Rolle des Lesers, die in Tr. 1,7 thematisiert wird, vgl. auch Kyriakidis 2013, der diese Elegie sogar »an étude on the subject of reader’s response« nennt (365). 309 So schon Evans 1983, 43 f. Krevans 2010, 207 nennt dies »a deliberate re-enactment of the Vergilian episode«. 310 Sueton/Donat p. 64,1–4 Reifferscheid (= p. 36,1–5 Brugnoli/Stok). Zur Rezeption dieses biographischen Moments der Vergilvita bis in die Neuzeit vgl. Krevans 2010, bes. ­206–208 zu Ovid und Tr. 1,7. Krevans sieht eine doppelte Strategie am Werk: Eine Gleichsetzung der Meta­ morphosen mit der Aeneis und einen subversiven Seitenhieb auf den durch Augustus ausge­ übten staatlichen Einfluss auf die Literatur: »The man [sc. Augustus] who created Virgil’s career by preserving the Aeneid has destroyed Ovid’s career and erased his masterpiece.« (208). 311 Zur Rezeption des ›vergilischen‹ Vorpröoms bei Ovid vgl. Farrell 2004, 46–52. 312 Tr. 2,61–66: Quid referam libros, illos quoque, crimina nostra,   mille locis plenos nominis esse tui? Inspice maius opus, quod adhuc sine fine reliqui,   in non credendos corpora versa modos: invenies vestri praeconia nominis illic,   invenies animi pignora vera mei.

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er sich selbst in die Reihe der augusteischen Elegiker.313 Ovid resümiert: Wovon er als junger Dichter nicht vermutet hätte, dass es ihm einmal schaden werde, das schade ihm nun als altem Mann (Tr. 2,543 f. iuvenis… seni). Zur Entschuldigung dient allerdings nicht nur der Vergleich mit anderen Dichtern bzw. die jugendliche Unschuld, sondern auch der nicht-liebeselegische Teil des Werkes (Tr. 2,547–562): Nicht alles sei leichte Dichtung (remissum opus, 547); mit den Fasti, der Medea-Tragödie und den Metamorphosen biete Ovid hohe Dichtung und Lobendes für Augustus. Sogar das, was er nicht verfasst hat, zieht Ovid als Argument heran: Da er doch keine iambische Dichtung vorzuweisen habe, könne er doch auch niemanden verletzt haben (Tr. 2,563–566). Die Eröffnungselegie des dritten Tristien-Buches nimmt den Unterschied fröhlich-traurig wieder auf und versieht ihn zusätzlich mit Altersangaben: Jetzt gibt es keine Unterweisung in der Liebe mehr (nullus in hac charta versus amare docet, Tr. 3,1,4), das Spielerische gehört der längst vergangenen Jugend an (viridi quondam male lusit in aevo, Tr. 3,1,7). Nur implizit kann die gegenwärtige Zeit als Alter hier erschlossen werden. Explizit wird dies im vierten Buch der Tristien gemacht.314 Wiederum in der ersten Elegie dieses Buches wird die Beschäftigung in Jugend und Alter durch eine Vermischung von poetologisch gebrauchter Metaphorik und tatsächlicher Bedeutung einander gegenüber gesetzt (Tr. 4,1,71–74): aspera militiae iuvenis certamina fugi,   nec nisi lusura movimus arma manu: nunc senior gladioque latus scutoque sinistram,   canitiem galeae subicioque meam. Den harten Gefechten des Kriegsdienstes bin ich in der Jugend entflohen, und nur zum Spiel habe ich Waffen erhoben; nun als älterer Mann unterwerfe ich dem Schwert meine Seite, dem Schild meine Linke, dem Helm meine weißen Haare.

Zwar spricht Ovid zuvor von den tatsächlichen Gefahren für Leib und Leben in seinem Exil (4,1,65–70) und so erscheint die Bewaffnung des älteren Mannes als im eigentlichen Sinne gemeinte Aussage. Doch der Hinweis auf die zum Spiel­ erhobenen Waffen (72) lässt an die militia amoris der Liebeselegie denken und somit erscheint die Bewaffnung des Ichs eher als Spiegel der thematischen Neuausrichtung der Exilelegien, die nun nicht mehr die Liebe zum Thema haben. Deutlicher noch wird in der achten Elegie des gleichen Buches das Alter in den Blick genommen. Ovid spricht (4,8,1–4) von seinen weißen Haaren und einem 313 Tr. 2,259–466: Ende mit Properz, 467–532 folgt Ovid, nachgesetzt als besonders prägnanter Fall ist Vergil 533–538. 314 Vgl. auch Evans 1983, 74 zum Unterschied zu Tr. 3: »Ovid’s principal subject […] is now old age in exile.«

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trägeren Alter (anni fragiles et inertior aetas, 4,8,3). Seine eigentlichen Alterspläne, das otium zu genießen (4,8,5–14), sind durch die Götter durchkreuzt worden (4,8,15 f.). Auf diese Weise ist ihm die altersangemesse Ruhe verwehrt (4,8,16–30).315 Das Schicksal habe ihm in der Jugend eine angenehme und im späteren Teil des Lebens harte Zeiten bereitet (4,8,31 f. fata […], quae, cum mihi tempora prima / mollia praebuerint, posteriora gravant). Hier wird durch den Einsatz des liebeselegischen Schlüsselwortes mollia316 eine Verbindung zwischen Poetik und Biographie hergestellt.317 Auch die bekannte, sich als autobiographische318 Retrospektive gebende Schlusselegie des vierten Buches nimmt den Unterschied zwischen Jugend und Alter wieder auf. Die Identifizierung des Sprechers erfolgt am Anfang durch die frühere Persona des Liebeselegikers, die aber ganz deutlich als vergangen hingestellt wird: ille ego qui fuerim, tenerorum lusor amorum (4,10,1).319 In der Beschreibung seiner Jugend verflicht Ovid die Geschichte der augusteischen Literatur anhand ihrer herausragenden Vertreter mit seiner eigenen Biographie (4,10,41–56). Auf die erfolgreiche Jugendzeit folgt mit der Verbannung im 50. Lebensjahr nicht nur das Alter, sondern ein unerwartet beschwerliches dazu (iam mihi canities pulsis melioribus annis / venerat etc. 4,10,93–98). 315 Darunter bes. 4,8,23 f. mit der horazischen Reminiszenz an Epist. 1,1,1 f.: tarda vires minuente senecta, / me quoque donari iam rude tempus erat, und 29 f. sic animo quondam non divinante futura / optaram placide vivere posse senex. 316 Vgl. die Stellensammlung bei Fedeli zu Prop. 3,1,19. 317 Im Schlussteil der Elegie (4,8,37–50) wird die unerwartete Wendung des Schicksals mit dem in der Exildichtung häufigen Motiv der ira Caesaris verknüpft. 318 Bei der Untersuchung von antiken Texten verzichtet z. B. Kleinschmidt 2013, 7–14 bewusst auf den Begriff der Autobiographie zugunsten von »Ich-Entwurf«. So berechtigt die Kritik an der Verwendung eines Begriffs von Autobiographie im modernen Sinne für antike Texte ist, so ist ›autobiographisch‹ in dieser Arbeit in einem unspezifischen Sinne gemeint, der eher als poetologische Deutung der Etymologie verstanden wird, wenn auch der Begriff selbst erst ab dem 18. Jh. belegt ist (s. Kleinschmidt 2013, 7 Fn. 22). Auf diese Weise nähert sich das Verständnis von ›autobiographisch‹ dem Terminus der Autofiktion an. Die gegenwärtige Forschung auf diesem Feld ist sehr fruchtbar: vgl. z. B. Zipfel 2009, 298–311 zu drei verschiedenen Formen der Autofiktion, von denen die dritte »als Kombination von autobiographischem Pakt und Fiktionspakt« (304) für die hier und im folgenden diskutierten Fälle (bes. B 1. und B 2.2.4.) in Anschlag zu bringen ist. Einen methodischen Überblick über die neuere Forschung zur Autorschaft bieten Schaffrick/Willand 2014. Man könnte solch ein Hineinprojizieren von Realitäten im Sinne von Pavel 1986, 29 auch als immigrant objects in einer fiktionalen Welt bezeichnen. 319 Die Wendung tenerorum lusor amorum taucht zuvor in der Exildichtung schon als Teil eines fiktiven Grabepigramms auf (Tr. 3,3,73–76). Sie stellt eine Variation des Anfangs der Schlusselegie der Amores dar, in der Venus als tenerorum mater Amorum bezeichnet wird (Am. 3,15,1). Vgl. dazu Frings 2005, 215. Der Eingang mit ille ego qui erinnert nicht von ungefähr an das oben schon behandelte Vorproöm der Aeneis.

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Die erste Elegie des fünften Buches bezeichnet expressis verbis dieses neue Buch als Fortsetzung der bisherigen vier (Tr. 5,1,2: praemissis quattuor adde meis). Ovid sei kein Elegiker mehr wie die anderen Vertreter der Gattung (Tr. 5,1,17–20). Allerdings, und das ist das Überraschende, sei bei einer Rückkehr nach Rom eine Wiederherstellung der alten Dichterpersona zu erwarten (simque quod ante fui, Tr. 5,1,40). Die Unumkehrbarkeit der Altersentwicklung ist aufgehoben, die gegenwärtige Konstitution an die Umgebung im Exil gebunden, nicht an das Alter des Dichters, was in der Folge auch noch einmal deutlich gesagt wird.320 Die Sammlung der ersten drei Bücher der Epistulae ex Ponto321 wird durch die Prologelegie in doppelter Weise im Gesamtwerk verortet: zum einen als­ inhaltliche Fortsetzung der Tristien, nur mit dem Unterschied, dass die Adressaten nicht mehr geheimgehalten werden.322 Zum anderen sollen diese drei Elegienbücher den Platz der Ars einnehmen, die ihrem Dichter soviel Schaden bereitet haben (P. 1,1,11 f.): quaeris, ubi hos possis nullo componere laeso?   qua steterant Artes, pars vacat illa tibi. Du fragst, wo du diese Bücher ohne jemandes Kränkung unterbringen kannst? Dort, wo die Bücher der Ars standen, ist Platz frei für dich.

In der Folge findet sich wieder eine Elegie, die wie Tr. 4,8 mit dem Alter als Hauptthema einsetzt: P. 1,4. Deutlich ist der Dichter vom Alter gekennzeichnet (P. 1,4,1–4): Iam mihi deterior canis aspergitur aetas,   iamque meos vultus ruga senilis arat, iam vigor et quasso languent in corpore vires,   nec iuveni lusus qui placuere iuvant […]. Schon besprengt sich mir mein Alter, bereits im Verfall, mit weißen Haaren, und schon durchfurcht eine Greisenrunzel mein Gesicht, schon lassen Elan und Kräfte im erschöpften Körper nach, und es sagen mir nicht mehr die gleichen Spiele zu, die dem Jüngling gefallen haben.

320 Tr. 5,1,71 f.: Ipse nec emendo, sed ut hic deducta legantur;/non sunt illa suo barbariora loco. In 5,12 wird dieser Gedanke ausgefaltet und durchgeführt. Zum Selbstbild als qualitativ schlechterer Dichter in der Exildichtung vgl. Nagle 1980, 109–166. 321 Zu Ex Ponto 1–3 als Sammlung vgl. ausführlich Froesch 1968. 322 P. 1,1,15–18: invenies, quamvis non est miserabilis index,   non minus hoc illo triste, quod ante dedi. rebus idem, titulo differt, et epistula cui sit   non occultato nomine missa docet.

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Allerdings bekennt der Dichter in der Folge, dass das Alter zwar ein Grund für die gegenwärtige Konstitution sei, aber nicht der einzige (P. 1,4,7 f./19 f.): confiteor facere hoc annos, sed et altera causa est,   anxietas animi continuusque labor. […] me quoque debilitat series inmensa malorum,   ante meum tempus cogit et esse senem. Ich bekenne, dass dies die Jahre bewirken, aber es gibt noch einen anderen Grund, seelische Angst und beständige Mühe. […] Mich hat auch die unermessliche Folge von Widrigkeiten geschwächt, und sie hat mich gezwungen, vor meiner Zeit ein Greis zu sein.

Hier wird der Unterschied zu Horaz besonders deutlich: Ovid nutzt nicht sein autobiographisch fassbares Alter und seine Begleiterscheinungen als Argument für poetologische Entscheidungen, sondern vielmehr die negativen Auswirkungen des Alters als Beleg für die verheerenden Folgen des Exils.323 Die Dichtung, die in diesem Exil entsteht, erscheint so nicht als bewusst geplantes Alterswerk wie bei Horaz, sondern gewissermaßen als zufälliges, durch die Umstände des Schicksals von außen auferlegtes Werk, das allerdings einem schlechten Alterswerk entspricht. Der Aspekt der verringerten Qualität324 soll natürlich ein ganz entscheidendes Argument dafür sein, Ovid nicht länger im Exil zu belassen, da er doch, wie zuvor belegt, viel Besseres schaffen könne, wenn die Umstände ihn nur ließen. Denn sein Werk sei nun nicht nur thematisch anders orientiert, nämlich trauriger als früher,325 sondern tatsächlich auch qualitativ schlechter. Jedenfalls behauptet dies das dichterische Ich der Elegien.326 Diese Poetologie des Exils wird bis zur Absurdität überzeichnet: Im Exil wird Ovid nach eigener Aussage gleichsam gezwungenermaßen zu einem Kallimacheer. Ihm gelinge nur noch kleine Dichtung, als er sich an Größerem versucht, scheitert er (P. 2,5,25–32).327 Das letzte Buch der Epistulae ex Ponto, das wohl die letzten Dichtungen Ovids enthält, zeigt sogar eine weitere Steigerung. Sein ingenium sei schwach 323 Vgl. allerdings de Luce 1989, 195 mit Fn. 3, die erwägt, ob Exil und Alter als vielleicht synonym bzw. das Exil als Metapher für das Alter anzusehen sind. 324 Zum Motiv der Qualitätsminderung vgl. Nagle 1980, 109–120. 325 Vgl. P. 3,9,35 f. und die oben schon erwähnten Stellen Tr. 5,1,7 f. und Tr. 3,1,2–10. 326 Vgl. z. B. P. 1,5,15–18 (keine Kraft für Emendation) und P. 3,9,51–56 (fehlende Kraft zur Buchkomposition). Vgl. auch Helzle zu P. 4, p. 16–18. 327 Ein nicht zu unterschätzendes Maß an komischer Ironie zeigt auch die nächtliche Erscheinung des Amor in P. 3,3 in heruntergekommener Gestalt, die zum Sinnbild für den ehemaligen Liebesdichter wird. Amor habe seine Kräfte klein gehalten (ingenii vires comminuere mei, P. 3,3,34  – vgl. Am. 1,1) und nicht gestattet, dass sein Geist sich zu Höherem erhebe (P. 3,3,31 f./35 f.). Hier erschöpft sogar die kleine Dichtung die Kräfte des Dichters.

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und nicht mehr wie früher (P. 4,2,15 f.), es fehle sogar die Lust zum Dichten (P.  4,2,25–30), letztlich blieben aber nicht mehr als die Musen als schwacher Trost (P. 4,2,41–46).328 Das Buch endet mit einem Gedicht, das man als eigenen Nachruf bezeichnen könnte (P. 4,16).329 Ovid ordnet sich in einen Dichterkatalog ein (vgl. P. 4,16,45 f.) und schließt mit den Worten, dass ihm nur noch das Leben übrig geblieben sei, doch nun das Schicksal keinen Schlag mehr gegen ihn führen könne: non habet in nobis iam nova plaga locum (P. 4,16,52). Dieser letzte Vers variiert und radikalisiert P. 2,7,42: vixque habet in nobis iam nova plaga ­locum. Das Ende von P. 4 und damit der Exildichtung ist gleichsam Aufschrei und Schlusspunkt in einem. Auch wenn Ovid in der erhaltenen lateinischen Literatur die umfangreichsten Aussagen über den Komplex Alter-Dichtung bietet, so sind diese doch zu einem großen Teil durch die Exilerfahrung eingefärbt bzw. überlagert. Durch das Proöm zum zweiten Fasten-Buch (s. o.) wird eine Phaseneinteilung des­ eigenen Werkes immerhin sichtbar, die die liebeselegischen Dichtungen als Jugendwerk abgrenzt. Der Inhalt der Dichtung entspricht dem Alter des Dichters und der Dichterpersona: Das liebeselegische Ich ist ein junger Mann, der Dichter darum auch. Ob die Rückkehr zu elegischen Konventionen bzw. zur veränderten Aufnahme dieser in der Exildichtung als Rahmung eines Gesamtwerkes anzusehen ist, scheint zunächst nicht unwesentlich von der Frage abzuhängen, ob man das Exil als real oder fiktiv ansieht. Die liebeselegische Gattung, insbesondere die Ars, soll ja Ursache für die Relegation gewesen sein;330 von Rom ausgeschlossen zu sein, lässt sich so passend mit der Lage eines exclusus amator parallelisieren, dass man die elegischen Bezüge im späten Werk Ovids nicht ohne das Exil denken zu können scheint. Doch ist m. E. zu bezweifeln, ob ein äußerer Umstand in dieser Weise auf eine so bewusste Konzeption eines Gesamtwerkes eingewirkt haben sollte. Vielmehr erscheint die Rückkehr zur kleinen Gattung nach den Metamorphosen sich durchaus auch im Sinne der Vorstellung vom schwächeren Alter verstehen zu lassen, das sich nur noch kleineren Werken widmen

328 Vgl. allerdings Helzle zu P. 4 p. 61–63 für die Spannung von literaler Aussage und impliziter Poetologie in P. 4,2. Zur Exildichtung als Trostdichtung vgl. Stroh 1981. 329 Vgl. dazu Helzle 178–181; Claassen 2008, 51. Galasso 2009, 198 bemerkt in 4,16 »a sense of closure which is too evident to be constrained within Book 4 only, as is also the case for Tr. 4.10.« Als ›Anhang‹ bezeichnet Holzberg 1997, 198 Ex Ponto 4,16. Die Überzähligkeit der 16.  Stelle nimmt Zwierlein 1999, 398 sogar zum Anlass, dieses Gedicht für unecht zu halten. Evans 1983, 168 sieht 4,16 zwar als passendes, aber vielleicht unvollendetes Schlussgedicht. Vgl. schon den Ansatz einer Rückschau in P. 4,15,5. Generell zum Motiv des Todes in der Exildichtung vgl. die umfangreiche Stellensammlung bei Helzle zu P. 4 p. 13 Fn. 41. 330 Vgl. z. B. Tr. 2,7 f.; Tr. 3,14,5 f.; Tr. 5,12,48; P. 1,2,134; P. 2,9,76.

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kann. Wie sich Horaz mit den Episteln zu einer den Satiren verwandten Gattung inklusive Metrum und damit zu einem Werk aus jüngeren Jahren zurückwendet, so tut dies Ovid mit der Elegie.331 Es wäre ein weiteres Indiz für die poetologische Selbstbehauptung,332 wenn man die Inkorporation der Exilerfahrungen als sekundären Einfluss auf die Konzeption des Alterswerkes im Gesamtwerk sähe und nicht als Auslöser desselben. Damit würde Ovid gewissermaßen auf der editorischen Ebene die literale Ebene unterlaufen, da seine Idee für das eigene Gesamtwerk sich sogar trotz des Exils verwirklichen lässt. Nur die vermeintlich schlechte Qualität des Werkes und der schlechte Zustand seines Verfassers w ­ ären dann dem Exil anzulasten, nicht aber die Rückbindung an die Elegie. Vielmehr kann sogar in diesem Punkt Ovid seine poetologische Überlegenheit beweisen, dass er nicht nur auf die Liebeselegie, sondern auch auf die Elegie als solche und die antike Vorstellung von ihrem Ursprung als Klagedichtung zurückgreifen kann.333 Auffällig ist allerdings, dass Tr. 1–3 als weiterer Teil des Gesamtwerkes annonciert werden (s. o. zu Tr. 1,1,105–22), während P. 1–3 einen Ersatz für die Ars bieten sollen (s. o. zu P. 1,1,11 f.). Auch die Konzeption des ­Gesamtwerks wird so im Laufe der Exildichtung zum Argument für die Rückkehr, da ein zu langes Exil zum einen Ungleichgewicht erzeugt334 und zum anderen eine retrospektive Auslöschung auslöst. Denn der Platz der Ars soll nicht leer bleiben und so an diese erinnern, sondern neu besetzt werden. Das bedeutet, dass Ovid seinen Lesern vor Augen stellt, dass ein noch länger währendes Exil nicht nur die gegenwärtige Dichtung qualitativ verschlechtert, sondern bereits beginnt, das Gesamtwerk in Mitleidenschaft zu ziehen.

331 Vgl. dazu auch Korenjak 2005, der dafür argumentiert, dass Ovid und Horaz ein Spätwerk in Briefen verfassen, das sich in mehrfacher Hinsicht an antiken Topoi, Konventionen bzw. Phänomenen orientiert: niedrigere Gattung nach dem Hauptwerk, Brief als Medium autobiographisch gefärbter literarischer Reflexion, Briefe als Schluss von Werkeverzeichnissen, denn häufig stammen erhaltene Briefsammlungen aus der letzten Lebensphase eines Autors etc. Problematisch bleibt allerdings, dass Horaz’ Alterswerk gerade eine Mischung von Briefen und Oden aufweist und dass die Abfassung von Briefen bei Ovid keineswegs durch einen altersbedingten Rückzug motiviert wird, sondern ausschließlich der realen oder fiktiven Exilsituation geschuldet ist: Der Brief wird, je länger das Exil dauert, zur immer existentielleren Kommunikationsform (ab Tristien 5 und dann für alle Epistulae ex Ponto). 332 Vgl. z. B. Williams 1994, 50–99 für das Spannungsverhältnis von behaupteter Qualitätsminderung und dem subtilem Unterlaufen dieser Behauptung. 333 Dazu Nagle 1980, 22–32. 334 Drei Büchern Amores bzw. Ars entsprechen drei Bücher Tristien. Tr. 4 und 5 als Appendices können immerhin mit den Remedia als Appendix zur Ars bzw. der ersten Auflage der Amores in fünf Büchern korreliert werden. Mit den Epistulae ex Ponto muss dann zumindest in irgendeiner Form etwas Neues beginnen, damit es wenigstens nicht Tr. 6 gibt.

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3.8 Prosa: Cicero, Seneca, Quintilian Nicht nur in der Dichtung ist die Strukturierung eines Gesamtwerkes anhand des Alters anzutreffen. Zum Abschluss seien daher drei Beispiele aus der Prosa vorgeführt, deren erstes mit Blick auf den Topos der Altersangemessenheit bestimmter Themen relevant ist. Die beiden letzten Beispiele führen dann in Statius’ eigene Lebenszeit und zeigen noch deutlicher, dass die alternde Persona auch für einen Prosa-Autor zu einem wichtigen Bestandteil der Selbstrepräsentation werden kann und dass Statius mit seiner eigenen Inszenierung auf eine gewisse Vertrautheit seiner Leserschaft in diesem Punkt zählen kann. Die Einleitung335 zu Ciceros Schrift de senectute bietet nicht nur einen Beleg für die Altersangemessenheit gewisser Themen, sondern zugleich auch für den Gedanken, dass das Alter selbst ein angemessenes Thema für das Alter ist.336 Cicero schreibt seinem Widmungsträger Atticus (de sen. 2): hoc enim onere, quod mihi commune tecum est, aut iam urgentis aut certe adventantis senectutis, et te et me etiam ipsum levari volo, etsi te quidem id modice ac sapienter, sicut omnia, et ferre et laturum esse certo scio; sed mihi, cum de senectute vellem aliquid scribere, tu occurrebas dignus eo munere, quo uterque nostrum communiter uteretur. mihi quidem ita iucunda huius libri confectio fuit ut non modo omnis absterserit senectutis molestias, sed effecerit mollem etiam et iucundam senectutem. numquam igitur satis digne laudari philosophia poterit, cui qui pareat omne tempus aetatis sine molestia possit degere. Von dieser Last des Alters nämlich, das entweder schon bedrückt oder sicher heranrückt, eine Last, die mir und dir gemeinsam ist, will ich dich und mich selbst erleichtern, auch wenn ich sicher weiß, dass du jedenfalls dies maßvoll und verständig, so wie alles, erträgst und ertragen wirst. Da ich etwas über das Alter schreiben wollte, erschienst du mir dieser Gabe würdig, die wir beide gemeinsam gebrauchen können. Mir jedenfalls war die Abfassung dieses Buches so angenehm, dass sie nicht nur alle Beschwerlichkeiten des Alters fortgewischt, sondern das Alter sanft und angenehm 335 Für eine ausführliche Interpretation der Leserlenkung im Spannungsfeld von Autor, Adressat und folgendem Inhalt/Werk im Proöm zu de sen vgl. Baraz 2012, 173–186. 336 Richtig ist allerdings der Hinweis von Vidén 2008/9, 66 f., dass es sich bei de sen. nicht um ein geplantes letztes Werk handelt, sondern um schriftstellerische Betätigung im gegenwärtigen otium. Vgl. auch Vidéns folgende Sammlung von Briefstellen, an denen sich Cicero über sein Alter äußert (Vidén 2008/9, 67 f.). Vgl. außerdem Fantham 2004, 1 zur Relation von Lebensalter und Abfassung von De oratore ein Jahrzehnt vor de sen.: »Fifty is an age when we take stock of our lives, even with the increased longevity of recent generations, but in the Rome of Cicero’s day, given both the average life expectation among the elite and the rigid structure of a political career, 50 would correspond more closely to the way our western society views the age of 60 or 65.« Allerdings sieht Vidén 2008/9, 68 f. im Falle Ciceros auch bei de sen. keine Anzeichen für einen geplanten Rückzug aus Altersgründen.

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Einleitung und methodische Grundlagen

gemacht hat. Niemals kann die Philosophie würdig genug gelobt werden: Denn wer ihr gehorcht, kann die ganze Zeit seines Lebens ohne Beschwerlichkeit verbringen.

Der Bezug zur Philosophie in diesen Einleitungsworten ist nicht nur ein situativ passendes Charakteristikum. Wie Cicero in seinem Überblick über sein philosophisches Gesamtwerk im Proöm des zweiten Buches von de divinatione deutlich macht, sieht er seine Schrift über das Alter auch als Teil dieses Gesamtwerkes.337 Der jüngere Seneca verweist nicht nur in den bereits herangezogenen Epistulae Morales auf sein Alter, um seine philosophische persona zu profilieren (s. o. A 2.1.), sondern tut dies auch am Anfang einer zeitgleich338 entstandenen Schrift, nämlich den Naturales Quaestiones. Er ist hierin seinem Vater vergleichbar, der ebenfalls in einer Praefatio eines längeren Werkes sein Alter thematisiert (s. o. A 2.2. zu Contr. 1 Praef. 2–5).339 In Nat. Quaest. 3 praef. 1–4 spricht Seneca von sich als Greis (senex), der sich nun ernsthafteren Beschäftigungen zuwendet (magnarum rerum fundamenta, 1; ad rem seriam, gravem, immensam, 3), denn es dränge das Alter und werfe ihm die unter unnützen Tätigkeiten vergeudeten Jahre vor (premit a tergo senectus et obicit annos inter vana studia consumptos (2). Wie Hine gezeigt hat, dürfte es sich bei Buch 3 eigentlich um das erste Buch und damit die Praefatio zum gesamten Werk handeln, das so als Alterswerk klassifiziert wird.340 Unmittelbar zeitgenössisch zu Statius’ Achilleis ist Quintilians Institutio, die er nach zwanzigjähriger Tätigkeit, also Anfang/Mitte der 90er Jahre des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, verfasst (vgl. 1 praef. 1). Quintilians Ruhestand ist, wie er selbst deutlich macht (2,12,12), eine freiwillige Entscheidung, 337 De div. 2,3: interiectus est etiam nuper liber is, quem ad nostrum Atticum de senectute misimus; […]. Vgl. auch Tusc. 1,7, dass für Cicero die lebenslange Beschäftigung mit der declamatio dazu führt, dass im Alter die Philosophie zur declamatio senilis wird. Zu Ciceros philosophischen Schriften, bes. denjenigen ab 46 v. Chr., als zusammengehöriges Gesamtwerk vgl. z. B. Spahlinger 2005, 176 f., bes. Fn. 15 p. 177 f. (Verknüpfung durch­ Zitate und Querverweise zwischen den einzelnen Werken) und Bringmann 1971, 90–96 (u. a. dient der Hinweis auf die zuvor angelegte Sammlung von Proömien (vgl. ad Att. 16,6,4) als Indiz für die zyklische Anlage). Cicero bindet auch die in den 50er Jahren entstandenen philosophischen und rhetorischen Schriften, sowie die rhetorischen Schriften der 40er Jahre in das Programm dieses Gesamtwerkes ein, vgl. de div. 2,3.: de re publica (vgl. auch Tusc. 4,1), 2,4: de oratore, Orator und Brutus, letztere drei Werke wiederum sind dort gewissermaßen als fünf Bücher umfassendes Teilkorpus gedacht und dementsprechend fortlaufend nummeriert (tres erunt de oratore, quartus Brutus, quintus Orator). 338 Zur Datierung vgl. Gauly 2004, 20–28 (zwischen 62 und 64 n. Chr.). 339 Vgl. auch Trinacty 2009 zu intertextuellen Beziehungen zwischen beiden Senecae (mit besonderem Blick auf der Behandlung der imitatio). 340 Hine 1981, 15 f. Vgl. auch den Überblick über die verschiedenen Buchreihenfolgen und ihre interpretatorischen Auswirkungen bei Gauly 2004, 55–67, der Hines Anordnung seiner Deutung zugrundelegt.

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Konzeptionen von Gesamt- und Alterswerken

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um rechtzeitig selbst ein ehrenwertes Ende (honestissimum finem) der öffentlichen Tätigkeit als Lehrer und Redner zu machen.341 Die literarische Beschäftigung in Form der Institutio ist als Trost für diesen selbstgewählten Rückzug gedacht (inquirendo scribendoque talia consolemur nostrum otium quae […] nobis certe sunt voluptati). Er versteht sie explizit als Alterswerk und Summe seiner Erfahrungen und stellt sie seinen anderen Schriften gegenüber, wie aus 6 praef. 1–3 zu erschließen ist, einer an den Adressaten von Statius viertem Silven-Buch, Vitorius Marcellus, gerichteten Vorrede. Der letzte Teil  des letzten Buches (12,11,1–7) ist dem Abschluss der Rednerkarriere gewidmet, der vor dem Verfall der Kräfte erfolgen soll.342 Damit wird der Bogen zum Beginn des Werkes geschlagen und Quintilians eigene Rückzugsentscheidung als idealtypische Verfahrensweise legitimiert.

3.9 Fazit Aus diesem knappen Überblick343 dürfte deutlich geworden sein, dass von der alexandrinischen Dichtung bis hin zu den Augusteern ein immer expliziteres Interesse sich artikuliert, Biographie und Edition eines Gesamtwerkes miteinander zu verknüpfen.344 Gipfelpunkte dürften Vergil hinsichtlich der Homoge 341 Kennedy 1998, bes. 155/157 betont die Außergewöhnlichkeit dieses Schrittes und nimmt diese Stelle als ersten antiken Beleg für ein retirement. 342 Vgl. Winterbottom 2005 zu diesem Abschnitt sowie zum gedanklichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Ende 12,11,8–31, bes. p. 177 und 182 zu Bezügen zu Ciceros de sen. 343 Zwei weitere, allerdings nur ungefähre Parallelen bieten zwei römische Historiker:­ Sallust bekennt am Anfang seines Bellum Catilinae (4,1–2), dass er nach vielen Unannehmlichkeiten den Rest seines Lebens fern von der Politik (reliquam aetatem a re publica procul habendam) der auszugsweisen Beschreibung erinnerungswürdiger Taten des römischen Volkes widmen wolle (statui res gestas populi Romani carptim, ut quaeque memoria digna videbantur, perscribere). Somit leitet seine Schrift über Catilina gewissermaßen ein historisches Alterswerk des Mittvierzigers ein. Tacitus umreißt am Anfang der Historien die chronologische Spanne vom Vierkaiserjahr bis zu den Flaviern; die Behandlung der Kaiser Nerva und Trajan hebt er sich für sein Alter auf (Hist. 1,1: senectuti seposui). 344 Für Weiteres vgl. neben den Verweisen in den Fußnoten zu den behandelten Autoren noch Korenjak 2010 zu Tibull, dem zufolge beide Bücher eine Werkeinheit bilden. Ein Bezug zum Alter macht Korenjak allerdings nicht aus. Vgl. darüber hinaus Johannsen 2006, 107–121 zur Praefatio zu Martials 12. Buch, in der sich der Dichter einige Zeit nach seinem Fortgang aus Rom mit einem letzten Buch zurückmeldet und zur Stilisierung seiner Situation u. a. auf Ovids Exildichtung zurückgreift. Allerdings gehört das 12. Buch in die Zeit nach Statius’ vermutlichem Tod 96 (vgl. Nauta 2002, 442, der Buch 12 auf 101 datiert). Parallel zu den Silven erscheint Martials achtes, Domitian gewidmetes Buch, das ebenfalls mit einer Praefatio versehen ist, die auf den andersartigen Charakter verweist, der mit dem Adressaten zusammenhänge (dazu Johannsen 2006, 87–97). Die beiden personae des Statius in den Silven und Martials in den Epigrammen sind jedoch sehr unterschiedlich modelliert: vgl. dazu Roman 2015.

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Einleitung und methodische Grundlagen

nität und Entwicklungsrichtung seines Gesamtwerkes und Ovid hinsichtlich der Ausführlichkeit der werkinternen Selbstkommentierung sein. Bei Kallimachos und Poseidippos ist das eigene Alter der Referenzpunkt für eine Retrospektive auf das bisherige Werk. Bei Vergil, und insbesondere bei Horaz und Ovid explizit, ist der Gedanke einer bestimmten Altersangemessenheit gewisser Genres und Themen präsent. Insofern wird die Einteilung des Dichterlebens zugleich zur Phasierung des Werkes genutzt: Leichtes und Spielerisches in der Jugend (sc. Eklogen, Oden oder Elegien), Philosophischeres bzw. Gewichtigeres beim älteren Dichter (Episteln bzw. Epos). Im Unterschied z. B. zu Tibull und Properz weisen Vergil, Horaz und Ovid allerdings auch eine längere Zeit der dichterischen Produktion auf, so dass sich dadurch der autobiographische Fundus für die Selbstrepräsentation dementsprechend erweitert. Auch in der Prosa von Cicero über Seneca bis Quintilian spielt das eigene Alter und das Schreiben im Alter eine Rolle bei der Modellierung der Autorpersona. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, fügt Statius diesen (Alters)Werkkonzeptionen eine eigene hinzu, die sich z. T. mit den Augusteern parallelisieren lässt, z. T. allerdings auf andere Modelle zurückgreift. Wie Ovid nutzt Statius die Möglichkeit zur ausführlicheren Selbstkommentierung in nicht-epischen Gattungen: Waren es bei Ovid insbesondere die Exilelegien, so sind es bei Statius die Silven, die nicht unwesentlich mit der Selbststilisierung des Dichters befasst sind. Allerdings folgt Statius nicht dem vergilischen Aszendenz-Schema,345 denn die Silven erscheinen parallel zur Epik bzw. sogar nach der Thebais: So dient auch der Vergil zugeschriebene Culex in der ersten Prae­fatio als Beispiel für einen Dichter, der sich zuweilen auch der leichteren Muse betätigt. Von einem speziellen Alter ist dabei nicht die Rede.346 Die besondere KonstelZur Entwicklung von Iuvenals satirischer persona vgl. Keane 2010, die vier Stadien bzw. unterschiedliche personae ausmacht, diese sukzessive Veränderung aber nicht mit dem Alter in Verbindung bringt. Ein spätes Beispiel für die Selbststilisierung des alternden Ichs vor dem Hintergrund der römischen Elegie sind, wie Meyers 2003 herausarbeitet, die Elegien des Maximianus. 345 Eine Generation vor Statius soll, wenn man dem erhaltenen Exzerpt aus der Sueton-Vita glaubt, Lucan sich in seiner dichterischen Entwicklung mit Vergil und dessen Culex (ebenfalls in einer Praefatio) verglichen haben: praefatione quadam aetatem et initia sua cum Vergilio comparans ausus sit dicere: et quantum mihi restat / ad Culicem! (p. 50,6–9 Reifferscheid). Vielleicht bietet Statius in seinem Gedicht auf Lucan einen Reflex darauf (Silv. 2,7,73 f.). 346 Silv. 1 praef. 7–9: Das Verbum praeluserit könnte man als Jugendwerk verstehen, das den gewichtigeren Werken vorangehe. Allerdings verwendet es Statius auch im Achilleis-Proöm zur Absetzung von einem geplanten Epos auf Domitian (A. 1,19) und als Jugendwerk dürfte man die Achilleis kaum sehen können. Wichtig ist für Statius also nicht der chronologische Abstand, der ja für die zeitgleichen Silven nicht in Anschlag zu bringen ist, sondern der generische Unterschied: Der Culex verhält sich zur Aeneis, wie die Silven zur Thebais bzw. wie das EthosEpos Achilleis zu einem Pathos-Epos auf Domitian. Vgl. allerdings auch die Ausführungen zum Proöm der Achilleis und den dort entwickelten Gedanken, dass die noch nicht ausgereiften Kräfte der Jugend mit den nicht mehr vorhandenen Kräften des Alters zu parallelisieren sind.

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Konzeptionen von Gesamt- und Alterswerken

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lation, nicht nur einmal sich der Epik zu widmen, sondern mit der A ­ chilleis ein zweites Mal, lässt römische Modelle zugunsten Homers zurück­treten. Dementsprechend werden Thebais und Achilleis als Diptychon inszeniert und mit dem ›autobiographischen‹ Alter verknüpft. Die Thebais sei noch unter der Aufsicht des Vaters begonnen worden347 und wird so zu einem Werk des Übergangs zur Reifezeit. Der Verfasser der Achilleis hingegen stilisiert sich zum alternden Epiker.348 Neben dem Achilleis-Proöm sind dabei die Silven von entscheidender Bedeutung bei der Verknüpfung der Einzelteile zu einem Gesamtwerk, zu dem sie selbst auch gehören.

347 Vgl. Silv. 5,3,233–237. 348 S. im Folgenden B 1., 2.1. und 2.2.4.

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B Erster Hauptteil: Die Konzeption der Achilleis im Überblick

1. Die Silven und das Bild des alternden Dichters Die in fünf Büchern unter dem Titel Silvae gesammelten Gelegenheitsgedichte lassen sich durch die Ereignisse, auf die in ihnen angespielt wird, auf die Jahre um 90 bis 95 n. Chr. datieren. Während die ersten vier Bücher von Statius selbst herausgegeben worden sind, wie sich einem jeweiligen Einleitungsbrief entnehmen lässt, stellt das fünfte Buch wohl eine postume Edition dar, wobei sich zumindest drei der fünf Gedichte des letzten Buches wahrscheinlich im Jahr 95 ansetzen lassen.1 Dieser zeitliche Rahmen, der durch den Bezug zu anderweitig datierbaren Ereignissen gesetzt wird, erlaubt es auch, gewissermaßen eine Werkchronologie des Statius zu entwerfen. Denn auch wenn es sich bei den Silven um Gedichte für bestimmte Anlässe wie den Trost über einen Todesfall oder die Einweihung eines Bauwerks handelt, so dienen diese nicht nur der literarischen Pflege von Freundschafts- und Patronageverhältnissen. Vielmehr sind sie in nicht weniger entscheidender Hinsicht gewissermaßen eine Bühne für eine literarische Selbstprojektion des Dichters Statius. Insofern sind wir bei Statius in einer für einen antiken Dichter sehr seltenen Lage, sowohl das dichterische Werk als auch eine öffentlichkeitsorientierte Kommentierung desselben, oder ökonomisch gesprochen ein self marketing zu besitzen.2

1 Vgl. dazu die Übersicht bei Hardie 1983, 64–66. Zur ›doppelten Publikation‹ der Silven (sc. beim Anlass und im Buch) vgl. Rühl 2006, 128–140. 2 Vgl. auch Vessey 1973, 15 zur Bedeutung der Silven bei der Interpretation der Thebais (Vessey widmet das ganze erste Kapitel einer Betrachtung der Silven), sowie seine Ausführungen 41–44 zu den Aussagen über die Thebais in den Silven. Vgl. außerdem Heslin 2005, 58–65 über die Silven und die Achilleis: Die Silven zeigten, wie Statius seine Gönner für ein geplantes Werk interessieren wolle. Es handele sich nicht um ein unvollendetes Gedicht, sondern einen bewusst geplanten Torso, der keine Spuren fehlender Überarbeitung zeige. Diese Art der Unvollendetheit sei als Anreiz für einzuwerbende Unterstützung gedacht. Heslin betont stärker den Effekt des self marketing. Von Alterswerk spricht er nicht. Nur eine kurze Andeutung macht Nauta 2006, 32 mit Bezug auf Silv. 4,4,69 f., dass Statius »connects the approach of old age with the writing of panegyric«. Generell zur Selbstdarstellung des Statius in den Silven vgl. Hardie 1983, 138–151, der die Mischung aus Griechischem und Römischem in der Präsentation als professioneller Preis-

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

Einen ironischen Reflex darauf haben wir m. E. in Iuvenals siebenter Satire (82–87): curritur ad vocem iucundam et carmen amicae Thebaidos, laetam cum fecit Statius urbem promisitque diem: tanta dulcedine captos adficit ille animos tantaque libidine vulgi auditur. sed cum fregit subsellia versu esurit, intactam Paridi nisi vendit Agaven.

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Alle Welt läuft zur angenehmen Stimme und zum Gesang der freundlichen Thebais, wenn Statius Rom glücklich macht und ein Rendezvous verheißt: Mit einer so großen Süße versieht er die gebannten Gemüter und man hört ihm mit so großer Lust in der Menge zu. Aber obwohl er alle von den Bänken reißt, hungert er, wenn er nicht seine unberührte Agave an Paris verkauft. Diese Stelle hat man zuweilen in dem Sinne ernst genommen, das hier von einem frühen Karrierezeitpunkt die Rede sei, wo Statius sich durch den Verkauf eines Librettos für einen Pantomimen seinen Lebensunterhalt verdienen musste.3 Aller-

dichter betont; vgl. dazu Rosati 2011, der mit einem Wort des Ennius von den tria corda des Statius spricht, worunter er einen griechischen, einen römischen und einen neapolitischen Aspekt der Selbstinszenierung in den Silven versteht. Nauta 2008 bedenkt detaillierter und systematischer die unterschiedlichen amicitia-Verhältnisse und die literarische Repräsentation. Rosati 2013 betrachtet die öffentliche und private Seite der Selbstdarstellung Statius’ als Dichter und dessen soziale Rolle. Bessone 2014 zeigt, wie Statius seine Epen und Silven durch eine einheitliche poetologische Konzeption verbindet, in deren Mittelpunkt das soziale Prestige des Dichters steht, das durch griechische Vorbilder autorisiert wird (u. a. homerischer Aöde, pindarischer Lyriker, mythischer vates). Unter dem Blickwinkel der dichterischen Autonomie betrachtet Roman 2014, 279–301 die Selbstdarstellung des Statius: Für die flavische Dichtung stellt er dabei die Erfindung einer client-poet persona (281) heraus, die im Unterschied zu den augusteischen Dichtern nicht mehr auf eine soziale Separatstellung des Dichters abziele. Diese dichterische Heteronomie mit dem Fokus auf einer enkomiastischen Dichterpersona sei besonders in den ersten drei Silvenbüchern zu beobachten, während das vierte daneben eine stärkere Hinwendung zur sich autobiographisch gebenden augusteischen Dichtung zeige (hier nimmt Roman eine Beobachtung von Nauta 2008, 173 zum besonderen ›autobiographischen‹ Charakter des vierten Buches auf). 3 Vgl. z. B. Dilke p. 4, Ripoll p. 7. Zum Pantomimen Paris vgl. Leppin 1992, 272–275. Vgl. außerdem Mratschek-Halfmann 1993, 21–29 zur allgemein guten finanziellen Lage von Literaten in der Prinzipatszeit, darunter p. 25 zu Statius, für den ein Gut in den Albanerbergen und das kaiserliche Privileg eines Wasseranschlusses zu attestieren sind (vgl. Silv. 3,1,61–64 und 5,3,37); auf p.  144 wird allerdings mit Blick auf die Iuvenalstelle eine zumindest zeitweise bestehende Geldnot erwogen. Sollte Iuvenals Anekdote irgendein historischer Kern innewohnen, so kann nur eine sehr frühe Zeit der Arbeit an der Thebais gemeint sein, da der Pantomime Paris etwa 83 n. Chr. ermordet worden ist (vgl. Leppin 1992, 273). Die Frage, ob eine Rezitation ca. zehn Jahre vor Publikation der Thebais, also innerhalb der ersten zwei

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Die Silven und das Bild des alternden Dichters

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dings wird man hier durchaus mit satirischer Verzerrung zu rechnen haben. Denn die Darstellung der Thebais und ihrer Wirkung muss man geradezu als karikatu­ ristisch bezeichnen.4 Wie sollte ein Epos über einen Bruderkrieg die Zuhörer glücklich machen (laetam) bzw. durch seine Süße (dulcedine) erfreuen? Dies wären für die epische Gattung und gerade für ein martialisches Epos wie die Thebais genau die entgegengesetzten Effekte bzw. Affekte. Vielleicht liegt in dieser Verkehrung ins Gegenteil auch ein Hinweis auf die Stilisierung als Pathos-Epos, das nur dann angenehm und unterhaltsam wirken kann, wenn man es komisch verzerren möchte. Dass hier die Thebais (eine) amica ist, scheint mir ein Reflex auf Statius’ eigene Rede von seiner Thebais zu sein (pro mea Thebaide, Silv. 1 praef. 6; mea Thebais, Silv. 3,5,36; Thebaidos meae, Silv. 4 praef. 18; vgl. auch meus Achilles und nostra Thebais in Silv. 4,7,23–26).5 Markus 2003 arbeitet ausgehend von der Iuvenalstelle eine persona des Dichters in der Thebais heraus, die es vorrangig auf Unterhaltung und emotionale Erregung des Publikums in der Rezitation anlegt. Dies lässt sich unter Auslassung der negativen Aspekte (wie die vermeintlich subversive Anlage des Domitianlobs im Proöm, pp. 443–448), die Markus m. E. zu forciert ausmacht, sehr gut mit der Annahme eines emotionalen Diptychons von Thebais und Achilleis (s. u.) als Pathos- bzw. Ethos-Epos verbinden.

Neben der expliziten Selbstdarstellung der Dichterperson in Relation zum Werk, auf die im Folgenden eingegangen wird, gibt es vielfach implizite Hinweise. Denn besonders die Teile der mythologischen Achilles-Biographie, die in der erhaltenen Achilleis thematisiert werden, tauchen mehrfach in allen fünf­ Silvenbüchern auf, zum Teil s­ ogar mit verbalen Parallelen.

oder drei Jahre der Arbeit, vor großem Publikum wahrscheinlich ist, wirft allerdings erhebliche Zweifel auf. 4 Anders Markus 2003, 433 f., die dies als Ausdruck für psychagogischen Erfolg beim Publikum versteht. Vgl. auch Tandoi 1969, 109–113 für die stilistische Bedeutung von dulcedo. Laut Tandoi habe dulcedo ursprünglich eine mit suavitas verwandte Qualität der Rede bezeichnet, sich aber im 1. Jh. n. Chr. zu einem negativen Attribut für einen effektvollen Stil entwickelt. Sollte auch Juvenal hier auf letztere Bedeutung abzielen, schiene mir gerade der ironische Aspekt nicht mit der gleichen Deutlichkeit hervorzutreten. 5 Für die erotische Doppeldeutigkeit und die karikierende Darstellung gegen eine lange übliche ›ernste‹ Lesart vgl. ausführlich Tandoi 1969 (u. a. Statius als Zuhälter, Thebais als Prostituierte). Wie Markus 2000, 172 f. feststellt, überlagern sich bei Juvenal zwei Stereotype: der arme und darum bemitleidenswerte Dichter, was zu Sat. 7 insgesamt passe, und dazu in Gegensatz stehend, Kritik an unmännlichen Rezitationen und ihren Erfolgen.  Vgl. auch Nauta 2002, 4 für Statius als (vielleicht bewusst) unpassend gewähltes Exemplum. Ausführlicher zum Motiv des Dichters als Zuhälter in der Liebeselegie (inklusive politischer Implikationen hinsichtlich der Pax Augusta) vgl. Fear 2000, 223–238. Fear beginnt seine Darstellung mit dem Motiv bei Catull c. 1, Hor. Epist. 1,20,1–4 und der obigen IuvenalStelle (218–221).

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

Im Folgenden sei ein knapper Überblick gegeben: 1. Achill 2,1,87–91

Achill ließ sich lieber von Chiron als Peleus erziehen, und nach Troja begleitete ihn nicht Peleus sondern Phoinix: Exempel für Atedius Melior und dessen verstorbenen puer delicatus

2,6,30 f.

Achill von Thetis verborgen auf Skyros als Vergleich für den verstorbenen Knaben des Flavius Ursus

2,7,96 f.

Achill von Thetis betrauert, Vergleich für Trauer um Lucan

3,2,96–99

Phoinix als Begleiter Achills vor Troja: Vergleich für das Verhältnis Statius – Maecius Celer (den Statius nicht begleitet)

3,4,85

Achills Haar in seiner Zeit bei Chiron als Vergleichspunkt für Flavus Earinus

4,4,35 f. 4,4,104 f.

Achill erholt sich beim Gesang über Briseis und stürmt dann umso eifriger in die Schlacht Achill und Patroklos als Exempel für Freundschaft (s. o.)

5,2,150 f. 5,2,152–158

Vergleich Pyrrhos-Achill für lobenden Bezug zu Crispinus und V ­ ater Achill-Patroklos-Vergleich für Crispinus und dessen Freund Optatus

5,3,191–194

Erziehung Achills, als lobender Vergleich für Statius’ Vater

2. Thetis 1,2,215–17

Hochzeit von Thetis und Peleus, Chirons Empfang

3,2,74/4,6,18

metonymische Verwendung für »Meer«

Für verbale Parallelen vgl. den Index p. 315 zu den Silven in Ripolls Achilleis-Kommentar (insbesondere die fettgedruckten Einträge). Um nur zwei auffällige Beispiele herauszugreifen:6 1,2,215–217 A.1,232–236 (beim unerwarteten ­Aufbruch der Thetis von Skyros) (beim Empfang der Thetis) Thessala nec talem viderunt P ­ elea Tempe, cum Thetin Haemoniis C ­ hiron ­accedere terris erecto ­prospexit equo.

prosequitur divam celeresque recursus, securus pelagi Chiron rogat udaque celat,  lumina et abreptos subito iamiamque latentes, erecto prospectat equo, qua cana parumper, spumant signa fugae et liquido perit orbita ponto.

A. 1,440 nec senior Peleus natum ­comitatus in arma quod senior Peleus nec adhuc maturus Achilles

2,1,90

6 Für weiteres vgl. auch die Behandlung des Proöms im Folgenden (B 2.1.). Zu der ersten Parallele vgl. B 3.

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Die Silven und das Bild des alternden Dichters

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In biographischer Lesart hat Dilke diese Bezüge gedeutet: »[…] the subject of the Achilleid was in Statius’ mind some time before he started writing the epic.«7 Dieser Gedanke lässt sich natürlich auch umkehren: Nämlich dahingehend, dass Statius bei seinen Lesern genau diesen Eindruck erzeugen wollte. Doch wenden wir uns nun der expliziten Selbstdarstellung in den Silven-­ Büchern zu! Vom Einleitungsbrief des ersten Buches angefangen, in dem von der kürzlich erfolgten Publikation der Thebais gesprochen wird,8 finden wir immer wieder Hinweise auf die eigene literarische Produktion eingeflochten. Zwar stellen die Silven eine Sammlung von ursprünglich eigenständigen Gedichten dar. Doch hat besonders die sequentielle Lektüre augusteischer Gedichtbücher gezeigt, dass der Kontext, der durch die Reihung erschaffen wird, eine wichtige weitere Interpretationsebene für das jeweilige Einzelgedicht und die Sammlung darstellt.9 Darum möchte ich im Folgenden eine solche sequentielle Lektüre der Silven unternehmen, mit dem Fokus auf der Selbstdarstellung als Dichter bzw. alternder Dichter. Wie wir sehen werden, lassen sich die Silven so tatsächlich als sich privat gebendes öffentliches Bild des Epikers lesen, das eine bestimmte Rezeptionshaltung beim Publikum provozieren soll.10 Nach der erwähnten Einleitungsepistel des ersten Buches bezieht Statius sich noch zwei weitere Male, im ersten und dritten Buch, auf die Abfassung der Thebais als zeitgleiche Arbeit zu der entsprechenden Silve. In Silv. 1,5 wird zu einer Unterbrechung der Arbeit an der Thebais aufgerufen, um dem sodalis Claudius Etruscus ein Gedicht über dessen Bad verfassen zu können.11 In der zweiten Silve des dritten Buches, einem Propempticon, spricht Statius von der

7 Dilke p. 7. Ähnlich auch Méheust xv und schon Legras 1908, 34 f. 8 Silv. 1 praef. 6: quo adhuc pro Thebaide mea, quamvis me reliquerit, timeo. Für eine umfassende Untersuchung der Prosa-Vorworte der Silvenbücher und ihrer Relation zu den jeweiligen Silven vgl. Johannsen 2006, Kap. 4. 9 Vgl. dazu die Literaturliste bei Wulfram 2008, 152 Fn. 440. 10 Für die Komposition der Silven-Bücher vgl. Cancik 1965, 16–23 und Newmyer 1979, 55–58/122–130. Bright 1980, 50–76 sieht in Statius’ Buchaufbau eine Gleichzeitigkeit von Ordnung und Unordnung, also eine inszenierte Asymmetrie, (sc. im Unterschied zu augusteischen Gedichtbüchern) als ästhetisches Programm am Werke. Vgl. außerdem Newlands 2008, 237–241 zum Buchaufbau in Relation zu den Angaben der Praefationes. Demgegenüber scheint Pederzani 1991, 23 zu vorsichtig. Zum konzeptuellen Verhältnis von Improvisation und Publikation in den Praefationes vgl. Newlands 2002, 33–35. Epische Intertexte (inklusive Thebais und Achilleis) in den Silven behandeln Gibson 2006 und van Dam 2006, sowie Taisne 1996. Zum Zeit-Motiv in den Praefationes vgl. Parker 2014. 11 Silv. 1,5,8 f.: paulum arma nocentia, Thebae,/ponite; dilecto volo lascivire sodali. Eine poetologische Lesart von Silv. 1,5 mit Blick auf die Thebais, die die unterschiedliche Poetik der Silven im Vergleich zur Thebais herausarbeitet, bietet Newlands 2002, 212–226.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

Arbeit an der Thebais und stellt dem Adresaten Maecius Celer bei dessen Rückkehr die Präsentation der vollendeten Thebais vor Augen.12 Ein weiteres Gedicht ist darüber hinaus von entscheidender Bedeutung. Bereits mehrfach wurde in der Forschung eine gemeinsame Publikation der ersten drei Bücher als Sammlung angenommen.13 Passenderweise würde dann Statius nicht nur am Anfang dieser Sammlung, sondern auch am Ende, im letzten Gedicht des dritten Buches Bezug auf seine Arbeit an der Thebais nehmen. Dieses Gedicht, Silv. 3,5, ist an seine Frau gerichtet, der er einen Umzug von Rom in seine alte Heimat Neapel empfehlen möchte.14 Diese Rückkehr in die Heimat wird durch Erschöpfung und die Absicht, den Lebensabend in der Heimat zu verbringen, motiviert (Silv. 3,5,12 f.): Euboicos fessus remeare penates / arguor et patria senium componere terra.15 Statius’ Frau wird in dieser Silve als stete Begleiterin seiner Arbeit auch bei der langen Arbeit an der Thebais gepriesen.16 Gleich im Anschluss verweist Statius darauf, dass er kürzlich knapp dem Tod entronnen sei. Ob durch ein Unglück oder eine Krankheit ausgelöst, erfahren wir nicht. Die Parze Lachesis hätte aber aus Erbarmen seinen Lebensfaden noch einmal verlängert: 12 Silv. 3,2,40 f. si vestras amor est mihi pandere Thebas / nec cano degeneri Phoebeum Amphiona plectro; und 142 f.: ast ego devictis dederim quae busta Pelasgis / quaeve laboratas claudat mihi pagina Thebas. 13 Laut Newlands 2012, 2 zurückgehend auf Vollmers Kommentar 10–13; vgl. auch Hardie 1983, 64 f.; für sukzessive Publikation: Nauta 2002, 285–289, für Gegenargumente zu Nauta vgl. Rühl 2006, 138. Einen knappen Forschungsüberblick gibt Klodt 2005, 197 f. Fn. 38. 14 Vgl. auch die Angabe in der Praefatio: summa est ecloga qua mecum secedere Neapolim Claudiam meam exhortor (Silv. 3 praef. 20 f.). Klodt 2005, 197–222 hebt die mehrfache Strategie des Textes hervor, die unter dieser literalen Ankündigung liegt, vgl. bes. 204 f.: 1) »Ehrung für Claudia«, 2) »öffentliches Dokument der lebenslangen concordia der Ehepartner«, 3) »offizieller Abschied des Dichters von Rom«, 4) »poetische Form des Sprechens von sich selbst«, 5) Parallelisierung mit Ovid Tr. 4,10 und den Briefelegien an seine Gattin. Fögen 2007, 257–263 betont besonders den vierten dieser Aspekte (vgl. 262: »ultimately it all amounts to a self-depiction: everyone and everything is centered around the artist with the result that the poem is much more about him than anyone else.«). Für 3,5 als Sphragis mit der Selbstvorstellung des Dichters vgl. auch Rühl 2006, 359–362. Eine Andeutung, dass 3,5 mehr als nur eine Ermahnung ist, sondern ebenso eine literarische Selbstrepräsentation, findet sich freilich bereits in der Praefatio direkt im Anschluss an den bereits zitierten Satz: hic, si verum dicimus, sermo est, et quidem securus ut cum uxore et qui persuadere malit quam placere. Zur Struktur von Silv. 3,5 vgl. Vessey 1976, bes. 136 f. und Laguna 340. 15 Zur Odyssee-Referenz vgl. Laguna ad loc., sowie zu Silv. 3,5,6b–10 zum Odysseus-­ Motiv in 3,5. Vgl. auch in der Praefatio des Buches die Bezeichnung Neapels als hanc destinationem quietis meae und die Parallelisierung mit dem zurückgezogenen Pollius Felix, dem neben Silv. 2,2 auch das gesamte dritte Buch gewidmet ist (Silv. 3 praef. 20–25). Vgl. dazu McCarter 2012, 455 f. 16 Silv. 3,5,33–42.

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Die Silven und das Bild des alternden Dichters

        tu procurrentia primis carmina nostra sonis totasque in murmure noctes aure rapis vigili; longi tu sola laboris conscia, cumque tuis crevit mea Thebais annis. qualem te nuper Stygias prope raptus ad umbras, cum iam Lethaeos audirem comminus amnes, aspexi, tenuique oculos iam morte cadentes! scilicet exhausti Lachesis mihi tempora fati te tantum miserata dedit, superique potentes invidiam timuere tuam.

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Du hörst begierig mit wachendem Ohr meine Gesänge, wenn sie mit den ersten Klängen hervorströmen, und ganze Nächte mit meinem dichterischen Murmeln; du bist die einzige Mitwisserin meiner langen Arbeit, und mit deinen Jahren wuchs auch meine Thebais. Wie sah ich dich an, als ich kürzlich beinahe zu den stygischen Schatten entrissen die Lethe-Ströme schon in der Nähe hörte, und hielt meine Augen noch offen,17 die sich schon im Tod neigten! Freilich hat Lachesis mir Zeiten zum schon aufgebrauchten Schicksal hinzugegeben, nur weil sie sich deiner erbarmt hat, und die Himmlischen haben in ihrer Macht deinen Neid gefürchtet.

Wichtiger als die durchaus rührende Ausdauer der Ehefrau scheint mir der Hinweis auf den Beinahe-Tod zu sein. Denn hier haben wir zusammen mit dem zuvor geäußerten Wunsch, in die Heimat zurückzukehren,18 erste Hinweise auf die sich schwächende physische Konstitution des Dichters,19 die besonders im vierten Buch explizit thematisiert wird. Mit dem vierten Buch tritt die Arbeit an der Achilleis als ein Thema in die Welt der Silven ein. Nach drei gleichartigen Büchern ein viertes als spätere Ergänzung hinzuzufügen, ist ein Charakteristikum, das Statius mit Horaz, Properz und Ovid teilt.20 Das vierte horazische Odenbuch gibt sich als ein Gedichtbuch im Spannungsverhältnis von Kontinuität und Innovation. Dieses Thema wird gleich mit den ersten Versen von 4,1 eingeschlagen und mit dem gegenwärtigen Alter der Dichterpersona, die derartige Dichtung schon abgeschlossen hatte, in Verbindung 17 Laguna zu 3,5,39 nennt als Parallelen für das Motiv, dass der Blick auf die geliebte Person den Tod verzögert oder aufhält, u. a. Ov. Met. 4,145 f. 18 McCarter 2012, 457 f. versucht in der Opposition Rom-Neapel auch eine generische Antithese zwischen hoher und leichter Dichtung zu sehen. 19 Mc Carter 2012, 459 f. sieht die Arbeit an der Thebais als Grund für die Erschöpfung an (vgl. Silv. 4,4,53–55). 20 Für den besonderen Charakter von Silv. 4 zwischen Fortsetzung und Neuansatz vgl. Nauta 2002, 195/287; Hardie 1983, 164 f. Vgl. außerdem Roman 2014, 296–301 zum gewandelten Standpunkt der Dichterpersona hinsichtlich der dichterischen Autonomie im vierten Buch. Eine Parallele zum horazischen Neuansatz sieht auch McCarter 2012, 465.

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gebracht, wie er es am Anfang des ersten Epistelbuches nach der Odendichtung verkündet.21 Ähnlich stellt auch Properz an den Anfang seines in der gleichen Zeit (um 16 v. Chr.) zu verortenden vierten Buches22 eine zweiteilige Elegie bzw. ein Dip­t y­chon von zwei Elegien,23 von denen die erste ein aitiologisches Programm in der Nachfolge Kallimachos ankündigt, während in der zweiten der Seher H ­ oros als Sprachrohr Apolls zu einer Rückkehr zur Liebeselegie im etablierten Typus anmahnt.24 Bereits an anderer Stelle habe ich auf die gesuchte Parallele des vierten Epistel­ buches ex Ponto zu Horaz und Properz hingewiesen.25 Auch dieses präsentiert einige auffällige Abweichungen zu den vorangegangenen Exilbüchern (Zeitspanne der Gedichte, Adressaten, Umfang an Gedicht- und Verszahl, kein Gedicht an die Ehefrau, kein explizites Prolog-Gedicht).26 Dies hat sogar dazu geführt, dass einige von einer postumen Edition ausgehen,27 was aber überzeugend von Wulfram widerlegt werden konnte.28 Bei Ovids viertem Buch spielt weniger das Element der variierten Fortsetzung, wie bei Horaz und Properz, eine Rolle, sondern die Absicht, ein Werk zu schließen. Besonders deutlich ist dies im letzten Gedicht der Sammlung (4,16), das gewissermaßen als eigener Nachruf konzipiert ist.29 In diese Reihe von vierten Büchern stellt sich nun Statius und betont Kontinuität und Neuansatz mit seinem vierten Silven-Buch: In der Widmungsepistel weist Statius die Kritik seiner Gegner an der Herausgabe seiner Gelegenheitsgedichte zurück. Die höhere Gedichtzahl in Silv. 4 sei als ein Affront für diese Kritiker gedacht.30 Doch nicht nur die Gedichtzahl auch die metrische Varianz 21 Hor. c. 4,1,1–7 und Epist. 1,1,1–10; vgl. dazu A 3.5. Johnson 2004 interpretiert das vierte Odenbuch vor dem Hintergrund der ersten Odensammlung. 22 Unabhängig davon, ob man das vierte Buch vielleicht als fünftes zählen müsste, da das jetzige zweite eine Konflation aus zwei ursprünglichen Büchern darstellt. Denn in diesem Falle würden IIa, IIb und III eine Trilogie bilden, von der das Cynthia-Buch als erstes und das vierte/fünfte als letztes abgesetzt sind. Grundlegend zum Problem (bes. unter Berücksichtigung des Distichons 2,13,25 f. und der dortigen Erwähnung von tres libelli) vgl. den Kommentar von Butler/Barber xxviii–xxxiii, die Einleitung in Fedelis Kommentar zum zweiten Buch (p. 21–35), sowie die Praefatio in Heyworths OCT lxiii–lxiv. 23 Vgl. dazu Hutchinson 61 und Heyworth 2007, 424 f. 24 Prop. 4,1,1,69: sacra diesque canam et cognomina prisca locorum; 4,1,135/137: at tu finge elegos, fallax opus: haec tua castra!/[…] militiam Veneris blandis patiere sub armis, […]. Zu Kontinuität vs. Diskontinuität in Prop. 4 vgl. Hutchinson 7–16. 25 Bitto 2012b, 180 f. 26 Vgl. dazu ausführlicher Evans 1983, 153 f. 27 Vgl. z. B. Evans 1983, 168–70 oder Helze 31–36. 28 Wulfram 2008, 259–279. 29 Vgl. dazu die Besprechung von Ovids Exildichtung in der Einleitung (A 3.7). 30 Silv. 4 praef. 24–27: quare ergo plura in quarto Silvarum quam in prioribus? ne se putent aliquid egisse, qui reprehenderunt, ut audio, quod hoc stili genus edidissem. Zum Vergleich die Gedichtzahlen: I: 6, II: 7, III: 5, IV: 9 (V: 5).

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Die Silven und das Bild des alternden Dichters

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unterscheidet Silv. 4 von seinen Vorgängern: Neben Hexametern finden wir zwei Gedichte in Hendecasyllaben (4,3/9), außerdem jeweils ein Gedicht in alkäischen bzw. sapphischen Strophen (4,5/7). In Silv. 1–3 hatte es neben den Hexametern nur zwei Gedichte in Hendecasyllaben gegeben (1,6 und 2,7). Auch das postume fünfte Buch enthält nur Hexameter. Coleman nennt dementsprechend das vierte Silvenbuch »the most varied in content, metre, and genre«.31 Man muss nun nicht eine vollständige Planung von Silv. 1–3 und 4 von Anfang an annehmen, um eine solche Traditionslinie zu sehen. Es scheint mir vielmehr der Fall, dass Statius auf der Suche nach einem passenden Vorbild für die verschiedenen Themen, die er in Silv. 4 zu verbinden suchte (sc. das Spannungsverhältnis von Fortsetzung und Variation, Alter), in der Konzeption der von Horaz ausgehenden Gestaltung von vierten Büchern einen passenden Ansatzpunkt fand. Besonders eng scheinen die vierten Bücher von Horaz und Statius zusammenzusehen zu sein: 4,4 lehnt sich an den Ton horazischer Episteln an;32 4,5 und 4,7 sind Gedichte in den bei Horaz häufig anzutreffenden alkäischen bzw. sapphischen Strophen, die gleichwohl bei Statius nur hier begegnen.33 Der Einleitungsbrief des vierten Buches erwähnt wiederum die Veröffentlichung der Thebais und nimmt so den metapoetischen Faden der ersten Sammlung auf.34 Mit der vierten Silve des vierten Buches wird nicht nur zum ersten Mal die in Arbeit befindliche Achilleis thematisiert, sondern ganz explizit auf die Physis des Dichters hingewiesen. Die Silve selbst gibt sich als Brief an den abwesenden Vitorius Marcellus, dessen baldige Rückkehr ersehnt wird und dem nebenbei bemerkt auch das ganze Buch gewidmet ist. Bereits am Ende des ersten Drittels (Silv. 4,4,32–36) ist von der Erschöpfung der dichterischen Kraft die Rede, die hier aber noch auf die allgemeine Auswirkung der heißen Jahreszeit zurückgeführt wird (vgl. zuvor 4,4,12–32):        […] et nostra fatiscit laxaturque chelys. vires instigat alitque tempestiva quies; maior post otia virtus. talis cantata Briseide venit Achilles acrior et positis erupit in Hectora plectris.

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[…] auch unsere Leier ist erschöpft und ermüdet. Ruhe zur rechten Zeit schürt und nährt die Kräfte; größer ist die Tatkraft nach der Erholung. So ging Achill, nachdem er Briseis besungen, energischer [in den Kampf] und stürmte gegen Hektor los, nachdem er das Plektrum zur Seite gelegt hatte. 31 Coleman v, ähnlich Hardie 1983, 164: »It reveals a far greater variety than the other books, a wider range of style, content and methods of praise and selfrepresentation.« (vgl. auch p. 65). 32 Hardie 1983, 168–170. 33 Vgl. außerdem den Index s.v. Horace in Colemans Kommentar. Zur Relation von Silv. 4,5 und 4,7 zur horazischen Odendichtung vgl. Nagel 2009. 34 Silv. 4 praef. 17 f.: epistula quam ad illum de editione Thebaidos meae publicavi […].

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

Wie gesagt, steht hier die Erschöpfung des Dichters noch im Zusammenhang mit der Jahreszeit. Jedoch wird hier in Verbindung mit dem Achill-Exempel bereits motivisch ein gedanklicher Nexus vorbereitet, der das Ende der Versepistel bestimmen wird: die altersbedingte Ermüdung und die Arbeit an der A ­ chilleis.35 Der Achill-Vergleich ist zunächst eine den Adressaten Vitorius Marcellus lobende Parallele. So wie auch dieser anerkanntermaßen große epische Held sich zuweilen dem otium hingebe, so solle auch Marcellus sich zeitlich begrenzt von der Politik zurückziehen, um neue Kräfte zu schöpfen (vgl. 4,4,27–9/37 f.), sich also dem Gebiet zumindest zeitweilig widmen, auf dem Statius Meisterschaft beanspruchen kann (vgl. 4,4,49–55), auch wenn diese Erfolge nicht mit denen des Marcellus konkurrieren können (4,4,69–72). Statius stellt hier zwei otium-­ Arten gegenüber: Sein Instrument ist erschöpft (4,4,32 f.), er schöpft aber an Vergils Grab leichte Lieder singend neue Kräfte (4,4,53–55). Während sich Marcellus einem otium hingeben solle, das seiner sonstigen Tätigkeit so entgegengesetzt ist, wie das Singen bei Achill seiner üblichen kriegerischen Betätigung, sich also im otium der Dichtung verschreibt, so kann der Dichter in seinem otium nicht den Wechsel der Betätigung vornehmen, da er ja kein Tatmensch ist, sondern nur die Gattung wechseln, und sich von der Epik durch eine niedere Gattung erholen.36 Aber auch in poetologischer Lesart, die durch den Schlussteil, der über die gegenwärtigen dichterischen Pläne des Statius informiert (4,4,87–100, s. u.), auch für die ganze Epistel suggeriert wird, ist die Wahl eines Achill-Vergleichs von Bedeutung. Gerade die nicht-kämpferische Seite Achills wird im Exempel in den Blick genommen: Das spätere Losstürmen gegen Hektor wird nicht wie in der Ilias primär als Spätfolge des Streits mit Agamemnon gedeutet, sondern Achill wird hier als liebender Sänger präsentiert, der sich in der Muße für den Kampf erholt. Bezeichnenderweise singt zwar Achill auch in der Ilias, dort allerdings nicht von Briseis, sondern von Männerruhm (κλέα ἀνδρῶν, Il. 9,189). Statius greift hier auf eine literarische Tradition zurück, die den Liebhaber Achill in den Mittelpunkt stellt und die sich besonders in der römischen Liebeselegie greifen lässt.37 So wird auf die elegische Tönung der Achilleis bereits

35 Die Silve schließt sogar mit einem weiteren Achill-Exempel, in dem wiederum der Gegner Hektor fokussiert wird und die freundschaftliche Treue zu Patroklos (Silv. 4,4,104 f.: lacerum qui circa moenia Troiae / Priamiden caeso solacia traxit amico). 36 Vgl. auch McCarter 2012, 471 f. zum Zusammenhang von otium-Motiv in 4,4 und dem Rückzug in 3,5. Rühl 2006, 230–238 hingegen sieht nicht zwei Arten des dichterischen otium in 4,4 vorliegen, sondern nur das dichterische otium als Ganzes dem negotium des Marcellus gegenübergesetzt. Dabei scheinen mir 4,4,51–55 nicht ausreichend gewürdigt, da sie ja gerade nicht die gesamte dichterische Tätigkeit des Statius beschreiben. 37 Vgl. dazu das Briseis-Kapitel von Fantuzzi 2012, sowie die allgemeinen Ausführungen zur Elegie in der Achilleis im folgenden Punkt (B 2.2.2.).

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Die Silven und das Bild des alternden Dichters

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vorverwiesen. Auch in der Achilleis tritt Achill als Singender auf: zum einen zwar über Helden­taten ­(1,186–194), zum anderen aber – und das ist noch entscheidender  – zur Verführung D ­ eidamias (1,572–579), d. h. er nutzt seine bei Chiron erlernte Fähigkeit nicht so sehr einfach zur Erholung, als vielmehr zur erotischen Eroberung. Etwas später in der gleichen Silve stellt Statius sich als alternden Dichter in Gegensatz zum Tatmenschen Marcellus und schreibt: nos facta aliena canendo / vergimus in senium  – »wir besingen die Taten anderer und nähern uns dabei dem Alter« (Silv. 4,4,69 f.).38 Kurz darauf spricht er von der Vollendung seiner Thebais und dann von seinem neuen Projekt (4,4,87–100): nunc si forte meis quae sint exordia musis scire petis, iam Sidonios emensa labores Thebais optato collegit carbasa portu Parnasique iugis silvaque Heliconide festis tura dedit flammis et virginis exta iuvencae votiferaque meas suspendit ab arbore vittas. nunc vacuos crines alio subit infula nexu: Troia quidem magnusque mihi temptatur Achilles, sed vocat arcitenens alio pater armaque monstrat Ausonii maiora ducis. trahit impetus illo iam pridem retrahitque timor. stabuntne sub illa mole umeri an magno vincetur pondere cervix? dic, Marcelle, feram? fluctus an sueta minores nosse ratis nondum Ioniis credenda periclis?

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Wenn du nun wissen willst, welchen Anfang meine Musen nehmen, die­ Thebais hat schon die sidonischen39 Mühen durchmessen, im erwünschten Hafen die Segel gerefft und auf dem Gebirgsjoch des Parnass und im Wald auf dem Helikon festlichen Flammen Weihrauch übergeben sowie die Eingeweide einer jungfräulichen Kuh, sie hat auch an einem Votivbaum meine Haarbinden aufgehängt. Nun nähert sich ein Band mit anderer Verflechtung meinen Haaren, die sich in Muße befinden: An Troja und dem großen Achill versuche ich mich, aber der bogentragende Vater (= Apoll) ruft anderswohin und zeigt auf die größeren Waffen(taten) des Ausonischen Feldherrn (= Domitian). Längst treibt es mich dorthin und hält mich Furcht doch zurück. Werden meine Schultern unter dieser Last bestehen oder wird der Nacken vom großen Gewicht besiegt werden? Sag, Marcellus, werde ich es tragen können? Oder ist mein Schiff, das sich daran gewöhnt hat, nur kleinere Fluten zu kennen, noch nicht den Gefahren der ionischen See anzuvertrauen?

38 Zu Colemans Emendation des überlieferten vergimur, die auch von Courtney in seinen Oxford-Text übernommen worden ist, vgl. ihren Kommentar zu Silv. 4,4,70. 39 Nach der Herkunft von Thebens Gründer Kadmos aus dem phönizischen Sidon.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

In Verbindung mit der Erwähnung des senium zuvor lässt sich dieses Schwanken hinsichtlich der Stoffwahl auch als programmatische Ankündigung lesen: Aufgrund beginnender Altersschwachheit könne Statius nur ein »schwächeres« zweites mythologisches Epos bieten und nicht ein Epos, das einem Kaiser wie Domitian genügen würde.40 Eine Erschöpfung scheint rückblickend mit Silv. 4,4 gelesen bereits am Ende der Thebais anvisiert: Recusatio-artig wird der Schlusspunkt mit dem topischen Beginn der Unsagbarkeit alles Geschehenen gesetzt (Th. 12,797–809, direkt vor der Sphragis 810–819). Das Schiff habe nach langer Fahrt seine Heimkehr verdient (mea iam longo meruit ratis aequore portum, 12,809). Silv. 4,4 nimmt das Schiffsbild wieder auf (4,4,88 f., s. o.) und knüpft damit direkt an das Ende der Thebais an. Dadurch wird die Überleitung zum neuen Werk bzw. die als Gesamtwerk zu denkende Einheit beider Werke noch deutlicher vor Augen geführt. Zugleich wird, zumindest in der Retrospektive der späteren Silve, das häufiger anzutreffende Bild von der Heimkehr nach langer, z. T. auch direkt als erschöpfend bezeichneter, Fahrt am Werk- oder Buch­ ende41 zur speziellen Erschöpfung des Alternden, der am Ende seines ersten Epos bereits dem Alter nahegekommen ist und dies in den kurz darauf erscheinenden Silven explizit anspricht. Der kallimacheisch-neoterische Kontrast von groß und klein (4,4,95–98) sowie die Schiffs/Meer-Metaphorik (4,4,99 f.)42 dienen dann auch dazu, das zukünftige Epos durch alexandrinische Affiliationen zu ›verkleinern‹, d. h. auf eine mittlere Stilebene zu bringen, die mit dem Ethos in der rhetorischen Theorie verbunden wird.43 Wie wir noch sehen werden, verwendet Statius diese Denkfigur der alexandrinischen Verkleinerung wieder im Proöm der Achilleis (s. u. 2.1.).

40 Vgl. dagegen McCarter 2012, 477, die eine politische Note hinter diesen Versen vermutet: »The reciprocal relationship between public and private that Statius sets up in 4.4 makes an epic on Domitian impossible. Writing an epic on Domitian jeopardizes Statius’ private otium, for it brings him perilously close to the center of Roman public life and removes him from the private withdrawal necessary for the composition of poetry.« 41 Vgl. am Werkende: Ov. Ars 3,747 f. (fessa carina), Rem. Am. 811 f. (fessae carinae); am Buchende: Verg. Georg. 2,541 f.; Ov. Ars 1,771 f.; Ov. Fast. 2,863 f. Zum Abschluss der literarischen Arbeit als Erreichen des Hafens vgl. die ausführliche Sammlung bei Lucke zu Ov. Rem. Am. 811–814. 42 Vgl. Kallimachos frg. 1,3–6/23 f. Pf. (Antithese klein-groß) und Hymn. in Apoll. 105–112 (Wassermetaphorik), vgl. dazu Asper 1997, 109–125 und 135–152. Vgl. in der lateinischen Literatur: Cat. c. 95b und Verg. Ecl. 6,3–8 für die Antithese groß-klein. Zur metaphorischen Verbindung Schiff-Dichtung vgl. z. B. Verg. Georg. 2,39–46; Hor. c. 1,3 (wenn man die allegorisch-poetologische Deutung akzeptiert; vgl. dazu z. B. Kofler 2003, 69 f. und 126–131 sowie Rumpf 2009), vgl. auch die vorangehende Fußnote. Die Verbindung beider metaphorischer Komplexe haben z. B. Prop. 3,3,22–24; 3,9,3 f./35 f./43 f. und Hor. c. 4,15,1–4. Vgl. dazu Cody 1976, 83–87. 43 Vgl. dazu die Einleitung A. 2.1.

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Interessanterweise ist jedoch eine gebrochene Wiederaufnahme kallimacheischer Metaphorik in Silv. 4,4 zu beobachten.44 Die besonders durch die sechste Ekloge Vergils für die römische Dichtung bestimmende Rezeption des Aitien-­Prologs45 führt in einer sog. recusatio Apoll als Mahner gegen eine zu große Dichtung ein, die sich mit kriegerischer Thematik beschäftigt und die Kräfte des Dichters übersteigt. Stattdessen solle sich der ermahnte Dichter einer kleinen, raffinierten Dichtung widmen.46 Bei Horaz erfährt dieser poetologische Kontrast eine vielsagende Entwicklung. In c. 1,6 lehnt Horaz ein Preisgedicht auf Agrippa mit dem Verweis auf den generischen Kontrast große vs. kleine Dichtung und der eigenen Befähigung nur für letztere ab. Ethik und P ­ oetik des bescheidenen Maßhaltens ist ein bestimmendes Motiv der Odendichtung.47 In c. 4,15 jedoch haben wir zugleich eine Annäherung an Vergils Ekloge sowie eine Umdeutung derselben: Der Dichter ist bereit, Schlachten und Eroberungen zu besingen, doch wird er von Apoll ermahnt, nicht mit zu kleinen Kräften, sich auf solch große Themen einzulassen.48 Im Gedicht findet dem­entsprechend eine Entwicklung von loqui (c. 4,15,1) zu canemus (c. 4,15,32), vom ersten zum letzten Vers, statt.49 Statius nun wird von Apoll zu großen Themen, zum Preis kriegerischer Taten des Kaisers von Apoll ermuntert (Silv. 4,4,95 f.), ist sich jedoch über seine Konstitution dafür unsicher. Der Mahner Apoll ruft hier nicht zur kleinen Dichtung, sondern zu großen Themen auf. Der Dichter muss nicht abgehalten werden, sich poetologisch auf großes Terrain zu begeben, sondern im Gegenteil dazu aufgefordert werden  – eine 44 Vgl. auch Nauta 2006, 31 f. Zu der sich von den Augusteern pointiert unterscheidenden Rezeption kallimacheischer Poetik bei Statius vgl. schon Dams 1970, 146–149 (AchilleisProöm), 150–175 (Silven), basierend auf Wimmel 1960, 316–319; zu den Silven auch Rosati 2015, 54–65, der die Umdeutung kallimacheischer Poetik mit den veränderten Rezeptionsbedingungen in der flavischen Gesellschaft in Verbindung bringt, die weniger auf Exklusivität orientiert sei (vgl. auch 66–70 zum Ideal der kleinen Form und der Unmittelbarkeit in flavischer Zeit). Zur differenzierten poetologischen Auseinandersetzung mit Kallimachos unter Einbeziehung der lateinischen epischen Tradition in der Thebais vgl. McNelis 2006. 45 Kallimachos frg. 1 Pfeiffer, bes. 3–6/21–28. Zur Rezeption kallimacheischer Poetologie bei römischen Dichtern vgl. u. a. Wimmel 1960 und Cameron 1995 454–483. 46 Ecl. 6,3–6: Cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem / vellit, et admonuit: »Pastorem, Tityre, pinguis / pascere oportet ovis, deductum dicere carmen.« 47 Programmatisch explizit in c. 2,16,37–40: mihi parva rura et / spiritum Graiae tenuem Camenae / Parca non mendax dedit et malignum / spernere volgus. Vgl. dazu Davis 1991, 205–215. Für die Verbindung von Ethik und Poetik bei Horaz vgl. bes. Mette 1961 und Cody 1976, 36–44. 48 Hor. c. 4,15,1–4: Phoebus volentem proelia me loqui / victas et urbes increpuit lyra,/ne parva Tyrrhenum per aequor / vela darem. 49 Zu dieser Deutung vgl. ausführlicher Bitto 2012a, 328–330. Das Verbum canere wird im vierten Odenbuch sonst mit dem Preis des Augustus bzw. des Apoll verbunden (vgl. 4,2,47; 4,6,37). Passenderweise heißt es über den enkomiastischen Dichter Pindar: seu deos regesque canit (4,2,13). Beim Lob für Lollius in 4,9 spricht Horaz demgegenüber von verba loquor socianda chordis (4,9,4). So ist vielleicht auch die auf engstem Raum vorgenommene und auf 4,15 vorausweisende Entwicklung von loqui zu canere in 4,2,45–48 zu verstehen: ­siquid loquar audiendum (als Geste der Bescheidenheit vom Lobenden aus gesehen) [….] ›o sol pulcher, o laudande!‹ canam recepto / Caesare felix (als Zeichen der Größe des Gelobten). Zur Bedeutung von canemus in enkomiastisch-generischer Hinsicht (sc. die Inkorpierung der Epik/Vergils in die horazische Lyrik) vgl. Johnson 2004, 210–214 und Zarecki 2010.

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Annäherung an den Apoll aus Hor. c. 4,15. Mit kallimacheischer Metaphorik (kleine Kräfte, Schiff)  versucht Statius jedoch dem zu widerstehen, zumindest zeitweise (nondum in Silv. 4,4,100, vgl. auch parumper in A. 1,18). Es stehen sich Umdeutung des Kallimachos und ursprünglicher Kallimachos, bzw. zugespitzt formuliert (früh) vergilischer Kallimachos und (spät)horazischer gegenüber. Ein besonderer literar­ historischer Moment, der diese Spannung zwischen den verschiedenen KallimachosRezeptionen zelebriert, wird in Silv. 4,4,53–55 inszeniert: Der im otium befindliche Statius spielt leichte Lieder und schöpft Kräfte am Grabe des großen Meisters Vergil (tenues ignavo pollice chordas / pulso Maroneique sedens in margine templi / sumo animum et magni tumulis adcanto magistri).50

Denkt man die in 4,4,69 f. deutlich werdende Opposition von Tatmensch und Lobdichter mit Blick auf das Vergleichsbeispiel Achill für Marcellus (4,4,35 f./104 f.) weiter, so ergibt sich eine weitere poetologische Linie von Bedeutung: Ist Marcellus ein Achill, so Statius ein Homer.51 Und genau dieser ist, wie in der Einleitung gezeigt (A 2.2.), ein wichtiges Modell für die selbstentworfene Dichterkarriere, die ein zweites mythologisches Epos als Alterswerk einschließt. Die Beendigung des ersten Epos wird als Weihung der symbolischen Binden, vittae, des Dichter-Priesters beschrieben (4,4,92). Coleman weist in ihrem Kommentar zur Stelle daraufhin, dass nicht, wie vielfach üblich bei solchen Dedikationen, das Instrument einer gewissen Betätigung geweiht werde, also in Statius’ Fall die Lyra (vgl. z. B. das Nah-Schluss-Gedicht der ersten horazischen Odensammlung 3,26), sondern das Emblem für die dichterische Tätigkeit, die vittae. Daher sei kein Rückzug vom Dichterdasein gemeint. Allerdings wird die Andersartigkeit des zweiten Epos deutlich hervorgehoben: durch alio nexu als qualifizierenden Ablativ und die Variation infula statt vittae (4,4,93).52 Nachdem in den ersten drei Silven-Büchern nur von der Thebais die Rede war, erscheinen im vierten Buch beide Werke zusammen: das eine vollendet, das andere begonnen. Auch im siebenten Gedicht des vierten Buches werden beide nebeneinander genannt und so der Eindruck der Bezogenheit aufeinander verstärkt. Die Achilleis ist nicht nur ein weiteres Werk, sondern es ist im emphatischen Sinne ein zweites Werk in mehrfacher Hinsicht, geradezu der zweite Teil eines Diptychons. Auch dieser Gedanke wird im Achilleis-Proöm wiederkehren (s. u. B 2.1.). 50 Zum besonderen Verhältnis des Statius zu Vergil, das, wie die Diskussion der imitatio bei Quintilian, von der doppelten Strategie geprägt ist, sich zunächst den zweiten Platz zuzuweisen, aber ein Übertreffen der Vorgänger nicht generell auszuschließen, vgl. Franchet d’Espèrey 2013, 102–109. 51 Vgl. auch Johannsen 2006, 331–335 zu Vergil und Homer in den Silven. 52 Laut Colemann zur Stelle, würden infula und vittae häufig synonym gebraucht, auch wenn die infula ein weiß-rotes Kopfband gewesen sei und die vittae längere Streifen gehabt hätten. Es dürfte wohl überinterpretiert sein, aus der Farbmischung der infula einen Verweis auf die ähnliche Charakterisierung Achills (vgl. A. 1,161 f.) abzuleiten, bzw. die größeren Bänder der vittae mit einem stilistisch auf der höheren Ebene angesiedelten Epos zu identifizieren.

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Doch sehen wir uns zunächst die erwähnte Silve an (Silv. 4,7,21–28): torpor est nostris sine te Camenis, tardius sueto venit ipse Thymbrae rector et primis meus ecce metis   haeret Achilles. quippe te fido monitore nostra Thebais multa cruciata lima temptat audaci fide Mantuanae   gaudia famae.

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Ermattung ergreift unsere Musen ohne dich, zögerlicher als sonst kommt der Herrscher von Thymbra (= Apoll) und an der ersten Wendemarke hängt mein Achill. Ja, unter deiner treuen Begutachtung versucht unsere Thebais, vom vielen Feilen geschunden, mit zuversichtlichem Wagemut die Freuden des Ruhms aus Mantua (= Vergils Aeneis) zu erreichen.

Während also die Thebais mit Vergils Aeneis wetteifern könne, hänge die­ Achilleis fest.53 Die Kräfte lassen nach, Statius muss in der Arbeit pausieren. Begründet wird dies in dieser Ode zwar dadurch, dass Statius die Gegenwart des Adressaten Vibius Maximus so lange entbehren musste (vgl. 4,7,21 f., man wird an die Situation von 4,4 erinnert). Dennoch zeichnet Statius sein Selbstbild als ein geschwächter Dichter. Und diese Schwächung wird man in sequentieller Lektüre mit der expliziten Aussage von 4,4,69 f. (vergimus in senium) zusammenlesen und darum auch auf das Alter beziehen. Dazu passt es auch, dass das vorausgehende Gedicht 4,6 seinen Ausgangspunkt von einer Unterbrechung der dichterischen Tätigkeit und Muße des Dichters nimmt.54 Doppeldeutig ist in diesem Blickwinkel dann auch der Eingang von 4,7: Die Muse Erato und der Dichter Pindar werden um eine Pause vom großen Stil gebeten.55 Dies bezieht sich natürlich darauf, dass 4,7 mit seinen sapphischen

53 Coleman ad loc. weist auf das Paradox eines als fußschnell bekannten Achill hin, der durch einen Rennunfall verhindert ist. Heslin 2005, 61 zieht darüber hinaus eine Parallele zwischen dem an der ersten Wendemarke festhängenden Achill in der Metapher der Silve und dem Erhaltungszustand der Achilleis, die gewissermaßen kurz nach dem ersten Buch­ abbricht. 54 Silv. 4,6,1 f.: Forte remittentem curas Phoeboque levatum / pectora […]. 55 Silv. 4,7,1–8: Iam diu lato sociata campo fortis heroos, Erato, labores differ atque ingens opus in minores   contrahe gyros, tuque regnator lyricae cohortis 5 da novi paulum mihi iura plectri, si tuas cantu Latio sacravi,   Pindare, Thebas.

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Strophen der kleinen Gattungen der Lyrik zuzurechnen ist. Kallimacheische Metaphorik findet sich dementsprechend auch in der Fortsetzung des Gedichts.56 Doch lässt sich dieses Herabschreiten von der hohen zur niederen Gattung auch generell auf die gegenwärtige Arbeit des Dichters, d. h. nicht nur auf die Silve 4,7 sondern auch die Achilleis beziehen. Denn Erato und der explizit als Thebaner bezeichnete Pindar werden um eine Pause von solcherart Themen und Stil gebeten, wie sie die Thebais kennzeichnen! Das Festhängen,­ haeret (4,7,24), scheint darüber hinaus nicht nur für den Fortgang der Arbeit an der Achilleis charakteristisch zu sein, sondern auch den Hauptcharakter dieses Werkes zu kennzeichnen, der mehrfach ein zögernder ist, wenn es um die Aufrechterhaltung der Tarnung bei Lycomedes bzw. das zögerliche Entdecken geht (vgl. A. 1,804 f., 867 und 888). Eine Verbindung von eigenem Alter im Gegensatz zur Jugendkraft des Adressaten unter Einbeziehung der Achilleis als gegenwärtigem Werk findet sich, nach Silv. 4,4, noch einmal in der zweiten Silve des fünften Buches (Silv. 5,2,158–163):57              nos fortior aetas iam fugit; hinc votis tantum precibusque iuvabo. ei mihi, sed coetus solitos si forte ciebo et mea Romulei venient ad carmina patres, tu deris, Crispine, mihi, cuneosque per omnes te meus absentem circumspectabit Achilles.

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Uns entflieht das rüstigere Alter schon; daher werde ich mit Gebeten und Bitten nur unterstützen. Weh mir, aber wenn ich zufällig die gewohnten Versammlungen herbeirufen werde und die Väter Roms zu meinen Gesängen kommen werden, wirst du, Crispinus, fehlen, und mein Achill wird sich in allen Rängen nach dir, der du abwesend bist, umschauen.

Gibson 2006, 174 f. sieht hierin auch einen buchinternen Verweis im Übergang vom hexametrisch-epischen Gedicht über Hercules bzw. eine Statue von ihm in 4,6 zum lyrischen Freundschaftsgedicht 4,7. 56 Silv. 4,7,9–12: Maximo carmen tenuare tempto; nunc ab intonsa capienda myrto serta, nunc †maior† sitis et bibendus   castior amnis. Mit dieser Strophe scheint Statius eine poetologische Allegorese, wie sie z. B. von Davis 1991, 118–126 für Hor. c. 1,38 vorführt, vorwegzunehmen. Vielleicht lässt sich die poetologische Allegorie auch mit dem zweiten Teil von Silv. 4,7 verbinden, in dem von der Nachkommenschaft bzw. Abkunft des Adressaten die Rede ist (4,7,29–56). Dementsprechend berichtet­ Statius im ersten Teil von seinen dichterischen Nachkommen: meus Achilles (4,7,23 f.) und nostra Thebais (4,7,25 f.). 57 In den vorausgehenden Versen 5,1,150–158 finden sich sogar zwei Achill-Vergleiche für den laudandus Crispinus.

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Das postume fünfte Buch bietet darüber hinaus noch eine weitere gemeinsame Erwähnung der beiden Werke. In dem unvollendeten oder unvollständig erhaltenen Epicedion auf seinen freigelassenen puer, das das fünfte Buch beschließt, will sich Statius ganz der Trauer widmen (5,5,31–37):     […] nec eburno pollice chordas pulso, sed incertam digitis errantibus amens scindo chelyn. iuvat heu, iuvat inlaudabile carmen fundere et incompte miserum nudare dolorem. sic merui, sic me cantuque habituque nefastum aspiciant superi. pudeat Thebasque novumque Aeaciden; nil iam placidum manabit ab ore.

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[…] und ich schlage nicht mit elfbeinernem Plektrum die Saiten, sondern von Sinnen zerschlage ich mit irrenden Fingern die verstörte Leier. Es erfreut mich, ach, erfreut mich, ein unrühmliches Lied zu verfassen und ohne Schmuck den elenden Schmerz zu entblößen. So habe ich es verdient, so sollen mich die Götter anblicken, einen Frevler in Gesang und Erscheinung. Schämen soll sich Theben und der neue Aiakos-Sohn; nichts Angenehmes wird mehr aus meinem Munde fließen.

Aufgrund des fragmentarischen Status dieser Silve und des postumen Charakters des fünften Buches können Überlegungen zum öffentlichen Image-Aufbau mit diesen Versen nur Spekulation bleiben. Sollen diese Verse nur die Trauer möglichst drastisch ausdrücken und dies bei einem Dichter in wirkungsvollster Form als Scheu, die die Werke mit dem Dichter zusammen empfinden? Oder ist eine Abwendung von der bisherigen Dichtung beabsichtigt, die Inszenierung eines Karriereendes?58 Immerhin weist er mehrfach daraufhin, dass die Unterstützung durch die Musen und Apoll entbehre und nicht mehr in gewohnter Weise dichten könne.59 Ist ein solches Gedicht tatsächlich zur Veröffentlichung gedacht gewesen? Interessanterweise enthält das fünfte Buch nicht nur diese Spätphase der dichterischen Karriere, sondern auch im Epicedion auf seinen Vater auch deren Anfang (Silv. 5,3). Statius spricht von der Unterweisung, die er von seinem Vater im epischen Dichten erhalten hat und dass der Vater die Anfänge der Thebais überwacht habe.60 Ob hier ein bewusster Zusammenhang gesucht werden 58 Die obige Interpunktion folgt Courtneys Text. Gibson zu Silv. 5,5,35–37 argumentiert für Fragezeichen, die durch ihre größere Unsicherheit das Problem etwas entschärfen. 59 Vgl. Silv. 5,5,1–5/28 f. 60 Silv. 5,3,233–237:           te nostra magistro Thebais urguebat priscorum exordia vatum; tu cantus stimulare meos, tu pandere facta 235 heroum bellique modos positusque locorum monstrabas.

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kann, muss wiederum mit dem Hinweis auf den editorischen Status des fünften­ Buches offen gelassen werden.61 Wie suggestiv die Buchkomposition für eine biographische Interpretation sein kann, beweist Vollmers Deutung der in vielfacher Hinsicht besonderen Silve 5,4: »So sind diese, als Einzelgedicht ohne Vorbild dastehenden zwanzig Verse, namentlich in der verwandten Umgebung von den Epikedien auf den Tod des Vaters und des Pflegesohnes, von großer Bedeutung für die psychologische Beurteilung des Statius.« (Vollmer p.  546) Außerdem stellt Vollmer einen chronologischen Zusammenhang zwischen der in 3,5 erwähnten Erkrankung und einer in Form von 5,4 belegten, noch nicht vollständig erfolgten Gesundung her (Vollmer p. 18), obwohl doch über die Datierung von 5,4 nichts Sicheres auszusagen ist, diese Silve also zumindest ihrer Entstehung nach nicht in die Zeit nach dem vierten Buch gehören muss. Allerdings könnte Vollmer genau die vom Herausgeber beabsichtigte (Selbst)Darstellung des Dichters als Alternder erfasst haben, indem er die dem antiken Leser vertraute biographische Interpretation nachvollzieht, die auch den anderen Silven-Büchern ein­ geschrieben ist.

Wir sehen also, dass die Silven also zeitgleich mit der Entstehung des neuen Epos, aus dem Statius auch schon rezitiert,62 vermeintlich autobiographische Einblicke geben. Thematisch und auch stilistisch wird das Publikum so vorbereitet: Um Achill wird es gehen, und das Werk eines alternden Dichters wird es sein. Dies soll nun nicht bedeuten, dass dies die einzige oder eigentliche Funktion der Silven sei. Vielmehr scheint mir in der komplexen literarischen Welt der Silven dieses Element eine wichtige Facette zu sein, die allerdings für die hier vorgeschlagene Deutung der Achilleis von zentraler Bedeutung ist. Mit dem Anfang der 90er Jahre beginnt Statius zeitgleich mit der Veröffentlichung der Thebais Sammlungen von Gelegenheitsgedichten herauszugeben, die über die Autorpersona und entsprechende Querverweise sein Werk, sowohl das bereits veröffentlichte, die Thebais, als auch das im Entstehen begriffene, die Achilleis, zu einem Gesamtwerk zusammenbinden.

Zur Tätigkeit von Statius’ Vater als Grammatiker im intellektuellen und sozialen Kontext der Zeit vgl. McNelis 2002. 61 Eine weitere Schwierigkeit besteht auch in Silv. 5,3 und ihrer Entstehung bzw. Überarbeitung: vgl. dazu Gibson p. 260–266, der zusammenfassend für eine spätere Hinzufügung von 5,3,225–233 plädiert und die Frage einer beabsichtigten Publikation einer überarbeiteten Fassung für nicht entscheidbar hält. 62 Zur Rezitation von Epen vgl. die Diskussion der verschiedenen antiken Ansichten bei Markus 2000, bes. 163–168 zu Statius in Reaktion auf Petron (Sat. 118) und 172–175 zu­ Iuvenal über Statius (Sat. 7,82–87, s. o.).

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2. Die Achilleis als Alterswerk 2.1 Das Proöm Bereits im Proöm, das die ersten 19 Verse der Achilleis umfasst, werden implizit und explizit Aussagen über die Konzeption als ethos-orientiertes Alterswerk gemacht und so eine Verknüpfung zu dem in den Silven projizierten Erwartungshorizont erstellt:63 Magnanimum Aeaciden formidatamque Tonanti progeniem et patrio vetitam succedere caelo, diva, refer. quamquam acta viri multum inclita cantu Maeonio (sed plura vacant), nos ire per omnem – sic amor est – heroa velis Scyroque latentem Dulichia proferre tuba nec in Hectore tracto sistere, sed tota iuvenem deducere Troia.   tu modo, si veterem digno deplevimus haustu, da fontes mihi, Phoebe, novos ac fronde secunda necte comas: neque enim Aonium nemus advena pulso nec mea nunc primis augescunt tempora vittis. scit Dircaeus ager meque inter prisca parentum nomina cumque suo numerant Amphione Thebae.   At tu, quem longe primum stupet Itala virtus Graiaque, cui geminae florent vatumque ducumque certatim laurus – olim dolet altera vinci –, da veniam ac trepidum patere hoc sudare parumper pulvere: te longo necdum fidente paratu molimur magnusque tibi praeludit Achilles.

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Den erhabenen Aiakos-Nachfahren und die Nachkommenschaft, vor der sich Jupiter fürchtete und der es verboten war, auf den Himmelsthron, den der Vater beherrscht, nachzufolgen,64 Göttliche, sollst du besingen. Wenn auch die Taten des Mannes durch den Gesang Homers sehr berühmt sind (vieles ist aber noch übrig), wollen wir auf deinen Wunsch hin – danach haben wir ein

63 Den ausführlichsten Kommentar zum Proöm bietet Uccellini, auf deren Behandlung der Vergilbezüge besonders hingewiesen sei (zu 1,1–19 und zu 1,1–2). Zuweilen wird bei der Behandlung des Proöms vermutet, dass es sich noch nicht um die endgültige Fassung handele bzw. handeln müsse und Statius noch Änderungen vorgenommen hätte bzw. haben könnte (vgl. z. B. Aricò 1996, 189; Heslin 2005, 71). Solch eine Argumentation kommt, wie die Frage nach der Fortsetzung (vgl. dazu B 4.), einer petitio principii nahe und soll daher unberücksichtigt bleiben. 64 Zu den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten des Ausdrucks patrio succedere caelo vgl. Ripoll und Uccellini zur Stelle. Obige Übersetzung folgt dem Verständnis von Jannaccone, Dilke, Nuzzo und Heslin 2005, 159 Fn. 6.

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herzliches Verlangen – den ganzen Helden durchmessen und ihn, der sich auf Skyros verborgen hat, mit Odysseus’ Kriegsruf hervorlocken und nicht beim geschleiften Hektor Halt machen, sondern den Jüngling durch die ganze Troja­ geschichte führen. Du gib nur, wenn wir die frühere Quelle würdig ausgeschöpft haben, neue Quellen mir, Phoebus, und mit günstigem/zweitem Laub flechte die Haare: Weder als Neuankömmling klopfe ich an die Pforte des aonischen Hains noch vergrößern sich jetzt zum ersten Mal meine Schläfen durch priesterliches Band. Es kennt das dirkäische Feld mich und Theben zählt unter den alten Namen der Vorfahren mich mit seinem Amphion. Aber du, [Domitian,] den bei weitem als ersten die kulturelle Elite65 Italiens und Griechenlands bestaunt, dem doppelter Lorbeer des Dichters und des Feldherrn wetteifernd blüht – seit langem schmerzt es ersteren,66 besiegt zu werden –, gib die Erlaubnis mir und dulde es, dass ich eine Weile zitternd in diesem Staub schwitze: Du traust der langen Vorbereitung noch nicht, doch wir mühen uns und der große Achill ist ein Vorspiel für dich.

Die Achilleis wird hier mehrfach als zweites Werk,67 als Nachfolgerin der Thebais präsentiert: Am deutlichsten ist dies in den Versen 1,8–13. Prägnant stehen dort mit veterem und novos alt und neu gegenüber. Das Attribut der Bekränzung­ secunda ist doppeldeutig zu verstehen:68 Es kann zunächst im Rahmen der Bitte an den Dichtergott Apoll günstig/gewogen meinen und auf den Erfolg des dichterischen Vorhabens zielen. Zugleich ist dieses dichterische Vorhaben eben ein neues, genauer gesagt, ein zweites. Die Erfahrung als Dichter betont Statius auch in der Folge: Er sei kein Neuankömmling, (advena, 1,10) im Musenhain, nicht zum ersten Mal (nec… primis, 1,11) als Dichter tätig. Das Anklopfen am Musenhain nimmt ein Bild wie-

65 Übersetzung in Anlehnung an Rosati 1994, 76 Fn. 12. 66 So richtig Dilkes Erklärung (zustimmend Méheust und Uccellini) von altera gegen Jannaccone (= alternatim). Dass hier altera sich auf laurus vatum zurückbezieht, was in der Aufzählung in v. 15 als erstes stand, dürfte aus der Blickrichtung zu erklären sein: vom­ ducum laurus aus, dem ideologisch die erste Position zukommt, zurückgesehen stellt (laurus) vatum ein Zweites bzw. Anderes dar, auf das man mit altera verweisen kann. Vgl. auch die Einsortierung der Stelle in TLL I, 1732,22 in der Rubrik I A unus ex duobus und der Untergruppe 2 de aliis rebus, quorum numerus ad duo restringitur, appositis, und nicht in I B proxi­ mus a priore. 67 Allgemein zur ›Zweitheit‹ des nachvergilischen Epos: Hardie 1993, bes. 11–18 und 105–119; vgl. außerdem Hershkowitz 1998, 35–104 für Valerius Flaccus, für Statius: Hinds 1998, 91–98 und Micozzi 2015, bes. 325–336, für die Achilleis: Feeney 2004, bes. 85–88; sowie Barchiesi 1996, 50 zu refer (1,3). Mit Blick auf den Schluss der Thebais spricht Micozzi 2015, 341 in einem treffenden Paradox vom »pride of coming after«. 68 Die Ambivalenz wird von den Kommentatoren notiert, vgl. schon Dilke (dagegen allerdings Nuzzo). Ripoll führt als zusätzliche Deutungsebene einen Bezug auf den Sieg in den Albanischen Spielen im Jahre 90 ein, dem nun für die Achilleis ein zweiter Siegeskranz folgen solle. Doppeldeutig sehen es auch Koster 1979, 197 und Hinds 1998, 96.

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der auf, mit dem Statius in Silv. 5,3 von seinen ersten dichterischen Versuchen spricht.69 Dann wird in Versen 1,12 f., am Ende des zweiten Teils des Proöms, explizit auf die Thebais als Vorgängerwerk verwiesen. Einen impliziten, gewissermaßen allegorischen Hinweis finden wir bereits am Anfang: Im zweiten (!) Vers spricht Statius von einer genealogischen Nachfolge des Hauptcharakters, die nicht stattgefunden hat (succedere), die zugleich aber auf das Nachfolgen der Achilleis hindeutet. Doch nicht nur, dass es sich um Nachfolgewerk handelt, erfährt der Leser gleich am Anfang, sondern auch über Details der Konzeption werden Aussagen getroffen: Homer habe die Taten Achills sehr berühmt gemacht, aber es sei Berichtenswertes in größerem Maße übrig (plura vacant, 1,4). Im Unterschied zu Homer wolle Statius den ganzen Helden zeigen (omnem heroa, 1,4 f.) und zwar mit der Enttarnung auf Skyros beginnend. Zugleich soll nicht mit der Tötung Hektors Schluss sein, sc. wie die Ilias oder auch die Aeneis mit der Tötung des Hauptgegners enden,70 sondern durch den ganzen trojanischen Krieg beabsichtige der Erzähler den Helden durchzuführen: deducere (1,7). Koster hat als erster auf die literarkritische Brisanz dieses Verbums im Proöm der Achilleis hingewiesen und es als metaliterarische Referenz auf die alexandrinische Dichtungstradition verstanden.71 Er nimmt als Parallelen insbesondere den Gebrauch bei Vergil und Ovid72 und paraphrasiert dementsprechend den Inhalt des Ausdrucks tota iuvenem deducere Troia folgendermaßen: »den jugendlichen Helden als Liebhaber aus dem ganzen Troja-Stoff heraus in einzelnen Episoden nach Art der Kleindichtung darzustellen, d. h. dieses Thema wie einen Leitfaden aus dem Spinnrocken herabzuziehen und in einem Episodengewebe abzuspinnen«.73 69 Silv. 5,3,209–211: me quoque vocales lucos Boeotaque tempe pulsantem, cum stirpe tua descendere dixi, admisere deae […]. Die Parallele wird von vielen Kommentatoren notiert (Dilke, Ripoll, Uccellini). 70 So auch Uccellini zu 1,4–7 (p. 37). 71 Koster 1979, 192–196. Vgl. allerdings schon die Andeutung bei Dams 1970, 147. 72 Sc. Ecl. 6,1–5; Met. 1,1–4. 73 Koster 1979, 196. Diese Interpretation hat viel Zustimmung erfahren, vgl. z. B. Barchiesi 1996, 58 f., Uccellini p.  39 f. Barchiesi 2005a, 70 Fn.  30 nennt dementsprechend einen deductus Achilles das Ziel. Ablehnend allerdings Ripoll ad loc., der sich dem Selbstwiderspruch nähert, da er die Achilleis ebenfalls als Ethos-Epos versteht und dennoch als Gegenargument gegen alexandrinisches deducere in Feld führt, dass es keine Anzeichen gebe, dass »l’idée de grandeur épique« in der Folge aufgegeben werden solle. Eine weitere Ebene des Sprachspiels in iuvenem deducere macht Heslin 2005, 72 aus: Diese Formulierung beschreibe, was ein paedagogus tue. Statius stelle sich selbst damit in die Position eines Ersatzvaters, wie Chiron und Lycomedes es sind. Alexandrinische Untertöne hat Uccellini zu 1,8–13 zufolge auch die Anrufung Apolls, die angesichts von Hektors Prophezeiung, dass Paris und Apoll Achill zu Tode bringen werden

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In diesem Sinne programmatisch-doppeldeutig ist auch die Formulierung sic amor est (1,5),74 die auf die Liebschaft Achills vorausverweist und damit den durch die Ilias als Krieger belegten Achill in anderem Licht zeigt, wie er be­ sonders in der hellenistischen Dichtung und der römischen Liebeselegie zu finden ist.75 Heslin hat darauf hingewiesen, dass die explizite Nennung Homers ein unepisches Phänomen und eher in der recusatio-Tradition zu verorten sei.76 Gleiches gelte auch für die explizite Beschreibung der eigenen Tätigkeit in deducere.77 Die alexandrinischen Affiliationen des Proöms orientieren den Leser laut Heslin darauf, dass der vergilischen Thebais eine ovidische Achilleis folge.78

(Il. 22,359 f.), unpassend in einem Achill-Epos erscheinen könnte (so schon Feeney 2004, 88 f.). Doch vom kallimacheischen Aitien-Prolog und Apollonhymnos angefangen über Vergils 6. Ekloge, Properz’ Eröffnungselegien des dritten Buches sowie Horaz c. 4,15 zieht sich eine Traditionslinie der Anrufungen Apolls in Verbindung mit alexandrinischen Stilidealen (s. o. B 1. zu Silv. 4,4). Als alexandrinische Anspielung bezeichnet Ripoll formidatam progeniem (1,1 f.; zu den Quellen für diese mythologische Tradition vgl. das 2.  Kapitel von Ripolls Einleitung und Dilke ad loc.). Für weitere alexandrinische Charakteristika im Proöm vgl. Heslin 2005, 73 f. 74 Programmatisch verstehen amor z. B. Barchiesi 1996, 58; Feeney 2004, 97 f.; Heslin 2005, 73 f. 75 Zur Tradition Achills als Liebhaber vgl. Fantuzzi 2012 und unten den Exkurs unter 2.2.1. 76 Heslin 2005, 74. Als Parallelen vgl. über Heslin (bes. Ov. Rem. Am. 373 f./381 f.) hinaus die Auflistung zu cantu Maeonio (1,3 f.) bei Uccellini: Das Adjektiv Maeonius ist vielfach in der kleineren bzw. elegischen Dichtung belegt. 77 Heslin 2005, 75. 78 Dass allerdings dies eine sehr verkürzende Schematisierung darstellt, zeigen die in der Forschung herausgearbeiteten ovidischen Züge der Thebais; vgl. dazu Keith 2004/5 und ihr Fazit: »For if Vergil’s Aeneid supplies the structural framework of the Thebaid, the mythological background of Statius’ characters and themes is strikingly Ovidian.« (204); vgl. außerdem Keith 2007 (Verhältnis von imperialen Bauten und epischen Ekphraseis bei Ovid und­ Statius). Zur doppelten intertextuellen Beziehung der Thebais zu Aeneis und Metamorphosen vgl. auch Parkes 2009a. Newlands 2004 deutet ovidische Bezüge in Landschaftsbeschreibungen der Thebais zumindest in kontrastiver Form. Vor diesem Hintergrund ist Heslins Einschätzung eher als Tendenz zu sehen (und letztlich auch so gemeint), wobei die ovidische Seite der Achilleis, wie Davis 2006 zeigt, auch nicht überschätzt werden darf. Vielleicht könnte man treffender von einem ovidischen Blick auf die Aeneis in der Achilleis sprechen. Generell zur Wirkung Ovids in der kaiserzeitlichen Literatur anhand dreier Fallbeispiele (Martial, Seneca, Achilleis) vgl. McNelis 2009b. Fucecchi 2015 zeigt bei den drei ­f lavischen Epikern eine Tendenz zur ›Inklusion‹ Ovids in das virgilische Epos auf. Nach Ripoll 2015b, 70 mit Fn. 48 ist der ovidische Bezug in der Achilleis allerdings wesentlich prominenter, er sieht sogar eine wechselseitige Durchdringung vergilischer und ovidischer Einflüsse: »­ l’ovidianisation des modèles virgiliens« und »la virgilianisation des modèles ovidiens« (58). Letzteres fungiere dabei u. a. als aemulative Kritik an Ovids Umgang mit Vergil (66), ersteres sieht Ripoll im Zusammenhang mit der Gestaltung der Achilleis als Ethos-Epos.

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Diese poetologische Relation stelle eine zweite Ebene zusätzlich zur Relation Ilias-Odyssee dar, auf die Statius durch die Konzeption eines zweiten Epos mit einem eponymen Helden im Mittelpunkt abziele.79 Ebenso wie der Gattungsbezug zur Elegie lässt sich auch der konzeptionelle Bezug zu den ovidischen Meta­morphosen im Rahmen der Stilisierung als Ethos-Epos begreifen.80 Doch auch ein Blick auf die Bezeichnungen Achills zeigen eine schritt­weise Herabstufung: vom Beginn mit magnanimus81 und der gefürchteten Nach­ kommenschaft, über den jungen Mann, iuvenis, in 1,7, bis zum präludierenden Achill am Ende.82 In diesem Sinne scheint mir auch der schon in den Silven erfolgte Vergleich mit einem Domitianepos zu verstehen: Dies wäre das PathosGegenbild, das Statius zu umgehen gedenkt. Demgegenüber sei die Achilleis nur ein kleineres Werkchen, ein Präludium. Das Verbum praeludere verwendet Statius im Achilleis-Proöm mit Bezug auf seine eigene Tätigkeit.83 In der Widmungsepistel des ersten Silven-Buches beschreibt es die leichteren Werke großer Dichter, die für Statius als Entschuldigung dienen, dass er Gelegenheitswerke wie die Silven überhaupt veröffentlicht.84 Beachtenswert ist der zunächst schief erscheinende Vergleich: Zumindest mit dem namentlich genannten Werk Vergils, dem Culex, zieht Statius gerade ein Jugendwerk heran, das in der Dichterkarriere vor der Betätigung in der großen Gattung steht.85 Statius selbst hingegen blickt auf die Veröffentlichung der Thebais in der Silven-Praefatio zurück. Vor dem ersten Epos und nach dem ersten bzw. vor dem zweiten Epos gibt es demnach eine poetologische ›Berechtigung‹ für leichtere Dichtung, womit prae-ludere eine besondere Prägnanz erhält und nicht nur für ein Nebenwerk 79 Heslin 2005, 84–86, zurückgehend auf Fantham 1979, 457. 80 Zur Gattungsfrage s. u. B 2.2.2. und 3.  81 Dieses Attribut gibt, wie z. B. von den Kommentatoren Dilke, Ripoll und Uccellini­ bemerkt wird, homerisches μεγάθυμος wieder (Il. 21,153; 23,168). Vergil verwendet magna­ nimus mit Bezug auf Aeneas (Aen. 1,260), Ovid auch für Achill (Met. 13,298). Dazu auch­ Barchiesi 1996, 49 und Ganiban 2015, 74 f. Laut Uccellini zu 1,1–19 (basierend auf Delarue 2000, 197–199) signalisiere das Attribut magnanimus den Unterschied zum iliadischen Achill und seinem verderbenbringenden Zorn im Ilias-Proöm. Ripoll zu 1,1 sieht im Eingangsvers mit seiner Konzentration auf die Person Achills den Unterschied zur Thebais dahingehend, dass in einem Ethos-Epos eine Charakterschilderung im Vordergrund stehe. Zu dieser methodisch heiklen Kontamination des Ethos-Begriffs vgl. die Einleitung (A 2.3.). 82 Feeney 2004, 86 sieht den magnus Achilles in 1,19 als intertextuelle Erfüllung von Verg. Ecl. 4,36 (iterum ad Troiam magnus mittetur Achilles): In Reaktion auf eine bukolische Prophezeiung würde Statius damit intertextuell auch einen Fingerzeig für die Konzeption des angekündigten Epos geben. Zu magnus als Attribut Achills und Domitians (in den Silven) vgl. Dilke 1963, 498–501. 83 Zu diesem Zusammenhang vgl. auch die Literatur bei Uccellini zu 1,19. 84 Silv. 1 praef. 8 f.: nec quisquam est inlustrium poetarum qui non aliquid operibus suis stilo remissiore praeluserit. Vgl. dazu Johannsen 2006, 243 f. 85 Vgl. dazu auch A 3.4.

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wie den Silven gilt, sondern ein vorausweisendes Frühwerk wie der Culex ist. Diesen Gedanken faltet Statius in Silv. 4,4 aus, in der dichterisches und politisches otium parallelisiert werden und vor der Achilleis eine Pause mit leichterer Dichtung liegt (s. o. unter 1.). In enkomiastischer Variation verwendet dieses Motiv das Proöm: Hier ist die Achilleis das leichtere Pendant zum künftigen Domitianepos. Koster86 hat für das Verständnis von praeludere auch auf eine Erklärung des Vergilkommentators Servius zurückgegriffen, die mit Statius’ Einschätzung von Vergils Frühwerk übereinstimmt, ohne allerdings wie Statius den Culex zu erwähnen. Servius referiert bei der Explizierung von Ecl. 6,5 die Meinung einiger, die den Anfang der 6. Ekloge folgendermaßen erklären: […] quidam volunt hoc significare Vergilium, se quidem altiorem de bellis et regibus ante bucolicorum carmen elegisse materiam, sed considerata aetatis et ingenii qualitate mutasse consilium et arripuisse opus mollius, quatenus vires suas leviora praeludendo ad altiora praepararet. […] einige wollen es so verstehen, dass Vergil bedeute, dass er vor dem Gesang der­ Bucolica einen erhabeneren Stoff über Kriege und Könige gewählt habe, dass er aber angesichts seines Alters und seiner Begabung seine Absicht geändert und ein leichteres Werk in Angriff genommen habe, insofern er seine Kräfte durch ein Vorspiel in leichteren Dingen für höhere trainiere.

Die Wahl von Stil und Stoff wird hier explizit mit dem Alter und den entsprechenden Kräften verknüpft. Dies ist in Statius’ Praefatio zum ersten Silven-Buch nicht der exakte Vergleichspunkt, wie eben dargelegt. In der Achilleis hingegen ist  – unter paralleler Betrachtung mit Silv. 4,4,69 f./87–100 und dem dortigen Argument der physischen Konstitution  – diese Nuance von praeludere m. E. durchaus entscheidend, passend auch zur athletischen Metaphorik in der Folge. Im Achilleis-Proöm allerdings handelt es sich nicht um das Jugendalter mit seinen noch zarten Kräften, sondern um das Alter mit seinen nachlassenden Kräften, auf die Statius ja in den Silven hinweist.87 Wie Uccellini88 demonstriert hat, lassen sich im Achilleis-Proöm noch weitere Bezüge zu den Vorankündigungen der Silven ausmachen, insbesondere zu der bereits behandelten Silve 4,7. Dies sei in folgender Übersicht zusammengestellt:

86 Koster 1979, 198 f. Fn.  30. Auf den Schlusssatz verkürzt auch zitiert von Barchiesi 1996, 56. 87 Aricò 1986, 2930 f. hat eine politisch-religiöse Dimension der Bezeichnung der Achilleis als praeludium sehen wollen: Achill stehe als Halbgott dem dominus et deus Domitian gegenüber. Insofern trage bereits die Achilleis selbst dazu bei, den panegyrischen Anspruch der Verse 1,14–19 einzulösen. 88 Uccellini zu 1,3.

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Silve 4,7

Achilleis

4,7,6–8 da novi paulum mihi iura plectri, si tuas cantu Latio sacravi,   Pindare, Thebas.

1,8–10 tu modo, si veterem digno deplevimus haustu, da fontes mihi, Phoebe, novos ac fronde secunda necte comas […].

4,7,10–12 nunc ab intonsa capienda myrto serta, nunc †maior† sitis et bibendus  castior amnis

1,17 f. da veniam ac trepidum patere hoc sudare parumper / pulvere […].

4,7,24 f. […] et primis meus ecce metis   haeret Achilles. Die Formulierung mit dem Imperativ da in Verbindung mit einer Erlaubnis (iura bzw. veniam) und der Metaphernkomplex Quellentrunk/Bekränzung/Athletik verbinden beide Passagen, so dass der Leser der Silven eine Anknüpfung an die geweckten Erwartungen erhoffen darf.89 Barchiesi hat darüber hinaus eine Identifikation der nur als diva apostrophierten Muse in 1,3 mit Erato vorgeschlagen, was eine zusätzliche Verbindung mit der in 4,7,2 evozierten Erato darstellen würde.90

Auch die Selbststilisierung als geschwächter unter der Last leidender und sich mühender Dichter in 1,17 gehört hierher. Eine Weile (parumper) soll Domitian vertröstet werden. Dies setzt aber zugleich das vorliegende Werk herab. Denn es kann in kurzer Zeit vollendet werden, wohingegen die Thebais am Ende ausdrücklich als Werk von 12 Jahren bezeichnet wird (Th. 12,811).91 Vergleicht man darüber hinaus die beiden recusationes hinsichtlich eines Domitian-Epos in der Thebais und in der Achilleis, so zeigt schon eine Betrachtung des Umfangs für den biographisch lesenden Rezipienten eine Ermattung des 89 Die Metaphorik von sudare pulvere (1,17 f.) wird von Dilke (mit Verweis auf Silv. 4,7,26 f.), Jannaccone und Méheust als athletische Metapher gedeutet, von Nauta 2006, 32 hingegen als militärische, von Uccellini als beides. Eine Verwendung von athletischer Metaphorik inkl. Pindarzitat (vgl. die Pindarapostrophe in Silv. 4,7,8) mit Bezug auf das Alter bietet auch Plutarch, An seni 783b. 90 Barchiesi 1996, 59 f. mit Bezug auf Verg. Aen. 7,37–41 (vgl. außerdem Erato im Proöm zum dritten Buch der Argonautika des Apollonios und in der ovidischen Ars 2,15–18); zustimmend Feeney 2004, 99. Uccellini zu 1,3 erwägt auch Venus als eine Identifikationsmöglichkeit für die namenlose diva. Davis 2015, 158 sieht eine Parallele zwischen der namenlosen diva der Achilleis und der ebenfalls anonymen θεά der Ilias. Für einen Vergleich der Musenanrufung in den Proömien von Thebais und Achilleis vgl.­ Heslin 2005, 76: Statius präsentiere sich am Anfang seines zweiten Epos wesentlich selbstbewusster der Muse gegenüber und weniger ekstatisch ergriffen. Dies sei als Hinweis auf die neue Konzeption des Epos zu verstehen. 91 Barchiesi 1996, 50 sieht in der expliziten Erwähnung Homers im Proöm der Achilleis ein Anknüpfen an die explizite Beziehung zu Vergil am Ende der Thebais. Vgl. auch Hinds 1998, 91–98, bes. 96 f.

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Dichters an: knapp 17 Verse in der Thebais gegenüber sechs in der Achilleis.92 In der Thebais ist darüber hinaus vergleichsweise detailliert von dem die Rede, was nicht besungen werden soll: von den verschiedenen militärischen Erfolgen Domitians gegen die Germanen und Dacer und seine Mitwirkung beim Kampf gegen Vitel­lius.93 In der Achilleis hingegen wird von Domitian nur gesagt, dass er militärisch und literarisch begabt sei, aber die dichterische Tätigkeit eingestellt habe (A. 1,15 f.).94 Beachtenswert ist die Formulierung, dass der Lorbeer der Dichter Schmerz über die Niederlage gegenüber dem Feldherrnlorbeer empfinde (cui geminae florent vatumque ducumque / certatim laurus  –olim dolet­ altera vinci – […].). Im Pathos-Epos ist Platz für eine wenn auch summarische Aufzählung militärischer Taten, im Ethos-Epos stehen sich Dichter und Feldherr Domitian zumindest in der Erinnerung gleichwertig gegenüber. Der letztliche Sieg des einen ist eher Anlass zur Trauer. Im Vergleich der beiden Pröomien kann so für den Leser der von Statius mit Silv. 4,4,95–100 erweckte Eindruck einer physischen Schwächung und daher Ungeeignetheit für ein Domitian-Epos bestätigt werden. Der kraftlose Dichter kann nicht einmal mehr die Siege nur aufzählen, deren Preis er aufschiebt. Stattdessen erscheint sogar der laudandus in der Perspektive des alternden Dichters eher als ein ehemaliger Literat statt nur Feldherr wie in der Thebais.95 92 Th. 1,17–33, A. 1,14–19. Penwill 2013, 37–46 interpretiert beide Domitian-Passagen als subversive Kritik, was m. E. dem Charakter einer Recusatio, die gerade über den Kontrast eine poetologische Aussage über das gegenwärtige Werk tätigen will, zu wenig gerecht wird. Galli 2013, 60–65 sieht in der Recusatio des Thebais-Proöms eine Distanzierung des epischen Dichters zu Domitian und zieht sogar in biographischer Lesart eine Verbindung zur Niederlage in den kapitolinischen Spielen (p. 65). Nauta 2006, 30–37 zeigt demgegenüber überzeugend die Umdeutungen literarischer Traditionen in den recusationes in Statius’ Oeuvre (einschließlich der Silven) auf. Die Domitian-Passage im Thebais-Proöm ist von Kytzler 1960, bes. 337 f. als späterer Einschub aufgefasst worden, wogegen Schetter 1962 Stellung bezogen und die Einheit des Proöm betont hat. 93 Th. 1,17–22:             Itala nondum signa nec Arctoos ausim spirare triumphos bisque iugo Rhenum, bis adactum legibus Histrum et coniurato deiectos vertice Dacos 20 aut defensa prius vix pubescentibus annis bella Iovis […]. 94 Für die literarische Tätigkeit Domitians vgl. die Stellen bei Dilke zu 1,14 ff., sowie­ Coleman 1986, 3088–3111 (3088–3095: eigene literarische Arbeiten, 3095–3111: Wirken als Patron). Zu Domitian als Patron vgl. auch Nauta 2002, 327–355. Leberl 2004, Kap. 4 betont, dass Domitian nicht in gleichem Maße und nicht in systematischer Form wie Augustus Literaturpatronage betrieb. Penwill 2000 verfolgt eine subversive Interpretation des literarischen Lobs Domitians, inbesondere bei Quintilian und Statius. 95 Gibson 2006, 173 macht die interessante, paradoxe Beobachtung, dass Domitian in den Silven ein größerer Raum zugestanden werde als in den Epen, d. h. mit Bezug auf Silv. 4,4,94–100 gesprochen, die Silven höhere Themen als die eigentlichen Epen behandeln.

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In den Silven werden Thebais und Achilleis, wie bereits gesagt, zu einem Diptychon zusammengeschlossen. Das Proöm zur Achilleis führt implizit die Komplementarität dieser Beziehung aus: Die Thebais beginnt mit der Inspiration, den Kampf zweier Brüder um die Königsherrschaft zu besingen. In der Achilleis steht demgegenüber mit den ersten Versen des Proöms eine Person im Mittelpunkt. Und dieser Held soll in seiner ganzen Art gezeichnet werden, wobei gerade kein Schwerpunkt auf kriegerische Darstellung gelegt wird. Zwar verschiebt Statius auch im Proöm zur Thebais ein Domitian-Epos auf die Zukunft (Th. 1,17–31). Dort jedoch heißt es nur, dass er noch nicht wage (nondum … ausim, Th. 1,17 f.), Domitians Taten zu besingen. In der Achilleis hingegen müht sich der zitternde Dichter schon mit der Achilleis (trepidum … sudare, A. 1,17), obwohl sie doch nur ein Vorspiel ist. Als solches wird die Thebais keineswegs bezeichnet! In der Thebais ist es eine fast gewalttätige Inspiration, die ihn zu dichten bewegt: Pierius menti calor incidit (Th. 1,3). In der Achilleis hingegen die Liebe, amor, zu einem bestimmten Thema. Was dieses Thema beinhaltet, wird im Proöm deutlich gemacht: den ganzen Helden, insbesondere dass, was von Homer, sc. in der Ilias, nicht behandelt wurde (1,3–7).96 Vor dem Hintergrund der aristotelischen Auffassung von der Einheit einer Handlung97 und dem horazischen Lob von Homers Beginn in medias res98 hat Heslin diese Ankündigung des Proöms als »bluff« bezeichnet.99 Statius erzähle nämlich nicht in der Folge von der Geburt an linear alles Achill betreffende. Mir scheint Heslin hier zur Rechtfertigung der Achilleis auf ein Missverständnis der Kritik eingegangen zu sein. Denn im Pröom wird ja gerade nicht das ganze Leben Achills anvisiert, sondern nur der Beginn mit den Ereignissen auf Skyros angekündigt und das Ende von dem der Ilias abgegrenzt. Dabei muss omnem heroa (1,4 f.) nicht zwangsläufig als »alle

96 Vgl. auch Dilke zu 1,6 f. für deducere tota Troia gegen den Kommentar von Nisard/ Lemaire nicht als »fern von Troja«. Denn dann hätte Statius wie angekündigt von der Entdeckung auf Skyros bis zu Troja vorgehabt zu erzählen und nicht wie Homer mit Hektor zu­ enden, womit die Achilleis am Ende des erhaltenen Teils auch am Ende der Ankündigung angelangt und damit kein Fragment wäre. Dies setzt allerdings implizit eine Buchteilung nicht in zwei sehr ungleich lange Bücher mit einem unverhältnismäßig kurzen zweiten Buch vor­ aus, wie sie uns jedoch spätantik bezeugt ist, sondern z. B. in fünf, gleichmäßig die Episoden verteilende Bücher, wie sie die mittelalterliche Überlieferung bietet. Zur Überlieferung in diesem Punkt vgl. Dilke 23, Méheust xlviif. und Anderson 2009, XIIf. Auffallend wäre neben der Buchaufteilung auch das Fehlen einer Sphragis, wie sie am Ende der Thebais zu ­f inden ist. Vgl. auch de Angelis 1984, bes. 169–178 zur frühneuzeitlichen Debatte über die Vollständigkeit der Achilleis, die sich u. a. um das rechte Verständnis von 1,7 dreht. 97 Vgl. Poet. Kap. 8, 1451a16–35: Die Einheitlichkeit einer Handlung folge nicht daraus, dass man für alles Erzählte einfach einen Haupthelden habe. Darin hätten viele Dichter gefehlt, die eine Herakleis oder Theseis geschrieben hätten. Im Unterschied dazu grenzt Aristoteles Homers Umgang mit der Handlung in Ilias und auch Odyssee ab. 98 Hor. Ars 147–149. 99 Heslin 2005, 80–82, Zitat: 82.

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biographischen Details des Heros« zu verstehen sein.100 Rosati hat nämlich berechtigterweise betont, dass es neben der chronologisch-biographischen Ebene, auch eine ›horizontale‹ bei omnis gebe, in dem Sinne, dass die verschiedenen Aspekte von Achills Persönlichkeit herausgestellt werden sollen.101 Dies scheint mir, auch wenn in Achills Erzählung des zweiten Buches Details über die Kindheit nachgereicht werden, sogar die wichtigere Nuance zu sein. Denn auf diese Weise kann Statius gegenüber Homer nicht einfach nur stoffliche Akzente anders setzen oder Umfangreicheres bieten, sondern, um Achill in seiner emotionalen Fülle zu zeigen, Elemente aus unepischen Gattungen wie der Elegie oder Komödie einfließen lassen, d. h. um dieses Ziels willen werden andere Episoden als die bei Homer vorkommenden behandelt, nicht um eine stoffliche Vollständigkeit an sich anzustreben.102 Das erste Wort der Ilias, μῆνις, stellt einen bestimmten emotionalen Zustand des Hauptcharakters in den Mittelpunkt: den Zorn, der einem Pathos-Epos als Thema entspricht.103 Demgegenüber vermeidet omnis programmatisch diese Beschränkung. Man vergleiche auch die Er­läuterungen der antiken Homererklärung zum Eröffnungswort der Ilias, die diese Beobachtung zur emotionalen Rezipientenlenkung stützen: ζητοῦσι, διὰ τί ἀπὸ τῆς μήνιδος ἤρξατο, οὕτω δυσφήμου ὀνόματος. διὰ δύο ταῦτα, πρῶτον μέν, ἵν‹ ἐκ τοῦ πάθους †ἀποκαταρρεύσῃ† τὸ τοιοῦτο μόριον τῆς ψυχῆς καὶ προσεκτικωτέρους τοὺς ἀκροατὰς ἐπὶ τοῦ μεγέθους ποιήσῃ καὶ προεθίσῃ φέρειν γενναίως ἡμᾶς τὰ πάθη, μέλλων πολέμους ἀπαγγέλλειν· […] ἄλλως τε καὶ τραγῳδίαις τραγικὸν ἐξεῦρε προοίμιον· καὶ γὰρ προσεκτικοὺς ἡμᾶς ἡ τῶν ἀτυχημάτων διήγησις ἐργάζεται, καὶ ὡς ἄριστος ἰατρὸς πρῶτον ἀναστέλλων τὰ νοσήματα τῆς ψυχῆς ὕστερον τὴν ἴασιν ἐπάγει. (Schol. AT zu Il. 1,1a ex.) Es wird gefragt, warum er mit dem Zorn begonnen hat, einem so unrühmlichen Wort. Um zweier Dinge willen [hat er das getan], zunächst, damit aus dem Pathos ein solcher Teil  der Seele †hervorgehe† und die Zuhörer aufnahmefähiger für die Größe gemacht werden und er uns vorbereite, diese Pathe zu ertragen, da er von Kriegen künden will […]. Und darüber hinaus hat er für die Tragödien einen tragischen Beginn 100 So, z. B., Dilke ad loc., der folgendermaßen übersetzt ›to recount the whole life of…‹; vgl. auch Nuzzos Paraphrase per omnia herois facta, die Jannaccones Verständnis ähnelt (zu 1,4: »celebrate tutte ad una le imprese di Achille« und zu 5: »heroa = herois vitam«). 101 Rosati 1994, 7. Vgl. auch Rosati 1994, 60 f. zur Person Achills und meine Ausführungen zu 2,30–85 zur Persönlichkeitsentwicklung des Hauptcharakters in der Achilleis. 102 Letztlich sieht Heslin 2005, 82 das auch, wenn er sagt, dass der erhaltene Teil weit von einer versifizierten Biographie entfernt, sondern thematisch um Thetis fokussiert sei. Umso mehr ist der Kontrast zu Aristoteles und Horaz etwas überkonstruiert, denn das Proöm ist auf der Ebene der Anspielungen doch programmatisch expliziter, was insbesondere die alexan­drinische Behandlung des Stoffes angeht. 103 Vgl. aber auch Most 2003, dass die Ilias nicht ausschließlich am Zorn, sondern an der Wechselwirkung zwischen Zorn und Mitleid interessiert sei, was sich an der Entwicklung Achills vom Zorn des ersten Buches über den Konflikt mit Hektor bis zum Mitleid mit Priamos im letzten Buch ablesen lasse.

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erfunden: Uns macht nämlich die Erzählung von Unglücksfällen aufnahmebereiter, und wie ein guter Arzt, der erst die Krankheiten der Seele herausbringt, führt er dann die Heilung herbei.

Die Absetzung vom homerischen Achill erfolgt außerdem, wie schon gesehen wurde,104 durch einen zweimaligen, nur leicht verschlüsselten Verweis auf die kyklischen Epen: durch das bereits erwähnte omnis und die Ergänzung tota zu Troja (1,4/7). Was die Ilias parva und die Cypria an zusätzlichem Material gegenüber der Ilias hinsichtlich Achills Aufenthalt auf Skyros boten, ist umstritten.105 In einer sehr vorsichtigen Einschätzung kommt Fantuzzi zu dem Schluss, dass zumindest die Begegnung mit Deidamia und die Zeugung des Neoptolemos enthalten gewesen sei, wenn die Motivation für den Aufenthalt auch nicht ein Verstecken vor dem trojanischen Krieg gewesen und dementsprechend auch kein cross-dressing vorgekommen sein dürfte, sondern die Landung auf Skyros einer Eroberungsabsicht oder einem Schiffbruch zuzuschreiben sei.106 In Proklos’ Chrestomathie heißt es z. B. zu den Cypria, dass Achill sich mit Deidamia verbunden habe (γαμεῖ, p. 104, 8–10 Allen). In einem D-Scholion zur Erwähnung des Neoptolemos in der Ilias (19,326), der auf Skyros aufwachse, wird eine ausführliche Version der Skyros-Episode geboten, die in wesentlichen Punkten mit Statius’ Version übereinstimmt, und den Cypria zugeschrieben. Diese Zuschreibung, die z. T. in der Forschung bestätigt worden ist,107 ist jedoch von Heslin und Fantuzzi entschieden abgelehnt worden.108 Da hier keine Sicherheit zu gewinnen ist, auf der eine weitere Interpretation aufbauen könnte, sei zumindest festgehalten, dass die kyklischen Epen einiges über die Ilias hinausgehende Skyros-Material boten, das u. a. die Deidamia-Geschichte enthielt und damit Ansatzpunkte für die spätere Ausschmückung bereitstellte.109 104 Vgl. z. B. Heslin 2005, 81 f., Ripoll ad locc. 105 Vgl. dazu neben Heslin 2005, 202–205: Fantuzzi 2012, 23–29 mit einer Sichtung der Quellen- und Forschungslage, vgl. bes. 27–29 zur Kritik der Homererklärung an den das epische decorum verletzenden Episoden über Achill, die Homer lobenswerter Weise ausspare (z. B. Schol. T zu Il. 9,668b). Es fehlt jedoch auch nicht an Scholien, die der μῆνις des Achill eine erotische Konnotation verleihen: vgl. dazu Schmit-Neuerburg 1999, 200 f. und Fantuzzi 2012, 104 f. (z. B. Schol. bT zu Il. 1,349). Wie Fantuzzi 2012, 110–116 zeigt, lässt sich aber in der Homerkommentierung ein gewisses interpretatorisches Ringen beobachten, erotische Motivationen bei Achill herunterzuspielen, z. B. indem Il. 9,341–343 nicht für ein tatsächliches Bekenntnis der Liebe zu Briseis gesehen wird, sondern als Teil einer rhetorischen Strategie Achills. 106 Fantuzzi 2012, 26 f. 107 Z. B. von Burgess 2001, 21. 108 Heslin 2005, 204; Fantuzzi 2012, 26. 109 Für mögliche Einflüsse der Cypria auf die Achilleis vgl. McNelis 2015b: Aufgrund der Quellenlage bleibt vieles nur Spekulation bzw. sehr allgemein (vgl. z. B. p. 589, dass der Kyklos »more romantic episodes for Achilles« als die homerischen Gedichte enthalte). Treffend ist ­a llerdings McNelis’ Bezeichnung von Odysseus’ Rede in A. 2,50–83 als eine kyprische Erzählung (McNelis 2015b, 594 f.). Vgl. auch den Exkurs zu Achill vor Statius am Ende von B 2.2.1.

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Am Ende des zweiten Buches der Achilleis ist der Leser stofflich von der Kindheit bei Chiron bis zur Überfahrt nach Aulis gelangt, also nur noch einen Schritt von Troja entfernt. Die auffällige Andersartigkeit des ersten Epos-Teils hat natürlich Spekulationen über die Fortsetzungen hervorgerufen.110 Mit Recht nennt Heslin die Ankündigungen des Proöms vage. Statius habe sich zu einem so frühen Stadium der Abfassung noch nicht festlegen wollen/können.111 Es handelt sich Heslin zufolge beim erhaltenen Teil der Achilleis um einen teaser für zukünftige Interessenten.112 Wie immer man zu Heslins teaser-These im Einzeln steht,113 ist die Frage nach der Fortsetzung vor allem als Argument für die Gesamtkonzeption entscheidend. Dahingehend aber Schlussfolgerungen auf Grundlage einer hypothetischen Extrapolation zu ziehen, kommt einer petitio principii gleich. Es bleibt als Grundlage der Interpretation nur das Erhaltene.114 Insofern ist weniger die Unbestimmtheit des Proöms ein größeres interpretatorisches Problem als der unvollständige Status des Werkes.115 Die metaphorische Stilisierung als Dichterpriester in Vers 11 des AchilleisProöms schlägt motivisch übrigens neben der erneuten recusatio auf ein Domitian-Epos einen Bogen zur Darstellung in der Silve 4,4,87–94 (s. o.) sowie zum Seher Calchas in der Achilleis. Dessen vittae, Bänder, werden unkriegerisch, ­inbelles, genannt, sein Seherdienst gewissermaßen als Wehrersatzdienst bezeichnet (A. 1,510–513). Zudem erschöpft ihn seine Tätigkeit so sehr, dass er nach seiner Weissagung zusammenbricht. Auch hier also eine Verbindung zum alternden Dichter, dessen Kräfte ihn verlassen.116 Die Erschöpfung wird metaphorisch auch in 1,8 durch deplevimus gespiegelt: Statius will nicht nur aus einer neuen Quelle schöpfen, sondern die alte sei erschöpft, darum verlange er nach einer neuen.117 Heslin hat auf die besondere Bedeutung gerade dieses Verbums hingewiesen, das keine poetische, son 110 Vgl. dazu den folgenden Forschungsüberblick zur Achilleis unter B 5.  111 Heslin 2005, 83. 112 Heslin 2005, 59–62 und 85 f. 113 Kritisch ist z. B. Delarue 2008, 82 Fn. 2. 114 Ähnlich auch Heslin 2005, 83 f. und Nuzzo 10 f. Aricò 1996 hingegen versucht durch die Orientierung auf das Erhaltene alle Überlegungen zur Konzeption, die die epische Norm unterlaufen, zu widerlegen. Dass hingegen ein erstes Buch programmatischen Charakter für das folgende Werk haben dürfte, scheint m. E. allerdings schwer widerlegbar. Nimmt man zudem die Aussagen der Silven über die Konzeption der Achilleis hinzu, lässt sich mehr als das von Aricò Zugestandene zumindest im Rahmen einer abgesicherten Wahrscheinlichkeit gewinnen. Vgl. auch die methodischen Überlegungen unter B 4.  115 Wie allerdings z. B. Heslin 2005, 62–65 und Delarue 2008 zeigen, handelt es sich nicht um einen unfertigen Eposbeginn, sondern eine in sich geschlossene Episode, die beide mit der Praxis der Rezitation in Verbindung bringen. 116 Vgl. zu solchen Einspiegelungen auch B 2.2.1. 117 So Ripoll und Uccellini ad loc.

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dern eher technische Vokabel sei.118 Dadurch werde eine gewisse ironische Wirkung an dieser Stelle erzeugt. Heslin fügt noch hinzu, dass hier ein weiterer Hinweis auf die Distanzierung der Rolle des ekstatischen vates in der Thebais zu sehen sei.

2.2 Die Alterswerk- und Ethos-Konzeption im Überblick Im Anschluss an die Betrachtung des Proöms soll nun ein Überblick über die Konzeption der Achilleis als Alterswerk erfolgen, der anhand von vier Hauptpunkten in systematischer Perspektive den erhaltenen Teil  des Werkes untersucht: Personenkonstellation und Hauptcharakter, Gattung und elegische Motivik, epische Virilität und Transvestitismus, Altersschwäche des Erzählers/ Dichters. Eine Einzelanalyse, die die hier präsentierten Interpretationen durch eine vollständige Betrachtung der Achilleis vertieft und die das Funktionieren der Konzeption auch auf der Mikroebene verfolgt, schließt sich dann im nächsten Teil (C) an.

2.2.1 Personenkonstellation und Hauptcharakter Das Proöm der Achilleis knüpft durch seine Verweise auf die Silven an das dort entwickelte Bild des alternden Epikers an und macht den Charakter als Nachfolgewerk deutlich. Statius schlägt allerdings noch eine weitere Brücken zu den Charakteren seiner Achilleis und schafft so noch komplexere intratextuelle Bezüge innerhalb seines Gesamtwerkes. Der alte König Lycomedes wünscht sich in seiner Rede an Odysseus und Diomedes: utinam mihi fortior aetas / quaeque fuit (wenn ich doch noch das rüstigere Alter besäße, das ich einst hatte; A. 1,776 f.). In dieser Formulierung besteht eine intertextuelle Parallele zu einem Lobgedicht auf den Jüngling C ­ rispinus, Silv. 5,2. Dort stellt Statius seine Verfassung der Jünglingskraft des Crispinus entgegen und sagt: nos fortior aetas / iam fugit (uns hat das kräftigere Alter schon verlassen, Silv. 5,2,158 f.). Nicht nur die gleiche Hexameterklausel auch eine lautlich ähnliche Fortsetzung verbindet beide Stellen. Darüber hinaus spricht Statius direkt im nächsten Satz von der Abwesenheit des Crispinus bei einer Achilleis-Rezitation (5,2,160–163). Desweiteren ist Lycomedes nach dem Modell eines alternden Königs der Thebais, Adrast, gestaltet. Über diesen heißt es, er nähere sich dem Greisenalter: in senium vergens (Th. 1,391). Mit genau diesen Worten hatte sich Statius in Silv. 4,4,70 selbst bezeichnet: vergimus in senium.

118 Heslin 2005, 78. Wie Uccellini ad loc. zeigen kann, ist dieser metaphorische Gebrauch von deplere nur noch ein weiteres Mal belegt.

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Eine aufgrund der Seltenheit der Wendung verg[-] in senium besonders auffällige Parallele findet sich bei Lucan. Dort heißt es über den alternden Pompeius im Gegensatz zu Caesar (1,129–131):      alter vergentibus annis in senium longoque togae tranquillior usu dedidicit iam pace ducem […]. Der andere [sc. Pompeius] hatte schon, in Jahren, die sich dem Greisenalter zuneigen, und ruhiger durch das lange Tragen der Toga [sc. im Gegensatz zur Rüstung], im Frieden verlernt, ein Feldherr zu sein. Pompeius wird hier in eine Tradition epischer Greise in der Nachfolge des Latinus (Aen. 7,45 f.) und des Euander (Aen. 8,508 f./560–571) eingeordnet, die aufgrund ihres Alters nicht mehr zu eposgemäßen Taten in der Lage sind und zu denen eine Generation später bei Statius dann Adrast, der allerdings – noch etwas jünger als die genannten (vgl. Th. 1,390 f., s. u.) – am Krieg gegen Theben teilnimmt, und Lycomedes, der selbst eine Teilnahme am trojanischen Krieg seinerseits aus Altersgründen für unmöglich hält, (s. u.), hinzutreten.119 Der epische Greis, der infolge von Alters­schwäche zum unepischen Moment wird, bleibt üblicherweise genau aus diesem Grunde im Epos eine Randfigur, die eine Begleit- oder Hintergrundfunktion für den Haupthelden übernimmt, wie sich an Latinus oder Euander bzw. Lycomedes ersehen lässt. Gewissermaßen als Symbol für die aus den Fugen geratene Welt, mit dem bereits das Proöm bei Lucan ansetzt, ist in der Pharsalia der epische Greis in Form des Pompeius hingegen eine Hauptfigur – die traditionelle Wertordnung ist damit auch in der un­ epischen Personenkonstellation auf den Kopf gestellt. In Statius’ Achilleis hingegen belegt die Prominenz der Greise (nicht nur Lycomedes, sondern auch Chiron und der Dichter/Erzähler selbst) den Status als Alterswerk, das sich auf diese Weise von der epischen Norm zwar absetzt, sie allerdings gerade nicht subversiv unterläuft, sondern transformierend bereichert, um so auch auf dieser Ebene die Konzeptionierung als Epos eines alternden Dichters deutlich werden zu lassen.120

Der alternde Statius in Silv. 4,4 verknüpft sich darüber hinaus mit einem weiteren Charakter der Achilleis durch seine sängerische Tätigkeit: An Vergils Grab singe er leichte Lieder (tenues ignavo pollice chordas / pulso, 4,4,53 f.), und mit identischer Hexameterklausel übergibt der alte121 Chiron an Achill die Leier 119 Zur Pompeius-Rezeption in der Figur des Adrast vgl. Aricò 2005 (zur Stelle 88 f.). Zu Adrasts Kriegsteilnahme trotz Alter und friedlichen Charakters in der Thebais vgl. Aricò 1970, der Adrast als stoischen Heros deutet, der aufgrund seiner positiven Eigenschaften in einer vom nefas bestimmten Welt untergeht. Generell zu den Alten bei Vergil und der nachfolgenden Epik vgl. Riganti 1995. Ripoll 2003 widmet sich alternden Kämpfern bei Silius und Valerius Flaccus. Zur »dialogical relationship« zwischen Thebais und Lucan vgl. Roche 2015. 120 Vgl. als Analogon auch Moodie 2009 für metatheatralisch agierende Greise in Terenz’ Komödien. 121 Vgl. A. 1,182.

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zum eigenen Gesang: expertas pollice chordas / dat puero (A. 1,187 f.).122 Statius als Vaterfigur zieht sogar noch eine weitere intertextuelle Parallele zum Achill der Achilleis: Im Epikedion auf seinen puer ruft er aus: meus, ille meus (Silv. 5,5,69) – meus, iste meus entfährt es dem Seher Calchas in seiner Vision über Achill an gleicher Versstelle (A. 1,528). Die Parallele Calchas/Dichter über die vates-Metaphorik wurde bereits bei der Behandlung des Proöms angedeutet. (s. o. B 2.1. sub fine). Über den Seher Calchas und sein verzücktes Verhalten bei der Weissagung gibt es sogar eine weitere Linie, die zu Achills Verhalten bei der Ent­tarnung führt123 und so auf eine sehr hintergründige Weise Dichterpersona, vates-­Figur und Hauptcharakter in einem bestimmten Moment konvergieren lässt.124 In der Figur des Lycomedes lässt sich, wie Ripoll gezeigt hat,125 nicht nur ein greiser König überhaupt, sondern eine Rezeption von Komödienstrukturen sehen, was als ein Element der generellen Komödiennähe des Ethos-Epos, wie sie von Ps.Longin herausgestellt wird, zu verstehen ist. Zu diesen Komödienelementen bei der Zeichnung des Lycomedes gehört Ripoll zufolge z. B. die Täuschungsszene A. 1,349–366: Thetis übergibt mit entsprechenden Ratschlägen und Hinweisen zur Erziehung den verkleideten Achill als dessen Schwester der Obhut des Lycomedes, woraufhin dieser geschickt getäuscht dankbar zustimmt. Ripoll erinnert hier an Vorbild-Verkleidungsszenen wie in Terenz’ Eunuchus.126 Vergleichen ließe sich auch die erste Rede des Lycomedes vor seinen Gästen Odysseus und Diomedes nach dem Empfangsmahl (1,775–783): Lycomedes beginnt mit einer allgemeinen Klage, dass sein Alter ihm eine Teilnahme an einer so großen Unternehmung wie dem trojanischen Krieg nicht mehr erlaube, verweist auf seine früheren Taten und dass er sich Nachkommen wünschte, die er

122 Vgl. auch Fantham 1999 zur Vaterfigur Chiron bei Achill, die von Fantham allerdings mit Statius’ Vater in Verbindung gebracht wird. 123 Ausführlicher dazu s. u. zu A. 1,855–858. 124 Vgl. auch Myers 2015a, 33 f., die den furor als Thema der Thebais und Eigenschaft der Charaktere mit der Selbstdarstellung im Proöm verbindet. Vgl. zu solchen Einspiegelungen der Dichterpersona in die Figuren des Werks Korenjak 2003, 66–74 zur Bukolik Vergils, der biographische Theokrit-Deutungen in der poetologischen Konzeption seiner Eklogen-­ Persona rezipiert, was auch in der Vergilkommentierung und späteren Bukolik aufgegriffen wird; und bes. Kofler 2003 zur Aeneis, der in der Gestaltung des Aeneas ein poetologisches alter ego Vergils ausmacht. Statius greift hier offensichtlich eine insbesondere von Vergil gepflegte poetologische Technik auf. Calchas hat in der Achilleis außerdem dichterische Privilegien: Fantuzzi 2013, 161 bezeichnet ihn als »›protector‹ of the plot of the Trojan War«, da er durch seine Prophezeiung den Aufenthaltsort Achills offenbart und dadurch dessen Teilnahme am Krieg ermöglicht. Calchas korrigiert gewissermaßen eine sonst divergierende Plotlinie. 125 Ripoll 2007 allgemein zur dédramatisation der Lycomedes-Figur und p.  56–58 zur­ Komödiennähe. 126 Vgl. meine Ausführungen zu dieser Passage und zu den Beziehungen zu Terenz.

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in den Krieg schicken könne, was ihn gleich dazu bringt,127 seine Töchter anzubieten. Eine ähnliche Gedankenentwicklung haben wir beim Auftritt des Greises in der zweiten Szene des fünften Aktes von Plautus’ Menaechmi (Men. 753–775):128 Nach einer Klage über die Altersgebrechen, die nur noch eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit erlauben (Men. 753–760), folgt die Wendung zu einer aktuellen familiären Situation, die Streitigkeit seiner Tochter mit ihrem Mann, die ihn überhaupt erst auftreten lässt (Men. 760–775). Interessanter­ weise nimmt der Greis als hyberbolisches Beispiel für überzogene Forderungen der Tochter an ihren Ehemann gerade die feminin konnotierte Wollarbeit (Men. 796 f.), die auch Achill bei Deidamia ausübt (A. 1,580–583, zum Motiv vgl. auch 1,260 f., 654). Darüber hinaus zeigt sich Achills Leben im erhaltenen Teil der Achilleis insgesamt sehr von alten bzw. alternden Männern geprägt. Der greise König Lycomedes, von dem bereits die Rede war, ist dabei nicht nur eine Parallelfigur zum Adrast der Thebais, sondern zugleich auch eine Steigerung hinsichtlich der Altersschwäche. Adrast nähert sich dem Alter von der Mitte des Lebens her, wie es heißt, also vom Alter der Reife (Th. 1,390 f.: medio de limite vitae / in senium vergens);129 doch er nimmt am Krieg teil (4,38–43). Lycomedes’ Reifealter hingegen ist in einen perfektisch abgeschlossenen Zustand gerückt, dessen Unwiederholbarkeit dadurch umso deutlicher wird (fortior aetas,/quaeque fuit, A. 1,776 f.); eine Teilnahme am Krieg schließt er für sich selbst aus (A. 1,776–783). Passenderweise wird er von Odysseus superlativisch angesprochen als regum placidissime (1,729). Im Vergleich zum homerischen Nestor ist bei den Greisen im lateinischen Epos ab Vergil eine wechselnde Profilierung zu beobachten. Während Nestor in der Ilias zwar um seine schwächere Konstitution weiß und sich die frühere zurückwünscht, sieht er doch in beratender Funktion seine gegenwärtige Nützlichkeit in kriegerischen Auseinandersetzungen (Il. 4,319–325). Nicht nur ein Alter, sondern wirklich ein Greis ist bei Vergil Euander, der immerhin seinen Sohn Pallas schicken kann (Aen. ­8,514–517); Adrast wirkt als noch nicht vollständiger Greis noch selbst am Krieg mit, während 127 Diese überraschende, unepische Wendung in Lycomedes’ Rede wird auch von Ripoll 2007, 54 als Teil einer réduction bourgeoise epischer Vorbilder gesehen. 128 Vgl. zur Szene in der dramatisch-komischen Konstellation des Stückes Sander-Pieper 2007, 239–241. 129 Vgl. aber auch das Attribut longaevus im Katalog in Th. 4,74, mit dem auch Chiron in A. 1,106 bedacht wird, sowie die Bezeichnung als senex in Th. 6,626 und in Eteokles’ Mund Adrasti senium in Th. 10,31. In der Tat vergehen zwischen Buch 3 und 4 drei Jahre (vgl. 4,1 f.). Mehrfach erhält Adrast das Attribut mitis (1,467; 7,537; 11,110). Zu den Altersstufen im römischen Kontext vgl. Eyben 1973, der fünf unterschiedliche Einteilungen ausmacht: in drei, vier, fünf, sechs bzw. sieben Stufen, mit jeweiligen differierenden Altersgrenzen. Interessant mit Blick auf Statius’ Charakterisierung von Adrast ist Seneca eine Generation zuvor, der die Phase vor der senectus »inclinationem quandam ab adulescentia ad senectutem« (Epist. mor. 49,3) nennt.

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­ ycomedes nicht nur nicht mehr in den Krieg ziehen, sondern nicht einmal wie EuanL der einen Sohn schicken kann (1,780–783).130 Eine interessante Parallele zu Lycomedes’ Selbsteinschätzung und Rückblick auf frühere militärische virtus findet sich in Catos Selbstporträt in Cic. de sen. 32, in dem ­a llerdings, ein Zug des homerischen Nestor,131 nämlich derjenige der Beratung, als altersangemessene Betätigung im Unterschied zu Lycomedes erhalten bleibt. Allerdings findet sie nicht mehr auf dem Schlachtfeld selbst statt:132 sed tamen hoc queo dicere, non me quidem iis esse viribus quibus aut miles bello Punico aut quaestor eodem bello aut consul in Hispania fuerim, aut quadriennio post cum tribunus militaris depugnavi apud Thermopylas Manio Acilio Glabrione consule; sed tamen ut vos videtis, non plane me enervavit, non adflixit senectus; non curia vires meas desiderat, non rostra, non amici, non clientes, non hospites. Aber dies kann ich dennoch sagen, dass ich nicht mehr die gleichen Kräfte besitze wie als Soldat im punischen Krieg oder Quaestor in demselben Krieg oder als ich Konsul in Spanien war, oder vier Jahre später, als ich als Militärtribun bei den Thermopylen unter dem Konsul Manius Acilius Glabrio kämpfte, aber dennoch hat mich, wie ihr seht, das Alter nicht erschöpft oder hinfällig gemacht, die Kurie muss meine Tatkraft nicht entbehren, noch die Rednerbühne, noch die Freunde, Klienten oder Gastfreunde.

Neben Lycomedes, dessen altersbedingt unkriegerischer Status den entscheidenden Faktor für Thetis bei der Wahl des Verstecks für ihren Sohn auf der Insel gerade dieses Königs darstellt,133 ist darüber hinaus besonders an Chiron zu denken. Dieser wird bei seinem ersten Auftauchen longaevus genannt (1,106) und zeigt sich auch sonst beim Empfang der Thetis als freundlicher alter Herr.134 Der Gegensatz zu seinem früheren, kriegerischen Wesen wird explizit benannt: Er widme sich nun einzig (!) der Heilkunst und der Lyra (A. 1,116–118: tunc ­labor unus inermi etc.). Nicht durch den Erzähler, sondern von Achill selbst erfahren wir in seinem Kindheitsbericht etwas von der raueren Art des jüngeren135 Chi 130 Für Parallelen in der Zeichnung des Lycomedes zum homerischen Nestor vgl. Juhnke 1972, 170 Fn. 496. Für Lycomedes im Vergleich zu den epischen Greisen bei Homer, Vergil und in der Thebais vgl. Ripoll 2007, 52 f. 131 Auch Powell ad loc. zieht einen Vergleich zum direkt zuvor (de sen. 31) erwähnten homerischen Nestor, sieht aber als Unterschied zwischen Cato und Nestor eine unterschiedliche Betonung im Hinblick auf die Relation zur früheren virtus. 132 Dies ist generell für Ciceros Cato ein wichtiger Punkt für das Alter vgl. de sen. 17–20/29, vgl. auch Plut. An seni 795a–796a, der ebenfalls den belehrenden Aspekt hervorhebt. 133 Vgl. Thetis’ Entscheidung in A. 1,207–211 und Lycomedes’ Selbstaussage in A. 1,775–779. 134 Vgl. dazu die Ausführungen zu 1,95–241; Chiron wird 1,143 und 182 als senex bezeichnet. 135 Allerdings ist dies nur relativ zu verstehen, denn als Achill zu ihm gebracht wird, sei er bereits ein senior (2,97). Auch die Natur spiegelt aber die charakterliche Milderung: Als­ rigidus mons wird der Ort bezeichnet, an dem der kleine Achill Aufnahme findet (2,97). Demgegenüber erscheint Chirons Lebensraum bei Thetis’ Ankunft mit Zügen eines locus amoenus (vgl. 1,101–103 und 119–121). Den Aspekt der Entwicklung, d. h. der Alterung des Chiron, scheint Davis 2015, 161 zu übersehen, wenn er von einem ambivalenten Chiron spricht.

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ron (A. 2,96–167). So wird die Parallele zur Entwicklung des Lycomedes, der sich nach eigener Aussage früher ebenfalls kriegerisch hervorgetan habe (1,776–779), betont. Auch Achills Vater hat, wie an anderer Stelle angedeutet wird, das gleiche Schicksal ereilt. Als die Truppen Griechenlands zusammengezogen werden, muss nur Thessalien zurückstehen, denn Peleus ist zu alt und Achill noch zu jung (1,440: quod senior Peleus nec adhuc maturus Achilles). Jugend und Alter führen also gleichermaßen zu unepischem Verhalten, was sogar in einem doppeldeutigen Intratext abzulesen ist. Chiron bezeichnet Achills Alter als tenues anni (A. 1,148). Genau mit diesen Worten benennt der greise Teiresias in der Thebais sein Alter (Th., 4,512).136 Außerdem ist tenuis ein Schlüsselwort kallimacheischer Poetik in der augusteischen Dichtung137 und setzt damit ein ­poeto­ logisches Distanzsignal zum traditionellen Epos. Das Alter Achills wird in der Achilleis vielfach von verschiedenen Sprecherinstanzen thematisiert: Nicht nur durch Chirons eben zitierte Bezeichnung, sondern kurz darauf gleich wieder vom Erzähler bei Achills erstem Auftritt ­(1,159–166). Dort wird präziser sein Alter als vor dem ersten Bartwuchs und sein Blick als dezidiert nicht martialisch138 gekennzeichnet (necdum prima nova lanugine vertitur aetas,/tranquillae faces oculis, 1,163 f.). In diesen Zusammenhang gehört auch die geradezu obsessive dreimalige Wiederholung des iam in 1,173 f. zur Kennzeichnung des Zeitabschnitts in Achills Leben, in dem wir uns in diesem Moment seines ersten Auftretens befinden. Jeweils an den beiden Buchanfängen tituliert der Erzähler Achill als iuvenis (1,7 bzw. 2,8). Doch wesentlich häufiger wird er puer genannt: von seiner Mutter (1,128/136/252/273), von Calchas (1,534), von Deidamia (1,947) und vom Erzähler (1,188/247/302/578).139 Auffällig ist allerdings, dass sich diese Bezeichnung als puer auf das erste Buch beschränkt und Achill selbst nur im Rückblick auf seine Kindheit diese Bezeichnung von sich selbst gebraucht (2,120). Dies dürfte als ein weiteres Indiz für die Entwicklung Achills sein, die dieser im ersten Buch durchmacht.140

136 Vgl. in der Folge auch: tranquilla senectus als Selbstzeichnung (Th. 4,517). 137 Vgl. z. B. Verg. Ecl. 6,1–8; Hor. c. 2,16,37–40, Epist. 2,1,225, vgl. dazu den Überblick bei Lyne 1995, 100 f.; für das griechische λεπτός als kallimacheischen Stilbegriff vgl. die klassische Untersuchung von Reitzenstein 1931 und genauer zum metaphorologischen Gehalt­ Asper 1997, 179–189. 138 Vgl. das Attribut tranquillae, das Odysseus in seiner Ansprache gegenüber Lycomedes nutzt (tu tranquillus in alta / pace mane, 1,807 f.) und der Erzähler kurz darauf, um die Nachtruhe zu beschreiben (depositis Lycomedis regia curis / tranquilla sub pace silet, 1,816 f.). Außerdem nennt Thetis die elegische Insel Skyros (dazu Ripoll 2008a): Nereidum tranquilla domus (1,391). 139 Gespiegelt wird dies auf der göttlichen Ebene anhand zweier Gleichnisse aus der Jugend (so Dilke zu 1,386 f.) von Achills Beinahe-Vater Jupiter (vgl. A.1,1 f.): 1,386 f. und 1,588–591. Zu letzterem Gleichnis vgl. die Ausdeutung von Ripoll ad loc. und meine Ausführungen. 140 Weiteres dazu in meinen Ausführungen zu 1,560–674 und zum zweiten Buch.

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Die Wahl eines Hauptcharakters im Knaben- bzw. Jünglingsalter scheint mir auch im Zusammenhang mit der Konzeptionierung eines Ethos-Epos zu sehen zu sein. Ein solches Epos wird in nicht unwesentlichem Maße durch die Paradoxie bestimmt, seine Gattungsidentität gleichermaßen durch epische wie auch unepische Elemente zu gewinnen. Wie Ps.Longin deutlich macht, sieht er Ilias und Odyssee nicht einfach als zwei Modi einer Gattung Epos, sondern setzt die Odyssee als Sonderfall vom eigentlichen Epos Ilias ab. Dieser Sonderfall erhält seine generische Identität durch die Inkorporierung von Unepischem wie der Komödie. Um die Ethos-Konzeption auch am Hauptcharakter zu demonstrieren, müsste nun ein Dichter, der eine solche Auffassung teilt, eine Figur entwickeln, die zugleich epische wie auch unepische Elemente enthält. Bezeichnenderweise geschieht das für die Teile der Odyssee, denen Ps.Longin eine solche Konzeption insbesondere bescheinigt, nämlich die in Odysseus’ Haus spielenden Szenen, dadurch, dass entweder der epische Held abwesend ist (Buch 1–4) oder im Großteil der zweiten Hälfte als alter Bettler erscheint (Buch 14–23). Nach seiner Ankunft auf Ithaka verwandelt Athene Odysseus in diesen alten Bettler (Od. 13,430–438). Die Rückverwandlung erfolgt schrittweise: Am Anfang des 22. Buches entblößt sich Odysseus vor dem Kampf gegen die Freier von seinen Lumpen (Od. 22,1), im 23. Buch wird er nach seiner ersten Begegnung mit Penelope gewaschen und von Athene wieder verschönert (Od. 23,153–163). Statius wählt nun für sein Ethos-Epos gerade den Hauptcharakter des homerischen Pathos-Epos und lässt ihn gewissermaßen das Schicksal des homerischen Odysseus erleiden.141 Ebenfalls auf einer Insel, diesmal Skyros, angekommen, wird er von einer Göttin verwandelt: nicht in eine unepische, weil alternde Figur wie Odysseus, sondern in eine unepische, weil feminine Figur (A. 1­ ,326–337). Auch Achill enthüllt im Wortsinne sich und damit seine wahre Identität (A. 1,878–885). Am Anfang des folgenden Buches erscheint er, zumindest äußerlich, ebenfalls wieder verwandelt (omnia visu / mutatus, 2,9 f.).142 Auf diese Weise wird die Ethisierung des Epos gerade am Hauptcharakter vorgeführt, indem gewissermaßen die Ilias mithilfe der Odyssee umgedeutet wird. Einen alternden Achill kann Statius hingegen nicht zeigen, da der Mythos keine mit Odysseus vergleichbare Lebensspanne zulässt. Allerdings stehen Alter und Kindheit bereits in der Antike in einer topischen Verbindung, indem man das Alter als zweite Kindheit bezeichnet hat.143 Außerdem gilt, wie Ovid am Anfang Ars verdeutlicht, das Alter eines Knaben als zartes Alter: puer […], aetas mollis (Ars 1,10). Gleich im Anschluss vergleicht sich Ovid als Unterweiser des Amor mit Chiron 141 Vgl. auch Cowan, 2005 xvi: Die Achilleis arbeite gegen die Identität als Epos. Die Figur der Thetis und ihre Handlungen seien eine Verzögerung des epischen Wegs und Ablenkung des Sinnbildes des Epos, sc. Achill, in andere Genres. 142 Vgl. allerdings die Ausführungen zu 2,1–30a und Achills Entwicklung. 143 Vgl. dazu Parkin 2011, bes. seine Stellensammlung p. 39 f.

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als Erzieher des Achill: Beide hätten einen schwer zu bändigen Knaben durch ihre Künste bezwungen (Ars 1,11–18). Durch die Verbindung zur elegischen Unterweisung der Ars wird das Attribut mollis nicht nur zur bloßen Bezeichnung für einen puer, sondern zugleich zu einer programmatischen Brücke zur Poetologie der Liebeselegie, auf die wir noch einmal zurückkommen werden.144 Spiegelbildlich dazu verhält sich der Held des homerischen Ethos-Epos Odysseus in der Achilleis als Pathos-Anreger, indem er Achill zu einer Selbstenttarnung überlisten und ihn damit von Skyros fort in die epische Welt holen will.145 Diese chiastische Anordnung der homerischen Prätexte zeigt die besondere Virtuosität und hebt dadurch die bewusst andersartige Gestaltung der ­Achilleis­ hervor. Abschließend sei ein weiterer, außerliterarischer Bezugspunkt für die AchillFigur in den Blick genommen. Taisne hat die Wichtigkeit der Bacchus-Figur im Bezug auf den Achill der Achilleis herausgearbeitet,146 dazu gehört besonders A. 1,593–618, die Beschreibung des Bacchus-Festes, das auch den Rahmen für die Vergewaltigung Deidamias, eines zentralen Plot-Elements abgibt, mit­ einem Bacchus-Gleichnis für Achill in 1,615–618. Dabei stellt das Bacchus-Fest als Rahmen eine Neuerung in der mythologischen Tradition dar und erscheint darum besonders akzentuiert (vgl. dazu C 5.2.). Die Identifikation Achills mit Bacchus, wie sie im Gleichnis geschieht, erscheint umso prägnanter mit Blick auf eine Darstellung des Dionysos-Knaben aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. (aufbewahrt in den Kapitolinischen Museen). Zu diesem führt von Prittwitz und Gaffron aus: »Ein kleiner, gerade dem Krabbelalter entwachsener Knabe sitzt auf einem ­Ziegenfell. Er ist, wie eine Replik dieser Statue in Sperlonga auf einem Pantherfell erläutert, Diony­ sios im Spiel mit einer Silensmaske. […] das Kind ist […] in sein Spiel mit diesem Gegenstand versunken. […] Das Altersgesicht [sc. des Silens] wird hier dem Kindergesicht in Form einer Maske gegenübergestellt, beide werden miteinander verbunden. Damit werden zwei altersmäßig deutlich auseinanderliegende Lebensabschnitte geradezu zwanglos zusammengeführt. Der junge Dionysos spielt mit dem Alter, das er wie eine Maske überstreifen und – das ist damit impliziert – auch wieder ab­streifen kann.«147

144 Vgl. die Stellen bei Fedeli zu Prop. 3,1,19. Der Stamm moll- in Verbindung mit Achill ist in der Achilleis häufiger anzutreffen: A. 1,142/326/654/837. 145 Vgl. A. 1,719–725; 1,785–805; 1,841–876 und die jeweiligen Ausführungen dazu. 146 Taisne 1976. 147 Von Prittwitz und Gaffron 2009, 128 (Abbildung auf der vorausgehenden Seite). Ausführlicher hat sich derselbe Gelehrte in einem früheren Aufsatz mit der dionysischen Zeitkonzeption, wie sie sich an den bildlichen Darstellungen ablesen lässt, auseinandergesetzt und dabei festgehalten: »Dionysos nun ist der einzige Gott, in dessen Welt Altersunterschiede überhaupt thematisiert werden. Er selbst ›durchlebt‹, wenn man das bei einem Gott so formulieren darf, verschiedene Altersstufen: Kleinkind, junger Erwachsener, alter Festgott.« (2003, 272; vgl. auch p. 265 f. zum Dionysos Dimorphos, der als Jüngling und Greis erscheint).

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In geradezu komplementärer Weise streift auch Statius in seiner Persona eine Altersmaske über: Gerade ein Jüngling wird zum Gegenstand des Schreibens eines alternden Dichters, zum poetologischen Emblem seines Alterswerkes. Zudem lässt sich in der Personenkonstellation eher eine Reduzierung des epos-typischen Götterapparats148 beobachten: Es findet im ersten Buch gerade kein durch eine Gottheit ausgelöster Sturm statt, der auf die Handlung einwirkt; Thetis erscheint eher als Mutter denn als Göttin; das Verlieben von Achill und Deidamia vollzieht sich ohne göttlichen Einfluss (vgl. dagegen den Pfeilschuss des Eros bei Apollonius Arg. 3,275–399 und die Wirkung des als Iulus getarnten Amor bei Verg. Aen. 1,712–722). Gerade bei letzterem Punkt wird die von Ps.Longin 9,15 herausgestellte Nähe zur (Neuen) Komödie entscheidend. Der Zufall, die Tyche, ist bei Menander ein wichtiges dramaturgisches Moment,149 und gerade der Zufall führt dazu, dass Achill auf den Plan seiner Mutter eingeht. Denn zufällig (forte diem, 1,286) feiern gerade an dem Tag, da Achill und seine Mutter auf Skyros eintreffen, die Töchter des Lykomedes ein Fest zu Ehren der Pallas und genau dies gibt die Gelegenheit für einen Blick auf Deidamia, der Achill zum Bleiben bewegt (1,300–326). Das bedeutet, dass für Statius ein generischer Anknüpfungspunkt entscheidender in der Epos-Konzeption ist, als eine Möglichkeit die von Ps.Longin beobachtete Neigung zum Mythologisieren zu nutzen, die Statius im erhaltenen Teil der Achilleis m. E. ohnehin eher in den Hintergrund zu rücken scheint. Vielleicht lässt sich dies mit Blick darauf erklären, dass durch die generische Orientierung eine deutlichere Profilierung des EthosEpos zu erreichen ist. Denn bei Ps.Longin bleibt unklar, wie sich die mythologischen Elemente beider homerischen Epen im Vergleich zueinander verhalten. Achills sprechendes Pferd Xanthos in der Ilias (Il. 19,404–418) dürfte nicht weniger unglaubwürdig sein als z. B. die von Ps.Longin 9,14 monierte Verwandlung der Gefährten des Odysseus durch Kirke. Sollte Ps.Longin primär auf die 148 Vgl. z. B. die vielleicht auf Theophrast zurückgehende Epos-Bestimmung: divinarum rerum et heroicarum humanarumque comprehensio (Suet. poet. p. 17,1 f. Reifferscheid). Vgl. außerdem Petr. Sat. 118 und Servius, ed. Thilo-Hagen I p. 4,3–8. Ausführlicher zu antiken Epostheorien vgl. Koster 1970. 149 Vgl. dazu die Untersuchung von Vogt-Spira 1992. Ein für die Neue Komödie typisches Handlungsschema stellt Vogt-Spira dabei wie folgt heraus: »Die Personen des Spiels erreichen nicht (ohne weiteres), was sie beabsichtigen, oder beabsichtigen nicht (unmittelbar), was sie erreichen, generell: ihre Handlungen führen nicht auf dem geplanten Wege zum erwünschten Ziel, sondern treffen auf Hindernisse, die sie, je nach Partei, überwinden oder an denen sie scheitern.« (3). Dies kann man auch für die Achilleis geltend machen: Thetis erreicht die Zustimmung ihres Sohnes nicht auf die geplante Art und Weise durch ihre Überzeugungsrede (A. 1,251–282), sondern durch das zufällige Auftauchen Deidamias (s. o.). Auch Lycomedes erlebt ähnliches: Er will Schwiegersöhne gewinnen und stellt Odysseus und Diomedes seine Töchter vor (A. 1,775–840), doch hat der Zufall ihm bereits einen Schwiegersohn in Achill verschafft. Zu stereotypen Handlungselementen und Motiven in der neuen Komödie vgl. den Überblick bei Hunter 1985, 59–82, sowie außerdem zu den typischen Konfliktkonstellationen Mann-Frau 83–95 und Vater-Sohn 95–109.

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Quantität solcher Erzählelemente abzielen, so muss man wohl feststellen, dass die Achilleis in ihrer überlieferten Form zu wenig Material für eine solche Überprüfung bereitstellt.

Exkurs: Achill vor Statius Von Homers Ilias bis zu Statius’ Achilleis vergehen etwa 800 Jahre Literaturgeschichte, die in einem Exkurs einer schlaglichtartigen Betrachtung unterzogen werden sollen, die den Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen bilden wird.150 In Ilias und Odyssee findet sich kein Hinweis auf Achills Aufenthalt auf Skyros in Frauenkleidern; Skyros wird nur in anderen Zusammenhängen erwähnt.151 Insofern hat Statius Recht, wenn er im Proöm mit Bezug auf die homerische Achill-Figur sagt: sed plura vacant (A. 1,4). Anders hingegen verhält es sich mit den kyklischen Epen, und auch darauf scheint Statius hinzuweisen, wenn er sagt, er wolle per omnem heroa vorgehen (A. 1,4 f.).152 Unklar ist, welche Details der Skyros-Episode bereits in den kyklischen Epen zu finden waren (s. o. B 2.1.). In traditionell maskuliner Betrachtung des epischen Achill (dazu s. u. 2.2.3.) schätzt Pausanias den Unterschied Homer – spätere Dichter allerdings folgendermaßen ein: »Gut scheint er [sc. Homer] mir gedichtet zu haben, dass Skyros 150 Eine umfangreiche Sammlung literarischer und ikonograpischer Zeugnisse zu Achills Leben in Form einer mythologischen Biographie Achills bietet Roussel 1991 (darunter 1–18 einen chronologischen Überblick über die literarischen Quellen allgemein und 123–161 über die Ereignisse auf Skyros). Classen, 2008, 14–27 arbeitet die Charakterisierung Achills in der Ilias heraus: Seine Sonderstellung begründe sich durch seine herausragenden Fähigkeiten wie auch eine ausgeprägte Gegensätzlichkeit (z. B. Verantwortungsgefühl für die Allgemeinheit vs. Verweigerung der Hilfe durch seinen Rückzug vom Kampf). Fantuzzi 2012 bietet intertextuelle Untersuchungen zu Achill als Liebendem, auf die im Folgenden mehrfach verwiesen werden wird. King 1987 widmet sich den unterschiedlichen Achill-Bildern von Homer bis ins Mittelalter und demonstriert dabei die Variabilität eines homerischen Paradigmas (bis hin zur vollständigen Negation in Spätantike und Mittelalter). Zur Ikonographie vgl. Kemp-Lindemann 1975 (bes. 1–38 zur Kindheit und 39–60 zum Skyros-Aufenthalt) und Kossatz-Deissmann 1981 (bes. 40–55 zur Kindheit und zur Erziehung bei Chiron sowie 55–69 zur Skyros-Episode; die Häufigkeit letzterer Episode in der späteren römischen Darstellung führt Kossatz-Deissmann 1981, 67 auch auf Statius’ Achilleis zurück; in Kontrast dazu sieht Kemp-Lindemann 1975, 240 f. die zunehmende Betonung der Jugendjahre in spätantiken bildlichen Achill-Zyklen aufgrund des zeitlichen Abstands von 300 Jahren nicht durch Statius’ Achilleis bedingt). 151 Vgl. dazu Fantuzzi 2012, 21 f. 152 Vgl. auch Ov. Pont. 2,10,13 f. (an Pomponius Macer): tu canis aeterno quicquid restabat Homero,/ne careant summa Troica bella manu. Auf diese Stelle macht mich Prof. Jolivet aufmerksam, der den Hinweis anschließt, dass restare hier vielleicht auf den Terminus παραλελειμμένα aus der Homerphilologie anspiele (vgl. Nünlist 2009, 161 und 170 f.), wenn auch wahrscheinlicher auf die Tradition Ante- bzw. Posthomerica zu verfassen rekurriert werde.

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von Achill erobert werde [vgl. Il. 9,668], in keiner Weise vergleichbar auch denen, die sagen, dass Achill zusammen mit Jungfrauen sich auf Skyros aufgehalten habe.« (εὖ δέ μοι φαίνεται ποιῆσαι Σκῦρον ὑπὸ Ἀχιλλέως ἁλοῦσαν, οὐδὲν ὁμοίως καὶ ὅσοι λέγουσιν ὁμοῦ ταῖς παρθένοις Ἀχιλλέα ἔχειν ἐν Σκύρῳ δίαιταν, […]. Paus. 1,22,6).153 Neben der Liebeselegie, die im Anschluss etwas genauer betrachtet werden wird, ist im Rahmen der hier verhandelten Fragestellung insbesondere ein Drama des Euripides zu nennen. Wie Fantuzzi 2012, 16 f. bemerkt, widmet sich die attische Tragödie den menschlichen Emotionen und dabei insbesondere der Liebesleidenschaft.154 So zeigen die Myrmidonen des Aischylos155 einen Achill, der um seinen getöteten Geliebten trauert. In Sophokles’ Satyrspiel Liebhaber Achills156 steht Achill als Liebling eines Satyrchors im Mittelpunkt, wobei »das Hin und Her zwischen homo- und heteroerotischen Gefühlen eine nicht unwichtige Komponente [bildete]. Und welcher Stoff könnte dieser Thematik eine bessere Grundlage bieten als die Erzählung von Achilleus’ Aufenthalt in Skyros, die den Knaben Achilleus als Mädchen verkleidet zeigt?« (Scheurer/­Kansteiner 1999, 234). Wichtig für die weitere Entwicklung ist hierbei, was Fantuzzi 2012, 17 mit Bezug auf einen Achill im Satyrspiel hervorgehoben hat: »the biting­ ›familiarization‹ that epic characters typically undergo in this genre«. Von Euripides’ Tragödie Skyrioi ist uns neben einer Hypothesis nur wenig an Fragmenten zugänglich.157 Die bisherige Forschung158 hat bei der Rekonstruktion des Stückes neben Abweichungen wie der Zahl der Lycomedes-Töchter159 entscheidende Parallelen in der Handlung zur statianischen Achilleis plausibel machen können: Schwangerschaft Deidamias, Entdeckung Achills durch Odysseus und Diomedes, moralisches Dilemma zwischen familiärer Verpflichtung und Teilnahme am Krieg. Auch die Figur der Amme als einzige Mitwisserin, die bei Statius nur kurz und gerade darum als besonders auffällige Reminiszenz erscheinen dürfte (A. 1,669–674), ist hier wohl zu nennen.160 Über die Datierung lässt sich nichts Sicheres aussagen, allerdings hat u. a. Körte 1934, 12 für Euripides’ Frühzeit (nach 455 v. Chr.) argumentiert. Damit entfiele eine Parallelisierung zu Euripides’ späten Tragödien wie der Helena, für 153 Vgl. auch Newlands 2012, 92 zu Achill als moralischem Paradigma in Plutarchs Quomodo adulescens (Mor. 14d–37b), einem aus Statius’ Perspektive zeitgenössischen Werk. 154 Zu Achill in der Tragödie vgl. Michelakis 2002, mit einem Überblick p. 13–21. 155 F 131–142 Radt (TrGF Vol.3, p. 239–257). 156 F 149–157 Radt (TrGF Vol. 4, p. 165–170). 157 F 681a–686 Kannicht (TrGF Vol. 5,2, p. 665–670). 158 Zuletzt Fantuzzi 2012, 29–35, vgl. aber auch die älteren Arbeiten u. a. von Körte 1934, Bickel 1937 und Aricò 1981. 159 Laut Hypothesis bei Euripides nur Deidameia, bei Statius mehrere. 160 Vgl. Fantuzzi 2012, 31 und Körte 1934, 8. Allerdings verweist Körte auch auf die Rezeption der Figur der euripideischen Amme an sich im späteren Epos, so dass ein Bezug zu den Skyrioi nicht zwingend sei.

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die eine Uraufführung 412 errechenbar ist161 und die retrospektiv gesehen tragikomische und romantische Züge trägt. Allan hat in seinem Kommentar da­ rauf hingewiesen, dass es sich dabei natürlich um ein Hineinlesen des Einflusses e­ uripideischer Tragödien auf die Neue Komödie und den Roman handelt und dass dies nicht den Rezeptionsgewohnheiten des athenischen Publikums im 5. Jh. entspreche (p. 68 f.). Allerdings würde Statius ähnlich wie ein moderner Leser Euripides auch mit Kenntnis der Neuen Komödie lesen und darum solche Anknüpfungspunkte finden können.162 Inwieweit so etwas auch für die Skyrioi in Anschlag zu bringen ist, auch wenn diese vielleicht nicht in die Spätphase zu datieren sind, muss allerdings offen bleiben. Anhand dessen, was sich von den Skyrioi rekonstruieren lässt,163 kann man sehr gut ersehen, dass diese Episode der mythologischen Biographie Achills genug Leerstellen aufweist, um sie eposfern und erotisierend umzudeuten, wie es eine Passage in Lykophrons Alexandra und Ps.Bions Epithalamion-Fragment164 auf griechischer bzw. Ovid und Properz auf lateinischer Seite165 zeigen.166 Dass für Statius nicht nur die bereits genannten und zu erwartenden Texte eine Rolle spielen, zeigt Kozák 2012 über das Verhältnis von Achill in Pindars dritter Nemee und bei Statius (mit Blick auf die Erziehung Achills und die litera­ rische Tradition).

2.2.2 Gattung und elegische Motivik Bereits mehrfach ist die Annäherung des Ethos-Epos an ›niedere‹ Gattungen angesprochen worden. Im Folgenden soll daher diese generische Öffnung überblicksartig erfasst werden, bevor bei der Betrachtung der Einzelszenen (C) speziellere Intertexte und generische Referenzen untersucht werden. Einen ersten Anhaltspunkt für die generische Umorientierung haben wir­ bereits in der kallimacheischen Metaphorik des Proöms als Ankündigung gesehen. In folgender Weise wird diese Ankündigung nun eingelöst:

161 Kombiniert werden müssen die Informationen aus den Aristophanes-Scholien zu Ran. 53, Thesm. 850 und 1012. 162 Vgl. z. B. Körte 1934, 6: »Gehörte aber Deidameias Niederkunft zur Handlung der Tragödie, so gewinnen die Skyrier eine auffallende Ähnlichkeit mit einer ganzen Reihe von­ Stücken der Neuen Komödie. […] so scheint mir die Deidameia der Skyrier das [sic] Prototyp für die vielen Wöchnerinnen der Komödie zu sein.« 163 Sc. Versteck auf Skyros in Frauenkleidern, Affäre mit Deidamia etc. 164 Zu diesen vgl. Fantuzzi 2012, 38–61. 165 Vgl. Fantuzzi 2012, 65–71 (zu Ovid und Achill auf Skyros), außerdem 128–172 (zu­ Briseis und Achill bei Ovid und Properz). 166 Vgl. außerdem McNelis 2015a, 204 für Kritik am homerischen Achill bei Platon und Zoilos, die dessen feminin erscheinende Charakterisierung rügen. McNelis sieht hierin einen Anknüpfungspunkt für Statius.

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Das Motiv Achills als Liebender ist besonders in der römischen Liebeselegie rezipiert worden. Und genau aus dieser Gattung bedient sich Statius, wie bereits angedeutet und auch schon vielfach in der Forschung gesehen,167 auch für die Schilderung der Liebesaffäre zwischen Achill und Deidamia: So folgt die Annäherung den Ratschlägen, die Ovid in seiner Ars Amatoria gibt;168 oder in der Hochzeitsnacht entwickelt sich Deidamia zu einer Figur, die den weiblichen Heldenfiguren aus den ovidischen Heroides-Briefen nahe steht.169 Auch die ambivalente Zeichnung Achills zwischen männlichen und weiblichen Attributen170 hat eine Parallele zur Stilisierung des unmännlichen Liebhabers der Elegie.171 Wenn Quintilian und Ps.Longin bei der Ausgestaltung des Ethos den Vergleich mit der Komödie heranziehen, so ist nun danach zu fragen, warum bei Statius trotz durchaus deutlicher Komödienanklänge172 die römische Liebeselegie173 so prominent figuriert. Die Distanz zum martialischen Epos174 ist in der Liebeselegie ein wichtiges gattungskonstitutives Moment:175 Militärische Meta­ 167 Hier ist besonders Rosati 1994 und 2005 zu nennen, wobei bereits Koster 1979 wichtige grundlegende Beobachtungen in dieser Frage gemacht hat. Vgl. außerdem z. B. Micozzi 2007 und Sanna 2007. Weitere Literatur bei den Einzelanalysen. Ripolls thematischer Index p. 317 bietet s.v. Amour (et influence de la poésie érotique) eine Stellensammlung. 168 Vgl. die Ausführungen zu 1,560–674. 169 Vgl. die Ausführungen zu 1,927–960. 170 Vgl. die Ausführungen zu 1,159–165 und 1,335 f. 171 Vgl. dazu den Überblick von Wyke 2002, 166–178. 172 Vgl. Ripoll 2007 zu Lycomedes, meine Ausführungen zu A. 1,349–378 sowie den Exkurs zur Komödientheorie (s. u.) 173 Von Quintilian her gesehen, könnte Liebe als Thema bzw. Affekt in einem Ethos-Epos verwundern, wird doch amor von ihm als Pathos bezeichnet (6,2,12). Wir finden hier zwei sich überschneidende Klassifizierungssysteme: in rhetorischer Perspektive das Gegensatzpaar Ethos/Pathos mit ihren jeweiligen Emotionszuschreibungen innerhalb eines emotionalen Spektrums bzw. in generischer Perspektive die Antithese Epos/Elegie, die auf stofflicher Ebene durch die Opposition Krieg/Liebe in der intragenerischen Diskussion (s. o.) beschrieben werden. In beiden Perspektiven die jeweils geringere Intensität, also Ethos bzw. Liebe, zu kombinieren führt aus rhetorischer Sicht zwar zu einem Konflikt, lässt sich aber hinsichtlich der Elegie durch den Verweis auf die niedrigere Stilebene und den kallimacheischen Gegensatz groß-klein wieder auffangen. Hinzukommt die Nähe zur Komödie, die von Ps.Longin und Quintilian zur Qualifizierung des Ethos dient (s. A 2.2.), mit ihrem jugendlichen Liebhaber als typischer Figur (vgl. die Ausführungen zu 1,348–379 zu Bezügen zu Terenz’ Eunuchus). Ganz emblematisch hält in der Achilleis die Liebe Achill zunächst auf Skyros, d. h. von der kriegerischen Welt des Epos ab. 174 Vgl. dazu aber Hinds 2000, 223–236: Die augusteische Literatur ist durch das Paradox gekennzeichnet, einerseits rigide Gattungskriterien in Elegie und Epos explizit zu benennen, implizit jedoch zu unterlaufen. Auf der Ebene der expliziten Metapoetik wird die Grenze zwischen femininer Elegie und maskulinem Epos, sc. amor vs. arma virumque immer pointierter, während bspw. gerade die Aeneis eine Figur wie Dido enthält. Für Hinds ist dieses Paradox Ausdruck einer steten Neubestimmung des Epischen. 175 Vgl. allein das innerhalb der Buchstruktur gewissermaßen als poetologisches Dip­ tychon fungierende Gedichtpaar Properz 3,4 und 3,5, deren Eröffnungsverse diese Opposition

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phorik und Idealvorstellung wird in den Bereich der Liebe transferiert. Programmatisch deutlich ist das am oft zitierten Anfang von Ovids Am. 1,9 zu sehen: militat omnis amans.176 Doch bereits das Eröffnungsgedicht der Sammlung Am. 1,1 definiert die Gattung durch den Abstand zum Epos in Form eines poetologischen Scherzes: Ovid habe ein Epos mit den typischen Themen Waffen und Krieg dichten wollen (Am. 1,1,1–2a), Cupido aber habe durch die Entfernung eines Versfußes aus dem zweiten Hexameter einen Pentameter gemacht (Am. 1,1,2b–4) und so die metrische Voraussetzung für die folgende Inspiration zum Wechsel zu leichteren Themen geschaffen (Am. 1,1,21–26; vgl. zuvor den Gegensatz in 1,1,18 f.: attenuat nervos proximus ille [sc. versus] meos./nec mihi materia est levioribus numeris apta). Auch bei Statius selbst finden wir diese traditionelle Beschreibung der Antithese zwischen martialischem Epos, das stärkere Kräfte erfordert, und einer demgegenüber leichtergewichtigen Thematik, die mit dem amor verbunden ist.177 So heißt es im achten Buch der Thebais (8,373 f.): sed iam bella vocant: alias nova suggere vires, Calliope, maiorque chelyn mihi tendat Apollo. Aber schon rufen die Kriege: Andere Kräfte führe neu mir zu, Calliope, und größer soll Apoll seine Leier mir ausstrecken.

Als in der Folge der Krieg die beiden Liebenden Atys und Ismene auseinanderreißt, heißt es: bella vetant taedas (Krieg verbietet Hochzeitsfackeln; 8,561). Im Epikedion auf seinen Vater bezeichnet er sich als Dichter der Thebais mit einer vergilischen Reminiszenz an das sog. Vorproöm der Aeneis178 folgendermaßen (Silv. 5,3,10 f.): ille ego, magnanimum qui facta attollere regum ibam altum spirans Martemque aequare canendo. Ich bin es, der die Taten großherziger Könige zu erheben auszog, indem ich hochinspiriert im Gesang den Kämpfen des Mars gleichkomme.179 ausspielen: »Arma deus Caesar meditatur ad Indos […].« – »Pacis Amor deus est; pacem veneramur amantes.«. Auch die Fortsetzung von 3,5 ist zugleich ein Beleg für die oben erwähnte Transformation der Metaphorik: »stant mihi cum domina proelia dura mea.« 176 Ein Exempel ist in dieser Elegie gerade Achill (Am. 1,9,33 f.)! 177 Vgl. in den Silven die Darstellung des Dichters Stella, der statt des Epos die Elegie wählt, wobei beide Gattungen jeweils durch ihre bestimmenden Themen verkörpert werden (Silv. 1,2,96–99). 178 Allerdings nur, wenn man der Änderung Marklands vom überlieferten certe in ille folgt. Vgl. dazu jedoch die Argumentation dafür bei Gibson ad loc. Zum Vorproöm vgl. A 3.4. 179 Vgl. außerdem Silv. 2,3,6 f.: Um Kleinigkeiten (parva) wie die Aitiologie des Baumes von Atedius Melior solle Phoebus nicht gebeten werden, sondern Naiaden und Faune. Faune und Nymphen sind auch beim Abschied Achills anwesend und verleihen der Szenerie eine bukolische Tönung (vgl. A. 1,240 f. und meine Ausführungen dazu).

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Doch kehren wir noch einmal zu Ovids Amores zurück: In den Gegensatz zur Tragödie tritt die Elegie in Am. 3,1 und lässt den Dichter in Anlehnung an­ Herakles’ Entscheidung zwischen virtus und voluptas zwischen diesen beiden Gattungen wählen. Aus der Komplementarität von Tragödie und Komödie ist hier die Antithese Tragödie – Elegie geworden.180 Insofern überrascht es dann nicht mehr, dass für ein komödiennahes Ethos-Epos die Elegie zum wichtigen intertextuellen Bezugspunkt werden kann. Darüber hinaus speist sich die Motivik der römischen Liebeselegie nicht unwesentlich aus der neuen Komödie.181 Delarue hat zudem auf Ciceros Ethos-Bestimmung in or. 128 und die dort genannte Alltagsnähe sowie Absicht zu gefallen hingewiesen (ad omnem vitae consuetudinem accomodatum, […] ad benevolentiam conciliandam paratum). Nicht nur die Komödie, auch die Elegie erfülle laut Delarue diese Bedingungen.182

Exkurs: Antike Komödientheorie Da sowohl Ps.Longin wie auch Quintilian auf die Komödie Bezug nehmen, um das ethosnahe Alterswerk bzw. das rhetorische Ethos zu qualifizieren, e­ rscheinen zwei Seitenblicke auf die antike Komödientheorie als wichtige Ergänzung an dieser Stelle.183 Bei dem spätantiken Grammatiker Diomedes (4. Jh.) ist im dritten Buch sei­ ner Ars eine Übersicht über Gattungsdefinitionen überliefert, die auf Sueton zurückgehen könnte und von Reifferscheid auch als Fragmente zu Suetons de­ poetis (dem vielleicht ersten Buch der Viri illustres)184 zugeordnet worden ist, wobei dieser wiederum auf Varro beruhen könnte.185 Die Übersicht bei Diomedes

180 Vgl. auch die Gegenüberstellung von Tragödie und Komödie in Analogie zu Epos und Elegie in Ov. Rem. Am. 373–396. 181 Vgl. dazu den Überblick von James 2012. Dabei handelt es sich nicht erst um eine literarwissenschaftliche Beobachtung, sondern es gibt ein Selbstbewusstsein der Elegie von dieser Traditionslinie: vgl. Ov. Rem. Am. 385 f.: Thais in arte mea est […], nachdem zuvor Thais als prototypische Komödienfigur zitiert worden ist (Rem. Am. 383 f.) 182 Delarue 2000, 220. 183 Für eine Sammlung antiker Testimonia zur Geschichte und theoretischen Auseinandersetzung mit der Komödie vgl. den ersten Teil (3–83) in Kaibels Comicorum Graecorum Fragmenta 1,1. 184 Vgl. dazu die Einleitung in Rostagnis kommentierter Ausgabe von de poetis, bes. v–vii/ xixf. und Brugnoli 1968, 39–60, bes. 57–60. Allgemein zu den Viri illustres vgl. Wallace-­Hadrill 1983, 50–73. 185 Suet. frg. 3, p. 4,11–22,2 Reifferscheid (mit Umstellung = p. 482,14–492,14 Keil I; zu den Umstellungen vgl. die Übersicht p. 375 f., sowie 370 f. zur Zuschreibung zu Suetons de poetis). Diese Passage wurde nicht in Rostagnis Ausgabe von de poetis aufgenommen. Zur Forschungsgeschichte in diesem Punkt vgl. Schmidt 1989, 134 f. Wiseman 2014, 262 geht von einem eklektisch arbeitenden Diomedes aus, weshalb der Abschnitt de poematibus nicht vollständig nur

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stellt »nach Quintilians 10. Buch die umfassendste Gattungssystematik der lateinischen Theorie vor«.186 Dort finden wir folgende Definition der Komödie:187 Comoedia est privatae vitae civilisque fortunae sine periculo conprehensio, (Die Komödie umfasst das private Leben und bürgerliches Schicksal ohne Gefahr; p.  7,9–12 Reifferscheid).188 Dabei wird u. a. folgende etymologische Ableitung angeboten: vel ἀπὸ τῶν κωμῶν, id est comesatione, quia olim in eius modi fabulis amantium iuvenum κῶμοι canebantur (oder von den κῶμοι, das heißt Gelage/ Festzug, weil einst in dieser Art Stücke die κῶμοι von liebenden Jünglingen gesungen wurden; p. 8,6–8 Reifferscheid). Zur genaueren Bestimmung erfolgt eine Abgrenzung zur Tragödie: Comoedia a tragoedia differt, quod in tragoedia introducuntur heroes duces reges, in comoedia humiles atque privatae 189; in illa luctus exilia caedes, in hac amores uirginum raptus [add. Reifferscheid]. (Die Komödie unterscheidet sich von der Tragödie, weil in der Tragödie Heroen, Feldherrn und Könige als Handelnde auftreten, in der Komödie niedrige und nicht zum öffentlichen Bereich gehörende ; in jener gibt es Trauerfälle, Verbannungen und Morde, in dieser Liebschaften, Jungfrauenraub und ; p. 8,11–14 Reifferscheid). Bereits Aristoteles190 hatte schlechtere Charaktere als Gegenstand der Komödie im Unterschied zur Tragödie angesehen, wobei sich die Schlechtigkeit nicht auf jede Art einer solchen beziehe, sondern auf diejenige, die Lachen erregt.191 Ebenso sei ein versöhnliches Ende mit einem entgegengesetzten Geschick für die Besseren und die Schlechteren, wie es in der Odyssee zu finden sei, der Komödie eigentümlich.192 aus Sueton entnommen sein könne. Dammer 2001 analysiert ausgewählte Abschnitte aus den ersten beiden Büchern der Ars des Diomedes und gibt einen einleitenden Überblick (19–58) über Diomedes selbst und seine Vorläufer auf dem Gebiet der Grammatik. 186 Schmidt 1989, 134. 187 Die Analogie zur Tragödiendefinition (p.  6,1 f. Reifferscheid), die mit der Quellenangabe Theophrast versehen ist, lässt auch für die Komödiendefinition theophrastische Urheberschaft vermuten. So schon Reich 1903, 265 (vgl. insgesamt seine quellenanalytische Untersuchung des Diomedes 263–274). Vgl. auch die Untersuchung der Theophrast-Fragmente zur Poetik bei Dosi 1960, bes. 601–623 zu den Gattungsdefinitionen und 659–671 zur Rezeption bei lateinischen Autoren. 188 Im Anschluss folgt das griechische Original: apud Graecos ita definita: κωμῳδία ἐστὶν ἰδιωτικῶν (καὶ πολιτικῶν) πραγμάτων ἀκίνδυνος περιοχή. Zum Begriff vgl. Dosi 1960, 603 (»svolgimento di un determinato argumento«). Zur Lebensnähe der Komödie vgl. die Sammlung von Parallelen bei Janko 1984, 111 f. Anm. 34. 189 Laut Keils Apparat nicht in den Handschriften, sondern eine editorische Ergänzung früherer Drucke: add. ς (= editiones interpolatae). 190 Zu Aristoteles’ Komödientheorie vgl. u. a. Fuhrmann 1973, 54–70; Janko 1984 (bes. 92–99 zur hypothetischen Rekonstruktion des verlorenen zweiten Buches des Poetik); Schmitt 304–321. 191 Poet. 2. Kap., 1448a16–18 und 5. Kap., 1449a32–34. 192 Poet. 13. Kap., 1453a30–39.

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Selbst bei diesem summarischen Blick in die antike Komödientheorie wird deutlich, dass sich zentrale Motive zur Bestimmung einer Komödie auch in der Achilleis wiederfinden lassen: Ein nicht ganz epischer jugendlich-verliebter Achill steht im Mittelpunkt und ist insofern ein im aristotelischen Sinne ›schlechterer‹ Charakter als der erwachsene, kriegstüchtige Hauptheld der Ilias. Auch wenn es sich um einen Heros handelt, so wird dieser auf Skyros gewissermaßen als Privatperson gezeigt und gerade nicht in öffentlichem Wirken, wie z. B. in Ilias 1.  Ähnliches gilt für die Kindheitsgeschichte, mit der das zweite Buch endet (2,96–167). Liebschaften sind mit Achills Verlieben in Deidamia ab 1,300 ein Hauptthema. Zudem haben wir ein versöhnliches Ende mit Hochzeit193 (Besänftigung des Lycomedes 1,917–920, Hochzeit 1,925 f.). Ein großer Teil  der Handlung findet in privaten Gemächern statt (Chirons Grotte: 1,102–197; Lycomedes’ Palast: 1,349–378/560–674/726–960 = 465 von 960 Versen des ersten Buches), und nicht von Heldentaten, sondern von vergleichsweise ungefährlichen Liebes­abenteuern ist die Rede. Zugleich bezeugt eine solche Gegenüberstellung, dass sich die Achilleis nicht in der Komödienstruktur erschöpft. Denn das Ende des ersten Buches und der Deidamia-Handlung ist nicht die Hochzeit und die dauernde Vereinigung der Liebenden, sondern die erste gemeinsame Nacht wird auch die letzte sein (1,927–960) und der Bräutigam seine Braut verlassen (2,1–30). Mit dem Verlassen von Skyros ist auch diese Komödienhandlung des verkleideten Verliebten nicht mehr im Fokus der Achilleis. Die Konzeptionierung eines Diptychons von Pathos-Epos und Ethos-Epos mit Thebais und Achilleis wird somit auch auf der intergenerischen Ebene deutlich. Denn so wie gerade die Komödiennähe der Achilleis exemplarisch vorge­ führt wurde, hat Ripoll 1998 die Thebais als Werk zwischen Epos und Tragödie gedeutet. Darüber hinaus ist auch die von Aristoteles und Ps.Longin beobachtete Nähe der Komödie zur Odyssee von Bedeutung, die auch für die Achilleis als zweites Epos und Alterswerk eine wichtige Rolle spielt. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Achill im Vergleich zur Ilias in der Achilleis eine Odyssee-artige Handlung erlebt: Auf einer fremden, von den kriegerischen Betätigungen fernen Insel geht er eine Liebschaft mit einer Frau ein, was an Odysseus’ Erlebnisse auf der Phaiaken-Insel und die Frauenfiguren Nausikaa, Kirke und Kalypso erinnert. Auch die Restauration des Helden zu epischer Größe, die mit der Tötung der Freier im 22. Buch stattfindet, hat eine Parallele zu Achills Enttarnung durch 193 Dieses Element ist zwar von Reifferscheid ergänzt worden, um ein korrespondierendes Trikolon zu erhalten (s. o.). Wie sich hier allerdings im Sinne einer wechselseitigen Bestätigung zeigt, hat diese Ergänzung einige Wahrscheinlichkeit für sich. Zum Thema Hochzeiten in der neuen und der römischen Komödie vgl. Hunter 1985, 83–95 (über Darstellungen von Frauen und Männern).

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Odysseus (A. 1,876–885) und seiner Erscheinung am Anfang des zweiten Buches ­ eros (2,5–22). Wie in den ersten vier Büchern der Odyssee mit Telemach ein H im Werden im Mittelpunkt steht, so ist dies auch mit dem Achill der Achilleis der Fall. Zudem ist Odysseus selbst ein Charakter der Achilleis und ­Voraus­weise auf seine zukünftige Odyssee (A. 1,94) und seine dortigen typischen Charakterzüge, wie Klugheit, Eloquenz, Voraussicht und Listigkeit, werden eingeflochten (A. 1,542/698/718; 2,30 f./85).194 Die Elegie als pointiertes Gegenstück zur Epik, was sich schon an ihrer Selbstabgrenzung in thematischer Hinsicht ablesen lässt (s. o.), bietet sich zur Neugestaltung eines Epos an, das die iliadische Tradition bewusst kontrapunktieren soll. Denn neben der ihr gattungskonstitutiv eingeschrieben Anti-Epik können Motiv- und Strukturverwandtschaften zu anderen, niederen Gattungen,195 wie Komödie,196 Lyrik,197 Bukolik,198 Epithalamion199 etc. gewissermaßen als Scharnier fungieren, um auch diese in den epischen Rahmen zu inkorporieren und sich überlagernde Strukturmuster zu schaffen, die in ihrer gleichzeitigen Anwesenheit nicht gegenseitig ausschließend wirken, sondern durch die gemeinsamen generischen Linien, die in der Ausformung der römischen Liebeselegie paradigmatisch zusammenlaufen, gewissermaßen kooperativ die Gestaltung insbesondere des ersten Buches bestimmen,200 das aufgrund seiner zu vermutenden Vollständigkeit einzig wirklich aussagekräftige Interpretationen in diesem Punkt ermöglicht. Der epische Rahmen bleibt insofern unangetastet, als dass das gattungsbestimmende Metrum des versus heroicus gewahrt ist und die mythologische Tradition nicht verlassen wird, d. h. Achill nach Troja zie-

194 Weitere Parallelen zur Odyssee werden in der Detailanalyse (C) aufgezeigt werden. 195 Zu den vielfältigen generischen Beziehungen der römischen Liebeselegie vgl. den Überblick von Piazzi 2013. Hinzukommt, was Rosati 2005 für die Entwicklung der Elegie nach Ovid herausgearbeitet hat: eine Flexibilisierung des Genres, das nun nicht mehr so stark auf einen Antagonismus zu etablierten Konventionen literarischer und sozialer Art angelegt ist. 196 Als Beispiel sei der exclusus amator am Anfang von Plautus’ Curculio genannt. 197 Vgl. meine Ausführungen zu A. 1,160–170; 335–337, 391 f. und 530 sowie Keith (im Erscheinen). 198 Vgl. die Ausführungen zu A. 1,232–241. Die Kombinierbarkeit von Elegie und B ­ ukolik hatte bereits Vergil mit der 10. Ekloge vorgeführt, in der der elegische Dichter Gallus prominent figuriert. Karakasis 2013 zeigt am Beispiel der dritten Ekloge des Calpurnius Siculus intergenerische Bezüge der Bukolik zur Komödie und der Elegie auf. 199 Hinzukommt bei intertextuellen Bezügen zu Statius’ eigenem Epithalamium Silv. 1,2, dass der Bräutigam ein elegischer Dichter ist (1,2,95–102; vgl. auch 1,2,250–255 den Kanon der Elegiker) bzw. dieses Epithalamium epische Züge aufweist: Vgl. dazu B 3. 200 Zu Komödienstrukturen in der Achilleis vgl. die Ausführungen zu 1,349–378 und zu 1,640–674; zu liebeselegischen vgl. die Ausführungen zu 1,560–674; zu epithalamischen Strukturen vgl. B 3.

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hen wird. Daher wird man die generische Gestaltung der Achilleis nicht mit der­ Metaphorik der Gattungsmischung oder -kreuzung treffend beschreiben können, da die unterschiedlichen generischen Elemente ja gerade erkennbar bleiben und nicht zu etwas Neuem amalgamiert werden.201 Die Gattungskonzeption der Achilleis läuft damit nicht auf ein unepisches Gemisch hinaus, sondern auf eine spezifische Ausgestaltung des Epischen. Diese lässt sich mit dem generisch-stilistischen Hybrid des Ps.Longin fassen, wie er in der Einleitung (s. A 2.3.) herausgearbeitet wurde: ein auf höchster Gattungsebene stehendes Epos in mittlerer Stilebene, das Werk eines alternden Epikers, nach dem Vorbild der Odyssee, die gleichfalls stets Epos bleibt, wie sich am Schiffbruch, am Aufenthalt bei Polyphem oder der Tötung der Freier ersehen lässt trotz der komödienhaften Elemente im Hause des Odysseus, der bukolischen Idylle bei Eumaios am Anfang des 14. Buches oder dem vertrauten Umgang der Liebenden im 23. Buch. Bei aller Kontrastierung zur Ilias (9,12 f.) legt Ps.Longin Wert darauf, dass auch die Odyssee ein homerisches Epos ist (9,14 f.). Analoges scheint mir auch für das statianische Diptychon Thebais – Achilleis in Anschlag zu bringen zu sein. Harrison202 schlägt statt ›Gattungskreuzung‹ generic enrichment vor, das er als intergenerische Variante der Intertextualität versteht, wobei innerhalb einer dominierenden Gattung untergeordnete Gattungen erscheinen können;­ Harrison spricht in diesem Sinne auch von host bzw. guest genre.203 Ps. Longins Epos auf mittlerer Stilebene scheint zwischen einer Gattungsmischung/-kreuzung und einem generic enrichment zu liegen: Die Ethos-Gestaltung ist nicht im Sinne eines guest nur punktuell vorhanden, zugleich wird die epische Natur der Achilleis nicht transgenerisch zu einem neuen Dritten, das nicht mehr Epik ist, gekreuzt. Zu diesen primär gattungstheoretischen Erwägungen treten auch stärker motivische bzw. literaturgeschichtliche. Die Wahl Achills und besonders des jungen Achills als Hauptcharakter ist bereits als eine pointierte Realisierung eines Ethos-Epos herausgestellt worden. Hinzukommt nun, dass gerade die

201 Für Kritik an dieser von Kroll 1924, 202–224 herstammenden konzeptuellen Meta­ phorik vgl. Conte 1991, 161–165, der ein weniger statisches und stärker dynamisches Konzept der Interaktion bevorzugt. 202 Harrison 2007, 1–33. 203 Harrison 2007, 16. Hilfreich ist auch Harrisons Zusammenstellung eines Repertoires in formaler, thematischer und metaliterarischer Hinsicht, anhand dessen ein Leser gattungsmäßige Zuordnungen treffen kann (21–33). Zum formalen Register gehören nach Harrison: Titel, Metrum, stilistisches Register, Umfang und Struktur, Adressat, Erzählerstimme; zum thematischen: übergeordnetes Thema, Konventionen hinsichtlich Thema und Plot, Ton (als ›level of seriousness‹ verstanden), Narrativität (inwiefern eine Art plot line vorliegt, die das Ganze strukturiert); zum metaliterarischen: Nennung von Vorbildern, programmatische Proömien, metaliterarische Metaphern.

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römische Liebeselegie bereits eine pathosreduzierte Version des epischen Achill bietet.204 Das erste Buch der ovidischen Ars wird, wie Newlands gesehen hat,205 von einer Bezugnahme zu Achill eingerahmt: am Anfang der schon besprochene Vergleich mit Chiron als Erzieher Achills (Ars 1,11–16); gegen Ende (Ars 1,689–704) die Vergewaltigung Deidamias als Exempel dafür, dass Frauen solche Gewaltanwendung nicht unwillkommen sei (vgl. Ars 1,673 f.).206 Besonders die Beziehung zu Briseis ist in der Liebeselegie als Exempel für die Wirkmacht der Liebe bzw. die Verbindung von Krieger und Liebendem genutzt worden.207 Dass gerade Briseis und nicht Deidamia hier so oft zu finden ist, dürfte nicht

204 Vgl. zum elegischen Achill u. a. Fantuzzi 2012, 65–73/128–173 und Rosati 1994, 8–10. Zuweilen allerdings dient ironischer Weise gerade Achill als Kontrast zur Elegie: Macer dichte über Achill, Ovids Kräfte habe Amor gebrochen, so Am. 2,18,1–4; vgl. auch Rem. Am. 381: Callimachi numeris non est dicendus Achilles […] und Fast. 2,119–126. Es wird deutlich, dass Achill als episches Paradigma letztlich auch für die Elegie erhalten bleibt und die punktuelle Umdeutung gerade aus dieser Spannung ihren besonderen Reiz erhält, aber nicht zur generellen Umdeutung Achills als elegischen Liebhabers führt. Dafür dürfte das traditionelle Achill-Bild, wie Horaz es in der Ars artikuliert (121 f.: impiger, iracundus, inexorabilis, acer / iura neget sibi nata, nihil non arroget armis) zu wirkmächtig sein. Kozák 2014 deutet Ovids und Statius’ Achill als Reaktionen auf die Anweisungen zur (einseitigen) Charakteristik Achills als zorniger und kriegerischer Charakter in der horazischen Ars, wobei Ovid diese Regeln ›befolge‹ (vgl. im Folgenden Galasso 2004), Statius hingegen nicht. Vgl. auch die Darstellung Achills in den ovidischen Metamorphosen, die laut Galasso 2004, 97 f. eine auf den emblematischen Kern reduzierte Figur des Epos zeigt, bei der jegliche amouröse Nuancen ausgeklammert werden (zustimmend Fantuzzi 2012, 139). Zur Rezeption der homerischen Ilias in der ›Ilias‹ der Metamorphosen vgl. Papaioannou 2007, die allerdings auch ambivalente bzw. unepische/unhomerische Elemente hervorhebt. Besonders beachtenswert erscheint im Zusammenhang mit Statius, dass Papaioannou 2007, 182 f. heraus­ arbeitet, dass bei dem Streit um die Waffen Achills in Met. 13 Ajax nur auf iliadische Ereignisse rekurriert, während Odysseus auch kyklische Episoden mitaufnimmt, zu denen auch die Skyros-­Episode gehört (Met. 13,162–170, mit der Entdeckungsszene, vgl. A. ­1,852–885), um ein »more complex and comprehensive portrait of Achilles« zu bieten und damit Ajax zu übertrumpfen. Interessant ist im Lichte des Achilleis-Proöms und der dort angesprochenen Nachfolge (patrio vetitam succedere caelo, A. 1,2; magnusque […] Achilles, A. 1,19) auch Odysseus Insistieren auf dem Nachfolgen Achills: quis magno melius succedat Achilli,/quam per quem magnus Danais successit Achilles? (Met. 13,133 f.). Chinn 2012 zeigt die Verweise auf die ovidische Ilias in der statianischen Darstellung Achills, mit besonderem Fokus auf den Ken­tauren in Nestors Erzählung (Met. 12,182–535), wodurch Chinn weitere intertextuelle Aspekte der Ambiguität in der Gestaltung Achills herausarbeiten kann. Smith 1999 arbeitet heraus, wie Vergil in der Aeneis Achill in mehreren Erwähnungen als komplexe Figur, die Zorn und pietas vereint, zeichnet, die wichtige Kontrastfunktion bei der Deutung des Hauptcharakters hat. 205 Newlands 2012, 93. 206 Vgl. dazu die Ausführungen zu A. 1,640–674. 207 Vgl. z. B. Prop. 2,8,29–40; Ov. Her. 3, Ars 2,711–716. In Prop. 2,9,9–18 erscheinen ­Briseis und Deidamia. Für eine ausführlichere Besprechung dieser und weiterer Stellen hinsichtlich der Darstellung von Achills Beziehung zu Briseis vgl. Fantuzzi 2012, 128–173.

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unwesentlich damit zu tun haben, dass es der Achill der Ilias ist, der in Beziehung zu Briseis steht. Auf diese Weise kann sich z. B. der elegische Liebhaber für sein Verhalten entschuldigen, da es doch dem epischen Helden par excellence nicht anders ergangen sei. In vergleichbarer Weise nutzt Ovid in seiner Apologie Tr. 2 eine Literaturgeschichte unter erotischem Blickwinkel zur Rechtfertigung für seine dichterische Tätigkeit, die ihm unverdientermaßen Schaden eingebracht habe. Ein Beispiel ist dabei ein Stück208 über Achill (Tr. 2,411 f.): nec nocet auctori mollem qui fecit Achillem infregisse209 suis fortia facta modis. Und es schadet dem Autor nicht, der Achill verweichlicht hat, dessen tapfere Taten in seinen Metren gebrochen zu haben.

So könnte man in der Achilleis von einer funktionalen Aufnahme der Elegie bei der Gestaltung eines Ethos-Epos sprechen.210 Dabei ist der elegische Intertext eine Ethisierungsstrategie, aber nicht Selbstzweck oder Epos-Parodie, oder einfach eine Betonung des ovidischen Einfluss gegenüber einer an der vergilischen Aeneis orientierten Thebais.211 Das bedeutet konkret für die Achilleis, dass Achills Charakterisierung elegische Elemente zeigt, er aber nicht vollständig ein elegischer Liebhaber ist, wovon sein durchaus vorhandenes, auf Skyros nur temporär suspendiertes Interesse am Krieg zeugt212 oder das Interesse an ehelicher Legitimation213 sowie die letztliche Integration der beiden Aspekte Krieger und Liebender im statianischen Achill.214 208 U. a. Aischylos’ Tragödie Myrmidonen oder Sophokles’ Satyrspiel Liebhaber Achills (zu diesen s. o. den Exkurs unter B 2.2.1.) sind in Erwägung gezogen worden: vgl. dazu Fantuzzi 2012, 12 und Ingleheart zu Tr. 2,411 f. Letztere votiert für ein Satyrspiel und damit für So­ phokles. 209 Vgl. zu dieser Metaphorik auch in der Achilleis 1,264: nec magnum ambigui fregerunt Caenae sexus und 1,888: occulto virtus infracta calore est und außerdem Silv. 5,3,194: Aeaciden alio frangebat carmine Chiron, sowie in der Silve für den Eunuchen Flavius Earinus frangere sexum (Silv. 3,4,74). 210 Vgl. außerdem Feeney 2004, 92 f., der von einer Gestaltung der Achilleis anhand der Elegisierung der Metamorphosen Ovids ausgeht, sowie Koster 1979, 208, der die Achilleis ein »epische[s] Gegenstück zur ovidischen Elegie« nennt. 211 Vgl. auch Davis 2006 gegen einen übertriebenen Ovid-Bezug. 212 Vgl. A. 1,794–805 und dagegen eine liebeselegische Position wie Prop. 3,5,1 f. 213 Vgl. A. 1,659 und 898–903, gegenüber Prop. 2,7. 214 Vgl. dazu die Ausführungen zum zweiten Buch. Analog dazu hat Ripoll 2007 für die Figur des Lycomedes eine Nähe zum Greis der Komödie herausgearbeitet, die diesen allerdings nicht vollständig zu einem Charakter der Komödie werden lässt, sondern Lächerliches oder Despektierliches ausspart. Ebenfalls hierher scheinen mir die bisher in der Forschung aufgezeigten Parallelen zum Roman zu gehören: vgl. Gärtner 2010, Delarue 2003 und Perutelli 2000, 203–207 (bei letzte-

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Aber auch der bewusst kriegsentfernte Schauplatz und die sich dort sich entspinnende Affäre lassen die Insel Skyros215 zu einer elegischen Gegenwelt des traditionellen Epos werden. Nun könnte man gerade hier einwenden, dass doch der Mythos die Episode und ihren Inhalt vorgebe, und dass, sobald sich Statius für ein Epos über Achill entscheide, damit auch die mythologisch-literarische Tradition ihren Tribut fordere. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Wahl des Themas nicht die Ausgestaltung determiniert. Mit der Skyros-Episode zu beginnen und sie damit programmatisch an den Anfang zu setzen, ist keineswegs vorgegeben;216 sie in dieser Weise und Ausführlichkeit zu erzählen, ebenfalls nicht. Vielmehr wird gerade hierin die alexandrinische Akzentverschiebung deutlich: Wie in Kallimachos’ Hekale Theseus, so steht auch in der Achilleis ein epischer Charakter im Mittelpunkt, aber in einer pointiert nicht-epischen Perspektive. Wenn auch Achill im zweiten Buch von seiner Kindheit erzählt (2,96– 167) und er sich besonders in der ersten Hälfte der Rede als hart trainierten Knaben vorstellt, der bei Chiron eine unerbittliche Ausbildung zum Krieger erhält, so findet der Leser kriegerische Taten Achills im ersten Buch gerade nicht. Vielmehr wird die einzige Gewalttat, die Vergewaltigung Deidamias, gleich im Anschluss durch ein Versprechen Achills und die Sorge Deidamias um den Geliebten im Falle einer Entdeckung in ihrem Schrecken abgemildert.217 Auch wenn sich die Wahl eines elegisch getönten Achills für ein Ethos-Epos als besonders passend darstellt, scheint mir ein weiterer Aspekt zumindest am Rande zu erwähnen zu sein. Interessant ist für einen poeta doctus Statius nicht eine generische Inkorporation an sich, noch ist wegen fehlender Imagination die Ausrichtung an Komödie und Elegie eine Notwendigkeit, sondern das intertextuelle Spiel selbst tritt in den Mittelpunkt. Bei der Ethisierung sollen bisherige literarische Entwicklungen genutzt werden und eher wird ein Bezug zu etwas Vorhandenem (elegischer Achill bei Ovid oder Properz, bukolisch-erotischer bei Ps.Bion etc.) gesucht als eine absolute Neu-Erfindung in Angriff genommen. Analog verhält es sich mit der Orientierung an Ps.Longin. Sicher hätte Statius auch ohne diesen ein zweites Epos schreiben können; das anachronistisch als postmodern zu bezeichnende Faszinosum für einen gelehrten Dichter auch der Antike ist es aber, alle diese Anregungen aufzunehmen und in seinem Werk zu spiegeln. rem als Fortentwicklung romanhafter Tendenzen bereits in der Thebais gedeutet); kritisch zur Beschreibung der Achilleis mithilfe des Terminus ›Roman‹ ist Ripoll 65–70. Für Einflüsse aus der Neuen Komödie im antiken Roman vgl. nämlich Brethes 2008 (griechischer Roman) und Konstan 2013 (am Beispiel der Historia Apollonii regis Tyri). Vgl. außerdem für die Rezeption der Liebeselegie im Roman: Hindermann 2009 (ovidische Ars in Apuleius’ Metamorphosen). 215 Vgl. zur literarischen Gestaltung dieser: Ripoll 2008a. 216 Wie das Beispiel Homer zeigt, muss diese überhaupt nicht Teil eines Achill-Epos sein, s. o. 2.2.1. den Exkurs zu Achill vor Statius. 217 Vgl. die Ausführungen zu A. 1,640–674.

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Als Systematisierung sowohl der bisherigen Beobachtungen als auch in Vorgriff auf die Detailanalysen lässt sich sagen, dass Unepisches in folgender Form eine Distanzierung vom Pathos-Epos bewirkt: –– Kontrast bzw. Umkehrung epischer Konventionen, auch in Verbindung mit einer Alexandrinisierung218 –– Intertexte aus niederen Gattungen wie Elegie, Komödie, Bukolik oder Lyrik –– Intertexte, die zwar Epen entstammen, aber bereits im Originalkontext das Unepische betonen,219 und als eine Folge der drei genannten Formen: –– Feminisierung der epischen Virilität.

2.2.3 Epische Virilität und Transvestitismus Dieser letzte Punkt soll im Folgenden näher betrachtet werden. Das antike Epos ist, als frühestem Beleg mit der poetologischen Formel Homers κλέα ἀνδρῶν beginnend,220 sowohl vom Produzenten als auch vom Rezipienten her gesehen, ebenso wie unter inhaltlichem Gesichtspunkt männlich zentriert.221 Für das lateinische Epos hat Keith herausgearbeitet, dass »epic poetry was supremely valorised as a literary form centred on the principle of elite male identity (virtus) in the ancient Roman educational system, where the masculine focus of the genre was both mirrored and magnified.«222

Dies äußert sich auch darin, dass Handlungen oder Charaktere, die die Geschlechterordnung in Frage stellen, in der antiken Kommentartradition stereotyp umgedeutet werden.223 218 Vgl. dazu die Ausführungen zu deducere in A. 1,19 und detrahere in 1,283. Weitere poetologische Signale setzen humiles Parcas in 1,255 (vgl. Hor. c. 2,16,37–40) und in 1,268­ humilem maritum. Vgl. außerdem den thematischen Index in Ripolls Kommentar p. 317 s. v. Alexandrinisme. 219 Vgl. dazu z. B. die Ausführungen zur Dido-Rezeption in A. 1,780–784 und 2,46–48. Vgl. darüber hinaus z. B. Sfyroeras 2014: Das Gleichnis Il. 4,141–147 werde in lateinischer Dichtung von Ennius bis Ovid feminin konnotiert und von Statius für die Ambiguität femin/maskulin in Achilleis eingesetzt. Elegische Motive in der Aeneis arbeitet Hübner 1968 heraus (vgl. dort bes. 61–84 zum Abschied von Dido im vierten Buch und 117–124 zum Abschied Euanders von Pallas im achten Buch: vgl. dazu Achills Abschied in A. 2,23–30 und meine Ausführungen dazu). Für Elegisches bei Lucan vgl. McCune 2013/14, Caston 2011 und Hübner 1984. 220 Il. 9,189/525 und Od. 8,73. 221 Vgl. dazu z. B. den Überblick bei Keith 2000, 1–7. 222 Keith 2000, 8–35 (u. a. mit Rückgriff auf Quintilians viril konnotierte Bildungskonzeption p. 13–16), Zitat: 35. Vgl. zum Komplex gender und genre in der lateinischen Epik auch Hinds 2000 (p. 236–244 zur Achilleis). Zum Verhältnis von Anlage (sc. eine Göttin als Mutter) und (maskuliner) Erziehung (bei Chiron) in der Achilleis vgl. Bernstein 2008, 105–131. 223 Vgl. Keith 2000, 27–30 zu Vergils Camilla. Vgl. auch Cowan 2005, xiv: Nur die Ilias sei ein wirklich maskulines Epos, mit dieser erfolge hauptsächlich die Auseinandersetzung in der Achilleis.

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Die Frage nach der epischen Virilität wird verständlicherweise da besonders prekär, wo der mythologische Plot selbst den männlichen Helden in unmännlichen Umständen zeigt, wie dies bei Achills Aufenthalt auf Skyros in Frauenkleidern der Fall ist.224 So hat Heslin bspw. für die von Thetis initiierte Verkleidung und Instruktion Achills eine Konterkarierung quintilianischer Bildungskonzeptionen für einen jungen Mann zeigen können.225 Eine symbolisch-poetologische Deutung liegt dann nahe, wie sie z. B. von Franchet d’Espèrey im Vergleich mit den Lemnierinnen in der Thebais aufgezeigt worden ist.226 Die Frauen überschreiten dort auch eine Gender-Grenze, agieren wie Männer kriegerisch und werden dann zur Rückkehr in ihre Geschlechterrolle gebracht. In der Achilleis werde der umgekehrte Weg eingeschlagen: Achills Geschlecht werde enttarnt und er werde vom verkleideten Mann zum Krieger, d. h. er durchlaufe eine Mannwerdung im epischen Sinne. Die Gender-Differenzierung in Antithesen ist von Feeney ausgeweitet worden: Die Achilleis sei auf discrimina nicht nur in Gender-Hinsicht angelegt, sondern u. a. auch hinsichtlich der epischen Vorgänger Vergil und Ovid, d. h. die Distanzierung des Ovidischen vom Vergilischen und damit auch innerhalb des eigenen Werks zur Thebais.227 Dabei ist zu beachten, dass die Feminisierung Achills keine generelle Umschreibung des homerischen Charakters bedeutet oder eine Aufhebung der epischen zugunsten einer liebeselegischen Welt.228 Das cross-dressing ist eine tem 224 Vgl. auch im Exkurs zu ›Statius vor Achill‹ (s. o. 2.2.1.) das Zitat von Pausanias 1,22,6. 225 Heslin 2005, 125–129. Ausführlicher dazu Barchiesi 2005a. Auch Newlands 2012, 94 f. zieht Quintilian zum Vergleich heran. Heslins Arbeit untersucht generell in Gender-Perspektive die Achilleis (vgl. insbes. Kap. 3, 5, 6 und den Schluss). Für Seneca spielt auch bei der philosophischen Bildung und Bewährung der Aspekt der Männlichkeit eine wichtige Rolle, was in de vit. beat. 13,3 und Epist. mor. 122,7 auch mithilfe der Kleidung deutlich gemacht wird. In de prov. 3,9–11 werden ein maskuliner Regulus und ein feminisierter Maecenas gegenübergestellt. Den umgekehrten Blickwinkel in der gender-Diskussion, nicht von Achill aus auf die feminine Seite, sondern von den femininen Figuren, insbes. den Lykomedes-Töchtern innerhalb von rituellen Kontexten auf Achill nimmt Panoussi 2013 ein. Ihr zufolge gebe der rituelle Raum (Feste zu Ehren der Pallas und des Bacchus) den Töchtern zumindest temporär begrenzt die Möglichkeit, Achills Entwicklung zum männlichen Krieger zu konterkarieren. 226 Franchet d’Espèrey 2006, 449–453. 227 Feeney 2004, 101–104, mit weiteren discrimina, wie Asien-Europa etc. 228 Vgl. auch Fantuzzi 2012, 74: »[…] Statius’ Achilles is clearly destined to become a man again, and a warrior, and this predestination is discernible even from his first days of disguise and erotic passion.« Vgl. außerdem Cyrino 1998: Nach einer allgemeinen Betrachtung des Phänomens von Männern in Frauenkleidern und der entsprechend sozialen Rezeption im Hollywood-Kino führt sie anhand zweier mythologischer Episoden und ihrer literarischen Ausformungen (sc. Herakles bei Omphale und Achill auf Skyros) aus, wie eine feminine Einkleidung den virilen Charakter des Verkleideten nicht untergräbt, sondern nach Ablegen der Verkleidung betont, vgl. ihre These p. 209: »the female costume can serve to camouflage, cover, protect, and thereby ultimately reinforce the power of the male hero.« und die Schlussfolgerung (239), dass Achill und Hercules »are perceived as strong enough to survive the dangers of sex-role manipulation.«

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poräre Verzögerung229 in Achills Biographie und wird dadurch zum Sinnbild für die Ethisierung: Der Abstand zum Pathos wird nicht negiert und Achill neu geschrieben, sondern der Abstand wird betont, denn daran lässt sich überhaupt erst Pathos bzw. Ethos ermessen. Allerdings bleibt Skyros nicht einfach nur Episode in dem Sinne, dass im zweiten Buch das Epos seinen gewohnten Gang nehmen kann. Vielmehr zeigt das zweite Buch einen durch den Skyros-Aufenthalt gereiften und insofern auch ein Stück weit transformierten Achill.230 Dies ist m. E. ein Indiz, dass das erste Buch kein überwundenes Vorstadium darstellt, sondern in der nicht existenten Fortsetzung andere bzw. anders angewandte Ethisierung-Strategien zum Einsatz gekommen wären. Der Transvestitismus Achills scheint mir daher nicht narrativer Selbstzweck oder Notwendigkeit in der Achilleis zu sein, sondern Katalysator und Metapher für die poetologische Konzeption, die in diesem Rahmen auch liebeselegische Intertexte nutzt, die dem generischen downsizing und der Pathosreduktion dienen.231 Dies betrifft zum einen die Handlungsebene, auf der ein nicht ausschließlich epischer Achill erscheint; es betrifft aber auch die Ebene des impliziten Autors: Das Alter erscheint, wie bereits gesagt, in der Achilleis selbst in den Figuren des Chiron und Lycomedes als kraftlosere und unmännlichere, und damit unepischere Zeit. Für den biographisch lesenden Rezipienten zeigt sich mit der Achilleis also ein Autor, dessen Kräfte aufgrund seines Alters nur für einen in dieser Weise konzipierten, d. h. pathosreduzierten Achill ausreichen. Insofern kann er auch im Proöm als praeludium für ein Domitian-Epos erscheinen (A. 1,18 f.), das mit seiner mittlerweile dritten Recusatio232 auch für die hartnäckig Hoffenden wohl auf eine niemals eintreffende Zukunft verschoben ist. Denn die Achilleis ist bereits das Alterswerk und sogar Homer kam nicht über ein zweites Epos hinaus. Zudem müsste es sich bei dem Domitian-Epos um ein martialisches Epos handeln,233 für das Statius fortior dichten müsse (Th. 1,32), wie er aber selbst bekennt: nos fortior aetas / iam fugit (Silv. 5,2,158 f.). Im Rahmen ihrer weitgespannten Untersuchung gerät fast unausweichlich die Betrachtung Achills bei Statius etwas zu einseitig viril, da es ihr stärker auf den Initiationscharakter des cross-dressing, also den Weg zum Männlichen an sich ankommt, als auf die in dieser Arbeit betonte Entwicklung Achills, der beide Züge, Liebender und Krieger, in sich vereint und damit allegorische Spiegelung des Ethos-Epos wird. 229 Vgl. auch Thetis’ Aufforderung: paulumque animos submitte viriles / atque habitus dignare meos (A. 1,259 f.). 230 Ausführlicher dazu s. zum zweiten Buch. 231 Vgl. auch McAuley 2010, 58: »[…] Achilles’ gender ambiguity has become a figure for the strategies of generic appropriation, cross-fertilisation, supplementation and transformation to any new composition of epic itself.« 232 Sc. nach Th. 1,17b–33a und Silv. 4,4,95–100. 233 Vgl. Th. 1,17 f.: Itala nondum / signa nec Arctoos ausim spirare triumphos und Silv. 4,4,95 f. arma […]/Ausonii maiora ducis, sowie die pointierte Gegenüberstellung von Domitians literarischen und militärischen Erfolgen mit Übergewicht auf letzteren in A. 1,15 f. Vgl. außerdem Silv. 4,2,46 f., wo Domitian mit Mars verglichen wird.

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In Plutarchs Schrift über die politische Betätigung der Alten findet sich ein Vergleich mit Herakles’ Aufenthalt in Frauenkleidern bei Omphale, dessen Kontextualisierung auch für die Achilleis aufschlussreich ist: Ein Mann, der sich aus Altersgründen von der aktiven Politik zurückziehe, gleiche diesem feminisierten Heros. Feminin konnotierte Vergnügungen wie entsprechende Gewänder oder das Spiel auf Musikinstrumenten statt des Umgangs mit Waffen werden mit einer altersbedingten Ablehnung der männlichen Rolle im Staat verglichen.234 Gerade der Verweis auf Hercules dient Thetis in der Achilleis als ein Argument, ihren Sohn vom Aufenthalt auf Skyros zu überzeugen (A. 1,260 f.); in der Folge verhält er sich auch wie dieser bei Omphale (A. 1,570–587/654 f.). Einen Parallelfall für den von Plutarch kritisierten Rückzug aus der Politik bietet Lycomedes, der gerade Altersgründe für sein Fehlen im trojanischen Krieg vorgibt (A. 1,775–783), ja genau diese Eigenart ist ja für Thetis ausschlaggebend für die Wahl der Insel Skyros als Versteck (A. 1,207–209).

2.2.4 Altersschwäche des Erzählers/Dichters Neben den bisher herausgearbeiteten Strategien, die zur Lösung des Pathos ins Ethos führen, wie Ps.Longin (9,15) es formuliert, und die sich auf generische Differenzierung zum Pathosepos konzentrieren, sollen nun im Folgenden solche Strategien in den Blick genommen werden, die verstärkt auf den impliziten Autor als alternden Mann abzielen und ebenfalls von Ps.Longin vorgebracht wurden. Hinter der Themenwahl (amor statt bella) und der geringeren emotionalen Intensität des Ethos steht die Vorstellung von der Schwachheit des Alters. Somit treten Ermüdung in Form von Verkürzung, Abbruch und Auslassung sowie Weitschweifigkeit und Langsamkeit hinzu. So wird eine potentiell eskalierende Situation aufgebaut bzw. anhand intertextueller Bezüge evoziert, um aber dann gleich konterkariert zu werden, nicht selten übrigens durch andere Intertexte. Zum Beispiel wird die Trauer der Natur und Naturwesen darüber, dass Thetis Achill von Chiron entführt habe, durch intertextuelle Referenzen zu Vergils Eklogen bukolisch getönt.235 Eine Pathos-Reduktion durch Abbruch bzw. in verwandter Form auch durch Verkürzung bzw. Miniaturisierung wird in folgender Weise erreicht.236 Epische Konventionen werden aufgerufen, aber nicht in epischer Form erfüllt. Vergleicht man bspw. die Kriegsvorbereitungen im ersten Buch der Achilleis mit dem Pendant in der Thebais,237 so lässt sich allein anhand der Zahlen der Unterschied schon ermessen: Für einen regionalen Konflikt um Theben werden 234 Plut., An seni 785e-f. 235 Vgl. die Ausführungen zu A. 1,237–241. 236 Vgl. als Kontrast dazu die sublimen Effekte, die Vergil in der Aeneis durch Miniaturisierungen erreicht, wie sie von Young 2013 herausgearbeitet werden. 237 Vgl. die Ausführungen zu A. 1,397–446.

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umfangreiche Vorbereitungen im dritten Buch und ein mehrere hundert Verse umfassender Katalog im vierten Buch aufgewendet. Vergleicht man dagegen die Größe des trojanischen Krieges als eines gemeingriechischen Unternehmens gegen einen auswärtigen Feind überraschen die Proportionen: Nur fünfzig Verse gestattet sich Statius, knapp über 160 rechnet man die gesamte Szene zusammen. Diese Kondensierung lässt sich sowohl im Großen bei der Proportionierung wie auch bei der Ausgestaltung von Details bemerken. Wo die T ­ hebais­ Beschreibungen, Gleichnisse und Exkurse häuft, verknappt die Achilleis bis zur bloßen Erwähnung. Biographisch hat dies Dilke in seinem Kommentar gedeutet: Die Kriegsvorbereitungen seien der am wenigsten interessanteste und mechanischste Teil. Man fühle, dass der Dichter Kriegsbeschreibung leid sei und dass viele Beschreibungen nur wenig mehr als Variationen ähnlicher Stellen in der Thebais seien.238 Diese biographische Interpretation lässt sich für die Selbst­stilisierung nutzbar machen: Die deutlichen Bezüge zum Vorgängerwerk laden zum Vergleich ein; die Verkürzung und geringe Variation suggeriert einen ermüdeten Dichter, dem – ganz Ps.Longin entsprechend – eine durchgehend beibehaltene Spannung und Erhabenheit nicht mehr möglich sind. Der dramatische Charakter, also die Gestaltung in wechselnden Reden, wie sie besonders in den Kriegsvorbereitungen des dritten Thebais-Buches zu finden sind, ist einer erzählenden, d. h. berichtenden Form gewichen. Weitere Beispiele für eine solche Reduzierung finden sich in der Prophezeiung Neptuns: Statt einer Szene mit Götterversammlung und Beschluss, berichtet Neptun nur noch knapp das Ergebnis (1,81–83);239 oder auch im Vergleich von Lycomedes mit seiner Parallelfigur in der Thebais, dem ebenfalls alternden König Adrast. Im ersten Buch der Thebais erklärt Adrast seinen Gästen und zukünftigen Schwiegersöhnen240 Polynices und Tydeus ausführlich die ­Aitiologie eines gerade stattfindenden Festes (Th. 1,557–672).241 Lycomedes hingegen in der Achilleis scheint da wesentlich zurückhaltender: Nur indirekt und knapp werden seine Worte anlässlich des Bacchusfestes wiedergegeben, bei dem auch sein zukünftiger Schwiegersohn Achill, jedoch unerkanntermaßen, anwesend ist (A. 1,598–600). Auch Odysseus und Diomedes, die er gern als Schwiegersöhne gewinnen würde,242 werden nur Rituale für Bacchus und Pallas angekündigt; auf eine aitiologische Erläuterung verzichtet Lycomedes (A. 1,812–814).243 238 Dilke p. 10: »We feel that the poet is weary of recounting wars, and many of the descriptions are little more that variations on similar descriptions in the Thebaid.« 239 Vgl. Schetter 1960, 145 und meine Ausführungen ad loc. 240 Vgl. Th. 1,494–497. 241 Vgl. auch die aitiologische Erzählung Euanders in Aen. 8,185–275. Zu Adrasts Erzählung von Linus und Coroebus in Kontrast zur Aeneis vgl. Ganiban 2007, 9–22 und bes. Walter 2010. 242 Vgl. A. 1,782 f. 243 Weiteres zu den epischen Greisen s. o. 2.2.1.

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Gewissermaßen als Ausgleich zu der im Alter nachlassenden Spannkraft steht die bei Ps.Longin erwähnte Weitschweifigkeit des Erzählens. Auch hier lässt sich ein Vorwurf Dilkes umkehren: Statius Formulierungen seien zu wortreich, z. B. brauche Thetis mit fast 20 Versen zu lang für ihre Überlegungen, wo sie ihren Sohn verstecken solle.244 In der Tat werden Thetis nächtliche Überlegungen recht ausführlich geschildert, und entsprechen in ihrem gedankenreichen Abwägen der verschiedenen Möglichkeiten dem Bild eines alten Menschen, der aufgrund langer Erfahrung vor einer Entscheidung länger abwägend zögert bzw. dem Bild eines alternden Dichters, der diesen Erwägungen so viel Raum gibt.245 Für einen modernen Leser müsste man hier zwischen dem Erzähler unterscheiden, der sich als Alternder gebärdet, und dem Autor, der diesen Erzähler erschafft. In antiker Perspektive wird da nicht in gleicher Weise unterschieden, worin Whitmarsh zurecht weniger ein Defizit sondern vielmehr ein Spezifikum der antiken Relation Dichter-Leser sieht.246 Servius z. B. kommentiert den Anfang der Aeneis folgendermaßen: multi varie disserunt cur ab armis Vergilius coeperit (viele handeln unterschiedlich darüber, warum Vergil mit »Waffen« beginnt).247 Mag man das noch im Rahmen eines auktorialen Proöms erklären wollen, so wird aber Vergil und nicht ein Erzähler gelobt, wenn Aeneas sich auf einen Ausblickspunkt zurückzieht, als seine Gefährten andere Aufgaben übernehmen (Aen. 1,180): merita personarum vilibus officiis interesse non debent: quod bene servat ubique ­Vergilius, ut hoc loco, item in sexto cum diversis officiis Troianos diceret occupatos, ait »at pius Aeneas arces quibus altus Apollo / praesidet« […].248 Personen von Wichtigkeit dürfen nicht an nichtigen Aufgaben teilhaben: Das beachtet Vergil überall gut, wie hier; ebenso sagt er auch im sechsten Buch, als er die Trojaner mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt bezeichnet, »aber der fromme Aeneas [eilt zu] den Burgen, denen der hohe Apoll vorsteht« [Aen. 6,9 f.].

Ähnliches finden wir auch in der Homerkommentierung. So fragt ein Scholion zum Anfang der Ilias: ζητεῖται, διὰ τί ἀπὸ τῶν τελευταίων ἤρξατο καὶ μὴ ἀπὸ τῶν πρώτων ὁ ποιητής. (Es fragt sich, warum der Dichter mit den letzten Ereignissen angefangen hat und nicht mit den ersten [sc. im letzten Kriegsjahr 244 Dilke p. 13: »In several places the wording is too lengthy: at 1,198 ff. Thetis takes a long time deciding where to hide Achilles […].« 245 Zum zögerlichen Alten vgl. z. B. Aristoteles, Rhet. 2,13 (bes. 1389b18–20) und Horaz, Ars 170–172. 246 Whitmarsh 2013, dort auch weitere allgemeine Überlegungen zu dem Phänomen einer fehlenden antiken Unterscheidung zwischen Erzähler und Autor. 247 Serv. in Aen. comm., p. 5,12 Thilo-Hagen. 248 Serv. in Aen. comm., p. 72,8–11 Thilo-Hagen.

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des trojanischen Krieges]).249 Und etwas später im ersten Buch gibt eine auktoriale Charakterisierung von Agamemnons Blick auf Kalchas Anlass zu folgender Deutung: πάλιν τοίνυν ὁ ποιητὴς τοῦ Ἀγαμέμνονος μέλλοντος λέγειν πρὸς τὸν Κάλχαντα ›μάντι κακῶν‹ καὶ τὰ ἑξῆς, προδιετύπωσεν ἡμῖν τοὺς λόγους διὰ τοῦ ›κάκ‹ ὀσσόμενος […]. Wiederum also hat der Dichter, als Agamemnon im Begriff ist zu Kalchas »Seher von Übeln« und das Folgende zu sagen [Il. 1,106], uns die Worte vorher in ihrem Charakter vorgeformt durch »übel anblickend«.250

Explizit der Dichter, nicht ein Erzähler bereitet motivisch und lexikalisch den Leser vor. Wie darüber hinaus Ps.Longin selbst zeigt, wird in biographisierender Deutung von der Beschaffenheit des Textes inklusive Erzähler auf den Autor und seine Konstitution geschlossen.251 In der modernen Diskussion ist eine Unterscheidung zwischen Erzähler und Autor in narratologischer Sicht sinnvoll, aber vor dem antiken Leserhorizont, vor dem die hier untersuchte Selbststilisierung notwendigerweise stattfinden muss, gerade nicht.252 Hier lässt sich auch eine weitere Verbindung zu den rhetorischen Grundlagen der hier entwickelten Alterswerk-Debatte ziehen: Zumindest in der römischen Rhetorik ist der Verfasser der Rede auch deren Vortragender. In analoger Weise ist für den Leser der Erzähler im Epos mit dem schreibenden Urheber des Epos, dem Autor, zu identifizieren. Durch den Bezug im Achilleis-Proöm auf das Vorgängerwerk Thebais (A. 1,8–13) gibt sich der Sprecher als der Dichter Statius zu erkennen und der Leser wird darum den Übergang vom Proöm zur Handlung mit dem nahezu metasprachlich markierten Proömschluss und Handlungsbeginn praeludit Achilles (A. 1,19) gerade nicht als Wechsel des Sprechers von Autor zu Erzähler begreifen. Den Status des Erzählers der Achilleis müsste man in Genetteschen Begriffen253 als extradiegetisch-heterodiegetischen Autoren-Erzähler klassifizieren, wobei, wie ausgeführt wurde, vom zeitgenössischen Publikum der ›Autor‹-Anteil als Identifikation mit dem historisch-realen Autor Statius wahrgenommen wurde und nicht als separate Zwischeninstanz. Der Erzähler der Achilleis ist zwar eine textintern namentlich nicht identifzierte und außerhalb des Proöms 249 Schol.bT Il. 1,1b 250 Schol.bT Il. 1,105b. 251 Vgl. auch Koster 2008 zur Selbstdarstellung des Autors in den homerischen Epen, sowie Graziosi 2013 zur götternahen Stellung des dichterischen Ichs in der Ilias und den Konsequenzen für die Erzählweise (Zeit und Ort etc.) betreffend. 252 Núňez 2009 dagegen bspw. konzentriert sich am Beispiel von Heliodors Aithiopika auf das Ethos des Erzählers, wobei für den antiken Leser dieser Erzähler im sich am Ende des zehnten Buches explizit identifizierenden Autor aufgehen dürfte. In umgekehrter Richtung ist dies im Proöm der Achilleis der Fall: s. o. B 2.1. 253 Genette ³2010, 148 f. und 161 f.

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auch nicht direkt in Erscheinung tretende Person. Die Einpassung in ein Gesamtwerk, nämlich durch die Relation zum Vorgängerwerk Thebais (A. 1,8–13), ermöglicht dem antiken Leser aber den gesuchten Anschluss für eine biographische Deutung, so dass es zu einer Verschmelzung von Erzähler und implizitem Autor kommt. Dabei beobachtet der moderne Leser eine Analogie zu dem Phänomen, das Genette »narrative Metalepse«, den »Übergang von einer narrativen Ebene zu anderen« nennt.254 Denn der historische Autor Statius wird in der Leserwahrnehmung zum Erzähler des Epos, die Grenze zwischen Text- und Leserwelt wird dadurch überbrückt. Auch die Wahl des Themas, des verliebten Achills, lässt sich m. E. nicht nur im Rahmen der elegischen Tradition deuten (s. o. B 2.2.2.), sondern findet auch in der antiken Diskussion der psychischen Disposition Alternder einen Anknüpfungspunkt. Die Erlahmung des Gefühlslebens und speziell des Lust­triebes ist topischer Bestandteil in der Beschreibung der Alten.255 Beispiele in der Achilleis sind Chiron und Lycomedes, für die jeweils neben ihrer gegenwärtigen Erscheinung auch ein Vergleich zu ihrer früheren Konstitution gezogen wird (s. o. B 2.2.1.). Demgegenüber stehen als größtmöglicher Kontrast die Jugend und die Gefühlsintensität Achills, die jedoch sowohl in amourösen wie auch anderweitig emotionalisierten Umständen mit einer komischen Brechung, in prononcierter Verhüllung oder deutlicher Reduzierung inszeniert werden.256 Ostentativ wird Achill als puer von den Figuren und vom Erzähler tituliert,257 es wird gewissermaßen ein nostalgischer Blick eines alternden Dichters auf die Vergangenheit des iliadischen Heros, den verliebten Jüngling, inszeniert. Zu diesem nostalgischen Rückblick gehört auch die Achill in den Mund gelegte Kindheitsgeschichte im zweiten Buch (A. 2,96–167), die auch einen Rückblick auf den im Vergleich zum ersten Buch258 jüngeren Chiron enthält. Der Rückblick auf die Kindheit und Jugend ist gewissermaßen Sinnbild für den literargeschichtlichen Blick zurück auf den Anfang der Epik: individuelles Alter und literargeschichtliche Spätheit konvergieren in der Neigung zur Rückschau. Der einzige amor, zu dem der Erzähler selbst noch fähig ist, ist das Verfassen eben dieses Epos (vgl. 1,5), genau die Art von Betätigung, die z. B. Cicero in der Person des Cato259 als leviora studia auch einem alten Römer empfehlen kann (de sen. 50). Als Beispiele nennt Cicero Naevius’ Bellum Punicum und Plautus’ Pseudolus und Truculentus. Diese Beispiele dürften mit Blick auf das Alter der Verfasser, nicht auf den generischen Status der Werke gewählt sein, da Epos und Komödie ohne 254 Genette ³2010, 152. 255 Vgl. z. B. Platon, resp. 329c; Cic., de sen. 39; Plut., An seni 786a; für Weiteres s. A 2.1. 256 Vgl. die Ausführungen zu 1,301–317; 640–649; 885–888. 257 Insgesamt zehnmal im ersten Buch: von seiner Mutter: 1,128/136/252/273; von ­Calchas: 1,534; von Deidamia: 1,947; vom Erzähler: 1,188/247/302/578. 258 Dort auffällig doppelt markiert in 1,106: longaevum und 1,123: senis. 259 Vgl. de sen. 3.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

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Hierarchie nebeneinander stehen.260 Eine zusätzliche Pointe gewinnt Statius aber dadurch, dass er unter den ohnehin im Vergleich zur politischen Tätigkeit als ­leviora studia zu bezeichnenden Aktivitäten,261 auch nicht einmal zum generisch höchstrangigen Kriegsepos wie Naevius, sondern ›nur‹ zu einem darunter stehenden zweiten Epos wie Homers Odyssee, befähigt erscheint.262 In doppelter Weise präsentiert sich also die Achilleis als altersbedingtes studium levius: als dichterische Betätigung überhaupt und dann zusätzlich auch innerliterarisch als thematisch leichtgewichtigeres Werk gegenüber der Thebais.263

3. Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums Die vielfältige generische Anreicherung der Achilleis in der Epos-Konzeption ist bereits angesprochen worden. Dabei sorgen generic interfaces, wie sie im Titel eines aktuellen Sammelbandes genannt werden,264 für eine Inkorporierung, die nicht zu einer Zusammenstellung von beziehungslos Bleibendem oder einem Zerbrechen einer generischen Konzeption führt, sondern zu einer wechselseitigen Bereicherung. Die Elegie besitzt, wie gesagt, in ihrem poetologischen Diskurs ein sie definierendes interface zur Epik, das von Statius für die Achilleis genutzt wird (s. o. B 2.2.2.). Im Folgenden möchte ich darum gewissermaßen als exemplarische Zusammenschau ein weiteres interface in seinem Funktionieren vorführen: den Bezug zum Epithalamium.265 Diese Gattung bietet sich auch 260 Allzu spitzfindig und spekulativ dürfte es sein, hier den zuweilen in der Forschung betonten Odyssee-artigen Charakter der Komposition von Naevius’ Bellum Punicum heranzuziehen. Umstritten ist, ob die Vorgeschichte des punischen Krieges bis auf Aeneas tatsächlich in einer eingelegten Erzählung nach Art der Odyssee eingebaut worden ist, wie es z. B. von Albrecht 1999, 48 und Goldberg 2005, 433 vermuten, oder in einem »mythischen Vorbau« chronologisch in den ersten drei Büchern präsentiert wurde, wie Häußler 1976, 96 f.­ argumentiert. 261 Vgl. dazu auch dichterische Betätigung und politisches Wirken in Silv. 4,4 (s. B 1.). 262 Allerdings spielt das in Ps.Longins Synkrisis anzutreffende, kontextbedingte apologetische Moment (9,11–15) für Statius m. E. nicht die entscheidende Rolle (vgl. dazu A 2.3.). 263 Für levis als literarkritischen Begriff vgl. McKeown zu Am. 1,1,19–20. Besonders interessant ist dabei Met. 10,152–154: nunc opus est leviore lyra, puerosque canamus / dilectos­ superis inconcessisque puellas / ignibus attonitas […]. 264 Papanghelis/Harrison/Frangoulidis 2013. 265 Allgemein zum Epithalamium vgl. den Überblicksartikel von Keydell 1962 und die Einleitung von Horstmann 2004, 19–96 (88–96 auch zum Epithalamium in der Rhetorik); speziell zu den Epithalamia in der frühgriechischen Dichtung vgl. Contiades-Tsitsoni 1990, bes. Kap. 4. Unter den älteren Arbeiten sind u. a. zu nennen: Morelli 1910 (zum spätantiken Epithalamium, mit einer einleitenden Übersicht über die Entwicklung bis Statius 319–335),­ Mangelsdorff 1913 (Konzentration auf lyrische Epithalamia; bezeichnenderweise wird (vgl. p. 14) Theokrit 18 herangezogen, mit dem Ziel einer Rekonstruktion der verlorenen Hochzeits-

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deswegen an, weil eine thematische Linie – die Vereinigung zweier Liebender – sie mit der Elegie und der Komödie verbindet. Zusätzlich gibt es, soviel sei schon vorausgreifend gesagt, in einem wichtigen Intertext, Statius’ Epithalamium Silv. 1,2, gerade einen elegischen Dichter als Bräutigam. Doch bevor wir uns Statius zuwenden, möchte ich eine generelle Frage aufgreifen, die auch im Hintergrund vieler Überlegungen in der folgenden Detailanalyse (C) stehen wird: Soll der Leser alle Intertexte erkennen bzw. hängt die Sinnstiftung beim Leser vom Identifizieren der Anspielungen ab? Kyle Gervais hat in einem Aufsatz über diese grundlegende Frage durch eine moderne Analogie aufschlussreiche Beobachtungen gemacht. Er vergleicht Tydeus’ Aristie im zweitem Buch der Thebais mit dem höchst intertextuell ausgerichteten Kampf von Beatrix Kiddo am Ende von Tarantinos Kill Bill Vol. 1: »The dense allusions are an important ›distancing device‹. […] The obscurity of the references and the speed with which they are deployed guarantees that even the most competent viewer will be unable to do more than acknowledge that a reference has been made before noticing the next one. This would have been equally true for ­Statius’ contemporary audience at a recitation of Tydeus’ monomachy. […] There is a fundamental conflict between the process of φαντασία – which allows the audience to imagine itself as part of the fiction – and allusion – which casts the author and his ­audience above the fiction, opening and closing textual gaps.«266

Was Gervais als Konflikt beschreibt, kann man auch als zwei unterschiedliche Rezeptionsmodi begreifen: einen unmittelbaren, der darauf abzielt, nicht die exakte Anspielung auszumachen, sondern eine allgemein als intertextuell zu erfassende Atmosphäre zu genießen; sowie einen kontemplativeren, bei dem der Leser ein besonderes Vergnügen gerade daraus bezieht, dass er den einzelnen intertextuellen Spuren nachgeht bzw. nachgehen kann.267 Die folgende Diskussion der epithalamischen Ausrichtung des ersten Buches der Achilleis konzentriert sich eher auf den zweiten Modus. Allerdings sei hinzugefügt, dass bei einem philologisch geschulten Publikum wie demjenigen des Statius, die theoretisch anzusetzende Grenze zwischen den beiden Modi ohnehin nicht so scharf zu ziehen ist. lieder Sapphos und ihrer Charakteristika; daneben spielen bes. Cat. c. 61 und 62 eine wichtige Rolle), Wheeler 1930 (zur epithalamischen Tradition, auch bei den Rhetoren, unter besonderer Berücksichtigung der Kenntnis dieser Tradition für das Verständnis von Cat. c. 61) und Muth 1954 (eine Begriffsuntersuchung zu Hymenaios und Epithalamion). 266 Gervais 2013, 148 f. 267 Offen bleibt dabei natürlich die Frage nach den unterschiedlichen Publikumskreisen: Ist die Thebais, so wie es Iuv. Sat. 7,82–87 mit Blick auf die Massenwirkung präsentiert (s. dazu B 1.), in gleicher Weise wie ein Film Tarantinos geeignet, von höchst disparaten Rezipientengruppen vom filmischen Laien bis zum Intellektuellen oder Filmwissenschaftler goutiert zu werden? Oder erfordert der poeta doctus in stärkerem Maße einen lector doctus? Vgl. dazu auch die knappen Überlegungen zur flavischen Leserschaft bei Boyle 2003, 49 f. Fn. 154.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

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Am Anfang der Betrachtung möge eine Passage stehen, die m. E. zentral für einen Konnex zwischen Statius’ Epithalamium Silv. 1,2268 und der Achilleis ist. Die Parallele wird von allen Kommentatoren zwar durchaus als verbale Parallele notiert, ihre intertextuelle Prägnanz ist allerdings bisher kaum gewürdigt worden.269 Nachdem Thetis ihren Sohn vom Kentauren Chiron entführt hat, sieht dieser den beiden Abreisenden nach (A. 1,232–241):   prosequitur divam celeresque recursus securus pelagi Chiron rogat udaque celat lumina et abreptos subito iamiamque latentes erecto prospectat equo, qua cana parumper spumant signa fugae et liquido perit orbita ponto. illum non alias rediturum ad Thessala Tempe iam tristis Pholoe, iam nubilus ingemit Othrys et tenuior Sperchios aquis speluncaque docti muta senis; quaerunt puerilia carmina Fauni et sperata diu plorant conubia Nymphae.

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Chiron folgt der Göttin und bittet, unbesorgt hinsichtlich des Meeres, um schnelle Rückkehr, verbirgt seine feuchten Augen und den plötzlich Entrissenen schaut er mit emporgerecktem Pferdeleib nach, ihnen, die jetzt verborgen sind, wo die weißen Zeichen der Flucht für kurze Zeit schäumen und im wässrigen Meer der Pfad untergeht. Über jenen, der nicht wieder ins thessalische Tempetal zurückkehren wird, seufzt schon traurig der Berg Pholoe, der wolkige Othrys, der Sperchios, der weniger Wasser führt, und die stummen ­Grotten des gelehrten Greises; es fragen die Faune nach den Gesängen des Knaben und Nymphen beweinen Hochzeiten, auf die sie lange gehofft hatten.

Dieselben Personen, Chiron und Thetis, tauchen auch in Silv.1,2 auf. In dieser Silve wird die Hochzeit von Stella und Violentilla gefeiert und mit der Hochzeit von Peleus und Thetis verglichen (Silv. 1,2,215–217): Thessala nec talem viderunt Pelea Tempe cum Thetin Haemoniis Chiron accedere terris erecto prospexit equo. So hat das thessalische Tempe Peleus nicht erblickt, als Chiron mit emporgerecktem Pferdeleib in der Ferne sah, dass Thetis sich Haemonien näherte.

268 Vgl. zu diesem insbes. die grundlegenden Analysen von Vessey 1972 und Pederzani 1991, sowie die Interpretation von Newlands 2002, Kap. 3. Nach Vollmer bietet Pederzani bisher den aktuellsten Kommentar. Statius’ Epithalamium ist in der spätantiken Literatur eine reiche Rezeption zuteil geworden: vgl. dazu Pavlovskis 1965 und Horstmann 2004. 269 Vgl. die Kommentare von Jannaccone und Dilke bis Ripoll und Nuzzo (Ripoll spricht zusätzlich noch von einer variatio).

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

Zwei wörtlich sehr nahe Hexameteranfänge – erecto prospectat equo und erecto prospexit equo – illustrieren Chirons Zwienatur als Mensch und Pferd und verbinden zugleich beide Passagen. Noch entscheidender ist jedoch der Kontext: In Silv. 1,2 sieht Chiron Thetis zu ihrer Hochzeit herannahen. In der Achilleis hingegen sieht der Leser Chiron ein zweites Mal270 nach Thetis Ausschau halten. Die Junktur rediturum ad Thessala Tempe in A. 1,237 erscheint vor diesem Hintergrund metapoetisch aufgeladen: Dieser Vers greift Anfang und Ende von Silv. 1,2,215 auf, und red-iturum in Verbindung mit re-cursus in A. 1,232 verweist auf Chirons zweites Ausschauen nach Thetis. Bei Chirons zweitem Blick in der Achilleis nähert sich Thetis zwar nicht, sondern entfernt sich und bringt ihren Sohn nach Skyros. Allerdings nähern sich beide ebenfalls einer Hochzeit. Denn auf Skyros wird Achill sich in Deidamia verlieben (1,300–306) und das Buch mit einer Hochzeit beider enden (1,925 f.). Die zukünftige Hochzeit kündigt sich bereits in der Enttäuschung der Nymphen an: Sie werden eines Ehemanns beraubt, Deidamia hingegen wird ihn bekommen.271 Zwei weitere Details gehören zu diesem Nexus: Chirons Grotte wird in A. 1,239 f. genannt. Bei der ersten Erwähnung dieser Grotte in der Achilleis erfährt der Leser, dass dies gerade der Ort ist, wo die Hochzeit von Peleus und Thetis stattfand (conubialia antra).272 Als sich Thetis also Thessalien nähert, um ihren Sohn zu holen (­1,98–100), kehrt sie zu dem Ort zurück, von dem auch im Epithalamium der Silven die Rede ist. Außerdem wird Achill in der Achilleis mehrmals als Sänger vorgeführt,273 u. a. auch als Element bei der Verführung Deidamias, bei der er sich an den praecepta aus Ovids Ars orientiert.274 Die elegische Facette in Achills Charakter hat, wie bereits angedeutet, einen Gegenpart in Silv. 1,2: Der Bräutigam Stella ist ebenfalls ein Dichter und seine elegische Dichtung, mit der er seine zukünftige Frau zu gewinnen trachtete, ist mehrfach Thema in der Silve.275 Statius spielt mit der autobiographischen Fiktion der Elegie und sagt seinem Dichterkollegen anlässlich der Hochzeit, dass er die Grenzen der elegischen Welt nicht mehr einhalten müsse (Silv. 1,2,33–37): 270 Die Silve selbst lässt sich auf etwa 90 n. Chr. datieren (vgl. die Übersicht bei Nauta 2002, 443); die Veröffentlichung des ersten Silven-Buches ist entweder bei separater Publikation auf etwa 92 anzusetzen (so z. B. Nauta 2002, 289) oder bei zusammenhängender Veröffentlichung der ersten drei Bücher auf 93/94 (vgl. z. B. Hardie 1983, 64 f.), in beiden Fällen jedoch vor der Achilleis. 271 Auf einer zweiten Ebene hat die Trauer der Nymphen auch eine düstere Note, da Achill vor Troja sterben und nicht mehr zurückkehren wird: vgl. dazu die Ausführungen zu A. 1,240 f. 272 A. 1,101 f. 273 A. 1,188–194; 572–579. 274 Vgl. die Ausführungen zu 1,572–579. 275 Silv. 1,2,29–37; 95–99 (ein Spiel mit der Recusatio-Form, denn es wird Stellas Fähigkeit zur Komposition von Epen betont und zugleich seine Entscheidung für die Elegie heraus­ gestellt); 172 f.; 195–200.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

     pone, o dulcis, suspiria, vates, pone: tua est. licet expositum per limen aperto ire redire gradu: iam nusquam ianitor aut lex aut pudor. amplexu tandem satiare petito (contigit) et duras pariter reminiscere noctes.

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Lass, lieblicher Dichter, lass die Seufzer: Sie ist dein. Du kannst über die offene Schwelle mit sichtbarem Schritt zurückkehren: Kein Türhüter mehr, kein Gesetz oder Anstand[, die dich hindern]. Sättige dich endlich mit der ersehnten Umarmung (es ist geglückt) und erinnere dich zugleich an die harten Nächte.

Diese Art des humoristischen Umgangs mit elegischen Konventionen setzt sich in der Beschreibung von Violentillas Reaktion auf Venus’ Rede fort, mit der diese sie zur Hochzeit mit Stella überreden möchte.276 Violentilla solle nicht länger die Rolle der elegischen puella dura spielen (Silv. 1,2,195–200):277      redeunt animo iam dona precesque et lacrimae vigilesque viri prope limina questus Asteris et vatis totam cantata per Urbem, Asteris ante dapes, nocte Asteris, Asteris ortu, quantum non clamatus Hylas. iamque aspera coepit flectere corda libens et iam sibi dura videri.

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Es kommen ihr wieder die Geschenke und Bitten in den Sinn, die Tränen und die wachenden Klagen des Mannes an der Türschwelle, und die Asteris des Sängers [= Violentillas elegisches Pseudonym], in der ganzen Stadt besungen, Asteris vor dem Mahl, Asteris in der Nacht, Asteris bei Tagesanbruch,278 wie man nicht nach Hylas geschrien hat. Und schon begann sie ihr hartes Herz zu erweichen und sich selbst spröde [dura] zu erscheinen.

Passenderweise wird am Anfang von Silv. 1,2 Elegea als zehnte Muse angerufen (1,2,7–10) und es werden am Ende die kanonischen Elegiker genannt, die sich gefreut hätten, Stellas Hochzeit zu preisen (Silv. 1,2,250–255):      sed praecipue qui nobile gressu extremo fraudatis epos, date carmina festis

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276 Es ist jedoch eine gewisse Ironie hier dabei, denn Violentilla war bereits zuvor verheiratet und Venus drängt sie, eine zweite Ehe nicht zu verschmähen (Silv. 1,2,162–165). Dadurch steht Violentilla Vergils Dido näher als Statius’ Deidamia. 277 Für Violentilla als elegische puella dura vgl. Newmyer 1979, 31 und Zeiner-Carmichael 2007, 167 f.; Hersch 2007, 201 sieht neben der elegischen Note, die mit dem Elegiker Stella zusammenhängt, einen weiteren Hintergrund für die Porträtierung der Violentilla als ­puella dura in der strukturellen Analogie zum Epos, wo durch göttlichen Eingriff (hier: Venus’ Überzeugungsrede) Figuren und Handlungen motiviert werden. 278 Die dreifache Apostrophe der Asteris in Silv. 1,2,198 erinnert an den dreifachen Ruf nach Achill in A. 1,473–475.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

digna toris. hunc ipse Coo plaudente Philitas Callimachusque senex Umbroque Propertius antro ambissent laudare diem nec tristis in ipsis Naso Tomis divesque foco lucente Tibullus.

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Aber vor allem ihr, die ihr das edle Epos um den letzten Fuß beraubt, spendet Gesänge, würdig der Hochzeitsfeier. Diesen Tag zu loben hätten Philitas unter Applaus [seiner Heimatinsel] Kos, der Greis Kallimachos und Properz in seiner umbrischen Grotte wettgeeifert, auch Naso wäre selbst in Tomi nicht traurig gewesen und Tibull, reich an seinem flackernden Herdfeuer.

Neben anderen elegischen Intertexten finden wir hier ein Echo von Ovids metrischem Scherz aus Amores 1,1, der die Elegie vom Epos distanziert. Die Opposition Elegie-Epos ist, wie vielfach schon hervorgehoben, für die Achilleis von entscheidender Bedeutung. Umso reizvoller erscheint es nun, dass auch der epithalamische Intertext diese wichtige generische Bezugnahme widerspiegelt. Vielleicht lässt sich sogar eine weitere, sehr subtile intertextuelle Referenz ausmachen, die auf den Topos der militia amoris zurückgreift, und zwar in Odysseus’ Aussage, dass nur durch kriegerische Taten Männer Ruhm ernten können: non alias umquam tantae data copia famae / fortibus (A. 1,792 f.). In Silv. 1,2,31 f. hingegen sagt Statius zu Stella, dass er sich vor einer solchen Nacht, wie sie ihm bevorsteht, nicht fürchten solle: data copia tantae / noctis. Die Heldentat ist für den Elegiker nicht die Teilnahme am Krieg, sondern die Nacht mit der Geliebten, aus militärischem Ruhm wird in diesem intertextuellen Raum für Stella und Achill ein ehelicher.279 Es gibt noch einen weiteren Aspekt, unter dem Stella und Achill parallel betrachtet werden können. In Silv. 1,2,70–73 nutzt Statius das cognomen des Bräutigams für enkomiastische Zwecke. Einer der Amores sagt über Stella:      clarus de gente Latina est iuvenis, quem patriciis maioribus ortum Nobilitas gavisa tulit praesagaque formae protinus e nostro posuit cognomina caelo. Ein berühmter junger Mann ist er aus latinischem Geschlecht, den, von patrizischen Vorfahren stammend, der Adel freudig trug und ihm einen Beinamen geradewegs aus unserem Himmel verlieh, der seine Wohlgestalt vorhersagte.

Achills Verbindung zum Himmel wird gleich im zweiten Vers des Proöms deutlich gemacht, der auf den Mythos anspielt, dass Jupiter Thetis aufgrund einer Prophezeiung nicht geheiratet habe, da der Sohn der Thetis mächtiger als sein 279 Vgl. dazu auch die lautlich-verbale Parallele in A. 1,495 über den frühen Tod des Protesilaus vor Troja: primae iam tunc data gloria mortis, sowie den durch Ov. Her. 13 liebeselegisch konnotierten Protesilaus, dazu Parkes 2008, 394.

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Vater werde.280 Darum heißt es von Achill, es sei ihm verboten, dem Himmel sei­nes Vaters nachzufolgen: patrio vetitam succedere caelo.281 Allerdings findet nicht nur der Bräutigam Stella einen Widerhall in der Achilleis, sondern auch seine Frau Violentilla. Venus sagt über sie zu einem der Amores (Silv. 1,2,110–116):          nec colla genasque 110 comere nec pingui crinem deducere amomo cessavit mea, nate, manus. mihi dulcis imago prosiluit. celsae procul aspice frontis honores suggestumque comae. Latias metire quid ultra 115 emineat matres: quantum Latonia Nymphas virgo premit quantumque egomet Nereidas exsto. Weder Hals noch Gesicht zu zieren noch mit reichem Balsam ihre Haare zu verfeinern ließ nach, mein Sohn, meine Hand. Mir ähnlich wuchs sie heran.282 Von ferne sieh die ehrwürdige Schönheit der hohen Stirn und die hohe Tracht ihres Haars. Miss, wie weit sie die Matronen Latiums überragt: So wie die­ Latonische Jungfrau [Diana] die Nymphen übertrifft und wie ich unter den Nereiden hervorstehe.

In sehr ähnlicher Form steht Deidamia über ihren Schwestern: Sie ist pulcherrima turbae suae (A. 1,606 f.) und übertrifft ihre Schwestern (premit ipsa sorores, A. 1,608). Sie wird außerdem den gleichen Gottheiten, Venus und Diana, verglichen, die ihrerseits niedere Gottheiten übertreffen (A. 1,293–296): sed quantum virides pelagi Venus addita Nymphas obruit, aut umeris quantum Diana relinquit Naidas, effulget tantum regina decori 295 Deidamia chori pulchrisque sororibus obstat. Aber wieviel Venus im Vergleich die grünen Meeresnymphen übertrifft, oder an den Schultern Diana die Naiaden überragt, so strahlt die Königin des schönen Chores Deidamia hervor und steht ihren schönen Schwestern gegenüber.

Darüber hinaus ist Violentilla nicht nur Deidamia, sondern auch dem verkleide­ ten Achill vergleichbar. Wenn Thetis die Verwandlung Achills ausführt, verschönert sie ihn in einer Weise, die derjenigen entspricht, wie Venus die Violentilla verschönert hat (A. 1,326–328/343):283 280 Vgl. z. B. Ov. Met. 11,224–227. 281 Die Beinahe-Sohnschaft ist für Achill ein Element persönlichen Stolzes, wie in seiner Selbstoffenbarung Deidamia gegenüber in A. 1,650 f. deutlich wird. Zum Thema der QuasiSohnschaft vgl. Schetter 1960, 130 f. 282 Übersetzung nach Vollmer ad loc. 283 Gestützt wird die Parallelisierung auch durch das Diana-Gleichnis A. 1,344–348: Die Verschönerung Achills wird mit der Pflege der Diana durch ihre Mutter verglichen. Diana war in Silv. 1,2,115 f. und A. 1,294 f. ebenfalls Vergleichsobjekt für Violentilla bzw. Deidamia.

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  tum colla rigentia mollit submittitque graves umeros et fortia laxat bracchia et inpexos certo domat ordine crines […]. […] et admoto non cessat comere tactu. Dann macht sie den starren Nacken sanfter, erleichtert die schweren Schultern, entspannt die starken Arme und bezähmt mit sicherer Ordnung die ungekämmten Haare […]. […] und sie ließ nicht nach, ihre Hand zu nähern und [seine Haare] zu kämmen.

So überrascht dann vielleicht auch nicht mehr, dass Achill sogar einen Zug mit den Amores aus Silv. 1,2 teilt: einen feurigen Glanz auf dem Gesicht (plurimus ignis / ore, Silv. 1,2, 61 f.284 – natat ignis in ore, A. 1,161).285 Außerdem taucht in Silv. 1,2 und Achilleis 1 das Motiv der Nachkommenschaft, die den Eltern bzw. der Mutter ähnelt auf. Statius wünscht dem Brautpaar ein Kind, das vom Vater und noch mehr von der Mutter Anmut erhält (multum de patre decoris,/plus de m ­ atre feras, Silv. 1,2,272 f.). Die größere Nähe zur Mutter ist ein Zug, der bei Achills erstem Auftreten herausgestellt wird: plurima vultu / mater inest (A. 1,164 f.).286 Bei dieser Parallelbetrachtung von Silv. 1,2 und Achilleis lässt sich ein Vorschlag Barchiesis stützen: Dieser hatte durch Heranziehung des Anrufs der Erato in Aen. 7,37 die Vermutung geäußert, dass die namenlos bleibende diva in A. 1,3 ebenfalls Erato sein könnte.287 Interessanterweise wird nun genau diese Muse in Silv. 1,2,49 für die Aitiologie der Hochzeit angerufen. Neben diesen verbalen und motivischen Parallelen lassen sich auch strukturelle ausmachen. In Silv. 1,2 haben wir folgende Sequenz: Enkomion des Stella, dann der Violentilla; Auftreten einer Göttin (Venus), die die Hochzeit arrangiert und zuletzt die Hochzeit selbst mit den abschließenden guten Wünschen für die Zukunft.288 Im ersten Buch der Achilleis finden wir eine ähnliche Folge: Achill wird von Chiron gelobt; auf Skyros hat Deidamias blendende Erscheinung einen verführerischen Effekt auf Achill; Thetis nutzt diesen schwachen Moment seinerseits, um ihn zur Verkleidung zu überreden, wobei sie auf Nachkommenschaft hofft; dadurch bereitet sie die Vereinigung der beiden vor; am Ende des Buches schließlich folgt die Hochzeit und die Hochzeitsnacht, in der 284 In M ist ore überliefert, Courtney und Shackleton-Bailey übernehmen Heinsius’ Änderung zu torre. Zur Verteidigung der Überlieferung vgl. jedoch den Kommentar von Pederzani zu Silv. 1,2,61 (p. 65 f.). 285 Vgl. außerdem zuvor in 1,2,70: tua turba sumus, ein Echo von Am. 1,1,6, und Achills Aussagen in A. 1,910 turba sumus, wo Achill versucht, Lycomedes davon zu überzeugen, die Vergewaltigung Deidamias nicht zu bestrafen, da inzwischen eine Familie daraus entstanden sei. Achills Wortwahl erinnert an diejenige des Amors in Silv. 1,2 und Am. 1,1, auch wenn der Kontext sehr verschieden ist (die Amores wollen ihre Verbindung zu Venus betonen). 286 Vgl. auch Thetis’ Wunsch nach einem Enkel, der ein zweiter Achill sein möge (A. 1,321 f.). 287 Barchiesi 1996, 59 f. 288 Silv. 1,2,65–102 – 103–139 – 139–200a – 200b–265 – 266–277; vgl. Vessey 1972, 185.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

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das Paar über die Zukunft spricht.289 Diese makrostrukturellen Analogien finden sogar in der Passage aus Silv. 1,2, mit der die Diskussion begann, ein Echo: Vor der Erwähnung der Hochzeit von Peleus und Thetis als Vergleichspunkt für Stella und Violentilla, nimmt Statius Bezug auf Paris’ Entführung von Helena.290 In der Achilleis bildet diese Entführung den Startpunkt für die Erzählung nach dem Proöm.291 Darüber hinaus erscheint das Motiv der Hochzeit sechs Mal im ersten Buch und dies relativ gleichmäßig verteilt: in 101 ist von der Grotte von Peleus’ und Thetis’ Hochzeit die Rede, in 241 von Nymphen, die Achill heiraten wollten; in 353 wird der verkleidete Achill mit Amazonen verglichen, die die Ehe verweigern; in 659 verspricht Achill Deidamia nach der Vergewaltigung die Ehe; in 782 f. sucht Lycomedes nach Ehemännern für seine Töchter, in 808 nimmt Odysseus noch einmal darauf Bezug. Dieser intertextuelle epithalamische Zug eines Epos wird durch einen wichtigen Faktor ermöglicht: die in Gegenrichtung erfolgende Episierung des Epithalamiums in Silv. 1,2. Ein Vergleich mit dem 18. Idyll Theokrits ist dabei instruktiv. Es handelt sich um ein, so der Titel, Epithalamium für Helena und Menelaos mit einem Umfang von 58 Versen, von denen die ersten acht eine Einführung in das Setting geben: Zwölf spartanische Mädchen sangen vor dem Hochzeitsgemach Helenas und Menelaos’ ein Lied und die folgenden 50 Verse stellen genau dieses Lied dar. So ist Id. 18 zum einen sehr nah an der eigentlichen Bedeutung der Bezeichnung Epithalamium, nämlich Gesang vor dem Hochzeitsgemach.292 Andererseits distanziert es sich davon, dadurch dass das Lied in die mythologische Vergangenheit gerückt und mit einer narrativen Einleitung versehen wird. Auf diese Weise erscheint Id. 18 wie eine kurze narrative Episode, die auch einem größeren epischen Kontext entnommen sein könnte.293

289 A. 1,146–155 – 283–317 – 318–326 – 925 f. – 927–960. 290 Silv. 1,2,213 f. 291 A. 1,20 f. 292 Laut Muth 1954, 23 sei von den alexandrinischen Gelehrten der Begriff Epithalamion als Bezeichnung für ein Lied vor dem Brautgemach im Unterschied zum allgemeinen und bereits ab Homer etablierten Wort Hymenaios für das Hochzeitslied geprägt worden. Allerdings zeigt Muth 1954, 41–44, eine »Verallgemeinerung des Begriffsinhalts in der weiteren Entwicklung« des Terminus Epithalamion (43). Zur Terminologie vgl. auch den Überblick bei Horstmann 2004, 14–18, die zumindest für die Zeit ab Statius herausstellt, dass Epithalamium der übliche Terminus gewesen sei. Theokrit Id. 18 werde textintern explizit als Hymenaios ausgewiesen (vgl. v. 8), trage aber in der Hypothesis der Scholien und dann in der handschriftlichen Überlieferung den Titel Epithalamion, so Muth 1954, 37. Allerdings heißt es in v. 3, dass die Mädchen das Chorlied πρόσθε […] θαλάμω aufgeführt hätten. Vgl. dazu Di Meo 2009, 173–178, der von einer Dreiteilung von Id. 18 ausgeht: Auf die Einleitung 1–8 folge ein Epithalamion-Teil (9–21) und ein HymenaiosTeil (22–58). Zu Theokrit 18 in der epithalamischen Tradition vgl. Horstmann 2004, 22–26. 293 Unterstützt wird dies durch die Partikel ἄρα im ersten Vers, zu der Gow ad loc. ausführt, dass »the particle is puzzling and has been explained as marking the transition from a proem lost

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Dies wird auch in der Wahl des Metrums deutlich: statt der lyrischen Metra archaischer Epithalamia verwendet Theokrit den epischen Hexameter.294 Statius’ Epithalamium stellt ein wesentlich stärker episiertes Gedicht dar, nicht nur dem Umfang nach, der fast fünfmal so groß wie derjenige von Theokrits Epithalamium ist. Will man ermessen, wie ein antiker Leser die epische Qualität von Silv. 1,2 eingeschätzt haben könnte, so ist ein Blick auf eine antike Epos-Definition hilfreich. Am Anfang seines Kommentars zur Aeneis identifiziert Servius die Aeneis folgendermaßen als Epos:295 qualitas carminis patet; nam est metrum heroicum et actus mixtus, ubi et poeta loqui­tur et inducit loquentes. est autem heroicum quod constat ex divinis humanisque personis, continens vera cum fictis; nam Aeneam ad Italiam venisse manifestum est, Vene­rem vero locutam cum Iove missumve Mercurium constat esse conpositum. Das Wesen des Gedichts ist offensichtlich: Denn das Metrum ist der Hexameter und die Handlung gemischt, wo sowohl der Dichter spricht, als auch Sprechende einführt. Es ist aber auch heroisch-episch, weil es aus göttlichen und menschlichen Personen besteht, wobei es eine Mischung von Historischem und Fiktivem enthält. Denn klar ist, dass Aeneas nach Italien gekommen ist; aber es ist sicher Fiktion, dass Venus mit Jupiter gesprochen hat oder Merkur entsandt worden ist.

Wendet man diese Kriterien auf Silv. 1,2 an, so ergibt sich folgendes Bild: Die Silve ist offensichtlich in Hexametern abgefasst; sie enthält menschliche Figuren, nämlich das Paar Stella und Violentilla, und göttliche Figuren wie den Amorknaben und die gleiche Göttin, die Servius nennt, Venus. Es gibt Passagen, die vom Dichter oder, wie wir sagen würden, vom Erzähler bzw. (lyrischen) Ich or never written […]; or as indicating that poem consequence of some request or other preceding circumstance unknown […].« In der hier vorgeschlagenen Interpretation würde die Partikel den Eindruck verstärken, dass Id. 18 einer Episode gleicht, die aus einem größeren Epos herausgelöst wurde, gewissermaßen als Verselbstständigung eines epischen Exkurses. 294 Vgl. z. B. Keydell 1962, 929, der Theokrit 18 aufgrund der Einbettung in eine Erzählung und des Metrums als »episches Epithalamium« zur Differenzierung vom lyrischen bezeichnet. Bereits Mangelsdorff 1913, 15 schreibt: »Theokrit gibt das lyrische Epithalamion als ein Stück Epik.« Zu homerischen Anspielungen in Theokrit 18 vgl. Pantelia 1995, die argumentiert, dass die Häufigkeit der Anspielungen auf das vierte Buch der Odyssee dazu dienten, das negative Bild Helenas der Ilias zu korrigieren. Bereits Sappho verwendet, worauf Prof. S. J. Harrison mich mündlich hingewiesen hat, für ihre Epithalamien neben anderen Metren auch den Hexameter (vgl. frg. z. B. 104 und 105 LP; als Fingerzeig darf vielleicht auch Cat. c. 62 gelten; zur Metrik der sapphischen Epithalamien vgl. Page 1955, 123–125); auch zeigt sie, wie frg. 105b LP (= Him. Or. 9,16 p. 82 Colonna) belegt, eine Auseinandersetzung mit dem Epos innerhalb des Epithalamiums, indem der Bräutigam mit Achill verglichen wird. Dennoch erscheint es mir signifikant, dass Theokrit gerade den Hexameter wählt und dem eigentlichen Epithalamium eine narrative Einleitung voranstellt, wie bereits der eingangs zitierte Keydell gesehen hat und womit Theokrit richtungsweisend für die spätere, insbes. lateinische epithalamische Tradition gewesen sein dürfte. 295 Servius, praef. ad. Aen. comm. p. 4,3–8 Thilo-Hagen.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

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gesprochen werden, ebenso wie Reden, die von handelnden Charakteren vorgetragen werden bzw. Dialoge zwischen den Figuren.296 Statius’ Epithalamium enthält historische Ereignisse und Personen, wie die Hochzeit und das beteiligte Paar selbst, ebenso wie fiktive, nämlich die Götterhandlung. Ombretta Perderzani hat diesen besonderen generischen Status von Silv. 1,2 dadurch zu fassen versucht, dass sie es »una nuova forma letteraria, […] una forma privata di epos« genannt hat.297 Die Achilleis nun kehrt diese Relation um: von der Episierung des Epithalamiums zur Epithalamisierung der Epik. Dabei ergibt nicht nur in thematisch-stofflicher Perspektive, sondern auch auf poetologisch-konzeptioneller Ebene eine Epithalamisierung des ersten AchilleisBuches Sinn. Das Epithalamium zelebriert als Gattung die Verbindung männlich-weiblich. In Achilleis 1 verbinden sich mit Epos und Elegie zwei Gattungen, die männlich bzw. weiblich konnotiert sind.298 Mit Silv. 1,2 fungiert dabei ein Epithalamium als Intertext, das prägnante epische Züge und einen elegischen Bräutigam aufweist.299 So wird Silv. 1,2 als Intertext zum interface in der Achilleis. Auf dem Weg von Theokrits narrativer Einleitung zu Statius’ epischem Epithalamium gibt es allerdings einen wichtigen Zwischenschritt, jedenfalls einen, der vollständig erhalten ist. Die Achilleis als Epithalamion in Achillem et Deidamiam300 hat einen wichtigen Vorläufer nicht nur in demjenigen für Stella und Violentilla, sondern auch in einem für Achills Eltern Peleus und Thetis, nämlich Catulls Epyllion c. 64. Bereits Hinds hat festgehalten, dass c. 64 »will be part of the epic matrix from which Statius Achilleid will come«, ohne jedoch auf den epithalamischen Aspekt gesondert einzugehen.301 Catulls c. 64 wird traditionellerweise neben c. 61 und 62 als Epithalamium bezeichnet, wie es auch noch der 2003 erschienene Kommentar zu c. 64 von Nuzzo 296 ›Erzähler‹: 1,2,1–64/103–105/140b–161/194–277; Dialog Amor-Venus: 1,2,65–102/106– 140a; Rede der Venus: 1,2,162–193. 297 Pederzani 1991, 30. Vgl. allerdings schon Morelli 1910, 328 über Silv. 1,2: »una poesia epica nella forma, privata e personale nell’intento«. Vgl. auch Hersch 2007 für das Verhältnis von Silv. 1,2 und Apollonios’ Argonautica (insbesondere zum dritten Buch). Die epische Tönung des Epithalamiums scheint gerade für die spätantiken Epithalamien von besonderem Interesse gewesen zu sein, wie sich z. B. an Claudians Epithalamium de Nuptiis Honorii Augusti sehen lässt, das Horstmann 2004, 97 ein »politisches Epithalamium« nennt; vgl. zur Bedeutung des Epischen für Claudians politische Dichtungen Müller 2011a. 298 Zur epischen Virilität im Vergleich zur femininen Elegie vgl. B 2.2.3. 299 Vgl. demgegenüber die andersartige Akzentuierung von Newlands 2002, 90, die mit Bezug auf Silv. 1,2 von »the generically innovative ›wedding‹ of epithalamium with elegy« spricht. 300 Vgl. den Titel von Silv. 1,2: Epithalamion in Stellam et Violentillam. Zur umstrittenen Frage nach der Authentizität der Titel der einzelnen Silven vgl. Schröder 1999, 180–189, die nach Prüfung der Gegenargumente zu dem Schluss kommt, dass Statius durchaus Titel seinen Silven vorangestellt haben könne, allerdings nicht sicher sei, inwieweit die in M enthaltenen tituli in ihrem ganzen Wortlauf auf Statius zurückgingen. 301 Hinds 1998, 128. Zu Bezügen zwischen Catull c. 63 sowie 64 und der Achilleis vgl. auch Lauletta 1993.

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tut.302 In der handschriftlichen Überlieferung trägt c. 61 den Titel Epythalamius Junie et Mallii,303 und Quintilian zitiert v. 45 aus c. 62 mit dem Hinweis, dass er einem Epithalamium entstamme.304 C. 64 hingegen hat zwei Bezeichnungen in der handschriftlichen Überlieferung: 1–322 wird Argonautia betitelt, 323–408, der Gesang der Parzen, als Epithalamium Thetidis et Pelei. Solche Titel sind natürlich keine definitiven Hinweise auf den generischen Status des Gedichts, aber sie entsprechen modernen Beobachtungen,305 dass Catull ein eigentliches Epithalamium in sein Epyllion integriert habe, das einige typische Züge aufweise, wie den Preis von Bräutigam und Braut, die Aussicht auf Nachkommenschaft oder refrain-artige Wiederholungen, wie wir sie auch in 61 und 62 finden.306 Der Gesang der Parzen in c. 64 ist allerdings nicht nur ein eingelegtes Epithalamium. Die Parzen singen nicht einfach ihre besten Wünsche für das Brautpaar, sondern sagen zuverlässig307 die Zukunft für den Sohn von Peleus und Thetis voraus bzw. determinieren diese im Spinnen. Im prophetischen Mittelteil ihres Gesangs ist der Ton wesentlich düsterer, als man es von einem Gedicht für Hochzeitsfeierlichkeiten erwarten würde. Dementsprechend hat Sánchez Anfang und Ende des Parzenliedes als »epithalamial frame« bezeichnet.308 Daniels hat darüber hinaus die dunkle Vorhersage von Achills Schicksal mit­ Ariadnes Klage in c. 64 verbunden: »The central strophes of the Fates’ song are an enlargement of the melody of Ariadne’s lament.«309 Diesen internen Verklammerungen von c. 64 entsprechend zeigt die Achilleis nicht nur Verbindungslinien zum Achill-Teil der Prophezeiung von c. 64, sondern auch zum Peleus-Beginn und zur Klage der Ariadne, sowie zur strukturellen Gesamtanlage des Epyllions. Im Folgenden werde ich diese Linien sequentiell am Achilleis-Text orientiert aufzeigen. Bei ihrem ersten Erscheinen sieht der Leser der Achilleis Thetis in Begleitung ihrer Schwestern gleich nach dem Proöm und der Erwähnung des Paris: Seine Entführung Helenas und die sich anschließende Flucht per Schiff bereiten Thetis Sorgen, da sie Prophezeiungen über ihren Sohn wahr werden sieht (A. 1,25–28):

302 Zu Catulls Epithalamien in der epithalamischen Tradition vgl. Horstmann 2004, 63–79. 303 So Mynors’ Praefatio p. xiv, wie auch zu den Angaben zu c. 64 im Folgenden. 304 Quint. 9,3,16. 305 Vgl. z. B. Sanchez 1997, 83. 306 Vessey 1972, 178 Fn. 2 hat übrigens für eine intensivere Verbindung von Silv. 1,2 zu c. 64 als zu den beiden anderen Epithalamia c. 61 und 62 argumentiert. Insofern ist die Lage noch komplizierter: Die Achilleis greift auf Silv. 1,2 und c. 64 zurück, während Silv. 1,2 ebenfalls auf c. 64 zurückgreift. In Silv. 1,2,131–133 z. B. wird Violentilla mit Ariadne auf Naxos verglichen. Taisne 1976, 363 f. verbindet c. 64 und die Achilleis über die gemeinsamen Linien zu Bacchus. 307 Vgl. c. 64,306: veridicos Parcae coeperunt edere cantus. 308 Sánchez 1997, 80. 309 Daniels 1972/73, 101.

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[…] cum Thetis Idaeos – heu numquam vana parentum auguria! – expavit vitreo sub gurgite remos. nec mora et undosis turba comitante sororum prosiluit thalamis: […].

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[…] als Thetis vor den Rudern aus Holz vom Ida – ach, niemals sind die Vorahnungen der Mütter vergeblich!  – im glasklaren Wasserstrudel in Furcht­ geriet. Ohne Zögern sprang sie unter Begleitung ihrer Schwesternschar aus dem Wellengemach: […].

Dies ist das zweite Mal in mythologischer und literarischer Geschichtsschreibung, dass Thetis von einem Schiff erschreckt aus dem Meer auftaucht. In c. 64 nämlich, ebenfalls am Anfang des Gedichts, finden wir eine sehr ähnliche Ereignisfolge, als die Nereiden die Argo mit Peleus an Bord sich nähern sehen (c. 64,14–18): emersere freti candenti e gurgite vultus aequoreae monstrum Nereides admirantes. illa, atque alia, viderunt luce marinas mortales oculis nudato corpore Nymphas nutricum tenus exstantes e gurgite cano.

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Es hoben aus dem weißen Meeresstrudel ihre Gesichter die meerbewohnenden Nereiden und bestaunten das Wunderzeichen. An jenem und kaum einem anderen Tag haben Sterbliche mit ihren Augen die Meeresnymphen mit nacktem Körper bis zu den Brüsten aus dem weißen Strudel herausstehen sehen.

Bei Statius kommt Thetis aus ihrem thalamus, wobei es sich nicht um ihr Hochzeitsgemach handeln dürfte, aber um einen metapoetischen Scherz. Im Anschluss an c. 64 und die darin beschriebene Hochzeit war Thetis gewissermaßen in ihren thalamus gesperrt, bis Statius sie in der Achilleis wieder erweckt hat.310 Wenn dies zunächst weithergeholt erscheinen könnte, so werden wir auf zwei weitere Wortspiele mit Epi-thalamium in der Achilleis stoßen, die zu einer wechselseitigen Plausibilität in diesem Punkt beitragen können. Bei Catull sehen wir Thetis mit nackter Brust und nicht lange nach dem Beginn der Achilleis sehen wir sie wiederum pectore nudo (A. 1,77), als sie Neptun um Hilfe bittet. In seiner Antwort auf Thetis’ Bitte macht Neptun eine Vor 310 Dieser Bezug wird umso prägnanter, wenn man bedenkt, dass gerade bei Catull Thetis und Peleus sich während der Argonautenfahrt zum ersten Mal begegnen, während sie z. B. bei Apollonios zuvor längst vermählt sind und Achill bereits vor der Fahrt geboren ist (vgl. Arg. 1,558 f. sowie die Thetis-Episode 4,780–968). Vgl. zur literarhistorischen Ironie, die zuvor in 64,19 tum … fertur in der Betonung dieses Moments und dem Verweis auf eine angebliche Tradition liegt, Gaisser 1995, 584 f.

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hersage, die sich in Inhalt und Wortlaut sehr nahe am Lied der Parzen aus c. 64­ bewegt311 (A. 1,84–88): quem tu illic natum Sigeo in pulvere, quanta aspicies victrix Phrygiarum funera matrum, 85 cum tuus Aeacides tepido modo sanguine Teucros undabit campos, modo crassa exire vetabit flumina […]! Wie wirst du an jenem Ort deinen Sohn im Staub am Kap Sigeum sehen, wie viele Begräbnisse, ausgerichtet von phrygischen Müttern, [wirst du] als Siegerin [sehen], wenn dein Aiakos-Nachkomme bald mit lauwarmem Blut­ teukrische Felder fluten, bald verhindern wird, dass die Flüsse [von Leichen] verstopft fließen […]!

Man vergleiche dazu folgende Ausschnitte aus dem Gesang der Parzen (c. 64,343 f./ 348 f./357–360): non illi quisquam bello se conferet heros, cum Phrygii Teucro manabunt sanguine 312 … illius egregias virtutes claraque facta saepe fatebuntur gnatorum in funere matres, … testis erit magnis virtutibus unda Scamandri, quae passim rapido diffunditur Hellesponto, cuius iter caesis angustans corporum acervis alta tepefaciet permixta flumina caede.

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Nicht wird sich ihm irgendein Held im Krieg vergleichen, wenn die phrygischen Felder von teukrischem Blut triefen […]. Seine herausragenden Tugenden und berühmten Taten werden Mütter beim Begräbnis ihrer Söhne oft bekennen, […]. Zeuge für seine gewaltigen Tugendtaten wird die Woge des Skamander sein, die verstreut im reißenden Hellespont sich ergießt; dessen Weg wird er [Achill] durch die Haufen der Leiber von Gefallenen einengen und die tiefen Ströme erwärmen, die sich mit dem Blutbad vermischt haben.

311 Vgl. dazu auch Lauletta 1993, 89–91, der zusätzlich den Einfluss von Sen. Tro. 186 f./ 204–206/414 f. abwägt (gegen die vielleicht etwas zu einseitige Einschränkung auf Seneca durch Fantham 1979, 458 f.). 312 Es handelt sich allerdings um eine vielfach akzeptierte Konjektur auf der Basis der­ Statius-Stelle! Vgl. auch Ilias lat. 384: sanguine Dardanii manabunt undique campi. Der Hexameterschluss sanguine camp- ist vielfach belegt (Cul. 323; Manil. 1,900; Lucan 7,854; Petr. Sat. frg. 30,8; Stat. Th. 10,5; 12,192; Silv. 1,2,97; 5,3,39; Sil. Ital. 11,552; 14,130), was gegen die Zweifel von Trappes-Lomax 2007, 200 sprechen könnte.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

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In der Nebeneinanderstellung beider Prophezeiungen wird deutlich, dass man Neptuns Worte eine Epitome des Parzenliedes nennen könnte, was nebenbei bemerkt auch zu den sonstigen Verkleinerungs- und Verkürzungstendenzen der Achilleis passen würde.313 Durch den unmittelbar im Anschluss an die Prophezeiung erfolgenden Hinweis auf die Ehe der Thetis verleiht Neptun seiner Rede eine epithalamische Note, die wiederum zu c. 64 passt: Pelea iam desiste queri thalamosque minores (Höre auf, dich über Peleus und die niedrige Heirat zu beklagen [sc. dass dein Sohn sterblich ist], A. 1,90). Vielleicht können wir hier eine metapoetische Gattungsaussage entdecken, die wiederum ein Wortspiel mit Epi-thalamium beeinhaltet. Neptun nennt Thetis’ Ehe niedrig, klein (minores) und er verwendet nicht das in der Achilleis häufiger auftauchende conubia,314 sondern thalamos. Wenn man eine generisch und metapoetisch orientierte Paraphrase von Neptuns Aussage unternähme, dürfte sie in etwa so lauten: »Nachdem ich dir eine epitomisierte Wiederholung des Parzenliedes vorgetragen habe, das du anlässlich deiner Hochzeit gehört hast, höre auf dich zu beklagen, dass dein Sohn nur in diesem kleinen Epyllion von Catull auftaucht, denn hier und später in der Ilias wird er sich in epischer Größe zeigen.«315 Die metapoetische Verbindung zu c. 64 wird gestärkt, wie bereits Hinds notiert hat,316 als Achill zum ersten Mal in der Achilleis beim Abendessen für­ Chiron und seine Mutter singt. Zu seinen Themen gehört, »mit wie starkem Griff der Sohn des Aegeus die Glieder des minoischen Stieres umgeben und gebrochen hat, und schließlich das Hochzeitsbett seiner Mutter« (quanto circumdata nexu / ruperit Aegides Minoia bracchia tauri, / maternos in fine toros, A. ­1,191–193). Mit diesen Themen singt Achill über die Inhalte von Catulls c. 64. Die MinotaurusGeschichte wird in 76–115 als Digression von der Ekphrasis der Bettdecke erzählt, die Ariadne auf Naxos zeigt. Die Hochzeit von Peleus und Thetis ist das Zentral- bzw. besser gesagt Rahmenthema des Gedichts. Interessanterweise umschreibt der Erzähler bei Statius die Hochzeit mit maternos toros. Bei Catull befindet sich die beschriebene Decke auf einem pulvinar im Zentrum des Hauses.317 In Achills Gesang folgt also direkt auf die Erwähnung von Theseus und dem Minotaur gerade das Bett, das in c. 64 mit einer Decke versehen war, die Theseus und Ariadne zeigt. Und in der Ekphrasis genau dieser Decke wird bei Catull die Vorgeschichte mit dem Minotaur erzählt. Über die verbalen und stofflichen Parallelen besteht auch eine strukturelle Verbindung beider Dichtungen. Bei Catull entwickelt sich die Erzählung von den Argonauten am Beginn, über die Hochzeit von Peleus und Thetis zur Ekphrasis 313 Vgl. dazu B 2.2.4. 314 Vgl. A. 1,101/241/353/659/808; 2,69. 315 Vgl. auch in Silv. 1,2,97 das Motiv torrentes sanguine campos als Inbegriff des Epischen innerhalb eines Recusatio-Kontextes. 316 Hinds 1998, 127. 317 Cat. c. 64,47–51.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

von Ariadne auf Naxos.318 Das gleiche thematische Muster finden wir auch am Anfang des ersten Buches der Achilleis: Chiron spricht mit Thetis über die Argonauten, als sie zu ihm kommt, um ihren Sohn zu holen; am gleichen Abend singt Achill über ihre Hochzeit, und später in der Nacht sehen wir Thetis am Strand, wie sie Überlegungen über ein Versteck für ihren Sohn anstellt.319 Sicherlich funktioniert diese Analogie nicht auf der gleichen Ebene, denn in der ­Achilleis spielen zwei der drei Elemente nur indirekt und für ein oder zwei Verse eine Rolle. Immerhin aber sehen wir Thetis bei Statius in einer vergleichbaren Umgebung wie Ariadne bei Catull. Es gibt allerdings eine wesentlich deutlichere Referenz an Catulls Ariadne­ genau am Ende von Buch eins. In den letzten Versen unterhalten sich die neu Vermählten Deidamia und Achill (1,927–960). Deidamia äußert ihre Sorgen hinsichtlich Achills Verhalten gegenüber Frauen vor Troja; Achill tröstet sie und verspricht Sklaven und Geschenke aus Troja mitzubringen. Dann kommentiert der Erzähler diese Versprechen mit folgendem Vers, der auch das Buch beschließt:320 irrita ventosae rapiebant verba procellae. Stürmische Winde rissen die unerfüllt bleibenden Worte fort.

Mit nahezu identischen Worten wird kommentiert, dass Theseus seine Versprechen Ariadne gegenüber vergisst (c. 64,59): irrita ventosae linquens promissa procellae. […] indem er unerfüllt seine Versprechen dem stürmischen Wind überließ.

Wie Ripoll in seinem Kommentar notiert, soll der Leser Achill nicht in gleicher Weise schuldig sehen wie Theseus.321 Im Gegenteil soll deutlich werden, dass es nicht Achills Schuld ist, dass er seine Versprechen nicht halten kann, im Unterschied zu Theseus, der seine Versprechen vergisst. Achill wird nicht zurückkehren, da er vor Troja sterben wird.322 Das bereits angekündigte dritte Wortspiel mit thalamus findet sich in Deidamias sorgenvollen Worten an Achill zuvor (1,936–938):          modo te nox una deditque inviditque mihi. thalamis haec tempora nostris? hicne est liber hymen? 318 Cat. c. 64.1–30/31–49/50–264 die Ekphrasis, mit der Strandszene ab 124. 319 A. 1.156 f./192 f./198–220. 320 Die Echtheit dieses Verses ist von Schetter 1960, 153–155 gerade mit dem Hinweis auf die intertextuelle Meisterschaft verteidigt worden. 321 Ripoll zu A. 1,960. 322 Vgl. dazu meine Ausführungen zu A. 1,960.

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Die generische Strukturierung der Achilleis am Beispiel des Epithalamiums

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Gerade hat eine einzige Nacht dich mir gegeben und auch mißgönnt. Dies soll die Zeit für unsere eheliche Gemeinschaft sein? Dies das freie Zusammensein der Verheirateten?

Diese Verse lassen sich widerspruchsfrei und sinntragend vollständig im Kontext der ersten und letzen Nacht von Verliebten lesen. Aber bei einer kleinen Freiheit, was die Vokalquantität betrifft,323 sc. lĭber statt līber, ermöglichen sie auch eine metapoetische Paraphrase folgender Art: »Solch eine kurze Zeit hat der Erzähler uns beiden gemeinsam vergönnt. Nur ein einziges Buch epithalamisierter Epik?«324 Was lässt sich nun aus der Beachtung des Intertexts c. 64 gewinnen? Mir scheint dies vor allem eine Art genealogischer Erweiterung der Perspektive zu sein. In mythologischer Hinsicht können wir Achills Eltern mit ihrem Sohn und dessen Braut parallelisieren, und den Gesang der Parzen mit der Handlung der Achilleis; noch interessanter aber ist, dass wir in literargeschichtlicher Hinsicht einen Blick auf einen wichtigen Vorläufer für die Kombination von Epik und Epithalamium erhalten, eine Kombination, die Statius mit Silv. 1,2 und Achilleis 1 von zwei verschiedenen Blickrichtungen aus erprobt. Der literargeschichtliche Blick zurück hat uns bisher, nach Silv. 1,2, zu Theokr. Id. 18 und Cat. c. 64 geführt. Wäre die Überlieferungslage etwas besser, so würden wir mehr als nur einen kurzen Einblick auf einen weiteren wichtigen Vorläufer werfen können. Gemeint ist der sog. Ἐπιθαλάμιος Ἀχιλλέως καὶ Δηιδαμείας, ano­ nym im Corpus Theocriteum überliefert und Theokrit oder Bion zugeschrieben.325 In diesem Fragment treten die beiden Hirten Myrson und Lycidas auf. Myrson bittet Lycidas um ein süßes sizilisches Lied. Lycidas willigt ein und fragt, worüber er singen solle. Daraufhin antwortet Myrson, dass er von Achills Verkleidung auf Skyros singen solle. Mit v. 10 bis zum Abbruch in der Versmitte von 32 folgt dann das Lied des Lycidas: von der Entführung Helenas und der daraus folgenden Heeressammlung der Griechen bis zu Achills Versteck unter den Töchtern des Lycomedes und sein Verlieben in Deidamia. Achill versucht den ganzen Tag ihr nahe zu sein, er singt ein Lied für sie, das mit v. 32 abbricht. Der zweiteilige Aufbau Setting/Lied (1–9/10–32) erinnert an die bereits erläuterte Zweiteiligkeit von Theokrits Epithalamium Id. 18. Als strukturelle Parallele zur 323 Vgl. zu dieser Art von vokallängenunabhängigem Wortspiel bei Plautus Welsh 2005, 306 f., ein horazisches Beispiel sogar über die Sprachgrenze hinweg mit griechischem Bezug bietet Roche 2013, 347. Für weiteres vgl. den Überblick (von Plautus bis Martial) von Ahl 1985, 55–57, der zusammenfasst: »However much differences in quantity represent insuperable barriers for the modern scholar, they did not bother the ancients very much.« (55). 324 Vgl. für diese Art der Metapoetik auch Feeneys Paraphrase von 1,947 f. (ast egomet primae puerilis fabula culpae / narrabor […].): »Is my story going to be stuck in book 1?« (Feeney 2004, 97). 325 Im Zusammenhang mit der Erörterung der Beschreibung Achills in A. 1,161–165 und der Annäherung an Deidamia in 1,560–592 wird dieses Fragment nochmals herangezogen werden.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

Achilleis lässt sich der gemeinsame Ausgangspunkt von der Entführung Helenas nennen (A. 1,20 – Epith. 10). Von besonderem Interesse ist an diesem Fragment nun, dass es mit dem Hirtendialog eine bukolische Einleitung besitzt. Fantuzzi hat bemerkt, dass der­ Zyklop Polyphem, der von dem Hirten Myrson als Beispiel für das sizilische Lied, das er zu hören wünscht, vorgebracht wird (2 f.), eine Art Emblem für die Bukolik sei.326 In Theokrit 6 und 11 erscheine Polyphem als eine Art bukolisierter Version des düsteren Charakters aus der Odyssee. So könne man vermuten, wie Fantuzzi argumentiert, dass der Achill dieses Gedichts ebenfalls eine Bukolisierung des epischen Vorbilds durchlaufen werde. Auch wenn Fantuzzi folgend der erhaltene Teil  des Fragments zu wenig Material für die Etablierung einer Verbindung zwischen dem bukolischen Epithalamium und der Achilleis bietet,327 lassen sich doch bukolische Züge auch beim Abschied der Nymphen von Achill beobachten.328 Eine weitere Unsicherheit besteht im Titel, der auch eine spätantike Hinzufügung sein könnte,329 und darum keinen definitiven Aufschluss über den generischen Status erlaubt. Dieses unlösbare Problem soll uns aber zu einigen Schlussgedanken über die Verbindung von Intertextualität und generischer Identität führen. Setzt man die unterschiedlichen Epithalamia in Bezug zur Achilleis, so zeigt sich, dass sie u. a. dazu dienen, intergenerische Kombinationen herauszustellen: in Silv. 1,2 haben wir ein Epithalamium, das Epik und Elegie verbindet, wie die Achilleis; in Catulls c. 64 offenbart sich ein wichtiger Vorläufer für die Verbindung von Epik und Epithalamium in Silv. 1,2 und der Achilleis; das bukolische Epithalamiumfragment, wenn denn sein Titel mehr als nur eine spätere Benennung ist, könnte als Präfiguration eines bukolischen Achill in einem epithalamischen setting gelten, das auch in der Achilleis anklingt. Damit würden die epithalamischen Intertexte nicht nur die generischen Affiliationen der Achilleis konturieren, sondern auch ihren Platz in der Literaturgeschichte. Alan Cameron hat behauptet: »There is no epithalamium in Statius, and scarcely even  a wedding.«330 Im Lichte der vorangegangenen Argumentation könnte man darauf antworten, dass die Hochzeitsszene selbst in der Tat sehr kurz ist und nur zwei Verse umfasst.331 Als epithalamisiertes Ganzes hat das erste Buch hingegen epische Ausmaße von 960 Versen. 326 Fantuzzi 2012, 46 f. 327 Fantuzzi 2012, 59. 328 Vgl. meine Ausführungen zu A. 1,237–241. 329 Vgl. Fantuzzi 2012, 39 Fn. 52. Muth 1954, 41 nimmt diese Bezeichnung des Fragments als einen Beleg für die Ausweitung des Begriffs Epithalamion, da hier »kein echtes Hochzeitlied, geschweige denn ein Epithalamion im engeren Sinne des Wortes« vorliege, sondern ein »bukolischer Wechselgesang«. 330 Cameron 2009, 5. 331 Vgl. A. 1,925 f.

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Die Fortsetzung 

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4. Die Fortsetzung Am Ende der Ausführungen zum Achilleis-Proöm (B 2.1.) ist auf die spekulative Unsicherheit aller Überlegungen zur Fortsetzung eingegangen worden. Wie man sich als Interpret den nicht erhaltenen oder nicht geschriebenen Fortgang von Statius’ zweitem Epos vorstellt, hängt ganz wesentlich von der Frage ab, wie man das Erhaltene in seiner Konzeptionierung deutet. Wenn nun also aus methodischen Gründen Spekulationen über eine mögliche Fortsetzung kein Argument für die Deutung des Erhaltenen sein dürfen, so scheint mir dennoch die Frage nicht nur erlaubt, sondern geradezu drängend, ob eine Konzeptionierung, wie sie hier vorgestellt worden ist, überhaupt eine Fortsetzung haben bzw. wie diese aussehen könnte. Auf diese Weise kann die Tragfähigkeit der vorgeschlagenen Interpretation gewissermaßen virtuell überprüft werden. In Fortführung der epithalamischen Linie, die im vorangegangenen Unter­ punkt nachgezeichnet wurde, lässt sich nun fragen, wie sich an ein epithalamisches erstes Buch ein zweites anschließen kann.332 Das Hochzeitsthema spielt auch im zweiten Buch eine gewisse Rolle: In einem Rückblick über die Ursprünge des trojanischen Krieges und die Entführung von Menelaus’ Ehefrau Helena, der von Odysseus erzählt wird (2,50–83). Odysseus betont dabei den ehelichen Status, um Paris’ Handlungen als verbrecherisch zu kennzeichnen.333 Seine rhetorische Absicht ist es, dem Ansinnen Achills nach gerechtem Zorn zu entsprechen (2,48), was ihm auch gelingt (2,84 f.). Mit der sich anschließenden, von Achill selbst berichteten Kindheitsgeschichte (2,96–167), wird thematisch und intertextuell andersartiges Terrain betreten.334 An dieser Stelle scheint mir eine Beobachtung von Hinds einen entscheidenden Hinweis in die richtige Richtung zu geben: Er hat die Achilleis »markedly Ovidian, markedly metamorphic« genannt.335 Meiner Ansicht nach – und ich folge zumindest in diesem strukturellen Punkt Kosters Deutung von deducere im Proöm der Achilleis (1,7)336 – ist die Projektierung der Achilleis als Reihe von Epyllia zu verstehen, wobei die einzelnen Episoden in ähnlicher Weise miteinander verschränkt werden, wie es in Ovids Metamorphosen geschieht. Diese einzelnen Epyllia hätten dann nicht nur 332 Auch wenn die Bucheinteilung in der handschriftlichen Überlieferung durchaus uneinheitlich ist, so stellt die Buchgrenze nach 1,960 die am besten bezeugte Variante dar, die zudem durch zwei Grammatikerzitate bestätigt wird: vgl. dazu Dilke 23, Méheust xlviif. und Anderson 2009, XIIf. 333 A. 2,68–71: quis enim inlicitis genialia rumpi / pacta dolis facilique trahi conubia raptu / [….] perferat? 334 Dilke und Ripoll notieren zwar zwei Parallelen zu Catulls c. 64 (A. 2,111–116 ~ c. 64,340 f.; A. 2,158 ~ c. 64,50), jedoch hat keine dieser Parallelen spezifisch epithalamische Konnotationen. 335 Hinds 1998, 136. 336 Koster 1979, 196.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

jeweils einen thematisch, sondern auch generisch unterschiedlichen Charakter, wobei Buch eins eine Art elegisch-epithalamischer Eröffnung darstellt. Wie anhand der Schlusswirkung von 1,960 und der abebbenden Bedeutung des elegisch-epithalamischen Nexus in Buch zwei zu sehen ist, werden, ebenfalls wie in den ovidischen Metamorphosen, Buchgrenzen zum einen betont und zum andern überspielt. Was die Buchzahl betrifft, so scheint mir die Vermutung nahezuliegen, dass auch die Achilleis auf 12 Bücher konzeptioniert worden sein dürfte. Zum einen passt dies zur Diptychon-Relation zum ebenfalls 12 Bücher umfassenden Vorgängerwerk (s. B 1). Zum anderen würde damit die gleiche Buchzahl der beiden Epen eine weitere Verbindungslinie zum Modell Homer (s. A 2.2.), dessen Ilias und Odyssee beide gleichermaßen 24 Bücher umfassen.337 Die Frage nach einer durchgehenden elegischen Tönung der ganzen Achilleis würde sich in dieser Perspektive nicht stellen,338 da die Achilleis als carmen perpetuum mit einem gleichbleibenden Hauptcharakter ausgestattet wäre, der inner­ halb eines aufrecht erhaltenen epischen Rahmens in generischen Grenzgebieten generell und nicht nur dem der Elegie operiert. Einheitsstiftend würde sich neben dem Hauptcharakter die Alterswerk-Ethos-Konzeption auswirken.339 Die Selbststilisierung als geschwächter Dichter/Erzähler (B 2.2.4.) würde auch auf dieser buchübergreifenden Ebene zum Tragen kommen, da wir eine noch stärkere, u. a. generisch akzentuierte, Episodisierung, als sie bereits für die Thebais konstatiert worden ist,340 erwarten dürften. Die besondere Stellung der Elegie im ersten Buch ist dann nicht nur stofflich bedingt, sondern trägt zur pointiert un-epischen Konturierung bei (s. o. B 2.2.2.), die programmatisch gerade das Eröffnungsbuch betrifft. Offen muss dann aber bleiben, in welchem Maße elegische Intertexte eine Rolle in der Fortsetzung gespielt haben würden. Eine durchgehend elegisierte Achilleis, wie sie im ersten Buch anzutreffen ist, kann 337 Auf wen die Bucheinteilung der homerischen Gedichte zurückgeht, ist durchaus umstritten: Die Vorschläge reichen von einer bis auf den Dichter zurückreichenden Einteilung (so z. B. Heiden 1998 für die Ilias, 2000 für die Odyssee) bis zu einen rein alexandrinischen Zuschreibung (so z. B. van Sickle 1980, 9–12). Auffällig bleibt aber, dass die gleiche Buchzahl beider Epen ihre Zusammengehörigkeit unterstreicht (vgl. auch West 1999, 70: »Evidently, once the figure of 24 had been decided on for the Iliad, it was resolved to impose it on the ­shorter epic too for the sake of uniformity.«). 338 Vgl. im Gegensatz dazu z. B. die Charakterisierung der Achilleis durch Koster 1979, 208, der von einem »epische[n] Gegenstück zur ovidischen Elegie« spricht. 339 Vgl. schon Ripoll 2010, 12 f., der von einer sich fortsetzenden ethischen Tönung pathetischer Ereignisse spricht, wobei er allerdings Delarues Ethos-Verständnis ansetzt (s. dazu die Auseinandersetzung in A 2.3.). 340 Zur Struktur der Thebais vgl. Vessey 1973, 317–328. Bereits für die Thebais hat Vessey 1973, 320 eine strukturelle zu den ovidischen Metamorphosen in ihrem Charakter als carmen perpetuum, allerdings mit einem einzigen Plot in Episoden, ausgemacht. Zur episodischen Struktur der Achilleis vgl. schon Dilke 8: »the projected epic would have been even more episodic than the Thebaid.«

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allerdings nicht für die folgenden Bücher postuliert werden. In diesem Sinne ist der Interpret doch ganz auf das Erhaltene angewiesen und alle Deutungen können auch nur innerhalb dieses Rahmens eine gewisse Gültigkeit beanspruchen.

5. Die Konzeption der Achilleis in der Forschung Bevor wir uns im Folgenden der Einzelanalyse der Achilleis zuwenden, sollen bisherige Konzeptionen von Statius’ zweitem Epos in einem kurzen Überblick dargestellt werden. Der Forschungsüberblick erfolgt erst nach der summarisch entwickelten Epos-Konzeption der Achilleis, um eine deutlichere Profilierung der hier vertretenen Position im Bezug auf die bisherige Forschung zu ermöglichen.341 Barchiesi342 hat, abgesehen von seiner eigenen Konzeption, vier theoretisch denkbare und in der Forschung in der einen oder anderen Ausprägung auch vertretene Positionen343 ausgemacht: 1. Statius habe ein Epos im eigentlichen Sinne schreiben wollen, jedoch seine Konzeption geändert bzw. auf eine Art Crescendo zum martialischen Epos im traditionellen Sinne hin gearbeitet. 2. Statius habe eine Parodie beabsichtigt. 3. Statius habe ein Epos im eigentlichen Sinne nicht (mehr) schreiben können bzw. die Gattung für erschöpft gehalten.344 4. Statius habe eine Revitalisierung des Epos durch Einführung elegischer Themen und Motive beabsichtigt. Barchiesi345 selbst vertritt eine fünfte, der vierten verwandte Möglichkeit: 5. Thema der Achilleis sei die Realisierung des ambitionierten eigenen Programms. Insofern seien generische Störungen wie Elemente aus Elegie und Komödie als Teil dieser poetologischen Inszenierung zu verstehen. Damit stellt sich Barchiesis Deutung als poetologische Meditation des Dichters über die vierte Möglichkeit dar. 341 Einen Überblick über die ältere Forschung gibt Benker 1987, 2–9. 342 Barchiesi 1996, 61. 343 Dies gilt auch für nach Barchiesi 1996 erschienene Arbeiten. 344 Vgl. für eine solche Position Johnson 1994, bes. 33–36: Bei Statius’ Achilleis handele es sich um eine Dichtung l’art pour l’art, der inhaltliche Wert sei zum größten Teil einer artifiziellen Darstellungsweise gewichen. Allerdings gewinnt Johnson dieser zunächst abwertend erscheinenden Einschätzung eine positive Note ab: »[…] he [Statius] and his poem want to move from the ruins of old epic (not because his creator is degenerate and exhausted but because epic is in ruins […]); he and his poem want to strike out on their own, they aspire to the condition of opera.« (1994, 35). 345 Barchiesi 1996, 62.

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Als poetologische Meditation lässt sich die Achilleis auch im Rahmen der hier vertretenen Position lesen und zwar über die künstlerische Entwicklung des Epikers im Alter. Dies ist allerdings nicht mit Blick auf einen tatsächlichen Alterungsprozess des dichtenden Individuums gemeint, sondern primär als literarische Reflexion über literarische und literarkritische Reflexionen, die sich mit alternden Künstlern befassen. Die Achilleis ist somit nicht poetologisches Epos-Experiment an sich, sondern in ein Gesamtwerk eingebundene Dichtung. Nicht nur die Relationen zur literarischen Tradition sind von Bedeutung, sondern auch diejenigen zum eigenen früheren Werk. Erst aus der Verbindung beider entsteht die Idee eines zweiten Epos als eines (homerischen) Alterswerkes. Eine sich anschließende Normalisierung bzw. düstere Fortsetzung, die sich der Thebais wieder annähert (Punkt 1), ist besonders in der älteren Forschung angenommen worden.346 Allerdings hat auch in jüngerer Zeit Cameron347 eine vergleichbare Position wieder stark gemacht: Er sieht vor dem Hintergrund der zeitgenössischen bildlichen Darstellung erotische oder idyllische Elemente eher als Einflüsse aus diesem Bereich und argumentiert dafür, dass eine Darstellung Achills in flavischer Zeit auch Chiron, Skyros etc. enthalten musste und dass andererseits idyllische Elemente stets mit düsteren Untertönen versehen seien und in der Fortsetzung eine Orientierung eher an Ilias und Aeneis deutlich geworden wäre. Die Bezüge zur Thebais dienen m. E. im Gegenteil dazu, wie in der Einleitung bereits herausgestellt (s. A 2.3.), die Distanz herauszuarbeiten: Thebais und Achilleis haben Gemeinsamkeiten, stehen sich aber komplementär gegenüber. In der Thebais profilieren Ethos-Elemente die Pathos-Konzeption, in der Achilleis Pathos-Elemente die Ethos-Konzeption, wie in der Einzelanalyse deutlich werden wird. Zurecht argumentiert darum meiner Ansicht nach Tandoi, dass der erhaltene Teil der Achilleis nicht ausschließlich als Kontrastfolie gesehen werden könne, sondern von der andersartigen Konzeption zeuge, die Tandoi insbesondere als Vermenschlichung der Charaktere und Handlungen deutet (vgl. z. B. das Verlieben Achills, das ohne göttliches Zutun erfolgt).348 In jüngerer Zeit hat McAuley dementsprechend die Bedeutung der Skyros-Episode für 346 Vgl. z. B. Schetter 1960, 150; Dilke 1963, 502 f.; Méheust xxf.; Burck 1979, 353. Ähnlich auch Taisne 1994, 353 f. (»calme ambigu«) und 389 (»fausse sérénité«). Vgl. auch Vessey 1986, der dafür argumentiert, dass der Stil der Achilleis keineswegs bloß einfacher als derjenige der Thebais sei, sondern dass Unterschiede durch das andere Thema bedingt seien und die Simplizität nur eine vermeintliche sei. Etwas anders allerdings hat er dies einige Jahre zuvor­ formuliert: »[…] it is a canvas on which only a few tentative brush-strokes have been laid. Its style is less ornate, less incisive than that of the Thebaid. It is probably best to see the fragment that remains as a cartoon, from which by reworking and labour, a definitive version would at length have been evolved.« (Vessey 1982, 580). Auf einer mittleren Stilebene, im Kontrast zur Thebais, sieht Soubiran die Achilleis (in Ripoll/Soubiran 74–76). 347 Cameron 2009, 20–22. 348 Tandoi 1985, 167–169.

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die K ­ onzeptionierung dieses Epos auch unabhängig von der Unsicherheit über die Fortsetzung betont.349 Beide bieten somit Realisierungsmöglichkeiten für­ Barchiesis vierte theoretische Position. Geht man von einer Entwicklung Achills aus, die durch Aufenthalt auf S­ kyros so beeinflusst wird, dass er nicht mehr ohne Umformungen ein homerischer Held werden kann, so kann dieser Befund zu einer harmonisierenden Deutung der beiden Aspekte Achills, Krieger und Liebender, führen, wie dies z. B. Rosati vorgeführt hat, dem die vorliegende Arbeit wichtige Impulse verdankt.350 Von einer solchen Position kann man zu zwei unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der literarischen Gestaltung der Achilleis gelangen: Koster geht von einer gänzlichen Konzentration auf die Liebesgeschichten Achills aus und bezeichnet die Achilleis als »epische[s] Gegenstück zur ovidischen ­Elegie«.351 Ovid stellt auch Hinds in den Vordergrund, allerdings nicht dessen Liebeselegie, sondern die Metamorphosen: In der epischen Tradition habe sich das vergilische Modell des Epos durchgesetzt; Ovid sei Ausnahme, die Statius wieder aufnehme.352 Dessen Achilleis sei »markedly Ovidian, markedly metamorphic«.353 Eine nuanciertere Ansicht findet sich bei Davis, der eine Ausbalancierung ovidischer Intertexte durch andere notiert; so würden z. B. die praecepta der Ars zwar aufgerufen, aber abgelehnt.354 Einem primär generisch-intertextuellen Zugang stellt die vorliegende Arbeit die Konzeptionierung als Alterswerk gegenüber, die u. a., aber nicht ausschließlich in einer generisch-intertextuellen Perspektive deutlich wird. Nicht vergilische und 349 McAuley 2010, 57: »[…] it is the journey itself, rather than its telos, that undermines and reconfigures our notions of masculinity, to the extent that when Achilles does become the man recognisable from Homeric epic, he is nonetheless entirely different: epic heroism itself has undergone a transformation. Homer will never be the same again.« Er gibt damit eine überzeugende Antwort auf die Zweifel, die Aricò 1996 an der Konzeptionierung der Hauptfigur aufwirft, nämlich dass die Entwicklung Achills die Absicht zeige, zum epischen Helden hinzugelangen (194/198) und dass andererseits der vorläufige Status der Achilleis keine Extrapolationen erlaube (189/195). Vgl. auch Newlands 2012, 95–98 zur Erziehung und Entwicklung Achills in der Achilleis, mit der Schlussfolgerung: »The Scyrian episode, with its acculturation of Achilles to male and female identities, is thus key to his burgeoning human development.« (98). 350 Vgl. z. B. Rosati 1994. Vgl. auch Fantuzzi 2012, 71–92, der von einer epic dignification Achills spricht, bes. im Vergleich zur Darstellung in Ovids Ars. Die epische Qualität Achills als Krieger werde auch durch den Aufenthalt auf Skyros nie in Frage gestellt (74). Statius stelle die Notwendigkeit und Schwierigkeit der Entscheidung Achills zwischen zwei Lebensentwürfen heraus (91 f.). Fantuzzi schließt sich nicht einer Extremposition hinsichtlich der epischen Konzeption an (Koster 1979 vs. Aricò 1986 und 1996), sondern hebt zumindest für den erhaltenen Teil die Verbindung epischer und elegischer Aspekte hervor: Eine epische Makrostruktur lasse Raum für elegische Detailausführungen (74). 351 Koster 1979, 206–208, Zitat: 208. 352 Hinds 1998, 135–144. 353 Hinds 1998, 136. Eine Verbindung der Positionen von Hinds und Koster lässt sich als Reihung von Epyllia (wie in den Metamorphosen) mit den Liebesabenteuern des Achill­ (Koster) erreichen (vgl. aber dazu B 4.). 354 Davis 2006, bes. 141.

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ovidische Tradition oder Elegie und Epos stehen sich m. E. in der Konzeptionierung der Achilleis als solche gegenüber, sondern die Distanzierung zur epischen Norm erwächst aus der Stilisierung als Alterswerk, wobei die epische Norm, wie sie die Ilias und ihre Tradition setzen, als Ausdruck eines in seiner Virilität den Hauptcharakteren entsprechenden Dichter-Ichs gilt, wovon sich ein alternder Dichter dementsprechend durch seine Altersproduktion absetzt. Ein anderes Extrem, das sich von der Ausgestaltung der Achill-Figur herleitet, vertritt Klodt, die eine durchgehende Ironie beobachtet und die Achilleis ein »parodienahes Epos« nennt.355 Alle Verkleinerungsstrategien werden von ihr nicht als Pathosbegrenzung, sondern ironische Brechungen verstanden.356 Sie hat ein gänzlich negatives Achill-Bild: er sei ein »kriegsversessener, verantwortungsund herzloser ungezogener Tunichtgut«.357 Der Erzähler verzichte weitgehend auf explizite Wertung, aber in der Distanz zu Homers Achill werde die kritische Haltung deutlich.358 Auf die schon in der Forschung notierte und b ­ esonders in der Einzelanalyse figurierende Entwicklung Achills – d. h. die Überwindung des Abstands zum epischen Bild einerseits und die Anreicherung des Bildes durch liebeselegische Züge andererseits –359 geht Klodt nicht ein bzw. spricht diese sogar direkt ab.360 Aus einem als kritisch gewerteten Heldenbild in der Figur des Achill leitet Benker361 eine kaum rezipierte, zwar reizvolle aber letztlich wohl kaum gänzlich haltbare Deutung ab: Achill sei mit Eigenschaften charakterisiert, die auf Domitian verwiesen. Durch den Abstand zum homerischen Helden sei damit Kritik am Princeps intendiert. Auch wenn Benker durchaus interessante Parallelen zur zeitgenössischen Sicht auf Domitian vorbringen kann, so erscheint es doch fraglich, ob die Gesamtkonzeption des Epos auf dieses Ziel hinauslaufen kann. Zudem ist der Abstand zum homerischen Achill m. E. gerade nicht als negative Wertung zu lesen, sondern Teil der Ethos-Konzeption, wie sich im Folgenden (C) zeigen soll. 355 Klodt 2009, Zitat: 222. Barchiesi hat als Beispiel für seinen zweiten Punkt, die Parodie, Koster 1979 genannt, allerdings scheint mir die chronologisch nach Barchiesi 1996 anzusetzende Klodt viel eher als Koster auf eine Epos-Parodie im Sinne einer Karikatur auszugehen. 356 Vgl. z. B. zu deducere und praeludit (A. 1,7/19) p.  221 f.; zum Schild (A. 1,852–857) p. 188–191; zu Protesilaus, inklusive seiner ›liebeselegischen Vergangenheit‹ (A. 1,493–513) p. 210; zum »hellenistisch-ovidische[n]« Kindheitsbericht (A. 2,96–167) p. 201. Die »Trivialisierung als bürgerliche Idylle« (p. 223) lässt sich m. E. eher als Bezug zur Neuen Komödie im Rahmen eines Ethos-Epos, denn als eposzersetzende Ironisierung deuten. 357 Klodt 2009, 190. 358 Klodt 2009, 205 f. 359 Vgl. dazu insbes. die Ausführungen zu 1,640–674 und zum zweiten Buch. 360 Klodt 2009, 202 f. 361 Benker 1987, u. a. 111–134 für das Heldenbild. Bereits Taisne 1976, 378 f. hatte auf die Analogie der Darstellung des Augustus als Achill bei augusteischen Dichtern und dem Lob Domitians durch die statianische Achilleis hingewiesen, die Frage aber offen gelassen.

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Kritisch sieht auch Heslin in der bisher zweiten monographischen Arbeit zur statianischen Achilleis die Hauptfiguren.362 Sowohl Thetis wie auch Achill sind in seiner Deutung als scheiternde Figuren inszeniert: Thetis, weil sie ihren Sohn nicht vor dem trojanischen Krieg bewahren könne und auch in ihrer Rhetorik bereits dieses Scheitern impliziert sei; Achill, weil er seine Männlichkeit nicht, wie gedacht, durch die Vergewaltigung Deidamias unter Beweis stellen könne. Hieran knüpften sich Fragen nach der Definition von Geschlecht, das weniger eine biologische, als eine soziale Konstruktion sei. Wie auch bei Klodt lassen sich einige Beobachtungen Heslins, wie im Folgenden zu sehen sein wird, nicht so sehr als Scheitern oder Zersetzung des traditionellen Epos als vielmehr Strategien der Pathosbegrenzung deuten. Hier liegt ein generelles Problem einer ironischen Deutung: Ironie lässt sich als zerstörerische Karikatur wie auch als temperierende Komponente lesen. Eine Entscheidung ­darüber hängt nicht unwesentlich von der Prämisse der Betrachtung ab: Sieht man die­ Achilleis als ethos-orientiertes Alterswerk, so wird man ironische Elemente als Ethisierungsstrategie verstehen. Sieht man hingegen die Achilleis im wesentlichen als Epos-Parodie, so müssen ironische Elemente karikierende Funktion haben. Die Einbettung ins Gesamtwerk, d. h. die Komplementarität zur Thebais und die Selbststilisierung in den Silven, kann hier m. E. einen wichtigen Fingerzeig bei einer textimmanent nicht zu entscheidenden Frage bedeuten. Dass die Gesamtkonzeption der Achilleis als Ethos-Epos zu lesen ist, hat bereits Delarue vorgeschlagen, worin ihn besonders Ripoll in seinem Kommentar und einigen Aufsätzen gefolgt ist.363 Beide basieren ihre Überlegung allerdings auf einem methodisch m. E. nicht haltbaren Ethos-Begriff, wie bereits in der Einleitung dargelegt wurde (s. A 2.3.). Nicht nur für die Achilleis ist in der modernen Diskussion das Begriffspaar Pathos/Ethos als Interpretationsinstrument genutzt worden. Ripoll 2008b verwen­det die Unterscheidung von Pathos- bzw. Ethos-Epos auch für die Inter-

362 Heslin 2005. Seine Arbeit ist äußert vielfältig und der obige Ausschnitt berührt nur einige Grundthesen. Auf ein einleitendes Kapitel zur Rezeption des Skyros-Stoffes in der neuzeitlichen Oper folgt ein Überblick zur Konzeption und zum Proöm der Achilleis. Die folgenden Kapitel 3–6 widmen sich Thetis als scheiternder Figur, Achill als liminal figure, dem cross-dressing als Initiation und schließlich der Vergewaltigung Deidamias beim BacchusFest. Eine Auseinandersetzung mit seinen Deutungen der einzelnen Szenen erfolgt im Rahmen der Detailanalyse. 363 Delarue 2000, 191–231; Ripoll 2007, 2008a, 2010. Zur Gesamtkonzeption über das Erhaltene hinaus vgl. z. B. Ripoll 2010, 12–13: Die Kontrastierung von kriegerischer und liebeselegischer Welt werde in der Fortsetzung umgekehrt zugunsten der kriegerischen, so dass das thematisch bedingte Übergewicht der Liebeselegie in Buch 1 aufgehoben werde; nicht weitere liebeselegische Abenteuer (so wie Koster 1979) würden folgen, sondern eine ethische Tönung auch pathetischer Ereignisse. Die Fortsetzung hätte, so Ripoll, kriegerische Taten mit einem Fokus auf dem Charakter Achills gebracht.

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pretation des Iason bei Valerius Flaccus. Dessen nicht einheitliche Charakterzeichnung begründet Ripoll dadurch, dass Valerius Flaccus das apollonianische Ethos-Epos zum Pathos-Epos umstilisiere und deswegen die einheitliche Charakterzeichnung zugunsten pathetischer Effekte nicht mehr in gleicher Weise im Auge habe. Allerdings zeigt sich hier die gleiche prekäre methodische Basis des Ethos-Begriffs (s. Einleitung A 2.3.). Núňez 2009 hingegen nutzt explizit die aristotelische Unterscheidung von Ethos und Pathos, um in Heliodors Aithiopika die Darstellung des Erzählers (Ethos) im Verhältnis zu den Emotionen, die beim Rezipienten ausgelöst werden sollen (Pathos), zu betrachten, wodurch er seine Deutung auf eine methodisch sichere Grundlage stellt, die allerdings mit der hier vertretenen Konzeption von Pathos/Ethos nicht vollständig kompatibel ist.364 Fantham 2000 untersucht die Darstellung des Turnus in der Aeneis unter dem Gesichtspunkt Pathos/Ethos in aristotelischem Sinne (sc. erregte Emotio­ nen und sympathischer Charakter). Sie geht dabei nicht gesondert auf die bereits bei Cicero erfolgte und von ihr selbst herausgearbeitete Umdeutung ein,365 sondern greift hauptsächlich die aristotelische Begriffsunterscheidung auf. Eine Erklärung ist vielleicht darin zu suchen, dass sie letztlich auf eine Charakterisierung des Turnus abzielt, die ihn von starken Gefühlen bewegt366 und dennoch nicht als bösen Gegner zeigt, sondern auch mit sympathischen Elementen für den Leser ausstattet. Rieks 1989 bezeichnet im Titel seiner Arbeit »Pathos als ein Form- und Werkprinzip von Vergils Aeneis«: Er versteht darunter die Affektdarstellung als wesentliches Charakteristikum des vergilischen Epos und arbeitet in weiten Teilen terminologisch, wie den häufigen Begriffsstatistiken zu entnehmen ist. An eine sich wechselseitig profilierende Opposition von Pathos und Ethos ist dabei allerdings nicht gedacht, wie seine Begriffsüberlegungen zu Pathos (21 f.) und auch der einleitende Überblick über die »römische Rezeption griechischer Pathostheorien« (25–60) deutlich machen.367 Die Achilleis als Alterswerk zu lesen, ist bisher nur in Form von Andeutungen oder summarischen Betrachtungen vorgeschlagen worden. So betitelt Legras seinen Artikel über Statius’ zweites Epos als »Les dernières années de

364 Vgl. allerdings Quintilias Ethos-Begriff in 6,2,13/18 f., der einen ›aristotelischen Rest‹ bewahrt, dazu A 2.2. 365 Fantham 1973, s. dazu A 2.2. 366 Sc. weil der Rhetor selbst fühlen muss, womit er andere mitreißen will: vgl. mit Bezug auf den Dichter Horaz Ars 102 f., den Fantham p. 167 zitiert. 367 Für die Aeneis hatte grundlegend bereits Heinze 31915, 466–473 die Wirkungsabsicht der ἔκπληξις, u. a. mit Hilfe der Erzeugung von Pathos, herausgearbeitet, sowie als zweite wichtige ästhetische Wirkung das ὑψηλόν bei Vergil ausgemacht (481–493). In neuerer Zeit ist auf diesem Feld u. a. Conte 2007, insbes. Kap. 3 zur Stilistik zu nennen.

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Stace«,368 Delarue spielt auf einen Zusammenhang von Silv. 4,4,70 und Ps.Longin 9,11–15 an,369 in einem vorrangig chronologischen Sinne nennt auch Ripoll die A ­ chilleis »une oeuvre ›de vieillesse‹«.370 Deutlicher fasst Vessey den alternden Dichter ins Auge: Die Achilleis zeige eine besondere Leichtigkeit gegenüber der Thebais, aber »his powers were waning, the fires growing dim. Death brought the project to a premature end.«371 U. a. mit Blick auf letztere Einschätzung372 hat Tanner eine Gesamtwürdigung der Achilleis formuliert, die den Bogen zu den am Anfang zitierten Auffassungen zu musikalischen Alterswerken schlägt (A 1.) und dadurch, von Tanner allerdings unbeabsichtigt, das Konstrukt ›Spätwerk‹ deutlich werden lässt: »Critics who see the ›Achilleid‹ as the dying effort of a sick and ageing poet are right, but only right in the same sense as those music critics who similarly described Mozart’s ›Requiem‹. A less exuberant piece than the ›Thebaid‹ it may be the completed work might have been, but deeper in all likelyhood in its sense of human frailty and of the worth of persistence even before foredoomed adversity.«373

Zwei zentrale Motive aus der im 19. Jahrhundert beginnenden Alters- und Spätwerkdebatte kehren hier wieder: die geschwächte, physische Konstitution des Dichters, die sich im Werk niederschlägt; die Todesnähe und das durch diese transzendent aufgeladene Werk mit tiefen Einsichten in die condition humaine. Implizit tritt außerdem durch den Vergleich mit Mozart des Moment des alterslosen Spätwerks hinzu. Gerade durch diesen Vergleich hebt Tanner sogar das transzendente Element hervor und lässt somit die Achilleis nicht nur zum Alterswerk, sondern zum Spätwerk im emphatischen Sinne werden. Durch die Einschränkung »but only etc.« möchte Tanner eine allzu handfest biographisierende Deutung anscheinend umgehen. Er rekurriert dabei aber gerade auf das in der Einleitung unter Rückgriff auf die neuere Spätwerkforschung als besonders heikel herausgestellte transzendete Moment der älteren Arbeiten (s. A 1.). Gleichwohl liegt hier ein weiterer Ansatzpunkt für ein methodisch reflektiertes Nachdenken über die Achilleis als Alterswerk.

368 Legras 1908. 369 Delarue 2000, 231. 370 Ripoll p. 4. Die Bedeutung der Anführungszeichen für vieillesse erklärt sich mit Blick auf die (methodisch heikle)  Mischung von biographisierender und literarischer Deutung p. 20, die letztlich auf Delarue 2000, 231 zurückgeht; s. dazu A 2.3. 371 Vessey 1982, 580. 372 Außerdem verweist Tanner noch auf das Vorwort von Mozleys Loeb-Übersetzung von Statius’ Werken. Darin heißt es zur Achilleis: »Owing to the poet’s ill-health and comparatively early death no more than 1127 lines of this epic appear to have been written.« (p. xxviii). Schlechter Gesundheitszustand und früher Tod rücken Statius noch weiter in die Nähe zum bei Tanner verglichenen Mozart. 373 Tanner 1986, 3036.

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Die Konzeption der Achilleis im Überblick

So kann die vorliegende Arbeit Aspekte verschiedener Forschungsrichtungen verbindend aufnehmen und zugleich in folgenden Punkten einen Zugewinn für die Forschung bedeuten: 1. dass eine vollständige, systematische und zusammenhängende Detail-Analyse als Ethos-Epos bisher nicht geleistet ist und nach Delarues Überblick und Ripolls Kommentar den folgerichtigen nächsten Schritt bedeutet; 2. dass dabei ein rein rhetorischer Ethos-Begriff ein methodisch abgesicherteres und zugleich fruchtbareres Instrument darstellt; 3. dass darüber hinaus die Achilleis primär als Alterswerk innerhalb eines Gesamtwerkes stilisiert wird und dementsprechend die Ethos-Konzeption ein Mittel zu diesem Zweck und nicht schon der Selbstzweck ist; 4. dass die Verbindung epischer und elegischer Elemente bzw. generell die Intertextualität mit ›niederen‹ Gattungen weder als parodistische Anlage (vgl. Klodt 2009) noch als generische Anreicherung bzw. Umdeutung der Tradition um ihrer selbst willen zu lesen ist (vgl. Rosati 1994, Fantuzzi 2012), sondern funktional in das übergreifende Konzept eines Alterswerkes als eine Strategie zur Erzeugung der Ethos-Wirkung gehört.

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C Zweiter Hauptteil: Die Konzeption der Achilleis im Detail

Nachdem nun die Konzeption der Achilleis in Teil B aus der Perspektive der Silven und des Proöms der Achilleis sowie im Überblick in der Makrostruktur über die ganze Achilleis in den Blick genommen wurde, schließt sich mit Teil C eine Detailanalyse an, die in sequentieller Lektüre jede Szene in ihrer Ethos-­ Gestaltung untersucht sowie weitere Strategien der Alterswerk-Konzeptionierung, wie sie in B 2.2. summarisch dargestellt wurden, in ihrem Funktionieren herausarbeitet.

1. Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) Direkt nach dem Proöm beginnen, wie Ripoll bemerkt hat,1 beide Epen des Statius in medias res. Doch bereits an der Gestaltung der Einleitungsszene lässt sich die unterschiedliche Konzeption beider Werke ermessen.2 Die Thebais fokussiert auf Oedipus (Th. 1,46–87), der nach seiner Selbstblendung ein Leben wie ein langsames Absterben führt (longaque animam sub morte tenebat, 1,47).3 In einer längeren Rede ruft er Tisiphone an (Th. 1,59) und bittet nach einer Rekapitulation der Ereignisse (Th. 1,60–72) um rächendes Eingreifen der Furie in Form einer Verfluchung seiner Nachkommen (Th. 1,73–87). In der Folge erhört ihn Tisiphone und setzt die Ereignisse der Thebais in Gang (ab Th. 1,88). Die Oedipus-Szene erfüllt offensichtlich eine doppelte Funktion: Sie erschafft zum einen die Grundatmosphäre des Epos4 und führt zugleich in indirekter Weise in das Geschehen ein. Durch die Rede des Oedipus weiß der Leser, zu welchem Zeitpunkt des Mythos die Erzählung einsetzt. Bereits die ersten Verse bis zum Rede-Einsatz (Th. 1,46–55) führen durch die Häufung entsprechender Wörter die Schauerlichkeit der erzählten Welt vor Augen: 1 Ripoll zu 1,20–29. Für die Achilleis schon Méheust zu 1,20. 2 Grundlegend schon Delarue 2000, 74–77 und 192–194, zur Thebais allerdings sehr knapp (s. jedoch seinen Vergleich mit dem senecanischen Oedipus pp. 144–146 und den (zuweilen etwas essayistischen) Vergleich der Charakterisierung von Oedipus und Thetis bzw. deren Nachkommen pp. 199–203). 3 Zum ersten Buch der Thebais im Lichte der literarischen Tradition vgl. Taisne 2005, bes. 662–664 zur Eröffnungsszene. 4 Vgl. auch Ganiban 2007, 25: »Because he [sc. Oedipus] is the first character to appear, his discription is of the utmost significance for the interpretation of the epic.«

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

impia iam merita scrutatus lumina dextra merserat aeterna damnatum nocte pudorem Oedipodes longaque animam sub morte tenebat. illum indulgentem tenebris imaeque recessu sedis inaspectos caelo radiisque penates servantem tamen adsiduis circumvolat alis saeva dies animi, scelerumque in pectore Dirae. tunc vacuos orbes, crudum ac miserabile vitae supplicium, ostentat caelo manibusque cruentis palpat inane solum saevaque ita voce precatur: […].

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Schon hatte Oedipus, nachdem er bereits mit schuldiger rechter Hand seine frevelhaften Augen gesucht hatte, seine verfluchte Schandtat in ewiger Nacht versenkt und hielt seine Seele in langwierigem Tod gefangen. Ihn, der sich nach Finsternis und dem abgelegensten Ort des Hauses sehnt und der vor dem Himmel und den Strahlen der Sonne seine Penaten ungesehen bewahrt, umfliegt dennoch mit unermüdlichen Flügeln das schreckliche Tageslicht des geistigen Erkennens, es fliegen umher die Schreckensgöttinnen der Verbrechen in seiner Brust. Dann zeigt er seine leeren Augenhöhlen dem Himmel, eine schlimme und erbärmliche Strafe seines Lebens, schlägt mit blutigen Händen den leeren Boden und bittet so mit schrecklicher Stimme: […].

Kaum ein Vers kommt ohne ein Wort aus, das Verbrechen, Dunkelheit oder Grausamkeit bedeutet. Ja, bereits das erste Wort ist programmatisch: impia.5 Eine besondere Steigerung lässt sich in Vers 52 beobachten, der die allgemeine Beschreibung von Oedipus’ Situation abschließt. Das folgende tunc leitet dann zu einem speziellen Zeitpunkt über, nämlich dem der Fluchrede. In gewisser Hinsicht doppelt die spezielle Beschreibung (Th. 1,53–55) in kondensierter Form die allgemeine (1,46–52) und verstärkt so den Eindruck.6 Die gleiche Struktur, nach einem Proöm ein in-medias-res-Fokus auf die­ Situation einer Figur mit anschließender Rede, die dem Aeneis-Beginn nachgebildet ist (s. u.), findet sich auch in der Achilleis, dort jedoch in ganz anderer Ausgestaltung: Solverat Oebalio classem de litore pastor Dardanus incautas blande populatus Amyclas plenaque materni referens praesagia somni culpatum relegebat iter, qua condita ponto fluctibus invisis iam Nereis imperat Helle,

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5 Vgl. dazu Ganiban 2007, 25–27, sowie 40 zur Rede des Oedipus: »In short, Oedipus articulates what we might call the poetics of the Thebaid – a poetics of nefas […].« 6 impia lumina (46) ~ vacuos orbes (53); merita dextra (46) ~ manibusque cruentis (54); damnatum (47) ~ supplicium (54); caelo radiisque (50) ~ caelo (54); saeva (52/55). Vgl. auch Ganiban 2007, 24: »The Thebaid could not have opened with a more horrific figure.«

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

cum Thetis Idaeos – heu numquam vana parentum auguria! – expavit vitreo sub gurgite remos. nec mora et undosis turba comitante sororum prosiluit thalamis: fervent coeuntia Phrixi litora et angustum dominas non explicat aequor.   Illa ubi discusso primum subit aera ponto, »Me petit haec, mihi classis« ait »funesta minatur, […].«

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25

30

Es hatte der dardanische Hirte [Paris] die Flotte von der oebalischen [= spartanischen] Küste aufbrechen lassen, nachdem er das unvorsichtige Amyklai [Sparta] in schmeichelnder Weise verwüstet hatte, und indem er erfüllt die Ahnungen des Traumbilds der Mutter zurückbrachte, legte er den Weg voller Schuld zurück, wo verborgen im Meer schon als Nereide Helle den verhassten Fluten gebietet, als Thetis vor den Rudern aus Holz vom Ida – ach, niemals sind die Vorahnungen der Mütter vergeblich! – im glasklaren Wasserstrudel in Furcht geriet. Ohne Zögern sprang sie unter Begleitung ihrer Schwesternschar aus dem Wellengemach. Es rauschen die einengenden Küsten des ­Phrixos und das enge Meer kann die Herrinnen nicht fassen. Sobald jene zuerst, nachdem sie die Wasseroberfläche durchstoßen hatte, die Luft erreicht hat, sagt sie: »Mich greift diese Flotte an, mir droht sie Schlimmes […].«

Delarue bezeichnet den Beginn als »nonchalant«7 und sieht in dem Oxymoron blande populatus (1,21) eine Verbindung von Krieg und Galanterie. Mehrere Phänomene trügen zur Distanzierung bei: das Plusquamperfekt solverat;8 die alexandrinisch anmutende Periphrase pastor Dardanus für Paris (1,20 f.); der elegische Ton in der Beschreibung des Raubs der Helena;9 der durch den Fokus auf die Mütter und ihre Träume gefilterte Verweis auf den kommenden Krieg; die emotionale Parenthese 1,25 f. und schließlich auch die als irreal bezeichnete Szenerie der Nereiden mit der Erwähnung der handlungsfremden Helle (1,24).10 Ripoll notiert darüber hinaus eine antithetische Parallele zwischen Paris und Achill durch die Erwähnung der Vorahnungen beider Mütter.11 Was Delarue als Distanzierung versteht, scheint mir vor dem Hintergrund der Kompositionsstruktur dieser Eröffnung besser als bewusstes Changieren zu verstehen zu sein.12 Der erste Vers (1,20) beginnt zunächst mit einem kurzen Moment der Verunsicherung: Bis zum letzten Wort des Verses bleibt unklar, wer von der spartanischen Küste abfährt, Paris oder Menelaos? Sobald durch pastor zwar periphrastische, aber dennoch eindeutig das Subjekt ­identifiziert 7 Delarue 2000, 192. 8 Vgl. allerdings das analoge merserat in Th. 1,47 (s. o.). 9 Dem Attribut culpatum (1,23) mutet Delarue m. E., und in der Folge auch Ripoll zu 1,23, vielleicht etwas zuviel zu. 10 Delarue 2000, 193 f. 11 Ripoll zu 1,25. 12 Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Prophezeiungen des Calchas 1,514–537.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

ist, be­stätigt der folgende Vers durch das Attribut Dardanus die Identifizierung des Hirten als Paris. Der übrige Teil des Verses ist dann durch zwei negativ konnotierte Wörter bestimmt: incautas und populatus. Die nächsten beiden Verse setzten diesen Ton in Form der Vorahnung (praesagia, 1,22) und des schuld­ beladenen Wegs (culpatum iter, 1,23) fort. Gewissermaßen emblematisch ist der Verweis auf eine frühere Fahrt von Griechenland in Richtung Osten angelegt: diejenige des Phrixos und der Helle. Diese endet bekanntermaßen nicht erfolgreich für Helle, die dann dem Meer ihren Namen gibt, doch verweist Statius zugleich auf ihre spätere Vergöttlichung (iam Nereis, 1,24). Dadurch spiegelt er zum einen das Schicksal des Paares Paris-Helena (sterblicher Mann, vergöttlichte Frau),13 zum anderen wird eine Brücke zur Nereide Thetis geschlagen (noch einmal aufgenommen in 1,28 f. mit Phrixi litora).14 Deren Erschrecken (expavit, 1,26) wird durch den nahezu als indirekte Rede der Thetis anmutenden Ausruf des Erzählers heu numquam vana parentum / auguria (1,25 f.) noch gesteigert. Doch legt ein Vergleich mit der Kommentartradition zu Vergil nahe, dass die folgende Szene mit Thetis’ Rede in Begleitung ihrer Schwestern (turba comitante sororum, 27)15 als gezügeltes Pathos zu lesen ist. Bei Servius heißt es zur zornigen Rede der Juno am Anfang der­ Aeneis, die nicht in Begleitung, sondern ausdrücklich zweimal secum (Aen. 1,37 und 50, vor und nach der Rede) spricht: quia vehementior affectus est sine conscio (weil der emotionale Erregungszustand ohne Mitwisser größer ist; Serv. zu Aen. 1,37). Über ihren Affektzustand lässt der Erzähler keinen Zweifel. Junos Rede wird von entsprechenden Hinweisen gerahmt: Vix e conspectu Siculae telluris in altum vela dabant laeti et spumas salis aere ruebant, cum Iuno aeternum servans sub pectore vulnus haec secum: […]. talia flammato secum dea corde volutans […].

35 50

Kaum setzten sie von Sizilien aus fröhlich Segel in Richtung hohe See und wühlten salzige Schaumflut mit ehernem Schiffskiel auf, als Juno, die eine ewige Wunde in ihrem Herzen bewahrte, zu sich sprach […]. Solches bewegte die Göttin für sich in ihrem entflammten Herzen […].

13 Zur Apotheose Helenas vgl. Kannicht zu Eur. Hel. 1666–1669. 14 Barchiesi 1996, 56 f. verweist auf einen wichtigen elegischen Intertext für die Eröffnung der Achilleis, den er auch als programmatisches Statement für die Epos-Konzeption wertet: Ov. Ars 2,3–6/15 f. 15 Micozzi 2015, 338 notiert hier eine Kontrastimitatio zu einer homerischen Konvention (sc. eines Katalogs der Thetisschwestern, den man an dieser Stelle erwarten könne, sie vergleicht auch Verg. Georg. 4,334–344), die zwar aufgerufen, aber unterlaufen wird. Zu diesem Umgang mit Konventionen als Zeichen von Altersschwäche vgl. die Ausführungen zu 1,397–446.

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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Wie ein ironisches Anspielen auf solch eine Deutung wie die des Servius mutet es an, wenn Thetis im Gegenzug nicht nur von ihrer Schwesternschar begleitet wird, sondern diese sogar so zahlreich ist, dass das Meer sie nicht fassen kann (angustum dominas non explicat aequor, 1,28 f.).16 Es sei außerdem daran erinnert, dass auch Oedipus im Gegensatz zu Thetis am Anfang der Thebais­ allein ist.17 Mit Blick auf die Eröffnungskonstellation der Achilleis – eine Gottheit reagiert emotional bewegt beim Anblick einer abfahrenden Flotte und bittet eine andere Gottheit in der Folge um Hilfe – verweist Ripoll18 zum einen auf die bereits erwähnte Juno-Rede im ersten Buch der Aeneis als modèle principal. Ein modèle secondaire sei Juno im siebenten Buch (7,286–322). Beide Aeneis-Hälften haben also relativ zu ihrem jeweiligen Beginn eine solche Szene. Zur zweiten Stelle bestehen, wie Delarue bemerkt,19 verbale Parallelen (Aen. 7,286–289): Ecce autem Inachiis sese referebat ab Argis saeva Iovis coniunx aurasque invecta tenebat, et laetum Aenean classemque ex aethere longe Dardaniam Siculo prospexit ab usque Pachyno. Siehe aber, vom inachischen Argos bewegte sich die wilde Gattin Jupiters fort, durch Lüfte nahm sie ihren Weg, und sie sah den fröhlichen Aeneas und die dardanische Flotte vom Aither von ferne, vom sizilischen Pachynum her.

An der gleichen Versstelle steht classem (A. 1,20 ~ Aen. 7,288), ebenfalls am Versanfang Dardanus (A. 1,21) bzw. Dardaniam (Aen. 7,289).20 Auch hier wird der emotionale Zustand expliziert: Juno ist saeva coniunx (Aen. 7,287) und sie ist von heftigem Schmerz ergriffen (acri fixa dolore, Aen. 7,291). Vergleicht man nun wiederum Thetis, so ist deren Erschrecken, wie bereits gesagt, deutlich benannt (expavit, A. 1,26). Doch mutet der Ausruf A. 1,25 f., der die sympathisierende

16 Dilke zu 1,28 f. bemerkt eine interessante Parallele inhaltlicher Art in der Achilleis: Das Meer reicht für die Schiffe der Griechen nicht aus (ipsum iam puppibus aequor / deficit, 1,445 f.). So könnte man das Verhältnis Thetis – Nereiden als Spiegelung des Verhältnisses Achill – Griechen verstehen. 17 Vgl. darüber hinaus Ganiban 2007, 30–33 zu Parallelen zwischen Oedipus in ­Thebais 1 und Juno in Aeneis 7. 18 Ripoll zu 1,20–29. 19 Delarue 2000, 75. 20 Delarue verweist auch in Thetis’ Rede auf A. 1,43 non potui infelix ~ quae potui infelix (Aen. 7,309) (nach Aricò 1986, 2933 Fn. 45), sowie auf Paris als Auslöser für Thetis’ Rede und auf die Bezeichnung des Aeneas als Paris alter durch Juno in Aen. 7,321. Letzteres ist besonders interessant, weil es als Paradox für den neuerlichen Leser der Aeneis das chronologisch frühere Werk mit dem später spielenden Inhalt als Abbild des späteren Werks des Statius erscheinen lässt (vgl. dazu auch Delarue 2000, 64 f.). Allgemein zu strukturellen und motivischen Parallelen zwischen Aeneis und Thebais vgl. Pollmann 2001.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Haltung des Erzählers zu seiner Figur kennzeichnet, nun eher als verschleierte Steigerung an: Im Gegensatz zu Juno wird nämlich Thetis’ Gemütszustand zum einen weniger ausführlich und explizit beschrieben, zum anderen ist, wie Aricò richtig gesehen hat, der Affekt das Erschrecken einer Mutter und nicht der Zorn einer Göttin.21 Passenderweise hat Delarue22 darum auch Thetis nicht nur als intertextuelle Variante der vergilischen Juno gedeutet, sondern auch auf die Rolle der Venus im ersten Buch Aeneis-Buch hingewiesen: Venus und Thetis, zwei Göttinnen, sorgen sich um ihre Söhne, die eine, weil ein Sturm ihn in Gefahr bringt, die andere, weil ein Sturm eine Gefahr abwenden solle. Beide erhalten zur Beschwichtigung eine Prophezeiung (A. 1,80–94; Aen. 1,257–297).23 Doch auch im Vergleich mit Venus wirkt Thetis eher emotional zurückhaltend. Über Venus lesen wir, sie spreche noch trauriger und mit tränenüberströmten Augen Jupiter an (tristior et lacrimis oculos suffusa nitentis, Aen. 1,228). Thetis hingegen redet ohne weitere Beschreibung zu ihren Schwestern (A. 1,31–51), auch bei Neptuns Auftritt heißt es nur: »als Thetis sagte…« (cum Thetis, A. 1,61). Sehr kondensiert und gewissermaßen verzögert gibt 1,77 nähere Umstände der zweiten Rede: Sie bat mit zerkratzten Wangen und blanker Brust (orabat laniata genas et pectore nudo; dazu s. u.). Thetis’ Emotionen werden in der Darstellung des Erzählers also, vor dem Hintergrund der Eröffnungsbücher der Aeneis und der Thebais gelesen, in doppelter Hinsicht beschränkt: im Umfang und in der Intensität.24 Delarue hat dementsprechend Statius’ Vergilbezüge in beiden Epen als entgegengesetzte Verwendung charakterisiert, in der Thebais zur Amplificatio, in der Achilleis zur Reduzierung der Dramatik.25

21 Aricò 1986, 2933 f. 22 Delarue 2000, 76 f. Grundsätzlich hat diese Parallelen zur vergilischen Juno und Venus sowie zur Venus der Thebais (dazu s. das Folgende oben) bereits Mulder 1955, 123–126 gesehen, sie aber vor allem unter dem Aspekt des Widerstands einer Göttin gegen die fata gedeutet. 23 Vgl. dazu auch Ripoll zu 1,77–94. 24 Delarue 2000, 77 f. sieht in der Beschränkung der Thetis-Szene außerdem das Ideal des πρέπον am Werke: Thetis sei zwar göttliches Wesen, aber keine Juno oder Venus. Man vergleiche auch die Beschreibung der Atalante in Th. 4,309–416, als sie von der Kriegsbeteiligung ihres ebenfalls jungen Sohnes Parthenopaeus erfährt: Ihre Verzweiflung wird wesentlich ausführlicher beschrieben und durch ein Gleichnis überhöht. Zum Verhältnis Parthenopaeus/Atalante – Achill/Thetis vgl. Parkes 2008, 386 f. 25 Delarue 2000, 75 und 199. Ganz anders hingegen sieht Heslin 2005, 105–114 Thetis als Figur, die durch den gebrochenen Rückgriff auf Vergil und Homer als scheiternder Charakter inszeniert werde. Dementsprechend deutet Heslin auch einige der hier vorgestellten pathosregulierenden Maßnahmen in diesem Sinne (wie z. B. das explizite Fehlen des SeeSturmes, dazu s. o. das Folgende). Parkes 2009b stimmt Heslins Deutung zu und versucht über Intertexte zu Valerius Flaccus, das Scheitern der Thetis zu untermauern: Allerdings sind Thetis’ Handlungen nicht sinnlos oder Zeitverschwendung, wie von Parkes mehrfach

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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Der Bezug zu Horaz, und damit zur stilistischen niedrigeren Gattung der Lyrik, ist vielleicht stärker, als zuweilen zugestanden wird.26 Bei Horaz entführt der ebenfalls als pastor umschriebene Paris Helena auf dem Schiff und erhält während der Überfahrt eine Weissagung von Nereus (c. 1,15,1–5). Ähnlich folgt auf die Schiffe des Paris (navibus Idaeis bei Horaz, classem bei Statius) in der Achilleis ein mehrfacher Verweis auf schlimme Prophezeiungen: die Träume der ­Hekuba (A. 1,22), die Vorahnungen der Thetis (A. 1,25 f.) und die Weissagung des Proteus (A. 1,32). Die erste wörtliche Rede nach dem Fokus auf P ­ aris und seine Flotte wird bei Statius zwar nicht von Nereus, aber immerhin von der Nereide Thetis gehalten. Sowohl Nereus wie Thetis sehen gleich zu Beginn die Sammlung der griechischen Armeen voraus (c. 1,15,6–8 und A. 1,33–35).27 Ein Vergleich mit einer motivverwandten Szene aus dem neunten Buch der­ Thebais, wo die Nymphe Ismenis den Tod ihres Sohnes Crenaeus im Kampf betrauert, kann die unterschiedliche Pathos-Gestaltung in der Achilleis verdeutlichen:28

behauptet (vgl. z. B. p. 109 oder 113), denn erst durch den von Thetis initiierten Aufenthalt auf ­Skyros reift Achill in seiner persönlichen Entwicklung (vgl. dazu meine Ausführungen zu 2,30–167). Außerdem hat die Skyros-Episode ein wichtiges genealogisch-literarisches Moment, da er dort mit Deidamia seinen auch in der literarischen Tradition figurierenden Sohn zeugt (vgl. z. B. Neoptolemos/Pyrrhus in Aen. 2,526–558). Also bringt die Verzögerung des Unaufhaltsamen doch etwas Entscheidendes. Vgl. auch McAuley 2010, 57 zur Bedeutung der Entwicklung Achills: »Indeed, it would be a mistake to view the whole previous narrative as simply building towards this moment of full masculine embodiment [sc. bei der Enttarnung durch Odysseus]. For surely it is the journey itself, rather than its telos, that undermines and reconfigures our notions of masculinity, to the extent that when Achilles does become the man recognisable from Homeric epic, he is nonetheless entirely different: epic ­heroism itself has undergone a transformation. Homer will never be the same again.« Vgl. darüber hinaus McAuley 2016, 356–360 für Gegenargumente zu Heslins Interpretation der Thetis-Figur, bes. aus literaturgeschichtlicher und gattungstheoretischer Perspektive; prägnant zusammengefasst p. 367: »[…] the generic play and metamorphic mode allows Thetis a certain liberty to try out ›what is left over‹ in excess of the Homeric masterplot – to temporarily act the author and bend the gender of the boy-hero […].« Vgl. im weiteren Rahmen auch McAuleys Interpretationen zu Mutter-Figuren in Statius’ Epik (2016, 346–389, zur Achilleis: 347–367). 26 Wie z. B. von Ripoll zu 1,20–29. Ausführlicher zu intertextuellen Verbindungen zwischen Horaz’ lyrischem Werk und der Achilleis vgl. Keith (im Erscheinen) und Myers 2015b, 183–188. 27 Letzteres ist auch gesehen von Ripoll zu 1,36, der auch die verbale Parallele coniurata (c. 1,15,7) und coniurat (A. 1,36) bemerkt. Vgl. außerdem Parkes 2009b, 109–111 für intertextuelle Parallelen in Neptuns Prophezeiung zu Hor. c. 1,15 und Valerius Flaccus Arg. 1.  28 Parallele von Uccellini ad loc.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Th. 9,351–356

A. 1,25–29

at genetrix coetu glaucarum cincta ­  sororum protinus icta malo vitrea de valle solutis exiluit furibunda comis, ac verbere ­crebro oraque pectoraque et viridem scidit ­  horrida vestem. utque erupit aquis iterumque iterumque trementi ingeminat »Crenaee« sono:

cum Thetis Idaeos—heu numquam vana parentum auguria!—expavit vitreo sub gurgite ­ remos. nec mora et undosis turba comitante ­  sororum prosiluit thalamis: fervent coeuntia Phrixi litora et angustum dominas non explicat aequor.

Aber die Mutter sprang, umgeben von der Versammlung der meergrauen Schwestern geradewegs vom Unheil getroffen aus dem gläsernen Tal, wahnsinnig, mit gelösten Haaren, und schaudernd entstellte sie mit häufigem Schlag Gesicht und Brust und das grünliche Gewand. Und als sie aus dem Wasser hervorsprang, rief sie immer und immer wieder mit zitterndem Klang »Crenaeus« […].

[…] als Thetis vor den Rudern aus Holz vom Ida  – ach, niemals sind die Vorahnungen der Mütter vergeblich!  – im glasklaren Wasserstrudel in Furcht geriet. Ohne Zögern sprang sie unter Begleitung ihrer Schwesternschar aus dem Wellengemach. Es rauschen die einengenden Küsten des Phrixos und das enge Meer kann die Herrinnen nicht fassen.

In beiden Szenen befindet sich eine mit Wasser assoziierte Göttin, die von ihren Schwestern begleitet wird, in emotionaler Aufregung aufgrund dessen, was dem Sohn geschehen ist bzw. geschehen wird, nämlich seines vorzeitigen Todes. Neben dieser motivischen Parallele werden bereits auf den ersten Blick verbale Parallelen deutlich, die zudem durch die jeweils gleiche Position im Vers markiert sind (sororum, vitrea/o, exsiluit/prosiluit). Doch ist die emotionale Erregung der Ismenis wesentlich eindringlicher gestaltet: Ihre Haare sind zerzaust, ihre Brust geschlagen, die Kleidung zerrissen, ihre Stimme zittert (Th. 9,352–356). ­Thetis hingegen ist zwar durchaus erschreckt (expavit, A. 1,26), aber der Erzähler verweilt nicht auf diesem Detail (nec mora, A. 1,27). Dieser Unterschied ist natürlich auch dadurch bedingt, dass Ismenis ihren toten Sohn mit den üblichen Gesten betrauert, während Thetis zunächst glaubt, dass eine Prophezeiung in Erfüllung gehe. Allerdings lädt die pointierte Parallelität, die sich in den verbalen Reminiszenzen an gleicher Versposition artikuliert, den Leser zu einem Pathos-Vergleich ein. Der Abbruch mit nec mora (A. 1,27) leitet zur Begleitung der Thetis durch ihre Schwestern und dem Auszug aus der Wohnstatt über, das sich entwickelnde Pathos29 wird durch den Fokuswechsel gestört, in A. 1,28 f. gerät Thetis sogar kurzzeitig ganz aus dem Blickfeld. In der Thebais hingegen ist

29 Vgl. bes. die Parenthese A. 1,25 f.

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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Ismenis durchgängig das Subjekt und es ist gleich am Anfang von den Schwestern und dem Auszug die Rede (A. 1,351–353a), so dass in der Folge erzählerisch der Weg frei wird für den Fokus auf Ismenis und eine ausführlichere Beschreibung ihres Zustandes. Doch nicht nur die erzählerische Einbettung, auch die Reden der Thetis selbst lassen sich im Rahmen der Ethos-Konzeption deuten. In Thetis’ Blickfeld sind weniger die weltgeschichtlichen Ereignisse, die sie durchaus überblicken und in ihrer Bedeutung einschätzen kann (A. 1,33–36), sondern die unmittelbaren Folgen für ihren Sohn (A. 1,37–42).30 Sie kennzeichnet das von Paris Begangene klar als Unrecht (incesti praedonis, A. 1,4531 und inuria raptae, A. 1,47; vgl. außerdem A. 1,63–66), gibt sich aber nicht dem Hass auf die Beteiligten hin, ganz im Gegensatz zu Juno, die Aeneas und die überlebenden Trojaner als gens inimica (Aen. 1,67) und stirps invisa bezeichnet (Aen. 7,293). Juno ist außerdem wesentlich stärker durch Ehre und gekränkte Eitelkeit bestimmt (Aen. 1,46–49 und 7,308–310; die Parallelität wird durch gleiche Einleitung ast ego noch unterstrichen). Nicht nur in der szenischen Einbettung, auch in der Charakterisierung steht Thetis der Venus näher.32 Mithilfe der einen vergilischen Figur wird also das Pathos der anderen begrenzt. Thetis beendet ihre erste Rede mit der Absicht, sich zu Neptun zu begeben und einen Sturm zu erbitten (A. 1,48–51). Gerade die letzten drei Wörter rogabo / unam hiemem (A. 1,50 f.) wirken wie eine Epitomisierung der Juno-Szene im ersten Buch der Aeneis bzw. poetologische Markierung des intertextuellen Bezuges.33 In ihrer Rede secum spricht Juno noch nicht konkret von ihren Absichten, erst vor Aeolus offenbart sie dies deutlich (Aen. 1,69 f.): incute vim ventis submersasque obrue puppis, aut age diversos et dissice corpora ponto. Treibe kräftig Winde an und lass die Schiffe untergehen, oder jage die Schiffer umher und zerreiße ihre Leiber auf dem Meer.

Geradezu genüsslich setzt Juno durch aut eine grausamere Alternative hinzu. Umgekehrt ist Thetis viel zurückhaltender vor Neptun und bittet gleichsam epitomisiert nur obrue puppis (A. 1,72, an gleicher Versstelle). Auch Thetis fügt ein aut hinzu, allerdings aut permitte fretum (A. 1,73). Sie lässt also im Ungewissen, was genau sie mit der ihr überlassenen Macht über das Meer zu tun gedenkt. Sie

30 Vgl. auch 1,68 f.: quos gemitus terris caeloque daturus, / quos mihi. Vgl. außerdem Delarue 2000, 199 f. zu Thetis’ Stilisierung primär als Mutter und nicht als Göttin, sowie Mendelsohn 1990 für eine psychologische Deutung der Handlungen der Thetis als Mutter. 31 Für Parallelen zu dieser Bezeichnung des Paris vgl. Uccellini ad loc. 32 Vgl. z. B. Aen. 1,231 meus Aeneas und A. 1,37 meus […] Achilles. 33 Vgl. dazu auch Klodt 2009, 182 Fn. 7.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

fügt sogar hinzu, dass sie nicht aus Ungnade handele (nulla inclementia, A. 1,73), sondern aus Angst um ihren Sohn (pro nato timuisse, A. 1,74). Deutlicher, aber verglichen mit Juno immer noch zahm, wird Thetis nur mit Bezug auf eine bereits verpasste Möglichkeit, Paris und seine Flotte schon bei der Abfahrt aus Troja in einem Sturm untergehen zu lassen (A. 1,43–46): non potui infelix, cum primum gurgite nostro Rhoeteae cecidere trabes, attollere magnum aequor et incesti praedonis vela profunda tempestate sequi cunctasque inferre sorores?

45

Hätte ich unglückliche nicht, als die trojanischen Schiffe zuerst in unsere Flut geraten sind, das Meer hoch erheben und die Segel des unzüchtigen Räubers mit einem bis in die Tiefen reichenden34 Sturm verfolgen und meine übrigen Schwestern hinzu bringen können?

Auch für die zweite Rede der Thetis (vor Neptun, A. 1,61–76) lässt sich wiederum nicht nur eine Modellierung nach der vergilischen Juno, sondern eine Eingrenzung des Pathos durch eine weitere vergilische Venus-Szene beobachten.35 Im fünften Buch bittet Venus Neptun um sichere Seefahrt für Aeneas, die Neptun auch gewährt (Aen. 5,779–826).36 Interessant ist dabei Statius’ Kombinationstechnik. Er behält die Form der Juno-Szene bei (Ekphrasis des Gefolges – Bittrede – Antwort, im Gegensatz zur Nachstellung der Ekphrasis in der Venus-Szene37), ebenso wie auf inhaltlicher Ebene die positive Antwort, doch entspricht die Personenkonstellation eher der Venus-Szene (göttliche Mutter bittet für sterblichen Sohn; Venus allerdings um ruhige See, Thetis hingegen um einen Sturm für die zukünftigen Feinde ihres Sohnes). Neptuns Gesichtszüge werden in A. 1,53 beschrieben als »besprengt mit dem Nektar des Meeres« (aequoreo diffusus nectare vultus). Dieses Detail ist von Ripoll in überzeugender Weise als pathosbegrenzendes Element gedeutet worden:

34 Zu profunda vgl. Dilke ad loc. 35 Vgl. Ripoll zu 1,61–76 und die Liste der verbalen Parallelen bei Heslin 2005, 107 f. Fn. 5. Venus’ Redegestus wird noch eindringlicher als Thetis’ Erschrecken (A. 1,26) geschildert: At Venus interea Neptunum exercita curis / adloquitur talisque effundet pectore questus (Aen. 5,779 f.). Für den Topos der Verfluchung der Schiffsfahrt in A. 1,61–65 vgl. die Parallelen bei Uccellini, die ausschließlich unepischen Genres entstammen. Besonders interessant ist dabei der Hinweis auf Ecl. 4,31–36, wo die Wiederkehr Achills und die Schiffsfahrt zusammen erscheinen. Zu intertextuellen Beziehung zu dieser Eklogenstelle vgl. auch meine Ausführungen zu 1,236–241. 36 Vgl. auch das Auftreten der Athene für ihren Odysseus, ebenfalls im ersten und fünften Buch der Odyssee. 37 Vgl. Ripoll zu 1,54–60. Die Ekphrasis des Gefolges dient zugleich als pathosdämpfendes Intermezzo zwischen den beiden Reden der Thetis; vgl. auch das im Unterschied zu den vergilischen Szenen verzögerte Schildern des Redegestus in 1,77.

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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»L’intrusion dans l’épopée de cette image familière et pittoresque du dieu barbouillé de vin introduit une note d’ironie légèrement irrévérencieuse sur le mode ovidien, qui rompt avec la tonalité pathétique du monologue de Thétis et participe d’une stratégie de dédramatisation.«38

Zwei ironische Anspielungen scheinen die Verbindung zur Venus-Szene der­ Aeneis zu bestärken: Im Gefolge des vergilischen Neptun befindet sich auch Thetis (Aen. 5,825). Zudem heißt es bei Statius beim Auftritt Neptuns: unde hiemes ventique silent (A. 1,54). Damit seien, so Dilke ad loc., die Winde gemeint, die durch Neptuns Ankunft sich erhoben hätten und nun wieder beruhigt werden. Eine ähnliche Wirkung hat Neptun in der Aeneis (5,818–820). Doch während dort Neptun Venus’ Bitte um ruhige See entspricht und somit die szenenbeschließende Beschreibung seines Gefolges und seiner Wirkung auch gleichzeitig Bestätigung für sein Versprechen ist, verwirrt das Beruhigen der Winde in der Achilleis eher. Denn dass diese durch Neptuns Ankunft ausgelöst seien, muss erschlossen werden. Zum anderen ist es seltsam, dass Neptun selbst anscheinend ungewollt durch seine Ankunft Winde antreibt, um sie dann wieder zurücknehmen zu müssen bzw. seine Ankunft müsste zugleich Winde auslösen und beruhigen, was noch unpassender erscheint. Muss man vielleicht etwas anderes inferieren? Thetis wäre nach eigener Aussage in der Lage gewesen, Stürme zu erregen (A. 1,43–46, vgl. auch 1,73 die Alternative aut permitte fretum). Doch möchte sie Neptun jetzt um einen Sturm bitten (A. 1,50 f.), obwohl sie eigentlich – so muss man wohl schließen – die widerstrebenden fata kennt, auf die schon mehrfach hingewiesen worden war, einmal in indirektem Ausruf (1,25 f.), das andere Mal durch Thetis selbst am Anfang ihrer ersten Rede (1,31 f.). Das heißt, sie möchte Rückendeckung für ihr Vorgehen, das sie bereits mit dem Ende der Rede in Gang setzt. Zur rechten Zeit, in tempore (1,51), erscheint Neptun und beendet alle Stürme, auch die von Thetis begonnenen. Nimmt man die so eben erschlossene Handlung nicht an, so ist man darauf angewiesen, in 1,54 eine leere epische Konvention zu sehen oder eine bloße Spiegelung der folgenden Sturmverweigerung Neptuns (1,80–94), wobei der paradoxe Befund des sturmerzeugenden und sofort wieder -legenden Neptun bestehen bliebe. Oder sollte dies eine Entsprechung zu den doppelgestaltigen Neptunpferden sein, die ihre eigenen Spuren mit dem Schwanz wieder auslöschen (A. 1,59 f.)? Der Neptun der Achilleis erscheint als eine Kombination aus dem Jupiter des ersten Aeneis-Buches, der mit dem Hinweis auf die fata tröstet,39 und dem Neptun des fünften Buches, der Venus verspricht, keinen Sturm zu senden, sondern 38 Ripoll zu 1,53. Ripoll notiert außerdem als Parallelen für die Wendung: Silv. 4,2,53–55, Mart. 9,34,3 und Ovid Met. 3,318. 39 A. 1,80–94; Aen. 1,257–297.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

sichere Fahrt zu gewähren. Allerdings bewirkt diese Kombination nicht die von Thetis gewünschte Antwort, denn der Verzicht auf den Sturm bedeutet einen Vorteil für Thetis’ Gegner und der Verweis auf die fata stellt sie nicht zufrieden (1,95–98).40 Gemeinsam aber ist dem Neptun der Achilleis und dem aus Aen. 1 und 5, keinen unrechtmäßigen Sturm senden zu wollen. Denn Aeolus war zwar auf Junos Bitte eingegangen (Aen. 1,76–80), doch Neptun selbst besänftigt den unrechtmäßigen Sturm (Aen. 1,124–143). Durch diese intertextuellen Bezüge macht Statius in poetologischer Hinsicht zwei Dinge deutlich: Zum einen ist der Seesturm des ersten Aeneis-Buches keine erzählerische Notwendigkeit, sondern bewusst eingesetzte epische Konvention. Zugleich verweist Statius direkt auf das Fehlen eines solchen Sturms im ersten Buch der Achilleis. Neptun verlegt den Sturm auf eine spätere Zeit (vgl. A. 1,91–94), wenn die Griechen aus Troja zurückkehren und der Sturm eine erzählerische Notwendigkeit geworden ist. Dies wird besonders durch den Hinweis auf Odysseus verdeutlicht: »den schrecklichen Odysseus werden wir ebenso heimsuchen (dirum pariter quaeremus Ulixem, A. 1,94). Neben der erzählungsintern verständlichen Fokussierung auf Odysseus an dieser Stelle,41 liegt außerdem ein poetologischer Fingerzeig auf das Modell der Aeneis, nämlich die Odyssee und die Stürme, die Odysseus erleidet, zugrunde. Gerade aber die Stürme der Odyssee hatte Ps.Longin explizit als mögliche Einwände gegen seine Ethos-Deutung der Odyssee genannt, die er jedoch nicht als Widerspruch auffasst, sondern als angemessene Relativierung (9,14). So lässt sich die bewusste Vermeidung des Sturms auch (oder vielleicht sogar vor allem) als Hinweis auf die Konzeption der Achilleis als Ethos-Epos lesen. Auch vor dem Hintergrund der Thebais wird das pathosbeschränkende Fehlen noch einmal pointiert deutlich: Im Vorgänger-Epos finden sich sogar zwei ausführliche Sturmschilderung. Auf dem Weg nach Argos ereilt Polynices im ersten Buch ein Sturm (Th. 1,345–389), der zwar aus verständlichen Gründen kein (vergilischer) Seesturm sein kann, aber immerhin an zentraler Stelle ein nautisches Gleichnis beinhaltet (Th. 1,370–377). Einen zweiten Sturm, diesmal aber einen See-Sturm, erlebt der Leser im fünften Buch, in der rückblickenden Erzählung der Hypsipyle (Th. 5,362–421).42 40 Immerhin wird über die direkte Reaktion der Venus auf Jupiters fata-Rede (Aen. 1,257–296) nichts ausgesagt. Doch macht sie sich, wie Thetis in der Achilleis, in der Folge zu ihrem Sohn auf den Weg (A. 1,314–414), um ihm zu helfen. 41 Wie Dilke ad loc. erklärt: aus Neptuns Sicht, weil er Odysseus wegen der Blendung des Polyphem zürnt; aus Thetis’ Sicht, weil er ihren Sohn in den trojanischen Krieg gebracht hat. 42 Anders hingegen Parkes 2008, 385 Fn. 23: Sie sieht dennoch auch in der Thebais nur uneingelöste Ankündigungen eines vergilischen See-Sturms, denn im ersten Buch gebe es nur einen Landsturm und der Sturm des fünften Buches sei nur eine rückblickende Erzählung. Mir scheinen diese Einschränkungen allerdings keineswegs vergleichbar mit dem pointierten Aussparen in der Achilleis.

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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Passend zum explizit fehlenden Sturm hat Schetter eine weitere Kondensierungsstrategie ausgemacht. Neptun gibt als Begründung für seine Verweigerung folgendes an (1,81–83): fata vetant: ratus ordo deis miscere cruentas Europamque Asiamque manus, consultaque belli Iuppiter et tristes edixit caedibus annos. Das Schicksal verbietet es: Einen Beschluss haben die Götter gefasst, dass Europa und Asien ihre blutigen Hände im Kampf vermengen, Kriegsbeschlüsse hat Jupiter festgesetzt und schreckliche Jahre voller Morden.

Im Gegensatz zur Thebais (Th. 1,197–302) finde, so Schetter, in der Achilleis keine ausführliche Götterversammlung statt, in der der folgende Krieg beschlossen werde. Vielmehr zeigen die Verse 1,81–83 »in Form eines feierlichen Edikts«, dass die Götterversammlung bereits stattgefunden habe.43 Zumindest kurz sei noch auf Bezüge zum ersten Buch der Ilias eingegangen. Wie vielfach schon gesehen wurde,44 ist hier auch eine strukturelle Verwandtschaft, sogar die gleiche Figur der Thetis betreffend, festzustellen: Die Mutter Thetis wendet sich mit Bitten um ihren Sohn an eine höhere Gottheit (vgl. Il. 1,493–531). Es wird hier also genau das Geschehen evoziert, das einen gekränkten Achill präsentiert (vgl. Il. 1,348–356),45 der, wie die elegische Tradition zeigt,46 leicht in einen liebenden Achill umgedeutet werden kann, was z. B. die homerische Kommentartradition mit einigem interpretatorischen Aufwand möglichst fernzuhalten gedenkt.47 Standen bisher neben gelegentlichen Vergleichen mit der Thebais vor allem vergilische Intertexte im Vordergrund, so ist dennoch eine weitere Vorbildszene aus dem dritten Buch der Thebais zu bedenken, genauer gesagt, die Ankunft des Mars und die Bitten der Venus (Th. 3,262–323). Jupiter hat Mars den Auftrag gegeben, in Argos kriegsfördernd zu wirken (Th. 3,218–52) und Mars macht sich

43 Schetter 1960, 145. Zu dieser Götterversammlung innerhalb der epischen Tradition vgl. Taisne 2005, 665 f. Ganiban 2007, 50–55 argumentiert, dass sich die Darstellung und Motivierung Jupiters in der Thebais in Abgrenzung vom Jupiter der Aeneis stärker an der Juno der Aeneis bzw. dem Jupiter der ovidischen Metamorphosen orientiere. 44 Vgl. z. B. Hinds 1998, 96; Heslin 2005, 106. 45 Vgl. auch die Bemerkung Il. 1,364 und die vielfachen Verweise auf engem Raum auf Achills Tränen (Il. 1,349, 357, 360, 362): Sie lassen sich ohne Schwierigkeit sentimentalisieren, auch wenn, wie Il. 1,429 deutlich macht, die Tränen eher Ausdruck der Wut als des Gerührtseins sind. Dennoch betont Fantuzzi 2012, 128 zurecht die interpretatorische Offenheit­ Homers in diesem Punkt, die durch das nur andeutende Aussparen bedingt ist. 46 Vgl. dazu B 2.2.2. 47 Dazu Fantuzzi 2012, 109–125.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

erfreut (gaudet ovans iussis, Th. 3,260) und eifrig (fervidus, Th. 3,261) auf den Weg. Da stellt sich Venus ihm entgegen und äußert ihre Bitten (Th. 3,262–291). Schauen wir zunächst auf die Ähnlichkeiten, wie sie von Parkes herausgearbeitet wurden,48 die einen Vergleich überhaupt rechtfertigen. In ähnlicher Haltung wie Venus werde auch Thetis beschrieben: Orabat laniata genas et pectore nudo / caeruleis obstabat equis ([So] bat sie, mit zerkratzten Wangen und stellte sich mit blanker Brust den blauen Pferden entgegen, A. 1,77 f.). Die Absicht eines solchen Auftritts hat der Statius-Kommentator Lactantius treffend formuliert: ut hoc habitu Martem in amorem suum magis magisque succenderet (damit sie durch diesen Aufzug Mars mehr und mehr in Liebe zu ihr entzünde).49 Beide Göttinnen teilen ein Sorgen für die Nachkommenschaft.50 Beider Bitten werden zumindest für die Gegenwart abgelehnt, eine mögliche zukünftige Erfüllung in Aussicht gestellt.51 Eine Vertröstung erfolgt mit den gleichen Worten: dictisque ita mulcet amicis,52 die ähnlich auch für Neptun in der oben behandelten Aeneis-Szene mit Venus gebraucht werden.53 Sowohl Neptun in der Achilleis als auch Mars in der Thebais begründen ihre Entscheidung mit dem Verweis auf die fata.54 Beide gebrauchen sogar die gleiche Wendung fata vetant, Neptun am Anfang seiner Rede, Mars am Ende.55 Diese deutlichen verbalen wie strukturellen Parallelen verweisen den Leser der Achilleis auf das Vorgängerwerk und laden zu einem vergleichenden Lesen ein, das über die erwartete Parallelisierung der Eröffnungsszenen beider Werke hinausgeht. Die Thetis-Szene vor dem Hintergrund der Mars-Venus-Szene zu lesen ermöglicht es, die Ethos-Konzeption der Achilleis detailreicher zu fassen. Denn dass diese beiden Szenen vergleichbar sind bzw. verglichen werden sollen, scheint mir durch die intertextuellen Bezüge angelegt zu sein.56 Auch wenn sowohl Thetis als auch Venus ein dringendes Anliegen haben, so ist doch die Achilleis-Szene durch eine wesentlich größere Ruhe gekennzeichnet. Ein Blick auf die Details der Ausgestaltung kann diesen Eindruck untermauern. In der Thebais (3,262–268) wirft sich Venus dramatisch und mutig den Pferden des Mars in den Weg, diese halten zwar, aber auch im Stehen 48 Parkes 2008, 385. 49 Lact. zu Th. 3,265–266. 50 A. 1,73 f. – Th. 3,269–72/282–291. 51 A. 1,91–94 – Th. 3,310–316. 52 A. 1,79b = Th. 3,294b. 53 Aen. 5,816. Ripoll zu 1,79 spricht von einer Kontamination der Aeneis- und der ThebaisStelle. 54 A. 1,81–83 – Th. 3,304–306/314–316. 55 A. 1,81; Th. 3,316. 56 Vgl. auch Ripoll zu 1,81 zur doppelten Bezugnahme des neptunischen fata vetant auf Thebais und Aeneis: »Ici, Stace a pu se souvenir directement de Theb. III, 316 (amené par la réminiscence du v. 79) en même temps que d’Aen. I, 39 (vetor fatis dans la bouche de Junon et dans un contexte proche).«

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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wird deren Rastlosigkeit verdeutlicht, die die Rede der Venus begleitet (interea, Th. 3,267): iamque iter extremum caelique abrupta tenebat, cum Venus ante ipsos nulla formidine gressum figit equos; cessere retro iam iamque rigentes suppliciter posuere iubas. tunc pectora summo adclinata iugo vultumque obliqua madentem incipit – interea dominae vestigia iuxta spumantem proni mandunt adamanta iugales –: […].

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Und schon gelangte er zum Ende des Wegs zu den abschüssigen Stellen des Himmelsgewölbes, als Venus ohne Furcht direkt vor den Pferden den Schritt einhielt; diese traten zurück und erstarrend senkten sie schon demütig ihre Mähnen. Dann begann sie, die Brüste an den oberen Rand des Joches gelehnt und das Gesicht tränenüberströmt ihn von unten her anblickend – unterdessen kauen neben den Spuren der Herrin die Jochtiere, vorwärts geneigt, auf dem beschäumten Stahlbesatz der Zügel –: […].

Ganz anders hingegen treten Neptun und Thetis auf. Der Unterschied lässt sich mit Blick auf Neptun nicht nur dadurch erklären, dass er eine weniger kriegerische Gottheit als Mars ist. Denn im Strafen ist er nicht weniger energisch oder in der Beschreibung vom kommenden Krieg weniger direkt, auch wenn dies alles als Prophezeiung in die Zukunft verlegt wird und damit nicht im direkten Fokus des Werks verbleibt (vgl. A. 1,84–94).57 Vielmehr wird in der Beschreibung von Neptuns Auftreten die beruhigende Wirkung betont, ja sogar die Meerungeheuer reihen sich heiter in diesen Zug ein. Auch die Zugtiere, die hier wie in der Thebais direkt vor der Bittrede erwähnt werden, sind nicht in gehemmter Kraft dargestellt, sondern haben freien Lauf. Auf diese Weise wird statt einer Steigerung ein Gegengewicht zu Thetis’ Aufregung (A. 1,25–51) geschaffen: Dixit magnumque in tempore regem aspicit. Oceano veniebat ab hospite, mensis laetus et aequoreo diffusus nectare vultus, unde hiemes ventique silent; cantuque quieto armigeri Tritones eunt scopulosaque cete

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57 Dementsprechend versteckt ist die von Rosati 1994, 83 Fn. 35 herausgearbeitete tragische Ironie, dass die Nennung des Sigeum auf das später dort befindliche Grab des Achill hinweise. Allerdings zeigt auch die Neptunrede intertextuelle Bezüge zur epischen Kleinform: 84 f. nimmt die Prophezeiung von Catulls c. 64 wieder auf (vgl. c. 64,343–346), also eine schon ›alexandrinisierte‹ Version der iliadischen Geschehnisse. Vgl. auch die pointierte Mehrfachbezugnahme auf Homer (Il. 21,218–220) und Vergil (Aen. 5,803–808) sowie wiederum Catull c. 64,357–360 in A. 1,87 f.: dazu Uccellini ad loc. und Lauletta 1993, 89–92 (s. zum Catull-Bezug an dieser Stelle auch B 3.).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Tyrrhenique greges circumque infraque rotantur rege salutato; placidis ipse arduus undis eminet et triplici telo iubet ire iugales; illi spumiferos glomerant a pectore cursus, pone natant delentque pedum vestigia cauda; 60 cum Thetis: […]. Sprach sie und erblickte zur rechten Zeit den großen König. Von seinem Gastfreund Oceanus kam er, erfreut über das Gastmahl und die Gesichtszüge vom Nektar des Meeres besprengt, worauf sich Stürme und Winde legten. Mit ruhigem Gesang bewegen sich die waffentragenden58 Tritonen und die Meer­ ungeheuer, die felsengleich59 aus dem Wasser ragen, und die tyrrhenischen Herden schwimmen im Kreis und tauchen hinunter, nachdem sie ihren König begrüßt haben; er selbst ragt steil aus den sanften Wellen hervor und befiehlt mit seinem Dreizack den Zugtieren zu gehen; vorn lassen jene das Meer mit ihrem Schritt schäumen, hinten schwimmen sie und löschen mit dem Schwanz ihre Fußspuren. Da [sagte] Thetis: […].

Dass Thetis Neptun tatsächlich entgegentritt, wie Venus Mars, erfährt der Leser erst nach der Rede. Doch ist auch diese Beschreibung eher knapp gehalten und es wird mithilfe des schon erwähnten intertextuellen Bezugs zur Thebais und zur Aeneis gleich zur Rede Neptuns übergegangen, der sie mit ihr angenehmen Worten beruhigen will, sie sogar auf seinen Wagen einlädt (A. 1,77–79):60 Orabat laniata genas et pectore nudo caeruleis obstabat equis. sed rector aquarum invitat curru dictisque ita mulcet amicis: […]. [So] bat sie, mit zerkratzten Wangen und mit bloßer Brust stellte sie sich den meerblauen Pferden entgegen. Aber der Lenker der Wasser lädt sie auf seinen Wagen ein und besänftigt sie so mit angenehmen Worten: […].

Venus hingegen wird mitten im Satz und im Vers von Mars unterbrochen, der ihre Tränen nicht mehr länger erträgt (Th. 3,291–294): nunc gentem inmeritam –’ lacrimas non pertulit ultra Bellipotens, hastam laeva transumit et alto, haut mora, desiluit curro, clipeoque receptam laedit in amplexu dictisque ita mulcet amicis: […]

58 Dilke: »armigeri has almost the sense of squire, as in Virg. Aen. IX, 564 (aquila) Iovis armiger«. Auch Ripoll weist darauf hin, dass Neptun keine Waffen getragen werden müssten, sondern dass es sich um einen Titel handele, der die Funktion als Begleitschar bedeute (so auch, mit jeweils unterschiedlich ausführlicher Begründung Méheust, Nuzzo und Uccellini). 59 Vgl. dazu Dilke (»roughness of surface«). 60 Dies gelingt zwar nicht, doch ist Thetis über die Ablehnung nicht zornig, sondern trotz Betrübnis schon dabei, einen neuen Plan zu entwickeln (A. 1,95–98).

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Thetis (Monolog und Dialog mit Neptun, A. 1,20–94) 

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Nun das unschuldige Volk –’ die Tränen ertrug Mars nicht länger, die Lanze nahm er in die Linke und sprang ohne Zögern vom hohen Wagen, verletzte sie mit dem Schild, als er sie in die Arme nahm, und besänftigte sie so mit angenehmen Worten: […].

Mars lädt Venus nicht auf seinen Wagen ein, sondern springt von seinem hinunter; er nimmt sie zwar in den Arm – auf ihre frühere Liebschaft hatte Venus ja bereits hingewiesen und diese als Argument gebraucht (Th. 3,273 f.) –, doch er verletzte sie dabei zugleich durch seine Kriegsausrüstung, man beachte die geradezu paradoxe Wendung laedit in amplexu (Th. 3,294). Hier wird also das, was pathosdämpfend wirken könnte, sofort durch eine Gegenbewegung wieder kompensiert. Auf Ähnliches verzichtet Statius in der Achilleis und betont, wie wir gesehen haben, sogar die Ruhe und Freundlichkeit des Dialogs. Zum Abschluss sei daraufhingewiesen, dass sich an der unterschiedlichen Gestaltung der beiden Szenen mehrere der Entwicklungen, die Ps.Longin für den Altersstil herausgestellt hat, beobachten lassen. Die Darstellung der entge­ gentretenden Thetis ist weniger dramatisch als erzählend (πλέον διηγηματικόν) insofern, als ihr Entgegentreten eher benannt als vor Augen geführt wird (vgl. A. 1,78: obstabat equis, dagegen die ausführlichere Schilderung in der Thebais 3,263–265). Auch ein Abschweifen ins mythologische Detail61 wie die nektarbefeuchteten Züge des Neptun (A. 1,53) oder die doppelgestaltigen Pferde (A. 1,59 f.)62 lässt sich in der Achilleis sehen. Ebenso konnte der weniger energische Wechsel der Dialogpartner (Ps.Long. 9,13) in der Achilleis-Szene im Vergleich zur Thebais gezeigt werden. Zugleich zeigt sich die relative Haltung des Ps.Longin (vgl. A 2.2.) als treffendere Beschreibung, da Statius in der Achilleis-Eröffnung keineswegs vollständig auf potentiell pathos-erzeugende Elemente verzichtet.63 Vielmehr treten diese selbst in nur gedämpfter Form auf oder werden von kompensierenden Elementen flankiert.64 Passenderweise beschreibt Quintilian in seiner Diskussion der Erzeugung von Pathos und Ethos die Liebe zu Freunden und Verwandten, zu der auch die liebende Sorge der Thetis um ihren Sohn zählen dürfte, als Gefühl mittlerer Art zwischen Ethos und Pathos.65 61 Vgl. Ps.Longin 9,13: κἀν τοῖς μυθώδεσι καὶ ἀπίστοις πλάνος und 9,14: ἑξῆς τοῦ πρακτικοῦ κρατεῖ τὸ μυθικόν. 62 Bezeichnenderweise findet sich dieses Detail auch in der Thebais (2,46 f.). Dort allerdings in einer mehr als doppelt so langen ekphrastischen Passage (Th. 2,32–54), zu deren retardierendem Charakter auch dieses Detail beiträgt. In der Achilleis hingegen markiert es­ wesentlich auffälliger eine Stimmungsaufhellung nach Thetis’ Besorgnis am Anfang. 63 Vgl. z. B. A. 1,33–36 oder 80–94. 64 Gewissermaßen emblematisch gefasst ist dies in Form der Neptunpferde, die mit ihrem Schwanz die selbst erzeugten Fußspuren gleich darauf wieder verwischen (1,59 f.) 65 6,2,18: paene medius adfectus, vgl. auch 6,2,12: amor sei πάθος, caritas hingegen ἦθος.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

2. Thetis bei Chiron (A. 1,95–241) 2.1 Thetis’ Ankunft (1,95–158) Nachdem Neptun mit seiner Rede Thetis’ Bitte abgewiesen bzw. eine rächende Erfüllung in die Zukunft verschoben hat, ändert sich schlagartig der Fokus:­ dixerat heißt es von Neptun (1,95) und sofort stehen Thetis und ihre Reaktion bzw. ihr weiteres Handeln im Mittelpunkt, von Neptun und seinem Gefolge ist nicht mehr die Rede. Ohne näher auf eine Begründung einzugehen, hat Ripoll die Verse 1,95–97 mit der Anmerkung »effet de decrescendo dramatique« versehen. In der Tat ist die enttäuschte Haltung der Thetis (gravi vultum demissa repulsa, 1,95) ein Decrescendo gegenüber den letzten Worten des Neptun (dirum pariter quaeremus Ulixem, 1,94). Allerdings vermeidet es Statius auch hier nicht, eine gemischte, sich kompensierende Emotion zu präsentieren. Zwischen die Trauer (vultum demissa, 1,95  – tristis, 1,98) stellt er heimliche Pläne, die nicht von einer enttäuschten Zurückhaltung sprechen (alios animo commenta paratus, 1,97). Thetis begibt sich dann auf den Weg nach Thessalien, um Achill zu suchen, der sich bei Chiron aufhält. Die Art der Fortbewegung lässt sich aus 98 f. als Schwimmen erschließen.66 Dieses Detail hat Ripoll67 vor dem Hintergrund der literarischen Tradition überzeugend als Teil  der Ethos-Konzeption gedeutet. Während Thetis bei Homer und Apollonios68 sich auch fliegend fortbewege, schränke Statius zumindest im ersten Buch Bewegungen auf die horizontale Ebene ein, was zur maritimen Szenerie und zur Meergottheit Thetis passe. Zugleich verweist Ripoll auf Delarue, der für die Achilleis im Unterschied zur Thebais eine Konzentration nicht auf Extreme, sondern auch in lokaler Hinsicht Mitten beobachtet.69 Bei der Ankunft wird Thetis von einer nahezu locus-amoenus-artigen Landschaft im ganzen Wortsinne empfangen (1,101–103): laetantur montes et conubialia pandunt antra sinus lateque deae Sperchios abundat70 obvius et dulci71 vestigia circuit unda.

66 Vgl. Dilke (gegen Jannaccone). 67 Ripoll zu 1,98. 68 Stellen bei Ripoll zu 1,98. 69 Delarue 2000, 200. 70 Ucellini zu 1,101–103 verweist auf den Kontrast zur Bezeichnung des trauernden Sperchios bei Achills Abschied in 1,239 f.: tenuior Sperchios. 71 Auch wenn hier die Bedeutung Süßwasser vorliegt, erzeugt dulci durch das Hyperbaton zu unda zunächst für den Leser eine auf sich selbst gestellte semantische Atmosphäre des Angenehmen.

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Thetis bei Chiron (A. 1,95–241) 

Es freuen sich die Berge, die Hochzeitsgrotten öffnen ihr Innerstes und der Sperchios fließt der Göttin mit überreicher Strömung entgegen und umspült ihre Spuren mit seinem Süßwasser.

Zwar teilt Thetis diese Freude nicht (nihil gavisa locis, 1,104), sondern schmiedet weiterhin Pläne (1,104 f.), doch ist ihr Wesen durch Klugheit und Pietas gekennzeichnet (sollers pietate magistra, 1,105). Nach der Erwähnung Chirons wird wiederum von den Sorgen der Thetis durch eine Ekphrasis, diesmal von Chirons Grotte, abgelenkt, die wesentlich ausführlicher gestaltet ist (­1,106–118).72 Zunächst wird das Äußere beschrieben und daran erinnert, dass auch die Hochzeit von Peleus und Thetis hier stattgefunden habe (1,106–110), dann folgt mit der Wendung nach Innen auch der Fokus auf Chiron.73 Dieser wird als besonders altersmilder74 und friedlicher Charakter dargestellt, sowohl im Vergleich zu seinen Artgenossen durch Negationen, als auch durch positiv formulierte Aussagen:               at intra Centauri stabula alta patent, non aequa nefandis fratribus: hic hominum nullos experta cruores spicula nec truncae bellis genialibus orni aut consanguineos fracti crateres in hostes, sed pharetrae insontes et inania terga ferarum. haec quoque dum viridis; nam tunc labor unus inermi nosse salutiferas dubiis animantibus herbas, aut monstrare lyra veteres heroas alumno.

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Aber drinnen standen die tiefen Stallungen des Kentauren offen, die nicht mit denen seiner frevlerischen Artgenossen zu vergleichen sind: Hier gibt es Speere, die kein menschliches Blut berührt haben, und keine Eschen, die in

72 Heslin 2005, 263–267 deutet die Passage durch Bezugnahme auf die Beschreibung der gleichen Grotte bei Ovid Met. 11, 229–237, in der die Vergewaltigung der Thetis durch ­Peleus stattfindet, konträr zu der hier vorgeschlagenen Interpretation, was sich jedoch m. E. nur im Rahmen seines insgesamt düstereren Verständnisses (im Sinne von psychologischen Abgründen) der Achilleis rechtfertigen lässt, das ich, wie meine gesamte Interpretation zeigen soll, nicht teile. Zu Achill und Chiron bei Statius vgl. auch Fantham 1999 (mit biographisch orientierter Deutung anhand von Silv. 5,3 pp. 67–70), sowie Newlands 2012, 88–98 (unter Betonung des Themas der Erziehung in den Silven und der Achilleis, mit Parallelisierung zu Quintilian). 73 Vgl. auch Nuzzo p. 28 zur Analogie Grotte – Charakter des Chiron. 74 Vgl. schon longaevum in 1,106 bei der Ersterwähnung und 1,116. Vgl. auch Ripoll zu 1,112–125 und Taisne 1994, 255 über den Unterschied zum epischen Topos des höhlenbewohnenden Monsters, wie Aen. 8,190–197: Cacus wird dort (8,194) als semihominis bezeichnet, was man als Attribut für Chiron verwenden könnte (wie es Ovid Met. 12,536 allgemein von den Kentauren sagt). Aber während Chiron nur äußerlich ein halber Mensch ist, ist es Cacus auch moralisch.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

kriegerischen Hochzeitsfeste75 zersplittert sind, oder Kratere, die, gegen die blutsverwandten Feinde geschleudert, zerbrochen sind, sondern unschuldige Köcher und abgezogene Tierfelle. Diese hatte er gejagt, als er jung und kräftig war. Denn nun ist es für den Friedlichen einzig Aufgabe, die Pflanzen zu kennen, die gefährdeten Tieren Heilung bringen, und die alten Heroen seinem Schützling mit der Lyra vor Augen zu führen.

Durch die Anspielung auf die Hochzeit des Peirithoos (1,112–114)76 wird implizit zugleich ein Gegenbild zu der zuvor erwähnten Hochzeit von Peleus und Thetis geschaffen. Dass diese in dieser friedlichen Grotte stattgefunden hat, kann der Leser im Rückblick notieren.77 Als wäre diese Ekphrasis nicht schon ausreichend, um den beschaulichen Alltag bei Chiron zu zeigen, wechselt nun der Blick vom Allgemeinen der Beschreibung zur konkreten Situation. Chiron erwartet Achill und bereitet alles zum Mahl (1,119–121a, bes. serenat / igne domum als Schluss). Als er Thetis erblickt, ergreift ihn echte Wiedersehensfreude, er springt ihr jünglingshaft entgegen und empfängt sie freudig (1,122–125). Ein Empfang, der an die geradezu vor Freude personifizierte Landschaft zuvor (1,101–103) erinnert und dadurch einen Rahmen schafft:      erumpit silvis  – dant gaudia vires – notaque desueto crepuit senis ungula campo. tunc blandus dextra atque imos demissus in armos pauperibus tectis inducit et admonet antri.

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Er springt aus den Wäldern hervor – es verleiht Freude ihm Kräfte – und der Boden, der dies schon nicht mehr gewöhnt war, hallt wider vom [einst] vertrauten Hufschlag des Greises,. Dann führt er sie charmant und nach unten gebeugt in sein ärmliches Haus und mahnt sie an die [Ärmlichkeit der]78 Grotte.

Auffällig ist die Charakterisierung des Chiron: blandus ist er79 und beugt sich als Zeichen der Höflichkeit zu Thetis hinunter,80 er bewohnt ein bescheidenes Haus. Für das Motiv des Armen, der eine Gottheit oder einen Heroen bei sich empfängt, verweist Ripoll81 u. a. auf Kallimachos’ Hekale und sicher wird man

75 Gemeint ist die Hochzeit des Peirithoos und der dort stattfindende Kampf zwischen Lapithen und Kentauren. Ripoll zu 1,112–115 sieht hier Anspielungen auf Ov. Met. 12,210–535 (bes. auf Speer und Krater in 235–240 bzw. 323 f.) 76 Dazu Ripoll zu 1,112–115. 77 Vgl. auch Ripoll zu genio in 1,110. 78 Zum Verständnis von admonet antri vgl. Rosati 1992, 267–270. 79 Vgl. auch Paris in 1,21. 80 So Dilke und Ripoll zu 1,124. 81 Ripoll zu 1,125; Kallimachos, Hekale frg. 239–248 Pf. Zum Motiv vgl. auch Uccellini zu 1,119–125.

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Thetis bei Chiron (A. 1,95–241) 

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hier einen alexandrinischen Blickwinkel (sc. das Göttliche im Spiegel des Alltäglichen) zu sehen haben, und zwar sogar in doppelter Weise. Denn einmal empfängt der ärmliche Chiron die Göttin Thetis in seiner bescheidenen Grotte, zum anderen ist Chiron selbst ein übermenschliches Wesen, das bei alltäglichen Verrichtungen (bes. 1,119–121) gezeigt wird. Auch der Detailblick auf die Hufe des Kentauren (1,123) ist sowohl in seiner Existenz wie auch in seiner Ausformung in alexandrinischer Tradition zu sehen.82 Eine Weile lang schaut Thetis sich schweigend um (tacito lustrat Thetis omnia visu, 1,126), dann jedoch erträgt sie keine weitere Verzögerung (nec perpessa moras, 1,127) und setzt zu einer vorwurfsvollen Rede an, in der sie Chiron brüsk auffordert, ihr Achill zu übergeben (1,127–141).83 Ripoll84 hat diese Rede treffend charakterisiert: »Noter le caractère impérieux et hautain de l’entrée en matiere dans les v. 127–128 (brutalité de l’apostrophe Chiron, reproche implicite de négligence du v. 128): c’est bien le ton de la ›grande dame‹ s’adressant au pédagogue de son fils; […]. La suite de ce discours mêle des affabulations […] à un fond de vérité: l’inquiétude de la mère pour son fils.«

Zur friedvollen Stimmung, mit der die Szenerie vorgeführt wurde, stellt die Rede einen denkbar großen Kontrast dar: Thetis will durch eine stark emotionalisierte Rede Chiron überzeugen, was rhetorisch gesehen als Pathos zu bezeichnen ist.85 Allerdings hat Ripoll implizit auf zwei wichtige Punkte hingewiesen, 82 Vielleicht ist auch nota als alexandrinische Fußnote (dazu Hinds 1998, 1 f.) zu verstehen? Zur auch bei Ennius und Vergil belegten Klausel ungula camp- vgl. auch Dilke und­ Ripoll zu 1,123, sowie Uccellini zu 1,120–125 zu genaueren Verarbeitung beider Intertexte bei Statius. In der Thebais taucht sie dreimal in martialisch-pathetischem Kontext auf (6,401/459 und 12,656). Sie wirkt also hier wie ein fremdes Element, dass durch seine Überraschung­ zugleich den Abstand in der Stimmung der Szenen deutlich macht und auf die friedlichere Atmosphäre verweist. 83 Beachtenswert ist hier auch der von Uccellini zu 1,126–129 bemerkte Kontrast zum Proöm, in dem Achill als iuvenis bezeichnet wurde (1,7), während seine Mutter ihn hier puer nennt (1,128) und dadurch ihre Perspektive auf ihren Sohn deutlich macht. 84 Ripoll zu 1,127–141. 85 Dennoch ist auch hier im Vergleich zur Thebais eine Kondensierung zu beobachten (Parallele bei Uccellini zu 1,129–134, dort auch einige verbale Parallelen): Thetis’ dunkle Träume und ihre Wirkungen werden in sechs Versen ausgeführt (1,129–134). Im neunten Buch der Thebais hingegen nimmt eine solche Schilderung der Träume der Mutter des Parthenopaeus inklusive eingelegter Ekphrasis mehr als dreißig Verse in Anspruch (9,570–601). Zur literarischen und psychologischen Dimension dieser beiden Träume (und zum Traum der Ceres bei Claudian) vgl. Guipponi-Gineste 2010. Vgl. auch Parkes 2008, 386 f. zu den beunruhigten Müttern Thetis und Atalante zu 1,77 f., sowie generell zum Verhältnis Parthenopaeus/ Atalante – Achill/Thetis vgl. Zur mythologisch-literarischen Tradition des 1,133 f. erwähnten Eintauchen Achills in die Styx vgl. Dilke und Uccellini ad loc., sowie Harrauer 2010, bes. 171–175 zu Statius’ Innovation in diesem Punkt.

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die sich als Kompensationsmomente verstehen lassen. Zum einen ist dies der Aspekt des erfundenen Ritus, der von Proteus verlangt werde, damit Thetis von ihren Sorgen befreit werden könne (1,135–140). Hier ruft Statius durch verbale Parallelen, wie bereits Dilke gesehen hat,86 ein vergilisches Vorbild auf, nämlich Dido, die ihre Schwester durch einen erfundenen Ritus über ihre Selbstmordabsichten täuschen möchte. Im Unterschied zu den früheren Anklängen der Thetis an vergilische Gottheiten,87 wählt Thetis nun gewissermaßen ein menschliches Modell.88 So wird auf einer intertextuellen Ebene doch eine Reduzierung des Pathos auf das Pathos einer enttäuschten Sterblichen und nicht mehr einer zürnenden oder besorgten Göttin erreicht.89 Damit verbunden ist ein zweiter Punkt, auf den bereits am Ende der Ausführungen zu 1,20–94 hingewiesen wurde. Die Liebe zu Verwandten sieht Quintilian als medius adfectus zwischen Ethos und Pathos (6,2,12/18). Wie Ripoll im obigen Zitat andeutet, stehen hinter Thetis’ pathetischen Worten die Ängste der Mutter. Außerdem wird die vollständige Ergriffenheit der Thetis durch das Ende der Rede in Frage gestellt (1,141–143):      sic ficta parens: neque enim ille dedisset, si molles habitus et tegmina foeda fateri ausa seni. So sprach die Mutter ihre erfundene Geschichte: Es hätte nämlich auch jener [seinen Zögling] nicht hergegeben, wenn sie es gewagt hätte, dem Greis die weichlichen Gesten und die entehrende Kleidung zu bekennen.

Um ihre wahren Plänen zu verbergen, die hier nach der allgemeinen Andeutung in 1,97, nun zum ersten Mal expliziter werden, spielt Thetis die ergriffene Mutter, um durch ihr Pathos jeden möglichen Widerstand Chirons gleich auszuschließen. Rückwirkend wird so das Pathos der Rede vom Leser als weniger gewichtig empfunden, zumal schon auf die kommenden molles habitus vorverwiesen wird.90 86 Dilke zu 1,135 ff., für weitere verbale Parallelen zu Aen. 4,480–502 vgl. die umfangreiche Zusammenstellung bei Heslin 2005, 116 Fn. 23. Die Impersonierung der Dido ist schon zuvor angedeutet worden: A. 1,95 ~ Aen. 1,561 (über Dido und Thetis vultum demissa). 87 Venus und Juno, s. o. zu 1,20–94. 88 Zu Parallelen zwischen Dido und Thetis vgl. auch Mulder 1955, 126 f. Mulder sieht eine Begründung für die Bezugnahme auf Dido darin, dass Thetis wie eine Sterbliche vergeblich versuche, sich den fata zu widersetzen. 89 Vgl. auch Heslin 2005, 116 f.: Heslin sieht Thetis bei der intertextuellen Annäherung an die vergilischen Gottheiten allerdings als scheiternde Figur bzw. als von Statius so inszeniert, wohingegen Thetis in der Rolle der Dido erfolgreicher sei. Heslins negative Thetis-Deutung kann ich nicht teilen. Was er als Scheitern interpretiert, scheint mir Teil der Ethos-Umformung zu sein (s. dazu die Ausführung zu 1,20–94). 90 Vgl. auch Achill selbst über sich in 1,652 f.: nec ego hos cultus aut foeda subissem /  tegmina.

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Diese Auflösung ins Ethos wird in Chirons Antwort fortgesetzt.91 Chiron geht gleich mit dem ersten Wort auf Thetis’ Forderung ein und redet sie wiederum blandus (wie in 1,124) an: Duc, optima, quaeso, / duc gentrix – Führ ihn, beste Mutter, führ in fort (1,143 f.). Er verweist gleich auf die Götter, um jedem weiteren Streit mit Thetis vorzubeugen (humilique deos infringe precatu, 1,144). Zugleich möchte er ihr die Furcht nehmen und greift zu einem ähnlichen Mittel wie Neptun zuvor (1,80–94), indem er eine positivere Zukunft vorhersagt (1,146–148):      non addo metum, sed vera fatebor: nescio quid magnum – nec me patria omina fallunt – vis festina parat tenuesque supervenit annos. Ich füge keine Furcht hinzu, sondern werde Wahres verkünden: Etwas Großes – und mich täuschen die Omina des Vaters92 nicht  – bereitet seine behände Kraft und sie übersteigt seine jungen Jahre.

Heslin hat für eine sehr einleuchtende intertextuelle Beziehung zu Properz in diesen Versen argumentiert:93 »What Chiron reads from omens and prophecy is what we know from Homer. The phrase ›something great‹ (nescio quid magnum) is an allusion to Propertius’ famous characterization of the composition of the Aeneid: ›something greater than the Iliad is coming into being‹ (nescio quid maius nascitur Iliade, Prop. 2.34.66). Statius says ›great‹ (magnum) instead of ›greater‹ (maius), because it is not something greater than the Iliad that is in preparation for Achilles, it is the Iliad itself that is in preparation. […]. If we read Chiron’s prophetic remarks as pointing not only forward to Homer, but also to the future unfinished plot of the Achilleid, then it amounts to a statement of poetic intent. Statius is engaged in writing something new and, especially at this stage of composition, ›something or other‹ (nescio quid) is an apt characterization of the Achilleid. It is not going to be ›greater than the Iliad‹ (maius… Iliade) perhaps, but ›something great‹ (nescio quid magnum) nonetheless.«94

Ohne es explizit zu beabsichtigen, kommt Heslin hier der Deutung der Achilleis als Ethos-Epos auf mittlerer Ebene nahe. Passenderweise baut Chiron in der Folge eine pathetische Steigerung der Entwicklung95 des Achill auf (1,149–155), 91 Vgl. auch Ripoll zu 1,143–158: Chiron sei »plein de courtoise et de bonne volonté« (ähnlich schon Delarue 2000, 228). Seine Rede hebe die Sorge für den Zögling hervor und stelle gewissermaßen ein Alters-Gegenbild zu Achills Darstellung in 2,96–167 dar. Außerdem ist Chirons Vertrauen in Thetis’ Rede bemerkenswert: dazu Nuzzo p. 28. 92 Zur Deutung vgl. Dilke und Ripoll zu 1,147. 93 Grundsätzlich wurde diese bereits von Koster 1979, 201 Fn. 34 gesehen. 94 Heslin 2005, 296. Heslin zieht außerdem eine Parallele zum »bold, yet modest claim« am Ende der Thebais. Zweifel an der intertextuellen Parallele zu Properz hat Nuzzo ad loc. 95 In 1,151 sagt Chiron über Achill: nunc illum non Ossa capit. Mehrere Kommentatoren notieren eine verbale Parallele zu Aen. 9,644 nec te Troia capit (vgl. Jannaccone, Dilke, Ripoll und Uccellini zu 1,151): Apoll verspricht Ascanius nach einem erfolgreichen Pfeilschuss auf

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doch wird dieser in doppelter Weise unterbrochen. Er selbst holt weit aus (olim equidem, 1,156) und beginnt von den Argonauten zu erzählen – passend zum Alter, das laut Ps.Longin 9,11 φιλόμυθον ist, doch dann bricht er selbst explizit ab, als Achill in die Grotte zurückkehrt (sed taceo, 1,158).96

2.2 Achills Ankunft (1,159–197) Nach dem Verstummen Chirons ergreift die Nereide ein eiskaltes Erbleichen (gelidus pallor, 158): Achills Ankunft wird zunächst aus der Sicht der Beobachter vorbereitet und die Erwartung auf etwas Erschreckendes dadurch geweckt. Doch die Beschreibung des ersten Auftritts Achill in der Achilleis ist keineswegs einseitig auf Entsetzliches fokussiert, sondern bietet eine wohlkalkulierte Mischung, die heroisches Pathos ethisch dämpft und so den Hauptcharakter zum poetologischen Emblem des Werkes werden lässt (1,159–177):97 ille aderat multo sudore et pulvere maior, et tamen arma inter festinatosque labores dulcis adhuc visu: niveo natat ignis in ore purpureus fulvoque nitet coma gratior auro. necdum prima nova lanugine vertitur aetas, tranquillaeque faces oculis et plurima vultu

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Numanus Remulus eine glänzende Zukunft, doch für jetzt soll er sich aus dem Kampf zurückziehen. Gewissermaßen aufgespalten ist die Rolle des vergilischen Apoll in die Zuversicht Chirons und die Absicht der Thetis, ihren Sohn vom Kampf fernzuhalten. Achills Wirken soll, wie das des Ascanius, auf später verschoben werden, ein Später, das außerhalb des Epos liegt? 96 Anders Heslin 2005, 182. 97 Vgl. auch Ripoll zu 1,158–177: »description […] sous le signe de l’ambiguité, avec un­ mélange de virilité et de féminité.« und 1,161: »l’antithèse maior / dulcis annonce la d ­ ouble dimension du personnage, à la fois héroique et érotique, qui sera une idée structurante de l’oeuvre.« Vgl. auch Heslin 2005, 181–184 (im Rahmen seines Kapitels über die von Ambiguitäten bestimmte Figur des Achill). Für ähnliche Darstellungen von Epheben im flavischen Epos vgl. Sanna 2008. Er hebt im Vergleich zwischen dem Parthenopaeus der Thebais und Achill hervor, dass bei der Beschreibung Achills nicht dekorativ-ästhetische Absichten im Vordergrund stünden, sondern die heroischen und den jungen Achill adelnden (p.  204 f.). Interessant ist der Verweis auf­ Hippolytus’ forma virilis in den ovidischen Heroides als entscheidender (elegischer!) Intertext (p. 207 f., Ov. Her. 4,717 f.). Zur Darstellung Achills vor dem Hintergrund der anderen Epheben bei Statius vgl. auch La Penna 1996, 176–180. Zu Aeneas, dem valerianischen Jason und den statianischen Theseus als Vorbildern für Achill vgl. Davis 2015, 165–167. Die oben angesprochene emblematische Funktion sieht Davis 2015, 169 genau umgekehrt: Für ihn bedingt ein ambivalenter Hauptcharakter ein Werk mit ambivalentem generischen Status. Vgl. aber Chinn 2015, 173–184 (z. T. mit ähnlichen Ergebnissen wie oben im Folgenden, aber in noch umfassenderer intertextueller Perspektive)  der ausführlich die Beschreibung Achills auf metapoetischer Ebene analysiert; auch er sieht »Achill’s appearance as a vehicle to comment on the generic status of both the hero and of the poem itself.« (181).

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mater inest: qualis Lycia venator Apollo cum redit et saevis permutat plectra pharetris. forte et laetus adest – o quantum gaudia formae adiciunt! – : fetam Pholoes sub rupe leaenam perculerat ferro vacuisque reliquerat antris ipsam, sed catulos adportat et incitat ungues. quos tamen, ut fido genetrix in limine visa est, abicit exceptamque avidis circumligat ulnis, iam gravis amplexu iamque aequus vertice matri. insequitur magno iam tunc conexus amore Patroclus tantisque extenditur aemulus actis, par studiis aevique modis, sed robore longe, et tamen aequali visurus Pergama fato.

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Jener erschien, recht eindrucksvoll durch viel Schweiß und Staub, und dennoch war er inmitten der Waffen und ruhelosen Mühen noch immer lieblich in der Erscheinung: Purpur-Feuer flackert98 auf dem schneeweißen Gesicht und angenehmer als gelbes Gold leuchtet das Haar. Noch wendet sich nicht durch neuen Flaum das erste Alter, ruhige Flammen wohnen seinen Augen inne und sehr viel von seiner Mutter findet sich in den Gesichtszügen wieder: So ist Apoll als Jäger, wenn er aus Lykien zurückkehrt und das Plektrum gegen den grausamen Köcher eintauscht. Zufällig ist er auch fröhlich anwesend – wieviel fügen Freuden der schönen Gestalt hinzu! –: Eine Löwin, die unter einer Klippe des Berges Pholoe gerade Junge bekommen hat, hatte er niedergestreckt und sie selbst in der leeren Höhle zurückgelassen, aber die Jungen bringt er herbei und reizt sie zum Gebrauch ihrer Krallen. Diese aber lässt er los, sobald er seine Mutter auf der bekannten Schwelle sieht, nimmt sie in die Arme und umfasst sie, [er selbst] schon schwer in der Umarmung und schon auf Augenhöhe mit der Mutter. Es folgt, schon damals in großer Liebe verbunden, Patroklos und strengt sich mit so großen Taten als Rivale an, gleich im Eifer und den Sitten seines Alters, aber an Kraft weit unterlegen, und dennoch sollte er unter gleichem Schicksal Troja sehen.

Zunächst fällt der Blick der Erzählers (sicherlich auf Thetis fokalisiert) auf die Mühen und Gewalt implizierenden Elemente von Achills Erscheinung (1,159 f.),99 die in ihrer Aufzählung durch ein vorgezogenes tamen (1,160) bereits einmal unterbrochen werden, bevor dann der Blick vom Körper auf das Gesicht wechselt und die Süße seiner Züge ins Zentrum rückt (1,161). Nun könnte adhuc (1,161) als Einschränkung empfunden werden, doch der Erzähler verweilt insgesamt sechs Verse auf dem Antlitz des Jünglings Achill, die von einem Apollon-Gleichnis gekrönt werden (1,161–165). Eine Mischung von Weiß und Purpur kennzeichnet Achills Gesicht (1,161 f.), was Ripoll zurecht als hellenistisch-neoterisches Mo 98 Vgl. OLD. s.v. nato 4a. 99 Vgl. auch Uccellini zu 1,159, die für sudore et pulvere anhand der Parallelen zu Th. 3,326 f. und 9,710 auf die kriegerischen Untertöne dieser Junktur verweist.

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tiv für junge Frauen oder feminin gezeichnete Jünglinge bezeichnet hat.100 Die schlagendste Parallele ist dabei wohl das Bion oder Theokrit zugeschriebene und im Corpus Theocriteum überlieferte Epithalamiumfragment, das eine erotisierte Version der Liebschaft zwischen Achill und Deidamia bietet.101 Dort heißt es ebenfalls über Achill (Epith. 15–21): λάνθανε δ’ ἐν κώραις Λυκομηδίσι μοῦνος Ἀχιλλεύς, εἴρια δ’ ἀνθ’ ὅπλων ἐδιδάσκετο, καὶ χερὶ λευκᾷ παρθενικὸν κόρον εἶχεν, ἐφαίνετο δ’ ἠύτε κώρα· καὶ γὰρ ἴσον τήναις θηλύνετο, καὶ τόσον ἄνθος χιονέαις πόρφυρε παρηίσι καὶ τὸ βάδισμα παρθενικῆς ἐβάδιζε, κόμας δ’ ἐπύκαζε καλύπτρῃ.

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Es verbarg sich unter den Töchtern des Lykomedes allein Achill, statt mit Waffen lernte er den Umgang mit Wolle, und hielt mit weißer Hand einen Jungfrauenbesen, er erschien wie ein junges Mädchen: Denn er verhielt sich auch jenen gleich wie ein Mädchen, und ebenso blühte eine Purpurblume auf seinen schneeweißen Wangen und er schritt wie eine Jungfrau, die Haare aber verbarg er unter einem Schleier.

Reizvoll ist diese Parallele, wie Fantuzzi bemerkt,102 nicht nur wegen der großen wörtlichen Nähe, sondern auch wegen der Tatsache, dass hier Achill beschrieben wird, der sich bereits auf Skyros befindet, wohingegen wir bei ­Statius gewissermaßen den Normalzustand vor der ›Verwandlung‹ durch Thetis (vgl. 1,325–348)103 und vor dem Aufenthalt auf Skyros, aber nach einer Jagd haben. Die femininen Züge sind Achill bei Statius also seinem Wesen eingeschrieben und nicht nur im Rahmen der Skyros-Episode existent.104 Inwieweit diese Züge aber ausschließlich mit dem jugendlichen Alter in Verbindung stehen und somit im weiteren Lauf des Epos hätten auch verloren gehen können, muss offen bleiben. Der Zusatz adhuc (1,161) ließe sich auch in dieser Hinsicht verstehen, oder nur konkret auf die Situation bezogen. Auch nach einer Jagd bewahrt Achill sich die jugendliche Anmut. Nachdem bisher nur implizit die Jugendlichkeit des Beschriebenen erschlossen werden konnte, folgt mit 1,163 der Hinweis auf den noch fehlenden Bartwuchs und damit die topische Alterszuordnung.105 Eine wirkliche Überraschung bringt der nächste Vers: Ruhige Flammen leuchten in Achills Augen und seine Gesichtszüge erinnern stark an seine Mutter. 100 Ripoll zu 1,161, gegen die vielleicht etwas zu einseitige Sicht von Heslin 2005, 183. 101 Dazu Fantuzzi 2012, 43–61, sowie B 3. 102 Fantuzzi 2012, 74 f. 103 Unterstützt wird diese Parallele gerade dadurch, dass Frisur und Gangart bei Thetis’ ›Verwandlung‹ eine besonders erwähnte Rolle spielen (1,328/343 bzw. 339). 104 Vgl. auch Benker 1987, 75 f. zum diesbezüglichen Unterschied zur äußeren Erscheinung Achills in der Ilias. 105 Für weitere Stellen aus der Epik vgl. Ripoll zu 1,163.

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Dilke hat die Ungewöhnlichkeit des Bildes tranquillae faces betont.106 Wir haben hier ein weiteres Beispiel für die die ganze Beschreibung kennzeichnende Ambiguität bzw. besser gesagt die Zurückhaltung und Einschränkung. Die feminine Seite wird wiederum betont, durch die Ähnlichkeit zu seiner Mutter.107 Das folgende Apollon-Gleichnis (1,165 f.) erfüllt mehrere Funktionen: Es stellt zum einen eine Überhöhung der bisherigen Beschreibung dar und rückt Achill näher an das Göttliche; es blickt in intertextueller Weise zurück auf Aeneas, der im vierten Buch der Aeneis zur Jagd aufbricht;108 und es bildet die Brücke zur weniger anmutigen Fortsetzung der Beschreibung in 1,167–170 (s. u.) sowie zur musikalischen Betätigung in 1,188–194. Im Gleichnis ist von den zwei Seiten Apolls die Rede: dem Jäger und dem Kitharöden. Wie bei Achill wird auch auf Apoll im Moment der Rückkehr von der Jagd (cum redit, 1,166) fokussiert. Zunächst wird also gewissermaßen rückwirkend erklärt, warum Achill selbst bei der Rückkehr von der Jagd noch eine so anmutige Erscheinung geben kann: Es liegt nämlich in seinem apollinischen Wesen, das eine Koexistenz der scheinbar widersprüchlichen gewalttätigen und musischen Züge ermöglicht. Der Kontrast zwischen beiden Seiten ist pointiert im Attribut saevis (1,166) für die Köcher ausgedrückt. Bisher hätte man aus der allgemeinen Beschreibung 1,159 f. noch nicht auf einen Achill schließen können, der von der Jagd zurückkehrt. Denn die Aussagen sind bewusst allgemein gehalten (z. B. nur arma109 und labores in 1,160, allenfalls das Attribut festinatos gibt einen Hinweis). Der explizit als Jäger benannte Apoll (venator, 1,165) bildet dann auch die Brücke für den Blick auf die Jagderfolge Achills in 1,167–170.110 Die doppelte Natur des Apoll ist in ihrer Vereinigung von Gegensätzen auch als temperierte Mischung deutbar. So hat es bereits vor Statius Horaz in einer berühmten Ode getan, die der aurea mediocritas gewidmet ist (c. 2,10,5).111 Als ein Exempel, dass ein Übel nicht ewig währt, sondern auch wieder von Glück abgelöst wird (c. 2,10,18 f.), wird Apoll eingeführt (c. 2,10,18–20):112 106 Dilke zu 1,164 f.: »The use of fax with an adj. meaning ›gentle‹ is unusual.« 107 Ausführlicher dazu Heslin 2005, 183 und Ripoll zu 1,164. 108 Aen. 4,143–150, dazu Heslin 2005, 94, Feeney 2004, 89–91 und Hinds 2000, 237 f. 109 Symptomatisch ist die als notwendig erscheinende Ergänzung bei Jannaccone: da­ caccia. Ähnlich auch Uccellini zu 1,160. 110 Vgl. außerdem Ov. Ars 3,141 f.: Der Kitharöde Apoll mit offenem Haar dient als Vergleichspunkt für eine Frauenfrisur. Auch hier haben wir die Verbindung von elegischer­ Nuance, Apoll und androgynem Charme. In Am. 1,14,31 f. wird es als Lob für das Haar einer Dame formuliert, dass Apoll und Bacchus sich gern eines solchen Haares erfreut hätten. Auch Achill wird in der Achilleis sowohl mit beiden Gottheiten verglichen (Apoll: 1,165 f.; Bacchus: 1,615–618). Vgl. dazu auch die umfangreiche Stellensammlung zu diesen Motiven von Navarro Anatolín zu Corp. Tib. 3,4,27. 111 Diese Parallele sieht auch Uccellini zu 1,165 f. 112 Für weitere Parallelen vgl. NH zu c. 2,10,19, dort auch zur Verwendung des Bogen­ bildes als Zeichen der Entspannung (u. a. mit Verweis auf Silv. 4,4,30–33).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

    quondam cithara tacentem suscitat Musam, neque semper arcum     tendit Apollo. Zuweilen weckt er mit der Kithara die schweigende Muse, und nicht ständig spannt Apoll den Bogen.

Die Ode schließt daraufhin mit der Ermahnung im Unglück sich tapfer zu zeigen und im Glück nicht übermütig zu werden (c. 2,10,21–24). Als eine solche Mischnatur hat Statius auch seinen Achill gezeichnet, was sich auch in den folgenden Versen zeigen wird. Diese nehmen Achills Jagderfolg in den Blick: Er ist froh heimgekehrt (laetus, 1,167), was seine Ausstrahlung noch unterstützt (1,167 f.). Dann wird mit zwei Plusquamperfekta (perculerat und reliquerat, 1,169) auf die Jagd zurückgeblendet. Achill hat eine Löwin, die gerade Jungen bekommen hatte, getötet und deren Junge mit sich genommen (1,168 f.). Diese hält er nun im Arm und neckt sie (1,170). Sobald er seine Mutter erblickt, lässt er diese fallen und umarmt in überschäumender Freude seine Mutter (exceptamque avidis circumligat ulnis, 1,172). Mit einem Detailblick, wie ihn ein älterer Mensch auf heranwachsende Kinder einzunehmen pflegt, kommentiert der Erzähler, dass Achill schon schwer in der Umarmung falle und bereits die Größe seiner Mutter erreicht habe (1,173). Bereits in der Art der Jagd offenbart sich die Mischung von Gewalt und Wendigkeit: perculerat ferro (1,169) als Tötungsart ist ein schnelles und gewaltsames Überwältigen.113 Ganz herzlos erscheint das Zurücklassen der getöteten Löwin (1,169 f.), nur um mit den Nachkommen davonzugehen. Es wird also unmissverständlich deutlich gemacht, zu welcher Gewalttat Achill fähig ist (wie ein Apoll, der im ersten Buch der Ilias Verheerung über das Lager der Griechen bringt). Es wird aber in der Folge sofort eine Reduzierung dieser Gewalttätigkeit auf ein temporäres Phänomen vorgenommen:114 Der neckende Umgang mit den Jungen erinnert Ripoll115 nicht von Ungefähr an den Umgang Lesbias mit ihrem passer, von dem es heißt: [sc. cuius] acris solet incitare morsus (Cat. c. 2,4). Vielleicht ließe sich hier noch eine weitere Stelle anfügen, die scherzhaft von einem Kampf mit Nägeln (vgl. ungues in 1,170) spricht, und dies in poetologischer Weise über unepische Dichtung. In c. 1,6 lehnt Horaz ein­ panegyrisches Epos auf Agrippa ab und begründet dies, recusatio-typisch, mit

113 Vgl. Th. 3,20 f. ense / perculerit: Eteokles hadert an dieser Stelle mit seiner Unentschlossenheit, den Gesandten Tydeus nicht gleich getötet, sondern stattdessen einen erfolglosen Hinterhalt in Auftrag gegeben zu haben. 114 Ganz anders hingegen, als ironische Destruktion des Helden Achill, deutet Klodt 2009, 190 diese Stelle. Vgl. auch Ripoll zu 1,168–170 für die motivische Spiegelung dieser Stelle in der Achilleis. 115 Ripoll zu 1,170.

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dem Verweis auf die eigenen Kräfte und die eigene Gattung. Seine Themen umreißt er dabei abschließend folgendermaßen (c. 1,6,17–20): nos convivia, nos proelia virginum sectis in iuvenes unguibus acrium cantamus, vacui sive quid urimur   non praeter solitum leves. Wir besingen Gastmähler und Schlachten von schneidigen Jungfrauen gegen junge Männer mit geschnittenen Nägeln, ob wir nun frei sind oder brennend vor Liebe, aber nicht ungewohnt leichtgewichtig.

Obwohl Achill zu anderem fähig ist, wie die Tötung der Löwin beweist, bewegt er sich lieber in weniger epischem Gefilde mit den kleinen Nachkommen. Über der Wiedersehensfreude angesichts seiner Mutter vergisst er sogar diese (1,171 f.). Dies ist m. E. nicht primär als Zeichen einer Nachlässigkeit oder Geringschätzung seitens Achills gegenüber den geraubten Jungen zu deuten, über deren weiteres Schicksal nichts gesagt wird. Sicher ist abicit (1,172) ein hartes Wort. Aber es heißt an der Stelle quos tamen […] abicit. Es wird also die Relativität der Zuneigung ins Auge gefasst: Sogar die liebgewonnenen Löwenjungen lässt er sofort fahren – und diese schnelle Bereitschaft scheint mir vor allem in abicit enthalten zu sein –, sobald er seine Mutter erblickt. Gerade einen solchen Fokus auf die Emotionen des Alltags und des Familienlebens zählt Ps.Longin zu den Elementen eines ethos-orientierten Altersstils (vgl. 9,15). Bei Horaz (s. o.) war der Nägelkampf der Jungfrauen sinnbildlich für die Liebe als Thema einer unter dem Epos stehenden Gattung gebraucht worden. Die Liebe spielt an dieser Stelle der Achilleis auch eine entscheidende Rolle: diejenige zu seiner Mutter, aber in der Folge auch die des Patroclus, der dem Achill magno amore (1,174) verbunden ist. Die Verse 1,174–177 mit ihrem Vergleich116 zwischen Patroclus und Achill sowie der Vorausdeutung auf beider Teilnahme am trojanischen Krieg117 wirken wie ein Ilias-Emblem, eine Ilias parva gewissermaßen: Patroclus folgt (insequitur, 1,174) Achill, er will ihm nacheifern er ist ihm in vielem gleich, aber an Kraft unterlegen. Ebenso versucht Patroklos im 16. Buch der Ilias ein Achill-Ersatz zu sein, wird aber daran scheitern. Wie Fantuzzi118 hervorhebt, hat nur noch Valerius Flaccus (1,407–410) das Detail, dass Patroclus und Achill bei Chiron erzogen wurden. Bei Valerius sei die Verbindung beider eher eine freundschaftliche Vertrautheit. Statius hingegen betont 116 Zur Struktur der Synkrisis vgl. Ripoll zu 1,176. 117 Laut Ripoll zu 1,176 besitze der Vers 1,177 eine touche pathétique. 118 Fantuzzi 2012, 264 mit Fn. 223; dort auch zur vergilischen Junktur magnus amor. Vgl. insgesamt zur Kontextualisierung das Patroclus-Kapitel bei Fantuzzi 2012, der die intertextuelle Entwicklung von Homer bis Statius nachzeichnet. Ripoll zu 1,174–177 sieht auch in Silv. 2,6,54 Haemonium Pyladen einen Hinweis auf diese Version.

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die schon damals bestehende Liebe (iam tunc, 1,174). Epitomisierung und Erotisierung sind also zwei hier zu beobachtende Strategien der Pathosreduktion. Der Hinweis auf den trojanischen Krieg (1,174) schlägt kurzfristig eine düstere Note an, besonders aufgrund der Formulierung, dass Patroclus mit dem gleichen Schicksal Pergamon sehen werde (aequali fato), was nicht nur als Teilnahme am trojanischen Krieg gedeutet werden kann, sondern auch auf den gemeinsamen Tod in diesem Krieg.119 Diese düstere Note wird in der Folge in doppelter Weise kompensiert:120 Achill reinigt sich mit einem schnellen, also sehr lebendigen Sprung (rapido […] saltu, 178) ins Wasser und ›erneuert‹ sich (novatur, 1,179), d. h. er legt das ab, was noch an die Jagd erinnert (vgl. multo ­sudore et pulvere, 1,159). Diese Reinigung wird dann mit derjenigen des Castor im Eurotas verglichen (1,181 f.),121 wobei die Formulierung auf den vergöttlichten Jupitersohn hinweist (sui […] astri, 1,181).122 In mehrfacher Hinsicht ist Castor also ein Gleichnis für Achill, wobei der Abstand zwischen beiden deutlich wird: Die Art der Reinigung ist vergleichbar, aber Castor kommt zu Pferde und sicher nicht nur von der Jagd (anhelo […] / equo, 1,181 f.); Castor ist wirklich ein Sohn Jupiters, nicht nur beinahe wie Achill;123 er wird als Gestirn vergöttlicht, Achill erwartet zumindest innerhalb der Achilleis gesehen Ruhm bei Griechen.124 Nach seiner Reinigung wird er sorgfältig von Chiron gepflegt (1,182 f.), wobei die einmalige125 literale Verwendung der Junktur pectora mulcens (1,182) ins Auge fällt. Der Fokus auf der beeindruckenden Erscheinung Achills hält nur für einen kurzen Moment an: Die Erwähnung der starken Schultern Achills (fortis umeros, 1,183) führt sofort zum Hinweis auf die gemischten Gefühle der Mutter (angunt sua gaudia matrem). Dass sich die Freude auf die prächtige Erscheinung Achills bezieht, ist unmittelbar einleuchtend, besonders wenn man sie einem Castor vergleichen kann. Vielleicht schwingt auch ein wenig Freude über 119 Vgl. OLD s.v. fatum 6 »death, doom«. 120 Zur auffälligen Intertextualität von 1,178–181 mit Valerius Flaccus 7,644–646 (Beschreibung Jasons) vgl. Ripoll ad loc. Zu intertextuellen Bezügen zwischen dem ersten Buch der Achilleis und den ersten beiden Büchern der Argonautica des Valerius Flaccus vgl. ­Kozák 2013; analog zu Thebais und Argonautica vgl. Lovatt 2015 (bes. 422 zur komplexen intertextuellen Beziehung: »All this builds up to an epic claim that insists that the Thebaid trumps the Argonautica, becoming an Aeneid in waiting, an Iliad to the Argonautica’s Odyssey.«). 121 Vgl. zum vergilischen Hintergrund McNelis 2015a, 192–194. 122 Vgl. Nuzzo und Ripoll zur Stelle. 123 Zum Thema der Quasi-Jupitersohnschaft Achills in der Achilleis vgl. Schetter 1960, 130 f. 124 Vgl. die sehnsüchtige Erwartung A. 1,473–476 und Chirons Prophezeiung 1,145–148; allerdings nähere sich, laut Neptuns Prophezeiung (1,84–91) Achill durch seine Kriegstaten einer als von Jupiter geglaubten Abkunft an. In der Odyssee zeichnet Achill ein trauriges Bild seines Aufenthaltes in der Unterwelt (11,488–491), wenn auch Odysseus von seiner Vormachtstellung in der Unterwelt spricht (11,485 f.). 125 Vgl. dazu Dilke und Nuzzo.

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die Fürsorge des Chiron mit, in dessen Händen sie Achill nachträglich gut aufgehoben weiß. Worauf genau sich die Angst bezieht, ist allerdings weniger eindeutig.126 Nuzzo ad loc. hat dies als Vorahnung interpretiert: »Thetis è fiera della straordina prestanza fisica del figlio, ma allo stesso tempo angosciata che proprio questa possa spingerlo verso il prematuro destino di morte che gli è riservato.« Jedoch scheint mir dies ein wenig zu weit über die konkrete Situation hinauszugehen. Sicher wird Thetis von der Angst um ihren Sohn motiviert. Doch ihr konkretes Handlungsziel ist in diesem Moment, Achill von Chiron zu entfernen und genau in dem Augenblick, da sie die enge Vertrautheit beider sieht, bekommt sie Angst. Denn sie erkennt, dass es ihr schwer fallen wird, Achill zum Gehen zu bewegen. Doch Chiron bemüht sich in der Folge sogleich um eine behagliche Atmosphäre und setzt seine Arbeiten von 1,120 f., die durch die Ankunft von Thetis bzw. Achill unterbrochen worden sind, fort:127 In einer Art Symposium bietet Chiron Speisen, Wein und Musik (1,184–187). Bei Horaz hatte Chiron Achill dahingehend unterwiesen, vor Troja jedes Übel mit Wein und Gesang zu erleichtern (omne malum vino cantuque levato, Epod. 13,17). In einer Silve heißt es über Chiron, dass er Achill, der sich nach kriegerischem Lärmen sehnte, durch einen andersgearteten Gesang zähmte (tubas acres lituosque audire volentem / Aeaciden alio frangebat carmine Chiron, Silv. 5,3,193 f.).128 In der Achilleis stellt sich Chiron der doppelten Aufgabe, den von der Jagd zurückgekehrten Sohn und seine ängstliche Mutter zu besänftigen.129 Doch greift er nicht nur selbst zur Leier, sondern übergibt sie auch an seinen Zögling,130 der gern zum Gesang ansetzt (libens, 1,188): Auf diese Weise kann der Sohn zur Besänftigung seiner Mutter beitragen und damit indirekt auf Thetis’ Vorwürfe (1,127–129) reagieren. Chiron präsentiert seine Erziehungserfolge, nachdem Achill sich als stattlicher Jäger gezeigt hat, auch im musischen Bereich. Sein Gesang umfasst vier Themen (­ 1,188–194)131: Die ersten drei bilden Heldentaten von Hercules, Pollux und Theseus, vom ersten und dritten hatte Chiron bereits (wahrscheinlich nicht zum ersten Mal im Laufe von Achills Erziehung, vgl. 1,118) zu sprechen begonnen (1,157), mit dem Bruder des zweiten war Achill gerade verglichen worden (180 f.). Das 126 Vgl. die zurückhaltende Erklärung von Ripoll ad loc., gegenüber Nuzzos Zuversicht (s. o.). 127 Vgl. die Wiederaufnahme von dapes in 1,120 und 1,184. 128 Ripoll und Nuzzo vergleichen diese Stelle mit 1,355 f. tu frange […] / indocilem (Ermahnung der Thetis an Achill). 129 Vgl. varia oblectamina nectens, 1,185 und solantia / fila curas, 1,186 f. 130 Vgl. Ripoll zu 1,185–188 zur ikonographischen Tradition der Leierübergabe Chirons an Achill und zu Parallelen in der lateinischen Literatur hinsichtlich der musikalischen Erziehung Achills, besonders prominent gleich am Anfang der ovidischen Ars: Phillyrides­ puerum cithara perfecit Achillem / atque animos placida contudit arte feros (1,11 f.). Die Fortsetzung macht deutlich, dass dieses Exempel programmatisch gemeint ist: Aeacidae Chiron, ego sum praeceptor Amoris (1,17). 131 Vgl. zur literarischen Tradition Ripoll zu 1,188–194 und Heslin 2005, 88–93.

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vierte und abschließende Thema (1,193 f.) wählt Achill mit Blick auf seine Mutter: Es handelt sich um ihre Hochzeit. Hier lässt sich Thetis sogar auf ein Lächeln ein, auch wenn ihre Angst nicht vollständig verschwindet (hic victo risit Thetis anxia vultu, 1,194). Treffend kommentiert Ripoll ad loc.: »le dernier mythe ­raconté rompt avec la tonalité héroique des trois autres, et suscite une ambiance plus detendue, qui apaise les angoisse de la mère (effet de decrescendo dramatique).«132 Auch in poetologischer Hinsicht unternimmt Achill eine Reduktion: von epischen Stoffen zum Thema des prototypischen Epyllions: Catull c. 64.133 Doch auch die heroischen Themen weisen eine kindliche Färbung auf, wie Klodt beobachtet hat, die dies als ironische Destruktion des Helden Achill deutet, die sich jedoch, wenn man eine ironische Interpretation nicht teilt, auch als Ethisierungsstrategien verstehen lassen: »Auch Statius’ Achill singt die κλέα ἀνδρῶν [sc. wie Homers Achill in Ilias 9],134 aber in kindlicher Weise. […]. Kindgerecht scheinen die Epenstoffe zu Märchen aufbereitet. Ins Auge fällt die Häufung von Quantitätsadjektiven und -pronomina (immania, quot, quo, quanto […]) und das Oxymoron immania semina. Für den kleinen Achill sind die Großtaten der Vorbilder auf Messbares und auf sportliche Leistungen beschränkt.«135

Die kindliche Darstellung Achills wird auch in den folgenden Versen fortgesetzt (1,195–197): Es wird Nacht, Chiron bettet sich zur Ruhe, Achill sucht die Nähe des ihm gewohnten Kentauren, auch wenn die Mutter anwesend ist. In ihrem Charakter und ihrer Funktion ist diese kurze Szene von Ripoll136 folgendermaßen gewürdigt worden: »trait du réalisme psychologique familier dans la manière alexandrine; valeur affective aussi: accentue la suggestion du lien quasi filial entre Achille et Chiron […]. ­Fonction narrative enfin: ›libère‹ Thétis pour son monologue intérieur des v. 198sq.« 132 Bereits Taisne 1994, 265 f. attestiert dem Hochzeitsthema von Achills Gesang eine Note von »douceur und grâce« als ausgleichendes Moment und Vorverweis auf Skyros und Deidamia. 133 Zu Bezügen zwischen Catull und der Achilleis vgl. B 3. Eine Kondensierung lässt sich deutlich bei der Erwähnung des Theseus und seines Kampfes gegen den Stier beobachten. In der Achilleis werden dem knapp zwei Verse mit sachlicher Beschreibung eingeräumt (1,191 f.: quanto circumdata nexu / ruperit Aegides Minoia bracchia tauri). In der Thebais wird die­ Anspielung darauf detailreicher im Sinne einer brutal-naturalistischeren Schilderung und doppelt so lang ausgestaltet (Th. 12,668–671):   seque ipsum monstrosi ambagibus antri hispida torquentem luctantis colla iuvenci alternasque manus circum et nodosa ligantem 670 bracchia et abducto vitantem cornua vultu. 134 Wie Ripoll zu 1,188–194 bemerkt, bleiben bei Homer allerdings die Themen ungenannt. 135 Klodt 2009, 192 f. 136 Ripoll zu 1,197.

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Achill wird hier blandus genannt, wie zuvor Chiron beim Empfang der Thetis (1,124) und auch Paris’ Agieren in Sparta (blande populatus, 1,21).137 Von seiner doppeldeutigen Erscheinung bei der Ankunft (1,159–165) hat sich Achill im Laufe des symposiastischen Abends also zum reizenden Knaben entwickelt, der nur noch in seinen Interessen an epischen Stoffen etwas Kriegerisches verrät. Das zum Trost der Mutter gewählte Thema, die Annäherung an den Ziehvater beim Zubettgehen zeigen einen milden und auf Versöhnung bedachten Achill.

2.3 Thetis’ Pläne (1,198–241) Mit einem erstaunlichen Detailgrad werden die Überlegungen der Thetis in der Folge präsentiert (1,198–220).138 Bei der Ankunft in Chirons Höhle hatte sie schon die zwei grundlegenden Momente für sich bestimmt: die Entfernung Achills von Chiron und das Verstecken in Frauenkleidern (vgl. 1,141 f.). Daraus ergäbe sich schon, dass Achill zwischen jungen Frauen versteckt werden soll. Doch die ausführlichen139 Überlegungen, zunächst zur Ortswahl (1,198–216), erfüllen eine doppelte Funktion: Sie zeigen die Sorgfalt der Mutter und betonen die Wichtigkeit einer unkriegerischen Umgebung. Ein zu großer Kriegseifer spricht gegen Thrakien (studiis multum Mavortia, 1,201), eine zu harte Lebensweise gegen Makedonien (Macetum gens dura, 1,202), ein Interesse an Ruhm gegen Athen (laudumque daturi / Cecropidae stimulos, 1,202 f.), für Schiffe sind Sestos und Abydos allzu sehr zugänglich (nimium opportuna carinis, 1,203). Die dann fallende Entscheidung für die Kykladen (placet ire per artas / Cycladas, 1,204 f.), zu denen Skyros eigentlich nicht gehört,140 kann poetologisch auch vor dem Hintergrund der Assoziation von Kykladen mit erotischen Gefilden gesehen werden.141 Unter den Kykladen wiederum werden z. B. Lemnos, das eigentlich ebenfalls nicht zu dieser Inselgruppe gehört, wegen der bekannten Männerfeindlichkeit, Delos wegen zu großer Gastfreundlichkeit  – auch, so muss man erschließen, gegenüber Griechen, die Achill suchen – abgelehnt (Lemnos non aequa viris atque hospita Delos / gentibus, 1,206 f.).142 Die Entscheidung 137 Vgl. auch Heslin 2005, 175 f. zur Parallelität von Paris und Achill in A. 2,78–83. 138 Vgl. auch die doppelte Formulierung: quae nato secreta velit, quibus abdere terris / destinet, 1,199 f. Vgl. auch Ripoll zu 1,198–216 zu motivischen Parallelen aus dem Epos für das Überlegen einer Figur zur Nachtzeit. 139 Vgl. auch B 2.2.4. zum Wortreichtum als Alterskennzeichen. 140 Zur literarisch, nicht geographisch orientierten Topographie vgl. McNelis 2009a, bes. 241–244, sowie Ripoll 2008a für die literarische Ausgestaltung der Insel Skyros in der Achilleis. 141 Vgl. dazu die Ausführung zu 1,530 f. in Calchas’ Prophezeiung. 142 Zu den Ablehnungsgründen für die ebenfalls genannten Inseln Mykonos und Seriphos vgl. Nuzzo zu 1,205.

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fällt schließlich für die Insel des Lycomedes, dessen Hof auch gleich mit dem Satzanfang als unkriegerisch gekennzeichnet ist (inbelli […] Lycomedis ab aula, 1,207). Die unkriegerische Art wird nun durch weitere Einzelheiten präzisiert, von denen Thetis gehört hat: von Zusammenkünften von Frauen und Spielen an der Küste (virgineos coetus et litora persona ludo / audierat, 1,208 f.). Thetis vollzieht also auf der Handlungsebene nach, was der Dichter auf poetologischer Ebene ausführt: die Versetzung des Helden in einen unkriegerischen Kontext, die Verkleinerung des Epos also zum elegischen Epyllion. Auffällig ist ein Detail, das zunächst nur der Erklärung dienen soll, unter welchen Umständen Thetis von Lycomedes’ Insel gehört hat, nämlich als sie zur Kontrolle des Hunderthänders Aegaeon ausgeschickt worden war.143 Dennoch überrascht diese nicht notwendige Art der Detailmotivierung, für die Heslin144 eine überzeugende Erklärung gefunden hat, die er zwar, seiner generellen Interpretationslinie folgend,145 negativ für den Charakter der Thetis auslegt, die sich aber auch dessen ungeachtet in unserem Sinne als Ethisierungsstrategie verstehen lässt: In der Ilias spiele Homer auf eine Traditionslinie der Thetis an, die diese als mächtige Göttin darstelle, die Zeus gegen die anderen Götter erfolgreich geholfen habe, indem sie ihn befreit und den Hunderthänder Aigaion, den die Götter Briareos nennen, zur Hilfe gerufen habe.146 Statius hingegen deute dies um: »[…] Thetis is not the agent of stability in heaven, but a messenger ›sent‹ (missa, 1.210) on behalf of the more powerful gods. By giving Thetis a very prosaic role with respect to Briareus, Statius simultaneously acknowledges and undercuts the tradition of her cosmic role. This allows him to sidestep the tradition of Thetis’ power, which would conflict starkly with his own conception of the goddess as an unimpresive, bungling, and inept figure […].«147

In der Achilleis wird also die Göttin auch in dieser Form vordergründig als Mutter stilisiert, was sich explizit auch im nächsten Vers findet. Abgeschlossen wird die Ortsüberlegung der Thetis nämlich durch einen bekräftigenden Vers, der durch Wiederholung, pointierte Stellung entscheidender Attribute in alliterierender Folge und den Versschluss mit der Erwähnung der Thetis als Mutter geprägt ist (1,211): haec placet, haec timidae tellus tutissima matri. Ängstlichkeit und Sicherheit sind hier Handlungsmotivationen, denen auch der Hauptcharak-

143 A. 1,209 f.: duros laxantem Aegaeona nexus / missa sequi centumque dei numerare catenas. 144 Heslin 2005, 160–164. 145 Vgl. bereits die Einleitung seines Thetis-Kapitels: Heslin 2005, 105. 146 Dies wird von Achill in der Ilias als Argument verwendet, das Thetis vor Zeus um seinetwillen vorbringen solle (Il. 1,396–406). Heslin basiert seine Argumentation in diesem Punkt auf Slatkins Buch »The Power of Thetis« (Berkeley 1991). 147 Heslin 2005, 163.

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ter Achill untergeordnet wird. Das folgende Gleichnis unterstreicht diese Verkleinerung des Haupthelden, der doch – seinem Jagdauftritt nach zu urteilen – für sich selbst sorgen können müsste (1,212–216): qualis vicino volucris iam sedula partu iamque timens, qua fronde domum suspendat inanem; providet hic ventos, hic anxia cogitat angues, hic homines: tandem dubiae placet umbra, novisque vix stetit in ramis et protinus arbor amatur.

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So wie eine Vogel(mutter), die schon eifrig wegen der bevorstehenden Geburt und schon furchtsam ist, an welchem Zweig sie das (noch) leere Haus aufhänge; hier sieht sie Winde voraus, hier denkt sie ängstlich an Schlangen, hier an Menschen: Endlich gefällt der Zweifelnden ein schattiger Platz, und, kaum steht sie auf jungen Zweigen, ist ihr sogleich der Baum lieb.

Kommentatoren heben die Ungewöhnlichkeit des Gleichnisses hervor, das kein erhaltenes Vorbild habe.148 Die Aufmerksamkeit des Lesers, die es dadurch auf sich zieht, ist m. E. darin begründet, dass es sich um ein poetologisches Gleichnis handelt, das die Entwicklung vom Pathos zum Ethos nachzeichnet. Die Furcht der Vogelmutter (timens, 1,213; dubiae, 1,215) wird durch die Schilderung der Gefahrenquellen (ventos, angues, homines, 1,214 f.) plastisch vor Augen geführt. Dann jedoch löst sich die Furcht auf und weicht der Beruhigung: Die Vogelmutter findet Gefallen an einer schattigen Stelle (placet umbra, 1,215) und gewinnt den Baum lieb (amatur, 216). Gefallen haben Thetis und die Vogelmutter (placet in 1,211 und 215). Schließt man aus dem Gleichnis zurück, so hat auch Thetis die Insel des Lycomedes sogar schon liebgewonnen und amor wird auch zum Stichwort, wenn Achill beim Anblick Deidamias sich zum Aufenthalt auf Skyros entschließt (1,304) bzw. wird Skyros sich für Achill zur insula­ amoris entwickeln. Mit dem zweiten Teil der Überlegungen überrascht Thetis den Leser, denn in ihrer Sorge um Details widmet sie sich auch der Fortbewegungsart (1,217–220): Altera consilio superest tristemque fatigat cura deam, natum ipsa sinu conplexa per undas an magno Tritone ferat, ventosne volucres advocet an pelago solitam Thaumantida pasci.

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Eine andere Sorge harrt noch eines Ratschlusses und ermüdet die ernste Göttin, ob sie den Sohn selbst im Schoße umfasst durch Wellen trage oder mithilfe eines großen Triton, ob sie schnelle Winde herbeirufe oder die Tochter des Thaumas [= Iris], die gewöhnt ist, im Meer zu weiden. 148 So Ripoll zu 1,212–215 und Nuzzo zu 1,212–216. Ripoll gibt allerdings einige Ansätze zu Parallelen, vgl. auch McNelis 2009a, 244 und Uccellini ad loc.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Treffend hat Ripoll ad loc. diese Verse charakterisiert: »deuxième délibération de Thétis, sur un point apparement bien moins crucial que le précédent […]. Effet de decrescendo dramatique, avec peut-être ici une pointe d’ironie dans l’expression hyperbolique du souci maternel […].«

In paradoxer Weise führt die zweite Überlegung nicht zu einer Steigerung der unsicheren Atmosphäre, sondern ins Gegenteil und lässt den Leser schmunzeln: Thetis kann vielleicht ihren magnus Achilles nicht mehr allein tragen und braucht die Hilfe eines magnus Triton. Wenn ihre Entscheidung dann letztlich auf ein von Delphinen gezogenes Gespann fällt (delphinas biiugos, 1,222), so wird diese Entscheidung durch den sich als Alternder wortreich gebärdenden Erzähler149 in Form eines Einschubs erklärt (1,224–226), der die Vorzüge der Delphine näher erläutert und ihre Nähe zum menschlichen Wesen betont (plus / pectoris humani, 1,225 f.). Wie die Ausführungen des Plinius in seiner Naturalis historia deutlich machen, ist dies eine auch in der Sachliteratur der Zeit anzutreffende Ansicht (NH 9,24): Delphinus non homini tantum amicum animal, verum et musicae arti, mulcetur symphoniae cantu, set praecipue hydrauli sono. hominem non expavescit ut alienum, obviam navigiis venit, adludit exultans, certat etiam et quamvis plena praeterit vela. Der Delphin ist nicht nur ein dem Menschen freundlich gesonnenes Tier, sondern auch der musischen Kunst, er lässt sich durch harmonischen Gesang besänftigen, aber vor allem durch den Klang der Wasserorgel. Vor dem Menschen erschrickt er nicht wie vor einem Fremden, er kommt Schiffen entgegen, schwimmt mit Sprüngen herbei, wetteifert sogar mit ihnen und überholt sogar ein Schiff mit vollen Segeln.

Darüber hinaus finden sich Delphingespanne, so Foucher, in der Kunst häufig in Begleitung eines Amors.150 Ein weiteres alltagsnahes Detail, wie es Ps.Longin 9,15 als charakteristisch für den Altersstil beobachtet, ist Thetis’ Fürsorge für die Delphine, die sich nicht zu nahe an die Küste bewegen sollen, um keinen Schaden zu erleiden (1,226 f.). Hören wir auch hier wieder Plinius zu den Delphinen (NH 9,22): solent in terram erumpere, incerta de causa, nec statim ­tellure tacta moriuntur multoque ocius fistula clausa (sie pflegen einen Ausfall aufs Festland zu machen, aus unklarem Grund, und sterben nach Berührung der Erde nicht sofort, aber um vieles schneller, wenn das Luftloch verstopft ist). Der fürsorgende Charakter der Thetis erstreckt sich also nicht nur auf ihren Sohn, sondern auch auf die von ihr selbst ernährten Delphine (vgl. 1,223 f.), die sie vor einem qualvollen Tod bewahren möchte. Die ganze Szenerie ist also auf Rücksichtnahme und Vermeidung von Verletzungen angelegt, alles soll so sanft wie

149 Vgl. dazu B 2.2.4. 150 Foucher 1996, 208 mit Fn. 42 für Beispiele.

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Thetis bei Chiron (A. 1,95–241) 

möglich geschehen. Dies ist natürlich schon die Vorbereitung für den in der Folge s­chlafend transportierten Achill (1,228–232), der den kindlichen tiefen Schlaf schläft (1,229). Thetis bringt ihn zu ruhigen Wassern und Küsten, denen Schweigen geboten wurde (ad placi­das deportat aquas et iussa tacere / litora, 1,230 f.). Die geradezu märchenhaft stille Atmosphäre wird dann noch vom vollen Mondschein abgerundet, der den Weg weist, so dass es zu keinen Abirrungen vom Weg kommen kann (monstrat iter totoque effulgerat orbe / Cynthia, 1,231 f.). Die epische Identität der Achilleis ist in diesem Moment, da der Hauptheld schlafend in der Umarmung seiner Mutter verbringt, mit einem Fragezeichen versehen. Und die Fortsetzung führt nicht dazu, diese wiederherzustellen, sondern die Nähe zu einem anderen, ›kleinen‹ Genre zu suchen. Achill wird nämlich folgendermaßen verabschiedet (1,232–241):    prosequitur divam celeresque recursus securus pelagi Chiron rogat udaque celat lumina et abreptos subito iamiamque latentes erecto prospectat equo, qua cana parumper spumant signa fugae et liquido perit orbita ponto. illum non alias rediturum ad Thessala Tempe iam tristis Pholoe, iam nubilus ingemit Othrys et tenuior Sperchios aquis speluncaque docti muta senis; quaerunt puerilia carmina Fauni et sperata diu plorant conubia Nymphae.

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Chiron folgt der Göttin und bittet, unbesorgt hinsichtlich des Meeres, um schnelle Rückkehr, verbirgt seine feuchten Augen und den plötzlich Entrissenen schaut er mit emporgerecktem Pferdeleib nach, ihnen, die jetzt verborgen sind, wo die weißen Zeichen der Flucht für kurze Zeit schäumen und im ­wässrigen Meer der Pfad untergeht. Über jenen, der nicht wieder ins thessalische Tempetal zurückkehren wird, seufzt schon traurig der Berg Pholoe, der wolkige Othrys, der Sperchios, der weniger Wasser führt, und die stummen Grotten des gelehrten Greises; es fragen die Faune nach den Gesängen des Knaben und Nymphen beweinen Hochzeiten, auf die sie lange gehofft hatten.

Während Chiron zwar durchaus traurig Mutter und Sohn hinterher blickt und nur mit Mühe seine Tränen über die plötzliche151 Flucht verbergen kann, so glaubt er doch an die Möglichkeit einer Rückkehr (celeresque recursus […]­ rogat,152 1,232 f.), denn er vertraut auf die Meergöttin, die sich mit ihrem Sohn gewissermaßen in ihrem Element befindet (securus pelagi, 1,233).153 Die Ängste beziehen sich also auf die Unsicherheit des Seeweges. Der Leser weiß jedoch, 151 Vgl. abreptos in 1,234. 152 Zu Lesart und Bedeutung vgl. Dilke, Ripoll und Nuzzo zur Stelle, die mit jeweils leicht unterschiedlichen Begründungen und Parallelen zu demselben Ergebnis gelangen. 153 Vgl. dazu Ripolls Deutung von Chirons Charakter.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

dass Achill aus einem anderen Grund nicht mehr zurückkehren wird, für den ihn die Erziehung des Kentauren vorbereitet hat, seine Teilnahme am Krieg. Der Erzähler könnte nun eine pathetische, proleptische Klage um den früh sterbenden Achill anschließen.154 Dies wird in der Folge (1,237–241) aber nur in indirekter Form getan über den intertextuellen Bezug zu einem anderen Genre, nämlich dem der Bukolik.155 Man vergleiche hierzu die fünfte Ekloge Vergils (5,20–28):156 Exstinctum Nymphae crudeli funere Daphnin flebant (vos coryli testes et flumina Nymphis), cum complexa sui corpus miserabile nati atque deos atque astra vocat crudelia mater. […] Daphni, tuum Poenos etiam ingemuisse leones interitum montesque feri silvaeque loquuntur.

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Daphnis, im grausamen Tod dahingeschieden, betrauerten die Nymphen (ihr Haselsträucher und Flüsse seid Zeugen den Nymphen), als die Mutter den bemitleidenswerten Körper ihres Sohnes umarmte und die Götter und Gestirne grausam nannte. […] Daphnis, wilde Berge und Wälder sprechen davon, dass über deinen Tod sogar punische Löwen seufzten.

Nymphen trauen um einen Geliebten, von der Mutter ist die Rede, die Natur trauert mit – der epische Held Achill wird zum bukolischen Daphnis stilisiert.157 Nur über diese Parallele wird die Stelle in der Achilleis überhaupt voll verständlich. Natur, Nymphen und Faune klagen intertextuell-bukolisch, damit der Leser die Parallele zwischen Daphnis und Achill zieht. Wissen können sie doch eigentlich nichts über Achills Zukunft. Es ist vielmehr zunächst die unbestimmte Klage des Liebenden, der nicht unbedingt den Tod, sondern eher einfach nur das nicht mehr Zurückkehren fürchtet, ganz so wie Deidamia am Ende des ersten Buches.158 Diese Art der Klage wäre aber angesichts dessen, was der Leser über das Schicksal Achills weiß, ganz unangebracht. Nicht Untreue in der Liebe, sondern der Tod verhindern die Rückkehr. Die Spannung wird durch die 154 Vgl. Schol. bT Il. 24,85a: ἔστι περιπαθὲς τὸ κλαίειν τὸν ζῶντα. 155 Vgl. auch Ripoll zu 1,232 (motif pathétique des vergeblichen Rückkehrwunsches) und zu 1,240 f. (ambiance ›bucolique‹, die zu einer Abschwächung der Dramatik beiträgt). 156 Vgl. außerdem die Klage auf Daphnis bei Theokrit (1,66–75). 157 Man vergleiche auch die Nähe des Daphnis zu Bacchus in Ecl. 5,31 und das BacchusFest in A. 1,593–618, sowie das Bacchus-Gleichnis mit Bezug auf Achill 1,614–618. Interessanterweise tauchen die Faune, die die bukolische Note besiegeln, nur in der Achilleis-Passage auf, nicht an der zitierten Eklogen-Stelle. Die Bukolik ist also in der Achilleis stark markiert, während bei den Eklogen dies nicht notwendig ist. 158 In 1,931–955 setzt Deidamia gleich mit diesem Motiv ein: aspiciamne iterum meque hoc in pectore ponam, / Aeacide?

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Thetis bei Chiron (A. 1,95–241) 

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intertextuelle Bezugnahme zu Daphnis aufgefangen und auf dieser Ebene von einer falschen Vermutung in eine wahre Vorahnung umgewandelt.159 Doch die Instabilität des Epischen beginnt nicht erst hier: Vom schlafenden Helden Achill, der von seiner Mutter fortgebracht wird, war bereits die Rede. In 1,235 nun gibt es eine intratextuelle Parallele zu einer Silve, genauer gesagt zum Epithalamium Silv. 1,2, auf deren Behandlung an dieser Stelle zurückverweisen sei (s. B 3.). Abschließend möchte ich zwei Stellen aus der Thebais zum Vergleich vorführen. Vergleichbar sind sie aufgrund ihrer Motivparallelität, wobei die jeweils­ unterschiedliche Ausformung den Vergleich prägnant werden lässt. Das neunte Buch endet mit dem Tod des Parthenopaeus, eines Charakters, der in der Forschung bereits mehrfach mit dem jungen Achill der Achilleis parallelisiert worden ist.160 Etwa zweihundert Verse vor Ende dieses Buch wird Parthenopaeus kurz vor seinem Tod noch einer ausführlichen Beschreibung gewürdigt (Th. 9,690–711). Das Ende dieser Beschreibung (Th. 9,709–711) nimmt ein Verweis auf die Nymphen ein, der motivparallel zum Abschied Achills ist und zugleich über eine intratextuelle Parallele mit der Beschreibung Achills verbunden ist (A. 1,159: multo sudore et pulvere maior): illum et Sidoniae iuga per Teumesia Nymphae bellantem atque ipso sudore et pulvere gratum 710 laudant, et tacito ducunt suspiria voto. Jenen auch loben die sidonischen Nymphen auf den Bergrücken des Teumesos als Krieger dazu den Anblick, der selbst unter Schweiß und Staub schön ist, und mit stummem Wunsch seufzen sie.

Auch in Parthenopaeus verbinden sich kriegerische Natur und Anmut trotz schweiß- und staubbedeckter Erscheinung. Abgesehen davon, dass Achill im Vergleich zum tatsächlich im Krieg kämpfenden Parthenopaeus ›nur‹ von der Jagd kommt, ist die bukolische Abschiedsvignette vielsagend für den Ton beider Epen: Achill wird von der Natur vermisst (A. 1,237–240), er vermenschlicht fast nach Orpheus-Art die Natur (tristis, ingemit, 1,238).161 Und tatsächlich ist es der Sänger Achill, den die Faune ersehnen (quaerunt puerilia carmina Fauni, 1,240), und die Nymphen verzehren sich nicht nur wie bei Parthenopaeus in stummem Verlangen, sondern beweinen eine eheliche Verbindung, auf die sie gehofft haben 159 Vgl. auch die Schilderung von Achills Begräbnis, bei dem die Musen singen und neben Thetis auch ihre Schwestern anwesen sind: Sie befindet sich nicht als Vorausdeutung in der pathetischen Ilias, sondern als Rückblick in der ethischen Odyssee (24,55–61). 160 Vgl. dazu Parkes 2008, 386 f. Zur Gestaltung des Parthenopaeus als exemplarische Figur für eine mors immatura, auch vor dem Hintergrund der statianischen puer-Darstellungen vgl. Mira Seo 2013, 122–145. 161 Auch dies ist ein bukolisches Motiv, vgl. Verg. Ecl. 6,25–30 (dort wird auch Orpheus als Vergleichspunkt erwähnt).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

(sperata [..] conubia, 1,241). Demgegenüber loben die Nymphen der Thebais gerade auch den Krieger Parthenopaeus (bellantem […] laudant, Th. 9,710 f.). Fordert die intratextuelle Parallele die Gegenüberstellung mit ­Parthenopaeus auch heraus, so wird bei aller Vergleichbarkeit der Abstand beider Charaktere an diesem Punkt bzw. poetologisch formuliert der Abstand beider Epen deutlich. Dementsprechend ist vielleicht bellantem laudant (Th. 9,710 f.) auch poetologisch als epische Panegyrik zu lesen, wie sie Statius mehrfach für Domitian annonciert.162 In der Achilleis hingegen wird eine solche Anspielung bewusst umgangen, indem die Nähe zur Bukolik gesucht wird. Vielleicht liegt ­hierin auch ein poetologischer Scherz, denn in der vierten Ekloge Vergils heißt es: »Wiederum wird der große Achill nach Troja geschickt werden.« (iterum ad Troiam magnus mittetur Achilles, Ecl. 4,36). Genau dies scheint Statius wahr zu machen: Sein Achill wird wiederum, nämlich nach Homer, nach Troja geschickt, aber unter bukolischen Vorzeichen.163 Bei seiner Verabschiedung verfolgt Chiron die Göttin mit seinem Blick (prosequitur divam, 1,232), er wünscht sich baldige Rückkehr (celeresque recursus, 1,232) und verbirgt seine tränenfeuchten Augen (udaque celat / lumina, 1,233 f.). Das Hinterherblicken beim Abschied ist, wie Rosati herausgearbeitet hat,164 ein elegisches Motiv, das in der Achilleis auch im zweiten Buch beim Abschied Achills von Deidamia wiederkehren wird.165 Darüber hinaus nicht nur ein vergleichbares Motiv (die Verabschiedung eines Seereisenden), sondern auch verbale Parallelen und Antithesen lassen einen Vergleich mit der Verabschiedung der Argonauten durch die Lemnierinnen in der Erzählung der Hypsipyle, die gewissermaßen ein eingelegtes Epyllion im fünften Buch der Thebais darstellt,166 aufschlussreich erscheinen (Th. 5,481–485):167 illos e scopulis et summo vertice montis spumea porrecti dirimentis terga profundi prosequimur visu, donec lassavit euntes lux oculos longumque polo contexere visa est aequor et extremi pressit freta margine caeli.

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162 Vgl. Th. 1,17–20; Silv. 4,4,95 f.; vgl. außerdem die laudes egregii Caesaris als poetologisches Gegenbild zur kleinen Dichtung des Horaz in c. 1,6,11. 163 Vgl. auch Feeney 2004, 86, der in magnus Achilles im Proöm der Achilleis (1,19) einen Bezug auf die Eklogenstelle sieht. 164 Rosati 1994, 50–53 und 2005, 146 f. Vgl. auch Uccellini zu 1,232–235, die uda lumina mit Verweis auf Prop. 2,7,10 und Ov. Ars 1,662 eine elegische Junktur nennt. 165 A. 2,23–30, vgl. dazu die Ausführungen. 166 Vessey 1973, 170 nennt die Erzählung der Hypsipyle (Th. 5,49–498) »an epic within an epic«. Zum Aufbau der Erzählung vgl. Vesseys folgende Ausführungen (170–186). Zur Einbettung der Hypsipyle-Erzählung in die Struktur der Thebais vgl. Götting 1969, der gegen ein rein episodisches Verständnis argumentiert. Zu Hypsipyle als Erzählerin ›ihres Epos‹ vgl. Lösch 2008. 167 Diese Parallelen rücken diese beiden Stellen näher zusammen als die anderen, die bei Ripoll zu 1,232–236 als motivische Parallelen angegeben werden.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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Jenen folgen wir mit dem Blick von den Felsen und dem Berggipfel aus, wie sie die schäumenden Rücken des ausgestreckten Meeres teilen, solange bis das Licht unsere wandernden Augen erschöpft hat, das weite Meer mit dem Himmel zu verbinden schien und das Wasser mit dem äußersten Himmelsrand bedrängte.

Die Lemnierinnen waren den Argonauten durch amor verbunden (Th. 5,445 f.), doch ist ihre Verabschiedung weniger sentimental als kühl. Sie sehen den Abfahrenden zwar nach wie Chiron (prosequimur, Th. 5,483), allerdings bis ihre Augen erschöpft sind (lassavit, Th. 5,483): Sie haben keine tränenfeuchten Augen, die sie wie Chiron verbergen müssten. Chiron ist also durch diese Details sentimentaler und alltäglich-plastischer gezeichnet.168 Auch die Unbarmherzigkeit eines Bildes wie dirimentis terga profundi für das Seereisen wird in der Achilleis vermieden (s. o. zu den Reiseumständen).

3. Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 3.1 Thetis’ erster Versuch (1,242–282) Nach dem bukolisch gefärbten Abschied der Nymphen und Faune von Achill wird der Szenenwechsel nun durch die poetische Beschreibung des anbrechenden neuen Tages eingeleitet (1,242–244a).169 Die zuvor liegenden Handlungen werden gewissermaßen nachgereicht, erst im Nachhinein erfährt man von der Anstrengung der Reise, die auf eine bloße Erwähnung verkürzt wird (fluctus emensa, 1,245), nur das Ergebnis wird in den Blick genommen (vgl. iamdudum, 1,245 und Plusquamperfekt exierant, 1,246). Anspannung und Entspannung werden in der Waage gehalten: Die Pferde des Sonnengottes werden angetrieben (1,243), doch die erschöpften Delphine der Thetis dürfen sich erholen (1,246). Ein Ausgleich erfolgt auch in der vertikalen Bewegung: Die Aufwärtsbewegung der Pferde (humilique ex aquore Titan / rorantes evolvit equos, 1,242 f.) wird durch die Abwärtsbewegung der Wassertropfen harmonisch gebunden (ab aethere magno / sublatum curru pelagus cadit, 1,243 f.). Diese Ruhe dient als Kontrastfolie für die Bestürzung des erwachenden Achill (cum pueri tremefacta quies, 1,247). Die Überraschung des Achill, die durch eine erlebte Rede wiedergegeben wird (1,249 f.) und die sogar darin gipfelt, dass 168 In beiden Epen spielt auch die Einbettung eine Rolle: Die Sentimentalität Chirons leitet zur Trauer der Natur, der Faune und Nymphen über; der Kühle der Lemnierinnen folgt die erzwungene Flucht der Hypsipyle. 169 Kozák 2007, 372–374 sieht eine kontrastive Parallele zu Ilias 19: Mit Tagesanbruch und Buchbeginn bringt dort Thetis die Waffen des Hephaist und Achill wird mit ihnen an diesem Tag wieder am Kriegsgeschehen teilnehmen. In der Achilleis hingegen führt die durch Thetis bewirkte Verkleidung eine Entfernung vom Krieg.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

er seine eigene Mutter nicht zu erkennen glaubt (dubitatque ­agnoscere matrem, 1,250),170 wird bereits nach zwei Versen durch Thetis aufgefangen ­(occupat illa manu blandeque adfata paventem, 1,251). In ihrer folgenden Rede (1,252–274) zeichnet Thetis das Bild eines reduzierten Heroen, das der Ambivalenz der Beschreibung von Achills erstem Auftritt entspricht und wiederum poetologische Untertöne hat (vgl. 1,159–177). Sie beklagt Achills Zwienatur, der von seinem Vater her menschlich ist, niedrig und irdisch ist sein Schicksal daher (humilis Parcas terrenaque fata, 1,255). Ein ungleiches Geschlecht sei ihm zu eigen: genus impar (1,256). Die poetologische Note dieses Ausdrucks ist von Barchiesi171 durch den Hinweis auf Ovid Am. 2,17,21 f. (carminis hoc ipsum ­genus impar, sed tamen apte / iungitur herous cum breviore modo) untermauert worden. Dort wird die Elegie als Verbindung eines Versus heroicus mit einem kürzeren Vers durch diese sonst nicht belegte Junktur bezeichnet. Dann endlich offenbart Thetis den wesentlichen Punkt ihres Plans: das Verbergen in Frauenkleidern (1,259 f.). Dies tut sie sehr vorsichtig: Nachdem sie auf seine Sterblichkeit und die heraufziehende Kriegsgefahr hingewiesen hat (1,256–258), möchte sie Achill zum Rückzug bewegen (1,259 f.):172 cedamus, paulumque animos submitte viriles atque habitus dignare meos. Lass uns weichen, und lass für kurze Zeit von deinen männlichen Gefühlsregungen ab, und lehne meine Kleidung nicht als unwürdig ab.

Sie nimmt sich, die Göttin, in Form des Plurals in den Rückzug mithinein und verspricht, dass dies nur von kurzer Dauer bzw. geringem Umfang (paulum) sein werde. Zudem sagt sie nicht direkt, dass Achill weibliche Charakteristika annehmen soll, sondern bezeichnet die Kleidung, die Achill tragen soll, als ihre (meos habitus), also die einer Göttin, die einem Sterblichen zuteilwerden. Achill soll zwar vom männlichen Charakter lassen, doch das Gegenteil wird eben nicht explizit als weiblich, sondern indirekt als göttlich qualifiziert. So wird der H ­ eros 170 Hier wird durch den intertextuellen Bezug zu Verg. Ecl. 4,60 (risu cognoscere matrem) eine bukolische Tönung hinzugefügt. Vgl. außerdem Barchiesi 2005a, 53, sowie Ripoll ad loc. zur psychologischen Deutung dieses Details. 171 Barchiesi 2005a, 53; zustimmend Heslin 2005, 121, ablehnend Ripoll und Nuzzo zur Stelle; vgl. auch Uccellini ad loc. für die verschiedenen Nuancen der Junktur genus impar (genealogisch-sozial, poetologisch). 172 Fantham 1979, 459 verweist auf Seneca Tro. 503–506 als Vorbild für die Szene: Andromache will dort ihren Sohn Astyanax überzeugen, sich im Grab des Vaters zu verbergen. Um wie viel harmloser erscheint da Thetis’ Vorschlag im Vergleich. Fantham verfolgt diese­ Parallelität zwischen dem senecanischen Astyanax und dem statianischen Achill p.  460 f. weiter und hebt ebenfalls die weniger düstere Atmosphäre der Achilleis hervor (vgl. z. B. ihre Anmerkung zu A. 1,312–317: »pure comedy«). Interessantweise wird Sen. Tro. 213 f. direkt auf Achills Aufenthalt auf Skyros als jüngste Vergangenheit rekurriert.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

zwar verwandelt, aber nicht in sein absolutes Gegenteil, sondern in ein relatives. Achill wäre dann nicht mehr ganz und gar männlicher Heros, aber auch nicht ganz und gar weiblich, sondern durch weibliche Attribute gekennzeichnet, die eben auch die einer Göttin sind. Diese Mischform der Existenz lässt sich poeto­ logisch als Infusion, aber nicht Übernahme des Epos durch die Elegie deuten, also der Konturierung eines Ethos-Epos gegenüber einem Pathos-Epos.173 Diese Linie wird in den folgenden Exempla fortgesetzt, mit denen Thetis ihren Sohn überzeugen möchte (1,260–265):            si Lydia dura pensa manu mollesque tulit Tirynthius hastas, si decet aurata Bacchum vestigia palla verrere, virgineos si Iuppiter induit artus, nec magnum ambigui fregerunt Caenea sexus: hac sine, quaeso, minas nubemque exire malignam.

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Wenn der Mann aus Tiryns mit harter Hand lydische Wollarbeit geleistet hat und weiche Thyrsoi174 trug, wenn es Bacchus ziert, mit einem vergoldeten Frauengewand seine Spuren zu verwischen, wenn Jupiter einen weiblichen Körper annahm und den großen Caineus das wechselnde Geschlecht nicht zerbrach, dann lasse bitte zu, auf diesem Weg den Drohungen und der Wolke schlimmer Gefahren zu entgehen.

Sowohl der Inhalt als auch die Sprache des ersten Exemplums erinnern an die Elegie: Der einer Frau ergebene und damit seiner männlichen Dominanz beraubte Hercules ist bei Properz ein apologetisches Beispiel für sein eigenes Verhalten (3,11,19 f.). Darüber hinaus verbinden verbale Parallelen beide Stellen, tam dura traheret mollia pensa manu heißt es bei Properz.175 Thetis argumentiert also auch hier auf einer poetologischen Ebene: Die kurzfristige Annäherung an die Elegie schadet dem Epos nicht.176 Und in der Tat wird Achill genau dem Hercules Vergleichbares tun, das z. T. mit ähnlichen Worten beschrieben wird.177 173 Uccellini zu 1,259 zitiert als Parallelen für den animus virilis als »l’ardore caratteriale epicamente maschile«: Verg. Aen. 3,342 f. (ecquid in antiquam virtutem animosque virilis / et pater Aeneas et avunculus excitat Hector?) und in Kontrast dazu Ov. Fast. 2,847 (animi matrona virilis). 174 Vgl. Dilke ad loc. 175 Die Signifikanz der verbalen Parallelen sehen auch Dilke, Ripoll, Nuzzo und Uccellini ad loc. 176 Die Kurzfristigkeit betont Thetis mehrfach (paulum 1,259, mox 1,266, parumper 1,270). 177 Vgl. auch später über Achill selbst: 1,580–583, bes. 582 f. dura / pensa manu (vgl. dazu die Behandlung dieser Stelle) und 654 f. tibi pensa manu, tibi mollia gesto / tympana; außerdem 1,835–840. Vgl. dazu auch die Ausführungen zu 1,560–591, unter Bezugnahme u. a. auf den Hercules in Properz 4,9. Parkes 2009a, 476 f. zeigt anhand der verschiedenen HerculesVergleiche in der Achilleis auf, wie eine eindeutige Zuordnung des genauen Vergleichspunkts bewusst offen gelassen wird.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Auch das zweite Exempel trifft insofern, als dass Achill später bei den Vorbereitungen für das Bacchusfest mit Bacchus verglichen wird: Um seine besondere Erscheinung unter den Töchtern des Lycomedes zu illustrieren, wird der Vergleich zu Bacchus gezogen, wie er nach schwelgerischem Luxus in Theben zum Krieg gegen die Inder auszieht (1,615–618). So wie Achill in Frauenkleidern vereint auch Bacchus eine feminine und eine kriegerische Seite. Die Vereinbarkeit beider Elemente stellt Thetis ihrem Sohn also vor Augen. Zusätzlich kommt hinzu, dass mit Hercules eine Figur verglichen wird, die wie Achill eine sterbliche Seite hat, wohingegen in einer Steigerung mit Bacchus ein Gott gegenübergestellt wird – ein Thema, das Thetis schon von Beginn ihrer Rede an beschäftigt hat. Kombiniert man beide Exempla erhält man als Aussage: Einem Heros hat eine begrenzte Beschäftigung mit Frauenarbeit nicht geschadet, ja es gibt sogar einen Gott, der in Frauenkleidern Verweichlichung und Kriegertum vereint. Mit diesen beiden Exempla hat Thetis alle Elemente ihres Plans im Gleichnis gespiegelt: Achill soll in Frauenkleidern (wie Bacchus) unter den Töchtern des Lycomedes Frauenarbeit zur Tarnung verrichten (Hercules beweist, zeitlich limitierte Frauenarbeit schadet einem Heros nicht), eine zukünftige kriegerische Betätigung braucht Achill nicht auszuschließen (wie Bacchus, der im Anschluss nach Indien zieht). Thetis wird dabei einen anderen Krieg als den trojanischen vor Augen gehabt haben bzw. ihrem Sohn die vage Möglichkeit zukünftigen Kriegertums vorgestellt haben, das ihr als weiteres Argument dienen kann, um ihren Sohn zu überzeugen. Dass dieser tatsächlich nach Skyros gegen Troja wie Bacchus nach Theben gegen Indien zieht, ist eine dramatische Ironie, die der Leser rückblickend und vorausschauend bemerken kann. Thetis’ Argumentationsstrategie läuft jedoch auf etwas anderes hinaus, wie die Fortsetzung der Exempelreihe deutlich macht. Als drittes erscheint Jupiter, der sich in Artemis verwandelt, um sich der Callisto zu nähern.178 Drei wesentliche Punkte vereint Thetis hier: Zum einen verweilt sie auf der Analogie zu Göttern, diesmal sogar zum obersten Gott; zum anderen verwandelt sich Jupiter in eine feminine Gestalt, d. h. wir haben hier eine Steigerung vom Frauenarbeit verrichtenden Hercules, über den Frauenkleider tragenden Bacchus zum in eine Frau verwandelten Jupiter; eng damit verbunden ist der dritte Punkt: die Motivation für die Verwandlung. Liebe als Motiv klang bereits bei Hercules an, dem in einigen Versionen des Mythos179 auch die Liebe zu Omphale als Ursache für seinen Aufenthalt bei ihr unterstellt wird. Nun allerdings wird Thetis eindeutiger, denn bei Jupiter ist die Motivation nicht umstritten. Auch dieses dritte Exemplum wird sich gewissermaßen als Prophezeiung erweisen, denn in unmittelbarer Folge wird sich Achill in Deidamia verlieben (1,300–306), was Thetis auch für ihre Zwecke zu 178 Ripoll verweist auf Ov. Met. 2,401–465 und Fast. 2,155–176. Dilke sieht den Kommentator Lactantius im Irrtum, da dieser auf Jupiters Liebschaft mit Antiope verweise. 179 Vgl. Ov. Her. 9,53–118 und [Sen]. Herc. Oet. 371 f.

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nutzen weiß (1,318–326). Gärtner sieht in Thetis’ drittem Exemplum einen sowohl ihr als auch Achill nicht bewussten Vorverweis auf Deidamia.180 Wie Jupiter nehme Achill eine feminine Tarnung an, um sich seiner Liebschaft zu nähern (wenn auch bei Jupiter hingegen dies die ursprüngliche Motivation darstelle). Doch im Unterschied zu dem doppeldeutigen auslegbaren Verweis auf Bacchus, scheint mir hier Thetis ganz bewusst etwas zu insinuieren, was in der Folge auch eintritt. Sie hatte Skyros als Insel des unkriegerischen Lycomedes ausgewählt und weiß aus eigener Anschauung von den Zusammenkünften der Jungfrauen dort (1,207–209). Sie bereitet Achill nun gedanklich durch die Analogie zu Jupiter, seinem Beinahe-Vater,181 der sich als Frau in ein Liebesabenteuer stürzt, auf das vor, was Achill auf Skyros zustoßen kann und durch die Hilfe einer Gottheit, wie es in 1,283 heißt, auch geschehen wird.182 Wenn nun zu den drei Exempla ein viertes hinzutritt, so verhält sich Thetis wie der homerische Neptun, der dreimal ausschreitet und mit dem vierten Schritt sein Ziel erreicht (Il. 13,20). Das vierte Exemplum müsste also besonders treffend sein, gerade auch angesichts dessen, dass im dritten Exemplum bereits ein Höhepunkt mit Jupiter erreicht ist. Das Caineus-Exemplum, das eigentlich die Verwandlung der Frau ­Cainis in den Mann Caineus betrifft, hat in der Forschung einige kritische Stimmen herausgefordert, die an der Angemessenheit dieses Exemplums zweifeln.183 Als eine Lösung wurde von Gärtner angeboten, dass zum einen auf die Zurückverwandlung des Achill in einen Mann durch Odysseus’ Enttarnung vorverwiesen werde und zum anderen über die Parallele zur ovidischen Darstellung des C ­ aineus in Met. 12 der zukünftige Tod Achills von Thetis unbeabsichtigt präfiguriert werde.184 Handelte es sich um einen Erzählerkommentar, so würden beide Verweise nicht überraschen. Aus dem Munde der Thetis allerdings wäre ein unbeabsichtigter Vorverweis auf den Tod ihres Sohnes durchaus unpassend, wenn man nicht Heslins Deutung der Thetis als rhetorisch und handelnd scheiternder Figur zustimmen möchte.185 Inwiefern kann nun das C ­ aeneus-Exemplum als funkionierender Schluss der Reihe gedacht werden? Gärtner scheint mir mit 180 Gärtner 2004, 12 f., zustimmend Ripoll zu 1,263. 181 Dieses Motiv leitet das Werk ein (1,1 f.), wird von Thetis am Anfang ihrer Rede wieder aufgenommen (1,252–255) und von Achill auch zur Selbstvergewisserung verwendet (1,650 f.). Vgl. dazu Schetter 1965, 130 f. 182 Dass Thetis hier als attonitae bezeichnet wird, der eine Gottheit zu Hilfe kommen muss, ist wohl so zu verstehen, dass Thetis nicht mit so starkem Widerstand ihres Sohnes gerechnet hätte, wie er 1,271–282 zum Ausdruck kommt. Dass sie hingegen auf einen gewissen Widerstand eingestellt war, zeigt ihre ›Entführung‹ Achills und ihre werbende Rede im Anschluss. Zum Adjektiv attonitus bei Statius vgl. Uccellini zu 1,283 f. 183 Vgl. Heslin 2005, 123 f. und Ripoll zu 1,264. 184 Gärtner 2004, 13–15, z. T. ablehnend Ripoll zu 1,264. Im zwölften Buch der Metamorphosen erzählt Nestor in Gegenwart des Achill die Geschichte über Caeneus (12,169–535). Fast unmittelbar im Anschluss wird vom Tod des Achill berichtet (12,580–619). 185 Heslin 2005, 3. Kapitel. Vgl. dagegen die Zweifel bei McAuley 2010, 44 f. und 2016, 356–360.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

seinem ersten Lösungsansatz auf das Richtige hingewiesen zu haben: die Rückverwandlung. Thetis zerlegt nämlich die Teile ihres Plans und verteilt sie auf verschiedene Figuren, um auf diese Weise durch die Fülle überzeugender zu wirken. Zu der oben beschriebenen Linie, die auf den aus Liebe sich verwandelnden Jupiter hinführt, fügt Thetis nun ein weiteres Exemplum, das die Verwandlung sogar einer Frau in einen Mann vor Augen führt. Achills Quasi-Vater Jupiter konnte sich selbst in eine Frau verwandeln, durch die Hilfe einer Gottheit, sc. Neptun, wurde Caenis zu Caeneus verwandelt, also auch einem Sterblichen steht dieser Verwandlungsweg offen, d. h. Achill soll ja nicht einmal zur Frau werden, sondern nur als solche getarnt werden, aber selbst wenn er es sollte, muss eine solche Verwandlung nicht irreversibel sein, denn in der Unterwelt wurde sogar aus Caeneus wieder Caenis.186 Das Caeneus-Exemplum funktioniert also auf zwei Argumentationsebenen: einmal der Verwandlungsrichtung Frau-Mann, zum anderen der Reversibilität187 solcher Verwandlungen. Beide Ängste möchte­ Thetis ihrem Sohn nehmen. Immerhin geht Thetis durchaus einen Schritt weiter als das bloße Anlegen von Frauenkleidern, wenn auch eine wirkliche Metamorphose nicht stattfindet (vgl. 1,323–331). Gerade als Abschluss dieser Mischung aus Kleidung, kosmetischer Chirurgie und Unterweisung findet sich eine verbale Parallele zum Caeneus-Exemplum: fallitque tuentes / ambiguus tenuique latens discrimine sexus (»und das doppeldeutige und in feinem Unterschied verborgene Geschlecht täuscht den Beobachter«, 1,336 f.).188 Wie stets bei Vergleichen und Exempla stellt sich die Frage, wieviele Elemente des Verglichenen auf das Vergleichsobjekt bezogen werden sollen. Die Rückverwandlung des Caeneus in der Unterwelt z. B. könnte man als Misserfolg deuten, insofern als zu Lebzeiten dies nicht möglich gewesen wäre und daher auch Achill bezogen auf seine erste Verwandlung erst nach seinem Tod die Frauenrolle ablegen könne. Gerade Thetis’ dihaeretisches Vorgehen bei der Exemplareihe birgt besonders viel Potential für solche losen Enden, um deren Verknüpfung sich die Sprecherin nicht bemüht, da sie nur auf ein bestimmtes Vergleichsmoment aus ist. Das kann man nun als rhetorisches Scheitern ansehen, wie Heslin, oder als besonders situationsgebundenes Vorgehen. Thetis will nämlich zum einen die Beinahe-Vaterschaft Jupiters als Orientierungspunkt behalten und zugleich eine Anpassung an den Heroenstatus Achills erreichen: So müssen die Exempla von Herakles über Bacchus zum höchsten Gott aufsteigen, um dann wieder mit einem Sterblichen, der Achill eben bleibt, zu enden. Wie in 1,275, obstat genitorque roganti als Ursache für Achills Ablehnung, und beson 186 Vgl. Verg. Aen. 6,448 f. 187 Die Rückkehr zum Gewohnten betont Thetis auch rhetorisch: mox iterum campos, iterum Centaurica reddam / lustra tibi (1,266 f.). 188 Diese Parallele wird von Nuzzo und Uccellini zu 1,264 bemerkt. Dilke und Ripoll ad loc. verweisen noch auf das Attribut magnum und die Unverwundbarkeit (nec fregerunt) als Parallelen zwischen Caeneus und Achill.

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ders in 1,650–652 deutlich wird, ist es nicht nur Thetis, die die nicht göttliche Vaterschaft nicht verwinden kann, was sie nach der Exemplareihe nochmals andeutet (1,268 f.), sondern Jupiter als Beinahe-Vater ist auch für Achill selbst ein Identifikationspunkt. Aber nicht nur auf der Handlungsebene bzw. der psychologischen Motivation der Charaktere lässt sich dieses Vorgehen verstehen. Etwas beinahe zu sein bzw. nur in bestimmtem Grad, ist auch Teil des poetologischen Experiments, das die Achilleis selbst darstellt: ein Epos über Achill, aber eben nicht eine Ilias. Teil der poetologischen Substanz der Achilleis ist es komplementär gedacht auch, etwas anderes nicht zu sein bzw. durch das Vermeiden auf das Fehlen hinzuweisen: In die Handlungsebene gespiegelt finden wir passenderweise eine Thetis, die durch die Exemplareihe ihren Sohn dazu bewegen möchte, dem Krieg aus dem Weg zu gehen (1,265). Nicht zu leugnen ist dabei eine zweite Ebene, die nicht mit Absicht oder Bewusstheit der Thetis in Verbindung gebracht werden sollte, da der Erzähler sich entsprechender Kommentare à la »aber hier irrte die Göttin« vollständig enthält, sondern eine Ebene der dramatischen Ironie, die nur dem Leser durch sein Vorauswissen zugänglich ist und sein soll. So wie es beim Bacchus-Exemplum möglich war, die zukünftige Kriegsbeteiligung auch auf den trojanischen Krieg zu münzen, so kann auch der Ausruf utinamque totum (1,270), mit dem Thetis sich wünscht, Achill im Styx vollständig unverwundbar gemacht zu haben,189 als Vorausdeutung auf den Tod gelesen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Thetis hier oder in anderen Fällen rhetorisch unbegabt ihrer eigenen Intention zuwiderläuft. Es ist ja nur dem Leser (oder allenfalls prophetisch Begabten), nicht aber Achill als Zuhörer in diesem Moment ein Wissen über die anders verlaufende Zukunft zugänglich. Vielmehr zeigt Thetis mit ihrer Rede, dass sie genau die Punkte kennt, die für Achill entscheidend sind. Seine Ablehnung im Anschluss an die Rede gründet sich nämlich auf drei ›Argumenten‹: Herkunft, Erziehung und Anlage (obstat genitorque roganti / nutritorque ingens et cruda exordia magnae / indolis, 1,275–277).  Von der Bedeutung Jupiters ist bereits gesprochen worden. Und am Ende ihrer Rede erwähnt Thetis auch die anderen beiden Punkte: Kleidung, die seiner Seelenverfassung nicht schade (tegmina nil nocitura animo, 1,271), solle Achill anlegen, Chiron werde nichts erfahren (nesciet hoc Chiron, 1,274).190 189 Vgl. Ripoll zu 1,269–270 für die Stellen über Achills tödliche Verwundung der Ferse. 190 In diesem Sinne ist Nuzzos Kritik an Ripoll zu 1,274 rechtzugeben (Nuzzo zu 1,273–278): Auf die psychologische Motivierung kommt es Thetis an. Vgl. außerdem Uccellini zu 1,267–271: Thetis’ Bitten sind an Didos Bitten gegenüber Aeneas, dass er in Karthago bleiben möge (Aen. 4,305–430, bes. 314–320), angelehnt. So wie Dido Aeneas von seinem epischen Schicksal abhalten möchte, beabsichtigt es auch Thetis. Im Unterschied zu Aeneas wird Achill in der Folge durch den Anblick Deidamias aber auf die Bitten seiner Mutter eingehen und auf Skyros für immerhin ein Jahr bleiben. Auch wenn Achill im zweiten Buch doch nach Troja aufbrechen wird, so ist doch an dieser Stelle genau diejenige Passage der Aeneis evoziert, die Aeneas’ Abschied von Dido und seine Orientierung an seinen fata thematisiert (vgl. seine Antwort auf ihre Bitten: 4,333–461), während in der

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Pathosbegrenzend greift sie in ihrer Rede auch gleich die emotionale Reaktion Achills auf: cur ora reducis / quidve parant oculi? (Warum verziehst du das Gesicht, worauf sinnen deine Augen, 1,271 f.). Außerdem fasst sie in einem Wort zusammen, das sich wiederum auch poetologisch verstehen lässt, was ihr Plan für Achills Wesen bedeutet, das in 1,274 mit horrida pectora benannt wird: mitescere (1,272), eine Besänftigung, Pathosreduzierung also. Dieser Moment des erregten Achill und der besänftigenden Mutter wird im folgenden durch ein Gleichnis illustriert, das, poetologisch gelesen, von der Ethisierung des Pathos handelt (1,277–282): effrenae tumidum velut igne iuventae si quis equum primis submittere temptet habenis: ille diu campis fluviisque et honore superbo gavisus non colla iugo, non aspera praebet ora lupis dominique fremit captivus inire imperia atque alios miratur discere cursus.

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So wie, wenn einer ein Pferd, das durch das Feuer zügelloser Jugend erregt ist, ersten Zügeln unterwerfen will: Jenes freute sich lange an Feldern und Flüssen und stolzer Pracht und bietet den Nacken nicht dem Joch dar, nicht das trotzige Maul den Zügeln, schnaubt unwillig darüber, unter die Gewalt eines­ Herren zu gelangen, wenn es gefangen worden ist, und wundert sich darüber, andere Gangarten zu erlernen.

Der Ausgang im Gleichnis scheint in Richtung Pathos zu weisen, wobei miratur (1,282) deutlich in der Schwebe bleibt. Doch wird durch den Auftritt Deidamias und die dadurch ausgelöste Anziehung auf Achill schließlich doch eine Besänftigung erreicht, Achill wird einwilligen.

3.2 Deidamia und Achills Verkleidung (1,283–348) Der Erzähler führt nun nicht einfach die Geschichte fort, sondern vergrößert die Distanz zur eigentlichen Handlung, die bereits durch das Gleichnis zuvor suspendiert wurde, durch einen fragenden Neuansatz (1,283 f.): Quis deus attonitae fraudes astumque parenti contulit? indocilem quae mens detraxit Achillem? Welcher Gott hat der bestürzten Mutter Betrug und List verschafft? Welcher Gedanke hat den unbelehrbaren Achill [von seinem Widerstand] abgebracht? Achilleis in der direkten Folge das Gegenteil geschehen wird und Achill gerade durch seine Liebe zu Deidamia sich zunächst von seinem epischen Schicksal distanziert. Dieser Kontrast fokussiert die unterschiedliche Konzeption beider Epen.

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So wird die zum Pathos tendierende Szene abgebrochen und auf diesen Abbruch auch in einem metatextuellen Kommentar verwiesen. Der Erzähler baut daraufhin nicht die Spannung auf das Ergebnis der neuen Handlungskonstellation durch den Auftritt Deidamia auf, wie es der Fall wäre, wenn die Fortsetzung­ direkt mit 1,285 begonnen hätte. Vielmehr wird der Leser bereits darauf hingewiesen, dass Thetis Achill wird überzeugen können. Die Spannung soll bewusst auf den Prozess hin angelegt werden. Diesem soll besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil darin sich die Ethos-Konzeption der Handlung und des Hauptcharakters zeigen soll. Auf den Prozess wird die Aufmerksamkeit auch durch die intertextuellen Bezüge gelenkt. Bei Homer im Ilias-Proöm (τίς τ’ ἄρ σφωε θεῶν ἔριδι ξυνέηκε μάχεσθαι; 1,8) und bei Vergil im neunten Buch der Aeneis vor der Schiffsmetamorphose (Quis deus, o Musae, tam saeua incendia Teucris / auertit? tantos ratibus quis depulit ignis?, 9,77 f.) finden sich parallele Neuansätze.191 Zu Homer besteht darüber hinaus eine inhaltliche Parallele, denn die Frage leitet die Erzählung des Streits zwischen Achill und Agamemnon ein, bei dem, wie in der Achilleis, ein Mädchen, nämlich Briseis, handlungsentscheidend werden wird. Mit Vergil verbinden Statius die Struktur (Doppelfrage, Enjambement des Prädikats der ersten Frage)  und die jungfräuliche Erscheinung der weiblichen Handlungsträger (virgineae […] facies, Aen. 9,120/122 – virginitas, A. 1,292). Auf den entscheidenden Unterschied hat Ripoll192 hingewiesen: Homer und Vergil nennen in der Folge die Gottheiten, nach denen gefragt wurde (Apoll bzw. Cybele). Statius hingegen umgeht eine Nennung; man kann nur aus 301–306 erschließen, dass es sich um Venus oder eine für die Liebe zuständige Gottheit handeln muss, wie Ripoll bemerkt. Auf der Suche nach der direkten Antwort wird der Leser also enttäuscht und muss aus dem Geschehen selbst Schlussfolgerungen ziehen. Es lässt sich dabei eine aufsteigende Linie von Homer verfolgen, der bereits im folgenden Vers die Antwort gibt, über Vergil, der vier Verse warten lässt, zu Statius, der eine Antwort erahnen lässt, aber niemals explizit bestätigt. Wie im Folgenden zu sehen wird, kann der Leser nicht nur durch die Fortsetzung oder sein bereits zuvor vorhandenes mythologisches Wissen die umgangene Antwort erhalten, sondern sich durch eine intertextuelle Beziehung zu Ovids Metamorphosen (s. u.) leiten lassen. Einen Vorläufer für eine offene quis-deus-Frage in erotischem Kontext hat Statius allerdings doch, auf den Barchiesi193 hingewiesen hat und der gerade wegen der elegischen Färbung zusätzlich zu Homer und Vergil von Bedeutung ist: Catulls c. 66,31 f. (quis te mutauit tantus deus? an quod amantes / non longe a caro corpore abesse volunt?). 191 Parallelen bei von Albrecht 1999, 285. 192 Ripoll zu 1,283, zurückgehend auf von Albrecht 1999, 285. 193 Barchiesi 2005a, 60.

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Auf die Pathosdämpfung verweist vielleicht auch das Prädikat der zweiten Frage: detraxit. Achills Gemüt wird von der Zorneshöhe heruntergeholt, er­ erlebt eine Transponierung vom epischen zum elegischen Helden. Dann wäre detraxit als verschleiernde Variation zu poetologischem deduxit zu verstehen.194 Die sich anschließende Beschreibung des Jungfrauenzuges und der Reaktion Achills beim Anblick der Deidamia hat Jannaccone treffend charakterisiert: »L’epicità staziana è ben lungi dal mantenere un ritmo costante, turbata com’ è dall’elemento idilliaco alessandrino.«195 Erreicht wird dieser alexandrinische Effekt durch vielfache intertextuelle Bezüge zu unepischen oder die epische Stabilität untergrabenden Texten, wie den ovidischen Metamorphosen. Darüber ­hinaus kennzeichnen emblematische Spiegelungen und intratextuelle Referenzen diesen Abschnitt. In seiner Großgliederung orientiert sich diese Szene in motivisch-thema­ tischer und z. T. verbaler Hinsicht an der Herse-Episode aus dem zweiten Buch der Metamorphosen Ovids. Die grundsätzliche Parallelität besonders der Eingangsbeschreibung ist bereits von Dilke und Ripoll gesehen worden; Uccellini hat darüber hinaus auch die strukturelle Gleichheit in der Erzählung hervorgehoben.196 Jedoch sind die Beziehungen zwischen der Achilleis und den Metamorphosen wesentlich weitgehender,197 wie im Folgenden zu zeigen ist. Bei Statius ziehen die Töchter des Lycomedes aus der Stadt, um der Pallas Ehren zu erweisen (1,285–289): Palladi litoreae celebrabat Scyros honorum forte diem, placidoque satae Lycomede sorores luce sacra patriis, quae rara licentia, muris exierant dare veris opes divaeque severas fronde ligare comas et spargere floribus hastam.

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Für die Pallas vom Strande feierte Skyros zufällig einen Ehrentag, und die Töchter des milden Lycomedes kamen am heiligen Morgen aus den Mauern ihrer Vaterstadt, eine seltene Erlaubnis!, um Frühlingsgaben zu bringen und der Göttin die strengen Haare mit Laub zu binden und mit Blumen den Speer zu umwinden.

Der heilige Morgen, der milde Vater, die keuschen und götterfürchtigen Jungfrauen, die sonst nicht die Stadt verlassen, bilden einen merklichen Kontrast zum ungehaltenen Achill (1,274 f.). Die mit Blumen umwundene Lanze wird zum Sinnbild des pathosgedämpften Ethos-Epos. Hierzu fügen sich auch die Be 194 Vgl. auch deducere im Proöm 1,7 und dazu B 2.1. 195 Jannaccone zu 1,283–317. 196 Uccellini zu 1,285–289. 197 Zurecht qualifiziert Ripoll im Unterschied zu Dilke zwischen der Nähe zu Ovid (context proche) und der Entfernung (plus lointanement) zu Verg. Aen. 8,102–104.

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obachtungen der bisherigen Forschung: Hinds deutet Skyros als Land der »gender- (and genre-) bending imagery«, ja sogar der »bending of gender- (and genre-) bending imagery« und bemerkt zu den Ehrungen für die Pallas: »Deidamia and her sisters worship  a masculinized female, the goddess of war; and they do so by making her more feminine.«198 Ripoll notiert außerdem eine humoristisch-­ ironische Nuance, dass sich Achill gerade an einem Fest für die Jungfrau Pallas in Deidamia verliebt.199 Auch bei Ovid ziehen Jungfrauen zu einem Pallas-Fest aus, wobei sie von Merkur200 beobachtet werden (Met. 2,711–713): illa forte die castae de more puellae vertice supposito festas in Palladis arces pura coronatis portabant sacra canistris. An jenem Tag trugen zufällig nach der Sitte die keuschen Jungfrauen auf dem Scheitel reine Opfergaben in bekrönten Körben zur Burg der Pallas.

Die zufällige Gleichzeitigkeit (forte) und der sich verliebende Beobachter sind auffällige Gemeinsamkeiten von Statius und Ovid. Auch in Ovids Jungfrauenzug ragt eine hervor, die das Objekt der Begierde des Betrachters wird. Bei Statius ist dies noch detaillierter vorbereitet. Denn während Ovid gleich auf die Begierde des Merkur in Form eines Gleichnisses fokussiert (Met. ­2,714–721), werden bei Statius zunächst die Jungfrauen als ganzes charakterisiert, was­ Ripoll treffend als »introduction progressive de touches discrètes d’érotisme« bezeichnet hat (A. 1,290–292):201 omnibus eximium formae decus, omnibus idem cultus et expleto teneri iam fine pudoris virginitas matura toris annique tumentes.

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Allen ist eine außerordentliche Zierde der Gestalt zu eigen, allen die gleiche Zivilisiertheit, eine Jungfräulichkeit, gereift durch die schon erreichte Vollendung der jugendlichen Scham, und ein schwellendes Alter.

198 Hinds 2000, 237; vgl. auch Heslin 2005, 238–243 zur Opposition männlich – weiblich in Form der Opposition Speer – Thyrsos in der Achilleis. Vgl. außerdem Uccellini zu 1,290–2, die von einer »descrizione quasi elegiaca di questo corteo femminile« spricht. 199 Ripoll zu 1,283. Vgl. auch Taisne 1994, 80 f. für die harmonisch-friedvolle Zeichnung der Töchter des Lycomedes. 200 Hier ist Ripoll zu 1,285–317 zu korrigieren, der fälschlicherweise von Apoll spricht. Dies ergäbe eine interessante Parallelisierung zu Achill, der ja in 1,165 f. mit Apoll verglichen wurde (was vielleicht Ripolls Irrtum erklären könnte). 201 Ripoll zu 1,290–292, vgl. dann in der Folge zu 1,293–296: Der Vergleich Deidamias mit Venus sei als »touche d’érotisme« hinzugefügt.

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Aus dieser schon betörenden Menge ragt dann Deidamia nochmals hervor. Die Beschreibung Deidamias ist dabei deutlich an Ovid orientiert, wie allein schon die verbalen Parallelen und Entsprechungen zeigen:202 Met. 2,722–725 quanto splendidior quam cetera sidera  fulget Lucifer et quanto quam Lucifer aurea Phoebe, tanto virginibus praestantior omnibus Herse ibat eratque decus pompae comitumque  suarum.

A. 1,293–296 sed quantum virides pelagi Venus addita Nymphas obruit, aut umeris quantum Diana ­ relinquit Naidas, effulget tantum regina decori Deidamia chori pulchrisque sororibus obstat.

Um wieviel glänzender als die übrigen Sterne der Morgenstern leuchtet und um wieviel mehr als der Morgenstern der goldene Mond, um soviel schritt vorzügli­ cher als alle Jungfrauen Herse einher und war die Zierde des Zugs und ihrer Begleiterinnen.

Aber wieviel Venus im Vergleich die grünen Meeresnymphen übertrifft, oder an den Schultern Diana die Naiaden überragt, so strahlt die Königin des schönen Chores Deidamia hervor und steht ihren schönen Schwestern gegenüber.

Herse wird in einem vier Verse umfassenden korrelativen Diptychon gewürdigt, wobei auf einen zweimal mit quanto einsetzenden Vergleich nach genau der Hälfte, zusätzlich markiert durch die Versanfänge quanto  – tanto, der Herse-Teil beginnt. Strukturell parallel unterteilt auch Statius das ebenfalls vier Verse korrelative Diptychon in zwei Teile, wobei wiederum auf zwei quantum-Aussagen, von denen die erste ebenfalls nach dem ersten Versfuß des zweiten Verses endet, ein tantum-Teil folgt. Allerdings sind hier die Abweichungen ebenso vielsagend. Im Diana-Vergleichsteil rücken die Naiaden aus dem Vers als Enjambement in den nächsten hinüber, machen Diana also auch sprachbildlich Platz. Durch diese Verschiebung rückt gleichsam der Name Deidamias vom Versende an den Versanfang des nächsten Verses. Dass es sich aber nicht um eine nachklappernde Ungeschicktheit handelt, zeigt ein geradezu schon übermütig zu nennendes metrisches Spiel: Bei Ovid standen in den Mittelver 202 Laut Ripoll zu 1,293–296 sei Ovid vielleicht Hauptvorbild. Die von Ripoll angegebenen weiteren Parallelen, insbesondere Homer und Vergil, spielen sicher eine Rolle (s. o.).­ Allerdings scheinen die folgenden Ausführungen belegen zu können, dass tatsächlich Ovid Hauptorientierungspunkt ist, was sich an den verbalen Parallelen und der Einbettung in den Kontext ersehen lässt. Den Doppelvergleich Venus/Diana hat Statius in einem früheren Werk schon einmal genutzt, dem Epithalamium Silv. 1,2. Die Ausgestaltung zeigt im Vergleich, wie wichtig Ovid für die Achilleis-Stelle ist. Venus sagt dort: »quantum Latonia Nymphas / virgo premit quantumque egomet Nereidas exsto« (Silv. 1,2,115 f.). Vgl. dazu auch B 3.

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sen am Ende die beiden verglichenen Charaktere Phoebe und Herse. Nicht mehr am Ende, sondern am Anfang der aufeinanderfolgenden Schlußverse der Periode stehen bei Statius die Naiaden und Deidamia. Die Entsprechung scheint auf den ersten Blick weniger passend, denn Diana und Deidamia werden ja verglichen, so wie Phoebe und Herse. Doch entsteht durch diese Umstellung ein A ­ krostichon-Satz, der Deidamia wiederum mit Diana vergleicht und eine etymo­logische Anspielung enthält: sed… obruit… Naidas… Deidamia. Das zunächst auf Venus bezogene Prädikat obruit203 lässt sich als etymologisierende Spiegelung von Deidamias Namen (δήϊος + δαμάζω) lesen. Auf diese Weise wird der Unterschied zwischen Venus, die die Schönheit der Nymphen überdeckt, und Deidamia, die kontrastiv ihren Schwestern gegenübergestellt wird, hintergründig ­nivelliert. Wie wichtig der ovidische Hintergrund für diese Stelle ist, wird nicht nur an der gleich zu behandelnden Fortsetzung deutlich, sondern auch an einem Detail, über das Statius auf die Prätexte Ovids, nämlich Nausikaa in der Odyssee und Dido in der Aeneis verweist. Deidamia wird als regina chori bezeichnet (1,295 f.), was hier als Chorführerin zu verstehen ist, wie Dilke richtigerweise mit Blick auf die Verwendung der Junktur in Th. 4,379 feststellt, und nicht als ›Tochter des Königs‹. Diese Bedeutung sieht Ripoll zwar als natürlicher an, doch kritisiert Nuzzo zurecht, dass regina hier nicht vom Genitiv chori zu trennen ist.204 In 1,662 und 823 wird Deidamia regina genannt und es ist ›Tochter des Königs‹ gemeint (Nuzzo). Die mögliche Verwirrung ist als intertextuelle Referenz angelegt. Nausikaa wird, wie Dido, aber im Unterschied zu Ovids Herse, ebenfalls explizit als Führungsfigur wenn nicht im Gesang, so doch im Spiel205 genannt: ἄρχετο μολπῆς heißt es in Od. 6,101. Dido ist im Gegensatz zur ihr verglichenen Chorführerin Diana (exercet Diana choros, 1,499) auch im politischen Sinne regina (1,496). Heslin, auf dessen Ausführung hier nur verwiesen sei, hat überzeugend gezeigt, dass Statius nicht nur Vergil und Homer rezipiert hat, sondern auch auf die bei Gellius überlieferte Vergilkritik durch ­Probus­ reagiert.206 Dennoch scheint mir die Ovid-Stelle von primärer Bedeutung zu sein, wie auch die weitere Betrachtung zeigen kann. Beim Anblick der Herse entbrennt Merkur (Met. 2,726–729). Er macht sich in unveränderter Form auf den Weg zu ihr (Met. 2,731). Einzig an Haar, Kleidung und Ausstattung nimmt er Korrekturen vor, um schöner zu erscheinen (Met. 2,732–736): 203 Vgl. OLD s.v. obruo 4 ›to crush, overwhelm‹. 204 Ähnlich auch Uccellini zur Stelle mit Verweis auf OLD s.v. regina 3a. 205 So muss, wie ein Scholion zur Stelle bemerkt, angesichts von Od. 6,100 μολπή hier als παιδιά zu verstehen sein. 206 Heslin 2005, 95–99 (Gellius 9,9,12–17). Ripolls Zweifel (zu 1,293–296) scheinen mir unberechtigt.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

nec se dissimulat; tanta est fiducia formae. quae quamquam iusta est, cura tamen adiuvat illam permulcetque comas chlamydemque ut pendeat apte conlocat, ut limbus totumque adpareat aurum, ut teres in dextra qua somnos ducit et arcet virga sit, ut tersis niteant talaria plantis.

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Und er verstellt sich nicht; so groß ist sein Vertrauen auf seine Gestalt. Wenn dieses auch berechtigt ist, hilft er dennoch mit Pflege nach, streicht das Haar glatt und ordnet das Gewand, damit es angemessen fällt, damit der Saum und der ganze Goldbesatz zu sehen ist, damit die Rute, mit der er Schlaf herbeiführt und abwehrt, elegant in der Rechten ist, damit die Flügelschuhe an­ saube­ren Sohlen glänzen.

Eine Verwandlung äußerlicher Art, zu der Thetis ihn überzeugen wollte, lässt Achill nach dem Anblick der Deidamia zu: Auch Thetis ordnet u. a. sein Haar (impexos certo domat ordine crines, 1,328) und sorgt sich um den Gewandsaum (picturato cohibens vestigia limbo, 1,330). Merkur schmückt die virga, Achill ein Halsband der Mutter (sua dilecta cervice monilia transfert, 1,329). In einer sinnfälligen Weise bedient sich Statius also des Metamorphosen-­ Bezugs: Gerade eine Episode, in der sich eine Gottheit nicht verwandelt, nimmt er zum Modell für die nur äußerliche Verwandlung des Achill. Diese ist allerdings doch so erfolgreich, dass der Betrachter sich täuschen kann (fallitque tuen­ tes / ambiguus tenuique latens discrimine sexus, A. 1,336 f.). Dass diese Verwandlung in dieser Weise gelingen kann, ist wesentlich durch eine Ambiguität des Achill begründet, auf die in den Ausführung zu 1,159–165 eingegangen wurde, und die auch im Folgenden wieder eine Rolle spielen wird. Doch gehen wir zunächst zurück zum Diana-Vergleich der Deidamia. Die zu Ovid parallele, vier Verse umfassende Periode haben wir bereits besprochen. Statius belässt es aber nicht dabei und geht dann nicht gleich auf die Wirkung auf den Betrachter ein, so wie Ovid (vgl. Met. 2,726–730), sondern er setzt den Vergleich mit einer anderen Göttin fort (A. 1,297–300): illius et roseo flammatur purpura vultu et gemmis lux maior inest et blandius aurum: atque ipsi par forma deae est, si pectoris angues ponat et exempta pacetur casside vultus.

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Und leuchtende Purpurfarbe erstrahlt auf ihrem rosenfarbenen Gesicht, und ihrem Edelsteinenschmuck wohnt ein strahlenderes Leuchten und lockenderes Gold inne: Die Gestalt ist der Göttin [Pallas] selbst gleich, wenn sie Schlangen ihres Brustpanzers ablegen und ihre Gesichtszüge besänftigen sollte, nachdem sie ihren Helm abgenommen hat.207 207 Besonders die Verse 1,297 f. bereiten nicht wenige Schwierigkeiten bei der Übersetzung, vgl. die ausführlichen Anmerkungen zur Stelle bei Ripoll. Dilke scheint mir mit nüchternem

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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Der intratextuell aufmerksame Leser kann an der Beschreibung Deidamias die Nähe zu Achill ablesen, der mit ähnlichen Worten bei seinem ersten Auftritt beschrieben wurde (1,160–165).208 Die Vergleichbarkeit beider wird im Rückblick auch dadurch befördert, dass Achill in seinen Gesichtszügen einer Frau, nämlich seiner Mutter sehr ähnlich sehe (plurima vultu / mater inest, 1,164 f.). Die ohnehin schon angedeuteten femininen Züge209 werden durch die Parallele zu Deidamia nochmals bestärkt (s. u. auch zu 1,344–348), die bald erfolgende Verwandlung (1,325–337) motivisch vorbereitet und zugleich glaubwürdig gemacht.210 Denn einen allzu männlichen Achill hätte man nicht glaubhaft in eine Frau umkleiden können. Statius entgeht also einem unfreiwillig komischen Effekt, sich einen epischen Helden in Frauenkleidern vorstellen zu müssen, indem er auf die Jugendlichkeit des Achill und die noch nicht vollständig ausgeprägte Männlichkeit hinweist. Thetis musste sich dementsprechend nicht lange für die Verwandlung bemühen (nec luctata diu, 1,335). Beachtenswert ist auch, dass Deidamia (und damit zu einem gewissen Teil auch der ihr ähnliche Achill) ­einer Pallas vergleichbar sei, die ihr Gorgoneion und ihren Helm, also die Insignien der Kriegerin und des Pathos-Epos, abgelegt hat. Mir scheinen außerdem zwei Parallelen zu bedenken zu sein: In Silv. 3,4,50–52 wird Flavius Earinus, der Lustknabe Domitians mit ähnlichen Wendungen beschrieben (roseos… vultus; dignius aurum). An dieser Stelle richtet Venus den für Domitian ausersehenen Lustknaben her, ›verwandelt‹ ihn also wie Thetis den Achill. Vielleicht kann man hier über die Parallelisierung von Flavius­ Earinus und Achill211 einen Bezug zur Ankündigung des Proöms sehen, dass Blick das Richtige getroffen zu haben: Mit purpura kann kein Kleidungsstück gemeint sein, Vergleichspunkte der Komparative sind Deidamias Schwestern. 208 Wie Rosati 1994, 17 f. beobachtet, ist es gerade ihre zwischen männlich und weiblich changierende Erscheinung, die den ebenfalls äußerlich ambivalenten Achill an Deidamia­ fasziniert. Vgl. außerdem McNelis 2015a, 194–197 zur Vergleichbarkeit von Achill und Deidamia mit Diana, sowie 197–203 zur kallimacheischen Athene als Hintergrund dieser Diana. 209 Vgl. auch die intertextuellen Ausführungen zur Stelle. 210 Auf den Aspekt der Glaubwürdigkeit macht bereits Aricò 1986, 2937 f. aufmerksam. Vgl. auch von Albrecht 1999, 287: »[…] Achilles still had, despite his manhood, the charm of a child. This ambiguity is now reinterpreted in terms of ambiguity of gender […].« 211 Statius selbst vergleicht das Haar des Flavius Earinus mit dem des jungen Achill (Silv. 3,4,85: et quam Sperchio tumidus servabat Achilles, vgl. dazu wiederum A. 1,628 f. quaerisne meos, Sperchie, natatus /  promissasque comas?). Vgl. auch Morgan 1997 zu Achills Haar und Domitians Beschäftigung mit seiner Kahlheit (auch unter Einbeziehung der hier genannten Stellen). Vgl. Benker 1987, 71–82, die Parallelitäten in der Erscheinung des jungen Domitian und des jungen Achill in der Achilleis sieht, bes. hinsichtlich der femininen Züge, die von ihr als Teil der Herrscherkritik in Statius’ Epos ausgemacht werden. Eine ausführliche Parallelinterpretation von Silv. 3,4 und der Achilleis unter dem Aspektkomplex gender/genre bietet Russell 2014, der weniger auf politische als auf literarische Implikationen bedacht ist.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

die A ­ chilleis ein Vorspiel für das versprochene Domitianepos sei (1,19). Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied, auf den diese Parallele auch hinweist. Denn Flavius Earinus ist nicht nur zeitweilig Nicht-Mann, wie Achill auf­ Skyros, sondern er wurde, wie Statius es verhüllend beschreibt, von A ­ sklepios, dem als einzigem diese Fähigkeit, einen Knaben zarter zu machen (puerum mollire, Silv. 3,4,68), gegeben sei, zur Erhaltung seines Ephebenwesens geschlechtlich verwandelt (Silv. 3,4,65–71; de sexu transire iubet, 71), er ist also ein Eunuch. Im Anschluss ist in der gleichen Silve davon die Rede, dass Domitian Kastrierungen verboten habe,212 wovon Earinus aber also nicht mehr profitieren konnte. Auch Thetis, die ihren Sohn zarter macht (mollit, A. 1,326), verwandelt ihn zwar­ (divae natum mutantis, A. 1,334), aber sein Wesen bleibt unangetastet und es bleibt ein trügerischer Wandel (vgl. 1,335–337): Achill hat also bereits von der Gesetzgebung Domitians profitiert, die, wie es in Silv. 3,4,74 heißt, die männlichen Nachkommen unberührt bewahrt (intactos servare mares). Ein weiterer Bezugspunkt stellt Flavius Earinus und Achill gegenüber: Flavius stammt aus Pergamon und wird von Statius mit Ganymed verglichen, der dem höchsten Gott als Mundschenk dient, wie Flavius Domitian (Silv. 3,4,12–20). Auch Martial zieht diesen Vergleich zwischen Flavius und Ganymed (9,16 und 36). Phrygisch werden beide in der Dichtung wegen ihrer Herkunft genannt213 und genau diese Herkunft lässt an einen weiteren bekannten phrygischen Jüngling denken, der für Achill eine besondere Rolle spielt, nämlich Paris, dessen Raub die Ereignisse auslöst und mit dem auch die Achilleis nach dem Proöm begann (1,20). Odysseus nennt Paris im Gespräch mit Achill im zweiten Buch einen phrygischen Halbmann (Phryga semivirum, 2,78). Durch diese Parallelen wird deutlich, dass Achill gewisse äußerliche Züge zu eigen sind, die ihn feminin erscheinen lassen, was durch die Vergleichbarkeit mit Deidamia unterstrichen wird und die Verwandlung überhaupt erst ermöglicht. Es bleibt aber eine äußerliche Verwandlung, Achill ist seinem Wesen nach kein Eunuch wie Flavius Earinus oder ein semivir wie Paris. Werfen wir abschließend noch einen letzten Blick auf die Trias der Göttinnen, mit denen Deidamia verglichen wird. Die Hinzufügung der Minerva ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam, wie Ripoll214 herausgearbeitet hat: Neben Diana ist sie eine weitere Göttin der Jungfräulichkeit und es entsteht durch ihre Nennung eine Rahmung mit der Beschreibung des Pallas-Festes in 1­ ,285–289. Darüber hinaus entsteht eine Vergleichbarkeit zu einer Thebais-Stelle, die für die poetologische Konzeption der Achilleis aufschlussreich ist: Die Töchter des Adrast werden im ersten Buch der Thebais mit Pallas und Diana verglichen: 212 Silv. 3,4,74 f.: nunc frangere sexum / atque hominem mutare nefas. Vgl. auch Sueton Dom. 7. 213 Flavius bei Martial 9,36,2; Ganymed bei Ovid Met. 14,155. 214 Ripoll zu 1,299–300.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

nec mora praeceptis, cum protinus utraque virgo arcano egressae thalamo: mirabile visu, Pallados armisonae pharetrataeque ora Dianae aequa ferunt, terrore minus.

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Und die Anweisungen wurden ohne Verzögerung erfüllt, als sofort beide Jungfrauen aus dem verborgenen Gemach schritten: ein wunderbarer Anblick, im Antlitz gleich der waffentönenden Pallas und der köcherbewehrten Diana, an furchteinflößender Wirkung aber geringer.

Pallas und Diana dienen auch zum Vergleich mit Deidamia: Allerdings steht zuvor eine Göttin, die für die Handlung der Achilleis von entscheidender Bedeutung ist, nämlich Venus. Auch wenn in der Thebais die Töchter des Adrast mit den Ankömmlingen des ersten Buches, Polynices und Tydeus, vermählt werden, so bereitet das Gleichnis dies nicht motivisch vor, im Gegensatz zur A ­ chilleis. Darüber hinaus sind in der Thebais die beiden Göttinnen gerade explizit als Waffenträgerinnen benannt,215 während Deidamia in der Achilleis mit einer Pallas verglichen wird, die ihre Waffen abgelegt hat (s. o.). Dass man beide Stellen im Vergleich lesen soll, unterstreicht eine verbale Parallele: A. 1,309 palletque rubetque ~ Th. 1,537 pallorque ruborque (jeweils am Versende). Allerdings ist hier der veränderte Kontext ebenso vielsagend. In der Thebais sind die Töchter des Adrast von der wechselnden Gesichtsfarbe beim Anblick von Tydeus und­ Polynices betroffen, in der Achilleis ist es Achill. Wo in der Achilleis also nach intertextueller Logik Deidamia hätte gemeint sein müssen, taucht Achill auf, was ein weiteres Mal die bereits mehrfach erwähnte Nähe beider Figuren hervorhebt.216 Außerdem zeichnet die Verbindung von Rötlichem und Hellem Achill bereits im nicht-verliebten Zustand aus (1,161 f.), d. h. diese Reaktion ist nichts seinem Wesen, so wie es in der Achilleis präsentiert wird, Widersprechendes. Nun ist bereits auf ein Detail in der Beschreibung der Reaktion Achills vorgegriffen worden, der immerhin 17 Verse gewidmet werden (1,301–317), die durch eine ausgedehnte Feuer-Metaphorik und mehrere Gleichnisse ausgeschmückt werden (darunter ein fünf Verse umfassendes, das diesen Abschnitt beschließt: 1,313–317). Dass dieses Verlieben als psychologisches Phänomen geschildert und auf göttliches Einwirken verzichtet werde,217 sieht Ripoll 215 Die Hinzufügung von terrore minus in Th. 1,536 fängt den Vergleich mit den waffentragenden Göttinnen auf und macht deutlich, dass eine Ähnlichkeit, nicht Identität besteht. 216 Die Wendung pallorque ruborque verwendet Statius auch in Th. 11,336: Iocasta beschreibt die Reaktion des Eteokles auf ihr Intervenieren. Die Personenkonstellation Mutter-­ Sohn und der Versuch, den in den Krieg ziehenden Sohn zurückzuhalten, wären mit der Achilleis-Stelle in Verbindung zu bringen. Allerdings scheint mir im Lichte der obigen Ausführungen die Parallele zu den Adrast-Töchtern stärker zu sein. 217 Genauer gesagt wird es durch die nicht beantwortete Frage 1,283 f. pointiert ausgeklammert: Die Erklärung verschiebt sich hin zu einer realistischen, alltagsnahen Ursache.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

als Teil der ethischen bzw. mittleren Ausrichtung der Achilleis.218 Darüber hinaus notiert er zu 1,302 eine m. E. entscheidende Parallele, die weitere Beachtung verdient, da hier eine Brücke zur elegischen Dichtung geschlagen wird. Die Beschreibung von Achills Reaktion beginnt folgendermaßen (1,301–303): hanc ubi ducentem longe socia agmina vidit, trux puer et nullo temeratus pectora motu derigiuit totisque novum bibit ossibus ignem. Sobald er sie sah, wie sie ferne die ihr vertrauten Reihen anführt, erstarrte der trotzige und niemals zuvor im Herzen erschütterte Junge und sog mit seinem ganzen Mark ein neues Feuer ein.219

Die Liebe ist für den unerfahrenen Jüngling eine unbekannte, neue Emotion und dieser dementsprechend erschüttert. In ähnlicher Weise beginnt Properz sein erstes Elegienbuch: Cynthia prima suis miserum me cepit ocellis,   contactum nullis ante cupidinibus. Cynthia hat als erste mich armen mit ihren Augen gefangen genommen, der ich von keiner Leidenschaft zuvor berührt worden war.

Die erste Liebeserfahrung – und bei Properz und in der Achilleis folgt auf ein Sehen im ersten Vers der Hinweis auf die vorherige Unberührtheit im zweiten Vers – wird zum Auslöser des Eintretens in die elegische Welt und Achill durch diese Parallele zu einem elegischen amator, zumindest für diesen Moment.220 Wie ihn diese Liebe ergreift – Erstarrung, Feuer im Innern und Äußeren (1,303–306) –­ erinnert dementsprechend auch nicht zufällig an Catulls Sappho-Übertragung c. 51 (insbes. 6–12: te… aspexi…, lingua… torpet… flamma demanat).221 Die folgenden Verse (1,307–310a)  nehmen das Changieren der Farbe zwischen rötlichen und hellen Tönen in den Blick, auf das bereits zuvor eingegangen wurde (s. zu 1,161–164 und 297 f.). Auffälligerweise ist nicht Achill bzw. sein Gesicht o.ä. das Subjekt, sondern die Flamme selbst, die ihn verzehrt (1,309 f.), was sich einem Oxymoron annähert. Sie ist gewissermaßen eins mit ihm geworden und er vollständig entflammt. Zwei Gleichnisse bereiten diese Farbmischung vor: die Sitte der Massageten, Milch mit Blut zu mischen (1,307 f.),

218 Ripoll zu 1,301–317. 219 Zum Bild, das eine überraschende Kontamination mehrerer Vorbilder darstellt, vgl. Ripoll zu 1,303. 220 Pointiert wird dies durch einen intertextuellen Kontrast in 1,301 zu Aen. 10,721: Hunc ubi miscentem longe media agmina vidit (Mezentius sieht seinen Feind Acron). In ironischer Umkehrung handelt es sich in der Achilleis jedoch um die agmina der Lycomedes-Töchter. 221 Vgl. auch Uccellini zu 1,301–317 für die Bezüge zu Sappho frg. 32 LP.

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und die Praxis, Elfenbein mit Purpur zu verbinden (1,308). Dieses emotionale Crescendo222 müsste nun erwartungsgemäß in eine Reaktion münden, die jedoch sogleich nach der Trithemimeres verhindert wird und damit zugleich auch ein mögliches Hervorbrechen des Pathos (1,310b–312): [flamma repens.] eat atque ultro ferus hospita sacra disiciat turbae securus et inmemor aevi, ni pudor et iunctae teneat reverentia matris.

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Er würde wohl aufbrechen und obendrein wild die Riten der zukünftigen Gastgeber stören, unbekümmert über die Menge und uneingedenk seines Alters, wenn ihn nicht die Zurückhaltung und Ehrfurcht vor der Mutter neben ihm zurückhielten.

Bereits die Konjunktive deuten die Nicht-Realität an, die der ni-Satz dann bestätigt. Überraschenderweise wird Achill von pudor und reverentia geleitet, die also von einem leidenschaftlichen Pathos nicht gänzlich überwältigt wurden. Die Anwesenheit seiner Mutter wirkt hier mäßigend: Sobald sie nicht mehr da ist, gibt Achill durchaus seinen Emotionen nach, wie die Vergewaltigung Deidamias zeigt (1,622–660). Das folgende Gleichnis (1,313–317) greift zum einen noch einmal die Stärke der Emotionen Achills und die dennoch erfolgende Zurückhaltung auf,223 leitet zum anderen aber bereits zu Thetis’ geistesgegenwärtiger Reaktion auf die aktuellen Ereignisse über: ut pater armenti quondam ductorque futurus, cui nondum toto peraguntur cornua gyro, cum sociam pastus niveo candore iuvencam aspicit, ardescunt animi primusque per ora spumat amor, spectant hilares obstantque magistri.

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So wie er, der einst Vater der Herde und Anführer sein wird, dessen Hörner aber noch nicht mit ganzer Krümmung ausgewachsen sind, wenn er eine weißglänzende Färse erblickt, die mit ihm weidet,  – es entbrennt sein Herz und erste Leidenschaft schäumt über sein Maul, es schauen fröhlich die Hirten zu und halten ihn ab.

Parkes224 hat dieses Gleichnis mit dem Stiergleichnis in Th. 2,323–332 in Verbindung gebracht, in dem Polynices’ Vorbereitungen für die Rückkehr nach Theben mit einem Stier parallelisiert werden, der nach einer Niederlage und Vertrei 222 Allerdings ist, wie Feeney 2004, 98 mit Fn. 39 zurecht bemerkt, das Erröten für einen epischen Helden untypisch. Es sei in der Thebais überhaupt nicht anzutreffen, wohingegen Achill dies gleich mehrfach in der Achilleis widerfahre (1,304–310, 853, 866; 2,84 f.). 223 Vgl. auch Ripoll zu 1,313–317 für eine detaillierte Aufschlüsselung, wie die einzelnen Elemente des Gleichnisses zu Achills Situation passen. 224 Parkes 2008, 388 f.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

bung, sich für Kampf und Rückkehr zu seinen Weiden und seiner iuvenca rüstet. Der Unterschied zwischen beiden Gleichnissen mache, so Parkes, auf die unterschiedlichen Entscheidungen, die die jeweiligen Hauptcharaktere Polynices und Achill treffen, aufmerksam: »Achilles turns his back on Polynices’ precedent even though his epic virility is thus put at risk.«225 Außerdem müsse Achill sich seinen Weg zur Geliebten nicht erkämpfen, sondern seine magistra, sc. Thetis, befördere die Leidenschaft sogar.226 Gerade auch der Unterschied zwischen den magistri in der Thebais, die erschrocken den zurückkehrenden Stier kaum mehr wiedererkennen (attoniti vix agnovere magistri, 1,330) und den freudigen Hirten in der Achilleis (hilares… magistri, 1,317) würde gut zum unterschiedlichen Ton beider Epen passen.227 Allerdings sind Stiergleichnisse in der Epik und auch in der Thebais durchaus häufig, wie die Sammlung in Ripolls Anmerkung zur Stelle zeigt, zu der sich noch Th. 4,69–73 anfügen lässt, in dem der alte Adrast mit einem schon gealterten Stier verglichen wird.228 Wie Nuzzo ad loc. feststellt, ist das Gleichnis in der Achilleis jedoch so gestaltet, dass sich eigentlich gerade keine exakte Entsprechung bei anderen Autoren findet. Denn es geht hier nicht, wie sonst zumeist, um zwei konkurrierende Stiere, sondern einen einzigen ›verliebten‹ Stier. Insofern sind sowohl das Stiergleichnis des vierten Buches der Thebais wie auch das der Achilleis ungewöhnlich. Beide betreffen interessanterweise gerade entgegengesetzte Enden des Altersspektrums: der zukünftige Herdenführer in der­ Achilleis (ductorque futurus, 1,313) und der trotz seines Alters immer noch als Anführer fungierende Stier in der Thebais (dux tamen, Th. 4,71). Es ist m. E. für das Verständnis der Achilleis-Passage eine Stelle entscheidend, die zwar häufiger als Parallele zitiert wird, aber deren Wichtigkeit bisher nur angedeutet wurde.229 In Vergils Georgica ist ein längerer Abschnitt des dritten Buches der Liebesleidenschaft von Stieren gewidmet (3,209–241). Wie Nuzzo und Ripoll anmerken, ist dies der Ausgangspunkt für die folgenden Gleichnisse mit konkurrierenden Stieren. Allerdings ist der Kontext der Georgica-Stelle entscheidend.230 Anlass ist nämlich der Hinweis, dass der amor die Kräfte des­ Stieres verringere: 225 Parkes 2008, 389. 226 Parkes 2008, 389 Fn. 43. 227 Vgl. auch Ripoll zu 1,313–317, der von einem »effet de pittoresque rural et de réalisme familier« spricht. In einem Intertext zum Thebais-Gleichnis heißt es auch: pavidi cessere magistri (Aen. 12,717). 228 Vgl. auch die Parallelen bei Uccellini zu 1,313–7. Zu den Stiergleichnissen bei Statius und ihren Vorbildern vgl. Scotto di Clemente 1992 (zur Achilleis p. 137 f.). 229 Knappe Hinweise bei Parkes 2008, 389 Fn. 43 und Scotto di Clemente 1992, 138. 230 Vgl. auch Uccellini zu 1,313–317, die den Stier als Symbol für die Liebesleidenschaft ein »noto motivo idilliaco-bucolico« nennt. Auch sie hebt die Georgica-Stelle hervor, ohne jedoch nähere Begründungen dafür zu geben.

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Sed non ulla magis viris industria firmat quam Venerem et caeci stimulos avertere amoris, sive boum sive est cui gratior usus equorum. atque ideo tauros procul atque in sola relegant pascua post montem oppositum et trans flumina lata, aut intus clausos satura ad praesepia servant. carpit enim viris paulatim uritque videndo femina, nec nemorum patitur meminisse nec herbae dulcibus illa quidem inlecebris, et saepe superbos cornibus inter se subigit decernere amantis.

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Aber keine Tätigkeit bestärkt die Kräfte mehr, als Venus und die Reize der blinden Liebe abzuwenden, ob einer nun lieber Rinder oder Pferde in der Zucht hat. Und darum verbannen sie die Stiere weit weg und auf einsame Weiden hinter einem Berg als Grenze, und jenseits breiter Flüsse, oder hüten sie drinnen eingeschlossen an satten Krippen. Das weibliche Tier raubt nämlich die Kräfte und entflammt sie durch den Anblick und lässt es durch ihre süßen Verlockungen nicht zu, dass die Stiere sich an Haine und Kräuter erinnern, und führt sie dazu, dass die Verliebten sich stolz mit ihren Hörnern untereinander messen.

Darin besteht nun die Verbindung zum Achilleis-Gleichnis, wie Parkes gesehen hat, dass auch Achill durch die Liebe seiner überschießenden vires beraubt wird und wie der Stier bei Vergil fern vom eigentlichen Geschehen separiert wird, nicht ohne ironische Brechung allerdings. Denn der vergilische Stier wird von der Liebe, die zu kriegerischen Auseinandersetzungen führt, ferngehalten, Achill hingegen wird durch die Liebe gerade vom Krieg abgehalten. Eine ›Frau‹ löst zwar in den Georgica den Wettkampf aus, und eine Frau hat auch den Trojanischen Krieg ausgelöst, eine Frau hält Achill aber zunächst vom Krieg fern. Insofern ist Achill paradoxerweise gerade nicht der übliche epische Stier. Auch darauf scheint mir der ungewöhnliche Stiervergleich in der Achilleis zu verweisen. Der abschließende Verweis auf die fröhlichen Hirten leitet zu Thetis’ Reaktion über. Auch sie ist, wie sich 1,321 f. entnehmen lässt, erfreut, im Gegensatz zu den Hirten des Gleichnisses jedoch gerade, weil sich ihr Zögling verliebt hat. Geistesgegenwärtig (arrepto iam conscia tempore, 1,318) geht sie auf die beobachtende Leidenschaft des Achill ein und wendet sie gleich für ihren Plan an: »Hasne inter simulare choros et bracchia ludo nectere, nate, grave est? gelida quid tale sub Ossa Peliacisque iugis? o si mihi iungere curas atque alium portare sinu contingat Achillem!«

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»Inmitten dieser Mädchen Reigentänze vorzutäuschen und die Arme im Spiel zu verbinden, mein Sohn, das ist unangenehm? Was gab es Derartiges unter

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

dem frostigen Ossa und unter Pelions Bergrücken? Ach, wenn es mir gelänge, die zwei Liebenden231 zu verbinden und einen zweiten Achill auf meinem Schoß zu tragen.«

Durch den Verweis auf seinen bisherigen Erfahrungshorizont (1,320 f.) und die besonderen Möglichkeiten der gegenwärtigen Situation (1,319 f.) nimmt Thetis noch einmal Bezug auf die bereits behandelte Wirkung der ersten Liebe und stellt Achill plastisch eine erfolgreiche Zukunft vor Augen, die sie von seinem Einverständnis abhängig macht, d. h. nur noch Achills Widerstand gegen ihren Plan trenne ihn von der Erfüllung seiner Sehnsucht. Geschickt macht sie dies jedoch aus ihrer Perspektive, als ob sie sich nichts sehnlicher als einen Enkel wünschte.232 Auf diese Weise kann Achill auf ihren Plan eingehen, ohne von seinen männlichen Zweifeln abzurücken. Denn mit einem Mal steht scheinbar für Thetis nicht mehr die Nicht-Teilnahme am Krieg im Vordergrund, sondern die Sorge um Ehe und Nach­ kommenschaft. Der erhoffte Erfolg bleibt nicht aus: nequiquam mulcens (1,275) kommentierte der Erzähler ihren ersten Versuch, doch nun heißt es (1,323 f.): mulcetur laetumque rubet visusque protervos obliquat vestesque manu leviore repellit. Er lässt sich besänftigen und errötet fröhlich, wendet kecke Blicke zur Seite233 und weist mit leichterer Hand nur noch das [von Thetis angebotene] Gewand zurück.

Achill ist zwar noch etwas unentschieden, doch seine Mutter überwältigt ihn im Moment des Zweifels: aspicit ambiguum genetrix cogique volentem / iniecitque sinus (1,325 f.). Für die Wendung cogique volentem verweist Ripoll auf zwei Parallelen aus der elegischen Dichtung: einmal für den Gedanken selbst auf Am. 1,5,15 f. und für eine größere verbale Nähe auf voluit vinci in Ars 1,700, wo dies über Deidamia angesichts der Vergewaltigung durch Achill gesagt wird. Wie Ripoll treffend kommentiert: »Ce comportement paradoxal et ces minauderies préparent la ›feminisation‹ d’Achille.« Auch die Benennung Achills als ambiguus (1,325) trägt eine ironische Note: Das gleiche Attribut wird in 1,264 und 337 für das nicht fixierbare Geschlecht des Caeneus bzw. Achills nach der Verwandlung gebraucht.234 Für die Verwandlung ist Achill also in mehrfacher Hinsicht bereit (gemacht worden): Er besitzt ein ohnehin nicht rein männliches Äußeres,235 er 231 Zur Uneindeutigkeit der Junktur iungere curas vgl. Ripoll zu 1,321. Ich folge hier Dilke. Vgl. auch Uccellini zu 1,321 iungere curas: »il termine cura è impiegato frequentementa nella poesia elegiaca col significato metonimico di ›un innamorato o un amato‹: TLL 4,1475, 42–57.« 232 Zum Motiv und seinen Vorbildern vgl. Ripoll zu 1,322. 233 So Dilke ad loc. 234 Vgl. auch McAuley 2010, 46. Ambiguus ist Achill interessanterweise noch ein weiteres Mal, als er von seiner Kindheit erzählen soll: vgl. 2,95. 235 S. o. zu 1,161–164 und 297 f.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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lässt seinen Widerstand gegen den Plan seiner Mutter wanken – ambiguus ist er also in physischer und mentaler Hinsicht. Die Verwandlung selbst (1,326b–338) hat berühmte epische Vorbilder:236 Odysseus, der von Athene verschönert wird,237 sowie Aeneas, der von seiner Mutter Venus Gleiches erfährt.238 Mit beiden Texten verbindet die Achilleis-Passage nicht nur das Moment der Verwandlung überhaupt, sondern es gibt auch motivische Parallelen: An einem Fest für die Schutzpatronin des Odysseus erblickt Achill Deidamia zum ersten Mal; wie Aeneas wird auch er durch seine göttliche Mutter verwandelt. Heslin hat überzeugend Thetis’ Feminisierung in Kontrast zu den Anweisungen für angehende Rhetoren bei Cicero und Quintilian gesetzt: Achill lege hier also nicht eine toga virilis an und werde zum Mann, sondern erhalte eine toga muliebris.239 Allein an den Verben, die für Thetis’ Verwandlung verwandt werden, lässt sich die Ethisierung des epischen Helden ablesen: m ­ ollit (1,326), submittit (1,327), laxat (1,327), domat (1,328). Jedoch verändert Thetis nicht nur die körperliche Gestalt ihres Sohnes, sondern unterweist ihn auch in weiblichen Umgangsformen.240 Ihr Tun wird mit demjenigen eines Bildhauers verglichen (1,332–334)241 und der Abschluss dieses Gleichnisses lässt sich als ironische imitatio in contrarium lesen (1,334): talis erat divae natum mutantis imago. So war das Bild der Göttin, die ihren Sohn verwandelt.

Kommentatoren242 verweisen auf die Parallele zu Th. 7,808: talis erat campo belli fluitantis imago. So war auf dem Feld das Bild einer Seeschlacht [gleich]. 236 Für weitere Parallelstellen vgl. Ripoll zu 1,326–344 und Uccellini zu 1,326–331. Die Ausführungen zur Verwandlung sind hier knapp gehalten, da das Wesentlich bereits zu 1,297–310 gesagt worden ist. Zur Verwandlung und den Bezügen zu den ovidischen Metamorphosen vgl. auch Hinds 1998, 138–141 (bes. Pygmalion: Met. 10,282–286), Franchet d’Espèrey 2006, 446 f. (Telethusa und Iphis, Met. 9,669–797), Puccini-Delbey 2008 (Hermaphroditus in Met. 4,285–388) und McAuley 2010, 45 f. 237 Od. 6,229–235; 23,156–162; vgl. auch Penelope in 18,195 f. 238 Aen. 1,589–593. 239 Heslin 2005, 125–129. Ausführlicher dazu Barchiesi 2005a, vgl. bes. Quint. Inst. or. 8 proem. 18–20, der vor einem effeminierten cultus auch im Rahmen der rhetorischen Erziehung warnt. Vgl. auch Ripolls Parallele zu 1,327: Ter. Eun. 313 f. 240 1,331: incessum motumque docet fandique pudorem; vgl. auch die Wiederholung als Warnung Thetis’ in 1,338–342. Vgl. auch Uccellini zu 1,326–331: »La scena è un efficace incrocio tra un insegnamento erotico-amoroso (se si vuole, secondo il modello dell’Ars ovidiana) e una vera e propria metamorfosi […].« 241 Zum Topos vgl. die Parallelen bei Ripoll zu 1,332–334. 242 Vgl. Jannaccone, Dilke, Ripoll und Nuzzo.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Die auffällige verbale und metrische Entsprechung243 mit der fast reimartig zu nennenden Parallelisierung fluitantis – mutantis244 steht in scharfem Kontrast zu den unterschiedlichen Kontexten und verweist zugleich auf die unterschiedliche Konzeption beider Epen: Krieg, sowohl in der Handlung als auch im Gleichnis, in der Thebais; die Feminisierung des Kriegers, um ihn vor dem Krieg zu bewahren, in der Achilleis. Abgeschlossen wird die Verwandlung durch den bereits mehrfach zitierten Hinweis auf die Ambiguität Achills, die ihm auch nach der Verwandlung erhalten bleibt (1,335–337): nec luctata diu; superest nam plurimus illi invita virtute decor, fallitque tuentes ambiguus tenuique latens discrimine sexus. Und sie mühte sich nicht lange; denn es war ihm Anmut im Überfluss vorhanden, auch wenn seine Männlichkeit sich sträubte, und es täuscht das dopppeldeutige und in feinem Unterschied verborgene Geschlecht den Betrachter.

Geradezu pleonastisch wird auf Achills übermäßigen decor hingewiesen (superest… plurimus)245 und der feine Unterschied im Geschlecht wird mit einem Wort bezeichnet, das auch poetologisch für die Achilleis bedeutsam ist: das kallimacheische tenuis. Unterstützt wird diese programmatische Note durch einen horazischen Intertext aus den carmina,246 einer Gattung, die im Vergleich zum Epos als tenuis zu bezeichnen ist.247 In c. 2,5 werden Zeit/Alter und Liebe in Beziehung gesetzt und in der letzten Strophe heißt es über den Knaben Gyges (c. 2,5,21–24): quem si puellarum insereres choro, mire sagacis falleret hospites   discrimen obscurum solutis  crinibus ambiguoque voltu. 243 Mit Ausnahme der zweiten Hälfte des vierten Fußes sind beide Verse metrisch exakt gleich gebaut. 244 Ahl 1985, 270 notiert darüber hinaus ein Palindrom: natum – mutan(tis). 245 An dieser Stelle muss superest ›im Überfluss vorhanden sein‹ und nicht ›übrig sein‹ bedeuten (wie Soubiran übersetzt). Denn der decor wird ja durch die Verwandlung erhöht, sonst würde es bedeuten, dass bereits vor der Verwandlung Achill ein plurimus decor zu eigen gewesen sei und der Gegensatz zur virtus invita wäre unsinnig. Vgl. auch die Übersetzung von Shackleton Bailey: »Charm is his in plenty and to spare [..]«. 246 Vgl. z. B. Dilke: »St[atius] must have had this passage in mind, for three important words are reproduced.« Als Imitation des Statius bezeichnen es auch NH II zu Hor. c. 2,5,23. Die­ Parallele sehen auch Jannaccone, Ripoll, Nuzzo und Uccellini. Vgl. darüber hinaus Rosati 1994, 14 f., sowie Hinds 1998, 135–141 für die Relation der beiden Intertexte Horaz c. 2,5 und Ov. Met. (bes. Pygmalion in 10,282–286). 247 Vgl. Hor c. 1,6,9; 2,16,38; 3,4,72.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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[…] wenn du ihn in Chöre von Mädchen einreihtest, würde auf wundersame Weise der undeutliche Unterschied [auch] findige Gäste durch die gelösten Haare und das doppeldeutige Antlitz täuschen.

In ihrem Kommentar weisen NH II zu Hor. c. 2,5,21 daraufhin, dass Horaz mit der Einreihung in die Mädchenchöre auf Achill auf Skyros anspiele,248 was beide Stellen noch sinntragender zusammenbindet: Statius greift auf eine horazische Ode zurück, die auf das Thema seines Epos anspielt, wobei Statius durch eben diese Anspielung auf die ›niedere‹ Gattung des Horaz zugleich sein Epos poetologisch konturiert.249 Darüber hinaus ist auch der Kontext der Horaz-Ode mit seiner Alter-LiebeThematik für die Achilleis relevant. Das jugendliche Alter Achills ist ein wesentlicher Faktor bei den Ereignissen des erhaltenen Teils, ja ab der Entführung durch Thetis (1,228) wird es zum Auslöser aller weiteren Geschehnisse: Seine Unerfahrenheit lässt ihn in der beschriebenen Weise auf Deidamias Anblick reagieren und macht damit seinen Aufenthalt auf Skyros überhaupt erst möglich, denn ohne die heftige Reaktion auf Deidamia wäre er wohl nie bereit gewesen, auf die Pläne seiner Mutter einzugehen. Laut 1,438–440 kann Thessalien nicht am Krieg teilnehmen, denn Peleus ist zu alt, Achill noch nicht alt genug (quod senior Peleus nec adhuc maturus Achilles, 1,440). Thetis wiederholt im Anschluss an die Verwandlung ihre Unterweisung von 1,331, diesmal als Warnung in 1,338–342, dass das Verhalten als Mädchen durch Achill entscheidend für das Funktionieren des Plans ist. In einem hellenistisch anmutenden Detail wird Thetis’ fortwährendes Berühren und Kämmen ergänzt (et admoto non cessat250 comere tractu, 1,343). Statius greift hier im Gedanken und in der Formulierung auf Silv. 1,2,110–112 zurück (nec colla genasque / comere […] cessavit mea […] manus), einem Epithalamium, in dem Venus an dieser Stelle ihr Umsorgen ausgerechnet der Braut in einer Weise äußert, die mit Thetis’ Umsorgen des feminisierten Achill vergleichbar ist.251 Beschlossen wird dieser Handlungsabschnitt mit einem Gleichnis, das Achill in Begleitung seiner Mutter mit Hecate/Diana in Begleitung ihrer Mutter parallelisiert (1,344–348): sic ubi virgineis Hecate lassata Therapnis ad patrem fratremque redit, comes haeret eunti mater et ipsa umeros exsertaque bracchia velat; ipsa arcum pharetrasque locat vestemque latentem deducit sparsosque tumet conponere crines.

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248 So auch Ripoll zu 1,336. 249 So auch Keith (im Erscheinen). 250 Zur Verteidigung der Lesart vgl. Dilke und Ripoll. 251 Vgl. dazu B 3.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

So [verhält sich auch Latona:] Sobald Hecate [= Diana] erschöpft aus dem jungfräulichen Therapnae zu ihrem Vater [Jupiter] und ihrem Bruder [Apoll] heimkehrt, hängt die Mutter [Latona] ihr als Begleiterin im Gehen an und bedeckt selbst die Schultern und vorgestreckten Arme; sie selbst ordnet Bogen und Köcher und führt das gegürtete Gewand herab, und ist stolz, die gelösten Haare zu ordnen.

Dieses Gleichnis ist in mehrfacher Hinsicht ein passender Abschluss für die Verwandlungsszene:252 Achill wird mit einer Göttin verglichen, die das Pendant zum Apollon-Vergleich in 1,165 f. bildet, der nicht nur als Bruder ihr Pendant ist, sondern ebenfalls als Jäger dargestellt worden ist. Außerdem ist es genau die Göttin, mit der auch Deidamia zuvor verglichen wurde (1,294 f.). Es wird noch einmal Achills Nähe zu Deidamia sowie seine ambivalente Erscheinung in den Blick genommen und damit auch auf seinen unmittelbar im Anschluss folgenden ersten Auftritt vorbereitet: Diana kehrt im Gleichnis zu ihrem Vater heim, dem Beinahe-Vater253 Achills; Thetis und Achill befinden sich auf dem Weg zu Lycomedes, dem Vater der Deidamia, die ebenfalls mit Diana verglichen worden war.254

3.3 Thetis und Lycomedes (1,349–378) In der folgenden Szene lassen sich Ethisierungsstrategien weniger in einer Pathosreduzierung von epischen Standards beobachten, vielmehr ist diese Szene selbst ein unepisches Element, das zur Ethos-Konzeption der Achilleis beiträgt: Thetis präsentiert Lycomedes den verkleideten und verwandelten Achill als eine leibliche Schwester Achills (germanam, 1,350),255 deren Aufsicht Lycomedes übernehmen solle, weil Thetis bereits mit ihrem kriegswilligen Sohn genug Sorgen habe und auch ihre Tochter auf kriegerische Taten dränge (1,352–354). Ironisch doppeldeutig wird der ambiguus Achilles hier wieder aufgenommen: In seiner Verkleidung sei er eine ihm wie aus dem Gesicht geschnittene leibliche Schwester (1,350 f.), die sich wie ihr Bruder nach dem Kriegshandwerk sehne. Demgegenüber solle ›sie‹ bei Lycomedes nun weiblichere Tätigkeiten ausüben (1,355 f.),256 bis sie heiratsfähig sei (1,356 f.) und sich von gymnastischen­ 252 Vgl. dazu Ripoll zu 1,344–348, der ähnliche Beobachtungen anstellt. Ripoll geht dabei auf Feeney 2004, 89–91 zurück, der sich noch ausführlicher zum Figurenkomplex DeidamiaAchill-Diana äußert und auch die Entdeckungsszene Achills 1,823–885 miteinbezieht. 253 Vgl. 1,1 f./252–255/650 f. 254 Zur Verbindung zwischen Achill und Deidamia über die ihnen zugeordneten Gleichnisse vgl. auch Feeney 2004, 89–91. 255 Vgl. dazu auch Ripoll zu 1,350. 256 Die Formulierung tu frange regendo / indocilem nimmt zum einen Silv. 5,3,194 auf (über Chirons musische Erziehung: Aeaciden […] frangebat, vgl. dazu auch die Ausführung zu 1,184–197) und indocilem verweist auf 284 zurück. Vgl. dazu auch Ripoll zu 1,355.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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Tätigkeiten257 und dem Umherschweifen in Wäldern fernhalten (1,357 f.). Überhaupt solle sie sich im Innern des Hauses unter anderen Mädchen und fern vom Strand aufhalten, wo phrygische Schiffe258 drohen (1,359–361).259 Bereitwillig und froh (1,365 f.) stimmt Lycomedes zu; seine Töchter bestaunen den Neuankömmling (1,366–369) und laden ihn/sie zu züchtigen weiblichen Beschäftigungen ein (sociare choros castisque accedere sacris / hortantur, 1,370 f.), wobei sie bereitwillig zurückstehen und sich über Berührungen freuen (ceduntque loco et contingere gaudent, 1,371). Die Bewunderung der Lycomedes-Töchter erinnert an die herausragende Stellung der Deidamia unter ihren Schwestern und nimmt die Parallelisierung Deidamia-Achill nochmals auf.260 In einem abschließenden umfangreichen Gleichnis, in dem Tauben einen neu ankommenden Vogel aufnehmen, wird die Aufnahme Achills von den Töchtern des Lycomedes allegorisch gespiegelt (1,372–378).261 Das Attribut hilares in 1,378 unterstreicht die Schlussstimmung im Gleichnis und damit auch auf der Handlungsebene und verweist zugleich auf 1,317, die hilares magistri des Gleichnisses, mit dem Thetis und Achill zuvor charakterisiert worden waren. Darüber hinaus werden die Tauben als Idaliae volucres (372) betont als Vögel der Venus ausgewiesen, was, so R ­ ipoll treffend,262 eine erotische Färbung (couleur érotique) hineinbringe.263 Im Rückgriff auf eine unveröffentlichte Magisterarbeit von C. Presse264 hat Ripoll265 auf die vor allem motivische, weniger verbale Nähe dieser Szene zur neuen Komödie, insbesondere zu Terenz’ Eunuchus hingewiesen. Ripoll nimmt dabei nur zwei motivische Parallelen in den Blick (A.1,350–362 ~ Eun. 475–8 [Präsentierung des Verkleideten] und A. 1,598–602 ~ Eun. 578–580 [dekretierter, aber 257 Zum Hintergrund vgl. Ripoll zu 1,357 f. 258 Dilke sieht hier ausschließlich einen Verweis auf Paris. Ripoll zufolge schütze Thetis Paris nur vor, da sie ihre tatsächliche Angst vor einer Ankunft des Odysseus nicht ohne Gefährdung für ihre List offenbaren könnte (vgl. 392 Thetis’ Bitte an Skyros, keine Danaerschiffe sich nähern zu lassen). Außerdem ließe sich hinzufügen, dass Thetis auf diese Weise ihre Angst um die Jungfräulichkeit ihrer ›Tochter‹ (vgl. 1,356 f.) zusätzlich glaubhaft ­motiviert. 259 Passenderweise sieht Ripoll in occultum Aeaciden (1,364) ein antithetisches Echo der Eröffnung magnanimum Aeaciden (1,1). 260 1,368 f.: quantum cervice comisque / emineat etc.; vgl. auch 1,823 f. So auch Ripoll zu 1,369. Zugleich sieht Uccellini ad loc. eine Parallele zu Aen. 4,10 f., wo Dido ihrer Schwester Anna ihre Begeisterung über den Gast Aeneas bekennt. 261 Zum Gleichnis s. die ausführlichen Anmerkungen Ripolls zur Tradition und zur individuellen Gestaltung. 262 Ripoll zu 1,372–378, vgl. auch Uccellini zu 1,372–378. 263 S. o. zu A. 1,294–300 und Th. 1,533–536 im Vergleich und die ›Hinzufügung‹ der Venus in den Deidamia-Gleichnissen. 264 C. Presse, La composition de l’Achilléide de Stace. Unité et ambiguité, Univ. de. Reims 2002, 98 f. 265 Zu 1,351 und p. 47 f., sowie Ripoll 2007 insgesamt zum Charakter des Lycomedes und p. 56 f. zur obigen Szene; zuvor wurde die Parallelität Achills mit dem terenzischen Chaerea allerdings schon angedeutet bei Delarue 2000, 211. Vgl. auch die knappen Ausführungen bei Heslin 2005, 260 f.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

unterlaufener Ausschluss von Männern]). Die Entsprechungen sind jedoch noch wesentlich weitreichender und betreffen die ganze Chaerea-Handlung des Eunu­ chus.266 Wie Achill beim Anblick der Deidamia (hanc ubi […] vidit, 301), so wird auch Chaerea vom Anblick der Pamphila ergriffen (Eun. 292–297, vgl. 296 o faciem pulchram; 318: color… corpus; vgl. auch 567 f.). Der Sklave Parmeno entwickelt daraufhin den Plan, dass Chaerea sich als ein Eunuch verkleiden solle, der Thais, in deren Haus Pamphila wohnt, als Geschenk bestimmt sei (Eun. ­369–390, Kurzfassung in Chaereas Referat in 572). Ohnehin bestünde zwischen beiden eine Ähnlichkeit, wie Parmeno bemerkt, die das ganze erleichtere (Eun. 375: praeterea forma et aetas ipsast facile ut pro eunucho probes). Auch Achill willigt in eine Verkleidung/Verwandlung durch Thetis ein, sobald er sich in Deidamia verliebt hat (1,325 f.). Auch ihn kennzeichnet eine ohnehin ambivalente Erscheinung, die seine Verwandlung überhaupt erst glaubhaft werden lässt.267 Gegenüber Thais preist Parmeno den als Eunuch verkleideten Chaerea an und lobt seine eines Freien würdigen Eigenschaften und Kenntnisse.268 Wie in Thetis’ Aussagen über ihre ›Tochter Achill‹ so wird auch hier eigentlich auf den Unverkleideten/Unverwandelten Zutreffendes auf den Verkleideten/Verwandelten gemünzt und in ironisch gebrochener Form doch Wahres gesagt, was der jeweilige Adressat aber im Kontext missverstehen muss und soll. Wie Achill nutzt auch Chaerea einen günstigen Moment, um sich seiner Geliebten zu bemächtigen;269 beides geschieht auf eine explizite Anordnung, Männer von dem jeweiligen Ort auszuschließen.270 Auf die Entdeckung und Anklage der Thais hin (864–872) erklärt Chaerea seine Liebe (877 f.) und erlangt Verzeihung von ihr (878–881). Schließlich erklärt er seine Absicht, sie zu heiraten (885–888). Nachdem Achill in der Achilleis durch Odysseus’ List enttarnt worden ist, versucht Achill Lycomedes zu beschwichtigen, indem er auf seine Abstammung verweist und sich als empfehlenswerten Schwiegersohn präsentiert (A. 1,892–910). Auch hier ist ein Erfolg zu verzeichnen (A. 1,917 f.) und die Verbindung wird ebenso legitimiert wie die­ jenige des Chaerea mit Pamphila (A. 1,925 f.). Interessanterweise wird Chaerea, als er sich davor schämt, in seiner Verkleidung dem Bruder zu begegnen (1,905–907), von Thais’ Sklavin Pythias als »Jungfrau« (virgo vero, 1,908) beschimpft. Kein Eunuch, sondern eine virgo ist Achill in seiner Verkleidung und wird auch als solche bezeichnet (1,396 und 884). Bei der 266 Die folgenden Ausführungen können leider nur in Unkenntnis der Arbeit von Presse gemacht werden. Eventuelle Überschneidungen sind daher nicht nachprüfbar. 267 S. o. zu 1,294–310 in Verbindung mit 1,335 nec luctata diu zu Thetis’ Verwandlungsarbeit; vgl. auch den jeweils mehrfachen Hinweis auf die veränderte Kleidung in A. 1,270 f./ 324/330/837/874/878 und Eun. 370/556/558/572/609/707/907/1015. 268 Eun. 472–478: Gesicht, Alter, Erfahrung in Literatur, Ringkampf und Musik. 269 A. 1,640–660; Eun. 601–606/645. Diese Parallele sieht auch Ripoll zu 1,619–639. 270 A. 1,598–602; Eun. 578–580.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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vergleichenden Betrachtung der Verszahlen dürfte auffallen, dass über die motivischen Parallelen hinaus auch die Proportionen ungefähr einander entsprechen, von der ersten Verliebtheit (um Vers 300) über die Vergewaltigung (um 600) bis zur Entdeckung und zum Bekenntnis der Verbindung (um 900).271 Wie bereits Ripoll gesehen hat,272 stehen die Komödienelemente der Achilleis als dédramatisation273 in Verbindung mit der Konzeption des Ethos-Epos, wie es bei Ps.Longin fassbar ist.274 Zurecht betont Ripoll jedoch, dass Statius zwar eine motivische Annäherung an die Komödie anstrebt, aber sprachlich im epischen Standardbereich bleibt sowie seine Figuren nicht vollständig in die Niederungen der Komödie gleiten lässt.275

3.4 Thetis’ Abschied (1,379–396) Unmittelbar auf das Gleichnis folgend geht der Fokus mit der Initialposition von digreditur (1,379) sofort auf Thetis’ Abschied über. Sie steht zögernd auf der Schwelle (cunctata in limine, 1,379), wie bereits in limine Chiron Achill erwartet (1,119) und sie selbst ihren Sohn in Chirons Höhle empfangen hatte (1,171). Es ist nicht nur ihr Abschied von Skyros, sondern auch ihr letzter Auftritt im erhaltenen Teil der Achilleis.276 Ihre Sorge wird durch die neuerliche Wiederholung der Ermahnung auch in stummer Form hervorgehoben (1,380 f.). Noch im Fortschwimmen schaut sie aus dem Wasser zurück nach Skyros (1,382 f.) und richtet ihre letzten Worte an die Insel (1,384–396), die auch den Schluss des ersten Teils auf Skyros bilden. Dieses Zurückschauen verbindet die Mutter mit ihrem Sohn, der beim Abschied von Deidamia ähnlich gezeichnet wird.277 Für Ripoll ist Thetis’ Abschied pathosgetönt (teintée de pathos).278 Vielleicht ließe sich die tatsächlich zu beobachtende Mischung treffender weniger als Pathos-Tönung, sondern mit Blick auf den Kontext, nämlich Thetis’ unmittelbar folgende Rede, vielmehr als bewusste Kontrastierung von Pathos und Ethos begreifen. Die Sorge der Mutter führt direkt zu einer schmeichlerischen Rede für 271 Vgl. zu solchen Zahlenentsprechungen bei der Aemulatio und Imitatio Kytzler 1969, 211 Fn. 1 zur Thebais und Lowe 2013, 443 mit Fn. 1–3 für einen Überblick über sog. stichometrische Anspielungen bei Vergil und anderen Dichtern. 272 Ripoll p. 60–62. 273 Dieser Terminus findet sich auf p. 48. 274 Vgl. dazu A 2.2. und B 2.2. 275 Vgl. dazu Ripolls Ausführung zu Lycomedes p. 47 und Ripoll 2007, 57. Von Albrecht 1999, 288 arbeitet die für den Leser bestehende Komik bei Thetis’ Täuschung des Lycomedes heraus. 276 Vgl. dazu auch Heslin 2005, 134. Uccellini zu 1,379–396 notiert, Schetter 1960, 142 und Aricò 1986, 2935 folgend, die Parallele der Abschiedsrede der Thetis zu ihrem Eröffnungsmonolog. 277 A. 2,27–30, weiteres zur elegischen Nuance dieses Motivs s. die Ausführungen dazu. 278 Ripoll zu 1,379–383.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Skyros (blandis […] votis, 1,383), gewissermaßen um die Insel für sich und ihren Sohn einzunehmen: »Cara mihi tellus, magnae cui pignora curae depositumque ingens timido commisimus astu, sis felix taceasque, precor, quo more tacebat Creta Rheae; te longus honos aeternaque cingent templa nec instabili fama superabere Delo, et ventis et sacra fretis interque vadosas Cycladas, Aegaeae frangunt ubi saxa procellae, Nereidum tranquilla domus iurandaque nautis insula; ne solum Danaas admitte carinas, ne, precor! ›Hic thiasi tantum et nihil utile bellis‹ hoc famam narrare doce, dumque arma parantur Dorica et alternum Mavors interfurit orbem, – cedo equidem – sit virgo pii Lycomedis Achilles.«

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»Eiland, das mir lieb ist, dem ich das Pfand meiner großen Sorge und ungeheures Guthaben279 mit scheuer List anvertraut habe, glücklich seist du und schweige, bitte ich dich, wie Kreta für Rhea schwieg. Dich werden hohe Ehre und ewige Tempel umgeben und du wirst im Ruhm nicht vom beweglichen Delos übertroffen werden, und heilig seist du Winden und Meer; inmitten der an Untiefen reichen Kykladen, wo aegeische Stürme Riffe zerbrechen, sei ein ruhiges Haus der Nereiden und eine Insel, bei der Schiffer schwören; lass nur keine Schiffe der Danaer heran, darum bitte ich dich! ›Hier gibt es nur Chortänze für Bacchus und nichts Nützliches für den Krieg‹, das soll von dir gelehrt in aller Munde sein, und während dorische Waffen bereitet werden und Mars zwischen den beiden Erdteilen [sc. Europa und Asien] tobt – ich weiche [ihm] – sei Achill eine Jungfrau des frommen Lycomedes.«

Thetis’ Wunsch eröffnet Skyros als Ruheraum (tranquilla domus, 1,391), der von Winden und Fluten (1,389) und den Gefahren des anderweitig tobenden Krieges abgeschirmt sein soll (1,392/394–396). Eine Insel des Bacchus soll Skyros sein (1,393). Eben dieser Gott bittet in der Thebais Jupiter um Schutz für seine Stadt Theben (Th. 7,168–174),280 mit der Begründung, dass seine Gefolgschaft unkriegerisch sei (inbellis, Th. 7,168; wie Lycomedes’ Hof in A. 1,207) bzw. nur seine Art der Kämpfe kenne, d. h. sich Kränze ins Haar zu flechten und auf der Flöte zu blasen (Th. 7,169–171). Dementsprechend soll es auf Skyros nur Bacchustänze geben und emblematisch übersteigert Achill sogar eine Jungfrau sein und nicht nur den Eindruck einer solchen erwecken (A. 1,396). Thetis untermauert den unkriegerischen Charakter Skyros’ durch erotische Untertöne. In 1,319–322 hatte sie Achill auf die Möglichkeit, sich Deidamia zu nähern, hingewiesen und 279 Zur finanziellen Metaphorik vgl. Dilke und Ripoll zu 1,385. 280 Parallele bei Ripoll zu 1,393.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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durch den Ausblick auf Nachkommenschaft ganz konkret werden lassen. Ihre Abschlussrede an Skyros setzt nun diese erotische Linie subtil fort. Dazu gehört die Positionierung unter die Kykladen,281 aber auch die Benennung S­ kyros’ als Haus der Nereiden (1,391). Denn m. E. ist hier ein intertextueller Bezug zu­ Catulls c. 64 zu sehen: Die Nereiden tauchen dort aus dem Wasser auf, als sie die Argo bemerken (c. 64,14 f.). Sie erscheinen mit nacktem Oberkörper den Sterblichen (c. 64,16–18) und genau in diesem Moment verliebt sich Thetis (!) in­ Peleus (dreifaches tum jeweils am Versanfang: c. 64,19–21).282 Darüber hinaus soll Skyros ein sicherer Hafen für Schiffer werden (1,391 f.). Auch dieses Bild hat einen erotischen Subtext, wie z. B. Horaz’ Pyrrha-Ode c. 1,5 zeigt. Andere mögen Pyrrha verfallen, der Sprecher des Gedichts hingegen habe schon nach überstandenem Schiffbruch (sc. in der Liebe zu Pyrrha) seine Kleidung als Votivgabe der Meergöttin283 Venus geweiht (c. 1,5,13–16). Es findet hier noch ein weitergehendes intertextuelles Spiel mit Horaz statt: Pyrrha ist laut Hygin (Fab. 96) der Name Achills als verkleideter Jungfrau auf Skyros. Statius selbst vermeidet eine Namensnennung,284 aber erwähnt zumindest den Namen seines Sohnes Pyrrhus (A. 2,24), der auch als Grundlage für Hygins Schlussfolgerung gedient haben dürfte.285 In Horaz’ Ode hat Pyrrha ihrem Namen entsprechend blondes Haar (flavam […] comam, c. 1,5,4); Achill hat flaventia tempora (A. 1,611). Pyrrha verführt in einer Grotte (grato […] antro, c. 1,5,3). Die Vergewaltigung Deidamia findet in einer Grotte statt, die von Lycomedes den Männern untersagt wurde (inaccessumque viris edicitur antrum, A. 1,599). Darüber hinaus wird bei Horaz vor der aura fallax der Pyrrha gewarnt (c. 1,5,11 f.), und als elend werden diejenigen bezeichnet, denen sie noch unversucht erstrahle (miseri, quibus / intemptata nites, c. 1,5,12 f.). Auch der verkleidete Achill täuscht den Betrachter (fallitque tuentes, A. 1,336) und erscheint den Töchtern des Lycomedes bei seinem ersten Auftritt vor ihnen bewundernswert (A. 1,366–369). Felgentreu 2011 interpretiert die horazische Pyrrha als versteckte Achill-Figur, die zu einem Netz von Achill-Anspielungen in den Oden gehöre und in Verbindung mit c. 1,14 zur poetologischen Abgrenzung der Lyrik von Elegie und Epos diene.

Die erotische Bindung an Skyros ist immerhin so erfolgreich, dass Achill ein ganzes Jahr dort verbringen wird,286 so dass er seinen Sohn dem Lycomedes präsentieren kann (1,908) und dieser auch beim Abschied anwesend ist (2,24). Der Anblick von Deidamia und ihrem gemeinsamen Sohn beim Abschied würde Achill sogar von der Teilnahme am Krieg zurückhalten (2,27–31), wenn nicht Odysseus listig und rhetorisch überzeugend eingreifen würde. 281 Zur erotischen Konnotation der Kykladen vgl. die Ausführungen zu 1,530. 282 Ausführlicher zum Bezug der Achilleis auf Cat. c. 64 vgl. B 3. 283 Zur sinnvollen Emendation des überlieferten deo in deae vgl. den Kommentar von NH I zu Hor c. 1,5,16. 284 Vgl. dazu Heslin 2005, 129–131. 285 So Heslin 2005, 131. 286 Vgl. 1,455 f. mit den Kommentaren von Dilke und Ripoll.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Der szenenschließende Hymnus auf Skyros ist von Ripoll mit dem buchschließenden Hymnus auf die Quelle Langia im vierten Buch der Thebais (Th. 4,837–850) in Verbindung gebracht worden.287 Auffälligerweise wird dort gesagt, dass Langia im Frieden und im Krieg besungen werden solle von den Heimkehrern aus dem Krieg.288 Skyros hingegen soll den Kriegsschiffen der Danaer keinen Zugang gewähren und mit kriegerischer Tätigkeit unverbunden sein (A. 1,391–393). Ein ›mythologischer‹ Vergleich mit dem jungen Jupiter und seinem Versteck auf Kreta dient sowohl der Überhöhung Skyros’ wie auch der ihres Sohnes, der ein Beinahe-Sohn des Jupiter ist (1,1 f.), was Thetis durchaus beschäftigt.289 Wie Rhea ihren Sohn Jupiter für kommendes Großes bewahrt, so will es auch Thetis mit ihrem Sohn tun, dem von seinem Erzieher Chiron eine große Zukunft prophezeit worden war (1,147 f.).290 Chiron scheint darunter, wie seine Fortsetzung andeutet, Heldentaten wie die des Hercules oder Theseus zu verstehen. Thetis hat weniger konkrete Vorstellungen: Sie legt den Schwerpunkt auf das Bewahren ihres Nachkommen vor dem Trojanischen Krieg, für die weitere Zukunft hat sie keine näheren Pläne: Mal verspricht sie Achill eine baldige Rückkehr zu Chiron (1,266 f.), mal stellt sie Deidamia in Abgrenzung zum bisherigen Erfahrungsraum bei Chiron in Aussicht (1,319–321). Wie lange dieser Aufenthalt auf Skyros dauern soll, darüber stellt sie keine Überlegungen an, obwohl sie sonst recht detailliert abwägt, wenn es um das rechte Versteck und die Art der Flucht dorthin geht (1,198–227). Das spricht nicht gegen sie, so wie Heslin 2005 sie im dritten Kapitel als scheiternde Figur deutet.291 Vielmehr handelt sie aus dem­ 287 Ripoll zu 1,384–396 und zu 1,387–388. 288 Th. 4,846–850:       tu pace mihi, tu nube sub ipsa armorum festasque super celebrabere mensas – a Iove primus honos –, bellis modo laetus ovantes accipias fessisque libens iterum hospita pandas flumina defensasque velis agnoscere turmas. 289 1,252–255, 268 f., vgl. auch Neptuns Aussage in 1,91 f. 290 Diese Entsprechungen im Vergleich mit Jupiter auf Kreta scheinen im Vordergrund zu stehen und gegen Heslins Zweifel an der Angemessenheit des Vergleichs zu sprechen (2005, 136 f.). Die Kureten stehen mit ihrem das Kind Jupiter übertönenden Lärm für Heslin im Widerspruch zu Skyros, das schweigen soll (1,386 f.). Doch werden die Kureten von Bacchus in der erwähnten Bitte an Jupiter im siebenten Buch der Thebais (Th. 7,173 f.) gerade als Beleg und Argument für ein zum Krieg nicht geeignetes Geschlecht genommen, das zum Vergleich mit den Thebanern dient, die Bacchus schützen möchte. Eine unkriegerische Umgebung ist genau das, was Thetis will und weshalb sie Lycomedes’ Insel auswählt (A.1,207–209). Uccellini zu 1,386 f. möchte eher von einer ironia narrativa als einem rhetorischen Fehltritt Thetis’ sprechen. 291 Zuvor hat bereits von Albrecht 1999, 283 f. die erste Überzeugungsrede 1,252–274 als rhetorisches Scheitern verstanden, da Thetis zu sehr aus der Perspektive der Mutter argumentiere. Auch ihre zweite Rede 1,319–222 sei nicht aus rhetorischen Gründen erfolgreich. Allerdings bescheinigt von Albrecht ihr mit Bezug auf 1,265–267 und 274 ein gewisses Verständnis für die psychologische Disposition ihres Sohnes. Im Unterschied zu Heslin legt von Albrecht Wert auf die für den Leser als komisches Scheitern angelegte Rhetorik der Thetis.

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Thetis und Achill auf Skyros (A. 1,242–396) 

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Moment heraus und ist, seitdem sie Paris’ Schiff erblickt hat (1,25 f.), in Eile, um ihren Sohn möglichst schnell in Sicherheit zu bringen.292 Wie viel ihr an ihrem Sohn liegt, zeigt darum auch der schwere Abschied (1,379–383). Da erst zögert sie zum ersten Mal, und das für lange Zeit (multum cunctata, 1,379). Die erwähnte Überhöhung Skyros’ ist ein wichtiger Punkt in Thetis’ rhetorischer Strategie. Heslin sieht in der Prophezeiung, dass Skyros große Ehren und Tempel erhalten und Delos an Ruhm übertreffen werde, ein weiteres Beispiel für die rhetorisch scheiternde Thetis.293 Denn Skyros habe solche Ehrungen eben nicht erlangt, Achill sei eben nicht sicher auf Skyros gewesen. Demgegenüber möchte ich einwenden, dass Thetis’ Worte in 1,387 f. nicht so sehr als ­Prophezeiung zu verstehen sind, denn als schmeichlerische Werbung und Versprechung, um das personifizierte Skyros zu überzeugen. Mit schmeichlerischen Wünschen spricht Thetis explizit Skyros’ Strände an (blandis adfatur litora votis, 1,383). Als sie nach der Ankunft auf Skyros Achill von ihrem Plan zu überzeugen versucht, heißt es einleitend ähnlich: blandeque adfata (1,251); und als sie Achill nach der Verwandlung nochmals einschärft, sich angemessen zu verhalten, wird sie blanda Thetis genannt (1,338). Gern nutzt Thetis eine List, um rhetorisch an ihr Ziel zu gelangen: ficta werden ihre Erklärungen für Chiron genannt, warum sie Achill mit sich nehmen müsse (1,141); Lycomedes überzeugt sie, denn wer könne den Betrügereien der Götter widerstehen, fragt der Erzähler parenthetisch (quis divum fraudibus obstet, 1,364). Selbst in ihrer Rede nennt sie ihren Plan eine aus Angst geborene List (timido […] astu, 1,385). Sie hofft nun auf eine conscia Scyrus,294 die sie für sich mit Mitwisserschaft und Versprechen einnehmen will. Thetis scheitert nicht ganz und gar: Die erotische Seite von Skyros bindet Achill zumindest eine Zeit lang (s. o.). Als sich Odysseus’ Schiff der Insel nähert, darf Thetis aber nicht mehr eingreifen, da dies gegen das Schicksal ist (1,684–688), ja Odysseus erhält sogar Hilfe von Apoll (1,682 f.). Allerdings wird Skyros hier und nur hier in der Achilleis als klippenreich bezeichnet (scopulosa, 1,691) und Odysseus muss noch ein aufwendiges Manöver ausführen, um sich schnell vor Einbruch der Nacht der Insel nähern zu können (1,692–694).295 Dennoch erfüllt Skyros Thetis’ Auftrag und Wunsch nicht und erhält auch keine­ Erfüllung ihrer werbenden Versprechungen. Ganz leer ist Thetis’ Versprechen 292 Vgl. nec mora 1,27; schnelles Schwimmen zu Chiron 99 f.; Ungeduld bei Chiron: nec perpessa moras in 1,127; zweimaliges sofortiges ›Belagern‹ ihres Sohnes: occupat jeweils am Versanfang in 1,251 und 318. 293 Heslin 2005, 134–137 zur ganzen Rede, 135 zur Prophezeiung. 294 Lycomedis conscia tellus nennt Calchas sie tatsächlich in seiner Weissagung (1,532). 295 Zum Manöver und zum Text vgl. Soubiran 2006: Es sei pontem (Bootssteg) statt pontum in 1,693 zu lesen; Odysseus’ Anweisungen umfassen dann drei Bereiche: 1) Loslassen der Taue (1,692), 2) Vorbereiten des Bootsstegs für den Ausstieg nach der Landung (1,693), 3)­ zusätzlich zum Segeln Rudern (1,694). Zur absurden Geographie, die auch Abgelegenheit suggerieren soll, vgl. Ripoll zu 1,677–680.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

allerdings nicht geblieben, wie Strabo belegt, der der Insel Skyros gerade aufgrund der Achill-Episode Bekanntheit attestiert.296 Zunächst jedoch bleibt der Kontrast zwischen Skyros und dem Rest der Welt, der sich im Kriegszustand befindet, bis zur Ankunft des Odysseus bestehen. Dieser Kontrast wird auch durch die zeitliche Parallelität unterstrichen: dumque (1,394) und beim Szenenübergang zu den griechischen Kriegsvorbereitungen direkt nach Thetis’ Rede: interea (1,397). Zugleich benennt Thetis geradezu metaliterarisch die folgende Szene der Kriegsvorbereitungen (1,397–446): arma parantur (1,394).297

4. Kriegsvorbereitungen in Griechenland (A. 1,397–559) Etwa in der Mitte des ersten Buches der Achilleis wird der Fokus auf Achill zum ersten Mal verlassen. Es werden die Kriegsvorbereitungen der Griechen geschildert. Die Soldaten verlangen nach der Teilnahme Achills. Doch weiß niemand, wo sich Achill befindet. Denn Thetis hat ihn heimlicherweise nach Skyros gebracht, um ihn vor dem heraufziehenden Krieg zu bewahren. Protesilaus bedrängt nun den Seher Calchas, sich seiner Kunst zu bedienen und dadurch den Aufenthaltsort Achills zu ermitteln. Daraufhin lässt sich Calchas inspirieren und weissagt das Gewünschte. Im Anschluss melden sich Diomedes und­ Odysseus freiwillig für eine Expedition nach Skyros, um Achill zu holen. Ripoll hat diesen Teil der Achilleis als Kontrapunkt zur ethischen Erzählung von Achill auf Skyros bezeichnet, der bewusst auf Effekte pathetischer Dramatisierung angelegt sei.298 Ein Kontrapunkt ist diese Szene zweifelsohne. Dennoch lässt sich hier zeigen, dass der Text nicht auf eine klar getrennte Pathos-EthosDifferenzierung zielt, sondern auf ein Austarieren der Grenze.299 Dies lässt sich besonders an der Prophetie-Szene sehen, die Ripoll gerade als einen Beleg für die besonders pathetische Gestaltung nennt. Im Folgenden sollen nun die einzelnen Teile dieser Episode näher auf ihre ethos-artige Gestaltung untersucht werden. 296 Strab. Geogr. 9,5,16: μάλιστα δ’ ἐστὶν ἐν ὀνόματι Σκῦρος διὰ τὴν Λυκομήδους πρὸς Ἀχιλλέα οἰκειότητα καὶ τὴν Νεοπτολέμου τοῦ Ἀχιλλέως ἐνταῦθα γένεσίν τε καὶ ἐκτροφήν. 297 Vgl. auch die motivische Vorbereitung Mavors interfurit in 1,395 und dulcibus armorum furiis in 1,398. Vgl. darüber hinaus Taisne 1994, 77–79 zu weiteren motivischen Parallelen zwischen der Charakterisierung der Thetis und den folgenden Kriegsvorbereitungen. 298 Ripoll zu 1,397–440, ausgeführt in Ripoll 2010, 1–5. 299 Vgl. demgegenüber Moul 2012, die sich als erste in einem Aufsatz ausschließlich den Kriegsvorbereitungen in der Achilleis widmet. Ihre interessanten intertextuellen Überlegungen scheinen mir nur etwas zu sehr von der Absicht geleitet, unepische Ironie und Komik aufdecken zu wollen. Die Achilleis als mock-epic darzustellen, scheint mir jedoch an Statius’ Konzeption vorbeizugehen (vgl. dazu den Forschungsüberblick B 5.) und gerade das bedächtige Austarieren zu ignorieren.

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Kriegsvorbereitungen in Griechenland (A. 1,397–559) 

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4.1 Kriegsvorbereitungen (1,397–446) Nachdem Thetis in ihrer Ansprache an Skyros schon auf die zeitgleichen Kriegsvorbereitungen hingewiesen hatte (1,394 f.), erfolgt direkt im Anschluss an die Rede mit interea (1,397) der Szenenwechsel. Der Raub der Helena erzürnt Europa, Agamemnon300 wirbt Unterstützung für seinen Kriegszug ein (1,397–406). Die indirekte Wiedergabe der Worte Agamemnons offenbart dabei einen wichtigen Kontrast: Helena sei ohne Mars und Waffen geraubt worden (1,401 f.). Agamemnon, der für eine kriegerische Lösung wirbt, betont in geradezu empörter Weise die unkriegerische Eroberung Helenas, poetologisch gesprochen also das Eindringen der Liebeselegie in das Epos.301 Um sein Ziel zu erreichen, verschärft Agamemnon sogar, so der Erzähler, die Tat des Paris (facinusque relatu / asperat Iliacum, 1,400 f.) und hat damit, wie in 1,406 deutlich wird, unmittelbaren Erfolg. In motivischer Hinsicht lässt sich eine Stelle in der Thebais zum Vergleich gegenüberstellen. Im dritten Buch berichtet Tydeus auf dem Rückweg nach Argos in den jeweiligen Städten vom Unrecht, das ihm durch den Angriff aus dem Hinterhalt zuteil geworden ist, den Eteokles beauftragt hatte ­(3,324–406). Tydeus’ Erscheinung wird mithilfe eines Stiergleichnisses veranschaulicht (­3,330–336). Dann folgt die erwähnte Verbreitung des Unrechts (3,336–344):      medias etiam non destitit urbes, quidquid et Asopon veteresque interiacet Argos, inflammare odiis, multumque et ubique retexens legatum sese Graia de gente petendis isse super regnis profugi Polynicis, at inde vim, noctem, scelus, arma, dolos, ea foedera passum regis Echionii, fratri sua iura negari. prona fides populis; deus omnia credere suadet Armipotens, geminatque acceptos Fama pavores.

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Er ließt nicht ab, auch die Städte auf seinem Weg, was immer zwischen Asopos und dem altem Argos liegt, in Hass zu entflammen, indem er ausführlich und überall enthüllte, dass er als Gesandter von griechischem Stamm aufgebrochen sei, um die Herrschaft für den flüchtigen Polynices zurückzufordern, aber hierauf habe er Gewalt, Nacht, Verbrechen, Waffen, Listen und diese ›Einhaltung‹ von Verpflichtungen seitens des thebanischen Königs erlebt; dem Bruder werde sein Recht verweigert. Gewogen war ihm das Vertrauen bei den Völkern; der Kriegsgott riet zu, alles zu glauben, und Fama verdoppelt die empfangenen Ängste.

300 Zur Identifikation des Atriden in 1,399 vgl. Rosati 1992, 273 f. 301 Vgl. auch Jannaccone zu 1,398 ff.: Diese Stelle rufe das homerisch-vergilische Epos auf, aber »la maschia energia del canto iliadeo si è come femminilizzata«.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Der Eindruck, den Tydeus erweckt, wurde durch die Beschreibung302 und das Stier-Gleichnis vorbereitet und dient als Beglaubigung für seine Nachricht, die ebenso schrecklich in Inhalt und sprachlicher Ausformung ausfällt. Tydeus will Hass verbreiten und verkündet seine Nachricht mit vielen Worten und überall (multumque et ubique, Th. 3,338). Höhepunkt ist das atemlose Asyndeton in Th. 3,341, das schlaglichtartig den Überfall inszeniert. Als Steigerung schenken ihm die Einwohner nicht nur Glauben, sondern Mars und Fama unterstützen Tydeus. Bei Tydeus stehen übertreibender Bericht und Einwerbung in direktem Zusammenhang. Wenn die Unterstützung auch eine Folge von Tydeus’ Auftreten sein wird, so wird doch an dieser Stelle nur auf seine pathetisierende Wirkung fokussiert (odiis, Th. 3,338; pavores, Th. 3,344). Auch Agamemnon in der ­Achilleis beklagt asyndetisch gebrochenes Recht, Treue und das blasphemische Verhalten (iura, fidem, superos una calcata rapina, 1,403). Seine indirekt wiedergegebenen rhetorischen Fragen nach phrygischer Vertragstreue und zukünftigen Folgen dienen zum einen der Emotionalisierung der Zuhörer, sind zum anderen aber erstaunlich juristisch (1,404–406): hoc foedus Phrygium, haec geminae commercia terrae? quid maneat populos, ubi tanta iniuria primos degrassata303 duces? Dies sei phrygische Vertragstreue, dies der Handelsverkehr benachbarten Landes? Was erwarte die Völker, wo so großes Unrecht die obersten Anführer gewalttätig getroffen habe?

Tydeus hingegen verweist auf die Umstände und den Ablauf der Tat (vim, noctem, scelus, arma, dolos, 3,341), was sowohl seiner eigenen erregten Gemütsverfassung entspricht als auch derjenigen, die er erzeugen möchte. Agamemnon nimmt vorrangig das Ergebnis (captam, 1,401; rapina, 1,403) und, wie erwähnt, die möglichen Folgen in den Blick.304 Die göttliche Unterstützung durch den Kriegsgott und die Ängste verdoppelnde Fama lassen in der Thebais diese Schilderung im hohen epischen Ton enden, wohingegen der Neuansatz in der Versmitte in A. 1,406, den emotionalisierten Ton Agamemnons abbricht und sofort auf die Handlungsebene zurückkehrt. Die folgende Aufzählung der zusammenkommenden Völkerscharen (coeunt gens omnis et aetas, 1,406) ist, wie Ripoll treffend beobachtet hat, eine Vereinigung zweier Motive des antiken Epos: Truppenkatalog und Kriegsvorbereitung. Statius gleite dabei vom ersten zum zweiten über (1,406–412: nur Katalog, 302 Vgl. nur terribilis visu, Th. 3,326. 303 Zur juristischen Nuance vgl. Ripoll zu 1,406. 304 Beide teilen allerdings einen ironischen Verweis auf vertragliche Treue (ea foedera, Th. 3,341; hoc foedus, A. 1,404).

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1,413–422: Katalog und Vorbereitungen, 1,423–438: nur Vorbereitungen).305 Auch wenn mit diesen gewissermaßen iliadischen Konventionen zunächst ein besonders ethos-ferner Raum eröffnet wird, so zeichnen diese Passage doch auf kompositorischer und motivischer Ebene Besonderheiten aus, die besonders im Vergleich mit anderen typischen Szenen eine pathos-einschränkende Gestaltung deutlich werden lassen. Gewissermaßen als erstes Signal lässt sich eine Beobachtung Ripolls verstehen, der im Aufbau der Achilleis-Szene eine Umkehrung zum siebenten Buch der Aeneis feststellt (sc. erst Vorbereitungen, dann Katalog, Aen. 7,623–817).306 Zudem stellt Ripoll im vierten Buch der Thebais im Unterschied zur Achilleis eine Abtrennung des Katalogs von der eigentlichen Erzählung mit einer autonomen Entwicklung fest, da in der Thebais der Katalog pointiert durch einen Musenanruf abgesetzt wird (Th. 4,32–38). Auch allgemein zeige die Achilleis eine deutliche Kondensierung (net resserrement) von topischen Motiven des Epos und ihre enge Verflechtung (étroite imbrication) mit dem erzählerischen Strang.307 Der Katalog der Achilleis zeichne sich durch eine ungewöhnliche Nüchternheit aus, die auf mythologische Digressionen und Beschreibung der Aktivitäten in Friedenszeiten in den erwähnten Städten verzichte, was traditionelle Bestandteile dieses Szenentyps seien.308 Gerade im Vergleich mit der ausgreifenden Beschreibung in der Thebais wird die Besonderheit dieser Passage augenfällig. Wie Parkes gesehen hat,309 werden bei der Schilderung in der Achilleis besonders Motive aus den Kriegsvorbereitungen des dritten und vierten Buches der Thebais in komprimierter Form wiederverarbeitet.310 Gerade diese Komprimierung eines Großabschnitts aus dem Vorgängerwerk macht einen Vergleich mit der Thebais umso aussagekräftiger. Eine lokal begrenzte Auseinandersetzung um Theben wird mit ausführlichen Vorbereitungen im dritten Buch und einen 344 Verse umfassenden Katalog im vierten Buch versehen. Demgegenüber erhält der ganz Griechenland

305 Ripoll zu 1,406–440. 306 Ripoll zu 1,406–440. 307 Ripoll zu 1,406–440, ähnlich auch zu 1,467–472. 308 Ripoll zu 1,406–412. 309 Parkes 2008, 389; sowie die vergleichenden Ausführungen p. 389–395. 310 In negativer Form Dilke p.10: Er bezeichnet die Kriegsvorbereitungsepisode in der Achilleis als »the least interesting and the most mechanical: we feel that the poet is weary of­ recounting wars, and many of the descriptions are little more than variations on similar descriptions in the Thebaid.« (ähnlich auch p. 13 zu 1,412–437). Von Schwäche in der dichterischen Gestaltung der Szene spricht auch Jannaccone zu 1,407 ff. Vgl. dazu B 2.2.4. Nicht zutreffend scheint mir Dilkes Anmerkung zu 1,423 ff., dass es sich um eine Kondensierung von Th. 3,575–391 handele, da beide Stellen zwar gemeinsame Motive teilen (vgl. dazu die Übersicht bei Kuerschner 1907, 56), aber darüber hinaus aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung nicht zum strukturellen Vergleich geeignet sind.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

i­ nvolvierende trojanische Krieg nur fünfzig Verse bzw. 163, wenn man die ganze Szene 1,397–559 zusammenfasst. Die Kondensierung lässt sich z. B. an der Erwähnung Arkadiens in A. 1,419 f. beobachten. Dort heißt es innerhalb einer Aufzählung von Orten und Landschaften, die zum Krieg mit ihren Gütern beitragen: vacuantur pascua ditis / Arcadiae (es leeren sich die Weiden des reichen Arkadiens). Im Gegensatz dazu gibt es im Katalog des vierten Thebais-Buches einen veritablen ethnographischen Arkaderexkurs von 30 Versen (4,275–304).311 Die Formulierung der Achilleis-Stelle scheint auf den umfangreicheren Vorgänger anzuspielen: Reich ist Arkadien (ditis), doch nun leert es sich (vacuantur). Poetologisch paraphrasiert bedeutet dies: Arkadien böte also Stoff für einen Exkurs, aber nicht in einer veränderten EposKonzeption. Auffällig ist das Epitheton Arkadiens dadurch, dass mit Ausnahme des im vorangehenden Vers erwähnten asper Acarnan und der schnellen Zöglinge Epiros’ (celeres alumnos, A. 1,420) kein Ort bzw. keine Landschaft oder ein sie vertretender Einwohner ein Attribut erhält. Außerdem ist diese Sparsamkeit bei Epitheta ein weiteres Zeichen für die erwähnte K ­ ondensierung. Nun könnte man einwenden, dass ein wesentlich umfangreicherer Katalog nach dem Beispiel der Ilias nicht im ersten Buch stehe, sondern nachgereicht worden wäre. Aber gerade dass doch ein Katalog im ersten Buch und zwar in der beschriebenen Form vorhanden ist, zeigt m. E. deutlich, dass hier ein Gegenpol zu Skyros zwar eröffnet, aber sogleich auch begrenzt wird. Dies dient nicht so sehr dazu, die Bedeutung herabzusetzen, als es vielmehr den Fokus des Erzählers verdeutlicht: Achill auf Skyros wird nur für einen kurzen Blick auf die ›weltgeschichtlichen‹ Ereignisse, die bereits mehrfach angekündigt wurden,312 verlassen.313 Dementsprechend führt das Ende der Vorbereitung auch zur Erwähnung Achills (1,440).314 Eingebunden ist diese Erwähnung in Form eines Motivs, das sich auch in der Thebais findet: Nachdem mehrere Städte aufgezählt worden sind, die am Krieg teilnehmen, wird auf einer nicht teilnehmen 311 Zur Charakteristik dieses Exkurses vgl. Parkes zu Th. 4,275–308. 312 A.1,33–35, 81–83, 257 f., 361 f., 394 f. 313 So lässt sich auch erklären, dass Ripoll zu 1,406–412 in Form und Gehalt eine Parallele zum Katalog der Athener in Th. 12,611–638 zieht. Gerade ein Katalog, der nicht die Hauptkonfliktparteien betrifft und zu einem keine 150 Verse später beendeten Konflikt führt, ist strukturell demjenigen vergleichbar, der in der Achilleis die Vorbereitungen für den trojanischen Krieg beschreibt. Vgl. allgemein auch Schetter 1960, 145: »Zugleich zeigt sich an der besprochenen Darstellung die Tendenz, diejenigen Episoden, die in keinem unmittelbaren Bezug zu Achill stehen, in gedrängter Kürze zu behandeln.« Schetter bezeichnet zwar die Kriegsvorbereitungen als »ausführlich gehaltene Schilderung« (145) sieht aber dies durch die Zuspitzung auf Achill begründet (s. folgende Fußnote und Schetter 1960, 147). 314 Vgl. auch Schetter 1960, 146: »Der ganze Abschnitt gipfelt in der Nennung des Achill, und von hierher wird auch die reichhaltige Enumeration der verschiedenen griechischen Landschaften und Städte verständlich.«

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den Stadt/Landschaft pausiert.315 In der Achilleis ist es Thessalien, das sich nicht an den Kriegsvorbreitungen beteiligen kann, weil Peleus zu alt und Achill noch nicht erwachsen sei (1,438–440): hos inter motus pigram gemit una quietem Thessalia et geminis incusat fata querellis, quod senior Peleus nec adhuc maturus Achilles.

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Inmitten dieses Treibens beseufzt einzig Thessalien seine träge Ruhe und beschwert sich mit doppelter Klage über das Schicksal, dass Peleus zu alt und noch nicht erwachsen Achill sei.

In der Thebais, im großen Truppenkatalog des vierten Buches, ist es Mykene, das keine Krieger entsendet, allerdings aufgrund des Zwistes zwischen Thyest und Atreus (Th. 3,305–308): hos belli coetus iurataque pectora Marti milite vicinae nullo iuvere Mycenae; funereae tunc namque dapes mediique recursus solis, et hic alii miscebant proelia fratres.

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Diese Kriegszusammenkünfte und auf Mars eingeschworenen Gemüter unterstützte das benachbarte Mykene mit keinem Soldaten; denn ein finsteres Mahl fand damals statt, die Sonne verdunkelte sich mitten am Tag, und ein anderes Brüderpaar geriet hier in den Kampf.

Die Ereignisse in Mykene spiegeln in der kurzen Anspielung den Bruderzwist zwischen Eteocles und Polynices und vertiefen so die düstere Stimmung des Truppenkatalogs, wie bereits Kytzler gesehen hat.316 Anders in der Achilleis: Unbelastet von vorausdeutenden, unheilvollen Parallelen ist hier das Alter der möglichen thessalischen Anführer Ursache für das Fernbleiben vom Krieg. Beschlossen wird der Katalog- und Vorbereitungsteil durch ein sechs Verse umfassendes Finale (1,441–446), das nach den Detailperspektiven der einzelnen Landschaften wieder eine globale Sicht einnimmt (orbem, 1,441), die Kriegsstimmung zusammenfasst und zugleich zur folgenden Sammlung in Aulis überleitet: Iam Pelopis terras Graiumque exhauserat orbem praecipitans in transtra viros insanus equosque Bellipotens. fervent portus et operta carinis 315 Gesehen von Parkes 2008, 391 Fn. 52; vgl. auch Ripoll zu 1,406–412 und 438–440. Man vergleiche auch den anspielungsmarkierenden Eingang: hos inter motus (A. 1,438) ~ hos belli coetus (Th. 4,305). 316 Kytzler 1969, 227, vgl. 222–227 zuvor zur einheitlichen, düsteren Grundstimmung des Katalogs. Vgl. außerdem den Kommentar von Parkes zu Th. 4,305–308 über homerische und ovidische Intertexte.

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stagna suasque hiemes classis promota suosque attollit fluctus; ipsum iam puppibus aequor deficit et totos consumunt carbasa ventos.

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Schon hatte der Kriegsgott Pelops’ Länder und den Erdkreis der Griechen erschöpft, indem er in wahnsinnigem Toben Männer und Pferde auf die Schiffe trieb. Es rauschen die Häfen, und bedeckt sind die Seen von Kielen, und die vorrückende Flotte türmt die selbstgeschaffene Sturmflut vor sich auf; schon reicht die Meeresfläche nicht mehr für die Schiffe aus und die Segel brauchen alle Winde auf.

Von Kommentatoren dieser Stelle wird die grandiose ins Hyperbolische gehende Ausdrucksweise bemerkt.317 Auffällig ist auch die Bezeichnung des Kriegsgottes als Bellipotens: So wird er nur hier in der Achilleis genannt, jedoch mehrfach in der Thebais.318 Die ganze Stelle ist durch große Unruhe (exhauserat, 1,441;319 praecipitans, insanus, 1,442; fervent, 1,443) und unmäßige Gewalt (1,444–446) gekennzeichnet. Es war zuvor von einer Kondensierung und Unterrepräsentation im Vergleich zum Ausmaß des kriegerischen Konfliktes die Rede. Für einen kurzen Moment wird dieses Spannungsverhältnis jedoch aufgebrochen. Dann wird die Steigerung des Pathos jedoch durch den Szenenschnitt nach Aulis aufgehalten (1,447), um nach einer ekphrastischen Passage (1,447–453) wieder kurzzeitig erneut aufgebaut und unterbrochen zu werden (s. u.). So scheinen mir die Verse 1,441–446 eine doppelte Funktion zu erfüllen: Es wird hier, wie es auch in der Prophezeiung des Calchas zu sehen sein wird, die Grenze ausgetestet. Es öffnet sich gewissermaßen ein Ausblick auf die iliadische Welt, aber genau zu dem Zweck, auf den Unterschied hinzuweisen. Zugleich macht die stark topische sprachliche Oberfläche deutlich, wie wenig kontextgebunden diese Verse (und zu einem nicht geringen Teil auch die vorangehenden Verse mit Katalog und Vorbereitungen)320 sind, d. h. dass hier nicht nur eine epische Konvention erfüllt wird, sondern auf die Erfüllung auch hingewiesen wird. Diese Verse erhalten ihre Relevanz nicht so sehr durch einen Bezug auf die Handlung321 als durch ihre bloße Existenz vor dem Hintergrund der epischen Tradition.322 317 Vgl. Ripoll zu 1,443–446: »grandioses amplifications finales«; Jannaccone zu 1,446: »la solita barocca esagerazione«. 318 Th. 3,292 und 577; 8,384; 9,832. 319 Zu den Konnotationen vgl. Ripoll zu 1,441. 320 Nicht poetologisch, sondern als dichterische Schwäche wird dies von Jannaccone zu 1,407 gesehen: »Stazio […] non evita la morta enumerazione.« 321 In der Tat bieten sie nicht mehr als eine motivische Brücke von den Vorbereitungen des Kriegs zur Sammlung in Aulis durch den Fokus auf die Schiffe der Griechen. 322 Vgl. auch Reitz 2013 zum Truppenkatalog als metaliterarischem Raum in flavischer Epik (Argonautica, Thebais, Punica).

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4.2 Die Flotte in Aulis (1,446–559) 4.2.1 Sammlung in Aulis (1,446–466) Wie bereits angedeutet, wird mit der Sammlung der Flotte in Aulis erneut eine Pathos-Steigerung eröffnet: beginnend mit der Ekphrasis des Ortes (1,447–543), die durch den Vorverweis auf das Unglück, das die Flotte am Kaphareus bei der Heimfahrt erleiden wird,323 bereits eine düstere Note erhält (vgl. saevae […] noctis, 1,453); fortgeführt mit dem Attribut fatalis (1,454), das die Zusammenkunft erhält, und mit der Betonung der Größe und Einheitlichkeit des griechischen H ­ eeres (1,456–459). In dem sich nun anschließenden Gleichnis, das sic in 1,459 einleitet, wäre nun eine pathetische Zuspitzung zu erwarten. Doch es geschieht das Gegenteil.324 Die Ausformung des Gleichnisses führt eher zu­ Irritationen:      sic curva feras indago latentes claudit et admotis paulatim cassibus artat. illae ignem sonitumque pavent diffusaque linquunt avia miranturque suum decrescere montem, donec in angustam ceciderunt undique vallem; inque vicem stupuere greges socioque timore mansuescunt: simul hirtus aper, simul ursa lupusque cogitur et captos contempsit cerva leones.

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So schließt eine Treibjagd wilde Tiere, die sich verstecken, ringsum ein und drängt sie mit Netzen, die immer näher kommen, zusammen. Jene fürchten sich vor dem Feuer und dem Geräusch und verlassen die verstreuten unzugänglichen Orte und wundern sich darüber, dass ihr Berggebiet sich verkleinert,325 solange bis sie von überallher in das enge Tal geraten sind; wechselweise sind die Herden über einander erstaunt und werden in gemeinsamem Schrecken zahm: Ebenso werden der borstige Eber wie auch die Bärin und der Wolf zusammengezwängt und die Hirschkuh achtet die gefangenen Löwen gering.

Wie Ripoll bemerkt, bewirkt dieses Gleichnis, für das sich keine direkten Vorbilder finden lassen,326 ein Innehalten und eine Handlungsverzögerung, die 323 Zu dieser Vorverweistechnik vgl. Schetter 1960, 147 f. 324 Vgl. auch Jannaccone zu 1,459: »con questo paragone sbagliato […] e simili, Stazio non presumeva probabilmente di dare l’illusione di un mondo epico.« 325 Vgl. Dilke zu 1,461 f.: »This seems to mean that the animals notice an apparent shrinkage in their mountain area, not, as in Silv. 1,1,10 […], that the fire, destroying the tree, makes the mountain seem lower.« Letzteres wird von Jannaccone als Erklärung vorgebracht. 326 Moul 2012, 293–295 votiert für einen Bezug zu Ov. Ars 1,755–768 im Rahmen der elegischen Intertextualisierung der Achilleis.

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auf den folgenden Ruf nach Achill vorbereitet.327 Vergleichspunkt ist die Vereinigung der unterschiedlichen griechischen Truppen (sparsa ac dissona moles, 1,457), die mit der Vereinigung der unterschiedlichen Tierarten bei der Treibjagd in eins gesetzt wird. Dieses Gleichnis ist jedoch in mehrfacher Hinsicht auffällig. Zum einen wirkt der Vergleich der griechischen Soldaten mit gehetzten Tieren wenig heroisch, zum anderen wird eben gerade nicht die Stärke o. ä. durch das Gleichnis hervorgehoben, sondern nur die Sammlung von Soldaten unterschiedlichster Herkunft, unter denen sich dann, setzt man die Linie des Gleichnisses fort, auch eher schreckhafte Hirschkühe befinden müssten, ja überhaupt ist die Versammlung der Tiere durch Furcht und S­ chrecken gekennzeichnet (pavent, 1,461; socioque timore, 1,464)328 und nur gezwungener Maßen vereint. Ripoll sieht das Gleichnis als weitgehend um seiner selbst entwickelt.329 Doch wird durch die sich fast verselbstständigend erscheinende Ausführung des Gleichnisses nicht nur ein Stillstand im Handlungsfortschritt erreicht, sondern das zuvor (bes. 1,456–458) aufgebaute Pathos gewissermaßen, wie Ps.Longin 9,15 formuliert, ins Ethos aufgelöst. Denn es wird durch das Gleichnis auf die Ängste und die zahme Haltung (1,464 f.) der Beteiligten­ fokussiert. Dadurch dass die Jäger im Gleichnis nur indirekt als Handelnde­ vertreten sind und die Tiere die Perspektive bestimmen, wird auch der mögliche Vergleichspunkt ­potente Jäger  – mächtige griechische Feldherrn verschleiert. Diese Feldherrn treten dann zwar in den folgenden Versen in den Mittelpunkt, doch wird, wie im Folgenden zu sehen wird, auch diese Linie wieder unterbrochen.

4.2.2 Ruf nach Achill (1,467–490) Im Anschluss an die Beschreibung der Sammlung der Griechen bei Aulis, werden die griechischen Feldherrn aufgezählt: die beiden Atriden, Diomedes, Sthenelus, Antilochus, Aiax und Odysseus (1,467–472). Mit Ausnahme der Atriden erhält jeder lobende oder doch zumindest positiv charakterisierende Attribute, am umfänglichsten darunter Aiax, der symbolisch anhand seines Schildes als potenter Krieger vorgestellt wird (1,470 f.), und Odysseus, der sich geistig und körperlich gleichermaßen auszeichnet (consiliisque armisque vigil, 1,472). Der nachzählende Leser registriert, dass es sich um sieben griechische Anführer handelt. Und so hat Feeney treffender Weise bemerkt, dass die Erwartung einer Expedition von »Sieben gegen Troja« evoziert werde.330 Eine Art zweiter T ­ hebais 327 Ripoll zu 1,459–466. 328 Und sie fürchten sich vor den Dingen, die im Krieg wohl häufiger anzutreffen sind: ignem sonitumque (1,461). 329 Ripoll zu 1,459–466. 330 Feeney 2004, 87 f. Vgl. dazu auch Klodt 2009, 208 Fn. 81 (Bezüge zur Thebais) und 209 Fn. 83 (als ironisch gewertete Anspielungen auf die Ilias).

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wird zudem dadurch suggeriert, dass, wie Parkes betont, zwei der genannten Anführer Söhne zweier der Sieben gegen Theben sind (Diomedes und Sthenelus).331 Jedoch wird diese Erwartung, so Feeney, durch den Ruf der Truppen nach dem Einen, nämlich Achill, unterlaufen (omnis in absentem belli manus ardet Achillem, 1,473).332 Geradezu zärtlich heißt es dann, dass sie seinen Namen lieben (nomen Achillis amant, 1,474).333 Jannaccone ad loc. bezeichnet dies als hellenistisches Motiv und vergleicht Theokr. 27,41 (ein Wechselgesang zweier Verliebter): οὔνομα πολλάκι τέρπει (oft den Namen zu hören, erfreut). Auch die sehnsuchtsvolle Deklination des Namens (Achillem… Achillis… Achilles, 1,473 f.) scheint erotischen Ursprungs334 und erinnert an Anakreon (359 PMG): Κλεοβούλου μὲν ἔγωγ’ ἐρέω, Κλεοβούλῳ δ’ ἐπιμαίνομαι, Κλεόβουλον δὲ διοσκέω. Kleoboulos liebe ich, nach Kleoboulos bin ich verrückt, Kleoboulos sehe ich an.

Die folgenden Verse geben indirekt die Gespräche im Lager über Achill wieder und bewegen sich fragend, wie Ripoll beobachtet hat,335 chronologisch rückwärts von der Ausbildung bei Chiron bis zur Geburt zurück (1,476–479), aber hierarchisch zu Jupiter aufwärts (1,479–481). Was zum einen als hierarchischer Aufstieg erscheinen kann, ist somit zugleich auch eine Verkleinerung: Die Ausbildung zum Krieger führt über die ersten Jahre bei Chiron, teneros annos­

331 Parkes p. 392 f. 332 Wie Parkes 392 f. Fn. 60 bemerkt, eine Parallelität zur Abwesenheit Achills von den Kämpfen in Ilias 3–18. Zieht man als Statius’ Leser diese Parallele, so wird man auch Briseis als parallele Erscheinung Deidamias deuten und damit eine bereits antike Umdeutung nachvollziehen (zu dieser vgl. das Briseis-Kapitel von Fantuzzi 2012). 333 Vgl. auch 2,83 clamantem nomen Achillis: gemeint ist Deidamia, in der hypothetischen Schilderung des Odysseus, der durch die Analogie entführte Deidamia – entführte Helena Achill vom bellum iustum gegen die Trojaner überzeugen möchte (und wie sich 2,84 f. zeigt, mit Erfolg). 334 Moul 2012, 293 sieht hier liebeselegisches Colorit. Ripoll zu 1,473–474 nennt Th. 12,805–807, Verg. Ecl. 6,43 f., Georg. 4,525–527 als Parallelen für eine dreifache Apostrophe. Es handelt sich aber jeweils nicht um ein dreifaches Polyptoton wie bei Anakreon. Dennoch ist zumindest bei Vergil ein erotischer Kontext gegeben. KH zu Hor. c. 1,13,1 zählen als­ Parallelen zur doppelten, als schwärmerisch bezeichneten Nennung des Telephus bei Horaz neben Anakreon auch die obige Achilleis-Stelle. Vgl. außerdem Cat. c. 64,19–21 über Achills Mutter: tum Thetidis Peleus incensus fertur amore, tum Thetis humanos non despexit hymenaeos, tum Thetidi pater ipse iugandum Pelea sensit. 335 Ripoll zu 1,476–481.

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genannt (1,478), zur Beinahe-Abkunft von Jupiter336 und dem immunisierenden Eintauchen in das Wasser des Styx durch seine Mutter.337 Der Fokus verlagert sich also vom Krieger zum Kind Achill, es wird deutlich, dass dieser von allen ersehnte Held bis auf seine Beinahe-Abkunft und seine Ausbildung keine ihm eigenen Verdienste aufzuweisen hat.338 Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang das konfliktvermeidende Zurücktreten der anderen Anführer angesichts der Popularität Achills: cedit turba ducum vincique haud maesta fatentur (1,483). Es gibt keinen ehrbetonten Zwist wie im ersten Buch der Ilias zwischen Agamemnon und Achill, sondern ein kaum als ehrenrührig empfundenes Anerkennen der Größe des anderen.339 Beschlossen wird dieser Abschnitt wiederum durch ein Gleichnis (1,484–490), diesmal der Gigantomachie entnommen. In der Dreiecksrelation olympische Gottheiten (Mars, Minerva, Apoll) – personifizierte Natura – Jupiter wird das Geschehen im griechischen Lager gespiegelt340: So wie Natura (1,488 f.)341 den einen Jupiter, bewundern die griechischen Soldaten den einen Achill; die anderen Gottheiten zeichnen sich zwar ebenfalls durch Kriegstüchtigkeit aus, wie die sieben griechischen Anführer, stehen dem Einen aber nach. Im Gleichnis verweist das auf die drei genannten Gottheiten bezogene Partizip pallentes (1,484), so Dilke ad loc., »to the god’s fear at the battle of the Giants«.

4.2.3 Protesilaus (1,491–513) In Reaktion auf den wachsenden Ruf nach Achill möchte Protesilaus Calchas zu einer mantischen Ermittlung von Achilles’ Aufenthaltsort provozieren und hält eine entsprechende Rede (1,496–513). Protesilaus wird dabei durch seinen ungestümen Auftritt (magno tumultu, 1,493) gekennzeichnet und in Form eines Einschubs vom Erzähler (1,494 f.) durch seine besondere Kriegslust (bellare­ cupido / praecipua) sowie seinen frühen Tod vor Troja (prima iam tunc data gloria mortis)342 näher beschrieben. Im Anschluss an seine Rede ist Calchas sofort mit der Erfüllung des Auftrags befasst.343 336 Zu diesem Motiv in der Achilleis vgl. Schetter 1960, 130 f. 337 Wie aus A. 1,134 deutlich wird, hat Thetis ihren Sohn zu diesem Zeitpunkt getragen, er war also noch ein kleines Kind. 338 Vgl. Ripoll zu 1,475. 339 Ripoll zu 1,467–490 verweist in thematischer Hinsicht auf einen allgemeinen Bezug zu Ilias 9: Auch dort ersehne das griechische Heer die Teilnahme Achills. 340 Vgl. auch den aufschlussreichen Vergleich bei Ripoll zu 1,484–490 zum Gigantomachie-Gleichnis bei Lucan 7,144–150: Bei Statius läuft alles auf die Sonderstellung Achills als primären Bezugspunkt heraus. 341 Zu dieser Personifikation vgl. Ripoll zu 1,488–490 und Jannaccone zu 1,488. 342 Vgl. Homer Il. 2,701 f. 343 Vgl. das erste Wort nach der Rede des Protesilaus: iamdudum (1,514).

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Das gleiche Motiv, ein ungestümer Krieger, der einen Seher anfährt, findet sich auch in der Thebais.344 Dort will Capaneus den Seher Amphiaraus dazu bringen, das bereits prophetisch Ermittelte preiszugeben (Th. 3,598–677). Dieser hatte zuvor zusammen mit Melampus eine schreckliche Zukunft vorausgesehen und es vorgezogen, das Ergebnis für sich zu behalten (Th. 3­ ,547–551/570–573). Es folgen dennoch eifrig betriebene Kriegsvorbereitungen (Th. 3,575–597). Ebenfalls im Anschluss an die Beschreibung solcher Vorbereitungen folgt der Auftritt eines einzelnen Kriegers, Capaneus. Nach einer Beschreibung des Capaneus und seiner ersten Rede (Th. 3,598–607 bzw. 607–619) offenbart Amphiaraus die bisher geheimgehaltene Prophezeiung (Th. 3,620–647). Beendet wird die Szene durch eine zweite Rede des Capaneus (Th. 3,648–668) und den tumultuösen Abgang mit Gleichnis (Th. 3,669–677). Die erwähnte motivische Gemeinsamkeit hat auch eine strukturelle Ähnlichkeit zur Folge: Kriegsvorbereitungen – aggressive Forderung eines Kriegers nach mantischer Klärung – einwilligende Reaktion des Sehers. Durch diese Gemeinsamkeiten wird der Vergleich mit der Achilleis-Szene überhaupt erst sinnvoll. Es finden sich andererseits aber auch entscheidende Unterschiede, die es erlauben, die Achilleis-Szene treffender einzuordnen. Die Protesilaus-Szene ist durch Kürze in jeder Hinsicht gekennzeichnet: Eine zweite Rede des Kriegers ist ausgespart; der Übergang von Redeende zur Reak 344 Von Jannaccone zu 1,495 als Selbstimitation des Statius bezeichnet. Zu den Gemeinsamkeiten zwischen beiden Szenen bzw. zwischen Capaneus und Protesilaus vgl. Parkes 2008, 393 f. Auch Klodt 2009, 208–217 zieht in ihrer Deutung der Figur des Protesilaus den Vergleich zu Capaneus. Allerdings sieht sie dem Interpretationsziel einer ironischen Achilleis folgend Pathos reduzierende Momente ausschließlich als Ironiesignale, die den epischen Text unterlaufen. Dass der statianische Capaneus auf den vergilischen Mezentius rekurriert (man vgl. nur die Charakterisierung beider als superum contemptor in Th. 3,602 und 9,550 bzw. contemptor divum / deum in Aen. 7,648 und 8,7), ist vielfach gesehen worden: vgl. z. B. Klinnert 1970, 18 (allerdings auch mit Betonung der Unterschiede), Leigh 2006, 226 f., Ganiban 2007, 60 und Smolenaars zu Th. 7,669. Zugleich hat Wijsman 2000, 67 f. diese Parallele als Hinweis darauf gelesen, dass Statius auch in der Modellierung des Gesander in den Argonautica des Valerius Flaccus den Rückgriff auf den vergilischen Mezentius gesehen habe. Die Capaneus-Szene im dritten Buch der Thebais ist von Stover 2009 intertextuell mit Valerius Flaccus’ Argonautica gelesen worden. Zur Figur des Capaneus in der Thebais vgl. Klinnert 1970, 11–78, bes. 11–21 zur hier herangezogenen Szene im dritten Buch, die seinen ersten Auftritt darstellt und den Charakter etabliert. Chaudhuri 2014, 256–297 betrachtet Capaneus im Rahmen einer Untersuchung über die Theomachie im Epos; dabei wird 260–271 überzeugend herausgearbeitet, wie die Position des Götterverächters Capaneus zum einen durch epikureische Vorbilder (Lukrez) und zum anderen durch einen bereits epikureisierten Mezentius profiliert wird, wobei die Thebais expliziter als die Aeneis hinsichtlich des epikureischen Hintergrunds und seines Einflusses auf die Deutung der epischen Welt sei. Wenn hier nur Thebais und Achilleis in den Blick genommen werden, so soll dies nicht bedeuten, dass die anderen genannten Intertexte von generell geringerer Signifikanz wären, sondern der Vergleich mit der Thebais soll die Ethos-Gestaltung der Achilleis-Szene auch im Sinne einer Relation innerhalb eines Gesamtwerkes stärker konturieren.

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tion des Sehers ist nicht durch zwei Überleitungsverse wie in der Thebais angelegt (Th. 3,618 f.), sondern erfolgt unmittelbar; außerdem geht Calchas ohne Widerspruch auf die Forderung ein; die gesamte Szene nimmt in der Achilleis inklusive Prophezeiung 47 Verse bzw. unter Hinzunahme auch der Reaktion von Diomedes und Odysseus bis zum Ortswechsel zurück nach Skyros (A. 1,560) 69 Verse in Anspruch, in der Thebais 80 Verse. Allein die Eröffnungscharakterisierung des Sprechers umfasst in der Achilleis nur drei Verse, in der Thebais neun Verse. Doch sehen wir uns über die Zahlen und Makro-Proportionen hinaus die Detailausgestaltung an! Zur Beschreibung des Protesilaus in der Achilleis ist bereits das Nötige gesagt. Einen genaueren Blick verdient jedoch diejenige des Capaneus (Th. 3,598–607): atque hic ingenti Capaneus Mavortis amore excitus et longam pridem indignantia pacem corda tumens – huic ampla quidem de sanguine prisco nobilitas; sed enim ipse manu praegressus avorum facta, diu tuto superum contemptor et aequi impatiens largusque animae, modo suaserit ira –, unus ut e silvis Pholoes habitator opacae inter et Aetnaeos aequus consurgere fratres ante fores, ubi turba ducum vulgique frementis, Amphiarae, tuas ›quae tanta ignavia‹ clamat, […].

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Und da rief Capaneus, von ungeheurer Kriegslust angetrieben und aufgebracht im Herzen, das über die lange Friedenszeit empört ist – ihm war jedenfalls großer Adel von altem Geblüt zu eigen; aber er selbst übertraf mit [eigener] Hand die Taten seiner Vorfahren, [er war] lange in Sicherheit auch als Verächter der Götter und verschmähte das Recht, war verschwenderisch mit Leben, sobald es der Zorn ihm eingab – dieser rief also, wie ein Bewohner aus den Wäldern des dunklen Pholoe und einer, der sich passenderweise unter den Aitna-Brüdern [= Kyklopen] erheben könnte, vor deinen Toren, Amphiaraus, wo sich die Menge der Feldherrn und des lärmenden Pöbels befand: »Was für eine große Feigheit […].«

Während die Kriegslust des Protesilaus nur knapp erwähnt und auf seinen frühen Tod im trojanischen Krieg nur angespielt wird, erhalten wir hier eine pathetisch aufgeladene Beschreibung der Disposition des Capaneus: Er ist nicht nur kriegsliebend, sondern verachtet den Frieden, die Götter, das Recht und das Leben. Er wird sogar mit einem Kentauren und einem Kyklopen verglichen, um das ganze Ausmaß seiner Wildheit vor Augen zu führen. Allein die Formulierung der Kriegslust macht den Unterschied deutlich: Protesilaus ist eine bellare cupido praecipua zu eigen (A. 1,494 f.); für Capaneus hingegen werden mehr als zwei Verse aufgewandt, die in übersteigerter positiver (ingenti Mavortis amore / excitus, Th. 3,598 f.) und negativer Aussage (longam pridem indignantia pacem / corda tumens, Th. 3,599 f.) seine Kriegslust nicht nur benennen, sondern plastisch beschreiben. Statius wählt

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keine nüchtern-feststellende Formulierung wie bellare cupido, sondern eine mythologische Verbildlichung Mavortis amore. Durch das doppelte Enjambement wird das ungeheure Ausmaß betont. Gewissermaßen auf die Hälfte reduziert erscheint dies in Form nur eines Enjambements in der Charakterisierung des Protesilaus (1,494 f.). In stilistischer Hinsicht fällt in der Thebais-Passage auch die sehr weite Sperrung über zehn Verse zwischen Subjekt und Prädikat auf: Capaneus in Th. 3,598 und clamat in 607. Zudem unterbricht clamat die in 607 schon begonnene wörtliche Rede und erzeugt so einen unruhigeren ersten Redevers im Vergleich zum deutlicher abgesetzten Beginn der Protesilaus-Rede in A. 1,496. Zwar wird auch dort durch einen Einschub die begonnene Redeeinleitung Protesilaus ait (1,494) von der folgenden Rede abgesetzt, aber eben nicht in syntaktisch ›störender‹ Weise, wie in der Thebais. Der Beginn der Rede des Protesilaus wird nur kurz verzögert, nicht aber Unruhe stiftend unterbrochen. Ripoll gesteht zwar zu, dass man bei Protesilaus an Capaneus denken könne, aber »sous une forme très attenuée«.345 Dies ist für ihn ein Gegenargument für den Vergleich: Protesilaus sei zwar ein wenig lebhaft, aber nicht unfromm und er stelle die Kompetenz des Sehers Calchas nicht in Frage. Mir scheint jedoch gerade dies eine Bestätigung der Hauptthese zu sein: In der Tat ist Protesilaus eine abgeschwächte Form des Capaneus, was aber nicht den Vergleich überhaupt in Frage stellen, sondern vielmehr zum Vergleich zwischen dem besonders pathetisch dargestellten Capaneus und dem vom Pathos in Richtung Ethos gezeichneten Protesilaus einladen soll. Kommentatoren der Achilleis-Passage zitieren als Vorbild eine Stelle aus­ Sinons Trugrede in der Aeneis (2,122–129).346 Er behauptet dort, dass die Griechen nach Apolls Orakel einen Menschen für die glückliche Heimfahrt opfern sollten. Calchas habe sich zunächst geweigert, dem Drängen des Odysseus nachzugeben und schließlich doch Sinon bestimmt. In der Tat ist schon durch das Wortmaterial die intertextuelle Beziehung überaus deutlich markiert: hic Ithacus vatem magno Calchanta tumultu protrahit in medios; quae sint ea numina divum flagitat. et mihi iam multi crudele canebant artificis scelus, et taciti ventura videbant. bis quinos silet ille dies tectusque recusat prodere voce sua quemquam aut opponere morti. vix tandem, magnis Ithaci clamoribus actus, composito rumpit vocem et me destinat arae.

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345 Ripoll zu 1,491–513. 346 Nach Kuerschner 1907, 58: Dilke zu 1,493, Jannaccone zu 1,493, Ripoll zu 1,491–513. Ripoll verweist auf den Unterschied, dass es sich bei Vergil um eine Inszenierung seitens der Griechen handelt, während Protesilaus in ernstgemeinter Weise vorgehe. Hinzuzufügen ist, dass es sich um eine doppelte Nacherzählung handelt: Aeneas berichtet, was Sinon berichtet, und dass es keine wörtliche Rede, sondern nur eine knappe Zusammenfassung gibt.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Da zieht der Mann aus Ithaka den Seher Calchas mit großem Ungestüm mitten ins Heer. Was diese Orakel bedeuten, fordert er [zu wissen]. Und mir haben schon viele das grausame Verbrechen des Listigen vorhergesagt und schweigend das Kommende gesehen. Zweimal fünf Tage schweigt jener, hält sich bedeckt und verweigert es, mit seiner Stimme jemanden zu verraten oder dem Tod preiszugeben. Endlich dann, durch das laute Rufen des Mannes aus Ithaka gezwungen, bricht er das Schweigen, wie vereinbart, und bestimmt mich für den Altar.

Man vergleiche dazu Statius: increpitans magno vatem Calchanta tumultu / Prote­ silaus (A. 1,493 f.). Er übernimmt bis auf eine Umstellung den Vers Aen. 2,122 nach der Trithemimeres und scheint dem Wortanfang des folgenden Verses in spiele­ rischer Weise das Ende der Übernahme zu kennzeichnen: protrahit – Protesilaus. In struktureller Hinsicht scheint jedoch die Parallelität zur Thebais-Stelle stärker zu sein: Wie Calchas in der Aeneis zieht sich Amphiaraus zunächst zurück, um dann erst seine Interpretation des Orakels preiszugeben. Wir haben also den paradoxen Fall, dass die Wortoberfläche der Achilleis-Stelle eine Parallele zu einem anderen Werk zieht, in dem die gleiche Figur, der Seher Calchas, etwas Ähnliches erlebt (bzw. erleben wird), jedoch das Ereignis selbst in seiner Komposition eher auf das Vorgängerwerk der Achilleis verweist. Oder wie Parkes es formuliert: »There is a certain neatness in the choice of the Thebaid’s Amphiaraus as a model for Calchas: he had been patterned on this character in its Vergilian incarnation.«347 Ripoll zufolge habe Statius den vergilischen Odysseus durch Protesilaus ersetzt, um Odysseus noch stärker als listenreich Handelnden zu zeichnen und durch den Vorverweis auf den frühen Tod des Protesilaus eine pathetische Note (une touche pathétique) hinzuzufügen.348 Ein Odysseus, der Calchas in dieser Weise, wie Protesilaus, anfährt, wäre schwer mit dem folgenden vorsichtigen Handeln des Odysseus vereinbar.349 So erklärt sich auch die Einführung der Person des Protesilaus, die zumindest im erhaltenen Teil der Achilleis nicht wieder auftaucht und die darüber hinaus besser mit Capaneus in Verbindung zu bringen ist als mit Odysseus.350 Dadurch kann wiederum die Vergleichslinie zur Thebais gezogen werden. Wenn wir uns nun wieder dem Vergleich der Protesilaus- und der CapaneusSzene zuwenden, so ist festzuhalten, dass die Einwilligung des Calchas eine Pa 347 Parkes 2008, 394. 348 Ripoll zu 1,491–513. 349 Man vergleiche nur seine erste Reaktion auf Calchas’ Prophezeiung: Diomedes kommt ihm, der noch zögert, zuvor (tunc haerentem Ithacum Calydonius occupat heros, A. 1,538). Dazu s. u. 4.2.5. 350 Vgl. auch Parkes 2008, 394 f. zur Parallelität von Protesilaus und einem anderen Charakter aus der Thebais, Parthenopaeus. Auch die Wahl des liebeselegisch konnotierten Protesilaus (vgl. bes. Ov. Her. 13) ist auffällig: vgl. dazu die unterschiedlichen Deutungen von Parkes 2008, 394 (»reassert Protesilaus’ epic masculinity«) und Klodt 2009, 210 f. (»ironischer Widerspruch zum Mythos«, 211).

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thos-Steigerung durch eine erboste Widerrede wie im Falle des Amphiaraus verhindert und dass Protesilaus’ Impetus in seiner Gewalt gleich durch Calchas’ Gehorsam aufgefangen wird. Auch die Reden der beiden Krieger selbst zeigen das unterschiedliche Ausmaß des Konfliktpotentials und in der Ausgestaltung eine Pathos-Ethos-Differenz. Protesilaus will Calchas zu einer Antwort provozieren und wählt darum recht scharfe Worte. Er beginnt mit dem Vorwurf der Pflichtvergessenheit (1,496–498) und der besonderen Bedeutung Achills (1,499–504) und der Notwendigkeit, nach diesem zu suchen (1,504–507). Nach einer Aufforderung, sich seiner Seherkunst zu bedienen (1,508 f.), schließt er mit einer Gegenüberstellung der unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche von Krieger und Seher, die als Begründung für die soziale Stellung des Sehers und der damit verbundenen Verpflichtung bzw. Entpflichtung dient (1,510–514).351 Protesilaus erkennt insofern den Wert der Seher­kunst bzw. die Gleichwertigkeit als Ersatz für kriegerische Leistungen an, als diese erfolgreich sein kann: Dann wäre der wiedergefundene Achill eine größere Leistung, als es die kämpferischen Verdienste des Calchas je sein könnten (1,511 f.).352 Im Falle von Capaneus und Amphiaraus hingegen ist es etwas komplizierter. Amphiaraus wird an Kriegshandlungen teilnehmen und somit in wesentlich stärkerem Maße an der epischen Welt teilhaben.353 Allerdings legt C ­ apaneus viel Wert auf die Abgrenzung seiner selbst zu Amphiaraus. Capaneus versteht sich als Krieger, für den es entwürdigend sei, den Seher um etwas zu bitten (Th. 3,609–611; und 615 f.: virtus mihi numen et ensis, / quem teneo). Bereits in den ersten Worten seiner Rede macht Capaneus dies deutlich: quae tanta ignavia (Th. 3,607). Feigheit sei es also, auf den Seher zu warten bzw. zu hoffen. Auch Protesilaus beginnt mit einem Vorwurf: Dieser allerdings bezieht sich direkt auf die eigentliche Tätigkeit des Calchas, der er nun endlich nachkommen solle, und nicht auf eine negativ gewertete Eigenart als Nicht-Krieger (O nimium Phoebi tripodumque oblite tuorum, A. 1,496). Ein Ausruf der Schande entfährt beiden Kriegern, doch in ganz unterschiedlichem Kontext. In der Rede des Protesilaus (pudet heu, A. 1,503) ist er auf die 351 Vgl. auch Ripoll zu 1,510 zum Status der Seher in Bezug auf die Teilnahme an kriegerischen Handlungen in der lateinischen Epik: Dort sei das Motiv des kämpfenden Sehers­ häufiger als bei Homer; durch die griechischen Quellen sei aber gesichert, dass Calchas nicht an Kriegshandlungen teilgenommen habe. Insofern evoziere Protesilaus hier eine Norm lateinischer Epik, von der er Calchas ausnehmen wolle. 352 Calchas sei es erspart worden arma horrenda führen zu müssen, so Protesilaus (1,510). Dies erinnert an den Anschluss des Vorpröoms an den eigentlichen Beginn der Aeneis: horrentia Martis / arma. In poetologischer Lesart wird Calchas so zum nicht-epischen Dichter. Vgl. auch Feeney 2004, 100, der Vergils »own announcement of his escalation from non-epic to epic« mit Achills Enttarnung 1,881 f. in Verbindung bringt (arma calorque / Martius horrenda). 353 Vgl. im nächsten Buch Amphiaraus’ Auftauchen im Truppenkatalog (Th. 4,216–222, vgl. zur Stelle auch Parkes’ Kommentar zur literarischen Tradition der Doppelrolle des Amphiaraus als Krieger und Seher) und sein Ende im siebenten Buch.

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schamhaft empfundene Überhöhung des Achill gegenüber den anderen griechischen Feldherrn bezogen und nicht auf den Unterschied zwischen Seher und Kriegern.354 Capaneus hingegen bezeichnet es als Schande, vor Amphiaraus’ Tür auf dessen Prophezeiung zu warten (heu pudeat, Th. 3,609). Auch Amphiaraus’ Voraussage einer schrecklichen Zukunft und seine Ermahnung, vom Krieg abzulassen (Th. 3,640–647), werden von Capaneus verächtlich quittiert. Er beschimpft den Seher (Th. 3,659), lehnt Furcht vor den Göttern generell ab (Th. 3,661) und damit auch jegliche Autorität des Sehers, verzögernd auf den nahenden und von Capaneus gewünschten Krieg einzuwirken (Th. 3,651 und 662–666). Hyperbolisch erklärt er sich zum zukünftigen Seher (Th. 3,668). Wenn auch die zweite Rede des provozierenden Kriegers Capaneus in der Achilleis keine Entsprechung hat, so lässt sich doch das Ende des Erzählstranges um die Kriegsvorbereitungen der Griechen mit dem Ende der Capaneus-Szene parallelisieren. Zunächst jedoch soll die zuvor erfolgende Prophezeiung des Calchas näher beleuchtet werden. Dazu müssen wir allerdings das dritte Buch der Thebais verlassen und nach einer anderen Modellszene Ausschau halten.

4.2.4 Prophezeiung des Calchas (1,514–537) Iamdudum trepido circumfert lumina motu intrantemque deum primo pallore fatetur Thestorides; mox igne genas et sanguine torquens nec socios nec castra videt, sed caecus et absens nunc superum magnos deprendit in aethere coetus, nunc sagas adfatur aves, nunc dura sororum licia, turiferas modo consulit anxius aras flammarumque apicem rapit et caligine sacra pascitur. exsiliunt crines rigidisque laborat vitta comis, nec colla loco nec in ordine gressus. tandem fessa tremens longis mugitibus ora solvit, et oppositum vox eluctata furorem est: ›Quo rapis ingentem magni Chironis alumnum femineis, Nerei, dolis? huc mitte: quid aufers? non patiar: meus iste, meus. tu diva profundi? et me Phoebus agit. latebris quibus abdere temptas eversorem Asiae? video per Cycladas altas attonitam et turpi quaerentem litora furto. occidimus: placuit Lycomedis conscia tellus. o scelus! en fluxae veniunt in pectora vestes. scinde, puer, scinde et timidae ne cede parenti. ei mihi raptus abit! quaenam haec procul inproba virgo?‹   Hic nutante gradu stetit amissisque furoris viribus ante ipsas tremefactus conruit aras.

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354 Dies war ja auch der eigentliche Auslöser für Protesilaus’ Handeln (vgl. A. 1,473–475).

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Sofort blickt der Thestorsohn in schwankender Bewegung umher und offenbart zuerst durch seine Blässe, dass die Gottheit in ihn eingedrungen ist; bald darauf rollt er in Feuer und Blut seine Augen und sieht dabei weder Gefährten noch das Lager, sondern blind und abwesend erfasst er bald die großen Zusammenkünfte der Götter im Aether, bald spricht er weissagende Vögel an, bald die unerbittlichen Fäden der Schwestern, dann befragt er ängstlich die weihrauchtragenden Altäre und umfasst355 dann die Flammenspitze und nährt sich an den heiligen dunklen Dünsten. Es springen ihm die Haare hervor, und die Kopfbinde hat Mühe mit den starren Haaren, nicht am rechten Ort ist der Kopf, noch in einer Reihe die Schritte. Endlich öffnet er zitternd den Mund, der vom langen Brüllen erschöpft ist, zum Sprechen, und die Stimme hat den Wahn, der ihr widerstrebt, niedergerungen: »Wohin entreißt du den gewaltigen Pflegling des großen Chiron mit deinen weibischen Listen, Nereus-Tochter? Hierhin sende ihn: Was trägst du ihn davon? Ich will es nicht dulden: mein ist er, mein. Du bist eine Göttin der Meerestiefe? Und mich treibt Phoebus. In welchem Versteck versuchst, den Zerstörer Asiens zu verbergen? Ich sehe sie [Thetis] in wilder Aufregung bei den hohen Kykladen und auf der Suche nach Küsten für ihren schändlichen Diebstahl. Wir sind dahin: Die Insel des Lycomedes gefiel ihr als Mittwisserin. Verbrechen! Da, wallende Gewänder legen sich über seine Brust. Zerreiße sie, Kind, zerreiße sie und weiche nicht der furchtsamen Mutter. Weh mir, entrissen ist er und fort. Welche unverschämte Jungfrau [ist] dies in der Ferne?« Hier blieb er schwankenden Schrittes stehen und brach, nachdem die Kräfte des Wahns abgeebbt sind, genau vor den Altären zusammen.

Eigentlich würde man bei der Beschreibung einer ekstatischen Vision eine Hervorhebung der pathetischen Seite erwarten.356 An prophetischen Szenen im Epos mangelt es nicht. Ripoll zählt in seinem Kommentar zur Stelle allein acht Szenen auf, die er als wichtigste Intertexte bezeichnet.357 Eine davon scheint besonders für den Vergleich geeignet: die Prophetie des Teiresias im 10. Buch der Thebais. Besonders geeignet ist dieser Text nicht nur, weil er aus Statius’ Vorgängerwerk stammt, sondern weil es sich bei beiden um eine Weissagung durch Feuer handelt und weil beide Prophezeiungen sich mit dem kriegsentscheiden 355 Vgl. Williams zu Th. 10,604: »to make quick movements of the hands around the flames«. 356 Moul 2012, 296–299 deutet über vielfache intertextuelle Bezüge zu Horaz und Vergil die Calchas-Szene als komisch und als Teil eines mock-epic. Mir scheint demgegenüber die Pathosreduzierung im Vordergrund zu stehen. In diesem Sinne sind komische Elemente dann nicht gänzlich destruierend für den epischen Effekt, sondern haben eher dämpfende Wirkung. 357 Verg. Aen, 6,45–155; Sen. Ag. 720–774; Lucan 1,678–695 und 5,161–236; Val. Flacc. 1,211–339; Th. 4,579–603 und 10,598–615. Zum Vergleich der Calchas-Szene mit den Prophezeiungen bei Lucan 1,678–695 und Valerius Flaccus 1,211–239 vgl. Schetter 1960, 146 f. Fantuzzi 2013, 158–162 versucht demgegenüber, in Calchas’ Rede einen Reflex auf die zurechtweisende Anrede Achills durch den Erzähler in Ovids Ars 1,681–704 zu deuten (ebenso auch Achills Monolog A. 1,619–639).

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den Schicksal eines jugendlichen Heros beschäftigen: Teiresias ist von den Thebanern um eine Prophezeiung gebeten worden. Er zögert zunächst, gibt dann aber nach und erteilt seiner Tochter den Auftrag zur Vorbereitung:        facit illa, acieque sagaci sanguineos flammarum apices geminumque per aras ignem et clara tamen mediae fastigia lucis orta docet; tunc in speciem serpentis inanem ancipiti gyro volvi frangique ruborem demonstrat dubio, patriasque inluminat umbras. ille coronatos iamdudum amplectitur ignes, fatidicum sorbens vultu flagrante vaporem. stant tristes horrore comae, vittasque prementes caesaries insana levat: diducta putares lumina consumptumque genis rediisse nitorem. tandem exundanti permisit verba furori: ›audite, o sontes, extrema litamina divum, Labdacidae: venit alma salus, sed limite duro. Martius inferias et saeva efflagitat anguis sacra: cadat generis quicumque novissimus extat viperei, datur hoc tantum victoria pacto. felix, qui tanta lucem mercede relinquet.‹   stabat fatidici prope saeva altaria vatis maestus, adhuc patriae et tantum communia lugens fata, Creon: […].

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Jene tut es, und mit scharfsinniger Beobachtungsgabe beschreibt sie ihm die blutigen Flammenspitzen und das doppelte Feuer auf den Altären und, dass gleichwohl ein heller Lichtscheitel in der Mitte entstanden ist; dann zeigt sie dem Zweifelnden an, dass sich die Flammenröte in die Schein-Gestalt einer Schlange mit undeutlicher Krümmung entwickle und wieder auflöse, und sie erleuchtet das Dunkel [= die Blindheit] ihres Vaters. Jener umarmt sofort die bekrönten Feueraltäre, indem er den weissagenden Rauch mit glühendem Gesicht einatmet. Es stehen starr vor Schrecken die finsteren Haare, eine Haarlocke hebt im Wahn die Kopfbinde, die sie bedrückt: Man könnte glauben, seine Augen seien geöffnet und der vergangene Glanz wäre den Augenhöhlen zurückgekehrt. Endlich überlässt er dem überströmenden Wahn das Wort: »Hört, ihr schuldigen Labdacus-Nachkommen, die äußersten Versöhnungsopfer der Göttlichen: Es kommt das segensreiche Heil, aber auf schwerem Weg. Die Schlange des Mars fordert Totenopfer und schreckliche Opferhandlungen: Es falle, wer als jüngster des Schlangengeschlechts geboren, nur unter dieser Bedingung wird der Sieg gegeben. Glücklich, wer um einen so großen Preis das Lebenslicht verlassen wird.« Es stand nahe beim schrecklichen Altar des schicksalkündenden Sehers betrübt, bisher nur betrauernd die Schicksalsschläge des Vaterlands und der Allgemeinheit, Kreon: […].

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Betrachten wir nun beide Szenen im Vergleich: Die eigentliche Weissagung des Calchas beginnt in der Achilleis mit Vers 1,520: Die Altäre werden als weihrauchtragend beschrieben (turiferas). In der Thebais hingegen sind die Altäre des Teiresias schrecklich, saeva (Th. 10,616). Die Flammenspitzen stehen in der Achilleis am Versanfang: flammarumque apicem (1,521). Gewissermaßen eingerückt, weil durch ein Attribut ergänzt, das das folgende Grauen gleich zu Beginn der Szene antizipiert, erscheinen sie in der Thebais: sanguineos flammarum apices (Th. 10,599).358 Das Einsaugen des Dampfes wird bei Calchas gleichsam als Nahrungsaufnahme beschrieben: caligine sacra / pascitur (A. 1,521 f.). Eine Nahrungsaufnahme ist es auch bei Teiresias, sorbens (Th. 10,605), allerdings wird diese durch die Beschreibung des Gesichts pathetischer stilisiert: vultu flagrante. Bei beiden ergibt sich eine ähnliche Folge: Calchas stehen die Haare zu Berge und die Kopfbinde kann sich kaum auf dem Kopf halten. Der gleiche Vorgang ist bei Teiresias wesentlich grimmiger gestaltet: Die Haare erhalten das Attribut tristes und die kausale Ergänzung horrore. Außerdem müht sich die Kopfbinde nicht nur, sondern eine Locke, auf die pars pro toto sein Wahn übetragen ist (insana cae­saries, Th. 10,607), hebt sie, die auch noch als belastend beschrieben wird (prementes, Th. 10,606), um den Effekt des Emporhebens zu betonen. Schließlich ringt Calchas’ Stimme den furor nieder und beginnt zu sprechen (A. 1,525). Teiresias gibt dem überströmenden furor (Th. 10,609) selbst das Wort. Beide Schilderungen entwickeln auf dem gleichen Raum von vier Versen (A. 1,522–525 bzw. Th. 10,606–609) das gleiche Motiv: das Zubergestehen der Haare und die sich hebende Kopfbinde des Sehers als Auswirkungen der Inspiration. Doch wird bei Teiresias das Schreckliche und Grausige betont, wie man es u. a. an den Attributen tristes, insana und saeva ersehen kann; bei Calchas hingegen steht das Übernatürliche im Vordergrund. Seine ungewöhnlichen Bewegungen und das unartikulierte Sprechen (A. 1,524 f.) betonen die seherische Ergriffenheit, mit der auch gleich die Szene in 1,514 f. eingesetzt hat. Demgegenüber rückt bei der Teiresias-Szene der Ritus stärker in den Mittelpunkt:359 Auf die genaue Beschreibung der Flammen folgt Teiresias’ Inspiration und Interpretation. Auch der Ausgang der Szenen unterstreicht diesen Unterschied. In der Thebais wird sofort nach Teiresias’ Szene auf Kreon umgeschnitten, vom Seher ist nur noch indirekt die Rede, als Genitivattribut der Altäre. Ganz anders in der Achilleis: Keine atemlose Fortsetzung, sondern ein Ausschwingen der Szene: Die Kräfte verlassen Calchas, er bricht zusammen.360 Dann erst ergreift Diomedes das Wort. 358 Vgl. auch Th. 10, 604 amplectitur ignes und rapit in A. 1,521, das von Williams ad loc. als Handbewegungen um das Feuer erklärt wird. Williams zu Th. 10,604 verweist betreffs­ coronatos auf laurigerosque ignes in A. 1,509. 359 Vgl. Ripoll zu 1,521: In Thebais 10 finde sich eine detailliertere Beschreibung der Technik der Pyromantie. 360 Vgl. dagegen auch Lucan 1,695: haec ait, et lasso iacuit deserta furore. Die römische Matrone bricht nach ihrer Prophezeiung ebenfalls zusammen, doch mit diesem Vers en-

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Bei Calchas steht die verminderte menschliche Kraft bzw. Körperlichkeit im Vordergrund: Die rollenden Augen und die Blässe eröffnen die Szene (1,513 f.), Blindheit und geistige Abwesenheit ergreifen ihn (1,517), er kann den Kopf nicht mehr halten und die Schritte richtig setzen (1,523), vor Erschöpfung kann er kaum sprechen (1,524) und bricht am Ende zusammen (1,536 f.). Ganz anders Teiresias: Nicht nur werden die körperlichen Auswirkungen mit Ausnahme der Haare kaum vergleichbar geschildert, im Gegenteil: Teiresias scheint durch den furor neue Kräfte zu gewinnen: Seine Augen erscheinen geöffnet und neuer Glanz zeigt sich auf den Wangen (Th. 10,607 f.). Pathossteigernd wird also die energetische Seite des furor in der Thebais fokussiert und am Ende rechtzeitig vor der vielleicht erwarteten Erschöpfung geschnitten. Die Achilleis hingegen nimmt genau die körperliche Auszehrung des furor in den Blick. Auch die Prophezeiung selbst macht den Pathos-Ethos-Unterschied deutlich und führt zudem auf einen weiteren wichtigen Punkt. Calchas beginnt seine Rede mit emotional aufgeladenen Fragen an Thetis (1,526–30). Dann jedoch ändert sich mit der Annäherung an Skyros der Ton: Der eversor Asiae ist plötzlich ein Jüngling in Frauenkleidern und seiner Mutter hörig (1,534). Der letzte Vers der Calchasrede besteht aus zwei Ausrufen: Achill sei ihm entkommen, eine verruchte Jungfrau sei in der Ferne schon sichtbar (1,535). Laut Dilke ist improbus ein Lieblingswort des Statius und bedeute an dieser Stelle ›schamlos‹ (shameless).361 Die virgo inproba verweist nicht nur dem Inhalt nach auf eine Liebesbeziehung. Denn gemeint ist ja Deidamia,362 zu der der Leser Achill bereits eine Neigung hat entwickeln sehen (1,301–317), die nun zeitgleich in der Prophezeiung gespiegelt wird. Auch die Formulierung selbst verweist auf dem Epos ›untergeordnete‹ Gattungen: die Liebeselegie und die Komödie, die dem Ethos nahestehen. Properz nennt seine puella improba (2,8,14). Eine improba lena ist laut Ovid eine wichtige Figur im Komödienpersonal Menanders (Am. 1,15,17).363 Liest man mit so geschulter Aufmerksamkeit die Prophezeiung nochmals, so fällt auf, dass bereits zu Beginn von wei-

det zugleich das erste Buch, einem Paukenschlag eher als einem Abflauen wie in der Achilleis gleich. Auch bei Seneca wird das Motiv des Zusammenbruchs nach einer Prophezeiung (Ag. 775–778a) für ein kurzes Innehalten vor einem Neuansatz (ab Ag. 778b) verwendet. Bei Valerius Flaccus mildert Idmon die düstere Prophezeiung des Mopsus ab (1,211–228a: Mopsus, 1,228b–239: Idmon). Doch endet sein Auftritt mit dem Hinweis, er sehe unter Tränen eine schreckliche Zukunft für sich voraus (1,238 f.). 361 Dilke zu A. 1,41 unterscheidet acht Bedeutungsnuancen (entsprechende Belege dort). 362 Fantuzzi 2013, 160 f. erwägt allerdings, dass der verkleidete Achill angesprochen sein könne, verweist aber selbst auf A. 1,942, wo Deidamia sich als improba bezeichnet. 363 Als improba wird eine alte Frau in Plaut. Aul. 53 beschimpft; von den improba facta eines Liebhabers ist Plaut. Truc. 555 die Rede. Zum Epitheton improba vgl. auch Fantuzzi 2013, 162–166, der einen erotischen Unterton darin sieht.

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bischen Listen und schändlichem Versteck die Rede ist (femineis dolis, 1,527; turpi furto, 1,531).364 Auffällig ist auch der elliptische Ausruf meus ille, meus (1,528). Fast wortgleich beklagt Statius, wie viele Kommentatoren gesehen haben,365 in einer zeitgleich entstandenen366 Silve seinen verstorbenen puer: meus iste, meus (5,5,69), sogar an der gleichen Versstelle! Wiederum dringt hier über den intratextuellen Bezug eine niedrige Gattung, das Epicedion, in die Epik ein367 und es wird eine weitere autobiographische Einspiegelung in der Achilleis geschaffen.368 Ein weiterer Punkt ist von Interesse: Die Erwähnung der Kykladen (530) erscheint zunächst vollständig durch den Kontext gerechtfertigt. Mehrfach zuvor und danach dient diese Bezeichnung als geographische Angabe des Handlungsraums.369 Insofern scheint die Namensnennung der Inselgruppe keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Durch einen Analogieschluss zu Horaz lässt sich aber eine weitere Bedeutungsebene aufdecken. Anderson hat für die berühmte Schiffsode c. 1,14 eine Deutung vorgeschlagen, die das erwähnte Schiff nicht als Staatsschiff, sondern als metaphorisches Schiff der Liebe versteht. Ein Argument ist dabei die Erwähnung der Kykladen am Schluss der Ode (c. 1,14,19 f.). U. a. durch Rückgriff auf c. 3,28,13 f., wo vergleichbar formuliert370 die Kykladen als Kultort der Venus genannt werden, und auf andere Belege kann Anderson zeigen, dass die Kykladen und die sie umgebende See als zur Venus gehörig bzw. als »Sea of Love« verstanden werden können.371 Ähnlich wie in c. 1,14 scheint mir auch in der Prophezeiung des Calchas durch die Nennung einer mit Venus assoziierten Örtlichkeit ein scheinbar ernster Kontext ›amatorisch‹ ange 364 Ripoll zu 1,531 vermutet in der Formulierung eine Nähe zu derjenigen der Thetis über den Raub der Helena (A. 1,66). So gut es im Sinne der Argumentation passen würde, erscheint mir dies jedoch etwas überinterpretiert. 365 Vgl. Dilke, Jannaccone und Ripoll zu 1,528. 366 Dass diese aus der gleichen Zeit stammt, macht ein Hinweis etwa 30 Verse zuvor auf seine beiden Epen deutlich, wo die Achilleis mit novumque Aeaciden umschrieben wird (Silv. 5,5,36 f.). 367 Wie Fedeli et al. zu Prop. 4,3,2 si potes esse meus (p. 518) bemerken, kann das Possessivum meus sowohl juristische wie auch elegische Konnotationen haben. In Silv. 5,5 legt die Beziehung zu einem puer erstere nahe, ohne letztere auszuschließen. Der Anspruch, den Calchas auf Achill erhebt, ist sicher auf der narrativen Ebene nicht liebeselegisch koloriert, aber wie auch die anderen oben diskutierten Details für Calchas’ Rede zeigen, gibt es auf einen metatextuellen Ebene für den Leser wahrnehmbare Bezüge zur Liebeselegie. 368 Vgl. dazu B 2.2.1. 369 A. 1,204 f., 389 f., 676. Besonders die ähnliche Formulierung per artas / Cycladas in 1,204 f. hat Anlass zu textkritischen Zweifeln an der einen oder der anderen Stelle (sc. 204 f. oder 530) gegeben: vgl. Dilke und Ripoll zu A. 1,530 und das Folgende oben. 370 Hor. c. 1,14,19 f.: nitentis […] Cycladas; 3,28,14: fulgentisque […] Cycladas. 371 Anderson 1966, 96 f.; zustimmend Knorr 2006, 160 f.; poetologisch Zumwalt 1978, 252. Felgentreu 2011, 339 f. hingegen sieht in den horazischen Kykladen eine poetologische Anspielung auf den epischen Kyklos.

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reichert. Natürlich ist es im Falle Achills auch inhaltlich nicht unangemessen, da er ja genau zur Zeit der Prophezeiung sein Liebesabenteuer mit Deidamia bereits begonnen hat. Er erlebt also etwas, das für eine Venus-Insel durchaus passend ist. Aufschlussreich ist auch das wechselnde Epitheton der Kykladen: In 1,204 f. sind sie von Thetis aus gesehen eng, klein, gedrängt in ihrer Vielzahl (artas): Sie bemisst die einzelnen Inseln danach, ob sie für ein Versteck geeignet sind. Skyros erscheint ihr geeignet, wegen der unkriegerischen Haltung und der damit verbundenen Sicherheit.372 Als sie sich von Achill auf Skyros verabschiedet (1,380–396), lobt sie Skyros’ Eigenschaften inmitten der seichten Kykladen (vadosas, 1,389), d. h. ihre nicht leichte Zugänglichkeit für Schiffe.373 Calchas hingegen betont eine andere Seite, die hohen/erhabenen Kykladen (altas, 1,530) und stellt die ›Niedrigkeit‹374 der Thetis gegenüber (attonitam, direkt folgend in 1,532 und turpi furto in 1,531 als Beschreibung ihres Ziels). Wieder anders erscheinen die Kykladen den suchenden Odysseus und Diomedes als zahllos (innumerae, 1,676). So lässt sich am Epitheton der Kykladen die Erzählerfokalisation ablesen und damit auch die Einschätzung derjenigen, die das jeweilige Geschehen betrachten. Wenn also auch die Prophezeiung in den Bahnen einer vision épico-tragique zu laufen scheint, wie Ripoll sie nennt,375 so wird dieser Ton dennoch durch den Inhalt zugleich in Richtung Ethos zumindest z. T. aufgefangen. Darauf wollen wir später zurückkommen, doch zunächst zu Teiresias’ Rede in der Thebais. Voller Pathos ist diese Rede: Schrecklich ist ihr Thema und ihre sprachliche­ Gestaltung. Auch hier steht ein Vokativ am Anfang der Rede. War Thetis von Calchas patronymisch bezeichnet von ihren Listen eingeschlossen (femineis, Nerei, dolis, A. 1,527), steht hier vor der ebenfalls patronymischen Namensnennung der Thebaner ein negativ qualifizierendes Attribut (o sontes […] / Labdacidae, Th. 10,610 f.). Gleich im ersten Vers wird der grausige Ton angeschlagen: audite, o sontes, extrema litamina divum (Th. 10,610) und erfährt eine entsprechende Fortsetzung: Auf schwierigem Weg nur sei Rettung zu finden (limite duro, Th. 10,611). Die Schlange des Mars fordere grausame Opfer (saeva sacra, Th. 10,612 f.). Ein Opfertod sei angezeigt (Th. 10,613 f.). Überhaupt sterbe der glücklich, der so sein Leben verliere (Th. 10,615). Teiresias’ Rede ist durch einen einheitlich grimmigen Ton gekennzeichnet, der keine Aufhellung oder Abschwächung erfährt, wie es sich im Gegenzug bei Calchas beobachten ließ. Hier 372 1,207: inbelli; 1,211: tutissima; vgl. auch 1,392 f. Zur poetologischen Geographie des Statius in A. 1,198–216 vgl. auch McNelis 2009a, zu den Kykladen 241–243 sowie Heslin 2005, 135 f. 373 Zur geographischen Ungenauigkeit dieser Stelle vgl. Ripoll zu 1,389 f. 374 Diese Art von Tiefe kann altus interessanterweise nicht bezeichnen. 375 Ripoll zu 1,525–535.

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findet gerade keine Verhandlung zwischen Pathos und Ethos statt, sondern eine eindeutige und entschlossene Fokussierung auf das Pathos. An dieser Stelle wird man einwenden können, dass beide Prophezeiungen doch unterschiedliche Themen und einen anderen Kontext haben und darum auch anders gestaltet sind. In der Thebais geht es um eine schreckliche Prophezeiung für Kreons Sohn, in der Achilleis soll nur der Aufenthaltsort Achills in Erfahrung gebracht werden. Zweierlei ist dazu zu sagen: Zum einen lassen sich die Einwände auch als Argumente im Sinne der hier vorgestellten These verstehen. Thema und Kontext beider Epen sind eben durch den Pathos/EthosUnterschied gekennzeichnet. Andererseits, und das scheint mir viel entscheidender, ist überhaupt das Vorhandensein einer solchen Szene in der Achilleis erklärungs­bedürftig. Ripoll376 hat ein Missverhältnis zwischen der dramatischen Zielsetzung der Szene und der Ausgestaltung der Szene beobachtet, und dies auf das unterschiedliche Werteverhältnis der Mutter Thetis im Vergleich zur griechischen Armee bezogen. In der Tat ist die Szene dramatisch gesehen überdimensioniert.377 Sie bietet allerdings, wie Ripoll richtig gesehen hat, eine relecture der Achill-Handlung der ersten Hälfte des ersten Buches aus der Sicht der Griechen (1,126–396).378 Ripoll nennt die eigentliche Prophezeiung, wie gesagt eine episch-tragische Vision in traditionellen Formen. Hier liegt m. E. nach der entscheidende Ansatzpunkt: Eine Inspirations- bzw. mantische Szene ist anfällig für einen dem Pathos nahen Charakter, allein aufgrund ihrer episch-tragischen Vorfahren. Wenn Statius also die bisher erfolgte wenig episch-heroische Handlung, nämlich die Rettung Achills durch seine Mutter in Form einer Flucht auf eine Insel, in vom Pathos gefährdeten Raum kondensiert, so testet er gewissermaßen das Limit. Wie bereits dargelegt (vgl. A 2.2.), besteht in der zeitgenössischen Diskussion bei Quintilian, und wie auch Ps.Longin es implizit annimmt, der Unterschied zwischen Pathos und Ethos weniger in essentieller als in gradueller Hinsicht, verkürzt gesagt also zwischen intensiven und gemäßigten Affekten. Um also dieses Spektrum auszuloten, lässt sich Statius auf die Gefahr des von Ripoll beobachteten Missverhältnisses ein. Die Grenze kann eben erst aufgezeigt werden, wenn man sie schon berührt hat.379 Man kann sie also auch erst einhalten, wenn 376 Ripoll zu 1,514–537. Vgl. auch Ripoll zu 1,491–513: Im Vergleich zur Version des Ps.Apollodor (3,13,8) wird durch die Prophezeiung nicht mehr die Notwendigkeit der Teilnahme Achills mitgeteilt, sondern nur noch der Aufenthaltsort. Ripoll spricht daher mit­ Bezug auf die Achilleis von einer inhaltlichen Reduktion, die durch die hyperbolische Präsentation ausgeglichen werde. 377 Schetter 1960, 146 nennt sie »eine der bemerkenswertesten Stellen der Achilleis«. 378 Ripoll zu 1,526–535. Vgl. auch Aricò 1986, 2943 zur Funktion der Calchas-Szene. 379 Vgl. auch die prägnante Zusammenschau der Achilleis unter dem Aspekt der liminality auf verschiedenen Ebenen (Gattung, männlich/weiblicher Hauptcharakter, literarische Tradition) bei Newlands 2012, 61–71.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

man sie wenigstens einmal erreicht hat. Und genau dies leistet Statius mit der Prophezeiung des Calchas. Der formale Rahmen einer dem Pathos nahen Szene wird ethisch gefüllt. Das Zurückbiegen nach Erreichen der Grenze wird bildlich im finalen Erschöpfungszustand des Calchas deutlich: Die mantische Szene ist definitiv beendet, der Leser spürt förmlich die Zäsur nach ante ipsas tremefactus conruit aras (1,537). Dann kann die Handlung fortgesetzt werden, allerdings ist der erste neue Fokus der zögernde Odysseus (haerentem Ithacum, 1,538), dann erst der aktive Calydonische Heros Diomedes.380 Die Grenzsuche wird auch in der Unentschiedenheit der mantischen ­Praxis am Anfang versinnbildlicht. Calchas beobachtet die Versammlung der Götter, führt eine Vogelschau aus, befragt die Parzen, dann erst folgt die Pyromantie.381 Erst mit der Pyromantie ist der passende Rahmen und die geeignete Folie im zehnten Buch der Thebais für das Austesten der Grenze gefunden. Programmatisch ist diese Szene auch in dem Sinne, dass die Grenze von Pathos und Ethos gerade an einem vates getestet wird.382 Auf seinen Status als vates hatte Statius gleich zu Beginn der Achilleis hingewiesen, auch die Kopfbinden hat er dabei nicht vergessen (1,9–11). Bei der Besprechung der Personenkonstellation (B 2.2.1.) ist bereits auf die autobiographischen Einspiegelungen eingegangen worden, weshalb an dieser Stelle darauf zurückverwiesen sei.

4.2.5 Diomedes und Odysseus (1,538–559) Wie bereits angedeutet (s. o. 4.2.3.), lässt sich das Ende dieser Episode der Kriegsvorbereitung treffend vor dem Hintergrund des Endes der schon herangezogenen Begegnung zwischen Capaneus und Amphiaraus in der Thebais lesen. Als Calchas erschöpft nach der Prophezeiung zusammenbricht, kommt Diomedes in seiner Bereitschaft, nach Achill zu fahnden, dem noch zögernden Odysseus zuvor (1,538–545). Odysseus werde ihn aufgrund seiner Schlauheit schon finden, ja, er stelle ihn noch über jeden Seher (1,544 f.). Erfreut383 willigt Odysseus ein und übergeht es nicht, die Schwierigkeit der Aufgabe zu betonen

380 S. u. 4.2.5. 381 Ripoll zu 1,518–520 sieht in den beiden Praktiken einen Verweis auf zwei unterschiedliche mantische Szenen in der Thebais: die Ornithomantie im dritten Buch (Th. 3,440–575) und die hier verglichene Pyromantie im zehnten Buch. 382 Fantuzzi 2012, 88 nutzt ebenfalls die vates-Rolle als Ansatzpunkt für eine metapoetische Deutung des Calchas, allerdings in anderem als dem hier vorgestelltem Sinne (vgl. auch seine Deutung der Prophetie 84–88). 383 Rückblickend möchte man fast meinen, dass Odysseus absichtlich zögert, so dass er Diomedes nicht in dessen Lob aufhält. Immerhin freut Odysseus sich darüber (gavisus, 1,545) und betont in seiner Rede die Schwierigkeit der Aufgabe und seine Entschlossenheit. Der gewandte Odysseus stellt sich also selbst als lobenswerten Mann dar und lässt sich als Vorbereitung zuvor von Diomedes so präsentieren.

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(1,545–552). Er endet mit einem Schwur auf die Wahrheit und die durch Apoll verbürgte Seherkraft des Calchas (1,551 f.; aut verum penitus latet und sine Apolline Calchas, 1,552).384 Das positive Redenpaar der beiden Krieger Diomedes und Odysseus ersetzt gewissermaßen die nicht vorhandene zweite Rede des provozierenden Kriegers, die in der Thebais Capaneus übernimmt. Es wurde bereits auf den hyperbolischen Schluss von Capaneus’ Rede hingewiesen, in dem er sich selbst angesichts der vermeintlich unkriegerischen Haltung des Amphiaraus zum Auguren macht (s. o. 4.2.3.). Zwar stellt Diomedes Odysseus über jeden Seher, doch stellt das weniger eine Abwertung der Seher, als eine Aufwertung des Odysseus dar. Auch der schwörende Schluss des Odysseus betont ja gerade die wahrheitsentsprechende Kraft und Fähigkeit des Sehers. In beiden Epen folgt auf die letzte Rede eine zustimmende Reaktion des umstehenden Volks und ein Gleichnis, das diese Reaktion verbildlicht, sowie eine szenenschließende Coda.385 In der Achilleis heißt es (1,553–559): Conclamant Danai stimulatque Agamemno volentes. laxantur coetus resolutaque murmure laeto agmina discedunt, quales iam nocte propinqua e pastu referuntur aves, vel in antra reverti melle novo gravidas mitis videt Hybla catervas. nec mora, iam dextras Ithacesia carbasus auras poscit, et in remis hilaris sedere iuventus.

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Zustimmend rufen die Danaer und Agamemnon stachelt sie, die ohnehin schon willig sind, noch weiter an. Die Zusammenkunft löst sich auf, die Heerzüge zerstreuen sich und gehen unter fröhlichem Murmeln auseinander, so wie bei schon naher Nacht vom Weideplatz die Vögel zurückfliegen, oder der sanfte Hybla die von neuem Honig schweren Bienenscharen in die Höhlen zurückkehren sieht. Und es gibt keine Verzögerung, schon fordert das Segel aus Ithaka günstige Winde, und an den Rudern saß froh die Jugend. 384 Wie anders ist das Verhalten in Il. 10,218–232: Auf Diomedes’ Vorschlag, selbst einen Ausfall ins feindliche Lager wagen zu wollen, melden sich viele freiwillig, unter ihnen auch Odysseus, der wegen seines Wagemuts vom Erzähler gerühmt wird (10,231 f.). Ein Scholion lobt den pädagogischen Aspekt dieser männlichen Bereitschaft, die bei Homer inszeniert wird (Schol.bT zu Il. 10,227: προτρέπει ἐπὶ τὰ καλὰ τῶν ἔργων κτλ.). Bei Statius hingegen ist der Fokus umgekehrt: Mit 1,538 steht der zunächst zögernde Odysseus im Mittelpunkt, der erst im Anschluss an Diomedes’ Lobrede auf ihn (1,539–545), freudig zustimmt (1,545). Auch in diesem Punkt äußert sich die vom Pathos distanzierte Konzeption der Handlung. Zur literarischen Tradition der Gesandtschaft des Diomedes und Odysseus vgl. Ripoll zu 1,536–559, sowie Aricò 1986, 2943 zum Vergleich der Achilleis-Szene mit der motivverwandten Szene aus der Dolonie. 385 In beiden Fällen wird dann im Anschluss an das Gleichnis durch at am folgenden Versanfang ein Orts- und Szenenwechsel markiert (Th. 3,678 und A. 1,560).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Die erleichterte Fröhlichkeit des Heeres, das seinen Wunsch nach Achill386 in Erfüllung gehen sieht, wird durch murmure laeto (1,554) und durch das doppelte Gleichnis unterstrichen: Vögel und Bienen kehren wohlgenährt bzw. mit Honig versehen nach Haus zurück. Man zögert nicht, fröhlich (hilaris, 1,559) ist die Rudermannschaft bereit.387 Geradezu paradox schließt die Episode der Kriegsvorbereitungen heiter und entspannt. Ganz anders hingegen der Szenenschluss in der Thebais (Th. 3,669–677):        rursus fragor intonat ingens hortantum et vasto subter volat astra tumultu. ut rapidus torrens, animos cui verna ministrant flamina et exuti concreto frigore montes, cum vagus in campos frustra prohibentibus exit obicibus, resonant permixto turbine tecta, arva, armenta, viri, donec stetit improbus alto colle minor magnoque invenit in aggere ripas. haec alterna ducum nox interfusa diremit.

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Wiederum ertönt ein ungeheures Getöse der Unterstützer und es dringt mit gewaltigem Aufruhr bis zu den Sternen. Wie ein rasender Wildbach, dem Frühlingswinde und von festem Schnee befreite Berge388 Kräfte verleihen, wenn er umherschweifend auf Felder hinaustritt, weil die Dämme ihn vergeblich abzuhalten versuchen, wenn Häuser im wirbelnden Durcheinander widerhallen, Felder, Vieh und Männer, solange bis der ungestüme [Fluss] an hohem Abhang kleiner geworden zum Stehen gekommen ist und in hoher Dämmung seine Ufer gefunden hat. Diesen Schlagabtausch der Feldherrn unterbrach dazwischenkommend die Nacht.

Wiederum Zustimmung, wie in der Achilleis und wie schon zuvor nach der ersten Rede des Capaneus (Th. 3,618 f.). Hier allerdings ist die Zustimmung nicht von einer gelösten Heiterkeit, wie in der Achilleis. Schon bei der ersten Zustimmung zeigte sich die negative Auswirkung: Sie stachelt den rasenden Capaneus noch mehr an (adsensuque furentem / implet Achaea manus, Th. 3,618 f.). Nach Capaneus’ zweiter Rede ist nicht mehr das Volk selbst Subjekt, sondern erscheint nur noch als Genitivattribut. Subjekt ist der den Fokus bestimmende 386 Vgl. 1,473–475. 387 Aufschlussreich ist der Vergleich Ripolls mit einem ähnlich strukturierten Gleichnis bei Silius (2,215–221) (Ripoll zu 1,555–557): Beide Tiergruppen kommen mit ähnlichem Wortmaterial dort vor, allerdings ist die Stimmung durchaus unterschiedlich. So kehren die Bienen aus Angst vor Unwetter heim (formidine nubis aquosae, Sil. 2,217). Außerdem wird die düstere Stimmung durch den Kontext bedingt: Es werden flüchtende Soldaten durch das Gleichnis illustriert. Ausführlicher zum intertextuellen Verhältnis Silius-Statius vgl. Ripoll 2015a. 388 Gemeint ist das von den Bergen fließende Schmelzwasser.

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Achill auf Skyros (A. 1,560–674) 

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Lärm, den es erzeugt, der durch das Attribut ingens und die adverbielle Ergänzung vasto tumultu noch weiter gesteigert wird. Eindeutig hyperbolisch ist dann das Bild, dass dieser Lärm bis zu den Sternen empor steigt. Das sich anschließende Gleichnis betont dementsprechend durch den Vergleich mit dem tosenden Wildbach die Gewalt und die verheerenden Folgen dieser zustimmenden Reaktion des Volkes. Demgegenüber wird durch die beiden Tiervergleiche in der Achilleis die Freude illustriert, ohne auf die negativen Folgen einzugehen. Denn Achill soll ja für den Krieg gewonnen werden. Die Soldaten wollen also nicht den Krieg überhaupt verhindern und sie werden dafür auch nicht negativ vom Erzähler bedacht, sondern sie wollen möglichst schlagkräftig gegen die Trojaner auftreten.389 Der Erzähler fokussiert dann nur noch auf die Freude der Soldaten, nicht auf eine Außenperspektive, wie sie in der hyperbolischen Formulierung und den auf Verwüstungen vorausweisenden Gleichnis in der Thebais zu bemerken ist. Auch der Szenenschluss in der Thebais betont die Intensität des Streits: Nur die Nacht beendet den verbalen Schlagabtausch zwischen Capaneus und Amphiaraus. Der Konflikt wird nicht gelöst, sondern versinkt unaufgelöst im Dunkel der Nacht. Nacht wird es auch im ersten Gleichnisteil in der Achilleis (propinqua nocte, 1,555), allerdings wird hier nur die Zeit der Heimkehr beschrieben (e pastu referentur, 1,556), ohne düstere Untertöne. Die letzten beiden Verse betonen noch einmal die neue Tatkraft (nec mora, 1,558; hilaris iuventus, 1,559). Der Schluss ist zugleich durch den Verweis auf die Abfahrtsvorbereitungen nicht abrupt wie in der Thebais, sondern leitet inhaltlich und auch gedanklich wieder zu Achill und Skyros zurück.

5. Achill auf Skyros (A. 1,560–674) Der nächste Abschnitt erstreckt sich vom Ortswechsel von Aulis nach Skyros bis zum nächsten Wechsel von Achill und Deidamia zu Odysseus und Diomedes, die sich auf dem Weg nach Skyros befinden. Mit letzterem Wechsel in 1,675 beginnt in plurimis codd. dett. (so Dilke in app.) sogar bereits das zweite Buch.390 Dieser Abschnitt ist durch eine Zweiteilung gekennzeichnet: schrittweise Annäherung Achills an Deidamia (1,560–591),391 Bacchus-Fest und Vergewaltigung Deidamias mit den Folgen (1,593–675). Insgesamt ist hier durch die Betonung der amourösen Seite Achills bzw. die Annäherung an die liebeselegische Deutung Achills und durch die nicht nur räumliche Entfernung vom Kriegsgeschehen bereits ein deutlicher Kontrast zum martialischem Epos geschaffen. 389 Vgl. 1,474–476. 390 Zur Buchaufteilung vgl. Dilke 23, Méheust xlviiif. und Anderson 2009, XIIf. 391 A. 1,592 dürfte unecht sein, vgl. dazu Dilke ad loc.

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Bezeichnenderweise nimmt laut Parkes, die die Thebais als Verständnisfolie für die Achilleis in ihrer Wichtigkeit hervorhebt, Statius’ erstes Epos in diesen Szenen einen »back seat« ein.392 Dennoch lässt sich besonders ab dem Monolog Achills (1,624–639) bis zur Selbstoffenbarung (1,650–660) eine pathetische Steigerung beobachten, die den spielerisch-elegischen Ton des ersten Teils dieses Abschnitts zumindest kurzfristig außer Kraft setzt. Doch wird sich u. a. durch die Gegenüberstellung mit der einzigen weiteren ausführlicheren Darstellung der Vergewaltigung der ­Deidamia bei Ovid (Ars 1,681–706) zeigen, dass Statius auch hier ›nur‹ eine relative Pathossteigerung und damit –eingrenzung unternimmt, die zunächst auf eine Pathosintensität zu zielen scheint, um sie dann ebenso deutlich zu beschränken.

5.1 Achill und Deidamia (1,560–592) Dieser erste Abschnitt ist gekennzeichnet von der Annäherung Achills an Deidamia. Ripoll393 attestiert dieser ganzen Passage ein ovidisches Kolorit. Er vergleicht die von Achill gesuchte und von Deidamia nicht abgelehnte körperliche Nähe in 1,570 (nunc nimius lateri non evitantis inhaeret) mit einem entsprechenden Rat in Ovids Ars (proximus  a domina nullo prohibente sedeto, / iunge tuum lateri qua potes usque latus, ›setze dich sehr nah bei deiner Herrin, wenn es keiner verbietet; vereinige, so weit wie möglich, deine Seite mir ihrer‹, 1,139 f.).394 Das Motiv selbst ist allerdings nicht erst eine Zutat des Statius, wie auch Ripoll notiert, sondern bereits in dem hellenistischen Epithalamion des Ps.Bion zu finden (Epith. 22–24).395 Auch die mehrfache Bezeichnung der Affäre als furtum,396 eine Bezeichnung, die gleich zu Anfang in 1,561 gewählt wird, stellt einen Verweis auf die elegische Welt der ovidischen Ars dar.397 Bereits im nächsten Vers (1,562) finden wir mit conscia culpae (›Mittwisserin der Schuld‹) 392 Parkes 2008, 395. 393 Ripoll zu 1,560–592. Vgl. schon Aricò 1986, 2944. 394 Im Folgenden werden einige weitere Bezüge zur ovidischen Ars eine Rolle spielen; ausführlicher zu den ovidischen Verführungsstrategien des statianischen Achill: Micozzi 2007 und Sanno 2007. Allerdings wird im letzten Abschnitt deutlich werden, dass Statius sich in entscheidendem Maße von dem Achill in der Ars absetzt. Vgl. dazu gegen Micozzi und Sanno bereits Davis 2006, 129–137, der wichtige Unterschiede zu Ovids Ars und eine größere Nähe motivisch verwandten Szenen der Metamorphosen herausarbeitet, bzw. 138–141 auf weitere wichtige Vorbilder verweist, die bei einer zu ovidischen Perspektive nicht angemessen berücksichtigt werden (bes. Aeneis, Senecas Tragödien, Catull c. 64). 395 Zu diesem s. o. B 3. 396 A. 1, 641/669/903/938. 397 Vgl. die Häufigkeiten des Stammes furt- in Ars 1,33/275/619 und bes. 2,246/389/428/ 555/617/640/730.

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Achill auf Skyros (A. 1,560–674) 

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eine Hexameter-Klausel, die aus amatorischen Kontexten vertraut ist.398 In ironischer Brechung erscheint in der Folge eine weitere, in der Elegie prominente Vokabel: Achill stehe ›hart/spröde‹ in der Schar der Jungfrauen (virgineo stetit in grege durus Achilles, 1,564). Die Opposition mollis-durus ist ein elegischer Topos,399 wobei die dura puella das Abgelehnte personifiziert400 und die mollitia der Elegie und der elegischen Liebe als positiv dargestellt wird.401 Ein Spiel mit dieser Opposition in Bezug auf einen männlichen Charakter stellt bereits Properz 4,2 dar: Dort illustriert eine Statue des Gottes Vertumnus, deren Rede die ganze Elegie einnimmt, seine Wandlungsfähigkeit dadurch, dass er, zöge man ihm ein koisches Gewand an, eine non dura puella wäre (4,2,23 f.). Dies ist in mehrfacher Hinsicht ein metaliterarischer Scherz: Zum einen wird in diesen Versen ein elegischer Topos aufgerufen und indirekt auf die gattungsmäßige Vielfalt des vierten properzischen Elegienbuches zwischen Aitiologie und Liebeselegie verwiesen;402 zum anderen bezeichnet sich hier ausgerechnet eine sprechende Bronzestatue als non dura.403 Achill ist nun kein wandlungsfähiger Gott wie Vertumnus. Er hat zwar, wie es Vertumnus nur imaginiert, tatsächlich Frauenkleider an. Doch wird er keineswegs eine non dura puella, sondern bleibt ein durus Achilles. Zwei weitere Bezüge zu einer anderen literarischen Darstellung des Vertumnus, nämlich der ovidischen in den Metamorphosen, sind von Ripoll404 beobachtet worden: zum einen das Motiv des als Frau verkleideten küssenden Verführers;405 zum anderen das Motiv des versteckten Eigenlobs, d. h. ein verkleideter Verführer, der sein eigentliches Ich vor der Geliebten lobt.406 Die elegisch gefärbte Lexik und Motivik setzt sich in 1,567 f. mit blandeque […] admovet insidias (›mit Schmeichelei und Hinterhalt nähert er sich‹) fort.407 Auch der leierspielende Achill (A. 1,572–576) ist ein im elegischen Diskurs prominentes Exempel: Gleich am Anfang des ersten Buches der Ars verweist Ovid auf Achill, der sich durch die Kithara von Chiron bändigen ließ (Ars 1,11–18). Gerade die aetas mollis des Amorknaben führt zum mythologischen Exempel

398 Vgl. bei Ovid Her. 7,191 und Met. 2,593; bei Statius selbst: Silv. 1,2,59 (ein Epithalamium mit einem Elegiendichter als Bräutigam); allerdings auch im Epos: Val. Flacc. 4,356. 399 Vgl. z. B. Ov. Am. 2,4,12 f., Ars 1,475 f. Dazu DeBrohun 2003, 161 Fn. 13. 400 Vgl. z. B. Prop. 2,1,78; Tib. 1,8,50. 401 So nennt Properz sein Buch programmatisch am Anfang mollis liber (2,1,2). Weitere Stellen bei Fedeli zu Prop. 3,1,19. 402 O’Neill 2000, 269 f. 403 Hutchinson ad loc. 404 Ripoll zu 1,575–576 und 577–579. 405 A. 1,575 f.; Ov. Met. 14,658; hier zugleich, wie Ripoll bemerkt, durch mille per oscula ein Bezug zu Cat. c. 5,7. 406 A. 1,577–579 und Ov. Met. 14,678–697. 407 Vgl. Ripoll: »couleur de poésie érotique«; er vergleicht Prop. 3,25,5 f. und 3,23,18.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

des Knaben Achill.408 In der Achilleis wird der Kithara-Unterricht für Deidamia im Spinn-Unterricht für Achill gespiegelt (1,580–583): ipsa quoque et validos proferre modestius artus et tenuare rudes attrito pollice lanas demonstrat reficitque colos et perdita dura pensa manu […]. Sie selbst auch zeigte ihm, die kräftigen Glieder maßvoller auszustrecken und die Rohwolle mit abgenutztem Daumen fein zu spinnen, und sie erneuerte die Rocken und die Wollmenge, die durch die harte Hand [Achills] beschädigt worden waren […].

Die für Männerhände unpassende Wollarbeit (dura / pensa manu) ist sowohl intra- als auch intertextuelle Referenz:409 Thetis hatte als beruhigendes Exempel auf die Arbeit des Hercules bei Omphale mit genau diesen Worten verwiesen (A. 1,260 f.). Ein elegisch transponierter Hercules sagt bei Properz (4,9,47–50):410 idem ego Sidonia feci servilia palla   officia et Lydo pensa diurna colo, mollis et hirsutum cepit mihi fascia pectus,   et manibus duris apta puella fui. Ja, ich habe in sidonischem Gewand Dienste einer Magd übernommen und tägliche Wollarbeit am lydischen Rocken, und eine sanfte Binde umgab mir die haarige Brust, und trotz harter Hände war ich ein geeignetes Mädchen.

Aber auch Statius selbst hat dieses Hercules-Exempel noch etwas ausführlicher gestaltet, und zwar im zehnten Buch der Thebais: Dort nimmt die personifizierte Virtus die Gestalt der Teiresias-Tochter Manto an. Ihre Erscheinung entspricht zwar in vielem derjenigen der Manto, aber ihre harten Züge verraten sie dennoch.411 Als Gleichnis dient der Frauenkleider tragende Hercules (Th. 10,646–649):          sic Lydia coniunx Amphitryoniaden exutum horrentia terga perdere Sidonios umeris ridebat amictus et turbare colus et tympana rumpere dextra. 408 Ars 1,10 f.: Sed puer est, aetas mollis et apta regi. / Phillyrides puerum cithara perfecit Achillem. Vgl. außerdem die aufschlussreichen Ausführungen Ripolls zum erotisierten Leierspiel in 1,572–574 und zu 1,185 zur Tradition des Unterrichts im Leierspiel bei Chiron. 409 Ripoll zu 1,582 spricht ungenau auf motivischer Ebene nur von ›Erinnern‹ (souvenir). 410 Vgl. außerdem Ovid Her. 9,77–80. Zur Gestaltung des Hercules als elegischer amator und der daraus folgenden poetologischen Spannung zwischen Elegie und Epik in 4,9 vgl.­ DeBrohun 2003, 156–184 (unter Einbeziehung auch des Achill in der ovidischen Ars p. 179 f. und der oben zuvor angeführten Vertumnus-Elegie 4,2 p.  169–175; mit einer der Achilleis nicht unverwandten Absicht der Zusammenschließung von Gegensätzen p. 183 f.). 411 Th. 10,645 f.: tamen aspera produnt / ora deam nimiique gradus.

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Achill auf Skyros (A. 1,560–674) 

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So lachte die lydische Gemahlin über den Amphitryon-Sohn, dass er seinen rauen Rücken entblößend, die sidonischen Gewänder durch seine Schultern ruinierte, die Spinnrocken durcheinanderbrachte und mit der Rechten die Tympana zerbrach.

Von der personifizierten Virtus mit ihren männlichen Zügen geht Statius zur exemplifizierten virtus des Hercules mit weiblichen Zügen über: Das Zerreißen der Frauengewänder am übermäßig männlich geformten Körper und die Beschädigung der Spinnrocken und Tympana als symbolisches Ungeeignetsein für die entsprechenden Frauentätigkeiten (Spinnen und Tanz) werden hier hervorgehoben. Darüber hinaus wird Hercules von Omphale verlacht, ja dieses Verbum bestimmt das ganze Gleichnis als einziges Prädikat von dem (nicht nur grammatisch) der Amphitryon-Sohn abhängt.412 Demgegenüber sorgt Deidamia dafür, dass Interferenzen zwischen männlicher Natur und weiblicher Gewandung bei Achill nicht so stark zum Tragen kommen: Sie lehrt ihn413 sich angemessen zu bewegen (proferre modestius a­ rtus, 1,580) und erneuert ohne Spott, was Achill ungeschickt beschädigt hat (­reficit, 1,582). Wo die Thebais also den Kontrast pointiert, zeigt die Achilleis diesen zwar, dämpft ihn aber zugleich wieder.414 Durch zwei aus dieser Konstellation entwickelte Elemente schafft Statius den Übergang zur nächsten Phase in der Beziehung zu Deidamia. Achill wird immer leidenschaftlicher (1,583–585), er möchte endlich seine wahre Natur bekennen, doch Deidamia entzieht sich dem immer wieder.415 Der verzweifelte Ausbruch zur gewalttätigen Aneignung und Offenbarung (1,624–639) wird so vorbereitet. Außerdem finden wir hier wiederum ein szenenschließendes Gleichnis, das 412 Sturt 1982, 834 f. sieht bereits im Thebais-Gleichnis einen durch die inhärente Komik bewirkten Abstand zum epischen decorum. Dies erklärt Sturt dahingehend, dass es einen Zusammenhang zwischen den Hercules-Gleichnissen in der Thebais gebe, wobei das hier im Blick stehende einen besonderen Bezug zu Th. 12,66 f. aufweise (Menoeceus wird mit dem auf dem Berg Oeta brennenden Hercules verglichen). Eine gewisse Komik ist dem Gleichnis ­sicher nicht abzusprechen. Es handelt sich aber um eine grimmige Komik. Ich hoffe, oben gezeigt zu haben, dass die Brüche und Schroffheiten des Gleichnisses und seiner Einpassung in den Kontext doch zur pathetischen Gestaltung der Thebais passen und einen deutlichen Unterschied zum Achilleis-Gleichnis aufweisen. Vgl. außerdem Taisne 1994, 131–136 generell zu Hercules-Gleichnissen bei Statius, die häufig dazu dienten »pour intensifier la concorde – amoureuse ou amicale – entre des personnages, lui servent aussi à souligner une atmosphère de joyseuse sérénité.« (134). 413 Wie Thetis zuvor: 1,339–348. 414 Vgl. dagegen zu einem späteren Zeitpunkt in Achills Entwicklung 1,835–838, wo Ripoll eine größere Nähe zum Thebais-Gleichnis beobachtet hat: tunc vero, tunc praecipue manifestus Achilles nec servare vices nec bracchia iungere curat; tunc molles gressus, tunc aspernatur amictus plus solito rumpitque choros et plurima turbat. Vgl. insgesamt meine Ausführungen zu 1,819–840. 415 1,586 f.: iam iamque dolos aperire parantem / virginea levitate fugit prohibetque fateri).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

sich auf Jupiters Annäherung an seine Schwester Juno bezieht (1,588–591).416 Die Quasi-Jupitersohnschaft417 wird von Achill als tröstendes Moment nach der Besitzergreifung von Deidamia angeführt (1,650 f.). Insofern verhält sich der QuasiSohn also nur, wie sein Beinahe-Vater es im Gleichnis ohnehin schon getan hat. Dadurch ist das Gleichnis genealogischer Spiegel und Vorausdeutung in einem.

5.2 Das Bacchus-Fest (1,593–639) Die Szenerie für die Vergewaltigung Deidamias wird durch ein Bacchus-Fest auf Skyros geschaffen. Im Gegensatz zu Ps.Bion und Ovid, wie Ripoll bemerkt, findet sie nicht mehr in verschlossener Kammer, sondern im Rahmen eines wohl von Statius in die mythologische Tradition eingeführten Bacchus-Festes statt.418 Eine Vielzahl von bedenkenswerten Vorschlägen sind als Begründung für diese Neueinführung gemacht worden,419 darunter besonders die von Heslin notierte Nähe zu Motiven aus der Komödie,420 denn durch die szenische Einbettung der folgenden Vergewaltigungsszene erzeugt Statius eine Parallelität zu entsprechenden Szenen der menandrischen Komödie (s. u. 5.3.). Vor dem Hintergrund der Gestaltung als Ethos-Epos hat Ripoll einige erhellende Beobachtungen gemacht,421 die hier zusammengefasst wiedergegeben werden sollen. Die Beschreibung setze mit einer ekphrastischen Konvention ein (Lucus… stabat, 1,593 f.), umgehe aber eine detaillierte Schilderung. In der Tat bricht die Ekphrasis des Ortes bereits nach anderthalb Versen wieder ab. Auch der angedeutete grausame Wesenszug des Bacchuskultes (1,596 f.) werde bei der eigentlichen Schilderung des Ritus (1,622 f.) nicht wieder aufgenommen, sondern der aufgehellteren Stimmung der Skyros-Episode angepasst. Heslin422 hat hier eine Entgegensetzung von ursprünglich griechischem Bacchuskult mit mänadischen Elementen zu einer gemäßigteren römischen Form gesehen. Außerdem fügt sich der Rahmen des Bacchusfestes zu der bereits erläuterten Kontrastierung von Bacchischem und Kriegerischem auf Skyros.423 Eine wiederum elegische Note lässt sich einer Erläuterung Dilkes zum Gebrauch von antrum in 1,599 abgewinnen: Die Verwendung als Bezeichnung für 416 Vgl. auch Ripoll zu 1,588–591 für nähere Erläuterungen zum Gleichnis. 417 Zum Thema der Quasi-Jupitersohnschaft Achills in der Achilleis vgl. Schetter 1960, 130 f. 418 Ripoll zu 1,593–618; Ps.Bion Epith. 9 (κατὰ παστόν), Ov. Ars 1,697 (in thalamo). 419 Vgl. die Übersicht bei Ripoll zu 1,594–618. 420 Heslin 2005, 242 f. Heslin selbst sieht diese Nähe jedoch nicht als ausreichende Begründung an und versucht über den Gedanken der Mysterieninitiation einen anderen Erklärungsansatz (ausführlich dazu Heslins 6. Kapitel). 421 Ripoll zu 1,593 und 596–597. 422 Heslin 2005, 252. 423 Vgl. meine Ausführungen zu 1,393.

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einen felsigen Hohlraum (rocky hollow) und nicht eine Grotte (grove) sei mit Properz zu parallelisieren.424 Statius scheine um diese properzische Verwendung zu wissen, wie Silv. 1,2,253 zeige: Umbroque Propertius antro.425 Die Bedeutung dieser intertextuellen Verbindung scheint mir sogar noch weitreichender. An der genannten Silven-Stelle sagt Statius, dass Philitas, Kallimachos und Properz, ebenso wie Ovid und Tibull den Tag der Hochzeit des dichterisch tätigen Stella mit Violentilla gelobt hätten. Der Elegiendichter426 Stella soll also von anderen Dichtern der Gattung begleitet werden. Gleich zu Anfang der Silve hatte Statius schon von den neun Musen gesprochen, die sich vom Helikon auf den Weg machen und von der Elegea, die sich als zehnte unter sie reihen wolle (Silv. 1,2,3–10). Zum Preis des Paares bietet Statius auch eine gemeinsame Beteiligung von Apoll und Bacchus mit ihren jeweiligen Kultinstrumenten auf (Silv. 1,2,119–128). Nachdem Achill bereits mit Apoll verglichen worden war (A. 1,165 f.) folgt nun anlässlich des Bacchusfestes ein Vergleich mit dieser Gottheit (A. 1,615–618): talis, ubi ad Thebas vultumque animumque remisit Euhius et patrio satiavit pectora luxu, serta comis mitramque levat thyrsumque virentem armat et hostiles invisit fortior Indos. So wie Bacchus, als er nach Theben Gesicht und Sinn zurückwandte und sein Herz mit heimatlichem Luxus gesättigt hat, von seinen Haaren Kranz und Mitra hebt, den grünenden Thyrsos bewehrt und kräftiger gegen die feindlichen Inder zieht.

Achill wird hier mit Bacchus in dem Moment verglichen, da dieser die schwelgerischen Genüsse hinter sich lässt, um sich auf einen Kriegszug begeben, was der Situation Achills auch über die bacchische Verkleidung (vgl. 1,609–618)­ hinaus entspricht: Die feminine Umgebung auf Skyros wird schon am Buchende der Teilnahme am trojanischen Krieg weichen.427 Achill verbindet apollinische und dionysische Züge in sich; aber zugleich ist Bacchus auch eine doppeldeutige­ Figur, die männliche und weibliche Züge in sich vereint,428 was wiederum auf poetologischer Ebene die Verbindung von Epos und Elegie zum Zwecke einer Ethisierung des martialischen Epos andeutet. Die Gleichnisse mit Apollon und Bacchus ergänzen sich auch als spiegelbildliche Kontexte: Achill wird, als er zu 424 Dilke zu 1,599: Prop. 1,2,11; 4,4,3; 4,9,33. 425 Zur intertextuellen Bedeutung von Silv. 1,2 für die Achilleis vgl. B 3. 426 Vgl. Silv. 1,2,95–99. 427 Ähnlich auch Ripoll zu 1,615–618. 428 Ausführlicher dazu Heslin 2005, 253 f. Bereits Taisne 1976, bes. 378 hat zuvor auf die Bedeutung der Bacchus-Bezüge in der Achilleis hingewiesen und diese Figur überzeugend als Sinnbild für die Verbindung von kriegerischem und femininem Achill bei Statius gelesen. Taisne diskutiert ausführlich alle Bacchus-Bezüge in der Achilleis, auch vor dem Hintergrund bildlicher Darstellungen und anderer Texte.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Chiron heimkehrt, mit dem von der Jagd zurückkehrenden Apollon verglichen. Bei Bacchus hingegen ist es umgekehrt genau der Moment des Aufbruchs zu einer martialischen Tätigkeit. Beide Gleichnisse betonen die doppeldeutige Natur Achills: Denkt man gerade die Bacchus-Linie weiter, so deutet sie nicht nur auf die Teilnahme am trojanischen Krieg voraus, auch darauf, dass Achill sich nicht einfach verwandeln wird und damit die Ereignisse auf Skyros eine bloße Episode bleiben. Vielmehr wird Achill als ein bacchusartig doppeldeutiger Charakter, als Liebender und als Krieger, beide Seiten nicht nur im ersten Buch in sich tragen, sondern auch weiterhin behalten. Die Verkleidung in Frauenkleidern und der Aufenthalt auf Skyros sind nicht nur von außen verfügte Änderung, sondern eine Dualität ist Achill inhärent.429 Vielleicht lässt sich hier auch erahnen, dass die Fortsetzung bei aller Verbindung zum Krieg ihre ethische Abtönung behalten hätte und nicht in ein Pathos-Epos umgeschlagen wäre.430 Mit dem martialischen Bacchus und der Erwähnung des Indienfeldzuges wird ein erster Höhepunkt in der emotionalen Gestaltung der Szene erreicht: Die Beschreibung Achills als Bacchantin führt von äußerlichen Details (­ Hirschfell, Efeu, Binden: 1,609–611) bis zum Schwingen des Thyrsos (vibravitque gravi redimi­tum missile dextra, 1,612), das die zuschauende Menge in Schrecken versetzt (attonito stat turba metu, 1,613). Als Überhöhung und Vorausdeutung folgt das Bacchus-Gleichnis. Dieser pathosnahe Moment wird in der Folge sofort durch eine Schilderung der Nachtruhe unterbrochen (1,619–624): Scandebat roseo medii fastigia caeli Luna iugo, totis ubi somnus inertior alis defluit in terras mutumque amplectitur orbem. consedere chori paulumque exercita pulsu aera tacent, tenero cum solus ab agmine Achilles haec secum: […].

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Der Mond erstieg auf rosenfarbenem Joch den Gipfel der Himmelsmitte zu der Zeit, wo sich träger der Schlaf mit vollen Schwingen über die Erde ergießt und den stummen Erdkreis umarmt. Es setzten sich die Chöre nieder und die Erztrommeln, die zuvor kräftig geschlagen worden waren, schwiegen für kurze Zeit als von der zarten Schar entfernt Achill allein mit sich dieses besprach: […].

Der träge Schlaf (1,620) ist wohl der auffälligste Kontrast zu einer Bacchusfeierlichkeit. Auch erscheinen die Lycomedes-Töchter beim Bacchusritus, wie bereits angedeutet, nur noch als zartes Abbild des eigentlichen Kultes (paulumque exercita, 1,622; tenero… ab agmine, 1,624). 429 S. o. zu 1,283–348. 430 Zur Fortsetzung vgl. B 4.

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Achills Rede selbst (1,624–639) zeigt einen erstaunlichen Umschwung: Er beginnt mit einer generellen Unzufriedenheit der Lage, in die seine Mutter ihn gebracht hat (1,624 f.). Er vergeude seine Jugend in einem verweichlichten Gefängnis (1,625 f., imbelli carcere). Seine Lebensart bei Chiron vermisst er, und im Umkehrschluss, dürfte Chiron ihn vermissen, ja schon als verstorben betrauern (1,627–631). Achill stellt Patroklos und dessen vermutete gegenwärtige Beschäftigung in Gegensatz zu seiner Lage auf Skyros: Waffen und Pferde stehen Thyrsoi und Spinnrocken gegenüber (1,632–636a). An dieser Stelle setzt nun der Umschlag ein: Nicht einmal Manns genug sei Achill, seine Liebe zu Deida­ mia zu bekennen (quin etiam dilectae virginis ignem / aequaevamque facem captus noctesque diesque / dissimulas, 1,636b–638a).431 Und genau dieser Punkt wird dann für ihn zum Ansatzpunkt, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen: durch die auch gewaltsame Aneignung Deidamias (1,638 f., bes. der Schluss: teque marem […] nec amore probabis?). Gerade diese steht im Gegensatz zu seinem zurückhaltenden Verhalten (1,567–591). Allerdings erfährt die Figur Achills hier eine Vertiefung der Persönlichkeit, die ihr selbst an diesem Punkt noch nicht voll bewusst ist, die aber in der Folge stärker zum Vorschein treten wird, um in der Ansprache an Lycomedes und im Abschied von Deidamia am Buchende zu gipfeln: Achill hat eine Möglichkeit entdeckt, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen, die nicht im kriegerischen Bereich angesiedelt ist, sondern eine männliche Identität als Liebender neben die als Krieger stellt.432 Dass er sich des Potentials dieser Entwicklung noch nicht voll bewusst ist, zeigt seine gewaltsame Annäherung, die erst nach dem Vollzug eine Milderung erfährt (1,649–660). In seiner Rede an Deidamia kann er seine Liebe bekennen (1,653–655), wozu er sich in 1,636 f. noch als unfähig getadelt hat. Mit der Selbstansprache in 1,624–639 geht Achill also den Schritt vom kriegerischen Knaben zum männlichen Liebhaber, auch wenn die folgende Bestätigung des Beschlusses noch Züge des wilden Knaben trägt. Nicht wie Ripoll433 sehe ich die lexique érotico-galant des Redeendes als Abmilderung der sich anschließenden Brutalität, sondern darin, dass Achill im Anschluss an die Vergewaltigung Deidamia zu trösten beabsichtigt und diese Vergewaltigung aus einer wenn auch unein 431 Vgl. auch Ripoll zu 1,636–639, der ein thematisches Schweifen von kriegerischer zu männlicher Identität feststellt und dies ein decrescendo dramatique nennt: Denn zunächst scheine Achill seinen Transvestitismus aufgeben zu wollen, dann jedoch entwickle sich dieser Antrieb zu einer Aktion mit eingeschränkteren Konsequenzen im Rahmen seiner Möglichkeit auf Skyros. So verbleibe die Handlungsentwicklung im überlieferten Mythos. Dies ist sicherlich richtig. Allerdings scheint mir das oben im Folgenden herausgearbeitete Motiv der Persönlichkeitsentwicklung doch entscheidender zu sein. 432 Vgl. ausführlicher zu dem Punkt der Persönlichkeitsentwicklung die Interpretation von Fantuzzi 2012, 71–92, der von einer »dignification of Achilles at Scyros« bei Statius spricht. Vgl. außerdem Rosati 1994, 33–42 für Achills Entwicklung durch seinen amor und die Ausführungen zu 2,30–167. 433 Ripoll zu 1,636–639.

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gestandenen gegenseitigen Liebe entstammt und zu einer gegenseitigen Liebe führt. In diesem Fall also hätten wir eine retroaktive Pathosdämpfung. Achill wächst im elegischen Umfeld434 auf Skyros über den martialischen Charakter hinaus. Beim Abschied von Deidamia ist er beides, Liebender und Krieger, und somit wiederum poetologisches Emblem für die Verbindung von Epos und Elegie hin zu seinem ethosorientierten Epos.435

5.3 Die Vergewaltigung Deidamias und die Folgen (1,640–674) Die Beschreibung der Vergewaltigung Deidamias zeigt das Verschleiern das Pathos sehr deutlich. Eine eigentlich gewaltsame und damit zunächst vielleicht ethosfern erscheinende Handlung (s. u.) wird durch eine kunstvoll ausweichende Erzählweise436 in das Ethos-Epos eingepasst (1,640–649): Sic ait et densa noctis gavisus in umbra tempestiva suis torpere silentia furtis vi potitur votis et toto pectore veros admovet amplexus; vidit chorus omnis ab alto astrorum et tenerae rubuerunt cornua Lunae. illa quidem clamore nemus montemque replevit; sed Bacchi comites, discussa nube soporis, signa choris indicta putant; fragor undique notus tollitur, et thyrsos iterum vibrabat Achilles, ante tamen dubiam verbis solatus amicis: […].

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So sprach er und erfreut, dass im dichten Schatten der Nacht das Schweigen träge lastet, geeignet für seine Heimlichkeiten, erfüllt er mit Gewalt seine Wünsche und nähert sich ihr von ganzem Herzen mit wirklichen Umarmungen; es sah aus der Höhe der Chor der Sterne zu, und die Hörner des sanften Mondes erröteten. Jene erfüllte mit ihrem Schrei Hain und Berg; aber die Bacchusanhänger glaubten, nachdem die Wolke des Schlafes zerstoben war, dass Zeichen für Chortänze gegeben wurden; überall erhebt sich ein vertrauter Lärm, und Achill schwingt wieder den Thyrsos, dennoch tröstete zuvor er die Zweifelnde mit freundlichen Worten: […]. 434 Vgl. z. B. Ripoll zu 1,636–639: »On notera l’accumulation de l’isotopie de la brûlure amoureuse dans ces derniers vers (ignem, facem, urentia), donnant une forte tonalité éroticoélégiaque à ce passage.« 435 Vgl. darüber hinaus zu Achills Rede Ripoll zu 1,619–639 (episches Motiv mit erotischem Inhalt, Komödienbezüge: zu letzterem vgl. meine Ausführungen zu 1,349–378) und Heslin 2005, 257–261 zu Bezügen zu Cat. c. 63. 436 Für Ripoll zu 1,640–674 findet hier eine »dédramatisation de l’acte lui-même par le lexique érotico-élégiaque« statt. Die elegische Lexik spielt sicher eine Rolle. Doch kann man am Unterschied zu Ovids Erzählweise in der Ars in der Folge sehr gut sehen, dass Komposition und Motivik eine weitaus größere Rolle spielen.

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Nach der Überleitung vom Monolog (1,640 f.) folgt mit vi potitur votis der zwar periphrastisch formulierte, aber eindeutige Hinweis auf Achills Gewalttat. Seine Umarmungen, die nun endlich nicht mehr in Frauenkleidern versteckt sind, wie noch in 1,576, sondern die wahre Form der Verbindung von Mann und Frau annehmen (veros, 1,642), erfolgen voller Leidenschaft. Doch bereits nach anderthalb Versen (1,642–643a) wird nicht mehr das Geschehen selbst berichtet, sondern gespiegelt in der Reaktion der Sterne und der errötenden Mondgöttin wiedergegeben (1,643b–644).437 Für den Schrei Deidamias (1,645) wird noch einmal zurückgeblendet. Dieser jedoch löst eine Wiederaufnahme der BacchusFestivitäten aus (1,646 f.), in die sich auch Achill durch die Wiederaufnahme des Thyrsos einreiht (648), um seine Tarnung nicht zu verlieren.438 Doch lässt Achill Deidamia nicht einfach zurück, sondern noch bevor (ante, 1,649) er sich wieder als Bacchus-Anhänger verkleidet, tröstet er sie, die noch ganz ungläubig (dubiam, 1,649) scheint, mit Worten, denen der Erzähler das Attribut freundlich verleiht (verbis solatus amicis, 1,649). Allerdings gilt es hier zu bemerken, dass zudem aus der Sicht eines antiken Lesers durchaus auch eine Vergewaltigungsszene nicht als solche einen Gegensatz zu einer Ethos-Orientierung darstellen muss. Vergewaltigung und anschließende Hochzeit (wie auch in der Achilleis) sind nämlich ein häufiges Motiv der Neuen Komödie, also dem Genre, das Ps.Longin 9,15 für die Ethos-Beschreibung der Odyssee als Vergleich heranzieht.439 Leisner-Jensen440 kommt nach einer Sammlung und Sichtung aller Stellen zu diesem Motiv bei Menander, Plautus und Terenz zu dem Schluss441, dass es sich aufgrund der Häufigkeit vorrangig um literarische Konvention eines antiken Komödienplots handelt, die nicht auf die soziale Realität schließen lasse. Wichtige Hinweise zur Einschätzung der Achilleis in diesem Punkt gibt darüber hinaus Barthrellou 2012. Sie analysiert die Informationen zum setting, in dem Vergewaltigungsszenen bei Menander stattfinden, und stellt dabei heraus, dass mit Ausnahme des Eunouchos die Vergewaltigung stets im Rahmen eines religiösen Festes angesiedelt sei,442 das zudem mit dem Übergang vom Ju 437 Für die Motivik vergleicht Ripoll zu 1,640–644: Cat. c. 7,7 f. und Verg. Aen. 4,166–168. An letzterer Stelle leitet der Erzähler im Unterschied zur Achilleis direkt von der Szenerie zu einer düsteren Zukunftsprophezeiung über (ille dies primus leti primusque malorum / causa fuit, Aen. 4,169 f.). Vgl. auch Méheust zur Stelle, der diese nur andeutende Erzählweise mit dem epischen decorum in Verbindung bringt. 438 Dieses handlungswichtige Moment  – denn sonst wäre Deidamias Einwilligung zu schweigen (1,667–670) nutzlos – lässt ein wenig an der generellen Anzüglichkeit des ThyrsosSymbols in der Achilleis zweifeln, wie sie von Heslin 2005, 239–241 vertreten wird. 439 Vgl. dazu die Ausführungen zu 1,349–378 und den Bezug zu Terenz’ Eunuchus. 440 Leisner-Jensen 2002. 441 Leisner-Jensen 2002, 195. 442 Bathrellou 2012, 153 f. Ähnlich allerdings schon Leisner-Jensen 2002, 194.

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gendlichen zum Mann in Verbindung stehe.443 »This connection corresponds to the plays’ interest in the maturation of the young protagonists, which is often presented as being achieved through marriage […].«444 Genau diese Motivstruktur, die Bathrellou als typisch für die menandrische Komödie herausarbeitet, lässt sich, wie im Folgenden zu sehen sein wird, auch in der Achilleis wiederfinden. Wie in ironischer Brechung einer Komödienkonvention, die den Vergewaltiger unerkannt auf die Vergewaltigte mit einem gegenseitigen Verlieben treffen lässt (so z. B. in Menanders Epitrepontes und Heros),445 übernimmt Achill bei Statius gleich im Anschluss an die Tat die Identifikation und Heiratserklärung. Oft geschieht die Vergewaltigung im Rauschzustand unter Weineinfluss, wie LeisnerJensen446 summiert: Passenderweise gibt gerade ein Bacchus-Fest das setting für die entsprechende Szene in der Achilleis. Dass Statius darüber hinaus die Vergewaltigung, wie bereits bemerkt und im Anschluss in Kontrastierung zu Ovid zu sehen sein wird, noch zurückhaltender gestaltet, lässt die Ethos-Gestaltung noch augenfälliger werden. Darüber h ­ inaus zeigt Philippides 1995 für Terenz’ Eunuchus, der, eine wichtige motivische und strukturelle Parallele für die Achilleis ist,447 dass durch die sich anschließende Heirat die Vergewaltigung eine Abmilderung erfährt448 und zugleich die Vergewaltigung zur Reifung des Protagonisten Chaerea und seiner Entwicklung vom Jüngling zum Mann beiträgt, was m. E. auch für die Achilleis gilt. Im Vergleich mit Ovid kann nun die ethos-nähere Gestaltung der AchilleisSzene noch deutlicher vor Augen treten. Bereits Dilke hat mit knappen Worten den Unterschied beschrieben: Es handele sich bei der Ovid-Stelle um eine Passage »whose brutality Statius is careful to avoid, although he imitates much of its language.«449 Ovids Beschreibung erwächst als Exempel aus der Behandlung des nur scheinbar abwehrenden Verhaltens der Frauen450 und bleibt vollständig in 443 Bathrellou 2012, 183 f. 444 Bathrellou 2012, 184. Zur juristischen Einschätzung im zeitgenössischen Athen dessen, was mit dem modernen Begriff Vergewaltigung (rape) umfasst wird, vgl. Bathrellou 2012, 151 f. Fn. 1. 445 Vgl. dazu Leisner-Jensen 2002, 175 f. und 177 f. 446 Leisner-Jensen 2002, 194. 447 S. o. 3.3. 448 Nicht unerwähnt sei, dass in diesem Punkt hinsichtlich Terenz’ Eunuchus durchaus keine Einigkeit besteht. Vgl. z. B. James 1998, die auch vor dem Hintergrund antiker Sehgewohnheit der Komödie und der sozialen Realität (vgl. p. 35 f.) die Vergewaltigungen in Terenz’ Eunuchus und Hecyra aufgrund ihrer spezifischen Gestaltung als bewusst (ver)störende Elemente (vgl. p. 46) deutet. Inwiefern hier dennoch moderne Konzeptionen mit hineinspielen, was die vom Publikum erwartete Bewertung einer solchen Tat betrifft (vgl. z. B. Philip­ pides 1995, 273 f.), muss dabei allerdings offen bleiben. 449 Dilke p. 11. 450 Vgl. Ars 1,666: pugnando vinci se tamen illa volet; und über Deidamia Ars 1,700: voluit vinci.

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diesem Rahmen. Achills Verkleidung wird als unmännlich gebrandmarkt und er zu kriegerischerem Verhalten durch den Erzähler aufgerufen (Ars 1,689–696).451 Direkt im Anschluss folgt die Beschreibung der Vergewaltigung (Ars 1,697–704), die also wie bei Statius als Männlichkeitsbeweis gedeutet wird, bei Ovid allerdings vom Erzähler und nicht von Achill selbst: reice succinctos operoso stamine fusos:   quassanda est ista Pelias hasta manu. forte erat in thalamo virgo regalis eodem;   haec illum stupro comperit esse virum. viribus illa quidem victa est (ita credere oportet),   sed voluit vinci viribus illa tamen. saepe ›mane‹ dixit, cum iam properaret Achilles:   fortia nam posita sumpserat arma colo. vis ubi nunc illa est? quid blanda voce moraris   auctorem stupri, Deidamia, tui?

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Wirf die Spindeln, die mit beschwerlichem Garn umgeben sind, fort. Die Lanze vom Pelion muss diese Hand schwingen. Zufällig war die königliche Jungfrau in demselben Gemach; sie hat durch eine Vergewaltigung erfahren, dass er ein Mann ist. Durch Gewalt ist sie zwar besiegt worden, so mag man es glauben, aber sie wollte doch mit Gewalt besiegt werden. Oft sagte sie »Bleib!«, als Achill schon davon eilte; denn er hatte den Spinnrocken abgelegt und kräftigere Waffen ergriffen. Wo ist nun jene Gewalt? Was hältst du, ­Deidamia, mit schmeichelnder Stimme den Urheber deiner Vergewalti­ gung auf?

Ovid ist auffällig knapp: Direkt nach dem stuprum (Ars 1,697–700) bricht Achill ohne Worte auf und hört nicht auf Deidamia, die ihn zum Bleiben bewegen will (Ars 1,701). Er tauscht gegen den Spinnrocken die Waffen (Ars 1,702). Der statianische Achill nimmt hingegen seine Verkleidung als Bacchus-Anhänger in Form des Thyrsos wieder auf. Letztlich wird er mit dem Buchwechsel Skyros verlassen und nach Troja aufbrechen. Bei Statius wird bis dahin jedoch noch ein Jahr vergehen und Achill die Geburt seines Sohnes erleben. Ovid verkürzt diese Spanne in einen Vers, um so die Polarität stärker herauszustellen: Achill ist durch das stuprum zum Mann geworden und nimmt sogleich die Waffen auf (Ars 1,702). Brutal, wie Dilke es nennt, wird die ovidische Szene durch diese Verkürzung und Polarisierung. Auffälligerweise tritt diese Brutalität besonders im Vergleich mit Statius hervor. Denkt man ganz aus dem ovidischen Kontext des pugnando volens vinci, so erleidet Deidamia eigentlich keine brutale Tat, sondern das, was sie sich ohnehin ersehnt (Ars 1,699 f.). Dementsprechend ist auch die Schlussapostrophe an Deidamia (Ars 1,703 f.) nur ein Beleg für die wahren 451 Vgl. dazu Fantuzzi 2012, 65–71.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Absichten Deidamias: Nach dem Akt braucht sie keine vis mehr452 und versucht sogar, ihn mit schmeichelnden Worten zu halten.453 Auch bei Statius spielt dieses Moment des volens vinci mit hinein, da Deidamia eine gewisse ihr nicht ganz erklärliche und bewusste Zuneigung für den verkleideten Achill empfindet, die auch nach der Vergewaltigung erhalten bleibt.454 Dennoch stellt Statius durch den Schreckensschrei Deidamias (A. 1,645), ihre Zweifel (dubiam, A. 1,649) und die Verletztheit (aegra, A. 1,668)455 auch eine andere Seite heraus. Die Gewalttat als solche wird von Statius nicht wie von Ovid als eine eigentlich von Deidamia gewollte Handlung gedeutet. Deidamia ist von der Tat und vom Täter entsetzt (exterrita, A. 1,661; horruit, A. 1,664).456 Dass die schon vorgefühlte Liebe bleibt (A. 1,667 f.), ist trotz der Tat, nicht wegen der Tat der Fall. Es ist also Achills Verhalten im Anschluss an die Tat, das sie bewegt, so dass sie schließlich sich für Achill zu sorgen beginnt (A. 1,666 f.) und durch ihr Schweigen die Untat zu einer gemeinsamen Tat werden lässt (A. 1,669: commune nefas).457 Im Laufe seiner Rede, mit der er Deidamia trösten will, wird deutlich, wie Achill eine Einfühlung in Deidamias Situation unternimmt: Er beginnt noch mit sich und seiner Abstammung als Trost (A. 1,650–652a),458 kommt darauf­ hin jedoch auf seine Verkleidung zu sprechen, die er ganz und gar als Liebesopfer ansieht (A. 1,652b–655a).459 Dann endlich gelingt es ihm, die Perspektive Deidamias einzunehmen: Sie werde in eine göttliche Verwandtschaft kommen 452 Ein andere Übersetzungsmöglichkeit wäre, vis auf die Gewalttat zu beziehen, die nun keine mehr sei, und nicht auf den Widerstand der Deidamia. 453 Vgl. auch den sentenzhaften Schluss über das genussvolle Leiden im folgenden Distichon. 454 A. 1,663: olim suspecta fides; A. 1,667 f.: adhuc in corde manebat / ille diu deceptus amor. 455 Gerade letzteres scheint mir gegen eine humorige Ovid-Reminiszenz in dieser Szene zu sprechen, wie Ripoll zu 1,642 f. sie annimmt. 456 Mit der gleichen Klausel comminus ipsum schreckt Mars vor den Gräueltaten des­ Tydeus in Th. 9,6 zurück. Im Unterschied dazu nähert sich Deidamia dann aber wieder Achill an (A. 1,667 f.). 457 Vgl. auch Heslin 2005, 267–276 zur Gegenüberstellung von Ovid und Statius (vgl. auch die vorausgehenden Bemerkungen zu Ovids Darstellung der Vergewaltigung der Thetis durch Peleus und ihre Rezeption bei Statius 263–267). Heslin zieht jedoch bei ähnlicher Beobachtung zum Verhältnis zu Ovid letztlich andere Schlussfolgerungen für die Achilleis, die im Zusammenhang mit seiner Deutung des Verhältnisses Achill-Peleus in der Achilleis zu ­sehen sind. Zum Vergleich Ovid-Statius s. a. Davis 2006, der die kontrastierende Deutung der Vergewaltigung bei Statius auch durch Rückgriff auf andere Vergewaltigungsszenen aus den­ Metamorphosen herausarbeitet. 458 Vgl. auch Heslin 2005, 164 f. zu homerischen Vorbildern der Selbstvorstellung. Seine parodistische Interpretation teile ich jedoch nicht, wie aus dem oben Ausgeführten deutlich wird. 459 Achill nimmt hier die Linie der Hercules-Vergleiche zum ersten Mal in eigener Rede auf (s. o. zu 1,260 f. und 580–583). Die Junktur mollia tympana findet sich darüber hinaus, wie Ripoll zu 1,654 notiert, auch in Properz 3,17,33, einer Bacchus-Ode, in der die Gottheit um Erlösung von Liebesqualen gebeten wird (vgl. 3,17,3 f.).

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Achill auf Skyros (A. 1,560–674) 

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(A. 1,655) und brauche sich vor ihrem Vater – einen Einwand, den Achill selbst im Namen Deidamias ausspricht460  – nicht zu fürchten, da er sie beschützen werde (A. 1,656–660).461 In seiner Selbstansprache hatte er amor als Mittel zur probatio seiner Männlichkeit herausgearbeitet (1,639, s. o.). Solch einen amor hat sich der Knabe Achill nur mit vis (1,642) vorstellen können: In seiner Trostrede wendet sich diese Gewalt dann von Deidamia weg, hin zu einer Verteidigung ihrer Liebe gegen äußere Gefahren (1,657–660). Hier spricht er dann auch von ihrer Verbindung als­ Ehebund (conubia, 1,659). Dass die Entwicklung aber nicht vollständig und ab­ geschlossen ist, zeigt sich an der genauen Formulierung: Achill nimmt zwar einen Einwand Deidamias vorweg und zeigt sich so in der Lage, ihre Situation aus ihrer Perspektive zu sehen, wie ihre Befürchtungen zeigen (1,665), aber den Ehebund nennt er noch sein und klammert das tu darin ein: mea tu conubia (1,659). Achill erreicht aber, wie McAuley bemerkt, durch die Vergewaltigung gerade nicht, was er beabsichtigt, denn er bleibt ein verkleideter Mann unter Frauen. Das Zu-SichKommen geschieht erst mit dem Eingeständnis der Liebe vor Deidamias Vater und dem Vollzug der Hochzeit am Ende des ersten Buches.462 Liebe zu Achill und Furcht vor Strafen für ihn (1,666–668) machen Deidamia, wie gesagt, zur Mittäterin (1,669) und so schließt sich motivisch der Ring zur Eröffnung der Szene, wo sie 1,562 als conscia culpae bezeichnet worden war. Eine Art Appendix beschließt die gesamte Szene: Zur einzigen Mitwisserin und Helferin bei der Geheimhaltung von Schwangerschaft und Geburt lässt Deidamia ihre Amme werden (1,669–674). Durch die Einführung dieser Mitwisserin wird eine realistische Motivierung und Erklärung sehr gedrängt beschriebener Ereignisse gegeben (knapp sechs Verse für mehr als neun Monate im Vergleich zu über 70 Versen für eine Nacht zuvor). Der Erzähler teilt das Notwendige möglichst knapp mit, um schnell zum Neueinsatz mit Odysseus und Diomedes zu gelangen (ab 1,675), zugleich aber um – nach antiker Literarkritik der προοικονομία entsprechend463 – die Grundlagen für den späteren Bezug auf den gemeinsamen Sohn und den Rückbezug auf das Vergehen eines Jahres in Barchiesi 1998, 212–217 notiert eine subtile intertextuelle Beziehung von Vergil (Aen. 6,460: Aeneas’ Rechtfertigung für die Abfahrt gegenüber Dido in der Unterwelt) und Catull (c. 66,39: Abschied der Locke von Berenice) zu A. 1,652 (Achills Begründung für seinen Aufenthalt auf Skyros mit identischer Hexameterklausel litore cessi). Übertrieben erscheint allerdings die Fortführung dieses Gedankens von Heslin 2005, 100 f. 460 So Dilkes Deutung. Vgl. auch Ripoll zu 1,657 und seine Widerlegung von Heslin 2005, 138 Fn. 70. Ripoll unterstellt Achill allerdings einen leicht spöttischen Ton (»se moque gentilment«): Dazu scheint mir die folgende Bekräftigung nicht zu passen. Achill sieht hier einen tatsächlichen Einwand, den er möglichst wirkungsvoll zu kontern gedenkt. 461 Vgl. auch Ripoll zu 1,655–656 zu den intertextuellen Bezüge zu Ars 1,129 f. und Sen. Tro. 879–882. 462 McAuley 2010, 51. 463 Vgl. dazu Meijering 1987, 201–203.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Aulis (1,455 f.) zu nehmen.464 Außerdem wird so das von Achill proklamierte conubium (1,659) sogleich in seiner fruchtbaren Erfüllung gezeigt und bestätigt.465 Heslin466 sieht in der nur hier in der Achilleis erfolgenden Erwähnung der Amme einen Verweis auf die Amme und ihre Funktion in Euripides’ Skyrioi. Dort habe sie eine Krankheit vorgeschützt, um Deidamias Schwangerschaft vor ihrem Vater zu verbergen.467 Statius setze nun das kurze Auftauchen der Amme als eine Fußnote ein, um für die Details auf Euripides zu verweisen. Hinzuzufügen wäre noch, dass hier gewissermaßen ein wesentliches Moment der euripideischen Tragödie auf eine bloße Erwähnung verkürzt wird, gleichsam als ob das dem Betrug inhärente Konfliktpotential pointiert ausgeklammert werden soll. Diese Art von Handlung lässt Statius nicht in die Achilleis hinein, sondern verweist den Leser auf einen externen Beleg.

6. Odysseus und Diomedes (A. 1,675–818) 6.1 Annäherung an Skyros (1,675–725) Die Annäherung an Skyros gestaltet sich nicht völlig reibungslos,468 allerdings wird mehrfach das Ruhige und Sichere der Reise betont.469 Die lange Anreise an den vielen genannten Inseln vorbei (1,677–680)470 wird von Ripoll als Mittel gedeutet, das einen zeitlichen Raum eröffnet, in dem Ereignisse auf Skyros bis zur Geburt des Kindes von Achill und Deidamia vergehen können. Zugleich setzt diese ausführlich beschriebene Reise auch einen Ruhepol nach der Vergewaltigungsszene, von der eine Distanzierung schon mit 1,668–674 eingesetzt hatte. Die zweifelnden Schiffer erhalten eine göttliche Bestätigung durch die gelingende Fahrt ([Apollo] dubiis pleno dedit omina velo, 1,682), und das Schiff kann sicher dahingleiten (it pelago secura ratis, 1,683). Denn ein von Thetis gewünschter Sturm wird von Jupiter höchstpersönlich verboten, um dem Schick 464 Dies ist nach Dilke zu 1,455 Statius’ Erfindung und, wie Ripoll zu 1,455 präzisiert, eingeführt, um ausreichend zeitlichen Raum für die Ereignisse auf Skyros inklusive der Geburt des Neoptolemos zu schaffen. 465 Zum Vergleich: Statius beendet sein Epithalamium für Stella und Violentilla mit dem Wunsch nach Nachkommenschaft (Silv. 1,2,266–273); vgl. außerdem den Schluss von Catulls c. 61 (204–223). Zur Bedeutung des Epithalamiums für die Achilleis vgl. B. 3. 466 Heslin 2005, 195–197, vgl. auch Aricò 1986, 2947. Für Euripides-Bezüge vgl. auch R ­ ipoll zu 1, 662–674, 662, 667 und 669–674 und Fantuzzi 2012, 31 f. 467 Vgl. F 682 Kannicht (TrGF Vol. 5,2, p. 667 f.). 468 Vgl. dazu die Ausführungen zu 1,393–396. 469 Vgl. auch Aricò 1986, 2948: »[…] la narrazione riacquista il respiro di un racconto disteso e pacato […].« 470 Zur Absurdität und zugleich Literarizität der Geographie vgl. Dilke und Ripoll zur Stelle.

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Odysseus und Diomedes (A. 1,675–818) 

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sal nicht entgegenzutreten, das erst für eine spätere Zeit Irrfahrten auf dem Meer für Odysseus vorgesehen hat (1,684–688). Die Unterdrückung der gewalttätigen Absichten der Thetis (quod non erueret pontum etc., 1,687) durch eine Beruhigung der See ist außerdem poetologisches Sinnbild für die Pathosdämpfung.471 Die freundliche Nuancierung setzt sich auch nach der Landung fort: Mit einer laut Nuzzo ad loc. hier erstmalig belegten Junktur wird Skyros’ sanfte Küste benannt (placidi… litoris, 1,696 f.) und Athene als freundlich gesonnene Gottheit bezeichnet (amicae … deae, 1,697 f.). Zurückhaltend zeigt sich Odysseus, der nur Diomedes mit sich nimmt und die Schiffsmannschaft zurücklässt, um seinen zukünftigen Gastgeber nicht zu erschrecken (1,698–700). Er erhält dafür vom Erzähler das lobende Prädikat providus (1,698), mit dem Diomedes ihn zuvor schon betitelt hatte (1,542). Ripoll zieht einen aufschlussreichen Vergleich zur Aeneis: Der statianische Odysseus wolle einen Schrecken, wie ihn die Ankunft von Aeneas und seinen Gefährten, bei Euander ausgelöst habe (Aen. 8,107–110), vermeiden.472 Die Vermeidung des Schreckens wird dann auch auf der Gegenseite deutlich: Der Wächter Abas meldet die Ankunft unbekannter, zumindest aber griechischer Schiffe (1,701–704). Das Herannahen des Odysseus und des Diomedes an die Stadt des Lycomedes wird vom Erzähler mit einem Gleichnis beschrieben (1,704–708): procedunt, gemini ceu foedere iuncto hiberna sub nocte lupi: licet et sua pulset natorumque fames, penitus rabiemque minasque dissimulant humilesque meant, ne nuntiet hostes cura canum et trepidos moneat vigilare magistros.

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Sie schreiten voran wie ein Wolfspaar in gemeinsamem Bund in winterlicher Nacht: Wenn sie auch ihr Hunger und der ihrer Jungen antreibt, verbergen sie doch tief die Wut und die Drohungen und bewegen sich geduckt, dass nicht die wachsame Sorge der Hunde sie als Feinde melde und die zitternden Hirten ermahne zu wachen.

Dieses Gleichnis hat ein homerisches Vorbild, in dem die nächtliche Aktion der gleichen Heroen in der Dolonie beschrieben wird (Il. 10,296–298).473 Dort handelt es sich zwar um Löwen, aber in einer vergilischen Adaption des Gleichnisses (Aen. 2,355–358) werden die Löwen durch Wölfe ersetzt (s. u.). Juhnke hat­ Statius zum Vorwurf gemacht, dass dieses sowohl bei Vergil wie auch Homer 471 Sturm und See sind häufiger anzutreffende Bilder für menschliche Gemütszustände, vgl. nur die beiden Horazoden 2,9 und 2,10 und die von NH II gesammelten Parallelen in den Kommentaren zu den jeweiligen Eröffnungsversen. 472 Ripoll zu 1,698. Ripoll vergleicht auch Aeneas’ Vorsichtsmaßnahme in Aen. 1,305–313. 473 Vgl. auch Juhnke 1972, 168 f. für weitere Parallelen der Diomedes-Odysseus-Handlung zur Dolonie.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

aggressiv konnotierte Gleichnis in den Kontext der Achilleis nicht passe.474 Ripoll ad loc. entgegnet dem, dass hier der Aspekt der Heimlichkeit der Annähe­ rung im Vordergrund stehe.475 Mir scheint darüber hinaus ein weiteres Moment von noch größerer Wichtigkeit zu sein. Das statianische Wolfspaar ist um eine Unterdrückung von gewaltsamen Impulsen bemüht (1,706 f.). Das gleiche Verbum, dissimulare, hatte Achill von der Unterdrückung seiner leidenschaftlichen Impulse verwandt (1,638). Nur als humiles (1,707) können sich die Wölfe fortbewegen, ein Terminus, der als stilkritischer Begriff eine niedrigere bzw. unpassende Stilebene bezeichnet und damit auch eine unepische Konnotation aufweist.476 Poetologisch ausgedeutet können sich die homerischen Helden Odysseus und Diomedes nur in einer Transposition in eine niedere Gattung der Stadt des Lycomedes nähern, der in seinem Namen als ›Wolfssinniger‹ (Λυκο-μήδης) zugleich eine etymologische Anspielungsmöglichkeit auf die Wölfe des Gleichnisses bereithält. Auch im Vergleich mit dem vergilischen Gleichnis wird diese Pathosreduktion deutlich (Aen. 2,355–358):               lupi ceu raptores atra in nebula, quos improba ventris exegit caecos rabies catulique relicti faucibus exspectant siccis […].

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Wie Wölfe als Jäger in dunklem Nebel, die eine wilde Raserei des Bauches wie blind antreibt und die die zurückgelassenen Nachkommen mit trockenen Kehlen erwarten […].

Die Wölfe sind bei Vergil nicht nur Verbündete, sondern Jäger; der Hunger wird nicht einfach nur als fames benannt, sondern als ›Raserei des Bauches‹ (ventris rabies) verbildlicht; die Nachkommen erscheinen nicht als angehängter Genitiv zum Hunger, sondern werden zum ausführlich illustrierten Subjekt. Auch der Vergleich mit einem Wolfs-Gleichnis aus der Thebais erweist sich in diesem Punkt als instruktiv (Th. 10,42–48):         rabidi sic agmine multo sub noctem coiere lupi, quos omnibus agris nil non ausa fames longo tenuavit hiatu: iam stabula ipsa premunt, torquet spes inrita fauces balatusque tremens pinguesque ab ovilibus aurae; quod superest, duris adfrangunt postibus ungues pectoraque, et siccos minuunt in limine dentes.

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474 Juhnke 1972, 169 f. Bei Vergil wird die trojanische Reaktion auf die griechische Eroberung beschrieben. 475 Er verweist zudem auf Ovid Met. 14,778: tacitorum more luporum. 476 Vgl. dazu OLD s.v. humilis 7b.

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Odysseus und Diomedes (A. 1,675–818) 

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So rotten sich in dichter Schar wütende Wölfe in der Nacht zusammen, die auf allen Äcker ein Hunger, der nichts ungewagt lässt, in langem Darben abgemagert hat: Schon drängen sie sogar zu den Ställen, eine vergebliche Hoffnung quält ihre Kehlen, zitterndes Geblöke und aus den Schafställen quellende Duftschwaden; zuletzt schlagen sie Krallen und Rumpf gegen harte Türpfosten und nagen ihre trockenen Zähne an Türschwellen ab.

In der Thebais illustriert dieses Gleichnis einen nächtlichen Angriff und ist insofern der Homerstelle verwandt. Im Unterschied zur Achilleis fehlt der Hinweis auf die Nachkommen, doch nimmt der Hunger eine extremere Erscheinungsform an als bei Vergil. Die Wölfe können ihre Impulse nicht mehr unterdrücken und gehen sogar das Risiko ein, sich den Ställen zu nähern und entdeckt zu werden, wenn sie Türen und Schwellen beschädigen. Demgegenüber vermeiden die Wölfe in der Achilleis gerade alles, was Aufmerksamkeit erregen könnte (1,707 f.). Einen Kontrast, der gerade nicht wie von Juhnke Statius zum Vorwurf gemacht werden sollte, bieten die Kontexte drei Gleichnisse aus Ilias, Aeneis und Thebais. Vielmehr sollte dieser Kontrast als Folie dienen, um die vergleichsweise harmlose Aktion des Odysseus herauszuarbeiten. Odysseus und Diomedes nähern sich nicht wie in der Dolonie einem Feind, sondern einem potentiellen Verbündeten. Sie planen keinen Überfall, sondern etwas, was eher humoristisch als Raub bezeichnet werden könnte, nämlich die Enttarnung und Mitführung von Achill. Dementsprechend ist auch das anschließende Gespräch zwischen Odysseus und Diomedes (1,709–725) darauf angelegt, diese Linie fortzuführen. Es wird dort die List angedeutet, mit deren Hilfe Odysseus Achill zu enttarnen gedenkt, was eher einer Komödien-, denn einer Epos-Handlung gleicht. Auch der Vorverweis auf die dionysischen Utensilien (1,714–716), nach deren Sinn Diomedes zwar fragt, aber nur eine ausweichende Antwort erhält, führt die dio­nysische Linie der Entfernung vom Kriegerischen fort.477 Welche Bedeutung Statius der Einführung dieses Details, das zum einen der Vorbereitung der Enttarnung dient, zum anderen eine poetologische Motivreihe fortsetzt, zumisst, lässt sich daran erkennen, dass Ripoll zufolge diese Achilleis-Passage die einzige Stelle in der antiken Literatur ist, an der Odysseus für seine Skyros-Mission explizit gerade diese Utensilien mit sich führt.478

6.2 Erster Empfang bei Lycomedes (1,726–818) Der erste Empfang bei Lycomedes zeigt wie die Kriegsvorbereitungen (1,397– 559) Kondensierungserscheinungen von epischen Konventionen. Diese können ebenso als Vermeidung von Wiederholungen gedeutet werden wie auch als 477 Vgl. dazu auch zu 1,393–396. 478 Ripoll zu 1,714–716.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

­bewusste gesetzte Marker für einen Altersstil, in dem die Kraft zur Ausgestaltung fehlt.479 Anlässlich der Ankunft im Palast würde man eine Ekphrasis desselben erwarten, wie Ripoll zurecht bemerkt, der auch entsprechende Parallelen aufführt.480 Doch der Leser der Achilleis muss sich mit einer sehr allgemein gehaltenen Ortsangabe begnügen: ipso portarum in limine (1,726).481 Ebenso seien die Reden kürzer als für diesen Szenentypus üblich. Dem lässt sich hinzufügen, dass diese Kürze zudem noch durch eine Unterbrechung der Eingangsrede des Odysseus forciert wird. In 1,728 beginnt Odysseus zu reden; er kann sich und Diomedes noch vorstellen, doch als er seine List ausbreiten will und auf den Krieg näher eingeht, wird er 1,737 von dem erfreuten Lycomedes482 unterbrochen, der ein Mahl vorbereiten lässt. Diese Vorbereitungen werden in anderthalb Versen knapp benannt (1,741 f.), doch bevor die Reaktion der Lycomedes-Töchter und die durch die neuen Gäste entstandene Aufregung zur Sprache kommt (1,750–760), setzt der Erzähler mit der Fokussierung auf Odysseus einen Ruhepunkt (1,742–749), der erzählungsintern gewissermaßen die Zeit bis zur Verbreitung der Nachricht in 1,750–760 überbrückt und der zugleich die rasche Handlungsfolge der Ankunft483 ausbalanciert. Dieser Ruhepunkt illustriert die heimliche und sorgfältige Musterung des Hauses durch Odysseus auf der Suche nach verdächtigen Spuren zusätzlich in seiner detaillierten Ausgestaltung,484 die durch ein Gleichnis gekrönt wird 479 Vgl. dazu B 2.2.4. Vgl. außerdem Perutelli 2006, der diese Szene mit einem motivverwandten Vorbild in den Argonautica des Valerius Flaccus vergleicht: Er arbeitet die düstere Psychologie bei Valerius und die gelöstere Atmosphäre in der Achilleis heraus. Perutelli sieht dies als weiteren Beleg für ein Experiment von Epos mit Roman-Einflüssen. Zur Gattungsfrage vgl. B 2.2.2. 480 Ripoll zu 1,726–749. 481 Ähnlich knapp ist der Erzähler auch bei Thetis’ Auftritt vor Lycomedes: Protinus adgreditur regem (1,349); von der Schwelle ist bei ihrem Abschied die Rede (cunctata in limine, 1,379). Eine interessante weitere Parallele verbindet Thetis und Odysseus. Bei ihrer Ankunft bei Chiron heißt es: tacito lustrat Thetis omnia visu (1,126); Odysseus wird im Folgenden ebenfalls alles genau in Augenschein nehmen: visu perlustrat Ulixes (1,742; schweigend sind die Molosserhunde im Gleichnis: muto, 1,747). 482 Zur poetologischen Deutung des Lycomedes vgl. B 2.2.1., sowie ausführlicher Ripoll 2007 (bes. p. 52 zur Pathosminderung gegenüber dem euripideischen Vorbild; p. 52 f. zum Vergleich mit dem vergilischen Euander und dem Adrast der Thebais; 54 f. zum Empfang von Odysseus und Diomedes; 57: Die Annäherung an eine komödienhafte Gestaltung sei als eine Milderung des Pathetischen, nicht Herabsetzung ins Banale zu verstehen). 483 1,726 f. knappe Orts- und Situationsbestimmung, 1,737–40 leidenschaftliche Unterbrechung des Lycomedes; 1,740 sofortiges Hineingeleiten (simul) und 1,741 f. unverzügliche Mahlvorbereitungen (nec mora…). 484 Man vergleiche nur die Fülle der verbalen Formen: fünf Verben für knapp fünf Verse, die alle die gleiche Handlung der genauen Untersuchung beschreiben (perlustrat, scrutatur, errat, miretur, obit).

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Odysseus und Diomedes (A. 1,675–818) 

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(1,746–749).485 Überraschend ist an dem Gleichnis, dass es auf der intratextuellen Ebene die räumliche Annäherung an Achill spiegelt. Das Wort venator taucht in der Achilleis nur zweimal auf: in einem auf Achill bezogenen Apollon-Gleichnis (1,165) und an dieser Stelle (1,748). Diese Annäherung von Odysseus und Achill ist durchaus passend: So wie Achill seine wahren Absichten verbergend auf Skyros sich versteckt hält, verbirgt auch Odysseus seine eigentlichen Pläne.486 Odysseus nähert sich also in doppeltem Sinne Achill an. Die imbellis aula des Lycomedes (vgl. 1,207) hat einen antipathetischen Effekt auf epische Helden, der zudem an den Unterschieden zur Jagdszene des Achill deutlich wird: Dort ist­ explizit von der Tötung der gejagten Löwin durch Achill die Rede (1,168–170), während die Jagdszene im Odysseus-Gleichnis in dem Moment beendet wird, da der Feind schutzlos erblickt wird (videat donec… hostem, 1,748). Für den Empfang des Odysseus und des Diomedes bei Lycomedes hat P ­ arkes überzeugend motivische Parallelen zu den ersten beiden Büchern der Thebais herausgearbeitet, die eine vergleichende Betrachtung hinsichtlich der unterschiedlichen pathetischen Gestaltung gerechtfertigt erscheinen lassen.487 In beiden Fällen, sc. in der Thebais wie der Achilleis, kommen zwei Männer zu einem friedvollen Palast eines alternden Königs488 und seiner heiratsfähigen Töchter.489 In der Achilleis sei zudem einer der Männer ein Nachkomme eines der Männer aus der Thebais.490 Doch sehen wir uns die Ausgestaltung genauer an! Zweimal werden die Unruhe erzeugenden Vorbereitungshandlungen für das Mahl in der Achilleis in stark kondensierter Form erwähnt: in 1,741 f. das sofortige Agieren der Diener, In einer Doppelung gelangt der Erzähler von der Makro- zur Mikroebene: von domum in 1,743 zu porticibus und penates in 1,745. 485 Für Vorbilder vgl. Ripoll ad loc. 486 Vgl. den Einsatz seines Vorwands in 1,734–737. 487 Parkes 2008, 395–398 (395 f. auch ein Vergleich mit Aen. 7 und 8, sowie 397 f. zu Unterschieden in der Gestaltung: Bei Achill sei die Verheiratung ein fait accompli durch den bereits vorhandenen Enkel, aber sie entspringe auch echter Liebe und sei keine Zweckheirat wie bei Polynices; außerdem habe Lycomedes bei Odysseus und Diomedes nicht den erhofften Erfolg, der die eigentliche Parallele zu Adrast und Polynices/Tydeus bilden würde). 488 Th. 1,390 f. – A.1,207/286/775–777. Zu den alternden Königen im Epos vgl. B 2.2.1. 489 Th. 2,204 – A.1,292. Auch über die Gleichnisse bestehe eine Verbindung von Deidamia zu Adrasts Töchtern (vgl. A. 1,294–300/824–826 – Th. 1,535 f. und 2,236–243, s. u.). Vgl. außerdem die Lokalisierung ihrer Wohnstatt: arcano… thalamo (Th. 1,534) – in arcana … aula (A. 1,750). 490 Sc. Diomedes als Sohn des Tydeus in 1,712 und explizit am Anfang gerade dieser Szene in 1,732 f. So Parkes 2008, 396. Sie vergleicht auch die freiwillige Teilnahme des Diomedes (A. 1,538 f.) mit derjenigen seines Vaters (Th. 2,370 f.). Beide seien außerdem diplomatisch eigentlich nicht geeignet: vgl. rudis fandi in Th. 2,391 und die Naivität des Diomedes in A. 1,712–7, sowie seine Taktlosigkeit in A. 2,93 f. Zur bewussten Wahl des Diomedes als Odysseus’ Gefährten für diese Mission vgl. auch Ripoll zu 1,536–559.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

nachdem Lycomedes seine Gäste hineingeführt hat (nec mora…);491 in 1,755 f. das geräuschvolle Zusammenkommen der Töchter des Lycomedes auf sein Geheiß hin (iamque atria fervent / regali strepitu et picto discumbitur auro). Mit Ausnahme eines Amazonen-Gleichnisses (1,758–760), auf das wir noch zurückkommen werden und das die Mahlteilnahme der Töchter illustriert, findet keine weitere Detailschilderung der einzelnen Vorbereitungshandlungen statt. Augenfällig ist der Unterschied bereits beim ersten Blick auf den Empfang, den Adrast im ersten Buch der Thebais bereiten lässt (Th. 1,512–539):     canis etiamnum altaribus ignes sopitum cinerem et tepidi libamina sacri servabant; adolere focos epulasque recentes instaurare iubet. dictis parere ministri certatim adcelerant; vario strepit icta tumultu regia: pars ostro tenues auroque sonantes emunire toros alteque inferre tapetas, pars teretes levare manu ac disponere mensas. ast alii tenebras et opacam vincere noctem adgressi tendunt auratis vincula lychnis. his labor inserto torrere exanguia ferro viscera caesarum pecudum, his cumulare canistris perdomitam saxo Cererem. laetatur Adrastus obsequio fervere domum, iamque ipse superbis fulgebat stratis solioque effultus eburno. parte alia iuvenes siccati vulnera lymphis discumbunt, simul ora notis foedata tuentur inque vicem ignoscunt. tunc rex longaeuus Acasten (natarum haec altrix eadem et fidissima custos lecta sacrum iustae Veneri occultare pudorem) imperat acciri tacitaeque inmurmurat auri.   nec mora praeceptis, cum protinus utraque virgo arcano egressae thalamo: mirabile visu, Pallados armisonae pharetrataeque ora Dianae aequa ferunt, terrore minus. nova deinde pudori visa virum facies: pariter pallorque ruborque purpureas hausere genas, oculique verentes ad sanctum rediere patrem.

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Noch immer bewahrten die Feuer an den weißen Altären glimmende Asche und Opfergaben des lauen Opfers; [Adrast] befahl, die Herdfeuer anzuzünden und die kürzlich beendeten Mahlgänge zu erneuern. [515] Den Befehlen 491 Dies wird von Ripoll als version minimale eines epischen Topos bezeichnet und mit einer für die Achilleis typischen Konzentration und Reduktion auf den Haupthandlungsstrang in Verbindung gebracht. Zur Erschöpfung der Dichterpersona als Zeichen eines Altersstil vgl. B 2.2.4.

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zu gehorchen, eilten wetteifernd die Diener; von vielfältigem Geräusch erfüllt erklang der Palast: Ein Teil [der Diener] richtete mit Purpurdecken sanfte und von Goldbesatz rauschende Lager her, außerdem brachten sie Decken hoch darauf; ein anderer Teil hob gedrechselte Tische mit der Hand und stellte sie zurecht. [520] Aber andere strengen sich an, Dunkelheit und finstere Nacht zu überwinden, und spannten deswegen Bänder mit vergoldeten Lampen aus. Die einen mühen sich, auf Spießen die ausgebluteten Eingeweide geschlachteten Viehs zu rösten, andere Brot [aus Körnern,] zuvor vom Mahlstein bezwungen, in Körben anzuhäufen. [525] Es freut sich Adrast, dass vom eifrigen Gehorsam sein Haus ertönt, und schon erstrahlt er selbst auf prächtigen Lagern und gestützt auf seinen Elfenbeinthron. Im gegenüberliegenden Teil des Raumes legen sich die jungen Männer, deren Wunden ausgewaschen sind, nieder, zugleich betrachten sie ihre durch Schlagmale entstellten Gesichter und verzeihen einander. Dann befiehlt der betagte König, Acaste herbeizuholen  – [530] sie ist die Amme seiner Töchter und zugleich treueste Wächterin, ausgewählt, die heilige Scham für den wahren Liebesdienst zu verbergen – und er flüstert ihr ins schweigende [= aufmerksam hörende] Ohr. Und die Anweisungen wurden ohne Verzögerung erfüllt, als sofort beide Jungfrauen aus dem verborgenen Gemach schritten: ein wunderbarer Anblick, im Antlitz gleich der waffentönenden Pallas und der köcherbewehrten Diana, an furchteinflößender Wirkung aber geringer. Hierauf erschauen die keuschen Jungfrauen unbekannte Männergesichter: Zugleich erfassen Blässe und Röte ihre purpurnen Wangen, die scheuen Augen kehrten zum verehrten Vater zurück.

Diese Beschreibung wartet mit einer ungeheuren Fülle an Details auf, wobei der Gegensatz zur Achilleis-Szene texträumlich durch eine invertierte Stellung der beiden deutlichsten intertextuellen Parallelen markiert wird: mit nec mora werden hier (Th.1,533) nicht die eigentlichen Vorbereitungen wie in der A ­ chilleis eingeleitet (A.1,741), sondern das Auftreten der Töchter. Diese wiederum erzeugen in der Achilleis bei ihrem Auftritt eine geräuschvolle Belebung des Hauses (A. 1,755 f.), das demjenigen der Diener des Adrast bei der Mahlvorbereitung entspricht (Th. 2,516 f./525). Die Detailfülle betreffend lassen sich nun folgende Beobachtungen machen: Die Mahlvorbereitungen werden in der Thebais durch eine Art Prolog eingeleitet (Th. 1,512–514a), der dem eigentlichen Befehl des Königs vorausgeht (Th. 1,514 f.), wobei sich dadurch das Mahl als Wiederaufnahme eines bereits beendeten Mahles präsentiert. Die Diener überstürzen sich geradezu in ihrer Eilfertigkeit (certatim adcelerant, Th. 1,516). Fünf Tätigkeitsbereiche werden unterschieden und in ihren einzelnen Aktionen vorgeführt (pars… pars in Th. 1,517/19; alii in 520; his…his in 522 f.). Die Achilleis nennt demgegenüber in nur wenig mehr als einem statt fast acht Versen nur zwei Tätigkeiten, die nicht einzeln aufgeteilt auf die Dienerschaft werden (mensas famularis turba torosque / instruit, A. 1,741 f.). Auch in der Achilleis lagert man sich königlich angemessen (picto dis-

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

cumbitur auro, A. 1,756). Doch ist das kein Vergleich zur Pracht der Bettung in der Thebais (Th. 1,517 f./525 f.). Wenn man die horazische Gleichsetzung von Lebensführung und Poeto­ logie, von mensa tenuis und Musa tenuis,492 hier ansetzt, so bewegt sich die prächtige Ausstattung des Adrast im hohen epischen Stil, während das Mahl des Lycomedes zumindest im Umfang und Detailgrad seiner Schilderung eher horazischen Dimensionen einer mittleren Stilebene nähert. Der Befehl zur Herbeiholung wird in der Achilleis nur knapp benannt (A. 1,757 f.), wohingegen die Thebais auf mehr als dem dreifachen Raum (Th. 1,529– 532) durch die Einführung einer zusätzlichen Vermittlerfigur, der Amme, die auch in ihrer Aufgabe näher beschrieben wird, einen geradezu verschwenderisch erscheinenden Grad an Präzision bietet. Etwas anders ist es beim Auftritt der Töchter, der in der Thebais fast sieben Verse einnimmt (Th. 1,533–539). Diesen Auftritt kann der Erzähler in der Achilleis an dieser Stelle knapp halten, da diese und besonders Deidamia im Unterschied zu den Töchtern des Adrast bereits eingeführt worden sind (A. 1,285–300). Deidamia wurde dabei mit den Göttinnen Venus, Diana und Minerva verglichen.493 Zwei dieser Göttinnen erscheinen auch im Vergleich mit den AdrastTöchtern: Pallas und Diana in Th. 1,535; und noch einmal in Th. 2,236–243. Während in Bezug auf Deidamia alle kriegerischen Attribuierungen der Gottheiten unterdrückt werden (bes. auffällig in 299 f.), figurieren diese durchaus in der Thebais, wie sich an den Epitheta in Th. 1,535 ersehen lässt (armisonae, pharetratae). Dennoch werden die Töchter des Adrast nicht in unangemessener Weise gänzlich zu Ebenbildern kriegerischer Göttinnen stilisiert: Sie sind terrore minus (Th. 1,536). Auch das Gleichnis im zweiten Buch spart diese Züge nicht aus.494 Die Inkongruenz zwischen den zurückhaltenden Töchtern des Adrast und den kriegerischen Vergleichsgöttinnen hat Gervais überzeugend entgegen allen Harmonisierungsversuchen in folgender Weise gedeutet: »But the simile is so obviously discordant with St[atius’] presentation of the timid, blushing brides [… vgl. 2,237–239 und 243], that it is inadvisable to discount the intentional irony […]: the simile is perhaps St[atius’] strongest hint – aside from the opening omen (249 ff.) – at the disastrous martial consequences of the Adrastides’ marriage. Such a discordance is a regular Statian technique […].«495

Die Entmartialisierung lässt sich in der Achilleis aber nicht nur in 1,293–300 beobachten, sondern auch im Amazonengleichnis beim Mahl (1,758–760): 492 Besonders explizit in c. 2,16,14/38, vgl. dazu Davis 1991, 205–215. 493 Vgl. dazu meine Ausführungen zu 1,293–300. 494 Th. 2,237 f.: Pallas et asperior Phoebi soror, utraque telis, / utraque torva genis; Th. 2,242 f.: mutatosque velint transumere cultus, / et Pallas deceat pharetras et Delia cristas. 495 Gervais zu Th. 2,236–243.

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       subeunt, quales Maeotide ripa, cum Scythicas rapuere domos et capta Getarum moenia, sepositis epulantur Amazones armis. Sie kommen heran, wie am Ufer der Maeotis die Amazonen, wenn sie sky­ thische Häuser und eroberte Städte der Geten beraubt haben, Mahl halten, nachdem sie Waffen niedergelegt haben.

Der Vergleichspunkt ist der Kontrast zwischen Unruhe und Ruhe, vor dem bzw. beim Mahl: Die Lycomedes-Töchter strömen auf Geheiß ihres Vaters neugierig-wild heran (atria fervent / regali strepitu, 1,755 f.) und nehmen dann Platz. Ebenso die Amazonen, die nach ihren Eroberungstaten, ihre Waffen beiseite legen, um zu speisen. Der zunächst überraschende Vergleich gerade der Lycomedes-Töchter mit Amazonen gewinnt durch das entscheidende Detail sepositis armis seine eigentliche Prägnanz.496 Doch nicht nur im Vergleich zeigt sich die Pathosreduzierung. Nach dem schon als Ruhepunkt beschriebenen Einschub mit dem suchenden Odysseus (1,743–749) folgt in Form der Reaktion der Lycomedes-Töchter ein emotionaler Anstieg (iure pavent, 1,753), wohingegen Achills Emotionen in die gegen­teilige Richtungen auszuschlagen beginnen (vix nova gaudia celat… avidus…. cupit, 1,753–755). Die vom Lärm erfüllten Palastgebäude setzen diese Linie fort (atria fervent, 1,755). Höhe- und zugleich Endpunkt findet diese Entwicklung aber schon nach 10 Versen durch das Amazonengleichnis, das deutlich auf einer ruhigen, symposiastischen Note ausklingt (epulantur, 1,760). Die folgenden elf Verse (1,761–771)497 überbrücken die Zeit bis zum Ende des Mahls in 1,773 f. und dem neuerlichen Anheben der Reden. Diese Zeitspanne ist durch eine Konzentration auf Blicke und Gesten gekennzeichnet, die in auf­ fälligem Gegensatz zum Lärm der heraneilenden Töchter steht (1,755 f.), was dadurch noch verstärkt wird, dass Gesprochenes nur in indirekter Form und gekoppelt an Gesten wiedergegeben wird (1,767–771). Unermüdlich schweifen die Blicke des Odysseus (1,761–763), dann entdeckt er eine verdächtig erscheinende ›Tochter‹ des Lycomedes und bedeutet dies Diomedes mit seinen Blicken ­(1,764–766). Da jedoch schreitet Deidamia ein (1,767–771): Sie richtet Achills Kleidung und seine Haltung sowie seine Handlungen, was Odysseus hat aufmerken lassen (1,765). Sie nimmt damit die Rolle ein, die Thetis zuvor in ­1,343–348 bei der Unterweisung des Frischverkleideten gespielt hatte. Dieses ›Duell der Listigen‹498 zwischen Deidamia und Odysseus wird in 1,802–804 496 Vgl. darüber hinaus zum Gleichnis die Ausführungen von Ripoll zu 1,758–760, der verschiedene Forschungspositionen zusammenfasst und Weiteres zur narrativen Funktion beiträgt. 497 Unecht dürfte 1,772 sein, vgl. Ripoll. 498 In Abwandlung zu Ripolls duel de ruse (zu 1,802).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

fortgesetzt (s. u.). Die Verse 1,761–771 bieten dem Leser also ein Spiel mit Verdecken und Verkleinern in drei Schritten, das auch als poetologisches Sinnbild für die literarischen Prozesse in der Achilleis gelesen werden kann: 1) 1,761–763: Nacht und Lage machen eine Differenzierung der Töchter für Odysseus schwierig (fallunt, latuit); 2) 1,764–766: Er entdeckt dennoch etwas Verdächtiges und zeigt es Diomedes (defigit, monstrat); 3) 1,767–771: Deidamia kümmert sich darum, dass Achill sich doch nicht weiterhin selbst verdächtig macht. Es folgen Wechselreden, die auch nach dem Abtreten der Lycomedes-Töchter (1,802–805) bis zum Ende des Tages (1,816–818) fortgesetzt werden. Ripoll499 sieht in dieser Szene einen retardierenden Effekt, um Spannung bis zur BeinaheEntdeckung aufzubauen, sowie eine größtmögliche Verzögerung der mythologischen Vulgata, die auf eine Enttarnung Achills hinauslaufen muss. Allerdings lässt sich hier fragen, worin die Spannung bestehen kann, wenn eine Abweichung von der Überlieferung undenkbar ist. Der Einschätzung als Retardierung ist sicher zuzustimmen, aber diese Beinahe-Entdeckung, die durch Odysseus’ listige Rede ausgelöst wird,500 ist zugleich auch eine Vorbereitung auf die unvermeidliche Entdeckung. So wird diese Entdeckung nicht nur nicht plötzlich sein, weil der mythologisch versierte Leser sie ohnehin kennt, sondern auch, weil bereits zum zweiten Mal deutlich wird, dass Achill sich nicht auf Dauer verstellen kann (1,765; 802). Die zögerliche Entdeckung wird metapoetisch auch im zögernden Abtreten Achills gespiegelt (haeret, 1,804). Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, kann die Figur des Lycomedes als Repräsentation der Konzeption als Epos-Ethos gelesen werden.501 An kaum einer Stelle dürfte dies deutlicher werden als an der Rede des Lycomedes in 1,775–783. In seiner Jugend habe er sich mit Kriegstaten hervorgetan502 und würde sich auch jetzt noch am neuen Krieg beteiligen wollen (1,775–780). Er wünscht sich, sein ehemaliges rüstiges Alter wäre noch vorhanden: utinam et mihi fortior aetas, / quaeque fugit (1,776 f.).503 Die gegenwärtige Verfassung des Königs stellt demnach rückwirkend auch die Begründung für die Friedlichkeit des Palasts und damit der Insel dar, wie sie von Thetis als Kriterium für die Auswahl befunden wurden (inbelli… Lycomedis ab aula, 1,206). Der nächste Vers (1,780) leitet dann pointiert durch einen syntaktischen Abbruch vom Wunsch nach Nachkommen, die an seiner Statt in den Krieg ziehen 499 Ripoll zu 1,773–818. 500 1,785–802a, dann 802b Achills Beinahe-Selbstenttarnung. 501 Dazu bes. Ripoll 2007. 502 Vgl. Ripoll zu 1,777 f. zum Problem, dass die Doloper, gegen die Lycomedes als äußere Feinde gekämpft haben will, eigentlich traditionell ein einheimisches Volk sind. Es wäre passend im Sinne einer Senilität, hier einen Irrtum oder eine Verklärung der Vergangenheit auf Seiten des Lycomedes anzunehmen. Aber dies dürfte wohl interpretatorisch nicht abzusichern sein. 503 Vgl. dazu ausführlicher B. 2.2.1.

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können, zu einer überraschenden Wendung504 über: Er bietet seine Töchter Odys­seus und Diomedes zur Verheiratung an (1,781 f.). Ripoll bezeichnet diese Abwendung von einer epischen Konvention, mit der Lycomedes durch den Anfang seiner Rede eingesetzt hatte, als decrescendo-Effekt, der von Statius häufiger eingesetzt werde.505 Außerdem liege hier eine dramatische Ironie für den Leser vor, da Lycomedes ohne es zu wissen, genau die Nachkommenschaft bereits besitze, die er sich wünscht. Nuzzo ad loc. hat darüber hinaus einen intertextuellen Bezug zu Dido in der Aeneis herausgestellt, der den alten Lycomedes in komischer Form Dido re-inszenieren (oder mythenchronologisch korrekter: prä-inszenieren) lässt.506 In Aen. 4,327–331 sagt sie: saltem si qua mihi de te suscepta fuisset ante fugam suboles, si quis mihi parvulus aula luderet Aeneas, qui te tamen ore referret, non equidem omnino capta ac deserta viderer.« dixerat. »[…] Wenn ich doch von dir Nachkommenschaft vor deiner Flucht empfangen hätte, wenn mir doch ein kleiner Aeneas, der an dich ja mit seinen Zügen erinnerte, im Hof spielte, würde ich nicht gänzlich gefangen und verlassen erscheinen.«, sagte sie […].

Offenkundig sind die Parallelen zu Lycomedes (1,780–784):507 saltem si suboles, aptum quam mittere bello – nunc ipsi viresque meas et cara videtis pignora: quando novos dabit haec mihi turba nepotes?« dixerat […].

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»[…] Wenn ich doch Nachkommenschaft hätte, die man in den Krieg schicken kann – Nun aber seht ihr selbst meine Kräfte und meine lieben Unterpfänder: Wann wird mir diese Schar neue Enkel geben?«, sagte er […].

Odysseus geht nun in seiner Antwort auf die Avancen in keinster Weise ein, sondern springt gewissermaßen zurück, um einen Ansatzpunkt zu finden. Er setzt mit dem Ausschicken der Nachkommen an: Dies sei kein verachtenswerter Wunsch. Wer wolle denn nicht unzählige Völkerscharen, Feldherren und Schlachtreihen sehen (1,785–787). Metaliterarisch gesprochen, wozu visere gentes / innumeras in 1,785 f. in Anspielung auf πολλῶν δ’ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα καὶ 504 Vgl. Ripoll zu 1,775–783: »conclusion tout à fait originale«. 505 Ripoll zu 1,783. 506 Darüber hinaus nennt er, wie Dilke und Ripoll, notieren, seine Töchter meae vires (1,782), wie Venus ihren Sohn in Aen. 1,664. 507 Zur Interpolation von Vers 1,781 vgl. Ripoll.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

νόον ἔγνω in Od. 1,3 einlädt, wird Odysseus sich durch seine in der Odyssee berichteten Erlebnisse die Antwort auf diese eigentlich rhetorisch gemeinte Frage selbst geben: letztlich keiner, nicht einmal er selbst. So unterläuft die intertex­ tuelle Kenntnis des Lesers Odysseus’ rhetorischen Schachzug, indem sie ihn gerade an den Odysseus erinnert, der nach Haus aus dem Krieg und seinen Folgen kommen will. Im Folgenden gibt Odysseus, wie Ripoll gesehen hat, eine Zusammenfassung der Ereignisse, von denen in 1,397–446 die Rede war.508 Was in der Beschreibung des Erzählers bereits eine verkleinerte Version eines epischen Topos war,509 wird hier noch einmal verkleinert: aus 50 Versen werden knapp sieben (1,787–793), also eine Reduzierung auf nur wenig mehr als ein Zehntel. In die unepische Welt, die Skyros darstellt,510 dringt das Epische nur in stark kondensierter Form ein, wodurch gerade nicht die Inkorporation von Fremdem in den Mittelpunkt rückt, sondern der Abstand des nur transformiert Inkorporierten zum prätransformativen, typischen Zustand.511 Nach seiner ersten Rede (1,785–793) pausiert Odysseus kurz, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten, wobei bereits der Unterschied zwischen dem begierig zuhörenden Achill und den sich erschreckenden Töchtern angesprochen wird (1,794 f.), der auf eine ähnliche Reaktion zurückverweist, wie sie das Gerücht der Ankunft von Odysseus und Diomedes ausgelöst hat (1,753–755).512 Odysseus versucht nun eine weitere Pathos-Steigerung, um Achill zur gewünschten verräterischen Aktion zu bewegen (1,796–802a). Er behandelt genau die Punkte, die er richtigerweise als Schwachpunkte Achills vermutet:513 1) verpflichtende Abkunft (1,796), 2) kriegerische Fähigkeiten (1,797), 3) Ehre und Eifer um Ruhm (1,798 f.), 4) schmähliche Verzögerung durch Mütter und Frauen bzw. generelle Nichtteilnahme (1,799–802a). Die ersten drei Punkte dürfte er aus dem allgemeinen Ruf, den Achill bereits zu genießen scheint (vgl. 1,473–483), schlussfolgern. Über den vierten Punkt hat ihn die Prophezeiung des Calchas belehrt (1,526–535). In dem Moment jedoch, da das achilleische Pathos ausbrechen könnte, geht Deidamia dazwischen und ordnet den Rückzug an (1,802a–4), Achill zögert zwar, verlässt dann aber doch den Raum (1,804 f.).514

508 Ripoll zu 1,785–793; vgl. seine folgenden Anmerkungen für die präzisen Entsprechungen: 1,788 ~ 1,397–399; 1,789 ~ 1,406–411; 1,790 ~ 1,443–446. 509 Vgl. die Ausführungen dazu. 510 Zur literarischen Konzeption von Skyros vgl. Ripoll 2008a, bes. 156–162 (Skyros als Welt des Femininen und der Ambiguität). 511 Die von Nuzzo vorgebrachte Parallele von 1,789–93 zum Zusammenkommen der Hochzeitsgesellschaft in Cat. c. 64,35–42 würde gut hierher passen. Allerdings erscheint mir diese Parallelisierung zu vage, um sie argumentativ fruchtbar zu machen. 512 Vgl. auch die Parallele: 1,753 iure pavent aliae ~ 1,795 cum paveant aliae. 513 Vgl. dazu auch Ripoll zu 1,796–802. 514 Er blickt dabei zurück (respiciens, 1,805), vgl. zu diesem elegischen Motiv Rosati 1994, 37 f. und 2005, 146 f. sowie die Ausführungen zu 2,23–30.

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Wie zwei personifizierte Prinzipien sind Pathos und Ethos in Form von Odysseus und Deidamia hier aufgetreten, wobei letztere an dieser Stelle zur Dämpfung des Ersteren erfolgreich eingewirkt hat.515 Die Kontrastivität DeidamiaOdysseus wird hier durch das gemeinsame Attribut providus hervorgehoben.516 Es handelt sich dabei um ein Adjektiv, das nur dreimal in der Achilleis auftaucht: zweimal zur Charakterisierung des Odysseus (1,542 aus dem Munde Diomedes’; 1,698 durch den Erzähler) und das letzte Mal hier Deidamia zugeordnet (1,802). Nachdem die Töchter des Lycomedes den Raum verlassen haben, setzt eine Entspannung bei Odysseus ein: ille… remittit (1,806), d. h. er lässt ab von seiner pathetischen Erregung Achills, die nun, da dieser nicht mehr anwesend ist, überflüssig geworden ist.517 Stattdessen wünscht Odysseus dem Lycomedes ein weiterhin friedvolles Leben (tranquillus in alta / pace mane, 1,807 f.). Einzig in einer ironisch-hintergründigen Spitze, auf deren Verständnis er bei Lycomedes wohl nicht hoffen darf, es sei denn, er würde ihn dadurch auf seine Mitwisserschaft testen, kann Odysseus noch einmal auf sein eigentliches Ziel verweisen: Er bewundere nämlich die androgyne Schönheit (is decor et formae species ­permixta virili, 1,811). Der Frieden, den Odysseus dem Lycomedes gewünscht hatte (1,807 f.), wird in der Beschreibung der allgemeinen Friedfertigkeit am Ende des Tages im Palast motivisch wiederaufgenommen, wie Dilke bereits beobachtet hat ­(cetera depositis Lycomedes regia curis / tranquilla sub pace silet, 1,816 f.). Pointiert bleibt der Gegensatz zum Pathos erregenden Odysseus, er findet in dieser Nacht keine Ruhe (1,817 f.). Ripoll sieht hier wiederum ein retardierendes Moment, und meint, dass der Leser, der auf den Eintritt des mythologisch Vertrauten und Notwendigen wartet, an der Spannung des Odysseus teilhaben könne. Vielleicht ist umgekehrt eher zu bemerken, was oben schon zur Retardation in 1,773–805 gesagt wurde: Der Leser weiß, was kommen wird und muss, aus der mythologischen Tradition. Aber er wird in der Achilleis nur schrittweise dahin geführt, um ein Überstürzen der Ereignisse und damit eine zu starke Erregung von Emotionen zu vermeiden. Zwischen der Rede des Odysseus und dem Ende des Tages steht allerdings noch eine kurze Antwort des Lycomedes (1,812–814), die für Irritationen gesorgt hat.518 Denn Lycomedes bietet dort an, dass Odysseus und Diomedes seinen Töchtern bei den Bacchischen Riten zusehen könnten. Nun hat er selbst aber

515 Vgl. auch oben zum ›Duell‹ in 1,761–771. 516 Beobachtung von Ripoll zu 1,802, der allerdings nur 1,542 als Parallele heranzieht. Vgl. außerdem die Junktur arrepto tempore, die nur zweimal auftaucht und Thetis und Odysseus kontrastiert: In 1,317 nutzt sie die Gelegenheit, als Achill sich in Deidamia verliebt; in 1,784 tut es Odysseus als Teil seiner rhetorischen Strategie, Achill zu enttarnen. 517 Ähnlich auch Ripoll zu 1,806. 518 Vgl. Heslin 2005, 148 und Ripoll zu 1,812–814.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

1,598 f. das Verbot für die Teilnahme von Männern bekräftigt. Betrachtet man zunächst nur diese Stelle selbst, so scheint mir folgende Erklärung denkbar: Zum einen sind 1,812–814 als hyperbolischer Ausdruck dessen zu verstehen, was­ Lycomedes für die Verheiratung seiner Tochter vorzuweisen bereit ist; zum anderen ist es nur die Grotte selbst, die mit dem Verbot belegt ist ­(inaccessum antrum, 1,599). Eine Priesterin bewacht den Eingang (1,600–602; aditus, 1,601). Also kann ein männlicher Zuschauer zumindest das Hinein­treten der Bacchantinnen in die Grotte beobachten. Und genau dies kann Lycomedes auch anbieten. Es wird also auch hier wieder ein Pathos erzeugt (vgl. 1,815 cupidi), implizit aber zugleich auch wieder durch den Vergleich mit 1,598 f. beschränkt. Lycomedes’ überschwängliches Angebot würde die Grenzen des Gesetzes, das er selbst bekräftigt (1,598 f.: lex procul ire mares; iterat praecepta ­verendus ductor), nicht überschreiten. In der Folge (1,819–840) werden nun aber Tänze aufgeführt, die den Rahmen für Achills Entdeckung abgeben und bei denen auch Odysseus und Diomedes die ganze Zeit über anwesend sind. Diese werden als die versprochenen Festlichkeiten bezeichnet (promissa sacra, 1,822). Demzufolge muss es sich, wie bereits Kuerschner519 vorgeschlagen hat und es ohne dessen Erwähnung in ähnlicher Form auch Ripoll520 annimmt, um andere bacchische Riten als diejenigen handelt, von denen 1,593–602 die Rede war, die darum auch nicht in der Grotte von 1,599 lokalisiert werden. Diese zweiten bacchischen Riten stellen gewissermaßen ein entschärftes Spiegelbild der ersten dar, so wie ein Ethos-Epos als entschärftes Spiegelbild eines Pathos-Epos verstanden werden kann.

7. Achills Entdeckung (A. 1,819–926) 7.1 Achill tanzt (1,819–840) Der anbrechende Tag (1,819) bringt die Wiederaufnahme zweier Handlungsfäden: Diomedes legt nun die Geschenke zurecht, die zur Enttarnung Achills dienen sollen (1,819 f.; vgl. Odysseus’ Auftrag 1,721–723); die Töchter der Lycomedes erscheinen zur versprochenen Vorführung (1,821–823; vgl. Lycomedes zuvor: 1,812–814).521 Nach dieser Szeneneinleitung hebt der Erzähler sogleich

519 Kuerschner 1907, 50; auch von Heslin 2005, 148 zitiert, der aber betont, dass die Existenz zweier Bacchus-Feste, eines öffentlich, eines geheim irritierend sei. Vgl. außerdem ­R ipoll zu 1,822: Es handele sich nicht um reguläre Bacchus-Feierlichkeiten o.ä., sondern um ein eklektisches Potpourri. 520 Ripoll zu 1,812–814. 521 Zu den Riten und ihrem Verhältnis zu den früheren Opfern in 1,593–602 vgl. die Ausführungen zu 1,812–814.

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Achills Entdeckung (A. 1,819–926) 

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die besondere Erscheinung Deidamias und Achills hervor (1,823 f.). Bereits bei ihrem ersten Auftreten ragte Deidamia unter ihren Schwestern hervor ­(1,293–296); ebenso hoben sich Deidamia und Achill beim Bacchusfest ab (1,603–608). An letzterer Stelle heißt es sogar, dass der verkleidete Achill Deidamia so weit übertraf, wie diese ihre Schwestern (1,606–608). Bei diesen zweiten Riten nun wird Achill nicht mehr die führende Bacchantin sein, sondern das schon am ersten Abend nach dem Eintreffen von Odysseus und Diomedes gezeigte, auffällige Verhalten an den Tag legen (1,767–771), das ihn nicht mehr als Pelea virgo522 die Lycomedes-Töchter übertreffen lässt, fortsetzen. Die Entwicklung bis zur Entdeckung wird auch nun nicht überstürzt.523 Ein weiteres Gleichnis stellt Achill und Deidamia den drei Göttinnen Diana, ­Pallas und Persephone gegenüber. Während Diana und Pallas eindeutig auf das erste Auftreten Deidamias und dortigen Vergleich mit Diana, Pallas und Venus zurückverweisen (vgl. 1,293–300), überrascht die Erwähnung der Proserpina. Heslin hat diese Erwähnung ebenso wie die folgenden Tänze im Rahmen einer Initiation gedeutet, die Achill bei der Entwicklung vom (verkleideten) Jüngling zum Mann durchlaufe.524 Zudem seien Tänze im griechischen Mythos die Gelegenheit für einen Frauenraub gewesen, so dass Heslin eine bewusste Bezugnahme seitens Lycomedes darauf erwägt, sc. dass er seine Töchter zum Raub und so zur Verheiratung anbiete.525 Wenn man eine Idee Jannaccones aufnimmt, so lässt sich vielleicht eine noch passendere Erklärung finden, die die beiden verglichenen Personen, Achill und Deidamia, mit einschließt. Im Gegensatz zu allen anderen Kommentatoren macht Jannaccone zu 1,823 einen Unterschied in der Verteilung der drei Vergleichsgöttinnen: chiastisch seien Diana und Pallas526 zu Achill gestellt bzw. Proserpina zu Deidamia. Das scheint mir insofern passend, als auch Deidamia eine gewaltsame Aneignung durch einen männlichen Liebhaber erleiden musste. Darüber hinaus findet sich ein Gleichnis mit ebenfalls diesen drei Göttinnen in den Argonautica des Valerius Flaccus. Dort ist das Gleichnis auf Medea bezogen und präfiguriert gewissermaßen ihren ›Raub‹ durch Jason (Arg. 5,343–349):

522 So wird Achill 1,884 bezeichnet. 523 Vgl. die Ausführungen zu 1,773–805 und 1,817 f. Vgl. auch Ripoll zu 1,819–840: Es handele sich um eine nicht notwendige Szene, die zu einer letzten Retardierung diene. Dies ist, wie im Folgenden zu sehen sein wird, vielleicht etwas zu einseitig. Zur langsamen Entwicklung Achills in der Achilleis vgl. auch Heslin 2005, 275 und Fantuzzi 2012, 90. 524 Heslin 2005, 232–236. 525 Heslin 2005, 148–150. 526 Vgl. auch die Bezeichnung der Pallas als ferox (1,825), die die männlichere Nuance der Göttin betont und in der androgynen Gestalt Achills eine Parallele hat (vgl. auch die Beschreibung der Pallas in 1,288 f., 299 f. und 485).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

florea per verni qualis iuga duxit Hymetti aut Sicula sub rupe choros hinc gressibus haerens Pallados, hinc carae Proserpina iuncta Dianae, 345 altior ac nulla comitum certante, priusquam palluit et viso pulsus decor omnis Averno; talis et in vittis geminae cum lumine taedae Colchis erat nondum miseros exosa parentes. So wie Proserpina über die blumenreichen Joche des Hymettos im Frühling oder unter Sizilischen Felsen an den Schritten der Pallas hängend auf der einen Seite Chorreigen führt, auf der anderen der lieben Diana verbunden ist, größer und ohne Vergleich unter den Begleiterinnen, bevor sie erbleichte und alle Anmut vertrieben wurde beim Anblick des Avernus; so war die Kolcherin mit ihren Kopfbinden im Schein der doppelten Fackel, während sie ihre armen Eltern noch nicht verabscheute.

Zum Vergleich das Gleichnis in der Achilleis (1,823–826): nitet ante alias regina comesque Pelides: qualis Siculae sub rupibus Aetnae Naidas Hennaeas inter Diana feroxque Pallas et Elysii lucebat sponsa tyranni.

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Es strahlen hervor unter den anderen die Königin [Deidamia] und als ihr Begleiter der Peleus-Sohn: So wie unter den Felsen des sizilischen Ätna unter den Naiaden von Henna Diana und die wilde Pallas und die Frau des elysischen Tyrannen [Proserpina] erstrahlte.

Während bei Valerius der genaue Vergleichspunkt mit Medea Proserpina selbst ist, und die anderen beiden Göttinnen nur als Begleiterinnen erwähnt werden, stehen sie bei Statius gleichberechtigt nebeneinander. Darüber hinaus wird nicht wie in den Argonautica der Unterschied zwischen jungfräulicher und geraubter Proserpina betont, sondern sie wird in der Achilleis proleptisch bereits als Gattin bezeichnet (1,826), ja dieses Verwandtschaftsverhältnis dient sogar periphrastisch zur Benennung, da sie als einzige von den dreien nicht direkt mit ihrem Namen genannt wird. Das bedeutet, der Erzähler der Achilleis legt besonderes Gewicht auf die erfolgreich abgeschlossene Verbindung dessen, was als Raub begann. Bezieht man dies zurück auf Deidamia, wird der Abstand zur valerianischen Medea deutlich. Die Harmonisierung der Gewalttat, die bereits kurz danach in Achills Rede einsetzt (1,650–660) und ihren Abschluss in der Offenbarung vor Lycomedes finden wird (1,891–920), spiegelt sich hier im Gleichnis. Präfiguriert wird also nicht wie bei Valerius die Entfernung von den Eltern, sondern die Versöhnung mit dem Vater der Entführten (sc. so wie es eine Versöhnung zwischen Ceres und Hades gab). Die ausführliche Beschreibung des Tanzes der Töchter (1,827–840) stellt eine weitere Strategie zur Retardierung dar, aber sie leistet mehr als das. Etwas mehr

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Achills Entdeckung (A. 1,819–926) 

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als die Hälfte dieser Verse (1,827–834 = 8 von 14) ist den Tänzen selbst gewidmet,527 die andere Hälfte als Spiegelbild des zuvor beschriebenen Ideals dem Verhalten Achills (1,835–840). Während Achill beim Bacchus-Fest 1,593–618 zwar als herausragende Figur dargestellt wird, aber sich doch in das Ensemble der Lycomedes-Töchter eingefügt hat und gerade nicht auffiel, so wird hier mehrfach explizit gesagt, dass er dies nicht mehr wolle und tue:528 tunc vero, tunc praecipue manifestus Achilles nec servare vices nec bracchia iungere curat; tunc molles gressus, tunc aspernatur amictus plus solito rumpitque choros et plurima turbat. sic indignantem thyrsos acceptaque matris tympana iam tristes spectabant Penthea Thebae.

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840

Da aber, da war Achill besonders auffällig, wie er sich weder darum kümmert, die Wechsel einzuhalten noch die Arme zu verbinden; da verabscheute er die sanften Tanzschritte, da die Gewänder und mehr als gewöhnlich störte er die Chortänze und brachte große Verwirrung. So hat Theben, schon traurig, Pentheus gesehen, als er sich über die Thyrsoi empörte und die von der Mutter empfangenen Tympana.

Hatte Achill sich aus Liebe zu Deidamia auf den Aufenthalt auf Skyros eingelassen (1,283–326) und seine Verkleidung auch weiter fortgesetzt, um ihr nahe zu sein (1,564–576), so sieht er nun, da Odysseus und Diomedes angekommen sind, immer weniger Notwendigkeit dazu, wie sich bereits am ersten Abend gezeigt hat (1,767–771). Deidamia hält ihn nun auch nicht mehr auf: Im Gleichnis entspricht ihre Stelle der traurigen Zuschauerin Theben. Durch das PentheusGleichnis,529 in dem Achill mit dem Bacchus-Gegner Pentheus verglichen wird, wird die Bacchus-Linie in der Achilleis abgeschlossen, die mehrfach dazu diente eine unepische Alternative zu eröffnen.530 527 Zu den Tänzen selbst vgl. neben der initiatorischen Deutung von Heslin 2005, 2­ 32–236 auch Ripoll zu 1,822: Es bestünden rein ästhetische Gründe für Zusammenstellung der Tänze, zur Erzielung eines harmonischen alexandrinischen Effekts. Vgl. auch die von allen Kommentatoren notierte Parallele der Tanzdarstellung zum Artemis-Hymnos des Kallimachos (240–247), dazu Heslin 2005, 235 Fn. 166. 528 Ähnlich auch Delarue 2000, 215 f. 529 Ausführlich dazu Ripoll zu 1,839–840. Bedenkenswert ist besonders sein Punkt, dass Gleichnisse mit diesem Mythos häufiger in Epen anzutreffen seien (Parallelen dort), hier aber der Vergleichspunkt neu sei, vielleicht sogar in Anlehnung an das Verglichene überhaupt erst Pentheus so gestaltet worden sei. Zum Pentheus-Gleichnis vgl. auch Sturt 1982, 836 f. 530 Vgl. die Ausführungen zu 1,263 f., 714 f., 593–618; zuletzt im Tanz 1,828. Dazu passt auch die von Ripoll beobachtete Nähe zu Th. 10,646–649, einem Herakles-Gleichnis, von dem in A. 1,580–583 noch eine bewusste Abstandnahme zu beobachten war (s. dort). Generell zur Bedeutung des Bacchus in der Achilleis vgl. Taisne 1976.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

So dient diese Tanzszene neben der Retardierung der Entdeckung vor allem der Vorbereitung auf diese. Nach dem Tanz ist Achill so weit, dass er sich um ein besonders feminines bzw. seiner Verkleidung angemessenes Verhalten nicht mehr kümmert. Er ist damit bereit, sich im Folgenden im Unterschied zu den Töchtern des Lycomedes den offen ausgestellten Waffen zuzuwenden. Um seine Verkleidung ganz fallen zu lassen, bedarf es dennoch noch weiterer Anreize, wie im Anschluss zu sehen sein wird.

7.2 Achill wird enttarnt (1,841–885) Den Höhepunkt des ersten Buches bildet in der Einschätzung Ripolls die Entdeckungsszene Achills.531 Laut Delarue,532 dem Ripoll hier folgt, handelt es sich um eine Wiedererkennungsszene (Anagnorisis) im Sinne der aristotelischen Poetik.533 Delarue zieht hier außerdem Aristoteles’ Verständnis der Odyssee als EthosEpos heran, das im Gegensatz zur Ilias von mehrfachen Wiedererkennungen gekennzeichnet ist.534 Auch in der Achilleis gebe es mehrere Wiedererkennungen535, wobei die letzte mit einer Peripetie im aristotelischen Sinne536 verbunden sei. Zweifellos ist die Odyssee durch viele (Wieder)Erkennungsszenen gekennzeichnet.537 Dies ist sie allerdings als Ganzes, denn alles strebt auf die Wiedererkennung und damit -anerkennung als Herrscher auf Ithaka zu. Gleiches wird man nicht von der Achilleis behaupten können. Im Gegenteil durchläuft Achill hier im erhaltenen Teil eine Entwicklung, die durch das Wechselspiel von Verhüllung und Entdeckung und damit auch Erkennen bestimmt ist. Aber inwiefern sollte dies ein Konzept für ein Ethos-Epos in größerem Umfang und damit für die Fortsetzung in den weiteren Büchern sein können? Die Enttarnung ist vielmehr Teil der mythologischen Biographie Achills und Statius verbindet sie mit einer Entwicklung vom Jüngling zum Mann. In diesem Sinne können die Wiedererkennungen der Achilleis nicht wie in der Odyssee einem großen Wiedererkennungsplan, der das Epos als Ganzes bestimmt und wie ihn Aristoteles für die Odyssee postu 531 Ripoll zu 1,841–885. Vgl. außerdem die ausführliche Analyse der Szene bei Ripoll 2012: (116–123 literarische und ikonographische Vorbilder, 124–128 Komposition, 128–132 symbolischer Gehalt für die Charakterentwicklung Achills (Dualität männlich/weiblich; animalisch/menschlich; hierin stark beeinflusst von Heslin 2005). 532 Delarue 2000, 222–225, dort auch in Kontrastierung zur Thebais. 533 11. Kap., 1452a29–b8. 534 24. Kap., 1459b13–15. 535 Dazu zählen nach Delarue: 1,349–362 die Vorstellung Achills gegenüber Lycomedes (an der Zuordnung dieser Szene zu den Wiedererkennungen hat Ripoll zu 1,841–885 berechtigte Zweifel); 1,650–660 die Selbstoffenbarung vor Deidamia; 1,841–874 vor Odysseus, Diomedes und 1,885–910 vor Lycomedes. 536 Vgl. Poet. 1452a32 f. 537 Vgl. die Liste bei Delarue 2000, 222.

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Achills Entdeckung (A. 1,819–926) 

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liert,538 angehören. Daher dürfte es fragwürdig werden, die ethische Gestaltung so sehr an der bloßen Existenz der formalen Kategorie Anagnorisis festzumachen.539 Fragwürdig ist auch Delarues mechanische Identifizierung von Wiedererkennung mit ethischer Gestaltung: Denn Aristoteles sagt im 24. Kap. ausdrücklich, dass die Odyssee verflochten, also mit Wiederkennungen, und ethisch sei. Er hatte nämlich zuvor im 18. Kapitel vier Arten der Tragödie unterschieden (1455b32–56a3) und am Anfang des 24. Kapitels genau diese Vierteilung bei der Behandlung des Epos wiederaufgenommen (1459b7–16). Demzufolge gibt es folgende vier Arten von Tragödien: einfach, verflochten, pathetisch, ethisch, wobei die Ilias einfach und pathetisch, Odyssee verflochten und ethisch sei.540 Eine generelle kreuzweise Gruppierung der vier Arten ist nicht beabsichtigt.541 Vielmehr scheinen mir andere kompositionelle Eigenarten stärker auf die ethische Gestaltung der Erzählung einzuwirken. Nach mehreren Retardierungen seit der Ankunft von Odysseus und Diomedes vollzieht sich auch die eigentliche Entdeckung noch in drei Schritten: Ergreifen der Waffen (1,841–866), Überzeugungsrede des Odysseus (1,867–874), Trompetensignal als Kriegsruf (1,874 f.), die mit der endgültigen und eindeutigen Enttarnung enden (1,876–885).542 Wie Aricò beobachtet hat, nutzt nur Statius alle drei Mittel der Entdeckung Achills, die aus der mythologischen Tradition bekannt sind, sc. Waffen, Rede, Signal, und dies in klimaktischer Reihung.543 Nur diese Kombination kann den unangemessen elegischen Achill bewegen. Odysseus selbst hatte zuvor in 1,724 f. Diomedes darauf hingewiesen, dass die Waffen nicht ausreichten, sondern man auch des Trompetensignals bedürfe (nec sat erit…).544 Doch nicht nur 538 24. Kap. 1459b15: ἀναγνώρισις γὰρ διόλου. 539 Vgl. dazu auch A 2.3., inwiefern Aristoteles’ Auffassung vom Ethos-Epos für die Achilleis unzureichend im Vergleich zu Ps.Longin ist. 540 1459b14 f.: ἡ μὲν Ἰλιὰς ἁπλοῦν καὶ παθητικόν, ἡ δὲ Ὀδύσσεια πεπλεγμένον (ἀναγνώρισις γὰρ διόλου) καὶ ἠθική. 541 Vgl. auch Schmitt 561: »Die vier Tragödienarten sind keine idealen Reinformen. Sie ergeben sich aus möglichen Akzentsetzungen, die so weit gehen können, dass eine dieser Möglichkeiten in einer Tragödie dominierend ist.« Auf den folgenden Seiten zeigt Schmitt wie ­Sophokles’ König Ödipus alle vier Arten in einer optimalen Weise kombiniert, wie es Aristoteles im 18. Kap. empfohlen hatte (Poet. 1456a3 f.). Schmitt 560 spricht einleuchtend nur von einer Tendenz von Pathos-Tragödien einen einfachen Handlungsverlauf zu haben. Über eine analoge Beziehung der Kategorien verflochten und ethisch ist damit noch nichts gesagt. 542 Vgl. auch Ripoll 2012, 124, der zwar vier Szenenteile unterscheidet, indem er der Re­ flexion im Schild (1,884–886) einen gesonderten Status zuweist, aber von einer dreifachen Entdeckung (triple ›révélation‹) Achills spricht. 543 Aricò 1986, 2952, vgl. außerdem Ripoll zu 1,841–885, sowie für die Belege die jeweiligen Anmerkungen zu den Einzelphasen zu 1,841–866; 1,867–874 bzw. 1,874 f. 544 Fantuzzi 2012, 79 sieht in 1,874 f. schon den letzten Schritt getan. Doch heißt es dort erst pectus amictu / laxabat. Dann folgt das Trompetensignal und erst dann fallen die Gewänder auch tatsächlich, so dass Achills wahre Identität sichtbar wird (1,878: illius intactae cecidere a pectore vestes). So auch Benker 1987, 122 f.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

in der Makrostruktur dieser Szene zeigt sich eine Milderung des Pathos. Auch die Ausarbeitung im Detail wirkt in die gleiche Richtung.545 Der listige Odysseus hat sowohl Thyrsoi, Tympana und Bänder wie auch Waffen (Schild und Speer) als Gastgeschenke nach dem Tanz auslegen lassen (1,841–851). Während die Lycomedes-Töchter zu den geschlechtsspezifisch ihnen zugedachten Geschenken greifen und die Waffen als Gabe für den Vater verstehen, richtet Achill sein Augenmerk genau auf diese (1,852–857): at ferus Aeacides, radiantem ut comminus orbem caelatum pugnas – saevis et forte rubebat bellorum maculis – adclinem conspicit hastae, infremuit torsitque genas, et fronte relicta surrexere comae; nusquam mandata parentis, nusquam occultus amor, totoque in pectore Troia est.

855

Als er in der Nähe den leuchtenden Schild sah, mit Kämpfen darauf  – und von grausamen Kriegsmalen strahlte er gerade rot –, angelehnt an eine Lanze, schnaubte der wilde Aiakos-Nachkomme und rollte die Augen, und fort vom Kopf haben sich die Haare erhoben; nirgends sind die Befehle der Mutter, nirgends die verborgene Liebe, im ganzen Herzen ist Troja.

Deutlich wird der Gegensatz zu den Lycomedes-Töchtern markiert, durch den Einsatz mit at und das Attribut ferus, das ihm zuvor vom Erzähler zugedacht wurde, als er beinahe beim ersten Anblick auf Deidamia zugestürmt wäre (1,310). Achill selbst wird Chiron ferus nennen, wenn er im zweiten Buch von der harten Erziehung des Kentauren berichtet (2,150). Die kurze Beschreibung des Schildes erinnert schon an die Ilias. Denn, wie Ripoll bemerkt, ist auf bildlichen Darstellungen Achills mit dem Schild auf Skyros dieser mit Bildern von Chiron zu sehen; nur der iliadische Schild trage Kampfdarstellungen.546 Der Schild bei Statius ist also proleptisch und zugleich miniaturisierend. Er bietet nämlich eine gedrängte Ekphrasis von zweieinhalb Versen gegenüber mehr als 120 Versen in der Ilias.547

545 Nur am Rande seien einige weniger bedeutende Details erwähnt, die in Verbindung mit einer harmonisch-kallimacheischen Ausarbeitung stehen. Ripoll zu 1,844 bemerkt ein großes Interesse an der Erzähllogik auch im Kleinen, die man auch als typisch alexandrinisch bezeichnen könnte (vgl. Bitto 2012a, 122/206 f. zu diesem Phänomen in den Pindarscholien). In 1,846 f. wird nach Ripoll die Schlauheit des Odysseus explizit angesprochen, um ein Gegengewicht zu der scheinbaren Naivität des Lycomedes zu schaffen. Sowohl Dilke als auch­ Ripoll deuten das Attribut varium in 1,847 als einen Hinweis auf das Epitheton πολύτροπος des ­Odyssee-Proöms (Nuzzo sieht eher eine Parallele zu Eur. Hec. 131 ποικιλόφρων). Insgesamt hat bereits Legras 1908, 47 u. a. zur Entdeckung Achills auf Skyros bemerkt: »Tout y est préparé, disposé, équilibré dans uns manière parfaite.« 546 Ripoll zu 1,853. 547 Il. 18,483–608, mit einer Kampfbeschreibung 18,509–540.

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Achills Entdeckung (A. 1,819–926) 

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In den Versen 1,855–858 jedoch wird ein Pathos-Maximum der Achilleis erreicht. Achill zeigt sogar ähnliche Züge wie Calchas in der mantischen Szene, nachdem er von Apoll ergriffen ist (1,514–525): Beide rollen mit den Augen (genas… torquens, 516 – torsitque genas, 855), ihre Haare stehen zu Berge (exsiliunt crines, 522 – surrexere comae, 856), sie vergessen ihre Umgebung (nec socios nec castra videt, 517 – nusquam…nusquam, 856 f.) und richten ihre Aufmerksamkeit auf ein ferneres Ziel (nunc superum magnos deprendit in aethere coetus, 518 –­ totoque in pectore Troia est, 857). Achill wird hier gewissermaßen durch die Waffen inspiriert, wie Calchas durch Apoll. Rückwirkend allerdings wird dieser pathetische Moment relativiert bzw. genau als ein Moment, ein temporäres Phänomen, offenbart. Der amor verschwindet nicht gänzlich aus Achills Herz, wie es in 1,857 den Anschein haben mag, sondern 1,903–905 nimmt er Deidamia in seinem Bekenntnis vor Lycomedes in Schutz. Darüber hinaus wird in Odysseus’ Rede deutlich, dass Achill – im Gegensatz zu dem Eindruck, den der Leser anhand von dessen emotionaler Reaktion haben könnte – doch noch nicht nach den Waffen gegriffen hat (vgl. 1,867). Ja, erst Odysseus’ Rede und das Signal in 1,875 bewegen Achill letztlich. Doch ist gerade das Kriegssignal zunächst mehrdeutig: Handelt es sich um einen äußeren Feind, der Skyros bedroht? Die Lycomedes-Töchter zumindest fliehen dementsprechend (1,876 f.). Achill hingegen offenbart sich genau in diesem Moment ganz und gar, indem er seine Gewänder abstreift und kampfbereite Haltung annimmt. Er verteidigt also Deidamia, wie er es 1,657–660 versprochen hat. Erst die wirklich unmittelbare Gefahr bringt ihn dazu, seine Deckung fallen zu lassen. Trotz einiger Minimalisierungsstrategien, wie der verkürzten Schildbeschreibung und anderes, auf das wir noch zurückkommen werden, wird das PathosNiveau bis zur endgültigen Entdeckung gehalten (1,884), um dann jedoch einen ganz überraschenden Abfall durch eine sehr ethische Wendung zu nehmen (s. u.). Doch sehen wir uns die Gestaltung dieses Moments weiter an! Es folgt auf die emotionale Erhebung Achills ein Gleichnis, das auf diesem Augenblick verweilt und ihn dadurch stärker hervorhebt und die Reihe der beiden Tiergleichnisse für Achill548 zu einem Trikolon ergänzt (1,858–863): ut leo, materno cum raptus ab ubere mores accepit pectique iubas hominemque vereri edidicit nullasque rapi nisi iussus in iras, si semel adverso radiavit lumine ferrum, eiurata fides domitorque inimicus, in illum prima fames, timidoque pudet servisse magistro.

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548 Pferd: 1,277–282, Stier: 1,313–317, vgl. Ripoll zu 1,858–863 für Bezüge zu diesen beiden Gleichnissen.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Wie ein Löwe, wenn er, von von den Zitzen der Mutter geraubt, Sitten angenommen und gelernt hat, an der Mähne gekämmt zu werden und den Menschen zu fürchten und nicht ohne Aufforderung in Raserei zu geraten, falls einmal ein Schwert im Licht ihm entgegen erstrahlt – abgeschworen ist alle Treue, ein Feind der Bändiger, gegen ihn richtet sich der erste Hunger und er schämt sich, einem schüchternen Herren gedient zu haben.

In der Gegenüberstellung mit einer intertextuellen Parallele kann die besondere Gestaltung des Achilleis-Gleichnisses gezeigt werden.549 Bei Lucan finden wir folgendes Gleichnis (4,237–242): sic, ubi desuetae silvis in carcere clauso mansuevere ferae et vultus posuere minaces atque hominem didicere pati, si torrida parvus venit in ora cruor, redeunt rabiesque furorque admonitaeque tument gustato sanguine fauces; fervet et a trepido vix abstinet ira magistro.

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So kehren, sobald den Wäldern entwöhnt in geschlossenem Kerker wilde Tiere zahm geworden sind, ihre drohenden Minen abgelegt und den Menschen zu erdulden gelernt haben, wenn ein wenig Blut auf das ausgetrocknete Maul gelangt, Wut und Raserei zurück, und ermahnt nach der Kostung des Bluts gieren die Schlünder; es wallt der Zorn auf und enthält sich kaum des zitternden Herren.

Weniger blutig als bei den wilden Tieren bei Lucan (2,239 f.) reicht das Aufblitzen einer Waffe aus, um den Löwen bei Statius zu provozieren (A. 1,861).550 Dies ist natürlich eine Spiegelung von Achills Betrachten der Waffen. Wesentlich durch den Bezug zu Achill dürfte die Erwähnung der Löwenmähne motiviert sein, die ebenfalls einer Zähmung551 unterworfen wird und als alexandrinisches Detail in gewissem Kontrast zur martialischen Oberfläche des Gleichnisses steht. Ebenfalls als Kontrast und nur mit Bezug auf Achill voll zu verstehen dürfte der Raub sein, mit dem das Gleichnis einsetzt und durch den der Löwe von der Mutter entfernt wird. Details dieser Art, die auch einer ›Vermenschlichung‹552 des Vergleichstieres dienen, fehlen bei Lucan. 549 Die Parallele wird von allen Kommentatoren angeführt, bei Nuzzo mit einigen zu­ sätzlichen Entsprechungen zwischen beiden Gleichnissen versehen. Jannaccone führt die­ Parallele auf Scaliger zurück. Ripoll diskutiert ausführlich verschiedene Ebenen (Löwengleichnisse allgemein, die allegorischen Entsprechungen Gleichnis-Handlung etc.). Der Inhalt des Gleichnisses selbst, auch die Kontextualisierung sowie die verbalen Paral­ lelen (s. o.) und die Struktur (Statius ut…, cum…, si…, Hauptsatz; Lucan: sic, ubi…, si…, Hauptsatz) sprechen für eine deutlich markierte Bezugnahme. 550 Ein Detail allerdings, das Statius auch im kurzen Löwengleichnis in Th. 8,124 f.­ verwendet. 551 Vgl. Thetis in 1,328. 552 Vgl. dazu auch Ripoll zu 1,858–863.

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Achills Entdeckung (A. 1,819–926) 

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Darüber hinaus wird durch den jeweiligen Kontext der unterschiedliche Grad des verglichenen menschlichen Pathos deutlich. Bei Lucan handelt es sich nicht nur um eine Enttarnung eines versteckten Kriegers, sondern um die Neu-Entfachung von Feindlichkeiten zwischen zwei römischen Heeren, die zunächst Waffenstillstand geschlossen hatten.553 Direkt im Anschluss an das lucanische Gleichnis beginnen grausame Kriegshandlungen.554 In der Achilleis hingegen bewirkt Achill durch sein Bekenntnis zu Deidamia eine Versöhnung mit Lycomedes und letztlich ein friedliches Ende der Skyros-Episode.555 Am Unterschied zwischen der elegischen Welt Skyros und der Welt des lucanischen Bürgerkriegs lässt sich ermessen, dass das Achilleis-Gleichnis einen Pathos-Ausbruch illustriert, jedoch einen, der im Vergleich zu Lucan nur relativ gesehen in einer EthosUmgebung ein solcher ist und der im Anschluss auch gleich abgemildert wird.556 Als Achill sein Spiegelbild im Schild erblickt,557 beschreibt der Erzähler eine psychologisch nachvollziehbare Reaktion, die dennoch einer Ironie nicht entbehrt, die zur Abmilderung des psychologischen Abgrunds dient (1,864–866). Er erschrickt und errötet (horruit rubuitque simul, 1,866). Doch was genau sieht er? Sich selbst in Frauenkleidern: Der gerade mit einem Löwen Verglichene erschrickt vor einer Jungfrau und errötet wie eine solche.558 An dieser Stelle hakt Odysseus mit seiner Überzeugungsrede ein (1,867–874) und leistet, wie Ripoll gesehen hat,559 das, was der Erzähler in Ovids Ars mit seiner empörten Ansprache erreichen will.560 In der Achilleis hält sich der Erzähler mit Kommentaren dieser Art zurück. Auf diese Weise werden Empörung und martialische Aufforderung nur als Rede einer Figur Teil des Epos und erhalten so weniger Gewicht als eine Erzählerapostrophe. Zwei Details in Odysseus’ Rede fallen auf: 1,869 f. spricht er von der Erwartung der griechischen Flotte, ja ganz Griechenlands, das gewissermaßen in Erstarrung verharre: te Dorica classis / tua suspensis exspectat Graecia signis. Dies ist ein Rückbezug zur bereits 1,473–483 durch den Erzähler berichteten Erwartung des Heeres, die sich an die Aufzählung der Feldherrn anschloss und diese gleichsam he 553 Vgl. zuvor 4,169–205. 554 Vgl. 4,243: itur in omne nefas etc. 555 Allenfalls in fernerer Zukunft liegen die iliadischen Gräueltaten Achills. 556 Vgl. auch das gezähmte Pathos im statianischen Gleichnis selbst (1,860), das keine Entsprechung bei Lucan hat, wo der Unterschied zwischen Zähmung und Raserei noch poin­ tierter ist. 557 Vgl. zu diesem Motiv und seinen Vorbildern Taisne 1994, 32–34. 558 Ripoll wie auch Jannaccone verstehen talem in 1,865 als den verkleideten Achill; Dilke hingegen sieht ohne weitere Erklärung einen Bezug auf das Gleichnis. Dann würde Achill vor seiner eigenen Vergleichbarkeit mit einem Löwen erschrecken, was zwar komisch, aber wenig wahrscheinlich angesichts seines bisherigen Verhaltens wäre. 559 Ripoll zu 1,867–874. 560 Ars 1,689–694, s. o. zu A. 1,560–674. Vgl. auch Fantuzzi 2012, 84–88, der Calchas’ Rede (1,526–535) als Echo der ovidischen apostrophai deutet.

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rabstufte, dadurch das ganze Heer eigentlich Achill erwarte.561 Alle Kriegsvorbereitungen sind auch bei Achills Entdeckung immer noch nicht mehr als eben Vorbereitungen, das eigentlich martialische Epos hat also gewissermaßen zugunsten der elegischen Ereignisse auf Skyros pausiert bzw. ist über die Anfänge nicht hinausgekommen. Insofern hat Thetis’ Verzögerungstaktik seit dem Handlungseinsatz in 1,20 bis zum Ende des ersten Buches ein iliadisches Epos wirksam verhindert. In ironischer Brechung reflektiert die Achilleis so die Ilias. Dort hält sich ab dem ersten Buch Achill ebenfalls vom Krieg fern, was jedoch keineswegs zum Pausieren der kriegerischen Auseinandersetzungen führt, sondern diese sich in eine für die Griechen negative Richtung entwickeln lässt. Ein zweites Detail schlägt eine intertextuelle Brücke zur Aeneis. Dort ist Karthago gewissermaßen Aeneas’ Skyros. Solange er sich dort bei Dido aufhält, kann die iliadische zweite Hälfte nicht stattfinden. Deshalb ermahnt ihn Merkur mehrfach zum Aufbruch,562 beim zweiten Mal in einem Traum und sagt: heia age, rumpe moras (Aen. 4,569). Nahezu wortgleich sagt Odysseus: heia, ­abrumpe moras (A. 1,872).563 Erst die dritte List, das Trompetensignal, kann, wie gesagt, die endgültige Selbstoffenbarung besiegeln (1,874–885). Dort jedoch erreichen wir den PathosHöhepunkt der Achilleis, soweit sie erhalten ist. Achill wächst buchstäblich über sich hinaus (1,879–885a): iam clipeus breviorque manu consumitur hasta – mira fides – Ithacumque umeris excedere visus 880 Aetolumque ducem: tantum subita arma calorque Martius horrenda confundit luce penates. inmanisque gradu, ceu protinus Hectora poscens, stat medius trepidante domo, Peleaque virgo quaeritur. 885 Schon verschwindet der Schild und der zu kurze Speer in seiner Hand – kaum zu glauben, aber wahr – und er scheint die Feldherren von Ithaka und aus A ­ eto­ lien an den Schultern zu überragen: So sehr haben die plötzlich aufgetauchten Waffen und die kriegerische Atmosphäre mit schrecklichem Licht das Haus erfüllt. Ungeheuer im Schreiten, als ob er geradewegs Hector fordere, steht er mitten im zitternden Haus; die Jungfrau des Peleus sucht man (vergebens). 561 Vgl. bes. 1,473: omnis in absentem belli manus ardet Achillem. 562 Vgl. die ›reale‹ Begegnung Aen. 4,259–278: Dem schön gekleideten (!) und mit unkriegerischen Aufgaben beschäftigten Aeneas (4,260–264) wirft Merkur feminines Verhalten (uxorius, 4,266) und Vergessenheit hinsichtlich seines fatums und seiner Nachkommen vor. 563 Jannaccone listet nicht wenige andere Parallelen auf, die jedoch eine weniger große Nähe zur Achilleis-Stelle haben (vgl. Georg. 3,43; Aen. 9,13; Ov. Met. 15,583; Stat. Th. 11,201; Lucan 2,525): Die Verbindung von heia mit (ab)rumpe moras gibt es sonst nur noch bei Martial 2,64,9, der sich auf Vergil bezieht (vgl. Williams Kommentar ad loc.) und bei Silius 8,214 f., was ebenfalls eine Vergilreminiszenz darstellen dürfte.

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Die von Thetis verursachte ›Verwandlung‹ (1,326–348) wird mit einem Mal rückgängig gemacht, ja sie scheint ins andere Extrem umzuschlagen: Die Waffen verschwinden geradezu in Achills Hand,564 er überragt Odysseus und Diomedes; man sieht schon den iliadischen Achill, der Hektor herausfordert, vor sich stehen. Und doch setzt der Erzähler einen Kontrapunkt, der nicht nur dazu dient, den Abstand der ›Entwicklung‹ deutlich zu machen, sondern in seiner Formulierung zugleich eine humorvolle565 und so abmildernde Note anfügt: Pelea virgo / quaeritur (1,884 f.). Verstört und noch unverständig sucht man vergeblich nach der Peleus-Tochter, die doch eben noch anwesend war. Narratologisch gesprochen wird auf einen imaginierten ahnungslosen Betrachter im Hause des Lycomedes fokalisiert, wobei der Abstand zwischen Heros und naivem Beobachter eine komische Distanz erzeugt. Nicht nur eine Abmilderung, sondern eine regelrechte Korrektur erfährt das bis zur Einseitigkeit reduzierte Bild vom Krieger Achill durch sein Verhalten in der Folge, dem wir uns nun zuwenden wollen.566

7.3 Versöhnung und Heirat (1,885–926) In den Versen 1,885–889a lässt sich eine antiklimaktische Bewegung zum PathosHöhepunkt beobachten:      Ast alia plangebat parte retectos 885 Deidamia dolos, cuius cum grandia primum lamenta et notas accepit pectore voces, haesit et occulto virtus infracta calore est. demittit clipeum […]. Aber in einem anderen Teil des Raumes beweinte Deidamia die aufgedeckte List; sobald er deren großes Klagen und die bekannte Stimme im Herzen wahrnahm, zögerte er und sein Tugendansturm brach durch die [bisher] verborgene Leidenschaft zusammen. Er ließ den Schild sinken […].

Der Erzähler fokussiert sofort auf die trauernde Deidamia: Sobald Achill diese hört – und es sind explizit nicht nur ihre Klagen, sondern ihre vertraute Stimme, die er gerührt567 wahrnimmt –, zögert er wieder, wie kurz vor seiner Entdeckung 564 Gegen die erotische Deutung von hasta durch Heslin 2005, 241 vgl. Ripoll zu 1,879. 565 Einen touche d’humour stellt auch Ripoll zu 1,884 fest und sieht eine Antithese zu Achilles / poscitur in 1,474 f. 566 Vgl. außerdem Heslin 2005, 191 zur Vaterrolle, die Odysseus in Abwesenheit des Peleus einnimmt, sowie 286–294 zum fehlenden Peleus in der Achilleis (in psychologisierender Deutung). 567 Vgl. Dilke zu 1,887 accepit pectore: »The phrase implies not only that Achilles hears her voice but that it touches his inmost feelings.«

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(vgl. 1,867). Ihm wird wieder bewusst, was er im leidenschaftlichen Ansturm nach dem Signal kurzfristig übergangen hat: Eine Entdeckung bringt auch Deidamia und ihre Beziehung in Gefahr. Das ist genau das, was Deidamia beweint (1,885 f.). Achill hat zum Schutze Deidamias handeln wollen,568 doch sie dabei in Gefahr gebracht, da er einen äußeren Feind vermutete und darüber die Gefahren im Haus vergaß. Er lässt seinen Schild sinken und macht so symbolisch die antiklimaktische Entwicklung deutlich, die psychologisch in 1,888 angesprochen wird. Zugleich steht er dadurch in Kontrast zu Aeneas, der seinen Schild am Ende des achten Buches der Aeneis aufnimmt, auch wenn er die Botschaften, die der Schild präsentiert nicht verstehen kann (Aen. 8,729–831). So wird deutlich, dass Achill, so wie er sich durch seinen Skyros-Aufenthalt entwickelt hat, von Odysseus’ Listen nicht wieder vollständig zurückent­ wickelt569 werden kann zum kriegerischen Jüngling, der das Bild darstellt, was die Allgemeinheit von ihm hat (1,476–481) und dass er selbst im zweiten Buch zumindest zu einem gewissen Teil von sich zeichnet.570 Nun wieder geistesgegenwärtig wendet Achill sich gleich dem erschrockenen Lycomedes zu (1,890 f.), denn bereits 1,657–660 hatte er den Vater als mögliche Gefahrenquelle ausgemacht und Deidamia Schutz versprochen. Symbolisch ist dabei seine Haltung: unbekleidet, in Waffen, ebenso wie er die Wahrheit über sich auch in Worten zu enthüllen gedenkt, aber zugleich seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht gänzlich außer Acht lässt, sondern sogar argumentativ nutzt.571 Seine Rede ist dementsprechend auf Wohlwollen des Zuhörers und positive Selbstdarstellung als angemessener Schwiegersohn angelegt (1,892–910).572 Er spricht Lycomedes freundlich an und will ihn beruhigen (care pater, dubium dimitte pavorem, 1,892); er sei ihm sogar willkommener als sein eigener Vater und Chiron (1,895 f.). Sehr höflich bittet er um Aufmerksamkeit (sed corda parumper / huc adverte libens atque bonus accipe voces, 1,896 f.). In seiner Argumentation verweist Achill auf seine wahre Identität und seine Wichtigkeit für die Griechen (983 f.); seine Abkunft573 und das aus einer Verbindung mit einer seiner Töchter resultierende prestigeträchtige Verwandtschaftsverhältnis (­ 1,898–902a). Was als Vergewaltigung begann, gegen die Deidamia sich angesichts seiner Stärke 568 S. o. zu 1,875–885. 569 Vgl. auch die Gegenbewegung von 2,9–11 und 2,26–30; sowie allgemein Heslin 2005, 274 Fn. 101 gegen eine simple Entwicklung Achills vom Kind zum Mann. 570 Vgl. 2,96–167 und meine Ausführungen dazu. 571 S. u. zu 1,906. 572 Vgl. auch Ripoll zu 1,892–908, der den diplomatischen Ton hervorhebt; sowie Ripoll zu 1,885–926: Es handele sich in dieser Szene um eine Kondensierung von Euripides, da die Versöhnung beschleunigt werde. Ripoll spricht von »séduction irrésistible d’Achille«, passend zum Ton des ganzen Epos. 573 Achill präsentiert sich hier zum ersten Mal als Peleus-Sohn und nicht mehr als QuasiJupiternachkomme, wie noch in 1,650 f. Vgl. zu dieser Entwicklung Heslin 2005, 286–294.

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nicht habe wehren können, soll nun verziehen und durch Lycomedes zu einem rechtmäßigen Bund werden (1,902b–905).574 Achill reagiert hier sogar sofort auf die sich verfinsternde Miene des Lycomedes (1,907)575 und macht ein erstaunliches Angebot: Er sei sogar bereit, seine Waffen abzulegen und auf Skyros zu bleiben (1,906 f.).576 Schließlich sei Lycomedes schon ein Schwiegervater und auch Großvater (1,908 f.).577 Eine Bestrafung würde also nicht nur einen treffen, sondern eine ganze Familie (1,909 f.).578 Achill übernimmt also für die Ereignisse auf Skyros die volle Verantwortung, er entschuldigt und beschützt Deidamia, sowie seinen Sohn. Zudem knüpft er genau an die Punkte an, die Lycomedes am Abend zuvor als seine Wünsche herausgestellt hatte (1,775–783): Er hat nun einen Sohn, der an seiner Statt am Krieg teilnehmen kann; eine seiner Töchter kann eine rechtmäßige Verbindung mit einem griechischen Helden eingehen; darüber hinaus hat er sogar auch schon einen Enkel. Mit letzterem erfüllt er nicht nur Lycomedes’ Wunsch (vgl. 1,783), sondern auch den seiner Mutter (1,321 f.). Den Sieg, den Achill letztlich über Lycomedes erringt (vgl. vincitur in 1,918), trägt er also durch seinen rhetorischen Einsatz davon und nicht durch körperliche Gewalt. Insofern ist er dem beredten Helden der Odyssee gerade in diesem Punkt sehr nahe.579 Unterstützt wird dieses Versöhnungsangebot durch Odysseus und die Danaer, die auf das Gastrecht verweisen (1,910 f.). Auch wenn hier Odysseus blandus (1,911) genannt wird und der Erzähler damit auf die beredte Überzeugungskraft des Odysseus anspielt, so wird ihm hier nach der Rede des Achill nur noch ein Raum von nicht einmal zwei Versen in indirekter Wiedergabe zugestanden. Die anschließenden Überlegungen des Lycomedes werden als eine Art innerer Monolog wiedergegeben (1,912–918a).580 Er zögert wegen des Unrechts, das 574 Zur gewalttätigen Nuance der Junktur tacito furto (1,903) vgl. Nuzzo ad loc. 575 Vgl. dazu Ripoll zu 1,907. 576 Vgl. auch Fantuzzi 2012, 90 f.: Die Entscheidung sei hier noch offen; Statius fokussiere in der Achilleis auf den Zwang einer schweren Entscheidung zwischen Deidamia und Troja. 577 Achill zeigt hier sogar seinen Sohn vor, wie der Einschub 1,908 deutlich macht. 578 Vgl. Dilke zum genauen Verständnis der schwierigen Verse 1,909 f. 579 Als Pendant zu der zu ihrem Mann passenden Penelope könnte man dementsprechend die kluge Deidamia (vgl. 1,803) sehen. Seinen letzten Sieg vor der Wiedervereinigung mit seiner Frau erlangt Odysseus allerdings im 22. Buch mit kriegerischen Mitteln (es sei denn, man zählte die Probe durch Penelope im 23. Buch hinzu). 580 Laut Ripoll zu 1,912–918 handele es sich hier um eine Kondensierung einer zweifellos längeren Szene bei Euripides. Zur Unterstützung dieser Vermutung könnte man auf eine parallele Konstellation z. B. in der euripideischen Helena verweisen: 857–1029 wird dort die handlungsentscheidende Unterstützung der Seherin Theonoe erreicht. Diese stellt zunächst die Entscheidungssituation heraus (876–93); es folgt ein Redeagon von Helena und Menelaos (894–943 bzw. 947–995); abschließend eine längere Rhesis mit der positiven Entscheidung seitens Theonoe (998–1029). Zur Struktur dieser Szene vgl. Kannicht zu Eur. Hel. 857–1031.

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seine Tochter erlitten hat, und des Versprechens gegenüber Thetis (­ 1,912–914).581 Dem Schicksal und dem Krieg der Griechen möchte er nicht entgegenstehen (1,914 f.), auch Achill wende sich ja gegen seine Mutter und deren Absichten (1,916). Zum Abschluss folgt ein positives Argument: Einen solchen Schwiegersohn möchte er nicht ablehnen (1,917).582 Der erste Versfuß des nächsten Verses bringt dann lapidar die Entscheidung: vincitur (1,918). Bereits in der Formulierung wird deutlich, dass alle Einwände die positive Entscheidung nicht verhindern können: ein zweimaliges tamen in 1,914 und 917; zwei Einwänden (iniuria natae, Thetidis mandata) stehen drei Argumente gegenüber (fata, bella, gener talis). Zudem entwickelt sich Lycomedes’ Meinung von der Furcht vor der Ablehnung (metuit, 1,915) zu einer positiven Annahme eines solchen Schwiegersohns (1,917). Die Ethosgestaltung ist nicht nur an Achills rein rhetorisch erlangtem Sieg über Lycomedes deutlich, sondern auch an der folgenden Handlung Deidamias (1,918–920): arcanis effert pudibunda tenebris Deidamia gradum, veniae nec protinus amens credit et opposito genitorem placat Achille. Aus verborgener Dunkelheit schreitet die keusche Deidamia hervor, und noch kann sie ganz von Sinnen der Erlaubnis nicht sofort glauben und besänftigt ihren Vater, mit Achill dazwischen.

Indem Deidamia Achill zwischen sich und ihren Vater stellt, kann sie ihn besänftigen: So steht die ganze neue Familie vor ihm. Aus 1,908 wird ersichtlich, dass Achill seinen Sohn bei sich hat bzw. ihn Lycomedes zu Füßen legt und in 1,918 tritt Deidamia hervor. Dieses Bild besiegt Lycomedes nicht nur, wie nach Achills Rede (vincitur, 1,918), sondern besänftigt ihn sogar (placat, 1,920). Zwischen diese Versöhnung und die sich anschließenden Feierlichkeiten mit Hochzeitsnacht (1,925–960) ist eine Spiegelung der größeren Kriegsvorbereitungen von 1,397–446 eingelegt. Es wird in vier Versen beschrieben, dass auch Achills Heimat mobilisiert wird und Lycomedes Schiffe beisteuert (1,921–924):

581 Ripoll zu 1,914 notiert die parallele Formulierung zu Thetis in 1,385 (Bezeichnung des anvertrauten Achill als depositum) und sieht darin eine Andeutung auf Lycomedes’ Skrupel, gegen die Weisung der Thetis vorzugehen. Gerade dies ebenso wie der Gedanke an die Tochter dürfte gegen seine eigene vorherige Beobachtung sprechen, dass der innere Monolog des Lycomedes’ nicht die Psychologie des Königs im Blick habe, sondern nur den Effekt, den Achill ausgelöst habe (so Ripoll zu 1,912–918). 582 Parkes 2008, 397 Fn. 89 beobachtet einen shift in power balance im Vergleich zu einer verbal ähnlich gestalteten Stelle in der Thebais: Dort nimmt Polynices das Verheiratungsangebot des Adrast an (Th. 2,189 f.: anne aliquis soceros accedere tales / abnuat?); hier nimmt Lycomedes Achills’ Angebot an (A. 1,917: nec tamen abnuerit genero se iungere tali).

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Mittitur Haemoniam, magnis qui Pelea factis impleat et classem comitesque in proelia poscat. nec non et geminas regnator Scyrius alnos deducit genero viresque excusat Achivis. Man schickt nach Haemonien jemanden, der Peleus von den großen Taten­ unterrichtet und eine Flotte und Begleiter für den Kampf fordert. Auch der Herrscher von Skyros führt zwei Schiffe herbei für seinen Schwiegersohn und entschuldigt seine Streitkräfte gegenüber den Griechen.

Im Vergleich zu den ohnehin schon kondensierten Kriegsvorbereitungen 1,397– 446 erhalten wir hier ein noch mal verkleinertes Abbild, ähnlich wie bei der verkürzten Schildbeschreibung in 1,852 f. Zusätzlich wird bereits die zweite Hälfte dieser Vorbereitungen, dem verschwindend kleinen Kontingent des Lycomedes gewidmet: Im Vergleich dazu wird Achill im Schiffskatalog des zweiten IliasBuches als Herrscher über 50 Schiffe bezeichnet (Il. 2,685: τῶν αὖ πεντήκοντα νεῶν ἦν ἀρχὸς Ἀχιλλεύς).583 Hinzukommen gleich drei Doppeldeutigkeiten in der Lexik, die zur Destabilisierung des Martialischen führen: 1) Worum handelt es sich bei den großen Taten, von den Peleus unterrichtet werden soll (magnis factis, 1,921)? Dass Achill jetzt am Krieg teilnehmen kann, ist noch keine große Tat. Ein proleptischer Gebrauch ist an dieser Stelle unsinnig. Die einzig große Tat, von der der Bote berichten kann, ist die Verheiratung mit Deidamia und die Zeugung eines Enkelkindes. 2) Lycomedes führt die Schiffe mit einer Vokabel herbei, die poetologisch als kallimacheisch markiert ist: deducit (1,924).584 Passenderweise kann Lycomedes allenfalls eine Flotte κατὰ λεπτόν von zwei Schiffen stellen. 3) Lycomedes entschuldigt seine ›Kräfte‹ (vires, 1,924): Neben dem Bezug auf das kleine Schiffskontingent ist dies ein doppelter Rückbezug auf 1,775–779, wo er seine schwindenden körperlichen Kräfte und die daraus resultierende Abwesenheit von kriegerischen Handlungen beklagt; zugleich nannte er eigentlich seine Töchter vires meae (1,782). Noch kallimacheischer dürfte man eine Flotte kaum darstellen können! Die folgenden beiden Verse gehen knapp vom symposiastischen Tagesschluss zur Hochzeitsnacht über (1,925 f.): tunc epulis consumpta dies, tandemque retectum foedus et intrepidos nox conscia iungit amantes. Dann wurde im Mahl der Tag beendet und endlich offenbar der Bund, und die verschworene Nacht verbindet die Liebenden, die [nun] ohne Furcht [vor Entdeckung] sind. 583 Hinweis von Ripoll zu 1,923, der von einer lächerlichen Zahl (chiffre dérisoire) mit Bezug auf die zwei Schiffe des Lycomedes spricht. 584 Vgl. B 2.1. zu A. 1,7.

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Die Tendenz zur versöhnlichen Atmosphäre wird hier auf einen Gipfelpunkt gebracht: Die früher mehrfach als Heimlichkeit bezeichnete Affäre585 ist nun ein allen offenbarter Bund, foedus retectum (1,925 f.). Diese Offenbarung ist eine Entdeckung, die nicht mehr Trauer und Furcht auslöst, wie noch in 1,885 f. (plangebat […] retectos Deidamia dolos), sondern eine Vereinigung der unerschrocken Liebenden (intrepidos […] iungit amantes, 1,926). Eine durch Heirat legalisierte Beziehung würde nun das Ende einer elegischen Liebschaft bedeuten.586 Eine elegische Note erhalten diese Verse dennoch durch das Attribut der Nacht: conscia.587 Skyros war zuvor schon von Calchas verächtlich als conscia tellus (1,532) bezeichnet worden, die Achill vor seiner Kriegsbeteiligung schützend beherberge. Als Thetis sieht, wie sich ihr Sohn in Deidamia verliebt, und sie dies nutzt, um ihn zum Aufenthalt auf Skyros zu überzeugen, wird sie conscia mater (1,318) genannt. Diese elegische Note leitet dann subtil auch zur folgenden Passage, dem Abschied von Deidamia, über, der ebenfalls eine elegische Färbung aufweist.588

8. Achills Abschied (A. 1,927–2,30a) 8.1 Hochzeitsnacht und Abschied (1,927–960) Bereits nach der ersten Erwähnung der Hochzeitsnacht (1,926) richtet der Erzähler den Fokus auf Deidamias Bedenken hinsichtlich der zukünftigen Beteiligung Achills am trojanischen Krieg (1,927 f.). Sie fürchtet sich vor dem neuen Tag, der den Abschied bedeutet, und umarmt weinend ihren Gatten (1,929 f.). Sie hält zum ersten Mal in der Achilleis eine längere direkte Rede, in der sie ihre grundlegenden Befürchtungen und Wünsche für die Zukunft äußert (1,931– 955). Ergriffen tröstet Achill sie und macht große Versprechungen, beides in indirekter Rede (1,956–959). Mit dem letzten Vers des Buches weist der Erzähler bereits auf die Unerfüllbarkeit dieser Versprechen hin (1,960). Der Abschied eines Kriegers von seiner Frau/Geliebten ist durchaus keine Neuerung in der Achilleis, sondern bereits in der Ilias findet sich der berühmte Abschied Hektors von Andromache (Il. 6,369–502). Auch für Lucan und die bei-

585 Vgl. 1,531, 561, 641, 669 und 903. 586 Vgl. z. B. Prop. 2,7,1–11 für die elegische Liebe vs. eheliche Liebe. 587 Vgl. z. B. Prop. 1,10, 1 f.; 3,15,7 f.; Ov. Am. 1,4,50; 2,5,34; 2,8,8; Ars 1,354; 2,703; 3,625. 588 Vgl. darüber hinaus Gärtner 2010, der Parallelen zwischen dem Ninos-Roman und dem ersten Buch der Achilleis im Sinne bewusster Bezugnahmen seitens Statius herausarbeitet. Dadurch lässt sich neben dem Einfluss der Elegie auch der verwandte (Liebes)Roman als ethisierende Strategie in der Achilleis beobachten. Vgl. dazu B 2.2.2.

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den anderen flavischen Epiker lassen sich Entsprechungen finden.589 Allerdings zeichnet sich die Passage in der Achilleis, wie Ripoll beobachtet hat, gegenüber den genannten Parallelen durch ihre starke elegische Färbung aus.590 Dieser elegische Charakter ist bereits mehrfach in der Forschung hervorgehoben worden, wobei besonders die Nähe von Deidamias Rede zu den ovidischen Heroides im Vordergrund stand.591 Diese Nähe bedeutet allerdings nicht, dass Deidamia gänzlich eine ovidische Herois sei, wie Heslin gezeigt hat: Sie erbitte letztlich nur, was ihr auch erfüllt werde, keine unehelichen Kinder mit einer Barbarin (vgl. 1,952–955, s. u.). Die tragische Ironie, die in dem Missverhältnis zwischen dem Wissen des Lesers und der Unkenntnis der Sprecherin bei den ovidischen He­roides bestehe, sei hier nicht zu finden.592 Sogar hier wahrt Statius also eine 589 Ripoll zu 1,927–960 verzeichnet folgende Parallelen: Lucan 8,61–108; Valerius 2,393–427; Silius 3,61–127. 590 Ripoll zu 1,927–960. Vgl. ausführlich dazu Rosati 1994, 42–61, sowie Rosati 2005, 146 f. Zur generellen Elegisierung des Helden im römischen Epos vgl. Rosati 2005, 143–147, bes. 144 und 147 für den Unterschied zu Homer und Vergil. Vgl. dazu auch Hübner 1968 (Aeneis und Elegie) und 1984 (Elegie und Lucan). Caston 2011 zeigt Lucans Rezeption des vierten Properzbuches auf (bes. von 4,3/4 und 7 in der Charakterisierung von Pompeius’ früherer Gattin Julia, Catos Frau Marcia und Cleopatra). McCune (2013/14) demonstriert, wie die Motivik der Liebeselegie bei Lucan aufgerufen und zugleich aber konterkariert wird, um den zerstörenden Einfluss des Bürgerkriegs auch in einem eposfremden Gattungsbereich zu zeigen. Barchiesi 2000 zeigt, dass die kaiserzeitliche römische Epik zwei grundlegende Tendenzen aufweise: zum einen eine hyperepische Gestaltung und zum anderen eine im weiteren Sinne Elegisierung des Epos zunennende Entwicklung. Allerdings nimmt laut Barchiesi die Achilleis dennoch einen besonderen Platz innerhalb dieser Entwicklung ein (p. 321). 591 Rosati 1994, 43–53; daran anknüpfend: Heslin 2005, 141–145; Parkes 2008, 398 f.; Ripoll zu 1,927–960 sowie zu 1,927–929, zu 1,942–948, zu 1,945 und zu 1,946. Besonders Ripolls Kommentar zu Deidamias Rede zeigt die Fülle der elegischen Topoi und verbalen Reminiszenzen auf. Neben den Heroides ist auch Properz 4,3 (wahrscheinlich der Prototyp für die Heroides) entscheidend, vgl. dazu Ripoll zu 1,936–939 und zu 1,949–951 sowie Cat. c. 64: vgl. dazu Heslin 2005, 142 und 144. Klodt 2009, 198 Fn. 56 stellt A. 1,940–942 in Beziehung zu Didos Abschiedsworten in Aen. 4,381. Demgegenüber vertritt Jannaccone zu 1,931–955 einen besonderen Einfluss der Tragödie, jedoch ohne nähere Parallelen zu nennen. Vinchesi 1999 zufolge greift Statius für die Gestaltung der Abschiedsrede der Deidamaia auf diejenige von Hannibals Frau im dritten Buch der Punica des Silius zurück. Sollte dies der Fall sein, scheinen mir die elegischen Intertexte aber entscheidender. Den Topos der irrealen Begleitung der Ehefrau verwendet Statius auch im Epicedion auf die verstorbene Priscilla (Silv. 5,1,66–69/127–134). Im Propempticon auf Maecius Celer bezieht Statius diese irreale Begleitung sogar auf sich selbst (Silv. 3,2,90–100). Allgemein zu diesem Topos: Gibson zu Silv. 5,1,66–69. Keith 2015 arbeitet für die elegische puella heraus, dass diese zwar den Liebhaber unter Tränen nur in den Krieg verabschiedet, aber doch von einer sieg- und beutereichen Heimkehr profitiere. Die Wahl ihrer Namen zeige Bezüge zur Realität auf. Auf diese Weise spiegele sich in dieser literarischen Figur das realweltliche Geschehen der kriegerischen Erweiterung des römischen Reiches. Interessanterweise verweist Achill nun gerade auf diesen Beuteaspekt, um Deidamia zu trösten (A. 1,956–959). 592 Heslin 2005, 143.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Mitte, die sich auch in der Kürze der Szene (34 Verse) im Vergleich zu den genannten Parallelen äußert.593 Darüber hinaus wird die emotionale Erregung Deidamias, die bereits in der Redeeinleitung (1,929 f.) verdeutlicht wurde und auch in der rhetorischen Gestaltung der Rede mit ihren vielen rhetorischen Fragen, Einwürfen und Anaphern zum Tragen kam, durch die Tages- und Buchgrenze innerhalb von fünf Versen aus dem Blick des Lesers genommen, auch der neue Tag und das neue Buch werden für 22 Verse zu dieser Aus-dem-Blick-Nahme beitragen. Die besondere Gestaltung dieser Abschlussszene des ersten Buches soll mit Blick auf die bisherige Forschung darum weniger anhand elegischer Intertexte untersucht werden, als im Vergleich mit einer motivverwandten Szene aus der Thebais (2,306–363).594 Diese Szene bildet eine Brücke von den Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit von Polynices und Diomedes mit den Töchtern des Adrast zur Gesandtschaft des Tydeus, die in einem blutigen Überfall das Buch beschließt. In diesen knapp 60 Versen wird in drei Phasen, die psychische Entwicklung des Polynices beschrieben (2,306–332a), dann die Reaktion seiner Gattin Argia in Form einer Rede (2,332b–352a) und schließlich Polynices’ Entgegnung (2,352b–363). Kontext und Funktion beider Szenen in Thebais und Achilleis zeigen schon in dieser knappen Zusammenfassung eine deutliche Verwandtschaft: Beide Szenen bilden Übergänge von einer Hochzeit zu sich anbahnenden kriegerischen Auseinandersetzungen; es handelt sich um ein Gespräch neu Vermählter, wobei der Mann die Befürchtungen der Frau zu lindern beabsichtigt. Was die Proportionen anbelangt, so ist die Thebais-Szene nahezu doppelt so lang (58 zu 34 Versen); die Länge der jeweiligen ersten und dritten Teile sind stark abweichend: es lässt sich eine deutliche Verkürzung in der Achilleis beobachten (4595 zu 26 bzw. 5 zu 11); der zweite Teil, sc. die Reden der Frauen, hingegen ist in etwa vergleichbar (18 zu 25). Besonders die vergleichende Betrachtung der umfangreicheren Teile in der Thebais kann im Folgenden die Eigenarten der Achilleis-Szene hervortreten lassen. In der Thebais wird im ersten Teil der betreffenden Szene eine ausführliche Schilderung der psychischen Entwicklung des Polynices gegeben, die auf ein Ziel hinausläuft, das am Ende auch explizit genannt wird: eine Steigerung des 593 Vgl. auch Jannaccone zu 1,956: Es gebe keine direkte Rede Achills als Antwort bzw. einen weiteren Dialog, da dieser ein Pathos-Crescendo bedeutet hätte. Das sieht Jannaccone allerdings als konträr zu epischer Würde an. Mit dieser vagen Formulierung ist letztlich eine allzu starke Anlehnung an die Elegie oder verwandte Szenen aus anderen Gattungen gemeint. 594 Auch Parkes 2008, 398 sieht darin einen wichtigen Ansatzpunkt für das Verständnis der Achilleis-Passage. Auch die Thebais kennt elegische Züge, wie Bessone 2002 zeigen kann. Allerdings macht sie p. 194 auch den Unterschied beider Abschiedsszenen Deidamia-Achill bzw. Argia-Polynices deutlich: Deidamia entspreche wesentlich mehr einer ovidischen Herois, d. h. die Elegisierung des Epischen ist wesentlich stärker ausgebaut als in der Thebais. 595 Selbst wenn man A. 1,925 f. noch hinzuzählt, um eine Parallelität zur Thebais zu unterstreichen (vgl. A. 1,925 epulis und Th. 2,306 epulas), ändert sich das Verhältnis kaum.

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Achills Abschied (A. 1,927–2,30a) 

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Zorns – iras / mente acuit (Th. 3,331 f.). Diese Steigerung wird durch eine Erinnerung an die erniedrigende Vertreibung aus Theben und die stetige Vergegenwärtigung der Ereignisse erreicht.596 Der Erzähler benennt mit dolor und ira demens die Emotionen, die Polynices’ Seele beherrschen (Th. 2,319). Gekrönt wird diese Entwicklung durch ein umfangreiches Stiergleichnis (Th. 2,323–332), dessen pathetische Ausformung in Gegenüberstellung zum Stiergleichnis in der Achilleis (1,313–317) bereits thematisiert wurde. Polynices’ Gemahlin Argia bemerkt diese Gefühlsentwicklung und bei Morgenanbruch ihn umarmend (2,332–334) beginnt sie ihre Rede (2,334–352). Der entsprechende erste Teil der Achilleis-Szene findet zu gleicher Zeit, beim Herannahen der Morgenröte statt (1,929), allerdings steht hier vor der Rede der Frau keine emotionale Entwicklung der ira viri, sondern Deidamias Ängste,597 die aus der Vergegenwärtigung des künftigen Kriegs vor Troja entstehen, bringen den Anreiz, ihren Mann, ebenfalls ihn umarmend, anzusprechen (1,927– 930).598 Eine derjenigen Polynices’ vergleichbare Entwicklung fehlt also in der Achilleis: Obwohl problemlos denkbar wäre, auf Achill und seine Lust zum Aufbruch bzw. Krieg zu fokussieren, wird ein solches Bild auf den Beginn des zweiten Buches verschoben (2,5–22) und gerade nicht an diese Stelle gesetzt. Nicht ira, sondern Sorge steht damit am Ausgangspunkt der nächtlichen Unterhaltung der Liebenden. Die Reden beider Frauen allerdings zeigen durchaus gemeinsame Züge. Beide tragen Sorgen um ihren Mann und dessen Rückkehr (A. 1,931–939 – Th. 2,343– 351); beide beugen sich aber dem Wunsch des Mannes bzw. den Zwängen zur Teilnahme (A.1,940  – Th. 2,339–342); beide fürchten aber eine mögliche Untreue (A. 1,942–948  – Th. 2,351 f.). Dennoch führt die Sorge auch zu unterschiedlichen Reaktionen: Deidamia würde sogar selbst am Krieg teilnehmen wollen (A. 1,949–951); Argia hingegen will Polynices nicht allein antreten lassen, spricht aber keinesfalls von einer eigenen Teilnahme (Th. 2,343–345). Hier tritt der Unterschied zwischen Skyros und Argos deutlich zutage: In der elegischen Welt auf Skyros hat Achill Frauenkleider getragen und würde Deidamia gern den Thyrsus gegen Feldzeichen tauschen.599 Gerade die Rollenverkehrung Achills dient ihr als Argument für eine mögliche Rollenverkehrung auch zu ihren Gunsten (vgl. 1,949 cur non ego etc.). In Argos ist eine solche Verkehrung der traditionellen epischen Rollen nicht einmal aussprechbar. Allerdings bleibt sie auch in der Achilleis nur eine auf Skyros sagbare Hypothese. Denn vor Troja gel 596 Th. 3,309–323a, für die Intensivierung durch Wiederholung vgl.: per noctem ac luce sub omni in 3,318 und talem sub pectore nubem / consilii volvens in 3,321 f. 597 Zum zunächst ambivalent bleibenden illius, mit dem die Szene einsetzt, vgl. Heslin 2005, 138, der diese Ambiguität aber vielleicht ein wenig überinterpretiert. 598 Die Parallelität von A. 1,929 f. und Th. 2,332–334 sieht auch Ripoll zu 1,929 f. 599 Vgl. dazu auch Ripoll 2008a, 156–162 zu Skyros als Welt des Femininen und der Ambiguität.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

ten keine skyrischen Verhältnisse.600 Darum schließt Deidamia auch mit einer realistischen Einschränkung ihrer Wünsche (1,952–955, attamen als Einleitung in 1,952): Im Gedenken an ihren gemeinsamen Sohn solle er keine weiteren Kinder mit einer Nicht-Griechin haben. Ein weiterer wichtiger Unterschied beider Reden besteht in der Perspektive: Deidamias Ängste lösen ihre Rede aus und ihre Rede ist auch von ihren Emotionen bestimmt; Argia hingegen nimmt die innere emotionale Entwicklung ihres Mannes wahr (sed fida vias arcanaque coniunx / senserat; Th. 2,332 f.) und geht darauf auch direkt in ihrer Rede ein (Th. 2,334 f.). Sie ergänzt sogar die Beschreibung der inneren Zustände des Polynices, die vom Erzähler in 2,306–332 geleistet wurde, durch eine Schilderung der äußeren, anhand derer sie auf den seelischen Zustand ihres Mannes geschlossen hat (Th. 2,336–339: suspiria, fletibus, latrantia pectora). Während Deidamia nach Heroiden-Art sich als eigenständig geformter Charakter präsentiert, wird Argia durch die Konzentration auf ihren Mann zu einem Spiegelbild bzw. einer Projektionsfläche für das Psychogramm des Polynices. Als eigenständige Züge werden Argia nur Sorge um ihren Mann und dessen Treue zugestanden, die am Ende der Rede kurz und in periphrastischer Form aufscheinen (Th. 2,351 f.: conscius ardor und melior­ socer; vgl. dagegen die Explizitheit Deidamias in 1,942–948 und 1,952–955). Im Unterschied zu Deidamia richtet sie aber keine Bitten an ihren Mann. Sowohl Polynices und Achill wirken mit Versprechen tröstend auf ihre Frauen ein.601 Doch könnten davon abgesehen sowohl die Art ihrer Reaktion als auch die literarische Ausgestaltung kaum unterschiedlicher sein. Sehen wir uns zunächst Polynices an (Th. 2,356–362):            hic breve tandem risit Echionius iuvenis tenerumque dolorem coniugis amplexu solatus et oscula maestis tempestiva genis posuit lacrimasque repressit; »solve metus animo, dabitur, mihi crede, merentum consiliis tranquilla dies; te fortior annis nondum cura decet. scit602 haec Saturnius olim fata parens, oculosque polo demittere si quos Iustitia et rectum terris defendere curat:

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600 Vgl. auch Deidamias Trauer über die durch die Heirat aufgehobene elegische Heimlichkeit (1,938 f.), die eine Trennung bisher verhindert hatte, da Achill unerkannt von den Griechen auf Skyros weilen konnte. Sie wünscht implizit also eine Re-Elegisierung ihrer Beziehung, die nur in einem Verbleiben (eines sich verbergenden) Achills in der elegischen Welt von Skyros realisiert werden könnte. 601 Vgl. die Charakterisierung des Redemodus durch den Erzähler: solatus in Th. 2,354 und solatur in A. 1,957 sowie die Versprechen Th. 2,361 f. und A. 1,957–959. 602 Ich folge hier Gervais’ Argumentation (ad loc.) für Halls Emendation des überlieferten sciat.

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fors aderit lux illa tibi, qua moenia cernes coniugis et geminas ibis regina per urbes.« sic ait, et caro raptim se limine profert. Hier lächelte endlich der thebanische Jüngling kurz und tröstete den zarten Schmerz seiner Gattin mit einer Umarmung, küsste sogleich ihre traurigen Wangen und unterdrückte ihre Tränen. »Hab keine Furcht; es kommt, glaube mir, ein ruhiger Tag für die Pläne derer, die es verdienen; eine zu intensive Sorge passt noch nicht zu deinem Alter. Der saturnische Vater weiß schon längst um dieses Schicksal, und wenn Iustitia es sich einmal angelegen sein lässt, ihre Augen vom Himmel herabblicken zu lassen und auf der Erde das Recht zu verteidigen, dann wird wohl der Tag für dich kommen, an dem du die Stadtmauern des Gatten sehen und als Königin durch die beiden Städte [Argos und Theben] gehen wirst.« So sprach er und eilte von der geliebten Schwelle davon.

Polynices tröstet zwar Argia, ganz ernst nehmen kann er ihre Sorge aber nicht: Er lächelt (Th. 2,352 f.), unterdrückt ihre Tränen (2,355) und ermahnt sie sogar wegen ihrer unpassenden Sorge (2,357 f.). Die Formulierung seines Versprechens verdeutlicht eine Zentrierung auf Polynices: Argias künftiger Glückszustand wird als Relation zu ihm beschrieben. Seine Absicht, ist eine Rückeroberung der Herrschaft über Theben. Was er ihr verspricht, ist Königin über Argos und Theben zu sein (2,362), d. h. an seiner Seite als König.603 Wie sehr er von seinen Plänen eingenommen ist, zeigt auch sein Verhalten nach seiner Rede: Er bricht sogleich auf (raptim, 2,363) und begibt sich zu Tydeus und Adrast, um in die Tat umzusetzen, was ihn bisher bewegt hat (2,364–370). Wie anders dagegen verhält sich Achill (1,956–960): talia dicentem non ipse inmotus Achilles solatur iuratque fidem iurataque fletu spondet et ingentis famulas captumque reversus Ilion et Phrygiae promittit munera gazae. inrita ventosae rapiebant verba procellae. Sie, die solches sagte, tröstete Achill, selbst nicht ungerührt, und schwört Treue und gelobt unter Tränen das Geschworene und verspricht bei seiner Rückkehr eine große Anzahl von Dienerinnen, die Eroberung Trojas und Gaben vom phrygischen Schatz. Stürmische Winde rissen unerfüllt diese Worte fort.

Im Unterschied zu Polynices lächelt Achill nicht überlegen, sondern ist selbst gerührt (non ipse inmotus, 1,956), ja sogar zu Tränen (fletu, 1,957); er geht auf Deidamias Befürchtung hinsichtlich seiner Treue ein und schwört diese (iurat 603 Vgl. auch Gervais zu Th. 2,352–356 zu intertextuellen Bezügen zu Vergils Jupiter im ersten Buch der Aeneis, die als Kontrast zur negativen Charakterisierung des Polynices dienen. Eine Art dramatischer Ironie in Polynices’ Redeschluss entdeckt Gervais zu Th. 2,362 durch den Intertext des ovidischen Paris-Briefes (16,333).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

que fidem, 1,957). Auch sein Versprechen zeigt eine größere Fähigkeit zur Empathie als Polynices. Er stellt neben seiner Rückkehr Geschenke in Aussicht, die eine Frau erfreuen sollen: Dienerinnen und Schmuck, sogar sein erstrebtes Ziel, die Eroberung Troja, legt er ihr gewissermaßen zu Füßen (1,958 f.). Auf eine Belehrung wie diejenige des Polynices über altersangemessene Sorge verzichtet Achill vollständig. In dieser Ergebenheit und Mitfühlung mit seiner Geliebten ähnelt er vielmehr einem elegischen Liebhaber.604 Auch verschwindet er nicht im Anschluss an seine Trostrede wie Polynices. Vielmehr finden wir hier einen schließenden Vers, der elegischer Fingerzeig und Prophezeiung in einem ist.605 Der catullische Intertext wird von allen Kommentatoren notiert:606 irrita ventosae linquens promissa procellae (»Stürmische Winde rissen die unerfüllt bleibenden Worte fort.«, c. 64,59) heißt es von Theseus, der Ariadne am Strand von Naxos vergisst. Dieser elegische Topos607 in catullischem Gewand bedeutet zum einen ein gewisses Weiterwirken der elegischen Welt, d. h. dass Achill diese Seite seines Charakters nicht vollständig entbehren wird. Allerdings ist es auch eine Prophezeiung, denn die Nichterfüllung der Versprechen ist nicht so sehr durch eine Treulosigkeit oder Vergesslichkeit Achills bedingt, sondern  – und hierin wird der Abstand zu Theseus besonders groß – durch seinen Tod vor Troja.­ Heslin hat diese Nuance der dunklen Prophezeiung betont,608 während Ripoll vor einer Überschätzung des pathetischen Gehalts des Verses 1,960 warnt.609­ Ripoll zufolge hätte Statius eine wesentlich tragischere Färbung des Buchschlusses erreichen können, wenn er in Deidamias Rede deutlichere Hinweise auf den Tod Achills eingebaut hätte, wie sie sich z. B. bei der homerischen Andromache finden lassen (Il. 6,407–439). Demgegenüber trete das Thema des Todes in Deidamias Rede in den Hintergrund und werde auf eine Andeutung in 1,941 reduziert. Die Rede sei im Gegenzug vielmehr auf das Motiv der Untreue zentriert. 604 Allerdings trennt ihn seine eheliche Ergebenheit Deidamia gegenüber (zumindest an dieser Stelle) sowie sein Interesse am Krieg auch von einem typisch elegischen Liebhaber, vgl. z. B. Prop. 3,5,1 f.: Pacis Amor deus est, pacem veneramur amantes: / sat mihi cum domina proelia dura mea. 605 Eine versteckte Anspielung auf die Thebais-Stelle scheint mir dennoch vorzuliegen: Dort macht sich Polynices raptim auf den Weg (Th. 2,363) in der Achilleis werden Achills Wort davongerissen, rapiebant (in Ersetzung des catullischen linquens!, s. o.). 606 Vgl. ad loc. Jannaccone, Dilke, Ripoll und Nuzzo. Ripoll bietet darüber hinaus ausführliche Listen zum Topos selbst. Dieser ist zwar häufiger anzutreffen, die Nähe zu Formulierung Catulls aber unbestritten. Vgl. dazu auch Heslin 2005, 144 sowie Hinds 1998, ­124–129, Rosati 1994, 53 f. und Lauletta 1993, 88. Eine Variante des Topos findet sich auch Th. 5,419: praecipites vocem involvere procellae. An dieser Stelle ist jedoch die Metaphorik auf eine tatsächliche Illustrierung, nicht auf einen Wortbruch gemünzt. Zu c. 64 und der Achilleis vgl. B 3. 607 Ripoll zu 1,960 verzeichnet 11 Stellen aus Properz, Tibull und Ovids Ars und Amores – die mit Abstand größte Häufigkeit von Stellen aus einer Gattung in Ripolls Liste. 608 Heslin 2005, 144. 609 Ripoll zu 1,960.

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Achills Abschied (A. 1,927–2,30a) 

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Dieses Motiv werde aber entdramatisiert (dedramatisée) durch eine Formulierung, die den moralischen Vorwurf des catullischen Modells abschwäche.610

8.2 Abfahrt von Skyros (2,1–30a) Die ersten 22 Verse des zweiten Buches setzen eine Gegenbewegung zum ethisierten Achill des ersten Buches in Gang, die jedoch bereits durch einen Blick zurück auf Deidamia und seinen Sohn (2,23–30) konterkariert wird und auch in ihrer Gestaltung widerständige Momente aufweist, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Die Gegenbewegung ist tatsächlich dynamisch gestaltet und setzt die Metaphorik des Entschleierns von 1,874–885 fort. Dies beginnt bereits mit der Beschreibung des Tagesanfangs in den ersten Versen des zweiten Buches (2,1–4).611 Der selbst aus dem Okeanos hervortretende Tag entkleidet den Erdkreis von den Schatten der Nacht (exuit implicitum tenebris umentibus orbem / Oceano prolata dies, 2,1) – ein doppelter Enthüllungsvorgang also. Dieser ist gleichsam allegorisches Vorspiel für den Auftritt Achills.612 Er erscheint, wie er bei seiner Entdeckung 1,878–880 sich gezeigt hatte: mit nackter Brust und in ebendenselben Waffen (2,5–7: nudatum pectora, 2,5;613 insignemque ipsis, quae prima invaserat, armis, 2,6). Dieser Einblick löst auch wiederum Furcht bei den Betrachtern aus,614 die es sogar nicht wagen, sich an die bisherigen Ereignisse zu erinnern (nil ausi meminisse, 2,9). Denn so wie Achill erscheint, erweckt er den Eindruck, als ob die Skyros-Episode nie stattgefunden hätte:             sic omnia visu mutatus rediit, ceu numquam Scyria passus litora Peliacoque rates escendat ab antro.

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So ganz verändert im Anblick kehrte er zurück, als ob er die Küsten von­ Skyros nie erlebt und von der Grotte beim Pelion das Schiff bestiegen hätte. 610 Vgl. die Ersetzung des catullischen linquens promissa durch rapiebant verba: Dadurch werden die procellae zum Subjekt, das die Worte fortreißt, und die Nachlässigkeit des Theseus wird Achill nicht angelastet. Vgl. außerdem Davis 2006, 139 f., der in die Parallelbetrachtung des catullischen Theseus und statianischen Achill auch den Theseus von Thebais 12 miteinbezieht. 611 Vgl. dazu die Erklärungen von Dilke ad loc. 612 Vgl. auch Kozák 2007, 375–385 für eine symbolisch-allegorische Auslegung dieser Beschreibung des Tagesanbruchs. Kozák rekurriert dabei als Parallele auf Achills Kriegseintritt mit Ilias 19 und den dortigen Tagesbeginn am Buchanfang sowie auf die Lichtmetaphorik, die die Schildbeschreibung und den Achill von Ilias 19 verbindet. 613 Vgl. dazu auch Ripoll zu 2,5. 614 2,8: pavent; vgl. zuvor über Lycomedes beim Anblick des enttarnten Achill in 1,890: paventem.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Ironischerweise spielt Statius hier auf die Erscheinung Hektors im zweiten Buch der Aeneis an,615 den Aeneas in Traum sieht, so wie er nach der Verunstaltung durch Achill (!) anzuschauen war, nicht mehr im Vollbesitz seiner körperlicher Unversehrtheit (Aen. 2,274–276): ei mihi, qualis erat, quantum mutatus ab illo Hectore qui redit exuvias indutus Achilli vel Danaum Phrygios iaculatus puppibus ignis! Weh mir, wie war er, wie verändert gegenüber jenem Hektor, der mit der erbeuteten Rüstung Achills angekleidet616 zurückkehrt oder den Schiffen der Danaer phrygisches Feuer entgegenschleuderte!617

Nach der Enthüllung 1,878–885 haben wir einen Achill beobachten können, der sich dennoch wieder in den Ethos-Rahmen einfügt, sowohl in der Rede gegenüber Lycomedes (1,892–910) als auch im Umgang mit Deidamia (1,956–960). Das zweite Buch scheint nun zunächst einen Schritt zurück zu machen, wie die demonstrierten Rückbezüge andeuten. Gerade aber die Parallele zum verunstalteten Hektor macht den intertextuell versierten Leser aufmerksam, dass es bei dieser Einseitigkeit nicht bleiben wird, die, wie gesagt, ab 2,23–30 explizit unterlaufen wird. Zudem betont der Erzähler, dass es sich um eine äußere Verwandlung handele (omnia visu / mutatus, 2,9 f.) und es scheine, als ob er die Erlebnisse auf Skyros nie erduldet hätte (ceu, 2,10). Vielleicht lässt sich ein weiterer intertextueller Verweis als Ethisierungsstrategie­ anbringen. Ripoll parallelisiert das Motiv des jugendlichen Feldherrn (vgl. iuvenemque ducemque in 2,8) mit der Darstellung Octavians in der ovidischen Ars (1,181 f.): primisque ducem profitetur in annis / bellaque non puero tractat agenda puer (›in jungen Jahren zeigt er sich als Feldherr; Kriege, die ein junger Mann nicht führt, lenkt er doch als junger Mann‹). Eingebettet ist dieses Distichon in die Beschreibung von Seeschlachten, die als Aufführungen in Rom eine gute Kennenlernmöglichkeit darstellen (1,171–776). Auf diese Weise gelingt es Ovid also, diese eigentlich der elegischen Welt fremde materia zu inkorporieren. Statius setzt in ähnlicher Weise einen epischen Helden in eine elegische Umgebung. Dass Achill Deidamia kennenlernen konnte, ist ebenfalls kriegerischen Auseinandersetzungen zu verdanken, ohne die Thetis ihn nie auf Skyros hätte verstecken wollen.

Die Handlungen unmittelbar vor der Abfahrt sind vom Bestreben nach Versöhnung gekennzeichnet: Vor der Abfahrt mahnt Odysseus Opfer für die Winde und Meergottheiten an, darunter auch Neptun (2,12–15). Es soll also keinen Anlass für Stürme oder gefährliche Fahrten geben. Gerade die Sturmschilderungen hat Ps.Longin 9,14 aber als ein Element gesehen, das der Charakterisierung 615 Parallele bei Ripoll und Nuzzo zur Stelle. 616 Vgl. Il. 17,183–214 und Horsfall zu Aen. 2,274 für die Abweichung gegenüber der Ilias. 617 Vgl. Il. 16,112–129.

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Achills Abschied (A. 1,927–2,30a) 

der Odyssee als Ethos-Epos entgegensteht und dies mit dem Verweis auf die auch noch im Alter bestehende Kraft Homers erklärt. Statius nun lässt seinen Odysseus eine solche Odyssee verhindern, in dem er den Zorn des Poseidon, der die Irrfahrten antreibt, gar nicht erst aufkommen lassen will. Auch Achill bemüht sich um eine Besänftigung seiner Mutter, die ja auch eine Meergöttin ist. Er habe ihr gehorcht, doch sei es genug (2,17 f.). Mit der zeitlichen Begrenzung des Aufenthalts auf Skyros nimmt Achill ein Argument auf, das Thetis selbst ihrem Sohn geboten hat, um ihn zum Bleiben zu bewegen (vgl. 1,266 f.). Damals hatte Thetis zugesagt, dass er bald wieder zu Chiron zurückkehren dürfe. In der Selbstinszenierung seines Auftritts im zweiten Buch knüpft Achill insofern daran an, als es scheint, als ob er aus der Grotte beim P ­ elion ein Schiff bestiegen hätte (2,10 f.). In subjektiver Deutung zieht Achill also nur vor, was seine Mutter ihm ohnehin versprochen hat, um das mögliche Konfliktpotential zwischen seiner Mutter und ihm, die als Meergöttin auch Einfluss auf die anstehende Fahrt nehmen könnte, zu vermindern. Die Beschreibung der Abfahrt selbst bündelt ohne widerständige Momente die bereits beschriebene Gegenbewegung:618 Achill wird durch günstige Winde geradezu fortgerissen von Skyros (abripitur, 2,21) und erfüllt dadurch auch verbal Deidamias Befürchtung (abripitur, 1,939).619 Skyros verschwindet im Nebel (2,21) und erhält ein Attribut, das die Insel mit der Perspektive des Odysseus bei der Anfahrt auf Skyros in Verbindung bringt: Dort hieß sie scopulosa (1,691), hier ardua (2,21). Mit der Abfahrt beginnt Achill also Odysseus’ Perspektive auf Skyros einzunehmen, die seinem Ersteindruck nicht entspricht.620 Genau in diesem Moment jedoch gibt es eine Perspektivkorrektur: Deidamia blickt Achill hinterher (2,23–26) und er zurück (2,27–30): Turre procul summa lacrimis comitata sororum commissumque tenens et habentem nomina Pyrrhum pendebat coniunx oculisque in carbasa fixis ibat et ipsa freto, et puppem iam sola videbat. ille quoque obliquos dilecta ad moenia vultus declinat viduamque domum gemitusque relictae cogitat: occultus sub corde renascitur ardor datque locum virtus.

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Fern von einer Turmspitze, begleitet von den Tränen ihrer Schwestern, in den Armen den ihr anvertrauten Sohn, Pyrrhus mit Namen, lehnte die Gattin [über die Brüstung], ihre Augen waren auf die Segel geheftet, sie ging (im Geiste) auch selbst auf dem Meer und sieht schon als einzige noch das Schiff. 618 Angedeutet ist dies schon in einer Beobachtung Jannaccones: Das Hysteron-proteron bella-rates (2,18) zeige, dass Achill zuerst an den Krieg denke. 619 Parallele bei Ripoll und Nuzzo zur Stelle. 620 Vgl. in 1,248–250 Verwunderung und in 1,301–317 Bezauberung beim Anblick Dei­ damias.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Er auch wendet seine Blicke zurück zu den geliebten Mauern, denkt an das verwaiste Haus und die Klagen der Verlassenen: Bisher verborgen unter seinem Herzen erwacht das Liebesfeuer wieder und der Kampfesmut weicht zurück.

Was gerade als epische Ausfahrt begonnen hat, gerät durch den Blick der beiden Liebenden zum elegischen Abschied, der die epische Fortführung gefährdet, denn Achills virtus ist gerade dabei, seiner Liebesleidenschaft zu weichen. Ähnliches war Achill bereits nach seiner Entdeckung angesichts der trauernden Deidamia passiert (haesit et occulto virtus infracta calore est, 1,888).621 Die Rückkehr, die er Deidamia in der Nacht zuvor versprochen hatte (1,958), scheint auf einmal mit einer möglichen Umkehr greifbare Realität zu werden. Hier wird, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, Odysseus intervenieren. Dieses Eingreifen beendet jedoch nicht das Ethos-Epos, denn eine Entfernung von der mythologischen Vulgata ist an dieser Stelle ohnehin nicht möglich. Sie würde sonst zu einer undenkbaren Variante führen müssen wie derjenigen, die für den Nichtraub Helenas ersonnen werden musste, sc. die Einführung eines Eidolons, das die mythologisch unerlässlichen Handlungen in Vertretung vollzieht.622 Dies würde aber nicht zu einer Entschuldung und also einem positiven Ergebnis wie bei Helena führen können, da das Verdienst Achills im mythologischen Gedächtnis im Unterschied zu Helena gerade auf der Teilnahme am ­trojanischen Krieg beruht. Darüber hinaus wird sich zeigen, dass Odysseus in seiner Rede als finales Argument, das die gewünschte Reaktion bei Achill erzeugt, gerade auf Deidamia eingeht. Die elegischen Motive und Parallelen von 2,23–30 sind bereits durch frühere Arbeiten, insbesondere diejenigen Rosatis aufgezeigt worden.623 Wie auch beim nächtlichen Abschied von Deidamia sollen darum nicht elegische Intertexte als Ethos-Strategien näher beleuchtet werden, sondern eine Vergleichsszene aus der Thebais.624 Im Katalog der Truppen des vierten Buches schließt der Teil über Polynices’ Schar mit einem Rück-Blick des epischen Helden (4,88–92): 621 Zugleich stellt das Zurückblicken des zweiten Buches eine Umkehrung des ersten Rückblicks in 1,804 f. dar: Dort war ein zögernder Achill (haeret / respiciens), der sehnsüchtig auf Odysseus und dessen Rede über die kriegerische virtus der Männer zurückschaut, als letzter mit den Töchtern des Königs aus dem Raum gegangen. Objekt der Sehnsucht ist im zweiten Buch nicht mehr die Beteiligung am Krieg, sondern Deidamia. 622 Vgl. zum Helena-Eidolon Kannicht I 26–33 (Stesichoros), 33–38 (weitere Eidolon­ mythen), 54–68 (Euripides). 623 Rosati 1994, 50–53 und 2005, 146 f. 624 Im Unterschied zu der im folgenden besprochenen Szene des vierten Buches stellt die verbale Parallele bei Antigones Mauerschau im siebenten Buch nicht viel mehr als eine solche dar (Th. 7,243–245: turre procul sola nondum concessa videri / Antigone populis teneras defenditur atra / veste genas). Für den weiblichen Abschiedsblick auf den abfahrenden Helden im Epos vgl. Lovatt 2013, 225–232, sowie generell ihr sechstes Kapitel zum weiblichen Blick im Epos; vgl. auch p. 234 über Properz 4,3 und 4,4, in denen jeweils eine Frau und ihre Relation zu einem männlichen,

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Achills Abschied (A. 1,927–2,30a) 

iam regnum matrisque sinus fidasque sorores spe votisque tenet, tamen et de turre suprema attonitam totoque extantem corpore longe respicit Argian; haec mentem oculosque reducit coniugis et dulces avertit pectore Thebas.

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Schon hegt er Hoffnung und Wunsch auf die Herrschaft, den Schoß seiner Mutter und seine treuen Schwestern, dennoch sieht er zurück auf Argia, sie, entsetzt auf der Turmspitze und mit dem ganzen Körper weit hinausragend; sie führt Denken und Augen ihres Gatten zurück und entfernt aus dem Herzen das süße Theben.

Auch Polynices’ Blick auf seine vor kurzem Angetraute bringt ihn von seinem bisherigen Streben nach Kriegsteilnahme ab. Im Unterschied zu Achill hat­ Polynices bereits ganz konkrete Zielvorstellungen: die Übernahme der Herrschaft sowie den Kontakt zu Mutter und Schwestern. Achills Wunsch am Krieg teilzunehmen bleibt demgegenüber in der Achilleis ganz abstrakt, gewissermaßen als endlich sich einstellende Möglichkeit, das theoretisch bei Chiron Geübte, in die Tat umzusetzen. Erst 1,787–793 erfährt er Näheres über den Krieg und lässt es sich 2,46–85 noch einmal vergegenwärtigen. Sein Versprechen gegenüber Deidamia offenbart, was er sich vom Krieg erhofft: eine Eroberung und Schätze, die er nach Haus tragen kann. Eine humanere Kanalisierung des knabenhaften Eifers, wie er in der Jagd 1,159–170 deutlich wurde, leistet ironischerweise gerade Odysseus,625 indem er 2,81–83 Helenas Raub mit einer hypo­thetischen Entführung Deidamias gleichsetzt, um Achill die Brisanz der Ereignisse vor Augen zu führen. Stehen für Achill also bei seinem Abschied im wesentlichen kindliche Abenteuerlust im Vordergrund,626 so sind es handgreifliche Ziele bei Polynices, die auf dreifachen Besitz hinauslaufen (Herrschaft, Mutter und Schwestern: alle drei Objekte, mit regnum an der Spitze, werden von dem einen Verbum tenet regiert). Außerdem wird die Abwendung von den kriegerischen Zielen bei Achill wesentlich pointierter formuliert: dat locum virtus (2,30)! Bei Polynices ist es ›nur‹ ein Ersetzen des Objekts der Begierde: vom ›süßen‹ Theben zu Argia. Das Attribut dulces verleiht der ersehnten Stadt eine geradezu erotische Note, wodurch das gewissermaßen als Geliebte personifizierte Theben und die Ehefrau Argia auf einer Ebene nebeneinander stehen können. Darüber hinaus verrät die militärischen Gegenpart im Mittelpunkt stehen: »[…] the female gaze is always on the edge of epic, but remains important for engaging with epic. Epic is elegy’s other: the two worlds have­ opposing values and each offers incomprehensibility to the other.« 625 Auch Rosati 1994, 41 f. sieht in dieser Rede Odysseus’ einen wichtigen Punkt in der Entwicklung von Achills amor. 626 Vgl. auch Delarue 2000, 225–228 zur romanhaften Abenteuerkonstruktion der­ Achilleis.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Fortsetzung in beiden Epen viel über die Bedeutung des jeweiligen Rückblick-­ Momentes. In der Thebais schließt sich nahtlos der Katalog der Truppen des Tydeus an. Es geht dem Erzähler um die Zusammenstellung unterschiedlichster emotionaler Zustände, die auf den pathetischen Ton durch eine Summierung von Gefühlsmomenten abzielen. Unterstrichen wird dies durch den Einsatz mit ecce beim Übergang: ecce inter medios patriae ciet agmina gentis / fulmineus ­Tydeus (»Siehe mittendrin treibt der blitzgleiche Tydeus die Scharen des väterlichen Hauses«, Th. 4,93 f.).627 Prägnant erfasste Einzelmomente werden scharf einander gegenübergestellt und der Abstand der einzelnen emotionalen Zustände dient zur Unterstützung der Pathos-Konzeption (Liebe/Melancholie/­ Begierde – Kriegslust: fulmineus heißt der folgende Tydeus). Wie Parkes gesehen hat, spielt bezeichnenderweise der hier angedeutete Konflikt keine Rolle mehr für Polynices, während in der Achilleis das ganze Unternehmen auf dem Spiel steht.628 Darum spricht Odysseus den Trauernden auch mit angenehmen Worten an (maerentem… placidis… dictis, 2,31). Zusammenfassend lässt sich aus dem Vergleich der beiden Szenen also ableiten, dass in der Achilleis der Abschied ethischer komponiert ist und zugleich die auch einer elegischen Abschiedsszene inhärente Spannung nicht durch einen Abbruch, sondern durch eine ethische Lösung entspannt wird. Eine weitere Motivverwandtschaft wirft ein interessantes Licht auf diesen Abschied. Deidamia ist in Begleitung ihrer Schwestern: comitata sororum (2,23). Mit einer fast identischen Hexameterklausel wird im ersten Buch die Begleitung der Thetis beschrieben: (turba) comitante sororum (1,27). Achill hat seiner Mutter nach eigener Meinung ausreichenden Gehorsam geboten (­ 2,16–19). Er nennt die Handlungen seiner Mutter sogar nefas (2,44). Die Ablösung von seiner Mutter ist vollzogen, Deidamia ist an ihre Stelle getreten.629 Darf man vermuten, dass Deidamia in der nicht existenten Fortsetzung eine ähnliche Rolle für Achill spielen könnte wie Thetis im ersten Buch?630 Aber darauf bleiben nur Achills eigene Worte (vgl. 2,167) mutatis mutandis als Antwort: Scit cetera Deidamia.

627 So auch Parkes 2008, 399. 628 Parkes 2008, 399 f. 629 Zur psychologischen Deutung der Thetis als Mutter und der schrittweisen Loslöung des Achill von ihr vgl. Mendelsohn 1990, bes. 304–308 für Thetis und Peleus als Kontrastfolie für Achill und Deidamia. 630 Vgl. Rosati 1994, 56 f.: Weitere Liebesbeziehungen wie die zu Briseis würden in der Fortsetzung eine Rolle gespielt haben.

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Odysseus und Achill (A. 2,30b–167) 

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9. Odysseus und Achill (A. 2,30b–167) Der letzte Teil  des fragmentarischen zweiten Buches lässt sich grob in zwei große Redepartien mit einer Überleitung gliedern:631 Odysseus’ Reden als Reaktion auf Achills emotionale Situation beim Abschied (2,30b–85), Diomedes’ Frage nach Achills Kindheit (2,86–93), Achills Kindheitserzählung (2,94–167). Ripoll hat die beiden großen Reden von Odysseus und Achill als pathetische und ethische Erzählung (récit) voneinander abgegrenzt.632 Diese Einschätzung basiert auf der Gegenüberstellung von kriegerischem und charakterbezogenem Inhalt. Wie bereits in der Einleitung dargelegt (s. A 2.3.), birgt dieses Verständnis von ›ethisch‹ gewisse Probleme. Mir scheinen demgegenüber Odysseus’ Reden zwar ebenfalls als pathetisch zu charakterisieren zu sein. Jedoch erreicht er sein persuasives Ziel durch ein unepisch-elegisches Moment und zugleich wird die Pathos-Entwicklung jeweils durch Achill bzw. Diomedes abgebrochen. Achills Rede hingegen zeigt die schrittweise Eindämmung des Pathos. Dies soll im Folgenden im Einzelnen nachgezeichnet werden. Dass dabei neben der PlotEbene auch Poetologisches verhandelt wird, hat Hinds bereits in einer fragenden Anmerkung zum shipboard storytelling angedeutet: »programmatically enhanced?« heißt es knapp in einer Fußnote.633

9.1 Odysseus’ Reden (2,30b–85) Als Odysseus bemerkt, dass Achills emotionaler Zustand sich von Kriegsbegeisterung zu Abschiedstrauer zu verschieben beginnt (2,30 f.: sentit Laertius ­heros etc.), greift er durch eine erste Rede ein (2,32–42a). Diese bringt, wie Ripoll richtig gesehen hat, eine Variation und Intensivierung seiner ›Entdeckungsrede‹ von 1,867–874.634 Odysseus kontrastiert Thetis und Achill aufs Schärfste (besonders in 2,35: [te] callida femineo genetrix violavit amictu). Doch Achill hätte nicht verborgen werden können, ja er wäre auch ohne die Intervention von Odysseus und Diomedes nach Troja gekommen (2,41 f.). Auf diesem Gipfelpunkt greift Achill ein und lässt Odysseus’ Rede gerade in einer Aposiopese enden (2,41–48):635

631 Genauer zur Strukturierung s. u. 9.1. 632 Ripoll zu 2,49–85 und zu 2,86–93. 633 Hinds 2000, 243 Fn. 29. 634 Ripoll zu 2,32–40. 635 Vgl. auch Davis 2006, 138 zum Unterschied zum ovidischen Odysseus in Met. 13,642–670 in diesem Punkt.

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

nec nostrum est, quod in arma venis sequerisque precantis; venisses –« dixit; quem talibus occupat heros Aeacius: »Longum resides exponere causas maternumque nefas; hoc excusabitur ense Scyros et indecores, fatorum crimina, cultus. tu potius, dum lene fretum Zephyroque fruuntur carbasa, quae Danais tanti primordia belli, ede: libet iustas hinc sumere protinus iras.«

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Und es ist nicht unser Verdienst, dass du in den Krieg ziehst und uns folgst, die wir darum bitten; du wärest gezogen –« sagte er; ihn unterbrach mit solchen Worten der Held aus dem Stamm des Aiakos: »Es führt zu weit, die Ursachen der Verzögerung und den Frevel der Mutter darzulegen; durch dieses Schwert wird Skyros entschuldigt und die unziemliche Verkleidung, die ein Verbrechen des Schicksals ist. Du künde mir eher, während das Meer ruhig ist und die Segel den Zephyrus genießen, was den Danaern zum Anfangsgrund eines so großen Krieges geworden ist: Von da her möchte ich gerechten Zorn fassen.«

Wie Heslin richtig bemerkt,636 will Achill eine Nacherzählung der Ereignisse auf Skyros verhindern, die er in Odysseus’ Rede sich anbahnen sieht. Durch ein explikatives et ergänzt Achill auch, welche Ereignisse er genau meint: seine unziemliche Verkleidung, die hier als schicksalshaft entschuldigt werden (2,45). Hier wird Rosatis637 Differenzierung der zwei furta entscheidend: Thetis’ Verkleidung und die Affäre mit Deidamia. Nur erstere sieht Achills als beschämend an und daran hat ihn Odysseus durch seine an die Entdeckungsrede im ersten Buch gemahnenden Worte und die Formulierung in arma venis erinnert (2,41). Dementsprechend bezeichnet er Thetis’ Verhalten auch als frevelhaft (2,44). Doch bereits von 2,45 zu 46 beruhigt sich implizit Achills Gemüt: Der Verweis auf die sanfte Umgebung (2,46 f.) zeigt, dass er 1) fähig ist, diese wahrzunehmen und 2) diese sogar als Komplement zur gewünschten pathos-erregenden Schilderung der Hintergründe des Krieges zu setzen. Dass Achill dieses Pathos als angemessener empfindet, unterstreicht auch das Attribut iustas zu iras (2,48). Es ist zwar zunächst sicher als Hinweis auf ein bellum iustum zu sehen, aber natürlich auf zweiter Ebene auch als Gegensatz zum Zornesausbruch von 2,42–45.638 636 Heslin 2005, 175. Ripoll zu 2,43–48 zufolge übernehme Achill hier die Strategie des Autors, d. h. bereits Geschehenes soll nicht noch mal gebracht werden. 637 Rosati 1994, 19–32. 638 Außerdem stellt dieser Wunsch nach gerechtem Zorn eine Anspielung auf den seit Homer zum Exempel des Zornigen gewordenen Achill dar (vgl. z. B. Hor. Ars 121 und die Parallelen in Brinks Kommentar zur Stelle; vgl. außerdem Kozák 2014 zur Rezeption dieser Stelle bei Ovid und Statius). Zur antiken Deutung des Eröffnungswortes der Ilias vgl. B 2.1. Zur epischen ira vgl. Braund/Gilbert 2003, bes. 256–268 für eine Sammlung von positiv und negativ gewerteter ira im lateinischen Epos: Es überwiege die positive Einschätzung, nur eine außer jegliche Kontrolle geratene ira, wie Tydeus’ Kannibalismus in Thebais 8, werde negativ beurteilt.

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Odysseus und Achill (A. 2,30b–167) 

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Dass das zweite furtum beim Gedanken an Skyros bei Achill aber nicht negativ belegt ist, sondern vielmehr im Hintergrund aktiv bleibt, zeigt sich auf mehreren Ebenen. Zunächst zu einer intertextuellen Ebene: Durch seine Frage nach den Ursprüngen (2,46–48) schlüpft er intertextuell in Didos Rolle am Ende des ersten Buches der Aeneis. Nachdem diese bereits mehr und mehr von Liebe zu Aeneas ergriffen ist, während sie ihn über diverse Helden vor Troja ausfragt (Aen. 1,749–752), endet sie schließlich mit der Bitte, die Ursprünge seiner Irrfahrten zu berichten (Aen. 1,753–755), worauf direkt im Anschluss Aeneas’ Erzählung mit dem zweiten Buch beginnt: »Immo age et a prima dic, hospes, origine nobis insidias« inquit »Danaum casusque tuorum erroresue tuos; […].« »Ja wohlan, auch vom ersten Ursprung, mein lieber Gast, berichte mir den Hinterhalt der Danaer, das Schicksal deiner Gefährten und deine Irrfahrten […].«

Während Aeneas offensichtlich zum zweiten Odysseus durch den Hinweis auf die Irrfahrten stilisiert wird, hat Achill die Gelegenheit den ›echten‹ Odysseus zu befragen, noch bevor dieser seine Irrfahrten angetreten hat. Wie eine ironische Brechung erscheint auch der Verweis auf die ruhige See in der Achilleis (2,46). Neben Achill wird Diomedes noch ein zweites Mal die Rolle Didos übernehmen und nach den Ursprüngen Achills fragen (2,86–93). Noch ähnlicher der Dido, als Achill es an dieser Stelle ist, wird Diomedes von echter Begeisterung für den Befragten erfüllt (s. u.). Odysseus beginnt in seiner zweiten Rede (2,50–83) mit dem Parisurteil (2,50–54) und der Hochzeit des Peleus und der Thetis639 (2,55–57); es folgt der Raub der Helena (2,58 f./62–65) und der Rückblick auf den Schiffsbau dafür (2,60 f.); als Reaktion wird die Sammlung des griechischen Heeres beschrieben (2,66–71). Odysseus beendet seine Rede schließlich mit zwei Exempla für geraubte Frauen (Europa: 2,72–75a; Medea: 2,75b–77) und der Übertragung auf Helena (2,78–80) und Deidamia (2,81–83). Der unmittelbar berührte Achill greift gleich zum Schwert und Odysseus schweigt zufrieden (2,84 f.), denn er hat das Ziel der Pathoserregung erreicht. Doch selbst diese pathetische Rede wird vielfach von unepischen und verklei­ nernden Gegenströmungen unterlaufen.640 Besonders in der mehrfach gespiegelten Zuspitzung auf den Frauenraub als Kriegsgrund gewinnt der trojanische 639 Allerdings umgeht der vorsichtige Odysseus die Erwähnung der Thetis. 640 Kleinere Details seien hier am Rande erwähnt: vgl. Ripoll zu 2,50 für den alexandrinischen Vorbehalt bei Mythen (si talia credimus); die Erwähnung von Paris’ Schiffsbau 2,60 f. erinnert an den Eingang des Epyllions Cat. c. 64 (stammt von dort auch das Medea-Exempel?) sowie an den ovidischen Paris-Brief Her. 16,107–110 und ist in seiner Ausgestaltung ebenfalls alexandrinisch (vgl. zu veritas in 2,61 Rosati 1992, 276–278, es handelt sich aber um eine textkritisch umstrittene Stelle: ich folge Dilke, Rosati und Nuzzo gegen Ripoll zu 2,61).

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Die Konzeption der Achilleis im Detail

Krieg Züge eines elegischen Konflikts zwischen Liebhaber und Ehemann der puella.641 Die Zusammenstellung des griechischen Heeres erscheint dementsprechend auch als Versammlung mitfühlender Ehemänner, wobei sogar die Starken ein solcher Verlust zu bewegen vermag (2,66–71): inde dato passim varias rumore per urbes, undique inexciti sibi quisque et sponte coimus ultores: quis enim inlicitis genialia rumpi pacta dolis facilique trahi conubia raptu ceu pecus armentumve aut vilis messis acervos perferat? haec etiam fortes iactura moveret.

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Hierauf verbreitete sich das Gerücht über verschiedene Städte, von überallher kamen wir jeder für sich, nicht gezwungen und freiwillig als Rächer zusammen: Wer würde es nämlich ertragen, dass durch unerlaubte List sein Ehebund gebrochen würde oder seine Ehefrau durch leichten Raub entrissen würde ebenso wie Vieh oder eine Herde oder [sogar nur] gewöhnliche Haufen von Korn? Dieser Verlust würde sogar die Starken bewegen.

Genau auf diesen Punkt zielen die folgenden Exempla in absteigender Reihe: Agenor hat sogar den höchsten Gott nicht als unrechtmäßigen Schwiegersohn akzeptiert; Aeetes hat die halbgöttlichen Argonauten verfolgt. Die Übertragung auf den Fall Helena ist dann die Steigerung: Um wie viel weniger ist dann ein solcher Halbmann wie Paris (semivirum, 2,78) zu ertragen? An dieser Stelle könnte Odysseus eigentlich pausieren, da er sowohl die Ursache des Krieges als auch den verachtungswürdigen Gegner präsentiert hat. Doch seine Schlussanalogie bringt ihn letztlich an sein rhetorisches Ziel: Wie würde Achill handeln, wenn Deidamia ihm geraubt würde, er also an Menelaos’ Stelle stünde (2,81–83)? Zweierlei gelingt Odysseus hier: Er aktualisiert den fremden Ehebruch in einer Achill unmittelbar betreffenden Weise und stellt zugleich eine Parallele zu den bereits erwähnten sich empörenden Ehemännern her.642 Darauf reagiert Achill 641 Das ursprünglich epische Motiv des Frauenraubs (vgl. dazu Reichel 1999, bes. 299–304), der im Falle der Entführung Helenas einen Konflikt auslöst, aus dem sich mit der Ilias auch der Ursprung der antiken Epik herausentwickelt, wird spätestens seit Ovids elegisch getönter Schilderung des Raubs der Sabinerinnen (Ars 1,101–130) auch zu einem elegischen Motiv: Der Raub des ›Eigentums‹ bzw. die Verletzung des Gastrechts und des Anstands tritt in den Hintergrund; Romulus wird zum Urheber einer neuen Kennenlernstrategie, so dass auch der Erzähler ein miles des Romulus in diesem neuen Sinne werde möchte (Ars 1,131 f.). Eine ausführliche komparatistische Untersuchung des Frauenraubmotivs im Falle der­ Helena bietet jetzt Edmunds 2016. 642 Passenderweise wird sich Achill im ersten Buch der Ilias anlässlich Agamemnons Raub der Briseis mit einem ähnlichen Vergleich empören wie ihn Odysseus in der Achilleis verwendet hat (A. 2,70 – Il. 1,154); vgl. zur Parallele Dilke zu 2,70: »The comparison is perhaps, as suggested by Brinkgreve, inspired by Homer Il. 1,154 ff. where Achilles says that he is not fighting the Trojans because they have plundered any oxen or horses of his or ravaged any of his crops.«

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in der von Odysseus, aber auch von ihm selbst (vgl. 2,48) erwünschten Weise: Er wird zornig und greift zum Schwert.643 Seinen gerechten epischen Zorn kann Achill erst dadurch wirklich fassen, dass er durch seine Erlebnisse auf Skyros nicht mehr nur kriegerischer Jüngling ist. Vielmehr gewinnt sein Wunsch nach Beteiligung am trojanischen Krieg ein über Kampfeslust hinausgehendes Element. Erst durch die Ehe mit Deidamia ist er in einer Erfahrungsposition, die ihm ein wirkliches Verständnis ermöglicht. Skyros wird hier also nicht negiert, sondern Teil von Achills Charakter, die elegische und epische Nuancen verbindet.644 Die Röte, die ihm ins Gesicht steigt (2,85) ist also nicht die Ersetzung des Errötens vor Liebe (wie in 1,305 f.) durch ein Zorneserröten,645 sondern untrennbar beides: Nur seine erotische Beziehung zu Deidamia ermöglicht es ihm, solche iustae irae über den Raub der Helena zu empfinden. Auf diese Weise wird der Pathos-Höhepunkt im zweiten Buch in 2,84 f. zu einem poetologischen Emblem für ein ethos-reguliertes Pathos, auf das die Achilleis abzielt. Diese Regulierung drückt sich auch in der sofort erfolgenden Entspannung aus: Vom erröteten Achill schwenkt der Fokus zum zufrieden-entspannten Odysseus im gleichen Vers (tacuit contentus Ulixes, 2,85).

9.2 Achills Kindheit (2,86–167) Die Entfernung vom Pathos wird auch durch Diomedes’ kurze Überleitungsrede fortgesetzt (2,86–93): Er geht in seinem Wunsch nach den elementa primae indolis (2,87 f.) in die entgegengesetzte Richtung, nicht in die unmittelbare Ver 643 Demgegenüber scheint mir Heslin 2005, 176 nur von seiner These her diese Stelle zu deuten: Denn Achill erliegt doch nicht einfach einer Manipulation des Odysseus, sondern äußerte, wie gesagt, selbst den Wunsch, in gerechter Weise zornig zu werden. Zudem besteht gerade keine Parallelität zwischen Paris und Achill: Denn Achill ist nicht dauerhaft ein phrygischer semivir wie Paris, sondern nur temporär auf Skyros. Darüber hinaus besteht die Analogie beim Ehebruch zu Menelaos, nicht zu Paris. Denn Achills Beziehung zu Deidamia wurde ja friedlich am Ende des ersten Buches legalisiert. Es ist also nicht die versteckte Analogie zu Paris, die Achill hier zornig werden lässt. Eine Parallele im Griff zum Schwert zwischen A. 2,84 f. und Il. 1,188–192 zieht Davis 2015, 165. 644 Vgl. dazu auch Rosati 1994, 60 f., Fantuzzi 2012, 89–93 und Ganiban 2015, 87. Vgl. demgegenüber die andersartige Akzentuierung bei Aricò 1986, 2960: Achill werde durch biologische Reife und die Liebeserfahrung zum epischen Helden. Anders sieht Puccini-Delbey 2008 die Mannwerdung Achills unter Ausschluss des Weiblichen, was mir mit Blick auf Rosati jedoch zu einseitig erscheint. Wiederum anders Feeney 2004, 100: »Statius, it seems would not have stopped at turning Achilles into an erotic epic hero, as Apollonius had done with Jason, and as Virgil had fleetingly done with Aeneas […]. […] we can see that he [Statius] would have pursued the Virgilian theme of the erotics of killing.« (zu letzterem vgl. 99 f. zuvor). King 1987, 183 f. sieht im statianischen Achill eine hierarchische Unterordnung des Liebesaspektes unter denjenigen des Kriegers. 645 So Ripoll zu 2,85.

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gangenheit mit Deidamia, sondern in denkbar größte Entfernung zum Pathosgegenstand der bisherigen Rede. Neben dem bereits erwähnten re-enactment von Dido zeigt Diomedes ein erstaunlich alexandrinisches Interesse646 an der Kindheit eines Heros. Diese Frage ermöglicht es Achill, ein wichtiges Element aus der von Ps.Longin als Ethos-Epos gedeuteten Odyssee zu spiegeln: die allmähliche Selbst-Verfertigung des Heros beim Reden. Was Odysseus durch seine erzählende Vergegenwärtigung vergangener Erlebnisse vor Alkinoos ab dem neunten Buch leistet, führt Achill in verkleinerter Form im zweiten Buch der Achilleis durch. Diese Verkleinerung ist zum einen altersangemessen,647 aber auch inhaltlich passend: Denn Achill hat einen Reifeprozess durchlebt, der nicht den ver- und zerstörenden Irrfahrten gleichkommt. Ethisch ist dieser Weg der Selbstkonstruktion nicht qua Charakterschilderung, sondern durch eine zunehmende Stabilisierung der Emotionen: Nach dem Gesang des Demodokos über den trojanischen Krieg ist Odysseus zu Tränen gerührt und bis zum äußersten betrübt (Od. 8,521–831); auf Alkinoos’ Nachfrage offenbart er seine Identität und berichtet im Anschluss von seinen Irrfahrten (Od. 9–12). In der Achilleis beginnt Achill unsicher und bescheiden (modeste incohat; ambiguus paulum, 2,94 f.); mit einer facettenreichen Persönlichkeit und dem versöhnlichen648 Hinweis auf die Mutter schließt er (scit cetera mater, 2,167). Méheust zu 2,96 zieht außerdem eine Verbindung zu Aeneas, der ebenfalls selbst seine Vergangenheit berichtet: Sowohl im Umfang (2 Bücher gegen 72 Verse) wie auch im Thema (Krieg und Irrfahrten gegen Kindheit) wird der Abstand der ethischen Achilleis deutlich. Hinds hat Buch 2 und insbesondere Achills Selbstporträt darin als Aufhebung der Skyros-Episode gedeutet, »a kind of programmatic damnatio memo 646 Vgl. z. B. Theokrits Herakliskos (Id. 24) oder Kallimachos’ Artemis-Hymnos. Den jungen Herakles hat übrigens Chiron nach eigener Aussage in der Achilleis selbst erlebt (1,57). Zur Darstellung von »Kindern und jungen Helden« bei Kallimachos in poetologischer Perspektive vgl. Ambühl 2005, 30 die von einer »›Verjüngung‹ der ›alten‹ Helden […] als eine[r] raffinierte[n] poetische[n] Strategie des Kallimachos zur Erneuerung der literarischen Tradition« spricht. Kritisch allerdings gegenüber einem generellen Interesse am Kindlichen, das den Hellenismus als Epoche kennzeichnen soll (vgl. den Forschungsüberblick im ersten Kapitel), ist Schlegelmilch 2009, bes. 26 und 256, die die Kontinuität zur archaischen und klassischen Tradition betont und nur Kallimachos und Theokrit als Besonderheiten gelten lässt, die sie auf ägyptisierenden-politischen Fremdeinfluß im Sinne des politischen Symbolcharakters von Kindgöttern und Gotteskindschaft zurückführt. Zumindest dürfte man aber für die römische Rezeption weniger ein Bewusstsein für einen vielleicht ägyptisierenden Kallimachos annehmen dürfen, als vielmehr eine poetologisierte Lesart, wie es auch der sonstigen Kallimachos-Rezeption in Rom entspricht. 647 Denn er hat weniger zu vergegenwärtigen als Odysseus. Angemessen ist die Verkleinerungsstrategie auch für die alternde Dichterpersona, vgl. dazu B 2.2.4. 648 Vgl. demgegenüber maternumque nefas noch in 2,44.

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riae of the episode – proposed by Achilles himself, as epic hero«.649 Ich hoffe demgegenüber gezeigt zu haben, dass im Gegenteil Buch 2 einen Abschlusspunkt in der Charakterentwicklung Achills darstellt, die auf eine Integration beider Züge, Krieger und Liebender, hinausläuft. Dass Achill in seiner Erzählung nicht auf Skyros zu sprechen kommt, ist nicht einer Vermeidungsstrategie geschuldet, sondern lässt sich auf der Handlungsebene doppelt erklären: Diomedes hat nach den elementa gefragt und der Erziehung bei Chiron; zudem hat er durch Calchas’ Prophezeiung und seinen eigenen Aufenthalt auf Skyros Kenntnis von den dortigen Ereignissen, weshalb Achill ihm (genau wie dem Leser) eine Wiederholung ersparen kann bzw. Diomedes erst gar nicht danach gefragt hat. So leistet Achill durch seine Kindheitsgeschichte genau das Geforderte, ohne etwas auffällig umgehen oder verschweigen zu müssen.650 In diesem Sinne ist der Schlusshinweis auf die Mutter (2,167) auch kein versteckter Hinweis auf die S­ kyros-Erlebnisse, über die man Achills Mutter befragen müsse,651 sondern ganz konkret auf die limitierte Kenntnis über die eigene Kindheit bezogen: Achill sagt zuvor, dass dies die elementa seiner Jahren seien, soweit er sich erinnern kann. Alles weitere, sc. was noch weiter zurückliegt, darüber könne seine Mutter Auskunft geben.652 Auch wenn man sich Achills Erzählung genauer besieht, wird eine Kultivierung des Pathos durch das Ethos deutlich. So wie der Aufenthalt auf Skyros ethisierend auf den jungen Krieger gewirkt hat, so hat Chirons Erziehung aus 649 Hinds 2000, 241, zu Achills Kindheitserzählung 243 f. Zustimmend Feeney 2004, 97. 650 Wie es scheint, ist Hinds’ Ansicht durch einen Kurzschluss von 2,42–45 und 2,96–167 entstanden. Wenn Buch 2 die Auslöschung von Buch 1 bedeuten solle, stellt sich die Frage nach dem Sinn von Buch 1 in einem wohl mehrere Bücher umfassenden Narrativ. Die Teilung des Erhaltenen in zwei Bücher hat anscheinend suggestiv auf seine Strukturierung in These und Antithese gewirkt. Diese scheinbare Balance wäre aber dahin, wenn Buch 1 z. B. 11 anderen Büchern (wenn es so viele wie in der Thebais werden sollten, vgl. B 4.), gegenüberstünde bzw. ein stetes Abwechseln (à la ungerade Buchzahl unepisch, gerade Buchzahl episch) wäre recht eintönig. Diese Art der Argumentation soll nur im Sinne einer Tragfähigkeit der Konzeption verstanden sein, wie unter B 4. erläutert, nicht als Spekulation über nicht erhaltene Teile. Allerdings lässt Hinds die Frage nach der Fortsetzung, ob martialisch oder weiterhin elegisch getönt, letztlich doch bewusst unbeantwortet: »We can never know.« (Hinds 2000, 244). Newlands 2012, 179 Fn. 42 sieht in Achills Kindheitserzählung eine adressatenorientierte Umdeutung, um sich selbst vor Odysseus und Diomedes als hypermaskuliner epischer Held darszustellen. Vgl. jedoch meine Ausführungen oben. 651 So Dilke ad loc. als Vermutung, Hinds 2000, 244, Parkes 2008, 400 und jetzt wieder McAuley 2016, 346. Sowohl Parkes wie auch Dilke und Nuzzo zu 2,167 verweisen auf eine Rede des Parthenopaeus in der Thebais, in der er ebenfalls von seiner harten Erziehung spricht und am Ende der Rede seine Mutter erwähnt (Th. 9,790–800). Trotz einiger wichtiger Parallelen in der Gestaltung von Parthenopaeus und Achill (vgl. dazu Parkes 2008, 386 f. und Rosati 1994, 12 Fn. 17), leistet bei Parthenopaeus der Verweis auf die Mutter etwas völlig anderes: Er will seine Mitkämpfer anstacheln und stellt seine kriegerische Mutter den anscheinend kraftlosen Vätern seiner Mitstreiter gegenüber. 652 So auch die Deutung von Heslin 2005, 63 mit Fn. 21.

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einem wilden Jungen einen jungen Krieger gemacht und damit einen ersten Ansatz für eine Eindämmung des Pathos gegeben. Auf diese Weise erhalten die Geschehnisse auf Skyros eine ihnen entsprechende Vergangenheit653 und eine zusätzliche Verständnisdimension. Dass Achills dies nun realisieren kann, zeigt gerade seine Entwicklung.654 Doch sehen wir uns Chirons Erziehung im Einzelnen an!655 Als Achill zu Chiron noch in zartem Alter kommt, wird er nicht gesäugt, sondern ernährt sich von rohem Fleisch (2,96–102).656 Er wird daraufhin unterwiesen, sich furchtlos im Wald (2,102–105) und in Bewaffnung (2,106–109) zu bewegen. Bereits im Alter von 12 Jahren habe Achill seine berühmte Schnellfüßigkeit besessen und sei u. a. mit Chiron um die Wette gelaufen (2,110–116). Als ethisierendes Detail fügt Achill an, dass Chiron zuweilen den erschöpften Knaben auf seinem Rücken getragen habe (2,115 f.). Gegenüber der Witterung sei er immunisiert worden (2,117 f.). In dieser ersten Phase hat Chiron anscheinend viel Wert auf die animalische Seite, den Thymos homerisch gesprochen, gelegt. Doch bereits bei seinen Ratschlägen für die Jagd zeigt sich, dass Chiron nicht auf eine grenzenlose Gewaltanwendung aus ist (2,119–125): Bären, Tiger, Schweine und Löwinnen erlaubt er zu jagen; unkriegerische Rehe und schüchterne Luchse hingegen nicht (inbelles damnas, timidas lyncas, 2,121 f.). Auf diese Weise wird die Jagd auf jagenswerte und angemessene Ziele beschränkt. Dabei allerdings zeigt 653 Vgl. auch Ripoll zu 2,86–93: Der Leser erhalte eine Ergänzung der Informationen in 1,158–197 und 476–81 über das Kind Achill. 654 Zugleich wird der Anspruch des Proöms »den ganzen Heros« zu zeigen eingelöst (1,4 f.). Vgl. auch Ripoll zu 2,94–167: Achills Bericht biete eine Vereinigung vieler verschiedener Züge der mythologischen Tradition, um ein möglichst komplettes Porträt zu geben. Auch Taisne 1994, 249 sieht den vervollständigenden und harmonisch abrundenden Charakter des Kindheitsberichts. Kritisch hingegen ist King 1987, 133, die zwar die charakterliche Anreicherung als Gegenpol zu einem monolithischen Verständnis des achilleischen Charakters versteht, aber bemerkt: »His complexity is a superficial one, used for more moral rather than tragic effect […].« Auch wenn ich die Einschätzung als oberflächliche Komplexität nicht nachvollziehen kann, scheint mir die Vermeidung einer tragischen und damit pathetischen Art von Charaktertiefe durchaus das Richtige zu treffen. Bernstein 2008, 105–131 deutet die ganze Achilleis unter dem Blickwinkel des Verhältnisses von Anlage und Erziehung, bes. im Vergleich zu zeitgenössischen Auffassungen. 655 Bei Homer wird Achill im Palast des Peleus erzogen, wobei Chiron nur einer seiner Erzieher und zwar in medizinischen Fragen ist. Erst die posthomerische Tradition lässt ­Chiron zum umfassenden Erzieher Achills werden: vgl. dazu Roussel 1991, 100–120. Allerdings nennt Statius selbst in Silv. 5,3,191–194 neben Chiron noch Phoenix. 656 Zu darin zu findenden etymologischen Anspielungen auf antike Deutungen des Namens Achill vgl. Heslin 2005, 177–181. Braund/Gilbert 2003, 251–253 und 278–280 deuten dieses Detail der Ernährung des jungen Achill in doppelter Weise: als Teil einer Erziehung, die auf Furchtlosigkeit abzielt, sowie als Erklärung für den späteren, zu Aggression und Gewalt neigenden Charakter Achills. Für Braund/Gilbert ist diese Achilleis-Passage Ausgangsund Endpunkt ihrer Diskussion der epischen ira, die sich in Zornesausbrüchen, Tiergleichnissen und in der Extremform, dem Kannibalismus, zeigt.

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sich Chiron als unbarmherziger Erzieher (2,126–128).657 Gleich im Anschluss folgt die zweite Stufe der Kultivierung: Achill lernt, nicht nur sich mit Gewalt zu bewähren, sondern wird kunstgemäß im Waffenhandwerk verschiedenster Provenienz und in unterschiedlichen Kriegstechniken unterwiesen (2,129–143). Abgeschlossen wird dieser Teil der Erziehung durch eine Erziehungsme­thode, die einen Vorverweis auf den homerischen Achill und seinen Kampf gegen den Fluss Skamander im 21. Buch der Ilias darstellt (2,143–153): Chiron verlangt von ihm unerbittlich (vgl. 2,150 f.), einem Strom Widerstand zu leisten und nicht von ihm mitgerissen zu werden. Die recht ausführliche658 Schilderung scheint zunächst einen Rückfall zu bedeuten, von der kontrollierten Gewaltanwendung zu bloßer Kraftausübung.659 M. E. soll sie jedoch vor allem als Folie für den Abschluss der Kindheitserzählung dienen, vor der sich die jetzt auftauchenden Aspekte der Erziehung umso deutlicher abzeichnen (2,154–165):660 Achill wird für gymnische Agone (Diskus, Ringen, Faustkampf) trainiert (2,154–156), die eine weitere Eindämmung der Gewaltausübung darstellen, die nicht ausschließlich kriegerischen Zwecken dient und insofern als sublimierter Kampf zu verstehen ist, der von Achill sogar als Erholung bezeichnet wird (requies, 2,156). Komplementiert werden diese gymnischen gewissermaßen durch einen musischen Agon, das Leierspiel, das Achill nicht weniger intensiv betreibt (nec maior in ­istis sudor, Apollineo quam fila sonantia plectro / cum quaterem, 2,156–158).661 Er schließt mit den zwei vielleicht überraschendsten Trainingsgebieten: der Heilkunst (2,159–162) und der gerechten Gesetzgebung (2,163–165). Der Schlusspunkt der Erziehung in Achills Bericht wird also von den zwei Künsten gebildet, die der Kriegskunst entgegenstehen: die eine, die Wunden heilt (vulnera ­claudat, 657 Vgl. auch Ripoll zu 2,119–127, der hier einen bewusst gesetzten Kontrast als Komplement zur sonst feinsinnigeren Erziehung sieht, wie sie in 1,184–197 zum Ausdruck komme. 658 Vgl. auch Juhnke 1972, 171: »Bemerkenswert breit wird bei den wehrertüchtigenden Übungen unter Chirons Leitung das Anstemmen gegen die Hochwasserflut des Sperchios geschildert […].« 659 Allerdings hebt Achill einen überraschenden Aspekt hervor: Chiron appelliert an seinen pudor (2,151), um ihn zum Widerstand zu animieren. Dem Impetus aufzugeben soll Achill also durch eine Emotionssteuerung entgegenwirken. 660 Darüber hinaus ließe sich dieser Kampf gegen einen Fluß auch als weitere Miniaturisierung einer epischen Konvention lesen; zum Vergleich: Der Kampf des Hippomedon gegen den Ismenos in der Thebais nimmt über hundert Verse ein (9,404–509, vgl. dort auch seinen ähnlichen Widerstand: 9,470–475); der Kampf des iliadischen Achill gegen den Skamander ist sogar noch umfangreicher (21,211–384, mit mehreren eingelegten Götterszenen). Ähnlich kondensiert ist auch das Anhalten eines feindlichen Streitwagens: vgl. A. 1,142 f. (eine knappe Erwähnung als Trainingsprogramm) mit Th. 6,479–685 (Chromis beim Wagen­ rennen: ausgestaltet, mit Gleichnis). 661 Das Attribut Apollineo verweist zudem auf die Doppelnatur des Apoll als Bogner und Harfner, die bereits im Gleichnis 1,165 f. figurierte und die zugleich Sinnbild für Achills Doppelnatur ist. Das Leierspiel schlägt den Bogen zu 1,186 f. und 573–575, sowie zum neunten Buch der Ilias.

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2,161);662 die andere, die Frieden schafft (pacare, 2,165). So vereint, poeto­logisch gesprochen, Chirons Erziehung Episches und Unepisches. Zugleich stellt die Erwähnung dieser beiden Künste einen proleptischen Verweis auf die Ilias-Handlung dar: Achill lernt von Chiron monitus sacrae iustitiae (2,163 f.)  – aus verletztem Gerechtigkeitsgefühl wird Achill in Ilias 1 den Streit mit Agamemnon beginnen. Auf Achills von Chiron erlernte Heilkunst wird auch in Ilias 11,831 f. angespielt. Statius arbeitet so auch gegen eine einseitige Interpretation des iliadischen Achill als Zornigem.663 Außerdem nähert sich Achill mit dem Leierspiel und der Heilkunst der Darstellung des alten Chiron aus dem ersten Buch an: Bei seinem ersten Auftritt werden Leierspiel und Heilkunst als seine ihm im Alter einzig verbliebene Arbeit genannt.664 Eine Fähigkeit wie das Leierspiel wird Achill dann auf Skyros sogar nutzen, um sich Deidamia zu nähern (vgl. 1,573–576); seine gerechtigkeitsliebende Natur wird sich besonders in seiner Rede vor Lycomedes erweisen (1,892–910). So schließt das Ende des erhaltenen Teils der Achilleis, wie Hinds es treffend genannt hat,665 »both apt and frustrating«: passend, weil die Entwicklung Achills bis zur Teilnahme am trojanischen Krieg nun lückenlos vorliegt; frustrierend, weil die Fortsetzung umso interessantere Ansätze und Hindernisse für die Ethos-Konzeption geboten hätte.666

662 Zur Wunden heilenden und nach Achill benannten Pflanze Achilleos vgl. Plinius NH 25,42 f. 663 Vgl. z. B. Hor. Ars 121 f.: impiger, iracundus, inexorabilis, acer / iura neget sibi nata, nihil non arroget armis. Kozák 2014 sieht in Statius’ Achill eine Reaktion auf die horazische Auffassung. 664 A. 1,116–118: nam tunc labor unus inermi / nosse salutiferas dubiis animantibus herbas, / aut monstrare lyra veteres heroas alumno. 665 Hinds 2000, 244, allerdings in Bezug auf seine gänzlich andere Interpretation von Buch 2. 666 Immerhin hat McAuley 2016, 366 noch für die letzten erhaltenen Worte scit cetera­ mater eine Anspielung auf die Liebeselegie ausmachen wollen, nämlich Ov. Am. 1,5,25 cetera quis nescit. Mit diesen Worten bricht das elegische Ich augenzwinkernd eine Schilderung der gemeinsamen Zeit mit Corinna nach einem ›Kampf‹ gegen sie ab (vgl. 1,5,13–16). Gerade umgekehrt sei die Situation in der Achilleis: Vom Liebesabenteuer segelt Achill nach Troja. Allerdings hängt das Funktionieren einer solchen Anspielung von der Deutung der in der Achilleis mit cetera umfassten Dinge ab (s. o.): McAuley sieht einen Verweis auf Skyros; Heslin 2005, 63 Fn. 21 versteht dagegen zurecht, wie mir scheint, die Kindheitserlebnisse, von denen Achill keine Erinnerung hat.

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D Schluss

Die Untersuchung nahm ihren Ausgangspunkt von der modernen Diskussion von Alters- und Spätwerken (A 1.). Dabei konnte gezeigt werden, dass besonders seit dem 19.  Jh. sich diese Deutungskategorie in vielfältiger Form diversifiziert und zu ganz unterschiedlichen, geradezu gegensätzlichen Konzepten und Vorstellungen geführt hat, wobei in der häufig essayistisch erscheinenden Auseinandersetzung Adorno 1993 das wohl am stärksten durchgeformte Konzept vorgelegt hat. Gleichwohl haben Painter 2006a und McMullan 2007 auf ein grundlegendes Problem dieser Ansätze und Deutungen hingewiesen: Die Annahme, dass sich eine überzeitlich und überindividuell vergleichbare Entwicklung der künstlerischen Produktion in einer Spät- bzw. Altersphase konstatieren lasse, ist angesichts der philosophischen Prämissen, die ihr zugrunde liegen, und angesichts der historischen Entwicklung dieser Deutungskategorie nicht zu halten. Dennoch kann man sie als Rezeptionspraxis verstehen, die in der Folge auch zur Produktionspraxis werden kann. Diese Idee stellt auch den Ansatz für die vorliegende Arbeit dar: Das Alterswerk ist keine ontologische Kategorie, die zur Interpretation von künstlerischen Produkten jedweder Kultur und Epoche herangezogen werden kann. Vielmehr kann ein Künstler aus bestehenden theoretischen Überlegungen zur künstlerischen Betätigung eines Alternden Impulse für die Konzeptionierung des eigenen Werkes gewinnen. Voraussetzung ist dabei nach McMullan die Existenz solcher Alterswerkvorstellungen. In dieser Perspektive sind moderne Konzepte nicht auf antike Texte übertragbar. Sofern sich aber eine antike Diskussion ausmachen ließe, könnte ein antiker Dichter auch auf diese reagierend sein eigenes Werk gestalten. Der zweite Teil der Einleitung (A 2.) hat es dementsprechend unternommen, antike Alterswerkdiskussionen in der theoretischen Reflexion (A 2.2.) und in der Dichtung (A 3.), die dem im Mittelpunkt der Arbeit stehenden Autor Statius vorausgeht, aufzuzeigen. Auf der Seite der theoretischen Überlegungen ist der Exkurs zu Ilias und Odyssee bei Ps.Longin (9,11–15) von herausragender Bedeutung. Hier wird besonders prägnant die Verbindung zwischen dem Alter des Autors und der Entwicklung des Werkes gezogen. Kernpunkt für Ps.Longin ist die Auflösung des Pathos der Ilias zum Ethos der Odyssee. Auch wenn diese grundlegende Zuordnung bereits von Aristoteles in der Poetik vorgenommen wurde, so ist doch neben der Verknüpfung mit dem Alter die Bedeutungsentwicklung beider Begriffe in der Rhetorik zu beachten, die im Hintergrund von Ps.Longins Verwendung steht. Meint Aristoteles mit beiden Begriffen noch die Erzeugung von Emotionen beim Publikum (Pathos) bzw. die s­ympathische

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Selbstcharakterisierung des Redners als Teil einer Überzeugungstrategie (Ethos), so verschiebt sich spätestens seit Cicero der Aspekt der Sympathie zu einer Erzeugung von angenehmen, milden Affekten beim Publikum im Allgemeinen (Ethos) gegenüber einer Erweckung intensiver Emotionen beim Publikum (Pathos). Pathos und Ethos spannen nun ein Emotionsspektrum auf, wobei die nachlassenden Körperkräfte des Alters laut Ps.Longin die Fähigkeit zum Pathos sich ins Ethos auflösen lassen. Teilaspekte dieses Phänomens sind eine generische Orientierung an niederen Gattungen, d. h. eine Inkorporierung z. B. von Elementen der Komödie in den epischen Rahmen, sowie ein stärker erzählender und zuweilen weitschweifiger Stil. Einen weiteren Aspekt stellt die Komplettierung eines Gesamtwerkes dar. Gerade die Erschaffung eines Gesamtwerkes und die Darstellung einer alternden persona konnte im zweiten Teil der Einleitung an dichterischen Beispielen aufgezeigt werden. Mit Statius’ Werk haben wir ein antikes Textcorpus, für das sich die so erarbeiteten Interpretationskategorien in besonderer Weise eignen: Die Dichotomie zweier Epen stellt eine augenfällige Analogie zu den beiden homerischen Epen dar, auch wenn Statius’ zweites Epos unvollendet geblieben ist. Zudem bieten die Silven einen nicht-epischen literarischen Repräsentationsraum, der einen höheren Grad an Explizitheit in der Poetologie ermöglicht, als dies traditionellerweise in der Epik der Fall ist, und innerhalb dessen zugleich parallel zu dem in Arbeit befindlichen zweiten Werk das Publikum durch Ankündigungen und Selbstkommentare auf eine bestimmte Rezeptionshaltung hin eingestellt werden kann (B 1.). Die komplementäre Betrachtung der Achilleis in systematischer Hinsicht (B 2.–4.) und in der Detailanalyse (C) hat auf der Makro- und der Mikroebene zeigen können, wie ein Abzielen auf das Ethos in Stoffwahl, Struktur, Sprache/ Stilistik, Motivik, intra/intertextuellen Bezügen etc. die Konzeptionierung von Statius’ zweitem Epos bestimmt. Der titelgebende Hauptcharakter Achill wird dabei in der Beschreibung seines Äußeren, seines Verhaltens und seines Charakters zu einem poetologischen Emblem des Ethos-Epos mit seinem reduzierteren emotionalen Spektrum stilisiert. Er ist eine zwischen männlichen und weiblichen Charakteristika changierende Gestalt (A. 1,159–165) und vereinigt in allegorischer Form die männlichen Züge des traditionellen Epos und die femininen Züge des elegisierten Achill. Seine Tarnung ist dementsprechend gerade ein Frauengewand und sein Versteck ein Palast, in dem er mit vielen Jungfrauen wohnt. Wird er zornig oder gewalttätig, so nimmt er kurz darauf dieses Aufbrausen zurück (A. 1,649 und 888). Sein Verhalten wird mehrfach als zögerlich, zurückhaltend und bedächtig beschrieben (A. 1,804, 867, 888; 2,94 f.). Zugleich kann vor dem Hintergrund der Selbststilisierung eines alternden Dichters in den Silven (vgl. B 1.) diese Ethos-Wirkung als Teil eines AlterswerkKonzeptes gedeutet werden. Denn in der Achilleis ist die Ethos-Wirkung nicht Selbstzweck, sondern eingebunden in die Selbstdarstellung als alternder und geschwächter Dichter bzw. Erzähler, die an das Bild der Silven anknüpft. Die

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Erschöpfung des Dichters manifestiert sich so auf der kompositorischen und strukturellen Ebene (Umfang und Detailgrad der Ausführung, Abbruch eines Pathosaufbaus). Daneben werden alterstypische Merkmale wie Erzählfreude und Bedächtigkeit deutlich (vgl. B 2.2.4.). Auf diese Weise ist gegenüber Delarue 2000, der bereits das Begriffspaar­ Pathos/Ethos zur Deutung der Relation von Thebais und Achilleis vorgeschlagen hat, ein doppelter Zugewinn zu verzeichnen: in methodischer Hinsicht durch eine Beachtung der Begriffsentwicklung von Pathos/Ethos in der rhetorischen Tradition und in konzeptioneller Hinsicht durch eine Verbindung zur Alterswerk-Diskussion. Eine poetologische Verwendung des Alters, allerdings in etwas anderem Sinne, hat Ambühl bereits für Kallimachos ausgemacht.1 Alte Figuren stehen dabei für die literarische Tradition, junge für die neue Dichtung. Diese Dichotomie ist auch in die Selbstdarstellung des Kallimachos hineingespiegelt: »Ebenso wie sich in der narrativen Struktur des Aitien-Prologs die Figuren des ›jungen‹ und des ›alten‹ Kallimachos unauflöslich verbinden, projiziert sich Kallimachos auch in die griechische Literaturgeschichte hinein, indem er sich janusköpfig zugleich als ›alten‹ Dichter, der am Ende einer langen, bis zu Hesiod zurückreichenden Traditionskette steht, und als ›jungen‹ Dichter charakterisiert, der den Beginn einer neuen Epoche einläutet.«2

Ebenso spannt Statius mit der Achilleis als seinem Alterswerk den literaturgeschichtlichen Bogen zur als Ursprung begriffenen Epik Homers: in stofflicher Hinsicht als Verweis auf die Ilias, in konzeptioneller Hinsicht (sc. Ethos, Alterswerk) auf die Odyssee. Er impersoniert auf diese Weise den im doppelten Sinne – literaturgeschichtlich und biographisch – alten Homer. Zugleich greift Statius eine kallimacheische Strategie für das Ethos-Epos auf, das generisch auch eine Kallimacheisierung des traditionellen Epos darstellt. Einen Beleg für die positive Wirkung des Alter(n)s auf die dichterische Produktion bietet Statius’ Zeitgenosse Quintilian, wenn er über den Epiker Saleius Bassus schreibt: vehemens et poeticum ingenium Salei Bassi fuit, nec ipsum senectute maturuit (Gewaltig und von echter dichterischer Qualität war die Begabung des Saleius Bassus, doch hat sie nicht durch Alter reifen können; 10,1,90). Liest man diese Aussage zusammen mit der Auffassung, dass der Redner nicht

1 Ambühl 2005, bes. 385–408. Vgl. als germanistisches Analogon: Küpper 2004 für die literarästhetisch-programmatische Verwendung des Alters in der deutschen Literatur von 1750 bis 1850. Küpper arbeitet dabei u. a. eine Funktionalisierung des Alters für den poeta doctus heraus, ebenso wie die gleichzeitige Stilisierung als im Besitz der Tradition und nicht von ihr gebunden sein. 2 Ambühl 2005, 408. Hunter 2001, 253 f. verfolgt die Spuren für Kallimachos’ Parallelisierung von Alter und literarischer Tradition bis Simonides zurück.

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bis ins hohe Alter mit dem ersten Auftreten vor Gericht warten dürfe,3 so wird deutlich, dass das Alter für Quintilian eine lebenslange Beschäftigung mit der jeweiligen Profession bedeutet. Dann kann nämlich der Alterungsprozess einem Reifungsprozess gleichgesetzt werden. Ein solches lebenslanges Reifen stellt Statius für sich selbst in den Silven vor: Von den Anfängen, die noch unter der Aufsicht des Vaters gemacht werden, über die ersten Erfolge (Silv. 5,3,209–238), bis zum aktuellen Projekt, der A ­ chilleis (vgl. Silv. 4,4,87–100). Das Arbeiten ist stets ein langwieriger Prozess, aus dem das Werk herausreift (vgl. Silv. 1,5,8; 3,5,35 f.; 4,7,26). Das eigene Alter(n) zum Teil  der autobiographischen Fiktion, die in der Dichtung inszeniert wird, zu machen, ist, wie gesagt, ein Charakteristikum, das sich mindestens von Kallimachos an bis zu Ovid nachverfolgen lässt. Die Eigenheit des Statius wird dabei im Vergleich deutlich: Er verzichtet, wie Vergil, auf konkrete Altersangaben, wie sie Horaz,4 Ovid5 oder sein Zeitgenosse Martial6 einflechten. Die Evokation eines alternden Dichters steht im Vordergrund, bei dem sich diese Un­ bestimmtheit mit der ›Anonymität‹ Homers und der Zurückhaltung Vergils in diesem Punkt vergleichen lässt. Die exemplarisch an Painter 2006a und McMullan 2007 aufgezeigte neuere Diskussion von Spät- bzw. Alterswerk als Rezeptionspraxis des Lesers wie des Autors hat sich dementsprechend auch für Statius’ Achilleis als fruchtbarer neuer Interpretationsansatz erwiesen. Insofern ist McMullans dezidierte Verortung eines solchen Konzeptes in der (Post)Romantik nur für die spezifische Ausprägung als altersunabhängiges Spätwerk zu bestätigen.7 Statius bietet nämlich mit seinem zu einem Gesamtwerk verbundenen Schaffen ein antikes Beispiel für die Stilisierung einer alternden Autor-Persona mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Beschaffenheit der dichterischen Produktion. Ausgangspunkt dafür sind zum einen antike Vorstellungen über die Entwicklung des Künstlers im Alter bzw. den Einfluss des Alterns auf den Künstler, zum anderen die in der antiken Literatur häufig anzutreffende Einbettung autobiographischer bzw. autobiographisch erscheinender Fakten in die Selbststilisierung. Vorläufer auf diesem Gebiet sind für Statius z. B. Horaz, für den­ Davis u. a. mit Blick auf die mirakulöse Rettung aus der Schlacht von Philippi 3 12,6,2: nec rursus differendum est tirocinium in senectutem: nam cotidie metus crescit maiusque fit semper quod ausuri sumus, et dum deliberamus quando incipiendum sit incipere iam serum est. 4 Vgl. z. B. Epist. 1,20,26–28; c. 4,1,6. 5 Vgl. Tr. 4,10,5 f./57 f.; Ibis 1 f. 6 Vgl. 10,24,4. Zum Thema Alter bei Martial vgl. Bonvicini 1995, bes. 129–131 mit Bezug auf die Autorpersona, wo auch Epigr. 10,24 herangezogen wird. 7 Allerdings gibt es im Umgang mit literarischen Konventionen bei Statius, der diese als Konventionen hervortreten lässt (vgl. die Ausführungen zur Kriegsvorbereitung und zur Calchas-Szene A. 1,397–559) eine Parallele zu den von Adorno (vgl. A 1.) beobachteten Eigen­ arten von Beethovens Spätstil hinsichtlich von Floskeln und Konventionen.

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in c. 2,7 oder die nicht weniger mirakulöse Kindheitsgeschichte in 3,4 von autobiographical mythos gesprochen hat;8 oder auch die römische Liebeselegie, die einen offensichtlich stark fiktionalisierten und literarisierten Liebesdiskurs mit autobiographischen Elementen wie der Adressierung an reale amici verbindet: Gleich die Eröffnungselegie des ersten Properz-Buches, die den elegischen Liebhaber einführt und einige grundlegende mit ihm verbundene Konventionen der Gattung aufruft, wie die Bezwingung durch Amor (1,1,1–6), die vollständige Hingabe (1,1,7 f./33 f.) oder den didaktischen Aspekt der Liebesdichtung (1,1,35–38), ist an eine reale Person gerichtet, die gewissermaßen die authentifizierende Brücke zwischen Fiktion und Realität bildet, den in 1,1,9 angesprochenen Tullus. In 1,6 wird nicht nur Tullus wiederum angesprochen, sondern auch auf seinen prokonsularen Onkel verwiesen (1,6,1 f./19 f.). Dieser ist vermutlich mit L. Volcatius Tullus zu identifizieren, der in Briefen Ciceros und inschriftlich bezeugt ist.9 Auch Statius spielt mit der Verschränkung von Mythos und Realität, z. B. in dem Epithalamium für Stella und Violentilla Silv. 1,2, in dem Venus eine entscheidende Rolle als Handelnde zukommt, die für Stella ein gutes Wort bei Violentilla einlegt.10 Einen autobiographischen Ausgangspunkt, nämlich die unterbrochene Arbeit an der Thebais, nimmt z. B. auch die Ekphrasis des Bades von Claudius Etruscus (Silv. 1,5). Wenn nun bereits die Antike das von McMullan erst für die Moderne postulierte Phänomen, wenn auch in einer besonderen Form, aufweist, so ist in der weiteren Forschung auf diesem Gebiet, gewissermaßen die chronologische­ Lücke von den hier behandelten Autoren (bis Ps.Longin) zur modernen Diskussion zu schließen. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Gerade die christliche Literatur der Spätantike bietet durch ihre Neudeutung des menschlichen Lebens in jenseitiger Perspektive auch einen veränderten Altersdiskurs,11 der sich auch in der Selbststilisierung antiker christlicher Autoren mit Blick auf ihr Gesamtwerk niederschlagen könnte. Zudem könnte das hier vorgeschlagene, auf Ps.Longin fußende Interpreta­ tionsmodell auch an anderen antiken Autoren wie Ovid, Martial oder Juvenal erprobt werden, deren erhaltenes Werk umfangreich genug ist, um eine über größere temporäre Distanz sich entwickelnde, d. h. alternde persona zu verfolgen. Problematisch ist dabei neben der Überlieferungslage allerdings, dass die Konstellation des zweiten Epos, die Statius so sehr mit dem von Ps.Longin­ 8 Davis 1991, 78–114. Vgl. außerdem Korenjak 2003 zu solchen scheinbar autobiographischen Selbststilisierungen in der bukolischen Tradition. 9 Vgl. als Prätor: ad fam. 13,14,1; als Statthalter: ad Att. 14,9,3; inschriftlich als Konsul: Inscr. Ital. 13,1,251/254 f., und als Prokonsul: SEG 15,815; vgl. H. Gundel, RE IX A 1, 756 f. (s. v. Volcacius 9) L. Volcatius Tullus). Zu Properz und den Volcacii Tulli vgl. Cairns 2006, 35–69. 10 Zum Gebrauch des Mythos in den Silven vgl. u. a. Verstraete 1983 und Coleman 1999. Zu intertextuellen Beziehungen zwischen Achilleis und Silv. 1,2 vgl. B 3. 11 Vgl. dazu z. B. Gnilka 1972 und Fuhrer 2012.

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behandelten Homer parallel erscheinen lässt, hier nicht gegeben wäre. Daher müsste das Interpretationsmodell transgenerisch abstrahiert und noch stärker auf einen Nexus von Kernelementen konzentriert werden, zu denen besonders die rhetorische Antithese Pathos/Ethos, die Selbstdarstellung als Alternder und die Schaffung eines Gesamtwerkes gehören. Weiterhin ist nach der Rezeption solcher Alterswerkdiskurse in biographischen Repräsentationen von Dichtern zu fragen bzw. wiederum zum Einfluss solcher Darstellungen auf spätere Dichter und deren Selbststilisierung.12 Zu erhoffen ist dabei ein Gewinn, auf den auch diese Arbeit abzielt: eine neue Perspektive auf das besonders in der neueren Forschung vielfach behandelte Thema Alter und Antike einzunehmen und dabei neben der bisher intensiv rezipierten sozialgeschichtlichen Realität die literarischen Imaginationen und Projektionen des Alters und Alterns in der Antike nachzuverfolgen.

12 Bisher nur angedeutet wurde eine Verbindung zur antiken Kunst (vgl. das Plinius-Zitat zu unvollendeten Gemälden in A 1. und der Hinweis auf die Altersbildnisse Homers in A 2.2.): Hier besteht ebenfalls zusätzlicher Forschungsbedarf sowohl hinsichtlich der produktiven Rezeption von Alterswerk-Konzepten wie auch zu Wechselwirkungen mit literarischen Werken.

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Stellenregister

Aufgenommen sind nur für die Fragestellung relevante bzw. tatsächlich besprochene Stellen, auf die nicht ausschließlich als Beleg, Parallele o.ä. verwiesen wird. Stellen für die Achilleis sind für Teil C aufgrund des linearen Durchgangs nicht erfasst.

1. Griechische Autoren Anakreon (ed. Page) frg. 359 PMG

267

Aristoteles (Rhet.: ed. Ross; Poet.: ed. Kassel) Rhet. 1,2 Rhet. 2,13 Poet. 11 Poet. 13 Poet. 18 Poet. 24

44 f. 30 f. 318 42 Fn. 125 319 42/318 f.

Corpus Theocriteum (ed. Gow) Epith. Epith. 9 Epith. 15–21 Epith. 22–24

173 f. 290 210 286

Dionysios v. Halikarnassos (edd. Usener/Radermacher) Dem. 2 48 f. Euripides (Hel.: ed. Kannicht; Skyr.: TrGrF Kannicht) Hel. 137 f., 327 Fn. 580 Skyr. 137 f., 300 Homer (edd. Monro/Allen) Il. 1,8 Il. 1,154 Il. 1,188–192 Il. 2,685 Il. 4,319–325 Il. 6,407–439

233 346 Fn. 642 347 Fn. 643 329 130 f. 336

Il. 9,189 Il. 10,218–232 Il. 10,296–298 Il. 11,831 f. Il. 18,483–608 Il. 19 Il. 21,211–384 Od. Od. 1,3 Od. 13,430–438 Od. 22,1 Od. 23,153–163

106/216 283 Fn. 384 301 352 320 225 Fn. 169, 337 Fn. 612 351 Fn. 660 143 f. 311 f. 133 133 133

Isokrates (ed. Norlin) Panath. 1–4

40

Kallimachos (ed. Pfeiffer) Aet. frg. 1,5 f. Pf. Aet. frg. 1,37 f. Pf. Aet. frg. 112 Pf.

67 67 f. 68

Markellinos (ed. Piccirilli) vit. Thuk. 44

39 f.

Pausanias (ed. Rocha-Pereira) 1,22,6 136 f. Platon (ed. Burnet) Pol. 329b7–d4

56

Plutarch (an seni: ed. Hubert; de prof.: edd. Paton/Wegehaupt) an seni 785e–f 152 de prof. 79b (= Sophokles, T 100 TrGF) 53–55

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Stellenregister

Poseidippos (ed. Lloyd-Jones) SH 705 69 f. Ps.Longin (ed. Russell) 9,11–15 34–39, 63 f., 145, 208, 338 f. 34,2/4 61 Scholia in Homeri Iliadem (ed. Erbse) AT 1,1a ex. 124 f.

bT 1,1b bT 1,105b bT 1,349 T 9,668b D 19,326 bT 24,85a bT 24,804a Theokrit (ed. Gow) Id. 18

154 f. 155 125 Fn. 106 125 Fn. 106 125 222 Fn. 154 39 165 f.

2. Lateinische Autoren Catull (ed. Mynors) c. 2,4 c. 51 c. 61 c. 62 c. 64 c. 64,14 f. c. 64,19–21 c. 64,59

212 242 167 f. 167 f. 167–173 255 267 Fn. 334 172, 336

Cicero (de or./Or: ed. Wilkins; de sen.: ed. Powell) de or. 2,182 f. 46 f. de sen. 29 f. de sen. 2 91 f. de sen. 22 51 f. de sen. 32 131 Or. 69 48 Or. 128 48, 141 Diomedes (ed. Keil) 482,14–492,14 Keil

141 f.

Ennius (ed. Skutsch) frg. 401

70

Horaz (ed. Borzsák) Ars 121 f. c. 1,1,35 c. 1,5 c. 1,6 c. 1,14 c. 1,15 c. 2,5 c. 2,10

344 Fn. 638/ 352 Fn. 663 75 255 212 f. 279 191 248 f. 211 f.

c. 2,16 c. 4,1 c. 4,11 c. 4,15 Epist. 1,1,1–12 Epist. 1,20 Epist. 2,2 Epod. 17,81 Iuvenal (ed. Willis) Sat. 7,82–87

308 Fn. 308 76 f., 103 f. 77 109 f. 75 f. 76 77 f. 74 98 f.

Lucan (ed. Shackleton-Bailey) 1,129–131 128 4,237–242 322 f. Martial (ed. Lindsay) 2,90 57 9,16 240 9,23 240 10,24 356 Fn. 6 8 praef. 93 Fn. 344 12 praef. 93 Fn. 344 Ovid (Am./Ars: ed. Kenney; EP: ed. Richmond; Fast.: Alton/Wormell/ Courtney; Met.: ed. Tarrant; Trist.: ed. Richmond) Am. 1,1 140 Am. 2,17,21 f. 226 Am. 3,1 81 f. Am. 3,15,17–20 81 Ars 1 146 Ars 1,10 133 Ars 1,11–18 134, 215 Fn. 130, 287 f.

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Stellenregister Ars 1,139 f. Ars 1,181 f. Ars 1,697–704 EP 1,1 EP 1,4 EP 2,5,25–32 EP 4,2 EP 4,16 Fast. 2,3–8 Met. 1,1–4 Met. 2,711–713 Met. 2,722–725 Met. 2,732–736 Tr. 1,1 Tr. 1,7 Tr. 2 Tr. 3,1 Tr. 4,1 Tr. 4,8 Tr. 4,10 Tr. 5,1

286 338 297 f. 87 87 f. 88 89 89, 104 82 83 235 236 f. 237 f. 83 f. 84 84 f., 147 85 85 85 f. 86 87

Seneca phil. (Epist. Mor.: ed. Reynolds; Nat. Quaest.: ed. Hine; Tro.: ed. Zwierlein) Epist. Mor. 31 f. Nat. Quaest. 3 praef. 1–4 92 Tro. 213 f. 226 Fn. 172 Tro. 503–506 226 Fn. 172

Plautus (ed. Lindsay) Men. 753–775

130

Plinius d. Ä. (ed. Ian/Mayhoff) NH 9,21 NH 9,24 NH 35,145

220 220 21 f.

Sueton/Donat (ed. Reifferscheid) Verg. vit. 63,4–8 (= 34,5–8 Brugnoli/Stok) 73 Verg. vit. 64,5–65,7 (= 36,6–38,8 f. Brugnoli/Stok) 72 Fn. 269

Properz (ed. Fedeli) 1,1 242, 357 1,6 357 2,34,66 207 4,1 80, 104 4,2 287 4,7 80 4,9 288 4,11 80 Quintilian (ed. Winterbottom) Inst. or. 2,12,12 92 f. Inst. or. 6 praef. 1–3 93 Inst. or. 6,2 49 f., 206 Inst. or. 10,1,90 355 Inst. or. 12,6,2 356 Fn. 3 Inst. or. 12,11 93 Sallust (ed. Reynolds) BC 4,1–2

93 Fn. 343

Seneca rhet. (ed. Håkanson) Contr. 1 praef. 4 f. 40 Servius (ed. Thilo-Hagen) praef. ad Aen. comm. p. 2,15–21 72 Fn. 269 praef. ad Aen. comm. p. 4,3–8 166 comm. in Aen. 1,1 154 comm. in Aen. 1,37 188 comm. in Aen. 1,180 154 comm. in Ecl. 6,5 120 Silius Italicus (ed. Delz) 2,215–221

284 Fn. 387

Sueton de poet. s. Diomedes Statius (A.: ed. Dilke; Silv.: ed. Courtney; Th.: ed. Klotz) A. 1,1–19 115–127 A. 1,18 f. 151 A. 1,25–28 168 f. A. 1,84–88 170 f. A. 1,90 171 A. 1,116–118 131 A. 1,187 f. 129 A. 1,191–193 171 A. 1,232–241 159 f. A. 1,293–296 163 A. 1,326–328 164 A. 1,528 129 A. 1,593–618 134 A. 1,775–783 129–131 A. 1,776 f. 127 A. 1,881 f. 73 Fn. 270

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Stellenregister

A. 1,936–938 172 f. A. 1,960 172 A. 2,50–83 175 Silv. 1 praef. 6 101 Silv. 1 praef. 7–9 94 Fn. 346, 119 Silv. 1,2 159–167, 291 Silv. 1,5 101 Silv. 3,2 101 f. Silv. 3,4 239 f. Silv. 3,5 102 f. Silv. 4 praef. 104 Silv. 4,2,1–10 62 Fn. 226 Silv. 4,4 105–110, 127 f. Silv. 4,7 110–112, 120 f. Silv. 5,2 112/127, 151 Silv. 5,3 113 f., 116 f., 140 Silv. 5,4 114 Silv. 5,5,31–37 113 Silv. 5,5,69 129, 279 Th. 1,3 123 Th. 1,17–22 122 Th. 1,46–55 185 f. Th. 1,391 127, 130 Th. 1,512–539 306–308 Th. 1,533–536 240 f. Th. 2,189 f. 328 Fn. 582 Th. 2,306–363 332–335 Th. 2,323–332 243 f. Th. 2,363 336 Fn. 605 Th. 3,262–323 197–201 Th. 3,305–308 263 Th. 3,336–344 259 f. Th. 3,598–677 269–274 Th. 3,598–607 270 f. Th. 3,669–677 284 f. Th. 4,1–344 261 f. Th. 4,69–73 244 Th. 4,88–92 340 f. Th. 4,93 f. 342 Th. 4,846–850 256 Fn. 288 Th. 5,419 336 Fn. 606 Th. 5,481–485 224 f. Th. 6,479–685 351 Fn. 660 Th. 7,173 f. 256 Fn. 290 Th. 7,808 247 f. Th. 8,373 f. 140 Th. 9,351–356 191–193 Th. 9,404–509 351 Fn. 660

Th. 9,570–601 Th. 9,709–711 Th. 9,790–800 Th. 10,42–48 Th. 10,598–618 Th. 10,646–649 Th. 12,668–671 Th. 12,811 Tacitus (ed. Fisher) Hist. 1,1

205 Fn. 85 223 f. 349 Fn. 651 302 f. 275–282 288 f. 216 Fn. 133 121 93 Fn. 343

Terenz (ed. Kauer/Lindsay) Eun. 251–253 Valerius Flaccus (ed. Ehlers) 1,407–410 213 5,343–349 315 f. 7,644–646 214 Fn. 120 Vergil (ed. Mynors) Aen. 1,34–37/50 Aen. 1,69 f. Aen. 1,258–297 Aen. 1,753–755 Aen. 2,122–129 Aen. 2,274–276 Aen. 2,355–358 Aen. 4,259–278 Aen. 4,305–430 Aen. 4,327–331 Aen. 4,569 Aen. 5,779–826 Aen. 7,286–289 Aen. 7,293 Aen. 7,623–817 Aen. 8,107–110 Aen. 8,514–517 Aen. 8,729–831 Aen. 9,77 f. Aen. 9,644 Ecl. 1,1 Ecl. 4,36 Ecl. 4,60 Ecl. 5,20–28 Georg. 3,1–49 Georg. 3,209–241 Georg. 4,563–566

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188 193 190 345 271 f. 338 302 324 Fn. 562 231 Fn. 190 311 324 194 f. 189 193 261 301 130 326 233 207 f. Fn. 95 71 224 226 Fn. 170 222 72 244 f. 71 f.