Seuchen, Ängste und Diskurse: Massenkommunikation als diskursives Rollenspiel 9783110252392, 9783110252385

The subject of this book is the media coverage of avian flu (bird flu) in 2006. A large part of media coverage consists

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Seuchen, Ängste und Diskurse: Massenkommunikation als diskursives Rollenspiel
 9783110252392, 9783110252385

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
Problemhorizont und Themenwahl
Gliederung der Arbeit
I. Forschungsperspektiven
1. Diskursanalytische Ansatzpunkte
1.1 Der Ansatz der Kritischen Diskursanalyse
1.2 Der diskursanalytische Ansatz der Historischen Semantik
1.3 Der diskursanalytische Ansatz der ‚Kontroversen Begriffe‘ und ‚Argumentationsanalyse‘
1.4 Der diskursanalytische Ansatz der ‚Rezeption‘
2. Andere wissenschaftliche Zugriffe auf das Material der Diskursanalyse: Seuchenforschung und Seuchendiskurs
3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung
4. Skizze der eigenen Vorgehensweise
II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – die Korpusanalyse
1. Vorüberlegungen, Fragestellungen und Zielsetzung
1.1 Erste Annäherung
1.2 Weitergehende Überlegungen und Aufgliederung der Fragestellungen
2. Diskursanalytische Ergebnisse
2.1 Sprachliche Ebenen und sprachliche Realisierungsmittel massenmedialer Angsterzeugung – das Angstvirus
2.1.1 Die Konstitution von Nichtwissen, Ungewissheit und theoretischer Machtlosigkeit
2.1.2 Angsterzeugung durch Schadenserwartung
2.1.3 Zwischenfazit – Ergebnisse und Hypothesen
2.2 Sprachliche Realisierungsformen massenmedialer Angstzuschreibung – die Virusangst
2.3 Motive und sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung
2.3.1 Angstabbau/Angstbewältigung durch Thematisierung der Angst
2.3.2 Angstabbau/Angstbewältigung durch Relativierung/ Leugnung von Gefahr
2.3.3 Angstabbau/Angstbewältigung durch Sinndeutung/ Schicksalsergebenheit
2.3.4 Verschränkung von diskursiven Rollen und Motiven
III. Von der diskursanalytischen Medienuntersuchung zur diskursiven Medientheorie
1. Rekurs: Theoretische Ausgangslage
1.1 Schwierigkeiten der Medienwirkungsforschung
1.2 Pluralismus der diskurstheoretischen Ansätze
1.3 Unvermitteltheit von (pragma-)linguistischer Forschung und Diskurstheorie
2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes: Diskursive Rollen – Diskurs als Rollenspiel
2.1 Angsterzeugung – die diskursive Existenz des Virus
2.2 Angstzuschreibung/Angsthaben – die diskursive Antwort
2.3 Angstzuschreibung/Angstrepräsentation – zum Verhältnis von diskursivem Charakter und diskursiver Rolle und zur Dialogizität medialer Diskurse
2.4 Angstabbau/Angstbewältigung/Angstüberwindung – Diskurs als Therapie
3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen; Ausblick
3.1 Diskurs – Massenmedien – Sozialisation
3.2 Zur Typologie von Diskursen
3.3 Diskurs als Aufklärung; Diskurstheorie und Aufklärungsforschung
3.4 Zum Diskurs als System
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
Artikel aus Der Spiegel
Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Artikel aus Die Zeit
Beiträge aus der Tagesschau
Beiträge aus den Tagesthemen

Citation preview

Bettina Radeiski Seuchen, Ängste und Diskurse

Sprache und Wissen Herausgegeben von

Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat

Markus Hundt · Wolf-Andreas Liebert Thomas Spranz-Fogasy · Berbeli Wanning Ingo H. Warnke · Martin Wengeler 5

De Gruyter

Bettina Radeiski

Seuchen, Ängste und Diskurse Massenkommunikation als diskursives Rollenspiel

De Gruyter

ISBN 978-3-11-025238-5 e-ISBN 978-3-11-025239-2 ISSN 1612-443X

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Bildnachweis (Umschlag): Christopher Schneider, Laufen

∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die massenmedialen Inszenierungen von Seuchendiskursen vollziehen sich nur sehr bedingt in Abhängigkeit von medizinischen und naturwissenschaftlichen Fakten und Prognosen. Stattdessen zeichnen sie sich durch eine eigene, eine mediale Realität sui generis aus. Diese diskursive Realität entfaltet sich denn auch nicht entlang seuchenwissenschaftlicher Gedankenstränge und Kategorien, sondern zwischen den Polen „Panikmache“ und „Abwiegelung“, oder weniger medienkritisch ausgedrückt: zwischen „Angsterzeugung“ und „Angstbewältigung“. Medial inszenierte Seuchendiskurse sind, so eine zentrale These der Arbeit, also eigentlich Angstdiskurse, und ihr spezieller Gegenstand – die Seuche – erweist sich letztlich als bloßes Exempel, das sich der lokal und historisch bemerkenswert invariante gesellschaftliche Angstdiskurs sucht und sich subsumiert. Anhand des Angstdiskurses zur Vogelgrippe geht die Arbeit folgenden Fragen nach: Liegt in dieser dem speziellen Gegenstand vorgängigen Natur von Diskursen der Grund dafür, dass auch und gerade kontroverse Diskurse ihre traditionsmächtige Struktur und Stabilität beziehen? Oder zugespitzt und nach vorn gerichtet gefragt: Warum sind massenmediale Diskurse bezüglich ihrer gegensatzgeprägten Struktur und Rollenverteilung prognostizierbar? Als zentraler Ansatzpunkt für eine Antwort dient ein an Michel Foucault orientierter, um die Konzeption eines „diskursiven Rollenspiels“ entscheidend erweiterter Diskursbegriff. Die These vom Diskurs als Rollenspiel versucht, dem Foucault’schen Diskursbegriff bei seiner Operationalisierung für empirische, pragmalinguistisch orientierte Medienuntersuchungen gerecht zu werden. Texte als „Spieler“, als „Akteure“, eben als innerhalb einer Rolle Handelnde zu interpretieren, soll die Diskurstheorie analytisch schärfen und zugleich eine schlüssige Verknüpfung von abstrakter diskurstheoretischer Reflexion und konkreter linguistisch-kommunikationswissenschaftlicher Arbeit am Korpus leisten. Das erweist sich nicht zuletzt deshalb als notwendig, weil mit der Verbreitung dieses Begriffes eine Verwischung seiner eigentlich wünschbaren, terminologischen und konzeptuellen Konturenschärfe einhergegangen ist. Mittlerweile ist „Diskurs“ eine schillernde Projektionsfläche sowohl für „Anhänger“ als auch für „Gegner“, wird als solche besprochen, verwendet, gelobt und verworfen; und teilweise wird leider nicht nur in populären Veröffentlichungen das Etikett „Diskurs“ oft auch da aufgeklebt, wo doch nur eine

VI lose Textsammlung gemeint ist. Auch vor diesem Hintergrund soll in diesem Buch ein Modell von Diskurs entworfen werden, das Mediendiskurse als ein nach eigenen Prinzipien ablaufendes Miteinander- und Aufeinander-Einwirken von Texten versteht und analytisch nachvollziehbar macht. Die vorliegende Arbeit ist zwischen Oktober 2006 und April 2009 entstanden. Gerd Antos ist es zu danken, dass sie überhaupt entstehen konnte. Er hat mich darin bestärkt, meinen Überlegungen auch dann nachzugehen, wenn sie im Widerspruch zu gängigen Erklärungsmustern zu stehen schienen; er hat die letztlich entscheidenden Fragen gestellt, auf die die vorliegende Arbeit versucht zu antworten. Besonderer Dank gebührt auch Stephan Habscheid; seine kritischen Nachfragen und Hinweise haben mir dabei geholfen, die Quintessenz meiner Ideen herauszudestillieren und in der nötigen Deutlichkeit zu formulieren. Schließlich gilt mein Dank allen, die mir bei der inhaltlichen und technischen Fertigstellung der Arbeit in vielfältiger Weise zur Seite standen. Dazu gehören vor allem alle Mitarbeiter und Doktoranden des Germanistischen Instituts der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, insbesondere Andrea Jäger, Jörg Wagner und Nico Elste. Vor allem möchte ich meinen Eltern und meinem Bruder danken, die mich stets ermuntert und unterstützt haben. Ihnen widme ich dieses Buch. Halle (Saale), Januar 2010

Bettina Radeiski

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemhorizont und Themenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

Forschungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskursanalytische Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der Ansatz der Kritischen Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . 1.2 Der diskursanalytische Ansatz der Historischen Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der diskursanalytische Ansatz der ‚Kontroversen Begriffe‘ und ‚Argumentationsanalyse‘ . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Der diskursanalytische Ansatz der ‚Rezeption‘ . . . . . . . . . 2. Andere wissenschaftliche Zugriffe auf das Material der Diskursanalyse: Seuchenforschung und Seuchendiskurs . . . 3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung . . . . . . . . . . . . . 4. Skizze der eigenen Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – die Korpusanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorüberlegungen, Fragestellungen und Zielsetzung. . . . . . . . . . 1.1 Erste Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Weitergehende Überlegungen und Aufgliederung der Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskursanalytische Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Sprachliche Ebenen und sprachliche Realisierungsmittel massenmedialer Angsterzeugung – das Angstvirus . . . . . . 2.1.1 Die Konstitution von Nichtwissen, Ungewissheit und theoretischer Machtlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Angsterzeugung durch Schadenserwartung. . . . . . . 2.1.3 Zwischenfazit – Ergebnisse und Hypothesen . . . . .

1 1 2 5 5 13 20 22 25 27 33 43

57 57 58 61 65 65 65 76 108

VIII 2.2 Sprachliche Realisierungsformen massenmedialer Angstzuschreibung – die Virusangst . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Motive und sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Angstabbau/Angstbewältigung durch Thematisierung der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Angstabbau/Angstbewältigung durch Relativierung/ Leugnung von Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Angstabbau/Angstbewältigung durch Sinndeutung/ Schicksalsergebenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Verschränkung von diskursiven Rollen und Motiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Von der diskursanalytischen Medienuntersuchung zur diskursiven Medientheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rekurs: Theoretische Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Schwierigkeiten der Medienwirkungsforschung . . . . . . . . 1.2 Pluralismus der diskurstheoretischen Ansätze . . . . . . . . . . 1.3 Unvermitteltheit von (pragma-)linguistischer Forschung und Diskurstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes: Diskursive Rollen – Diskurs als Rollenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Angsterzeugung – die diskursive Existenz des Virus . . . . . 2.2 Angstzuschreibung/Angsthaben – die diskursive Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Angstzuschreibung/Angstrepräsentation – zum Verhältnis von diskursivem Charakter und diskursiver Rolle und zur Dialogizität medialer Diskurse. . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Angstabbau/Angstbewältigung/Angstüberwindung – Diskurs als Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen; Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Diskurs – Massenmedien – Sozialisation . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zur Typologie von Diskursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Diskurs als Aufklärung; Diskurstheorie und Aufklärungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zum Diskurs als System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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120 123 137 148 149

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Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

IX Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel aus Der Spiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . Artikel aus Die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge aus der Tagesschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beiträge aus den Tagesthemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219 219 220 232 233 235

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Anzahl der Texte und Beiträge im Jahr 2006 in Prozent . . . . . . . . . Abbildung 2: Anzahl der FAZ-Artikel sortiert nach Ressortzugehörigkeit in Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 3: Exemplarisches Verhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit . . Abbildung 4: Drei Rollen Angsterzeugung – Angstrepräsentation – Angstbewältigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5: Rollenpaare Angsterzeugung – Angstbewältigung. . . . . . . . . . . . . . .

47 55 80 177 178

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:

Die „Vogelgrippe-Position“ im Januar 2006 der Tagesschau . . . . . . . 49 Die „Vogelgrippe-Position“ im Februar 2006 der Tagesschau . . . . . . 50 Krankheits- und Todesfälle verursacht durch H5N1 weltweit . . . . . 53

Einleitung Problemhorizont und Themenwahl Angesichts der kaum noch überschaubaren Vielzahl medienkritischer/medientheoretischer Arbeiten bedarf jede Arbeit auf dem Gebiet der medien- und diskurswissenschaftlichen Forschung, die nicht nur ein begrenzter empirischer Beitrag zum Thema sein will, einer besonderen Rechtfertigung. Zugleich ist es nicht nur die pure Anzahl, sondern (und vielleicht vor allem) die Diversivität und zum Teil auch Gegensätzlichkeit der nebeneinander existierenden Versuche und Angebote theoretischer Interpretationen der Medienwelt, die die Lage so unübersichtlich machen. So stellt Roß in seinem historischen Abriss zu „Traditionen und Tendenzen der Medienkritik“ (1997) fest, dass trotz der konträren Positionen der Kritiker jedes ihrer Argumente durch das empirische Material der Medien belegt werden konnte. Was damit aus der Perspektive der einzelnen Ansätze vorteilhaft sein mag, entpuppt sich für die Disziplin insgesamt als Mangel: Das disparate Angebot der Medien führt dazu, daß sie für ihre Kritiker einerseits zunehmend ungreifbar werden, andererseits Beispiele und Belege für fast jede kritische Position liefern. Das macht jede Medienkritik zu einer zwangsläufig eklektischen Tätigkeit, der allgemeine Gültigkeit und Verbindlichkeit versagt ist. […] Damit entsteht eine Mischung aus Zufall und Willkür, die erklären könnte, warum die verschiedenen Varianten der Medienkritik sich kaum wechselseitig beeinflussen, sondern eher als Reservate von Überzeugungen hermetisch und beziehungslos nebeneinander stehen. (Roß 1997, S. 36)

Dieser Problemsicht ist sicherlich zuzustimmen: Wenn die in ihrer Vielzahl und Vielfalt produzierten Medien (vgl. Roß 1997, S. 38) selbst das Belegmaterial für (so gut wie) jedes theoretische Anliegen liefern, dann ist auf diese Weise das Dilemma für die fachwissenschaftliche Theoriebildung automatisch mitproduziert und es kann zweifellos behauptet werden, dass sich nicht nur die Medienkritik, sondern jegliche Form der Medienanalyse dieser im Zitat als „Zufall und Willkür“ gekennzeichneten Schwäche zu stellen hat. Die mögliche Belegbarkeit jedes medienkritischen/medienanalytischen Ansatzes führt entgegen dem wissenschaftlich Wünschbaren potentiell zu einem Pluralismus von unvermittelten, möglicherweise unvermittelbaren theoretischen Ansätzen. Der jeweils erhobene Anspruch auf eine unter bestimmten Voraussetzungen gültige, mit spezifischen Limitationen verallgemeinerbare

2

Einleitung

und als solche verbindliche Erklärung eines medialen Phänomens gerät zu einem bloßen und bloß beliebigen Moment einer Disziplin, die ihrerseits nicht ein System von (auch kritisch) ergänzenden, sondern ein Sammelsurium von Überzeugungen darstellt, die sich zu keinem Ganzen fügen (lassen). Jeder neue Beitrag – und auch die vorliegende Arbeit – hat sich diesem Problem und den damit verbundenen Fragen zu stellen. Also: Was ist der Anspruch dieser Arbeit? Welche die Disziplin als Ganze interessierenden Fragen sollen aufgeworfen, welcher neue Versuch einer Antwort soll gegeben werden? Was mit dieser Arbeit verfolgt wird, ist der Versuch, am Beispiel der medialen Berichterstattung zur Vogelgrippe im Jahr 2006 zu zeigen, dass es nicht nur notwendig und wünschbar, sondern auch möglich ist, zumindest bezogen auf einen eng umgrenzten Ausschnitt der massenmedialen Aufbereitung eines Gegenstandes alle und vor allem auch die auf den ersten Blick widersprüchlichen Phänomene in ein Diskursmodell einbetten zu können.

Gliederung der Arbeit Zu diesem Zweck wird im ersten Teil der Arbeit eine Sichtung und kritische Diskussion des Forschungsstandes und der verschiedenen existierenden Forschungsperspektiven vorgenommen. Dabei stehen drei Richtungen im Vordergrund, nämlich –







diskursanalytische Ansätze, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die in der Gesellschaft vorhandenen Wissenssysteme und Denkweisen als Diskurse zu begreifen und zu beschreiben (Abschnitt 1), seuchenhistorische Ansätze, die die soziale Natur von Seuchen innerhalb eines jeweils spezifischen sozial-historischen Kontextes zu ergründen versuchen (Abschnitt 2), sowie Ansätze der Medienwirkungsforschung, die die Wirkung der Medienberichterstattung auf ihre Rezipienten in den Fokus ihrer Untersuchungen stellen (Abschnitt 3). Eine Skizze der eigenen, aus der Diskussion der genannten wissenschaftlichen Ansätze gewonnenen Vorgehensweise, beschließt dieses Kapitel (Abschnitt 4).

Für den Versuch, allgemeinere Kategorien der Beschreibung von medialen Diskursen zu entwickeln, wird im zweiten Teil der Arbeit eine sprachwissenschaftlich fokussierte Analyse der in einem Textkorpus zusammengestellten medialen Berichterstattung zur Vogelgrippe ausgeführt. Die Antwort auf die Frage, welche Momente des Diskurses als Analyse leitend angenommen werden können, werden dem Textmaterial selbst entnommen: Die Beschreibungskategorien

Gliederung der Arbeit

– – –

3

Angsterzeugung (II. 2.1), Angstzuschreibung/Angstrepräsentation (II. 2.2) und Angstabbau/Angstbewältigung (II. 2.3)

geben zugleich die Gliederung der Analyse vor. Um zu zeigen, dass sich letztlich alle Momente der massenmedialen Aufbereitung der Vogelgrippe mittels dieser lediglich drei Kategorien erklären lassen, wird das Textkorpus auf allen sprachlichen Ebenen analysiert. Vor dem Hintergrund pragmatischer Konzepte der Linguistik soll vor allem deutlich gemacht werden, welche sprachlichen Realisierungsmittel im Diskurs eine Rolle spielen und wie sie sich aufeinander beziehen bzw. wirken. Das zweite Kapitel schafft somit die empirischanalytische Basis für die in Kapitel III zu systematisierenden Begriffe der „diskursiven Rolle“ und des „diskursiven Charakters“. Auch der dritte Teil dieser Arbeit folgt einer Dreigliederung. Während im ersten Abschnitt ein Rückblick auf die Schwierigkeiten und offenen Fragen der bisherigen Forschungsperspektiven vorgenommen wird, soll im zweiten Abschnitt ein Diskursmodell entwickelt werden, welches die im zweiten Kapitel gewonnenen Motive und Begriffe aufgreift, sie aufeinander bezieht und die sich aus der Interpretation des Vogelgrippediskurses mittels dieser Kategorien ergebenden Schlussfolgerungen diskutiert. Hier soll versucht werden, den oben formulierten Anspruch einer in sich möglichst geschlossenen Darstellung und Erklärung der disparaten Diskurswirklichkeiten einzulösen, indem die inneren Zusammenhänge und Wechselwirkungen der genannten drei Momente des Diskurses veranschaulicht und diskutiert werden. Abschließend werden in Form eines Ausblicks mögliche Anknüpfungspunkte an weiterführenden Diskurstheorien dargestellt. Dazu gehören Schlussfolgerungen, die die Typologie von Diskursen betreffen, Konzepte der Aufklärungsforschung, system- und funktionalorientierte Ansatzpunkte. Eine detaillierte Darstellung der einzelnen (arabisch nummerierten) Abschnitte findet sich jeweils zu Beginn der übergeordneten Kapitel.

I. Forschungsperspektiven Wegweisend für die im Folgenden darzulegenden theoretischen und methodischen Ansätze der Diskursforschung allgemein (1) und in Bezug auf Medien (3) können folgende Fragestellungen angenommen werden: Gelingt es den Arbeiten erstens angesichts der oben ausgeführten Problematik, nicht nur ein Moment, sondern jedes aller möglichen (unterschiedlichen und scheinbar widersprüchlichen) Momente in einer Diskurstheorie zu vereinen? Und zweitens: Ist es der Diskurs selbst, der den Untersuchungsgegenstand bildet, oder greifen die Arbeiten auf Sphären zurück, die außerhalb der Diskursebene liegen? Die überblicksartige Darstellung von Diskurskonzepten wird ergänzt durch zwei Arbeiten, deren diskursanalytische und medienwissenschaftliche Perspektive auf den Diskurs näher betrachtet werden soll, wobei das Augenmerk hierbei auf deren Analyse selbst liegen wird. Es handelt sich dabei um die Arbeit von Gerlinde Mautner („Der britische Europa-Diskurs. Methodenreflexion und Fallstudien zur Berichterstattung in der Tagespresse“ 2000) und um eine Studie von Simone Helmle, Martina Artmann und Stefan Burkart („Herausforderung Vogelgrippe. Ergebnisse einer Befragung von Bürgern und Experten in Baden-Württemberg und Bayern“ 2007). Eine dritte Möglichkeit der Annäherung an den medialen Vogelgrippediskurs entspringt der Thematik „Vogelgrippe“: Eine Einordnung der Arbeit in die historische Seuchenforschung ist nicht nur deshalb notwendig, weil die Vogelgrippe naturwissenschaftlich und medizinisch als Seuche definiert wird, sondern weil sie zugleich – so soll am ‚Seuchenmodell‘ Martin Dinges‘ verdeutlicht werden (2) – ein Diskursmodell unterstellt, welches das Verhältnis von Seuchen und Gesellschaft zu bestimmen versucht.

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte Überblicksartige Darstellungen zur Diskursanalyse wie beispielsweise von Deborah Schiffrin, Deborah Tannen und Heidi Hamilton, The Handbook of discourse analysis, oder auch von Brian Paltridge, Discourse Analysis, ziehen nicht nur ein Resümee über ein weitgediehenes und immer noch produktives Forschungsgebiet, sondern stehen gleichzeitig, wie beispielsweise Warnke (2007) konstatiert, für eine Vielfalt diskurstheoretischer und -methodischer Ansätze:

6

I. Forschungsperspektiven

Mit Diskurs ist ein Begriff gegeben, dessen Differenziertheit und damit verbundene Unklarheit kaum größer sein könnte. Im wissenschaftlichen und alltagssprachigen Zusammenhang in unterschiedlichem Verständnis gebraucht, im Verlauf der europäischen Sprachgeschichten mit verschiedenen Bedeutungen assoziiert, als Terminus mit differenten Richtungen der Literatur-, Sprach- und Kommunikationswissenschaften verbunden, vermittelt Diskurs alles andere als Klarheit einer wissenschaftlichen Theorie, Konzeption oder Methode. (Warnke 2007, S. 3)

Diese starke Ausdifferenziertheit des Diskursbegriffes bzw. der Diskursbegriffe beschränkt sich nicht darauf, dass es für die unterschiedlichen Disziplinen und ihre jeweils spezifischen literatur-, sprach- und kommunikationswissenschaftlichen oder soziologischen Fragestellungen zum Teil weit divergierende Arten und Weisen gibt, den Begriff Diskurs mit Inhalt zu füllen. Selbst innerhalb der sprachwissenschaftlichen Disziplin(en) existieren inzwischen zahlreiche variierende Ausformungen und Konzepte von „Diskurs“. Aus diesem Grund werden die aus unserer Sicht wichtigsten derjenigen Richtungen kurz skizziert werden, die sich selbst innerhalb des Bereiches sprachwissenschaftlicher Diskursforschung verorten. Wenn man nach einem irgendwie bindenden Element in den verschiedenen linguistischen Ansätzen bzw. Beiträgen zur Diskurstheorie Ausschau hält, so stößt man sehr schnell und auf den Strang von Diskurstheorie, der seinerseits explizit nicht-linguistisch ist: die Diskurstheorie in der Tradition Foucaults. Tatsächlich scheint es die mehr oder weniger strenge und mehr oder weniger ausdrückliche Bezugnahme auf den Foucault‘schen Diskursbegriff zu sein, die der Verwendung von und Auseinandersetzung mit der Kategorie des Diskurses innerhalb der neueren Sprachwissenschaft überhaupt eine gewisse Verbindlichkeit zu verleihen vermag; in vielen Diskussionen innerhalb der Disziplin spielt dieser Ansatz eine prominente Rolle (vgl. Angermüller 2007, S. 53). Durch diese Bezugnahme werden in der Folge auch Einordnungen und Interpretationen der jeweiligen theoretischen Ansätze und empirischen Untersuchungen ermöglicht bzw. erleichtert. Aus diesem Grund soll zunächst der Foucault‘sche Diskursbegriff kurz erläutert werden. In seinen Werken Les Mots et les choses (1966) und L‘Archéologie du savoir (1969) entwickelt Foucault eine Theorie des Diskurses, die die Bedingungen verschiedener Wissenssysteme und Denkstrukturen in unterschiedlichen historischen Epochen beschreibt (vgl. Sloterdijk 1972: „Geschichte der Bedingungen der Möglichkeit von Wissen und Theorie überhaupt“, S. 164, unter Berufung auf Busse 1987). In diesem Zusammenhang beschreibt Foucault Diskurs als […] eine Menge von Aussagen […], insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören. Er bildet keine rhetorische oder formale, unbeschränkt wiederholbare Einheit, deren Auftauchen oder Verwendung in der Geschichte man signalisieren (und gegebenenfalls erklären) könnte. Er wird durch eine begrenzte Zahl von Aussagen

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

7

konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann. (Foucault 1981, S. 170)

Die wissenschaftliche Untersuchung von Diskursen soll es sich zur Aufgabe machen, die Aussagen in ihren Beziehungen herauszuarbeiten. Foucault definiert die Aussage als […] ein letztes, unzerlegbares Element, das in sich selbst isoliert werden kann und in ein Spiel von Beziehungen mit anderen ihm ähnlichen Elementen eintreten kann. (Foucault 1981, S. 116)

Aussagen sind also nach Foucault nicht auf struktureller Ebene zu suchen: Sie sind weder mit Propositionen, noch mit Sätzen oder Sprechakten gleichzusetzen.1 Stattdessen besitzen Aussagen eine ‚Existenzfunktion‘2 : Sie konstituieren Gegenstände, Wissen oder auch ‚Wissenssegmente‘, indem sie diese „benennen“ und in einem ‚Netz diskursiver Beziehungen‘ positionieren (vgl. ausführlich Busse 1987, S. 229f). Auf diese Weise werden Ereignisse in ihren spezifischen diskursiven Existenzweisen hervorgebracht und es entsteht damit das, was Foucault unter Diskurs versteht. Auf Basis dieser Überlegungen stellt Foucault die Frage, wie eine ‚Menge von Aussagen‘ festgestellt und von anderen ‚Mengen von Aussagen‘ abgegrenzt werden kann. Er beantwortet diese Frage mit der Bestimmung von Produktionsregeln des Diskurses, „die die Hervorbringung seiner énoncés (Aussagen) organisieren“ (Angermüller 2007, S. 60). Vor diesem Hintergrund erscheint Sprache als ein formal-materiale[s] Angebot, das von den Diskursträgern spezifisch angeeignet wird und auf bestimmte Weise mit einer Welt ‚da draußen‘ einrastet bzw. einkuppelt (embrayer). (Angermüller 2007, S. 64)

Es bleibt die Frage, wie die Aussagen des Diskurses, seine Regelmäßigkeiten mit Hilfe einer Methode zugänglich gemacht werden können. An dieser Stelle findet man in der Forschungsliteratur häufig die Diskussion um die Unterscheidung von Aussage (énoncé) und Äußerung (énonciation) vor: Während die Untersuchung der letzteren, die énonciation, der Sprachwissenschaft vertraut ist (vgl. hierfür pragmatische Ansätze, die die Hervorbringung einer Äußerung durch ein Subjekt in einem bestimmten Kontext betrachten), weist die Bestimmung der énoncé im Diskurs Schwierigkeiten auf, die auf ihre Beschaffenheit zurückzuführen sind (vgl. Angermüller 2007, S. 65), die die oben beschriebene Funktionalität, nicht aber die Struktur der Aussage in den Vordergrund rückt. Diese Schwierigkeiten lassen sich aus sprachwissen-

1 2

„Man findet Aussagen ohne legitime propositionelle Struktur; man findet Aussagen dort, wo man keinen Satz erkennen kann; man findet mehr Aussagen, als man Sprechakte isolieren kann.“ (Foucault 1981, S. 122) Vgl. Foucault 1981, S. 126.

8

I. Forschungsperspektiven

schaftlicher Sicht vielleicht am ehesten darin zusammenfassen, dass Diskurs nicht mit sprachlicher Kommunikation gleichzusetzen ist, aber auch nicht einfach von keiner Kommunikation in Sprache gesprochen werden kann. Für Foucault zuallererst historisches Interesse ist es, die Gesamtheit der Spuren von Bedeutung aufzudecken, in denen sich das Wissen einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit manifestiert, seien dies sprachliche Texte, Institutionen oder allgemeine Praktiken. Kenntnisse, philosophische Ideen und Alltagsansichten einer Gesellschaft, aber auch ihre Institutionen, die Geschäfts- und Polizeipraktiken oder die Sitten und Gebräuche verweisen auf ein implizites Wissen, das dieser Gesellschaft eigen ist. [...] aber erst dieses Wissen macht es möglich, dass zu einer bestimmten Zeit eine Theorie, eine Meinung oder eine Praxis aufkommt. (Foucault 2001a, S. 645)

Es ergeben sich aus dieser Sichtweise mehrere zum Teil inhaltliche, zum Teil methodische Anknüpfungspunkte an die Sprachwissenschaft: All diese Praktiken, Institutionen und Theorien behandle ich auf der Ebene von Spuren, und das heißt fast immer auch von sprachlichen Spuren. (Foucault 2001a, S. 645)

Wegen dieser sprachlichen Materialität der Spuren ist die Wissenschaft von diesem Material die Voraussetzung für Humanwissenschaft schlechthin, sie schafft erst die Bedingung der Möglichkeit, anderen Fragen mit Aussicht auf Erfolg wissenschaftlich nachzugehen. Exemplarisch erläutert Foucault dies für das 18. Jahrhundert: Mit anderen Worten, eben um ein Bild, ein Profil, ein Gemälde und ein Monument der Zivilisation und der Gesellschaft im 18. Jahrhundert zu geben, wurde die Encyclopédie als Wörterbuch aufgebaut. Man kann ebenso den Text anführen, den Schlegel gegen 1807 über die Sprache und die Weisheit der Hindus geschrieben hat und in dem er zugleich die Gesellschaft, die Religion, die Philosophie und das Denken der Hindus ausgehend vom spezifischen Charakter ihrer Sprache analysiert. (Foucault 2001b, S. 1043; Hervorhebungen im Original)

Zugleich ist diesen Sätzen zu entnehmen, dass Foucault die Sprache und damit die Wissenschaft über die Sprache nicht nur deshalb für den Schlüssel zum Verständnis sozialer und historischer Gegebenheiten hält, weil Sprache die deutlichste Spur dieser Gegebenheiten ist,3 sondern auch weil umgekehrt Sprache ihrerseits in gewisser Hinsicht (mit)bestimmt, was den spezifischen Charakter einer Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt ausmacht.

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Man findet diesen Aspekt der Theorie Foucaults, also den Versuch zu beantworten, warum bestimmte Aussagen nur in bestimmten historischen Kontexten erschienen sind, von Dietrich Busse in seiner „Historischen Semantik“ (1987) aufgegriffen, in der er den Nutzen einer solchen Herangehensweise in der Erklärung sprachlicher Vorgänge wie „Bedeutungskonstitution und Bedeutungswandel“ verortet.

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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Ein weiterer Grund für Foucaults deutliche und mitunter auch in der linguistischen Rezeption seiner Arbeiten in den Hintergrund getretene Affinität zur Sprachwissenschaft4 besteht darin, dass seine Überlegungen hinsichtlich dessen, wie und womit Gesellschaften während bestimmter Epochen beschrieben werden können, was Wissen ist und wodurch es ermöglicht und beschränkt wird, was wann sagbar bzw. unsagbar war, ihn mit einer gewissen Folgerichtigkeit auf das Problem der Kategorie ‚Bedeutung‘ stoßen ließ: Diese Art Forschung [die Archäologie des Wissens, Anm. d. A.] ist nur möglich als Analyse des Bodens auf dem wir stehen. [...] Und wenn nicht mit Freud, Saussure und Husserl die Frage nach der Bedeutung und dem Verhältnis zwischen Bedeutung und Zeichen Eingang in die europäische Kultur gefunden hätte, wäre es offensichtlich auch nicht erforderlich, den Boden zu erforschen, auf dem unser Verständnis von Bedeutung ruht. (Foucault 2001a, S. 645)

Es gibt über diese im Wesen des Forschungsgegenstandes begründeten Berührungspunkte von Foucaults diskurstheoretischer Geschichts- bzw. Sozialwissenschaft hinaus auch methodische Gesichtspunkte einer engen Verbindung Foucault‘scher Diskurstheorie mit der Sprachwissenschaft. Hält man sich die bereits zitierte Definition der Kategorie ‚Aussage‘ noch einmal vor Augen, dass diese „ein letztes, unzerlegbares Element, das in sich selbst isoliert werden kann und in ein Spiel von Beziehungen mit anderen ihm ähnlichen Elementen eintreten kann“, dann fällt die strukturelle Ähnlichkeit dieser Definition zu bestimmten Definitionen von Elementen innerhalb der Linguistik auf. Die zu Lebzeiten Foucaults sich endgültig etablierende ‚neuere Sprachwissenschaft‘ und ihre zahlreichen unterschiedlichen Ansätze, Sprache als ein System von kleinsten Elementen zu beschreiben, die auf eine spezifische und regelhafte, wissenschaftlich exakt beschreibbare Art und Weise miteinander verknüpft werden können, haben (nicht nur) Foucault als Sozialwissenschaftler begeistert. Das eigentlich Interessante ist für Foucault nicht die (endliche) Summe der Elemente, sondern das System der zwischen ihnen feststell- und beschreibbaren Beziehungen: An diesen Beziehungen ist nun eines bemerkenswert: Sie sind an sich, das heißt in ihrer Form, unabhängig von den Elementen, auf die sie sich beziehen, und insofern sind sie ohne irgendeine Metapher verallgemeinerbar, und können je nach Fall auf jede andere Sache übertragen werden, und dies nicht nur auf Elemente linguistischer Natur. (Foucault 2001b, S. 1045)

Man hat bisher gesehen, dass aus Foucaults Sicht erstens Sprache das eigentliche Material der Erforschung sozialer bzw. historischer Gegebenheiten

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Eigentlich müsste es exakter heißen: „den Sprachwissenschaften“, weil Foucault gerade im Hinblick auf sein Erkenntnisinteresse eine deutliche Trennung von ‚Philologie‘ und ‚Linguistik‘ macht, die hier nicht weiter verfolgt werden soll.

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I. Forschungsperspektiven

darstellt, und dass zweitens die (strukturalistisch) linguistische Fokusverschiebung von den materialen Bestandteilen der Sprache hin zu deren Beziehungen auf verschiedene Ebenen erweiter- und auf andere Forschungsfelder übertragbar ist. Aus dem Verhältnis beider Punkte ergibt sich ein dritter Gesichtspunkt, nämlich die Interpretation globaler Beziehungsgeflechte als Kommunikation. Foucault konstatiert, dass die Saussure‘sche Linguistik die Sprache nicht als eine Übersetzung des Denkens und der Vorstellung, sondern als eine Kommunikationsform ansieht. [...] Folglich [findet] die Analyse der Sprache [...] sich jetzt auf einer Höhe mit all den anderen Analysen, mit denen Sender und Empfänger, Kodierung und Dekodierung, die Struktur der Kodes und der Ablauf der Botschaft untersucht werden können. Dies ist [...] wichtig [...], weil darin eine neue Definition dessen, was man das Kollektive nennen könnte, erkennbar wird. Das Kollektive wird in dieser neuen Sichtweise nicht länger die Universalität des Denkens sein, das heißt eine Art großes Subjekt, das irgendwie ein gesellschaftliches Bewusstsein oder eine grundlegende Persönlichkeit oder ein ‚Zeitgeist‘ wäre. Das Kollektive ist nun ein aus Kommunikationspolen, tatsächlich verwendeten Kodes und der Häufigkeit und Struktur gesendeter Botschaften gebildetes Ganzes. (Foucault 2001b, S. 1047f.)

Das Kollektive, Gesellschaft ist wesentlich Kommunikation, die Untersuchung von Ist-Zuständen eines bestimmten Kollektivs fällt mithin zusammen mit der innerhalb dieses Kollektivs stattfindenden Kommunikation, oder zumindest bildet doch die Untersuchung dieser Kommunikation(sprozesse) einen wesentlichen Beitrag. Auch Foucault sah die Linguistik mit ihren bereits entwickelten bzw. sich entwickelnden, an den ‚exakten‘ bzw. Naturwissenschaften orientierten Methoden als Vorbild für die anderen Humanwissenschaften. Seine Idee war, dass sich die Methode der Erklärung von Beziehungen zwischen Elementen auf alle Gebiete übertragen lassen sollte, wo ebenfalls ‚kleinste Elemente‘ und ein System von Beziehungen zwischen ihnen zu beobachten sind. Aus der Sicht Foucaults ist es keine Frage, ob, sondern nur wie weit diese Übertragung funktioniert: Wie weit können die Beziehungen linguistischer Art auf andere Bereiche angewandt werden, und welches sind diese anderen Bereiche, auf die sie übertragen werden können? Man muss versuchen zu erkennen, ob sich die eine oder andere Form einer Beziehung anderswo wieder finden lässt, ob man beispielsweise von der Analyse des phonetischen Niveaus zur Analyse von Erzählungen, Mythen oder Verwandtschaftsbeziehungen übergehen kann. (ebd. S. 1045)

Fasst man die in aller Knappheit geschilderten Grundzüge Foucault‘scher Überlegungen im Hinblick auf die einleitend herausgearbeiteten Anforderungen an eine diskurstheoretisch orientierte Untersuchung von Medien zusammen, so lässt sich sagen, dass sich bei Foucault bereits alle als erforderlich oder zumindest doch als wünschenswert charakterisierten Züge eines solchen

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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Untersuchungsansatzes finden. Foucaults Sicht erlaubt bzw. fordert sogar eine exakte sprachwissenschaftliche Analyse des vorhandenen Materials. Und aus dieser Sicht ergibt sich ebenfalls, dass die Produktion von Texten in Medien erstens wesentlich als Kommunikation zu betrachten ist, bei der sich die Gesamtheit des vorfindlichen Materials aus den Wechselbeziehungen der beteiligten Pole ergeben, die ihrerseits nicht getrennt von dieser Beziehung, sondern aus dieser Beziehung heraus zu erklären sind. Zugleich lässt sich auf diese Weise plausibel machen, dass der mediale Diskurs mehr ist, für mehr steht, als nur für sich: Er ist eine der ‚Spuren‘ des ‚impliziten Wissens‘ der Gesellschaft; er ist keine getrennte Sphäre der Kommunikation von Individuen, für die außerhalb dieser medialen Sphäre völlig andere Beziehungen anzunehmen wären. Eine Diskurstheorie über Medien, die einerseits sprachwissenschaftlich fundiert vorgeht und andererseits Medien, Mediendiskurs aus sich heraus erklärt, kann und muss sich mithin in der Tradition Foucaults verorten, der hierfür die entscheidenden Ideen geliefert hat. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass die positive Bezugnahme auf Foucault innerhalb sprachwissenschaftlich orientierter Diskurstheorien bzw. diskursanalytischer Ansätze die Uneinheitlichkeit und Zersplittertheit in den analytischen Schwerpunktsetzungen und methodologischen Standpunkten offensichtlich nicht verhindern konnte. Es gibt inzwischen zahlreiche diskursanalytische Richtungen innerhalb der Sprach- bzw. Kommunikationsforschung, die über die Selbstverortung in der Traditionslinie Foucaults hinaus teilweise wenig Gemeinsamkeiten haben. Im Folgenden sollen auch diese Ansätze vor allem mit Orientierung daraufhin vorgestellt und geprüft werden, ob und in welcher Weise sie den in der Einleitung erarbeiteten Kriterien nahe kommen. Die Uneinheitlichkeit beginnt bereits bei der Frage, was Diskurs ist. Sucht man trotz allem nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, so lässt sich dieser ungefähr so skizzieren: Bei einem Diskurs handelt es sich um Texte in geschriebener oder gesprochener Form, die sowohl synchron als auch diachron zueinander in Beziehungen stehen, die ganz unterschiedlicher Natur sein können. Ganz allgemein ist es demnach die Aufgabe der Diskursanalyse, genau jene konkreten Texte in ihren jeweiligen Formen und Inhalten zu untersuchen, um auf dieser Basis die Beziehungen zwischen ihnen zu ermitteln und diskursübergreifende Aussagen treffen zu können. Auch über das, was hier eben mit „Untersuchung von Form und Inhalt konkreter Texte“ bezeichnet wurde, gibt es – fast schon folgerichtig – wiederum keine einheitliche Auffassung. Andreas Gardt (2007) fasst in seinem Aufsatz „Diskursanalyse – Aktueller theoretischer Ort und methodische Möglichkeiten“ verschiedene Komponenten zusammen, die als diskurslinguistische Methodik angeführt werden. Dazu gehören:

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I. Forschungsperspektiven

Methoden der Wort-, Satz- und Textsemantik oder auch [die] Erweiterung verschiedener wort-, satz-, textsemantischer Verfahren bzw. [die] Nutzung des gesamten Spektrums semantischer Methoden. (Gardt 2007, S. 31)

Die genannten, auf drei Ebenen des Sprachsystems angesiedelten Methoden gliedert Gardt in das in der Sprachwissenschaft vielfach angewandte und inzwischen sehr elaborierte Instrumentarium linguistischer Analyseverfahren auf, zu denen er unter anderem die folgenden rechnet: Morpheme, Komposita, Derivationsphänomene, Leitbegriffe, Leitvokabeln, Schlüsselwörter, Schlagwörter, […] Begriffsinhalte, […] Metaphern- und Bildfelder, […] syntaktische Merkmale, […] Textaufbau, Textstrategien, […] Sprechakte, Topoi […] (Gardt 2007, S. 31)

Im Unterschied zu solchen Arbeiten, die ihr Vorhaben durch die Analyse aller in der Sprachwissenschaft angenommenen Ebenen bzw. Modelle (Wort – Satz – Text) stützen, finden sich Arbeiten wie z. B. die von Martin Wengeler (2003), welcher die Untersuchung eines sprachlichen Realisierungsmittels, in dem Fall das Topos bzw. die Analyse von Argumentationsstrategien, in den Fokus seiner Arbeit rückt. Diese Fokussierung hat bei allem wissenschaftlichen Gewinn, der sich mit ihrer Hilfe erzielen lässt, aus Sicht einer übergreifend angelegten Diskurstheorie den Nachteil, dass auf diese Weise der Diskurs als Diskurs gerade nicht erfasst wird. Die diskursglobalen Beziehungen, die sich in der Verwendung spezifischer sprachlicher Ausdrucksformen niederschlagen und möglicherweise von letzteren mitgeprägt werden, können auf diese Weise nicht erklärt werden, wenn es aber umgekehrt sicher auch so ist, dass solche begrenzten Detailuntersuchungen eine notwendige Voraussetzung dafür darstellen. Der Aufsatz „Linguistische Diskursanalyse: Überblick, Probleme, Perspektiven“ von Claudia Bluhm, Dirk Deissler, Joachim Scharloth und Anja Stukenbrock fasst die eher übergreifend orientierten Ansätze der linguistischen Diskursanalyse in vier Gruppen zusammen (vgl. Bluhm 2000): 1 Die Kritische Diskursanalyse (1.1) 2 Die Heidelberger/Mannheimer Gruppe (1.2) 3 Die Düsseldorfer Schule (1.3) 4 Das Oldenburger Projekt (1.4), die im Folgenden kurz vorgestellt und um aktuelle Studien ergänzt werden sollen. Alle Ansätze beziehen sich – wie schon erwähnt, in unterschiedlicher Weise – auf Foucaults Diskursverständnis. Für die wahrscheinlich einflussreichste Richtung, die Kritische Diskursanalyse, soll stellvertretend eine konkrete Arbeit genauer untersucht und kritisch besprochen werden. Auf diese Weise soll möglichst deutlich gemacht werden, worin sowohl die positiven wie auch die problematischen Elemente dieser diskurstheoretischen Richtung – gemessen an den oben aufgestellten Kriterien – zu sehen sind. Das

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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deckt sich vor dem Hintergrund der oben erfolgten Besprechung Foucaults zwar nicht vollständig, aber doch teilweise mit der Frage, welche Aspekte der Foucault‘schen Diskurstheorie aufgegriffen und welche eher an den Rand gedrängt werden. 1.1 Der Ansatz der Kritischen Diskursanalyse Zur Kritischen Diskursanalyse zugehörig zählen die Autoren die Arbeiten von Teun A. van Dijk, Siegfried Jäger und Jürgen Link sowie Ruth Wodak (‚Kritische Wiener Diskursanalyse‘), wohingegen die Arbeiten von Norman Fairclough allgemein als die weniger ‚normativen‘5 bezeichnet werden können. Siegfried Jäger (1996) versteht unter Diskurs den Fluß von Wissen durch die Zeit, das sozial – und das heißt immer auch: historisch – tradiert wird. […] Der gesellschaftliche Diskurs als ganzer, […], ist die Vorgabe dafür, wie die jeweilige gesellschaftliche Wirklichkeit in Auseinandersetzung mit zuvor auf der Grundlage gegebener diskursiver Zusammenhänge erarbeiteter Wirklichkeit insgesamt gestaltet wird. Insofern kann auch gesagt werden, daß Diskurse Machtwirkungen haben.6 (Jäger 1996, S. 392)

Demnach sei es die Aufgabe der Linguistik, den Zusammenhang von sprachlichen Äußerungen im Diskurs und ihren Bezug zur Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen und aus der sie sich auch speisen, zu untersuchen – Texte also (zunächst einmal) als (Ansammlung von) Diskursfragmente(n) zu begreifen, in denen gesellschaftliche Inhalte aller Art transportiert werden und die sich auf gesellschaftliche Prozesse beziehen, auf diese einwirken, zu ihrer Veränderung oder Stabilisierung beitragen. (Jäger 2004, S. 15)

Jäger geht davon aus, dass gesellschaftlich-politische Phänomene wie beispielsweise das des ‚Rassismus‘, welches er mehrfach untersucht hat (vgl. Jäger 1996, S. 395f.), ohne ‚logischen‘ oder ‚natürlichen Grund‘ existieren, sondern dass es sich dabei um ‚historisch gewachsene Bewußtseinskonstellationen handelt‘,

5 6

Vgl. dazu Zielsetzungen normativer Ansätze: „Die Punkte ergreifen, an denen Veränderung möglich ist […].“ (Jäger 2004, S. 232) In dem Zusammenhang deutet Siegfried Jäger bereits an, was in Kapitel II und III der vorliegenden Arbeit an der medialen Berichterstattung über die Vogelgrippe herausgearbeitet werden soll: „Zugleich mit der Äußerung von Wissen beteiligt er [ein denkender Mensch] sich am sozialen Diskurs, in den er selbst verstrickt ist bzw. aus dem er sein Wissen insgesamt seine Diskursposition gespeist hat und weiter speist; mit anderen Worten könnte man auch sagen: daß das Subjekt durch das Netz der Diskurse, in das es verstrickt ist, eigentlich erst konstituiert wird.“ (1996, S. 392) Die Frage wie die Konstitution des Subjekts im Diskurs stattfindet bzw. welchen allgemeinen Regeln angenommen werden können, bleibt in diesem Aufsatz unbeantwortet. Jäger macht an dieser Stelle den Übergang zu „machtwirkenden Diskursen“ und untersucht den Gebrauch des Begriffes „Rassismus“ in ausgewählten Diskursen.

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I. Forschungsperspektiven

[man] sich aber dessen nicht bewußt ist, daß es sich allenfalls um eine diskursiv hergestellte „Wahrheit“ handelt […] (Jäger 2004, S. 221f.)

Zu untersuchende ‚Machtwirkungen‘, ‚diskursiv hergestellte Wahrheiten‘ deuten bereits an, dass Diskursanalyse unter das Vorhaben der Kritik gesellschaftlicher (politischer, ökonomischer usw.) Zustände oder Phänomene subsumiert wird7, was sich auch methodisch bemerkbar macht. Um die Sicht auf bestimmte problematische Aspekte der Forschungsrichtung Kritische Diskursanalyse zu verdeutlichen, wird im Folgenden auf eine Arbeit etwas näher eingegangen werden, die innerhalb dieser linguistischkommunikationswissenschaftlichen „Sparte“ zu verorten ist. Ohne dabei den wissenschaftlichen Wert dieses Forschungsbeitrages (insbesondere einige empirische Fragestellungen betreffend) als solchen herabmindern oder gar in Frage stellen zu wollen, wird sich die Arbeit dabei vor allem darauf konzentrieren, die Aspekte herauszuarbeiten, die deutlich einem Verständnis von „Diskurs“ entspringen, das meines Erachtens zu formell bleibt, d.h. Diskurs nicht als eigene Substanz, sondern als bloße, teilweise bloß technische Widerspiegelung außerdiskursiver Phänomene, Standpunkte usw. fasst. Mautner, Gerlinde (2000): Der britische Europa-Diskurs. Methodenreflexion und Fallstudien zur Berichterstattung in der Tagespresse. Dt. Erstausgabe. Wien: Passagen-Verlag. Ziel dieser Arbeit ist es, die pro- und antieuropäischen Einstellungen der medialen Berichterstattung Großbritanniens diskursanalytisch zu ermitteln. Die Autorin vollzieht dies vor dem jeweiligen zeitungsspezifischen (a), politischen (b) und auch historischen (c) Hintergrund. (a) Um die jeweilige politische Grundorientierung der Zeitung herausarbeiten zu können, stellt Mautner ihr Korpus aus sämtlichen Texten zusammen, die der Textsorte „Leitartikel“ angehören, weil in ihr – so Mautners Argumentation – die spezifische ‚Stimme der Zeitung‘ zur Sprache komme. Auf diese Weise deutet sich bereits das der Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Diskurs(analyse) an, welches in diesem Abschnitt anhand der in Mautners Kapitel 7 („Nationale Identität im europäischen Kontext“) durchgeführten Analyse von „Pressestimmen zum pragmatischen Vorgehen in der Europäischen Union“ exemplarisch vor Augen geführt werden soll (Mautner 2000, S. 193). Mautner geht in diesem Kapitel der Frage nach, inwieweit eine Strategie, beispielsweise die Definition des nationalen ‚Selbst‘ und die Charakterisierung der anderen, von der jeweiligen Zeitung inhaltlich und sprachlich realisiert wird:

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Vgl. auch: „Was heißt aber erklären? Woher beziehe ich die Kriterien meiner Kritik? Nach verbreiteter Auffassung geht es hierbei darum, die Ursachen, Bedingungen etc. des Vorhandenseins dieser Phänomene herauszuarbeiten bzw. abzuleiten.“ (Jäger 2004, S. 219)

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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THE DAILY TELEGRAPH hingegen eignet sich die konservative Perspektive an; mittels kategorischer Modalität ([…]: [t]he work can only go forward pragmatically), der Koppelung mit positiv konnotierter Lexis ([…]: pragmatic …advances towards a genuine open and free marketplace) und der Gegenüberstellung mit negativ konnotierter ([…]: rather than political day-dreaming, … arguments against federalism), sowie mittels expliziter positiver Bewertung ([…]: [w]e support …): […]. (Mautner 2000, S. 194)

Analog fasst Mautner die Ergebnisse ihrer Auswertung der Leitartikel aus den anderen Zeitungen zusammen und stellt diese vergleichend gegenüber. Mit Hilfe von Computerprogrammen hat sie – wie anhand des letzten Zitates zu sehen ist – das Vorkommen der Lexeme pragmatism, pragmatic und pragmatist in ihrem kollokativen Umfeld ermittelt. Eine Einbettung in weiter gefasste sprachliche Einheiten und Zusammenhänge erfolgt hier nicht. Auch eine Diskussion darüber, wie die ermittelten und quantitativ erfassten Lexeme bzw. die Kollokationen, innerhalb derer sie vorkommen, beim Leser zur Kenntnisnahme und Akzeptanz der „Botschaft“ führen (sollen), wird nicht geführt. So nützlich eine auch quantitativ genaue Zusammenstellung von bestimmten sprachlichen Äußerungen für die Analyse von diskursiven Zusammenhängen sein kann, so wenig ausreichend muss diese Methode, auf das Sprachmaterial zuzugreifen, angesehen werden, wenn es darum gehen soll, den in der britischen Presse geführten Europa-Diskurs als solchen zu erfassen. Ein Zugang auf das, was Foucault unter Diskurs versteht: ein Beziehungsgeflecht zwischen diskursiv erzeugten Aussagen, welches sprachanalytisch zu erschließen ist, wird auf diese Weise nicht eröffnet. Mautner belässt es bei der Erfassung der verschiedenen in den Medien vorfindlichen Aussagen, ohne sie als diskursiv erzeugte und daher als diskursiv aufeinander bezogene zu begreifen.8 Die ganze Auswertung besteht in der Feststellung, dass die europa-skeptische Position überwiegt, mehr noch, die Identitätsproblematik als Strategie für sich allein beanspruchen kann. Dieser diskursive Tatbestand ist für Mautner allein das Ergebnis von „Nicht-Thematisierung“ und „Thematisierung“, also dass die „Europa-Skeptiker“ die Identitätsproblematik thematisieren, wohingegen die Europa-Befürworter dieses gerade nicht tun. In dieser „Gegenüberstellung“ wird besonders deutlich, was wir für die entscheidende Schwäche von Mautners Herangehen halten: Der öffentliche britische Europa-Diskurs, der technisch in der Sphäre der Presse stattfindet, erscheint bei Mautner lediglich als Resultat der mehr oder minder gelungenen Vereinnahmung der Presseorgane durch bzw. für die jeweiligen politischen Positionen. Als ein

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So überrascht es auch nicht, wenn sie am Ende des Kapitels allein die quantitative Seite der verschiedenen Diskursaussagen, also Einstellungen zur EU zusammenfasst.

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I. Forschungsperspektiven

Diskurs gedacht wäre es insbesondere unerlässlich gewesen, nicht nur die „Nicht-Thematisierung“ gegenüber der „Thematisierung“ festzuhalten, sondern der Frage nachzugehen, inwieweit für die diskursiv vertretenen, strenger formuliert: die diskursiven Positionen tatsächlich eine diskursive Genese nachweisbar ist; inwieweit die Positionen nicht nur miteinander diskursiv verkehren, d.h. mittels der Presse(texte) dialogisieren, sondern ihre spezifische Ausformung überhaupt erst in diesem Diskurs erhalten. Inwieweit erhält die pro-europäische Diskursposition ihren Gehalt in der Auseinandersetzung mit dem anti-europäischen Diskurspart? Wie werden die (von den Produzenten der Texte vermuteten) Rezipientenmeinungen in diesen Dialog eingebunden? Diese und ähnliche Fragen könnten und sollten meines Erachtens gestellt werden, wenn nicht die britische Europapolitik, sondern eben der britische Europa-Diskurs untersucht wird. Anders ausgedrückt: Von den einzelnen Vertretern einer eher pro-europäischen Politik in Großbritannien aus betrachtet muss es eine Reihe von Motiven und aus ihrer Sicht guten Gründen für diese politische Linie geben. In der publizistisch-öffentlichen, eben in der diskursiven Wahrnehmung existiert aber nur eine solche Position „Pro Europa“, die der anderen Position vergleichsweise wenig entgegenzusetzen hat. Geht man von prinzipiell gleichen Zugangsmöglichkeiten zu den technischen Mitteln des öffentlichen Diskurses, zu den Medien aus, dann drängt sich der Schluss auf, dass die Gründe für diese dominant-rezessive Beziehung der beiden widerstreitenden diskursiven Positionen also im Diskurs selber zu suchen sein müssen; dieser produziert anscheinend pro- und anti-europäische Positionen als diskursive in genau der Weise, in der sie dann zu beobachten sind. Diese letztlich auf extradiskursive Akteure und Positionen orientierte Diskursanalyse bahnt sich im Prinzip schon mit der Idee an, die Zeitungen daraufhin zu untersuchen, in welcher Weise sie eine bestimmte „Strategie“ realisieren: Schon diese Fragestellung enthält die implizite Behauptung, dass der Pressediskurs, so wie er zu registrieren ist, sich einer Strategie, also einem absichtsvollen Handeln von Akteuren verdankt, die damit als vor- und bleibend außerdiskursiv bestimmt gelten müssen. Zumindest erschwert der Intentionalismus einer solchen Herangehensweise das Aufwerfen von Fragen, die darauf abzielen, die im Diskurs auftretenden Positionen als diskursgenerierte zu verstehen und als solche zu untersuchen. (b) In einem zweiten Schritt bettet Mautner die von ihr zuvor analysierte Sichtweise der jeweiligen Zeitung in einen „politischen Kontext“ ein. Dieses vor dem Hintergrund ihres unter (a) skizzierten Ansatzes sicher plausible Vorgehen schreibt damit zugleich das aus diskurstheoretischer Sicht bestehende Problem einer solchen Sicht auf „Diskurs“ fort: Dieser erscheint mit einer derartigen Einbettung in einen „politischen Kontext“ endgültig und ausdrücklich als bloße Resultante von selbstständig existierenden (politischen) Realitäten, Standpunkten, deren Vermittlungsstrategien usw. Aus

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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dieser Perspektive erscheinen die Medien als „Sprachrohre“, die die jeweiligen politischen Interessen wiedergeben: 9 Denn sowohl das Pro- als auch das Anti-EU-Lager haben in gleichem Maße Zugang zu Zentren der politischen Entscheidungsfindung und zu den Medien. […] Während die Euroskeptiker über die Medien professionelle und vor allem kontinuierliche Überzeugungsarbeit leisten, ist auf der Seite der EU-Befürworter mangelndes Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit zu konstatieren. (Mautner 2000, S. 25f.)

Außerhalb des medialen Diskurses existieren also – so die Betrachtungsweise – Befürworter und Gegner der EU, die sich der Medien bedienen, um ihre politischen Interessen einem breiten Publikum (mehr oder weniger erfolgreich) zugänglich zu machen. Der mediale Diskurs existiert in dieser Perspektive wiederum nur als das Sprachrohr politischer Akteure, nicht aber als eigene und damit eigenständig zu fassende Realität (vgl. I.1). Folgerichtig ist es im Kategoriensystem Mautners angelegt, solche Strategien herauszuarbeiten, die getrennt vom medialen Diskurs existieren und zu beschreiben sind und die als solche im medialen Diskurs wirken (vgl. Mautner 2000, S. 82). Entsprechend zeichnet die Analyse die jeweiligen Strategien nicht als diskursive sui generis, sondern stets als Resultate der strategischen Absichten der Vertreter politischer Interessen, die sich im medialen Diskurs jeweils mehr oder weniger gut behaupten können. Das Problem dabei ist: Angesichts dieser Vorstellung erscheint es zumindest fraglich, ob bzw. wie die Strategien überhaupt als diskursimmanente analysiert werden können. Deutlich wird dieses äußerliche Diskursverständnis Mautners auch im folgenden Zitat: Ein weiterer Grund für die mangelnde öffentliche Repräsentation und Resonanz des pro-europäischen Standpunktes ist die Tatsache, daß es seinen Vertretern bisher nicht gelungen ist, eine zukunftsorientierte, positive Europa-Vision zu entwickeln. (Mautner 2000, S. 26f.)

Diese äußerliche Auffassung des massenmedialen Europa-Diskurses in Großbritannien findet ihre Fortsetzung in der von Mautner vorgenommenen Differenzierung innerhalb der von ihr unterschiedenen einzelnen Diskurse: Wenn

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Und doch finden sich bei Mautner selbst gleichzeitig die Hinweise darauf, dass sich darin das ‚Prinzip Medien‘ nicht erschöpfen kann: „Die Bedeutung der Medien besteht darin, daß sie die Quellen sind, aus denen der Großteil der Bevölkerung seine Informationen über die EU bezieht, und daß man davon ausgehen kann, daß die EU-Berichterstattung die öffentliche Meinung zu Europa nicht nur wiedergibt, sondern auch wesentlich zu ihrer Ausformung beiträgt.“ (Mautner 2000, S. 29). Hier drängt sich die Schlussfolgerung geradezu auf, dass dann auch umgekehrt diese „öffentliche Meinung“ wesentlich ein Resultat ihrer medialen Genese ist, also auch die – erfahrbaren – politischen Standpunkte zu Europa so und nur so existieren, sich wesenhaft also auch ihrer medialen Existenzweise verdanken.

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I. Forschungsperspektiven

– wie es bei Mautner geschieht – das öffentliche Auftreten der „Euro Rebels“ als eigener Diskurs aufgefasst wird (vgl. Mautner 2000, S. 155f.), verliert der Begriff Diskurs auch noch das Moment der intertextuellen Bezogenheit, also des „Dialogs der Texte“. Die diskursiv wahrnehmbaren Positionen und Standpunkte sind aus dieser Sicht erstens das mehr oder weniger direkte Abbild „realer“ Positionen und Standpunkte und zweitens als solche auch wesenhaft ohne Beziehung aufeinander. Diskurse sind hier parallel und ohne „Querverbindungen“ vor sich hin laufende Stränge des Outputs von separaten Quellen. (c) Auch die in Kapitel 8 („Die Föderalismus-Debatte“) behandelte Debatte zu den Fragen danach, wie sich die Entscheidungskompetenzen zwischen Großbritannien und der EU verteilen sollten, analysiert und bewertet Mautner nicht diskursimmanent, sondern unter Zuhilfenahme des „historischen“ Kontextes. Diesen schickt sie der Analyse der „Zeitungsstimmen“ voraus (vgl. Mautner 2000, S. 219): Die Föderalismus-Debatte in Großbritannien sei vor dem Hintergrund zu betrachten, dass das Land zu keiner Zeit praktische Erfahrungen mit dem Prinzip des Föderalismus gemacht habe. Demzufolge scheine es naheliegend, dass in den Medien gerade die Anti-Föderalismus-Position eingenommen werde. Ergänzt wird diese Aussage (wie schon in Abschnitt (b) ausgeführt) um die Zuordnung zur aktuellen parlamentarischen Auseinandersetzung. In dieser Weise schafft Mautner den Rahmen, in den sie die jeweilige mediale Position sowohl historisch als auch politisch einordnen kann: DAILY TELEGRAPH und SUN verfolgen die klassische anti-föderalistische Argumentationslinie, die den konservativen Mainstream repräsentiert und sich der Resonanz in der ‚Volksseele‘ gewiß sein kann. Die Angst vor dem Verlust der nationalen Unabhängigkeit und vor dem Aufgesogen-Werden in einem ‚föderalistischen Superstaat‘ läßt sich gut einsetzen, um der europäischen Integration entgegenzutreten und gleichzeitig die bestehenden Macht- und Entscheidungsstrukturen in Westminster zu zementieren. (Mautner 2000, S. 244)

Auch in dieser Äußerung wird deutlich, dass gemäß dem Verständnis, das Mautner anbietet, der mediale Diskurs keine eigene Substantialität, keine eigene Wesenhaftigkeit darstellt. Für Mautner existieren letztlich innerhalb der medialen Debatte verschiedene der jeweiligen Zeitung zugeordnete Diskurse bzw. Diskursstränge, die wiederum Resultate verschiedener politisch und historisch zu fassender Positionen sind: Auf der einen Seite gibt es die Befürworter, auf der anderen Seite die Gegner Europas. Die Frage, inwieweit sich die politisch-historischen auszumachenden Positionen im medialen Diskurs in jeweils eigene Standpunkte mit spezifischer diskursiver Wirkmächtigkeit und spezifischen Wechselwirkungen ‚übersetzt‘ werden, wird so nicht nur nicht beantwortet, sondern stellt sich gar nicht. Folgerichtig resümiert Mautner in Form einer tabellarischen Auflistung sämtliche Strategien und ihre zugehörigen Motive des Europa-Diskurses: In

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der ersten Tabelle befinden sich die Strategien und Motive des anti-europäischen Diskurses, in der zweiten die des pro-europäischen. Wiederum wird auf diese Weise jede Überlegung ausgeblendet, dass bzw. wie die prima facie parallel zu analysierenden, scheinbar hermetischen Positionen ihre Qualität überhaupt erst aus dem wechselseitigen Ins-Verhältnis-Setzen, eben dem Diskurs in der Sphäre der Medien verdanken. Zusammengefasst besteht aus diskurstheoretischer Sicht der entscheidende Mangel an Mautners Herangehensweise darin, dass hier in einem regelrechten Zuordnungsverfahren das Verhältnis von medialen/kommunikativen Strategien, bzw. das Verhältnis von pro- und anti-europäischen Aussagen als bloße Verdopplung des politisch-historischen Diskurses erscheint. Der mediale Diskurs wird dabei nicht als ein zwischen diskursiv konstruierten Charakteren geführtes ‚Gespräch‘ verstanden, das seine eigenen Strukturmerkmale aufweist. Diese Analyse ist also weniger eine (Medien-)Diskursanalyse, sondern eine politik- und geschichtswissenschaftliche Studie mit den entsprechenden Fragestellungen dieser Fachdisziplinen. Aus Sicht einer diskurstheoretischen bzw. diskursanalytischen Position bleiben darum wichtige Fragen unbeantwortet oder werden als bloße Derivate politologischer bzw. historischer Fragestellungen behandelt. Letztlich stellt sich die Frage, warum Mautner die Notwendigkeit einer sprachwissenschaftlich orientierten Diskursanalyse rechtfertigt, ist doch aus ihrer Sicht alles Diskursive durch eindeutige Zuordnung zu den respektiven politischen und historischen Realitäten erklärbar. Woraus also leitet Mautner den Anspruch einer sprachwissenschaftlichen Fundierung ab? Schauen wir uns hierfür folgende zwei Zitate an: Kennt man erst das entsprechende Repertoire an Argumentationsverfahren und Realisierungsmitteln, dann kann gezielter ein Gegendiskurs aufgebaut werden. (Mautner 2000, S. 29) Erstens ist die destruktiv-ablehnende Position tendenziell leichter zu vermitteln als die konstruktiv-befürwortende; insbesondere in einem ohnehin schon europakritischen öffentlichen Klima und in einem Massenmedium, für das ‚Negativität‘ einen grundlegenden Nachrichtenwert darstellt […]. Zweitens ist es den politisch und publizistisch weit aktiveren EU-Gegnern offensichtlich gelungen, eine Reihe nationalen Mythen und Urängsten für ihre Sache zu vereinnahmen. (Mautner 2000, S. 316)

Die theoretische Sichtweise auf den Diskurs als ein bloßes Derivat politischer Interessen verdankt sich – soviel geht aus diesen Sätzen klar hervor – einem kongenialen politischen Interesse. Mautner steht gar nicht „über“ dem britischen Europa-Diskurs, sondern bekennt sich offen dazu, dass sie mit der pro-europäischen Position sympathisiert. Aus diesem politischen Blickwinkel erscheint ihr dann die medial-diskursive Dominanz der britischen Anti-Europäer nicht nur als ärgerlicher, sondern als überflüssiger propagandistischer

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I. Forschungsperspektiven

Erfolg, den sie sich nur dadurch zu erklären vermag, dass die von ihr favorisierten Pro-Europäer es verpasst haben, ihre – aus Mautners Sicht zweifellos vorhandenen – politischen Argumente medial geschickt in Szene zu setzen. Ihre Diskursanalyse gerät daher konsequenterweise zu einer Auflistung vermeintlicher Strategien und Tricks für den medialen, diskursiven Machtkampf, für den sie der pro-europäischen Position ein besseres Gelingen wünscht. Ein nüchterner Blick darauf, wie öffentliche Diskurse sich selbst konstruieren, wie Positionen entstehen, sich wechselseitig ausformen und so eine Realität sui generis bilden, gelingt auf diese Weise sicher nicht. 1.2 Der diskursanalytische Ansatz der Historischen Semantik Der Gegenstand der Historischen Semantik ist der Diskurs, insofern er für etwas anderes als sich selbst steht. Sie versteht „Diskurs“ als den Ort, an welchem die ‚Begriffsgeschichte der deutschen Gegenwart‘ stattfinden sollte.10 Es geht ihr um die Analyse von Begriffen, deren Bedeutung im Diskurs konstituiert wird, mit dem Ziel, ‚eine umfassende Bewußtseinsgeschichte historischer Zeiten‘ aufzeigen zu können: Eine bewußtseinsgeschichtlich orientierte historische Semantik kann nun die Objekte ihrer Untersuchung, (in aller Regel sprachliche) Äußerungen, nicht isoliert betrachten. Eine sprachliche Aussage bedarf, um verstanden werden zu können, stets eines bestimmten epistemischen Kontextes, d.h. eines Wissens, das erst die Äußerung lautlicher oder schriftlicher Zeichen sinnvoll macht. (Busse 1987, S. 11)

Wir erkennen hier die Idee Foucaults wieder, dass das ‚Wissen der Gesellschaft‘ eine vor allem sprachliche Existenz, nämlich in Texten, hat. Fragt man sich nach dem ‚Wissen‘ oder dem ‚Bewusstsein‘, das an einem gegebenen Moment der Geschichte vorhanden war, bzw. wie es sich während einer geschichtlichen Spanne entwickelt hat, so erfordert dies die Analyse der Texte dieser Zeit. Zu denjenigen Texten, die einen Diskurs bilden, zählen Busse und Teubert (1994), die Texte, die –

sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen,

10

„Diskursanalyse ist – ob gewollt oder ungewollt – Teil einer Semantik im weitesten Sinn. Ob sie nun analytisch-deskriptiv und explizit semantisch aufgefasst wird, wie in meinem Ansatz […] stets verbleibt die Diskursanalyse im Rahmen einer Semantik, d.h. der Entfaltung von gesellschaftlich konstituiertem, historisch bedingtem und relativem Sinn.“ (Busse 2000, S. 46)

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte





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den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen, und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden. (Busse 1994, S. 14)

Entscheidend ist hier, dass Diskurse Beziehungssysteme zwischen Texten darstellen, die erst durch diese Beziehungen ‚Sinn‘ ergeben und dementsprechend Gemeinsamkeiten in kommunikativer, funktionaler oder zweckbezogener Hinsicht aufweisen müssen.11 Trotzdem bleibt gerade der Zusammenhang der Texte, der den Diskurs bildet, hier sehr formell bestimmt, weil letztlich dieser Zusammenhang nicht nur auf der unmittelbar sprachlichen Ebene gesucht wird, sondern ihm auch keine darüber hinausgehende Dimension zugesprochen wird. Wie Aussagen im Text und Texte im Diskurs vorkommen, wie sich sprachlich manifeste, mit sprachwissenschaftlichen Methoden beschreibbare Beziehungen zwischen bestimmten Elementen (Wörtern, Sätzen, Texten) Beziehungen auf einer anderen Ebene konstituieren, bleibt auf diese Weise ungeklärt. Alles erscheint als Moment begriffsanalytischer Betrachtung: Die Analyse des Diskurses und was ihn im Foucault‘schen Sinn ausmacht, scheint in der Historischen Semantik zwar als Fluchtpunkt und Stoßrichtung der Analyse auf, ohne jedoch eingelöst zu werden. Stattdessen führt die Historische Semantik ihre Überlegungen auf dieser formellen Ebene fort, die die Wichtigkeit eines Textes für den Gesamtdiskurs, seine Einheit oder auch die Repräsentativität des Korpus selbst betreffen (vgl. Busse 1994, S.14f.). Die Herangehensweise ist also weniger eine rein diskursanalytische, sondern eine semantische Studie, die die Konstitution von Wissen über die Bedeutung von Begriffen in ihren jeweiligen historischen diskursiven Kontexten erklärt.12 Diese Sichtweise Busses und Teuberts hat in der Forschung eine breite Zustimmung erfahren. Dies gilt nicht nur für Autoren, die sich in diese Richtung der Historischen Semantik einreihen lassen (wollen), sondern auch bei anderen Autoren finden sich Darlegungen und Ideen, die in diese Richtung gehen. Claudia Fraas und Stefan Meier beispielsweise greifen in ihrem Aufsatz „Diskursive Konstruktion kollektiven Wissens on- und offline“ die Definition Busses und Teuberts unter dem Stichwort ‚Diskurse als thematische Textnetze‘ auf, um den Mediendiskurs zur Wehrmachtsausstellung wie folgt zu analysieren:

11 12

Vgl. dazu ausführlicher Klein 1997. Vgl. weiterführende Überlegungen zur Bedeutung von ‚Sprachwandel‘ in: Busse 1994, S. 24.

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I. Forschungsperspektiven

Ein Artikel über die Neueröffnung der Wehrmachtsausstellung in der online-Zeitung tagesschau.de […] enthält gleich mehrere Beispiele […] diskursiver Verknüpfungen. Mit den verschiedenen semiotischen Teilsystemen lassen sich neben der sprachlichen Realisierung zahlreiche Bezugnahmen zum Gesamtdiskurs feststellen, […]. (Fraas 2004, S. 90f.)

Mit der Analyse intertextueller Bezüge sei – so lassen sich Fraas und Meier deuten – schon die Verknüpfung des Foucault‘schen Diskursbegriffes mit dem der Gesprächsanalyse geleistet, was sich auf der Ebene der online-Medien zeigen lasse. Auch dies kann nur auf der ersten, äußerlichsten Untersuchungsebene als eingelöst gelten. Dass intertextuelle Bezüge vorhanden sind, dass es in online geführten Kommunikationen Hin- und Verweise auf anderswo produzierte Texte gibt, scheint banal. Ein analytischer Fortschritt bestünde darin zu zeigen, wie die intertextuellen Bezüge eine eigene Kommunikation, ein eigenes Wechselwirken ergeben, wie die daran Beteiligten zu bestimmen sind usw. Es ist z.B. die Frage zu stellen, wie man an den Texten erkennt, dass sie Produkte von und für Kommunikation sind und gleichzeitig selbst die Pole einer eigenen Kommunikation darstellen. Gerade darin wäre die genuin diskursive Dimension solcher Beziehungsgeflechte zwischen Texten zu suchen. Wegen der überragenden Wichtigkeit, die gerade dieser Punkt für den in dieser Arbeit vorgestellten Versuch eines diskurstheoretischen Modells von Medienkommunikation besitzt, wird die hier nur kurz vorgestellte Sichtweise später noch einmal eingehend kritisch besprochen.13 1.3 Der diskursanalytische Ansatz der ‚Kontroversen Begriffe‘ und ‚Argumentationsanalyse‘ Unter die diskursanalytischen Ansätze der ‚Kontroversen Begriffe‘ und ‚Argumentationsanalyse‘ subsumieren Bluhm u.a. (2000, S. 9f.) die Autoren Georg Stötzel, Matthias Jung (‚Kontroverse Begriffe‘), Karin Böke (‚Metaphern und Bildfeldanalyse‘) und Martin Wengeler (‚Argumentationsanalyse‘). In Anlehnung an die Überlegung Busses und Teuberts (1994), Diskurse seien als Textkorpora zu begreifen, die durch explizite oder implizite, text- oder kontextsemantisch erschließbare Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden,

legen Jung und Wengeler ihren Arbeiten die Vorstellung, Diskurse seien Aussagenkorpora (vgl. Jung 2000, S.26) zugrunde. Auch hier liegt der Anknüpfungspunkt an das Foucault‘sche Verständnis von Diskursen auf der Hand.

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Siehe hierzu die weiterführenden Überlegungen in Kapitel III, Abschnitt 1.3 „Unvermitteltheit von (pragma-)linguistischer Forschung und Diskurstheorie“.

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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Insbesondere die Intention, nicht nur bzw. nicht vor allem Aussagen analysieren zu wollen, sondern ‚Verknüpfungen von Aussagen‘ lässt sich offensichtlich in der Tradition eines Verständnisses verorten, das – siehe die Ausführungen zu Foucault – nicht die bloßen Elemente, sondern die Beziehungen zwischen den Elementen (hier Aussagen) für die eigentliche Substanz und den eigentlichen Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung auffasst. In diesem Zusammenhang messen diese Autoren dem Topos einen großen Stellenwert bei: Wie der Ausdruck Argumentationstopos andeutet, ist der rhetorische Topos-Begriff gemeint [...]. Hier ist der folgende Zusammenhang wesentlich: Die Einführung des Begriffs topos sowie die Behandlung der Topoi bei Aristoteles erfolgen im Rahmen der Erörterung der sogenannten Enthymeme. Als Enthymeme werden bestimmte Schlussverfahren bezeichnet, ‚denen Notwendigkeit grundsätzlich nicht zugeschrieben werden kann‘ [...]. (Wengeler 2003, S. 59 f.) Sie [eine diskurs- und mentalitätsgeschichtliche Analyse von Argumentationen, Anm. d. A.] braucht eine Methode, die die ‚nur‘ plausiblen, überzeugungskräftigen, aber nicht unbedingt logisch ‚wahren‘ Argumente zu erfassen erlaubt, mit denen in öffentlich-politischen Debatten Meinungen, Beschlüsse, Handlungen begründet werden.14 (ebd.)

In deutlichem Kontrast dazu steht jedoch die Durchführung einer Reihe von Untersuchungen, die genannte Intention nicht weiter verfolgen, sondern dabei verharren, aus den Korpora Aussagen herauszukristallisieren – so wörtlich – „auszuzählen“ (vgl. Wengeler 2000, S. 60) und die sprachlich realisierten Äußerungen auf diese zu beziehen. Unter ‚Aussage‘ versteht Jung „eine bestimmte thematisch definierte Behauptung“ (Jung 2000, S. 27). Aus der isolierenden Betrachtungsweise von Aussagen ergibt sich folgerichtig, dass sie bloß über ihr Verhältnis zu den konkreten Arten und Weisen ihrer diskursiven Existenz und mit diesen in ihrer Häufigkeit bestimmt werden. Um sie also mit angemessener Verlässlichkeit analysieren zu können, braucht es nach Jung und Wengeler von vornherein die Untersuchung größerer Textkorpora.15 Die Methode der Wahl stellt daher für diese Autoren die korpuslinguistische Herangehensweise dar: Ein bestimmter Diskurs bleibt in seiner Totalität als Menge aller Äußerungen zum gleichen Thema zwar eine abstrakte Entität, wird aber ausschnitthaft in Textkorpo-

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Es wird aber bereits an dieser Stelle deutlich, dass auch Wengeler den Diskurs als Austragungsort der Kämpfe von Positionen sieht, die ihrerseits mit Diskurs nicht viel zu tun haben, so dass Diskurs zumindest tendenziell zum bloßen Synonym für ‚öffentliche Debatte‘ zu werden droht. Vgl. dazu die Ausführungen zum ‚Modell des Gesamtdiskurses‘ als Antwort auf die Frage Busses und Teuberts, welche die Auswahl an Texten als Diskurs rechtfertigen und eine ‚gewisse Objektivität sichern‘, in: Jung 2000.

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I. Forschungsperspektiven

ra zugänglich, und zwar in Korpora, die methodisch reflektiert zusammenzustellen und systematisch zu analysieren sind. (Jung 1999, S. 147f.)16

Am Beispiel des ‚Migrationsdiskurses‘ zeigen Jung und Wengeler (1999), wie sich in dem oben charakterisierten Sinne erstens ‚Wörter‘ und zweitens ‚Argumente‘ in Diskursen untersuchen lassen (vgl. Jung 1999, S. 150f.): Auf der Basis einschlägiger Korpora können abgesicherte Aussagen darüber getroffen werden, ob bei Asylant negative Kontexte dominieren, ob die Bedrohungsmetaphorik mit Wellen und Fluten in der Migrationsdiskussion tatsächlich allgemein charakteristisch ist, welche Gruppe mit welcher Meinung wann welchen Sprachgebrauch pflegt bzw. gepflegt hat usw. (Jung 1999, S. 152)

Analog dazu die Wörter ‚Gastarbeiter‘, ‚Flüchtlinge‘ und ‚Fremdarbeiter‘. Der Remotivierungs- und der Euphemismus-Topos sind für den Einwanderungsdiskurs Anfang der 70er Jahre besonders typisch, wobei vor allem der Ausdruck Gastarbeiter immer wieder kommentiert wird […]. Das häufige Vorkommen des Topos der politischen Folgen in verschiedenen Zeitabschnitten verweist auf den jeweils brisanten Charakter des Themas […]. (Jung 1999, S. 155)

Tatsächlich bleibt auch hier das Problem ungelöst, ob und wie sich die Aussagen und Topoi analytisch aufeinander beziehen lassen. Die Analyse des Diskurses erschöpft sich in der Auflistung der aus dem manifesten sprachlichen Material gewonnenen Aussagen, der Diskurs selbst stellt damit die bloße Summe dieser Aussagen dar, kein organisches Ganzes, das seinerseits den Aussagen ihre Bedeutung und Rolle verleiht. In der Konsequenz erscheinen dann auch die Genese und Bedeutung der Aussagen primär außerdiskursiver Natur, nämlich begründet und bestimmt durch die jeweilige ‚Gruppe‘ die eine ‚Meinung‘ pflegt, mit der sie dann in den Diskurs eintritt. Letztlich ist der Diskurs ein bloßes Sediment von in Form von Aussagen manifestierten außerdiskursiv generierten Vorstellungsmustern außerdiskursiv bestimmter Subjekte. Die eigene sich selbst und seine Momente bestimmende und formende Substanz bleibt weiter unerkannt. Trotzdem ist auch diese Richtung der Diskursanalyse als Beitrag zu einer umfassenden Diskurstheorie von großem Wert. Dieser besteht nicht nur darin, dass es sich hier um eine methodisch gründliche und materiell konzise Methode17 handelt. Insbesondere die Untersuchung der Wirkungsweise von Topoi erweist sich als ein geeignetes Mittel, zumin-

16 17

Jung entwickelt dafür ein „Modell des Gesamtdiskurses“, welches im Bild eines Würfels die Dimensionen der Textsorten, der Teildiskurse und der Diskursebenen beinhaltet. (vgl. Jung 1999, S. 148) Foucault selbst hat an verschiedenen Stellen betont, dass für ein wirkliches Begreifen gesellschaftlicher Diskurse eigentlich das Studium aller Texte notwendig ist: „– Wie gehen Sie dabei mit dem Problem der Auswahl um? – Es darf keine privilegierte Auswahl geben. Man muss alles lesen.“ (Foucault 2001a, S. 646)

1. Diskursanalytische Ansatzpunkte

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dest potentiell erstens implizite intertextuelle Bezüge aufdecken zu können und zweitens die Verknüpfung von sprachlicher Kommunikation und darauf gründenden, aber darüber hinausgehenden diskursiven Beziehungsmustern verstehen zu lernen. 1.4 Der diskursanalytische Ansatz der ‚Rezeption‘ Das ‚Oldenburger Projekt‘ unter der Leitung von Klaus Gloy unterscheidet sich vom Ansatz her nicht grundsätzlich von den bisherigen Gruppen in der Herangehensweise, geht aber im Unterschied zu letzteren entscheidend weiter. Im Projekt „Ethik-Diskurse: Praktiken öffentlicher Konfliktaustragung“ (1998) geht es um die Beschreibung dialogischer Texte in ihren intertextuellen Bezügen. Die Autoren führen in diesem Zusammenhang die Kategorien der Rezeption und der Reflexivität ein. Diese sollen dazu dienen, die ,andere Seite des Kommunikationsprozesses‘ analytisch zugänglich zu machen. Auf diese Weise geraten nicht nur Ausdrucks- und Mitteilungsformen des Moralischen in den Blick, sondern auch die ‚andere Seite‘ des Kommunikationsprozesses, nämlich die Rezeption moralischer und als moralisch behandelter Vorgaben. (www. bis.uni-oldenburg.de/dissertation/1999/wenarb99/pdf/einleit.pdf, letzter Zugriff: 20.08.08)

Oder als Frage formuliert: Es stellte sich mir nun die Frage, wie solche Sendungen rezipiert werden und welche möglichen Schlußfolgerungen sich aus diesen faktischen Rezeptionen im Hinblick auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Aushandlung und Bestimmung des „moralischen Raumes“ ziehen ließen. Was „machen“ ZuschauerInnen mit den Shows bzw. was von ihrer Rezeption tritt in den öffentlichen Diskurs ein, indem es wiederum für andere rezipierbar wird? (www.bis.uni-oldenburg.de/ dissertation/1999/wenarb99/pdf/einleit.pdf, letzter Zugriff: 20.08.08)

Der entscheidende Fortschritt besteht zunächst in der Fragestellung. Wenn man mediale Produktionen in Foucault‘schem Sinne als ‚Spuren‘ auffasst, dann weisen sie per se über sich hinaus. Dann sind sie Spuren dessen, was eben nicht bloß ‚in den Medien‘ geschieht und zu beobachten ist. Technisch gesehen sind und bleiben sie aber nur die Produkte einiger Subjekte. Wofür sie verallgemeinerbar überhaupt stehen können, hängt damit offenbar an ihrer Rezeption. Diese muss also in die Diskursanalyse notwendig mit einfließen.18

18

Einen wichtigen Beitrag liefert in diesem Zusammenhang die so genannte „Aneignungstheorie“, welche u.a. in der qualitativen Medienrezeptionsforschung eine Rolle spielt. Sie analysiert nicht einfach, was, sondern vor allem wie sich Rezipienten das aneignen, was ihnen medial präsentiert wird. Gegenstand der Analyse ist also auch hier die „Rezeptionsphase“, die – wie beispielsweise bei der von Werner Holly, Ulrich Püschel und Jörg Bergmann herausgegebenen Studie (2001), Der sprechende Zuschauer – sich ihrerseits in

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I. Forschungsperspektiven

Zweitens deutet sich mit der Fragestellung bereits eine Art der Beantwortung an: Die Rezeption kann nämlich vom Ausgangspunkt her prinzipiell nicht mehr außerhalb des Diskurses verortet werden, sondern muss – so sie überhaupt relevant ist – sich irgendwie innerhalb des Diskurses niederschlagen. Oder anders gesagt: Eine Rezeption von Aussagen, die innerhalb eines bestimmten Diskurses gemacht worden sind, müssen selbst Bestandteil des Diskurses werden und wiederum in der Regel direkt oder indirekt sprachlich auffindbar sein, wenn man weiter davon ausgehen will, dass der Analyse von Diskursen überhaupt eine Aussagekraft zukommen soll, die über das bloße Konstatieren und Gewichten von Aussagen zu bestimmten Themen hinausgeht. In diese Richtung zielen auch die Überlegungen zum Verhältnis von Dialogizität und Intertextualität, die in Bezug auf die Analyse von Briefen in folgender Weise zusammengefasst werden: Das Verhältnis der Briefe zum jeweiligen Ausgangstext wurde dabei sowohl als Dialogizität (wie nimmt der einzelne Brief formal und inhaltlich Bezug auf die Sendung) als auch als Intertextualität (welche Anspielungen auf andere Texte, Topoi etc. finden sich in den Briefen) untersucht. (www.bis.uni-oldenburg.de/dissertation/1999/wenarb99/pdf/einleit.pdf, letzter Zugriff: 20.08.08)

Es gibt darüber hinaus noch eine weitere von den Autoren angestoßene Überlegung, die genau in die gleiche Richtung zu zielen scheint, die auch in der vorliegenden Arbeit verfolgt wird. So heißt es unter anderem: Diese Rezeptionen interessieren in ihrer Handlungsqualität als Interventionen in (moralische) Konflikte. Ihnen kommt eine (potentielle) Funktion bei der Entstehung von Makrostrukturen zu, die in weiterer Sicht als „objektive“ gesellschaftliche moralische Normen erscheinen können. (www.bis.uni-oldenburg.de/dissertation/1999/wenarb99/pdf/einleit.pdf, letzter Zugriff: 20.08.08)

Wiewohl den in Briefform produzierten Rezeptionen von den Autoren in keiner Weise der Charakter sprachlicher Äußerungen innerhalb eines (vor allem) in Sprache manifesten Diskurses abgesprochen wird, werden sie doch gleichzeitig und gerade mit Blick auf diese Charakterisierung als Handlungen betrachtet, die ihrerseits ein Beitrag zu Beziehungen sind, die sich ebenso als wesentlich handlungstheoretisch beschreibbar auffassen lassen. Es sind Handlungen auf diskursiver Ebene, die dadurch, dass sie erfolgen, andere Handlungen hervorrufen (können), die anderen diskursiv Handelnden zuzuschreiben sind. Dieser Blick auf sprachliche Manifestationen erlaubt zumindest potentiell, diese über ihre sprachliche Dimension hinaus als Pole innerhalb eines diskursiven Beziehungssystems zu interpretieren, die das, was

bestimmten Kommunikationsformen wie gesprochenen Dialogen während des Fernsehschauens manifestieren kann und anhand derer sie untersucht wird.

2. Andere wissenschaftliche Zugriffe auf das Material der Diskursanalyse

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sie als diskursive Handlungen oder Positionen19 sind bzw. bewirken, gerade als Resultat dessen sind bzw. bewirken, was sie als sprachliche Äußerungen darstellen. Konsequent zu Ende gedacht, könnte es auf diese Weise möglich werden, unter Rückgriff auf die detaillierte und exakte Analyse des sprachlichen Materials diesem zugleich seine dadurch produzierte zweite, diskursive Dimension zu entnehmen und sie aus dieser Sicht zu interpretieren. Dies gälte dann entsprechend nicht nur für die einzelnen sprachlichen Äußerungen, sondern für den Diskurs als Ganzen: Der Diskursbegriff erfaßt den allgemeinen Aspekt an Äußerungen, ihre Potentialität, und er stellt sie auch als mediatisierte Handlungen von Subjekten vor […]. (Bredehöft 1994, S. 14)

Wenn es gelingt, diesen Diskursbegriff anhand empirischer Untersuchungen als tragfähige Basis für plausible Interpretationen der jeweils untersuchten Diskurse bzw. Diskursausschnitte zu verifizieren, dann könnten Diskurse wirklich als eigene über sich selbst hinausgreifende ‚Realitäten‘ betrachtet werden, die zu ihrer Erklärung keinen Rückgriff auf andere, mit den Mitteln der linguistischen Diskursanalyse nicht mehr beschreibbaren Ausschnitte bzw. Sphären von Wirklichkeit bedürfen. Alle Momente des Diskurses sind dann sowohl Produkte als auch Produzenten dieses Diskurses. Eine linguistisch wenig fruchtbare und vor allem nicht plausibel begründbare Annahme von extradiskursiven Standpunkten, die sich im Diskurs mehr oder weniger verzerrt niederschlagen, ist so nicht mehr notwendig.

2. Andere wissenschaftliche Zugriffe auf das Material der Diskursanalyse: Seuchenforschung und Seuchendiskurs Es wird in Kapitel II versucht werden, anhand der Untersuchung von massenmedial produzierten Texten zur Vogelgrippe einen Diskursbegriff herauszuarbeiten. Dabei spielt die Vogelgrippe einerseits nur die Rolle eines Exempels.20 Trotzdem wird keine empirische Untersuchung eines Diskurses – egal wie exemplarisch auch immer sie angelegt sei – umhin können, die Annäherungen an den Gegenstand des zu untersuchenden Diskurses (Diskursausschnittes) 19

Man wird sehen, dass dies der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Kategorie der diskursiven Rolle sehr nahe kommt, möglicherweise in ihr seine völlige Entsprechung findet. Siehe dafür insbesondere Kapitel III, Abschnitt 2 „Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes: Diskursive Rollen – Diskurs als Rollenspiel“ dieser Arbeit. 20 Warum ausgerechnet das Medienthema Vogelgrippe für den Versuch herangezogen wurde, allgemeine Überlegungen zu Diskursen bzw. Diskursanalysen zu entwickeln, wird weiter unten näher begründet. Siehe Abschnitt 4 „Skizze der eigenen Vorgehensweise“ des vorliegenden Kapitels.

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I. Forschungsperspektiven

zur Kenntnis zu nehmen, die von anderen Wissenschaften aus erfolgen. Tatsächlich stellt die Untersuchung von Seuchen kein neues Feld sozialwissenschaftlicher Untersuchungen dar. Neben der Medizingeschichtsschreibung hat sich bereits ein Bereich wissenschaftlicher Arbeiten etabliert, deren Anliegen es ist, nicht die Krankheit in ihrer (human)biologischen bzw. medizinischen, sondern in ihrer sozialen Dimension und Bedeutung vor allem in historischen Kontexten zu erklären: So gibt es eine inzwischen umfangreiche Literatur, die die Wechselwirkungen von Seuche und Politik, beispielsweise im Fall der Aidsbekämpfung, thematisieren (Peter Ay, Aids und Politik, 2004); oder auch die Wirkungen einer Seuche auf das ‚Bewusstsein der Gesellschaft‘ (Jacob Rüdiger, Aids-Vorstellungen in Deutschland. Stabilität und Wandel, 1997) usw.21 Neben natur- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten ist das Thema „Seuchen“ aber auch bevorzugtes Thema von Arbeiten, die entweder wissenschaftlich von einem mehr oder weniger deutlich erkennbaren politischen Standpunkt aus geschrieben worden sind oder dem entsprechen, was mit dem sicherlich verschwommenen Prädikat „populärwissenschaftlich“ gemeint ist. Für den Gegenstand Vogelgrippe sind dies zum Beispiel die folgenden Arbeiten: – – – –

Mike Davis, Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien, 2005 Gabi Hoffbauer, Vogelgrippe. Fakten – Gefahren – Schutzmaßnahmen, 2006 Stefan Lanka, Hans-Ulrich Niemitz, Veronika Widmer und Karl Krafeld, Die Vogelgrippe. Der Krieg der USA gegen die Menschheit, 2006 Fabien Perucca, Vogelgrippe. Fatales Resignieren oder positives Überleben? Wissen, handeln, sich schützen, 200622

In diese Reihe gehören auch diejenigen Arbeiten, die die medizinischen Erkenntnisse zu Seuchen prinzipiell in Frage stellen, beispielweise „Virus-Wahn. Vogelgrippe (H5N1), SARS, BSE, Hepatitis C, AIDS. Wie die MedizinIndustrie ständig neue Seuchen erfindet und auf Kosten der Allgemeinheit Milliarden-Profite macht“ von Torsten Engelbrecht und Claus Köhnlein. Allein der bloßen Anzahl der erschienenen Literatur zu diesem Themenbereich ist die gesellschaftliche Brisanz des Phänomens Vogelgrippe zu entnehmen, ohne dass man a priori so weit gehen muss, ihr in jeglicher Hinsicht ei-

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Vgl. dazu auch Arbeiten, die sich mit der Wahrnehmung von Seuchen in Kunst und Literatur auseinandersetzen: Pulver 1999. 22 Zu aktuellen Daten und zuverlässigen Informationen dienen die Internetauftritte des Robert-Koch-Instituts Berlin, http://www.rki.de/, der WHO, http://www.who.int/csr/ disease/avian_influenza/en/ und des Friedrich-Loeffler-Instituts Greifswald, http://www. fli.bund.de/. Einschlägige Literatur ist der medizinisch ausgerichteten Online-Seite http:// www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/ zu entnehmen.

2. Andere wissenschaftliche Zugriffe auf das Material der Diskursanalyse

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ne biologische Dimension abzusprechen. Letztlich sind diese wie auch immer (natur-, sozial-, populär-,...) wissenschaftlichen Arbeiten selbst Bestandteil des allgemeinen gesellschaftlichen Diskurses zum Thema. In diesem Zusammenhang stellt der prominent von Martin Dinges vertretene Bereich der historischen Seuchenforschung einen für diese Arbeit interessanten wissenschaftlichen Zweig dar. Für Martin Dinges (1995) stellt der Seuchendiskurs nur ein Moment der sozialen Natur von Seuchen dar. Er geht davon aus, dass Seuchen – ‚sowohl die Krankheit selbst als auch die Methoden zu ihrer Bewältigung‘ – von ‚Akteuren‘ sozial konstruiert werden.23 Von dieser Annahme ausgehend entwickelt er ein Modell, mit Hilfe dessen er versucht, die einzelnen ‚Wirkkräfte‘ im Prozess der sozialen Konstruktion zu beschreiben. Dieses Modell soll im Folgenden kurz vorgestellt werden, damit deutlich wird, welchen Stellenwert Dinges dem Seuchendiskurs in seinem System der sozialen Seuchenfaktoren beimisst. Das erscheint insofern wichtig, als zahlreiche seiner Aussagen über den Seuchendiskurs in der Untersuchung des empirischen Materials zur Vogelgrippe bestätigt werden können. Insbesondere für die Frage einer auf dem noch zu entwickelnden Analysemodell für Diskurse beruhenden Typologisierung von Diskursen könnten sich Dinges‘ Beobachtungen und Überlegungen als äußerst fruchtbar erweisen. Dinges nimmt acht Faktoren an, die zum Zeitpunkt des Auftretens einer Seuche am Prozess ihrer sozialen Konstruktion beteiligt sind. Er sieht sie als Produkte der Wahrnehmung und somit als ‚kommunikativ erzeugte Wirklichkeiten‘: 1. Kranke in einem sozialen Umfeld; 2. Heiler mehr oder minder professioneller Art (dazu gehört die historisch recht späte Innovation Wissenschaft); 3. „Obrigkeiten“ oder „Staaten“ – oder wie immer man die gesellschaftlichen Institutionen nennen will, die für autoritative Regelungen und deren Durchsetzung in einer Gesellschaft zuständig sind;

23 Zu einem ähnlichen Schluss gelangt – wenn auch von einem anderen, nämlich soziologischen epochentheoretischen Ausgangspunkt – auch Voss (2006), der die vermehrte gesellschaftliche Wahrnehmung von Katastrophen nicht durch eine Zunahme ‚tatsächlich katastrophaler‘ Ereignisse ‚gedeckt‘ sieht, woraus also das gesteigerte Katastrophenbewusstsein in der Gesellschaft also auch nicht erklärt werden könne. Vielmehr seien es die Wandlungsprozesse der Moderne, die als Katastrophen wahrgenommen würden. Der Grund dafür, dass der ‚normale Wandel‘ in der Moderne als Katastrophe gedeutet werde, liege allein in der Vorstellung einer objektiven, ahistorischen, durchschaubaren, stabilen, klar abgrenzbaren und nach Gesetzen zu begreifenden Formenwelt“ (S. 24f.), in der jeder Bruch mit der „Normalität“ als ein „Scheitern“ wahrgenommen wird.

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I. Forschungsperspektiven

4. an Seuchen Interessierte, also andere Personen oder Personenmehrheiten wie die Kirche oder Interessengruppen, die nicht in erster Linie durch die Funktion des Heilens definiert sind. 5. Das Medium der Auseinandersetzung, hier als „öffentliche Meinungen“ bezeichnet. 6. Das Aushandeln zwischen diesen Akteuren in einer Wechselbeziehung mit dem hier umfassend als „Umwelt“ bezeichneten bestimmten technisch-zivilisatorischen Stand (der Naturbeherrschung) einer Gesellschaft, der auch die naturräumlichen Gegebenheiten der Pathozenose einbezieht, geschieht jeweils in 7. Diskursen und Praktiken, die 8. selbstverständlich in einem gewissen historisch veränderlichen Machtgefälle zwischen den Beteiligten zum Einsatz kommen und dieses selbst mit konstituieren. (Dinges 1995, S. 8f.) Dinges erläutert die einzelnen Faktoren und ihre Deutung aus verschiedenen Perspektiven: Ein ‚erkrankter, gefährdeter oder genesener Mensch‘ (1) trägt zum Seuchengeschehnis bei, indem er (keine) Bereitschaft zeigt, sich untersuchen zu lassen und wirkt damit unmittelbar auf sein näheres Umfeld, die Familie, Nachbarschaft usw., die wiederum ihr Überleben sicher stellen wollen. Als – beispielsweise von Historikern24 – ‚krank Wahrgenommene‘ sind sie nicht einfach an der Seuche erkrankt, sondern dass sie erkrankt sind, wird mit einer Deutung versehen, die im Fortgang von der Zuschreibung ‚krank‘ nicht zu trennen ist. Zum Beispiel: Werden AIDS-Erkrankte für ihre Sünden im Bereich der Sexualität bestraft? Berührt ist damit nicht nur die soziale und kommunikative Deutung dessen, was als ‚krank‘ gilt, sondern auch der Krankheitsursachen. In diesem Zusammenhang verweist Dinges darauf, dass Art und auch Anzahl der alternativen Deutungsmöglichkeiten von der Entwicklung insbesondere naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zwar beeinflusst werden, aber es kein eindeutiges Bestimmungsverhältnis zwischen beiden gibt. Mit den biologischen, seuchenmedizinischen, pharmakologischen usw. Fortschritten nimmt zwar die Bandbreite der seuchenhistorisch zur registrierenden Deutungsvarianten ab, ohne dass aber einzelne zu Zeiten geringerer medizinischer Kenntnisse weit verbreitete Deutungsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschlossen, d.h. verunmöglicht würden.

24 Historiker konstatieren z.B.: „Läßt man sich auf Krankheit als ein göttliches Zeichen für einen günstigen Zeitpunkt eines guten Todes ein, dann wird man sich anders verhalten, als wenn man die Seuche für ein technisch zu überwindendes Übel hält.“ (Dinges 1995, S. 10)

2. Andere wissenschaftliche Zugriffe auf das Material der Diskursanalyse

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‚Heiler‘ bzw. ‚die für die Heilung zuständigen‘ Akteure werden in der Regel25 als ‚Gemeinwohl orientierte‘ wahrgenommen, während bei ‚Obrigkeiten‘ das Moment von anklagenden Zuschreibungen und Vorwürfen immer latent zu sein scheint: Allenfalls wirft man ihnen noch Unentschlossenheit, mangelndes Durchgreifen, leere Kassen und Verkennen des historisch Fortschrittlichen vor. (Dinges 1995, S. 13)

Genauso wie den ‚Heilern‘ werden den ‚Obrigkeiten‘ Wirkmächtigkeiten und Zuständigkeiten zugesprochen. Bei den ‚Obrigkeiten‘ fallen diese naturgemäß in die tatsächliche oder geforderte Durchsetzungsmacht für Normen und die Herstellung allgemeiner bzw. öffentlicher Sicherheit. Ob die von den betroffenen Akteuren von den ‚Obrigkeiten‘ geforderten Leistungen tatsächlich in deren Macht fallen bzw. überhaupt der Logik staatlichen Handelns oder mehr einem idealisierten Bild entsprechen, spielt hierfür keine Rolle. Parallel zu den genannten Akteuren ordnet Dinges den Akteur ‚öffentliche Meinung‘ ein. Obwohl sozial völlig anderer Natur als die bisher erläuterten Akteure siedelt Dinges die ‚öffentliche Meinung‘ auf der gleichen Ebene an. Dies bedarf sicherlich einer besonderen Erläuterung, zumal gerade hier der eigentliche Anknüpfungspunkt zu unserer Arbeit liegt. Dinges wirft zunächst genau die Frage auf, wie es überhaupt plausibel zu machen sein könne, das spezifisch abstrakte Subjekt ‚öffentliche Meinung‘ anderen, wesentlich ‚handfesteren‘, in der Regel natürlichen Personen oder scheinbar ebenso materialisierbaren Institutionen gegenüber zu stellen: Sie hier gleichwertig zu behandeln, mag zunächst befremden. Ist nicht die öffentliche Meinung letztlich nur die Meinung der Kranken und der Heiler sowie der Obrigkeiten und der Interessierten? (Dinges 1995, S. 14)

Er gibt folgende Antwort: […] die öffentliche Meinung weist eine Reihe von Eigengesetzlichkeiten auf, die sich nicht aus der Summe der genannten Teile ableiten lassen. […] Die öffentliche Meinung muß deshalb als eigenständiger Faktor zur sozialen Konstruktion von Seuchen mitbehandelt werden. (Dinges 1995, S. 14f.)

Dinges kommt hier von seinem Ausgangspunkt der historischen Seuchenforschung zu einer Schlussfolgerung, die selbst im ‚inneren Bezirk‘ der modernen Diskursforschung nicht allgemein geteilt ist: Dass nämlich die ‚öffentliche Meinung‘, diese ist hier mit ‚öffentlichem Diskurs‘ gleichzusetzen, nicht nur mehr, sondern wesenhaft etwas anderes ist, als die Summe bzw. der Austausch

25

Auch hier ist allerdings ein Umkippen in das Misstrauen gegenüber den zur Heilung – deswegen womöglich auch zur Krankheitsverbreitung – Fähigen möglich und tatsächlich auch kein seuchenhistorischer Einzelfall. (vgl. Dinges 2004, S. 85)

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I. Forschungsperspektiven

der Meinungen von Subjekten, die außerhalb des Diskurses anzusiedeln sind und die Eigenschaften aufweisen, die genau aus diesem Grund nicht diskursanalytisch bestimmbar sind. Obwohl Dinges sich für diese außerdiskursive, soziale Natur der Subjekte sehr wohl interessiert – schließlich ist er sozialwissenschaftlicher Seuchenforscher – entdeckt er an der Sphäre des Diskurses erstens nicht nur eine Eigengesetzlichkeit, sondern er fasst Diskurs insgesamt in handlungstheoretische Kategorien. Die öffentliche Meinung manifestiert sich in Texten bzw. Quellen(gruppen), für die Dinges Folgendes festhält: Jede dieser Quellengruppen läßt sich als Korpus zusammenstellen und hat interne Regeln, die einen bestimmten Diskurs über Krankheit, Rolle des Kranken und der Heiler sowie der Öffentlichkeit, Interessen von Autoren und Rezipienten widerspiegeln. (Dinges 1995, S. 15)

Bevor noch näher darauf eingegangen werden wird, was Dinges unter Diskurs versteht, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Dinges für den sich als Textkorpus materialisierenden Diskurs nicht nur eine Eigengesetzlichkeit aus spezifischen Regeln sieht, sondern dass sich in diesen Regeln des Diskurses alle am sozialen Geschehen Seuche Beteiligten aufgehoben finden. Zu den Bedingungen und Regeln der Produktion von Texten innerhalb eines bestimmten Diskurses gehören demnach neben den ‚Interessen der Autoren‘ auch diejenigen der Rezipienten. Letztere sind somit per se im Diskurs aufgehoben. Auch in dieser Frage erweist sich Dinges‘ Theorie der sozialen Konstruktion von Seuchen als wichtiger Beitrag für die Entwicklung einer Auffassung von Diskurs, die diesen nicht nur als eine Realität sui generis begreift, sondern in der die Problematik des Einbezugs der Rezipienten in die diskurstheoretische Erklärung medialer Kommunikation gelöst bzw. überhaupt lösbar wird. Die Nähe von Dinges‘ Überlegungen zu den diskurstheoretischen Überlegungen von Foucault wird schließlich überdeutlich, wenn Dinges sich explizit dazu äußert, wie er seinen Diskursbegriff fasst. Dass er sie überhaupt als einen Akteur im Seuchengeschehen verstanden wissen will, liegt nicht nur in ihrer Macht begründet, ‚Gerüchte‘ über Seuchen in die Welt zu setzen, die für eine Eigendynamik im gesellschaftlichen Geschehen sorgen, sondern auch an ihrer gesellschaftlichen Funktion: Diskurse legen fest, was zu einem gegebenen Thema sagbar ist, weil es wichtig ist und weil es „wahr“ ist. Sie bestimmen also, was man überhaupt sagen kann, indem sie Vorgaben darüber mitteilen, was relevant und richtig ist. Sie schaffen damit einen gewissen Rahmen für gesellschaftliche Diskussionen, bleiben aber veränderbar. (Dinges 1995, S. 15)

Einerseits ist die Frage nach dem Nutzen von Dinges‘ Seuchenmodell für die Erschließung nicht nur des Vogelgrippediskurses, sondern für die Skizze von Bestandteilen eines allgemeinen Modells zur Diskursanalyse damit bereits

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

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beantwortet. Andererseits besteht gerade in Bezug auf die als Material für unsere Untersuchung genutzte mediale Vogelgrippethematisierung ein bedeutender Unterschied zu den von Dinges historisch untersuchten Seuchen und Seuchendiskursen. Dieser besteht in dem immer noch nur als Seuchengefahr zu charakterisierenden ‚Status‘ der Vogelgrippe. Angesichts des Vogelgrippevirus H5N1 warnen Experten vor Panikmache, denn bisher infiziert er die Menschen hauptsächlich mit Angst. (Schmidt 2006, S. 3)

Allerdings ist dieses Problem nur ein scheinbares. Denn erstens spielt es nur dann ein Rolle, wenn man daran geht, die Vogelgrippe mit Hilfe des Seuchenmodells von Dinges zu beschreiben, insofern hier möglicherweise einige entscheidende Modifikationen vorgenommen werden müssen, da zum Beispiel der Akteur ‚Erkrankter‘ zumindest im nationalen Rahmen schlichtweg nicht vorhanden ist, was seinerseits nicht ohne Einfluss auf die Rolle bleibt, die der Akteur ‚Heiler‘ spielt usw. Zweitens ist gerade diese eigenartig virtuelle Existenz, die die Vogelgrippe bis jetzt aufweist, der Grund dafür, dass – um in den Beschreibungskategorien von Dinges‘ Seuchenmodell zu bleiben – der Akteur ‚öffentliche Meinung‘ umso gewichtiger auch für die Analyse sein wird, die Vogelgrippe nämlich umso mehr in ‚diskursiver Reinform‘ analysieren zu können.

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung In der Diskussion des Analysemodells von Martin Dinges ist gezeigt worden, dass der entscheidende Unterschied der Vogelgrippe gegenüber den Seuchen, mit denen sich die historische Seuchenforschung befasst, darin besteht, dass die Vogelgrippe als Seuche, als massenhaft auftretende Krankheit unter Menschen, bisher nur in potentia existiert. Gleichwohl hat sie phasenweise eine prominente Stellung innerhalb des medialen Diskurses für sich beanspruchen können. Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass sich diese wechselnden Phasen steigenden bzw. sinkenden ‚news value‘ der Vogelgrippe nicht mit entsprechenden Phasen vermehrt bzw. vermindert auftretender Fälle von Ansteckungen bei Tieren und Menschen korrelieren lassen.26 Schon an dieser Stelle scheint daher die Annahme berechtigt, in gewisser Hinsicht von einem ‚Eigenleben‘, einer inhärenten Dynamik des Mediendiskurses über die Vogelgrippe auszugehen, die zwar von äußeren Faktoren beeinflusst, durch diese aber nicht vollständig definiert wird. Es kann von daher auch nicht verwundern, dass sich diese eigenartig virtuelle Existenzweise der Vogelgrippe

26 Siehe dazu Abschnitt 4 „Skizze der eigenen Vorgehensweise“ zur Auswahl der Texte.

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I. Forschungsperspektiven

auch in der Forschung über ihre mediale Aufbereitung niederschlägt. Die praktische Betroffenheit von der Vogelgrippe besteht – einstweilen – in mehr oder weniger stark ausgeprägter Angst vor ihr, Sicherheit, dass es nicht so schlimm werde, Wissenselementen, Wissenslücken usw., die ihrerseits alle medial präsent sind. Daher rückt hier die Rolle der Medien in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses, genauer gesagt, die Wirkung der Medien auf ihr Publikum und seine Einstellungen, sein Wissen, Nichtwissen usw. Dieser Teilbereich medienwissenschaftlicher Tätigkeit – die Medienwirkungsforschung – weist nun sowohl generell als auch bezüglich des Medienthemas Vogelgrippe spezifische Schwierigkeiten auf, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Diese Schwierigkeiten betreffen vor allem die Frage, ob und wie die Produktion und Rezeption von Medien als eigene Tätigkeit, eigene Sphäre aufgefasst und analysiert werden, oder ob umgekehrt Medien – quasi im Wortsinne – nur als vermittelndes Zwischenglied zwischen Akteuren verstanden werden, die ihrerseits eine ansonsten völlig außermediale Existenz haben. Das einfachste Modell der Medienwirkungsforschung stellt das stimulusresponse-Modell dar. Dieses Modell betrachtet die spezifische Reaktion des Rezipienten auf die Reize der Massenmedien (vgl. auch folgende Ausführungen: Strohmeier 2004, S. 184f.). Vielfach als problematisch besprochen werden im Prinzip alle drei Gütekriterien empirischer Forschungen, also sowohl Objektivität als auch Reliabilität und Validität der entsprechenden Untersuchungen und der innerhalb dieser Untersuchungen gewonnenen Aussagen. Trotz der Quantität der vorliegenden Arbeiten in der Medienwirkungsforschung sind aus empirischer Perspektive erhebliche Einschränkungen in der Aussagekraft und insbesondere der Reichweite und Übertragbarkeit von Forschungsergebnissen festzuhalten. Es fehlen oftmals Anschlußuntersuchungen ebenso wie Replikationen oder Falsifikationen. Weiterhin kann die von der DFG-Kommission ‚Medienwirkungsforschung‘ 1986 formulierte Einschätzung, ‚man wisse zu wenig über den Zusammenhang zwischen Massenkommunikation und Gesellschaft, über die Wirkungsgesetze der Medien‘, eine gewisse Gültigkeit beanspruchen. (Klinger 1999, S. 111) Die empirische Forschung hat inzwischen nachgewiesen, daß Rezipienten nicht nur über eine ansehnliche Resistenz gegenüber den Medien verfügen und durchaus in der Lage sind, sich den Absichten der Medien(macher) zu entziehen, sondern viele wissenschaftliche Erkenntnisse weisen darauf hin, daß jeder Rezipient die Medien (zumal unter den Vorzeichen ihres Überangebots) sehr eigenwillig und nur seinen Interessen und Bedürfnissen gemäß nutzt, wahrnimmt und interpretiert. (Roß 1997, S. 41)

Bezeichnend ist, dass im Rahmen der Kritik innerhalb der Medienwirkungsforschung Argumentationen völlig neu entwickelt und präsentiert werden, die im Bereich der Pragmalinguistik seit über 30 Jahren zum Gemeingut der Forschung zählen; so schreibt Borstnar, dass

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[...] zwischen der Bedeutung des Medientextes (die von wissenschaftlicher Interpretation rekonstruiert wird, [...]) auf der einen Seite und dem, was seitens des Rezipienten geschieht, [zu unterscheiden ist,] wobei sich wiederum seine Bedeutungszuschreibung an den Text (nicht notwendig identisch mit dessen tatsächlicher Bedeutung) und deren psychischen Folgen bei ihm (affektive und evaluative Einstellungen, eventuelle Handlungsfolgen) unterscheiden lassen (Borstnar 2006, S. 197),

wobei es sich hierbei letztlich um nichts anderes handelt als die Unterscheidung zwischen der lokutiven, illokutiven und perlokutiven Dimension sprachlicher Äußerungen, die in der entsprechenden linguistischen Tradition seit langem geteilt sind. Wegen der empirischen Probleme der Medienwirkungsforschung, die sich nicht zuletzt eindimensionalen und unmittelbar mit den kommunikationstheoretischen Kategorien identifizierten Ursache-Wirkungs-Vorstellungen verdanken, sind innerhalb dieser Forschungsrichtung andere, verfeinerte Modelle entwickelt worden, die auch weitere Faktoren in die Interpretation der spezifischen Wirkmechanismen einbeziehen. –







Das O-S-O-R-Modell entwickelt das Stimulus-Response-Modell um ‚bedingende und intervenierende Variablen‘, die die Reaktion der Rezipienten beeinflussen, weiter. Die Verstärkerthese und die These des Two-Step Flow of Communication (Trennung von Meinungsführern, die sich der Medien bedienen und Meinungsabhängigen, die sich der Meinungsführer bedienen) modifizieren das O-S-O-R-Modell dahingehend, dass sie die Wirkung der Medien darauf reduzieren, dass die Medien die bereits vorhandenen Einstellungen der Rezipienten nur bestätigen und verstärken (vgl. auch das Modell des so genannten ‚Wahlverhaltens‘). Der Agenda-Setting-Ansatz (vgl. auch Awareness-Modell, Salience-Modell und Priorities-Modell) behauptet, dass die Massenmedien weniger über die spezielle Aufbereitung des jeweiligen Themas Wirkungen erzielen, sondern dadurch, welches Thema sie wie prominent aufnehmen. Entsprechend tritt für die Charakterisierung der Rezipienten dann nicht mehr das, was sie denken, in den Vordergrund, sondern worüber sie nachdenken (vgl. dafür Cohen 1963, S. 13). Ein anderer Ansatz, der versucht, den Unzulänglichkeiten des einfachen Stimulus-Response-Modells mit einer stärkeren Berücksichtigung der individuellen Verfasstheit des Rezipienten zu überwinden, ist der Usesand-Gratifications-Ansatz. Hier wird die Rezeption als Resultat einer Nutzenkalkulation seitens des Rezipienten aufgefasst; dieser bestimmte demnach selbst Medien- und Themenwahl gemäß seiner wiederum (medien)kommunikationsextern konstituierten Interessen.

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Sowohl die Verstärkerthese als auch der Uses-and-Gratifications-Ansatz versuchen, über eine Auffassung des Rezipienten als relativ eigenständigen Kommunikationsteilnehmer die Mängel der einseitigen und einfachen UrsacheWirkungs-Interpretation zu überwinden. Darin liegt aber zugleich auch ihre entscheidende Schwäche: Die konzeptuelle Passivität des Rezipienten in den einfachen Wirkungsmodellen überwinden sie nämlich, indem sie den Rezipienten als wesentlich durch anderes bestimmt sehen als durch seine Position in der Massenkommunikation bzw. im medialen Diskurs. Solcherart charakterisiert ist er jedoch medien- bzw. kommunikationswissenschaftlicher Befassung nur noch sehr bedingt zugänglich; medien- bzw. kommunikationswissenschaftliche Hypothesen lassen sich dann über den Rezipienten nur noch als außerkommunikative black box anstellen. Auf den ersten Blick sehr ähnlich erscheint der Framing-Ansatz, demzufolge Produzenten wie Rezipienten von Medien deren Inhalte in bestimmte Interpretationsrahmen stellen, sowie der des Priming, der annimmt, dass sich die Urteile der Rezipienten danach richten, was sie zuvor in den Medien wahrgenommen haben. Auf den zweiten Blick zeigt sich hier allerdings ein entscheidender Fortschritt: Zumindest potentiell wird hier die Möglichkeit dafür eröffnet, bestimmte Ursache-Wirkungs-Beziehungen als Binnenverhältnis innerhalb der Medienkommunikation aufzufassen; eine solche Binnenbeziehung liegt z.B. dann vor, wenn man davon ausgeht, dass die Art und Weise, in der ein bestimmter Medientext rezipiert wird, davon beeinflusst wird, welche Medientexte oder -bilder vorher rezipiert wurden. Medienprodukte entfalten hier eine Wirkung ex post – eben auf die Rezeption anderer Medienprodukte. Im Prinzip zeichnet sich hier der entscheidende Schritt aus dem Dilemma der überkommenen Wirkungsforschung ab: Zumindest die Rezipienten erscheinen nun nicht mehr als ein vom anderen Pol der Medienkommunikation getrennter, nur aus sich heraus konstituierter zweiter Pol, sondern zu einem gewissen Grad als selbst schon durch die Medien(kommunikation) konstituiert; mithin sind Rezipienten das, was sie sind, in gewissem Umfang auch durch das, was sie rezipieren. Der Framing-Ansatz zielt damit zumindest ansatzweise in die Richtung der Überwindung einer – ausschließlich oder vorrangig – außerhalb des Mediendiskurses zu verortenden und nachzuweisenden Wirkung medialer Textproduktion und geht damit weit über die anderen, eher immanent bleibenden kritischen Beiträge zur Medienwirkungsforschung hinaus. So ist der zitierten Kritik von Roß die Unzufriedenheit darüber zu entnehmen, dass die bisherige Medienwirkungsforschung nicht in der Lage ist vorherzusagen, welche Wirkung mediale Texte auf ihr Publikum haben werden, weil der Rezipient die Medien ‚sehr eigenwillig ... wahrnimmt und interpretiert‘. Neben dem unhinterfragten – aber durchaus hinterfragbaren – Intentionalismus, der bei Roß deutlich wird (immerhin spricht er

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von ‚Absichten der Medien[macher]‘, denen sich zu entziehen ‚der Rezipient‘ in der Lage sei27), wird der Terminus ‚der Rezipient‘ hier unterschiedslos sowohl für eine soziologisch bedeutsame Masse von Rezipienten wie auch für den einzelnen Rezipienten gebraucht. Problematisch dabei ist, dass das Verhältnis Medienproduzent – Rezipient auf die durch Medien ausgeübte, im Nachhinein feststellbare, einheitliche Wirkung auf eine relevante Anzahl von Medienrezipienten haben (müssten), hinunter gebrochen wird. Wie aber können Texte solch eine Wirkung überhaupt entfalten? Was setzen mediale Produktionen beim Rezipienten an Sprachwissen und sprachlich repräsentiertem bzw. repräsentierbaren Wissen voraus, damit er sie erstens überhaupt und zweitens auf die Weise aufnimmt, wie man es den Medien als Absicht unterstellt? Anders gefragt: Wie kommunizieren Produzent und Rezipient mittels der medialen Produktionen miteinander? Und auch wenn eine massenhaft einheitliche Wirkung nicht feststellbar ist, sondern verschiedene, auch gegensätzliche Wirkungen bzw. Umgangsweisen mit den Medien und ihren Beiträgen zu beobachten sind: Haben die Rezipienten den Text dann nicht zur Kenntnis genommen bzw. nicht verstanden? Haben sie ihn vor dem Hintergrund unterschiedlicher Texte interpretiert? Die spezifischen, in den Texten aufzufindenden sprachlichen Mittel der Chiffrierung und Dechiffrierung von Standpunkten, Aussagen usw. bleiben im Rahmen der bloßen Wirkungsforschung weitgehend unberücksichtigt. Gesucht wird einzig der Nachweis eines gewissermaßen mechanischen Ursache-Wirkungsverhältnisses zweier ansonsten einander völlig äußerlicher Pole – dem des Produzenten und dem des Rezipienten medialer Texte, Bilder usw. Anders ausgedrückt: Die entscheidende Schwierigkeit besteht darin, dass aus der Perspektive eines solchen Wirkungsansatzes das Verhältnis von Medien und Rezipienten als unidirektional erscheint: Die Medien produzieren einen Output, der woanders (k)eine Wirkung erzielt. Das erscheint vor allem ungenügend, nicht nur die Sphäre medialer Textproduktion, sondern eben auch der Textrezeption als gesellschaftlichen, medial vermittelten Diskurs zu begreifen. Gerade aus dieser Sicht wird klar, dass durch einen Ansatz, der die Wirkung von sprachlich-diskursiven Realitäten im außersprachlich-außerdiskursiven Raum verorten will und darum zumindest über weite Strecken mit der Inkompatibilität der jeweiligen empirischen Beschreibungs- und Analysekategorien zu kämpfen hat, zumindest wichtige Fragen unberührt und daher auch unbeantwortet bleiben.

27 Es soll hier nota bene wiederum nicht die Bedeutung der Kategorie Absicht als zu berücksichtigende Dimension bei der Analyse von sprachlichen Äußerungen, angefangen vom Satz bis hin zu Texten und Textformationen, also Diskursen geleugnet werden. Gemeint ist, dass im Sinne eines in sich schlüssigen theoretischen Modells anzustreben ist, dass auch Absichten als sprachlich-kommunikative bzw. diskursive Dimensionen gedacht werden.

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I. Forschungsperspektiven

Um die grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Fruchtbarkeit von solcherart ansetzenden Untersuchungen für die Beantwortung der oben skizzierten Fragestellungen zu verdeutlichen, soll sich im Folgenden mit einer empirischen Studie zur Wirkung der Medienberichterstattung auf die Bevölkerung etwas näher befasst werden, die – obwohl im klassischen Sinne dem Ansatz der Medienwirkungsforschung verpflichtet – scheinbar alle oben charakterisierten Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten dieser Forschungsrichtung überwindet, weil sie recht eindeutige, aus einer Rezipientenbefragung gewonnene Resultate präsentieren kann. Es erscheint dabei beinahe als folgerichtig, dass diese Studie, die alle aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher bzw. diskursanalytischer Sicht bestehenden Mängel empirischer Medienwirkungsforschung geradezu prototypisch vorführt, aus der Feder von Autoren stammt, die anscheinend einen nichtlinguistischen bzw. -medienwissenschaftlichen Hintergrund haben. Simone Helmle, Martina Artmann und Stefan Burkart (2007): Herausforderung Vogelgrippe. Ergebnisse einer Befragung von Bürgern und Experten in Baden-Württemberg und Bayern. Weikersheim: Margraf Publishers. Die Autoren haben im Zeitraum vom 15.05.2006 bis zum 05.06.2006 Rezipienten aus Bayern und Baden-Württemberg befragt. In der Studie heißt es gleich am Anfang: Den Bildern der zu Beginn gefundenen toten Schwäne auf der Insel Rügen konnten sich die Bürgerinnen und Bürger kaum entziehen. (Helmle 2007, S. 1)

Und weiter: Tote Wildtiere, eine infizierte Katze, bedrohlich wirkende Schutzanzüge, Sperrgebiete lösten ein Gefühl aus, das niemand haben möchte: Angst. (Helmle 2007, S. 1)

Wie selbstverständlich gehen die Autoren davon aus, dass die Bilder von toten Schwänen so eindringlich sind, dass sich die ‚Bürgerinnen und Bürger‘ ihnen im Prinzip nicht entziehen können. Genauso apriorisch behaupten sie, dass ‚tote Wildtiere, infizierte bedrohlich wirkende Schutzanzüge, Sperrgebiete‘ das Gefühl der Angst evozieren.28 Schon die Wortwahl ‚Bürgerinnen und Bürger‘ deutet einen Zugang an, der von außerhalb sprach- bzw. kommunikationswissenschaftlicher Forschung her bestimmt ist. Im ganzen weiteren Verlauf der Studie steht der Tenor eines doppelten Vergleiches der Medienberichterstattung mit einer – nicht weiter explizierten – Verantwortung der Medien dafür, für Besonnenheit unter den ‚Bürgerinnen und Bürgern‘ zu sorgen. Diese klassisch normative Vorstellung vom

28 Überdeutlich wird dies in Bezug auf die Schutzanzüge, weil sich die Autoren an dieser Stelle zu der tautologischen Konstruktion versteigen, dass bedrohlich wirkende Schutzanzüge tatsächlich bedrohlich wirken, also Angst auslösen.

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Funktionieren medialer Berichterstattung lässt sich u.a. den Thesen entnehmen, die die Autoren der Aufbereitung der Umfrageergebnisse voranstellen. Diese Thesen lauten: 1. „Die Berichterstattung der Medien schürt die Angst der Bürgerinnen und Bürger vor der Vogelgrippe. 2. Bürgerinnen und Bürgern fehlen sachliche Informationen. 3. Maßnahmen der Behörden und Politiker verringern die Angst der Bürgerinnen und Bürger vor einer Ansteckung. 4. Bürgerinnen und Bürger fühlen sich beim Kauf von Geflügelprodukten verunsichert. 5. Bürgerinnen und Bürger fühlen sich im Umgang mit ihren Haustieren verunsichert. 6. Bürgerinnen und Bürger überschätzen die Gefahr der Vogelgrippe, verglichen mit alltäglichen Gefahren. 7. Bürgerinnen und Bürger überschätzen die Gefahr der Vogelgrippe, verglichen mit anderen Krankheiten. 8. Die Einschätzungen der Bürgerinnen und Bürger sind unabhängig von Geschlecht, Alter und Wohnort.“ (Helmle 2007, S. 22) ‚Die Medien‘ werden hier als ein Akteur vorstellig gemacht, der als kommensurabel mit Subjekten wie ‚Behörden‘ und ‚Politiker‘ zu denken sei. Während sich letztere darum verdient machen, die Angst der Bevölkerung vor Ansteckung zu verringern, tragen erstere dazu bei, diese Angst überhaupt erst zu erzeugen.29 Der gesamten Charakterisierung aller Akteure und dessen, was sie tun bzw. worauf sie reagieren, liegt eine – wiederum nirgendwo explizit gemachte – Annahme zugrunde: Dass die Angst vor der Vogelgrippe unnötig ist, dass diese Angst sozusagen von der ‚Wirklichkeit‘ nicht gedeckt ist. Die auf dieser ‚objektivistischen‘ Grundannahme beruhenden Charakterisierungen von Medien, ‚Bürgerinnen und Bürgern‘ sowie ‚Behörden‘ und ‚Politikern‘ sind dementsprechend widersprüchlich und zirkulär: Die ‚Maßnahmen der Behörden und Politiker‘ haben einzig die Bestimmung, dass sie die Angst verringern, welche die Medien ‚schüren‘. Würden ‚Behörden und Politiker‘ ohne das unverantwortlich Angst schürende Gebaren der Medien nichts tun? Erschöpft sich der Zweck dieser ‚Maßnahmen‘ darin, die Bevölkerung zu beruhigen, oder ist dies nur eine ‚kollaterale‘ Wirkung? Und wie kommt es überhaupt zustande, dass ‚Maßnahmen der Behörden und Politiker‘ kommensurabel mit der Berichterstattung ‚der Medien‘ sein können? Nicht nur aus linguistischer bzw. kommunikationswissenschaftlicher Sicht, sondern gerade

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Zur Kenntnis zu nehmen ist insbesondere hier die eindeutig negativ konnotierte Formulierung ‚Angst schüren‘.

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auch vor dem Hintergrund einer inzwischen langen Forschungstradition zum Themenbereich obrigkeitlicher Gesundheits- bzw. eben auch Krankheitspolitik 30 müssen die dieser Studie anscheinend zugrunde gelegten Annahmen schlicht als anachronistisch bezeichnet werden. Der fragwürdige Ansatz der Studie wird dann noch einmal in der suggestiven Art der Fragestellung deutlich: Was halten Sie von der Form der Berichterstattung der Medien zur Vogelgrippe? (Frage 3, Helmle 2007, S. 24) Wird Ihnen durch die Medien Angst vor einer Ansteckung mit der Vogelgrippe gemacht? (Frage 4, ebd.) Ganz augenscheinlich wollen die Autoren der Studie sich der Wirkung der Medien auf die ‚Bürgerinnen und Bürger‘ dadurch versichern, dass sie eben diese ‚Bürgerinnen und Bürger‘ nicht einfach nur zu ihren Ansichten und Haltungen zur Vogelgrippe und deren Gefährlichkeit bzw. Ungefährlichkeit befragen, sondern zusätzlich dazu zur Genese ihrer Ansichten und Haltungen aus der Rezeption der Massenmedien. Die Autoren wollen so sicherstellen, dass sie bei den befragten ‚Bürgerinnen und Bürgern‘ nicht einfach Stellungen zur Vogelgrippe abfragen, sondern dass auch klar wird, inwieweit sich diese Stellungen der Medienberichterstattung verdanken. Der Widerspruch, in den sich die Autoren dieser Umfrage mit einem solchen Vorgehen begeben, besteht darin, dass sie die Medienrezipienten als in unmittelbar und unvermittelbar gegensätzlicher Weise bestimmt annehmen: Einerseits wird der Rezipient gefasst und unterstellt als bloß äußerlich, durch einen Dritten bestimmter – von den Medien verängstigt oder nicht verängstigt. Befragt wird er aber als genaues Gegenteil davon, nämlich als jemand, der nicht nur seine Ansichten und Stellungen hat, sondern diese auch als bewirkte zu reflektieren in der Lage ist. Anders gesagt: Genau der „Trick“, der dafür sorgen soll, dass nicht irgendwelche, sondern die durch die Medien tatsächlich und ursächlich bewirkten Ansichten und Stellungen beleuchtet werden, erbringt genau das Gegenteil, weil durch die Art der Fragestellung die Rezipienten dazu aufgefordert werden, nicht ihre Angst oder Gleichgültigkeit in Sachen Vogelgrippe, sondern eine Theorie über die Genese ihrer Angst oder Gleichgültigkeit in Sachen Vogelgrippe aufzustellen und zu thematisieren. Die befragten Rezipienten figurieren in dieser Studie also zugleich als bloß beeinflusste, ja manipulierte und zugleich als völlig selbst-reflektierte Individuen, welche Konstruktion einen schlicht unvermittelbaren Widerspruch darstellt. Das Verhältnis zwischen medialer Aufbereitung des Themas Vogelgrippe und der Rezeption durch

30 Vgl. hierfür u.a. Foucault (1996): Die Politik der Gesundheit im 18. Jahrhundert. In: ÖZG 7, 1996, Nr. 3. S. 311–326.

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das Publikum und dessen daraus resultierender Befindlichkeit wird auf diese Weise gerade nicht beleuchtet; stattdessen werden die befragten Rezipienten dazu angeregt, sich selbst bzw. die eigenen Befindlichkeiten als Resultanten des medialen Vogelgrippediskurses wahrzunehmen und zu problematisieren, obwohl sie mit der Fragestellung zugleich als nur passiver Part der medialen Produzenten-Rezipienten-Kommunikation bestimmt sind. Die Frage danach, ob sich jemand durch die Medien im Sinne einer Verängstigung vor der Vogelgrippe beeinflusst fühlt, kann nur Antworten genau darüber zutage fördern. Abgefragt wird auf diese Weise also nicht, ob jemand Angst vor der Vogelgrippe hat, sondern ob er die Medien als Verursacher dieser Angst „dingfest“ machen will oder nicht. Völlig unbeantwortet bleiben auf diese Weise Fragen, die sich schon allein aufgrund der wenigen Charakterisierungen der Medienberichterstattung und ihrer vermeintlichen Wirkung auf die Rezipienten stellen (sollten): Warum können sich die Autoren so sicher sein, dass die Bilder von Schutzanzügen und Sperrgebieten genauso bedrohlich wirken, wie die mit ihnen in einer Reihe genannten toten Wild- bzw. infizierten Haustiere? Wie kommt es, dass diese Aussage über die Wirkung der Bilder, die hier im Rahmen einer medienwissenschaftlichen bzw. -kritischen Untersuchung so fast wörtlich auch innerhalb der medialen Berichterstattung selber zu hören bzw. zu lesen war? Pars pro toto: [1] Die Bilder von Soldaten mit Gasmasken, Schutzanzügen und Schwanenkadavern verbreiten bundesweit Angst. (DIE ZEIT, 02.03.06) 31 Welche Rolle spielt die Äußerung solcher Annahmen über die Wirkung von Medientexten und -bildern auf die Rezipienten im Rahmen der Ausprägung von diskursiven Leitstrukturen bzw. Positionen? Nachgerade folgerichtig geben die Autoren abschließend die Stellungnahmen, die den Befragten durch die Art der Fragestellung als einzig mögliche Antwortalternativen überhaupt zu Verfügung standen, als von ihnen gewonnene ‚Erkenntnisse‘ über den Zusammenhang von medialer Stimmungsmache und Verunsicherung einerseits bzw. Gelassenheit andererseits bei den Medienrezipienten wieder: –

Wer Angst vor der Vogelgrippe empfindet – sei es über eine starke Verunsicherung beim Kauf von Geflügelprodukten, bis hin zur Angst, sich selbst mit dem Virus H5N1 zu infizieren – denkt eher, dass die Bericht-

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Im Rahmen der Korpusuntersuchung wird diese Problematik eingehend besprochen. Siehe S. 59ff. sowie die Abschnitte 2.2 „Sprachliche Realisierungsformen massenmedialer Angstzuschreibung – die Virusangst“ und 2.3 „Motive und sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung“.

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erstattung in den Medien zu dramatisiert war. Diese Befragten suchen auch eher nach Zusatzinformation. Wer empfindet, dass ihm durch die Medien Angst gemacht worden ist, fühlt sich beim Kauf von Geflügelfleisch eher verunsichert. Wer kaum Angst vor der Vogelgrippe empfindet, denkt eher, dass die Berichterstattung angemessen war. [Und abschließend:] Die Wahrnehmung des Themas über die Medien ist insgesamt sehr hoch. Die Art und Weise der Berichterstattung wird sehr ambivalent wahrgenommen. Indizien dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger keine akute Angst verspüren, sind, dass persönliche Gespräche mit Freunden und Bekannten kaum Bedeutung haben und dass das Angebot an Zusatzinformationen und Hotlines ausreichend ist, um besorgte Bürgerinnen und Bürger zu beruhigen. (Helmle 2007, S. 56; Hervorhebungen im Original)

Auch in dieser zusammenfassenden Darstellung ihrer Befragungsergebnisse wird deutlich, wie sehr die Autoren bei jeglicher Befassung mit der massenmedialen Thematisierung der Vogelgrippe innerhalb ihrer vorausgesetzten Grundannahmen über die eigentlich wünschenswerte Rolle der Medien bei der Beruhigung der ‚Bürgerinnen und Bürger‘ befangen bleiben. Dabei könnte es sehr wohl verwundern, dass diejenigen Befragten, die von eigener Verunsicherung (z.B. beim Kauf von Geflügel) berichten, zugleich zu Protokoll geben, dass diese Verunsicherung sich bloß der – nota bene – ‚dramatisierten‘ Berichterstattung der Medien verdankt. Den Rezipienten in ihrer Gesamtheit wird auch in dieser Konstruktion die anscheinend bei den Autoren vorhandene Sicherheit untergeschoben, dass die Vogelgrippe nicht zuletzt durch die Maßnahmen der Behörden und Politiker eigentlich gar keine Gefahr darstellen kann, so dass sich jeder, der bei sich das Gefühl der Verängstigung beobachtet, zugleich sicher sein muss, dass dies eine völlig unberechtigte Gefühlsregung ist, deren eigentlichen Verursacher er nebenbei auch noch kennt. Spiegelbildlich die andere Gruppe der Rezipienten: Sie kennen nicht nur keine Angst vor Ansteckung mit dem H5N1-Virus, sondern auch den Grund: die angemessene Berichterstattung durch die Medien. Nur: Woher wissen die Einen wie die Anderen, dass die Medienberichterstattung ‚angemessen‘ bzw. eben ‚dramatisiert‘ ist; woher haben sie den Vergleich? Wie kommt es, dass niemand die Vogelgrippe für eine Gefahr hält und dies als Resultat einer angemessenen Berichterstattung betrachtet? Ähnlich wie bei Mautners Analyse des britischen Europa-Diskurses findet man auch diese Untersuchung in der diskursanalytischen Sackgasse eines Vergleiches der medialen Aufbereitung eines Themas bzw. ihrer (vermeintlichen) Wirkungen mit dem Wünschenswerten (bei Mautner: Stärkung der pro-europäischen Kräfte innerhalb des politischen Lebens und der politischen Publizistik in Großbritannien) bzw.

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dem Objektiven (bei Helmle u.a.: Vogelgrippe als gerade im Verhältnis zu anderen Gefahren marginales Risiko). Diese Schwierigkeiten werden sich möglicherweise nur dadurch vermeiden lassen, dass man erstens diese von außen herangetragenen Maßstäbe als Leitlinien für die Untersuchung fallen lässt und zweitens versucht, den massenmedial vermittelten Diskurs wirklich als Diskurs zu untersuchen, und nicht als bloße – zutreffende oder unzutreffende – Abbildung einer extradiskursiven Realität.

4. Skizze der eigenen Vorgehensweise Vor dem Hintergrund der bis zu dieser Stelle diskutierten Ansätze und Modelle zur Untersuchung von Diskursen im Allgemeinen sowie von Seuchendiskursen bzw. massenmedialen Diskursen im jeweils Besonderen soll nun kurz das Vorgehen bei der Modellierung eines modifizierten Diskursbegriffes und -analyseansatzes innerhalb der beiden folgenden Kapitel umrissen und begründet werden. Da, wie sich gezeigt hat, davon ausgegangen werden muss, dass Diskurse nicht nur im banalen Sinne mediensprachlich vermittelt werden, sondern wesentlich ‚in den Medien und deren Sprache stattfinden‘,32 bietet es sich meines Erachtens an, für den Versuch, ein allgemeineres Diskursmodell zu entwerfen, von der empirischen Untersuchung eines einzelnen konkret vorfindlichen Diskurses auszugehen. Dadurch sollte es möglich sein, die im Zuge der empirisch zu gewinnenden diskursiven Beschreibungskategorien möglichst „nah“ an der diskursiven Empirie zu halten. Natürlich stellt sich dann die Frage, inwieweit die solcherart gewonnenen Kategorien zur Beschreibung und Analyse auch von anderen Diskursen tauglich, also inwieweit sie verallgemeinerbar sind. Auf der anderen Seite stellt sich diese Frage letztlich ähnlich, wenn wir die deskriptiven und analytischen Kategorien zunächst abstrakt entwickeln und ex post ihre Tauglichkeit für konkrete Untersuchung überprüfen müssen. Durch das gewählte Vorgehen der Extraktion diskurstheoretischer Erklärungsmuster aus der empirischen Untersuchung eines vorfindlichen Diskurses fällt demgegenüber die Modellierung quasi mit der

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Wie Ludwig Jäger in seinem Aufsatz „Medium Sprache. Anmerkungen zum theoretischen Status der Sprachmedialität“ über die Medialität von Sprache zusammenfasst, sind es gerade ihre beiden Seiten, die bisher sowohl in der Linguistik als auch innerhalb der Medientheorien zu kurz gekommen sind: „Weite Teile des theoretischen Mediendiskurses sind durch die Unterschätzung und Ausblendung des Mediums Sprache geprägt, durch eine Sprachvergessenheit (Jäger 2000), die im übrigen eine eigentümliche Konvergenz mit der Medialitätsvergessenheit der strukturalistischen und kognitivistischen Sprachwissenschaft aufweist.“ (2007, S. 8)

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I. Forschungsperspektiven

ersten Evaluation zusammen. Wenn wir nun noch davon ausgehen – und das sollten wir tun, wenn wir Diskurstheorie betreiben –, dass Diskurse als eigenständiger Gegenstand von Theoriebildung bestimmte strukturelle, theoretisch und begrifflich zu fassende Gemeinsamkeiten aufweisen müssen, die sie allesamt eben zu Diskursen machen, erscheint es als wahrscheinlich, dass die im Zuge der empirischen Untersuchung eines einzelnen Diskurses entwickelten Überlegungen auch auf andere Diskurse anwendbar sein sollten, wenn dies auch nicht ohne eine Reihe von zusätzlichen Überlegungen, Verallgemeinerungen und Modifikationen zu haben sein wird. Es wird deshalb so vorzugehen sein, dass zu Beginn der Untersuchung der Medienbeiträge zur Vogelgrippe eine am Material selbst vorfindliche grobe Kategorisierung der geschriebenen bzw. gesendeten Medientexte getroffen wird. Bedingt durch diese Kategorisierung gliedert sich die Untersuchung in drei Teile. Im Verlaufe des ersten Teils der ausführlichen Diskussion einzelner Texte bzw. Textausschnitte werden dann ad hoc erste Hypothesen entwickelt werden, die in einem Zwischenfazit noch einmal geschlossen hintereinander und in gewisser Weise verallgemeinert formuliert werden. Im zweiten und dritten Teil der Untersuchung werden dann nicht nur weitere Phänomene – wiederum exemplarisch und in der gebotenen Ausführlichkeit – besprochen, sondern es werden die zuvor gewonnenen und dann im Zwischenfazit festgehaltenen Arbeitshypothesen anhand des weiteren Materials einer ersten Probe daraufhin unterzogen, wie sie sich als Beschreibungs- bzw. Erklärungsmuster für Diskurse eignen. Die aus der empirischen Untersuchung zu extrahierenden allgemeinen Aussagen und Kategorien werden dann in Kapitel III erneut aufgegriffen, systematisiert und auf abstrakterer Ebene diskutiert, um sie zu einem Modell für die Analyse von Diskursen zu formen. In diesem Zuge wird dann das Verhältnis unseres Analyseansatzes zu den bisher etablierten diskurs- bzw. medienanalytischen Ansätzen unterschiedlicher Herkunft, mögliche Weiterungen und sich neu ergebende Fragestellungen thematisiert und u.a. mögliche Verknüpfungen mit einer kommunikations- bzw. sprachwissenschaftlich orientierten Aufklärungsforschung besprochen. Wie bereits oben bei der Besprechung des Verhältnisses der unterschiedlich tradierten Diskursbegriffe besprochen worden ist, erscheint eine Annäherung der diskursanalytischen Ansätze pragma- bzw. gesprächslinguistischer Herkunft nicht nur als Resultat einer relativ abstrakten Diskussion wünschenswert, sondern sollte im Gegenteil gerade innerhalb einer auf empirischem Textmaterial beruhenden Untersuchung praktisch beherzigt und versucht werden. Da Diskurse im Wesentlichen sprachlich vermittelt werden, also auch sprachlich geformt, gefiltert und strukturiert werden, sollte meines Erachtens eine fundierte Diskursanalyse immer auf Basis exakter linguistischer Untersuchungen des vorliegenden Textmaterials beruhen, welcher daher auch vergleichsweise viel Platz eingeräumt werden soll. Diese exakte sprach-

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

45

wissenschaftliche Detailanalyse wird sich dabei entsprechend dem jeweils zum Untersuchungsgegenstand gemachten auf allen Ebenen sprachlicher Realisierung abspielen und das umfangreiche Analyseinstrumentarium der jeweils einschlägigen linguistischen Teildisziplinen nutzen.33 Pragma- bzw. gesprächslinguistischen Überlegungen kommt dabei in gewisser Hinsicht eine Schlüsselrolle zu, da auf dieser sprachlichen bzw. sprachwissenschaftlichen Ebene die Verknüpfung mit den weiterreichenden diskurstheoretischen Überlegungen und Sichtweisen stattfindet. Der Übergang von der sprachlichkommunikativen zur genuin diskursiven Beschreibungs- und Erklärungsebene sollte an der Stelle stattfinden, wo die linguistische Sphäre selbst schon über sich, also die Phänomene unmittelbar sprachlich geäußerter Einheiten hinausgreift und viel weitergehend – zum Beispiel im Sinne einer sprachlichkommunikativen Handlung, die eine Reihe von über die Rezeption des unmittelbar sprachlich Geäußerten hinausgehenden Erfolgsbedingungen hat – zu verstehen ist. Hier liegt am Rande bemerkt auch der Grund, warum für die Korpusuntersuchung und vor allem für die darauf aufbauenden diskurstheoretischen Überlegungen auf die Durchführung umfangreicher quantitativer bzw. statistischer Auswertungen verzichtet worden ist. Denn die Häufung von bestimmten sprachlichen Strukturelementen, rhetorischen Stilfiguren, Motiven usw. mag zwar dabei helfen, Anhaltspunkte für bestimmte Zusammenhänge zwischen Sprachgebrauch und diskursiver Bedeutung zu finden, das Zusammenspiel beider Seiten wird aber gerade nicht erhellt. Wenn man sich zum Beispiel die Frage stellt, wie das pragmalinguistisch bereits gut beschriebene Phänomen sprachlich nicht expliziter Präsuppositionen im Rahmen der Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient zur Etablierung von diskursiven Charakteren34 beiträgt, nützt es wenig, wenn akribisch aufgelistet wird, wie oft sich in den Medientexten Aussagen finden, die nur als präsupponierte kommunikativ zu entschlüsseln und zu interpretieren sind. Denn so wichtig die detaillierte Untersuchung einzelner sprachlicher Einheiten bis hinunter auf Satz-, Satzglied- und Wortebene ist, so klar ist doch auch, dass dies eben „nur“ die Basis für eine Untersuchung darstellen kann, die von sich beansprucht, ein Beitrag zur Diskursforschung zu sein. Wenn die 33

Vgl. auch die von Ingo H. Warnke und Jürgen Spitzmüller (2008) vorgeschlagene diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN), welche methodologisch und systematisch die Instrumentarien und Verfahren zusammenführt, die für eine sprachbezogene Untersuchung von Diskursen und damit auch für die vorliegende Arbeit zur Orientierung dienen und als Grundlage genommen werden kann. 34 Zu der von uns vorgeschlagenen Kategorie des „diskursiven Charakters‘“ siehe insbesondere Kapitel II, Abschnitt 2.1.2 „Angsterzeugung durch Schadenserwartung“ und Kapitel III, Abschnitt 2.3 „Angstzuschreibung/Angstrepräsentation – zum Verhältnis von diskursivem Charakter und diskursiver Rolle und zur Dialogizität medialer Diskurse“.

46

I. Forschungsperspektiven

Kategorie des Diskurses überhaupt ein Recht darauf beanspruchen kann, ein von spezifischen Regeln geprägter, eigenständiger Forschungsgegenstand, eine eigene Sphäre sprach- bzw. kommunikationsvermittelter Gesellschaftlichkeit zu sein, dann kann sich Diskursanalyse eben nicht in der Analyse der Sprache des Diskurses erschöpfen. Dies wäre letztlich genauso verkehrt wie das umgekehrte Vorgehen, den (im Raum der Massenmedien stattfindenden) Diskurs als die bloße Widerspiegelung von außerdiskursiven Standpunkten, quasi als die Mattscheibe für die Projektion der „wirklichen“ Standpunkte, Interessen usw. anzusehen und wissenschaftlich zu behandeln. Bisher unbeantwortet geblieben ist die Frage nach der Auswahl der Texte für die Korpusanalyse des zweiten Kapitels. Natürlich soll eine solche Auswahl so getroffen werden, dass sie trotz ihrer quantitativen Begrenztheit als repräsentativ für die mediale Berichterstattung über die Vogelgrippe gelten, gar als exemplarisch für einen Seuchendiskurs angenommen werden kann. Im Sinne dieses angestrebten Zieles bot sich ein bestimmter Zeitraum geradezu von selbst an: Im Frühjahr 2006 kam es zu einem regelrechten Boom medialer Berichterstattung über die Vogelgrippe. Greift man auf die Grundannahmen der Nachrichtenwerttheorie mit ihrem Kernstück, den so genannten Nachrichtenfaktoren, zurück, so lässt sich dieser Boom plausibel erklären.35 Das Phänomen Seuche allgemein stellt ein Ereignis dar, dass im Falle eines Ausbruchs für eine große Betroffenheit in der Gesellschaft sorgt (vgl. Faktor der ‚Bedeutsamkeit‘); dies gilt sowohl für die Individuen als auch für – wie und wodurch auch immer konstituierte – Gruppen. Darin kommt zugleich ein zweiter Faktor zur Geltung: Die Betroffenheit ist eine vollständig negative, sei es durch Erkrankung, Tod oder wirtschaftliche Schäden; also wirkt hier auch der Faktor ‚Negativität‘ bei der Konstituierung des Nachrichtenwertes der Vogelgrippe. Gerade zu Beginn des untersuchten Zeitraumes wurde erstmals deutlich, dass die Vogelgrippe zumindest potentiell kein bloß ‚asiatisches Phänomen‘ ist; in diesem Sinne kann hier auch das Wirken des Faktors ‚Neuigkeit‘ bzw. ‚Überraschung‘ sinnvoll angenommen werden. Im Sinne der in Abschnitt 1 dargelegten Auffassung von Diskurs wäre es allerdings falsch verstanden, diese Nachrichtenfaktoren (ausschließlich) als quasi objektive und jederzeit nachprüfbare Eigenschaften von Geschehnissen zu fassen, die in den Medien thematisiert werden. Gerade bei der Vogelgrippe bzw. ihrem Weg in die Titelseiten und Hauptnachrichten und wieder zurück wird deutlich, dass diese Faktoren eher als Interpretationen von Geschehnissen seitens der publizistischen Akteure verstanden werden sollten. Aus Tabel-

35

Vgl. hierfür insbesondere Galtung, Johan/ Ruge, Mari Holmboe (1965): The Structure of Foreign News. The Presentation of the Congo, Cuba and Cyprus Crisis in Four Norwegian Newspapers. In: Journal of Peace Research 2. S. 64–91.

47

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

le 3 geht zum Beispiel deutlich hervor, dass die objektiven Ereignisse mit ihren Eigenschaften Negativität und Bedeutsamkeit nicht in einem Verhältnis zur Entwicklung des Umfangs der medialen Thematisierung und der diesem Thema zuerkannten Prominenz stehen, welches sich aus der „Objektivität“ allein erklären ließe.36 Der Abbildung 1 ist zu entnehmen, dass der Zeitraum, in der die „Erstgeschehnisse“ auftraten, mit der der medialen „Hochkonjunktur“ zusammenfällt. Das Thema Vogelgrippe weist in den Wintermonaten Januar, Februar und März die stärkste Medienpräsenz auf. 37 Dezember November Oktober September August Juli Juni Mai April März Februar

0

10

20

30

40

Januar

Abbildung 1: Anzahl der Texte und Beiträge im Jahr 2006 in Prozent

36 Vgl. hierfür Schulz, 1990. 37 Begründet wird die „unerwartet weiträumige“ Ausbreitung des Virus H5N1 mit einem verhältnismäßig kalten Winter. Das Virus erreichte nach Asien und Europa auch Afrika. Am 11. Februar 2006 starben Schwäne in Italien und Griechenland durch H5N1. Damit waren erstmals Länder der Europäischen Union von der Seuche betroffen. Kurz darauf wurde der Erreger auch in toten Vögeln in Slowenien und Österreich entdeckt. Am 14. Februar 2006 kam die Vogelgrippe in Deutschland an. In Vogelkadavern auf der Insel Rügen wurde das Virus nachgewiesen. Auch Frankreich meldete am 18. Februar 2006 den Nachweis des Virus. Ein Tag später, am 19. Februar 2006, greift die Tierseuche von der Insel Rügen auf das deutsche Festland über. Die Zahl der Vögel, als deren Todesursache H5N1 festgestellt wurde, hatte sich auf 81 erhöht. Am 22. Februar meldete Österreich den ersten Fall von Vogelgrippe bei Nutztieren innerhalb der EU.

48

I. Forschungsperspektiven

Während im Januar, dem Monat unmittelbar vor den Ausbrüchen in Deutschland, die Medien auf die ersten Vogelgrippe-Fälle in der Türkei aufmerksam wurden, sorgten im Februar und März die Vogelgrippe-Fälle in Deutschland für Anlässe und Stoff, um zu berichten. Interessant ist dann die Entwicklung in den Folgemonaten. In diesem Zeitraum gab es eine deutliche Verringerung im Umfang der medialen Präsenz der Vogelgrippe; dies ging so weit, dass es fast ausschließlich der FRANKFURTER A LLGEMEINE ZEITUNG zuzuschreiben ist, dass wir für die untersuchten Medien in diesem Zeitraum überhaupt Material finden konnten. Dass aber diese anscheinend Stoff für ihre Berichterstattung gefunden hat, beweist allein schon, dass das Virus auch in dieser Zeit aktiv gewesen sein muss. Das beinahe vollständige Verschwinden der Vogelgrippe aus den anderen untersuchten Medien ist mit einem Ausbleiben von Ereignissen in dieser Hinsicht also nicht zu erklären; es ist anscheinend ein Wandel in der Einschätzung der Vogelgrippe als erwähnenswertes Thema, der sich in dieser Zeit vollzogen haben muss. Die Bedeutung, welche einem bestimmten Geschehen seitens der Produzenten medialer Berichterstattung zugeschrieben wird, schlägt sich allerdings nicht nur im reinen Umfang der Berichterstattung nieder, also der Sendezeit, die dafür in den Fernsehnachrichten eingeräumt wird, bzw. der Anzahl und Zeilenzahl der Artikel in den Zeitungen und Zeitschriften. Auch der Platz innerhalb der „Topographie“ eines Printmediums bzw. innerhalb der Reihenfolge einer Nachrichtensendung sind Resultate dessen, welche Bedeutung dem jeweiligen Ereignis zugeschrieben wird.38 Im Folgenden ist dies beispielhaft an der TAGESSCHAU (Tabelle 1 und Tabelle 2) zu verdeutlichen. Interessiert man sich für die Anzahl und die Platzierung der Beiträge zur Vogelgrippe, so ergibt sich für die Monate Januar und Februar 2006 folgendes Bild: Den folgenden Tabellen kann entnommen werden, an welchen Tagen die Vogelgrippe in der TAGESSCHAU thematisiert worden ist und an welcher Position innerhalb der Nachrichtenfolge das Thema platziert wurde. An zehn von 31 Tagen des Januars 2006 wurde jeweils ein Beitrag zur Vogelgrippe gesendet. Dies betraf die Tage vom 5. bis zum 15. Januar 2006 und den 29.01.06. Am 09.01.06 und am 11.01.06 wurde das Thema als so relevant eingestuft, dass es an erster Stelle gesendet wurde, an allen anderen Tagen hatten andere Themen Vorrang bzw. blieb die Berichterstattung ganz aus. Schon etwas anders dagegen sieht es einen Monat später aus: In der zweiten Hälfte des Februars 2006 dominierte das Thema Vogelgrippe und nahm acht Mal die erste Position in der Abfolge der Beiträge ein: 38 Und auch umgekehrt gilt: An welcher Stelle ein Artikel bzw. ein Sendebeitrag platziert wird, neben welchen anderen Artikeln oder Beiträgen, mit Bildern/Graphiken oder ohne sie: Dies alles trägt seinerseits dazu bei, die entsprechende große oder kleine Bedeutung zu konstituieren, die dann im Resultat als sachliche Eigenschaft des Geschehnisses erscheint.

49

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

Datum

Position in der Reihenfolge aller Beiträge

Anzahl aller Beiträge

01.01.06



11

02.01.06



13

03.01.06



7

04.01.06



11

05.01.06

8

13

06.01.06

8

10

07.01.06



12

08.01.06

11

13

09.01.06

1

12

10.01.06

6

10

11.01.06

1

15

12.01.06



10

13.01.06

4

12

14.01.06

8

14

15.01.06

6

9

16.01.06



15

17.01.06



14

18.01.06



12

19.01.06



13

20.01.06



14

21.01.06



12

22.01.06



12

23.01.06



15

24.01.06



11

25.01.06



14

26.01.06



11

27.01.06



9

28.01.06



11

29.01.06

4

7

30.01.06



14

31.01.06



11

Tabelle 1: Die „Vogelgrippe-Position“ im Januar 2006 der Tagesschau

50 Datum

I. Forschungsperspektiven

Position in der Reihenfolge aller Beiträge

Anzahl aller Beiträge

01.02.06



12

02.02.06



12

03.02.06

8

10

04.02.06



12

05.02.06



13

06.02.06



13

07.02.06



12

08.02.06



12

09.02.06



14

10.02.06



11

11.02.06

6

12

12.02.06



9

13.02.06



11

14.02.06

11

13

15.02.06

1

10

16.02.06

1

10

17.02.06

1

11

18.02.06

2

11

19.02.06

1

8

20.02.06

1

13

21.02.06

2

12

22.02.06

9

12

23.02.06

1

13

24.02.06

2

10

25.02.06

1

11

26.02.06

2

13

27.02.06

3

13

28.02.06

1

11

Tabelle 2: Die „Vogelgrippe-Position“ im Februar 2006 der Tagesschau

Die umfangreiche Berichterstattung über die Vogelgrippe, die mit Beginn des Jahres 2006 einsetzte, soll zum Anlass genommen werden, genau die Texte zu untersuchen, die im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember

51

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

2006 erschienen sind. Dass dies nur als ein „Diskursausschnitt“ betrachtet werden kann, schließt ein, dass die Texte, die vor 2006 bzw. in den Jahren 2007 und Anfang 2008 publiziert worden sind, zumindest auf kontextueller Ebene berücksichtigt werden sollen. Während die Texte des Jahres 2006 der sprachwissenschaftlichen Analyse unterzogen werden, verweist gleichwohl die durchgängige (– wenn auch vergleichsweise wenig veröffentlicht worden ist –) Berichterstattung auf die naturwissenschaftliche Seite des Phänomens, welche getrennt von der medialen Entwicklung, keine so genannte „Hochkonjunktur“ kennt. Denn dass die Vogelgrippe kein Phänomen allein des Jahres 2006 ist, lässt sich wissenschaftlichen Studien bzw. Veröffentlichungen einschlägiger Institutionen entnehmen. Als Beispiel sei hier eine Statistik angeführt, die die Anzahl der Erkrankungen und Todesopfer verursacht durch das Virus H5N1 im Zeitraum von 2003 bis Juni 2008 festhält: “Cumulative Number of Confirmed Human Cases of Avian Influenza A/ (H5N1) Reported to WHO”, 19. June 200839 2004

2005

2006

2007

2008

Total

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

Azerbaijan

0

0

0

0

0

0

8

5

0

0

0

0

8

5

Bangladesh

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

1

0

Cambodia

0

0

0

0

4

4

2

2

1

1

0

0

7

7

China

Country

2003

1

1

0

0

8

5

13

8

5

3

3

3

30

20

39

http://www.who.int/csr/disease/avian_influenza/country/cases_table_2008_06_19/en/ index.html, letzter Zugriff: 19.08.08

52

I. Forschungsperspektiven

2004

2005

2006

2007

2008

Total

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

1

0

0

0

0

0

0

0

18

10

25

9

7

3

50

22

0

0

0

0

20

13

55

45

42

37

18

15

135 110

Iraq

0

0

0

0

0

0

3

2

0

0

0

0

3

2

Lao People‘s Democratic Republic

0

0

0

0

0

0

0

0

2

2

0

0

2

2

Myanmar

0

0

0

0

0

0

0

0

1

0

0

0

1

0

Nigeria

0

0

0

0

0

0

0

0

1

1

0

0

1

1

Pakistan

0

0

0

0

0

0

0

0

3

1

0

0

3

1

Thailand

0

0

17

12

5

2

3

3

0

0

0

0

25

17

Djibouti

0

Indonesia

Country

2003

Egypt

53

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

2004

2005

2006

2007

2008

Total

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

cases

deaths

0

0

0

0

0

0

12

4

0

0

0

0

12

4

3

3

29

20

61

19

0

0

8

5

5

5

106

52

4

4

46

32

98

43

115

79

88

59

34

26

385 243

Turkey

cases

Country

2003

Viet Nam Total

Tabelle 3: Krankheits- und Todesfälle verursacht durch H5N1 weltweit

Bei bisher insgesamt 385 Krankheitsfällen sind 243 Menschen am Virus H5N1 verstorben. Betroffen sind vor allem Länder Asiens, wie China, Indonesien und Vietnam, aber auch Ägypten und die Türkei. Wie am Beispiel Ägyptens zu sehen ist, nahm die Anzahl der Krankheitsfälle im Jahr 2007 nur in geringem Maß ab. Auch in Indonesien sind nach dem Jahr 2006 weiterhin viele Fälle gemeldet worden usw. Dies kann als sehr deutlicher Beleg für die bereits oben vertretene Auffassung genommen werden, dass die „objektiven“ Merkmale von Geschehnissen – im Fall von Krankheiten wie der Vogelgrippe sind dies Morbidität und Mortalität verbunden mit (relativer) geografischer Nähe – wenn überhaupt, dann nur sehr bedingt damit korrespondieren, wie prominent dies Geschehnis als diskursiver Gegenstand wird, ist und bleibt. Der relativ große untersuchte Zeitraum hat es uns notwendig erscheinen lassen, im Gegenzug die Anzahl der untersuchten Medien möglichst zu begrenzen. Um trotzdem medienübergreifend verallgemeinerbare Aussagen über den massenmedialen Diskurs über die Vogelgrippe treffen zu können und dies in wiederum allgemeinere Annahmen über (Medien-)Diskurse zu überführen, kam es darauf an, das die wenigen ausgewählten Medien als möglichst „repräsentativer“ Ausschnitt der „Medienlandschaft“ gelten können. Folgende Überlegungen waren dabei leitend und haben schließlich zu der konkreten Auswahl geführt: Es sollte auf jeden Fall ein Vertreter des ‚Leitmediums‘ Fernsehen untersucht werden. Da für Deutschland auch im dritten Jahrzehnt privater Fernsehwirtschaft im Format tägliche Nachrichten die von der ARD produzierte

54

I. Forschungsperspektiven

TAGESSCHAU nach wie vor das Maß der Dinge ist, verstand es sich beinahe von selbst, dass diese Sendung stellvertretend für das Medium Fernsehen Bestandteil des Untersuchungskorpus werden sollte. Hierbei bot sich wegen der großen Reichweite wiederum an, aus den mehrfach täglich gesendeten und gegeneinander variierenden Sendungen die ‚klassische‘ 20.00-Uhr-Sendung zu analysieren.40 Um möglichst ein breites Spektrum an Beitragsformaten abzudecken, bot es sich an, zusätzlich die TAGESTHEMEN in die Untersuchung einzubeziehen, weil hier im Unterschied zur wesentlich straffer gestalteten TAGESSCHAU auch Kommentare gesendet werden, die den Stellenwert einer Art Leitglosse haben. Für die Printmedien sollten die Sparten der überregionalen, so genannten „Qualitätspresse“, in den Gruppen Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Wochenmagazine abgedeckt werden. Für den Bereich der Tageszeitung haben wir die FRANKFURTER A LLGEMEINE ZEITUNG ausgewählt.41 Dies schien schon allein wegen der – verglichen mit anderen Medien – über einen langen Zeitraum kontinuierlichen Berichterstattung von Interesse. Für die Gruppe der Wochenmagazine zum Zeitgeschehen haben wir das Magazin DER SPIEGEL in die Untersuchung mit aufgenommen. Auch hier spielten die Reichweite und das Ansehen dieses Magazins eine wichtige Rolle für die Entscheidung,42 ebenso wie bei der Wochenzeitung DIE ZEIT.43

40 „Die 20:00-Uhr-Ausgabe erreicht im Durchschnitt jeden Tag knapp 10 Millionen Zuschauer im Ersten Programm, in 3Sat, bei Phoenix und in den Dritten Programmen. Das entspricht einem Marktanteil von 33 Prozent. Damit ist die Tagesschau die meistgesehene Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen.“ Aus der Selbstdarstellung auf der TAGESSCHAU-Homepage. (http://intern.tagesschau.de/flash/index.php. letzter Zugriff: 12.06.08) 41 Die „Zeitung für Deutschland“, wie sie sich selbst nennt, hat unter den überregionalen Abo-Tagesszeitungen nach der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die höchste Auflage bzw. Verbreitung (siehe AWA-Statistiken unter http://www.awa-online.de/, letzter Zugriff: 12.06.08). Sie beansprucht für sich außerdem, die Zeitung „der klugen Köpfe“, also der meinungsführenden Elite in Deutschland zu sein. 42 „Der SPIEGEL liegt damit weiterhin deutlich vor „Focus“, der 5,71 Millionen Leser erreicht (8,8 Prozent); für den „Stern“ werden 7,47 Millionen Leser ausgewiesen (11,5 Prozent). In den wichtigen gehobenen Zielgruppen liegt der SPIEGEL deutlich vor „Focus“. Der SPIEGEL erreicht 27,1 Prozent der Personen mit Hochschulabschluss („Focus“ 17,6, „Stern“ 17,8 Prozent). Bei Personen mit einem persönlichen Nettoeinkommen ab 3000 Euro hat der SPIEGEL eine Reichweite von 30,5 Prozent („Focus“ 24,8, „Stern“ 22,1 Prozent) und bei großen Selbständigen/Freiberuflern/leitenden Angestellten und höheren Beamten 27,1 Prozent („Focus“ 22,2, „Stern“ 21,3 Prozent).“ (http://media.spiegel.de/ internet/media.nsf/RefAlleNews/ED928ECC5BB84B59C12574870045C084, letzter Zugriff: 12.06.08) 43 Sie bezeichnet sich selbst als „Deutschlands führende meinungsbildende Wochenzeitung“, deren Publikum wiederum zu den meinungsbildenden Eliten des Landes zählt. (vgl. die Selbstdarstellung unter http://zelos.zeit.de/zeitverlag/mediadaten/daten/ZEIT_PL_2008. pdf, letzter Zugriff: 12.06.08).

3. Die Perspektive der Medienwirkungsforschung

55

Für die Untersuchung wurden alle im jeweiligen Medium gedruckten Texte bzw. gesendeten Beiträge herangezogen, d.h. es ist keine Beschränkung hinsichtlich Textsorte oder Ressort vorgenommen worden. Umgekehrt wäre bei einer Beschränkung dieser Art z.B. nur auf das Ressort Politik eine Vielzahl von Texten unberücksichtigt geblieben, weil je nach dem jeweiligen Stand der Besprechung das Thema in beinahe allen Ressorts auftaucht, was sicher damit zu tun hat, dass die wirklichen wie die potentiellen Betroffenheiten von der Vogelgrippe sehr stark heterogen sind. Deutlich wird aber am Beispiel der FRANKFURTER A LLGEMEINEN ZEITUNG, dass sich die diskursive Zuschreibung des Ranges als (überragend) wichtiges Geschehen mit der vorzugsweisen Platzierung in bestimmten Ressorts deckt. Bei der FRANKFURTER A LLGEMEINEN ZEITUNG sind dies vor allem „Deutschland und die Welt“ und „Politik“. Finanzmarkt Briefe an die Herausgeber Medien Zeitgeschehen Sport Reiseblatt Unternehmen Feuilleton Wirtschaft Natur und Wissenschaft Politik

0

10

20

30

40

Deutschland und die Welt

Abbildung 2: Anzahl der FAZ-Artikel sortiert nach Ressortzugehörigkeit in Prozent

Es zeigt sich deutlich, dass in den Monaten Januar und März wesentlich mehr Artikel im Ressort „Deutschland und die Welt“ veröffentlicht wurden als vergleichsweise im Februar, als die Artikel im „ernsteren“ und wichtigeren Ressort „Politik“ erschienen sind.

56

I. Forschungsperspektiven

Für das Korpus ergibt sich insgesamt folgende Zusammenstellung: Es umfasst 240 Artikel der FRANKFURTER A LLGEMEINEN ZEITUNG, 25 aus DER ZEIT, 13 aus dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, 40 Beiträge der TAGESSCHAU und 17 Beiträge der TAGESTHEMEN. Die entsprechenden Titel und Daten der Texte und Beiträge werden im Anhang dieser Arbeit angefügt. Sie werden in der Analyse mit dem Titel der jeweiligen Zeitung oder Zeitschrift bzw. der Sendung und durch das Datum zitiert.

II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – die Korpusanalyse 1. Vorüberlegungen, Fragestellungen und Zielsetzung In Kapitel I der Arbeit ist das Spektrum diskursanalytischer Ansätze vor dem Hintergrund der Diskurstheorie von Michel Foucault soweit skizziert worden, wie es für eine nachvollziehbare Darstellung der daraus gewonnenen methodischen Grundlage für die eigene Herangehensweise notwendig erschien. Die für die Untersuchung einschlägigen Ansätze der Medienwissenschaft insbesondere der Wirkungsforschung sind dargestellt, strukturiert und kritisch diskutiert worden. Mit der Skizze des Seuchenmodells von Martin Dinges sollte gezeigt werden, dass die Annäherung an einen medialen Diskurs über ein Phänomen wie die Vogelgrippe gleichsam aus zwei Richtungen erfolgen kann: Man kann vom Ausgangspunkt medienwissenschaftlicher und diskurstheoretischer Überlegungen versuchen, diese Überlegungen auf die Vogelgrippe bzw. ihre mediale Existenz anzuwenden und zu verfolgen, was „mit der Vogelgrippe passiert“, wenn sie zum Gegenstand massenmedialen Diskurses wird. Man kann auch – wie Dinges nahelegt – vom Ausgangspunkt der Seuchenforschung her beginnen und Seuche als per se gesellschaftlich-diskursives Konstrukt betrachten, das aus diesem Grund und in einer dadurch wesentlich bestimmten Weise eine eben auch mediendiskursive Existenzform hat. Letztlich müssen sich beide Herangehensweisen in der näheren Bestimmung dessen treffen, was begrifflich als „Seuchendiskurs“ zu fassen ist. Anhand von Beispielen aus der FRANKFURTER A LLGEMEINEN ZEITUNG, DER ZEIT, DEM SPIEGEL, der TAGESSCHAU und den TAGESTHEMEN soll untersucht werden, wie die Krankheit Vogelgrippe medial bzw. mediensprachlich vorkommt, d.h. welche Eigenarten ihre mediendiskursive Existenz aufweist. Mittels einer an einzelnen Beispielen entsprechend detailliert zu führenden Diskussion bestimmter sprachlicher Phänomene (auf den unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems), bei der die jeweils einschlägigen sprachwissenschaftlichen Beschreibungs- und Untersuchungsinstrumentarien zum Einsatz kommen werden, soll die empirisch-analytische Basis dafür geschaffen werden, Antworten auf Fragen nach möglichen allgemeinen Gründen bzw. einer allgemeinen Systematik der zu betrachtenden Eigenheiten innerhalb des

58 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse massenmedialen Diskurses geben zu können. Vorschläge für entsprechende Antworten erscheinen in diesem Teil in Form von Arbeitshypothesen. In der nötigen Ausführlichkeit widmet sich ihnen der Teil III dieser Arbeit, wo die weiterführenden Thesen und Schlussfolgerungen diskutiert werden sollen. 1.1 Erste Annäherung Wie jede empirische medien- bzw. diskursanalytische Untersuchung hat auch die vorliegende zunächst zu eruieren, anhand welcher Kriterien bzw. untersuchungsleitenden und -strukturierenden Fragen das Korpus analysiert werden soll. Da sich aus dem globalen methodischen Ansatz der Arbeit heraus kein Frageraster ergibt, das sich ganz getrennt von und vor jeder Befassung mit dem Korpus fertig entwickeln ließe, muss den entscheidenden Beitrag zu einer Antwort auf diese Frage das Korpus selbst, bzw. seine erste noch vorwissenschaftliche Begutachtung liefern. Eine solche Begutachtung eröffnet zunächst den Blick auf eine Eigenart des massenmedialen Diskurses, die in dieser Form in den Experten- bzw. Experten-Laien-Diskursen nicht zu finden ist. Es handelt sich hierbei um eine auffällige Häufung von selbstreflexiven Elementen, also Diskursbeiträgen, die den massenmedialen Diskurs selbst in der einen oder anderen Weise zum Gegenstand haben. Als exemplarisch können folgende Ausschnitte gelten: [2] Das Problem sei, daß die Verbraucher durch die Medien verunsichert werden könnten. (FAZ, 24.02.06) [3] Die Panik war in den Medien, nicht in der Bevölkerung. (Andrea Fischer im Interview mit DIE ZEIT, 02.03.06) [4] „Ohne die Fernsehbilder vom Rügendamm wäre das Getöse der Medien nur halb so laut“, jammert Raymond Kiesbye, Chef der Tourismuszentrale. „Wir haben auf Rügen keine Katastrophe, die Katastrophe findet im Fernsehen statt.“ (DER SPIEGEL, 25.02.06) Und Rangar Yogeshwar vom Westdeutschen Rundfunk kommentiert in den TAGESTHEMEN: [5] Immer dann, wenn in den Nachrichten von der Vogelgrippe die Rede ist, bittet mich meine Familie umzuschalten. Zu schlimm seien die Bilder lebender Hühner und Enten, die von Männern in weißen Overalls in Plastiktüten gesteckt und lebendig begraben werden. (TAGESTHEMEN, 09.01.06) [6] Es sind Bilder, die an Sars erinnern, an Ebola und Tschernobyl. Da hilft es den Rüganern wenig, dass Experten beteuern, bei der Vogelgrippe handele es sich um eine Tierseuche, die für Menschen kaum gefährlich sei. (DER SPIEGEL, 25.02.06)

1. Vorüberlegungen, Fragestellungen und Zielsetzung

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[7] Die große Mehrheit der Deutschen hat laut einer Umfrage keine Angst vor der Vogelgrippe. 83 Prozent der Bundesbürger fürchteten sich nicht vor dem gefährlichen H5N1-Virus, ergab eine Umfrage des Instituts Emnid und des Fernsehsenders N24 unter 1000 Personen in Deutschland. Nur 16 Prozent der Deutschen sagten laut der Mitteilung vom Dienstag, sie hätten Angst. Knapp drei Viertel der Befragten äußerten Vertrauen in den Umgang der deutschen Behörden mit der Vogelgrippe. Dagegen glauben 28 Prozent der Befragten, daß die Behörden die Lage nicht im Griff haben. (FAZ, 22.02.06) [8] Bisher reagieren die Verbraucher besonnen. Die Nachfrage ist gesunken. Aber: „Es gab keine Panikreaktionen und keine Katastrophen“, sagt Thomas Janning vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. (DIE ZEIT 02.03.06) [9] Auf die Frage „Bereiten Sie sich auf ein mögliches Auftreten der Vogelgrippe in Deutschland vor?“ antworten 92 Prozent von rund 1000 Befragten mit „Nein.“ (DER SPIEGEL, 18.01.06) In einer ersten Annäherung lassen sich die zitierten Äußerungen in drei Typen einteilen: Typ 1: Die Medien zitieren Nichtmedienschaffende, die den Medien „Panikmache“ vorwerfen. Typ 2: Medienschaffende selbst behaupten bzw. kommentieren Wirkungen ihres Tuns auf die Wahrnehmung/das Verhalten der Bevölkerung. Typ 3: Es wird thematisiert, wie sehr/wie wenig sich laut Umfragen die Bevölkerung von der Medienberichterstattung verängstigen oder in Panik versetzen lasse. Gemeinsam ist allen Beispielen des Typs 1, dass Medien und den von ihnen ausgestrahlten Bildern eine Wirkmächtigkeit zugesprochen wird. Bezeichnenderweise gerät dies regelmäßig zum Vorwurf, Medien neigten zu Übertreibungen, die die Öffentlichkeit manipulierten, nämlich unnötig in Angst und Panik versetzten. Auch wenn diese Vorwürfe von außerhalb der Medienbranche erfolgen, so deutet ihre Aufnahme in den Diskurs – welche ja letztlich wiederum durch die Redakteure der Print- und elektronischen Medien erfolgt – darauf, dass es innerhalb der Medienbranche ein vages Bewusstsein davon gibt, dass die Medien zumindest potentiell die Rolle spielen, Angst und Panik überhaupt erst zu stiften, über die sie dann als einen von ihnen scheinbar getrennten Gegenstand berichten. Die „innermediale“ Problematisierung der Medienmacht, wie sie vor allem in Typ 2 zu finden ist, bleibt dabei meist auf die Wirkung der Bilder, die es in den Nachrichten zu sehen gibt, beschränkt, was sicherlich kein Vorwurf

60 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse sein soll. Denn erstens sind Medienschaffende nun einmal keine Medienwissenschaftler. Zweitens ist diese Wahrnehmung sicherlich auch deswegen nicht völlig von der Hand zu weisen, weil sie ein praktisches Gespür für die besondere Rolle des Fernsehens verrät, selbst wenn dieses nicht mit wissenschaftlichen Theorien über das Fernsehen als „Leitmedium“ oder medienpsychologische Theorien über die Wirkung von ruhenden bzw. bewegten Bildern im Verhältnis zu geschriebener bzw. gesprochener Sprache untermauert ist. Damit ergibt sich für die Textanalyse ein erster Fragenkomplex: Fragenkomplex 1: Lässt sich auf den unterschiedlichen sprachsystematischen Ebenen wissenschaftlich verifizieren, dass der massenmedialen Aufbereitung und Darstellung der Vogelgrippe das Moment von Angsterzeugung zukommen kann? a) In welchen sprachlichen Bezügen lässt sich Angsterzeugung nachweisen? b) In welchen sprachlichen Formen geschieht Angsterzeugung? Siehe dazu Abschnitt 2.1 dieses Kapitels. Geht man den eben angestellten Überlegungen weiter nach, ergibt sich eine weitere, scheinbar widersprüchliche Implikation: Die angsterzeugende Rolle der Medien lässt sich überhaupt nur anhand von tatsächlichen oder erwarteten Handlungen/Gefühlszuständen in der Bevölkerung thematisieren, die als Angst- oder Panikhandlungen/Panikzustände bewertet werden. In der Diskussion über die eigene Rolle geht der Mediendiskurs also davon aus, dass „die Bevölkerung“ oder „die Öffentlichkeit“ verängstigt ist. Es findet so seitens der Medien nolens volens eine Zuschreibung in Richtung ihrer Adressaten statt: Diese werden als verängstigt charakterisiert, genauso wie die Vogelgrippe als quasi natürliche Eigenschaft zugesprochen bekommt, dass sie Angst auslöse. Hieraus ergibt sich der zweite Fragenkomplex: Fragenkomplex 2: Lässt sich verifizieren bzw. gegebenenfalls textanalytisch genau charakterisieren, dass die Rezipienten der massenmedialen Produktion sprachlich als durch die Vogelgrippe verängstigt konstituiert werden? Mit anderen Worten geht es hier darum, zu überprüfen, ob und wie sich das Moment von Angstzuschreibung in den massenmedialen Produktionen auffinden lässt. a) In welchen sprachlichen Bezügen lässt sich Angstzuschreibung nachweisen? b) In welchen sprachlichen Formen geschieht Angstzuschreibung? Siehe dazu Abschnitt 2.2 dieses Kapitels. Vordergründig nur die Zitate des Typs 3, letztlich aber alle oben zitierten Äußerungen enthüllen bei näherer Betrachtung aber noch ein weiteres Element: Sowohl der Besprechung der scheinbar unbeeindruckten Gemüts-

1. Vorüberlegungen, Fragestellungen und Zielsetzung

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lage der Bevölkerung wie auch der entgegengesetzt orientierten Besprechung der lediglich von den Medien inszenierten Katastrophe haftet ein hier nicht näher zu ergründendes1, aber doch deutliches Moment von Beruhigung, Einordnung und Relativierung an. Generell lässt sich nämlich mit Eugene E. Levitt (1987) sagen, dass das Gefühl der Angst sich hauptsächlich aus seiner Unreflektiertheit reproduziert, dass also jedes – eben auch mediales – Reden über, Problematisieren von Angst, zumindest potentiell dazu geeignet ist, zu dieser Angst zunächst eine Distanz aufzubauen, sie so „in den Griff zu kriegen“, und schließlich idealiter zu überwinden. Es ergibt sich hieraus ein weiterer Fragenkomplex. Fragenkomplex 3: In welchen Formen der sprachlichen Äußerungen innerhalb des massenmedialen Vogelgrippediskurses lässt sich das Moment von Angstabbau/Angstbewältigung finden? a) Auf welchen sprachlichen Ebenen lässt sich die mediale Rolle der Angstbewältigung nachweisen? b) In welchen sprachlichen Formen geschieht Angstbewältigung? Siehe dazu Abschnitt 2.3 dieses Kapitels. Es ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen, dass die drei Fragenkomplexe bzw. die in ihnen angelegten Untersuchungskriterien nicht mit drei Arten von medialen Äußerungen korrespondieren. Wie oben bereits angedeutet, kommt es durchaus vor, dass derselben Äußerung bis hinunter auf die Satzebene zwei oder sogar alle drei Momente eigen sind. Wie sich die drei an bestimmten Stellen durchaus widersprüchlichen „Eigenschaften“ des Mediendiskurses über die Vogelgrippe Angsterzeugung – Angstzuschreibung – Angstbewältigung in einen Erklärungsrahmen so einfügen lassen, dass sich ihre Einheit als plausible Theorie über das Funktionieren von Mediendiskursen in Phasen gesellschaftlicher bzw. gesellschaftlich wahrgenommener Gefahren/Unsicherheiten herauskristallisiert, wird an den jeweiligen Stellen ansatzweise Gegenstand dieses Kapitels sein; die systematische Entwicklung und Darstellung bleibt Kapitel III vorbehalten. 1.2 Weitergehende Überlegungen und Aufgliederung der Fragestellungen Das Thema „Angst“ genießt seit längerem in Philosophie und Psychologie große Beachtung (vgl. Werke von Siegmund Freud, Erich Fromm, Søren Kierkegaard, Charles Donald Spielberger). Gerade weil es hier nicht in aller

1

Siehe hierfür Kapitel III, Abschnitt 2.4 „Angstabbau/Angstbewältigung/Angstüberwindung – Diskurs als Therapie“.

62 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Breite und Tiefe und von allen oder auch nur mehreren der möglichen wissenschaftlichen Perspektiven her beleuchtet werden kann, scheint eine gewisse Eingrenzung und begriffliche Klärung auf Basis der psychologischen und philosophischen Erkenntnisse für die weiteren diskursanalytischen Überlegungen unumgänglich. Angst soll hier verstanden werden als das Gefühl, der Seelenzustand, der eine im Wesentlichen unreflektierte Erwartung eines Schadens zum Inhalt hat. Oft wird Angst von „Furcht“ dadurch unterschieden, dass – auch wenn beide oft synonym gebraucht werden – Angst im Vergleich zur Furcht unbestimmter gilt; diese Unterscheidung entspricht nicht der in der psychologischen Theorie gängigen Unterscheidung zwischen „state anxiety“ (Zustandsangst; also der vorübergehende Zustand der Angst angesichts einer Bedrohung) und der „trait anxiety“ (Angst als Eigenschaft eines Individuums; diese sorgt für den Zustand der Angst auch ganz ohne bedrohliche Situation) (vgl. Schwenkmezger 1985, S. 12f.). Entscheidender für diesen Zusammenhang ist der Umstand, dass – folgt man der begrifflichen Unterscheidung von Angst und Furcht – Angst weniger von der Gewissheit des Schadens bei Eintreten eines bestimmten, erwarteten oder für wahrscheinlich befundenen Ereignisses lebt: Wenn sich – was möglich und unter bestimmten Bedingungen wahrscheinlich ist – eine Lawine löst, während ich den Abhang hinunter fahre, dann ist der Schaden für mich gewiss. Vielmehr ist Angst die unreflektierte Erwartung von etwas Unbestimmtem, was wegen seiner Verschwommenheit, Vagheit o.Ä. keinen bestimmten Schaden wahrscheinlich, aber alle möglichen Schäden vorstellbar macht und gerade daher bedrohlich wirkt (Angst vor dem Betreten eines dunklen Raumes, der Konfrontation mit unbekannten Menschen usw.). So gesehen ist Angst unmittelbar und untrennbar mit Ungewissheit verbunden. Die letzte Schlussfolgerung hat wiederum Implikationen für die Analyse der Medientexte anhand aller drei Fragenkomplexe: Wenn nämlich der Zusammenhang von Angst und Ungewissheit als richtig angenommen wird, bedeutet die Suche nach Indizien bzw. Belegen für die mediale Rolle der Angsterzeugung gerade im hier zu untersuchenden Bereich der Berichterstattung über die Vogelgrippe eine Untersuchung aller Beiträge daraufhin, wie das Spannungsfeld Nichtwissen – Wissen – Ungewissheit thematisiert und aufbereitet wird. Dies bedeutet eine entscheidende Modifizierung dessen, was in den Fokus der Fragen des Komplexes 1 zu rücken ist und wie die Beiträge im Zuge der Beantwortung der Fragen zu bewerten sind. Es lassen sich auf Basis der oben gemachten Ausführungen zwei generelle Typen medialer Angsterzeugung unterscheiden: Erstens Angsterzeugung im Sinne von „Furchterzeugung“, also die Konstitution einer akuten Gefahren-/ Schadenserwartung bzw. der Machtlosigkeit angesichts solcher Erwartungen; zweitens im Sinne des anderen begrifflichen Kerns von Angst, also Angsterzeugung durch die Konstitution von Ungewissheit(en).

1. Vorüberlegungen, Fragestellungen und Zielsetzung

63

Damit ergibt sich für Fragenkomplex 1 folgende feinere Aufgliederung: a) Auf welchen sprachlichen Ebenen lässt sich Angsterzeugung nachweisen, durch α) die Konstitution von Schadensgewissheit/praktischer Machtlosigkeit? β) die Konstitution von Ungewissheit/theoretischer Machtlosigkeit? b) In welchen sprachlichen Formen geschieht Angsterzeugung, als α) Konstitution von Schadensgewissheit/praktischer Machtlosigkeit? β) Konstitution von Ungewissheit/theoretischer Machtlosigkeit? Analog zu den Fragen unter Komplex 1 modifizieren bzw. verfeinern sich nun auch die Fragestellungen der Komplexe 2 und 3. Fragenkomplex 2 erhält nun folgende Fassung: a) Auf welchen sprachlichen Ebenen lässt sich Angstzuschreibung nachweisen, durch α) die Zuschreibung des Gefühls von Angst in der Bevölkerung/bei den Rezipienten? β) die Zuschreibung des Gefühls von Angst als ein Moment diskursiver Angsterzeugung? b) In welchen sprachlichen Formen/mit welchen sprachlichen Realisierungsmitteln geschieht Angstzuschreibung, als α) Zuschreibung des Gefühls von Angst in der Bevölkerung/bei den Rezipienten? β) Zuschreibung des Gefühls von Angst als ein Moment diskursiver Angsterzeugung? Für Fragenkomplex 3 ergibt sich die Fassung: a) Auf welchen sprachlichen Ebenen lässt sich die mediale Rolle der Angstbewältigung nachweisen, durch α) die Negierung/Relativierung von Schadenserwartungen und -gewissheiten und Konstitution von praktischer Handlungsfähigkeit bei der Schadensabwehr? β) die Konstitution von gültigem Wissen/theoretischer Handlungsfähigkeit? b) In welchen sprachlichen Formen/mit welchen sprachlichen Realisierungsmitteln geschieht Angstbewältigung, als α) Konstitution von gültigem Wissen/Gewissheit der Gefahr? β) Negierung/Relativierung von Schadenserwartungen und -gewissheiten/Leugnung der Gefahr?

64 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Wie bereits in Kapitel I. 4 erwähnt, ist die (zwar begrifflich plausible) Unterscheidung der einzelnen Ebenen des Sprachsystems im untersuchungspraktischen Sinne insofern schwierig, weil sehr häufig Unschärfen auftreten und gleichermaßen viele Interdependenzen gibt. Von daher wäre eine erläuternde Darstellung der Untersuchungsergebnisse getrennt nach sprachlichen Ebenen nicht nur kompliziert, sondern auch äußerst unübersichtlich. Analoges gilt für die Kategorie der sprachlichen Realisierungsmittel, da hier häufig mehrere verschiedene dieser Mittel zur Realisierung des gleichen Motivs auftauchen, wie auch umgekehrt mit einem einzigen Realisierungsmittel, z.B. der Metapher, je nach dem welche unterschiedlichen semantischen und kommunikativen Ebenen und Bezüge die Metapher aufweist, unterschiedliche Motive realisiert werden können.2 Die folgende Darstellung der diskursanalytischen Ergebnisse wird aus den oben aufgeführten Überlegungen heraus so gestaltet sein, dass die drei diskursiven Rollen Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung den Rahmen für die Gliederung bilden. Innerhalb der Darstellung der jeweiligen Rolle wird nach diskursiven Motiven aufgegliedert werden. Die Motive bilden schließlich die eigentliche operative Ebene für die Untersuchung; für jedes Submotiv werden anhand der Belege die wichtigsten Formen der sprachlichen Realisierung diskutiert werden. Trotz dieser Gestaltung der Gliederung werden sich an vielen Punkten Querverweise und mehrfaches Heranziehen desselben Beleges aus besagten Gründen nicht vermeiden lassen. Obwohl es aus dem oben Gesagten bereits hervorgeht, soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die drei diskursiven Rollen ineinander greifen und eben weder korpusmäßig noch gar zeitlich aufeinander folgende Diskurs„abschnitte“ sind. Es ist lediglich Platzgründen geschuldet, dass im folgenden Abschnitt der diskursiven Rolle „Angstzuschreibung“ der kleinste Raum gegeben wird. Gleichzeitig sollte die ausführliche Analyse der anderen beiden Rollen ausreichend sein, um die analytische Herangehensweise nachvollziehbar zu machen. Insbesondere die weitergehenden Überlegungen in Kapitel III werden dem Leser deutlich machen, dass mit dieser quantitativen Gewichtung alles andere als eine qualitative Gewichtung, etwa hinsichtlich der Relevanz der drei Rollen intendiert ist, die den medialen Seuchendiskurs ausfüllt.

2

Siehe als Beispiel dafür Beleg [31].

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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2. Diskursanalytische Ergebnisse Im Folgenden werden anhand und in Reihenfolge der oben entwickelten Fragenkomplexe die Ergebnisse der Diskursanalyse vorgestellt und aufbereitet. Wenn nötig, werden dazu vorher theoretische Probleme aufgezeigt und behandelt, die in der Entwicklung der Fragenkomplexe nicht expliziert worden sind. 2.1 Sprachliche Ebenen und sprachliche Realisierungsmittel massenmedialer Angsterzeugung – das Angstvirus 2.1.1 Die Konstitution von Nichtwissen, Ungewissheit und theoretischer Machtlosigkeit Mittels welcher textsemantischen Motive werden Nichtwissen, Ungewissheit und theoretische Machtlosigkeit konstituiert? a) Motiv der Unsicherheit, Ungewissheit, die der Sache anhaftet Man findet hier keinen direkten Bezug auf eine Person oder eine Gruppe von Personen, die im Ungewissen über die Sache ist, sondern es erscheint der – vom praktischen Standpunkt der Seuchenbekämpfung her betrachtet – ungenügende theoretische Stand als Attribut des Forschungsgegenstandes. [10] Die Unsicherheiten in der Dosierung könnten nicht nur zu therapeutischen Fehlschlägen führen, sondern auch die Entstehung von Resistenzen fördern. (FAZ, 04.01.06) 3 Die ‚Unsicherheit in der Dosierung‘ ist Subjekt des Satzes, sie sorgt für Konsequenzen. Eine andere Realisierungsform dieses Motivs besteht in der Benutzung von Interrogativindikatoren innerhalb der Texte, ohne dass diese sich auf eine bestimmte Person – einen Forscher, einen politisch Verantwortlichen o.Ä. – beziehen: [11] Doch eine Frage, die wichtigste überhaupt, ist weiter offen: Wie ist das Virus in den Stall gekommen? (TAGESTHEMEN, 06.04.06) 4

3 4

Wie bei diesem Beleg, so stammen bei allen anderen zitierten Korpusbelegen die Hervorhebungen qua Kursivschrift von der Autorin, es sei denn, es wird ausdrücklich anders erwähnt. Siehe zu diesem Beleg auch das in Abschnitt 2.2 „Sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung“ beschriebene Prinzip der Zuschreibung: Durch die Einleitung „Doch eine Frage, … ist weiter offen“ wird der Rezipient dazu aufgefordert, sie sich zu stellen.

66 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse [12] Die Frage der Fragen ist bis heute, ob das Virus übertragbar wird von Mensch zu Mensch, wie ein Schnupfen durch ein Niesen, durch einen Kuss, und ob es dann noch genauso virulent sein wird wie das Original. (DER SPIEGEL, 08.05.06) [13] Die Ausbreitung nach Westen vollzieht sich offenbar in kleinen Schritten. (FAZ, 31.01.06) Interessant ist bei den Belegen [11] und [12], auf welche Weise eine Verstärkung der Ungewissheit erreicht wird. In beiden Sätzen wird es nicht dabei belassen, die Unbeantwortetheit der jeweiligen Frage, also das Fehlen eines spezifischen Wissensausschnittes, damit zu signalisieren, dass die Frage formuliert wird. Dies reichte tatsächlich aus, weil – einen im normalen Maße sprachlich und kommunikativ kompetenten Medienrezipienten vorausgesetzt – die Formulierung einer Frage zur Voraussetzung hat, dass das, wonach gefragt wird, eben nicht bekannt ist.5 Die erste Form der Verstärkung ist bei beiden, die Explizierung der illokutionären Rolle der dann folgenden Äußerung. Eine zusätzliche Aufladung mit dem Motiv der Ungewissheit wird in [11] einerseits dadurch erreicht, dass der besondere Stellenwert der Frage mit dem syntaktischen Mittel der Apposition zusätzlich betont wird: ..., die wichtigste überhaupt, ... Eine weitere Verstärkung des Motivs wird hier nicht zuletzt durch die quasi tautologische Verlängerung des Einleitungssatzes um das Wort ‚offen‘ erreicht. Tautologisch oder zumindest redundant lässt sich diese Verlängerung deswegen nennen, weil es einer Frage – siehe oben – nun einmal anhaftet, dass sie noch nicht beantwortet ist; sonst würde sie schließlich nicht gestellt. Negativ lässt sich dies durch eine einfache Weglassprobe verifizieren. Formuliert man den Satz wie folgt um, * Doch die wichtigste Frage überhaupt ist: ... ergibt sich keinerlei Informationsverlust bzw. kommt es zu keiner Unklarheit hinsichtlich der Illokution der darauf folgenden Äußerung, zumal der Kontext dann endgültig klarstellen wird, dass die Frage noch nicht geklärt ist, eben weiter eine Frage bleibt. In Beleg [12] wird eine ähnliche Aufladung dadurch erreicht, dass neben der Explizierung des Fragecharakters der folgenden Äußerung mit der Konstruktion Frage der Fragen, also eines genetivus hebraicus, zugegriffen wird, um mittels der hier syntaktisch erreichten semantischen Steigerung die Brisanz der Frage hervorzuheben. Einen interessanten Effekt erzielt auch

5

Sprechakttheoretisch ausgedrückt, enthält jede Frage als illokutionären Akt die Einleitungsbedingung: „Der Sprecher weiß nicht, ...“.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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die Anreicherung des ersten Gliedsatzes mit einer scheinbar nur temporalen Phrase: Die Frage der Fragen ist bis heute,... Ob bewusst oder unbewusst deutet diese adverbiale Ergänzung auf eine Geschichte der Frage hin, darauf, dass ihre Wichtigkeit nicht zuletzt daran erkennbar ist, dass sie schon lange und oft gestellt worden ist, ohne beantwortet werden zu können. Beleg [13] ist insofern typisch, als sich hier eine der am häufigsten benutzten Realisierungsmittel für das Motiv a) findet, nämlich der Gebrauch von Modalwörtern.6 Andere im Diskurs häufig gebrauchte Modalwörter sind: vermutlich, vielleicht, voraussichtlich, (höchst)wahrscheinlich, womöglich Auch wenn auf den ersten Blick gegen die Anführung dieser Beispiele als Realisierungsmittel für das Motiv a) zu sprechen scheint, dass Modalwörter immer eine Einfärbung der Satzaussage vom Standpunkt des Sprechers/Schreibers darstellen und daher eben keine Eigenschaft des Aussagegegenstandes sind, so bleibt doch festzuhalten, dass dadurch gerade nicht Unsicherheit als theoretischer oder praktischer Zustand von mit der Sache wissenschaftlich oder praktisch befassten bzw. betroffenen Personen thematisiert wird. Es bleibt – wenn und in dem Maße wie die Unsicherheit nicht versubjektiviert wird – ein Moment der Sache. Dass die Grenzen hier mitunter fließend sind, kann sicherlich nicht nur nicht bestritten werden, sondern wird sich sogar noch als wichtig erweisen; dies bleibt in Abschnitt 2.2 zu besprechen. Neben dem Einsatz der Modalwörter findet sich auf morphosyntaktischer Ebene auch noch der Einsatz der verbalen Modi Konjunktiv I und Konjunktiv II. Siehe hierfür z.B. Beleg [10]. b) Motiv der Unsicherheit/Ungewissheit, projiziert in die Zukunft; Szenarien unterschiedlicher Modi Auch hier erscheint Unsicherheit nicht als (Zu)Stand der theoretischen Aneignung bzw. praktischen Beherrschung, sondern als Attribut der Vogelgrippe bzw. der von ihr betroffenen Interessen. Im Unterschied zu Motiv a) erscheinen die beiden letzteren hier als Prozessierende, sich Entwickelnde, die eine Zukunft vor sich haben, in die diese Eigenschaft hinein scheint. Man findet dieses Motiv im bereits oben zitierten Beleg [10]:

6

In der Benutzung taxonomischer Begrifflichkeiten für die Einteilung der Wortarten folge ich im Wesentlichen Helbig 2005.

68 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Die Unsicherheiten in der Dosierung könnten nicht nur zu therapeutischen Fehlschlägen führen, sondern auch die Entstehung von Resistenzen fördern. (FAZ, 04.01.06) Neben dem oben erwähnten Mittel des Einsatzes verbaler Modalität finden sich hier zwei im engeren semantischen Bereich angesiedelte Realisierungsmittel für das Motiv b). Zum einen ist von Entstehung die Rede. Dieses Wort deutet unmittelbar auf das Prozesshafte, sich in der bzw. in die Zukunft Entwickelnde hin. Zum anderen wird die Unsicherheit dieser Entwicklung und ihres Zusammenhangs mit der Dosierung sprachlich auch durch das Verb fördern realisiert. Genau betrachtet, gibt die Semantik dieses Wortes nämlich weder die strenge logische Kategorie des Grundes wieder, noch die der Bedingung. Wäre ein Grund benannt, dann läge eine Aussage in der Form (immer) wenn A, dann (stets) B

oder auch

B, weil A

vor. Dass in [10] keine Aussage bzw. Relation dieser Form vorliegt, lässt sich durch die entsprechenden Transformationen überprüfen. * Wenn Unsicherheiten in der Dosierung bestehen, entstehen Resistenzen. bzw. * Es entstehen (können entstehen) Resistenzen, weil es Unsicherheiten in der Dosierung gibt. Eindeutig transportiert das Verb fördern nicht den positiven und zugleich notwendigen und eindeutigen Zusammenhang, den die logische Kategorie des Grundes zum Gehalt hat. Auch die negative, aber nicht minder eindeutige logische Kategorie der Bedingung ist mit fördern nicht zum Ausdruck gebracht. Eine Bedingung ist eine Relation der Form wenn nicht A, dann nicht B wenn A

oder auch B nur (aber nicht stets) dann,

Auch eine solche Aussage wird in [10] nicht gemacht, da ja nicht behauptet werden soll, dass ohne unsichere und womöglich falsche Dosierungen Resistenzen auf keinen Fall entstehen können. Das Verb fördern in diesem Zusammenhang verbleibt hier in einer eigenartigen logischen Zwischenlage: Irgendwie werden die falschen Dosierungen zur Entstehung von Resistenzen beitragen, zumindest möglicherweise, ohne dass gesagt werden soll, dass es ohne sie nicht dazu kommen kann oder mit ihnen dazu kommen muss.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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c) Motiv der Unsicherheit, Nichtwissen bestätigt durch Fachleute aus den Bereichen Wissenschaft und Seuchenbekämpfung Was dieses Motiv von den beiden vorhergehenden unterscheidet, ist die Personifizierung der Individuen mit Ungewissheit, die eigentlich als Exponenten für Wissen und Sicherheit stehen. Es liegen hier, wie zu zeigen sein wird, wesentliche Verknüpfungspunkte zur diskursiven Rolle der Medien als Angstzuschreibende vor. [14] Aber klar ist auch, dass die Geschäftsgrundlagen der Seuchenbekämpfer weiter unsicher sind. (FAZ, 11.01.06) [15] Es war eine für die Menschheit lehrreiche Zeit, doch kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, daß selbst die Fachleute in den vergangenen 24 Monaten nicht sehr viel schlauer geworden sind. Ihre Voraussagen jedenfalls widersprechen sich genauso wie ihre Empfehlungen. (FAZ, 28.02.06) In Beleg [14] findet man eine der häufigsten Arten, in denen das hier zu besprechende Motiv realisiert wird. Dies geschieht durch die einfache Ergänzung der sprachlichen Mittel für die Motive a) und b) um die Anführung der Personen/Gruppen, die dafür verantwortlich sind bzw. zu sein haben, das Virus H5N1 zu erforschen, entsprechende Gegenmittel zu entwickeln und schließlich in Anwendung zu bringen. Dabei unterscheiden sich die Methoden, wie auf diese Personen referiert wird. Dies kann dadurch geschehen, dass sie sub spezie ihrer – selbstgestellten oder zugewiesenen – Aufgabe benannt werden. Grammatisch handelt es sich hier oft um nomina agentis, aber auch um andere Bildungen wie die denominalen Personenbezeichnungen durch das Fremdsuffi x -ist 7. Seuchenbekämpfer, Forscher, Experten, Spezialisten, Fachleute Andere Formen sind Metonymiebildungen: [16] Klenk [Virologe, Vortragender in Barburg] trägt die Fakten vor und offenbart auch die Ahnungslosigkeit der Wissenschaft. (FAZ, 17.02.06) [17] Es [das Virus] hat sich endgültig eingenistet. In dieser gleichen Minute jedoch, in der der Erreger mächtiger denn je erscheint, zeigt die Wissenschaft, die jahrelang Einigkeit demonstrierte, ihre größte Schwäche. Der Streit um die Impfung des Geflügels spaltet die Spezialisten. (FAZ, 22.02.06)

7

Vgl. hierfür Fleischer 1995, S. 191.

70 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse In [16] und [17] steht Wissenschaft jeweils für Wissenschaftler. Analoge Bildungen finden sich mit die Forschung, die Medizin, die Epidemiologie. In [16] finden sich weitere häufig anzutreffende Merkmale der sprachlichen Charakterisierung der bisherigen Unsicherheit der Wissenschaftler. Zum einen ist es das Mittel der Zitation, mit Nennung, manchmal auch Beschreibung von einzelnen Vertretern der Wissenschaft, die dann in der Regel mindestens mit Namen und Funktion genannt werden. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die redeeinleitenden Verben oft die Illokution bzw. perlokutionäre Absicht8 explizieren. Daher finden sich häufig vermuten, mutmaßen, spekulieren oder ähnliche Bildungen. Diese Verben finden sich nicht nur als Einleitungen zur direkten Rede, sondern auch in Aussagesätzen über Experten, ohne dass diese direkt zitiert würden. In solchen Sätzen sind zu den genannten noch eine Reihe von Syntagmen zu finden, die mit Verben wie rätseln, ahnen, erahnen, versuchen gebildet werden. Zum anderen enthält Beleg [16] eine Bildung, die – obgleich von den einzelnen untersuchten Medien in unterschiedlicher Häufigkeit benutzt – für das gesamte Korpus als typisch zu bewerten ist. Betrachtet man die Phrase ...und offenbart auch die Ahnungslosigkeit der Wissenschaft. ist hier zunächst die Genitivverbindung Ahnungslosigkeit der Wissenschaft interessant. Es handelt sich hier um eine Konstruktion des Typs genetivus explicativus. Analysiert man die Semantik des ersten Gliedes der Bildung, Ahnungslosigkeit, so wird man dessen denotative Bedeutung mit „Gegenteil von Wissen, Mangel“ oder „Fehlen von Kenntnis(sen)“ umschreiben können. Auf der Ebene der konnotativen Bedeutung dieses Wortes ist jedoch mindestens eine Steigerung festzustellen, etwa im Sinne von „überhaupt kein Wissen, noch nicht einmal eine (blasse) Ahnung haben“. Die sachliche Feststellung eines Mangels an Wissen, den die Wissenschaftler selbst bilanzieren oder der von anderer Seite bilanziert wird, erscheint hier angereichert mit konnotativen Elementen der Steigerung mit eindeutig pejorativer Färbung, bis hin zur Illustration allseitigen, absoluten, eben totalen Unwissens. Dass dies keine Ausnahme darstellt, zeigt sich an einer Reihe von anderen Belegen, pars pro toto: 8

Zum Unterschied zwischen perlokutionärer Absicht und perlokutionärem Effekt vgl. Meggle, 1997. Letzter Zugriff: 18.07.08.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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[18] Wir lernen, dass wir nichts wissen, dass jede Rechnung aus der Luft gegriffen ist. (DER SPIEGEL 08.05.06) [19] Das Wissen der Welt ist somit nicht gesichert, alles ist nur Hypothese. (DER SPIEGEL, 08.05.06) Die schon in den vorherigen Belegen enthaltene Totalität des Urteils über so grundsätzliche, allgemeine und abstrakte Kategorien wie Wissen, Wissenschaft, Vorhersagbarkeit von Ereignissen usw. wird in [18] und [19] sprachlich folgerichtig mit entsprechenden Indefinitpronomen realisiert. Zusätzlich verstärkt wird der Effekt des Kennzeichnens des riesigen Ausmaßes an Unwissen und der damit einhergehenden Konstitution von Unsicherheit und Ungewissheit in [16] durch die spezielle Verbindung, in welcher der Ausdruck Ahnungslosigkeit auftaucht. Betrachtet man diese Genitivverbindung nämlich unter semantisch-rhetorischem Aspekt, so enthüllt sich, dass hier ein klassisches Oxymoron vorliegt: Ahnungslosigkeit ist hier das Charaktermerkmal ausgerechnet von Wissenschaft. Jeder oder zumindest jeder durchschnittliche Rezipient hat von Wissenschaft als Institution bzw. als Gesamtheit der Spezialisten aber ein Urteil, das er in die Wahrnehmung dieses Textes einbringt: Ihre Aufgabe, der Kern ihres Wesens sei die Produktion von Wissen, mithin von Sicherheit. Die Unsicherheit der Lage muss hier dadurch als umso stärker gewichtet werden, dass auch bzw. gerade innerhalb der Wissenschaft Verwirrung und Ungewissheit herrscht, sie also der durch die Vogelgrippe verursachten bzw. ihr anhaftenden Unsicherheit nichts entgegenzusetzen vermag. In einem ähnlichen – und darin durchaus typischen Beispiel [20] Hier [Department of Microbiology, Hongkong] entdeckten sie 2003 das Sars-Virus, hier beugten sie sich 1997 ratlos über die Blut- und Gewebeproben des Kindes, das als erstes menschliches Opfer des H5N1-Virus in die Geschichte eingegangen ist. (DER SPIEGEL, 08.05.06) findet sich mit ratlose Experten einen echten contradictio in adjecto; andere Formen, die auftauchen, sind hilflose Kommunalverwaltung oder ratlose Veterinäre, Feuerwehren und Katastrophenhelfer. Beleg [16] enthält darüber hinaus noch ein weiteres, ebenfalls öfter anzutreffendes Mittel der Verstärkung des ins Qualitative umschlagenden quantitativen Aspektes des Nichtwissens. Es besteht in dem performativen Verb offenbaren. Dieses Verb ist morphologisch auf den ersten Blick mit dem Modalwort offenbar eng verwandt, jedoch enthält ersteres – und zwar in deutlichem Unterschied zu letzterem – ein konnotatives Element, das für den hier diskutierten Zusammenhang von wesentlicher Bedeutung ist. Versucht man die semantische Struktur des Verbs offenbaren zu analysieren, so

72 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse sind Umschreibungen wie mitteilen, etwas vorher Unbekanntes zur Kenntnis geben oder bringen sicherlich richtig, sofern das Verb nur in seiner transitiven Variante jemandem etwas offenbaren, nicht in seiner reflexiven Variante sich offenbaren, betrachtet wird. Zugleich ist offensichtlich, dass dieses Wort neben der umschriebenen denotativen Bedeutung das konnotative Element enthält und dass das Objekt der Mitteilung bzw. der Kenntnisgabe vorher nicht nur nicht bekannt, sondern verborgen, geheim, verhüllt war. Davon ist nur zu reden, wenn der Gegenstand erstens von großer, ja eminenter Wichtigkeit ist und sich zweitens nach der Offenbarung in einer Weise darstellt, die völlig unerwartet ist. Eine Äußerung, wie sie mit Beleg [16] vorliegt, funktioniert also dergestalt, dass mit dem performativen Verb offenbaren sozusagen ad hoc gar nicht weiter explizierte Erwartungen, ein Anspruch an die Wissenschaft aufgebaut wird, die im Prinzip im gleichen Augenblick ad absurdum geführt werden. Der Kontrast zwischen der solcherart konstruierten Erwartung(shaltung) und dem sich bietenden wirklichen Bild der wissenschaftlichen Forschung produziert Verunsicherung. Eine weitere Belegstelle, die in dieser Hinsicht ähnlich funktioniert, wird weiter unten unter anderen Aspekten beleuchtet.9 Im folgenden Beleg wird das Motiv an der Textoberfläche sprachlich explizit realisiert: [21] Yuen Kwok Yung [...], er müsste ein Mann der Antworten sein. Aber wenn die Rede auf H5N1 kommt, hat auch er vor allem offene Fragen. (DER SPIEGEL, 08.05.06) Das Motiv findet sich hier somit an der Oberfläche des Textes, so als ob – wenn man es intentionalistisch ausdrücken will – der Autor des Textes der illokutionären Kraft dessen, was er aufschreibt, nicht traut. Ähnliche Formen der Explizierung finden sich auch bei anderen Motiven und werden an den entsprechenden Stellen besprochen. Donati (2001) sieht dies als ein Typusmerkmal bestimmter Textsorten (vor allem des Typus ‚Kommentar‘) an. Auch wenn quantitative Aspekte bei der hier vorliegenden Untersuchung nur eine untergeordnete Rolle spielten, so lässt sich diese These zumindest der Beobachtung nach doch bestätigen. Die Funktion innerhalb des Textes besteht in jedem Fall in der Sicherstellung der Deutung der entsprechenden Textteile oder des Gesamttextes im Sinne des jeweiligen Motivs. Eine weitere Realisierungsform für das Motiv Unsicherheit und Nichtwissen auch bei Wissenschaftlern besteht in der Beschreibung von Handlungen und selbst äußerlichen Merkmalen der Wissenschaftler, welche quasimetaphorisch im Sinne des Motivs ausgedeutet werden. Ein Beispiel hierfür

9

Siehe dazu die Diskussion des Beleges [27].

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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findet man in dem auszugsweise schon oben besprochenen Text aus dem SPIEGEL: [22] Der Filzstift in seiner Hand tupft über die Fläche, keine Minute später steht darauf die Weltgeschichte der Influenza schwarz auf weiß. Der Professor hat Jahreszahlen aufgelistet, dazu Kürzel, H2N2, H1N1, er tippt auf die hastig geschriebenen Zeichen, wie ein Strich sitzt der Rand seiner Brille vor den Pupillen, er sagt: „Und was lernen wir daraus? Wir lernen, dass wir nichts wissen, dass jede Rechnung aus der Luft gegriffen ist.“ (DER SPIEGEL, 08.05.06) Insgesamt vermittelt der Professor einen unruhigen Eindruck, er strahlt nicht die Souveränität aus, die man von einem Menschen in seiner Position erwartet, „hastig“ ist das Schlüsselwort des gesamten Abschnitts. Der Wissenschaftler ist einerseits nur bedingt in der Lage, sein Wissen verständlich zu machen: Die Ausdrücke Kürzel und Zeichen stehen für die auch nach seinen Erklärungsversuchen nicht überwundene Distanz zwischen ihm und dem Journalisten. Andererseits entpuppt sich diese Distanz als eine nur scheinbare. Der Gliedsatz wie ein Strich sitzt der Rand seiner Brille vor den Pupillen fungiert als eine Art Innehalten nach dem physisch-motorisch aktiven tupfen, tippen, hastig schreiben. Textsemantisch wird damit die Ernsthaftigkeit, ja Besorgnis bebildert und eingeordnet, mit der die dann von ihm zitierte Äußerung vorgebracht wird; diese Äußerung selbst ist der Kulminationspunkt des Ausschnittes [22], sie ist das Eingeständnis, dass der durch die Unverständlichkeit der Kürzel und hastig geschriebenen Zeichen bebilderte Wissensvorsprung gegenüber dem Journalisten und dem Leser nur ein scheinbarer ist.10 Dieses Realisierungsmittel funktioniert also auf die Weise, dass beschriebenen Ausschnitten der Wirklichkeit – hier das äußerliche Verhalten eines Wissenschaftlers beim Erklären der Vogelgrippe – Metaphernbedeutungen im Sinne des zu realisierenden Motivs zugeordnet werden, sie zu Bildspendern gemacht werden. Betrachtet man dieses Mittel zunächst unter distributivem Aspekt, so zeigt sich – was sicherlich leicht zu begründen ist – dass sich der Einsatz dieses Mittels auf bestimmte, eng umschriebene journalistische Textsorten beschränkt: In der Regel handelt es sich um längere Berichte oder Hintergrundberichte. Dies liegt nur einerseits daran, dass Sätze bzw. Textteile, die auf diese Weise funktionieren, selbst meist einen größeren Raum einnehmen, als bei den kürzeren journalistischen Darstellungsformen zur Verfügung steht. Hinzu kommt andererseits, dass dieses Mittel – gerade verglichen mit anderen Realisierungsformen – relativ unselbstständig

10

Siehe dazu die Diskussion des Beleges [18].

74 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse ist. Das liegt daran, dass der Einsatz einer Metapher zur Konstitution eines Motivs, eines Deutungsrahmens für Sachverhalte oder Ereignisse, es immer erforderlich macht, sicherzustellen, dass die Metapher zunächst selbst so ausgedeutet wird, dass sie als Realisierungsmittel tatsächlich im Sinne des jeweiligen Motivs wirkt und nicht vom Rezipienten in einer anderen Richtung motiviert wird. Dafür ist es notwendig, dass das gleiche Motiv im Text noch auf andere Weise sprachlich realisiert wird. Erst auf dieser Basis wirkt die metaphorische Beschreibung von Äußerlichkeiten im Sinne des jeweiligen Motivs. Es ist jetzt umgekehrt in der Lage, die Aussagekraft, Stringenz und motivationale Eindeutigkeit der anderen Realisierungsmittel zu verstärken. So könnte z.B. in einem anderen Kontext das Adverb hastig für den besonderen Eifer, die große Mühe einer Person bei der Verfolgung eines bestimmten Zweckes stehen. d) Nicht auch, sondern gerade bei Wissenschaftlern herrscht Ungewissheit und theoretische Machtlosigkeit In den Belegstellen dieses Typs wird das unter c) charakterisierte Motiv so weit gesteigert, dass es regelrecht umkippt: Aus der logischen Relation des Widerspruches – obwohl Wissenschaft, trotzdem kein Wissen und keine daraus resultierende Sicherheit – wird die Relation des Grundes: Die Wissenschaft selbst produziert Ungewissheit. [23] Zuvor waren die meisten Forscher davon überzeugt gewesen, dass ein Vogelvirus niemals den Menschen direkt befallen kann, sondern zunächst mit menschlichen Influenza-Viren Genfragmente austauschen muss. (DIE ZEIT, 19.01.06) [24] Das Wissen über das Influenza-Virus ist zwar groß. Mehr als 40000 Studien sind dazu publiziert worden. Doch eine entscheidende Frage treibt Experten noch immer um: Was macht manche dieser Erreger für den Menschen so gefährlich? (DIE ZEIT, 19.01.06) [25] Jede Frage nach dem Virus tritt tausend neue Fragen los, „da sind wir mitten im Problem“, ruft Professor Yuen, es hält ihn nicht auf seinem Stuhl, er tritt an die Tafel des fensterlosen Konferenzraums in der mikrobiologischen Abteilung des Queen Mary Hospital von Hongkong. (DER SPIEGEL, 08.05.06) [26] Aber je tiefer die Forscher eindrangen in die Welt von H5N1, desto mehr Rätsel begegneten ihnen. (DER SPIEGEL, 08.05.06) Realisiert wird dieses Motiv zunächst durch das Verfahren der Kontrastierung: Die verbleibenden Fragen hinsichtlich des Verhaltens des Virus werden einerseits dem Ausmaß an Forschungsarbeit gegenübergestellt (Beleg [24]) oder sie werden damit kontrastiert, dass es vorher schon einmal eine vermeint-

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liche Sicherheit gegeben hat, die sich dann aber als trügerisch, weil wissenschaftlich nicht haltbar, herausgestellt hat. Damit wird im ersten Schritt eine Deutung der wissenschaftlichen Unklarheiten und Wissenslücken nahegelegt, die den Belegen [14] bis [20] ähnelt, diese aber weitertreibt: Wenn trotz der vielen und großen Anstrengungen der wissenschaftlichen Experten bisher immer noch nicht alles oder sogar nur wenig geklärt ist, dann entzieht sich der Gegenstand vielleicht überhaupt jeder theoretischen Handhabung? Wie kann es Sicherheit, Gewissheit geben, wenn die Forscher selbst eigene Gewissheiten nach einer bestimmten Zeit wieder verwerfen ([23])? Es schwingt also darin zugleich – zumindest der Möglichkeit nach – ein weiteres Deutungsmuster mit, das in [25] und [26] dann explizit gemacht wird: Im zweiten Schritt erscheinen Versuche der Wissenschaft, den an und für sich nicht zu erklärenden Forschungsgegenstand doch zu klären, und zwar als Grund für immer größere Ratlosigkeit. Wissenschaft produziert somit keine Antworten, sondern immer nur neue Fragen, Forscher begeben sich auf ein Terrain, das sie dann doch nicht auszuleuchten, zu vermessen und gültigen Urteilen wie auch plausiblen Vorhersagen zugänglich zu machen in der Lage sind. Weiter unten11 wird zu zeigen sein, dass gerade hierin ein Ansatzpunkt für die Entfaltung der Rolle der Angstbewältigung liegt. Interessant ist hier noch folgender Ausschnitt aus einem SPIEGEL-Text. [27] Diese Bilanz aber ist bestürzend, weil sie offenbart, wie wenig die Wissenschaft insgesamt über Grippeviren weiß, obwohl sie sie längst in alle ihre Einzelteile zerlegen kann. Es ist, als lägen alle Teile eines Puzzles auf dem Tisch, ohne dass jemand sagen könnte, welches Bild sie ergeben. (DER SPIEGEL, 08.05.06) Es findet sich hier eine Reihe der oben besprochenen (Sub)Motive und der entsprechenden sprachlichen Realisierungsformen wieder, welche oben bereits einzeln analysiert worden sind, so das Motiv der Kontrastierung von Wissen und Nichtwissen, die Betonung des Maßes von Wissen bzw. Unwissen durch die Konstruktion wie wenig und den Einsatz des Verbs offenbaren.12 Das an [18] und [19] diskutierte Motiv des totalen Nichtwissens, der völligen Ungewissheit wird hier durch die Metapher des Puzzles realisiert. Widmet man sich eingehender der Bildbedeutung, so entfaltet diese Metapher ihre Wirkung dadurch, dass sie die Motive der Kontrastierung und der Totalisierung des Nichtwissens in sich vereinigt: Einerseits fehlt es nicht an Kenntnissen, deren gibt es viele, sie sind sogar eigentlich völlig ausreichend: alle Teile eines Puzzles

11 12

Siehe Abschnitt 2.3.3 „Angstabbau/Angstbewältigung durch Sinndeutung/Schicksalsergebenheit“. Siehe hierfür die Bemerkungen zu Beleg [16].

76 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse auf dem Tisch. Andererseits ist gerade deshalb die Ungewissheit umso größer: ohne dass jemand sagen könnte, welches Bild sie ergeben. Je mehr Puzzleteile vorhanden sind, desto größer, umfassender ist das Wissen in potencia. Das Wissen wird innerhalb der Metapher mit Bild codiert. Gleichzeitig gilt, dass es gerade die (große) Anzahl der Teile ist, die dafür sorgt, dass das Wissen in actu umso kleiner ist, da ja die Beschwerlichkeit der Arbeit des Zusammensetzens mit der Anzahl der Teile wächst. Und noch unter einem weiteren Aspekt ist der Textausschnitt [27] interessant. Betrachten wir die beiden Gliedsätze zu Beginn des ersten Satzes näher: Diese Bilanz aber ist bestürzend, weil sie offenbart, wie wenig die Wissenschaft insgesamt über Grippeviren weiß. Die Aussage entspricht dem Motiv Angsterzeugung durch Ungewissheit und Nichtwissen. Mit dem Adverb insgesamt wird der oben besprochene Effekt der Totalisierung des Nichtwissens erreicht; durch das Verb offenbart wird der Angst machende Effekt verstärkt. Dies alles wird durch den ersten Gliedsatz nicht nur eingeleitet, sondern antizipierend gedeutet: Der Gliedsatz Diese Bilanz aber ist bestürzend, stellt einen in seiner Explizitheit geradezu zwingenden satzsyntaktischen Interpretations- oder Deutungsrahmen für das in den folgenden Gliedsätzen Ausgesagte dar.13 2.1.2 Angsterzeugung durch Schadenserwartung Während die bisher besprochenen Beispiele insofern der Rolle der Angsterzeugung zuzuordnen waren, als sie verschiedene Motive von Unsicherheit und Ungewissheit enthielten und transportierten, tragen die in diesem Abschnitt zu diskutierenden Medienbeiträge durch ein scheinbar umgekehrtes Motiv zum Ausfüllen genau derselben Rolle bei. Nicht Ungewissheit, sondern Gewissheit über die Gefährlichkeit, katastrophaler Zukunftsentwicklungen usw. beherrschen diese Beiträge. Mitunter gelingt die Zuordnung der Beiträge zu den Leitmotiven Angsterzeugung durch Ungewissheit bzw. Angsterzeugung durch Schadenserwartung nicht ganz widerspruchsfrei und nur unter Inkaufnahme gewisser logischer Unsauberkeiten. Die Ursache hierfür liegt in der Sache selbst. Es wird sich herausstellen, wie interdependent und teilweise einander verstärkend diese beiden Motive auftauchen und texttopologisch auf engstem Raum realisiert werden. Besonders deutlich tritt diese enge Verwobenheit in der moralischen Dimension der Vogelgrippe hervor. Insbesondere diejenigen Diskursmotive, die das Fremde, von außen Kommende des Virus fokussieren, wirken Angst erzeugend auf Basis der eigenartigen psychologisch-

13

Siehe hierfür die Diskussion zu Beleg [21].

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moralischen Dialektik ‚bekannt, einheimisch = gut – unbekannt, fremd = böse, bedrohlich.‘14 a) Es ist gewiss, dass das Virus gefährlich für das menschliche Individuum ist Das Virus taucht hier als potentielle Ursache extremer gesundheitlicher Störungen beim Einzelnen bis hin zum Tod auf. Ein Beispiel par excellence ist dafür der folgende Beleg: [28] Ergebnisoffen heißt nun: Man weiß erst morgen, welche Viren jetzt gerade in welchem Wirt einen evolutionären Vorteil herausschlagen. Die verschwommene Situation der Gegenwart ist also nur vermeintlich ergebnisoffen. (FAZ, 24.02.06) Auch dieser Beitrag zeichnet sich durch die Explizierung des Motivs aus, was hier die logische Transition von ungewiss (ergebnisoffen) zu gewiss (nur vermeintlich ergebnisoffen) mit einschließt. Deutlich erkennbar ist hier, wie stringent die oben charakterisierte Logik der Angst funktioniert und in die Konstruktion der Motive eingebettet ist. Die verschwommene Situation der Gegenwart ist selbst Reaktor einer zukünftigen Situation, über die zwar sonst nicht viel, aber auf jeden Fall das Eine klar ist: sie ist nur vermeintlich ergebnisoffen. Gerade an letzterem Syntagma lässt sich diese Logik studieren, wird hier doch die Prognose der Zukunft als doppelte Negation formuliert: ergebnisoffen = ohne sicheres Ergebnis vermeintlich = nicht wirklich Dieser Beleg ist insofern typisch, als auch die meisten anderen Texte, in denen Motive von Gefährlichkeit und Schadenserwartung auftauchen, diesen Effekt des Verstärkens der bekannten (oder angenommenen) Schädlichkeit durch die Momente von Nichtwissen und Ungewissheit aufweisen. Die unter 2.1.3 aufgestellte und diskutierte (zweite) These scheint damit zumindest für den Diskurstypus „Seuchendiskurs“ auch empirisch belegbar. In der Regel ist dieses Motiv eher implizit enthalten; dafür sollen die folgenden Textstellen als Belege ausreichen: [29] Aber klar ist auch, daß die Geschäftsgrundlagen der Seuchenbekämpfer weiter unsicher sind. Wie vage, das läßt eine neue Studie aus Vietnam erahnen. (FAZ, 11.01.06) [30] Theoretisch können sich vermutlich viele, wenn nicht fast alle Lebewesen mit dem hochpathogenen A/H5N1-Virus anstecken.

14

Zum Abrufen von xenophoben Kommunikationsmustern innerhalb von Seuchendiskursen siehe Dinges 2004, S. 84 f.

78 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Praktisch aber gibt es bislang nur wenige Beweise dafür: […]. (FAZ, 21.02.06) [31] Dabei weiß niemand genau, wie viele von ihnen das gefährliche Vogelgrippen-Virus tragen. Jedenfalls können die Kadaver für Spaziergänger und Naturfreunde gefährlich werden. (TAGESTHEMEN, 16.02.06) Beleg [29] zeichnet sich insgesamt nicht nur durch die Motiv-Explizierung, sondern auch durch deren Häufigkeit aus: Das Motiv der Unsicherheit wird hier gleich dreifach explizit realisiert, nämlich im ersten Satz mit der Einbindung der prädikativen Phrase ‚unsicher sein‘. Diese wird unmittelbar danach, zu Beginn des zweiten Satzes wieder durch die Formulierung ‚Wie vage, ...‘ aufgegriffen. Auffällig ist hier, dass die Anschlussformulierung ‚Wie ...‘ eigentlich eine nähere Bestimmung, eine Quantifizierung bzw. Graduierung zur im ersten Satz erfolgten Prädizierung ‚unsicher‘ ankündigt, dann aber gar nicht das Prädikat ‚unsicher‘ aufgreift, sondern mit dem Adjektiv ‚vage‘ fortfährt. Dies ist nicht nur stilistisch gewagt, sondern ergibt bezüglich der Kohärenz beider Sätze nur dann einen Sinn, wenn ‚vage‘ als Synonym zu ‚unsicher‘ angenommen wird. Dies aber erweist sich zumindest auf den ersten Blick als problematisch; vage bezeichnet in aller Regel die Eigenschaft von Aussagen bzw. Begriffen, uneindeutig, in gewisser Hinsicht verschwommen zu sein. Deutlich wird der Bedeutungsunterschied zwischen unsicher und vage, wenn man den ersten Satz einer Substitutionstransformation unterzieht: *Aber klar ist auch, daß die Geschäftsgrundlagen der Seuchenbekämpfer weiter vage sind. Sinnvoll lässt sich dieser Satz nur interpretieren, wenn mit den ‚Geschäftsgrundlagen der Seuchenbekämpfer‘ die Urteile, Annahmen und begrifflichen Konzepte vom Virus und seiner Ausbreitung gemeint sein sollen, die dann als die theoretische Basis der praktischen Arbeit (Agens des Satzes sind ja die Seuchenbekämpfer, nicht Wissenschaftler) angenommen werden. Es wird hier also der Unterschied zwischen praktischer Unsicherheit, damit potentieller Gefährdetheit und theoretischer Unsicherheit – Mangelhaftigkeit des Wissens – getilgt. Die dritte explizite Realisierung des Motivs Unsicherheit findet dann mit dem Verb ‚erahnen‘ statt. Sie wirkt zugleich als Verstärkung der beiden ersten Realisierungen, weil auch ohne die (in den Beleg nicht aufgenommene) Ausführung über den Inhalt der Studie aus Vietnam dem Rezipienten die Tendenz klar ist: Gerade weil mit der vorher vorgenommenen Synonymisierung von unsicher und vage davon ausgegangen wird, dass Vagheit in diesem Zusammenhang per se auf das Vorhandensein einer Gefahr deutet, zumindest dieses plausibel erscheinen lässt, ist auch die Uneindeutigkeit des Grades der Vagheit ein zusätzlicher Verweis auf die Virulenz der – gar

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nicht sicher gewussten – Gefahr. Der nur zu erahnende Grad der Vagheit, im Prinzip also die Vagheit der Vagheit, ist bei einmal konstituierter Logik von Gewissheit von Gefährlichkeit und Unsicherheit keine sich selbst aufhebende, sondern sich tendenziell unendlich selbst verstärkende Konstruktion. Dass diese ihre Plausibilität in den Fakten hat, darauf verweist die scheinbar entgegengesetzt wirkende Konstruktion ‚Klar ist aber auch, ...‘; auf diese Weise wird die Vagheit der Vagheit in den Rahmen der Klarheit der Vagheit gesetzt und ist auf diese Weise gewissermaßen von jedem Widerspruch freigestellt. Diese Formulierung bildet quasi die Aufforderung an den Rezipienten, sich in die selbst fortschreibende Spirale von Unsicherheit des Wissens und daraus gewonnener Sicherheit der Schadenserwartung hinein zu begeben. In Beleg [30] ist es im ersten Gliedsatz die Häufung von modal einschränkend wirkenden Satzbestandteilen, die die entsprechende Wirkung erzielt. Zu diesen Bestandteilen ist hier auch das adverbial gebrauchte Adjektiv theoretisch zu zählen, insbesondere durch den von ihm zusammen mit dem Wort praktisch, das den zweiten Teil dieses Ausschnittes einleitet, womit der adversative Rahmen theoretisch – praktisch gespannt wird. Gerade in dieser polarischen Stellung sind die beiden Adjektive weniger in der Bedeutung ‚bezogen auf Wissenschaft, auf vom Verstand Erzeugtes‘ vs. ‚bezogen auf objektive Realität, auf äußerlich Erzeugtes bzw. Entstandenes‘ zu verstehen. Vielmehr transportiert der Ausdruck ‚theoretisch‘ zumal mit der in solchen Zusammenhängen immer mitgedachten, oft auch explizit angefügten Partikel ‚nur‘ die negative Bedeutung ‚nicht wirklich, nicht ganz sicher, nur ausgedacht und nicht empirisch belegt‘ bzw. ‚sinnlich-physisch wahrnehmbar‘. Der zweite Teil des Textausschnittes stellt zwar an der Oberfläche den Gegenpol zum ersten Teil dar, ob er die im ersten Teil konstituierte Gefährlichkeit aber dementieren oder auch nur einzuschränken vermag, bzw. ob er das überhaupt soll, ist mehr als fraglich. Denn es liegt einerseits in der Sache begründet, dass niemand den Beweis versuchen oder es auf diesen ankommen lassen will. Andererseits ist dieser Bildung eine gewisse beruhigende Potenz (intendiert oder nicht) nicht abzusprechen. Ob diese entfaltet werden kann, liegt wiederum vollständig beim Kontext, also der Art und Weise, wie der Gehalt der beiden Sätze im weiteren Verlauf des Textes aufgegriffen wird. In Beleg [31] wird das symbiotische Motiv von Gewissheit und Ungewissheit einer Bedrohung auf einer weit über der lexikalischen und syntaktischen gespannten Ebene realisiert. Auch hier weist der kurze, aus lediglich zwei Sätzen bestehende Ausschnitt eines gesprochenen Textes eine interessante Binnenstruktur auf, die es erlaubt, ja notwendig macht, für eine detaillierte Analyse den Ausschnitt als eigenen Text aufzufassen. Als solcher betrachtet, finden sich auch hier wieder zwei Teile, die als gegensätzliche Pole für die Kohärenz des Textes sorgen. Diese beiden Textteile werden jeweils durch einen Satz dargestellt. Wieder lässt sich die Motivierung der beiden

80 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Teile umschreiben mit „Ungewissheit, Unsicherheit, kein genaues Wissen“ vs. „sichere, unzweifelhafte Gefahr(enlage)“. Bei eingehenderer Betrachtung fällt auf, dass sich diese Struktur innerhalb eines jeden der beiden Teile wiederholt, nur dass im ersten Teil das Submotiv „Ungewissheit“ dominiert und im zweiten Teil das entgegengesetzte Submotiv. Graphisch lässt sich diese Struktur folgendermaßen darstellen:

B – Bestimmtheit U – Unbestimmtheit

U Dabei weiß niemand genau, wie viele

B

von ihnen das gefährliche Vogelgrippe-Virus tragen.

B Jedenfalls die Kadaver für Spaziergänger und Naturfreunde gefährlich werden.

U

können

Abbildung 3: Exemplarisches Verhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit

Der erste Teil ‚Dabei weiß niemand genau, wie viele von ihnen das gefährliche Vogelgrippen-Virus tragen.‘ beginnt mit dem Motiv der Unbestimmtheit. Er realisiert dies auf der wortsemantischen und syntaktischen Ebene durch das Indefinitpronomen niemand und das durch dieses negierte genau wissen. Im zweiten Gliedsatz taucht dann das Adjektiv gefährlich auf, ohne jede Relativierung und ohne inhaltliche Einschränkung durch das negative Syntagma im ersten Gliedsatz. Dass es ein gefährliches Virus ist, ist sicher. Das Nichtwissen bzw. die Ungewissheit bezieht sich auf die Anzahl der Träger des Virus. Genau so aber ist die Ungewissheit keine wirkliche Relativierung der Gewissheit von Gefahr, sondern wirkt sogar verstärkend für das Gefühl einer Gefahrenlage, weil es ja angesichts einer als sicher anzunehmenden Gefährlichkeit des Virus umso schlimmer ist, nicht sicher zu wissen, wie viele Organismen ihn bereits in sich tragen. Dieses Zusammenspiel von Gewissheit und Ungewissheit der Bedrohung wiederholt sich, wie erwähnt, in modifizierter Form im zweiten Teil von [31]: ‚Jedenfalls können die Kadaver für Spaziergänger und Naturfreunde gefährlich werden.‘ Realisiert wird die Komposition aus zwei Submotiven

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satztopologisch engst möglich durch das Syntagma ‚jedenfalls können‘. Das Eigenartige dieser Bildung besteht darin, dass sie in sich ein Oxymoron darstellt, weil das Adverb, das hier semantisch in die Nähe eines Satzmodals rückt, im Widerspruch zu können steht, das seinerseits wiederum gerade eine Relativierung von gefährlich werden darstellt. Dies wird deutlich, wenn man die folgenden drei Sätze direkt miteinander vergleicht: 1. Die Kadaver werden gefährlich. 2. Die Kadaver können gefährlich werden. 3. Jedenfalls können die Kadaver gefährlich werden. Überprüft man die Sätze auf ihre Modalität im Sinne der neben die Satzaussage gestellten Einschätzung über deren Sicherheit/Wahrscheinlichkeit, ergibt sich eine Verringerung der Wahrscheinlichkeit, eine Verrückung von „sicher“ zu „möglich“ zwischen 1. und 2., und zwar durch den Einschub des Auxiliarverbs ‚können‘. Von 2. zu 3. findet durch ‚jedenfalls‘ eine entgegengerichtete modale Verschiebung statt. Stellt man sich diese Verschiebungen auf einer Modalitätsskala vor, so ergibt sich schnell die Frage nach dem quantitativen Aspekt der zweiten Verschiebung zwischen 2. und 3., d.h. die Frage, ob die zweite Verschiebung die erste aufhebt. Einer Antwort kann man sich durch eine kurze intentionalistische Überlegung nähern: Unterstellt man einen Textproduzenten, der als professioneller Verfasser von Texten der Sprache durchschnittlich bis überdurchschnittlich mächtig ist, und unterstellt man ferner, dass er mit der Konstruktion des ‚Jedenfalls können ... gefährlich werden.‘-Satzes eine modale Interpretation wie in 1. erreichen wollte, so hätte er das modale ‚können‘ einfach weggelassen, statt ‚jedenfalls‘ zu ergänzen. Weniger intentionalistisch betrachtet bleibt aber immer noch bestehen, dass der Ausdruck ‚jedenfalls‘ zum Ausdruck ‚können‘ hinzutritt, aber dessen Aussage nicht ungeschehen macht. Am ehesten eignet sich hier die Annahme von zwei modalen Ebenen, wobei erstere – repräsentiert durch ‚können‘ – den von der Wissenschaft vertretenen Kenntnisstand wiedergibt, während die zweite Ebene vom Sprecher oberhalb davon aufgespannt wird, um dem Rezipienten eine Deutung dessen nahezulegen: ‚Wenn die Wissenschaft die Möglichkeit einer Ansteckung sieht, ist das für dich auf jeden Fall gefährlich.‘ Als perlokutive Absicht kann hier ‚Pass auf!‘, ‚Sei vorsichtig beim Spazieren oder in der Natur!‘ angenommen werden, möglicherweise auch die Rechtfertigung behördlicher Zwangsmaßnahmen wie Betretungsverbote, Leinenpflicht für Hunde o.Ä. Für diese Annahme einer direkten perlokutiven Rezipientenorientierung spricht nicht zuletzt auch eine weitere in diesem Satz anzutreffende Auffälligkeit, nämlich das Vorhandensein zweier verbreiteter kultursoziologischer Charaktere: Spaziergänger und Naturfreunde. Insbesondere ersterer, der Spaziergänger, ist für den durchschnittlichen Medienrezipienten eine potentielle Identifikationsfigur, da der Usus des Spaziergangs in

82 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Park-, Wald- und Wiesenlandschaften in Deutschland weit verbreitet ist.15 Als kultursoziologischer Charakter steht der Spaziergänger für Ruhe, Kontemplation, Erholung. Er ist im Unterschied zu anderen Menschen, die sich in der Natur bewegen (Bergsteiger, Segler, im Allgemeinen sogenannte „Abenteuer-“ bzw. „Sportler“), der Natur („den Elementen“) nicht ausgesetzt, sondern zwar von ihr umfangen, aber dabei doch ganz bei sich, vielleicht in Gedanken sogar ganz woanders. Möglich ist dies, weil die Natur dem Spaziergänger keine körperlichen Anstrengungen oder geistige Aufmerksamkeit abverlangt; der Spaziergang findet in zivilisierter, kultivierter Natur statt, er ist daher absolut ungefährlich, der Spaziergänger arglos. Eine ähnliche Beschreibung gilt sicherlich für den Charakter des Naturfreundes, wobei auf jeden Fall die beiden für den Klärungszusammenhang wichtigen Eigenschaften, die schon beim Spaziergänger herausgearbeitet worden sind, vorhanden sind: Der Naturfreund ist kein Abenteurer, sondern ein Erholungssuchender, insofern ist er arglos, nicht im Bewusstsein einer Gefahr(enlage) und er ist ein vertrauter Charakter, er ermöglicht dem Rezipienten die Identifikation und eignet sich daher in erster, kommunikativer Funktion für den Textproduzenten als Möglichkeit der stellvertretenden Ansprache an den Rezipienten. Die zweite, die textsemantische Funktion der Spaziergänger und Naturfreunde (neben der durch sie vermittelten Adressierung) besteht in der Kontrastierung und damit der Hervorhebung des Motivs Gefahr. Die Gefahr, vor allem das Moment des Heimtückischen an ihr, wird umso schärfer, wenn sie in eine Sphäre der Arg- und Sorglosigkeit, der Ruhe und des Friedens (eben einer Spaziergangsszenerie) hereinbricht. Was in die heile Atmosphäre, in der sich Spaziergänger und Naturfreunde bewegen, einbricht, wird in [31] durch das Substantiv ‚Kadaver‘ repräsentiert. Dieses Lexem ist seinerseits ein extremes Bild, da es ja nicht einfach nur die Bedeutung ‚toter Körper‘ bzw. ‚Tierleiche‘ enthält, sondern – zumindest konnotativ – auch die Elemente ‚Verwesung‘ und ‚Gestank‘. Der Text [31] funktioniert also dadurch, dass seine verschiedenen prima facie vorhandenen Bestandteile gleichzeitig auf mehreren kommunikativen Ebenen relativ eigenständige Rollen ausüben, die jeweils für sich analysiert werden müssen, kommunikativ aber gerade durch deren Einheit realisiert werden.

15

Die moderne Spaziergangswissenschaft befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Spaziergang als Form der bewussten und langsamen Orientierung in der Natur und weniger mit dem Spaziergänger. Für ersteren Schwerpunkt vgl. insbesondere Burckhard 2006. Für letzteren siehe König 1996. König führt dort (S. 14 f.) aus, dass das im Spaziergang praktizierte Naturgefühl und die Naturschwärmerei darauf beruhen, dass der „Umgang mit Natur [...] an Beherrschbarkeit gewonnen, an Bedrohlichkeit verloren [hatte].“

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b) Es ist gewiss, dass das Virus gefährlich für die Gemeinschaft, für das Funktionieren gesellschaftlicher Strukturen ist In diesem Motiv existiert die Besprechung der Vogelgrippe als eigentlicher Seuchendiskurs. Die Gefährdung bzw. Schädigung des Individuums taucht nur noch als schwindendes Element eines viel größeren, bedeutenderen und damit eigentlichen Schadens, nämlich des Schadens für die Allgemeinheit auf, den das Virus verursacht. Dieser verleiht umgekehrt der individuellen Betroffenheit bzw. Gefährdung einen größeren, übergeordnete Gültigkeit beanspruchenden Interpretationsrahmen: Das Individuum wird nicht (nur) innerhalb eines Kollektivs von Betroffenen verortet, sondern vor allem innerhalb eines betroffenen Kollektivs. Konstituiert wird auf diese Weise eine kollektive Frontstellung „Wir gegen H5N1“. [32] In der Türkei sind inzwischen mindestens 14 Menschen an Vogelgrippe erkrankt, mindestens 34 weitere stehen deshalb unter Beobachtung. (DIE ZEIT, 12.01.06) [33] Insgesamt haben sich 143 Menschen in Fernost infiziert, mehr als die Hälfte von ihnen sind gestorben. In der Türkei hat das Virus vor allem Kinder befallen. Von den ersten 14 Patienten waren nur zwei älter als 20 Jahre. (DIE ZEIT, 12.01.06) [34] Die Opferstatistik jenseits der Abermillionen gekeulten Haustiere aber vermochte diese Bedrohung kaum widerzuspiegeln. 146 Infizierte, 76 Tote bisher, das scheint vielen Verantwortlichen offenbar nicht Ansporn genug, die Seuchenüberwachung zumal in den ländlichen, abgelegenen Regionen angemessen auszubauen. (FAZ, 11.01.06) Die drei Belege [32] bis [34] sind typische Beispiele für eine der wichtigsten Realisierungsformen des hier zu besprechenden Motivs der überindividuellen Dimension der Bedrohung, der Konstitution eines Kollektivsubjekts: gemeint ist die Häufigkeit und die Art des Einsatzes von Zahlen. Nur auf den ersten Blick kommt dabei den Zahlen die Rolle der Verobjektivierung des Diskurses, der Versachlichung und Substantiierung von auf ihnen beruhenden Urteilen und Einschätzungen zu. Es ist aber ihre Rolle, diesen Eindruck zu erwecken; Zahlen strahlen – zumindest einerseits – immer Objektivität aus, sie verleihen dem Zusammenhang, innerhalb dessen sie geäußert werden, den Charakter von Sachlichkeit, wenn nicht gar Wissenschaftlichkeit, ob dies einer näheren Prüfung standhielte oder nicht. Zahlen stehen – scheinbar! – für sich, und darum stehen sie immer auch für anderes, nämlich die Stellungen und Sichtweisen, die mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger intendiert immer mit transportiert werden. Betrachten wir hierfür Beleg [32] näher. Kaum ein Leser wird nach einer Introspektion leugnen können, dass die Zahlenangabe ‚mindestens 14 Men-

84 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse schen an Vogelgrippe erkrankt‘ viel erscheint, ein Gefühl des Erschreckens oder der Besorgnis auslöst. Dabei kommt der Zahlenangabe als solcher die Eigenschaft „viel“ (genauso wie „wenig“) aber gar nicht zu. Die gedachte bzw. gefühlte Kategorie viel/wenig beinhaltet immer einen Vergleich zu einer quantitativen Norm, an dem gemessen eine Abweichung nach oben oder unten festgehalten wird. ‚Besorgniserregend‘ oder das Gegenteil ist dann die Reflexion dieser Abweichung auf die Perspektive einer daraus gefolgerten Schadensmöglichkeit, -wahrscheinlichkeit oder -unwahrscheinlichkeit. Kein medizinischer bzw. seuchenbiologischer Laie wird aber bei dieser Zahlenangabe in der Lage sein, eine wissenschaftliche Norm, einen epidemiologisch begründeten Maßstab für ‚viel‘ bzw. ‚wenig‘ angeben zu können. Und noch nicht einmal ein Fachmann könnte hier wirklich einen fundierten Vergleich der genannten Art anstellen, weil eine dafür unbedingt notwendige Information völlig fehlt: Die Angabe des Zeitraumes, innerhalb dessen die 14 Menschen an der Vogelgrippe erkrankt sind. Die Wirkung dieser Angabe beruht darauf, dass der Maßstab implizit mitgeliefert wird. Man hat es hier mit dem Phänomen zu tun, dass sich eine Aussage selbst ihren eigenen Interpretationsrahmen schafft. Wie geschieht dies in dem hier betrachteten Beleg [32]? Zunächst wirkt hier das Prinzip wechselseitiger Unterstellung von Relevanz an beiden Polen eines Kommunikationsprozesses. Mit dem auf Grice16 zurückgehenden Kooperationsprinzip lässt sich Folgendes als plausibel annehmen: So wie der Produzent die Relevanz des von ihm mitgeteilten Kommunikationsinhaltes für den Rezipienten vermuten muss, so wird letzterer in der Regel immer davon ausgehen, dass der Produzent genau diese Vermutung hat, also dass der mitgeteilte Inhalt für ihn als Rezipienten von Bedeutung sein wird, weil der Produzent ihn sonst nicht an seine Adresse gerichtet hätte.17 Bezogen auf eine Zahlenangabe innerhalb eines Seuchendiskurses heißt dies, dass die Mitteilung einer solchen Angabe für die Bestimmung der Virulenz und der potentiellen Betroffenheit von Bedeutung ist; ihre Äußerung unterstellt und produziert zugleich diese Relevanz. Ohne den in Kapitel III dieser Arbeit zu entwickelnden Überlegungen vorgreifen zu wollen, lässt sich hier doch schon so viel festhalten: Relevanz, die ihrerseits einen bestimmten Interessensstandpunkt, ein bestimmtes Meinen und Wollen unterstellt,

16 17

Vgl. hierfür Grice 1989. Wir können hier von einer pragmatischen Präsupposition sprechen. Nach Stalnaker 1975: „[...] the basic presupposition relation is not between propositions and sentences, but between a person and a proposition.“ Diese pragmatische Relation wird uns weiter unten noch einmal ausführlich beschäftigen (Abschnitte 2.3.1 „Angstabbau/Angstbewältigung durch Thematisierung der Angst“ und 2.3.2 „Angstabbau/Angstbewältigung durch Relativierung/Leugnung von Gefahr“), wenn es um ihre Bedeutung für die Problematik der Angstbewältigung geht.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

85

ist nicht notwendigerweise eine dem Sprachproduktionsakt bzw. Kommunikationsakt vorausgesetzte Kategorie; Kommunikationsakte können diese Relevanz selbst erzeugen, also den Rezipienten selbst konstituieren. Im Folgenden wird für dieses Phänomen eines im Diskurs selbst erst konstituierten Teilnehmers der Terminus Diskurscharakter verwendet. Es wird Aufgabe von Kapitel III sein, die Annahme von Diskurscharakteren in eine allgemeinere Erörterung des diskurstheoretischen Entwurfes einzubetten. In Beleg [32] wird diese allgemeine Form der Selbst-Interpretation der eigentlichen quantifizierenden Satzaussage noch durch zwei Mittel auf lexikalischer und syntaktischer Ebene verstärkt: Erstens findet man eine Temporalbestimmung mittels des Adverbs ‚inzwischen‘. Durch dieses Adverb wird ein Prozess gekennzeichnet, dessen Beginn vom Zeitpunkt der Sprachäußerung her betrachtet in der Vergangenheit liegt, bis jetzt andauert und in die Zukunft hin offen ist.

Beginn der Ansteckung in der Vergangenheit.

Bis jetzt Ansteckung von mindestens 14 Menschen.

Weiterer Verlauf bleibt offen.

Mit der adverbialen Bestimmung ‚inzwischen‘ wird die „reine“ Zahlenangabe in eine Perspektive eingebettet, in welcher sie sofort als bloß vorläufig, als bloßer Teil einer darüber hinausgreifenden, genauer: darüber hinausgreifend gedachten Entwicklung erscheint. Die Mitteilung von 14 Ansteckungsfällen gerät so zur Präsentation eines Anfangs, eines Vorboten. Die eigentliche Substanz dieser Zahlenangabe besteht so in dem, was sie selbst nicht ist, in ihrer eigenen Negativität, dem Verschwinden der 14 Krankheitsfälle in einer mit ihr den Anfang nehmenden Katastrophe viel größeren, darin aber gar nicht weiter quantitativ bestimmbaren Ausmaßes. Eine ähnliche Wirkung erzielt hier ein anderes Adverb, nämlich das quantifizierende Adverb ‚mindestens‘. Auch diese Ergänzung wirkt durch das eigentümliche Ineinandergreifen von objektiver, exakter Bestimmtheit und ihrem Gegenteil. Denn mit ‚mindestens‘ wird ja nicht einfach ausgedrückt, dass es auf jeden Fall nicht weniger als 14 Erkrankungen gibt, sondern auch hier wird eine Perspektive eröffnet: mehr als 14. Was die temporale Angabe ‚inzwischen‘ an äußerer Offenheit des Prozesses der Krankheitsverbreitung eröffnet – man weiß nicht, ob und bei wie vielen Ansteckungen er enden wird – das eröffnet die Ergänzung ‚mindestens‘ sozusagen an innerer Unbestimmtheit mit allerdings eindeutiger Tendenz – man weiß auch über den Verlauf nicht, ob er bloß so viele oder vielleicht viel mehr Ansteckungen umfasst. In diesem Zusammenhang ist auch Beleg [34] eine eingehende Diskussion wert. Es findet sich hier eine weitere Form, in der mit einer Zahlenan-

86 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse gabe zugleich eine quantitative Unschärfe erzeugt wird: der Einsatz des ein wenig archaisch anmutenden Zahlwortes ‚Abermillionen‘. Diese Bildung ist ein Kompositum aus dem Plural des mathematisch definierten Zahlwortes Million mit der Bedeutung 106, was im Plural dann dem Term x × 106 (wobei x eine natürliche Zahl vorstellt) entspricht, und dem Morphem aber.18 Die illokutive Dimension dieses Zahlwortkompositums innerhalb seiner Äußerungsumgebung ist also wie schon oben nicht einfach die eigene Interpretation im Sinne von viel, sondern weitergehend von bedrohlich. Die Dimension produziert so auch hier die Substanz, die sie zugleich dimensioniert: In keinem anderen Zusammenhang ist dem durchschnittlichen Rezipienten die sieben- oder achtstellige Größenordnung von toten Nutzvögeln und anderen als bedrohlich oder grausam geläufig.19 Mit der Konstruktion ‚Abermillionen gekeulter Haustiere‘ ist aber genau dies geleistet: die Einbettung in eine Perspektive, die diese Haustiere als Teil eines vom Standpunkt des Individuums übergroßen Bedrohungsszenarios konstituiert. Zugleich ist Beleg [34] auch in anderer Hinsicht interessant. Innerhalb dieses Textausschnittes wird nämlich das eigentümliche Verhältnis quantitativer Angaben – mögen diese nun genau oder ungenau sein – zu den daraus zu gewinnenden bzw. von ihnen produzierten Interpretationen bzw. Interpretationsrahmen selbst thematisiert: Wenn es heißt ‚Die Opferstatistik jenseits der Abermillionen gekeulten Haustiere aber vermochte diese Bedrohung kaum widerzuspiegeln‘, dann wird einerseits relativiert bzw. problematisiert, dass aus den Zahlen (den gekeulten Haustieren wie den erkrankten bzw. an der Krankheit gestorbenen Menschen) tatsächlich mit einer objektiven, überprüf- und nachweisbaren Unabweislichkeit folgt, dass die zahlenmäßig gekennzeichneten Dimensionen den Charakter einer Bedrohung haben. Allerdings ist in der Formulierung dieses Zweifels seine eigene Zurückweisung unmittelbar enthalten. Denn in der Aussage, dass die Opferstatistik es nicht vermag, die Bedrohung widerzuspiegeln, ist die Präsupposition20

18

Wortbildungsmorphologisch ist das Morphem aber hier als unfrei anzusehen, weil es in seiner freien Variante als Adverb so nicht mehr gebräuchlich ist. Es kommt nur noch in komponierten Bildungen vor und schwankt dort semantisch zwischen der ursprünglichen Bedeutung, nämlich der Kennzeichnung einer Wiederholtheit, Vielzahligkeit, Überzahligkeit (so auch in der hier zu besprechenden Bildung Abermillionen) und der später darüber getretenen Bedeutungsfärbung in Richtung Unmäßigkeit, Übermäßigkeit, Falschgerichtetheit, Abweichung (vgl. Aberwitz, Aberglaube). (vgl. hierfür Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 1996 und Deutsches Wörterbuch, online-Ausgabe, http:// germazope.uni-trier.de/Projects/DWB) 19 Bei einem Geflügelfleischverbrauch von 10,5 kg pro Kopf der deutschen Bevölkerung im Jahre 2005 (nach: Deutscher Fleischerverband) ist leicht auszurechnen, wie viele Vögel dafür sterben bzw. getötet werden müssen. 20 Präsupposition hier im Sinne einer semantischen Präsupposition: “[...] one sentence presup-

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87

zwingend enthalten, dass das Objekt der Widerspiegelung – eben die Bedrohung – getrennt davon existiert. Quasi folgerichtig wird im nächsten Satz das Auseinanderfallen der Statistik einerseits und der darin bereits enthaltenen bzw. von ihr widergespiegelt werden sollenden Interpretation und der wiederum daraus zu gewinnenden praktischen Maßnahmen thematisiert: ‚146 Infizierte, 76 Tote bisher, das scheint vielen Verantwortlichen offenbar nicht Ansporn genug, die Seuchenüberwachung zumal in den ländlichen, abgelegenen Regionen angemessen auszubauen.‘ In dieser Äußerung bekommt die Produktion des Interpretationsrahmens aus dem Interpretierten selbst noch die zusätzliche Seite des Kampfes um die Interpretationshoheit innerhalb des gesellschaftlichen Seuchendiskurses. Aus diesem Grund wird uns diese Belegstelle weiter unten als Beispiel für das Submotiv ‚Der Mensch als Teil der Bedrohung‘ noch einmal beschäftigen. Es finden sich in den nächsten beiden Belegen über die bloße Numeralisierung hinausgehende Formen der Konstitution einer überindividuellen Betroffenheit, auch wenn die oben untersuchten Formen hier nicht verschwunden bzw. ihrer kommunikativen Wirksamkeit nicht beraubt sind, sondern ergänzt werden. [35] Die größte Gefahr – eine weltweite Pandemie. Wäre das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar, dann könnte es nach Ansicht des Mikrobiologen Alexander Kekulé auch in Deutschland zu zahlreichen Opfern kommen. „Es ist im schlimmsten Fall, dass von den Kranken ungefähr 5 bis 10 Prozent sterben könnten. Und es ist möglich, dass ungefähr ein Drittel der Bevölkerung erkrankt. Das wäre also eine sehr hohe Zahl. Das kann sich jeder selber ausrechnen.“ Eine Zahl in Millionenhöhe halten andere Wissenschaftler für zu hoch. Das Grundsatzproblem bei einer Pandemie bleibt aber. Es gibt kaum Gegenmittel. (TAGESTHEMEN, 11.01.06) [36] Nur wenn die genetische Beschaffenheit des H5N1-Virus so verändert wäre, daß eine Ansteckung nicht nur von Tier zu Mensch, sondern auch von Mensch zu Mensch erfolgen kann, bestünde eine große Gefahr für die Allgemeinheit, und es würde überall auf der Welt „Pandemiealarm“ ausgelöst, unabhängig davon, wo die ersten Fälle aufgetreten sind. Modellrechnungen haben ergeben, daß allein in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen an einem Pandemievirus erkranken und viele zehntausend Menschen ihm erliegen könnten. (FAZ, 11.01.06)

poses another just in case the latter must be true in order that the former have a truth value at all.” (Stalnaker 1975, S. 31)

88 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse In [35] wird zunächst die Gefahr einer weltweiten Seuche, Pandemie, beschworen. Das in der Superlativform stehende Adjektiv ‚größte‘ wirkt hier bei genauerem Hinsehen anders als in der unmittelbaren semantischen Hinsicht der höchsten Steigerung. Diese könnte man mit der Explizierung der Implikation folgendermaßen näher fassen. Es gibt mehrere Gefahren. Eine davon ist die Pandemiegefahr. Dies ist nicht die einzige Gefahr. Es gibt auch andere Gefahren. Die anderen Gefahren sind kleiner. Aus dem Kontext geht jedoch hervor, dass der Textproduzent etwas anderes zum Ausdruck bringen will, als den quantitativen Vergleich der verschiedenen Gefahren, weil er auf diesen im Weiteren dann gar nicht mehr eingeht. Mit dem überschriftartigen Satz ‚Die größte Gefahr – eine weltweite Pandemie‘ wird die weltweite Pandemie nicht als größte, sondern als Gefahr schlechthin konstituiert. Diese wird dem Rezipienten als Gegenstand seiner Sorge vor- und nahegelegt. Wenn man nämlich wiederum vom Prinzip des common ground der Kommunikationsteilnehmer21 ausgeht, sind die diesem Satz folgenden Textteile in kommunikativer Hinsicht nur dann sinnvoll und relevant, wenn sich Textproduzent und Textrezipient darin einig sind, dass der Fall einer weltweiten Pandemie der Gegenstand der Sorge bzw. Angst ist. Verharrt der Rezipient auf dem Standpunkt eines womöglich betroffenen Individuums, so sind die folgenden Aussagen für ihn nur höchst bedingt interessant. Die Charakterisierung der eigentlichen Gefahr als weltweite Pandemie verortet zugleich den Rezipienten somit innerhalb eines dieser Gefahr adäquaten, nämlich gleich dimensionierten überindividuellen, kollektiven Subjekts. Wichtig ist hier zweierlei: Erstens, dass diese Konstituierung eines kollektiven Subjekts ohne dessen explizite sprachliche Realisierung auskommt; zumindest ist diese für den Konstitutionsakt nicht notwendig, auch wenn es hinterher – wie weiter unten zu zeigen sein wird – dann doch genannt wird. Zweitens, dass man es hier wieder damit zu tun hat, dass ein Kommunikationsakt sich seinen Rezipienten erzeugt, also einen Diskurscharakter, der dem Wirklichkeitsausschnitt Nation bzw. Volk einer Nation zu entsprechen scheint. Darauf wird in Abschnitt 2.2 anhand der Belege [76] bis [81] ausführlich einzugehen sein. Diese Überlegungen können auch dazu beitragen, den kommunikativen Sinn und die Kohärenz der noch folgenden Äußerungen innerhalb des Beleges [35] zu erhellen. Der zunächst über den „Umweg“ der Charakterisierung der eigentlichen Gefahr konstituierte Rezipientenstandpunkt eines

21

Vgl. Punkt 2.1.2 b) „Es ist gewiss, dass das Virus gefährlich für die Gemeinschaft, für das Funktionieren gesellschaftlicher Strukturen ist“. Außerdem Grice 1989 und Levinson 1992.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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kollektiven Subjekts wird danach explizit: ‚Wäre das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar, dann könnte es nach Ansicht des Mikrobiologen Alexander Kekulé auch in Deutschland zu zahlreichen Opfern kommen.‘ Der nationale Gesichtspunkt Deutschlands bzw. das kollektive, näher: nationale Subjekt Deutschland ist der von der Vogelgrippe eigentlich Betroffene. Die individuelle Betroffenheit jedes in Deutschland Ansässigen wird damit zum bloßen Unterfall, der in sich keinerlei Relevanz hat: „Es ist im schlimmsten Fall, dass von den Kranken ungefähr 5 bis 10 Prozent sterben könnten. Und es ist möglich, dass ungefähr ein Drittel der Bevölkerung erkrankt. Das wäre also eine sehr hohe Zahl. Das kann sich jeder selber ausrechnen.“22 Für ein Individuum in seiner Betroffenheit bzw. Exponiertheit gegenüber Ansteckungs- und Todesgefahr ist es damit unerheblich, ob es der einzige Krankheitsfall oder Teil einer großen Krankheitswelle ist. Zahlenangaben wie ‚ungefähr 5 bis 10 Prozent‘ und ‚ein Drittel der Bevölkerung‘ sind nur vom Standpunkt einer größeren und darin notwendigerweise immer auch irgendwie abstrakten Einheit her relevant.23 Dieser Standpunkt einer höheren Einheit wird nicht verlassen oder bestritten, sondern er bleibt auch in entgegengesetzten Äußerungen erhalten: ‚Eine Zahl in Millionenhöhe halten andere Wissenschaftler für zu hoch.‘ Deutlich wird diese Konstitution eines übergeordneten Standpunktes ebenso in Beleg [36]: Auch hier wird der Rezipient nicht so angesprochen, dass etwa dafür argumentiert würde, den Standpunkt der Allgemeinheit einzunehmen, sondern von diesem ausgehend erfolgen die Aussagen: ‚Nur wenn die genetische Beschaffenheit des H5N1-Virus so verändert wäre, daß eine Ansteckung nicht nur von Tier zu Mensch, sondern auch von Mensch zu Mensch erfolgen kann, bestünde eine große Gefahr für die Allgemeinheit ...‘ Die für ein anderes Subjekt als ‚die Allgemeinheit‘ gefährliche Lage auch die

22 Im Übrigen findet sich auch hier wieder das schon weiter oben besprochene Phänomen der Explizierung der Illokution: Der zitierte Wissenschaftler verlässt sich nicht auf den lokutiven Akt, die Nennung der Zahlen, sondern liefert die von ihm beim Rezipienten angestrebte Sicht darauf gleich selbst: „Das wäre also eine sehr hohe Zahl.“ Und wieder findet sich eine für solcherart Metaäußerungen offenbar häufige Widersprüchlichkeit: Um die Illokution sicher zu stellen, charakterisiert er sie als aus der vorhergehenden Mitteilung quasi von selbst folgend: „Das kann sich jeder selbst ausrechnen.“ Damit steht aber die Äußerung in – wenn man so will – pragmatischer Widersprüchlichkeit mit sich selbst: Wenn sich das nämlich jeder selbst ausrechnen könnte, warum rechnet er es erstens vor und zweitens, warum äußert er, dass es sich jeder selbst ausrechnen kann? (Für das hier hineinspielende Problem des Verhältnisses zwischen Wissen und Wissenszuschreibung vgl. vor allem Abschnitt 1.2 in: Kompa 1999.) 23 Das liegt am Charakter dieser Zahlenangaben: Diese benennen keine wirklichen, absoluten Mächtigkeiten, sondern relative: Wie groß ist ein bestimmter Anteil gemessen am Ganzen? Es steht bei diesen Aussagen also auch nicht das Ausmaß des Schreckens im Vordergrund, sondern die (möglichen) Wirkungen auf das Ganze.

90 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Gefahr vor der Mutation des Virus, die es von Mensch zu Mensch übertragbar macht, wird in diesem Beitrag dadurch als absolut irrelevant gesetzt, dass eine Erörterung oder auch nur Benennung dieser potentiellen Gefahren und Schäden gar nicht erst vorgenommen wird. Lediglich (‚nur‘ ) der Schaden für die Allgemeinheit ist relevant und deshalb sind dessen Bedingungen bzw. Verlaufsformen zu erörtern. Zugleich findet auch hier eine substantielle Fassung des kollektiven Subjekts statt, wenn auch wiederum in eigenartiger Form: In dem Nebensatz ‚daß allein in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen an einem Pandemievirus erkranken und viele zehntausend Menschen ihm erliegen könnten‘ wird mit dem Adverb ‚allein‘ zwar ein Ausmaß von Krankheits- und Todesfällen angedeutet, das über Deutschland weit hinausgeht, von dem die hochgerechneten deutschen Krankheits- und Todesfälle ihrerseits ein bloßer Teil sind, aber eben im Unterschied zum Verhältnis Individuum – Deutschland kein irrelevanter, schwindender Teil, sondern der wiederum einzig relevante: Zwar wird klargestellt, dass ‚mehrere hunderttausend‘ Erkrankungen und ‚viele zehntausend‘ Tote nur ein Teil der weltweiten Zahlen an potentiellen Kranken und Todesopfer sind, wie hoch diese jedoch liegen, wird nicht thematisiert. Der als Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit dieses Diskursausschnittes notwendig unterstellte gemeinsame Standpunkt von Rezipient und Produzent wird durch seine Abgrenzung nach „unten“ – vom individuellen Standpunkt – und „oben“ – vom Standpunkt eines betroffenen „Weltkollektivs“ – konstituiert. Inbegriffen ist darin auch eine quasi en passant erfolgende Aufstellung von Maßstäben, die innerhalb des Ganzen zu gelten haben bzw. per se gelten. Diesen Maßstäben ist das Individuum unterworfen, d.h. nur relativ zu ihnen kann seine Gefährdung, sein potentieller Schaden Aufmerksamkeit und Interesse beanspruchen: [37] Untersuchungen über schwere wirtschaftliche Folgen einer Vogelgrippe-Pandemie sind bisher daher theoretische Berechnungen, deren neueste ein australisches Institut vorlegte. Danach drohen bei einer Vogelgrippe-Pandemie weltweit 140 Millionen Menschen zu sterben. Im schlimmsten Fall wird eine solche Krankheitswelle zudem einen wirtschaftlichen Schaden von 3,7 Billionen Euro anrichten. Zu diesem Ergebnis kommt das australische Lowy-Institut für Internationale Politik. Für seine Szenarien nutzte das Institut Erfahrungswerte früherer Grippe-Pandemien und der Verbreitung der tödlichen Lungenkrankheit Sars im Jahr 2003. Die Weltbank hat die Kosten einer Pandemie vor einem halben Jahr auf 800 Milliarden Dollar geschätzt. (FAZ, 17.02.06) [38] Kooths wandte sich ausdrücklich gegen die Berechnung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), daß Deutschland im Falle einer von der Vogelgrippe ausgelösten

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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menschlichen Grippe-Epidemie mittleren Ausmaßes in eine Rezession abrutschen würde. Das RWI hatte mitgeteilt, daß 100000 mögliche Tote einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2 Prozentpunkte bedeuten würden. „Solch eine Rechnung ist völlig beliebig und schürt nur die Panik“, kritisierte Kooths. (FAZ, 21.02.06) In diesen beiden Belegen verschwindet das Individuum nicht nur in der durch die gewaltigen Zahlen (‚weltweit 140 Millionen Menschen‘, ‚100000 mögliche Tote‘) gekennzeichneten schieren Masse der menschlichen Opfer. Vielmehr wird der eigentlich relevante Schaden, den das Kollektiv bzw. das Ganze erleidet, in eine davon getrennte Substanz verlagert: die Sphäre der ökonomischen (Vorteils-)Berechnungen und des Geldes. In dem Satz aus Beleg [38], ‚daß 100000 mögliche Tote einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2 Prozentpunkte bedeuten würden‘ werden die Toten zunächst durch die pure Zahl entindividualisiert, vermasst. Dann wird ihnen in dieser Vermasstheit die eigentliche Bedeutung und Wichtigkeit zugeschrieben: dass sie nämlich ‚einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2 Prozent‘ verursachen würden. Diese Sichtweise wird dann im nachfolgenden Zitatsatz aufgegriffen und bekräftigt, in dem es darum geht, dass die Rechnung nicht etwa deswegen abzulehnen ist, weil hier der Tod von Menschen nur noch daraufhin begutachtet wird, welche Wirkung dieser auf das Bruttoinlandsprodukt hat, sondern weil sie ‚völlig beliebig‘ sei. Auch hierin ist enthalten, dass – wenn die Rechnung stimmte – damit übereinzustimmen sei, dass nicht ,100000 mögliche Tote‘ der Grund für ‚Panik‘ sein könnten, sondern der ‚Rückgang des Bruttoinlandsprodukts.‘ Das Gleiche wird in Beleg [37] durch eine Steigerungssequenz zweier nacheinander angeordneter Sätze erreicht. Zunächst wird wiederum eine durch ihre pure Größe beeindruckende Zahl möglicher Opfer erwähnt (‚140 Millionen‘). Die Einordnung dieses Szenarios eines weltweiten massenhaften Sterbens, d.h. seine Deutung im Sinne des übergeordneten Gesichtspunktes erfolgt sodann in Form eines Vergleiches: Der sich anschließende Satz ‚Im schlimmsten Fall ...‘ beinhaltet die Aussage, dass die vielen Millionen Toten an und für sich nicht so schlimm seien, wie der zudem auch noch eintreten könnende wirtschaftliche Schaden, der dann als abstrakte Geldgröße angegeben wird. In beiden Belegen ist für die Transzendierung des Standpunktes von der Individualität zur Kollektivität sowie der Substanz von Leben/Gesundheit zu in Geld ausdrückbarem Volkswirtschaftsinteresse gerade das Nebeneinander erforderlich. Der Rezipient, der zunächst immer ein Einzelner ist und in den Kategorien individueller Lebenserhaltung denkt, kann nur dann als Teil des Kollektivsubjekts denken und sich diskursiv verhalten, wenn ihm die „Rückübersetzung“ des ihm zunächst bloß abgeforderten überindividuellen, volkswirtschaftlichen und ausschließlich in abstrakten

92 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Geldgrößen überhaupt darstellbaren Standpunktes möglich ist. Um als Individuum in der Lage zu sein, das eigene individuelle Schicksal in Kategorien und Rastern einer übergeordneten kollektiven „Vernunft“ deuten zu können, muss man umgekehrt in der Lage sein, letztere in den Kategorien und Raster, die sich einem als Individuum eignen, zu deuten. Keine Erwähnung oder Erörterung wirtschaftlicher Aspekte einer Epidemie oder Pandemie kommt daher – wie an den Belegen nachweisbar – ohne parallele Schilderung von Konsequenzen bzw. Szenarien aus, die für das Individuum relevant und überhaupt fassbar sind. Die Aussage Öffentliche Kommunikation unterstellt ein bestimmtes Publikum, das Adressat und Träger der Kommunikationen ist. Im Bereich der politischen Kommunikation im weiteren Sinn setzen öffentliche Diskurse in nationalen Massenmedien in der Regel unhinterfragt und unthematisiert voraus, dass sich diese Debatten in einer nationalen Öffentlichkeit abspielen, also ein nationales Publikum Träger solcher Diskurse ist. Dabei wirken in der Regel bestimmte Formen kultureller Gemeinsamkeit und kollektiver Identität als unterstellter oder faktisch geteilter Hintergrund, beispielsweise selbstverständliche Bezugnahmen auf geteilte historische Erfahrungen [...] (Schulz/Weßler 2005, S. 365)

erweist sich daher nur zum Teil als stichhaltig. Denn so richtig es ist, dass das Publikum in den jeweiligen Diskursen in bestimmten Eigenschaften unterstellt ist, so sehr ist dieser unterstellte Charakter des Publikums eben auch Produkt und eben auch Thema von massenmedialen Diskursen; von ‚unthematisiert‘ kann in diesem Zusammenhang eben gerade nicht gesprochen werden. Interessant ist die Beobachtung, dass sich der Konstituierung des Diskurscharakters Deutschland bzw. Wir Deutschen andere Beiträge innerhalb dieses Diskurses anscheinend ohne Schwierigkeit zuordnen lassen, die wissenschaftlich nicht nur, aber vor allem im Rahmen psychologischer bzw. soziologischer Forschung im Bezug auf Gruppendynamiken, Massenphänomene, nationale Kollektive usw. vielfach beschrieben worden sind. Betrachten wir dafür noch einmal die Belege [32] bis [34] und stellen ihnen einige weitere zur Seite: [39] So war das in Asien, wo an dem hochansteckenden Virus bereits viele Menschen gestorben sind. (TAGESSCHAU, 24.02.06) [40] Zwar sind in Asien und der Türkei bereits 92 Menschen an dem Erreger verstorben. Doch das lag dabei am engen Zusammenleben mit dem erkrankten Federvieh. (DER SPIEGEL, 25.02.06) Sowohl den Belegen [32] bis [34] als auch den beiden letzten ist der enge Zusammenhang zwischen Konstituierung des Diskurscharakters eines Kollektivs im Sinne einer in-group24 und der Konstituierung einer feindlichen Umwelt

24 Gemeint ist hier der soziologische Terminus, der eine Gruppe bezeichnet, der man sich

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zu entnehmen. Die Betroffenheit des Kollektivs, als dessen Teil sich der Rezipient ebenso verstehen soll, wie es die Produzenten der jeweiligen Beiträge tun, erschöpft sich nämlich offensichtlich nicht in der Gefahr, die das Virus H5N1 darstellt. Anscheinend integraler Bestandteil der Gefährlichkeit des Virus scheint seine fremde Herkunft zu sein. Unter der theoretischen Perspektive der Konstitution eines kollektiven Diskurscharakters durch seine Abgrenzung von Anderem lässt sich der diskursive bzw. kommunikative Gehalt der in den Belegen vielfach vorhandenen Lokative einigermaßen schlüssig interpretieren. Die Angaben über den Ort des grausamen bzw. gefährlichen Geschehens erfüllen damit die Funktion einer Verortung der Gefahr, des Gegners außerhalb des positiv konstituierten Kollektivs. Für diese Annahme spricht auch die – vom seuchenwissenschaftlichen Standpunkt her – teilweise inadäquate Art und Weise der lokalen Verankerung des Krankheits- bzw. Ansteckungsgeschehens. So ist an und für sich die Lokalbestimmung ‚(in) Asien‘ angesichts der geografischen Ausdehnung dieses Kontinents als nähere, erläuternde Ausführung schlicht untauglich, vielmehr steht sie für den (noch) großen Abstand zu uns. Gleichzeitig wird – gerade in der Abfolge bzw. Wiederholung solcher Äußerungen – umgekehrt Asien nicht nur zu dem Fernen, dann Fremden, sondern in der Fremdheit Gefährlichen, was sich rückwärts darin zeigt, dass das H5N1-Virus („ausgerechnet“) dort seinen Ursprung hat und von dort auf uns zu kommt. Dieses Submotiv der näher rückenden Gefahr wird sprachlich auch explizit realisiert, wie folgenden Belegen zu entnehmen ist: [41] Das heißt, das Virus hat den europäischen Teil der Türkei erreicht und rückt uns näher. (TAGESTHEMEN, 09.01.06) [42] Das Virus kommt näher [Titel] (DIE ZEIT, 12.01.06) [43] Das Virus rückt näher [Titel] (FAZ, 16.02.06) Wie weiter oben schon mehrfach diskutiert, spielt auch in diesen Belegen das Wechselverhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit eine überragende Rolle bei der Entfaltung des kommunikativen Sinnes der Texte bzw. Textausschnitte. Vor allem in den beiden letzten Belegen wird explizit nur die Tendenz, diese dann aber eindeutig, genannt. Das Gefühl der Bedrohung kommt gerade aus der Konstruktion einer Gefahr, die „irgendwo da draußen“, „dahinten in Asien“ nicht mehr nur lauert, sondern anscheinend auf uns zu kommt. Besonders auffällig ist die Wechselseitigkeit des Verhältnisses zwischen fremd und gefährlich in Beleg [41]. Aus der Perspektive einer möglichst wissenschaftlichen Gefahreneinschätzung ist nämlich die Unterschei-

zugehörig fühlt und mit der man sich identifiziert, deren Mitglieder sich also zusammengehörig fühlen und zu einander loyal verhalten. Vgl. hierfür den Eintrag „Eigengruppe“ in: Lexikon der Soziologie 1994.

94 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse dung zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Türkei nur sehr bedingt interessant, wenn man allein schon bedenkt, dass die eine Stadt Istanbul auf bzw. zwischen beiden Kontinenten liegt. Tatsächlich wirkt die geografische Scheidelinie zwischen Europa und Asien gerade nicht als eine natürliche Ausbreitungsbarriere (wie dies z.B. ein weit ausgebreitetes und sehr hohes Gebirge oder ein Ozean wäre), eine Motivierung aus dieser Überlegung heraus ergibt sich also nicht. Es bleibt daher als plausible Interpretation für die Erwähnung des ‚europäischen Teils‘ der Türkei nur das darin mitgedachte Muster hier – dort, oder in personifizierter Variante wir – die. Bemerkenswert an diesem Aspekt der diskursiven Rolle der Angsterzeugung ist das scheinbare Missverhältnis zur Verwissenschaftlichung nicht nur des Denkens über Seuchen, sondern auch des öffentlichen Diskurses über sie, in den die Erkenntnisse wissenschaftlicher Seuchenforschung doch Einzug gehalten haben. Anscheinend, so kann an dieser Stelle eine erste Vermutung lauten, ist ein medialer Diskurs über eine Seuche in seiner Struktur nur bedingt vom Stand der Forschung beeinflusst.25 Dinges bemerkt dazu allgemein, dass sich das von ihm untersuchte Raster der Beschreibung der ‚Athener Pest‘ von 430 v. Chr. durch den griechischen Historiker Thukydides, also historisch weit vor der ‚bakteriologischen Revolution‘,26 auch in heutigen Seuchendiskursen wiederfindet,27 also nach immerhin über 100 Jahren bakteriologischer und virologischer Forschungsgeschichte. Und auch konkreter bezogen auf das oben diskutierte Phänomen, dass die Konstitution der Gefährlichkeit des Vogelgrippevirus für ein im Mediendiskurs konstituiertes Kollektiv (und potentiell: kollektives Opfer) mit der Beschreibung des Virus als fremd, von außen kommend zusammenfällt, lässt sich eine erstaunliche Invarianz der Diskursraster über viele Jahrhunderte feststellen: Gegen „ein anfängliches Bild von Frieden und Geschütztheit“28 wird das Bild einer von außen hereinbrechenden Krankheit gesetzt. Damit ist narratologisch bereits alles, was von außen hereinkommt, als etwas Fremdes markiert; das gilt erst recht für alles, was schädliche Wirkungen erzeugt. Diese Position des fremden Ansteckungsträgers lässt sich nun diskursiv nach den jeweils gegebenen politischen, konfessionellen und sozialen Gegebenheiten auffüllen. (Dinges 2004, S. 84)

25

Dieser Gedanke wird im Kapitel III erneut aufgegriffen werden. Dort wird es um die Schlussfolgerungen für eine Theorie medialer Diskurse gehen. 26 Dieser Begriff steht für den qualitativen Sprung, den die medizinische Forschung und im Nachgang das allgemeine Konzept über Seuchen im 19. Jahrhundert gemacht hat. 27 Vgl. hierfür Dinges 2004, S. 78 ff. 28 Dinges 2004, S. 84. Zum Topos von „Frieden und Geschütztheit“ siehe auch die Bemerkungen zur Verwendung des kultursoziologischen Charakters des Spaziergängers als potentielles Opfer einer Ansteckung.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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Im modernen Seuchendiskurs nehmen dann die mehr oder weniger geografisch spezifizierten, eher der physischen oder eher der politischen Geografie entnommenen Kategorien wie Asien, Fernost, Russland, China usw. den gleichen Platz ein, den in früheren Zeiten die fremden Kaufleute, die Seefahrer u.ä. soziale, politische oder religiöse Charaktere innehatten.29 Dieses Festhalten an überkommenen Diskursmotiven muss dabei keineswegs mit einem Leugnen oder auch nur Ignorieren moderner Erkenntnisse der Medizin einhergehen, vielmehr werden diese letztere in das Motiv eingebaut und dienen mitunter sogar als Mittel zu dessen Realisierung. Dies soll am nächsten Beleg kurz skizziert werden: [44] Noch ist nicht genau geklärt, wie das Vogelgrippevirus H5N1 auf die Insel Rügen gekommen ist. Wo der Erreger ursprünglich aber herstammt, wissen die Wissenschaftler des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit. Ende April 2005 hatte es am QinghaiSee in Zentralasien ein Massensterben von Wildvögeln gegeben. (...) Alle Indizien sprechen dafür, daß der Erreger erst vor kurzem eingeschleppt wurde. Einer der auf Rügen tot aufgefundenen Singschwäne war in Lettland beringt worden. Singschwäne brüten im Norden Rußlands. Dort sind sie womöglich mit bereits infizierten Zugvögeln zusammengetroffen. Das Virus könnte so (...) in die westliche Population übergeschwappt sein. Möglich sei aber auch, daß Höckerschwäne (...) das Virus über eine sehr große Entfernung transportiert haben. Das trauten ihnen die Wissenschaftler bislang nicht zu. (FAZ, 18.02.06) Alle seuchenwissenschaftlichen Angaben dienen dem diskursiven Motiv bzw. Submotiv der Konstitution des Erregers als aus der Fremde kommend. Die Erkenntnisse selbst machen es gar nicht zwingend, so über sie zu schreiben. Ihnen könnte genauso gut entnommen werden, dass die Anwendung politisch-geografischer Unterscheidungen (‚Lettland‘, ‚Norden Russlands‘ usw.) und sogar physisch-geografischer Gegebenheiten auf Überlegungen zu bzw. den praktischen Umgang mit der Ausbreitung des H5N1-Virus untauglich sind. Dies geschieht aber nicht, sondern die Konzeptualisierung der Seuche erfolgt gemäß dem Motiv der Gefahr aus der Fremde. Der Fakt, den man nach Belieben genauso gut in der Weise deuten könnte, dass der Umstand großer, über weite Strecken fliegender Zugvogelpopulationen die Vorstellung einer nach hier – dort zu unterscheidenden Natur per se unhaltbar macht, wird hier dafür zitiert, die besondere Gefährlichkeit des Virus herauszustellen,

29

Ebd., außerdem Dinges 1995, Pest und Staat.

96 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse das die in dieser Sichtweise doch wesentliche Grenze zwischen hier und dort erstaunlicherweise überwinden kann. Im Übrigen zeigt sich der archaische Kern des quasi xenophoben Denkmusters im Seuchendiskurs auch an der Parallelität des modernen Vogelgrippediskurses mit den Seuchendiskursen des mittelalterlichen Europas. Dinges schreibt an einer Stelle: En passant werden gelegentlich auch die Ärzte der Seuchenverbreitung beschuldigt: Wer Heilung bringen könnte, steht auch in dem Ruch, diese zu verweigern oder gar die Krankheit zu übertragen. Ähnliches galt schon für die Apotheker im Mailand des 17. Jahrhunderts, denen man auch die Herstellung tödlicher Pasten zutraute. (Dinges 2004, S. 85)

Das gleiche Muster findet sich in folgendem Beleg: [45] China ist nicht nur einer der schlimmsten Herde des Vogelgrippevirus H5N1, sondern auch die Quelle der am schnellsten verfügbaren Waffe gegen die gefürchteten Influenzaviren. (FAZ, 19.01.06) Zwar ist vordergründig hier die Logik umgekehrt worden: Aus der Tatsache, dass der Hauptgefahrenherd in China liegt, wird die Chance, dass China dann auch Quelle von Hilfs- und Rettungsmitteln gegen die Seuche wird. Die zugrunde liegende Dialektik von Heil und Unheil bleibt aber invariant gegenüber der genauen zwar-aber-Fassung, in die sich diese Dialektik sprachlich kleidet. Die Momente von Ausgesetztheit und Geworfensein, von Machtlosigkeit und Unfreiheit, die im Gefühl der Angst vor der Gefahr mitschwingen, bleiben in der Affektion gegenüber („vermeintlichen“) Helfern und Heilern, gerade wenn auch sie als Fremde eingeordnet sind, erhalten. Als abschließende Überlegung zu den bisher gemachten Ausführungen über das Submotiv der überindividuellen Gefahrenlage und Betroffenheit, in die sich das Individuum einordnet bzw. in der es verschwindet, soll an einem letzten Beleg gezeigt werden, dass die mit der Konstitution eines das Individuum als bloßes „Atom“ einbegreifenden Kollektivs einhergehende Abgrenzung von Fremden bzw. Fremdem nicht auf das Fremde, insofern es Hort der (Virus-)Gefahr ist, beschränkt bleibt. Vielmehr wird das Kollektiv nicht nur als gegen das Virus gerichtet konstituiert, sondern im Umgang mit dieser Gefahr steht es auch anderen Kollektiven zumindest fremd, möglicherweise sogar feindlich gegenüber. Betrachten wir hierfür folgenden Beleg etwas näher. [46] Viel mehr ist auch im Pandemiefall ad hoc nicht möglich. Da sich alle Produktionsstätten in einigen wenigen industrialisierten Ländern der Nordhalbkugel befinden – gleich zwei sind in Deutschland angesiedelt –, werden vermutlich Afrika und Südamerika zunächst überhaupt nicht berücksichtigt werden können. (FAZ, 06.01.06)

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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Die Partikel ‚da‘ übernimmt hier syntaktisch die Aufgabe einer kausalen Konjunktion. In dem Satzgefüge wird ein Szenario skizziert, demzufolge bei Ausbrechen einer Pandemie die beiden südlich gelegenen Kontinente Afrika und Südamerika bei der Versorgung mit Medikamenten leer ausgehen. Als Grund dafür wird die Konzentration der Produktionsstätten für die im Falle einer Vogelgrippe-Pandemie notwendigen Pharmaka auf der Nordhalbkugel angeführt. Sprachlich wird hier die Zweiteilung der Welt entlang an drei Kriterien geleistet: Wir sind im Norden, produzieren Medikamente, haben Medikamente.

versus

Die sind im Süden, produzieren keine Medikamente, haben keine Medikamente.

Die scheinbar einleuchtende Verknüpfung zwischen dem zweiten und dritten Kriterium – dem Vorhandensein von Produktionsstätten und der Verfügung über die Medikamente – erweist sich bei näherem Hinsehen nicht als zwingend. Theoretisch vorstellbar wäre auch, dass eine Verteilung der Medikamente auf die geografischen Regionen oder auch Staaten nach einem bestimmten per-capita-Schlüssel oder je nach absoluter bzw. relativer Anzahl der Infizierten/Erkrankten oder nach anderen Methoden und Kriterien erfolgt, denen man jeweils zustimmen oder die man ablehnen kann. Es wäre sogar auch möglich sich ein Szenario vorzustellen, in welchem die Medikamente dort, wo die Produktionsstätten sind, nicht zur Behandlung zur Verfügung stehen.30 Gerade dadurch, dass die keineswegs selbstverständliche Verknüpfung der Lokalisierung der Produktionsstätten auf der ‚Nordhalbkugel‘ mit einem Mangel an Medikamenten in südlichen Kontinenten hier gar nicht themati-

30 Dass dies keine einfach absurde Gedankenspielerei ist, lässt sich daran erkennen, dass es viele Beispiele dafür gibt, dass ausgerechnet an den Herkunfts- oder Produktionsorten bestimmter durchaus auch wichtiger Güter der größte Mangel an ebendiesen herrscht. Unter strengen Gesichtspunkten der semantischen Logik gefasst, ergäben sich übrigens noch folgende zwei Verlängerungen, die der Autor des Textes ganz sicher nicht intendiert hat: Erstens sind die beiden geografischen Angaben Nordhalbkugel und Afrika und Südamerika überhaupt nicht auf der gleichen Ebene angesiedelt, sie sind darum auch nicht in dem Sinne disjunkt, wie der Text es an der Oberfläche darstellt (da bedeutende Teile Afrikas und Südamerikas auf der Nordhalbkugel liegen). Zweitens passt wiederum die politisch-geografische Kategorie Deutschland – hier im Sinne des deutschen Territoriums – auch nicht dazu, so dass die Scheidelinie zwischen Verfügung und Ausschluss dann also gar nicht nach Halbkugeln, sondern gemäß Produktionsaufkommen nach staatlichen Territorien zu verteilen wären. Diese beiden Unstimmigkeiten sind hier jedoch nicht politisch-moralisch zu diskutieren, sondern lediglich – dafür aber umso mehr – unter dem Aspekt interessant, dass der eigentliche diskursive Gehalt nicht in der Herstellung eines gemeinsamen Wissens über (wirtschafts-)geografische Zusammenhänge, sondern in einem Muster moralischer Rechtfertigung einer ausschließenden Inanspruchnahme von Krankheitsabwehrmitteln liegt.

98 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse siert, sondern wie ein selbstverständliches, allen vertrautes und einleuchtendes Faktum behandelt, also die Einigkeit darüber unterstellt wird, bekommt diese Verknüpfung diesen Charakter unabweisbarer Objektivität – innerhalb dieses Diskurses. Auch hier zeigt sich, wie der mediale Diskurs selbst die Grundlagen, allgemeinen Annahmen und geteilten Ansichten schafft, auf die er sich gleichzeitig beruft. Inhaltlich wird hier ein nur wenig scharf umrissenes kollektives Subjekt konstituiert, dass in seiner Abwehrstellung angesichts der Gefährdung durch das H5N1-Virus nicht nur gegen dieses, sondern auch gegen andere Kollektive abgegrenzt ist, mit denen es – in diesem konkreten Zusammenhang – um die Verfügung über die notwendigen Medikamente konkurriert. Aus dieser Perspektive erhalten die auf der ‚Nordhalbkugel‘ angesiedelten Produktionsstätten im Subtext die nähere Fassung ‚unsere Produktionsstätten‘ und der Gehalt des Possessivums ‚unsere‘ wiederum ist näher zu fassen mit dem Ausschluss der anderen von den Produkten dieser Produktionsstätten. Die drohende Seuche erhält diskursiv so die Dimension eines kollektiven Abwehrkampfes, der sowohl moralisch verpflichtenden wie berechtigenden Charakter hat. c) Die in den letzten Überlegungen unter b) bereits begonnene Entwicklung der moralischen Dimension der Seuche bzw. des Seuchendiskurses durch die Konstituierung eines kollektiven Ganzen im Abwehrkampf wird vollends entfaltet mit der dazu adäquaten moralischen Dimensionierung des Virus selber: Das Virus ist nicht nur empirisch belegbar gefährlich, sondern es hat darin seinen Zweck. Mit diesem Submotiv medialer Angsterzeugung tritt am deutlichsten hervor, was Dinges als Eigenschaft von Seuchendiskursen ex ovo kennzeichnet: „Der Seuchendiskurs war also von Anfang an ein höchst moralischer Diskurs.“ (Dinges 2004, S. 83) Der (seuchen-)medizinische Umgang mit dem Virus wird hier in den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ bzw. des Kampfes zwischen diesen beiden Seiten besprochen. Damit ist die im oben besprochenen Motiv eines kollektiven Subjekts, das durch das Virus bedroht wird, bereits angelegte moralische Scheidelinie vollends gezogen. Der Deutung des Seuchengeschehens mit einem solchen Motiv inhärent ist auch die Besprechung des Menschen selbst als ein Faktor der Gefährlichkeit des Virus. Thematisiert wird hier die Fähigkeit/Unfähigkeit, Sorgfältigkeit oder -losigkeit, mit der die Protagonisten des Geschehens agieren. Von jeher sind Vorstellungen des Lagerkampfes „Gut“ gegen „Böse“ mit der misstrauischen Frage verknüpft gewesen, ob es innerhalb des eigenen Lagers vielleicht ‚Schwachstellen‘ gibt, ‚Elemente‘, die nolens volens der anderen Seite zuarbeiten. Im Folgenden sollen anhand einiger weiterer Belege die typischsten sprachlichen Realisierungsformen dieses Submotivs kurz diskutiert werden.

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[47] Dann lernte das Virus, das Immunsystem von Säugetieren zu zerstören, tötete Katzen, Tiger, Schweine. Immer häufiger brachte es Menschen um, inzwischen wohl auch einzelne, die keinen direkten Kontakt zu Vögeln hatten. (DER SPIEGEL, 08.05.06) [48] Aber H5N1 hat in den vergangenen zehn Jahren auch Menschen getötet, und es ist noch nicht sicher, ob es nicht auch diese Fähigkeit perfektionieren wird. (DIE ZEIT, 23.02.06) [49] Der Erreger hat bisher zu jeder Zeit und an beinahe jedem Ort seinen Vorsprung behalten. (FAZ, 11.01.06) [50] Offenbar wird hier ebenso wie bei anderen Molekülpaaren die Veränderung in dem einen Protein durch die Strukturänderung in dem anderen Protein kompensiert und die Fitness des Erregers dadurch erhöht. (FAZ, 01.02.06) In diesen Belegen wird das teleologische Submotiv eines intelligenten Virus, das einen Plan hat und auch sonstige Eigenschaften besitzt, die in kognitiven Kategorien beschrieben werden können, in sprachlich direktester Weise realisiert. In Beleg [47] findet sich die Vorstellung, dass das Virus in der Lage sei zu lernen. Natürlich ist hier nicht der Platz, in eine auch nur kürzest möglich angerissene Diskussion der zahlreichen Konzepte und Modelle von „Lernen“ einsteigen zu können. Dies ist aber folglich auch gar nicht nötig, da sicher davon auszugehen ist, dass der allgemeinsprachliche Gebrauch dieses Wortes – und dieser ist bei einem Beitrag in einem nicht-fachspezifischen Medium zu unterstellen – stets das wenn auch unscharfe Konzept transportiert, dass es beim Lernen um die Veränderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten geht, die jemand (sic!) haben muss oder vorteilhafterweise haben sollte, um auf bestimmte praktische oder theoretische Probleme sinnvoll und effizient im Sinne seiner Vorhaben, Interessen usw. reagieren, sich also angemessen verhalten zu können. Hinsichtlich der sprachlichen Realisierung sehr eng verwandt mit Beleg [47] ist Beleg [48]. Die in letzterem vorfindliche Ausdrucksweise ‚Fähigkeit perfektionieren‘ verhält sich zum in [47] gebrauchten Verb ‚lernen‘ im Prinzip wie eine Periphrase. In den Belegen [49] und [50] werden – um in der Logik des Lernens zu bleiben – die „Lernerfolge“ thematisiert: Das Virus hat eine erhöhte ‚Fitness‘, der Zweck des Lernens ist „aufgegangen“, insofern es seinen ‚Vorsprung behalten‘ hat. Ähnlich lässt sich auch der folgende Beleg einordnen, auch wenn sich hier die scheinbar noch nicht moralisierende Vorstellung von der Intelligenz des Virus schon mit weiter unten zu besprechenden Aspekten vermischt: [51] Doch das Virus hat eine perfide Eigenschaft: Es verändert sich ständig, und daher sind viele Medikamente bald wirkungslos. (FAZ, 16.01.06)

100 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Eine semantische Analyse des hier attributiv gebrauchten Adjektivs ‚perfide‘ verweist auf das Merkmal der Verschlagenheit, der Heimtücke. Diese wiederum sind ja nichts anderes als ein – getrennt vom Erfolg zu betrachtendes – besonders raffiniertes Vorgehen beim Umsetzen der hier schon prima facie als abzulehnend konnotierten Zwecke zum Schaden anderer. Ein solches Vorgehen unterstellt seinerseits eine Intelligenz, die sich nicht nur in der bloßen Fassung eines Endpunktes und einer Sichtung und Anwendung der dafür vorderhand nützlichen Mittel erschöpft, sondern darüber hinaus in der Lage ist, den Willen des potentiellen Opfers zur Gegenwehr zu antizipieren und dieses ‚Hineindenken‘ in den Gegner/das Opfer in ein bestimmtes Vorgehen umzumünzen, das die vorweggenommenen Gegen- bzw. Abwehrmaßnahmen möglichst wirkungslos macht. Folgt man dieser Überlegung für die Auffindung des diskursiven Submotivs des „intelligenten“ Virus in den empirisch vorfindlichen medialen Texten, lassen sich auch Äußerungen in dieser Weise deuten, in denen Eigenschaften des Virus thematisiert bzw. benannt werden, die auf den ersten Blick damit nichts zu tun haben. Nehmen wir als Beispiel dafür folgende Belege: [52] Der unsichtbare Feind [Titel] (FAZ, 10.01.06) [53] Das Virus ist ein unberechenbarer Feind. (DIE ZEIT, 23.02.06) Man könnte dafürhalten, dass eine rein lexikalisch-semantische Merkmalsanalyse31 der Attribute ‚unsichtbar‘ und ‚unberechenbar‘ kein Merkmal zu Tage fördern könnte, das naheliegend oder gar notwendig mit Intelligenz oder auch nur Bewusstheit, Zweckhaftigkeit o.Ä. zu tun hat. Dies ist sicherlich richtig. So ist Sauerstoff zum Beispiel ein zweifellos unsichtbares Gas und die Bewegungen eines bestimmten Elektrons innerhalb der Atomhülle sind unberechenbar. Betrachtet man die beiden Adjektive aber allein schon in ihrem unmittelbarsten Kontext, nämlich dem Syntagma der unsichtbare Feind in Beleg [52] bzw. unberechenbarer Feind in Beleg [53], so ergibt sich durchaus ein anderes Bild. Für einen Feind ist es ja in aller Regel äußerst vorteilhaft, wenn die andere Seite ihn noch nicht einmal – und wenn, dann nur mit zusätzlichem Aufwand – orten kann, weil er nämlich unsichtbar ist. In ähnlicher Weise stellt es innerhalb des Austragens einer Feindschaft einen strategischen Vorteil für die eine Seite dar, wenn die andere Seite sie möglicherweise zwar orten, vielleicht sogar intensiv beobachten, observieren kann, aber nicht in der Lage ist, aus dem bisherigen Ablauf des genau beobachteten Tuns einen Schluss auf zukünftige Handlungen zu ziehen, weil dieses Tun unberechenbar ist. Die Unsichtbarkeit des Virus und seine Unberechenbarkeit lassen sich, in-

31

Gemeint ist an dieser Stelle: kontextfreie semantische Analyse.

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sofern es als Feind gedacht wird, als Ergebnisse des Bemühens um Unsichtbarkeit und Unberechenbarkeit deuten. Eine weitere Form, in der sich das Submotiv vom Kampf der „Guten“ gegen ein bösartiges und böswilliges Virus im medialen Diskurs realisiert, sind alle Vorkommensweisen einer teils kriminologischen und teils bellizistischen Sprache, deren Wort- und Bildervorrat aus der Welt des Verbrechens, des bewaffneten Kampfes bis hin zum Krieg gewinnt. Diese Bezüge tauchen, wenn auch nur in leichten Anklängen, schon in Äußerungen auf, wie sie z.B. oben in den Belegen [41] bis [43] zu finden sind. Das Verb ‚näherrücken‘ evoziert Bilder von langsam aber stetig heranrückenden Formationen, bewaffneten Verbänden, jedenfalls einer Front, die es immer weniger wahrscheinlich werden lässt, dass man ihr ausweichen kann. Sehr viel deutlicher tritt dieser Bezug in den folgenden Belegen hervor: [54] Der nationale Krisenstab von Bund und Ländern berät morgen, ob weitere Maßnahmen im Kampf gegen die Vogelgrippe nötig sind. (TAGESSCHAU, 28.02.06) [55] Es läuft die Jagd auf ein neues Virus. (DER SPIEGEL, 08.05.06) [57] Moskau. Vogelgrippenkrieg [Titel] (FAZ, 12.01.06) [58] Das Virus tötet schnell, ein paar hundert Leute starben. (DER SPIEGEL, 08.05.06) [59] Gleich um die Ecke wütet das H5N1-Virus. (TAGESTHEMEN, 06.04.06) [60] Es ist das neunte Jahr angebrochen, in dem das Vogelgrippevirus H5N1 sein Unwesen treibt, und wie es scheint, hat es der Erreger auf seinem verheerenden Seuchenzug durch die Geflügelpopulation dieser Welt durch tatkräftige Mithilfe souveräner Staaten endgültig bis nach Europa geschafft. (FAZ, 11.01.06) [61] Kann sich dann in seinem Körper wirklich ein neuer Killervirus bilden? (TAGESTHEMEN, 05.04.06) [62] Der Grund heißt H5N1, ist ein Virus, das aus Asien stammen und dazu das Potenzial haben soll, uns alle hinzuraffen. (DIE ZEIT, 02.03.06) [63] Bis dahin analysieren sie das Muster vorheriger Massenmörder, um die aktuellen Täter frühzeitig zu fassen oder zumindest die Gefahr für den Menschen abschätzen zu können. (DIE ZEIT, 19.01.06) Angsterzeugung funktioniert hier über eine eindeutig martialische Sprache, die den Rezipienten in ein bereits laufendes, in mehr oder weniger direkter Nähe zu ihm stattfindendes „Kriegsgeschehen“ versetzt. Unmittelbar logisch ist hierbei, dass diese „Kriegsberichterstattung“ vollständig damit zusammenfällt, dass es nicht um neutral zu berichtende „Kampfhandlungen“ zweier Seiten geht, sondern dass, indem sich die diskursive Rolle des Angsterzeugens

102 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse hier des Motivs bzw. Submotivs eines kriegerischen Kampfes bedient, eine eindeutig parteiliche Sicht hervorbringt. Die eigene Seite führt in aller Regel einen ‚Kampf‘, ist auf der ‚Jagd‘, mitunter eben auch im ‚Krieg‘. Der Gegenseite bleibt es vorbehalten, nicht einfach zu ‚töten‘, sondern sie ‚wütet‘, ‚rafft hin‘, ‚treibt ihr Unwesen‘ und ‚verheert‘. Dabei wiederum ist dieser Gegner nicht nur moralisch böse, er ist in seiner Bösartigkeit auch maßlos: er ist in der Lage ‚uns alle hinzuraffen‘, er ist schlicht ein ‚Massenmörder‘. In diesem Sinne erscheint es auch nicht zufällig, dass sich die bellizistische Sprache mit dem oben diskutierten Motiv des ‚Feindes aus der Fremde‘ verschränkt. Diese Verschränkung wird in Beleg [61] augenfällig. Es zeigt sich hier, wie an vielen anderen bereits diskutierten Belegen, dass sich der Gehalt im wissenschaftlichen bzw. aufklärerischen Sinne nicht erschließen lässt, wenn die Aussage hinsichtlich der Herkunft aus Asien, die für ein betroffenes Individuum (nicht nur) in Deutschland in praktischer Hinsicht völlig irrelevant ist, mit der auxiliar erzeugten Modalität ‚vermutlich, nicht sicher‘ sogleich zurückgenommen wird. Wiederum bleibt eine Deutung dieser Aussage als ein Beispiel für das Diskursraster bzw. in der hier bevorzugten Terminologie für das diskursive Motiv einer Bedrohung durch Fremdes die einzige sinnvolle Interpretation dieses realen Diskursausschnittes. Wenn Dinges schreibt: Vor dieser teilweisen Verwissenschaftlichung des Diskurses war man stärker auf Metaphern angewiesen, die sich bezeichnenderweise um 1900 vorwiegend aus dem Arsenal militärischer Bilder bedienten. [...] Seuchenverbreitung funktionierte wie ein Kriegszug, Ärzte bekämpfen Infektionskrankheiten wie Generäle,32

dann ist angesichts insbesondere der zuletzt diskutierten Belege zumindest die Vermutung zu äußern, dass möglicherweise weniger von einer Verwissenschaftlichung des Diskurses als präziser vielleicht von einer stärkeren Strukturierung des Diskurses in einen mehr verwissenschaftlichten und in einen allgemeiner gesellschaftlichen Strang gesprochen werden sollte. Gerade der martialische Tonfall in diesem Bereich des Diskurses über die Vogelgrippe legt diese Hypothese nahe, der später in Kapitel III weiter nachgegangen werden wird. Ähnlich invariant im Vergleich zu früheren Diskursen zeigt sich der mediale Vogelgrippediskurs in folgenden Belegen: [63] Das desaströse Krisenmanagement des Landratsamts auf Rügen und die Querelen zwischen Bund und Ländern um den Nationalen Influenza-Pandemieplan lassen befürchten, dass Deutschland

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Dinges 2004, S. 89.

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im Ernstfall nicht besser dasteht als manches asiatische Land. (DIE ZEIT, 23.02.06) „[…] Die Anzahl erhöht sich stündlich. Wir hoffen, daß wir mit Unterstützung von Bund und Land die schwierige Situation meistern.“ Die Landrätin warf Bund und Land vor, nicht genügend Hilfe zur Bekämpfung der Vogelgrippe bereitgestellt zu haben. (FAZ, 21.02.06) Noch steht zu hoffen, daß die Vogelgrippe sich nicht zur Seuche unter den Menschen ausweitet. Diese Gefahr wäre weitaus geringer, wenn nicht schon im Vorfeld die bisher mit den Gegenmaßnahmen überforderten Kommunalverwaltungen hilflos der Situation ausgeliefert gewesen wären. (FAZ, 23.02.06) Die Institute dieses Amtes hätten durch die fachübergreifende Zusammenarbeit des Robert-von-Ostertag-Instituts für Veterinärmedizin, des Robert-Koch-Instituts für Bakteriologie und des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene für die Umweltmedizin mit materieller Vorsorge und Entwicklung von Verfahrenswegen der gegenwärtigen Ratlosigkeit vorbeugen können. (FAZ, 23.02.06) Während örtliche Veterinäre, Feuerwehren und Katastrophenhelfer ratlos nach einer Strategie zur Seucheneindämmung suchten, schien es die Bundeswehr für ihre vordringliche Aufgabe zu halten, medienträchtige Bilder zu liefern: Statt schlecht ausgerüsteter Helfer sollten Soldaten zu sehen sein, die aussehen wie Aliens. (DER SPIEGEL, 25.02.06) Vor Ort aber, dort, wo derzeit das gefürchtete Grippevirus vom Stamm H5N1 grassiert, herrscht Hilflosigkeit. Überrumpelt reagierte das Land, als vor knapp zwei Wochen passierte, was seit Monaten angekündigt war. (DER SPIEGEL, 25.02.06) Hilflos suchen Politiker und Experten nach einer Strategie zur Eindämmung der Vogelgrippe. (DER SPIEGEL, 25.02.06)

Die Belege [63] bis [69] komplettieren das moralisierende Motiv eines kollektiv Guten, das sich im Abwehrkampf gegen ein es bedrohendes Böses befindet, mit der Thematisierung der unzureichenden Fähigkeiten im Lager der „Guten“. Die Angsterzeugung funktioniert hier durch das Schüren von Zweifeln, wie viel praktische Macht und Abwehrfähigkeit der Gefahr überhaupt entgegengesetzt werden kann. Das Hinweisen auf „offene Flanken“ in den eigenen Reihen addiert sich logisch bruchlos zum Ausmalen der Gefährlichkeit und Raffinesse des Gegners. Dabei verschwimmt sehr schnell, ob die Unzulänglichkeiten in der ‚Kampfkraft‘ der eigenen Seite die Raserei des Gegners nur nicht verhindert haben, oder ob sie nicht vielleicht der eigentliche Grund für bereits eingetretene bzw. zu erwartende Schäden und Katastrophen sind.

104 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Betrachten wir dafür den Beleg [63] näher. Hier wird das ‚desaströse Krisenmanagement‘ einer staatlichen Behörde thematisiert. Das Adjektiv desaströs, das denominal gebildet wird aus Desaster, enthält semantisch eine gewisse Ambiguität, weil die allgemein mit bezogen auf ein Desaster zu umschreibende Bedeutung des Wortes sowohl die nähere Fassung verursacht durch ein Desaster 33 als auch ein Desaster verursachend34 annehmen kann. Der Gebrauch des Wortes hier lässt einen zumindest im Unklaren darüber bleiben, ob das Krisenmanagement innerhalb der Bilanzierung eines Desasters vorkommt, oder ob es – das Krisenmanagement – den Schaden selbst (mit-)verursacht hat. Diese zweite Lesart wird eindeutiger oder zumindest schwerlastig gegenüber ersterer, wenn man weiter analysiert, wie der Satz fortgesetzt wird. Es findet sich dort nämlich die Explizierung des Motivs ‚Angsterzeugung durch Schadenserwartung‘ in der Form, dass gesagt wird, dass das ‚desaströse Krisenmanagement‘ (zusammen mit anderem) etwas ‚befürchten lässt‘, also selbst Grund für und Gegenstand von Befürchtungen, Angst ist. Wie sehr bei diesem Submotiv die moralische Dimension des Diskurses unmittelbar präsent ist, lässt sich hier auch noch an einer weiteren Stelle im Satz erkennen; neben dem ‚desaströsen Krisenmanagement‘ einer bestimmten Behörde erscheinen auch ‚Querelen‘ zwischen unterschiedlichen Behörden bzw. zwischen Behörden unterschiedlicher Hierarchiestufen. Darauf ist näher einzugehen: Das aus dem Lateinischen stammende Wort Querele umschreibt der Duden mit ‚auf gegensätzlichen Interessen, Auffassungen o.Ä. beruhende [kleinere] Streiterei‘.35 Zu ergänzen ist hier auf jeden Fall, dass in der Allgemeinsprache Querele negativ konnotiert ist, die vom Duden in eckige Klammer gesetzte attributive Ergänzung kleinere ist mit kleinliche sicherlich noch etwas genauer gefasst. Querelen sind in der Regel unnötige, als solche lästige, durch Befangenheit in engen Denkschablonen bzw. kleinlichen Interessensrastern verursachte und davon beherrschte Auseinandersetzungen angesichts von Aufgaben, Herausforderungen, womöglich gar Gefahren, die Entschlossenheit und Einigkeit, den Blick aufs Ganze erfordern. Das Beängstigende an Querelen zwischen staatlichen Einrichtungen angesichts des raffinierten ‚Killervirus‘, der ‚uns alle hinraffen‘ könnte, ist damit nur einerseits die so dokumentierte Unfähigkeit zu handeln. Andererseits werden diese Uneinigkeiten diskursiv gedeutet als mangelnde Entschlossenheit, gar als Unwille. Es ist an dieser

33

In dieser Bedeutung kommt das Adjektiv zum Beispiel in einer Bildung wie „eine desaströse Schadensbilanz“ vor. Hier ist eindeutig, dass eine Bilanz nicht selbst Ursache des Schadens sein kann, den sie ja erst hinterher zur Kenntnis nimmt und systematisiert auflistet. 34 Diese Bedeutungsvariante findet sich zum Beispiel in „ein desaströses Erdbeben“. 35 Vgl. Duden 1996.

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Stelle darauf hinzuweisen, dass sich dieses Diskursmuster nicht erst auf Basis einer verfassungsrechtlich geregelten Gewaltenteilung entwickelt hat, sondern Teil des Seuchendiskurses ist: So schreibt Dinges über die diskursive Deutung von spanischen Pestepidemien im 17. Jahrhundert: [...] die Bestechlichkeit der Amtsträger, die bei der Getreidebeschaffung nur den eigenen Geldbeutel im Sinn hatten, verursachte die Ausbreitung des Übels. [...] Demnach führte die schlechte Wahrnehmung der Amtspflichten durch eine pflichtvergessene Obrigkeit zur Zerstörung [...]. (Dinges 1995, Pest und Staat, S. 86)

Das Funktionieren dieser Form von Angsterzeugung unterstellt dabei, dass von „den Behörden“ eigentlich etwas anderes zu erwarten ist. Die staatlichen Institutionen werden gedeutet als die Materialisierung des oben diskutierten Standpunktes eines sittlich gefassten überindividuellen Ganzen, das nur als solches den Kampf gegen das ‚Böse‘, also das Virus, aufnehmen kann. Angst entsteht dann dadurch, dass die Glieder des Staates oder einzelne seiner Vertreter an dieser diskursiv erzeugten Sicht und Erwartungshaltung gemessen werden und diesen Vergleich nicht bestehen. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Formulierungen innerhalb der Belege [64] bis [69] verstanden werden. ‚Hilflosigkeit‘, ‚Ratlosigkeit‘ sind genau das Gegenteil dessen, was vom Staat angesichts einer Bedrohung für das allgemeine Ganze, für „uns“ erwartet werden könne, ja, erwartet werden müsse. Das Individuum gibt – so konstruiert es der mediale Diskurs – seine Handlungsfähigkeit, sogar seinen Standpunkt individueller Selbsterhaltung an „den Staat“ ab und wird dann mit der Tatsache konfrontiert, dass „der Staat“ als solcher kein Träger von Handlungsfähigkeit ist, sondern nur die Summe individueller Amtsträger, sich zuwiderlaufender behördlicher Kompetenzen usw., weswegen es auch kein Wunder ist, wenn das Virus die Abwehr ‚überrumpelt‘.36 An diesem Motivbereich lässt sich erneut studieren, wie ein common ground der Diskursteilnehmer durch den Diskurs selbst erzeugt wird: nämlich gerade dadurch, dass die von der kritischen (d.h. negativ vergleichenden) Betrachtung von Vertretern des Staates als ‚hilflos‘, ‚ratlos‘, ‚überrumpelt‘ erforderte Präsupposition, ‚die Vertreter des Staates wüssten Rat, sie seien theoretisch und praktisch Herr der Lage, sie könnten vom Virus nicht überrumpelt werden‘ nicht als solche expliziert wird, sondern im ‚mitgedachten‘ Hintergrund verbleibt. Die Präsupposition wird dem Rezipienten quasi „untergeschoben“, weil er, wenn er sie nicht denken würde, nicht in der Lage wäre, den Diskursbeitrag ‚Kritik an Amtsträgern als hilf- und ratlos‘ plausibel zu deuten. Das Wirken

36 Zur diskurshistorischen Entwicklung der Positionen ‚Selbsterhaltung‘ versus ‚Erhaltung des sozialen Ganzen‘ vgl. Dinges 1995, Pest und Staat, S. 87 ff.

106 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse von pragmatisch aufgefassten Präsuppositionen scheint sich mithin auch an diesem Beispiel als diskursanalytische Deutungshilfe zu bewähren. Die Angst ist angesichts einer solchen Deutung der Lage also eine potenzierte: Der gefährliche, zu allem fähige und bereite Gegner trifft auf ein unentschlossenes, unfähiges, hilfloses Subjekt, das eigentlich ein solches gar nicht ist: Die Forscher, die Politiker, die Katastropheneinsatzkräfte, die Verantwortlichen unterschiedlicher Ressorts und Kompetenzen usw. agieren nicht, sind also nicht die Glieder einer kollektiven übergreifenden Raison, sondern sie stellen je für sich die totale Machtlosigkeit und Handlungsunfähigkeit des Individuums wie der Gemeinschaft dar. Gleichsam folgerichtig entwickelt ein solcher Diskurs eine Tendenz der totalen Verzweiflung, die dann in Beiträgen wie dem folgenden kulminiert: [70] So kommt es, daß es trotz aller Neuigkeiten zur Vogelgrippe keine Neuigkeiten gibt. Denn alles, was hier passiert, scheint, ohne Dazwischenkunft eines Subjekts, einem vorgeschriebenen Formular zu folgen. Man glaubt schon irgendwie zu wissen (und weiß es eben auch nicht), wie die Natur dieses Formular abarbeitet. […] Wo der Schwan den Ton angibt, hat der Mensch nichts mehr zu sagen. (FAZ, 24.02.06) Das sprachliche ‚Strecken der Waffen‘ findet in diesem Beleg gleich mehrfach und in mehrfach unterschiedlicher Weise statt. Zunächst fällt im ersten Satz die Konstruktion ‚daß es trotz aller Neuigkeiten ... keine Neuigkeiten gibt‘ auf, die ein satzsyntaktisches Paradoxon darstellt. Die Angst erzeugende Wirkung wird allein durch diese Konstruktion gleich zweifach entfaltet. Zum einen natürlich durch den Inhalt der Aussage selbst und ihre logischen Implikationen und Konsequenzen: Alle Neuigkeiten bestätigen immer nur die theoretische und praktische Hilflosigkeit. Zum anderen wird diese „Botschaft“ durch die Form – eben die einer paradoxen Nebeneinanderstellung – verstärkt. Denn die reine Form spricht aus, dass nichts in diesem Zusammenhang dem „natürlichen“ oder „gesunden“ Verstand mehr habhaft zu sein scheint. Das Einzige, was sicher ist, ist die Tatsache, dass die Sache irgendwie ihren Verlauf nehmen wird, was – so viel steht fest – nichts Gutes bedeutet. Bemerkenswert ist, dass das rhetorische Mittel des offensichtlichen Paradoxons im nächsten Satz gleich noch einmal auftaucht: ,Man glaubt schon irgendwie zu wissen (und weiß es eben auch nicht)‘, wobei hier ‚zu wissen glauben‘ einerseits und ‚nicht wissen‘ andererseits die beiden Pole des Paradoxons sind. Logik und Verstand scheinen kein probates Mittel mehr, das Geschehen auch nur in halbwegs vertraute Wort- und Satzkonstruktionen zu fassen. Darüber hinaus begegnet man in den zwei sich anschließenden Sätzen gleich drei sprachlichen Realisierungen des Motivs der Verängstigung durch Unwissen und Unsicherheit: Es finden sich hier die zwei der modalen Quasi-Auxiliarverben ‚scheinen‘

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und ‚glauben‘37 sowie das Adverb ‚irgendwie‘. Bei näherer Betrachtung zeigt sich dann auch, dass sich in der zweiten Konstruktion ,Man glaubt schon irgendwie zu wissen (und weiß es eben auch nicht)‘ nicht nur die beiden Teile ,Man glaubt schon irgendwie zu wissen‘ und ‚(und weiß es eben auch nicht)‘ paradox gegenüberstehen, sondern streng genommen bildet schon das Infinitivsyntagma ‚glauben zu wissen‘ in sich eine dem Oxymoron verwandte rhetorische Figur. Diese Schilderungen bzw. Bebilderungen der Ohnmacht, der völligen Irritation werden – gewissermaßen antithetisch – ergänzt und verstärkt durch die Gewissheit einer inhaltlich gar nicht begreifbaren, durch die praktischen Konsequenzen aber erfahrbaren Unausweichlichkeit des Geschehens. Die modern anmutende, der technologischen Bilderwelt im Zeitalter der allgegenwärtigen Computersoftware und vollautomatisierten technischen Abläufe entlehnte Metapher vom ‚Formular‘, das sozusagen ‚abgearbeitet‘ wird, bei welchem das Resultat also zu Beginn des Geschehens schon feststeht, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, wie hergebracht und traditionellen Rastern gefolgt, hier Wirklichkeit diskursiv gedeutet wird. Der Gehalt dieser Metapher ist allerdings mit der „Unausweichlichkeit eines Resultates am Ende eines in seinen Abschnitten fi xen Geschehens“ nicht vollständig gedeutet. Die Semantik des Bildspenders, also des Lexems Formular, enthält als Merkmal nämlich auch ‚sinnreich‘ oder ‚planvoll‘ oder ‚zielführend‘. Das Motiv vom intelligenten Gegner taucht also auch hier in einer allerdings bedeutend modifizierten Weise auf: Es ist weniger die Intelligenz des Gegners (der gemäß der Metapher vom Formular ja seinerseits nur einem festen Schema folgt), die hier angenommen wird, sondern eher eine Art „höherer Vernunft“. Auch wenn im zweiten Satz des Beleges noch explizit konstatiert wird, dass all dies ‚ohne Dazwischenkunft eines Subjekts‘ zu passieren scheint, so macht der dritte Satz dann doch deutlich, was in der Metapher vom ‚Formular‘ bereits aufscheint. Das ‚Subjekt‘, das das Geschehen regiert (‚den Ton angibt‘), existiert nämlich doch, hier wiederum bebildert mit dem Schwan. Die Nähe zu antiken und mittelalterlichen Seuchendiskursen, die den wissenschaftlich damals unzugänglichen Seuchen genauso wie in anderen Katastrophen (Fluten, Hunger, Krieg) die Bedeutung von göttlichen Strafen verliehen haben, ist hier unverkennbar. Wiederum zeigt sich, wie sehr der breite gesellschaftliche Diskurs über Seuchen bei aller Zunahme des Wissens, das irgendwo in der Gesellschaft existiert, bestimmte Momente äußerst konstant über den Verlauf im Prinzip der gesamten schriftlichen Wissensgeschichte hinweg aufweist.38

37

Gemeint sind damit „modifizierende Verben, die nur zusammen mit einem Infinitiv mit zu (als lexikalischer Prädikatsteil) und in der Bedeutung den Modalverben z.T. sehr ähnlich sind.“, Helbig 2005, S. 44. 38 Vgl. hierfür vor allem Dinges 2004 und 1995, Pest und Staat.

108 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Obgleich es sicherlich möglich wäre, der Untersuchung von Formen der medialen Angsterzeugung innerhalb des Diskurses über die Vogelgrippe noch breiteren Platz einzuräumen und insbesondere die Systematik der innerhalb dieser Rolle angesiedelten bzw. für diese Rolle aktivierbaren Motive und Submotive auszubauen, sollen an dieser Stelle die bisherigen Ergebnisse und Schlussfolgerungen hinsichtlich medialer Angsterzeugung kurz zusammengefasst werden, um danach auf die medial-diskursive Rolle der Angstzuschreibung einzugehen. 2.1.3 Zwischenfazit – Ergebnisse und Hypothesen Erstens: Die von den Medien ausgeübte Rolle der Angsterzeugung existiert in einer Reihe von Motiven, die sich wiederum in einer Anzahl von unterschiedlichsten Formen sprachlich realisieren. Letztere unterscheiden sich untereinander vor allem dadurch, wie explizit oder implizit, in welcher Weise und in welchem Maße kontextabhängig sie jeweils sind. Die als Arbeitsgrundlage für die Analyse aufgestellte Hypothese von der Rolle der Medien als Angst erzeugende, die in verschiedenen Motiven (bzw. Submotiven) existiert und sich auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen und in unterschiedlichen sprachlichen Formen realisiert, scheint sich als analytisch haltbar und theoretisch plausibel bewährt zu haben. Zweitens: Die beiden wesentlichen Motive medialer Angsterzeugung lassen sich zunächst fassen als Angsterzeugung durch Ungewissheit/Unsicherheit und Angsterzeugung durch Schadensgewissheit. Im Hinblick auf eine mögliche Verallgemeinerung lässt sich versuchsweise und vage formulieren, dass „Angst“ auch medial mit dem Motiv von Ungewissheit über mögliche Umstände, Ereignisse und Entwicklungen einerseits und dem Motiv von Gewissheit bezüglich negativer Betroffenheit andererseits „verknüpft“ ist. Drittens: Im Gang der Untersuchung hat sich gezeigt, dass diese beiden Motive nicht komplementär und einander ausschließend auftreten und funktionieren, sondern dass sie – bis hinein in die kleineren Text- und syntaktischen Einheiten (Nominalgruppen, Infinitivkonstruktionen) – nebeneinander bzw. ineinander verschränkt vorkommen; ihre Wirkung entfalten sie dann nicht einfach nebeneinander, sondern sie verstärken sich gegenseitig. Viertens: Die Funktionsweise der Motive in ihren jeweiligen sprachlichen Realisierungsformen auf den unterschiedlichen Ebenen der sprachlichen Kommunikation beruht sehr oft darauf, dass die zwischen Rezipienten und massenmedialem Produzenten für einen „Erfolg“ der Kommunikation (vom Produzenten aus: des perlokutiven Aktes; vom Rezipienten aus: der plausiblen Deutbarkeit des lokutiven/illokutiven Aktes) notwendigen Präsuppositionen auch dann nicht explizit thematisiert werden, wenn sie als common ground der Kommunikationsteilnehmer Schreiber – Leser bzw. Sprecher –

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Hörer/Zuschauer gar nicht einfach als gegeben angenommen werden können. Der Erfolg der Kommunikation, d.h. die Einigkeit in der Deutung des Vogelgrippegeschehens bzw. von der diskursiven Rolle her ausgedrückt: die Erzeugung von Angst, scheint in diesen Fällen darauf zu beruhen, dass durch die logische Unterstelltheit der Präsupposition der Rezipient dazu „gezwungen“ ist, diese nachzuvollziehen, um die von ihm zur Kenntnis genommenen Diskursausschnitte plausibel deuten zu können. Im weiteren Gang der Untersuchung wird der oben ad hoc gewählte Terminus der „diskursiven Charaktere“ bzw. „Diskurscharaktere“ beibehalten werden. Fünftens: Der in den Massenmedien zu lokalisierende allgemeine gesellschaftliche Diskurs über die Vogelgrippe weist zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Seuchendiskursen auf, die zu einer Zeit bestimmend waren, die lange vor der ‚bakteriologischen Revolution‘ in der Wissenschaft und der darauf beruhenden industriellen Pharmatechnologien liegt. Zumindest bestimmte Momente solcher Diskurse scheinen sich größeren Veränderungen oder Brüchen zu entziehen. Diese Invarianz lässt sich jedoch nicht als Ignoranz charakterisieren, weil die Ergebnisse moderner medizinisch-bakteriologischvirologischer Forschung nicht aus dem Diskurs ausgeklammert bleiben, sondern in spezifischer Weise in ihm verarbeitet werden. In den folgenden beiden Abschnitten 2.2 und 2.3 soll untersucht werden, ob den Medien in plausibler Weise die Rollen der Angstzuschreibung und Angstbewältigung zugeordnet werden können. Obwohl es sicherlich wünschenswert wäre, kann dies – wie schon eingangs des Kapitels kurz angedeutet – nicht annähernd in der sicherlich auch an manchen Stellen noch ergänzens- und vertiefenswerten Weise geschehen, wie dies bei der Rolle der Medien bei der Erzeugung gesellschaftlicher Virusangst versucht worden ist. Stattdessen soll die Untersuchung der einzelnen ausgewählten Belegstellen auf die Frage fokussiert werden, ob die im Zuge der Korpusanalyse auf Angst erzeugende mediale Diskursmotive gewonnenen bzw. vorher aufgestellten und im Analysegang vorerst befestigten Hypothesen sich auch im Bereich der medialen Angstzuschreibung und Angstbewältigung bewähren. 2.2 Sprachliche Realisierungsformen massenmedialer Angstzuschreibung – die Virusangst Der massenmediale Diskurs über die Vogelgrippe ist bezogen auf die Art und Weise der Beteiligung – geschuldet der Eigenart der herkömmlichen Massenmedien – stark dualisiert: Auf der einen Seite stehen die Produzenten von Diskursbeiträgen, auf der anderen Seite die Rezipienten. Wir sind im Zuge der bisherigen Analyse zu dem vorläufigen Schluss gekommen, dass bei einer Reihe von produzierten Diskursbeiträgen die Rezipienten sich auch ihre „passive“ Beteiligung am Diskurs – also die für sie plausible Deutung von

110 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Inhalt und Intention der von anderen produzierten Diskursbeiträge – nur erhalten können, wenn sie bestimmte präsuppositionale Annahmen, Sichtweisen, theoretische bzw. moralische Standpunkte aktiv nachvollziehen, um die zunächst vorhandene Kluft zwischen ihnen und dem Produzenten zu schließen, den common ground zu schaffen. Man kann sich nun fragen, welche Annahmen der Produzent von seinem Rezipienten trifft, wenn man davon ausgeht, dass er nicht in seiner Funktion als Medienschaffender, sondern in seiner „Funktion“ als privates Individuum, in gleicher oder ähnlicher Weise mit den gehörten, gesehenen oder gelesenen Beiträgen umgeht. Es erscheint schlüssig, davon auszugehen, dass Medienschaffende diese Reflexion kennen. Als Beispiel dafür sollen einige Belege herangezogen werden, die bereits zu Beginn des Kapitels zitiert worden sind, um aus einer ersten Sichtung des Materials die für die Analyse notwendigen operationalisierenden Vorüberlegungen gewinnen zu können. a) Das verängstigte Individuum. [6]

Es sind Bilder, die an Sars erinnern, an Ebola und Tschernobyl. Da hilft es den Rüganern wenig, dass Experten beteuern, bei der Vogelgrippe handele es sich um eine Tierseuche, die für Menschen kaum gefährlich sei. (DER SPIEGEL, 25.02.06)

[71] Immer dann, wenn in den Nachrichten von der Vogelgrippe die Rede ist, bittet mich meine Familie umzuschalten. Zu schlimm seien die Bilder lebender Hühner und Enten, die von Männern in weißen Overalls in Plastiktüten gesteckt und lebendig begraben werden. Die Vogelgrippe rückt immer näher. Zuerst Vietnam, Thailand und China, dann die Ukraine, und jetzt beginnt das große Vogelschlachten in der Türkei. Doch wie berechtigt ist die Angst? [...] Die Zeit drängt, denn sonst werden wir in den Nachrichten nicht mehr Vögel, sondern tote Menschen sehen, die man in Plastiksäcken begräbt. (TAGESTHEMEN, 09.01.06) In Beleg [6] wird die Wirkung der Bilder auf den Betrachter thematisiert. Dies geschieht allerdings nicht so, dass die sich beim Betrachter der Bilder einstellende Wirkung der Angst, Furcht, Panik o.Ä. behauptet würde. Bezeichnenderweise kommt der Autor des SPIEGEL-Artikels darauf, dass die Bilder Erinnerungen evozieren: ‚an Sars‘, ‚an Ebola‘ und ‚Tschernobyl‘. Es spielt hier überhaupt keine Rolle, ob dies tatsächlich bei allen, bei der Mehrheit oder auch nur bei einer relevanten Minderheit der Fernsehzuschauer bzw. Zeitungs- und Zeitschriftenleser der Fall (gewesen) ist. Wesentlich ist, dass der Autor einen gemeinsamen Bildervorrat, ein gemeinsames Reservoir von Erinnerungen an Zustände der Katastrophen- bzw. Existenzangst unter allen

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Diskursbeteiligten annimmt. Damit ist dieser Bilder- bzw. Erinnerungsvorrat präsupponiert. Indem er die quasi zu Metaphern stilisierten, zum Teil selbst metonymischen Schlagworte39 unterschiedlicher Provenienz zitiert, ruft er selbst die Erinnerung hervor, die er als durch ‚die Bilder‘ hervorgerufen beschreibt. ‚Sars‘, ‚Ebola‘ und ‚Tschernobyl‘ sind durch ihre Nennung im Zusammenhang mit der Aussage, woran die Bilder der Vogelgrippe-Berichterstattung heutzutage erinnern, zu dem gemeinsamen Erinnerungsvorrat gemacht, dessen Vorhandensein durch diese Konstruktion unterstellt ist. Es ist theoretisch in bestimmten Einzelfällen sogar möglich (zum Beispiel bei Lesern des SPIEGEL-Artikels, die schlicht zu jung sind, um sich an die bei Erscheinen des Artikels immerhin knapp 20 Jahre zurückliegende Katastrophe zu erinnern), dass mit der Deutung der aktuellen Vogelgrippe im Sinne von ‚wie damals‘ umgekehrt das ‚Damals‘ erst in den Wissensvorrat des einzelnen Rezipienten aufgenommen wird – und zwar sogleich als gedeutet, nämlich ‚so wie heute bei der Vogelgrippe‘. Interessant ist hier – obwohl auch in diesem Fall eine intentionalistische Erklärung vermieden werden soll – die Tatsache, dass der SPIEGEL-Text genau in der Weise weitergeht, die es dem Rezipienten ermöglicht, die Selbstdeutung als ein durch heutige schreckliche Bilder an frühere Bilder erinnertes und so in Angst versetztes Individuum auch genau umgekehrt vollziehen zu können: ‚Da hilft es den Rüganern wenig, dass Experten beteuern, bei der Vogelgrippe handele es sich um eine Tierseuche, die für Menschen kaum gefährlich sei.‘ Über den Umweg eines von Experten zitierten Dementis wird das tertium comparationis von ‚Vogelgrippe‘, ‚Sars‘, ‚Ebola‘ und ‚Tschernobyl‘ selbst noch einmal expliziert, nämlich die Eigenschaft ‚gefährlich‘. Es ist so, als ob (wie schon erwähnt: ein Schluss auf die Intention ist wissenschaftlich auch an dieser Stelle nicht haltbar) sich der SPIEGEL-Autor nicht auf das tatsächliche Vorhandensein der gemeinsamen Erinnerungen bzw. auf deren gemeinsame Deutung als frühere Analogien zur heutigen Vogelgrippe-Gefahr verlässt. So jedenfalls steht am Ende die Verknüpfung der Bilder von der Insel Rügen mit denjenigen, an die sich die Rezipienten angesichts der Rügen-Bilder entweder selbst erinnert haben, durch den Artikel im SPIEGEL erinnert worden sind oder die jetzt als Abziehbild der Rügen-Bilder zusammen mit der Deutung in ihren Vorstellungen existieren. Die im Gang der Untersuchung medialer Angsterzeugung aufgestellte Hypothese, dass im Diskurs gemeinsames Wissen, gemeinsame Standpunkte usw. gerade dadurch geschaffen werden können, dass sie in einzelnen Diskursbeiträgen als unterstellt behandelt werden, kann somit folglich auch für den Bereich

39

Besonders deutlich wird das an ‚Tschernobyl‘. Diese lokale Angabe steht selbst schon für etwas anderes: Nämlich den dort stattgefundenen Reaktorunfall mitsamt aller Schäden und Konsequenzen, die er bei weitem nicht nur dort angerichtet hat.

112 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse medialer Angstzuschreibung als schlüssig und nachvollziehbar gelten: Der Rezipient sieht sich als verängstigt, weil er in den Medien genau so vorkommt. Der diskursive Charakter des Verängstigten erhält auf diese Weise seine Existenz und tritt im selben Augenblick in einen „Dialog“ mit dem „Angsterzeuger“. In der für die Rolle der Angstzuschreibung offenbar typischen methodischen Art und Weise scheint in Beleg [6] auch die fünfte unter 2.1.3 geäußerte Hypothese bestätigt zu werden: Mit dem Satz ‚Da hilft es den Rüganern wenig, dass Experten beteuern, bei der Vogelgrippe handele es sich um eine Tierseuche, die für Menschen kaum gefährlich sei‘ wird in sprachlich expliziter Weise das Phänomen behandelt, dass sich die allgemeine „Sicht der Dinge“ bezüglich der Gefährlichkeit der Vogelgrippe offenbar von dem Wissen, das bei den ‚Experten‘ vorhanden ist (oder sein soll), relativ emanzipiert entwickelt, d.h. hier aus Sicht des SPIEGEL-Autors in einer übertriebenen Angst verfestigt. Und das – auch dies im Einklang mit den oben gemachten und in der Hypothese V festgehaltenen Beobachtungen – nicht etwa, weil das Wissen der Experten nicht bekannt sei: der Artikel zitiert dieses Wissen, genauer gesagt: den hier relevanten Ausschnitt – ausdrücklich. In Beleg [71], dem Kommentarbeitrag in den TAGESTHEMEN, ist zunächst interessant, wie der Sprecher die für ihn wie für andere Medienschaffende existierende „Zweiteilung“ in einen professionellen und einen privaten Diskursbeteiligten sprachlich inszeniert: Als „Profi“ spricht er über sich in der 1. Person (‚bittet meine Familie mich‘). Seine ‚Familie‘ steht hier für ihn als Privatperson, weil er in den Zusammenhang Familie selbst auch inbegriffen ist. So wird transportiert, dass er zugleich auf der Rezipientenseite des Mediendiskurses steht. Eine Gemeinsamkeit mit Beleg [6] fällt sofort auf: Auch in diesem Beitrag überlässt es der Autor bzw. Sprecher des Textes nicht dem Rezipienten allein, das Prädikat ‚schlimm‘, das er den Bildern, die im Zusammenhang mit der Vogelgrippe medial verbreitet werden, inhaltlich zu deuten. Er führt zumindest beispielhaft aus, was die Bilder zeigen und was seiner Ansicht nach wohl von den Rezipienten ebenso als ‚schlimm‘ beurteilt würde. Noch deutlicher als in Beleg [6] wird hier die Metaebene deutlich, auf der die Verängstigung als Resultat medialer Produktion besprochen wird; die Medien werden als Gerät vorgeführt (an dem man ‚umschalten‘ kann, wenn Bilder ausgestrahlt werden, die man nicht sehen möchte), das die ‚Nachrichten‘ ausstrahlt. Folgerichtig wird diese Ebene auch nicht verlassen, wenn er zur beispielhaften Schilderung dessen kommt, was da so ‚schlimm‘ sei: Schlimm ist es nicht, dass ‚Männer in weißen Overalls‘ lebende Vögel ‚in Plastiktüten‘ begraben, sondern es sind ‚die Bilder‘. Es folgt dann eine kurze Passage des Typus, der oben40 schon ausführlich diskutiert worden

40 Siehe 2.1.2, Motive b) „Es ist gewiss, dass das Virus gefährlich für die Gemeinschaft,

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ist. Ohne Überleitung, mit einem scheinbaren ‚Bruch‘ innerhalb der Textkoheränz, folgt dann der Satz ‚Doch wie berechtigt ist die Angst?‘ Diese Frage präsupponiert prima facie das Vorhandensein von Angst: Angst muss existieren, sonst kann sie weder berechtigt noch unberechtigt sein. Bei näherem Hinsehen aber präsupponiert die Frage nicht nur das bloße Vorhandensein von Angst, sondern auch ihre Genese – wiederum aus den Bildern und deren vom Autor des Textes gegebener Deutung als ein langsames aber beständiges Vorrücken von Gefahr. Ohne eine „Zustimmung“ des Rezipienten zu dieser Deutung der Bilder und der in das Motiv einer sich immer näher auf ihn zu bewegenden Front (an der das ‚Vogelschlachten‘ stattfindet) gekleideten Schilderung des Ansteckungsverlaufes wäre der Rezipient nicht in der Lage, die textsemantische „Lücke“ zwischen dem Fragesatz und den vorhergehenden Sätzen zu füllen. Auch an diesem zweiten Beispiel findet sich die unter 2.1.3 (dort unter „Viertens“) aufgestellte Hypothese bestätigt, dass die diskursive Rolle der Medien in vielen Fällen dadurch Wirkung entfalten kann, dass sie Standpunkte und Annahmen voraussetzt und so den Rezipienten dazu bringt, sie selbst nachzuvollziehen, so dass im Zuge dessen nicht nur Einigkeit, in dem Sinne auch eine „diskursive Wirklichkeit“ konstituiert wird, sondern die kommunikationstheoretische Unterscheidung zwischen Produzent und Rezipient auf der Ebene der diskursiven Überlegungen nur bedingt gültig ist. Für die Rolle der Angstzuschreibung heißt dies: Der Charakter des verängstigten Individuums/der verängstigten Gesellschaft (dazu weiter unten mehr) existiert jetzt (diskursiv) wirklich. Er ist „in den Medien vertreten“. Die Medien spielen tatsächlich diese beiden Rollen – sie machen „uns“ Angst und sie haben („für uns“) diese Angst. Und noch eine weitere in 2.1.3 formulierte Hypothese findet sich in der Untersuchung des Beleges [71] nicht nur verifiziert, sondern offenbar auch verallgemeinerbar. Betrachten wir dafür noch einmal die Passage ‚Die Vogelgrippe rückt immer näher. Zuerst Vietnam, Thailand und China, dann die Ukraine und jetzt beginnt das große Vogelschlachten in der Türkei.‘, dann ist offensichtlich, dass sie ohne Zweifel der oben unter 2.1 analysierten Rolle Angsterzeugung zugeordnet werden kann; Motiv Angsterzeugung durch Schadenserwartung; als Submotive lassen sich hier Gefährlichkeit des Virus für ‚uns alle (hier) und kollektiver Kampf/Krieg gegen einen mächtigen Feind fassen. Dies findet sich texttopologisch in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Ausführungen, in denen die Rolle der Angstzuschreibung vollzogen wird. Die dritte Hypothese lautete, dass sich die beiden Hauptmotive für die Rolle der Angsterzeugung mitunter auf engstem (Text-)Raum gleichzeitig

für das Funktionieren gesellschaftlicher Strukturen ist“ und c) „Das Virus ist nicht nur empirisch belegbar gefährlich, sondern es hat darin seinen Zweck“.

114 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse finden lassen, dort nicht nur nebeneinander, sondern ineinander verschränkt. Man kann diese Hypothese nach den letzten Überlegungen zu Beleg [71] nicht nur als gestützt ansehen, sondern sie dahingehend erweitern, dass sich nicht nur verschiedene Motive, in denen eine Rolle vorkommt, sondern dass auch verschiedene diskursive Rollen nicht notwendigerweise immer in separaten Texten lokalisiert sein müssen, sondern innerhalb des gleichen Textes (und wiederum nahe beieinander) ausgeübt werden können. b) Allgemeine Verängstigtheit Wie dicht beieinander bzw. ineinander verschränkt massenmediale Textproduktionen in den beiden Rollen des Angsterzeugens und des Angstzuschreibens agieren, sei noch einmal an den folgenden Belegen erläutert. [72] Dort zirkuliert das gefürchtete Virus seit dem Jahr 1997. (DIE ZEIT, 12.01.06) [73] Nein, der verhaßte Erreger könnte sich genetisch auf den Kopf stellen und alle seine viertausend Aminosäuren austauschen – solange es nicht zu Übertragungen von Mensch zu Mensch komme, sei uns eine Pandemie heute nicht näher als gestern. (FAZ, 14.01.06) [74] China ist nicht nur einer der schlimmsten Herde des Vogelgrippevirus H5N1, sondern auch die Quelle der am schnellsten verfügbaren Waffe gegen die gefürchteten Influenzaviren. (FAZ, 19.01.06) [75] Virologen und Politiker sind überrascht, wie schnell die gefürchtete Vogelgrippe deutschen Boden erreicht hat. [Untertitel] (DER SPIEGEL, 20.02.06) In allen vier Belegen findet man das Virus in verschiedenen sprachlichen Umschreibungen als Gegenstand der Äußerungen: ‚Virus‘, ‚Erreger‘, ‚Influenzaviren‘, ‚Vogelgrippe‘. In allen vier Fällen ist das jeweilige Nomen mit einer attributiven Erweiterung bzw. Ergänzung versehen: ‚das gefürchtete Virus‘, ‚der verhasste Erreger‘, ‚die gefürchteten Influenzaviren‘, ‚die gefürchtete Vogelgrippe‘. Betrachtet man diese Ergänzungen näher, ist festzustellen, dass es sich um Passivpartizipien in attributivem Gebrauch bzw. um Adjektive handelt, die aus der Partizipform gebildet wurden. Von Bedeutung sind hier weniger die speziellen morphologischen und wortklassifikatorischen Aspekte,41

41

Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie solche attributiv gebrauchten Wörter zu klassifizieren sind. Für einige Autoren bilden die Partizipformen bzw. überhaupt die Infinitive keine eigene Wortart bzw. Wortklasse, sondern gehören unterschiedlichen Wortklassen an. Gemäß dieser Einteilung zählt gefürchtet zu den ‚partizipialen Adjektiven‘; fürchten → gefürchtet. Verhasst ist hier sicher ein noch etwas komplizierterer Fall, weil die Zuordnung verhassen → verhasst so nicht mehr funktioniert, da das Verb verhassen bis auf die attributiv und prädikativ gebrauchte Form verhasst veraltet und nicht mehr

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sondern vielmehr die semantische Mehrdeutigkeit, bzw. vielmehr Mehrdimensionalität dieser Bildungen. Denn in erster Annäherung handelt es sich um ein sprachliches Mittel zur Charakterisierung des durch das Partizip ergänzten Substantivs: Das Virus, die Vogelgrippe, der Erreger hat die Eigenschaft, es ist ihm eigen, so und so zu sein. Unter diesem Blickwinkel betrachtet erscheint es logisch, die vier Belege als Beispiele für die mediale Rolle der Angsterzeugung einzuordnen. Bei näherer semantischer Analyse stellt sich aber sehr schnell heraus, dass die diskursive Rolle dieser Äußerungen nicht auf Angsterzeugung beschränkt bleibt. Ob das Verb in finiter Form noch in Gebrauch ist (wie bei fürchten) oder nicht (wie bei verhassen) – die Herkunft des Adjektivs aus dem Partizip II weist selbst schon darauf hin, dass die mit Hilfe dieses Wortes gekennzeichnete Eigenschaft des jeweiligen Substantivs ohne Bezug auf ein getrennt davon Existierendes bzw. Angenommenes (sei dies nun Etwas oder Jemand) nicht zu denken ist: Wenn das Virus gefürchtet ist, dann heißt das zugleich, dass es jemanden gibt, der es fürchtet. Jemand muss den Erreger hassen, damit man davon sprechen kann, dass dieser verhasst sei.42 Die Charakterisierung des Virus, die hier die Angst erzeugende Rolle gerade dadurch spielt, dass sie dem Virus diese Qualität zuschreibt, ist damit zugleich als diskursiv Angst zuschreibend zu nennen, eben weil sie damit ein verängstigtes Subjekt auf dem anderen Pol unterstellt. In diesen Belegen findet sich also die Annahme, dass sich mehrere unterscheidbare diskursive Rollen auf engstem Raum sprachlich realisiert finden, in der Weise bestätigt, dass ein und dasselbe Wort durch seinen spezifischen morphosemantischen Charakter im Sinne der beiden Rollen des Angsterzeugens wie des Angsthabens wirkt. Wenn man an dieser Stelle kurz im Sinne einer übergreifenden diskurstheoretischen Betrachtung der massenmedialen Aufbereitung der Vogelgrippe weiterdenkt, so liegt gerade angesichts der zuletzt analysierten Belege die Schlussfolgerung nahe, auch den Foucault‘schen ‚Dialog von Texten‘ nicht im engen Sinne mediensprachlicher Text(sorten)-Unterscheidung als Bezogenheit von unterschiedlichen medialen Textproduktionen aufeinander zu verstehen, sondern als Dialog der diskursiven Rollen, die möglicher- aber keinesfalls notwendigerweise jeweils in eigenen, gegeneinander abgrenzbaren Texten sprachlich realisiert werden. Diese Überlegung wird in Kapitel III im Rahmen der dort zu entwickelnden weitergehenden theoretischen Bewertung der Untersuchungsergebnisse wieder aufzugreifen sein.

in Gebrauch ist. Vgl. hierfür u.a. Helbig, 2005 S. 101 ff. und Deutsches Wörterbuch, online-Ausgabe, http://germazope.uni-trier.de/Projects/DWB), Stichwort ‚verhasst‘. 42 Z.B.: „verhasst [Adj.; -er, -este][adj. 2.Part. von veraltet verhassen = hassen]: jmdm. äußerst zuwider; jmds. Hass hervorrufend: ein -es Regime; Unaufrichtigkeit ist ihm [in tiefster Seele] v.; er ist überall v.; sich bei jmdm. v. (unbeliebt) machen“ (Duden 1996)

116 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse c) Das verängstigte Kollektivsubjekt „Wir“ Im Folgenden soll ein anderer Aspekt der Interdependenz der diskursiven Rollen näher betrachtet werden. [76] Doch mit dem Vorrücken der Vogelgrippe in die Türkei wächst auch hierzulande die Nervosität – und Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Herausforderung zu bestehen. (FAZ, 12.01.06) [77] Das Entsetzen in Europa ist groß, die Panik hält sich in Grenzen – zu Recht. (DIE ZEIT, 12.01.06) [78] Insgesamt hatten sich 200 Bewerber bei Roche gemeldet, als im Herbst 2004 die erste Angstwelle vor einer Vogelgrippe-Pandemie die europäischen Länder heimsuchte. (FAZ, 11.01.06) [79] In der Angst vor der Vogelgrippe ist die EU geeint. (TAGESSCHAU, 13.01.06) [80] Das Medikament, das die Welt schon seit Monaten aus Angst vor einer möglichen Vogelgrippe-Pandemie hortet, […] (FAZ, 16.01.06) [81] Während in aller Welt panische Angst vor einer Vogelgrippe-Pandemie umgeht, […] (FAZ, 16.01.06) Was an diesen Belegen interessieren soll, ist die schon bei der Untersuchung von Angsterzeugung erörterte Konstitution eines kollektiven Subjekts. Alle Belege definieren mit der Zuschreibung von Angst nicht zuletzt immer auch dasjenige Subjekt, das diese Angst hat, und zwar in einem viel umfassenderen Sinne als nur bezogen auf die eine Eigenschaft „ängstlich“. Ganz analog zu dem gefährdeten, bedrohten, im Kampf gegen das Virus befindlichen Subjekt, das kollektiv der Gefahr, der Bedrohung ausgesetzt und zugleich gegen diese aufgestellt ist, wird ein Subjekt gezeichnet, dessen kollektives Gefühl auf der Bandbreite zwischen Angst und Panik angesiedelt ist. Bemerkenswert ist an diesem Punkt wiederum nicht nur, was für ein Kollektiv, sondern welches Kollektiv hier als verängstigtes diskursiv erzeugt wird. Betrachten wir dafür noch einmal die eben zitierten Belege näher. Welche Kollektivsubjekte, welche „Wir“ sind hier zu finden? In Beleg [76] taucht scheinbar gar kein Kollektiv auf. Im Satz findet sich lediglich die lokale Angabe ‚hierzulande‘. Diese Angabe entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung als doch sehr exakt zu definierendes, metonymisch umschriebenes Subjekt: Nicht nur der allgemeinsprachliche Gebrauch des Wortes „hierzulande“ verweist auf das Gebiet, das Land innerhalb der staatlichen Grenzen Deutschlands.43 Die damit bereits angedeutete politische bzw. na-

43 „hierzulande (auch: hier zu Lande) [Adv.]: (geh.): in diesem Land, dieser Gegend, dieser Gesellschaft, unter diesen Leuten hier“, (Duden 1996)

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tionalstaatliche Natur des Kollektivs, dessen ‚Nervosität wächst‘, wird durch die Einbettung in den Kontext dieses scheinbar bloß lokalen Adverbs vollends klar. Insbesondere der nach dem Gedankenstrich folgende Hauptsatz trägt dazu bei: Mit ‚Horst Seehofer (CSU)‘ als Aussagegegenstand dieses zweiten Satzes und der von ihm zu meisternden ‚Herausforderung‘ wird scheinbar unvermittelt ein explizit und eindeutig politischer Zusammenhang thematisiert; Satzsubjekt ist ein prominenter politischer Amtsträger, der – obwohl er sicherlich zu den bekannteren Politikern Deutschlands zählt (was umso mehr für die Leserschaft der FAZ gelten dürfte) – nicht nur namentlich erwähnt wird, sondern zusätzlich dazu in Form einer engen Apposition44 sein Amt und schließlich auch seine Partei. Die Schlüssigkeit des Anschlusses des Satzes ‚und Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Herausforderung zu bestehen‘ ergibt sich nur dadurch, dass sich sowohl ‚Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU)‘ als auch ‚hierzulande‘ auf ein gemeinsames Drittes beziehen: das nationalstaatlich bzw. politisch definierte Subjekt „Deutschland“ bzw. „die Deutschen“. Verstärkt wird diese Fassung vom verängstigten „Wir“ auch durch die Kookkurrenz und den speziellen Anschluss eines anderen, aber gleichartigen: eben nationalstaatlichen Subjekts, nämlich der Türkei. Wenn es heißt, dass ‚mit dem Vorrücken der Vogelgrippe in die Türkei [...] auch hierzulande die Nervosität [wächst]‘, dann verleiht – mittels der Konjunktion ‚auch‘ – die ‚Türkei‘ dem ‚hierzulande‘ einen entsprechenden Charakter, analog zu dem, wie der folgende Satz mit der Nennung eines deutschen Ministers wirkt. Bereits in den Überlegungen zur diskursiven Angsterzeugung hat sich das vom Vogelgrippevirus betroffene bzw. durch es gefährdete „Wir“ als ein Kollektiv herauskristallisiert, das nicht einfach eine Zusammenfassung von mehreren, möglicherweise sehr vielen Individuen ist, sondern das eine vom Einzelnen und damit auch von der Pluralität der Einzelnen getrennte, politisch-staatliche Existenz und Festigkeit aufweist. Die Sorgen, die inhaltliche Fassung der Verängstigung bzw. Verängstigtheit werden auf diese Weise definiert, der Rezipient erfährt sie als solche und so zugleich als seine. Diskursiv „gültige“, d.h. innerhalb des Diskurses bzw. für den Diskurs relevante Angst existiert damit konsequenterweise nicht als individueller seelischer Zustand, sondern in der Regel nur als Massenphänomen, was an den folgenden Belegen erkennbar ist: [80] Das Medikament, das die Welt schon seit Monaten aus Angst vor einer möglichen Vogelgrippe-Pandemie hortet, […]. (FAZ, 16.01.06)

44 Zum Terminus ‚enge Apposition‘ siehe Helbig 2005, S. 511 ff.

118 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse [81] Während in aller Welt panische Angst vor einer Vogelgrippe-Pandemie umgeht, […]. (FAZ, 16.01.06) [82] Denn solange die Mitgliedsstaaten unterschiedliche Mittel zur Bekämpfung der Vogelgrippe anwenden wollen, steigt die Verunsicherung in der Bevölkerung und sinkt der Absatz von Geflügelfleisch. (TAGESSCHAU, 20.02.06) Auffällig sind hier vor allem zwei Aspekte: Zum einen ist dies die bemerkenswerte sprachstrukturelle Ähnlichkeit zwischen dem „Angstvirus“ und der „Virusangst“. Die Bilder, die für die Schilderung des Virus gebraucht werden, gleichen denen der Schilderung des Virus beinahe bis aufs Haar (siehe dafür oben die Untersuchungen zur medialen Angsterzeugung): Wie das Virus, so „geht“ auch die Angst „um“; nicht nur das Virus, auch die Angst verbreitet sich in „Wellen“, wie das Virus so ist auch die Angst vor ihm eine „Heimsuchung“ usw. Gerade durch diese Ähnlichkeit zur Realisierung der Angst erzeugenden Motive, mit der die Rolle der Angstzuschreibung sprachlich realisiert wird, wird erstere Rolle quasi vollendet: Die Angst, die im medialen Diskurs allenthalben „entdeckt“, „beschrieben“, „kommentiert“ – eben: konstituiert wird, entspricht so schon ganz (sprach-)äußerlich ihrem Grund, dem Virus, setzt also auf ihrer Seite ins Recht, was an Angst erzeugenden Beiträgen diskursiv lanciert wird und verleiht ihnen somit letztlich Plausibilität. Insofern ist der diskursiven Zuschreibung von Angst in gewisser Hinsicht immer auch ein Moment diskursiver Angsterzeugung eigen. Zum anderen sind die letzten Zitate, insbesondere [80] und [82], wiederum deutliche Belege dafür, was oben über die überhaupt interessierende Substanz der Angst gesagt wurde: Von Relevanz ist nicht die Angst als solche (die individuelle schon gleich nicht), sondern ihre möglichen oder bereits als eingetreten diagnostizierten Konsequenzen für das Kollektivsubjekt, in das jedes Individuum diskursiv sogleich eingebettet wird: Der Absatz von Geflügelfleisch (und dabei höchstwahrscheinlich mitgedacht: dessen Auswirkungen auf die ökonomische Situation der deutschen Landwirtschaft bzw. des Standorts im Allgemeinen) reiht sich hier ebenso unterschiedslos ein wie mögliche negative Wirkungen des Hortens von Medikamenten usw.45 Diese letzte Überlegung führt aber zu einem noch weitergehenden Schluss hinsichtlich des Zusammenspiels von diskursiver Angsterzeugung und diskursiver Angstzuschreibung. Zur Erinnerung: Oben wurde festge45

Dabei braucht auch gar nicht ausgeführt zu werden, worin die Unvernunft des Hortens eigentlich besteht und wie dieses Horten eine negative Wirkung in welchem Sinn entfalten könnte. Mit dem Gebrauch des pejorativ konnotierten ‚horten‘ ist dieses Phänomen als Zeichen von Angst und umgekehrt Angst mit dem Horten von Medikamenten identifiziert. Sachlich ist hier nicht zu unterscheiden, wo das unvernünftige, Angst geprägte Horten anfängt und wo ein vernünftiges Anlegen und Aufstocken von Vorräten anfängt.

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halten, dass die Charakterisierung der Bevölkerung als verängstigte, durchgeführt als die mediale Diskurspraxis der Adressierung des Rezipienten als verängstigt, den Effekt der Vollendung von Angsterzeugung hat. Die mediale Textproduktion geht selbst von dem Eintreten (intentionalistisch ausgedrückt: Gelingen) der Erzeugung von Angst bei den Rezipienten aus und nimmt folgerichtig auch deren Perspektive ein: Im Namen des verängstigten Rezipienten werden von seiner Warte aus Überlegungen und Sichtweisen medial lanciert und ins Verhältnis zu den Textproduktionen, in denen das Virus in Angst erzeugender Weise thematisiert wird, gestellt. Darüber hinaus aber gibt es eine zweite, dichtere Verwobenheit dieser beiden medialen Rollen: Wenn nämlich – wie anhand der letzten Belege kurz diskutiert – die Angst als diskursiver bzw. diskursiv konstituierter kollektiver Seelenzustand in der Weise existiert, wie er innerhalb der entsprechenden Textproduktionen geformt wird, wenn dies wiederum genau dergestalt geschieht, dass die Angst mit den praktischen Konsequenzen gemessen an diskursiv als relevant erachteten Maßstäben (makroökonomische Gewinn-und-Verlustrechnungen, nationale und standortpolitische Vorteils-Nachteils-Erwägungen, individuelle machtpolitische Erfolgs-Misserfolgs-Kalkulationen staatlicher Amtsträger usw.) gleichgesetzt wird, dann ist Angst selbst ein Grund für Angst – eben vor ihren Konsequenzen. In den Kategorien des hier skizzierten diskursanalytischen Ansatzes ausgedrückt: Angstzuschreibung ist potentiell immer auch Angsterzeugung. Nicht nur, aber in besonders deutlicher Weise lässt sich das an den Beiträgen studieren, die vermeintlich übertriebene, pathologische Formen der Angst vor dem Virus thematisieren. Die Grenzen sind hier oft fließend, jedenfalls einfach zu überwinden, weil die entsprechenden sprachlichen Realisierungsformen überaus einfach gestrickt sind: So ist z.B. mit der Charakterisierung von Angst als ‚Panik‘ mit allem, was dem Wort ‚Panik‘ an Konnotationen innewohnt, genau dieser Übergang geleistet. Folgt man als Rezipient der Logik solcher Beiträge, so ist nicht nur Angst vor dem Virus, sondern mindestens in gleichem Maße auch Angst vor der Angst vor dem Virus geboten: Was, wenn die Medikamente durch Panikkäufe vom Markt gefegt werden; was, wenn wegen Panik der Verbraucher einfach kein Geflügel kauft und die Bauern massenweise ihre Existenz verlieren? Deutlich wird diese Verschiebung in den folgenden Belegen: [83] WHO warnt vor Panik [Titel] (FAZ, 09.01.06) [84] Das Robert-Koch-Institut warnt daher vor Überreaktionen wegen der Erkrankungen in der Türkei. (FAZ, 11.01.06) [85] Der größte deutsche Geflügelanbieter warnt vor „Wohlstandshysterie“ [Titel] (FAZ, 10.02.06) Die Angst vor der Angst wird in diesen drei Belegen (wie in zahlreichen anderen Artikeln) auf zweifache Weise konstituiert: Zum einen erzeugt der Ge-

120 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse brauch des performativen Verbs ‚warnen‘ unmittelbar den Charakter dessen, wovor gewarnt wird: Eine Warnung ist der Hinweis auf eine Gefahr und die Aufforderung diese zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln. Im Deutschen funktioniert dies bezüglich einer Handlung immer logisch negativ: ‚warnen davor, etwas zu tun‘ heißt immer, ‚auffordern, etwas nicht zu tun wegen der darin liegenden Gefahr‘.46 Zum anderen geschieht dies durch die Charakterisierung dessen, wovor gewarnt wird, mittels eindeutig negativ konnotierter Worte: ‚Panik‘ kann ebenso wenig jemand gut oder vernünftig finden wie ‚Überreaktionen‘, geschweige denn die allein mit der Wahl der Bezeichnung moralisch ins Unrecht gesetzte ‚Wohlstandshysterie‘. Dieses Wechselverhältnis der beiden diskursiven Rollen von Erzeugung und Zuschreibung von Angst bedeutet nun keineswegs, dass man diese als theoretische Kategorien zur Erklärung des massenmedialen Vogelgrippediskurses quasi wegen mangelnder deskriptiver Schärfe aufgeben müsste. Es kristallisiert sich lediglich mehr und mehr heraus, dass eine Analyse des massenmedialen Umgangs mit der Vogelgrippe, welche sich in der diskursanalytischen Tradition positioniert sieht, sich von der Idee verabschieden muss, diskursive Kategorien und Unterscheidungen eindimensional und eindeutig auf sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Ebenen abbilden zu wollen. Eine weitergehende Diskussion dieser Problematik ist – wie schon verschiedentlich erwähnt – dem Kapitel III dieser Arbeit vorbehalten. Im Folgenden soll zum Abschluss der Korpusanalyse noch kurz auf die Momente diskursiver Angstbewältigung und deren Wechselbeziehungen mit Angsterzeugung und Angstzuschreibung eingegangen werden. 2.3 Motive und sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung Wie schon in Abschnitt 2.2 soll auch in diesem Abschnitt die Untersuchung der Belege aus dem Korpus daraufhin fokussiert werden, ob sich die unter Abschnitt 2.1.3 aufgestellten Arbeitshypothesen auch für die Annahme einer diskursiven Angstbewältigungsrolle der Massenmedien bewähren und welche Interferenzen und wechselseitigen Bedingtheiten mit Angsterzeugung und Angstzuschreibung herausgefiltert werden können. Letzteres soll am Ende dieses Abschnitts an zwei Belegen eigens durchgeführt werden. Bevor wir aber zur Untersuchung der ersten Belege kommen, scheinen einige Vorüberlegungen sinnvoll.

46 Zum darin liegenden entgegengesetzten Moment von Angstbewältigung siehe weiter unten S. 124f.

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Erstens: Wie kann eine im massenmedialen Diskurs stattfindende Angstbewältigung angenommen werden? In welcher Weise ist dies eine plausibel nachzuvollziehende Konsequenz aus der in den beiden ersten Abschnitten dieses Kapitels untermauerten Existenz der diskursiven Rollen des Angsterzeugers und des Angsthabenden? Im Zuge der oben dargelegten Überlegungen zur Angstzuschreibung und der solcherart vollendeten Konstitution des diskursiven Charakters der Verängstigtheit hatte sich gezeigt, dass zumindest in eine Richtung die Angsterzeugung mit der Angstzuschreibung rückgekoppelt ist: Die im Diskurs durch die Medien praktizierte Zuschreibung von Angst wirkt selbst als Verstärker für ihre Angst erzeugende Rolle; zum einen durch die auf diese Weise konstituierte Folgerichtigkeit und Plausibilität, zum anderen durch die Ergänzung der Angst vor dem Virus durch die Angst vor der Angst (bzw. den Konsequenzen dieser Angst). Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, warum sich im Diskurs die „Rückkopplung“ ganz offensichtlich nicht selbst immer weiter verstärkt, bis es zu einem „Überlaufen“, einer den Diskurs voll und ganz beherrschenden und selbst nicht mehr beherrschbaren Panik kommt. Es ist also davon auszugehen, dass es neben dem den zirkulierenden Prozess von Angsterzeugung und Angstzuschreibung verstärkenden Moment bei der Rückkopplung auch das mindestens genauso stark wirkende entgegengesetzte Moment geben muss. Wenn die „Diskurswelt“ also nicht völlig von unkontrollierter und unkontrollierbarer Angst beherrscht ist, dann muss es im Diskurs selbst Textproduktionen geben, die Angst einhegen, dämpfen, bewältigen. Geht man also davon aus, dass Angsterzeugung und Angstbewältigung als diskurstheoretisch gesicherte existierende Rollen anzunehmen sind, dann erscheint es für eine weitere plausible Interpretation der Diskurswirklichkeit zwingend, auch die Angstbewältigung als diskursive Rolle anzunehmen. Anders gesagt: Um den in Form der jeweiligen Textproduktionen existierenden und darin augenscheinlich relativ stabilen, jedenfalls nicht sich selbst aufhebenden oder zerstörenden Diskurs erklären zu können, kommt man an der Vermutung nicht vorbei, dass die Medien neben der Rolle des „Verängstigenden“ und der des „Verängstigten“ auch die Rolle des „Therapeuten“ spielen. Zweitens: In Kapitel II dieser Arbeit, bei der Erörterung Angst erzeugender medialer Textproduktionen, ist auf die in den einschlägigen Fachwissenschaften gängige begriffliche Unterscheidung zwischen Furcht als (reflektierte) Erwartung einer bekannten bzw. geahnten Gefahr und Angst als einer vom Vorhandensein einer realen Bedrohung emanzipierten, oft unreflektierten Gefühlslage hingewiesen worden, auch wenn diese strenge terminologische Scheidung aus den in Abschnitt II.1.2 genannten Gründen nicht beibehalten wurde. Dementsprechend hat sich bei der Untersuchung des Korpus auf Angst erzeugende Momente die Fokussierung des Wechselspiels zwischen Gewissheit und Ungewissheit ergeben. Es hat sich dabei gezeigt, dass mediale

122 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Angsterzeugung nicht einerseits durch die Konstitution von Ungewissheit und andererseits durch Gewissheit einer Bedrohung, also quasi auf zwei parallelen, aber als solchen miteinander berührungslosen Gleisen funktioniert, sondern dass beide im Zusammenspiel wirken und sich so wechselseitig in ihrer Wirkung verstärken. Im Hinblick auf die Untersuchung des Textkorpus auf die Rolle der Angstbewältigung ist daher zu vermuten, dass sich auch diese zumindest zum Teil in der spezifischen Aufbereitung des Wechselverhältnisses von Gewissheit und Ungewissheit realisieren wird. Drittens: Da sich die Rolle der Angstbewältigung auf einen Charakter bzw. eine Rolle – eben die der Verängstigtheit – bezieht, die im Diskurs medial konstituiert wird und dann als solche existiert, ist davon auszugehen, dass in den Textproduktionen, diese der Rolle der Angstbewältigung zugeordnet werden können, in mindestens ähnlicher, wahrscheinlich stärkerer Art und Weise die Medien selbstreflektiv agieren, sich bewusst auf ein Produkt bzw. eine Konsequenz ihres Wirkens und damit letztlich auf sich beziehen. Der gleiche Argumentationsstrang lässt sich auch von einem anderen Ausgangspunkt her entwickeln: Wenn schon mehrfach betont wurde, dass ein wesentliches Merkmal von Angst (sei es als state anxiety oder trait anxiety eines Individuums) darin besteht, dass sie vom jeweiligen Individuum nicht (mehr) oder doch nur wenig reflektiert ist, dass sie dadurch den seelischen, geistigen und teilweise auch physischen Zustand zumindest teilweise beherrscht, dann ergibt sich daraus folgerichtig, dass die Bewältigung, emphatisch: Überwindung von Angst, wesentlich darin besteht, dieses Beherrschtwerden abzuschütteln, indem man die Angst als Zustand oder Wesensmerkmal der eigenen Individualität reflektiert und ihren Inhalt und Gegenstand als Produkt der eigenen Subjektivität in diese letztere zurückführt. Wenn – so die sich ergebende Schlussfolgerung – im medialen Vogelgrippediskurs Angstbewältigung vorfindlich ist, so müsste diese genau jenen reflektierenden Charakter aufweisen, der den Gegenstand und die Verlaufsformen der Virusangst als diskursiv konstituierte wahrnimmt und einordnet, wenn auch nicht davon auszugehen sein kann, dass dies im Rahmen diskurstheoretischer Überlegungen mit den entsprechenden Kategorien und Begrifflichkeiten geschieht. Anhand der im Folgenden zu diskutierenden exemplarisch aufzuführenden Belege soll versucht werden, die in den drei Vorüberlegungen gewonnenen Vermutungen zu verifizieren und sie mit den Arbeitshypothesen aus dem Zwischenfazit in Abschnitt 2.1.3 in Beziehung zu setzen.

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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2.3.1 Angstabbau/Angstbewältigung durch Thematisierung der Angst Mittels welcher textsemantischen Motive wird Angst/Furcht konstituiert? a) Unnötigkeit und Unbegründetheit von Angst und Aufregung; Angst als Produkt eigener Subjektivität Betrachten wir noch einmal die letzten drei Belege, die oben unter dem Aspekt der Angstzuschreibung besprochen worden sind: [83] WHO warnt vor Panik [Titel] (FAZ, 09.01.06) [84] Das Robert-Koch-Institut warnt daher vor Überreaktionen wegen der Erkrankungen in der Türkei. (FAZ, 11.01.06) [85] Der größte deutsche Geflügelanbieter warnt vor „Wohlstandshysterie“ [Titel] (FAZ, 10.02.06) Es ist oben besprochen worden, wie sich diese Belege der diskursiven Rolle von Angstzuschreibung zuordnen lassen. Unterstellt man den erläuterten Rückkopplungseffekt zwischen Angstzuschreibung und Angsterzeugung als gegeben, erweisen sich diese Belege auch als Angst erzeugend. Daneben enthalten sie aber, obwohl dies zunächst widersprüchlich erscheinen mag, zugleich auch Momente von Angstbewältigung. Gehen wir dazu näher auf die Mehrdeutigkeit des Verbs warnen ein, die oben nicht erschöpfend besprochen worden ist. Grundsätzlich lassen sich für die Valenz des Verbs warnen neben dem Agens (dem ‚Warner‘; A1) noch die beiden Aktanten Adressat (angeschlossen durch reinen Akkusativ; A 2 ) und Gegenstand der Warnung (angeschlossen mittels der Präposition vor mit Dativ; A 3 ) festhalten, also: A1 warnt A 2 vor A 3. Die hier interessierende Mehrdeutigkeit bezieht sich dabei auf den Aktanten A 3. Zu unterscheiden sind hier zwei Fälle: I

Er warnt sie vor dem Betreten des Gebäudes. (A1 warnt A 2 vor A 3.)

II Er warnt sie vor dem Gewitter. (A1 warnt A 2 vor A 3.) In Beispiel I lässt sich die Bedeutung von warnen durch folgende Transformation wiedergeben: Ia Er fordert sie auf, das Betreten des Gebäudes zu unterlassen. (A1 fordert A 2 auf, A 3 nicht zu tun.) In dieser Bedeutungsvariante ist immer A 3 eine Handlung, deren Agens A 2 ist, ein Zustand, in den A 2 verfallen könnte47 o.Ä. Die im Vollzug der Warnung enthaltene Präsupposition besteht darin, dass A 3 nicht nur theoretisch

47

Zum Beispiel: Er warnte sie davor, den Einflüsterungen durch X zu erliegen.

124 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse möglich, sondern sehr wahrscheinlich ist, nämlich ohne Dazwischenkunft der Warnung eintreten würde, weil A 2 das Vorhaben hat, im Begriff ist oder auch unbewusst kurz davor ist, A 3 zu vollziehen bzw. diesen Zustand anzunehmen. Wenn der Sprechakt der Warnung im Sinne von A1 gelingt, tritt A 3 nicht ein, A 2 unterlässt A 3. Satz II lässt sich auf diese Weise nicht beschreiben, weil hier der Aktant A 3 einen völlig anderen Charakter besitzt: Er ist ein vom Wollen und Tun der Aktanten A1 und A 2 zunächst völlig unabhängiges, absehbar bevorstehendes oder zumindest mögliches Ereignis oder Tun eines weder mit A1 noch mit A 2 identischen Subjekts. Ein solcher Gebrauch von warnen findet sich zum Beispiel in der folgenden Meldung: [86] Doch eines Tages, so fürchten die Experten, wird sich das Virus womöglich mit humanen Grippeviren austauschen und ebenso infektiös werden. „Das können wir nicht ausschließen“, warnt der Mediziner. (DIE ZEIT, 12.01.06) Dieser Beleg lässt sich ohne Schwierigkeiten innerhalb der Rolle diskursiver Angsterzeugung verorten; die beiden Motive der Ungewissheit und Gewissheit von Schadenserwartung finden sich auf die für diese Rolle spezifische, im Abschnitt eingehend besprochene Weise, verknüpft; die sprachlichen Realisierungsformen sind neben dem performativen Verb warnen, das mit einem modalen Charakter versehene fürchten sowie das modale Adverb womöglich. Widmet man sich demgegenüber aber noch einmal dem in den Belegen [83] bis [85] vorfindlichen Gebrauch von warnen, ergibt sich Angsterzeugung – wenn überhaupt – nur als ein Moment der diskursiven Bedeutung dieser Äußerungen. Denn in dem anhand der Beispiele I und Ia skizzierten Gebrauch von warnen, also der Aufforderung an jemanden, etwas nicht zu tun oder zuzulassen, ist eine im Weiteren entscheidende Präsupposition enthalten: Einen kommunikativen „Sinn“ ergibt eine solche Äußerung nur unter der Vorannahme, dass A 2 auf die Warnung auch praktisch eingehen kann, also die Freiheit besitzt, die ihm mögliche Handlung zu unterlassen. Der oben schon mehrfach thematisierte Stellenwert von Präsuppositionen für die Realisierung diskursiver Rollen ist demnach auch hier zu beobachten: Ohne die explizite Benennung der (aus Sicht des Sprechers/Textproduzenten gegebenen) Unnötigkeit der Angst bzw. Aufregung, ihres sachlich-objektiv nicht fundierten, sondern subjektiv hervorgebrachten Charakters, wird durch die Sprachhandlung Warnung die thematisierte Angst genau als solche, mit dieser Charakteristik konstituiert. Geleistet ist damit, was eingangs dieses Abschnitts als grundlegendes Moment von Angstbewältigung erörtert wurde: die Bewusstmachung des subjektiven Charakters von Angst und die damit eröffnete Möglichkeit, ihrer Herr zu werden.

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Dass allein schon mit der Sprachhandlung der Warnung vor Angst die Präsupposition gesetzt ist, dass die Angst von der tatsächlichen Bedrohungslage emanzipiert, bloß subjektiv, eingebildet ist und damit auch (mehr oder weniger leicht) unterlassen werden kann, heißt nun keineswegs, dass eine explizite, nicht in der Präsupposition Warnung „versteckte“ Charakterisierung der Angst in diesem Sinne unterbleiben muss. Im Gegenteil, wie ebenfalls an den Belegen [83] bis [85] zu studieren ist, kann die Warnung durchaus auch mit zusätzlichen expliziten sprachlichen Charakterisierungen dessen, wovor gewarnt wird, einhergehen. Die sprachlichen Realisierungsformen sind dabei unterschiedlich: In Beleg [83] wird durch die Wahl des Substantivs die Angst sozusagen abqualifiziert: Panik (laut Duden „durch eine plötzliche Bedrohung, Gefahr hervorgerufene übermächtige Angst, die das Denken lähmt u. [bei größeren Menschenansammlungen] zu kopflosen [Massen]reaktionen führt“ ) enthält als Lexem noch einmal genau die Eigenschaften und Konnotationen von Angst, die in der Warnung vor ihr als Präsupposition enthalten sind. Man kann also an dieser Stelle bereits zwei Motive diskursiver Angstbewältigung festhalten – nämlich erstens die in die Warnung vor ihr eingebettete Thematisierung schlechthin von Furcht bzw. Angst und zweitens die explizite Charakterisierung von Angst als Angst, d.h. als unobjektive, sachlich unangemessene, wesentlich affektive Größe – und zugleich konstatieren, dass die im Zwischenfazit unter 2.1.3 aufgestellte Hypothese der engen topologischen Kookkurrenz verschiedener Motive sich auch für den Bereich mediendiskursiver Angstbewältigung verifizieren lässt. Diese Realisierungsform des Motivs ist innerhalb des beobachteten Zeitraumes im Übrigen überaus häufig zu finden. Dabei finden sich gegenüber den Belegen oben auch noch Steigerungen, die logisch-rhetorisch betrachtet in vielen Fällen als Tautologien zu charakterisieren sind, die darin bestehen, dass Panik eo ipso nie angemessen, begründet usw. sein kann, genau dies aber im Prinzip geleugnet wird, wenn es eigens zu einer Eigenschaft der konkret zum Gegenstand gemachten Panik gemacht wird, dass sie unbegründet, ohne Anlass usw. sei: [87] Zur Panik besteht also kein Grund. (FAZ, 24.02.06) [88] In jedem Fall aber verbietet sich Panik und etwa auch die Tiere gleich niederzuknüppeln. (TAGESTHEMEN, 22.02.06) [89] Insbesondere gibt es keinen Anlass, nun in Panik die Tauben im Park zu vergiften. (DIE ZEIT, 19.01.06) [90] Es sei nicht auszuschließen, daß das Virus auf Nutztiere überspringe; zur Panik bestehe keinerlei Grund, sagten Kyprianou und Pröll. (FAZ, 21.02.06) [91] Die Bundeskanzlerin warnte unterdessen vor Panik. (DER SPIEGEL, 08.05.06)

126 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse [92] Experten warnen vor Panik, mahnen aber auch zur Vorsicht. (DER SPIEGEL, 08.05.06) [93] In Deutschland warnen Fachleute unterdessen vor Panik [...]. (FAZ, 10.01.06) [94] Nach dem Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland hat die Bundesregierung vor Panik gewarnt. (FAZ, 16.02.06) [95] Hysterie, so Platzeck, ist völlig unangebracht. (TAGESSCHAU, 26.02.06) [96] Der Naturschutzbund (Nabu) warnt vor übertriebenen Sorgen, Zugvögel könnten sich in Rumänien, der Türkei oder im Grenzgebiet zum Irak infizieren. (FAZ, 04.02.06) b) Überrepräsentiertheit von Angst in den Medien und im Bewusstsein der Bevölkerung Die Liste ließe sich fast beliebig erweitern. Auffällig ist hier nicht nur die stets wiederkehrende Logik der Realisierung des Motivs, wie sie oben analysiert worden ist, sondern zudem auch die formale Gleichförmigkeit der sprachlichen Realisierung. In diesem Zusammenhang erscheinen dann Beiträge interessant, für die exemplarisch die folgenden stehen sollen: [97] In Deutschland sterben Jahr für Jahr Tausende Menschen im Winter an der gewöhnlichen Grippe, ohne daß es die Öffentlichkeit erregt. An diese Zahlen sollte man sich dieser Tage auch einmal erinnern. (FAZ, 24.02.06) [98] Man sollte schließlich nicht vergessen, dass die ganz normale Grippe, die bis zu viele Millionen Menschen jeden Winter befällt, sehr viel gefährlicher ist. 8 bis 10000 Personen sterben daran jedes Jahr in Deutschland. (TAGESTHEMEN, 03.03.06) [99] Aber – und das kann nicht oft genug gesagt werden – die Vogelgrippe ist nach wie vor eine Tierseuche und wer keinen intensiven Kontakt zu lebendem Geflügel hat, der kann sich auch nicht anstecken. (TAGESTHEMEN, 06.04.06) [100] Die Vogelgrippe, man kann es nicht oft genug sagen, ist eine Tierseuche. Sie stellt nun auch eine große Gefahr für das europäische Geflügel dar. Für den Menschen aber ist das Risiko nicht wesentlich größer geworden, seit der H5N1-Erreger Europa erreicht. (FAZ, 28.02.06) In diesen vier Belegen finden sich – teilweise als ganze Sätze, teilweise als Parenthesen – Äußerungen einer eigenartigen methodischen Metareflexion. Gegenstand dieser Äußerungen ist jeweils eine als vorhanden, wünschenswert, notwendig, angemessen oder auch unangemessen o.ä. eingeschätzte diskursive Relevanz bestimmter Positionen oder Ansichten. Es geht in diesen Äu-

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ßerungen nicht um die sachlich-inhaltliche Richtigkeit bestimmter Urteile, nicht darum, ob sie zu teilen oder zurückzuweisen sind. All dies wird hier unterstellt. Vielmehr handelt es sich um eine mit dem sachlich-substantiellen Beitrag zum Diskurs zugleich bzw. parallel versuchte Positionierung des Beitrages innerhalb dieses Diskurses. An der Art und Weise, in der das jeweils geschieht, lassen sich Unterschiede bei den Beiträgen [97] und [98] einerseits, [99] und [100] andererseits feststellen. Zunächst seien die letzten beiden Belege näher betrachtet. In frappanter formeller Ähnlichkeit wird der syntaktische Hauptsatzfluss durch einen mittels Kommata bzw. Parenthesestrichen markierten Einschub unterbrochen. Die Unterbrechung findet sich satzsemantisch betrachtet in Beleg [100] genau am Übergang vom Thema zum Rhema des Satzes; in [99] ist sie noch davor platziert. In rhetorisch-kommunikativer Hinsicht ist dadurch in beiden Belegen zunächst zweierlei geleistet. Erstens wird die Spannung und dadurch potentiell die Aufmerksamkeit des Rezipienten erhöht, weil der zunächst zu erwartende syntaktische und damit semantische Fortgang hinausgezögert wird. Zweitens bewirkt genau dies eine Unterstreichung der dann folgenden Äußerung. Dies ist jedoch nur die erste, unmittelbar text- bzw. pragmalinguistische Ebene. Was spielt sich gleichzeitig auf der höheren diskursiven Ebene ab? Anscheinend gehen die Produzenten der Texte, die die Substanz des medialen Diskurses ausmachen nicht davon aus, dass durch das Rezipieren eines einzelnen Textes oder sogar vieler einzelner Texte die gewünschte diskursive Wirkung eintritt. Faktisch wird oft geäußert, dass die Vogelseuche – einstweilen – einen tier- und keinen humanmedizinischen Bedrohungsfall darstellt. Diskursive Realität wird dieses „oft“ – zumindest auch – dadurch, dass es selber wieder thematisiert wird. Die Textproduzenten verhalten sich hier unvermittelt und scheinbar bewusst als Diskursteilnehmer bzw. diskursiv Handelnde. Näher gefasst besteht ihr Handeln hier darin, dass sie bestimmten Diskursbeiträgen versuchshalber einen bestimmten Stellenwert zuordnen, den damit gleichzeitig anderen Beiträgen und den sich in diesen Beiträgen äußernden, diskursiv betätigenden Positionen bzw. Rollen absprechen. Angstabbau wird hier dadurch unternommen, dass dem anvisierten Adressaten die Angst als Produkt eines diskursiven Ungleichgewichtes, einer Unterrepräsentiertheit Angst abbauender bzw. bewältigender Beiträge und komplementär dazu einer Überrepräsentiertheit der Rolle von Angsterzeugung vorgeführt wird – und zwar in genau dieser auf den Diskurs als solchen reflektierenden Weise. Dies fügt sich passgenau in die oben vertretene These ein, dass beim diskursiven Vollzug der Rolle der Angstbewältigung per se ein höherer Grad an Explizitheit und Reflexivität zu erwarten ist, wenn ihr Hauptmoment die Bewusstmachung der unbewussten und unreflektierten Gefühlslagen von Angst und Ungewissheit ist.

128 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse c) Bewusstmachung/Erinnerung an „lediglich vergessenes“ Wissen Ähnlich, wenn auch nicht völlig gleich, kann die Funktionsweise der Äußerungen in den Belegen [97] und [98] verständlich gemacht werden. Beide Äußerungen hantieren mit dem Motiv vergessener Fakten, die es gelte, dem Vergessen (wieder) zu entziehen. Nähert man sich diesen Aussagen unvoreingenommen, nimmt sie sozusagen „wörtlich“, dann stellt sich natürlich sehr schnell die Frage, ob hier tatsächlich davon gesprochen werden kann, dass bestimmte Fakten von der Allgemeinheit bzw. von Vielen vergessen worden sind. Dies unterstellt ja immerhin, dass sie vorher geteilter Wissensbestandteil der so angesprochenen Rezipienten gewesen sind. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob die Gesamtheit oder auch nur ein großer Teil der Rezipienten eigentlich weiß, dass jedes Jahr in Deutschland eine hohe vierstellige Zahl von Toten durch Grippe zu verzeichnen ist. Anscheinend greift auch hier die Logik und Funktionsweise präsupponierender Adressierungen an den Rezipienten: Wenn dieser eine solche Äußerung plausibel interpretieren und nachvollziehen will, muss er sich das „Vergessen-haben“ einleuchten lassen. Wenn und indem er dies tut, „einigt“ er sich mit dem Produzenten dieser Äußerung darauf, dass das Wissen über die Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken bei Grippeinfektionen auch ihm vertraut ist. Die Kommunikation zwischen Textproduzenten und -rezipienten enthält zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die meisten Rezipienten das neue Wissenselement über besagte Statistiken, gleichzeitig läuft diese Kommunikation aber nicht als Belehrung ab, sondern – sozusagen „auf Augenhöhe“ – als mehr nebenbei eingestreute Erinnerung an ein gemeinsames Wissenselement. Die Fokussierung auf die Vogelgrippe erscheint vom Standpunkt dieses kommunikativ hergestellten common ground wie eine Verirrung; die Angst erhält auf diese Weise den Charakter einer unbegründeten, dem eigenen Wissen widersprechenden und daher vor allem leicht abzustellenden Gefühlslage. Die Form einer Erinnerung an gemeinsames Wissen erübrigt die ansonsten gebotenen Belege, Begründungen usw. und verhindert möglicherweise auch eine vom Rezipienten andernfalls eventuell empfundene Situation des Belehrtwerdens. Auch die Frage der sachlichen Relevanz der angeführten Statistiken wird damit von vornherein ausgeschlossen. Das ist durchaus ein Nutzen im Sinne diskursiven Angstabbaus bzw. diskursiver Angstbewältigung. Denn es ist natürlich keineswegs selbstverständlich, die Gefahr eines bestimmten Schadens allein schon deshalb niedriger einzustufen, weil es außerdem auch noch andere Quellen von Gefahr gibt. Dies gilt erstens allgemein und zweitens bezogen auf die hier thematisierte andere Gefahr der „ganz normalen“ Grippe erst recht: Denn durch eine hohe Anzahl von mit Erregern der letztgenannten Art Infizierten steigt zumindest für diese Personengruppe das Risiko, bei einer etwaigen Infektion mit dem Vogelgrippevirus ernsthaft, möglicherweise lebensgefährlich zu erkranken. Außerdem stellen die „normal“ grippeinfizierten ein weiteres

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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Pool für mögliche gefährliche genetische Veränderungen des Grippevirus dar, wenn es hier zu einem Kontakt beider Arten kommt. All solche Überlegungen bzw. Fragen sind aber, wie gesagt, antizipiert und dadurch beantwortet, dass hier nicht ein Wissenselement – und damit auch seine Beziehungen zu anderen Wissenselementen wie auch seine Relevanz – als neu dargeboten, sondern als lediglich vergessen thematisiert wird. Im gleichen sprachlichen Motiv der „Erinnerung“ ist eine weitere aus diskurstheoretischer Sicht entscheidende Dimension enthalten, auf die weiter unten48 einzugehen sein wird. Es soll an dieser Stelle noch einmal zum Motiv der Warnung zurückgekehrt werden. Ähnlich wie [83] und [84] „funktioniert“ die Warnung, die in Beleg [85] zitiert wird. Der Unterschied zu den Belegen [83] und [84] besteht in der Art und Weise, wie die Angst als von einer realen Bedrohung(sanalyse) getrennt dargestellt wird. Dies geschieht mittels des Kompositums ‚Wohlstandshysterie‘. Die Bedeutung dieser eigenwilligen Konstruktion erschließt sich dem Rezipienten nur durch den Kontext. Eine im Juni 2008 per Google durchgeführte Internetrecherche ergab eine Reihe von Treffern für das Suchwort „Wohlstandshysterie“, die in der Regel einen völlig anderen Bedeutungsgehalt als bei dem hier belegten Gebrauch aufwiesen. Gemeint war damit zumeist ein übertriebenes, andere Aspekte des Lebens, insbesondere immaterielle Werte usw. ausblendendes, borniertes und darin eben hysterisches Streben nach Wohlstand, wofür verschiedene, teilweise völlig disparate Beispiele angeführt wurden, so der starke Ausbau sozialer Sicherungssysteme, die deutsch-deutsche Währungsunion von 1990, das Töten von Tieren zur Verarbeitung von tierischen Organen/Geweben in der Industrie usw. Um sich dem in Beleg [85] Gemeinten zu nähern, seien zunächst größere Abschnitte des Artikels aus der FRANKFURTER A LLGEMEINEN ZEITUNG bis zum Auftauchen des Wortes „Wohlstandshysterie“ im Text zitiert: [101] Die Ängste vor der Vogelgrippe hätten PHW weniger stark getroffen als andere Anbieter, sagt der Unternehmenschef Paul-Heinz Westjohann. Während die ‚No name‘-Ware verliere, zeige sich ‚Wiesenhof‘ stabil. Gerade in diesen Zeiten zahlten sich die Investitionen in den Aufbau einer Qualitätsmarke aus. Bei ‚Wiesenhof‘ könne der Konsument auf ‚kompromissloses Herkunfts-, Qualitäts- und Sicherheitskonzept‘ vertrauen. Die Tiere stammten aus 700 deutschen Partnerbetrieben; das Futter enthalte kein genverändertes Soja, keine Proteine und keine antibiotischen Leistungsförderer.

48 Siehe S. 140 zu Beleg [111].

130 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Die vereinzelte Panikmache vor Geflügelfleisch bezeichnete Westjohann als ‚Wohlstandshysterie‘. Bisher seien in der ganzen Welt 80 Menschen an der Vogelgrippe gestorben, während allein in Deutschland jedes Jahr bis zu 10.000 Menschen an der ‚normalen‘ Grippe stürben. Bei den Ansteckungsfällen in Anatolien habe es sehr engen Kontakt zu den Tieren gegeben [...]. So etwas gebe es hier nicht. [...]. Es sei absolut sicher, daß niemals ein infiziertes Tier in die Nahrungskette gelange, sagte Westjohann. (FAZ, 10.02.06) Versucht man, aus dem Kontext heraus zu dechiffrieren, was mit Wohlstandshysterie gemeint ist bzw. – vorsichtiger – gemeint sein mag, so ergibt sich in etwa folgende umschreibende Erklärung: Wohlstandshysterie ist hier gemeint als eine luxuriöse, unbegründete Angst bzw. Angstmache, die nicht nur ignoriert, dass durch den hiesigen Wohlstand bedingt ein z.B. aus Asien bekannter, gefährlicher Umgang mit möglicherweise infiziertem Geflügel nicht stattfindet, sondern die umgekehrt in gewisser Weise darauf beruht, dass der hier vorfindliche Wohlstand überhaupt die Freiheit eröffnet, sich solchen unnötigen und unbegründeten Sorgen hinzugeben. Auch hier lässt sich als logisch negatives Bedeutungselement herausarbeiten, dass sich die Angst nicht aus Befürchtungen vor realen, vernünftig eingeschätzten Gefahrenszenarien speist, sondern einer davon völlig getrennten Quelle entspringt. Im Unterschied zu den vorher besprochenen Formen der Realisierung dieses Angst bewältigenden Motivs wird hier nicht die wenn auch selbstproduzierte Ohnmacht gegenüber der Angst als alles beherrschender Gefühlslage gezeichnet, sondern genau umgekehrt eine geradezu mutwillige Lust an der Hysterie. Das gleiche Motiv der Bewusstmachung/Diskreditierung der Angst als bloß gefühlte wird in einigen Beiträgen in Form von Vergleichen realisiert. Als Beispiel sei der folgende Zeitungsbeitrag herausgegriffen: [102] Während in Deutschland viele Menschen seit dem Auftreten der Vogelgrippe in Asien verhalten auf Geflügel reagieren, wird das Thema in den traditionell von Türken bewohnten Berliner Stadtvierteln Kreuzberg und Neukölln vor allem seit vergangener Woche diskutiert, als im Osten der Türkei drei Kinder an der Vogelgrippe starben. Nur wenige der in Deutschland lebenden Türken informieren sich über die deutschen Medien. Die meisten schauen türkisches Satellitenfernsehen. Entsprechend einseitig ist ihr Informationsstand: Als im vergangenen Oktober in der Westtürkei zehntausend Tiere wegen des Verdachts auf Vogelgrippe getötet wurden, berichteten deutsche Zeitungen davon. Die türkischen Medien hielten sich zurück. (FAZ, 16.01.06)

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[103] Vor allem aber gibt es hierzulande ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Gefahr. Wissen rettet Leben. Daran hat es in der Türkei gefehlt. (DIE ZEIT, 12.01.06) Verglichen wird hier nicht der Grad der in der Bevölkerung oder weiten Teilen der Bevölkerung empfundenen und sich in verschiedenen Formen äußernden Angst mit dem Grad einer dieser subjektiven Angst als objektiv gegenübergestellten Gefahr, sondern Formen der Stellung zur Vogelgrippe innerhalb verschiedener Kollektive. Diese Kollektive mögen vorderhand national definiert sein; der Beitrag selbst fasst sie aber als Diskurskollektive, wenn er darauf eingeht, an welcher für sie relevanten Medienkommunikation auch die in Deutschland lebenden Türken im Wesentlichen teilnehmen: an der türkischen. Die Reaktionen innerhalb der unterschiedlichen Kollektive bzw. die Reaktion der unterschiedlichen Kollektivsubjekte wird hier unmittelbar als Folge des medialen Diskurses thematisiert: Türkische Medien berichteten wenig oder gar nicht – entsprechend gering war die Relevanz des Themas für türkische Medienrezipienten; bei den Deutschen war es umgekehrt: Deutsche Medien haben kontinuierlich über die Ausbreitung der Vogelgrippe berichtet, entsprechend ‚verhalten‘ war der Konsum von Geflügel innerhalb dieser Gruppe. Die beruhigende, Angst abbauende Wirkung liegt hier in der Zeichnung des Bildes einer – auf den deutschen Diskurs bezogenen – Angemessenheit von Geschehen – Berichterstattung – öffentlicher Reaktion. Im Unterschied dazu wird dieses Verhältnis bezogen auf den türkischen Diskurs als unangemessen bewertet. Die deutschen Medien haben – so die Aussage – das berichtet, was relevant ist und daher den Rezipienten ermöglicht, sich praktisch adäquat zu verhalten. Der Einbruch beim Verkauf von Geflügel taucht in diesem Artikel denn auch in der euphemistischen Form auf, dass in Deutschland ‚viele Menschen seit dem Auftreten der Vogelgrippe in Asien verhalten auf Geflügel reagieren.‘ Im Unterschied dazu seien türkische Rezipienten ‚einseitig‘ informiert. Streng genommen sind ja auch die deutschen Rezipienten ‚einseitig‘ informiert, wenn man davon ausgeht, dass ihre Mehrheit sich auf die Rezeption deutscher Medien beschränkt, so wie Türken dies mit türkischen Medien tun. Als ‚einseitig‘ wird der Informationsstand türkischer Medienrezipienten nur dann einleuchten, wenn man eine unangemessene Informationsarbeit der türkischen Medien unausgesprochen mitdenkt. Unangemessen ist diese wiederum im Vergleich zur Berichterstattung deutscher Medien, deren Angemessenheit sich am besonnen zurückhaltenden Kaufverhalten über Geflügel erweist; unter logischen Gesichtspunkten betrachtet ist damit ein vollständig geschlossener Zirkel beschrieben. Seine Plausibilität und damit seine potentielle Wirksamkeit im Sinne der diskursiven Rolle der Angstbewältigung erhält er letztlich wiederum durch einen spezifischen Umgang mit der Dialektik von Gewissheit und Angemessenheit: Weil „wir“ über alles informiert sind, also in

132 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Gewissheit über die tatsächlichen Gefahren wissen, können „wir“ angemessen reagieren, weshalb die Gefahr als solche automatisch in Schranken gewiesen, überschau- und eben handhabbar ist. Mit zusätzlicher Überzeugungskraft wird dies anhand eines Vergleiches mit einem anderen diskursiven „Wir“ aufgeladen. Hierfür sind die schon im Abschnitt über diskursive Angsterzeugung angesprochenen xenophoben Kommunikationsmuster ohne Weiteres abrufbar und produktiv zu machen. Eine ähnliche Logik des motivierten Vergleiches wird weiter unten49 anhand von Belegen, in denen das jeweilige Angstbewältigungsmotiv vor allem mittels Zahlen realisiert wird, noch einmal zu besprechen sein. d) Unfähigkeit vieler Menschen zu angemessenem Verhalten; Abweichung von psychologischer Normalität Alle bisher in 2.3.1 untersuchten Beiträge spielen ihre Angst abbauende bzw. Angst bewältigende Rolle dadurch, dass sie die Angst als subjektiven Zustand thematisieren. Eine Zuspitzung erfährt dieses Motiv dann, wenn die Angst als solche nicht nur thematisiert, sondern problematisiert wird. Diese Beiträge nähern sich an der sprachlichen Oberfläche und der kenntlich werdenden kommunikativen Intention der jeweiligen Textproduzenten teilweise stark an, was ihnen auf der Analyseebene des Diskurses als Eigenart ihrer Rolle zukommt. Es finden sich hier nicht nur in textsemantisch tieferen Schichten, sondern an der sprachlichen Oberfläche psychologisierende Standpunkte, die mit psychologischen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Sichtweisen spielen. In schlagender Weise wird dies im folgenden Beleg durchgeführt: [104] Allerdings befällt viele Verbraucher neben Hysterie noch eine weitere Störung – sie sind auch vergeßlich. Nach ein paar Monaten ist die ganze Aufregung meist wieder vorbei. (FAZ, 18.02.06) Schon im Begriff ‚Hysterie‘ wird die Vorstellung von einer vom Subjekt nicht mehr unter Kontrolle zubringenden Überwältigtheit (hier durch die Angst vor einer Infektion) transportiert. Durch den nüchterneren Terminus ‚Störung‘ wird das noch verstärkt: Denn wiewohl dieser Ausdruck abgeklärter und damit auch weniger pejorativ klingen mag als ‚Hysterie‘, wirkt er doch in die Gegenrichtung. Seine Nüchternheit erhält er nämlich als terminus technicus der Psychologie und Psychiatrie, für die damit eine bestimmte Art und ein bestimmtes Maß von Abweichung von psychologischer Normalität/seelischer Gesundheit markiert wird. Der Zustand der Verängstigtheit erhält auf diese Weise Züge eines pathologischen Phänomens, das im gleichen Satz mit dem

49

Siehe S. 140f., Beleg [109].

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Störungsbild eines mangelnden Erinnerungsvermögens auf die gleiche Stufe gestellt wird. Zusätzlich zu solchen Beiträgen finden sich insbesondere Zeitungsartikel, die aus Sicht des Gesamtdiskurses dazu im Verhältnis einer sachlogischen Fortführung, genauer gefasst: einer weiteren psychoanalytischen Vertiefung stehen. [105] Damit können die meisten Menschen nicht umgehen, vor allem dann nicht, wenn die mögliche Bedrohung gewaltig, ihre Eintrittswahrscheinlichkeit aber gering ist. Es erscheint paradox, doch die Gefahr für den Menschen hat sich seit den Virusfunden in Mecklenburg-Vorpommern so marginal erhöht, dass es sich in Zahlen nicht fassen lässt. Noch nie in der Geschichte des zehnjährigen Seuchenzugs hat sich ein Mensch direkt an Wildvögeln infiziert. (DIE ZEIT, 23.02.06) [106] Soll man seine ungeteilte Aufmerksamkeit nun der Vogelgrippe widmen oder nicht? Man weiß es nicht. Die Verschwommenheit der Situation steht in einem eigentümlichen Kontrast zu der Präzisionsästhetik, die aus den über Rügen kreisenden Tornados der Luftwaffe, den Schutzmasken, Absperrungen und Desinfektionsmaschinen spricht. Zuviel Aufmerksamkeit könnte Verschwendung psychischer Ressourcen sein: man schießt sich auf eine Pandemie ein, auf das eigene Hinweggerafftwerden im schlimmsten Fall, der dann doch nicht eintritt. Zuwenig Aufmerksamkeit, mit der man die Vogelgrippe gleichsam nur im Augenwinkel beobachtet, ist aber auch nicht gut. Man könnte wichtige Informationen verpassen, die einem das Überleben sichern. (FAZ, 24.02.06) [107] Das Schwanken auf dem Grat der Aufmerksamkeit: ein Bürgerrecht für den einzelnen. (FAZ, 24.02.06) [108] Wenn man hört, daß hoch infektiöse Schwanenkadaver tagelang herumlagen, daß in manchen Regionen zwar schon vor Monaten Schutzanzüge bereitgelegt wurden, aber niemand einen Alarmplan aufgestellt hatte, aus dem hervorgeht, wie die Schutzanzüge zügig zu den Helfern vor Ort gelangen – dann fassen wir die behördliche Mutante unserer großen Unentschiedenheit: nicht genau zu wissen, wie ernst wir die Lage nehmen sollen, von der wir täglich hören, daß sie „sehr ernst“ (Merkel) sei. (FAZ, 24.02.06) Auch in diesem Beleg findet sich eine beinahe psychiatrisch klingende Beurteilung über die (Un-)Fähigkeit vieler Menschen zu angemessenem Verhalten in spezifischen Spannungssituationen. Der Übergang wird gemacht von der Thematisierung einer Bedrohung/Belastung der Menschen durch die Vogelgrippe zu einer Belastung und potentiellen Selbstbedrohung durch

134 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse die Überforderung ihrer Psyche mit den eigenen Schadensabwägungen und Gefühlen von Gefährdung. Die Angst rührt in dieser Darstellung nur noch mittelbar aus der Gefährdungslage, dem wirklichen Auftreten von Infektionsund Todesfällen. Der eigentliche Generator der Angst ist das empfundene Missverhältnis zwischen der ‚Eintrittswahrscheinlichkeit‘ und dem – für den Fall des Eintretens – zu erwartenden Schaden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird so charakterisiert, dass sie zu klein sei, als dass sie sich irgendwie verplausibilisieren oder in praktikable Handlungsoptionen übersetzen ließe; sie kann tatsächlich nur als Quotient – „zahlenmäßig“ – ausgedrückt werden. Gleichzeitig ist die Veränderung des damit also schon dem Alltagsbewusstsein nicht mehr zugänglichen Gefährdungsgrades so klein, dass sie selbst in der abstrakt-quantifizierenden Fassung nicht mehr ausgedrückt werden kann. Und das angesichts von Ereignissen – „den Virusfunden in MecklenburgVorpommern“ – überhaupt nicht hypothetischer Natur. Es ist hier überhaupt nicht die Frage zu stellen, ob es tatsächlich einen einzelnen oder mehrere Menschen gibt oder gegeben hat, die ein solcherart konstruiertes Paradoxon empfunden haben und von daher ängstlich geworden sind. Die Relevanz dieses Zeitungstextes ergibt sich nicht daraus, dass er auf einen Rezipienten trifft, bei dem das ganz getrennt von der Lektüre dieses Textes so abgelaufen ist. Diskursrelevant ist so ein Text dadurch, dass er eine plausible Interpretation dieser Angst anbietet und es dem Rezipienten ermöglicht, sich auf diese Weise im Diskurs wiederzufinden, nämlich einerseits in der Rolle des Verängstigten und andererseits – wegen der spezifisch psychologischen Genese dieser Angst (Stichwort: Überforderung) – im Prinzip offen und zugänglich ist für ebenfalls im Diskurs lancierende und dort wirkende Angebote der Beruhigung, Versachlichung, eben allen Hilfen bei der Kontrolle und Überwindung der Angst. Dieses Moment der psychologischen Begutachtung findet sich in Beleg [106] in ungleich elaborierterer Fassung. Er beginnt mit einer Frage, die der Autor nicht an den Leser hat und auch nicht bloß an sich selbst richtet. Deutlich wird vielmehr, dass der Autor für den Leser, an seiner statt eine Frage formuliert und sofort nachschiebt, dass es auf diese Frage bisher keine Antwort gibt (‚Man weiß es nicht.‘). Er gibt damit den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen, den common ground für das Verständnis des weiteren Textes vor. Wenn der Textrezipient sich auf diese Frage nicht einlässt, d.h. nicht nachvollzieht, dass er diese Frage hat, bleibt für ihn der weitere Verlauf der Ausführungen unverständlich, verworren oder zumindest nichtssagend. Sobald der Rezipient aber diese Frage für sich akzeptiert, kann der Text aber als psychologisierendes, nämlich die psychologische Verfassung eines Verängstigten analysierendes Gespräch verstanden werden. Der Text läuft als Aufarbeitung eines Dilemmas ab, das einerseits aus der Angst herrührt und diese – an dieser Stelle von größerer Bedeutung – eigentlich erst zu

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dem steigert, was sie ist. Angstabbau/Angstbewältigung läuft hier im Prinzip ohne jede größere Verfremdung als diskursive Angsttherapie ab, indem der diskursive Charakter des Verängstigten dazu angehalten wird, der eigenen Angst auf den Grund zu gehen. Sein Blick wird nach innen gelenkt. Er wird dahin geführt, den Grund für die Angst oder das Unbehagen bei sich, in der – durch die Situation sicherlich begünstigten – Unfähigkeit suchen, die verschiedenen von außen erfahrenen Eindrücke zu einem stimmigen Bild und einer sich daraus ergebenden eigenen Stellung dazu zusammenzufügen: ‚Die Verschwommenheit der Situation steht in einem eigentümlichen Verhältnis zu der Präzisionsästhetik...‘ Wie weit dieser Beitrag das Feld (vermeintlich) objektiver Tatsachen, der sachlichen Umwelt hinter sich gelassen hat, wird daran deutlich, dass auch die scheinbar sachlich-objektiven Gründe für die empfundene Ratlosigkeit selber schon psychologischer Dimension sind, dem inneren Wahrnehmen und Empfinden angehören: ‚Verschwommenheit‘ ist kein objektives Merkmal einer Situation, sondern charakterisiert die Schwierigkeiten bei ihrer Wahrnehmung, Differenzierung, Einordnung und Bewertung, die ein Subjekt hat. Gleiches gilt für die der ‚Verschwommenheit der Situation‘ polarisch entgegengesetzte ‚Präzisionsästhetik‘. Wohlgemerkt ist hier nicht von ‚Präzision‘, sondern von ‚Präzisionsästhetik‘ die Rede. Diese kommt den technischen Vorkehrungen und Geräten, auf die dann Bezug genommen wird – den ‚über Rügen kreisenden Tornados der Luftwaffe, den Schutzmasken, Absperrungen und Desinfektionsmaschinen‘ – als solchen nicht zu: Als technische Gerätschaften haben sie bestimmte physische Eigenschaften, die sie mittels ihres getrennten oder koordinierten Einsatzes zu mehr oder weniger nützlichen Instrumenten bei der Seuchenverhinderung, -eindämmung oder -bekämpfung macht. Ein ästhetisches Moment ist ihnen fremd und ergibt sich nur durch eine ästhetisierende Betrachtungsweise. Beide einander entgegengehaltene Pole sind also jeweils selbst schon innerer, psychologischer Natur. In dieser Eigenschaft treten sie zueinander in Widerspruch und verursachen eine Angst, die quasi auf einer höheren Stufenleiter empfunden wird, eine sekundäre Angst: Soll man Angst haben oder nicht? Soll man seine Aufmerksamkeit auf die primär empfundene Angst richten oder nicht? Auf diese Weise kommt automatisch eine dritte Ebene dazu, auf der darüber reflektiert wird, in welchem Verhältnis die primäre Angst und die sekundäre ‚Angst vor der Angst‘ möglicherweise stehen: Zuviel Aufmerksamkeit könnte Verschwendung psychischer Ressourcen sein [...] Zuwenig Aufmerksamkeit, mit der man die Vogelgrippe gleichsam nur im Augenwinkel beobachtet, ist aber auch nicht gut.

136 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Es entsteht das Problem, ob durch die Reflexionen der sekundären Stufe die primäre, auf die äußere Gefahr gerichtete Angst möglicherweise unangemessen groß oder unangemessen klein gerät. Der in Beleg [108] zitierte Text passt sicherlich nur bedingt zu der hier zu besprechenden Angstbewältigung; eher schon ist der ganze Tenor dazu geeignet, Angst zu erzeugen, weil er die Machtlosigkeit und mangelnde praktische Handlungsfähigkeit gegenüber dem Virus ausmalt. Trotzdem ist er unter folgendem Aspekt auch hier von Interesse. Anhand der vorigen Belege ist nachgezeichnet worden, wie Angstbewältigung dadurch funktionieren kann, dass der Grund für die Angst in das Innere des Verängstigten gelegt und dies zum Ausgangspunkt einer sozusagen psychotherapeutischen Besprechung gemacht wird. Beleg [108] kann als konsequente Fortführung bzw. kongeniale diskursive Antwort darauf gelten. Denn hier wird die Unsicherheit, die das Subjekt empfindet nicht als Ausdruck oder Konsequenz einer praktischen bzw. praktisch erfahrenen Unsicherheit, Ratlosigkeit gekennzeichnet, sondern genau umgekehrt: Die beobachtbaren Handlungen staatlicher Behörden sind ein Derivat des Psychologischen: die behördliche Mutante unserer großen Unentschiedenheit: nicht genau zu wissen, wie ernst wir die Lage nehmen sollen, von der wir täglich hören, daß sie „sehr ernst“ (Merkel) sei. Die Verlagerung des Seuchengeschehens ins Innere, die Psychologisierung des Seuchendiskurses also, scheint mithin keine Domäne der Rolle des Angstbewältigens zu sein, sondern sie passt ebenso zur diskursiven Angsterzeugung. Beleg [107] fasst im Prinzip alles, was zu den vorherigen Belegen gesagt wurde zusammen und spitzt die Botschaft dahingehend zu, dass man lernen muss, mit dieser inneren Unsicherheit bzw. dem Gefühl der Verunsichertheit umzugehen. Auf einer sehr abgeleiteten Ebene ist hier eine Schlussfolgerung zu konstatieren, die in gleicher Form, jedoch mit einem direkteren Bezug auf die Vogelgrippe als tatsächlich ablaufendes Geschehen im übernächsten Abschnitt als eigenständiges Motiv innerhalb der diskursiven Rolle der Angstbewältigung besprochen wird: Bewältigung bzw. Kontrolle der Angst durch die Einsicht in die Unabänderlichkeit des – äußeren oder inneren – Geschehens. Die diskursive Rolle solcher medialen Textproduktionen besteht ganz eindeutig in der Bewusstmachung der Mechanismen von Angst, in der therapeutisch angeleiteten Distanzierung von der eigenen Angst mit der Perspektive ihrer Kontrolle bzw. Bewältigung. Ist diese Position einmal im Diskurs installiert, braucht nicht jede Äußerung, d.h. jeder Diskursbeitrag, der (potentiell) im Sinne der Rolle von Angstabbau/Angstbewältigung wirkt, mit der gleichen Ausführlichkeit zu erfolgen, obwohl gerade das psychologisierende, also sehr direkt an die Rolle eines Therapeuten gemahnende Motiv innerhalb dieser diskursiven Rolle natürlich eine gewisse Elaboriertheit, sprachliche

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Ausführlichkeit als Ausdruck eines gründlichen und tiefen Verständnisses in gewisser Weise nahe legt. 2.3.2 Angstabbau/Angstbewältigung durch Relativierung/ Leugnung von Gefahr a) Thematisierung des geringen Ausmaßes der Gefahr Der Beleg [101] scheint geeignet zu sein, ein weiteres Motiv diskursiver Angstbewältigung zu diskutieren. Bereits oben ist besprochen worden, dass auch für die diskursive Rolle der Angstbewältigung die texttopologische Nähe des Auftretens zweier Motive zu konstatieren ist. Ein solcher Übergang von einem Motiv zu einem anderen innerhalb der gleichen diskursiven Rolle findet sich auch hier, wobei man hier einem dritten Motiv von Angstbewältigung begegnet. Und wiederum erfolgt dieser Übergang als sprachliche Explizierung der in der sprachlichen Realisierung eines anderen Motivs enthaltenen Präsupposition. Betrachten wir dafür noch einmal kurz die prägnante Zeitungsartikelüberschrift in Beleg [83]. [83] WHO warnt vor Panik [Titel] (FAZ, 09.01.06) Es wird die sprachliche Handlung der Warnung vollzogen. Wovor gewarnt wird, ist eine Panik. Die Angstbewältigung findet damit erstens durch die bloße Thematisierung von Angst statt, zweitens durch die Sprachhandlung der Warnung mit den darin enthaltenen Präsuppositionen hinsichtlich der Unangemessenheit und Unnötigkeit der Angst und drittens durch die explizite sprachliche Charakterisierung der Angst als unnötig und unangemessen durch den Gebrauch des Wortes „Panik“. Worauf oben noch nicht eingegangen worden ist, ist der Umstand, dass auch der Gebrauch des Wortes „Panik“ mit den entsprechenden Bedeutungsmomenten und -nuancen eine Präsupposition enthält, und zwar hinsichtlich des Gegenstandes der Angst: Wenn der Gefühlszustand der Furcht bzw. die daraus folgenden und davon getragenen Handlungen als bloße Angst (ab-)qualifiziert werden, so ist darin ein nicht weiter expliziertes, aber notwendig präsupponiertes Urteil über den Gegenstand der Angst aufgestellt: Insofern nämlich die Angst eine ihrem Gegenstand nicht angemessene, also unsachliche Gefühlsregung darstellt, entspricht umgekehrt der Gegenstand der Angst nicht dem, was die Angst aus ihm macht. Anders ausgedrückt: Ein wie auch immer inhaltlich gefasstes und sprachlich realisiertes Urteil über die Angst stellt stets auch ein Urteil über den Gegenstand der Angst dar bzw. unterstellt ein solches. Am zuletzt zitierten Beleg ausgedrückt heißt dies, dass die durch die WHO herausgegebene und von der FRANKFURTER A LLGEMEINEN ZEITUNG zitierte Warnung vor Panik die Lageeinschätzung unterstellt, dass der zum Zeitpunkt der Warnung

138 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse zu registrierende Stand und die Geschwindigkeit der Ausbreitung des Virus sowie dessen genetische Entwicklung nicht so beschaffen sind, dass Grad und Form der Furcht, die die WHO zur Kenntnis nimmt oder befürchtet, sachlich berechtigt sind. Und auch in diesem Fall ist es so, dass augenscheinlich das durch das Urteil über die Angst bzw. durch die Äußerungen über den Umgang mit ihr präsupponierte Urteil über den Gegenstand der Angst die sprachlich explizite Realisierung dieses Urteils nicht notwendig ausschließt oder überflüssig macht. So findet sich eine Reihe von Belegen dafür, dass das Urteil über die Angst als übertrieben oder unangemessen selbst den Übergang zu sprachlich expliziten Thematisierungen des geringen Ausmaßes der Gefahr, der Unwahrscheinlichkeit des Eintretens von Schadensfällen bis hin zur Behauptung von Sicherheit vor Gefährdung durch das Virus darstellt. Dieses Motiv der Relativierung/Leugnung von Gefahr stellt somit stets einen möglichen Kulminationspunkt diskursiver Angstbewältigung dar. Es soll aber an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass man sich auch in diesem Fall vor einer im engeren Sinne intentionalistischen Interpretation hüten sollte und also nicht der vielfach geäußerten ‚Panikmache!‘ von „kritisch-diskursanalytischer“ Warte „Beruhigungstaktik!“ entgegenrufe. Aus wissenschaftlicher Sicht bleibt festzuhalten, dass dieses Motiv – ob implizit oder explizit – in den anderen, vorher besprochenen Motiven von Angstbewältigung diskursiv und sprachlich angelegt ist. Vor dem Hintergrund der eben diskutierten Beispiele erscheint es als nachgerade folgerichtig, dass eine ganze Reihe von medialen Beiträgen genau dieses Motiv diskursiver Angstbewältigung quasi als Hauptmotiv realisiert; exemplarisch dafür mögen die folgenden Belegstellen stehen: [109] In Asien sind bislang weniger als 100 Menschen am Vogelgrippevirus gestorben. Dabei haben sich die Menschen an erkranktem Geflügel angesteckt. In Deutschland sterben Jahr für Jahr Tausende Menschen im Winter an der gewöhnlichen Grippe, ohne daß es die Öffentlichkeit erregt. An diese Zahlen sollte man sich dieser Tage auch einmal erinnern. (FAZ, 24.02.06) [110] In neun Jahren wohlgemerkt 100 von den sechseinhalb Milliarden Menschen auf der Welt. An der Menschengrippe sterben jedes Jahr allein in Deutschland zwischen 10000 und 20000. (TAGESTHEMEN, 05.04.06) Es soll – um es noch einmal hervorzuheben – auch an dieser Stelle nicht darum gehen, die „Beruhigungstaktik“ vordergründig als solche bloßzustellen oder zu blamieren; das ist durch Vertreter anderer wissenschaftlicher Auffassungen hinsichtlich der Übertragbarkeit der Vogelgrippe, der möglichen Ausbreitungsgeschwindigkeit usw. und auch durch Vertreter sich als kritisch verstehender medientheoretischer Richtungen schon oft genug geschehen.

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Interessant ist an dieser Stelle die Art und Weise, wie bestimmte sprachliche Strategien dazu genutzt werden, um mit ihrer Hilfe gewisse diskursive Rollen auszufüllen, ohne dass den Beteiligten diese Rolle notwendigerweise klar und bewusst sein muss. Zunächst fällt in dem schon weiter oben50 besprochenen Beleg [109] eine so ähnlich schon im Abschnitt über diskursive Angsterzeugung diskutierte Explizierung des Motivs auf, wenn hier auch in eigenartig indirekter Weise: Nach der Sprachhandlung der Erinnerung an einen in den Augen des Autors relevanten Fakt bezüglich der Opferzahlen um die Äußerung, dass gerade dies – nämlich die Erinnerung an diesen Fakt – ‚dieser Tage‘ geboten sei. Unter streng logischer Perspektive beinhaltet diese Sequenz eine gewisse strukturelle „Unordnung“: Es scheint jedenfalls logisch nicht gerade zwingend, nachdem man jemanden (hier den Leser des Textes) an etwas erinnert hat, genau demjenigen mitzuteilen, es sei geboten (ausgedrückt durch das modale Auxiliarverb ‚sollen‘ im Konjunktiv), sich daran zu erinnern. Welchen kommunikativen Sinn ergibt dies? Der bloße Verweis auf die im Sinne der Illokution wirkende Verstärkung der vorangehenden Satzaussage trägt nicht sehr weit, weil sich so zwar die Motivierung dieses Zusatzes und sein grober Inhalt erklären lassen, nicht aber seine eigenartig verschlungene Form. Letztere ist folglich nur erklärbar, wenn man die Bemerkung ‚An diese Zahlen sollte man sich dieser Tage auch einmal erinnern‘ auch als Bekräftigung bzw. Verteidigung der ihr vorangestellten Aussage gegenüber einer als bekannt präsupponierten Gegenposition interpretiert, also als Äußerung innerhalb eines „Gesprächs diskursiver Rollen“, wobei die andere Rolle hier eindeutig als die der Angsterzeugung auszumachen ist. Gerade dieses Dialoghafte scheint ein wesentlicher Punkt innerhalb der Überlegungen zu einer diskursanalytischen Medientheorie zu sein, weshalb im Rahmen der Systematisierung der Untersuchungsergebnisse in Kapitel III darauf zurückzukommen sein wird. Das unmittelbare kommunikative Movens für die quasi dialoghafte Explizierung der Äußerungsabsicht in [110] scheint wiederum darin zu liegen, dass dem Produzenten einer solchen Stellungnahme selbst auffällt bzw. dass er eher unbewusst empfindet, dass seine Interpretation der Lage im mit dem vorhergehenden Satz geleisteten lokutiven Akt weder explizit aufscheint, noch – und das ist an dieser Stelle fast noch wichtiger – aus der Satzaussage quasi zwingend folgt. Auch hier stößt man auf den Umstand, dass Zahlen ihre persuasive Kraft nicht durch ihre (vermeintliche?) Objektivität haben, sondern dass diese ihnen zugeschrieben wird. Tatsächlich vertraut kaum ein Autor auf die Unwiderstehlichkeit numeralisierender Argumentation, sondern sieht sich immerhin genötigt, die Illokution sprachlich explizit zu machen; im

50 Siehe S. 127, Beleg [97].

140 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Ergebnis sieht es dann aber tatsächlich so aus, als ob die ganze Aussagekraft und Stringenz in den Zahlen liege. Vergleichen wir dafür die folgenden zwei Passagen: [109] In Asien sind bislang weniger als 100 Menschen am Vogelgrippevirus gestorben. (FAZ, 24.02.06) [40] Zwar sind in Asien und der Türkei bereits 92 Menschen an dem Erreger verstorben. (DER SPIEGEL, 25.02.06) Thematisiert wird in beiden Sätzen der gleiche Umstand, nämlich der durch das Vogelgrippevirus verursachte Tod von 92 Menschen. Beide Sätze haben jeweils eine deutliche Stoßrichtung, die sich jeweils auf die argumentative Wucht der genannten Zahl beruft. Trotzdem wird gerade in der Gegenüberstellung deutlich, dass der bloßen Zahl als solcher keineswegs die Eigenschaft zukommt, ‚bereits 92‘ oder eben ‚weniger als 100‘ zu sein. Zahlen sind nichts weiter als eine mögliche sprachliche Realisierungsform eines diskursiven Motivs als kommunikative Erscheinungsform einer diskursiven Rolle. Ihre Überzeugungskraft erlangen sie aus dem um sie herum konstruierten sprachlich-argumentativen Kontext, der – das zeigen die Beispiele – sehr dicht um die Zahl herum gewebt sein muss; in der Regel findet sich der als interpretatorischer Frame für die jeweilige Zahl fungierende Kontext innerhalb des gleichen Satzes. Auch dies ist ein Zeichen, wie wenig den augenscheinlich so überzeugenden und objektiven Zahlen tatsächlich an Überzeugungs- und Argumentationskraft zukommt. Dass Vergleiche dieser Art nie aus sich heraus gültige Schlussfolgerungen generieren bzw. nahe legen und damit (diskursive) Wirkungen entfalten können, ist auch an folgenden Belegen klar nachweisbar. [111] 146 Infizierte, 76 Tote bisher, das scheint vielen Verantwortlichen offenbar nicht Ansporn genug, die Seuchenüberwachung zumal in den ländlichen, abgelegenen Regionen angemessen auszubauen. (FAZ, 11.01.06) [112] So ein Pandemieerreger könnte nun auch in Deutschland entstehen, da das A/H5N1 Mitteleuropa erreicht hat. „Allerdings“, sagt Brunhilde Schweiger, „ist die Gefahr in Asien noch viel größer. Dort gibt es wesentlich mehr erkranktes Geflügel, mit denen die Menschen engsten Kontakt pflegen.“ (FAZ, 20.02.06) In beiden Belegen wird thematisiert, dass die Vogelgrippe in Asien ihren Ausgangspunkt und dort seuchenmäßig wesentlich stärkere Wirkungen entfaltet hat. Die Lesart ist jedoch genau entgegengesetzt.51 Während das ungleich 51

Beleg [111] ist Teil des oben im Abschnitt über Angsterzeugung besprochenen Beleges [34].

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heftigere Seuchengeschehen in Asien im ersten Beleg dafür steht, dass es eine im Fernen Osten lokalisierte Quelle von Gefahr für uns hier gibt, steht es im zweiten Beleg für das genaue Gegenteil: Die Seuche ist dort und nicht hier. Es findet hier eine auf den ersten Blick erstaunlich anmutende Umdeutung dessen statt, was in 2.1 als Material und Logik von dessen diskursiver Deutung im Sinne von Angsterzeugung analysiert wurde. Es hat sich im Zuge dieser Analyse herausgestellt, dass diskursive Angsterzeugung mittels medialer Berichterstattung über asiatisches Seuchengeschehen nicht trotz, sondern ganz wesentlich dadurch funktioniert, dass die Seuche, das Virus als von woanders her stammend, nicht zu uns gehörend, von außen zu uns eindringend konstruiert wird und so die im Konzept vom ‚Fremden‘ liegende Mischung aus Unbekanntheit, Ungewissheit und Gewissheit von Schädlichkeit voll entfaltet und so zugleich reproduziert. Die diskursive Konstruktion eines Hier-Dort, Außen-Innen kann – gerade weil sie ein diskursives Konstrukt ist, genau umgekehrt wirken bzw. wirksam gemacht werden: In diesem Konzept von der Abgegrenztheit, Unvermitteltheit des Innen mit dem Außen, der eigenen Identität mit dem bloß Fremden schlummert nämlich zugleich eine gewisse Hermetik, die nur noch evoziert zu werden braucht: Das Andere, Äußere, Fremde ist eben außen, in der Fremde und nicht hier. Die quasi therapeutische Anregung zur Besinnung auf sich selbst nimmt dem Fremden bzw. dem in der Fremde ablaufenden Geschehen den Schrecken, weil sie ihm die Präsenz nimmt. Und mit der Präsenz schwindet die Relevanz. Dieses Grundmuster taucht innerhalb des Korpus in verschiedenen Varianten auf. Interessant sind vor allem Beiträge, wie die folgenden: [113] Das Risiko, daß das Vogelgrippevirus H5N1 eine Pandemie auslöst, ist deswegen nach Meinung von Fachleuten zwar immer noch vorhanden, aber durch die Todesfälle in der Türkei nicht sehr viel größer geworden. Das bestätigt unter anderem auch die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts in Berlin, Susanne Glasmacher: „An unserer Risikoeinschätzung hat sich nichts geändert.“ (FAZ, 06.01.06) [114] Hat sich durch die Fälle von Vogelgrippe in der Türkei etwas an der Gefahreneinschätzung für Deutschland verändert? (FAZ, 10.01.06) [115] In Ostanatolien aber halten viele Bewohner Hühner, Enten und Puten zu ihrem Eigenbedarf. Die Tiere laufen tagsüber im Freien umher und werden abends mit in die Häuser genommen. Deswegen sprach der türkische Landwirtschaftsminister Mehdi Eker, der am Donnerstag zu einem Besuch in die Region aufbrach, auch von einem „ernsten Problem“. (FAZ, 06.01.06) [116] Alle Patienten (in der Türkei; Anm. d. A.) hatten einen sehr engen Kontakt mit den Hühnern. Durch das Berühren der infizierten

142 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Tiere, durch das Rupfen der Federn. Ein Kind soll sogar mit dem abgeschnittenen Kopf eines Huhns gespielt haben. (TAGESTHEMEN, 05.01.06) [117] Die Vogelgrippe ist eine Tierseuche. Menschen infizieren sich nur sehr, sehr, sehr, sehr selten und nur dann, wenn sie mit den Hühnern aufstehen und zu Bett gehen und zwar im wörtlichsten Sinn. (TAGESTHEMEN, 05.04.06) In den ersten beiden Belegen findet sich das besprochene Grundmuster der diskursiven Nach-außen-Verbannung des Schadens als unausgesprochene, präsupponierte Grundlage für die darauf aufbauende Fragestellung, wie klar oder vage eine mögliche Wirkung des außen ablaufenden Seuchengeschehens auf die hiesige Gefahreneinschätzung auszumachen ist. Dabei ist auffällig, dass nicht von einer Wirkung des in Asien, der Türkei usw. registrierten epidemischen bzw. infektiösen Geschehens auf die Lage hier die Rede ist, sondern von der Wirkung auf die Sichtweise, auf die Interpretation (‚Risikoeinschätzung‘). Bei den anderen Belegen findet gewissermaßen eine Vollendung des Grundmotivs statt. Die Verlagerung des Geschehens und der Gefahr in eine Fremde, die mit uns nichts zu tun hat, wird hier ergänzt durch die positive Bestimmung, warum es dort so ist, wie es hier nicht sein kann. Dies erfolgt durch ein Ausmalen der Bedingungen vor Ort, die eine Entstehung und Ausbreitung der Seuche nicht nur begünstigen, sondern im Prinzip geradezu provozieren. Das Spielen mit dem Kopf muss für das Empfinden eines deutschen Rezipienten derartig fremd und Ekel erregend sein, dass die Schlussfolgerung, dass dort ein Unheil ausbrechen musste, sich wie von selbst aufdrängt. Die folgenden Belege vollenden dieses Motiv aus der entgegengesetzten Richtung, nicht durch das Ausmalen der (befremdlichen) Fremde, sondern des vertrauten Hier-und-Jetzt: [118] In deutschen Wohnzimmern kann man aufatmen, hier wirbelt kein Staub und kein Kot von toten Hühnern in der Luft herum. (TAGESTHEMEN, 05.04.06) [119] Zur Panik besteht also kein Grund. Hühnchen in der Mittagspause, Gänsebraten bei der Familienfeier und das Frühstücksei sind ungefährlich für den Verbraucher. Wird das Fleisch erhitzt, stirbt das Virus ohnehin. Und wer ganz auf der sicheren Seite bleiben will, ißt sein Frühstücksei künftig eben hartgekocht. (FAZ, 24.02.06) Die beruhigende Wirkung geht in diesen beiden Beiträgen von einer teilweise geradezu blumig ausgemalten Vertrautheit der heimischen Verhältnisse aus. Während Angsterzeugung unter Verweis auf solche vertrauten, absolut siche-

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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ren, in sich ruhenden Verhältnisse so funktioniert, dass damit der Kontrast zum Fremden, Bedrohlichen und damit die Bedrohlichkeit selbst ins Absolute gesteigert wird,52 wirkt hier die Absolutheit des Kontrastes, das völlige Auseinanderfallen der beiden Seiten genau umgekehrt: Es scheint nicht nur schwer vorstellbar, sondern geradezu denkunmöglich, dass die Idylle durch etwas völlig Anderes abrupt gestört werden könnte. Der ‚Gänsebraten‘ stellt in diesem Zusammenhang – genauso wie das ‚Frühstücksei‘ – einen Topos deutscher Gemütlichkeit dar, ein für Textproduzent und Textrezipient zum gemeinsamen Vorrat an Sitten, Empfindungen und Bildern für Sitten und Empfindungen gehöriges Element, dass hier zwischen den beiden Polen der Medienkommunikation zur Verständigung dient über die Abseitigkeit des Seuchenszenarios innerhalb des gleichen Kontextes, in welchem auch ‚Gänsebraten‘ und ‚Frühstücksei‘ verortet sind. Ordnet man die Belege [115] bis [119] gemäß dem Kriterium, ob die Angst abbauende Rolle der jeweiligen Diskursbeiträge durch das Ausmalen der Fremde und der zu ihr passenden Vogelgrippe oder durch das Motiv der heimischen Idylle und der Nichtnachvollziehbarkeit eines Seuchengeschehens innerhalb dieser Idylle erfolgt, dann kommt dem Beleg [118] gewissermaßen eine Zwischenstellung zu: Hier wird die Sicherheit und Trautheit des Hiesigen – gekennzeichnet durch die selber schon zum Sprachdenkmal geronnenen ‚deutschen Wohnzimmer‘ – ideell mit einem Bild für die fremden, befremdlichen, unzivilisierten und Ekel erregenden ostasiatischen bzw. ostanatolischen Zustände überlagert, […]‚ hier wirbelt kein Staub und kein Kot von toten Hühnern in der Luft herum. und genau so die Abstrusität dieser Vorstellung zum Vehikel dafür, die Angst vor einer Gefahr, die aus den fremden Verhältnissen stammt und zu diesen gehört, zu relativieren, angesichts dessen, dass man sich ja gerade ‚in deutschen Wohnzimmern‘ befindet. Es findet hier ein Umschlag ins Komische statt: Man stelle sich vor, Kot in deutschen Wohnzimmern. Die Beruhigung des Verängstigten geschieht dadurch, dass das, wovor er sich ängstigt, ins Lächerliche gezogen wird. b) Das Stattfinden von Maßnahmen der Bekämpfung von Gefahr als ihre Bewältigung Ein weiteres Submotiv innerhalb des Motivs der Relativierung der Gefährdungslage tritt in sehr vielen Beiträgen auf. Dass es erst an dieser Stelle besprochen wird, darf kein Anlass sein, eine geringere Bedeutung dieses Submotivs innerhalb des Wirkens der diskursiven Rolle des Beruhigens und des

52

Siehe dazu die Ausführungen zu Beleg [31], S. 79ff.

144 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Angstabbaus zu vermuten, im Gegenteil. Wie man sehen wird, spielt es in mehrerlei Hinsicht eine gewisse Sonderrolle. Folgende Textausschnitte sollen als Belege dienen: [120] Andere Länder kämpfen schon länger als Deutschland mit dem Virus. Thailand zum Beispiel. Dort sind seit zwei Jahren regelmäßig Fälle von Vogelgrippe gemeldet worden. Bis vor 104 Tagen, seitdem gab es keinen einzigen Fall mehr. Denn Thailand ist außerordentlich erfolgreich im Kampf gegen das Virus. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation das erfolgreichste Land ganz Asiens. (TAGESTHEMEN, 22.02.06) [121] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf ist auf die Gefahr einer Vogelgrippe-Pandemie besser vorbereitet, weil sie jetzt einen größeren Vorrat des Medikaments „Tamiflu“ hat. (FAZ, 18.01.06) [122] Dann im vorigen Jahr die Wende. In allen Geflügelfarmen die Aktion Big Cleaning – Großes Saubermachen, von oben angeordnete Desinfektion. (TAGESTHEMEN, 22.02.06) [123] Seehofer sagte, an dem Institut, das auch nationales Referenzlabor für die Vogelgrippe ist, werde „exzellente Arbeit“ geleistet. (FAZ, 24.02.06) [124] Kanzlerin Angela Merkel (CDU) indes bemühte sich, aufkommende Panik einzudämmen: „Menschen brauchen sich im Moment keine Gedanken zu machen.“ Dennoch waren die eilig eingerichteten Hotlines der Behörden schnell überlastet. Tausende Bürger riefen an und fragten, ob sie jetzt Katzen und Hunde im Haus einsperren oder das Schwalbennest über ihrem Schlafzimmerfenster abnehmen müssen. (DER SPIEGEL, 20.02.06) Der Grund für Angst, die bestehende Gefahr des Ausbruchs wird in diesen Beiträgen relativiert, d.h. ins Verhältnis gesetzt zu den Maßnahmen der Bekämpfung. Eine nähere Untersuchung dieser und anderer Beiträge legt dabei eine Reihe von interessanten Punkten offen. Erstens ist zu registrieren, dass der Verweis auf die Abwehrmaßnahmen nur bedingt und teilweise auf deren spezielle Beschaffenheit, ihre Erfolgsträchtigkeit oder bewiesenen Erfolg abhebt. In den Belegen [120] und [121] ist dies durchaus der Fall: Thailand hat Erfolg bei der Eindämmung der Seuche gehabt; insofern kann das diskursiv vermittelte Wissen um die Maßnahmen dort Anlass für eine gewisse Beruhigung sein. Auch die Mitteilung der WHO scheint ohne Weiteres dazu geeignet zu sein, zur Beruhigung innerhalb des Seuchendiskurses beizutragen: Zwar kann hier von keinem eingetretenen Erfolg gesprochen werden, weil es sich bei den thematisierten Maßnahmen um Vorsorgemaßnahmen handelt, aber deren praktischer Sinn

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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leuchtet ein: Das Vorhandensein einer genügend großen Menge von als wirksam eingeschätzten Medikamenten ist durchaus Grund zu einem Rückbau der Angst, zumindest innerhalb des Szenarios des Ausbruchs einer Pandemie. Bei den Belegen [122] und [123] lässt sich dies nicht mehr so konstatieren. Ist das ‚Big Cleaning‘ wirkungsvoll? Hat es sich als das bewährt? Welche Gründe gibt es dafür, dass man davon ausgehen kann, dass sich die Desinfektionsmaßnahmen bewähren? Nichts davon wird thematisiert. Trotzdem bleibt es bei dem Eindruck angemessener Maßnahmen. Sprachlich wird dieser u.a. vermittelt, dass die Wuchtigkeit, die große Dimensioniertheit und Entschiedenheit der Aktionen angedeutet wird: Dies wird erstens durch die Wahl des Ausdrucks ‚Wende‘ erreicht, der einen diametralen Gegensatz zu einer vorherigen Untätigkeit anzeigt. Die Verwendung des martialischen Ausdruckes vom ‚großen Reinemachen‘ tut ein Übriges mit all den darin enthaltenen Konnotationen von Entschiedenheit, auch Rücksichtslosigkeit. Verstärkt wird diese Wirkung dadurch, dass der Ausdruck in der englischen Fassung verwendet wird, was gemäß dem zeitgeistigen Sprachgefühl für technokratische Effizienz, angelsächsische und v.a. amerikanische Unbekümmertheit im Unterschied zur kontinentalen Bedenkenträgerei und Zauderei steht. Auch in Beleg [123] wird der Leser damit beschieden, dass jemand es so sieht und dies auch so äußert, dass die Arbeit am nationalen Referenzlabor für die Vogelgrippe ‚exzellent‘ sei. Eine Begründung, eine nähere inhaltliche Ausführung wird nicht gegeben und scheint von Seiten des Textproduzenten53 wohl auch nicht notwendig zu sein. Welcher Grund kann dafür angenommen werden, dass sich die diskursiv beruhigende Rolle von Verweisen auf das bloße Stattfinden von Maßnahmen ohne weitere Ausführungen zum Was und Wie beschränken kann? Vermutlich gibt es mehrere Gründe: Zum einen spielt hier der Bezug auf die Gründe/Momente/diskursiven Motive von Angsterzeugung eine Rolle, egal ob dieser Bezug dem einzelnen Textproduzenten bewusst ist und ob er ihn intendiert oder nicht. Wenn – wie im Abschnitt zu diskursiver Angsterzeugung nachgewiesen werden konnte54 – im Diskurs lancierte Reflexionen über die Machtlosigkeit des Individuums wie auch des diskursiv konstituierten kollektiv betroffenen Wir einen entscheidenden Beitrag zur Erzeugung von Angst leistet, dann ist der Hinweis auf den Beweis des Gegenteils als eine diskursiv ebenso wirkmächtige Größe anzunehmen. Der Position ‚Man kann nichts tun‘ kongenial ist die Position ‚Doch, man kann.‘ Umgekehrt dann auch, dass ohne ein relevantes Auftreten einer solchen Position der Machtlosigkeit der im Prinzip völlig im 53

Wobei hier zunächst gleichgültig ist, ob man als Produzenten der Äußerung den damit zitierten Minister H. Seehofer oder den ihn zitierenden Journalisten ansieht. 54 Siehe Kapitel II, Abschnitt 2.1.1 „Die Konstitution von Nichtwissen, Ungewissheit und theoretischer Machtlosigkeit“.

146 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse Methodischen verharrende Verweis auf die bloße Handlungsmacht keinen diskursiven Sinn ergeben würde. Wir finden also auch hier, dass Diskurs nicht Aneinanderreihung von unterschiedlichen Positionen ist, sondern eine Kommunikation zwischen ihnen, und zwar völlig getrennt davon, ob auf der sprachlich-kommunikativen Ebene der Textproduktion und -rezeption dies den Beteiligten präsent ist oder nicht. Zum anderen lebt die Angst bewältigende Rolle der zitierten Äußerungen auch vom Bezug auf eine Besonderheit der handelnden Subjekte. Auch dies kann als Anknüpfung an ein sub ‚Angsterzeugung‘ ausführlich analysiertes diskursives Phänomen55 verstanden werden: Mit der diskursiven Konstruktion einer kollektiven, näher: nationalen Betroffenheit, die dann in verschiedenen Fassungen auftaucht (unter anderem in der Zeichnung des Bildes vom Krieg zwischen uns und dem Virus), geht zugleich eine diskursive Nachzeichnung von Hierarchien innerhalb dieses Kollektivsubjekts einher. Handlungsfähige Anführer sind darin ebenso enthalten wie die Masse der zunächst bloß betroffenen Bürger, die ihren Bedarf an Schutz und an Betreuung ihrer Angst auf diese Führung projizieren. Der Diskurs zu Ohnmacht oder Macht gegenüber dem Virus ist von daher von anderen Macht-Ohnmacht-Diskursen nicht zu trennen, fällt zum Teil mit ihnen zusammen. Von daher wirkt in Beleg [122] analog zu den anderen besprochenen Momenten eben auch die Formulierung ‚von oben angeordnet‘ als deutlicher Verstärker in Richtung einer Bewältigung bzw. Eindämmung von Angst, weil nicht irgendwer, sondern die innerhalb des betroffenen Wir primär zum Handeln Berufenen gehandelt haben. Zweitens also zeichnen sich diese Beiträge zur Angstbewältigung dadurch aus, dass hier, wie gesagt, auf andere Diskurse abgehoben wird, so dass sich bestimmte Rollen innerhalb des Seuchendiskurses an Charaktere heften (können), die gar nicht primär und gar nicht ausschließlich innerhalb des Seuchendiskurses ihren Ursprung haben müssen. Einen gewissen Gipfelpunkt erreicht dies in Beleg [124] mit der Aufforderung, ‚sich keine Gedanken zu machen.‘ Alle individuellen Reflexionen, die selbst wieder Angst erzeugende Verstrickung in Fragen nach der Angemessenheit der eigenen Aufmerksamkeit usw. werden durch den Verweis darauf irrelevant, das ein Mitglied der Elite innerhalb des kollektiven Subjekts äußert, sie seien irrelevant; und damit sind sie es dann auch. Wirkmacht, Handlungshoheit im Sinne der politischen Konstitution des Wir fällt hier zusammen mit Handlungshoheit gegenüber dem Virus, der Macht, es zu bannen, zu bekämpfen und damit der Fähigkeit zur Bewältigung der Virusangst. Diese wiederum heftet sich sehr

55

Siehe hierfür die Ausführungen zur Konstitution eines „nationalen Kollektivs“ anhand des Beleges [35].

2. Diskursanalytische Ergebnisse

147

einseitig an ‚die Bürger‘, die das ja einerseits nicht wegen der Seuche(ngefahr) sind, in dieser Eigenschaft, die letztlich auch als eine diskursive bestimmbar (nämlich als eine Rolle innerhalb eines eigens zu untersuchenden politischen oder Machtdiskurses) ist, andererseits aber genau diese Eigenschaft in Form der Betroffenheit und Verängstigtheit reproduzieren. Drittens findet sich darum innerhalb dieses Motivs viel von der Militanz des Seuchendiskurses wieder, auf die im Abschnitt zur Angsterzeugung56 eingegangen worden ist: [106] [...] Präzisionsästhetik, die aus den über Rügen kreisenden Tornados der Luftwaffe, den Schutzmasken, Absperrungen und Desinfektionsmaschinen spricht. (FAZ, 24.02.06) [125] Wenn Tornados über die norddeutsche Küste fliegen und Bundeswehrsoldaten in Spürhundeformation die Strände absuchen, muß jedem klar werden, daß der Staat zum Äußersten entschlossen ist. (FAZ, 22.02.06) Deutlich nachzuzeichnen ist in diesen beiden Belegen, wie die diskursiv nachvollzogene und akzeptierte Scheidung in Machtfülle und Machtlosigkeit übersetzt wird in staatliche Antivirusmacht und das Vertrauen der betroffenen und verängstigten Bürger da rein, so dass eine beruhigende Wirkung allein durch die anschauliche Bebilderung der staatlichen Macht- und Militärmaschinerie erzielt werden kann, ebenso wie durch die glaubhafte Darstellung eines der Machtfülle entsprechenden Machtwillens: ‚zum Äußersten entschlossen.‘ Viertens – ebenfalls ganz analog und in Verlängerung zu dem, was zum Verhältnis von in-group und als feindlich dazu konstruierter Umwelt im Rahmen von Angsterzeugung festgestellt werden konnte57 – erweist sich die zur Angstbewältigung beitragende Ausübung staatlicher Handlungsmacht im Krieg gegen das Virus dadurch, dass sie uns vor dem Virus bewahrt. Wenn oben der diskursiven Konstruktion einer nationalen in-group die feindliche Umwelt im Sinne eines aus der Fremde her stammenden Erregers entsprach, so nimmt nun in der hier besprochenen Verquickung von Charakteren aus unterschiedlichen Diskursen die feindliche Umwelt entsprechend andere Züge an: Sie ist jetzt nicht nur auf das Virus beschränkt, sondern ist tatsächlich alles dem nationalen Wir Fremde. Der Erfolg staatlicher Maßnahmen erfüllt sich daher nicht darin, dass das Virus ausgerottet wird, sondern dass es bei uns, d.h. in Deutschland, nicht auftritt; dass man es dahin verbannt, wo es hingehört – nach Außen:

56 Siehe hierfür die Diskussion der Belege ab [54], S. 103f. 57 Siehe hierfür die Diskussion der Belege [32] bis [34].

148 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse [126] „Nach allem, was wir bisher wissen, ist die Verschleppung der Seuche durch Zugvögel erfolgt“, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer (CSU) im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir müssen alles tun, um die Ausbreitung nach Deutschland zu verhindern.“ (FAZ, 12.01.06) [127] Wir tun das Menschenmögliche, die Seuche abzuhalten, aber wir brauchen auch die Unterstützung der Bevölkerung. (Horst Seehofer, FAZ, 12.01.06) [128] In einer Aktuellen Stunde des Bundestages sagte er [Horst Seehofer]: „Es muß alles Menschenmögliche getan werden, um diese Tierseuche von Deutschland fernzuhalten.“ 2.3.3 Angstabbau/Angstbewältigung durch Sinndeutung/ Schicksalsergebenheit Das letzte Motiv diskursiver Angstbewältigung, das hier besprochen werden soll – wenn damit auch sicherlich noch nicht alle tatsächlich auftauchenden Motive innerhalb dieser Rolle analysiert sind – ist das Motiv der Deutung der Welt im Sinne eines übergeordneten Telos, von dessen Perspektive alles – sei es noch so schrecklich – letztlich doch einen Sinn ergibt. Eine solche „Strategie“ des Umgangs und der Überwindung der Angst stellt gewissermaßen den Gegenpol zu den vorher besprochenen Arten – in den erarbeiteten diskursanalytischen Kategorien: Motiven – von Angstbewältigung dar. Nicht die Konstitution von Beherrschbarkeit der vorhandenen Gefahr oder gar das Kleinreden, Leugnen einer vorhandenen Gefahr ist hier das Mittel zur Überwindung des Ausgeliefertseins. Vielmehr „funktioniert“ diese Art der Angstbewältigung dadurch, dass der Gegenstand als solcher angenommen, akzeptiert wird. Der seelische Zustand des Sichausgeliefert-Fühlens wird dadurch erreicht, dass man den die Angst erzeugenden Gegenpol nicht als solchen leugnet, sondern ihm den Charakter des Fremden, Äußerlichen nimmt und gleichzeitig einen Sinn zuschreibt. In der radikalsten Form geschieht das schlicht durch das Bekenntnis zur Unvermeidlichkeit. ‚Wenn es nun mal nicht zu ändern ist‘, dann gehört es eben dazu, dann hat es keinen Sinn, sich darüber aufzuregen oder davor zu fürchten. Das geistige Arrangement mit dem Unvermeidlichen macht dieses erträglich, nimmt ihm den Charakter des permanent drohenden Angriffs auf die eigene Existenz. Dieser „Ansatz“ für den Umgang gerade mit existenziellen Ängsten ist vorderhand weniger psychotherapeutischer Natur als vielmehr sehr viel älterer religiöser Provenienz. Daher nimmt es nicht Wunder, dass man in dem hier zu besprechenden Zusammenhang auf eine enge Verknüpfung dieses Motivs von Angstbewältigung mit dem oben bereits analysierten Motiv der ebenfalls quasireligiösen Argumentation innerhalb der diskursiven Angsterzeugung stößt. Betrachten wir noch einmal den folgenden Beleg:

2. Diskursanalytische Ergebnisse

149

[70] Denn alles, was hier passiert, scheint, ohne Dazwischenkunft eines Subjekts, einem vorgeschriebenen Formular zu folgen. Man glaubt schon irgendwie zu wissen (und weiß es eben auch nicht), wie die Natur dieses Formular abarbeitet. […] Wo der Schwan den Ton angibt, hat der Mensch nichts mehr zu sagen. (FAZ, 24.02.06) Unter der Perspektive des eben Gesagten scheint nicht nur eine Angst erzeugende Übermacht des virusbedingten Geschehens in der zitierten Passage auf, sondern eben auch eine Art „Realismus“, der nicht einfach nur die Resignation vor dem Unvermeidlichen enthält, sondern auf dieser Basis zu Akzeptanz und Duldsamkeit findet oder doch zumindest anbahnt. Gerade das Bild von ‚einem vorgeschriebenen Formular‘ enthält – wie bereits oben besprochen worden ist – eben nicht nur das Bedeutungsmoment der Unausweichlichkeit, sondern auch des So-Gewolltseins, also einen deutlichen teleologischen Bedeutungsaspekt. Auch wenn dieses Motiv der Bewältigung bzw. Überwindung von Angst rein quantitativ nicht das bedeutendste darstellt, so ist festzuhalten, dass es erstens bei aller quantitativen Beschränktheit doch auftritt. Zweitens aber spielt es insofern für die Untersuchung und die weitergehenden Schlussfolgerungen eine Rolle, als sich hier in diesem Motiv zwei wichtige Aspekte der bisherigen Untersuchung treffen: Der Überlegungsansatz, einen Diskurs als Gespräch, Kommunikation unterschiedlicher diskursiver Rollen zu interpretieren, trifft sich hier mit der oben kurz besprochenen Entdeckung von Dinges bezüglich der relativen Invarianz von Seuchendiskursen gegenüber wissenschaftlichen Fortschritten. Bezogen auf die Rolle der Angstbewältigung heißt das, dass diese mal mehr als „diskursiver Angsttherapeut“ personifizierund bebilderbar sein kann und mal – wie in dem letzten untersuchten Motiv – mehr als „diskursiver Seelsorger“. 2.3.4 Verschränkung von diskursiven Rollen und Motiven Insofern bestätigt und verfestigt sich hier wiederum die Annahme, dass sich weder auf der Ebene der angenommenen diskursiven Rollen noch auf der Ebene der realisierenden Motive eine Eins-zu-eins-Zuordnung zu sprachlichen Einheiten – seien diese lexikalisch-semantischer, syntaktischer oder phraseologischer Art – finden lassen. In jeder Hinsicht hat man es mit einer letztlich zwar sprachlich repräsentierten, aber nie aus der Struktur vorfindlicher sprachlicher Repräsentationen ‚eo ipso‘ ableitbaren diskursiven Rollenverteilung bzw. -zuordnung zu tun. Es sollte auf Basis des Untersuchungsgangs klar geworden sein, wie wenig für eine einzelne sprachliche Sequenz aus sich heraus diskursive Wirkung anzunehmen ist, wie sehr im Gegenteil diese überhaupt erst auf der Analyseebene der diskursiven Rollen entfaltet wird. Dies ist als Grund dafür anzu-

150 II. Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung – Korpusanalyse nehmen, was oben an mehreren Stellen als topologische Nähe unterschiedlicher Motive einer bestimmten diskursiven Rolle bzw. als topologische Nähe zweier diskursiver Rollen besprochen worden ist. Zum Abschluss der Korpusanalyse soll anhand zweier Beispiele demonstriert werden, wie sich eine einzige sprachliche Äußerung als Realisierung aller drei hier angenommenen Rollen interpretieren lässt: [45] China ist nicht nur einer der schlimmsten Herde des Vogelgrippevirus H5N1, sondern auch die Quelle der am schnellsten verfügbaren Waffe gegen die gefürchteten Influenzaviren. (FAZ, 19.01.06) Bei aller topologischen Nähe lässt sich dieses Satzgefüge noch recht einfach als Realisierung aller drei diskursiven Rollen analysieren, da sich diese zwar innerhalb desselben Satzes finden, innerhalb dessen jedoch an unterschiedlichen Orten mit nur geringer syntaktischer „Überlappung“. Von daher bietet sich eine schematische Darstellung der verschiedenen diskursiven/semantischen Momente dieses Satzgefüges an: Äußerungssequenz

China ist nicht nur einer der schlimmsten Herde des Vogelgrippe Virus H5N1,

sondern auch die Quelle der am schnellsten verfügbaren Waffe gegen

die gefürchteten Influenzaviren.

Diskursive Rolle

Angsterzeugung

Angstabbau/ Angstbewältigung

Angstzuschreibung

Motiv(e)

Fremdheit (‚China‘) Wappnung gegen Angst vor dem Gewissheit von Gefahr; UnwahrVirus Gefahr scheinlichkeit der Schadenserwartung

Bei einer genaueren semantisch-syntaktischen Analyse ließen sich möglicherweise nicht nur die der jeweiligen diskursiven Rolle zuzuordnenden Äußerungssequenzen finden, sondern auch Überleitungs- bzw. Verknüpfungssequenzen; im hier besprochenen Beispiel die diskontinuierliche Sequenz ‚nicht nur ..., sondern auch‘. Eine noch intensivere Form der Verschränkung findet man in dem unter Abschnitt 2.3.3 besprochenen Beleg [70]. Hier lässt sich der einzelne Satz in keiner Weise mehr syntaktisch-topologisch in Sequenzen auseinandernehmen, die dann jeweils einer einzelnen Rolle zuzuordnen wären, sondern dieser Satz enthält als Aussage die Motive zumindest der beiden Rollen des Angsterzeugens und des Angstbewältigens. Innerhalb des Satzes treten die beiden Rollen in ein Verhältnis zueinander. Ob vom individuellen Rezipienten mehr die eine oder mehr die andere Rolle empfunden wird, ist erstens nicht nachprüfbar

2. Diskursanalytische Ergebnisse

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und zweitens für das Untersuchungsinteresse der vorliegenden Arbeit nicht von Bedeutung.58 Entscheidend ist hier, dass sich plausibel unterschiedliche (Be-)Deutungsebenen ein und derselben medialen Sprachäußerung nicht nur nebeneinander erklären, sondern vor allem in einem substantiellen Verhältnis zueinander erklären lassen, als dessen Pole sie dann notwendig erscheinen. Wir wollen an dieser Stelle die Korpusanalyse abschließen. Im folgenden Kapitel III wird es darum gehen, die im Zuge der Korpusanalyse gewonnenen und verifizierten Hypothesen zu systematisieren und in allgemeinere diskursanalytische Überlegungen zu überführen.

58

Das heißt aber in keiner Weise, dass generell eine rezipientenorientierte Fragestellung und entsprechende Untersuchungen unwichtig oder gar überflüssig wären. Interessant wäre hier die Frage, ob und wenn ja welche Verknüpfungen sich zu einer diskurstheoretischen Medienanalyse, wie sie hier versucht wird, finden lassen.

III. Von der diskursanalytischen Medienuntersuchung zur diskursiven Medientheorie Um den Nachvollzug der im weiteren Verlauf des Kapitels III darzulegenden theoretischen Überlegungen zu erleichtern, soll an dieser Stelle – auch um den Preis gewisser Redundanz – noch einmal auf die in Kapitel I ausführlich diskutierten Arbeiten und theoretischen Ansätze zur diskursanalytischen bzw. diskursanalytisch inspirierten Medienforschung eingegangen werden. Dabei soll hier der Schwerpunkt weniger auf deren detaillierter Darstellung und umfassender Diskussion liegen – dies ist Zweck von Kapitel I –, sondern in einer Zuspitzung der dort dargelegten Überlegungen mit der Perspektive der (notwendigen) Gewinnung eigener analytischer Kategorien und deren möglichst exakter Eingrenzung und positiver Bestimmung.

1. Rekurs: Theoretische Ausgangslage Einen ersten Ausgangspunkt für unsere Überlegungen fanden wir in der u.a. von Roß ausführlich zur Sprache gebrachten Beliebigkeit wissenschaftlichkritischer Befassung mit Medien. Roß‘ sicherlich schlüssiges Argument besteht darin, dass das ‚disparate Angebot der Medien‘ selbst dazu führt, dass sich Medienkritik (beinahe) jeder Provenienz auf empirische Belege aus dem riesigen medialen Output berufen, sich derer theoretisch bedienen und entsprechend dem eigenen theoretischen Ansinnen interpretieren kann. Sicher nicht zu Unrecht beschreibt (und beklagt?) Roß folgerichtig den Zustand der bisherigen, ebenfalls riesigen Quantität medienkritischer Beiträge als das Nebeneinander von ‚Reservate[n] von Überzeugungen‘, die ‚hermetisch und beziehungslos nebeneinander stehen‘ (Roß 1997, S. 36). Stimmt man dieser Sicht der Dinge zu, stellt sich die Frage, worin dann aber die Rechtfertigung eines weiteren medienwissenschaftlichen Beitrages liegen kann. Die Antwort liegt mit dem Ausgangspunkt der Frage auf der Hand: Wissenschaftlicher Fortschritt sollte darin versucht werden, eine plausible Erklärung für den scheinbar zum Gegenstand der Medienforschung gehörigen überbordenden Pluralismus zu finden oder zumindest ansatzweise zu skizzieren. Wenn damit jedoch nicht gleichzeitig der Schritt heraus aus der Wissenschaft über Medien, Mediendiskurse, Medienwirkung hin zu einer dem Gegenstand dieser Wis-

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

senschaft enthobenen, bloßen wissenschaftstheoretischen Metatheorie gemacht werden soll, so ergibt sich folgende Fragestellung: Lässt sich der Gegenstand – die mediale Kommunikation – plausibel in einer Theorie fassen, die erklärt, warum Medien nicht das eine oder andere von der jeweiligen medienkritischen/medienwissenschaftlichen Richtung oder Schule postulierte Moment an sich haben, sondern eine organische Gesamtheit dieser Momente bilden? 1.1 Schwierigkeiten der Medienwirkungsforschung Einen weiteren Ausgangspunkt für unsere Überlegungen bildete die in der Literatur vielfach diskutierte Schwierigkeit wissenschaftlich verlässlicher Medienwirkungsforschung. Das betrifft u.a. Aspekte einer befriedigenden Definition von Medienwirkung und die Probleme valider empirischer Untersuchungen, die vor allem rezipientenorientiert sein sollen. Die Sichtung der dazu vorliegenden Literatur hat ergeben, dass sich Ansätze der Medienwirkungsforschung vielfach in dem Widerspruch bewegen, entweder empirisch möglichst objektiv zu sein, was dann auf Kosten ihrer Verallgemeinerbarkeit geht, oder möglichst verallgemeinerbar zu sein, was ihre konkrete Aussagekraft für bestimmte Medien-Rezipienten-Kommunikationen stark einschränkt bzw. zu einer wenig wünschenswerten Verunklarung des kategorialen Unterschiedes zwischen Inhalt, Interpretation und Wirkung eines Medientextes führt.1 Gleichzeitig steht vom Standpunkt jeder Theorie medialer Kommunikation bzw. letztlich für jeden pragmalinguistischen Ansatz fest, dass die Kategorie der Wirkung, sei ihrer auch noch so schwer theoretisch habhaft zu werden, als relevante wissenschaftliche Kategorie nicht zu tilgen ist, im Gegenteil, die Annahme einer Wirkung von Sprache, das Auseinanderfallen von Sprache und dem, was sie bewirkt, stellt nachgerade eine der Grundsäulen moderner pragmalinguistischer, kommunikations- und medienwissenschaftlicher Forschung dar. Für diese Arbeit hat sich vor diesem Hintergrund die Frage gestellt, wie die Mängel und Widersprüche bisheriger Medienwirkungsforschung bewältigt werden können, ohne den Kern dieser Widersprüche, der zugleich den substantiellen Kern dieser Forschungsrichtung ausmacht – nämlich die Annahme einer Wirkung des Outputs medialer Sprachproduktion –, als solchen theoretisch zu bewältigen. Welche Wirkung – durch wen? wodurch? auf wen? – lässt sich theoretisch in einer solchen Weise annehmen, dass sie plausibel darstellbar und möglichst verallgemeinerbar ist sowie der letztlich nicht zu beherrschenden theoretischen Schwierigkeiten überkommener Rezipientenorientierung entkommt?

1

Vgl. dafür vor allem Borstnar 2006.

1. Rekurs: Theoretische Ausgangslage

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Schon in Kapitel I ist angedeutet worden, dass dieses theoretische Ansinnen letztlich wohl nur zu erfüllen sein wird, wenn die überkommene Gleichsetzung der Polarität Medienproduzenten (Medienproduktion) vs. Medienrezipienten (Medienrezeption) mit der Polarität mediensprachlich (kommunikativ) Wirkendes vs. mediensprachlich (kommunikativ) Bewirktes aufgegeben wird. 1.2 Pluralismus der diskurstheoretischen Ansätze Ein dritter Ausgangspunkt unserer Überlegungen bezog sich auf das nach wie vor schwierige und nicht annähernd geklärte Verhältnis zwischen den diversen diskursbegrifflichen Ansätzen linguistischer Herkunft einerseits und den diskursanalytischen Sichtweisen, die in der poststrukturalistischen Tradition eines Foucaults stehen, andererseits. Wie gezeigt, gibt es eine erhebliche Anzahl von Arbeiten, die das Aus- und Nebeneinander dieser unterschiedlichen Diskurstheorietraditionen nicht nur problematisieren, sondern darüber hinaus versuchen, eine tragfähige theoretische und methodische Brücke zwischen ihnen zu schlagen. Wiewohl in diesem Bereich inzwischen eine Reihe von Anknüpfungspunkten existiert, verbleibt doch eine Vielzahl dieser Versuche letztlich bei dem Postulat dieses Vermittlungsversuchs, um dann in der praktischen Untersuchungsdurchführung doch wieder den einen Ansatz zugunsten des jeweils anderen aufzugeben oder generell zu vernachlässigen. Insgesamt aber mangelt es an einer nachvollziehbaren Verknüpfung linguistischer Untersuchungsinstrumentarien und -ebenen mit diskurstheoretischen Kategorien. Fraglich ist auch, ob das Verhältnis dieser beiden theoretischen Aspekte überhaupt in einem vertikalen Sinne interpretiert werden kann, wie es die Rede von den Untersuchungsebenen immerhin nahe legt. 1.3 Unvermitteltheit von (pragma-)linguistischer Forschung und Diskurstheorie Auch empirische Befunde sprechen dafür, beide Diskurs-Begriffe aufeinander zu beziehen: empirische Daten belegen, dass die scharfe Trennung interpersonaler und gesellschaftlicher Kommunikation, die die Trennung beider Diskurs-Begriffe suggeriert, spätestens durch die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von OnlineMedien aufgehoben wird. (Fraas 2005, S. 2f.)

Dabei können auch diejenigen Beiträge nur prima facie einen Ausweg weisen, die angesichts des zum Teil auch in Wissenschaftskreisen euphorisch gefeierten Aufschwungs der ‚neuen Medien‘ die endgültige Überwindung der überkommenen Trennung von beiden Diskursbegriffen konstatieren bzw. fordern. Pars pro toto:

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

Massenkommunikation ist meist als ein linearer, technisch vermittelter, einseitiger Kommunikationsprozess verstanden worden, als ein massenhafter und undifferenzierter Verteilungsprozess von Informationen. Aber hier deutet sich ein wesentlicher Strukturwandel an: Was früher aufgrund technischer und finanzieller Anforderungen Privileg weniger Medieneinrichtungen [...] war, ist heute prinzipiell auch Privatpersonen möglich, wenn man etwa neue Medienphänomene wie Homepages, Foren, Chats oder Weblogs betrachtet, die elektronische „Gegenöffentlichkeiten“ schaffen können. Dabei überwinden diese neuen Kommunikationsformen zugleich den Zwang zur Einwegkommunikation, erlauben sie doch auch die dialogische Entwicklung von Diskursen. (Fraas 2005, S. 2f.)

Gerade in den letzten Bemerkungen der zitierten Passage offenbart sich aber auch die theoretische Fragwürdigkeit der so geäußerten Sichtweise: Meinen die Autoren, dass massenmediale Kommunikation traditionellerweise als ‚einseitige Kommunikation‘ nur interpretiert worden ist, oder sei sie das tatsächlich bis zu einem solchen Grad gewesen, dass diese Interpretation, dieses Verständnis adäquat und ausreichend gewesen sei? Anscheinend tendieren Fraas und Klemm dann doch zu letzterem, schreiben sie doch weiter, dass die ‚neuen Medienphänomene‘ die vorher sozusagen technisch gesetzte Notwendigkeit zur ‚Einwegkommunikation‘ aufsprengen und überhaupt erst die ‚dialogische Entwicklung von Diskursen‘ erlauben. Gerade diese quasi technologische Begründung für die Notwendigkeit, die beiden Diskursbegriffe zusammenzuführen, behauptet damit aber implizit, dass mediale Diskurse die Eigenschaft der Dialogizität eben bis zum Auftauchen der neuen Medien nicht aufgewiesen haben. Damit aber wird eine von der technologischen Entwicklung des jeweiligen Mediums unabhängige, entscheidende Dimension von Diskursen, eben die Dialogizität und Intertextualität, die Kontextualität aller Äußerungen und Aussagen, ausgeblendet, und zwar derart, dass man dann von einem ‚Mediendiskurs‘ vor der Entwicklung der ‚neuen Medien‘ eigentlich nicht sprechen dürfte.2 Von Seiten der Kommunikations- und Medienforschung wie auch der soziologischen Annäherung an das Thema Medien ist jedoch bereits vielfach das Gegenteil geäußert und erläutert worden. So schreibt zum Beispiel Imhof: Die medienvermittelte öffentliche Kommunikation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ausgesprochen selbstreferentiell und redundant ist, d.h. sie bezieht sich selbst wiederum auf öffentliche Kommunikation und zwar unter Berücksichtigung von wahrgenommenen Betroffenheiten, definitionsmächtigen Akteuren, Nachrichtenwerten und politischen Relevanzen. (Imhof 2005, S. 276)

2

Diese durch Fraas und Klemm gemachte Einschränkung der diskursiven Dialogizität auf die innerhalb der technologisch als Zwei-Wege-Kommunikationen definierten ‚neuen Medien‘ muss umso verwunderlicher erscheinen, als die beiden Autoren im selben Text weiter unten als eine Eigenschaft der von Foucault inspirierten linguistischen Diskursanalyse anführen, dass sie Diskurs als ‚Gespräch von Texten‘ zu begreifen habe. (vgl. Fraas 2005, S. 6)

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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Dies hat die Frage ergeben: Wie lässt sich das Ganze der medial produzierten Texte in dem Sinne als diskursiv verstehen, dass hier nicht einfach eine Äußerungsflut des Produzenten in Richtung des Konsumenten stattfindet, sondern dass es sich tatsächlich um einen Diskurs im Sinne eines Gespräches von Texten handelt, das auf diese Weise diskursiv-gesellschaftliches Bewusstsein/Wissen konstituiert? Es ergibt sich hier im Übrigen sehr deutlich der Zusammenhang zu den oben hinsichtlich der Schwierigkeiten der verbreiteten Medienwirkungsforschung dargestellten Überlegungen. Auch Fraas und Klemm gehen von der bloßen Getrenntheit und Polarität von medialen Textproduzenten und -rezipienten aus. Auch für sie existiert (bisher) der Rezipient nur als Rezipient, also außerhalb des diskursiven Entstehungskontextes medialer Texte, wie umgekehrt diese Texte auf den Rezipienten erst treffen, wenn sie fertig produziert und ‚gesendet‘ sind. Die Frage sei deshalb noch einmal anders formuliert: Lässt sich der Entstehungsprozess der Texte und das in ihnen repräsentierte Bewusstsein theoretisch in plausibler Weise so darstellen, dass sich über die aus kommunikationstheoretischer Sicht auf jeden Fall vorhandene und als solche von dieser Arbeit auch in keiner Weise bestrittene Gültigkeit und theoretische Nützlichkeit des Kategorienpaares Produzent – Rezipient eine analytische Ebene spannen lässt, auf der diese aus diskurstheoretischer Sicht unzureichende Unterscheidung aufgehoben wird?

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes: Diskursive Rollen – Diskurs als Rollenspiel Als Antwort auf die im ersten Abschnitt dieses Kapitels noch einmal gestellten und zugespitzten Fragen sollte sich im Gang des Kapitels II der modifizierende Zugriff auf bestehende Linien innerhalb sowohl der diskurstheoretischen Diskussion in der Nachfolge Foucaults als auch auf bewährte textlinguistische Analyseinstrumentarien erweisen. Wie im ersten Teil der Korpusanalyse in Kapitel II ausführlich dargelegt worden ist, hat die bloße Sichtung und Sortierung des Materials zu einer für den weiteren Fortgang der Untersuchung entscheidenden Überlegung geführt. Zuerst als bloß erstes Sortierungskriterium für das Material vorgesehen, sind die Kategorien von Angsterzeugung, Angstzuschreibung und Angstbewältigung eingeführt worden. Ad hoc ist ihnen der Terminus ‚diskursive Rollen‘3 zugewiesen worden. Und tatsächlich hat sich diese zunächst

3

In Abgrenzung zur soziologischen Kategorie der „sozialen Rolle“, bei der der Mensch und seine Handlungen, welche durch gesellschaftliche Normen, Sanktionen und Erwar-

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

hypothetische Kategorisierung für diesen Zweck sehr gut bewährt: Alle gesichteten Medientexte – unabhängig von Medium, Textsorte und anderen Kriterien – ließen sich mehr oder weniger mühelos innerhalb dieser Dreierkategorisierung verorten. Bei näherer Betrachtung haben sich diese Einteilungskriterien allerdings als von noch weit größerem Nutzen erwiesen. Gehen wir dazu noch einmal ausführlicher auf den Inhalt dieser Kategorien ein. Dabei fällt zunächst auf, dass keine der drei Kategorien unmittelbar linguistischer oder medientheoretischer Provenienz ist; aber auch untereinander erscheinen sie als durchaus disparat: 2.1 Angsterzeugung – die diskursive Existenz des Virus Angsterzeugung ist hier nicht als eine sprachliche bzw. kommunikative Handlung zu verstehen, die mit dem Zweck erfolgt, dass jemand Angst bekomme. Was immer ein Individuum oder eine Masse von Individuen in den Zustand von Angst versetzt – es ist stets irgendeine tatsächliche oder so wahrgenommene Eigenschaft, nie aber die womöglich gar erkannte Absicht des AngstEinjagen-Wollens. Für unsere Überlegungen ist es dabei gleichgültig, was für Eigenschaften das sind und wie sie es vermögen, Angst zu machen: Dunkelheit schafft dies durch die totale Verunklarung der unmittelbaren Umgebung usw.4 Insofern stellt Angsterzeugung gerade keinen kommunikativen Akt dar, keine kommunikative Handlung. Das gilt entsprechend für die Angst vor den mit der Ausbreitung des Vogelgrippevirus verbundenen Gefahren. Die entscheidende Modifikation kommt hier dadurch hinein, dass – für die Mehrzahl der Menschen – der Gegenstand der Angst in diesem Fall überhaupt nicht anders wahrnehmbar ist als über seine massenmediale Vermittlung. Welche Eigenschaften das Virus besitzt, wie relevant es ist, ob eine Gefährdungslage überhaupt und worin sie besteht – all dies ist für uns alle (abgesehen von der verschwindenden Minderheit der naturwissenschaftlichen

4

tungen beeinflusst werden, den Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen bilden (vgl. hierfür bspw. Goffman 2005, Dahrendorf 2006 oder auch Ullrich 1999), definiert sich die „diskursive Rolle“ allein auf diskursimmanenter Ebene, also unabhängig von am Diskurs beteiligten Akteuren. Auch der Vergleich, in Medien eine Art Theater zu sehen („Inszenierung sozialer Rollen“, vgl. Willems 2005) orientiert sich vergleichsweise stark am „Publikum“ selbst: so wie das Theater seinem Publikum gefallen will, so wollen dies auch die Medien; dafür müssten sich beide dem Geschmack des jeweiligen Publikums anpassen. Betont wird dabei, dass Medien bestimmte Inhalte wiedergeben, weil sie von den Rezipienten gewünscht werden, nicht aber, wie sie es tun und wie der Rezipient dabei berücksichtigt wird. (siehe hierfür auch Fußnote 119 zum „recipient design“) Weiter oben ist das Verhältnis von Sicherheit und Verunsicherung ausführlich besprochen worden. Vgl. Kapitel II., Abschnitt 2.1.1 „Die Konstitution von Nichtwissen, Ungewissheit und theoretischer Machtlosigkeit“.

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

159

Spezialisten) nicht anders erfahrbar als in der Wahrnehmung der medialen Aufbereitung dieses Themas. Anders ausgedrückt: Das Virus als solches kann dem „normalen“ Menschen schlechterdings keine Angst einjagen, schlicht deswegen weil das Virus außerhalb seiner sinnlich fassbaren Erfahrungswelt liegt. Das Virus kann nur Gegenstand unserer Erfahrungs-, Gedanken- und Gefühlswelt werden, wenn es eine mediale Existenzweise annimmt; dann ist es aber auch genau so für uns real. Als (gesellschaftlich) relevante Größe existiert das Virus demnach nur, wenn und so wie die Medien stellvertretend für es auftreten.5,6 Dieses Konzept von der Transzendierung des Virus zu einem Bestandteil des gesellschaftlichen Bewusstseins7 als Tätigkeit, als Rolle der Medien lässt sich auf folgende Weise schematisch darstellen: Natur Sterbende, kranke Tiere und Menschen, Ausbreitung dieser Phänomene

Forschung /Expertendiskurs

gesellschaftlicher Diskurs

Virus H5N1, Krankheit aviäre Influenza, Übertragungswege und Ausbreitungsszenarien

Gefahr für und Angriff auf ‚uns‘, Bedrohungs-, Vernichtungs- und Abwehrszenarien

Es wird deutlich, dass das Virus eine zweifache Transformation8, einen zweifachen Formwechsel erfährt: Die naturwissenschaftliche Forschung macht aus 5

6

7 8

Es scheint sich hier in einem anderen Kontext und in wesentlich modifizierter Weise um ein ähnliches Phänomen zu handeln, wie die hygienepädagogisch inspirierte Konstruktion der beiden Gestalten ‚Karius‘ und ‚Baktus‘, mit deren Hilfe die sonst nicht fassbare biologische Phänomenologie von bakterieller Zahnfäule dem kindlichen Verstand kompatibel gemacht werden soll. (vgl. http://www.dailymotion.com/video/xbdk4_kariusund-baktus/, letzter Zugriff: 04.09.08 oder auch Egner 1997) Im Übrigen deutet sich hier schon an, dass sich auf Basis der letzten Überlegungen die Frage nicht mehr stellt, ob Medien sachlich richtig über die Vogelgrippe und die mit ihr verbundenen Gefahrenszenarien berichten, denn diese Frage beinhaltet den Vergleich der medial aufbereiteten mit den „eigentlichen“ Fakten, der wiederum die voneinander getrennte Erfahr- und Beurteilbarkeit beider behauptet. Es wird hier bewusst der Begriff „Wissen“ vermieden, weil hier eben nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse über objektive Sachverhalte gemeint sind, die im engeren Sinne sowieso nur bei einer winzigen Minderheit der Gesellschaftsmitglieder kursieren. Andreas Liebert (2002) widmet sich dem Phänomen der „Wissenstransformation“ vor allem unter der Perspektive der seiner Meinung nach unüberwindbaren strukturellen Limitationen und Schwierigkeiten für eine authentische Wissensvermittlung. In seiner diskursvergleichenden Studie kommt er zu dem Ergebnis, dass das Wissen während seines Transfers von den Wissenschaftlern über die Journalisten hin zu den Laien in entscheidender Weise durch Hypothesen modifiziert werden, die die eine dieser drei Gruppen über die jeweils anderen beiden hat. Diese von Stereotypen geprägten Hypothesen ver-

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

einem Phänomen der belebten Natur ein in wissenschaftlichen Kategorien zu fassendes, mit den Mitteln der Naturwissenschaft zugängliches und in ihrer Sprache beschreibbares System von Gründen und Folgen, Mikro- und Makrostrukturen, Wechselwirkungen und Wahrscheinlichkeiten. Damit ist die Voraussetzung – aber eben auch nur die Voraussetzung – dafür geschaffen, dass in einer weiteren Transformation aus dem Gegenstand der in einem begrenzten Zirkel betriebenen Forschung ein gesellschaftlich relevanter Gegenstand wird, der es auf Grund seiner Beschaffenheit ermöglicht, Angst hervorzurufen, eine Gefahr darzustellen usw. Diese zweite Transformation leisten die Medien, sie sind der Ort, wo diese Transformation stattfindet und zugleich der Raum, in dem das solcherart veränderte Virus diskursiv gehandelt wird, wo es im Diskurs zirkuliert. Diese zweite Transformation ist noch vor der im engeren Sinne Angst machenden Art und Weise der Aufbereitung die erste Leistung, die erste Dimension der diskursiven Rolle „Angsterzeugung“, welche die Medien innehaben. Erst in einer zweiten Dimension erhält diese Rolle dann auch im engeren Sinne den Charakter kommunikativen Agierens, nämlich dann, wenn bzw. insofern die Produzenten medialer Texte bewusst die Gefährlichkeit des Virus darstellen wollen, wenn sie sozusagen die Rolle des Warners vor der Gefahr einnehmen. Dabei scheint es schwierig zu sein, sich die erste Dimension der Rolle Angsterzeugung von der zweiten getrennt vorzustellen, weswegen auch nicht von der einen Rolle der diskursiven Konstitution des Virus und von der anderen Rolle des diskursiven Warnens vor ihm gesprochen werden kann, sondern eben ganz bewusst von zwei Dimensionen einer einzigen Rolle. Nicht zuletzt legt das gesichtete Korpus die Vermutung nahe, dass eine solche Trennung als mediale Realität nicht existiert. 2.2 Angstzuschreibung/Angsthaben – die diskursive Antwort In den Überlegungen zur medialen Rolle der Angsterzeugung ist eine zweite Annahme unmittelbar angelegt: Spricht man von „Angsterzeugung durch etwas oder jemanden“, so unterstellt diese Redeweise die Existenz erstens eines des Zustandes der Angst fähigen Pendants, bei dem dann, zweitens, dieser Zustand auch vorliegt. Ohne ein solches (angenommenes) Gegenüber, dass sich

hindern, so Liebert, einen authentischen Transfer. Anders als die vorliegende Arbeit (siehe hierfür Kapitel II, Abschnitt 2.1.1., der Mediendiskurs über „Wissenschaftler“) zieht Liebert für die Eingrenzung und Analyse dieser übereinander existierenden Hypothesen Texte heran, die selber nicht Bestandteil des „Ozon-Loch-Diskurses“ sind. Interessant wäre es gewesen, wenn er am „Ozon-Loch-Diskurs“ selbst versucht hätte zu analysieren, inwiefern er durch welche Hypothesen der einen Gruppe über die anderen modifiziert, der Wissenstransfer also erschwert oder verhindert wird.

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

161

Angst einjagen lässt (oder auch nicht), kann man nicht plausibel von Angsterzeugung ausgehen. Diese Schlussfolgerung erscheint in einer Weise zwingend, dass sie getrennt von jedem empirischen Nachweis von Äußerungen der Angst oder Verängstigtheit Gültigkeit verlangt. Umgekehrt existiert mit der plausiblen Annahme eines derartigen Gegenstücks zur Angsterzeugung in den Medien nun überhaupt ein theoretischer Bezugs- und Interpretationsrahmen für bestimmte mediale Äußerungen, die auf diese Weise erst erklärbar werden. Ohne diese Annahme bliebe nur das Nebeneinander unterschiedlicher Standpunkte oder von den einen oder anderen Medien(machern) favorisierter Aufbereitungsweisen des Gegenstandsbereiches Vogelgrippe/H5N1-Virus zu konstatieren. Der oben angesprochene, von Unvermitteltheit der einzelnen Stellungen geprägte mediale bzw. dann auch medientheoretische Pluralismus weicht damit einem systematisch erklärbaren Verhältnis aufeinander bezogener diskursiver Akte bzw. Zustände, die unter dem Begriff der diskursiven Rolle zusammengefasst werden sollen. Gerade mit den letzten Bemerkungen wird ein wesentlicher Punkt berührt, den es noch einmal hervorzuheben lohnt. Die im vorigen Ausschnitt thematisierte und untersuchte mediale Angsterzeugung ist als eine diskursive Rolle definiert worden, d.h. als ein Tun innerhalb des Diskurses, dessen Raum technisch als „die Medien“ bestimmt werden kann. Es ist dann die Schlussfolgerung gezogen worden, dass ein Pendant existieren muss, das als Träger der erzeugten Angst fungiert. Vor dem Hintergrund der diskursiven Natur der Angsterzeugung gibt es keinen triftigen Grund für die Vermutung, dass die erzeugte Angst wie auch das verängstigte Subjekt wesentlich anderer Natur sein sollte als eben diskursiver. Diese Feststellung mag auf den ersten Blick als Banalität erscheinen; sie ist aber insofern wichtig, als damit alle Fragen hinsichtlich dessen, was „die Medien“ bewirken, welche Reaktionen sie bei den Rezipienten hervorrufen, ob und wie eine Rückkopplung existiert bzw. nachweis-, vielleicht gar messbar ist, in völlig neuem Licht erscheinen. Tatsächlich werden mit diesem Herangehen verschiedene Ungereimtheiten, Disparitäten und Schwierigkeiten anderer Wirkungsforschungsansätze im Untersuchungsbereich Medien – Medienrezipienten gelöst bzw. bietet sich eine Perspektive für Lösungsentwürfe. Der aus unserer Sicht wichtigste Ertrag besteht darin, dass mit dem Konzept der diskursiven Rollen und dessen konkreter Ausformung zu dem Rollenpaar Angsterzeugung (Angst machen) vs. Angstzuschreibung (Angst haben) die Summe und der Fluss medialer Äußerungen zum Themenfeld Vogelgrippe/Virus H5N1 überhaupt erst in dem Sinne als Diskurs aufgefasst werden können, insofern hier ein Verbund von Texten existiert, der in mehr als dem bloß gemeinsamen Gegenstand bzw. einer gleichartigen Auffassung von diesem Gegenstand besteht. Es findet sich unter dieser Perspektive genau der systematische Bezug der einzelnen Beiträge aufeinander (gerade wenn

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

diese von unterschiedlicher Stoßrichtung sein sollten), der unterstellt bzw. behauptet wird (oder doch werden sollte), wenn vom ‚Mediendiskurs‘ die Rede ist. Texte können im Rahmen des Konzeptes der diskursiven Rollen als bezogen aufeinander aufgefasst werden, und es besteht auf dieser Basis die Möglichkeit, den jeweils spezifischen Gehalt dieses Bezugs und die Art und Weise seiner Realisierung im Text und durch den Text zu untersuchen. Eingelöst ist damit zumindest bis zu einem gewissen Grad das, was oben9 ‚Dialogizität‘, das ‚Gespräch von Texten‘ genannt wurde. Texte erhalten auf diese Weise ihre spezifische ‚diskursive Bedeutung‘ bzw. ‚Aussage‘, die stets und nur im Verhältnis zu anderen Texten des gleichen Diskurses erschöpfend erklärbar ist, wobei – wie erwähnt – die Substanz des Verhältnisses jeweils zu analysieren wäre. So können z.B. diskursive Thematisierungen von Angst(haben) als Produkt, als Wirkung von, aber auch als Antwort auf die und Gegenpart zu den unter „Angsterzeugung“ zusammengefassten Diskursbeiträgen aufgefasst werden. Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass die Formulierung ‚Dialogizität‘ bzw. ‚Gespräche von Texten‘ nicht nur und auch nicht in erster Linie in einer engen gesprächsanalytischen bzw. kommunikationstheoretischen Weise verstanden werden sollte. Mit dem Konzept der „diskursiven Rolle“ soll nämlich gerade dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Beziehungen zwischen bestimmten Texten zwar mitunter auch in kommunikativen Kategorien wie „Frage – Antwort“, „Rede – Gegenrede“ usw. zu erfassen und zu untersuchen sind, dies aber gar nicht notwendigerweise so sein muss: Bereits weiter oben10 ist gezeigt worden, dass der Akt des Angsteinjagens als solcher keine kommunikative Handlung darstellt, sondern dass damit die Angst, die jemand hat, als aktive und substantielle Bestimmtheit an der Gegenseite, eben dem Angsteinflößer ausgedrückt wird. Das muss nicht, kann aber mit kommunikativen, dialogischen Handlungen und auch mit solcherart Absichten zusammenhängen. Im Begriff der diskursiven Rolle sind diese beiden Aspekte zusammengebracht: Das Material, die unmittelbare Stofflichkeit des Diskurses sind immer Texte, insofern existiert im Diskurs nichts, was nicht sprachgebunden ist.11 Insofern sollte alles Diskursive auch den entsprechenden linguistischen Untersuchungsinstrumentarien auf den entsprechenden Untersuchungsebenen zugänglich sein. Gleichzeitig ist

9 10 11

Siehe Kapitel III, Abschnitt 1.3 „Unvermitteltheit von (pragma-)linguistischer Forschung und Diskurstheorie“. Siehe dafür die einleitenden Bemerkungen über die Rolle der Angsterzeugung in diesem Kapitel, Abschnitt 2.1 „Angsterzeugung – die diskursive Existenz des Virus“. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass immer alles an der sprachlichen Oberfläche realisiert wird, wie sich in der Untersuchung des Stellenwerts von Präsuppositionen gezeigt hat.

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

163

evident, dass sich eine weitere Ebene darüber spannt; auf dieser Ebene tritt dann in den Vordergrund, was in der Gesamtheit der aufeinander bezogenen Texte diskursiv geschieht. Entsprechend sind die Träger dessen, was geschieht auch nur begrenzt mit linguistischen Mitteln beschreibbar: Das Rollenpaar Angsterzeuger und Verängstigter ist ein Beispiel dafür, dass hier eher handlungstheoretische und psychologische bzw. soziologische Beschreibungskategorien greifen können.12 , 13 Halten wir noch einmal fest: In der Rolle „Angsterzeugung“ geben die Medien dem Virus H5N1 bzw. der Vogelgrippe überhaupt erst eine auch außerhalb von Expertenkreisen und Expertendiskursen wahrnehm-, reflektier- und diskutierbare Form der Existenz; indem die Massenmedien das im Expertendiskurs vorhandene Wissen aufnehmen und transformieren, stellvertretend für es sprechen, wird das Virus für die Gesellschaft als Ganze zur Realität; es wird zu einer gesellschaftlich relevanten Faktizität, indem es diskursive Realität wird. In der Rolle der Angstzuschreibung repräsentieren die Medien zugleich die Gegenseite – nämlich die sich durch das Virus, seine Verbreitung, die möglicherweise tödlichen Folgen der Infektion bedroht fühlende, eben verängstigte Gesellschaft. Auch für diese Seite ist damit festzuhalten, dass sie genuin diskursiver Natur ist. Für eine Untersuchung von Angsterzeugung und Angstzuschreibung ist es also weder notwendig noch überhaupt produktiv, Wirkungen und Wirkmechanismen medialer Texte außerhalb dieser Sphäre zu suchen. Anders ausgedrückt: Aus diskursanalytischer Sicht ist es nicht nur hinreichend, sondern höchst fruchtbar, davon auszugehen, dass die Wirkungen diskursiver Handlungen innerhalb des Diskurses zu suchen und zu untersuchen sind. Auf diese Weise ist auch der – neben dem linguistisch tradierten – zweite Diskursbegriff in der Nachfolge Foucaults, zu dessen entscheidenden Merkmalen es gehört, zu betonen, dass Diskurse immer auch eine soziale Realität kreieren und darstellen, dass also mit Diskurs mehr bzw. etwas entscheidend anderes gemeint ist als nur „öffentliche Debatte“, die dann auf unspezifische, ihr äußerliche soziale Sphären potentiell Wirkungen entfaltet. Die Verknüpfung zwischen den beiden unterschiedlich tradierten diskursanalytischen Konzepten besteht – bezogen auf den in dieser Arbeit thematisierten Vogelgrippediskurs – darin, zu untersuchen, wie es in den Texten bzw. mittels der Texte, die medial produziert und verbreitet werden, zur Konstitution der beiden sich gegenüberstehenden Seiten kommt, wie es also möglich

12 13

Es wäre die Aufgabe anderer, vom selben Ansatzpunkt ausgehender und methodisch ähnlich aufgebauter Untersuchungen massenmedialer Korpora, diese These zu stützen oder zu falsifizieren. Dies kommt den Überlegungen van Dijks nahe, der Diskurse als (eine Art von) „interaction in society“ bestimmt. (van Dijk 1997)

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

ist, dass von medienwissenschaftlicher bzw. kommunikationstheoretischer Perspektive aus betrachtet ein einziger Akteur – nämlich die Produzenten medialer Texte – zwei Rollen im Diskurs einnehmen und repräsentieren. Diese Frage kann auch so formuliert werden: Wie erfolgt die Transformation des medienkommunikativen Dualismus „Textproduzent – Textrezipient“ zum diskursiven Dualismus „Quelle/Gegenstand der Angst – Träger der Angst“ ? Der folgende Abschnitt wird sich nun ausführlicher mit dieser Frage befassen. 2.3 Angstzuschreibung/Angstrepräsentation – zum Verhältnis von diskursivem Charakter und diskursiver Rolle und zur Dialogizität medialer Diskurse Vom Ausgangspunkt her kennt der bisher skizzierte diskursanalytische Entwurf die Unterscheidung zwischen Produzenten und Rezipienten medialer Texte nicht; er arbeitet mit der Kategorie der diskursiven Rolle und versucht mit ihrer Hilfe, die verschiedenen Beiträge der verschiedenen Medien zum Themenbereich Vogelgrippe zu interpretieren und ihr Verhältnis untereinander zu erklären. Gleichwohl wäre es unsinnig zu leugnen, dass es auf einer anderen Ebene der Betrachtung die Unterscheidung zwischen Textproduzenten und Textrezipienten gleichwohl gibt. Medien werden von einer – traditionellerweise überschaubaren – Anzahl von Leuten gemacht, es gibt darauf referierende Ausdrücke wie „Medienschaffende“, „Medienleute“ oder „-macher“. Ihnen gegenüber stehen die Rezipienten der geschaffenen Produkte – Leser, Hörer oder Zuschauer von Presseerzeugnissen, Hörfunk- oder Fernsehproduktionen. Sicherlich spielt auch das Internet, hier insbesondere das World Wide Web, eine wachsende Rolle; allerdings ist aus unserer Sicht vor einer allzu euphorischen Feier des Internet als neuem, revolutionärem Medium zu warnen, welches das quasi auf dem Sprung sei, die bisherigen Leitmedien in ihrer Funktion abzulösen und darüber hinaus zu völlig neuen Formen einer bidirektionalen Kommunikation zwischen den (ehemals deutlich geschiedenen) Produzenten und Rezipienten medialer Produktionen führe. Ohne umgekehrt einer traditionalistischen Skepsis das Wort reden zu wollen, seien im Folgenden kurz einige der Gründe dafür genannt, warum dem neuen Medium Internet in unserem Entwurf nicht die (Sonder-)Rolle beigemessen, die vielleicht von manchem erwartet wird. Es wird sich zeigen, dass dies einige fundamentale Fragen hinsichtlich der Natur und des Funktionierens von Massenmedien berührt. Erstens sind die Texte, Bilder, Film- bzw. Videosequenzen, die auf den diversen Nachrichtenseiten des World Wide Web zur Verfügung stehen, im Wesentlichen die Onlineversionen von Produktionen, die auch in anderen Medien zur Verfügung gestellt werden. In vielen Fällen handelt es sich sogar um eine Art Zweit-, mindestens aber Parallelverwertung von medialen

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

165

Produkten: Zeitungen stellen einen Teil ihrer Artikel ins Netz, Rundfunkanstalten wie die ARD bieten das Streaming von aktuellen oder archivierten Nachrichtensendungen an usw. Geschriebene Texte behalten ihre Gestalt der geschriebenen Sprache, Fotos bleiben als solche erhalten und auch bei der Onlineversion der TAGESSCHAU ändert sich weder etwas am Inhalt der Texte bzw. gezeigten Aufnahmen, noch notwendigerweise am Verhältnis von Text und Bild. In all diesen Fällen beschränkt sich das Neue am ‚neuen Medium‘ Internet tatsächlich auf die im engsten Sinne technologische Komponente der Übertragung bzw. Verteilung. Und auch wenn die sprachliche Präsentationsform sich ändert, wenn z.B. wie bei einigen Nachrichtensendern die Meldungen von aktuellen Nachrichten als lesbare Texte abzurufen bzw. herunterzuladen sind, muss das nicht automatisch eine völlig andere Form der Rezeption bedeuten. Zweitens bleibt zumindest bis jetzt eher fraglich, ob die verschiedenen Formen der Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipienten das Verhältnis zwischen beiden oder auch innerhalb der Rezipientengruppe wesenhaft verändert haben. Denn nach wie vor beschränkt sich das Zutun der Rezipienten eben auf die rezipiententypischen Beiträge zu einer solchen Kommunikation: die – sicherlich um ein vielfaches schnelleren und auch zahlreicheren – Kommentare zu den rezipierten Beiträgen. In den Foren zu den jeweiligen Nachrichtenthemen ist in der Regel, bezogen auf den sachlichen Gehalt, kein wirklicher Ersatz des alten Zweierverhältnisses zu beobachten. Und auch was die Produzenten der medialen Texte betrifft, so ist zumindest hinsichtlich der Texte deutbar kein wesentlich anderer Bezug auf die Rezipienten wahrnehmbar. Die Bezugnahme erfolgt entweder implizit oder apriorisch – eine explizite, an der Textoberfläche sprachlich realisierte Diskussion der Darstellungsweisen, eine Genese und Entwicklung der wertenden Urteile aus solchen geführten Debatten ist nicht erkennbar.14 Drittens ist der Diskurs über das Themenumfeld Vogelgrippe/Vogelgrippevirus/Seuchenausbreitung zwar (noch?) kein Katastrophendiskurs, trotzdem ist es in gewissem Sinn ein Krisendiskurs. Es geht hier gerade um etwas nicht Alltägliches. Auch aus diesem Grunde ist Vorsicht bei der Übertragung der allgemeinen Tendenzen der Entwicklung der Medien(technologien) geboten, die Art ihrer Rezeption und die Auswirkungen auf das, was hier Diskurs genannt werden soll. So hat sich in der Zeit unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine ebenso plötzliche wie deutliche Veränderung

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Es zeigt sich also, dass die unter anderem von Fraas und Klemm ausgemachte revolutionierende Wirkung der ‚neuen Medien‘ auf die Diskursforschung nicht nur deshalb zweifelhaft ist, weil so der dialogische Charakter von Diskursen in den ‚alten Medien‘ quasi nachträglich dementiert wird, sondern auch wegen der gar nicht abzusehenden grundsätzlich anderen Dialogizität in den ‚neuen Medien‘ (vgl. dafür Fraas 2005, S. 2f.).

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

des Medienkonsumverhaltens ereignet. Wie sehr sich also die ‚neuen Medien‘ auch in gesellschaftlichen Krisenzeiten nicht nur als das Medium der interpersonalen Verständigung, sondern (und vor allem) der gesellschaftlichen Selbst-Verständigung bewähren, bleibt abzuwarten.15 Letztlich bleibt also auch auf dem Gebiet neuer Technologien für die Übertragung, Verteilung sowie Aufbereitung und Präsentation von Nachrichten und den geschriebenen oder auf sonstige Art produzierten und verteilten sprachlichen Reaktionen der Rezipienten die Tatsache bestehen, dass der Dualismus Produzent – Rezipient existiert und dass aus ihm die dialogische, gesprächshafte Natur von Mediendiskursen schlechterdings nicht erklärbar ist. Welche Möglichkeiten gibt es nun, die oben eingeforderte Verknüpfung von beiden Momenten plausibel zu erklären? Es ist dafür bereits im entsprechenden Abschnitt von Kapitel II die Kategorie des „diskursiven Charakters“ vorgeschlagen worden.16 Ganz kurz zusammengefasst ist damit gemeint, dass eine diskursive Produktion, also in erster Linie ein Text, selbst erst das bzw. den schafft, was er prima facie nur thematisiert bzw. den er adressiert. Wie kann das funktionieren? Zunächst ist davon auszugehen, dass der Produzent eines medialen Textes nicht in diskursiven, sondern in Kategorien medialer Kommunikation denkt. Er hat etwas mitzuteilen, egal ob aus einem bestimmten inhaltlich auf den Gegenstand seines journalistischen Tuns bezogenen Interesse oder nur aus wirtschaftlichen Gründen. Ebenso ist in beiden Fällen davon auszugehen, dass der Produzent ein Publikum, Rezipienten für seinen Text vermutet bzw. sich sicher und auf jeden Fall daran interessiert ist, dass sein Text auf solche trifft, und zwar wiederum gleichgültig, ob aus inhaltlichem, d.h. politischem, sozialem o.ä. Interesse oder aus wirtschaftlichen Erwägungen (Auflagen, Einschaltquoten usw.) heraus. Er wird, kurz gesagt, als Produzent daran interessiert sein, dass sein Text in der Weise verstanden wird, die er vorgesehen hat. Er will und setzt auf eine Wirkung beim Rezipienten. Insofern lässt sich hier mit den sprechakttheoretischen Kategorien von Gesagtem, Gemeintem/Gewolltem und Bewirktem theoretisch sinnvoll ansetzen. Der Rezipient seinerseits verlangt von einem Meldungs-, Berichts- oder Kommentartext, den er liest bzw. sich anhört, irgendeine Art Relevanz für ihn. Er wird in jedem Fall davon ausgehen, dass der Medienproduzent diesem Text eine solche Relevanz beimisst, und überprüfen, ob diese tatsächlich vorhanden ist und worin sie besteht. Letztlich leben also Produktion und Rezeption von Medientexten

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„No wonder, then, that by the end of November one poll reported that the percentage of people watching network television had dropped dramatically, while those depending on the popular press for information had tripled from the first week after the attacks.“ (Zelizer 2002, S. 50) Siehe dafür Kapitel II, Abschnitt 2.1.2 „Angsterzeugung durch Schadenserwartung“.

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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nicht nur von einem gemeinsamen Sprach- und dem nötigen Weltwissen der beiden Kommunikationspartner, sondern immer auch von Vermutungen über den jeweils anderen Pol der Kommunikation.17 Es ist also für das Gelingen des Kommunikationsaktes immer eine Art kommunikativer Empathie verlangt, die durchaus auch mehrfach reflexive Wendungen annehmen kann, für den Rezipienten z.B.: ‚Was denkt der Verfasser des Textes darüber, was ich an Hintergrundwissensmomenten/Einstellungen habe, die ich brauche, um zu verstehen, was er meint?‘ Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Luhmann, auf den prima facie die von Fraas/Klemm und anderen vertretene Auffassung, dass sich der Charakter der ‚Einwegkommunikation‘ aus der technischen Beschaffenheit der ‚alten‘ Medien ergibt, zurückzubilden scheint, schreibt dieser doch: Entscheidend ist auf alle Fälle: dass keine Interaktion unter Anwesenden zwischen Sender und Empfänger stattfinden kann. Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen. (Luhmann 1996, S. 11f.)

Im Unterschied zu anderen Autoren geht Luhmann aber davon aus, dass sich ‚Sender‘ und ‚Empfänger‘ aufeinander beziehen wollen, was auf die Ausgestaltung der Kommunikation in Form von zwei, wie er sie nennt, ‚Selektoren‘ wirkt, die Sendebereitschaft und das Einschaltinteresse, die zentral nicht koordiniert werden können. Die Organisationen, die die Kommunikation der Massenmedien produzieren, sind auf Vermutungen über Zumutbarkeit und Akzeptanz angewiesen. (Luhmann 1996, S. 11)

Auch wenn Luhmann im weiteren Verlauf seiner Argumentation einen anderen Strang verfolgt, nämlich die mit der technisch-institutionell gegebenen Trennung von Sender und Empfänger eröffnete Freiheit und Notwendigkeit zur Selbstorganisation massenmedialer Kommunikation,18 sind in seiner Theorie doch Berührungspunkte zu unseren Überlegungen enthalten,

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Diese grundsätzliche Überlegung findet sich ähnlich auch im Konzept des „recipient design“ (dt. adressatenspezifischer Zuschnitt der Rede), demzufolge Vermutungen über die Identität des Adressaten in der Äußerung bewusst aufgenommen werden: Wer ist angesprochen durch den Sprecher?, Wie ist/sieht/empfindet der Sprecher die Situation?, Wie ist/sieht/empfindet der Sprecher den Rahmen des Gesprächs? Das Konzept verbindet konversations-, diskursanalytische Ansätze mit dem des symbolischen Interaktionismus. Dabei liegen der Analyse vor allem Texte zugrunde – wie zum Beispiel in der von Ruth Ayaß herausgegebenen Studie, „Das Wort zum Sonntag“ Fallstudie einer kirchlichen Sendereihe (1997) –, die sich explizit an ein Publikum richten, es direkt ansprechen und adressieren, sei es in Form des Gespräches oder in Form der Rede. In Abschnitt 3.4 „Zum Diskurs als System“ dieses Kapitels werden die sich aus unserer Konzeption ergebenden Überlegungen und Fragen bezüglich Diskursen als Systeme zu diskutieren sein.

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

die vor allem den Aspekt betreffen, dass es (irgend)einen Bezug des Senders (Produzenten) auf den Empfänger (Rezipienten) geben muss, weil ansonsten die Kommunikation, auch wenn man sie nur als monodirektionalen Fluss von Informationen annehmen möchte, nicht stattfände. Der Sender muss nicht nur bezüglich des wie, sondern auch bezüglich des was den Empfänger irgendwie einbeziehen. Unsere Argumentation lautet, dass er Vermutungen über den Empfänger, bzw. in unserer Terminologie: Rezipienten anstellt, diese in die Produktion des Textes einfließen lässt und mit einem sozusagen vorgestellten Rezipienten kommuniziert. Dem Rezipienten wiederum wird dadurch ermöglicht und zugleich aufgenötigt, sich auf die vom Gegenpol angestellten Vermutungen über sein Denken einzulassen, um erfolgreich mit dem Produzenten kommunizieren zu können, d.h. den Gehalt auf den unterschiedlichen semantischen Ebenen erfassen zu können. Auf diese Weise kommt – im Erfolgsfalle – der Rezipient dazu, sich selbst in den vom Produzenten in und mittels der Texte angestellten Vermutungen zu sehen, d.h. zu akzeptieren, wie er in den Texten, also im medialen Diskurs repräsentiert wird. Nehmen wir als Beispiel für diese Überlegungen noch einmal einen schon in Kapitel II an verschiedenen Belegen19 diskutierten Aspekt der Angst erzeugenden Rolle: Es ist hier festgestellt worden, dass die Konstitution einer Gefahr zugleich die Konstitution eines Standpunktes mit sich bringt, von dem aus man überhaupt von Gefahr sprechen kann (analog: Verängstigtheit als notwendiges Komplement zu Angsterzeugung), und dass mit der spezifischen Ausformung von ersterer auch schon bestimmte Merkmale und Wesensmomente von letzterem mitgezeichnet werden. Konkret hieße das, dass das Ausmalen von großen, überindividuellen Schäden, die ein Ausbrechen der Vogelgrippe mit sich bringen könnte, nur unter der Voraussetzung stichhaltig und logisch nachvollziehbar wäre, dass auf der anderen Seite ein solcher überindividueller Standpunkt als relevant existiert, d.h. ein das Individuum als solches in seinen unmittelbaren Beziehungen übersteigendes Kollektiv oder anderweitig zu bestimmendes sozial konstituiertes Subjekt mit seinen Nutzens- und Schadenskalkülen und -prognosen und -bilanzen. Das betrifft – wie im Verlauf der Analyse gezeigt werden sollte – nicht nur die das Personale, das Individuelle übersteigende pure Dimension, sondern auch den spezifischen Gehalt: Wenn die Gefährdung, die das Virus darstellt, nicht nur nebenbei, sondern zuvörderst ökonomischer Natur im Sinne eines gesamtwirtschaftlichen Risikos ist, dann wird damit zugleich der Standpunkt der nationalen Wirtschaftsbilanz als wesentlicher, vielleicht gar eigentlicher (Sorge-)Standpunkt unterstellt und damit als zumindest in der

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Siehe Kapitel II, Abschnitt 2.3 „Motive und sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung“.

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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Kommunikation zwischen Textproduzent und -rezipient konstituiert. Damit soll keineswegs gesagt sein, dass es ein solches überindividuelles, kollektives Subjekt nicht gibt; die Frage, ob und in welchem Sinne größere sozial definierte Gruppen, Schichten, Klassen, Nationen usw. Realitäten sind, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Dieser Arbeit geht es um die Betonung des Umstandes, dass sich der Produzent eines Textes nicht vor der Schilderung bzw. Ausmalung dessen, was das H5N1-Virus ist, was es praktisch bedeutet, damit zu befassen braucht, welche verschiedenen Interessen für sich praktische Gültigkeit verlangen (können), sondern indem er das Virus in seinem Text als eine spezifische Gefahr charakterisiert, behauptet er damit die Relevanz für ein entsprechendes Interesse eines entsprechenden Subjekts und spricht ihm damit Gültigkeit zu, auch wenn diese zunächst nur eine in seinem Text behauptete ist. Dem Rezipienten wird die Mitteilung bzw. das Schadensszenario fremd, äußerlich bleiben, möglicherweise unverständlich erscheinen, wenn er diese Unterstellung, die Präsupposition nicht nachvollzieht. Aufgrund der Relevanzvermutung, über die oben kurz gesprochen worden ist, wird er aber genau das letztere mit hoher Wahrscheinlichkeit tun, also versuchen, den von ihm rezipierten Text für sich plausibel zu machen, indem er Vermutungen über die Präsuppositionen des Textes anstellt und diese in den Text projiziert. Gelingt ihm dies dadurch, dass er den im Text unterstellten Standpunkt eines höhere Gültigkeit für sich beanspruchenden überindividuellen Subjekts, eines „großen Ganzen“ nachvollzieht und positiv einnimmt, so ist nicht nur die Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient des Textes von beiden Seiten aus gesehen gelungen, sondern es sind auch die – andere Interessen als „bloß individuell“ erscheinen lassenden – überragenden z.B. standortpolitischen Kalkulationen damit nicht nur vom Produzenten als existent und gültig behauptet, sondern auch zwischen Produzent und Rezipient anerkanntermaßen gültig. Dadurch ist jedoch nicht nur ein kollektives Subjekt als von beiden Seiten der Kommunikation anerkanntes Faktum konstituiert, sondern zugleich ein Wesensmerkmal am Rezipienten selbst: Denn er steht so unmittelbar in einem Verhältnis zu diesem zwischen ihm und dem Textproduzenten als gegeben und relevant anerkannten Kollektivsubjekt; mit der überragenden Gültigkeit „übergeordneter“ Interessen ist die nur sehr bedingte Gültigkeit individueller Interessen zugleich mit gegeben, was auch jene des Rezipienten mit einschließt. Indem also der Rezipient die im Text enthaltene Präsupposition nachvollzieht, urteilt er zugleich über sich, vollzieht er auch die mit der Charakterisierung des Virus notwendig verbundene Charakterisierung der eigenen Stellung nach. Auch hier ist es wieder völlig unerheblich, ob der Rezipient das Verhältnis zwischen seinen individuellen, privaten Interessen und übergeordneten Gemeinwohlinteressen schon vorher so gesehen oder ob er beide anders gewichtet oder sich vielleicht noch gar

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

keinen expliziten Standpunkt dazu erarbeitet hat. Davon unberührt bleibt es eine notwendige Bedingung für die Kommunikation zwischen ihm und dem Textproduzenten, dass er dieses Verhältnis in dieser Rolle interpretiert; nur so existiert er in diesem Verhältnis, als solchen spricht ihn der Text bzw. Textproduzent an, als solcher ist er in der Lage, mit diesem Text adäquat umzugehen. Diese Kommunikation erfordert also einen ganz bestimmten Rezipienten, den sie zugleich entsprechend der in ihr enthaltenen notwendigen Erfolgsbedingungen selbst modelliert. Als ein solcher Teilnehmer an der Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient ist der Rezipient zugleich Bestandteil von und Teilnehmer an dem Diskurs, der sich in diesem und anderen Texten sprachlich realisiert. Die Kommunikation – das Produzieren und Rezipieren des Textes/der Texte mit den für das Gelingen der Kommunikation notwendig anzustellenden und zu überprüfenden Vermutungen über den jeweils anderen Kommunikationspol mitsamt seinen Vermutungen über die eigene Seite – konstituiert den Rezipienten als Teil des Diskurses, in diesem konkreten Fall als Mitglied eines durch das Virus bedrohten und von ihm gefährdeten kollektiven Subjekts. Auf diese diskursgenetische Eigenschaft wird referiert, wenn in dieser Arbeit von ihm als diskursivem Charakter gesprochen wird. Diskursive Charaktere können selbst – müssen aber nicht – diskursive Rollen innehaben. Die beiden Kategorien sind jedoch vor allem nicht als komplementär zu verstehen; sie spielen auf zwei unterschiedliche Aspekte von Diskursen bzw. Diskursteilnehmern an. Von diskursiver Rolle sprechen wir, um zu kennzeichnen, dass „jemand“ im Diskurs eine Position vertritt, auf die sich andere Äußerungen innerhalb dieses Diskurses beziehen; diskursive Rollen beziehen sich wechselseitig aufeinander und wirken innerhalb des Diskurses aufeinander, sie sind Träger diskursiver Handlungen. Dahingegen zielt die Redeweise vom diskursiven Charakter darauf ab, zu kennzeichnen, dass nicht eine in anderen sozialen/kommunikativen Zusammenhängen längst bestehende Position bzw. ein Subjekt, das eine solche Position bezieht, nun auch innerhalb des diskursiven Zusammenhangs „auftritt“, sondern dass dieser Diskursteilnehmer seine spezifischen, für den Diskurs relevanten und innerhalb des Diskurses beobachtbaren und wirkenden Merkmale wesentlich im Diskurs bzw. durch ihn erhalten hat. Gehen wir vor dem Hintergrund dieser Überlegungen noch einmal konkret auf die Rolle von Angstzuschreibung/Angstrepräsentation ein. Es scheint jetzt deutlich gemacht werden zu können, worin der diskursanalytische Unterschied innerhalb des Begriffspaares Angstzuschreibung/Angstrepräsentation liegt. Die medialen Texte (bzw. deren Produzenten) zeichnen „uns“ nicht nur ein Bild von dem Virus, das uns erschrecken lässt (lassen soll), sie zeichnen damit – siehe oben – nicht nur zugleich die wesentlichen Züge des bedrohten Subjekts, dem das Virus Angst einjagt, bei dem es Angst erzeugt,

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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sondern sie „konstatieren“ eben auch, dass die Wirkung der Schreckensszenarien eingetreten ist, dass das „objektiv“ bedrohte „Wir“ eben auch das subjektiv verängstigte, Angst empfindende, womöglich von Angst regierte „Wir“ einschließt. Auch hier ist es wiederum gleichgültig, ob und in welchem Maße und mit welchen Methoden eine massenhafte oder jedenfalls sozial relevante Angst außerhalb des Diskurses zu registrieren ist. In den produzierten Texten wird davon ausgegangen, dass die Angst vorhanden ist und damit auch, wie sie vorhanden ist. Der Rezipient der entsprechenden Texte wird als eine Person adressiert, die Angst hat. Dies geschieht – zumindest überwiegend – gerade nicht an der Textoberfläche mittels vokativen Konstruktionen bzw. Ansprachen in der 2. Person, sondern dadurch dass in den Texten einerseits über „uns“ gesprochen bzw. geschrieben wird und dass – nicht zuletzt auf diese Weise – andererseits die Texte nur plausibel zu interpretieren sind, wenn diese Unterstellung nachvollzogen wird, sei sie nun sprachlich explizit gemacht worden oder nicht. Stellvertretend für „uns“ nehmen die (Produzenten der) Texte die Angst auf, von der sie ausgehen. Weil sie dem Rezipienten ermöglichen, ihn in gewisser Weise dazu „zwingen“, diese Sichtweise des durch das Virus verängstigte Subjekts positiv nachzuvollziehen, kann er sich gleichsam im Diskurs vertreten und aufgehoben fühlen, ohne dass er an ihm im engeren kommunikationstechnischen Sinne (selbst als Produzent eines Beitrages) teilnehmen muss. Der erste Aspekt dieser Metamorphose, das – empirisch-außerdiskursiv überprüft oder nicht – Unterstellen von Verängstigung in den Medienbeiträgen und durch sie ist mit dem Begriff Angstzuschreibung gemeint. Der zweite Aspekt, dass in den Medienproduktionen dann stellvertretend für alle Nicht-Textproduzenten aufgenommen, von diesem Standpunkt aus beschrieben, geurteilt, gewertet wird, dass also die Medien stellvertretend für „uns“ die Angst, die sie „uns“ zuschreiben, auch als einen für sie zutreffenden Gefühlszustand haben und „ausleben“ – dies ist mit Angstrepräsentation gemeint. Insofern also die Angst eine diskursiv zugeschriebene ist, kann das solcherart gezeichnete und im Diskurs als Teilnehmer oder als Gegenstand vorkommende Subjekt – sei es ein Individuum oder ein überindividuelles, kollektives Subjekt – als diskursiver Charakter bezeichnet werden. Im Unterschied dazu korrespondiert der Begriff der Angstrepräsentation im engeren Sinne mit der diskursiven Rolle: die Leistung der Medien ist hier dahingehend gekennzeichnet, dass das verängstigte „Wir“ im Diskurs vorkommt, agiert, sich äußert, reagiert, eben seine Rolle spielt. Oder noch einmal anders und etwas überspitzt formuliert: Als diskursiver Charakter wird „uns“ die Angst „angedichtet“, als Träger einer diskursiven Rolle hat das „Wir“ diese Angst – repräsentiert in den entsprechenden Texten, die innerhalb des Diskurses produziert worden sind. Auf diese Weise existiert die Wirkung der medialen Texte tatsächlich – eben als diskursive Realität, die in Form des Rollenspiels mit Angsterzeugung/

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

Angsthaben exekutiert wird. Es braucht also für einen Nachweis dessen, dass die Angst erzeugenden Beiträge Wirkung entfalten weder empirische Beobachtungen über bestimmte praktische Verhaltensweisen in bestimmten sozialen Zusammenhängen (statistische Untersuchungen über das Kaufverhalten o.Ä.), noch ist es dafür nötig, Rezipientenbefragungen durchzuführen, wenn man davon ausgeht, dass das Bewirkte wesentlich diskursiver Natur sein muss, wenn das Wirkende schon (als) diskursiv bestimmt wurde. Dabei braucht keineswegs geleugnet zu werden, dass Rezipienten individuell durchaus unterschiedlich auf die von ihnen rezipierten Texte reagieren können. Aber auch hier ist weniger die Abweichung einer individuellen Rezeption von einer weiter verbreiteten Variante oder von der durch die Textproduzenten intendierte Wirkung entscheidend, sondern vielmehr das prinzipielle Auseinanderfallen dieser beiden Punkte. Diese Überlegungen sollen hier ein Vorschlag dafür sein, wie sie theoretisch zu vermitteln sein könnten. Dafür hat diese Arbeit auf Konzepte aus der pragmatischen Linguistik zurückgegriffen (pragmatische Präsupposition, common ground usw.) und konnte so eine Möglichkeit für die Wirkmechanismen aufzeigen, die das individuelle bzw. individualisiert betrachtbare Verhältnis zwischen Produzenten und Rezipienten eines medialen Textes in einen Diskurszusammenhang hineinheben. Das scheint mit dem vorgeschlagenen Konzept der diskursiven Rollen und diskursiven Charaktere plausibel möglich zu sein. Wenn dagegen umgekehrt der Einwand erhoben sein soll, dass dies die prinzipielle Möglichkeit und womöglich auch die empirisch untermauerte Gewissheit ignoriert, dass Rezipienten medialer Produktionen sich auch gänzlich anders zu den Texten, ihren Inhalten und ihren Präsuppositionen (hinsichtlich Relevanz, sprachlichem oder Weltwissen, moralischen Einstellungen usw.) stellen können, als es aus der hier vorgeschlagenen diskursanalytischen Betrachtung herausscheint, dann sei hierzu Folgendes angemerkt: Erstens wird damit nicht nur die hier vorgeschlagene Konzeption der diskursiven Rollen und Charaktere und die mit ihnen zu bewerkstelligende theoretische Vermittlung von im engeren Sinne pragmalinguistischen Untersuchungsebenen und -methoden einerseits und übergreifenden, allgemeiner konzipierten diskurstheoretischen Überlegungsansätzen bestritten, sondern letztlich auch die theoretische Verlässlichkeit der pragmalinguistischen Erklärungskonzepte und -kategorien selbst. Umgekehrt betrachtet: Wenn die Stichhaltigkeit und der theoretische Wert der bewährten Theorien hinsichtlich pragmatischer Präsupposition, kommunikativer Kooperation, common ground usw. nicht bestritten werden sollen, dann ist es keineswegs plausibel, dass z. B. im hier untersuchten Fall die Rezeption von medialen Texten zur Vogelgrippe völlig anderen Prinzipien folgen soll. Zweitens müsste diesem Fall nachgewiesen werden, dass die Medienrezipienten nicht nur hier und da, sondern prinzipiell an der kommunikativen

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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Absicht der Produzenten vorbeirezipieren und trotzdem die Texte in einer Weise für relevant erachten, dass sie die über den Text vermittelte Kommunikation nicht abbrechen, also die Zeitung nicht mehr lesen, die Radiound Fernsehnachrichten nicht anhören bzw. ansehen. Oder es müsste ein einleuchtender Erklärungsansatz dafür entworfen werden, dass die Rezipienten, obwohl wegen des Fehlens kommunikativer Berührungspunkte mit den Texten bzw. ihren Produzenten eine von daher zu erklärende Motivation zur Rezeption der Texte nicht vorliegen kann, diese Texte doch dauerhaft ihr Interesse finden. Drittens ist die Annahme keinesfalls selbstverständlich, dass das Vorhandensein einer relevanten Anzahl von Rezeptionen, die sich in keiner Weise mit den innerhalb des medial „sichtbaren“ Diskurses vertretenen Positionen, Ansichten usw. decken, über längere Zeit hinweg vollständig außerhalb des Diskurses bleiben sollten. Woher weiß ein einzelner Rezipient, dass er mit seiner „abweichenden“ Rezeption nicht allein steht, sondern dass es einem beträchtlichen Teil der Leser und Zuschauer so geht, dass sie die mediale Aufbereitung der Vogelgrippe für verfehlt, nicht nachvollziehbar, übertrieben oder falsch halten? Dies kann selbst wieder nur über die Medien, also innerhalb des medial realisierten Diskurses geschehen; außerhalb des Diskurses bleiben die (möglicherweise vielen) Einzelnen doch nur die Einzelnen, als solche: ohne Wissen voneinander, ohne ein Medium für ihre Ansichten, Stellungen usw. Umgekehrt scheint es plausibel, dass durch die spezifischen Mechanismen medialer Thematisierung ein relevantes Auseinanderfallen vom Stand des innerdiskursiven Agierens der jeweiligen Rollen und dem wirklichen, außerdiskursiven Stand der Gefühle und Meinungen selbst wieder zum Thema im Diskurs wird, möglicherweise durch die Modifikation bestimmter diskursiver Rollen und Charaktere, möglicherweise durch die Konstitution von neuen. Im konkreten Fall des Vogelgrippediskurses hieße dies: Nimmt man den Fall als gegeben an, dass der Stand des Verhältnisses zwischen den diskursiven Rollen Angsterzeugung und Angsthaben über eine längere Zeit und in prinzipieller Weise dem Gefühlszustand weiter Teile der Bevölkerung nicht entspräche, die möglicherweise keine Angst vor etwaigen Gefahren durch das Virus haben und alles nur für „aufgebauscht“ halten, diese Medienrezipienten also im medialen Diskurs nicht repräsentiert werden, dann wird über kurz oder lang genau dies Thema des Diskurses sein. Als Beispiel dafür kann hier der schon in Kapitel II zitierte Beleg gelten: [7] Die große Mehrheit der Deutschen hat laut einer Umfrage keine Angst vor der Vogelgrippe. 83 Prozent der Bundesbürger fürchteten sich nicht vor dem gefährlichen H5N1-Virus, ergab eine Umfrage des Instituts Emnid und des Fernsehsenders N24 unter 1000 Perso-

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

nen in Deutschland. Nur 16 Prozent der Deutschen sagten laut der Mitteilung vom Dienstag, sie hätten Angst. Knapp drei Viertel der Befragten äußerten Vertrauen in den Umgang der deutschen Behörden mit der Vogelgrippe. Dagegen glauben 28 Prozent der Befragten, daß die Behörden die Lage nicht im Griff haben. (FAZ, 22.02.06) Dies ist eine Art und Weise, wie der mediale Diskurs die Reaktionen der Rezipienten aufnimmt und wiederum zu einem Bestandteil des Diskurses macht. Dabei wäre es durchaus zu diskutieren, ob man dies innerhalb des Rollenkonzeptes als Modifikation an der Rolle des Verängstigten bespricht oder eine eigene Rolle dafür annimmt; dies wird weiter unten näher zu untersuchen sein. Ein noch drastischeres Beispiel für die gleiche Überlegung bieten die beiden folgenden Belege, die ebenfalls bereits in Kapitel II diskutiert worden sind: [3] Die Panik war in den Medien, nicht in der Bevölkerung. (Andrea Fischer im Interview mit DIE ZEIT, 02.03.06) [4] „Ohne die Fernsehbilder vom Rügendamm wäre das Getöse der Medien nur halb so laut“, jammert Raymond Kiesbye, Chef der Tourismuszentrale. „Wir haben auf Rügen keine Katastrophe, die Katastrophe findet im Fernsehen statt.“ (DER SPIEGEL, 25.02.06) In beiden Beiträgen wird das Katastrophengeschehen bzw. die mit ihm verbundene Panik thematisiert; in beiden Beiträgen wird die Behauptung aufgestellt, dass Katastrophe und Panik rein medialer Natur, nicht tatsächlich aufgetreten seien. Man findet hier also das Paradoxon, dass die Behauptung einer prinzipiellen Trennung zwischen dem medialen Diskurs und der Wirklichkeit gerade innerhalb des Mediendiskurses aufgestellt wird, dass es sich um einen Standpunkt handelt, mit dem an diesem Diskurs teilgenommen wird. Auf diese Weise ist aber genau diese behauptete Scheidung zwischen Diskurs und Wirklichkeit aufgehoben; in der Form von Urteilen zum Verhältnis von Diskurs und wirklichem Geschehen wird eigentlich eine Stellung zur Gefährlichkeit der Vogelgrippe bezogen und eine Variante des kalkulatorischen und gefühlsmäßigen Umgangs mit ihr konstituiert, die sich völlig nahtlos in das diskursive Rollenspiel von Angsterzeugung, Angsthaben und Angstabbau/ Angstbewältigung einfügt. Wie wenig sich die strikte Behauptung, der mediale Diskurs über die Vogelgrippe hätte mit der Wirklichkeit nichts zu tun, aufrechterhalten lässt, ist im Übrigen an Beleg [4] noch in einer anderen Weise zu studieren. „Ohne die Fernsehbilder vom Rügendamm wäre das Getöse der Medien nur halb so laut“, jammert Raymond Kiesbye, Chef der Tourismuszentrale.

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2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

Das Interessante an der vom Tourismuschef der Insel Rügen zitierten Äußerung ist das Wirkungsverhältnis, das in dieser Äußerung behauptet wird. In der Form der Negation im Irrealis wird hier nämlich eine dem medialen Diskurs vollständig immanente Ursachen-Wirkungs-Verbindung aufgestellt:

URSACHE:

‚Fernsehbilder vom Rügendamm‘

WIRKUNG:

‚Getöse in den Medien‘

‚Das Getöse der Medien‘ erscheint in dieser Äußerung als der relevante Bezugspunkt.20 Die in diesem Satz enthaltene Konstruktion lässt sich vollständig mit den angenommenen Rollen der Angsterzeugung (hier die Fernsehbilder) und der Angstrepräsentation (hier ‚das Getöse in den Medien‘) interpretieren. Die Behauptung einer (anderen) Wirklichkeit ganz getrennt vom (die Tatsachen verfälschenden) Diskurs kann auch der Chef der Rügener Tourismuszentrale nicht durchhalten – schließlich bezieht er sich innerhalb des Diskurses auf ihn, er thematisiert die Wirkung einer diskursiven Rolle auf eine andere. Es bleibt also an dieser Stelle als wesentlich festzuhalten, dass es folglich keinen stichhaltigen Grund für die Annahme gibt, der im technischen Raum der Massenmedien stattfindende Diskurs könne sich potentiell über längere Zeit und in prinzipieller Weise anders entwickeln als das tatsächliche Spektrum der Meinungen und Standpunkte in gesellschaftlichen Zusammenhängen außerhalb des Diskurses. 2.4 Angstabbau/Angstbewältigung/ Angstüberwindung – Diskurs als Therapie Im Verlauf der Korpusuntersuchung anhand der in Kapitel II vorgestellten und diskutierten Belegstellen hat sich die Schlussfolgerung ergeben, dass zwischen beiden diskursiven Rollen Angsterzeugung und Angstzuschreibung/ Angstrepräsentation ein verstärkender Rückkopplungseffekt existiert. Insofern die Medien die diskursive Rolle des durch das Virus verängstigten „Wir“ übernehmen, liefern sie selbst neuen Stoff für ihre Rolle als „stellvertretender“ Gegenstand ängstlicher Reflexionen. An einigen Belegen war sehr detailliert zu studieren, wie die Angst vor dem Virus mit der Angst vor der Angst,

20 Auch wenn im folgenden Satz wiederum die Antinomie zwischen Wirklichkeit (‚wir auf Rügen‘) und bloßem Mediendiskurs (‚im Fernsehen‘) behauptet wird.

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

insofern sie potentiell gesellschaftlich relevante und damit diskursiv thematisierbare Formen annimmt und Wirkungen zeitigt, verschmilzt. Dies ist auf der einen Seite als ein weiterer Beleg dafür zu werten, dass die Überlegung stichhaltig ist, derzufolge das Virus, das „uns“ betroffen macht, weniger ein naturwissenschaftliches, sondern – zumindest auch – ein soziales Phänomen ist, genauer gesagt eine diskursive Kreatur. Zu seinen Eigenschaften gehört nicht nur, was „wir“ über es denken und fühlen, wie wir es werten, sondern auch, was „wir“ praktisch unternehmen, zu welchen Maßnahmen es uns veranlasst, welche Reaktionen – geplanter oder spontaner Art – es hervorruft. Als Beispiel dafür können z.B. die Medienbeiträge genommen werden, in denen das Virus bzw. die von ihm ausgehende Gefahr in Bildern von ‚Männern in weißen Overalls‘, von ‚gekeulten Vögeln‘ usw. aufbereitet wird.21 Als bemerkenswert kann man daran festhalten, dass Schilderungen/Bilder von Abwehrmaßnahmen gegen das Virus genauso zu Chiffren der Angst werden, wie umgekehrt Schilderungen/Bilder von den Auswirkungen der nicht abgewehrten Seuche. Noch deutlicher wird der hier gemeinte Rückkopplungseffekt dann, wenn in Beiträgen mögliche oder tatsächliche wirtschaftliche Folgen praktischer Angstreaktionen (verändertes Konsumverhalten, Horten von Medikamenten usw.) als Beispiele dafür aufbereitet werden, welche Gefahr vom Virus ausgeht.22 Auf der anderen Seite hat diese Überlegung zu der Frage geführt, wie es möglich sein kann, dass trotz dieses selbstverstärkenden Rückkopplungseffektes der Diskurs keinen „Paniküberlauf“ erleidet, also nicht mehr oder weniger zielstrebig in Richtung diskursiver Hysterie tendiert, unter der er in sich zusammenbricht. Die Antwort lautet: Wenn man davon ausgeht, dass es keine äußeren, d.h. technischen, aber vor allem juristischen und politischen Restriktionen für den Diskurs gibt, wenn man also davon ausgeht, dass die Medien jede diskursive Rolle, die sie annehmen, also auch frei spielen können, dann bleibt nur die Schlussfolgerung: Es muss innerhalb des Diskurses einen Gegenspieler zu Angsterzeugung sowie Angstzuschreibung/Angstrepräsentation geben; es muss einen dritten Part, eine dritte diskursive Rolle geben, die den Grad diskursiver Angst/Panik begrenzt, ja sogar in der Lage ist, diesen Grad bis zu einem Zustand der Nichtexistenz zurück zu entwickeln. Wir sind so auf die Annahme der diskursiven Rolle der Angstbewältigung gekommen. Unter Hinzuziehung dieser dritten Rolle sollte es nun möglich sein, alle Beiträge innerhalb des Mediendiskurses über das Vogelgrippevirus H5N1 bzw. die Vogelgrippe plausibel zu interpretieren. Jede Rolle wird technisch

21 Siehe hierfür u.a. die Belege [5] und [71]. 22 Siehe hierfür die Belege [8], [84] und [101].

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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realisiert durch die Medien und in den Medien. Schematisch lässt sich das Verhältnis dieser drei Rollen wie folgt darstellen:

A NGSTREPRÄSENTATION

A NGSTERZEUGUNG Das Virus, das ‚uns‘ bedroht

‚Wir‘ zwischen Angst und deren Überwindung

A NGSTBEWÄLTIGUNG ‚Unser‘ Therapeut

Abbildung 4: Drei Rollen Angsterzeugung – Angstrepräsentation – Angstbewältigung

Die Rolle der Angstbewältigung übernimmt in diesem Schema gleichsam die Funktion einer dritten Stellgröße, die auf die rückgekoppelten Rollen der Angsterzeugung wirkt und den sich wechselseitig verstärkenden Effekt im Verhältnis zwischen diesen beiden Rollen dämpft. Wie bereits oben angedeutet, besteht folglich die Möglichkeit, das Schema des „diskursiven Rollenspiels“ auch in modifizierter Weise zu interpretieren: Es ist durchaus vorstellbar, als eine Wirkung des Agierens der Rolle Angstbewältigung nicht nur eine Veränderung des Rückkopplungsverhältnisses zwischen Angsterzeugung und Angstzuschreibung/Angstrepräsentation und vermittelt dadurch eine Veränderung des Zustandes des Parts der Angstrepräsentation anzunehmen, sondern die Konstitution einer völlig neuen, vierten Rolle. Diese zeichnete sich dadurch aus, dass sie das Komplement, das notwendige Gegenstück zur Angstbewältigungsrolle wäre. Man könnte diese Rolle z. B. „Angstüberwindung“ nennen, wobei hier Überwindung nicht in der Bedeutung des Prozesses, sondern in der Bedeutung seines Resultates zu verstehen wäre. Man hätte somit zwei Rollenpaare: Erstens Angsterzeugung und ihr Komplement Angstrepräsentation und zweitens Angstbewältigung und ihr Komplement Angstemanzipation. Schematisch würde sich dies so darstellen:

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

Angsterzeugung

Angst haben

Angstbewältigung

Angstüberwindung ‚Wir‘ zwischen Angst und deren Überwindung

Abbildung 5: Rollenpaare Angsterzeugung – Angstbewältigung

Dieses provisorische Schema lässt erkennen, dass die beiden Rollen innerhalb eines Paares jeweils verstärkend miteinander rückgekoppelt wären und eine gegenwirkende Rückkopplung jeweils zwischen Angsterzeugung und Angstbewältigung sowie zwischen Angstrepräsentation/Angst haben und Angstüberwindung bestünde. Das diskursiv konstituierte „Wir“ wäre dann in diese beiden letzteren Rollen gespalten. Folglich ist die in Grafik 4 schematisierte Konstellation der diskursiven Rollen für unsere Zwecke aber völlig ausreichend. Die Annahme einer Konstellation gemäß Grafik 5 müsste außerdem noch durch eine entsprechende Analyse des Korpus untermauert werden. Bleibt man bei der Annahme des wechselwirkenden Agierens von drei diskursiven Rollen, ergeben sich hieraus einige Fragen, denen im Folgenden nachgegangen werden soll. Es ist in Kapitel II die Rolle der Angstbewältigung angenommen und es sind mit ihrer Hilfe verschiedene Belege untersucht worden, die als typisch für eine ganze Reihe von medialen Beiträgen zum Thema Vogelgrippe gelten können. Die Untersuchung hatte sich darauf konzentriert, wie Angstbewältigung in diesen Beiträgen sprachlich funktioniert, mittels welcher Präsuppositionen, sprachlicher Konstruktionen usw. dieser Effekt erreicht wird. Im Unterschied dazu soll es an dieser Stelle darum gehen, wie Angstbewältigung diskursiv als Rolle funktioniert und auf die anderen diskursiven Charaktere bzw. Rollen wirkt. Auf dieser Ebene kann die diskursive Rolle der Angstbewältigung wohl am anschaulichsten mit der Rolle eines Angsttherapeuten verglichen werden, der jemandem dabei hilft, einen Angstzustand zu überwinden. Im Zuge der exemplarischen Untersuchung der entsprechenden Belege ist bereits verdeutlicht worden, dass dies zunächst durch die Thematisierung des Gefühls der Angst geschieht, was durchaus zu dem Vergleich mit der Angsttherapie passt. Dabei geht es nicht immer direkt darum, die Angst als bloßes Gefühl zu entlarven, sondern sich ihr (und ihrem Gegenstand) zu stellen. Insofern – auch

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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das ist bereits festgehalten worden – trägt die permanente Wiederholung bzw. Neuproduktion von Beiträgen zur Vogelgrippe neben dem Angst erzeugenden Moment potentiell immer auch Züge einer therapeutisch induzierten Distanzierung von dieser Angst. Die immer wiederholte Konfrontation mit dem Geschehen bzw. mit den noch gravierenderen Szenarien möglichen zukünftigen Geschehens schafft die Voraussetzung dafür, sich aus dem Griff der Angst zu befreien und sie als Gefühl einzuordnen. So gesehen haftet letztlich zwar nicht jedem einzelnen Beitrag, aber der Masse an Beiträgen, dem beständigen Fluss an neuen Nachrichten und Kommentaren als Ganzes immer auch dieses Moment an, wirkt hier potentiell immer auch die Rolle der Angstbewältigung. Das führt noch einmal sehr deutlich vor Augen, dass das Konzept der diskursiven Rolle auf keinen Fall so verstanden werden darf, dass sich einzelne Texte, vielleicht gar einzelne Autoren oder Medien eine solche Rolle im Unterschied zu anderen (bewusst) annehmen. Vielmehr sind diese Rollen auf der Analyseebene des Diskurses die möglichen Dimensionen, in denen sich ein solcher Text bewegen kann und die Summe der möglichen Wirkungen, die er auf andere Texte ausüben kann. Auf diese Art und Weise scheint sich auch das Phänomen deuten zu lassen, das gemeinhin als „Überdruss“ oder „Ermüdung“ der Rezipienten besprochen wird. Diese Annahme mag aus der Perspektive verhaltenspsychologischer Überlegungen hinsichtlich des Medienkonsumverhaltens von individuellen Rezipienten sicherlich stimmen; sie hilft allerdings bei der Lösung der diskurstheoretischen Fragestellung nach dem Warum und Wie der „Normalisierung“ trotz und bei all der medialen Aufregung nicht weiter. Eine ähnliche Erklärung im Sinne therapeutischer Funktionalität versucht Zelizer bezüglich der auffallend großen und qualitativ veränderten Rolle, die Pressefotos im Rahmen der Berichterstattung über die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 gespielt haben. Sie betont die therapeutischen Aspekte des journalistischen ‚covering‘ der seinerzeitigen Ereignisse, hier allerdings nicht im angsttherapeutischen, sondern im Sinne einer Art Traumatherapie. In diesem Zusammenhang kommt sie zu folgendem Schluss: Photography is well suited to take individuals and collectives on the journey to post-traumatic space. [...] photographs allow people to continue looking until they can work through the dissonance caused by trauma. (Zelizer 2002, S. 49)

Auch wenn sich die ‚therapeutische Situation‘ innerhalb der beiden Diskurse zu den Anschlägen vom 11. September und der weniger von bereits eingetretenen als vielmehr drohenden Ereignissen geprägten Betroffenheit durch die Vogelgrippe in wichtigen Punkten unterscheiden, bleibt doch die Gemeinsamkeit zu konstatieren, dass in beiden Diskursen therapeutische Momente auszumachen sind. Was Zelizer in dieser Hinsicht den ruhenden im Unterschied zu den bewegten Bildern zuerkennt, dass sie nämlich dabei helfen, das

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

Trauma zu bewältigen, lässt sich in ähnlicher Weise auch für das Wiederholen von gleichen diskursiven Aussagegehalten vermuten. Für die angsttherapeutische/angstbewältigende Rolle hat aber neben der reinen Wiederholung noch ein weiterer Aspekt große Bedeutung, der auch in Analogie zu einer therapeutischen Situation außerhalb des diskursiven Kontextes erörtert werden soll. Gerade wenn es darum geht, dass Angstzustände, Phobien u.ä. bewältigt und überwunden werden sollen, ist es dafür, wie bereits mehrfach angesprochen, wichtig, sich der Angst zu stellen, ihrer gewahr zu werden, um sie so allmählich beherrschen zu lernen und schließlich überwinden zu können. Da Individuen im Zustand der Angst dazu oft nicht (mehr) alleine fähig sind, brauchen sie eine andere Person, jemanden, der mitfühlt, empathisch ist, jemanden, dem man die eigene Angst offenbaren kann oder der schon weiß, dass man Angst hat, dies vielleicht eher ausspricht als man selbst. Dies ist ein erster Schritt der Beruhigung, des Sich-Fassens noch mitten in der Angst; es erleichtert den Umgang mit der Angst, wenn auf diese Weise die gefühlte Isoliertheit durchbrochen ist. Diese Form des therapeutischen Gesprächs(beginns) durch das stellvertretende Bekenntnis der Angst findet sich sehr deutlich in dem folgenden, in der Korpusuntersuchung in Kapitel II noch nicht diskutierten Beleg: [129] Klar, manche von uns haben Angst, weil wir selber keinen Einfluss auf die Gefahr haben, weil wir glauben, dass uns diese Gefahr zufällig treffen kann. (TAGESTHEMEN, 05.04.06) In diesem Beleg finden sich jedoch noch weitere Merkmale einer therapeutischen Diskursrolle. Im Sinne des ersten Merkmals wirkt hier nicht nur die bekundete Empathie, sondern das praktische Identifizieren mit dem Adressaten: Der Kommentator sagt nicht, er weiß, dass manche Zuschauer Angst haben, sondern er sagt ‚manche von uns‘. Er konstituiert so eine Gemeinsamkeit und Gemeinschaftlichkeit mit den Adressaten und lässt sogar durchaus offen, ob er nicht nur allgemein unter die Gesamtheit fällt, auf die mit dem inklusiv 23 gebrauchten Wir referiert wird, sondern vielleicht zu denjenigen ‚manchen‘ gehört, die ‚Angst haben‘. Während also die therapeutische Wirkung des ersten Motivs darauf beruht, dass der Verängstigte weiß, dass jemand weiß, dass er Angst hat, beruht die zweite Form darauf, dass der Verängstigte weiß, dass jemand außer ihm die gleiche Angst hat. Auch dieses nunmehr wechselseitige Bekenntnis stiftet stellvertretend für alle der mediale Text bzw. sein Produzent; er tritt hier als Stellvertreter und Vermittler auf, der dafür sorgt, dass die

23 In der Semantik der Pronomina wird bei der 1. Person Plural üblicherweise zwischen dem inklusiven und dem exklusiven Wir unterschieden, wobei beim inklusiven Wir die 2. Person als zu dem Kollektiv gehörig angesprochen wird, auf das mit Wir referiert wird.

2. Skizze des diskurstheoretischen Ansatzes

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Verängstigten ihre Vereinzeltheit überwinden und in der Sphäre des Diskurses voneinander wissen. Eng damit in Zusammenhang steht ein drittes therapeutisches Motiv, dessen Wirkung darauf beruht, dass der einzelne Verängstigte nicht nur von dem einen oder anderen Verängstigten weiß und zugleich auch weiß, dass auch der andere weiß, dass er Angst hat, sondern dass sich das verängstigte Individuum als Teil eines Kollektivs weiß, dass als solches die Bedrohung empfindet. Im Rahmen ihrer Beobachtungen zur Presse nach dem 11. September hat Zelizer auf diese Weise verschiedene sonst nur schwer erklärbare Phänomene plausibel machen können, die man wiederum nicht genauso, aber doch in ähnlicher Form auch beim massenmedialen Diskurs über die Vogelgrippe findet. So weist Zelizer auf die große Anzahl von Pressefotos24 hin, deren ‚Nachrichtenwert‘ eher gering oder gleich null ist, weil auf ihnen nicht die verwüsteten Anschlagsorte selbst zu sehen sind, sondern lediglich die entsetzten Gesichter von Menschen, die in Richtung der für den Betrachter des Fotos selbst unsichtbar bleibenden brennenden, einstürzenden bzw. eingestürzten WTC-Türme starren. Was ist der Nutzen, der kommunikative Sinn dieser Fotos? Warum werden sie gedruckt und angeschaut? Laut Zelizer […] not because of [their] newsworthiness but because [they] performed a therapeutic function. The photos reminded people of the importance of responding to the tragedy […]. (Zelizer 2002, S.62) 25

Die Entsprechung innerhalb des Vogelgrippediskurses bilden diejenigen Beiträge, bei denen der Leser nichts Neues zur Vogelgrippe als solcher, sondern zur Angst vor ihr erfährt, wenn etwa der Kommentator schildert, was er und seine Familie beim Anblick der Bilder empfinden, bei der Veröffentlichung von Meinungsumfragen und Nachrichten über besorgte Reaktionen, Angstkäufe usw. Die therapeutische Wirksamkeit all der oben diskutierten Motive kann sich letztlich aber nur auf der Grundlage voll entfalten, dass ein wichtiges Moment hinzutritt: So sehr der Rezipient in der besprochenen Weise in den Diskurs einbezogen wird, sich im Diskurs wieder- bzw. repräsentiert findet, so sehr weiß er doch um die prinzipielle Differenz zwischen sich und denjenigen, die ihn in und mit den entsprechenden Texten ansprechen. Dies heißt aber folglich nicht, oder zumindest nicht prinzipiell und notwendigerweise, 24 In dem Artikel, auf den wir uns hier beziehen, untersucht Zelizer nur die Pressefotos in der Zeit nach dem 11. September. 25 Zelizer kommt hier im Übrigen auch zu einer Schlussfolgerung, die mit unseren Überlegungen hinsichtlich des therapeutischen Effekts der diskursiven Konstitution eines Kollektivs von Betroffenen/Verängstigten weitgehend übereinstimmt, insofern die Thematisierung gemeinschaftlichen Erschreckens bzw. Gewahrwerdens die Funktion des „connecting individuals to the collective“ erfüllt. (Zelizer 2002, S.52)

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

dass damit die Transformation der Produzenten-Rezipienten-Kommunikation zum Interagieren der diskursiven Rollen gestört sein muss. Auch das lässt sich in Analogie zum Funktionieren der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient erklären, die nicht unwesentlich darauf beruht, dass der Patient im Therapeuten gerade nicht den Leidensgenossen erkennt und auch gar nicht erkennen soll. Es ist der doppelte Charakter dieser Beziehung, die einerseits durch die totale Nähe, das Wissen um das totale Hineinversetzen des Gegenübers in die eigene Gefühlslage geprägt ist, und andererseits von der Gewissheit lebt, dass der andere „in Wirklichkeit“ eben erstens überhaupt nicht in dieser Lage ist und zweitens generell eine große Distanz, ja Fremdheit zwischen beiden Seiten herrscht. Gerade das generiert die Sicherheit und macht das Gegenüber in der Rolle der Anleitung zum Bewältigen glaubhaft. So ist es in Beleg [5] die Unvermitteltheit, mit der der Kommentator durch die Schilderung der Situation in seiner Familie für einen kurzen Augenblick eine Intimität zwischen sich und seinem Zuhörer stiftet, die dieses Bekenntnis so glaubwürdig macht und seinerseits dafür sorgt, dass die nachfolgend vorgetragenen Gedanken im Kontrast dazu in umso professionellerem, fast ärztlichem Duktus erscheinen. Es lässt sich also auch in Bezug auf die dritte Rolle, welche die Medien in ihrem Diskurs spielen, konstatieren, dass massenmedialer Diskurs nicht erst die Erfindung ‚neuer Medien‘ mit den ihr vermeintlich oder tatsächlich innewohnenden technischen Möglichkeiten des unmittelbaren Feedbacks vom Rezipienten zum Produzenten bzw. zwischen den Rezipienten braucht, um wirklicher Diskurs zu sein, also mehr und etwas anderes als ‚ein massenhafter und undifferenzierter Verteilungsprozess von Informationen‘ (vgl. Fraas/Klemm 2005a), als den ihn einige Autoren sehen, sondern – immer schon – ein Dialog, Trialog usw., ein Interagieren von Akteuren eigener Art, von Trägern diskursiver Rollen. Ebenso konnte auch die genauere Untersuchung der Rolle der Angstbewältigung (wie vorher schon die Erörterung der anderen diskursiven Rollen) zeigen, dass diese diskursive Interaktion zwar ohne die Rezipienten der medialen Massenware stattfindet, aber doch nicht getrennt von ihnen, sie kommen – in diskursiv verwandelter Form – in diesem Diskurs vor, sie sind zwar nicht als leibliche Personen, wohl aber mit ihren Ansichten und Stellungen vertreten. Aus den Überlegungen zum Konzept der diskursiven Charaktere und Rollen lassen sich einige Schlussfolgerungen, Vermutungen und Fragestellungen gewinnen, die allgemeinerer Art sind und nicht mehr die Beschreibung, Analyse und Deutung eines bestimmten Diskurses betreffen, sondern die Natur von Diskursen überhaupt. Darum soll es im folgenden und letzten Abschnitt in kursorischer Form gehen.

3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen

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3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen; Ausblick Es ist bisher dargestellt worden, dass es möglich ist, die Gesamtheit massenmedialer Produktionen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu einem bestimmten Themenbereich plausibel als Diskurs zu interpretieren, der als das Aufeinander-Einwirken von diskursiven Charakteren bzw. Rollen verstanden werden sollte. Es hat sich gezeigt, dass es für die Untersuchung solcher Diskurse möglich und sinnvoll ist, die diskursanalytischen Ansätze und Analysemethoden sprachwissenschaftlicher (pragmalinguistischer) Provenienz für ein darüber hinausgreifendes Diskursverständnis von massenmedialer Kommunikation nutzbar zu machen. ‚Traditionell‘ bzw. ‚streng‘ tradierte Kategorien der Syntax, Semantik und Lexikologie helfen bei der Untersuchung von Syntagmen, Sätzen, Satzsequenzen und führen zur Dechiffrierung des an der sprachlichen Oberfläche unmittelbar Realisierten. Textanalytische und pragmalinguistische Ansätze und Kategorien können auf dieser Basis dafür nutzbar gemacht werden, Aussagen von Texten, sprachlich nicht-realisierten Aussagen, Vorannahmen und Absichten aufzudecken. Es konnte so am Beispiel des Vogelgrippediskurses nachgewiesen werden, dass die Produktion von massenmedialen Texten auch die Rezipienten dieser Texte einbegreift. Es zeigte sich, dass die scheinbar bloß in eine Richtung gehende Flut von Texten die scheinbar bloßen Rezipienten beteiligt, nämlich in der verwandelten Form diskursiver Charaktere, an die die Texte adressiert werden, die innerhalb der jeweiligen diskursiven Rolle darauf antworten, neue Reaktionen hervorrufen usw. Dieses Interpretationskonzept provoziert weitergehende Vermutungen und vor allem Fragen, die im Folgenden eher angerissen als diskutiert werden sollen. Insofern stellt dieser Abschnitt auch den Ausblick auf mögliche neue theoretische Anstrengungen im Sinne eines Forschungsdesiderates dar. 3.1 Diskurs – Massenmedien – Sozialisation Unter der in dieser Arbeit vertretenen Perspektive einer diskursiven Realität sui generis eröffnet sich quasi automatisch die Frage des Verhältnisses dieser diskursiven zu anderen Formen von Realität. Von besonderem Interesse erweist sich hierbei das Verhältnis von Diskurs und Gesellschaft, resp. diskursiver und gesellschaftlicher Realität. Die Untersuchung der massenmedialen Aufbereitung der Vogelgrippe hatte gezeigt, dass mittels der diskursiven Rollen in der Sphäre des Diskurses potentiell alle Individuen der Gesellschaft, insofern sie Rezipienten der massenmedialen Text- und Bildproduktionen sind, sich im Diskurs „aufgehoben“ finden können. Von entscheidender Bedeutung hat sich hierfür der Umstand erwiesen, der von Luhmann als ‚Unterbrechung des unmittelbaren Kontak-

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

tes‘ zwischen Produzent und Rezipient (vgl. Luhmann 1996, S. 11f.) 26 und von anderen Autoren – zu Unrecht – als ‚Einwegkommunikation‘ bezeichnet wird: Weil die Produktion von Texten, das „Machen von Diskursen“ mit gesellschaftlicher Relevanz bei den Massenmedien monopolisiert ist, weil es tatsächlich die institutionalisierte kommunikative Scheidung zwischen Produzenten und Rezipienten gibt, kommt es durch die ausführlich untersuchten spezifischen kommunikativen Gesetzmäßigkeiten und Prozesse dazu, dass es nicht einfach ein „lautes und wirres Reden“ in der Gesellschaft gibt, sondern dass in transformierter und repräsentierter Weise die gesellschaftlich vorhandenen Interessen, Meinungen usw. in Form der diskursiven Rollen „miteinander sprechen“, diskursiv interagieren. Die im Rahmen der Korpusanalyse entwickelte Überlegung lässt sich dabei in zweierlei Richtung buchstabieren: In den Medien ist Diskurs wirklich (also nicht einfach ein Nebeneinander von Texten, die stets nur von einer Richtung in die andere fließen); und anders herum: Das (gesellschaftlich) Wirkliche ist diskursiv. Die Leistung dieses technologisch bedingten „Diskursmonopols“ der Medien ist somit die diskursive Vergesellschaftlichung des sonst bloß individuellen Reflektierens, Meinens und Wollens. Genau diese Leistung wird sträflich übersehen, wenn die „neuen Medien“ mit ihrer – wirklichen oder vermeintlichen – neuartigen Dialogizität als die Zukunft des Mediendiskurses apostrophiert werden. Übertragen auf eine soziologische Ebene des Nachdenkens lässt sich das eben noch einmal Zusammengefasste unter Inkaufnahme einer gewissen Zuspitzung wie folgt formulieren: Gesellschaft existiert letztlich in und durch medialen Diskurs. Sobald nämlich mit dem Begriff „Gesellschaft“ mehr gesagt bzw. gemeint sein soll, als das völlig äußerliche Phänomen der Koexistenz von mehreren Individuen, dann ist für die Existenz und das Funktionieren von Gesellschaft der bewusste Verkehr zwischen den die Gesellschaft konstituierenden Individuen unterstellt.27 Das betrifft einerseits den Austausch der jeweiligen Konzepte von getrennt vorliegenden Gegenständen, Phänomenen usw., andererseits wesentlich auch den kommunikativen Austausch über die jeweiligen Selbstkonzepte und Konzepte voneinander. Und drittens, die beiden anderen Aspekte einbegreifend und überspannend, betrifft dies die Konzepte vom Miteinander, das Bewusstsein der Gesellschaftlichkeit, also das Bewusstsein der Gesellschaft von sich. In dieser Eigenschaft als sich diskursiv seiner selbst gewahr werdenden liegt das zentrale Charakteristikum dessen, worauf mit

26 Siehe dazu auch Abschnitt 3.4 „Diskurs als System“. 27 Vgl. z.B. Bohn 2005, S. 374: „Gesellschaft selbst ist nichts anderes als ihre kommunikativen Operationen.“

3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen

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„Gesellschaft“ referiert wird. Und umgekehrt ist der eigentliche gesellschaftliche Diskurs der Diskurs der Gesellschaft mit und über sich. Vom diskurstheoretischen Ansatz Foucaults lässt sich der gleiche Gedanke so formulieren, dass alles Wissen der Gesellschaft in den Diskursen aufgehoben ist. Dies trifft dann gleichermaßen für alles Wissen der Gesellschaft über sich als Gesellschaft zu. Somit ist zu folgern, dass Gesellschaft darin besteht, diskursiv über sich zu wissen. Diese allgemeinste Ebene gesellschaftlichen Diskurses nimmt neues Einzelwissen auf, muss es aber im Sinne des Selbstwissens deuten. Möglicherweise liegt hier ein weiterer Ansatzpunkt für die Erklärung des schon mehrfach angesprochenen Phänomens der relativen Invarianz z.B. von Seuchendiskursen gegenüber dem jeweils aktuellen Entwicklungsstand der entsprechenden Naturwissenschaften: Der allgemeine gesellschaftliche Diskurs muss den immer mehr aufgehäuften Trümmern von Einzelwissen gesellschaftliche Relevanz (bzw. Grade davon) zuweisen, sie diskursiv in die Gesellschaft integrieren. Der bekannte Wissenschaftsjournalist schreibt in der Einleitung zu seinem Buch über Einsteins Relativitätstheorie: Die Anzahl aller naturwissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen allein der Jahre 1996 und 1997 hat die Summe der entsprechenden Schriften sämtlicher Gelehrter der Welt vom Anfang schriftlicher Übertragung bis zum Zweiten Weltkrieg übertroffen. Diese gewaltige Menge an Wissen schüchtert nicht nur den Laien ein, auch der Experte verliert selbst in seiner eigenen Disziplin den Überblick. Wie kann vor diesem Hintergrund noch entschieden werden, welches Wissen sinnvoll ist, wie es weitergegeben werden soll und welche Konsequenzen es für uns alle hat? Denn gerade die Naturwissenschaften sprechen Lebensbereiche an, die uns – wenn wir es auch nicht immer merken – tagtäglich betreffen. (Bührke 2008, S. 7)

Dies geschieht, indem im Diskurs die diskursiven Rollen um das spezielle Wissen, die damit verbundenen Interessen, die möglichen Konsequenzen usw. ringen. Das trifft umso mehr zu, je mehr bestimmte in den jeweiligen Expertendiskursen verhandelten Themen außerhalb der Erfahrungswelt eines Individuums liegen, sei es, weil der jeweilige Gegenstand dem natürlichen Rezeptions- und Wahrnehmungsapparat des Menschen nicht zugänglich ist (z.B. Dinge der Mikrowelt), weil er zeitlich in einer Weise dimensioniert ist, dass er notwendig außerhalb der individuellen Erfahrungswelt liegt (z.B. erdgeschichtliche Entwicklungsphänomene) oder weil der Gegenstand eine von Haus aus gesellschaftliche Existenzform hat (wie z.B. bei Seuchen). Schließt man diese Überlegungen zum Verhältnis von Gesellschaft(lichkeit) und Diskurs mit den oben skizzierten Überlegungen zum Verhältnis von Medien und Diskurs zusammen, so erscheint folgende Schlussfolgerung plausibel: Wenn das Gesellschaftliche am Verhältnis/an den Erfahrungen/Handlungen von Individuen wesentlich in ihrem Diskurs liegt, wenn gleichzeitig der Diskurs als gesellschaftlicher Diskurs quasi natürlich in der technischen

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

Sphäre der (Massen-)Medien beheimatet ist, dann existiert Gesellschaft also wesentlich innerhalb und durch die diskursiven Leistungen von Medien. Diese scheinen daher die stellvertretende, aber als solche zugleich eigentliche Existenzweise des Gesellschaftsganzen, des gesellschaftlichen Organismus bzw. seiner bewusstseinsmäßigen Schichten zu sein. Bezogen auf das in dieser Arbeit untersuchte Phänomen „Vogelgrippe“ ließe sich formulieren: In den Medien bzw. durch sie existiert eine Gesellschaft als sich selbst Angst machende und als verängstigte; und auch ihr Bedürfnis nach Enttraumatisierung bzw. therapeutisch angeleiteter Angstbeherrschung und -überwindung findet eine respektive mediale Existenzweise. Im Folgenden soll versucht werden nachzuvollziehen, wie sich die oben entworfenen Zusammenhänge als Realität des Verhältnisses zwischen Medien und Medienrezipienten entfalten, und zwar insbesondere bezogen auf die Sozialisation der Individuen durch ihre Rezipientenrolle innerhalb des medialen Diskurses. Als gesicherter Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen soll die These genommen werden, dass die Medien für das Individuum Gesellschaft überhaupt erst als solche erfahrbar machen (s.o.). Man mag als einzelner Mensch das geringere Angebot von Geflügel bzw. Geflügelprodukten im Einzelhandel wahrnehmen, auch Preisschwankungen usw. Als einzelner Konsument nimmt man unmittelbar wahr, dass Einzelhändler in der Präsentation ihrer Ware verstärkt auf die gesicherte Herkunft des Geflügels Wert legen. Als Momente eines umfassenderen Phänomens, als Konsequenzen der Ausbreitung einer Vogelseuche bzw. der präventiven Überlegungen erschließen sich die genannten Individualerfahrungen nicht. Selbst das sich zunächst aufdrängende Bild von den einzelnen Puzzleteilen, die ein individueller Konsument, Käufer von Geflügelprodukten zwar mitbekommt, aber nicht zu einem Gesamtbild fügen kann, erweist sich bei näherem Hinsehen als haltlos: Denn in diesem Bild ist zumindest das Wissen des Individuums behauptet, dass es mit Puzzleteilen, mit bloßen, aus sich selbst heraus nicht erklärbaren Einzelteilen eines größeren Ganzen zu tun hat. Das trifft jedoch nicht bzw. nicht ohne weiteres zu, wenn man als Verbraucher mit einem veränderten Angebot, schwankenden Preisen und modifizierten Werbe- und Marketingstrategien der Anbieter konfrontiert wird. Erst durch die Information, die er aus den Massenmedien erhält, erweisen sich die genannten Tatbestände als Teile eines übergreifenden Geschehens. Die mediendiskursive Konstruktion der Vogelgrippe bildet jetzt den Frame nicht nur für die Interpretation und Verplausibilisierung medialer bzw. diskursiver Inhalte, sondern – und dies ist an dieser Stelle das eigentlich Entscheidende – für die Interpretation und Verplausibilisierung von Wirklichkeit. Auf diese Weise existiert nun die Vogelgrippe tatsächlich für den Einzelnen. Der Zusammenschluss der Individualerfahrung mit einer zunächst rein diskursiven, d.h. im Diskurs verhandelten Realität der Vogelgrippe macht aus

3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen

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der bloß individuellen Erfahrung zugleich mehr: Sie ist nämlich nur einerseits das diskursiv Interpretations- bzw. Deutungsbedürftige. Zugleich ist sie damit andererseits der Beleg, ihrerseits die Verplausibilisierung und individuelle Deutung der diskursiven Erfahrung, die dem Einzelnen technisch in Form von massenmedialen Nachrichten und Berichten begegnet. So notwendig also die wirklich gesellschaftliche Existenz der Seuche mit dem Diskurs über sie zusammenzufallen scheint, so notwendig ist im Hinblick auf die die Gesellschaft konstituierenden Individuen offensichtlich der genau entgegengesetzte Eindruck. Bezogen auf die Vogelgrippe meint dies Folgendes: Die Integration eines Individuums in das gesellschaftliche Geschehen „Seuche“ bzw. „Seuchengefahr“ ist dann erfolgt, wenn es erstens die Trennung zwischen seiner einzelnen Erfahrung und dem diskursiv konstituierten und medial vermittelten Seuchengeschehen nicht mehr empfindet und damit zweitens sein diskursives Wissen über die gesellschaftliche Dimension unmittelbar aus seiner individuellen Erfahrung heraus zu machen glaubt. Darin kann es sich ideell mit den anderen Individuen und deren Einzelerfahrungen zusammenschließen, sich als Teil einer – betroffenen, verängstigten, die Angst überwindenden usw. – Gemeinschaft, Gesellschaft fühlen, womit die Möglichkeit eröffnet ist, dass es sich so verhalten kann. Im Prinzip – so lässt sich an dieser Stelle konstatieren – ist damit auch der Übergang zu einer (medial-)diskursiven Sozialisationstheorie angedeutet. Es soll im Folgenden nicht versucht werden, diesen Übergang tatsächlich theoretisch zu vollziehen. Im Rahmen dieser Arbeit kann und muss es aber darum gehen, diesen Übergang als theoretische Perspektive anzudeuten und die vor dem Hintergrund der oben entwickelten diskurstheoretischen Elemente am deutlichsten aufscheinenden Probleme einer solchen diskursiven Sozialisationstheorie zu skizzieren. Definitionen und Theorien zur Sozialisation gibt es viele. Ganz allgemein kann unter Sozialisation sowohl der Prozess als auch das Ergebnis des Hineinwachsens eines Individuums in gesellschaftliche Strukturen und Interaktionszusammenhänge verstanden werden.28 Oft wird in diesem Zusammenhang auch von „Persönlichkeitsherausbildung“, „Erlernung von sozialem Verhalten“ und „gesellschaftlichen Normen und Werten“29 gesprochen. Bonfadelli spricht von der Herausbildung „sozial-kommunikativer Kompetenzen“ (vgl. Bonfadelli 1981, S. 42). In der Grundidee von Sozialisation wird immer ein doppeltes, näher: wechselseitiges Verhältnis von Funktionalität mitgedacht. Zum einen ist die Sozialisierung die unabdingbare Voraussetzung für 28 Vgl. hierfür einschlägige Handbücher der Sozialisationsforschung wie bspw. Hurrelmann 2002. 29 Vgl. hierfür bspw. Steinert, 1972, Göbel, 1975 oder Dormagen-Kreutzenbeck 1979 zur Soziologie der Persönlichkeit. Oder auch Ulich 2002, S. 59f.

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

die Existenz des Individuums, das um seines Zurechtkommens willen nicht nur in seine natürliche, sondern auch in seine gesellschaftliche Umwelt einpassen muss. Zum anderen ist die Sozialisation der Individuen entscheidende Lebensgrundlage, insofern also Funktion für die soziale Ordnung, für das soziale Ganze. Insgesamt scheint im Bereich der Soziologie bzw. Sozialisationsforschung weitgehend Einigkeit darüber zu herrschen, dass Sozialisation nicht in vitro, sondern nur durch soziale Erfahrung erfolgen kann. Als problematisch für die Formulierung von Grundlagenüberlegungen für eine diskursive Theorie zur Sozialisation erweist sich zunächst die auch von Soziologen als unbefriedigend eingeschätzte Verortung der Sozialisationsforschung innerhalb ihres Faches. Mit Blick auf diesen Punkt schreibt zum Beispiel Sutter, [...] stehen wir vor dem grundlegenden Problem, dass kein anschlussfähiger Entwurf zum Verhältnis von Sozialisationsprozessen und gesellschaftlicher Ordnung vorliegt. Stattdessen haben sich Sozialisationstheorien auf der einen Seite und Gesellschaftstheorien auf der anderen Seite mehr und mehr auseinander entwickelt. Während, um nur eine große Lücke zu nennen, die soziologische Systemtheorie in der Medienforschung eine prominente Rolle spielt,30 stehen keine Anknüpfungspunkte zur den von Hause aus handlungs- und subjekttheoretisch ausgerichteten Sozialisationstheorien bereit. (Sutter 2007, S. 131)

Hinzu kommt die in dieser Arbeit ausgiebig diskutierte, fächerübergreifende Problematik der bisher nicht ausreichend geklärten Beziehung zwischen den Kategorien bzw. Reflexionsebenen „Diskurs“ und „(Massen-)Medien“. Was sich zunächst festhalten lässt, ist die Schlussfolgerung, dass Sozialisation – ausgehend davon, dass sie nie als (rein) theoretische, sondern immer auch, und sogar in erster Linie, praktische Aneignung der notwendigen Momente von Sozialität sein kann – zu einem wesentlichen Teil medial vermittelte, diskursive Sozialisation sein muss, weil das Soziale selbst eine wesentlich diskursiv konstituierte und reproduzierte Angelegenheit darstellt. Es wäre jedoch vereinfacht und würde dem Gegenstand nicht gerecht, wenn man nun davon annähme, dass ein diskursiver Ansatz zur Erklärung von Sozialisationsprozessen sich darauf beschränken könnte, die vorhandenen Sozialisationstheorien lediglich vor die Folie des in dieser Arbeit entwickelten Diskurskonzeptes (oder eines anderen diskurstheoretischen oder auch medientheoretischen Ansatzes) zu schieben und die jeweils vorkommenden Termini, Kategorien, Erklärungsmuster nur aufeinander zu justieren, bis sie möglichst wenig widerspruchsvoll in Deckung gebracht sind. Das kann schon allein deshalb nicht gelingen, weil das hier entwickelte Konzept des

30 Siehe dafür auch Abschnitt 3.3 „Diskurs als Aufklärung; Diskurstheorie und Aufklärungsforschung“ dieses Kapitels.

3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen

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Diskurses als gesellschaftliches Rollenspiel eigener Art und Sphäre und des damit verbundenen Konzeptes von Gesellschaft als diskursiv konstituierte im Prinzip die Vorstellung ausschließen, dass Sozialisation einen temporal ontogenetischen Prozess, der in seiner zeitlichen Dimension diskret bestimmbar ist, an dessen Ende dann das Resultat erfolgreicher oder auch gescheiterter Sozialisation steht. Genau in dieser Weise taucht aber die Kategorie der Sozialisation in den meisten Sozialisationstheorien auf, was durchaus auch auf den enger umgrenzten Bereich der Mediensozialisationstheorien zutrifft.31 Für einen großen Teil der Forschungen zur Mediensozialisation lässt sich eine enge Verknüpfung und Überschneidung mit den Disziplinen der Medienpädagogik und psychologischen Entwicklungsforschung festhalten. Diese Vorstellung eines abschließbaren, auf einen bestimmten Zeitraum innerhalb der psychosozialen Entwicklung eines Menschen begrenzten Prozesses der Sozialisation ist für eine diskursive Sozialisationstheorie nicht haltbar. Und zwar weniger wegen widersprechender Überlegungen zur Entwicklungstheorie als vielmehr darum, weil das Konzept von Diskurs, das hier vertreten und in der diskursiven Sozialisationstheorie weiterverarbeitet wird, seinerseits einschließt, dass Gesellschaft, i.e. ihr Diskurs, stets neu produziert wird, nämlich in der Weise der sich gegenseitig kreierenden diskursiv-gesellschaftlichen Charaktere und ihrer rollenmäßigen Bezüge aufeinander. Wenn unter Sozialisation der Erwerb der Kompetenzen verstanden werden soll, die für eine Beteiligung an und Integration in Gesellschaft notwendig und produktiv sind, dann kann auch dieser Erwerb bzw. diese Integration in Gesellschaft nur ein immer wieder neu ansetzender und ablaufender Prozess sein. Wie lässt sich dies konkret am Gegenstand Vogelgrippe fassen? Es ist oben32 gezeigt worden, dass die Vogelgrippe erst im und durch den Vogelgrippediskurs zu dem wird, worüber im Diskurs als einer ihm scheinbar vorausgesetzten, von ihm völlig getrennten und nur durch ihn abgebildeten Realität verhandelt wird. Komplementär dazu wird wiederum im Diskurs die von der Vogelgrippe irgendwie betroffene – bedrohte, heimgesuchte, beschädigte usw. – Gesellschaft konstituiert. Auch für diese trifft, wie an entsprechender Stelle gezeigt werden konnte,33 die Aussage zu, dass sie nicht vor- bzw. außerdiskursiv existiert und als solche mit der – egal in welcher Weise gefassten – Vogelgrippe konfrontiert ist, sondern, dass die Gesellschaft bzw. das übergeordnete soziale/nationale Kollektiv bezogen auf Vogelgrippe

31 32 33

Vgl. hierfür als neuere Arbeiten die Beiträge in: Hoffmann/Mikos 2007, aber auch Fritz 2003 oder Süss 2007. Siehe Kapitel II, Abschnitt 2.1 „Sprachliche Ebenen und sprachliche Realisierungsmittel massenmedialer Angsterzeugung – das Angstvirus“. Siehe Kapitel II, Abschnitt 2.3 „Motive und sprachliche Realisierungsmittel mediendiskursiven Angstabbaus/mediendiskursiver Angstbewältigung“.

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

in einer ganz spezifischen Weise existiert, nämlich als die Interaktion der diskursiv erzeugten Charaktere (Angsterzeuger, Verängstigter, Therapeut). Die Integration der Individuen in dieses diskursive Rollenspiel, dessen genuine und primäre Sphäre innerhalb der Massenmedien zu verorten ist, erfolgt in ihrer Eigenschaft als Medienrezipienten, die das diskursive Rollenspiel prima facie verfolgen, dadurch aber selbst in einer Weise modelliert werden, die es ihnen überhaupt ermöglicht, diesen Diskurs verständig und plausibel zu deuten; das gelingt ihnen dann bzw. in dem Maß, wie sie die innerhalb der von ihnen rezipierten Text- und Text-Bild-Produktionen, die Beiträge dieses Diskurses sind, unterstellten Annahmen, Sichtweisen usw. teilen, also die diskursiven Charaktere – einen davon oder mehrere – für sich gelten lassen. Genau dieser zuletzt noch einmal grob skizzierte Vorgang müsste im Rahmen einer auf diesem Konzept von Diskurs und Gesellschaft aufbauenden Sozialisationstheorie als Prozess von diskursiver (medial vermittelter) Sozialisation verstanden werden. Als „gültig“ oder „erfolgreich“ kann diese Sozialisation konsequenterweise nur in Bezug auf die Vogelgrippe und die ihr komplementären diskursiv-gesellschaftlichen Charaktere verstanden werden. Umgekehrt ausgedrückt: Bezogen auf jeden anderen Diskurs bzw. jedes andere diskursive Rollenspiel (z.B. zwischen „dem Steuerzahler“ und „dem Fiskus“ u.ä.) muss der gleiche Prozess der Aneignung von bzw. Selbstprojektion in die entsprechenden Charaktere von neuem ablaufen. Ohne dass dies hier weiter verfolgt werden soll, ergibt sich aus den angestellten Überlegungen auch sofort die Frage, wie die Kriterien für Erfolg bzw. Scheitern plausibel gefasst werden können, wenn Sozialisation in der skizzierten Weise verstanden werden soll. Möglicherweise muss sogar die darin enthaltene Unterstellung kritisch analysiert werden, so dass sich eventuell die viel grundlegendere Frage ergibt: Kann bei einem solchen Konzept von Sozialisation überhaupt davon ausgegangen werden, dass es Erfolg bzw. Scheitern gibt? Kann eine solche Sozialisation scheitern? Worin hat umgekehrt Sozialisationserfolg seinen Maßstab? Die Untergrabung der Grundlagen für Kategorien wie „Erfolg“ oder „Scheitern“ ergibt sich untermittelbar daraus, dass das Konzept vom Diskurs als Rollenspiel von diskursiven und als solchen gesellschaftlichen Charakteren seinem Wesen nach nicht nur nicht normativ ist, sondern – s.o. – gerade vor dem Hintergrund und in Abgrenzung von den Unzulänglichkeiten derjenigen Ansätze erarbeitet worden ist, die dem Diskurs einen vordergründigen Abbildungs- und Widerspiegelungscharakter zuschreiben und auf dieser Basis Fragen danach stellen, ob und wie im Diskurs die „echte“ gesellschaftliche Realität aufscheint, was er zu dieser beiträgt usw. Geht man von einer solchen diskurstheoretisch modifizierten Fassung von Sozialisation aus, ergeben sich dann im Weiteren statt normativ motivierter Fragestellungen solche des Wie einer im bzw. am technischen Raum

3. Diskurstheoretische Schlussfolgerungen und neue Fragen

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der Massenmedien stattfindenden diskursiven Sozialisation. „Am technischen Raum der Medien“ soll hier ausdrücken, dass es für eine Betrachtung des Mediendiskurses, die vor allem auf seine sozialisierenden Momente fokussiert ist, durchaus interessant ist, zwischen der eigentlichen bzw. Kernsphäre des mediengestützten Diskurses und seinen Rändern zu unterscheiden. Gemeint sind damit die „Prozesse der kommunikativen Aneignung von Medienangeboten sowie die vielfältigen Anschlusskommunikationen“ (vgl. Sutter 2007, S. 134), die sozusagen ein Netz von Kommunikationen spannen, in die die Rezeption des medialen Diskurses eingespannt ist. Sutter schreibt hierzu: Die Position des interaktionistischen Konstruktivismus weist dieser Ebene kommunikativer Aneignungsprozesse von Medienangeboten einen zentralen Stellenwert in einer konstruktivistischen Theorie der Mediensozialisation zu. Neben den individuellen subjektiven Umgangsweisen mit Medien nutzen Subjekte die Medienangebote häufig zusammen mit anderen Personen, z.B. in der Familie oder mit Freunden; zudem werden die rezipierten Medienangebote kommunikativ weiterverarbeitet, in Gesprächen auf der Straße, am Arbeitsplatz usw. Insbesondere im Bereich des Fernsehens wurde oftmals die verbreitete Vorstellung der vereinzelten und vereinsamten Rezipienten vor allem in medienkritischen Überlegungen zugrunde gelegt. (Sutter 2007, S. 134)

Während für den Entwurf und die Ausgestaltung einer Theorie von Diskurs bzw. vom Verhältnis von Diskurs und Gesellschaft dieser Problemkreis keine besondere Relevanz besitzt, so verändert sich dies mit der Verschiebung des Schwerpunktes auf die Untersuchungsebene des Verhältnisses der individuellen zur sozialen Identität des in Gesellschaft lebenden Individuums. Für Ersteres haben auf den einzelnen Rezipienten bzw. Diskursteilnehmer zielende Fragen nur insofern eine Rolle gespielt, als zu klären war, wie die eindimensionale und in gewisser Weise vordergründige Auffassung eines schlicht außerhalb des Mediendiskurses stehenden, diesem quasi kategorial entgegengesetzten Rezipienten zugunsten einer Position aufgegeben werden kann, für die der Rezipient nur einerseits Rezipient des Diskurses ist, den prima facie andere „machen“, und andererseits selbst im Diskurs immer auch selbst „vorkommt“, vermittelt durch die sprachtheoretisch formulierten Prozesse des durch die beiden Pole des Verhältnisses wechselseitig zu schaffenden kommunikativen common ground. Erst mit einer soziologisch ansetzenden Fragestellung nach dem Verhältnis bzw. den vermittelnden Prozessen zwischen Individualität und Sozialität rücken die von Haus aus soziologischen Kategorien von Netzwerken, sozialen Kontexten, Familie usw. in das Blickfeld, die es für eine Erklärung dessen braucht, wie zwischen all jenen Momenten theoretisch vermittelt werden kann, die für eine soziologische Betrachtung sowohl Voraussetzungen wie Momente von Sozialität bzw. einer Reproduktion des Sozialen darstellen:

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III. Von der Medienuntersuchung zur Medientheorie

Wenn man soziale Netzwerke untersucht, werden im Grunde soziale Beziehungen untersucht bzw. die Strukturen sozialer Beziehungen. Dabei wird nicht einfach die Beziehung zwischen zwei Personen betrachtet, sondern deren Einbettung in ein Beziehungsgefüge. Handlungspositionen hängen aus Sicht der Netzwerkperspektive von diesem Beziehungsgefüge ab. Das heißt, Handlungen stehen mit der Position, die jemand in einem sozialen System einnimmt, in Verbindung [...]. Beziehungen zwischen Menschen werden im Verhältnis zu den Medien oder vermittelt durch die Medien thematisiert. (Stegbauer 2005, S. 319)

Die bis hierhin kurz angerissenen Überlegungen zu einer sozialisationstheoretischen Verlängerung des in dieser Arbeit entworfenen Diskurskonzeptes sollen an dieser Stelle beendet werden, weil es – wie bereits angedeutet und begründet – ein tieferes Eindringen in diesen Bereich erforderlich machen würde, sich sowohl der medientheoretischen, insbesondere medienpsychologischen wie vor allem auch der sozialisationstheoretischen Grundlagen in ganz anderer Weise zu versichern, gerade angesichts der oben kurz diskutierten Problematik der Verortung und Vernetzung der Sozialisationstheorie(n) innerhalb der soziologischen Disziplin. 3.2 Zur Typologie von Diskursen Im Rahmen dieser Untersuchung sind mehrfach Vergleiche zu anderen mehr oder weniger detailliert untersuchten Diskursen über andere Gegenstände, aus anderen Epochen geführt worden. So hatte sich u.a. gezeigt, dass es bezüglich einiger diskursiver Motive sichtliche Übereinstimmungen zwischen dem zeitgenössischen Vogelgrippediskurs und vormodernen, z.T. antiken, z.T. mittelalterlichen Diskursen gibt; Dinges spricht allgemein von Seuchendiskursen (vgl. Dinges 1995). Es wäre vor diesem Hintergrund lohnend zu prüfen, ob sich diese festgestellten Gemeinsamkeiten (im Wesentlichen) bei allen Diskursen finden lassen, die sich um epidemische Infektionskrankheiten drehen. Lässt sich die Rede vom Seuchendiskurs also insofern wissenschaftlich untermauern, dass man auf Basis von Einzeluntersuchungen einen mit dem Terminus Seuchendiskurs bezeichneten Diskurstypus herausarbeiten kann? Wie wäre ein solcher Diskurstyp zu definieren und zu beschreiben? Es liegt nahe anzunehmen, dass das vorgeschlagene 3- bzw. 4-Rollen-System zumindest in begrenzter Weise dazu geeignet sein könnte, auch andere Seuchendiskurse zu untersuchen. Es wäre herauszufinden, ob sich das empirisch verifizieren ließe. Auf einer methodischeren Ebene ergeben sich weitere Fragen: Wenn man den Diskurstypus Seuchendiskurs annimmt, wie ließe sich dieser Diskurstypus innerhalb einer noch aufzustellenden „Taxonomie der Diskurse“ verorten? Z.B.: Sind Seuchendiskurse ein Subtypus in der größeren Gruppe der Krankheitsdiskurse? Dass diese Frage keineswegs banal und quasi selbstverständlich mit „ja“ zu beantworten ist, ergibt sich allein schon aus der

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Tatsache, dass, wie gezeigt werden konnte,34 bezüglich bestimmter Aspekte (vor allem innerhalb der Rolle der Angsterzeugung) frappante strukturelle Gemeinsamkeiten mit der diskursiven Konstitution von Feinden und des kriegerischen Abwehrkampfes bestehen. Zumindest ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass Diskurse zu epidemischen Gefahren ähnlich verlaufen wie Diskurse zu Kriegen und anderen Formen der Auseinandersetzung, weil in all diesen Fällen das kollektive Subjekt, das national, religiös oder auf andere Weise definierte „Wir“, unmittelbar Betroffener bzw. Handelnder ist. Möglicherweise führen vergleichende Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass der Vogelgrippediskurs als ein Exemplar des Typus Seuchendiskurs mit Kriegsdiskursen wesentlich mehr Gemeinsamkeiten aufweist als beispielsweise mit dem massenmedialen Diskurs über Krebs, obwohl Krebs nicht nur für das betroffene Individuum eine Katastrophe darstellt, sondern allein in Deutschland sich diese Katastrophe viele Tausend Mal pro Jahr wiederholt. Augenscheinlich hat hier, obwohl die praktische Brisanz immer noch enorm ist, eine Art diskursive Individualisierung stattgefunden, der es auf den Grund zu gehen gälte. Ein möglicher Einwand gegen die hier vertretene These, dass sich Diskurse weniger gemäß ihrer Inhalte als vielmehr gemäß bestimmter, von den inhaltlichen Aspekten ganz oder teilweise abstrahierenden strukturellen Merkmalen miteinander vergleichen bzw. zu Klassen, Typen, Subtypen usw. unterschiedlicher taxonomischer Ebenen zuordnen lassen, könnte lauten: „Die vorstellig gemachten strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Seuchenbzw. Kriegs- und anderen militanten Diskursen, das jedesmalige Auftreten von diskursiven Rollen und Charakteren gleicher Art ergibt sich doch aus inhaltlichen Gemeinsamkeiten des Diskursthemas: In beiden Fällen wird eine Gemeinschaft durch etwas bzw. jemanden bedroht; in dem einen Fall ist der Gegner eine andere Gemeinschaft bzw. bestimmte Teile von ihr, in dem anderen Fall ist der Gegner eher natürlicher Art. In beiden Fällen aber hat sich die Gesellschaft eines von außen her eindringenden Feindes bzw. einer von ihm ausgehenden Gefahr zu erwehren.“ Dieser Einwand hält jedoch näherer Prüfung nicht stand. Erstens ist die angeführte Gemeinsamkeit selber schon eher ein diskursives Produkt, als ein objektiver Fakt. Wenn man nämlich die scheinbare Gemeinsamkeit „von außen her drohender Schaden“ eingehender analysiert, so stellt sich heraus, dass allein schon die Vorstellung des „von außen herein“ keine substantielle, positive Gemeinsamkeit zwischen einem Kriegsgegner 34 Siehe Kapitel II, Abschnitte 2.1.2 „Angsterzeugung durch Schadenserwartung“ und 2.3.3 „Angstabbau/Angstbewältigung durch Sinndeutung/Schicksalsergebenheit“. Auch hier hatten sich einige Übereinstimmungen unserer Ergebnisse mit den entsprechenden Forschungsergebnissen von Dinges ergeben.

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und einem Virus ist. Bei einem Kriegsgegner hat diese der räumlichen Vorstellung entnommene metaphorische Kennzeichnung des Fremden wenigstens der unmittelbaren räumlich-geografischen Seite tatsächlich einen unmittelbar aufzufassenden Gehalt.35 Eine solche Unterscheidung von Außen und Innen und entsprechend die Vorstellung eines Eindringens von Außen nach Innen kann für eine Seuche schon deswegen nicht als „objektiv“ angenommen werden, weil die beiden Pole der Konfrontation gänzlich unterschiedlicher Natur sind. Die in der räumlichen Vorstellung von Innen und Außen enthaltene Grenze unterstellt ihrerseits eine Gleichartigkeit und eine darauf beruhende Kommensurabilität, näher gefasst: eine für beide Seiten feststellbare räumliche Dimensioniertheit, die im Verhältnis eines (nationalen) Kollektivsubjekts und eines Virus nicht zu konstatieren ist. Auch die Verweise auf die geografische Herkunft des Vogelgrippe-Erregers haben – so wurde oben bereits nachgewiesen – eher den Charakter einer Veranschaulichung, einer Bebilderung des diskursiven Topos von der Gefahr, die auch bzw. vor allem durch ihr Fremdsein als Gefahr kenntlich ist. Zweitens ist auch die scheinbare Gemeinsamkeit des einen Gegners bzw. der einen Quelle von möglichem Schaden keine besonders haltbare Vorstellung im Sinne einer von der diskursiven Verarbeitung her getrennten Faktizität. Denn wenn sich bei einem Kriegsgegner immerhin noch ein einheitlicher politischer, religiöser, nationaler o.ä. Wille als das ausmachen lässt, was die „von Außen“ her kommende Gefahr zu einem gegnerischen Subjekt macht, so ist dies im Falle des Vogelgrippeerregers schlicht nicht zu konstatieren. Was zu einer Gefahr wird, ist die bloße Anzahl der einander völlig äußerlichen einzelnen Viren. Bei näherem Hinsehen erweist sich schon die Rede von „dem Erreger“, „dem Virus“ als ein sprachliches Konstrukt, das dann zur diskursiven Rolle einer Gefahr, eines Gegners usw. ausgebaut wird. Drittens lässt sich empirisch nachweisen, dass Diskurse, die strukturell mit dem Vogelgrippe- bzw. allgemein mit Seuchendiskursen eng verwandt zu sein scheinen, keinesfalls auf Kriegsdiskurse o.ä. beschränkt werden können. Betrachtet man beispielsweise den seit 2007 immer umfänglicher, immer dramatischer, teilweise immer schriller geführten Krisendiskurs, so muss man es fast schon als Banalität abtun, auf die zum Teil bis ins sprachliche Material

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Das im Übrigen auch nur, wenn tatsächlich von einem fremdländischen, z.B. fremdstaatlichen Gegner die Rede ist. Schon bei Bürgerkriegen ethnischen, sozialen, religiösen usw. Herkommens kann von einem Außen und Innen in diesem Sinne keine Rede mehr sein. In solchen Fällen ist das Außen und Innen einer Gemeinschaft (siehe dafür die Bemerkungen zur diskursiv konstituierten in-group in Kapitel II, Abschnitt 2.1.2 b) „Es ist gewiss, dass das Virus gefährlich für die Gemeinschaft, für das Funktionieren gesellschaftlicher Strukturen ist“) vielmehr selbst schon das Produkt eines das Außen und Innen konstituierenden Diskurses, der in unmittelbar materielle Gewalt umschlägt.

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unterschiedlicher Ebenen des Sprachsystems hinein reichenden Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Diskursen hinzuweisen. Die Vorstellung eines Gegners im Sinne eines feindseligen Etwas oder Jemand mit (zumindest teilweisem) Subjektcharakter kann hier ebenso wenig als „objektiv“ gelten wie die Idee eines Innen und Außen, angesichts der vielfältigen Vernetzungen und Verknüpfungen und vor allem angesichts dessen, dass geschäftliche Transaktionen gerade im Bereich des Finanzgewerbes zwar eine (für diese Sphäre sogar äußerst entscheidende) zeitliche, aber – im Zeitalter der superschnellen Computer und immer schneller werdenden und vor allem ununterbrochenen Vernetzung per Internet – keinerlei relevante räumliche Dimension und damit Eingrenzbarkeit mehr haben. Eine sorgfältigere Untersuchung des Diskurses zur Finanz- und der an sie angeschlossenen allgemeinen (Welt-) Wirtschaftskrise36 wird vermutlich zu einem genau umgekehrten Resultat kommen: Dass nämlich auch hier die diskursiv verhandelten und teilweise sehr intensiv thematisierten Unterschiede von Außen und Innen (Wo hat die Krise angefangen? Wie ist sie ‚über den Atlantik‘ ‚zu uns‘ ‚herübergeschwappt‘? usw.) vor allem integrale Bestandteile und darum notwendige Elemente eines bestimmten Typus von Diskurs sind. Ein weiterer Fragenkomplex ergibt sich im Anschluss: Wenn sich schon möglicherweise die anzunehmenden Diskurstypen weniger durch ihren Gegenstand als vielmehr durch die Art der diskursiven Aufbereitung, der Transformation dieses Gegenstandes unterscheiden, anhand welcher Kriterien können diese Unterscheidungen dann getroffen werden? Kann man zum Beispiel die moralische Dimension eines Diskurses als typbildendes Merkmal auffassen?37 Möglicherweise stellt also das vorgeschlagene Konzept der diskursiven Rollen ein Mittel nicht nur der Untersuchung und Deutung des Diskurses selbst, sondern darüber hinaus auch der Etablierung einer Typologie von Diskursen dar.

36 Es scheint im Übrigen äußerst wünschenswert, ja – mit Blick auf eine Ausarbeitung des im Rahmen dieser Arbeit nur umrissenen diskurstheoretischen Konzeptes – sogar in einem gewissen Sinne notwendig, diesen Krisendiskurs einer ähnlich angelegten Analyse zu unterziehen, wie es hier mit dem Vogelgrippediskurs geschehen ist. Gerade die unmittelbar, also bei der vorwissenschaftlichen Betrachtung deutlich werdenden Gemeinsamkeiten zwischen beiden Diskursen, zusammen mit der zeitlichen Nähe und der allgemeinen diskursiv-gesellschaftlichen Bedeutung könnte zu weitergehenden Schlussfolgerungen, möglicherweise auch zu der einen oder anderen Korrektur der Theorieskizze vom diskursiven Rollenspiel führen. In methodischer Hinsicht spricht dafür, dass wegen der genannten Eigenheiten in Sachen zeitlicher Nähe und ähnlicher „diskursiver Prominenz“ die gleichen Medien zur Untersuchung herangezogen werden könnten, was aus komparativer bzw. taxonomischer Sicht wünschenswert ist, weil auf diese Weise eine Reihe von störenden, verkomplizierenden Momenten ausgeschlossen werden kann. 37 Mit seiner generalisierenden Bemerkung, dass „der Seuchendiskurs [...] also von Anfang an ein höchst moralischer Diskurs gewesen“ sei, legt Dinges diese Vermutung nahe.

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3.3 Diskurs als Aufklärung; Diskurstheorie und Aufklärungsforschung Versuche der Verknüpfung kommunikations- bzw. diskurstheoretischer Überlegungen mit den Kategorien der Aufklärungsforschung sind nicht neu. Für die im Folgenden zu skizzierenden Überlegungen erscheint vor allem Antos‘ Vorschlag fruchtbar, Experten-Laien-Diskurse als Beispiele „angewandter Aufklärung“ zu betrachten (vgl. Antos 2007). Wiewohl „Aufklärung“ a priori eine philosophische Kategorie darzustellen scheint, ist sie vor dem Hintergrund des im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Ansatzes auch einer diskurstheoretischen Betrachtungsweise zugänglich. Dies liegt zunächst daran, dass Aufklärung – auch „Selbstaufklärung“ – immer auch ein kommunikativer bzw. diskursiver Prozess ist bzw. einen solchen als Moment enthält. „Aufklärung“ ist immer Aufklärung von jemandem durch jemanden über etwas. Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Konzepten von Aufklärung und Diskurs. Versteht man Aufklärung ganz grundsätzlich als eine Art Wissenstransfer ergibt sich eine ähnlich fundamentale Bedeutung für die Konstitution und Reproduktion moderner menschlicher Gesellschaft, wie es in dieser Arbeit für den Diskurs plausibel gemacht werden konnte; beide sind nicht einfach Ausschnitte, Teile von gemeinschaftlicher Wirklichkeit, sondern fallen in gewisser Weise mit dieser zusammen: Wissenstransfer ist grundsätzlich Kennzeichen der menschlichen Gemeinschaft und in höchstem Maße dem Bedürfnis ihrer Mitglieder nach Soziabilität geschuldet. (Möhn 2000, S. 561)

Entsprechend unserer Herangehensweise könnten sich zumindest „Aufklärer“ und „Aufzuklärender“ als diskursive Rollen fassen lassen. Dabei müssen – analog zu dem oben anhand der diskursiven Rollen innerhalb des Vogelgrippediskurses – „Aufklärer“, „Aufzuklärender“ und „Aufklärungsgegenstand“ nicht immer und nicht immer vollständig auseinanderfallen; das liegt ganz einfach daran, dass es sich eben bei diesen Rollen nicht um solche handelt, die von (natürlichen) Personen gespielt bzw. innegehabt werden: So ist z.B. der eigentliche Gegenstand der klassischen europäischen Aufklärung „der Mensch“, der sich über sich selbst als individuelles und gesellschaftliches, natürliches und geistig-sittliches Wesen „klar wird“. Adressat und Gegenstand fallen somit wesentlich zusammen. Innerhalb eines innerwissenschaftlichen Expertendiskurses – und letztlich ist auch die moderne Wissenschaft in dieser Hinsicht immer Diskurs – sind die Beteiligten wechselseitig und wechselweise Aufklärer und Aufzuklärende. Ähnliche Beispiele lassen sich noch zahlreich finden. Die Arbeit wird also auch hier offensichtlich in der Annahme bestätigt, dass diskursive Rollen nicht identisch sind mit bestimmten Personen oder Personengruppen unter den am Diskurs Beteiligten.

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Betrachtet man also Aufklärung als einen Typ von Diskurs, eben als Aufklärungsdiskurs, sollte sich (im Anschluss an die Ausführungen unter 3.2) eine Reihe von spezifischen Strukturmerkmalen eines solchen Diskurses ergeben, die ihn von anderen Diskurstypen unterscheidet. Näher auf einen massenmedial geführten Experten-Laien-Diskurs bezogen, lässt sich als erste Besonderheit festhalten, dass dieser zumindest zu Beginn immer „asymmetrisch“ ist und sein muss: Eine unaufgeklärte Masse steht einer aufgeklärten, kleinen Gruppe von Experten gegenüber. Die Rollen sind – scheinbar – eindeutig verteilt. Wichtig erscheint es, auch für diesen Zusammenhang auf Folgendes hinzuweisen: Schon die Rollen, wie sie sich gleichsam „zu Beginn“ des Aufklärungsdiskurses zueinander ins Verhältnis setzen, sollten nicht als eine vordiskursive Gegebenheit betrachtet und abgehakt werden. „Laien“ und „Experten“ als Beteiligte am Diskurs sind dies wesentlich dadurch, dass sie sich wechselseitig so begegnen, in der jeweiligen Rolle anerkennen und entsprechend diskursiv agieren. Wer als „Experte“ etwas „zu sagen hat“ – und zwar explizit im doppelten Sinne dieser Wendung – wer sich „etwas sagen lässt“ usw.: All dies wird im Diskurs und mit ihm ausgemacht. Zugleich gilt, dass einem solchen Aufklärungsdiskurs, wenn diese Kategorie überhaupt plausibel sein soll, ein immanenter Zweck anhaftet: Die Perspektive von „Aufklärungsarbeit“ ist die Emanzipation des zunächst unaufgeklärten Adressaten der Wissensvermittlung aus dem Befangensein in dieser Rolle. Er soll am Wissensvorrat der Experten in einer Weise teilhaben, die für ihn praktisch relevant ist, ihn nämlich in die Lage versetzt, auf Basis von Wissen seine praktischen Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen frei bestimmen zu können, also rational zu handeln. Durch eine noch ganz grobe Bestimmung des Aufklärungsdiskurses ergibt sich eine Reihe von Fragen und Problemen vor allem methodischer Natur, die an dieser Stelle in aller Kürze angerissen werden sollen. Erstens lässt sich die Formulierung des Resultats von Aufklärung als Fähigkeit (des Laien), „praktischen Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen frei bestimmen zu können, also rational zu handeln“ in gewisser Hinsicht als schwierig auf das hier entwickelte Diskurskonzept zu beziehen: Das „rationale Handeln“ im Sinne seiner „praktischen Angelegenheiten“ steht als unmittelbar extradiskursiv und beziehungslos im Raum. Wenn das Konzept des Diskurses als Rollenspiel, der diskursive Wirklichkeit generiert und damit zugleich als Diskurs auf das übergreift, was allgemein als „soziale Realität“ verstanden wird, dann wäre es methodisch konsequent und theoretisch wünschenswert, wenn sich – da in den sozialen Kontext eingebettet – auch dieses „rationale Handeln“ bzw. die Freiheit bzw. Hoheit des Individuums über seine Lebensumstände ebenfalls diskursiv oder zumindest mit einem inhärenten und deutlichen Bezug auf den Diskurs fassen ließe. Die Mög-

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lichkeit für eine solche Auffassung von rationalem Handeln bzw. souveränem Bezug auf die die eigene Existenz prägenden Umstände wird offenbar von der gleichen Tatsache bereitgestellt, die zugleich einen Ausgangspunkt des diskursiven Rollspielkonzeptes dargestellt hat: Wenn menschliche Existenz, daher menschliches Handeln überhaupt in Gesellschaft stattfindet, die ihrerseits im Diskurs geformt und erfahrbar, in diesem Sinne also konstituiert wird, dann muss die Rationalität bzw. Irrationalität von Handelnden in Bezug auf sachliche Bedingungen und Umstände immer auch diskursive Dimension haben: wie jemand am Diskurs teilnimmt, ihn rezipiert bzw. in einen solchen integriert wird usw. Das muss durchaus nicht immer der gleiche Diskurs bzw. Diskursausschnitt sein, in dem die Aufklärung stattgefunden hat. Wer sich innerhalb des Vogelgrippediskurses als zunächst Verängstigter in dieser Angst gut betreut findet, also die diskursive Angstbewältigung für sich nachvollzogen und individualisiert hat, dies dem Wirken bestimmter diskursiver Rollenspieler („der Wissenschaft“, „der Politik“ usw.) zuschreibt, wird dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch in anderen diskursiven Zusammenhängen reproduzieren; z. B. in Form eines verallgemeinerten Vertrauens in – die wiederum so nur diskursiv zu denkenden – „Instanzen“ Wissenschaft, Politik usw. Zweitens lässt sich demnach mit Bezug auf den oben als immanenter Zweck gefassten Charakter formulieren: Der Zweck eines solchen Aufklärungsdiskurses besteht in der Erschütterung oder vielleicht auch nur Modifizierung der zu Beginn des Diskurses notwendig gegebenen asymmetrischen (Experten-Laien-)Struktur. Zumindest für die diskursive Rolle des Laien lässt sich festhalten, dass dieser – idealiter – im Verlaufe des Diskurses anders an diesem teilnimmt, als er in ihn eingestiegen ist. Es ergibt sich hier die Frage, wie diese modifizierte Stellung innerhalb des Diskurses zu charakterisieren ist. Handelt es sich um eine gänzlich neue diskursive Rolle? Dagegen spricht, dass der andere Pol, die Expertenrolle mit Bezug auf das bei ihr verortete Wissen ja nicht dadurch aufgelöst bzw. hinfällig wird, dass ein Wissenstransfer stattgefunden hat. Allerdings ändert sich auch die Expertenrolle – nämlich mit Bezug auf die Exklusivität, die Hoheit über das jeweilige Wissen. Im Begriff des Experten ist ja nicht nur das positive Moment eines spezialisierten Wissens, sondern immer auch das negative Moment der ausschließlichen, ausnahmsweisen Erlangung dieses Wissens durch den Experten enthalten. Drittens eröffnet sich in unmittelbarem Anschluss an diese Problematik der Modifikation auch der diskursiven Expertenrolle die Frage, welche elementaren Bestimmungen und Eingangsvoraussetzungen für die Konstitution einer solchen Expertenrolle und ihrer Polarität zur Rolle der Laien gegeben sein müssen. Mit der Polarität von Wissen vs. Unwissen scheint sich dies nämlich nicht erschöpfend oder auch nur annähernd befriedigend erklären zu lassen. Zum einen folgt aus Unwissen wegen der reinen Negativität dieser Kategorie schlichtweg nichts, eben auch nicht das Bedürfnis bzw. die

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Notwendigkeit einer Aufklärung im Diskurs. Zum anderen prädestiniert nicht jedes Wissen, auch nicht jedes exklusive Wissen zu einer diskursiven Verarbeitung dieses Wissens zur Rolle des Experten, der ein Laienpublikum adressiert. Viertens erscheint es vor dem Hintergrund der unter 3.2 vorgestellten Überlegungen zu einer Typologie von Diskursen wünschenswert und auch möglich, Aufklärung in dieser Weise diskursstrukturell zu definieren. Mit Blick auf die wesensnotwendige Veränderung der Rollen und Charaktere innerhalb des Aufklärungsdiskurses ließe sich diese möglicherweise fassen als eine auf spezifische Weise sich selbst verändernde, dynamische Diskursstruktur. Hier wiederum stellt sich die Frage, ob dieses Merkmal von Aufklärungsdiskursen tatsächlich den Stellenwert einer differentia specifica hat. Zu untersuchen wäre, ob eine solche Veränderung der Konstellation im Wechselverhältnis der diskursiven Rollen möglicherweise in der einen oder anderen Form auch in anderen Diskursen auftritt, vielleicht sogar als ein allgemeines Merkmal von Diskurs betrachtet werden muss. Um sich einer Antwort auf diese Frage auf einem einigermaßen haltbaren empirischen Fundament annähern zu können, scheint aber erst noch die Untersuchung einer Reihe weiterer Diskurse anhand genügend großer Korpora notwendig. Fünftens eröffnet der oben vorgenommene Versuch einer groben Bestimmung, was unter Aufklärung zu verstehen sei, wiederum die Frage nach einem immanenten Maßstab für Gelingen und Scheitern, welches dann immer auch ein Gelingen oder Scheitern von Diskurs wäre. Das führt erneut auf die ‚Gretchen-Frage‘, ob es überhaupt Sinn macht oder vielleicht sogar notwendig ist, Diskurs entlang solcher Kategorien, also letztlich normativ zu fassen. Was bei Aufklärung, betrachtet man sie rein unter der Perspektive von Wissenstransfer, noch einfach erscheint, wird im Rahmen ihrer diskurstheoretischen Einordnung zum Problem: Im Prinzip steht ja ein Maßstab für das „Gelingen von Aufklärung“ zur Verfügung: Hat der Wissenstransfer stattgefunden? Verfügen die vorher Unwissenden hinterher über ein für ihre Lebenswelt(en) relevantes und anwendbares Wissen? Übertragen auf die diskurstheoretische Sichtweise könnte man versucht sein, die Frage so zu formulieren: Hat sich das Verhältnis der diskursiven Rollen im Verlaufe des Diskurses durch das diskursive Wechselspiel tatsächlich nachvollziehbar verändert, oder hat sich die Diskursstruktur, und mit ihr die beteiligten Charaktere bzw. Rollen, bloß reproduziert? Die Antwort auf diese Frage – streng genommen eigentlich schon die Frage selbst – unterstellt jedoch zumindest die Möglichkeit, dass ein Diskurs ohne eine Veränderung der Beziehungsstruktur der diskursiven Rollen überhaupt ablaufen kann, was zunächst nicht einfach als Gewissheit angenommen werden kann. Ein Fortschritt in diesem fünften Fragen- und Problemfeld scheint substantielle Erkenntnisgewinne bezüglich der anderen Punkte mithin als notwendige Voraussetzung zu haben.

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3.4 Zum Diskurs als System Wir sind im Verlauf der Untersuchung des Vogelgrippediskurses zu dem Schluss gekommen, dass sich Diskurs als das Interagieren von diskursiven Rollen auffassen lässt, was eine Reihe von analytischen Problemen löst und eine Verknüpfung von unterschiedlich tradierten diskurstheoretischen Ansätzen nicht nur erfordert, sondern vor allem ermöglicht. In Abschnitt 2.4 des vorliegenden Kapitels sind zwei Möglichkeiten vorgestellt worden, das Interagieren der diskursiven Rollen als andauernden Prozess von wechselwirkenden, rückgekoppelten Faktoren zu schematisieren. Dies wirft Fragen danach auf, ob bzw. inwieweit sich ein solcherart zu beschreibender Diskurs als System bzw. systematisch geregelter Prozess auffassen lässt, also das Konzept der diskursiven Rollen auch zumindest bis zu einem bestimmten Grad einen systemtheoretischen Zugriff erlaubt. Für diese Überlegung spricht einiges: Erstens konnte in Übereinstimmung mit Dinges festgestellt werden, dass Seuchendiskurse einerseits zu einer gewissen Art von „Vergesellschaftung“ des in den eng umgrenzten Zirkeln der Fachwissenschaftler produzierten Wissens beitragen, dass sie sich also in irgendeiner Weise immer auf dieses Wissen beziehen, dass sie aber gleichzeitig nur sehr bedingt von diesem Wissen, seinen Inhalten, seinem Umfang bestimmt werden; vielmehr zeigen sich allgemeine, modern massenmedial vermittelte Seuchendiskurse in ihrer Struktur seit langer Zeit und durch alle Evolutionen und Revolutionen des medizinischen und epidemiologischen Wissens hindurch anscheinend erstaunlich stabil. Sie müssen also eigene, interne Regelmäßigkeiten aufweisen und bilden daher in gewissem Sinn relativ autonome Sphären. Für die modernen massenmedialen Diskurse mag hier die Begründung Luhmanns greifen: Durch die Unterbrechung des unmittelbaren Kontaktes sind einerseits hohe Freiheitsgrade der Kommunikation gesichert. Dadurch entsteht ein Überschuss an Kommunikationsmöglichkeiten, der nur noch systemintern durch Selbstorganisation und durch eigene Realitätskonstruktion kontrolliert werden kann. (Luhmann 1996, S. 12)

Nun greift diese Ableitung des relativ autonomen und selbstregulierten bzw. selbstregulierenden, also systemischen Charakters von Massenmedien und den in ihnen ‚produzierten Kommunikationen‘ aus deren technologischer Beschaffenheit tatsächlich nur für die Massenmediendiskurse im modernen Sinn, insofern ist ihre Plausibilität für diese Diskurse nicht von der Hand zu weisen. Zweitens hat sich bei der Analyse der Interaktion der diskursiven Rollen ergeben, dass es zumindest innerhalb des empirisch untersuchten Vogelgrippediskurses Mechanismen gibt, die dafür sorgen, dass sich der Diskurs nicht selbst zu einer Hysterie hochschaukelt (mit unabsehbaren Folgen), sondern dass das Angst erzeugende Agieren der einen Rolle die entsprechende, entge-

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gengesetzt wirkende andere Rolle selbst mit hervorbringt, so dass es letztlich zu einer Dämpfung der (potentiellen) diskursiven Pendelausschläge kommt und der diskursive Krisen- bzw. Ausnahmezustand überwunden wird. Man kann also die Vermutung äußern, dass massenmediale Diskurse mit der innerhalb ihres Rahmens ablaufenden Interaktion der diskursiven Rollen wie Regelsysteme funktionieren und dass diesen Rollen dabei die Funktion von Stellgrößen zukommt. Lässt sich diese Vermutung verifizieren? Führt die Interaktion der Rollen tatsächlich bei allen Diskursen zumindest in der Regel dazu, dass sich die Sphäre des Diskurses nicht in einer Weise auflädt, dass also nicht eine der möglichen Rollen dermaßen dominant wird, dass der Diskurs aufhört, Diskurs zu sein? Und welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit sich dieses mehr oder weniger stabile Verhältnis im Diskurs herstellen lässt? In welchem Verhältnis steht diese Stabilität – wenn von ihr überhaupt gesprochen werden kann – zu der unter 3.3 geäußerten und kurz diskutierten Vermutung, dass zumindest Aufklärungsdiskurse, möglicherweise aber Diskurse auch anderen Typus‘ sich selbst verändernde Strukturen darstellen? Man kann zumindest die Vermutung äußern, dass hier Stabilität nicht mit Statik gleichgesetzt werden darf, also auch die Entgegensetzung von stabil einerseits und selbstverändernd/selbstmodifizierend nicht greift und stattdessen vielleicht von Prozessen/Systemen von Prozessen gesprochen werden muss, die sich durch eine dynamische Stabilität bzw. stabile Dynamik auszeichnen: insofern nämlich bezüglich der diskursiven Rollen und bezüglich ihres Interagierens durchaus Veränderungen stattfinden (s.o. die Bemerkungen zu Aufklärung), diese aber selbst bestimmten – mehr oder weniger festen – Gesetzmäßigkeiten, Regeln folgen. Sicherlich sind bis hierhin nicht alle oder auch nur die meisten oder wichtigsten theoretischen und methodischen Implikationen des in dieser Arbeit vorgestellten Diskurskonzeptes angesprochen. Mit Sicherheit gibt es derer noch eine ganze Reihe weiterer: Seien es Fragestellungen hinsichtlich eines möglichen Ausbaus des Konzeptes vom Diskurs als wechselweises Konstituieren und Spiel von diskursiven Rollen und Charakteren, seien es Fragestellungen oder Probleme hinsichtlich einer theoretisch plausiblen und methodisch befriedigenden Verknüpfung mit bestehenden und bewährten theoretischen Ansätzen innerhalb der sprach- und im weiteren Sinne diskurstheoretischen Disziplinen, aber auch an ihren Rändern.

Zusammenfassung Innerwissenschaftlich knüpft die Arbeit an zwei Punkten an: Zum einen an der Beobachtung divergierender medientheoretischer Ansätze und Theorien, die inzwischen nicht nur zahlreich, sondern oft unverbunden, quasi atomar nebeneinander existieren, so dass zu jedem der zahlreichen und oft widersprüchlichen Facetten der Medienwirklichkeit ein eigener Ausschnitt moderner Medientheorie zu gehören scheint. Daraus ergab sich für mich die Frage, ob es möglich sei, gerade offenbar widersprüchliche Phänomene und Tendenzen innerhalb massenmedialer Kommunikation in einen schlüssigen theoretischen Zusammenhang zu stellen. Den anderen forschungsimmanenten Ausgangspunkt bildet die Beobachtung, dass zwei unterschiedliche Traditionen Zugriff auf das Thema Massenmedien / massenmediale Kommunikation nehmen: Diskurstheoretische Ansätze, die sich selbst mehr oder weniger in der Tradition Foucaults verorten, und pragmalinguistische Ansätze. Versuche der Verknüpfung beider Linien erschöpfen sich oft in das methodische Bekenntnis und formal-terminologische Anpassungen: In vielen empirischen Untersuchungen werden Ausschnitte medialer Realität als „Diskurs“ bezeichnet, ohne dass in der Durchführung der Untersuchung erkennbar wird, dass damit ein theoretisches Konzept angedeutet wird, und nicht bloß ein anderer Name für „Textkorpus“ oder „Mediendebatte“ vergeben wird. Empirisch findet die Arbeit ihren Ausgangspunkt bei der Beobachtung, dass das öffentliche Reden über zum Beispiel Seuchen erstens diachron eine erstaunliche Kontinuität aufweist, obwohl die Seuchenforschung in der Zwischenzeit enorme Entwicklungen, zum Teil wissenschaftliche Revolutionen durchlaufen hat. Zweitens zeigt sich, dass die aktuelle öffentliche Verarbeitung der Vogelgrippe erstaunliche Parallelen etwa zur medialen Aufbereitung von Kriegen oder der Finanzkrise zeigt. Wie lässt sich diese Invarianz medialer Seuchenberichterstattung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen erklären? Welches Konzept ermöglicht eine Systematik massenmedialer Produktionen getrennt von ihrem unmittelbaren – vielleicht auch nur scheinbaren? – jeweiligen Gegenstand, sondern mit Bezug auf die jeweiligen Besonderheiten der Art und Weise der medialen Aufbereitung? Das Konzept des Diskurses, der sich durch das Einwirken von diskursiven Rollen aufeinander entwickelt, versucht mit folgenden Kernaussagen auf die genannten Fragen zu antworten:

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Zusammenfassung

Das Konzept vom diskursiven Rollenspiel erklärt Diskurs als gesellschaftliche Sphäre sui generis. Mediale Diskurse sind nicht einfach das Abbild einer davon getrennt vorliegenden „Realität“, die innerhalb von Diskursen zu beobachtenden Linien sind nicht einfach Meinungsstränge, die der Ausdruck von Interessen bzw. interessierten Subjekten sind, die in anderen, „wirklichen“ Sphären (Politik, Wirtschaft usw.) agieren. Innerhalb des Konzeptes bilden Texte die Kernelemente von Diskurs, sie sind die eigentlichen Träger diskursiver Rollen. Darum müssen Diskurse von ihren Texten aus analysiert werden; darin besteht die eigentliche Verknüpfung von Diskurstheorie und text- bzw. pragmalinguistischer Analyse, die dieses Konzept leisten will. Die These vom Diskurs als Rollenspiel soll ein Versuch sein, dem Diskursbegriff Foucault‘scher Prägung auch und gerade bei seiner Operationalisierung für empirische, pragmalinguistisch orientierte Medienuntersuchungen gerecht zu werden. Texte als „Spieler“, als „Akteure“, eben als innerhalb einer Rolle Handelnde zu interpretieren, soll erreichen, dass die abstrakte diskurstheoretische Einordnung der Untersuchung und die konkrete linguistisch-kommunikationswissenschaftliche Arbeit am Korpus tatsächlich ineinander greifen. Das „Rollenmodell“ baut die Texte unmittelbar und durchgehend in ihr spezifisches, intertextuelles Beziehungsgeflecht ein. In dieser Weise und im Hinblick auf diese Absicht soll hier der Begriff „Rolle“ gemeint und verstanden sein – es geht also nicht um einen handlungstheoretischen Zugriff auf das Thema oder den Versuch, das Verhältnis von Handlungstheorie einerseits und Sprach- bzw. Kommunikationstheorie andererseits neu zu bestimmen. Der Begriff „diskursive Rolle“ dient zur Verdeutlichung der Auffassung, dass erstens nicht nur Texte Diskurs konstituieren, sondern umgekehrt Diskurs den Texten ihre diskursive Bedeutung und Funktion, ihren diskursiven Stellenwert – eben: ihre diskursive Rolle zuweist; und dass zweitens gerade dies letztlich durch die Texte selber geschieht: sie wirken aufeinander ein, bringen einander hervor. In diesem Sinne sind Texte als Bausteine des Diskurses zu verstehen, letzterer also als Ensemble von ersteren. Der diskurstheoretische Zugriff auf einen Ausschnitt medienkommunikativer Wirklichkeit bedeutet auch: Während „Kommunikation“ und auch „mediale Kommunikation“ qua definitionem Produzenten und Rezipienten bzw. ein Verhältnis von beiden an zentraler Stelle beinhalten, ist das bei einem diskursiven Ansatz in dieser Weise nicht der Fall. Gleichwohl wäre es wenig sinnvoll, das Vorhandensein von Medienrezipienten zu ignorieren bzw. die wissenschaftlichen Probleme, die sich aus dem Auseinanderfallen von Textproduktion und Text einerseits sowie der Rezeption von Texten andererseits ergeben, für irrelevant zu erklären. Vielmehr geht es darum – und auch hierfür bietet das diskursive Rollenmodell einen Lösungsansatz – die kommunikationstheoretisch zurecht separierte und eigens zu untersuchende

Zusammenfassung

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Dimension des Rezipienten quasi in den Diskurs „hinein zu holen“. Möglich wird dies dadurch, dass man die Rollen, welche die Texte spielen, auch als Rezeptionsrahmen begreift, innerhalb dessen ein Zugriff auf sie notwendigerweise erfolgen muss, damit die Rezeption in ihrem Sinne „klappt“. Zur Rolle, die ein Text als Diskurselement spielt, gehört also auch die Konstitution eines – notabene – diskursiven Rezipienten. Um zu vermeiden, in der Weise missverstanden zu werden, dass ich die innerhalb der kommunikativen Rezeptionsforschung verwendeten und bewährten Kategorien „Rezeption“ und „Rezipient“ durch einen konkurrierenden Kommunikations- bzw. Rezeptionsbegriff für obsolet gemacht halte, habe ich hierfür den Terminus „diskursiver Charakter“ gewählt. Die theoretische Modellierung des Diskurskonzeptes als Rollenspiel erlaubt auf diese Weise eine „innere Betrachtung“ von Diskursen, die zunächst als das Verhältnis von einander bloß äußerlichen Polen – Produzent und Rezipient – erscheinen. Auf dieser Basis lässt sich erklären, warum Diskurse nicht einfach thematisch oder durch die Interessen von kommunikativen Akteuren geprägt sind, sondern eine eigene „Gestalt“ aufweisen. Dies ermöglicht, Diskurse entlang der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu typisieren, die die jeweilige Gestalt des Rollenspiel-Ganzen annimmt: Diachrone Kontinuitäten lassen sich so ebenfalls interpretieren wie Veränderungen im Ergebnis eines solchen Rollenspiels. Möglicherweise erweist sich das Konzept auch als Baustein für die Theoriebildung innerhalb der Wissentransferforschung innerhalb der Gesellschaft oder eines ihrer Subsysteme, da das ganz grundlegende Konzept Foucaults vom Diskurs als „Fluss des Wissens“ auch als Transfer von Wissen nicht nur durch die Zeit, sondern auch zwischen diskursiven Akteuren existiert. Zu überprüfen bleibt auch, ob das von mir entworfene und in der Arbeit skizzierte Diskurskonzept Anregungen für Fragestellungen zum Verhältnis von Gesellschaft und Diskurs bzw. Gesellschaft und ihrer – wie auch immer definierten und abgegrenzten – kommunikativen Sphäre geben kann; letztlich, so die hierher gehörende, im Konzept vom diskursiven Rollenspiel enthaltene These, ist nämlich das Spiel der diskursiven Rollen die stellvertretende, diskursive Existenzweise der Gesellschaft innerhalb einer Sphäre und in einer Form, in der sie überhaupt nur über sich wissen, sich ihrer selbst als Ganzes gewahr werden kann.

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Anhang Artikel aus Der Spiegel Nr.

S.

Titel

Autor

3/2006

126–128

Gefahr im Anflug

Philip Bethge

8/2006

32–34

Das Rätsel des sterbenden Schwans

Gerald Traufetter

9/2006

22–28

Leben mit der Seuche

Markus Deggerich, Ulrike Demmer, Steffen Kraft, Gunther Latsch, Gerald Traufetter

10/2006

14

Leserbrief 1

Oliver Ganske

10/2006

14

Leserbrief 2

Eckard Wendt

10/2006

14

Leserbrief 3

Ingbert Thomsen

10/2006

14

Leserbrief 4

Ludwig Miehe

11/2006

16

Leserbrief 1

Ulrich Dittmann

11/2006

16

Leserbrief 2

Bernd Bischofs

11/2006

16

Leserbrief 3

Christiane und Wolfhard Noack

19/2006

80–92

Die Virenjäger

Ullrich Fichtner, Ansbert Kneip, Gerald Traufetter

19/2006

3

Hausmitteilung

Der Spiegel, ohne Autorenangabe

21/2006

12

Leserbrief, Verpflichtung zur Verantwortung

Hao Wie-Kuang

220

Anhang

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Datum

S.

Titel

Autor

04.01.2006

N1

Kein Patentrezept gegen die Vogelgrippe

Rainer Flöhl

06.01.2006

1

Zwei Kinder in der Türkei an Vogelgrippe gestorben

F.A.Z., ohne Autorenangabe

06.01.2006

7

Quarantäne und ein berufliches Tätigkeitsverbot

Peter-Philipp Schmitt

06.01.2006

7

Geflügel als Infektionsquelle

F.A.Z., ohne Autorenangabe

07.01.2006

7

Mädchen stirbt an Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

09.01.2006

1

Vogelgrippe breitet sich aus

F.A.Z., ohne Autorenangabe

10.01.2006

7

Der unsichtbare Feind

Daniel Siemens

10.01.2006

7

Auf der Suche nach Fleisch

Katharina Iskandar

10.01.2006

7

Was tun deutsche Behörden? Interview mit Gert Lindemann

10.01.2006

7

Vogelgrippe weitet sich aus

F.A.Z., ohne Autorenangabe

10.01.2006

7

Der Sprung auf den Menschen bleibt noch ein Rätsel

F.A.Z., ohne Autorenangabe

11.01.2006

18

Mehr Tamiflu gegen die Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

11.01.2006

18

„Wir arbeiten an einem Notfallplan“

Georg Giersberg

11.01.2006

1

Seuchenherde

Joachim Müller-Jung

11.01.2006

1

Weitere Infektion mit dem Vogelgrippevirus

F.A.Z., ohne Autorenangabe

11.01.2006

N1

Vogelgrippe-Infekte häufiger, F.A.Z., ohne aber harmloser Autorenangabe

11.01.2006

3

Warnungen in den Wind geschlagen

Christian Schwägerl

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

221

Datum

S.

Titel

Autor

12.01.2006

1

Das Federvieh muß wieder in die Ställe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

12.01.2006

37

Vogelgrippenkrieg

Kerstin Hohn

12.01.2006

13

„Es ist erschreckend, was wir Interview mit Horst bei Kontrollen sicherstellen“ Seehofer

13.01.2006

1

1,1 Milliarden Euro gegen Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

14.01.2006

7

Türkische Varianten von Vogelgrippe-Viren

F.A.Z., ohne Autorenangabe

14.01.2006

33

Virus beißt Mensch

Joachim Müller-Jung

14.01.2006

1

EU verstärkt Kampf gegen die Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

16.01.2006

7

Weiteres Mädchen stirbt offenbar an Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

16.01.2006

31

Broiler, Broiler

Karen Krüger

16.01.2006

3

Vom Ladenhüter zum Welterfolg

Konrad Mrusek

16.01.2006

3

Verlassen Sie sich nicht auf Washington

Katja Gelinsky

16.01.2006

31

Gallus gallus

Reinhard Wandtner

18.01.2006

N2

Vogelgrippe: Wo liegen die Schwachstellen des Virus?

Joachim Müller-Jung

18.01.2006

9

Nährboden der Vogelgrippe

Wolfgang Günter Lerch

18.01.2006

9

Eine Tamiflu-Spende für Entwicklungsländer

F.A.Z., ohne Autorenangabe

18.01.2006

1

Geberkonferenz zur Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

19.01.2006

4

Seehofer will bald über Stallpflicht entscheiden

F.A.Z., ohne Autorenangabe

19.01.2006

38

Der Tamiflubaum

Christian Schwägerl

21.01.2006

7

„Eingreiftruppe“ gegen die Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

222

Anhang

Datum

S.

Titel

Autor

24.01.2006

12

Vogelgrippe-Pandemie F.A.Z., ohne könnte Rezession hervorrufen Autorenangabe

27.01.2006

36

Geldscheine auf Reisen

Rainer Scharf

28.01.2006

7

Eiweiß NS1 macht H5N1 gefährlich

F.A.Z., ohne Autorenangabe

31.01.2006

34

Keine Angst vor Heimkehrern

Susanne Mewes

31.01.2006

1

Vogelgrippe: Kaum Gefahr durch Zugvögel

F.A.Z., ohne Autorenangabe

01.02.2006

8

Erdogan läßt Hühnerfleisch servieren

F.A.Z., ohne Autorenangabe

01.02.2006

N2

Der tödliche Pfeil der Grippeviren

Barbara Hobom

02.02.2006

38

Vogelgrippe-Impfstoff

F.A.Z., ohne Autorenangabe

04.02.2006

12

Gefahrgut aus dem Süden

Peter-Philipp Schmitt

09.02.2006

9

Vogelgrippe erreicht Afrika

F.A.Z., ohne Autorenangabe

10.02.2006

16

Die Vogelgrippe trifft die Marke Wiesenhof nur wenig

Johannes Ritter

13.02.2006

9

Die Vogelgrippe erreicht die EU

F.A.Z., ohne Autorenangabe

14.02.2006

9

Stallpflicht kommt früher

Johannes Leithäuser/ Michael Stabenow

14.02.2006

1

Stallpflicht vor dem 1 März? Johannes Leithäuser/ Michael Stabenow

15.02.2006

1

Verdacht auf Vogelgrippe in Deutschland

F.A.Z., ohne Autorenangabe

16.02.2006

2

Regierung sieht „keine größere Gefahr für Menschen“

Carsten Germis

16.02.2006

2

Die Mahner sehen sich bestätigt

Christian Schwägerl

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

223

Datum

S.

Titel

Autor

16.02.2006

12

Die Türkei hat 1,3 Millionen Rainer Herman Federvieh notgeschlachtet

16.02.2006

8

Das Virus rückt näher

Christian Schwägerl

16.02.2006

2

Das Rätsel der toten Schwäne

Frank Pergande

17.02.2006

2

Beobachter des Vogelzugs

F.A.Z., ohne Autorenangabe

17.02.2006

2

Nur mehr als fünf

F.A.Z., ohne Autorenangabe

17.02.2006

7

Finger weg vom toten Schwan!

Claus Peter Müller

17.02.2006

20

24-Stunden-Auskunft über die Vogelgrippe

Georg Giersberg

17.02.2006

2

Frau Linke war schneller

Frank Pergande

17.02.2006

2

„Überall lagen tote Tiere“

Frank Pergande

18.02.2006

8

Vogelgrippe nicht à la carte

Robert Lücke

18.02.2006

1

„Auf den Notfall vorbereiten F.A.Z., ohne Autorenangabe

18.02.2006

2

Vom Qinghai-See in China nach Rügen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

20.02.2006

1

Ohne Augenmaß

Frank Pergande

20.02.2006

2

Jetzt ist die Bundeswehr auf Rügen im Einsatz

Frank Pergande

20.02.2006

1

Vogelgrippe auf dem Festland

Frank Pergande/Stephan Löwenstein

20.02.2006

9

Berliner Viruslast

Peter-Philipp Schmitt

20.02.2006

9

Koordination und Überwachung

F.A.Z., ohne Autorenangabe

21.02.2006

2

Im Kot und in der Gefriertruhe

Frank Pergande

21.02.2006

1

Katastrophenfall in drei Landkreisen ausgerufen

Frank Pergande/Michael Stabenow

224

Anhang

Datum

S.

Titel

Autor

21.02.2006

9

Vor rohen Eiern wird gewarnt

Peter-Philipp Schmitt/ Christian Geinitz/Axel Wermelskirchen

21.02.2006

41

Übertragung

Frank Pergande

22.02.2006

10

Ratgeber

Frank Pergande

22.02.2006

N2

Schutz vor Vogelgrippe muß in China ansetzen

Helmut Bünder

22.02.2006

N1

Die Virusfalle

Joachim Müller-Jung

22.02.2006

4

22 weitere Fälle von Vogelgrippe

Frank Pergande/Carsten Germis

22.02.2006

4

Umfrage: Wenig Angst vor Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

22.02.2006

4

Kontroverse um Geflügelimpfung

Christian Schwägerl

23.02.2006

1

Seehofer: Vogelgrippe breitet sich weiter aus

Carsten Germis

23.02.2006

40

Ein Minister auf der Insel

Dr. Karl-Theodor Lieser

23.02.2006

7

Natürliches Chaos

Frank Pergande

23.02.2006

7

Wie sich der UeckerRandow-Kreis rüstet

Frank Pergande

24.02.2006

7

Columba livia nicht füttern

Rüdiger Soldt

24.02.2006

3

Warten auf den Ernstfall

Siegfried Thielbeer

24.02.2006

11

Leben mit der Vogelgrippe

Carsten Germis

24.02.2006

1

Vogelgrippe: Seehofer Frank Pergande kritisiert Gesundheitsminister

25.02.2006

2

Beschämende Versäumnisse

F.A.Z., ohne Autorenangabe

25.02.2006

2

Trinkwasser nicht gefährdet

Rüdiger Soldt

25.02.2006

2

Die Suche nach dem richtigen Impfstoff

Frank Pergande

25.02.2006

2

Die Ente des Ministers

Frank Pergande

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

225

Datum

S.

Titel

Autor

25.02.2006

2

Tröstende Wort von Chirac

Michaela Wiegel

25.02.2006

12

Asien kämpft gegen die Hühnergrippe

Christoph Hein

25.02.2006

1

Elftausend Puten in Frankreich gekeult

F.A.Z., ohne Autorenangabe

25.02.2006

1

Hand in Hand

Georg Paul Hefty

27.02.2006

1

Vogelgrippe erreicht Schweiz und Brandenburg

F.A.Z., ohne Autorenangabe

27.02.2006

11

H5N1 kommt heute nach Münster

Katrin Hummel

28.02.2006

38

Vogelgrippe. ARD spielt mit der Seuche

Michael Hanfeld

28.02.2006

34

Infizierte Katzen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

01.03.2006

1

Vogelgrippe bei Katze auf Rügen nachgewiesen

Frank Pergande/Albert Schäffer

01.03.2006

3

Nur keine Panik

Frank Pergande

01.03.2006

3

Die Vogelgrippe als Chance und Risiko

Carsten Germis

02.03.2006

1

Hauspflicht für Katzen – Hunde an die Leine

Carsten Germis/Frank Pergande

02.03.2006

2

Nun werden auch Fuchs und Christian Schwägerl Marder ins Visier genommen

02.03.2006

33

Für die Katze

Reinhard Wandtner

02.03.2006

R1

Vogelflug

Jakob Strobel y Serra

03.03.2006

1

Maßnahmen gegen Vogelgrippe verschärft

Carsten Germis/Rüdiger Soldt

03.03.2006

4

Maßnahmen gegen Vogelgrippe werden verschärft

Carsten Germis

04.03.2006

1

Vogelgrippe in Mannheim

Frank Pergande

04.03.2006

4

Vogelgrippe in Mannheim

Frank Pergande

226

Anhang

Datum

S.

Titel

Autor

06.03.2006

19

Schutzkleidung ist knapp

Petra Schlitt

06.03.2006

26

Die Folgen der Vogelgrippe

Thomas Mayer

06.03.2006

9

Vogelgrippe auch in Niedersachsen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

06.03.2006

1

Die Vogelgrippe erreicht Niedersachsen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

07.03.2006

21

Die Anleger ignorieren die Vogelgrippe

Steffen Uttich

07.03.2006

42

Ende der Freundschaft

Reinhard Wandtner

08.03.2006

11

Die Zeit kann knapp werden Dr. Hans Konietzko (Briefe an die Herausgeber)

08.03.2006

9

Nickelsdorf will die 170 Katzen nicht

Reinhard Olt

08.03.2006

9

„Wir müßten Tiere keulen“

Interview mit Dieter Rinke

08.03.2006

9

Vögel des Glücks auf Durchzug

Carl-Albrecht von Treuenfels

08.03.2006

9

Abermals infizierte Katzen auf Rügen

Frank Pergande

08.03.2006

N2

Bekenntnis zum Vogel

F.A.Z., ohne Autorenangabe

09.03.2006

7

„Angst vor Katzen unbegründet“

F.A.Z., ohne Autorenangabe

10.03.2006

14

Grippe belastet Futterindustrie

Helmut Bünder

10.03.2006

44

Vogelfrei

Joachim Müller-Jung

10.03.2006

9

Beim Fressen angesteckt

Frank Pergande

10.03.2006

1

Steinmarder mit Vogelgrippe Frank Pergande infiziert

11.03.2006

20

Die Türkei bleibt links liegen Hans-Christoph Noack

11.03.2006

37

Der Fluch der Ente

Christian Schwägerl

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

227

Datum

S.

Titel

Autor

11.03.2006

9

Vogelgrippe breitet sich aus

Albert Schäffer/Rüdiger Soldt

13.03.2006

1

Vogelgrippe auch in Kamerun

F.A.Z., ohne Autorenangabe

13.03.2006

9

Die Seuche klingt nicht ab

Fragen ans Vogelgrippelabor

14.03.2006

1

Kein Nachweis von Vogelgrippe bei Nutztieren

Albert Schäffer

14.03.2006

14

Währungsfond warnt vor Folgen einer GrippePandemie

Claus Tigges

14.03.2006

14

Kein Appetit auf Hähnchenschnitzel

Henrike Roßbach

14.03.2006

9

Von Guangdong nach Rügen Peter-Philipp Schmitt

14.03.2006

9

Der Erreger zieht ab – oder er bleibt

F.A.Z., ohne Autorenangabe

14.03.2006

9

Tag des Gerüchts

Albert Schäffer

15.03.2006

1

Streit in der CSU über Umgang mit Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

15.03.2006

3

Artigkeiten nach Art des Hauses

Albert Schäffer

16.03.2006

R2

Vogelgrippe

F.A.Z., ohne Autorenangabe

17.03.2006

9

Nur wenige Grippeviren im Umlauf

Konrad Mrusek/PeterPhilipp Schmitt

17.03.2006

36

Wölfe im Federkleid

Kerstin Hohn

17.03.2006

9

Nur wenige Grippeviren im Umlauf

Konrad Mrusek/PeterPhilipp Schmitt

18.03.2006

9

H5 bei Geflügel in Schweden F.A.Z., ohne Autorenangabe

20.03.2006

9

Vogelgrippeverdacht bei toter F.A.Z., ohne Ägypterin Autorenangabe

21.03.2006

11

EU kündigt Hilfe für Geflügelzüchter an

Hendrik Kafsack

228

Anhang

Datum

S.

Titel

Autor

22.03.2006

9

Vogelgrippe auch in Pakistan F.A.Z., ohne Autorenangabe

23.03.2006

11

Kritik an Verbot von Hühnchen in Stadien

F.A.Z., ohne Autorenangabe

23.03.2006

11

Bund unterstützt Impfstofforschung

Carsten Germis

23.03.2006

12

Erst jetzt

Heike Schmoll

24.03.2006

9

Vogelgrippe auch im Westjordanland

Jörg Bremer

25.03.2006

4

Seehofer kommt

Timo Frasch

25.03.2006

9

Die Vogelgrippe erreicht Berlin

F.A.Z., ohne Autorenangabe

27.03.2006

11

Keine Gänseleber mehr aus Israel

Robert Lücke

29.03.2006

38

Angst vor Hähnchen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

03.04.2006

10

Die Gefahr kommt über die Beringstraße

Katja Gelinsky

04.04.2006

34

Impfen und schimpfen gegen Joachim Müller-Jung Vogelgrippe

05.04.2006

9

H5N1-Virus in Bayern genetisch entschlüsselt

Albert Schäffer

06.04.2006

1

Böse Überraschung

Joachim Müller-Jung

06.04.2006

7

Frühwarnsystem Katze

Joachim Müller-Jung

06.04.2006

7

Gekeult, nicht geschlachtet

Carsten Germis

06.04.2006

7

Das Virus in Wermsdorf

Reiner Burger

06.04.2006

1

Vogelgrippe im Putenstall

Reiner Burger/Carsten Germis

07.04.2006

9

Vogelgrippe jetzt auch in Schottland

Claudia Bröll

07.04.2006

1

Seehofer: Wir müssen mit Vogelgrippe leben

Carsten Germis

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

229

Datum

S.

Titel

Autor

07.04.2006

9

Die Wege des Virus

Reiner Burger

07.04.2006

9

Frühjahrsputz: Wie man sich Axel Wermelskirchen beim Eierausblasen vor dem H5N1-Virus schützt

07.04.2006

1

Seehofer: Wir müssen mit Vogelgrippe leben

Carsten Germis

07.04.2006

9

Lorenz Eskildsen will weitermachen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

08.04.2006

11

Glückliche Hühner

Carsten Germis

08.04.2006

9

Gekeult wird jetzt im Schlachthof

Reiner Burger

10.04.2006

9

Keulung in Sachsen beendet

F.A.Z., ohne Autorenangabe

11.04.2006

10

Kreative Keime im Krankenhaus

Joachim Müller-Jung

13.04.2006

7

Brieftauben werden gekeult

F.A.Z., ohne Autorenangabe

26.04.2006

14

EU-Finanzhilfen für die Geflügelzüchter

Hendrik Kafsack

27.04.2006

9

Schweizer Federvieh darf wieder ins Freie

Konrad Mrusek

29.04.2006

8

Zehn Millionen Euro für Vogelgrippeforscher

Frank Pergande

02.05.2006

13

Tierparks können gegen Vogelgrippe impfen

F.A.Z., ohne Autorenangabe

03.05.2006

40

Fliegen trotz Pandemie

Anne Bogdanski

04.05.2006

7

Hilflose Helfer

Jörg Bremer

05.05.2006

15

Stallpflicht nur für Risikogebiete

Carsten Germis

10.05.2006

27

Gefährliche Dienstreisen

Michael Magotsch, Jens Kirchner

11.05.2006

9

Eingeschränkte Stallpflicht in Kraft

F.A.Z., ohne Autorenangabe

230

Anhang

Datum

S.

Titel

Autor

11.05.2006

46

Pandemische Raserei

Jordan Mejias

18.05.2006

11

WHO-Impfkampagne in Europa geplant

Robert von Lucius

27.05.2006

7

Neuer Impfstoff gegen Vogelgrippe

Helmut Bünder

29.05.2006

15

„Die Deutschen können schlecht mit Unsicherheit umgehen“

Interview mit Werner Jann

02.06.2006

34

Vom Wildvogel zum Menschen

Anne Bogdanski

07.06.2006

N1

Vom Vogelvirus an der Nase herumgeführt

Anne Bogdanski

07.06.2006

4

Berlin hilft Afrika bei Vogelgrippe

Carsten Germis

14.06.2006

R3

Vogelgrippe

tdt

01.07.2006

10

Weltpremiere der Vogelgrippen-Oper

Robert von Lucius

08.07.2006

9

Spanien meldet Vogelgrippefall

F.A.Z., ohne Autorenangabe

11.07.2006

17

Koordinieren statt Forschen

Hendrik Kafsack

12.07.2006

N2

Verschlungene Wege des Vogelgrippe-Erregers

Joachim Müller-Jung

13.07.2006

2

„Sicherheitsvorsorge“ für Bush

Reinhard Müller

18.07.2006

9

Arzneien für Afrika

Andreas Mihm

21.07.2006

7

31. Vogelgrippetoter in Indonesien

F.A.Z., ohne Autorenangabe

02.08.2006

10

Bessere Aussichten für Ostasien

Christoph Hein

04.08.2006

7

In Dresden Verdacht auf Vogelgrippe

Reiner Burger

05.08.2006

9

Das Virus im Zoo

Reiner Burger

Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Datum

S.

Titel

Autor

05.08.2006

1

In Dresden noch ein Verdacht auf Vogelgrippe

Reiner Burger

23.08.2006

N1

Aufatmen bei Grippeforschern

Helmut Bünder

30.08.2006

12

Die türkische Tourismusbranche bleibt gelassen

Rainer Herman

06.09.2006

4

Sehnsucht nach sozialistischen Koteletts

Frank Pergande

12.09.2006

9

„Der Erreger ist noch da“

Interview mit Thomas Mettenleiter

13.09.2006

N2

Immunsystem entgleist nach Infektion mit H5N1

F.A.Z., ohne Autorenangabe

17.10.2006

1

Vogelgrippe im Finanzsystem Reinhard Müller

18.10.2006

N2

Wer schützt wen bei der Vogelgrippe-Pandemie?

F.A.Z., ohne Autorenangabe

20.10.2006

9

„Keulen hilft nur bedingt gegen die Vogelgrippe“

F.A.Z., ohne Autorenangabe

23.10.2006

36

Strohhalme für die Pandemie Joachim Müller-Jung

25.10.2006

N1

Im Schrebergarten der Pandemie-Wächter

Joachim Müller-Jung

03.11.2006

40

Mit Trinkwasser angesteckt?

Joachim Müller-Jung

29.11.2006

16

„Wir haben uns rechtzeitig bei Roche eingekauft“

Jürgen Dunsch

16.12.2006

7

Zu warm für die Vogelgrippe Peter-Philipp Schmitt

27.12.2006

7

Zwei Frauen in Ägypten an Vogelgrippe gestorben

F.A.Z., ohne Autorenangabe

231

232

Anhang

Artikel aus Die Zeit Datum

Nr.

Titel

Autor

12.01.2006

03/2006

Der vermeidbare Tod

Andreas Sentker

12.01.2006

03/2006

Killer im Anflug

Astrid Viciano

12.01.2006

03/2006

Die Spritze für das Federvieh

Ulrich Bahnsen

19.01.2006

04/2006

Die Brut in den Eiern

Interview mit Norbert Hehme

19.01.2006

04/2006

Das wird schon wieder

Harro Albrecht

19.01.2006

04/2006

Jagd auf einen Mörder

Astrid Viciano

19.01.2006

04/2006

Gesunde Luftratten

Antwort von Christoph Drösser auf eine „Stimmt‘s-Frage“

09.02.2006

07/2006

Virus-Logbuch

Harro Albrecht

16.02.2006

08/2006

Hochsicherheitstrakt für Hühner

Harro Albrecht

23.02.2006

09/2006

Schwanenkot macht Hühner tot

Harro Albrecht

23.02.2006

09/2006

Von Angst zu Angst

Wolfram Siebeck

23.02.2006

09/2006

Wo Angst hilft

Andreas Sentker

23.02.2006

09/2006

Eine uferlose Aufgabe

Anita und Marian Blasberg

23.02.2006

09/2006

Hysterie in Chicken Country

Anita Blasberg

23.02.2006

09/2006

„Weybridge, bestätigen Sie!“

John F. Jungclaussen

02.03.2006

10/2006

Katzenjammer auf Rügen

Harro Albrecht

02.03.2006

10/2006

Hilfe auf Rädern

Astrid Viciano

02.03.2006

10/2006

„Aus der BSE-Krise gelernt“

Interview mit Andrea Fischer

02.03.2006

10/2006

Gerupfte Preise

Tanja Busse

02.03.2006

10/2006

Tieropfer gegen Menschenangst

Richard David Precht

02.03.2006

10/2006

Herr Vogelwart, den Tupfer bitte!

Harro Albrecht

233

Beiträge aus der Tagesschau

Datum

Nr.

Titel

Autor

02.03.2006

10/2006

Fleisch mit Seele

Cord Riechelmann

09.03.2006

11/2006

Viren, Achtung

Susanne Gaschke

12.04.2006

16/2006

Zurück in den Käfig

Richard David Precht

29.06.2006

27/2006

Und es springt doch von Mensch zu Mensch

Harro Albrecht

Beiträge aus der Tagesschau Datum

Titel

05.01.2006

Geschwister an Vogelgrippe gestorben

05.01.2006

Neue Infektionswelle befürchtet

07.01.2006

Vogelgrippe in der Türkei

08.01.2006

Vogelgrippe-Infektionen in der Türkei gestiegen

09.01.2006

Vogelgrippe in der Türkei

10.01.2006

Vogelgrippe in der Türkei

11.01.2006

Maßnahmen gegen Vogelgrippe

11.01.2006

Weitere Tote durch Vogelgrippe

13.01.2006

EU im Kampf gegen die Vogelgrippe

14.01.2006

Vogelgrippe-Verdacht nicht bestätigt

15.01.2006

Entwarnung nach Verdacht in Deutschland

29.01.2006

Vogelgrippe-Virus erstmals in Zypern nachgewiesen

03.02.2006

Erneute Stallpflicht wegen Vogelgrippe

11.02.2006

Vogelgrippe in EU-Gebiet nachgewiesen

15.02.2006

Vogelgrippe erreicht Deutschland

16.02.2006

Verdacht auf Vogelgrippe bestätigt

16.02.2006

Vorsorgemaßnahmen gegen die Vogelgrippe verschärft

234

Anhang

Datum

Titel

17.02.2006

Seehofer fordert besseres Krisenmanagement

17.02.2006

Schutzmaßnahmen gegen Vogelgrippe

18.02.2006

Weitere 28 Wildvögel erkrankt

19.02.2006

Vogelgrippe jetzt auch auf deutschem Festland

20.02.2006

Schutzmaßnahmen gegen die Vogelgrippe

20.02.2006

EU: Schutzmaßnahmen gegen Vogelgrippe

21.02.2006

103 Vogelgrippefälle in Mecklenburg-Vorpommern

22.02.2006

Die Niederlande und Frankreich impfen bestimmtes Geflügel

23.02.2006

Vogelgrippe breitet sich weiter aus

24.02.2006

Vogelgrippe breitet sich aus

26.02.2006

Vogelgrippe breitet sich weiter aus

27.02.2006

Bekämpfung der Vogelgrippe

28.02.2006

Katze mit HN1 infiziert

01.03.2006

Vorsichtsmaßnahmen gegen Vogelgrippe

02.03.2006

Verschärfte Maßnahmen gegen Vogelgrippe

03.03.2006

Lage hat sich auf Rügen entspannt

09.03.2006

Virus erstmals bei einem Steinmarder

10.03.2006

Virus breitet sich weiterhin aus

13.03.2006

Nutztiere bisher verschont

17.03.2006

Virus erreicht Israel

20.03.2006

Geflügelzüchter sollen finanzielle Hilfe erhalten

22.03.2006

Programm zur Vogelgrippebekämpfung aufgelegt

05.04.2006

H5N1 bei Nutztieren in Deutschland

06.04.2006

Suche nach der Herkunft des Virus

09.04.2006

Maßnahmen gegen Ausbreitung der Vogelgrippe

04.08.2006

Virus bei totem Schwan gefunden

Beiträge aus den Tagesthemen

Beiträge aus den Tagesthemen Datum

Titel

05.01.2006

Zwei Tote durch Vogelgrippe in Türkei

07.01.2006

Chaos im Ausbruchsdorf

09.01.2006

Vogelgrippe zieht westwärts

11.01.2006

Deutschland wappnet sich gegen Vogelgrippe

14.02.2006

Erster Verdachtsfall in Deutschland

15.02.2006

Die Angst der Geflügelbauern

15.02.2006

Krise und Vorbeugung

16.02.2006

Vogelgrippe: Deutsches Virus

18.02.2006

Die Bundeswehr hilft

19.02.2006

Auf Rügen wird gekeult

20.02.2006

Bundeswehr bekämpft Vogelgrippe auf Rügen

20.02.2006

EU uneins über Seuchenbekämpfung

21.02.2006

Vogelgrippe: London bangt um die Raben im Tower

22.02.2006

Zugvögel schleppen möglicherweise neue Viren ein

22.02.2006

Thailand bei Bekämpfung der Vogelgrippe vorbildlich

25.02.2006

Erste Tierzucht in der EU infiziert

28.02.2006

Katze mit Vogelgrippe infiziert

03.03.2006

Vogelgrippe erstmals in Großstadt

05.04.2006

Programm zur Vogelgrippebekämpfung aufgelegt

05.04.2006

Geflügelzüchter fürchten weitere Ausbreitung der Seuche

06.04.2006

Vogelgrippe bei Nutztieren: Infektionsweg bleibt rätselhaft

235