Selbstständig als Systemiker*in: Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit [1 ed.] 9783666407567, 9783525407561

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Selbstständig als Systemiker*in: Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit [1 ed.]
 9783666407567, 9783525407561

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Astrid Hochbahn

Selbstständig als Systemiker*in Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

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Astrid Hochbahn

Selbstständig als Systemiker*in Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Sergey Nivens/shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40756-7

Inhalt

Lebensregel von Baltimore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.1 Ihre Held*innen-Reise – auf zu neuen Ufern! . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2 Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie? . . . . . 20 2.1 Ausgangssituation – gute Gründe, sich auf den Weg zu machen .21 2.2 Selbstständig sein ist wie nochmal erwachsen werden . . . . . . . . . . 23 2.3 Anfangen – die erste Zeit ist aufregend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Mira Engenhorst: Es läuft einfach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.4 Wachstumszeiten – neue Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Petra Lahrkamp: Wann ist mein Unternehmen mit mir verbunden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.5 Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend .42 Dr. Steffen Elbert: Die Erfolgreichen brennen für das, was sie tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.6 Groß werden – was trauen Sie sich zu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Christine Viedt: Professionalisierung ist für mich ein Prozess . 56 2.7 Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Rüdiger Beinroth: »Man muss wach und neugierig bleiben« . . . . 63 3 Wünsche und Visionen: Machen Sie Ihr Ding! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.1 Wünsche und Möglichkeitsräume – das Leben als Wunschkonzert 72 3.2 Ideenentwicklung ist ein kreativer Prozess – trauen Sie sich, auch Verrücktes zu denken! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.3 Nehmen Sie Ihre Ideen ernst! Die Kunst, »eigenSinnig« zu sein . 83

4 Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können . . . . . . . 85 4.1 Systemisch auf Rezept – die Kassenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4.2 Systemische Therapie für Selbstzahlende – die Privatpraxis . . . . . 95 4.3 Systemische »Klassiker« – Supervision, Beratung, Coaching . . . . 99 4.4 Systemisch plus – kombinieren Sie Ihre Fähigkeiten zu etwas Neuem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.5 Kinder- und Jugendhilfe – selbstständig in klassischen Feldern der sozialen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.6 Systemisch lehren – das »Krönchen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.7 Weiterbildungen anbieten – gründen Sie ein eigenes Institut . . . . 111 4.8 Online-Angebote – der kommende Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5 Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen? . . . . . . . 120 5.1 Ressourcen – was bringen Sie mit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.2 Solo oder im Team – wie können Sie am besten arbeiten? . . . . . . 123 5.3 Ihre Idee(n) entwickeln und durchdenken – das Unternehmens­ konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.4 Profil und Alleinstellungsmerkmal – seien Sie Sie selbst, alle anderen gibt es schon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Nikola Siller: Mich auf eine einzige Identität festzulegen, finde ich langweilig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.5 Ihre Zielgruppe(n) verstehen – Design Thinking . . . . . . . . . . . . . . 138 5.6 Ihre Idee visualisieren – alles auf einen Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6 Produktive Haltungen: Wie agieren erfolgreiche Unternehmer*innen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6.1 Effectuation – Risiken abschätzen und losgehen mit dem, was ist.143 6.2 Unternehmerisch denken – Selbstständigkeit lässt sich lernen .147 7 Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen? . . . . . . . . . . . . . . 151 7.1 Was der Markt ist – und warum Sie sich mit ihm beschäftigen sollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7.2 Wo Systemiker*innen gefragt sind – Märkte für systemisches Know-how . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Prof Dr. Holger Lindemann: Es gibt keinen Markt für Systemiker*innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.3 Was wird sich in Zukunft verändern? Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6

Inhalt



Prof. Dr. Björn Enno Hermans: Auf Dauer wird die Anerkennung der systemischen Therapie Bedeutung haben, aber noch nicht kurzfristig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 7.4 Konkurrenz – Sie sind nicht allein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 7.5 Zahlen – wenn Sie Ihre Idee rechnen, bekommt sie ein Fundament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 7.6 Starthilfe – wie können Sie Ihr Vorhaben finanzieren? . . . . . . . . . 179 8 Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen! . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 8.1 Kund*innen gewinnen – verstehen, was sich Menschen wirklich wünschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 8.2 Positionierungen – die Kunst, den eigenen Platz zu finden . . . . . . 188 Tanja Kuhnert: Ich habe schon den Eindruck, dass das Systemische gefragt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 8.3 Qualitätssurrogate – woran Menschen festmachen, ob etwas gut ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 8.4 Werbung – klappern gehört zum Handwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 8.5 Onlinemarketing und Social Media – mit potenziellen Kund*innen in Verbindung treten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 8.6 Ihre Webseite – hier entscheiden Sie, wie Sie sich präsentieren .211 8.7 Innere Herausforderungen – auf die Bühne zu treten, ist aufregend! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 9 Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 9.1 Ihr Unternehmen anmelden – das wollen Behörden von Ihnen . 218 9.2 Der Name Ihres Unternehmens – was Sie dürfen und beachten müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 9.3 Buchhaltung – damit Sie wissen, wie es um Ihre Zahlen bestellt ist.223 9.4 Einkommensteuer – der Staat will seinen Anteil an Ihrem Gewinn.226 9.5 Umsatzsteuer – auch unter dem Namen »Mehrwertsteuer« bekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 9.6 Versicherungen – was Sie tun sollten, um sich abzusichern . . . . . 233 9.7 Brauchen Sie AGB? – klare Spiegelregeln definieren . . . . . . . . . . . 238 9.8 Verträge und Datenschutz – Ihrem Tun einen rechtlich sicheren Rahmen geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9.9 Scheinselbstständigkeit – wann angezweifelt wird, ob Sie überhaupt selbstständig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Inhalt

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10 Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 10.1 Selbstfürsorge – wenn Sie es nicht tun, wer dann? . . . . . . . . . . . . . 246 10.2 Kanban und Konsorten – Tools, die Ihnen helfen, den Überblick zu behalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 10.3 Kontaktkanäle – wo kann man Sie erreichen und wo nicht? . . . . . 257 10.4 Auftragsklärung – wenn klar ist, was Sie leisten können und wollen und was nicht, macht die Arbeit Spaß . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 10.5 Honorare – die Kunst, die eigenen Interessen gut zu vertreten .261 Nikola Siller: Ich habe gute Erfahrungen damit, spielerisch an Preise ranzugehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 10.6 Netzwerke – im Austausch mit anderen innerlich und äußerlich wachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 10.7 Räume – schaffen Sie sich eine gute »Homebase« . . . . . . . . . . . . . . 270 11 Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 11.1 Selbstständigkeit als Lebensform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 11.2 Mein Werk, meine Essenz, mein Ding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Mirjam Faust: Was ich gerne vorher gewusst hätte … . . . . . . . . . . 283 Danksagung – zu einem Buch tragen viele bei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Download-Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

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Inhalt

Lebensregel von Baltimore

Geh deinen Weg gelassen im Lärm und in der Hektik dieser Zeit, Und behalte im Sinn den Frieden, der in der Stille wohnt. Bemühe dich, mit allen Menschen auszukommen, soweit es möglich ist, ohne dich selbst aufzugeben. Sprich das, was du als wahr erkannt hast, gelassen und klar aus, und höre anderen Menschen zu, Auch den Langweiligen und Unwissenden, denn auch sie haben etwas zu sagen. Meide aufdringliche und aggressive Menschen, denn sie sind ein Ärgernis für den Geist. Vergleiche dich nicht mit anderen, damit du nicht eitel oder bitter wirst, Denn es wird immer Menschen geben, die größer sind als du, Und Menschen, die geringer sind. Erfreue dich an dem, was du schon erreicht hast, wie auch an deinen Plänen. Bleibe an deinem beruflichen Fortkommen interessiert, wie bescheiden es auch sein mag; Es ist ein echter Besitz in den Wechselfällen der Zeit. Sei vorsichtig in geschäftlichen Angelegenheiten, denn die Welt ist voller Trug. Lass dich jedoch dadurch nicht blind machen für die Tugend, die dir begegnet. Viele Menschen haben hohe Ideale, Und wo du auch hinsiehst, ereignet sich im Leben Heldenhaftes. Sei du selbst, und, was ganz wichtig ist, täusche keine Zuneigung vor. Hüte dich davor, der Liebe zynisch zu begegnen, Denn trotz aller Dürreperioden und Enttäuschungen, ist sie beständig wie das Gras. Nimm den Rat, den dir die Lebensjahre geben, freundlich an, Und lass mit Würde ab von dem, was zur Jugendzeit gehört. Stärke die Kraft deines Geistes, so dass sie dich schützt, wenn ein Schicksalsschlag dich trifft. Doch halte deine Phantasie im Zaum, damit sie dich nicht in Sorge versetzt. Viele Ängste wurzeln in Erschöpfung und Einsamkeit. Übe gesunde Selbstdisziplin, doch vor allem sei gut zu dir. Du bist ein Kind des Universums, nicht weniger als die Bäume und die Sterne: Du hast ein Recht, da zu sein. Und ob es dir nun bewusst ist oder nicht: Ganz sicher entfaltet sich das Universum so, wie es ihm bestimmt ist. Lebe daher in Frieden mit Gott, wie auch immer du ihn dir vorstellst. Und worauf du Deine Anstrengungen auch richtest, Was es auch ist, das du erstrebst, Im lärmenden Durcheinander des Lebens sei mit dir selbst im Reinen. Trotz allen Trugs, trotz aller Mühsal und aller zerbrochenen Träume Ist die Welt doch wunderschön. Sei heiter. Strebe danach, glücklich zu sein. Max Ehrmann (1927)1 1 http://www.momo-lyrik.de/weisheiten/mehrmann.htm. Lebensregel von Baltimore

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 Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit! »Es gibt auf der Welt einen einzigen Weg, den niemand gehen kann außer dir. Wohin er führt, frage nicht. Gehe ihn.« Friedrich Nietzsche

Was heißt es überhaupt, sich selbstständig zu machen oder selbstständig zu sein? Der Schritt in die Selbstständigkeit ist mehr als ein formaler Statuswechsel, sondern mit einem tiefgreifenden Veränderungsprozess im eigenen Denken und Handeln verbunden. Eine Selbstständigkeit funktioniert nicht, wenn Sie nicht eine Gestalter*innen-Perspektive einnehmen. Das bedeutet, sich fortwährend selbst zu reflektieren und zu verorten – ob als Einsteiger*in, mittendrin oder eher am Ende Ihres Berufslebens. Mit welchem Mindset das gut gehen kann – darum geht es in diesem Kapitel. Selbstständig zu sein heißt: Sie haben die Möglichkeit, Ihre Ideen und Träume zu verwirklichen. Sie sind eingeladen, Ihr eigenes Ding zu machen. Ob Sie ganz am Anfang stehen oder schon jahrelang selbstständig sind: Sie durchlaufen immer wieder den Prozess, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Systemisches Wissen ist in vielen Kontexten gefragt und bietet daher gute Chancen, selbstständig den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Was Sie in die Welt bringen und wie Sie es tun, definieren Sie dabei immer wieder neu: Denn Sie selbst verändern sich, Märkte ändern sich, Kund*innen ändern sich. Die Welt dreht sich weiter. Und Sie bekommen Impulse zur Veränderung – von außen wie von innen. Das ist nicht immer nur angenehm, wie Corona eindringlich gezeigt hat: Manchmal werden Sie durch äußere Zwänge, durch Initiativen Ihrer Wettbewerber*innen oder wegbrechende Geschäftsfelder gezwungen, sich zu bewegen. Manchmal sind es verlockende Einladungen und Auftragsangebote, spannende Fortbildungen, inspirierende Gespräche und interessante Kongresse, die Sie inspirieren, neue Wege zu beschreiten. Wie viel inneren Aufruhr es mit sich bringt, Eigenes in die Welt zu bringen, halte ich für ein gut gehütetes Geheimnis. Viele erfolgreiche Unternehmer*innen erzählen retrospektiv geformte Held*innen-Geschichten, als wäre ihnen alles leichtgefallen, als wäre ihnen ihr eigener Weg quasi vorgezeichnet und immer klar gewesen. Im Nachhinein mag es auch den Urheber*innen so erscheinen, dass sich eigentlich immer alles gefügt hat. Das macht Mut, dem eigenen Weg zu trauen. Denn zum Zeitpunkt des Tuns fühlen sich die Dinge oft wahnwitzig an, die sich rückblickend als folgerichtig und vernünftig darstellen. Die Klar10

Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

heiten und Gewissheiten kommen mit dem Erfolg. Sie sind Ergebnis erfolgreichen Handelns und selten Ausgangspunkt. Mit einer Selbstständigkeit möchten Menschen ihre Träume verwirklichen. Sie wollen etwas verändern, denn sie sehen Dinge, die nicht so laufen, wie sie es sich wünschen. Sie möchten unter anderen Bedingungen arbeiten. Sie wünschen sich, Herren und Herrinnen ihrer eigenen Zeit zu sein. Sie wollen für sich – und andere – gute Arbeitsbedingungen schaffen. Systemiker*innen verbindet der Wunsch, mit ihrer Arbeit Menschen zu unterstützen, mit ihren Ideen die Welt ein kleines bisschen besser zu machen und wirksam zu werden. Dabei stellen sich immer wieder die gleichen Fragen: Was wollen Sie genau? Welche Schritte müssen Sie gehen? Was müssen Sie formal beachten? Wie verschaffen Sie Ihren Ideen Aufmerksamkeit? Was können Sie tun, um Ihre Ideen erfolgreich umzusetzen? Selbstständig sein, heißt, Ihr Wissen und Ihre Ressourcen zu bündeln: Ȥ Am Anfang Ihrer Selbstständigkeit gilt es, Ihre Ideen zu einem tragfähigen Konzept zu formen. Sie müssen für sich herausfinden, was Ihr Weg in die Selbstständigkeit ist, was Sie in die Welt bringen wollen, und wie Sie mit Ihrem Know-how Geld verdienen können. Möchten Sie herausfinden, wie Sie gut starten können? Ȥ Wenn Sie schon länger selbstständig sind, gilt es immer wieder zu überprüfen, ob Sie neue Wege gehen wollen. Sie sind eingeladen, rechts und links zu schauen, den Markt zu beobachten und vielleicht größer zu denken. Wollen Sie wachsen, neue Ideen verwirklichen oder ganz neue Schwerpunkte setzen? Viele Systemiker*innen bespielen nicht nur eine Bühne. Ihre Selbstständigkeit stellt sich als Baukasten dar, bestückt mit verschiedenen Bausteinen wie Beratung, Coaching, Training, Therapie, Lehre, Supervision, Organisationsberatung und vielem mehr. Angereichert sind diese Bausteine häufig durch Methoden und Kenntnisse aus ganz anderen Feldern. So hat der Eine Erfahrungen als Tischler, die Zweite im kulturellen Bereich und der Dritte kennt sich in der Industrie aus. Nicht wenige haben eine Vielzahl von Ausbildungen mit verschiedenen Ausrichtungen durchlaufen. All dies wird kombiniert und angereichert, und so kreiert am Ende jede*r ihren*seinen eigenen Baukasten als etwas Einzigartiges und Individuelles. Dieser Prozess ist nie wirklich abgeschlossen. Sie fangen mit einzelnen Bausteinen an, und durch Lust oder Anfragen von außen kommen weitere hinzu; andere stoßen Sie mit der Zeit wieder ab. Systemisch Selbstständige sind stets unterwegs: Immer mal wieder besuchen sie eine Weiterbildung und fügen ihrem Portfolio etwas Neues hinzu. Sie schließen sich mit anderen zusammen und kooperieren punktuell oder gründen ein Institut oder eine Firma. Sie ändern ihre Schwerpunkte und kreieren neue Angebote. Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

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Dieser Ratgeber unterstützt Sie dabei, Ihre Idee(n) auszuspinnen. Sie bekommen das Rüstzeug, um sich darüber klar zu werden, was Sie in die Welt bringen möchten. Sie erhalten die Gelegenheit, Ihren eigenen Prozess zu reflektieren, sich in der systemischen Szene zu verorten und über neue, nächste Schritte nachzudenken. Systemisches Handwerkszeug und systemische Ideen begleiten Sie dabei, Ihre systemische Selbstständigkeit zu kreieren. Sie finden Antwort auf Fragen wie: Ȥ Was hilft Ihnen, Ihren Platz auf dem Markt zu finden und/oder zu behalten? Ȥ Wie können Sie sich bekannt machen? Wie finden Sie Kund*innen und Teilnehmer*innen für Ihre Angebote? Ȥ Wie können Sie sich Rahmenbedingungen schaffen, unter denen Sie gut arbeiten können? Ȥ Wie können Sie Ihre inspirierenden Ideen weiterentwickeln? Dieses Buch will einerseits Input geben, vor allen Dingen aber Reflexionsraum sein. Wo stehen Sie jetzt und heute? Was ist ungelebt, und welche Möglichkeiten gibt es, das in die Welt zu tragen, was Sie wirklich inspiriert und erfüllt? Ein systemischer Blick auf systemische Selbstständigkeit schließt die Beschäftigung mit den inneren Prozessen der Ideenentwicklung mit ein. Was sind gute Haltungen, um sich auf den Weg zu machen? Was sind typische Prozesse und Herausforderungen? Welche Hürden gilt es zu nehmen? Was hilft, um schwierige Zeiten gut zu überstehen? Wie geht es anderen (vgl. auch Hochbahn, 2018)? Wer selbstständig ist, bekommt Gestaltungsfreiheit. Und braucht immer wieder Mut, zum Eigenen zu stehen. Es braucht Mut, mit eigenen Ideen sichtbar zu werden. Es braucht Mut, sich vom Feedback anderer unabhängig zu machen, Rückschläge und Zweifel auszuhalten und trotzdem den eigenen Weg zu gehen. Ich habe mit einigen Menschen gesprochen, die selbstständige Systemiker*innen und/oder Expert*innen für die systemische Szene sind: Menschen, die frisch gegründet haben; Menschen, die seit einigen Jahren oder seit Jahrzehnten selbstständig als Systemiker*innen unterwegs sind; Menschen, die aus der Perspektive von Verbänden und Hochschulen den systemischen Markt beobachten. Ihre Statements und Einschätzungen sind als Wissen in dieses Buch eingeflossen und zum Teil in Form von Interviews ein Teil dieses Buches geworden. Bei meinen Interviewpartner*innen möchte ich mich sehr herzlich für die spannenden Gespräche und Einblicke in ihre Erfahrungen und Erkenntnisse bedanken. Ich habe es sehr geschätzt, dass jede*r von ihnen einen anderen Aspekt des Lebens und Arbeitens als selbstständige*r Systemiker*in beleuchtet. Ich lade Sie herzlich dazu ein, sich in diesem Buch wie an einem Buffet zu bedienen, also dort zu lesen, wo es gerade für Sie spannend ist. Es muss nicht durchgehend von Anfang an bis zum Ende gelesen werden. Blättern Sie, schauen 12

Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

Sie sich die Kapitelüberschriften an, und suchen Sie das heraus, was zu Ihrer jetzigen Lebenssituation passt. Querverweise helfen Ihnen dabei, thematischen Pfaden zu folgen. Ich freue mich, wenn dieses Buch Sie unterstützt, Ihre Ideen, Visionen und Impulse ans Tageslicht zu befördern und zum Leuchten zu bringen. Astrid Hochbahn Einige Anmerkungen zu Form und Inhalten dieses Buches

Einige Aspekte, die für Gründung und Unternehmensführung wichtig sind, behandele ich in diesem Buch nicht, um den Rahmen nicht zu sprengen. Hierzu zählen Produktion und Vertrieb, Rechtsformen und Personalwesen und -führung. Zu diesen Themen gibt es viele Informationen in der klassischen Gründungsliteratur. Im Download-Bereich finden Sie dazu weitere Hinweise. Ergänzend zu diesem Buch finden Sie das eben erwähnte Download-Material auf der Webseite von Vandenhoeck & Ruprecht. Wir haben entschieden, Informationen, die eher aufzählenden und vertiefenden Charakter haben, sehr ins Detail gehen und daher nicht für alle Leser*innen interessant sind, dorthin auszulagern. Sie finden eine Fülle von konkreten Infos und Links in Form von FAQs. Im Buch ist jeweils vermerkt, wenn es im Download-Bereich weiterführende Infos gibt. Ein entsprechendes Icon markiert die betreffenden Stellen. Wie und wo Sie das Download-Material herunterladen können, erfahren Sie am Ende des Buches. Vertiefende Beispiele aus der Praxis sind mit dem Icon »Praxistipp« markiert. Methodische Impulse, die Sie einladen, Ihre Idee ganz praktisch weiterzuentwickeln, sind mit dem Icon »Impuls« gekennzeichnet. Ich habe mich bemüht, alle Informationen sehr sorgfältig zu recherchieren. Nichtsdestotrotz können weder der Verlag noch ich für die Richtigkeit haften. Es besteht ebenfalls immer die Möglichkeit, dass sich Dinge mittlerweile geändert haben. Bitte prüfen Sie für Sie wichtige Informationen unbedingt nach. Ist bei Zitaten kein*e Verfasser*in angegeben, ist er*sie mir nicht bekannt. Es war mir und dem Verlag ein wichtiges Anliegen, Menschen jeden Geschlechts anzusprechen. Dennoch habe ich mich entschieden, die Sternchen-Schreibweise nicht ganz konsequent zu nutzen, weil manche Sätze hierdurch umständlich würden. Deshalb habe ich dann nach dem Zufallsprinzip mal die männliche, mal die weibliche Form benutzt.

Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

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1.1  Ihre Held*innen-Reise – auf zu neuen Ufern! »The question is whether you are able to say a hearty ›yes‹ to your adventure.« Joseph Campbell

Sich selbstständig zu machen und selbstständig zu sein heißt, immer wieder in unbekanntes Terrain aufzubrechen. Das ist herausfordernd – innerlich wie äußerlich. Am Ende winken große Belohnungen – Erfolg, Geld, die Freude, die eigenen Ideen verwirklicht zu sehen, gelungene Prozesse, zufriedene Mitarbeiter*innen, das Gefühl, wirklich das eigene Leben zu leben … Wie andere Menschen Abenteuer bestehen und das Leben meistern, verfolgen wir mit Spannung in Sagen, Mythen, Märchen, Disney-Filmen und Hollywood-Blockbustern. Diese Geschichten sind so erfolgreich, weil wir die Erfahrungen ihrer Protagonist*innen intuitiv als Muster für unser eigenes Leben begreifen. Als Selbstständige erkunden wir zwar keine fremden Galaxien oder fantastischen Welten, doch wenn wir Neuland betreten, haben wir die gleichen Ängste, Fragen und Zweifel wie die Held*innen der Filme, die wir lieben. Die Held*innen-Reise beschreibt einen Prototypen, wie diese Geschichten aufgebaut sind – es sind typische Stationen, die ein*e Held*in meistern muss. Erstmalig beschrieben von Joseph Campbell (Walter u. Walter, 2012), wurde das Skript der Held*innen-Reise dann auch von zahlreichen Hollywood-Regisseuren aufgegriffen und wird mittlerweile auch gerne als Beratungsmethode genutzt (Lindemann u. Bauer, 2016). Ich möchte Sie im Folgenden einladen, Ihre Selbstständigkeit als Ihre persönliche Held*innenreise zu sehen: Verorten Sie, wo Sie gerade stehen, was vielleicht schon hinter Ihnen liegt und was auf Ihrem Weg noch an Bewährungsproben zu meistern ist. Welchen persönlichen »Drachen« sind Sie bereits begegnet? Von welchen Belohnungen träumen Sie? 1. Die gewohnte Welt – das Jetzt  ▶ Kapitel  2

Was macht Ihre jetzige Situation aus? Welche ist Ihre gewohnte Welt, die Welt des Jetzt? Ihre gewohnte Welt ist die, die Sie kennen, die Ihnen vielleicht Sicherheit und Vertrautes bietet, aber auch einengend und bedrückend sein kann. Wenn Sie darüber nachdenken, sich zu bewegen und sich selbstständig zu machen, haben sie in der Regel gute Gründe dafür. Es gibt Dinge, die Sie nicht mehr wollen: den meckernden Chef, die einengenden Vorschriften der Arbeitsstelle, Aufgaben, die nicht mehr genügend inspirieren, suboptimale Arbeitsumstände … Und es gibt die Hoffnung auf etwas, das Sie glücklicher und zufriedener macht. 14

Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

Auch in einer Selbstständigkeit werden neue Welten irgendwann zur Gewohnheit: Vertraute Auftraggeber*innen und Aufträge, Raumlösungen, Konstellationen mit Mitgesellschafter*innen – und auch diese können drückend werden: Konfliktkonstellationen, die sich nicht auflösen lassen. Aufträge, die nicht gut genug bezahlt, aber sicher sind. Aufträge, die nicht mehr dem entsprechen, was Sie heute können oder gerne tun würden. Irgendetwas an Ihrem jetzigen Leben darf und soll anders werden. Sie stecken in einem Leben, das Sie so nicht (mehr) wollen. Je nach persönlicher Leidensfähigkeit ist der Druck, etwas zu verändern, mehr oder weniger groß. Vielleicht halten manche Menschen gerade Sie für beneidenswert, und nur Sie finden, dass es so nicht weitergehen kann. Oder Ihr Umfeld drängt auf Veränderung, während Sie zwischen der Sicherheit des Bekannten und den Lockungen des Neuen hin- und hergerissen sind. 2. Der Ruf zum Abenteuer

Was ist der Ruf des Abenteuers? Vielleicht der Moment, in dem Sie spüren: »So kann es nicht mehr weitergehen. Ich will und muss etwas ändern.« Manchmal erreicht Sie ein Impuls von außen: Sie sind bei einer Fortbildung, die Sie wachsen lässt, und Sie denken: »Das will ich machen!« Sie begegnen Menschen, die umsetzen, wovon Sie träumen, und merken: »Das geht! Man kann das tun!« Ein Gespräch, ein Film, ein Buch lässt Sie erkennen, was Sie wirklich tun wollen. Sie werden gefragt, ob Sie sich an einem Projekt beteiligen wollen. Ihnen wird ein Institut zum Kauf angeboten. Kolleg*innen fragen Sie, ob Sie nicht gemeinsam etwas auf die Beine stellen möchten. Sie spüren, wie es in Ihnen kribbelt. Sie spüren, dass Sie etwas in diese Richtung zieht. Das Ganze lässt Sie nicht so schnell los. Es arbeitet in Ihnen. Sollten Sie? Ginge es? Wie wäre es, wenn Sie das wirklich einfach täten? 3. Die Verweigerung des Rufs

Brechen Sie einfach auf? Verlassen Sie das gewohnte Terrain? In der Regel melden sich sofort die inneren Skeptiker und Zweifler: Unsere gewohnte Welt ist vertraut und sicher, unser inneres Bild von uns selbst begrenzt. Ich? Das? So? Kann ich das? Werde ich das schaffen? Je mehr Sie über mögliche Konsequenzen nachdenken, desto klarer wird Ihnen, was alles an einer Entscheidung dranhängen könnte, was alles passieren könnte. Wer sagt Ihnen, dass das Ganze den erhofften Ausgang nimmt? Wenn Sie aufbrechen, begeben Sie sich ins Ungewisse. Das kann Angst machen. Wenn Sie in dieser Phase mit anderen sprechen, werden Sie erleben, dass ein Teil Ihres Umfeldes die Lockungen des Rufes in sich spürt und Sie ermutigt aufzubrechen, ein anderer Teil warnt Sie und ermahnt Sie, gut über mögliche Ihre Held*innen-Reise – auf zu neuen Ufern!

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Folgen nachzudenken. Und ist das nicht auch weise? Nicht jeder Ruf, der uns ereilt, ist der richtige. Auch wenn die gewohnte Welt nicht mehr glücklich macht, dauert es mitunter, bis wir das finden, was wirklich passt. 4. Begegnung mit Mentor*innen

Im Märchen sind es Zauberer und weise Frauen, die den Weg weisen. Im realen Leben kann dies ein Gespräch mit guten Freund*innen sein, die uns lange kennen und uns helfen, unsere Richtung zu finden. Es kann sein, dass Ihr*e Partner*in den entscheidenden Satz sagt. Oder es ist ein Berater, Ihre Supervisorin, Ihr Ausbilder oder Ihre Therapeutin, der*die Ihnen hilft, innere Klarheit zu gewinnen. Vielleicht ist es ein Buch, das Ihnen wichtige Erkenntnisse beschert. Als Systemiker*in sind Sie an dieser Stelle vielen Menschen einen wichtigen Schritt voraus, denn Sie haben vermutlich bereits häufig die Erfahrung gemacht, wie wohltuend ein Gespräch sein kann, um sich zu sortieren. Sie können gezielt hilfreiche Kontexte aufsuchen.  ▶ Kapitel  10.6 5. Überschreiten der ersten Schwelle

Häufig hindert uns eine unsichtbare Schwelle daran, uns auf Neues einzulassen. Sie stammt aus unserer Kindheit oder dem späteren Erwachsenenleben. Und wir alle haben unsere persönlichen Hüter der Schwelle. Sie bewachen den Aufbruch zu neuen Ufern und kommentieren mit der Brille früher gewonnener Erfahrungen unser Tun. Sie schreien und rufen, sobald wir uns trauen, Neues zu wagen. Sie wollen uns vor schlechten Erfahrungen beschützen – und es kann ganz schön schwer sein, an ihnen vorbeizukommen. Manchmal hacken sie in wohlmeinender Absicht erst einmal auf uns herum, denn sie reproduzieren die Stimmen aus unserer Kindheit. Sie haben es dennoch geschafft, diese erste Schwelle zu überschreiten? Herzlichen Glückwunsch! Nun gibt es kein Zurück mehr. Sie haben Ja zum Auftrag gesagt; Sie haben sich entschieden, das Institut zu kaufen; die Fortbildung anzubieten; das Projekt zu realisieren; die Räume anzumieten. Sie nehmen an einem Gründungsseminar teil. Sie schreiben an einem Konzept. Sie haben die Verlängerung des Jobs abgelehnt und mutig gesagt: »Ich gehe.« Sie haben sich entschieden, Ihre Stundenzahl zu reduzieren und den neuen Raum für eigene Angebote zu nutzen. Sie haben begonnen zu handeln. 6. Bewährungsproben, Verbündete, Feinde  ▶ Kapitel  2.2

Die Welt ist allein dadurch eine andere, dass Sie sich auf einen neuen Weg begeben haben, selbst wenn Sie nach außen vielleicht noch gar nichts geändert haben. Vermutlich bewegt sich Ihre Gefühlslage zwischen Hoffen und Bangen. Manche*r hat die schlimmsten Kämpfe vorher ausgefochten, und jetzt stellt sich Ent16

Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

spannung ein und die Freude, sich für konkrete Schritte entschieden zu haben. Oder es werden äußere und innere Kritiker wirklich laut und warnen eindringlich vor allen Gefahren, die nun erst recht lauern können. Wie dem auch sei: Sie sind unterwegs! Sie handeln. Sie setzen Ihre Ideen um. Sie suchen Räume. Sie bringen Angebote auf den Weg. Sie machen sich bekannt. Sie sammeln Erfahrungen. Manches klappt, anderes misslingt und setzt neue Zweifel in Gang. Natürlich ist nicht alles einfach, das ist es ja nie. Sie stoßen auf kleine und große Hindernisse bei der Umsetzung, und Ihre innere Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein, wird auf die Probe gestellt. 7. Vordringen in die tiefste Höhle

Selbstständig werden heißt, den von anderen geschaffenen Rahmen zu verlassen. Das konfrontiert uns mit zutiefst existentiellen Fragen. Wenn Sie Ihr Ding machen wollen, dann ist immer auch zu klären, was das denn ist: Ihres? Wenn Sie sich trauen, Ihr Ur-Eigenes zu realisieren, begegnen Sie der Grundangst, in Ihrem Sosein nicht anerkannt, geliebt und gewollt zu sein. Wir alle tragen den existenziellen Konflikt zwischen Freiheit und Bindung in uns. Wir brauchen beides. Uns frei zu machen, indem wir uns selbstständig machen, bedeutet, diese Freiheit auch aushalten und verantworten zu müssen. Wir können niemand anderem mehr die Schuld geben für unser mögliches Scheitern. Gleichzeitig brauchen wir weiterhin Zuspruch und Bindung und sind herausgefordert, in der Freiheit dafür zu sorgen, uns nicht allein zu fühlen. Die Entscheidung für die Selbstständigkeit bedeutet immer wieder eine essenzielle Begegnung mit uns selbst und mit dem, was uns Angst macht.  ▶ Kapitel  3.4 8. Entscheidungskampf

So stehen Sie wieder und wieder vor der Entscheidung, ob Sie auch den nächsten Schritt gehen. Die Selbstständigkeit fragt Sie immer wieder an, auch wenn Vieles längst gut läuft: Sie bekommen einen großen Auftrag und fragen sich, ob Sie ihn stemmen können. Ein unvorhersehbares Ereignis wie die Corona-­Pandemie ändert alle Rahmenbedingungen, und Sie sehen sich vor existenziellen Herausforderungen, die Sie längst überwunden glaubten. Märkte bewegen sich, und Sie müssen neue Angebote kreieren, sich mit Online-Lehre auseinandersetzen und sich mehr mit Social Media-Marketing beschäftigen. Machen Sie weiter, oder machen Sie einen Rückzieher? Denken Sie, dass Sie sich zu viel zugemutet haben, dass es noch nicht an der Zeit ist, um sich zu verändern? Oder gehen Sie trotz möglicher Rückschläge mutig weiter?

Ihre Held*innen-Reise – auf zu neuen Ufern!

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9. Belohnungen

Was ist Ihre persönliche Belohnung, wenn Sie sich trauen, den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen? Ein großes Geschenk: Sie merken, dass das, was Sie in die Welt gebracht haben, auf Resonanz stößt. Im besten Fall entsteht ein Gefühl, im eigenen Sosein gewollt zu sein. Darüber hinaus gibt es ganz irdische Belohnungen – Kund*innen, Aufträge, Geld, Renommee, ein Gefühl existenzieller Sicherheit. Vielleicht ist Ihre größte Belohnung der Flow sinnvollen Tuns, die Erfahrung, ganz in Ihrem Element zu sein, wenn Sie in einem Seminar oder einer Beratung alles geben und spüren, Sie helfen jemandem wirklich weiter; Sie tun das, was Ihre Bestimmung ist, was Sie der Welt zu geben haben, jetzt in diesem Moment. 10. Integrieren

In der klassischen Held*innengeschichte kehrt der Held irgendwann zurück in seine Ausgangswelt. Aufgabe des*der Held*in ist es, Altes und Neues zu verbinden. Dies ist eine Zeit des Sortierens. Sie lernen, wer Sie auf dem neuen Weg begleitet und wen Sie zurücklassen müssen, weil er*sie an alten Bildern von Ihnen festhalten will. Sie müssen für sich sortieren, was Ihnen an Ihrem gewohnten Leben wichtig ist, was bleiben soll, und was sich durch die neuen Erfahrungen verändert hat. Solche Zeiten des Sortierens stehen immer wieder an. In der Selbstständigkeit entstehen fast naturwüchsig Fülle und Wildwuchs – doch nicht alles, was Sie tun, ist lukrativ und befriedigend. Sie stoßen Projekte an, die sich als fruchtlos erweisen. Sie stecken viel Energie in Aktionen, die ihren Wert erst übermorgen zeigen. Was wollen Sie beibehalten? Was möchten Sie loslassen? 11. Erneuerung, Verwandlung

So oder so spüren Sie, dass der bisherige Weg Sie verändert hat – innerlich wie äußerlich. Es geht darum, Altes und Neues zu integrieren. Die meisten Selbstständigen können sich nach einer gewissen Zeit der Selbstständigkeit nicht mehr vorstellen, jemals wieder angestellt zu arbeiten. Die Erfahrung umfassender Selbstbestimmung – auch um den Preis größerer existenzieller Unsicherheit – ist so grundlegend, dass es kein Zurück gibt. Mit der Selbstständigkeit beginnt auch ein fundamentaler innerer Wandlungsprozess: Ja zu sich selbst zu sagen und das nach außen zu vertreten. Das macht alle Schritte so groß – die eigene Webseite, das Agieren auf Social Media-Kanälen, das Bewältigen von Aufträgen – denn mit ihnen verbunden ist immer die tieferliegende Frage, ob es gelingt, sich selbst einen Platz in der Welt zu verschaffen. Als die Person, die Sie wirklich sind.  ▶ Kapitel  7

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Systemisch – selbstständig – selbstwirksam: Gestalten Sie Ihre eigene Wirklichkeit!

12. Rückkehr mit dem Elixier

Was gibt es zu gewinnen? Im Märchen hat der Held oder die Heldin endlich das ersehnte Zauberelixier, den Pokal oder die Blume gewonnen, die Erlösung bringt. Was ist Ihr Elixier bzw. die Belohnung für den Weg, den Sie eingeschlagen haben? Ihre Selbständigkeit gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihr Leben in eigener Verantwortung zu gestalten. Sie können selbst bestimmen, niemand verfügt über Sie. Niemand schreibt ihnen vor, was Sie zu tun haben. Sie haben die immerwährende Möglichkeit, Ihr Eigenes zu formulieren und in die Welt zu bringen. Ihre Wünsche sind gefragt. Unbegrenzt von den äußeren Rahmenbedingungen einer Institution oder den Anweisungen einer Führungskraft dürfen Sie gestalten. Sie haben die Freiheit, Ihr Leben nach Ihren eigenen Wünschen auszurichten. Sie haben sich Terrain erobert, das Sie auch Ihren Klient*innen zur Verfügung stellen können. Im besten Fall gewinnen Sie das Gefühl, ganz Sie selbst zu sein – in der besten Ihnen möglichen Fassung.  ▶ Kapitel  11

Impuls: Held*innenreise Gehen Sie auf Ihre eigene Held*innenreise! Malen Sie diese. Wandern Sie mit einem*r Begleiter*in und besprechen Sie die Stationen Ihrer Reise. Übersetzen Sie die Bilder für sich und schauen: Was ruft Sie, was hält Sie zurück, was ist Ihre Belohnung, welchen Herausforderungen müssen Sie sich stellen?

Ihre Held*innen-Reise – auf zu neuen Ufern!

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 Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie? »Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es sich ändert. Aber vielleicht muss es anders werden, wenn es besser werden soll.« Georg Lichtenberg

Machen Sie eine realistische Bestandsaufnahme und Standortbestimmung: Wo stehen Sie? Wo wollen Sie hin? Was muss sich dafür ändern? Ob Sie am Anfang Ihrer Selbstständigkeit stehen, ob Ihr Unternehmen Fahrt aufnimmt und die reine Fülle all dessen, was auf einmal zu tun ist, Sie strapaziert, ob Sie spannende Wachstumsideen haben oder ob Sie sich mit der Frage beschäftigen, wie Sie weniger machen können: Herausforderungen gibt es immer wieder zu bewältigen. An welchem Punkt stehen Sie? Ȥ Denken Sie darüber nach, sich selbstständig zu machen? Möchten Sie all das, was Sie in Ihren Ausbildungen gelernt haben, einsetzen und anwenden, weil Sie systemische Methoden und Haltungen toll finden? Möchten Sie sich mit bestimmten Inhalten beschäftigen oder einen ungeliebten Job aufgeben? Ȥ Haben Sie schon gegründet und befinden sich in der ersten Aufbauphase? Ȥ Sind Sie schon länger selbstständig und fragen sich, was der nächste Schritt sein kann, soll, wird? Ermüdet Sie mittlerweile manches, was Sie aufgebaut haben – und dürfen Sie sich das eingestehen? Geht es darum, Gewohntes hinter sich zu lassen – oder darum, Ihren Wirkungskreis zu erweitern? Ȥ Haben Sie Lust zu wachsen? Reizt Sie etwas Neues und Sie fragen sich, ob Sie nochmal so richtig loslegen sollten? Ȥ Oder stehen Sie eher am Ende Ihres Berufslebens und möchten zwar weitermachen, aber kürzertreten? Fragen Sie sich, was jetzt noch passt und stimmt, was vielleicht der krönende Abschluss Ihrer Selbstständigkeit sein soll. Und wie hört man überhaupt auf?

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Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

2.1 Ausgangssituation – gute Gründe, sich auf den Weg zu machen »Wenn du nichts veränderst, wird sich auch nichts verändern.« Sparky Anderson

Was steht auf Ihrer Habenseite? Was fehlt? Was riskieren Sie und was müssen Sie in die Waagschale werfen, wenn Sie sich verändern möchten? Vielleicht können Sie das zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht abschließend beurteilen. Maßgeblich für Ihren Weg und Ihre Ziele sind Ihre inneren Bilder. Diese Bilder explizit zu machen, kann helfen, Ihre Entscheidungsmöglichkeiten besser kennenzulernen – zum Beispiel, indem Sie die potenziellen Wege und Weggabelungen auf eine innere Karte malen.

Impuls: Ihre innere Landkarte Malen Sie Ihre innere Landkarte. Wo stehen Sie gerade? Was liegt hinter Ihnen, was vor Ihnen? Stehen Sie an einem Scheideweg? Liegen große Herausforderungen und Berge vor Ihnen oder schwer zu überquerende Flüsse? Können Sie in Ruhe mehrgleisig fahren und einzelne Wege ausprobieren? Oder kommt es jetzt darauf an, dass Sie das Richtige tun? Was macht Ihr jetziges Leben aus? Was möchten Sie behalten? Wovon möchten Sie sich trennen? Was darf sich erneuern? Welche guten Gründe haben Sie, sich zu bewegen? Umbruch und Krise

Das Leben, in dem Sie stecken, kann sich wie ein zu enger Handschuh anfühlen. Wenn Sie wachsen, passt es nicht mehr – es wird zu eng. Um Sie selbst sein zu können, müssen Sie sich weiten können. Sie brauchen einen Entwicklungsraum. Möchten Sie etwas hinter sich lassen? Tragen die jetzigen Lösungen nicht mehr? Vielleicht werden Sie nicht gesehen, gehindert, gemobbt? Stehen Sie an einer Stelle, an der Ihre Qualitäten und Ressourcen nicht zum Tragen kommen können? Fühlen Sie sich von Ihrem Chef oder Ihrer Chefin gedeckelt und nicht anerkannt? Aufbruch und Abenteuer

Lockt Sie das Neue und Unbekannte? Möchten Sie sich auf einem Terrain erfahren, das Ihnen nicht hundertprozentig vertraut ist? Gibt es in Ihnen das Gefühl, dass das Leben noch mehr zu bieten hat als das Bisherige? Ausgangssituation – gute Gründe, sich auf den Weg zu machen

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Ungelebtes

Gibt es in Ihnen Ungelebtes, das zum Vorschein kommen will? Gab es einen Weckruf, der Ihnen gezeigt hat, dass Sie etwas in die Welt bringen möchten? Chance

Haben Sie ein konkretes Angebot? Wurden Sie eingeladen und überlegen nun, ob Sie den Schritt wagen sollen, was auf Sie zukäme und was es bedeuten würde, die Einladung anzunehmen? Als ob es immer so einfach wäre, das eigene Leben zu verändern … Gibt es gute Gründe, vielleicht (noch) nichts zu verändern? In der Regel existieren auch Dinge, die uns festhalten in dem, was wir erschaffen haben. Geld

Was kommt auf Sie zu? Was bedeutet es, den nächsten Schritt zu machen? Brauchen Sie dazu Geld, das Sie (noch) nicht haben? Was riskieren Sie? Können Sie darauf verzichten? Vertrautes

Das, was ist, kennen Sie. Dort sind Sie zuhause. Es behagt Ihnen eventuell nicht alles daran. Aber zumindest wissen Sie, wie Sie sich im gewohnten Umfeld bewegen. Müssen Sie Vertrautes aufs Spiel setzen? Bindungen

Sie haben einen Job. Sie sind Verpflichtungen eingegangen. Und Sie sind anderen Menschen verpflichtet, denen Sie Dinge versprochen haben. Können Sie sich bewegen und Ihren Verpflichtungen trotzdem gerecht werden? Oder geht es darum, sich von bisherigen Pflichten zu lösen und sich Ihre Freiheit zurückzuerobern? Steht genau dieser Schritt gerade an? Wie können Sie vorangehen, ohne das aufs Spiel zu setzen, was Sie sich bis heute erschaffen haben? Was passt nicht mehr, und Sie lassen es besser hinter sich? Wo müssen Sie akzeptieren, dass der Weg in die Freiheit auch einen Preis hat? Ängste

Das Vertraute kennen wir. Das Unbekannte lockt, aber es kann auch Angst machen. Was riskieren Sie, wenn Sie etwas verändern? Unklarheit

Was genau wollen Sie? Manchmal stocken die Dinge, weil wir zwar etwas bewegen wollen, aber uns noch nicht so richtig klar ist, in welche Richtung die Reise gehen soll. 22

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

2.2  Selbstständig sein ist wie nochmal erwachsen werden »Erwachsen werden heißt nicht, aufzuhören zu träumen, sondern Träume zu leben.«

Die größte Herausforderung der Selbstständigkeit ist, dass Sie am Ruder sitzen und das Schiff selbst steuern. Das ist Bedrohung und Beglückung gleichermaßen. Sie dürfen den Kurs selbst bestimmen, Sie müssen aber auch entscheiden, wo es lang geht – und wenn Blitz, Donner und Stürme das Schiff beuteln, müssen Sie selbst herausfinden, was Sie dann tun müssen. Selbstständig sein, heißt, wirklich erwachsen zu sein – im umfassendsten Sinne. Wenn Sie mit 18 volljährig werden, dürfen Sie wählen, Sie dürfen eigenständig Geldgeschäfte erledigen. Sie können ausziehen, heiraten, einen Beruf wählen – und niemand darf über Sie bestimmen. Doch wenn Sie angestellt arbeiten, fügen Sie sich in Ihrem Job in ein bestehendes Gebilde ein. Hier bestimmt jemand anderes über Sie. Mit dem Arbeitsvertrag unterwerfen Sie sich den Anordnungen des Arbeitgebers, organisatorisch wie inhaltlich. Sie sind weisungsgebunden. Gleichzeitig nimmt Ihr Arbeitgeber Ihnen auch ein Stück Verantwortung ab – er sorgt für Räume, EDV-Ausstattung, Marketing, Formelles usw. Sie sind in erster Linie für gute fachliche Arbeit zuständig. Sind Sie selbstständig, schaffen Sie das Haus selbst, in dem Sie arbeiten. Real, weil Sie für Räume sorgen müssen – metaphorisch, weil Sie auch alles rund um Ihren Arbeitsplatz selbst erschaffen. Können Sie sich als Arbeitnehmer*in auf die fachlichen Aspekte Ihrer Tätigkeit konzentrieren, kümmern Sie sich als Selbstständige*r auch um Angelegenheiten wie Management und Verkauf, Abrechnung und Buchhaltung. Als Arbeitnehmer*in müssen Sie vieles nicht überblicken – es reicht, wenn Ihr Arbeitgeber es tut. Viele Menschen können Ihren Gehaltszettel nicht wirklich lesen, kennen den Unterschied zwischen brutto und netto nicht, wissen nicht, was unterschiedliche Lohnsteuerklassen eigentlich bewirken, oder nehmen kaum wahr, dass sie täglich auf ihre Einkäufe Mehrwertsteuer zahlen. Als Selbstständige*r können Sie sich diese Unwissenheit nicht leisten. Sie sind gefordert, die Systeme, in denen Sie sich bewegen, so weit zu verstehen, dass Sie sich darin sinnvoll verorten und eigene Impulse setzen können. Erwachsensein ist herausfordernd und befriedigend, wenn es gelingt, erfolgreich zu steuern. Es bedeutet, die Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln zu übernehmen. Als Systemiker*in haben Sie einen Riesenvorsprung vor vielen anderen, denn Ihre Ausbildung hat Sie dazu in hohem Maße einSelbstständig sein ist wie nochmal erwachsen werden

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geladen. Die Selbstständigkeit setzt die Einladung fort, sich mit den eigenen Themen auseinanderzusetzen, die auf dem Weg auftauchen.  ▶ Kapitel  11

2.3  Anfangen – die erste Zeit ist aufregend »Wanderer, es gibt keinen Weg. Der Weg entsteht im Gehen.« Antonio Machado

Das Anfangen ist eine besondere und aufregende Zeit. Die meisten bewegen sich emotional zwischen Hoffen und Bangen. Die Haut ist dünn und die Seele wartet auf Zeichen, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Das fühlt sich manchmal an wie frisch verliebt – alles ist bedeutsam und groß. Die Entscheidung treffen

Stürzen Sie sich energetisch in die Vollen? Trauen Sie sich, die Entscheidung für die Selbstständigkeit zu treffen und Ihre Energie in Ihr Projekt zu stecken? Oder starten Sie mit Ambivalenz und kleinen, zaghaften Schritten? Beides ist in Ordnung. Manchmal sind kleine Schritte große Schritte – immerhin trauen Sie sich überhaupt loszulegen. Nur der Effekt ist unterschiedlich. Zum Bumerang kann es werden, wenn wir uns von kleinen Schritten große Effekte erhoffen. Doch wenn Sie nur wenig Energie hineingeben, kommt in der Regel auch nur wenig Output heraus. Gut sein

Auch wenn Sie im Rahmen Ihres Jobs jahrelang beraten haben: Dies auf eigene Rechnung und in eigenem Namen zu tun, ist etwas ganz anderes. Jetzt werden Erfolg und Misserfolg Ihnen allein zugerechnet, nicht einer Institution. Manche geraten in solchen Situationen plötzlich unter inneren Druck, sich selbst zu beweisen, dass sie es können. Je nachdem, wie stark Ihr innerer Kritiker biografisch geraten ist, ist dies eine Zeit großer innerer Kämpfe. Klient*innen machen Sie in dieser Zeit das Geschenk Ihrer vollen Aufmerksamkeit. In dieser Phase helfen Ihnen Menschen, die von Ihnen eine größere Vision haben als Sie selbst. Menschen, die wissen, dass Sie gut sind und Ihnen das gerne auch immer wieder bestätigen, wenn Sie sich mit Selbstzweifeln und Selbstkritik herumplagen.

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Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Unsicherheit

Unsicherheit zu empfinden, ist am Anfang eines neuen Weges normal. Wer neuen Boden betritt, bewegt sich eben nicht so souverän wie auf vertrautem Terrain. Sie machen so vieles, was neu ist. Doch es ist nicht nur das Neue, was Sie gerade herausfordert. Darüber steht die Frage, ob es klappen wird. Wüssten Sie sicher, dass Sie jetzt nur durchhalten müssen und demnächst auf alle Fälle die selbst gesetzten Ziele erreichen, könnten Sie das alles vermutlich viel besser aushalten. Wirkliche innere Beruhigung tritt durch Erfolg ein. Wenn Sie merken, dass Menschen Ihr Angebot annehmen, Ihre Seminare buchen, von Ihren Fortbildungen schwärmen, Ihre Räume schön finden und Ihre Bücher lesen, fühlen Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Es hilft die Erfahrung des Gelingens. Das kluge Gesicht

In meiner Studienzeit hat mich ein Buch von Wolf Wagner (2007) beeindruckt. Er schildert darin folgende Situation: Sie betreten als Erstsemester einen Vorlesungssaal und sehen nur kluge Gesichter, während Sie sich als Neuling selbst klein fühlen und sich Sorgen machen, weil Sie die Regeln nicht kennen. Sie ahnen nicht, dass es denen, die dort sitzen, genauso geht wie Ihnen selbst. In dem Moment aber, in dem Sie die Reihen hochgehen und sich mitten unter die anderen setzen, sind Sie für die nächste Person, die hereinkommt, selbst eine*r derjenigen, die sich scheinbar auskennen. Auch Sie tragen »ein kluges Gesicht«. Nicht anders ist es bei Selbstständigen. Scheinbar wissen alle anderen genau wie es geht – dieser Projektion kann man schnell zum Opfer fallen. Netzwerkveranstaltungen können schnell zur Double-Bind-Situation werden: Sollen Sie jetzt offen zugeben, dass es noch nicht gut läuft? Oder ist das Anti-Werbung? Die einen erzählen von ihren Schwierigkeiten, die anderen von ihren Erfolgen. Sie geraten ins Vergleichen, wenn es bei jemandem wunderbar läuft, der auch gerade erst angefangen hat. Sie messen sich an anderen in vergleichbarer Situation, auch wenn Sie schon länger selbstständig sind. Vergleichen ist menschlich – aber nicht unbedingt gut für die Seele. Es lohnt sich, genau hinzuschauen. Es ist nicht alles Gold was glänzt. Eine Beraterin, die gerade erst gegründet hatte, erzählte, dass sie schon eine Warteliste für Kund*innen hat. Alle sind beeindruckt und innerlich mit Neid und Selbstzweifeln beschäftigt. Genaueres Nachfragen fördert zutage, dass sie für Beratungen ein Zeitfenster am Mittwochnachmittag von 15 bis 18 Uhr zur Verfügung hat …

Anfangen – die erste Zeit ist aufregend

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Resonanz

Am Anfang haben Sie wahrscheinlich noch allzu viele Aufträge. Ihre Idee existiert in Ihrem Kopf. Sie materialisiert sich in den von Ihnen eingerichteten Räumen. Sie gewinnt Kontur auf Ihrer Webseite. So richtig fängt sie an zu blühen, wenn Sie gebucht werden. Die meisten unterschätzen, wie lange es braucht, einer Idee zur Geltung zu verhelfen und eine erfolgreiche Selbstständigkeit aufzubauen. In der Regel braucht es Zeit und viel Arbeit, bis die Welt Sie kennt. Ich höre immer wieder, dass Menschen befürchten, wenn sie ihre Webseite online stellen, könnte so ein Ansturm über sie hereinbrechen, dass sie Sorge haben, sich zu überfordern. Leider ist in der Realität das Gegenteil der Fall. Ihre Webseite wird nicht einmal von Google gefunden oder sie landen ganz hinten auf der Trefferliste. Es gibt nur wenig Resonanz. Das ist bitter und kommt für diejenigen unerwartet, die dachten: »Ich baue eine Webseite, und dann laufen meine Angebote«. Es braucht leider viel mehr als das. Gute Kontakte können den Start leichter machen. Es zahlt sich aus, systematisch durchzugehen, wen Sie kennen und wer von Ihrem Angebot erfahren sollte. Wenn Sie nicht die richtigen Menschen kennen, könnten Sie darüber nachdenken, wie Sie gute Kontakte knüpfen und ausbauen könnten. Lohnend kann es sein, sich an Auftraggeber wie Weiterbildungsträger und andere Institutionen zu wenden. Wenn Sie größere Aufträge wie Trainings, Seminare und Fortbildungen bekommen, können Sie es besser aushalten, dass einzelne Klient*innen am Anfang eher kleckerweise zu Ihnen finden, dass eigene Seminare nur wenig gebucht werden und gar nicht ins Laufen kommen. Ziel ist, dass Menschen in Ihrer Region, die zu Ihrer Zielgruppe gehören, Ihren Namen kennen und wissen, wer Sie sind. Und bis Sie an diesem Punkt angelangt sind, haben Sie viel gewirbelt – meiner Erfahrung nach kann es locker zwei bis drei Jahre dauern, bis Ihr Name in irgendeinem Kontext fällt und die Menschen zustimmend nicken und sagen, »Ja, von der habe ich schon gehört, die macht doch …«. Und dieser Effekt tritt auch nur dann ein, wenn Sie sehr umtriebig sind und sich bekannt machen. Das heißt, dass Sie an Veranstaltungen teilnehmen, Vorträge anbieten, Online-Werbung nutzen, einen Mail-Verteiler aufbauen usw. Zu wenig Aufträge, zu viel …

Es kann schwer sein, die erste auftragsarme Zeit auszuhalten – finanziell wie emotional. Es steht viel auf dem Spiel, denn am Anfang wissen Sie einfach nicht, ob das, was Sie sich ausgedacht haben, funktionieren wird. Innerlich stehen Sie unter einer Art Dauerspannung: Sie wollen es sich und anderen beweisen, dass Ihre Ideen realisierbar sind. Entspannung kehrt erst ein, wenn Sie merken, dass 26

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Menschen Ihre Angebote haben wollen, dass Sie Aufträge bekommen, dass Ihr Konzept aufgehen wird. Das kann schnell oder langsam der Fall sein. Schneller geht es bei denjenigen, die sehr gut vernetzt sind und auf größere potenzielle Kund*innen zugehen können. Wer nahtlos Aufträge aus einem früheren Arbeitsverhältnis mitnehmen kann, fällt nicht in ein Loch. Wer bei null anfängt, muss tendenziell von einer längeren Durststrecke ausgehen. Wenn Sie viele Einzelklient*innen ansprechen, die Sie für Coaching, Beratung, Therapie, Seminare und Kurse gewinnen wollen, müssen Sie auf dem Markt bekannt werden. Buchungen folgen auf Bekanntheit. Auftragsklärung  ▶ Kapitel  10.4

Sie verhandeln die Aufträge mit Ihren Klientinnen oder Auftraggebern nicht nur inhaltlich. Jetzt sind auch die Rahmenbedingungen nicht extern vorgegeben, sondern sie sind Teil der Verhandlung: Wie hoch ist das Honorar? Wie lange dauert eine Einheit? Wie sind Absageregelungen und werden Fahrtkosten und Vorbereitungszeiten extra in Rechnung gestellt? Das Fachliche sind Sie gewohnt – jetzt kommt die unternehmerische Seite dazu. Selffulfilling Prophecy

Dabei begegnen Sie sich auch immer selbst. Sind Sie sicher, dass Ihnen bestimmte Bereiche und Auftraggeber verschlossen bleiben, weil Sie fest davon überzeugt sind, dass diese nur interne Dienstleister beschäftigen – auf alle Fälle nicht Menschen wie Sie –, werden Sie sich dort vermutlich erst gar nicht mit einem Angebot bewerben. Sie werden also recht behalten. Es sei denn, über Umwege wird man auf Sie aufmerksam. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Es braucht einfach ein gewisses Durchhaltevermögen, um gute Ideen am Markt zu platzieren. Erfolg braucht in der Regel eine gewisse Zeit

Sie veröffentlichen ein Seminarangebot und stoßen nur auf wenig Resonanz. Eine Fachkollegin erzählt, dass ihr Seminar zum gleichen Thema ausgebucht ist. Ist Ihre Kollegin schon am Markt bekannt? Dann verfügt sie über einen Verteiler mit Menschen, die ihr und ihren Angeboten Vertrauen entgegenbringen. Doch als Newcomer*in kennt Sie (noch) niemand. Das Seminar, veröffentlicht auf der eigenen Webseite, bei Facebook und im lokalen Anzeigenblättchen, lockt ein bis zwei Interessent*innen. Wer nun den Schluss zieht, dass das eigene Vorhaben offensichtlich nicht gelingt, wirft die Flinte zu schnell ins Korn. Es kann auf Anhieb klappen, ein Seminar zu füllen – dann, wenn Sie einen Namen haben. Es gilt, dranzubleiben. Auch die erfolglosen Versuche tragen dazu bei, dass Sie bekannter werden. Wenn man Sie und Anfangen – die erste Zeit ist aufregend

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Ihre Angebote immer wieder sieht, prägt sich ihr Name irgendwann ein. Sie werden mit bestimmten Themen verbunden. Häufig unterschätzen Menschen anfangs, dass es einfach Zeit braucht, bis sich Effekte einstellen. Wenn Sie Samen und Zwiebeln in die Erde pflanzen, müssen Sie ebenfalls Geduld aufbringen, bis sie erste Triebe zeigen. Und bis zur Ernte haben Sie noch einiges zu tun. Ähnlich ist es mit der Selbstständigkeit. Zu Beginn sehen Sie häufig den Erfolg Ihrer Bemühungen noch nicht. Es heißt Geduld haben, Neues ausprobieren, dranbleiben, bis Sie genügend Resonanz bekommen. Begeisterung steckt an

Gut sein reicht leider überhaupt nicht. Die Menschen müssen mitkriegen, dass es Sie und Ihr Angebot gibt. Wenn Sie darauf warten, dass zufriedene Klient*innen von Ihnen erzählen und sich Ihr Kundenkreis auf diese Weise verbreitet, müssen Sie viel Geduld mitbringen. Das wird passieren, aber es dauert. Das können Sie sich leisten, wenn Sie nebenher etwas Neues auf die Beine stellen und nicht schnell davon leben wollen oder müssen. Nutzen Sie kreative Ideen, sich bekannt zu machen. Alles, worauf Sie ohnehin Lust haben, sollten Sie auch umsetzen. Setzen Sie Ihrer Kreativität keine Grenzen. Gerade das Abwegige, Spannende, Skurrile, das Ihnen im Kopf herumgeht, sollten Sie ausprobieren. Sie können es ja wieder lassen, wenn es sich als Flop erweist. Es ist, als würden Sie einen fliegenden Teppich weben: Jede Ihrer Aktionen ist ein Faden. Alles was Sie tun – auch das, was scheinbar nicht klappt – macht das Gewebe dichter. Selten lassen sich beim Thema Marketing eindeutig kausale Ursache-Wirkungs-Beziehungen herstellen – nach dem Motto: Sie schalten Anzeigen und dann ist Ihr Seminar voll … Es kann sein, dass sich auf die Anzeige niemand meldet und Sie erst viel später erfahren, dass diese sehr wohl wahrgenommen und positiv aufgenommen wurde. Auch Dinge, die Sie gar nicht bewusst und aktiv als Akquise ansehen – etwa Ihr ehrenamtliches Engagement, Ihr begeistertes Erzählen im Freundeskreis, Hobbys, denen Sie nachgehen – tragen dazu bei, den Teppich tragfähiger zu machen. Vorausgesetzt, Sie verschweigen nicht, was Sie tun. Soll es ein fliegender Teppich werden, gilt es, viele Fäden einzuziehen. Authentizität

In öffentlichen Kontexten treffen Sie auf viel Selbstdarstellung. Viele tragen nach außen großes Selbstbewusstsein zur Schau. Doch das entspricht nicht unbedingt der inneren Verfassung. Müssen Sie sich ebenfalls auf die Brust klopfen und von ihren Erfolgen schwärmen? Oder sollen Sie stattdessen erzählen, wo Sie gerade wirklich stehen? 28

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Wie ehrlich und authentisch sollen Sie auftreten? Was ist, wenn Sie sich unsicher fühlen und noch ganz am Anfang stehen? Sollen Sie das ehrlich zugeben? Vermutlich sind Sie auf der Suche nach Ihrem eigenen Stil. Ein bisschen sind wir das wohl immer. Es kommt darauf an, wo Sie sich gerade befinden. Sie brauchen auf alle Fälle einen inneren Kreis von Vertrauten, mit denen Sie über alles reden können, was Sie beschäftigt, auch über Ihre inneren Zweifel. Überall sonst ist es klug, strategischer zu sein. Dort tun Sie sich selbst keinen Gefallen, wenn Sie Ihren Status »Gründer*in« oder »Neu-Selbstständige*r« zu sehr betonen. Erzählen Sie von Ihrem Start in die Selbstständigkeit, sollten Sie gleichzeitig signalisieren, dass Sie fachlich Profi sind. Das schafft Vertrauen. Haben Sie potenzielle Klient*innen vor sich, könnten diese ansonsten verunsichert sein und an Ihrer Kompetenz zweifeln. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Ihr Arzt würde beim Erstkontakt betonen, dass er gerade erst angefangen hat, praktisch zu arbeiten. Und wie würden Sie es finden, wenn die Friseurin sagt: »Ich bin so aufgeregt, ich lerne nämlich noch«? Egal welche Vorüberlegungen Sie angestellt und welche Konzepte Sie erarbeitet haben: Erst im Tun merken Sie, was davon funktioniert und was eine Kopfgeburt war und bei Kund*innen gar nicht ankommt. Betrachten Sie den Anfang als Experimentier- und Erprobungsphase. Im besten Fall sind Sie flexibel und hören Ihren Kund*innen gut zu – das haben Sie als Systemiker*in ja gut gelernt. Diese werden Ihnen gerne mitteilen, was Sie wirklich wollen. Sie haben damit die Chance, Ihr Angebot besser auf die Wünsche Ihrer Kund*innen auszurichten. Innere Wachstumsprozesse und Zweifel

Jeden von uns erwischt diese Zeit anders und doch gibt es verbindende innere Themen – auch dann, wenn Sie schon lange selbstständig sind und nur einen neuen Geschäftszweig aufmachen, den nächsten Schritt gehen oder ein neues Projekt verfolgen. Dabei stellen sich immer wieder ähnliche Fragen: Ȥ Wie »groß« darf ich überhaupt spielen? Darf ich mir eine wunderschöne Praxis einrichten? Habe ich das verdient? Darf ich mir das nehmen? Ist mir das gegönnt? Gönne ich mir das? Ȥ Will mich die Welt? Bin ich okay, wie ich bin? Ȥ Kann ich wirklich mit Meinem Erfolg haben? Muss ich mich nicht verbiegen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Ȥ Wie kann ich gegen die anderen bestehen? Reichen meine Fähigkeiten und Qualitäten, mein Angebot, mein Vermarktungstalent aus? Reichen mein Selbstbewusstsein und meine Fähigkeit zur Außendarstellung, um von anderen »gesehen« zu werden? Anfangen – die erste Zeit ist aufregend

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Ȥ Ist es normal, dass ich an mir zweifle, wenn der Erfolg auf sich warten lässt? Heißt das, dass meine Idee nicht funktioniert? Ȥ Soll ich weitermachen oder aufgeben? Wie viel Energie soll ich in das Projekt stecken? Wann ist es Zeit, aufzuhören? Den eigenen Platz finden

Die Selbstständigkeit spielt auf unserer inneren Klaviatur und aktiviert uralte Themen: Wie finde ich meinen Platz im System? Wo sollte und muss ich das Außen beobachten und mich anpassen? Wo kann ich mir Eigenheit und Individualität erlauben und meine Bedürfnisse erfüllen? Jede*r von uns hat eine Geschichte mit diesen Themen: aus dem eigenen Familiensystem, aus Gruppen- und Schulerfahrungen. Viele dieser Themen lösen sich erst durch Erfolg. Wenn Sie erleben, dass Ihr Projekt gelingt, wenn Menschen haben wollen, was Sie anbieten, wenn Sie merken, dass Ihr Angebot neben dem der Konkurrent*innen bestehen kann, löst sich auch ein Teil der inneren Anspannung. Das kann Heilung für alte Wunden bedeuten. Es kann eine sehr große Erfahrung sein, wenn Sie merken, dass Sie so, wie Sie sind, mit dem, was Ihre Kompetenzen sind, was Sie zu geben haben, ankommen. Konkurrenz

Die Angst, nicht reinzukommen oder abgehängt zu werden, hat eine innere Seite, aber auch eine sehr reale. Es ist real, dass Sie mit anderen Selbstständigen konkurrieren – und dass deren Erfolg Ihnen unter Umständen etwas von Ihrem Teil des Kuchens streitig macht. Es ist real, dass Ihre Qualifikation marktgerecht sein muss, damit Sie mithalten können. Sie tun gut daran, Ihre Konkurrent*innen zu beobachten, um zu verstehen, was Sie tun können, um Ihren Platz zwischen ihnen zu finden. Die Kunst ist es, einerseits einen realistischen Blick auf die anderen zu werfen, und trotzdem bei sich zu bleiben, sich nicht verrückt zu machen, neue Themen wahrzunehmen, ohne jedem Trend hinterherzulaufen. Es gilt, angemessen wach und entspannt zu sein. Handeln

Was tun, wenn Sie nicht wissen, ob es sinnvoll ist, weiterzumachen? Wenn Sie sich ernsthaft fragen, ob Sie die Dinge falsch angehen, ob Sie vielleicht aufs falsche Pferd gesetzt haben? Wie finden Sie heraus, ob Ihre Idee super ist und einfach Zeit braucht? Wann sollten Sie einsehen, dass sie nicht funktioniert und Sie besser über Alternativen nachdenken? Falls Sie diese Fragen nicht allein für sich beantworten können, lohnt es sich, mit anderen zu sprechen, um sich Einschätzungen von außen zu holen. Oder 30

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Sie verfahren nach dem Motto: Solange ich noch zweifle, scheine ich mit meinem Projekt nicht fertig zu sein. Vielleicht geht es darum, Gas zu geben, die Anstrengungen zu verdoppeln und durchzuhalten? So manche*r fährt nämlich nur mit halber Kraft, weil er oder sie sich nicht ganz in ein Projekt »schmeißen« will, das scheitern könnte. Mit angezogener Handbremse haben Sie aber deutlich weniger Erfolgschancen, als wenn Sie alles geben. Oder geht es darum, kreativ zu werden und neue, andere Wege zu gehen, um Ihrer Idee zum Erfolg zu verhelfen? Sollen Sie gerade etwas lernen? Oft ist es hilfreich, die Dinge aus neuen Perspektiven zu betrachten, wenn sich alles zäh anfühlt. Dafür hilft Feedback von anderen. Wertvolle Zeit

Vorteil dieser ersten auftragsarmen Phase ist, dass Sie Zeit zum Gründen haben. Wenn Sie nicht gerade kleine Kinder oder einen festen Job haben. Sie können sich vollständig auf die Selbstständigkeit konzentrieren. Anfangs besteht die Herausforderung darin, diese Zeit sinnvoll zu füllen. Man könnte so vieles machen, aber was ist wirkungsvoll? Das wissen Sie nicht. Sie können nur nach Plausibilitäten gehen und Dinge ausprobieren. Sie sind gut beraten, für eine gute Struktur zu sorgen und Tage und Wochen zu planen, für Austausch und Vernetzung zu sorgen, für Zuspruch und Ermutigung. Denn Ihr innerer Kritiker ist immer dabei und hat in Leerphasen eine Menge zu sagen. Erst Erfolge werden ihm nachhaltig den Mund stopfen. Immerhin haben Sie Zeit, sich um Grundlegendes zu kümmern: Texte für Ihre Webseite und einen Blog verfassen, einen Newsletter konzipieren, potenzielle Kooperationspartner*innen kontaktieren, Konzepte schreiben, Verträge aufsetzen und sich um die Datenschutzgrundverordnung kümmern. Sie werden sich später vermutlich danach zurücksehnen, Zeit zu haben, um sich in Ruhe um derlei kümmern zu können. Hinterher, wenn das Tagesgeschäft anzieht, muss das nämlich noch zusätzlich erledigt werden.

Mira Engenhorst: Es läuft einfach Mira Engenhorst hat sich Anfang 2020 entschieden, ihre zuvor nebenberuflich betriebene Praxis für Familientherapie, Paarberatung und Einzelcoaching in Köln hauptberuflich weiterzuführen. Mira ist praktisch von Beginn an beim Netzwerk systemisch qualifizierter Freiberufler*innen in der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) dabei; sie ist im Sprecherinnenteam des Netzwerks und organisiert den lokalen Zirkel in Köln (www.family-coaching.nrw).

Anfangen – die erste Zeit ist aufregend

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Mira, ich habe mitgekriegt, dass dir die Entscheidung gegen die feste Stelle und für die hauptberufliche Selbstständigkeit echt schwergefallen ist. Wie ist es dir in dieser Zeit ergangen? Was war für dich ausschlaggebend, den Schritt zu wagen? Ich fand die Entscheidung in dem Moment unfassbar groß. Ich habe so lange auf die Festanstellung in der Beratungsstelle, in der ich tätig war, hingearbeitet. Ich habe so viel investiert. In meiner Weiterbildung habe ich dort als unbezahlte Praktikantin begonnen und mich danach auf kleine Verträge eingelassen. Im Arbeitsalltag habe ich aber gemerkt, dass die Strukturen überhaupt nicht meine waren. Ich fühlte mich immer wieder ausgebremst und hing in puncto Vertragsverlängerung zweimal über Monate in der Luft. Als das erste Mal unklar war, wie es weiter geht, habe ich meine nebenberufliche Selbstständigkeit gestartet, um im Notfall ein zweites Standbein zu haben. Beim zweiten Mal habe ich dann den Absprung geschafft. Ich wollte mich so einfach nicht mehr behandeln lassen. Und der Traum von der eigenen Praxis hat schon lange in mir geschlummert. Ich habe gefühlt, dass es der richtige Zeitpunkt war, und trotzdem gab es unglaublich viele Widerstände in mir. Das Ganze hat mich viele Tränen gekostet. Es gehört eine verdammt große Portion Mut dazu, den Schritt in eine neue Welt zu wagen. Gestärkt gefühlt habe ich mich durch die Kontakte im Netzwerk und meinen Mann und meine Schwester. Die zwei sind meine größten Befürworter und das ist toll. Als du es dann gemacht hast, war überraschenderweise alles ganz schnell gut, oder? Ja, nachdem die Entscheidung gefallen war, ganz in die Selbstständigkeit zu gehen und ich mich wirklich endgültig von der Beratungsstelle verabschiedet hatte, ging es mir gut. Ich fühlte mich so unfassbar frei! Das hätte ich so niemals erwartet. Ich hatte die Hoffnung, aber wirklich daran geglaubt habe ich nicht. Dafür war die Angst vorher einfach zu groß. Hast du dich mit dem Markt beschäftigt? Als ich mich Anfang 2018 zum ersten Mal mit dem Markt in Köln beschäftigt habe, fand ich das ziemlich einschüchternd. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, wie ich unter all den Systemiker*innen meinen Platz finden sollte. Wenn ich sie als Konkurrenz betrachtet hätte, hätte ich mich nie getraut, mich selbstständig zu machen. Ich habe mich für einen Wechsel der Perspektive entschieden. Durch das Netzwerk wurden Konkurrent*innen zu Kolleg*innen. Das gab mir damals unfassbar viel Sicherheit. Mit dem Netzwerk im Rücken habe ich den Schritt in eine bestehende Praxis32

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

gemeinschaft gewagt. Der Austausch mit anderen freiberuflichen Kolleg*innen tut mir einfach total gut. Ich nehme aus jedem Treffen etwas mit, was meine Entwicklung in der Freiberuflichkeit stärkt. Trotzdem waren die ersten Monate auch schwierig. Ich wollte schon alles wieder hinwerfen und habe den Raum in Gedanken schon gekündigt, als nach fast fünf Monaten endlich die erste Anfrage kam. Und seitdem läuft es! Super! Was machst du richtig? Was funktioniert? Ich bin gut vernetzt und ich habe Menschen um mich herum, die an mich glauben und die mich unterstützen. Ich liebe es, meine eigene Chefin zu sein und meinen Arbeitsalltag frei nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Mir war aber auch von Anfang an klar, dass ich kollegialen Austausch brauche, und den finde ich im bzw. über das Netzwerk. Ich bin inzwischen festes Mitglied einer Intervisionsgruppe sowie eines Erfolgsteams und leite den lokalen Zirkel in Köln. Außerdem war mir von Anfang an bewusst, dass es Bereiche gibt, in denen ich Unterstützung brauche. Meine Webseite habe ich gemeinsam mit meiner Schwester erarbeitet, und mein Mann nimmt sich immer wieder Zeit, wenn mich meine Buchführung überfordert. Meine Selbstständigkeit ist ein Projekt, das mit der Zeit wachsen darf. Es muss nicht sofort alles perfekt sein. Das, was ich meinen Klient*innen immer sage, gilt auch für mich: Wichtig ist es, einfach anzufangen. Wir wachsen an unseren Herausforderungen. War dir eigentlich von Anfang an klar, wo genau der Schwerpunkt deiner Selbstständigkeit liegen soll? Hast du dafür ein Konzept geschrieben? Ich habe weder ein Konzept geschrieben, noch hatte ich einen klaren Schwerpunkt. Die Praxisgemeinschaft, in der ich damals angefangen habe, suchte ergänzend jemanden, der mit Paaren und Familien arbeitet. Das passte perfekt! Es war genau der Arbeitsschwerpunkt, den ich auch in der Beratungsstelle hatte. Ich habe durch die Selbstständigkeit also nicht meine inhaltliche Arbeit verändert, sondern vor allen Dingen die Rahmenbedingungen meiner Arbeit. Das Schöne daran ist, dass das auch meiner eigenen Familie zugutekommt, da ich meine Arbeitszeiten in der Selbstständigkeit viel flexibler gestalten kann. Deine Webseite heißt www.family-coaching.nrw. Kann es sein, dass die Art und Weise, wie du dich aufstellst, gut funktioniert? Dass der Erfolg auch etwas damit zu tun hat, dass das nicht behäbig daherkommt, sondern »jünger«, optisch modern, ansprechend und frisch? Lange hat meine Webseite erstmal niemand gefunden, bis mir ein Kollege den Anfangen – die erste Zeit ist aufregend

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Tipp gab, es mit Google Ads (auch bekannt als »Google Adwords«) zu versuchen. Das hat funktioniert. Seitdem wird meine Webseite endlich gefunden und die Leute kontaktieren mich dann auch. Dabei bekomme ich häufiger die Rückmeldung, dass sie sich von meiner Webseite angesprochen fühlen. Mir war ein zeitgemäßes Layout der Webseite wichtig. Und ich wollte, dass die Menschen mit dem Namen positive Assoziationen verknüpfen. Ich habe oft gezweifelt, ob der Name wirklich passend ist, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, spiegelt er zwei ganz entscheidende Punkte meiner Arbeit wider: Jede*r einzelne Klient*in wird im Kontext des eigenen Familiensystems betrachtet und ich arbeite lösungsorientiert. Ich verstehe mich als Begleiterin der Menschen auf ihrem Weg zu einem ganz persönlichen Ziel. Genau das spiegelt für mich der Begriff des Coachings wider. Obwohl ich eigentlich Therapeutin bin.

2.4  Wachstumszeiten – neue Herausforderungen »Wir wachsen nicht, wenn die Dinge einfach sind. Wir wachsen, wenn wir uns Herausforderungen stellen.«

Irgendwann finden Sie Ihre Form, das Selbstständigsein ist vertraut; die Aufregung der ersten Zeit legt sich. Es ist sehr beruhigend zu sehen, dass die Dinge laufen. Die Angst, nicht genügend Kund*innen zu erreichen und Aufträge zu bekommen, schwindet im besten Fall. Stattdessen wächst das Vertrauen, dass sich bald schon jemand melden wird. Die ersten Jahre können trotzdem heraufordernd sein. Es stellen sich immer wieder neue Fragen: beim Ausprobieren, beim Kontaktieren der Klient*innen, in Gesprächen mit Auftraggeber*innen. Sie wissen immer besser, was Sie wollen, was passt und was nicht stimmt. Es ist eine Zeit des Lernens. Sie formen den Rahmen für Ihr Angebot. Dabei geht der Lernweg über positive Erfahrungen und Ärger. Letzterer zeigt Ihnen, dass Sie sich das Ganze so nicht vorgestellt haben und Sie zukünftig besser aufpassen müssen, was Sie verhandeln. Welche Bedingungen Sie brauchen, um gut arbeiten zu können, erkennen Sie meist erst im Laufe der Zeit. Zu viel statt zu wenig

Während es zuvor Ihr Hauptziel war, Aufträge zu akquirieren, stellen Sie nun auf einmal fest, dass Ihr Kalender sich füllt und füllt. Manchmal ist Ihnen das schon zu viel. Häufig kippt der eine Zustand ohne Vorwarnung in den anderen. Während man noch rennt, um genug zu haben, realisiert man auf einmal, dass 34

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

es eigentlich schon längst zu viel ist. Gerade die Angst, es könnte zu wenig sein, kann dazu verführen, zu viele Aufträge anzunehmen. Sie merken zunehmend, dass Ihre Zeit begrenzt ist. Vielleicht fühlen Sie sich gehetzt. Jeden Tag gibt es tausend Kleinigkeiten zu erledigen und Sie sind gefühlt nie fertig. Während Sie am Anfang in einem Meer von Zeit schwammen, müssen Sie nun gut planen, um alles zu schaffen. Der Umgang mit der Fülle will genauso gelernt sein wie der Umgang mit dem früheren Mangel. Viele spüren die alte und die neue Energie gleichzeitig in sich: Wie in den ersten Jahren, als es immer darum ging, mehr Kund*innen zu akquirieren, als der Blick auf die Zahlen ein »Hurra, es ist mehr geworden, aber eigentlich reicht es immer noch nicht« bei Ihnen auslöste, sagen Sie aus einem Gefühl des möglichen Mangels immer noch Ja und rennen, um alles zu schaffen. Es dauert eine Weile, bis Sie der Auftragslage so weit vertrauen, dass Sie wirklich realisieren, dass Sie jetzt die Wahl haben. Es ist höchste Zeit, wenn Sie nur noch gestresst sind, Ihre Familie Sie als rund um die Uhr arbeitend erlebt und Sie selbst spüren, dass die Freude auf der Strecke bleibt. Was Sie familiär in Ihrer Kindheit über Geld, über Fülle und Mangel gelernt haben, kommt nun möglicherweise zum Tragen. Nicht wenige erwischen sich in der absurden Situation, zu viel zu tun zu haben und sich gleichzeitig vor einem möglichen Mangel zu fürchten. Sie haben es besonders schwer, Aufträge abzusagen, die eigentlich zu viel sind. Unsere frühen Erfahrungen von Mangel und Fülle, aber auch finanzielle Rahmenbedingungen (finanzielle Sicherheiten und Rücklagen, familiärer Rückhalt und finanzieller Rückhalt vom*von der Partner*in) prägen, wie wir die neue Situation erleben. Entspannen wir uns und fühlen uns sicher? Oder bleibt ein Restzweifel, dass die Nachfrage auch einbrechen könnte, der immer wieder angetriggert werden kann? Es kann sich anfühlen, als stünden Sie vor einem großen Buffet – alles sieht köstlich und einladend aus. Sie sind umgeben von Möglichkeiten, von spannenden Menschen, von interessanten Aufträgen und inspirierenden Themen. Diese Phase durchlaufen wahrscheinlich alle. Man will Termine noch irgendwo dazwischen quetschen, bis man irgendwann merkt: »So geht das nicht, ich bin gehetzt wie ein Karnickel. Dafür habe ich mich nicht selbstständig gemacht! Ich bin mir selbst ein*e schlechte*r Chef*in!« Viele verlässt die Sorge vor dem Einbruch dennoch nie ganz. Es gibt gute biografische Gründe, sich nie ganz sicher zu fühlen, und gute unternehmerische Gründe, sich besser nie so sicher zu fühlen, dass man aufhört, unternehmerisch wach zu sein. Anstrengend ist es dennoch und oft auch völlig unnötig. Es hilft, wenn Sie ein Umfeld haben, dass Sie dabei unterstützt, Ihre Sorgen als unbegründet einzuordnen und in Schach zu halten.

Wachstumszeiten – neue Herausforderungen

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Bestandsaufnahme: Aufträge

Irgendwann stellt sich die Frage: »Was mache ich mit den noch immer spannenden Anfragen und Aufträgen, die ich eigentlich gerne bedienen würde?« Der Tag hat nur 24 Stunden. Irgendwann leidet die eigene Lebensqualität, wenn sich das Leben immer weiter verdichtet und jede freie Ecke mit Arbeit ausgefüllt ist. Es lohnt sich, Ihre Aufträge zu sichten und zu überlegen, welche Sie am liebsten übernehmen wollen. Welche sind am besten bezahlt, welche machen Ihnen am meisten Freude oder inspirieren Sie, welche haben Potential für zukünftige Entwicklungen? Und welche haben sich eventuell überlebt? Wo sagen Sie nur Ja, weil Sie immer Ja gesagt haben? Eventuell ist es an der Zeit, Gespräche zu führen, solche Aufträge zukünftig nicht mehr anzunehmen und sich so wieder Luft zu schaffen. Statt einen Auftrag einfach abzulehnen, empfehlen Sie Kolleg*innen – die sind dankbar dafür und Ihr*e Kund*in ist versorgt. Im besten Fall bedeutet die neue Situation, aus dem Vollen zu schöpfen und sich wirklich zu fragen: »Welche Aufträge machen mir Spaß? In welchen bin ich besonders gut?« Die Auftragsfülle kann einen Prozess der Neuorientierung in Gang setzen, sich nochmal zu fokussieren und zu spezialisieren – auf bestimmte Klienten, auf bestimmte Angebote; das, was in der Regel wild gewachsen ist über Anfragen und Impulse wie ein Rosenbäumchen zurechtzustutzen und ihm eine neue Form zu geben. Wachsen?

Wenn Sie so viele Aufträge haben, dass Sie sie selbst nicht mehr bewältigen können, können Sie sich auch dazu entschließen, größer zu werden. Zum Beispiel, indem Sie Mitarbeiter*innen einstellen oder mit Honorarkräften arbeiten. Dann müssen Sie Aufträge nicht ablehnen und gewinnen dennoch eigene Zeit zurück. Die Herausforderung besteht darin, Menschen zu finden, die wirklich zu Ihnen passen und die in Ihrem Sinne aktiv werden. Es ist ein Unterschied, ob Sie selbst Fachexpertin sind und alles so läuft, wie Sie das haben wollen – oder ob Sie darauf vertrauen müssen, dass andere gute Arbeit leisten. Im Idealfall gewinnen Sie sogar Mitstreiter*innen, die ihre Ideen, Energien und vielleicht komplementäre Kompetenzen in Ihr Unternehmen einbringen. Und auch finanziell kann es äußerst interessant sein, weiter zu wachsen.  ▶ Kapitel  2.6 Nein sagen lernen

Entscheiden Sie sich gegen Wachstum und Mitarbeiter*innen, heißt das in der Konsequenz, dass Sie lernen müssen, Aufträge abzulehnen. Das ist aber gar nicht so einfach. »Warum kann ich so schlecht Nein sagen?« – diese Frage höre ich öfter. Trotz finanziell guter Rahmenbedingungen, trotz vollem Kalender 36

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

fällt es vielen schwer, Aufträge abzulehnen. Dafür kann es mehrere Gründe geben: Ȥ Mit langjährigen Kund*innen entstehen Bindungen. Wenn Kunde A anruft und Kundin B ein dringendes Anliegen hat, mag man nicht Nein sagen, sondern sucht die eigentlich nicht vorhandene Lücke im Kalender. Allenfalls schieben ist dann drin, also zu sagen, eigentlich habe ich keine Zeit und auch nicht kurzfristig, aber halt doch sobald wie möglich – im Wissen darum, dass man gerade die eigentlich nötige Pause mit einem Termin belegt. Ȥ Jedes Nein kann im inneren Erleben bedeuten, Menschen enttäuschen zu müssen. Wir haben alle eine innere Ja- oder Nein-Tendenz, wenn wir etwas gefragt werden. Menschen, deren erste Reaktion ein inneres Ja ist, tun sich schwer mit Absagen. Ȥ Auftragsanfragen stellen ein Ja zu Ihnen dar. Es ist nicht leicht, auf diesen Selbstwert-Hype zu verzichten. Wenn wir Nein sagen, haben wir Angst, dass diese Bonbons für unsere Seele vielleicht zukünftig ausbleiben. Es ist schön, sich gefragt zu fühlen. Ȥ Jeder Auftrag stellt auch einen Reiz dar. Innerlich reibt man sich schon die Hände, was man hier bewegen und bewirken könnte: »Es hört sich so spannend an!« Ȥ Ein Ja ist schnell gesagt – die Suppe auslöffeln muss man erst später. Die Konsequenzen kommen zeitversetzt. Dann erst merken Sie, was Sie sich vor Monaten eingebrockt haben. Ein Nein setzt die Fähigkeit voraus, sich in Ruhe zu überlegen, was ein Ja bedeuten würde, und zwar langfristig. Man muss sich also Zeit nehmen, wirklich zu prüfen, ob man Kapazitäten hat. Ȥ Erst im Nachhinein stellt sich heraus, was dieses Ja wirklich bedeutet. Es kann sein, dass Sie im ersten Moment unterschätzen, wozu Sie gerade Ja gesagt haben. Gute Auftragsklärung, intensives Nachfragen (Was genau wollen Sie? Wie viel Zeit steht zur Verfügung? Was hängt da alles noch dran?) und ein genaues Überprüfen, ob dafür wirklich Kapazitäten frei sind, könnten Sie davor bewahren, aus einem Impuls und Selbstbetrug zu denken: »Ach, das passt noch irgendwie.« Ȥ »Ich brauche Sie – mit Ihnen weiß ich, dass es gut wird.« Unsere Lieblingssätze von unseren Lieblingsklient*innen, das Gefühl, gebraucht zu werden, verbunden mit Lob und Wertschätzung, kann zu einer großen Verführung werden. Neid

Neu und schwer verdaulich kann es sein, wenn Sie spüren, dass andere Sie plötzlich beneiden. Nicht jeder schaut nur anerkennend und bewundernd. Hinter Bemerkungen wie »Du rennst ja nur noch« kann sich auch schlecht kaschierter Neid verstecken. Das ist bitter und schwer auszuhalten – zumal man ja selbst Wachstumszeiten – neue Herausforderungen

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oft noch innerlich die schwierigen Anfangsjahre im Gebälk hat und sich Menschen wünscht, die mit einem feiern und sich mit einem freuen, dass es endlich leichter geworden ist. Ihr Umfeld

In mancher Partnerschaft fängt es an zu rappeln, und auch unter Freund*innen kann es schwierig werden, wenn Ihre Selbstständigkeit blüht und Sie selbst wachsen und groß werden. Sie haben sich verändert und nicht jeder in Ihrem Umfeld ist vielleicht begeistert davon. Sie haben neue, spannende Welten betreten. Die Selbstständigkeit hat Sie auch innerlich stärker gemacht. Es braucht neue Standortbestimmungen mit Ihren Lieben. Sie müssen für sich die Frage beantworten, welche Rolle Sie jetzt einnehmen wollen, was Sie sich erlauben wollen. Insgesamt kann es sein, dass Menschen auf der Strecke bleiben, wenn man sich selbstständig macht. Selbstständigkeit bedeutet eine innere Verbundenheit mit der Arbeit, die nicht jeder Nicht-Selbstständige teilt. Privates und Berufliches fließen womöglich so ineinander, dass es für Sie vielleicht kein Problem ist, abends gemütlich über Ihre beruflichen Pläne sprechen zu wollen. Wenn Ihr Umfeld dann sagt: »Warum redest du schon wieder über dein Business?«, zeigen sich die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Bedeutungs­ gebungen von Arbeit. Das eigene Umfeld kann sich auch deshalb verändern, weil man sich privat die Güte der Kommunikation wünscht, die beruflich selbstverständlich ist. Wer beruflich Gespräche mit hoher persönlicher Dichte und Intensität führt, wünscht sich häufig die gleiche Intensität in der eigenen privaten Kommunikation. Oberflächliche Gespräche können da auf Dauer ermüdend werden. Neue Work-Life-Balance

Für Selbstständige ist es nicht unnormal, etwas am Wochenende oder nach Feierabend zu erledigen. Nicht, dass dies das Ziel ist, aber es passiert halt – trotz aller Bemühungen, sich gut zu organisieren. Der wichtige Inhalt, die Bedürfnisse von Kund*innen und Auftraggeber*innen, finanzielle Erfordernisse, schlicht die Verantwortung für alles, bedeuten, dass das Ergebnis stimmen muss – auch wenn das manchmal auf eigene Kosten geht. Ein persönliches Umfeld, das mit Selbstständigen nichts zu tun hat, kann darauf mit großem Unverständnis reagieren. Man kann dann langfristig überlegen, ob es eine andere Form der Selbstorganisation braucht. Das Feedback von Außenstehenden, die darauf hinweisen, dass man das Maß verliert, dass ihre Bedürfnisse notorisch zu kurz kommen, ist dabei sehr hilfreich. Solche Rückmeldungen können ein wesentliches Korrektiv sein, gut zu prüfen, ob man sich gerade in Arbeit verliert, ob die eigene WorkLife-Balance kippt. Und natürlich ist es langfristig wichtig, dass der Input in die 38

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

eigene Selbstständigkeit und andere Lebensbereiche aufeinander abgestimmt sind. Kurzfristig ist es dennoch einfach nötig, zu handeln und die Kuh vom Eis zu holen. Das kann so weit gehen, dass die alte Unterscheidung von privat und beruflich sich ein Stück auflöst und gar keinen inneren Sinn mehr macht. Wenn Ihnen Inhalte so am Herzen liegen, dass sie Sie ohnehin bewegen, egal zu welcher Uhrzeit. Wenn ein Thema Sie gleichermaßen in Ihrer Paarbeziehung und im Umgang mit Klient*innen beschäftigt. Wenn Sie über Themen schreiben, die Sie zutiefst bewegen, weil sie Teil Ihrer Familiengeschichte und persönlichen Identität sind, lösen sich diese scheinbar klaren Grenzen auf.

Petra Lahrkamp: Wann ist mein Unternehmen mit mir verbunden? Petra Lahrkamp ist seit zehn Jahren selbstständig als systemische Familientherapeutin und Organisationsberaterin, spezialisiert auf die Beratung von Kitas und Familienzentren. Sie ist Lehrtherapeutin und baut für das Institut Therapie und Organisationsentwicklung Berlin (ISTB) in Münster einen Zweig auf. In der DGSF ist sie u. a. aktiv als Regionalgruppensprecherin in Münster und war lange Jahre Mitglied im FWA (Fort- und Weiterbildungsausschuss der DGSF). Zur Zeit des Interviews arbeitete sie an zwei Buchprojekten (www.lahrkamp.de). Stellst du dich potenziellen Kund*innen mit dem Begriff »systemisch« vor? Ich finde, jeder muss einen eigenen Weg finden, die eigene Dienstleistung so mundgerecht zu machen, dass ein potenzieller Klient sie an das eigene System und seine Fragen ankoppeln kann. Der kürzeste Systemiker-Witz? Die Aufforderung: Erkläre mal kurz, was »systemisch« heißt. Auf meiner Webseite steht unter Petra Lahrkamp: »Systemische Beratung und Familientherapie«. Natürlich werde ich immer wieder gefragt, was das bedeutet, aber nach zehn Jahren Selbstständigkeit fällt es mir nicht mehr schwer zu antworten. Wenn man mich fragt, stelle ich mich je nach Zielgruppe anders vor. Und je nach Kontext nutze ich andere Beispiele, um verständlich zu machen, wie ich arbeite. Ich erzähle, welche theoretischen Grundannahmen mit einer systemischen Haltung verbunden sind – je nach Gegenüber wähle ich dann andere Methoden und Praxisbeispiele aus, um zu erläutern, was ich meine. Beispiele, die sich auf den beruflichen und Lebenskontext meiner Kund*innen beziehen. Im therapeutischen Kontext z. B. erläutere ich, dass es nicht darum geht, die Vergangenheit als Selbstzweck zu erforschen, sondern danach zu fragen, welche Rolle sie für die Gegenwart spielt, welchen Sinn Dinge heute machen auf Wachstumszeiten – neue Herausforderungen

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Basis der eigenen Vergangenheit. Ich sage, dass es in meiner Arbeit nicht um die Suche nach Schuldigen geht, sondern darum, welchen Sinn Verhaltensweisen in einem System machen. Im Organisationsberatungskontext spreche ich hingegen von Paradoxien und der Selbstorganisation von Prozessen. Damit mache ich sehr gute Erfahrungen. Du bist in der Ausbildung zur Lehrenden und dadurch viel unterwegs. Wie sieht es in deinem Kalender aus? Mein Kalender ist voll. Es gibt nur noch wenige freie Wochenenden. Ich muss ja immer noch damit umgehen, dass Kunden von mir spontan etwas wollen. Das wird dann schon schwierig, aber das ist manchmal einfach nötig für den Prozess. Mein Job zwingt mich, mega-flexibel zu sein. Durch die Fortbildungen bin ich sehr viel unterwegs. Das Lehren finde ich toll, aber dass ich so viel von zuhause weg bin, gefällt mir weniger. Das ist auf Dauer anstrengend. Außerdem fällt es mir zum Teil schwer, Menschen aus meinem persönlichen Umfeld zu vermitteln, warum ich so schlecht erreichbar und so verplant bin. Wenn Leute etwas ganz anderes machen, verstehen sie das oft einfach nicht. Oder sie reagieren mit Neid oder der Sorge, ich könnte ihnen entwachsen. Manchmal wünschte ich mir einen Job, den die Leute besser nachvollziehen können. Gleichzeitig schätze ich meine Selbstständigkeit sehr. Mich hat die Selbstständigkeit sehr verändert. Als ich mich selbstständig gemacht habe, hatte ich natürlich die Frage – wie wohl die meisten – ob das klappen wird, aber ich hatte nie ein »Loch«. Ich hatte so gute Kontakte aus meinem Berufsleben davor, dass ich quasi sofort gebucht wurde. Trotzdem war jeder neue Schritt aufregend. Die ersten Fortbildungen, die ersten Trainings … Und es war eine tolle Erfahrung, das dann zu bewältigen und zu merken, ich kann das, ich mache das gut, das klappt. Du bist sehr erfolgreich mit deiner Selbstständigkeit. Ich kriege seit Jahren mit, dass du immer darum ringst, Aufträge abzusagen oder doch noch Platz in deinem Kalender zu finden für jemanden, der dir wichtig ist. Wie geht es dir damit? Es ist toll, dass ich merke, dass die Kitas und Familienzentren meine Arbeit so schätzen. Das ist in den Jahren immer mehr gewachsen. Ich habe viele feste Kunden, die kontinuierlich mit mir arbeiten. Ich werde auch häufig weiterempfohlen. Viele Anfragen kann ich einfach nicht mehr bedienen, weil mir die Zeit fehlt. Aber es fällt mir schwer, die Leute hängen zu lassen. Die Verlockung »Ich mache das« zu sagen, ist immer da. Es war ein mühseliger Lernprozess zu merken, dass ich gut für mich sorgen muss und einfach nicht mehr machen kann. 40

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Nein sagen musste ich lernen. Ich enttäusche so ungerne Leute. Und es gibt eine große Bindung an manche Auftraggeber – da würde ich nie Nein sagen. Man kann mich immer gut über Inhalte kriegen. Wenn mich etwas reizt und ich denke: »Das hört sich so spannend an!« Ich merke die Verführer: »Ich brauche Sie, ich schaffe es nicht alleine. Keiner ist so gut wie Sie.« Und gleichzeitig weiß ich, dass ich unbequem sein darf. Natürlich ist da erstmal die Sorge, dass ich es mir nicht leisten kann, einfach Nein zu sagen. Und gleichzeitig will ich lieber ablehnen, als keinen guten Job zu machen. Spannenderweise habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir jede gut begründete Ablehnung andere Aufträge eingebracht hat. Nicht-Bedürftigkeit macht sexy – auch bei Freiberufler*innen. Ich mache mir immer die Mühe, bei Anfragen gut zuzuhören. Manchmal habe ich ein mehrseitiges Angebot geschrieben, in dem ich zusammengefasst habe, was ich gehört habe, was mein Auftraggeber meines Erachtens nach braucht, wer das tun könnte oder welche Anforderungen sie an jemanden stellen sollten. Diese Art Auftragsklärung ist für mich ein guter Weg, Dinge abzulehnen. Meine Auftraggeber fühlen sich hochgradig ernst genommen. Sie merken, dass mir ihre Sache sehr wichtig ist. Wichtiger, als um jeden Preis einen Auftrag zu bekommen. Das hat mir dann in der Regel neue Empfehlungen eingebracht. Insgesamt ist das ein Wertekonflikt: Da gibt es die Lust, zu wachsen und groß zu werden. Aber nicht um jeden Preis. Die letzten Jahre hat mich immer wieder die Frage begleitet: Wie bekomme ich ein gutes Zeitmanagement hin? Es gibt ja auch Familie, Partnerschaft, Freunde. Wie verteile ich meine Energie? Wie trenne ich Job und Privatleben? Trenne ich das überhaupt? Ich wusste nicht, dass es so große Auswirkungen hat, zuhause zu arbeiten. Ich habe mein Büro, aber manchmal fahre ich von zuhause aus zu Kunden. Ich habe immer noch keine optimale Lösung, wie ich dafür sorge, dass meine Sachen am richtigen Platz sind. Ich habe es bis jetzt nicht hingekriegt, eine vernünftige Logistik zu schaffen, sodass ich nicht von Ort zu Ort fahre, weil ich Sachen brauche. Hast du überlegt, zu wachsen und größer zu spielen? Ja, den Reiz zu wachsen und groß zu werden, gibt es. Ich habe in der Vergangenheit schon mit Kolleg*innen gearbeitet. Es muss halt passen – dann ist es gut. Trotzdem ist das nochmal ein großer Schritt und viele Fragen entstehen neu. Wie ist das, Mitarbeiter*innen einzustellen? Was bedeutet das an Formalitäten? Wie ist das, Personalverantwortung zu haben und für die Organisation eines größeren Betriebs verantwortlich zu sein? Angst vor dem Risiko habe ich nicht. Ich fühle mich unabhängig.

Wachstumszeiten – neue Herausforderungen

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2.5 Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend »Du bist deine eigene Grenze, erhebe dich darüber.« Hafis

Wandel

Wer die ersten Aufbaujahre geschafft hat, ist in der Regel im grünen Bereich. Dann tragen die Netzwerke und der eigene Bekanntheitsgrad. Und dennoch: Das Leben kann sich wandeln, die Märkte wandeln sich, man selbst wandelt sich, die Kund*innen ändern sich. Und Sie sind eingeladen oder herausgefordert, den Wandel zu gestalten. Wenn sich wirtschaftliche Rahmenbedingungen ändern, sind davon Einzelne betroffen, manchmal aber ganze Wirtschaftszweige, für deren Geschäftsmodell plötzlich die Grundlage fehlt. Trends

Es ist gut, Entwicklungen im Auge zu behalten, die irgendwann für das eigene Tun relevant werden könnten. Öffentliche Diskussionen sind manchmal wie ferne Blitze, die zeigen, dass ein Gewitter naht. Treffen könnte es die Heilpraktiker*innen, wenn sich Pläne durchsetzen, die jetzigen Gesetze zu verändern und ihren Beruf abzuschaffen. Zwar wird es Bestandsschutz für diejenigen geben, die im guten Glauben eine Ausbildung als Heilpraktiker*in durchlaufen haben. Trotzdem ist davon auszugehen, dass eine große öffentliche Debatte für das ganze Geschäftsfeld Wirkung zeigen könnte. Sicher ist: Der Trend geht in Richtung Digitalisierung – das könnte auf Dauer auch die Dienstleistungsbranche fundamental verändern. Wie bei allen Entwicklungen ist die Frage »Muss ich da mitmachen?« nicht eindeutig zu beantworten. Ich kenne Berater*innen, die so fest im Sattel sitzen, dass sie es sich leisten können, zu sagen: »Das ist nichts für mich.« Wer aber heute startet, wird um das Thema Online-Angebote nicht herumkommen. Sie müssen nicht auf jeden Zug sofort aufspringen, aber wenn Sie am Ball bleiben wollen, müssen Sie Entwicklungen beobachten, um rechtzeitig zu reagieren. Je flexibler und reaktionsbereiter Sie sind, desto weniger hart treffen Sie Krisen. Setzen Sie nur auf eine bestimmte Kundengruppe, sind Sie abhängig. Haben Sie einen breit gefächerten Kundenstamm, können Sie das Wegbrechen von Aufträgen in einem Bereich kompensieren.

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Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Mit Krisen umgehen

»Ich kann nicht klagen …« – wer selbstständig ist, mag es in der Regel nicht zugeben, wenn es gerade nicht gut läuft. Hieße das nicht, dass man sich selbst kaputt redet? Wer geht zu dem, der offensichtlich nicht erfolgreich ist oder selbst im Umbruch? Bedeutet mangelnder Erfolg nicht immer auch, dass man irgendetwas falsch gemacht hat? Corona hat eindrucksvoll gezeigt, dass eine Krise jeden jederzeit treffen kann – ganz ohne ein persönliches Versagen. Auch diejenigen, die vor der Pandemie volle Auftragsbücher hatten, standen mitten im Lockdown auf einmal vor einem Scherbenhaufen. Der Unterschied ist, dass Corona uns als kollektives Schicksal ereilt hat, während viele andere Krisen als persönliches Schicksal erlebt werden. Krisen treffen uns auch im Innern hart. So manchen habe ich während des Corona-Lockdowns innerlich kämpfen sehen. Viele wurden durch das Wegfallen der Aufträge auch in ihrem Selbstwert erschüttert. Denn Kund*innen und Aufträge sind auch positive Spiegel, die das Gefühl vermitteln, gewollt zu sein. Wer sich in der Arbeit erfährt, erlebt die eigene Kompetenz. Fehlt dies, wird so mancher zurückgeworfen in die Gefühlswelt zu Beginn der Selbstständigkeit. Die Fähigkeit von Menschen, sich neu zu orientieren und an neue Umstände anzupassen, ist bewundernswert. Viele haben sich erstaunlich schnell erholt; für andere ist es schwieriger, sich neu zu verorten. Selbst unterwegs

In persönlichen Gesprächen, bei Netzwerktreffen, durch Supervisionen, auf Veranstaltungen und durch die Interviews für dieses Buch wurde mir deutlich, wie brisant es sein kann, wenn man als Systemiker*in auf einmal mit existenzieller Unsicherheit zu kämpfen hat. Wie schwierig es ist, nach außen Kompetenz zu repräsentieren, während man innen mit eigenen Zweifeln und Fragen umgehen muss. Wie herausfordernd es ist, als Beraterin und Supervisor, Trainerin und Therapeut den anderen zu helfen, mit Krisen fertig zu werden, in denen man selbst steckt. Keine Frage: Wir Systemiker*innen haben durch unsere Ausbildungen ein wunderbares Repertoire, uns selbst aus Krisen zu befreien – oder uns rechtzeitig Unterstützung zu holen. Doch egal wie erwachsen und kompetent wir sind, wie cool und stark, wie kompetent und groß – wir Menschen haben innerlich doch immer auch kindliche, verzweifelte, kritische und unsichere Anteile. Wir sind erfahren und resilient und weise – aber nicht nur. Wir müssen selbst die innere Balance halten. Egal wie erfolgreich wir sind, wir behalten im Innern Ängste und Zweifel, Fragen nach Identität, den Wunsch, gesehen und wertgeschätzt zu werden. Dies ist bei uns Berater*innen untrennbar verbunden mit unserer beruflichen und Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend

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fachlichen Identität. Wie wir mit uns selbst und unseren Themen umzugehen gelernt haben, das ist Teil dessen, was wir Klient*innen zur Verfügung stellen. Und gleichzeitig sind wir nicht ein für allemal davor gefeit, selbst innerlich zu arbeiten. Auch wir stecken in Prozessen. Auch wir fragen uns, wie es weitergehen soll. Auch wir sind nicht immer voller Selbstbewusstsein. Unsere Aufgabe ist es, einerseits für unsere Klient*innen da zu sein – und gleichzeitig gut für uns zu sorgen. Wie wir eigene innere Themen und unser Verhältnis zu unseren Klient*innen balancieren, ist elementarer Teil unserer unternehmerischen Außendarstellung. Trauen wir uns zuzugeben, dass auch wir mit uns und unseren Problemen ringen? Oder inszenieren wir uns, bewusst oder unbewusst, als die, die es »klar haben im Leben«? Es geht nicht darum, uns selbst zu Klient*innen zu machen und Mitgefühl bei unseren Kund*innen hervorzurufen. Wenn sie glauben, uns trösten zu müssen, kippt es. Und doch ist die Frage, wie ehrlich wir uns trauen, unsere eigene Menschlichkeit zu zeigen. Persönliche Umbrüche

Jenseits gesellschaftlicher Entwicklungen können es persönliche und unternehmerische Prozesse sein, die uns in Phasen geraten lassen, wo wir das bisher Aufgebaute infrage stellen. Entweder weil es nicht mehr oder nicht mehr so gut funktioniert, weil sich Märkte und Kund*innen verändern und wir von außen zu Veränderung gezwungen sind. Oder weil es innen rumort und wir nicht mehr länger tun wollen, was wir bisher so getan haben. Vielleicht möchten Sie nach Jahren der Selbstständigkeit neu aufbrechen. Vielleicht stimmt das, was Sie tun, nicht mehr – oder nicht mehr so wie bisher. Dann gilt es, neue Wege zu prüfen. Da, wo Sie Neuland betreten, kehrt die alte Aufregung zurück. Es stellen sich die gleichen Fragen wie am Anfang. Voraus haben Sie die Erfahrung, dass Sie wissen, dass Sie neue Wege bewältigen können. Aber ob das, was Sie jetzt vorhaben, gelingen wird, wissen Sie wieder nicht.

Impuls: Wo stehen Sie? Es hilft, den Blick auf die Zahlen und auf Ihre Lust zu richten: Ȥ Analysieren, wie es um Ihre Zahlen steht: Ist es notwendig, Gas zu geben? Sind Ihre Einnahmen in nächster Zeit gesichert, oder drohen Einbrüche, sodass Sie neue Aufgaben an Land ziehen müssen? Wie regelmäßig kommen Anfragen von allein? Müssen Sie nachhaltig etwas tun, um den Zustrom zu sichern? Ȥ Was sagt Ihre Lust? Während sich Gründer*innen viele Gedanken machen, wie sie sich aufstellen wollen, geht es vielen Selbstständigen mit der Zeit so, 44

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

dass sie mal hier Ja gesagt haben und dann da. Daraus ergibt sich ein Potpourri von Aufträgen, das die Existenz sichert. Aber ist es das, was Sie wirklich wollen? Es lohnt sich, sich zwischendurch Auszeiten zu genehmigen und eine Bestandsschau zu machen. Durch welche Aufträge kommt wie viel Geld herein? Wo stehen Aufwand und Ertrag – finanziell wie energetisch – in einem guten Verhältnis? Was macht Ihnen wirklich Spaß? Was inspiriert Sie? Sind vielleicht neue Interessen und Arbeitsgebiete hinzugekommen, die Sie jetzt viel mehr reizen als das, was Sie schon immer tun? Und können Sie es sich leisten, sich zu verändern? Ȥ Auch »Aufräumen« ist eine gute Idee. So wie sich in einem Haus mit der Zeit Dinge ansammeln, die vielleicht nur noch aus nostalgischen Gründen da sind oder einfach, weil Sie bisher keine Zeit hatten, sie wegzuräumen, kann es sein, dass Sie Aufträge nur deshalb annehmen, weil Sie es so gewohnt sind. Prüfen Sie: Passt das noch, was Sie tun? Ȥ Hilfreich ist auch der Gegencheck: Gibt es genug Zeit für Familie, Sie selbst, Hobbys, Freunde, Ausgehen, Nichtstun, Urlaub, Freiheit, Natur, Sport und Bewegung? Oder liegen wichtige Bereiche in Ihrem Leben dauerhaft brach, weil Sie ständig so viel zu tun haben? Ȥ Es kann sein, dass Sie zu dem Schluss kommen, dass das so ist – Sie arbeiten dauerhaft zu viel, aber Sie wissen nicht, wie Sie aus der Mühle herauskommen sollen, denn von Ihnen hängt viel ab. Andere sind finanziell abhängig, Sie müssen Kredite tilgen, Betriebskosten hereinholen, Mitarbeiter*innen sichern. Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick scheint es keine Spielräume für Veränderung zu geben. Es bleibt Ihnen gefühlt nichts anderes übrig als weiterzumachen. Das ist der Zeitpunkt, an dem Sie mit anderen sprechen sollten. Man wird schnell betriebsblind und sieht eigene Handlungsmöglichkeiten nicht mehr. «Don’t think out of the box. Think like there is no box.« Wir brauchen mitunter Anregungen von außen, unsere eigene »box« zu verlassen – auch als Systemiker*innen. Was können Sie tun? Sie können Ausgaben und Verpflichtungen überprüfen. Sie können schauen, ob Sie hochpreisigere Angebote machen und Ihre Honorare erhöhen können. Vielleicht finden Sie neue Auftraggeber, die besser bezahlen. Sie könnten darüber nachdenken, neue Geschäftsfelder hinzuzunehmen, in denen eine lukrativere Bezahlung möglich ist. Vielleicht müssen Sie sogar ganz grundlegend darüber nachdenken, wie Sie sich aufgestellt haben. Resilienz

Was hilft, Umbrüche zu bewältigen? Humor, die Fähigkeit, trotz Schwere zu lachen, gute Freunde, professionelle Helfer*innen, Stabilität in persönlichen Lebensbereichen – dies alles sind Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend

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wichtige Resilienzfaktoren. Was Systemiker*innen tagtäglich üben, hilft auch im eigenen Leben: Reframen – den Blick nicht in die Vergangenheit wenden, sondern auf das Jetzt und das Morgen. Im Umbruch steckt stets die Möglichkeit zum Neuanfang – vielleicht ist die neue Lösung sogar die bessere. Das, was Sie in anderen Lebensbereichen krisenfest macht, zahlt sich auch in Ihrer Selbstständigkeit aus: Es gilt, nach einer Phase des Schocks und der Trauer wieder handlungsfähig zu werden, die neuen Realitäten zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Manchmal liegen gerade im Zusammenbruch verborgene Chancen – auch wenn Sie diese im ersten Moment vielleicht noch nicht würdigen können. Wer sprechen kann, wer sich Rat und Trost holt, bewältigt schwierige Zeiten besser. Als Selbstständige*r brauchen Sie andere Selbstständige – Sie brauchen Räume, in denen Austausch über unternehmerische, fachliche und persönliche Fragen möglich ist. Sie brauchen Menschen, die Ihnen ein wertschätzender und ehrlicher Spiegel sind, Menschen, denen Sie vertrauen, mit denen Sie Fortschritte und Rückschläge ehrlich besprechen können, die sich mit Ihnen freuen, wenn Sie Meilensteine schaffen, die mitfühlen, wenn Sie Großes bewältigen, und die Sie bestärken, wenn die Dinge schwierig sind. Intervision und Supervision sind für Systemiker*innen selbstverständlich, um fachliche Standards aufrechtzuerhalten. Super ist es, wenn Sie Kontexte finden, in denen Sie auch die unternehmerische Seite mit thematisieren können. Gefragt ist Ihre Kreativität. Es braucht den Mut, eigene Wege zu gehen, Dinge auszuprobieren. Sie wissen nicht, was funktionieren wird, bis sie es ausprobiert haben. Gerade das Verrückte, Neue kann die Lösung sein – das, wovon Ihnen jede*r abrät. Die Kunst liegt darin, zwischen Eigensinn und Festhalten an den eigenen Ideen und Lernfähigkeit zu pendeln.

Dr. Steffen Elbert: Die Erfolgreichen brennen für das, was sie tun Dr. Steffen Elbert begleitete Führungskräfte bei ihrer professionellen und persönlichen Weiterentwicklung und Potenzialentfaltung. Der Naturwissenschaftler ist als Systemischer Coach, Berater, Supervisor (DBVC, DGSF) und EMDR-Coach (VDH) zertifiziert und hat Weiterbildungen in Psychotraumatologie, Klinischer Hypnose, Systemaufstellungen, PEP®, Somatic Experiencing® und systemischer Organisationsberatung absolviert. Steffen Elbert war über zwanzig Jahre als Berater/Partner in zwei weltweit agierenden Unternehmensberatungen (Boston Consulting Group, Egon Zehnder) tätig. Heute ist er selbstständig (www. steffenelbert.com).

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Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Du bist schon lange in verschiedenen Bereichen beruflich unterwegs. Vor einigen Jahren hast Du nochmal große Veränderungen gewagt. Du hast viele Jahre in der Unternehmensberatung gearbeitet und irgendwann gesagt, du willst etwas ganz anderes machen. Ja, ich war 22 Jahre angestellt beziehungsweise Partner in zwei großen Unternehmensberatungen. Partner heißt Gesellschafter, das heißt, ich war Miteigentümer in diesen beiden Gesellschaften und damit im weitesten Sinne auch unternehmerisch tätig. Und gleichzeitig ist es natürlich ein Unterschied, ob man in einem Unternehmen ist, das Milliarden Umsatz macht, oder ob man eine kleine Praxis hat. Wenn man an so einem Punkt ist, hat man es doch »geschafft«? Was hat dich bewogen, da auszusteigen? Das hatte mehrere Gründe. Für mich hat es sich so angefühlt, als würden zwei Herzen in meiner Brust schlagen. Das ist für mich selbst erst so richtig greifbar geworden, als ich meine Webseite aufgesetzt habe. Als ich Texte für die »Wer bin ich/Wofür stehe ich«-Seite schreiben sollte, musste ich diese Fragen erstmal für mich selbst klären. Ich habe den Text vielleicht fünfzig Mal geschrieben und immer wieder verworfen. Ich hatte immer wieder das Gefühl: »Das ist es nicht.« Am Ende ist mir Folgendes klargeworden: Es scheint zwei SchwerpunktMotivatoren in meinem Leben zu geben. Der eine ist der Wunsch nach Erkenntnis, die Neugier, Dinge wirklich verstehen zu wollen und Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Der zweite Motivator ist im weitesten Sinne etwas »Seelsorgerisches«: Menschen bei wirklich relevanten Themen begleiten zu dürfen. Diese beiden Herzen – Erkenntnis und »Seelsorge« – haben in meinem Leben sehr unterschiedlich miteinander gewirkt. Aufgrund der Prägungen in meinem Elternhaus bin ich zu Beginn meines Berufslebens zunächst vor allem dem »Erkenntnis-Herz« gefolgt. Du bist entsprechend auch erstmal Naturwissenschaftler geworden, oder? Genau, ich war früh bei »Jugend forscht« aktiv und habe mich sehr für Biochemie und Molekularbiologie begeistert. In dem Bereich habe ich dann studiert und auch promoviert. Das war gut für mein »Erkenntnis-Herz«. Das andere, das »seelsorgerische Herz«, habe ich eher privat ausgelebt. Ich habe damals für mich die evangelische Kirche als Ort gefunden, wo ich das ziemlich gut verwirklichen konnte. Ist ja spannend. Am Wort »seelsorgerisch« blieb ich eh gerade hängen. Du meinst wirklich »seelsorgerisch«? Ich sehe mich auch heute noch ein Stück weit als »Seelsorger«. Ich habe heute in meiner Arbeit durchaus auch einen spirituellen Ansatz und arbeite auch öfter Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend

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mit dem Begriff der Seele. Es geht mir dabei um das Ganzheitliche, das größere Ganze, die spirituelle Dimension unseres Lebens. Nachdem ich das Studium fertig hatte, hat das zweite Herz  – die seelsorgerische Seite – etwas rebelliert und gesagt: »Ich will jetzt nicht ins Labor in einem Chemieunternehmen. Das hat zu wenig mit den Menschen zu tun.« So bin ich zur Unternehmensberatung gekommen. Dort fand ich ein für mich damals gutes Verhältnis von Erkenntnis, dem Erarbeiten von Strategien, und dem Arbeiten mit Menschen, den Kunden- und Beraterteams. Nach zwölf Jahren kam dann der nächste Umbruch in meinem Leben. Das hatte mehrere Ursachen. Ich empfand eine gewisse Sättigung gegenüber dem fachlichen Teil der Arbeit. Gleichzeitig hat mich die Dynamik auf der Führungsebene, das Menschliche, immer stärker interessiert. Und ich war irgendwie neugierig auf etwas Neues. Ich wollte noch mehr mit Menschen arbeiten, sie begleiten. Das kann man in der Unternehmensberatung nicht so gut, weil man das Mandat dafür nicht hat. Und dann kam als Auslöser die Geburt meines Sohnes dazu. Als Berater ist man oft fünf Tage in der Woche unterwegs. Man ist eigentlich immer am Arbeiten. Ich wollte meinen Sohn gerne aufwachsen sehen. Aber das war natürlich ein großer Umbruch. In der klassischen Karrieresicht geht man nicht aus einer Beratung weg, wenn man mal Partner ist. Das kommt nicht vor, das macht man nicht? Wenn du Partner bist, gehst du nicht mehr? Genau. So sehen es viele: Partner zu sein, ist für viele das Ziel. Ich habe nach dem Ausscheiden aus der Unternehmensberatung nach Möglichkeiten gesucht, noch mehr mit Menschen zu machen. Eigentlich wollte ich da schon ins Coaching wechseln. Ich hatte überlegt, mich selbstständig zu machen, habe aber damals in den mir sichtbaren Schulen des Coachings keine Heimat gefunden. Ich habe viele Coaches selbst erlebt. Vor allem viele nicht systemisch arbeitende Kolleginnen und Kollegen. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich das oft nicht überzeugt hat. Was hat dir gefehlt? Für mich selbst waren das früher oft Prozesse, die mich persönlich nicht wirklich in die Veränderung geführt haben, sondern oft bei der Analyse steckengeblieben sind. Das mag auch an mir gelegen haben, jedenfalls war es für mich nicht der richtige Weg. Deshalb bin ich in die Personalberatung gewechselt. Da ist man nochmal ein ganzes Stück näher am Menschen als in der Unternehmensberatung. Man wird beauftragt, den*die Richtige*n für eine bestimmte Führungsposition zu finden. Dabei geht es darum, Führungskräfte einzuschätzen. Man versucht, ein 48

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Gefühl zu bekommen, ob jemand in das suchende Unternehmen passen würde: Kann der*die das gut machen, passt er*sie ins Team, in die Kultur? Das habe ich dann nochmal neun Jahre gemacht. In dieser Zeit bin ich auch mit dem systemischen Arbeiten in Kontakt gekommen und war sehr begeistert. Deshalb habe ich parallel angefangen, mich systemisch ausbilden zu lassen, als Berater, Coach, Supervisor, Organisationsberater. Ich fand, das war genau das, wo meine beiden Herzen eine ideale Balance zu finden scheinen. Ich habe parallel versucht, in der Personalberatung das Thema Personalentwicklung als Beratungsangebot aufzubauen, weil ich darin eine gute Ergänzung des Angebots sah, und es das war, was mich immer mehr begeistert hat. Aber das war nicht ganz einfach, und es ist mir klar geworden, dass die Umsetzung der Idee aus verschiedenen Gründen relativ lange dauern würde. So lange wollte ich nicht warten. Deshalb habe ich mich zum dritten Mal für einen Umbruch entschieden. Du erzählst das recht souverän. War das schwer? Absolut. Ich habe mit dem Weggehen aus der Personalberatung sehr lange gehadert. Das heißt, du warst noch da und konntest dich nicht entschließen, es zu tun? Das ist für jemanden, der ein Sicherheitsbedürfnis hat wie ich, kein einfaches Thema. Man verlässt einen sicheren Job, eine Partnerschaft, wo feste Gehälter und ein soziales Sicherheitsnetz zur Verfügung stehen, und geht ins Unbekannte. Und man fragt sich: »Kriegst du Klient*innen? Funktioniert das?« Ich habe es trotzdem irgendwann gewagt, weil ich es unbedingt machen wollte. Mir hat damals Folgendes geholfen: Ich hatte als Berater mit Hunderten von Topmanagern gesprochen. Was meiner Erfahrung nach die – aus der klassischen Karrieresicht – erfolgreichen Manager zu unterscheiden schien, war, dass sie alle für das brennen, was sie tun. Es schien relativ zweitrangig, was sie gelernt haben, was sie studiert haben, ob sie im Ausland waren, ob sie aus vermögenden oder weniger vermögenden Elternhäusern kommen. Die »Erfolgreichen« scheinen für das zu brennen, was sie tun. Sie folgen Ihrer Begeisterung. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt. Ich habe gemerkt: Ich will das einfach. Das könnte das werden, für das ich »gedacht« bin. Auch wenn mir klar war, dass es wirtschaftlich nicht so einfach werden würde: Neue Klient*innen kommen meist nur über Empfehlungen, die man sich erst einmal erarbeiten muss, und letztlich ist man völlig auf sich selbst gestellt. Wie lange machst du das jetzt schon? Sechs Jahre. Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend

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Ich hätte gedacht, okay, der Bruch ist schwierig, aber nach zwei, drei Jahren fliegst du da mit?! Mit den Kontakten und den Vorerfahrungen, die du hattest? Naja, ich habe zunächst auch meinen Lebensstil anpassen müssen. Das war für mich weniger schwierig als gedacht, weil ich im Gegenzug das arbeiten konnte, was mir wirklich Spaß macht. Und dann kam das Geschäft gut ins Laufen. Allerdings ich bin ja auch mit einer sehr speziellen Zielgruppe unterwegs – mit TopFührungskräften. Ich werde dort auch aufgrund meiner beruflichen Biografie gebucht. »Der weiß, in welchen Kontexten ich als Führungskraft oft tätig bin« – der positive Effekt einer Zuschreibung. Im Sinne von: »Der versteht mich«? »Der hat eine für mich relevante Feldkompetenz«, wenn ich mal in Beraterterminologie rede. Ich habe mal diesen schönen Spruch gelernt: »You need a business excuse to get personal.« Diesen »geschäftlichen Vorwand« scheine ich oft ganz gut zu bedienen, glaube ich. »Der war lange bei einer Unternehmens-/ Personalberatung, der ist anschlussfähig an meine Themen.« Reden die denn ehrlich miteinander und erzählen sich untereinander: »Bei dem kannst du auch über deine tieferen Anliegen sprechen«? Das kann ich dir nicht genau sagen. Ich kann nur sagen, Klient*innen finden mich auf den verschiedensten Kanälen, zum Teil sind es recht skurrile Verbindungen. Aber die meisten rufen an und sagen: »Sie sind mir empfohlen worden. Ich möchte Sie gerne kennenlernen.« Du fragst nicht genau, wie und woher? Doch, wenn ich kann, schon. Manchmal bekomme ich eine Antwort, manchmal nicht. Wie hast du angefangen, als du dich selbstständig gemacht hast? Hast du deine alten Kontakte abtelefoniert? Oder darauf vertraut, dass sie dich schon finden? Ich habe damals, als ich die Personalberatung verlassen habe, viele Kontakte, mit denen ich zu tun hatte, informiert: »Ich verändere mich.« Und meine neue Tätigkeit kurz beschrieben, den Link zur Website angehängt. Ich glaube, es braucht vor allen Dingen Mut. Und es ist gut, wenn man sich damit beschäftigt, wie man so ein Geschäft aufbauen will. Wenn man »Coaching Hamburg« googelt, erhält man 15 Millionen Einträge – bei knapp zwei Millionen Einwohnern. Man sollte sich schon mit der Frage beschäftigen: Was will ich anbieten? Für wen genau will ich es anbieten? Für welchen Preis will ich es 50

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anbieten? Was ist mein Alleinstellungsmerkmal? Wie kann ich mich bekannt machen? Man muss da Zeit reinstecken, das zu durchdenken. Du musstest das aber erst bei deinem letzten Wechsel, oder? Als du Partner warst – da hat man eine Struktur, eine Organisation, eine Webseite … Du musstest nicht selbst Marketing machen. Es gab natürlich funktionierende Strukturen und die beiden Beratungen waren als sehr starke Marken bei den Klient*innen bekannt im Markt, man musste die Marke nicht erst grundlegend aufbauen. Aber ich war auch dort für die Akquisition neuer Projekte verantwortlich. Mit der Selbstständigkeit ging es darum, meine eigene Marke zu etablieren. Heute bin ich auf Führungskräfte der obersten Ebene spezialisiert. Wenn ich in einem Satz beschreiben soll, was ich heute tue, lautet der: »Ich begleite Führungskräfte, die sich selbst im Weg stehen.« Ich begleite sie bei den Themen, bei denen sie beruflich – und oft auch persönlich – alleine nicht weiterkommen und ein gewisser Leidensdruck entstanden ist. Ich beschreibe das, was ich tue, als Führungskraftentwicklung. Das hat sich in den letzten vier, fünf Jahren herauskristallisiert. Und wenn ich zurückdenke, wie das passiert ist, dann merke ich: Ich bin meiner Passion gefolgt. Du hast das gefunden, was dich selbst brennen lässt. Ja, absolut. Ich lasse mich mehr von meiner Passion leiten als von der betriebswirtschaftlichen Attraktivität der Anfragen oder von klassischen »Karrierebildern«. Das heißt auch, manchmal Anfragen nicht anzunehmen. Ich habe in der Beratung gelernt, dass Strategie auch bedeutet, klar darin zu sein, was man nicht (mehr) tut. Du meinst, Dinge, die weniger finanziellen Output bringen? Ich erlaube es mir mehr und mehr, nicht nur primär aufs Finanzielle zu schauen. Ich sage Projekte, die nicht meiner Passion entsprechen, auch mal ab, obwohl sie mir mehr Ertrag bringen würden. Ich mache zum Beispiel nur noch selektiv Teamentwicklungen, die oft kommerziell deutlich attraktiver sind als Einzelsitzungen. Ich bin allerdings oft im Zweifel, ob die angefragten Teamentwicklungen wirklich wirksam und zielführend sein können, weil das darunter liegende Problem oft ein Führungsproblem zu sein scheint, für das man dann kein Mandat hat. Und Wirksamkeit ist ein wichtiger Teil meiner Passion. Und das ist auch ein Ergebnis der letzten Jahre: Dinge anzunehmen und zu machen, auszuwerten und herauszufinden, was so richtig deins ist. Genau. Umbrüche, Aufbrüche und Neuanfänge – es bleibt spannend

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Was davon hattest du klar, als du dich verändert hast? Als du gesagt hast, ich gehe jetzt solo-selbstständig los? Mir war klar, dass ich mit Menschen an Themen arbeiten will, die wirklich wichtig und relevant sind, die sie bewegen. Wo ein entsprechender Leidensdruck herrscht oder die Sehnsucht nach Veränderung groß ist. Und mir war klar, dass es sich anbot, zunächst auf meiner Feldkompetenz aufzubauen. Das ist wahrscheinlich auch geblieben, oder? Ja, das ist die rote Linie bis heute. Ich bin aber heute klarer darin, was mir wirklich wichtig ist. Ich bin auch irgendwie kompromissloser geworden. Und diese Urpassion ist geblieben. Deshalb ist es schön, dass du an dem Begriff »seelsorgerisch« hängen geblieben bist. Ich wäre heute kein guter Begleiter für eine*n Klient*in, dem*der es vor allem darum geht, Themen nur oberflächlich anzukratzen – bei allem Verständnis für die Not und die vermutlich verständliche Logik hinter der Vermeidung der Tiefe. Mir geht es heute um das, was in unserem Verhalten und Denken wirkt, was uns abhält, die Muster zu durchbrechen, die nicht hilfreich für ein »gutes Leben« sind, worauf beispielsweise die körperlichen Symptome hinweisen wollen etc. Und um diese tieferen Prozesse halten zu können, habe ich viele zusätzliche Ausbildungen gemacht, in Hypnose, Psychotraumatologie, Aufstellungsarbeit, Embodiment-fokussierten Methoden und einiges mehr. Und manchmal gibt es Phasen bei meinen Klient*innen, da brauchen die eher ein unternehmensberaterisch orientiertes Gespräch. Bei einem meiner Klienten hat es sich während unseres Prozesses zum Beispiel so entwickelt, dass der Teilbereich des Konzerns, den er leitet, verkauft werden sollte. Bei so einer großen Veränderung geht es nicht primär darum, an irgendwelchen tieferen, persönlich-emotionaleren Themen zu arbeiten. Da ist oft erstmal dran, zu überlegen, wie der- oder diejenige jetzt effektiv in diesem Umfeld sein kann. Dann sprechen wir eine Zeit lang über eher unternehmensberaterisch orientierte Themen. Das heißt, du bist perfekt für die, weil du Grenzgänger bist. Weil du das Wissen aus beiden Welten hast. Deine Kunst ist es aber auch, das in ein Kleid zu hüllen, das für diesen Kontext anschlussfähig ist. Ich gehe flexibel auf das ein, worum es geht. Ich versuche, mich konsequent an dem Anliegen zu orientieren. Hier hilft oft meine in der Beratung geschulte Zielorientierung – es geht mir primär um das Ergebnis, weniger um die Methode oder um Kategorien des Arbeitens. Auch das ist bei meiner Zielgruppe oft anschlussfähig. Natürlich weiß ich gleichzeitig, wo meine Grenzen sind.

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Bist du zufrieden jetzt? Hast du Ziele, wohin du dich weiter entwickeln willst? Ja, ich bin beruflich sehr zufrieden. Ziele habe ich aber natürlich auch noch. Ein Dauerziel ist es, mit immer mehr Klient*innen, die dafür offen sind, an den für sie wirklich relevanten Themen zu arbeiten und noch nachhaltiger wirksam zu sein. Auch überlege ich immer wieder, wie ich mein Angebot auch Klient*innen außerhalb meiner heutigen Zielgruppe zur Verfügung stellen kann – wo ich noch anschlussfähig und wirksam sein könnte. Und ich möchte gerne mehr Aufstellungsarbeit in Gruppen anbieten – für alle Interessierten, also auch jenseits der Führungszielgruppe. Damit habe ich Ende letzten Jahres begonnen, aber ich empfinde das als einen steinigen und mühsamen Weg, weil ich eine völlig neue Zielgruppe ansprechen möchte und wieder etwas von Null aufbauen muss. Insgesamt geht es auch bei meinen Zielen darum, Menschen dabei zu begleiten, in wirklich nachhaltige, tiefe Veränderung und mehr zu einem »guten Leben« zu kommen. Das befriedigt mich zutiefst.

2.6  Groß werden – was trauen Sie sich zu? »Größe ist ein Zustand des Geistes.« Matthew Arnold

Wie groß wollen Sie spielen? Lockt es Sie, größer zu werden, selbst Chef*in zu werden? Irgendwann können Sie die Menge der Anfragen nicht mehr allein bewältigen: Entweder Sie sagen Nein, Sie geben Aufträge an andere ab, oder Sie lassen andere für sich arbeiten. Sie entscheiden sich, zu wachsen. Wachsen bedeutet, andere Menschen in Ihre Selbstständigkeit zu integrieren – sei es als Mitarbeiter*innen oder als Auftragnehmer*innen. Chancen

Wachsen bedeutet Chancen: Sie können große Visionen verwirklichen. Mit ande­ ren gemeinsam können Sie viel mehr bewegen als allein. Sie schaffen Syner­gie­ effekte. Sie können sich auf das konzentrieren, was Sie besonders gut können – und sich für andere Aufgaben Mitstreiter*innen suchen. Sie haben die Chance, Größeres zu schaffen und mehr zu bewältigen, als Sie es aus eigener Kraft könnten. Sie können sich Menschen suchen, die andere Fähigkeiten in Ihr Unternehmen einbringen. Und natürlich haben Sie die Chance, auch wirtschaftlich zu wachsen und Ihren Gewinn zu steigern. Groß werden – was trauen Sie sich zu?

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Größer zu spielen, kann bedeuten, dass mehr für Sie abfällt. Sie sind in der Lage, ein größeres Aufgabenvolumen zu bewältigen als allein. Wenn Sie größer sind, werden Sie von Auftraggeber*innen ernst genommen, die Sie als One-Manoder One-Woman-Show ignorieren würden. Synergieeffekte entstehen dadurch, dass bestimmte Aufgaben von einer darauf spezialisierten Person erledigt werden können, statt dass Sie selbst von allem ein bisschen verstehen müssen. Es kann eine enorme Entlastung bedeuten, wenn Sie Dinge delegieren können, statt sich über alles Halbwissen aneignen zu müssen. Neue Aufgaben

Der Schwerpunkt Ihrer Aufgaben wird sich verlagern. Es geht nicht mehr darum, alles möglichst allein zu schaffen, sondern dafür zu sorgen, dass Dinge erledigt werden, dass andere mit allem ausgestattet sind, was sie brauchen, um ihren Job gut machen zu können. Sie müssen nun lernen, für ein großes Ganzes zu denken. Führung und gute Organisation werden Ihre Hauptaufgaben, denn es geht nun darum, eine gemeinsame, in eine Richtung gelenkte Bewegung zu erzeugen. Im besten Fall ist die Belohnung ein Wirgefühl, die Erfahrung, dass gemeinsame Energie Berge versetzen kann und der ständige Austausch im Team Anregung erzeugt. In den meisten Fällen werden Sie sich aber auch mit Alltagskleinklein und Konflikten herumärgern. Ähnlich wie in einer Partnerschaft streben nicht automatisch alle in dieselbe Richtung und es bedarf mühseliger Aushandlungsprozesse und Motivationsarbeit. Mehr Verantwortung

Umgekehrt bedeutet es mehr Verantwortung, wenn andere von Ihnen wirtschaftlich abhängig sind. Von einem Auftragseinbruch sind nicht nur Sie selbst betroffen, sondern auch Mitarbeiter*innen, für die Sie sich verantwortlich fühlen. Sie drehen größere Summen, und die Herausforderung besteht darin, den Überblick zu behalten. Unprofessionalität und eine »Irgendwie komme ich schon durch«-Haltung funktionieren nicht mehr. Es geht darum, professionelle Strukturen und geordnete Prozesse zu schaffen, damit Hand in Hand gearbeitet werden kann. Darin liegt eine große Chance zur Reflexion des eigenen Tuns. Wo Sie früher im Zweifelsfall allein vor sich hin wurschteln konnten, sind Sie nun eingeladen, Ihr Tun auf andere abzustimmen. Mit den Führungsaufgaben kommen ganz neue Verantwortlichkeiten auf Sie zu. Lohnbuchhaltung und Arbeitsrecht sind eine herausfordernde Materie. Spätestens jetzt sollten Sie eine*n Steuerberater*in einschalten, um alles richtig zu machen. Viele unterschätzen, wie tiefgreifend der Wandel von der Fachkraft zur Führungskraft ist. Wenn Sie Ihre fachliche Expertise füttern, können Lern54

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prozesse diffus sein. Alles, was Sie können – wo auch immer Sie es gelernt haben – kommt Ihrem Unternehmen zugute. Wenn Sie für ein größeres Ganzes denken und dafür Sorge tragen wollen, dass andere fachlich und unternehmerisch in Ihrem Sinne handeln, gilt es, Vieles zu bedenken: Was sind die Ressourcen, Kompetenzen, persönlichen Ziele, fachlichen Hintergründe, Motivationen derjenigen, die für Sie arbeiten? Welche Rahmenbedingungen schaffen Sie für diese und welchen Einfluss hat das auf ihre Motivation? Das betrifft die Höhe von Gehalt oder Honorar, den Arbeitsplatz, ob es die Chance zu Austausch mit Kolleg*innen gibt, wie der Kontakt mit Ihnen organisiert ist, wie sie eingearbeitet werden, was ihr Auftrag ist usw. Welchen Führungsstil wollen Sie etablieren? Sie werden vor ganz neuen inneren Herausforderungen stehen, wenn Sie mit der geleisteten Arbeit unzufrieden sind, wenn Sie sich fragen, wie viel Sie verlangen wollen und können, wie Sie andere zu besserer Arbeit und stimmigeren Ergebnissen bewegen können, was in Ihrem Namen für Sie vertretbar ist. Loslassen lernen

Zu wachsen kann einen Wertekonflikt heraufbeschwören: Sobald andere in Ihrem Namen losgehen, verlieren Sie Kontrolle. Sie können Standards definieren, Mitarbeiter*innen gut ausbilden, Inhalte vorgeben – aber es sind nicht mehr Sie. Jemand anderes bringt einen eigenen Stil mit, hat anderes gelernt, arbeitet anders, geht anders vor. Und damit können Sie einverstanden sein; das kann vielleicht an manchen Stellen sogar besser sein als das, was Sie machen – oder schlechter. Es ist in jedem Fall nicht mehr hundert Prozent Ihres. Dieser Wertekonflikt bedeutet, dass Sie lernen müssen, loszulassen, Verantwortung zu teilen, neue Strukturen zu schaffen, zu leiten, Mitarbeiter*innen einzustellen, Auftragnehmer*innen zu suchen. Statt dass Sie alles selbst machen, geht es darum, eine Organisation zu erschaffen, mit der es gelingt, den größer gewordenen Aufträgen gerecht zu werden. Es kann sein, dass Sie Ihre Mitarbeiter*innen beneiden, weil sie die inhaltliche Arbeit machen, während Sie zunehmend mit Verwaltungs- und Organisationstätigkeiten beschäftigt sind. Sie stellen fest, dass Leitung einsam machen kann, denn manche Informationen werden mit dem Chef oder der Chefin nicht geteilt. Sie werden Projektionsfläche für Ärger und alle möglichen Themen Ihrer Mitarbeiter*innen. Wenn man mit Mitarbeiter*innen von ehemals Soloselbstständigen spricht, so hört man mitunter, dass diese im Grunde von ihrem Mitarbeiter*innen erwarten, mit dem gleichen Arbeitsethos, mit der gleichen Verantwortung und Identifikation unterwegs zu sein, die sie selbst haben. Und in der Tat kann es für eine*n Freiberufler*in ausgesprochen schwer sein, zu akzeptieren, dass Groß werden – was trauen Sie sich zu?

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Mitarbeiter*innen eine Jobsicherheit genießen möchten, die für sie selbst nicht infrage kommt. Einerseits selbst das Risiko zu tragen und gleichzeitig jemand anderem Sicherheit zu vermitteln – dafür ist nicht jede*r geschaffen. Im Netzwerk wachsen

Manche*r experimentiert eine Weile mit der Anstellung von Mitarbeiter*innen, um zu merken, dass er*sie lieber im direkten Klient*innenkontakt steht und für sich feststellt: »Ich will doch lieber wieder alleine arbeiten. Ich will allein mein Ding machen. Ich will nicht Chef*in werden.« Wer Mitarbeiter*innen hat, verliert nämlich ein Stück Freiheit. Chef*in sein bedeutet, Mitarbeiter*innen im Blick zu behalten, sie sinnvoll zu beschäftigen und Konflikte auszutragen. Das ist ähnlich, wie wenn man Kinder hat – man trägt Verantwortung für andere, und das behagt nicht allen. Ein Mittelweg können spannende Modelle mit anderen Selbstständigen sein, die den Charme haben, dass man gemeinsam größer wird, ohne dass man klassisch Chef*in sein und in die Arbeitgeber*innen-Verantwortung gehen muss. So tun sich mehrere zu Akquise-Bündnissen zusammen oder bilden Netzwerke, die sich fachlich-inhaltlich ergänzen und gemeinsam nach außen auftreten. Manche von ihnen teilen auch die Einnahmen, andere bleiben formell eigenständig und schaffen nur eine gemeinsame Vermarktungsplattform.

Christine Viedt: Professionalisierung ist für mich ein Prozess Christine Viedt ist selbstständige Supervisorin und Beraterin. Gemeinsam mit ihrem Mann Armin Miehling hat sie die Beratungspraxis Köln-Lindenthal gegründet und aufgebaut und damit für vierzig Berater*innen Räume, eine Beratungsadresse, Austausch und Vernetzung geschaffen. Christine Viedt ist in der DGSF aktiv und dort Mitglied der Fachgruppe Supervision, Coaching, Organisationsentwicklung und Mitglied des Ethikbeirates (www.beratungspraxis-lindenthal.koeln). Christine, wie ist die Idee zu eurer Beratungspraxis entstanden? Ursprünglich haben wir zu dritt ein Beratungskonzept entwickelt und dafür Räume gesucht. Hier in Brühl, wo wir wohnen, war das schwierig. Dann kamen die Räume, die wir jetzt haben, quasi auf uns zu, als Armins Mutter erzählte, dass ihre Mieterin gekündigt hat und dass sie jemanden Neues suchen muss. Wir sagten: »Mensch, und wir suchen die ganze Zeit.« Wir mussten natürlich erst einmal überlegen, ob das passt und was wir aus diesen Räumen machen können. 56

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Für uns beide waren die Räume zu groß, und so entstand die Idee, sie anderen zur Verfügung zu stellen. Sie waren sehr vernachlässigt, wir mussten alles umbauen und renovieren. Es sah echt übel aus. Wir wollten unbedingt, dass es präsentabel und schön ist. Der Dritte ist dann abgesprungen, ihm war das Risiko zu groß. Er hat sich stattdessen lieber für eine Festanstellung entschieden. Wir mussten ja schon viel Zeit, Energie und Geld in das Ganze stecken. Erst hatten wir die Idee, feste Zeit-Pakete für die Räume anzubieten und haben einen Kostenplan aufgestellt: Fünf Stunden als Paket kosten so und so viel, drei Tage so und so viel. Das haben wir ein paar Leuten vorgestellt, aber die waren nur mäßig begeistert. Die Leute wollten sich vorab ungern auf ein bestimmtes Kontingent festlegen, das sie dann abnehmen müssen. Weil sie nicht einschätzen konnten, was sie genau brauchen würden. Wir haben also neu überlegt und beschlossen, wir machen das ganz anders. Wir verkaufen keine Pakete, sondern machen das stundenweise. Aber es gibt schon einen Grundsockel, den die Leute erstmal zahlen, um dabei zu sein? Ihr müsst ja auch Geld verbindlich einnehmen, um eure Kosten sicher zu decken. Ja, alle zahlen einen bestimmten Betrag; alle, die dabei sein wollen. Dafür stellen wir Materialien, Getränke, Karten, Stifte, Flipchart-Papier – was halt so gebraucht wird. Wir machen einen Vertrag mit den Leuten, die das verbindlich machen wollen. Bei unserer offiziellen Praxiseröffnung haben wir eine Liste ausgelegt, in die sich alle eintragen konnten, die daran interessiert waren, mitzumachen. Wir waren verblüfft, wie viele sich da schon eingetragen hatten! Mit denen haben wir uns dann zusammengesetzt und Verträge abgeschlossen. Von diesen »Ursprünglichen« sind übrigens noch ganz viele dabei. Hattet ihr vor allen Dingen euer Umfeld zur Eröffnungsfeier eingeladen? Auftraggeber, Kolleginnen, Freunde. Es kamen auch Leute, die sagten: »Ich habe gehört, dass ihr eine Praxis eröffnen wollt. Ich wollte mal gucken kommen, weil ich Interesse hätte.« Die Leute sind mit einer Neugierde dem Konzept gegenüber gekommen. Seitdem läuft es. Es gibt wenig Fluktuation. Wir haben einen festen Stamm von Mietern. Die meisten sind schon seit Jahren dabei. Es sind nur zehn Personen, die in fünf Jahren wieder gegangen sind – meist, weil sie gewachsen sind und eigene Räume haben wollten. Ihr habt die Aufnahme bei vierzig Leuten irgendwann gestoppt. Warum? Es braucht noch Flexibilität. Es ist blöde, wenn der Kalender immer voll ist. Allerdings gibt es für Externe die Möglichkeit, dass sie einfach anrufen und fragen, ob ein Raum frei ist. Groß werden – was trauen Sie sich zu?

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Würdest du sagen, das war ein super Schritt mit der Selbstständigkeit? Ja, das hat sich alles, im Nachhinein betrachtet, wunderbar gefügt. Selbstständig war ich seit Oktober 2013, angefangen mit dem Umbau haben wir im April, Mai 2014. Dann haben wir ein Jahr umgebaut. Das ging schön Hand in Hand. Ich war wirklich lange angestellt, und es war mir immer total wichtig, Sicherheit zu haben. Ich habe mein Arbeitsverhältnis beendet – im gegenseitigen Einvernehmen. Das war im Nachhinein betrachtet genau richtig. Ich habe gedacht, jetzt oder nie. Ich wage jetzt den Schritt! Was hat dich gelockt, an der Selbstständigkeit? Gelockt hat mich, meine eigene Frau zu sein. Dieses Gefühl, frei zu sein, über mich selbst und meine eigene Zeit bestimmen zu können. Mich nicht rechtfertigen zu müssen. Dieses Unabhängige. Das Eigene gestalten können. Aber auch Neugierde, wie mache ich das denn, wenn ich mich selbst strukturieren muss, wenn ich meinen eigenen Ideen Aufmerksamkeit schenken muss. Das fand ich spannend. Hat euer Praxiskonzept deine Selbstständigkeit gepusht? Ja, das hat sich gegenseitig befruchtet. Die Praxis hat für die Professionalisierung gesorgt. Ich hatte das Gefühl, hey, ich habe eine Praxis. Ich trete in die Öffentlichkeit. Durch den Internetauftritt wurde das plastisch und real – die Praxis war etwas, was anfassbar ist. Und wenn ich Aufträge habe, weiß ich, wo ich sie ausführen kann. Der andere Punkt ist das Netzwerk, das dadurch entstanden ist. Wenn jemand eine Anfrage bekommt, die er*sie nicht bedienen will oder die nicht zu den eigenen Kompetenzen passt, dann gibt er*sie das ins Netzwerk und fragt: »Wer will das machen?« Was hast du gemacht, um an Aufträge zu kommen? Ich habe einen Flyer gemacht und eine eigene Homepage. Meinen allerersten Auftrag habe ich durch Kaltakquise bekommen. Ich habe wirklich ’rumtelefoniert. Bei meinem allerersten Anruf sagte die Frau, die ich angerufen habe: »Das kann doch jetzt nicht sein. Wir suchen gerade jemanden. Danke, dass Sie mir das abnehmen.« Der Auftrag war nicht wirklich toll, aber das war egal … Über die DGSF-Seite kam auch einiges. Und über die Institutsseiten. Und Leute aus meinem Umfeld haben mich empfohlen. Insgesamt habe ich mich sehr darauf konzentriert, dass und wie es laufen soll. Geholfen hat mir das Schreiben des Businessplans – da begibt man sich gedanklich rein in die Idee und überlegt, wie es aussehen soll. Ich habe mal eine Weiterbildung gemacht, »BWL und Management«, und in dem Rahmen muss58

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

ten wir schon einen Businessplan schreiben – das hat mir viel Spaß gemacht, und ich hatte noch viel Material. Meine Selbstständigkeit ist schon anders geworden als geplant. Der Businessplan war noch auf der Grundlage des Konzepts entstanden, das wir damals erstellt hatten. Es hat sich dann so überschlagen mit der Praxis und eigenen Aufträgen, dass das ursprüngliche Konzept in den Hintergrund geraten ist. Aber das Hauptaugenmerk verfolge ich schon. Ab und zu sprechen wir noch darüber und sagen, man könnte doch nochmal schauen, was wir damit machen. Da steckt so viel Herzblut von uns drin. Auch die Mitgliedschaft in der DGSF hat zu meiner beruflichen Identität und Professionalisierung beigetragen. Die DGSF hat mir geholfen, meinen Platz zu definieren – sie markiert ein Feld, das auch meines ist: Ich habe dort meinen Platz, ich will in die gleiche berufliche Richtung, ich kenne dort Menschen, mit denen ich mich austausche. Da gehöre ich hin. Was genau meinst du mit Professionalisierung? Ich meine damit mein eigenes Verständnis von meiner Berufstätigkeit, meine berufliche Identität. Professionalisierung ist für mich ein Prozess. Am Anfang ist da vielleicht eine Idee, die ich toll finde, aber auf dem Weg zur Umsetzung gibt es viel zu lernen. Ich muss mich wirklich identifizieren mit dem, was ich tue. Ich muss meine Rolle definieren. Ich muss mir Räume schaffen, wo ich tatsächlich auch machen kann, was ich vorhabe. Auch der Auftritt nach außen spielt eine Rolle. Aber der erste Schritt ist für mich der innere. Mir ein inneres Standing zu erschaffen: Dann kann ich das, was ich machen will, auch glaubwürdig nach außen vertreten. Könntest du auch auf diese Art professionell sein, wenn du angestellt arbeitest? Ich kann mir das nur schwer vorstellen. So eine Art der Professionalisierung habe ich im Angestelltenverhältnis nie erlebt. Vielleicht ist das auch gar nicht nötig, weil man als Angestellte*r durch den*die Arbeitgeber*in so eine schützende Hülle hat. Du musst nicht so klar sein und vertreten können, wie du dich positionierst. Wenn ich angestellt bin, muss ich mir das alles auch nicht schaffen. Es ist ja schon alles da. Der Rahmen ist da. Das Aufgabenfeld ist auch schon vertraglich definiert. Das ganze Drumherum ist schon da. In der Selbstständigkeit muss ich mir das selber schaffen. Ich muss mir meine eigene Stellenbeschreibung kreieren – und sie dann nach außen kommunizieren: Meine fachliche Identität.

Groß werden – was trauen Sie sich zu?

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2.7  Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst »Solange man neugierig ist, kann einem das Alter nichts anhaben.« Burt Lancaster

Das Aufhören ist für viele Menschen ein ambivalenter Prozess. Wer nicht selbstständig ist, der muss sich mit einem von außen festgelegten Renteneintritt auseinandersetzen und für sich klären, ob er*sie, falls möglich, früher aussteigen will und könnte. Länger arbeiten ist in der Regel nicht möglich, es sei denn, man sucht sich einen neuen Job. Selbstständige hingegen bekommen von außen meist keine Grenze gesetzt. Es gilt, diese selbst zu finden. Man will keinesfalls von anderen gesagt bekommen, dass es an der Zeit sei, abzutreten. Peinlich sein. Nicht mehr gewählt werden und merken, das eigene Angebot kommt nicht mehr an. Und gleichzeitig haben viele den Wunsch, über das klassische Rentenalter hinaus weiterzumachen, denn die Arbeit macht Spaß und ist zutiefst mit dem eigenen Selbst verbunden. Gar nicht so leicht, den richtigen Zeitpunkt zu finden, zu entscheiden, wie der Ausstieg aussehen könnte und was danach kommt. Tief berührt ist die eigene Identität: Wer bin ich, wenn ich anderen nicht mehr mein (systemisches) Wissen zur Verfügung stelle? Altersbilder

Dieses Dilemma ist nicht nur individuell. Unsere Altersbilder sind überholt. Als Bismarck die Rentenversicherung als große sozialpolitische Errungenschaft auf den Weg brachte (1889), lag das Rentenalter bei 70 Jahren. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen lag allerdings noch im Jahr 1910 bei 48 Jahren, für Männer bei 45 Jahren (BMAS, 2017). Die Wahrscheinlichkeit, das Rentenalter wirklich zu erreichen, war also äußerst gering. In der Regel starben Menschen nicht als Rentner*innen. Keine Rede war von der Idee, im Alter jahrzehntelang gesund und fit Urlaub und Vorgartenpflege als Lebensinhalt anzusehen. Glaubt man aktuellen wissenschaftlichen Studien, so wünschen sich die wenigsten Menschen den kompletten Ausstieg. Je qualifizierter die Arbeit, desto stärker der Wunsch weiterzumachen. Allerdings wollen die meisten am liebsten die Belastung reduzieren, wollen weniger arbeiten – und dies oft schon vor dem 67. Lebensjahr. Nötig wären eigentlich gesamtgesellschaftliche Modelle, die (abhängig vom Gesundheitszustand) Flexibilität in Engagement und Ausstieg ermöglichen. Wer selbstständig ist, hat in der Regel ohnehin andere Altersvorstellungen. Die Selbstständigkeit bietet die Möglichkeit eines allmählichen Übergangs von voller Erwerbstätigkeit zur Aufgabe von bezahlter Arbeit. Warum auch ganz auf60

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

hören mit etwas, was Quelle von Selbstwert, Erfolgserleben, innerer Befriedigung und Geld ist? Im besten Fall bietet das Älterwerden die Chance, sich Rosinen rauszupicken und nur noch Lieblingsprojekte zu machen. Eine Phase, in der man einiges macht und anderes abgibt – so wie es einem gefällt. Reicht das Geld?

Nicht verhehlen lässt sich dabei, dass es für viele nicht nur um Lust und Wollen geht, sondern um die Frage, ob die eigene Altersvorsorge es überhaupt möglich macht, aufzuhören. Auch die meisten Selbstständigen sorgen in irgendeiner Weise vor. Viele haben im Laufe ihrer Selbstständigkeit gut verdient und ausreichend Rücklagen gebildet. So manche*r aber weiß, dass er*sie auf Altersarmut zusteuert, weil der Berufseinstieg hakelig war, weil es Phasen der Arbeitslosigkeit gab, weil längere Zeiten der Kindererziehung und Teilzeit es ohnehin schwer machten, genug Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen – oder weil es während der Aufbauphase nicht genügend Einnahmen gab. Lange Zeiten, in denen es kaum möglich war, genügend für später anzusparen, lassen sich auch durch einige »fette« Jahre gegen Ende nur schwer aufholen. Weiterzumachen heißt auch, weiter Einnahmen zu generieren, den Zeitpunkt hinauszuschieben, an dem am Ende realisiert werden muss, dass es jetzt heißt, nur noch mit dem zu leben, was da ist. Wie lange geht es?

Viele fragen sich, wie lange sie mit ihrem Wissen noch marktfähig und für Klient*innen anschlussfähig sind. Die Angst grassiert, irgendwann nicht mehr gefragt zu sein, weil das eigene Know-how nicht mehr hip und modern ist. Das gilt vor allen Dingen für Branchen, in denen es darum geht, ständig mit aktuellem Vokabular zu signalisieren, dass man sich im Wettbewerb ganz vorne bewegt. Oder das, was man tut, passt einfach nicht zum eigenen höheren Lebensalter. Viele, die mit kleinen Kindern arbeiten, sagen schon mit Mitte fünfzig, dass sie nur noch wenig Lust haben, auf dem Teppich herumzukrabbeln. Letztlich muss jede*r für sich schauen, wo ältere Menschen mit ihrem Know-how gefragt sind und wo es gilt, jüngeren Menschen Platz zu machen. Auf der anderen Seite kann es sein, dass gerade Ihr Alter Sie zum Experten oder zur Expertin macht, zum Beispiel für Angebote für ältere Menschen. Manche Kompetenz entsteht erst aus Wissen, eigenen Erfahrungen und ihrer Verarbeitung. Der Duden definiert Weisheit als »auf Lebenserfahrung, Reife [Gelehrsamkeit] und Distanz gegenüber den Dingen beruhende, einsichtsvolle Klugheit« und nennt als Synonyme »Abgeklärtheit, Klugheit und Lebenserfahrung«.2 Alter scheint eine Voraussetzung für Weisheit zu sein, denn 2 https://www.duden.de/rechtschreibung/Weisheit (Zugriff am 19.02.2021). Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst

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Lebenserfahrung lässt sich nur durch Zeit sammeln. Gerade im Bereich der Weiterbildung und Wissensvermittlung ist die Chance, dass Sie als Systemiker*in auch jenseits der 65 gefragt sind, hoch. Therapeut*innen, Supervisor*innen und Berater*innen sind im reiferen Alter ebenfalls durchaus gesucht. Die Frage, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ganz aufzuhören, lässt sich also nach hinten verlagern. Ab 60 oder 65 geht es für die meisten erst einmal um die Frage: Was passt jetzt noch? Wie lange muss ich noch arbeiten, um mich finanziell abzusichern? Was möchte ich noch machen? Reduzieren tut vielleicht dann not, wenn sich die eigene Belastbarkeit geändert hat. Wochenlange Dienstreisen oder Tage, die nonstop mit Terminen gefüllt sind, lassen sich unter Umständen nicht mehr so wegstecken wie mit 25. Es braucht vielleicht weniger Termine, mehr Pausen und insgesamt weniger Anstrengung. Es geht darum zu sortieren, Schwerpunkte neu zu setzen, einiges auszusortieren – oder vielleicht gerade jetzt etwas Neues zu beginnen. »Geh, solange du noch wertgeschätzt wirst«

Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Sie ganz aufhören sollten? Manche verpassen ihn und stürzen damit das eigene Denkmal. Sie klammern sich an das eigene Lebenswerk und wollen nicht wahrhaben, dass der beste Moment schon vorüber ist. Hören Sie genau hin, wenn Ihr Umfeld anfängt, Ihnen ein Aufhören nahezulegen. Fragen Sie nach. In der Regel will man Sie nicht verletzen und verklausuliert die Botschaft, dass Sie beginnen, tüdelig zu werden. Ihre Lieben wollen Sie beschützen und Ihren Stolz schützen. Sie sollten hinhören. Und wenn Sie an deren wohlmeinenden Absichten zweifeln, hilft es, sich weiteres Feedback von außen einzuholen. Schade, wenn Sie den Zeitpunkt für die Übergabe verpassen. Haben Sie ein größeres Unternehmen geschaffen, ein Institut, eine Firma mit Mitarbeiter*innen, dann sollten Sie frühzeitig über Ihren Ausstieg nachdenken und ihn planen. Rechnen Sie mindestens zwei Jahre ein, um eine*n geeignete*n Nachfolger*in zu finden. Wenn Sie unter Druck sind, weil Sie plötzlich erkranken, überstürzen sich die Ereignisse. Dann ist es schwer, die Übergabe geordnet zu regeln. Mit ausreichend Zeit fällt es leichter, in Ruhe nach jemandem Ausschau zu halten, dem*der Sie Ihr Werk gerne übergeben möchten. Sie können den finanziellen Rahmen verhandeln, die Mitarbeiter*innen mit ins Boot holen, Ihrem*Ihrer Nachfolger*in das nötige Know-how vermitteln und auch eine Zeit lang parallel arbeiten und sich dann in Ruhe zurückziehen. Wer früh über die eigene Nachfolge nachdenkt, kann jemanden ins Unternehmen holen oder junge Leute fördern, die dann zum passenden Zeitpunkt übernehmen können. Wenn man das, was man aufgebaut hat, in gute Hände 62

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

legen kann, erleichtert das den Übergang. Das eigene »Lebenswerk« trägt weiter Früchte – auch das kann es einfacher machen, sich auf Neues einzulassen. Vorsicht – loslassen ist schwer. Es ist nicht immer leicht, an seinen guten Vorsätzen festzuhalten. Da macht der*die Nachfolger*in die Dinge partout anders (und in den eigenen Augen längst nicht so gut wie man selbst). Sie ändert Dinge, die Ihnen lieb und teuer sind. Er schlachtet heilige Kühe. Sie sehen Ihr Werk zerstört und möchten eingreifen und wieder alles selbst regeln. Was nun ansteht, ist Abschied. Ich habe schon Übergaben auf den letzten Metern scheitern sehen, weil der*die Inhaber*in nicht loslassen konnte. Es ist nicht einfach – aber es gilt, den Übernehmenden das Feld zu überlassen und sich neue, eigene Spielwiesen zu suchen. Der Abschied fällt besonders schwer, weil für viele von uns der Job nicht nur Pflichterfüllung, sondern willkommene Quelle von Selbstwert und Erfolgserlebnissen ist. Unsere Identität ist meist stark durch die Selbstständigkeit geprägt und basiert viel stärker auf Leidenschaft und Identifikation mit der Aufgabe als bei Menschen, die ihren Beruf als erzwungenen Broterwerb sehen. Es droht vieles wegzufallen, was nicht nur Gelderwerb zum Zweck hat, sondern sinnstiftend und hochbefriedigend ist: intensive Gespräche, positives Feedback, die Erfahrung des eigenen Könnens, das Gefühl, gefragt zu sein … Viele, die jetzt noch bis über beide Ohren in Arbeit stecken, fragen sich, wie ein Aufhören gehen könnte, ohne damit gleichzeitig alle Kontakte zu verlieren. Was macht es leichter? Ȥ Den Übergang allmählich angehen: reduzieren, weniger machen, nur noch einige wenige Lieblingsprojekte behalten. Ȥ Ehrenamtlich arbeiten und damit eine andere Freiheit gewinnen. Ȥ Ganz andere Projekte angehen – die Reise, das Buch, die Imkerei – all das, wofür nie genug Zeit da war. Ȥ Aufhören und das eigene Privatleben genießen – endlich Zeit haben.

Rüdiger Beinroth: »Man muss wach und neugierig bleiben« Rüdiger Beinroth, viele Jahre stellvertretender Leiter des Jugendhof Vlotho, Lehrender, Berater/Supervisor in eigener Praxis, hat eine Lösung gefunden, sich weiterhin in der DGSF fach- und gesellschaftspolitisch zu engagieren. Lange Zeit war er Leiter der Fachgruppe Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung. Dieses Amt hat er mittlerweile aufgegeben und widersteht konsequent allen Einladungen – die immer wieder kommen – irgendwelche Posten und Ämter zu übernehmen. Aber er beteiligt sich an der fachpolitischen Diskussion, besucht regelmäßig die Jahresversammlung und eine Regionalgruppe und er pflegt seine Kontakte. Daneben ist er ehrenamtlich tätig und betreut Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst

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assyrische Familien im Umgang mit Behörden. Und er widmet sich seiner Familie und seinen Hobbys. Im Interview berichtet er, wie er erst nebenberuflich mit seiner Selbständigkeit gestartet ist, diese während der Rente ausgebaut und dann wieder eingestellt hat. Rüdiger, was hat dich bewogen, irgendwann aufzuhören? Es gibt äußere und innere Faktoren für einen Ausstieg aus der Arbeit. Und es gibt rationale Faktoren, die kombiniert sind mit inneren und äußeren Faktoren. Ich wollte gehen, solange ich noch wertgeschätzt werde. Ich finde es wichtig aufzuhören, bevor die Klienten wegbleiben. Ich habe eine sehr geschätzte Kollegin, die wesentlich älter als ich ist. Heute ist sie 87. Als sie noch keine 70 war, sagte eine Ausbildungsgruppe zu ihr: »Wir wollen Sie nicht als Supervisorin. Sie sind uns zu alt.« So eine Erfahrung muss man nicht machen. Umgekehrt wäre ich sicher, du hättest sofort Klienten. Das ist nicht die Frage. Man muss nicht mit Kränkung und Zurückweisung aufhören. Genau. Ich hatte immer ein Prinzip im Leben: Ich wollte auf dem Höhepunkt aufhören. Und das habe ich in meiner Weiterbildungsarbeit so gemacht. Nicht erst zum Abgesang … Überhaupt nicht. Mein Abschied vom Jugendhof hat sich sehr überraschend ergeben. Ich hatte nur anderthalb Jahre Zeit, ihn vorzubereiten. Der Träger wollte mir die Altersteilzeit nicht genehmigen, weil sie nicht auf mich verzichten wollten. Nicht verwehren konnten sie mir das Blockmodell: Das heißt, ich arbeite noch für eine bestimmte Zeit, kriege ein reduziertes Gehalt und bekomme das bis zum Ende meines ordnungsgemäßen Übergangs bis zur Rente. Allerdings ging das dann auf einmal so schnell und dann war ich raus. Das ist natürlich eine andere Nummer: Nicht zu sagen, ich »schleiche« mich raus, sondern jetzt bin ich nochmal konzentriert da und dann weg. Der Ausstieg war dadurch sehr abrupt und ein Weiterbildungskurs »Systemische Beratung« lief über das Ende hinaus. Ich habe meiner Co-Referentin zugesichert, dass ich den Kurs noch zu Ende mache. »Du musst keinen neuen Partner suchen – das wäre ja furchtbar, mitten im Kurs.« Ich habe gesagt, »ich mache das ehrenamtlich«, denn in Altersteilzeit bekam ich ja weiter mein Gehalt. Aber das war ein Fehler. Ich habe unterschätzt, wie sich die Bedingungen verändern, wenn du nicht mehr angestellt bist. Wenn du vorher der Chef bist und auf einmal behandelt wirst wie ein Referent. 64

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Der Rollenwechsel war doof. Der Rollenwechsel hat überhaupt nicht geklappt. Und ich habe das erst gar nicht kapiert. Das hat mir ziemlich viel ausgemacht und ich bin in eine Art Krise geraten. Meine Empfindlichkeit ist da unheimlich gestiegen. Ich war empfindlich der Institution gegenüber. Und im Kurs lief es auch nicht mehr so wie vorher. Du warst nicht mehr so in deiner Kraft. Von hinten fehlte eine Stärkung. Ganz genau. Ich war nicht mehr in meiner Rolle. Vorher war ich der Bestimmer und plötzlich war ich Gast. Ich war noch immer verantwortlich für den Kurs, aber nicht wirklich, denn ich wurde dafür nicht mehr bezahlt. Dass du nicht bezahlt wurdest, hat etwas mit deinem Status gemacht? Ja, genau. Das hat sich selbst im Kurs und mit meiner Co-Referentin wie eine Krise angefühlt. Ich habe eine Weile gebraucht, um das alles zu verstehen. Auch mit viel nachträglicher Reflexion. Ich würde im Nachhinein niemandem empfehlen, das so zu machen! Du würdest sagen: »Geht sauber raus.« Schnitt und weg. In der Praxis, wenn du freiberuflich bist, gibt es noch andere Möglichkeiten. Als der Kurs zu Ende war, war auch alles gut, und die Teilnehmenden waren auch zufrieden. Aber es war harte Arbeit. Viel, viel mehr, als ich es mir vorgestellt hatte. Und dann bekommst du noch so ein Gefühl: »Warum mach’ ich das eigentlich? Ich kriege ja nicht einmal Geld dafür.« Würdest du denn sagen, dass das Zuschreibungen und Bilder von außen waren, oder hast du dich auch innerlich anders definiert? Beides. Ein Beispiel: Vorher war immer klar, dass ich festlegen konnte, welchen Raum ich haben wollte. Und die haben sich danach gerichtet, denn ich war ja der Chef. Da konnte niemand sagen: »Nein, den kriegst du nicht.« Nach meinem Ausscheiden kam ich zum ersten Kurs und ging zielgerichtet in den Raum, den wir immer hatten. Da sagte mir eine Mitarbeiterin: »Nein, den kannst du nicht haben, den brauchen wir für was anderes. Ihr müsst da und da hin.« Da war ich schon ziemlich geplättet. Versöhnlich war für mich Folgendes: Ich hatte keinen Schlüssel mehr und konnte mich im Haus nicht mehr frei bewegen. Vorher hatte ich einen Generalschlüssel und konnte mir ein Gerät, das ich brauchte, einfach holen. Ich bin zum Hausmeister gegangen und habe ihn gefragt, wie wir das regeln sollen. Der hatte eigentlich ein zwiespältiges Verhältnis zu mir, weil es vorher meine Rolle gewesen war, ihn zu kontrollieren. Sehr versöhnlich war für Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst

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mich, dass er gesagt hat: »Ich gebe Ihnen den alten Generalschlüssel wieder. Das muss hier ja keiner wissen.« Ab da hatte ich einen guten Draht zu ihm. Wenn du aufhörst, braucht es einen bewussten Rollenwechsel: Wenn du weggehst, kannst du nicht mehr kontrollieren, was passiert. Wenn Menschen dann Dinge machen, die du nicht gutheißt, musst du auch sagen können: »Das ist nicht mehr meine Verantwortung. Das müssen die anderen jetzt regeln. Damit habe ich jetzt nichts mehr zu tun.« Da muss man loslassen können. Ist der Moment des Aufhörens auch der, in dem man Bilanz zieht und zurückschaut? Ja, unbedingt. Das muss man auch selbst ein bisschen inszenieren. Ich war der erste und einzige stellvertretende Leiter, der vom Landesdirektor verabschiedet wurde, als ich beim Jugendhof aufgehört habe. Das hat noch nie einer gekriegt. Alle haben mich gefragt: »Wieso kommt der, der kommt doch sonst nur für Chefs?« Ich habe ihn einfach gefragt und er hat gesagt: »Für Sie mach’ ich das.« Du wolltest einen würdigen Abschied haben und wusstest, dass du was dafür tun musst, damit das gut wird? Ich habe eine Tagung gemacht und im Rahmen dieser Tagung, am Ende, wollte ich meinen Abschied haben. Mein Chef hätte das sicherlich für mich gemacht, aber er ist vor mir gegangen. Ich wusste genau, er ist nicht mehr da, er kann es nicht tun, und ein anderer wird es nicht für mich machen. Das heißt, entweder gehe ich sang- und klanglos – oder ich sorge gut für mich. Das war schon immer mein Ding, dass ich gesagt habe: »Du musst manchmal für dich selbst sorgen.« Was mich brennend interessiert: Ich erlebe dich als total interessiert. Ich denke, deine berufliche Rolle ist mal ein wesentlicher Teil deiner Identität gewesen. Absolut. Was macht man, wenn man das aufgibt? Der erste Schritt war, ein Stück berufliche Identität aufzugeben, als ich im Jugendhof aufgehört habe. Für viele war ich gewissermaßen der Jugendhof. Sie haben den Jugendhof mit mir identifiziert und haben mir das auch so zurückgemeldet. Bei meiner Verabschiedung habe ich von vielen Menschen sehr viel Wertschätzung erfahren. Die erste Umstellung war, diese Rolle abzugeben.

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Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

Das war einerseits eine große Würdigung deines Lebenswerkes, aber gleichzeitig musstest du eine große Quelle von Bestätigung abgeben. Ist der Moment des Gehens der, wo man zurückschaut auf das eigene Leben? Ja, ich sage immer: Wenn ich morgen sterben würde oder müsste – ich könnte zufrieden auf mein Leben gucken. Ich bin einfach rundum zufrieden mit dem Leben, wie es war. Meine Frau ist die einzige, die es nicht so gerne hört, weil es sowas Endzeitliches hat. Natürlich gab es auch Krisen. Aber insgesamt muss ich sagen, ist es ein Geschenk, wie mein Leben gelaufen ist. Es war mir nicht in die Wiege gelegt. Es ist ja nicht von selbst gekommen. Ich musste vieles dafür tun. Ich brauchte auch viele Menschen, die mir dabei geholfen haben. Das ist das Glück in meinem Leben, dass ich immer Menschen getroffen habe – vielleicht habe ich sie auch zugelassen – die mir zu entscheidenden Weichenstellungen verholfen haben. Die einfach an mich geglaubt haben. Die haben wichtige Dinge gesagt, und dann ging es gut weiter. Es war nicht schwer, weil ich mir schon lange vorher nebenberuflich die Praxis aufgebaut hatte. Du hast das eine aufgegeben, aber dafür gab es etwas anderes? Etwas, bei dem ich genau so viel Bestätigung bekommen habe und viele gute Erfahrungen machen konnte. Ich habe im Umgang mit vielen Menschen richtig gemerkt, dass es für sie gut war, bei mir zu sein. Es gibt Menschen, die heute noch positiv reagieren, wenn sie mich sehen. Die mir schreiben, dass ihr Leben anders verlaufen wäre ohne die Beratung, dass sie Dinge verändert haben und dass es ihnen heute gut geht. Das sind einfach schöne Momente. Daran erinnere ich mich gerne. Das Schöne ist, dass ich die Praxis hatte, und da hatte ich einen guten Stand. Ich hatte einen guten Namen, wie man so sagt. Ich habe ja nie Werbung gemacht. Webseite, Flyer? Nichts. Ich kam nur über Empfehlungen an meine Kunden. Als ich meine Praxis aufgelöst habe, habe ich alle meine Akten vernichtet. Bei diesem Aufräumen ist mir erst bewusst geworden, wie viele Paarberatungen ich gemacht habe. Das lief alles über Empfehlungen. Wann hast du angefangen, selbstständig zu arbeiten? 1990. Mein Motiv war, dass ich mir gesagt habe: Ich kann nicht systemische Berater ausbilden, wenn ich selbst keine Praxis habe. Ich muss eigene Erfahrungen machen. Ich muss das, was ich denen methodisch beibringen will, auch selbst machen. Wenn ich das nicht ausprobiere, dann bin ich nicht authentisch. Ich habe Einzelsupervisionen, Teamsupervision und Gruppen gemacht bzw. auch Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst

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mit Familien gearbeitet. Ich musste ausprobieren, ob das eigentlich funktioniert, was ich denen beibringe. Hattest du wirklich gar nichts an Werbung? Nicht einmal Visitenkarten? Ich hatte etwas Tolles. Ich hatte Streichhölzer. Das waren meine Visitenkarten. Da stand drauf: »Feuer und Flamme für Supervision und Beratung«. Eine Packung habe ich noch. Die Leute, die bei mir waren, haben mich weiterempfohlen. Und beim Jugendhof bin ich ja auch viel rausgegangen. Ich habe viele Vor-Ort-Fortbildungen gemacht. Dadurch wurde ich später häufig angefragt, ob ich nicht für diese oder jene Institution Supervision machen könnte, oder es kamen einzelne Leute. So kam ich in die unterschiedlichsten Arbeitsfelder. Oder jemand hat mich in der Fortbildung kennengelernt und mich dann seinem Team als Supervisor vorgeschlagen. Ich habe immer gefragt, woher die Leute kommen. In Vlotho haben mir zum Beispiel zwei niedergelassene Psychologen immer Paare geschickt, weil dort niemand sonst Paarberatung gemacht hat. Einen kannte ich nicht einmal. Die Paare haben es sich dann untereinander weitererzählt. Ganz selten kamen Menschen übers Internet – da stand natürlich auch viel über mich. Aber ich hatte keine eigene Seite – ich war nur auf der Seite der DGSF. Als du in Vlotho aufgehört hast, hast du die Praxis dann hochgefahren? Ja, da habe ich erstmal zugelegt. Vorher habe ich gebremst. Ich durfte als Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst ja nur eine bestimmte Menge machen. Jetzt war ich frei und konnte einfach Ja sagen. In den ersten zwei Jahren habe ich dann wesentlich mehr gemacht. Das hat auch Spaß gemacht. Das waren tolle Prozesse. Wie hast du mit der Praxis aufgehört? Es gibt ja die Möglichkeit, dass man Leute in die eigene Praxis holt. Ich weiß von vielen, die Praxen haben, zum Beispiel niedergelassene Ärzte, die vor ihrem Ende eine Gemeinschaftspraxis bilden und jemanden in die Praxis holen, diese Person einarbeiten und sich selbst immer weiter zurückfahren. Ich kenne zwei, wo das ganz gut gelaufen ist. Der eine macht noch ein bisschen was, ohne alles zu bestimmen. Wenn meine Nichte in der Nähe leben würde, hätte ich sie sehr gerne reingeholt und ihr die Möglichkeit eröffnet, eine gewachsene Praxis zu übernehmen. Es hätte mir Freude gemacht, ihr den Boden zu bereiten und meine Kontakte an sie weiterzugeben. Leider wohnt sie zu weit weg. So habe ich meine Praxis allmählich heruntergefahren. Erst habe ich die Gruppen runtergefahren, weil ich den Stress reduzieren wollte. Ich habe das angekündigt und jeweils gesagt: »Ich höre am Ende des Jahres auf und dann 68

Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

gebe ich euch Empfehlungen. Die könnt ihr wählen oder nicht.« Aber ich war raus. Einzelberatungen habe ich in begrenztem Rahmen weiter gemacht. Ich war dann auch nicht mehr der Jüngste. 73 ist auch ein gutes Alter, um aufzuhören. Den Schlusspunkt hat gesetzt, dass wir das Haus aufgegeben haben, in dem meine Praxis war, und umgezogen sind. Anfangs wollte ich gar nicht aus dem Haus. Es war mein Haus, mein Zuhause. Meine Frau war da viel klarer. Das Haus hatte nur Treppen. Es war klar, das ist kein Alterssitz. Und irgendwann habe ich gesagt: »Du hast recht. Wir dürfen hier nicht bleiben, bis wir uns hier irgendwann nicht mehr bewegen können.« Und wir haben uns eine neue, stimmige Lebenssituation geschaffen. Damit war auch klar, dass ich mit der Praxis aufhöre und jetzt ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Ich gehe an einen anderen Ort. Da eröffnen sich ganz neue Felder. Und jetzt? Ich übernehme keine Ämter mehr. Aber ich nehme aktiv und interessiert Anteil. Ich schaue mit großem Interesse, was in der DGSF passiert und fahre auf Tagungen, zu Fachgruppentreffen und zur Regionalgruppe in Münster. Es ist für mich spannend zu sehen, was die jüngere Generation macht. Ich bin da ja ein Fossil. Manchmal denke ich: »Ach, interessant, das haben wir vor dreißig Jahren auch gemacht.« Da kann ich innerlich lächeln und muss dann gar nichts sagen. Das war früher anders – da musste ich immer unbedingt etwas sagen. Es geht darum, dranzubleiben. Nie aufzugeben. Ich berate ehrenamtlich, aber nicht mehr für Geld. Wach und neugierig bin ich wie immer. Und gleichzeitig braucht es einen bewussten Rollenwechsel. Ich mache jetzt keine Beratung mehr, aber ich bleibe fachlich interessiert und engagiert und involviert. Die Verführung ist natürlich immer da. Da kommt jemand und sagt: »Könnten Sie nicht … Sie sind uns empfohlen worden. Sie sind der, der uns helfen könnte.« Ich sage dann: »Vielen Dank für das Kompliment. Und ich helfe Ihnen gerne, jemand anderen zu finden.« Dann empfehle ich Kollegen. Ich stecke sogar manchmal viel Energie hinein, um passgenau jemanden zu finden. Ich telefoniere dann herum und mache mich auf die Suche nach jemandem, der die Aufgabe gut übernehmen kann. Das ist schon noch ein Reiz in dem Moment. Aber gleichzeitig ist die Bremse da: »Das darfst du auf keinen Fall machen.« Und ich unterstütze assyrische Familien bei Anträgen und im Umgang mit Behörden. Das macht mir große Freude, und ich bekomme viel von ihnen zurück, wenn ich ihnen helfe. Beim Beenden einer Aufgabe aus verantwortlicher Position freut man sich zuerst darüber, dass man all die nicht planbaren Dinge nicht mehr machen muss. Dazu folgendes Beispiel: Ich habe mir einen Büro-Tag vorgenommen, Reduzieren und Aufhören – auch eine Kunst

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an dem ich ein Seminar vorbereiten, ein Protokoll nachbereiten und sonstige inhaltliche Dinge tun will. Es kommt plötzlich ein Anruf: »Wir brauchen für den nächsten Ausschuss die und die Daten.« Dann wird mir ein Konflikt zwischen Mitarbeitern gemeldet, den ich schlichten oder klären soll … Am Ende des Tages gehe ich nach Hause und habe nichts von dem getan, was ich mir vorgenommen hatte. Bin aber zufrieden, wie ich alles gemeistert habe. Im Ruhestand fällt das alles weg. Und erst jetzt wird deutlich, dass das die Dinge waren mit dem höchsten Anteil an Selbstwertnahrung. Niemand will mehr was von mir. Keiner fordert, etwas sofort zu erledigen usw. Das bringt die eigentliche Krise und führt zu einer erhöhten Empfindlichkeit und Selbstwertzweifeln. Ich habe das erst nicht verstanden und abgewehrt. Erst als mir eine frühere Praktikantin, die als Unternehmensberaterin arbeitete und Ausstiegsseminare zur Vorbereitung auf die Rente beim DGB anbot, sagte, dass das völlig normal sei und ich in guter Gesellschaft der selbstwertzweifelnden Ruheständler sei, habe ich es verstanden. Deshalb ist es wahrscheinlich so wichtig, im Ruhestand weiter Aufgaben zu übernehmen, um weiter eine Selbstwertnahrungsquelle zu haben.

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Standpunkte, Bewegungen … – an welchem Punkt stehen Sie?

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  Wünsche und Visionen: Machen Sie Ihr Ding! »Menschen, die etwas für unmöglich halten, sollten niemals andere stören, die es gerade vollbringen.« George Bernhard Shaw

In Kapitel 2 ging es um die Frage, an welchem Punkt Sie stehen – bei der Frage, ob Sie überhaupt gründen sollen, in der ersten Aufbauphase, bei Wachstums- oder Begrenzungsthemen oder in der letzten Phase Ihrer Selbstständigkeit. In diesem Kapitel geht es mithilfe von Methoden und Impulsen darum, sich mit Ihren Wünschen und Visionen auseinanderzusetzen. Ich weiß, dass die Verführung groß ist, zu denken, »Ja, ja – das mache ich mal irgendwann«, und weiterzulesen. Am meisten haben Sie von diesem Buch, wenn Sie es zur Seite legen und den einen oder anderen Impuls ausprobieren. Schauen Sie, was Sie am meisten ruft und anlacht. Bei allen Impulsen geht es um die Frage, was Sie in die Welt bringen wollen. Was ist Ihr ureigener Beitrag, den nur Sie erbringen können? Sie sind immer wieder in Ihrem Leben eingeladen, noch mehr Sie selbst zu werden, noch klarer zu formulieren, was Ihre Einladung an andere ist. Um dem auf die Spur zu kommen, ist Ihr Möglichkeitssinn gefragt. In diesem Kapitel geht es darum, mit Ideen zu spielen, um sie überhaupt erst das Licht der Welt erblicken zu lassen. Es geht darum, ein Bild dessen zu kreieren, wo Sie hinkönnten und hinwollen. Sich selbstständig zu machen ist Teil unserer gesamten Lebensplanung. Die Selbstständigkeit ist einerseits selbst Ziel – sie ist aber auch Mittel zum Zweck. Wofür wollen Sie selbstständig sein? Wie stellen Sie sich Ihr Leben vor? Woran werden Sie merken, dass Sie angekommen sind? Wenn Sie Ihr Ziel hinter dem Ziel kennen, haben Sie eine innere Richtschnur, mit der Sie abgleichen können, ob Sie sich auf dem richtigen Weg befinden. Wann werden Sie sich angekommen fühlen? Wann sind Sie zufrieden mit Ihrem Weg? Wovon träumen Sie? Was wünschen Sie sich? Wenn Sie Ihre Wünsche kennen, finden Sie dadurch die Richtung, in die Sie sich bewegen wollen. Sie können Fernziele und Nahziele unterscheiden. Sie können Ihre Träume und Wünsche in eine Ordnung bringen, in eine Reihenfolge und ein Miteinander. Was ist Ihre Vision? Was berührt Ihr Herz, was ist Ihnen wirklich wichtig? Sie sollten mit nichts weniger selbstständig sein als mit HerzensangelegenWünsche und Visionen: Machen Sie Ihr Ding!

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heiten. Selbstständig zu sein bietet Ihnen die stete Möglichkeit, sich Ihren eigenen Arbeitsplatz nach Ihren Wünschen zu bauen. Natürlich – was immer Sie erschaffen, müssen Sie auch verkaufen können, wenn Sie von Ihrem Tun leben wollen. Doch erstmal sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Das, was es noch nicht gibt, was es so, wie Sie es gut fänden, noch nicht gibt, was fehlt, könnte das sein, womit genau Sie erfolgreich sind. Vorausgesetzt, Sie nehmen Ihre vagen Ideen und Impulse ernst und basteln daraus ein Angebot. Im Idealfall begleitet Sie immer die Frage, was Ihnen wirklich wichtig ist, Ihr Leben lang. Zumindest geben Sie ihr immer wieder Raum. Sie entfaltet nicht nur visionäre Kraft, sondern auch unternehmerische. Oft verbergen sich hinter unseren Wünschen, Ideen und Träumen interessante unternehmerische Visionen.

3.1 Wünsche und Möglichkeitsräume – das Leben als Wunschkonzert »Wünsche und Träume zeigen uns die Wahrheit der Seele, das, was noch gelebt werden möchte.« Monika Minder

Jede*r von uns ist in einer ganz bestimmten Ecke unterwegs und sammelt dort Gedanken, Impulse, Erfahrungen und Kenntnisse. Was uns voneinander unterscheidet, ist unsere Blickrichtung: das, wofür wir uns interessieren. Wir gleichen uns als Systemiker*in vielleicht in manchem, doch auf den zweiten Blick unterscheiden wir uns sehr: durch die Bücher, die wir gelesen haben; die Ausbildungen, die wir durchlaufen haben; in dem, was wir neben unserer systemischen Identität noch alles sind; in unserem Fokus und unserem Erkenntnisinteresse; in unseren Hobbys und sonstigen Interessen. Vor allen Dingen aber unterscheiden wir uns darin, was uns wichtig ist, an welcher Stelle, bei welchem Thema, für welche Menschen wir etwas bewegen wollen. Ihr systemisches Werkzeug ist auch für die Planung Ihrer Selbstständigkeit höchst nützlich. Viele systemische Methoden eignen sich hervorragend, um Ideen hervorzubringen. Das, was Sie sonst mit Klient*innen tun, könnte ausgesprochen nützlich sein, um Ihre eigenen Ideen weiter zu entwickeln: Stühle-Arbeit, Figurenaufstellung mit einem Sceno-Kasten oder Traumreisen. Hypnosystemische Methoden bringen neue und intuitive Aspekte ins Bewusstsein. Gönnen Sie es sich, sich immer wieder damit zu beschäftigen, was Sie von Herzen gerne tun würden, wenn alles möglich wäre. Welche Rahmenbedingungen wünschen Sie sich für Ihre Arbeit? An welchen Orten sehen Sie sich? 72

Wünsche und Visionen: Machen Sie Ihr Ding!

Erlauben Sie sich die verrücktesten Gedanken! Versuchen Sie – noch – nicht, einen Sinn darin zu finden, was auf den ersten Blick nicht zusammenpasst. Wir alle sind viel zu sehr auf dem Boden der Tatsachen, im Vernünftigen gefangen. Und verpassen dabei unsere wildesten und interessantesten Ideen. Unser Geist ist kreativ, wenn wir ihn nur lassen. Er verknüpft unaufhörlich unsere Eindrücke und spinnt sie weiter. Er findet im scheinbar nicht Zusammengehörigen spannende Verbindungen. Er kreiert Neues aus dem uns Bekannten. Diese Kraft ist in Ihnen. Das Problem ist, dass neue Ideen – auch die bahnbrechenden – in der Regel nicht im Prinzessinnenkleid daherkommen, sondern als kleine Aschenputtel. Wenn dann noch unser innerer Kritiker wie die böse Stiefmutter über unsere Aschenputtel-Ideen herfallen, bleibt von ihnen nicht viel übrig. Die Kunst besteht darin, das Aschenputtel wie eine Prinzessin zu behandeln und zu schauen, welches Potenzial in ihm schlummern könnte. Nicht aus jeder Idee im grauen Dienstmagdgewand wird eine Prinzessin. Nicht alles, was Ihnen einfällt, erweist sich am Ende als Lösung. Sie werden die Goldnuggets zwischen den Kieselsteinen aber nur dann finden, wenn Sie sie nicht gleich als grau abtun und wieder in den Fluss werfen.

Impuls: Malen Sie sich die Zukunft aus Hilfreich ist eine Kladde für Ihr neues Projekt. Nutzen Sie Möglichkeitsräume und Fantasiereisen, visualisieren Sie, schreiben Sie, beschäftigen Sie sich mit der Frage, wo Sie landen möchten, wenn alles optimal läuft. In zwei Jahren, in fünf Jahren, in zehn Jahren, am Ende Ihres Lebens … – suchen Sie sich die Zeitspanne aus, die Sie inspiriert, und spinnen Sie aus, was Sie bestenfalls in die Welt bringen möchten, wenn alles genau so wird, wie Sie es sich im tiefsten Herzen wünschen. Wunderbar ist es, wenn Sie Menschen finden, mit denen Sie Ihre Visionen besprechen können – eine unternehmerische Intervisionsgruppe, eine Kollegin, die an einem ähnlichen Punkt ist oder einen Austauschzirkel. Dinge auszusprechen, zu malen oder aufzuschreiben, gibt ihnen eine festere Gestalt. Sie können Ihre Visionen besser greifen. Was hätten Sie gerne, wenn Sie gar nichts dazu beitragen müssten? Wenn Ihnen wie im Sterntaler-Märchen alles in den Schoß fallen würde, was Sie sich wünschen? Eine Idee beginnt häufig als kleiner Funke, als Hauch in unserem Denken. »Man könnte …«, »Ich könnte …«, »Das wäre eine tolle Sache …«, »Die machen … – Mensch, das ist ja beneidenswert, das könnte ich vielleicht auch, das geht ja wirklich …« Und plötzlich ist etwas ein Stück greifbarer, was vorher »spinnert« und »abwegig« oder »nicht für Menschen wie mich gedacht« schien. Wünsche und Möglichkeitsräume – das Leben als Wunschkonzert

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Manchmal, weil Sie in Ihrem Geist eins und eins zusammengezählt haben. Oder weil Sie bei jemand anderem sehen, dass sie oder er etwas verwirklicht, was Sie immer als unmöglich abgetan haben. Jedenfalls ist es auf einmal nicht mehr völlig absurd, sich überhaupt damit zu befassen.

Impuls: Timeline Wo befinden Sie sich auf Ihrem Weg? Welche Ressourcen haben Sie unterwegs eingesammelt? Welche Krisen haben Sie bewältigt, und was hat Ihnen dazu verholfen, Grenzen zu überschreiten und Stolpersteine aus dem Weg zu räumen? Die Reise in die Vergangenheit belohnt Sie mit dem Wissen um Ihre inneren Schätze, die heute helfen können, die neue Herausforderung zu meistern. Timeline-Arbeit kann helfen, ein Szenario der Zukunft und der möglichen Schritte in diese Zukunft zu entwerfen. Eine Timeline kann innere Themen und äußere Schritte mischen. Das heißt, dargestellt werden darf, was innerlich und äußerlich bedrohlich ist, reale und virtuelle Helfer, Engel, weise Menschen, innere Ressourcen, aber auch so Profanes wie die Anmeldung beim Finanzamt. Legen Sie ein Seil, das von heute in die Zukunft bis zu dem Punkt reicht, den Sie erreichen wollen. Neben dieses Seil legen Sie nun mit Steinen, Spielfiguren und allem, was die Spielzeugkiste oder die Sceno-Box hergibt, die Schritte, die Sie gehen wollen, die Themen, die Ihnen unterwegs begegnen, die Helfer*innen, die Sie unterstützen könnten, und die Monster und Gespenster, die unterwegs auftauchen. Das können Sie allein machen; schöner ist es, wenn Sie jemand begleitet, Ihnen Fragen stellt und mit Ihnen gemeinsam Ihren Weg kreiert und abgeht. Machen Sie am Ende ein Foto – es wird Ihnen irgendwann helfen zu würdigen, welchen Weg Sie zurückgelegt haben. Vielleicht merken Sie, dass Themen, die Ihnen anfangs groß erschienen, sich schnell erledigen. Anderes kommt hinzu oder erweist sich am Ende als schwieriger als vermutet. Die Timeline verhilft zu einer Visualisierung des vor Ihnen liegenden Weges. Wir können keine Wege gehen, die wir nicht vor uns sehen. Wenn unsere innere Vorstellung abbricht, wenn wir unsere Wünsche und Ziele nicht durch ein Tun mit der heutigen Situation verbinden können, dann gehen wir nicht los. Wir stürzen uns nicht blindlings in ein Abenteuer, von dem wir keine Vorstellung haben, dass es machbar ist. Auch der, der im Wissen um Gefahren losgeht, trägt doch zumindest die Idee in sich, dass es auch gut ausgehen könnte.

Impuls: Fragen »Fragen können wie Küsse schmecken« hat Carmen Kindl-Beifuß (2015) ihr Buch genannt, und man kann ihr nur beipflichten. Kluge Fragen helfen, um die 74

Wünsche und Visionen: Machen Sie Ihr Ding!

Ecke und neu zu denken, können Verborgenes sichtbar machen und eigentlich Klares an die Oberfläche befördern. Fragen eröffnen Möglichkeitsräume und fördern versteckte Wünsche ans Licht. Viele von uns haben gelernt, »realistisch« zu sein, doch allzu leicht bleiben wir damit im Bestehenden verhaftet und können gar nicht mehr denken, dass die Dinge auch ganz anders sein könnten. Deshalb sind alle Fragen hilfreich, die Realität, Raum und Zeit außer Kraft setzen und unbegrenzte Möglichkeiten denkbar machen. Feen, die Wünsche erfüllen, Zauberer, die Unmögliches möglich machen, die Wunderfrage, der Lotto-Gewinn. Gibt es keine Grenzen mehr, zeigen sich die wirklichen Wünsche. Und sie sind es, die in der Regel kraftvoll sind und den Weg weisen. Und wenn sie am Ende nicht gelebt werden sollen, so war es doch wichtig, sie auszusprechen und zu verabschieden, damit sie nicht untergründig das Bestehende infrage stellen. Stellen Sie sich folgende Fragen: Ȥ Was würden Sie tun, wenn Sie nicht scheitern könnten? Ȥ Was würden Sie tun, wenn Sie im Lotto gewinnen? Ȥ Was würden Sie tun, wenn Sie genügend Unterstützung hätten? Ȥ Was würden Sie tun, wenn Sie gar nichts dafür tun müssten, wenn es von außen an Sie herangetragen und Ihnen auf dem Silbertablett serviert würde? Ȥ Was würden Sie tun, wenn Sie 200 Jahre alt werden könnten? Ȥ Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch ein Jahr zu leben hätten? Ȥ Wofür möchten Sie in Erinnerung bleiben, was möchten Sie der Welt hinterlassen? Ȥ Was würden Sie bereuen, nie getan oder zumindest ausprobiert zu haben?

Impuls: Bilder Versuchen Sie, ein Bild der Zukunft zu bekommen, die Sie sich wünschen. Malen Sie ein Bild. Fertigen Sie eine Collage an. Entwerfen Sie eine Mindmap – bei der Sie nach Möglichkeit auch zeichnen. Nutzen Sie Bild-Postkarten und suchen Sie die aus, die Sie besonders ansprechen, zum Beispiel die Motto-Karten aus dem Züricher Ressourcen-Modell (Krause u. Storch, 2018). Unser Unterbewusstsein weiß oft besser, was wir uns wirklich wünschen – deshalb sind Bilder so wichtig. Unsere Großhirnrinde, unser bewusster Verstand, ist sehr gut darin auszusortieren, was uns nicht machbar erscheint. Doch das darf häufig gar nicht erst an die Oberfläche gelangen. Wagt es sich nach vorne, wird es sofort in die Verbannung geschickt. Nur »realistische« Ideen dürfen sich hervorwagen. Das sind manchmal aber nicht unsere eigentlichen Wünsche. Diese liegen darunter verborgen, und sie sind es wert sind, zum Vorschein zu kommen. Wünsche und Möglichkeitsräume – das Leben als Wunschkonzert

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Nicht alle Ideen, die sich dann zeigen, müssen umgesetzt werden. Aber erst wenn sie sichtbar sind, können Sie diese auf ihren Gehalt untersuchen und schauen, worum es vielleicht wirklich geht.

Impuls: D  ie Praxis im Schuhkarton – Ihr Unternehmen in fünf oder zehn Jahren Wie sieht Ihre Praxis aus? Was tun Sie dort? Wo sind Sie? Wer kommt? Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Basteln Sie Ihre Praxis oder Ihr Institut im Schuhkarton (Hochbahn, 2018, S. 48).

Impuls: Traumreisen und Imaginationen Haben Sie die Gelegenheit, im Rahmen eines Seminars oder einer Beratung Ihre Zukunft zu visualisieren, indem Sie die Augen schließen und innerlich auf Wanderschaft gehen dürfen? Traumreisen entführen Sie an unbekannte Orte, Sie begegnen Quellen und Helferinnen, Zauberern und Hexen, verborgenen Kraftorten und Schatzkisten. Auch bei dieser Übung wird die Kraft Ihres Unterbewussten genutzt. Wenn Sie gerne mit Traumreisen arbeiten, können diese sehr hilfreich sein, um innere Bilder und Visionen zutage zu fördern. Sie helfen, die Beschränkungen des Verstandes hinter sich zu lassen. Warum ist das eine gute Idee? Sollten wir nicht gerade, wenn es um ein Unternehmen geht, im Gegenteil sehr rational unterwegs sein? Wünsche, Bilder, unsere Lust, unsere Sehnsüchte wissen oft sehr viel genauer als unser Verstand, wohin wir im Innersten wirklich wollen. In ihnen liegt oft visionäre Kraft.

Impuls: Schreiben Schreiben hilft, klarer zu werden und Gedanken zu ordnen. Schreibend bringen wir Dinge zu Papier, die wir, bevor wir anfingen zu schreiben, noch nicht wussten. Heinrich von Kleist (1878/1999) hat einen Aufsatz über »Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden« geschrieben – genauso könnte man »beim Schreiben« hinzufügen. Gerade das Freewriting ist eine wunderbare Methode, um sich entfaltenden Ideen Kraft zu verleihen. Gedanken sind flüchtig. Manchmal haben wir Momente seltener Klarheit, und einen Augenblick später sind unsere genialen Gedanken schon wieder weg. Es bleibt ein Gefühl, dass da etwas Besonderes war – das sich aber nicht mehr greifen lässt, denn es hat sich nicht manifestiert. Gute Ideen und herausragende Gedanken werden sogar wieder vergessen. Kennen Sie den Moment, wenn Sie alte Tagebücher lesen und staunen, wie viel Kluges Sie bereits früher gedacht haben? 76

Wünsche und Visionen: Machen Sie Ihr Ding!

Wenn Sie schreiben, wird Ihr Denkfortschritt sichtbar. Ihre Gedanken bekommen Struktur und verfestigen sich. Sie merken, was sich wiederholt, was neu hinzukommt, was nicht zu Ende gedacht wird – und worüber Sie nichts schreiben. Beim Schreiben müssen Sie Ihre Gedanken nicht perfekt ausformulieren, sie können ungefiltert, unsystematisch oder tagebuchartig zu Papier gebracht werden. Oder Sie nutzen die Struktur eines Unternehmenskonzepts, um Ihre Gedanken zu ordnen – dazu mehr im nachfolgenden  ▶ Kapitel  5.3.

Impuls: Freewriting Eine besondere Form des Schreibens ist das Freewriting (Wolfsberger, 2007). Dabei geht es darum, ohne Konzept und Agenda zu schreiben. In einer vorgegebenen Zeitspanne – zum Beispiel 10 oder 15 Minuten – bringen Sie alles zu Papier, was Ihnen einfällt. Einzige Regel: Sie setzen den Stift nicht ab, sondern schreiben immer weiter. Sie schreiben auf, was immer Ihnen in den Sinn kommt. Wenn Sie zu Beginn denken, »Was soll das alles, mir fällt nichts ein, ich weiß gar nicht, was ich aufschreiben soll«, dann schreiben Sie genau das auf. Lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf, es gibt kein Richtig oder Falsch. Sie dürfen sich vom einmal gesetzten Thema wegbewegen. Spannend ist, was daraus entsteht. Sie werden merken, Ihr Schreiben bildet ab, was Ihren Geist gerade beschäftigt. Und mitunter werden Sie überrascht sein, was Sie zutage fördern, wenn Sie nicht Ihr bewusstes, planendes Denken einschalten, sondern »Es« schreiben lassen. Sie können sich als Thema beispielweise eine Ihrer Ideen oder einen bestimmten Aspekt Ihrer Idee auswählen. Oder zum Thema machen, was Sie Ihren Kund*innen eigentlich genau anbieten wollen. Oder Sie beschäftigen sich mit Ihren Ängsten und wählen als Thema: »Was mir an der Selbstständigkeit Angst macht«. Wenn Sie den Schreibprozess vertiefen wollen, dann lesen Sie den so entstandenen Text, unterstreichen den Satz, der Ihnen am besten gefällt, und schreiben dann ein weiteres Mal zehn Minuten zu diesem Satz. Und vielleicht wiederholen Sie diesen Vorgang ein drittes Mal. Meistens bringen der zweite und dritte Anlauf noch einmal überraschende Einsichten.

Impuls: Möglichkeitsräume Mit Möglichkeitsräumen kann man wunderbar mit der realen Gegenwart spielen. Suchen Sie sich in einem Raum oder in der Natur eine Stelle, die für das Jetzt steht, und einen Ort, der für die Zukunft steht, die Sie sich wünschen. Nun können Sie bewusst zwischen diesen Orten hin- und hergehen und erfühlen und Wünsche und Möglichkeitsräume – das Leben als Wunschkonzert

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erdenken, was an den jeweiligen Orten passiert. Welche Themen tauchen auf, welche Bilder, welche Gefühle? Wie geht es Ihnen am Ort Ihrer Zukunft? Wie ist die Blickrichtung? Was hat es gebraucht, um hier anzukommen? Welchen Weg mussten Sie gehen, welche Schritte waren notwendig? Und ist die Zukunft überhaupt so erstrebenswert, wie sie vielleicht schien? Oder so beängstigend wie befürchtet? Der Ausflug in die Zukunft kann sehr erhellend sein – er bietet einen Vorgeschmack und macht viel realer, was ansonsten nur im Kopf passiert. Wenn Sie zurückgehen auf die Jetzt-Position, können Sie auch hier nochmal bewusst spüren: Was hat der Ausflug in den (Möglichkeits-)Raum verändert? Wie hat sich Ihr Blick auf den (Wirklichkeits-)Raum verändert? Ist die Idee der Selbstständigkeit realistischer geworden? Hat sie sich konkretisiert und an Kontur gewonnen? Welche neuen Impulse haben sich ergeben? Und was bedeutet dies für das Jetzt? Hat sich der Blick auf die mögliche Zukunft und die Wege dorthin verändert?

3.2 Ideenentwicklung ist ein kreativer Prozess – trauen Sie sich, auch Verrücktes zu denken! »Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr arbeiten.« Konfuzius

Die Entwicklung von Ideen folgt der Eigenlogik kreativer Prozesse. Häufig geschieht dies nicht logisch-linear. Denn Ideen lassen sich nicht allein durch Anstrengung und Struktur einfangen oder erzwingen. Das heißt aber nicht, dass Sie gar nichts tun können, um sie systematisch zu entfalten. Kreativitätstechniken leisten Ihnen wertvolle Hilfestellung bei der Genese und Weiterentwicklung von Ideen. Das ist so, als wenn Sie als Gärtner*in alles tun, um Ihren Pflanzen beim Wachsen zu helfen. Sie wählen mit Bedacht die Stelle für Ihr Beet, Sie bauen ein Gewächshaus, Sie suchen die richtigen Pflanzen aus, Sie graben um und lockern die Erde, Sie säen, Sie wässern und düngen, Sie jäten und lüften. Aber das eigentliche Wachsen entsteht nicht durch Ihr Tun – Sie schaffen nur gute Bedingungen dafür. Was heißt es, den Boden gut zu bestellen, damit sich Ideen entsprechend entwickeln können? Ȥ Ideen lieben ein kreatives, inspirierendes Umfeld. Je besser Sie sich anregen und Impulse von außen aufnehmen, desto mehr Futter erhalten Ihre Ideen.

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Ihr Gehirn schafft automatisch Querverbindungen und nutzt das, was Sie ihm anbieten. Neben Input braucht Ihr Geist Rückzugs- und Verarbeitungsräume. Wenn Sie nur rennen, hat Ihr Gehirn keine Zeit zu wandern und sich scheinbar absichtslos mit Ihrer Idee zu beschäftigen. Ergebnisse der Hirnforschung lassen den Schluss zu, dass der Wechsel von gezielter Beschäftigung und anschließendem Loslassen, zum Beispiel durch einen Spaziergang, die Ideenentwicklung befeuert. Viele kreative Geister und Genies schworen auf einen strukturierten Tagesablauf mit einem Wechsel von Arbeit und Spaziergängen (Podbregar, 2014). Wenn Sie den Boden bereitet haben, entwickeln sich Ideen quasi von allein. In einem fruchtbaren Umfeld, in einer von Erlauben und Wohlwollen geprägten Atmosphäre, fühlen sich Ihre Ideen wohl und zeigen sich – nicht immer, wenn Sie sich aktiv mit ihnen beschäftigen, sondern häufig ganz nebenbei: unter der Dusche, morgens beim Tagträumen im Bett, beim Schwimmen oder bei anderen Gelegenheiten. Ideen brauchen Aufmerksamkeit und Würdigung, sonst verschwinden sie unbemerkt. Wie gehen Sie mit Ideen um? Nehmen Sie sie ernst? Erkennen Sie überhaupt, dass Ihre Idee es wert ist, Aufmerksamkeit zu bekommen? Oder lassen Sie sie sofort in der Versenkung verschwinden, während Sie sich Ihrem Alltag zuwenden. Schade. Gelegenheit verpasst. Was können Sie stattdessen tun? Sie können würdigen, dass Sie ein vielleicht wichtiges Puzzlestück in der Hand halten und schauen, wo es hingehört. Was wäre der nächste Schritt, um eine mögliche Umsetzung zu prüfen? Vielleicht brauchen Sie Gespräche mit anderen Menschen. Vielleicht müssen Sie recherchieren, wie es weitergehen könnte. Hauptsache, Sie basteln weiter an Ihrem Puzzle. Und manchmal geht es einfach darum, auszuhalten, dass Sie die Lösung noch nicht in den Händen halten. Getreu nach Martin Walser, der sagte: »Wer andauernd begreift, was er tut, bleibt unter seinem Niveau.«

Ein kreativitätsförderndes Mindset

Je näher das Neue an dem dran ist, was Sie bisher gemacht haben, desto mehr können Sie auf Erfahrungen zurückgreifen; desto besser können Sie einschätzen, was zu tun ist; desto selbstbewusster sind Sie auch, weil Sie ja wissen, dass Sie Vieles schon können. Je weiter entfernt das Neue ist, desto größer sind in der Regel die inneren Bedenken. Alles Unbekannte macht auch Angst und holt unsere inneren Kritiker auf den Plan, die uns vor Unheil bewahren wollen. Leider sind sie die ärgsten Feinde der Kreativität. Ihre vernichtenden Urteile jagen auch gute Ideen in die Flucht. Sie sehen überall potenzielle Gefahren, MissIdeenentwicklung ist ein kreativer Prozess – trauen Sie sich, auch Verrücktes zu denken!

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erfolg, Beschämung und Ruin. Ganz wegschicken lassen sie sich nicht, das wäre auch nicht hilfreich. Denn es geht ja nicht darum, blind alles gutzuheißen, was entsteht. Die Kunst ist es, im ersten Schritt einen bewertungsfreien Raum zu schaffen, in dem Neues erdacht werden darf und sich Verrücktes zeigen darf. In einem zweiten Schritt geht es natürlich darum, diese neuen Ideen auf ihre Machbarkeit hin zu untersuchen. Generell hilfreich ist die Überzeugung, dass sich Dinge handelnd verändern lassen. Und generell hilfreich ist ein Mindset, der dem Prozess Zeit zubilligt. Wer Irrungen und Wirrungen als Teil der Lösungsfindung zulassen kann, wer liebevoll auf Unfertiges und Werdendes schauen kann, wer auch kleine Ideenfünkchen wertschätzt, wächst in Lösungen hinein. Wer hingegen auf schnellen, fertigen und möglichst perfekten Lösungen beharrt, übersieht leicht das Funkeln und Glitzern im Nichtperfekten. Herausforderungen

Aus Ihren Impulsen und Ideen konkrete, tragfähige Angebote zu machen, ist herausfordernd, denn die besten Ideen kommen zunächst als Funke und Irrlicht daher. Wird eine Idee zum ersten Mal gedacht, erscheint sie oft irrwitzig, denn sie stellt das Bestehende infrage. Das gilt auch für Errungenschaften, die die Menschheit entscheidende Schritte vorwärtsgebracht haben. Fliegen können, den Mond betreten, mit Vehikeln auf vier Rädern hunderte Stundenkilometer schnell fahren, Bilder im eigenen Haus mit dem TV-Gerät empfangen, mit Menschen in anderen Teilen der Welt im direkten Austausch sein können … All diese Dinge sind uns heute selbstverständlich, doch ihre Erfinder*innen und Wegbereiter*innen standen vor ähnlichen Schwierigkeiten wie Sie heute. Sie hatten eine Idee, eine Vision, dass etwas funktionieren und sogar großartig sein könnte. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass ihre Umgebung sie verstanden und an sie geglaubt hätte. Man hielt ihre Ideen schlicht für Quatsch, für Unfug, für undurchführbar – vielleicht wünschenswert, aber wahnwitzig … Manche Innovatoren sind erst spät anerkannt worden oder haben den eigenen Ruhm nicht einmal selbst erlebt: Ȥ »Moby Dick« ist heute ein Buch, das quasi jeder kennt. Sein Autor Herman Melville bekam dafür jedoch vernichtende Kritiken und musste sich sogar anhören, das Buch sei eine »schlampig hergestellte Mixtur«. Melville gab das Schreiben aus Geldnot auf und wurde Zollinspektor im New Yorker Hafen (WirtschaftsWoche, 2012). Ȥ Andy Warhol wollte 1956 dem Modern Museum of Art in New York sein Werk »The Shoe« schenken. Das MoMA lehnte dankend ab; es gäbe dafür keinen Platz. 80

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Ȥ Georges Bizets heute weltberühmte Oper »Carmen« fiel bei der Uraufführung beim Publikum durch. Bizet starb kurz darauf und hatte keine Ahnung von seinem späteren Ruhm (Der Spiegel, 1999). Ȥ Paula Modersohn-Becker verkaufte zu Lebzeiten nur wenige Bilder – selbst ihr Mann äußerte sich abwertend über ihre Kunst. Ȥ Viele, heute anerkannte Autor*innen hatten zu Beginn ihres Schaffens Mühe, einen Verlag zu finden, der ihre Werke veröffentlichte – in der illustren Liste verkannter Schreibender finden sich Namen wie Friedrich Nietzsche, Joanne K. Rowling, John Grisham, Umberto Eco, Astrid Lindgren … Das, was Sie in die Welt bringen wollen, hat vielleicht nicht die Dimension, die Menschheit technisch oder literarisch ins nächste Jahrhundert zu katapultieren, doch hilft der Vergleich, etwas anderes zu fassen, was Ihnen mit Sicherheit begegnen wird: Dass eine Idee gut ist, bedeutet nicht automatisch, dass sie auch Begeisterung und Unterstützung erfährt. Im Gegenteil: Wer Neues entwickelt, muss auf Widerstand gefasst sein. Das ist wichtig, denn sonst laufen Sie selbst Gefahr, Widerstand als »Beweis« dafür zu nehmen, dass Ihre Idee Quatsch ist. Natürlich kann es sein, dass Sie wichtige Aspekte übersehen oder Ihre Vorhaben nicht realistisch einschätzen. Nicht jede Idee ist gut und sollte umgesetzt werden. Aber die Koppelung, die wir in uns haben, dass Gutes sich automatisch Bahn bricht, während Schlechtes und Undurchführbares auf Kritik stößt – die stimmt nicht. Im Gegenteil – einer Idee zu Anerkennung zu verhelfen, ist ein zum Teil von der Realisierung der Idee völlig losgekoppelter Prozess. Die große Herausforderung besteht darin, dass Sie sich zuallererst selbst überzeugen müssen. Sie selbst haben vermutlich auch mehr oder weniger große Skeptiker und Kritiker in Ihrem inneren Team. An denen muss Ihre Idee erst einmal vorbei, um Wirklichkeit werden zu können. Systematische Ideenentwicklung

Ideen entstehen von selbst, ja … – gute Ideen entstehen aber nicht immer genau dann, wenn Sie sie gerne haben wollen. Wenn Sie nicht nur abwarten wollen, können Sie ihnen auf die Sprünge helfen. Kreativitätsfördernde Methoden laden Sie ein, in die Ideenproduktion zu gehen oder Ihre Idee weiterzuspinnen. Sie helfen, die Beschränkungen des täglichen Denkens außer Kraft zu setzen. Dies geschieht, indem Sie: Ȥ Ihr latent vorhandenes Wissen über Ihre Idee visualisieren und ausdrücken (zum Beispiel durch eine Mindmap) Ȥ alle Ideen zulassen und eine Menge an Impulsen produzieren, ohne zu sortieren, zu bewerten und zu kritisieren (beispielsweise beim Brainstorming) Ideenentwicklung ist ein kreativer Prozess – trauen Sie sich, auch Verrücktes zu denken!

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Ȥ durch systematische Beschäftigung mit den Möglichkeiten, die Ihre Idee hat, Ihren Geist einladen, weiterzudenken (mithilfe der Osborn-Checkliste können Sie Ihre Idee zum Beispiel vergrößern, verkleinern, in ihr Gegenteil verkehren, also systematisch variieren; zu finden im Download-Bereich) Ȥ durch Verknüpfung mit anderen Wissensgebieten einen Transfer von Lösungsideen ermöglichen (Wie lösen Bienen Organisationsprobleme im Bienenstock? Was können Sie für Ihre Organisation daraus an Erkenntnissen und Impulsen gewinnen?) Ȥ andere Sinneskanäle und Ihr intuitives Wissen nutzen (Sie malen beispielsweise ein Problem-Bild und ein Lösungs-Bild).

Impuls: Ihr Ideenbuch Sammeln Sie, zeichnen Sie, bewahren Sie Bilder auf und kleben Sie sie in Ihr Ideenbuch – Hauptsache, Sie nehmen Ihre Gedanken und Impulse ernst und halten fest, was Sie beschäftigt. Ȥ Nehmen Sie aufmerksam wahr, welche Ideen andere haben und wie diese mit ihnen umgehen. Ȥ Wenn Sie tolle Webseiten sehen, die Sie inspirieren, schreiben Sie auf, was Sie toll finden. Ȥ Sie beneiden jemanden? Super – worum? Ihr Neid zeigt Ihnen, was Sie gerne für sich hätten. Wenn Sie solche Beobachtungen festhalten, wird Ihnen mit der Zeit klarer, wohin Sie sich gerne bewegen würden. Später können Sie das alles in eine »vernünftige« Form bringen, zum Beispiel in Form eines Unternehmenskonzepts  ▶ Kapitel 5.3, aber zunächst geht es darum, herauszufinden, was Sie machen wollen, was jetzt dran ist für Sie. Erlauben Sie sich, auch scheinbar Verrücktes aufzuschreiben. Wir unterschätzen, was im Endeffekt alles möglich ist – und selbst im Fantastischen kann sich eine Spur finden, die Ihnen zeigt, wofür Ihr Herz wirklich schlägt. Wer sich ausführlicher mit den eigenen Ressourcen, Wünschen und Träumen beschäftigen möchte und der Frage, wie man die eigene Idee ausspinnt, findet mehr dazu in meinem Buch: »Bring deine Idee zum Leuchten« (Hochbahn, 2018).

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3.3 Nehmen Sie Ihre Ideen ernst! Die Kunst, »eigenSinnig« zu sein »Die Frage ist nicht: Warum? Die Frage ist: Warum nicht?«

Sie haben eine neue Idee für Ihre berufliche Zukunft als selbstständige*r Systemiker*in. Und jetzt? Was können Sie tun, damit aus dem vielleicht noch kleinen Funken Realität wird? Ihrer Idee Raum geben

Sie müssen sich noch nicht festlegen. Die einzige Entscheidung, die Sie zunächst treffen müssen, ist, Ihrer Idee Raum und Energie zu geben und sich mit ihr weiter zu beschäftigen. Entweder wird alles immer realistischer, klarer und machbarer; oder Sie stoßen auf ernsthafte Hindernisse, die Sie zögern und zweifeln lassen. Lassen sich diese Hindernisse nicht aus dem Weg räumen, macht es Sinn, nochmal an den Ausgangspunkt zurückzukehren und neue Ideen zu entwickeln. Oder Sie nehmen Ihre Idee genauer unter die Lupe und variieren sie so, dass sie besser funktioniert. Sie merken im Planen, dass Ihre Idee immer deutlicher Gestalt annimmt. Verlieren Sie Ihre Lust nicht aus den Augen

Fragen Sie sich unterwegs auf dem Weg zur Umsetzung stets, was Sie wirklich wollen, und wozu Sie Lust haben. Was generell für Ihre Selbstständigkeit gilt, gilt auch für jede einzelne Idee und jeden Schritt. Sie können eine Menge machen. Die Frage, worauf Sie Lust haben, entscheidet darüber, was Sie wirklich tun wollen. Die Tatsache, dass andere etwas machen, heißt noch lange nicht, dass Sie das auch machen müssen. Wenn um einen herum alle rennen und hetzen, entsteht schnell ein Sog: der Sog, mithalten zu wollen. Das muss aber nicht richtig sein. Entscheidend ist: Was wollen Sie? Welcher ist der einfachste Weg, Ihre Idee umzusetzen?

Unser innerer Perfektionismus ist nicht immer der beste Ratgeber. Gibt es vielleicht ganz einfache Möglichkeiten, Ihre Ideen zu realisieren? Wen kennen Sie? Wer könnte Ihnen helfen? Wer hat das erforderliche Know-how? Auf welche bereits existierende Ressourcen können Sie zurückgreifen?

Nehmen Sie Ihre Ideen ernst! Die Kunst, »eigenSinnig« zu sein

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Rückschläge und Hindernisse

Irgendetwas erweist sich immer als schwierig: Finanzielle Mittel begrenzen die Möglichkeiten, die notwendige Ausstattung ist nicht vorhanden, Ängste und die Sorge vor dem Scheitern reduzieren die Risikobereitschaft. Sie wissen nicht, wie Sie die Umsetzung Ihrer Idee angehen sollen, weil Sie sich auf unbekanntem Terrain bewegen; Ihnen fehlt die Zeit, um sich um alles Notwendige zu kümmern, weil laufende Projekte Sie längst auslasten. Diese Hindernisse testen Ihre Motivation und Ihr Engagement. Machen Sie jetzt weiter und suchen nach Lösungen? Oder bleiben Sie auf halbem Weg stecken und geben Ihre Idee auf? Jetzt sind Kreativität und Handeln gefragt! Es gilt, andere Menschen mit ins Boot zu holen, zu recherchieren, Dinge auszuprobieren, nach alternativen Lösungswegen zu suchen – vielleicht auch, alles einmal liegen zu lassen, um es neu und anders denken zu können. Hauptsache, Sie bleiben dran. Ideenentwicklung kann man sich als spiralförmigen Prozess vorstellen: Sie kommen immer wieder an den gleichen Fragestellungen und Themen vorbei – selbst wenn Sie schon lange selbstständig sind. Der Unterschied liegt im Grad der Abstraktion. Am Anfang haben Sie vielleicht die Idee, eigene Fortbildungen anzubieten. Je stärker Sie in den Prozess der Ideenentwicklung einsteigen, desto mehr Fragen tauchen auf – und mit ihnen Antworten: Welche Inhalte wollen Sie vermitteln? Wer soll teilnehmen? Welches zeitliche Format wollen Sie anbieten? Ist es wichtig, dass Sie von einem Verband zertifiziert sind; gibt es überhaupt Zertifizierungen für das, was Sie anbieten wollen? Was wünscht sich Ihre Zielgruppe genau? An welchem Ort bieten Sie die Fortbildungen an? Das hört nicht auf, selbst wenn Sie Ihre Ideen schon längst realisieren …

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 Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können »Lass aus deinen Möglichkeiten Wirklichkeiten werden.«

Als Systemiker*in haben Sie zahllose Möglichkeiten, selbstständig zu arbeiten – klassische und selbst kreierte. Einige davon möchte ich Ihnen hier vorstellen. Schauen Sie, was andere auf die Beine gestellt haben. Lassen Sie sich inspirieren. Stellen Sie Ihre Ideen in den Kontext bestehender Möglichkeiten. Erweitern oder ergänzen Sie Ihre Idee – oder stellen Sie einfach fest, dass Sie Ihren Weg schon längst gefunden haben. Sie haben die Wahl: Sie können eines oder mehrere der klassischen Formate für Systemiker*innen wählen, Sie kreieren etwas Eigenes, oder Sie nutzen beide Möglichkeiten und bieten ein Potpourri aus Klassikern und Neuem an. Manches ist mittlerweile etabliert – wie Supervision oder systemische Familientherapie im Rahmen der Jugendhilfe –, manches gerade erst erreicht – wie die Möglichkeit, systemische Psychotherapie als Kassenleistung anzubieten. »Systemisch plus« hingegen bedeutet, dass Sie etwas Eigenes erschaffen, indem Sie Wissen und Kompetenzen aus anderen Ihnen bekannten beruflichen Feldern mit systemischem Know-how kombinieren. Viele sind daneben noch als Trainer*innen oder Lehrende tätig. Oder Sie spielen groß und gründen oder übernehmen ein Institut.

4.1  Systemisch auf Rezept – die Kassenpraxis »Wir müssen nur lernen zu verstehen, dass man die meisten Schwierigkeiten in Chancen umwandeln kann.« Ben Furman

Seit 2008 ist systemische Psychotherapie vom wissenschaftlichen Beirat der Krankenkassen als wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren bestätigt worden. Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 22.11.2018 endlich entschieden, dass Systemische Psychotherapie für Erwachsene zukünftig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird. Das ist ein großer DurchSystemisch auf Rezept – die Kassenpraxis

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bruch! Über zehn Jahre haben die beiden systemischen Verbände, die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) und die Systemische Gesellschaft (SG) und mit und in ihnen viele Einzelne um die Anerkennung der systemischen Therapie als Kassenleistung gekämpft. Die Anerkennung für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Vertiefungsgebiet Systemische Therapie, ist – zumindest bisher – noch nicht erfolgt (Stand: 2021). Seit dem 1.7.2020 kann systemische Psychotherapie auf Rezept abgerechnet werden. Noch heißt das in der Praxis allerdings nicht, dass viele in den Genuss dieser Leistung kämen. Denn zunächst müssen systemische Psychotherapeut*innen Kassensitze erhalten. Und hierfür müssen sie systemische Approbationsausbildungen durchlaufen. Fachleute der systemischen Verbände rechnen damit, dass es Jahre dauern wird, bis es eine nennenswerte Zahl von Systemiker*innen mit abgeschlossener Approbationsausbildung gibt. Zu den zwei Instituten, die schon seit Jahren systemische Approbationsausbildungen anbieten, stoßen gerade immer mehr hinzu. Allerdings ist es schwer, als neues Institut auf den Markt zu kommen. Denn neue Institute müssen, um eine Institutsambulanz eröffnen zu können, eine Bedarfsprüfung durchlaufen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Reform des Psychotherapeutengesetzes noch nicht alle Detailfragen geklärt sind. Sicher ist jedoch, dass es eine Regulierung der Teilnehmer*innenzahlen für alle Verfahren und Institute geben wird. All dies führt dazu, dass es etablierten verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch oder analytisch ausgerichteten Instituten tendenziell leichter fällt, eigene Approbationsausbildungen oder Zusatzmodule in systemischer Psychotherapie anzubieten als neuen systemischen Instituten. Auch Hochschulen und Universitäten sind im Begriff, systemische Ausbildungen beziehungsweise Studiengänge anzubieten. Die Unis, die bereits eine Approbationsausbildung im Programm haben, können nun einfach auch Approbationsausbildungen in Systemischer Therapie anbieten und tun dies auch. Andere Universitäten bieten systemische Kurse an. Dazu sagt Carla Ortmann, Fachreferentin für Gesundheitspolitik bei der DGSF: »Eine wirkliche Neuerung ist, dass mindestens zwei Verfahren im Rahmen des neuen Psychotherapiestudiums vermittelt werden sollen. Welchen Platz Systemische Therapie an den Unis findet, ist noch fraglich, die Tür steht jedoch einen Spalt offen. Spannend ist, wie sich das auch auf die Forschung auswirken wird« (Mail vom 15.10.2020). Die systemischen Institute haben vor der Anerkennung der systemischen Therapie als Kassenverfahren eine Lernkultur jenseits des rein theoretisch-wissenschaftlichen Lernens entwickelt, die frei von Noten- und Leistungsdruck auf Entwicklung und inneres Wachstum, auf Haltung und Persönlichkeitsentwicklung 86

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

setzt. Diese ist bewahrenswert, und es bleibt zu hoffen, dass das, was in Jahrzehnten an Qualität im Bereich systemischer Lehre aufgebaut wurde, nicht auf der Strecke bleibt – indem sich die systemischen Institute behaupten können, und indem Praxisanteile in der systemischen Hochschulausbildung relevant werden. Wer hat die Chance, zukünftig als systemische*r Psycho­therapeut*in systemische Therapie auf Rezept anzubieten?

Seit dem 1.7.2020 können bereits in einem anderen Verfahren approbierte Psychotherapeut*innen mit einer systemischen Weiterbildung diese in einer bis 30.06.2026 geltenden Übergangsregelung in manchen Bundesländern als zweite Fachkunde anrechnen lassen; allerdings nicht überall. In Nordrhein-Westfalen etwa würde eine solche Weiterbildung laut Auskunft der Psychotherapeutenkammer nicht anerkannt. Sie müssten eine (verkürzte) weitere Approbationsausbildung durchlaufen, um einen zweiten Fachkundenachweis zu bekommen. Anträge zur Anerkennung hierfür laufen jeweils über die Psychotherapeutenkammern. Wer in der Vergangenheit eine systemische Therapieweiterbildung an einem der systemischen Institute absolviert hat, hat damit nicht die Berechtigung erworben, zukünftig auf Rezept abzurechnen. Es gibt keine Übergangsregelung mehr wie zu der Zeit, als das neue Psychotherapeutengesetz verabschiedet wurde und langjährig Praktizierende eine Anerkennung als Therapeut*in bekommen konnten. Nur diejenigen, die eine Approbationsausbildung absolviert haben, erfüllen die Voraussetzungen für eine Anerkennung ihrer Leistungen als Psychotherapie durch die Krankenkasse. Doch auch diejenigen, die eine solche Approbationsausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, können nicht einfach Therapieleistungen über die Krankenkassen abrechnen. In Deutschland kann nur derjenige eine Kassenzulassung bekommen, der von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einen Kassensitz zugewiesen bekommt. Diese Kassensitze sind kontingentiert und werden von der KV vergeben. Nur selten werden neue Kassensitze genehmigt. 2019 stellte der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen sowohl im ärztlichen als auch im therapeutischen Bereich eine Unterversorgung fest und eine große Anzahl neuer Kassensitze wurde gestattet. Ansonsten wird aber eher der jetzige Bestand verwaltet und erneuert und so ist es nur möglich, eine Praxis mit Kassenzulassung zu eröffnen, wenn man den Kassensitz einer bestehenden Praxis übernehmen kann. Das setzt also voraus, dass ein Kassensitzinhaber seine Praxis verkaufen oder aus Altersgründen aufgeben möchte. Welche Voraussetzungen müssen Sie erfüllen, wenn Sie in den nächsten Jahren eine systemische Psychotherapiepraxis führen möchten, die über die Krankenkasse abgerechnet werden kann? Systemisch auf Rezept – die Kassenpraxis

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1. Psychologiestudium

Sie müssen ein Diplom oder einen Master in Psychologie haben, um mit Erwachsenen zu arbeiten. Für die Ausbildung zum*r Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in benötigen Sie ein Diplom oder einen Master in Psychologie oder Pädagogik oder Sozialpädagogik. Seit 2020 gibt es neue Studiengänge mit integrierter Ausbildung zum Psychotherapeuten.3 2. Approbationsausbildung

Sie müssen eine Approbationsausbildung erfolgreich abschließen, und die ist ausgesprochen umfangreich. Ganztägig dauert sie drei Jahre, berufsbegleitend fünf Jahre. Zu absolvieren sind mindestens 4.200 Stunden. Details zu den Voraussetzungen für eine systemische Approbationsausbildung und zu den Instituten, die diese anbieten, finden Sie auch im Download-Bereich. Die Ausbildung setzt sich zusammen aus: Ȥ 600 Stunden »Theorie« Ȥ 1.200 Stunden »Praktische Tätigkeit 1« in einer psychiatrischen Klinik Ȥ 600 Stunden »Praktische Tätigkeit 2« in einer psychosomatischen Klinik oder psychotherapeutischen Praxis Ȥ 120 Stunden »Selbsterfahrung« Ȥ 600 Stunden »Praktische Ausbildung Patientenbehandlung« in einer Institutsambulanz oder Lehrpraxis Ȥ 150 Stunden »Supervision« Ȥ mindestens 930 Stunden »Freie Spitze« (die Inhalte werden vom Ausbildungsinstitut festgelegt) 3. Approbation

Mit der abgeschlossenen Approbationsausbildung können Sie dann die Approbation, das heißt die berufsrechtliche Erlaubnis zur Ausübung des Berufs, beantragen – wo genau, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich (in Bayern zum Beispiel gibt es eine Berufszulassungsstelle bei der Landesregierung, in NRW sind die Bezirksregierungen zuständig). Die wissenschaftlich anerkannten Verfahren beinhalten nicht nur die Richtlinienverfahren (Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, analytische Psychotherapie), sondern auch weitere Verfahren wie Gesprächspsychotherapie und Familientherapie. Theoretisch ist es also möglich, eine Approbation in Gesprächspsychotherapie, also einem vom wissenschaftlichen Beirat nicht anerkannten Verfahren zu erwerben. Da dann aber ein Eintrag ins Psychotherapeutenregister nicht möglich ist, führt dies nicht zur Berechtigung, mit 3 https://www.psychologie-studieren.de/studiengaenge/psychotherapie/ (Zugriff am 23.02.2021).

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Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

den Krankenkassen abzurechnen. Der*die approbierte Psychotherapeut*in wird automatisch Mitglied in der Psychotherapeutenkammer seines*ihres Bundeslandes. Die Psychotherapeut*innen unterliegen dann der Berufsordnung der jeweiligen Kammer.  4. Eintrag ins Psychotherapeutenregister

Als nächstes kann der Eintrag ins Psychotherapeutenregister (vergleichbar mit dem Arztregister) beantragt werden. Die Arzt- und Psychotherapeutenregister werden von den Kassenärztlichen Vereinigungen geführt. Notwendig sind dafür eine Approbation und der Fachkundenachweis. Es muss also nachgewiesen werden, dass eine Ausbildung und Prüfung in einem der vom wissenschaftlichen Beirat anerkannten Verfahren absolviert wurde (Tiefenpsychologie, Verhaltenstherapie, analytische Therapie und nunmehr systemische Therapie). Wer ins Psychotherapeutenregister eingetragen ist, kann mit der Beihilfe, das heißt, Leistungen für Beamte, abrechnen. Im Download-Material finden Sie eine Auflistung der Dokumente, die Sie der Kassenärztlichen Vereinigung Ihres Bundeslandes vorlegen müssen. Sinnvollerweise lassen Sie sich in jedem Fall auf die Warteliste für die Zulassung zu einem Praxissitz setzen. Denn die Wartezeit ist eines der Kriterien, die über die Zulassung entscheiden – maßgeblich ist die Wartezeit ab Eintrag ins Psychotherapeutenregister. 5. Kassenzulassung

Um eine Praxis zu eröffnen, die mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen kann, benötigen Sie eine Kassenzulassung. Die Anzahl der Kassenzulassungen für Psychotherapeut*innen innerhalb einer Region ist begrenzt, sie ist abhängig von der Einwohnerzahl. Die sogenannte Bedarfsplanung, die die Zahl der Kassenpsychotherapeuten festlegt, wird von den kassenärztlichen Vereinigungen bestimmt. Sie regelt, wie viele Psychotherapeut*innen sich in einem bestimmten Gebiet (Planungsbereich) niederlassen dürfen. Bei den Kassenärztlichen Vereinigungen finden Sie Daten und Ansprechpartner zur Bedarfsplanung. Die Liste der Ansprechpartner finden Sie auf der Webseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).4 Es gibt nur wenige Regionen, in denen Sie die freie Wahl haben, wo Sie Ihre Praxis eröffnen wollen – dort, wo es offene Planungsbereiche gibt. Auf der Seite der Kassenärztlichen Vereinigung können Sie nachlesen, welche Planungsbereiche offen sind. In einem offenen Planungsbereich müssen Sie sich nur mit

4 https://www.kbv.de/html/themen_6194.php (Zugriff am 23.02.2021). Systemisch auf Rezept – die Kassenpraxis

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dem*r bisherigen Inhaber*in des Sitzes einigen. Die Vergabe findet durch den Zulassungsausschuss der KV statt – dies ist dann aber eine reine Formsache. Sie können sich auch um die Zulassung in einem gesperrten Planungsbereich bewerben. Dies setzt aber voraus, dass der*die Inhaber*in eines Kassensitzes Ihnen diesen übergeben möchte. Außerdem ist die Entscheidung, ob Sie einen frei werdenden Kassensitz erhalten, nicht allein von der jetzigen Inhaberin zu treffen. Der örtliche Zulassungsausschuss der KV entscheidet darüber, an wen dieser vergeben wird. Dabei berücksichtigt der Zulassungsausschuss Ihre fachliche Eignung, aber auch Kriterien wie die Dauer Ihrer bisherigen therapeutischen Tätigkeit, das Approbationsalter, Ihre familiäre Situation oder Ihre Nähe zum jetzigen Kasseninhaber – sprich, bevorzugt werden Praxismitinhaber oder Familienangehörige. Im Download-Bereich finden Sie eine Auflistung der Unterlagen, die Sie für den Antrag beim Zulassungsausschuss der KV benötigen. In der Praxis werden die Kassensitze verkauft. Diejenigen, die einen Kassensitz haben und ihre Praxis aufgeben oder verkleinern wollen, verkaufen ihre Praxis. Der Hauptwert liegt dabei in der Regel nicht so sehr im Mobiliar, sondern in der Erlaubnis zu praktizieren und mit der Krankenkasse abzurechnen. Sie müssen sich also auf die Suche nach einem Praxisinhaber machen, der seine Praxis übergeben möchte und entweder auf das Kaufangebot einer bisherigen Kassensitzinhaberin mit einem Angebot reagieren, oder Ihrerseits ein Gesuch aufgeben. Dies geschieht häufig über Praxisbörsen, wo Inhaber*innen ihre Praxis zum Kauf anbieten. Kaufangebote finden Sie beispielsweise hier: Ȥ www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/informationen/praxisboerse/ praxisangebote Ȥ Oder für NRW: www.ptk-nrw.de/de/mitglieder/praxis-undstellenboerse.html Tipps und Tricks

Soll es zu einem Praxisverkauf kommen, beantragt in der Regel der abgebende Praxisinhaber bei der KV die Ausschreibung des Vertragssitzes. Dies geschieht in Form einer amtlichen Bekanntmachung der Kassenärztliche Vereinigung. Alle interessierten Psychotherapeut*innen, die die Voraussetzungen erfüllen, können sich dann auf diese Ausschreibung bewerben. Nach Ablauf der Frist informiert die KV den Abgeber über die Bewerber und fordert ihn zu Verhandlungen mit diesen auf. Der Abgeber kann sich mit dem Bewerber nur über die Bedingungen zur Praxisübernahme einigen. Die Zulassung als Vertragsarzt erteilt der Zulassungsausschuss. Aber: Der Zulassungsausschuss kann den Antrag auf Ausschreibung ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragssitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. 90

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Theoretisch sind alle, die die Voraussetzungen erfüllen und die fünf Jahre Approbationsalter vorweisen können, bei der Bewerbung auf einen Sitz gleichgestellt – dann kommt es darauf an, mit wem sich der Abgebende einigt. Deshalb ist es für die Entscheidungsfindung wichtig, wer sich alles auf den Sitz bewirbt. Um auf die Vergabe durch den Zulassungsausschuss Einfluss zu nehmen, werden von Praxisinhaber*innen häufig Modelle gewählt, die vorsehen, dass der*die Übernehmende zunächst in der Praxis mitarbeitet und dann erst die Neuvergabe des Kassensitzes beantragt wird. Hierdurch schafft sich der Inhaber erst einmal ein zusätzliches Einkommen. Und durch die »interne« Bewerbung erhöht sich die Chance, dass der Zulassungsausschuss auch den vom Übergebenden gewollten Therapeuten auswählt. Weitere Informationen hierzu finden Sie im Download-Bereich. Ein häufig gewählter Weg ist das Jobsharing. Manche Psychotherapeut*innen möchten ihren Kassensitz nicht komplett selbst ausfüllen. Denn mit dem Kassensitz ist auch ein Versorgungsauftrag verbunden – und das bedeutet, dass eine bestimmte Menge an Therapiestunden abzuleisten ist. Ein gängiger Weg, um weniger zu arbeiten, ist das Jobsharing-Modell, bei dem ein*e Therapeut*in in die Praxis einsteigt und ein Viertel oder die Hälfte der Therapiestunden übernimmt. Kommt es zu Gebietsentsperrungen, werden diese Jobsharing-Partner bei der Vergabe von Kassensitzen bevorzugt berücksichtigt, und zwar in der Reihenfolge ihres Eintritts – allerdings müssen sie dafür mindestens drei Jahre in der Praxis mitgearbeitet haben.

Praxistipp: Praxisübernahme und Zulassung Der*die Praxisinhaber*in kann einen Kollegen oder eine Kollegin im Angestelltenverhältnis in die Praxis aufnehmen (die erste Person hat den Sitz, die zweite ist angestellt), oder die hinzukommende zweite Person arbeitet freiberuflich (Bundespsychotherapeutenkammer, 2017). Eine weitere Möglichkeit, eine unabhängige Vollzulassung mit eigenem Versorgungsauftrag zu erhalten, ist, zehn Jahre in einer Jobsharing-Partnerschaft mitzuarbeiten. Nach dieser Zeit wird die Teil-Zulassung umgewandelt.5 Die eigenen Chancen für eine Übernahme verbessert man durch die Zusicherung, die Praxis in einen unterversorgten Bereich zu verlegen. Auch diejenigen, die seit mindestens fünf Jahren in einem unterversorgten Gebiet tätig sind, werden privilegiert. Zum Zuge kommen besonders Bewerber*innen, die sich bereit erklären, ihre Praxis behindertengerecht auszustatten. Und Psychotherapeut*innen dür5 https://opk-info.de/ (Zugriff am 23.02.2021). Systemisch auf Rezept – die Kassenpraxis

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fen nunmehr durch Zusammenschluss auch medizinische Versorgungszentren bilden. Im Download-Bereich finden Sie eine Auflistung der Kriterien, nach denen der Zulassungsausschuss entscheidet und eine Erläuterung, wie diese Kriterien gewichtet werden. Nimmt der Zulassungsausschuss nicht die von der*dem Abgebenden ge­ wünschte Person als Nachfolgerin an, kann jene*r das Abgabeverfahren auch zurückziehen. Für das ganze Übernahmeverfahren sollten Sie etwa ein Dreivierteljahr Zeit einplanen. So lange – oder länger – kann es dauern, bis alle Formalitäten geregelt und abgewickelt sind. Die Niederlassungsberater der KV beraten dabei bei vielen Aspekten des Verfahrens. Neue Möglichkeiten für Systemiker*innen – systemisch auf Rezept

Es wird vermutlich noch relativ lange dauern, bis es in nennenswertem Ausmaß systemische Psychotherapeut*innen gibt – da sind sich die meisten Expert*innen einig. Wie die Krankenkassen mit der Situation umgehen, scheint noch nicht ganz ausgemacht. Werden systemische Psychotherapeut*innen über das Anmelden von Sonderbedarfen zusätzliche Kassensitze bekommen? Oder werden sich Syste­ miker*innen nur im Zuge normaler Nachfolgeregelungen allmählich Kassensitze erobern können? Krankenkassen, die ich angeschrieben und gefragt habe, wie sie auf den Wunsch von Patient*innen nach systemischer Psychotherapie zukünftig reagieren werden, ob diese Anspruch darauf haben, eine*n Psychotherapeut*in mit dem von ihnen favorisierten Verfahren zu bekommen, reagierten verhalten, ablehnend oder in ihren Aussagen eigenartig verschwommen. Man will sich offensichtlich nicht festlegen und fürchtet zusätzliche Kosten. Eine Auskunft bekam ich nach Anfrage per Mail von Peter Prominski, Referent des Verbandes der Ersatzkassen: »Nach den uns vorliegenden Informationen haben bereits ca. 200 der niedergelassenen psychotherapeutisch tätigen Ärzte und Psychotherapeuten die Qualifikation für die systemische Therapie. Wie auch schon bei vielen neuen diagnostischen und therapeutischen Verfahren gesehen, wird es eine Weile benötigen, bis neue Verfahren die Versorgungslandschaft durchdrungen haben und damit flächendeckend verfügbar sind. Da die Bedarfsplanungsrichtlinie des G-BA nur den Psychotherapeuten an sich und nicht die Behandlungsverfahren adressiert, können explizit keine zusätzlichen Kassensitze für systemisch ausgebildete Psychotherapeuten ausgewiesen werden. Allerdings werden durch Anpassungen in der Bedarfsplanungsrichtlinie regelmäßig neue Niederlassungsmöglichkeiten für psychologische Psychotherapeuten geschaffen. Darüber hinaus haben systemisch ausgebildete Psychotherapeuten die Möglichkeit, sich auf ausgeschriebene Psychotherapeutensitze zu bewerben. Den Zulassungsausschüssen 92

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

in den Ländern ist durchaus bewusst, dass hier eine neue Therapieform etabliert wurde, die so nun auch in der Versorgung ankommen muss. Wir gehen davon aus, dass dies zukünftig bei Sitzausschreibungen entsprechend berücksichtigt wird« (2020). Dies kann Carla Ortmann von der DGSF bisher noch nicht bestätigen – allerdings fügt sie einschränkend hinzu: »Noch reden wir über Erfahrungen im einstelligen Bereich« (Stand: Herbst 2020). Sebastian Baumann, Vorstandsbeauftragter Psychotherapie der SG, geht hingegen davon aus, dass die Krankenkassen es eventuell nicht so leicht haben, Anträge auf Sonderbedarfszulassung abzulehnen. Er verweist auf ein BGHUrteil von 2017, das die Ablehnung eines solchen Antrags durch einen Verhaltenstherapeuten monierte. Der Berufungsausschuss hätte ermitteln müssen, ob es Wartezeiten im beantragten Richtlinienverfahren gibt. Danach reicht es nicht einfach – was manche Krankenkassen natürlich wollen – dass es überhaupt einen freien Therapieplatz bei irgendeinem, fachlich ausreichend qualifizierten Psychotherapeuten gibt (vgl. Ärzteblatt, 2018). Eventuell wird es also zusätzliche Kassensitze für Systemiker*innen geben – deshalb, weil Patient*innen in dem Augenblick, wo systemische Therapie Richtlinienverfahren ist, auch ein Anrecht darauf haben könnten, systemische Therapie in Anspruch zu nehmen. Wie attraktiv ist das Ziel, eine systemische Kassenpraxis zu gründen?

Wer eine Kassenpraxis hat, der braucht sich in der Regel um sein Einkommen keine Sorgen zu machen. Aufgrund der Bewirtschaftung durch die Kassenärztliche Vereinigung wird die Konkurrenz kleingehalten. Hundert Prozent Auslastung sind – nach einer kurzen Anlaufzeit – die Regel. Patient*innen erhalten bei Kurzzeittherapien bis zu 12 Therapiestunden, bei Verlängerung bis zu 24 Stunden. Bei Langzeittherapien ist die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen abhängig vom Therapieverfahren: Für Verhaltenstherapie sind dies bis zu 60 Therapiestunden (bei Verlängerung bis zu 80 Stunden), für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sind es bis zu 60 Therapiestunden (bei Verlängerung bis zu 100 Stunden), bei analytischer Psychotherapie werden maximal 160 Therapiestunden bewilligt (bei Verlängerung bis zu 300 Stunden). Bei systemischer Psychotherapie sind 36 Therapiestunden und bei Verlängerung 48 Stunden bewilligungsfähig (vgl. KBV, 2019). Besonders an der systemischen Psychotherapie ist übrigens, dass das Mehrpersonen-Setting ausdrücklich zugelassen und abrechnungsfähig ist.

Systemisch auf Rezept – die Kassenpraxis

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Im Erstattungsverfahren arbeiten

Eine weitere Möglichkeit für Systemiker*innen, mit Approbation und Eintrag ins Psychotherapeutenregister auf Rezept tätig zu werden, ist die Abrechnung im Kostenerstattungsverfahren. Im Kapitel zur Privatpraxis  ▶ Kapitel  4.2 wird es darum gehen, ob und wie dieses Verfahren von Selbstständigen ohne Approbation genutzt werden kann. Hier geht es darum, wie die Krankenkassen sicherstellen, dass zukünftig Patient*innen systemische Psychotherapie in Anspruch nehmen können, wenn es zum jetzigen Zeitpunkt kaum kassenzugelassene Psychotherapeut*innen mit fachlich-systemischem Hintergrund gibt. Könnte das Erstattungsverfahren für eine Übergangszeit genutzt werden, um Patient*innen zu versorgen? Ein Patient, der Psychotherapie in Anspruch nehmen will, muss zunächst eine psychotherapeutische Sprechstunde aufsuchen, in deren Rahmen eine Verdachtsdiagnose gestellt wird. Wird eine Psychotherapie als notwendig bejaht, kann sich der Patient selbst eine Psychotherapeutin für die probatorischen Sitzungen und folgend für eine Kurzzeittherapie suchen. Findet der Patient keine Psychotherapeutin, die in angemessener Zeit einen freien Therapieplatz bereitstellen kann, kann er sich an die Terminservicestellen der Krankenkassen wenden. Diese sollen dann spätestens innerhalb von vier Wochen einen freien Therapieplatz vorschlagen. Gelingt dies nicht, gilt dies als »Systemversagen«, das über den medizinischen Dienst der Krankenkassen abgeklärt wird. Grundsätzlich sollen Krankenkassen eine flächendeckende, bedarfsgerechte, rechtzeitige und wohnortnahe Behandlung gewährleisten. Müssen Patient*innen unangemessen lange auf einen Therapieplatz warten, sind sie berechtigt, die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Die Kosten, die dadurch entstehen, müssen nach § 13 Abs. 3 SGB V durch die Krankenkasse übernommen werden. Die Hürden hierfür werden von den Krankenkassen aber bewusst hoch angesetzt. In jedem Fall muss eine psychotherapeutische Sprechstunde aufgesucht werden. »Im Rahmen der Sprechstunde füllt der Therapeut ein Formular (PTV-11) aus, in dem bereits eine Verdachtsdiagnose gestellt wird. Zudem enthält das Formular einen vorläufigen Befundbericht und eine Empfehlung für die Art der Behandlung (zum Beispiel Akutbehandlung, reguläre ambulante Psychotherapie oder stationäre Behandlung). Im Freitext kann der Therapeut außerdem die maximal zumutbare Wartezeit und eine sinnvolle Frequenz der Therapie angeben, um deutlich zu machen, dass eine zeitnahe, regelmäßige Behandlung notwendig ist. Bisher wird nicht von allen Krankenkassen gefordert, dass für das Kostenerstattungsverfahren eine vorläufige Diagnose vorliegen muss. Allerdings erhöht es vermutlich die Chancen auf eine Bewilligung, wenn der Patient bei einer psychotherapeutischen Sprechstunde war und dem Antrag auf Kosten94

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

erstattung ein PTV-11-Formular (mit einer vorläufigen Diagnose und fachlichen Empfehlungen für die Behandlung) beigelegt werden kann« (Therapie. de, o. D.). Etwa fünf Mal sollten Patient*innen bei den Terminservicestellen vorgesprochen haben und vergeblich versucht haben, einen Therapieplatz zu bekommen. Absagen von niedergelassenen Psychotherapeut*innen müssen dokumentiert werden. Ein Selbstläufer ist das Ganze nicht – die Krankenkassen behalten sich in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung vor.

4.2 Systemische Therapie für Selbstzahlende – die Privatpraxis »Wenn wir nicht länger in der Lage sind, eine Situation zu ändern, sind wir gefordert, uns selbst zu ändern.« Dr. Viktor Emil Frankl

Allen, die in den vergangenen Jahrzehnten systemische Therapieausbildungen absolviert haben und den Wunsch hatten, therapeutisch zu arbeiten, blieben nur zwei Wege: 1. Eine Ausbildung zum*zur Heilpraktiker*in zu absolvieren und eine Privatpraxis zu eröffnen 2. Systemische Beratung und Therapie beziehungsweise systemische Familientherapie anzubieten und explizit deutlich zu machen, dass es sich dabei nicht um heilkundliche Therapie handelt (und dabei auf keinen Fall das Wort Psychotherapie zu verwenden). Man wird abwarten müssen, ob sich die Rechtslage verändert, denn Heilpraktiker*innen sind seit einiger Zeit in der öffentlichen Debatte gewaltig unter Beschuss – dazu unten mehr. Ebenso ist nicht ganz sicher, wie systemische Familientherapie sich sprachlich von systemischer Psychotherapie auf Rezept abgrenzen lässt. Zum jetzigen Zeitpunkt stehen Ihnen auf alle Fälle nach wie vor beide Wege offen. Wer darf sich überhaupt Psychotherapeut*in nennen? Welche Bezeichnungen sind gesetzlich geschützt?

Im 1999 in Kraft getretenen Psychotherapeutengesetz (PsychThG) sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Psychotherapeut*innen festgelegt. Die Titel Psychotherapeut*in, Psychologische*r Psychotherapeut*in und Kinderund Jugendlichenpsychotherapeut*in sind gesetzlich geschützt. Nur wer über Systemische Therapie für Selbstzahlende – die Privatpraxis

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Psychologiestudium und Approbation verfügt, darf sich so nennen (dies wurde im vorangegangenen Kapitel ausführlich behandelt).  ▶ Kapitel  4.1 Neben psychologischen Psychotherapeut*innen dürfen Menschen, die eine Heilpraktikerprüfung abgelegt haben, Therapie anbieten. Der Beruf des Heilpraktikers ist gesetzlich geschützt und darf nur mit Erlaubnis ausgeübt werden. Dazu ist das Ablegen einer Heilpraktikerprüfung beim Gesundheitsamt notwendig. Sie findet zweimal im Jahr statt – jeweils im Frühjahr und im Herbst – und gliedert sich in eine schriftliche und eine mündliche Prüfung. Nur wer die schriftliche Prüfung erfolgreich besteht, wird zur mündlichen Prüfung zugelassen. Für die Zulassung zur Prüfung müssen Sie mindestens 25 Jahre alt sein und einen Hauptschulabschluss vorweisen können. Vorzulegen sind zudem ein polizeiliches Führungszeugnis und ein Gesundheitszeugnis. Wer keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, braucht eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Wer ein Psychologiestudium vorweisen kann, kann die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz ohne gesonderte Prüfung erhalten. Die Heilpraktikerprüfung definiert sich negativ. Vergeben wird kein Zertifikat, das Fähigkeiten bescheinigt, sondern es soll die Gefahr abgewehrt werden, dass Menschen ohne Kompetenz heilkundlich tätig werden. Dies definiert sich laut Heilpraktikergesetz folgendermaßen: »Die Überprüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob die antragstellende Person so viele heilkundliche Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, dass die Ausübung der Heilkunde durch sie nicht zu einer Gefahr für die Volksgesundheit wird« (zit. nach Kreativität & Wissen, o. D.). Was bei den Prüfungen abgefragt wird, variiert regional sehr stark, da die Gesundheitsämter unterschiedlich agieren. In der Regel wissen die Heilpraktiker-Schulen relativ gut, was die Gesundheitsämter in ihrem Einzugsgebiet verlangen und haben ihre Curricula darauf abgestimmt. Um therapeutisch arbeiten zu können, reicht der sogenannte »Kleine Heilpraktiker«, eine Heilpraktikerprüfung, die sich auf den Bereich Psychotherapie beschränkt. Wer den »Großen Heilpraktiker« hat, darf in allen medizinischen Bereichen arbeiten, therapeutischen inklusive. Im Download-Bereich finden Sie Infos zu den Inhalten einer Heilpraktikerausbildung. Wichtig zu wissen ist, dass mit dem Erwerb der Heilpraktikerprüfung in der Regel keine therapeutischen Kompetenzen erworben werden, sondern heilkundliches und störungsspezifisches Wissen. Haben Sie die Heilpraktikerprüfung erfolgreich abgelegt, steht es Ihnen frei, eine therapeutische Privatpraxis zu eröffnen. Sie können auf Ihr Schild oder Ihre Webseite schreiben, dass zu Ihren Leistungen Therapie zählt. Sie müssen nur stets als berufliche Qualifikation angeben, dass Sie »Heilpraktiker*in (Psychotherapie)« sind. Der Titel »Psychologischer Psychotherapeut« ist allein denjenigen vorbehalten, die Studium und Approbationsausbildung absolviert haben. 96

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Wichtig: Sind Sie Heilpraktiker*in, sind Sie an die berufsrechtlichen Vorschriften des Heilpraktikergesetzes gebunden. Sie müssen sich kundig machen, welche Dokumentationsvorschriften Sie beachten müssen, was auf Ihrem Praxisschild stehen darf und wie Ihre Praxis eingerichtet sein muss. Ihre Selbstständigkeit müssen Sie beim örtlichen Gesundheitsamt anzeigen. Dort erhalten Sie auch Infos, ob Sie Auflagen hinsichtlich der Ausstattung erfüllen müssen. Es kann sein, dass Sie eine nebenberufliche Gründung nicht anzeigen müssen – auch dies erfahren Sie bei Ihrem Gesundheitsamt. Abrechnung mit Krankenkassen im Erstattungsverfahren

Möglich ist die Abrechnung mit privaten Krankenkassen im sogenannten Erstattungsverfahren. Dabei können Sie als Praxisinhaber*in keine Leistungen direkt mit der Krankenkasse oder Beihilfe abrechnen. Nur der*die Patient*in kann Rechnungen bei der Krankenkasse einreichen und die Kostenerstattung beantragen. Die Vorschriften sehen vor, dass Beihilfe auch für Heilpraktikerleistungen grundsätzlich gewährt werden muss. Die verschiedenen Beihilfestellen agieren in der Praxis aber uneinheitlich, berichten Behandelnde. Für weitere Informationen sehen Sie sich bitte den Download-Bereich an. Dürfen Sie systemische Therapie bzw. Familientherapie anbieten?

Nirgendwo ist explizit gesagt, dass Sie auch ohne Ausbildung zum Heilpraktiker systemische Therapie bzw. Familientherapie anbieten dürfen. In der Praxis tun dies viele systemisch ausgebildete Kolleg*innen seit Jahrzehnten, ohne dass sie rechtliche Probleme bekommen. Allerdings darf an keiner Stelle Ihrer Außendarstellung der Eindruck erweckt werden, Sie würden Psychotherapie anbieten oder heilkundlich tätig sein. Familientherapie wird zum Beispiel auch als aufsuchende Familientherapie im Rahmen der Jugendhilfe angeboten und von den Jugendämtern finanziert.  ▶ Kapitel  4.5 Die Zukunft ist ungewiss

Wohin sich die Situation für Heilpraktiker*innen entwickeln wird, ist nicht absehbar. Zurzeit sind sie sehr ins Visier von Ärzteverbänden, Kammern und Politik geraten – immer wieder wird der Ruf laut, diese Form der Tätigkeit komplett abzuschaffen. Auf der anderen Seite steht eine Vielzahl von Anbieter*innen, deren Existenz auf ihrer Fachlichkeit als Heilpraktiker*in fußt – und viele Kund*innen, die Alternativen zum klassischen Gesundheitssystem suchen. Viele Kollegen und Kolleginnen weisen im Übrigen darauf hin, dass es von Vorteil sein kann, therapeutische Leistungen selbst zu bezahlen: Die Therapie wird nicht aktenkundig – das kann für spätere Kontakte mit Versicherungsunternehmen oder für eine Verbeamtung wesentlich sein. Großer Vorteil ist zudem, Systemische Therapie für Selbstzahlende – die Privatpraxis

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dass Patient*innen keine langen Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Da bei vielen »guten« Therapeut*innen eine Wartezeit von einem halben bis zu einem Jahr normal ist, kann dies durchaus ins Gewicht fallen. Noch offen ist, ob und wie sich gegebenenfalls die Begrifflichkeiten verändern werden. Es könnte sein, dass der Gesetzgeber eingreift und zur besseren Abgrenzung von Systemischer Therapie auf Rezept und Leistungen außerhalb der Krankenkassenfinanzierung es allen ohne Approbationsausbildung irgendwann verwehrt, ihre Leistungen als »Therapie« zu bezeichnen. Einige befürchten, dass es zukünftig zu Verwechslungen zwischen kassenfinanzierter systemischer Psychotherapie und systemischer (Familien-)Therapie kommen könnte, die nicht von der Krankenkasse finanziert wird. Der frühere DGSF-Geschäftsführer Enno Hermans sagt, die Verbände hätten die Notwendigkeit gesehen, das Wording in den Blick zu nehmen. Die DGSF habe sich nach seinen Aussagen immer bemüht, bei klinischer Therapie das Wort »Systemische Psychotherapie« zu verwenden, statt einfach von »Systemischer Therapie« zu sprechen. Die DGSF hat vor einigen Jahren sogar die Bezeichnungen »Systemische Therapie DGSF« und »Systemischer Therapeut/in DGSF« als Marke eintragen lassen. Privatpraxis für approbierte Psychotherapeut*innen

Attraktiv könnte eine Privatpraxis auch für approbierte Psychotherapeut*innen sein, die keinen KV-Sitz bekommen können oder wollen, oder die ihren sogar zurückgeben möchten. So manche*r von ihnen ächzt nämlich unter der Flut zunehmender Vorschriften und Bürokratie. Sie können ihre Leistungen bei den privaten Versicherungen abrechnen – wobei die Kostenübernahme von Fall zu Fall und von Versicherung zu Versicherung zu klären ist. Sie können nach dem Kostenerstattungsprinzip abrechnen oder Selbstzahler*innen akquirieren. Darüber hinaus gibt es für psychologische Psychotherapeut*innen, die mit Erwachsenen arbeiten, weitere interessante Möglichkeiten, therapeutische Leistungen bei Kostenträgern abzurechnen: Ȥ die Kostenübernahme bei Psychotherapie von Polizist*innen und Soldat*innen6 Ȥ die Abrechnung mit Berufsgenossenschaften nach der GOP-UV Ȥ das Nachsorgeprogramm der Deutschen Rentenversicherung über PSYRENA Ȥ Sonderverträge, die von Bahn-BKK, BKK-VBU mit approbierten Psychotherapeut*innen abgeschlossen werden Ȥ EAP (Employee-Assistance-Program)-Programme der Unternehmen (Gross, 2016) 6 https://www.bptk.de/ (Zugriff am 23.02.2021).

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Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Gesundheitscoaching

Der Versorgungspartner Systheb hat es geschafft, mit Krankenkassen Verträge über die Erbringung von Gesundheitscoaching als Kassenleistung abzuschließen. Die Systheb verweist beispielsweise auf 700 qualifizierte systemische Therapeut*innen, die über sie vermittelt werden. SUPA (Systemisches Unterstützungsprogramm für von Psychose Betroffene und ihre Angehörigen) ist ein weiteres von der Systheb angebotenes Programm, das von Psychose (Schizophrenie) Betroffene und ihre Angehörigen begleitet. Die Therapeut*innen werden in diesen Programmen nicht besonders hoch bezahlt. Nichtsdestotrotz kann dies für Sie die Chance sein, einen gewissen Einkommensgrundstock zu generieren, der hilft, gerade die Anfangszeit zu überstehen. Voraussetzung, um bei Systheb einzusteigen, ist der Abschluss einer SG- oder DGSF-zertifizierten Ausbildung.7

4.3 Systemische »Klassiker« – Supervision, Beratung, Coaching »Wenn du unseren Blick auf die Dinge veränderst, dann verändern sich die Dinge, auf die du blickst.« Wayne Dyer

Supervision, Coaching, Training, Organisations- und Teamberatung, Mediation, Paarberatung, Elterncoaching … einige Beratungsformate sind längst Klassiker, und es gibt jeweils eigene Ausbildungsgänge, die für ihre Ausübung qualifizieren. Einige von ihnen – wie zum Beispiel Supervision oder Mediation – haben sich vor allen Dingen in sozialen und therapeutischen Kontexten etabliert. Andere Angebote – wie Coaching, Training und zunehmend auch Paarberatung – haben längst ihren Weg in alle Bevölkerungsschichten hinein angetreten. Sie alle sind frei finanziert auf dem Markt oder werden auch von öffentlich oder kirchlich finanzierten Beratungsstellen angeboten. Fragt man genauer nach, so sind nicht alle Beratungsformen trennscharf voneinander zu unterscheiden, und es gibt viele unterschiedliche Einordnungsversuche. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf den ersten Blick nicht (mehr) erklärungsbedürftig erscheinen. Im Gegensatz zu den Selfmade-Varianten der »Systemisch-Plus«-Sparte  ▶ Kapitel  5.4 kommen diese Angebote gediegen daher. Es kostet Sie erheblich weniger Erklärungsaufwand, wenn Sie sich als Supervisor oder Coach vorstellen, als wenn Sie Ihren Kund*innen vermitteln möchten, dass Sie etwas anbieten, 7 https://www.systheb.de/netzwerk (Zugriff am 23.02.2021). Systemische »Klassiker« – Supervision, Beratung, Coaching

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was es in dieser Form bisher noch nicht gab, weil Sie sich als Schreibcoach verstehen, als Achtsamkeitstrainerin oder als Musikcoach. In letzteren Fällen können Sie sicher sein, dass Sie aufgefordert werden, genauer zu erklären, was Sie tun. Denn es ist nicht unmittelbar klar, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt. Wenn Sie eines der »etablierten« Beratungsformate anbieten, ist es einfacher, sich potenziellen Kund*innen verständlich zu machen. Eine bereits bekannte Dienstleistung wird selbstverständlicher in Anspruch genommen. Menschen haben eine Idee von Supervision und suchen nur noch den*die geeignete*n Supervisor*in. Die meisten Selbstständigen kombinieren eine ganze Palette von Angeboten. Dies ist auch unternehmerisch sinnvoll, denn den wenigsten gelingt es, nur von einem Format zu leben. »Nur« Paarberatung, »nur« Training oder »nur« Coaching verkauft sich schwerer; es dauert länger, um daraus eine tragfähige Existenz aufzubauen, als wenn man verschiedene Formate kombiniert. Dann kommt ein Teil des Einkommens aus Coaching und Beratung, ein zweiter aus Trainings und Seminaren und ein dritter aus anderen eigenen Angeboten; daneben bietet man noch Supervision und Mediation an. Es reicht, wenn jedes Format ein bisschen gebucht wird, denn in der Summe reicht das so erwirtschaftete Einkommen. Das hat nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern kommt dem meist ausgeprägten Wunsch vieler Selbstständiger entgegen, sich nicht zu langweilen und immer das Gleiche zu machen. Die Kombination verschiedener Angebotsformate sichert Abwechslung und sorgt dafür, dass es spannend bleibt. »Klassisch« bedeutet nicht »von der Stange«

Hinter jedem »klassischen« Angebot steht nichtsdestotrotz ein komplexer Findungs- und Selbstdefinitionsprozess. Auf welche Weise Sie Supervisorin oder Coach sind, ist Ausdruck Ihrer ganzen Vita, Ihrer sonstigen Kompetenzen und Qualifikationen, Ihrer Werte und fachlichen Schwerpunkte. Damit werden wir uns eingehend in  ▶ Kapitel  5 beschäftigen. Doch zunächst widmen wir uns der Frage: Welche Chancen haben Sie mit diesen »etablierten« Angeboten auf dem Markt? Supervision/Teamberatung

Für viele soziale Einrichtungen ist nicht die Frage, ob man Supervision in Anspruch nimmt, sondern nur, wer als Supervisor*in gewählt wird. Gleichzeitig fällt so manches Supervisionsangebot dem Rotstift zum Opfer, wenn angesichts leerer öffentlicher Kassen gespart werden soll. Nur wenige Supervisor*innen leben hauptberuflich von Supervision; häufig tun sie dies nebenberuflich. Und viele Selbstständige kombinieren Supervision mit Angeboten wie Training, Beratung oder Coaching. Supervision ist ein klassisches Format, das es in der sozialen Arbeit bereits 100

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

seit den 1970er Jahren gibt – es ist fest etabliert, und alle Beteiligten haben eine Idee davon, was diese Dienstleistung bedeutet. Coaching ist jüngeren Datums, hat aber in den letzten zwanzig Jahren einen rasanten Aufstieg erlebt und in vielen Bereichen sogar Supervision abgelöst. Wo Supervision anfängt und Coaching aufhört, ist nicht trennscharf zu definieren. Nicht, dass es nicht zahlreiche Versuche gibt, die von den Autor*innen als verbindlich und gültig erlebt werden – einen aktuellen Versuch der Abgrenzung unternehmen zum Beispiel Lüschen-Heimer und Michalak (2019) in ihrem »Werkstattbuch systemische Supervision«. Nur treffen diese Definitionen nicht auf allgemeine Zustimmung. Die einen sehen Supervision als ein spezifisches Angebotsformat der Reflexion von Einzel-, Team- und Fallprozessen innerhalb der Sozialen Arbeit und würden beispielsweise auch die Beratung von Leitungskräften hierunter subsumieren, die anderen würden hier schon von Leitungscoaching sprechen. Coaching wird eher dem Unternehmensbereich zugerechnet, vielfach aber auch von Einzelpersonen in Anspruch genommen. Was also, wenn eine Fachkraft der Sozialen Arbeit ihren beruflichen Weg reflektieren möchte und neue Weichen stellen will? Die einen würden dies als Beratung, die nächsten als Coaching, die dritten als Supervision bezeichnen. Teamberatung kann dabei als Form der Supervision verstanden werden, wird von anderen jedoch als eigenes Format definiert. Coaching

Coaching hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen rasanten Siegeszug angetreten. Im allgemeinen Sprachgebrauch war es zunächst allenfalls etwas für Spitzensportler – die breite Masse kannte weder das Wort noch konnte man mit diesem Begriff viel anfangen. Heute hingegen ist für viele Menschen der Gang zum Coach selbstverständlich geworden, wenn sie beruflich oder persönlich nicht weiterwissen. Sie müssen sich nur noch entscheiden, welcher Coach für sie der richtige ist. Ging es anfangs noch ausschließlich um berufliches Handeln, das mittels Coaching in den Blick genommen wurde, wird der Begriff mittlerweile geradezu inflationär verwendet. Es gibt Ernährungscoaching, Abnehmcoaching, Nichtrauchercoaching, NLP-Coaching, Sportcoaching … – praktisch für alles, was Menschen erreichen möchten, gibt es ein eigenes Coachingangebot. Und mit der Nachfrage ist auch die Anzahl der Coaches rasant gestiegen. Macht es weiterhin Sinn, sich als Coach selbstständig zu machen? Schwierig ist die Idee, in kurzer Zeit allein von Coaching leben zu wollen. In Kombination mit anderen Angeboten funktioniert dies nach wie vor ausgesprochen gut. Die Marburger Coaching-Studie erhebt jährlich Daten zum Coaching-Markt; 2020 hat Christopher Rauen eine Coaching-Marktanalyse für Businesscoaching erstellt. Beide Studien erfassen nur Teile des realen Coaching-Marktes – gut verSystemische »Klassiker« – Supervision, Beratung, Coaching

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dienende Business-Coaches sind gegenüber dem realen Markt überrepräsentiert. Dennoch lassen sich Entwicklungen und Trends aus den Zahlen ableiten. Sie erhalten dort Einblicke in Alter, Ausbildung, Einkommenssituation, Honorarhöhen, Zielgruppen von Coaches (Rauen Group, o. D. a). Organisationsberatung

Organisationsberatung ist ein expandierendes Betätigungsfeld für Systemi­ ker*innen. In den Fachverbänden DGSF und SG gibt es bisher nur wenige Institute, die Ausbildungen in Organisationsberatung anbieten; doch scheint sich dies gerade zu ändern. Daneben gibt es renommierte Institute, die Organisationsberatungs-Ausbildungen anbieten, die nicht in den Verbänden organisiert sind. Dass solche Ausbildungen künftig vermehrt angeboten werden, scheint auch notwendig, denn die Frage, wie sich Unternehmen angesichts der aktuellen Marktumbrüche organisieren, ist relevanter denn je. Dies wird jedoch nur wenig unter systemischem Vorzeichen diskutiert, sondern eher mit Begriffen wie »Agilität« oder »Lean Management« assoziiert. In den Fokus gerückt ist die Organisationskultur von Start-ups, auf deren Wendigkeit und Marktnähe etablierte Unternehmen mit Neid schauen. Organisationsberatung wird häufig mit Coaching, Teamberatung oder Unternehmensberatung miteingekauft. Auf dem Feld der Organisationsberatung tummeln sich Anbieter*innen mit sehr unterschiedlichen Ausrichtungen und fachlichen Backgrounds. Expertise, Ausbildungen und Erfahrungen in diesem Feld werden von Kund*innen wahrgenommen und honoriert. Mediation

Mediation ist vielen Menschen nach wie vor unbekannt und wird schon mal gerne mit »Meditation« verwechselt. In sozialen Kontexten hingegen hat sich Mediation als Methode etabliert und wird in verfestigten Konfliktsituationen genutzt. Selbstverständlich geworden ist Mediation als Alternative zu Gerichtsverfahren – beispielsweise in zerstrittenen Scheidungsfamilien. Ähnlich wie bei der Organisationsberatung hat sich dieser Ansatz noch nicht ganz freischwimmen können. Häufig werden Supervision, Coaching oder Teamberatung nachgefragt, wenn es eine Konfliktsituation zu klären gibt. Dennoch wird die explizite Fokussierung auf das Thema Konflikt und die Expertise, die eine Mediationsausbildung vermittelt, auf dem Markt zunehmend geschätzt. Eine Fortsetzung dieser Entwicklung ist wahrscheinlich, sodass es selbstverständlicher wird, in beruflichen und privaten Konfliktsituationen externe Hilfe in Anspruch zu nehmen.

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Paar- und Sexualberatung

Die Liebe hat ihre Selbstverständlichkeit verloren. Die Sehnsucht nach einer funktionierenden Paarbeziehung ist ungebrochen hoch. In einer Zeit, in der unsere Lebenserwartung immer weiter steigt – und infolgedessen die Dauer dessen, was »lebenslanges Zusammenleben« heißt –, ist gleichzeitig immer weniger klar, wie ein erfüllendes, kontinuierliches Miteinander gelingen kann. Es wächst das Bewusstsein dafür, dass eine lebendige Beziehung Kompetenzen und Verständigung braucht, und Liebe eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für ihr Gelingen ist. War Paarberatung früher als selbstständiges Angebot eher selten anzutreffen, boomt dieses Format immer mehr. Ein Ende ist bisher nicht abzusehen – die Nachfrage wächst unaufhörlich. Auch die Sexualberatung verlässt gerade ihr Schattendasein. Wäre es noch vor einigen Jahren fast undenkbar gewesen, Paar- und Sexualberatung in Anspruch zu nehmen, so wird es zunehmend selbstverständlich, mit professioneller Hilfe Beziehungsfragen zu klären. Paarberatung und Elterncoaching haben sich neben der früher vor allem Beratungsstellen vorbehaltenen Ehe-, Familien- und Lebensberatung etablieren können. Die neuen Begrifflichkeiten zeugen dabei auch von neuen Identitäten und gewandelten Inhalten. Die LGBTQIA*-Community verändert mit neuem Selbstbewusstsein gesellschaftliche Diskurse zum Thema Gender. Regenbogenfamilien und Patchwork-Sippen haben neue Bedürfnisse, ihre Lebensformen zu organisieren. Junge Frauen starten neue Diskurse über Sexualität, Feminismus und Patriachat (unter anderem Stokowski, 2016, 2018; Lewina, 2020). Vermutlich stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung, die weitere neue Beratungsformate und -angebote entstehen lässt. Elterncoaching

Systemische Elterncoaching-Ausbildungen sind noch nicht so lange im Angebot der Institute. Vor allem der Ansatz der Neuen Autorität und Elterlichen Präsenz nach Haim Omer (2019) hat diese Entwicklung in Gang gebracht. Eltern werden heute überhäuft mit Ansprüchen. Galt es früher, Kinder zu »ordentlichen Menschen« zu erziehen, indem man sie in einem geordneten Zuhause (und damit war die äußere, sichtbare Ordnung gemeint!) mit Essen, Kleidung und Bildung versorgte, müssen Eltern heute Expert*innen in Bezug auf Themen wie ADS, Hochbegabung, Lese- und Rechtschreibschwäche etc. sein. Kaum ein Kind wird einfach nur noch groß. Elternsein hat sich zu einer anspruchsvollen Tätigkeit entwickelt. Eltern haben an sich den Anspruch, ihre Kinder auch in ihrer psychischen Entwicklung zu begleiten. Kindheit bedeutet heute häufig optimierte Kindheit: Kinder sollen bestmöglich gefördert werden und Systemische »Klassiker« – Supervision, Beratung, Coaching

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erste Ansprechpartner sind hierfür die Eltern. Entsprechend überfordert fühlen sich viele von ihnen. Die meisten Eltern sind hochengagiert, wollen alles richtig machen und versuchen, so gut es geht, allen möglichen Anforderungen und Ansprüchen – von außen wie von innen – gerecht zu werden. Sich Unterstützung in schwierigen Erziehungssituationen zu suchen, liegt daher heute deutlich näher als früher. Schon lange gibt es Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen kirchlicher und freier Träger, doch viele Menschen scheuen den Weg zu einer Beratungsstelle. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: die Angst, bewertet zu werden; die Hoffnung, es doch irgendwie allein hinzukriegen; die Sorge, dass die eigenen Fragen und Nöte nicht gravierend genug sind. Ähnlich wie bei der Therapie haben viele die Idee, diese Art Hilfe nur bei sehr schlimmen Problemen in Anspruch nehmen zu können. Die kleinen Nöte des Alltags – die trotzenden Kinder; die nicht einschlafenden Babys; die Frage, wie man mit den Konflikten der Kinder untereinander umgeht, sind faktisch gravierend, scheinen aber nicht relevant genug. Dies macht niedrigschwellige Angebote attraktiv, die als weniger problembelastet und als eher präventiv und unterstützend erlebt werden. Gleichzeitig hat sich das Elterncoaching mit dem Konzept der Neuen Autorität gerade einen Namen im Umgang mit familiären Situationen gemacht, in denen Eltern weder ein noch aus wissen, weil sie ihre Sicherheit verloren haben – dann, wenn Kinder jede Kooperation verweigern oder gewalttätig werden. Viele Systemiker*innen positionieren sich als Ansprechpartner*innen für Themen im privaten Bereich, indem sie Coaching, Paarberatung, Elterncoaching und Therapie anbieten. Training

Vorträge und Seminare ergänzen das Portfolio der meisten Anbieter*innen. Das hat gute Gründe: Eine Trainer*innen-Tätigkeit gibt die Möglichkeit, nach außen zu gehen und sich auf dem Markt bekannt zu machen. Wenn Sie im Programm etablierter Weiterbildungseinrichtungen stehen, werden Menschen auf Sie aufmerksam. Vielen macht es auch einfach Spaß, im Gruppenkontext zu arbeiten. Sie können Themen platzieren, haben mehr Zeit, um mit Menschen an etwas zu arbeiten und können eigene Akzente setzen. Trainingstage, die Sie an Weiterbildungsinstitutionen verkaufen, haben mehrere Vorteile gleichzeitig: Ȥ Sie stehen im Programm eines etablierten Trägers, der für Sie Werbung macht. Leser*innen werden auf Sie aufmerksam und verknüpfen Ihren Namen mit bestimmten Inhalten. Nicht selten werden Sie sogar von externen Kund*innen aufgrund Ihres Angebots angesprochen. 104

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Ȥ Sie erhalten im besten Fall ein Honorar für eine Tages- oder Wochenendveranstaltung oder einen laufenden Kurs, sprich: Sie haben ein sichereres, höheres Einkommen, als wenn Sie nur Einzelklient*innen akquirieren. Zudem können Sie bereits im Voraus sagen, dass Sie im nächsten oder übernächsten Jahr bestimmte Einnahmen erzielen werden. Sie haben schon einen Grundstock von dem, was Sie brauchen. Ȥ Einzelklient*innen werden durch Trainings auf Sie aufmerksam. Nicht selten ist das Ergebnis, dass Sie durch ein Training Kund*innen für Coaching oder Beratung gewinnen.

4.4 Systemisch plus – kombinieren Sie Ihre Fähigkeiten zu etwas Neuem »Man muss systematisch Verwirrung stiften – das setzt Kreativität frei. Alles, was widersprüchlich ist, schafft Leben.« Salvador Dalí

Eine Gründung gibt Ihnen die Chance, eigene Ideen zu verwirklichen und Kompetenzen aus ganz unterschiedlichen Feldern zu etwas Eigenem zu kombinieren. Viele kommen ursprünglich nicht aus Beratungsberufen und entdecken durch den Kontakt mit systemischem Know-how den Wunsch in sich, Wissen aus verschiedenen Ecken zu integrieren. Und so entstehen durch systemische Gründungen Unternehmensideen »systemisch plus«. Ob es Hundeerziehung, Marketing, Unternehmensberatung, Musik, Theater, Kunst, Handwerk oder ganz etwas anderes ist – die Verbindung von Fachkompetenzen mit systemischen Ansätzen bringt neue Ideen und Konzepte hervor. In der Regel entsteht dabei ein komplexer Integrationsprozess, bei dem das Wissen beider Felder (oder mehrerer Felder) nicht nur kombiniert, sondern kreativ verknüpft wird. Die meisten Menschen, die sich selbstständig machen, suchen in der Gründung einen Ausdruck für ihre ureigensten Ideen. Irgendetwas will hervorkommen und sich materialisieren. Schaut man sich an, wie sich selbstständige Systemiker*innen präsentieren, so klingt dieser Wunsch nach eigener Verortung und Selbstausdruck durch die Webseiten. Eine ganz bestimmte Kombination von Ideen, Erfahrungen, Methoden und Kenntnissen wird – im besten Fall – harmonisch zu etwas Neuem verwoben. Häufig entstehen solche Gründungen aus einem Unbehagen an den bewährten Methoden des eigenen Feldes. Das, was man gelernt hat, führt nicht Systemisch plus – kombinieren Sie Ihre Fähigkeiten zu etwas Neuem

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zu den erwünschten Ergebnissen. Auch die Begegnung mit systemischen Ausbildungen führt zu innerem Weiterdenken: Ȥ Die Mitarbeiterin einer Arbeitsagentur kombiniert ihre Berufserfahrung und ihr Vorwissen im Bereich beruflicher Beratung mit systemischem Knowhow zu einer systemischen Bildungsberatung. Ȥ Die Kombination von Philosophie, Theologie, einem Master in Personalentwicklung und systemischem Ansatz führt zu Organisationsberatung für soziale Einrichtungen, Konflikt- und Krisenberatung für Einzelne, Trauerbegleitung oder Gestaltung von Lebensritualen. Ȥ Ein Schreibcoaching-Angebot ist das Ergebnis von Expertise im Bereich des wissenschaftlichen und beruflichen Schreibens und einer systemischen Ausbildung. Lernberatung und -therapie, Musikcoaching, therapeutisches Stimmtraining, systemische Finanzberatung, Selbstbehauptungs- und Anti-Gewalt-Training, Sportcoaching, kreatives Coaching und kunsttherapeutische Angebote, Improtheater und Yoga – aus der Kombination verschiedener Kompetenzen erwachsen spannende und kreative Angebote, die zielgruppengerecht besondere Themen aufgreifen. In der Entwicklung solcher Angebote liegt großes Potenzial. Hier findet gleichzeitig systemische Theoriebildung und systemische Methodenentwicklung statt. Wer Kompetenzen aus verschiedenen Bereichen auf eigene Weise verknüpfen will, muss weiterdenken und systemische Haltungen mit Fachwissen aus anderen Bereichen verbinden. Dabei liegt die Herausforderung darin, nicht auf etablierte Vorbilder zurückgreifen zu können. In der aktiven Auseinandersetzung mit dem Wissen der eigenen Profession und dem hinzukommenden systemischen Denken finden hochkreative Prozesse statt, bei denen neue Ideen für Methoden entwickelt und neue Blickwinkel in klassische Arbeitsfelder (Unternehmensberatung, Personalberatung, Physiotherapie …) eingeführt werden. Fast jedes berufliche Feld profitiert potenziell davon, systemisch neu gedacht zu werden. Da sich Blickwinkel und Perspektiven durch systemisches Denken fundamental verändern, ändert sich auch der Blick auf das herkömmlich Gelernte und Praktizierte. Das Aufeinanderprallen des Bisherigen mit dem Neuen schafft – gewollte – Irritation. Neues systemisches Denken will sich in der Regel nicht nahtlos an das anfügen lassen, was man vorher gemacht und gedacht hat. Genau das macht Lernprozesse aus: dass wir beginnen, ganz neu auf Dinge zu schauen. Mit der Zeit findet bestenfalls ein komplexer Verknüpfungs- und Neuorientierungsprozess aus Bisherigem und Neuem statt, der äußerst fruchtbar sein kann. Allerdings kann es sein, dass sich Ihre bisherige Umgebung – ob privat oder beruflich – nicht oder nicht im gleichen Tempo mitverändert. Sie wer106

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

den wahrscheinlich zunächst versuchen, dort, wo Sie sind, Veränderungen in Gang zu setzen. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, weil Sie Vorgesetzte und/ oder Kolleg*innen nicht überzeugen können, wenn es nicht gelingt, den eigenen Arbeitsplatz zu verändern, kann dies zu großer Frustration oder dem stärker werdenden Gefühl führen, sich innerlich spalten zu müssen, nicht leben zu können, was Sie für sich als richtig erkannt haben. Die Konsequenz kann sein, zu gehen und selbst etwas anders zu machen, selbstständig das auf die Beine zu stellen, was Sie gerne in der Welt sehen möchten. »Systemisch plus«-Angebote können nicht damit rechnen, dass die zukünftigen Klient*innen schon wissen, was sie da einkaufen sollen. Ihnen müssen Sie erst erklären, was Ihr besonderes Angebot beinhaltet und welchen Nutzen es bringt. Menschen im sozialen Kontext wissen, was Supervision ist – ob sie sie regelmäßig in Anspruch nehmen oder nicht. Was Schreibcoaching oder Sportcoaching sein könnte und was Kund*innen davon haben könnten, muss erläutert werden. Vorteil einer solchen Neukreation ist, dass Sie sich von anderen abheben und Marktnischen ausfüllen. Sie sind dann nicht ein Coach von vielen, eine Beraterin unter anderen, sondern haben ein spezialisiertes Angebot, das für viele nicht passt, für manche aber genau das richtige ist. Sie haben die Chance, etwas ganz Eigenes zu schaffen. Sind Sie an einer »Systemisch plus«-Gründung interessiert, finden Sie im­  ▶ Kapitel  5 Handwerkszeug, um herauszufinden, welche Ressourcen und Kompetenzen Sie wie verknüpfen wollen. Weitergehendes Know-how zum Thema finden Sie in meinem Buch »Bring deine Idee zum Leuchten« (Hochbahn, 2018).

4.5 Kinder- und Jugendhilfe – selbstständig in klassischen Feldern der sozialen Arbeit »Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.« Dante Alighieri

Jugendhilfe und andere klassische Bereiche der Sozialen Arbeit bieten ein breites Spektrum an Betätigungsfeldern für selbstständige Systemiker*innen. Sie haben entweder die Möglichkeit, soloselbstständig für Träger in diesem Bereich zu arbeiten. Oder Sie werden selbst freier Träger der Jugendhilfe. Im Download-Bereich finden Sie Informationen dazu, welche Schritte Sie gehen müssen, wenn Sie selbst eine solche Trägerschaft beantragen möchten, und Sie erfahren, welche Leistungen von den Jugendämtern finanziert werden können. Kinder- und Jugendhilfe – selbstständig in klassischen Feldern der sozialen Arbeit

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Jugendhilfeträger werden in den unterschiedlichsten Feldern tätig. So gibt es zum Beispiel spezialisierte Angebote für autistische Kinder und Jugendliche, reisepädagogische Projekte oder Angebote im Bereich Anti-Gewalt- und Konflikttraining. Ähnlich wie bei den »Systemisch plus«-Gründungen kann es für Sie spannend sein, ▶ Kapitel  5 zu nutzen, um sich genau zu fragen, was Sie an klassischen Möglichkeiten mit eigenen Ideen verbinden wollen. Das Sozialgesetzbuch (SGB) umfasst zahlreiche Bundesgesetze, wird aber kommunal umgesetzt. Die Handhabung vor Ort geschieht nicht einheitlich, sodass Sie sich über die jeweiligen Bedingungen informieren müssen. In der Praxis wird es nicht immer einfach sein, sich einen Platz in einer etablierten Trägerlandschaft zu erobern. Erfahrungen zeigen, dass es aber möglich ist. Zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Buches liegt ein Referentenentwurf für ein neues Jugendhilferecht vor. Welche Änderungen sich daraus ergeben, ist noch nicht klar. Soloselbstständig

Möglichkeiten der Selbstständigkeit ergeben sich auch durch Mitarbeit bei Trägern und Institutionen – im Bereich sozialpädagogischer Familienhilfe, durch Beratungsleistungen oder als Trainer*in. Zielgruppenspezifische Trainings und Fortbildungen für Jugendwohngruppen, für straffällig gewordene Jugendliche, für Erzieher*innen oder Kita-Leitungen bieten ein breites Betätigungsfeld. Wichtig ist, dass Sie darauf achten, dauerhaft nicht nur für einen Träger tätig zu sein, denn dann sind Sie scheinselbstständig und müssen mit schmerzhaften Nachforderungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen rechnen, falls es zu einer Prüfung kommt. In  ▶ Kapitel  9.9 können Sie nachlesen, wann Sie als scheinselbstständig gelten würden. Familiengerichtliche Gutachten

Ein Arbeitsfeld für systemisch ausgebildete Psycholog*innen mit durchaus lukrativen Einkunftsmöglichkeiten ist die Erstellung familiengerichtlicher Gutachten für Gerichte im Rahmen eines Sorgerechtsstreits, insbesondere bei der Klärung einer Kindeswohlgefährdung und Fremdunterbringung sowie der Klärung von Umgangsrechten. Häufig werden Gutachten von Ärzt*innen oder Psycholog*innen erstellt; mitunter auch von Sozialpädagog*innen oder Sozialarbeiter*innen mit entsprechenden Zusatzqualifikationen. Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebene Qualifikation. Allerdings gibt es Gerichtsurteile, die mitunter die fachliche Eignung des Gutachters anzweifeln, sofern diese nicht Psycholog*innen sind. Werden Sie von einem Gericht beauftragt, ist Ihre Vergütung klar geregelt – im »Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von 108

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten«, kurz: JVEG (DGuSV, o. D.). Die Erstellung familiengerichtlicher Gutachten ist eine komplexe Tätigkeit mit hohen fachlichen Anforderungen. »Qualifizierte Gutachter werden gesucht. Wenn Sie die Mindestvoraussetzungen erfüllen und eine weitere spezifische Fortbildung zur Qualifizierung als Gutachter im Kindschaftsrecht vorweisen, sind die Chancen sehr gut, von den Familiengerichten bestellt zu werden« (Weinsberger Forum, o. D. a). Berufsvormundschaften

Vormundschaften sollen nach Möglichkeit ehrenamtlich ausgeübt werden – und man schaut zunächst nach Menschen aus dem nahen Umfeld des*der Betroffenen. Nicht immer findet sich dort eine geeignete Person, und in schwierigen Fällen sind Ehrenamtliche schnell überfordert, sodass in der Praxis auch selbstständig arbeitende Berufsvormünder bestellt werden. Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebene Ausbildung – vorausgesetzt werden die nötige Lebenserfahrung und Fachwissen. »In der Praxis werden (…) Bewerber aus sozialen Berufen – wie Sozialpädagogen/Sozialarbeiter, Psychologen, Rechtsanwälte, Berufsbetreuer, Erzieher oder andere Berufe mit Berührung zum Jugendhilferecht – bevorzugt. Sofern im Einzelfall die Vermögensangelegenheiten im Vordergrund stehen, haben auch Bewerber aus kaufmännischen Berufen, Betriebswirte und Verwaltungsberufen gute Chancen, berücksichtigt zu werden« (Weinsberger Forum, o. D. b). Berufsvormünder werden durch ein Familiengericht bestellt. Sie werden pauschal vergütet – in der Praxis besteht daher eine Herausforderung darin, qualifizierte Arbeit zu leisten, ohne Selbstausbeutung zu betreiben. Die Vergütung ist – je nach beruflicher Qualifikation – unterschiedlich hoch (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 VBVG).

Kinder- und Jugendhilfe – selbstständig in klassischen Feldern der sozialen Arbeit

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4.6  Systemisch lehren – das »Krönchen« »Der beste Weg, etwas zu lernen, besteht darin, es anderen zu vermitteln.« Jim Kouzes

Perspektiven

Für viele ist die Lehre das »Krönchen« auf ihrem beruflichen Weg. Was macht eine Selbstständigkeit in der Lehre attraktiv? Diese Menschen möchten lehren, weil es sie inhaltlich reizt, ihr systemisches Know-how an andere weiterzugeben. Daneben ist eine Tätigkeit in der Lehre auch wirtschaftlich interessant. Sie bekommen damit Aufträge, bei denen Sie langfristig planen können. Lehrveranstaltungen werden für Jahre im Voraus geplant. Sie haben ein Gros der für Sie notwendigen Einnahmen langfristig sicher, wenn Sie in einem Ausbildungsgang fest eingeplant sind. Die Kehrseite ist, dass Sie viel unterwegs sind – wenn der Seminarort nicht zufällig vor Ihrer Haustür liegt. In der Regel sind Lehrtherapeut*innen Freiberufler*innen. Nur wenige arbeiten angestellt. Wie wird man Lehrtherapeut*in einem systemischen Institut? Im Download-­ Bereich finden Sie eine Auflistung aller möglichen Zertifikate für Lehrende und die Zugangsvoraussetzungen in den beiden systemischen Dachverbänden. Was bedeutet das praktisch?

Die formalen Kriterien sichern den Instituten enormen Einfluss auf den Zugang zum Lehrendenstatus. Denn faktisch gibt es nur den Weg über ein Ausbildungsinstitut oder über bereits praktizierende Lehrtherapeut*innen, um eine Anerkennung als systemische*r Lehrtherapeut*in zu bekommen. Nur über gute Kontakte zu Instituten gelingt der Einstieg in die Lehre. Man wird wahrgenommen, bringt sich ins Gespräch, wird gefragt … Eine Bewerbung ist eher die Ausnahme. Bedauerlich ist, dass es keine formalisierten Ausbildungen gibt, die unabhängig vom Wohlwollen der existierenden Institute und der in ihnen arbeitenden Lehrtherapeut*innen sind. Systemisch lehren außerhalb der Verbände

Nicht nur in den an Verbände angebundenen Instituten wird systemisch gelehrt. Es hat sich eine ganze Anzahl von Ausbildungen am Markt etabliert, die systemisches Wissen vermitteln, ohne dass am Ende ein von der DGSF oder SG anerkanntes Zertifikat vergeben wird. Auch an den Hochschulen wird systemisches Wissen gelehrt – und nur ein Teil der Hochschulen ist gleichzeitig einem der Verbände angeschlossen. Hier können Sie also auch ohne Lehrendenzertifikat systemisch lehren. 110

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Die Vergütung in der Lehre ist nicht unbedingt so hoch wie die Tagessätze von Coaches oder Trainer*innen. Dennoch kann sich die Tätigkeit lohnen, denn Sie werden spannende Kontakte knüpfen und durch die Lehrtätigkeit andere Aufträge im Bereich Beratung, Coaching, Supervision usw. akquirieren. Und Sie haben ein über Jahre stabiles, berechenbares Einkommen. Es kann ausgesprochen attraktiv sein, sich so den Grundstock für den eigenen Bedarf zu sichern. Schreiben – die eigene Expertise in Buchform

Verbunden mit der Lehrtätigkeit ist nicht selten der Wunsch, selbst ein Buch zu schreiben. Je besser Ihr Kontaktnetz ist, desto größer ist auch Ihre Chance, in Buchprojekte von Kolleg*innen eingebunden zu werden oder von einem Verlag angesprochen zu werden. Natürlich haben Sie auch die Möglichkeit, den umgekehrten Weg zu gehen: Sie skizzieren eine Buchidee, schreiben ein aussagekräftiges Exposé und kontaktieren Verlage, in deren Verlagsprogramm Ihr Buch gut passen würde (vgl. Plinke, 2004; Begemann, 2012; Gorus u. Zoll, 2006). Selten ist der erste Versuch von Erfolg gekrönt. Sind Sie von Ihrer Idee überzeugt, gilt es dranzubleiben und es weiter zu versuchen. Der alte Satz »Wer schreibt, der bleibt« gilt auch für den systemischen Bereich.

4.7 Weiterbildungen anbieten – gründen Sie ein eigenes Institut »Bildung ist die mächtigste Waffe, die du verwenden kannst, um die Welt zu verändern.« Nelson Mandela

Welche Gründe gibt es, selbst ein Institut zu gründen, zu übernehmen oder in anderer Form Weiterbildungen anzubieten? Ȥ Sie haben kein Institut gefunden, das Sie als Lehrtherapeut*in ausbildet und aufnimmt. Ȥ Sie haben ganz eigene Vorstellungen davon, wie Sie Lehre gestalten wollen, welche Inhalte Sie aufnehmen und vermitteln wollen. Ȥ Sie möchten Ausbildungen anbieten, die nicht im offiziellen Lehrkanon enthalten sind. Ȥ Sie möchten, dass Ihre Expertise aus vielen Jahren systemischer Beratungsarbeit in die Welt kommt. Ȥ Sie wollen ganz und gar Ihr eigenes Ding machen. Weiterbildungen anbieten – gründen Sie ein eigenes Institut

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Ȥ Sie sind Lehrtherapeut*in und möchten nicht mehr so viel fahren, sondern vor Ort arbeiten können. Ȥ Und vermutlich gibt es noch ganz andere Gründe als die genannten. Welche Möglichkeiten haben Sie praktisch? Sie kaufen jemandem ein Institut ab

In vielen systemischen Instituten steht in den nächsten Jahren ein Generationswechsel an. Der Altersdurchschnitt der Lehrenden in der DGSF betrug im Jahr 2019 60,06 Jahre.8 Viele Berater*innen, Trainer*innen und Lehrtherapeut*innen üben ihren Beruf lange und mit Freude aus. Doch selbst wenn viele gerne arbeiten wollen, bis sie siebzig und älter sind, wird über kurz oder lang die Übergabe von Instituten anstehen. Wenn Sie sich für die Übernahme eines Instituts interessieren, müssen Sie erst einmal ein Institut finden, das jemand übergeben möchte. Für systemische Institute gibt es bisher keine Übergabebörse. Vereinzelt finden sich auf der Übergabebörse des Bundes9 auch Bildungsinstitute, doch die Wahrscheinlichkeit, hier ein systemisches Institut angeboten zu bekommen, dürfte verschwindend gering sein. Interessant kann die Börse trotzdem sein, denn sie bietet viel begleitendes Know-how zu den Themen Übernahme und Übergabe. Wie erfahren Sie überhaupt, dass ein Institut zum Verkauf steht? Hier kommt es auf persönliche Kontakte an – nur auf diesem Weg erfahren Sie, dass jemand aufhören will und sich mit dem Gedanken trägt, sein Institut zu verkaufen. In der Regel wird ein Institutsleiter zunächst im Kreis der eigenen Mitstreiter*innen und Lehrtherapeut*innen nach jemandem suchen, der*die es übernehmen möchte. Infrage kommen Sie also, wenn Sie als Lehrtherapeut*in oder Referent*in an Institute angedockt sind. Erst wenn hier kein bekanntes Gesicht zu finden ist, wird ein*e Inhaber*in für noch Unbekannte offen sein. Es kann durchaus sein, dass sich das in Zukunft ändern wird. Es ist zu vermuten, dass nicht jede*r Inhaber*in es leicht haben wird, das eigene Institut zu einem lukrativen Preis zu verkaufen. Gerade bei den kleineren Instituten ist fraglich, inwieweit sie einem*r Übernehmenden eine gute Perspektive bieten können. Finden Sie jemanden, der sein Institut übergeben möchte, müssen Sie sich einigen, zu welchem Preis, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Rahmenbedingungen das Institut übergeben werden soll.

8 https://www.dgsf.org/service/download-bereich/dgsf-intern/dgsf-intern-2019 (Zugriff am 24.02.2021). 9 https://www.nexxt-change.org/DE/Startseite/inhalt.html (Zugriff am 24.02.2021).

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Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Wie in anderen Branchen bedeutet das, dass die Institutsbesitzer*innen vor dem Prozedere einer Unternehmensübergabe stehen. Das heißt: Der*die Übergebende möchte einen möglichst hohen Kaufpreis erzielen, der*die Übernehmende möchte möglichst wenig zahlen. Der*die jetzige Inhaber*in steht vor der Herausforderung, sich von seinem*ihrem Lebenswerk zu trennen und überschätzt vielleicht den Wert dessen, was er*sie aufgebaut hat. Der*die Übernehmende braucht Zahlen, um für sich realistisch einschätzen zu können, ob das Institut eine persönliche und wirtschaftliche Perspektive bieten kann. Von Vorteil ist, dass man auf dem Werk seiner*s Vorgänger*in aufbauen und sich quasi in ein gemachtes Netz setzen kann. Ein Nachteil ist, dass es zunächst viel weniger Gestaltungsmöglichkeiten gibt, als wenn man bei null startet. Es gibt Gepflogenheiten, einen Kund*innenstamm, ein vorhandenes Marketing und so weiter. Wer von den Vorteilen des Kaufs profitieren möchte, wird Veränderungen nur langsam vornehmen können, um nicht die Bestandskund*innen vor den Kopf zu stoßen. Wer ein Institut kaufen will, ist gut beraten, sich Unterstützung von jemandem zu suchen, der sich mit der Übergabe von Unternehmen auskennt. Selbst wenn sich Übergeber*in und Übernehmer*in gut kennen und sich gegenseitig vertrauen, kann ein solcher Prozess Hürden und Fallstricke bereithalten, die Sie auf den ersten Blick nicht vermuten würden. Denn die Interessenlagen und zu bearbeitenden Themen sind so unterschiedlich, dass sie einen gesunden Ausgleich brauchen. Die übergebende Person steht vor einem herausfordernden Abschiedsprozess – sie muss ihr »Baby« abgeben, akzeptieren, dass zukünftig ein anderer bestimmt. Sie muss das loslassen, was ihr über Jahre und Jahrzehnte Sinnstiftung und Lebensinhalt war. Sie geht in eine neue Lebensphase, die auch etwas Beängstigendes haben kann. Sie muss sich mit ihrem Alter und dem Thema Abschied auseinandersetzen. Je nachdem, wie gut ihr das gelingt, kann sie rational agieren – oder sie wird anfangen, den Übergabeprozess zu verzögern, auf einmal unsinnige Forderungen stellen, späte Mitbestimmungsrechte einfordern oder vorschlagen, ob sie nicht in dieser und jener Rolle doch bleiben kann … Gleichzeitig kann es sein, dass die Person, die übernimmt, einen langsamen Übergang und Hilfestellung für den Start durchaus wünscht. Ist die übergebende Person aber bereit und in der Lage, diese zu leisten? Der Übergabeprozess birgt Risiken für beide Seiten. Der*die potenzielle Käufer*in kann jederzeit abspringen, solange der Kaufvertrag nicht unterzeichnet ist. Wer verkaufen möchte, investiert einiges an Energie, stellt Unterlagen über das Institut zusammen, bespricht sich mit Interessent*innen und erklärt interne Zusammenhänge, richtet sich innerlich auf die Übergabe ein, ohne zu wissen, ob es am Ende wirklich dazu kommt. Ratsam ist es, für den Übergabeprozess Zeit einzuplanen. Sowohl die Anbahnung und Entscheidungsfindung brauchen Zeit als auch die Übergabe selbst. Weiterbildungen anbieten – gründen Sie ein eigenes Institut

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Soll sie bestmöglich gelingen, ist es sinnvoll, sorgsam zu planen, wie die übergebende Person sich sukzessive zurückziehen kann, wie sie der übernehmenden Person ihr Know-how übertragen kann, ob und wie lange sie noch für Fragen zur Verfügung steht – oder ob es eine längere, gemeinsame Einarbeitungszeit gibt. Da ist Aushandlungskompetenz gefragt. Sie gründen eine Zweigstelle eines bestehenden Instituts

Vielleicht wollen Sie einen Ableger eines bestehenden Instituts gründen, dessen Fortbildungen bereits bei den Verbänden akkreditiert sind. Sie müssen also nicht ganz von vorne beginnen. Gleichzeitig genießen Sie ein gewisses Maß an Freiheit und Unabhängigkeit und können an Ihrem Standort ganz neue Strukturen aufbauen. Sie machen sich unabhängig, indem Sie in die wirtschaftliche Verantwortung gehen und an Ihrem Wohnort eigene Ausbildungen anbieten – unter dem schützenden Dach eines etablierten Instituts. Sie profitieren zudem von dessen eingeführtem Namen und Marketing. Sie bekommen Unterstützung und Beratung und stehen nicht allein da. Vor Ort entstehen dabei die gleichen Herausforderungen wie bei einer Neugründung: Sie müssen Räume finden, andere Lehrtherapeut*innen, ein Curriculum entwerfen (sofern Sie es nicht einfach übernehmen), dann eventuell die Anerkennung beim Fort- und Weiterbildungsausschuss beantragen, wenn Sie möchten, dass die Ausbildung verbandlich anerkannt ist, Flyer drucken und sich einen Namen bei potenziellen Ausbildungsteilnehmer*innen machen. Sie konkurrieren mit anderen lokalen Anbietern, auch wenn Sie von dem guten Ruf des Instituts profitieren, dem Sie sich angeschlossen haben. Je nachdem, wie die finanziellen Absprachen mit Ihrem Mutterinstitut sind, gehen Sie finanziell ins Risiko und geben gleichzeitig einen Teil Ihrer Umsätze an das Dachinstitut ab. Das Ganze kann ähnlich wie bei einem Franchisesystem funktionieren. Sie schlüpfen unter einen schützenden Mantel und zahlen dafür einen gewissen Preis. Es gibt aber auch Vereinbarungen, bei denen das Dachinstitut Ihre ersten unternehmerischen Schritte auch finanziell mitträgt. Bisher agieren nur einige wenige Institute überregional – beispielsweise das IF Weinheim oder die WISPO. Die meisten Institute sind nur an einem oder maximal zwei Standorten zu finden. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass ihr Einzugsgebiet nur Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft umfasst. Ausbildungsteilnehmer*innen wählen zwar häufig, aber nicht immer das am nächsten gelegene Institut. Die räumliche Entfernung ist ein wichtiges Entscheidungskriterium, aber nicht immer das ausschlaggebende. Der gute Ruf eines*r Lehrtherapeut*in, die Schwerpunktsetzungen einer Weiterbildung, manchmal auch ein besonderer Veranstaltungsort können dazu führen, dass Teilnehmer*innen weite Wege auf sich nehmen. 114

Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Sie bieten eigene Ausbildungen an oder gründen ein eigenes Institut

Ob Sie Ihre Gründung »Institut« oder »Akademie« nennen – Sie haben natürlich auch die Möglichkeit, eigene Weiterbildungen auf den Weg zu bringen. Ist es für Sie wichtig, sich einem der systemischen Dachverbände anzuschließen? Es gibt handfeste Argumente dafür. Für Auftraggeber*innen und Arbeitgeber*innen kann es relevant sein, welche Ausbildung Auftragnehmer*innen durchlaufen haben. Und viele Teilnehmer*innen von Weiterbildungen setzen angesichts des unübersichtlichen Fortbildungsmarktes auf die Zertifizierung und Anerkennung von Ausbildungen in den Dachverbänden, denn Qualitätsstandards und Siegel der großen Dachverbände vermitteln Vertrauen. Andererseits durchschauen viele der Teilnehmer*innen nicht wirklich, was sich hinter der Mitgliedschaft in einem Verband oder einer Zertifizierung einer Ausbildung verbirgt. Einem Teil von ihnen ist es (sehr) wichtig, an einer Ausbildung teilzunehmen, die sie im Anschluss berechtigt, selbst Mitglied in einem der Verbände zu werden. Andere suchen einfach eine »wertige« Ausbildung. Eine offizielle Anerkennung irgendeiner Stelle – sei es ein Verband, die IHK, die Arbeitsagentur … – signalisiert für sie, dass die Ausbildung Qualität verspricht. Was genau da garantiert wird, ist vielen im Augenblick der Entscheidung überhaupt nicht klar. So gibt es einen großen Weiterbildungsmarkt, der sich außerhalb der systemischen Dachverbände abspielt und von ihren Qualitätsvorstellungen völlig unberührt ist. Ein Teil der Fachhochschulen und Universitäten bietet Ausbildungen und Studiengänge an und legt eigene Qualitätsmaßstäbe zugrunde. Zudem gibt es eine verwirrende Vielfalt an Ausbildungen unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, die mit dem Begriff des Systemischen operieren. Ein Blick in die Weiterbildungsdatenbank der Arbeitsagentur10 offenbart, dass zahllose Anbieter mit sehr unterschiedlichem fachlichem Hintergrund ganz verschiedene Bildungsgänge mit dem Etikett »systemisch« verkaufen. Wollen Sie, dass die von Ihnen vergebenen Ausbildungszertifikate von einem der systemischen Verbände anerkannt werden, müssen Sie sich als Mitglied eines Verbandes akkreditieren lassen und sich den entsprechenden Regularien unterwerfen. Wollen Sie Mitgliedsinstitut der DGSF werden muss mindestens ein Weiterbildungsgang anerkannt und ein Selbstreport erstellt werden, der kollegial auditiert wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erfolgt die Akkreditierung für zehn Jahre. Zusätzlich hat die DGSF für jeden Weiterbildungsgang eigene Richtlinien beschlossen, die festlegen, unter welchen Bedingungen dieser von 10 https://kursnet-finden.arbeitsagentur.de/kurs/ (Zugriff am 24.02.2021). Weiterbildungen anbieten – gründen Sie ein eigenes Institut

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der DGSF anerkannt wird und bei Abschluss ein DGSF-Zertifikat vergeben werden kann. Jeder von einem Institut aufgelegte Weiterbildungsgang, der mit einem DGSF-Zertifikat abgeschlossen werden soll, muss vom Fort- und Weiterbildungsausschuss akkreditiert werden. Die Akkreditierung der Weiterbildungen gilt für jeweils fünf Jahre – danach ist es erforderlich, die Akkreditierung erneut zu beantragen. Bei der SG sind umfangreiche Kriterien zu erfüllen, um die Aufnahme beantragen zu können (https://systemische-gesellschaft.de/ mitglieder/sg-institute/mitgliedsinstitut-werden/). Zukünftig könnte auch der »Deutsche Qualifikationsrahmen Beratung« (DQR) für Sie wichtig sein. Durch den DQR werden in Weiterbildungen erworbene Kompetenzen – Wissen, Fertigkeiten, soziale Kompetenzen und Grad der Selbstständigkeit – acht Niveaustufen zugeordnet. Dies soll zu einer europaweit vergleichbaren Einstufung von Kompetenzen und Abschlüssen für Arbeitgeber und Auftraggeber führen. Die Anforderungen, die die DGSF an die Weiterbildungen »Systemische Beratung«, »Coaching« und »Organisationsentwicklung« stellt, erfüllen die Anforderungen für »Beratung/Counseling« der Deutschen Gesellschaft für Beratung e. V. (DGfB). Es könnte sehr gut sein, dass eine möglichst hohe Einordnung in dieses Kompetenzprofil zu einem wichtigen Entscheidungskriterium für Weiterbildungssuchende wird.11

4.8 Online-Angebote – der kommende Markt »Das Internet ist wie eine Welle. Entweder lernt man, auf ihr zu schwimmen, oder man geht unter.« Bill Gates

Ein Betätigungsfeld, das rasant an Bedeutung gewinnt, sind Online-Angebote. Der Trend war ohnehin abzusehen – und durch Corona gab es einen gewaltigen Wachstumsschub. All diejenigen, die digitaler Kommunikation gegenüber eher skeptisch bis ablehnend eingestellt waren, mussten sich nun zwangsläufig bewegen. Das hat zu steilen Lernkurven geführt. Es war wirklich beeindruckend, zu sehen, wie schnell viele Akteure analoge Formate onlinefähig gemacht haben. Online-Beratung, Video-Tutorials, Fortbildungen per Online-Plattform, Blogs, Apps – bis vor Kurzem war die systemische Szene in diesem Bereich eher selten unterwegs. Die Pandemie hat den Blick auf die Themen E-Learning, Online11 https://www.dgsf.org/zertifizierung/dgsf/zertifizierung-richtlinien/dgfb-qualifikationsrahmen-beratung (Zugriff am 24.02.2021).

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Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Beratung, Chats, digitale Konferenzen etc. nachhaltig verändert. Ein Zurückfallen in alte Zeiten wird es nicht mehr geben. Was nun in der Welt ist, wird weiterhin Bestand haben. Unter dem Zwang, rasch reagieren zu müssen, haben die Institute ihre bisher eher ablehnende Haltung zum Thema Online-Weiterbildung aufgegeben und ihre Richtlinien geändert. Gleichzeitig arbeiten alle fieberhaft daran, neue Lehr- und Lernformen zu entwickeln, die systemische Methoden, Inhalte und Haltungen online vermittelbar machen. Die Nase vorne haben jetzt diejenigen, die schon früh experimentiert haben. Einige Institute hatten bereits begonnen, Lernplattformen zu nutzen. Vorne mit dabei sind auch Hochschulen und Universitäten, die längst online mit ihren Studierenden kommunizieren. Viele favorisieren zwar immer noch analoge Lernformen und Möglichkeiten der persönlichen Begegnung und nehmen gerne die Chance wahr, sich persönlich zu treffen. Einige Vorteile des Digitalen sind aber nicht von der Hand zu weisen: So sind virtuelle Meetings schnell organisierbar, die Menschen müssen dabei nicht aus allen Himmelsrichtungen anreisen. Digitales Lernen ist jederzeit und überall für alle verfügbar. Und es kann durchaus spannend sein, auf einmal neue Zielgruppen zu erreichen, die vorher räumlich zu weit weg waren. Auf Dauer wird es wahrscheinlich eine bunte Mischung von analogen und digitalen Angeboten auf dem Markt geben – mit einer Tendenz hin zum »Blended Learning«, also der Verzahnung beider Lernformen. Viele Selbstständige nutzen bereits länger Blogs, um Kontakt zu ihren Kund*innen zu halten. Auch Videos werden mittlerweile genutzt, um sich so über YouTube oder eigene Kanäle bekannt zu machen. Beide Darstellungsformen lassen sich wunderbar über soziale Medien verbreiten. Wir stehen hier erst am Anfang einer Entwicklung. Die Möglichkeiten digitalen Lernens und digitaler Selbstpräsentation sind noch lange nicht ausgeschöpft: Ȥ MOOCs, also Massive Open Online Courses, werden vor allem von Hochschulen angeboten. Ȥ Online-Kongresse, -Kurse, -Fortbildungen und -Videos haben sich massiv verbreitet. Noch experimentieren die Anbieter*innen damit, wann Menschen bereit sind, für Inhalte zu zahlen. Vieles wird zunächst unentgeltlich angeboten und soll den Einstieg für bezahlte Angebote ebnen. Oder ein Teil ist kostenlos freigeschaltet, wer mehr will, muss bezahlen. Ȥ Auditorium Shop hat aufgezeichnete Videos zu Paketen zusammengeschnürt und per Mail-Verteiler kostenlos angeboten. Im Anschluss wurde das Paket dann zum vergünstigten Preis für ein paar Tage verkauft. Natürlich schaffen es im Alltag nicht viele, regelmäßig an Online-Fortbildungen teilzunehmen – sie hatten aber die Chance, in die Vorträge reinzuhören, sodass das Bedürfnis geweckt wurde, alles zu hören. Eine kluge Verkaufs- und MarkeOnline-Angebote – der kommende Markt

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tingstrategie, denn das zunächst kostenlose Angebot wird von den Kund*innen als so attraktiv empfunden, dass sie es selbst an andere weiterreichen. Ȥ E-Mail-Beratung und Online-Beratung ergänzen das bisher »klassische« Fernberatungsangebot der Telefonberatung. Auch Online-Seminare oder Webinare finden zunehmend Verbreitung.  Die EU-Datenschutzverordnung verlangt dabei, dass sorgsam mit dem Datenschutz umgegangen wird. Bei Beratung, Therapie und Coaching handelt es sich um hochsensible Daten – ihr Schutz muss in jedem Fall sichergestellt sein.  ▶ Kapitel  9.8 Relativ neu sind Apps, die eingesetzt werden, um das psychische Wohlbefinden von Klient*innen zu stabilisieren. Hier befindet sich die Szene noch im Experimentierstadium. Es ist aber davon auszugehen, dass es in Kürze viele solcher Apps geben wird, von denen dann einige auch im Rahmen psychologischer Forschung gut validiert sein dürften (Terhorst, Rathner, Baumeister u. Sander, 2018). Der Markt für »Mental Health Apps« wächst jedenfalls kontinuierlich. Es gibt Apps für ein besseres Stressmanagement, gegen Niedergeschlagenheit oder zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Was spricht – abgesehen von solchen Ausnahme-Erscheinungen wie Corona – für den Einsatz von Online-Formaten in Beratung, Therapie, Coaching, Weiterbildung? Ȥ Online-Formate können analoge Angebote ersetzen, aber auch ergänzen. Mails, Dokumente, Online-Seminare, Messenger-Dienste usw. können für kontinuierlichen Kontakt zwischen Real-Life-Einheiten sorgen. Ȥ Online heißt orts- und häufig auch zeitunabhängig agieren zu können. Lernende und Klient*innen können sich Inhalte in ihrem eigenen Tempo erschließen, zu einer Zeit, die in ihren Lebensrhythmus passt. Anfahrtswege und -zeiten entfallen. Kontakte werden möglich, wo man sich sonst aufgrund des räumlichen Abstands nicht begegnen könnte oder nur mit großem Aufwand. Ȥ Online kann bedeuten, eine große Menge potenzieller Kund*innen und Klient*innen zu erreichen. Wenn Sie spannende Inhalte kreieren und diese über geeignete Medien zur Verfügung stellen – ob bezahlt oder unbezahlt–, werden diese potenziell von erheblich mehr Menschen wahrgenommen, als Sie analog erreichen könnten. Ȥ Sie können eine große Zahl von Klient*innen gleichzeitig erreichen. Wirtschaftlich kann es sehr interessant sein, Inhalte zu generieren, die dann gegen Bezahlung abgerufen werden können, ohne dass Sie als Akteur*in vor Ort sein müssen.

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Bausteine und Möglichkeiten: Was Sie alles anbieten können

Welche Argumente werden gegen Online-Formate vorgebracht?

Online entfällt ein großer Teil non-verbaler Kommunikation. Wo nur geschrieben wird, fehlen alle visuellen Signale; wo Kommunikation »one-way« passiert, fehlt die Rückkopplung seitens der Klient*innen oder wird nur noch zeitversetzt vermittelt; bei Videokonferenzen sieht und hört man sich, aber es fehlt die gemeinsame physische Präsenz im Raum, in der Regel ist nur der Kopf sichtbar – wichtige Körpersignale fehlen. Insgesamt ist die Einsatzmöglichkeit systemischer Methoden reduziert. Aufstellungen, die Arbeit mit dem Familienbrett, Arbeit mit Symbolen oder Seilen, Stühle-Arbeit – für manches kann man digitale Übersetzungen finden. Es ist faszinierend zu sehen, wie kreativ die Kolleg*innen Lösungen gefunden haben, um ihr Repertoire an Methoden online einsetzen zu können. Aber es gibt auch Ernüchterung, denn einiges lässt sich eben doch nicht ersetzen. Locker verbrachte Pausen, der kurze Austausch am Kaffeeautomat, der gemeinsame Spaziergang zwischendurch, Gruppenarbeit mit allen Sinnen, körpertherapeutische Angebote – manches ist unmöglich oder doch sehr mühsam. Auf alle Fälle braucht es einen aufmerksamen Umgang mit der Differenz und den Meta-Blick auf die Unterschiede zwischen Online- und Präsenz-Angeboten – sowohl auf Schwierigkeiten als auch Möglichkeiten. Insgesamt muss man keine Hellseherin sein, um zu prognostizieren, dass der Trend immer weiter Richtung Online-Angebot gehen wird – auch wenn jeder Trend gleichzeitig den entsprechenden Gegentrend hervorbringt.

Online-Angebote – der kommende Markt

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 Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen? »Phantasie haben heißt nicht, sich etwas auszudenken, es heißt, sich aus den Dingen etwas zu machen.« Thomas Mann

In Kapitel 3 haben Sie sich mit Ihren Wünschen und Träumen beschäftigt. Im vorigen Kapitel 4 ging es darum, welche Möglichkeiten Sie als Systemiker*in haben, sich selbstständig zu machen. Jetzt wird es konkret: Es geht um die Frage, was Ihr Angebot sein soll. Es geht darum, Ihre Wünsche und Träume in konkretes Handeln zu überführen und praktisch zu untersuchen, wie sich Ihre Ideen verwirklichen lassen. Welche Ressourcen haben Sie, die Sie einsetzen können? Worin sind Sie gut? Wie soll Ihr Angebot aussehen? Was werden Sie für wen wo zukünftig tun? Und wenn Sie schon selbstständig sind: Womit wollen Sie Ihr bestehendes Angebot erweitern? Was ist jetzt dran? Sie sind eingeladen, Ihre Impulse zu sammeln, auch wenn Sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau wissen, was entstehen soll. Sammeln Sie die Puzzleteile dessen, worauf Sie Lust haben, was Sie reizt, und setzen Sie sie zusammen. Das fertige Bild wird sich mit der Zeit zeigen – Sie dürfen Teile schieben oder wieder vom Bild nehmen. Sie sind Gestalter*in dessen, was entstehen soll. Dabei ist Ihr wichtigster Ratgeber Ihre Lust. Was möchten Sie gerne machen und in die Welt bringen? Geht es um ein Mehr von etwas, was schon da ist? Wollen Sie von der nebenberuflichen Selbstständigkeit in die hauptberufliche Selbstständigkeit wachsen? Wollen Sie Ihr Angebot erweitern? Wollen Sie wachsen? Wollen Sie einen großen Schritt machen und sich mit anderen zusammentun? Da wir uns im Laufe des Lebens verändern, verändern sich auch unsere Herzensangelegenheiten. Was ist jetzt dran?

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Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

5.1  Ressourcen – was bringen Sie mit? »In meiner Praxis und in meinem Leben stelle ich fest, dass Menschen, die sich selbst als Ganzheit erleben und das Gefühl besitzen, selbst etwas wert zu sein, fähig sind, mit allen Herausforderungen des Lebens in schöpferischer und angemessener Weise fertig zu werden.« Virginia Satir

Was immer Sie gerade in die Welt bringen möchten – Sie fangen nicht bei null an. Was sind Ihre Ressourcen? Was ist schon da? Worauf bauen Sie auf? Das, was Sie ausmacht, ist der Rohstoff, das Grundmaterial des Zukünftigen. Eine Idee passt dann gut zu Ihnen, wenn sie Ihre Fähigkeiten und Kenntnisse anspricht und Sie sich gleichzeitig mit ihr in eine Richtung entwickeln, die Sie inspiriert. Die Unruhe, die uns ergreift, wenn das jetzige Leben nicht mehr genügend ausdrückt, wer wir sind, lässt uns nach Neuem suchen. »Richtig« ist das Neue, wenn es passt. Ein Pflaumenbaum wird keine Kirschblüten treiben, aber er wird vielleicht zu einem Wachstumsschub ansetzen, wenn Platz, Sonne, Dünger und Wasser ihm gute Bedingungen schaffen. All das, was Sie in Ihrem Leben an Kompetenzen, an inneren und äußeren Reichtümern angesammelt haben, ist das Ausgangsmaterial für Ihre zukünftigen Schritte. Einsetzen können Sie das, was da ist. Das scheint selbstverständlich, doch häufig ist uns gar nicht bewusst, was es alles ist, was uns ausmacht. Deshalb lohnt sich eine Bestandsaufnahme. Machen Sie eine Liste Ihrer Ressourcen: Ȥ Persönliche Eigenschaften: Sie als Mensch sind die zentrale Ressource: Was macht Sie aus? Wie passen Ihre persönlichen Eigenschaften zu dem, was Sie zukünftig tun wollen? Wie würden Freund*innen, Familienmitglieder und Kolleg*innen Sie beschreiben? Wie beschreiben Sie sich selbst? Was sind Ihre besten Eigen­schaften? Ȥ Berufliche Kompetenzen: In der Selbstständigkeit zählt nicht nur das, wofür Sie Scheine und Papiere haben. Es kommt auf das an, was Sie tatsächlich gut können. Denn am Ende geht es darum, ob Sie leisten können, was Sie versprechen. Und natürlich geht es auch um die Frage, ob Sie mit Ihren Konkurrent*innen mithalten können: Verfügen Sie über alle Kompetenzen, die Sie für Ihr Angebot brauchen? Welche Ausbildungen haben Sie absolviert? Welche Berufserfahrung haben Sie gesammelt, in welchen Bereichen? Welche Aufgaben haben Sie bewältigt? Womit kennen Sie sich aus? Ressourcen – was bringen Sie mit?

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Ȥ Kaufmännische Erfahrungen: Für die Selbstständigkeit braucht man kein BWL-Studium – aber natürlich ist es hilfreich, wenn Sie schon mit kaufmännischen Basics in Berührung gekommen sind. Haben Sie im Familien- oder Freundeskreis Menschen erlebt, die selbstständig sind oder waren? Haben Sie selbst schon Erfahrungen als Honorarkraft oder mit einer früheren Selbstständigkeit? Haben Sie Leitungs- oder Verkaufserfahrung? Und wenn Sie all das verneinen – die kaufmännischen Aspekte der Selbstständigkeit lassen sich lernen, keine Bange. Ȥ Lieblingsthemen und Steckenpferde: Im besten Fall finden Ihre Herzensthemen Platz in Ihrer Selbstständigkeit: Was ist Ihnen bei der Arbeit und persönlich wichtig? Gibt es Themen und Anliegen, für die Sie sich besonders einsetzen? Ȥ Berufliche und persönliche Erfahrungen: Sie sind auch das Ergebnis Ihres bisherigen Lebens. Was macht Sie aus? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, die Sie besonders geprägt haben? Welche Krisen haben Sie überwunden? Was haben Sie daraus gelernt, das heute Ihren Erfahrungsschatz bereichert? Ȥ Erfolge: Ihre bisherigen Erfolge können Ihnen den Rücken stärken: Worauf sind Sie stolz? Was haben Sie erreicht an Abschlüssen, persönlichen Durchbrüchen und nach außen sichtbaren Meriten? Ȥ Kontakte: Kontakte sind ein wertvolles Kapital: Welche Menschen kennen Sie, beruflich wie privat? Wer ist Teil Ihrer Familie, wer sind Ihre Freunde, welche persönlichen und beruflichen Kontakte haben Sie? Zu wem könnten Sie, vermittelt über Dritte, Kontakt herstellen? Sind Sie gut darin, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen? Ȥ Materielles: Physische Ressourcen können ein entscheidender Faktor für Ihr Angebot sein: Haus, Garten, Boot, Wohnwagen, Geld … – über welche materiellen Ressourcen verfügen Sie? Ȥ Was das Herz sonst noch nährt: Was gibt es noch, was wichtig für Ihre Selbstständigkeit ist? Tiere, Sammlungen, persönliche Hobbys … – was hat für Sie ebenfalls Bedeutung? All das, was Sie gesammelt haben, können Sie für Zukünftiges einsetzen. Sie müssen aber nicht. Sie entscheiden, was davon Bedeutung haben soll und was nicht mehr wichtig ist. Sie entscheiden, welcher dieser Aspekte für Ihre Zukunft als Selbstständige*r welches Gewicht haben soll. 122

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

5.2 Solo oder im Team – wie können Sie am besten arbeiten? »Kooperation ist die Haltung mit der größeren Reichweite.« Netzwerk systemisch qualifizierter Freiberufler*innen in der DGSF

Wollen Sie am liebsten etwas allein nach Ihren eigenen Vorstellungen auf die Beine stellen? Oder möchten Sie gerne mit anderen gemeinsam etwas aufbauen? Kooperation macht erfolgreich. Das muss nicht unbedingt bedeuten, gemeinsam mit anderen eine Firma zu gründen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit: Kooperationen können lose oder fest, zeitweise oder auf Dauer funktionieren. Sie können eine feste Verbindung miteinander eingehen und alles teilen – oder nur punktuell bei einem Thema oder Projekt zusammenarbeiten. Wer seine Kontakte nutzt oder neue Netzwerke aufbaut, ist unternehmerisch erfolgreicher als jemand, der versucht, alles allein zu machen. Durch Kooperationen nutzen Sie Ressourcen und Fähigkeiten aus verschiedenen Quellen. Wenn unterschiedliche Kompetenzen gebündelt werden, können Sie mehr erreichen. Weil mehr Energie zur Verfügung steht, als wenn Sie alles allein machen und können müssen. Es ist wichtig herauszufinden, wie viel Kooperation und wie viel Alleingang Ihnen guttut, welche Form der Zusammenarbeit Ihr Bindungsbedürfnis befriedigt und Ihnen gleichzeitig die für Sie notwendige Freiheit lässt. Gemeinsame Ideenentwicklung ist inspirierend und macht Spaß. Da ist jemand, der Feuer und Flamme ist; jemand mit anderen Ressourcen und Fähigkeiten, dem leichtfällt, was Ihnen schwerfällt, der sich mit Themen auskennt, die Ihnen fremd sind. Im besten Fall ergänzen sich Ihre Qualitäten. Es entstehen Synergieeffekte und neue Wachstumsimpulse. Gleichzeitig ist es gut, genau zu prüfen, wie eng die Bindung ausfallen soll. Denn genauso wie im Privatleben können die Eigenarten, Wünsche und Verhaltensweisen von Geschäftspartnern ganz schön anders sein als Ihre. Ihre Selbstständigkeit ist Ihnen vermutlich eine Herzensangelegenheit. Die wenigsten von uns machen gerne in substanziellen Fragen Abstriche. Es ist also gut, genau hinzuschauen, welche Bereiche Ihnen so wichtig sind, dass Sie sagen: Da gehe ich keine Kompromisse ein. Sind diese berührt durch ein gemeinsames Vorhaben? Dann sollten Sie klären, ob es gute Absprachen geben kann, die Ihre Prioritäten berücksichtigen. Oder Sie brauchen eine losere Verbindung, die es Ihnen ermöglicht, über das, was Ihnen heilig ist, allein bestimmen zu können. Solo oder im Team – wie können Sie am besten arbeiten?

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Wie im Privatleben gibt es in der Arbeitswelt ausgesprochene Einzelgänger*innen und »Alleinemacher*innen« – und andere, die alle Dinge lieber im Team angehen. Wenn Sie lieber allein arbeiten, hat das allerdings auch Nachteile: Alles, was getan werden muss, müssen Sie allein tun. Alle Kompetenzen, die notwendig sind, müssen Sie selbst entwickeln oder fremde Expertise einkaufen. Sie müssen dafür sorgen, dass Sie Menschen haben, mit denen Sie über Ihre Ideen sprechen können. Es gibt niemanden, der genauso mit ihrem Unternehmen verbunden ist wie Sie selbst. Prüfen Sie genau, wie sehr Sie Bestimmer*in sein und bleiben wollen. Über welche Bereiche wollen Sie allein verfügen? Und in welchen Bereichen können Sie sehr gut mit anderen zusammenarbeiten? Nehmen Sie ernst, wie Sie sich mit Ihren potenziellen Geschäftspartner*innen fühlen. Es gibt Menschen, da passt es einfach: Das Miteinander ist unkompliziert, man kann sich schnell einigen, Sie haben ähnliche Vorlieben und Einstellungen, alles läuft unkompliziert. Wenn aber in Gesprächen oder der Anbahnung einer Zusammenarbeit mit jemandem schon früh Sand ins Getriebe gerät, dann nehmen Sie sich ernst und lassen Sie die Finger von der Zusammenarbeit. Die Ouvertüre ist wegweisend: Was am Anfang Sandkörnchen sind, wächst sich leicht zu Kieselsteinen und am Ende zu echten Brocken aus. Bei Ihren unternehmerischen Aktivitäten steht einiges auf dem Spiel: was Ihnen inhaltlich sehr wichtig ist, Geld, Ihr berufliches, fachliches und persönliches Renommee, Visionen Ihrer beruflichen und persönlichen Zukunft. Gönnen Sie sich in der Anbahnungsphase genügend Zeit, um eingehend zu prüfen, ob Sie in essenziellen Fragen wirklich eine gemeinsame Basis haben. Im ersten Überschwang geht schnell unter, dass die Vorstellungen gar nicht so gut zusammenpassen. Das tritt dann zutage, wenn gehandelt werden soll: Wie sieht die gemeinsame Homepage aus? Wie formulieren wir unser Selbstverständnis? Wie gehen wir auf potenzielle Kund*innen zu? Wofür wird Geld ausgegeben und wofür nicht? Klären Sie für sich, wie lose oder fest die Verbindung sein soll. Es gibt dafür sehr unterschiedliche Modelle. Intervision, kollegialer Austausch

Vielleicht ist Ihr Bedürfnis vor allem, sich über unternehmerische, fachliche und persönliche Fragen auszutauschen. Jede*r handelt für sich, trotzdem fühlen Sie sich verbunden und haben immer Gesprächspartner*innen. Sie fühlen sich nicht allein, weil Sie wissen, dass Sie Menschen haben, die Sie begleiten, die Ihre Ideen kennen, die Ihre Erfolge mitfeiern und die Sie bei Rückschlägen trösten. 124

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

Gemeinsame Projekte oder Angebote

Die kleinen Schwestern der gemeinsamen Gründung sind punktuelle Kooperationen. Jede*r von Ihnen bleibt weiterhin allein selbstständig. Und doch gibt es Projekte, die Sie miteinander teilen und gemeinsam voranbringen. Sie bieten ein gemeinsames Seminar, eine Veranstaltung oder einen Vortrag an. Sie leiten zusammen eine Gruppe. Vielleicht bleibt es bei einem einmaligen Angebot – Sie haben Erfahrungen gemacht, wie gut oder eben auch nicht gut das Miteinander geht. Wenn sich die Zusammenarbeit bewährt, kann es sein, dass daraus mehr erwächst – vielleicht am Ende ja doch ein gemeinsames Unternehmen. Wenn Sie projektbezogen mit anderen zusammenarbeiten, bleiben die Kernstücke Ihrer Selbstständigkeit unberührt, und Sie genießen trotzdem die Vorteile eines gemeinsamen Vorgehens, bündeln Ressourcen und erreichen zusammen mehr. Solche Kooperationen können Sie auch mit verschiedenen Menschen, Vereinen oder Unternehmen eingehen. Mit dem einen bringen Sie dies, mit der anderen jenes auf den Weg. Vorteil solch punktuellen Zusammengehens ist, dass Sie sich nur in einigen Bereichen einigen müssen oder nur für einen bestimmten Zeitraum. Jede*r bleibt frei und unabhängig. Der Regelungsbedarf ist erheblich kleiner, als wenn Sie sich für ein gemeinsames Unternehmen entscheiden. Von Vorteil ist auch, dass Sie ganz unterschiedliche Dinge auf den Weg bringen können, weil Sie mit ganz verschiedenen Partnern kooperieren. Sie können eine Kooperation wieder lösen, die sich nicht bewährt – eine andere werden Sie hingegen ausbauen, wenn Sie gute Erfahrungen machen. Ein möglicher Nachteil: Sie bleiben allein verantwortlich für Ihr Unternehmen, für das, was passiert, und für das, was nicht passiert. Wer gerne alle Freud und alles Leid teilen möchte und die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt sehen will, für den ist dies nicht die richtige Lösung. Büro- oder Praxisgemeinschaft

Sie teilen sich Räume, vielleicht auch Ausgaben. Je nachdem, wie gut Sie sich verstehen und wie sehr Ihre Ideen zusammenpassen, kann dies der Ausgangspunkt für ein weiteres gemeinsames Vorgehen sein – beispielsweise eine gemeinsame Webseite oder gemeinsame Angebote. Eine Praxisgemeinschaft kann es Ihnen ermöglichen, in repräsentativeren, größeren Räumen zu »residieren«. Sie nutzen vielleicht gemeinsam Räume wie Küche oder WC und schaffen auch Dinge zusammen an, zum Beispiel einen Kopierer oder eine Kaffeemaschine. Sie pflegen gelegentlich einen kollegialen Austausch und fühlen sich verbunden, selbst wenn es dabei vielleicht »nur« beim Pausenplausch an besagter Kaffeemaschine bleibt. Haben Sie jeweils nur einen Raum auf einer Etage angemietet, bleiben Sie rechtlich Einzelunternehmer*in und eigenständig. Tätigen Sie gemeinsame Solo oder im Team – wie können Sie am besten arbeiten?

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Anschaffungen, mieten Sie die Räume gemeinsam an, teilen Sie sich Räume, sind Sie rechtlich eine GbR – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Nicht zu verwechseln ist die Büro- oder Praxisgemeinschaft mit der Gemeinschaftspraxis, um die es im nächsten Abschnitt geht. Gemeinschaftspraxis

Eine Gemeinschaftspraxis ist der Zusammenschluss von Menschen gleicher oder unterschiedlicher Professionen, bei dem auch gemeinsam gewirtschaftet wird. Eine Gemeinschaftspraxis ist also eine Firma, in der Gewinne und Verluste gemeinschaftlich erwirtschaftet und Ausgaben gemeinsam getätigt werden. Wer sich auch wirtschaftlich verbindet, geht eine enge Bindung ein – ähnlich wie in einer Ehe. Denn wenn das eigene Einkommen von einer gemeinsamen Entscheidungsfindung abhängig ist, ist es erheblich schwieriger, Handlungen anderer zu tolerieren, die aus eigener Perspektive in eine falsche Richtung gehen. Andersherum kann es wunderbar sein, zusammen ein Projekt zu stemmen. Notwendig ist es, sich im Vorfeld im Rahmen eines Aushandlungsprozesses über vertragliche Regelungen einig zu werden und dafür zu sorgen, dass es im Alltag genügend Raum für Austausch – auch über Irritationen – gibt, damit Störungen schnell ausgeräumt werden können. Worin die Unterschiede zwischen Praxisgemeinschaft und Gemeinschaftspraxis genau bestehen, können Sie zum Beispiel hier nachlesen: https://www. berliner-sparkasse.de/fi/home/ratgeber/ratgeber-heilberufe/karriere/praxisgemeinschaft.html. Akquise- und Marketing-Bündnis

Sie schließen sich zu einem nach außen sichtbaren Netzwerk zusammen oder erstellen in kleinerer oder größerer Runde eine gemeinsame Webseite. Sie starten gemeinsame Aktionen wie Vorträge, Tagungen oder Fortbildungen, um potenzielle Kund*innen auf sich aufmerksam zu machen. Indem Sie Ressourcen bündeln und gemeinsam größer auftreten, werden Sie besser sichtbar und sind auch für größere Kund*innen interessant. Dabei kann das Netzwerk aus drei bis vier Fachkolleg*innen bestehen und vor allen Dingen der gemeinsamen Vermarktung dienen. Oder Sie können Mitglied eines großen Netzwerks werden – zum Beispiel dem Netzwerk systemisch qualifizierter Freiberufler*innen in der DGSF, wo es insbesondere um Austausch und Vernetzung geht und nur mittelbar darum, zusammenzuarbeiten oder Aufträge zu generieren. Gemeinsam selbstständig

Sie gründen ein gemeinsames Unternehmen und kombinieren Ihre Ressourcen – wie beispielsweise im Falle einer Gemeinschaftspraxis oder einem Institut. 126

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

Der Vorteil daran: Sie haben Mitstreiter*innen und Gesprächspartner*innen. Sie müssen nicht allein losgehen. Sie können sich mit Menschen zusammentun, die einen ähnlichen fachlichen Hintergrund haben wie Sie selbst. Oder Sie holen sich andere Fähigkeiten und Kompetenzen ins Team. Verbindungen von Kreativen und Finanzprofis, eher sozial und eher kaufmännisch ausgerichteten Menschen, sind nicht unüblich, können im täglichen Miteinander dann aber durchaus Reibung bringen. Vorteilhaft ist: Sie müssen nicht alle notwendigen Eigenschaften in sich ausbilden. Ratsam ist es in jedem Fall, Ihre Zusammenarbeit vertraglich zu regeln und die Eckpunkte der Zusammenarbeit gut zu klären: Wer ist für was verantwortlich? Wie gehen Sie auseinander, wenn das Projekt nicht gut läuft? Wie sollen Ihre finanziellen Beziehungen aussehen? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wer darf in welchen Fällen Ihr Projekt nach außen vertreten? Musterverträge helfen Ihnen, Ideen dafür zu bekommen, wie solche Punkte gut geregelt werden und liefern Ihnen eine gute Diskussionsgrundlage. Ein solcher Vertrag klärt damit Ihre Zusammenarbeit schon im Vorfeld. Sie merken sofort, ob es Knackpunkte gibt. Und für den Fall, dass es nicht gut läuft, wissen alle Beteiligten, wie man sich – hoffentlich – gütlich wieder trennt.  ▶ Kapitel  9.8

Impuls: Unser gemeinsames Unternehmen Malen Sie und Ihr*e potenzielle*r Geschäftspartner*in getrennt voneinander ein Bild von Ihrem gemeinsamen Unternehmen in fünf Jahren. Reisen Sie in die Zukunft und erzählen Sie sich, wie Sie sich Ihr Projekt in fünf oder zehn Jahren vorstellen. Haben Sie ähnliche Ideen? Fragen Sie sich gegenseitig: Was wird den Erfolg unseres Projektes ausmachen? Welche Erwartungen habe ich an dich (und du an mich)? Was bin ich bereit einzubringen? Was wünsche ich mir von dir? Wo sehe ich mögliche Konflikte, welche Sorgen habe ich – und welche hast du? Auch in der Zusammenarbeit ist Ihr systemisches Know-how Gold wert – vorausgesetzt, Sie setzen es nicht nur für Ihre Klient*innen ein. Wichtig ist, dass Sie im wesentlichen Austausch über Ihre gemeinsame Arbeit, über Wünsche, Schwierigkeiten und Irritationen bleiben. Traumpartner*innen

So manche*r wünscht sich eine*n Geschäftspartner*in, der*die alles hat, was ihm*ihr fehlt. Wer am liebsten nur fachlich-inhaltlich arbeitet, möchte jemanden, der ihm alles Geschäftliche abnimmt. Wer ungerne verkauft, hätte gerne eine Person, die das gemeinsame Angebot perfekt anpreisen kann. Typischerweise hört sich das dann so an: Solo oder im Team – wie können Sie am besten arbeiten?

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»Mein Wunschgeschäftspartner sollte ergänzende Qualitäten haben: Er sollte … Ȥ … strategisch und analytisch denken können, Ȥ … ein Zahlenmensch / Wirtschafstyp / Marketingexperte sein, der unsere Zahlen und aktuelle Trends genau im Blick hat, Neues anstößt, mit externen Partnern verhandelt und sich bei Problemen kümmert Ȥ … und wenn er sich noch im Bereich Social Media zuhause fühlt, wäre das top! Eine Person, die alles kann, was mir schwerfällt, die mich ergänzt, sodass ich mich in Ruhe um die Entwicklung der inhaltlichen Arbeit kümmern kann, mich in Social Media fit mache, rausgehe, präsentiere und so weiter. Vielleicht begegnest du ja mal jemandem, der zu mir passen könnte! Ein Grundkapital sollte er auch mitbringen.« Der Wunsch ist verständlich, aber so realistisch, als wünschte man sich den Traumprinzen auf dem weißen Pferd …

5.3 Ihre Idee(n) entwickeln und durchdenken – das Unternehmenskonzept »Glaube und handle so, als sei es unmöglich zu scheitern.«

Die Gliederung eines Unternehmenskonzepts lässt sich wunderbar nutzen, um Ihre Idee zu entwickeln und zu durchdenken. Das heißt erst einmal nur, dass Sie das, was Ihnen im Kopf herumgeistert, aufschreiben. Ein Konzept schreiben Sie zuallererst für sich selbst. Es soll Ihnen helfen, Ihrer Idee Gestalt zu geben, Sie ernster zu nehmen und in Ruhe daraufhin zu untersuchen, ob und wie Sie sie umsetzen könnten. Die Gliederungspunkte des Konzepts geben beim Schreiben Struktur – so wie Sie beim Aufräumen Gläser in ein Schrankfach stellen und Becher in ein anderes, sortieren Sie Ihre Gedanken einzelnen Themenbereichen zu. Ein Konzept ist nicht nur für Gründer*innen nützlich, und es wäre schade, wenn Sie es nur als Muss für Externe sehen. Auch wenn Sie schon viele Jahre selbstständig sind und etwas Neues planen, lohnt es sich, ein Konzept zu schreiben. Denn die Fragen, die Sie sich dabei stellen, helfen Ihnen dabei, jede Idee klarer und konkreter werden zu lassen. Wenn Sie sich mit dem Konzept nur zur eigenen Planung befassen, können Sie ein Whiteboard oder eine Flipchart, ein Skizzen- oder Ideenbuch nutzen. Dann reichen Stichworte. 128

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

Ein ausformuliertes Unternehmenskonzept brauchen Sie, wenn Sie Externen Ihre Ideen präsentieren möchten: Banken, der Arbeitsagentur, dem Jobcenter oder anderen Geldgebern. Es präsentiert in gegliederter Form die Beschreibung Ihrer Idee und umfasst zehn Seiten oder auch erheblich mehr. Eine außenstehende Person erhält durch ein solches Konzept die Möglichkeit, sich schnell einen Eindruck von Ihrer Idee zu verschaffen. Sie selbst profitieren vom Schreiben eines Konzepts, weil es Sie einlädt, verschiedene Aspekte Ihrer Idee genauer zu durchdenken und Ihre Antworten zu formulieren. Das macht Ihre Idee plastischer, detaillierter und ausgereifter. Sie merken, wo Sie noch keine Antworten haben und Dinge lernen oder für sich klären müssen. Sie betrachten das Zusammenspiel der einzelnen Aspekte genauer. Für mich ist eine Idee wie ein Mobile – es kommt darauf an, dass alle Einzelheiten stimmig zueinander passen. Verändern Sie einen Aspekt, hat dies Auswirkungen auf das Gesamte, das nun neu durchdacht werden muss. Sich mit Ihrer Idee zu beschäftigen, heißt, an einzelnen Teilen des Mobiles zu ziehen und zu sehen, wie sich das Gesamtbild verändert, Teile hinzuzufügen oder wieder wegzulassen. Im Netz finden Sie viele Gliederungsvorschläge und Tools, die Sie bei der Erstellung eines Unternehmenskonzeptes unterstützen. Es gibt nicht die eine ultimative Gliederung. Nutzen Sie, was Ihnen zusagt. Auf der vom Bundesministerium für Wirtschaft und der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) unterstützten Gründerplattform12 gibt es Beispiele, VideoTutorials, Vorlagen und andere nützliche Hilfen für die Entwicklung eines Geschäftsmodells oder Businessplans. Auf der Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie13 können Sie außerdem Broschüren und Infos bestellen, die nützlich und hilfreich sind. Auch im Download-Bereich, der dieses Buch begleitet, finden Sie eine mögliche Gliederung. So oder so umfasst jedes Konzept die folgenden Fragen und Themen: Starten Sie alleine oder im Team?

Wenn Sie mit mehreren eine Idee verwirklichen wollen, ist es gut zu schauen, welche Ressourcen und Qualifikationen durch wen eingebracht werden. Prüfen Sie sorgfältig, wer welche Vorstellungen hat. Stimmen sie wirklich überein? Gibt es Fähigkeiten, die trotz allem fehlen?  ▶ Kapitel  5.2

12 https://gruenderplattform.de/ (Zugriff am 25.02.2021). 13 https://www.bmwi.de/Navigation/DE/Home/home.html (Zugriff am 25.02.2021). Ihre Idee(n) entwickeln und durchdenken – das Unternehmenskonzept

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Qualifikationen und Fähigkeiten

Welche Qualifikationen, persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Er­fah­ run­gen bringen Sie mit? Welche Haltungen, Einstellungen und Werte machen Sie aus? Wie viel Erfahrung haben Sie damit, Dinge konzeptionell, unternehmerisch, eigenverantwortlich auf den Weg zu bringen? Betreten Sie komplettes Neuland oder können Sie auf hilfreiche Erfahrungen zurückgreifen? Wie sind Sie fachlich für Ihre Idee aufgestellt? Was sollten Sie unterwegs noch lernen – und wer oder was könnte Ihnen dabei helfen?  ▶ Kapitel  5.1 Angebot

Was wollen Sie anbieten? Coaching, Beratung, Therapie … Zu bestimmten Themen? Mit besonderen Inhalten und Methoden? Was genau? Was ist Ihr Angebot?  ▶ Kapitel  4 Zielgruppe

Für wen sind Ihre Angebote nützlich? Wer wird davon besonders profitieren? Mit welchen Menschen kommen Sie besonders gut klar? Mit welchen Gruppen und ihren Themen haben Sie (viel) Erfahrung? Für wen möchten Sie gerne Angebote machen? Welche Wünsche und Bedürfnisse haben die Menschen, für die Sie tätig werden wollen? Was ist ihnen besonders wichtig? Wo finden Sie sie? Erlauben Sie sich, sowohl private als auch berufliche Erfahrungen zu nutzen. Die Kenntnis Ihrer Zielgruppen muss nicht allein aus dem beruflichen Bereich stammen.  ▶ Kapitel  5.5 Formales

Welchen formalen Rahmen braucht Ihre Idee? Welche juristischen Rahmenbedingungen müssen Sie beachten? Verfügen Sie über alle notwendigen formalen Voraussetzungen und Qualifikationen, um zu tun, was Sie tun möchten? Oder hindern Sie gesetzliche Bestimmungen, sodass Sie neu überlegen müssen? Welche Unternehmensform möchten Sie wählen? Wo müssen Sie Ihre Selbstständigkeit überall anmelden?  ▶ Kapitel  9 Standort

Welchen Ort brauchen Sie, um Ihr Angebot zu starten? Gehen Sie zu Auftraggebern, die Räume zur Verfügung stellen? Werden Sie zuhause einen Raum einrichten? Wollen Sie externe Räume anmieten? Können Sie für kleinere Angebote Coworking-Spaces nutzen oder stunden- bzw. tageweise Räume nutzen? Welches Flair braucht der Ort, um Ihre Zielgruppe einzuladen? Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie, um gut arbeiten zu können? Wie sind die Anfahrtswege, oder spielen die gar keine Rolle, weil Sie online arbeiten?  ▶ Kapitel  10.7 130

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

Marketing I:

Wie werden die Menschen, mit denen Sie arbeiten möchten, von Ihnen und Ihrem Angebot erfahren? Wo kann man Sie kennenlernen? Ich gehe davon aus, dass Sie eine Webseite erstellen (lassen) werden. Was kommunizieren Sie auf dieser Webseite? Worin unterscheiden Sie sich von ähnlichen Anbieter*innen? Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Welche Farben, Bilder, Texte, Infos werden Sie für Ihre Seite nutzen, um die Menschen zum Verweilen einzuladen und Sie als Anbieter*in zu wählen? Was ist auf Ihrer Webseite, was Menschen im Internet suchen, sodass diese Sie überhaupt erst finden?  ▶ Kapitel  8 Marketing II:

Und welche Kanäle werden Sie nutzen, die Menschen auf Sie aufmerksam machen? Wie vermarkten Sie Ihr Angebot? Werden Sie Vorträge halten, Artikel schreiben, Schnuppertermine und Sprechstunden anbieten? Werden Sie Flyer, Postkarten, Aufkleber, Plakate, Roll-ups und dergleichen herstellen oder Anzeigen schalten? Wie wird Ihr Logo aussehen?  ▶ Kapitel  8.5  ▶ Kapitel  8.6 Produktion

Wie entstehen gegebenenfalls Produkte, die Sie vertreiben wollen? Haben Sie das erforderliche Know-how oder brauchen Sie externe Hilfe? Wer unterstützt Sie bei der Produktion von Videos, Tutorials, Büchern, Spielen oder OnlineSchulungen? Vertrieb

Wenn Sie Produkte schaffen, werden Sie dafür sorgen müssen, dass diese auch physisch zu Ihren Kund*innen kommen, aber auf welchen Vertriebskanälen? Bücher, die Sie schreiben, brauchen Absatzwege – auch wenn der Buchhandel für Sie den Absatz über den Buchhandel übernimmt, wollen Sie vielleicht mit Büchertischen und Lesungen selbst für den Vertrieb sorgen. Wenn Sie VideoTutorials oder Online-Seminare produzieren, müssen Sie sich überlegen, auf welchen Portalen Sie gefunden werden können. Marktchancen und -risiken

Wie sehen Ihre Chancen auf dem Markt aus? Ist die Zeit günstig für Ihr Angebot, weil Sie Themen bedienen, die die Menschen gerade bewegen? Können Sie das, was Sie tun, mit aktuellen Trends in Verbindung bringen? Wie sind Chancen und Rahmenbedingungen für die Umsetzung Ihrer Idee? Gibt es Entwicklungen, die für Sie kritisch sein könnten und die Ihnen Sorge bereiten?  ▶ Kapitel  7

Ihre Idee(n) entwickeln und durchdenken – das Unternehmenskonzept

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Wettbewerb

Gibt es viele, die etwas Ähnliches wie Sie vorhaben oder schon länger am Markt sind? Wie steht es um die Konkurrenz in den Bereichen, in denen Sie unterwegs sind? Was sind Stärken und Schwächen Ihrer Mitbewerber*innen? Wie unterscheiden Sie sich von anderen Berater*innen, Coaches und Trainer*innen? Was könnte der Grund sein, dass Menschen Sie den anderen Anbieter*innen vorziehen? Personal

Werden Sie Mitarbeiter*innen für Ihre Idee brauchen – und wenn ja, gleich zu Beginn oder erst später? Welche Qualifikationen müssen sie haben, wie wollen Sie sie einbinden? Wie viele Mitarbeiter*innen benötigen Sie? Welche Rolle und welche Aufgaben sollen sie übernehmen? Organisation

Welche organisatorischen Überlegungen sind notwendig? Werden Sie für sich und andere feste Öffnungs- und Arbeitszeiten definieren?  ▶ Kapitel  10 Ausstattung

Was brauchen Sie an Geschäftsausstattung? Müssen Sie in die Ausstattung von Räumen investieren? Braucht Ihr Homeoffice eine Auffrischung? Was benötigen Sie an Büroausstattung? Sind Sie mobil genug oder brauchen Sie ein Auto? Welche Technik ist nötig, damit Sie arbeitsfähig sind? Welche MarketingInvestitionen müssen Sie einplanen für Logo, Webseite, Flyer etc.?  ▶ Kapitel  7.5

Impuls: Schritt für Schritt zum Unternehmenskonzept In der Regel schreibt niemand ein Konzept in einem Rutsch. Sinnvoll ist es, mit Stichworten, zum Beispiel in Form einer Mindmap, zu beginnen, um sich ein neues Thema zu erobern. Oder sich einen Gliederungspunkt zu nehmen und die eigenen Gedanken dazu aufzuschreiben. Auch beim Konzeptschreiben hat es sich bewährt, für die erste Arbeitsphase Freewriting als Methode zu nutzen und den inneren Kritiker erst einmal auszuladen. Je mehr Sie sich mit Ihren Ideen beschäftigen, desto mehr neue Aspekte werden Ihnen einfallen, und Sie werden das Bedürfnis haben, immer neue Erkenntnisse und Ideen in Ihr Konzept einzuarbeiten. Wahrscheinlich merken Sie dann, dass das, was Sie am Anfang geschrieben haben, noch nicht detailliert genug war. Mittlerweile sehen Sie viel klarer, was Sie eigentlich tun wollen. Und so geht’s ans Überarbeiten. Und Stück für Stück wird Ihr Konzept konkreter und plastischer.

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Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

5.4 Profil und Alleinstellungsmerkmal – seien Sie Sie selbst, alle anderen gibt es schon »Du bist tapferer als du glaubst, stärker als es scheint und klüger als du denkst.« Christopher Robin zu Winnie Puuh

Wenn Sie Ihre eigene Selbstständigkeit erfolgreich auf die Beine stellen und gestalten möchten, ist das ein Prozess, bei dem Ihre Wünsche und Ressourcen in Wechselwirkung mit den Bedürfnissen von Kund*innen und Bewegungen des Marktes stehen: Was möchten Sie anbieten? Was wünschen sich Kund*innen? Wie passt und wie kommt beides zusammen? Zirkuläres Denken hilft Ihnen, immer wieder zwischen Ihren Wünschen und der Perspektive potenzieller Klient*innen hin- und herzuwechseln. Je besser Sie Ihre Zielgruppe kennen, desto genauer werden Sie einschätzen können, was diese sucht. Gleichzeitig müssen Sie nicht alles bedienen wollen, was Kund*innen sich wünschen. Indem Sie verschiedene Möglichkeiten, wie Ihre Selbstständigkeit aussehen könnte, entwickeln, nähern sich beide Perspektiven an. Betrachten Sie die Welt einmal durch die Brille Ihrer Kund*innen: Als Kunde haben Sie es schwer herauszufinden, zu welchem der verschiedenen Anbieter auf dem Markt Sie gehen wollen. Auf den ersten Blick wissen Sie oft gar nicht, worin sich diese unterscheiden. Sie haben keine Kriterien, nach denen Sie eine Auswahl treffen können. Und wenn Sie Kriterien haben, wissen Sie nicht, welcher der zahlreichen Anbieter diese erfüllt. Suchen Sie zum Beispiel einen Coach, ist das Angebot riesig. Wie sollen Sie sich entscheiden? Wenn jeder »Coaching« auf die Webseite schreibt, ist es für Sie ausgesprochen schwer, sich zwischen verschiedenen Coaches zu entscheiden. Wenn Anbieter*innen sich zeigen und von sich erzählen; wenn sie ihr Angebot spezifizieren; von ihren Werten erzählen; zeigen, was ihnen an ihrer Arbeit wichtig ist; deutlich wird, wer sie als Mensch sind; mit wem sie bisher gearbeitet haben und was Sie erwarten wird, können Sie Ihre Wünsche und Bedürfnisse mit dem Ihnen dargebrachten Angebot abgleichen, können Ihre Vorlieben und Wünsche spüren und sich besser entscheiden. So bietet einer zum Beispiel interkulturelles Coaching an, der nächste hat sich auf Raucher-­ Entwöhnung spezialisiert, ein dritter arbeitet mit körpertherapeutischen Methoden, die nächste hat NLP gelernt …

Profil und Alleinstellungsmerkmal – seien Sie Sie selbst, alle anderen gibt es schon

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Ihr Alleinstellungsmerkmal

Die Frage nach Ihrem alleinsstellungsmerkmal ist eng verknüpft mit Ihrer Identität­Ihrer fachlichen sowie persönlichen: Aus Sicht Iher Kund*innen ist Ihre Persönlichkeit ein wichtiger Aspekt, denn Dienstleistungen wie Supervision Coaching, Therapie etc. sind von Ihrer Biographie geprägt. In Ihre Beraterpersönlichkeit fließt alles mit ein: Ihre Familiengeschichte, Ihre Werte, Ihre beruflichen Stationen, Ihre Ausbildungen usw. All dies zusammen prägt, was Sie Kund*innen und Teilnehmer*innen zur Verfügung stellen wollen und können. Hinzu kommen fachliche Schwerpunkte, inhaltliche Formate und Thesen, die Form der Vermittlung, Themen, die Sie besetzen, Erfahrungshintergründe, die Sie besonders machen. Die Suche nach ihrem eigenen Alleinstellungsmerkmal ist damit nichts Äußeres, sondern fragt nach Ihrer Identität als selbstständige*r Systemiker*in. Zu fassen, was Sie von anderen unterscheidet, kann ein zutiefst persönlicher, tiefgreifender und umfassender Prozess der Selbstvergewisserung sein. Je klarer es Ihnen ist, wer Sie sind und was andere über Sie wissen sollten, desto leichter ist es, dies anschließend nach außen zu kommunizieren. Was von alldem ist Ihnen so wichtig, dass Sie es herausstellen möchten? Und was davon für Ihre (zukünftigen und jetzigen) Kund*innen relevant? Beides muss zusammenkommen, damit Ihr Geschäftsmodell funktioniert. Es geht also nicht darum, Orchideen-Aspekte in den Vordergrund zu schieben, die niemand braucht.

Impuls: Profil und Alleinstellungsmerkmal Sie sind eingeladen, sich zu fragen: Was zeichnet Sie aus? Was genau unterscheidet Sie von Ihren Wettbewerber*innen, die etwas Ähnliches anbieten wie Sie? Was machen Sie anders als andere? Was bringen Sie mit, was für Ihre Kund*innen von Relevanz sein könnte? Wer begegnet mir, wenn ich Sie treffe? Welche Werte haben Sie, wie arbeiten Sie, welche Verfahren haben Sie gelernt, welche Methoden schätzen Sie, wie sind Sie in der persönlichen Kontaktgestaltung? Zwischen Bindung und Autonomie

Es kann sein, dass Sie bei Ihrer Beschäftigung mit sich selbst zwischen zwei ganz unterschiedlichen Gedanken hin- und herpendeln: Der eine sagt: »Ich habe etwas Besonderes, Einzigartiges zu geben, ich bin ein Original, und so wie ich arbeitet niemand sonst.« Der andere lautet: »Ich bin vermessen und größenwahnsinnig – was bilde ich mir ein zu denken, dass ich etwas Besonderes bin, 134

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

wo es da draußen so viele gut ausgebildete, hochkompetente Menschen gibt?« Und in der Tat – es ist eine Gratwanderung. Wir alle fragen uns, wie gut wir wirklich sind – offen oder insgeheim, die einen mehr, die anderen weniger – je nachdem, welchen persönlichen Hintergrund wir haben. Diese Frage hat eine persönliche Komponente, weil in unsere Lebensgeschichte das Thema von Anerkennung und Bindung auf der einen Seite und Autonomie und Selbstwerdung auf der anderen Seite tief eingebrannt ist. Je nachdem, welche Mischung wir familiär erlebt haben, haben wir mehr oder weniger große Angst davor, die Anerkennung der uns umgebenden Menschen zu verlieren, wenn wir beginnen, in unserer Selbstständigkeit wir selbst zu sein. Und nicht nur die der Menschen, die wir bereits kennen. Es geht auch um unsere zukünftigen Kund*innen, um unsere Kolleg*innen, um alle, die uns gefühlt beim Wachsen zuschauen. Haben wir die Chance, ihre Zustimmung zu erringen, wenn wir uns trauen, wirklich wir selbst zu sein? Um nichts weniger geht es, wenn wir unsere Selbstständigkeit formen. Wir haben die Gelegenheit, uns und unser Selbst auszudrücken: das, was wir sind und was wir der Welt zu geben haben. Natürlich kann das heikel und von Geburtsschmerzen begleitet sein. Wir berühren damit den Kern einer der existenziellen Fragen: ob es uns gelingen kann, in der Welt angenommen zu sein, so wie wir sind. Je nach persönlicher Geschichte fühlt es sich mehr oder weniger gefährlich an, aus der Masse hervorzutreten, sichtbar zu werden und sich von anderen abzuheben. Bevor wir uns selbstständig machen, müssen wir uns nur punktuell bewusst machen, wer wir in unserer professionell-persönlichen Identität sind. Wenn wir uns im Job positionieren müssen, zum Beispiel im Konfliktfall, wenn bei Entscheidungen unsere Werte angefragt werden, dann spüren wir: »So sehe ich das. Das will ich. So möchte ich arbeiten. Und das wiederum geht für mich nicht.« Gerade solche Erfahrungen können in uns den Wunsch reifen lassen, uns nicht (mehr) anzupassen, sondern etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Dabei geht es nicht nur um eine Konstruktion, sondern auch um eigenes Erkennen. Sie sind ein Original! Sie sind einzigartig, denn es gibt niemand, der oder die so ist wie Sie. Sie sind (nicht nur) genetisch einzigartig, Sie sind eine ganz besondere Kombination aus Erfahrungen, Kompetenzen, Bildungsabschlüssen, persönlichen Hintergründen, Ideen, Vorlieben und Wünschen und vielem mehr. Niemand ist so wie Sie, und niemand arbeitet so wie Sie. Sie sind ein ganz besonderer Mensch und in der Arbeit werden Sie mir begegnen. Als Selbstständige sind wir auf neue Weise eingeladen und herausgefordert zu formulieren, wer wir sind. Um uns und anderen deutlich zu machen, worin wir besonders sind, wofür wir stehen, was wir anbieten und in die Welt bringen wollen. Profil und Alleinstellungsmerkmal – seien Sie Sie selbst, alle anderen gibt es schon

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Das ist nötig, denn unsere Kund*innen wollen Unterscheidungen treffen können und verstehen, mit wem sie es zu tun haben. Ihr Profil setzt sich aus Ihrer Vita, Ihren Ausbildungen, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften, aber auch Ihrem Angebot und der Art und Weise, wie es präsentiert wird, zusammen: Ihre Webseite – Farben, Wortwahl und Bilder – verrät viel über Ihre Persönlichkeit. All dies zusammen schafft bei Ihren Kund*innen einen Gesamteindruck: ihre Positionierung auf dem Markt. Dabei haben Sie die Chance, diesen Eindruck ein Stück weit zu steuern, indem Sie eine bewusste Auswahl treffen, was Sie ins Licht rücken und was Sie im Dunkel verschwinden lassen – das ist die Stunde des Marketings. Gleichzeitig sind Sie als Berater*in oder Therapeut*in am allermeisten selbst die Marke. Sie teilen über Ihr Auftreten, Ihre Wortwahl und viele andere Aspekte Ihrer Person Ihren Kund*innen automatisch auch viel über Ihre eigenen inneren Überzeugungen mit. Gelingt es Ihnen, ein stimmiges Zusammenklingen Ihrer verschiedenen Anteile zu erreichen, wird dies nach außen abstrahlen. Innen und außen gehören untrennbar zusammen.

Nikola Siller: Mich auf eine einzige Identität festzulegen, finde ich langweilig Nikola Siller hat 2015 den Schritt in die hundertprozentige Selbstständigkeit gewagt. Sie ist bundesweit als Coach, Supervisorin, Organisationsberaterin und als zertifizierte Lehrende für systemische Ausbildungen, unter anderem am HISA (HafenCity Institut für Systemische Ausbildung) in Hamburg und Berlin und an der Uni Oldenburg tätig. Nikola hat in den letzten Jahren vieles gleichzeitig auf den Weg gebracht – sie ist in die Lehre eingestiegen, hat die Geschäftsführung von BerufsWege e. V./Frauen & Beruf in Münster übernommen und schreibt an mehreren Büchern. Sie ist einer der Sprecherinnen des Netzwerks systemisch qualifizierter Freiberufler und Freiberuflerinnen in der DGSF (www.beratung-siller.de). Nikola, was hat dir geholfen, deinen Weg zu gehen? Geholfen hat mir mein Unbehagen gegenüber Festlegungen, starren Ideologien und Dogmatismen. Ich mag das Spielen mit unterschiedlichen inneren Anteilen. Das Unterwegssein in vielen Welten. Mich auf eine einzige Identität und eine einzige Kommunikationswelt festzulegen, finde ich langweilig. Ich bin grundsätzlich neugierig – auch mir selbst gegenüber – und frage mich, welchen Ego-State ich noch gerne aus dem Schattendasein befreien und auf die Spielwiese holen möchte. Wer ich noch sein will und wer ich noch sein könnte. Der Möglichkeitsraum des Lebens ist größer als man manchmal denkt. 136

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

Es ging immer erstmal darum, mir selbst zu glauben. Nur dann bin ich authentisch. Wenn ich selber von mir und meinen Ideen überzeugt bin, dann haben andere auch eine Chance, mich als stimmig zu erleben. Klar, zum Prozess der Identitätsbildung gehört auch das kritische Überprüfen, der Kontextabgleich, das Bewerten, Scheitern, Verwerfen, Ausufern, Begrenzen. Irgendwann passen mir dann die neuen Kleider und ich gefalle mir darin. Bis dahin tut man eben so, als ob – wie ein Schauspieler auf der Bühne. Das klappt! So haben wir schließlich auch als Kinder das Laufen gelernt. Warum sollte es jetzt mit Mitte vierzig anders sein? Das Hinfallen und das Rotwerden auf der Bühne gehören zum Wachsen dazu. Es ist nicht peinlich. Das Leben ist ein permanenter Entwicklungsprozess. Gibt es Tipps und Erkenntnisse, die du anderen Selbstständigen – oder Gründer*innen – mit auf den Weg geben würdest? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, bei sich und den eigenen Ressourcen zu bleiben. Nicht zu sehr auf die anderen zu blicken und auf das, was ich noch nicht erreicht habe. Eine klassisch systemische, lösungs- und ressourcenorientierte Haltung sich selbst gegenüber einzunehmen. Man sollte sich nicht davon abschrecken lassen, was andere alles schon machen. Das ist wirklich demotivierend. Nahezu alles ist irgendwo auf der Welt schon gedacht und vermarktet worden. Wir erfinden nichts wirklich Neues. Und es gibt immer Leute, die sind klüger, witziger, schöner, toller, weiter als ich. Der stete Blick von unten nach oben und dem, was alles noch nicht erreicht ist, vernebelt die Sinne. Es lenkt ab vom Wesentlichen. Alle kochen doch nur mit Wasser. Das stimmt wirklich. »Der Markt ist voll« ist eine wenig hilfreiche Konstruktion. Klar ist es gut, eine Marktanalyse zu machen und strategisch zu schauen, was in welchem Kontext clever ist und an welchen Hebelpunkten meine Energie wirksamer ist als an anderen. Aber letztendlich muss man seiner Lust und der Energie folgen, es einfach probieren und sich trauen. Sich auch zuversichtlich vom Leben überraschen lassen. Es kommt ja eh anders als man denkt. Gibt es Dinge, vor denen du warnen würdest? Wie in anderen Feldern des Lebens auch: Eine typische Falle besteht darin, es allen recht machen zu wollen. Das führt zu Zerrissenheit und dem Verpuffen von Energie. Sich strategisch und fokussiert auszurichten bedeutet auch, Ablenkendes und Blockierendes loszulassen. Es braucht auch Mut, sein eigenes Ding zu machen und zu wissen, dass das nicht allen gefällt.

Profil und Alleinstellungsmerkmal – seien Sie Sie selbst, alle anderen gibt es schon

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Wie ist es dir damit gegangen? Die Entscheidung, Ende 2014 die Anstellung in der Frauenberatung zu verlassen und meiner Freiberuflichkeit wieder mehr Raum zu geben, habe ich während eines Schwertarbeit-Workshops von Bettina Grote vom IF Weinheim getroffen. Da ging es für mich darum, ganz bewusst eine Entscheidung zwischen Sicherheit und der Risikolust zu treffen und mich aus den Strukturen des Anstellungsverhältnisses zu lösen. Der Anteil an Fremdbestimmung war mir zu groß. Ich mag keine Leute oder Chefs über mir. Diese Entscheidung symbolisch mit dem Schwert zu bekräftigen, war für mich sehr stimmig. Ich habe gute Alltagsübungen gefunden. Eine, die speziell für selbstkritische, perfektionistisch orientierte Frauen gut ist: Nimm dir bewusst vor, andere zu enttäuschen. Spiele mit dem Gedanken, dass Menschen sich in dir getäuscht haben könnten. Dass sie sich ein Bild von dir gemacht haben, das dir nicht (mehr) entspricht. Überrasche dich und sie vorsätzlich. Genieße deine Vielfältigkeit und übe die Kunst, dich (neu) zu erfinden. Daraus entsteht eine große Energie. Es ist eine lohnenswerte Erfahrung, damit aufzuhören, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Schenke dir lieber selbst die Anerkennung, die du dir wünschst. Kaufe dir Blumen. Und suche dir Gefährt*innen und Mentor*innen, die dich auf dem Weg unterstützen. Zum Beispiel in einer Intervisionsgruppe.

5.5  Ihre Zielgruppe(n) verstehen – Design Thinking »Don’t think outside the box.Think like there is no box.« Jo Miller

Die zentrale Größe für das Gelingen Ihrer Selbstständigkeit sind Ihre Kund*innen. Sie brauchen genügend Menschen, die haben wollen, was Sie anbieten. Es ist daher essenziell für Sie, dass Sie die Menschen, für und mit denen Sie arbeiten wollen, gut verstehen. Je besser Sie begreifen, was Ihre Kund*innen bewegt, wie alt sie sind, welches Geschlecht sie haben, in welchen Familienformen sie leben, was sie denken, was sie tun, womit sie Schwierigkeiten haben, was sie sich wünschen – desto genauer können Sie Ihr Angebot auf sie zuschneiden. Methoden und Ideen aus dem Design Thinking haben sich bewährt, um sich Ihren (zukünftigen) Kund*innen genauer anzunähern. Design Thinking wurde von Designer*innen entwickelt, deren tägliches Brot es ist, kreative Ideen zu produzieren – und zwar schnell und passgenau für bestimmte Zielgruppen. 138

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

Ein Design Thinking-Prozess schlägt Ihnen sechs Schritte vor, um Ihre Kund*innen genauer kennenzulernen und zu testen, ob Ihr Angebot von ihnen angenommen wird. 1. Verstehen

Im ersten Schritt geht es darum, Ihre Ausgangssituation genau zu verstehen. Von welchem Punkt aus starten Sie? Wie sind die Rahmenbedingungen, in denen Sie sich bewegen? Was ist das Problem Ihrer potenziellen Kund*innen? Wenn Sie sich beispielsweise als Paarberaterin selbstständig machen möchten, werden Sie sich fragen, wie groß Ihre Chancen sind, genügend Kund*innen zu gewinne: Wie viele Paarberater*innen gibt es in der Stadt, in der Sie leben? Wie groß ist ihr Einzugsgebiet? Welche Wege nehmen Paare auf sich? Haben Sie bestimmte Ausbildungen, die Sie von anderen Paarberater*innen unterscheiden? Sehen Sie bestimmte Themen als wichtig an? 2. Empathie aufbauen

Als Methode, sich Ihren Kund*innen anzunähern, schlägt Design Thinking vor, dass Sie eine sogenannte Persona kreieren. Die Idee ist, dass Sie nicht abstrakt und allgemein über mögliche Kund*innen und Zielgruppen reden, sondern dass Sie sich sehr konkrete fiktive Personen vorstellen, mit einer Geschichte, persönlichen Beziehungen, Vorlieben und Abneigungen. Das macht es erheblich konkreter zu fassen, für wen Sie überhaupt tätig sein wollen. Als Persona beschreiben Sie zum Beispiel das Ehepaar Müller-Kokoschka. Die beiden sind jetzt seit acht Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Lisa ist fünf Jahre und Joshua drei Jahre alt. Herr Müller arbeitet als leitender Angestellter in einer Bank. Frau Müller-Kokoschka ist vor eineinhalb Jahren wieder in ihren Job als kaufmännische Sachbearbeiterin in einem Architekturbüro eingestiegen. Sie arbeitet in Teilzeit, weil vor allem sie es ist, die sich um die Kinder kümmert. Das Ehepaar streitet viel, seit die Kinder da sind. Beide haben es sich völlig anders vorgestellt, eine Familie zu sein. Frau Müller-Kokoschka fühlt sich von ihrem Mann völlig alleingelassen. Er kommt jeden Abend spät von der Arbeit nach Hause. Am Wochenende ist er müde und erschöpft und sie kümmert sich auch dann um die Kinder. Im Bett klappt es überhaupt nicht mehr zwischen ihnen. Beide merken, dass es so nicht mehr weitergeht. Sie wollen wieder einen Draht zueinander finden – schon wegen der Kinder – und sind auf der Suche nach einer Paarberatung. Ich höre jetzt hier auf – Sie aber könnten an dieser Stelle weitermachen und beschreiben, in welcher Stadt die Müller-Kokoschkas leben. Wie sind sie eingerichtet? Welche Werte haben sie? Was haben sie schon versucht bisher? Und so weiter. Ihre Zielgruppe(n) verstehen – Design Thinking

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Als nächstes beschreiben Sie Christiane und Stefan, deren Kinder 17 und 21 sind. Der Sohn, Julian, lebt noch bei ihnen zuhause; ihre Tochter, Lea, ist ausgezogen und studiert. Christiane und ihr Mann leben zusammen, haben sich aber ziemlich auseinandergelebt, und es knirscht in ihrer Beziehung. Mit dem Sohn gibt es viele Konflikte; Christiane wünscht sich von Stefan, dass er sie bei diesen Konflikten mehr unterstützt. Er sagt, Julians Verhalten sei normal, und sie solle gelassener sein. Christiane ist unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation; sie hat jahrelang wegen der Kindererziehung zurückgesteckt und hat das Gefühl, der Zug ist für sie abgefahren. Vor einigen Jahren hatte Stefan eine Affäre – das hängt beiden noch nach. Immer wieder flammen Streitigkeiten zwischen ihnen auf, bei denen dann alte Themen und Verletzungen auf den Tisch kommen.

Sie können Ihr Wissen aus Beratungs- und Coachingprozessen, Ausbildungen, Arbeits- und privaten Kontexten nutzen, um sich den Menschen anzunähern, für die Sie tätig werden wollen. Wenn Sie Beratungsangebote und Seminare planen, kann der Rückgriff auf die Persona für Sie hilfreich sein, um die Passung zwischen Ihrem Angebot und den Bedürfnissen derjenigen, für die Sie tätig sein wollen, zu prüfen. Die abstrakte Zielgruppe »Paare« wird so viel anschaulicher. 3. Perspektive definieren

Aus den vorangegangenen Schritten wird nun eine Kernfrage abgeleitet. Dabei hilft unter Umständen ein kluges Reframing, um sich zu fokussieren. Ihre Kernfrage könnte im ersten Schritt lauten: Wie mache ich Paare mit Paarkonflikten in der Stadt, in der ich lebe, auf mich aufmerksam, sodass sie zu mir in die Beratung kommen? Daraus könnten sich die Fragen ableiten: Welche Themen will ich besetzen? Was sind Themen, die für Paare so spannend sind, dass Sie auf mich aufmerksam werden? Und wenn Sie Ihre Persona aus dem Abschnitt »2. Empathie aufbauen« nutzen, könnten Sie die Frage stellen: Was sind typische Themen für Paare am Beginn und am Ende der Familienphase? Was muss ich anbieten, um sie bei ihren Problemen gut abzuholen? 4. Ideenfindung

Nun folgen ein Brainstorming oder andere Methoden der Ideenfindung zu Ihrer Frage – wenn es geht, in einer Gruppe, gegebenenfalls auch allein. Es geht darum, alle Einfälle zuzulassen und eine möglichst große Fülle an Ideen und Möglichkeiten zu produzieren, die Ihre Frage beantworten. Basierend auf den eben genannten Beispielen (Ehepaar Müller-Kokoschka und Christiane und Stefan) könnte die Ideensammlung beispielsweise folgende Themen umfassen: Was brauchen Paare, wenn sie Eltern werden? Wie kann man 140

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

ihnen Zuversicht vermitteln, dass ihre Themen typisch sind – und Strategien, um gut für ihre Beziehung zu sorgen? Wie entfacht man die Liebe zu neuer Glut? Wie heilt man alte Verletzungen in einer Paarbeziehung? Wie entsteht tolle Sexualität? Wie kann ein Paar mit Untreue und Affären oder dem Wunsch nach neuen (sexuellen) Erfahrungen umgehen? Wie kann es gelingen, gleichzeitig Eltern zu sein und Paar zu bleiben? Wie kann man als Paar mit großer Unterschiedlichkeit in Inte­ressen, Wünschen und Vorlieben umgehen? Wie gehen Paare gut mit unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen um? Wie können Paare auch in einer langjährigen Beziehung wieder spannend füreinander werden? 5. Prototyping

Prototyping bedeutet, Lösungen versuchsweise umzusetzen. Dabei arbeitet Design Thinking mit Zeitverknappung, um innere Kritiker auszuschalten. Natürlich könnten Sie über die oben genannten Fragen lange nachdenken. Wenn Sie aber »gezwungen« sind, in einer halben Stunde konkrete Angebote zu entwerfen,  – was kreieren Sie dann? Prototyping für das Paarberatungsbeispiel könnte bedeuten, dass Sie ein Seminar für Paare rund um das Thema Sexualität entwerfen, einen Text verfassen und beschreiben, was in diesem Seminar passiert. Oder Sie kreieren eine Gesprächsgruppe für »Paare mit erwachsen werdenden Kindern«. Oder Sie entwerfen einen Vortrag für die Zielgruppe der Paare am Ende der Familienphase, bei dem Sie typische Themen ansprechen. Und am besten schreiben Sie gleich die entsprechenden Seminarbeschreibungen! Überarbeiten können Sie den »schnellen Wurf« ja immer noch. 6. Verfeinern

Die Prototypen bieten eine wunderbare Basis für den Feinschliff. Sind die Bedürfnisse der Zielgruppe wirklich getroffen? Passt das Entstandene? Oder geht es darum, eventuell neu anzusetzen und über andere Formate nachzudenken? Design Thinking funktioniert als sogenannter iterativer, das heißt, sich wiederholender Prozess. Es ist unter Umständen notwendig, immer wieder an frühere Schritte anzuknüpfen und die Zielgruppendefinition zu verfeinern oder sich sogar neue Zielgruppen auszusuchen, wenn man merkt, dass die bisher gefundenen Lösungen sich als nicht optimal erwiesen haben. Die Schritte können Ihnen helfen, von der Abstraktion und der Metaebene zu einem genauen Verständnis der Menschen zu kommen, für die sie Angebote entwickeln wollen.

Ihre Zielgruppe(n) verstehen – Design Thinking

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5.6  Ihre Idee visualisieren – alles auf einen Blick »Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.« Antoine de Saint-Exupéry

Praxistipp: Angebot, Kund*innen, Standort, Marketing … Sie können eine Praxis mitten in der Stadt eröffnen. Dann ist die Miete beträchtlich höher, als wenn Sie aufs Land gehen. Sie ziehen auch ganz andere Leute an. Eventuell gibt es ein Parkplatzproblem … Wenn Sie das Angebot, Räume auf dem Hof im Nachbardorf zu mieten, annehmen, müssen Sie erstmal renovieren. Sie müssen Zeit und Geld investieren – das sparen Sie sich, wenn Sie die fertig renovierten Räume in der Stadt nehmen. Würden die Menschen den weiteren Weg auf sich nehmen? Allerdings gibt es auf dem Hof einen wunderbaren Garten mit alten Apfelbäumen und einer Laube. Dort könnte man toll Seminare anbieten. Es gibt auch eine große Diele, die man für größere Gruppen nutzen könnte … Wie hängen die einzelnen Teile Ihrer Idee von Selbstständigkeit miteinander zusammen? Wenn Sie konkret werden, dann ist Ihr Kopf irgendwann voll mit einzelnen Ideen, die miteinander zusammen- und voneinander abhängen. Ein Mobile, das aus vielen Teilen besteht, können wir vielleicht noch auf einen Blick erfassen. Aber vorauszudenken, was passiert, wenn Sie jetzt an einem der Teile ziehen – das fällt den meisten schwer. Ähnlich herausfordernd ist es, Ihre Idee in Varianten zu denken. Es kann ausgesprochen schwer sein, die vielen einzelnen Aspekte auf einmal zu denken und zu erfassen. Hilfreich ist es dann, Ihre Idee(n) visuell darzustellen. Das hat den Vorteil, dass Sie die Beziehungen der verschiedenen Bestandteile Ihrer Vorstellungen zueinander besser nachvollziehen können. Dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Sie können die verschiedenen Aspekte des Unternehmenskonzeptes auf einem Flipchart-Papier darstellen. Sie können eine Mindmap erstellen. Oder Sie nutzen ein Business Model Canvas. Ein Canvas ist eine »Leinwand«, die wichtige Aspekte Ihrer Idee visuell in einem Bild zusammenfasst. Es geht darum, das unternehmerische Modell, das Sie gerade entwerfen auf Schlüssigkeit zu durchdenken. Im Download-Bereich finden Sie ein Business Model Canvas. Damit wird versucht, Ihre Idee im Hinblick auf Schlüsselfaktoren – beispielsweise Zielgruppe, Kundennutzen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten – zu untersuchen und diese in einem Bild festzuhalten. Das ermöglicht, Ihr Geschäftsmodell durch die Reduktion auf Wesentliches zu konzeptualisieren. 142

Ihr Angebot entwickeln: Was wollen Sie in die Welt bringen?

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 Produktive Haltungen: Wie agieren erfolgreiche Unternehmer*innen? »Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.« David Ben-Gurion

Lange wurde unternehmerische Kompetenz ausschließlich unter dem Stichwort »Unternehmerpersönlichkeit« diskutiert – frei nach dem Motto: Man hat’s oder man hat’s nicht. Das heißt, es wurden statische Persönlichkeitsmodelle genutzt, um mehr oder weniger ausdifferenziert zu beschreiben, welche Eigenschaften jemand haben sollte, um sich erfolgreich selbstständig zu machen. Die Idee dabei war, möglichst im Vorfeld entscheiden zu können, ob jemand beim Schritt in die Selbstständigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird. Wer den Kriterien nicht entsprach, dem*der riet man davon ab. Dieses Modell ignoriert, Ȥ dass eine Solo-Unternehmerin andere Kompetenzen braucht als der Leiter eines Unternehmens mit hundert Mitarbeitern, Ȥ dass es einen großen Unterschied macht, ob Sie Obst verkaufen oder therapeutische Leistungen, Ȥ dass Rahmenbedingungen und Kund*innen sehr unterschiedlich sind und es nicht die eine richtige Lösung gibt, sondern es vor allem um Passung geht und Ȥ dass unternehmerische Kompetenz das Ergebnis von Lernprozessen ist. Als erheblich fruchtbarer hat sich ein Modell erwiesen, das danach fragt, welche Haltungen unternehmerischen Erfolg begünstigen (vgl. Hochbahn, 2018).

6.1 Effectuation – Risiken abschätzen und losgehen mit dem, was ist »Inmitten der Schwierigkeit liegt die Möglichkeit.« Albert Einstein

Selbstständig etwas auf die Beine zu stellen, birgt immer gewisse Risiken. Sie investieren Zeit, vielleicht Geld, auf jeden Fall inneres Commitment. Vielleicht setzen Sie einiges aufs Spiel, weil Sie einen Job verlassen oder andere Möglichkeiten ausschlagen. Sie investieren Herzblut und natürlich möchten Sie nicht scheitern. Effectuation – Risiken abschätzen und losgehen mit dem, was ist

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Das Problem: Wer sich gegen jegliche Eventualität absichern will und sein Herz nicht an irgendeinem Punkt über den Zaun wirft, wird vielleicht ewig dahinter verharren und vom Leben jenseits des Zaunes träumen. Was können Sie tun, um einerseits handlungsfähig zu sein und andererseits das, was Sie in die Waagschale werfen, gut zu kalkulieren? Was machen erfolgreiche Unternehmer*innen? Wie gehen sie mit Risiken und Wagnissen um? 2009 veröffentlichte Saras Sarasvathy, Expertin für Entrepreneurship, amerikanische Professorin für Kognitionswissenschaften und Verhaltensökonomie und Gründerin mehrerer Unternehmen, ihre Forschung zum Thema »Unternehmerische Expertise«. Sie hatte erfolgreichen Unternehmer*innen quasi beim Denken über die Schulter geschaut. Was ihr als unternehmerischer Mindset dabei begegnete, nannte sie »Effectuation«. Michael Faschingbauer (2010), österreichischer Unternehmensberater, Coach und Trainer formulierte ihre Erkenntnisse für den deutschen Markt in seinem Buch »Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln«. (Auf YouTube können Sie sich übrigens einen sehr sehenswerten kurzen Vortrag von ihm anschauen: www.youtube.com/ watch?v=oFLQL50PZQQ). Sarasvathy fand vier Elemente, die das Handeln der von ihr untersuchten Unternehmer*innen prägten, wenn sie eine Idee vorantrieben: Ȥ Mittel- statt Zielorientierung Ȥ Fokus auf den leistbaren Verlust statt auf den erwarteten Ertrag Ȥ Umstände und Zufälle nutzen statt vermeiden Ȥ Partnerschaften bilden statt Konkurrenz Schauen wir uns diese Elemente im Einzelnen an. »Bird in Hand« – Mittel- statt Zielorientierung

In der klassischen Managementorientierung steht am Anfang jeden Handelns die Zieldefinition. Die Idee ist, dass zunächst ein attraktives Ziel zu beschreiben ist, von dem dann der erforderliche Weg und die zur Erreichung notwendigen Mittel abgeleitet werden. Sarasvathy fand bei den beteiligten Unternehmer*innen ganz besondere Haltungen und Vorgehensweisen. Statt ehrgeizige, weit in der Zukunft liegende Ziele zu formulieren, fokussierten sie sich auf die Ausgangslage und schauten danach, welche Ressourcen sie haben und einsetzen konnten. Es ging darum, das Bestmögliche aus dem Vorhandenen und Machbaren herauszuholen, statt ideale Zukünfte zu entwerfen. Statt von der Taube auf dem Dach zu träumen, geht es darum, etwas aus dem Spatz in der eigenen Hand zu machen. 144

Produktive Haltungen: Wie agieren erfolgreiche Unternehmer*innen?

Am Anfang ihres Handelns stand demnach die Frage: Wer bin ich? Was kann ich? Wen kenne ich? Was kann ich (damit) erreichen? Daraus leiteten sich dann Ergebnisse und Ziele ab. Faschingbauer beschreibt dies als »Kochen mit dem, was im Kühlschrank ist«, statt nach Rezept zu kochen. Es geht nicht darum, die richtigen Zutaten zu besorgen, sondern etwas aus dem zu machen, was da ist. Wenn Sie sich zum Beispiel als Coach selbstständig machen möchten, hieße Zielorientierung, Ihr Umsatz- und Gewinnziel in einem gegebenen Zeitraum zu definieren, um dann zu überlegen, welche Schritte notwendig sind, um diese Ziele zu erreichen. Bei der klassischen Vorgehensweise würden Sie einen Plan erstellen und versuchen, sich daran zu halten – ohne rechts und links Gelegenheiten wahrzunehmen, die außerhalb Ihres Plans liegen. Sie würden vielleicht definieren, dass Sie Praxisräume und eine Webseite brauchen und nach professionellen Dienstleistern suchen. Mittelorientierung hieße, dass Sie sich vergegenwärtigen, dass Ihre beste Freundin gerade Praxisräume eingerichtet hat und sie kürzlich gefragt hat, ob Sie nicht Lust haben, mitzumachen. Sie können dort einen Raum für Ihre ersten Coachingtermine zunächst einmal unentgeltlich oder gegen geringes Entgelt nutzen. Vielleicht ergibt sich auf Dauer daraus mehr. Außerdem gehen Sie innerlich die Liste Ihrer Bekannten durch und stellen fest, dass darunter einige sind, die Ihre Flyer auslegen könnten, die in Firmen oder Weiterbildungseinrichtungen arbeiten, wo Sie vielleicht mal einen Vortrag halten könnten, und ein befreundeter Grafiker könnte Ihnen zu einer Webseite verhelfen. »Affordable Loss« – leistbarer Verlust statt erwarteter Ertrag

Die klassische Betriebswirtschaft misst die Attraktivität eines Ziels am erwarteten Ertrag. Ob es sich lohnt, einen Weg einzuschlagen, wird daran festgemacht, welch finanzieller Output zu erwarten ist. Sarasvathy stellte im Gegensatz dazu fest, dass die von ihr untersuchten Unternehmer*innen sich fragten, was sie bereit sind, in ein Projekt zu investieren. Ihre Hauptfrage war: Was kann und will ich einsetzen auf die Gefahr hin, dass es am Ende weg ist? Was ist mir das Projekt wert? Diese Perspektive macht frei. Ob ein Projekt wirklich den erwarteten Gewinn bringt, ist schwer abzusehen. Wenn von Vorneherein feststeht, dass der Worst Case – der Verlust allen Investments, ob mental, emotional, zeitlich oder finanziell – in Ordnung ist, kann alle Energie in das Projekt gesteckt werden. Ein entsprechendes Szenario könnte so aussehen: Sie träumen davon, einen eigenen Praxisraum zu haben, den Sie ganz allein gestalten können, am besten in guter Lage und in einer netten Praxisgemeinschaft. Als Ihnen ein schöner Raum angeboten wird, zu einem Preis, der eigentlich außerhalb Ihres Budgets liegt, geraten Sie ins Schwimmen. Sollen Sie es machen? Ist es komplett unverEffectuation – Risiken abschätzen und losgehen mit dem, was ist

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nünftig? Oder wird sich der Raum rechnen, weil mehr Kund*innen kommen können? Schließlich beschließen Sie, dass Sie es sich leisten können, ein Jahr in ein Experiment zu investieren. Ein Jahr Miete zu zahlen ist okay – entweder haben Sie dann genügend Kund*innen, um sich die Miete weiter leisten zu können, oder Sie werden den Raum wieder aufgeben. »Lemonade-Prinzip« – Umstände und Zufälle nutzen, statt vermeiden

Die klassische Managementtheorie leitet vom zu erreichenden Ziel den optimalen Weg und notwendige Schritte ab. Alles wird möglichst präzise geplant und vorgedacht, um Abweichungen und Fehler auszuschließen und die Zielerreichung zu garantieren. Das Problem: In einer Welt, die sich immer schneller dreht und wandelt, ändern sich die Rahmenbedingungen, während man noch plant oder begonnen hat zu handeln. Die Realität will sich leider nicht an die perfekte Planung halten. In den Augen klassischer Planer ist das ärgerlich und bedauerlich. Auch die von Sarasvathy untersuchten Unternehmer*innen frohlockten nicht in jedem Fall, wenn ihre Ideen sich nicht wie geplant realisieren ließen. Sie waren jedoch in hohem Maße bereit, in neu eintretenden Umständen und Zufällen Chancen zu sehen – das heißt, aus Zitronen Limonade zu machen. Ließ sich etwas nicht wie beabsichtigt umsetzen, zeigten sich dafür vielleicht andere Möglichkeiten, die es beim Schopf zu packen galt. Fehler und Pannen werteten sie als Gelegenheit, neu hinzuschauen und zu lernen. Sie kamen zwar an einer anderen Stelle heraus, als ursprünglich gedacht – doch waren sie gerade deswegen erfolgreich. Im Berufsalltag könnte dies so aussehen: Ihre Wunschauftraggeber reagieren verhalten auf Ihre Kontaktaufnahme  – der Kontakt bleibt trotz aller Bemühungen zäh. Bei einer Veranstaltung treffen Sie einen alten Bekannten, und dieser reagiert hochinteressiert, als er von der Palette Ihrer Möglichkeiten hört. Ihr Gegenüber fängt sofort an, herumzuspinnen, wie er Sie einsetzen könnte und bietet Ihnen weitere Aufträge an. An seine Branche hatten Sie eigentlich überhaupt nicht gedacht, er bewegt sich in einem Feld, das Ihnen nicht vertraut ist. Aber er ist so begeistert. Sie können es ja einmal ausprobieren … »Crazy Quilt« – Partnerschaften statt Konkurrenz

Jemand möchte Sie unterstützen? Jemand will mitmachen? Super! Sarasvathy fand heraus, dass diejenigen am erfolgreichsten waren, die Partner in ihr Vorhaben integrierten, die bereit waren, sich auf ein unsicheres Wagnis einzulassen und einfach mitmachen wollten. Statt ihnen mit Misstrauen zu begegnen und das eigene Vorhaben möglichst geheim zu halten, ist es fruchtbarer, angebotene Ressourcen einzusetzen. Statt nach perfekten Wunschpartnern zu suchen, geht 146

Produktive Haltungen: Wie agieren erfolgreiche Unternehmer*innen?

man mit denen weiter, die bereit sind, sich zu committen. Lose Verbindungen und punktuelles Miteinander erzeugen mit der Zeit stabile Netzwerkstrukturen, die Mehrwert schaffen. Wie bei einem »Crazy Quilt« geschieht das Wachsen organisch – jede*r fügt etwas Eigenes hinzu, ohne dass es vorher einen festen Plan gegeben hätte. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie planen eine Veranstaltung und ein langjähriger Freund findet Ihre Idee toll. Er bietet Ihnen spontan an, dass Sie Ihre Veranstaltung auf seinem Hof machen können. Er hat eine alte Scheune, die sich wunderbar als Veranstaltungsort eignet. Der Hof hat Flair. Eigentlich hatten Sie an eine ganz andere Art von Location gedacht. Aber das ist so ein gutes Angebot, dass es einfach Sinn macht, Ihre ursprüngliche Idee zu überdenken.

6.2 Unternehmerisch denken – Selbstständigkeit lässt sich lernen »Wer wagt, selbst zu denken, der wird auch selber handeln.« Bettina von Arnim

Was bedeutet es, an Ihre Idee unternehmerisch heranzugehen? Was heißt »unternehmerisch denken«? Sie können wunderbare Ideen haben, ohne dass Sie die Absicht haben, mit ihnen Geld zu verdienen. Nicht alles, was Ihnen Spaß macht, muss zu einem Unternehmen werden. Manches soll und darf Hobby und Privatvergnügen bleiben. Wenn Sie mit Ideen Ihren Lebensunterhalt, zumindest teilweise, finanzieren wollen, brauchen Sie die Fähigkeit, sie auch zu verkaufen. Es reicht nicht, dass Sie eine gute Beraterin oder ein toller Supervisor sind – Sie müssen auch dafür sorgen, dass Menschen zu Ihnen kommen, die Ihre fachlichen Fähigkeiten in Anspruch nehmen. Sie müssen sich Gedanken machen, was Menschen so wichtig ist, dass sie dafür Geld ausgeben. Ein Teil der unternehmerischen Fähigkeiten ist denen ähnlich, die Sie auch als Führungskraft benötigen. Denn als Führungskraft müssen Sie in der Lage und willens sein, für ein großes Ganzes zu denken und Einzelaspekte zu diesem großen Ganzen zusammenzuführen. Sie müssen von außen auf Ihr Handeln blicken können und sich innerhalb von Gegebenheiten verorten. Sie müssen strategisch denken können und ein Ziel im Blick haben. Sie müssen mit Abweichungen, Unerwartetem und mit Schwierigkeiten umgehen können. Der Unterschied zur Selbstständigkeit besteht darin, dass Sie nicht allein verantwortUnternehmerisch denken – Selbstständigkeit lässt sich lernen

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lich sind, sondern einen Chef haben, von dem Sie Anordnungen bekommen und dem gegenüber Sie Ihr Handeln rechtfertigen müssen. Und: Sie werden vom Unternehmen bezahlt, nicht von Ihren Kund*innen. Es sollte Ihnen zwar auch als Führungskraft bewusst sein, dass letztlich die Kund*innen Ihr Gehalt finanzieren – im betrieblichen Alltag wird das aber oft nur indirekt deutlich. Sie haben gar nicht die Freiheit, gemäß Ihren eigenen Vorstellungen zu agieren, sondern müssen sich in ein komplexes Gefüge einordnen und tun, was Ihre Vorgesetzten wollen. Verkaufen

Als Systemiker*in sind Sie Expert*in für Perspektivwechsel. Wer nicht selbstständig ist, betrachtet das Wirtschaftsleben mit der Brille eines Kunden oder als Arbeitnehmer*in. Wer selbstständig ist, steht auf der anderen Seite. Sie sind Erbringer*in von Leistungen, die andere kaufen sollen. Als Kund*in haben Sie sich vielleicht über steigende Preise geärgert, haben sich über die viele Werbung im Briefkasten aufgeregt oder einen Newsletter bestellt, der Ihnen spontan gefallen hat. Sind Sie selbstständig, sind Sie selbst in der Rolle, anderen etwas anzubieten und es zu verkaufen. Sie suchen Wege, die potenziellen Kund*innen gefallen. Sie möchten, dass Menschen Sie wahrnehmen, Ihr Angebot attraktiv finden und es buchen, nutzen und in Anspruch nehmen. Für Sie ist es hochinteressant zu verstehen, wie Menschen als Käufer*innen »ticken«, was ihnen gefällt und was nicht. Dabei müssen und dürfen Sie Ihren eigenen Stil finden. Nicht alles, was andere Unternehmer*innen tun, muss Ihnen gefallen. Für viele Menschen hat Verkaufen einen schlechten Ruf. Dem Verkäufer haftet das Image dessen an, der anderen etwas aufschwatzt, was sie gar nicht haben wollen, der Kund*innen übers Ohr haut und ihnen das Blaue vom Himmel verspricht. Doch Verkaufen heißt nicht unbedingt, marktschreierisch und unseriös unterwegs zu sein – im Gegenteil. Ihr Widerwillen gegen manche Verkaufsstrategien ist eine gute Richtschnur, um herauszufinden, was Ihr Weg ist. Finden Sie für sich eine gute Haltung zum Verkaufen. Sie wollen nicht Waschmaschinen verkaufen, sondern systemisches Wissen und Know-how, Ihre Kompetenz, an der Sie jahrelang gefeilt haben. Das hat hohen Wert. Sie wollen anderen wirklich Gutes tun mit dem, was Sie können. Das können Sie allerdings nur, wenn andere Sie buchen und das in Anspruch nehmen, was Sie zu bieten haben. Wenn Sie in Ihrem Beratungsraum oder in Ihrer Praxis sitzen und keiner kommt, ist niemandem geholfen. Ihren potenziellen Kund*innen nicht und Ihnen nicht. Die Welt muss also erfahren, dass Sie wunderbar sind, und dass das, was Sie anbieten, wunderbar ist. Nichts anderes bedeutet verkaufen. 148

Produktive Haltungen: Wie agieren erfolgreiche Unternehmer*innen?

Märkte wahrnehmen

Unternehmerisch denken heißt noch mehr als das. Es geht darum, Strömungen, Trends, Menschen und Strukturen daraufhin wahrzunehmen, welche Bedeutung sie für Märkte und für Ihre Dienstleistungen oder Produkte haben. Es geht darum, im Geist Verknüpfungen herzustellen und schnell zu reagieren. Unternehmerisch denken bedeutet, die Realitäten des täglichen Lebens im Hinblick auf ihre Relevanz für Ihr Unternehmen abzuklopfen. Als die Corona-Pandemie ausbrach, bedeutete das beispielsweise: Menschen können ihr Haus nicht verlassen. Was sind jetzt ihre Bedürfnisse? Wie organisieren sie sich? Was von dem, was Sie anbieten, muss sich nun verändern? Was könnten Ihre Antworten auf die sich wandelnde Situation sein? Ihr Unternehmen managen und organisieren

Sie müssen nicht BWL studiert haben, um erfolgreich selbstständig zu sein. Sie müssen sich allerdings soweit fit machen, dass Sie in der Lage sind, Ihr Unternehmen zu managen und zu organisieren: Ȥ Sie müssen die Formalia kennen und beachten, die Ihr Unternehmen tangieren. Ȥ Sie müssen einen Überblick über Ihre wirtschaftliche Situation haben. Ȥ Sie sind Kapitän*in des Schiffes und müssen die Richtung bestimmen. Natürlich können Sie sich Unterstützung einkaufen und die Hilfe von Steuerberater*innen, Unternehmensberater*innen, kaufmännischen Mitarbeiter*innen usw. in Anspruch nehmen – allerdings ist es ratsam, wenn Sie von deren Arbeit so viel verstehen, dass Sie das Steuer nicht aus der Hand geben. Chancen sehen

Wenn wir jemandem unternehmerisches Gespür attestieren, dann meinen wir, dass da jemand Chancen sieht und handelt. Es regnet – Sie verkaufen Regenschirme. Die Sonne scheint – bei Ihnen gibt es Eis. Unternehmerisch denken bedeutet, die Bedürfnisse von Menschen zu erahnen, vorwegzunehmen, gekonnt zu befriedigen und vielleicht auch Neues in die Welt zu bringen. An dieser Stelle macht es Sinn, erneut den Bogen zu dem Punkt zu schlagen, an dem wir über Ideen sprachen. Denn gute Ideen haben viele Menschen. Einige sehen, dass man etwas tun könnte oder dass es nötig wäre. Zu unternehmerischem Geschick wird dies dann, wenn Sie sich ein Herz fassen, Ihrer Idee zu trauen und sie umsetzen. Zu einem Zeitpunkt, wo nicht jeder begeistert ist und zustimmt. Ins systemische Feld übertragen, kann das bedeuten, dass Sie aufgrund Ihrer Felderfahrung die Relevanz von Themen sehen, die noch nicht breit diskutiert werden. Vielleicht haben Sie in früheren beruflichen Kontexten mit Unternehmerisch denken – Selbstständigkeit lässt sich lernen

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Klient*innen gearbeitet, bei denen Sie gespürt haben, dass das, was es an Coaching-, Trainings-, Therapie-, Beratungsangeboten gibt, nur ungenügend greift. Sie merken, man müsste etwas anderes entwickeln, und Sie haben auch schon Ideen. Unternehmer*in sein heißt, diese Ideen umzusetzen – auf die Gefahr hin, dass manches nicht auf Anhieb klappt. Unternehmer*in sein bedeutet, dranzubleiben und zu lernen, was Sie als nächstes tun, um doch erfolgreich zu sein. Unternehmer*in sein heißt: etwas unternehmen!

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Produktive Haltungen: Wie agieren erfolgreiche Unternehmer*innen?

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 Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen? »A ship in harbor is safe, but that is not what ships are built for.« John A. Shedd

Ihre Idee, Ihr Unternehmen, Ihre Selbstständigkeit existieren nicht im luftleeren Raum. Die Realisierungschancen dessen, was Sie vorhaben, sind abhängig von der Welt, in der Sie sich bewegen. Welche Trends und Themen bewegen die Menschen gerade? Wie sind die allgemeinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen? Was tun andere? Es lohnt sich, einen Blick in diese Welt zu werfen, um zu verstehen, in welchem Gefüge sich das, was Sie vorhaben, behaupten muss. Es sind nicht nur Risiken, die Sie dabei wahrnehmen werden; es können auch Chancen sein … »Es gibt schon so viele Coaches, Therapeut*innen, Supervisor*innen, Paarberater*innen … Es gibt keinen Platz mehr für mich. Der Markt ist doch voll.« So denken viele, die im Begriff sind, eine Idee zu verwirklichen. Wie können Sie sich auf diesem Markt verorten? Wie finden Sie heraus, ob es einen Markt gibt für das, was Sie zukünftig verkaufen wollen? Wie können Sie dafür sorgen, dass das, was Sie tun, Wert hat? Ihren Platz müssen Sie zwischen anderen finden. Daher geht es in diesem Kapitel um die Frage, wer zu Ihrer Konkurrenz zählt und wie Sie ein produktives Verhältnis zu Ihren Mitbewerber*innen gewinnen. Es geht um die Frage, wie Sie herausfinden, ob Sie mit Ihren Ideen Geld verdienen können. Und darum, wer Sie auf Ihrem Weg finanziell unterstützen könnte.

7.1 Was der Markt ist – und warum Sie sich mit ihm beschäftigen sollten »Wer auf andere Leute wirken will, der muss erstmal in ihrer Sprache mit ihnen reden.« Kurt Tucholsky

Der Markt ist betriebswirtschaftlich gesehen das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage. Dies ist ein hochkomplexes Geschehen, denn in das, Was der Markt ist – und warum Sie sich mit ihm beschäftigen sollten

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was die Marktteilnehmer*innen – Anbieter*innen wie Nachfrager*innen – tun oder lassen, fließt die Gesamtheit ihrer inneren und äußeren Gegebenheiten ein. Mit eindimensionalen Modellen kommt man hier also nicht weit. Insofern ist »der Markt« oder der für Sie relevante Teil nicht leicht zu beschreiben. Das macht es aber keinesfalls überflüssig, sich mit ihm zu beschäftigen. Wer sich selbstständig macht oder als Selbstständige*r weiterbewegt, braucht den Blick auf die sie*ihn umgebende Welt. Das ist ein Teil des notwendigen Selbstverortungsprozesses. Das ist vor allen Dingen notwendig, um eine Idee davon zu bekommen, ob die eigene Vision Chancen auf Verwirklichung und wirtschaftlichen Erfolg hat. Denn Ideen realisieren sich nicht losgelöst von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – sie gewinnen ihre Kraft daraus, dass sie auf gesellschaftlich relevante Fragestellungen Antworten liefern. Es muss (genügend) Menschen geben, für die die Idee Wert hat. Wie groß oder klein auch immer Ihre Selbstständigkeit werden soll – Ihr Erfolg hängt nicht nur von Ihrem Handeln ab, sondern auch von äußeren Rahmenbedingungen. Das was wir meinen, wenn wir davon sprechen, dass da jemand ein gutes unternehmerisches Gespür hat, ist nicht zuletzt jemandes Fähigkeit, Gegebenheiten und Trends wahrzunehmen, schnell zu reagieren und passgenaue Angebote zu liefern. »Da hatte jemand den richtigen Riecher«, kommentieren wir anerkennend. Die Kunst ist es, Themen, Veränderungen und Ereignisse wahrzunehmen, Menschen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und all das ins eigene Handeln einzubeziehen. Dafür sind Systemiker*innen hervorragend gerüstet. Denn sie haben gelernt, nicht eindimensional vorzugehen, sondern viele Perspektiven wahrzunehmen und zu reflektieren. Neu ist vielleicht, all dies unter wirtschaftlichen Aspekten zu tun. Dabei sehen wir immer nur einen Teil dieser Welt. Wohin sich der Markt wirklich bewegen wird, lässt sich nicht absehen. Zu volatil sind heute gesellschaftliche Trends geworden. Veränderungen entstehen schnell. Es lassen sich allenfalls Entwicklungslinien aufzeigen, die eine gewisse Orientierung geben können. Corona hat gezeigt, wie schnell sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern können. Was gestern scheinbar sicher und berechenbare Wirklichkeit zu sein schien, hatte sich auf einmal ins Gegenteil verwandelt. Damit wurde deutlich, dass die eigenen Chancen in der Selbstständigkeit immer innerhalb bestimmter Marktgegebenheiten existieren  – ändern sich diese, kann das, was gestern lukrativ war, heute den Ruin bedeuten. Die Pandemie hat uns gezeigt, warum es so wichtig ist, sich mit dem Markt zu beschäftigen. Wenn es davor eine gute Idee war, ein Restaurant zu führen, ist unter den Bedingungen eines Kontaktverbotes ein Gastronomiebetrieb nicht mehr möglich. Viele Menschen, die sich vehement gegen Online-Kommunikation gewehrt haben, begrüßen diese unter neuen Rahmenbedingungen als will152

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

kommene, nämlich einzige Möglichkeit, ihre Selbstständigkeit überhaupt fortzuführen. Wer in der Vergangenheit eine Gewerbeimmobilie in bester Lage problemlos zu Höchstpreisen vermieten konnte, findet auf dem Markt dann vielleicht niemanden, der sich festlegen will. Die Veränderung der Rahmenbedingungen machte viele zu Verlierern. Aber Corona schaffte auch neue Gelegenheiten: Auf einmal boomten Onlineshopping, Lieferservices und Dienstleister, die uns die Kommunikation online ermöglichen und erleichtern. Auch alle, die das Zuhause verschönern helfen – ob Baumärkte oder Einrichtungshäuser – konnten sich eine Zeit lang über steigende Umsätze freuen. Nur wenn wir verstehen, in welchem Koordinatensystem wir uns gerade bewegen, können wir unser eigenes Handeln ausrichten. Dabei sind Voraussagen in die Zukunft nie sicher und unser Blickwinkel – das wissen wir als Systemiker*innen am besten – schränkt ein, welche Wirklichkeit wir überhaupt wahrnehmen (können). Deshalb darauf zu verzichten, sie für sich zu beschreiben, hieße, blind loszulaufen. Es gilt, sich zu verorten, Trends wahrzunehmen, Bedingungen zu analysieren, dem eigenen Gefühl zu vertrauen und stets bereit zu sein, neue Einschätzungen zu treffen und die eigene Verortung zu überdenken. Den Markt zu analysieren bedeutet, handlungsfähig zu sein und Weichen immer wieder neu stellen zu können: Wer sein Geld mit Trainings verdient, die aufgrund von Kontaktrestriktionen nicht mehr stattfinden können, kann sein Schicksal beklagen oder neue Bedarfe ausfindig machen und Trainings online anbieten.

7.2 Wo Systemiker*innen gefragt sind – Märkte für systemisches Know-how »Wir müssen ständig den Aussichtsturm wechseln. Sonst werden wir immer einen toten Winkel haben.« Kurt Wallander (Henning Mankell)

Was können wir – bei aller Vorläufigkeit solcher Aussagen – heute über den Markt für systemisch Selbstständige sagen? Welche Entwicklungen und Trends lassen sich aufzeigen? Die gute Nachricht: Systemisches Wissen war in den letzten Jahren auf Erfolgskurs. In vielen sozialen Institutionen gilt es quasi als gesetzt, dass Berufsaspirant*innen eine systemische Ausbildung vorweisen sollten. Systemisches Wo Systemiker*innen gefragt sind – Märkte für systemisches Know-how

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Denken hat sich damit gegenüber früheren Geschwistern wie dem Psychodrama, der klientenzentrierten Beratung oder der Gestalttherapie erfolgreich »nach vorne gedrängelt«. Wonach suchen Kund*innen?

Im sozialen Bereich, teilweise auch in der Wirtschaft, ist der Begriff des Systemischen mittlerweile angekommen. In einer Beratungsstelle muss ein*e Systemiker*in in der Regel nicht mehr mit der Frage rechnen: »Und was heißt das ›systemisch‹? Systematisch?« In anderen gesellschaftlichen Bereichen wissen nur wenige etwas mit dem Begriff »systemisch« anzufangen. Das Systemische präsentiert sich im besten Fall für Endkunden und Klient*innen als eine mögliche Spielart von Coaching, Beratung und vielleicht auch Therapie. Selten suchen Klient*innen gezielt nach Systemiker*innen – es sei denn, sie kommen selbst aus dem sozialen Bereich. Sie suchen nach einem Coach oder einer Beraterin. Es ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten völlig normal geworden, sich beraten und coachen zu lassen; es ist nicht mehr ganz so anrüchig wie früher, von der eigenen Therapie zu sprechen. Viele Menschen haben einen oder mehrere Helfer, Berater*innen, Coaches in ihrem Leben – parallel oder nacheinander. Für Klient*innen und Kund*innen bleibt es schwierig herauszufinden, wer die erwünschte Qualifikation aufweist. Der Coachingmarkt ist so unübersichtlich wie ein großer Supermarkt, Ausbildungen und Methoden gibt es wie Sand am Meer. Systemisches Know-how ist aus dieser Perspektive betrachtet eines unter vielen, die miteinander in Konkurrenz stehen. Auf dem Markt tummeln sich Menschen mit unterschiedlichen fachlichen und persönlichen Hintergründen. Für manche Kund*innen ist es sehr wichtig, welche fachliche Qualifikation der von ihnen favorisierte Coach aufweist – für andere ist das überhaupt nicht ausschlaggebend. Selbst den zukünftigen Berater*innen und Coaches geht es so: Wer heute Beratungswissen erwerben möchte, hat einen Strauß an Möglichkeiten, eine Ausbildung zu machen. Die wenigsten wissen zunächst, was sich hinter den vielen Titeln und Ausbildungsinhalten verbirgt, da geht es ihnen ganz ähnlich wie hinterher den Klient*innen. Was man selbst als gut empfindet, muss man erst einmal herausfinden. Jeder Mensch muss für sich Kriterien entwickeln, welche Qualitäten er bei einem Therapeuten, einer Beraterin oder einem Coach sucht. Systemisches Wissen ist dabei ein mögliches Qualitätskriterium, setzt aber voraus, dass man damit bereits in irgendeiner Weise in Berührung gekommen ist und überhaupt weiß, was das ist. Der Begriff ist nicht selbsterklärend, um nicht zu sagen, auf den ersten Blick sperrig. Da geht 154

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

es uns nicht besser als vielen anderen – die Gestalttherapeut*innen schlagen sich mit dem steten Missverständnis herum, sie würden basteln und gestalten, der Begriff »Psychodrama« löst bei vielen Menschen auf den ersten Blick eher Sorge aus, hier könnte sich etwas abspielen, was sie von zuhause zur Genüge kennen. Und auch Ego-State, Schematherapie oder Neurolinguistisches Programmieren bleiben erklärungsbedürftig. Was heißt das für Sie als selbstständige*r Systemiker*in?

Je nach Zielgruppe und Angebot muss Ihr Marketing sehr unterschiedlich ausfallen. Sind Sie im sozialen Bereich unterwegs, kann es vielversprechend sein, sich explizit als »Systemiker*in« zu präsentieren. In anderen Bereichen hingegen werden Sie wahrscheinlich eher irritieren und Fremdheit erzeugen, wenn Sie diesen Begriff prominent nach vorne stellen, weil niemand weiß, was gemeint ist. Hier werden Sie als Coach, als Berater*in, als Trainer*in usw. wahrgenommen und geschätzt, weil Sie (aufgrund Ihres systemischen Wissens) ganz bestimmte Herangehensweisen mitbringen – ohne dass dies in Ihrer Außendarstellung betont wird. Das können Sie leicht testen, wenn Sie selbst nach einem Coach suchen: Da werden Ihnen viele Verfahren, Methoden und Ausbildungen verkauft und als Ausweis von Qualität angeführt, die Ihnen rein gar nichts sagen. Es kann sein, dass gerade das Ihr Interesse als Kund*in weckt, weil Sie an einer neuen, vielversprechenden Methode interessiert sind. Oder es schreckt Sie ab, weil Sie damit nichts anfangen können. Planen Sie Ihre Außendarstellung, dann vergewissern Sie sich, welche Sprache Ihre Zielgruppe spricht, was für sie relevant ist, mit welchen Worten und Qualitäten Ihre Kund*innen etwas anfangen können. Es kann sein, dass die beeindruckende Liste Ihrer Fortbildungen für diese im Grunde nichtssagend ist. Wenn ich willkürlich in irgendeiner deutschen Großstadt nach Coaches googele, lese ich als Qualifikation, dass Menschen sich als »zertifizierter Strategic Intervention Life Coach nach Tony Robbins«, »Certified Performance Expert«, »Certified Behavior Practitioner«, »LINC Personality Profiler« usw. vorstellen. So wenig ich weiß, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt, so wenig können Ihre Kund*innen eventuell Ihre Qualifikationen einschätzen. Allzu schnell bewegen wir uns in Innenwelten, wo uns Begriffe selbstverständlich sind, die für andere fremd und damit nichtssagend sind. Es gilt für Sie, sehr genau zu differenzieren, an wen Sie sich wenden und wen Sie überzeugen wollen – mit welchen Ideen und Konzepten ist man dort unterwegs? Wollen Sie die dort gebräuchlichen Begriffe und Standards bedienen oder neue setzen? Haben Sie überhaupt die Chance, das zu tun – oder laufen Sie dann einfach nur Gefahr, »eigenartig« zu sein? Wo Systemiker*innen gefragt sind – Märkte für systemisches Know-how

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Sie müssen für sich klären, auf welchen Märkten Sie unterwegs sein wollen und welche Logiken dort gerade vorherrschen. Was heißt das konkret? Es gibt einen Weiterbildungsmarkt und dieser ist ausdifferenziert in viele Teilmärkte. Es gibt einen Coachingmarkt und auch dieser ist segmentiert in viele einzelne kleine Märkte. Es gibt einen Markt für Unternehmensberatung. Es gibt einen Markt für frei verkäufliche Therapie. Es gibt einen Markt für Supervision. Es gibt einen Markt für Paarberatung. Und es gibt einen Markt für Organisationsberatung. Diese Märkte sind nicht trennscharf voneinander abgegrenzt, denn oft ist es erst das Ergebnis der Auftragsklärung, mit dem Kunden oder der Klientin herauszufinden, was er*sie genau will und braucht: Coaching, Teamsupervision, Fortbildung oder eine Organisationsberatung … Gibt es einen Markt für systemische Beratung, für systemische Therapie? Vielleicht. Natürlich gibt es Klient*innen, die explizit nach diesen Begriffen suchen. Vermutlich sind es aber nicht so viele. Eher ist es umgekehrt, dass es einen Markt für systemisch ausgerichtete Supervisor*innen gibt oder einen für systemische Therapie und Familientherapie. Das Systemische ist das sekundäre Merkmal, das die eigentlich gesuchte Leistung beschreibt und spezifiziert. Wie wichtig ist es also, sich explizit als »Systemiker*in« zu verorten und identifizierbar zu sein?

Wie wichtig ist es für Akteure, Teil einer systemischen Szene zu sein, um sich erfolgreich am Markt zu etablieren? Generell lässt sich sagen, dass Netzwerken eine der wesentlichen Fähigkeiten ist, die es braucht, um sich als selbstständige Beraterin, Trainerin, Coach etc. zu etablieren. Welches Netzwerk auch immer Sie wählen: Über Kontakte werden Sie bekannt, erhalten Aufträge, werden empfoh­len, erhalten wertvolles Insiderwissen, bleiben in puncto Entwicklungen und Trends am Ball. Wer sich in einem der systemischen Dachverbände engagiert, sieht die Zugehörigkeit zu diesem Netzwerk als mitentscheidend für den eigenen unternehmerischen Erfolg an. Denn wie alle Netzwerke fungieren die Dachverbände als Orte der Begegnung des Austauschs und natürlich auch als Job- und Auftragsbörse. Netzwerke sind ausgesprochen nützlich, um Kontakte zu knüpfen – zu Kolleg*innen und potenziellen Auftraggeber*innen. Der Zulauf zu den Dachverbänden entsteht auf verschiedenen Wegen: Absolvent*innen bleiben an ihr Ausbildungsinstitut angebunden, das wiederum Mitglied eines Verbandes ist. Sie lassen sich ihr Zertifikat dort anerkennen; sie sind an Jahresversammlungen und Fachtagen interessiert, oder sie engagieren sich in den Fach- und Regionalgruppen. Andererseits gibt es viele Berater*innen, Coaches, Organisationsberater*innen oder Therapeuten, die eine systemische Ausbildung absolviert haben, ohne dass sie sich in einem der Verbände engagieren würden. 156

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

Unter welcher »Flagge« segeln Sie zukünftig?

Sie als Anbieter*in von Beratung, Seminaren, Trainings oder anderer Leistungen definieren selbst, unter welchen Etiketten Sie sich auf dem Markt präsentieren und mit welchen anderen Marktteilnehmer*innen Sie dadurch konkurrieren. Segeln Sie unter der systemischen Flagge, sind Sie mit davon betroffen, was die systemischen Verbände tun, um den Begriff »systemisch« zu etablieren. Sie profitieren indirekt davon, wenn es ihnen gelingt, dem Systemischen auf einem für Sie relevanten Teilmarkt mehr Geltung zu verschaffen. Sie können stattdessen oder zusätzlich auch versuchen, ein ganz anderes Terrain für sich abzustecken, sprich sich als Supervisor*in etablieren, als Kunsttherapeut*in oder Paarberater*in, als Organisationsberater*in oder Unternehmensberater*in. Sie könnten auch eine bestimmte Methode pushen oder versuchen, mit einer eigenen Theorie oder einer Methode selbst zur Marke zu werden. So können Sie sich und Ihrem Verfahren einen klangvollen Namen geben, diesen Namen schützen, Qualitätsstandards definieren und Ihr Wissen mehr oder weniger teuer verkaufen. Gehen Sie den Weg vieler Start-ups, werden Sie Ihr Wissen vorzugsweise im Internet vermarkten und versuchen, skalierbare Online-Produkte zu schaffen, die Ihre Anwesenheit überflüssig machen. Das ist der jüngste Trend auf dem Coaching-, Beratungs- und Seminarmarkt – man versucht, ein Verkaufssystem zu etablieren, das mit kostenlosen Angeboten lockt, um im Anschluss hochpreisige Produkte zu verkaufen. Die systemische Szene ist in dieser Hinsicht bisher bemerkenswert zurückhaltend. Hier herrscht bislang ein anderes Qualitätsverständnis als auf dem Coaching- oder NLP-Markt, wo es neben hochqualitativen Angeboten auch sehr marktschreierische gibt, die mit ausgesprochen aggressiven Vertriebsmethoden aufwarten – die Qualität bleibt dabei leider manchmal auf der Strecke. Systemisch = therapeutisch?

Die systemische Szene hat in den letzten Jahren in ganz andere Richtungen geblickt – man war im Gros nicht mit Marktgängigkeit und Ausrichtung auf den Coachingmarkt beschäftigt, sondern mit der Anerkennung der systemischen Therapie als Kassenleistung und dem Anbieten systemischer Fortbildungen. Diese nun gelungene Schwerpunktsetzung verspricht einem kleinen Teil der jetzigen Systemiker*innen und einem größeren Teil zukünftiger Absolvent*innen einträgliche Pfründe. Ein Kassensitz garantiert sicheres und gutes Einkommen. Zusätzlich bringt die Anerkennung der systemischen Therapie als Kassenleistung Renommee, denn sie konnte nur errungen werden, indem mühselig über viele Jahre der Nachweis der wissenschaftlichen Wirksamkeit erbracht wurde. Nun, wo dies gelungen ist, ist mit Aufwind für systemisches Denken insgesamt zu rechnen. Allerdings ist eine zu starke Betonung Wo Systemiker*innen gefragt sind – Märkte für systemisches Know-how

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von systemischem Herangehen und systemischer Therapie für manche Teilmärkte eher kontraproduktiv – zum Beispiel im Bereich Organisations- und Unternehmensberatung.

Prof Dr. Holger Lindemann: Es gibt keinen Markt für Systemiker*innen Prof. Dr. Holger Lindemann ist Professor für Entwicklungspsychologie und Systemische Beratung an der MSB Medical School Berlin und Leiter des HafenCity Instituts für Systemische Ausbildung (HISA). Er ist systemischer Berater, Coach, Supervisor und Organisationsberater und zertifizierter Mediator, zertifizierter Lehrender (SG/DGSF) für Systemische Beratung, Supervision und Organisationsentwicklung. Er ist Autor mehrerer Fachbücher zu den Themen Konstruktivismus, Systemtheorie, Schulentwicklung und systemische Beratungspraxis (www.medicalschool-berlin.de, www.hafencity-institut-systemische-ausbildung.de, www.lindecon.de). Welche Trends und Entwicklungslinien siehst du, die den systemischen Markt bestimmen werden? Was ist mit systemischem Markt gemeint? Ich glaube nicht, dass es einen »systemischen Markt« gibt. Die Frage ist, was gibt es für Nachfragen und was gibt es für Angebote, die damit korrespondieren. Ich glaube, es gibt einen Markt für Beratung, es gibt einen Markt für Therapie, es gibt einen Markt für Organisationsentwicklung, es gibt einen Markt für Weiterbildung, es gibt einen Markt für Hochschulbildung, für berufliche Bildung, aber nicht für »Systemik an sich«. Du meinst, niemand fragt gezielt Systemiker*innen nach? Auf einem einzelnen Markt fragt man vielleicht nach dem Prädikat »systemisch«, so wie man auf dem Lebensmittelmarkt nach dem Prädikat »ökologisch« oder »nachhaltig« schauen mag. Ich glaube aber, dass der Weiterbildungsmarkt ein anderer ist, als der Therapiemarkt. Und auf beiden Märkten findet man irgendetwas mit der Bezeichnung systemisch. Ich muss mir also anschauen, welche Trends es auf dem Weiterbildungsmarkt oder auf dem Beratungsmarkt gibt? Ja, ich müsste gucken, was gibt es für Trends auf den Märkten, die ich bedienen möchte. Märkte produzieren alles, sobald es eine Nachfrage gibt. Und Märkte sind deshalb auch beliebig bespielbar und per se amoralisch, weil sie nach Angebot und Nachfrage funktionieren. Wenn es einen Markt für moralisch 158

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

vertretbare Waren gibt, werden auch entsprechende Angebote generiert und umgekehrt. Ob sich dann aber hinter dem Label »ökologisch« oder »nachhaltig« oder »systemisch« auch das verbirgt, was man erwartet, ist eine andere Sache. Die Frage ist: Was bedeutet denn »systemisch«? Systemisch ist ja erstmal ein Adjektiv, das noch nicht zwingend etwas über die Inhalte aussagt. Letztendlich kann es jede*r benutzen. Und das merkt man ja auch, wenn man sich die Märkte anschaut. Es gibt so viele Sachen, die das Label »systemisch« tragen. Wo man durchaus hinterfragen könnte, was meinen die denn damit, außer, dass es sich womöglich gut verkauft. Ich kann beispielsweise schauen, was ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Weiterbildungsmarkt ist. Und da fragt sich, ob ich zwingend auf ein Angebot, das ich mache, »systemisch« obendrauf schreiben muss, wenn »systemisch« ein Begriff ist, der nicht mehr trennscharf ist. Oder müsste ich vielleicht, um mich auf dem Markt zu positionieren, andere Kriterien in den Vordergrund stellen als das Systemische (zum Beispiel Krisenbewältigung, Stressreduktion, Konfliktklärung, Zielformulierung, Kulturentwicklung)? Das sagt ja schon eher etwas darüber aus, was Klientinnen und Klienten suchen. Das kann man dann »systemisch« anbieten, kann damit werben oder es auch einfach implizit tun, ohne es »auf die Verpackung zu schreiben«. Die, die irgendeine systemische Ausbildung haben und die sich selbst als Systemiker*innen begreifen, fragen sich: Was kann ich jetzt mit diesem Etikett »systemisch« oder mit diesem fachlichen Hintergrund anfangen? Die meisten wollen ja auf mehrere Märkte – Beratung, Coaching, Training, Therapie … Es ist auf jeden Fall etwas, was man in allen möglichen Bereichen von der Haltung her leben und vertreten kann. Es sind Sicht- und Handlungsweisen, auch Methoden, die man nutzen kann. Ob man seine Angebote dafür jetzt immer auch als »systemisch« labeln muss, würde ich aber bezweifeln. Würdest du sagen: Ich nehme das Systemische aus meiner Selbstdarstellung lieber heraus? Das ist mir nicht mehr interessant genug? Das würde ich ehrlich gesagt vom Markt abhängig machen. Vielleicht nennt man es direkt im Angebot. Vielleicht nur in der Vita. Vielleicht gar nicht. Bei welchem Markt würdest du es sinnvoll finden? Wenn ich systemische Weiterbildung verkaufen will – also eine Weiterbildung zur systemischen Beraterin, zum systemischen Berater oder Coach, dann muss das Systemische ja mit drin sein. Wenn ich im Bereich Coaching oder Organisationsentwicklung schaue, dann gibt es andere Begriffe, die gerade hip sind. Und das ist ein Markt, der sehr Wo Systemiker*innen gefragt sind – Märkte für systemisches Know-how

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nach Worthülsen und Trends schaut, die gerade gehypt werden. Konzeptionelle Aspekte wie »Agilität«, »VUCA-Welt« oder Methoden wie »Scrum«. Dann würde ich eher sagen: Schau, dass du was mit »Agilität« oder so drin hast. Dann würde ich andere Begriffe in den Vordergrund rücken als »systemisch«. Es wäre dann auch die Frage: Was wäre denn »systemisch-agil«? Das Wichtigste für Leute, die sich als Freiberufler, Freiberuflerinnen oder als Selbstständige auf dem Markt platzieren wollen, ist zunächst, dass sie wahrgenommen und gebucht werden. Und sie werden nicht unbedingt gebucht, weil da »systemisch« steht. Sie werden gebucht, weil sie Empfehlungen bekommen haben. Also ist die Frage, wie bekomme ich es hin, dass Leute mich empfehlen. Das heißt, ich muss erstmal arbeiten und einen Fuß in die Tür kriegen. Und dann melden sich Leute bei mir – nicht, weil da »systemisch« an der Tür steht, sondern weil die gesagt bekommen haben: »Geh doch mal zu dem oder der. Da habe ich gute Erfahrungen gemacht.« Das Eigentliche, was man braucht, ist ein gutes Netzwerk in den Märkten, in denen man sich etablieren möchte. Sowohl zu anderen Freiberuflerinnen und Freiberuflern als auch zu potenziellen Klienten und Klientinnen. Die Frage ist, wie kriegt man dieses Networking hin? Wie macht man sich interessant? Im Zweifelsfall musst du in entsprechende Branchen oder Felder rein – in bestimmte Branchen, wie die ökologische Landwirtschaft, oder in kommunale Netzwerke oder die Regionalpolitik. Du musst in entsprechende Verbände rein; dahin, wo die sich treffen. Also nicht »die Systemischen«, sondern die Vertreterinnen und Vertreter der Branche. Networking allein unter Systemike­rinnen und Systemikern ist nicht zwingend gewinnbringend. Wie verschafft man sich den Atem, um sich diesen Bekanntheitsgrad zu erarbeiten? Man kann zum Beispiel erstmal eine Teilzeit-Selbstständigkeit starten und parallel zu einem Job langsam anfangen. Oder man arbeitet bei einer Coachingfirma oder in einer Weiterbildungseinrichtung. So kann man schrittweise mehr Nachfrage generieren, bis man im Geschäft ist. Durch Berufserfahrung steigt auch der eigene Bekanntheitsgrad. Das wäre eine Strategie, die ich für hilfreich halte. Man hat eine Absicherung, die dazu führt, dass man nicht jeden Job annehmen muss. Man kann entscheiden: »Will ich diesen Job annehmen, passt der zu meinem Profil, halte ich den auch für erfüllbar und sinnvoll?« Dann habe ich diese Komponente des existenziellen Drucks ein Stück reduziert, kann nach praktischen und auch ethischen Gesichtspunkten über die Annahme eines Auftrags entscheiden.

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Denkst du, dass das Etikett »systemisch« durch die Anerkennung der systemischen Therapie attraktiver werden könnte? Auf jeden Fall. Es gibt einerseits die wissenschaftliche Anerkennung, die schon länger besteht – obwohl das einige noch nicht so richtig zur Kenntnis genommen haben – und nun die sozialrechtliche Anerkennung. Das rückt das Systemische nochmal stärker in den Fokus. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Menschen in anderen Märkten – Weiterbildung, Coaching, Organisationsberatung – die Idee kriegen könnten: »Ah, das hat was mit Therapie zu tun.« Manche könnte das auch abschrecken, die sagen: »Ich brauche doch keine Therapie!«

7.3  Was wird sich in Zukunft verändern? Trends »Die Zukunft, die wir uns wünschen, werden wir nur bekommen, wenn wir eine Vision von ihr haben.« Per Dalin

Anerkennung der systemischen Therapie als Kassenleistung

»Wir erleben gerade eine große Aufbruchsstimmung: Einerseits wurde die systemische Therapie als Kassenleistung anerkannt und andererseits kommt das neue Psychotherapeutengesetz«, sagt Sebastian Baumann, Vorstandsbeauftragter Psychotherapie der SG. Die Verzögerungstaktik der meisten Krankenkassen war nicht mehr durchzuhalten. Ein großer Erfolg für die beiden großen Verbände und viele Systemiker*innen, die sich für die Anerkennung der systemischen Therapie als Kassenleistung engagiert haben. Die wissenschaftliche Anerkennung der systemischen Therapie war schon lange da – seit Ende 2018 ist endlich auch der Weg dafür frei, dass es systemische Therapie als Pflichtleistung der Krankenkassen gibt. Zum 1.7.2020 waren alle Formalitäten geklärt und die erste Klientin konnte ihre systemische Therapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen aufnehmen. Trotzdem wird es wohl rund zehn Jahre dauern, so die Einschätzung von Prof. Dr. Enno Hermans, systemischer Therapeut, Lehrender und lange Jahre Vorstandsvorsitzender der DGSF, bis im Krankenkassensystem wirklich eine nennenswerte Anzahl systemischer Therapeuten angekommen ist. Die Institute stellen sich neu auf und bieten verstärkt systemische Approbationsausbildungen an. Es gibt fast zwanzig Institute, die seit 2020 mit Approbationsausbildungen beginnen. Dies bietet den Instituten durchaus Chancen, Geld zu verdienen – weniger durch die Theorieausbildung als durch die 600 Stunden Praxis, die geleistet werden müssen. Was wird sich in Zukunft verändern? Trends

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Insgesamt wird die Psychotherapieausbildung gerade verändert und das Systemische wird darin seinen Platz finden. Im Wintersemester 2020 sind bereits die ersten Psychotherapie Bachelor- und Masterstudiengänge gestartet. Die systemische Therapie ist nun Teil des etablierten Gesundheitssystems. Durch die wissenschaftliche Anerkennung hat sie eine enorme Aufwertung als Verfahren erlangt. Eine systemische Approbationsausbildung wird zum Ticket für einen ganz neuen Markt, nämlich den der von Krankenkassen finanzierten Therapie. Zu erwarten ist, dass sich langfristig damit auch der Markt für systemische Therapie außerhalb des Kassensystems verändert. Wer Therapie auf Rezept einkaufen kann, wird sich vermutlich zweimal überlegen, ob er*sie das Geld für einen langen, dauerhaften Prozess selbst aufbringt. Bis dahin wird aber noch einige Zeit vergehen. Wer sich als Therapeut*in einen guten Ruf außerhalb des Kassensystems aufgebaut hat, muss nicht um die eigene Existenz fürchten.  ▶ Kapitel  4.2 Zu vermuten ist, dass Systemisches insgesamt bekannter wird und sich in der Gesellschaft etabliert – so wie Psychoanalyse und Verhaltenstherapie heute als Begrifflichkeiten einer breiten Masse bekannt sind, auch wenn sie sich nicht explizit in einer therapeutischen Szene bewegen. Auswirkungen auf die systemische Therapie in der Jugendhilfe

Welche Auswirkungen wird die sozialrechtliche Anerkennung der systemischen Therapie für Selbstständige in der Jugendhilfe haben? Es gibt durchaus Befürchtungen, dass in Zukunft die Jugendämter restriktiver in der Bewilligung familientherapeutischer Maßnahmen sein werden – mit dem Hinweis, dass diese ja systemische Therapie, auch im Mehrpersonensetting, auf Kosten der Krankenkassen in Anspruch nehmen könnten. Der frühere DGSF-Geschäftsführer Enno Hermans sieht die Verbände in der Pflicht, deutlich zu machen, dass die Settings und Leistungen nicht-heilkundlicher Therapie nach SGB 8 im Rahmen der Jugendhilfe nicht vergleichbar sind. Dabei gibt es eine Diskussion um die Benennung von Leistungen: Wenn systemische Therapie im Rahmen der Jugendhilfe sprachlich von krankenkassenfinanzierter systemischer Psychotherapie kaum zu unterscheiden ist, wird es schwer, Unterschiede zu verdeutlichen: »Da zunehmend Jugendämter hingehen (geschieht bereits ausgiebig beim § 35 a) zu überprüfen, ob Leistungen von den Krankenkassen übernommen werden können, wäre es meines Erachtens dringend notwendig, an einem Wording ›Systemische Therapie‹ zu arbeiten. Für Kostenträger, aber auch für Laien (zu denen auch Politiker gehören) ist eine Unterscheidung zwischen ›Systemische Therapie‹ als Kassenleistung und ›Systemische Therapie‹ (Nicht-Heilkunde) nur schwer vermittelbar« (Conen, o. D.). 162

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Eine hoffnungsvolle Position brachte die Familientherapeutin Birgit Kaminski auf der DGSF-Jahrestagung 2019 in Hamburg zum Ausdruck: »Die ›Systemiker in der Jugendhilfe‹ und die ›systemischen Psychotherapeuten‹ werden sich im Arbeitsalltag in der Schnittmenge der Themen Psychische Erkrankungen/ Stärkung der elterlichen Kompetenz begegnen. Idealerweise könnten sie gut kooperieren, da sie als Basis eine gemeinsame Sprache, eine Arbeitshaltung, ein Symptomverständnis haben und sich konstruktiv ergänzen können«. Birgit Averbeck, hauptamtliche Referentin der DGSF für den Bereich Jugendhilfe, erhofft sich positive Effekte und spricht von der »Strahlkraft«, die von der Anerkennung ausgehen könnte. Sie grenzt die Familientherapie im Rahmen der Jugendhilfe von der therapeutischen Arbeit der zukünftigen systemischen approbierten Therapeuten mit Bezug auf ein grundlegendes Gutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner ab: »Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sind (…) an die Eltern in Bezug auf die Kinder adressiert. Die Hilfestellung ist damit weder alleine auf das Kind als Individuum, noch auf die Eltern(teile) als Individuen konzentriert, sondern knüpft an der Erziehungs- und Lebensgemeinschaft von Eltern und Kind, am ›System‹ Familie an, sie ist zugleich kind- und elternorientiert – mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung entsprechend dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall. Therapie in der Jugendhilfe ist ausgerichtet auf den Erziehungsprozess und stärkt familiäre Beziehungen. Sie mag zwar an einer kranken Person anknüpfen, ihr Ziel ist aber nicht die Behandlung der Krankheit, sondern die Förderung der Entwicklung des Kindes (oder Jugendlichen) durch Förderung der Eltern-Kind-Interaktion« (Averbeck, Baumann, Dittrich u. Schmidt, 2018). Zukünftig wird zu differenzieren sein – wie dies in der Praxis im Übrigen auch heute schon in der Arbeitsteilung von krankenkassenfinanzierter Psychotherapie und von der Jugendhilfe finanzierten Leistungen geschieht, ob ein Hilfebedarf mit Krankheitswert festgestellt wird und Maßnahmen zum Zweck der Heilbehandlung im Sinne des SGB V einzuleiten sind, oder ob es sich um Probleme von Kindern und Jugendlichen handelt, die mit Maßnahmen zum Zweck der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII behandelt werden können. Die systemische Szene

Wissen ist eine so flüchtige, leicht zu übergebende Ware. Es bedarf daher besonderer Vorkehrungen, um es exklusiv in Besitz nehmen zu können. Das gilt auch und gerade auf dem Markt für psychosoziales Wissen und ihre Verfahren. Wer einen bestimmten Wissensbestand hervorbringt und davon auch langfristig wirtschaftlich profitieren will, wird versuchen, durch das Schaffen von Strukturen die Entscheidungshoheit darüber zu sichern, wer Träger dieses Wissens sein darf und wer ausgeschlossen bleibt, weil er*sie die QualitätsWas wird sich in Zukunft verändern? Trends

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kriterien nicht erfüllt. Auf diese Weise gelingt es, Wissen als eigenen Besitzstand zu behaupten. Diese Strukturen ermöglichen es zu definieren, wer in den Kreis der erlauchten Wissensträger aufgenommen wird und wer nicht. Verbände sind aus dieser Perspektive notwendig, um Institutionen zu schaffen, die Qualitätskriterien aufstellen und Zertifikate für diejenigen vergeben, die ihre Kriterien erfüllen. Dann müssen noch Zugangswege in Form von Ausbildungsgängen geschaffen werden, und so ist es möglich, wirtschaftlich von Wissensbeständen zu profitieren. Wer nun Anteil am Wissen haben will, muss bestimmte Ausbildungen durchlaufen und bekommt erst dann das begehrte Zertifikat, das ihm Eintritt in den Kreis der Wissenden gewährt. Verbände haben dabei das Interesse, sich so zu platzieren und zu positionieren, dass ihre Qualitätsstandards als allgemeingültig anerkannt werden. Wenn es ihnen gelingt durchzusetzen, dass jemand, der das Wissen zwar hat, aber kein von ihnen autorisiertes Zertifikat vorweisen kann, sich nicht am Markt behaupten kann, haben sie es geschafft, diesen zu dominieren. Für sie besteht allerdings stets die Gefahr, dass sich neben ihnen andere formieren, die auf die von ihnen vergebenen Zertifikate keinen Wert legen. Kommen sowohl Wissenserwerber als auch Wissensnutzer – zum Beispiel Firmen, Weiterbildungseinrichtungen, Endkunden – auf die Idee, dass das Zertifikat nicht allgemeingültig ist oder verlässlich Qualität verspricht, wird es entwertet. Der Verband und seine Zertifikate verlieren an Autorität, Standing und letztlich Wirtschaftsmacht. Die systemische Szene hat einen solchen, typischen Formierungsprozess hinter sich. Es gibt die systemischen Institute – kleine und große, inhabergeführte, vereinsgeführte, an Hochschulen angesiedelte; solche, die sich mehr als Wirtschaftsunternehmen begreifen; solche, die mit viel Idealismus unterwegs sind. Faktisch sind sie natürlich alle Geschäftsbetriebe und müssen davon leben, erfolgreich Fortbildungen zu verkaufen. Viele Institute sind dabei in den zwei systemischen Dachverbänden organisiert – dass es zwei gibt, hat historische Gründe. Im Ringen um die Anerkennung der systemischen Therapie haben die Verbände bereits an einem Strang gezogen. Die systemische Szene ist damit von den beiden Dachverbänden maßgeblich geprägt, ohne dass sie das gesamte systemische Feld abbilden. Namhafte Institute wie zum Beispiel Simon, Weber & Friends oder das Wissenschaftliche Institut für Beratung und Kommunikation von Eckard König und Gerda Volmer sind nicht an einen Verband angeschlossen. Die Verbände formulieren durch ihre Ausbildungsrichtlinien wichtige Standards. Die von ihnen vergebenen Zertifikate und Siegel zu bekommen, ist attraktiv, wie ihre wachsenden Mitgliederzahlen zeigen. So hatte die DGSF 2010 3.500 Mitglieder, 2013 5.200 Mitglieder und im Jahr 2020 7.905 Mitglieder. Knapp 230 Mitglieder sind institutionelle, sprich: Institute. Im April 2020 zählte 164

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die DGSF 427 Lehrende. Die SG nennt für 2021 eine Zahl von 4.000 Mitgliedern und listet 49 Mitgliedsinstitute und zwei in Anwartschaft auf.14 Viele Institute haben in beiden Verbänden eine Mitgliedschaft. Es gibt allerdings große Altersunterschiede zwischen den Akteuren in Gremien und Instituten und den Ausbildungsabsolventen – und durchaus auch eine Geschlechterdiskrepanz: 75 Prozent der DGSF-Mitglieder sind Frauen. Das Durchschnittsalter in der DGSF liegt bei etwa 50 Jahren.15 Beide Verbände werden faktisch von den Instituten dominiert, auch wenn die DGSF sich als Mitgliederverband versteht und sich durch Regional- und Fachgruppen auch eine große Anzahl von Mitgliedern aktiv engagiert. Den größten Einfluss auf das Verbandsgeschehen haben in der Praxis aber Institutsbesitzer und Lehrende. Die Institute haben nicht nur aus verbandsorganisatorischen Gründen viel Gewicht: Sie repräsentieren weite Teile der systemischen Theoriebildung und sie sind Arbeitgeber und Auftraggeber für Menschen, die systemisch lehren wollen. Welche Bedeutung hat das Handeln der Verbände für die systemische Szene?

Die Verbände prägen mit, wie Systemiker*innen gesellschaftlich wahrgenommen werden und damit, welchen Wert Ihr Zertifikat hat, das Ihre Qualifikation definiert. Bei staatlich geregelten Ausbildungen übernimmt der Staat die Qualitätssicherung. Keiner von uns kann eine eigene ärztliche Ausbildung kreieren und für diese Gültigkeit beanspruchen. Ausschließlich die von staatlichen Institutionen vergebenen Zertifikate, also Hochschulabschlüsse, sind anerkannt. In Bereichen, die nicht staatlich geregelt sind, herrscht jedoch »Wildwuchs«, und der Wert von Abschlüssen wird über Marktmechanismen und Verbandshandeln definiert. Der Begriff »systemisch« ist nicht geschützt – ebenso wenig wie »Coaching«, »Beratung«, »emotionsfokussierte Paartherapie« oder »The Work«. Jede*r kann sich Systemikerin oder Coach nennen – kein Kunde kann daraus irgendeine Art von Qualität ableiten. Bei der Emotionsfokussierten Paartherapie oder bei vielen traumatherapeutischen Angeboten sehen wir den Versuch, Qualitätsstandards so zu definieren, dass nur ein bestimmter Kreis von Menschen überhaupt die Ausbildung absolvieren darf – nämlich solche, die eine therapeutische Qualifikation vorweisen können. So soll einerseits Qualität garantiert 14 https://systemische-gesellschaft.de/wp-content/uploads/2013/05/Mitgliedsinstitute_aktuell. pdf (Zugriff am 26.02.2021). 15 https://www.dgsf.org/service/download-bereich/dgsf-intern/dgsf-intern-2020/view (Zugriff am 26.02.2021). Was wird sich in Zukunft verändern? Trends

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werden. Andererseits gelingt es auf diese Weise, die Gruppe von Menschen mit entsprechendem Abschluss klein zu halten und das Geschäft für diejenigen, die das begehrte Zertifikat haben, zu sichern. Das Problem für Verbände wie Zertifikatsbesitzer ist, dass sie nur ein bestimmtes Terrain kontrollieren können – und auch nur dann, wenn sie alle Abnehmer ihres Wissens dazu bringen können, sie als Autorität dieses Wissens anzuerkennen. Den systemischen Verbänden ist es gelungen, Qualitätsanforderungen zu definieren, die von vielen als relevant empfunden werden – das zeigen die Mitgliederzahlen und die Anzahl der Ausbildungsteilnehmenden. Sie organisieren aber nicht den gesamten systemischen Markt, denn es gibt durchaus systemische Ausbildungsgänge ohne Zertifizierung durch die Dachverbände und systemische Institute, die nicht Mitglied der Verbände sind und trotzdem teilweise hohes Ansehen genießen.

Prof. Dr. Björn Enno Hermans: Auf Dauer wird die Anerkennung der systemischen Therapie Bedeutung haben, aber noch nicht kurzfristig Prof. Dr. Björn Enno Hermans war viele Jahre Vorstandsvorsitzender der DGSF. Er hat eine Praxis für systemische Therapie, Beratung, Supervision und Coaching und ist Lehrtherapeut am HISA und IFS Essen. 2020 ist sein zusammen mit Jochen Schweitzer und Wilhelm Rotthaus verfasstes Buch erschienen: »Das Ganze Systemische Feld. Verbandsentwicklung am Fallbeispiel der DGSF« (www. praxis-hermans.de, www.medicalschool-hamburg.de). Was ist deine Idee, wohin sich der systemische Markt entwickeln wird? Die sozialrechtliche Anerkennung der systemischen Therapie wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht so große Auswirkungen mit sich bringen, wenn wir den gesamten »Markt« betrachten. Es wird noch lange Zeit dauern, bis es systemisch ausgebildete Psychotherapeut*innen in nennenswerter Anzahl gibt. Es gibt zurzeit vielleicht 200, auf alle Fälle unter 300, die aktuell in systemischen Psychotherapieausbildungen mit dem Ziel der Approbation sind, die innerhalb der nächsten drei Jahre ihren Abschluss machen. Es dauert vier bis sieben Jahre, bis die nächste Generation derjenigen, die jetzt anfangen, fertig ist. Bis eine relevante Anzahl von 1000 und mehr approbierten Systemikern den Markt erreicht, dauert es noch mindestens 10 Jahre. Auf Dauer wird die Anerkennung der systemischen Therapie also Bedeutung haben, aber nicht kurzfristig. Wer jetzt ein Bachelorstudium der Psychologie beginnt, erwirbt eine allgemeine Qualifikation, ohne Verfahrensspezifikation. Er macht danach einen 166

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Master Psychotherapie. Erst danach folgt eine fünfjährige Weiterbildung, die dann gebiets- und bereichsspezifisch ist. Gebiet heißt voraussichtlich entweder für Kinder und Jugendliche oder für Erwachsene, der Bereich betrifft zum Beispiel das Verfahren. Auch zukünftig wird die Weiterbildung an Instituten stattfinden. Anders als heute müssen die Leute während des zweijährigen ambulanten Weiterbildungsteils angestellt werden. Es braucht dann zudem eine Verzahnung mit der stationären Weiterbildung in den Kliniken. Das ist auch Teil der Weiterbildung, aber im Unterschied zu heute berufsbegleitend und bezahlt. Das werden verfahrensunabhängig vermutlich nur die größeren Institute schaffen, die kleinen können das nicht. Die DGSF hat die Gründung von Instituten unterstützt, die Approbationsausbildungen anbieten wollen – unter www.systemischerverbund.de kann man schauen, welche das sind – im Augenblick sind es etwa 25. (Weitere Informationen dazu finden Sie im Download-Material.) Auch einige der jetzigen Ausbildungsinstitute für Verhaltenstherapie werden wohl systemische Ausbildungen anbieten – sie haben erkannt, dass das ein Markt ist. Allerdings ist das für die Ausbildungsinstitute gar nicht so einfach, denn die Lehre kann zwar von Nicht-Approbierten durchgeführt werden, aber Selbsterfahrung und Supervision müssen von Approbierten mit systemischer Fachkunde durchgeführt werden – und davon gibt es erst sehr wenige. Wird es weiterhin Therapie von Nicht-Approbierten geben? Müssen sich die Sorgen machen, die heute systemische Therapie anbieten? Das sehe ich relativ entspannt. Ich rechne damit, dass der Begriff »Systemische Therapie« nicht einfach verschwindet und nicht mehr benutzbar ist. Das Wort Therapie ist nicht geschützt und kann nicht geschützt werden. Es gibt Atemtherapie, Sporttherapie, Bewegungstherapie … Geschützt ist der Begriff »Psychotherapie«. Da besteht keine Verwechslungsgefahr oder nur geringe zu Systemischer Therapie. Die DGSF hat sich immer bemüht, bei klinischer Therapie den Begriff »Systemische Psychotherapie« zu verwenden, statt einfach von systemischer Therapie zu sprechen. Die DGSF hat vor einigen Jahren zudem den Begriff »Systemische Therapie DGSF« und »Systemische/r Therapeut/in DGSF« als Marke eintragen lassen. Auch das schafft Schutz für diesen Begriff. Man kann nicht die Verwendung einer Marke einfach verbieten. Abgesehen davon ist die Frage, ob es nicht bessere Begriffe gäbe. Wilhelm Rotthaus schlägt beispielsweise »Beziehungstherapeut*in« vor. Bis in größerer Anzahl Menschen mit einer systemischen Approbationsausbildung auf dem Markt sind, haben viele, die jetzt in freien Praxen arbeiten, ein Alter erreicht, dass sie dann schon fast ans Aufhören denken. Was wird sich in Zukunft verändern? Trends

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Sehr aufpassen müssen wir allerdings auf die nicht heilkundliche Therapie im Rahmen der Jugendhilfe – sie ist im SGB VIII gesetzlich verankert. Die Jugendämter werden vielleicht aus Kostengründen versuchen, Klienten zum Psychotherapeuten zu schicken, der ja jetzt systemischer Familientherapeut sein könnte, um sich finanziell zu entlasten. Die Leistungen und Settings sind aber nicht vergleichbar. Glaubst du, dass der Beruf des Heilpraktikers abgeschafft wird? Die, die heute Heilpraktiker*innen sind, haben Bestandsschutz. Das Recht auf Berufsausübung ist verfassungsrechtlich geschützt. Man kann jemandem nicht von heute auf morgen die Existenzgrundlage und den Erwerb nehmen. Man kann höchstens zukünftig keine neuen mehr zulassen. Dass das passiert, kann ich mir schon vorstellen. Die Diskussion um die Abschaffung der Heilpraktiker gibt es schon seit Jahrzehnten. Ich denke aber, dass es keine ersatzlose Streichung werden würde, sondern dass man einen anderen Gesundheitsberuf »unterhalb« des Arztes bzw. Psychotherapeuten schaffen wird, mit dann klaren Zugangsvoraussetzungen; und dass es Regularien zur Qualitätssicherung geben wird. Man muss auch die Geschichte des »Kleinen Heilpraktikers« bedenken. Er wurde zu einer Zeit von Psychologen und anderen therapeutisch tätigen Akademikern benutzt, als es den Beruf des Psychotherapeuten qua Ausbildungsordnung noch gar nicht gab. Man brauchte etwas, weil es abgesehen von Ärzten keinen psychotherapeutischen Heilberuf gab. Welche Veränderungen siehst du für die Zukunft? Ich denke, dass man sich zukünftig früh entscheiden muss, ob man in den klinischen Bereich gehen will oder nicht. Früher konnte man doppelgleisig fahren und im Studium – so habe ich es gemacht – Arbeits- und Organisationspsychologie und klinische Psychologie als Schwerpunkt wählen. Wenn der Master Psychotherapie kommt, wird es nur circa 2.800 Plätze pro Jahr geben. Das ist eine deutliche Verknappung. Es wird aber vielleicht sechsmal so viele Leute geben, die einen solchen Studienplatz haben wollen. Die müssen sich also umorientieren. Ein Teil wird es im Ausland, an privaten Hochschulen oder über Wartesemester versuchen. Der Rest wird in verwandte Masterstudiengänge gehen, wie »Psychosoziale Beratung« oder »Counseling«. Ein Teil der systemischen Weiterbildungen wird sich so an die Unis verlagern. Die Leute wollen möglichst schon mit dem Master ein verwertbares Zertifikat haben. Ein anderer Teil wird nach dem Bachelor erstmal arbeiten. Sie finden vielleicht nicht den Weg zurück zur Uni, sondern gehen zu den Instituten. Attraktiv werden zukünftig Kombinationen wie beispielsweise die des HISAs, wo der Master für Wirtschaftspsychologie und gleichzeitig ein Coachingzerti168

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fikat erworben werden können, oder der Master für Soziale Arbeit und ein Beratungszertifikat. Generell gewinnen Studiengänge, die gleichzeitig Beratungs-, Coaching- oder Mediationskompetenzen und entsprechende Zertifikate vermitteln, an Gewicht. Aus meiner Sicht wären die Institute gut beraten, Kooperationen mit Hochschulen einzugehen. Die Verschränkung mit den Hochschulen wird zunehmen. Ich würde auf Kooperation setzen und mir Partner suchen. Das funktioniert besser als Abgrenzung.

7.4  Konkurrenz – Sie sind nicht allein »Eine Blume macht sich keine Gedanken, ob sie mit der Blume neben ihr mithalten kann. Sie blüht einfach.«

Was immer Sie auch tun und in die Welt bringen – Sie sind nicht der oder die Einzige. Es wird in jedem Fall (viele) andere geben, die ebenfalls als Coach, Trainerin, Therapeut und Supervisorin unterwegs sind. Muss Sie das interessieren? Können Sie sich nicht ganz auf sich selbst konzentrieren und diese anderen außen vor lassen? Eine Weile kann das eine sehr sinnvolle Strategie sein: Sie geben sich erst einmal den Raum, Eigenes zu entwickeln und zu erschaffen – ohne allzu sehr darauf zu achten, ob die Welt es haben will oder ob es schon etwas Ähnliches gibt. Damit bewahren Sie sich vor Bewertung und können ganz bei sich bleiben. Das kann Ihrer Idee sehr guttun, und Sie laufen nicht Gefahr, sich im Vergleich mit anderen selbst aus dem Blick zu verlieren. Irgendwann ist es sinnvoll wahrzunehmen, welche Konkurrenz es gibt. Warum? Sie können von den anderen lernen und sich inspirieren lassen. Schließlich beackern diese ein ähnliches Feld wie Sie, sprechen ähnliche Kund*innen an und bewegen sich auf ähnlichen Märkten. Was sie tun, kann sehr interessant für Sie sein. Gerade wenn sie erfolgreich sind. Es ist sinnvoll, die anderen einzuschätzen und zu verstehen, mit wem Sie es aufnehmen. Ihre Chancen auf dem Markt sind ja nicht nur davon abhängig, ob Sie ein tolles Angebot haben, sondern auch von der Frage, wie viele andere es mit einem ähnlichen Angebot gibt. Gibt es sehr viele? Wie unterscheiden Sie sich untereinander und von Ihrem Angebot? Wer ist besonders erfolgreich und warum? Wer spielt nur am Rande mit und warum? Konkurrenz – Sie sind nicht allein

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Wie Sie sich sinnvoll positionieren und platzieren, hängt auch davon ab, was die anderen tun. Nur durch die Beschäftigung mit dem Angebot der anderen können Sie erkennen, wo Sie originell sind, und wo das, was Sie anbieten, Standard ist oder gar nicht dem entspricht, was marktüblich ist. Sie bekommen damit vielleicht schmerzliche, vielleicht ermutigende, aber auf alle Fälle sinnvolle Einblicke in Ihre Position auf dem Markt. Der Blick auf die Konkurrenz kann Sie entlasten – zum Beispiel, wenn Sie feststellen, dass sehr viele Supervisor*innen nur nebenberuflich agieren und nur mit einem kleinen Teil Ihrer Arbeitszeit Aufträge annehmen können. Der Blick auf die Konkurrenz kann Sie ermutigen, höhere Honorare zu verlangen, weil Sie merken, dass Ihre zu niedrig angesetzt sind. Gleichzeitig kann der Blick auf die Konkurrenz Sie entmutigen, wenn Sie erst einmal denken: »Die sind alle viel besser, klüger, erfolgreicher, vernetzter und smarter als ich – da habe ich nie eine Chance.« Konkurrenz rührt an sehr tiefen inneren Themen in uns. Wenn wir Geschwister hatten, waren wir schon früh mit der Bedrohung konfrontiert, dass da noch jemand ist, der mit uns potenziell um familiäre Ressourcen – Liebe, Zuwendung, Materielles, Räume – konkurriert. Spätestens in Kindergarten und Schule mussten wir unseren Platz in einer Gruppe finden. Wir fanden uns in Wettbewerbssituationen, aus denen wir eher als Gewinner*in oder Verlierer*in hervorgingen. Wir wurden mit Aufgaben konfrontiert, aus denen wir das Selbstbewusstsein gezogen haben, dass uns schon gelingen wird, was wir anpacken – oder dass sie unüberwindbare Hürden darstellen. Dabei haben wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Wir haben Strategien entwickelt, uns Aufmerksamkeit zu sichern – oder haben resigniert aufgegeben und gelernt, dass es uns ohnehin nicht gelingt, Anerkennung zu bekommen. Wir konnten mithalten mit den »Coolen« oder gehörten eher zu den Außenseitern. Diese Erfahrungen haben sich tief in unser Selbstkonzept eingegraben und sind wirkmächtig, wenn wir uns daran machen, unsere Ideen zu formulieren. Automatisch steuern sie unsere inneren Bilder mit: Sehen wir uns als jemanden, der eine Chance hat, einen eigenen Platz zu finden? Macht es innerlich Sinn, in »Competition-Situationen« zu gehen, weil uns die Erfahrung trägt, dass wir Konkurrenzsituationen gewinnen können? Oder sehen wir uns im Zweifelsfall als »Loser« an, der Konkurrenz besser vermeiden sollte? Haben wir eine Idee davon, mit welchen Strategien wir uns Geltung verschaffen könnten? Wir haben damit innere Vorstellungen gebildet, als wie groß wir uns selbst im Vergleich mit anderen sehen – lange, bevor diese »Anderen« wirklich auf der Bildfläche erscheinen. Wie wir reale Konkurrent*innen wahrnehmen, ist maßgeblich durch Projektion unserer Innenwelten nach außen gesteuert. 170

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

Wie können Sie produktiv mit dem Thema Konkurrenz umgehen?

Manche Menschen arbeiten sich aufgrund früherer Erfahrungen sehr am Thema Konkurrenz ab. Das kann sich so erdrückend anfühlen, dass sie wie gelähmt werden. Sie haben gefühlt schon verloren, bevor sie gestartet sind. Um den Markt, die Bedürfnisse Ihrer Kund*innen und Ihren Platz im Gefüge zu verstehen, brauchen Sie einen realistischen Blick auf Ihre Konkurrent*innen. Es kann sein, dass Sie dazu Einschätzungen von außen brauchen, weil Sie die Bedeutung Ihrer Konkurrenz über- oder unterschätzen. Es gibt auch diejenigen, die so von sich überzeugt sind, dass sie übersehen, dass sie aus Per­ spektive möglicher Klient*innen erstmal gar nicht da sind. Für manche ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu wählen, an dem sie sich mit der Konkurrenz beschäftigen. Nämlich unter Umständen erst dann, wenn die eigenen Ideen Zeit und Raum hatten, sich zu entwickeln – und wie aus einem kleinen Pflänzchen zu einer so starken »Blume« herangewachsen sind, dass sie neben den Blumen der anderen stehen kann. Je mehr es Ihnen gelingt, zu sich und Ihren Ideen Ja zu sagen, je stärker Sie sich fühlen, desto besser sind Sie aufgestellt, um sich wirklich eingehend mit Ihren Konkurrenten (zumindest mit den interessanten) zu beschäftigen und von ihnen zu lernen. Manchmal hilft ein pragmatischer Blick: Wie viele Kund*innen brauchen Sie, um ausgelastet zu sein? Ihr Arbeitstag ist endlich. Es ist gut und wichtig, dass es viele Beraterinnen, Coaches und Supervisoren neben Ihnen gibt, denn Sie können nur eine ganz bestimmte Anzahl von Klient*innen bedienen. Die anderen brauchen andere Anbieter*innen. Es reicht also, wenn Sie für eine überschaubare Anzahl von Menschen der oder die genau Richtige sind. Sie dürfen sich von anderen unterscheiden. Es ist sogar gut, wenn Sie erkennbar sind. Versuchen Sie wie alle zu sein, gibt es für Klient*innen keinen Grund, genau Sie zu wählen. Das heißt, Sie müssen nicht jedem gefallen. Und Sie müssen nicht der oder die Beste sein, um wirtschaftlich zu überleben. Manchmal reicht es, dass Sie da sind, dass Sie jemand kennt, um Sie zu wählen. Insgesamt schenkt Ihnen das Thema Konkurrenz die spirituelle Einladung, sich Ihrer eigenen Kraft und Ihrer Fähigkeiten bewusst zu werden; genau herauszufinden, was wirklich besonders und toll an Ihnen ist; und dieses Besondere so zu formen, dass es sichtbar wird. Wenn Sie Ihren Platz noch nicht einnehmen können, ist das immer Ausdruck dessen, dass Sie vermutlich noch nicht genau verstanden haben, worin Ihre besten Fähigkeiten liegen und für wen diese wunderbar sind. Oder Sie können es noch nicht so kommunizieren, dass das auch erkennbar ist. In der Konkurrenz und den schwierigen Gefühlen, die sie auslöst, liegt daher eine große Einladung, in Stärke und Selbstliebe zu wachsen. Sie können Ihre Konkurrent*innen nicht kontrollieren – diese tun, was sie wollen. Der einzige Hebel, um wirksam zu werden, liegt bei Ihnen selbst. Je Konkurrenz – Sie sind nicht allein

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stärker und größer Sie werden, je mehr Sie in Ihrer Kraft sind und je mehr Sie das hervorbringen, was Sie der Welt zu geben haben, desto weniger wichtig ist, was die anderen tun. Wenn Sie sich aktiv Ihren Platz in der Welt erarbeiten, entsteht auch Raum für Sie.

7.5 Zahlen – wenn Sie Ihre Idee rechnen, bekommt sie ein Fundament »Die Mathematik allein befriedigt den Geist durch ihre außerordentliche Gewissheit.« Johannes Kepler

Ihre Idee zu rechnen, hilft Ihnen, Denkfehler zu vermeiden. Sie können durch Rechnen nicht herausfinden, wie groß die Resonanz sein wird. Aber Sie können im Vorfeld überprüfen, ob Ihre Idee wirtschaftlich funktionieren wird, wenn sie auf Resonanz stößt. Durch Rechnen bekommt Ihre Honorar- und Preisgestaltung ein solides Fundament. Die Zusammenhänge zwischen der Höhe Ihres Honorars auf der einen Seite, der Höhe Ihrer Betriebsausgaben, Steuerzahlungen und Sozialversicherungskosten und Ihren Lebenshaltungskosten auf der anderen Seite lassen sich sichtbar machen. Und damit bekommen Sie realistische Entscheidungsgrundlagen. Selten finden sich begeisterte Mathematiker*innen unter Systemiker*innen. Das müssen Sie aber auch nicht sein, um Lust an den Zahlen zu gewinnen, die Ihre Selbstständigkeit betreffen. Einfaches mathematisches Basiswissen reicht aus, wenn Sie sich einen Überblick über (mögliche) Einnahmen und Ausgaben verschaffen wollen. Ich weiß, dass der Anblick von Excel-Listen vielen ein Gräuel ist. Warum ist es dennoch lohnend, sich mit Zahlen und Tabellen zu beschäftigen? Ich vergleiche die Zahlen gerne mit einem Skelett – es ist von außen nicht sichtbar und spielt trotzdem eine tragende Rolle. Wenn wir verstehen wollen, wie der Aufbau eines Körpers beschaffen ist, ist es enorm hilfreich zu wissen, wie das Skelett gebaut ist. Ähnlich ist es bei der finanziellen Seite einer Idee. Investitionen planen: Wie viel müssen Sie für den Start einplanen?

Machen Sie eine Aufstellung, was Sie investieren müssen, um Ihre Idee auf den Weg zu bringen: Was brauchen Sie an Ausstattung? Was kostet Sie die Webseite? Müssen Sie laufende Ausgaben vorfinanzieren, weil Sie Büroräume anmieten 172

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

und es eine Weile dauert, bis Kund*innen kommen und Sie Einnahmen generieren? Listen Sie alles auf, was Sie benötigen, und recherchieren Sie, was Sie haben wollen. Dann kennen Sie auch die genauen Kosten Ihrer Anschaffungen. Unter Umständen können Sie auch in Varianten denken: Wie teuer käme Ihre Wunschlösung? Was würde die Basisversion kosten? Mit einem solchen Investitionsplan können Sie vorab abschätzen, wie viel Geld Sie brauchen, um zu starten – und ob es Ihnen das wert ist. Und Sie können überlegen, woher das benötigte Geld kommen könnte. Anna will einen eigenen Beratungsraum haben. Nach einigem Suchen findet sie einen Raum in einer Praxisgemeinschaft. Die Miete kann sie finanzieren, denkt sie. Sie überlegt, was sie braucht: Da sie schon nebenberuflich selbstständig war, hat sie bereits eine Webseite und Visitenkarten. Auch einen Laptop und ein betriebliches Handy stehen ihr zur Verfügung. In der Praxis gibt es auch eine kleine, eingerichtete Teeküche, einen Flur und ein Bad. Das ist praktisch, dafür muss sie nichts neu anschaffen. Sie braucht aber Dinge, um den Raum auszustatten: ein Sofa und einen Sessel; außerdem einen Teppich, Lampen, einen Schreibtisch samt Stuhl, Pflanzen und Bilder. Außerdem benötigt sie ein neues Praxisschild. Je nachdem, was sie sich gönnt, rechnet sie mit Investitionen in Höhe von circa 3.000 Euro. Das Geld hat sie – sie muss nur noch entscheiden, ob es ihr das wert ist.

Im Download-Bereich finden Sie eine Vorlage, die zeigt, wie ein Investitionsplan aussehen kann. Betriebsausgaben: Was müssen Sie an laufenden Kosten einplanen?

Überlegen Sie, welche laufenden Kosten Ihre Idee verursachen wird. An unserem Beispiel lässt sich das gut veranschaulichen: Anna muss monatlich von 600 Euro für die Miete ihres Beratungsraumes erwirtschaften; Nebenkosten, auch für den Internetzugang, sind darin enthalten, der Strom kommt hinzu. Sie hat ihr betriebliches Handy und zahlt für den Vertrag monatlich. Sie ist Mitglied in der SG und DGSF. Sie hat eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen, die sie jährlich bezahlt. Außerdem braucht sie Mittel, um ab und an eine Anzeige zu schalten oder neue Postkarten drucken zu lassen. Sie besucht regelmäßig Weiterbildungen und plant auch dafür ein Budget ein. Außerdem braucht sie immer mal wieder ein Fachbuch, Bürobedarf und Materialien für Seminare und die Beratung. Eine Position »Sonstige Kosten« ist als Puffer vorgesehen für alles, woran sie gerade noch nicht denkt – unter die fallen die neuen Tassen und was sonst noch so gebraucht wird. Zahlen – wenn Sie Ihre Idee rechnen, bekommt sie ein Fundament

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Ihre Auflistung ergibt folgende monatlichen Betriebsausgaben: Miete 600,00 Strom 80,00 Bürobedarf 20,00 Fachliteratur 30,00 Weiterbildung 100,00 Fahrt- und Reisekosten 50,00 Beiträge/Versicherung 40,00 Werbung 50,00 Kontoführung 30,00 Seminarmaterial 20,00 Telefon/Internet 60,00 Bewirtungskosten 30,00 Sonstiges 50,00 Rücklage für Neuanschaffungen 100,00 Gesamt 1.260,00 Anna rechnet sich aus, dass sie bei diesen Kosten 13 Stunden im Monat nur für die laufenden Betriebsausgaben arbeitet – wenn sie ein Stundenhonorar von 100 Euro ansetzt. Deswegen überlegt sie spontan, ob sie doch lieber weiterhin einen Raum zuhause nutzen soll. Dann würden die 680 Euro Miete und Strom wegfallen. Sie müsste nur 560 Euro monatlich reinholen, also nur circa sechs Stunden arbeiten, um die laufenden Kosten zu finanzieren. Aber sie will endlich weg von zu Hause, wo sie die Abgrenzung zu den Kindern schwierig findet. Außerdem kann sie den Raum vielleicht stundenweise untervermieten, sodass sie nur einen Teil der Miete tragen muss. Wenn sie den Raum zu den Zeiten weitervermietet, zu denen sie ohnehin nicht kann, könnte sie die Hälfte der Miete an Einnahmen hereinholen. Das wären 340 Euro. Ihre eigenen Kosten würden sich damit auf 920 Euro im Monat reduzieren.

Je nachdem, an welchem Punkt Sie sind, wird Ihnen diese Kostenaufstellung lächerlich klein vorkommen – wenn Sie es gewohnt sind, mit großen Zahlen zu operieren und zum Beispiel ein ganzes Institut managen – oder riesig groß, wenn Sie ganz am Anfang stehen und bisher eher versucht haben, alle Kosten überschaubar zu halten und deshalb vielleicht ohne eigenen Praxisraum ausgekommen sind. Hier geht es nicht um eine bestimmte Kostenhöhe, sondern darum, deutlich zu machen, wie Ihnen eine solche Kostenaufstellung Kontrolle über Ihre zukünftigen Kosten gibt. 174

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

Das hilft Ihnen, die Entscheidung zu treffen, welche finanziellen Konsequenzen Ihre Schritte haben: Können Sie sich vorstellen, diese Ausgaben reinzuholen? Ist es Ihnen das wert – sprich, finden Sie die Idee, in diesem Raum zu beraten, so schön, dass Sie sagen, dafür arbeite ich gerne ein paar Stunden länger pro Monat? Sie können Kosten ins Verhältnis zu erwarteten Einnahmen setzen und fühlen, ob Sie sie leicht reinholen werden oder ob Sie sich eine große Last aufbürden.

Praxistipp: Wie viel müssen Sie an Einnahmen erwirtschaften? Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie viel Sie insgesamt an Einnahmen brauchen, müssen Sie neben den Betriebsausgaben auch Ihre privaten Ausgaben kennen. Was benötigen Sie für Ihren Lebensunterhalt? Was kostet Sie Ihre soziale Absicherung (Kranken- und Pflegeversicherung, Rentenversicherung, ggfs. Arbeitslosenversicherung)? Wie viel Geld müssen Sie für Steuern einplanen? Die Höhe Ihrer Versicherungskosten ist abhängig von Ihrem Gewinn – genauso wie die Höhe Ihrer Einkommensteuer. Bei Letzterem spielen auch noch Ihr Familienstand und ggfs. das Einkommen Ihres Partners*Ihrer Partnerin eine Rolle. Ihren Lebensunterhalt können Sie auf verschiedene Weise erfassen: Ȥ Sie schauen, wie viel Sie bisher gebraucht haben, beispielsweise setzen Sie einfach Ihr bisheriges Nettogehalt an. Ȥ Sie machen sich die Mühe und erstellen eine Übersicht über sämtliche laufende Ausgaben. Was geht regelmäßig von Ihrem Konto ab? Wie viel heben Sie durchschnittlich bar ab? Was müssen Sie für Kartenzahlungen einrechnen? Machen Sie eine solche Aufstellung, können Sie relativ präzise sagen, wie viel Geld Sie in welchem Monat erwirtschaften müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Ȥ Wollen Sie es ganz genau wissen, können Sie eine Finanz-App nutzen, in der Sie sämtliche Ausgaben erfassen. So haben Sie den kompletten Überblick darüber, wofür Sie Geld ausgeben. Wie hoch müssen Ihre Einnahmen sein? Betriebsausgaben + Privater Lebensunterhalt + Versicherungen + Einkommensteuer = Mindesteinnahmen Zahlen – wenn Sie Ihre Idee rechnen, bekommt sie ein Fundament

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Schauen wir uns diese Rechnung am Beispiel von Anna an. Angesetzt wurde der halbe Regelbeitrag für die Rentenversicherung (305,97 Euro), der Beitrag für Selbstständige in der Arbeitslosenversicherung (78,96 Euro) und der Mindestbeitrag in der Krankenversicherung (421,39 Euro bei einem Gewinn von 2.309 Euro – jeweils Stand 2021). Monat Jahr Betriebsausgaben 1.260,00 15.120,00 + Privater Lebensunterhalt 1.500,00 18.000,00 + Versicherungen 806,00 9.675,84 + Einkommensteuer 170,00 2.040,00 = Mindesteinnahmen 3.736,00 44.835,00

»Mindesteinnahmen« heißt, dass Sie ausgerechnet haben, wie viel Sie bei diesen Betriebsausgaben und diesem privaten Lebensunterhalt mindestens einnehmen müssen, um alle notwendigen Ausgaben zu erwirtschaften. Wichtig: Die Zahlen, die Sie für Versicherungen und Einkommensteuer veranschlagen müssen, sind abhängig von der Höhe Ihres Gewinns  ▶ Kapitel  10. Wenn Ihr Gewinn steigt, müssen Sie auch für die Sozialabgaben mehr einrechnen. Umgekehrt müssen Sie erheblich niedrigere Versicherungsbeiträge zahlen, wenn Ihre Einnahmen noch geringer sind.

Praxistipp: Preise und Honorar berechnen Mit der Aufstellung Ihrer Mindesteinnahmen, haben Sie die Basis geschaffen, auszurechnen, wie hoch Ihr Honorar mindestens sein muss. Welches Honorar Sie nehmen sollten, ist abhängig davon, in welcher Zeit Sie alle Einnahmen erwirtschaften wollen oder müssen. Die Frage ist also: Welche Zeit steht Ihnen zur Verfügung, um Ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften? Dies lässt sich folgendermaßen errechnen. Nehmen Sie die 365 Tage des Jahres und ziehen Sie alle Tage ab, an denen Sie nicht arbeiten: 365 Tage ./. Urlaub 30 Tage ./. Feiertage 10 Tage ./. Krankheitstage 10 Tage ./. Wochenenden 104 Tage Arbeitstage 211 Tage 176

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

Hier wurden die gesetzlichen Feiertage in Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt, die durchschnittlichen Krankheitstage pro Arbeitnehmer*in in Deutschland und Urlaub habe ich Ihnen großzügig »gewährt«. Natürlich können Sie sich auch weniger oder mehr Urlaub zubilligen; in Ihrem Bundesland gibt es vielleicht weniger oder mehr Feiertage; aufgrund Ihrer persönlichen Umstände sind Sie vielleicht öfter krank, sodass Sie die Zahl der Krankentage hochsetzen möchten. Sie sind eingeladen, diese Aufstellung so zu gestalten, dass Sie möglichst Ihre tatsächlichen Lebensumstände abbildet. Ebenfalls steht es Ihnen frei, am Wochenende und an Feiertagen zu arbeiten. Allerdings sollten Sie Ihr Mindest-Honorar nicht so errechnen, dass Sie es nur mit einer Sechs- oder Siebentagewoche erwirtschaften können. Es bleiben in obigem Beispiel 211 Tage, an denen Sie Ihr gesamtes Jahreseinkommen verdienen. Diese Zeit können Sie jedoch nicht komplett Kund*innen in Rechnung stellen. Sie werden einen gewissen Teil Ihrer Arbeitszeit mit Arbeit zubringen, die Ihnen niemand bezahlt: Vor- und Nachbereitung von Beratungen und Seminaren, Lektüre von Fachliteratur, Intervision und Supervision, Weiterbildungen, Buchhaltung und Erstellung von Angeboten und Rechnungen, Auftragsverhandlungen, Beantwortung von Mails und Telefonaten, Planung neuer Angebote, Werbung, Netzwerken, Ihre Steuererklärung, Anleitung von Mitarbeitern, Besprechungen usw. Schätzungen haben ergeben, dass zwischen 40 und 60 Prozent der Arbeitszeit von Selbstständigen für das Managen Ihrer Selbstständigkeit notwendig ist. Je nachdem, wie effektiv Sie organisiert sind, ob Sie etwas Neues tun oder etwas lange Vertrautes, werden diese Zahlen variieren. Insgesamt können Sie davon ausgehen, dass Sie viel Zeit auch mit solchen Tätigkeiten zubringen. An dieser Stelle wollen wir davon ausgehen, dass Anna 60 % ihrer Arbeitszeit mit Tätigkeiten verbringt, für die sie Rechnungen schreiben kann. Anna arbeitet nicht voll, weil ihre Kinder noch klein sind. Ihre Arbeitszeit umfasst sechs Stunden täglich. Bei 211 Arbeitstagen hat sie also 1.266 Arbeitsstunden pro Jahr zur Verfügung. 40 % davon, also 506 Stunden, braucht sie nun für alle »Managementaufgaben«. Es bleiben maximal 760 Stunden, die sie potenziell Kunden in Rechnung stellen kann. Wie hoch muss ihr Honorar sein, um ihre sämtlichen Ausgaben zu decken – voraus­gesetzt, sie kann tatsächlich alle diese Arbeitsstunden auch verkaufen? Um dies zu beantworten, müssen wir ihre Ausgaben (44.835,00 Euro) durch die Zahl aller Arbeitsstunden (760 Stunden) teilen. Wir erhalten die Zahl von 58,99 Euro pro Stunde. Anna muss also mindestens 58,99 Euro pro Stunde verlangen, wenn sie ihre Kosten decken will. Bleibt sie mit ihrem Honorar unter diesem Satz, macht sie Verluste. Zahlen – wenn Sie Ihre Idee rechnen, bekommt sie ein Fundament

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Das bedeutet keineswegs, dass Anna nun 59 Euro als Honorar ansetzen sollte. Gut ist es, einen Puffer einzubauen und marktübliche Preise zu nehmen. Ausgerechnet hat sie ihr Mindesthonorar, das sie keinesfalls unterschreiten sollte.  ▶ Kapitel 10.5

Praxistipp: Ist Ihre Idee rentabel? Wie finden Sie heraus, ob Ihre Idee sich lohnt? Was müssen Sie rechnen, um festzustellen, dass es finanziell Sinn macht, bestimmte geschäftliche Schritte zu gehen? Mit dem, was Sie oben ausgerechnet haben, haben Sie schon fast alles, was Sie zur Beantwortung dieser Fragen wissen müssen. Sie müssen nur noch die verschiedenen Teile zusammenfügen. Sie haben bereits zusammengestellt, wie hoch Ihre Einnahmen mindestens sein müssen, wenn Sie Betriebsausgaben und Lebensunterhalt so planen: Betriebsausgaben + Privater Lebensunterhalt + Versicherungen + Einkommensteuer ___________________________ = Mindesteinnahmen Sie wissen nun, welche Einnahmen Sie brauchen und können überlegen, ob Sie es für realistisch halten, diese zu erzielen. Sie können die notwendigen Einnahmen den Aufträgen gegenüberstellen, die Sie in der Vergangenheit schon übernommen haben, und ausrechnen, wie hoch die Differenz ist. Sie können ermitteln, wie viele Aufträge Sie reinholen müssten. Vielleicht haben Sie Unterstützung in der ersten Zeit – durch Fördermittel der Arbeitsagentur, durch ein Gründerstipendium, durch familiären Rückhalt oder durch Ersparnisse. Dann reduziert sich in dieser Zeit das, was Sie verdienen müssen. Schließlich braucht fast jede gute Idee eine gewisse Anlaufzeit. Sie können so für sich herausfinden, ob Sie es für möglich halten, mit der Zeit, die Sie zur Verfügung haben, und den Ressourcen, die Sie haben, diese Einnahmen zu erzielen – und so für sich abschätzen, wie realistisch dieser Weg für Sie ist. Wenn es Ihnen unmöglich erscheint, die ausgerechneten Einnahmen zu erzielen, können Sie in einem zweiten Schritt überlegen, ob Sie die Sache anders angehen können. Können Sie irgendwo an den Kosten sparen? Können Sie noch andere Dinge anbieten, die Ihnen die Einnahmen verschaffen, die Sie brauchen? 178

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

Wie sieht das bei Anna aus? Sie hat ausgerechnet, dass sie Mindesteinnahmen von 3.736,00 Euro monatlich bzw. 44.835,00 Euro jährlich braucht. Es ist gut, denkt sie, dass sie vorher nebenberuflich schon einen Klient*innenstamm aufgebaut hat. Im letzten Jahr hatte sie 20.000 Euro Umsatz, und sie geht davon aus, dass sie die auf alle Fälle wieder reinholen kann. Sie hat einige größere Aufträge an der Uni und bei Weiterbildungsträgern, bei denen auf einmal größere Summen reinkommen. Wenn sie jetzt viel tut, um sich bekannt zu machen, erhofft Sie sich auch mehr neue Einzelkund*innen. Der Start in die hauptberufliche Selbstständigkeit wird hoffentlich durch den Gründungszuschuss der Arbeitsagentur abgepuffert – sie denkt, dass dieser circa 1.500 Euro monatlich betragen wird; das sind 6 × 1.500 Euro = 9.000 Euro, die zusätzlich reinkommen. 29.000 Euro der notwendigen 44.835,00 Euro kriegt sie also vermutlich zusammen. Es bleibt eine Lücke von 15.835,00 Euro. Im schlimmsten Fall kann sie diese durch Rücklagen auffangen. Das erste Jahr hauptberufliche Selbstständigkeit kann sie also überstehen. Achtung: Den Gründungszuschuss bekommt Anna nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen, nämlich, wenn sie aus der Arbeitslosigkeit startet und ihre bisherige nebenberufliche in eine hauptberufliche Gründung umwandelt. In Kapitel 10 werden die Voraussetzungen für den Gründungszuschuss genau erläutert.

Das obige Beispiel soll Ihnen die Logik der Berechnungen verdeutlichen. Es geht darum, dass Sie so realistisch wie möglich Ihre Situation in Zahlen abbilden. Im Download-Bereich finden Sie Excel-Tabellen als Vorlage für eine Rentabilitätsrechnung und einen Kapitalbedarfsplan für die Honorarkalkulation. Sie finden das Rechnen schwierig? Steuerberater*innen, Gründungs- und Unternehmensberater*innen können Sie bei der Zusammenstellung der Zahlen unterstützen.

7.6  Starthilfe – wie können Sie Ihr Vorhaben finanzieren? »Der Mann mit einer neuen Idee ist ein Spinner, bis die Idee sich als erfolgreich erweist.« Mark Twain

Was machen Sie, wenn Sie eine tolle Idee haben, aber nicht das Startkapital für die notwendigen Investitionen und die Finanzierung der Anlaufphase? Die meisten Finanzierungsmöglichkeiten sind auf Darlehensbasis. Einige wenige Möglichkeiten gibt es, Zuschüsse zu erhalten, die Sie nicht zurückzahlen müssen. Starthilfe – wie können Sie Ihr Vorhaben finanzieren?

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Gründungszuschuss für ALG-Bezieher*innen

Die Arbeitsagentur kann Gründungen von ALG I-Bezieher*innen durch den Gründungszuschuss fördern. Voraussetzung ist, dass Sie aus der Arbeitslosigkeit gründen, Leistungen beziehen und zum Zeitpunkt der Antragstellung noch mindestens 150 Tage Anspruch auf ALG I haben. Es gilt der sogenannte Vermittlungsvorrang, das heißt, die Vermittlung in abhängige Beschäftigung hat Vorrang vor der Förderung einer Selbständigkeit. Wenn die Arbeitsagentur Sie aufgrund Ihrer beruflichen Qualifikationen und persönlichen Lebensumstände für gut vermittelbar hält, wird man Ihnen frühzeitig signalisieren, dass eine Gründungsförderung nicht in Frage kommt. Bekommen Sie ein positives Signal Ihrer Vermittlungsperson, müssen Sie für den Antrag auf Gründungszuschuss einiges vorbereiten. Sie benötigen ein ausführliches Unternehmenskonzept, einen Kapitalbedarfsplan sowie eine Rentabilitätsrechnung. Diese Unterlagen müssen Sie zunächst einer Institution wie der Wirtschaftsförderung oder anderen zugelassenen Berater*innen vorlegen, die Ihnen in Form einer »fachkundigen Stellungnahme« bescheinigen, dass Sie den Kapitalbedarf sowie die Gewinnchancen Ihrer Gründung realistisch einschätzen und dass Ihr Gründungsvorhaben Aussicht auf Erfolg hat. Sie müssen Ihr Unternehmen für den mit der Agentur vereinbarten Zeitpunkt anmelden – beim Ordnungsamt (Gewerbe) oder dem Finanzamt (Freiberufler*innen) und eine Bescheinigung vorlegen können, dass Sie eine Steuernummer erhalten haben. Antrag, Businessplan, Kapitalbedarfsplan, Zeugnisse über Qualifikationen sowie Arbeitszeugnisse, die fachkundige Stellungnahme und die Bescheinigung über die Steuernummer müssen dann zusammen bei der Agentur abgegeben werden. Ihre Belohnung? Sie erhalten bei Bewilligung 6 Monate den Gründungszuschuss, der so hoch ist wie Ihr bisheriges Arbeitslosengeld plus 300 Euro Zuschuss zu den Sozialversicherungskosten. Ab dem Gründungsdatum gelten Sie nicht mehr als arbeitslos, sondern als selbständig, Sie müssen ab diesem Zeitpunkt also auch selbst Krankenversicherungs- und ggfs. Rentenversicherungsbeiträge zahlen. Sie müssen der Arbeitsagentur gegenüber keine Rechenschaft mehr über Ihr Tun ablegen und Sie dürfen neben dem Gründungszuschuss so viel verdienen, wie Sie wollen. Anders als beim ALG wird der Gewinn nicht angerechnet. Zudem haben Sie die Chance, im Rahmen einer zweiten Förderphase 9 Monate lang 300 Euro zu bekommen. Dazu müssen Sie zum Ende der ersten Förderphase einen neuen – formlosen – Antrag stellen, in dem Sie Ihre Aktivitäten seit der Gründung beschreiben, um Ihr Unternehmen aufzubauen, Aufträge auflisten sowie beschreiben, was Sie zukünftig planen, um Ihr Unternehmen weiter am Markt zu platzieren. Außerdem müssen Sie Einnahmen und Ausgaben seit der Gründung monatlich gegenüberstellen. Ihr Gewinn darf weder zu niedrig sein – 180

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

dann heißt es, es mache keinen Sinn, Ihre Gründung weiter zu fördern – noch zu hoch, denn dann brauchen Sie aus Sicht der Agentur keine weitere Förderung. Einstiegsgeld und Investitionskostenzuschuss für ALG II-Bezieher*innen

ALG II-Bezieher*innen können sich während des Bezugs selbständig machen, vorausgesetzt das Jobcenter stimmt ihrer Gründung zu. Gefördert werden können sie mit dem Einstiegsgeld (SGB II § 16b), das bis zu 24 Monate gewährt werden kann – in der Praxis aber häufig zunächst nur für 6 Monate bewilligt wird. Es handelt sich dabei um eine Ermessensleistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Das Einstiegsgeld wird nicht auf die sonstigen Leistungen angerechnet und dient der Finanzierung zusätzlicher laufender Kosten, die die Gründung verursacht (beispielsweise Kosten für Praxisräume). Das Jobcenter wird die Angemessenheit dieser Ausgaben jedoch genau prüfen. Für den Start in die Selbständigkeit kann das Jobcenter einen Investitionskostenzuschuss von maximal 5.000 Euro zur Finanzierung von Investitionen gewähren – zum Beispiel eine notwendige EDV-Ausstattung oder eine Webseite. Örtlich schränken die Jobcenter die Höhe dieses Zuschusses ein – in Münster werden beispielsweise jetzt maximal 3.000 Euro gewährt. Voraussetzung für die Bewilligung ist, dass der Hilfebedarf nachgewiesen wird – in der Regel in Form einer Investitionskostenliste. Zudem sind auch hier normalerweise ein Businessplan und eine Rentabilitätsrechnung notwendig, denn Sie müssen nachweisen, dass Ihre Gründung geeignet ist, den Hilfebedarf in angemessener Zeit zu beenden. Einstiegsgeld und Investitionskostenzuschuss müssen bei ordnungsgemäßer Verwendung nicht zurückgezahlt werden. Achtung: Sie dürfen während des Bezugs von ALG II 100 Euro hinzuverdienen, ohne dass Sie Abzüge vom ALG II befürchten müssen. Wenn Ihr Gewinn höher ist, dürfen Sie vom übersteigenden Betrag 20 % behalten. Der Rest wird Ihnen von Ihrem ALG II-Anspruch abgezogen. Sie müssen jeweils für 6 Monate eine Prognose über Ihren zukünftigen Gewinn abgeben, anhand dessen dann die Höhe Ihres ALG II-Anspruches berechnet wird. Nach 6 Monaten müssen Sie wiederum einen »Einkommensschätzungsbogen« (EKS) abgeben, in den Sie dann die Ist-Zahlen eintragen. Nun wird korrigiert, ob Sie zu viel oder zu wenig ALG II bezogen haben. Bundes- und länderspezifische Förderungen

In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Förderprogramme, die Gründungen direkt durch Zuschüsse oder indirekt durch die Förderung von Gründungsberatung unterstützen. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, sie hier alle aufzuzählen. Einen aktuellen Überblick finden Sie in der Förderdatenbank www.foerderdatenbank.de unter dem Stichwort »Förderprogramme«. Starthilfe – wie können Sie Ihr Vorhaben finanzieren?

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Darlehen

In der Förderdatenbank www.foerderdatenbank.de finden Sie auch sämtliche Darlehensprogramme für Gründungen. Auch auf den Seiten der IHKs gibt es in der Regel Infos zu Darlehen. Darlehensgeber möchten von Ihnen ebenfalls einen Businessplan, einen Kapitalbedarfsplan und eine Rentabilitätsrechnung. Mitunter müssen umfangreiche Anträge (zum Beispiel beim Mikrodarlehen) und zusätzliche Papiere abgegeben werden. Ihr Vorteil sind Haftungsfreistellungen und zusätzliche Sicherheiten, ggfs. auch niedrigere Zinsen als bei einer normalen Bank. Private Geldgeber*innen

Viele Menschen erhalten Darlehen aus ihrem persönlichen Umfeld, um eine Idee zu realisieren. Es ist gar nicht abwegig, wenn Sie Ihre Idee als gute Geldanlage für Freunde, Familie und Bekannte behandeln. In einer Zeit der Niedrigzinspolitik kann Geld in der Regel kaum lukrativ angelegt werden. Auch im privaten Bereich ist es sinnvoll, genau darzulegen, wofür Sie das Geld haben wollen und durch einen Vertrag die Rahmenbedingungen klar zu regeln. Dann kann der Privatkredit eine wunderbare Möglichkeit sein, eine Win-win-Situation zu schaffen. Ihr persönliches Umfeld freut sich vermutlich, Sie zu unterstützen – und je nachdem, welche Konditionen Sie vereinbaren, sind Sie noch dazu eine gute Geldanlage. Sie bekommen unkompliziert Geld und sind vielleicht in ein weniger enges Korsett geschnürt, als wenn Sie Banken oder öffentliche Fördergeber in Anspruch nehmen. Crowdfunding

Immer beliebter ist eine weitere Finanzierungsmöglichkeit geworden: das Crowd­ funding. Dabei laden Sie andere Menschen ein, sich an der Finanzierung Ihrer Idee zu beteiligen. Das ist mit erheblichem Aufwand verbunden, denn Sie müssen auf einer Crowdfunding-Plattform eine Kampagne starten, bei der Sie Ihre Idee so spannend und einladend vorstellen, dass Menschen geneigt sind, sich daran finanziell zu beteiligen. In der Regel versprechen Sie im Rahmen der Kampagne Geldgeber*innen je nach Höhe des Investments Geschenke oder Preise. Je nachdem, wie hoch der gespendete Geldbetrag war, können Sie Bücher oder DVDs (vielleicht sogar mit eigenen Vorträgen und Texten), die Teilnahme an einem Seminar oder Webinar, eine Coaching-Einheit oder ein Coaching-Paket als Geschenke ausloben. Sie geben eine bestimmte Summe an, die Sie mit Ihrer Kampagne erzielen wollen – ausgezahlt wird nur, wenn diese auch erreicht wird. Der Vorteil: Sie sind zu einem frühen Planungszeitpunkt gezwungen, Ihre Idee so klar zu formulieren und zu promoten, dass Sie sie gut nach außen darstellen können. Eine Crowdfunding-Kampagne kann ein wichtiger Teil Ihres Marketings sein. 182

Geld verdienen: Gibt es einen Markt für Ihre Ideen?

Wenn Sie sich für diese Art der Finanzierung interessieren, sollten Sie sich zunächst einige Crowdfunding-Plattformen näher anschauen. Unter www.crowd­ funding.de finden Sie eine Übersicht solcher Plattformen.

Starthilfe – wie können Sie Ihr Vorhaben finanzieren?

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 Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen! »Marketing muss so anziehend sein, dass die Leute Sie in ihrem Leben haben wollen.« Jim Stengel

Damit Ihre wunderbaren Ideen die Reaktionen ernten, die sie verdient haben, müssen sie so verpackt sein, dass andere sehen, was an ihnen wunderbar ist. Ein Duplo in Packpapier käme wahrscheinlich bei kaum jemandem gut an. Und ein Ferrero Rocher, in Zeitungspapier gewickelt, verlöre viel von seinem Zauber. Marketing bedeutet, Ihre Ideen in Goldfolie zu wickeln, sie zum Leuchten und Strahlen zu bringen, damit ihr Zauber für andere sichtbar wird. Das ist ein komplexer Prozess. Erst einmal müssen Sie nämlich selbst verstehen, was an Ihrer Idee für andere wertvoll ist – und dazu die Perspektive Ihrer Kund*innen einnehmen. Und dann müssen Sie Mittel und Wege finden, diesen Wert zu kommunizieren. Menschen aus Wissens- und Sozialberufen laufen leicht Gefahr, zu glauben, ein guter Inhalt sei selbsterklärend. Eine Studie im »British Medical Journal« zeigt, dass kein Bereich ohne gute »Verpackung« auskommt. Das eine ist nämlich, gut zu sein – das andere, entsprechend anerkannt zu werden. Die Studie stellte fest, dass männliche Wissenschaftler erheblich häufiger von Fachkollegen zitiert wurden und ihre Forschungsergebnisse mehr Aufmerksamkeit erhielten. Wer sich im Wissenschaftsbetrieb auskennt, weiß, dass die Frage, wer wen zitiert von enormer Bedeutung ist, sozusagen das A und O des Veröffentlichens. Warum? Nicht etwa, weil die Forschungsresultate der Frauen weniger inte­ ressant gewesen wären. Wissenschaftlerinnen präsentierten ihre Ergebnisse aber »deutlich bescheidener als Männer. Sie verwenden sehr viel seltener positive Begriffe […] Und da haben Frauen offenbar Nachholbedarf. Männliche Forscher präsentieren ihre Ergebnisse viel häufiger mit positiven Begriffen wie ›neu‹, ›vielversprechend‹ oder ›einzigartig‹ als Forscherinnen. Wissenschaftler machen also gewissermaßen eine auffallende Schleife um ihr Produkt. Bei den Frauen dagegen fehlt die Schleife, oder sie ist sehr viel kleiner. Entsprechend geringer ist dann auch die Aufmerksamkeit für den Inhalt« (Till, 2019). Zu einem beträchtlichen Teil finden Entscheidungsprozesse unterbewusst statt – wir sind mitnichten rationale Wesen. Es ist ausgesprochen spannend, die kleinen Impulse zu reflektieren, die in Wahrheit dazu führen, dass jemand zu Ihrem Angebot Ja oder Nein sagt. 184

Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen!

8.1 Kund*innen gewinnen – verstehen, was sich Menschen wirklich wünschen »Man kann einen Menschen nur überzeugen, wenn man ihn liebt.« Martin Buber

Wie machen Sie Menschen auf sich aufmerksam? Was sind Ihre Möglichkeiten, andere gezielt so über Ihr Angebot zu informieren, dass diese zu Kund*innen werden? Ihr Marketing bewusst zu gestalten bedeutet, nicht dem Zufall zu überlassen, was Sie nach außen senden. Sondern bewusst wahrzunehmen und darzustellen, welches Bild Sie von sich und Ihrem Angebot erschaffen. Das bedeutet nicht, alles künstlich zu kontrollieren oder zu verändern. Es geht darum, sich der eigenen Wirkungen bewusst zu werden und Ihr Marketing dementsprechend zu wählen. Vergegenwärtigen Sie sich, welches »Risiko« Ihre Kund*innen eingehen, wenn sie sich Ihnen anvertrauen. In der Regel werden sie mit Ihnen Themen und Anliegen bearbeiten, die wichtig und persönlich sind. Für Ihre Kund*innen ist es also bedeutsam, bereits im Vorfeld abschätzen zu können, ob sie bei Ihnen gut aufgehoben sein werden. Viele Menschen schätzen es, wenn sie zunächst aus der Distanz Informationen über einen Anbieter bekommen und nach und nach Vertrauen aufbauen können: zum Beispiel über einen Newsletter, eine gut gemachte Webseite oder eine Veranstaltung. Zum Telefonhörer zu greifen und sich persönlich nach einem Angebot zu erkundigen, kostet Mut – zumal, wenn man noch nicht sicher ist, ob man es wirklich in Anspruch nehmen möchte. Viele befürchten, in eine Situation zu kommen, in der sie etwas wählen, was sie am Ende doch nicht haben wollen – einfach, weil es ihnen schwerfällt, einen Rückzieher zu machen und wieder Nein zu sagen. Sie helfen Ihren potenziellen Kund*innen also, wenn Sie Möglichkeiten der vorsichtigen Annäherung schaffen. Bekannt werden

Sollen Menschen bei Ihnen Beratung, Coaching, Therapie, Organisationsbera­ tung oder Einzelsupervision buchen, müssen Sie vielen bekannt sein. Ihr Ziel ist es also, in einem gegebenen Markt – Ihrer Stadt, Ihrer Region oder bundesweit für ein bestimmtes Thema bekannt zu werden. Sie möchten, dass den Menschen Ihr Name einfällt, wenn sie auf der Suche nach guter Begleitung sind. Das bedeutet auch: Viele müssen Sie kennen, damit einige Sie buchen.

Kund*innen gewinnen – verstehen, was sich Menschen wirklich wünschen

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Gezielt Kontakt aufnehmen

Anders ist es, wenn Sie Lehrveranstaltungen oder große Fortbildungen verkaufen. Dann ist es eher sinnvoll, sich direkt an Anbieter zu wenden, als Energie in die Steigerung Ihrer allgemeinen Bekanntheit zu investieren. Ist Ihr Angebot stimmig?

Für Kund*innen sind nicht nur Ihre Person und die einzelnen Bestandteile Ihres Angebots wichtig, sondern auch, ob sich die verschiedenen Aspekte zu einem kongruenten Bild zusammenfügen. Im besten Fall entsteht ein stimmiges Gesamtbild: sympathisch, professionell, einladend, interessant, informativ, aber nicht überladen. Genauso wenig wie Sie im Alltag ständig darüber nachdenken, was Sie nach außen senden, denken Ihre Kund*innen ständig darüber nach, was sie wahrnehmen und wie sie das bewerten. Vieles an diesen Wahrnehmungsprozessen bleibt unbewusst. Es entsteht mehr ein Eindruck, der zu einem Ja oder Nein wird. Nutzer*innen von Webseiten bilden sich ihr Urteil in wenigen Sekunden. Entsprechend schnell sind sie auch wieder weg. Wenn man sie fragt, könnten sie vermutlich einzelne Aspekte benennen, warum sie die Seite als nicht passend einstufen. Vieles, was zu ihrer Entscheidung beiträgt, können sie aber erst benennen, wenn sie sich gründlich mit einer Webseite beschäftigt haben. Was sie aber nicht tun, wenn ihnen diese nicht gefällt. Sie klicken einfach weiter. Dissonanzen werden wahrgenommen und sorgen für Irritationen. Ein eigentlich hochprofessioneller Auftritt – und allzu privat und wie Schnappschüsse wirkende Fotos … Eine lange Vita mit Ehrungen und Auszeichnungen – und eine lieblos gemachte Webseite … Solche Inkongruenzen werfen Fragen auf. Das eigentlich positive Bild bekommt Risse. Wenn wir uns ein Bild von einem Menschen und seinen Werten machen, fallen uns zuallererst Unstimmigkeiten auf. Ein Beispiel: Wenn Sie das erste Mal einen Freund besuchen, der immer korrekt und ordentlich gekleidet ist und fast pedantisch wirkt, und sich bei ihm zuhause ein gemütliches Chaos ausbreitet, werden Sie überrascht sein. Ansonsten komplettieren Sie einfach nur automatisch Ihr Bild, und Ihr Blick bleibt allenfalls an Einzelheiten hängen: Was für ein schöner Esstisch … Von der Professionalität der Grafik wird auf Ihre Professionalität geschlossen

Großes Gewicht hat die grafische Gestaltung von Webseite und Werbemitteln. Wir schließen eins zu eins von der Professionalität der grafischen Gestaltung auf die Professionalität der Person. Es ist wie bei einer persönlichen Präsenta186

Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen!

tion, wo der Inhalt eines Vortrags hinter dem körpersprachlichen Gesamteindruck verschwindet. Wie jemand spricht, wie die Person steht und sich bewegt, wie sie schaut, wie sie angezogen ist – wenn das nicht zu dem passt, was gesagt wird, werden Sie dem Vortrag kaum folgen können. Es entsteht ein Eindruck von Diskrepanz, der Sie irritiert, und an dem Sie hängen bleiben. Nicht anders geht es Menschen mit schlecht gemachten Webseiten. Wir haben Sehgewohnheiten entwickelt, die es uns erlauben, in Bruchteilen von Sekunden auch die »Modernität« einer Webseite zu beurteilen. So wie wir unbewusst sofort eine Altersschätzung vornehmen, wenn Sie die Vornamen Hans und Grete oder Birgit, Ben, Julian und Emma hören, so schließen wir von der Art der grafischen Gestaltung auf das »Alter« der Webseite. Das muss Ihnen gar nicht bewusst werden. Dennoch prägt diese Einschätzung Ihren Eindruck von der Modernität und Professionalität des Angebots. Die beste Werbung wird als solche gar nicht wahrgenommen

Im besten Fall werden Ihre Marketingaktivitäten vom Zielpublikum gar nicht als solche wahrgenommen. Wir alle haben einen Reflex entwickelt, uns gegen Werbung zu wehren. Wir werden im Alltag so sehr damit bombardiert, dass wir Wahrnehmungsfilter entwickelt haben, um sie auszublenden. Wenn wir aber etwas Bestimmtes suchen, kann das, was wir sonst für überflüssige Werbung halten, auf einmal zur erwünschten Information werden, etwa wenn werdende Eltern mit Interesse den Katalog für Kindermöbel studieren. Idealerweise geben Sie potenziellen Kund*innen unaufdringliche, aber präsente, wertvolle Informationen, die so schön verpackt sind, dass die Qualitäten Ihres Angebots sichtbar werden und attraktiv beschrieben sind. Es geht nicht darum, sich medial zu verbiegen und etwas vorzugaukeln, was man nicht ist. Im Gegenteil – Authentizität ist vielleicht das Wichtigste bei systemischen Angeboten, auch im Marketing. Es geht darum, dass Sie sich erkennbar machen. Kund*innen suchen zwischen den Zeilen einer Webseite, auf Fotos und in der Grafik Anzeichen für das, was Ihnen wichtig ist. Sie versuchen ein Gespür für Sie als Person zu entwickeln. Das können Sie ihnen leichter machen, indem Sie zeigen, wer Sie sind. Indem Sie ein Marketing kreieren, das Ihnen auf den Leib geschneidert ist und zu Ihnen als Persönlichkeit passt, machen Sie deutlich, wer Sie sind. Und Ihre Kund*innen dechiffrieren das.

Kund*innen gewinnen – verstehen, was sich Menschen wirklich wünschen

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8.2 Positionierungen – die Kunst, den eigenen Platz zu finden »Was du denkst, bist du. Was du bist, strahlst du aus. Was du ausstrahlst, ziehst du an.« Buddha

Um die Frage zu beantworten, wie Sie sich am besten auf dem Markt positionieren, bedarf es einer Menge Vorüberlegungen. Sie gleicht einem Mobile, bei dem verschiedene Faktoren eng miteinander verbunden sind: Ȥ Am Anfang stehen Ihre Lust und Leidenschaft, das, was Sie am besten können und am liebsten in die Welt bringen wollen (siehe Kapitel 3). Ȥ Auf der anderen Seite sind Ihre potenziellen Kund*innen. Sie gilt es zu verstehen und kennenzulernen. Es braucht eine Passung zwischen Ihrem Angebot und den Bedürfnissen und Wünschen Ihrer Kund*innen (siehe Kapitel 5). Ȥ Märkte prägen einerseits Ihr Angebot und andererseits die Erwartungen Ihrer Kund*innen; es gibt vertraute Rahmungen und Spielregeln, die Sie beherzigen können oder bewusst brechen wollen – beides kann opportun sein, um sich gut zu platzieren (siehe Kapitel 7). Ȥ Und natürlich sind Sie nicht allein – Ihre Konkurrent*innen bewegen sich auf den gleichen Märkten wie Sie und wenden sich an die gleichen Kund*innen. Was wollen Sie ähnlich machen wie Ihre Konkurrenz, was ganz anders (siehe Kapitel 7.4)? Sich zu positionieren, heißt, Entscheidungen zu treffen: Wie richten Sie sich aus? Wen nehmen Sie in den Blick? Was ist für Ihre Kund*innen gerade relevant? Welche Themen werden als wichtig und drängend wahrgenommen? Was sind neue und vertraute Antworten, die Wert auf den Märkten haben? Welche Botschaft möchten Sie senden? Was könnte Ihre Kund*innen erreichen? Ihr Marketing zu konzipieren, bedeutet, all diese Faktoren in Ihre Überlegungen einzubeziehen. Nehmen wir als Beispiel Ihre Webseite: Ȥ Welche Farben, welche Art der grafischen Gestaltung, welche Bilder gefallen Ihnen gut? Es wäre absurd, eine Webseite aufzubauen, die Sie gar nicht mögen und die Ihre Vorlieben und Werte nicht repräsentiert. Ȥ Gleichzeitig macht es wenig Sinn, wenn das Ergebnis nur Ihnen gefällt. Es soll den Nerv Ihrer Kund*innen treffen. Die Seite sollte in puncto Professionalität den aktuellen technischen und grafischen Standards entsprechen, sonst ordnen sie sich gleich als semi- oder unprofessionell ein – das hat einen negativen Einfluss auf den Zulauf zu Ihrem Angebot. Die Seite sollte 188

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im Wording und in der Gestaltung das zum Thema machen, was die Menschen, die Sie ansprechen wollen, bewegt. Ȥ Gleichzeitig ist es ratsam, sich mit den Webseiten anderer Anbieter*innen zu beschäftigen. Sie lernen dabei, den Markt, den Sie bespielen wollen – und Ihre Mitbewerber*innen – einzuschätzen. Das, was Sie sehen, sehen auch Ihre zukünftigen Kund*innen. Unter diesen anderen wollen Sie bestehen. Der Markt wird an dieser Stelle plastisch. Sie stehen – wie auf einem Wochenmarkt – in einer Reihe mit anderen potenziellen Anbieter*innen und werden verglichen. Diesen Vergleich sollten Sie also am besten selbst vornehmen und in Ihre Planungen miteinbeziehen. All diese Überlegungen zusammengenommen, ergeben dann Ihre Positionierung  ▶ Kapitel  5.4: Sie entscheiden sich für bestimmte Angebote, bestimmte Themen, einen Auftritt nach außen, der mit Farbwahl, Logo usw. Signale setzt und Sie im Wettbewerb verortet. Systemisch oder nicht-systemisch?

Macht es Sinn, sich als Systemiker*in zu positionieren, also zum Beispiel als »Systemische Praxis« oder »Praxis für systemische Organisationsberatung« zu firmieren? Das kommt darauf an. Die Frage ist, auf welchen Märkten Sie unterwegs sein und welche Kund*Innen Sie ansprechen wollen. Können diese mit dem Wort »systemisch« etwas anfangen? Hat das Wort zumindest einen vertrauenerweckenden, positiven Klang in den Ohren Ihrer Zielgruppe? Was gilt bei dieser Zielgruppe als Indikator für Qualität? Ist es das Wort »systemisch«? Super, dann sollten Sie es zum Teil Ihres Namens machen. Unter Umständen aber erzeugt das Wort eher Fremdheit und Irritation als den erhofften Werbeeffekt. Vermutlich macht Ihr systemischer Hintergrund einen mehr oder weniger wesentlichen Teil Ihrer Identität aus. In Ihrer Vita, auf Ihrer »Über mich«-Seite, wird daher auf alle Fälle sichtbar, dass Sie systemische Ausbildungen durchlaufen haben. Ihre Texte werden systemische Haltungen ausdrücken. Die Frage ist, wie prominent Sie das Systemische platzieren: Soll es Teil Ihrer Namensgebung sein? Es lohnt sich, über den Tellerrand zu schauen und sich bei Vertreter*innen Ihrer Zielgruppe Feedback einzuholen, welche Begriffe für sie relevant sind. Rechtliche Aspekte beachten

Im Blick behalten müssen Sie beim Thema Positionierung, dass das Heilen ausschließlich denjenigen vorbehalten ist, die Psychologische Psychotherapeut*innen oder Heilpraktiker*innen sind. Ansonsten dürfen Sie Beratung, Training Positionierungen – die Kunst, den eigenen Platz zu finden

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oder Coaching anbieten – diese Begriffe sind gesetzlich nicht geschützt. Auch bei der Beschreibung Ihrer Zielgruppen sollten Sie vorsichtig sein: »Wer keine Approbations- oder Heilpraktikererlaubnis (zumindest für das Gebiet der Psychotherapie) hat, sollte beispielsweise als Zielgruppe seines Flyers oder der Homepage nicht ›depressive Patienten‹ benennen oder mit Krankheitsbezeichnungen wie ›Depression‹ oder ›ADHS‹ etc. operieren« (Wenzel, 2020, S. 73). Weder darf die Feststellung noch die Linderung von Krankheiten und Störungen versprochen werden. Sind Sie zum Beispiel in der Lernberatung tätig, müssen Sie andere Formulierungen finden, oder erwägen, sich über die Heilpraktikererlaubnis abzusichern.

Tanja Kuhnert: Ich habe schon den Eindruck, dass das Systemische gefragt ist Tanja Kuhnert hat eine Praxis für systemische Therapie, Beratung, Supervision und Coaching in Köln. Sie ist als Lehrtherapeutin an mehreren systemischen Instituten tätig. Ein Jahr war sie im Vorstand der DGSF. Sie ist Autorin mehrerer Fachbücher – das jüngste ist ein gemeinsam mit Mathias Berg herausgegebener Band mit dem Titel: »Systemische Therapie jenseits des Heilauftrags. Systemtherapeutische Perspektiven in der Sozialen Arbeit und verwandten Kontexten« (www.loesungsraum-koeln.de). Tanja, stellst du dich neuen Auftraggebern als Systemikerin vor? Hast du den Eindruck, dass das ein attraktives Etikett ist? Ich habe schon den Eindruck, dass das Systemische gefragt ist. Im Bereich Supervision im Sozialwesen ist es eher auch State of the Art. Manche Auftraggeber wissen vielleicht nicht genau, was sich dahinter verbirgt, aber das Etikett signalisiert für sie Qualität. Andere Auftraggeber – auf unterschiedlichen Hierarchieebenen – haben selbst eine systemische Ausbildung und finden es gut, wenn jemand nicht nur Fachberatung und Fallberatung macht, sondern insgesamt einen systemischen, ressourcenorientierten Blick hat. Es gibt Führungskräfte, die sagen, sie wollen explizit eine Systemiker*in, weil sie mitbekommen haben, dass Systemiker*innen anders auf Organisationen schauen. Und dann gibt es natürlich auch Menschen, denen werde ich empfohlen und die wundern sich dann beim Kennenlernen, welche Fragen ich stelle. Ich frage beispielsweise genau nach ihrem Auftrag und was sie am Ende unserer Zusammenarbeit gerne sagen würden. Die hatten bisher keine Berührung mit systemischem Denken und finden das interessant, weil sie das vorher noch nie gefragt wurden. 190

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Leute, die das Köfferchen »systemisch« gar nicht kennen. Sie finden es aber spannend. Sie haben vielleicht bisher noch nie so genau nachgedacht, was sie eigentlich genau mit Supervision wollen und wofür das gut sein soll. Du machst also gute Erfahrungen damit, dich als Systemikerin zu verorten und zu präsentieren? Ja, absolut. Systemikerin zu sein, ist mir auch persönlich sehr wichtig. Ich bin systemisch Lehrende und wirklich überzeugt von diesem Ansatz. Ich finde es wichtig, zur eigenen Expertise zu stehen. Wie lange bist du jetzt selbstständig? Ich bin jetzt im sechsten Jahr. Ich hatte aber auch davor, außer im Anerkennungsjahr, nie eine Vollzeitstelle, sondern habe immer auch nebenbei selbstständig gearbeitet. Ich bin viel in der Lehre, mache Beratungen und Coaching. Dass ich so viel Supervision mache, hat sich erst im letzten Jahr entwickelt. Ich bin seit 2017 zertifizierte Supervisorin. Am Anfang war das echt mühsam in Köln. Jetzt habe ich etwa ein, zwei Anfragen pro Woche. Das ist anscheinend zum Selbstläufer geworden. Das klingt nach rasantem Wachstum, wenn du jetzt schon an dem Punkt bist, an dem du Aufträge ablehnen musst. Also eine Erfolgsstory! Ja! Ich kann es manchmal selbst noch nicht glauben, aber es scheint so! Ich denke, dass das so schnell ging, liegt daran, dass ich mich immer schon breit aufgestellt habe. Ich mache einfach total gerne unterschiedliche Dinge. Das war schon im Studium so, dass ich viel zu viele Seminare belegt habe, weil ich alles mitnehmen wollte, was ich spannend fand. Auch neben der Angestelltentätigkeit habe ich immer viele unterschiedliche Dinge gemacht. Wie bist du eigentlich Lehrtherapeutin geworden? Hat dein Ausbildungsinstitut dich ausgebildet oder bist du quer eingestiegen? Ich habe mit 30 Jahren meine Beratungsausbildung begonnen. Wir waren eine Gruppe von 14 Menschen – ein Mann und 13 Frauen. Und die beiden Lehrenden waren Männer. Ich habe am ersten Tag des ersten Seminars in dieser Runde gesessen und gedacht: »Da vorne ist mein Platz.« Super! Das war wirklich so. Und dann war ich fertig und habe nach einiger Zeit angefangen, zu streuen: »Ich suche ein Institut, wo ich Lehrende werden kann.«

Positionierungen – die Kunst, den eigenen Platz zu finden

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Wie hast du das gestreut? Ich habe das Menschen erzählt. Ich plaudere gerne über meine Pläne. Irgendwann bin ich einer Frau begegnet, die ich über ein paar Ecken in Köln kannte. Wir haben uns über systemische Themen und über Institute unterhalten und dann sagte sie: »Ich bin gerade gefragt worden, ob ich bei einem Institut, das in Köln neu entstehen soll, mit in die Lehre einsteigen will.« Ich habe gesagt: »Das ist ja ein Ding. Ich würde das total gerne machen.« Ein halbes oder dreiviertel Jahr später war DGSF-Jahrestagung in Freiburg, und da hat mich diese Kollegin der Institutsleitung vorgestellt. Ach, wie cool. So habe ich angefangen, für das Institut zu arbeiten. Mittlerweile arbeite ich für drei Institute als Lehrtherapeutin. Für dein Ausbildungsinstitut? Nicht, was Beratung und Therapie angeht. Aber meine Supervisionsausbildung habe ich an einem Institut gemacht, für das ich jetzt auch als Lehrsupervisorin und Trainerin arbeite. Ich frage deshalb, weil mir so viel erzählt wurde: »Wenn du Lehrtherapeutin werden willst, bildet dich in der Regel dein eigenes Institut aus.« Dass es nur vereinzelt Leute gibt, die quer einsteigen. Offensichtlich geht es auch anders, wie deine Geschichte zeigt. Mein Weg ist immer so gewesen, es irgendwie anders zu machen als andere. Ich gehe offensiv mit Dingen um, die ich will. Ich habe in dieser Zeit auch angefangen, im Verband aktiv zu werden. Das war gar nicht strategisch gedacht – ich wollte mich mit anderen Systemiker*innen vernetzen, auch politisch, weil ich damals noch im Bereich Hartz IV gearbeitet habe und sich da eine neue Fachgruppe gebildet hatte. Aber nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass das auch strategisch ein guter Weg war. Was würdest du Leuten raten, die sich selbstständig machen? Wie schafft man sich einen Platz als Systemiker*in auf dem Markt? Ich habe zwei Antworten darauf. Die eine ist, wie ich es gemacht habe: Ich habe einfach Lust gehabt, bestimmte Dinge zu tun, und habe geguckt, wie ich das umsetzen kann. Eher nach Lust und Leidenschaft. Ich könnte auch klassisch antworten und sagen: Du musst eine Marktanalyse machen. Man muss auch realistisch bleiben. Ich habe das aber fast nie gemacht.

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Wie wäre denn die Marktanalyse? Wenn in den Ausbildungen ein Großteil der Leute sagt, sie wollen sich selbstständig machen, frage ich mich schon, wie viele Beraterinnen und Coaches braucht die Welt? So viele Probleme haben wir nun auch nicht auf der Welt, dass sich alle in Vollzeit selbstständig machen können. Man muss sich überlegen: Was ist das Minimum, das ich zum Leben brauche? Da geht es nicht darum, auszurechnen, was ich gerade angestellt netto verdiene. Sondern darum, was ich brutto bekomme. Und wie viel bräuchte ich, um meine Rechnungen zu bezahlen? Und wie viele Beratungsstunden müsste ich verkaufen, um dieses Geld zu verdienen? Das meinst du mit realistisch? Marktgerecht bleiben? Ja. Es ist gut zu schauen: Was ist meine Leidenschaft. Aber ich muss auch sehen: Was brauche ich zum Leben, und wie viel kann ich verkaufen. In meinem Stadtteil – der gehört ein bisschen zu den gentrifizierten – gibt es an jeder Straßenecke eine Beratungs- oder Coachingpraxis. Das heißt für mich, dass man mehrere Standbeine braucht. Nur von Coaching zu leben, ist schwierig – außer, du hast dir einen Platz im Businessbereich erobert, wo du wer weiß was für Tageshonorare verlangen kannst und schon mehrere Jahre gut im Geschäft bist. Aber »Durchschnittscoaches« brauchen mehrere Standbeine. Für mich ist es zum Beispiel gut, dass die Lehrtätigkeit für mehrere systemische Institute mir einen finanziellen Sockel schafft. Man muss das eigene Wissen immer wieder aktualisieren. Dafür sind Netzwerke gut. Selbst Fortbildungen und Kongresse besuchen. Sich immer wieder auch intellektuelle Anregungen holen. Und eventuell das eigene Portfolio erweitern. Wenn ich selbst Fortbildungen besuche, regt das meine Kreativität an und bereichert meine nächsten Supervisionen oder Fortbildungen. Man muss in Bewegung bleiben. Neugierig bleiben. Sich mal mit anderen Themen beschäftigen. Über den Tellerrand schauen. Inwieweit hast du das Gefühl, dass deine Marktchancen etwas damit zu tun haben, was die Verbände tun? Ich wäre heute nicht da, wo ich freiberuflich bin, wenn ich nicht im Verband aktiv geworden wäre. Weil dir das ein gutes Netzwerk erschaffen hat. Genau. Absolut. Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben, zum Systemischen zu stehen. Durch den Austausch im Verband bin ich mir in meiner Identität als Systemikerin viel klarer geworden. Und mein Profil hat sich geschärft. Der Austausch mit Kolleg*innen, Diskussionen, die fachliche Arbeit im Verband – das Positionierungen – die Kunst, den eigenen Platz zu finden

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alles hat mir Mut gemacht. Hilfreich war auch, zu erleben: Ich bin mit dieser Art zu arbeiten und zu denken nicht allein. Man hat die Möglichkeit, etwas zu veröffentlichen, sich zu zeigen – dafür gibt es Plattformen. Und ich habe schlicht auch potenzielle Auftraggeber*innen kennengelernt und Kolleg*innen, mit denen ich etwas zusammen auf die Beine stellen konnte. Ich arbeite heute für verschiedene Institute, und ich denke, das hätte sich ohne die Verbandsarbeit so nicht ergeben. Fühlst du dich gut aufgestellt? Eine Zeit lang habe ich gedacht, ich würde gerne viel im Businessbereich machen. Ich habe noch ein Sozialmanagementstudium absolviert, um mich mit Managementthemen zu beschäftigen. Ich dachte, ich muss mich mit allen möglichen neuen Strömungen beschäftigen, Agilität … und was es alles gibt. Aber irgendwann dachte ich, ich habe so viele Ausbildungen gemacht – ich nehme jetzt erstmal all das, was ich kann, und fange einfach mal an. All das, was man in Ausbildungen gelernt hat, kann man ja sowieso nicht ad hoc abrufen. Es braucht Zeit, bis es wieder zum Vorschein kommt. Dann fange ich doch mal an und beobachte im Tun, ob ich das Gefühl bekomme, dass mir etwas fehlt. Wenn du wirklich systemisch denkst und arbeitest, kannst du in so vielen Kontexten arbeiten, ohne dass du deshalb exklusive Expertin für alle Themen sein musst. Als ich das verstanden habe, wurde ich zufriedener mit all dem, was ich im Koffer habe. Auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit systemischer Therapie hat mir geholfen. In den Ausbildungen haben die Leute immer das Bedürfnis, alles ganz genau zu wissen: Was ist denn jetzt Borderline? Wie gehe ich mit jemanden um, der eine Angststörung hat? Das normative Denken in unserer Gesellschaft ist so. Man soll Expertin sein für alle möglichen Themen. Da braucht man echt ein bisschen Mut, um Zutrauen zu sich selbst zu entwickeln. Als Systemikerin sage ich: Das ist ein Phänomen, das im System auftaucht. Und ich schaue mir die Systemlogik an. Meine Expertise besteht darin, dass ich Fragende sein darf und nicht Wissende sein muss.

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8.3 Qualitätssurrogate – woran Menschen festmachen, ob etwas gut ist »Immer wird uns das Vertrauen eines der größten, seltensten und beglückendsten Geschenke menschlichen Zusammenlebens bleiben.« Dietrich Bonhoeffer

Was tun Kund*innen, um für sich die richtige Entscheidung zu treffen? Bei Dienstleistungen stehen sie vor der Herausforderung, die Katze im Sack kaufen zu müssen. Ihre zukünftigen Kund*innen wissen nicht so genau, worauf sie sich einlassen, bevor Sie zu Ihnen kommen. Eine Dienstleistung kann man nicht ansehen und anfassen. Ihre Kund*innen kaufen etwas, das sie erst danach in Anspruch nehmen. Sie gehen damit voll ins Risiko. Anders als beim Kauf eines Kühlschranks, den man sich vor dem Kauf genau anschauen kann, müssen sich Ihre Klient*innen entscheiden, Geld auszugeben, ohne genau zu wissen, was sie dafür bekommen. Wir alle kennen das Gefühl von Unsicherheit, das uns beschleicht, wenn wir uns als Teilnehmende*r auf den Weg zum Seminar machen. Was wird uns dort erwarten? Wie wird die Atmosphäre sein? Werden wir uns wohl fühlen, dazugehören? Werden sich unsere Erwartungen erfüllen, sodass wir am Ende zufrieden nach Hause fahren? Wird sich die Investition – zeitlich, finanziell und menschlich-persönlich – gelohnt haben? Was haben wir zu diesem Zeitpunkt letztlich in der Hand? Die Empfehlung, die Webseite, die Seminarbeschreibung, den Flyer – vielleicht sogar schon einen kleinen persönlichen Kontakt mit der Referentin selbst oder dem Sekretariat. All das nehmen wir in uns auf und formen ein Bild, was uns wohl erwarten wird. Wir haben schließlich gebucht – wir haben uns dafür entschieden. Das heißt aber nicht, dass wir ohne Zweifel und Sorgen sind. Das Geld kann auch rausgeschmissen sein. Vielleicht langweilen wir uns im Seminar – für uns war nichts neu oder spannend. Oder wir haben die anderen Teilnehmer*innen als schwierig erlebt. Oder wir haben uns sogar schlecht behandelt gefühlt – das Ganze hat in wunde Punkte gehauen. Systemische Seminare können ein enormes inneres Risiko bergen. Wer weiß, was einen da genau erwartet? Was tun Kund*innen um, angesichts eines solch großen Risikos, für sich eine gute Entscheidung zu treffen? Sie achten aufmerksam auf sogenannte Qualitätssurrogate. Das bedeutet, sie versuchen Anzeichen zu finden, die ihnen das Vertrauen geben, dass sie die richtige Entscheidung treffen; dass sie das finden werden, was sie sich erhoffen (Scherer, 2009). Qualitätssurrogate – woran Menschen festmachen, ob etwas gut ist

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Aber was sind Qualitätssurrogate, sprich Entscheidungskriterien? Wie können Sie potenziellen Kund*innen signalisieren, dass Sie Qualität bieten und welche Qualität man bei Ihnen finden wird? Persönlichkeit

Ihre Kund*innen haben aufgrund eigener Erfahrungen ihre persönlichen Präferenzen, wen sie als ihr Gegenüber suchen. Es gibt Faktoren, die bei einer Vielzahl von Menschen positiv ankommen. Die meisten schätzen bei anderen Weisheit, Humor, Gelassenheit, innere Ruhe, Intelligenz, Kreativität. Große menschliche Reife imponiert vielen. Andererseits passt auf jeden Topf ein anderes Deckelchen. Kund*innen unterscheiden sich in ihren Eigenschaften und Bedürfnissen genauso wie Anbieter*innen. Der eine schätzt den provokativen Stil seines Supervisors. Die andere mag die wertschätzende Art ihrer Therapeutin, die nie ihre Grenzen überschreitet. Je nachdem, welche Themen Kund*innen mitbringen, welche persönlichen Erfahrungen sie gemacht haben, suchen sie auch ein anderes Gegenüber. Wir unterscheiden uns in unserer Persönlichkeit, unseren Werten und Haltungen, Zielen, in unserem Geschlecht, unserer sexuellen Orientierung, unserer Hautfarbe und unserem kulturellen Hintergrund, unserem Alter und unserer Lebenserfahrung. Auch unsere Art zu kommunizieren und die Art und Weise, wie wir auf andere zugehen, welches Bindungsangebot wir machen, unterscheidet sich. Ihre Persönlichkeit hat sich in einem jahrzehntelangen eigenen Prozess des Lernens, der Selbstentwicklung und der Auseinandersetzung mit eigenen Themen entwickelt. Sie haben Methoden gelernt und sich häufig ein ganzes Bündel unterschiedlicher Theorieansätze einverleibt. Eigene persönliche Erlebnisse und berufliche Erfahrungen haben sich verwoben mit professionellem Wissen aus verschiedenen Sparten. All dies hat sich im besten Fall zu einer kongruenten Mischung in Ihnen geformt. Das ist es, was Kund*innen bei Ihnen suchen. Fach- und Feldkompetenz

Kund*innen möchten eine gute Erfahrung machen. Sie wollen, dass ihr Berater, ihre Therapeutin, ihr Supervisor »gut« ist. »Gut« bedeutet: hilfreich für das Anliegen, das der*die Klient*in gerade hat. Aber woher sollen Ihre Kund*innen wissen, dass Sie »gut« sind? Ein wichtiges Kriterium, an dem sich vielleicht ablesen lässt, dass Sie Ihren Job können, ist Ihr beruflicher und fachlicher Background. Was für Qualifikationen und Ausbildungen haben Sie? Was haben Sie bisher alles gemacht? Welche Feldkompetenz haben Sie? Kennen Sie die Themen, die Ihre Kund*innen mit Ihnen bearbeiten wollen? In welchen Branchen und Settings haben Sie bisher gearbeitet? 196

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Referenzen und Testimonials

Referenzen oder lobende Testimonials zeigen, dass – vielleicht sogar namhafte – Menschen, Institutionen oder Firmen Ihre Leistungen in Anspruch genommen und damit gute Erfahrungen gemacht haben. Was diese sagen, fungiert wie eine Empfehlung. Referenzen zeigen: Da wollte Sie jemand haben und war auch zufrieden mit Ihnen. Testimonials sagen etwas über das »Wie« und »Was« Ihres Tuns. Spannend für potenzielle Kund*innen ist nicht nur, dass Sie jemand lobt, sondern was da jemand heraushebt. Schauen Sie sich auf einer beliebigen Webseite positive Bewertungen an. Sie werden merken, dass diese das Bild, das Sie über einen Anbieter bekommen, plastischer machen. Wird da herausgehoben: »Danke für deine klaren Strukturen, dein flexibles und empathisches Coaching und deine positive Gestaltung und kreative Umsetzung«, oder sagt jemand: »X hat es hervorragend verstanden, mich in der Analyse meiner beruflichen und privaten Situation zu begleiten und anzuregen. Durch deren Reflexion und den Einsatz von Rollenspielen wurde bei mir neues Selbstvertrauen erzeugt.« Je mehr solcher Testimonials man auf einer Webseite liest, desto deutlicher wird, welche Kund*innen sich bei diesem Anbieter wohlfühlen. Auch die Nähe zum Anbieter wird deutlich: Wie steif und distanziert sind die Testimonials verfasst, oder wie herzlich und persönlich? Das lässt erahnen, wie die Kontaktgestaltung aussehen wird. Ich bekomme oft zu hören, dass Testimonials keine Wirkung hätten, weil sie gefakt seien oder bestellt. Sie als Anbieter würden ja auswählen, was Sie auf die Webseite setzen. Das stimmt: Sie werden sicherlich keine negativen Bewertungen veröffentlichen. Dennoch ist die Wirkung unbestreitbar. Begeben Sie sich versuchsweise in die Kund*innenrolle und machen selbst den Test, indem Sie andere Webseiten besuchen. Allein die Tatsache, welche Testimonials Sie auswählen und veröffentlichen, sagt Ihren Kund*innen etwas über Sie, nämlich, was Ihnen wichtig ist. Ihre Kund*innen bekommen also auf alle Fälle ein komplexeres Persönlichkeitsbild über Sie als Person. Referenzen haben eine wichtige Funktion für Kund*innen, die kein »NoName-Produkt« buchen wollen. Wer sich sicher sein will, einen »High End«Anbieter zu wählen, stellt sich virtuell in eine Gemeinschaft mit denjenigen, die bisher bei ihm waren. Referenzen können einen Status markieren und unterstützen die Preisgestaltung. Wenn Sie namhafte große Firmen und Institutionen als Kunden nennen können, geht man davon aus, dass Sie gut sein müssen. Darüber hinaus helfen Referenzen Ihren Kund*Innen bei der Frage, ob sie mit ihrem Anliegen bei Ihnen richtig sind. Haben Sie nur sehr große Firmen aufgelistet, werden sie sich fragen, ob sie nicht zu klein und nicht mehr inte­ ressant für Sie sind. Haben Sie nur kleine Anbieter*innen in der Liste, wird sich Qualitätssurrogate – woran Menschen festmachen, ob etwas gut ist

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ein größeres Unternehmen fragen, ob Sie einem großen Auftrag gewachsen sind. Eine Kund*in begibt sich durch eine solche Auflistung in die »Gemeinschaft« der anderen Kund*innen und prüft, ob er oder sie sich dort gut aufgehoben fühlt. Veröffentlichungen und Preise, Auftritte, Medien

Preise dokumentieren Qualität und Status. Ein Preis signalisiert, dass Sie sich einem Wettbewerb gestellt haben und siegreich daraus hervorgegangen sind. Sie müssen also zu den Besten zählen, so die Wirkung. Eine Jury hat Sie geprüft und für gut befunden. Auch Veröffentlichungen signalisieren potenziell Kompetenz. Wir gehen in der Regel davon aus, dass jemand, der ein oder mehrere Bücher veröffentlicht hat, etwas zu sagen, Wissen angesammelt und eine eigene Stimme hat – und dass dieses Wissen so profund ist, dass er damit einen Verlag überzeugen konnte. Heute verlegen viele Menschen ihre Bücher selbst. Sie fragen danach, ob ein Buch im Eigenverlag erschienen ist oder ob es von einem renommierten Verlag veröffentlicht wurde. Dass ein namhafter Verlag es akzeptiert hat, wird als zusätzliche Qualitätsprüfung bewertet. Je mehr jemand veröffentlicht hat, desto stärker unterstreicht er den eigenen Expert*innenstatus. Auch dies hat übrigens potenziell Auswirkungen auf die Höhe des Honorars. Veröffentlichungen ermöglichen es häufig, höhere Preise zu verlangen und auch durchzusetzen. Bekanntheit und Qualität kann auch ein Fernsehauftritt belegen, am besten bei einem öffentlich-rechtlichen Sender. Ein bisschen weniger, aber immer noch beeindruckend, wirken Radioauftritte. Titel und Posten

Doktor, Professor – diese Titel verleihen akademische Würde und zeugen von wissenschaftlichem Know-how. Wir dürfen fantasieren, dass hier eine*r klug und gebildet ist und sich durch intensive Studien weitergebildet hat. Zumindest Durchhaltevermögen können wir den so Bezeichneten attestieren. Aber noch viel mehr glauben wir, dass wir jemanden vor uns haben, der theoretisch fundiert wissenschaftliche Erkenntnisse vortragen kann. Wissenschaftliches hat in unserer von der Aufklärung geprägten Gesellschaft den höchsten Stellenwert, wenn es darum geht, Theorien, Handeln oder Methoden zu untermauern. Der Satz »Das ist wissenschaftlich belegt« führt – außer bei Fachkolleg*innen, die genauer nachfragen, wie Erkenntnisse zustande gekommen sind – in der Regel dazu, dass dieses Wissen als nicht mehr hinterfragbar gilt. Gleichzeitig ist mit dem wissenschaftlichen Titel ein enormer Statusgewinn verbunden. Es gibt in unserer Gesellschaft nur wenig, was ein so ein positives Image vermittelt wie wissenschaftliche Titel und Positionen. 198

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Ähnlich statusgebend sind Leitungspositionen, oder – etwas weniger bedeutsam – Posten in Verbänden und Organisationen. »Geschäftsführer von …«, »Leiterin des …«: Mit diesen Positionen ist große Anerkennung verbunden, denn in der Regel wurde man gewählt oder ernannt. Man hat sich in irgendeiner Weise hervorgetan, sonst würde einem diese Ehre ja nicht zuteilwerden. Nun kann man nicht nur qua eigener Autorität sprechen, sondern auch »im Namen von …«. Es gibt zahlreiche Sprechgelegenheiten, man wird veröffentlicht und zitiert. All dies garantiert Bekanntheit und Renommee. Und auf der Webseite oder in einer Broschüre macht sich die Auflistung der eigenen Pöstchen und Titel wunderbar. Zielgruppe und Anliegen

Als Kunde oder Kundin fragen Sie sich häufig, ob Sie sich überhaupt eingeladen fühlen sollen. Sind Sie gemeint? Will der*die Anbieterin mit Ihnen arbeiten? Aus der Sicht eines Anbieters, der sich nichts dringlicher wünscht als Kund*innen, mag diese Besorgnis absurd erscheinen. Aus der Sicht von Klient*innen ist die Frage naheliegend. Ich kenne Therapeutinnen, die sagen: »Patienten mit ›Wohlstandswehwehchen‹ interessieren mich eigentlich nicht so richtig.« Es gibt Berater, die ihre Sekretärin anweisen, nur noch Leuten mit schwerwiegenden Problemen einen Termin zu geben. Entsprechend hoch ist die Befürchtung bei Klient*innen, ihr Anliegen könnte nicht gravierend genug sein, als dass Coaching, Therapie, Beratung gerechtfertigt seien. »Bin ich hier richtig?« ist eine sehr oft geäußerte Frage bei Kontaktgesprächen. Eine weitere Frage, die potenzielle Kund*innen beschäftigt, lautet: Wie sind die Honorarsätze gestaltet? Spiele ich in der Liga dieses Anbieters oder ist er für mich zu teuer? Und durchaus relevant ist die Frage, ob sie mit ihrem Anliegen »interessant« genug sind. Niemand will in Beratung sitzen und insgeheim das Gefühl haben, das Gegenüber fände einen eigentlich uninteressant, unspektakulär oder zu banal. Es ist also ungemein hilfreich, wenn Anbieter*innen veröffentlichen, an wen sich ihr Angebot richtet: »Richtig sind Sie bei mir, wenn …«, »Ich biete XXX an für …« Auch der Blick in die Referenzen hilft Kund*innen manchmal einzuschätzen, ob sie sich bei Ihnen eingeladen fühlen. Ganz wichtig ist auch: Für welche Anliegen erklärt sich der Anbieter zum Experten? Es muss dabei gar nicht an Ihnen liegen, wenn sich Teilnehmer*innen völlig am falschen Platz fühlen. Mehrfach habe ich es erlebt, dass Menschen, die eher dem psychosozialen Bereich zuzuordnen sind, sich in ein unternehmensnahes Weiterbildungsfeld begeben haben. Das war jeweils sehr bewusst gewählt – und dennoch erlebten alle Beteiligten große kulturelle Irritationen. Qualitätssurrogate – woran Menschen festmachen, ob etwas gut ist

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Und umgekehrt fühlen sich Personaler*innen oder andere Menschen aus einem eher unternehmerischen Umfeld in einer typischen systemischen Weiterbildung, die von therapeutischen Themen und Selbstverständlichkeiten aus der Jugendhilfe geprägt ist, u. U. ausgesprochen fremd. Es gibt subkulturelle Standards, die einem erst bewusstwerden, wenn man das eigene Feld verlässt. Das kann man als bewusste Irritation suchen – dann ist es völlig okay. Viele Menschen wollen eine solche Erfahrung aber sehr gerne vermeiden. Für sie ist es hilfreich, wenn sie im Vorhinein feststellen können, »wer da so sein wird«. Das gilt im Übrigen auch für andere Teilnehmende. Methoden

Kund*innen sind in ihren Bedürfnissen sehr verschieden. Für einige ist es zu einem bestimmten Zeitpunkt das wichtigste Suchkriterium, eine bestimmte Methode auszuprobieren oder mit dieser behandelt zu werden. Biografisch gibt es manchmal sehr gute Gründe, warum ein*e Klient*in jemanden sucht, der traumatherapeutisch ausgebildet ist und EMDR kann. Es kann sein, dass Sie es mit Kund*innen zu tun haben, die schon vieles gemacht und ausprobiert haben und die es spannend finden, dass Sie einen bestimmten Ansatz wie zum Beispiel Schwertkampf, Improtheater, Körperarbeit, Zeichnen oder Kunsttherapie anbieten. Nutzenversprechen

Wir wählen Produkte und Dienstleistungen in der Regel nicht um ihrer selbst willen, sondern weil wir uns einen bestimmten Nutzen erhoffen: Wir wollen kompetenter sein, uns sicherer fühlen, uns selbst besser verstehen, glücklicher sein, weniger Schwierigkeiten in unserer Beziehung haben, berufliche Konflikte klären usw. Es ist kein Selbstzweck, was wir tun. Wir verfolgen eine bestimmte Absicht, auch wenn uns diese nicht immer genau bewusst und explizit aussprechbar ist. Es kann sein, dass wir erst durch das Angebot eines Weiterbildungsinstituts merken: »Das ist es, was ich will.« Weil hier thematisiert wird, was wir wollen – und wir brauchen nur noch Ja dazu sagen. Gute Werbung funktioniert so, dass sie die hinter dem Wunsch nach dem Produkt oder der Dienstleistung – möglicherweise verborgenen – Nutzen thematisiert, in Worten wie in Bildern. Deshalb springen wir emotional so stark auf Werbung an. Wenn sie gut gemacht ist, spricht sie unsere Sehnsüchte und wichtigsten Wünsche an. Sie zeigt, welchen Nutzen wir aus einer Dienstleistung oder einem Produkt für uns generieren. »Merci, dass es dich gibt« thematisiert unser Bedürfnis nach Wertschätzung, Liebe und Anerkennung. »Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt« spielt mit unserem Bedürfnis nach Reiz und Verführung. »Nichts ist unmöglich« ermutigt uns, etwas zu versuchen. »Red 200

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Bull verleiht Flügel« steht für den alten Menschheitstraum vom Fliegen oder verleiht zumindest das Gefühl, man könnte für eine Weile abheben. Gute Werbung zielt auf unsere Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Freiheit, Sicherheit, Gesundheit, Liebe, Genuss usw. Wenn Sie gute Werbung machen wollen, dann arbeiten Sie heraus, welche Werte Sie mit Ihrer Arbeit repräsentieren und welche Bedürfnisse Sie erfüllen wollen. Standort und Räume

Der Standort Ihrer Praxis hat einerseits praktische Aspekte – kann man gut parken, ist er gut erreichbar? Er hat aber natürlich auch eine repräsentative Funktion. Sie verraten viel über sich und Ihre Werte durch die Wahl Ihrer Praxis- und Arbeitsräume. Unter welcher Adresse firmieren Sie? Wie sind Sie eingerichtet? Welche Farben bevorzugen Sie? Welche Möbel? All dies prägt das Bild, das Kund*innen von Ihnen und Ihrem Tun bekommen. Sie sollten sich in den Räumen, in denen Sie arbeiten, wohlfühlen. Spannend ist es, bewusst wahrzunehmen, was Menschen sehen, die zum ersten Mal die von Ihnen genutzten Räume betreten. Was fällt auf, wenn man reinkommt? Was verraten die Räume über Ihre Werte? Was zeigen Sie von sich – oder auch nicht? Wie persönlich sind die Räume oder wie sachlich und geordnet? Was würden Sie über jemanden denken, der so eingerichtet ist wie Sie? Kund*innen komplettieren ihr Bild von Ihnen und schließen auf Ihre Werte. Die Studie »A room with a cue« zeigt, dass wir automatisch auf Basis von der Raumeinrichtung auf Persönlichkeitseigenschaften ihrer Besitzer*innen schließen und vermuten wie extrovertiert, gewissenhaft oder verträglich Sie wohl sind (Gosling, Ko, Mannarelli u. Morris, 2002). Service

Für Kund*innen macht es einen großen Unterschied, wie nahbar und umgänglich sich Ihr Gegenüber anfühlt. Wie gut erreichbar sind Sie? Zeugen die Kommunikation und das Handling von Terminen von Wertschätzung und Respekt? Interessanterweise gehen guter Service und hoher Status nicht immer Hand in Hand. Hoher Status wird konnotiert mit »Sich nicht so viel Mühe geben – das hat jemand nicht nötig«, »Selbstbezogenheit – er ist wichtig«, Distanz, manchmal Herablassung. Und es gibt Kund*innen, die das attraktiv finden. Die gerade dann den Eindruck haben, sie haben jemand von Bedeutung vor sich, wenn dieser nicht nahbar ist. Dieser Bedeutung zollen sie Respekt und Anerkennung. Eine Aura von Unantastbarkeit und Unerreichbarkeit kann also geradezu dazu beitragen, dass Sie sich wichtigmachen und sich einen hohen Status verleihen. Ob Sie auf diese Weise Bedeutung erlangen wollen, ob Ihnen so ein Stil liegt – das zu entscheiden, überlasse ich Ihnen. Qualitätssurrogate – woran Menschen festmachen, ob etwas gut ist

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Umgekehrt gibt es viele Kund*innen, die guten Service und Erreichbarkeit sehr schätzen, die einen nahen, wertschätzenden Kommunikationsstil positiv hervorheben, die es lieben, wenn sie schnelle Antworten bekommen und ihr Gegenüber ihnen das Gefühl vermittelt, sie ernst und wichtig zu nehmen. Größe und Bedeutung

Wie vermittelt man als Anbieter den Eindruck von Größe und Bedeutung? Viele der oben genannten Kriterien tragen dazu bei, dass Kund*innen beeindruckt sind und das Gefühl haben, nicht »irgendwen« vor sich zu haben: Repräsentative Räume, eine beeindruckende Vita, Auszeichnungen und Preise, Titel, Ehrungen und Positionen zeugen von Wichtigkeit und herausragenden Leistungen. Manche Speaker und Coaches winken mit den hohen Honoraren, die sie erzielen, und dokumentieren damit, in welcher Liga sie spielen. Namedropping – man war hier und dort und kennt diesen und jenen und gehört hier und dazu – soll wichtige Kontakte belegen. Man kennt die Szene, man kennt wichtige Leute. Der Glanz der Genannten färbt sozusagen auf einen ab. Wissenschaftler*innen genießen in unserer Gesellschaft einen hohen Status. Wer auf eigene Forschung, neue Theorieansätze, selbst entwickelte Methoden und Veröffentlichungen verweisen kann, genießt Achtung. Auch die Präsenz auf wichtigen Tagungen – am besten an zentraler Rednerposition – verleiht Bedeutung und Aura. Nicht zuletzt unternehmerischer Erfolg, ein großes Institut, eine große Firma, viele Mitarbeiter*innen flößen Respekt ein. Manche dieser Faktoren wirken im persönlichen Kontakt, durch Ankün­ digungen bei Veranstaltungen – all dies funktioniert natürlich aber auch durch mediale Inszenierung auf Webseiten und in sozialen Netzwerken. Denn das eine ist, all dies zu tun, das andere, es publikumswirksam in Szene zu setzen.

Impuls: Ihr Marketing Die Auflistung dieser Qualitätssurrogate bietet Ihnen ein Raster, mit dem Sie für sich prüfen können, wie Sie Vertrauen in die Qualität Ihrer Arbeit erzeugen wollen. Für welche Ihrer Kund*innen welches Kriterium welche Relevanz hat, ist abhängig von deren persönlicher Geschichte. Wie bei allem geht es um Passung: Was ist Ihnen wichtig? Welche Kund*innen wollen Sie einladen? Wie signalisieren Sie für diese Qualität? Was möchten Sie von sich zeigen?

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Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen!

8.4  Werbung – klappern gehört zum Handwerk »Fünfzig Prozent sind bei der Werbung immer rausgeworfen. Man weiß aber nicht, welche Hälfte das ist.« Henry Ford

Es gibt viele Kanäle, die Sie nutzen können, um Ihre Kund*innen auf sich aufmerksam zu machen. Was Sie auswählen, ist eine Frage Ihrer Zielgruppe und davon, wo sich die Menschen aufhalten, die Sie erreichen wollen: Welche Kanäle nehmen sie wahr? Worauf reagieren sie positiv? Sie können sich mit Kolleg*innen austauschen, Ihre eigenen Nutzungsgewohnheiten reflektieren, schauen, was Ihnen sympathisch ist – manches werden Sie einfach ausprobieren müssen. Sie können kaum alles bedienen, sondern werden sich auf einige Kanäle konzentrieren – möglichst diejenigen, die effektiv bei Ihrer Zielgruppe und gleichzeitig erschwinglich sind. Große Anzeigen sind teuer, Fernsehen und Radio auch. In der Regel ist es nicht sinnvoll, Ihr Werbebudget in eine einzige große Aktion zu stecken – in Sachen Werbung ist einmal meist keinmal. Ihre Kund*innen müssen Sie öfter wahrnehmen, um wirklich aufmerksam zu werden. Webseite

Eine eigene Webseite ist mittlerweile Standard. Wen man im Netz nicht findet, den gibt es quasi nicht. Nur langjährig erfahrene Anbieter*innen mit einem sehr guten Standing können es sich leisten, auf die Außendarstellung durch eine Webseite zu verzichten. Oder solche, die in Netzwerken in einer Weise eingebunden sind, dass ihnen Aufträge quasi ins Haus geschaufelt werden. Alle anderen sind gut beraten, sich über eine Webseite eine Plattform zur Selbstdarstellung zu schaffen. Der Verzicht auf eine Webseite wäre zudem sehr schade: Eine eigene Webpräsenz bietet wunderbare Möglichkeiten, einen »Raum« zu gestalten für alles, was Ihnen wichtig ist, was man über Sie wissen sollte, und was an Ihnen spannend und toll und interessant ist. Sie haben die Möglichkeit, Materialien, Bilder, Podcasts, Videoaufzeichnungen, Texte, Blogbeiträge und vieles mehr potenziellen Kund*innen zu zeigen – und für diese ist der Zugang über das Internet zu Ihnen leicht. Weil die Webseite so zentral für Ihr Marketing ist, gibt es hierzu ein eigenes Kapitel.  ▶ Kapitel  8.6 Allerdings werden Sie nicht automatisch gefunden, nur weil Sie eine tolle Webseite haben. Oft finden Suchmaschinen wie Google neue Webseiten kaum; erst wenn Ihre Webseite für Nutzer*innen interessant wird und sie häufiger Werbung – klappern gehört zum Handwerk

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angeklickt und genutzt wurde, wird Ihre an einer höheren Stelle in der Ergebnisliste angezeigt. Sie müssen also neben der Erstellung einer Webseite eine Menge Dinge tun, um gefunden zu werden. Visitenkarten

Visitenkarten sind immer noch Standard. Sie brauchen etwas, was Sie jemandem in die Hand drücken können, der Sie nach Ihren Kontaktdaten fragt. Flyer

Als es noch keine Webseiten gab, wurden Flyer zur Selbstdarstellung genutzt. Das gibt es immer noch, aber ihr Einsatz ist deutlich zurückgegangen. Flyer haben den Nachteil, dass man sie auch verteilen muss. Sie stapeln sich dann an entsprechenden Orten und man weiß nicht, wie viele wirklich beim Empfänger landen. Abgelöst wurde der Flyer durch die Webseite, wo leicht zugänglich umfassende Informationen über Sie als Anbieter*in zu finden sind. Allerdings sind Flyer nach wie vor nützlich als Veranstaltungshinweis. Oder als Gedächtnisstütze für Ihr Angebot. Postkarten

Postkarten werden gerne und häufig genutzt. Sie ermöglichen ein ausdrucksstarkes Bild auf der Vorderseite und wahlweise eine weitgehend leer bleibende Rückseite (dann wird die Postkarte auch wirklich als solche genutzt und kann verschickt werden) oder kurze Hinweise auf der Rückseite – alles Weitere findet sich dann auf der Webseite. Postkarten dienen dazu, auf Angebote aufmerksam zu machen, oder als Gedächtnisstütze. Menschen können Sie mit nach Hause nehmen und werden hierdurch neu eingeladen, Ihre Webseite zu besuchen und sich eingehender mit Ihnen oder einer Veranstaltung zu beschäftigen. Broschüren

Broschüren sind aufwendig herzustellen und dann nützlich, wenn Sie fachlich viel zu sagen haben oder Ihre Selbstdarstellung besonders gediegen daherkommen soll. Sie können zudem den Rahmen bieten, ein Thema eingehend zu behandeln. Die Chance, dass eine fachlich interessant gemachte Broschüre länger aufgehoben wird, ist höher als bei einem Flyer. Plakate

Plakate werden gerne zur Ankündigung von Veranstaltungen genutzt – selbst im kleinen DIN-A4-Format. Ihr Vorteil ist ihre lange Verweildauer gegenüber Postkarten und Flyern. Mehr Arbeit ist es, dafür zu sorgen, dass sie aufgehängt werden – dann aber ist der Werbeeffekt gut. 204

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Social Media und Online-Formate

Zu diesem Thema gibt es ein eigenes Kapitel.  ▶ Kapitel  8.5 Veranstaltungen, Vorträge, Seminare, Weiterbildungen, Präsenz in Weiterbildungsprogrammen

Veranstaltungen jeglicher Art sind eine gute Möglichkeit, sich einem größeren Publikum bekannt zu machen. Sie sind präsent mit Ihren Ideen und Inhalten; Menschen können Sie persönlich kennenlernen. Die Veranstaltung wird – über alle oben genannten Kanäle – direkt beworben; nicht nur von Ihnen, sondern meist auch zusätzlich durch den Veranstalter. Ein weiterer Vorteil: Menschen reagieren auf einen Termin in stärkerer Weise als auf die bloße Ankündigung, dass es Sie gibt. Ein Termin zwingt zu einer Entscheidung – teilzunehmen oder nicht – und enthält damit einen Handlungsimpuls. Der Werbeeffekt tritt im Übrigen auch bei denen ein, die nicht kommen. Sieht man immer wieder Ankündigungen, in denen Ihr Name mit einem bestimmten Thema verbunden ist, prägt sich diese Kombination ein. Netzwerke, Verbände

Netzwerken darf nicht als Direktakquise missverstanden werden – sonst machen Sie sich unbeliebt. Wenn Sie bereit sind, in den Aufbau von Netzwerken zu investieren und erst einmal zu geben, statt direkt profitieren zu wollen, »rentieren« sich Ihre Verbindungen irgendwann in der Regel. Sie knüpfen wichtige Kontakte, erhalten interessante Insider-Informationen und werden bekannt. Es ist viel naheliegender, jemanden zu beauftragen, den man persönlich kennt. Persönliche Empfehlungen von Familie, Freunden, Bekannten, früheren Kund*innen

Empfehlungen sind der Königsweg, denn dabei wird Ihnen Vertrauen vorab geschenkt. Sie sind am wirkungsvollsten, wenn es darum geht, dass Menschen wirklich aktiv werden. Das Problem: Damit Menschen Sie empfehlen, müssen genügend Leute von Ihnen und Ihrem Angebot wissen. Auf längere Sicht wird diese indirekte Form von Werbung eventuell der Hauptkanal sein, über den Sie Kund*innen gewinnen. Am Anfang müssen Sie andere Kanäle nutzen, um überhaupt erstmal auf sich aufmerksam zu machen. Fernsehen, Radio, Kino

Sicher nicht der erste Schritt, um sich bekannt zu machen, aber vielleicht ein Ziel für den, der eine große Reichweite erzielen will. Werbung in TV und Radio ist teuer. Lokale Kinowerbung ist deutlich günstiger und eine Möglichkeit, sich im Umkreis bekannt zu machen. Werbung – klappern gehört zum Handwerk

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Wer es schafft, im redaktionellen Part von Medien vertreten zu sein – zum Beispiel als Expert*in  –, bekommt Publicity kostenlos und profitiert vom Renommee dieser Medien. Bücher, Zeitschriftenbeiträge

Fachbeiträge schaffen Aufmerksamkeit und Zuschreibung von Expertise, kosten aber auch viel Arbeit und Herzblut. Mittlerweile ist es relativ leicht, Publikationen im Selbstverlag herauszubringen – allerdings müssen Sie dann den Vertrieb komplett selbst übernehmen, und das Image des Selbstproduzierten ist deutlich geringer, als wenn ein renommierter Verlag Ihr Buch oder Ihre Fachartikel veröffentlicht. Es gibt viele Möglichkeiten zu schreiben – offline wie online. Der Vorteil ist, dass Sie über Inhalte wahrgenommen werden. Anzeigen

Anzeigen kosten Geld – Sie sollten daher sehr gut prüfen, ob Sie mit einer Anzeige das gewünschte Zielpublikum wirklich erreichen und sich nicht allzu viel unmittelbaren Effekt erhoffen. Wenn Sie die Wahl haben, nutzen Sie Medien, um mehrfach Anzeigen zu schalten. Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass man Inhalte vier bis sechs Mal sehen muss, bis sie sich einprägen (vgl. zur Wirkung von Werbung zum Beispiel ARD-Forschungsdienst, 2001). Sie können also besser in einem Medium eine Mehrfachanzeige schalten, die Menschen die Idee gibt, Sie »ständig« zu sehen – als für viel Geld auf einmal eine große Anzeige zu schalten. Direktmarketing: Telefonate, Briefe, persönlicher Kontakt

Direkt mit Menschen Kontakt aufzunehmen, hat den Vorteil, dass Sie nicht in die Kategorie »Werbung« gesteckt werden – und somit Filter- und Abwehrmechanismen Ihres Gegenübers wegfallen. Jedenfalls ist das so, wenn Sie diese Menschen bereits kennen. Sie müssen damit rechnen, dass Sie gerade stören, aber das gibt Ihnen gleichzeitig die Gelegenheit, um einen Termin zu bitten, an dem es besser passt. Gestalten Sie die Kontaktaufnahme so, dass für den*die Kontaktierte*n sein oder ihr Nutzen im Vordergrund steht. Wenn Sie einem Menschen gezielt eine Information oder einen Hinweis geben, der für diesen gerade nützlich ist, wird er in der Regel dankbar sein. Wenn Sie eine Kundin direkt ansprechen, ob ein bestimmtes Seminarangebot für Sie passen könnte – und Sie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben – wird sie Ihre Frage als Fürsorge erleben und nochmal expliziter überlegen. Kaltakquise à la »Wir haben für Sie genau das passende Angebot« ist – selbst da, wo sie erlaubt ist – ausgesprochen unbeliebt.

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Autowerbung

Autowerbung wird immer beliebter (ebenso auch Fahrradwerbung, beispielsweise an einem Lastenrad). Das kann ein Hinweis auf Ihre Adresse und Ihr Angebot sein oder auch ein aufwendig gestaltetes Gesamtlayout. Für die systemische Branche ist letzteres noch eher ungewöhnlich. Sicherlich ist ein gut gestaltetes Auto ein »Hingucker«. Die »kleine Schwester« eines durchgestylten Autos ist ein Aufkleber mit der Praxisadresse. Aufsteller vor Ihrer Praxis, Schaufenster-Werbung, Flyer-Kasten

Wenn Sie betriebliche Räume haben, die die Möglichkeit bieten, Laufkundschaft auf sich aufmerksam zu machen, können Sie das Fenster oder einen Aufsteller nutzen, um die Vorbeigehenden mit Informationen zu aktuellen Angeboten zu versorgen. Das ist nicht aufwändig und stillt die oft ohnehin vorhandene Neugierde, was Sie so machen. Mailing

Weniger üblich als früher sind in Zeiten von E-Mails Mailingaktionen per Brief. Sie sind aufwändig und teurer als ein E-Mail-Versand. Üblich ist es aber nach wie vor, das eigene Seminarprogramm zu verschicken oder zu bestimmten Gelegenheiten wie Weihnachten, Neujahr oder zu Geburtstagen Karten zu versenden. Dann wird die Post in der Regel gerne gesehen und trägt zur Kundenbindung und zu Buchungen bei. Give-aways

Kugelschreiber, Handspiegel, Lineal, Kalender … – bei Give-aways sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Manche haben nur eine geringe Halbwertszeit. Kund*innen nutzen sie, ohne den Gegenstand noch mit Ihnen in Verbindung zu bringen. Andere sind lange präsent und eine stete, sympathische Erinnerung an Sie. Als solche erfüllen sie wirksam ihre Funktion – dafür zu sorgen, dass man Sie positiv im Gedächtnis behält.

Werbung – klappern gehört zum Handwerk

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8.5 Onlinemarketing und Social Media – mit potenziellen Kund*innen in Verbindung treten »Es gibt heute keinen besseren Platz, um eine Leiche zu verstecken, als auf Seite 3 der Trefferliste von Google.« Arne Kirchem

Auch für selbstständige Systemiker*innen werden Onlinemarketing und Social Media immer wichtiger. Bei vielen gibt es allerdings noch große Vorbehalte gegenüber sozialen Netzwerken und Unsicherheit bei vielen Online-Formaten. Was ist deren Vorteil? Gegenüber klassischer Werbung sind sie Teil der eigenen Gestaltungshoheit und oft deutlich kostengünstiger. Welche Formate können Sie online nutzen, um auf sich und Ihre Ideen aufmerksam zu machen? E-Mails, Newsletter

Über E-Mails können Sie wunderbar Ihr Umfeld über Ihre Aktivitäten, eine neue Homepage oder eine spannende Veranstaltung informieren. Bei Freund*innen werden Sie davon ausgehen können, dass diese an der Entwicklung Ihrer Selbstständigkeit interessiert sind. Sobald Sie Ihr Netzwerk oder ehemalige Kund*innen anschreiben, brauchen Sie deren explizite Einwilligung über das DoubleOpt-In-Verfahren – das heißt, Ihr Gegenüber muss ausdrücklich zustimmen, von Ihnen zukünftig angeschrieben zu werden. Dies vorausgesetzt, ist der Aufbau eines E-Mail-Verteilers mit Menschen, die an Ihren Angeboten interessiert sind, ausgesprochen sinnvoll. Viele von ihnen werden es als Service wahrnehmen, von Ihnen über Neues informiert zu werden. Vorausgesetzt, Sie machen sich Gedanken darüber, was für Ihre Zielgruppe interessante und wertvolle Informationen sind und geben sich Mühe mit der Gestaltung der Mails. Dann werden Ihre Newsletter willkommen sein. Legen Sie bei Veranstaltungen und Seminaren Zettel aus, die zu Ihrem Newsletter einladen und bitten um explizite Einwilligung. Fragen Sie Ihre Kund*innen, ob Sie an der Zusendung des Newsletters interessiert sind. Platzieren Sie auf Ihrer Webseite an markanter Stelle die Einladung, Ihren Newsletter zu abonnieren. Mit all diesen Maßnahmen werden Sie mit der Zeit einen Mailverteiler aufbauen. Tipp: Der Versand des Newsletters über eine entsprechende Software lohnt sich. Die meisten Mailprogramme weigern sich, Mails an einen größeren Adressverteiler zu versenden. Außerdem ermöglichen Ihnen Versendungsanbieter für Mails, Ihren Newsletter ansprechend zu layouten – das erhöht die Lust, ihn zu lesen, enorm. 208

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Xing, LinkedIn

Präsenzen auf den Business-Plattformen Xing und LinkedIn sind heute Standard. Wenn Sie Xing nicht zur aktiven Akquise nutzen wollen, reicht ein kostenloses Profil. Hauptsache, man findet Sie. Wenn Sie gerade anfangen und noch keine eigene Webseite haben, können solche Profile die erste Möglichkeit sein, sich im Internet zu präsentieren. Ein Gegenüber findet auf diese Weise zumindest Basisinformationen über Sie. Offline-Veranstaltungen von Xing bieten die Chance zum Netzwerken. Xing ist vor allem auf dem deutschen Markt verbreitet, LinkedIn auch international. Beide bieten über Gruppen und Foren viele Möglichkeiten, sich zu vernetzen und in Kontakt zu kommen. Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest, Snapchat …

Viele Menschen sind ausgesprochen skeptisch gegenüber sozialen Netzwerken – aus Datenschutzgründen kann man das sicherlich auch sein. Andererseits haben Sie als Selbstständige*r ein vitales Interesse daran, sich medial zu präsentieren, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dabei sind soziale Netzwerke ein günstiges, leicht verfügbares Medium – es ungenutzt zu lassen, wäre schade. Viele sind skeptisch, weil sie glauben, dass das Bespielen sozialer Netzwerke viel Zeit kostet. Was stimmt: Alles, was Sie auf den Weg bringen, kostet Sie Zeit. Sie sollten daher auf keinen Fall den Ehrgeiz entwickeln, sich auf vielen Plattformen gleichzeitig zu tummeln. Das würde in der Tat in sehr viel Arbeit ausarten. Sinnvoll ist es zu analysieren, in welchen Netzwerken sich Ihre Zielgruppe aufhält und Ihr Engagement zu konzentrieren. Sie müssen sich mit dem Medium vertraut machen, die Spielregeln verstehen und für sich herausfinden, wie Sie sich dort darstellen und wie Sie kommunizieren wollen. Das kostet Arbeit und Energie. Im Alltag muss das dann aber kein großer Aufwand mehr sein. Der potenzielle Gewinn ist auf der anderen Seite hoch – Sie haben die Chance, Menschen unaufgeregt und unkompliziert zu erreichen. Jüngeren Menschen muss man nicht mehr mit Facebook kommen. Sie sind bei Snapchat, Instagram, Pinterest oder neuerdings Tiktok. Trotzdem sind im Moment (2021) in vielen Altersgruppen noch zwei Drittel der Menschen bei Facebook präsent. Instagram ist insgesamt stark im Kommen, ebenso wie Pinterest. Schauen Sie, experimentieren Sie, lernen Sie die Kanäle kennen und bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil. Lassen Sie sich von Nutzer*innen erklären, was sie machen, was sie schätzen und welche Möglichkeiten das Medium bietet. Damit bekommen Sie eine gute Einschätzung, welchen Reiz ein Kanal haben könnte. Dann können Sie immer noch entscheiden, was Sie nutzen wollen. Interessant ist dabei auch die Möglichkeit, über soziale Netzwerke gezielt Werbung zu schalten. Sie müssen dabei einiges an Geld investieren, erreichen dafür aber passgenau Ihre Zielgruppe. Onlinemarketing und Social Media – mit potenziellen Kund*innen in Verbindung treten

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Im Übrigen: Nehmen Sie sich nicht zu viel vor. Besser Sie pflegen ein Portal gut, als überall »Social Media-Leichen« zu hinterlassen. Nicht genutzte, veraltete Profile verkommen schnell zur Anti-Werbung. Blogs

Ein Blog ist ursprünglich ein im Internet geführtes Tagebuch. Mittlerweile wird dieses Format von vielen genutzt, um kurze Artikel auf einer eigenen Plattform oder angedockt an die Webseite zu präsentieren. Manche schreiben in sehr schneller Taktung – aus Erfahrung als Kund*in muss ich sagen, dass mir eine zu schnelle Abfolge auch leicht zu viel wird. Auch eine lose Folge von Artikeln kann für Ihre Kund*innen spannend sein und eine Verbindung zu Ihnen aufbauen. Der Vorteil? Sie haben die redaktionelle Macht – Sie selbst können entscheiden, wann Sie worüber schreiben wollen, ohne dass Sie jemanden überzeugen müssen. Überzeugen müssen Sie nur Ihre Leser*innen. Ein gut gemachter Blog kann sich ein Fanpublikum erschaffen und lädt Menschen ein, sich in Ihrem Dunstkreis zu bewegen. Von dort ist der Weg zur Inanspruchnahme Ihrer Leistungen kurz. Treffen Ihre Blogartikel den Nerv potenzieller Kund*innen, werden sie geteilt und weitergegeben und Sie erweitern so den Kreis der Menschen, die Sie kennen. Videos, Vlogs, Podcasts

YouTube ist mittlerweile allen als Kanal für Filme und Videos vertraut. Immer mehr Anbieter*innen kommen daher auf die Idee, sich ihrem Publikum nicht nur durch Worte, sondern auch durch (kurze) Filme vorzustellen. Diese Filme können zudem auf der eigenen Webseite eingebunden sein und einen intensiven persönlichen Eindruck vermitteln. Kurze Filme, die Sie auf sozialen Kanälen wie Facebook präsentieren, wecken häufig mehr Interesse als Texte oder starre Fotos. Bewegte Bilder haben den Charme, ein viel umfassenderes Bild von Ihnen zu zeichnen als Texte. In der Regel funktionieren kurze Videos am besten, die Inhalte anschaulich und spannend darbieten – Vorträge, Interviews, Erklärvideos oder Aufzeichnungen von Vorträgen. Ein Vlog ist ein Video-Tagebuch. Im systemischen Bereich ist dies noch eher unüblich, für junge Menschen hingegen ist ein Vlog alltäglich. Die Anbieter*innen lassen ihr Zielpublikum an ihrem Leben und ihren Themen teilhaben, indem sie in regelmäßigen Abständen Videos online stellen. YouTube, Vlogs etc. sind erschwinglich geworden – vorausgesetzt, man beherrscht das technische Know-how und mag sich damit beschäftigen.

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Google Ads, Bannerwerbung

Bannerwerbung ist Werbung für Ihr Unternehmen auf einer anderen Webseite. Das kann sich bezahlt machen, wenn Ihre Zielgruppe diese Seiten gut nutzt. Es kommt auf den Preis an. Google Ads gibt Ihnen die Möglichkeit, sich – mit bezahlten Anzeigen – im Google-Ranking nach vorne zu arbeiten. Sie bezahlen dafür, dass Sie oben als erstes bei Suchanfragen angezeigt werden. Viele Nutzer*innen unterscheiden nicht zwischen organischen Suchergebnissen und denen, die durch Anzeigen oben platziert sind. Sie kennen oder bemerken den Unterschied gar nicht. Sie haben mit Google Ads daher die Chance, Menschen auf sich und Ihr Angebot aufmerksam zu machen, während Sie bei einer organischen Suche erst auf einer hinteren Ergebnisseite landen würden. Die meisten Suchenden schauen nämlich maximal auf die zweite Ergebnisseite; viele klicken nur die allerersten Treffer an. Im Vorfeld sollten Sie analysieren, nach welchen Worten Ihre Zielgruppe sucht. Das sind dann die Worte, für die Sie bei Google Ads am besten Geld bezahlen. Sinnvoll ist oft ein lokaler Bezug – beispielsweise »Paarberatung Müns­ ter«. Sie legen ein Budget fest, wie viel Sie maximal in diesem Monat ausgeben wollen – und Google Ads zeigt Ihre Anzeige so lange an, bis dieses Budget verbraucht ist. Das gibt Ihnen volle Kostenkontrolle.

8.6 Ihre Webseite – hier entscheiden Sie, wie Sie sich präsentieren »Das beste Marketing fühlt sich nicht so an wie Marketing.« Tom Fishburne

Eine Webseite bietet Ihnen die ideale Plattform, um eine Brücke zwischen Ihnen und Ihren Kund*innen zu bauen. Es zahlt sich aus, wenn Sie gute Vorarbeit geleistet haben und sich viele Gedanken über Ihre Zielgruppe, über Ihr Angebot, über Ihre Stärken und Ihre Positionierung gemacht haben  ▶ Kapitel 5.4  ▶ Kapitel  5.5. Eine Webseite ist nichts anderes als die Umsetzung all dieser Überlegungen im Internet: Ȥ Wenn Sie wissen, was Ihre Kund*innen suchen, können Sie in Gestaltung und Wording darauf eingehen. Ȥ Wenn Sie wissen, welche Kund*innen Sie ansprechen wollen, können Sie sie direkt adressieren und Themen benennen, die für diese Menschen relevant sind. Ȥ Wenn Sie sich überlegt haben, welche Informationen für Ihre Zielgruppe wertvoll sind, können Sie Ihre Webseite entsprechend anreichern. Ihre Webseite – hier entscheiden Sie, wie Sie sich präsentieren

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Ȥ Wenn Sie wissen, was Sie alles anbieten wollen, ergibt sich daraus die Navigation der Seite. Aus welchen Elementen besteht eine Webseite?

Sie brauchen eine Domain, das heißt, die Internetadresse, unter der Ihre Webseite im Netz zu finden ist. Dazu müssen Sie prüfen, ob Ihre Wunschdomain noch frei ist. Dann melden Sie sich bei einem Provider an und buchen ein Datenpaket, das in der Regel zwei bis drei Domainnamen und E-Mail-Adressen beinhaltet. Sie brauchen einen Namen für Ihr Unternehmen, der in der Regel links oben auf der Seite steht und dem Nutzer verrät, auf wessen Seite er sich befindet. Der Name der Domain und der Name Ihrer Firma sind im Idealfall gleich oder ähnlich. Sie brauchen eine Navigation, also eine Gliederung für Ihre Webseite, meistens bestehend aus einer waagerechten Leiste mit Menüpunkten und bei Bedarf Untermenüs. Dazu müssen Sie wissen, wie Sie Ihre Inhalte und Ihr Angebot strukturieren wollen. Sie nutzen ein Content Management System, wie zum Beispiel Wordpress mit einem »Theme«, oder Sie nutzen ein Baukasten-System (wie zum Beispiel von Wix, Jimdo oder anderen) mit entsprechenden Layoutvorlagen. Heute werden Webseiten in der Regel nicht mehr programmiert. Sie kaufen stattdessen fertig programmierte Seiten, die Sie dann auf Ihre Bedürfnisse hin anpassen können. Sie brauchen ein grafisches Erscheinungsbild, also ein Logo, Schriftzüge, Farben, Layout, Bilder – denn der optische Eindruck, den Ihre Webseite hinterlässt, ist ausschlaggebend für die Bewertung Ihres Angebots. Sie brauchen Fotos von sich – mindestens eines für die »Über mich«-Seite. Sie benötigen gute Texte. Und zusätzlich ggfs. Referenzen und Testimonials, die Einwilligung, Referenzen zu benutzen, Materialien, die Sie veröffentlichen wollen usw. Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance

Es gibt Baukastensysteme, mit denen Sie selbst, bei einigem technischen und grafischen Sachverstand eine Webseite basteln können. Gerade für den ersten Wurf kann dies eine gute Lösung sein. Doch letztlich ist es schade, hier zu sparen. Eine von einem Profi erstellte, auf Sie zugeschnittene Webseite, bringt in der Regel bessere Ergebnisse als Handgestricktes – es sei denn, Sie kennen sich mit Wordpress oder Baukastensystemen selbst sehr gut aus. Prüfen Sie, ob Ihnen die Ergebnisse, die ein bestimmtes System am Ende ermöglicht, wirklich gefallen. Beauftragen Sie eine professionelle Designerin, lohnt es sich, im Vorfeld Empfehlungen und Angebote einzuholen und genau zu entscheiden, wessen Arbeit Sie mögen und mit wem Sie gut zusammenarbeiten können und wie letztlich der Preis für die Seite ausfallen wird. Nehmen Sie nicht den oder die »Erstbeste*n«. Die Erstellung einer Webseite ist ein komplexer Kommunikations212

Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen!

vorgang – Ihr*e Designer*in soll die innere Vision Ihres Unternehmens, Ihrer Idee in Szene setzen. Kommunikationsfähigkeit, Bildsprache und die Lust, Ihnen zuzuhören, bestimmen das Ergebnis. Basics zum Thema SEO (Suchmaschinenoptimierung)

Sie sollten sich schon bei der Erstellung der Seite mit dem Thema Suchmaschinenoptimierung beschäftigen, sonst wird im schlimmsten Fall Ihre Seite überhaupt nicht gefunden. Was bedeutet das? Bei der »Search Engine Optimization« (SEO) geht es darum, bei der Gestaltung und Programmierung Ihrer Webseite die Logik der Suchalgorithmen von Google und anderen Suchmaschinen mit zu berücksichtigen. Google ist bemüht, Suchenden den bestmöglichen, auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Inhalt zu liefern. Um dies zu gewährleisten, scannt Google Webseiten nach bestimmten Kriterien. Wenn Sie einen professionellen Designer haben, berücksichtigt dieser im besten Fall automatisch alle grafischen und technischen Aspekte, die zu einer guten Auffindbarkeit Ihrer Seite beitragen – wenn Sie dies vorab mit ihm klären. In Bezug auf Texte und Navigation sind Sie selbst gefragt. Es sei denn, Sie beauftragen eine Texterin. Was Sie tun können, um (besser) gefunden zu werden: Ȥ Prüfen Sie, ob Ihre Webseite im Google-Index verzeichnet ist und suchen Sie nach »site:Domainname« – in meinem Fall also »site:astrid-hochbahn.de«. Ȥ Webseiten, die sich automatisch an die Nutzungsgeräte (Handy, Tablet, PC) anpassen, sind mittlerweile Standard. Google bewertet solche Seiten bei der Suche höher, als Seiten, die statisch angezeigt werden. Ȥ Google versucht zu verstehen, wie Ihre Seite aufgebaut ist. Hilfreich dafür ist, wenn einzelne Seiten kurze einprägsame Namen haben, Sie Text statt Bilder verwenden, um Inhalte zu vermitteln (wenn auf Ihrer Home-Seite nur ein Logo statt eines als Text vorliegenden Namens steht, ist dies für Google ein Bild, das nicht gelesen werden kann). Geben Sie Unterseiten Titel, nach denen Nutzer*innen suchen. Bedenken Sie bei der Erstellung der Navigation bereits, wonach gesucht wird. Ȥ Ladezeiten für Ihre Webseiten sollten möglichst kurz sein. Ȥ Google honoriert, wenn Ihre Webseite für Nutzer*innen wertvollen Inhalt bereithält – wenn Ihre Webseite aufgerufen wird, wenn andere Webseiten auf Ihre Webseite verweisen. Hier können Sie am meisten richtig machen. Ȥ In Ihren Überschriften und Texten sollten die Inhalte vorkommen, nach denen Ihre Zielgruppe sucht – daran haben Sie schon deshalb Interesse, weil Ihre Webseite lesbar und interessant sein soll. Doch auch Google berücksichtigt bei der Suche, ob Ihre Webseite Inhalte zu Suchanfragen liefern könnte und macht dies daran fest, ob die gesuchten Inhalte bei Ihnen bedient werden. Ihre Webseite – hier entscheiden Sie, wie Sie sich präsentieren

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Einiges können Sie also selbst machen, damit Ihre Webseite gefunden wird. Und darüber hinaus gibt es Agenturen, die eine Suchmaschinenoptimierung für Sie übernehmen. Die lassen sich das in der Regel aber auch teuer bezahlen.

8.7 Innere Herausforderungen – auf die Bühne zu treten, ist aufregend! »Das habe ich noch nie vorher versucht. Also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.« Pippi Langstrumpf (Astrid Lindgren)

Sie wollen etwas in die Welt bringen. Ihr Anliegen ist es, Menschen zu finden, die das haben wollen, was Sie anbieten. Man sollte meinen, dass Sie ein essenzielles Bedürfnis haben, in die Welt hinauszutreten und mit Ihren Inhalten und Angeboten sichtbar zu werden. Für viele liegt aber genau darin eine große Herausforderung. Selbstständig zu sein, eine Webseite zu machen und damit öffentlich zu werden, bedeutet für sie, auf eine Bühne treten zu müssen, bei der gefühlt die ganze Welt Zuschauer ist. Das tritt bei fast jedem auch innere Themen los: Marketing heißt, sich der Welt mit den eigenen Schokoladenseiten zu präsentieren

Wer gelernt hat, dass »Bescheidenheit eine Zier ist«, tut sich schwer damit, selbstbewusst zu den eigenen Stärken zu stehen. »Ich will nicht so viel Text auf der Seite haben. Das liest doch keiner«, »Muss ich wirklich alle Qualifikationen aufzählen – das ist doch unnötig.« Hinter solchen Aussagen verbirgt sich mitunter der Wunsch, nicht zu sichtbar und groß zu sein. An dieser Stelle lohnt es sich, die Perspektive der Kund*innen einzunehmen: Wer kaum etwas von sich zeigen mag, kann nicht wirklich wahrgenommen werden. Wer nur wenig über die eigenen Qualifikationen sagt, ist für andere nicht greifbar. Wer nichts über sich erzählen will, baut eine Mauer. Bin ich gut genug? Darf die Welt sehen, wer ich bin?

Sich zu zeigen, setzt Ängste frei, wie andere reagieren werden: Werde ich »ausgebuht«? Kann ich mithalten mit meinem Angebot? Die Angst, abgelehnt zu werden, hat manchmal sehr frühe Wurzeln – uralte Themen können wieder hochkommen – Familienthemen, Schulthemen, Mobbing, Ausgrenzungserfahrungen –, ohne dass immer gleich klar ist, worum es da geht. 214

Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen!

Manchmal versteckt sich die Angst vor Ablehnung hinter zur Schau getragener Abwehr: »Ich brauche keine Webseite! Das funktioniert bei mir auch so.« Was da helfen kann: Sie machen die Webseite nicht für Ihre Konkurrenz, sondern für potenzielle Kund*innen. Denken Sie beim Marketing an ganz konkrete Menschen, mit denen Sie arbeiten. Diese möchten Sie einladen. Sie schreiben nicht für Ihren inneren Kritiker, sondern für Menschen, denen es hilft, wenn sie etwas über Sie erfahren. Denn nur dann können sie Vertrauen zu Ihnen fassen. Sichtbar werden

Für manche ist das Gefühl schwierig, die Kontrolle über die eigene Sichtbarkeit zu verlieren. Eigene Inhalte ins Netz zu stellen, heißt, sich gefühlt »der Welt« zu präsentieren. Faktisch schaut am Anfang aber kaum jemand hin. Doch das Gefühl ist da, es könnte jede*r schauen, ohne dass Sie selbst noch Kontrolle darü­ber haben, wer da hinschaut. Was Sie zeigen, ist für alle sichtbar. Was helfen kann: Am Anfang wird die Webseite oft kaum gefunden. Es dauert, bis viele Menschen Sie wahrnehmen. Sie werden erst einmal weniger sichtbar sein, als Sie glauben. Schutzlos

Bei Menschen, die schlechte oder sogar traumatische Erfahrungen gemacht haben, kann das Gefühl hinzukommen, schutzlos zu sein. Sie sind mit Dingen und Anliegen, die ihnen wichtig sind, öffentlich. Es gibt eine Adresse, unter der man sie finden kann. Ist dies keine separate Büro- oder Praxisadresse, sondern vielleicht die eigene Privatadresse, entsteht unter Umständen die Idee, jederzeit könnte jemand vor Ihrer Tür stehen. Ich habe in 25 Jahren Berufstätigkeit noch nicht erlebt, dass das passiert – aber die Idee, dass jeder sie aufsuchen könnte, ist für manche Menschen bedrohlich und braucht Lösungen. Was helfen kann: Nehmen Sie Ihr Gefühl ernst. Ja, Sie brauchen ein Impressum mit einer vollständigen Adresse. Aber das kann eine Büroadresse sein und muss nicht Ihre Privatadresse sein. Zu sich stehen

»Ich komme mir vor, als würde ich mich anbiedern – das habe ich nicht nötig«, hört man von manchen Menschen. Es braucht eine gute innere Haltung zu den eigenen Fähigkeiten, um sich selbstbewusst mit dem Eigenen zu zeigen und dazu zu stehen. Egal, ob dieses Eigene von anderen gewählt wird oder nicht. Auszuhalten, dass Sie mit Ihrem Angebot parat stehen und keinen Einfluss darauf haben, ob das jemand haben will, kann eine Herausforderung sein. Sich ins Netz zu begeben, kann sich anfühlen, als stünde man vor einem Marktstand und alle ziehen vorbei, schauen kurz – und keiner kauft. Die HerausInnere Herausforderungen – auf die Bühne zu treten, ist aufregend!

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forderung liegt darin, damit umzugehen, nicht gewählt zu werden, und realistische Erwartungen zu entwickeln, was passiert, wenn die eigene Webseite online geht. In der Regel passiert nämlich bei kaum jemandem besonders viel. Betreiben Sie Erwartungsmanagement. Wenn Sie sich nicht zu viel von ersten Marketingschritten versprechen, fühlt es sich nicht so heikel an, das Eigene zu formulieren und zu präsentieren. Es ist normal, dass Sie etwas tun müssen, damit Kund*innen kommen – und die Zeit, bis Sie ein Ja bekommen, gilt es durchzustehen und sich selbst dieses Ja innerlich zu geben. Ist Eigenwerbung unnötig?

Werbung empfinden viele als Ressourcenverschwendung. Wer sich links verortet und bisher kritisch gegenüber den Marketingaktivitäten großer Unternehmen geäußert hat, ist herausgefordert, wenn er*sie nun selbst etwas tun will, um bekannt zu werden. Prof. Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship in Berlin, Autor der Bücher »Kopf schlägt Kapital« und »David gegen Goliath« und Gründer der »Teekampagne« prangert mit guten Gründen die unglaubliche Ressourcenverschwendung an, die durch Marketingausgaben entsteht. Seine Analysen zeigen, dass in modernen Gesellschaften nur noch ein Bruchteil des Geldes für die Fertigung von Produkten verwendet wird, der Großteil des Budgets entfällt auf Marketingausgaben. Mit Riesensummen werden Werbebotschaften in unsere Köpfe gehämmert, denn nur so werden Produkte in unseren überfluteten Welten überhaupt noch wahrgenommen und als positiv bewertet. Prof. Faltin hat mit seiner Teekampagne vorgemacht, dass es auch anders geht. Er hat den besten Tee in großen Gebinden ohne großes Marketingbudget vertrieben. Er hat damit einerseits das Beispiel geliefert, dass ein wertiges Produkt auch ohne großformatige Anzeigen, Werbeaufsteller und dergleichen vertrieben werden kann. Gleichzeitig hat er durch eine Form von Guerilla-Marketing gezeigt, wie jemand ohne großes Werbebudget kluges, zielgruppengerechtes Marketing betreiben kann. Verrückterweise ist seine Zielgruppe nämlich genau dadurch zu gewinnen, dass kein großer Werbeaufwand betrieben wird und man nicht nur den besten Tee trinkt, sondern sich auch auf der Seite der Guten und Subversiven verorten kann. Gute Inhalte sind es wert, gesehen zu werden

Die wenigsten von uns werden Unsummen in Werbung stecken wollen und können – und das ist in der Regel auch nicht nötig. Nötig ist es aber sehr wohl, sich spannend und positiv in einem besonderen Markt zu präsentieren, um gesehen und gewählt zu werden.

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Marketing: Bringen Sie Ihre Ideen zum Strahlen!

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 Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen »In einem aufgeräumten Zimmer ist auch die Seele aufgeräumt.« Ernst von Feuchtersleben

Welche formalen Basics und Specials gilt es, bei einer Gründung zu beachten? Je nachdem, was Sie vorhaben, werden andere Fragen relevant. Da klassische Gründungsratgeber diese Themen umfassend abhandeln und es viele Infos online gibt, habe ich mich hier auf die notwendigsten Basisinformationen beschränkt. Alle Infos habe ich sorgfältig recherchiert und geprüft. Sie sollten dennoch in jedem Fall alles, was für Sie besondere Relevanz hat, gegenchecken. Es könnten sich inzwischen Bestimmungen geändert haben. Eine Haftung für inhaltliche Richtigkeit kann nicht übernommen werden. Was müssen Sie tun, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein? Ȥ Sie müssen prüfen, ob Sie alle notwendigen Erlaubnisse und Genehmigungen für Ihre Tätigkeit haben. Dürfen Sie tun, was Sie tun möchten? Ȥ Sie brauchen einen Namen für Ihr Unternehmen, der den juristischen Bestimmungen entspricht. Ȥ Wenn Sie zusammen mit anderen gründen, werden Sie einen Gesellschaftsvertrag abschließen wollen. Ȥ Sie müssen Ihre selbstständige Tätigkeit anmelden – die freiberufliche Tätigkeit beim Finanzamt, ein Gewerbe beim Ordnungsamt. Ȥ Sie müssen Grundlegendes zum Thema Steuern wissen, damit Sie verstehen, was das Finanzamt von Ihnen zukünftig will. Ȥ Sie brauchen Verträge bzw. müssen sich klar werden, wie Sie Ihr Verhältnis zu Klient*innen rechtlich regeln wollen. Ȥ Sie müssen sich um alle notwendigen Versicherungen kümmern. Jede*r muss sich krankenversichern. Manche, aber nicht alle, sind in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert (Rechtslage Anfang 2021). Vermutlich wollen oder müssen Sie eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. Ȥ Sie müssen sich mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen auseinandersetzen. Ȥ Sie müssen prüfen, wo Sie Dokumentationspflichten erfüllen müssen. Ȥ Sie brauchen eine geordnete Buchhaltung und ein vernünftiges Ablagesystem. Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

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9.1 Ihr Unternehmen anmelden – das wollen Behörden von Ihnen »Man muss nur ein paar Dinge im Leben richtig machen – solange man nicht zu viele Dinge falsch macht.« Warren Buffet

Was müssen Sie tun, um Ihr Unternehmen anzumelden? Freiberuflich oder gewerbetreibend?

Zunächst müssen Sie klären, ob Sie Freiberufler*in sind oder ein Gewerbe betreiben. Freiberufler*in sind Sie, wenn Sie Ihre Tätigkeit selbstverantwortlich ausüben. Allerdings gelten Sie auch dann als freiberuflich tätig, wenn Sie sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedienen – vorausgesetzt, Sie sind auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig (ESTG § 18 Abs. 1). Inhaltlich gibt es drei Arten freiberuflicher Tätigkeit: Ȥ die sogenannten Katalogberufe, das heißt, die Berufe, die im Gesetz ausdrücklich aufgezählt sind: »Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbstständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbstständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe« (ESTG § 18 Abs. 1). Ȥ Analogberufe, das heißt, den Katalogberufen ähnliche Berufe. Wenn Sie Ihrer Meinung nach einen solchen »analogen« Beruf ausüben, müssen Sie sich mit der Rechtsprechung beschäftigen und prüfen, ob es entsprechende Urteile gibt – oder eine*n Steuerberater*in zurate ziehen. Ȥ Tätigkeitsberufe, das heißt, die selbstständig ausgeübten wissenschaftlichen, künstlerischen, schriftstellerischen, unterrichtenden oder erzieherischen Tätigkeiten. Freiberufler*innen sind auf Basis einer sogenannten höherwertigen Ausbildung, in der Regel auf Basis eines Studiums, tätig. Allerdings muss dies – das zeigt die Praxis der Finanzämter – ein Studium sein, das in inhaltlichem Zusammenhang zur aufgenommenen Tätigkeit steht. Das Partnerschaftsgesetz sagt: »Die Freien Berufe 218

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt« (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz § 1 Abs. 2). Wenn Sie zusätzlich zu Ihrer systemischen Ausbildung ein dazu passendes Studium (Psychologie, Sozialpädagogik, Soziologie etc.) abgeschlossen haben, handelt es sich bei Ihrer Tätigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine freiberufliche Tätigkeit. Weitere Informationen dazu finden Sie im Download-Material. Was ist attraktiv an der Freiberuflichkeit?

Die Freiberuflichkeit bietet einige Besonderheiten: Ȥ Wenn Sie freiberuflich tätig sind, müssen Sie wie alle Einkommensteuer zahlen. Im Gegensatz zu Gewerbetreibenden müssen Sie aber keine Gewerbesteuer zahlen. Ȥ Sie ermitteln Ihren Gewinn am Ende des Jahres als »Einnahme-ÜberschussRechnung«, also durch eine einfache Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben (nicht durch eine Bilanz). Ȥ Sie sind berechtigt, eine Partnerschaftsgesellschaft zu gründen, eine besondere, nur Freiberufler*innen vorbehaltene Gesellschaftsform. Freiberufler*innen melden ihr Unternehmen beim Finanzamt an, indem sie den »Fragebogen zur steuerlichen Erfassung« ausfüllen. Dieser ist auch über »Elster Online« zu finden (https://www.elster.de/eportal/formulare-leistungen/ alleformulare/­fseeun). In diesem Fragebogen geben Sie Ihre Adressdaten an, Ihre Bankverbindung, ob es sich um eine Neugründung oder eine Übernahme handelt, und ob Sie kürzlich zugezogen sind. Interessant wird es bei folgenden Punkten: Ȥ Sie müssen die »Art der selbstständigen Tätigkeit« angeben. Diese muss nicht Ihrem Unternehmensnamen entsprechen. Die Beschreibung sollte so weit gefasst sein, dass Sie Ihre sämtlichen Tätigkeiten darunter subsumieren können. Und Sie sollte inhaltlich zum Profil einer freiberuflichen Tätigkeit passen, wenn Sie freiberuflich tätig werden wollen. Ȥ Sie müssen angeben, ob Sie zukünftig Kleinunternehmer*in sein wollen oder umsatzsteuerpflichtig sein werden.  ▶ Kapitel  9.5 Ȥ Sie müssen Ihre voraussichtlichen Einkünfte im Jahr der Gründung und im Folgejahr angeben. Schätzen Sie hier sehr optimistisch, werden auf Basis Ihrer Angaben Einkommensteuervorauszahlungen festgelegt. Sie sollten daher Ihren zukünftigen Geschäftserfolg an dieser Stelle auf keinen Fall unrealistisch hoch ansetzen.  Lassen Sie sich im Zweifelsfall beim Ausfüllen helfen und kontaktieren Sie eine*n Steuerberater*in oder Unternehmensberater*in. Ihr Unternehmen anmelden – das wollen Behörden von Ihnen

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Kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie die Kriterien für eine freiberufliche Tätigkeit nicht erfüllen, ist Ihre Tätigkeit ein Gewerbe. Gewerbetreibende müssen ihr Unternehmen beim Ordnungsamt ihrer Gemeinde oder Stadt anmelden. Das Ordnungsamt benachrichtigt dann wiederum das Finanzamt, die Handwerkskammer oder die IHK, die Berufsgenossenschaft und die Arbeitsagentur, wenn sie Mitarbeitende beschäftigen. Was ist mit der Anmeldung eines Gewerbes verbunden? Ȥ Gewerbetreibende müssen neben ihrer Einkommensteuer- und ggfs. Umsatzsteuererklärung auch eine Gewerbesteuererklärung abgeben. Ȥ Üben Sie nur ein kleines Gewerbe aus oder sind Sie nebenberuflich tätig, werden Sie keine Gewerbesteuer zahlen. Zurzeit beträgt der Freibetrag bei der Gewerbesteuer 24.500 Euro – bei einem Gewinn unterhalb dieses Betrags beträgt die Gewerbesteuer 0 Euro. Ȥ Nach der Anmeldung wird Sie die IHK oder Handwerkskammer anschreiben, bei der Sie nun Pflichtmitglied sind. Dieser Beitrag besteht aus einem fixen Grundbetrag und einer Umlage, die von Ihrer Wirtschaftskraft abhängig ist. Bei der IHK sind Sie in den ersten zwei Jahren nach der Gründung von der Zahlung von Beiträgen befreit, vorausgesetzt, Sie waren nicht schon vorher selbstständig. In den ersten zwei Jahren sind Sie vom Grundbetrag befreit; in den ersten vier Jahren auch von der Umlage. Wiederum vorausgesetzt, Ihr Gewinn liegt unter 25.000 Euro. Bei der Handwerkskammer (HWK) zahlen Gründer*innen reduzierte Beiträge. Wer sollte noch Kenntnis von Ihrer Selbstständigkeit erhalten?

Ȥ Wenn Sie sich als Heilpraktiker*in selbstständig machen, müssen Sie hierüber das Gesundheitsamt informieren. Das Gesundheitsamt ist zuständig für Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde- bzw. für die Hygieneüberprüfung von Kinderbetreuungseinrichtungen. Als Heilpraktiker*in dürfen Sie keine Hausbesuchspraxis errichten, denn das gilt als verbotenes »Umherziehen«. Sie müssen in jedem Fall geeignete Räume vorweisen können. Es könnte Sie auch jemand vom Gesundheitsamt aufsuchen. Ȥ Eine Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft und der gesetzlichen Unfallversicherung, ist für Selbstständige ohne Mitarbeitende in der Regel nicht verpflichtend. Beiträge müssen Sie zahlen, wenn Sie Mitarbeiter*innen einstellen. Sie können jedoch sich freiwillig versichern lassen. Weitere Infos zur Berufsgenossenschaft finden Sie im Download-Bereich. Ȥ Von der Arbeitsagentur erhalten Sie eine Betriebsnummer, wenn Sie Mitarbeiter*innen beschäftigen möchten. Diese brauchen Sie für den Kontakt mit Sozialversicherungsträgern. 220

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Ȥ Wenn Sie hauptberuflich selbstständig tätig sind, müssen Sie Ihre Krankenkasse informieren.  ▶ Kapitel  9.6

9.2 Der Name Ihres Unternehmens – was Sie dürfen und beachten müssen »Amerika gibt es nicht. Es ist ein Name, den man einer abstrakten Idee verleiht.« Henry Miller

Dürfen Sie Ihr Unternehmen nennen, wie Sie wollen? Jein – Sie müssen bei der Namensgebung bestimmte Regeln beachten: Ȥ Sie dürfen nicht die Rechte Dritter verletzen. Insbesondere dürfen Sie nicht bestehende Markennamen verwenden. Es darf keine Verwechslungsgefahr mit anderen Unternehmen entstehen. Ȥ Im Geschäftsverkehr ist es wichtig, dass man jederzeit hinter einem Unternehmen reale Menschen ausfindig machen kann, denn wenn jemand etwas bei Ihnen bestellt und bezahlt, und Sie liefern nicht, muss dieser Jemand Sie ausfindig machen können. Es muss eindeutig zu erkennen sein, wer hinter Ihrem Unternehmen steht. Und in manchen Bereichen – beispielsweise bei Heilpraktiker*innen – ist genau geregelt, was auf dem Praxisschild stehen darf. Firmenname

»Firma« ist die Bezeichnung, unter der Kaufleute ihre Geschäfte betreiben. Sie wird zum Beispiel im Falle einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) im Handelsregister eingetragen. Das gibt jedermann die Möglichkeit festzustellen, wer Eigentümer einer solchen Firma ist. Freiberufler*innen haben keine »Firma«, sondern agieren unter ihrem persönlichen Namen oder einer Geschäftsbezeichnung. Unternehmensname

Wenn Sie als Einzelunternehmerin tätig sind, sind Sie verpflichtet, in offiziellen Papieren – im Impressum Ihrer Webseite, auf Rechnungen, Verträgen usw. – Ihren vollen Namen zu nennen. Sie können zusätzlich einen Unternehmensnamen wie »Regenbogen-Beratung«, »Wege finden« oder dergleichen führen. Neben Ihrem Namen können Sie auch Fantasiebezeichnungen Der Name Ihres Unternehmens – was Sie dürfen und beachten müssen

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(der Firmenname Haribo entstand zum Beispiel aus Hans Riegel aus Bonn), Branchenbezeichnungen (Schmidt Coaching) oder Buchstabenkombinationen (AEG = Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft) wählen. Diese zusätzliche Geschäftsbezeichnung darf auf Ihrer Visitenkarte und Ihrer Homepage stehen – in Kombination mit Ihrem persönlichen Namen. Das gilt übrigens auch für die GbR – die Gesellschaft bürgerlichen Rechts –, bei der sich mehrere natürliche Personen zu einer Firma zusammenschließen. Sie könnten sich beispielsweise »Systemische Projekte« nennen. In der Unterzeile müsste dann zum Beispiel aber Thomas Meier/Lisa Schmidt GbR stehen, damit jeder Mensch erkennen kann, mit wem er es hier zu tun hat. Insbesondere bei allen rechtsrelevanten Akten, wie Verträgen, Rechnungen, Angeboten, Ihrer Webseite etc., muss Ihr voller Name aufgeführt sein. Hinzufügen dürfen Sie einen Ihre Tätigkeit kennzeichnenden Zusatz. Wichtig: Sie dürfen keinen Namen verwenden, der in die Irre führt: »Schmidt Coaching« sollte auch Coaching anbieten und nicht einen Buchhandel betreiben. Auch über die Größe Ihres Unternehmens dürfen Sie nicht täuschen. Ein Kleinstbetrieb darf sich nicht »Schmidt International« nennen. Geschäftsbezeichnung

Die Geschäftsbezeichnung ist der Name, der auf Ihrer Webseite und auf Ihrem Firmenschild steht. Sie kennen eine bekannte Drogeriekette unter ihrer Geschäftsbezeichnung »dm«, auch wenn der offizielle Firmenname »dm-drogerie markt GmbH + Co. KG« lautet. Wenn Sie einen Unternehmensnamen wie »SP Systemische Projekte« wählen möchten, werden Sie sich fragen, ob Sie diesen überhaupt verwenden dürfen. Sie sollten auf alle Fälle prüfen, ob irgendjemand den Namen bereits nutzt. Nicht untersagt werden kann Ihnen die Verwendung Ihres eigenen Namens – selbst wenn es andere Unternehmen gleichen Namens gibt. Wählen Sie einen Fantasienamen, müssen Sie herausfinden, ob dieser bereits geschützt ist. Bei Fantasienamen kann es sein, dass sich jemand die von Ihnen favorisierte Buchstabenkombination hat schützen lassen. Möglicherweise ist ein bestimmter Name auch nur in einer bestimmten Schreibweise und Farbgebung geschützt. Besonders dann, wenn Sie überregional tätig werden wollen, sollten Sie gründlich recherchieren. Sind Sie nur lokal tätig, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Probleme gibt, geringer – es sei denn, Sie verwenden einen bekannten Markennamen oder machen mit Ihrem Namen einem Lokalmatador Konkurrenz. Sie sollten Ihren möglichen Unternehmensnamen in jedem Fall googeln. Wichtig ist nämlich auch die Frage, ob Domains, die Sie mit diesem Namen sinnvoll verwenden könnten, schon vergeben sind. Sie haben ein elementares 222

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Interesse daran, dass Ihre Domain in vernünftigem Zusammenhang mit Ihrem Unternehmensnamen steht. Wenn alle Domains bereits vergeben sind, die für Sie interessant wären, sollten Sie lieber über einen anderen Unternehmens­ namen nachdenken. Im Markenrecht gilt die Geschäftsbezeichnung als schützenswertes »Unternehmenskennzeichen«, das heißt, wenn die Geschäftsbezeichnung unterscheidungskräftig ist oder sich im Alltag eingebürgert hat, kann hieraus ein gewisser Schutz entstehen. Falls Sie auf Dauer überregional tätig sein möchten, sollten Sie überlegen, ob Sie Ihren Unternehmensnamen selbst in irgendeiner Form schützen lassen möchten. Dazu sollten Sie sich in jedem Fall beraten lassen, beispielsweise von einem Anwalt für Markenrecht. Sie selbst können bereits eine Recherche durchführen – bei Google und beim Deutschen Marken- und Patentamt (DPMA). Wenn Sie aber wirklich ausschließen wollen, dass jemand mit einem ähnlichen Namen ältere Rechte hat und Ihnen die Nutzung Ihres Namens verwehren kann, brauchen Sie professionelle Unterstützung. Für Freiberufler*innen ist es zudem wichtig, darauf zu achten, was der Name dem Finanzamt signalisiert. Wenn Sie Pech haben, führt ein falsch gewählter Firmenname dazu, dass das Finanzamt vermutet, Sie seien gewerblich tätig. Wichtig: Ihr Name darf keinen falschen Eindruck erwecken. Wenn Sie ein »Institut« eröffnen oder eine »Akademie«, suggerieren Sie damit, dass Sie eine öffentliche oder wissenschaftlich angebundene Einrichtung betreiben. Sie sollten zumindest Kontakte in den Wissenschaftsbereich vorweisen können.

9.3 Buchhaltung – damit Sie wissen, wie es um Ihre Zahlen bestellt ist »Ordnung ist das halbe Leben. In der Buchhaltung das ganze.«

Warum ist es nützlich, sich mit dem Thema Buchhaltung zu beschäftigen? Und was müssen Sie tun, damit Ihre Buchhaltung ordnungsgemäß ist? Im besten Fall liefert Ihnen Ihre Buchhaltung möglichst zeitnah einen Überblick über Ihre Zahlen. Diese sind der Schlüssel zur Frage, ob und wie gut Sie von Ihrer Selbstständigkeit leben können. Sie brauchen Anhaltspunkte, um zu entscheiden, ob Ihre persönlichen Ausgaben gedeckt sind, um zu wissen, ob Sie diese oder jene betriebliche Ausgabe tätigen können oder nicht, wie hoch Ihre Steuerbelastung sein wird und wie viel von Ihrem Gewinn Sie zurücklegen müssen. Auch die Krankenkasse möchte vorab wissen, wie hoch Ihr zukünftiger Buchhaltung – damit Sie wissen, wie es um Ihre Zahlen bestellt ist

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Gewinn sein wird. Das Finanzamt will, dass Sie nachweisen können, was Sie eingenommen und ausgegeben haben. Und vor allen Dingen wollen Sie selbst wissen, ob Ihr Geschäftsmodell funktioniert. Verdienen Sie Geld mit Ihren Angeboten? Rechnet sich das, was Sie tun, oder zahlen Sie drauf? Für viele, die in der Schule Mathe gehasst haben, klingt eine solche Auflistung furchterregend. Die gute Nachricht: Sie müssen nur die Grundrechenarten beherrschen. Das können Sie alle. Wichtig ist es, sich zeigen zu lassen, wie Sie Ihre Belege sinnvoll sortieren, um das Finanzamt glücklich zu machen und dem Anspruch einer ordnungsgemäßen Buchhaltung zu genügen. Dies ist dann gewährleistet, wenn sich ein sachverständiger Dritter jederzeit in angemessener Zeit einen Überblick verschaffen kann. Rechnungen

Ihre Rechnungen müssen Ihren Namen, Ihre Adresse, das Datum, den Rechnungsempfänger mit Adresse, Art und Umfang der erbrachten Leistung und den Leistungszeitraum, den Rechnungsbetrag, gegebenenfalls den zugrunde gelegten Umsatzsteuersatz und den fälligen Umsatzsteuerbetrag, eine fortlaufende Rechnungsnummer und in Ihrem eigenen Interesse die Bankverbindung enthalten, um ordnungsgemäß zu sein. Nach der Anmeldung Ihres Unternehmens erhalten Sie vom Finanzamt eine Steuernummer. Diese muss auf jeder Rechnung angegeben werden. Sogenannte Kleinbetragsrechnungen bis 250 Euro sind ohne den Namen des Rechnungsempfängers und ohne Nummerierung ordnungsgemäß. Für die Rechnungsstellung sollten Sie sich mit dem Thema Umsatzsteuer auseinandersetzen, denn Sie müssen wissen, welche Ihrer Leistungen umsatzsteuerpflichtig sind und welche nicht. Im Download-Bereich finden Sie eine Auflistung aller Angaben für ordnungsgemäße Rechnungen bzw. Kleinbetragsrechnungen. Buchhaltung

Am besten lassen Sie sich von einem*einer Steuerberater*in zeigen, wie Sie Ihre Belege sortieren und ablegen. Wenn Sie sich auskennen, können Sie die Buchhaltung und im Prinzip auch die Steuererklärung selbst machen – ansonsten sollten Sie sich Unterstützung suchen. Sich selbst mit der Buchhaltung zu befassen, hat den Vorteil, dass Sie verstehen, was da passiert. Außerdem haben Sie stets einen zeitnahen Überblick über Ihre Finanzen. Auch wenn Sie Ihre Buchhaltung abgeben, sollten Sie die Zahlen, die Sie von Ihrem*Ihrer Steuerberater*in bekommen, lesen können – sonst geht Ihnen wertvolles Steuerungswissen über Ihr Unternehmen verloren. Lassen Sie sich erklären, 224

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

wie eine Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) aufgebaut ist. Oder Sie besuchen ein entsprechendes Seminar oder schauen sich Tutorials an. Es lohnt sich! Wichtig ist es darüber hinaus, dass Sie für sich eine Systematik entwickeln, um ohne viel Aufwand zu erkennen, wo Sie gerade finanziell stehen. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten: 1. Sie nutzen ein Buchhaltungssystem

In eine Buchhaltungssoftware geben Sie – oder Ihr*e Steuerberater*in – zeitnah alle Belege ein. Moderne Buchhaltungssoftware kann Bankdaten mittlerweile automatisch einlesen. Als Ergebnis bekommen Sie eine Betriebswirtschaftliche Auswertung, die Einnahmen, Betriebsausgaben und private Ausgaben auflistet, monatlich oder im Quartal, je nachdem, wie oft Sie die Zahlen erfassen. Praktischerweise haben Sie dann gleich auch am Ende des Jahres eine Einnahmen-­ Überschuss-Rechnung (EÜR) für das Finanzamt. 2. Sie nutzen Excel

Zu Beginn Ihrer Selbstständigkeit, wenn Sie vielleicht nur wenige Aufträge und niedrige Einnahmen haben, ist die Nutzung einer Buchhaltungssoftware überdimensioniert. Es reicht, wenn Sie für sich Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellen. Das kann zur Not handschriftlich geschehen. Besser ist es, eine einfache Excel-Liste zu erstellen. Sie hat den Charme, dass jede neue Eingabe automatisch addiert wird. So erhalten Sie einen schnellen Überblick. Excel können Sie zudem dazu nutzen, Angebote zu kalkulieren oder stets den Überblick über eintreffende Einnahmen und fällige Ausgaben zu haben. So behalten Sie den Überblick über Ihre Liquidität, sprich Zahlungsfähigkeit. Denn häufig kommt es nicht nur darauf an, dass Sie Einnahmen erhalten, sondern auch wann diese eintreffen. Das Geld muss dann da sein, wenn Sie es brauchen. Gemäß den »Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff« (GoBD) ist eine einfache Excel-Buchhaltung übrigens nicht ausreichend, da sie manipulierbar und nachträglich veränderbar ist. Wenn Sie formal alles korrekt machen wollen, können Sie Excel unterjährig nutzen. Letztlich aber muss Ihre Buchhaltung so beschaffen sein, dass Sie nicht einfach hingehen und nachträglich Einnahmen löschen können (weil sie weniger Steuern zahlen wollen). Allerdings wird bei Kleinstunternehmen (Umsatz bis 22.000 Euro) die Messlatte ausdrücklich nicht so hoch angelegt und die Nutzung von Excel weiterhin akzeptiert (Tunger, 2017). Die GoBD verlangen eine zeitnahe Erfassung von Buchungsvorgängen. Wollen Sie alles korrekt machen, müssen Sie bare Einnahmen täglich erfassen, Buchhaltung – damit Sie wissen, wie es um Ihre Zahlen bestellt ist

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unbare spätestens innerhalb von zehn Tagen. Belege gelten aber bereits durch eine geordnete Ablage als erfasst. Wenn Sie Word und Excel für Ihre Rechnungen und Buchhaltung nutzen, müssen Sie ein Dokumentenmanagement-System oder ein Online-Archiv nutzen. Das sind spezielle Programme, die digitale Dokumente den Anforderungen der GOBD (Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form und zum Datenzugriff) entsprechend aufbewahren, nämlich nachträglich nicht veränderbar.

9.4 Einkommensteuer – der Staat will seinen Anteil an Ihrem Gewinn »Nur zwei Dinge auf Erden sind uns ganz sicher: der Tod und die Steuern.« Benjamin Franklin

Wenn Sie selbstständig sind, sollten Sie sich mit den für Ihr Unternehmen relevanten Steuern – Einkommensteuer, Umsatzsteuer und ggfs. Gewerbesteuer – befassen und klären, was Sie buchhalterisch tun müssen, damit alles korrekt läuft. Sie können Ihre Steuererklärungen weiterhin selbst machen, wenn Sie das bisher gemacht haben und fit darin sind. Sie sollten auf keinen Fall alles der Steuerberatung überlassen, nach dem Motto: »Ich mag das nicht. Ich versteh das nicht. Die macht das schon für mich.« Denn es ist wichtig, dass Sie die grundlegenden Zusammenhänge verstehen, damit Sie Ihr Unternehmen steuern können und wissen, welche Ihrer Entscheidungen welche steuerlichen Konsequenzen haben – und die Steuerunterlagen und -bescheide auch verstehen. Das heißt nicht, dass Sie so tief einsteigen müssen, dass Sie alles selbst machen können. Es gibt im Rahmen von Gründungswochen, bei Wirtschaftsförderungen oder Volkshochschulen immer wieder Vortrags- und Seminarangebote für den Einstieg in die Selbstständigkeit, die Ihnen die steuerlichen Basics erläutern. Dieses Basiswissen brauchen Sie, damit Sie kompetent mit Ihrem*Ihrer Steuerberater*in sprechen können. Sie brauchen so viel Wissen, dass Sie Boden unter den Füßen haben und Sie wissen, warum Sie mehr oder weniger Steuern zahlen. Sie sollten das System dahinter verstehen. Ob Sie sich dann weiter in das Thema eindenken wollen und Sie der Ehrgeiz packt, Ihre Buchhaltung und Steuererklärung am Anfang selbst zu machen, wenn alles noch klein und überschaubar ist, bleibt Ihnen überlassen.

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Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Was passiert steuerlich mit Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit oder einem Gewerbebetrieb?

Wer selbstständig ist, ist zur jährlichen Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet. Sind Sie verheiratet, werden Sie in der Regel zusammen veranlagt. Wenn es steuerlich günstiger ist, können Sie aber auch die Einzelveranlagung wählen (die meisten profitieren als Verheiratete vom Splittingtarif – das heißt, sie zahlen gemeinsam weniger Einkommensteuer, als würden sie einzeln veranlagt). Gewinn und Betriebsausgaben

Zur Besteuerung herangezogen wird Ihr Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit beziehungsweise dem Gewerbebetrieb; Gewinn ist der Differenzbetrag zwischen Einnahmen und Betriebsausgaben. Eine Auflistung typischer Betriebsausgaben, die Systemiker*innen steuerlich absetzen können, finden Sie im Download-Bereich. Steuererklärung und Vorauszahlungen

Sie müssen bis zum 31.7. des Folgejahres Ihre Steuererklärung abgeben, oder – wenn Sie einen Steuerberater beauftragen – bis zum 28.2. des übernächsten Jahres. Daraufhin bekommen Sie einen Steuerbescheid und müssen die fällige Einkommensteuer entrichten. Sobald mehr als 400 Euro jährlich fällig werden, bekommen Sie zusätzlich einen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid, das heißt Sie müssen von da an auch im laufenden Jahr eine Vorauszahlung auf Ihre zukünftige Einkommensteuerschuld entrichten – und zwar jeweils quartalsweise ein Viertel der voraussichtlichen Gesamtlast. Dafür gibt es feste Termine, jeweils am 10.3., 10.6., 10.9. und am 10.12. jeden Jahres. Sobald Sie Ihre Steuererklärung abgeben, werden diese Vorauszahlungen verrechnet, und Sie erhalten eine Erstattung oder müssen eine Nachzahlung leisten.

Praxistipp: Steuerrücklagen bilden Denken Sie an das Thema Einkommensteuer, auch wenn das Finanzamt anfangs scheinbar noch gar nichts von Ihnen will. Bilden Sie Rücklagen! Zu Beginn werden Sie vielleicht nur geringe Gewinne aus Ihrer selbstständigen Tätigkeit erzielen. Sie geben bei der Anmeldung Ihres Unternehmens sinnvollerweise an, dass Sie mit wenig Gewinn rechnen und müssen daher keine Vorauszahlungen leisten. Ich möchte Ihnen das beispielhaft vorrechnen: Nehmen wir an, Sie machen sich zum 1.1.2021 selbstständig. Ihre Steuererklärung für das Jahr 2021 macht eine Steuerberaterin im Januar 2023; den Bescheid erhalEinkommensteuer – der Staat will seinen Anteil an Ihrem Gewinn

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ten Sie im April 2023. Sie müssen für 2021 keine Einkommensteuer zahlen, weil Ihr Gewinn niedrig war; auch für 2022 müssen Sie noch keine Vorauszahlungen leisten. Erfreulicherweise läuft Ihr Geschäft zunehmend gut. 2022 erwirtschaften Sie bereits einen ordentlichen Gewinn. Sie haben ein zu versteuerndes Einkommen von 25.000 Euro. Die Steuererklärung für 2022 gibt Ihre Steuerberaterin wiederum erst im Januar 2024 ab und errechnet eine fällige Einkommensteuer für 2022 von 3.626 Euro (wenn Sie alleinstehend sind). Was passiert nun? Sie müssen, wenn der Bescheid im April kommt, diese 3.626 Euro für 2022 zahlen. Gleichzeitig erhalten Sie einen Vorauszahlungsbescheid für 2023 in gleicher Höhe. Da das ganze Jahr 2023 schon vorbei ist, werden also noch einmal 3.626 Euro fällig. Und die erste Vorauszahlung für 2024 in Höhe eines Viertels von 3.626 Euro ist ebenfalls schon dran (906 Euro). Summa summarum müssen Sie auf einen Schlag 8.158 Euro zahlen. Wenn Sie keine Rücklagen gebildet haben, wird Sie diese Nachricht ziemlich umhauen.

Stellen Sie sich das Ganze mit größeren Summen und höheren Steuersätzen vor – dann kann einem schon mulmig werden. Daher ist es sinnvoll, unterjährig die Steuerbelastung in etwa zu schätzen und Rücklagen zu bilden. Dann können Sie dem Steuerbescheid gelassen entgegensehen. Sehr nützlich ist die Webseite des Bundesministeriums für Finanzen (www. bmf-steuerrechner.de), wo Sie selbst Ihr zu versteuerndes Einkommen eingeben können und Ihnen ausgerechnet wird, wie hoch die Steuerbelastung ausfallen wird. Höhe der Einkommensteuer

Ihre Einkommensteuer errechnet sich allein aus der Höhe Ihrer Einkünfte – es ist völlig egal, woher diese stammen. Selbstständige Einkünfte werden genauso hoch besteuert wie Einkünfte aus dem Job, aus der Vermietung von Wohnungen oder aus Kapitaleinkünften. Dabei ist der Steuertarif progressiv: Je mehr Sie verdienen, desto mehr Steuern müssen Sie entrichten. Weitere Informationen dazu finden Sie im Download-Material. Verluste und Liebhaberei

Verluste am Anfang einer Selbstständigkeit sind nicht ungewöhnlich – schließlich investieren Sie einiges in Ihr Vorhaben und es braucht häufig eine gewisse Zeit, bis genügend Einnahmen fließen. Verluste können Sie mit anderen Einkünften in Ihrer Steuererklärung verrechnen, sodass sich durch sie Ihre Steuerlast insgesamt mindert. Wenn Sie keine anderen Einkünfte haben, besteht die Möglichkeit, Verluste in frühere Steuerjahre zurückzutragen oder vorzutragen (sie bleiben dann stehen und werden mit zukünftigen Gewinnen verrechnet). 228

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Vorsichtig sollten Sie ein, wenn Sie über Jahre Verluste einfahren. Das Finanzamt schaut genau, wie sich Ihre Erträge aus der Selbstständigkeit entwickeln. Melden Sie fortgesetzt Verluste an, wird unterstellt, dass es sich bei Ihrem Tun um »Liebhaberei«, sprich, ein kostspieliges Hobby, handelt, und Sie keine wirkliche Gewinnerzielungsabsicht haben. Es kann dann zunächst Nachfragen vom Finanzamt geben, denen Sie mit Hinweis auf ernsthafte Aktivitäten zur Erzielung von Gewinnen begegnen können. Indizien dafür, dass Sie wirklich bestrebt sind, Ihr Unternehmen aufzubauen, sind die Anmietung betrieblicher Räume, eine Webseite, ein Blog, Social Media-Aktivitäten, Werbemittel etc. – alles, was deutlich macht, dass Sie wirklich nach außen in Erscheinung treten und Kund*innen gewinnen wollen. Spätestens nach drei bis vier Jahren ohne Gewinn sollten Sie aber darüber nachdenken, Ihre Tätigkeit einzustellen. Das Finanzamt erwartet von Ihnen innerhalb der ersten fünf Jahre einen Gesamtgewinn – kommt dieser nicht zustande, ist es berechtigt, rückwirkend die Verluste in Ihren Steuererklärungen abzuerkennen und Einkommensteuer nachzufordern. Übungsleiterfreibetrag gemäß § 3 Nr. 26 ESTG

Eine Besonderheit gibt es für diejenigen, die Seminare und Kurse bei öffentlichen Weiterbildungsträgern wie VHS oder Familienbildungsstätten anbieten oder für eine gemeinnützige Organisation wie Sportvereine oder die Kirche. Nebenberufliche Einkünfte bis zu einer Höhe von 3.000 Euro sind jährlich einkommensteuerfrei. Die Einkünfte aus einer solchen Tätigkeit sind darüber hinaus sozialversicherungsfrei.

9.5 Umsatzsteuer – auch unter dem Namen »Mehrwertsteuer« bekannt »Das Steuern ist wichtiger als die Steuern.« Markus Miller

Erst die Regel – dann die Ausnahmen

Wer als Unternehmer*in etwas verkauft, ist prinzipiell verpflichtet, auf das Entgelt – egal, ob für eine Ware oder eine Dienstleistung – eine Steuer zu erheben und diese anschließend ans Finanzamt abzuführen: Umsatzsteuer bzw. Mehrwertsteuer, wie sie im täglichen Leben genannt wird. Diese Umsatzsteuer schlägt er auf den eigentlichen Rechnungsbetrag auf und muss sie anschließend an das Finanzamt abführen. Gleichzeitig kauft ein Unternehmer selbst Dinge für das Unternehmen und zahlt hierfür auch Umsatzsteuer. Die gezahlte Umsatzsteuer – auch unter dem Namen »Mehrwertsteuer« bekannt

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Umsatzsteuer (sie heißt nun Vorsteuer) kann er mit der selbst erhobenen Umsatzsteuer verrechnen – er muss nur noch den Differenzbetrag an das Finanzamt bezahlen. Als Selbstständige*r muss man das Finanzamt regelmäßig in Form einer Umsatzsteuervoranmeldung darüber informieren, wie viel Umsatzsteuer man in einem bestimmten Zeitraum eingenommen hat und wie viel Umsatzsteuer (diese heißt dann Vorsteuer) man gleichzeitig selbst beim Einkauf von Waren oder Dienstleistungen bezahlt hat. Die Differenz daraus muss man ans Finanzamt bezahlen. Je nachdem, wie viel Umsatzsteuer anfällt, muss man diese Umsatzsteuervoranmeldung einmal im Jahr (bei weniger als 1.000 Euro Umsatzsteuer), einmal pro Quartal (bis zu 7.500 Euro Umsatzsteuer) oder monatlich (bei mehr als 7.500 Euro Umsatzsteuer) abgeben. Keine Regel ohne Ausnahmen – wenn einer der folgenden Tatbestände auf Sie zutrifft, müssen Sie keine Umsatzsteuer auf Ihre Leistungen erheben. Kleinunternehmerregelung

Wer im Jahre der Gründung voraussichtlich weniger Einnahmen als 22.000 Euro erzielt, muss keine Umsatzsteuer auf die eigene Leistungen erheben. Was passiert ab dann? Am Anfang jeden Jahres müssen Sie prüfen, wie hoch Ihre Umsätze im vergangenen Jahr waren. Sind Sie unter 22.000 Euro Umsatz geblieben? Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten können, müssen Sie sich noch fragen, ob Sie im vor Ihnen liegenden Geschäftsjahr weniger als 50.000 Euro Umsatz erzielen werden. Bejahen Sie auch diese Frage, sind Sie auch für dieses Jahr Kleinunternehmer*in. Das heißt, Sie stellen Ihre Rechnung ohne Umsatzsteuer – Sie dürfen aber auch die Umsatzsteuer, die Sie selbst entrichtet haben (also die gezahlte Vorsteuer), nirgendwo abziehen. Wenn Sie im laufenden Geschäftsjahr über die Grenze von 22.000 Euro kommen, passiert für dieses Jahr nichts – Sie müssen keine Umsatzsteuer abführen. Erst ab dem folgenden Jahr sind Sie dann umsatzsteuerpflichtig. Bei der Kleinunternehmerregelung ist es egal, welche Leistungen Sie erbringen. Es kommt allein auf die Höhe Ihrer Einnahmen an – ganz unabhängig davon, was Sie anbieten. Es gibt aber Umsatzsteuerbefreiungen, die nichts mit der Höhe Ihrer Umsätze zu tun haben, sondern mit dem, was Sie verkaufen. Paragraf 4 des Umsatzsteuergesetzes regelt, wer umsatzsteuerfreie Lieferungen und Leistungen erbringt: Umsatzsteuer in der Jugendhilfe

Von der Umsatzsteuer befreit ist, wer Leistungen im Bereich der Jugendhilfe anbietet. Nach § 4 Nr. 25 b) bb) USTG schließt das die Leistungen ein, die von 230

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Trägern der öffentlichen Jugendhilfe oder anderen »Einrichtungen mit sozialem Charakter« erbracht werden. Darunter fallen auch Einrichtungen, »die Leistungen erbringen, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe vergütet wurden«. Zu den »Einrichtungen« zählen in diesem Falle auch Selbstständige, sprich »natürliche Personen« und nicht nur Institutionen oder Vereine. Umsatzsteuer in der Weiterbildung

Wer Weiterbildungen anbietet, sei es als Institut oder Einzelperson, sollte prüfen, ob § 4 Nr. 21 USTG für ihn zutrifft. Aufgeführt ist im genannten Paragraf, dass alle Einrichtungen, die auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten, sich von der Umsatzsteuer befreien lassen können. Die Befreiung muss bei der zuständigen Landesbehörde beantragt werden und gilt nicht automatisch. Dies gilt für viele Trainings und Weiterbildungen, die berufliche Kompetenzen vermitteln. Im Zweifelsfall sollten Sie mit der Steuerberaterin klären, ob diese Regelung auf Sie zutreffen könnte. Diese wird Sie auch dabei unterstützen, einen Antrag auf Befreiung von der Umsatzsteuer bei der Bezirksregierung zu stellen. Befreit sind dabei nicht nur die Leistungen der Weiterbildungsanbieter selbst, sondern auch die der für sie tätigen Lehrkräfte. Umsatzsteuer in der Therapie

Therapeutische Leistungen sind von der Umsatzsteuer befreit. Für wen gilt diese Befreiung? In § 4 Nr. 14 a) UStG werden Heilbehandlungen aufgeführt, namentlich die des Heilpraktikers. Das bedeutet konkret, dass psychologische Psychotherapeut*innen mit Kassenzulassung oder solche, die eine Heilpraktikerausbildung absolviert haben und ausdrücklich eine therapeutische Leistung in Rechnung stellen, diese umsatzsteuerbefreit anbieten können. Systemische Therapeut*innen, die keine Heilpraktikerausbildung haben und eine Therapie in Rechnung stellen, fallen nicht unter diese Regelung. Wichtig ist, dass die Tätigkeit ausdrücklich der Behebung eines krankhaften Zustands dient und keine reine Beratung darstellt. Unerheblich ist nach geltender Rechtsprechung, ob die Krankenkassen die Behandlungskosten erstatten oder erstatten würden. Maßgeblich sind also zwei Dinge: Einerseits die berufliche Befähigung, andererseits die Art der Tätigkeit. Ziel der Tätigkeit muss eine Heilbehandlung sein. Eine reine Wellnessbehandlung fällt nicht unter den Paragrafen. Supervision, Coaching und Beratung werden ebenfalls durch diese Regelung nicht erfasst – auch wenn sie von einer approbierten Psychotherapeutin oder einem Heilpraktiker erbracht werden. Umsatzsteuer – auch unter dem Namen »Mehrwertsteuer« bekannt

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Wollen Sie auf Nummer Sicher gehen, vermerken Sie in Ihren Akten und auf der Rechnung den Diagnoseschlüssel. Die Akten unterliegen der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist. Umsatzsteuer Universitäten und Hochschulen, Volkshochschulen und Familienbildungsstätten

Haben Sie einen Lehrauftrag an einer Universität oder Fachhochschule? Dann sind Ihre Leistungen umsatzsteuerfrei. Auch wenn Sie Kurse an einer VHS oder einer Familienbildungsstätte geben, sind Sie befreit. Kombination aus Kleinunternehmerregelung und umsatzsteuerfreien Leistungen

Wenn ein Teil Ihrer Leistungen umsatzsteuerbefreit ist, weil es sich dabei um umsatzsteuerfreie Leistungen handelt, kann es sein, dass Sie mit Ihren restlichen, umsatzsteuerpflichtigen Leistungen unterhalb der Kleinunternehmerregelung bleiben.

Praxistipp: Umsatzsteuerbefreiung Sie haben Lehraufträge an der Universität in Höhe von 6.000 Euro, die umsatzsteuerbefreit sind. Sie geben selbst Kurse und Weiterbildungen – für diese haben Sie einen Antrag bei der Bezirksregierung gestellt, dem stattgegeben wurde. Durch diese Kurse und Weiterbildungen haben Sie Einnahmen in Höhe von 10.000 Euro erzielt und auch diese Leistungen sind also umsatzsteuerfrei. Zusätzlich haben Sie Einnahmen in Höhe von 15.000 Euro aus Supervision und Beratung. Insgesamt hatten Sie also Einnahmen von 31.000 Euro. Davon sind 16.000 Euro umsatzsteuerfreie Leistungen und 15.000 Euro umsatzsteuerpflichtige Einnahmen. Die 15.000 Euro umsatzsteuerpflichtigen Leistungen liegen unter der Kleinunternehmergrenze von 22.000 Euro. Auch diese Leistungen sind in diesem Jahr dementsprechend umsatzsteuerfrei. Auf Ihren Rechnungen müssen Sie jeweils vermerken, nach welcher Regelung die von Ihnen berechnete Leistung umsatzsteuerfrei ist.

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Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

9.6 Versicherungen – was Sie tun sollten, um sich abzusichern »Es gibt keine Sicherheit.Nur verschiedene Grade der Unsicherheit.« Anton Tschechow

Was können Sie als Selbstständige*r tun, um sich abzusichern? Gegen Krankheit, Unfälle, Auftragseinbußen oder die Veränderung von Marktbedingungen wie im Falle von Corona? Es kann immer etwas passieren und plötzlich können Sie nicht arbeiten. Oder Sie können zwar arbeiten, aber Ihre Umsätze brechen ein und Sie verdienen nicht genug Geld. Wie wappnen Sie sich für solche Fälle? Die Frage ist, ob Sie durch geeignete Maßnahmen vorsorgen können, damit ein unvorhergesehenes Ereignis Sie nicht sofort existenziell erschüttert. Außerdem müssen Sie sich fragen, welches Maß an persönlicher Sicherheit Sie für sich brauchen und ob Sie es aushalten, kein regelmäßiges Beamten- oder Angestelltengehalt zu beziehen. Wenn Sie persönlich von den Wechselfällen des Lebens betroffen sind, sind Sie potenziell auch wirtschaftlich betroffen. Das heißt, Sie müssen sich überlegen, was Sie tragen wollen und können, und wie Sie gut vorsorgen können. Gerade zu Beginn der Selbstständigkeit sind die Mittel zu knapp, um vernünftig vorzusorgen. Sie sollten aber nicht den Zeitpunkt verpassen, Rücklagen zu bilden, wenn Sie aus dem Gröbsten raus sind. Geld auf der hohen Kante bewahrt Sie davor, bei Auftragsschwankungen oder unerwarteten Kosten ins Minus zu rutschen. Kranken- und Pflegeversicherung

Wenn Sie hauptberuflich selbstständig sind, können Sie weiterhin als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenkasse bleiben. Allerdings müssen Sie Ihre kompletten Beiträge selbst tragen, da es ja keinen Arbeitgeber gibt, der die andere Hälfte zahlt. Sie müssen sich bei der Krankenkasse melden, die Ihnen einen Einkommenserhebungsbogen schicken wird, um die Höhe Ihrer voraussichtlichen Einkünfte zu ermitteln. Diese werden dann der Beitragsberechnung zugrunde gelegt. Auch wenn Sie noch sehr niedrige Einkünfte haben, wird der Berechnung Ihres Krankenkassenbeitrags ein Mindesteinkommen von (2021) 1.096,97 Euro zugrundegelegt und mit dem jeweiligen Beitragssatz belegt. Verdienen Sie mehr als dieses Mindesteinkommen, zahlen Sie höhere Beiträge. Abhängig von der Höhe Ihres monatlichen Einkommens steigern sich die Krankenkassenbeiträge bis zur Bemessungsgrenze. Das ist eine jährlich neu Versicherungen – was Sie tun sollten, um sich abzusichern

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definierte maximale Summe, ab der Ihre Krankenkassenbeiträge nicht mehr erhöht werden, egal, wie viel Sie verdienen. Was ist, wenn Sie Job und Selbstständigkeit kombinieren? Überwiegen Stunden und Einkommen im Job, sind Sie über diesen krankenversichert – Einkünfte aus der Selbstständigkeit müssen nicht zusätzlich krankenversichert werden. Überwiegt die Selbstständigkeit, werden Sie als Selbstständige*r krankenversichert. Ihre Einkünfte im Job gelten dann als Teil Ihres Gesamteinkommens, für das Sie Krankenversicherungsbeiträge zahlen. Im Download-Bereich ist näher erläutert, wann die Krankenkasse Sie als haupt- oder nebenberuflich selbstständig einstuft. Alternativ können Sie sich privat krankenversichern. Allerdings will dieser Schritt gut überlegt sein. Die privaten Krankenversicherungen locken mit besseren Leistungen und günstigen Beiträgen für Menschen, die jung und gesund sind. Trifft beides auf Sie zu, zahlen Sie vermutlich bei gleichem Einkommen niedrigere Beiträge als in der gesetzlichen Krankenkasse und werden gleichzeitig im Gesundheitssystem bevorzugt behandelt. Vorteil der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dass Ihre Beiträge abhängig vom Einkommen sind. Natürlich tut es weh, hohe Beiträge an die Krankenkasse zu zahlen, wenn Ihr Einkommen hoch ist – bei Einkommenseinbußen sinkt jedoch der Beitrag und passt sich Ihren veränderten Einkommensverhältnissen an. Zudem sind Ihr*e Partner*in und Ihre Kinder mitversichert. Bei der privaten Krankenversicherung sind die Beiträge von Alter und Gesundheitszustand abhängig. Für jedes Familienmitglied werden Extra-­Beiträge fällig. Das kann dazu führen, dass Ihre Beiträge gerade dann steigen, wenn Ihr Einkommen sinkt (vgl. Rieder u. Krempel, 2020). Die gesetzliche Krankenversicherung steht Ihnen offen, wenn Sie aus einem Angestelltenverhältnis kommen. Haben Sie sich einmal für eine private Absicherung entschieden, ist der Weg zurück in die gesetzliche Versicherung unter Umständen verwehrt oder schwierig. Nur unter bestimmten Bedingungen, müssen Sie wieder aufgenommen werden (www.krankenversicherung.net/ rueckkehr-­gesetzliche). Arbeitslosenversicherung

Voraussetzung, um in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung für Selbstständige aufgenommen zu werden, ist, Ȥ dass Sie in den letzten zwei Jahren vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Dabei muss es sich nicht um eine zusammenhängende Tätigkeit handeln. Ȥ oder dass Sie unmittelbar vor Aufnahme der Selbstständigkeit arbeitslos gemeldet waren. 234

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Ȥ dass der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Selbstständigkeit gestellt wird. Sofern Sie die Aufnahme beantragen, legen Sie sich für fünf Jahre fest. Die Beitragssätze sind nicht einkommensabhängig. Im Jahr der Aufnahme der Tätigkeit und im darauffolgenden Kalenderjahr zahlen Sie nur den halben Beitrag. Das Arbeitslosengeld, das Sie aus dieser Versicherung erhalten können, ist ebenfalls nicht einkommensabhängig, sondern basiert auf vier Qualifikationsklassen in Abhängigkeit von Ihrem höchsten Bildungsabschluss: ohne Ausbildung, mit abgeschlossenem Ausbildungsberuf, mit Meister/Fachschulabschluss, mit Hoch-/Fachhochschulabschluss. Die Höhe wird jedes Jahr neu festgelegt und variiert mit Steuerklasse und Kindern. Sollen Sie in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung Beiträge zahlen? Fragen Sie sich, was Sie tun, wenn es nicht läuft, wenn Sie Ihre Selbstständigkeit einstellen müssen. Wie sind Sie dann abgesichert? Gibt es andere Quellen, von denen Sie leben könnten? Falls nicht, ist es sinnvoll, durch die Arbeitslosenversicherung vorzusorgen. Krankengeld und Berufsunfähigkeitsversicherung

Die Frage, wovon Sie leben, stellt sich auch, wenn Sie längerfristig krank werden oder nicht mehr in der Lage sind, Ihren Beruf überhaupt auszuüben. Falls Sie in Ihrer Krankenversicherung den Tarif mit Krankengeld abschließen – wozu ich rate, sobald Sie Einkünfte in nennenswerter Höhe erzielen – bekommen Sie ab der sechsten Krankheitswoche Krankengeld von Ihrer Krankenkasse. Für ein und dieselbe Erkrankung bekommen Sie dies bis zu 18 Monate. Die Höhe des Krankengeldes beträgt 70 % des Arbeitseinkommens, für das Sie zuletzt Beiträge entrichtet haben. Wenn der Zeitraum von eineinhalb Jahren überschritten ist, wird sich die Krankenkasse melden und Sie »aussteuern«, sprich die Einstellung des Krankengeldes ankündigen. Danach stehen Sie ohne Einkommen da. Wollen Sie die Zeit im Anschluss absichern, benötigen Sie eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Die Höhe der Beiträge ist abhängig von Ihrem Gesundheitszustand – Sie müssen einen umfangreichen Fragebogen zu Ihrer Gesundheit und Vorerkrankungen in den letzten fünf Jahren wahrheitsgemäß ausfüllen. Die Versicherung wird Sie zudem im Falle bestimmter Vorerkrankungen möglicherweise ablehnen – häufig ist zum Beispiel eine Therapie in der Krankheitsakte im Prüfzeitraum ein Ablehnungsgrund.

Versicherungen – was Sie tun sollten, um sich abzusichern

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Berufshaftpflichtversicherung

Schäden, die Sie durch Ihr berufliches Handeln verursachen, sind nicht durch Ihre Privathaftpflichtversicherung abgedeckt. Versicherer unterscheiden drei Arten von Schäden: Personenschäden, Sachschäden und Vermögensschäden. Je nachdem, wie Ihre Tätigkeit genau aussieht, besteht ein großes (Hochseilgarten) oder eher geringes Risiko (Beratung in einer Praxis), dass Menschen zu Schaden kommen. Für eine Berufshaftpflichtversicherung spricht in jedem Fall, dass ein Personenschaden schnell gravierend und teuer sein kann, die Prämien sind jedoch vergleichsweise niedrig. Wenn Sie Mitglied in einem Verband (beispielsweise SG oder DGSF) sind, haben Sie Zugang zu Sammeltarifen und damit vergünstigten Beiträgen. Versicherer haben sich häufig spezialisiert und versichern nicht jedes Berufsbild, sodass es ratsam ist, auf die Expertise von Verbänden und Kolleg*innen zurückzugreifen. Machen Sie sich als Heilpraktiker*in oder psychologische*r Psychotherapeut*in selbstständig, müssen Sie eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. Rentenversicherung

Ein großes Thema für alle, die als Trainer*innen tätig werden wollen, ist die Rentenversicherung. In den letzten Jahren ist immer wieder in der Diskussion, eine generelle Rentenversicherungspflicht für alle Selbstständigen einzuführen. Dass diese Pläne umgesetzt werden, ist noch nicht abzusehen. Die Mehrzahl der Selbstständigen ist also nicht verpflichtet, Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung zu werden. Bei allem, was ich im Folgenden ausführe, geht es allein darum, ob Sie verpflichtet sind, Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung abzuführen. Gleichwohl ist es natürlich sinnvoll, sich Gedanken über die eigene Altersvorsorge zu machen. Was bedeutet es, wenn die Rentenversicherung Sie als rentenversicherungspflichtig einstuft? Sie haben die Wahl, ob Sie den Regelbeitrag zahlen, in den ersten drei Jahren als Existenzgründer*in den halben Regelbeitrag zahlen – oder ob Sie sich einkommensabhängig einstufen lassen. Da Sie die Beiträge allein tragen, führen Sie dann 18,6 % Ihres Gewinns an die Rentenversicherung ab. Wie ist die jetzige Gesetzeslage? Sie sind Pflichtmitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn Sie zu den verkammerten Berufen gehören, sprich wenn Sie psychologischer Psychotherapeut oder Ärztin sind, Rechtsanwältin oder Architekt. Abgesehen von einigen Ausnahmen (Hebammen, selbstständige Handwerksmeister, Physiotherapeuten) ist die Mehrzahl der Selbstständigen nicht pflichtversichert – außer den selbstständig Lehrenden, die ihre Tätigkeit nicht nur nebenberuflich ausüben.

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Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Wer sind selbstständig Lehrende?

Fragt man die deutsche Rentenversicherung, so fallen unter diese Tätigkeit alle, die Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Mensch zu Mensch vermitteln. Dabei kommt es nicht auf die Art des Inhalts, auf die Methoden, den Ort oder eine besondere pädagogische Ausbildung an. Allein die Tatsache, dass Unterricht stattfindet, macht die Tätigkeit zu einer lehrenden. Als Lehrende gelten zum Beispiel VHS-Dozenten, Ausbilder in der Handwerkskammer, Fitness- und andere Sporttrainerinnen, Tanz-, Fahr- oder Sprachlehrer, Nachhilfelehrer und sogar Verkaufs-, Rhetorik- oder Kommunikationstrainerinnen. Aus Sicht der Rentenversicherung können »auch selbstständige Coaches, Berater, Trainer, Moderatoren oder Supervisoren (…) als Lehrer tätig sein. Die Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnung ist unbeachtlich. Ausschlaggebend ist immer der Inhalt der Tätigkeit« (Frater, 2019). Dabei kommt man durchaus zu einer vernünftigen Betrachtungsweise dessen, was Coaching ist: »Nach einer Definition ist Coaching die individuelle Beratung von einzelnen Personen oder Gruppen in auf die Arbeitswelt bezogenen, fachlich-sachlichen und/oder psychologischsoziodynamischen Fragen bzw. Problemen« (Frater, 2013). Nach einer anderen Beschreibung des Begriffs handelt es sich um die Kom­bination aus individueller Beratung, persönlichem Feedback und praxisorientiertem Training beziehungsweise um einen personenzentrierten Beratungs- und Betreuungsprozess, der unterschiedliche Bedarfsgrundlagen des Coachingnehmers umfassen kann, zeitlich begrenzt ist, und als »Hilfe zur Selbsthilfe« verstanden werden kann.« So urteilte ein Sozialgericht und zog den Schluss: »Somit unterliegen Sie als Lehrer der Sozialversicherungspflicht« (zitiert nach Frater, 2013). Dass Coaching und Supervision lehrende Tätigkeiten sein sollen, erscheint mehr als absurd. Nichtsdestotrotz ist dies im Augenblick gängige Rechtsprechung. Und wer sich an die Rentenversicherung wendet und sich um eine Statusfeststellung bemüht, wird als Supervisorin oder Coach die Einschätzung bekommen, als Lehrende*r zukünftig rentenversicherungspflichtig zu sein. Dabei geht es im Übrigen nicht nur um zukünftige Beiträge – die Rentenversicherung kann Beiträge bis zu vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem sie fällig geworden sind, nachfordern. Beratung gilt nicht als lehrende Tätigkeit. Als Beratung sieht die Rentenversicherung es an, wenn es um die Lösung von Einzelproblemen, das gezielte Beheben von Defiziten und die Förderung individueller Stärken der Teilnehmenden geht – nicht um eine allgemeine Qualifizierung. Viele von Ihnen werden Tätigkeiten aus mehreren Bereichen ausüben. Dann wird jede Tätigkeit einzeln bewertet: Sind Sie als Beraterin tätig und veranstalten nebenher noch einige Seminare, gelten nur diese als lehrende Tätigkeit. Dabei Versicherungen – was Sie tun sollten, um sich abzusichern

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gibt es eine Grenze von durchschnittlich 450 Euro pro Monat, die Sie aus lehrender Tätigkeit beziehen dürfen, ohne rentenversicherungspflichtig zu werden (Stand 2021). Wenn Sie Tätigkeiten ausüben, die eine Mischung aus Beratung und Lehre darstellen, kommt es bei der Betrachtung durch die Deutsche Rentenversicherung darauf an, welcher Aufgabenbereich der Gesamttätigkeit das Gepräge gibt, sofern diese Tätigkeiten in einem organisatorischen Zusammenhang stehen. Versicherungspflicht besteht nur, wenn die lehrende Tätigkeit im Vordergrund steht. Rentenversicherungspflicht für Erzieher*innen

Auch selbstständige Erzieher*innen sind rentenversicherungspflichtig. Dazu zählen zum Beispiel Menschen, die Kindergärten oder Horte betreiben und dort Kinder und Jugendliche betreuen sowie Tagespflegepersonen. »Die Tätigkeit der Erzieher ist darauf ausgerichtet und bestimmt, Einfluss auf die geistige, seelische, charakterliche und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu nehmen« (Rentenbescheid24.de, 2016). Wann besteht keine Rentenversicherungspflicht?

Keine Rentenversicherungspflicht besteht, Ȥ wenn Sie nur eine Übungsleiter- oder Ehrenamtspauschale laut § 3 Nr. 26 und 26a EStG bekommen. Ȥ wenn Sie geringfügig beschäftigt sind (bis 450 Euro pro Monat). Ȥ wenn Sie nur gelegentlich kurzfristige, nicht »berufsmäßige« Lehraufträge übernehmen (bis zu zwei Monaten bzw. 50 Tagen pro Jahr). Doch Vorsicht, sobald Sie jedes Jahr ein bestimmtes Seminar anbieten, gilt dies schon als berufsmäßig. Ȥ wenn Sie selbst einen eigenen Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Dieser muss über 450 Euro verdienen – oder Sie stellen zwei Minijobber ein, deren Gesamtverdienst über 450 Euro liegt.

9.7  Brauchen Sie AGB? – klare Spiegelregeln definieren »Du darfst freundlich sein, ein großes Herz haben und trotzdem Nein sagen.«

Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind vorformulierte Vertragskonditionen, die Sie für Ihre Selbstständigkeit definieren. Sie haben damit die Möglichkeit zu regeln, wie Sie sich das Miteinander mit Ihren Kund*innen vorstellen. 238

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Haben Sie etwa ein Fortbildungsinstitut oder vertreiben Video-Tutorials, werden Sie immer wieder vor Fragen stehen wie: »Wann können Waren/Dienstleistungen storniert und zurückgegeben werden?«, »Wie sind Rücktrittsfristen?« Wenn Sie Coach oder Beraterin sind, wird es regelmäßig passieren, dass Menschen sehr kurzfristig Termine absagen. Dann steht die Frage im Raum, ob für den abgesagten Termin von Ihnen ein Honorar in Rechnung gestellt wird oder nicht. Es kann sehr hilfreich sein, wenn klar geregelt ist, wie Sie in diesen Fällen vorgehen möchten. Sie definieren mit den AGB einen Rahmen für Ihre Dienstleistungen, ohne dass dies immer einzelvertraglich passieren muss. Indem ein Kunde Geschäftsbeziehungen mit Ihnen eingeht, akzeptiert er automatisch Ihre AGB. Sie sollten allerdings ausdrücklich auf die AGB hinweisen und sich absichern, dass Ihr*e Kund*in diese zur Kenntnis genommen hat. AGB haben im Übrigen auch für Sie selbst den Vorteil, dass Sie Klarheit schaffen, welchen Rahmen Sie in Ihrer Arbeit stecken wollen. Erfahrungsgemäß gibt es in der ersten Zeit der Selbstständigkeit immer mal wieder inneren Ärger, wenn Ihnen bewusst wird, dass Sie Dinge unscharf gelassen haben. Ihre Klient*innen werden Ihnen auf diese Weise deutlich machen, wo Sie etwas genauer regeln möchten. Im Download-Bereich finden Sie eine Liste, was typischerweise in AGB geregelt wird. Wie kommen Sie ganz praktisch an AGB?

Erstmal ist es hilfreich, die Punkte zu sammeln, die Ihnen am Herzen liegen und die im Alltag zu Ärger und Irritationen führen. Inspirieren lassen können Sie sich natürlich von AGB von Fachkolleg*innen. Natürlich kann Sie niemand daran hindern, AGB eines Kollegen aus dem Internet einfach abzuschreiben – das heißt aber nicht, dass diese dann unbedingt vor Gericht standhalten würden. Nur eine Rechtsanwältin kann prüfen, ob AGB gesetzeskonform sind. Denn Unternehmen haben durch AGB die Möglichkeit, die vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) vorgesehenen Regelungen für sich zu verbessern. Sie dürfen allerdings Ihre Kund*innen nicht unangemessen benachteiligen – dann verlieren Ihre AGB ihre Gültigkeit. Am sichersten ist es, wenn Sie sich von Ihren Kund*innen ausdrücklich schriftlich bestätigen lassen, dass diese die AGB zur Kenntnis genommen haben. Was ist, wenn Sie keine AGB haben?

Wenn es zu Streitigkeiten kommt, gilt das BGB, auf dessen Regelungen vor Gericht zurückgegriffen wird. Es sei denn, Sie schließen einen Vertrag mit Ihrem Kunden ab, in dem Sie die Beziehung zu ihm ausdrücklich regeln. Dieser Vertrag wiederum wird ähnliche Klauseln enthalten wie die AGB, nur auf den konkreten Einzelfall bezogen.  ▶ Kapitel  9.8 Brauchen Sie AGB? – klare Spiegelregeln definieren

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Unter welchen Umständen sind AGB gültig?

Sie müssen Ihre Kund*innen auf die AGB hinweisen und dafür sorgen, dass sie auch Einsicht in diese haben, zum Beispiel indem sie die AGB an ein Angebot anhängen, an eine Mail, auf Ihrer Webseite veröffentlichen oder einem Vertrag beifügen. In diesem Vertrag muss aber ausdrücklich auf die AGB hingewiesen werden, beispielsweise so: »Für diesen Vertrag gelten die umseitig abgedruckten allgemeinen Geschäftsbedingungen«.

9.8 Verträge und Datenschutz – Ihrem Tun einen rechtlich sicheren Rahmen geben »Ein Vertrag ist dazu da, sich zu vertragen. Auch dann, wenn es schwierig wird.«

Gesellschaftsvertrag

Gründen Sie gemeinsam mit anderen, ist es ratsam, Ihre Zusammenarbeit vertraglich zu regeln. Doch selbst wenn Sie nicht explizit und schriftlich klären, wie Ihr Umgang miteinander sein soll, entsteht unter Umständen ein gemeinsames Unternehmen. Im Konfliktfall würden Sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gelten. Als Rechtsgrundlage wird das BGB herangezogen. Eine GbR braucht nämlich für ihre Entstehung keine Schriftform. Allerdings haben Sie auf diese Weise keinen Einfluss auf die Regelung Ihrer Beziehungen. Sinnvoll ist es, dass Sie sich gründlich Gedanken machen, wie Sie sich die gemeinsame Arbeit vorstellen, wer welche Rechte und Pflichten hat, wie Kosten und Gewinn aufgeteilt werden sollen, wer die gemeinsame Firma auf welche Weise verlassen kann – oder den anderen kündigen kann –, wie Entscheidungen gefällt werden und wer die Firma wann nach außen vertritt. Sprechen Sie in der Anbahnungsphase diese Punkte sorgfältig durch, schaffen Sie eine gemeinsame Grundlage für die gemeinsame Arbeit – dann haben Sie eine Basis, wenn es doch irgendwann knallen sollte. Lassen Sie sich unbedingt beraten, damit Sie an alles Wesentliche denken und Ihr Vertrag im Zweifelsfall auch vor Gericht Bestand hat (weitere Infos vgl. IHK Region Stuttgart, 2021). Verträge

Zusätzlich oder alternativ zu AGB ist es sinnvoll zu überlegen, wo es zwischen Ihnen und Ihren Kund*innen Rechte und Pflichten zu klären gibt, und wann es nötig ist, Ihre Abmachungen schriftlich in einem Vertrag festzuhalten. Verträge kommen wirksam auch mündlich zustande. Es reicht dafür, dass Sie ein Angebot erstellen – das tun Sie bereits durch eine Seminarankündigung oder ein Beratungs240

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

angebot zu bestimmten Konditionen auf Ihrer Webseite – und ein Kunde sagt: »Ja, das will ich so in Anspruch nehmen.« In der Praxis kann es gut sein, dass Sie in vielen Fällen auf den Abschluss eines schriftlichen Vertrages ganz verzichten und damit gut fahren. Jemand ruft an und möchte einen Beratungstermin. Sie einigen sich darüber, worum es inhaltlich gehen soll, über Datum und Honorarhöhe. Die Beratung findet statt. Sie stellen die Rechnung. Der Kunde zahlt. Alles prima. Das Problem mit mündlich geschlossenen Verträgen ist die Beweislage. Wenn es zu Störungen kommt – der Kunde zum Beispiel nicht zum vereinbarten Termin erscheint. Sie haben dafür einen anderen lukrativen Termin abgesagt und möchten jetzt ein Honorar. Der Kunde sagt: »Warum, ich habe doch keine Leistung in Anspruch genommen.« Sie haben nichts in der Hand. Das ist vermutlich zu verschmerzen, wenn es um ein einzelnes Beratungsgespräch geht. Bei einem größeren Auftrag kann es aber durchaus hilfreich sein, wenn Sie und Ihr Kunde schriftlich festhalten, auf welcher Basis die Beratung stattfinden soll. Je nach persönlichen Vorlieben und Angebot ist es selbstverständlich, dass schriftliche Verträge geschlossen werden. Geregelt werden in einem Vertrag in der Regel folgende Fragen: Ȥ Wer sind die Vertragspartner*innen? Ȥ Über welche Leistung wird ein Vertrag geschlossen? In welchem Zeitraum soll diese erbracht werden? Wird ein bestimmter Erfolg geschuldet? Ȥ Wie lange dauert die Beratungsbeziehung? Wer kann sie wie aufkündigen? Ȥ Wie ist die Vergütung geregelt? Ȥ Wie lauten die Absageregelungen? Ȥ Wie wird mit Datenschutz und Vertraulichkeit umgegangen? Alle Punkte, die in AGB geregelt werden, können Sie auch einzelvertraglich mit einem bestimmten Kunden vereinbaren. Eine Quelle von Ärger ist häufig die Frage, wie kurzfristig eine Klientin absagen darf und wann sie die Beratung bezahlen muss, auch wenn sie nicht erscheint. Für sich klären müssen Sie auch, wie Sie es handhaben wollen, wenn Sie zehn Termine vereinbart haben, sich Ihre Klientin aber nach dem vierten einfach nicht mehr meldet oder sagt, dass sie die Beratung beenden will. Bestehen Sie auf die vereinbarten Termine? Akzeptieren Sie die Beendigung, wollen aber, dass auf alle Fälle ein Abschlusstermin stattfindet? Es geht bei diesen Fragen nicht nur um rechtliche Aspekte – wichtig ist, dass Sie für sich entscheiden, wie Sie den Umgang mit Ihren Kund*innen gestalten wollen. Je klarer Sie definieren können, was Sie sich wünschen, desto klarer können Sie das auch – schriftlich wie mündlich – kommunizieren. Ein Muster für einen Patientenvertrag im Bereich Therapie finden Sie im Downloadbereich. Verträge und Datenschutz – Ihrem Tun einen rechtlich sicheren Rahmen geben

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Joachim Wenzel hat sich in einem Aufsatz »Rechtliche Einordnung der Systemischen Therapie« (2020) mit dem Unterschied zwischen Dienstvertrag und Behandlungsvertrag und den möglichen Rechtsfolgen auseinandergesetzt. Wer systemische Therapie als heilkundliche Psychotherapie anbietet – mit Approbation oder als Heilpraktiker*in – unterliegt weit mehr gesetzlichen Vorgaben als jemand, der systemische Therapie jenseits der Heilkunde anbietet. Wenzel empfiehlt Freiberufler*innen ohne Approbation und Heilpraktikerausbildung vor allem im Einzelsetting eine schriftliche Abgrenzung zu Psychotherapie zur eigenen Absicherung. Es erhöhe die Transparenz, wenn in einem Vertrag die eigene Dienstleistung konkret beschrieben werde und ausdrücklich benannt sei, dass es sich nicht um eine psychotherapeutische Leistung handele. Anzuraten sei »eine schriftliche Bestätigung der Aufklärung der Klienten, dass bereits beim Verdacht auf eine mögliche körperliche Krankheit und/oder psychische Störung neben oder anstelle der vereinbarten Dienstleistung eine ärztliche und/oder psychotherapeutische Untersuchung/Behandlung erfolgen sollte« (2020, S. 81). Aufbewahrungsfristen

Zehn Jahre lang müssen Akten für steuerliche Zwecke aufbewahrt werden. Hierzu gehören alle Buchhaltungsunterlagen, Jahresabschlüsse und Steuererklärungen, aber auch Belege, Kalender und Fahrtkostenabrechnungen. Wie aber steht es mit Patientenakten und eigenen Aufzeichnungen für Beratung und Therapie? Wie lange müssen diese aufgehoben werden bzw. wann sind Sie im Gegenteil verpflichtet, Unterlagen zu vernichten? Im Rahmen gesetzlicher Psychotherapie gibt es genaue Vorschriften, wie Sie mit Patientenakten verfahren müssen (vgl. Onlinesupervisor, 2020). Hier haben Sie die Pflicht, Patientenakten zehn Jahre aufzubewahren (Wenzel, 2020, S. 63). Alle anderen hingegen unterliegen nicht dem Gebot der Dokumentationspflicht. Im Gegenteil, dies wäre sogar rechtswidrig nach DSGVO (Wenzel, 2020, S. 82). In der Jugendhilfe gibt es eine Dokumentationspflicht – diese ist aber für Freiberufler*innen nicht definiert. Allerdings ließe sich aus den Dokumentationspflichten für freie Träger ableiten, wie der Umgang systemischer Fachkräfte mit Patientenakten aussehen müsste. Weitere Informationen dazu finden Sie im Download-Bereich. Datenschutz

2018 herrschte allerorts große Aufregung über die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Mittlerweile hat sich die Lage wieder beruhigt. Nichtsdestotrotz hat die DSGVO weitreichende Konsequenzen für Ihren täglichen Umgang mit Daten. 242

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

Daten, die Sie zur Abwicklung eines Auftrags von Ihrem Auftraggeber brauchen, dürfen Sie speichern – zum Beispiel zur Rechnungsstellung. Ansonsten dürfen Sie personenbezogene Daten nur mit ausdrücklicher Einwilligung Ihrer Klient*innen speichern. Am besten formulieren Sie eine entsprechende Einwilligungserklärung, die Sie sich von allen unterschreiben lassen. Ausdrücklich müssen Sie darin bestätigen, dass Sie auf Wunsch Daten löschen und überhaupt nur solange aufbewahren, wie die Geschäftsbeziehung besteht – es sei denn, Sie müssen diese für andere, beispielsweise steuerliche Zwecke, aufheben. Auf Ihrer Webseite muss sich eine aktuelle Datenschutzerklärung befinden – fragen Sie am besten Ihren Webdesigner. Außerdem müssen Sie ein Verzeichnis Ihrer Datenverarbeitungstätigkeiten erstellen (siehe Bock, 2019). Sie müssen sicherstellen, dass unbefugte Dritte keinen Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten. Wenn Menschen für Sie arbeiten, müssen diese eine Datenschutzerklärung unterschreiben, die sie verpflichtet, den Datenschutz einzuhalten. Haben Sie mehr als zehn Mitarbeiter*innen, müssen Sie einen Datenschutzbeauftragten benennen. Nähere Informationen hierzu finden Sie im Download-­ Bereich.

9.9 Scheinselbstständigkeit – wann angezweifelt wird, ob Sie überhaupt selbstständig sind »Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.« Perikles

Honorarkraft oder Auftragnehmer*in sein

Wenn Sie für längere Zeit nur für einen Auftraggeber arbeiten, kann es Ihnen passieren, dass Sie als scheinselbstständig eingestuft werden. In der Konsequenz wird dann Ihr Verhältnis zu Ihrem Auftraggeber rückwirkend als Arbeitsverhältnis betrachtet. Die Rentenversicherung kann dann bei Ihrem Auftraggeber für bis zu vier Jahre Sozialversicherungsbeiträge nachfordern; das Finanzamt die Lohnsteuer. Häufig ist es eine Prüfung der Rentenversicherung, der Krankenkassen oder der Arbeitsagentur bei Ihrem Auftraggeber, die dazu führt, dass bestehende oder frühere Vertragsverhältnisse mit Ihnen auch im Hinblick auf Scheinselbstständigkeit überprüft werden. Geschaut wird dann nach folgenden Kriterien: Scheinselbstständigkeit – wann angezweifelt wird, ob Sie überhaupt selbstständig sind

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Ȥ Arbeiten Sie überwiegend und dauerhaft nur für einen Auftraggeber? Ȥ Beziehen Sie mehr als fünf Sechstel Ihrer Einkünfte nur von diesem einen Auftraggeber? Im Umkehrschluss: Positiv ist es, wenn Sie Einkünfte anderer Auftraggeber nachweisen können. Ȥ Sind Sie weisungsgebunden und in die Organisation des Auftraggebers eingebunden? Ȥ Beschäftigen Sie selbst Mitarbeiter*innen? Wenn Sie selbst Arbeitgeber sind, gelten Sie nicht als scheinselbstständig. Ȥ Können Sie Ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen? Ȥ Wo arbeiten Sie? Haben Sie einen eigenen Arbeitsplatz, den Sie selbst wählen können? Ȥ Treten Sie als Selbstständige*r auf und verfügen über Webseite, Visitenkarten usw.? Betreiben Sie Akquise, um andere Aufträge zu generieren? Ȥ Sind Sie Ihrem Auftraggeber Rechenschaft über Ihre Arbeit schuldig? Müssen Sie regelmäßig Bericht erstatten? Ȥ Arbeiten Sie faktisch unter ähnlichen Bedingungen wie andere Mitarbeiter*innen Ihres Auftraggebers, die von diesem angestellt wurden? Findet eine Prüfung statt, wird also nach einer Vielzahl von Faktoren geschaut, die zusammengenommen zeigen sollen, dass Sie faktisch wie ein*e Arbeitneh­ mer*in beschäftigt sind. Fällt die Prüfung zu Ihren Ungunsten aus und es wird eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, gilt damit Ihre Selbstständigkeit als beendet. »Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer werden rechtlich als Gesamtschuldner bei Scheinselbstständigkeit angesehen. Der bis dato Auftraggeber kann daher die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen drei Monate von seinem künftigen Gehalt abziehen. Je nach Honorar bzw. dann Nettogehalt ergibt sich die Beitragshöhe« (Klein, o. D.). Auftraggeber*in sein

Das Thema Scheinselbstständigkeit ist für Sie nicht nur als Auftragnehmer*in relevant, sondern vor allem auch als Auftraggeber*in. Es ist an Ihnen, sich schriftlich abzusichern, dass Ihre Auftragnehmer*innen auf Dauer nicht nur für Sie arbeiten. Sie sollten im Blick behalten, ob es in Ihrer Branche gerade Bestrebungen der Sozialversicherungsträger gibt, generell alle Auftragsverhältnisse zu Arbeitsverhältnissen zu erklären. Im Zweifelsfall ist es sicherer, Menschen, mit denen Sie dauerhaft zusammenarbeiten, einzustellen, als große, ungeplante Nachzahlungen zu riskieren. Klären Sie unbedingt mit Ihrer Steuerberatung, was Sie tun können, um auf der sicheren Seite zu sein. 244

Formale Basics: Damit Sie alles richtig machen

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 Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst! »Je besser man mit sich selbst lebt, desto besser kann man sich um andere kümmern.« Karl Lagerfeld

Erfahrungsgemäß dauert es eine gewisse Zeit, bis Sie für sich einen guten Rahmen geschaffen haben. Was bedeutet das? Arbeiten Sie in einer Institution oder einem Unternehmen, wird von außen reguliert, wie Sie sich organisieren: Wie Ihre Arbeits- und Pausenzeiten sind, was Ihre Aufgaben sind, wann Meetings sind und mit wem Sie sich wann rückkoppeln sollen. Das Unternehmen sorgt für einen Arbeitsplatz und die notwendige Geschäftsausstattung und versorgt Sie mit den für die Arbeit nötigen Informationen. Hier stellen Sie ggfs. einen Weiterbildungsantrag und bekommen Feedback über Ihre Arbeit. Für all das müssen Sie ab nun selbst sorgen. Wenn Sie selbstständig sind, werden Ihnen Arbeitsstrukturen nicht von außen auferlegt. Das hat Vor- und Nachteile. Sie haben die Freiheit, sich eigene Rahmungen zu schaffen, die zu Ihnen und Ihrer Arbeitsweise passen, die Ihren persönlichen Bedürfnissen gerecht werden und Ihnen guttun. Sie haben die Freiheit, dann Pausen zu machen, wenn Sie sie brauchen, und einen Arbeitsrhythmus zu kreieren, der auf Ihren Biorhythmus abgestimmt ist. Sie können Arbeit und andere Lebensbereiche – zum Beispiel Kinder – miteinander in Einklang bringen. Einerseits. Andererseits sind Sie selbst für alles verantwortlich. Sie müssen reagieren, wenn Kund*innen oder Auftraggeber*innen sich melden – es sei denn, Sie können Aufgaben an Mitarbeiter*innen oder Partner*innen delegieren. Schaffen Sie sich gute Strukturen, müssen Sie sich nicht jeden Tag neu organisieren. Das entlastet Sie bei Ihrer Tagesplanung. Sie klären auf längere Sicht, was bei Ihnen möglich ist und was nicht. Was können Sie tun, um sich gut zu organisieren und Ihre Zeit zu strukturieren? Wie können Sie sich mit anderen vernetzen? Was brauchen Sie an äußerem Rahmen, um gute Arbeit leisten zu können?



Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

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10.1 Selbstfürsorge – wenn Sie es nicht tun, wer dann? »Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken darüber nach. Die meisten Leute nehmen es so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit … Zeit ist Leben und das Leben wohnt im Herzen.« Aus Michael Endes »Momo«

Ein Großteil von Ihnen wird Geld im direkten Kontakt mit Kund*innen verdienen, durch Seminare, Beratungen, Therapien, Supervisionen oder Trainings. Davor und danach ist aber noch eine Menge zu tun. Vorher müssen Sie sich die Inhalte erarbeiten, die Sie vortragen. Seminare, Fortbildungen und Trainings müssen konzipiert und geplant werden. Nachher sitzen Sie an Auswertungen, Fotoprotokollen und Feedbackbögen. Ganz abgesehen von dem, was Sie regelmäßig tun, um Ihre Expertise aufzufrischen und neue Trends mitzubekommen: Sie lesen, Sie besuchen Fortbildungen, Sie sprechen mit Kolleg*innen, Sie fahren auf Tagungen und Kongresse, Sie nehmen Intervision und Supervision in Anspruch. Früher waren all diese Tätigkeiten Teil Ihres bezahlten Jobs. Jetzt ist es Ihre eigene – unbezahlte – Lebenszeit, die Sie investieren. Sie wollen gut sein. Sie müssen vorbereitet sein. Und dennoch konkurriert alles, was Sie tun, mit anderen Dingen, die Sie stattdessen tun könnten. Sie können Ihre Zeit nur einmal nutzen. So sind Sie in einer permanenten Entscheidungssituation, was Priorität haben soll. Neben der inhaltlich-fachlichen Arbeit müssen Sie sich noch um Organisation, Buchhaltung, Akquise – also alle unternehmerischen und organisatorischen Dinge – kümmern: Ȥ Sie müssen Ihre Kontakte verwalten.  Bei den ersten fünf Klient*innen ist das noch kein Problem. Aber irgendwann haben Sie so viele Kontakte – zu Klient*innen und Geschäftspartner*innen und Kolleg*innen –, dass Sie eine intelligente Form der Adressverwaltung benötigen, um den Überblick zu behalten. Ȥ Sie müssen Ihre Mails lesen und beantworten. Ȥ Sie müssen sich um eingehende Telefonate kümmern. Ȥ Sie müssen sich um die Buchhaltung kümmern. Dazu gehört, Belege und Unterlagen abzulegen, beizeiten so zu verarbeiten, dass sie in betriebswirtschaftliche Auswertungen einfließen. Und Sie müssen sich um alles Steuerliche kümmern – und auch dafür die Belege so aufbereiten, dass Sie sie geordnet dem Steuerberater übergeben können. Ȥ Sie müssen sich um Ihr Marketing kümmern, das heißt, Sie brauchen Visitenkarten, Sie müssen eine Webseite erstellen und pflegen. Sie müssen überlegen, ob Sie Anzeigen schalten und Veranstaltungen bewerben. 246

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

Ȥ Eventuell wollen Sie einen Blog schreiben, einen Fachartikel oder ein Buch. Und Sie wollen vielleicht in sozialen Medien sein – auch das will durchdacht und gepflegt sein. Ȥ Sie müssen Dinge für Klienten in Erfahrung bringen und Berichte schreiben. Ȥ Sie müssen sich um die Finanzierung von Behandlungen kümmern, Belege abrechnen, Förderanträge stellen etc. Ȥ Sie müssen Bürobedarf besorgen und dafür sorgen, dass die EDV läuft. Ȥ Sie müssen sich um Ihre betrieblichen Räume kümmern, sie einrichten, sauber halten usw. Ȥ Sie müssen sich gegebenenfalls um die Bewirtung Ihrer Klienten kümmern. Sie müssen und wollen sich zwischendurch Zeit nehmen, Ȥ um Erlebtes zu verdauen, Revue passieren zu lassen, wie die Dinge gerade laufen, Aufträge nachzubesprechen und auszuwerten, Ȥ um neue Konzepte zu erdenken, Ȥ um die Weichen neu zu stellen, Ȥ um sich mit anderen Menschen über Ihre Arbeit auszutauschen. Und ständig kommt Neues hinzu, das es zu lernen gilt: Ȥ den Umgang mit Social Media, Ȥ die Pflege Ihrer Webseite über ein Content-Management-System, Ȥ das Erstellen von Filmen und Podcasts, Blogeinträgen oder Artikeln, Ȥ das souveräne Handling von Online-Tools Ȥ usw. Zeit managen

Wir alle haben heute ellenlange To-do-Listen. Das wird durch die Selbstständigkeit nicht besser. Wir sagen schnell Ja, wenn wir gefragt werden, ob wir uns hier engagieren oder da einen Job übernehmen wollen. Es gibt einen Reiz des Dabeiseins, des Gefragtwerdens. Oft ist uns erst einmal gar nicht bewusst, dass auf ein erstes Ja auch zahllosen Aufgaben folgen, die uns dann im Alltag das Leben schwer machen. Ja sagen wir zu der ehrenvollen Rolle, Vorsitzende eines Ausschusses zu sein – im Alltag folgen dann aber viele weitere Fragen: »Hast du schon das Protokoll für die letzte Sitzung geschrieben und in den Verteiler gegeben?«, »Ach ja, der E-Mail-Verteiler muss auch noch aktualisiert werden« etc. Die Herausforderung der Selbstständigkeit besteht darin, dass Ihnen niemand von außen Struktur gibt. Diese müssen Sie sich selbst erschaffen. Ja, das ist herausfordernd, aber es ist zugleich auch eine Chance. Niemand begrenzt Ihr Engagement. Niemand sagt: »Jetzt reicht es aber. Du hast jetzt genug getan.« Solches Feedback kommt vielleicht von Ihrer PartneSelbstfürsorge – wenn Sie es nicht tun, wer dann?

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rin oder Ihrem Partner, der oder die Sie gerne öfter auf dem heimischen Sofa sähe. Aber es gibt keine Chefs mehr, die mit Autorität sagen, dass Sie Ihr Soll erfüllt haben. Was zu tun ist, definieren Sie. Was nötig ist, auch. Sie ziehen die Grenze und entscheiden, was nicht getan wird und ungetan bleibt – und was dran ist. Man könnte ja immer noch mehr machen. In den heutigen Zeiten werden sie von allen Seiten eingeladen und aufgefordert, sich noch um dieses zu kümmern, noch für jenes kompetent zu werden und außerdem das noch schnell zu erledigen. »Wie, Sie waren nicht bei dieser Veranstaltung? Es war soooo spannend – wie schade, dass Sie das verpasst haben«, bekommen Sie zu hören, sobald Sie irgendwo einmal nicht aufgetaucht sind. Wenn Sie vor dem Schritt in die Selbstständigkeit eine Leitungsposition innehatten, dann sind Ihnen solche Themen nicht unvertraut. Was jetzt anders ist: Niemand anderes als Sie trägt die letzte Verantwortung. Für alles, was Sie tun. Und für alles, was Sie nicht tun. Sie wollen erfolgreich sein mit dem, was Sie tun – egal, wie Sie Erfolg definieren. Was aber ist zu tun, um diesen zu erzielen? Da Sie Neuland betreten, wissen Sie es nicht. Sie wissen es dann, wenn der Erfolg eingetreten ist. Im Nachhinein können Sie erzählen und mehr oder weniger genau benennen, was ihn bewirkt hat. Es bleibt immer ein bisschen »Trial and Error«. Sie tun etwas und werten es aus. Sie machen Erfahrungen. Sie werden auch Dinge tun, die sich im Nachhinein als nicht nachhaltig und nützlich herausstellen. Selten aber wissen Sie es in dem Augenblick, wenn Sie es tun. Natürlich können Sie von anderen lernen, die vorher Ähnliches gemacht haben und sich von ihnen inspirieren lassen. Aber jeder Fall ist ein bisschen anders gelagert. Was bei dem einen geklappt hat, muss nicht unbedingt wiederholbar sein. Die Umstände sind vielleicht anders. Sie sind anders. Die Zeiten haben sich geändert. Ihr Angebot ist anders. Die Zielgruppe ist eine andere … Wenn Sie also die Entscheidung treffen, etwas zu lassen, dann ist das immer auch mit dem Risiko behaftet, dass Sie etwas nicht tun, was eventuell den erwünschten Erfolg gebracht hätte. Sie sind in einer permanenten Wahlsituation, wenn Sie sich mit Ihrem Zeitmanagement beschäftigen. Und dabei geht es um nichts weniger als Ihren beruflichen Erfolg. Mehr noch, es geht beim Thema Zeitmanagement letztlich immer um unser persönliches Lebensglück. Die Frage ist, wie Sie in Ihrem täglichen Handeln Ȥ dafür sorgen, dass Sie das Richtige und Wichtige tun. Ȥ Ihre Aufgaben in eine sinnvolle Reihenfolge bringen. Ȥ das so tun, dass Sie Spaß bei der Arbeit haben und mit einem guten Gefühl den Tag beschließen. 248

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

Sie müssen selbst dafür sorgen, dass nichts anbrennt

Als Selbstständige*r laufen Sie nicht nur Gefahr, dass Sie von morgens bis abends rennen, im Versuch, bloß alles richtig zu machen. Es besteht ebenso die Gefahr, dass Sie Wichtiges unterlassen. Selbstmanagement bedeutet auch, dass niemand Sie antreibt, Unangenehmes zu tun oder Termine einzuhalten. Wenn Sie Dinge verschlampen, hat dies unmittelbar oft geringe Konsequenzen. Es kommt ein Mahnbrief. Auch den kann man ignorieren. Dann kommt der zweite. Vielen Menschen macht Unerledigtes so viel Druck, dass sie in Ohnmachtsgefühle verfallen und – statt die Ärmel hochzukrempeln – verdrängen, was jetzt anliegt. Sie tun dann alles andere, nur nicht das, was eigentlich dringend getan werden müsste. Im schlimmsten Fall sind sie zwar von morgens bis abends beschäftigt, haben das »Eigentliche« aber nicht erledigt. Wichtig ist, dass Sie wieder in die »Positivzone« kommen. Wer sich gefühlt im unteren Minusbereich aufhält und voller Schuldbewusstsein darauf schaut, dass dies oder jenes ja eigentlich längst hätte erledigt werden müssen, türmt innerlich Berge vor sich auf und erstickt in Schuldgefühlen. Das nun wiederum erzeugt so große Unlustgefühle und Vermeidungstendenzen, dass es immer schwerer wird, die Dinge anzugehen. Was hilft? Sich dem zu stellen, was ungemütlich ist, die Zähne zusammenzubeißen und loszulegen. In Kapitel 10.2. finden Sie auch praktische Vorschläge, wie Sie es sich erleichtern können, Unangenehmes anzugehen  ▶ Kapitel  10.2. Oft sind es nur die ersten Momente, die wirklich schlimm sind. In der Regel machen Sie dann die Erfahrung, dass sich die schwierigen Gefühle nach einer Zeit legen und sogar Stolz und Zufriedenheit entsteht. Im Tun wachsen die Kompetenzen, und sobald Sie eine Aufgabe mit einem positiven Gefühl verbinden, weil Sie sie gerade bewältigen, verliert sie auch ihren Schrecken. Dieser baut sich vielleicht wieder auf, wenn es sich um Dinge handelt, die Sie nur selten tun bzw. erledigen – Steuererklärungen zum Beispiel. Aber hat nicht jeder schon einmal die Erfahrung gemacht, auch Unangenehmes zu einem positiven Abschluss gebracht zu haben? Das hilft, sich neuen Situationen zu stellen, die Unsicherheit und Versagensängste erzeugen. Schaffen Sie es nicht aus eigener Kraft, die Dinge anzugehen, sollten Sie sich Unterstützung holen. Und zwar möglichst frühzeitig. Es ist immer wieder eine wunderbare Erfahrung, wenn sich schlechte Gefühle in Wohlgefallen auflösen, weil ein anderer das, was Sie quält, gar nicht so schlimm findet. Im allerbesten Fall machen Sie auf diese Weise Selbstwirksamkeitserfahrungen, die nach und nach Ihr allgemeines Gefühl verstärken, dass Sie auch unangenehme Aufgaben durch Ihr Handeln bewältigen können. Je mehr Sie es sich zur Regel machen, alles im Blick zu behalten und Dinge so rechtzeitig anzugehen, dass sich die ganz üblen Gefühle nicht mehr einstellen, desto besser. In Selbstfürsorge – wenn Sie es nicht tun, wer dann?

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der »Positivzone« fühlt sich die gleiche Arbeit erheblich besser an, als wenn wir uns unterhalb des Nullpunktes bewegen. Prioritäten setzen

Das Wichtigste am Zeitmanagement ist, es zu einem selbstverständlichen Teil des eigenen Lebens zu machen. Ich weiß, das Wort »Zeitmanagement« hat in den Ohren von vielen einen schlechten Klang. Die meisten von uns haben ein zu volles Leben. Zeitmanagement klingt danach, als sollten wir noch effizienter werden, noch mehr in unsere ohnehin schon vollen Leben stopfen. Dass wir den Reflex haben, uns gegen diese Zumutung zu wehren, halte ich für ausgesprochen gesund. Zeitmanagement bedeutet jedoch genau das Gegenteil. Es geht darum, sich über die eigenen Prioritäten im Leben Gedanken zu machen, um weniger zu rennen und zu hetzen und sich auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren. Denn wenn wir wissen, was uns wirklich wichtig ist, fällt es uns erheblich leichter, Dinge sein zu lassen, damit dieses Wichtige auch wirklich seinen Platz in unserem Leben hat. Zeitmanagement heißt, sich immer wieder Gedanken darüber zu machen, was Ihnen wichtig ist – nicht nur jetzt in diesem Moment, sondern generell. Unsere Lebenszeit ist begrenzt und wird irgendwann enden – weder Sie noch ich wissen, wann. Ihre Lebenszeit ist das Kostbarste, was Sie überhaupt besitzen. Dass wir sterblich sind, macht jede unserer Lebensminuten bedeutsam. Zeitmanagement bedeutet, sich immer wieder damit zu beschäftigen, was Sie mit Ihrer Lebenszeit tun möchten – statt die Zeit achtlos vorbeiziehen zu lassen oder im Hamsterrad zu rennen und kopflos immer das zu tun, was Ihnen irgendjemand vor die Füße wirft. Die Selbstständigkeit gibt Ihnen die wunderbare Gelegenheit, selbst über Ihr Leben zu bestimmen. Natürlich gibt es äußere Notwendigkeiten – Sie wollen und müssen Geld verdienen, um Ihren Lebensunterhalt zu sichern. Und sicher gibt es noch andere Verpflichtungen in Ihrem Leben, die Zeit beanspruchen. Selbstständig zu sein heißt, zu dieser Aufgabe bewusst Ja zu sagen. Sich nicht getrieben zu fühlen und sich von außen gesteuert zu erfahren, sondern in der bewusst gewählten Entscheidung, die eigene Lebenszeit so und nicht anders zu verwenden. Im besten Fall sagen Sie inhaltlich zu jedem Zeitpunkt Ja zu dem, was Sie tun, weil Sie es von Herzen tun und sinnhaft finden. Auch das, was vielleicht nicht unmittelbar Ihre Herzensangelegenheit ist, aber dazu beiträgt, alles andere zu ermöglichen – wie Ihre Steuererklärung …

Impuls: Überblick verschaffen Sind Sie auf diese Weise Chefin Ihres Lebens und Ihrer Selbstständigkeit, ist es Ihre Aufgabe, sich immer wieder in die Cockpit-Position zu bringen und einen 250

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

Überblick zu verschaffen. Es geht darum, sich zu verorten: Wo stehe ich gerade? Was sind meine Ziele, welche die notwendigen Schritte? Was ist zu tun? Was ist besonders wichtig zur Erreichung meiner Ziele? Zeitmanagement, das seinen Namen verdient, gibt Ihrer Selbstständigkeit den gebührenden Platz in Ihrem Leben, neben allen anderen Prioritäten und Rollen, die Sie haben. Zeiträuber

Ein gelungenes Selbst- und Zeitmanagement in der Selbstständigkeit bedeutet, immer wieder zu überprüfen, ob Sie das Leben führen, das Sie führen wollen. Und das bleibt eine Daueraufgabe. Es gibt so viele Einladungen, sich vom Wesentlichen zu entfernen, dass Sie immer nur in der Gesamtschau für sich feststellen können, ob das Leben, das Sie sich kreiert haben, stimmig ist. Das kann tage- und wochenweise unterschiedlich aussehen. Keinem wird Perfektion gelingen. Die Frage ist, wie weit Sie sich vom gewünschten Zustand entfernt haben und was Sie tun können, um dorthin zu gelangen. Sinnvoll ist es, die Eingangstore zum Ungewollten gut zu bewachen. Was verführt uns täglich aufs Neue? Ȥ Die täglich anbrandenden Prioritäten der anderen wollen gut sortiert sein: Was sind spannende Kundenanfragen? Was schwappt täglich an Unwichtigem in Ihren Mailaccount und Ihre Social Media-Konten? Wo wollen Sie sich öffnen, und wo braucht es sorgsames Management, um Zeit für Wesentliches zu behalten? Ȥ Ehrgeiz und Lob sind große Verführer. Sie werden gelobt, gewollt, gesucht, gefragt – und prüfen nicht mehr genau, ob das, wonach Sie gefragt werden, wirklich auf Ihrem Weg liegt und Sie weiterbringt. Ȥ Geldmangel und Angst vor Misserfolg können dazu führen, dass Sie wahllos alles annehmen. Das ist ein schmaler Grat: zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, Neues und Ungeplantes einfach mal auszuprobieren. Oder, ob es Sie zu viel kostet, weil Sie eigentlich nicht die*der Richtige sind, gar nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, die Sache zu schlecht bezahlt ist oder Sie weit wegführt von dem, wo Sie eigentlich hinwollen. Ȥ Bitten und Fragen anderer wollen Sie bestimmt nicht immer prinzipiell abschlagen, doch sagen Sie zu viel Ja, bleibt Ihnen keine Zeit für Ihre eigene Projekte. Ȥ Es ist sehr verführerisch, sich zu drücken, wenn Dinge vor Ihnen liegen, vor denen Sie Respekt haben – der herausfordernde Auftrag, die Akquise-Aktion, das neue Marketing … Sich drücken kann vieles bedeuten: Unwichtiges mit Akribie zu verfolgen, gar nichts zu tun, zu allen möglichen Projekten Ja zu sagen – Hauptsache, Sie müssen sich nicht Ihrem Unbehagen stellen. Selbstfürsorge – wenn Sie es nicht tun, wer dann?

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Ȥ Wie viel Input tut Ihnen gut? Wir sind von so viel Interessantem umgeben, das unsere Aufmerksamkeit fordert. Es ist gute unternehmerische Tugend, up to date zu sein, aktuelle Entwicklungen zu verfolgen, sich fachlich weiterzubilden, um mitreden zu können. Wo kippt es? Wie viel ist wirklich notwendig? So oder so müssen wir alle mit der Lücke leben und unseren persönlichen Perfektionismus in Zaum halten. Denn wir alle können nur noch Wassertropfen vom Ozean des vorhandenen Wissens verdauen. Ȥ Wie viele Veranstaltungen, wie viel Networking, wie viel Ehrenamt sind bekömmlich für Ihre Selbstständigkeit? Und wann sind Sie »Hansdampf in allen Gassen«, aber nie bei sich selbst? Solche Entscheidungen zu treffen ist nicht leicht, wir müssen uns immer wieder selbst vergewissern und prüfen, was uns wirklich wichtig ist. Work-Life-Balance

Ein gutes Zeitmanagement schließt nicht aus, dass Sie sonntags im Bett sitzen und Texte korrigieren oder an einem Konzept arbeiten – wenn Ihnen das Spaß macht. Die eigene Chefin zu sein, bedeutet, dass Sie gestalten können, wann Sie gerne arbeiten, wie viel Sie arbeiten, wie eine gute Balance von Arbeit und Pausenzeiten für Sie aussieht. Sie können Ihren Urlaub selbst festlegen und sich Auszeiten und Pausen zur Ideenfindung gönnen. Sie sind prinzipiell frei. Äußere Rahmenbedingungen können Ihre Freiheit natürlich einschränken: Geschäftspartner*innen, die Wünsche an Sie haben und feste Strukturen und Regelungen wollen; Aufträge, die Sie zeitlich binden; der Wunsch, zu bestimmten Zeiten für Kund*innen erreichbar zu sein usw. Über allem steht dabei die Notwendigkeit, genügend Geld zu erwirtschaften, um Ihre Existenz zu sichern und die Dinge gut und erfolgreich zu machen. Und das sind kräftige Treiber. So finden sich viele Selbstständige in der absurden Situation, sich selbst strenger zu führen, als sie es je von einem realen Chef akzeptieren würden. Häufig arbeitet man am Ende mehr, als man es als Angestellte*r tun würde. Und auch das hat zwei Seiten: Für sich selbst zu arbeiten, bedeutet stete intrinsische Motivation. Sie wollen aus tiefstem Herzen, dass Ihre Angebote gut sind und stecken entsprechend viel in die Konzepte. Im Zweifelsfall klären Sie Unstimmigkeiten, reagieren auf Nachfragen oder arbeiten an Ihrer Webseite, weil es ja immer um Ihres geht. Sie und Ihr Unternehmen sind nicht zu trennen. Es ist Ihnen nicht egal, ob das, was Sie tun, gut ist und bei anderen ankommt. Und gleichzeitig fragen Sie sich dann häufiger, ob Sie wirklich so rennen müssen und ob Sie sich nicht doch ein anderes Leben kreieren könnten. Schließlich gibt es noch mehr als nur Arbeit.

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Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

10.2 Kanban und Konsorten – Tools, die Ihnen helfen, den Überblick zu behalten »Die Fähigkeit, das Wort Nein auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit.« Nicolas Chamfort

Was hilft Ihnen im Alltag, Ihre Tage gut zu strukturieren? Wie behalten Sie den Überblick? Welche neuen und alten Tools helfen Ihnen, das Wichtigste zu tun? Kalender, To-do-Listen und andere Hilfsmittel

Gerade als Selbstständige*r ist es notwendig, dass Sie über alles, was ansteht und zu tun ist, den Überblick behalten. Am Anfang können Sie sich vielleicht alles Wichtige merken, doch spätestens, wenn Sie wiederholt denken: »Das darf ich nicht vergessen«, ist es sinnvoll, zu notieren, was zu tun ist. Wenn Sie wissen, dass Sie es nicht mehr vergessen werden, können Sie besser abschalten. Wenn Sie ein System haben, das es Ihnen ermöglicht, alles mit einem Blick zu erfassen, können Sie zudem leichter Prioritäten setzen. To-do-Listen können Sie mithilfe von Zettelsammlungen, Excel-Tabellen, Projektmanagement-Software oder anderen Tools erstellen. Sie können sie handschriftlich oder elektronisch führen – Hauptsache, Sie mögen Ihr System und kommen gut damit zurecht. Ihr System sollte folgende Kriterien erfüllen: Ȥ Sie bekommen einen vollständigen Überblick, und zwar auf einen Blick. Jedes System, das aus vielen Zetteln oder Dateien besteht, die an verschiedenen Orten abgelegt werden, birgt die Gefahr, dass Sie Dinge aus den Augen verlieren. Ȥ Das System sollte Ihre innere Ordnung abbilden und Sie nicht in eine Form zwingen, die nicht zu Ihnen passt. Sonst werden Sie es als sperrig erleben oder ignorieren. Ȥ Es tut der Seele gut, wenn Sie nicht nur sehen, was noch alles vor Ihnen liegt – sondern auch, was Sie bereits bewältigt haben. Das bedeutet, Ihre Tages- oder Wochenleistung sichtbar zu machen und Getanes nicht einfach nur zu löschen. Ȥ Probieren Sie verschiedene Systeme aus, bis Sie das haben, was für Sie passt. Erlauben Sie sich, zu experimentieren oder Ihr System zu wechseln und etwas Neues auszuprobieren, wenn Sie nicht zufrieden sind.

Kanban und Konsorten – Tools, die Ihnen helfen, den Überblick zu behalten

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Analoge Lösungen

Es kann die gute alte Kladde sein, die Ihnen hilft, Ihre To-dos im Blick zu behalten. Die Herausforderung beginnt in der Regel da, wo ein Teil der Aufgaben erledigt ist, ein anderer nicht. Dann machen Durchstreichungen oder Haken alles unübersichtlich. Vielleicht müssen Sie dann alle noch anstehenden Aufgaben auf eine neue Seite übertragen. Oder Sie arbeiten mit Post-its. Vielleicht ist ein Ringbuch, in das Sie neue Seiten einheften können, Ihre Lösung. Kanban

Kanban wurde ursprünglich beim japanischen Autohersteller Toyota zur Produktionssteuerung entwickelt, hat sich aber auch in der agilen Softwareentwicklung verbreitet und von dort aus als Methode der Prozesssteuerung etabliert. Kanban spielt sich klassischerweise auf einem Whiteboard oder einer Tafel ab. Mittlerweile gibt es auch viele Kanban-Apps. Für die originale Variante werden vier Spalten (manchmal auch nur drei) gebildet: Zu erledigen (to do)  Nächste (next)  In Arbeit (doing)  Erledigt (done) Auf Post-its (oder ihren digitalen Entsprechungen) werden nun alle Aufgabenschritte und Einzelaufgaben geschrieben und der Spalte »zu erledigen« zugeordnet. Zettel wandern dann von Spalte zu Spalte und bilden den Projektfortschritt ab. In Bearbeitung sollten nicht mehr als drei bis vier Aufgaben sein. Bei der Sammlung der Aufgaben sollte man nicht zu weit in die Zukunft schauen, damit das Ganze nicht unübersichtlich wird. Kanban eignet sich auch gut für die Arbeit im Team – anhand des Boards kann besprochen werden, was gerade dran ist und ob das Tun jedes Einzelnen optimal zum Projektergebnis und -ablauf beiträgt. Beliebte Kanban-Apps finden Sie im Download-Bereich. Digitale Helfer

Ȥ Zeitmanagement-Apps: Es kommen immer mehr Zeitmanagement-Apps auf den Markt, die Ihre Aktivitäten am PC erfassen. Mithilfe von detaillierten Tages- und Wochenauswertungen können Sie genau prüfen, womit Sie Ihre Zeit zugebracht haben. Das kann helfen, Zeitfresser zu identifizieren – oder ganz praktisch zu messen, wie viel Zeit Sie für welchen Kunden aufgewendet haben. Ȥ To-do-Listen digital: Es gibt mittlerweile zahllose Apps für die Aufgabenplanung. Aufgaben lassen sich mithilfe einer solchen App notieren. Jeder Aufgabe kann ein Bearbeitungsdatum zugeordnet werden und in der Regel lassen sich Aufgabenlisten 254

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

unterschiedlich sortieren. Jede dieser Apps hat ihren Fanclub. Probieren Sie aus, ob eine von ihnen die richtige für Sie ist. Ȥ Mindmaps digital: Mindmaps sind eine wunderbare Möglichkeit, das, was Sie mit einem bestimmten Thema verbinden, assoziativ zu notieren. Indem Sie Hauptäste und kleinere Nebenäste nutzen, ordnet sich der Inhalt gleichzeitig. Mittlerweile gibt es einige Mindmap-Apps, sodass Sie die Mindmap nicht nur auf einem Blatt Papier, sondern auch digital erstellen können. Für Ihr Zeitmanagement können Sie sie nutzen, indem Sie sich erlauben, Ihren Kopf »auszuleeren« und alles zu notieren, was Ihnen im Geist herumschwirrt. Durch das Notieren in Form einer Mindmap wird automatisch Ordnung erzeugt. Ȥ Projektmanagement-Apps: Projektmanagement-Apps helfen, den Überblick über die unterschiedlichen Phasen und Aufgaben komplexer Projekte zu behalten. Man kann mit ihnen Projekte anlegen, diesen Aufgaben zuordnen, Aufgaben als bearbeitet markieren und so auch das Zusammenwirken von mehreren koordinieren. Ȥ Timer:  Für alle, die einen Weg suchen, sich unangenehmen Aufgaben zu stellen  ▶ Kapitel  10.1, ist ein Pomodoro-Timer vielleicht eine hilfreiche Lösung. Die Idee hinter der Pomodoro-Technik ist, sich nur eng begrenzte Zeitfenster für Unangenehmes vorzunehmen: sogenannte »Pomodori«, benannt nach der tomatenförmigen Eieruhr des Erfinders der Technik. Sie setzen genau 25 Minuten für eine Aufgabe an und halten diese Zeit ein. Wenn der Wecker klingelt, gibt es eine kurze Pause und dann vielleicht eine zweite Arbeitseinheit. Aus einem riesigen Aufgabenberg werden so kleine, viel leichter zu bewältigende Arbeitseinheiten. Das hilft, um überhaupt anzufangen, und schafft Erfolgserlebnisse. Excel

Meine eigene Lösung ist eine Excel-Liste, die ähnlich wie ein Kanban-Board aufgebaut ist – sprich: Es gibt zunächst eine bzw. mehrere To-do-Spalten und eine Geschafft-Spalte. Excel gibt mir die Möglichkeit, Spalten flexibel zu übertiteln und meine Todos damit zu strukturieren.

Praxistipp: Meine persönliche To-do-Liste mit Excel Für mich hat es sich zusätzlich bewährt, die To-do-Spalte mehr oder weniger zu unterteilen, je nachdem, was gerade anliegt. Manchmal unterteile ich in verKanban und Konsorten – Tools, die Ihnen helfen, den Überblick zu behalten

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schiedene Tage oder Wochen, wenn es mir wichtig ist, den Überblick zu behalten, was genau heute, morgen und bis zum Wochenende zu tun ist. Manchmal schaffe ich Spalten für bestimmte Projekte, sodass ich diese parallel im Blick behalten kann. Das können Kundenaufträge sein, eigene oder private Projekte und vieles mehr. Hauptsache, ich habe die Dinge nicht mehr ungeordnet in meinem Geist, sondern wohlgeordnet vor mir. Ich schätze es, dass ich so immer wieder neue Ordnungen schaffen kann, die abbilden, welche Prioritäten es bei mir gerade gibt. Diesen Spalten kann ich nun Aufgaben zuordnen. Mit Farben markiere ich dann besonders Wichtiges und Dringendes, sodass es mir sofort ins Auge springt. Alles, was erledigt ist, ziehe ich von der To-do in die Geschafft-Spalte. Es gibt mir das befriedigende »Tages- und Wochengefühl«, dass diese Spalte sich mehr und mehr mit Erledigtem füllt. Ich habe festgestellt, dass dies beträchtlich zu meinem Wohlbefinden beiträgt. Vorher hatte ich stets das Gefühl, egal, wie viel ich tue, meine To-do-Liste kriegt wie eine Mäusemutter ständig Kinder und Kindeskinder, und ich arbeite gegen eine immer größer werdende Mäusefamilie an. Die Geschafft-Spalte ist ein wunderbares Pendant zu den To-dos und macht für mich wahrnehmbar, dass ich Dinge erfolgreich abgearbeitet habe. Nicht zuletzt ermöglicht die Geschafft-Spalte, im Nachhinein zu prüfen, ob eine Aufgabe wirklich erledigt ist. Die Liste ist für mich der wichtigste Fixpunkt am Morgen und im Laufe des Tages, um immer wieder zu prüfen, was heute dran ist, was diese Woche dran ist, was jetzt als nächstes zu tun ist. Sie hilft mir dabei, immer wieder über meine Prioritäten nachzudenken. In regelmäßigen Abständen – mindestens einmal pro Woche – speichere ich die Datei neu ab, lösche die Geschafft-Liste, damit wieder Platz frei ist – und sortiere die Liste insgesamt neu, sodass sie die aktuelle Situation abbildet. Ich habe mich von allen fertig programmierten Lösungen im Laufe der Zeit wieder verabschiedet und Excel gewählt, weil mir das Programm maximale Flexibilität ermöglicht. Es passt sich meinen Ordnungsbedürfnissen an und zwingt mich nicht, mich an eine vorgegebene Struktur zu halten. Jede*r kann variieren und sich mit Excel ein Listen- und Ordnungssystem schaffen, das der eigenen Lebenssituation entspricht.

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Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

10.3 Kontaktkanäle – wo kann man Sie erreichen und wo nicht? »Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst des Arbeitens.« John Steinbeck

Der Trend geht zu immer stärkerer Erreichbarkeit. Während das Wochenende früher quasi heilig war, abends um halb sieben alle Läden kollektiv schlossen und vormittags wieder öffneten, gibt es immer mehr Anbieter, die rund um die Uhr geöffnet haben. Es ist keine Seltenheit, Hotlines zu finden, die auch samstags oder sonntags erreichbar sind. Praktisch, wenn wir selbst etwas regeln wollen – im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass jemand zu dieser Zeit gerade arbeiten muss. Das muss Sie als Systemiker*in zunächst nicht tangieren. Klient*innen haben in der Regel nicht den Anspruch, dass Sie am Wochenende verfügbar sind. Gleichwohl hat das allgemeine Klima Einfluss auf alle, sowohl auf Ihre Kund*innen als auch auf Sie. Wer nicht aufpasst, rutscht schleichend über die eigenen Grenzen hinaus. Wie das passiert?

Praxistipp: Ü  berlegen Sie sich gut, welche Kontaktkanäle Sie öffnen Ȥ Sie haben eine Festnetznummer, die Sie normalerweise beruflich nutzen. Nun rufen Sie, weil Sie unterwegs sind, schnell mit Ihrem Handy einen Kunden an. Dieser nutzt prompt Ihre Handynummer für einen Rückruf. Der Anruf erreicht Sie an der Supermarktkasse. Ȥ Ein Seminar hat eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. Sie bekommen Nachrichten außerhalb Ihrer Geschäftszeiten. Wenn es piept, schauen Sie automatisch aufs Handy. Ȥ Sie checken auch sonntags Ihre Mails. Sie bemerken den Drang, ein paar Mails gleich eben zu beantworten. Das geht doch schnell und dann ist es erledigt … Ȥ Ihr Kunde schickt Ihnen Unterlagen für das Gespräch morgen um 17 Uhr. Eigentlich haben Sie keine Zeit mehr. Ihr Tagesplan ist rappelvoll. Sagen Sie, das war zu spät? Oder lesen Sie die Unterlagen morgens noch beim Frühstück?

Kontaktkanäle – wo kann man Sie erreichen und wo nicht?

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Impuls: Kontaktkanäle bewusst gestalten Machen Sie sich Gedanken, welche Kontaktkanäle für Sie infrage kommen. Welche wollen Sie beruflich nicht nutzen – auch wenn Sie sie vielleicht privat verwenden? Wollen Sie gemischte Telefonanschlüsse oder trennen Sie beruflich und privat? Wie halten Sie dies in der Praxis aufrecht? Wie zeitnah wollen Sie eingehende Mails und Telefonate beantworten? Wie organisieren Sie sich dabei? Rückrufwünsche können eine Menge Zeit fressen, wenn Sie – was die Regel und nicht die Ausnahme ist – die Personen nicht erreichen, die Sie kontaktieren sollen. Auch der innere Anspruch, Mails sofort zu beantworten – oder die Verführung, die darin besteht, sich von mühseliger Arbeit selbst abzulenken, indem man sie eben beantwortet – führt dazu, dass Sie eventuell ständig Ihre Arbeit unterbrechen.

Impuls: »Kleinkram« zusammenfassen Es hat sich bewährt, kleinere Tätigkeiten – und dazu zählen das Beantworten von Mails und das Führen von Telefonaten – zusammenzufassen und für sie ein Zeitfenster zu suchen. Am besten machen Sie es sich zur Regel, zum Beispiel morgens, alle Mails zu beantworten – nicht im Laufe des Tages immer wieder zwischendurch (das kann natürlich auch mittags oder abends sein). Genauso ist es sinnvoll, ein Telefonbuch zu führen oder eine Datei im Computer für eingehende Telefonate, um dann alle nacheinander zurückzurufen. Damit gewinnen Sie Zeit für größere Projekte. Sie vergessen nichts Wichtiges. Und Ihre Konzentration wird nicht dauernd gestört. Fragen Sie sich, wie Sie Dinge handhaben wollen. Treffen Sie für sich Regelungen: Ȥ Wie möchten Sie am liebsten kontaktiert werden? Geben Sie eine Festnetzoder eine Handynummer als Kontakt an? Oder beides? Mit dem Handy ist die Idee ständiger Erreichbarkeit verbunden. Beim Festnetz sind Menschen eher geneigt zu denken, dass man Sie nur zu bestimmten Zeiten erreichen kann. Ȥ Öffnungszeiten: Definieren Sie für sich bestimmte Zeiten, in denen Sie unternehmerisch tätig und für andere erreichbar sind? Sprich: Gibt es Zeiten, in denen man Sie nicht erreichen kann? Welchen Anspruch haben Sie da an sich selbst? Ȥ Nutzen Sie soziale Medien wie WhatsApp oder Telegram für Klientenkontakte? Nutzen Sie vielleicht sogar WhatsApp-Gruppen in Seminaren oder Fortbildungen? Selbst wenn Sie nicht auf die Idee kommen, kann es sein, dass die Teilnehmer*innen solche Gruppen bilden. Beteiligen Sie sich daran, heißt das, dass Sie einen weiteren Kommunikationskanal öffnen, auf dem Sie 258

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

angesprochen werden. Das hat Vor- und Nachteile. Der Kontakt ist einfach und unmittelbar. Andererseits bekommen Sie Nachrichten auch im Urlaub und am Wochenende. Die sozialen Medien befinden sich in einem ständigen Wandel. In ein paar Jahren wird es vermutlich wieder neue Kanäle geben; diejenigen, die wir jetzt nutzen, sind vielleicht bald schon wieder »out«. Mit jedem Medium ist die Frage verbunden, ob Sie es nutzen wollen, um mit potenziellen Klient*innen in Kontakt zu treten. Facebook beispielsweise ist kostenlos und hat eine hohe Reichweite. Instagram ist das, was zunehmend genutzt wird. Jedes dieser Medien bedeutet gleichzeitig, dass Sie ein Profil anlegen müssen, dass Sie den Aufbau von Kontakten betreiben müssen, dass Sie sich kontinuierlich kümmern müssen, um keinen »Social Media-Friedhof« zu hinterlassen. Dazu im Kapitel »Onlinemarketing und Social Media« mehr  ▶ Kapitel  8.5. An dieser Stelle interessiert vor allem, dass Sie mit jedem Medium auch einen Kontaktkanal schaffen, auf dem Sie – wenn er da ist – auch reagieren müssen. Dies ist kein Plädoyer für den einen oder anderen Kontaktkanal, sondern die Einladung, bewusste Entscheidungen zu treffen, welche Kanäle sie öffnen und welche nicht. Ich möchte Sie ermutigen, bewusst wahrzunehmen, wann Sie der Kontakt zu Ihren Kund*innen, Netzwerkpartner*innen und Auftraggeber*innen stresst oder erfreut. Gestalten Sie bewusst, wann Sie wie erreichbar sind. Nehmen Sie wahr, was Ihr Lieblingskanal ist. Meine Erfahrung ist, dass die einen das Telefon, die anderen Mails bevorzugen – jeweils aus guten Gründen. Sie haben die Chance zu steuern, was gut in Ihren Tagesablauf passt – wenn Sie sich bewusst werden, was Ihnen guttut.

10.4 Auftragsklärung – wenn klar ist, was Sie leisten können und wollen und was nicht, macht die Arbeit Spaß »Sprechen und hören ist befruchten und empfangen.« Novalis

Als Systemiker*innen haben Sie gelernt, die Klärung von Aufträgen sehr ernst zu nehmen – sie ist elementarer Bestandteil der fachlichen Arbeit. Sie haben gelernt, sich Dinge zu fragen wie: Kann ich hier gut arbeiten? Was will mein*e Klient* in von mir? Will und kann ich das leisten? Was soll konkret von wem getan werden? Wie ist das Setting? Wer soll dabei sein, wer nicht? Wem wird im Anschluss berichtet? Auftragsklärung

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Auftragsklärung umfasst über fachliche Aspekte hinaus auch unternehmerische: Wie ist der finanzielle Rahmen? Wann wird wie in welcher Höhe bezahlt? Wird ein schriftlicher Vertrag geschlossen? Wie sind Absageregelungen? Bekommen Sie Fahrtkosten erstattet? Es kann sein, dass Sie Auftraggeber haben, die einen Teil der Auftragsmodalitäten mit Ihren Kund*innen selbst klären – zum Beispiel, wenn Sie für ein Fortbildungsinstitut Seminare oder Lehraufträge übernehmen und dieses die Abwicklung der Anmeldung übernimmt. Doch dann gilt es, den Auftrag mit Ihrem Auftraggeber zu verhandeln. Was erwartet dieser von Ihnen? Was übernimmt er an Kosten usw.? Als Selbstständige*r sind Sie für die Auftragsklärung selbst verantwortlich und müssen die Dinge, die Ihnen wichtig sind, selbst ansprechen und regeln. Es kommt z. B. immer wieder vor, dass Kund*innen – aus unterschiedlichen Gründen – nicht von sich aus nach Ihrem Honorar fragen. Lassen Sie es einfach laufen und fangen an zu arbeiten, ohne dass Basics geklärt sind, können Sie böse Überraschungen erleben. Ihre innere Vorstellung und die der Kund*innen müssen nicht übereinstimmen. Es ist notwendig, diese offen zu kommunizieren und zu verhandeln. Wird dann eine Übereinkunft hergestellt, haben Sie ein gutes Fundament, um miteinander zu arbeiten. So mancher zahlt Lehrgeld und lässt sich einmal darauf ein, dass »wir das später regeln« oder »uns schon einig werden«, um dann festzustellen, dass dies gar nicht so leicht ist, wenn man erstmal drinsteckt.

Impuls: Vor dem JA alles Wichtige klären Klären Sie alles, was Ihnen wichtig ist vorab. Dann sind Sie noch innerlich frei und können sich genau überlegen, wann Sie gut arbeiten können, was Sie dazu brauchen, ob die Rahmenbedingungen mit potenziellen Kund*innen oder Auftraggeber*innen passen, und ob es gelingen kann, gemeinsam am gewünschten Ziel anzukommen. Sie werden es an Ihrer Lust zu arbeiten merken, wenn alles stimmt – und an Ihrem inneren Unbehagen, wenn etwas nicht stimmt. Musterverträge oder AGB  ▶ Kapitel  9.7  ▶ Kapitel  9.8 von Kolleg*innen können Ihnen helfen, für sich Klarheit zu gewinnen, welchen Rahmen Sie stecken wollen. Überhaupt helfen Gespräche mit Kolleg*innen, um für sich ein Standing aufzubauen und selbstbewusst zu vertreten, dass es bestimmte Voraussetzungen braucht, um gut zusammenzuarbeiten. Dazu zählt auch ein Honorar, bei dem es Ihnen Spaß macht, tätig zu werden.

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Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

10.5 Honorare – die Kunst, die eigenen Interessen gut zu vertreten »Willst du dich deines Wertes freuen, so musst der Welt du Wert verleihen.« Johann Wolfgang von Goethe

Wo stufen Sie sich im Honorargefüge Ihrer Kolleg*innen ein? Bekommen Sie das für Beratung, Supervision, Therapie, Fortbildung übliche Honorar? Sind Sie zufrieden und haben den Eindruck, gut zu verhandeln? Oder trauen Sie sich nicht, das zu vertreten, was Sie in Wirklichkeit gerne hätten? Was ist üblich? Nur ein Teil der Kolleg*innen veröffentlicht Honorare – über die der anderen kann man nur rätseln. Wenn Sie die Chance haben, fragen Sie Ihre Kolleg*innen, welche Sätze sie veranschlagen. Hinweise liefern die Coaching-Umfrage von Christopher Rauen (o. D. b) und die Marburger Coaching-Studie (Stephan u. Rötz, 2018). Die dort veröffentliche Spannbreite ist aber groß und nicht nach Kontexten differenziert. Wenn Sie sich gerade fragen, was Sie für einen konkreten Auftrag nehmen sollen, hilft Ihnen das nur wenig. Eher können Sie sehen, was möglich ist. Der durchschnittliche Stundensatz für Coaching wurde im Jahr 2015 mit 214,65 Euro brutto angegeben. Der durchschnittliche Tagessatz betrug 1.510,74 Euro (Stephan u. Rötz, 2018, S. 32). Der Deutsche Coaching Verband e. V. (DCV) empfiehlt seinen Mitgliedern 140 Euro pro Stunde zu nehmen bzw. Seniorcoaches 200 Euro pro Stunde.16 Meiner Erfahrung nach verdient nur ein Bruchteil der systemischen Kolleg*innen so gut. Wer im Bereich Coaching und Training vor allem in Unternehmen und bei großen Trägern unterwegs ist, kann solche Stundensätze durchsetzen, wenn er*sie verhandlungsstark ist. Wer vorzugsweise kleinere soziale Träger als Kund*innen hat, ist davon wahrscheinlich weit entfernt. Wie finden Sie also heraus, wie viel Sie verlangen können – und wollen? Ausgehend von den eigenen Zahlen kalkulieren

Eine solide Basis für Ihre Honorarkalkulation ist eine Rentabilitätsrechnung beziehungsweise Ihre betriebswirtschaftliche Auswertung. Wenn Sie genau sehen können, welche persönlichen, privaten Kosten Sie haben, wie viel Sie für Versicherungen und Steuern bezahlen und was Sie an Betriebskosten aufwenden müssen, dann wissen Sie, wie viel Sie monatlich an Einnahmen erwirtschaften müssen. Setzen Sie diese Einnahmen ins Verhältnis zu der verkauften Arbeitszeit, können Sie Ihr Mindesthonorar errechnen. Die so errechnete Zahl 16 https://coachingverband.org/honorar-empfehlung-des-dcvs/ (Zugriff am 02.03.2021). Honorare – die Kunst, die eigenen Interessen gut zu vertreten

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ist wohlgemerkt das Mindesthonorar. Das bedeutet, dass Sie sämtliche Zeit, die Sie verkaufen wollen, auch verkaufen können – nur dann erwirtschaften Sie das Geld, das Sie brauchen.  ▶ Kapitel  7.5 Hilfreich sind solche Berechnungen, weil sie Sie davor bewahren, Honorare zu verlangen, die nicht existenzdeckend sind. So mancher ist aus Menschenliebe, Unsicherheit oder Bescheidenheit versucht, viel zu niedrige Preise zu nennen. Das hilft Ihnen nicht weiter, weil Sie dann sehr viel arbeiten oder über kurz oder lang aufgeben müssen. Zusätzlich machen Dumpingpreise den Markt kaputt und Ihren Kolleg*innen das Leben schwer. Sich über Marktpreise informieren

Oben habe ich schon die Möglichkeit erwähnt, auf Webseiten zu recherchieren und Kolleg*innen zu fragen. Honorare können Sie auch erfragen, indem Sie selbst als Kund*in auftreten. Und manchmal können Sie sich auch direkt bei Ihrem Auftraggeber nach seinem Budget erkundigen oder danach, was üblich ist. Direktes Fragen ist oft die Lösung, falls Sie gar nicht einschätzen können, was Sie in Ihr Angebot schreiben sollen. Dabei kann durchaus herauskommen, dass Ihnen mehr angeboten wird, als Sie von sich aus verlangt hätten. Das eigene Gefühl ernst nehmen

Wenn Sie in sich selbst hineinspüren, gibt es in der Regel eine Zahl oder einen Zahlenraum, der sich richtig anfühlt. Da gibt es eine Untergrenze, unter der Sie nicht arbeiten wollen, aber auch eine Grenze nach oben, und alles darüber würde sich unverschämt und nach »zu viel« anfühlen. Damit haben Sie eine gute Orientierung, in welchem Feld sich Ihr Honorar bewegen könnte. Gespräche mit anderen können diesen Raum korrigieren, wenn Ihnen klar wird, dass Ihr Gefühl völlig von Marktpreisen abweicht. Und trotzdem dauert es mitunter eine Weile, bis Ihr Gefühl hinterherkommt. Das spielt deshalb eine große Rolle, weil Sie ja Ihre Honorare im Gespräch, in Mails und Angeboten glaubhaft und überzeugend vertreten müssen. Und wenn es keine Kongruenz zwischen Ihrem Gefühl und den von Ihnen formulierten Preisen gibt, wird Ihnen das schwerfallen. Entweder knicken Sie immer wieder ein und vereinbaren Honorare unterhalb der Grenze, die Sie sich eigentlich gesetzt haben. Oder Sie machen Ausnahmen. Oder Sie sorgen durch Mehrarbeit dafür, dass sich der genannte und der gefühlte Preis die Waage halten. Nur wenige Menschen halten es aus, mehr zu bekommen, als sie zu verdienen glauben. Auch zu niedrig angesetzte Honorare tragen langfristig nicht, denn sie führen zu einem Gefühl von mangelnder Wertschätzung. Das ist etwas anderes, wenn Sie bewusst Kontrakte zu Akquise- oder Übungszwecken eingehen. Dann gibt es die »Belohnung« auf andere Weise und einen Ausgleich zwischen Einsatz und Gewinn. 262

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

Kostenlose Angebote

Die Arbeitsagentur bietet Beratung für Arbeitslose an; Therapie wird von den Krankenkassen bezahlt; Beratungsstellen werden von Trägern durch Zuschüsse finanziert und bieten kostenlose Beratung an. Viele arbeiten sich bei der Preisgestaltung daran ab, dass es kostenlose Anbieter gibt. Wie können sie dann »normale« Honorare für die scheinbar gleiche Leistung fordern? Aber ist die Leistung wirklich gleich? Prüfen Sie, ob es nicht doch – gravierende – Unterschiede gibt. Es gibt in fast allen Marktsegmenten kostenlose Angebote neben hochpreisigen. Offensichtlich sind Menschen bereit, Geld für diese Leistungen auszugeben, obwohl es auch kostenlose Alternativen gibt. Warum? Vielleicht sind die kostenlosen Angebote nicht einfach verfügbar? Man muss warten oder man kann nicht auswählen, von wem man dann beraten wird. Vielleicht ist die Qualität eine andere? Vielleicht unterscheidet sich das Angebot bei näherem Hinsehen? Vielleicht ist der Vorteil bezahlter Angebote, dass keine Daten erfasst werden, dass es keine externen Instanzen gibt, von deren Bewilligung man abhängig ist. Schauen Sie genau hin. Wenn sich Anbieter auf dem Markt positionieren können, die vernünftige Honorare erzielen, dann ist das offensichtlich möglich. Manchmal liegt der Preisunterschied schlicht im Marketing, in der Geschichte, die rund um die Dienstleistung erzählt wird, die Menschen das Gefühl gibt, hier etwas Hochwertiges zu bekommen. Nicht jede hochpreisige Dienstleistung und nicht jedes teure Produkt ist am Ende wirklich besser als ein günstiges. Ob die Produktqualität im Delikatessenladen immer vierfach besser ist als bei Aldi, ist nicht auszumachen. Aber wer glaubt, sich etwas Besonderes zu leisten, wird dies mit einem anderen Gefühl für den Wert des Gekauften nutzen – und das macht am Ende das Erlebnis wirklich zu einem anderen. Ähnliches findet beim Einkauf von Coaching statt: Menschen haben die Idee: Wer teuer ist, muss auch gut sein. Und wer viel Geld ausgibt, hat vermutlich ein anderes Commitment, das Coaching für sich auch wirklich zu nutzen. So mag der Effekt am Ende wirklich höher sein, als wenn die Beratung kostenlos gewesen wäre. Unterschiedliche Preise für unterschiedliche Zielgruppen

Manche haben auch verschiedene Preise für unterschiedliche Zielgruppen, festgemacht am Einkommen oder am sozialen Status oder an der Selbsteinschätzung der Kund*innen. Solange Sie unterschiedliche Preise transparent rechtfertigen können, ist das kein Problem. Es darf nur nicht der Eindruck von Willkür entstehen. Wenn Menschen darüber sprechen, was sie bei Ihnen bezahlen und feststellen, dass Sie ohne erkennbare Gründe ganz unterschiedliche Preise nennen, entsteht Ärger. Sie können Aktionen machen und für eine bestimmte Zeit einen niedrigeren Honorarsatz festlegen oder ein »Paket« verkaufen, beispielsweise mehrere Beratungsgespräche zu einem vergünstigten Preis. Oder Sie sagen: »Zahle, was Honorare – die Kunst, die eigenen Interessen gut zu vertreten

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es dir wert ist« – das klingt erst einmal merkwürdig, aber auch das hat eine Kundin von mir für die Einstiegsphase ausprobiert. Parallel hatte sie ihren regulären Preis auf der Homepage veröffentlicht. Kaum jemand hat weniger als diesen gezahlt. Ob das auf Dauer ein professioneller Weg ist, mag dahingestellt bleiben. Honorare veröffentlichen?

Manche Kolleg*innen schreiben ihre Preise auf ihre Webseite. Der Vorteil: Klient*innen wissen, woran sie sind, und beziehen das Honorar sofort in ihre Entscheidungsfindung mit ein. Es ruft niemand an, dem es dann zu teuer ist. Klient*innen wird die Unsicherheit erspart, den Preis erfragen zu müssen. Es lässt sich niemand von der Fantasie, es könnte zu teuer sein, abhalten. Nachteil: Unter Umständen wäre es nach der ersten Kontaktaufnahme Klient*innen wert, zu Ihnen zu kommen, auch wenn Sie teurer sind als jemand anderes. Dieser Kontakt findet aber gar nicht erst statt, wenn schon das Honorar abschreckt. Der Preis wird zu einem frühen Zeitpunkt zum Entscheidungskriterium. Wachsen

Sie gewinnen an Erfahrung und Selbstbewusstsein und gestehen sich mit der Zeit eine bessere Bezahlung zu. Sie erfahren von Kolleg*innen, was diese in Rechnung stellen und finden, dass Sie im Vergleich zu wenig nehmen. Sie haben neue Auftraggeber*innen, bei denen andere Honorarsätze üblich sind. Der Markt verändert sich. Das Thema Honorare bleibt ein Thema. Immer wieder stehen Sie vor der Frage, ob Sie pokern und mehr verlangen oder eher tiefstapeln, in der Hoffnung, dadurch einen Auftrag zu bekommen, den Sie gerne haben wollen. Überhaupt bleibt die Frage, wie wichtig Ihnen das Geld ist: Versuchen Sie, so hoch wie möglich zu kommen? Oder sagen Sie sich, mir geht es gut (genug), und ich bin zufrieden mit dem, was ich habe – egal, was andere verlangen? Finden Sie vielleicht sogar, dass manche Honorare eigenartig hoch sind? Je nachdem, in welchem Kontext und Markt Sie sich bewegen, sind völlig andere Honorare üblich. In der Jugendhilfe verhandeln Sie ganz andere Stundensätze für aufsuchende Familienarbeit oder sozialpädagogische Familienhilfe, als wenn Sie Organisationsberatung in Unternehmen anbieten. Zwar steht auf beiden Angeboten unter Umständen »systemisch« drauf, aber der jeweilige Kontext kann exorbitante Unterschiede in der Höhe des Honorars ausmachen. Wenn Sie nicht zufrieden mit Ihrem Einkommen sind, kann es eine wichtige Überlegung sein zu überprüfen, ob Sie die richtigen Kund*innen haben, oder ob Sie zusätzlich oder komplett in ein anderes Segment wechseln sollten, in dem es andere Selbstverständlichkeiten gibt. Oder Sie versuchen, durch Hinweis auf die Qualität Ihrer Leistungen das Honorar nach oben zu verhandeln. Schließlich haben Sie nach einiger Zeit gewichtige Argumente durch Ihre Erfahrung und gute Arbeit. 264

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

Nikola Siller: Ich habe gute Erfahrungen damit, spielerisch an Preise ranzugehen Nikola Siller ist Coach, Supervisorin, Organisationsberaterin und als zertifizierte Lehrende tätig. Eine ausführliche Vorstellung und den ersten Teil des Interviews finden Sie in  ▶ Kapitel  5.4. Nikola, du sagst, man soll bei der Preisgestaltung nicht zu kleine Brötchen backen. Viele haben Angst davor, dass sie Kund*innen völlig verschrecken, wenn sie den Preis zu hoch ansetzen. Was empfiehlst du? Auch mal eine höhere Hausnummer raushauen und schauen, was passiert. Beim Kunden und bei einem selbst. Ich habe mich immer gefragt: Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Ich kenne die Sorge in Sachen Preisgestaltung – insbesondere bei einem bestimmten Typus selbstständiger Frauen. Andere könnten denken, man sei anmaßend. Dahinter liegt oft die Befürchtung vor Zurückweisung. Oder der Glaubenssatz schwingt mit, das Honorar stünde einem nicht zu, man sei schließlich »nichts Besseres«. Eine Herausforderung ist das besonders für Kolleg*innen, die sich, bezogen auf die Herkunftsfamilie und das Herkunftsmilieu, »hochgearbeitet« haben. Ihnen ist die Souveränität des Unternehmertums oder der akademische Habitus nicht mit in die Wiege gelegt worden. In diesen Fällen hilft tatsächlich die profane Mathematik mehr als die Psychoanalyse. Es hilft, die Ausgaben des Lebens mal richtig durchzurechnen. Was brauche ich? Was kostet das Leben, das ich führe oder das ich führen will? Wen will oder muss ich noch mit meinem Einkommen versorgen? Wenn ich von meinen selbstständigen Einnahmen leben möchte und auch freie Tage, Urlaub, Krankheit, Qualitätsentwicklung, Alter, Kindererziehung, Ehrenamt, Weiterbildung, Eigenzeit usw. finanzieren will, dann muss ich auch ein entsprechendes Honorar nehmen. Meine Erfahrung ist, dass fundierte Zahlen, Daten, Fakten dabei unterstützen, selbstbewusster zu den eigenen Preisen zu stehen und die Leistungen entsprechend souveräner zu verkaufen. Ich erlebe, dass Leute Angst haben, dass sie den Auftrag nicht kriegen, wenn sie sich zu teuer verkaufen. Sicher kann es vorkommen, dass Aufträge nicht zustande kommen, wenn der Kunde den Preis nicht zahlen kann oder will. Dann kommt man eben nicht zusammen. Ich finde, das sollte man sportlich sehen. Du kannst dir entweder eine zahlungskräftigere Zielgruppe suchen oder aber du bastelst weiter an deinem Konzept und entscheidest dich zum Beispiel für das Querfinanzierungsmodell. Da schaust du, in welchen Branchen und bei welchen Kunden du höhere Preise nehmen kannst und auch solltest, und in welchen Bereichen du einen Honorare – die Kunst, die eigenen Interessen gut zu vertreten

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»Soli-Preis« nimmst, weil es dir wichtig ist, deine Fähigkeiten dort einzubringen. Es geht ja schließlich nicht nur ums Geld. Aber es geht eben auch um Geld. Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass es sich langfristig auszahlt, sich nicht runterhandeln zu lassen. Kunden kommen wieder – möglicherweise zeitverzögert – oder sprechen Empfehlungen aus. Eine Beratung oder ein Trainer, den ich mir nicht leisten kann oder will, scheint attraktiv und interessant zu bleiben. »Unverschämt sein« heißt, sich nicht für sich zu schämen. Das wollen wir doch, oder? Für mich ist eine große Entspanntheit entstanden, seit ich mir erlaube, spielerischer an das Thema Preise heranzugehen und den Preis von der Bewertung meiner Person und meinen Leistungen zu entkoppeln. Ich versuche, da einfach sachlicher dranzugehen. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Preisgestaltung oft wenig über die Qualität der Beratungen und Schulungen aussagt.

10.6 Netzwerke – im Austausch mit anderen innerlich und äußerlich wachsen »Wir brauchen vier Umarmungen pro Tag zum Überleben, acht um uns gut zu fühlen, und zwölf, um innerlich zu wachsen.« Virginia Sartir

Austausch ist wichtig

Viele Selbstständige, die Dienstleistungen verkaufen und erst einmal allein unterwegs sind, vermissen über kurz oder lang ein Team. In der Gründungsphase und später gibt es tausend Fragen, bei denen Austausch hilfreich ist – unternehmerische, fachliche oder solche, die Klient*innen betreffen. Es geht meist nicht darum, dass die Dinge nicht allein lösbar wären. Sondern darum, Meinungen von anderen zu hören, Zuspruch zu bekommen oder Zweifel am eigenen Vorgehen aussprechen zu können. Gerade wir Systemiker*innen wissen, dass alles eine Frage der Perspektive ist. Theoretisch wissen wir, dass das halb leere Glas eigentlich auch halb voll ist, praktisch ist es manchmal schwer, die Blickrichtung zu wechseln – wider besseren Wissens bleibt das Auge auf den Mangel fixiert. Wie wunderbar, wenn es dann andere gibt, die unser Herz erreichen können und es schaffen, unsere Wahrnehmung auf die vorhandene Fülle von Perspektiven und Möglichkeiten zu lenken. Wer im Team gründet, hat es in dieser Beziehung deutlich leichter, da es immer Menschen gibt, die genauso am Unternehmen interessiert sind wie man selbst. Das muss allerdings nicht heißen, dass sie immer die richtigen Worte 266

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

für uns finden. Wenn sie selbst involviert sind, brauchen sie vielleicht ebenfalls gerade Zuspruch, sodass es dann besser ist, sich Hilfe von außen zu suchen. Vernetzung

So oder so brauchen Sie Netzwerke – zum Start Ihrer Selbstständigkeit, aber auch später. Dabei ist es wichtig, zwischen »Innen«- und »Außen«-Netzwerken zu unterscheiden – auch wenn die Übergänge fließend sein können. »Außen« meint Kontexte, in die Sie sich begeben, weil sie im Hinblick auf die Akquise interessant sind. Wenn Sie sich bekannt machen wollen, ist es nützlich, an Veranstaltungen teilzunehmen, sich in Netzwerken wie DGSF, SG, DGSV (Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching), Xing, BPW (Business and Professional Women), WOL-Zirkelnoder IHK-Foren, Unternehmerverbänden, Fachverbänden, bei Kongressen und Tagungen usw. sehen zu lassen. Hier wollen Sie sich vermutlich von Ihrer besten Seite zeigen. Sie wollen spannend und souverän und professionell wirken, denn Sie könnten potenzielle Auftraggeber*innen treffen. »Innen«-Netzwerke hingegen sind nötig, damit Sie über Schwierigkeiten, Zweifel und Fragen sprechen können; damit Sie Feedback zu Fällen und strategischen Überlegungen bekommen; damit Sie hören, wie es anderen mit ihrer Selbstständigkeit geht und generell Unterstützung erhalten. Die bekommen Sie zwar auch in der Supervision oder in einer Intervisionsgruppe. In der Regel ist dort jedoch wenig oder kein Platz für unternehmerische Fragen; es sei denn, Sie sprechen gezielt Ihr Bedürfnis nach unternehmerischer Unterstützung an. Die wenigsten haben in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis Menschen, die ebenfalls unternehmerisch tätig sind. Das macht einen Austausch über die eigene Selbstständigkeit schwierig. Dabei gibt es doch ständig irgendetwas, das Sie beschäftigt, gerade wenn Sie sich selbstständig machen: Sollen Sie dieses Angebot so in die Welt bringen? Welche Farben verwenden Sie auf Ihrer Webseite? Welches Honorar sollen Sie bei dieser Anfrage aufrufen? Die Fragen hören auch nicht auf, wenn Sie schon länger im Geschäft sind. Es ist immer hilfreich, mit anderen zu tun zu haben, die in einer ähnlichen Situation sind: einerseits mit Menschen, die gerade am selben Punkt stehen wie Sie; und andererseits mit solchen, die ein paar Schritte weiter, vielleicht schon gelassener sind, und von deren Erfahrung Sie profitieren und sich so den einen oder anderen Irrweg ersparen können. Vor allem werden Sie Ermutigung und Unterstützung gut gebrauchen können. Wenn wir uns auf neue Wege begeben, wissen wir nicht, was richtig ist, was sinnvoll ist, ob das, was wir tun, auch gelingen kann. Zweifel sind daher permanente Wegbegleiter. Wenn wir ganz weise sind, wissen wir, dass im Zweifel auch gute und richtige Hinweise stecken auf Dinge, die wir bedenken sollten. Nichtsdestotrotz sind Zweifel zermürbend. Und so manche tolle Idee erblickte Netzwerke – im Austausch mit anderen innerlich und äußerlich wachsen

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nie das Licht der Welt, weil sie von ihnen erschlagen wurde. Die eigenen Zweifel brauchen ein Gegengewicht in Form von Erfolgserlebnissen, Ermutigung, positivem Feedback – alles, was hilft, den Mut und den Glauben nicht zu verlieren und uns sagt, dass alles gut wird. Und natürlich ist es äußerst wertvoll, wenn Positives nicht nur von innen, sondern auch von außen kommt: Wenn Sie Ihre neu gestalteten Visitenkarten Kolleg*innen zeigen und die begeistert sind. Wenn Sie eine Seminarbeschreibung verfassen und das Feedback bekommen, dass es toll ist, was Sie sich ausgedacht haben. Genauso hilfreich ist es, wenn sich jemand gemeinsam mit Ihnen den Kopf zerbricht, also die Seminarbeschreibung verbessert und Korrektur liest, Ihnen wertvolle Hinweise zum Entwurf der Webseite gibt oder Sie dabei unterstützt, Kontakt zu einem Weiterbildungsträger aufzunehmen. Gerade wenn es praktisch wird, ist es wunderbar, nicht allein vor den vielen kleinen Fragen zu stehen, wie Sie etwas machen sollen, sondern sich austauschen zu können. Die Basis dafür ist, dass Sie sich gesehen und akzeptiert fühlen – dann können Sie auch kritisches Feedback einstecken, denn Sie wissen, dass Ihnen jemand wirklich weiterhelfen will.

Praxistipp: Für persönlichen Austausch sorgen Diese Möglichkeit zum Austausch ist der Grund, warum wir das Netzwerk systemisch qualifizierter Freiberufler*innen in der DGSF aus der Taufe gehoben haben, weil wir – neben der guten fachlichen Auseinandersetzung, die man in einem Verband findet – auch Räume brauchen, in denen Fachliches, Persönliches und Unternehmerisches zusammenfließen kann (https://www.dgsf.org/ ueber-uns/netzwerke/netzwerk-systemisch-qualifizierter-freiberuflerinnenund-freiberufler/freiberuflich). Auch branchenübergreifende Lern- und Experimentierlabore (www.lexlabore.de), unternehmerische Zirkel, WOL-Zirkel oder Intervisionsgruppen mit anderen Freiberufler*innen sind hilfreiche Räume für Austausch und Vernetzung. Professionelle Identität

Wer selbstständig ist, merkt schnell, dass Arbeiten »nine to Five« nicht funktioniert. Falls Sie am selben Ort tätig sind, an dem Sie wohnen, werden Ihnen über kurz oder lang auch Kund*innen begegnen. Wenn Sie samstagmorgens zum Markt gehen, treffen Sie Klient*innen, genauso, wenn Sie ins Theater oder spazieren gehen oder eine Veranstaltung besuchen. Wie auch immer Sie mit der konkreten Situation umgehen – innerlich müssen Sie für sich sortieren, dass Sie gleichzeitig mit einem professionellen, unternehmerischen und privaten 268

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

Anteil unterwegs sind. Je mehr Sie in jeder dieser Rollen Sie selbst sind bzw. je mehr Überschneidung es zwischen Ihren verschiedenen Ich-Anteilen gibt, desto unproblematischer ist das. Wenn im öffentlichen Raum quasi jeder alles von Ihnen sehen darf, dann haben Sie kein Problem damit, Menschen in jeder Lebenslage zu treffen. In der Regel ist das aber bei kaum jemandem der Fall: Ȥ Sie gehen in alten Leggings joggen und treffen einen Kunden aus einer renommierten Einrichtung. Ȥ Ihr Auto ist in die Jahre gekommen – vorzeigbar finden Sie es nicht. Ȥ Sie haben gerade Kund*innen auf dem Markt getroffen. Nun stehen Sie gemeinsam am Gemüsestand und warten. Diese Situation nutzt Ihre Tochter, um einen Konflikt mit Ihnen aufzuwärmen. In solchen Situationen werden Anteile von Ihnen sichtbar, die Sie lieber nicht gezeigt hätten. Sie fragen sich, ob das geschäftsschädigend ist. Wie perfekt müssen Sie sein, um auf dem Markt erfolgreich zu sein? Unser aller Idee von Unternehmertum ist von großen Konzernen geprägt, die einen riesigen Apparat haben, der ein perfektes Außenbild erzeugt. Wollen Sie sich daran messen? Was ist Ihre Idee von Professionalität? Verträgt sie sich mit Menschlichkeit, mit Sprüngen in einer perfekten Fassade? Oder erwarten Sie von sich, dass Unsicherheiten und Brüche nach außen nicht sichtbar sind? Perfektion ist nicht immer herstellbar, wie das »Kinder-Beispiel« zeigt. Selbst wenn Sie Ihr Outfit jedes Mal kontrollieren, bevor Sie in die Öffentlichkeit gehen, kann es Ihnen passieren, dass Sie Kund*innen auf einmal im Schwimmbad treffen. Und dann? Erfahrungsgemäß bekommen Sie mit der Zeit ein gutes Gefühl dafür, wie viel von Ihrem persönlichen Ich Sie in welcher Situation von sich preisgeben und was Sie für sich behalten wollen. Das ist auch in Seminar- oder Beratungssituationen so, wo jede*r von uns für sich entscheidet, wie viel sie*er von sich zeigen möchte. Eine Unterscheidung finde ich in diesem Zusammenhang sehr hilfreich: Zwischen einem privaten und beruflichen Bereich eine Sphäre des »Persönlichen« anzusiedeln. Man mag sich diese Bereiche wie drei Mengen vorstellen – dabei definieren Sie allein, was aus Ihrem Leben in welchen Bereich gehört. Privates soll in jedem Fall geschützt bleiben. Es hat nichts in der Öffentlichkeit, in Seminaren, auf Ihrer Webseite oder im Klientenkontakt verloren – es sei denn, Sie entschließen sich bewusst, etwas Privates von sich zu zeigen. Das Berufliche ist ohnehin öffentlich. Der dritte Bereich, das Persönliche, aber steht mit einem Bein in beiden Bereichen. Das sind Aspekte, die Sie von sich bewusst zeigen, die sehr wohl etwas mit Ihrer Person zu tun haben, die aber auch öffentlich werden dürfen. Ob Sie es wollen oder nicht, Ihre »Persönlichkeit« ist immer Teil dieser Netzwerke – im Austausch mit anderen innerlich und äußerlich wachsen

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Sphäre. Wie Sie Dinge tun, unterscheidet Sie von anderen Menschen. Das ist es ja auch, was andere im besten Fall anzieht. Wir sind schließlich keine Maschinen, sondern unsere Persönlichkeit ist durch jahrzehntelange Erfahrungen gewachsen. Deshalb werden wir Dinge unterschiedlich angehen, selbst wenn wir scheinbar genau das Gleiche machen wollen. Zum Persönlichen gehören aber auch Aspekte aus Ihrem Privatleben, die Sie gerne zeigen, die öffentlich werden dürfen: Ihr Einrichtungsstil; ein Bild in Ihrem Beratungsraum, mit dem sich eine persönliche Geschichte verbindet, die Sie vielleicht gerne erzählen; die Tatsache, dass Sie gerade in Skandinavien Urlaub gemacht haben; eine Erfahrung, die Sie einem Klienten zur Verfügung stellen usw. Ich erlebe Menschen in ihrem Bedürfnis nach Abgrenzung oder Nähe als sehr verschieden. Entsprechend werden Sie in unterschiedlicher Weise das Bedürfnis haben, sehr klar voneinander getrennte Sphären zu schaffen, wo Berufliches und Privates strikt getrennt sind – oder eher fließende Übergänge zulassen. Das ist Teil Ihres Stils, und Sie werden entsprechend Klient*innen anziehen, die Ihre Art und Weise, mit Nähe und Distanz umzugehen, schätzen. Hauptsache, Sie finden eine Form, die Ihnen selbst guttut.

10.7  Räume – schaffen Sie sich eine gute »Homebase« »Wer zum Glück der Welt beitragen möchte, der sorge zunächst für eine glückliche Atmosphäre in seinem eigenen Haus.« Albert Schweitzer

Räume machen Leute. Der Ort, an dem Sie arbeiten, ist wie Ihr Schneckenhaus: Er zeigt etwas von Ihnen. Er gibt Ihrer Selbstständigkeit Kontur und Ihren Klient*innen einen Anlaufpunkt. Durch Räume verorten Sie Ihre Selbstständigkeit – sie hört auf, nur in Ihrem Kopf und Herzen zu existieren. Standortwahl

Wo Sie sich räumlich verorten, kann über Wohl und Wehe Ihrer Selbstständigkeit entscheiden. Räume, die Sie nutzen, müssen zum Image Ihres Unternehmens passen. Die Frage ist, wer fühlt sich durch Ihre Räume eingeladen? Wie wohl fühlen sich Ihre Zielgruppen? Passen Ambiente und Einrichtung zu dem, was Sie verkörpern möchten? Wo sind die Räume gelegen? Sind Sie gut erreichbar für die Menschen, die Sie ansprechen wollen? Wenn Sie einmal eine gewisse Bekanntheit erreicht haben, nehmen Menschen zwar auch Wege in Kauf, um zu Ihnen zu kommen – aber 270

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

nicht unbegrenzt. Besonders attraktiv sind Sie für diejenigen, die nicht weit weg wohnen. Das heißt, dass der Standort durchaus mitentscheidend dafür ist, wer zu Ihnen kommt. Es sei denn, Sie machen sich unabhängig und bieten einen Großteil Ihres Angebots online an. Es lohnt sich, auf Parkmöglichkeiten und Verkehrsanbindung zu achten. Eine tolle Praxis an einem Ort, den man nicht gut erreichen kann, kann durchaus eine Hürde darstellen. Unter Umständen ist das ländliche Ambiente in der Natur aber gerade das, was Ihre zukünftigen Kund*innen anzieht. Auf Stimmigkeit kommt es an. Meins!

Die eigene Praxis mit eigenem Raum oder eigenen Räumen – ein ganz und gar selbstgestalteter und selbstbestimmter Raum – macht für viele einen Teil der Freude an der Selbstständigkeit aus. Der Raum definiert mit, wie man selbst und Klient*innen die Arbeit erleben. Ihn zu gestalten und den eigenen Vorstellungen gemäß einzurichten, ist daher Selbstausdruck und Selbstfürsorge. Zuhause arbeiten

Falls Sie genügend Platz haben, ist ein Arbeitsraum in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus eine kostengünstige Möglichkeit, ein Angebot zu schaffen. Sie vermeiden zusätzliche Kosten und weitere laufende Ausgaben. Sie sind daher nicht unter Druck, diese schnell wieder erwirtschaften zu müssen. Nicht nur, aber besonders für den Anfang, kann das eine Lösung sein, die Sie sehr entlastet. Sie müssen keinen großen Aufwand betreiben, um loslegen zu können. Sie haben keine Anfahrtswege. Sie sind nicht entweder zuhause oder bei der Arbeit, sondern haben beides an einem Ort. Sie müssen keine Dinge hin- und hertransportieren. Privat- und Berufsleben können nahtlos ineinander übergehen. Es lohnt sich, auch mal nur für eine Stunden an den Schreibtisch zu gehen oder eine Beratung zu vereinbaren. Die Frage ist, ob es für Sie stimmig ist, Ihre Arbeitsräume im eigenen Zuhause zu haben: Klappt die Abgrenzung vom Privatleben? Sind Sie verführt, rund um die Uhr zu arbeiten? Können Sie sich zwischendurch freie, private Zeit genehmigen, auch wenn der Schreibtisch nah ist? Für manche Menschen ist es wichtig, dass Sie den Büroschlüssel umdrehen können, um die Arbeit komplett hinter sich zu lassen. Andere genießen es gerade, dass sie flexibel zwischen beiden Bereichen hin und her switchen können. Zuhause zu arbeiten kann den Vorteil haben, dass Sie stets als Ansprechpartner*in für Ihre Kinder da sind. Sie sind im Haus und damit ist prinzipiell eine gewisse Betreuung gewährleistet – die Kinder sind nicht allein auf sich gestellt und unbeaufsichtigt. Allerdings kann es in der Praxis ausgesprochen Räume – schaffen Sie sich eine gute »Homebase«

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schwierig sein, wenn Sie kleine Kinder haben. Diese tun sich schwer damit, Türen als Grenzen zu akzeptieren. Und Ihnen fällt die Abgrenzung vielleicht schwer – selbst wenn die Kinder betreut sind – weil Sie akustisch das Familienleben miterleben und immer bereit sind, im Falle von »Katastophen« selbst einzuspringen. Dann ist die Frage, ob Sie sich genügend abgrenzen und gut arbeiten können. Größere Kinder akzeptieren durchaus, dass Sie arbeiten, auch wenn Sie sich mit im Haus befinden. Sie sind prinzipiell ansprechbar, wenn irgendetwas ist, und nicht weit weg – und im besten Fall haben die Kinder Besuch, machen Hausaufgaben oder irgendetwas, womit sie sich gerne beschäftigen wollen. In der Praxis braucht es allerdings eine Menge Aushandlung und Geduld, wann Störungen okay sind und wann auf keinen Fall, beispielsweise, wenn Klient*innen da sind. Kein einfaches Modell, aber unter Umständen eine gute Lösung, um alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen. Ein großer Vorteil ist, dass Sie schnell zur Stelle sind, wenn doch irgendetwas ist. Wer mit Menschen arbeitet, den beschäftigt die Frage, wie viel Abgrenzung es zwischen Arbeits- und Privatleben für die Klient*innen braucht. Ist es okay, wenn sie durch einen auch privat genutzten Flur gehen, vielleicht das – auch private – Bad benutzen? Wann fühlt es sich für beide Seiten komisch an, wann ist es stimmig? Die Grenze ziehen Menschen an sehr unterschiedlichen Stellen. Manche Berater*innen brauchen klar abgegrenzte professionelle Räume, andere haben kein Problem damit, dass Klient*innen ihnen und ihrem persönlichen Leben näherkommen. Auch Kund*innen erleben dies sehr unterschiedlich – für manche ist es spannend, auch persönliche Aspekte Ihres Gegenübers mitzubekommen, für andere ist das schon zu viel. Sie schätzen einen distanzierteren Rahmen. Finden Sie heraus, was für Sie stimmig und passend ist. Das kann im Laufe der Jahre auch unterschiedliche Lösungen hervorbringen. Hauptsache, Sie spüren sorgsam, was Sie brauchen, um gut arbeiten zu können, und täuschen sich nicht – etwa aus Kostengründen – über innere Ambivalenzen hinweg. Holen Sie sich im Zweifelsfall das Feedback von Kolleg*innen und (potenziellen) Kund*innen, wie diese die von Ihnen angedachten oder gefundenen Lösungen erleben. Je näher Sie Ihre Kund*innen kommen lassen, desto stärker werden Sie als ganze Person sichtbar. Damit müssen Sie klarkommen. Wenn Sie in Ihrem eigenen Wohnumfeld Angebote machen, wird auch sichtbar, wie Sie leben, und Sie werden Kommentare dazu hören. Eine wichtige Frage ist auch, wie viel Kontakt und wie viel Alleinsein Ihnen guttut. Wenn Sie zuhause arbeiten, haben Sie keine Kolleg*innen – und wenn Sie alleine leben, sind Sie bis auf Klient*innenkontakte allein. Das bedeutet nicht, dass Sie sich automatisch auch allein fühlen müssen. Sie müssen sich nur akti272

Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

ver vernetzen, als wenn Sie Teil einer Praxisgemeinschaft oder eines Instituts sind, wo sie ganz automatisch täglich Menschen treffen. Was eine Zeit lang stimmig war, muss es nicht bleiben. Es kann sein, dass Sie mit kleinen Kindern auf keinen Fall zuhause arbeiten wollen und können, später aber, wenn die Kinder ausgezogen sind, Räume frei haben. Vielleicht tut es Ihnen gerade in der Anfangszeit gut, in einer Gemeinschaftspraxis zu arbeiten oder Teil einer Co-Working-Community zu sein, um nicht allein zu sein. Vielleicht nutzen Sie Räume eines Instituts oder einer Praxis und finden dort Anbindung. Und es kann sein, dass sich Ihre Bedürfnisse verändern. Was eine Weile perfekt war, bleibt es nicht zwangsläufig. Überprüfen Sie immer mal wieder den Rahmen, den Sie sich geschaffen haben. Es ginge bestimmt auch ganz anders … Eine gemeinsame Praxis  ▶ Kapitel  5.2

Eine gute Möglichkeit, um Kosten zu sparen und für Gemeinsamkeit und Austausch zu sorgen, ist es, sich Räume mit anderen zu teilen – mit Menschen aus ähnlichen beruflichen Bereichen wie Therapeutinnen, Supervisoren oder Beraterinnen, oder auch mit Menschen ganz anderer Professionen wie Grafikerinnen oder Textern. Tun Sie sich mit fachfremden Menschen zusammen, vermeiden Sie Kon­ kurrenzgefühle. Teilen Sie sich Räume mit anderen Beraterinnen, Coaches etc., haben Sie die Möglichkeit, sich fachlich auszutauschen. Oft besteht auch dann keine Konkurrenz, weil die eine Paarberatung anbietet und der andere Supervision. Es gibt ganz unterschiedliche Konstellationen: Manche teilen sich nur die Räume miteinander und treffen sich ab und zu an der Kaffeemaschine. Andere wachsen wirklich zu einer Gemeinschaft zusammen, die auch nach außen gemeinsam auftritt, sich gegenseitig Auftritte vermittelt und erkennbar ein größeres Ganzes ist. Es kann für Sie stärkend und ermutigend sein, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen und nicht auf sich allein gestellt zu sein. Es ist möglich, dass Sie Teil einer bestehenden Gemeinschaft werden – stundenweise, tageweise oder indem Sie einen oder mehrere Räume fest anmieten. Oder Sie suchen gemeinsam. Gründen Sie eine größere Institution mit Mitarbeiter*innen, sind Räume ohnehin essenziell. Dann braucht Ihr Unternehmen eine Verortung und Ihre Mitarbeiter*innen Plätze zum Arbeiten. Kostenmäßig will die Investition in eigene Räume gut überlegt sein – eine unter Umständen hohe Miete muss erstmal erwirtschaftet werden. Am Anfang ist eventuell ein Modell interessant, bei dem Sie nur tage- oder stundenweise oder nur zu bestimmten Zeiten Räume anteilig nutzen. Das reduziert die finanRäume – schaffen Sie sich eine gute »Homebase«

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zielle Belastung und entspricht vielleicht mehr dem, was Sie wirklich benötigen. Und gleichzeitig sind Sie im besten Fall trotzdem Teil einer Gemeinschaft. In letzter Zeit gibt es immer mehr Anbieter, die ihre eigenen Praxisräume untervermieten, um selbst Kosten zu sparen. Auch Co-Working-Spaces können Ihnen die Möglichkeit bieten, Räume zeitweise in Anspruch zu nehmen. Es lohnt sich auf alle Fälle, auf die Suche nach einer passgenauen Lösung zu gehen und eventuell auch mehrere Varianten durchzuprobieren.

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Gute Rahmungen: Sorgen Sie gut für sich selbst!

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 Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit »Alles, was wir brauchen, ist Glaube, Vertrauen und Feenstaub.« Peter Pan (James Matthew Barrie)

Als Selbstständige*r gestalten Sie Ihre Wirklichkeit. Und Sie gestalten gleichzeitig die gesellschaftliche Wirklichkeit mit. Menschen haben heute andere Ansprüche an ihre Arbeit: Arbeit soll Sinn vermitteln, Spaß machen, den eigenen Fähigkeiten entsprechen und mit persönlichen Interessen zusammenpassen. Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann hat in den 1970er Jahren mit dem New Work-Konzept17 die theoretische Verortung für Entwicklungen geliefert, die mehr und mehr das heutige Arbeitsleben prägen: Arbeit wird zunehmend Kopfund Dienstleistungsarbeit und braucht identifizierte Mitarbeiter*innen. Tayloristische Arbeitskonzepte, die die Anwesenheit der Arbeitenden erzwingen, auf Identifikation aber verzichten können, funktionieren nicht länger. Benötigt werden Menschen, die ihre Arbeit gut machen wollen – also Menschen, die sich mit ihrer Arbeit verbinden wollen und können. Und so rücken Fragen des Sinns und der Arbeitsorganisation in das Zentrum der Debatte. Die neuen Selbstständigen sind ein Teil dieser Entwicklung. Im besten Fall haben Sie die Chance, sich durch eine Selbstständigkeit Ihren Arbeitsplatz auf den Leib zu schneidern. Keine Frage: Sich selbstständig zu machen, bedeutet, einige Herausforderungen zu bewältigen. Was ist im besten Fall die Belohnung für Ihre Mühen? Ȥ Sie machen eine inhaltlich inspirierende Arbeit, der Sie gerne und aus ganzem Herzen nachgehen. Ȥ Sie sind frei und Sie fühlen sich frei. Sie selbst bestimmen die Richtung Ihres Tuns. Sie entscheiden. Niemand bestimmt über Sie. Ȥ Sie schaffen sich einen Arbeitsplatz, den Sie lieben und der genau auf Ihre Qualifikationen abgestimmt ist. Sie können immer wieder für eine Passung von Wollen und Können sorgen, indem Sie Ihren Arbeitsplatz weiterentwickeln. Ȥ Sie können einen guten Rahmen für Ihre Arbeit abstecken – einen Arbeitsplatz, der Ihnen und Ihren Klient*innen gefällt und der sich mit Ihrer privaten Lebenssituation gut vereinbaren lässt. 17 https://www.haufe.de/personal/hr-management/frithjof-bergmann-uebt-kritik-an-akteullernew-work-debatte_80_467516.html (Zugriff am 03.03.2021). Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

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Ȥ Sie werden gut geführt. Da Sie Ihr*e eigene*r Chef*in sind, können Sie sorgsam mit Ihren Bedürfnissen, Begrenzungen und Ängsten umgehen. Ȥ Sie können für gute emotionale Rahmungen durch Netzwerke und Austausch, Supervision und Intervision sorgen. Ȥ Sie können sich die Fortbildungen genehmigen, die Sie interessieren. Ȥ Sie können Ihre Arbeitszeiten selbst bestimmen. Ȥ Begrenzungen und Notwendigkeiten ergeben sich aus der Sache – nicht aus der Willkür, den Regeln und Vorgaben anderer.

11.1 Selbstständigkeit als Lebensform Selbstständige sind auf der Suche nach einem neuen Modell von Leben und Arbeit. Ähnlich wie Handwerker*innen früherer Epochen oder kleine Familienbetriebe und Tante-Emma-Läden im letzten Jahrhundert machen sie die Spaltung unseres Wirtschaftslebens rückgängig. Sie sind nah am Kunden. Arbeitsleben und Person sind enger verzahnt. Bei den Selbstständigen lebt ein altes Modell wieder auf, das durch Industrien und Entfremdung von Arbeit und Leben verloren gegangen ist. Es ist die Suche danach, die Notwendigkeit zu arbeiten, mit persönlichem Sinn und einer befriedigenden Lebensgestaltung zu verbinden. Zu Unrecht finden die Soloselbstständigen, Freiberufler*innen und Kleinunternehmen wenig Würdigung durch die Politik. Deren Adressat*innen sind mittelständische Unternehmen und große Industrien auf der einen, Arbeitnehmer*innen auf der anderen Seite. Gründungen werden gefördert, weil man von technologieorientierten oder wissensbasierten Digitalunternehmen träumt, die auf dem Weltmarkt mithalten können und so den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern. Weiteres Wirtschaftswachstum soll garantiert und damit Arbeitsplätze (und zufriedene Wähler*innen) erhalten bleiben. Für Gründer*innen und kleine Unternehmen gibt es Fördermaßnahmen. Kreativunternehmer*innen hat man als Zielgruppe entdeckt. Digital Hubs sollen Keimzellen mutiger Start-ups werden, die die Welt von morgen gestalten. Die Hoffnung dabei ist jedoch stets, dass es sich um skalierbare Gründungen handelt, die nun ihrerseits wachsen. Man will die Großunternehmen von morgen heranzüchten. Die Soloselbstständigen geraten allenfalls in den Fokus, wenn sie als Beitragszahler*innen für die Rentenversicherung akquiriert werden sollen – einerseits aus Sorge, dass sie nicht genügend fürs Alter vorsorgen und später durch die Allgemeinheit finanziert werden müssen, andererseits weil man um jeden froh ist, der die sich leerenden Rentenkassen mit füllen könnte. Ansonsten werden sie gerne vergessen – nur mit viel Mühe gelang es Verbänden wie dem VGSD, 276

Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

ihre Bedürfnisse während der Corona-Krise sichtbar zu machen. Bei steigenden Arbeitslosenzahlen werden Kleingründungen gefördert. Sobald die Arbeitslosenzahlen sinken, interessiert man sich für diese Gründungen nur noch am Rande. Es scheint, als wären die kleinen Unternehmen und Soloselbstständigen wenig interessant. Sie segeln quasi unter dem Radar und geraten allenfalls als Risikogruppe ins Blickfeld. Aber was ist mit denen, die nicht immer weiter und weiter wachsen wollen? Wenig wahrgenommen werden die Chancen, die durch sie für Wirtschaft und Gesellschaft entstehen: Ȥ In den Geschäftsideen steckt ein großes Potenzial für gesellschaftliche Innovation. Gründer*innen und Selbstständige entwickeln ihre Angebote unmittelbar orientiert an Kundenbedürfnissen. Ȥ Sie übernehmen zwangsläufig selbst die Verantwortung dafür, dass ihr Angebot auch gefragt ist. Was keine Abnehmer findet, verschwindet wieder. Nur dadurch, dass es für irgendjemanden hilfreich ist, erhält es sich am Leben. Alles, was nicht marktgerecht ist, wird wieder zurückgenommen und verändert. Ȥ Selbstständige sind notgedrungen an einer hohen Effizienz interessiert. Inund Output müssen sich die Waage halten. Denn alles, was sie neben der eigentlichen Arbeit für ihre Kunden tun, ist unbezahlte Zeit. So gibt es einen starken Anreiz, diese Arbeiten so zu gestalten, dass sie nicht mehr Zeit benötigen als notwendig. Ȥ Selbstständige sind gezwungen und herausgefordert, sich selbst gut zu balancieren und zu steuern, für Rekreation und eine ausgewogene Work-LifeBalance zu sorgen, Entscheidungen zu treffen und sich zu verorten. Sie können niemand anderen verantwortlich machen als sich selbst, wenn Dinge schlecht laufen. Sie spüren unmittelbar die Folgen ihrer Entscheidungen. Selbstständig zu sein ist eine stete Einladung, innerlich erwachsen zu werden. Ȥ Selbstständigkeit hat verändernde Kraft. Jede*r einzelne kann ein Feld entdecken und handeln, kann etwas erschaffen, was fehlt, was sie* er sinnvoll findet. So geschieht gesellschaftliche Innovation. Unsere Gesellschaft braucht neue Formen von Wirtschaft und Arbeit. Das jetzige Wirtschaftsmodell kommt sichtbar an seine Grenzen. Die ökologischen Probleme häufen sich, die Klimakatastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. Die Menschen ächzen unter einer stetigen Beschleunigung des Lebens und der Arbeit. Alle sind gehetzt und gestresst. Die Rate psychischer Erkrankungen steigt immer weiter. Die Menschen wollen und können nicht mehr immer schneller sein. Sie identifizieren sich oft nicht mit der Arbeit, die sie leisten sollen. Die Arbeitsformen bilden nicht ab, was die Menschen wirklich brauchen. Ihr EngaSelbstständigkeit als Lebensform

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gement, ihr Wissen, ihr Wunsch, gut zu arbeiten, wird reglementiert und in Formen gepresst. Ihr persönliches Leben, ihre Wünsche und Träume, die anderen Welten, in denen sie sich noch bewegen – Familie, Freunde – werden zu einem »Störfaktor«, wenn sie sich nicht nahtlos einfügen wollen. Wider besseren Wissens machen alle immer weiter, dreht sich das Rad immer schneller. Weil viele profitieren. Weil wir den Ausweg nicht kennen. Weil diejenigen, die Ideen über ein anderes Morgen haben, nicht die Macht haben, diese umzusetzen. Jedes gelebte Andere ist damit zugleich auch Utopie und zeigt, dass neue Lösungen möglich sind (zum Beispiel im Film »Tomorrow: Die Welt ist voller Lösungen«, 2015). Nicht von ungefähr sind Formen agilen Arbeitens spannend, mit denen es augenscheinlich gelingt, dass Menschen wieder motiviert arbeiten, weil sie bessere Bedingungen vorfinden. Nicht nur die Politik, auch die klassische Arbeitnehmer*innenmentalität, in der Arbeitgeber und Chefs als Gegner konfiguriert werden – setzt diese entfremdeten Ideen von Arbeit fort. Das alte Gewerkschaftsdenken ist da nötig, wo ausbeuterische Großkonzerne versuchen, das Letzte aus ihren Mitarbeiter*innen herauszupressen. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht geschlossen, sondern weiter geöffnet. Weltweit gibt es nach wie vor ein hohes Maß an Ausbeutung und wenige Reiche profitieren davon. Dennoch: In diesem Denken werden die Welt der Unternehmen und die Welt der Menschen und Mitarbeiter*innen als feindliche Lager und ihre Beziehungen als eine Art Tauziehen gedacht. Als wenn wir nicht im Endeffekt alle in einem Boot säßen. Unserer Gesellschaft täten mehr Menschen gut, die Verantwortung für sich und ihr Leben übernehmen und diese Verantwortung nicht an andere delegieren – den Arbeitgeber, die Krankenkassen und Ärzte, die Politik, die Nachbarn … Wir leben in einer der friedlichsten, reichsten, sichersten Welten, seit es die Menschheit gibt, in ungeahntem Wohlstand. Wir sind reicher als Fürsten und Könige früherer Epochen. Das sollte genügen, um ein zufriedenes Leben zu führen und uns nicht schlecht behandelt zu fühlen, sobald wir mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden. Selbstständigkeit bedeutet, Verantwortung für sich und die Gestaltung der Gesellschaft zu übernehmen, statt zu klagen und auszuhalten. Selbstständig sein bedeutet außerdem die Erlaubnis, selbst zu denken und zu gestalten. Im Knirschen zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen der Arbeitswelt, im Überdruss gegenüber der Diskrepanz zwischen dem Gebotenen und dem Gewünschten, entstehen Aufbruchsimpulse und kleine und große Utopien anderer möglicher Zukünfte. Selbstständig sein heißt, die Dinge in die Hand zu nehmen und den Versuch zu starten, diese Utopien 278

Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

Wirklichkeit werden zu lassen. Für das eigene Leben. Und damit auch für die Gesellschaft. Auch wenn nicht jede Gründung bahnbrechende Umwälzungen anstrebt, so steckt doch in jeder der Wunsch, eigene Ideen und Visionen zur Entfaltung zu bringen und sich ein anderes Leben zu schaffen. Je mehr Menschen diesem Impuls folgen, desto mehr gesellschaftsverändernde Kraft entsteht.

11.2  Mein Werk, meine Essenz, mein Ding Selbstständig sein bedeutet, in Ihrem eigenen Leben die Hauptrolle zu übernehmen. Sich nicht anzupassen an das Vorgefundene, sondern sich zu fragen: »Wer bin ich und wer will ich sein? Wo will ich hin? Was soll mein Beitrag sein?« Sie sind mit den anderen durch die Frage verbunden, ob diese haben wollen, was Sie in die Welt bringen möchten. Auch hier gibt es Regeln und Beschränkungen, die Sie beachten müssen. Und doch haben Sie eine ungleich größere Freiheit, als wenn Sie sich in ein mehr oder weniger hierarchisches Unternehmen einfügen müssen. Sie müssen sich nicht einfach einem fremden Willen unterwerfen, sondern bleiben ein freies, unabhängiges Gegenüber mit eigener Verhandlungsmacht. Die Logik Ihres Tuns ergibt sich aus der Sache und ist bestimmt durch die Wünsche Ihrer Klient*innen. In der Selbstständigkeit haben Sie die Chance, sich mit dem zu verbinden, was Sie in der Essenz sind – und Ihr Werk in die Welt zu bringen. Zu verwirklichen, was Ihnen wichtig ist. Das bleibt ein Ringen, denn Sie verändern sich und die Welt verändert sich um Sie herum. Was Sie gestern noch zufrieden machte, trägt heute vielleicht nicht mehr. Das heißt unter Umständen, immer wieder weiterzuziehen, Ihr Ränzlein zu schnüren und zu neuen Abenteuern aufzubrechen. Wieder zur Lernenden und vielleicht zum Scheiternden zu werden. Sie sind immer wieder herausgefordert, zu wachsen und eine neue Held*innenreise anzutreten (vgl. auch Hochbahn, 2018).  ▶ Kapitel  1.2 Erfolg fällt nicht vom Himmel

Sie müssen kein bestimmter »Unternehmertyp« sein. Wer will, der*die kann. Ausschlaggebend für Ihren Erfolg ist: Ȥ die Passung zwischen Ihrer Idee und Person Ȥ Ihre Bereitschaft zu lernen, Ihre Idee weiterzuentwickeln und am Markt auszurichten Ȥ Ihr Wille, Neues zu lernen Ȥ Ihr Durchhaltevermögen, um Durststrecken zu überstehen Ȥ wie Sie sich motivieren können, Herausforderungen entgegenzutreten Mein Werk, meine Essenz, mein Ding

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Ȥ ob Sie Ihre Kund*innen wirklich mögen und verstehen wollen Ȥ wie liebevoll und wertschätzend Sie sich selbst gegenüber sind Ȥ Ihr Wunsch, wirklich erwachsen zu werden und sich den auftauchenden Themen zu stellen An all dem kann man arbeiten. Wann ist es genug?

Wann sind Sie erfolgreich? Dafür gibt es keine absoluten Maßstäbe. Wenn Sie Resonanz bekommen und die Menschen haben wollen, was Sie anbieten? Wenn Sie von Ihrer Selbstständigkeit leben können? Wenn Sie Lehrtherapeut*in sind? Wenn Sie ein eigenes Institut leiten? Wenn Sie zahlreiche Veröffentlichungen vorweisen können? Wann reicht es? Wir geraten schnell in Vergleiche. Das ist wichtig – denn wir brauchen Spiegel, um zu verstehen, wo wir sind. Ginge mehr? Sind wir grandios? Das wissen wir doch erst, wenn wir die anderen sehen. Im Vergleich verstehen wir, was möglich wäre – und können unseren eigenen Platz verorten. Selbstständig sein heißt, wie ein Fisch in einem Meer der Möglichkeiten zu schwimmen, das ohne Begrenzungen ist – angetrieben von den eigenen Bewegungen, aber auch von der Bewegung des Meeres und den Sie umgebenden Strömungen. Das Thema Markt wird auf diese Weise »super-real« – und hat auch eine Innenperspektive: Es verbindet sich mit der uralten Frage danach, welches Recht ich habe, in der Welt einen Platz einzunehmen. Wir alle haben eine Geschichte in unserer Familie und Erfahrungen gemacht, was uns zugebilligt wurde, welche Erlaubnisse und Gebote wir mit auf den Weg bekommen haben. Nun ist die Frage, welche Erfahrungen wir mit diesem Vergleich gemacht haben, wie wir unser eigenes Abschneiden bewerten. Es geht ja immer mehr. Ist das ein Ansporn, Ziele neu zu definieren, neue Schritte zu überlegen? Ist es eine Einladung, sich zurückzulehnen und sich zu fragen, ja, es ginge mehr, aber tut mir das gut? Vorsicht – Vergleichen macht unter Umständen klein. Wenn wir nicht aufpassen, überkommen uns bohrende Selbstzweifel und wir quälen uns mit Selbstbezichtigungen. Dann spornt uns der Vergleich nicht an, sondern droht, Lähmung zu erzeugen. Selbstständigkeit braucht Selbstfürsorge

Zufriedenheit muss immer wieder im Inneren erzeugt werden. Gunther Schmidt sagt, ein Problem entsteht nur durch eine Soll-Ist-Diskrepanz. Die erschaffen wir aber immer wieder in uns selbst. Was muss sich ändern? Das Soll oder das Ist (vgl. 2017)? 280

Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

Existenzielle Sorgen können zum Treiber werden. Oder das Bedürfnis, gut für andere zu sein. Die Angst, nicht gut genug zu sein. Die mangelnde Begrenzung im Außen kann dazu führen, dass wir selbst uns keine Ruhe lassen. Die Frage, wann genug tatsächlich genug ist, ist von hoher persönlicher und politischer Brisanz. Wir können uns selbst an unsere persönlichen Grenzen bringen, weil unsere Kräfte nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit, uns zu begrenzen, Halt! zu sagen, muss offensichtlich gelernt und zugestanden werden. Wir sind eingeladen, uns selbst gut zu versorgen und im Blick zu behalten. Dazu gehört die Frage, wie viel Menschlichkeit wir uns erlauben. Wie sehr brauchen wir es, selbst auf einem Podest zu stehen und uns gegenseitig und der Welt vorzumachen, dass wir es geschafft haben, dass wir nicht bedürftig sind? Wie menschlich und verletzlich können wir bleiben? Wie berührbar, ohne deshalb unsere professionelle Distanz zu verlieren? Es geht nicht darum, unseren Klient*innen unsere privaten Geschichten und unsere Bedürftigkeiten zuzumuten. Sie zu versorgen, ist unsere ureigene Aufgabe. Aber können wir es aushalten, uns gegenseitig unsere Menschlichkeit zu zeigen, ohne dass uns ein Zacken aus der Krone bricht? Wir, die wir angetreten sind, andere in ihrer Selbstwerdung zu unterstützen? Als Unternehmer*innen scheint dies nach wie vor heikel. Schmal ist der Grat, wo Menschlichkeit als innere Größe gefeiert oder aus Angst, als inkompetent und unprofessionell zu gelten, abgewehrt wird. Kooperation ist die Haltung mit der größeren Reichweite

Wenn wir zeigen, dass wir etwas brauchen, können wir auch etwas voneinander bekommen. Nicht jede*r muss das Rad neu erfinden. Wenn wir uns wie kleine Fürstentümer nach außen abschotten, muss jede*r Lösungen allein kreieren. Unterstützen wir uns, profitieren wir gegenseitig von unserem Wissen, geben wir uns emotionalen Rückhalt. Wir sollten weiter über Supportkonzepte und gegenseitige Unterstützung und Vernetzung nachdenken. Ob Social MediaKompetenz, Buchhaltungswissen, Austausch über Steuerfragen oder SoftwareTipps. Soloselbstständige und Kleinunternehmer*innen behelfen sich häufig mit unprofessionellen Lösungen, weil sie sich nicht um alles gleichzeitig kümmern können und professionelles Know-how zu teuer wäre. Die Achillesferse der Selbstständigkeit kann die Einsamkeit sein – wenn wir uns vernetzen und austauschen, profitieren wir alle davon. Die Selbstwirksamkeitsforschung, basierend auf den Theorien Albert Banduras (1997), zeigt, dass das soziale Klima, in dem wir uns bewegen, maßgeblichen Einfluss darauf hat, wie sehr wir uns kompetent und in der Lage fühlen, Schwierigkeiten zu bewältigen. Wenn wir wissen, dass wir bei Problemen soziale Unterstützung bekommen und auf andere zurückgreifen können, sind wir in der Lage, uns gestärkt an die Arbeit zu machen. Mein Werk, meine Essenz, mein Ding

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Selbstwirksamkeit

Um eigene Ziele zu erreichen, brauchen wir die Idee, dass wir diese erreichen können. Die Lust auf ein anderes Leben gibt uns die Kraft, den Versuch zu wagen. Mit jeder herausfordernden Situation, die wir erfolgreich gemeistert haben, wächst unsere Zuversicht. Wir erleben, dass unser eigenes Handeln die gewünschten Ergebnisse bewirken kann. Je mehr uns gelingt, desto stärker wächst der Glaube an unsere Kompetenz. Und mit unseren Kompetenzen wächst die Lust am Tun …

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Mirjam Faust: Was ich gerne vorher gewusst hätte … Mirjam Faust ist selbstständige Paar- und Sexualtherapeutin in Münster und Supervisorin in spe. Sie hat Lehraufträge an der Katholischen Hochschule Münster und der Universität Oldenburg und bietet Gruppen zu Partnerschaftsthemen, Sexualität und persönlicher Entwicklung an. Mirjam Faust ist Ansprechperson der Fachgruppe Paar- und Sexualberatung der DGSF (www. mirjam-faust.de). Was ich gerne gewusst hätte (und teilweise auch wusste), bevor ich mich als Systemikerin selbstständig gemacht habe: Ȥ Dass Anfragen von Klient*innen in Wellenbewegungen kommen. Ȥ Dass Klient*innen zu Beginn eher über Empfehlung kommen als über die Website. Ȥ Dass es guttut, Menschen zu treffen, die auch gerade gründen oder die schon ein, zwei Jahre weiter sind und die ehrlich von ihren Ups and Downs berichten. Ȥ Dass die Arbeit an den Texten für die Homepage richtig viel Zeit braucht und zentral für mich geworden ist, um mich als Systemische Therapeutin aufzustellen und zu wissen, was mich ausmacht. Ȥ Dass bei der Arbeit an der Webseite so viele Kämpfe – Selbstbild, Selbstwert, die Beschreibung der Angebote etc. – auszufechten sind und man es mit inneren Zweiflern, Kritiker*innen und anderen Monstern zu tun bekommt. Ȥ Dass eine Praxisgemeinschaft toll ist. Ȥ Dass alles auch ein Spiel oder eine Show ist. Du kannst dich nicht verstecken, aber du kannst ausprobieren, wie du in Erscheinung trittst. Und es dann wieder ändern. Ȥ Dass verschiedene Standbeine/Projekte gut sind, um nicht wie Mogli vor der Schlange zu sitzen und sich von »Scheiterfantasien« hypnotisieren zu lassen, wenn das Kerngeschäft nur langsam anrollt. Ȥ Dass eine gute Intervisionsgruppe eine echte Bank ist. Ȥ Dass es gut ist, etwas Verrücktes auszuprobieren: Formate, Settings, die man nicht kennt (Videoberatung auf Englisch; ein Workshop für eine Gruppe, die auf Visionensuche ist; eine Rede halten …), um Erfahrungen zu sammeln, Angst abzubauen und herauszufinden, was man in Zukunft nicht machen will. Ȥ Dass Kooperationen wichtig sind, um das eigene Angebot klarer zu bekommen und um sich verbunden zu fühlen. Ȥ Dass Pausen machen richtig, richtig schwer ist. Ȥ Dass die Zielgruppe vielleicht geduldiger mit deinen holperigen Anfängen ist als du selbst. Mein Werk, meine Essenz, mein Ding

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Ȥ Dass das Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein neben der Angst auch immer wieder das Gefühl von wunderbarer Freiheit und Unbestechlichkeit mit sich bringt. Ȥ Dass du in deinem Leben auch noch etwas anderes machen darfst. Ȥ Dass die kleinen Etappenziele total wichtig für das Erfolgsgefühl sind. Ȥ Dass dein Projekt auch scheitern oder würdig zu Ende gehen darf oder von dir würdig abgeschlossen werden darf. Ȥ Dass das Gelingen oder Scheitern des Projekts weder deinen persönlichen Wert noch den Lebenssinn infrage stellt. Aber dass die Verlockung groß ist, genau das zu tun. Ȥ Dass die Welt nicht auf dich gewartet hat und deine Idee trotzdem wichtig sein kann. Vor allem für deine Welt. Ȥ Dass es viele qualifizierte Menschen in deinem Feld gibt und du dennoch eine Daseinsberechtigung hast, weil deine Arbeit niemand so tun kann, wie du sie tust und verstehst. Ȥ Dass dein Projekt dich verändert und du unter Umständen irgendwo ankommst, wo du nie dachtest, anzukommen. Oder dass du genau da ankommst, wo du hinwolltest und sich die erwarteten Gefühle nicht einstellen. Und dass beides genau richtig und wunderbar sein kann. Ȥ Dass wir Menschen brauchen, die uns kennen, an uns glauben und uns spiegeln, wenn wir uns verzetteln. Die wissen, worum es uns im Leben geht, und die uns helfen, genau das zu tun, was für uns wesentlich ist. Die uns dabei unterstützen, immer mehr zu dem Menschen zu werden, der wir in Wahrheit sind.

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Selbstständig als Systemiker*in – Anleitung zur Gestaltung der eigenen Wirklichkeit

Danksagung – zu einem Buch tragen viele bei

Ich danke:

Dem Verlag und der Lektorin Sandra Englisch Ich habe mich sehr gefreut, dass der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht auf mich zugekommen ist und mich gefragt hat, ob ich Lust habe, dieses Buch zu schreiben. Die Zusammenarbeit mit Frau Englisch war großartig. Sie ist eine einfühlsame und konstruktive Gesprächspartnerin, die mit guten Rückmeldungen dieses Buch mitgeformt hat. Vielen Dank außerdem an Thorsten Schulte und Carlotta Koch, die das Buch sehr behutsam und kompetent redigiert und mit ihrem achtsamen Sprachgefühl und präzisem Lesen den Text wirklich besser gemacht haben. Vielen Dank auch an Robindro von Gierke. Es ist für mich als Autorin ein echtes Geschenk, dass Menschen sich so mit einem Text verbinden, dass sie die Absicht hinter den Worten sehen, und helfen, ihr Ausdruck zu verleihen. Meinen Interviewpartner*innen Ich habe mich darüber gefreut, dass ich auf so viel Lust und Bereitschaft gestoßen bin, von eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen zu berichten. Ich habe sehr vom Weitblick meiner Gesprächspartner*innen profitiert, die mir aufgrund ihrer beruflichen Erfahrungen Einblicke und Einschätzungen in ihre Entwicklung und die Marktsituation für Systemiker*innen vermittelt haben. Die meisten Gespräche finden sich ausschnittweise in diesem Buch als Interviews. Manche Gespräche fanden als Hintergrundwissen Eingang in dieses Buch. In alphabetischer Reihenfolge: Sebastian Baumann, Rüdiger Beinroth, Dr. Steffen Elbert, Mira Engenhorst, Mirjam Faust, Prof Dr. Björn Enno Hermans, Tom Küchler, Tanja Kuhnert, Petra Lahrkamp, Prof. Dr. Holger Lindemann, Dr. Dirk Rohr, Nikola Siller, Christine Viedt. Allen Korrekturleser*innen Astrid Eikel, Mirjam Faust und Ursula Haberland haben das ganze Buch Korrektur gelesen und mir viele wertvolle Hinweise gegeben. Ein großes Dankeschön an Petra Lahrkamp, die sich sehr intensiv mit dem ganzen Werk auseinandergesetzt und dafür gesorgt hat, dass ich nochmal einiges überarbeitet Danksagung – zu einem Buch tragen viele bei

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und umgestellt habe. Es war wunderbar, aus verschiedenen Perspektiven Feedback zu bekommen. Carla Ortmann, Inga Roland und Eva Brenna haben die Kapitel 4.1 und 4.2 im Hinblick auf fachliche Aspekte gelesen und mir versierte und fruchtbare Hinweise gegeben haben. Meinen Freund*innen und meiner Intervisionsgruppe Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich bei diesem Projekt unterstützt haben – durch Gespräche, durch liebevolle Ermutigung, begeisterten Zuspruch, Korrekturen und kritische Rückmeldungen. Meine Intervisionsgruppe bietet auf fröhliche und kluge Weise einen guten Rahmen für meine eigene Selbstständigkeit: Vielen Dank an Lisa Frings, Nikola Siller, Astrid Eikel, Cornelia Fauser und Mirjam Faust. Meinen Co-Working-Partner*innen Ein Teil dieses Buches ist in Co-Working-Kontexten entstanden. Ich biete regelmäßig Co-Working-Seminare an, und sie waren auch für mich ein wunderbarer Rahmen, immer wieder ein Stückchen mit diesem Buch weiterzukommen. Es schreibt sich in geselliger Runde einfach gut. Meinen Kund*innen Danken möchte ich meinen Kund*innen, die mich an ihren Fragen, Einsichten, Stolpersteinen, Überlegungen und Erfolgen teilhaben lassen und durch die ich Tag für Tag Neues hinzulerne.

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Danksagung – zu einem Buch tragen viele bei

Literatur

ARD-Forschungsdienst (2001): Aktuelle Ergebnisse der Werbewirkungsforschung. https://www. ard-werbung.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2001/03-2001_Fodi.pdf (Zugriff am 17.01.2021). Ärzteblatt (2018): Krankenkassen lehnen verstärkt Kostenerstattung von Psychotherapien in Privatpraxen ab. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/98547/Krankenkassen-lehnen-verstaerktKostenerstattung-von-Psychotherapien-in-Privatpraxen-ab (Zugriff am 20.01.2021). Averbeck, B., Baumann, S., Dittrich, K., Schmidt, F. (2019): Faktencheck 2 für Systemische Therapeut*innen und Berater*innen ohne Approbation aus dem Feld der Jugendhilfe und Sozialen Arbeit – Stand März 2019. https://www.dgsf.org/themen/Familien-Jugend-Sozialpolitisches/ sammelordner-dokumente/systemische-therapeut-innen-und-berater-innen-ohne-approbation (Zugriff am 20.01.2021). Bandura, A. (1997): Self-Efficacy. The Exercise of Control. New York: Freeman. Begemann, P. (2012): Das eigene Sachbuch. 2012. Offenbach: Gabal. BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) (2017): Geschichte der Gesetzlichen Rentenversicherung. https://www.bmas.de/DE/Themen/Rente/Gesetzliche-Rentenversicherung/ Geschichte-GUV/geschichte-der-gesetzlichen-rentenversicherung.html (Zugriff am 20.01.2021). Bock, K. (2019): Die Datenschutzgrundverordnung – was Coaches, Trainer und Lehrinstitute bis zum 25. Mai 2018 veranlassen müssen. https://european-coaching-association.de/wp-content/ uploads/2019/01/dgsvo-infos.pdf (Zugriff am 18.01.2021). Bundespsychotherapeutenkammer (Hrsg.) (2017): Jobsharing. Berlin. https://opk-info.de/wp-content/­ uploads/Praxis-Info_Jobsharing.pdf?x96848 (Zugriff am 21.01.2021). Conen, M. (o. D.): Blick auf mögliche Zukunftsszenarien. https://www.dgsf.org/themen/FamilienJugend-Sozialpolitisches/sammelordner-dokumente/input-von-marie-lusie-conen (Zugriff am 20.01.2021). Der Spiegel (1999): Verkannte Genies des Jahrhunderts. https://www.spiegel.de/spiegel/ print/d-15317110.html (Zugriff am 17.01.2021). DGuSV (Deutscher Gutachter und Sachverständigen Verband) (o. D.): Der richtige Stundensatz. https://www.dgusv.de/gutachter-verband/erfolgreich-als-sachverstaendiger/3-stundensatzgutachter-sachverstaendige.php (Zugriff am 18.01.2021). Faltin, G. (2012): Kopf schlägt Kapital. Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen. Von der Lust, ein Entrepreneur zu sein. München: Carl Hanser. Faltin, G. (2019): David gegen Goliath: Wir können Ökonomie besser. Hamburg: Murmann. Faschingbauer, M. (2010): Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Frater, E. (2013): Gesetzliche Rentenversicherungspflicht für Trainer, Berater, Dozenten und Coaches. https://www.nlp-ausbildungen-frankfurt.de/allgemein/gesetzliche-­rentenversicherungspflichttrainer-berater-dozenten-coachs-1365.html (Zugriff am 18.01.2021). Frater, E. (2019): Gesetzliche Rentenversicherungspflicht für Selbständige in Training, Beratung und Coaching. https://www.bdvt.de/fileadmin/user_upload/dokumente/Fachaufsaetze/GRV_ BDVT_2019.pdf (Zugriff am 18.01.2021).

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