Schurz und Schürze: Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion 9783412312329, 3412049026, 9783412049027

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Schurz und Schürze: Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion
 9783412312329, 3412049026, 9783412049027

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Elke Gaugele Schurz und Schürze

Elke Gaugele

Schurz und Schürze Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion

§

2002

BÜHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn und der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart

LB=BW

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Hofgut Tannenbrunn, Worndorf 1935, Kreisarchiv Tuttlingen Keil-Nr. 510-16 Verlag und Autorin haben sich bemüht, alle Rechteinhaber der Abbildungen zu ermitteln. In Fällen, wo dies nicht gelungen ist bitten wir um Mitteilung. © 2002 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 91390-0, Fax (0221) 91390-11 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Satz und Lektorat: rhet publica, Pfullingen Druck und Bindung: Strauss Offsetdruck GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-04902-6

Inhaltsverzeichnis

Einleitung Schurz und Schürze - Eine Einführung [5]. Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion [8]. BESCHÜRZT BEKLEIDET

Textile Geschlechterforschung

17

Methodik I: Forschungsdesign [18]. Problemzentriertes Leitfadeninterview [18]. Geschlechterforschung im Netz sozialer Beziehungen [19]. Methodik II: Re-Konstruktion [22], Dokumentarische Interpretation zur Rekonstruktion von Handlungs-, Sinn- und Bedeutungsmustern [22]. Dreistufige Differenzierung des »doing gender« [25]. Zur Interdependenz von praktischen Funktionen und Zeichenfunktionen der Bekleidung [26]. Porträts im Schurz

29

Heimliche Rituale der Erniedrigung [29]. Zickzackmuster [35]. Der »Schuuz« [41]. Zwischen Landwirtschaft und Industrie [48]. Hierarchie der Ungleichzeitigkeiten [53]. Unzeitgemäßes Statussymbol [57]. Zeichen der Tradition [60], ALLTAGSSCHÜRZEN

Schaffen und Schonen

67

Im Schurz schaffen [68], Multifunktionales Werk-Zeug in Leibnähe [71]. Auflösung und Zuweisung der Geschlechterrollen durch Arbeit [75], Sachverhältnis und soziale Norm [77]. Schonen als Schaffen: Wertschöpfung im Kreislauf der Wiederverwertung [80]. Kleidung im Zentrum des Schonprinzips [81]. Symmetrie und Asymmetrie der Geschlechter: Sozioökonomische Verortung [85]. Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins Landfrauen-Schürzen [90]. Landwirtschaftliche Männerschürzen [103]. Ästhetik der beschürzten Weiblichkeit [112].

90

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Inhaltsverzeichnis

Geschlechterdistinktion

und

120

Rollenfixierung

Hierarchische Symbolik bürgerlicher Häuslichkeit [120]. Die Schürze als Statussymbol und als Mittel der Erniedrigung [121]. Geschlechterdistinktion durch Kinderschürzen [123]. Schürzenherstellung als Selbstkonstruktion der Hausfrau [129]. Eine Zeitachse der Funktionen und

Bedeutungen

140

Zeitgeschichtliche Focussierung: Frauenschürzen in Nationalsozialismus und Nachkriegszeit [140]. Ein diachroner Schnitt: Realitäts- und Bedeutungswandel der Handwerkerschürze [149]. SCHURZ UND SCHÜRZE: HISTORISCHE SCHICHTEN UND FORMEN

Anverleibung: Schutztextil mit Sozialprestige

163

Erste Schurze und frühe Objekte des Kleid- und Körperschutzes [163], Der Schurz als Ausdruck spätmittelalterlicher Sozialdifferenzierung [165]. Textile Geschlechterdifferenz und Ordo [168], Kleiderschutz als Distinktionsstrategie [170]. Feminisierung: Schürzen als Bestandteile der Frauenkleidung

172

Schutz und Schmuck: Neue textile Differenzierungen [172], Körper des Körpers: Kleiderschutz als Standesehre [174]. Schmuckschürzen: Transformation des Funktionalen als Kristallisation von Fleiß und Gewinn [176]. »Habitus« und »vestis« [178], Ein geschlechterdifferenzierender Wendepunkt des »Schurtz«textils [180]. Bekleidungsgestalt und Geschlechterkonstruktion [181]. Geschlechtsspezifische Schürzenhierarchie im Spiegel sozioökonomischer Prozesse [185]. Symbolisierung: Frau gleich Schürze - Historisch-semantische

Verdichtungen

188

Der Schurz: Ein geschlechtsindifferenter Bedeutungsstrang [189]. Die Schürze: Geschlechterdifferenz und Symbol der Frau [190], Geschlechterklassifizierung: Semantische Beschürzung des weiblichen Genitalbereichs [192], Schürzenfreund und Schürzenjäger: Geschlechterbeziehungen [194], Synonym von Weiblichkeit und Geschlechtlichkeit [196],

3

Inhaltsverzeichnis

Intimisierung: Latzschürzen - Stoffliche Transzendenz leiblicher Intimität

199

Der Schürzenlatz: Miederdekor und infantiles Zitat [199], Hausarbeit: Anmutig intimer Liebesdienst [202], Die weiße Latzschürze: Korrespondenz zwischen leiblicher und sozialer Intimität [205]. Die Dienstmädchenschürze: Uniformierung und Statuserweiterung [209]. Die Lust der Erniedrigung: Apron-String-Sex in beschürzter Reizwäsche [212]. KITTELSCHÜRZEN: »VERSCHÜRZUNG« IN DER MODERNE

Eine Ära neuer Schürzen

219

Kittel-, Ärmel- und Hosenschürzen: Frauen-Berufsbekleidung in der Industrie [219]. Arbeits- und Freizeitkleidung: Die »Verschürzung« der Alltagsmode [221], Berufskittel: Erste Angestellten-Mode [223]. Das »Kleid« der modernen Hausfrau [225]. »Lumpenverdecker«: Schürzen als Kleid-Ersatz [227]. Massenkonfektion: Typisierungs- und Absatzstrategien im Feld der »Feinen Unterschiede«

229

Objektbeispiele: Aktuelle Mode für den »wichtigsten Beruf der Welt« [230], »Verschürzung« im Zeitalter der Massenkonfektion [235], Vom Status zum Stigma

240

Die »Entthronung« der Kittelschürze: Ein mittelschichtspezifisches Projekt der mittsechziger Jahre [240]. Kittelgröße als Indikator für die Maschinisierung der Haushalte [242]. Stigma-Symbol und Lieblingsbekleidung [243]. Ausblick [245]. Schlußfolgerungen

250

Bedeutungssystem Schürze [250]. Historizität und Differenzen der Kategorie Geschlecht [253]. Widersprüche einer im Grundriß gespaltenen Moderne [256]. Verzeichnis der erwähnten Literatur

261

Einleitung

Schurz und Schürze - eine Einführung Ein nicht nur in der kulturwissenschaftlich-volkskundlichen, sondern auch in der gesamten Kostüm- und Kleidungsforschung bislang wenig beachtetes Kleidungsstück rückt die folgende Untersuchung ins Zentrum: die Schürze. Mein Interesse an der Erforschung dieses Gegenstandes entstand bei der Konzeption und Realisation der Ausstellung »Schurz und Schürzen. Blick auf ein unscheinbares Kleidungsstück«.1 In der Auseinandersetzung mit Stofflichkeit und Gestalt der Objekte von der Inventarisierung bis zur Inszenierung und den mündlichen Berichten der Nutzerinnen eröffnete sich ein überraschend vielfältiges Spektrum an Funktionen und Bedeutungen dieses sonst eher »unscheinbaren Kleidungsstücks«. Insbesondere kristallisierte sich dabei ein Schicht- und geschlechtsspezifisches Bekleidungsverhalten heraus, nach dem die Schürze bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts das zentrale Alltagskleidungsstück im Sinne real getragener Bekleidung war. Dieses spezifische Bekleidungsverhalten, dessen Rückzug die Zeitzeuginnen2 auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg datierten, charakterisiert sich einerseits durch eine scheinbar grenzenlose Omnipräsenz der Schürze im Alltag von Frauen, in dem Arbeits-, Alltags- und Sonntagskleidung beinahe übergangslos beschürzt wurde. Andererseits konstituierten Männer wie Frauen in ihren alltäglichen Umgangsweisen ein jeweils eigenes Regelsystem, das in der mannigfachen Ausdifferenzierung und Diversifikation von Schürzen bestand. Parallel dazu zeigt sich, daß die beschürzte Bekleidung eine Sachkultur mit ganz besonderer Relevanz für die Geschlechterforschung ist. In Sachen3 1

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Die Ausstellung wurde gemeinsam mit Susanne Heliosch durchgeführt für das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck (1989), das Maschenmuseum Albstadt (1990), das Dorfmuseum Pliezhausen (1991), das Stadtmuseum Radolfzell (1992) und das Dreieich-Museum Dreieichenhain (1994). Sind explizit Männer u n d Frauen gemeint, wird im folgenden die Schreibweise -Innen verwendet. »Als Sachen bezeichnen wir [ . . . ] - im Unterschied zu naturgegebenen Dingen alle Gegenstände, die Produkte menschlicher Absicht und Arbeit sind.« Hans Linde, Sachdominanz in Sozialstrukturen, Tübingen 1972, S. 11.

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Einleitung

materialisiert sich das Bedürfnis der Menschen, sich, ihre soziale Stellung und ihre Teilhabe an einer bestimmten Form der Kultur darzustellen. 4 Sachen, sagt Emile Dürkheim, sind verfestigte Formen gesellschaftlichen Handelns, die auf derselben Stufe stehen wie die immateriell institutionalisierten Verhaltensregeln und Zwänge. 5 Gleichzeitig besitzt Bekleidung immer auch Zeichenfunktionen und ist in ihrem semiotischen Potential Kommunikationsgrundlage soziokultureller Bedeutungen. 6 So ist einerseits festzustellen, daß die Schürze zum Symbol unterschiedlicher sozialer Geschlechterrollen wurde, männlicher wie weiblicher. Andererseits stellt sich die Frage nach den Ursprüngen des Schürzentragens und seiner Bedeutungen im Kontext einer symbolischen Interaktion zwischen den Geschlechtern. Innerhalb dieser symbolischen Dimensionen ist zudem eine Asymmetrie festzustellen, in der die Schürze in ungleich stärkerem Maße zum »Symbol für und Selbstverständnis von Frauen« 7 wurde. So antwortete etwa ein Handwerksmeister in seinem blauen Arbeitsschurz 8 auf die Frage, an was er denke, wenn er das Wort »Schürze« höre: »Ans Natürliche halt, daß eine Frau einen Schurz trägt.«9 Demzufolge hat sich in das kollektive Gedächtnis 4

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Carola Lipp, Überlegungen zur Methodendiskussion. Kulturanthropologische, sozialwissenschaftliche und historische Ansätze zur Erforschung der Geschlechterbeziehung, in: Frauenalltag - Frauenforschung. Beiträge zur 2. Tagung der Kommission Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Freiburg, herausgegeben von der Arbeitsgruppe volkskundliche Frauenforschung Freiburg/Frankfurt am Main 1987, S. 29-46, hier S. 30. Emile Dürkheim, Die Regeln der soziologischen Methode. Herausgegeben von Rene König, Neuwied 1961 (Original »Les Regies de la methode sociologique«, Paris 1895), S. 140, zit. nach: Linde 1972, S. 18. Petr Bogatyrev, The Functions of Folk Costume in Moravian Slovakia (= Approaches to Semiotics 5, edited by Thoma A. Sebeok) The Hague/Paris 1971. Sein Ansatz, der von einer Analogie von Bekleidung und Sprache ausgeht, wird näher ausgeführt im Kap. Zur Interdependenz von praktischen Funktionen und Zeichenfunktionen der Bekleidung. - Vgl. aber auch: Roland Barthes, Die Sprache der Mode, Frankfurt am Main 1985. - Alison Lurie, The Language of Clothes, Feltham/Middlesex 1982. - Hans-Joachim Hoffmann, Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusion in Kleidung, Mode und Maskerade, Frankfurt am Main 1985. Gerti Seiser, Die Schürze - Symbol für und Selbstverständnis von Frauen, in: Brigitte Kossek/Dorothea Langer/Gerti Seiser (Hg.), Verkehren der Geschlechter. Reflexionen und Analysen von Ethnologinnen, Wien 1989, S. 159-177. »Schurz« und »Schürze« werden im folgenden geschlechtsindifferent und synonym verwendet und meinen das Kleidungsstück, das über der Oberbekleidung getragen wird. Inwieweit diese Wörter in ihrer historisch-semantischen Entwicklung geschlechtsspezifisch codiert wurden, wird im Verlauf dieser Arbeit zum Ausdruck kommen. IV Kus 25.07.1997. Alle geführten Interviews sind im Text folgendermaßen zitiert: IV (= Interview) Ortskürzel (= 3 Anfangsbuchstaben) Datum.

Schurz und Schürze - eine Einführung

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eine Wesensgleichheit zwischen dem Subjekt Frau und dem Objekt Schürze eingeschrieben, in einer Weise, in der das Textil Schürze bereits als »zweite Natur« von Frauen erscheint. Die Schürze ist bei der Erforschung geschlechtsspezifischer Strukturen der Sachkultur ein lohnender Untersuchungsgegenstand, darauf wies auch Carola Lipp 1986 in ihren Überlegungen zur Methodendiskussion kulturanthropologischer Geschlechterforschung hin. 10 Explizit und quer zu den Kategorien »Kleidung - Mode - Tracht« 11 wurde die Schürze bislang jedoch nur in wenigen Aufsätzen untersucht: von Anna Wieber (1907), Gertrud Angermann (1974), Dagmar Eicke-Jennemann (1983), Maria Kundegraber (1987), Karen Ellwanger (1988), Gerti Seiser (1989), Elke Gaugele/Susanne Heliosch 12 (1992) und Barbara Purrucker (1993; 1995). 13

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Lipp 1987, S. 32. Vgl. ζ. B.: Klaus Beitl/Olaf Bockhorn (Hg.), Kleidung - Mode - Tracht, Referate der Österreichischen Volkskundetagung 1986 in Lienz (Osttirol), Wien 1987, oder: »Kleidung - Mode - Tracht«, herausgegeben vom Kunstpädagogischen Zentrum des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Nürnberg 1984. Eine Untersuchung der Schürze fand auch in der von Susanne Heliosch und mir verfaßten Magisterarbeit statt: »Beschürzt gekleidet. Annäherungen an das Kleidungsstück Schürze«; unveröffentlichtes Manuskript, Tübingen 1992 (LudwigUhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften der Universität Tübingen). Anna Wieber, Zur Geschichte der Schürze, in: Die Welt der Frau. Beilage zur Gartenlaube, Nr. 7, 1907, S. 98-101. Gertrud Angermann, Schürzen, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde, 21, 1974, S. 125-136. Dagmar-R. Eicke-Jennemann, Schürze und Jeans - Zeichen ihrer Zeit?, in: Ethnologie in der beruflichen Praxis, Marburg 1983, S. 111-116. Maria Kundegraber, Weiße und blaue Schürzen, in: Beitl/Bockhorn 1987, S. 187-196. Karen Ellwanger, Schürzenverwendung in der Familie K , in: Objektalltag - Alltagsobjekte. Kleidung und Möbel der Familie K. Gestaltanalyse, Soziokultur, Geschichte, herausgegeben von der Fächergruppe Designwissenschaft der Hochschule der Künste Berlin, Berlin 1988, S. 171-237. Seiser 1989, siehe Anm. 7. Elke Gaugele/Susanne Heliosch, Weiß beschürzt. Zur Sprache der Dienstmädchenkleidung, in: Gut behütet - streng bewacht. Tübinger Dienstmädchen nach der Jahrhundertwende. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, herausgegeben von Karin Priem und Edda Rosenfeld, Tübingen 1992, S. 108-125. Barbara Purrucker, Vom Körperschutz zum Kleiderschutz - Anfänge der Schürze, Teil 1 und Teil 2, in: Waffen- und Kostümkunde. Zeitschrift der Gesellschaft für Historische Waffen- und Kostümkunde, 1993, Η. 1 u. 2, S. 107-133, und 1995, Η. 1 u. 2, S. 93-120.

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Einleitung

Die vorliegende Arbeit erforscht das Kleidungsstück Schürze - und dessen Geschichte unter der Perspektive der kulturellen Geschlechterkonstruktion. Dabei wird über einen ethnographischen Zugang »real getragene Bekleidung« empirisch aus der Perspektive der Lebenswelt erforscht, losgelöst von den volkskundlich-dichotomisierten Kategorien »Mode und Tracht«.14 Im Sinne einer Oral History sollen Kenntnisse über Alltagskleidung gewonnen werden, die anhand einer alleinigen Analyse schriftlicher Quellen und Abbildungen nicht möglich wären. In einem dialektischen Schritt zwischen Geschichte und Gegenwart gehen diese Erkenntnisse wiederum in die historische Sach- und Strukturanalyse ein. »Die Verständnislosigkeit für die Gegenwart entsteht fatalerweise aus der Unkenntnis der Vergangenheit«, schreibt Marc Bloch: »Doch ist es nicht weniger vergeblich sich abzumühen, die Vergangenheit zu verstehen, wenn man nichts von der Gegenwart weiß.«15

Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion Der Ansatzpunkt meiner Untersuchung liegt in einer Verknüpfung von Bekleidungs- und Geschlechterforschung. Denn Kleidung im allgemeinen und die Schürze im exemplarischen verstehe ich als Schlüssel zur Geschlechtergeschichte und als Medium16 der kulturellen Geschlechterkonstruktion. Angeregt wurde ich durch Elisabeth Katschnig-Fasch, die in der Volkskunde 1987 erstmals explizit die zentrale Rolle der Bekleidung bei der Kon14

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Zu dieser Diskussion vgl. Wolfgang Brückner, Mode und Tracht. Ein Versuch, in: B e i t l / B o c k h o m 1987, S. 15-43. Mode und Tracht ist ein konstruiertes Gegensatzpaar, das nicht gegeneinander, sondern miteinander entsteht. Oder: Gitta Böth, Kleidungsforschung, in: Rolf W. Brednich (Hg.), Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie, Berlin 1988, S. 153-169, insbesondere S. 153-158: »Tracht« und »Mode«: Forschungsgeschichte in Deutschland. Marc Bloch, Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers, Stuttgart 1974, S. 47, zit. nach: Jacques Le Goff, Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt am M a i n / N e w York 1992, S. 72. Hierbei lehne ich mich an Bogatyrev 1971 an, der von einer Analogie von Sprache und Bekleidung ausgeht, aber auch an Katrin Wiederkehr-Benz, Sozialpsychologische Funktionen der Kleidermode, Zürich 1973, S. 20: »Die Kleidung ist ein eigentliches Kommunikationsmittel.«; sowie an Konrad Köstlin, Regionalismus Die gedeutete Moderne, in: Niederdeutsches Jahrbuch, 119 (1996), S. 121-139, hier S. 127: »Wir versuchen mit dem Medium Kleidung eine Aussage über uns zu machen.«

Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion

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struktion der Geschlechterdifferenz thematisierte: »Eines der ersten Dinge, die beim Geschlechterverhältnis auffallen, ist nicht, wie Freud annahm, das unterschiedliche Geschlecht, sondern seine Markierung: die unterschiedliche Kleidung und die damit verbundenen unterschiedlichen Tätigkeiten in Räumen und Zeiten.«17 Auch die »Absichten und Bedürfnisse der Geschlechterhierarchie«, so Katschnig-Fasch, werden symbolisch über Bekleidung repräsentiert.18 Bekleidung ist als Körperhülle das zentrale Medium bei der Konstituierung der Geschlechterdifferenz. In der Konstruktion der Bekleidung durch Schnitt, Farbe, Form und Stofflichkeit kommen soziokulturelle Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zur Darstellung. Kleidung formt Körper, Haltung und Bewegungsmöglichkeiten und beeinflußt dadurch auch die innere Haltung ihrer Trägerinnen.19 In der Selbst- und Außenwahrnehmung verschmelzen Körper und Bekleidung zu einem kohärenten Bild. Die Sinnlichkeit des Textilen eröffnet einen wichtigen Zugang zur Erforschung historischer Geschlechterbeziehungen, denn »ein einfaches Stückchen Stoff von einem Gewand [kann] ein Beziehungsmuster enthüllen, das so hauchfein und konkret zugleich ist wie filigran«.20 Der Theorieansatz der kulturellen Geschlechterkonstruktion, an den die folgende Untersuchung anknüpft, umfaßt in Anlehnung an die Theoriediskussion der 1990er Jahre drei Ebenen: 1. Kulturelle Geschlechterkonstruktion meint zunächst, daß Geschlechterrollen und -Identitäten historische Produkte soziokultureller, politischer und ökonomischer Prozesse sind.21 Die Geschlechterdifferenzierung ist nach Andrea Maihofer eine »gesellschaftlich-kulturelle Existenzweise«,22 17

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Elisabeth Katschnig-Fasch, Projektionen und Inszenierungen. Überlegungen zu einer geschlechtsspezifischen Interpretation der Kleidung, in: Beitl/Bockhorn (Hg.) 1987, S. 127-146, hier S. 130. Ebd., S. 132. Carlo Sommer/Thomas Wind, Mode - Die Hüllen des Ich, Weinheim/Basel 1988, S. 16. Ivan Illich, Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit, Reinbek 1983, S. 65. Vgl. Ute Frevert, »Mann und Weib und Weib und Mann«. Geschlechterdifferenzen in der Moderne, München 1995, S. 14, und Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise, in: Geschlechterverhältnisse und Politik, herausgegeben vom Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main 1994, S. 168-187, hier S. 181. Maihofers Definition des »Geschlechts] als gesellschaftlich-kulturelle Existenzweise« versteht sich als Balance zwischen Natur und Kultur, Körper und Geist, Materie und Bewußtsein. Maihofer begreift Geschlecht und Geschlechterdifferenz sowohl als kulturelles, psychisches und Bewußtseinsphänomen als auch als eine Weise, »materiell« körperlich zu existieren. Maihofer 1994, S. 180f.

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Einleitung

ähnlich anderen kulturellen, klassenspezifischen oder ethnischen Differenzen, und ist jeweils auch konstitutiv mit diesen verwoben.23 2. Die Klassifizierung zweier biologisch eindeutig verifizierbarer Geschlechter ist ein historisch-kulturelles Produkt und keine ahistorische Grundkonstante. Die jeweilige geschlechtliche Körperlichkeit ist sowohl im Hinblick auf die Außen- als auch die Innensicht bzw. Selbstsicht gesellschaftlich überformt.24 3. Die kulturelle Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit ist ein dialektischer Prozeß: Frau- oder Mannsein konstituiert und reproduziert sich einerseits in der »Ausübung« der Vorstellungen dessen, was der in der jeweiligen Kultur, Klasse oder Schicht hegemoniale Geschlechterdiskurs als »weiblich« oder »männlich« definiert. Dies umfaßt die Denk-, Gefühls- und Körperpraxis genauso wie die Gestaltung unterschiedlicher Körperformen.25 Gleichzeitig ist dies, so Marie-Louise Angerer, kein »lückenloser« Transformationsprozeß, sondern einer, in dem immer etwas »außerhalb oder jenseits verbleibt, was sich entzieht«.26 Andererseits wird Zweigeschlechtlichkeit als »doing gender«27 in der alltäglichen Interaktion gleichermaßen auch durch konkretes Handeln erzeugt. Demnach ist Geschlecht, wie es Carol Hagemann-White formuliert, »nicht etwas was wir >haben< oder >sindGebrauchsystem of costumes^« Ogibenin 1971, S. 21. Geertz 1983, S. 35.

Porträts im Schurz

Heimliche Rituale der Erniedrigung Frau Lü. Jahrgang: 1936 Schürzenbestand 1997: eine Als Frau Lü. als Dreizehnjährige ihre Sonntags- und Schulschürzen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit ablegen durfte, empfand sie dies als Emanzipation und Schritt ins Erwachsenenalter. In den weiblichen Rollen ihrer Familie spiegeln sich hierarchische Relikte der Stände- und Klassengesellschaft: die Tochter mußte zu Hause in Latzschürzen an der Seite des Dienstmädchens putzen. Ihre Mutter, die aus einer Adelsfamilie stammte, trug, wenn sie am Herd letzte Hand anlegte, eine Kittelschürze. Als Symbol der Hausfrau wünschte sich Frau Lü. zur Hochzeit in den 1960er Jahren eine Schürze, die sie sich heute noch gelegentlich insgeheim in der Küche umbindet. »Das war ein Sprung in Richtung erwachsen sein und vielleicht auch so ein bißchen emanzipiert sein«,1 erinnert sich Frau Lü., wie sie als junges Mädchen empfand, das nicht mehr in Schürzen zur Schule gehen mußte. Zum Gespräch, das im Beisein einer gemeinsamen Freundin stattfindet, hat sie ihre einzige Schürze mitgebracht. Diese Metapher der ersten Interviewpassage, die das An- und Ablegen von Schürzen als Übergang in einen anderen Zustand beschreibt, durchzieht als zentrales Deutungsmuster das gesamte Gespräch. Fünf unterschiedliche, zugleich biographisch und historisch ineinander verwobene Schichten des Übergangs konstituieren Frau Lü.s Geschichte zum Thema Schürze: zum einen die symbolische Bedeutung der Schürze im Übergang von einer Lebensphase in eine andere, in die Pubertät und in die Ehe. Zum anderen der Wechsel zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Außerdem der zeitgeschichtliche wirtschaftliche Übergang von der materiellen Mangelsituation 1

In allen Fallbeispielen werden Zitate aus dem jeweiligen Interview kursiv wiedergegeben.

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Porträts im Schurz

der Nachkriegszeit zum Wirtschaftswunder sowie der dadurch verbesserte soziale Status der Familie. Des weiteren die in Auflösung befindlichen hierarchischen Geschlechterrollen der Stände- und Klassengesellschaft. Das Interview ist in vier Passagen untergliedert. Sie beleuchten die Bedeutung von Schürzen bei der Konstituierung der weiblichen Geschlechterrolle sowohl im Übergang einzelner Lebensphasen als auch im historischen Wandel der Hausarbeit. »Ich kam mir komisch vor, so ein bißchen wie ein weißer Rabe, es war mir unangenehm, so eine Sonderrolle dadurch einzunehmen« - mit diesen Gefühlen saß Frau Lü. in der Nachkriegszeit als einziges Mädchen mit Schürze in der Gymnasialklasse. Die Klassenkameradinnen empfand sie damals »als moderner«, als ob sie mit der Schürze bereits »diese Rolle, die damit verbunden war«, abgestreift hätten. Doch ihre Mutter bestand darauf, daß das Mädchen Schürzen trug. »Meine Mutter hat uns aus alten Sachen neue zusammengenäht, und Kleidung mußte geschont werden, das war eigentlich so der Hauptgrund«, erklärt Frau Lü. Dirndlkleider trug sie als Schülerin am liebsten, da hier die Schürze schon integriert war und sie sich nicht noch zusätzlich eine Latzschürze umlegen mußte. »Das war so ein Übergangsobjekt«, meint sie rückblickend. Ihre weiße Sonntagsschürze, welche die Mutter aus alten geerbten Blusen genäht hatte, gefiel ihr als Mädchen gut: »Sie war sehr aufwendig gemacht [...] hatte Flügelchen mit Spitzen dran, sie hat auch sehr viel Liebe da reingesteckt.« Die neunköpfige Familie, die im Krieg ausgebombt worden war, lebte in der Nachkriegszeit zunächst beengt: »Meine Eltern haben Wert auf gute Ausbildung gelegt, und das ging auf Kosten anderer materieller Sachen.« Das Schürzentragen war in Zeiten materiellen Mangels nach dem Krieg Ausdruck der sozialen Stellung der Familie, die Frau Lü. als »Armeleutemilieu« charakterisiert. Als der Vater wieder Arbeit in seinem Beruf als Gymnasialstudienrat fand, zog die Familie in ein Haus und verließ die vorherige soziale Rolle »in Richtung normales, etabliertes Leben«. Die älteste Tochter, die dreizehnjährige Frau Lü., durfte nun ihre Schul- und Sonntagsschürzen ablegen. Dies fiel mit ihrer Pubertät, dem Übergang vom kleinen Mädchen »in Richtung junges Mädchen oder Dame« zusammen, und sie durfte gleichzeitig ihre langen Zöpfe abschneiden. Unbeschürzt bewegte sich das Mädchen danach jedoch nur in der öffentlichen Sphäre, denn zu Hause trug sie bei der Mitarbeit im Haushalt weiterhin eine Schürze: »Das war für mich dann auch selbstverständlich, das war für mich kein Problem.«

Heimliche Rituale der Erniedrigung

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Die Ambivalenz zwischen diesen beiden Rollen wiederholte sich noch einmal im Privatbereich. Denn auch hier signalisierte die Jugendliche mit dem Ablegen der Arbeitsschürze den Übergang in die Sphäre geistig-kultureller Arbeit, zum Lernen oder Klavierspielen: »Jetzt ist die Arbeit getan, jetzt kommen die geistigen Dinge dran.« Noch einmal kennzeichnet die Schürze in Frau Lü.s Biographie den Übergang in eine neue weibliche Rolle. Während ihres Studiums und den ersten Jahren als Sonderschullehrerin besaß sie keine Schürze. »Es kam mir gar nicht in den Sinn, mir eine Schürze zuzulegen, das kam mir gar nicht in den Sinn«, kommentiert sie diese Zeit. Doch zur Hochzeit wünschte sie sich von der Sekretärin ihres zukünftigen Mannes eine Schürze. In ihrer Beschreibung wird die Schürze nun zum symbolischen Zeichen als »Statussymbol der Hausfrau«, das sie benötigte, um die neue Rolle in der Ehe zu bekleiden. Sie erinnert sich: »Irgendwie hab ich dann auf so eine alte RollenOorstellung zurückgegriffen - jetzt werd ich Ehefrau, ich wollte zwar berufstätig bleiben, aber irgendwie war das für mich so das Statussymbol einer Hausfrau, das war so verinnerlicht. Ich hab alles gehabt eigentlich für meinen Hausstand, für diese neue Rolle, aber das einzige, was mir fehlte, war eine Schürze.« Auch nach ihrer Scheidung blieb die Schürze in der Küche hängen und ist nach über 30 Jahren noch heute in Gebrauch. Ihren heutigen Umgang mit der Schürze sieht sie unter zwei Aspekten: einem achtlosen, nicht-hausfraulichen Umgang mit dem symbolischen Objekt und dessen geheime funktionale Nutzung: »Und die wird nie gewaschen, die vergefl ich immer. Und die war auch einmal ziemlich kaputt, da lösten sich einige Nähte auf, und dann hab ich sie trotzdem immer so getragen«. Mit Nachdruck betont Frau Lü. hier, daß sie sich die Schürze eben nicht zur täglichen Hausarbeit sondern lediglich ein- bis zweimal in der Woche umbindet, wenn sie in feiner Kleidung Besuch erwartet oder kurz vor dem Ausgehen »in der Küche noch ein paar Handgriffe machen muß«. Die Schürze gehört heute zu ihrem Intimbereich, ist ein Kleidungsstück, in dem sie sich niemand anderem zeigt: »Also ich schäme mich, mich in Schürze zu zeigen.« Sie legt die Schürze stets ab, wenn sie jemandem gegenübertritt. Das bezeichnet sie als persönliches Ritual: »Also das ist so ein Ritual, wenn ich fein sein will und sozusagen öffentlich werde - Schürze aus.« Ihr »Ritual«, in dem sie sich zwischen ihrer öffentlichen Rolle als Gastgeberin und dem geheimen Kleiderschutz bewegt, erläutert sie an einem Beispiel, dem Umgang mit einem Gast, den sie zum Essen eingeladen hatte: »Dann hab ich mir schnell für die Handgriffe die Schürze übergezogen mit einem ganz komischen

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Porträts im Schurz

Gefühl und hab jedesmal, wenn ich mich hinsetz, diese Schürze ausgezogen, also selbst wenn ich mehrmals hin- und her muflte.« Als Objekt der Degradierung und Ausdruck eines niederen Standes hatte Frau Lü. die Schürze bei der Hausarbeit in ihrer Jugend erlebt. Am Übergang von den 1940er zu den 1950er Jahren war die Beziehung zwischen Mutter und Tochter in bezug auf die weibliche Rollenverteilung im Haushalt von den Hierarchien der Stände- und Klassengesellschaft geprägt. Ihre Mutter, die »aus einem alten Adelsgeschlecht« stammte, heiratete während ihres Lehrerinnenstudiums einen Studenten, »einen Bürgerlichen«. Sich selbst charakterisiert Frau Lü. rückblickend als »behütete höhere Tochter«. In der Nachkriegszeit hatte die Familie ein Dienstmädchen, zum Waschen kam zusätzlich eine Waschfrau. In ihren Beschreibungen der Dienstmädchen wird die Schürze zum Zeichen für einen »niedrigen Stand« und »Drecksarbeiten«: »So Mädchen vom Lande, die bei uns in Stellung waren [...], und die haben natürlich Schürzen getragen, die haben ständig irgendwelche Drecksarbeiten gemacht.« Oft mußte Frau Lü., ebenfalls beschürzt, Seite an Seite mit einem Dienstmädchen die Böden schrubben, Geschirr spülen oder andere Hausarbeiten erledigen. »Und das hab ich auch sehr unangenehm empfunden, mit dem Dienstmädchen gleichgestellt werden zu müssen«, erinnert sie sich und fügt hinzu, »also da hatt ich irgendwie schon das Gefühl, daß das mir nicht gemäß ist. Und das verbind ich eben auch mit Schürze [...]«. Dabei fühlte sie sich von ihrer Mutter schwer erniedrigt: »Von dem Zeitpunkt an, von dem ich das zusammen mit einem sogenannten Dienstmädchen machen mußte, war für mich das Gefühl, ich bin mit der eigentlich gleichgestellt, aber ich werde erniedrigt.« Die Demütigung bestand für sie in der sozialen Degradierung: »Ich werde von meiner Mutter in einen niedrigeren Stand hineingeschubst.« Die Tochter fühlte sich dabei schlecht und orientierungslos: »Ich hab mich da sehr unwohl gefühlt, also so meinem eigenen Stand entwurzelt, aber nicht diesem anderen Stand zugehörig.« Zusammen mit ihrer Schwester teilte Frau Lü. damals das Zimmer mit dem Dienstmädchen. Trotz der räumlichen Nähe und des geringen Altersunterschieds empfand sie gegenüber den jungen Frauen Distanz: »Und da gab es ja auch keine Gemeinsamkeit, eigentlich, das war so ein Gefühl von Fremdheit, so aus dem eigenen Stand herausgeschubst, das war für mich entwürdigend, irgendwo.« Die Doppelrolle als höhere Tochter bei gleichzeitiger Erniedrigung zum beschürzten Dienstmädchen erlegte die Mutter jedoch nur ihrer ältesten Tochter auf, von den jüngeren Schwestern, so Frau Lü., sei diese Form der Zusammenarbeit mit dem Dienstmädchen nie verlangt worden.

Heimliche Rituale der Erniedrigung

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Dennoch schildert sie ihre Mutter positiv und dem Orientierungsmuster der weiblichen Emanzipation verbunden: »Meine Mutter ist 1902 geboren, hat studiert, war also eine der sehr wenigen Frauen, die damals schon studiert haben, die Frauen konnte man damals an der Hand zählen.« Für die Mutter bedeutete, Schürzen zu tragen und im Haushalt Hand anzulegen, sich »im Zeichen der Zeit« vom adligen Standesdenken loszulösen: »Und von ihrem Stand her, hätte sie eigentlich nie eine Kittelschürze oder Schürze getragen [...] sie hat sich dann schon auch der neuen Zeit angepaßt und der Notwendigkeit.« Im Haushalt machte die Mutter, so Frau Lü., »die kreative Arbeit am Herd«. Die »schönen« mütterlichen Kittelschürzen über dem Kleid, die gleich wieder vor dem Essen abgelegt wurden, bilden gegenüber den zuvor als Zeichen des niederen Dienstmädchenstandes geschilderten Latzschürzen einen positiven Kontrast. »Das heißt, sie hatte keine Schürze in dem Sinn«, meint Frau Lü., die dieses Kleidungsstück eher als modisches Kleid wahrnahm: »Die waren bunt und waren irgendwie einfach schöne Farben.« Zur Säuglingspflege trug die Mutter eine weiße Latzschürze im bürgerlichen Stil der Jahrhundertwende mit Spitzen und Biesen. Sie erinnert sich auch, daß die Mutter eine Zeitlang selbst die Wäsche der Familie gewaschen habe. Dabei trug sie zwei Schürzen übereinander: »Da gab es dann besondere Kittelschürzen, die haben dann aber gleichzeitig auch das Kleid ersetzt, und über diese Kittelschürzen wurde oft dann auch noch eine Schürze drüber angezogen, weil das eine nasse Arbeit war.« Ihr Vater, so Frau Lü., habe nie eine Schürze getragen, auch nicht bei der Gartenarbeit - »und ansonsten hat er in seiner Studierstube gehockt«. »Aber das muß man sich mal vorstellen, keine meiner Klassenkameradinnen wollte eine Schürze tragen, und die erste größere Handarbeit war eine Schürze«, erzählt Frau Lü. über den gymnasialen Handarbeitsunterricht Ende der 1940er Jahre. »Ich war sowas von ungeschickt, ich hatte auch viele Widerstände dagegen«, erinnert sie sich daran, wie ihr schließlich die Handarbeitslehrerin das ungeliebte Stück fertigstellte. Nicht einmal ihre Mutter habe von ihr verlangt, daß sie diese Schürze trage: »Da hab ich soviel Ungutes hineinprojiziert und soviele Mißerfolge und soviel Scham, daß ich das nicht geschafft hab, und daß mir das gemacht werden mußte, und gleichzeitig wollt ich's ja auch gar nicht machen.« Auf die Frage, was sie mit dem Wort Schürze verbinde, antwortet Frau Lü. »Altmodisch, weiblich, konservativ« und »Schmutzarbeit«. Bei Männern, meint sie hingegen, seien Schürzen »eine etablierte Arbeitskleidung«. Als Motiv für das Ablegen der Schürze nennt Frau Lü. den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit: »Auch als meine Mutter begriff, daß es aufwärts ging und [...] das Wirtschaftswunder so langsam anfing, da hat sie dann auch nicht mehr

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Porträts im Schurz

verlangt, daß ich in die Schule eine Schürze anziehe.« Inzwischen hätten zudem Waschmaschinen und Jeans die Schürze überflüssig gemacht. Auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern drücken sich immer weniger durch Bekleidung aus. Der Rückgang der Schürzen, so Frau Lü. ; markiere aber auch einen anderen wichtigen Einschnitt, den historischen Übergang zu einer emanzipierten Frauenrolle in der jüngeren Generation: »Es scheint doch sehr sehr wichtig zu sein, dieses komische Ding aus dem Leben rauszulassen, daß es offensichtlich etwas sehr, sehr Wichtiges ist, daß es sie nicht mehr gibt, diese Schürze.« In der Bedeutung der Schürze überschneidet sich in diesem Fallbeispiel die Kennzeichnung sozialer Hierarchien mit der Geschlechterdistinktion. Insbesondere zwei Zeichenfunktionen sind dabei zentral: die soziosexuelle sowie die Markierung des sozialen Status. In der Interdependenz von praktischen Funktionen und Zeichenfunktionen ist die Schürze als Arbeits- und Schontextil im hierarchischen Ausdrucksprinzip der Ständegesellschaft das Zeichen des untersten Standes. Diese Konnotation fließt in die textile Geschlechterdistinktion des Bürgertums ein, wo die Schürze zum Zeichen eines niederen Status und zum soziosexuellen Zeichen für Frauen wird. Dabei verdichtet sich die Bedeutung des Objekts zum Symbol für zwei Frauenrollen mit jeweils unterschiedlichem Status: dem der Hausfrau und dem des Dienstmädchens. Diese Bedeutungsstruktur beeinflußt bis heute den Alltag der Interviewpartnerin, obwohl sie mittlerweile die Schürze lediglich als Kleiderschutz benutzt. Das Ablegen der Schürze wird als Ausdruck weiblicher Emanzipation und gesamtgesellschaftlichen Wohlstands interpretiert.

35 Zickzackmuster Frau L. Jahrgang: 1925 Schürzenbestand 1997: elf Während ihrer Kindheit und Jugend auf dem Land schonte Frau L. ihre Sonntags-, Schul- und Alltagskleidung durch Latzschürzen. In Kittelschürzen arbeitete sie erstmals vierzehnjährig als Wäschenäherin in der Fabrik. Ihr Berufswunsch Schneiderin führte zu biographischen Pendelbewegungen zwischen Tätigkeiten in Fabriken und als Schneiderin, zu einem Zickzackkurs zwischen Industrie und Handwerk. Nach ihrer Heirat in den 1950er Jahren trug Frau L. Kittelschürzen sowohl in der Industrie als auch bis heute bei der Haus- und Gartenarbeit. Die Anfertigung von Schürzen galt als Hausfrauenarbeit, vergleichbar mit Kochen oder Waschen. »Ich bin mit der Nadel und dem Nähen aufgewachsen«, erzählt Frau L. über ihre Kindheit, die sie seit dem ersten Lebensjahr bei ihrer Großmutter in Laichingen, einer »bekannten Leinenstadt« auf der Schwäbischen Alb verlebte. Die Arbeit mit Textilien durchzieht die gesamte narrative Gesprächsstruktur. Sie ist der rote Faden, der in Frau L.s Lebensgeschichte ein Zickzackmuster hinterließ. In den biographischen Pendelbewegungen zwischen Industrie und Schneiderinnenhandwerk spiegeln sich historische Ungleichzeitigkeiten im Prozeß der Industrialisierung und der Feminisierung der Textilproduktion. Sie bilden unter zeitgeschichtlichen, sozioökonomischen und generationsspezifischen Aspekten den Schwerpunkt der ersten Interviewhälfte, in der Frau L. zwei Passagen ihres beruflichen Werdegangs darstellt. Über ihre Schulzeit berichtet sie im darauffolgenden Teil, an den sich Schilderungen über die Lebensphase nach ihrer Heirat anschließen. Diese Teile, wichtige Stationen ihrer Lebensgeschichte, fügen sich sukzessive zu einem geschlossenen Bild ihrer Biographie zusammen. Sie bilden den Gesprächsrahmen, in den Frau L. das Thema Schürze einbindet. Teilweise werden die mündlichen Erinnerungen mit dem Betrachten von Fotos und geerbten Weißwäschestücken verbunden. Thematisch eröffnet das Gespräch folgende Doppelperspektive: Einen Bericht über den Umgang mit Schürzen in der ländlichen Unterschicht der 1930/40er Jahre, verbunden mit Frau L.s Blick als Produzentin von Schürzen und Weißwäsche auf textile Techniken, Produktionsbedingungen und Produkte.

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Porträts im Schurz

Eingangs gibt Frau L. einen Einblick in die sozioökonomischen Hintergründe ihrer Biographie. Da das Mädchen, das vierte von fünf Geschwistern, als »Verreckerle«2 galt, übergab es die gestreßte Mutter, eine Arbeiterin, der Großmutter. Als Kind erlebte sie die Großmutter und die Tante bei der Heimarbeit für ein »Bettwäschegeschäft«. Dabei fand sie ihren Berufswunsch: »Und dann ist es das gewesen, was ich gerne wollen hab - das Nähen richtig lernen.« Der Wunsch, professionell nähen zu lernen, durchzieht den gesamten Gesprächsverlauf und stellt zugleich das zentrale biographische Handlungsmuster dar. Zunächst war eine Schneiderinnenlehre jedoch aus finanziellen Gründen unmöglich: »Da hat meine Großmutter gesagt: >}a Mädle, das kann ich nicht! Ich kann dich nix lernen lassen! Wir haben kein Geld dazu.Tu doch einen Schurz an< [...]. Bei jeder Dreckarbeit hat man müssen einen Schurz anziehen, gell. Einen blauen Schurz.«72 War dies einmal internalisiert, wurde das Bekleidungsverhalten über Generationen weitergegeben: »Von der Mutter her, und das hat sich jetzt bis zu unseren Kindern durchgezogen.«73 Aber auch das Aufbrechen der komplementären Aufgabenbereiche war unter dem Aspekt gegenseitigen partnerschaftlichen Schonens zu verfolgen. Angesichts des zunehmenden Alters und der Krankheit ihrer Frauen übernahmen Männer Aufgaben im Haushalt: »Dann tun wir es halt miteinander, mein Mann und ich, dann tut mein Mann die Küche fertig machen.«74 Obwohl Herr G. kocht, spült und drei Küchenschürzen besitzt, bezeichnet er seine Haushaltstätigkeit dennoch als Assistenz: »Meine Frau war 32 Jahre krank, und ich hab sehr viel Assistenz machen müssen.«75 Herr R. schont seine Kleidung beim Teigkneten durch eine geblümte Frauenschürze und gibt damit zugleich optisch zum Ausdruck, daß er eine weibliche Tätigkeit verrichtet. Utz Jeggle führt als Beispiel für das Schonen einen Gartenzaun an, dessen Pfosten mit Käppchen aus Büchsen bedeckt wurden, damit sie lange halten.76 Die Praxis des Schonens wirkt hier als Ausdrucksprinzip und entspricht dabei dem Schonprinzip der Schürze. Mit dem Schonen der Pfosten als Grenze des eigenen Terrains korrespondiert der sparsame Umgang mit der textilen Körpergrenze, wenn Bekleidung durch Schürzen geschont wird.77 Die praktische Funktion des Kleidungsstücks wird vor diesem Hintergrund im Bogatyrevschen Sinne zur Zeichenfunktion und die Schürze zum kulturellen Zeichen des Schonens.

72 73 74 75 76

77

IV Kus 20.11.1997a. Ebd. IV End 01.08.1991. IV Kus 20.11.1997. Utz Jeggle, Vom Umgang mit Sachen, in: Konrad Köstlin/Hermann Bausinger (Hg.), Umgang mit Sachen. Zur Kulturgeschichte des Dinggebrauchs, Regensburg 1989, S. 11-26, hier S. 17. Zur Analogie von Haus- und Kleidergrenzen sei angemerkt, daß nach Heide Nixdorff Haus und Kleid (Hemd) in einigen Sprachen auf die gleiche Wurzel »Hülle« zurückgehen: »Während das Haus die Hülle für die Gemeinschaft bildet, stellt das Kleid das >Gehäuse< für das Individuum dar.« Dies., Kleidung, in: Bernhard Streck (Hg.), Wörterbuch der Ethnologie, Köln 1987, S. 97-101, hier S. 97.

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Schaffen und Schonen

Schonen als Schaffen: Wertschöpfung im Kreislauf der Wiederverwertung

Im Schonen spiegelt sich, so Jeggle, die »Utopie einer Welt, die sich langsames Verbrauchen als Gesetz gegeben hat«.78 Auch in vielen Interviews findet sich, insbesondere im weiblichen Umgang mit Textilien, der Mythos einer fast endlosen stofflichen Wiederverwertung wieder: »Da hat man jedes Fetzle, wo man gemeint hat, das kann noch etwas geben, das hat man aufgehebt und hat geguckt, ob man ein Kinderschürzle [daraus machen konnte] [...], man hat alles verwertet, da ist nichts fortgeworfen worden. Und die Blätzle, die's da wieder raus gegeben hat, hat man aufgehoben, damit man's dann auch wieder hat können nachher flicken.«79 Die Mentalität im Umgang mit Sachen, die dem kollektiven Handlungsmuster des Schonens zugrunde lag, beschreibt Utz Jeggle folgendermaßen: »Man ging mit Dingen um wie mit Menschen, sie hatten ihre eigene Art, einen Charakter könnte man fast sagen, darauf muß man Rücksicht nehmen, sie hatten ein Lebensalter und eine -dauer, und damit war nicht ungestraft umzugehen, sonst war man ein Verschwender oder ein Geizkragen.«80 Schürzen werden von den Trägerinnen in neun unterschiedlichen Qualitäten beschrieben. Differenzierungen wie »gekauft«, »geerbt« oder »selbergemacht« unterscheiden die Herkunft des Objekts. Ein Gegenteil zur ästhetischen Kategorie des »schönen Schurz« gibt es in den Interviews nicht: häßlich oder wüst war ein Schurz nie, sondern stets brauchbar. So wird der Zustand einer Schürze, ob »sauber« oder »dreckig«, und der des Materials, sei es »geflickt« oder »verschafft«, genauso kategorisiert wie dessen Alter als »neu« oder »alt«. Gleichzeitig zeugen diese Unterscheidungen davon, daß dem Umgang mit Schürzen ein eigenes Verständnis über den Gebrauchswert von Dingen und Materialien zugrunde lag: »nicht nur einer, sondern mannigfaltige«.81 Dem jeweiligen Zustand der Schürze entsprach ein ganz bestimmter Bereich. Veränderte sich der Zustand des Materials, so wechselte die Schürze ihre Funktion und den Ort des Gebrauchs.82 »Herstellen« nach Flusser bedeutet, einen »Gegenstand aus einem in einen anderen Kon78

79 80 81 82

Vgl. Jeggle 1989, S. 17; Jeggle bezieht sich bei dieser These ebenfalls auf Kusterdingen. IV Kus 14.07.1997. Jeggle 1989, S. 17. Ebd., S. 16. Vgl. dazu Schaubild S. 92.

Schonen als Schaffen

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text zu stellen, ihn ontisch zu verändern.« 83 So gesehen beinhaltet das »Schonen« in seinen vielfältigen Abstufungen zugleich auch das aktive Moment des Herstellens und transformiert zum »Schaffen«. Das Prinzip der Werterhaltung führte zu einer spezifischen Ausdifferenzierung von Schürzen nach einem eigenen Regelsystem. Ein Beispiel für diese Kohärenz von Schaffen und Schonen ist die Transformation der ausgedienten, geflickten Feldschürzen von Herrn R. Noch heute erweisen sie als Stallschürzen ihren letzten Dienst und schützen analog dazu den Menschen vor den »letzten Dingen« der Tiere, deren Ausscheidungen. 84 Im Prinzip der Wiederverwertung wird das Schonen zum Prozeß eines permanent wertschöpferischen Erzeugens. Indem Materialien ganz ausgenutzt werden und man ihnen dabei einen neuen Wert und eine neue Form aufprägt, intensivieren sich die Gesten des Schaffens und Machens.85 Diese Qualität des »Schaffens« wird geschlechtsindifferent als Potential der traditionellen agrarischen Welt zugeordnet. In der Pendelbewegung zwischen Industrie und Landwirtschaft, die nicht nur im Beispiel von Herrn R., sondern auch bei vielen anderen der befragten Jahrgänge (1915 bis Anfang der 1930er Jahre) die Alltagsrealität prägte, steht das »Schonen« wie das »Schaffen« für das Vermögen der Menschen, die Welt der Maschinen und die Produkte aus dem industriellen Bereich mit den »Gesten des Machens«86 zu durchdringen.

Kleidung im Zentrum des Schonprinzips Betrachtet man die Funktion der Schürze innerhalb der Ökonomie des Schonens und das Gesetz der endlosen stofflichen Wiederverwertung historisch vor dem statistischen Hintergrund der Lebenshaltung, so ist zu verfolgen, daß die Kleidung, haltbarer und weniger lebensnotwendig als Nahrungsmittel, innerhalb des Schonprinzips eine besondere Stellung einnahm. Der schicht- und geschlechtsspezifische Umgang mit dem Schontextil Schürze läßt sich zusammenfassend unter zwei Aspekten charakterisieren, die im folgenden ausgeführt werden:

83 84 85 86

Flusser 1997, S. 59. IV Mäh 21.11.1997. Flusser 1997, S. 70: »Die Geste des Machens ist eine unendliche Geste.« Ebd., S. 27.

82 -

Schaffen und Schonen

Kosten wurden konzentriert durch einen genügsamen, schonenden Umgang mit Bekleidung eingespart. Das Handlungsmuster des Schonens war zudem geschlechtsspezifisch weiblich intensiviert.

Im empirisch-relevanten Zeitraum stellt die Kleidung noch bis in die 1960er Jahre hinein den Bereich der Lebensbedürfnisse dar, in dem am ehesten Einsparungen gemacht wurden.87 Historisch rückblickend nahmen im statistischen Vergleich die Ausgaben württembergischer Bäuerinnen 1914 für Bekleidung nach denen für die Wohnung den zweitgeringsten Posten des Haushaltsbudgets ein, während der größte Betrag für Nahrungsmittel ausgegeben wurde.88 Die für die ländlichen Haushalte ermittelten Zahlen, in denen die Kosten für Bekleidung etwa 11% der Gesamtausgaben darstellten, gleichen den statistischen Ermittlungen in Arbeiterhaushalten zum selben Zeitpunkt.89 Noch Anfang der 1960er Jahre wurde derselbe Prozentsatz im Verhältnis zwischen Bekleidungs- und Gesamtausgaben ermittelt.90 Zudem signifikant sind die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Kleidungsausgaben, denn der finanzielle Kleidungsaufwand für Frauen lag allgemein unter dem der Männer.91 Jürgen Kuczynski schätzt, daß die finanziellen Kleidungsausgaben für Frauen im Familienbudget der 1920er Jahre insgesamt rund ein Drittel niedriger waren als die der Männer.92 Auch die Ausgaben für die ländliche Arbeitskleidung differierten geschlechtsspezifisch. Während 1915 für männliche Werktagskleidung ein Posten von 36 Mark vorzusehen war, wurde für Frauenkleidung lediglich 28-30 Mark veranschlagt. Als Basis der Frauenarbeitskleidung galt 1914 ein Feldkleid, das durch verschiedene Schürzen geschont wurde, während sich die Männerarbeitskleidung aus mehreren Kleidungsstücken zusammensetze: Hose, Kittel und zwei Hem87

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91 92

Vgl. Jürgen Kuczynski, Geschichte des Alltags des Deutschen Volkes, Bd. 4, Köln 1982, S. 436. Maria Bidlingmaier, Die Bäuerin in zwei Gemeinden Württembergs, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1918, S. 255. Erhebungen von Wirtschaftsrechnungen minderbemittelter Familien im Deutschen Reiche. Bearb. vom Kaiserlichen statistischen Amte. Abt. Arbeiterstatistik, 1909, Nachdruck Bonn 1981, herausgegeben von Dieter Dowe, S. 58, zit. nach: Ines Hettler, Frauenberufsbekleidung in Deutschland 1890 bis 1918 als Indikator soziokultureller und sozioökonomischer Prozesse, München 1994, S. 30. Statistisches Bundesamt (Hg.), Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15, Einkommensund Verbrauchsstichprobe, Stuttgart/Mainz 1988, zit. nach: Klaus Hesse (Hg.), Strukturwandel des Haushalts in Perspektiven, Frankfurt am Main 1989, S. 29. Hettler 1994, S. 31. Vgl. Kuczynski 1982, Bd. 4, S. 436.

Kleidung im Zentrum des Schonprinzips

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den.93 Pierre Bourdieus Untersuchung der »feinen Unterschiede« zufolge hat sich dieses ungleiche Verhältnis bei den Ausgaben für Frauen- und Männerkleidung in der Berufsgruppe der Landwirte und Landarbeiter nicht geändert. Sie ist bis heute die einzige Gesellschaftsschicht, in der die Ausgaben für Frauenkleidung niedriger liegen als die für Männerkleidung. 94 Auch Rosa Kempfs Untersuchungen der Münchner Arbeiterinnen aus dem Jahre 1911 zufolge bildeten Schürzen den weiblichen Bekleidungsgrundstock. Die Mädchen besaßen mehr Schürzen als Kleider oder Röcke: mindestens drei, höchstens fünfzehn, durchschnittlich drei bis vier.95 Allerdings finden sich im Gegensatz zu den Interviews mit den Landfrauen bei Kempf nicht neun, sondern lediglich vier Kategorien von Schürzen. Demnach besaß ein gut ausgestatter Wäschevorrat fünfzehn, ein weniger gut ausgestatter fünf Schürzen, die in »gut erhaltene«, »alte« und insgesamt wiederum in »selbstgefertigte« und »gekaufte« unterteilt waren. 96 Die strikte Differenzierung der Bekleidung in Sonntags- und Alltagskleidung sowie nach Arbeitserfordernissen und die stete Nutzung von Schürzen ist nach Dagmar Neuland Ausdruck dessen, daß textiles Material in den 1920er Jahren eine besondere Wertgröße darstellte. 97 In den Schilderungen der Zeitzeuginnen wurde zwischen Werktags-, Sonn- und Feiertags- sowie Schul-, Ausgeh- und Hauskleidung gewechselt. Auch innerhalb dieser Bereiche fanden weitere Kleiderwechsel und -abstufungen statt, ζ. B. wenn die Sonntagskleidung am Spätnachmittag gegen eine ältere getauscht wurde. »Es wurde verbraucht, abgetragen, >runterg'rucktschön behandeln^« Der althochdeutschen Bedeutung des Verbs »schonen« im Sinne von »schmücken« folgte demnach die etymologische Entwicklung über »schmücken« und »pflegen« hin zum heutigen Verständnis des Schonens. Vgl. Friedrich Kluge, Deutsche Studentensprache, Straßburg 1895, S. 651. IV Kus 14.07.1997.

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Schaffen und Schonen

Noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten Landwirtschaft und Fabrikarbeit die Pfeiler des typisch württembergischen Arbeiter-Bauerntums. Bereits seit dem Aufkommen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert waren Vollerwerbsbauern im Rückgang, denn das System der Realteilung und karge Böden hatten eine rein agrarische Subsistenzwirtschaft erschwert. Für viele Menschen wurde das Pendeln zwischen verschiedenen Ökonomien und deren Rhythmen, einerseits der Landwirtschaft und Natur mit ihren zyklischen Zeitabläufen, andererseits der Industrie mit der durch den Taylorismus bedingten linearen Zeitmessung und ihren Stechuhren zur Alltagsrealität. Selbst wenn die Landwirtschaft nur nebenher betrieben wurde, blieben Reste aus der traditionellen Subsistenzwirtschaft erhalten. Besaß man kein eigenes Land, wurde dies oft von der Gemeinde gepachtet.109 Begriffe wie Feierabendbauer, Mondschein- oder »Fabrikbäuerle«110 beschreiben einen Männeralltag, der tagsüber aus Fabrikarbeit bestand, während frühmorgens, noch vor der »eigentlichen Arbeit« und nach Feierabend die landwirtschaftlichen Tätigkeiten erledigt wurden.111 Aber auch Schichtarbeit kam dieser Form der Arbeitsorganisation entgegen, da, wie im Fallbeispiel mit Herrn R., das Tageslicht für die Landwirtschaft genutzt werden konnte.112 Die Erwerbstätigkeit des Mannes und die Tätigkeit der Frau in Haushalt und Landwirtschaft stellte nur eine unter mehreren Kombinationen dar. Wie in den Interviews zu verfolgen war, waren zeitweilig beide Partner erwerbstätig, die Frauen oft in der Textilindustrie.113 Fabrikarbeit galt, wie im Fallbeispiel von Frau Lu., für junge Frauen auch als Übergangsstadium nach der Schule bis zur Heirat.114 Dies Schloß nicht aus, daß sie zudem in der elterlichen Landwirtschaft mithalfen oder auch nach der Heirat als Heimarbeiterinnen oder Teilzeitkräfte weiter arbeiteten.

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Gaby Kiedaisch, »Aoser Chef isch nia koin Halsabschneider g'sei ...« Der harte Stand der Textil-Gewerkschaft auf der Südwest-Alb, in: Köhle-Hezinger/Mentges (Hg.) 1993, S. 25-38, hier S. 25ff. IV Mäh 21.11.1997. Kiedaisch 1993, S. 26. - Vgl. auch IV Kus 21.11.1997. Herr G. arbeitete zusätzlich als Waldarbeiter der Gemeinde. Vgl. Fallbeispiel IV Mäh 21.11.1997. - Vgl. auch IV Kus 21.11.1997. Frauen-Biographien: IV Kol 06.03.1989; IV Neuh 06.03.1989; IV Kol 08.03.1989; IV End 01.08.1991; IV Kus 14.07.1997: Alle Frauen der älteren Generation arbeiteten in der Textilindustrie. Vgl. auch Kiedaisch 1993, S. 26. IV Kus 27.07.1997.

Symmetrie und Asymmetrie der Geschlechter

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In diesem vielfältigen System aus agrarischen, protoindustriellen und industriellen Anforderungen hatte »Freie Zeit« im Sinne moderner Freizeit, die sich komplementär zur beruflichen Arbeitszeit definiert, wenig Raum.115 Trotz Verkürzungen der täglichen Arbeitszeit seit Beginn des 20. Jahrhunderts dauerte ein Arbeitstag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und trotz gesetzlich geregelten Urlaubs galt es, diese freie Zeit primär für die dringend notwendigen Feld- und Erntearbeiten zu nutzen. Fließende Übergange zwischen Arbeit und Freizeit sind nach Mitterauer ein Charakteristikum der vorindustriellen Ökonomie, deren Arbeitsbegriff mit Elementen der Freizeit im modernen Sinn durchsetzt war. Mit der Industrialisierung änderte sich dies grundsätzlich. Die unbegrenzte Tagesarbeit wurde beibehalten, während Elemente von Rekreation und Geselligkeit immer weiter zurücktraten. Diese Strukturen der Selbstausbeutung erfaßten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sowohl das Kleingewerbe und den -handel als auch in zunehmendem Maße die Landwirtschaft. Jedoch waren »Schaffen und Schonen« im Sinne von Tätigkeit und Entspannung, trotz der beschriebenen fließenden Übergänge, bereits in der Tradition der agrarischen Ökonomie geschlechts- und hierarchiespezifisch ungleich. Frauen waren, so Mitterauer, auch nach Feierabend noch tätig, insbesondere bei textilen Handarbeiten, während Männer eindeutigere Freizeitaktivitäten entfalteten - sei es, daß sie ins Wirtshaus gingen oder zur Entspannung rauchten oder lasen.116 Diese bereits vorstrukturierte Asymmetrie verstärkte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit der Verflechtung von industrieller und agrarischer Erwerbstätigkeit im Zuge der industriellen Revolution. Dabei sind, für den genannten Untersuchungszeitraum relevant, folgende Aspekte intensivierter Anforderungen an Frauen festzuhalten: - Hausarbeit, strukturell von der Berufsarbeit verschieden, steht vorindustriellen Arbeitsrhythmen näher, da sie prinzipiell unbegrenzt ist: als permanente Tätigkeit, ohne zeitlich festgelegten Beginn und Schluß.117 - Die moderne Freizeitdefinition trifft auf Frauen nicht zu, da der ganze Komplex der Hausarbeit dabei unberücksichtigt bleibt.118 115

116 117 118

Mitterauer 1992, S. 335; Vgl. auch Angelika Feldes, »No han i Heimarbeit gemacht.« Heimarbeit nach Ende des Verlagssystems, in: Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen (Hg.), Menschen, Maschen und Maschinen, Ditzingen 1987, S. 36-44, hier S. 43f. Mitterauer 1992, S. 346-349. Ebd., S. 336. Ebd., S. 335.

88 -

Schaffen und Schonen

In der Landwirtschaft fand infolge einseitiger Technisierung und der Verbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsweise im bäuerlichen Betrieb eine geschlechtsspezifisch weibliche Steigerung der Leistungsanforderungen statt.119

Die bäuerliche Ehe stellte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Produktionsgemeinschaft von zwei einander unentbehrlichen Produzenten dar, mit dem Ziel, Geld für die Befriedigung der Bedürfnisse zu erwirtschaften, die nicht mit eigenen Produkten gedeckt werden konnten.120 Für viele Frauen führte die Erwerbsarbeit in der Industrie zu einer Dreifachbelastung mit einschneidenden Auswirkungen auf die Tages- und Wochenfreizeit, denn, wie sich in sämtlichen Interviews belegen läßt, wurde Hausarbeit mit dem Argument der komplementären Aufgabenteilung als weibliche Tätigkeit angesehen. Am Feierabend und in der verbleibenden freien Zeit an Samstagen und Sonntagen erledigten die Frauen neben landwirtschaftlichen Tätigkeiten den Hausputz, die Wäsche und das Flickwerk. Maria Bidlingmaier ermittelte in ihrer Untersuchung der Lebenssituation württembergischer Bäuerinnen zur Zeit des Ersten Weltkrieges, daß sich infolge des Strukturwandels der Landwirtschaft zudem die Leistungsanforderungen an Frauen erhöhten. »Je mehr die Intensität der bäuerlichen Wirtschaft wächst«, beobachtete Bidlingmaier, »desto mehr wird die Arbeitskraft der Frau [ . . . ] notwendig.«121 Ein geschlechtsspezifisches Ungleichgewicht an Arbeitsanforderungen wurde dadurch verstärkt, daß die Technik nicht an den verschärften weiblichen Produktionsaufgaben orientiert war, sondern Frauen dieses Defizit zudem durch einen größeren Arbeitsaufwand ausgleichen mußten.122 Maschinen lösten zwar im Wiesenund Körnerbau allmählich die kraftaufwendige mechanische Arbeit ab und entlasteten dort Männer und Frauen. Doch bei den Intensivkulturen, die weniger Kraft als »Geschicklichkeit und Leichtigkeit der Hand«123 erforderten und daher als traditionell weibliches Aufgabengebiet galten, existierten keine Maschinen. Die Intensivierung der Landwirtschaft folgte der Devise »einem gegebenen Stück Boden eine immer größere Wertmasse«124 abzugewinnen. Dieser Prozeß der Werterzeugung stützt sich, folgt man Bidlingmaier, auf die verstärkte Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft 119 120 121 122 123 124

Bidlingmaier 1918, S. 19ff. Ebd., S. 18. Ebd., S. 21. Ebd., S. 199. Ebd., S. 21. Ebd.

Symmetrie und Asymmetrie der Geschlechter

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und die Forcierung des Schonprinzips - als Mittel der Ressourcenschöpfung. 125 So läßt sich auch in Bidlingmaiers Zeitdiagnose das oben anhand des Umgangs mit der Schürze ermittelte Ungleichgewicht der Geschlechter durch einen für Frauen intensivierten Rhythmus der »Schaffens und Schonens« wiederfinden. Permanente Tätigkeit und omnipräsentes, werterhaltendes Schonen als Strategien eines optimalen Ausschöpfens von Ressourcen sind mit Bidlingmaier als Verhaltensanforderungen einzuordnen, die sich für die Landfrauen unter der kapitalistischen Wirtschaftsweise Anfang des 20. Jahrhunderts verschärft haben. Speziell in Württemberg unterstützte zudem die protestantische Arbeitsethik im Zuge der Industrialisierung die Strukturen der Fremd- und Selbstausbeutung »Unterordnung und Gehorsam, Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnung und Reinlichkeit« wurden genauso gepredigt wie »Sparsamkeit« und: »Laßt nichts verderben!«126 Eine Kontinuität dieser Normen und Handlungsmuster intensivierten Tätig-Seins, wie sie für den Übergang in die Moderne beschrieben wurden, besteht Mitterauer zufolge im ländlichen Raum bis heute: »In der Gegenwart sind es wohl vor allem die Nebenerwerbsbauern und ihre unter der Doppelbelastung von Landwirtschaft und Hausarbeit stehenden Frauen, die den geringsten Anteil an den Errungenschaften der Freizeitgesellschaft haben.«127

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»Neben intensiverer Pflege des Bodens - Männerarbeit! - geschieht dies durch Vermannigfaltigung der Nutzpflanzen und Tiere zur sinnvollen Ausnutzung des Bodens und der Abfälle.« Ebd. Zitate aus der 1856 erschienenen Schrift »Der glückliche Fabrikarbeiter, seine Würde und Bürde, Rechte und Pflichten, Sonntag und Werktag, Glaube, Hoffnung und Gebet«, verfaßt vom Prälaten Sixt Carl Kapff, zit. nach: Christel Köhle-Hezinger, Religion in bäuerlichen Gemeinden: Wegbereiter der Industrialisierung?, in: Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg. Herausgegeben von den Landesstellen für Volkskunde in Freiburg und Stuttgart 1985, S. 193-208, hier S. 193. Mitterauer 1992, S. 349.

Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

Kleidung, folgt man Bogatyrev, befriedigt nicht nur die praktischen Bedürfnisse und den persönlichen Geschmack, sondern versichert in ihrer Zeichenhaftigkeit als nonverbale Botschaft die Anpassung der Trägerinnen an die Normen ihrer Umwelt.1 Zugleich entwickelt jede Sozialgruppe einen ritualisierten Umgang mit Bekleidung, der nicht nur zur Abgrenzung gegenüber anderen dient, sondern immanent wie eine eigene Sprache eine eigene Gruppenidentität konstituiert.2 Im Umgang mit der Schürze war dies empirisch insbesondere bei den Frauen und Männern zu beobachten, die voll- oder nebenerwerbstätig in der Landwirtschaft arbeiteten. Ihre Praktiken im Umgang mit der Schürze bildeten ein eigenes, sehr spezifisches grammatisches Regelsystem aus, das in seiner Struktur sowohl unterschiedlichste Alltagsbereiche, als auch verschiedene Arbeitstätigkeiten und -Sphären ausdifferenzierte. Zugleich spiegelt dies als Ganzes unterschiedliche Facetten der Geschlechterrollen wider. Dies soll im folgenden näher betrachtet werden.

Landfrauen-Schürzen Bis zu den 1950er Jahren durchzieht das Prinzip von »Schaffen und Schonen« in Gestalt von Schürzen die Bekleidung sämtlicher Alltags- und Lebensbereiche der Frauen auf dem Land. Gleichzeitig war zu verfolgen, daß die funktionale Einheit von Arbeiten und Schonen auch die Zeichenfunktionen der Schürze im Alltag prägte: den Ausdruck von Status genauso wie die ästhetische Funktion und, damit verknüpft, die soziosexuelle.3 Dabei war eine starke funktionale Differenzierung von Frauenschürzen zu beobachten, wonach je nach Art der Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitssphären und Alltagsbereichen unterschiedliche Schürzen getragen wurden. Rückblickend lassen sich in den Interviews etwa 70 Bezeichnungen für Frauenschürzen feststellen. Sie beziehen sich auf Sphären, Tätigkeiten und 1 2

3

Bogatyrev 1971, S. 85. Ogibenin 1971, S. 24, und Bogatyrev 1971, S. 97. Bogatyrev bezeichnet dies als »our costum«: »>Our costume< is close to the individual member of the community, just as the community is close to him.« Vgl. Bogatyrev 1971, S. 43f.

Landfrauen-Schürzen

91

Berufe, aber auch auf Schnitte und Formen, Stoffe und deren Zustand, sowie auf weibliche Lebensphasen. Innerhalb dieser breiten Ausdifferenzierung von Schürzen wurde grob zwischen Sonntags- und Werktags- bzw. Arbeits- und Zierschürzen unterschieden. Doch sind die Übergänge zwischen der Funktion als Arbeitstextil und der als Bekleidung mit ästhetischer Funktion fließend. Die Alltagsbeschürzung der Landfrauen untergliederte sich, folgt man den Interviews, im wesentlichen in vier bis fünf Sphären: Schaff- bzw. Arbeitsschürzen für drinnen, draußen und den Stall. Des weiteren bewegten sich die Frauen in sogenannten Werktagsschürzen - auch als »Fleckenschürzen« 4 bezeichnet - in der dörflichen Öffentlichkeit. Außerdem trugen diejenigen, die zusätzlich in der Fabrik arbeiteten, dort spezielle Arbeitsmäntel bzw. Kittelschürzen und auf dem Weg von zu Hause in die Fabrik und zurück einen sogenannten Laufschurz. Innerhalb dieser Sphären sind weitere, jeweils individuell gehandhabte Ausdifferenzierungen von Tätigkeiten durch Schürzen zu verfolgen. Diese funktionale Segmentierung von Schürzen im weiblichen Alltag soll im folgenden auf der Basis des Interviewmaterials zu einem kollektiven Bild zusammengefügt werden. Zusätzlich wurden in die graphische Darstellung die von Gertrud Angermann 5 für eine Handwerkerfamilie im ersten Drittel 20. Jahrhunderts beschriebenen 27 verschiedenen Frauenschürzenbezeichnungen sowie die von Angelika Bischoff-Luithlen6 differenzierten 13 Werktagsschürzen schwäbischer Bäuerinnen integriert.

4 5 6

Flecken, schwäbisch: Dorf(kern). Angermann 1974. Angelika Bischoff-Luithlen, Von Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten. Ein Lese- und Nachschlagebuch zum Dorfalltag im alten Württemberg und Baden, Stuttgart 1979, S. 225.

92

Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

Alltagsschürzen: Die Materialisierung

von

Arbeitstätigkeiten7

DRAUSSEN 0 Qualität: (ab-)getragen geflickt

GartenWengertFeldHeuetSack-* Ernte-** Ährenlese-** Kartoffel-**

Küchen BettenKochgeira: Back-* SpülKirschen-EntsteinKüchlesbäck-** Handarbeits-* Servier-*

DORF/WEG Qualität· gut sauber STALL BERUF Qualität: Qualität: stark sehr gut abgetragen geflickt Fabrikarbeitsmantel

FutterMelkStall-

FleckenWerktagsLauf

Umb-** - für den Weg a u f s / Feld

SchwesternDienst/Serviermädchen-/ Verkäuferinnen' Zum Teil zwei Schürzen übereinander

Anhand des Schaubilds läßt sich bis ins Detail der Alltag der Landfrauen verfolgen und zeigt als Gesamtbild einen Kreislauf aus land- und hauswirtschaftlicher Arbeit sowie Erwerbsarbeit in der Industrie und im Dienstleistungsbereich. 7

Ergänzt nach Angermann 1974 gekennzeichnet durch *; ergänzt nach BischoffLuithlen 1979 gekennzeichnet durch **.

93

Landfrauen-Schürzen

Zugleich spiegelt sich in der Materialisierung von Arbeitstätigkeiten durch Schürzen ein Bereich der Alltagskultur wider, dessen Produkte überwiegend unsichtbar und vergänglich sind. Weibliche Produktionsleistungen wie gespültes Geschirr, gebackene Küchle, gemolkene Milch oder gejätetes Unkraut sind materiell nicht überlieferbar und verschwinden binnen kurzer Zeit. Hier sind sie in ihrer Materialisierung durch das Werk-Zeug8 zu rekonstruieren, das gemäß der Devise, daß jedes Ding mit einer besonderen Bestimmung zu versehen ist, von den Frauen angefertigt wurde. Dieses Vorgehen, wonach Arbeitsmethoden durch die »Vielfalt der Produkte« und eine spezifische »Etikettierung« bestimmt sind, ist nach Fei und Hofer ein Charakteristikum der bäuerliche Denkweise in Wirtschaft und Haushalt.9 Sie läßt sich auch im Umgang mit Schürzen wiederfinden: »Man hat einfach nie gesagt der Schurz [...],

sondern man hat ihn einfach bezeichnet zu

dem, was man ihn gebraucht hat.«w Die Ausdifferenzierung des weiblichen Werk-Zeugs wird als Selbstverständlichkeit empfunden: »Das war halt früher so, da hast du für jede Arbeit eine andere Schürze gehabt.«u

Als Frau W .

Ende der 1940er Jahre mit einem Dutzend Schürzen ihren Dienst auf einem Bauernhof antrat, wurde sie als erstes von der Bäuerin nach der Anzahl ihrer Schürzen gefragt: »Das war das Allerwichtigste«,12 Andererseits ist bei der oben gezeigten Darstellung immer zu beachten, daß sie ein Bild sämtlicher Ausdifferenzierungen widerspiegelt, die im Einzelfall nicht in dieser extremen Vielfalt praktiziert wurden: »Ha noi, man hat halt gesprochen

von einem Schaffschurz

und von einem Werktagsschurz,

der gewesen, den man zum Einkaufen getragen tagsschurz, wenn man von der Kirche gekommen

hat. Und dann noch einen ist

das ist Sonn-

f...].«13

Vgl. Mich 1983, S. 59f., für den sich Genus in den unterschiedlichen Werkzeugen von Mann und Frau äußert. Fel/Hofer 1972, S. 457. Bei ihrer ethnographischen Untersuchung über das ungarische Dorf Ätäny in den Jahren 1951-1966 haben sie diese Systematisierung bis hinein in einzelne Arbeitsweisen verfolgt. Am Beispiel des Schlachtens beschreiben sie es mit folgendem Bild: »Kugeln von unterschiedlicher Farbe in bestimmte, für sie vorgesehene Löcher zu bringen.« Ebd., S. 458. IV Den 24.07.1997. IV Kol 08.03.1989. IV Den 24.07.1997. IV Kus 25.07.1997.

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Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

jeder Arbeit ihre Schürze: Differenzierung, Uniformierung,

Gruppenkonstituierung

»Nichts aus dem Bereich unserer Erfahrung ist so unbedeutend, daß es nicht in ein Ritual eingehen und eine erhabene Bedeutung erhalten könnte«, ist eine These von Mary Douglas.14 In Anlehnung an die Ethnologin ist die funktionale Ausdifferenzierung von Schürzen, durch die einerseits Tätigkeiten und Sphären demonstrativ betont, andererseits voneinander abgegrenzt werden, als Alltagsritual mit hoher symbolischer Bedeutung zu bewerten. Je persönlicher und vertrauter der Ursprung eines rituellen Symbols ist, so Douglas, desto wirkungsvoller ist seine Aussage.15 Vor dem Hintergrund dessen, daß die Schürze als Zeichen des Schaffens und Schonens galt, ist ihre starke weibliche Ausdifferenzierung als Multiplikation von Zeichen dieser kulturellen Bedeutung zu charakterisieren. Des weiteren sind in Anlehnung an Arnold van Genneps Rites des Passage16 die täglichen Wechsel zwischen verschiedenen Schürzen Riten des Übergangs und des Eintritts in einen neuen Zustand des Tätig-Seins bzw. in andere räumlich-soziale Bereiche. Wie das Anziehen und jeder Wechsel von einer Schürze in eine andere von spezifischen Gesten begleitet war, mit denen der Übergang in den Zustand des Tätig-Seins vorbereitetet wurde, beobachtete Herr K. bei seiner Großmutter: »Bevor der Tagesablauf begann, strichst du mit Deinen faltigen Händen die Schürze glatt, als wolltest Du sagen: >Jetzt kann's losgehenSo jetzt muß ich einen Heitschurz

gekommen

Meter Stoff gekauft und so schräg geschnitten geworden

ist und oben ein wenig schmäler.

nächsten Heiet hat sie wieder eine neue

18 19

20 21

22 23 24

ist, dann hat sie zum Mann

harn! Das ist eine Bandschürze.< und umgesetzt,

gesagt:

Man hat einen

daß es unten

Den hat sie angezogen,

und

breiter zum

gewollt.«1''

van Gennep 1986, S. 28. Mathilde Hain, Das Lebensdorf eines oberhessischen Trachtendorfes. Von bäuerlicher Tracht und Gemeinschaft, Jena 1936. Ebd., S. 28. Tante von Frau Lu., IV Kus 27.07.1997; Mutter von Herrn Β., IV Wan 21.11.1997; Mutter von Herrn W„ IV Hin 13.08.1997; Tante von Frau W„ IV Den 24.07.1997. Hain 1936, S. 27. Heiet, schwäbisch: Heuernte. IV Kol 08.03.1989.

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Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

Zugleich läßt sich der Umgang mit Schürzen und ihren Ausdifferenzierungen vor dem Hintergrund von Hains Untersuchungen als die Konstituierung weiblicher Sozialpositionen innerhalb der (Dorf-)Gemeinschaft lesen. Wenn Frauen durch eine spezielle Schürze kollektiv als Heuende, Bakkende oder Waschende usw. zu erkennen waren, entspricht dies dem Bild einer berufsständischen Gruppenformierung. Durch die Uniformierung land- und hauswirtschaftlicher Arbeiten mittels spezifischer Schürzen werden einzelne weibliche Arbeitsschritte, jeder für sich, entsprechend einer berufsständischen Repräsentation demonstriert. »Ehe man die Brotlaibe ins Backhaus trägt«, beobachtete Hain, »versäumt man nicht eine saubere Druckschürze vorzubinden, während man sonst die einfache häusliche Arbeitstracht anbehält.«25 Ein Schürzenwechsel signalisiert als Rite des Passage nicht nur den räumlichen Übergang, sondern den von einer »sozialen Position«26 des Tätig-Seins in eine andere. Religiöse Zeichenfunktion bei profanen Arbeitshandlungen hatte der schwarze Schurz, den die Frauen während der Karwoche den ganzen Tag trugen. In schwarzen Schürzen arbeiteten sie auch während der Trauerzeit und signalisierten dadurch, daß sie während der instrumentellen zugleich emotionale Arbeit verrichteten.27 Die Trauerzeit stellt nach van Gennep eine Schwellen- bzw. Umwandlungsphase dar. Diesen Umwandlungsritus, nach dem Frauen in einer dreijährigen textilen Metamorphose vom tiefsten Schwarz, das allmählich immer mehr mit weißen Mustern durchbrochen wurde, schließlich wieder zur normalen Alltagskleidung zurückkehren, vollzogen die Zeitzeuginnen mittels verschiedenen Latz- und Kittelschürzen. An den Trauer- und den schwarz-weiß gemusterten Abtrauerschürzen konnte die Umgebung stets den jeweiligen Grad der Trauer ablesen.28 In allen Arbeits- und Lebensbereichen Trauer über einen verstorbenen Angehörigen zu zeigen, war eine kollektive weibliche Rolle, während Männer im Alltag keine Trauerkleidung trugen. Für Frau B. war das Trauern, in Gestalt des schwarzen Schurzes bereits Bestandteil ihrer Aussteuer.29

25

26 27 28

29

Hain 1936, S. 30; Zur Bleiche uniformierten sich die Frauen im hessischen Trachtendorf mit einer hellen Druckschürze und trugen halb-sonntägliche Tracht. Ebd. van Gennep 1986, S. 184. Vgl. Kotthoff 1994, S. 168. Vgl. dazu Hain 1936, S. 66f. In den von ihr beschriebenen Umwandlungsphasen während der Trauerzeit sind die Schürzen weitaus mehr aufgefächert als die der Zeitzeuginnen. IV Kus 14.07.1997.

Landfrauen-Schürzen

97

Ein anderer Aspekt der Rites des Passage ist der Übergang zwischen religiöser und profaner Welt, der mit der Trennung zwischen Werktags- und Sonntagskleidung vollzogen wurde. Hier verändert sich auch das Verhältnis von praktischen und Zeichenfunktionen der Bekleidung - die praktischen Funktionen treten in den Hintergrund, während andere hervortreten.30 Das Tragen von Schürzen in religiös-zeremonieller Funktion31 zum Kirchgang war bei den Interviewpartnerinnen nicht der Fall. Dies beschreiben die Frauen der interviewten Jahrgänge nur für die Generation ihrer Mütter bzw. Großmütter sowie für die seinerzeit vereinzelten Trachtenträgerinnen im Dorf. In den vorherigen Frauengenerationen, so die Zeitzeuginnen, wurden evangelische Abendmahlschürzen aus grau-glänzenden Satinstoffen oder schwarze Schürzen mit Perlenstickereien getragen. Die Schürzen, die zum Gang in die katholische Kirche getragen wurden, werden farbiger, ζ. T. aus chancierenden Satinstoffen beschrieben. Im regionalen und historischen Bezugsrahmen der Interviews ist vielmehr das Ende der religiösen Zeichenfunktion der Schürze zu ermitteln, wobei jedoch an der Tradition festgehalten wurde, zwischen Werktags- und Sonntagskleidung zu trennen. Schürzen wurden sonntags kaum mehr in der Öffentlichkeit getragen. Das sonntägliche Schürzentragen verlagerte sich in seiner Ästhetik und Zeichenhaftigkeit vielmehr auf die Zelebration der Häuslichkeit: am Sonntagmorgen trugen die Frauen helle, insbesondere weiße Schürzen in der Küche und bewirteten in »schönen« Schürzen am Nachmittag die Familie oder anderen Besuch. »Für den Sonntagmittag hat man dann auch schöne Schürzen gehabt. Einfach, wenn man nicht fort ist, wenn man daheim geblieben ist, hat man einen Schurz angezogen.«32 Die Grenzen zwischen Arbeits- und schmückender Funktion waren dabei - im Sinne permanenten Tätig-Seins fließend.

30 31

32

Bogatyrev 1971, S. 43f. Ein Extrembeispiel für einen religiösen Angleichungsritus mittels Schürzen läßt sich in Bogatyrevs Untersuchung der Tracht in den 1930er Jahren finden. Im slovakischen Bosäca-Tal besaßen die Frauen 52 verschiedene Schürzen, um mit der Kleidung des Priesters an jedem Sonntag des Jahres zu harmonieren. Vgl. Bogatyrev 1971, S. 36. IV Kus 25.07.1997.

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Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

Schürzenvielfalt: Verarbeitung der Modernisierung

und Kontrast zur

Moderne

Die Arbeitstracht der Bäuerinnen in den 1930er Jahren wird von Hain ausschließlich als einem agrarischen Rhythmus33 folgend beschrieben: »Die Tracht paßt sich dem wechselnden Rhythmus an, ist Zeichen dessen, was gerade das Hauptanliegen der bäuerlich-schaffenden Gruppe ist, ob Heu-, Korn- oder Kartoffelernte.«34 Dieses kollektive, insbesondere geschlechtsspezifisch weiblich ausgeprägte Zelebrieren einer agrarischen Haushaltsund Wirtschaftsweise, wie sie parallel dazu auch an der Uniformierung und Ausdifferenzierung durch Schürzen in der »normalen« ländlichen Frauenarbeits- und Alltagskleidung abzulesen ist, muß jedoch gerade im Hinblick auf die Brüche der agrarischen Lebenswelt im Übergang zur Moderne bewertet werden, insbesondere unter zwei Kriterien: - Zum einen werden agrarisch-hauswirtschaftliche Tätigkeiten nun im Kontrast zur industriellen Ökonomie verstärkt durch Bekleidung ausdifferenziert und damit auch visualisiert. - Zum anderen nehmen Landfrauen in ihrem Umgang mit Schürzen selbst Aspekte der Modernisierung und Einflüsse der bürgerlichen Kultur auf und verarbeiten sie. So liegt der Schwerpunkt der Ausdifferenzierung von Schürzen im häuslichen Bereich. Hier fanden innerhalb eines einzelnen Bereiches am inten33

34

In Hains Darstellung verläuft der Übergang zur Moderne als Prozeß, von dem die Bäuerinnen abgespalten sind. Er findet lediglich in der sozialen Zweiteilung des Dorfes seinen Ausdruck, die sich in die bäuerliche »Herrenschicht« und die »geringen Leut«, d. h. Handwerker und Rückkehrerinnen aus den Städten trennt. Vergleicht man die von Hain beschriebene ländliche Lebenswelt der 1930er Jahre mit den 20 Jahre früheren Zeitdiagnosen von Bidlingmaier, so scheint Hain aus der Perspektive »volkskundlicher Trachtenforschung« die Einflüsse der Modernisierung auf Leben und Arbeiten der Bäuerinnen übersehen zu haben bzw. diese ausschließlich dem Leben der »geringeren Leut'« zuzuordnen, eine Trennung, die sich vermutlich empirisch nicht halten ließe. Bildlingmaier beschreibt den Strukturwandel des bäuerlichen Haushalts durch den Rückgang des Gesindewesens sowie durch zunehmende Erwerbsarbeit als Umverteilung der Arbeitsbelastung auf Kosten der Frauen: »Die bäuerliche Wirtschaft zieht zur Feldarbeit die eigenen Leute mehr heran [...], sie trifft mit ihrem Wesen vor allem die bäuerliche Frau. Denn da die männlichen Familienmitglieder im Feldbau bisher vollauf beschäftigt waren, kann von ihrer Seite dem Betrieb wenig Mehrarbeit zufließen. [...] So bleiben in erster Linie die Frauenkräfte der eigenen Angehörigen als Ausweg aus der Arbeitsnot. Die Frauen waren bisher mehr im Haus und Hofe tätig und bildeten Reserven für die arbeitsreiche Zeit.« Vgl. Bidlingmaier 1918, S. 22. Hain 1936, S. 29.

Landfrauen-Schürzen

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sivsten die Übergänge zwischen einzelnen Arbeitshandlungen in Form eines Schürzenwechsels statt. Schon Bidlingmaier konstatiert vor dem Ersten Weltkrieg, daß die Bedürfnisse an Reinlichkeit, Behaglichkeit und Sorgfältigkeit im Bauernhaus gewachsen seien.35 Wenn sie 1914 von der »hausfraulichen Tätigkeit«36 der Bäuerin spricht, ist dies ein Indiz dafür, daß die Strukturen der bürgerlichen Geschlechterpolarisierung infolge der Migrationsbewegung - seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gingen viele junge Frauen als Dienstmädchen vom Land in die städtischen Haushalte das Verständnis der Geschlechterrollen beeinflußt hatte. Ein Beispiel für einen veränderten Umgang mit dem häuslichen Innenraum ist der Bettenschurz, der separiert »in der Schlafstub«37 am Haken hing und ausschließlich zum Bettenmachen getragen wurde. Auch die innerhäuslichen Schürzenwechsel zwischen Putz-, Spül-, Koch-, Back-, Wasch-, Klammer- oder Schuhputzschürzen können als Indikatoren für veränderte Rollen in der Geschlechterbeziehung gelesen werden: Als Ausdruck einer Neuordnung innerhäuslicher Schwellen und der symbolischen Demonstration der Hausarbeit.38 In der Regel wurde jedoch ein derart intensiver innerhäuslicher Schürzenwechsel gar nicht praktiziert und ein einziger »Kucheschurz« im wöchentlichen Wechsel bei sämtlichen Alltagsarbeiten im Haus getragen: »Da hat man den Speisezettel lesen können von der ganzen Woche.«39 Dieser w u r d e

dann bei schmutzigen Tätigkeiten noch zusätzlich durch einen zweiten Schurz geschont.40 Andererseits erfanden die Frauen wiederum eigene, an der regionalen Konsumption orientierte Schürzendifferenzierungen, ζ. B. den Kirschen-Entstein- oder Küchlesbackschurz und mit diesen ihre eigenen Rituale der Häuslichkeit. Folgt man den Interviews, so galten insbesondere die weißen Schürzen als Statussymbole, die bis heute als etwas »Feines« und »Schönes«41 geschätzt werden. Die weiße Schürze als Symbol der bürgerlichen Hausfrau war zur Repräsentation des bäuerlichen Haushalts jedoch überwiegend Sonn- und Festtagen vorbehalten.

35 36 37 38

39 40 41

Bidlingmaier 1918, S. 23. Ebd., S. 104. IV Kus 20.11.1997. Vgl. Lipp 1987, S. 39: »Räume konstituieren spezifische Beziehungen, es gibt einen vielfältigen Set von Distinktionsmechanismen, Ausgrenzungen und Eingrenzungen [...].« IV Kus 20.11.1997. Vgl. Angermann 1974, S. 126. IV Kus 14.07.1997.

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Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

Die Konzentration der Schürzen zur Demonstration häuslicher Tätigkeiten muß jedoch im Gesamtzusammenhang zur Schürzenvielfalt in anderen Bereichen und zur gesamten Vielfältigkeit räumlich-symbolischer Transitionen im weiblichen Arbeitsalltag gesehen werden. So liegt der Gesamtausdruck vielmehr im Wechsel zwischen den verschiedenen Tätigkeitsbereichen wie Haus, Stall, Feld, Garten und Fabrik und einem immens breiten Spektrum unterschiedlicher Tätigkeitszustände. Die Vervielfachung der Schürzenwechsel muß aber auch als Beschleunigung des Alltagsrhythmus und Ausdruck eines neuen, durch die Modernisierung geprägten Zeittaktes gelesen werden. Wenn Tätigkeiten verstärkt durch unterschiedliche Schürzen ausdifferenziert werden, dann nimmt dies in seinem Ausdruck auch den Rhythmus der taylorisierten Industriearbeit auf, wonach die technischen Arbeitsprozesse zur generellen Steigerung der Produktivität in immer kleinere Schritte zerlegt wurden.42 Folgt man Bidlingmaier, so beschleunigte sich auch bei den Frauen, die nicht als Arbeiterinnen in die Fabriken pendelten, der Alltagsrhythmus. Sie beschreibt den Alltag württembergischer Bäuerinnnen zur Zeit des Ersten Weltkriegs als Rastlosigkeit: »Das Merkmal, unter dem die Versorgung der Familie [... ] vor sich geht, ist die Eile.«43 Die Schürzenvielfalt, wie sie insbesondere bei der Feldarbeit zu beobachten ist, ist aus dieser Perspektive Ausdruck der intensivierten Anforderungen an die Frauen in der Landwirtschaft: »Je mehr die Intensität der bäuerlichen Wirtschaft wächst, [... ] desto mehr wird die Arbeitskraft auf dem Feld notwendig.«44 Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich ein neuer, beschleunigter Alltagsrhythmus in der beschürzten Bekleidung kristallisiert, ist der Laufschurz. Mit ihm rüsteten sich die Zeitzeuginnen speziell für den Weg vom Haus zur Fabrik, wo er gegen den Arbeitsmantel oder eine andere Fabrikschürze gewechselt wurde. »Laufen« bzw. Mobilität als Zustand des Tätig-Seins wurde nicht nur in der Oszillation zwischen Industrie und Landwirtschaft mit einer speziellen Schürze bekleidet, sondern auch innerhalb der agrarischen Ökonomie. Denn analog dazu existierte ein Schurz, der eigens vom Haus zum Feld getragen und dort mit Beginn der Arbeit gegen einen anderen Schurz ausgewechselt wurde.45

42 43 44 45

Vgl. Andreas Grüb, Arbeit, in: Streck (Hg.) 1987, S. 24-27, hier S. 24f. Bidlingmaier 1918, S. 105. Ebd., S. 21. Bischoff-Luithlen 1979, S. 225.

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Landfrauen-Schürzen

Durch die Schürzenwechsel wird im Sinne eines Rite des Passage stets die Berührung mit der vorherigen Materie abgestreift. Der Bereich der industriellen Erwerbsarbeit wird bis zur Ankunft im Haus mit einem dreifachen Schürzenwechsel dokumentiert: Vom Fabrik- über den Lauf- hinein in den Schurz für das Haus. Auch Elisabeth Wilson verweist in Anlehnung an Douglas darauf, wie zentral die Bedeutung von Bekleidung ist, um Begrenzungen und Grenzen zu schaffen: »Denn gerade an den Übergängen von einer Materie zur anderen kommt es zu Unreinheiten. Viele gesellschaftliche Rituale zielen darauf hin, zu begrenzen und zu trennen, um diese Verunreinigungen zu verhindern [,..].« 4 6 Durch dieses Ritual des Übergangs schaffen die Frauen eine Abgrenzung gegenüber der industriellen Ökonomie. Indem gleichzeitig vertraute Tätigkeiten ausdifferenziert und verstärkt repräsentiert werden, schafft das beschürzte Regelsystem Routine, Stabilität und Grenzen in einer sich beschleunigenden Alltagswelt. Zugleich stellt die Vervielfachung von Schürzen eine Multiplikation von Zeichen in der Grammatik des Tätig-Seins dar: als Ausdruck erhöhter Mobilität, Produktivität und Präsenz von Frauen. »Wenn man einen Schurz anhat«, sagte eine Interviewpartnerin, »dann ist das ein Zeichen: >Ich bin jetzt hier wirklich tätig!nix schaffet^ was in Schwaben einem Todesurteil gleichkommt.«49 Aus diesem Grund ist die beschürzte Kleidung als textiler Ausweis permanenten Tätig-Seins zugleich Ausdruck eines enormen sozialen Drucks gegenüber Frauen in einem gesellschaftlichen Umfeld, das ihnen nur im Falle permanenter Tätigkeit eine Existenzberechtigung zubilligte. »So konnte die Schürze fast zur Manie werden«, beobachtete Bischoff-Luithlen, der zufolge der weibliche Umgang mit der Schürze schon beinahe an Sucht grenzt: »Ohne »Schurz herumlau46 47 48 49

Elisabeth Wilson, In Träume gehüllt. Mode und Modernität, Hamburg 1989, S. 12f. IV Den 24.07.1997. Bischoff-Luithlen 1979, S. 225. Ebd.

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Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

fen< hätte bedeutet, für eine Faulenzerin gehalten zu werden! Jede Handhabung der Frau erforderte also einen Schurz: Ihr erster Griff nach dem Aufstehen galt einem solchen.«50 Über Kleidungsstücke, so Ilse Modelmog, lassen sich moralische Verhaltensmuster transportieren, mit denen über »gut« und »böse« entschieden wird.51 So gesehen kam der Schürze als Medium der Sozialdisziplinierung zur Anverleibung einer geschlechtsspezifisch intensivierten Norm des »Schaffens und Schonens« eine zentrale Stellung zu: das Erzeugen eines physikalischen Drucks am Leibe, um Anpassung sicherzustellen.52 Welche psychosomatischen Abhängigkeiten dabei entstehen konnten und wie stark diese Norm haptisch über die Schürze in das weibliche Körpergefühl eindringen und zur zweiten Natur werden konnte, läßt sich folgender Beschreibung Bischoff-Luithlens entnehmen: »Alte Älblerinnen [... ] können noch heute keine Stunde ihres Lebens ohne Schurz sein; sie würden sich nackt fühlen, >aushausigHa, jetzt zieh ich geschwind 'nen Schurz an.< [...] Und so sind sie gelaufen.«72 Herr G. erinnert sich: »Und die alten Mannen, die haben auch alleweil gesagt: >S'ist geschickt, da braucht man die Hose nicht zumachenHerrunsere FraaGern< [...], der von der Schürze verdeckt wird, zeigt nicht selten einen Einsatz von geringerem Stoff [...]. Bei der Generation vor 1900 war diese Stoffersparnis bei Werktags- und Sonntagsröcken selbstverständlich.«105 Die Näherin Frau A. schildert die Ergänzung von Rock und Schürzen in der ländlichen Alltagskleidung: »Gewöhnlich haben die Frauen Röcke angehabt, die an der Seite zugingen mit einer großen eingesetzten Tasche, und darum hat man eine Bandschürze gehabt, damit das verdeckt ist.«106 Demgegenüber weist der Bekleidungsbestand der Zeitzeuginnen ein sehr breites Spektrum an Schürzenschnitten und Formen auf: Kleider-, Träger-, Cocktail-, Dirndl-, Wickel-, Bordüren-, Mantel-, Kittel-, Trachten-, Schlupf-, Ärmel-, Halb- und Latzschürzen. Das beschürzte Bekleidungsverhalten der Zeitzeuginnen ist zum einen im Kontext des beschleunigten modernen Modewechsels im 20. Jahrhundert einzuordnen. Zum anderen ist es, dem Prinzip der Werterhaltung und des Schonens folgend, eine anachronistische Antimode, die zugunsten des Zweckmäßigen das Element des Wandels aus der Mode verbannen will.107 Deutlich ist der Prozeß der Vermodung108 der Schürze anhand der Kittelschürzen zu skizzieren, die sich in den 1920er Jahren von der Industriebekleidung kommend als Haus- und Alltagskleidung etablieren und dabei jeweils aktuellen Kleiderschnitten folgen.109 Sie entsprachen dem Stil der 104 105 106 107

108

109

Die Zeitzeuginnen bezeichneten Halbschürzen als »Bandschürzen«. Hain 1934, S. 26. IV Kol 06.03.1989. Vgl. Wilson 1989, S. 196. - Das Bestreben, dem Wandel der Mode durch einen zeitlosen Stil gegenüberzutreten, ist nach Wilson ein zentrales Element in der Definition von Antimode: Die Antimode versucht sich in einem zeitlosen Stil, will das wesentliche Element des Wandels ganz aus der Mode verbannen. Dies trifft auch auf die beschürzte Bekleidung zu, die zwar in diesem Sinne Anti-Modern, jedoch keine oppositionelle Mode im eigentlichen Sinn ist, die versucht, das Mißfallen oder Ansichten einer Gruppe auszudrücken, die der konformistischen Mehrheit widerspricht. Vgl. ebd. Das Kleidungsstück wird Bestandteil der Mode und des Modewechsels. Begriff in Anlehnung an Ellwanger 1988, S. 216. Vgl. ebd., S. 185ff.; auch Ellwanger 1994, S. 184; 188, und das Kap. Kittelschürzen »Verschürzung« der Moderne.

114

Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

1920er Jahre, aber paßten sich auch dem Gestaltungsprinzip der 1960er Jahre an, als durch die ärmellosen Kittel die Röhrenplastizität der Arme und Beine betont wurde; beides übrigens Gestaltungsprinzipien, die Mobilität ausdrücken. Andererseits unterstützten beispielsweise Bindeschürzen den New Look, die Modesilhouette Ende der 1940er und 1950er Jahre.110 Auch läßt sich parallel zur Ausdifferenzierung der modernen Berufs-111 und Alltagsbekleidung eine enorme Differenzierung von Schürzen zu sämtlichen Arbeits- und Alltagsgelegenheiten ablesen. Jedoch dominierte bei den Trägerinnen stets das Prinzip der Werterhaltung. Dabei stehen nach Bourdieu Substanz und Funktion über dem Kriterium der Form.112 »Sie sind praktisch«,113 beurteilt Frau K. ihre Kittelschürzen und mißt damit der Zweckmäßigkeit bei der Arbeit den zentralen Stellenwert zu.114 Die abgetragenen Schürzen wandern in einem kontinuierlichen Decrescendo115 in den Garten, auf das Feld oder in den Stall »zur wüsten Arbeit«,116 während die besseren im Haus oder in der Öffentlichkeit getragen werden. Die vielzitierte Schonfunktion der Schürze als Kleiderschutz zur Bewahrung der darunter getragenen Kleidung vor Verschmutzung und Verschleiß hat sich jedoch in geschlechtsspezifisch weiblicher Dimension ins Gegenteil verkehrt. Mit der Verbreitung der Trägerschürzen und Kittelschürzen als weibliche Alltagsbekleidung der Unterschicht wurde die Schürze für viele Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Hauptbekleidung. Sie war Bekleidungsgrundstock und hatte auch die Funktion, alte zerflickte Kleidung zu verdecken, die dann darunter aufgetragen werden konnte. Für die Kusterdinger Frauen war »Lumpenverdecker« ein Synonym für die Kittelschürze. Bis heute trägt Frau M. alte Kleidung unter ihren Latzschürzen auf: »Ja, da hab ich also auch etwas altes an.«117 Mitte der 1920er Jahre bildete sich eine neue Norm in der Bekleidungszusammenstellung heraus: die der Komplettwirkung eines Ensembles.118 Die Norm des »Passenden« als ästhetische Kategorie manifestierte sich im Ideal der harmonisch aufeinander abgestimmten Kombination, deren Aus110 111 112 113 114 115

116 117 1,8

Vgl. Ellwanger 1988, S. 237. Zur Ausdifferenzierung der modernen Frauenberufsbekleidung vgl. Hettler 1994. Bourdieu 1982, S. 322. IV End 01.08.1991. Bourdieu 1982, ebd. Begriff nach Köhle-Hezinger 1993, S. 77. - Vgl. Schaubild auf S. 92, auf dem die qualitativen Stufen in die Sphären eingetragen sind. IV End 01.08.1991. IV Kus 25.07.1997. Ellwanger 1994, S. 176.

Ästhetik der beschürzten Weiblichkeit

115

differenzierung den entsprechenden Gelegenheiten folgte. 119 Diese Norm konnte sich jedoch den Interviews zufolge bis heute im alltäglichen Umgang mit der Schürze nicht durchsetzen. Wenn die Interviewten über ihre Schürzen als weiße, schwarze, schwarzweiße, grüne, rote, gemusterte, dunkelblaugestreifte, schwarzgestreifte, bunte und geblümte sprachen, so war die Schürze für sie kein Accessoir oder Teil eines Ensembles, sondern das über allen anderen dominierende Hauptbekleidungsstück. Auf die Frage, ob Sie die Schürze mit ihrer Kleidung farblich-stimmig kombiniere, antwortete Frau M. repräsentativ für die anderen Interviewpartnerinnen: »Nein, nein. So genau nimmt man das nicht.«120 In der befragten Frauengeneration gehören Schürze und Rock bzw. Kleid ästhetisch zusammen, die meisten fühlen sich in Hosen 121 nicht richtig wohl. »Das bin ich gewöhnt, und ich fühl mich wohler in einem Rock oder in einem Kleid«, sagt Frau M., »einfach von der Figur her, ich find, ein Rock paßt mir besser«.122

Erotik des Bedeckens In den Interviews war außerdem zu verfolgen, daß das Motiv des »Verdeckens« durch die vielschichtigen Textilen die Beziehung der Frauen zu ihrem Körper charakterisierte. »Man ist rund um zu«,n3 beschreibt eine Interviewpartnerin ihr Körpergefühl in der Schürze. Das Gefühl, mehrere textile Schichten übereinander zu tragen, die nach außen durch die Schürze als beanspruchbare Körperhülle abgeschlossen wurden, verbanden die Frauen zugleich mit dem Gefühl der inneren Ungezwungenheit. Darunter waren die körperlichen Ausmaße variabel: »Da hat man können zunehmen.«124 Auch Schwangerschaften wurden auf diese Weise lange geheim gehalten. Mit speziellen, weiten Umstandsschürzen versteckten Frauen ihren Körper während der Schwangerschaft vor den Blicken der Umwelt, während Redewendungen wie der »dicke Schurz« oder »ihr Schurz wird ihr zu kurz« davon zeugen, daß dieser Zustand anhand der Schürze genauestens verfolgt wurde.

119 120 121

122 123 124

Ebd., S. 177. IV Kus 25.07.1997. Zur Entwicklung weiblichen Hosentragens vgl. Gundula Wolter, Hosen, weiblich, Marburg 1994. IV Kus 25.07.1997. IV End 01.08.1991. IV Kus 14.07.1997.

116

Eine Grammatik des komplementären Tätig-Seins

Zugleich wurde durch das Verhüllen der Körperformen eine Ästhetik des Begehrt-Werdens (und Begehrens) negiert und der Ausdruck weiblicher Sexualität in das asketische System des »Arbeitens und Schonens« transformiert. Frau H. haßte in ihrer Jugend Schürzen insbesondere deshalb, weil sie dadurch das eigentlich »Schöne« stets bedecken mußte: »Und deshalb hat's mich auch so geärgert, daß man nicht das Schöne zeigen durfte.«125 Schürzen zu tragen, manchmal sogar zwei übereinander, empfand sie als unerträgliche Manie: »Also so was verrücktes! Als Mädle hat man denkt: >Wie kann man denn so dumm sein. Bloß noch den Schurz rumtragen!Na ja, müssen wir eben eine Mädchenschürze kaufen. «Eine Schürze

Doch, das war also schon ein Befehl, und dann hat man sich

wird geduckt

und die Schürze angezogen.«32 Frau Lü. empfand ihre Sozialisation zur Hausarbeit denn auch als Erniedrigung, besonders deshalb, weil sie beschürzt an der Seite des Dienstmädchens mithelfen mußte. Am positivsten scheint noch Charlotte von Mahlsdorf alias Lothar Berfelde die Schürze zu sehen: als ein geradezu begehrenswertes Zeichen von W e i b l i c h k e i t . »Die

Schürzenmanie

ist bis heute

s c h r e i b t sie u n d

geblieben«,

erledigt die Hausarbeit bis heute nie ohne ihre Kittelschürze.33

Schürzenherstellung als Selbstkonstruktion der Hausfrau Frauenschürzen waren sowohl Produkte als auch Gebrauchsgegenstände und Demonstrationsobjekte der Hausarbeit. Die Herstellung von Schürzen ist für viele Frauen der Unterschicht und der unteren Mittelschicht bis heute Bestandteil ihrer Hausarbeit. Viele Interviewpartnerinnen,34 die 1915 bis Anfang der 1930er Jahre geboren sind, besuchten nach der Schule eine Frauenarbeitsschule und nähen bis heute die Schürzen so, wie sie es dort g e l e r n t h a b e n : »Ich bin anno 1943 das erste Mal in die Frauenarbeitsschule da hat man die Träger gemacht.

Das Sonstige

80cm,

9cm

breit, die Bändel

65cm

lang und

mefl ich ab und dann tu ich's dreiteilen.

heut noch zu wie damals. Da hat man auch Rüschen

hingemacht

7cm

Die schneid und Borten.

und breit ich Aber

ich mach jetzt alle gleich.«35 Dabei standen ökonomische und praktische 31 32 33 34 35

Mitterauer 1992, S. 339. IV End 01.08.1991. von Mahlsdorf 1995, S. 25. IV Den 24.07.1997; IV Kus 25.07.1997; IV Kus 14.07.1997; IV End 01.08.1991. IV Den 24.07.1997.

130

Geschlechterdistinktion und Rollenfixierung

Aspekte in dialektischem Bezug zur ästhetischen Zeichenfunktion des Textile. Als ästhetische Zeichenfunktion der Schürze wurde in erster Linie Sauberkeit genannt, aber das Textil galt auch als Ausdruck von Fleiß und gutem hausfraulichem Wirtschaften. Diese Eigenschaften galten zugleich als Zeichen der Weiblichkeit. Genauso wurden sämtliche textile Handarbeiten kollektiv als geschlechtsspezifisch weibliche Tätigkeiten definiert - »Nähen hat man müssen können als Mädle« - u n d als H a u s w i r t s c h a f t s t e c h n i k e n verstanden:

»Wenn

eine hat nicht nähen können, hat's geheißen, die kann den ganzen Haushalt nicht führen.«36

Am Schürzennähen sollen im folgenden die Hintergründe der historischen Sozial- und Geschlechterrollendisziplinierung durch Textilarbeiten beleuchtet werden.

Sich die Rolle auf den Leib Schürzen

im

schneidern:

Textilunterricht

Eine kollektive weibliche Schicht- und generationenübergreifende Sozialisationserfahrung aller Interviewpartnerinnen war, daß sie entweder im schulischen Handarbeitsunterricht oder in Hauswirtschafts- bzw. Nähschulen gelernt haben, eine Schürze zu nähen: »Das hat eigentlich zur Hausfrauenausbildung

gehört,

wie man's

Kochen

gelernt

hat, oder's

Flicken,

das

Schurzmachen hat da einfach dazugehört.«37 Als didaktisches Ziel des Textilunterrichts stellt die Herstellung einer Schürze einen zentralen Schritt zur Anverleibung der Hausfrauenrolle dar, der für die Mädchen mit der Pubertät erfolgte. Die historischen Wurzeln dessen, daß textile Arbeiten vor dem Hintergrund der bürgerlichen Ideologie der Geschlechterpolarisierung schichtübergreifend zu geschlechtsspezifisch weiblichen Tätigkeiten transformierten, führen nach einer Untersuchung von Dagmar Ladj-Teichmann zurück in die Zeit der Konstituierung der bürgerlichen Gesellschaft an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Parallel zu dem von Ladj-Teichmann beschriebenen Prozeß, in dem sich im 19. Jahrhundert der Textilunterricht dazu entwickelte, die Mädchen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft auf ihren »natürlichen Beruf« als Hausfrau, Gattin und Mutter vorzubereiten,38 läßt sich historisch im Bürgertum die Herausbildung der symboli36 37 38

IV Kus 14.07.1997. Ebd. Ladj-Teichmann 1983, S. llf.

Schürzenherstellung als Selbstkonstruktion der Hausfrau

131

sehen Bedeutung der Schürze als Zeichen der Hausfrau verorten. Lebensanweisungen für junge Mädchen, Bräute und frischverheiratete Frauen empfehlen als Indizien für die häusliche Gesinnung der Trägerin und die Reinlichkeit des Hauswesens Vorzeige-Küchenschürzen.39 1872 wurde Mädchenhandarbeit zum obligatorischen Unterrichtsfach an Volksschulen, mit dem Ziel, die Schülerinnen auf ihre Rolle als fleißige, ordentliche und sparsame Hausfrauen vorzubereiten.40 Gleichzeitig etablierte sich das »Nähschürzchen« als fester Bestandteil der Didaktik für den Handarbeitsunterricht: ein Übungsstück, an dem verschiedene Nähte und Zierstiche ausprobiert wurden und das anschließend als Zierschürze getragen werden konnte.41 Noch bis Ende der 1960er Jahre läßt sich das staatlich verordnete Ziel der sukzessiven Anverleibung der Hausfrauenrolle in den Unterrichtseinheiten zum Thema Schürze im Textilunterricht nachzeichnen.42 »Schürzen, dieser nützliche und unentbehrliche Teil unserer hausfraulichen Kleidung sollen schön und geschmackvoll wirken«, schreibt eine Textillehrerin Mitte der 1950er Jahre: »Es liegt uns Lehrerinnen daran, sie so gestalten zu lassen, daß die Mädchen sie gerne arbeiten und gerne tragen.«43 Meist war die Schürze der erste Höhepunkt, in den die erarbeiteten Grundfertigkeiten als große Gesamtgestalt mündeten und mit der zugleich weiterführende textile und hauswirtschaftliche Techniken erlernt wurden. Mit Abschluß dieser ersten größeren Arbeit, dem Kristallisationspunkt der bis dahin erlernten (textilen) weiblichen Fähigkeiten wird zugleich als Rite des Passage der Übergang in ein neues hausfrauliches Reifestadium vollzogen. »Wie freuten sich meine Schülerinnen der 7. Klasse nach dem vorgeschriebenen Flicken mit der Hand und dem manchmal mühsamen Erlernen des Maschinennähens auf die erste Arbeit mit der Maschine«, meint eine Handarbeitslehrerin 1960: »Als Vorbereitung für das 8. Schuljahr, in 39

40

41

42

43

Vgl. Henriette Davidis, »Beruf der Jungfrau«, herausgegeben vom Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Stadt Dortmund, Oberhausen 2. Aufl. 1988, S. 195. Iris Kahl, »Ein roter Faden der Textildidaktik: der Bildungsgedanke«, in: Textilarbeit und Unterricht, 1 / 1 9 9 5 , S. 43-65, hier S. 46. Der Handarbeitsunterricht in der Volksschule. Herausgegeben v o m Erziehungsinstitut Siessen, Stuttgart 5. Aufl. 1904, S. 33-36. Ausgewertet wurden hier die Jahrgänge 1956-1980 der Zeitschrift Handarbeit und Hauswirtschaft. Eine Monatsschrift für Schule und Haus, herausgegeben von den Fachlehrerinnen an Volksschulen Mittelfrankens. Nach Aussage der jüngsten Interviewpartnerin (Jg. 1967) nähte sie 1980 eine Schürze im Handarbeitsunterricht am Gymnasium. An Hauptschulen werden bis heute Schürzen genäht. Handarbeit und Hauswirtschaft, Jg. 8, H. 8, August 1956, S. 200.

132

Geschlechterdistinktion und Rollenfixierung

dem Kochen und Gartenarbeit verlangt wird, arbeitet das 7. Schuljahr eine Schürze.«44 Zum einen diente das Schürzenähen in der Sozialisation zur Hausfrau zur Vorbereitung weiterer Tätigkeitsfelder, beispielsweise Kochen - eine didaktische Konzeption, die den Interviews zufolge auch in den Landwirtschaftsschulen verfolgt wurde. Hier war das Nähen einer weißen Schwesternschürze obligatorisch 45 Zum anderen ist, mit Blick auf die symbolische Bedeutung der Schürze als Zeichen der Hausfrau, das Herstellen der ersten selbstgefertigten Schürze als Umwandlungsritus zu bewerten, in dem sich die Mädchen diese Rolle selbst auf den Leib Zuschneidern.46 Mit Fertigstellung und Anlegen der Schürze nimmt das Erziehungsziel, die Hausfrauenrolle sichtbare Gestalt an: »Der Schurz ist das wichtigste Kleidungsstück jeder fleißigen, reinlichen und gewissenhaften Hausfrau. Er schont ihre Kleidung und gibt gleichzeitig über ihre Tüchtigkeit Auskunft.«47 In den Näh-, Landwirtschafts- und Frauenarbeitsschulen, welche die 1915 bis Anfang der 1930er Jahre geborenen Interviewpartnerinnen besuchten, fand die erste »Selbstkonstruktion«48 der Hausfrauenrolle in der Zeit nach Schulabschluß statt als Übergangs- bzw. voreheliche Vorbereitungsphase der jungen Frauen auf die Zeit nach der Hochzeit. In den staatlichen Schulen der Nachkriegszeit war das Nähen einer Schürze zu Beginn der Pubertät in der 7. Klasse vorgesehen. Widerstände von Schülerinnen gegen das Schürzennähen schlagen sich Anfang der 1960er Jahre in den Unterrichtszeitschriften nieder: »Im sozialen Grundausbildungslehrgang sollten als erste größere Aufgabe Schürzen genäht werden. Die Mädchen waren wenig begeistert [,..].« 4 9 Auch für Frau Lü. waren textile Handarbeiten und insbesondere das Schürzennähen im Gymnasium mit viel Widerwillen verbunden: »Das hat mir keinen Spaß gemacht, [...]

ich hatte so viele Widerstände dagegen.«50

Trotz allem hatte die

symbolische Bedeutung der Schürze als Zeichen der Hausfrau auf sie eine so starke Wirkung, daß sie sich zu ihrer Hochzeit eine Schürze wünschte, 44 45

46

47 48 49 50

Handarbeit und Hauswirtschaft, Jg. 12, H. 12, Mai I960, S. 45. Vgl. IV End 01.08.1991; Frau K. besuchte in der Kriegs- und Nachkriegszeit die Landwirtschaftsschule Haigerloch. Auch Frau H. mußte während ihrer Ausbildung als Kindergärtnerin Anfang der 1960er laut Lehrplan ihre Berufskleidung eine Schwesternschürze - selbst nähen. IV Kus 20.11.1997. In Anlehnung an van Gertnep 1986, S. 181 als Zeremonie einer Umwandlungsphase. Gudrun Hammel, Pladoyier für Bindeschürzen, Manuskript o. ]., S. 4. Hagemann-White 1993, S. 69. Handarbeit und Hauswirtschaft, Jg. 12, H. 12, Mai 1960, S. 38. IV Tü 24.09.1997.

Schürzenherstellung als Selbstkonstruktion der Hausfrau

133

um damit den Übergang in ihre neue Rolle als Hausfrau zu bekleiden: »Irgendwie war das für mich so das Statussymbol einer Hausfrau, das war so verinnerlicht. Ich hab alles gehabt eigentlich für meinen Hausstand, für diese neue Rolle, aber das einzige was mir fehlte, war eine Schürze.«51

Häusliche Tätigkeiten: Feminisierung der Textilarbeiten Die textilen Fertigkeiten, welche die Schulen lehrten, sollten die Mädchen zu einem Hausfrauendasein oder in eine berufliche Laufbahn in der Textilindustrie führen, was meist einen geringen Verdienst und niederen sozialen Status bedeutete. Diese Struktur war bereits Thema des Fallbeispiels »Zickzackmuster«, in dem die Arbeit mit Textilien als permanente, grenzenlose und zugleich keinen materiellen Gewinn bringende Tätigkeit das Schicksal mehrerer Frauengenerationen durchzog. Die Feminisierung der Textilproduktion erfolgte nach Ladj-Teichmann zu Beginn des 19. Jahrhunderts und begann mit einer geschlechtsspezifischen Selektion im textilen Industrieunterricht, parallel zum sinkenden Lohnniveau in den Textilbetrieben.52 Zum anderen setzte sich in den 1830er Jahren der Begriff der »weiblichen Arbeiten« für Textilarbeiten durch. Als im gesamtgesellschaftlichen Bewußtsein kein Zweifel mehr daran bestand, daß der häusliche Arbeitsbereich grundsätzlich der von Frauen sei, wurden die »weiblichen Arbeiten« in »häusliche Arbeiten« umbenannt.53 Einhergehend mit der inhaltlichen Veränderung des Begriffs »weibliche Arbeiten« veränderte sich auch die Zielsetzung des Textilarbeitsunterrichts für die Unterschichten ein Prozeß, an dessen Ende ein schulischer Handarbeitsunterricht für Mädchen aller gesellschaftlichen Schichten stand, der sich in seinen Zielen immer mehr an der Hausarbeit von Frauen orientierte.54 Auch für Mädchen der Unterschichten hatte der Unterricht seit Ende des 19. Jahrhunderts immer eindeutiger das Ziel, sie in erster Linie für das Leben als Hausfrau, Gattin und Mutter zu erziehen, und erst in zweiter Linie, sie auf die Lohnarbeit vorzubereiten.55 Die einzige Erwerbskomponente, welche die Ausbildung in ihrer Orientierung auf den »natürlichen Beruf der Frau« als Hausfrau am 19. Jahrhundert für die jungen Frauen aus 51 52 53 54 55

Ebd. Ladj-Teichmann 1983, S. 80. Ebd., S. 114. Ebd., S. 116. Ebd., S. 131.

134

Geschlechterdistinktion und Rollenfixierung

der Unterschicht noch enthielt, w a r die Ü b e r n a h m e v o n Hausfrauenpflichten als Dienstmädchen. 5 6 A u c h gab es innerhalb der Ausbildung der »kollektiv-weiblichen« textilen Fertigkeiten 5 7 schichtspezifische Unterschiede. Die Kenntnisse aus d e m obligatorischen Handarbeitsunterricht an Volksschulen reichten zur selbstständigen Anfertigung v o n Kleidung nicht aus und beschränkten sich meist auf das Flicken u n d Stopfen der Kleider und Wäschestücke. 5 8 Mädchen, die wie Frau L. aus a r m e n Familien stammten, hatten primär selbst zu sehen, wie sie sich textile Fertigkeiten aneigneten - »die haben's halt so gelernt« - , w ä h r e n d die reicheren Bauerntöchter winters zusätzlich Nähschulen besuchten. Dennoch w a r zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Prozentsatz der Landfrauen, die nicht N ä h e n konnten, gering: v o n 113 Bäuerinnen, die Bidlingmaier 1914 befragte, hatten 102 das N ä h e n gelernt, nur elf nicht. 5 9 Wäschenähen, Ausbessern und Flicken w a r e n unter bürgerlichen Frauen gering geachtete Hausfrauentätigkeiten, w ä h r e n d sie in den Unterschichten als Techniken des Sparens und Schonens geschätzt w u r d e n . 6 0 56 57

58 59 60

Ebd., S. 130. Wie stark dieses Muster, daß die Arbeit mit Textilien eine Tätigkeit für Frauen sei, bis heute im gesellschaftlichen Denken und Handeln verhaftet ist, dokumentiert die Fragebogenuntersuchung aus dem Jahr 1997 von Doris Grünewald an der Universität zu Köln am Institut für Kunst- und Kunsttheorie in der Abteilung Textilgestaltung. Von 123 befragten Studentinnen (darunter 98% junge Frauen) antworteten 49% auf die Frage, warum in der Mehrzahl Frauen Textilgestaltung studieren, daß dies dem traditionellen Rollenbild entspreche. 21% der Studentinnen meinten, daß Textilgestaltung Frauensache sei, während zusätzliche 8% der Auffassung waren, daß Männer dafür nicht geeignet seien. Dies setzt sich im privaten Bereich fort. So ergab die Umfrage, daß bei 58% der Befragten die Mütter zu Hause mit Textilen arbeiten, gefolgt von den Großmüttern (17%) und Schwestern (10%). Der Männeranteil war, zwischen 1% und 4% schwankend, verschwindend gering. - Dies entspricht auch der Rollenverteilung in den Interviews, in denen die Personen der dargestellten Generation Textilarbeit als kollektiv weibliche Tätigkeit ansahen. Ein Interviewpartner wußte nicht einmal, woher seine Schürzen kamen, ob sie gekauft oder selber gemacht waren: «[...] die sind einfach dagewesen, ha ja.« (IV Kus 20.11.1997a). - Eine Ausnahme war Herr R., der sich als Kriegsgefangener der Stricktechniken seiner Mutter erinnerte und 1944-45 mit selbstgefertigten Stricknadeln aus Stacheldraht für sich und seine Kameraden acht Pullunder strickte. Trotzdem kehrte er danach zur traditionellen Rollenverteilung zurück. Den Pullunder trägt er bis heute zum Schaffen. IV Mäh 21.11.1997; KreisA Tü Slg. Erinnerungen Nr. 46. Vgl. auch Wolfgang Sannwald (Hg.), Schiefertafel, Gasmaske und Petticoat. Erlebte Dinge und Erinnerungen aus dem Landkreis Tübingen. Ein Quellen- und Lesebuch zur persönlich erlebten Geschichte im 20. Jahrhundert, Gomaringen/Tübingen 1994, S. 100. Bidlingmaier 1918, S. 108. Ebd., S. 115. Ladj-Teichmann 1983, S. 125.

Schürzenherstellung als Selbstkonstruktion der Hausfrau

135

Über die Schürze gebeugt: Nadelarbeiten als weibliche Sozialdisziplinierung Bei den Interviewpartnerinnen der Unterschicht und der unteren Mittelschicht galten Nähen und Flicken von vorneherein als ineinander übergehende textile Praktiken. Bei der Herstellung einer neuen Schürze planten sie gleich ein extra Stoffstück als »Flickblätz« ein. Auch war in den Interviews zu verfolgen, daß sich moralische Urteile über Frauen der Unterschicht auf den Zustand der Textilien, und insbesondere auf geflickte Stellen als Ausdruck korrekten weiblichen Sozialverhaltens konzentrierten. Dies ging so weit, daß die geflickte Kleidung eines Mannes als Indikator für die Fähigkeiten seiner Ehefrau galt: »Da haben sie früher schwer drauf geguckt, wenn eine Hos' geflickt worden ist [...], daß das sauber gewesen ist. Da haben sie gesagt: >Da sieht man's Weib!Fünf Jahre Krieg nix kaufen!< >Uuhin Tunis haben wir viel, viele Kilometer Stoff

[,..].«Da hast du den Schurz reingebracht< oder: >Da laß ich die Finger davon, da könnt ich den Schurz reinbringen.< Das wird sogar heute noch verwendet.«66 Exemplarische Eckdaten für den Prozeß der Mechanisierung des Schuhmacherhandwerks beinhaltet das Fallbeispiel des Familienbetriebs B., ge63

64

65 66

M. Popper, in Beilage zu: Lehrbuch der Arbeiterkrankheiten und Gewerbehygiene. Zwanzig Vorlesungen, gehalten am Deutschen Polytechnikum, Stuttgart 1882, zit. nach: Böth 1991, S. 73. Bericht über die Allgemeine deutsche Ausstellung auf dem Gebiete der Hygiene und des Rettungswesens unter dem Protectorate Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Berlin 1882-83. Herausgegeben von Paul Boerner, Bd. 3, Breslau 1886, S. 403f., zit. nach: Hettler 1994, S. 88. IV Kus 20.11.1997a. Ebd.

154

Eine Zeitachse der Funktionen und Bedeutungen

gründet 1892 (Hierarchie der Ungleichzeitigkeiten).67 Hier folgten dem Erwerb von ersten Ausputzmaschinen und Klebepressen im Jahr 1927 Serienanfertigungen. Das Ende der Maßarbeiten wird auf die Nachkriegszeit datiert. Danach reduzierte sich die Tätigkeit auf Reparaturen, bis der Betrieb kurz nach seinem 100jährigen Jubiläum 1992 geschlossen wurde. Auch in den Schreinereien findet der Einsatz elektromechanisch angetriebener Maschinen in den 1920er Jahren Verbreitung und verändert die Produktionsweise.68 Charakteristisch für diese neue Tätigkeit im Handwerk ist zum einen, daß nun maschinelle und manuelle Produktion ineinanderlaufen. Die von einem »Maschinenzyklus« geschaffenen Halbfabrikate werden manuell weiter verarbeitet.69 Zum anderen nehmen die manuellen Arbeitsschritte sukzessive ab.70 Der Begriff des »Maschinenzyklus« ist eine zentrale Metapher, mit der sich historisch im Handwerk ein Wendepunkt im Verhältnis von Mensch und Maschine verorten läßt. Nicht nur in der Sprache der HandwerkerFachliteratur der 1920er Jahre,71 sondern auch im Fallbeispiel des Schuhmachers B. markiert er eine historische Wende. »Vorher ist das ja hauptsächlich eine sitzende Angelegenheit

gewesen,

Schuhmacher«,72

meint H e r r B., bei

dessen Charakterisierung zugleich ein Verständnis des Menschen als »Konstante«73 anklingt. In seiner Beschreibung des »Maschinenzyklus« wird der Mensch von der Technik in Bewegung gesetzt. Nun sind die Maschinen die Konstante, die der Mensch als »Variable«74 umkreist: «[...] Ausputzmaschinen, Doppelmaschinen, immer gelaufen

Nähmaschine,

Holznagelmaschine

in der Werkstatt von einer Maschine

und dann ist man dann zu anderen.«75

Mit dem

»Maschinenzyklus«, wie er parallel dazu auch in anderen Handwerksbetrieben aufkommt, wird die Maschine zum Mittelpunkt des Produktionskreislaufes, ζ. B. in den Schreinereien: »Dieser Zyklus besteht in geringerem 67 68

69

70

71 72 73 74 75

IV Wan 21.11.1997. Uwe Beckmann, Maschineneinsatz in Schreinereien, in: Westfälisches Freilichtmuseum Hagen (Hg.) 1991, S. 97-106, hier S. 101. Chr. Hermann Walde, Der praktische Tischler. Ein Handbuch für Bau- und Möbeltischler, Nordhausen, 6. Auflage o. J. (1920er Jahre), S. 106 zit. nach: Beckmann 1991, S. 102. So wurden Anfang der 1930er Jahre ζ. B. im Bereich der Bautischlerei von 30 Arbeitsschritten bei der Herstellung einer Füllungstür in einer mit einer Vielzahl von Maschinen ausgerüsteten Werkstatt nur noch fünf mit der Hand ausgeführt. Vgl. Beckmann 1991, S. 105f. Walde, Handbuch o. ]., S. 106, zit. nach ebd., S. 102. IV Wan 21.11.1997. Flusser 1997, S. 27. Ebd. IV Wan 21.11.1997.

Diachroner Schnitt: Realitäts- und Bedeutungswandel der Handwerkerschürze

155

Umfange aus der Bandsäge, der Kreissäge, der Abrichtmaschine, der Hobelmaschine, der Fräsmaschine, der Kreissäge und den ergänzenden Werkzeug-, Schleif- und Schärfmaschinen.« 76 Mit ihm setzt sich im Handwerk die maschinelle Produktion und ein beschleunigter Produktionsrhythmus durch, der die Qualität der Arbeit und der Produkte verändert: »Und dann hat man dann auch Serien gemacht [...]. Vorher hat man ja den Schnitt an die Schuhe mit der Raspel geraspelt, und dann hat man Glasscheiben geholt [...], und mit denen hat man das ganz fein geschabt, den Schnitt von der Sohle.«77 Parallel dazu verändert sich die Berufsbekleidung im Handwerk: »Mit den Maschinen ist das dann hauptsächlich gekommen, daß man so blaue Arbeitsmäntel gehabt hat.«7S Als industrielle Arbeitskleidung wird der Kittel nun zum Statussymbol der Handwerkermeister. Die Schürze wird zum anachronen Objekt. »Mit der industriellen Revolution zieht eine neue Generation von Zeichen und Gegenständen herauf. Zeichen, bei denen sich das Problem der Einzigartigkeit und des Ursprungs nicht mehr stellt, die Technik ist ihr Ursprung, und sie haben nur in der Dimension des industriellen Simulakrums einen Sinn. Ihre Voraussetzung ist die Serie [ . . . ] « , diagnostiziert Baudrillard. 79 Auch im Handwerk bezieht nun der Meister seine Autorität daraus, daß er derjenige ist, der mit den Maschinen umgehen kann; mit dem Kittel drückt er seine Autorität aus. Die Gestalt des Kittels bezieht sich auf die Maschine, die nach Baudrillard »Medium - Form und Prinzip einer neuen Sinnproduktion« 80 zugleich ist. Im Übergang von der handwerklichen zur maschinendominierten Produktion - in der sich gleichzeitig die alten manuellen und die neuen maschinellen Tätigkeiten zeitlich und räumlich nahe sind und ineinanderlaufen - wird jetzt ein Statusunterschied zwischen Meister und Gesellen in der Arbeitssituation visualisiert. »Jede Ordnung unterwirft sich die Vorhergehende« 81 - in diesem Sinne Baudrillards wird die Schürze in der Hierarchie des industriellen Zeitalters zum Zeichen der Handarbeit und als »anachrones Objekt« mit der Konnotation zeitlicher und technischer Rückständigkeit zum Ausdruck eines niederen Status. Die ästhetische Zeichenfunktion der Arbeitskleidung enthält in der Moderne eine neue, von Bogatyrev 82 nicht benannte Dimension: sie be76 77 78 79 80 81 82

Walde, Handbuch o.}., S. 105 zit. nach: Beckmann 1991, S. 102. IV Wan 21.11.1997. Ebd. Baudrillard 1982, S. 87. Ebd., S. 88. Ebd., S. 89. Vgl. Bogatyrev 1971 S. 43t., S. 80.

156

Eine Zeitachse der Funktionen und Bedeutungen

zeichnet ein Verhältnis zu Zeit und technischem Fortschritt. Hierarchie wird nun als historische Ungleichzeitigkeit inszeniert. Schürzen werden im Handwerk im Sinne einer Distanzierung von veralten Repräsentationsformen und Arbeitstechniken abgelegt und durch eine neue Berufsbekleidung abgelöst. Zudem rückt, verbunden mit der Funktion Status zu signalisieren, die ästhetische Zeichenfunktion in der Gewichtung der Bekleidungsfunktionen stärker in den Vordergrund.

Tradition und Magie: Postmoderne Zeichen und Funktionen der

Handwerkerschürze

Eine weitere, positive Bedeutungsdimension war in den Interviews zu beobachten: Handwerker trugen die Schürze im Arbeitsalltag bewußt als Zeichen der Tradition. Die ästhetische Funktion bezieht sich nun darauf, mit der Schürze ein Verhältnis zur Zeit bzw. Tradition und Verbundenheit mit der Vergangenheit auszudrücken. Dies steht an erster Stelle der Zeichenfunktionen,83 während sich für die praktischen Funktionen im Zuge der fortschreitenden Technisierung die Ebene ihres Realitätsbezuges weiter verändert. Seit den 1960er Jahren hat sich das Erscheinungsbild der Mechanisierung in Handwerksbetrieben noch einmal entscheidend dadurch gewandelt, daß eine Vielzahl kleiner elektrischer Handmaschinen die vormals manuellen Kleinarbeiten erledigen.84 Parallel zum Verschwinden weiterer manueller Arbeiten verschwinden zudem bestimmte Handwerksberufe und mit ihnen die dazugehörigen Arbeitsschürzen: »Der Schmied hat immer [einen Schurz] getragen [...]. Das war ein dicker Lederschurz. [...] unser Nachbar da drüben, der war ja Schmied [...]aber das Handwerk ist ja ausgestorben.«85 Die Handwerkerschürze, anachrones Objekt in einer technisierten Gesellschaft, hat nun primär die Funktion als Zeichen der Tradition, eine (nicht mehr existierende) Authentizität der manuellen Produktionsweise zu vermitteln. In einem Zustand »allegorischer Anwesenheit«86 sollen durch sie die manuellen Produktionsweisen einer vergangenen Zeit aufscheinen, liegt doch das eigentlich Reizvolle eines handwerklichen Erzeugnisses darin, daß es von einer Hand herrührt, deren Fertigkeit es geprägt hat.87 »Das 83 84 85 86 87

Vgl. ebd. Beckmann 1991, S. 106. IV Mäh 21.11.1997. Baudrillard 1991, S. 96. Ebd., S. 99.

TAFELTEIL

Männerschürzen

Bubenschiirze (1935), Denkendorf. Foto: Privatarchiv

Schreinergeselle (1940), Hinterzarten. Foto: Archiv Erich Weber, Hinterzarten

Männerschürzen

Ostmettingen (1907). Foto: Privatarchiv

Männerschürzen

Beim Ackern (1940), Ostmettingen.

Foto:

Privatarchiv.

Frauenschürzen

Breitnau um 1915. Foto: Archiv Erich Weber, Hinterzarten

Frauenschürzen

Beim Kuchenbacken (um 1935), Denkendorf. Foto:

Privatarchiv

Frauenschürzen

Frauenschürzen

Handarbeiten an der Heimatfront: Winterhilfswerk Foto: Privatarchiv

Kinderkleidung

1930, Denkendorf. Foto:

Denkendorf 1941

Privatarchiv

Frauenschürzen

ifdjafitffcfyörgen

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VoWwk-SfbiilU 4 M 9 " . AM»· f a m r 2 A » r j f mit lanBerufÄußerungen< konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.«12 Performativität ist kein einmaliger Akt, sondern die Wiederholung von Normen und Attributen in einem Ausmaß, in dem diese handlungsähnlichen Status erlangen.13 Wenn Bogatyrev schreibt: »A function of a costume is an expression of the attitudes of it's wearers«,14 so muß die damit verstandene Angleichung der Trägerinnen an die Umwelt nicht im expressiven, sondern im performativen Sinne verstanden werden. Deutlich wurde dies in dieser Untersuchung, wenn es heißt, daß über die Schürze innere weibliche »Wesenszüge«, wie ζ. B. Fleiß veräußert würden (vgl. den Abschnitt Sich die Rolle auf den Leib schneidern und das Kap. Die weiße Latzschürze). Da diese Attribute der Geschlechtsidentität jedoch nicht expressiv, sondern performativ sind, wird die Identität, die angeblich über die Schürze offenbart werden soll, in Wirklichkeit erst durch diese Zuschreibungen konstituiert.15 Das Schürzentragen ist als »performativer Akt«, d. h. als eine Form ständiger Bedeutungswiederholungen zu verstehen, durch die das spezifische Alltagsverhalten wie die entsprechende Geschlechterrolle, ζ. B. die der Hausfrau, im Sinne einer »Selbstkonstruktion« (Hagemann-White) kollektiv wie individuell gefestigt werden. In Anlehnung an den Sachbegriff Dürkheims ist Kleidung eine verdinglichte Form gesellschaftlichen Handelns, die auch in ihrer Ästhetik und Stofflichkeit eine »soziale Erscheinung« ist.16 Ästhetisch, so Rudolf zur Lippe, »drückt sich alles Universelle aus, wenn es [... ] in die stoffliche Wirklichkeit tritt, das heißt fühlbare und wirksame Gestalt wird und eine besondere eigene Geschichte eingeht, die physischen Niederschlag bildet«.17 Daß Bekleidung auf der Ebene der Bekleidungsgestalt optisch »eigenständig nachrichtenaktiv« (Heimann) ist, und wie durch Körpermodellierung Geschlechterdifferenz konstruiert wird, wurde im Kap. Bekleidungsgestalt und Geschlechterkonstruktion aufgezeigt. Zudem wurde in den Fall- und Objektbeispielen gezeigt, wie sich die geschlechtsspezifische Codierung auf einzelne Materialien, Farben, Muster oder Schnitte bezog und sogar bis hinein 12 13 14 15 16 17

Butler 1991, S. 49. Butler 1997, S. 36. Bogatyrev 1972, S. 93. Vgl. Butler 1991, S. 207. Dürkheim 1895/1961, S. 126, zit. nach: Linde 1972, S. 18. zur Lippe 1987, S. 35.

Bedeutungssystem Schürze

253

in die Maße und die Art des Bindens von Schürzenbändern zu verfolgen war. Deutlich wurde anhand der Schürze, daß über die Stofflichkeit der Bekleidung, wie es Walter Benjamin formuliert, der lebendige Leib mit der anorganischen Welt »verkuppelt« wird.18 Wie über die Ebene des Stofflichen soziale Beziehungen konstituiert werden, wurde in dieser Untersuchung insbesondere in zwei Beispielen der Präsentation von »Geschlecht« sichtbar: zum einen an der weißen Rüschenschürze, die als Teil der Leibwäsche Häuslichkeit und die soziale Intimität als räumliche Extension leiblicher Intimität von Frauen gestaltete. Weibliche Sexualität und Erotik, die in der stofflichen Transzendenz der Unterwäsche als weiße Latzschürze an die »Oberfläche der Dinge« (Foucault) kamen, fanden im Symbol der Hausfrau ihren geregelten Ausdruck. Zum anderen wurde im Abschnitt Multifiinktionales Werkzeug in Leibnähe ausgeführt, daß das Textil als Werk-Zeug ein existentielles Bindeglied zwischen Körper und Umwelt war. Die Schürze steht hier für die Anverleibung dieser spezifischen Form des Tätig-Seins. Als Werk-Zeug, das die materielle Komplementarität des Lebens formt, präsentiert sie Leiblichkeit und »Geschlecht« im Sinne des vormodernen, vernakulären Genus (Illich): als das dem jeweiligen Geschlecht spezifische Schaffen.

Historizität und Differenzen der Kategorie Geschlecht In den geschichtlichen Strukturverläufen konnten anhand der Schürze und ihrer Bedeutungen die Konstruktion der Geschlechterdifferenz (und der damit verknüpften Asymmetrien) in ihrem historischen Wandel aufgezeigt werden. Deutlich wurde hierbei, daß »Geschlecht« nicht etwas »substantiell Seiendes« ist, sondern ein wandelbares und kontextuelles Bedeutungssystem, das von sozioökonomischen, kulturellen, politischen und geschichtlichen Relationen abhängt.19 Greifbar wurde am Beispiel der Schürze sogar, daß im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft die textile Geschlechterdistinktion in die Konstruktion von Natur als Bezeichnung des biologischen »naturbestimmten« weiblichen Geschlechts einfloß. Umgekehrt wurde der semantische Gehalt von »Schürze« in einer weiblichen Codierung im 18. und forciert im 19. Jahrhundert mit geschlechtlichen Bedeutungen im Sinne 18 19

Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Bd. 1, Frankfurt am Main 1983, S. 130. Vgl. Butler 1991, S. 29.

254

Schlußfolgerungen

von Sexus besetzt. Parallel dazu wurde die Schürze nicht nur zum Symbol der Frau, sondern auch im Sinne einer »zweiten Natur« als expressiver Ausdruck eines wesenhaften weiblichen Geschlechtscharakters gedeutet. In der Dialektik von lebensweltlichen und geschichtlichen Strukturverläufen wurde sichtbar, daß sich sowohl das Bekleidungsverhalten als auch die symbolischen Bedeutungen der Schürze aus einer Überlagerung unterschiedlicher historischer Tiefenstrukturen speisen. »Die Differenzen aller Zeitalter belagern uns«, so beschreibt Philippe Aries die Gegenwart unter der Perspektive der Longue duree; eine Charakterisierung, die sich im Rückblick auf diese Untersuchung nicht nur auf Bekleidung sondern auch auf die Geschlechterkonstruktion übertragen läßt. Geschlechterkonstruktion ist aus dieser Perspektive kein linearer Geschichtsprozeß, sondern entspricht nach der Theorie der Longue duree der »Multiplizität gesellschaftlicher Zeiten«.20 »Die Illusion einer einzigen, homogenen und linearen Zeit [ist] zu zerstören«, so Jacques Le Goff, »um die verschiedenen Zeiten und Zeitrechnungen einer vergangenen Gesellschaft zu erschließen.«21 Deutlich wurde auch, wie sehr die schicht- bzw. klassenspezifischen Differenzen (und Kongruenzen) der Kategorie »Geschlecht«, die empirisch am lebensweltlichen Umgang mit der Schürze herausgearbeitet wurden, selbst eine spezifische Verkörperung von Zeit darstellen. Sie sind in Anlehnung an Butler »gendered corporealisation of time«.22 Die Modelle, die empirisch in der Generation der Schürzenträgerinnen, Jg. 1915-1936, ermittelt wurden, sind in ihren schicht- und milieuspezifischen Differenzen als ein Gefüge wechselseitiger Überlagerungen zu verstehen, deren Bedeutungen und die damit verbundenen Dimensionen sozialen Handelns sich empirisch-lebensweltlich überschneiden.23 Sie sollen abschließend noch einmal schlaglichtartig aufgeführt werden. 20 21 22 23

Le Goff 1990, S. 50. Ebd. Butler 1991, S. 207. Diese Überlagerungen widerlegen Bogatyrev, wenn er die Bekleidung einer Gruppe als geschlossenes soziales System sieht und sagt, daß sich »folk costume« fundamental von der städtischen Kleidung unterscheide. Vgl. Bogatyrev 1972, S. 94, und Konrad Köstlin, Rezension zu Petr Bogatyrevs The Functions of Folk Costume in Moravian Slovakia, in: Zeitschrifl fiir Volkskunde, 1/1974, S. 134-150, hier S. 135. So wurde zudem im Kap. Landfrauen-Schürzen nicht nur die Wechselseitigkeit von städtischen und ländlichen Schürzen deutlich, sondern auch Kongruenzen mit der »Tracht«.

Historizität und Differenzen der Kategorie »Geschlecht«

Geschlechterkomplementarität

255

als intensiviertes Tätig-Sein von Frauen

Die Schürze gilt zunächst als geschlechtsindifferentes Kleidungsstück und als Zeichen des Schaffens und Schonens. Männer habitualisierten im Umgang mit der Schürze nicht nur ihr spezifisches Tun oder einen beruflichen Status, sondern auch das Frei-Sein von Arbeit. Demgegenüber differenzierten Frauen durch Schürzen den Zustand realen Tätig-Seins mannigfacher aus und trugen darüber hinaus in sämtlichen Lebensbereichen Schürzen. Weiblichkeit wird so zum symbolischen Ausdruck eines »perpetuum mobile«,24 das sich ohne Ruhe als Gegenbewegung in Gestalt von Schürzen über den gesamten Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebenslauf erstreckte. Dies ist im Sinne der Longue duree als Kontinuität der im Kap. Feminisierung beschriebenen bürgerlichen und unterbürgerlichen Frauenkleidung in der frühen Neuzeit einzuordnen. Bis ins 20. Jahrhundert scheinen diese Relikte ständischer Weiblichkeitskonstruktionen hinein, auch dann, wenn durch Schürzen Lebensphasen wie der Ehe- oder Witwenstand bekleidet werden.

Geschlechterpolarität

als hierarchisierte

Rollen

Die Schürze gilt im bürgerlichen Bereich als weibliches Kleidungsstück. Weibliches Tun ist in dieser Bedeutungsstruktur auf zwei häusliche Rollen fixiert: die Schürze ist das Symbol der Hausfrau und des Dienstmädchens. Diese Symbolik impliziert eine Doppelcodierung, in der die Schürze gleichzeitig Zeichen von Status wie einer untergeordneten Stellung ist. Die hierarchische Konstellation, die mit der unbeschürzten Kleidung des Mannes und den Schürzen für Frauen (und Kinder) bezeichnet wird, spiegelt die »industriegesellschaftliche Geschlechtsständeordnung«25 (Beck) der Moderne wider. Fundament der Industriegesellschaft ist die geschlechtsspezifische Trennung von Haus- und Erwerbsarbeit. In der Schürze für die Hausarbeit wird der (gegenüber dem Mann) niederere soziale Status von Frauen als Kontrast zwischen geistiger und körperlicher Arbeit sowie zwischen 24 25

Modelmog 1994, S. 186. Beck 1986, S. 179. - Die Gegensätze zwischen den Geschlechtern, so Beck, beugen sich weder dem Schema moderner Klassengegensätze, noch sind sie bloßes traditionales Relikt. Sie sind der seltsame Zwitter »moderner Stände« und manifestieren die Lebenslagen von Männern und Frauen auf Zuweisung qua Geburt. Dadurch wird in der Moderne eine »industriegesellschaftliche Ständehierarchie« etabliert. Ebd., S. 177.

256

Schlußfolgerungen

moderner-industrieller und vormoderner Arbeit symbolisiert. Gleichzeitig wird durch Ästhetisierung der eigentliche Arbeitscharakter weiblichen Tätig-Seins negiert.

Widersprüche einer im Grundriß gespaltenen Moderne Der Rhythmus der Geschichte wird, folgt man Philippe Aries, bestimmt durch die reziproken Bewegungen mündlicher und schriftlicher Kulturen, durch den Wandel von »Dekadenzen« und »Renaissancen«, Rückflüssen und Fortschritten.26 Nur in dieser Vielschichtigkeit lassen sich die über die Schürze als Medium vermittelten Geschlechterdifferenzen in ihren Ungleichzeitigkeiten verstehen. Historisch sind die empirisch ermittelten Differenzen als klassen- bzw. schichtspezifische »Widersprüche einer im Grundriß der Industriegesellschaft halbierten Moderne«27 (Beck) einzuordnen. In die Konstruktion des modernen Geschlechterverhältnisses fließt eine Komponente ständischer Hierarchisierung ein, indem die Prinzipien der bürgerlichen Emanzipation qua Geburt den Männern zugewiesen und Frauen (zunächst) vorenthalten werden. Diese »ständische Seite« der Geschlechterbeziehung ist jedoch nicht lediglich als traditionales Relikt anzusehen, sondern auch als Produkt und Fundament der Industriegesellschaft.28 Modernisierung und Gegenmodernisierung sind, so Beck, bereits im Entstehen der Industriegesellschaft angelegt. Daß diese Spannung wesentlich die Asymmetrie der Geschlechter geformt hat, wurde am Beispiel der Schürze sichtbar. In beiden der o. g. Strukturen sind Frauen über die Schürze symbolisch mit der »alten Ordnung« verbunden.29 Die Schürze ist in der Moderne ein anachrones Objekt, das im Zuge der Technisierung die Bedeutung und Funktion erhielt, als Zeichen »Zeit« - im Sinne vergangener Zeit - und »Arbeit« - im Sinne von manueller Tätigkeit zu bezeichnen. Dieser Anachronismus ist charakteristisch für die Symbolik der beschürzten Kleidung, in der die Geschlechterdifferenz als historisch 26 27 28 29

Artes 1990, S. 162. Beck 1986, S. 179. Ebd., S. 177. Dies war auch am Objekt der Kittelschürze zu verfolgen, die von ihrer Gestalt die moderne, industrielle Arbeit präsentiert und durch das Appendix Schürze symbolisch mit der alten Ordnung verknüpft wird.

Widersprüche einer im Grundriß gespaltenen Moderne

257

ungleichzeitiges Tätig-Sein erscheint. Weibliches (bzw. beschürztes) TätigSein wird in der Ambivalenz des technischen Fortschritts zum »Alten«, hierarchisch Untergeordneten, jedoch in seiner Ungleichzeitigkeit auch als Zustand des »authentischen« Tätig-Seins präsentiert. Im häuslichen, agrarischen und handwerklichen Tätig-Sein wird über die Schürze in der Moderne symbolisch die Verbindung zur vormodernen Arbeit aufrechterhalten und Authentizität im Sinne einer stofflichen Verbindung mit der Materie ritualisiert. Diese ambivalente Struktur, wonach das »Vergangene« zum »Verworfenen« und dem Weiblichen zugeschrieben wird, gleichzeitig aber auch »Magnet der Begierde« ist, beschreibt Julia Kristeva folgendermaßen: »Once upon blotted-out time, the abject must have been a magnetized pole of covetousness.«30 Das Phänomen, daß das Tätig-Sein der Geschlechter als Ungleichzeitigkeit bekleidet wird, in der die Frauen über ihre Alltagskleidung symbolisch mit der »versinkenden Ordnung« verbunden sind, ist historisch unter der Perspektive einer doppelten Loslösung und Neuformierung einzuordnen: zum einen der Auflösung vormoderner Produktions- und Existenzweisen im Übergang zur modernen Industriegesellschaft. Zum anderem beginnt in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine weitere Phase der Modernisierung, in der sich nicht nur die vormodernen Strukturen weiterhin auflösen, sondern bereits auch die modernen Grundlagen der Geschlechterrollenzuweisungen. Erst jetzt löst sich im Zuge der Emanzipation von Frauen die hierarchisierte Repräsentation der Zweigeschlechtlichkeit über Bekleidung auf, die seit dem Spätmittelalter mit der textilen Geschlechterdistinktion über Rock und Hose verbunden war.31 Auch mit dem Ablegen der Schürze verschwindet ein Element aus dieser alten Ordnung, das seit der frühen Neuzeit in die hierarchisierte Darstellung der Geschlechter eingebunden war. Dennoch schrieb sich gerade im Ablegen der Schürze eine Grundstruktur bürgerlicher Intimität fort: Die Negierung der Kategorie Arbeit in bezug auf die Haus- und Familienarbeit und die stoffliche Übersetzung weiblicher Hausarbeit als Ausdruck von Sexualität und Erotik.

30

31

Julia Kristeva, Powers of Horror. An Essay on Abjection, New York 1982, S. 8: »Die einmal ausgelöschte Zeit, das Verworfene wird zu einem Magnet der Begierde.« (Übersetzung: E. G.). Vgl. Wolter 1994, S. 288; 294.

258

Schlußfolgerungen

Die Schürze indes wird sukzessive als ästhetisches Ausdrucksmittel eingesetzt, mit dem sich ihre Trägerinnen bewußt historisch-zeitlich (und im Fall der Trachtenbekleidung zusätzlich auch regional) (rück)verorten. In dieser zeichenhaften Rückbindung an eine imaginierte Zeit vergangener Produktions- und Existenzweisen und im Bestreben Authentizität und Lokalisierung zu schaffen, kristallisierte sich eine neue Dimension der magischen Funktion (Bogatyrev) von Bekleidung heraus. Am Übergang zur Postmoderne wird die Schürze mit der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung der Arbeit zum »Zeichen der Tradition«. Bewußt »Zeit« zu tragen, ist Vinken zufolge eine zentrales Phänomen postmoderner Bekleidung.32 Der Umgang mit Bekleidung wird zu einem Erinnerungssystem und einer neuen Gedächtniskunst: »Die Mode nach der Mode ist ein Ort geworden, an dem das verdrängte Andere im Zurückdrängen zum Ausdruck kommt und im Ausdruck gerettet erscheint für den Moment unendlich vielfältiger Augenblicke.« 33 In diesen Kontext sind auch die Schürzen einzuordnen, die seit Mitte der 1990er Jahre auf Laufstegen und in Modemagazinen präsentiert werden. »Daß jedoch die gute alte Schürze auf den Laufstegen zwischen Paris und Düsseldorf plötzlich zu modischen Ehren gelangen würde, hätte sich kaum einer träumen lassen«,34 lautet eine Pressemeldung 1994. Eine »bricolage«35 aus Versatzstücken modernen und manuellen Tätig-Seins zeigt die Zeitschrift Brigitte in der Sommermode 1998: eine Kombination von Rene Lezard, in der über einem weißen Overall eine braune Latzschürze aus Seidenchiffon im Stil der Handwerkerlatzschürze getragen wird.36 Individualität, Authentizität und Lebensstil, so Konrad Köstlin, speisen sich heute aus einem massenkulturell offerierten Fundus historischer Herleitungen. 37 Die Schürze ist als anachrones Objekt ein Baustein dieses »bricolage«-Prinzips, nach dem aus dem Abfall historischer Traditionen etwas Neues zusammengesetzt wird. Auch Designer wie Jean Paul Gaultier oder die USamerikanische Künstlerin Andrea Zittel entwerfen vor diesem Hintergrund die Schürze als Alltagskleidungsstück neu. Für Zittel, die der massenkulturellen Individualisierung durch bewußte Uniformierung entgegentritt, ist 32 33 34 35

36 37

Vinken 1993, S. 65. Ebd., S. 67. Südwestpresse, 27.08.1994. Begriff nach Claude Levi-Strauss. Bricolage meint das immer wieder neue, kreative Zusammensetzen von Einzelstücken aus unterschiedlichen Herkunftsbereichen. Vgl. Köstlin 1996, S. 127. Brigitte, 1 3 / 1 9 9 8 , S. 69. Köstlin 1996, S. 125.

Widersprüche einer im Grundriß gespaltenen Moderne

259

die Schürze ein »revolutionäres Kleidungsstück«. 1997 designte sie für die Zeitschrift Cosmopolitan eine Schürze, den »Panel«: »[...] machen Sie doch jetzt endlich Schluß mit dem Fimmel nach dem richtigen Fummel, und schneidern sich einfach eine Art Uniform!«38 Charakteristisch für die Präsentation der Schürzen in den Medien Ende des 20. Jahrhunderts ist, daß diese mit kulturgeschichtlichen Deutungen verbunden werden. Dieses Phänomen, das zunächst als Symptom einer »totalen Verkulturwissenschaftlichung des Alltags«39 diagnostiziert werden könnte, erscheint jedoch bei näherem Hinsehen weniger als wissenschaftliches Unterfangen, denn als Konstrukt aus zweifelhaften Deutungen und Wunschbildern. Wenn die Geschichte der Schürze 1994 in der »ersten Dynastie der Ägypter (3000-2778 v. Chr.)«40 verortet wird, so indiziert dies das Bestreben, im Zeitalter des Virtuellen die eigene Existenz in den tiefstmöglichen Schichten der Menschheitsgeschichte zu verankern. Hier spiegelt die Schürze als Zeitzeichen nicht Nostalgie, sondern die Sehnsucht nach einem Jenseits von Geschichte wider, die zugleich den Wunsch nach ewiger Gegenwart enthält.41 Eine andere Version dieser in die Alltagskultur »implantierten Geschichten«42 ist mit einer magischen Beschwörung der geschlechtsständischen Weiblichkeitskonstruktionen verknüpft, wodurch, so wird es jedenfalls vermittelt, das Bedürfnis nach Authentizität, Intimität und Lokalisierung gestillt werden könnte. So schreibt 1997 das FAZ-Magazin in einem längeren, kulturwissenschaftlich daherkommenden Artikel mit dem Titel »In der Schürze liegt die Würze« der Kittelschürze magische Funktionen zu: »Es ist ein verlockend frivoler Dunst, den Kittelschürzen um sich verbreiten: die Aura der Hexenküchen, in denen allein die Frauen noch wissen, was Leib und Seele im Innersten zusammenhält. Das macht sie begehrenswert, die Heimchen. [... ] Vorn geknöpft, hinten mit Riegel wird aus dem Heimchen am Herd unversehens eine Dame mit Zeitgeist.«43 Eine weitere Variation desselben Themas lautet: »An der Schwelle zum neuen Jahrtausend ist die Schürze aber nicht mehr das Zeichen des Heimchens am HerdeStück< Kunst präsentiert. Diskussionen über >gendered culture« leben von der Durchkreuzung etablierter Geschlechtergrenzen. Ebenso setzt die Reflexion disziplinarer Unterschiede kulturelle Grenzüberschreitungen voraus .figurationen ist deshalb international und mehrsprachig, in der Regel mit dem größten Textanteil in deutscher Sprache. Heft 1: Frauen und Recht - Women and Law. Heft 2: ModeKunst - ArtFashion. Heft 3: Verfuhrungen, Heft 4: Schönheit (Herbst 2001), Heft 5: Krisenfigur Mann - Male Crisis (Frühsommer 2002)

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