Horazische Denkfiguren: Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters 9783666252068, 3525252064, 9783525252062

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Horazische Denkfiguren: Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters
 9783666252068, 3525252064, 9783525252062

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HYPOMNEMATA 106

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones / Günther Patzig

HEFT 106

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

HELMUT KRASSER

Horazische Denkfiguren Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Albrecht Dihle

Die Deutsche Bibliothek-

CIP-Einheitsaufnahme

Krasser, Hebnut: Horazische Denkfiguren: Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters / Helmut Krasser. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995 (Hypomnemata; H. 106) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-525-25206-4 NE: G T

D 21 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

Meinen Eltern

Vorwort Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 1989 von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Tübingen angenommen wurde. Die Überarbeitung des Manuskriptes wurde im wesentlichen im Herbst 1991 abgeschlossen. Seither erschienene Literatur konnte nur in Einzelfällen berücksichtigt werden. Danken möchte ich an dieser Stelle besonders Prof. Dr. Ernst A. Schmidt, der die erste Anregung zu dieser Arbeit gegeben und ihre Betreuung übernommen hat. Zu danken habe ich ihm jedoch nicht nur für kritische Aufmerksamkeit und freundlichen Rat während der Entstehung der Arbeit, sondern vor allem für vielfältige Ermutigung und Förderung, die ich von seiner Seite erfahren durfte. Dank weiß ich auch Prof. Dr. Richard Kannicht für förderliche Kritik, Ansporn und seine Bereitschaft, sich der Mühe des Korreferates zu unterziehen. Verpflichtet fühle ich mich auch den Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums des Philologischen Seminars der Universität Tübingen und all jenen, die mir mit Anregungen und Hinweisen geholfen haben. Stellvertretend seien Prof. Dr. Eberhard Heck und Prof. Dr. Wolf-Lüder Liebennann (Bielefeld) genannt. Prof. Dr. Peter Bing (Atlanta) und Arnd Kerkhecker M.A. (Oxford), die eine frühere Fassung des Manuskriptes gelesen und mich mit freundschaftlichem Rat vor manchem Fehler bewahrt haben. Ihnen sei besonders herzlich auch für Ihre unermüdliche Gesprächsbereitschaft gedankt. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Hypomnemata danke ich den Herausgebern, vor allem Prof. Dr. Albrecht Dihle, dessen aufmerksamer Lektüre des Manuskriptes ich zudem wichtige Einzelhinweise verdanke. Im Zusammenhang mit der Drucklegung der Arbeit möchte ich vor allem Herrn Peter Rempis M.A. für Beratung und Hilfe bei den nicht wenigen zeitraubenden Problemen, die sich aus der computertechnischen Vorbereitung der Druckvorlage ergaben, danken. Mein letzter, aber keineswegs geringster Dank gilt der Studienstiftung des Deutschen Volkes für Förderung und Anregung während meiner Studienzeit. Ohmenhausen, im Sommer 1994

Helmut Krasser

Inhaltsverzeichnis 1.

Einleitung

11

1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.2.1. 1.2.2.2. 1.2.2.3. 1.3.

Zum Thema: Horaz und die Götter. Ein Aspekt lyrischer Selbstdarstellung Zur Forschung Allgemeiner Forschungsüberblick Spezieller Teil des Forschungsüberblicks Die biographisch-religiöse Interpretation Die literarhistorische Interpretation Die ästhetisch-symbolische Interpretation Zur Methode

11 18 18 22 22 24 26 30

2.

Der Dichter im Spiegel des Göttlichen

37

2.1. 2.1.1. 2.1.1.1. 2.1.1.2. 2.1.1.2.1. 2.1.1.2.2. 2.2.

Das Theophiliemotiv Dichterbiographie Das fünfte Jahrhundert Der Hellenismus Hellenistische Dichterbiographie Hellenistische Poesie Inszenierungen der Tüchtigkeit - Das spätrepublikanische Paradigma Legendarisch-mythologische Selbstdarstellung und biographische Maskerade Theophilie Sulla und Pompeius Cicero Resümee Das Theophiliemotiv bei Horaz Virtus Horatiana: Das popularphilosophische Gerüst Die Verwendung legendarisch-biographischer Elemente bei Horaz: Die Oden I 17 und 122 Das Theophiliemotiv - Funktionen einer Denkfigur Die Odendichtung als neue biographische Situation Das Selbstbewußtsein des Lyrikers Autarkie: auch gegenüber Augustus

37 40 41 43 43 48

2.2.1. 2.2.2. 2.2.2.1. 2.2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.3.1. 2.3.3.2. 2.3.3.3.

52 53 59 59 61 66 68 68 71 77 78 81 82

10

Inhalt

3.

Horaz und Bacchus: Eine Gottheit als Denkflgur

92

3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3.

Bacchus als Gott der ersten Odenedition Die Einzelgedichte 1 1,29-34-Die Ouvertüre 118 - Uber modicus II 19 und der Apollon-Hymnus des Kalli-machos. Theophanie und Dichtung III 3,1-16 - politische und poetische Leistungsethik III 25 - Bacchus, Horaz und Augustus Bacchus als Denkfigur und die Reihe der Bacchusgedichte I 1 - III 25

92 100 100 102

3.2.4. 3.2.5. 3.3.

108 127 131 137

3.4.

IV 8 - Bacchus im vierten Odenbuch

142

4.

Zusammenfassung

150

Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

152

Stellenindex

161

1. Einleitung 1.1. Zum Thema: Horaz und die Götter. Ein Aspekt lyrischer Selbstdarstellung Daß die Dichter den Göttern lieb sind und ihnen in besonderer Weise nahestehen, ist eine Erkenntnis, die wir so bereits bei Homer lesen. 1 Die Zuneigung der Götter zu den Dichtern erweist sich allerdings nahezu ausschließlich auf dem Gebiet ihrer ureigensten Profession, nämlich ihrer Fähigkeit zu dichten. Nur dank der Begabung und Unterrichtung durch musische Götter - dies sind exklusiv die Musen und Apollon - vermögen sie wahrheitsgetreu, exakt und detailliert zu erzählen, singen sie süß und bezaubernd, besitzen ihre Werke die an ihnen gerühmten Qualitäten. 2 Das Verhältnis von Dichter und Musen beruht auf dem Geschenk einer bestimmten Fähigkeit, eines genauen Wissens von den Dingen, die Stoff des vorgetragenen Gesanges sind. Die Beziehung zwischen Sänger und Muse unterscheidet sich so gut wie nicht von der eines Zimmermanns zu Athene oder der anderer Demiurgen 3 zu den von ihnen verehrten Gottheiten.4 Die hier in aller Kürze charakterisierten homerischen Verhältnisse behalten in ihren wesentlichen Grundzügen auch im Verlauf der weiteren Tradition ihre Gültigkeit. Von zentraler Bedeutung ist vor allem die eindeutige Festlegung von Geben und Nehmen, die Betonung der initiativen und aktiven Rolle der Gottheit bei der Produktion literarischer Erzeugnisse. 5 Dem entsprechen die literarischen Situationen, in denen musische Götter in Erscheinung treten: der Musenanruf und die Dichterweihe. Im Musenanruf wendet sich der Sänger mit der Bitte an die Gottheit, ihm ihr Augenzeugenwissen zur

Locus classicus:Hom. Od. VIII 481. Für den epischen Sänger siehe: R. KANNICHT, The Ancient Quarrel between Philosophy and Poetry. Aspects of the Greek Conception of Literature. The Fifth Broadhead Memorial Lecture 1986. University of Canterbury, Christchurch 1988, bes. 10-15. 3 Zu Sängern als Demiurgen: F. GSCHNITZER, Griechische Sozialgeschichte, Wiesbaden 1981, 33 f. 1

2

4 5

11-16.

Vgl. NILSSON, GgR I 439 f. (Athene) und 527 f. Siehe A. KAMBYLIS, Die Dichterweihe und ihre Symbolik, Heidelberg 1965, bes.

12

1. Einleitung

Verfügung zu stellen, ihm ein Lied zu schenken, 6 das heißt, ihm bei der Ausübung seiner Kunst zur Seite zu stehen. In der Dichterweihe wird die generelle Begabung mit poetischen Fähigkeiten, die Verleihung dichterischer Kompetenz, sowie häufig die Wahl eines bestimmten poetischen Programms in einem einmaligen Akt der Beschenkung und Auszeichnung durch das Erscheinen musischer Götter dargestellt. 7 Natürlich sind diese typischen Situationen im Fortgang der Geschichte der antiken Literatur gewissen Wandlungen unterworfen. Die Begegnung Hesiods mit den Musen 8 und die Traumversetzung des Kallimachos von Kyrene, wie er sie zu Beginn seiner Aitien schildert, 9 trennen nicht nur vierhundert Jahre voneinander, sondern auch ein verändertes Bewußtsein dessen, was Dichtung sei und leisten könne, sowie eine neue und veränderte Einstellung gegenüber religiösen Phänomenen. Doch trotz aller Metamorphosen des Motivs bleibt die Rolle der musischen Gottheiten stets auf das Gebiet der literarischen Produktion im engsten Sinne beschränkt. Hesiods Musen erscheinen dem Dichter ein einziges Mal und wären, um es einmal mit einer gewissen licentia verborum zu formulieren, nie auf die Idee gekommen, den Dichter aus einer Seenot bei der Überquerung des Euripos zu retten. Anders verhält es sich in der Odendichtung des Horaz. Die Gegenwart des Göttlichen wird allenthalben beschworen. Sieht man von Gebeten und Hymnen ab, deren Bezug zu den Göttern durch die Gattungsnorm vorgegeben ist, sind vor allem folgende Bereiche zu beachten: a) Die Erscheinung und Gegenwart von Gottheiten z.B.: II 19; I 17; ITT 25 b) Die Errettung durch Gottheiten z.B: 122; II 7; II 17; III 4; III 8; III 29 Von der Tradition der Dichterweihe und des Musenanrufs unterscheiden sich die oben genannten Phänomene von Theophanie und Theophilie vor allem dadurch, daß sie nicht beschreiben, wie ein Dichter von den Göttern mit der Gabe des Gesangs beschenkt wird, sondern vielmehr zeigen, daß Götter auf das Werk des Lyrikers Horaz antworten und an seinem Leben fürsorglich teilnehmen. Das Eingreifen der Götter wird nicht unmittelbar mit der Entstehung des literarischen Kunstwerkes in Verbindung gebracht, sondern zur 6 Das Lied oder die Fähigkeit zu dichten als Geschenk der Musen etwa bei Archil. 1,2 (West), Solon 13, 51 (West), Theognis 250 (West). Von diesen Gaben spricht man ebenso, wie man von den Gaben Aphrodites (etwa 11. III 54) oder den Gaben des Dionysos sprechen kann (etwa Theognis 976 West). 7 Zur Geschichte der Dichterweihe: A. KAMBYLIS, Die Dichterweihe und ihre Symbolik, Heidelberg 1965. 8 Hesiod Th. 25ff. 9 Kallimachos .4;7. fr.2 Pf.

1.1. Zum Thema

13

Charakterisierung einer bestimmten Existenzform verwendet. Die Allgegenwart der Götter im Leben des Dichters ist distinktives Merkmal der Odendichtung. Vergleichbares findet sich weder in den Satiren noch in den Epoden noch in den Episteln. So fehlen Verweise auf die existenzbewahrenden Rettungstaten der Götter in den autobiographischen Passagen der Satiren und Episteln völlig. 10 Das Leben im Kreise göttlicher Gestalten wird bereits im Programmgedicht bei der Selbstvorstellung des Odendichters als wesentliches Charakteristikum seiner Existenzform hervorgehoben. 11 Eine ähnliche Kennzeichnung des Lebens eines lyrischen Dichters als eines Lebens in der unmittelbaren Gegenwart des Göttlichen findet sich weder in der poetischen Tradition 12 noch im unmittelbaren literarischen Kontext spätrepublikanischer und augusteischer Gedichtbücher. Weder der Neoteriker Catull, noch die Elegiker benutzen ein vergleichbares Konzept der Selbstdarstellung.13 Theophanie und Theophilie spielen dort keine Rolle. Ungewöhnlich ist nicht nur die Art und Weise, in der göttliche Wesen erscheinen, ungewöhnlich ist auch die Form, in der die Entscheidung für eine literarische Gattung als die Wahl einer Lebensform dargestellt wird. Anders als etwa Catull, dem es in erster Linie um das Bekenntnis zu einem ästhetischen Programm, zur Kleinform des kallimacheischen Stilideals geht und der dies auch in der Terminologie seines Widmungsgedichtes deutlich macht, verläßt Horaz entschieden den Rahmen poetologischer Diskussion und bewegt sich durch die Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen (nicht etwa mit anderen literarischen Schulen) auf leiner völlig anderen kategorialen Ebene, nämlich der der Lebenswahl. 14 Ganz bewußt wird hier der Blick über die poetologische Aussage hinaus auf die Einordnung des Dichters in prinzipielle menschliche und gesellschaftliche Gegebenheiten gerichtet. Lyrischer Dichter zu sein bedeutete für Horaz eben nicht nur, ein literarisches Programm umzusetzen, sondern hieß eine Lebensmöglichkeit zu ergreifen, die von Faktoren ermöglicht und bestimmt wurde, die keineswegs nur poetologisch-literarischer Natur waren.

10

Siehe hierzu F. KLINGNER, RG 334 f. und SCHMIDT, LW (1982), 515-538, der diese Beobachtung zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung macht. ' 1 Siehe hierzu auch die Interpretation von I 1 unten 78-82 u. 100-102 . Am nächsten steht der kallimacheische Apollonhymnus, in dem das Motiv von Theophanie und Theophilie in unmittelbarer Abhängigkeit von großer poetischer Leistung gesehen wird. Vgl. hierzu unten 111-119. 13 Allerdings weist das Konzept der Lebenswahl, wie es die Elegiker Tibull und Properz in ihren Programmgedichten ausformuliert haben, durchaus Parallelen zum horazischen Programmgedicht auf. Siehe unten 79f.. 14 Dabei wird die eigene Lebensform nicht etwa generalisierend als Dichterdasein vorgestellt - als Dichter konnte sich Horaz auch als Autor der Satiren sehen.

14

1. Einleitung

Eine entscheidende Rolle kommt dabei den politischen Verhältnissen und damit der Beziehung des Dichters zu Augustus und der mit ihm verbundenen Neuordnung der gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten zu. 15 In dem völlig andersartigen Verhältnis zur Politik, liegt auch ein, wenn nicht der wesentliche Unterschied zwischen der Generation der Autoren um Vergil und Horaz und ihren literarischen Vorgängern und Wegbereitern, den Neoterikern um Catull. Natürlich hat auch Catull politisch Stellung bezogen, hat etwa Casesar polemisch angegriffen. Dennoch kann man nicht davon sprechen, daß das politische Geschehen seiner Zeit die maßgebliche Voraussetzung für sein poetisches Werk gewesen wäre. Wenn Catull Politisches thematisiert, folgt er weder einem Oktroi, noch bedarf es für ihn einer Rechtfertigung, unpolitische Themen zu ergreifen. Für Vergil und Horaz, für Tibull und Properz ist das politische Geschehen jedoch ein Faktor, der ihr Oeuvre entscheidend prägt. Besonders spürbar wird dies in der Form der recusatio, in der die Autoren über das Verhältnis politischer Thematik und künstlerischer Form reflektieren.16 Zu einfach ist allerdings die Vorstellung, die ganze Problematik ließe sich auf den mit Nachdruck vorgebrachten Wunsch des Augustus nach einem panegyrischen Epos reduzieren. Eher wird man das richtige treffen, wenn man darauf verweist, daß die Bürgerkriegserfahrung, die Erfahrung einer rapiden Veränderung der politischen Verhältnisse, die oft wie im Falle von Vergil, Properz und besonders von Horaz zu einer radikalen Umstürzung der eigenen Lebensverhältnisse führte, so tiefgreifende Spuren in der Persönlichkeit hinterließ, daß die Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen, dem Sinn der Geschichte und der eigenen Stellung im neuen Kontext eine innere Notwendigkeit bedeutete.17 Zieht man außerdem in Betracht, daß sich bei Horaz die verschiedenen von ihm Die Diskussion der viel verhandelten Frage der Beziehung von Horaz zur Politik und zu Augustus hat ganz unterschiedliche Stellungnahmen hervorgebracht. Eine gute Übersicht über die unterschiedlichen Tendenzen mit umfassendem Literaturnachweis bieten G. WILLE, Horaz als politischer Lyriker, in: FS K.J. Merentitis, Athen 1972, 439-481 u. E. DOBLHOFER, Horaz und Augustus, ANRW II 31.3, 1981, 1922-1986; Literatur nach 1978 siehe: G. BINDER, Saeculum Augustum II (=WdF 512), Darmstadt 1988, 452-468 (Auswahlbibliographie) und DOBLHOFER, Forschung (1992), 36-43 u. 149-151. 16 Vgl. hierzu W. WIMMEL, Kallimachos in Rom, Hermes Einzelschriften 16, i960, bes. 162-169. 17 Über Bedingungen und Möglichkeiten der poetischen Existenz angesichts bedrükkcnder historischer Ereignisse reflektiert etwa Vergil bereits in seiner ersten Ekloge, in der Tityrus das beschützende Eingreifen Octavians als die Voraussetzung interpretiert, die sein Dichten ermöglicht. Das hier formulierte Spannungsverhältnis gilt in Variationen auch für die Elegiker Properz und Tibull. Zu Properz sei auf S. DÖPPs vorzügliche Interpretation der Sphragis der properzischen Monobiblos verwiesen: Properzens Elegie I 22, eine unvollständige Sphragis?, FS Egermann, München 1985, 105-117. Zu Tibull siehe F.-H. MUTSCHLER, Die poetische Kunst Tibulls, Studien z. klass. Phil. 18,1985, bes. 145-156.

1.1. Zum Thema

15

gepflegten literarischen Gattungen, deutlich je einer Lebensperiode des Verfassers zuordnen lassen, erscheint die Einbeziehung eines historischbiographischen Interpretationsansatzes durchaus vernünftig. Dies soll jedoch keineswegs einen Rückfall in alte biographische Interpretationskonzepte bedeuten, die Poesie als ungefilterte Wiedergabe tatsächlichen Erlebens betrachten und sie nach dem Grade der vermeintlichen Authentizität und Gefuhlsintensität beurteilen. 18 Es kann und darf dem Interpreten nicht darum zu tun sein, aus den Gedichten eine Art Tagebuch des Autors herauszupräparieren. Dennoch ist es wohl durchaus legitim, Dichtung als das Feld der Auseinandersetzung mit Lebenswirklichkeit, auch mit politischer Wirklichkeit zu sehen und in den Texten selbst die Reflexe biographischer Entwicklungen, persönlicher Stellungnahmen und Auseinandersetzungen zu beobachten. Unter diesen Prämissen ist auch die Selbstdarstellung des Odendichters zu sehen. Die Differenz zur Form der Selbstdarstellung in den anderen von Horaz gepflegten Gattungen hat nicht nur gattungsspezifische und damit literarisch-technische Gründe, sondern verdankt sich der Erfahrung historischen Wandels und dem Versuch des Dichters, die eigene Position im veränderten historischen Kontext je neu zu bestimmen. 19 So vermittelt uns seine lyrische Dichtung zwar nicht das wahre Lebensbild des Dichters im literalen Sinne, vermag aber dennoch höchst präzise darüber Auskunft zu geben, wie der Dichter Horaz von seiner Umwelt wahrgenommen und bewertet werden möchte, welche Ansprüche er erhebt, worin er Leistung und Aufgabe des Dichters im Rahmen spezifischer historischer Gegebenheiten sieht und welcher Freiräume er für die Entfaltung und Verwirklichung seines Lebensentwurfes bedarf. Der wichtigste Faktor ist hier Augustus und sein politisches Wirken. Was das Verhältnis des Dichters zum princeps anbelangt, folge ich der Auffassung der Interpreten, die durchaus mit der Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit der horazischen Äußerungen zur Politik rechnen, ja in der augusteischen Neuordnung die unabdingbare Voraussetzung horazischer Lyrik sehen, 20 ohne jedoch die EigenFRAENKEL und PÖSCHL haben im Bereich der Horazforschung die Defizite dieser Betrachtungsweise klar aufgewiesen. Siehe hierzu unten 18-20 u. 22. Klärend zu den beiden wesentlichen historischen Einschnitten Aktium und der Entwicklung von den ersten Herrschaftsjahren des Augustus hin zu hochaugusteischer Zeit SCHMIDT, Bewußtseinswandel (1985). 20 Die Bewertung als Propagandaautor findet sich etwa bei: R. SYME, The Roman Revolution, Oxford 1939, 461 f. und in neuerer Zeit D. KIENAST, Augustus, Darmstadt 1982, 214-253, bes. 227 f. mit A. 227. In eine ähnliche Richtung tendiert A. LA PENNA, Orazio e l'ideologia del principato, Torino 1963. Gemäßigt L.P. WILKINSON, Horace and his Lyric Poetry, Cambridge 1951 (2.Aufl.), 65, ganz ähnlich P. ZANKER, Augustus (1987), 163 zu IV 5: "Man meint den trockenen Versen des Horaz die Unlust anzumerken, mit der sie gedrechselt wurden."

16

1. Einleitung

ständigkeit und Unabhängigkeit des Dichters zu verkennen. 2 1 Mein eigentliches Interesse innerhalb dieses generellen Rahmens ist es allerdings aufzuweisen, w e l c h e Verfahrensweisen der Dichter benutzt, u m seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit darzustellen und damit zugleich zu postulieren. Augustus wird dabei bis zu einem gewissen Grad zur Kontrastfolie der Selbstdarstellung des Dichters. Immer wieder wird in der Odendichtung die poetische Leistung des Dichters mit politischer Leistung konfrontiert und als gleichwertiges

und

notwendiges Komplement erwiesen. 2 2 D i e Darstellung des Selbstbewußtseins des Dichters hat in einer solchen Wechselbeziehung essentielle B e d e u t u n g und in dieser Wechselbeziehung liegt auch eine wesentliche Funktion des lyrischen Selbstporträts als des v o n den Göttern geschätzten und beschützten Lyrikers. D i e ex-post-Struktur des Wirkens der Götter, v o n Theophanie und Theophilie, die

wir

als

den

entscheidenden

qualitativen

Unterschied

zur

bisherigen

21 So schon R.A. SCHRÖDER, Horaz als politischer Dichter, Europäische Revue 41 (1935), 311-331 (= Wege zu Horaz (WdF 99), hrsg.v. H. OPPERMANN, Dannstadt 1972, 37-61): "Aber was beide Männer (Horaz und Maecenas) auf dieser von zwei so ungleichen Ausgangspunkten her betretenen Ebene des gleichen bürgerlichen Status einte, war das Bewußtsein eines weder zu erwerbenden noch zu veräußernden Eigenwertes, der wohl dienen wollte, aber um des Reiches nicht um der Person willen, und der auch da, wo Dank und Ehrfurcht gegenüber einer unbegreiflichen Herrschernatur beiden das Herz bezwang, sich seine Unabhängigkeit wenigstens insoweit wahren wollte, als er sich nicht unter das Joch amtlich festgelegter Verpflichtung beugte." (39). Treffend auch V. PÖSCHL, Horaz und die Politik, SBHAW 1956, 4 (=Prinzipat und Freiheit (WdF 135), hrsg.v.R. KLEIN, Darmstadt 1969, 136-168 = Kl.Schr. 1 145-177). Dieser Linie folgen im wesentlichen auch G. WILLE u. E. DOBLHOFER. Vorzüglich zur Situation des vierten Odenbuchs C. BECKER, Das Spätwerk des Horaz, Göttingen 1963, 9-13. und 195); M.C.J.PUTNAM, Artifices of eternity. Horace's fourth book of Ödes, Comell Studies in Classical Philology 43, Ithaca-London 1986, 20-23. 22

Siehe hierzu unten 68-70 u. 127-136. Dies hat jedoch nichts mit antiaugusteischen Tendenzen zu tun. Als Beispiel für eine Interpretation, die in diese Richtung geht S. COMMAGER, Horace, Carmina I 37, Phoenix 12 (1958), 47-57. Ebenso problematisch erscheint es mir, in diesem Zusammenhang von "unaugusteischen" Zügen zu sprechen: E. LEFEVRE, Die unaugusteischen Züge der augusteischen Literatur, in: Saeculum Augustum II (WdF 512) hrsg. v. G. BINDER, Darmstadt 1988, 173-196. Unaugusteisch sind für LEFEVRE bei Horaz vor allem die Aussagen, wo in politischen Kontexten scheinbar die private Sphäre dominiert. Horaz wird zum quietistischen Bürger, der nur um die eigene Sicherheit besorgt ist (180). Folgerichtig fällt LEFEVRE auch in das alte Erklärungsmodell zurück, das vierte Odenbuch sei reine Auftragsdichtung. In welcher Weise ein solches Erklärungsmodell zu Fehldeutungen fuhren kann, mag ein Beispiel belegen. Zu Properz I 1,8 bemerkt der Autor folgendes: "Während man sich bemühte, den alten Götterkult zu restaurieren, bekannte Properz den Zwang, die Götter zu Feinden zu haben. "(187). Dies ist ein Mißverständnis des Properztextes, in dem nicht allgemein von Göttern und Götterglauben die Rede ist, sondern eine eng umrissene Aussage über die eigene Situation gemacht wird, indem die Erfolglosigkeit des Dichters bei der Geliebten mit ungünstig gesonnenen Göttern erklärt wird. Ein Zusammenhang mit der augusteischen Restaurationspolitik wird nicht erkennbar.

1.1. Zum Thema

17

literarischen Tradition ausgemacht haben, ist ein wichtiges Medium, durch das der Dichter seine Leistung als große Leistung zu stilisieren vermag. Die Zuneigung und Aufmerksamkeit der Götter wird schließlich nur dem zuteil, der sich dieses Privileg durch die eigene Tüchtigkeit erworben hat. Dies bedeutet, daß die Aussagen des Odendichters über Götter, sofern sie sich den beiden von mir genannten Motivgruppen Theophanie und Theophilie zuordnen lassen, nicht in erster Linie als theologische Aussage über das Wesen der Götter zu verstehen sind, sondern dazu benutzt werden, um im Rahmen eines eigens für die lyrische Dichtung entworfenen Selbstporträts, Aussagen des Dichters über die eigene Person und sein Werk zu transportieren. Theophanie und Theophilie sind für mich somit Teil einer Metaphorik der Selbstdarstellung. Allerdings greifen Begriffe wie Metapher, Symbol oder poetisches Bild zu kurz, da sie letzlich immer auf das einzelne Zeichen und die punktuelle Sinnübertragung zielen. Die Motivgruppen von Theophanie und Theophilie konstituieren jedoch einen höchst vielfältigen facettenreichen Aussagekomplex, der die gesamte erste Odenedition durchzieht. Solche Aussagekomplexe bezeichne ich als Denkfigur. Ich denke dabei nicht an den rhetorischen FigurenbegrifF, sondern ziele auf die Konnotation einer aus mehreren Einzelteilen zusammengefugten und bewußt geformten Gestalt, als eines Vorstellungszusammenhangs, dessen Sinnpotential erst bei Berücksichtigung der Gesamtheit der einzelnen Vorstellungen voll erfaßt werden kann. 23

23

Eine genauere Begriffsklänmg erfolgt unten 35f..

1.2. Zur Forschung 1.2.1. Allgemeiner Forschungsüberblick Der Grund dafür, daß der von mir eben bezeichnete Gegenstandsbereich noch nie zusammenhängend untersucht worden ist, liegt in der Orientierung der Horazforschung der letzten Jahrzehnte. 24 Sie ist bei allen Unterschieden in ihren Erkenntnisinteressen maßgeblich geprägt von den beiden Maximen, die ihr E. FRANKEL ins Stammbuch geschrieben hat: Die horazische Ode ist erstens ein autarkes Kunstwerk, das sich letztlich von der Faktizität des historischen Geschehens emanzipiert,25 und die Interpretation hat sich zweitens auf Analyse

24 Angesichts der Fülle der Horazliteratur können meine Darlegungen natürlich keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Intendiert ist lediglich die Skizze der wesentlichen Forschungstendenzen. Einen guten Liberblick bieten überdies folgende Forschungsberichte: C.L. BABCOCK, Carmina operosa: Critical Approaches to the 'Odes' of Horace, 1945-1975, ANRWII 31.3, 1560-1611 und DOBLHOFER, Forschung (1992). 25 Allen Versuchen, zwischen den Bereichen Dichtung und Leben zu vermitteln, erteilt FRAENKEL in seiner Interpretation der 10. Epode eine scharfe Abfuhr: "There is no hint at the sort of crime which Mevius is supposed to have committed, nor is anything said about the man himself; he remains an entirely shadowy figure. All that we hear of him is that he is olens Mevius. That, if true, is certainly unpleasant, but his complaint is far too common, both in ancient and in the modern world, to justify such a violent outburst. But perhaps we have to assume that Mevius, besides being a general nuisance, had offended Horace in some particular manner and so provoked his hatred? If this suggestion or a similar one be made, it should be rejected without hesitation. Those kind readers who from time to time feel tempted to supplement a Horatian poem by reading into it what in their opinion the poet has failed to say himself are respectfully but firmly asked to shut this book and never to open it again: it could only disappoint and distress them. My interpretations are, without exception, based on the conviction that Horace, throughout his work, shows himself both determined and able to express everything that is relevant to the understanding and the appreciation of a poem, either by saying it in so many words or by implying it through unambigous hints. If he does not tell us anything about the reasons for his hatred of Mevius, I conclude that he does not want us to concern ourselves with those reasons." (FRAENKEL 1957, 26). Deutlich ist hier die Nähe zu Positionen seines Lehrers F. LEO. Vgl. F. LEO, Vergils erste und neunte Ecloge, Hermes 38 (1903), 1-18, zitiert nach Kl.Sehr. II 13: "Form und einzelne Wendungen eines antiken Gedichts sind durch litterarische Einflüsse aller Art mit bestimmt. Aber die allgemeinen Voraussetzungen der poetischen Erfindung, die Erfindung selbst, der innere Zusammenhang eines Gedichts müssen aus ihm selbst hervorgehn. Wer ein Gedicht als Ganzes verstehen will, soll diese Dinge nicht anderwärts suchen. Faustine gewinnt nichts, wenn man ihr Bild mit dem Christianens vermischt; und der poetischen Auffassung der Harzreise' kann es nur schädlich sein, wenn man sie auf die 'wunderlichen Besonderheiten jenes Winterzuges' gründet. Es ist nicht richtig, dass Horazens Säcularlied erst verstanden werden kann, seit wir lesen eodemque modo in Capitolio: man hätte die in der Vereinigung der beiden Cultstätten liegende poetische Einheitlichkeit erkennen sollen, ehe die Inschrift lehrte, dass das Gedicht für den Vortrag sowohl auf dem Palatin als auf dem Capitol bestimmt war. Die historische Notiz ist gut die Einzelheiten zu erläutern; wenn sie fur das Verständniss des Ganzen nöthig ist, so ist es kein Gedicht."

19

1.2. Zur Forschung

und D e u t u n g des Einzelgedichtes zu beschränken. 2 6 D i e s e beiden Postulate sind natürlich eng miteinander verknüpft. D i e Vorstellung, daß die horazische O d e 'self-contained' sei, löst das Gedicht nicht nur v o n der biographisch historischen Situation, sondern verbietet auch den Blick auf Strukturen, die das Einzelgedicht übergreifen, da das einzelne Kunstwerk sein gesamtes Sinnpotential in sich zu tragen hat. D i e Arbeit F R A E N K E L ' s zielte v o r allem darauf, die biographische,

dem

Konzept

von

'Erlebnislyrik'

verpflichtete

Interpreta-

tionsmethode, w i e sie etwa noch der bedeutendste und einflußreichste H o razkommentar der ersten Jahrhunderthälfte v o n K I E S S L I N G und H E I N Z E praktizierte, 2 7 ein für allemal zu erledigen. An die Stelle positivistischer Faktenhuberei und der Jagd nach biographischen Situationen setzte er das literarische Kunstwerk, das es in erster Linie auf seine poetische Technik und seine Stellung im Kontext der literarischen Tradition zu 2f > Letzteres wird geradezu programmatisch aus Aufbau und Konzeption seines Horazbuches kenntlich, das als eine Aneinanderreihung von Einzelinterpretationen angelegt ist. Eine Fortentwicklung dieser Position in Richtung auf die Erläuterung einer biographischen Gesamtsituation stellt die Arbeit von W. W1LI, Horaz und die augusteische Kultur, Basel 1948 und K. J. RECKFORD, Horace, New York 1969 dar. (Lediglich eine Summe einzelner Aspekte bietet: D.R. SHACKLETON BAILEY, Profile of Horace, London 1982.) Allerdings ist in jüngerer Zeit das Interesse für biographisch historische Fragestellungen wieder erwacht. Dies gilt zum einen für Aibeiten, die unter dem Eindruck funktionsgeschichtlicher Studien entstanden, und am situativen Bezug der einzelnen horazischen Ode oder Odendichtung insgesamt interessiert sind. Ein gutes Beispiel bietet E. LEFEVRE, "Musis amicus" Über Poesie und Realität in der Horaz-Ode 1,26, A&A 29 (1983), 26-35, da er mit seiner Interpretation auf die ästhetisch-immanente Interpretation, die W. KILLY (Der Widerstand der Texte. Über Horaz carm. 1,26 und Goethe "Der Bräutigam", A&A 22 (1976), 1-20) von I 26 gegeben hatte, antwortet. So problematisch KILLYs Negation der Wichtigkeit historischer Bezüge für die eigentliche Interpretation auch ist, so muß doch festgestellt werden, daß LEFEVREs Versuch, das Gedicht ganz aus einer historischen Situation zu erklären, dem Gedicht nicht gerecht wird. Sein Ergebnis, man müsse unter Rücksicht auf Lamia, den Adressaten des Gedichtes, der möglicherweise an den Verhandlungen mit Tiridates teilnahm, in musis amicus nicht den Verweis Horazens auf seine prinzipielle Sicherheit im Schutz der Musen sehen, sondern die Aussage, daß Horaz nach Beruhigung der politischen Verhältnisse durch die Verhandlungen mit Tiridates, sich wieder sorglos der Dichtung zuwenden könne, stellt die Aussage des Gedichtes nachgerade auf den Kopf. Vor allem vernachlässigt er dabei die Tatsache, daß das hier von Horaz formulierte Konzept konstitutiver Bestandteil der Odendichtung und der Vorstellung von der Autarkie des Dichters ist (siehe unten 82-91). Ebenfalls als Teil dieser neo-historistischen Tendenz sind die kulturgeschichtlich orientierten Aibeiten von J. GRIFFIN, Latin poets and Roman life, Chapel Hill 1986 (vereinzelte Bemerkungen zu Horaz) und O. MURRAY, Symposium and genre in the poetry of Horace, JRS 75 (1985), 39-50 zu sehen, die vor allem die Mentalität der Oberschicht in ihre Betrachtungen einbeziehen. Daneben ist auch das Interesse für biographische Entwicklungen, etwa das Verhältnis der ersten Odenedition zum vierten Odenbuch wieder etwas in den Vordergrund gerückt. So etwa SCHMIDT, Bewußtseinswandel (1985).

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1. Einleitung

untersuchen gelte. 2 8 Gemessen an der eigenen Intention, Horazens Lyrik als eigenständiges literarisches Phänomen zu fassen, steht das Verhältnis von Horaz zu den griechischen Dichtern allerdings oft über Gebühr im Mittelpunkt. 29 Aber es war gerade dieser Aspekt seiner Arbeit, der sich vor allem im angelsächsischen Raum forschungsgeschichtlich als überaus wirksam erwies. Es soll nicht geleugnet werden, daß die Einbeziehung der literarischen Tradition einen entscheidenden Faktor fur die Interpretation horazischer Lyrik darstellt, doch besteht die Gefahr, daß bei der Überbetonung dieses Faktors der Aufweis literarischer Vorbilder bis zu einem gewissen Grad zum Ersatz für die Deutung der jeweiligen Ode wird. Dies gilt in extremer Weise für das Kommentarwerk von NISBET und HUBBARD, die bereits in ihrer Einleitung die Orientierung des Dichters an seinem literarischen Stammbaum als das zentrale Charakteristikum antiker Literatur ausmachen. 30 Dabei geraten ihnen die horazischen Oden - und darin gehen sie weit über FRAENKEL hinaus - nur allzu häufig zu einer Art poetischer Stilübungen, deren einziger Zweck die Imitation literarischer Vorbilder ist. 31 Aus der deutschen Forschung wird man am ehesten die Horazinterpretationen von SYNDIKUS der literarhistorischen Deutungsrichtung zurechnen können. 32 28 Dabei sieht er die Entwicklung der Poesie hin zur reinen Literatur in einem historischen Prozeß, der auch die Kategorien von Entstehung und Wahrnehmung von Literatur beeinflußt: "So it happened that poems once written for a special occasion and intimately linked up with its particular background and circumstances became subject to a process of emancipation. It was almost inevitable that finally a stage should follow at which poems of every genre, elegies, iambics, and all sort of lyrics, were no longer produced for a special occasion and addressed to a limited audience, but were from the outset composed to find their place in a roll of papyrus, where any reader, of the present or some future generation, in any region of the Hellenic or the hellenized world, if he cared for such poems, might pick them up. When the book had become the normal means for the transmission of poems, the emancipation of poetry from the conditions of the life of a definite society was complete." FRAENKEL (1957) 41. Gerade in dieser Vorstellung der Emanzipation von Literatur, der historischen Entwicklung hin zur poésie pure liegt eine entscheidende Schwäche des FRAENKELschen Ansatzes, weil sie in unzulässiger Weise die Literaturbetrachtung auf binnenliterarische Phänomene beschränkt und außer acht läßt, daß Literatur in wie vermittelter Form auch immer in ein Bezugssystem zwischen Autor, Leser und historischer Umwelt gehört. Generell hierzu M.H. ABRAMS, The mirror and the lamp: Romantic theory and the critical tradition, New York /Oxford 1953, 6-8 unter der Überschrift: "Some co-ordinates of Art and Criticism". 29 Bedeutend stärker ausgeprägt ist diese Position etwa bei PASQUALI, OL (1920). So formulieren sie offenbar ganz auf FRAENKEL's Spuren: "The unit of discussion must remain the individual ode...." und wenig später "One of the most striking characteristics of a classical poet is his awareness of his literary pedigree." NISBET / HUBBARD I p.XI. 31 Besonders deutlich etwa in der Einleitung zu 110 NISBET / HUBBARD I 125-128. 32 Allerdings ist es gerade bei Syndikus und seinen eher assoziativen Interpretationen ausgesprochen schwer, eine durchgängig verfolgte Methode auszumachen, doch nimmt der Rekurs auf die literarische Tradition einen sehr prominenten Platz in seinem methodischen

1.2. Zur Forschung

21

Das Gedicht nicht nur als Ergebnis literarischer Einflüsse einerseits oder einer persönlichen Begebenheit andererseits zu sehen, sondern als ein Kunstwerk, dessen innerer Bewegung es nachzuspüren gilt, dessen vielfältige Bezüge und formale Strukturen beachtet werden müssen, ist das zentrale Anliegen einer vor allem im deutschsprachigen Raum vertretenen Deutungsrichtung. Sie teilt in ihrer Frontstellung gegen eine vordergründig biographische Interpretation und ihrem auf das Einzelgedicht gerichtetem Erkenntnisinteresse durchaus wesentliche Grundpositionen FRAENKELs, konzentriert sich allerdings entschiedener auf das poetische Geschehen und die Gedankenfiihrung innerhalb der jeweiligen Ode. 33 Dieses Verstehensmodell bezeichne ich als ästhetische Interpretation in Anlehnung an die Bezeichnung 'ästhetische Kommentare für einige Horazkommentare des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts. Als Beispiele seien die Werke von DACIER, 34 JANI 35 und MITSCHERLICH 36 genannt. Diese Kommentatoren, zumal die beiden letztgenannten, hatten es sich vordringlich zur Aufgabe gesetzt, den nexus der Vorstellungen in einem horazischen Gedicht, die künstlerische Sinngestalt zu erhellen, das poetische Werk als Wortund Gedankenkunstwerk zu verstehen. 37 Dieses Anliegen verlor im Laufe des 19. Jahrhunderts gegenüber einer vornehmlich historisch-sachlichen Kommentierung und Interpretation völlig an Bedeutung und wurde erst im zwanzigsten Jahrhundert unter dem Einfluß der symbolistischen und konzeptistischen

Inventar ein: "Die Oden des Horaz sind in diesem Buch nicht isoliert für sich, sondern stets vor dem Hintergrund der antiken Lyrik und überhaupt der antiken Dichtung betrachtet." (SYNDIKUS I p.IX). Geradezu programmatisch verfolgt diese Linie G. WILLIAMS, Tradition and originality, Oxford 1968, der dabei jedoch ausgewogen und differenziert verfährt. Spezifisch gattungsorientiert auch die Arbeiten von F. CAIRNS, der etwa in I 34 lediglich die Konkretisation des Genres 'Palinodie' sieht (The genre palinode and three Horatian examples: Epodes 17; Odes 1,16; Odes, 1,34, AC 47 [1978] 546-552), wobei letztlich die Qualität von Dichtung nach Maßgabe der Erfüllung der Nonnen solcher Subgattungen bestimmt wird. Dies auch der prinzipielle Mangel seines Hauptwerkes: Generic composition in Greek and Roman poetry, Edinburgh 1972. Siehe auch F. CAIRNS, Horace Odes 3,22. Genre and sources, Philologus 126 (1982), 227-246. 33 Zu einem weiteren wichtigen Unterschied zu FRAENKEL, dem besonderen Verständnis des Dichterberufes, siehe unten 26-29. 34 Les ceuvres d'Horace traduites en Francois, avec des notes par M. DACIER, 10 vol., Paris 1641. 35 Quinti Horath Flacci Opera (2 Bd.) recensuit (...) et perpetua adnotatione illustravit C.D. JANI, Leipzig 1778/1782. JANI steht dabei ganz unter dem Eindruck Lessings, dem er wohl die entscheidende Prägung verdankt, wie er auch in der Praefatio zu seinem Kommentar betont. 36 Quinti Horatii Flacci Opera (2 Bd.) illustravit G. MITSCHERLICH, Leipzig 1800. 37 Zu diesem Komplex siehe E.A. SCHMIDT, Das Interesse am horazischen Einzelgedicht, Wolfenbüttler Forschungen 12 (1981), 19-70.

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1. Einleitung

Dichtung wieder aufgegriffen und ernst genommen. 38 In erster Linie ist hier auf die Interpretationen F. KLINGNERS und die Arbeiten von V. PÖSCHL zu verweisen. Stärker als FRAENKEL, der sich letztlich oft von Fragestellungen nach dem Muster Tradition und Originalität lenken läßt, 39 sind diese Interpreten der "inneren Bewegung" 40 und der formalen Perfektion des Gedichtes interessiert. 41 In eine ganz ähnliche Richtung zielt auch PÖSCHL mit seinem Plädoyer für die Wiederentdeckung des horazischen Kunstwerks, wenn er die feinsinnige Interpretation des sprachlichen Kunstwerks gegen die Banalität des Faktischen setzt, 42 ohne jedoch Horazens Verhältnis zur zeitgenössischen Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren. Vereinfacht lassen sich also drei Interpretationsrichtungen ausmachen, die biographische, die literarhistorische und die ästhetische. Sie überschneiden sich allerdings sowohl in den Fragestellungen als auch in ihren Methoden und liegen praktisch nie in reiner Form vor, so daß man eher von Tendenzen oder Strömungen sprechen kann. 1.2.2. Spezieller Teil des Forschungsüberblicks Besonders ausgeprägt erscheinen diese Grundtendenzen in den Untersuchungen, die sich mit dem Verhältnis des Horaz zu den Göttern beschäftigen und damit meiner Arbeit thematisch am nächsten stehen. 1.2.2.1. Die biographisch-religiöse Interpretation Bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein wurde unter dem Einfluß der biographisch-historischen Interpretationsrichtung das Erscheinen der Götter bei Horaz 38 Dieser Traditionsstrang wird besonders deutlich bei V. PÖSCHL, der explizit auf entsprechende Arbeiten aus dem Bereich der Neueren Literaturwissenschaft verweist. (HL 10 f.) Der gleichen Wurzel entspringt auch der "New Criticism", dem Interpreten wie COMMAGER oder COLLINGE verpflichtet sind. 39 Treffend hierzu PÖSCHL, HL (1991), 12 f. 40 KLINGNER, Horaz, Studien 332. 41 So KLINGNER, RG 395: "Kunstwerke haben nach allem Werben, das in noch so vielen Jahrhunderten daran gewendet ist, immer noch jedem neuen Betrachter Neues zu schenken; So erleben wir es, daß an den augusteischen Dichtwerken neue Seiten sichtbar werden. Ist in diesem Zusammenhang von der horazischen Lyrik die Rede, so denkt man wohl zuerst an die bedeutende geschichtliche und menschliche Wirklichkeit, die darin Gestalt geworden ist. Schwerer zu erkennen, aber um so tiefer beglückend für den, der sie findet, ist die Gestalt selbst: der Gang, den das Gedicht nimmt, alle die Schritte, die es macht, alle Bezüge und Verhältnisse, die dabei obwalten, und schließlich das Ganze, das sich in alledem verwirklicht." 42 PÖSCHL, HL (1991), Einleitung, bes. 14-16.

1.2. Zur Forschung

23

vor allem unter dem Aspekt behandelt, ob Horaz an die Existenz von Göttern geglaubt habe oder nicht. Zuletzt wurde dieses Problem von R. HANSLIK und W. HARTKE untersucht, die beide mit einem unmittelbar religiösen Empfinden des Dichters rechnen.43 HANSLIK denkt dabei an einen aufgeklärten Götterglauben stoischer Couleur, der wesentlich Folge der Ereignisse von Actium ist, und bei dem die einzelne Göttergestalt keine besondere Bedeutung besitzt. Auch für HARTKE steht die religiöse Entwicklung des Dichters in einem engen Verhältnis zur Religionspolitik des Augustus. Er erklärt das intervallum lyricum als religiöse Krise des Dichters im Zusammenhang mit politischen Schwierigkeiten der Jahre 23-17, die erst mit der Konsolidierung der politischen Verhältnisse ihr Ende finden. Quellen des horazischen Götterglaubens seien religiöse Erfahrungen seiner Jugend, philosophische Religiosität akademischer Prägung und volkstümliche Elemente.44 Über die prinzipiellen Schwächen der biographisch-historischen Methode hinaus,45 leidet die Arbeit HARTKEs unter einer vordergründig psychologisierenden Methode und einer ungenauen und inkonsistenten Argumentation, die bald mit volkstümlichem Köhlerglauben, bald mit allegorisierender Benutzung von Göttergestalten rechnet. 46 Daß es Horaz ernst mit dem Götterglauben war, ist auch die Überzeugung R.HEINZEs, der ebenfalls mit einem Wandel der religiösen Anschauungen des Odendichters in Zusammenhang mit den politischen Ereignissen rechnet: Da ist also in der Zwischenzeit ein Wandel seiner Gesinnung eingetreten, und wir besitzen das Gedicht, in dem er selbst diesen Wandel bekennt: Parcus deorum cultor et infrequens (I 34); früher ein Anhänger der insaniens sapientia, d.h. des Epi-kureismus, sei er durch einen Donnerschlag aus heiterem Himmel dazu gezwungen worden, die Torheit seines bisherigen Glaubens zu bekennen, Juppiter nicht als den in dem Intermundium unbekümmert um die Welt lebenden, sondern als den die 43 R. HANSLIK, Die Religiosität des Horaz, Das Altertum 1 (1955), 230-239; W. HARTKE, Der Weg des Horaz zu den Göttern, in: Das Institut für gr.-röm. Altertumskunde. Protokoll der Eröffnungstagung vom 23.-26. Oktober 1955, Dt.Akad. d. Wiss. zu Berlin, Schriften d. Sektion für Altertumswiss. 8, Berlin 1957, 3143. 44 Ganz ähnlich J.F. D'ALTON, Horace and his age, New York 1962, 112-114, der vor allem bei aller Aufgeklärtheit des Dichters an eine auf seine Jugendzeit zurückgehende enge Beziehung zu ländlichen Gottheiten denkt und ebenfalls mit einer religiösen Konversion unter dem Einfluß der augusteischen Neuordnung rechnet (95). 45 Siehe auch OKSALA (1973), 23 mit A.2 46 So offenbar 40: "So wie Augustus die ihm geltende Verehrung von sich ab auf andere Gottesvorstellungen überleitete, so treten bei Horaz stellvertretend für Maecenas ein Merkur, Faunus und die Musen."

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1. Einleitung Welt beherrschenden Gott anzuerkennen. Das ist gewiß nicht, wie Kießling meinte, ein "lyrisches Stimmungsbild ohne jede Tendenz", sondern ein wirkliches Bekenntnis, offen eine "Bekehrung" aussprechend und gewiß in eben die Zeit wie das sis te minorem quod geris, imperas zu setzen, das uns der Dichter als Ausdruck seiner eigensten, persönlichen Überzeugung glaublich machen w i l l . ^

Mit dem Zurücktreten des biographischen Interesses, traten in Analogie zu den allgemeinen Tendenzen der Horazforschung andere Erklärungsmodelle in den Vordergrund. 1.2.2.2. D i e l i t e r a r h i s t o r i s c h e I n t e r p r e t a t i o n Besonders im angelsächsischen Raum wurde die Frage nach den horazischen Göttergestalten entschieden anders beantwortet. Ein gutes Beispiel ist hier die Position WILKINSON'S: How serious we take this ode (I 34) is a subjective matter; but the Epistles, written a few years later certainly do not give the impression that he has had anything like a 'conversion to Stoicism"; we find him there quite undetermined, inclined to admire Aristippus the arch-hedonist as much as anyone, and not noticeably interested in religion. Lucretius himself had moments of doubt, as he tells us, simply through contemplating the order of the heavenly bodies, and he speaks of "some hidden power' which seems to trample on mankind in cruel sport; but it is a great mistake to deduce from this admission any serious wavering in his opinion in the validity of Epicurean science. As for the forms of religion, the name of the Gods, both singly and collectively, were indeed often on Horace's lips. To some extent this is due to the fact that already at Alexandria Hymns and Prayers had become secular literary forms. Odes like I 10, a hymn to Mercury based on Alcaeus, or III 22, a dedication of a pine-tree to Diana in imitation of Hellenistic epigram, tell us nothing about his own beliefs. The Olympian gods had long been poetical figures, valued for their legends or their symbolic meaning, evoking in sophisticated people much the same feelings as they evoke in us.48

In dieser Stellungnahme wird bereits deutlich, daß speziell der Aspekt der literarischen Tradition und der Gedanke der poetischen Bildersprache als M o t i v 4 7 Diese Aussage HEINZEs, die einen deutlichen Rückschritt gegenüber Kießling bedeutet, findet sich in R. HEINZE, Der Zyklus der Römeroden, in: Vom Geist des Römertums, Ausgew. Aufsätze hrsg.v. R. BURCK, Darmstadt 196(P , 196. Ganz ähnlich W. WILI, Horaz und die augusteische Kultur, Basel 1948, 120-124. 48 L.P. WILKINSON, Horace and His Lyric Poetry, 1945, 27f.

1.2. Zur Forschung

25

für die Verwendung von Gottheiten in den Vordergrund rückt. Eine ganz ähnliche Position nimmt in diesem Zusammenhang E. FRAENKEL ein. 4 9 Völlig konsequent auf dieser Linie liegt auch die m.W. letzte monographische Behandlung des Themas Religion und Mythologie bei Horaz von T. OKSALA, dessen Arbeit den programmatischen Untertitel 'Eine literarhistorische Untersuchung' trägt. Das Auftreten von Göttern in der horazischen Lyrik begründet OKSALA mit dem Verweis auf die Gattungskonvention, die Wirkung der literarischen Tradition und auf eine Art schwärmerischen Klassizismus des rezipierenden Dichters: Unser Dichter schrieb am Ende einer langen Tradition; um Oden zu schreiben, musste er sich in die Welt der archaischen Dichtung - des Alkaios und Pindar - einleben, in der die Götter und die Hymnik eine sichtbare Stelle einnahmen. Es ist völlig natürlich, dass unser Dichter sich genau so an den griechischen Göttern begeisterte wie der Mensch der Renaissance an den Skulpturen der Antike, und sich anregen liess, echt wirkende Hymnen über sie zu s i n g e n . - ' O

Die Funktionen der Göttergestalten und mythologischen Elemente sind bei OKSALA, der hierin von FRAENKEL geprägt ist, streng auf das Einzelgedicht beschränkt 51 und diesem in dem Sinne untergeordnet, daß sie eine höhere Komplexität in Darstellung und Aussage gewährleisten sollen. 52 Die Funktionen erschöpfen sich letztlich in den Grenzen poetischer Bildersprache bis herab zur einfachen Metonymie. So dienen nach OKSALA die Göttergestalten zur Illustration von Aussagen über Dichtung (Merkur, Apollo, Bacchus, Venus), Politik (Jupiter, Fortuna, Apollo), Individualethik (Jupiter, Fortuna), Liebe und Wein (Venus, Bacchus), sollen die Landschaft beleben oder die inspirierende Kraft der Frühlingsgefühle ausdrücken (Faun, Satyrn, Nymphen). 5 3 Eine Sonderstellung nimmt die Arbeit von A. OLTRAMARE 5 4 ein, der die religiösen Vorstellungen des an sich areligiösen Odendichters aus seiner Vergilnachfolge herleitet, was allerdings dazu führt, daß die entsprechenden 49

Siehe FRAENKEL (1957), 141. OKSALA (1973), 23. Ganz ähnlich SYNDIKUS, I 5f„ der die Arbeit OKSALAs auch prinzipiell zustimmend rezensiert hat (Gnomon 47 (1975), 757-761). Vgl. auch NISB E T / HUBBARD zu II 19. 51 OKSALA (1973), 7: "Horaz repräsentiert Dichtungsgattungen, deren eigentlicher Stoff (oder Thema) nicht der Mythos ist, wie z.B. bei der Epik und Tragödie, sondern in denen das mythologische Material der Ganzheit des Gedichtes untergeordnet ist und darin anderen Zwecken als sich selbst dienen soll." 52 OKSALA (1973), 14. 53 OKSALA (1973), 198-201. 54 A. OLTRAMARE, Horace et la religion de Virgile, REL 13 (1935), 296-310. 50

26

1. Einleitung

Oden durch eine gewisse Kälte gekennzeichnet seien. 55 Wie bei OKSALA so sind auch für ihn die Götter lediglich Bestandteil poetischen Sprachgebrauchs. Allerdings erhält die Analyse OLTRAMAREs durch die Rückbindung an die Entwicklung Vergils und die Ereignisse von Actium eine historische Tiefenschärfe, die die Arbeit OKSALAS vermissen läßt. 1.2.2.3. Die ästhetisch-symbolische Interpretation Während die literarhistorische Interpretationsrichtung die horazischen Götter in erster Linie durch gattungsbedingte Normen und im besten Fall durch eine Art sentimentalen Enthusiasmus für die Schönheit griechischer Kunst und damit eigentlich durch äußere Gegebenheiten begründet sieht, spielt bei Vertretern der ästhetisch-symbolischen Interpretation der Gedanke einer in der Person und in dem Beruf des Dichters liegenden besonderen Beziehung zum göttlichen Bereich eine zentrale Rolle. Im Unterschied zu Vertretern der zuerst besprochenen Interpretationsrichtung, die Horaz unter dem Aspekt des gläubigen Menschen betrachten, geht es hier um den Künstler Horaz und die Frage, inwiefern das Musische religiöse Qualität besitzt. Hier ist vor allem die Vorstellung von der Erhabenheit des Dichterberufs, insonderheit des lyrischen Dichters, die sich darauf gründet, daß der Dichter im Medium der Dichtkunst einer höheren Seinsebene gegenübertritt und die Erfahrung einer Begegnung mit dem Göttlichen und Absoluten macht. Der Dichter sucht den "Zugang zum höheren Dasein", sein Tun "ist ein heiliges Tun." 56 Diese Auffassung, die die Ernsthaftigkeit des horazischen Bekenntnis zu den Göttern nicht in stumpfem Götterglauben, sondern in der poetisch vermittelten Begegnung mit einer höheren Wahrheit sieht, ist ein wesentlich auf den deutschsprachigen Bereich beschränktes Phänomen, das vor allem in den Arbeiten von KLINGNER, FUHRMANN, OPPERMANN und PÖSCHL zu fassen ist. Dies ist auch nur allzu verständlich, da wir hier ganz offenkundig die Nachwirkungen von Genieästhetik und idealistischer Philosophie Schellingscher Prägung zu fassen bekommen. Dort nimmt der Dichter und das dichterische Kunstwerk hinsichtlich der Wahrheitserkenntnis eine Sonderstellung ein. Für Schelling ist das

55

"il y manque la spontanéité et la tendresse humaine; si elles sont néanmoins admirablement belles, c'est parce que la forme religieuse n'y est point un leurre, mais qu'elle vise clairement à être seulement la langue poétique où s'exprime soit une idée morale ou politique, soit un sentiment d'amour pour la campagne sabine." (A. OLTRAMARE, Horace et la religion de Virgile, REL 13 (1935)], 305). 56 F. KLINGNER, Würde der Dichtkunst, Studien 535-544, dort 536 u. 540.

1.2. Zur Forschung

27

Kunstwerk überhaupt das ausschließliche Medium der Erkenntnis des Absoluten.57 Eines der ersten Beispiele für diese Sicht in der Horazforschung bietet F. K L I N G N E R S erstmals 1936 erschienene Aufsatz 'Horaz' aus dem hier etwas ausfuhrlicher zitiert werden soll: Auch neue Gegenstände sind in seine Dichtung eingegangen: die Götter und das eigene Dichtertum. Horaz bekennt in einer früheren Ode, er sei vorher parcus deorum cultor et infrequens, einer, der nur spärlich und selten die Götter verehrt gewesen. Und wirklich spricht der Horaz der Satiren und Epoden kaum je von Göttern; worauf er sich verläßt und was er anerkennt, scheint nur der eigene Wert und die eigene Kraft, der Wert der Freunde und der Sinn fiir das Richtige zu sein. Der Horaz der Oden dagegen weiß sich selbst und den Lauf der der Welt göttlichen Mächten anheimgegeben. Man darf das nicht zu sehr biographisch deuten, denn jede Dichtart setzt von vornherein den Dichter mit bestimmten Bereichen der Wirklichkeit in Beziehung. Aber daß Horaz diese Dichtart gewählt hat, in der neue Beziehungen vorgezeichnet waren, das hängt allerdings mit den Verwandlungen seines Daseins zusammen. Das Göttliche scheint den Dichter nicht so sehr an Dingen der Welt oder im Kultus begegnet zu sein. (...) Das Göttliche ist ihm vielleicht am meisten im Wunder, in der Weisheit des eigenen Dichtertums erschienen, in der Fügung seines Lebens, in der weisen Ordnung überhaupt.5®*

Wenngleich hier offenkundig auch gattungsgeschichtliche Überlegungen eine Rolle spielen, so ist doch unverkennbar das entscheidende Charakteristikum der K L I N G N E R s c h e n Erklärung der Götterwelt der Oden der V e r w e i s auf die Möglichkeit der B e g e g n u n g mit einer nicht näher bestimmbaren göttlichen Kraft, mit etwas Transzendentem oder Transsubjektivem, 5 9 das im M e d i u m der P o e s i e erfahren werden kann. A m entschiedensten hat diese Auffassung H. O P P E R M A N N vertreten, 6 0 der unter dem Eindruck, daß die Erwähnungen v o n Gottheiten bei Horaz nicht bloßes literarisches Spiel sein können, den Versuch unternimmt, konventionelle Metaphern von "echtem religiösen Gefühl" zu scheiden. D i e s e s Gefühl beruhe 57 Vorzüglich unterrichtet über diesen Komplex J. SCHMIDT, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945, 2 Bde. Darmstadt 1985. Zu Schelling I 390-403. 58 F. KLINGNER, RG 334f. 59 Mit diesen Begriffen operiert auch K. ECKERT, Der Wandel des Augustusbildes bei Horaz, AU 4,2 (1959), 69-94, der sie auf die Beschreibung der Beziehung des Dichters zu Augustus überträgt und sie damit vom metaphysischen Bereich löst. 60 H. OPPERMANN, Das Göttliche im Spiegel der Dichtung des Horaz, AU 9 (1956), 54-67 (= Wege zu Horaz. WdF 99, Darmstadt 1972, 166-182).

28

1. Einleitung

auf der Begegnung des Dichters mit dem "Absoluten", einer abstrakt gefassten Manifestation des Göttlichen. Damit wird ein göttliches Gegenüber, sei es nun personal oder abstrakt gedacht, zur condicio sine qua non für die Ernsthaftigkeit der poetischen Aussage gemacht.61 In diese Forschungsrichtung gehört auch die Freiburger Dissertation von M.FUHRMANN.62 FUHRMANN rechnet zwar prinzipiell mit der Möglichkeit der Übernahme traditioneller Muster als bloßer literarischer Spielerei und forciert den Gedanken der Begegnung mit dem Numinosen weniger stark als etwa OPPERMANN, doch hebt auch er darauf ab, daß der Dichter durch seinen Beruf in besonderer Weise dem Bereich des Göttlichen nahesteht. Der Dichter ist für ihn wie der Herrscher im horazischen Werk eine heilige Person und er stellt fest, daß gerade dann mit persönlicher Aussage und ernsten Empfindungen zu rechnen sei, wenn von Göttern die Rede ist, die der Dichter mit seinem Dasein verbindet.63 Weiterhin ist bei dieser Deutungsrichtung zu beobachten, daß der Begriff des vates stark hervorgehoben und inhaltlich aufgeladen wird. Dies gilt in besonderem Maße für die Arbeiten von V. PÖSCHL, der einerseits auf das Verständnis der einzelnen horazischen Ode als Kunstwerk aus ist, andererseits mit einem ontologisch aufgeladenen poetischem SymbolbegrifF operiert, der sich darauf gründet, daß das Musische, dessen Mittler der vates ist, göttliche seinsverändernde und seinssetzende Qualität besitzt.64 Die horazische Poesie besitzt deshalb auch die Möglichkeit, das Gegenständlich-Konkrete griechischer Lyrik ins Symbolisch-Bedeutsame zu transponieren. Die poetische Aussage wird bedeutungsträchtiges Symbol, wird Stellvertreterin einer umfassenderen Wahrheit.65 Innerhalb dieses Konzepts sind die Göttergestalten - zumal die olympischen - symbolische Repräsentanten einer höheren Ordnung, eines fundamental ethischen Prinzips. Insgesamt ergibt sich aus den Interpretationen PÖSCHLs ein recht ambivalentes Bild, denn so sehr er auch darum bemüht ist, das Erscheinen der Gottheiten bei Horaz vom Musischen und von der Person

61

Siehe hierzu auch unten 37 mit A. 1. M. FUHRMANN, Untersuchungen zur Religiosität des Horaz, Diss. Freiburg 1953. 63 FUHRMANN (1953), 116-118. Die Götter stehen dabei symbolisch für Erfahrungen, die den Dichter beeinflußt, beeindruckt und inspiriert haben. So spiegelt sich im horazischen Bacchus für FUHRMANN das ekstatische Naturempfinden und Naturerleben des Dichters als Quelle seiner dichterischen Inspiration (135). 64 Besonders deutlich PÖSCHL, Horaz (1956), 114f. 65 PÖSCHL, Horaz (1956), 100.

1.2. Zur Forschung

29

des Dichters her zu denken, 66 so bleibt er dennoch letztlich den Kategorien einer abstrakten Gottesvorstellung OPPERMANNscher Couleur verhaftet. 67 Eine Modifikation stellt K. BÜCHNERs Aufsatz, "Das Musische bei Horaz" dar, 68 der in den Musen die Verkörperung des Liedes sieht, wobei das so gefaßte Lied symbolisch für eine besondere Gestimmtheit des Dichters steht und letztlich Widerspiegelung des eigenen Wesens darstellt. Die Form, in der die Musen schützend ins Leben des Dichters eingreifen, ist für BÜCHNER das Abbild der persönlichen Erfahrung des Dichters nach Jahren des Zerfallenseins mit seiner Umgebung wieder in Einklang mit der Welt zu leben. BÜCHNER sieht dabei in den Musen des Horaz nicht die Inspirationsgottheiten der literarischen Tradition, sondern betrachtet sie als die Gestaltung horazischer Wesensaspekte. 69 Gerade im Verweis auf die Differenz zur binnenliterarischen Tradition und in der Rationalisierung der Position KLINGNERs 70 liegt das Verdienst der BÜCHNERschen Arbeit. Allerdings bleibt der Begriff der Seinsverfaßtheit des Dichters undeutlich und ist lediglich in einem nicht näher definierbaren Humanitäts- und Vernunftideal begründet. Am entschiedensten fortentwickelt und umgestaltet wurde der ästhetisch-symbolische Ansatz von E.A. SCHMIDT, der das horazische Götterverständnis im Zusammenhang mit den von Horaz geschilderten Rettungen aus Lebensgefahr interpretiert und in einen biographisch - historischen Referenzrahmen einbindet.71

66 So z.B. PÖSCHL, II 19 (1973), 230: "In den Oden an Merkur und an Dionysos ist so ein gleiches Verständnis des Göttlichen wirksam, das stets auf das Individuum des Dichters zurückweist und fast als eine Extrapolation erscheint." 67 So interpretiert PÖSCHL den Apoll der Musenode (III 4) und Dionysos (II 19) als Zeichen einer vergeistigten Gottesvorstellung. Die Götter siegen durch ihre geistige Gewalt, deren Symbol sie zugleich sind. (PÖSCHL, Horaz [1956]l,14f.; PÖSCHL, II 19 [1973], 219f.) Deshalb bleibt für PÖSCHL das Lied auf einen Gott jenseits der Bezugnahme auf den Dichter selbst ein religiöses Phänomen, als Reaktion auf die Erfahrung einer schön gedachten Gottheit. 68 K. BÜCHNER, Das Musische bei Horaz, Studien zur römischen Literatur X (1979), 110-130. 69 Besonders deutlich BÜCHNER, Das Musische bei Horaz, Studien zur römischen Literatur X, 130: "Daß Horaz aber die Musen als etwas ihm selbst Innewohnendes, eine bestimmte Seinsverfaßtheit erfahrt, könnte man als eine Humanisierung der griechischen Göttinnen durch den humansten der römischen Dichter bezeichnen." 70 Siehe oben 27f.. 71 Die nähere Besprechung erfolgt unten 76f..

1.3. Zur Methode Um die Differenz der hier vorgetragenen These, die horazischen Götter und die Formen ihres Erscheinens seien Denkfiguren und Bestandteil einer Metaphorik der Selbstdarstellung, zu den von mir skizzierten Forschungspositionen zu diesem Problem präziser fassen zu können, möchte ich zunächst eine Disposition meiner Arbeit und ihrer wesentlichen Argumentationslinien geben. Bei einer Untersuchung, die wie oben angedeutet darauf zielt, Strategien des Autors zur Konstruktion komplexer Bedeutungszusammenhänge zu verfolgen, ist es unabdingbar, nicht nur die bloße Möglichkeit ihrer Verwendung, sondern auch ihre Verwendbarkeit, das heißt prinzipielle Verstehbarkeit innerhalb des zeitgenössischen Wahrnehmungshorizontes aufzuweisen, mit anderen Worten: haben der Autor und sein Publikum bereits Erfahrungen mit solchen oder ähnlichen Bedeutungskonstruktionen gemacht? Übertragen auf den Gegenstand meiner Untersuchung heißt das: es gilt zu fragen, ob es Motivparallelen zu den horazischen Götterszenen und Parallelen für die semantische Funktionalisierung des Materials gibt. Weiter ist abzuklären, aus welchen Bereichen diese Parallelen stammen und ob man bei Dichter und Publikum einen hinlänglichen Bekanntheitsgrad solcher Vorstellungen voraussetzen darf. Denn nur, wenn ein elementarer Verstehenskonsens gewährleistet ist, können sie in sinnvoller Weise zum Instrument literarischer Kommunikation werden. Von zwei recht unterschiedlichen Seiten will ich mich einer Rekonstruktion des zeitgenössischen Erfahrungshorizontes und seiner Verstehensmöglichkeiten annähern. In einem ersten Schritt soll die literarisch-philosophische Tradition des Theophiliemotivs, der Erzählungen von der freundschaftlich fürsorglichen Hinwendung einzelner Götter zu besonders ausgezeichneten Menschen, insbesondere natürlich Dichtern, vorgestellt werden. Was den Bereich der Dichtung anlangt, wird sich zeigen, daß nicht so sehr die Poesie selbst und damit das dichterische Selbstzeugnis, als vielmehr die teilweise in recht frühe Zeit zurückreichende biographische Literatur die Tradition entscheidend geprägt hat. Der umfangreichste Abschnitt ist der wichtigsten Phase dieser Entwicklung, dem Hellenismus, gewidmet. Dort erlebt nicht nur die biographische Forschung und Spekulation eine Blüte, sondern hier wird das Motiv vor allem bei Kallimachos, etwa im Sepulcrum Simonidis und dem Apollon-Hymnus, auch poetisch produktiv. Das Material bietet nicht nur Motivparallelen, sondern ermöglicht einen Einblick in die Entstehungsbedingungen und damit in Ansätzen auch in die Aussagefunktion des Motivs. Der zweite Ansatz greift über die literarische Motivgeschichte hinaus auf den Bereich der privaten und öffentlich-politischen Selbstdarstellung der spät-

1.3. Zur Methode

31

republikanischen Führungsschicht. In diesem Kontext spielt die Vorstellung von Götterfreundschaft, persönlichen Schutzgottheiten und Auszeichnung durch die Götter eine ausgesprochen prominente Rolle. Hier findet sich in Ansätzen die gleiche ex-post-Struktur göttlichen Handelns, die bei Horaz den entscheidenden Unterschied zur Tradition der poetischen Inspiration bezeichnet. Entsprechende Vorstellungen werden nicht nur in Rede und panegyrischem Epos propagiert, sondern finden auch Eingang in die Bild- und Ausstattungsprogramme öffentlicher Bauten, kurz sie waren gängiger Bestandteil des allgemeinen Bewußtseins, so daß man wohl mit Fug und Recht von einer Denkgewohnheit sprechen kann. Auf dem Weg der Untersuchung dieser Denkgewohnheit läßt sich in einem klar konturierten historischen Umfeld, das sich mit der horazischen Lebens- und SchafFensperiode unmittelbar berührt, ein Funktionsmodell für die kommunikativen Aspekte des Theophiliemotivs und damit ein methodisches Paradigma für die Betrachtung dieses Motivs im lyrischen Oeuvre des Dichters gewinnen. Der Rekurs auf diesen Bereich des zeitgenössischen Erfahrungspotentials gibt nicht nur strukturale Parameter für zeitgenössische Verstehens- und Rezeptionsmöglichkeiten, sondern eröffnet auch einen neuen Zugang zu einem zentralen horazischen Thema: der selbstbewußten Präsentation der eigenen Leistung. Zentrale Funktion der spätrepublikanischen Inszenierungen ist nämlich, wie noch zu zeigen sein wird, die propagandistische Zurschaustellung persönlicher virtus, die im mythologisch-kultischen Bildprogramm dem Betrachter vermittelt werden soll. Eine kurze Darstellung der horazischen Konzeption von virtus als nicht zuletzt poetischer Leistungsfähigkeit beschließt deshalb das einleitende Kapitel. Von dieser Basis aus erfolgt dann eine Besprechung der wichtigsten horazischen Textstellen, in denen das Motiv der Götterfreundschaft eine Rolle spielt. Hier wird sich zeigen, daß Horaz auf Motive zurückgreift, die bislang vor allem Bestandteil biographischer Literatur waren, um sie als Bausteine seiner lyrischen Autobiographie zu verwenden. Dabei handelt es sich nicht nur darum, das Motiv auf seine Quellen zurückzuführen, sondern darzutun, in welcher Weise der Dichter dieses Motiv und seinen traditionellen Sinngehalt instrumentalisiert und in einen neuen Sinnzusammenhang rückt. Vorrangiges Ziel ist es deshalb, die semantisch-kommunikative Funktion des Motivs innerhalb des jeweiligen Kontexts und seine Bedeutung als Denkfigur für das lyrische Oeuvre insgesamt zu bestimmen. Der letzte Hauptteil meiner Arbeit konzentriert sich vor dem Hintergrund der generell in der Odendichtung propagierten Lebensform des Dichters, als eines Lebens in Gegenwart der Götter, auf die Untersuchung einer einzelnen Götter-

32

1. Einleitung

gestalt, der des Bacchus, der dem Odendichter m.E. als wichtigste Gottheit gilt und auf das engste mit seinem Selbstverständnis als Lyriker und damit seiner Selbstdarstellung verbunden ist. Dies gilt nicht zuletzt auch in politischer Hinsicht, in der die Wahl des Bacchus als selbstbewußte Geste des Dichters gegenüber Augustus und dem von ihm propagierten Apollon-Kult zu verstehen ist. Die Besprechung der relevanten Einzelgedichte wird ergeben, daß das Bild, das Horaz von der Gottheit entwirft, zugleich eine Art Selbstporträt darstellt, und daß der Dichter, analog zu den Verfahrensweisen spätrepublikanischer Selbstdarstellung, bestimmte Aspekte der Gottheit dazu verwendet, Aussagen über sich und seine Dichtung zu transportieren. Bacchus werden dabei bestimmte für Horazens Selbstverständnis wichtige Qualitäten zugeordnet, die nur teilweise durch die mythographische Tradition gedeckt sind. So ist Bacchus für Horaz nicht nur der Gott der poetischen Begeisterung, die das Wesen der Gottheit im Gedicht spürbar werden läßt, sondern auch der Gott des rechten Maßes, der Gott der persönlichen virtus und damit auch der Autarkie des Dichters. Jeder dieser Aspekte der Gottheit wird in einzelnen Oden vorgestellt, sodaß die Bacchusoden meiner Meinung nach ein Ensemble bilden, das sich aus einzelnen Vorstellungen und Bildern zusammensetzt. Bacchus wird zu einer Denkfigur, die die Grenzen des Einzelgedichtes überschreitet: im Verlauf der Lektüre werden eine Reihe von Vorstellungen mit der Gottheit verbunden, die sich zu einem kohärenten Aussagekomplex akkumulieren, der es schließlich ermöglicht, durch den Verweis auf Bacchus im achten Gedicht des vierten Odenbuches - dieser Text bildet den Abschluß meiner Arbeit - in Abbreviatur das poetische Selbstverständnisses der ersten Odenedition zu zitieren. Die wesentlichen methodischen Divergenzen zu bisherigen Forschungspositionen liegen also zum einen in der Einbeziehung nicht-literarischen Parallelmaterials und zum anderen darin, daß ich mit gedichtübergreifenden Motivzusammenhängen, Denkfiguren rechne, die eine Aussageebene jenseits des einzelnen Gedichtes konstituieren. Worin liegen die Konsequenzen dieser beiden Verfahrensweisen? Der Rekurs auf außerliterarische Phänomene bedeutet den Versuch einer historischen Verortung der Texte jenseits der allgemeinen Einordnung in die Gegebenheiten der augusteischen Zeit, 72 indem er sich nicht in erster Linie auf den Aufweis ihrer Okkasionalität d.h. ihrer unmittelbaren Abhängigkeit von

72

Siehe oben 14f..

1.3. Zur Methode

33

konkreten Ereignissen 73 bezieht, sondern auf die Rekonstruktion von zeitgenössichen kommunkativen Denkgewohnheiten und Verstehensvoraussetzungen zielt, auf deren Folie es möglich wird, die Funktion einiger poetischer Motive bei Horaz qualitativ neu zu bestimmen. Drei prinzipielle Möglichkeiten, sich dem Verständnis des horazischen Götterapparates anzunähern sind in meinem Forschungsüberblick kenntlich geworden: 1. Horaz glaubt im litteralen Sinn an die Götter als Wesenheiten, die sein Dasein bestimmen. 2. Der Götterapparat ist in erster Linie Ausdruck der Gattungskonvention und notwendiger Bestandteil der literarischen Welt 3. Horaz benutzt die traditionellen Vorstellungen vom Wesen der Götter, um eine andere transzendente Erfahrung, nämlich die des eigenen Künstlertums, das in dieser Interpretationsrichtung ganz idealistisch bewertet wird, zu symbolisieren. Gestützt auf meine Beobachtungen zur Geschichte des Theophiliemotivs und zu den Denkgewohnheiten der späten Republik möchte ich für eine vierte Möglichkeit plädieren, die überdies den Vorteil besitzt, daß sie sich als Verstehensmöglichkeit in Horazens Lebenszeit belegen läßt: die Götter, d.h. die Verweise auf ihr Erscheinen und ihren Beistand sind in erster Linie Bedeutungsträger, mit deren Hilfe sich in mehr oder minder differenzierter Weise persönliche Anliegen, politische Programme oder einfach das Image einer bestimmten Person vermitteln lassen. Jenseits aller ontologischen Spekulation lassen sich die entsprechenden Phänomene dann als Bestandteil eines In jüngster Zeit bemüht man sich in einzelnen Arbeiten zu Recht verstärkt darum, das historisch-okkasionelle setting römischer Poesie in die Interpretation einzubeziehen. Als Beispiele wären die lohnenden Arbeiten von J. GRIFFIN, T.P. WISEMAN (siehe Literaturverzeichnis), sowie im deutschsprachigen Bereich der programmatische Aufsatz von R. RIEKS, Prosopographie und Lyrikinterpretation. Die Gedichte Catulls auf M.Caelius Rufus, Poetica 18 (1986), 249-273. Ein ähnlicher Versuch auch die Interpretation der Horazode I 26 von E.LEFEVRE ("Musis amicus" Über Poesie und Realität in der Horazode I 26, A&A 29 [1983], 26-35). Bei aller Berechtigung historisch-biographischer Fragestellungen laufen diese Arbeiten aber in einigen Fällen Gefahr, die Interpretation lediglich auf den Nachweis eines spezifischen Realitätsbezugs zu beschränken oder die Texte unter dem Eindruck eines solchen Bezugs um eine wesentliche Sinndimension verkürzen. So reduziert etwa T.P. WISEMAN Catulls c.5 auf das Schema des römischen Abakus (Catullus and his world. A reappraisal, Cambridge 1985, 104). Problematisch ist auch das Ergebnis der genannten Arbeit E. LEFEVREs, der die Sicherheit des Horaz in I 26 lediglich als Ausdruck einer glücklich überstandenen Parthergefahr, die der Adressat des Gedichts abgewendet habe, verstehen will.

34

1. Einleitung

Aussagesystems fassen, das der Selbstdarstellung einer konkreten Person dient. 74 Aufgabe der Interpretation ist es dann, das semantische Potential des einzelnen Motivs innerhalb dieses Systems zu bestimmen. Konkret heißt dies: welche Informationen über sein Selbstverständnis als Dichter und als Zeitgenosse der augusteischen Restaurationspolitik transportiert Horaz im Medium der lyrischen Autobiographie und welche Funktion haben dabei das Theophiliemotiv und die enge Beziehung des Odendichters zu Bacchus? Eng verknüpft mit dieser Fragestellung ist die zweite grundlegende methodische Divergenz zur traditionellen Horazforschung. Das hier vorgeschlagene Konzept der semantischen Instrumentalisierung einzelner Motive fuhrt nämlich dazu, eine Sinnstruktur zu postulieren, die über die Ebene des Einzelgedichtes hinausgreift, da die Aussagedimension des Motivs erst in der Zusammenschau mehrerer Texte oder Textpassagen erfaßt werden kann. Dieser Gedanke ist im Prinzip nicht neu, doch gründet sich die Beschreibung solcher Sinnstrukturen bis jetzt vor allem auf formale Kategorien. Hier denke ich in erster Linie an Beobachtungen, die man zu antiken Gedichtbüchern zumal denen der augusteischen Epoche gemacht hat. Dabei wurden eine ganze Reihe von Kompositionsprinzipien entdeckt. So hat man innerhalb von Büchern die Existenz von Gedichtzyklen und metrischen Korresponsionen beobachtet und auch für ganze Bücher sowohl ornamentale als auch narrative und diskursive Gesamtstrukturen nachgewiesen. 75 74

In dieser etwas nüchternen, durch zeitgenössische Denkgewohnheiten gedeckten Betrachtungsweise, sehe ich auch den wichtigsten Unterschied zu den Arbeiten der symbolischen Interpretationsrichtung. In der Überzeugung, daß der horazische Götterapparat nicht einfach aus der literarischen Tradition heraus oder als Bestandteil gängiger poetischer Bildersprache zu verstehen ist und daß man das Erscheinen der Götter in der Odendichtung in erster Linie mit dem Selbstverständnis des Dichters in Verbindung zu bringen hat, stehe ich durchaus der ästhetisch symbolischen Interpretationsrichtung und ihren Bemühungen, spezifisch an Horaz orientierte Verstehenskonzepte zu entwickeln, nahe, und es waren besonders Arbeiten dieser Schule, die mich zu produktiver Auseinandersetzung angeregt haben. Ich denke hier in erster Linie an die Arbeiten von V. PÖSCHL, E.A. SCHMIDT und C. NEUMEI-STER (zu NEUMEISTER, siehe unten 99). Allerdings teile ich keineswegs die dort fast allgemein vertretene Auffassung, in den horazischen Göttergestalten spiegle sich, in welch vermittelter Form auch immer, wesentlich die Begegnung des Dichters mit einem transsubjektiven höheren Seinsbereich. Auf diesem Gedanken beruht sowohl die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Konzeption des vates, als auch der Symbolbegriff V. PÖSCHLs, für den im Symbol nicht nur eine beziehungsreiche Übertragung vorgenommen, sondern zugleich gerade durch das Medium des Symbolischen eine höhere Wahrheit ausgesprochen wird. 75

Zu Horaz siehe: F.-H. MUTSCHLER, Beobachtungen zur Gedichtanordnung in der ersten Odensammlung des Horaz, RhM 117 (1974), 109-133 mit bibliographischem Anhang. Neueren Datums sind: M.S. SANTIROCCO, The order of Horace's "Odes", Books II and III, Columbia University 1979, UMI Ann Aibor 1981. SANTIROCCO verweist in seinem

1.3. Zur Methode

35

Für den Lyriker Horaz möchte ich nun wie bereits angedeutet eine weitere Kategorie für gedichtübergreifende Sinnstrukturen einführen: die Denkfigur. Ich meine dabei nicht den rhetorischen FigurenbegrifF, als eine Formalisierung der Gedankenfuhrung.76 Vielmehr betrachte ich als Denkfigur ein Motiv, das nicht mechanisch stets mit derselben Konnotation verbunden wird oder lediglich einen Grundgedanken illustriert,77 sondern für ein ganzes Ensemble von Vorstellungen steht. Als Denkfiguren eignen sich deshalb nur Motive, die in sich komplex sind oder zumindest eine größere Zahl von Konnotationen zulassen. Diese Bedingung erfüllt etwa die von Horaz verwendete Gestalt des Bacchus uneingeschränkt, weil sie bereits durch die mythologischen Tradition ein breites Spektrum an Assoziationen mitbringt und damit vielseitig verwendbar ist. Das Motiv - in unserem Fall die Theophilie oder die Gestalt des Bacchus bietet zahlreiche Facetten, die erst im Verlauf der Lektüre mehrerer Einzeltexte sichtbar werden, so daß ein Prozeß entsteht, in dessen Verlauf sukzessive Bedeutung akkumuliert wird. In der Konstruktion einer komplexen Sinnstruktur liegt auch der Unterschied zu traditionellen Motivbetrachtungen, die auf die Rekurrenz eines Motivs mit einer bestimmten unveränderlichen Bedeutung abheben, während im Rahmen einer Denkfigur das Motiv vor allem die Aufgabe erfüllt, nach Art eines verweisenden Etiketts eine ganze Reihe von Bedeutungen einem gemeinsamen Zusammenhang zuzuordnen und auf diese Weise ein variabel gestaltbares semantisches System zu generieren. 78 Ausblick auf künftige Aufgaben auch auf die Möglichkeit von Beziehungszusammenhängen, die über formale Kriterien hinausgehen 253-255. Dabei nennt er auch die von mir herangezogene Arbeit von E.T. SILK, Bacchus and the Horatian Recusatio, YC1S 21 (1969) 193-212. In diese Richtung geht auch seine Untersuchung der Maecenasoden, die er ebenfalls in einem narrativen Zusammenhang sieht. Er beobachtet dabei eine Bewegung, die von enger Anlehnung in I 1 bis hin zur Betonung der eigenen Selbstständigkeit reicht: M.S. SANTIROCCO, The Maecenas Odes, TAPA 114 (1984), 241-253. Problematisch bleibt hier allerdings die Stellung von I 1, das ja eine für die erste Odenedition insgesamt gültige Aussage zum Verhältnis Horaz-Maecenas macht. H. EISENBERGER, Bilden die Horazischen Oden 2,1-12 einen Zyklus? Gymnasium 87 (1980), 283-274; A. KERKHECKER, Zur Komposition des vierten Horazischen Odenbuches, A&A 34 (1988), 124-143. 7 " Als Übertragung des rhetorischen Figurenbegriffs verwendet WILLIAMS den analogen Begriff figure of thought (G. WILLIAMS, Figures of Thought in Roman Poetry, New Häven and London 1980). WILLIAMS verwendet im Unterschied zu mir den Begriff allerdings ausschließlich zur Beschreibung der Gedankenbewegung von Einzelgedichten. 77 Eine solche Konstante wäre fiir Horaz etwa das Konzept der Maßethik. 78 Auch im Rahmen antiker Lesegewohnheiten kann man durchaus damit rechnen, daß Texte in wiederholter Lektüre intensiv analysiert werden und Sinnelemente und argumentative Verknüpfungen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen, herausgearbeitet werden. Quintilian beschreibt dies sehr eindrücklich am Beispiel der genauen Untersuchung und Lektüre von Gerichtsreden (inst.or. X, 1,20-21): Ac diu non nisi oplimus quisque et qui credentem sibi minime fallat legendus est, sed diligenter ac paene ad

36

1. Einleitung

Dieses Verfahren, das notwendigerweise den Referenzraum des Einzelgedichtes verläßt, zielt allerdings keineswegs darauf, das Einzelgedicht in seinem Gehalt als prinzipiell defizitär zu erweisen und als Bezugsrahmen der Interpretation aufzulösen, sondern möchte lediglich mit der Etablierung zweiten Aussageebene, die komplementär neben die Sinnkonstruktion

einer des

Einzelgedichtes tritt, eine zusätzliche Dimension der interpretatorischen Annäherung gewinnen. Das Bemühen um das Verständnis eines jeden Gedichts als einer vollständigen Sinneinheit ist unabdingbare Voraussetzung für alle weiteren Überlegungen, da ein gedichtüberschreitender Aussagekomplex allererst durch die Verwendung von Zeichen entsteht, deren Bedeutung im Kontext der Interpretation des Einzelgedichtes konstituiert wird. 7 9

scribendi sollicitudinem nec per partes modo scrutandi omnia, sed perlectus liber utique ex integro resumendus, praecipueque oratio, cuius virtutes frequenter ex industria occultantur. saepe enim praeparat, dissimulât, insidiatur orator, eaque in prima parte actionis dicit, quae sunt in summa profutura. itaque suo loco minus placent, adhuc nobis quare dicta sint ignorantibus, ideoque erunt cognitis omnibus repetenda. Der Begriff der Denkfigur, wie er sich aus einer solchen Definition ergibt, weist konzeptuell eine Ähnlichkeit zur Kategorie des Bild- und Ausstattungsprogramms auf, den die Archäologen und Kunsthistoriker zur Beschreibung architektonischer Komplexe und ihrer Ausstattung mit Skulpturen und Gemälden verwenden, wenn sich über die räumliche Zusammengehörigkeit hinaus auch eine inhaltliche Beziehung der einzelnen Teile feststellen läßt. Dieses Phänomen ist insofern vergleichbar, als auch hier eine Interaktion zwischen Aussage des Einzelstücks und der Aussage des Ensembles besteht. Die einzelne Statue, das einzelne Bild und das einzelne architektonische Element erfahrt dabei eine semantische Aufladung und verweist im Kontext eines programmatischen Gesamtkonzeptes als Zeichen über sich hinaus auf eine weitere Aussageebene. In Rom gewinnen solche Bildprogramme sei es im Rahmen eines einzelnen Monumentes, sei es in einem Komplex von Einzelmonumenten seit sullanischer Zeit ein intellektuell anspruchsvolles Niveau, das auch differenzierte Aussagen ermöglicht.

2. Der Dichter im Spiegel des Göttlichen1 2.1. Das Theophiliemotiv Nachdem bereits im ersten Hauptteil dargelegt wurde, daß die Vorstellung der Homilie mit den Göttern und der Gedanke der Theophilie die horazische Verwendung von Göttergestalten wesentlich von der Topik der literarischen Tradition unterscheidet, soll nun ausgehend von dieser Beobachtung versucht werden, die Ursachen und Funktionen der bezeichneten Differenz durch die Untersuchung des Theophiliemotivs näher zu bestimmen. Dazu ist es unabdingbar, auch die Vorgeschichte des Motivs in die Betrachtung einzubeziehen, weil erst bei Berücksichtigung der Tradition sichtbar wird, welche Vorstellungen damit verbunden waren und weshalb für Horaz die Einbeziehung des Theophiliemotivs in sein Konzept der poetischen Selbstdarstellung lohnend erscheinen konnte. Ausgangspunkt meiner Betrachtung sollen einige Äußerungen darstellen, in denen der Dichter zum Verhältnis von Dichter und Gottheit programmatisch Stellung bezieht: In I 26 bezeichnet sich Horaz als musís amicus und begründet damit seine Sicherheit in allen äußeren Fährlichkeiten des Daseins. In I 17 schildert er sein Sabinum als einen Raum, der bösen Einflüssen und dem Unmaß entzogen ist, der seinen Charakter wesentlich der durch die Person des Dichters bedingten Gegenwart des Göttlichen verdankt. In der zentralen Strophe bringt Horaz die Voraussetzungen für die Sicherheit seines Daseins zur Sprache: di me tuentur, dispietas mea / et musa cordi est. Wir können also sehen, wie sich in dieser von Horaz hier ausgesprochenen Konzeption Dichterexistenz, Bewahrung durch Götter, Verwandlung des eigenen Daseins und Götternähe begegnen, so daß es einladend erscheint, diese Aussagen als Ausgangspunkt für eine Erklärung des Phänomens zu wählen. Die in I 17 und I 26 von Horaz verwen-

1

Diese Kapitelüberschrift ist die programmatische Umkehrung des Titels eines Aufsatzes von H. OPPERMANN, Das Göttliche im Spiegel der Dichtung des Horaz, AU 9 (1956), 54-67. Sie besagt, daß der Interpret aus dem 'Göttlichen' in der horazischen Dichtung ein Bild des Dichters gewinnt und nicht in der Dichtung ein Bild eines (schon vorgängig und anderweitig bekannten) Göttlichen. Die Dichtung als spiegelndes Medium spiegelt den Dichter, nicht das Göttliche.

38

2. Das Theophiliemotiv

deten Formulierungen kann man als U m s c h r e i b u n g e n und Ü b e r s e t z u n g e n d e s B e g r i f f s 0eocpiXf|Ç verstehen. U m s o erstaunlicher ist es, daß das einschlägige B e g r i f f s f e l d 9eo.e'uxf|oavxi XDXETV xacpfjc; napeaxEv.5

D i e s e n t s p r i c h t nun g a n z d e m v o n m i r b e i H o r a z b e o b a c h t e t e n E l e m e n t T e i l n a h m e d e r G ö t t e r an s e i n e m L e b e n , d i e als R e a k t i o n a u f d i e

der

besondere

L e i s t u n g d e s L y r i k e r s H o r a z z u v e r s t e h e n i s t . 6 D i e bei P l u t a r c h m a ß g e b l i c h v o n philosophischen Traditionen g e p r ä g t e Vorstellung einer ( p i X i a zwischen

Göt-

tern und solchen M e n s c h e n hat F. D I R L M E I E R v o r allem u n t e r geistes- und philosophiegeschichtlichen DIRLMEIER

Aspekten

untersucht.7

Wenig

Beachtung

dagegen der F o r m der erzählerischen Ausgestaltung des

p h i l i e m o t i v s . A u c h h i e r f ü r ist d e r o b e n z i t i e r t e P l u t a r c h t e x t

ein

schenkt Theo-

vorzüglicher

B e l e g . D i e v o n P l u t a r c h h e r a n g e z o g e n e n B e i s p i e l e illustrieren a l l e s a m t d i e e n g e Verknüpfung von Theophiliegedanken und Wundererzählung im Kraftfeld der b i o g r a p h i s c h e n A n e k d o t e . G e r a d e d i e E n t w i c k l u n g e n d e s T h e o p h i l i e m o t i v s in d i e s e m B e r e i c h sind v o n a u ß e r o r d e n t l i c h e m I n t e r e s s e f ü r d i e E n t s t e h u n g

des

horazischen Konzepts.

5 Dieser Text ist vor allem deshalb interessant, weil er von der Vorstellung ausgeht, Theophilie bedeute die Zuwendung einer Gottheit zu Menschen die von herausragender Tüchtigkeit sind oder sich durch sonstige Eigenschaften hervortun. In der von mir ausgelassenen Passage handelt Plutarch von Menschen, die durchihre körperliche Schönheit die Aufmerksamkeit der Gottheit erregten. 6 Siehe oben 12-17. 7 F. D I R L M E I E R , 0 E O U I A I A - « D I A O 0 E I A , Philologus 9 0 ( 1 9 3 5 ) , 5 7 - 7 7 u. 176-193 (=Ausgew. Schriften zu Dichtung und Philosophie der Griechen, Heidelberg 1970, 8 5 - 1 0 9 ) . D I R L M E I E R verfolgt das Theophiliemoüv über die Eudemische Ethik des Aristoteles bis zu Piaton, der seinerseits vor allem auf poetische Traditionen zurückgreift, deren wichtigste für D I R L M E I E R die kleinasiatisch-ionische Entwicklungslinie (Xenophanes, Simonides und Herodot) ist, in der in besonderer Weise die ethisch-moralisch gedachte äpexf| an Bedeutung gewinnt, während im mutterländischen Bereich arete wesentlich mit dem Adelsideal verknüpft bleibt.

40

2. Das Theophiliemotiv

2.1.1. D i c h t e r b i o g r a p h i e I m f o l g e n d e n sollen n u n in k n a p p e n Z ü g e n Geschichte, Quellen u n d F u n k t i o n d e r l e g e n d a r i s c h - m i r a k u l ö s e n E l e m e n t e in diesem B e r e i c h b e l e u c h t e t w e r d e n . 8 Einige m e t h o d i s c h e A n m e r k u n g e n seien an dieser Stelle v o r a u s g e s c h i c k t . D e r f o l g e n d e Ü b e r b l i c k erhebt keinerlei A n s p r u c h auf Vollständigkeit, beschränkt

sich

mit

wenigen

Ausnahmen

ganz

bewußt

auf

sondern

die

Dich-

t e r b i o g r a p h i e u n d in diesem B e r e i c h a u f m i r a k u l ö s e E l e m e n t e , die im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Verhältnis v o n D i c h t e r zu G o t t h e i t stehen. A n d e r e Z e u g nisse, w i e N a c h r i c h t e n ü b e r T o d e s u m s t ä n d e , skurrile A n g e w o h n h e i t e n

etc.,

bleiben a u s g e s p a r t . H i n z u z u f ü g e n ist, d a ß die a n g e f ü h r t e n A n e k d o t e n meist n u r spät belegt sind, aber in d e r R e g e l mit g u t e n G r ü n d e n auf hellenistische Zeit z u r ü c k g e f ü h r t w e r d e n k ö n n e n . 9 Ü b e r den H e l l e n i s m u s hinaus w e i t e r z u r ü c k zu gelangen, ist n u r in Einzelfällen möglich, w e n n a u c h f ü r m a n c h e A n e k d o t e n mit g u t e n G r ü n d e n eine E n t s t e h u n g im 5. o d e r g a r 6 . J a h r h u n d e r t v e r m u t e t w e r d e n darf.

° Hierbei stütze ich mich auf folgende mir wichtig erscheinenden Forschungen zur griechischen Biographie, die sich allerdings teilweise beträchtlich von meinem Erkenntnisinteresse unterscheiden. Will man die Arbeiten zu diesem Gebiet klassifizieren, so lassen sich bei einiger Simplifizierung zwei Forschungstendenzen beobachten: 1. Das Interesse an Gattungs- und gattungsgeschichtlichen Problemen. Hier sind folgende Arbeiten zu nennen: F. LEO, Die griechisch-römische Biographie nach ihrer literarischen Form, Leipzig 1901 (erster bedeutender Versuch die literarische Gattung 'Biographie' zu konstituieren); A. DIHLE, Studien zur griechischen Biographie, Abh. Göttingen 1956; DERS., Die Entstehung der historischen Biographie, SBHAW 1986, 3, Heidelberg 1987 (mit kurzem aber informativem Forschungsbericht); A. MOMIGLIANO, The Development of Greek Biography, Cambridge, Mass. 1971; DERS., Second Thoughts on Greek Biography, Amsterdam/London 1971; A. LAMEDICA, II P.0xy.l800 e le forme della biografia greca, SIFC, Ser.3,3 (1985), 55-75. Mit Ausnahme des letztgenannten Aufsatzes stehen bei diesen Arbeiten systematische Fragestellungen, Fragen nach Entstehung und Form der Gattung im Vordergrund. 2.Arbeiten, die sich mit der historischen Bewertung des anekdotischen Materials beschäftigen. So: M. LEFKOWITZ, The Lives of the Greek Poets, Baltimore 1981; J. FAIRWEATHER, Fiction in the biographies of Ancient Writers, AncSoc 5 (1974), 234-255; DIES., Traditional Narrative, Inference and Truth in the Lives of the Greek Poets, Papers of the Liverpool Latin Seminar, Fourth Volume 1983 = ARCA 11. 315-369. Beide Autoren sind wesentlich daran interessiert, die überlieferten Dichterbiographien als nahezu vollständig fiktiv zu erweisen. LEFKOWITZ konzentriert sich dabei auf den Nachweis, daß die meisten Elemente dieser Biographien auf allzu gewagte Interpretation der poetischen Texte zurückzuführen seien, während FAIRWEATHER zumal in der zuletzt genannten Arbeit auf außerliterarische Einflüsse wie Märchenmotive, Wanderanekdote und traditional tales im weitesten Sinne verweist. 9

Siehe hierzu unten 43f..

2.1 Geschichte des Theophiliemotivs

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2.1.1.1. Das fünfte Jahrhundert Einen ersten Anhaltspunkt bietet uns Herodot. An mehreren Stellen berichtet er davon, daß Menschen von einer Gottheit bewahrt oder zumindest nach ihrem Tode geehrt worden seien. So setzt wohl die Erwähnung Äsops im zweiten Buch 10 voraus, daß eine Erzählung umlief, in der berichtet wurde, Apollon selbst habe den Delphern für die ungerechtfertigte Ermordung des Fabeldichters eine Geldbuße auferlegt. Herodot weiß auch von der ersten wundersamen Errettung eines Dichters, nämlich der des Arion, durch die Delphine zu berichten. 11 Das interessanteste Zeugnis ist jedoch die Geschichte von der Errettung des Kroisos vom Scheiterhaufen durch die Hand Apolls. 12 Dort begründet Herodot die Erhörung des Bittgebetes des Kroisos mit dem Verweis auf die stets geübte fromme Sinneshaltung und bemerkt: 13 OTjxm Sri ¡ i a ö ö v r a xöv KiSpov ehe, e'iri ö KpoTaot; K a i ÖeocpiXriq Kai ävf|p ayaQöq,...

Dieser Befund für Herodot ist kein Zufall, denn gerade im fünften Jahrhundert scheint sich ein starkes Interesse am Leben und Werk berühmter Männer zu entwickeln. 14 So darf man mit gutem Recht annehmen, daß in dieser Zeit das Certamen Hesiodi et Homeri,15 ein Volksbuch über die Sieben Weisen 16 und wesentliche Teile der Archilochoslegende17 entstanden sind. Von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für die Legendenbildung dürfte die Gestalt Homers gewesen sein. Zum einen war er durch die Tätigkeit der Rhapsoden stets im Bewußtsein aller gegenwärtig und besaß daher eine faszinierende Aktualität, zum anderen wußte man so gut wie nichts über seine näheren Lebensumstände. Dies mußte zwangsläufig zu den verschiedensten Spekulationen über die Einzelheiten seiner Biographie Anlaß geben. 18 Auf die rhapsodische Konkurrenz ist auch die Entstehung des Certamen mit der in ihm 10

Herodot II 134. Herodot I 23-24. 12 Herodot I 86-87. 13 Herodot 187,2 14 Hierzu vorzüglich A. MOMIGLIANO, Development, 23-42. So zuletzt mit guten Gründen K. HELDMANN, Die Niederlage Homers im Dichterwettstreit mit Hesiod, Hypomnemata 75 (1982), 84 f. 16 Siehe B. SNELL, Zur Geschichte vom Gastmahl der Sieben Weisen, in: Ges. Schriften, Göttingen 1966, 115-118. 17 C.W. MÜLLER, Archilochos (1985), 99-151, bes.131-147. 18 Zu Homer und den Homeriden im fünften Jahrhundert A. MOMIGLIANO, Development (1971), 26. 11

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2. Das Theophiliemotiv

propagierten Aufwertung Hesiods zurückzuführen. 1 9 Ahnlich kann auch für die Archilochoslegende angenommen werden, daß sie entscheidenden Anstoß durch die Aufnahme des Archilochos in den rhapsodischen Agon erfahren hat. 2 0 Einen gewissen Einfluß auf die materielle Ausgestaltung der Erzählungen hat wohl die Form der heroischen Kultlegende ausgeübt. 21 Diese Legenden entstanden als aitiologische Versuche, bestimmte kultische Gegebenheiten, vor allem die Existenz des Heroengrabes an gerade dieser Stelle zu erklären. Auch an Reliquien, die im Rahmen des Heroenkultes gezeigt wurden, hefteten sich aitiologische Anekdoten. 2 2 In einem Fall gehen Heroenverehrung und Dichterlegende sogar ganz unmittelbar ineinander über. Hesiod hat aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im fünften Jahrhundert einen heroenähnlichen Grabkult erfahren. 23 Wie für mehrere mythische Heroen ist für ihn die Existenz eines Doppelgrabes - eines in der Nähe von Naupaktos im Heiligtum des Nemeios bei Oineon im ozolischen Lokroi, ein anderes in Orchomenos - sowie eine ebenfalls heroentypische Translationslegende bezeugt. 2 4 Die Orchomenier nämlich sollen die Gebeine des Hesiod auf Geheiß des Delphischen Orakels zur Abwehr einer Seuche entweder von Askra oder eben von Naupaktos nach Orchomenos überführt und auf ihrer Agora begraben haben. 25 Generell ist festzuhalten, daß die Entstehung biographischer Anekdoten und Legenden meist mit dem Bestreben verbunden ist, die betreffende Person aufzuwerten, ihr eine gewisse Respektabilität zu verleihen. Gemeinsames Merkmal ist auch, daß sie wohl in der Regel nicht auf Aussagen der Dichter selbst zurückgehen, sondern Ausdruck ihres Stellenwertes beim rezipierenden Publikum sind. 26 19

So K. HELDMANN, Certamen, 84 f. So völlig plausibel C.W. MÜLLER, Archilochos (1985), 136. 21 Zum Einfluß von Heroenverehrung auf die Entstehung der Biographie A. MOMIGLIANO, Development (1971), 24f. 22 Reiches Material bei F. PFISTER, Der Reliquienkult im Altertum, R G W 5,1/2, Gießen 1909/12. 23 Die Erwähnung der Legende, die im Zusammenhang mit einem dieser Gräber steht, bei Thuk. III 96 deutet darauf hin, daß die Überlieferung vom Grab des Heros Hesiod zumindest bis ins fünfte Jahrhundert zurückreicht. 24 Siehe F. PFISTER, Der Reliquienkult im Altertum, R G W 5, 1/2, 230-33. 25 Plutarch conv.sept.sap. 19; Pausan. IX 31,6; 38,3; Certamen 210fF. Allerdings ist es ausgesprochen schwierig, das genaue Alter solcher Legenden zu bestimmen, da es in der Regel unmöglich ist, über die hellenistische Zeit zurückzukommen. Man muß stets mit der Möglichkeit rechnen, daß eine Legende erst im Hellenismus entsteht oder daß sich neue Elemente an den alten Kern anlagern, wie es K. HELDMANN für das Certamen gezeigt hat. 26 Eine Ausnahme stellen Hesiods Erzählung von der Musenbegegnung und möglicherweise des Archilochos Rencontre mit den verkleideten Musen dar. Im Fall Archilochos ist eine "Dichterweihe" allenfalls indirekt durch ein Vasenbild des 5.Jhdts. und eben durch die Legende in Gestalt der Mnesiepes-Inschrift bezeugt. Die Vermutung, daß Vasenbild und Legende auf Selbstaussagen des Dichters zurückgehen, läßt sich nicht zwingend erweisen. 20

2.1 Geschichte des Theophiliemotivs

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2.1.1.2. Der Hellenismus 2.1.1.2.1. Hellenistische Dichterbiographie Einen entscheidenden Impuls erfährt die Beschäftigung mit dem Leben von Dichtern im Zeitalter des Hellenismus. Syngrammatische Schriften aus dieser Zeit darf man auch als Quellen für die Nachrichten von der Theophilie der Dichter Pindar, Archilochos, Hesiod und Sophokles vermuten, wie sie uns in der Numa-Biographie des Plutarch begegnen. Zunächst zu Pindar, der zugleich eine Brücke zum vorhergehenden Kapitel darstellt, da er selbst zumindest in einem seiner Gedichte den Theophiliegedanken so deutlich formuliert, daß er hierfür als Autorität zitierbar wurde. Das homerische Scholion AP 98 nämlich erklärt das Eingreifen Apolls zugunsten des Chryses zu Beginn der Ilias damit, daß einer, der gegen einen Götterliebling kämpft, gegen den Gott selbst kämpft, der jenem Menschen zugetan ist, und zitiert als schlagenden Beleg fiir das Theophiliekonzept eine Aussage Pindars (fr.224 Sn.-M.), in der der Dichter fordert, man solle vor einem Götterfreund in gleicher Weise zurückweichen wie vor dem Gott selbst. Diese explizite Formulierung des Theophiliekonzepts mag denn auch zur Stilisierung Pindars als 6eo(piA,f|