Schriftauslegung und Bildgebrauch bei Isidor von Pelusium 3110685930, 9783110685930

Das umfangreiche Briefkorpus, das unter dem Namen Isidors von Pelusium überliefert ist und sich in der ersten Hälfte des

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Schriftauslegung und Bildgebrauch bei Isidor von Pelusium
 3110685930, 9783110685930

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Stefan Berkmüller Schriftauslegung und Bildgebrauch bei Isidor von Pelusium

Arbeiten zur Kirchengeschichte

Begründet von Karl Holl† und Hans Lietzmann† Herausgegeben von Christian Albrecht, Christoph Markschies und Christopher Ocker

Band 143

Stefan Berkmüller

Schriftauslegung und Bildgebrauch bei Isidor von Pelusium

ISBN 978-3-11-068593-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068618-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068624-1 ISSN 1861-5996 Library of Congress Control Number: 2020934833 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: 3W+P GmbH, Rimpar Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im WS 2018/2019 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Doktordissertation angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich sie geringfügig überarbeitet und ergänzt. In ihr kommen zwei Fachgebiete zusammen, die mich seit meiner Schulzeit interessiert haben und die dann auch zu meinen Studienfächern geworden sind: Klassische Philologie und Theologie. Auf die antike Bibelauslegung, besonders ihre heute oft fremdartig wirkenden Erscheinungsformen wie weitreichende Bedeutungsübertragungen, Motivverkettungen und assoziatives Arbeiten, bin ich beim Studium der Griechischen Philologie aufmerksam geworden. Seitdem hat mich ihr kreatives Potenzial fasziniert, und so bin ich auf der Suche nach einem Dissertationsthema auf die vielgestaltigen Texte gestoßen, die die Überlieferung auf den griechisch-ägyptischen Priester Isidor von Pelusium aus dem 4./5. Jahrhundert zurückführt. Herzlich danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Roland Kany, der mich in dieser Themenwahl bestärkt und durch alle Phasen des Promotionsprozesses begleitet hat. Er hat mir einerseits viel Freiraum gelassen, war aber auf der anderen Seite bei Fragen und Problemen jederzeit erreichbar und hat mir viele wertvolle Anregungen gegeben. Für beides bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Herzlicher Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Knut Backhaus, der das Zweitgutachten erstellt und dabei ebenfalls viele hilfreiche Hinweise für die Veröffentlichung gegeben hat. Den Teilnehmern am regelmäßigen Forschungskolloquium bei Prof. Kany danke ich für den immer anregenden Austausch, besonders bei den Gelegenheiten, bei denen ich über meine Arbeiten zu Isidor von Pelusium berichten konnte. Des Weiteren möchte ich allen danken, die die Rahmenbedingungen dafür geschaffen haben, dass ich mehrere Jahre lang den Großteil meiner Zeit Isidor von Pelusium widmen konnte. Dieser Dank gilt allen voran dem Erzbistum München und Freising und meinem Bischof Reinhard Kardinal Marx, der mir eine großzügige Freistellung zum Studium gewährt hat, außerdem meinen Vorgesetzten in der Zeit der Freistellung – Prof. Dr. Winfried Haunerland als Direktor des Herzoglichen Georgianums in München, Diakon Josef Kafko, Pfr. Peter Lederer in Freising und Pfr. Martin Guggenbiller in Eching – und nicht zuletzt Pfr. Josef Treutlein und Frau Ulrike Shanel in Würzburg, bei denen ich in zwei Urlaubswochen im Januar 2020 Unterschlupf gefunden habe, um u. a. die Register für die Veröffentlichung der Arbeit als Buch zu erstellen.

https://doi.org/10.1515/9783110686180-001

VI

Vorwort

Herrn Prof. Dr. Christoph Markschies, Herrn Prof. Dr. Christian Albrecht und Herrn Prof. Dr. Christoph Ocker danke ich herzlich für die Annahme der vorliegenden Arbeit zur Publikation in der Reihe Arbeiten zur Kirchengeschichte. Dem Verlag De Gruyter, insbesondere Herrn Dr. Albrecht Döhnert, Frau Katrin Mittmann und Herrn Stefan Diezmann, danke ich für die stets kompetente und hilfreiche Betreuung im Publikationsprozess. Ottobrunn, im Februar 2020

Stefan Berkmüller

Inhalt  . . . . 

Einleitungsfragen 1 Isidor von Pelusium: Überlieferungsgeschichte und 1 Textgrundlage Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors 9 23 Historische Einordnung des Autors Zusammenfassung 34 Ziele der Arbeit vor dem Hintergrund bisheriger Isidorforschung 36

44 Grundlegendes zu Isidors Exegese 44 Isidors Schriftverständnis Entstehung und Ziel der Schrift 44 Göttlicher Ursprung und Inspiration der Schrift 46 53 Kanonische Schriften Verhältnis der Testamente zueinander 55 60 Zusammenfassung Isidors exegetische Terminologie 60 Begriffe für „naheliegende“ Referenzen und Auslegungen 60 Begriffe für eine Exegese, die über ein „naheliegendes“ 64 Verständnis hinausgeht 75 .. Zusammenfassung . Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor 76 .. Kriterium für die Wahl einer textnahen Auslegung: Wunsch des Briefpartners oder fehlende Offenheit für übertragende Auslegung von dessen Seite 77 .. Aus Isidors Sicht nicht legitime übertragende 85 Auslegungsversuche ... Versuche übertragender Auslegung bei scheinbarer (moral)theologischer Anstößigkeit 85 ... Versuche übertragender Auslegung bei scheinbar unerfüllbaren 88 Forderungen im Neuen Testament ... Übertragende Auslegung mit Veränderung der biblischen Aussage durch schriftfremde Lehren 90  . .. .. .. .. .. . .. ..

VIII

.. ... ... .. ..  . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. . .. ... ... .. ... ... . ..

Inhalt

Mögliche Kriterien für die legitime Wahl einer übertragenden Auslegung 96 96 Nutzen für den Leser 96 Fehlende Konsistenz oder Kohärenz von Schriftaussagen Kriterien für den Bezug alttestamentlicher Texte auf Christus 102 107 Zusammenfassung Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor 108 Voraussetzungen für die Beschreibung 108 108 Schriftgebrauch und Auslegung: Ein fließender Übergang Unschärfen der antiken Terminologie 108 Ungenügende Klassifizierungen in der bisherigen 109 Isidorforschung Differenziertere Terminologien zur antiken Exegese bei Frances M. 112 Young Die Problematik bei Isidor von Pelusium 114 Gliederungskonzept für die Beispiele zu Isidors Schriftauslegung 118 119 Methoden der Textanalyse 121 Textimmanente Analyse Querbezüge 134 Beibringen externer Informationen 136 144 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten Sachliche Klärung und Lösung von Widersprüchen 148 Paränese 170 175 Glaubenslehre Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten 184 Paränese 184 Moralische und asketische Appelle 185 Bezug auf exemplarische Handlungen oder Eigenschaften von Menschen 199 207 Glaubenslehre Bezug auf Christus 207 Bezug auf die Geschichte Gottes mit der Menschheit 217 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung 231 Aussagen Isidors zur Bildtheorie 231

IX

Inhalt

..

Isidors eigene Bildschöpfung in ihren kommunikativen Kontexten 234 235 Eigene Bilder in paränetischem Kontext Eigene Bilder zur Illustration von Stationen der Heilsgeschichte 241 Eigene Bilder zur Spiegelung der kirchlichen Gegenwart 244 Kreative Verkettung biblischer Bilder Christologie in Bildern 254

... ... ... .. .. 

Gesamtzusammenfassung

243

261

266 Literaturverzeichnis . Ausgaben antiker Texte 266 . Isidor von Pelusium 266 266 . Andere Ausgaben antiker Texte außerhalb der PG . Hilfsmittel und Quellensammlungen 269 270 . Sekundärliteratur . Zu Isidor von Pelusium 270 . Zu anderen antiken Exegeten und zur Theorie und Geschichte der Schriftauslegung 275 . Andere und allgemeinere Sekundärliteratur zur antiken Literatur 277 und zum antiken Christentum . Moderne exegetische Literatur 279 Hinweise zu Übersetzungen, Zitatangaben, Abkürzungen, 280 Schreibweisen Register

282

1 Einleitungsfragen 1.1 Isidor von Pelusium: Überlieferungsgeschichte und Textgrundlage Unter dem Autornamen „Isidor von Pelusium“ sind in griechischer Sprache 1999 meist kurze Texte in Briefform erhalten. Einigermaßen zeitgenössische Informationen über die Person des Autors und sein historisches Umfeld können – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur aus diesen Texten erschlossen werden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es auch Stimmen, die das Isidorkorpus als weitgehendes Florilegium aus anderen Schriftstellern und seinen Autor als literarische Fiktion betrachteten. Auch die Überlieferungslage ist nicht unkompliziert. Daher beginnt die vorliegende Arbeit mit der Frage nach der Textgrundlage, an die sich die Fragen nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Verortung des Autors anschließen. Bevor die Untersuchung dann zur Erschließung der Isidorbriefe übergeht, die Bibelauslegungen enthalten, sollen die Ziele der Arbeit in einen kurzen Forschungsüberblick eingeordnet und der allgemeine Hintergrund für Isidors Exegese beleuchtet werden. Nach P. Évieux¹ geht das erhaltene griechische Isidorkorpus auf eine durchnummerierte Sammlung von 2000 Briefen zurück², die wiederum ihren Ursprung in einer – so die von Severus von Antiochia³ um 520 angegebene Zahl – annähernd 3000 Briefe umfassenden Sammlung hatte.⁴ Aus beiden Sammlungen wurden Briefe für kleinere Zusammenstellungen ausgewählt.⁵ In griechischer

 Évieux 1995, 353 und 1997, 97 f.  Ein Brief dieser rekonstruierten Sammlung fehlt uns; nach der von Évieux rekonstruierten durchgehenden Zählung ist es die Nr. 1378.Vgl. dazu Évieux 1975, 60. Nur in einer Handschrift und ihren Kopien sind zwei Briefe bezeugt, die in der PG erscheinen, aber von Évieux aus dem Korpus ausgeschieden werden (s.u. S. 8).  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 182, 34 f.). Die Zahlenangabe ist nach Évieux 1975, 63 mit Vorsicht zu lesen.  Évieux schließt nicht grundsätzlich aus, dass es in der griechischsprachigen Überlieferung noch unentdeckte Isidortexte gibt, mahnt aber bei Vermutungen in diese Richtung sorgfältige Prüfung an (s. Évieux 1995, 352). Dass seine Mahnung ihren Grund hat, zeigt er an Capo 1901 (Évieux 1995, 351 f.), und es zeigt sich wieder an Tiftixoglu 2004 (s.u. Anm. 33).  Évieux unterscheidet „collections“ (von mir mit „Sammlungen“ wiedergegeben) und „recueils“ (von mir mit „Zusammenstellungen“ übertragen). Vgl. zu dieser Terminologie Évieux 1997, 121. In „collections“ stehen die Briefe durchnummeriert (nach der Zählung der 2000 Briefe umfassenden Sammlung), aber nicht nach Sachgebieten geordnet, in „recueils“ sind Briefe aus Sammlungen ausgewählt, z.T. nach bestimmten Gesichtspunkten (z. B. Exegese, dogmatische Fragen – vgl. Évieux 1995, 349). Gelegentlich sind in den Zusammenstellungen die Briefe nicht nur aus einer https://doi.org/10.1515/9783110686180-002

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1 Einleitungsfragen

Sprache sind uns nur Zusammenstellungen erhalten, die von der kleineren und jüngeren Sammlung ausgegangen sind. Die Handschrift Brit. Libr. Syr. 827 (Additional 14731) enthält aber eine Zusammenstellung von Briefen in syrischer Übersetzung mit 262 Nummern, die gegenüber der griechischsprachigen Überlieferung zum Teil zusätzliche Briefe, zum Teil einen deutlich abweichenden Text bringt.⁶ Dass die gesamte auf uns gekommene griechische Textüberlieferung auf die vier Kodizes mit je 500 Briefen aus dem Kloster der „Schlaflosen Mönche“ (Akoimeten)

Sammlung ausgewählt, sondern auch in eine neue Reihenfolge gebracht. Dies ist z. B. der Fall beim ersten Teil der im cod. Marc. gr. 126 und in Kopie desselben in den codd. Monac. graec. 50 und Monac. graec. 49 überlieferten Zusammenstellung. Daraus, dass K. Rittershausen 1605 für die Edition von 228 in der editio princeps nicht enthaltenen Briefen auf diese Zusammenstellung zurückgegriffen und die bisher nicht erschienenen Briefe zur Neuveröffentlichung ausgewählt hat (vgl. Évieux 1975, 53), erklärt sich die traditionelle Zählung der Isidorbriefe, die ab dem von Rittershausen neu herausgegebenen „Buch 4“ von der Zählung der 2000 Briefe enthaltenden Sammlung abweicht. Toca 2017 (2) schlägt eine Klassifizierung der Handschriften nach kodikologischen Gesichtspunkten vor, nämlich in Kodizes, die nur Isidortext enthalten, solche, die von Anfang an Texte sowohl von Isidor als auch von anderen Autoren enthalten haben, und solche, die durch Zusammenbinden zuvor einzeln existierender Teile jetzt sowohl Texte von Isidor als auch von anderen Autoren enthalten (vgl. a. a.O. 136). Leitendes Interesse ist dabei die Rezeptionsgeschichte der Isidorbriefe (vgl. a. a.O. 133 und die Ergebnisse 141 f.). Für Évieux’ Unterscheidung in „collections“ und „recueils“ scheint Toca wenig Verständnis aufzubringen. Diese Unterscheidung hatte allerdings ihren wichtigen Sinn für die von Évieux geleistete Rekonstruktion der fortlaufenden Nummerierung der Briefe, ja überhaupt für die Feststellung der korrekten Anzahl der überlieferten Isidorbriefe. Sprechendes Zeugnis dafür ist die Unterteilung, die Évieux 1975, 51– 55 bei den „Zusammenstellungen“ vornimmt, nämlich in solche, die die Briefe sowohl nach der fortlaufenden Zählung der „Sammlungen“ als auch nach einer eigenen Zählung nummerieren (und die deshalb besonders wertvoll für die Rekonstruktion der ursprünglichen Briefnummern waren), sodann solche mit nur einer eigenen Zählung, schließlich solche, in denen die Briefe überhaupt nicht nummeriert sind. Toca scheint sich für die Fragen nach Anzahl, Reihenfolge und Nummerierung der Briefe im o. a. Artikel weniger zu interessieren; gleich zu Beginn ihres Artikels schreibt sie, das Isidorkorpus umfasse 2012 Briefe (Toca 2017 (2), 133). Hier handelt es sich aber um die aus mehreren Gründen fehlerhafte und durch Évieux’ Verdienst endgültig auf 1999 korrigierte Zahl, die sich aus der Addition der jeweils letzten Nummern der fünf „Bücher“ in der Patrologia Graeca ergibt (s.u. Anm. 30).  Vgl., auch zur Einordnung der Handschrift, Évieux 1997, 154. Die Handschrift weist Lücken auf: 64 von den 262 Briefen der Zusammenstellung fehlen. 46 Briefe der Handschrift konnten von Évieux bis 1997 nicht mit griechisch überlieferten Briefen identifiziert werden. Die British Library besitzt noch eine zweite syrische Handschrift mit etwas Isidortext (Syr. 49 / Richian. 7190 syr.). Auch hier entspricht ein Teil der Texte nach Évieux wohl Briefen, die nicht bereits aus der griechischen Überlieferung bekannt sind (ebd. 155). Die syrischen Texte sind leider bisher nirgends ediert worden, nur Évieux nimmt gelegentlich auf sie Bezug. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Untersuchung der griechisch überlieferten Texte.

1.1 Isidor von Pelusium: Überlieferungsgeschichte und Textgrundlage

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in Konstantinopel zurückgeht, die der römische Diakon Rusticus am Ende seiner Übersetzung von 49 Isidorbriefen Mitte des 6. Jh. als seine Quelle erwähnt⁷, hatte Turner 1905⁸ zu beweisen versucht, die communis opinio ist ihm gefolgt⁹ oder führte sogar die ganze Isidorüberlieferung überhaupt auf eine von den Akoimeten erstellte Sammlung zurück.¹⁰ Évieux hat die Sicherheit dieser Auffassung auf der Grundlage von neu ans Licht gekommenen Handschriften vor allem aus dem Osten (Bulgarien, Griechenland)¹¹, außerdem angesichts der erwähnten Briefzusammenstellungen in syrischer Sprache, ferner nach einer genaueren Untersuchung des Verhältnisses des lateinischen Textes des Rusticus zum cod. Crypt. B. α. 1¹² und unter Berufung auf das Zeugnis des Severus von Antiochia über Isidorsammlungen in Ägypten Anfang des 6. Jh.¹³ seit 1975 mehr und mehr in Frage gestellt.¹⁴

 ACO I, 4, 25, 21– 24.  Turner 1905, 74. Turner spricht a. a.O. 73 von einem unbekannten Übersetzer, referiert aber bereits zustimmend die These, dieser sei mit Rusticus, „deacon and nephew of pope Vigilius“ (a. a.O. Anm. 4) zu identifizieren. Lake (Lake 1905, 273) glaubte, die Übersetzungen seien in Montecassino angefertigt worden. Erst mit Schwartz (Schwartz 1920, 107 f. in Kombination mit 119 f.) hat sich endgültig die Auffassung durchgesetzt, dass sie von Rusticus stammen. Denn Rusticus ist nach Schwartz sowohl der Bearbeiter der „Collectio Turonensis der ephesinischen Akten“ (s. a. a.O. 120) als auch der Schöpfer der sie fortsetzenden Sammlung, der sog. Collectio Casinensis, zu der die Isidortexte (Nr. 80) gehören (vgl. a. a.O. 108: diese „hört nicht wie ihre Grundlage, die Turonensis, mit dem Schreiben Cyrills an Acacius von Melitene“ (Nr. 76) auf).  Vgl. etwa Altaner 1942, 100, Anm. 3.  Vgl. Bardenhewer 1924, 102, der allerdings a. a.O. und ebd. 101 noch nicht von Rusticus, sondern von „Irenäus von Tyrus […] bzw. dem lateinischen Überarbeiter des Werkes des Irenäus“ (101) als Urheber des Textes in ACO I, 4, 25, 21– 24 (= PG 84, 587) spricht (vgl. seine Literaturliste a. a.O. 107); vgl. auch Schmid 1948, 17. Im Hintergrund steht hier vermutlich die in der PG 78 nachgedruckte Abhandlung von Niemeyer über Isidor. Niemeyer schreibt die Sätze, um die es geht, Irenäus von Tyrus, die Übersetzung derselben und der Isidorbriefe einem „auctor anonymus“ zu (Niemeyer 1825: PG 78, 21). Wie er die Worte „[epistulas] transtuli“ – „ich habe [diese Briefe] übersetzt“ dem griechischsprachigen Irenäus zuschreiben kann, wird nicht klar.  Vgl. Évieux 1997, 120 f. und 124– 128.  Der Kodex B. α. 1 von Grottaferrata, datiert auf den 27. November 985, ist die älteste uns erhaltene griechische Isidorhandschrift (vgl. Turner 1905, 74 und Évieux 1997, 129 f.). Leider war sie den frühneuzeitlichen Herausgebern nicht zugänglich (vgl. ebd.); ihre Lesarten sind auch noch in der PG nicht erfasst.  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 184, 30).  Vgl. Évieux 1975, 58 und 63; Évieux 1976, 333; Évieux 1995, 7 f. und 365; Évieux 1997, 172 f. Dennoch wird diese Position in der Turnerschen Fassung noch von Fuhrer 2002, 360 wiederholt. Auch Larsen 2017, 296 drückt sich zu diesem Punkt m. E. mindestens missverständlich aus.

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1 Einleitungsfragen

Die erste gedruckte Ausgabe der Isidorbriefe samt lateinischer Übersetzung (Paris 1585)¹⁵, besorgt von J. Chatard nach den Arbeiten des 1581 verstorbenen Jacques de Billy de Prunay, bietet wohl im Wesentlichen den Text des cod. Paris. gr. 832¹⁶, der die Briefe 1 bis 1213 in der fortlaufenden Nummerierung enthält. Diese Briefe wurden also 1585 in der Originalreihenfolge der 2000 Briefe umfassenden Sammlung gedruckt, aber vom Herausgeber in drei „Bücher“ eingeteilt: „Buch 1“ umfasst die Briefe 1– 500, „Buch 2“ 501– 800, „Buch 3“ 801– 1213. Aus dem ersten Teil der Isidorbriefe im cod. Monac. graec. 50¹⁷, einer Zusammenstellung, ediert Konrad Rittershausen 1605 in Heidelberg 228 (angeb-

 S. Isidori Pelusiotae epistolarum amplius mille ducentarum libri tres, nunc primum Graece editi. Quibus e regione accessit latina Clariss. viri Iacobi Billii Prunei, S. Michaelis in Eremo quondam Coenobiarchae, interpretatio […], Paris (Chaudière) 1585.  Vgl. Turner 1905, 75 und Évieux 1975, 45 f.; 1997, 112 und 114, auch Riedinger 1960, 166. Allerdings hat Billy sicher nicht nur mit dem Pariser Kodex gearbeitet, wie Turner a. a.O. 79 nahelegt („there is […] little doubt that it was the only authority employed“). In Chatards Widmungsbrief an Geoffroy de Billy, den Bruder des Übersetzers der Briefe (vgl. Évieux 1997, 114), sind mehrere Manuskripte erwähnt, die allerdings nicht spezifiziert sind (Billy / Chatard 1585, S. 4 des Briefes, vgl. Évieux 1997, 112– 114 und Niemeyer 1825: PG 78, 53). Évieux vermutet darunter, auch unter Hinzuziehung von Billys erhaltener Korrespondenz, den damals recht neu angefertigten Ott. gr. 341, den Billy von Kardinal Sirleto in Kopie erhalten hätte (a. a.O. 113 f. und 132 f.). Er scheint ihn aber für die Textgestaltung nicht benutzt zu haben (vgl. Évieux 1975, 45), zumal ja aus diesem Kodex später von Arcudius zahlreiche neue Lesarten gewonnen und bei Poussines ediert werden konnten (s. unten S. 7). Andererseits stehen auch schon bei Billy / Chatard 1585 öfters alternative Lesarten in margine, die sich bei Poussines nicht finden. Diese wurden von Rittershausen mit dem einleitenden Kürzel „P.“ übernommen. Woher sie stammen, ist ganz unklar. Zum Ott. gr. 341 und seinem Pendant Ott. gr. 383 vgl. Évieux 1997, 131– 134. Riedinger schreibt a. a.O., die Lesarten des von ihm konsultierten Paris. gr. 832 würden sich „in den meisten Fällen mit denjenigen decken, die auch bei Migne im Text zu finden sind“. Nun ist der Text in PG 78 nicht einfach identisch mit dem Text von Billy / Chatard (vgl. u. a. unten Anm. 29); aber Billy / Chatard haben vielleicht auch schon nicht in allem schlicht den Text des Paris. gr. 832 als Fließtext abgedruckt (pace Évieux 1975, 45: „reproduction fidèle“). An der Textkritik der Briefe 1 bis 1213 hat Évieux wohl nie ausführlich im Zusammenhang gearbeitet. Vgl. Évieux 1997, 114, Anm. 1: „La future édition critique des 1213 premières lettres permettra certainement d’être plus précis sur les mss utilisés par Billy“. Évieux’ Tod im Jahr 2007 hat diese Hoffnung zunichte gemacht. Vgl. Évieux / Vinel 2017, 7.  So Tiftixoglu 2004, 300. Der Monac. graec. 50 ist eine Abschrift des Marcianus gr. 126 (vgl. ebd. 304). Évieux 1997, 114 f. und 146 gibt den Monac. graec. 49 als Rittershausens Quelle an; aber was Évieux über die codd. Monac. schreibt, ist in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft: Die Kodizes gehören zum Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek, nicht der Münchner Universitätsbibliothek; die exakte eigenhändige Datierung des Monac. graec. 49 durch den Schreiber Petros Karneades auf den 22. Juni 1548 bezieht sich nach Tiftixoglu 2004, 293 auf den zweiten Teil der Handschrift, also nicht auf die Isidorbriefe – den Isidorteil datiert Tiftixoglu „um 1550“, ebenso wie den Monac. graec. 50; die Isidorbriefe im Monac. graec. 49 sind aus dem Monac. graec. 50 kopiert und nicht umgekehrt (vgl. schon Évieux 1975, 53 Anm. 2 mit einer falschen Angabe zum

1.1 Isidor von Pelusium: Überlieferungsgeschichte und Textgrundlage

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lich 230¹⁸) Briefe vorwiegend exegetischen Inhalts als „4. Buch“ neu und gibt sie zusammen mit den 1213 Briefen der „Bücher 1– 3“ in den Druck. Am Rand sind in den „Büchern 1– 3“ mit „B.“ Lesarten des Münchner Kodex verzeichnet¹⁹ und mit „P.“ Lesarten, die bei Billy / Chatard schon in margine standen; nach den Adressatenangaben sind, ebenfalls mit einem vorangestellten „B.“, die im Münchner Kodex, jedoch noch nicht bei Billy / Chatard gebotenen Brieftitel²⁰ eingefügt, und am Ende des Buches sind Anmerkungen von Rittershausen verzeichnet, die z.T. auch auf die textkritischen Randnotizen Bezug nehmen. In die PG wurden neben den Tituli nur Teile der Anmerkungen übernommen, die dort mit dem Kürzel „Ritt.“ unter dem Text der Briefe stehen.²¹

Schreiber (s. Tiftixoglu 2004, 305), als Indiz gegen Évieux bei Tiftixoglu 2004, 295: Übernahme von Randkorrekturen des „Korrektors A“ aus dem graec. 50 in den fortlaufenden Text des graec. 49, von mir an den Kodizes überprüft: Beispiele finden sich 267r (graec. 50) / 19v (graec. 49) im Text von ep. 813 und 278v (graec. 50) / 31v (graec. 49) im Text von ep. 929). Freilich spricht das Titelblatt der Ausgabe von Rittershausen nur von einem „Cod[ex] Bavar[icus] cui Venetus in Bibl[iotheca] S. Marci respondet“ (vgl. Rittershausens Anmerkung zur ep. 1 seines vierten Buches („ἐπειδὴ κυκλικὸν“)), und auch sonst (im Brief an Jan Gruter, der der Ausgabe vorangestellt ist, und in den anderen Anmerkungen) macht Rittershausen keine genaueren Angaben. Turner 1905, 79 legt sich dementsprechend nicht fest, welchen Monac. graec. Rittershausen benutzt hat.  Die Nummern IV, 79 und IV, 131 hat Rittershausen übersprungen. Außerdem finden sich unter den 228 von ihm in Druck gegebenen Briefen sechs, die in Wirklichkeit bereits bei Billy zu finden sind (im Dublettenverzeichnis in der CPG (ebd. 5557) die Nummern 1– 3, 6, 7 und 11) und zwei (IV, 143 und 144), die nach Évieux 1997, 145 nicht von Isidor stammen und nur im cod. Marc. gr. 126 und seinen Kopien enthalten sind. Évieux beschreibt dazu Fotografien des cod. Marc. gr. 126 (s. a. a.O. S. 144 Anm. 1).  Vgl. das Titelblatt von Rittershausen 1605: „Epistolarum Libri IV, quorum tres priores cum Latina Interpretatione […] Iac. Billii Prunaei primum ante annos XX Parisiis prodiere; iam vero sub prelum revocati, Msc. Cod. Bavar. ope, plurimis in locis insigniter aucti, suppleti, correcti sunt: quartus nunc primum exit novus, ex eodem Cod. Bavar. cui Venetus in Bibl. S. Marci respondet […]“. Rittershausen hat dabei offensichtlich eine Auswahl von Lesarten vorgenommen und jedenfalls nicht strenge Textkritik im Sinn des 20./21. Jh. betrieben; bei einem stichprobenartigen Vergleich von Rittershausens Anmerkungen mit dem Text der Briefe 16 und 23 im cod. Monac. graec. 50 fand ich drei Abweichungen (ep. 16 (I, 16) (PG 78, 189, C3: Rittershausen verzeichnet als Variante des „B.“ „στειρωθέντα“, dieser hat jedoch (grammatikalisch unpassend) στειρωθέντι); (PG 78, 189, C7: der Monac. graec. 50 lässt den Artikel τοῦ weg, was Rittershausen nicht verzeichnet); ep. 23 (I, 23) (PG 78, 196, D3: der Monac. graec. 50 hat statt „ἐκείνου“ „ἑκάστου“; Rittershausen schreibt, „ἐκείνου“ würde im „B.“ fehlen).  Diese Überschriften, die manchen Briefen vorangestellt sind, bieten kurze Inhaltsangaben, die nicht immer zutreffend sind. Deshalb und auch, weil sie (anders als die Adressatenangaben!) in den Handschriften nur schwach bezeugt sind (s. den kritischen Apparat in Évieux’ SC-Bänden), dürfen sie als sekundär gelten.  Évieux 1997, 117 gibt den Hinweis von Niemeyer 1825 (PG 78, 37, A) falsch wieder. Niemeyer sagt gerade nicht, dass die Lesarten des cod. Monac. in Morels Nachdruck von 1638 (und damit in

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1 Einleitungsfragen

Schließlich bringt der Jesuit Andreas Schott 1623 in Antwerpen aus einem vatikanischen Kodex, der die Briefe in der fortlaufenden Nummerierung enthält, 569 Briefe zwischen den Nummern 1214 und 1997 (zunächst ohne lateinische Übersetzung) heraus, die er aber neu nummeriert.²² Schon Turner nahm an, die Grundlage für diese Edition sei der cod. Vat. gr. 650 gewesen²³, Évieux ist ihm mit Nachdruck darin gefolgt.²⁴ Schott selbst macht allerdings im Widmungsbrief an den neu zum Kardinal ernannten Alfonso de la Cueva, den er seiner Edition voranstellt, keine genauen Angaben zu seinen handschriftlichen Grundlagen; wir erfahren nur, dass er die Briefe in der Vatikanischen Bibliothek entdeckt habe.²⁵ Seit der Isidor-Gesamtausgabe, die 1638 im Pariser Verlag Morel²⁶ erschienen ist

der PG) im Fließtext stehen, sondern dass die Asterisken, die bei Rittershausen anzeigen, dass an einer Stelle im cod. Monac. zusätzliche Worte stehen, bei Morel übernommen wurden, ohne am Rand die entsprechenden Worte anzugeben. Dadurch wurde der Sinn der Asterisken (und ebenso der von Rittershausen als Zeichen für im cod. Monac. fehlende Worte gesetzten Klammern; vgl. PG 78, 36, A10-B1) unverständlich. Vgl. z. B. den Brief 92 (I, 92) bei Rittershausen 1605, 24 und bei Morel 1638, 29 bzw. noch in der PG 78, 245, C3 mit Fußnote 90 (aus Poussines 1670) oder die Fußnote 95 in PG 78, 464 (nach Poussines).  Isidori Pelusiotae epistolae hactenus ineditae de locis S. Scripturae, moribusque formandis. Ex Vaticana Pontificis bibliotheca Graece nunc primum erutae, Notisque et Argumentis illustratae a R. P. And. Schotto […], Antwerpen (Nutius) 1623. Von den 569 angeblich bisher unedierten Briefen hatte Rittershausen bereits sechs geboten (im Dublettenverzeichnis in der CPG (5557) die Nummern 13 bis 18). Der von Évieux 1995, 358 in Anm. 46 hierzu mit angeführte Brief 1659 (V, 324; in der CPG die Nummer 5) ist nicht durch Schotts Schuld in der PG doppelt vorhanden, sondern liegt bereits in der handschriftlichen Überlieferung doppelt (z. B. in den codd. Ott. als 333 und 1658) vor. Korrekterweise zählt ihn deshalb Évieux auch doppelt. Dem Text nach war es natürlich trotzdem bei Schott keine „epistola hactenus inedita“.  Turner 1905, 80.  Évieux 1997, 116.  Schott 1623, Widmungsbrief: „B. Isidori Pelusiotae Epistol[ae] sacr[ae] prope sexcent[ae], hactenus typis Graece non edit[ae], erut[ae] a me Romae cum degerem, e Vaticana Pont. Max. bibliotheca“. Vgl. Niemeyer 1825 (PG 78, 55): „Uti Chatardus et Rittershusius ita Schottus de codice, quo usus est, Vaticano nihil dixit“ und Capo 1901, 462: „Anno 1623 Andreas Schottus Isidori epp. 569 e cod. Vaticano, quem nondum repperi, edidit […]“. Turner und Évieux erklären uns nicht, warum Poussines 1670 auch zu den von Schott edierten Briefen zahlreiche abweichende Lesarten ausdrücklich aus dem Vat. gr. 650 liefert, wenn Schott bereits aus diesem Kodex ediert haben soll. Andererseits ist heute nur der Vat. gr. 650 als Handschrift bekannt, die Schott plausiblerweise als Grundlage hätte dienen können.  Herausgeber ist nicht P. Poussines, wie Delmaire 1988, 232 irrtümlich schreibt. Auch Évieux spricht in seiner Monographie (Évieux 1995, 5 und 376) von einer Textedition durch Poussines (1670), korrigiert sich aber in der Einleitung zu seiner Edition (Évieux 1997, 117, Anm. 3). Die Fehlerquelle liegt womöglich darin, dass auf dem Titelblatt der PG zu den Isidorbriefen Poussines Name so groß und fett gedruckt ist.

1.1 Isidor von Pelusium: Überlieferungsgeschichte und Textgrundlage

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und die von Billy, Rittershausen und Schott herausgegebenen Texte versammelt, firmieren die erstmals von Schott edierten Briefe als „Buch 5“. 1670 veröffentlicht der Jesuit Pierre Poussines in Rom Isidorianae collationes, Lesarten zur Verbesserung der Ausgabe von Morel aus sechs römischen Handschriften²⁷, die der griechische Gelehrte Arcudius im Auftrag des Kardinals Francesco Barberini zusammengestellt hatte, mit gelegentlichen eigenen Bemerkungen zu deren Beurteilung.²⁸ Die Pariser Gesamtausgabe von 1638 wurde in der PG (Paris 1860 / 1864) mit einigen Änderungen²⁹ nachgedruckt, so dass in der bis zu Évieux Ende des 20. Jh. einschlägigen Isidoredition – eben PG 78 aus dem Jahr 1860/1864 – 2010 (den Nummern nach wegen Rittershausens Auslassung zweier Nummern 2012³⁰) Briefe enthalten sind. Je sechs Briefe sind Dubletten, die von Rittershausen versehentlich  Vgl. Évieux 1997, 117, Anm. 2: „Ce sont les Vatican. gr. 649 – 650, les Ottobon. gr. 341 – 383 [richtig müsste es heißen 341 und 383], l’Angelicanus gr. 13.; je n’ai pas encore identifié avec certitude le Barberin. gr. (90?)“.  S. Poussines Vorwort, das auch in der PG 78, 177– 180 am Fuß der Seiten zu lesen ist. Capo 1901, 458 weist allerdings darauf hin, dass Arcudius (und damit Poussines) nicht uneingeschränkt zuverlässig sei: „[…] videbor fortasse non in maius extollere rem si eius [scil. Arcudii] opus neglegens appellavero […]“; manche abweichenden Lesarten fehlten ganz, manche seien nicht genau oder regelrecht falsch angeführt, wofür Capo auch zwei Beispiele gibt. Auf S. 463 schreibt er aber auch, global gesagt: „[…] epistulae Arcudii opera et Possini diligentia aliquanto meliores evadunt […]“.  Gegen Évieux 1997, 117, der von einem reinen Nachdruck mit Hinzufügung der von Poussines veröffentlichten Lesarten aus den römischen Kodizes spricht. Erstens sind nicht nur die meisten Bemerkungen von Poussines (mit dem Kürzel „Possin.“) unter den Text gestellt, sondern auch die Endnoten von Rittershausen („Ritt.“, für die „Bücher 1– 4“) und Schott (für ep. 1868 (IV, 112), von Schott damals als Anhang mit neuer lateinischer Übersetzung seinem Buch beigegeben, und das „Buch 5“, in Buch 5 Kürzel: „Schott.“), die auch bei Morel am Ende seines Bandes versammelt waren. In der Regel nicht, auch nicht als Fußnoten, eingearbeitet sind die Lesarten und Konjekturen, die Billy / Chatard, Rittershausen und Schott in margine gedruckt hatten. In Einzelfällen allerdings ist zweitens in der PG auch Morels Fließtext verbessert, in der Regel aus Poussines, was mit Fußnoten mit dem Kürzel „Edit.“ oder „Edit. Patr.“ gekennzeichnet ist. S. z. B. PG 78, 464 Anm. 95 (ohne Nennung von Poussines, aber wie in seinen Collationes, S. 120; dass mit Edit. Patr. die Herausgeber der PG gemeint sind, beweist hier und öfter die Verwendung der ersten Person Plural im Text der Fußnote); ähnlich mit Nennung von Poussines PG 78, 477 Anm. 14 oder PG 78, 769 Anm. 25. Mit „Ed. Paris.“ ist dabei Morel 1638 gemeint (vgl. die Nomenklatur der Überschrift PG 78, 103 f.: „Prolegomena praefixa editioni Parisinae anni MDCXXXVIII“). Richtig formuliert den Sachverhalt Capo 1901, 463. Eine Edition des griechischen Textes zwischen Morel und Migne ist mir nicht bekannt geworden und wird in der Literatur nirgends erwähnt. S. z. B. Niemeyer 1825 (PG 78, 37 f.) und Évieux 1997, 117, Anm. 3, die für diesen Zeitraum nur die 1745 in Venedig erschienene Ausgabe der lateinischen Übersetzungen der Briefe anführen.  1213 + 230 + 569.

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1 Einleitungsfragen

in seine Ausgabe aufgenommen worden sind, obwohl sie bereits bei Billy/Chatard in den „Büchern 1 bis 3“ enthalten waren bzw. die Schott nochmals abgedruckt hat, obwohl Rittershausen sie bereits hatte.³¹ Zwei Briefe (IV, 143 und IV, 144) sind nur im cod. Marc. gr. 126 und seinen Kopien bezeugt und werden daher von Évieux ausgeschieden.³² Drei Briefe, die Nummern 1340 – 1342, sind nicht bei Rittershausen oder Schott und somit auch nicht in der PG enthalten und wurden erstmals 1901 von N. Capo ediert³³, zur Nummer 1378 nach der von Évieux rekonstruierten Zählung ist kein Brief überliefert. Die Rechnung 2010 – 12 – 2 + 3 ergibt die Summe der 1999 erhaltenen Isidorbriefe. Der bisherige Endpunkt der Editionsgeschichte zu Isidor von Pelusium sind die beiden Bände mit kritisch ediertem Text und französischer Übersetzung, die Pierre Évieux 1997 und 2000 bei den Sources Chrétiennes herausgegeben hat – SC 422 (ausführliche Einleitung, Briefe 1214– 1413 nach der von Évieux rekonstruierten Zählung) und SC 454 (Briefe 1414– 1700) – und der dritte, auf der Grundlage von Vorarbeiten aus Évieux’ Nachlass³⁴ von Nicolas Vinel in vergleichbarer Aufmachung erstellte Band – SC 586 (Briefe 1701– 2000). Évieux hatte mit der Edition der Briefe begonnen, die in den von Rittershausen und Schott her sogenannten „Büchern 4 und 5“ enthalten waren – „là où commence le désordre“³⁵ –, weil in diesen „Büchern“, wie sie Morel 1638 und die PG bieten, die Anordnung der Briefe nach der ursprünglich 2000 Briefe umfas-

 Kurz aufgeführt auch bei Capo 1901, 462.  Vgl. Évieux 1975, 62 und 1997, 145. Capo 1901, 464 führt außer diesen beiden Briefen noch IV, 146 (= 1462) und IV, 170 (= 1704) als Briefe an, die nicht in den Kodizes C V O enthalten seien; dies ist nach Évieux 2000, 98 für ep. 1462 vollständig unzutreffend; was den cod. Ott. gr. 383 angeht, lässt sich am Digitalisat auf digi.vatlib.it (abgerufen im November 2015) überprüfen, dass dort die epp. 1462 (nach der Zählung des Kodex 1461; vgl. zur Zählung von O Évieux 1975, 61) und 1704 (nach der Zählung des Kodex 1703) durchaus enthalten sind. Capos Angaben zu den Kodizes V O (Capo 1901, 453 f.) sind ebenfalls fehlerhaft und durch die Angaben bei Évieux 1975, 49 und 61 bzw. Évieux 1997, 129 – 135 zu korrigieren. Capo erwähnt insbesondere nicht, dass die Kodizes C V O alle drei die Briefe 1029 (III, 229) und 1174 (III, 374) auslassen (s. Évieux 1997, 131).  Capo 1901, 464 f. Zu den weiteren von Capo 1901, 465 f. als bisher unediert angeführten Briefen vgl. Évieux 1975, 62 und Évieux 1995, 351 f. Évieux identifiziert sie entweder als bereits edierten Isidortext oder stellt ihre Zuschreibung an Isidor in Frage. Tiftixoglu 2004, 302 f. erkennt im cod. Monac. graec. 50 fünf kurze Texte als „nicht in der PG erfaßt[en]“ Isidortext. Es handelt sich aber nur um den bereits von Capo 1901, 465 erwähnten Abschnitt, den Évieux als einen Titulus zu ep. 1781 (IV, 90) identifiziert (Évieux 1995, 351), und um vier definitiv in der PG enthaltene Briefe, nämlich um ep. 1278 (ep. 500 bis der Handschrift; IV, 68 in der PG); ep. 1270 (593 d. Hschr.; IV, 199 / V, 43 in der PG); ep. 713 (ep. 602 d. Hschr.; II, 213 in der PG) und ep. 436 (ep. 627 d. Hschr.; I, 436 in der PG).  Pierre Évieux ist 2007 verstorben (vgl. Évieux / Vinel 2017, 7).  Évieux 1997, 5.

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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senden Sammlung zerstört ist. Diese „Bücher 4 und 5“ sind mit dem von Vinel besorgten Band nun allesamt kritisch ediert. Eine Edition der Briefe 1 – 1213 bei den Sources Chrétiennes ist hingegen nicht geplant.³⁶ Dazu wären noch etliche Handschriften hinzuzuziehen, die für die Edition der Briefe 1214– 2000 nicht relevant waren.³⁷ Als Textgrundlage für die vorliegende Untersuchung dienen also für die Briefe 1– 1213 mangels Alternativen der Band PG 78 (unter Berücksichtigung der von Rittershausen 1605 in margine verzeichneten Münchner Lesarten und der textkritischen Anmerkungen von Rittershausen und Poussines) und für die Briefe 1214– 2000 die Bände SC 422, 454 und 586, d. h. die kritische Edition von Évieux / Vinel. Zu erwähnen ist noch David T. Runia, der Isidors Bezugnahmen auf Philon von Alexandria erforscht und in diesem Rahmen auch fünf für ihn einschlägige Isidorbriefe griechisch und englisch gedruckt und recht ausführlich kommentiert hat.³⁸

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors Auf der Grundlage seiner Arbeit am Isidortext hat Évieux Argumente gegen die Ansichten einiger Forscher vom 18. bis zum 20. Jahrhundert vorgebracht³⁹, die

 Auskunft von N. Vinel mir gegenüber am 14. Januar 2015.  Vgl. Évieux 1997, 124– 127.161.173 – 179. Évieux’ bekannter Nachlass enthält keinerlei Vorarbeiten zu einer Edition der Briefe 1– 1213 (vgl. Évieux / Vinel 2017, 7).  Runia 1995, 155 – 181. Runia ist mit der Problematik der Briefnummern vertraut.  Zusammengefasst bei Évieux 1995, 357– 367. Évieux erwähnt vor allem Heumann / Pezold 1737, Sicking 1906 und schließlich Riedinger. In C. A. Heumanns Schrift De libris anonymis ac pseudonymis schediasma, Jena 1711, die Évieux 1995, 357, Anm. 40 als erste anführt, konnte ich keine Bezugnahme auf Isidor entdecken. Heumann / Pezold 1737 wurde oft, z. B. bei Niemeyer 1825, Sicking 1906 und Fouskas 1970, ausschließlich unter Heumanns Namen zitiert. Schmid 1948, 3, Anm. 5 und Évieux 1995, 357, Anm. 40 drehen den Spieß um und nennen nur noch Pezold als Autor. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Dissertation um eine Gemeinschaftsarbeit von Professor (Heumann) und Promovend (Pezold) mit Heumann als hauptverantwortlichem Autor, was im 18. Jh. nicht unüblich war. Vgl. das „Nachwort“ der Dissertation (auf der nicht nummerierten zweiten Seite am Ende der Schrift), in dem Heumann Pezold seine Anerkennung und seinen Dank ausspricht: „Tuo igitur Te merito amo, PEZOLDE ornatissime, qui caeteris Tuis studiis adiunctam voluisti cum literariae, tum ecclesiasticae historiae curam haud perfunctoriam, ac vtriusque peritiae documentum nunc edis publicum. Ac gratiae Tibi sunt a me agendae, qui componenti mihi hancce Dissertatiunculam sedulum Te praebuisti adiutorem, pluraque suppeditasti in ISIDORI Epistolis Tibi obseruata, quae meos effugerant oculos. Certe earum epistolarum, quae bis

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1 Einleitungsfragen

die Echtheit von Isidorbriefen als Briefe, die für die in ihnen angesprochenen Empfänger bestimmt waren, oder als von Isidor verfasste Texte oder die Historizität eines Briefschreibers Isidor von Pelusium überhaupt bestritten haben: Bei-

exhibentur hoc in opere, plures, quam ego, accurata inuestigaueras circumspectione“. Dann ermuntert Heumann Pezold zu weiterer Beschäftigung mit Isidor. Das Nachwort schließt mit den Worten: „Vale, AMICE suauissime, CANDIDATE dignissime, atque ita colere Theologiam, disciplinarum principem, perge, vt persuasissimum habeas, non esse iustae mensurae theologum, qui non idem historicus sit & philologus & philosophus“. Heumann und Pezold geht es nicht darum, die Isidorbriefe als pseudonym oder gar den Autor als literarische Fiktion zu erweisen (wie Évieux 1976, 328 über Pezold behauptet), sondern ihre These ist, der Großteil der Briefe stamme zwar von Isidor, sei aber nie abgeschickt worden, sondern als Muster für den Rhetorikunterricht bestimmt gewesen; insbesondere über die Scheltbriefe und die Briefe an hochgestellte Persönlichkeiten sagen sie (Heumann / Pezold 1737, 21): „Caeterum etsi fictitiae sunt hae epistolae, ficta tamen non sunt, quae in iis leguntur, sed ex animi sententia scripta ab Isidoro“. Sicking spricht von Isidor im Rahmen einer längeren Serie von Zeitschriftenartikeln verschiedener Autoren zum Fall der in den ersten Jahren der Amtszeit Bischof Cyrills in Alexandria brutal ermordeten Philosophin Hypatia. Sein Argumentationsziel ist es, Cyrill von Vorwürfen in dem Mordfall freizusprechen; jedenfalls sei aus Isidor von Pelusium nichts zu diesem Thema zu gewinnen und wenig bis nichts gegen Cyrills Charakter im Allgemeinen; überhaupt machten einige, vielleicht viele Isidorbriefe, darunter die an Cyrill, den Eindruck von fiktiven, von Rhetorikschülern verfassten Übungstexten (Sicking 1906, 112 und 129). Insbesondere exegetische Briefe in großer Anzahl schreibt er jedoch dem echten Isidor zu (ebd. 121). Riedinger 1964, 16 Anm. 4 fasst die Positionen von Heumann / Pezold und Sicking nur ungenau zusammen. Eine gewisse Wiederaufnahme der alten Feststellung, viele Isidorbriefe machten den Eindruck von rhetorischen Übungen, findet sich bei Wipszycka 1996 (von Évieux nicht rezipiert). Wipszycka wertet in den in dem genannten Band versammelten Artikeln Isidor durchaus historisch für die Geschichte des Christentums im spätantiken Ägypten aus (s. a. a.O. 148; 181; 203 – 205; 221). Sie sieht aber wenig Konkretes, viel Rhetorik und starke redaktionelle Eingriffe in den meisten (nicht in allen) Briefen und warnt davor, manche negative Stilisierung des Klerus von Pelusium, besonders beim Thema Simonie, zu wörtlich zu nehmen und auf konkrete Personen zu beziehen (s. a. a.O. 203 f.). Capo 1901 betonte den offensichtlich nicht originalen Zustand vieler Briefe (mehrere Nummern in unserer Überlieferung wirken jeweils wie Teile eines längeren Briefes; „Briefe“ ohne brieftypische Elemente; Briefe, die sich sehr stark ähneln). Das war für ihn aber kein Argument gegen isidorianische Autorschaft solcher Briefe, sondern nur für Schnitte und Interpolationen durch nicht näher genannte monachi (Capo 1901, 463), womit er von Évieux (Évieux 1995, 366 und 1997, 104– 106) nicht weit entfernt ist. M. Kertsch bezweifelte ähnlich wie Riedinger schon vor Évieux 1995, wenn auch z.T. nicht so radikal und mit nicht ganz so polemischen Worten, die Authentizität vieler Isidorbriefe und die Konsistenz des Korpus (vgl. Kertsch 1985, 121: „[…] daß die Technik Isidors die eines typischen Centonisten ist, der verschiedenste, da und dort aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Textabschnitte […] mosaikartig zusammenstellt und mit seinem eigenen Wortmaterial verfugt“), wird von Évieux aber (anders als Riedinger) nur selten und nicht namentlich mit seinen pauschalisierenden Aussagen, sondern i.W. nur als Entdecker von Anleihen Isidors bei Gregor von Nazianz angeführt (z. B. Évieux 1995, 360).

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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spielsweise erledigt sich das Argument, die Sammlung enthalte viele Dubletten, bereits weitgehend, wenn man mit Évieux die originale Reihenfolge der Briefsammlung wiederherstellt und die Doppelungen, die sich durch die frühneuzeitliche Editionsgeschichte in drei Etappen ergeben haben, wieder ausscheidet. Die zahlreichen intertextuellen Bezüge zu heidnischen und christlichen Autoren vor Isidor belegen zweitens noch nicht, dass das Isidorkorpus eine in sich disparate Collage älterer Texte aus der Werkstatt eines unbekannten Kompilators ist, sie können genausogut als Neuverwendung und Neukontextualisierung (Évieux spricht von „réemploi“⁴⁰) von Auszügen bzw. als Anleihen aus bekannter Literatur nach allgemeinem antikem Brauch, zum Teil auch mit etlichen Veränderungen im Detail, durch einen Autor echter Briefe interpretiert werden.⁴¹ Zudem dürfte der schärfste Kritiker der Echtheit der Isidorbriefe, P. Utto bzw. Rudolf Riedinger, der Reminiszenzen an andere Werke bei Isidor als ein Hauptargument für seine Thesen verwendet, die Bedeutung dieses Punktes auch dem Umfang nach übertreiben. Jedenfalls generalisiert er die Ergebnisse der Suche nach Parallelen bei Isidor zu früheren Autoren und weitet sie suggestiv auf das ganze Korpus aus, ohne Einzelnachweise zu führen. Évieux dagegen hat in detaillierter Arbeit mit vor allem prosopographischen, zum Teil auch archäologischen⁴² Argumenten aufgezeigt, dass sich aus dem Isidorkorpus ein historisch, geographisch und inhaltlich kohärentes Bild der Briefpartner Isidors ergibt, von denen viele noch mit Namen, Titeln und Funktionen als Personen im Ägypten des beginnenden 5. Jahrhunderts identifiziert werden können.⁴³ Auf Riedingers mit Verve und zum Teil mit eigenartig polemischer Wortwahl⁴⁴ vorgetragene Argumente hat allerdings auch Évieux nicht  „Réemploi“ sei auch noch einmal vom direkten wörtlichen Zitat zu unterscheiden.Vgl. Évieux 1995, 360 und 1997, 103; dort auch die prägnante Formulierung: „[…] ce n’est pas parce que Démosthène parle par sa bouche que lui-même [sc. Isidore] n’existe pas“.Vgl. auch Évieux 1995, 362: „[…] la présence de tels emprunts aux ‚bons auteursʻ ou aux florilèges n’exclut pas, selon nous, leur utilisation personelle par Isidore de Péluse, dans sa correspondance.“  So auch Treu 1998, 989: „Auch die Übernahme eines fremden Textes oder umfangreicher Zitate muß einen Brief nicht als unecht erweisen.“  Z. B. Évieux 1995, 209, Anm. 107bis.  Von Évieux selbst zusammengefasst: Évieux 1995, 307 f. und 365 f.  Vgl. Riedinger 1964, 18: „nicht wenige Isidoros-Briefe sind aus Chrysostomos-Stellen fabriziert worden“; vgl. Riedinger 1978, 149, 24 f.; vgl. ebd. 35: „literarische Manipulationen“. Über Ps.Caesarius, mit dem er Isidor in eine Reihe stellt, wenn auch Isidor „nicht auf dieselbe Weise wie PsK [Ps.-Caesarius] seine Pseudonymität zu vertuschen versucht“ (Riedinger 1969, 339), weil er seine Quellen gelegentlich angibt, sagt Riedinger (Riedinger 1960, 159), er „überspringt manches, formt anderes sehr stereotyp und charakteristisch um, und schiebt vor allem ebenso charakteristische Partien ein, wenn er glaubt, daß die Tarnung durch seine harmlosen Quellen genügt, um dieses perfide Manöver zu verdecken“. Riedinger drückt sich hier beinahe so aus, als wäre das

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1 Einleitungsfragen

vollständig und nicht immer zutreffend geantwortet, und in der Literatur nach Évieux⁴⁵ ist von Riedinger so gut wie keine Rede mehr, in der Regel fällt nicht einmal sein Name. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal überblicksweise auf Riedinger eingehen. Denn wenn Riedinger Recht hätte, wären Untersuchungen am Isidorkorpus als einem einheitlichen, zusammenhängenden Textbestand und davon abgeleitete Aussagen über einen „Isidor von Pelusium“ mit seinen Auffassungen und Positionen, wie sie seit 2000 wieder vermehrt unternommen werden und wie sie auch in dieser Arbeit geplant sind, unsinnig.⁴⁶ P. Utto – später (in Folge seines Austritts aus der bayerischen Benediktinerabtei Metten⁴⁷) Rudolf – Riedinger, der in seiner Doktordissertation 1956 Isidor noch als historische Persönlichkeit und Autor echter Briefe zitiert⁴⁸, hat in den 1960er und 70er Jahren im Rahmen seiner Forschungen zu Ps.-Caesarius und Ps.Dionysius die Authentizität der Isidorbriefe und schließlich die Existenz eines Isidor von Pelusium grundsätzlich in Frage gestellt. Riedinger hielt das Korpus zunächst „mit allen Vorbehalten“ „weithin“ für eine Kombination aus Exzerptensammlung und literarischer Fiktion mit theologischen Absichten aus der ers-

Handwerk eines „Kompilators“, für den er u. a. „Isidor“ hält, moralisch verwerflich. Davon kann zumindest für antike Maßstäbe keine Rede sein. Außerdem wäre, selbst wenn „Isidor“ zweifelsfrei als das Werk eines Kompilators oder „Centonisten“ (Kertsch 1985, 121) ohne jede Originalität erwiesen wäre, immer noch zu untersuchen, welche Quellen dieser „Centonist“ verarbeitet hat, wie er sie ausgewählt und neu zusammengestellt hat und ob daraus nicht doch wieder ein originelles Anliegen spricht.  Vgl. dazu unten das 2. Kapitel.  Riedingers Thesen haben übrigens auch massiv in die siebte, achte und neunte Auflage des patrologischen Lehrbuchs von Altaner/Stuiber Eingang gefunden; es heißt dort lapidar: „Diese Briefe […] nehmen […] im Verkehr mit hochgestellten Adressaten auch zu Vorgängen in Kirche und Welt Stellung.Von einer solchen Bedeutung Isidors ist uns sonst nichts bekannt. Zahl und Art der Briefe sind in altchristlicher Zeit ohne Beispiel. Es fällt ferner auf, daß die Briefe zum großen Teil aus den in Stücke geschlagenen Hypotyposen des Klemens von Al[exandria] hergestellt worden sind. [!] So drängt sich die Vermutung auf, daß die Briefsammlung des I[sidor] eine aus älterem Material hergestellte Fälschung ist“ (Altaner/Stuiber 1978, 267 f.). Riedingers Name fällt dabei nur in den Literaturangaben.  S. die Bibliographie der deutschsprachigen Benediktiner 1880 – 1980, Band I, St. Ottilien 1985, S. 49.  Vgl. z. B. Riedinger 1956, 64 (Kapitelüberschrift): „19. Isidoros von Pelusion † um 435“; ebd. 65: „der ehemalige Sophist“; „Freude am sophistischen Witz“; ebd. 66: „dieser große Epistolograph der Alten Kirche“. Die für Riedinger recht charakteristische polemische Ausdrucksweise findet sich allerdings bereits in seiner Dissertation – vgl. ebd. 66 (über ep. 1053 (III, 253)): „Im Briefe an Herminos steht der bekannte Hinweis auf das λογίδιον […], das er dem Adressaten zu schicken verspricht. Die Redensarten, die diese Mitteilung umranken, sind eine für unser Gefühl geradezu unerträgliche Mischung von Eitelkeit und mönchischer Devotion“.

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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ten Hälfte des 6.⁴⁹, sodann für eine Kompilation „aus verschiedenen Quellen“ möglicherweise schon aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, die in jedem Fall im Akoimetenkloster in Konstantinopel unter dem Namen des Pelusioten erstellt worden sei.⁵⁰ Er behauptet rundheraus, es sei „bekannt, daß die Samm-

 Riedinger 1960, 159.  Riedinger 1964, 16. Riedinger spricht über Isidor ab 1960 zunächst vor allem im Zusammenhang seiner Beschäftigung mit den „Fragen und Antworten“ (Erotapokriseis), die wahrscheinlich im 6. Jahrhundert unter dem Namen des Caesarius, des Bruders von Gregor von Nazianz, zusammengestellt wurden (Pseudo-Caesarius). Évieux macht 1995 die falsche und v. a. angesichts seiner eigenen Isidordatierung unsinnige Angabe, Riedinger habe bei Isidor Zitate aus Ps.-Caesarius identifiziert (Évieux 1995, 360) – bei seiner ersten Auseinandersetzung mit Riedinger hatte er dessen Thesen noch sauberer wiedergegeben (Évieux 1976, 323 f.). In Wirklichkeit behauptet Riedinger 1960, aufgrund von mehr oder weniger starken Ähnlichkeiten im Text von 32 Isidorbriefen und bei Ps.-Caesarius die verlorenen Hypotyposen des Clemens von Alexandria, ein exegetisches Sammelwerk, als „gemeinsame[…] Quelle“ (Riedinger 1964, 17) von Isidor und Ps.Caesarius identifiziert zu haben (vgl. Riedinger 1960, 157: „zwei verschiedene Bearbeitungen einer Auswahl von Hypotyposenstellen“) und bietet auf dieser Grundlage 23 Hypotyposen-„Fragmente“ (Tabelle bei Riedinger 1960, 169). Riedingers Fragmentbegriff ist nicht der allgemein gebräuchliche und wird nirgends geklärt; er stellt bei jedem „Fragment“ den Isidortext neben den Ps.Caesariustext, ohne anzugeben, was er nun als rekonstruierten Clemenstext vermutet. Trotz der a. a.O. auf S. 156 f. und 168 vorgetragenen Argumentation ist m. E. noch nicht stringent bewiesen, dass Isidor hier aus Clemens schöpft und nicht nur Ps.-Caesarius aus Isidor (wenn überhaupt; bei „frg. 18“ etwa schließt Riedinger „gegenseitige Abhängigkeit“ von Isidor und Ps.-Caesarius explizit aus, s. a. a.O. 187) oder möglicherweise aus den verlorenen Hypotyposen des Clemens. Was etwa die Formulierung „Die Parallelen zwischen I[sidor] v[on] P[elusium] und Ps[.‐]C[aesarius] lassen bei PsC eine lockere Ordnung erkennen (Mt 11– 24, 3 – 10)“ (Riedinger 1960, 168) bedeuten soll, ist mir nicht klar. Tatsächlich werden in den von Riedinger erhobenen „Fragmenten“ meistens Passagen aus Mt besprochen (vgl. Riedingers Tabelle a. a.O. 169), aber warum braucht es zu der oben zitierten Erkenntnis Isidor von Pelusium, wenn bei Isidor noch weniger eine Reihenfolge nach der Kapitelfolge des Mt erkennbar ist als bei Ps.-Caesarius und schon gar keine durchgehende Beschäftigung mit Mt-Stellen? Die Parallelität der Stellen aus Isidor und Ps.-Caesarius bezieht sich oft nur auf den Inhalt, der durchaus unterschiedlich präsentiert und formuliert sein kann; in den Details finden sich vielerlei Abweichungen. Eine bestimmte Auslegung einer Bibelstelle oder eines biblischen Erzählelements kann aber durchaus Allgemeingut gewesen sein; zum Nachweis echter literarischer Verwandtschaft braucht es m. E. stärkere wörtliche Parallelen, als dies bei den meisten von Riedingers „Fragmenten“ der Fall ist. Riedinger behauptet zwar: „In den Briefen des I[sidor] v[on] P[elusium] finden sich jedenfalls zahlreiche sonst seltene Wörter und Wendungen, die zu den Spezifika des Ps[.‐]C[aesarius] gehören“ (Riedinger 1960, 159). Dafür werden dann aber keine Beispiele angeführt, weil das „den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes sprengen und seinen Zweck verfehlen“ würde (ebd.). Vor allem gilt wie schon angedeutet: Keines der angeblichen Hypotyposenfragmente wird bei Isidor oder Ps.-Caesarius mit der Autorenangabe „Clemens von Alexandria“ oder gar der Werkangabe „Hypotyposen“ eingeführt, wie es dem klassischen Fragment- oder jedenfalls Testimonienbegriff entspräche, sehr im Unterschied zu den von O. Stählin gesammelten und 1970 im Band GCS 172 neu herausgegebenen Hypotyposen-

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1 Einleitungsfragen

lung und Redaktion der viermal 500 = 2000 Briefe des I[sidor] v[on] P[elusium] im Akoimeten-Kloster am Bosporus erfolgte“⁵¹ und beruft sich dabei auf Facundus von Hermiane⁵² und Rusticus⁵³, während bei Facundus zwar von der Zahl der Briefe⁵⁴, aber mit keinem Wort von den Akoimeten die Rede ist⁵⁵ (Évieux⁵⁶ behauptet hierzu ähnlich wie Riedinger tatsachenwidrig das Gegenteil, nämlich dass Facundus die 2000 Briefe enthaltende Sammlung im Zusammenhang mit den Akoimeten erwähne, ja sogar sie im Akoimetenkloster eingesehen habe⁵⁷), und auch aus Rusticus nur hervorgeht, dass um das Jahr 565⁵⁸ vier Kodizes mit je 500 Isidorbriefen im Akoimetenkloster vorhanden waren, nicht aber, dass diese Briefsammlung im Akoimetenkloster erstellt oder gar „redigiert“ wurde. Von den

fragmenten (mit Nennung von Autor und Werk bei der antiken Zitation: GCS 172, 195 – 202) und Clemensfragmenten „ungewisser Herkunft“ (mit Nennung des Autornamens: GCS 172, 224– 230), was Riedinger auch bewusst ist (vgl. a. a.O. 156). Der tatsächliche Text dieser „Fragmente“ ist nicht greifbar, und literarische Abhängigkeit Isidors von einem nicht greifbaren Text zu konstatieren, ist und bleibt problematisch. Und selbst wenn Isidor und Ps.-Caesarius an gewissen Stellen von demselben Text – den Hypotyposen des Clemens – literarisch abhängig sein sollten und die Erotapokriseis des Ps.-Caesarius ein Florilegium sind, beweist das noch nicht, dass das Isidorkorpus ebenfalls in Gänze oder im Wesentlichen ein pseudepigraphisches Florilegium ist, wie Riedinger behauptet. Als weitere Reminiszenzen an Früheres bei Isidor weist Riedinger später auf die Anleihen aus „klassische[n] Autoren“ hin (Riedinger 1975, 28; Riedingers Formulierung „hunderte von Anspielungen auf klassische Autoren“ wirkt allerdings angesichts von knapp 50 Belegen aus nichtchristlichen Autoren in Évieux’ Stellenregistern für die ca. 25 % von ihm edierten Isidorbriefe (im postum edierten Band SC 586 ist die Häufigkeit noch geringer, s. a. a.O. 421 f.) und von 259 Stellen für alle Briefe nach Fouskas 1970, 100 – 111, etwas dick aufgetragen), außerdem auf Johannes Chrysostomus und auf mehrere Werke des Clemens von Alexandria auch neben den Hypotyposen, vor allem ein von Riedinger postuliertes „verlorene[s] Werk des Clemens gegen Marcion“ (Riedinger 1978, 149, 18 f.). Riedinger selbst fasst seine Entdeckungen a. a.O. und in seinem Aufsatz von 1975, 28 – 30 zusammen.  Riedinger 1960, 157.  A. a.O. Anm. 6: „ML [= PL] 67, 573 A“. Das entspricht CCSL 90 A, 59, 81 ff.  ACO I, 4, 25, 21– 24.  Facundus Herm., defens. II, 4 (CCSL 90 A, 59, 83): „duo millia epistularum“.  Von Isidor von Pelusium ist in der ganzen literarischen Hinterlassenschaft des Facundus nur zwischen CCSL 90 A, 59, 81 und 61, 137 die Rede, von den Akoimeten nirgends.  Évieux 1995, 7; die Behauptung findet sich schon 1922 bei E. Schwartz (ACO I, 4, XVf.) und geht womöglich auf ihn zurück.  Dieser fehlerhafte Konnex könnte über Richard Simon auf den französischen Jesuiten Jacques Sirmond (1559 – 1651) zurückgehen (vgl. Simon 1693, 313).  Vgl. zur Abfassungszeit der Dokumentensammlung durch Rusticus ACO I, 4, VIIII: „post d. 14 m. Nou. 565, quo die Iustinianus mortuus est“ und Évieux 1997, 155: „En 564“ (wie Riedinger 1960, 157, Anm. 6).

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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2000 Briefen hat Rusticus 49 ausgewählt und ins Lateinische übersetzt.⁵⁹ Riedingers Position zum Ursprung des Isidorkorpus steht und fällt außerdem mit der bei Turner und Lake ihren Anfang nehmenden Meinung, dass unsere gesamte handschriftliche Tradition auf die bei Rusticus erwähnten Kodizes des Akoimetenklosters zurückgeht⁶⁰, die zwar noch weiter tradiert wird⁶¹, aber heute nicht mehr haltbar ist, weil sie u. a. durch die seit der Einbeziehung der Textzeugen aus dem Osten noch differenziertere Handschriftenlage und insbesondere durch den Blick auf die syrische Überlieferung erschüttert wird.⁶² Évieux liefert auf vielen Seiten⁶³ den Gegenbeweis zu Riedingers Behauptung, „die zahlreichen Briefe an den Bischof Eusebios und Konsorten, die sich angeblich mit der Disziplin des Klerus von Pelusion in Ägypten befassen“, seien „ebenso wie viele Briefe an Mönche und Männer des öffentlichen Lebens so stereotyp und bar jeder konkreten Angaben, daß die Namen der Adressaten sicherlich das Unwichtigste daran sind“.⁶⁴ Wenn man sich im Gegenteil vor Augen führt, wie viele Bischöfe und „Männer des öffentlichen Lebens“ unter den Adressaten Isidors von Évieux mit auch sonst bekannten historischen Persönlichkeiten identifiziert werden konnten, ist es schwer vorstellbar, dass ein Akoimet in Konstantinopel ein so detailreiches Wissen über das Ägypten vergangener Jahrzehnte gehabt haben soll, dass er diese Briefe so zielsicher hätte fingieren können.⁶⁵ Dass insbesondere die Adressen der 32 Briefe, bei denen Riedinger Parallelen zu Ps.-Caesarius (nicht, wie Évieux schreibt, Zitate aus Ps.-Caesarius⁶⁶) erkennt, „pseudepigraphische

 Die Stelle, auf die Riedinger verweist, lautet: „Has omnes beati Isidori presbyteri et abbatis Pelusiotae excerpsi et transtuli ex epistulis eius duabus milibus, quae sunt per quingentenas distributae in Acoemetensis monasterii codicibus venustissimis quattuor; ubi etiam per ordinem singularum numerus continetur et ultima est quam ego quoque ultimam posui“ (ACO I, 4, 25, 21– 24). Riedingers unsinnige Folgerung aus dieser Stelle wird aus anderer Quelle ebenso von seinem Kritiker Hornus (Hornus 1961, 57, Anm. 213) referiert.  Vgl. Évieux 1997, 120.  Vgl. Fuhrer 2002, 360.  Vgl. Évieux 1976, 329 und 333 (im speziellen Bezug auf ep. 124 (I, 124)), noch deutlicher Évieux 1995, 7 f. und 365. Dennoch wird diese These ohne jede Bezugnahme auf Évieux’ Gegenargumente von Kertsch in seiner Rezension von Évieux’ Isidormonographie (Kertsch 1997, 292) unverwüstlich weiter vertreten.  S. insbesondere Évieux 1995, 11– 28; 29 – 90; 91– 126; 202– 212. Zusammenfassungen ebd. 307 f. und 365 f. und Évieux 1997, 38 f.  Riedinger 1964, 16.  Vgl. Évieux 1995, 291.  Wie bereits erwähnt, vgl. Évieux 1995, 360. Tatsächlich lässt sich bei einigen der von Riedinger angeführten Parallelen eher eine Abhängigkeit des Ps.-Caesarius von Isidor plausibel vermuten. Der Ps.-Caesarius-Text hat fast bei allen „Fragmenten“ einen Überschuss gegenüber dem Isidortext.

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1 Einleitungsfragen

Zutaten sind, die mit dem ‚Briefʻ-Text selber nichts zu tun haben“⁶⁷, beweist er a. a.O. nicht, was umso schwerer wiegt, als er diese Behauptung dann als „Beweismaterial für die Fälschung ganzer Briefe“, nämlich auch des Textes dieser 32 Briefe hinstellt, und schließlich, unter Berufung auf seine Hypothesen zur Entstehung von Ps.-Caesarius und Ps.-Dionysius Areopagita⁶⁸, eben suggeriert, alles, was wir an Isidortext haben, sei pseudepigraph. Das tatsächlich bis zur

 Riedinger 1960, 158.  Riedinger ebd. Riedinger identifiziert seit seinem Aufsatz von 1959 Ps.-Dionysius mit der historischen Person Petrus der Walker (Petrus Fullo), der auch zweimal einige Jahre Akoimet gewesen sei (Riedinger 1969, 458 und 1978, 150, 38 – 41); kritische Auseinandersetzung damit und Gegenargumente bei Hornus 1961, 56 – 64 und Ritter 1993, 175 – 182 und 1994, 10 – 15. Bei Riedinger 1960, 158 f. wird dann die Technik der Pseudepigraphie bei Ps.-Caesarius mit der „seine[s] Mitbruder[s]“ (!) Ps.-Dionysius / Petrus Fullo in Verbindung gebracht (wobei Riedinger 1969, 458 selbst zugibt: „Die Schlußfolgerung, daß unser Kompilator [Ps.-Caesarius] ein Mönch des Akoimetenklosters gewesen ist, ist zwar meines Erachtens gut begründet, aber doch nicht so, daß sie wie bei einem archivalischen Beleg absolut zwingend wäre“). Es folgt die Beschreibung der Kompilationstechnik bei Ps.-Caesarius, der nach Riedinger durch die textlichen Parallelen und den gemeinsamen Entstehungsort mit Isidor verwandt ist, und schließlich wird daraus folgende These: Wenn die Akoimeten, wie man bei Ps.-Caesarius und Ps.-Dionysius sieht, gerne pseudepigraphe Schriften produziert haben und außerdem bei der Erstellung von Ps.-Caesarius mehr oder weniger geschickt mit Collage- und Montagetechniken gearbeitet haben, ist es wohl auch bei „Isidor von Pelusium“ nicht wesentlich anders, sondern es handelt sich auch hier um ein „weithin und bis auf die verarbeiteten Quellen selbständige[s], d. h. pseudonyme[s] Produkt der Akoimeten […], das zu den dogmatischen Publikationen eines Klosters gehört, in dem verschiedene theologische Überzeugungen geduldet und je nach Bedarf ausgespielt worden sind“, wobei Riedinger mit dem Gedanken der Konsistenz des Isidorkorpus auch den der Konsistenz der theologischen Positionen in der Gemeinschaft der Akoimeten aufgibt. Man fragt sich, was dann ein irgendwie einheitlicher „Bedarf“ des Klosters gewesen sein soll, der jeweils der Anlass für die „dogmatischen Publikationen“ gewesen sein könnte, und in der Tat muss Riedinger 1969, 458 zu der Feststellung Zuflucht nehmen, „daß sich nicht alle Menschen einer bestimmten Gemeinschaft so vollständig einzuordnen vermögen, daß sich das Bild der Gemeinschaft mit dem Bild jedes einzelnen Gliedes nahezu deckt“. Zur angedeuteten Kategorie von Menschen zählt er a. a.O. Petrus den Walker und den anonymen Akoimeten, der sich hinter Ps.-Caesarius verberge. Zu diesen Paradoxien bei Riedinger vgl. Hornus 1961, 58 f. Anm. 224 und 61 Anm. 236. Vgl. außerdem zu Riedingers Argumentationsweise, bei der eine Hypothese die andere untermauern soll, Riedinger 1960, 171 bei der Besprechung von „Fragment 1“: Dass bei Ps.-Caesarius von Engeln und Erzengeln die Rede ist, „die besonders seit Ps.-Dionysius in Entsprechung zur monastischen Liturgie der Akoimeten in einem pausenlosen himmlischen Gottesdienste gesehen werden“ – wobei allerdings bei Ps.-Dionysius m.W. nirgends etwas von den Akoimeten steht – soll den Passus bei Ps.Caesarius als redaktionelle Hinzufügung von Akoimeten ausweisen. Auf Riedingers Neigung zu Zirkelschlüssen weist schon Hornus 1961, 57 Anm. 213 hin, wobei man Hornus’ Kritik noch verschärfen muss, weil er die unsinnige Meinung Riedingers, aus Rusticus (zitiert aus PG 84, 587 B) lasse sich folgern, das Isidorkorpus in der uns vorliegenden Form sei im Akoimetenkloster entstanden, kritiklos selbst vertritt.

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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Lösung des Problems durch den Vorschlag der PLRE⁶⁹ ziemlich starke Argument um den Prätoriumspräfekten Rufinus⁷⁰ als einen Beleg dafür, dass mit einem Adressatennamen bei Isidor etwas nicht stimmen könnte, bringt Riedinger dagegen nicht⁷¹, vermutlich weil er die Autorennamen als das seiner Meinung nach „Unwichtigste“⁷² eben gar nicht für einer eingehenden Untersuchung wert hält. Heute schlägt seine Einschätzung auf diesem Gebiet gegen ihn aus; denn gerade die Untersuchung der Autorennamen hat Évieux zur Überzeugung von der Konsistenz und historischen Plausibilität großer Teile des Isidorkorpus geführt.⁷³ Was Theorie und Praxis der Exegese in Isidors Briefen angeht, kann vielleicht die vorliegende Arbeit auf einem weiteren Gebiet die inhaltliche Konsistenz des Isidorkorpus zeigen, was ja – auch zahlreiche – Anleihen bei früheren Autoren wie Clemens von Alexandria und Chrysostomus nicht ausschließt. Riedinger dagegen arbeitet mehrfach mit suggestiven Formulierungen, die die von den Texten repräsentierte Realität verzerren. Die 32 von ihm mit Ps.-Caesarius verglichenen Isidorbriefe nennt Riedinger z. B. mit den Ps.-Caesarius-Abschnitten „identisch“⁷⁴, wobei im Text dann oft von – jedenfalls wörtlicher – Identität keine Rede sein kann. Bei „Fragment 18“ gibt Riedinger das auch selbst zu⁷⁵. Für die 32 Briefe gelte, „daß nicht nur die Inhaltsangaben Mignes, die in den beiden benutzten Handschriften⁷⁶ fehlen, spätere Erläuterungen darstellen“ – diese Briefüberschriften dürfen tatsächlich als sekundär gelten; in die PG sind sie über

 PLRE II, 953.  Zusammengefasst bei Évieux 1976, 327 f.  Die „Vielen“, die mit diesem Argument die Authentizität der Isidorbriefe in Frage gestellt haben sollen, nennt Évieux (Évieux 1995, 53) nicht beim Namen. Heumann / Pezold, Sicking, Riedinger können es nicht sein; sie führen das Argument nicht ins Feld. Auf die Lösung des Problems durch Martindale weist auch Delmaire 1988, 231 f. hin.  Riedinger 1964, 16.  Darauf, dass Isidors hochgestellter Briefpartner Rufinus nicht der 395 ermordete Prätoriumspräfekt sein kann, hat Évieux 1976, 327 f. selbst hingewiesen, noch ohne eine zufriedenstellende Lösung bieten zu können. Martindale löst das Problem a. a.O. (PLRE II, 953) unter Bezugnahme auf den Chronisten Johannes Malalas (6. Jh.), der freilich zweimal zwei Träger des gleichen Namens (zweimal Rufinus und zweimal Antiochus Chuzon) miteinander verwechselt hat. Diese Lösung begrüßt und übernimmt Évieux dann 1995 (Évieux 1995, 53 f.; s. auch ebd. 308: „Avec la reconnaissance de Rufin, préfet du prétoire d’Orient en 431 (et non 392– 395), tout s’éclaire et tous les éléments jusque-là douteux s’organisent harmonieusement. Les titres et les fonctions civils sont cohérents avec la période que nous avons déterminée.“) S.u. S. 31.  Riedinger 1960, 155.  Riedinger 1960, 187.  Riedinger hat für den Isidortext, den er abdruckt, den Paris. gr. 832 und den Cod. B α. I. von Grottaferrata konsultiert (Riedinger 1960, 166). Zu den Kodizes s.o. Anm. 12 und Anm. 16.

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1 Einleitungsfragen

Rittershausen aus dem cod. Monac. graec. 50 gelangt⁷⁷ – „sondern auch die Adressen der Briefe pseudepigraphische Zutaten sind“⁷⁸. Für Letzteres bleibt Riedinger jeden Beweis schuldig – textkritisch sind die Empfängernamen und -titulaturen in der Regel gut, und zwar weitaus besser als die Überschriften, bezeugt – und in einer Fußnote dazu folgert er dann aus der unbewiesenen Behauptung über die 32 Briefe: „Damit ist das Beweismaterial für die Fälschung ganzer Briefe, die Severus behauptet hatte, geliefert, das Schmid noch vermißt […], obwohl er selber mindestens ein gutes Beispiel für die Umarbeitung einer Chrysostomusstelle zu einem „Briefe“ liefert […]“.⁷⁹ Ähnlich wie Riedinger und durchaus im Anschluss an ihn geht M. Kertsch vor, der sich auch nach der Publikation der Isidormonographie von Évieux 1995 weiter im Sinne Riedingers geäußert hat.⁸⁰ Seine Ausdrucksweise ist bisweilen  S. oben Anm. 20.  Riedinger 1960, 158.  Riedinger 1960, 158, Anm. 9, wobei Riedinger mit „Fälschung“ spätestens 1964 dann etwas ganz anderes meint als Severus von Antiochia, der die Existenz eines (aus seiner eigenen Sicht orthodoxen) Priesters Isidor von Pelusium gerade nicht in Frage stellen, sondern durch eigene Nachforschungen in Ägypten untermauern will (s. unten S. 25). Die Parallelen zwischen Isidor und Ps.-Caesarius nennt Riedinger „eine Bestätigung der alten Angriffe auf die Authentizität dieser ‚Briefeʻ [Isidors, wobei Severus keineswegs die Authentizität des ganzen Korpus angegriffen hatte], da mehr als 50 von ihnen [das uns überlieferte Isidorkorpus umfasst allerdings 1999 Nummern!] als Bearbeitungen älterer Kirchenvätertexte (in diesem Falle der Hypotyposen des Klemens) nachgewiesen werden konnten“ (Riedinger 1964, 15).  Vgl. Kertschs Rezension zu Évieux 1995 (Kertsch 1997 (1), 292); dort ist vom „spezifischen Interesse des Rez. [Kertsch]“ die Rede, „der […] der [Évieux] diametral entgegengesetzten Ansicht Riedingers, mit dem sich E[vieux] wiederholt auseinandersetzt […], zustimmt, wonach diese Briefe – wie bereits erwähnt – dem Isidor (einem vielleicht überhaupt nur literarischen „Phantom“!) unterschoben sind, in Wirklichkeit jedoch die sog. Akoimeten […] in Konstantinopel als Urheber haben (im Übergang vom 5. zum 6. Jh. […])“ oder schon früher Kertsch 1992 (1), 39, Anm. 28 über die „Decknamen“-Theorie: „Eine Ansicht, zu der R. Riedinger – bekannt als Fachmann ‚in rebus spuriisʻ – neigt (briefliche Mitteilung!) [sic!] und die m. E. einiges für sich hat“. Kertsch 1998, 231 hört sich milder an: Évieux trete den „von manchen, namentlich von R. Riedinger, artikulierten Zweifel[n] bezüglich der ‚Echtheitʻ Isidors als Autor der überkommenen Briefsammlung“ „entschieden“ entgegen, „ohne die Problematik m. E. endgültig aus der Welt schaffen zu können“. Vgl. außerdem noch Kertsch 1997 (3), 67, Anm. 7. Dort zitiert Kertsch Évieux 1995, 360 mit dessen Hinweis darauf, dass die bei Isidor verwendeten Stellen früherer Autoren bei diesem vielfach modifiziert und in neuen Kontexten auftauchen. Kertsch merkt dazu an: „Allerdings scheint es mir unzulässig, bloß daraus – wie P. Évieux es versucht – im spezifischen Falle Isidors dessen Authentizität als Autor zu untermauern (gegen R. Riedinger u. a.)“. Was meint Kertsch mit „Authentizität als Autor“? Sein Konzept von „Authentizität“, vermutlich im Sinn von unabhängiger „Originalität“, scheint mir für die Antike einigermaßen anachronistisch. Oder geht es ihm um Isidors Existenz als historische Person? Dafür liefert Évieux andere Argumente als nur literarische.

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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ähnlich polemisch wie die Riedingers⁸¹; im Unterschied zu Riedinger stellt er allerdings besser nachprüfbare Intertextualitäten bei Isidor fest, da er nicht verlorene, sondern erhaltene Texte, und zwar vor allem von Johannes Chrysostomus und Gregor von Nazianz, als Vorlagen Isidors aufweist.⁸² Auf der anderen Seite der Skala möglicher Einstellungen zur Autorschaft unserer Isidortexte steht der griechische Patrologe C. Fouskas, der die Einheit des Korpus und die Echtheit aller Briefe um jeden Preis verteidigen will.⁸³ Eine Fassung seiner Dissertation über „Isidor von Pelusium mit besonderem Augenmerk auf seinen Gebrauch des Neuen Testaments“ liegt in zwei Teilen, u. a. in Gestalt einer Artikelserie in der Zeitschrift „Θεολογία“ (Fouskas 1966/1967, der zweite Teil der Dissertation⁸⁴) und des Titels „Saint Isidore of Pelusium, his Life and his Works“ (Fouskas 1970, der erste Teil der Dissertation⁸⁵) vor. In der zuletzt genannten Schrift werden auch die Einleitungsfragen behandelt. Fouskas bietet eine Liste mit 259 Stellen aus paganen und jüdischen Autoren bei Isidor⁸⁶ und eine ausführliche, nach Fouskas’ eigenen Worten keineswegs erschöpfende Zusammenstellung von 201 Reminiszenzen an frühere christliche Autoren.⁸⁷ Im Zusammenhang mit diesen Listen betont er aber, all diese Intertextualitäten würden nicht im Geringsten gegen die Originalität, geschweige denn gegen die Authentizität der Briefe sprechen. Isidor habe unter gelegentlichem Rückgriff auf vorhandenes Material, das er als Intellektueller präsent hatte, etwas vollkommen Neues geschaffen⁸⁸, freilich im Einklang mit der Tradition, wie das bei jedem orthodoxen Autor der Fall sei.⁸⁹ Am Ende stehen dann noch lapidare Sätze wie: „Besides, no one produces something entirely new. Everyone’s theory is based on something which was done before him.“⁹⁰ Mit alledem erweckt Fouskas freilich

 Vgl. Kertsch 1988, 395: „Isidor von Pelusium, der längst als Exzerptor großen Stils entlarvt wurde […]“; Kertsch 1992 (1), 35: „ein Abklatsch“; Kertsch 1996, 45: „Exzerptoren vom Schlage eines Isidor von Pelusion oder eines Pseudo-Kaisarios“, wobei Kertsch immerhin den Begriff „Plagiat“ als anachronistisch ausschließt.  S. die Titel der Aufsätze von Kertsch im Literaturverzeichnis.  Vgl. Évieux 1995, 362.  Vgl. Fouskas 1966, 59.  Vgl. Fouskas 1970, 22.  Fouskas 1970, 100 – 111.  Fouskas 1970, 116 – 124.  Vgl. Fouskas 1970, 112: „[…] Isidore read and digested the writings and then he produced a new product which unquestionably belongs to him.“ und ebd. 116: „Before we cite the lists, we must stress that all these similarities do not prove that Isidore depended on the works of other Fathers. […] Isidore […] produced an entirely new output.“  Vgl. Fouskas 1970, 116.  Fouskas 1970, 116.

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1 Einleitungsfragen

eher den Eindruck, einen kirchlichen Heiligen⁹¹ retten zu wollen, der als solcher doch keine Erfindung sein könne, als dass er wirkliche Argumente liefern würde. Die durchwegs späten hagiographischen Zeugnisse (nicht vor dem 10. Jahrhundert, für Fouskas als solche dennoch „rather old“⁹²) verarbeitet er oft unkritisch und stellt sie meist auf eine Ebene mit den Informationen aus den Briefen selbst oder etwa aus dem tatsächlich sehr alten Zeugen Severus.⁹³ Riedinger hat er nicht rezipiert.⁹⁴ Im zweiten Teil der Dissertation, in dem Fouskas virtuell alle Stellen, an denen Isidor das Neue Testament auslegt, bespricht, spielen die Fragen nach Originalität und Authentizität der Briefe gar keine Rolle mehr. Nur vereinzelt weist Fouskas dort noch auf Parallelen zur Auslegung anderer patristischer Autoren bei Isidor hin. Der Wert der Arbeit liegt in der Materialsammlung; schon die Klassifizierung des Materials ist z.T. fragwürdig, Kriterien etwa für „Unsuccessful Interpretations“⁹⁵ werden nicht transparent gemacht, die Inhalte meist einfach paraphrasiert⁹⁶. Zwischen Fouskas und Riedinger vertritt Évieux eine differenzierte Position. Er geht von der Historizität der Person Isidor von Pelusium und seiner Briefpartner aus⁹⁷, glaubt aber nicht, dass die Zusammenstellung der Briefe auf Isidor selbst zurückgeht, sondern auf Briefpartner, ehemalige Schüler und Freunde Isidors aus dem kirchlichen oder monastischen Milieu.⁹⁸

 Vgl. den Beginn seiner Einleitung (Fouskas 1970, 21) und Fouskas 1970, 159, Anm. 41. Als eigenes Argument für die Echtheit des Korpus bringt Fouskas dort den Umstand „that Isidore suffered very much because of his courage and accusations“; die Historizität dieses Bekennerleidens wird aber nur aus den Briefen selbst und aus der hagiographischen Literatur begründet. Vgl. auch a. a.O. 112: „[…] Isidore’s excellence does not depend on his erudition, but it depends on his excellent personality and high moral conceptions and ecclesiastical efforts [Bezug auf Bayer 1915, 102].“  Fouskas 1970, 132; vgl. ebd. 83. Vgl. dagegen unten S. 29f.  Vgl. Fouskas 1970, 83 (Herkunft aus Pelusium); 133 (Priesterweihe durch Athanasius von Alexandria als Faktum, dagegen Évieux 1995, 312 f.: „documents cités par Fouskas […] sans jugement critique“). Auf den Seiten 135– 140 (Mönch, aber kein Abt) und 76 f. (Herkunft und Verwandtschaft) arbeitet er etwas differenzierter.Vgl. dagegen Halkin 1973 und Évieux 1995, 299 („Ces biographies sont bien pauvres pour établir avec certitude quelle fut la vie d’isidore [sic!]“).  Vgl. sein Literaturverzeichnis (Fouskas 1970, 16 – 19) und die Behandlung der Echtheitsfrage a. a.O. 158 – 161, wo er sich kurz und indigniert mit Heumann / Pezold, aber nicht mit Sicking und Riedinger auseinandersetzt.  So der Abschnitt Fouskas 1966, 624– 632.  Vgl. Évieux 1995, 316, Anm. 68: „[…] l’esprit critique fait gravement défaut“. Vgl. zu Fouskas 1966/67 unten S. 110 f.  Pointiert Évieux 1997, 18.  Évieux 1995, 366: Évieux führt die aus den Briefen sprechende Bescheidenheit Isidors und die offensichtlichen redaktionellen Veränderungen (Kürzungen, häufig Briefe ohne „private“ Ele-

1.2 Die Frage nach dem Ursprung des Korpus und der historischen Existenz des Autors

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Diese haben demnach – bald nach Isidors Tod in der Zeit nach 435 – Briefe als Modell für christliche Briefliteratur, Aszetik und Exegese zusammengestellt, zum Teil beschnitten oder in mehrere Stücke zerteilt, eventuell sogar mit zusätzlichen Passagen aus fremden Autoren ergänzt, nummeriert und in eine Reihenfolge gebracht. Diesen Vorgang stellt Évieux sich tatsächlich als ein Zusammentragen von Briefen bei den Adressaten vor, die diese Briefe des allgemein verehrten Priesters noch aufbewahrt hätten. Die Präsenz zahlreicher Schelt- und Mahnbriefe vor allem an Bischöfe und Priester in Pelusium und Umgebung bis hin zu Cyrill von Alexandria oder auch der Briefe an hochgestellte Beamte lässt sich aber so kaum erklären. Insbesondere von Briefen, in denen Isidor mit den Adressaten mit heftigen Worten hart ins Gericht geht und ihnen ganze Kataloge ihrer Sünden vor Augen hält, verbunden mit dem Ruf zur Umkehr, hätten Isidor nahestehende Personen wohl kaum Kopien zur Veröffentlichung erhalten. Besser lässt sich die Entstehung des Isidorkorpus erklären, wenn man annimmt, dass Isidor selbst Kopien der von ihm versandten Briefe behalten hat⁹⁹, ohne dass man dabei so weit gehen muss wie Bardenhewer, der ohne nähere Begründung gerade aufgrund der kunstvollen Stilisierung davon ausgeht, die Briefe seien „von vornherein auf die Öffentlichkeit berechnet“¹⁰⁰ gewesen. Die „Überlieferung“ der Briefe verdient für Bardenhewer wohl auch deshalb „volles Vertrauen“¹⁰¹, wenngleich auch er Teilungen und redaktionelle Zuschnitte durch die antiken Herausgeber für wahrscheinlich hält.

mente, offensichtliche Aufteilungen längerer Briefe auf mehrere Nummern), außerdem gerade die Präsenz vieler Anleihen bei älteren Autoren als Argumente ins Feld. Vgl. Évieux 1997, 104– 106.  Diese Praxis wird für die Antike mit gewissen Gründen z. B. von Cicero angenommen, der seine umfangreiche, in großen Teilen bis auf uns gekommene Korrespondenz ebenso wie Isidor nicht selbst zur Veröffentlichung vorbereitet haben dürfte (wobei unter „Veröffentlichung“ in der Antike freilich etwas einigermaßen anderes verstanden werden muss als für die Neuzeit, vgl. Beard 2002, 116, Anm. 40). Vgl. Beard 2002, 123, Anm. 63 und White 2010, 15 f. mit Anm. 24 und ebd. 31– 33. (Ein Aspekt der literarischen Komposition durch die Herausgeber, wie ihn Beard und White für die auf die Antike zurückgehenden Sammlungen von Cicerobriefen stark machen, ist bei der 2000-Briefe-Sammlung Isidors, wie sie die Handschriften C O V dokumentieren, m. E. kaum ersichtlich.) Für Libanius, dessen Lebenszeit (314– ca. 393) sich mit derjenigen Isidors überschneidet (und von dem Isidor in ep. 542 (II, 42) (PG 78, 484, B-D) einen Brief an Johannes Chrysostomus zitiert), ist die Aufbewahrung von Briefkopien in eigenen Büchern durch das Zeugnis seiner Briefe selbst „ausdrücklich beglaubigt“ (Seeck 1906, 19, mit Belegen).  Bardenhewer 1924, 102. Vgl. auch noch Klein 2004 (1), 169. Die Sammlung siedelt Bardenhewer mit Turner 1905 und Lake 1905, auf die er a. a.O. Bezug nimmt und die er ebd. 107 für „[b]esonders wichtige Aufschlüsse über die Überlieferung der ganzen Briefsammlung“ lobt, „noch im 5. Jahrhundert“ „im Akoimetenkloster zu Konstantinopel“ an.  Bardenhewer 1924, 102.

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1 Einleitungsfragen

Schließlich ist noch der Italiener R. Maisano zu nennen, der 1980 eine mittlere Position¹⁰² in etwa zwischen Riedinger¹⁰³ und Évieux in Betracht zieht. Demnach ginge ein Teil der Briefe auf Isidor selbst zurück, manche davon evtl. schon von ihm nicht als echte Briefe, sondern als Übungstexte für den Rhetorikunterricht verfasst¹⁰⁴. Ein anderer Teil wäre später in das Korpus eingedrungen; hier wären dann auch die Briefe einzuordnen, die über lange Strecken enge Anleihen bei früheren Autoren nehmen.¹⁰⁵ Maisanos Artikel über Isidors Exegese von Stellen aus der biblischen Weisheitsliteratur¹⁰⁶ zielt darauf ab, Isidors Methodik und seine Inhalte in einem Teilgebiet der Exegese erstmals nicht nur zu referieren, sondern theologisch und literarisch in den Kontext seiner Zeit einzuordnen¹⁰⁷, d. h. er geht über den rein deskriptiven Ansatz von Bober (1878) und Fouskas, aber andererseits auch über die rein quellenkritische Sicht von Riedinger und Kertsch hinaus; er zeigt bei der „literarkritischen“ Untersuchung der Exegesen Isidors mit bewundernswerter Kenntnis der patristischen Literatur in der Hinterhand, wo sich Isidor an die Auslegungen früherer Exegeten anlehnt, wo er allgemein geläufiges Gedankengut wiedergibt und wo er, soweit wir sehen, originell ist. Ins-

 Maisano 1980, 43.  Als Gewährsleute für Riedingers Thesen („in tutto o in parte“) führt er a. a.O. 41, Anm. 8, fälschlicherweise Pezold, Sicking und Früchtel mit an. Aber keiner der drei Genannten leugnet die Existenz eines Priesters Isidor aus Pelusium Anfang des 5. Jh., und Pezold (bzw. Heumann / Pezold) und Früchtel sprechen diesem Isidor die als Briefe überlieferten Texte nicht ab. Allenfalls Sicking nennt einen Teil der Briefe pseudepigraph und vertritt insofern zu einem gewissen Teil eine Riedingersche These. Unzutreffend ist auch Maisanos zumindest implizite Feststellung, Riedinger habe sich umfassend mit dem Isidorkorpus beschäftigt (Maisano a. a.O. 42), wovon, was die Handschriftenlage, die Prosopographie und die inhaltlichen Aspekte, die Isidor von seinen literarischen Bezugspunkten unterscheiden, angeht, keine Rede sein kann. Riedingers Forschung dreht sich immer und beinahe ausschließlich um die Identifikation von Parallel- oder Vorlagentexten bei Isidor.  Dazu muss man annehmen, dass Isidor „Sophist“, d. h. Rhetoriklehrer war, wie es Heumann / Pezold 1737, Sicking 1906 und vor allem Redl 1928 tun. Auf die letztere Autorin bezieht sich Maisano hier auch (Maisano 1980, 43 Anm. 11). Ihr Versuch, Isidor als Sophisten zu erweisen, beweist aber eigentlich nicht mehr, als dass der Autor der Briefe selbst eine gute rhetorische Ausbildung genossen haben muss.Vgl. (zurückhaltend gegenüber Redl) auch Bartelink 1964, 163 f. und 166.  Maisano 1980, 43.  Die von Maisano (a. a.O. 44) angekündigten Fortführungen seiner Untersuchung mit der Auswertung der exegetischen Briefe zu den anderen Teilen des Alten Testaments sind nie erschienen, umso weniger die angedeutete „indagine complessiva sull’esegesi biblica di Isidoro“ (a. a.O. 75).  Maisano 1980, 41.

1.3 Historische Einordnung des Autors

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gesamt schreibt er Isidor bei aller Verwurzelung in der Tradition vor ihm ein durchaus großes Maß an Individualität und Originalität in der Exegese zu.¹⁰⁸ Zusammenfassend betrachtet, beeindruckt bei Riedinger und Kertsch, aber auch bei Maisano, die philologische Detailarbeit vor allem bei der Suche nach Vorlagen, die Isidor verarbeitet haben könnte. Riedinger und Kertsch (nicht Maisano!) sind allerdings ganz auf diese Suche fixiert¹⁰⁹ und haben sich zum Isidorkorpus als Ganzem inhaltlich eigentlich nicht geäußert. Dem steht die Isidorliteratur seit 2000 gegenüber, die die Briefe oft einfach wieder ganz „naiv“ als Äußerungen eines ägyptischen Priesters Anfang des 5. Jh. zu bestimmten Themen liest.¹¹⁰ Chronologisch dazwischen stehen die ausführlichen Untersuchungen von Évieux vor allem zur Überlieferungsgeschichte, zum historischen Hintergrund und zu den im Text genannten Briefpartnern Isidors, dazu seine Editionen. Mit beidem wollte Évieux einen Weg für detailliertere Arbeiten zu einzelnen inhaltlichen Fragen bahnen¹¹¹; mit seinem differenzierten Bild der Entstehung des Korpus hat sich aber die seither erschienene Literatur meist kaum mehr beschäftigt. Im Großen und Ganzen haben Évieux‘ Arbeiten m. E. freilich die nötigen Argumente für die Zuversicht geliefert, dass wir es mit einer historischen, tatsächlich echte Briefe schreibenden Persönlichkeit des 4. und 5. Jahrhunderts zu tun haben. Im folgenden Abschnitt soll es darum gehen, was wir über den Verfasser der originalen Briefe wissen können, die am Anfang des uns überlieferten Isidorkorpus stehen.

1.3 Historische Einordnung des Autors Die ersten externen Zeugnisse¹¹² über einen Priester namens Isidor von Pelusium stammen von Severus von Antiochia (512 bis 518 Bischof von Antiochia, dann im

 Vgl. Maisano 1980, 44: „un’attività di ricerca, da parte del nostro autore, tutt’altro che stereotipata o in qualche modo condizionata“ und ebd. 73: „Autonomo nelle scelte e nelle prese di posizione su singoli problemi […], egli non perde comunque mai il collegamento con la tradizione fissata dai suoi predecessori. Di questi (e in particolare di Giovanni Crisostomo e di Clemente Alessandrino) egli si mostra attento lettore, anche se non pedissequo imitatore“.  Kertsch 1997 (1), 292 spricht selbst von seinem „spezifischen Interesse“, womit er die von ihm a. a.O. eindeutig negativ beantwortete Echtheitsfrage meint.  Vgl. dazu unten das 2. Kapitel.  Vgl. Évieux 1995, 316.  Vgl. Évieux 1976, 325 und 1995, 299.

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1 Einleitungsfragen

Exil in Ägypten, verstorben 538¹¹³), der anders als das Konzil von Chalzedon „eine Natur“ in Christus nach der Inkarnation lehrte. Er erwähnt Isidor einerseits in einem in syrischer Übersetzung überlieferten Brief an Zacharias von Pelusium¹¹⁴ als Priester, der gebürtig aus Pelusium stammte, und zitiert seine ep. 746¹¹⁵ „an Bischof Theodosios“ in voller Länge.¹¹⁶ Außerdem spricht Severus über Isidor in seiner ebenfalls syrisch erhaltenen Schrift gegen den Chalzedon verteidigenden Johannes von Caesarea „den Grammatiker“. Johannes hatte eine Apologie des Konzils von Chalzedon verfasst, die uns nicht direkt überliefert ist, sondern im Wesentlichen aus Severus rekonstruiert werden muss.¹¹⁷ Severus’ Argumentationsziel ist es, den aus seiner Sicht echten Isidor den Chalzedonanhängern als Gewährsmann aus der Hand zu nehmen.¹¹⁸ Dabei kommt ihm gelegen, dass Johannes offenbar mehrfach chalzedonianisch klingende Texte, die ihm bereits vorlagen¹¹⁹ und auch uns im Isidorkorpus überliefert sind, zitiert und Isidor dabei

 Vgl. Brooks 1903, vii-ix und Bruns 2002 (3). Für ausführlichere Informationen zu Leben und Werk des Severus von Antiochia vgl. P. Allen / C. T. R. Hayward, Severus of Antioch, London / New York 2004, 1– 55; F. Alpi, La route royale (hodos basilikē). Sévère d’Antioche et les églises d’orient (512– 518), 2 Bde., Beirut 2009.  Der Brief wird von Brooks 1903/1904, 249 auf die Zeit zwischen 513 und 518 datiert. S. die Angabe zur Position des Briefes in der originalen Sammlung, die die uns überlieferte Briefauswahl in der syrischen Übersetzung von Athanasius von Nisibis macht („aus den Briefen aus der Zeit seines Episkopats, davon aus dem ersten Buch der 208./209. Brief.“ S. zu den Sammlungen und der Zählung der Briefe Brooks 1903, ixf.).  Ep. 746 (II, 246) (PG 78, 684 f.).  Brooks 1902/1904, 284– 286 (syr. Text) und Brooks 1903/1904, 251– 253 (engl. Übersetzung).  Vgl. Skeb 2002 und Bruns 2002 (3), 637.  Nach Schmid 1948, 31 und 41 f. hat Severus Isidor ursprünglich aufgrund seiner Christologie und seiner unabhängigen Haltung gegenüber Cyrill auf der Seite seiner Gegner gesehen und ihn des Origenismus bezichtigt, dann aber diesen Vorwurf wieder fallen lassen (so Stephanus Gobarus bei Photius, cod. 232 (PG 103, 1104, C10 – 14 bzw. ed. Henry V, 78, 291b [Bekker], 2– 6)), was auch Severus selbst in c. imp. gram. III, 39 bezeuge (CSCO 102, 194, 15 – 22). Dort spricht Severus Isidor vom Vorwurf des Origenismus frei, den ihm gewisse Leute gemacht hätten, um seine Gegnerschaft gegen Theophilus und Cyrill von Alexandria zu seinem Nachteil zu erklären. Zu diesen Leuten hätte Severus nach Schmid dann selbst einmal gehört; nachdem er den Vorwurf des Origenismus gegen Isidor nicht mehr habe aufrechterhalten können, habe er die Strategie gewechselt und versucht, Isidor für seine eigene christologische Position zu vereinnahmen. In diesem Zuge habe er die einschlägigen Isidorbriefe in der Schrift gegen Johannes den Grammatiker für unecht erklärt (Schmid 1948, 42).  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 183, 24– 27) macht er sich über Johannes lustig, der „wie ein Tier die Spreu des Häretikerbetrugs gefressen hat“ („animalis instar haereticae fraudis paleam comedit“) und nicht einmal den Adressaten des von ihm zitierten Isidorbriefs ep. 102 (I, 102) (PG 78, 252) kenne.

1.3 Historische Einordnung des Autors

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als „Bischof von Pelusium in Ägypten“¹²⁰ angeführt hatte. Severus berichtet von Nachforschungen, die er selbst angestellt habe, mit dem Ergebnis, dass der „echte“ Isidor zur Zeit der Bischöfe Cyrill von Alexandria und Hermogenes von Rhinokorura als Priester gelebt habe, aber keineswegs Bischof gewesen sei.¹²¹ Er habe einen betagten Asketen aus Pelusium getroffen, der ihm eine Erwähnung „des bewundernswerten Priesters Isidor“, von dem in einem Brief Grüße ausgerichtet werden, in einem alten Buch gezeigt und von Texten Isidors „Gegen die Heiden“ und „Dass es das Schicksal nicht gibt“ erzählt habe, deren Existenz ja auch die Isidorbriefe selbst belegten.¹²² Der echte, für ihn rechtgläubige (d. h. für die Chalzedonianer nicht verwendbare) Isidor habe zahlreiche Briefe verfasst, in denen er sich nie Bischof nenne, und die Severus für ihre Bibelauslegungen rühmt.¹²³ Die von ihm als Zitate aus Johannes’ Schrift angeführten Isidorbriefe und -briefteile brandmarkt er als vollständig gefälscht oder durch Eingriffe in den Text verändert¹²⁴, was angesichts der Konfusion in der Isidorüberlieferung¹²⁵ nicht schwer gewesen sei, und er stellt fest, dass aus den Akten und Unterschriftslisten des Konzils von Ephesus ja klar hervorgehe, dass zu jener Zeit Eusebios Bischof von Pelusium war, nicht jemand namens Isidor.¹²⁶ Aus der von ihm als falsch erwiesenen Amtsbezeichnung „Bischof“ für Isidor in den von Johannes zitierten Texten macht er also ein Argument neben anderen (Textkritik; unwahre Behauptung über die Lehre des Athanasius bei Isidor, wenn man ep. 323 für echt halte¹²⁷; ungebührlicher Ton gegenüber Cyrill und dem Kaiser¹²⁸; Isidors eigener

 S. c. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 183, 28).  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 182, 9 – 25).  S. die epp. 637 (II, 137) (PG 78, 580); 728 (II, 228) (PG 78, 664 f.) und 1053 (III, 253) (PG 78, 932 f.)). Die erwähnten Texte werden von Évieux, teilweise im Anschluss an Altaner 1942 und Fouskas 1970, mit Briefen aus dem überlieferten Korpus identifiziert (Évieux 1976, 330 f.; vgl. Évieux 1995, 353 – 356).  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 182, 5 – 8).  Teile aus den epp. 102 (I, 102) (PG 78, 252, C8 – D2) „an den Lektor Timotheos“ und 405 (I, 405) (PG 78, 409, A4 f.) „an den Diakon Theodosios“; epp. 323 (I, 323) (PG 78, 369, B7– 12) (ein Ausschnitt), 310 (I, 310) (PG 78, 361) und 370 (I, 370) (PG 78, 392) (beide vollständig) an Cyrill von Alexandria; erwähnt wird noch ein Brief an Kaiser Theodosius, wohl ep. 311 (I, 311) (PG 78, 361– 364). Die Zitate finden sich in c. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 183, 11 – 186, 31), zum Vorwurf der Veränderung des Isidortextes s. CSCO 102, 184, 24– 34 mit einer textkritischen Bemerkung in 30 – 32.  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 182, 34 – 183, 11).  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 188, 15 – 22). Severus hat recht: s. die Listen in ACO I, 1, 2, 6 und I, 1, 7, 87 (Eusebios von Pelusium hat die Listennummer 111), die Unterschriftslisten in ACO I, 1, 2, 59 (Nr. 104) und I, 1, 7, 115 (Nr. 128) und die Erwähnung des Eusebios anlässlich einer Wortmeldung ACO I, 1, 2, 35, 9.  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 185, 8 – 19).

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1 Einleitungsfragen

Umgang mit dem Begriff φύσις in ep. 657¹²⁹) gegen die Echtheit dieser Texte überhaupt und scheidet sie aus dem literarischen Nachlass des für ihn echten Isidor von Pelusium aus. Uns liefert Severus wertvolle Hinweise darauf, dass sich in Ägypten, vermutlich am ehesten in Pelusium selbst, in der ersten Hälfte des 6. Jh. offenbar noch genaueres Wissen über Isidors Identität erhalten hatte, während er anderswo bereits zu dieser Zeit unhistorisch als „Bischof von Pelusium“ firmieren konnte.¹³⁰ Das Zeugnis des Severus über Isidor, das sich durch seinen Bezug auf den ägyptischen Asketen als Gewährsmann noch im 5. Jh. verankert, ist nach Évieux von erstrangiger Bedeutung.¹³¹ Im 6. Jh. liefen laut Severus an die dreitausend Briefe unter Isidors Namen um. Severus spricht von einer ursprünglichen durchnummerierten Sammlung, deren Ordnung allerdings schon zu seiner Zeit verlorengegangen sei, was auch zu Dubletten geführt und Fälschern ein leichtes Spiel ermöglicht habe.¹³² So sehr man aber nun Severus’ ausführlicher Argumentation zustimmen muss, mit der er nachweist, dass der Isidor des Isidorkorpus nicht Bischof von Pelusium gewesen sein kann, so wenig stichhaltig sind seine Argumente gegen die Echtheit der von Johannes zitierten Briefe als ganze. Schmid widmet mehrere Seiten¹³³ der Widerlegung dieser Argumente, lässt aber Severus das Verdienst, als erster auf ein textkritisches Problem an einer Isidorstelle – ep. 323 (I, 323) – hingewiesen zu haben, die nach manchen Zeugen (für uns bisher: cod. Crypt. B.α.1, Leontius von Byzanz, die Übersetzung des Rusticus) die chalzedonensische

 C. imp. gram. III. 39 (CSCO 102, 186, 15 – 31). Zu den acht überlieferten Briefen an Cyrill von Alexandria vgl. Évieux 1995, 81– 84, zu den beiden an Kaiser Theodosius II. vgl. ebd. 47 f.  Severus zitiert aus ep. 657 (II, 157) einige Zeilen (PG 78, 612, B1– 6) als einen aus seiner Sicht echten, für den Miaphysitismus und gegen die Echtheit der von Johannes zitierten Briefe sprechenden Beleg (c. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 194, 10 – 14)).Vgl. zur Bewertung dieses Arguments des Severus Schmid 1948, 37 f. Schmid hält es noch für das stärkste der ansonsten schwachen Argumente des Severus in den Echtheitsfragen, wehrt es aber mit dem Hinweis darauf, dass ep. 657 hinsichtlich der Verwendung von φύσις im Sinn des später fixierten „Person“ ein Einzelfall sei und dass „zu Lebzeiten des Pelusioten die christologische Terminologie noch nicht fixiert war“ (a. a.O. 38), ebenfalls ab.  Schmid 1948, 97 macht „schlechte Vorlagen“ dafür verantwortlich, dass Johannes von Caesarea Isidor als Bischof von Pelusium zitiert. Gerade die Autorenangabe muss aber nicht in einer Textvorlage gestanden haben, aus der Johannes zitiert hat, die Titulatur „Bischof“ könnte auch von Johannes stammen, wie es Schmid selbst (a. a.O. 36) bei den Brieftiteln in den lateinischen Isidorübersetzungen vom Übersetzer Rusticus vermutet: Isidor ist dort zum doctor ecclesiae und abbas monasterii circa Pelusium geworden.  Évieux 1976, 326: „Témoignage capital puisqu’il émane de contemporains d’Isidore luimême“.  C. imp. gram. III, 39 (CSCO 102, 182, 34 – 183, 11). Vgl. dazu Èvieux 1995, 348 f.  Schmid 1948, 35 – 40.

1.3 Historische Einordnung des Autors

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Zweinaturenformel vorwegzunehmen scheint. Da es aber Severus „nicht sosehr darum [ging], Textkritik zu betreiben, als vielmehr, seinen Gegner zu widerlegen“¹³⁴, hat er die ihm genehme Variante ἐκ φύσεων δυοῖν εἷς (o. ä. an anderen Stellen) nicht auch in Zweifel gezogen, was nach Schmids Untersuchungen allerdings geboten ist. Schmid erkennt „einen frühzeitigen Betrug […], wohl bald nach 451 oder schon nach 448, da ihm alle bekannten Manuskripte und Textzeugen erlegen sind“¹³⁵, insofern sie bei den Briefen 23 (I, 23), 303 (I, 303), 323 (I, 323) und 405 (I, 405) alle eine christologische Zweinaturenformel entweder mit εἷς ἐκ/ἐξ oder mit εἷς ἐν bieten, was beides für Isidors Zeit einigermaßen anachronistisch erscheine.¹³⁶ Da die Formeln außer bei ep. 323 jeweils am Ende des Briefes stehen, für den Gesamtinhalt des Briefes nicht notwendig sind und als eigene Schöpfungen Isidors, der wahrscheinlich über zehn Jahre vor Chalzedon gestorben ist, schlecht zu seiner ansonsten wenig spekulativen Theologie¹³⁷ passen würden, gelten sie Schmid¹³⁸ und in seiner Nachfolge auch Évieux¹³⁹ als Interpolationen. „Je nach Bedürfnis machte man Isidor zum Chalzedonianer oder Monophysiten, obwohl er keines von beiden war.“¹⁴⁰ Zeitlich nach Johannes von Caesarea und wohl auch nach Severus von Antiochia zitieren Ephraem von Antiochia (nach Schmid zwischen 526 und 540¹⁴¹) und, von ihm abhängig, Leontius von Byzanz Isidorbriefe mit christologischem Inhalt in antimonophysitischer Absicht. Die Stellen bei Ephraem sind nur noch über ein kurzes Referat bei Photius (s. v. „Ephraimios, Patriarch von Theoupolis [= Antiochia am Orontes]“) ohne Angabe der genauen Inhalte der Zitate fassbar¹⁴²,

 Ebd. 98.  Ebd. 61.  Freilich deuten sich Zweinaturenformeln mit εἷς ἐκ/ἐξ (nicht mit εἷς ἐν!) auch bei Cyrill von Alexandria schon an.Vgl. besonders ACO I, 1, 6, 154, 8 – 11 aus dem ersten Brief an Succensus, aus dem Schmid a. a.O. 56 nur eine Stelle etwas weiter vorne zitiert, und ACO I, 1, 4, 18, 26 – 19, 1 aus dem Brief an Johannes von Antiochia, wo Cyrill auf die Unionsformel von 433 eingeht – darin heißt es u. a. „δύο γὰρ φύσεων ἕνωσις γέγονεν“ (ACO I, 1, 4, 17, 14). Vgl. zur Interpretation dieses Befundes bei Cyrill van Loon 2009, 526 f. und 554– 556.  Vgl. Évieux 1995, 339 f.  Schmid 1948, 64: „Für die Behauptung, daß ganze Briefe gefälscht wurden, besitzen wir kein genügendes Beweismaterial; aber daß da und dort einige Wörtchen hinzugefügt wurden, ist richtig.“  Vgl. Évieux 1995, 86 – 88.  Schmid 1948, 108.  Schmid 1948, 25; vgl. Bruns 2002 (1).  Cod. 228 (PG 103, 964, A1– 6 bzw. ed. Henry IV, 119, 247a [Bekker], 1– 6). Isidor erscheint hier als ὁ „ἐν μονάζουσι περίβλεπτο[ς] (᾿Aλεξανδρεὺς δὲ τὸ γένος […])“. Fouskas 1970, 81, sagt m. E. richtig, dass der Einschub über Isidors alexandrinische Wurzeln nicht auf Ephraem, sondern erst auf Photius zurückzuführen ist. Auch Évieux nimmt Pelusium als wahrscheinlichsten Geburtsort

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1 Einleitungsfragen

Leontius zitiert in seinen Florilegien u. a. die einschlägigen Briefe 102 (I, 102), 323 (I, 323) und 405 (I, 405)¹⁴³. Schließlich wird Isidor von zwei lateinischsprachigen Autoren im Zuge des sogenannten Dreikapitelstreits zur Verteidigung der dabei postum verurteilten Autoren zitiert, zuerst von dem nordafrikanischen Bischof Facundus von Hermiane¹⁴⁴, im Anschluss daran vom römischen Apokrisiar und späteren Papst Pelagius I.¹⁴⁵, und der Diakon Rusticus nimmt 49 Isidorbriefe in einer von ihm angefertigten lateinischen Übersetzung in die von ihm neu überarbeitete Dokumentensammlung zum Konzil von Ephesus auf.¹⁴⁶ Alle drei berufen sich auf Isidor vor allem wegen seiner unabhängigen, z.T. sehr kritischen Haltung gegenüber Cyrill von Alexandria¹⁴⁷ (auch bei Rusticus deutet schon die Auswahl und Anordnung der Briefe darauf hin¹⁴⁸; fünf der ersten zehn übersetzten Briefe sind an Cyrill gerichtet); sie wollen die Verurteilung der „Drei Kapitel“ als eigentlich gegen das Konzil von Chalzedon gerichtete Maßnahme entlarven.¹⁴⁹ Neue Informationen über Isidors Leben erhalten wir aus ihren Schriften nicht. Rusticus nennt Isidor „Lehrer der Kirche“ und – unhistorisch – „Abt eines Klosters in der Nähe von

Isidors an, auch wenn das Zeugnis des Severus nicht so deutlich ist, wie Brooks’ englische Übersetzung (Brooks 1903/1904, 251) vermuten lässt (Évieux 1995, 308, vgl. auch Halkin 1973 – wenn Fouskas 1970, 82 f. zum Thema Pelusium als Geburtsort mit maximaler Sicherheit auftritt (a. a.O. 82: „undoubtedly“), geht er auch hier wie öfters zu unvorsichtig mit seinen Quellen um). Sicking hatte, ausgehend von dieser Nachricht, die er auf Ephraem (von Antiochia!) zurückführt, noch die extravagante These von Alexandria bei Antiochia (Alexandretta, h. İskenderun) als Geburtsort Isidors ins Spiel gebracht (Sicking 1906, 110 f.), die aber nicht breiter diskutiert wurde; Évieux’ Feststellung aufgrund der zutiefst ägyptischen Verwurzelung Isidors, alles deute darauf hin, dass Pelusium seine Heimatstadt sei (Évieux 1995, 308), und die heute gebotene Vorsicht mit den allzu einfachen Kategorisierungen „antiochenisch“ – „alexandrinisch“, die hinter Sickings Argumenten v. a. stehen – gerade Isidor steht nicht einfach, ob als Exeget oder in der Christologie, „der antiochenischen Schule nahe“ (so noch Fuhrer 2002, 361) – scheinen mir für ihre Erledigung auszureichen.  Schmid 1948, 26 f.  Defens. II, 4 (CCSL 90 A, 59, 81– 61, 137) (546/548, vgl. Bruns 2002 (2)). Facundus nennt die Zahl von 2000 Briefen, tituliert Isidor korrekt als „presbyter Aegyptius“ (a. a.O. 59, 82 f.) und zitiert zwei Briefe Isidors an Cyrill in einer lateinischen Übersetzung, die sich von der des Rusticus unterscheidet, nämlich ep. 370 (I, 370) und ep. 310 (I, 310).  Defens. (nach Kessler 2002 i. J. 554 verfasst): ed. Devreesse 68, 29 – 36.  ACO I, 4, 9 – 25.  Zu Isidors acht Briefen an Cyrill vgl. Évieux 1995, 81– 84 und 155 – 158.  Vgl. Schmid 1948, 105.  Vgl. z. B. Facundus, defens. II, 4 (CCSL 90 A, 61, 134– 137) und Pelagius, defens. ed. Devreesse 68, 19 – 29.

1.3 Historische Einordnung des Autors

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Pelusium“¹⁵⁰. Facundus erwähnt die Zahl von 2000 Briefen Isidors, Rusticus erwähnt als Grundlage seiner Auswahl und Übersetzungsarbeit vier Bücher mit insgesamt 2000 Isidorbriefen im Kloster der Akoimeten in Konstantinopel.¹⁵¹ Stephanus Gobarus, Evagrius Scholasticus und spätere Zeugnisse geben auch keine neuen unabhängigen Informationen über Isidor mehr¹⁵². Überhaupt scheint schon direkt nach Severus das Wissen über Isidor aus den Briefen selbst extrapoliert und in späterer Zeit dann mit diesem Material phantasievoll weitergesponnen worden zu sein.¹⁵³ Schon seit dem 5. Jh. (so Évieux) ist Isidor zu einer häufig verwendeten Quelle für Florilegien und Katenen geworden.¹⁵⁴ In der hauptsächlich für den liturgischen Gebrauch entstandenen hagiographischen Literatur der byzantinischen Kirche und anderer Ostkirchen¹⁵⁵ ist Isidor als Heiliger verzeichnet, dessen Gedächtnis in der byzantinischen Liturgie am 4. Februar begangen wird. Das von Smith 1958 edierte Heiligenleben aus dem sogenannten „Kaiserlichen Menologion“ für Michael IV. enthält gegenüber den anderen Texten dieser Gattung zusätzliche, z.T. abweichende Informationen; den (plausibel durch Verwechslung mit Isidor von Alexandria erklärbaren¹⁵⁶) Hinweis, Isidor sei, als Origenist angeklagt, zu Johannes Chrysostomus geflohen, enthält es

 ACO I, 4, 9, 1 f.; vgl. auch ACO I, 4, 11, 5 und I, 4, 25, 21. Infolgedessen erscheint Isidor in der älteren Literatur oft als „Abt“ oder „Klostervorsteher“, so etwa bei Niemeyer 1825 (PG 78, 21 f.; die für uns in den ACO I, 4, 25, 21 zu lesende Stelle hat für Niemeyer hohen Quellenwert, weil er sie Irenäus von Tyrus als einem Zeitgenossen Isidors zuschreibt: a. a.O. 22, A8 f.), Sicking 1906, 110, Bardenhewer 1924, 12 und 100 f. und Altaner (Altaner 1938, 165: „klassisch gebildeter und theologisch geschulter Klostervorsteher“, ab der zweiten Auflage von Altaners „Patrologie“ heißt es: „war wohl nicht Klostervorsteher“ (Altaner 1950, 228)). Vgl. dazu Schmid 1948, 5 – 8. Sein Resümee: „Daß er Priester ist, bezeugt Severus eindeutig; daß er ein monastisches Leben führte und auf die Aszeten großen Einfluß ausübte, weshalb wir ihn Mönchsvater nennen dürfen, ersehen wir aus den Briefen. In diesem Sinne ist er Abbas, aber nicht als Leiter eines Cönobiums.“ (Schmid 1948, 8). Dass er „Leiter eines Cönobiums“ gewesen sei, erhellt aus den Briefen nicht und ist von Brief 150 (I, 150) (PG 78, 284) „an das Kloster von / vor Pelusium“ her sogar eher zu verneinen (vgl. Schmid 1948, 7). Heid 1991, 196 behauptet zwar nicht, Isidor habe einer Mönchsgemeinschaft vorgestanden, gibt aber an, er habe „in einem nach der Basileios-Regel geordneten Kloster“ gelebt. Einen Nachweis dazu führt er nicht, und aus dem Isidorkorpus scheint mir ein solcher Nachweis auch nicht möglich zu sein, abgesehen von dem für das 5. Jh. wohl anachronistischen Ausdruck „Basileios-Regel“ (vgl. Pauli 2002, 115).  ACO I, 4, 25, 21– 24.  Vgl. Évieux 1995, 301– 303.  Vgl. z. B. Évieux 1995, 303 über die angebliche Verwandtschaft zwischen Isidor und Cyrill von Alexandria.  Vgl. Évieux 1995, 369. Die Zahl aller Handschriften, die in irgendeiner Form Isidortext enthalten (einschließlich Katenen und Florilegien), beläuft sich nach Évieux 1997, 121 auf über 450.  Vgl. Évieux 1995, 295 – 299.  Vgl. die Belege bei Évieux 1995, 312, Anm. 56.

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1 Einleitungsfragen

nicht. Anders als Smith, der in der Nähe mancher Informationen dieser Vita zu einer anonymen Chrysostomusvita (wohl 10. Jh.)¹⁵⁷ bei gleichzeitiger literarischer Unabhängigkeit ein Argument zu Gunsten mancher in ihr enthaltener Informationen sieht (frühes Geburtsjahr um 340, Priesterweihe durch Athanasius von Alexandria, Entfernung aus dem Alexandriner Klerus durch Theophilus von Alexandria)¹⁵⁸, bleibt Évieux auch ihr gegenüber skeptisch.¹⁵⁹ Alle Viten bedürfen aber zur Untermauerung der Glaubwürdigkeit der in ihnen enthaltenen Informationen weiterer Belege¹⁶⁰; Smiths (vorsichtige) Zustimmung zu den eben genannten, in der Vita des „Kaiserlichen Menologion“ und in der anonymen Chrysostomusvita übereinstimmend enthaltenen Elemente kann Évieux gerade aus diesem Grund nicht teilen.¹⁶¹ Keine der Viten ist in der uns überlieferten Form älter als das 10. Jahrhundert.¹⁶² Wenn man die Briefe mit Évieux als historisch auswertbar akzeptiert, kann man daraus einzelne Anhaltspunkte über Isidors Lebenslauf gewinnen und sie mit den (wenigen) Informationen aus Severus verbinden. Eine Briefstelle deutet darauf hin, dass Isidor nach der Mitte des vierten Jahrhunderts geboren ist¹⁶³. Mit einigen Personen, deren Namen beim Konzil von Ephesus in den Anwesenheitsund Unterschriftslisten der Bischöfe erscheinen, korrespondiert er offensichtlich schon vor deren Bischofsweihe als anerkannte Autorität in Sachen Aszetik und Exegese.¹⁶⁴ Ob Briefe aus der Zeit vor 400 überliefert sind, ist nicht ganz sicher. Lange Zeit wurde der Prätoriumspräfekt Rufinus, an den ep. 489¹⁶⁵ adressiert ist, mit dem Rufinus identifiziert, der von 392 bis 395 praefectus praetorio per Orientem war und 395 ermordet wurde.¹⁶⁶ Das ergab einen terminus ante quem für die ersten erhaltenen Isidorbriefe¹⁶⁷, war aber auf der anderen Seite mit Brief 178¹⁶⁸  Vgl. Évieux 1995, 296.  S. Smith 1958, 434 f.  Évieux 1995, 312 f.  Vgl. Smith selbst (Smith 1958, 435) und Évieux 1995, 311 f.  „Au contraire, on ne le désigne que comme ‚prêtre de Péluse‘“ – Isidor gehörte immer zum Bistum Pelusium (Évieux 1995, 312 f.).  Vgl. Fouskas 1970, 132 und Évieux 1995, 296.  Der Brief 1777 (IV, 224) (PG 78, 1317.1320), der von Johannes Chrysostomus und seinen Schriften handelt, legt nahe, dass sich Isidor unter die einreiht, die „nach ihm geboren sind“ und „der göttlichen Vorsehung“ dafür „danken“ (a. a.O. C 9 – 11).  Vgl. Évieux 1995, 73 f. Eine Namensliste der Personen, die als Empfänger von Isidorbriefen den Titel „Bischof“ haben, im Abgleich mit den Namen der in Ephesus Anwesenden, bietet Évieux 1995, 62.  Ep. 489 (I, 489) (PG 78, 448 f.).  S. PLRE I, 778 – 780 („Flavius Rufinus 18“).  Vgl. z. B. Bardenhewer 1924, 101.  Ep. 178 (I, 178) (PG 78, 297.300).

1.3 Historische Einordnung des Autors

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nicht vereinbar, der ebenfalls an einen Rufinus gerichtet ist, der offensichtlich ein hohes Staatsamt bekleidet¹⁶⁹, aber in dem Isidor über Kyrenios (Quirinius) klagt, der nach ep. 177 während der Amtszeit des Bischofs Eusebios Gouverneur in Pelusium war¹⁷⁰, d. h. definitiv nach 403, wo auf der „Eichensynode“ noch Ammonios als Bischof von Pelusium¹⁷¹ bezeugt ist. Das Problem wurde durch Martindale in der PLRE recht überzeugend gelöst, indem ein Rufinus als Prätoriumspräfekt für den Osten 431/432 angesetzt wird.¹⁷² Damit ist allerdings der klassische terminus ante quem erledigt. Évieux hält es aber für nicht unwahrscheinlich, dass ep. 125¹⁷³ an einen der großen Kappadokier, vorzugsweise an Gregor von Nazianz¹⁷⁴, gerichtet ist, also vor 390 verfasst sein müsste. Das ergäbe einen neuen Anhaltspunkt.¹⁷⁵ Auch eine Korrespondenz Isidors mit Evagrius Ponticus¹⁷⁶ (gest. 399) und Synesius von Cyrene (gest. ca. 413) kann Évieux sich, ausgehend von der Adressierung einzelner Briefe, vorstellen.¹⁷⁷ Dennoch sind alle diese Briefe in keiner Weise so eindeutig an die bekannten Persönlichkeiten mit diesen Namen gerichtet wie die Briefe an Kaiser Theodosius II. oder an Cyrill von Alexandria.¹⁷⁸ Was Isidors Lebensende angeht, so kommen in den Briefen auf jeden Fall noch die Ereignisse rund um das Konzil von Ephesus 431 und einige Jahre danach vor, und es sind Briefe an Bischöfe gerichtet, die in Ephesus 431 noch nicht Bischöfe waren, aber auf der „Räubersynode“ von 449 und in Chalzedon 451 in den Listen verzeichnet sind.¹⁷⁹ Vom Tod Cyrills 444 hingegen und von der Kontroverse

 A. a.O. 297, C10 f.  Ep. 177 (I, 177) (PG 78, 297, B10-C2).  Vgl. Évieux 1995, 70 und 204 (mit Belegen).  PLRE II, 953 („Rufinus 8“).  Ep. 125 (I, 125) (PG 78, 265, B1: „an den Bischof Gregor“) – „on pourrait voir là l’exercice épistolaire d’un jeune homme s’adressant à un sage qui lui est de beaucoup supérieur“ (Évieux 1995, 75).  Évieux 1995, 76.  Gegen Delmaire 1988, 232, der die Abfassungszeit der Briefe auf ca. 420 bis 435/440 einschränkt. Die Frage, ob zumindest einer der Isidorbriefe (ep. 331), der an einen „Didymus“ adressiert ist, sich an Didymus „den Blinden“ von Alexandria richtet, wird von Évieux noch offengelassen (Évieux 1995, 80). Daraus ergäbe sich ebenfalls eine Datierung von Briefen noch ins vierte Jahrhundert. Toca 2017 (1) ist aber nach Untersuchung aller „Didymus“-Briefe auch für ep. 331 mehr als skeptisch (vgl. a. a.O. 330 und 332).  Évieux verbindet Isidor außerdem über inhaltliche Parallelen und über einen möglichen Aufenthalt in der nitrischen Wüste mit Evagrius (vgl. Évieux 1995, 311 f.).  Vgl. Évieux 1995, 78 – 80.  Zu den acht überlieferten Briefen an Cyrill von Alexandria vgl. Évieux 1995, 81– 84, zu den beiden an Kaiser Theodosius II. vgl. ebd. 47 f.  Vgl. Évieux 1995, 62, 71 f. und 88.

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1 Einleitungsfragen

um Eutyches ist in den Briefen nicht mehr die Rede, so dass Évieux¹⁸⁰ Isidors Tod auf die Zeit zwischen 435 und 440 ansetzt. Den größten Teil der Briefe datiert Évieux auf die Zeit zwischen 410 und 433.¹⁸¹ Die recht starke rhetorische Stilisierung vieler Briefe, die Bezüge auf klassische vorchristliche Autoren¹⁸², die Korrespondenz mit Grammatik- und Rhetoriklehrern in Pelusium, die Isidor zum Teil in fachlichen Dingen um Rat fragen¹⁸³, lassen darauf schließen, dass er (nach Évieux in Alexandria¹⁸⁴) die höchste Stufe der spätantiken Schulbildung, den Rhetorikunterricht, genossen und vermutlich später selbst in Pelusium Rhetorik unterrichtet hat.¹⁸⁵ Oft tritt er in den Briefen als Mönch vor den Toren der Stadt – in der ἐσχατιά, wie er seinen Lebensraum nennt – in Erscheinung.¹⁸⁶ Aus den Briefen spricht heftige Ablehnung und Widerstand Isidors gegen den Bischof Eusebios von Pelusium.¹⁸⁷ Im Gegensatz dazu hält er dessen Amtsvorgänger Ammonios, von dem nirgends im Korpus im Präsens die Rede ist¹⁸⁸, in hohen Ehren und setzt ihn Eusebios entgegen.¹⁸⁹ Isidor scheint die Stadt erst in der Amtszeit des Euse-

 Évieux 1995, 88 f. und 307.  Évieux 1995, 89.  Der einschlägige Titel dazu ist Bayer 1915.  Vgl. Évieux 1995, 138 – 147, besonders 143 (über Asklepios) und 146 (über Ophelios).  Vgl. Évieux 1995, 309 f.  In ep. 823 (III, 23) (PG 78, 745.748) zählt er den Sophisten (Rhetoriklehrer) Asklepios zum χορός seiner Freunde. Diese Ausdrucksweise, zusammen mit der Beziehung, die in den Briefen an die Lehrer zum Ausdruck kommt, nimmt Évieux (a. a.O. 143) als Argument für eine Lehrer-SchülerBeziehung zwischen Isidor und ihnen, die in der Zeit wurzelt, als Isidor noch in der Stadt gelebt hat.  Vgl. z. B. ep. 142 (I, 142) (PG 78, 277, A11 f.): „Κατέλαβέ τις τὴν ἐσχατιὰν, ἣν οἰκοῦμεν, νεώτερος […]“; ep. 318 (I, 318) (PG 78, 365, C6 f.): „Μοναχός τις πρὸς τὴν ἡμετέραν ἐσχατιὰν ἀπήντησε […]“. Zum Rückzug aus dem städtischen Milieu vgl. ep. 191 (I, 191) (PG 78, 305, A4): „Ἡμεῖς τὰς πόλεις ὡς θορυβώδεις πεφεύγαμεν“ („Wir leben im Rückzug aus den Städten, weil sie voller Unruhe sind“) oder ep. 266 (I, 266) (PG 78, 341, A8 – 12) – als Antwort auf die Frage des Briefpartners, wie man vollkommen als Mönch lebt: „Ἄρνησαι σαυτὸν, καἰ ἆρον τὸν σταυρὸν, καὶ φεῦγε ὡς ἐγώ“ („Verleugne dich selbst und nimm das Kreuz auf und flieh [in die Einsamkeit] wie ich“). Weitere Belege bei Schmid 1948, 7.  Zahlreiche Belege in z.T. drastischer Sprache lassen sich anführen, sie sind bei Évieux 1995, 206 – 212 zusammengefasst, der Bischof selbst ist Empfänger von 15 Briefen (Évieux 1995, 394).  Vgl. Évieux 1995, 70.  In ep. 978 (III, 178) (PG 78, 869, A5 f.) und ep. 1045 (III, 245) (PG 78, 924, A8 f.) heißt er ὁ ἀοίδιμος ᾿Aμμώνιος ὁ ὄντως ἐπίσκοπος („der berühmte Ammonios, der wirklich [d. h. dem Wesen nach, ‚ernsthaftʻ] Bischof war“); Eusebios dagegen tritt in 1045 (PG 78, 924, A11-B1) als „μιαρὸν καὶ ξένον καὶ ἀνθρωπόμορφον θηρίον“ („besudeltes, fremdartiges, nur wie ein Mensch aussehendes Tier“) auf. Mit Ammonios, der gestorben ist, ist auch die Stadt Pelusium nun tot (ep. 1070 (III, 270) (PG 78, 949, A8 f.: „᾿Aμμωνίῳ θανόντι συντέθνηκεν ἡ πόλις“)). Auch in ep. 627 (II, 127), dem längsten Brief an Cyrill von Alexandria, wird Ammonios gerühmt (PG 78, 568, A9 – 12).

1.3 Historische Einordnung des Autors

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bios¹⁹⁰ verlassen zu haben. Einige Male spricht er davon, Unrecht erlitten zu haben und noch zu erleiden, weil er sich um ein moralisch gutes Leben bemüht bzw. andere dazu ermahnt.¹⁹¹ Aus seiner unabhängigen Position heraus¹⁹² kann er die Zustände in Pelusium unter Bischof Eusebios und seiner korrupten, moralisch verkommenen Entourage geißeln, für seine Mitbürger etwa gegen ausbeuterische Gouverneure wie Gigantios und Kyrenios (Quirinius)¹⁹³ oder in anderen Notlagen¹⁹⁴ bei hochgestellten Persönlichkeiten auftreten und für viele Menschen aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten als Seelsorger, Berater und Bibelausleger tätig sein. Man

 Für den Bischofswechsel von Ammonios zu Eusebios nennt Évieux aufgrund der Nachrichten bzw. Unterschriftslisten von Synoden und Konzilien (letzte Bezeugung des Ammonios auf der „Eichensynode“ 403; Bezeugung des Eusebios auf dem Konzil von Ephesus auf Rang 111, laut Évieux nach Dienstalter; Euoptios, der auf Rang 110 steht, sei 413 Bischof geworden) 413 als wahrscheinlichstes Datum (Évieux 1995, 70; vgl. ebd. 315). Évieux bezieht sich auf die Listen in ACO I, 1, 2, 3 – 7 und I, 1, 7, 84– 88, die allerdings im Unterschied zu denen in ACO I, 1, 2, 55 – 64 (Eusebios auf Nr. 104) und ACO I, 1, 7, 111– 117 (Eusebios auf Nr. 128) keine Unterschriftenlisten, sondern Anwesenheitslisten sind. Zudem belegt er seine Behauptung nicht, die Bischöfe seien in Ephesus nach Dienstalter aufgeführt; er schreibt einfach, dies sei allgemeiner Brauch (Évieux 1995, 62; vgl. auch ebd. 40, Anm. 42 und 71 – vielleicht ein anachronistischer Rückschluss aus anderen Zeiten auf die Antike) und führt diesen Punkt häufig als Argument für Datierungen an. Dagegen spricht eine Bemerkung von Schwartz: „Auch auf Synoden, die durch die kaiserliche Berufung als Reichssynoden gekennzeichnet sind, wie den beiden ephesischen Parteisynoden von 431 und der von 449, behauptet sich die alte Freiheit darin, daß die Präsenz- und Subskriptionslisten nicht geordnet werden; höchstens macht sich das Bestreben geltend, die Metropoliten abzusondern und an die Spitze zu stellen. Diese hergebrachte Laxheit ist typisch für die Synoden, die von den Bischöfen selbst geleitet werden […]“ (Schwartz 1937, 85).  S. ep. 1512 (V, 223) (SC 454, 188, 5 – 7): „ἀσμενέστατα ἀρετὴν ἀσκῶν ἐνταῦθα πάσχω κακῶς ἢ κακίαν μετιὼν στεφανοῦμαι“ bzw. ep. 1507 (V, 219) (SC 454, 176, 14– 20), wo auch die Namen der oft von Isidor angesprochenen Kleriker Martinianos, Zosimos, Maron und Eustathios aus dem Umkreis des Eusebios genannt sind, und ep. 1399 (V, 131) (SC 422, 476, 29 – 31 und 45 ff.): „Ταύτα δὲ γράφω, οὐχ ὡς δεδιώς τι παθεῖν ἐνταῦθα – πολλὰ γὰρ τούτου ἕνεκα, ὡς οἶσθα, πέπονθα, […]“ (a. a.O. 45 f.). In ep. 1399 (V, 131) (SC 422, 478, 47) spricht Isidor auch davon, er habe zu einem, der für seine Leiden gesorgt habe, gesagt: „Du hast mir, ohne es zu wollen, eine Auszeichnung verschafft“ („ἐστεφάνωσας οὐχ ἑκών“), weil er für Christus gelitten habe; da es in dem ganzen Brief 1399 um Warnungen und Ermahnungen in der Art dessen geht, was Isidor sonst an Eusebios und seinen Leuten tadelt, liegt es nicht fern, hinter dem Urheber der Verfolgung Eusebios selbst zu vermuten.  Vgl. ep. 525 (II, 25) (PG 78, 473, B3 – 5), wo Isidor sagt, er sei „der erste und vielleicht der einzige, der sich darum kümmern muss, dass [eine Petition der Stadt] Gehör findet“.  Vgl. zu den „Affären“ um Gigantios und Kyrenios (Quirinius) Évieux 1995, 48 – 61.  Vgl. dazu die Briefe 299 f. (I, 299 f.) (PG 78, 356, D – 357, A), in denen Isidor bei einem hohen Beamten für den Reeder Bonos Fürsprache einlegt. Dieser hat durch Unwetter eine Getreidelieferung verloren, die für die öffentliche Hand bestimmt war. Vgl. Évieux 1995, 101– 103.

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1 Einleitungsfragen

kann ihn an seinem Rückzugsort persönlich besuchen¹⁹⁵ oder Anliegen in Briefform vorbringen¹⁹⁶; Isidor reagiert oft mit Briefen. Isidors Briefe wurden offensichtlich nicht immer nur vom Hauptadressaten gelesen; am Ende von ep. 1418 empfiehlt er selbst dem Diakon Theodoros, der nur eine kurz gefasste Exegese erbeten hatte: „Wenn du (die Sache) breiter ausgeführt und mit Beweisführungen versehen zur Kenntnis nehmen willst, nimm den Brief zur Hand, den ich kürzlich deinem Bischof über dieses Thema geschrieben habe, und du wirst es genau erfahren“¹⁹⁷.

1.4 Zusammenfassung Isidor ist wahrscheinlich nach der Mitte des vierten Jahrhunderts in Pelusium am Ostrand des Nildeltas geboren und um 440 in der Nähe der Stadt gestorben. Er war Presbyter, aber nicht Bischof in Pelusium und hat ungefähr das letzte Drittel seines Lebens als Asket in einer gewissen Entfernung von der Stadt verbracht. P. Évieux hat plausibel gemacht, dass der größte Teil der Texte, die als Briefe unter seinem Namen überliefert sind, auf authentisches Material aus echter Korrespondenz zurückgeht. Wahrscheinlich wurden die Briefe bald nach Isidors Tod in Ägypten aus seinem Nachlass zusammengestellt, z.T. beschnitten, zerteilt oder anders redigiert und als Musterbeispiele christlicher Epistolographie veröffentlicht. Auf dem heutigen Stand der Überlieferung firmieren in griechischer Sprache 1999¹⁹⁸ längere und kürzere Texte als einzelne Briefe, die Isidor zugeschrieben  Vgl. ep. 142 (I, 142) (PG 78, 277); 318 (I, 318) (PG 78, 365.368 – hier setzt er sich unter Vorbehalt für einen zu ihm geflüchteten reumütigen Mönch bei dessen Oberen ein); 1024 (III, 224) (PG 78, 908 – jemand klagt bei ihm über den „Skandalpriester“ Zosimos); 1048 (III, 248) (PG 78, 925 – offensichtlich ist hier eine ganze Besuchergruppe bei ihm) u. a.  In vielen Briefen, gerade auch in denen, die Bibelstellen auslegen, ist offensichtlich auf eine vorhergehende briefliche Frage Bezug genommen. Oft stehen dafür Formeln wie „Du hast ja geschrieben […]“ („Ἐπειδὴ γέγραφας […]“) (z. B. ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, B5); ep. 1205 (III, 405) (PG 78, 1040, A9)); besonders deutlich ist u. a. ep. 866 (III, 66) (PG 78, 773, C13 – 15): „Du […] zitterst mit Recht vor dem heiligen Spruch [gemeint ist das Schriftwort Mt 5,28 vom „Ehebruch im Herzen“] und bittest darum, dass er dir ausgelegt wird […]“ („Σὺ μὲν οὖν […] εἰκότως φρίττεις τὸν χρησμὸν, καὶ ἑρμηνευθῆναί σοι παρακαλεῖς“).  Ep. 1418 (IV, 12) (SC 454, 24, 23 – 25). Der Brief an Theodors Bischof „zum selben Thema“ ist in unserem Korpus wohl nicht zu finden; jedenfalls gibt es keinen anderen Brief zu 1Kor 7,21 f. als ep. 1418; auch der von Évieux z. St. angegebene Brief 1462 (IV, 146) erfüllt dieses Kriterium nicht.  Zur Frage der „Dubletten“ vgl. die Aufstellung bei Évieux 1995, 358 f. in Verbindung mit CPG 5557.Wo durch Unaufmerksamkeiten der frühneuzeitlichen Herausgeber Briefe doppelt in die Zählung nach der PG gelangt und auf diese Weise exakte Dubletten entstanden sind, sind diese in der Summe 1999 nicht mehr enthalten.

1.4 Zusammenfassung

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werden können. Sie sind in einer an klassischen Idealen orientierten Sprache verfasst und nehmen häufig mit und ohne Quellenangabe auf christliche und nichtchristliche Autoren Bezug. Manche Briefe versuchen auf die weltliche oder kirchliche Politik einzuwirken, etwa angesichts von skandalösem Verhalten ziviler und geistlicher Amtsträger in der Region, oder im Umfeld des Konzils von Ephesus. In den meisten Texten erscheint Isidor als Seelsorger und Lehrer des christlichen Lebens für Menschen aus verschiedenen Ständen und Gesellschaftsschichten¹⁹⁹, denen er meist auf Anfragen antwortet.

 Für eine Aufstellung und eine Statistik der verschiedenen Korrespondentengruppen vgl. Évieux 1995, 16 – 18 und 20 f.

2 Ziele der Arbeit vor dem Hintergrund bisheriger Isidorforschung Isidors Schriftauslegung ist noch wenig erforscht. Bisherige Untersuchungen sind von apologetisch-kontroverstheologischen Interessen bestimmt und genügen in Anlage und Methode heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht (Bober 1878, Fouskas 1966/67) bzw. sie beschränken sich auf die Betrachtung des Umgangs Isidors mit Teilen der Bibel (bei Fouskas 1966/67 das Neue Testament, bei Maisano 1980 die alttestamentliche Weisheitsliteratur).¹ Vor diesem Hintergrund möchte die vorliegende Arbeit erstmals für eine systematische und umfassende Erschließung aller Isidorbriefe sorgen, die sich theoretisch mit der Auslegung der Heiligen Schrift beschäftigen und die solche Exegese praktisch vornehmen, außerdem aller Briefe, in denen Isidor über die Valenz bildlicher Sprache innerhalb und außerhalb der Heiligen Schrift nachdenkt und solche Sprache selbst kreiert. Das dritte Kapitel meines Buches soll zur Klärung von Isidors Voraussetzungen dienen. Ich werde dafür zunächst Isidors theologische Grundlagen für seine Exegese aus seinen Briefen erheben und mich dann der Exegesetheorie bei Isidor zuwenden. Zunächst analysiere ich dabei Isidors exegetische Terminologie, auch mit Hilfe statistischer Daten zu Häufigkeit und Gebrauch der einschlägigen Begriffe; danach betrachte ich Briefe, in denen Isidor Kriterien angibt, wann allgemein oder warum im konkreten Fall eine Entscheidung für eine bestimmte Art der Auslegung zu treffen ist. Das vierte Kapitel wird sich dann Isidors Exegesepraxis und seinem Bildgebrauch widmen. Alle Briefe, in denen ausdrücklich Bibelstellen interpretiert werden, werden dabei mindestens erwähnt und in ein für die antike Exegesetheorie sensibles Gliederungsschema eingeordnet. Paraphrasen und ausführliche Zitate in von mir erstellten Übersetzungen werden auch inhaltliche Einblicke geben. Zunächst möchte ich aber noch einen Überblick über die Isidorliteratur des 20. und insbesondere des 21. Jahrhunderts bieten, gerade insofern sie in diesem und im vorigen Kapitel über die Einleitungsfragen noch nicht zur Sprache kam.

 Vgl. zu den drei genannten Autoren, insofern sie auch bei der Suche nach einer adäquaten Beschreibungssprache und einem angemessenen Gliederungsschema für Isidors exegetisches Material kaum eine Hilfe sind, unten den Abschnitt 4.1.3. Vgl. auch die Einschätzung des Forschungsstandes durch P. Évieux (Évieux 1995, 332, Anm. 115). https://doi.org/10.1515/9783110686180-003

2 Ziele der Arbeit vor dem Hintergrund bisheriger Isidorforschung

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Die hohe Wertschätzung, die etwa R. Simon am Ende des 17. Jahrhunderts (insbesondere dem Exegeten) Isidor entgegenbrachte², und die Spannung, mit der offenbar schon die erste gedruckte Isidor-Gesamtausgabe 1638 erwartet wurde³, sind im 20. Jahrhundert weitgehendem Desinteresse gewichen, das Riedingers und Kertschs Verdikte über die Authentie des Korpus zumindest im deutschen Sprachraum noch verstärkt haben dürften. Neben der Schrift von Bayer (1915) über Isidors Bezüge auf klassische griechische Autoren, der für die Einleitungsfragen, die Textkonstitution und die Theologie bei Isidor wichtigen Monographie von Schmid (1948) über die Christologie unseres Autors, den Arbeiten von Fouskas (1967 und 1970)⁴ und einzelnen monographischen Titeln aus dem orthodoxen Bereich in griechischer Sprache⁵ sind im 20. Jahrhundert zu Isidor nur meist kurze Aufsätze über einzelne Aspekte des Korpus und Lehrbuch- oder Lexikoneinträge erschienen (von letzteren sind prominent Ritter 1971 im französischen Dictionnaire de Spiritualité und Treu 1998 im RAC). Von größerer Bedeutung unter den Aufsätzen, die sich nicht mit Einleitungsfragen beschäftigen⁶, sind Bartelink 1964 über Aussagen Isidors zu sprachlichen und stilistischen Themen⁷ und Durand 1985 über trinitätstheologische Formulierungen bei Isidor in ihrem Verhältnis zu früheren und zeitgenössischen Formulierungen in Alexandria (Dionysius, Cyrill). Andere Beispiele für in kurzen Artikeln an das Isidorkorpus angelegte Interessen sind Rechtsgeschichte (Lyon 1913) oder Prosodie und Rhythmik (Fehrle 1924). Zur Handschriftenlage hat sich nach Capo

 Vgl. Simon 1693, 306 f.: „il merite cependant d’être mis au rang des plus habiles Commentateurs“. Simon behandelt Isidor auf den Seiten 306 bis 314 seiner Geschichte der Exegese des Neuen Testaments; er paraphrasiert und evaluiert einige ihm besonders interessant erscheinende Schriftauslegungen Isidors, stellt seine Nähe zu Johannes Chrysostomus fest (a. a.O. 312), bescheinigt ihm aber auch Innovatives (ebd. 311), siedelt ihn in der Mitte zwischen extrem wörtlicher und extrem allegorischer Auslegungspraxis an (ebd. 310) und äußert sich auch (wenig erhellend und nur aus zweiter Hand, s. o. Kap. 1, Anm. 57) zur Frage nach der Anzahl der Briefe (ebd. 313).  Vgl. Évieux 1995, 1.  Zu Fouskas s. o. S. 19 f. und unten 110 f.  Vgl. Évieux 1995, XX – XXIII.  Für die Einleitungsfragen einschlägig sind v. a. Altaner 1942, Capo 1901, Delmaire 1988 und alle Titel von Évieux, Kertsch und Riedinger. Ihre Ergebnisse sind in die Ausführungen meines ersten Kapitels einbezogen.  Der Artikel macht einige Bemerkungen zu Isidors eigenem Stil, paraphrasiert und kontextualisiert aber vor allem Isidorbriefe, die sich mit der Bedeutung von Rhetorik und paganer Literatur für Christen und mit dem Problem der unkultivierten Sprache der Heiligen Schrift beschäftigen, bevor er sich Isidors Etymologien und Worterklärungen innerhalb und außerhalb der Bibelexegese zuwendet.

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2 Ziele der Arbeit vor dem Hintergrund bisheriger Isidorforschung

(1901), Lake (1905), Turner (1905) und Smith (1954) 1968 M. B. Foti geäußert. Die entscheidenden Fortschritte für Textkonstitution und Textkritik bei Isidor sind freilich wiederum durch Évieux gemacht worden, der das Vorhandene aufgenommen und kritisch weitergeführt hat. Einschlägig ist hierzu neben seinen Artikeln von 1975 und 1976 vor allem die Einführung in den ersten Sources Chrétiennes-Band (Évieux 1997 = SC 422). Mit Évieux’ Monographie von 1995 und seinen darauf folgenden Texteditionen setzte international eine höhere Frequenz kleiner Veröffentlichungen zu unserem Autor ein, bei denen aber nun die großen Einleitungsfragen im Gegensatz zu ihrer Bedeutung in manchen Debatten der vergangenen Jahrhunderte kaum mehr eine Rolle spielten und dabei manchmal sogar nicht einmal auf Évieux Bezug genommen wurde. Briefe aus dem Isidorkorpus werden heute wieder – zum Teil ganz unhinterfragt, zum Teil unter Berufung auf Évieux’ Ergebnisse – als authentische Texte eines ägyptischen Autors vom Anfang des 5. Jahrhunderts gelesen und interpretiert.⁸ Die hier zu nennenden Artikel beschäftigen sich abermals mit einzelnen Briefen oder bestimmten Themen bzw. relativ isoliert betrachteten Aspekten im Isidorkorpus, das dann als historische oder theologische Quelle ausgewertet wird. Dabei ist Luján 2001 eine kurze Notiz zur Textkritik einer Stelle des Komödiendichters Menander, auf die Isidor in ep. 1376⁹ offensichtlich anspielt. Luján scheint Évieux’ Edition nicht zu kennen, jedenfalls nimmt er auf sie nicht Bezug, sondern zitiert aus der PG. R. Klein hat sich 2004 zweimal zu Isidor geäußert. In einem Tagungsband zu Theater und Theaterkritik in der Kaiserzeit (Klein 2004 (1)) referiert er die Kritik an Theater und Pferderennen bei Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomus und Isidor von Pelusium. Auf Isidor kommt er ab S. 168 zu sprechen. Es handelt sich fast ausschließlich um eine Paraphrase des Inhalts von ep. 1469¹⁰. Klein hätte den Brief im Jahr 2004 aus Évieux zitieren können, nimmt aber nur auf die PG Bezug. Von Isidor sagt er, er habe „über eine Vielzahl von Themen mit einflußreichen Persönlichkeiten korrespondiert[e]“ und „seine Briefe für einen größeren Leserkreis in eine Sammlung“ aufgenommen, „an deren Veröffentlichung er selbst schon dachte“¹¹. Belegt werden beide Behauptungen nicht; den Gedanken, Isidor selbst habe seine Briefe veröffentlicht, hat Évieux mit beden-

 Eine kursorische Auswertung der Briefe für eine Geschichtsdarstellung ohne Zweifel an der Historizität findet sich kurz vor Évieux auch schon bei Brown 1992 (bes. 139 f.).  Ep. 1376 (IV, 89) (SC 422, 440).  Ep. 1469 (V, 185) (SC 454, 110 – 114).  Klein 2004 (1), 169.

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kenswerten Argumenten verworfen¹², wenngleich es auch Gegenargumente gibt (insbesondere in Bezug auf die Mahn- und Scheltbriefe, bei denen schwer vorstellbar ist, dass sie bei den Empfängern für eine Edition hätten gesammelt werden können: man wird am besten Kopien der versandten Briefe annehmen, die in Isidors „Nachlass“ erhalten waren¹³). In dem zweiten Artikel (Klein 2004 (2)) geht es um Isidors Einstellungen zu Sklaven und Sklaverei.¹⁴ Klein benennt hier das Echtheitsproblem kurz¹⁵, hält es mit Évieux’ Forschungen für so gut wie erledigt¹⁶ und zeigt vor allem Isidors deutlich kritische Einstellung zur Sklaverei als ein Alleinstellungsmerkmal Isidors in seinem historisch-literarischen Kontext auf – ein konkretes thematisches Beispiel, dass Isidor auch eigene originelle Gedanken bringt und nicht nur Fremdes zusammenstellt. De Salvo 2005 bezieht sich kurz auf Évieux‘ Beweisführung für die Authentizität und historische Auswertbarkeit des Isidorkorpus, die sie für gelungen hält.¹⁷ Riedingers Name fällt nicht. Insgesamt nimmt De Salvo Bezug auf Évieux und Delmaire; sie will die Arbeit von Évieux durch Auswertung einiger Isidorbriefe für den Bereich Sozial- und Wirtschaftsgeschichte fortsetzen. Zu diesem Zweck stellt sie ausgewählte Briefe zu thematischen Gruppen zusammen und gibt Überblicke über den Inhalt. In einem Zeitschriftenartikel von 2011 versucht sich A. Vento am Nachweis, dass Isidors historische Existenz belegt sei, rekurriert dabei aber auf die historisch kaum ernstzunehmende hagiographische Literatur, sortiert die werkexternen Zeugnisse nicht nach Wert und zitiert den besten Beleg (Severus von Antiochia c. imp. gramm. III, 39) abenteuerlich unsauber.¹⁸ Den schärfsten Gegner einer historischen Auswertbarkeit des Isidorkorpus, Riedinger, führt sie nicht an.  Évieux 1995, 290 und 366.  Vgl. dazu oben Kap. 1, Anm. 99.  Dieser Artikel sticht recht positiv aus der insgesamt eher enttäuschenden Isidorliteratur nach 2000 heraus. Folgende Abstriche sind aber zu machen: Aus Évieux’ Editionen zitiert Klein auch in diesem Artikel (wie in Klein 2004 (1)) nicht. Ferner enthält der Artikel zwei grobe Fehler im Textverständnis: Isidor hat für Tragödienschauspieler nicht etwa „hohes Lob bereit“, wie a. a.O. 266, Anm. 19, behauptet wird, sondern sagt nur, dass sie (von den Leuten) bewundert werden („οἱ εὐδόκιμοι τραγῳδοὶ […] θαυμάζονται“ (ep. 1320 (V, 71) (SC 422, 358, 4 f.)), und in ep. 890 (III, 90) (PG 78, 793, D4), besprochen a. a.O. 272 f., geht es nicht um die „Denkweise eines Menschen“, die durch den Vorwurf unfreier Abstammung „beeinfluss[t]“ werde, sondern darum, dass es nicht vernünftig ist, jemandem vorzuwerfen, dass sein Vater ein Sklave war, weil dieser „Makel“ nicht auf einer willentlichen Entscheidung beruht (προαίρεσις bedeutet hier „freier Wille“, vgl. PGL s.v.).  Klein 2004 (2), 262 f.  Isidors Briefe gäben „detaillierte Auskünfte über das gesellschaftliche Leben der Zeit“ und seien erfahrungsbasiert (a. a.O. 261; 266).  De Salvo 2005, 169 f. und 171.  Vento 2011, 459, Anm. 3.

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Die starke rhetorische Stilisierung der Briefe kann nach Vento nicht als Argument gegen ihre Authentizität ins Feld geführt werden; Isidor sei eben von Beruf Redelehrer gewesen¹⁹. Der Artikel besteht im Wesentlichen aus Paraphrasen der Briefe an den augustalis Theodoros und über den Gouverneur Gigantios mit gelegentlichen Verweisen auf Sekundärliteratur. Ventos auf S. 461 angekündigte Doktordissertation zu Isidor ist allem Anschein nach nie erschienen. Noch 2011 zitiert Vento die Isidortexte aus der PG, nicht auch aus Évieux’ Editionen. Bei Ventos Artikel über Isidors Kritik an Theater und Pferderennen²⁰ ist im Vergleich zu ihrem Artikel von 2011 die reine Inhaltsparaphrase gemischt mit einer historisch-literarischen Einordnung der Kritik Isidors an den Spielen. Den Quellenwert des Korpus setzt Vento wie Klein und De Salvo extrem hoch an²¹; von der noch von Maisano 1980 m. E. für etliche Briefe durchaus zutreffend diagnostizierten Abstraktheit, ja quasi „aseptischen“ Atmosphäre, wie Maisano es nannte²², ist keine Rede mehr. Zu Isidors Haltung zu Theater und Hippodrom stellt Vento, ähnlich wie Klein beim Thema Sklaverei, fest, dass Isidor bei aller Einbettung in den Strom der konventionellen Behandlung des Themas auch neue, originelle Aspekte zu bieten habe.²³ Cambe 2012 ist ein Versuch, die Isidorbriefe, die Auslegungen von Jak 3,6 bieten (epp. 658 (II, 158); 1298 (IV, 10); 1566 (IV, 1; nicht, wie Cambe schreibt, 1556)), für die heute zeitgenössische Auslegung der Stelle fruchtbar zu machen. Für die Einleitungsfragen verweist Cambe einfach auf Évieux 1995. Andere Literatur zu Isidor verzeichnet er nicht. Immerhin ist er der erste Autor, der Isidortext aus den von Évieux verantworteten Sources Chrétiennes-Bänden zitiert. Leemans 2013 und Larsen 2017 sind Überblicksdarstellungen zu Isidor in Sammelbänden über das Verhältnis von Bildung und Religion von der römischen Kaiserzeit bis zum klassischen Islam bzw. über spätantike Briefsammlungen. Daraus ergibt sich der jeweilige Fokus der Artikel. Leemans 2013 ist auch dadurch gekennzeichnet, dass es sich um die Verschriftlichung eines vor breiterem Publikum mündlich gehaltenen Vortrags handelt.²⁴ Leemans’ Grundaussagen sind, dass sich klassische Bildung und christliche Religion bei Isidor verbinden, wobei die Religion den Vorrang hat, und dass sein „Herzensanliegen“ der „Dienst [an] der Kirchengemeinde von Pelusium und de-

 A. a.O. 466.  Vento 2010.  Vgl. Vento 2010, 181: „L’epistolario di Isidoro di Pelusio è fonte assai ricca di notazioni di carattere politico, sociale, economico, morale e religioso“.  Vgl. Maisano 1980, 42.  Vgl. Vento 2010, 182.  Vgl. die Seiten VI/VII (Vorwort des Sammelbandes).

2 Ziele der Arbeit vor dem Hintergrund bisheriger Isidorforschung

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ren individuellen Angehörigen“²⁵ ist. Historische Aussagen über Isidors Leben und Werk trifft Leemans ohne Bedenken²⁶; die radikalen Anfragen von Riedinger und Kertsch an das Korpus finden bei ihm keinen Niederschlag (Riedinger wird überhaupt nicht erwähnt, Kertschs Arbeiten nur als Dokumentation für „den großen Einfluss des Chrysostomus auf die Stilistik Isidors“²⁷). Alle Aussagen über Isidor und den historischen Rahmen, in dem er zu verorten sei, stehen – m. E. oft recht vollmundig – im Indikativ²⁸, auch Ungenaues und Falsches ist leider zu finden. So wirkt die Aussage, unter Isidors Schriften seien „kaum theologische Traktate zu finden“²⁹, zunächst so, als sei von Isidor auch noch etwas anderes überliefert als Texte in Briefform³⁰, die angebliche Alltagsarbeit Isidors als „Kopist“ ergibt sich m. E. nicht so klar aus den Texten, wie Leemans glauben macht³¹, und dass Isidor Cyrill aufgefordert habe, den Namen des Chrysostomus den Diptychen wieder hinzuzufügen, geht weder aus ep. 419, wie Leemans behauptet, noch aus irgendeiner anderen Stelle im Korpus hervor³². Larsen 2017 interessiert sich für das Isidorkorpus vor allem vor dem Hintergund eines ihrer Ansicht nach in Forschung und Literatur einseitig von Viten und Apophthegmata geprägten Bildes vom frühchristlichen Mönchtum. Isidors Briefe (wie Briefliteratur überhaupt) gelten ihr hier als heilsames und historisch zuverlässigeres Gegengewicht: „As scholar turned priest turned monk, he [Isidor] redefines each of these roles in ways that trouble idealized recountings of hagiographically grounded history“³³. Für Larsen unterstützend kommt hinzu, dass z. B. in den Apophthegmata Patrum einem „Abba Isidor“ zugeschriebene Inhalte sich nachgerade auf das Korpus der Isidorbriefe zurückführen lassen.³⁴ Bei ihrem Überblick zu Entstehung und Überlieferung des Korpus³⁵ ist wie bei anderen

 Leemans 2013, 43 und 49.  Vgl. auch den Lexikonartikel Leemans 2016 (in EBR).  Leemans 2013, 37, Anm. 8.  Vgl. besonders a. a.O. 30 – 34.  A. a.O. 31.  Zur Diskussion um „theologische Traktate“ Isidors vgl. Évieux 1976, 330 f. und 1995, 353 – 356, von Leemans offenbar nicht rezipiert.  A. a.O. 34. Évieux 1995, 314 schrieb noch: „Son travail consiste surtout, semble-t-il [Hervorhebung S.B.], à recopier ([ep.] 886) des ouvrages religieux“.  Leemans 2013, 38. Ep. 419 (I, 419) steht zwar wohl im selben Kontext wie einige der Briefe an Cyrill (vgl. Évieux 1995, 82– 84 und 204, Anm. 97), ist aber selbst überhaupt nicht an Cyrill gerichtet, sondern an den Bischof Hermogenes, s. PG 78, 416.  Larsen 2017, 289, vgl. ebd. 299.  Vgl. ebd. 295.  A. a.O. 295 – 298.

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2 Ziele der Arbeit vor dem Hintergrund bisheriger Isidorforschung

Autoren keine Rede von den radikal alternativen Thesen Riedingers und Kertschs hierzu. Der 2017 von Leemans in einer Festschrift veröffentlichte kurze Artikel über Isidors Korrespondenz mit dem Mönch Strategios wurde in einer unveröffentlichten Fassung bereits von Larsen 2017 herangezogen. Die betreffenden Briefe werden – ähnlich wie bei Larsen – als ein wertvoller Mosaikstein für das Bild, das wir uns vom Mönchtum in Ägypten im 4./5. Jahrhundert machen können, ohne weitere Bedenken oder Kautelen ausgewertet. Zu den Einleitungsfragen findet sich ausschließlich ein kurzer Bezug auf Évieux 1995. Die Artikel Artemi 2014 (über Trinität und Gotteserkenntnis bei Isidor), Artemi 2016 (über Aussagen zu Schrift und Schriftinspiration bei Isidor) und Artemi 2017 (über mögliche Verbindungen zwischen dem Nachdenken über die Trinität bei Isidor und bei Cyrill von Alexandria – ein Auszug aus Artemis griechisch veröffentlichter Doktordissertation) beschäftigen sich leider so gut wie überhaupt nicht mit den Einleitungsfragen, mit der historischen Plausibilität und der historischen Einordnung der Briefinhalte, etwa der vielfach vertretenen Häretikerpolemik oder des tatsächlichen Verhältnisses von Isidor und Cyrill. Die Inhalte werden in der Regel einfach paraphrasierend wiedergegeben. Zum Teil³⁶ ist unklar, wo die Autorin selbst dogmatisch spricht und wo sie Isidor referiert. Sekundärliteratur wird kaum benutzt; die historische Zuverlässigkeit des Isidorkorpus wird vorausgesetzt. Noch 2016 wird Isidor von Artemi nur aus der PG zitiert.³⁷ Auf die beiden Artikel von M. Toca aus dem Jahr 2017 (der erste beschäftigt sich mit den Adressatenangaben von Isidors Briefen „an Didymus“, der zweite macht einen neuen, sich von Évieux absetzenden Vorschlag, die Isidorhandschriften zu Gruppen anzuordnen) nehme ich an anderen Stellen der Arbeit näher Bezug.³⁸ Was die Einleitungsfragen angeht, scheint auch in diesen Artikeln die im 20. Jahrhundert vorhandene Skepsis gegenüber der Person und den Texten Isidors keine Spuren hinterlassen zu haben. Als jüngsten Beitrag zur Isidorforschung möchte ich einen gemeinsamen Artikel von M. Toca und J. Leemans in dem AKG-Sammelband „Episcopal Networks in Late Antiquity“ von 2019 nicht unerwähnt lassen. Toca und Leemans stellen Isidor hier als einen herausragenden „Netzwerker“ seiner Zeit vor, der, obwohl selbst kein Bischof, wahrscheinlich in mancher Hinsicht mehr Einfluss in der Öffentlichkeit gehabt habe als etliche Bischöfe in seiner Umgebung.³⁹ Die    

Vgl. etwa Artemi 2014, 333 f. und 336; Artemi 2016, 68 – 70. Artemi 2016, 72; 75 f. Vgl. die Anm. 5 und 175 in Kap. 1. Toca / Leemans 2019, 98.

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Netzwerke Isidors leiten die beiden Autoren von seinen aus den Briefen geschlossenen früheren Tätigkeiten in Pelusium her, nämlich Rhetoriklehrer und Priester. Dabei lassen sie zunächst wieder große Zuversicht bezüglich der historischen Auswertbarkeit der Briefe walten. Dann jedoch wird diese Auswertbarkeit – in m. E. angemessenerer Weise als bisher bei Toca und Leemans – problematisiert.⁴⁰ Den Hauptteil des Artikels stellt eine nützliche Diskussion zur Einordnung von ausgewählten Briefgruppen Isidors dar (Isidors Einsatz für den Reeder Bonos, gegen den Gouverneur Gigantios, die Briefe an Kaiser Theodosius II., an Cyrill von Alexandria und an den Mönch Strategios).

 Vgl. ebd. 85 – 87. Riedinger wird freilich weiterhin nicht ausreichend rezipiert, wenn auch in diesem Artikel kurz erwähnt (Anm. 5).

3 Grundlegendes zu Isidors Exegese 3.1 Isidors Schriftverständnis 3.1.1 Entstehung und Ziel der Schrift Für Isidor ist die Schriftlichkeit in der Geschichte der Selbstoffenbarung Gottes nicht ursprünglich, sondern später hinzugekommen. Sie wurde notwendig, weil die Menschen schlechter geworden sind. Sowohl in der Geschichte des Alten als auch des Neuen Bundes habe Gott anfangs direkt mit den Menschen kommuniziert, so etwa mit Abraham, Noach oder Ijob und im Neuen Bund in der apostolischen Zeit; die Apostel hätten nichts Schriftliches erhalten, sondern die Gnade des Heiligen Geistes. Erst der dogmatische und moralische Verfall¹ habe jeweils Schriften notwendig gemacht; insofern ist schon die Notwendigkeit der Heiligen Schrift eigentlich ein „Vorwurf“ (ἔγκλημα²) an alle Nachgeborenen; umso mehr dann, wenn sie der Schrift nicht folgen. Isidor entfaltet diese Gedanken in ep. 906³ in enger, z.T. wörtlicher Anlehnung an den Beginn des Matthäuskommentars von Johannes Chrysostomus⁴. Inhaltlich sind sie der Hintergrund für Isidors Motivation zum Umgang mit der Heiligen Schrift überhaupt und zu ihrer Auslegung: Wie die Schrift selbst, so dient auch ihre Exegese dem orthodoxen Glauben samt dem daraus folgenden Verhältnis zu Gott (εὐσέβεια) und der diesem Glauben entsprechenden Lebensführung (ἀρετή). In einer Aussage zur Exegesetheorie fallen diese beiden aus dem klassischen Attisch stammenden⁵, aber hier in den christlichen Zusammenhang abgewandelten Begriffe⁶ als Kriterien für die Legitimität einer Auslegung.⁷ Aber schon die  Ep. 906 (III, 106) (PG 78, 812, C1 f.).  Ep. 906 (III, 106) (PG 78, 812, C13).  III, 106 (PG 78, 809 – 812).  S. Chrys. hom. 1 in Mt. 1 (PG 57, 13,1 – 15,4); wörtlich entsprechen sich in weiten Teilen Isid. Pel. PG 78, 812, B1-D5 und Chrys. PG 57, 13,18 – 15,4. Diese Parallele wurde schon früh erkannt; schon in den bei Poussines erschlossenen vatikanischen Isidorhandschriften findet sich (laut Poussines) in margine ein Verweis auf sie (PG 78, 812, Anm. 69, für den Ott. gr. 383 am Digitalisat auf digi.vatlib.it überprüfbar). Auch Fouskas 1970, 122 verzeichnet die Parallele.  Vgl. Young 1997 (1), 51.  Dass εὐσέβεια bei Isidor oft dem Begriff der Orthodoxie (ἡ τῶν δογμάτων ὀρθότης) entspricht, jedenfalls ohne diese nicht möglich ist, zeigt deutlich ep. 1203 (III, 403) (PG 78, 1037, C9 – 1039, A3), wo die beiden Konzepte eng verbunden sind, ebenso wie ἀρετή mit der richtigen Lebensführung (ἡ ἀπὸ τῆς πολιτείας φιλοσοφία), und in ähnlicher Weise auch ep. 1515 (IV, 20) (SC 454, 192) (ohne ἀρετή ist εὐσέβεια nicht glaubwürdig; in diesem Brief stehen εὐσέβεια und τὰ ὀρθὰ δόγματα ebenso wie ἀρετή und εὖ βιοῦν im Wechsel).Vgl. zum Gebrauch von εὐσέβεια und ἀρετή https://doi.org/10.1515/9783110686180-004

3.1 Isidors Schriftverständnis

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Tatsache, dass Isidors uns erhaltene Exegese sich im Rahmen brieflicher Seelsorge und Seelenführung mit starkem Akzent auf der richtigen Lebenspraxis⁸ abspielt, passt dazu. Isidors Schriftauslegung steht im Dienst von Glaube und

bei Isidor besonders auch noch ep. 790 (II, 290) (PG 78, 721, A7 f.: Priester sollen den Tod nicht scheuen, wenn ἀρετή oder εὐσέβεια in Gefahr sind); ep. 952 (III, 152) (PG 78, 844, B5 f.: Isidor lehnt eine bestimmte Auslegung von Num 12 nicht ab, weil sie „weder die ἀρετή noch die εὐσέβεια irgendwie beschädigt“); ep. 1420 (IV, 102) (SC 454, 26 – 28, die beiden Ausdrücke 28,14 f.) über Röm 13,3.7 (staatlicher Macht ist Folge zu leisten, solange εὐσέβεια und ἀρετή keinen Schaden nehmen) und ep. 1593 (IV, 220) (SC 454, 306 – 308, bes. 306, 4– 6) zur Erklärung der einschränkenden Klausel in Röm 12,18. Ähnliches sagt Young 1997 (1), 261 (im Anschluss an R. Heine) über die Rolle der εὐσέβεια in Gregor von Nyssas Leben des Mose: „The process involves both doctrine and discipline. Eusebeia implies a proper sense of God which produces appropriate worship and an appropriate lifestyle.“ Eine enge Verbindung von εὐσέβεια und ἀρετή bei Isidor findet sich u. a. auch noch in einem einprägsamen Bild in ep. 1086 (III, 286) (PG 78, 961B) – dort erscheint die ἀρετή als „fromme Priesterin“ einer glaubwürdigen εὐσέβεια in einem gottgefälligen Leben nach dem Neuen Bund. J. Leemans fasst für Isidor die εὐσέβεια, deren Verhältnis zur klassischen παιδεία im Leben und in den Texten unseres Autors er beleuchten will, weiter, nämlich als „christliche[s] Glauben und Leben in all seinen Facetten“ (Leemans 2013, 30) bzw. einfach als „Religion“ (ebd. 48). Es scheint sich mir hier aber eher um eine von Isidor unabhängige, nicht induktiv vorrangig aus den Isidortexten gewonnene Wiedergabe des Wortes zu handeln, welches für Isidor zumindest an den zitierten Stellen eben präziser im Sinn von „Orthodoxie“ zu fassen ist. Freilich gedeihen dann auf dem Grund der Orthodoxie (!) auch „alle Facetten“ des christlichen „Glaubens und Lebens“, z. B. „appropriate worship“ und „appropriate lifestyle“ als „Produkte“, wie Young es formuliert (a. a.O.).  Vgl. ep. 952 (III, 152) (PG 78, 844, B4– 6): Isidor führt eine bestimmte Auslegung von Num 12 an, die nicht von ihm stammt, die er für nicht sehr plausibel hält und der er eine eigene entgegensetzt. Er verwirft sie aber auch nicht einfach, „weil sie der ἀρετή und der εὐσέβεια keinen Schaden zufügt“.  Vgl. Bober 1878, 34 f.: „[…] interpretationis s. Scripturae s. Isidori finis est praecipue moralis et asceticus [– daher finde sich bei Isidor auch kein systematisches Interesse für die messianisch zu interpretierenden Stellen des Alten Testaments – das würde ja in den Bereich der Dogmatik fallen]“. In einigen Briefen verweigert Isidor einem Fragesteller eine Antwort, weil er keine ehrliche Motivation für die Frage sieht oder zuerst eine Veränderung im Lebenswandel des Briefpartners sehen möchte. Beispiele sind ep. 1254 (V, 31) (SC 422, 250), wo dem Diakon Palladios mit Verweis auf Mt 7,6 eine exegetische Auskunft verweigert wird, oder ep. 1399 (V, 131) (SC 422, 472– 480, bes. 476, 33 – 44), ebenfalls mit Bezug auf die Schrift, der zunächst einmal zu „folgen“ ist. Der Schrift, d. h. dem aus Sicht der Antike aus ihr gewonnenen Gesamtsinn, zu „folgen“ (ἀκολουθεῖν) ist für Isidor ein Grundsatz für die Exegese wie für das Leben. Vgl. ep. 1092 (III, 292): „ἀκολουθεῖν τε αὐταῖς (scil. ταῖς Γραφαῖς) καὶ μὴ ἡγεῖσθαι, μηδὲ πρὸς τὸ οἰκεῖον βούλημα τὸν ἐκείνων νοῦν ἐκβιάζεσθαι“ – „den Schriften folgen, nicht ihnen vorausgehen und ihren Sinn nicht dahin zwingen, wohin man selbst will“. Vgl. auch ep. 394 (I, 394) (PG 78, 404, B9-C6) mit originellem Bezug auf 1Kor 9,9 und ähnlich ep. 481 (I, 481) (PG 78, 444, C1– 7).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

Moral, und das liegt in seinen Augen ganz auf der Linie der Absicht, die Gott selbst mit der Heiligen Schrift verfolgt.

3.1.2 Göttlicher Ursprung und Inspiration der Schrift Schon für Origenes gehörte die Lehre, dass die Heiligen Schriften „durch den Geist Gottes verfasst sind“ und einen verborgenen tieferen Sinn haben⁹, zu den auf die Apostel zurückgehenden Grundüberzeugungen der Kirche.¹⁰ Für Isidor gibt es keinen Zweifel am göttlichen Ursprung der Schrift. Er nennt sie ἱερὰ oder θεῖα Γραφή bzw. ἱεραὶ oder θεῖαι Γραφαί¹¹. Besonders gerne verwendet er für Sätze der Schrift oder für die Schrift als ganze die Ausdrücke ἱεροὶ χρησμοί¹² oder θεῖοι χρησμοί¹³ („heilige/göttliche (Orakel‐)Sprüche“). Menschliche Verfasser der Schriften wie Mose¹⁴, David¹⁵, Johannes¹⁶, Paulus¹⁷ nennt er inspiriert, gottbe-

 Or. princ. I praef. 8 (94, 6 – 8 Görgemanns/Karpp = GCS 22, 14, 6 – 8; Übersetzung Görgemanns/ Karpp).  Vgl. dazu ausführlicher Young 1997 (1), 23 f. auf der Grundlage von Or. princ. I praef. und IV, 1– 3.  Z. B. ep. 914 (III, 114) (PG 78, 820, A4 f.): „ταῖς ἱεραῖς Γραφαῖς καὶ τοῖς θείοις θεσμοῖς“; ep. 925 (ΙΙΙ, 125) (PG 78, 825, C9 f.) u. ö., für zahlreiche weitere Belege vgl. Fouskas 1966, 64.  Z. B. ep. 688 (II, 188) (PG 78, 637, A5).  Z. B. ep. 183 (I, 183) (PG 78, 301, B12); ep. 749 (II, 249) (PG 78, 688, A4); ep. 754 (II, 254) (PG 78, 689, C10); ep. 793 (II, 293) (PG 78, 724, A2); ep. 870 (III, 70) (PG 78, 780, A8); ep. 1188 (III, 388) (PG 78, 1029, A9): „οἱ θεῖοι καὶ οὐράνιοι χρησμοί“; im Singular ep. 778 (II, 278) (PG 78, 709, B15); ep. 803 (III, 3) (PG 78, 729, A11); ep. 958 (III, 158) (PG 78, 853, B6). Diese Wortverbindungen kommen gelegentlich auch bei früheren Exegeten vor, für den Bereich der im Thesaurus Linguae Graecae erfassten Texte besonders bei Eusebius von Caesarea und Johannes Chrysostomus. Demgegenüber häufen sie sich bei Isidor. Der Gebrauch des Wortes χρησμός passt zur grundsätzlichen Möglichkeit eines „‚oracular‘ reading of scripture“ (F. Young, s. z.B. Young 1997 (1), 204– 206) in der Antike, also der Überzeugung, dass die Bibel oft in Rätseln und Bildern, die zu dekodieren sind, über das Göttliche oder über zukünftige Ereignisse spricht. In den angeführten Passagen – etwa in ep. 778 und ep. 803 – können allerdings auch z. B. Herrenworte zitiert und erklärt werden, ohne dass die Ebene des Textes irgendwie verlassen wird, d. h. die Rede von χρησμός oder χρησμοί bei der Bibelauslegung muss in einem konkreten Brief nicht mit „orakelhafter“ Exegese verbunden sein. Freilich gibt es bei Isidor durchaus nichtkontextsensitive Deutungen einzelner Elemente einer Bibelstelle und die vielfältige Annahme „prophetischer“ Referenzen, „‚oracular‘ interpretation, encouraging piecemeal application of texts to supposed fulfilments and a disregard of context or unity of subject“ (a. a.O. 204 f.), wozu der Begriff χρησμός passt. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist etwa die erste Hälfte von ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216), in der allerdings wiederum das Wort χρησμός nicht vorkommt. S. zum Brief unten S. 116.  Ep. 876 (III, 76) (PG 78, 784, B1): Mose hatte seine Weisheit von Gott („σοφία[ν], ἣν ἔλαβε παρὰ τοῦ Θεοῦ“); ep. 894 (III, 94) (PG 78, 797, D8): Dtn 18,15 (eine für Isidor entscheidende Belegstelle

3.1 Isidors Schriftverständnis

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geistert, vom Heiligen Geist bewegt. Die menschlichen Autoren haben aber einen eigenen Beitrag zum Entstehen der Schriften geleistet. Das wird z. B. am ersten Teil von ep. 1868¹⁸ deutlich: Isidor ist nach seinem Verständnis von 1Tim 4,3 gefragt worden und nimmt Bezug auf das syntaktisch-inhaltliche Problem im überlieferten Text: Dass die „Lügenredner“ verbieten, sich bestimmter Speisen zu enthalten, würde nicht dazu passen, dass sie gleichzeitig die Ehe verbieten (vgl.

für die Ankündigung des Kommens Christi im AT) hat Mose „voll von Gott“ verkündet („ταῦθ᾿ ὁ Μωσῆς ἔνθους γενόμενος ἐθέσπισε“). Zu ἔνθεος/ἔνθους s.u. Anm. 17. In ep. 1275 (IV, 162) (SC 422, 278, 15 – 17) nennt Isidor eine übertragende Auslegung von Ex 12,11 ein Verständnis „κατὰ τὴν τοῦ νομοθέτου πνευματικὴν διάταξιν“ – „gemäß der geistlichen Disposition des Gesetzgebers“, d. h. weil Mose vom Heiligen Geist inspiriert geschrieben hat, ist eine geistliche Auslegung legitim. Dass es zu Isidors Inspirationsvorstellung insbesondere auch gehört, dass der Heilige Geist den Figuren und Autoren des Alten Testaments eine manchmal mehr, manchmal weniger bewusste Vorahnung des Christusereignisses eingegeben hat, zeigt sich auf interessante Weise auch in den Briefen 365 f. (über Jakob) und 415 (über Salomo), die unten in Abschnitt 4.4.2.1 (S. 211– 213) besprochen sind.  Ep. 345 (I, 345) (PG 78, 380, C6 f.): „ὁ ἐν Δαβὶδ λαλήσας Θεός“ – „Gott, der in/durch David gesprochen hat“ – vielleicht auch ein Anklang an Hebr 1,1 als eine biblische Quelle für das kirchliche Schrift- und Inspirationsverständnis.  Ep. 1202 (III, 402) (PG 78, 1037, C3 f.): Er sprach „θεοφράστῳ γλώττῃ“ – „mit von Gott her / Göttliches sprechender Zunge“, „ὑπὸ ἁγίου γὰρ Πνεύματος ἐκινεῖτο“ – „denn er wurde vom Heiligen Geist bewegt“ und verkündete so im Prolog seines Evangeliums die orthodoxe Christologie.  Ep. 858 (III, 58) (PG 78, 769 B10 f.): „ὁ θεσπέσιος Παῦλος, καὶ ὥσπερ ἔνθους γενόμενος“ – „der göttliche, quasi von Gott voll gewordene Paulus“. Ἔνθεος, kontrahiert ἔνθους, ist schon im klassischen Griechisch ein Ausdruck für die göttliche Inspiration. Von einem, der ἔνθους ist, hat ein Gott Besitz ergriffen. In der Septuaginta und im Neuen Testament kommt das Wort nicht vor. Vielleicht setzt Isidor das ὥσπερ – „quasi“ – davor, um die ursprünglich heidnische Konnotation der Besitzergreifung etwas zu relativieren. Ἔνθους ist allerdings auch ohne derartige Relativierung auch im christlichen Sprachgebrauch ein Begriff für die Inspiriertheit von Propheten, Aposteln oder ihren Lehren oder bedeutet einfach „göttlich, von Gott, zu Gott gehörig, zu Gott haltend“, z. B. auch in der Christologie. Vgl. LSJ und PGL s.v. Im Brief 858 spricht Isidor am Ende über Hebr 1,3, worin er die Lehre über Gleichewigkeit und zugleich eigenständiges Personsein des Sohnes enthalten sieht (vgl. Chrys. hom. 2 in Heb. 2 (PG 63, 22 f.)). Paulus, den Isidor für den Verfasser des Hebräerbriefs hält, hatte seiner Auffassung nach diese Lehre von Gott. Johannes Chrysostomus verwendet den Ausdruck ὥσπερ ἔνθους γενόμενος einmal für Paulus in hom. 15 in Rom. 3 (PG 60, 544, 26 f.), allerdings im Rahmen der Auslegung eines Röm-Verses. An anderer Stelle (ep. 770 (II, 270) (PG 700 C4 f.)) heißt Paulus ein θεόπνευστος ἀνήρ, ein „von Gott inspirierter Mann“ (θεόπνευστος ist vielleicht das direkteste griechische Äquivalent für „inspiriert“ und im christlichen Sprachgebrauch sehr geläufig, s. PGL s.v. und vgl. schon 2Tim 3,16: „πᾶσα γραφὴ θεόπνευστος καὶ ὠφέλιμος“). In ep. 279 (I, 279) (PG 78, 345, D2) heißt Paulus mit Anspielung auf 2Kor 12,4 „ὁ ἀκροατὴς τῶν ἐν παραδείσῳ ἀρρήτων“ – „der, der das Unsagbare im Paradies gehört hat“.  Ep. 1868 (IV, 112) (SC 586, 236, 1 – 238, 19).

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die im Novum Testamentum Graece ¹⁹ angegebene Konjektur von Jonathan Toup (gest. 1785), die Isidor schon in etwa vorwegnimmt²⁰). Das inhaltliche Problem will Isidor nicht dem Autor Paulus anlasten, und so kommt er zu textkritischen Überlegungen mit eigenen Konjekturen für 1Tim 4,3. Im weiteren Verlauf des Briefes stellt er dieser Passage noch sieben weitere Beispiele für aus seiner Sicht problematische Textüberlieferung in NT und LXX an die Seite. Interessant im Hinblick darauf, wie Isidor das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Autorschaft der Schrift sieht, ist der Beginn des Briefes, wo er die Meinung zurückweist, Paulus habe in 1Tim 4,3 „seinen Satzbau nicht unter Kontrolle gehabt“²¹, und zwar nicht mit der Begründung, ein letztlich ganz von Gott stammender Text könne auch auf der sprachlichen Ebene keine Fehler enthalten, sondern Paulus habe die „Gabe der Erkenntnis und Weisheit erhalten“²² und sei ja sogar von den Leuten für Hermes, den göttlichen Botschafter in der antiken Welt, gehalten worden.²³ Der originale, in der Überlieferung dann korrumpierte Text ist nach Isidor von Paulus verfasst, der dabei so von Gott ergriffen und inspiriert war, dass Inhalt und Sprache klar die göttliche Botschaft zum Ausdruck brachten.²⁴ Ähnlich klingen Stellen wie in ep. 895 (der Psalmist hat laut Isidor in Ps 8,6 f. „die göttlichen Schriften und den königlichen Text ausgelegt“²⁵) und 1202 (Johannes der Evangelist sprach, „vom Heiligen Geist bewegt, mit einer von Gott her / Göttliches redenden Zunge“²⁶). Auch ep. 1550²⁷ lässt sich in diesem Zusammenhang zitieren. Dort erscheint Jesus Sirach als Verfasser der heute nach ihm benannten, von Isidor mit dem Titel Vollkommene Weisheit bezeichneten Schrift („ὁ τὴν Πανάρετον Σοφίαν συγγράψας“²⁸), und zwar als Subjekt bei der Wahl der Darstellungsmittel in Sir 24,  27. Auflage (1993) z. St.  Ep. 1868 (IV, 112) (SC 586, 238, 8 f.): „ἐχρῆν γὰρ εἰπεῖν· ‚Κωλυόντων γαμεῖν, καὶ κελευόντων ἀπέχεσθαι βρωμάτων‘“ – „man hätte sagen müssen: ‚[der Lügenredner], die verbieten zu heiraten und befehlen, sich [bestimmter] Speisen zu enthalten‘“.  Ep. 1868 (IV, 112) (SC 586, 236, 4 f.): „μὴ κεκρατηκέναι τὸν ἀπόστολον τῆς φράσεως“.  Ep. 1868 (IV, 112) (SC 586, 236, 3 f.): „χάρισμα γνώσεως καὶ σοφίας εἴληφε“.  Nämlich in Lystra, s. Apg 14,11 f.  Ganz parallel argumentiert er in ep. 1576 (IV, 113; übersetzt unten S. 123 f.) bei der Besprechung eines ähnlichen Problems im Text von Hebr 9,17: „οὐ γὰρ ἂν ὁ θείῳ πνεύματι κοσμηθεὶς καὶ Ἑρμῆς εἶναι νομισθεὶς εἰς τοὐναντίον περιετράπη“ – „er [Paulus], der mit Heiligem Geist ausgestattet war und für Hermes gehalten wurde, hätte sich nicht selbst widersprochen“ (SC 454, 282, 6 – 8).  Ep. 895 (III, 95) (PG 78, 801, C6 – 8): „ἄκουσον τοῦ Μελῳδοῦ τὰς θείας δέλτους καὶ τὰς βασιλικὰς συλλαβὰς ἑρμηνεύοντος“.  Ep. 1202 (III, 402) (PG 78, 1037, C3 f.): „θεοφράστῳ γλώττῃ (ὑπὸ ἁγίου γὰρ Πνεύματος ἐκινεῖτο)“  Ep. 1550 (IV, 228) (SC 454, 238).  Ebd. SC 454, 238, 5 f.

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nämlich der Personifikation und direkten Rede der Weisheit und der jeweils adäquaten Bilder und Vergleiche aus der Pflanzenwelt bei ihrer Lobrede auf sich selbst. Vergleichbar ist auch ep. 1345²⁹; auch dort ist der biblische Autor (hier Ezechiel) Subjekt des Bildgebrauchs, also Urheber der sprachlichen Gestalt des Bibeltextes. Freilich sagt Isidor daneben auch, dass in der Schrift Gott selbst redet und mit Überzeugungskraft auftritt, weshalb gegenüber der Schrift nicht Widerspruch, sondern Gehorsam angebracht ist.³⁰ Wenn Gott spricht, haben „λογισμοὶ καὶ συλλογισμοὶ καὶ πιθανότητες ῥημάτων“, also menschliche Vernunftargumentationen, zu weichen, weil sie vor Gottes Autorität nichts gelten.³¹ Isidors exegetisches Engagement, z. B. auch auf dem Gebiet der Textkritik³², sein Arbeiten mit Vernunftargumenten bei der Bibelauslegung, soll der Sicherung des authentischen Wortbestandes der Schrift dienen. Der Gesamtsinn (νοῦς) der Schrift, der sich in allen Einzelstellen manifestiert³³, soll jedoch nicht vom Menschen hinterfragt werden. Im Vergleich etwa mit Johannes Chrysostomus, den Isidor u. a. als Paulusexegeten sehr lobt³⁴, wirken Isidors Formulierungen allerdings zurückhaltender. Eine Spitzenaussage wie die, dass in der Bibel auch das kleinste Wort, ja jede Silbe, größte Bedeutung habe, weil die Worte in Wahrheit Worte des Heiligen Geistes seien³⁵, findet sich bei ihm nicht. Die Briefe 503³⁶ und 504 wiederum nehmen im Rahmen einer Auslegung der biblischen Bilder von Spr 9,2 (die Weisheit hat in einem Mischkrug ihren Wein gemischt) und 1Kor 4,7 (der Schatz in zerbrechlichen Gefäßen) die Frage nach Göttlichem und Menschlichem in der Heiligen Schrift auf; hier wird das Göttliche der Inhaltsseite (τὰ θεῖα νοήματα³⁷), das Menschliche der sprachlichen Gestalt bzw. dem „Gefäß“ (λόγοι καὶ παρα-

 Ep. 1345 (IV, 110) (SC 422, 392– 394).  Ep. 749 (II, 249) (PG 78, 688, A6 – 8): „Τὸ γὰρ εἶναι Θεὸν τὸν θεσπίζοντα, πᾶσαν μὲν ἀντιλογίαν ἐξορίζει, πᾶσαν δὲ πειθὼ δημιουργεῖ“.  Ep. 806 (III, 6) (PG 78, 732, A10 – 12).  Mit textkritischen Fragen beschäftigt er sich außer in den oben angesprochenen epp. 1868 (IV, 112) und 1576 (IV, 113) auch in den Briefen 566 (II, 66); 804; (III, 4); 895 (III, 95); 1244 (IV, 60). Gerade auf diesem Gebiet tritt er oft betont bescheiden auf und stellt seine Meinung als eine unter mehreren möglichen vor. In ep. 1576 (IV, 113) spricht er auch von eigenem Handschriftenstudium (s. SC 454, 282, 6).  Vgl. ep. 653 (II, 153) (PG 78, 608, C6 – 609, A2, „νοῦς“ in 608, C11); ep. 1092 (III, 292) (PG 78, 965, D).  S. ep. 1255 (V, 32) (SC 422, 252).  Chrys. hom. 15 in Gen. 1 (PG 53, 119, 5 – 12).  Vgl. zum Brief Maisano 1980, 49 – 51.  Ep. 503 (II, 3) (PG 78, 460, A6).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

δείγματα σωματικοί³⁸, ἐπίγειοι λόγοι³⁹, ὁ πλοῦτος τῆς θείας σοφίας εὐτελέσι καὶ ἰδιωτικαῖς λέξεσι καὶ παραδείγμασιν ἐμπεριεχόμενος⁴⁰) zugeordnet.⁴¹ Während in ep. 504 entsprechend der Syntax des Paulusbildes die jeweiligen Urheber von Inhalt und Einkleidung nicht spezifiziert werden, tendiert die Aussage von ep. 503 entsprechend der Tatsache, dass in Spr 9,2 die Weisheit Subjekt des Satzes ist, zur umfassenden göttlichen Urheberschaft. Die Weisheit hat „die göttlichen und überragenden Lehren mit körperlichen Worten und Bildern gemischt“⁴², um so den eingeschränkten menschlichen Möglichkeiten entgegenzukommen.⁴³ Angesichts der Kunstlosigkeit der Schrift, die ihr ein heidnischer Beamter⁴⁴ vorwirft, führt Isidor in ep. 1592⁴⁵ in einer auf den Briefpartner zugeschnittenen

 Ebd. A4 f.  Ebd. A7.  Ep. 504 (II, 4) (PG 78, 460, B14 f.).  Zur Unterscheidung von Gehalt und sprachlicher Gestalt einer Aussage in der antiken Rhetorik vgl. Young 1997 (1), 81 mit Anm. 13.  „Τὰ θεῖα καὶ ὑπερφυῆ παιδεύματα λόγοις καὶ παραδείγμασι σωματικοῖς ἐκέρασεν“ (ep. 503 (II, 3) (PG 78, 460, A3 – 5). Die Bedeutung von παράδειγμα kann bei Isidor in Richtung „(sprachliches) Bild, bildliche Redeweise“ gehen. Vgl. epp. 675 und 1550, wo im Kontext bildtheoretischer Ausführungen die Begriffe παράδειγμα, ὑπόδειγμα und εἰκών ohne Differenzierung nebeneinander für bildliche Darstellungsweisen in der Heiligen Schrift verwendet werden (παράδειγμα: ep. 675 (II, 175) (PG 78, 625, D3) und ep. 1550 (IV, 228) (SC 454, 238, 1 f.); ὑπόδειγμα: ep. 675 (PG 78, 625, D4 und 628, A10) und ep. 1550 (SC 454, 238, 7); εἰκών: ep. 675 (PG 78, 625, C6 f.) und ep. 1550 (SC 454, 238, 15)) und ähnlich – sehr deutlich, weil in ganz paralleler Konstruktion – ep. 1345 (IV, 110) (παράδειγμα: ebd. SC 422, 392, 12; εἰκών: ebd. SC 422, 394, 23).Vgl. zur Verwendung dieser Begriffe bei Isidor auch unten den Abschnitt 4.5.1.  „Οὐ γὰρ οἷόν τε ἦν ἡμᾶς ἄλλως νοῆσαι“ (ep. 503 (II, 3) (PG 78, 460, A5 f.)). Vgl. den Gedanken der συγκατάβασις (in etwa: „Herablassung“) Gottes auf unsere Ebene, der besonders im Schriftverständnis und in der Hermeneutik des Johannes Chrysostomus eine herausragende Rolle spielt (s. dazu Margerie 1980, 216 – 225) und auch Isidor nicht fremd ist. In ep. 895 (III, 95) (PG 78, 800, C7) stellt Isidor z. B. klar, dass die Anthropomorphismen der biblischen Rede über Gott συγκαταβατικῶς gesagt sind; in ep. 961 (III, 161) (PG 78, 856, D3) wird über die Erscheinung der schreibenden Hand bei Belschazzars Gastmahl (Dan 5) gesagt: „συγκαταβατικῶς ὤφθη“, d. h. etwa: „die Erscheinung [der Hand] geschah in göttlicher Herablassung [nämlich herab zu menschlicher Gestalt]“. Der Wortstamm kommt insgesamt zwölfmal bei Isidor vor (außer an den beiden soeben angeführten Stellen noch in ep. 66 (I, 66) (PG 78, 225, C6) und ep. 199 (I, 199) (PG 78, 309, C3), beide bezogen auf die Inkarnation; ep. 639 (II, 139) (PG 78, 584, B4, auf die Erniedrigung und Unscheinbarkeit Christi in der Inkarnation); ep. 1210 (III, 410) (PG 78, 1044, C1, 2x, in paränetischem Bezug auf Joh 13,34); ep. 588 (II, 88) (PG 78, 532, 2x: B13 und C1) und ep. 1278 (IV, 68) (SC 422, 292, 9), jeweils im Sinn von „Zugeständnis“, „Entgegenkommen“; ep. 951 (III, 151) (PG 78, 844, A1) und ep. 1022 (III, 222) (PG 78, 905, A3): „τὸ συγκαταβατικόν“ als positiver Charakterzug von Menschen).  Der comes Dometius oder Domitius (s. zu seiner Person SC 422, 325, Anm. 1).

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Argumentation sogar Homer ins Feld und zitiert die Stelle, wo der Sänger Phemios Odysseus bei der Ermordung der Freier um Gnade bittet und über seinen Beruf sagt: „Ich bin Autodidakt, und ein Gott hat mir vielfältige Liederzyklen eingepflanzt“⁴⁶. Ebenso sei durch die biblischen Autoren, ohne dass sie eine Ausbildung durch Menschen nötig gehabt hätten, die göttliche Botschaft zu Wort gekommen.⁴⁷ Hier soll der Adressat Dometius mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden; was er für die epischen Dichter glaubt, sei für die biblischen Schriftsteller genauso annehmbar.⁴⁸ Das ist deshalb leicht möglich, weil in der Spätantike die Auffassung, dass es heilige, göttlich inspirierte Texte gibt (und diese Texte eigentlich die einzigen sind, mit denen man sich ernsthaft inhaltlich beschäftigen sollte), Christen keineswegs von anderen Gebildeten unterscheidet.⁴⁹ Streit gab es nur über die Frage, welche Texte zu dieser Gruppe gehören und welche nicht.⁵⁰ Selbstverständliche allgemeine Überzeugung ist es in der Spätantike auch, dass solcherart inspirierte Texte auf die eine oder andere Weise mehrere Sinnebenen haben und dass die ausschließliche Beschäftigung mit dem „auf der Hand liegenden Sinn“, d. h. mit den gewöhnlichen Referenzen der Worte, das Potenzial der Texte nicht ausschöpft. Im christlichen Bereich waren sich in dieser Grundüberzeugung bei allen Unterschieden z. B. auch „Alexandriner“ und „Antiochener“ einig.⁵¹ Diese Überzeugung teilt auch Isidor: die Schrift hat ver-

 Ep. 1592 (IV, 30) (SC 454, 304– 306).  Od. 22, 347: „Αὐτοδίδακτος δ᾿ εἰμί· θεὸς δέ μοι ἐν φρεσὶν οἴμας / Παντοίας ἐνέφυσεν“. Isidor nimmt offenbar Homer selbst als Sprecher an (s. Évieux in SC 454, 307, Anm. 2).  Ep. 1592 (IV, 30) (SC 454, 306, 16 – 19): „διατί ἀπιστεῖς εἰ διὰ ἰδιωτῶν καὶ ἀμαθῶν ἀνδρῶν ἀρρήτῳ παιδευθέντων σοφίᾳ ὁ περὶ τοῦ θείου κηρύγματος διηγγέλθη λόγος;“  Isidor lässt hier, wohl um der Schlagkraft des Arguments willen, die Frage offen, ob der epischen Dichtung tatsächlich wie der Bibel eine Art Inspiration zu Grunde liegt – es genügt, dass Dometius bei Homer etwas liest und – so unterstellt Isidor – für wahr hält, was er der Bibel als Fehler ankreidet. Auch in ep. 728 (II, 228) (PG 78, 664 f.) argumentiert Isidor mit Homer, hier gegen den heidnischen Anspruch eines Kontakts mit dem Göttlichen durch die Mantik. Es schließt sich dort aber, passend zur Argumentationslinie, eine eindeutig negative Wertung des Wahrheitsgehalts der Dichtung an – „es geht ihr nicht um die Wahrheit“ (αὐτῇ οὐ μέλει τῆς ἀληθείας) (PG 78, 665, B7 f.), was er mit Od. 11, 315 – 317 (die Aloiden versuchen den Himmel zu stürmen) untermauert.  Vgl. Stefaniw 2010, 62.  Vgl. z. B. Or. Cels. IV, 38 (SC 136, 278 – 282); IV, 49 (SC 136, 308 – 310).  Vgl. Young 1997 (2), 120: „Antiochene exegesis is full of ‚dogma‘ deduced from texts, […] they [die Antiochener] constantly seek the ‚moral meaning‘, […] they both [beide „Schulen“] recognised the metaphoricity of language and accepted prophetic references“. Young sieht als Differenzen i.W. methodologische („rhetorical methods“ bei den Antiochenern, einen „philosophical approach“ bei den Alexandrinern, s. a. a.O. und vgl. Young 1997 (1), 182: „the standard literary techniques in use in the rhetorical schools“ vs. „esoteric philosophical deductions“) und dog-

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

borgene Bedeutungen (δυνάμεις⁵²), die man „mit Verstand (νουνεχῶς⁵³) aufspüren muss“; an die „unberührbaren und unerreichbaren Geheimnisse“ darf man sich nicht „einfach so (ἁπλῶς⁵⁴) heranwagen“.⁵⁵ Auch zum richtigen Verständnis der Schrift, insbesondere der in ihr geschilderten göttlichen Dinge, ist für Isidor eine Art Inspiration nötig. Bei der Besprechung von Mt 12,32 (die „Sünde wider den Heiligen Geist“), einer Stelle, die ein „vielschichtiges und vielbesprochenes Problem“ aufwerfe, sagt er, die Sache werde „nur von den Geistbegabten“ („μόνοις δὲ τοῖς θεοπνεύστοις“) verstanden⁵⁶, also von denen, die selbst vom Heiligen Geist inspiriert sind wie die Schrift (2Tim 3,16!) und die biblischen Autoren. Nach ep. 1395 können nur die „geistlichen Menschen, die mit göttlicher, geistlicher Gnade ausgestattet sind“⁵⁷, biblische Wunder wie die Rettung der drei jungen Männer im Feuer (Dan 3) als solche anerkennen. Auch hier verweist Isidor darauf, dass Gottes übernatürliche Kraft die menschliche Vernunft übersteigt.⁵⁸ In ähnlicher Weise sagt er, der beste Beweis für die Unsterblichkeit der Seele und das kommende Gericht neben allen anderen sei das Herrenwort Mt 10,28,

matische Unterschiede (vgl. Young 1997 (2), 124), ferner die Akzentuierung des Textzusammenhangs und des angenommenen Gesamtzusammenhangs (der „overarching story“) des Kanons (ebd. 124 f.) bei den Antiochenern.  Vgl. PGL s.v. δύναμις X. A.  Das Wort νοῦς bezeichnet das Geistige im Menschen, aber insbesondere in der alexandrinischen Tradition auch jene Bedeutung(en) der Schrift, die nicht an der Textoberfläche stehen bleiben und nur mit einem geschulten νοῦς erfasst werden können (vgl. PGL s.v. νοῦς II.). Stefaniw 2010 betrachtet es als so zentral für die antike Hermeneutik, dass sie Begriffe wie „allegorische Exegese“ durch „noetic exegesis“ ersetzt (s. die Erläuterungen a. a.O. 28 ff.). Vgl. ebd. 29, Anm. 16: „The term νοῦς can indicate both mind and meaning, and the commentators in this study fully exploit this ambiguity“. Vgl. auch Tigcheler 1977, 37.  Auch das Wort ἁπλῶς hat einige alltägliche Bedeutungen, hier in etwa „einfach so, gedankenlos, ohne Vorbereitung“ (vgl. PGL s. v. L.), ist aber auch ein exegetischer terminus technicus für die unmittelbare, oberflächliche Sinnebene bzw. die gewöhnliche Referenz (vgl. ebd. E.). S. unten S. 64 f.  Ep. 24 (I, 24) (PG 78, 197, A5 – 9): „Ἐπιστημονικῶς τὴν θείαν Γραφὴν ἀνελίσσειν ὀφείλεις, καὶ τὰς αὐτῆς δυνάμεις νουνεχῶς ἀνιχνεύειν, καὶ μὴ κατατολμᾷν ἁπλῶς τῶν ἀψαύστων καὶ ἀνεφίκτων μυστηρίων, ἀναξίαις ταῦτα χερσὶν ἐπιτρέπων“.  Ep. 59 (I, 59) (PG 78, 220, C1– 3).  Ep. 1395 (V, 128) (SC 422, 465, 4 f.): „πνευματικοὺς δὲ [καλεῖ ἡ Γραφὴ] τοὺς θείῳ καὶ πνευματικῷ χαρίσματι κεκοσμημένους“; Isidor bezieht sich hier offensichtlich im Wesentlichen auf 1Kor 2,12 f., wo Paulus von seiner Lehre über die Gaben Gottes spricht, die in dem ihm von Gott verliehenen Hl. Geist geschieht und auch in diesem Geist aufzunehmen ist: „ἐλάβομεν ἀλλὰ τὸ πνεῦμα τὸ ἐκ τοῦ θεοῦ, ἵνα εἰδῶμεν τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα ἡμῖν· ἃ καὶ λαλοῦμεν οὐκ ἐν διδακτοῖς ἀνθρωπίνης σοφίας λόγοις ἀλλ᾿ ἐν διδακτοῖς πνεύματος, πνευματικοῖς πνευματικὰ συγκρίνοντες“.  Ebd. (SC 422, 465, 6 – 13).

3.1 Isidors Schriftverständnis

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„denn den Spruch (ἀπόφασις) des Schöpfers muss man für stärker halten als jede Beweisführung (ἀπόδειξις)“.⁵⁹ Isidors häufigstes Argument für den göttlichen Ursprung der ganzen Schrift ist gerade das, was die heidnische Bildungselite an ihr kritisiert, nämlich ihre Einfalt und Kunstlosigkeit⁶⁰, im Verbund mit ihrer dabei umso verblüffenderen Erfolgsgeschichte. Im Unterschied zur weltlichen Literatur, deren Autoren es um ihren eigenen Ruhm gehe, habe die Schrift (bzw. Gott in der Schrift) nur das Heil der Hörer oder Leser im Blick.⁶¹ In all ihrer Schlichtheit und trotz ihrer „barbarisierenden“ Sprachgestalt hat die Schrift Menschen verändert, ja die ganze Welt erobert, während Platon (in Sizilien) nicht einmal einen einzigen Herrscher überzeugen konnte.⁶²

3.1.3 Kanonische Schriften Es sind nur wenige heute in christlichen Bibelkanones enthaltene Bücher, die Isidor weder zitiert noch irgendwo auf sie anspielt⁶³ (aus dem Bereich des sogenannten Septuagintakanons Jos, Rut, 1Chr, Tob, Est, Bar, Obd, Nah, Zef; aus dem Bereich des NT nur Phlm und 3Joh), auch wenn die Zitate und Anspielungen nicht gleichmäßig auf die von Isidor verwendeten Bücher verteilt sind. Es fällt auf, dass neben den zentralen Büchern des Pentateuch, der Psalmen, der Großen Propheten, der Evangelien mit Apg und den meisten Briefen außerdem noch einige Bücher der Weisheitsliteratur (Ijob und Spr, aber auch der deuterokanonische und

 Ep. 1095 (III, 295) (PG 78, 969, C3 f.): „Τὴν γὰρ τοῦ Δημιουργοῦ ἀπόφασιν πάσης ἀποδείξεως ἰσχυροτέραν χρὴ νομίζειν“. Dadurch, dass soeben Mt 10,28 als ἀπόφασις zitiert wurde, ist klar, dass mit dem δημιουργός Christus als Schöpfer bzw. Schöpfungsmittler gemeint ist (zum „attizistischen“ Gebrauch von δημιουργός statt κτίστης bei Isidor vgl. Bartelink 1964, 163). Isidor benennt Christus u. a. auch in ep. 1455 (IV, 202) (SC 454, 90, 1 f.) mit diesem Titel. Für die Beweisführung unter Menschen betont er immer wieder, dass es nicht genügt, etwas bloß zu behaupten (ἀποφαίνεσθαι), sondern dass Argumente im Rahmen einer ἀπόδειξις nötig sind (z. B. in den epp. 566 (II, 66) (PG 78, 509, B9 f.); 1251 (IV, 141) (SC 422, 244, 7 f.); 1305 (V, 61) (SC 422, 338, 1– 6)). Wenn es aber ein Herrenwort gibt, braucht es keine Vernunftargumente.  S. ep. 1592 (IV, 30) (SC 454, 304– 306).  S. ep. 1412 (IV, 67) (SC 422, 498, 1– 16; 500, 30 – 32).  S. ep. 1555 (IV, 28) (SC 454, 244– 246). Vgl. zum Thema der schlichten bis „barbarischen“ äußeren Form der Heiligen Schrift bei Isidor und in seiner Zeit auch Bartelink 1964, 166 – 170.  Vgl. für einen Überblick das Register des griechischen Migne-Nachdrucks 2009, das zwar einige Fehler und Lücken der Migne-Fußnoten korrigiert, aber leider selbst auch nicht ganz vollständig und fehlerfrei ist.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

in der Antike sonst kaum kommentierte Sir⁶⁴) relativ gut vertreten sind. Ein identifizierbarer Verweis auf eine frühchristliche Schrift, die in den neutestamentlichen Kanon, wie er sich uns heute präsentiert, keine Aufnahme gefunden hat, taucht bei Isidor nur einmal auf.⁶⁵ An einer Stelle spricht er offenbar ausdrücklich von der Gesamtheit der im liturgischen Gebrauch befindlichen⁶⁶ Schriften (ohne dabei das Wort κανών zu gebrauchen, wie es christliche Autoren auch vor Isidor schon getan haben⁶⁷) als einer normativen Größe, nennt aber keine Namen oder Buchtitel: Zwar ist jede Schrift, die die Verehrung Gottes im Blick hat, äußerst brauchbar, empfehlenswert und lobenswert. Aber die heiligen Bücher der als solche bezeugten göttlichen Schriften sind Treppen des Aufstiegs zu Gott. Nimm also alle [Texte], die in der Kirche Gottes vorgelegt werden, wie geprüftes Gold an, als im Feuer gereinigt vom göttlichen Geist der Wahrheit.⁶⁸

 Er heißt bei Isidor ὁ Παροιμιαστής (ep. 1143 (III, 343) (PG 78, 1001, C5) – diese Bezeichnung erhält gelegentlich allerdings auch der Verfasser von Spr!), ὁ παραινέτης (ep. 1604 (IV, 214) (SC 454, 326, 6) oder (nach den Mss VI und OI), ὁ τῆς Παναρέτου συγγραφεύς (ep. 866 (III, 66) (PG 78, 776, A5 f. mit Anm. 30)). Einmal nennt er ihn ausführlich σοφός τις ἀνήρ, ὁ τοῦ Σιράχ φημι, ὁ τὴν Πανάρετον Σοφίαν συγγράψας (ep. 1550 (IV, 228) (SC 454, 238, 5 f.)). Vgl. zum außergewöhnlichen Vorkommen von Sir bei Isidor Maisano 1980, 44 und 68 f. und zum Buchnamen in der Antike und speziell bei Isidor Rittershausen und Poussines in PG 78, 775 f., Anm. 30.  Ep. 599 (II, 99) (PG 78, 544, A8 – 12) nimmt auf die apokryphen Petrusakten Bezug (vgl. schon Simon 1693, 309 f.). Die von Isidor zitierten Worte „ἃ ἐχωρήσαμεν, ἐγράψαμεν“ lassen sich vermutlich mit A. Petr. c. Sim. (Actus Vercellenses) XX identifizieren (S. 67, 2 bei Lipsius: „quod coepimus, scribsimus“, vgl. den Apparat mit einem Verweis auf die Isidorstelle; S. 102, 520 (Text: „quod cepimus, scribsimus“) bzw. S. 260 (Kommentar mit Verweis auf Isidor) bei Döhler). Vgl. ausführlich dazu G. Ficker in: Handbuch zu den Neutestamentlichen Apokryphen, hg. von E. Hennecke, Tübingen 1904/1914, 445 f.  Dieses Verständnis legt mindestens die im Fließtext der PG gebotene Lesart προφερόμενα nahe (s. die übernächste Anm.). Προφέρειν / προφέρεσθαι kann für die mündliche Äußerung, auch für den mündlichen Vortrag eines gegebenen Textes stehen (s. LSJ s.v. I.3.4, z. B. bei dem sizilischen Historiker Diodor „[ῥαψωδοὶ] ποιήματα […] προφερόμενοι“ (XIV, 109, 1) (S. 140, 26 f. ed. Bonnet / Bennett).  Vgl. PGL s.v. B.  „Πᾶσα μὲν Γραφὴ πρὸς εὐσέβειαν βλέπουσα καλλίστη καὶ ἐπαινετὴ καί ἐγκωμίων ἀξία. Αἱ δὲ ἱεραὶ πτυκταὶ τῶν μαρτυρουμένων θείων Γραφῶν τῆς πρὸς Θεόν εἰσιν ἀναβάσεως κλίμακες. Πάντα τοίνυν τὰ ἐν Ἐκκλησίᾳ Θεοῦ προφερόμενα (Variante in VI und OI: προσφερόμενα) ὡς δόκιμον δέχου χρυσίον, πεπυρωμένα τῷ θείῳ τῆς ἀληθείας Πνεύματι.“ (ep. 369 (I, 369) (PG 78, 392, B1– 7)). Auffällig ist die Ähnlichkeit des Bildes von der Läuterung der heiligen Schriften durch göttliches Feuer mit dem Bild von der Läuterung der menschlichen Natur im Zuge der christologischen Einung in ep. 360 (I, 360) (PG 78, 388, A7– 9: „[ὁ Κύριος] τὴν ζύμην τοῦ ἀνθρωπείου φυράματος ἑνώσας καὶ καθάρας καὶ ὥσπερ ἐξοπτήσας τῷ οἰκείῳ πυρὶ τῆς θεότητος“.Vgl. auch die Beschreibung der Reinigung der Lippen Jesajas (Jes 6,6) in ep. 42 (I, 42) (PG 78, 208, D1 – 209, A6).

3.1 Isidors Schriftverständnis

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Ep. 1721 beantwortet die Frage eines Neilos nach einem Herrenwort „Schaut auf mich!“ („Εἰς ἐμὲ βλέπετε.“) Die Isidor-Herausgeber der Sources Chrétiennes (Évieux / Vinel) vermuten im Hintergrund nicht unbedingt eine außerbiblische Überlieferung, sondern eher eine Formulierung, mit der Johannes Chrysostomus Joh 15,9 umschreibt.⁶⁹

3.1.4 Verhältnis der Testamente zueinander Um Isidors Auslegung alttestamentlicher Stellen zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick darauf zu werfen, wie er das Verhältnis von Altem und Neuem Bund und parallel dazu von Altem und Neuem „Testament“⁷⁰ als zwei Teilen der christlichen Bibel sieht. Kennzeichnend sind hier die Begriffe „Übereinstimmung“ einerseits und „Überbietung“ andererseits. Alter und Neuer Bund, Altes und Neues Gesetz, Altes und Neues Testament haben einen gemeinsamen Ursprung in der Initiative Gottes. Das Neue folgt dem Alten auf dem Weg der Pädagogik Gottes mit den Menschen: Schön ist der Mond, aber etwas Stärkeres ist die Sonne.Wie also der Mond schön ist, aber die Sonne stärker, und doch beide einen Schöpfer haben, so haben auch das Alte und das Neue

Menschliches liegt vor, erfährt dann aber Reinigung durch Göttliches und bekommt auf diese Weise heilbringende Kraft. Zur wahrscheinlich entscheidenden Bedeutung der liturgischen Praxis für die Kanonbildung vgl. Gamble 2003, 418 f.  Ep. 1721 (IV, 179) (SC 586, 50 – 52; das Zitat a. a.O. 50, 19 f.; die Vermutung von Évieux / Vinel a. a.O. 51, Anm. 1).  Im Griechischen gibt es hier keine begriffliche Unterscheidung. Isidor gebraucht die Ausdrücke Παλαιὰ und Καινὴ Διαθήκη zunächst für den „Alten Bund“ Gottes mit Israel und seinen neuen Bund mit der Menschheit, ein Sprachgebrauch, der in Hebr 9,15 – 17 grundgelegt ist und von Isidor in ep. 696 (II, 196) (PG 78, 641, D1– 4) erklärt wird; der Bezug auf die Teile der Schrift, in der diese beiden bezeugt sind, kann aber durchaus mitschwingen, so etwa in ep. 494 (I, 494) (PG 78, 452, A6 – 10) durch den Bezug auf (jedenfalls potenziell) Geschriebenes (Vorschriften und Lehren): „εἷς Θεὸς ἐν ἀμφοτέραις ταῖς Διαθήκαις […] Ἡ μὲν γὰρ τυπικοῖς ἐχρῆτο προστάγμασιν, ἡ δὲ τοῖς ἀληθέσιν ἔλαμψε πράγμασί τε καὶ δόγμασιν“ – „ein Gott in beiden Bundesschlüssen / Testamenten. […] Denn der / das eine gebrauchte Vorschriften, die Vorausbilder für Künftiges waren, der / das andere strahlte mit voll gültigen Tatsachen und Lehren auf“ oder ganz in den Vordergrund treten wie in ep. 1595 (IV, 209) (SC 454, 310, 1): „Εἷς μέν ἐστιν ἀμφοτέρων τῶν διαθηκῶν ὁ νομοθέτης“, wobei dann Νόμος und Εὐαγγέλιον einander gegenübergestellt werden und schließlich eindeutig von ῥήματα der Γραφή die Rede ist (a. a.O. 7 f.). In ep. 21 (I, 21) (PG 78, 196, B2-C2) und in ep. 107 (I, 107) (PG 78, 256, A1– 10) geht es ganz um Bücher: PG 78, 196, B6: „δύο πυκταί“; PG 78, 256, A4 f.: „τὴν Παλαιὰν ἀναπτύσσων“.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

Testament einen Gesetzgeber, der die Gebote auf weise, nutzbringende und den jeweiligen Zeiten angemessene Art gegeben hat.⁷¹

Das Neue überragt das Alte⁷², indem früher nur Angedeutetes klar erkennbar geworden ist und die Gebote eine Universalisierung, Ausweitung und Vertiefung erfahren haben⁷³. Das Gesetz war gut, um das Böse einzudämmen; das Evangelium aber steht höher, weil es den Guten Sehnsucht nach dem ewigen Lohn als Motivation für ihr Verhalten gibt⁷⁴. Um das Verhältnis von Altem und Neuem Bund zu beschreiben, greift Isidor besonders gerne auf die in Hebr 10,1 verwendete Metaphorik von „Schatten“ und „Bild“ zurück: die Tora enthalte „einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht schon das Bild der wirklichen Dinge“⁷⁵. Bei dieser Stelle kann man sich fragen, ob drei Stufen der Selbstmitteilung Gottes vorausgesetzt sind: die Zeit des Schattens, d. h. des Alten Bundes und des Alten Testaments, die Zeit des Bildes, d. h. des irdischen Jesus, des Neuen Testaments und der Kirche, und die eschatologische Zeit der zukünftigen Güter. So haben einige altkirchliche Schriftsteller Hebr 10,1 aufgefasst.⁷⁶ Isidor hingegen stellt wie Johannes Chrysostomus⁷⁷ nur die Ebene

 Ep. 633 (II, 133) (PG 78, 576, C10 – 15). Vgl. epp. 146 f. (I, 146 f.) (PG 78, 281, A-B): Mt 8,4 und Mt 8,11 zeigen die ὁμόνοια und συνάφεια („Einigkeit“ und „Zusammenhang“) von Altem und Neuem.  Ep. 853 (III, 53) (PG 78, 765, D2 f.): „Πολλὴ τοῦ Εὐαγγελίου πρὸς τὸν νόμον ἡ ὑπεροχή“.  Vgl. denselben Brief im Ganzen (PG 78, 765, D2 – 768, A10): Universalisierung über die Grenzen des eigenen Volkes hinaus, Ausweitung bis hin zur Feindesliebe (wenngleich die Aufforderung dazu sich auch schon im Alten Testament andeutet, vgl. ep. 1189 (III, 389) (PG 78, 1029, C1 – 1032, A8) über Ex 23,5), Vertiefung in den Antithesen der Bergpredigt. Die alten Gebote sind nicht zerstört, sondern eingeschlossen in der sie noch übertreffenden Lebensart (μείζων φιλοσοφία) des Neuen Bundes. Vgl. auch ep. 1405 (IV, 53) (SC 422, 486): Der König der Himmel, der den Menschen das natürliche Gesetz eingegeben, sie durch die Tora gelehrt und durch die Propheten gesprochen hat, ist schließlich selbst gekommen und hat Himmelslehren („δόγματα οὐρανῷ πρέποντα“) und „in den heiligen Evangelien eine Lebensweise“ gebracht, „die eher Engeln als Menschen angemessen ist und gefällt“ („πολιτεία ἀγγέλοις μᾶλλον ἢ ἀνθρώποις ἁρμόττουσα καὶ ἀρέσκουσα“). Das neue Gesetz Christi, das Isidor in zahlreichen Briefen vor allem in der Ethik der Bergpredigt verkörpert sieht, packt die moralischen Übel an der Wurzel; es macht nicht nur Vorschriften für das „Fleisch“ und die „Tat“, sondern richtet selbst über Vorsatz und Gedanken (vgl. z. B. den Schluss von ep. 79 (I, 79) (PG 78, 237, B6 – 10); ep. 1568 (IV, 134) (SC 454, 262 f.); ep. 1595 (IV, 209) (SC 454, 310 f.)).Vgl. zu diesem Konzept der pädagogischen Steigerung schon bei Clemens von Alexandria Margerie 1980, 98.  Vgl. ep. 788 (II, 288) (PG 78, 717, C1– 9).  Hebr 10,1: „Σκιὰν γὰρ ἔχων ὁ νόμος τῶν μελλόντων ἀγαθῶν, οὐκ αὐτὴν τὴν εἰκόνα τῶν πραγμάτων […]“.  Vgl. etwa Or. hom. in Ps. 38, II, 2 (BPat 18, 372, 31 – 374, 64 = SC 411, 376, 30 – 378, 61) (zur Stelle und zu den vielfältigen, z.T. divergierenden, Aussagen des Origenes über „Schatten, Bild und

3.1 Isidors Schriftverständnis

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des „Schattens“ und die des „Bildes“, die schon mit der Realität einhergeht, einander gegenüber und spricht von einer σκιαγραφία⁷⁸ für die Zeit des Alten Bundes: Mose⁷⁹ oder auch die Juden beim Exodus⁸⁰ haben die Realität wie in einer Skizze vorgezeichnet; Gott selbst, der hinter der Heiligen Schrift steht⁸¹, hat

Wirklichkeit“ vgl. Margerie 1980, 121– 123). Überdeutlich legt Theodoret von Cyrus (gerade noch zeitgenössisch zu Isidor oder wenige Jahre nach seinem Tod, vgl. Guinot 1995, 63) Hebr 10,1 „dreistufig“ aus. Einerseits ist zu nennen Thdt. Hebr. X,1 (PG 82, 745, D4 – 748, A4), besonders: „Πράγματα καλεῖ τὸν μέλλοντα βίον· εἰκόνα δὲ τῶν πραγμάτων τὴν εὐαγγελικὴν πολιτείαν· σκιὰν δὲ τῆς τῶν πραγμάτων εἰκόνος τὴν Παλαιὰν Διαθήκην.“ – „Die ‚wirklichen Dinge‘ nennt er [scil. der Apostel] das zukünftige Leben; ‚Bild der wirklichen Dinge‘ das Leben nach dem Evangelium; ‚Schatten des Bildes der wirklichen Dinge‘ den Alten Bund“ (a. a.O. 745, D8 – 748, A2). Denselben Dreischritt in etwas anderer Formulierung wendet Theodoret bei der Auslegung von Jes 60,1 an: Thdt. Is. XIX (SC 315, 238, 14 – 240, 32).  Vgl. dazu besonders Chrys. hom. 17 in Heb. 2 (PG 63, 130, 8 – 14) mit klar „zweistufiger“ Deutung von Hebr 10,1 (das „Bild der wirklichen Dinge selbst“ ist schon „die Wahrheit selbst“); Chrys. hom. in 1 Cor. 10,1 4 (PG 51, 247, 36 – 57 – vgl. Haidacher 1897, 39 und Fiedrowicz 1998, 106 ff.) und Chrys. pasch. 5 (PG 59, 733, 3 – 9): das Alte Testament wird mit einer noch nicht farbigen Umrisszeichnung (σκιαγραφία) des eigentlichen Bildes verglichen, das dann in den Ereignissen des Neuen Bundes und in den schriftlichen Zeugnissen davon wie mit Farbe ausgemalt und voll erkennbar geworden sei. Ähnlich auch mit philologischen Argumenten im 20. Jahrhundert Gräßer 1993, 207: „Σκιά und εἰκὼν τῶν πραγμάτων treten somit als minderwertige äußere Erscheinung und als wahre eigentliche Gestalt in schärfsten Gegensatz zueinander“. Backhaus 2009 macht den Kontrast wieder weniger stark (a. a.O. 343: „Die ‚Gestalt der Tatsachen‘ ist für Hebr keine platonische Idee, die im Jenseits verbleibt; jedoch ist sie auch kein seinsschwaches Abbild, das sich im Irdischen erschöpft. Sie ist Vergegenwärtigung, reale Erscheinung der himmlischen Wirklichkeit, geschichtlich greifbares Heil, das aus der Ewigkeit kommt“).  Σκιο-/σκιαγραφία und entsprechende Verben sind in der antiken christlichen Literatur auch sonst geläufig, vgl. PGL ss.vv. Ζ.Β. verwendet auch Theodoret σκιαγραφία in den eben zitierten klar „dreistufigen“ Auslegungen von Hebr 10,1 (PG 82, 748, A3: „ἡ δὲ σκιαγραφία τῆς εἰκόνος“ für die Ebene des Alten Testaments) und Jes 60,1 (SC 315, 238, 15 (σκιογραφία) und 240, 31 (σκιαγραφεῖν)). An der Stelle aus dem Jesajakommentar wird auch das Bild vom Maler kurz ausgeführt und in den Kontext der dreistufigen Auslegung von Hebr 10,1 gestellt (der Maler hat einen ἀρχέτυπος vor Augen, er macht zuerst eine Vorzeichnung (σκιαγραφία) und führt das Bild dann farbig aus: a. a.O. 240, 29 – 32, angedeutet schon in 238, 15 – 21).  Ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164, 8 f.): „Μωσέως […] τοῦ διὰ σκιῶν καὶ συμβόλων τὴν ἀλήθειαν ὑπογράψαντος“ – „Mose, […] der durch Schatten und Zeichen die Wahrheit skizziert hat“.  Ep. 219 (I, 219) (PG 78, 320, C9-D2): „Ὀπτὰ πυρὶ τὰ κρέα τοῦ ἀμνοῦ ἤσθιον Ἑβραῖοι, τυπικῶς τὸ μέγα τῆς θείας οἰκονομίας μυστήριον σκιαγραφοῦντες διὰ τῆς βρώσεως“ – „Am Feuer gebraten aßen die Hebräer das Fleisch des Lammes; sie skizzierten damit durch ihr Essen schattenhaft im Vorausbild das große Geheimnis des göttlichen Heilsplans“.  Ep. 563 (II, 63) (PG 78, 508, A1– 5): „Εἴ ποτε γοῦν πρᾶγμα ὑπέπιπτε δυνάμενον χωρῆσαι τῶν μελλόντων ἀγαθῶν τὴν εἰκόνα, ἐν αὐτῷ τὰ μὲν ἐσκιογράφει, τὰ δὲ διὰ χρωμάτων ἐτράνου, καὶ λαμπρὸν καὶ ζῶντα ἐπεδείκνυτο τῆς εἰκόνος τὴν χαρακτῆρα“ – „Denn immer wenn [ihr, nämlich der Kraft Gottes] irgendwann ein Ereignis unterkam, das das Bild der künftigen Güter aufnehmen

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

im Alten Testament manches umrisshaft angedeutet, manches schon voll ausgemalt.⁸² An der letztgenannten Stelle (aus ep. 563) ist interessant, dass hier Schwarzweißskizze und farbiges Bild, die Elemente, die von Chrysostomus her bekannt sind, dunklen und klaren Verweisen auf den Neuen Bund bzw. das Neue Testament im Alten Bund bzw. im Alten Testament entsprechen. Isidor hat hier nicht so sehr die Gegenüberstellung von Altem und Neuem Bund im Blick, sondern will die Entstehung der verschiedenen Ebenen des Alten Testaments aus der Pädagogik Gottes heraus erklären und so den christlichen Zugang zum Alten Testament profilieren. Denn auch im Fortgang von ep. 563 geht es um die Auslegung des Alten Testaments: Isidor stellt eine bei ihm auch sonst zu findende Regel⁸³ auf: Im Alten Testament ist nicht nichts, aber auch nicht alles auf Christus zu beziehen, manches davon zudem auf seine Menschheit, manches „ausschließlich“ auf „seine Würde“, womit wohl entsprechend die Gottheit gemeint ist.⁸⁴ In ep. 444⁸⁵ verbindet Isidor Hebr 10,1 mit einem Anklang an 1Kor 13,11 f., bezieht den Vers auf die Zeit des Paulus „unter dem Gesetz“ vor seiner Berufung und zitiert Paulus damit. Das praktisch wörtliche Zitat von Hebr 10,1a endet mit einem Zusatz Isidors: „[…] nicht schon das Bild der wirklichen Dinge, das dem

konnte [es sind dieselben Worte, aber anders kombiniert als in Hebr 10,1], skizzierte sie darin das eine nur in Umrissen, das andere aber führte sie farbig aus und stellte die Prägung des Bildes leuchtend und lebendig vor Augen“.  Die konkrete Anwendung des konventionellen Bildes von der Umrisszeichnung und die Formulierungen stammen, soweit ich sehe, an diesen drei Stellen von Isidor selbst. Für wertvolle Überlegungen zu diesem Brief danke ich den Teilnehmern des Forschungskolloquiums bei Prof. Kany.  Vgl. unten den Abschnitt 3.3.4.  Ep. 563 (II, 63) (PG 78, 508, B4– 7). Im Griechischen handelt es sich um die Begriffe ἐνανθρώπησις und ἀξία. Ersterer bezeichnet nicht nur die Inkarnation als Vorgang, sondern auch die menschliche Seite Christi, wie die Belege im PGL s.v. C. deutlich zeigen. ᾿Aξία spielte in den christologischen Debatten im ersten Drittel des fünften Jahrhunderts eine Rolle als Schlüsselbegriff für die Vorstellung der in Ephesus unterlegenen Partei von der christologischen Einung κατ᾿ ἀξίαν im Gegensatz zur ἕνωσις φυσική (vgl. PGL s.v. 2.), ist hier aber eben der ἐνανθρώπησις entgegengesetzt und scheint mir daher nicht in diesen Zusammenhang zu gehören. Eine die Regel von ep. 563 m. E. erhellende Differenzierung von Aussagen der Schrift über Christus nach drei Kategorien (über die Göttlichkeit des Logos; über das erkennbar Göttliche in der menschlichen Gestalt; über die Knechtsgestalt und die Passion) mit praktischer Anwendung anhand von Joh 1,9 / Hebr 1,3; Ps 44,3 LXX und Jes 53,2 findet sich in ep. 930 (III, 130) (PG 78, 829, C1 – 832, A4), ohne dass dort der Begriff ἀξία fällt.Vgl. außerdem die Verwendung von ἡ θεία ἀξία in ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 278, 29).  I, 444 (PG 78, 425, C9 – D7).

3.1 Isidors Schriftverständnis

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Evangelium anvertraut wurde und auf das der Blick der Vorausbilder (τύποι) gerichtet war“⁸⁶. Seine Sicht auf das Verhältnis der beiden Testamente bringt Isidor in ep. 494 besonders prägnant auf den Punkt⁸⁷: Die Parallelen zwischen Altem und Neuem Bund zeigen, dass beide von dem Einen Gott stammen, der mit der Menschheit einen pädagogischen Weg geht; daher wird das Alte vom Neuen überboten. Die Zeit des Alten Bundes war das Zeitalter der Vorausbilder, mit dem Kommen Christi ist die Zeit des Eigentlichen angebrochen: So wie das Vorspiel [der Gabe] des Gesetzes Furcht beinhalten musste, die diejenigen, die es hörten, darauf ausrichtete, die Gebote einzuhalten, und wie Gott mitten aus dem Feuer Offenbarungen gab, so wurde auch nach der Auferstehung unseres Herrn und Erlösers den Aposteln im Feuer der Heilige Geist gegeben, wobei ein „heftiger Sturm“⁸⁸ vorausging, damit der Eine Gott in beiden Bundesschlüssen / Testamenten erkannt werde, auch wenn sich der / das zweite sehr von dem früheren unterscheidet. Denn der / das erste verwendete vorausdeutende Gebote; der / das zweite erstrahlte durch die wahren Ereignisse und Lehren.⁸⁹

 A. a.O. D5 – 7: „οὐκ αὐτὴν τὴν εἰκόνα τῶν πραγμάτων, ἣν ἐπιστεύθη τὸ Εὐαγγέλιον, πρὸς ἣν οἱ τύποι ἐπέβλεπον“. Zur Konstruktion des ersten Relativsatzes vgl. Schwyzer 1950, 241, Nr. 9.  I, 494 (PG 78, 452, A1– 10). Riedinger sagt u. a. von diesem Brief, er sei ein Versatzstück aus verlorenen antimarkionitischen Texten des Clemens von Alexandria, deren Inhalt er wiederum aus Isidor erschließt (Riedinger 1975, 20 – 22). Sein Ausgangspunkt ist dabei ep. 371 (I, 371) (PG 78, 393, A), wo es tatsächlich um Markions Veränderungen und Neuzusammenstellungen der Bibel geht (vgl. Riedinger a. a.O. 15 f.). Ep. 371 ist neben ep. 52 (I, 52) (PG 78, 216, A5) der einzige Brief, in dem ausdrücklich von Markion oder Markioniten die Rede ist. Zwar fällt auf, dass die Thematik der Übereinstimmung der beiden Testamente bei gleichzeitiger Überbietung des Alten durch das Neue bei Isidor relativ breiten Raum einnimmt, aber Riedinger behauptet selbst von ep. 444, wo einfach Hebr 10,1 zitiert und kurz expliziert wird, dass auch bei diesem Brief „nur die markionitische Kontroverse als Motivation gelten kann“ (Riedinger 1975, 26). Man fragt sich an dieser Stelle, ob Riedinger nicht auch gleich den Hebräerbrief in die „markionitische Kontroverse“ hätte einordnen sollen. M. E. ist der Inhalt von Isidors ep. 494 zwar konventionelles gemeinsames Gut vieler Autoren, was aber nicht bedeutet, dass man den Text und die Formulierungen einem historischen Isidor absprechen muss und dass er nicht vom Beginn des fünften Jahrhunderts stammen kann (vgl. z. B. auch Guinot 1995, 530 – 535 zur selben Thematik bei Theodoret von Cyrus in der Nachfolge u. a. des Johannes Chrysostomus).  Apg 2,2.  „Ὃν τρόπον τὰ τοῦ νόμου προοίμια φόβου ἐδεῖτο πρὸς φυλακὴν τῶν ἐντολῶν ἐπιστρέφοντος τοὺς ἀκούοντας καὶ ἐκ μέσου τοῦ πυρὸς ὁ Θεὸς ἐχρημάτιζεν, οὕτω καὶ μετὰ τὴν τοῦ Δεσπότου καὶ Σωτῆρος ἡμῶν ἀνάστασιν ἐν πυρὶ τὸ Πνεῦμα τὸ ἅγιον τοῖς ἀποστόλοις ἐδίδοτο, βιαίας πνοῆς προηγουμένης, ἵνα εἷς Θεὸς ἐν ἀμφοτέραις ταῖς Διαθήκαις γνωσθῇ, εἰ καὶ πολὺ τῆς δευτέρας τὸ πρὸς τὴν προτέραν διάφορον. Ἡ μὲν γὰρ τυπικοῖς ἐχρῆτο προστάγμασιν, ἡ δὲ τοῖς ἀληθέσιν ἔλαμψε πράγμασί τε καὶ δόγμασιν“.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

3.1.5 Zusammenfassung Wenn es um Ursprung und Zweck der Heiligen Schrift, um ihre göttliche Inspiration, um ihren Umfang und das Verhältnis ihrer beiden großen Teile zueinander geht, kann man Isidor im Mainstream der uns erhaltenen christlichen Literatur des 4./5. Jahrhunderts verorten: Der Eine Gott ist Urheber der einen Heiligen Schrift. Sie besteht aus den verschiedenen von der Kirche angenommenen Schriften des Alten und Neuen Testaments. Von ihnen bezeugt und glaubt die Kirche, dass Menschen sie unter dem Einfluss des Heiligen Geistes verfasst haben. So ist Gott selbst der Urheber des Inhalts der Heiligen Schriften, was ihre Wahrheit verbürgt, aber die menschlichen Verfasser dabei doch nicht zu bloßen Instrumenten degradiert, sondern sie durchaus auch Subjekte der Abfassung sein lässt. Die ganze Heilige Schrift hat ein pädagogisches Ziel. Sie dient der Verbreitung und Förderung des richtigen Glaubens und der moralisch guten Lebensweise unter den Menschen. Auch die zwei großen Teile der Schrift, das Alte und das Neue Testament, sind in diesem Kontext zu sehen, nämlich als zwei Etappen der göttlichen Pädagogik. Durch das Neue Testament erfahren sowohl die Glaubenserkenntnis als auch die Moral eine bedeutende Ausweitung und Vertiefung.

3.2 Isidors exegetische Terminologie Manchmal – im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schriftauslegungen im Korpus nicht sehr häufig – charakterisiert Isidor bei der Auslegung eine bestimmte Art, wie eine Schriftstelle seiner Ansicht nach gemeint ist (νοῦς, νόημα, διάνοια), oder eine Art, wie er Bedeutung erschließt, durch einen spezifischen Ausdruck. Das geschieht insbesondere bei der Gegenüberstellung verschiedener solcher in der Schrift liegenden Bedeutungen oder Möglichkeiten des Verständnisses nach zwei Hauptgruppen, wobei Isidor in einzelnen Briefen auch exegesetheoretische Aussagen macht. Dementsprechend gliedern sich diese exegetischen Termini.

3.2.1 Begriffe für „naheliegende“ Referenzen und Auslegungen In diese erste Kategorie gehört das Adjektiv πρόχειρος mit dem zugehörigen Adverb προχείρως⁹⁰, was sich im Deutschen im Anklang an die griechische Ety-

 Formen von πρόχειρος / προχείρως im Kontext von Bibelauslegung finden sich bei Isidor an

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mologie (πρόχειρος leitet sich von χείρ ab) als „auf der Hand liegend“ oder als „naheliegend“, „unmittelbar“ wiedergeben lässt. In ähnlichen Zusammenhängen ist die Rede von einer „direkten“ Auslegung „auf geradem Weg“ (z. B. „ἐξ εὐθείας“⁹¹). Diese Begriffe sind aber nicht einfach identifizierbar mit den modernen Ausdrücken „wörtlicher Sinn“ oder „Literalsinn“.⁹² Πρόχειρος / προχείρως meint vor allem die unmittelbar gewohnte und sich daher direkt erschließende Beziehung von sprachlichem Zeichen und Bezeichnetem. Dass sich viele oder (für sieben Stellen. Es handelt sich um ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, B1 und B5 f. zu Am 2,16: „προχείρως“ gegenüber der „κεκρυμμένη καὶ παρακεκαλυμμένη διάνοια“, s. unten S. 116); ep. 360 (I, 360) (PG 78, 388, A4– 11) zu Joh 6,35.48 (s. unten S. 255: die πρόχειρος ἔκληψις in Bezug auf die Eucharistie steht der ἀπόρρητος ἔννοια in Bezug auf die Christologie gegenüber); ep. 633 (II, 133) (PG 78, 576, B11: die „Manichäer“ sollen Ex 21,24 nicht, (nur) vom ersten Verständnis ausgehend („ἐκ τοῦ προχείρου“), angreifen (s. unten S. 239); ep. 925 (III, 125) (PG 78, 825, D8 f. zu Jes 1,22: der „ἐκ τοῦ προχείρου νοούμενο[ς] οἶνο[ς]“ – Wein „im auf der Hand liegenden Sinn“ gegenüber dem unverfälschten (Lehr‐)Gehalt der Heiligen Schrift, s. unten S. 99); ep. 1525 (IV, 149) (SC 454, 206, 8 f.: „ὁ πρόχειρος νοῦς“ von Ps 61,12 gegenüber dem „βαθύτερος καὶ εἰλικρινέστερος [νοῦς]“, s. unten S. 66); ep. 1570 (IV, 86) (SC 454, 266, 4 f.: Ex 21,24 „ἐκ τοῦ προχείρου λαμβανόμενον“ vs. „νοούμενον“); ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 278, 14– 16: der „πρόχειρος νοῦς“ gewisser Stellen in Ps 71 bezieht sich auf Salomo, der „εἰλικρινέστερος καὶ ὀξυωπέστερος [νοῦς]“, der in den meisten Passagen dieses Psalms liegt, aber auf Christus, s. unten S. 103 – 105 und 116 f.).  Ableitungen von εὐθύς, im Zusammenhang mit Exegese gebraucht, finden sich an vier Stellen, und zwar ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, B2: „ἐξ εὐθείας“, allerdings in einem wörtlichen Zitat aus Flavius Josephus, AJ 1,24 (Bd. 1, S. 8, 22– 24 Niese), vgl. auch Runias Kommentar zum Brief (Runia 1995, 173)); ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, C7: „εὐθείαν τὴν ἀπόκρισιν ποιήσομαι“); ep. 895 (III, 95) (PG 78, 804, B6: „ἐξ εὐθείας τὴν ἀπολογίαν ποιήσομαι“); ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 154, 7: „ἐξ εὐθείας τὴν ἀπολογίαν ποιησαίμην“).  Vgl. Grünbeck 1994, 9 f. im Zusammenhang ihrer Untersuchung zur patristischen Exegese von Ps 44 LXX: „Grundsätzlich ist der Terminus Literalsinn für die patristische Exegese von Ps 44 mit Vorsicht zu gebrauchen: Die Auslegung auf Christus und die Kirche [die die alten Exegeten gerade nicht „allegorisch“ nennen!] als solche ist eine Allegorese, d. h. eine Deutung auf einer zweiten Ebene, die nicht logisch zwingend aus der Semantik des Textes zu erklären ist. Der Transfer basiert auf bestimmten Zwischengliedern […] Die Terminologie der Väter selbst ist wenig hilfreich. […] Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten der verschiedenen Väter sind erst recht nicht mehr zu harmonisieren.“ (Grünbeck 1994, 9 f.), ähnlich Young 1997 (1), 187: „The fact is that the Fathers had no single concept corresponding to our notion of literalness“. Dass es in der Antike durchaus Exegeten mit einer eigenen, jedenfalls in sich konsistenten hermeneutischen Terminologie geben konnte, die freilich auch hier nicht einfach mit den modernen Begrifflichkeiten „wörtlich“ und „allegorisch“ in eins gesetzt werden darf, hat Tigcheler 1977 für den meist als typischen Alexandriner eingeordneten Didymus den Blinden an dessen Sacharjakommentar aufzuzeigen versucht. Die von ihm als einschlägig erhobenen Ausdrücke πρὸς ῥητόν, καθ᾿ ἱστορίαν, κατ᾿ ἀναγωγήν und κατ᾿ ἀλληγορίαν bzw. deren Abwandlungen kommen allerdings bei Isidor entweder gar nicht prägnant vor (nämlich ῥητόν und ἀναγωγή) oder nicht in dem präzisen Sinn im Rahmen einer vierteiligen Hermeneutik, den Tigcheler bei Didymus für sie aufzuweisen versucht (nämlich καθ᾿ ἱστορίαν und κατ᾿ ἀλληγορίαν).

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den radikalsten „Antiochener“ Theodor von Mopsuestia) zumindest einige der Prophezeiungen des Alten Testaments auf Christus bezogen, war in der antiken Exegese so selbstverständlich, dass diese Referenzen zu den „auf der Hand liegenden“ gehörten. So kann auch Isidor die Anwendung eines aus seinem Kontext gelösten Prophetenwortes (Am 2,16) auf ein Ereignis bei der Passion Christi (die Flucht des jungen Mannes, der sein Gewand zurücklässt, Mk 14,52) dieser Ebene zuordnen. „Προχείρως“ habe der Prophet hier auf diesen jungen Mann vorausgedeutet.⁹³ Erst den zweiten Bezug, den Isidor liefert und der sich ganz aus der Ebene zeitlicher Ereignisse entfernt, indem er das Prophetenwort mit dem geistlichen Leben in Verbindung bringt (wer von aller Anhänglichkeit an Irdisches frei ist, kann unbeschwert dem unvergänglichen Leben entgegengehen), nennt er die „verborgene“ und „verhüllte Bedeutung“ der Stelle.⁹⁴ Umgekehrt steht in den Briefen 633 und 1570⁹⁵, die von Ex 21,24 („Auge für Auge“) handeln und das Talionsgesetz, das Isidor offensichtlich als körperlich zu vollziehende Talion versteht, im Kontext des Alten Testamentes verteidigen, dem πρόχειρον (das Talionsgesetz zur Begrenzung der Vergeltung) nichts gegenüber, was auch nur irgendwie „allegorisch“ genannt werden könnte, sondern Gedanken zu einer in Ex 21,24 liegenden Pädagogik der Abschreckung. Die ἀπολογία ἐξ εὐθείας in ep. 895 wiederum steht (anders als in den unten (u. a. S. 71 f.) zitierten Briefen 884 und 1489) ebenfalls nicht in einem Gegensatz zu einer übertragenden Auslegung, sondern zu einer radikalen textkritischen Lösung der Frage, warum der Mensch trotz der ihm vom Schöpfer zugesprochenen Herrschaft über die Erde die wilden Tiere fürchtet, nämlich der Annahme, die Worte zur Herrschaft über die Tiere seien ein nachträglicher Zusatz im Genesistext.⁹⁶ Für den Bereich der unmittelbar naheliegenden „Oberflächen“-Referenzen spricht Isidor gelegentlich auch – wohl durchaus in Anlehnung an Paulus und seine Wortwahl⁹⁷, auch wenn der Begriff hier über den Kontext der jüdischen Einhaltung der Tora und der neuen Freiheit vom „Gesetz“ hinaus eben für eine

 Ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, A9 – B11). Προχείρως steht a. a.O. B1.  „[K]εκρυμμένη“ und „παρακεκαλυμμένη διάνοια“ (a. a.O. B5 f.). Vgl. zur ganzen Thematik Young 1997 (1), 120 – 122 und 129, die einen ähnlichen Fall bei Eusebius von Caesarea beschreibt und beim Vergleich von Origenes und Eusebius eine Schlussfolgerung bringt, die sich auch auf die beiden Ebenen der Deutung der Prophetenworte bei Eusebius und Isidor beziehen lässt: „[T]he distinction is a matter of reference, and the attempt to distinguish through the categories of ‚literal‘ and ‚allegorical‘ is little more than confusing“ (a. a.O. 122).  Ep. 633 (II, 133) (PG 78, 576, A8 – C) und ep. 1570 (IV, 86) (SC 454, 264– 266).  Ep. 895 (III, 95) (PG 78, 804, B1– 6).  Vgl. besonders 2Kor 3,6; Röm 2,27– 29 und Röm 7,6.

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exegetische Differenzierung verwendet wird⁹⁸ – vom „Buchstaben“ (τὸ γράμμα⁹⁹), einmal auch im Gegensatz zum „Geist“ (πνεῦμα). Auch von den „Tatsachen“/ „Fakten“ (πράγματα) ist dreimal die Rede¹⁰⁰, die Isidor auf Wunsch statt einer übertragenden Auslegung bietet bzw. die bei offensichtlichen Hyperbeln der biblischen Sprache dem jüdischen Gegner nicht als Auslegungsgrundlage dienen können. In einem Brief (ep. 1574) spricht Isidor (dreimal) in exegesetheoretisch einschlägigem Zusammenhang von der ἱστορία.¹⁰¹  Gerade in dem hier besonders einschlägigen Brief 581 will Isidor für einige Gebote der Tora über den Ausschluss aus der JHWH-Gemeinde zeigen, dass sie auch dem „Buchstaben“, also den direkten Referenzen nach, bis in seine Gegenwart Sinn und Wert behalten – „οὐδὲ τὸ γράμμα παραγράφομαι“ (PG 78, 524, C8 f.).  Ep. 581 (II, 81) (PG 78, 521, C3 f.: „[οἱ] τὰς θεωρίας ὑποφαίνοντ[ες] καὶ τὸ γράμμα εἰς τὸ πνεῦμα μεταρρυθμίζοντ[ες]“ und 524, C7– 9: „Ἐγὼ δὲ, εἰ καὶ πρὸς τὴν ψυχὴν βλέπει κυρίως ὁ λόγος, οὐδὲ τὸ γράμμα παραγράφομαι“); ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, A3: der jüdische Gegner glaubt, in der Tora sei „μηδὲν πλέον τοῦ γράμματος“ gesagt); ep. 1188 (III, 388) (PG 78, 1029, A9-B1 und B9 f.: die Heilige Schrift besteht für die, die „das Gute nicht lieben“ (τοῖς τῶν καλῶν ἀνεράστοις) nur aus γράμματα; im Gegensatz dazu stehen die ὑπερκόσμιοι und φιλοθεάμονες (etwa: „die, die diese Welt hinter sich gelassen haben und an tieferen Betrachtungen Freude haben“); für sie ist die Schrift wie eine Blumenwiese für Bienen, sie richten sich geistig „εἴσω τοῦ γράμματος“, also etwa „auf die Innenseite des Buchstabens“ aus – ein nur bei Isidor belegter Ausdruck); ep. 1641 (IV, 219) (SC 454, 382, 1– 3: Palladios bleibt bei 1Tim 3,1 auf der Oberfläche des Schriftworts – „μὴ τὸν ἀποστολικὸν κατοπτεύσας νοῦν τὸν ἐν τῷ γράμματι κρυπτόμενον, ἀλλ᾿ αὐτὸ μόνον θεασάμενος τὸ γράμμα“ – und hält deshalb das Bischofsamt für etwas Anzustrebendes. Auch hier ist der Gegensatz zum γράμμα nicht etwas, was man irgendwie eine „allegorische“ Ebene nennen könnte, sondern die genaue Aufmerksamkeit für den Text und für die Realität des Gemeinten, freilich bezogen auf das Bischofsamt in Isidors Gegenwart). Nicht weit vom letzten erwähnten Brief entfernt ist dann ep. 79 (I, 79) (PG 78, 237, A4 f.), wo bei der Auslegung von Mt 5,20 γράμμα und πρᾶγμα in den Ausdrücken ἀπαγγελία τοῦ γράμματος vs. ἐργασία τοῦ πράγματος den bei Isidor häufig aufeinander bezogenen moralischen Sphären des „Redens“ und des „Handelns“ zugeordnet werden.  Epp. 581 (II, 81) (PG 78, 521, C6) und 884 (III, 84) (PG 78, 789, C8), jeweils im Gegensatz zu θεωρία(ι), außerdem ep. 599 (II, 99) (PG 78, 541, C6; im Gegensatz zum τροπολογεῖν und zur θεωρία). In ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164, 15) dagegen ist „τὸ δηλούμενον διὰ τοῦ γράμματος πρᾶγμα“ („die Sache, die durch den Buchstaben erklärt wird“) die „tiefere“ Verständnisebene, die übertragene Referenz von „Leichnam“ auf „Sünder“ (s. a. a.O. 164, 1– 3), im Anklang an und in terminologischer Weiterführung von Hebr 10,1 (s. zu Isidors Verwendung von Hebr 10,1 oben S. 56 – 59).  Ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 280, 33.36.38, dazu „τὰ σαφῶς ἱστορηθέντα“ ebd. 35). Der Brief ist unten S. 103 – 105. ausführlich zitiert. Er beschäftigt sich – am Beispiel von Ps 71 mit seiner Überschrift „εἰς τὸν Σολομῶνα“ (SC 454, 278, 12) – mit der Frage, wie viel in der Heiligen Schrift auf Christus zu beziehen sei. Ἱστορία bedeutet dabei den Bezug auf den Salomo der Entstehungszeit bzw. der „Erzählung“ des Psalms (und insofern die unmittelbare Referenz der Psalmüberschrift) im Unterschied zum „prophetischen“ Vorausverweis auf Christus, den „wahren Mann des Friedens“ („τὸν τῷ ὄντι εἰρηνικόν“, SC 454, 278, 15 f.), der in der θεωρία eingeholt wird. Wie bei antiken

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3.2.2 Begriffe für eine Exegese, die über ein „naheliegendes“ Verständnis hinausgeht Auf der anderen Seite des Spektrums spricht Isidor von einem βαθύτερος („tieferen“), εἰλικρινέστερος („authentischeren“) und ὀξυωπέστερος νοῦς („schärfer blickenden Sinn bzw. Verständnis“)¹⁰² und gebraucht das Verbaladjektiv ἀπόρρητος („geheim“, eigtl. „verboten“¹⁰³) und die Partizipien κεκρυμμένος und παρακεκαλυμμένος („verborgen, verhüllt“)¹⁰⁴. An manchen hier ebenfalls relevanten Stellen steht auch eine Form des Adjektivs ἁπλοῦς oder das Adverb ἁπλῶς in Verbindung mit einer Negation. Insbesondere das Adverb ἁπλῶς ist im Griechischen nicht selten; es bedeutet zunächst „einfach so“, „(einfach) nur“.¹⁰⁵ An fünf Stellen im Isidorkorpus hat οὐχ Autoren überhaupt sollte auch bei Isidor ein wie auch immer gefüllter neuzeitlicher Begriff von „Geschichtlichkeit“ nicht vorschnell mit dem Wort ἱστορία in Verbindung gebracht werden. Bei Isidor bezeichnet das Wort in der Regel die Ebene der Erzählung, nicht des Erzählten, so in ep. 36 (I, 36) (PG 78, 204, C8 f.: ἡ κατὰ τὸν θαυμάσιον Δανιὴλ ἱστορία); ep. 635 (II, 135) (PG 78, 577, C10: τῶν ἀγαθῶν ἀνδρῶν ἡ ἱστορία in der Heiligen Schrift); ep. 1462 (IV, 146) (SC 454, 102, 49 f.: „ἥ τε κατὰ τὸν Ἰωσήφ, ἥ τε κατὰ τὴν Σωσάνναν ἱστορία“); ep. 1757 (IV, 176) (SC 586, 96, 1) zu den Zielen des Mose bei Abfassung und Aufbau des Pentateuch als einer ἱστορία. Alle Übersetzungen mit Begriffen wie „geschichtlich“ oder „historisch“ sind insofern problematisch.  Βαθύτερος καὶ εἰλικρινέστερος νοῦς: ep. 1525 (IV, 149) (SC 454, 206, 9). Εἰλικρινέστερος καὶ ὀξυωπέστερος νοῦς: ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 278, 15). Zu νοῦς s. oben Anm. 53!  Das Allerheiligste des Jerusalemer Tempels heißt bei Isidor z. B. „τὰ τῶν ἁγίων ἀπόρρητα“ (ep. 252 (I, 252) (PG 78, 336, A9)), oder das Priesteramt und die Eucharistie in Kontexten, in denen Isidor die Spendung der Weihen an Unwürdige kritisiert, „τὰ [θεῖα καὶ] ἀπόρρητα [μυστήρια]“ (ep. 111 (I, 111) (PG 78, 257, A9); ep. 627 (II, 127) (PG 78, 565, C5 f.)). Daniel hat Kenntnis von den ἀπόρρητα (ep. 19 (I, 19) (PG 78, 193, C9)).  Ep. 51 (I, 51) (PG 78, 213, C3 f.: der Bezug zwischen dem von Jesus verfluchten Feigenbaum und dem Baum der Erkenntnis im Paradies als ἀπόρρητος λόγος, zum Brief s.u. Anm. 106 und S. 254); ep. 360 (I, 360) (PG 78, 388, A7: die christologische Deutung von Joh 6,35.48 auf die hypostatische Union als ἀπόρρητος ἔννοια, zum Brief s.u. S. 255 f.); ep. 505 (II, 5) (PG 78, 461, D3 – 5: In der Heiligen Schrift liegen inmitten ganz klarer Worte, die durch Gottes Herablassung für alle Menschen zugänglich sind, „geheime Worte wie Schätze“ verborgen („ἀπόρρητοι λόγοι καθάπερ θησαυροί τινες ἐνοικοῦσιν“)); ep. 907 (III, 107) (PG 78, 813, A9: die Verbindung zwischen der Bedeutung des Bildes vom Samen in Mt 13,19 und in Mt 13,38, insofern die, die den Logos aufnehmen, ihm ähnlich werden, als ἀπορρητότερον, zum Brief s.u. S. 233). Ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, B5 f.: ἡ κεκρυμμένη καὶ παρακεκαλυμμένη διάνοια zu Am 2,16, zum Brief s.u. S. 116); ep. 71 (I, 71) (PG 78, 232, A6: das Gebot der Arbeitsruhe zu Pessach hat einen zweifachen Sinn, „τοῖς παχέσι κεκαλυμμένην“ („den dafür Unempfänglichen verborgen“); ep. 193 (I, 193) (PG 78, 305, C4: τὰ κεκρυμμένα αἰνίγματα, zum Brief s.u. S. 258); ep. 638 (II, 138) (PG 78, 580, C9: die κεκρυμμένη ἀλήθεια von 1Kor 9,20 f.)  Einige (wenige) Beispiele für diese unspezifische Bedeutung von ἁπλῶς bei Isidor sind: ep. 739 (II, 239) (PG 78, 677, A13: Ps 4,5 verbietet nicht „einfach“ das Zürnen, sondern das Zürnen

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ἁπλοῦς / οὐχ ἁπλῶς aber eine spezifischere, für unseren Zusammenhang einschlägige Bedeutung und qualifiziert die Art, wie etwas in der Bibel ausgedrückt oder die Weise, in der etwas in der Schrift Dargestelltes geschehen ist, als „nicht nur oberflächlich“ bzw. „mit mehr als einer Referenz“ oder „nicht nur auf einer Ebene“.¹⁰⁶

ohne moralisch zu rechtfertigenden Grund); ep. 778 (II, 278) (PG 78, 709, B15: in Mt 5,28 geht es nicht um die, die „einfach“ „sehen und verwundet werden“, sondern um Absicht und Vorsatz; ep. 1312 (V, 65) (SC 422, 348, 1: Christus hat Mt 5,28 „nicht einfach so dahingesagt“); ep. 1469 (V, 185) (SC 454, 112, 27: Diejenigen, die Theater und Wagenrennen aufgebracht haben, hätten das nicht „einfach so“ tun können, sondern mussten es mit einer sozialpolitisch relevanten (Schein‐) Begründung tun); ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 276, 2: Gott als Urheber der Heiligen Schrift hat die prophetischen Worte „nicht einfach so“ „hingeworfen“, sondern Referenzen auf Gegenwärtiges mit solchen auf Zukünftiges vermischt, ep. 1574 ist unten (S. 103 – 105) ausführlich zitiert; hier sind wir inhaltlich an einer Art Übergang zur im Folgenden beschriebenen spezifischen Bedeutung von ἁπλῶς); ep. 1593 (IV, 220) (SC 454, 306, 1: Paulus hat in Röm 12,18 „nicht einfach“ gesagt: „Haltet mit allen Menschen Frieden!“, sondern hinzugefügt: „soweit möglich“); ep. 1780 (IV, 63) (SC 586, 128, 14: Paulus hat in Röm 8,18 den Ausdruck „die Leiden der gegenwärtigen Zeit“ „nicht einfach so“ gesagt, sondern um die Vergänglichkeit dieser Leiden anzusprechen). Ἁπλότης kann außerdem auch eine Eigenschaft von Personen sein; der Begriff changiert zwischen (geistiger) Schlichtheit, Unverdorbenheit und Geradlinigkeit, vielleicht vergleichbar dem lateinischen simplicitas. Vgl. LSJ und PGL s.v. In diesem Sinne sagt z. B. der nicht rhetorisch gebildete Laie (ἰδιώτης) ἁπλῶς καὶ συντόμως die Wahrheit (ep. 1412 (IV, 67) (SC 422, 500, 19)) und Mt 18,3 empfiehlt die παιδιώδης ἁπλότης (ep. 207 (I, 207) (PG 78, 313, C5)).  Es handelt sich dabei um: ep. 51 (I, 51) (PG 78, 213, B3: Christus hat den Feigenbaum „οὐχ ἁπλῶς“ verflucht (Mk 11,14), d. h. es geht hier nicht nur um ein Ereignis im Leben Jesu, sondern dieses Ereignis hatte eine Bedeutung – es zeigt die Fähigkeit des Herrn, nicht nur helfend, sondern auch strafend Übernatürliches zu tun. Nach dieser Erklärung folgt dann noch ein „ἀπόρρητος λόγος“ (a. a.O. C3 f.), der den Feigenbaum mit dem Baum der Erkenntnis von Gen 3 in Verbindung bringt. S. zum Brief unten S. 254); ep. 71 (I, 71) (PG 78, 232, A5: Isidor bringt das in Ex 12,16 (die Stellenangabe in der PG ist nicht treffend) über das Pascha bzw. das Fest der Ungesäuerten Brote Gesagte mit dem christlichen Sonntag in Verbindung. Es sei „οὐκ […] ἁπλοῦν“, sondern habe eine doppelte Bedeutung: es ordne nicht nur das Ausruhen von knechtlicher Arbeit an, sondern fordere mit dem Zusatz „ὅσα ποιηθήσεται πάσῃ ψυχῇ“ auch positiv zu bestimmten „Werken“ auf: Gebet, brüderliche Zurechtweisung, Almosen, Selbstbeherrschung u. a.); ep. 393 (I, 393) (PG 78, 404, B2 f.: die Wundertat des Herrn auf der Hochzeit zu Kana war nicht „ἁπλῆ“; der Herr hat nicht nur der Hochzeitsfeier das gegeben, was ihr fehlte, sondern mit dieser Tat das Gesetz „erfüllt“ und Gesetz und Gnade wie Wasser und Wein in seiner Person verbunden, s. zum Brief unten S. 247); ep. 1757 (IV, 176) (SC 586, 96, 1: Mose hat das, was in der ἱστορία des Pentateuchs vor den Gesetzesvorschriften steht, „οὐχ ἁπλῶς“ geschrieben, sondern es steht in einem Bezug zu den Gesetzen, ja sogar im Dienst ihrer Durchsetzungskraft. Vgl. zu dem kurzen Brief Runia 1995, 178 f.); ep. 1779 (IV, 158) (SC 586, 126, 1: in Spr 24,16 ist οὐχ ἁπλῶς vom Hinfallen des Gerechten die Rede, sondern von einem Hinfallen in einer Weise, die den Gerechten sogleich wieder aufstehen lässt).

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Einmal im Korpus bezeichnet der Ausdruck παραβολικῶς eine übertragene Referenz, nämlich den Bezug eines Gemeindeausschlussgebots der Tora auf Isidors Gegenwart und mönchischen Lebenskontext bzw. des körperlichen Aussatzes auf den „inneren Aussatz“ der Sünde.¹⁰⁷ Wie bereits gesehen, muss ein πρόχειρος νοῦς nicht immer ein „wörtlicher Sinn“ im Gegensatz zu einer übertragenden Deutung sein. Ebenso muss ein βαθύτερος καὶ εἰλικρινέστερος νοῦς nicht unbedingt ein „allegorischer Sinn“ sein bzw. etwas für Isidor οὐχ ἁπλῶς Gesagtes nicht unbedingt das herausfordern, was in neuerer Zeit „allegorische Auslegung“ genannt wurde¹⁰⁸. Gegenüber dem „auf der Hand liegenden Sinn“ kann der „tiefere Sinn“ auch einfach eine postulierte Bedeutung einer Schriftstelle sein, für die intensiveres Forschen und Nachdenken notwendig ist, die sich nicht sofort aus der gewöhnlichen Referenz der Worte erschließt. Das zeigt sehr schön ep. 1525¹⁰⁹, wo Isidor Ps 61,12 auslegt („Einmal hat Gott gesprochen; diese beiden Dinge habe ich gehört“). Man möchte meinen, diese Psalmstelle würde sich gut für eine übertragende Auslegung eignen, und zwar genau auf die gottgegebene Möglichkeit, die Schrift „allegorisch“ zu lesen! Bei Didymus dem Blinden kann man derartige Auslegungen der Stelle verfolgen.¹¹⁰ Isidor aber gibt eine „auf der Hand liegende“ Auslegung der Psalmstelle (Gott hat manchmal über verschiedene Dinge bei einer einzigen Gelegenheit gesprochen, wie das auch bei einer Begegnung mit einem Menschen vorkommen kann) und kündigt die Darstellung einer „tieferen und reineren“ Bedeutung an.¹¹¹ Aber die Erwartung, dass er Ps 61,12 nun auf die Allegoresefähigkeit der Schrift hin auslegt, wird enttäuscht. Er bespricht zwei Beispiele (Gen 3,19d und Jon 3,4b) für ein aus seiner Sicht in der ganzen Schrift verstreut vorhandenes Phänomen¹¹²: eine Gottesrede kann etwas feststellen oder androhen

In ep. 24 (I, 24) (PG 78, 197, A6 – 8: man muss „die Bedeutungen“ der Heiligen Schrift „mit Verstand aufspüren“ und darf sich nicht ἁπλῶς „an die unberührbaren und unerreichbaren Geheimnisse heranwagen“) changiert ἁπλῶς zwischen der unspezifischen und der „technischeren“ Bedeutung (s. zum Brief oben S. 51 f.).  Ep. 318 (I, 318) (PG 78, 368, A3 – 5).  Vgl. die oben in Anm. 106 erwähnten Briefe 51, 71 und 1779.  Ep. 1525 (IV, 149) (SC 454, 206 – 208).  Didym., Psalmenkommentar zu Ps 44, 3; 335, 8 – 11 (S. 216 Gronewald (PTA 12)); Didym. frg. 635 Mühlenberg (PTS 16, 40, 28 – 41, 2).  Ep. 1525 (a. a.O. 206, 4– 13).  A. a.O. 206, 9 f.: „Ὁ δὲ βαθύτερος καὶ εἰλικρινέστερος ἐν πάσαις μὲν διέσπαρται ταῖς Γραφαῖς“. Wie man aus dem Kontext erkennen kann (gerade wurde der πρόχειρος νοῦς von Ps 61,12 erklärt und als solcher etikettiert), geht es dabei um das Phänomen, von dem der βαθύτερος καὶ εἰλικρινέστερος νοῦς eben jener Psalmstelle handelt, nicht um den βαθύτερος καὶ εἰλικρινέστερος νοῦς der Schrift an sich (pace Bober 1878, 38).

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und dabei doch noch eine zweite Möglichkeit offenlassen, die man „mithören“ kann.¹¹³ Häufig bezeichnen antike Ausleger bei einem auch aus heutiger Sicht ausschließlich als Metapher verstehbaren Text die Bildebene als (zu überwindenden, unmöglichen) buchstäblichen Sinn o. ä. und die Sachebene als tieferen Sinn. Das liegt daran, dass die Antike vor allem zwischen sprachlicher Gestalt und referentiellem Gehalt unterscheidet und mit „wörtlich“ ausschließlich die alltägliche „Standardreferenz“ der sprachlichen Zeichen meint.¹¹⁴ Das allein schwächt schon die Trennlinie ab, die die Moderne zieht, nämlich die Unterscheidung zwischen einer Metapher oder Allegorie, die intendiert und als solche klar erkennbar ist, und einer „freien“ allegorischen Auslegung (Allegorese), die nicht unbedingt der Intention des Autors entsprechen muss, ja in der Antike oft – so jedenfalls das moderne Verständnis – fremde Gedanken in den Text hineinliest.¹¹⁵ In den Augen der antiken Exegeten war vor allem sowohl ein „allegorischer Sinn“ – d. h. die Sachebene – eindeutig metaphorischer Sprache als auch ein angenommener tieferer („allegorischer“) Sinn nicht ausdrücklich metaphorischer Passagen, der zu einem in sich verständlichen „wörtlichen“ Sinn hinzukam und vom Exegeten erkannt und explizit gemacht wurde, vom biblischen Autor bzw. vom Heiligen Geist als seiner Inspirationsquelle beabsichtigt.¹¹⁶ Dagegen sieht der Blick vieler Autoren des 20. und 21. Jahrhunderts im ersten Fall vom biblischen Schriftsteller beabsichtigte bildliche Sprache, die der übertragenden Auslegung bedarf. Im zweiten Fall ist aus der neuzeitlichen Perspektive aber keine Metapher oder Allegorie erkennbar; der antike Exeget legt dem biblischen Text einen „zusätzlichen“ Sinn bei, was dann in der Moderne wohlwollend¹¹⁷ oder ablehnend¹¹⁸

 A. a.O. 206, 14 – 208, 33.  Vgl. Tigcheler 1977, 48; Margerie 1980, 117 f. für Origenes; Young 1997 (1), 187.  Dafür, dass diese Unterscheidung für die antike Exegese nicht so scharf ist wie für die Moderne, können auch noch weitere Gründe angegeben werden. Vgl. Young 1997 (1), 190. Sie ist allerdings nicht unbekannt, wie etwa die restriktive Haltung des Johannes Chrysostomus gegenüber einer bestimmten Art von Allegorese zeigt (Chrys. Is. interp.V, 3 (SC 304, 222, 45 – 224, 49), übersetzt bei Fiedrowicz 1998, 103).  Vgl. Young 1997 (1), 190: „In any case, those engaged in allegorical interpretation usually thought that the hyponoia was what the author intended. […] The Word of God used the conceit of allegory like a well trained rhetorician!“  Klassisch von H. de Lubac z. B. in seinem Origenesbuch „Histoire et Esprit“ (Lubac 1950) und in seiner vierbändigen „Exégèse Médiévale“ (Lubac 1959 / 1961 / 1964), der in den übertragenden Auslegungen der Schrift etwas entscheidend Christliches verkörpert sieht, nämlich die Überzeugung von der „Einheit der Schrift und ihr[em] geistige[n] Sinn“ (so der Titel von R.Voderholzers Lubac-Monographie 1998).

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bewertet werden, in der Postmoderne eher als eine von vielen möglichen Weisen der Rezeption und des Gesprächs zwischen Texten, Zeiten und Welten gesehen werden kann.¹¹⁹ Bei Isidor von Pelusium wird das eben geschilderte terminologische Problem allerdings kaum virulent. Nur in ep. 599¹²⁰ ist es am Rande erkennbar. Dort gibt Isidor seinem Briefpartner Argumentationshilfen gegen einen Juden an die Hand, der an Joh 21,25 kritisiert, dass die Aussage von den „Büchern“, die die Welt „nicht fassen“ würde, nicht wörtlich genommen werden könne. Isidor verweist u. a. darauf, dass im Alten Testament, „das er [der Jude] ja auch selbst anerkennt und für göttlich hält“¹²¹, zahlreiche Hyperbeln enthalten seien, von denen Isidor einige anführt. Diese könne der Jude nicht erklären, „ohne sich in tiefere Einsicht (θεωρία) zu flüchten und ohne figurative Deutungen (τροπολογεῖν) zu versuchen“. Mit den reinen „Sachen“ (αὐτὰ φράζων τὰ πράγματα)¹²² werde er nicht weit kommen.¹²³ In den Briefen, in denen Isidor biblische Bildsprache auf eine Sachebene umsetzt¹²⁴, fallen seine sonst verwendeten exegesetheoretischen termini technici

 An vorderster Front von R. P. C. Hanson in „Allegory and Event“ (Hanson 2002 (urspr. 1959)), der der allegorischen Exegese insbesondere des Origenes Geschichtsvergessenheit und damit Auflösung der Geschichte als einer für das Christentum wesentlichen Grundlage vorwirft.  Vgl. Young 1993, 117 f. Im Kontext einer möglichen christlichen Postmoderne kann solches Gespräch lebendige Kraft für die Gegenwart und lebensverändernde Wirkung für die Rezipienten entfalten.Vgl.Young 1993, 117: „Allegory lets the echoes be heard, and so invites the hearer into the story of redemption“ oder auch Dawson 2002, 215: „[P]ersonal and historical human possibilities are being realized through transformations in which things increasing become what they are. Paradoxically, becoming what they are means changing the way they are“.  Ep. 599 (II, 99) (PG 78, 541, B3 – 544, B11).  Ebd. PG 78, 541, B8.  An dieser Stelle zeigt sich auch, dass (αὐτὰ τὰ) πράγματα keineswegs immer mit „historische Fakten“ oder auch nur „Fakten“ oder „Tatsachen“ übersetzt werden kann. Bei den von Isidor angeführten alttestamentlichen Hyperbeln (Dtn 1,28; Ex 3,17; Ps 106,26) sind die πράγματα die „kontrafaktische“ Wortgestalt des Textes, der gerade nicht „wörtlich“ zu nehmen ist, weil das aufgrund der vom biblischen Autor verwendeten übertreibenden Sprache Unsinn ergäbe. Umgekehrt sind etwa in dem für die Verankerung der antiken Exegesetheorie in der Bibel so zentralen Vers Hebr 10,1 die πράγματα die eigentliche, himmlische Wirklichkeit, aber damit gerade auch wieder nicht „historische“ „Tatsachen“.  Ebd. PG 78, 541, C4– 6.  Nämlich ep. 60 (I, 60) (PG 78, 221, B5-C) über Lk 11,20; ep. 65 (I, 65) (PG 78, 225, A7– B10) über Mt 3,12; ep. 83 (I, 83) (PG 78, 240, C1– 11) über Mt 5,29; ep. 204 f. (I, 204 f.) (PG 78, 312, D4 – 313, B4) über Mt 13,47 f.; ep. 504 (II, 4) (PG 78, 460, A9 – C11) über 2Kor 4,7; ep. 919 (III, 119) (PG 78, 821– 824) über Joh 10,8.10; ep. 1293 (IV, 160) (SC 422, 314) über Ez 11,19; ep. 1345 (IV, 110) (SC 422, 392– 394) über Ez 7,16; ep. 1435 (IV, 58) (SC 454, 42– 54) über Jud 13; ep. 1639 (IV, 81) (SC 454, 378, 16 – 380, 30) über Mt 7,18; ep. 1843 (IV, 25) (SC 586, 206 – 208) über Lk 6,41.

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nicht. Stattdessen sagt er gelegentlich, der biblische Autor oder Sprecher habe an einer Stelle παραδείγματα bzw. ὑποδείγματα¹²⁵ („Beispiele“¹²⁶) oder ein „Bild“ (εἰκών¹²⁷) gebraucht. Einmal sagt er auch, eine in der Bibel, nämlich in Hebr 4,13, gebrauchte Formulierung sei „ἐκ μεταφορᾶς“ „τῶν ἱερείων“¹²⁸ (deutsch „übertragen von den Opfertieren her“, wörtlich: „von der Übertragung der Opfertiere her“) zu verstehen. Das zugehörige Verb μεταφέρειν kommt zweimal im Korpus in exegetischem Kontext vor¹²⁹ und bezeichnet beide Male unspezifisch den Bezug alttestamentlicher Texte auf Christus, den Isidor nicht überall, sondern gezielt hergestellt sehen will.¹³⁰ Isidor kennt die großen traditionellen Namen θεωρία und ἀλληγορία für (zumindest angenommene) übertragene Referenzen und ihre Entschlüsselung.¹³¹ Isidor unterscheidet sich in der Art, wie er sie gebraucht, von maßgeblichen Vertretern der „antiochenischen“ Tradition, besonders von Diodor von Tarsus und

 Παραδείγμα(τα): ep. 1345 (IV, 110) (SC 422, 392, 12); ep. 1435 (IV, 58) (SC 454, 44, 11 und 54, 137); ὑποδείγμα(τα): ep. 60 (I, 60) (PG 78, 221, C9); ep. 1435 (IV, 58) (SC 454, 44, 19 f.); ep. 1639 (IV, 81) (SC 454, 378, 22). In ep. 504 (II, 4) sind παραδείγματα in einer der Auslegungen von 2Kor 4,7 (der Schatz in zerbrechlichen Gefäßen) ein Kennzeichen der biblischen Sprache und der Pädagogik Gottes, die mit einer einfachen und bildlichen Redeweise den Reichtum der göttlichen Weisheit vermittle (PG 78, 460, B13 – C1; vgl. auch ep. 503 (II, 3) (PG 78, 460, A3 – 5) und ep. 505 (II, 5) (PG 78, 461, C4– 8)). Zu theoretischen Aussagen Isidors über παραδείγματα, ὑποδείγματα, εἰκόνες und παραβολαί vgl. außerdem unten den Abschnitt 4.5.1 zu Isidors Bildtheorie.  Die beiden Wörter bezeichnen oft insbesondere moralische, anziehend oder abschreckend gedachte, Beispiele im paränetischen Zusammenhang, vergleichbar dem lateinischen exemplum. Vgl. z. B. ep. 866 (III, 66) (PG 78, 777, 8 – 14: Spr 9,18a LXX; Sir 9,8 und παραδείγματα aus dem griechisch-heidnischen und aus dem persischen Bereich konvergieren auf die Aussage von Mt 5,28 hin); ep. 1110 (III, 310) (PG 78, 977, B6 – 8: παραδείγματα für schlechtes und gutes Verhalten); ep. 1265 (IV, 22) (SC 422, 266, 10: Christus als ὑπόδειγμα der Demut für die Gemeinde in Phil 2); ep. 1672 (V, 335) (SC 454, 426, 11 f.: Wir sollen Gott selbst, soweit es uns möglich ist, nachahmen – seine Gnade hat uns dafür ὑποδείγματα ἀρετῆς gegeben).  Ep. 1345 (IV, 110) (SC 422, 394, 23). Vgl. zu εἰκών in diesem Sinne auch ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, B3.6) und ep. 1550 (SC 454, 238, 15). Das Wort tritt außerdem prominent auf in den Briefen, in denen Isidor mit Hebr 10,1 arbeitet (vgl. oben S. 56 – 58), allerdings dort nicht wie hier einfach zur Bezeichnung eines Ausdrucksmittels der biblischen Autoren, sondern fast umgekehrt zur Bezeichnung gerade der durch die „Schatten“ und „Bilder“ des Alten Testaments im Voraus angekündigten und mehr oder weniger stark in ihnen schon enthaltenen Realität.  Ep. 94 (I, 94) (PG 78, 248, A8 f.).  Ep. 695 (II, 195) (PG 78, 641, B7) und ep. 1139 (III, 339) (PG 78, 1000, A9).  Zu dieser Thematik vgl. unten 3.3.4.  S. besonders unten die Zitate aus ep. 884 und ep. 1489 mit ihren Anmerkungen. Der Stamm ἀλληγορ- kommt in dieser Bedeutung einmal im Neuen Testament vor (bei Paulus in Gal 4,24), θεωρ- in diesem auch auf Texte bezogenen hermeneutischen Sinn nicht.

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Theodor von Mopsuestia, die die beiden Begriffe scharf voneinander abgrenzen¹³², unter ἀλληγορία ein für Christen unzulässiges Verfahren verstehen, bei dem die übertragene Bedeutung den Textzusammenhang aufbricht¹³³ und seine unmittelbare Bedeutung ersetzt¹³⁴, und die nur die vom Phänomen der Prophetie her verstandene θεωρία („Schau“)¹³⁵ für die Bibelexegese gelten lassen.¹³⁶ Isidor

 Vgl. Thome 2004. Das byzantinische Lexikon „Suda“ (10. Jahrhundert) überliefert für Diodor als Titel einer heute verlorenen Schrift: „Was ist der Unterschied zwischen Schau und Allegorie/ Allegorese?“ („Τίς διαφορὰ θεωρίας καὶ ἀλληγορίας“ (Suda s.v. Διόδωρος, Nr. 1149; II, 103, 6 ed. Adler). Was der Inhalt dieser Unterscheidung gewesen sein dürfte, lässt sich an einem Psalmenkommentar erheben, der zwar nicht unter Diodors Namen überliefert ist, ihm aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden kann (für einen Forschungsbericht zu dieser Frage s. Thome 2004, 84– 88), und zwar insbesondere am Vorwort zum ganzen Kommentar (Gliederung bei Thome ebd. 89) und zu Ps 118 LXX (Thome ebd. 99 ff.). K. Holl nennt und zitiert auch Epiphanius von Salamis für diese Abgrenzung der Begriffe (Holl 1904, 261); freilich sieht Holl die Thematik ganz unter dem Aspekt eines allmählichen Kampfes gegen „die Vorherrschaft der allegorischen Methode“ (Holl 1904, 254: Er hält diesen Kampf für ein „Verdienst“ im Rahmen eines „Fortschritt[s]“ der Exegese), zu dem neben den „Antiochenern“ auch andere, etwa Basilius von Caesarea (vgl. ebd. 259), Epiphanius und auch Isidor von Pelusium (ebd. 255) beigetragen hätten; von daher dürfte auch sein Verständnis der Begriffe geprägt sein.  Dieser Aspekt der antiochenischen Kritik wurde besonders von F. Young betont. Vgl. Young 1997 (2), 125: „The Antiochenes cared more about the narrative logic of the whole biblical text than about historicity or literalism“. Vgl. aber auch J. van Oorts (in große Wertschätzung eingebettete) Kritik an Young in van Oort 2006, 97, Anm. 35: „[S]he tends to downplay the fact that history for the ‚Antiochene‘ exegetes first of all meant real historical, i. e. palpable and tangible data as the basis for their ‚literal‘ exegesis“.  Vgl. Guillet 1947, 257 f.; auch 298: „Antioche voit dans l’allégorisme un retour au paganisme“; Thome 2004, 118 f. für Diodor (119: „Allegorese […], die den geschichtlichen Sinn leugnet und damit die Geschichte aufhebt“) und 149 für Theodor („Theodor wendet sich hierin gegen Schriftausleger – er erwähnt ausdrücklich Philo und Origenes –, die seiner Meinung nach Allegorese betreiben, indem sie der Heiligen Schrift abseits des geschichtlichen Sinns einen ganz anderen Sinn unterschieben. Für Theodor ist so ein Vorgehen nichts anderes als heidnische Allegorese […]“).  Vgl. Guillet 1947, 275 – 286: „III. – Le Point de vue d’Antioche: l’Aspect Prophétique du Typisme“.  Auch für Johannes Chrysostomus, der in der antiochenischen Tradition steht, ist ἀλληγορία kein sehr positiv besetzter Begriff. In seinem comm. in Gal. sagt er über Gal 4,24 in gut antiochenischer Manier (vgl. z. B. Diodor von Tarsus, nach dessen Meinung Paulus ἀλληγορία sagte und θεωρία meinte, s. Diod. proem. Pss. (CCSG 6, 7, 133 – 135) und vgl. Fiedrowicz 1998, 89; Anm. 4 mit weiterführenden Literaturangaben), Paulus habe von „Allegorie“ gesprochen, aber eigentlich τύπος gemeint (PG 61, 662, 20 f.: „Καταχρηστικῶς τὸν τύπον ἀλληγορίαν ἐκάλεσεν“). Im Jesajakommentar (Chrys. Is. interp.V, 3 (SC 304, 224, 63 – 67) – übersetzt bei Fiedrowicz 1998, 103) gibt er als generelle Regel gegen „die ungezügelte Gier derer, die allegorische Auslegungen machen wollen“ (ἀκόλαστο[ς] ἐπιθυμία[ν] τῶν ἀλληγορεῖν βουλομένων) an, dass die Schrift keine „Allegorien“ enthalte, die sie nicht selbst auflöse (vgl. zu dieser Stelle auch Thome 2004, 110, Anm. 309

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dagegen kann die beiden Begriffe auch in nächster Nähe zueinander und ohne erkennbare Unterscheidung¹³⁷ gebrauchen. Sehr deutlich wird das anhand der Briefanfänge von ep. 884 und ep. 1489: Du hast ja geschrieben: „Mit welcher Absicht hat Mose im Gesetz verboten, dass man Leinen und Wolle zusammenwebt¹³⁸ oder leinenen Gewändern Purpur einwebt und geboten, nach Aussatz auf Kleidern und Steinbauten zu forschen?“¹³⁹. Dazu könnte ich nun auch die tieferen Sinnebenen (τὰς θεωρίας)¹⁴⁰ dieser Dinge aufzeigen. Denn diese Dinge bergen herrliche übertragene Bedeutungen (ἔχουσι γὰρ ἀρίστας ἀλληγορίας), die denen, die geistig nicht ungeübt darin sind, tiefer zu blicken (τοὺς μὴ ἀγύμναστον ἔχοντας πρὸς θεωρίαν τὸν νοῦν), nützlich sein können. Aber da ich weiß, dass viele der Meinung sind, die, die so etwas vorbringen, würden wegen ihrer Unbildung die Anstrengungen einstellen, und dass du an den Fakten und einzig an der Auslegung der Schriften (τοῖς πράγμασι καὶ μόνῃ τῇ ἑρμηνείᾳ τῶν Γραφῶν) Interesse hast, werde ich ohne Umschweife auf geradem Weg antworten (εὐθεῖαν τὴν ἀπόκρισιν ποιήσομαι).¹⁴¹ Anscheinend finden die bei dir keinen Anklang, die die Leser [der heiligen Schrift] auf die tieferen Bedeutungen (ἐπὶ τὰς θεωρίας) verweisen. Denn sie halten sich deiner Meinung nach selbst für klüger als die Schriften und führen die Hörer vielfach in die Irre, indem sie die göttlichen Worte immer gerade auf das übertragen, was sie selbst wollen (εἰς ἅπερ

und 188, Anm. 486). Isidor entlehnt zwar öfters Gedanken aus Johannes Chrysostomus und spricht wie bereits erwähnt auch namentlich lobend von ihm (s. u.a. besonders ep. 152 (I, 152) (PG 78, 284 f.), übersetzt und besprochen bei Évieux 1995, 203 f.; ep. 156 (I, 156) (PG 78, 288) und ep. 1255 (V, 32) (SC 422, 252, dort in Anm. 2 Évieux’ Einschätzung: „Sans que l’on puisse dire qu’ Isidore a été le disciple de Jean, il s’est manifestement nourri de ses œuvres et le vénère“)). Aber in diesem Punkt hebt er sich von Chrysostomus ebenso ab wie etwa von Diodor.  Vgl. Bobers treffende Formulierung, mit der er Isidor insbesondere von Diodor absetzt: „[…] ast Pelusiota vocem θεωρίαν tunc praecipue adhibet, quando scilicet a sensu litterali ad sublimiorem, per contemplationem piam (θεωρία) indicatum ascendit, quo nempe littera in spiritum τὸ γράμμα εἰς τὸ πνεῦμα [Bezug auf ep. 581 (II, 81)] transmutatur; verum tamen utramque vocem θεωρία et ἀλληγορία promiscue passim usurpat“ (Bober 1878, 41). Die Aussage ist allerdings in Bezug auf die Häufigkeit („passim“) übertrieben. Vgl. außer den im Folgenden zitierten Stellen noch ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, A7– 10: „Φίλων ὁ θεωρητικώτατος […] ὁ […] πᾶσαν σχεδὸν τὴν Παλαιὰν εἰς ἀλληγορίαν τρέπων“ – „Philon, der Mann mit dem überaus tiefen Blick, der fast das ganze Alte Testament ins Übertragene wendet“).  Lev 19,19; Dtn 22,11.  Lev 13,47– 59 und 14,33 – 53. Das Verbot, Leinengewänder mit Purpur zu versehen, findet sich in der Bibel m.W. nicht.  Isidor gebraucht hier θεωρία nicht, um ein Vorgehen oder eine Haltung des Exegeten zu bezeichnen wie wenig später in dem Ausdruck μὴ ἀγύμναστος πρὸς θεωρίαν, sondern für einen Sinngehalt, der (nämlich aufgrund der θεωρία, der „tieferen Sicht“, die der Autor bei der Abfassung hatte, vgl. ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 280, 33 f.: „τὰ κατὰ θεωρίαν προφητευθέντα“)) im Text liegt. Dieselbe Doppeldeutigkeit ist in der Antike für ἀλληγορία und ἀλληγορεῖν (allegorisch sprechen / allegorisch auslegen) allgemein geläufig (vgl. Bate 1922, 60; Young 1997 (1), 177).  Ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, B6 – C9).

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βούλονται μετακομίζοντες τὰ θεῖα λόγια). Ich hingegen möchte weder diese Leute anklagen, wenn sie versprechen, etwas Kluges herausgefunden zu haben, noch dich gegen deinen Willen zu übertragenden Auslegungen zwingen (σὲ μὴ βουλόμενον ἀλληγορεῖν ἀναγκάσαιμι), sondern ich werde wohl einfach eine direkte Auslegung geben (ἐξ εὐθείας τὴν ἀπολογίαν ποιησαίμην).¹⁴²

Bei Isidor finden sich sowohl Stellen für θεωρία in negativ¹⁴³ als auch für ἀλληγορία in positiv wertendem¹⁴⁴ oder neutralem¹⁴⁵ Kontext. Θεωρία wird nirgends trennscharf definiert, ἀλληγορία oder ἀλληγορεῖν ist nirgends negativ konnotiert. Die Häufigkeit, mit der Isidor die beiden Begriffsgruppen verwendet, ist unterschiedlich: Formen von ἀλληγορία und ἀλληγορεῖν finden sich nur an fünf Stellen in vier Briefen¹⁴⁶, θεωρία und damit zusammenhängende Begriffe in Bezug auf Biblisches kommen dagegen an 15 bis 18 Stellen in 11 bis 14 Briefen vor.¹⁴⁷

 Ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 152, 1 – 154, 7).  Nämlich in dem Ausdruck καταφεύγειν εἰς θεωρίαν / θεωρίας (ep. 599 (II, 99) (PG 78, 541, C5) und ep. 1768 (V, 398) (SC 586, 112, 29), besprochen unten S. 89 f.) – „sich in tiefere Betrachtung(en) flüchten“, wo das Festhalten an der nächstliegenden Referenz (αὐτὰ τὰ πράγματα bzw. τὸ πρᾶγμα) in einer Art Beweisverfahren (ep. 599) oder von der Sache her (nämlich den Radikalforderungen Jesu: ep. 1768) gefordert wäre.  S. ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, C2: „ἀρίστας ἀλληγορίας“, oben zitiert) und ep. 819 (PG 78, 745, B1 f.: Mose „redet“ laut Flavius Josephus an manchen Stellen „feierlich im übertragenen Sinn“ (ἀλληγορεῖ μετὰ σεμνότητος)). Letzteres ist freilich ein wörtliches, allerdings von Isidor affirmativ angeführtes Zitat aus Jos., AJ 1,24 (Bd. 1, S. 8, 22– 24 Niese).  S. die oben und in der folgenden Anmerkung angeführten Stellen aus den Briefen 819 (zu Philon), 1303 und 1489.  Ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, A9 und B1: Philon und Flavius Josephus (mit dem wörtlichen Zitat aus AJ 1,24) widersprechen als Juden einer für Isidor zeitgenössischen jüdischen Auffassung, im Alten Testament sei „nichts über den Buchstaben hinaus“ gesagt); ep. 1303 (IV, 129) (SC 422, 334, 66 f.: ἡ τῆς ἀλληγορίας ὁδός für eine Deutung von τὸ ἴδιον σῶμα in 1Kor 6,18 auf die Gemeinschaft der Kirche); ἀλληγορία in ep. 884 (PG 78, 789, C2, s. oben); ἀλληγορεῖν in ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 154, 6, ebenfalls s. oben).  Ep. 581 (II, 81) (PG 78, 521, C3, übersetzt und kommentiert unten S. 82); ep. 599 (II, 99) (PG 78, 541, C5, s. oben S. 68); ep. 774 (II, 274) (PG 78, 705, C6 f.: Paulus „zieht“ in Gal 4,24 „das Geschehene in die tiefere Betrachtung“ – „εἰς θεωρίαν ἕλκει τὰ γεγενημένα“); ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, A7 f., vgl. Runia 1995, 171– 173: „Φίλων ὁ θεωρητικώτατος“ – an dieser Stelle stehen sich θεωρία (hier: Tendenz zur übertragenden Deutung der Schrift) und ἱστορία (Erforschung und Darstellung von „Realien“) sozusagen in Philon und Flavius Josephus verkörpert gegenüber; beide Autoren treten allerdings in Isidors Argumentation in diesem Brief als Zeugen für jüdisches Wissen um den tieferen Sinn im Alten Testament auf); ep. 884 (III, 84) (2x: PG 78, 789, C1 und C3, wie auf der vorigen Seite im Fließtext zitiert); ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 152, 1, wie ebd. im Fließtext zitiert); ep. 1574 (4x: SC 454, 280, 34.35.36.39, ausführlich zitiert unten S. 103 – 105); ep. 1768 (V, 398) (SC 586, 112, 29, s.u. S. 89 f.). Ein Partizip von θεωρεῖν bzw. προθεωρεῖν tritt an drei Stellen über Propheten als der spezifische Begriff für die „Schau“ des Gegenstandes auf, der in dem Bild

3.2 Isidors exegetische Terminologie

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Dieses statistische Ungleichgewicht wird m. E. allerdings ebendadurch aufgewogen, dass ἀλληγορία / ἀλληγορεῖν – ganz anders als bei den traditionell als „antiochenisch“ bezeichneten Autoren – bei Isidor nie negativ konnotiert ist. Der bei Isidor zu beobachtende praktisch äquivalente Gebrauch von θεωρία und ἀλληγορία wird in der Literatur meist als typisch für die alexandrinische Tradition bezeichnet.¹⁴⁸ Auf der anderen Seite ist z. B. Johannes Chrysostomus, nach den meisten modernen Autoren ein typischer „Antiochener“, einer der wenigen Exegeten vor ihm, die Isidor namentlich als solche erwähnt.¹⁴⁹ Isidor in eine der beiden von der Forschung schematisierend als alexandrinisch auf der einen, antiochenisch auf der anderen Seite zusammengefassten Traditionen einzuordnen, fällt also in verschiedener Hinsicht sehr schwer¹⁵⁰.

präfiguriert ist, das der Prophet gebraucht: ep. 42 (I, 42) (PG 78, 208, D3 zu Jes 6,5 – 7, übersetzt und kommentiert unten S. 255 f.); ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, B2 zu Am 2,16, besprochen unten S. 116); ep. 64 (I, 64) (PG 78, 224, C8 zu Mt 3,10 (Johannes der Täufer), übersetzt und kommentiert unten S. 249 f.). Grenzfälle könnten sein: ep. 323 (I, 323) (PG 78, 369, B1 f.: hier liest Évieux (Évieux 1995, 83) mit der ältesten Isidorhandschrift C und der Übersetzung des Rusticus (ACO I, 4, 10, 5: „paternae speculationes“) überzeugend θεωρίαι πατρικαί – „Betrachtungen der Väter“, vgl. PGL s.v. πατήρ A.3. „of fathers of Church“ mit mehreren Belegen aus der Zeit vor Isidor, neben „μαρτυρίαι Γραφικαί“ – „Belegen aus der Schrift“ – insofern können hier durchaus Schriftauslegungen gemeint sein); ep. 259 (I, 259) (PG 78, 337, C2: die θεωρήματα der Heiligen Schrift soll sich der Briefpartner von Isidor aufschlüsseln lassen) und ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, B4: „οὐ συγχέομεν τὰ θεωρήματα“ – „wir vermischen die Betrachtungsgegenstände nicht“: hier sind die θεωρήματα die biblischen Bilder, die sich mit demselben Element auf der Bildebene auf unterschiedliche Gegenstände auf der Sachebene beziehen).  Vgl. Bate 1922, 61 f. Bate bringt eindrucksvolle Zitate aus Didymus dem Blinden und den Kirchenhistorikern Sokrates und Sozomenus, allerdings ohne Stellenangaben. Die Zitate sind nicht exakt; die genauen Stellen aus den Historikern sind Socr. h.e. VI,3,7 (GCS NF 1, 314, 9 – 12) und Soz. h.e. VIII,2,6 (GCS NF 4, 350, 20 – 22). An der Didymusstelle (frg. 1109a Mühlenberg (PTS 16, 285, 20 f.)) steht πρὸς (nicht κατὰ) θεωρίαν; sie gewinnt noch deutlich an Überzeugungskraft, wenn man ihr eine Stelle aus seinem Sacharjakommentar (II, 15 (SC 84, 434, 14 f.)) an die Seite stellt (der Sacharjakommentar war 1922 noch nicht bekannt), wo dieselben Worte „Silber“ und „Gold“ „ἀλληγορίας [!] νόμῳ“ dieselbe übertragende Auslegung (λόγος und νοῦς) erfahren. Vgl. auch Young 1997 (1), 183.  Seinen Römerbriefkommentar lobt er überschwänglich in ep. 1255 (V, 32) (SC 422, 252).  Vgl. Évieux 1995, 333 f. Das PGL zitiert s.v. θεωρία D.2.d. Isidor (ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 280, 33 – 36); auch ep. 884 (III, 84) wird erwähnt) für eine Position zwischen der antiochenischen und der alexandrinischen Schule („intermediate position between Antiochene and Alexandrine schools“). Die beiden Exegesetraditionen nähern sich einander ab dem fünften Jahrhundert auch sonst an (vgl. Simonetti 1985, 355); dennoch kann Simonetti a. a.O. über Theodoret von Cyrus und Cyrill von Alexandria noch sagen, trotz der deutlichen Abschwächung der Unterschiede bleibe der eine Antiochener, der andere Alexandriner.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

Für Vorausbilder von Personen und Ereignissen des Neuen Bundes, aber auch seiner Gegenwart kennt Isidor den traditionellen Begriff τύπος¹⁵¹, der auch „Vorbild“ im moralischen Sinn bedeuten kann¹⁵². So ist Jona in Anlehnung an Mt 12,40 par. „Vor(aus)bild und Schatten für die Grabesruhe des Herrn“¹⁵³. Die τύποι „richteten ihren Blick“ auf das Evangelium.¹⁵⁴ Die Hebräer aßen das Lammfleisch in der Nacht des Auszugs aus Ägypten τυπικῶς auf die Inkarnation hin.¹⁵⁵ Das Vorausbild muss dabei aber nicht unbedingt in der Zeit des Alten Bundes liegen: Die Prostituierten, die sich Jesus zugewandt haben, sind dadurch für die Kirche in Isidors Gegenwart, ja offensichtlich für alle Zeiten, zu „Vorbildern für Umkehr“¹⁵⁶ geworden. In ähnlicher Weise ist in ep. 239¹⁵⁷, auch wenn dort das Wort τύπος nicht vorkommt, sondern die Sache mit dem Verb προδηλόω ausgedrückt wird, die Verklärung Christi ein Vorausbild seiner Auferstehung – und, weil Mose als Verstorbener und Elija als ein in den Himmel Aufgefahrener dabei sind, ein Zeichen seiner Herrschaft über Lebende und Tote.¹⁵⁸

 Er wird schon von Paulus in diesem Sinn verwendet: S. Röm 5,14 und 1Kor 10,6.11. Johannes Chrysostomus definiert den τύπος als „Prophezeiung durch Tatsachen“ (προφητεία διὰ πραγμάτων, s. Chrys. poenit. VI, 4 (PG 49, 320, 17– 45, vgl. zur Stelle Guillet 1947, 279) und bringt als Beispiel den Inhalt von Gen 22 im Unterschied zu Jes 53,7, einer „Prophezeiung durch Worte“ (προφητεία διὰ ῥημάτων).  So ebenfalls schon bei Paulus (Phil 3,17; 1Thess 1,7), entsprechend bei Isidor ep. 319 (I, 319) (PG 78, 368, A6 f. – vgl. 1Petr 5,3): Der Priester heißt und ist τύπος für die ihm Anvertrauten; ep. 1863 (V, 466) (SC 586, 232, 12): der Bischof Hermogenes kann aufgrund seiner herausragenden Persönlichkeit eine ἀρχέτυπος εἰκών für den Briefempfänger Zenon sein.  Τύπος καὶ σκιὰ τῆς Δεσποτικῆς ταφῆς: ep. 154 (I, 154) (PG 78, 285, C2 f.); vgl. dasselbe in ep. 114 (I, 114) (PG 78, 257, D2) – Christus selbst „war dabei“ (ebd. D4: „παρῆν“), als Jona in die Tiefe geworfen wurde und wieder daraus hervorkam.  Vgl. ep. 444 (I, 444) (PG 78, 426, D6 f.)  Ep. 219 (I, 219) (PG 78, 320, D1); vgl. zum Brief unten S. 255.  Ep. 195 (I, 195) (PG 78, 308, B14 f.): „τῆς μετανοίας οἱ τύποι“.  Ep. 239 (I, 239) (PG 78, 329, B3 – 9).  Formen des Substantivs τύπος oder des Adjektivs τυπικός in der Bedeutung „Vorbild“/ „Vorausbild“ kommen bei Isidor außer an den genannten an acht weiteren Stellen vor – die entsprechenden Briefe sind großenteils andernorts in der vorliegenden Arbeit ausführlicher behandelt: ep. 5 (I, 5) (PG 78, 184, A7: Johannes der Täufer als Vorbild der Mönche, s. S. 150); ep. 16 (I, 16) (PG 78, 189, C1: das von Elischa gesund gemachte Wasser als Bild der ganzen Menschheit vor Christus, s. S. 248 f.); ep. 131 (I, 131) (PG 78, 269, B7: das Verstummen des Zacharias als Vorausbild für das Verstummen des Gesetzes mit dem Kommen Christi, s. S. 218); ep. 136 (I, 136) (PG 78, 272, C10: der Bischof stellt Christus dar, s. S. 225); ep. 362 (I, 362) (PG 78, 388, B8: der Segen Jakobs für die Söhne Josephs als Christusankündigung, s. S. 211); ep. 431 (I, 431) (PG 78, 421, A4: Melchisedek und die Eucharistie, s. S. 208); ep. 438 (I, 438) (PG 78, 424, B5: die Opfertauben als Sinnbild für die Säuglinge, für die sie geopfert werden); ep. 494 (I, 494) (PG 78, 452, A9: die ganze Tora als τύπος („τυπικοῖς ἐχρῆτο προστάγμασιν“, s. S. 59).

3.2 Isidors exegetische Terminologie

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Schließlich sind für diese Seite der Terminologie Isidors noch der Begriff αἴνιγμα („Rätsel, verborgene Andeutung“) bzw. Formen des zugehörigen Verbs αἰνίττεσθαι („verrätselt sagen, anspielen auf, andeuten“) einschlägig. In ep. 293 ist die Rede davon, dass die Heilige Schrift „im αἴνιγμα“ Wein und die Verkündigung des Evangeliums miteinander in Verbindung bringt¹⁵⁹; in ep. 1189 schreibt Isidor andererseits, dass die Aufforderung zur Versöhnung mit dem Feind auch im Alten Testament schon vorhanden sei, wenn auch αἰνιγματωδῶς („verborgen angedeutet“)¹⁶⁰. Wieder einmal ist hier derselbe Wortstamm einmal in einem exegetischen Kontext verwendet, in dem es durchaus um Übertragungen von Referenzen geht, ein anderes Mal aber einfach um aufmerksame Wahrnehmung bei der Beschäftigung mit der Schrift. Αἰνίττεσθαι kommt sechsmal in für uns einschlägigem Zusammenhang vor; dreimal findet dabei übertragende Auslegung in der Praxis statt.¹⁶¹

3.2.3 Zusammenfassung Isidors termini technici für Arten, wie die Heilige Schrift sich ausdrückt und für dementsprechende Arten, sie zu verstehen, gliedern sich in zwei große Gruppen. Zur ersten Gruppe gehören vor allem „πρόχειρος“ / „προχείρως“, „ἐξ εὐθείας“, „τὸ γράμμα“ und (vereinzelt) „τὰ πράγματα“ sowie „ἱστορία“, zur zweiten Gruppe „οὐχ ἁπλοῦς“ / „οὐχ ἁπλῶς“, die bei Isidor praktisch äquivalent

 Ep. 293 (I, 293) (PG 78, 353, C1). Der Brief ist ein typisches Beispiel für die Verkettung von biblischen Bildern bei Isidor, die auch die Verkettung der Sachebenen zur Folge hat, vgl. unten S. 247. Für das Wort und den Begriff „Wein“ entsteht dabei eine übertragene Referenz.  Ep. 1189 (III, 389) (PG 78, 1029, C3 f.). Vergleichbar sind bei der Verwendung von αἰνίττεσθαι ep. 576 (II, 76) (PG 78, 517, D7 zu Mt 26,41a) und ep. 1517 (V, 226) (SC 454, 196, 11 zu 2Tim 2,5). Auch dort werden jeweils keine Referenzen übertragen).  Ep. 193 (I, 193) (PG 78, 305, C4– 7: Jakob „deutet“ in Gen 27, als er sich die Ziegenfelle umlegt, „unseren Herrn und Erlöser an“ – es folgt eine Deutung auf die Christologie, s. unten S. 258); ep. 438 (I, 438) (PG 78, 424, B6: Mit dem in der Tora für männliche Erstgeborene vorgeschriebenen Taubenopfer wird auf die Eigenschaften kleiner Kinder angespielt); ep. 498 (I, 498) (PG 78, 453, A4 f.: Obergemach und Lampe des Elischa deuten seinen Charakter an, s. unten S. 197); ep. 576 (II, 76) (PG 78, 517, D7: Christus meinte in Mt 26,41a, man solle nicht in der Versuchung untergehen); ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, A10-B1: Zitat aus Flavius Josephus); ep. 1517 (V, 226) (SC 454, 196, 11: ebenfalls zum Thema „Versuchung“; auch Paulus bestätige in 2Tim 2,5 ebenso wie das Herrenwort Mt 26,41a, dass Versuchung noch nicht meine, Versuchungen zu begegnen, sondern ihnen zu erliegen; αἰνίττεσθαι ist hier mit Évieux wiederum ziemlich schwach mit „anspielen auf, meinen“ zu übersetzen).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

gebrauchten Begriffe „θεωρία“ (häufiger) und „ἀλληγορία“ und die Rede von einem „tieferen“ oder „verborgenen Sinn“, von τύπος und αἴνιγμα / αἰνίττεσθαι. Die Begriffe in der ersten Gruppe stehen eher für textnahe, die in der zweiten eher für übertragene Referenzen des biblischen Textes. Allerdings werden die meisten der angeführten Begriffe bei weitem nicht immer im Kontext dieser Dichotomie oder dieses Spektrums gebraucht. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen ihrer problematisch anachronistischen Assoziationen sollten die neuzeitlichen Schlagworte „wörtlich“ und „allegorisch“ allenfalls mit großer Vorsicht verwendet werden.¹⁶²

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor Isidors Gedanken sind uns in Briefform überliefert. Das bringt es mit sich, dass wir bei ihm noch weniger als bei vielen anderen frühchristlichen Autoren Aussagen zu einem bestimmten Thema in systematisch geordneter Form finden. Auch was die Exegesetheorie und seine Leitlinien für die Schriftauslegung angeht, ist alles nur „vermischt und exemplarisch“¹⁶³ eingestreut und muss in mühsamer Arbeit systematisiert werden, wie schon 1605 der zweite Isidorherausgeber der Neuzeit, K. Rittershausen, seufzend festgestellt hat. Dennoch macht Isidor in den Briefen, in denen Schriftstellen prominent verwendet oder explizit ausgelegt werden, gelegentlich Aussagen dazu, warum er diese oder jene Stelle nach einem „einfachen“, „auf der Hand liegenden“ Sinn u. ä. oder nach einem übertragenen, „tieferen“ Sinn auslegt. In manchen Fällen gibt er grundsätzliche Kriterien für den in seinen Augen richtigen Umgang mit der Heiligen Schrift an, in der Regel freilich auch im Zusammenhang mit der Auslegung eines bestimmten Textes. Dabei geht es nie um die theoretische Beschäftigung mit einem aus der Vergangenheit stammenden Text, dessen ursprünglicher Sinn gesucht wird¹⁶⁴, sondern, auch bei „historischer“ Auslegung,  Vgl. unten die Abschnitte 4.1.5 und 4.1.6.  Rittershausen in PG 78, 178: „Quod [scil. die Schriftauslegung] utinam Isidoro placuisset regulis potius et certis iisque generalibus observationibus ordine traditis, quam per saturam, quod dicitur, perque exempla tractare, cum per haec longum sit iter, per illa compendiosius“.  Vgl. Tigcheler 1977, 20, der in diesem Sinne grundsätzlich über die „Väter“ sagt: „[…] l’histoire en tant qu’histoire et le passé en tant que passé ne les intéressaient pas“; Young 1997 (2), 120: „It has been a mistake to suppose that the Antiochenes reacted against allegory on similar grounds to the rejection of allegory in the modern period. […] [S]uffice it to say here that Antiochene exegesis is full of ‚dogma‘ deduced from texts, that they constantly seek the ‚moral meaning‘, and that they both [‚Antiochener‘ und ‚Alexandriner‘] recognised the metaphoricity of language and accepted prophetic references“ und Young 1997 (1), z. B. 166 – 169.

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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auch bei durchaus vorhandener Aufmerksamkeit für die historischen Umstände der Vergangenheit, die sich im Text widerspiegeln, immer um den Bezug zur Gegenwart. Dieser ist bei Isidor aus der Briefsituation heraus meistens seelsorglich und lebenspraktisch orientiert.¹⁶⁵ Das Wort Gottes hat der Gegenwart, das heißt konkret Isidors Briefpartnern, etwas zu sagen, und das Hauptkriterium für eine schriftgemäße Auslegung ist, es lebendig werden zu lassen und seine Wirkung nicht zu behindern oder abzulenken, sondern zu unterstützen. Dieses Ziel spiegelt sich in den einzelnen Aussagen und Regeln für die exegetische Praxis wider.

3.3.1 Kriterium für die Wahl einer textnahen Auslegung: Wunsch des Briefpartners oder fehlende Offenheit für übertragende Auslegung von dessen Seite Bei der Mehrzahl der Schriftauslegungen, die Isidor vorträgt, hält er sich an textnahe Deutungen und verzichtet auf θεωρία und ἀλληγορίαι, was er manchmal auch ausdrücklich thematisiert. Das liegt aber nicht daran, dass Isidor selbst der „allegorischen“ Auslegungsweise von vornherein kritisch gegenüberstünde.¹⁶⁶ Vielmehr findet er offenbar ein geistiges Klima vor, das „Allegorese“ ablehnt.

 Vgl. Bober 1878, 34: „[…] interpretationis s. Scripturae s. Isidori finis est praecipue moralis et asceticus […]“.  Die Behauptung von Fuhrer 2002, 361 mit Bezug auf ep. 1489 (IV, 117) – Isidor „rät [als angeblich den Antiochenern nahestehender Exeget] von der Allegorese ab (ep. 4, 117), die er dennoch öfter selbst anwendet“ – widerspricht dem unten (S. 82– 84) an den Briefen 581, 884 und 1489 dargestellten Textbefund. Sie geht womöglich auf Bardenhewer 1924, 105 zurück (dort: „[Isidor] rät von der Allegorese ab (4, 117)“). Schon K. Holl hatte Isidor zu denen gerechnet, die „die Vorherrschaft der allegorischen Methode bekämpft […] haben“, ihn allerdings „der antiochenischen Schule […] gegenüber selbständig“ gesehen (Holl 1904, 254 f.), ohne aber diese Urteile a. a.O. weiter zu begründen. Lubac 1964, 141 (zu ep. 884) verkehrt den Befund geradezu ins Gegenteil. Isidor referiert in ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, C5 f.) die ablehnende Haltung anderer gegenüber der Allegorese, die von diesen (mit einem gewissen Anklang an moderne Vorwürfe, vgl. etwa das Referat der modernen Allegoresekritik bei Young 1993, 105) als Ausweichmanöver bei exegetischen Schwierigkeiten diffamiert wird. Dass das aber Isidors eigene Meinung sei, wie Lubac behauptet, geht aus ep. 884 gerade nicht hervor. Im Gegenteil, Isidor sagt hier ja, er könnte eine sehr gute „allegorische“ Auslegung zu den behandelten Stellen der Tora geben, verzichtet aber für seinen konkreten Gesprächspartner darauf (s. ebd. B9-C9). So unversöhnlich sich die allegoresetheologischen Antipoden Hanson und Lubac in der Bewertung der antiken Exegese, besonders der Exegese des Origenes, gegenüberstehen (ist sie nun „ahistorisch“ oder „historisch sensibel“?), so

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

Im Hintergrund könnte der Streit zwischen verschiedenen Strömungen unter den Asketen im Ägypten der Jahrhundertwendezeit stehen, in dem sich eine Richtung auf Origenes berufen hat und der unter anderem zur ersten kirchlichen Verurteilung dieses Autors auf Initiative des Bischofs Theophilus von Alexandria im Jahr 400 geführt hat.¹⁶⁷ In den erhaltenen eigenen Texten des Theophilus, die sich gegen Origenes und seine Anhänger richten, spielt zwar Origenes’ Exegese kaum eine Rolle¹⁶⁸; es geht vor allem um Protologie, Kosmologie, Christologie und Eschatologie. Freilich hingen Origenes’ dogmatische Positionen oft auch mit „allegorischer“ Exegese zusammen. Diese war eine wesentliche Grundlage der Theologie des Origenes und von theologischen Positionen Ende des vierten Jahrhunderts, die sich auf ihn bezogen. Umgekehrt lässt sich deshalb auch die „reaction against allegory“ (F. Young) ab dem vierten Jahrhundert in einen dogmatischen Kontext stellen. Epiphanius von Salamis hatte schon 374 die stark

sehr ähneln sie sich doch darin, welche Bedeutung sie in diesem Rahmen den „historischen Fakten“ und der modernen „historischen Rückfrage“ beimessen (vgl. Trigg in Hanson 2002, xx – xxi). Möglicherweise spiegelt sich das auch in der falschen Wiedergabe dieser Isidorstelle durch de Lubac.  Vgl. Banev 2015, 35 – 41 und 44– 47. Freilich finden sich schon bei Origenes selbst Reaktionen auf Kritik und Reserven gegenüber der Allegorese an sich, die von „literalistischer“ Seite kamen, s. Hanson 2002, 134 f. und 149 – 157, der auch Beispiele anführt. Hanson unterscheidet drei Gruppen von Gegnern, von denen sich Origenes mit seiner Allegorese absetzte: „Gnostiker“ im weitesten Sinne (darunter auch die „Markioniten“) (dazu Hanson a. a.O. 135 – 149), christliche „Literalisten“ und jüdische Exegese und drittens nichtchristliche philosophische Kritiker, die die Bibel für nicht der Allegorese wert hielten (a. a.O. 157– 161).  Vgl. Clark 1992, 108 – 121 und Banev 2015, 45 – 47. Bei der Darstellung der Lehren des Origenes, die Theophilus in seinem zweiten Synodalbrief (in der Übersetzung und Überlieferung durch Hieronymus: Hier. ep. 92 (CSEL 55, 147– 155), besonders die Abschnitte 2 und 4 (148 – 150; 151– 153), zusammengefasst bei Banev 2015, 45 f.) als häretisch brandmarkt, nimmt er auf die exegetische Praxis des Alexandriners gar keinen Bezug, ebensowenig im 16. Osterfestbrief von 401 und im 19. Osterfestbrief von 404 (beide sind wiederum durch Hieronymus in lateinischer Übersetzung vollständig überliefert als Hier. ep. 96 (CSEL 55, 159 – 181) und ep. 100 (CSEL 55, 213 – 232)). Nur an zwei Stellen in den erhaltenen Texten greift Theophilus Origenes’ Allegorese an. Es handelt sich einerseits um die kurze Bemerkung im 17. Osterfestbrief von 402 (Hier. ep. 98, 10 (CSEL 55, 194, 4– 6); Fiedrowicz 1998, 123, Anm. 1 suggeriert einen ergiebigeren Text), Origenes habe „allegoriae umbris et cassis imaginibus“ die Wahrheit der Schrift aufgehoben, andererseits um eine Auslegung von Jes 6,1– 7, deren Zuschreibung an Theophilus nicht ganz sicher ist (Russell plädiert neben anderen dafür, s. Russell, 2007, 91), ediert als Hieronymustext in AMar III, 3, 103 – 122 (ed. G. Morin, Maredsous / Oxford 1903). Die einschlägige gegen eine Allegorese von Jes 6,1a gerichtete Stelle ist 104,9 – 107,19. Alle erwähnten Texte hat N. Russell ins Englische übersetzt und mit Anmerkungen versehen (Russell 2007, 89 ff.). Ein Teil der Jesajaauslegung findet sich auch bei Fiedrowicz 1998, 122 ff. mit deutscher Übersetzung.

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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übertragende Genesisexegese des Origenes auch als Grundlage für theologische Irrtümer angegriffen, so etwa seine Deutung der Fellkleider in Gen 3,21 auf die menschlichen Körper, die die Seelen als Folge des Sündenfalls tragen.¹⁶⁹ Genau dieses Thema – das Verhältnis von Seelen und Körpern sowie der Ursprung der Körper – spricht auch Theophilus an der einzigen ihm eindeutig zuzuschreibenden Stelle an, an der er Origenes’ Allegorese angreift.¹⁷⁰ Auch das Anliegen der „anthropomorphitischen“ mönchischen Partei in Ägypten, von der sich Theophilus ebenso distanzierte wie von den „Origenisten“¹⁷¹, könnte u. a. ein exegesetheologisch-antiallegorisches in genau diesem Kontext gewesen sein.¹⁷² Ch. Markschies vermutet grundsätzlich, dass „der Ansatzpunkt für den „Anthropomorphismus“ [am Ende des vierten und Anfang des fünften Jahrhunderts] gegenüber älteren christlichen Vorstellungen des zweiten und dritten Jahrhunderts vom Körper Gottes“ sich „gleichsam von der Gotteslehre in die Anthropologie hinein verschoben“ hatte, und zwar im Rahmen eines „Weg[es], sich Gott gleichsam als lebendige Person vorzustellen in einer konkret gelebten monasti-

 Vgl. Clark 1992, 87 f. mit Verweis auf Epiph. anc. 62 (GCS NF 10/1, 74,5 – 75,18).Vgl. auch Young 1997 (2), 124: „I am increasingly convinced that what developed into a methodological discussion was motivated by doctrinal imperatives […]“.  Hier. ep. 98, 10 (CSEL 55, 194 f.).  Vgl. Banev 2015, 34. Die Distanzierung nach beiden Seiten findet sich ebenso im Bericht des Hieronymus über den Konflikt des Epiphanius von Salamis mit seinem Mitbruder im Bischofsamt Johannes von Jerusalem.Vgl. Markschies 2016, 321 (mit Belegen): Die Ereignisse damals (393 oder 394) „zeigen, dass von Anfang an bestimmte Kreise den ‚Anthropomorphismus‘ ebenso wie den ‚Origenismus‘ für zwei aufeinander bezogene, gleichermaßen überzogene und darin häretische Positionen hielten“.  Vgl. Banev 2015, 29 – 31. Zur Frage nach der Existenz und Ausrichtung einer solchen Gruppe vgl. Russell 2007, 22 f. und Markschies 2016, 310 – 372. Der Begriff ist erstmals bei den Historikern Sokrates und Sozomenus überliefert (vgl. a. a.O. 311), und zwar pejorativ. Die Bedeutung von Vorstellungen über einen „wie auch immer gearteten“ göttlichen Körper wurde dabei nach Markschies von der Überlieferung bewusst heruntergespielt: „Bei den ‚Anthropomorphiten‘ handelte es sich nicht um eine mehr oder weniger große Gruppe innerhalb des Mönchtums mit spezifischen Ansichten, sondern um eine immer noch weit verbreitete Form von Frömmigkeit und Theologie, die aus häresiologischen Gründen von ihren Gegnern zu einer kleinen Gruppe ungebildeter Personen marginalisiert wurde. Kaum zufällig ging es in den heftigen Debatten um die Legitimität dieser Form von Theologie und Frömmigkeit zugleich immer auch um Recht und Grenze der Theologie des Origenes, also um die Ansichten eines christlichen Theologen, der schon im zweiten Drittel des dritten Jahrhunderts die theologische Position und Frömmigkeitspraxis von Christenmenschen, die Gott mit einem Körper [beispielsweise im Sinn der stoischen Physik aus „feinstofflicher“, „himmlischer“ Feuermaterie, vgl. Markschies 2016, 87 f. und 355] dachten und verehrten, heftig angegriffen hatte“ (a. a.O. 310 f.). Zu den weiteren Implikationen der Thematik im Hinblick auf die antike Exegese vgl. auch die Bemerkung von Young 1997 (2), 125, Anm. 17.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

schen Frömmigkeit, ihn nicht nur als transzendentes Prinzip zu denken und zu glauben, weit entfernt von der Welt und dem individuellen Alltag“¹⁷³. Isidor ist auf Theophilus wegen dessen Politik gegen den von Isidor hochverehrten Johannes Chrysostomus nicht gut zu sprechen.¹⁷⁴ P. Évieux bringt Isidor auch mit den vier sogenannten „Langen Brüdern“, vier prominenten „origenistischen“ Mönchen, die aus der nitrischen Wüste nach Konstantinopel geflohen waren, und mit Evagrius Ponticus in Verbindung.¹⁷⁵ Isidor erwähnt Theophilus jedenfalls in dem mit zahlreichen Anspielungen arbeitenden Brief 152¹⁷⁶, dessen historische Bezüge sich aber identifizieren lassen¹⁷⁷, als zeitgenössische Manifestation der Bosheit Ägyptens und als eine Art neuen Pharao¹⁷⁸, und in Brief 310, der an Cyrill, den Neffen und bischöflichen Nachfolger des Theophilus, gerichtet ist und diesen ermahnt, im Umfeld des Konzils von Ephesus nicht in die Fußstapfen seines Onkels zu treten.¹⁷⁹ In der Theologie des geistlichen Lebens lassen sich durchaus Parallelen zwischen Isidor und Origenes benennen.¹⁸⁰ Auch gegen „anthropomorphe“ Gottesvorstellungen ergreift Isidor entschieden Partei und betont den Abstand zwischen Gott und dem Menschen.¹⁸¹ Aber Origenes’ Name kommt nirgends vor;

 Markschies 2016, 356 f.  Vgl. zu dieser Politik im Kontext des Konflikts des Theophilus mit den sogenannten „Langen Brüdern“ (vier prominenten „origenistischen“ Mönchen, die nach Konstantinopel geflohen waren) z. B. die Zusammenfassung und Auswertung der Berichte der Historiker Sokrates und Sozomenus und des Palladius von Helenopolis bei Clark 1992, 45 – 49 und die Darstellung bei Russell 2007, 27 ff. Johannes Chrysostomus galt seinen Gegnern als „Origenist“ (vgl. Markschies 2016, 325 mit Anm. 387), was angesichts der Unterschiede zwischen Origenes und Chrysostomus in der exegetischen Praxis vielleicht verwundern mag, in der Ablehnung einer wie auch immer gearteten Körperlichkeit Gottes aber eine Begründung finden kann.Vgl. zur Genesisinterpretation bei Chrysostomus in dieser Hinsicht auch Simonetti 1985, 182 f.  Évieux 1995, 279 – 281. Évieux erkennt Evagrius Ponticus in dem „Diakon Evagrius“, an den Isidors ep. 251 (I, 251) adressiert ist (PG 78, 333, D, s. Évieux 1995, 280). Zur Radikalisierung des „gegen den Körper gerichtete[n] Zug[es] in der Theologie des Origenes“ bei Evagrius vgl. Markschies 2016, 328 (Zitat ebd.).  Ep. 152 (I, 152) (PG 78, 284, D – 285, A), übersetzt bei Évieux 1995, 203. Namentlich ist Theophilus erwähnt a. a.O. A8.  Vgl. Évieux 1995, 203 f.  Ep. 152 (I, 152) (PG 78, 285, A2– 8).  Ep. 310 (I, 310) (PG 78, 361, C, Namensnennung in C10).  Vgl. Évieux 1995, 279.  Vgl. den Beginn von ep. 895 (III, 95) (PG 78, 800, B4 – 801, A5): „Weil du, ein ausgesprochen gebildeter und scharfsinniger Mann, darum gebeten hast, dir dieses vielbehandelte Thema kurz und klar und ohne Umschweife zu vermitteln, das eine aber dem anderen entgegensteht (denn das Klare braucht viele Worte, das Kurze aber wenige), schreibe ich dir, soweit ich dazu in der Lage bin, in einer Mischung von Klarheit und Kürze.

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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Stärker machen es die, die das Stärkere mit dem stärkeren Teil des Menschen vergleichen. Wenn das Gesagte nun unklar erscheint, soll es klarer gesagt werden. Besser machen es die, die im besseren Teil des Menschen, das heißt in seiner vernunftbegabten Seele, das Göttliche abbilden. Denn die, die es für menschengestaltig [ἀνθρωπόμορφον] halten, sind ganz einfältig, weil sie sich in den Dingen verfangen, die in [göttlicher] Herablassung [συγκαταβατικῶς] gesagt sind und es nicht wagen, etwas Göttlicheres zu denken [Συγκατάβασις ist ein für Johannes Chrysostomus zentraler Begriff (prominent z. B. exp. in Ps. 6, 1 (PG 55, 71); 113, 6 (PG 55, 313); vgl. Margerie 1980, 217– 220, ebd. 218 ist dieses „Sichhinunterbegeben“ Gottes bei Chrysostomus als ein Ausdruck von Gottes heilbringender Methode beschrieben: so stellt Gott eine Verbindung her zwischen seinem immateriellen Sein und der Materialität der menschlichen Person)]. Denn in welchem Sinn ist gesagt: ‚Im Schutz deiner Flügel beschützt du mich‘ (Ps 16,8) und: ‚Sieben Augen des Herrn, schauend auf die ganze Erde‘ (Sach 4,10), wo doch der Mensch weder Flügel noch sieben Augen hat? Und in welchem Sinn hat Paulus ausgesprochen, dass ‚das Göttliche‘ nicht einmal ‚einem Gedanken des Menschen ähnlich‘ ist? [Apg 17,29; verkürztes Zitat, so dass sich die seltenere Konstruktion von ὅμοιος mit dem Genetiv (vgl. LSJ s.v.) ergibt; Apg 17,29 wiederum hat Gen 1,26 f. im Hintergrund (der Mensch ist Bild Gottes; Gott ist nicht menschlichen Bildern ähnlich), die Verse, um die es in ep. 895 unter verschiedenen Aspekten geht]. Und in welchem Sinn hat Jesaja gesagt: ‚Wenn alle Völker wie ein Tropfen vom Eimer und wie Speichel gelten, und wenn der Libanon nicht ausreicht für das Feuer und alle Vierfüßler nicht für das Ganzopfer, mit wem wollt ihr dann den Herrn vergleichen?‘ [Jes 40,15 – 18 (mit Auslassungen und Abwandlungen)] Und in welchem Sinn hat Mose, dessen Rede sie bösartig zu interpretieren versuchen, gesagt: ‚Und achtet sehr auf eure Seelen, dass ihr keinerlei Gestalt seht an dem Tag, an dem er zu euch gesprochen hat‘ [vgl. Dtn 4,15]? Nur lehren auch jene [ἐκεῖνοι] meiner Meinung nach die Sache nicht präzise. Denn der Mensch ist Bild der Herrschaft und des Königtums, nicht des Wesens; wenn er aber gut handelt, auch der moralischen Güte [Gottes]. Denn auch wenn wir die Geistseele als unsterblich definieren, so doch nicht als wesensgleich mit jener göttlichsten und anfanglosen Natur, sondern so weit [von jener] entfernt, wie natürlich das Geschöpf vom Schöpfer (entfernt ist).“ Vgl. zu Vorbildern für ep. 895 Markschies 2016, 101 f., der die z.T. ähnliche Argumentation des Origenes in seinem Genesiskommentar (u. a. Verwendung von Sach 4,10 und Ps 90,4) beschreibt und zitiert. Vielleicht stehen Origenes und die, die ihm folgen, hinter den in PG 78, 800, C1– 6 Genannten, die es „stärker“ / „besser machen“ als die (sit venia verbo) „Anthropomorphiten“ und damit auch hinter den ἐκεῖνοι von PG 78, 801, A3, die trotzdem „auch noch nicht das Exakte lehren“. Jedenfalls kann Isidors Präzisierung, dass auch die menschliche Seele nicht ihrem Wesen nach Bild Gottes ist, sondern nur bezüglich der königlichen Herrschaft des Menschen über die Erde, als eine Verschärfung der Position des Origenes im Zusammenhang mit Gen 1,26 f. gelesen werden, wie sie etwa Markschies 2016, 93 f. und 101– 104 darstellt.Vgl. zur antiken Debatte um Gen 1,26 f. auch Young 2013, 150 – 158. Für die Argumentation gegen eine Gottabbildlichkeit des menschlichen Körpers führt sie u. a. [Ps.–?]Basilius von Caesarea (hex. 10, 7 (SC 160, 182)) und Theodorets Ausführungen gegen die Häresie des Syrers Audaios (hist. eccl. IV, 10 (GCS NF 5, 228, 1– 10)) an.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

er wird weder als Referenzpunkt noch als Gegner erwähnt.¹⁸² Möglicherweise sind aber die bei Isidor selbst nur am Rande hereinspielenden zeitgenössischen Kontroversen um Origenes und sein Erbe ein Hintergrund für die allegoresefeindliche Einstellung einiger seiner Korrespondenten. In den an diese gerichteten Briefen hält er es nicht für sinnvoll, allegorische Auslegungen zu geben, auch wenn er selbst dazu willens und in der Lage wäre.¹⁸³ In aller Deutlichkeit zeigen das die Einleitungspartien dreier Briefe, nämlich von epp. 581, 884 und 1489, gerichtet an die Presbyter Athanasios, Agathos und Valens: Du hast ja denen, die die tieferen Sinnebenen andeuten (τοὺς τὰς θεωρίας ὑποφαίνοντας¹⁸⁴) und den Buchstaben zum Geist¹⁸⁵ wandeln, irgendwie Vorwürfe gemacht, obwohl sie doch oft¹⁸⁶ auch etwas sagen, was den Hörern Nutzen bringt (ὠφέλιμά τινα τοῖς ἀκροωμένοις). Du hast unaufhörlich darum gebeten, dass dir nur die Fakten (αὐτὰ τὰ πράγματα) ausgelegt werden und hast die Frage aufgeworfen, warum Aussätzige, an Gonorrhoe Erkrankte und die, die an anderen nicht selbstverschuldeten Krankheiten leiden, von den heiligen Bezirken ausgeschlossen wurden¹⁸⁷. Da wollte ich zuerst schweigen, denn es ist nicht leicht, und auch wenn es leicht wäre, gehörte es sich nicht¹⁸⁸, die Geheimnisse der Natur¹⁸⁹ ans Licht zu ziehen.¹⁹⁰

 Vgl. ebd. In ep. 1999 (IV, 163) (SC 586, 402– 408) argumentiert Isidor gegen Leute, die sich an das bei Origenes belegbare Theologumenon von Fall, Verkörperung und Wiederaufstieg präexistenter Seelen halten, ohne aber den Namen des Origenes zu nennen. Isidor positioniert sich (sehr im Unterschied zu Theophilus von Alexandria, s. Hier. ep. 98, 10 (CSEL 55, 194 f.)) bei aller argumentativen Abwehr nicht ausgesprochen scharf gegen diese Anschauungen, und am Ende des Briefes bricht er wie so häufig eine Lanze für den Vorrang asketisch-moralischer Praxis, der Übung der ἀρετή, die ja doch eigentlich beide Lager für das Entscheidende halten würden. In ep. 772 (II, 272) (PG 78, 701, C1– 3) erwähnt er, Joh 9,2 kommentierend, dasselbe Theologumenon als heidnische Lehre. In ep. 169 (I, 169) (PG 78, 293, B7– 12) bringt Isidor einen kleinen Katalog häretischer Bibelverfälscher. Origenes oder „Origenisten“ tauchen auch darin nicht auf.  Vgl. Évieux 1997, 81, der allerdings bezüglich der Häufigkeit dieser Stellen mit der Formulierung „bien souvent“ etwas dick aufträgt: „Et, bien souvent, notre Pélusiote, comme à regret, se plie au désir de ses correspondants, leur expliquant simplement les textes, réservant aux esprits plus ouverts et plus pénétrants les interprétations ‚théoriques‘“.  O hat in margine ὑφαίνοντας – „zusammenweben, konstruieren“.  Vgl. 2Kor 3,6; Röm 7,6.  μ hat nach Rittershausens Randnotiz πολλοῖς statt πολλάκις („vielen Hörern“ statt „oft“).  Vgl. Num 5,1– 4.  Der Einschub „und auch wenn es leicht wäre, gehörte es sich nicht“ fehlt in μ (Rittershausens Klammern, die das anzeigen, fehlen freilich in der PG).  Zu dieser Formulierung („τὰ τῆς φύσεως ἐκπομπεύειν μυστήρια“) vgl. ep. 1433 (V, 157) (SC 454, 40, 4), wo sich Isidor gegen die Überführung von Verstorbenen ausspricht. Jeder solle am Ort seines Todes bestattet werden, anstatt dass man „die Geheimnisse der Natur öffentlich macht“ („τὰ μυστήρια τῆς φύσεως δημοσιεύειν“).

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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Du hast ja geschrieben: „Mit welcher Absicht hat Mose im Gesetz verboten, dass man Leinen und Wolle zusammenwebt¹⁹¹ oder leinenen Gewändern Purpur einwebt und geboten, nach Aussatz auf Kleidern und Steinbauten zu forschen?“¹⁹² Dazu könnte ich nun auch die tieferen Sinnebenen dieser Dinge (τὰς θεωρίας αὐτῶν) aufzeigen. Denn diese Dinge bergen herrliche übertragene Bedeutungen, die denen, die geistig nicht ungeübt darin sind, tiefer zu blicken, nützlich sein können (ἀρίστας ἀλληγορίας ὠφελῆσαι δυναμένας τοὺς μὴ ἀγύμναστον ἔχοντας πρὸς θεωρίαν τὸν νοῦν). Aber da ich weiß, dass viele der Meinung sind, die, die so etwas vorbringen, würden wegen ihrer Unbildung die Anstrengungen [der Auslegung] einstellen, und dass du an den Fakten und einzig an der Auslegung der Schriften (τοῖς πράγμασι καὶ μόνῃ τῇ ἑρμηνείᾳ τῶν Γραφῶν) Interesse hast, werde ich ohne Umschweife auf geradem Weg antworten (εὐθεῖαν τὴν ἀπόκρισιν ποιήσομαι).¹⁹³ Anscheinend finden die bei dir keinen Anklang, die die Leser [der heiligen Schrift] auf die tieferen Sinnebenen (ἐπὶ τὰς θεωρίας) verweisen. Denn sie halten sich deiner Meinung nach selbst für klüger als die Schriften und führen die Hörer vielfach in die Irre, indem sie die göttlichen Worte immer gerade auf das übertragen, was sie selbst wollen (εἰς ἅπερ βούλονται μετακομίζοντες τὰ θεῖα λόγια). Ich hingegen möchte weder diese Leute anklagen, wenn sie versprechen, etwas Kluges herausgefunden zu haben noch dich gegen deinen Willen zu übertragenden Auslegungen zwingen (ἀλληγορεῖν ἀναγκάσαιμι), sondern ich werde wohl einfach eine direkte Auslegung geben (ἐξ εὐθείας τὴν ἀπολογίαν ποιησαίμην).¹⁹⁴

Bei den Briefen 581 und 1489 ist interessant, dass derselbe Inhalt der Schrift, nämlich die mosaischen Gemeindeausschlussgebote im Zusammenhang mit den sexuellen Reinheitsgeboten, in einem anderen Brief (ep. 1251) an einen anderen Gesprächspartner (den Bischof Leontios) zunächst auf derselben Linie wie in epp. 581 und 1489 ausgelegt, dann aber im übertragenen Sinn auf Isidors Gegenwart, die Zeit der christlichen Kirche, bezogen werden.¹⁹⁵ Isidor hatte die Sexualvorschriften der Tora durchaus zustimmend als gute, mit den ErkenntnisIsidor gibt seinem Briefpartner, dem Presbyter Athanasius, dann doch eine Auslegung und spricht u. a. – immer mit der gebotenen Zurückhaltung, wie er am Ende des Briefes (PG 78, 525, A3 – 5) nochmals betont – über den von der Tora verbotenen Beischlaf in der Menstruationszeit (Lev 18,19; 20,18) oder gar Beischlaf während der Schwangerschaft, der Krankheiten bei den Kindern verursachen könne, die dann zu Recht eine Strafe für die wollüstigen Eltern seien.  Ep. 581 (II, 81) (PG 78, 521, C3 – 12).  Lev 19,19; Dtn 22,11.  Lev 13,47– 59 und 14,33 – 53. Das Verbot, Leinengewänder mit Purpur zu versehen, findet sich in der Bibel m.W. nicht.  Ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, B6 – C9). Origenes sprach den Geboten über Aussatz an Wänden, Leder und Stoff ohne eigene Begründung einen Sinn auf der buchstäblichen Ebene ab (Or. hom. 2 in Gen. 6 (GCS 29, 37, 3 – 5 = SC 7 bis, 108, 19 ff.)). Isidor dagegen sieht in ihnen auch einen „wörtlichen“ moralischen Sinn (Eindämmung von Luxus und Habgier, Konzentration auf die „Sorge um die Seele“).  Ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 152, 1 – 154, 7).  Isidor leitet diese Passage in ep. 1251 (IV, 141) ein, indem er Hebr 10,1 zitiert (SC 422, 246, 42– 44).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

sen der Medizin übereinstimmende Gesetze erklärt¹⁹⁶, aber nun geht es nicht mehr um Menschen, die wegen solcher Krankheiten aus der Kultgemeinschaft ausgeschlossen werden, die ihre Eltern durch ihr Sexualverhalten verschuldet haben. Der christlichen Gemeinde gebietet die geistig verstandene Tora, moralisch verdorbene Mitglieder auszuschließen¹⁹⁷, und Isidor findet für jeden in der Tora beschriebenen äußeren Makel, den er zitiert, eine moralische Entsprechung.¹⁹⁸ Was sich in ep. 1251 nicht findet, ist eine Einleitung nach Art der oben zitierten Briefe. Leontios steht offensichtlich übertragenden Deutungen der Schrift aufgeschlossen gegenüber; somit fühlt sich Isidor frei, der aus den anderen Briefen bekannten eine gegenwartsbezogene, weniger „körperliche“ Auslegung hinzuzufügen. Interessant ist auch, dass Isidors „wörtliche“ und seine „allegorische“ Auslegung bei den Gemeindeausschlussgeboten beides „moralische“ Auslegungen sind, nur dass die textnahe Auslegung den Bereich des Körpers stärker einbezieht. Das passt zu Isidors Auffassung von der Verinnerlichung der Moral durch den Neuen Bund, wie sie etwa in den Briefen 79 und 1595¹⁹⁹ zum Ausdruck kommt, vor allem aber passt es zu seiner lebenspraktischen Grundmotivation für die Schriftauslegung. Der kommunikative Kontext beider Auslegungen ist paränetisch.²⁰⁰

 Vgl. dazu außerdem ep. 1211 (III, 411) (PG 78, 1044, C3 – 1045, A9), in dem ebenfalls die medizinischen Hintergründe ausgeführt werden (Sperma des Mannes und Blut der Frau bilden den Fötus, unreines Blut der Frau während der Menstruation führt zu Krankheiten bei den Nachkommen; der Brief ist außerdem hilfreich zur Klärung von Isidors Terminologie: δυσκρᾱσία bedeutet „schlechte körperliche Konstitution“, ἀκρασία (= ἀκράτεια, vgl. LSJ s.v., biblisch 1Kor 7,5) bedeutet „mangelnde Selbstbeherrschung“, hier in sexueller Hinsicht). Auch hier findet keine übertragende Auslegung eines sexuellen Reinheitsgebots der Tora statt; das Verbot des Beischlafs während der Menstruation wird über Ez 18,6 eingespielt. Ähnlich, ganz ohne konkretes Bibelzitat, ist auch noch ep. 846 (III, 46) (PG 78, 761, C5 – 764, A9).  Diese Auslegung des Gebots, Aussätzige auszuschließen, ist für den konkreten Fall eines zu Isidor geflüchteten Mönches in einem Brief an dessen Oberen ebenfalls vorausgesetzt: s. den letzten Satz von ep. 318 (I, 318), (PG 78, 368, A3 – 5), außerdem am Ende von ep. 28 (I, 28) (PG 78, 200, C2– 4) an Bischof Eusebios über den „Skandalpriester“ Zosimos.  Ep. 1251 (IV, 141) (SC 422, 244– 248). Die übertragende Auslegung findet sich in der Schlusspassage (SC 422, 246, 42 – 248, 52).  Ep. 79 (I, 79) (PG 78, 237) und ep. 1595 (IV, 209) (SC 454, 310 – 312).  Zur Gliederung der Beispiele aus Isidors Exegese nach Kommunikationszusammenhängen vgl. unten den Abschnitt 4.1.6.

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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3.3.2 Aus Isidors Sicht nicht legitime übertragende Auslegungsversuche Neben den Stellen, an denen sich Isidor gegen eine generelle Verdächtigung „allegorischer“ Exegese ausspricht, stehen auf der anderen Seite aber auch solche, an denen er übertragende Auslegungen unter bestimmten Umständen – zum Teil mit großer Schärfe – ablehnt.

3.3.2.1 Versuche übertragender Auslegung bei scheinbarer (moral)theologischer Anstößigkeit So endet sogar derselbe Brief 581, der mit einer Bemerkung über die allegoresefeindliche Einstellung des Briefempfängers Athanasius beginnt, mit einem Plädoyer für den „buchstäblichen“ Sinn der behandelten alttestamentlichen Gebote. Die Gemeindeausschlussgebote oder die Vorschrift von Gen 17,14, ein nach dem achten Lebenstag noch Unbeschnittener sei aus dem Volk auszumerzen – ein Gebot, das Origenes für zu unvernünftig und grausam hielt, um es wörtlich zu nehmen²⁰¹ – könnten vielleicht den Eindruck machen, es würden hier Unschuldige für die Sünden ihrer Eltern bestraft, die durch ihr Sexualverhalten Krankheiten der Kinder verursacht haben, die zum Gemeindeausschluss führen, oder die es versäumt haben, ihre Kinder beschneiden zu lassen. In Wirklichkeit ließen sich diese Gebote aber auch auf der Ebene des Alten Testaments rechtfertigen, und es gebe keinen Grund, wegen ihrer scheinbaren Anstößigkeit den „Buchstaben“ vorschnell zu verwerfen²⁰²: Wenn du nun vielleicht sagst: „Die Täter hätte man bestrafen müssen“, sage ich: „Und welche Strafe ist härter als diese?“ Denn wenn sie sehen, dass die, die sie zur Welt gebracht haben, die sie in einem viel höheren sozialen Status sehen wollten, als es ihr eigener ist, von den Gebeten, den Festversammlungen, den Städten, den religiösen Zusammenkünften ausgeschlossen sind: schau, was es für sie für eine Qual sein wird. Aus demselben Grund ist meiner Meinung nach auch jenes andere Gesetz gegeben: „Und es wird sein jede Seele, die nicht am achten Tag beschnitten wird, sie wird ausgerottet werden aus ihrem Volk“²⁰³. Das

 Or. princ. IV, 3,2 (734 – 736 Görgemanns/Karpp = GCS 22, 325, 9 – 15).  Dennoch kennt Isidor, wie bereits beschrieben, auch eine übertragende, auf seine Gegenwart bezogene Auslegungsweise genau solcher Gebote, s. ep. 1251 (IV, 141) (SC 422, 246, 42 – 248, 52). Wie schon der Text von ep. 581 zeigt (PG 78, 524, C7– 9), sagt Isidor hier nicht, dass die Gemeindeausschlussgebote nicht allegorisch ausgelegt werden könnten oder dürften (das ist die Position des Presbyters Athanasius, an den der Brief gerichtet ist), sondern dass sie auch wörtlich verstanden gerecht und sinnvoll seien und dass eine ausschließlich übertragende Deutung aufgrund von theologischen Bedenken nicht statthaft sei.  In etwa Gen 17,14 LXX. Hier spielt das Problem der Wiedergabe des hebräischen nepheš mit ψυχή in der LXX herein (vgl. unten S. 99 f. zu ep. 1499).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

haben manche von denen, die das Gesagte auf die Beschneidung der Seele übertragen, als ein widersinniges Gesetz verworfen.²⁰⁴ Denn ihrer Meinung nach hätte gesagt werden müssen, dass der, der sein Kind nicht beschneiden lässt, ausgerottet wird, nicht jedoch das viel zu junge Kind.²⁰⁵ Ich hingegen verwerfe den Buchstaben auch dann nicht, wenn das Gebot sich hauptsächlich auf die Seele bezieht. Denn auch dann bleibt derselbe Gedanke gewahrt.²⁰⁶ Denn für die Väter ist die Strafe schlimmer, wenn die Kinder ausgerottet werden. Denn die Kinder werden vielleicht gar nicht wissen, ob sie in Strafe geboren sind, wenn sie vor dem Alter der Unterscheidung von Gut und Böse sterben. Und auch wenn sie das Unterscheidungsalter erreichen, tragen sie vermutlich gar nicht schwer an der Sache, weil die Gewohnheit die Strafe leicht macht und besonders weil das, was ihnen vorgeworfen wird, nicht ihre Schuld ist. Aber die Eltern werden sich eine unerträgliche Strafe aufladen.²⁰⁷

Isidor ist auch an anderen Stellen darum bemüht, die Tora gegen den Vorwurf der Unvernunft oder der ungerechten Härte zu verteidigen, und zwar insbesondere im „antimarkionitischen“ oder „antimanichäischen“ Kontext seiner Überzeugung von der Einheit der beiden Testamente, die für ihn darin wurzelt, dass sie von demselben Einen Gott ausgehen. Dem Juristen Neilos schreibt er über das Gebot der Reinigung nach unfreiwilligem Samenerguss (Lev 15,16): „Auch wenn du sie in Frage stellst, ich bewundere auch an dieser Stelle ganz und gar die Weisheit des Gesetzgebers“²⁰⁸, und in drei Briefen an verschiedene Empfänger (epp. 633, 1570 und 1595) rechtfertigt er Ex 21,24 („Auge für Auge, Zahn für Zahn […]“): „[…] auch das was im Gesetz unmenschlich erscheint, ist Milde“²⁰⁹, denn es diene durch die Begrenzung der Vergeltung²¹⁰ schon „auf der Textoberfläche“ („ἐκ τοῦ προχείρου λαμβανόμενον“)²¹¹ der Gerechtigkeit und habe „auf der tieferen Ebene“ („νοούμενον“)²¹² einen abschreckenden pädagogischen Effekt²¹³; wenn das Talionsge-

 Original: „Ὅπερ τινὲς ὡς ἄλογον παρεγράψαντο (O in mg: παρετρέψαντο) τῶν εἰς τὴν τῆς ψυχῆς περιτομὴν τὸ ῥητὸν μετακομισάντων“.  Das ist genau die Argumentation des Origenes in princ. IV, 3,2 (a. a.O.).  „Ἐγὼ δὲ, εἰ καὶ πρὸς τὴν ψυχὴν βλέπει κυρίως ὁ λόγος, οὐδὲ τὸ γράμμα παραγράφομαι. Κἀνταῦθα γὰρ ἡ αὐτὴ ἔννοια σωθήσεται“. Von der „Beschneidung des Herzens dem Geist, nicht dem Buchstaben nach“ als der wahren Beschneidung spricht Paulus in Röm 2,29: „περιτομὴ καρδίας ἐν πνεύματι οὐ γράμματι“. Vgl. Jer 4,4; 9,25 f.  Ep. 581 (II, 81) (PG 78, 524, B9-D4).  Ep. 1535 (V, 241) (SC 454, 218, 1 f.). Vgl. ep. 813 (III, 13) (PG 78, 740, C3 – 741, B2).  Ep. 1570 (IV, 86) (SC 454, 264, 1 f.); vgl. ep. 633 (II, 133) (PG 78, 576, A8-B12; B1 f. gegen die „Manichäer, die das Alte Testament verhöhnen“, und zwar als „roh und unmenschlich“ (B11 f.)).  Vgl. ep. 1595 (IV, 209) (SC 454, 312, 11– 13).  Ep. 1570 (IV, 86) (SC 454, 266, 4 f.).  Ebd. (SC 454), 266, 5.  Vgl. ep. 633 (II, 133) (PG 78, 576, B2 f.), ep. 1570 (IV, 86) (SC 454, 266, 6 – 8) und ep. 1595 (IV, 209) (SC 454, 312, 13 – 15). Die Angst davor, bei einer Körperverletzung selbst Gleiches mit Gleichem vergolten zu bekommen, soll abschreckend wirken.

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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setz zu einer sich fortsetzenden Spirale der Gewalt geführt habe, sei das Missbrauch durch Menschen gewesen, der erst das Neue Gesetz Christi notwendig gemacht habe.²¹⁴ Auch eine scheinbare moralische Anstößigkeit wie die Polygamie der Patriarchen Abraham und Jakob ist für Isidor kein Anlass zur übertragenden Auslegung. In dem langen Brief 774 sieht er sich offenbar mit Personen konfrontiert, die Bordellbesuche mit dem Hinweis auf die Polygamie der Patriarchen zu rechtfertigen versuchen. Jedenfalls argumentiert er ausführlich und mit deutlichen Worten gegen ein solches Unterfangen.²¹⁵ Dabei bestreitet er mit keinem Wort, dass alles im Buch Genesis über Abraham und Jakob und ihre Frauen Berichtete physisch wirklich geschehen ist.²¹⁶ Gal 4,24, immerhin die Kronstelle für eine Rückführung der „Allegorese“ schon auf die Schrift selbst, der einzige Ort, an dem der Wortstamm ἀλληγορ- in der Bibel vorkommt, wo Paulus die Geschichte von Abraham, Sara und Hagar im übertragenen Sinn deutet, führt er zwar ins Feld, aber nur mit einem kurzen Satz.²¹⁷ Die Hauptlast der Argumentation bleibt ganz auf der Ebene des Alten Testaments: Grund dafür, dass Abraham und Jakob mehrere Frauen hatten, war nicht Wollust, sondern Notwendigkeit. Abraham ging zu Hagar auf Veranlassung Saras und zum Zweck der Kinderzeugung²¹⁸, Kettura hatte er nach Saras und Hagars Tod zur Frau. Jakob wurde von Laban getäuscht, verstieß aber Lea trotzdem nicht, sondern diente auch noch um Rahel. Polygamie sei damals üblich und durch alten Brauch erlaubt gewesen. Den Verkehr mit den Mägden habe auch Jakob um seiner Frauen und um der Kinderzeugung willen

 Ebd. (SC 454) 312, 20 – 29.  Ep. 774 (II, 274) (PG 78, 705, C8-D2).  Freilich hat selbst Origenes Abrahams Polygamie nicht zu den Stellen gezählt, die nicht wörtlich zu verstehen seien, s. Or. hom. 11 in Num. 1 (GCS 30, 78, 1 f.), sondern zu denen, „die auch dem Buchstaben nach Bestand haben können, und bei denen dennoch auch unbedingt ein allegorischer Sinn gesucht werden muss“ (ebd. 77, 15 – 17, vgl. ebd. 78, 9 – 11. Origenes teilt in der elften Numerihomilie die alttestamentlichen Gebote in drei Kategorien ein: solche, die im Neuen Bund nur mehr geistlich zu verstehen sind; solche, die weiterhin wörtlich eingehalten werden müssen, und solche, die wörtlich zu nehmen sind, aber auch einen allegorischen Sinn haben (ebd. 78, 6 – 11 = SC 442, 22, 125 – 131)). Joh 8,39 nimmt er zum Anlass für die Feststellung, man müsse „die ganze Abrahamgeschichte allegorisch verstehen und jede einzelne Tat, die von ihm getan wurde, auf der geistlichen Ebene tun“ („δεῖ πᾶσαν τὴν κατὰ τὸν ᾿Aβραὰμ ἀλληγοροῦντα ἱστορίαν ἕκαστον πνευματικῶς ποιῆσαι τῶν πεπραγμένων ὑπ᾿ αὐτοῦ“: Or. Jo. XX, 67 (SC 290, 190, 18 – 20 entspr. GCS 10, 337, 30 – 32)), weil Abrahams Polygamie zeige, dass nicht alle „Werke Abrahams“ auf der wörtlichen Ebene nachgeahmt werden dürfen.  Ep. 774 (II, 274) (PG 78, 705, C6 – 8).  So argumentiert auch Theodoret (Thdt. qu. 68 in Gen. (64, 5 – 17 Fernández Marcos / SáenzBadillos)). Die Quaestiones Theodorets sind allerdings nach Guinot 1995, 63, nach 451, das würde bedeuten, sehr wahrscheinlich nach Isidors Tod, zu datieren.

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gehabt und um Streit aus dem Haus zu verbannen. Dies alles seien zwar ἐλαττώματα (etwa: „schwache Seiten“)²¹⁹ Abrahams und Jakobs, aber keine Ausrede für Unzüchtige und Ehebrecher, zumal Abraham und Jakob sich sonst hervorragend durch Tugend ausgezeichnet hätten (dazu liefert Isidor am Ende des Briefes etliche Beispiele aus Abrahams Leben in Form rhetorischer Fragen); außerdem habe das alles vor der Gabe des Gesetzes und lange vor der Gabe der Gnade in Jesus Christus stattgefunden, die in der Zeit nach Christus zu einem anderen Leben befähige, aber auch verpflichte. In ep. 774 geht es somit zwar nicht darum, eine übertragende Auslegung als illegitim zu verwerfen, da die von Isidor angegriffene Position nicht auf Allegorese beruht, sondern sich gerade auf die erzählte Geschichte beruft. Aber auch Isidor bleibt auf dieser Ebene und zeigt seinerseits ausführlich, wie unvergleichbar die Rahmenbedingungen seiner Zeit mit denen in der Zeit der Patriarchen seien und dass es unzulässig sei, ein damals und unter anderen Umständen entschuldbares Verhalten²²⁰ einfach auf die Gegenwart und ihre Lebenskontexte zu übertragen.

3.3.2.2 Versuche übertragender Auslegung bei scheinbar unerfüllbaren Forderungen im Neuen Testament In zahlreichen Briefen nimmt Isidor auf die Antithesen der Bergpredigt Bezug. Für ihn ist in der Regel klar, dass die Forderungen Jesu darin ohne Abstriche wörtlich zu nehmen und umzusetzen sind. Das gilt für das Verbot des „neugierigen Blicks“ (περίεργος θέα, ἀκόλαστος ὄψις u. ä.) aus Mt 5,27 f., das er am häufigsten anführt oder darauf anspielt und es zum Teil detailliert unter verschiedener Hinsicht bespricht.²²¹ Ebenso gilt es aber auch für das Verbot des Zürnens (Mt 5,22) als Wurzel der physischen Gewalt²²², das Eidverbot (Mt 5,34– 37)²²³, das Gebot, die andere Wange hinzuhalten (Mt 5,39)²²⁴ und das Gebot der Feindesliebe

 Ep. 774 (II, 274) (PG 78, 705, C14 und 708, A11-B5).  S. ep. 774 (II, 274) (PG 78, 704, C1: „Διὸ καὶ συνεγνώσθησαν“).  S. epp. 234 (I, 234); 562 (II, 62); 607 (II, 107); 778 (II, 278); 789 (II, 289); 811 (III, 11); 812 (III, 12); 853 (III, 53) (am Ende); 866 (III, 66); 956 (III, 156); 999 (III, 199); 1054 (III, 254); 1087 (III, 287); 1233 (V, 17); 1250 (IV, 109); 1273 (V, 46); 1312 (V, 65); 1408 (V, 139); 1454 (V, 173); 1619 (V, 291); 1792 (V, 412). Es dürfte sich bei Mt 5,27 f. um die Bibelstelle handeln, die Isidor am häufigsten zitiert.  S. ep. 853 (III, 53) (PG 78, 768, A9 f.). Vgl. epp. 956 (III, 156) (PG 78, 852, B4 f.); 1054 (III, 254) (PG 78, 933, A9 – 11); 1464 (V, 180) (SC 454, 105).  S. ep. 155 (I, 155) (PG 78, 285, D – 288, A).  Laut ep. 1759 (IV, 175) handelt es sich um einen „Sieg, der in der scheinbaren Niederlage liegt“ (νίκη ἐν τῇ δοκούσῃ ἥττῃ κειμένη – SC 586, 100, 12 f.), wenn man sich an dieses Gebot hält. S. auch epp. 98 (I, 98); 506 (II, 6); 926 (III, 126); 1595 (IV, 209) (SC 454, 312, 10 f.)

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(Mt 5,44– 47)²²⁵. In Mt 5,20 sieht er diese Gebote konzentriert; der Herr wolle, „dass diese ganz befolgt werden; denn sie gehören zu den notwendigen Dingen“²²⁶, was sich am Hauptsatz von Mt 5,20 zeige („[…] dann werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“). Einzig zwei Stellen aus dem Kontext der Antithesen werden in je einem kurzen Brief übertragend ausgelegt (ohne exegesetheoretische Reflexionen): Mt 5,25 (Frieden mit dem Gegner schließen) auf das Verhältnis von Körper und wachsamem Geist²²⁷ und Mt 5,29 (das Auge und die Glieder, die zum Bösen verführen, amputieren) auf die Distanzierung von nahestehenden Personen, die Anstoß zur Sünde geben.²²⁸ In ep. 1768²²⁹ lehnt Isidor eine übertragende Auslegung radikaler Forderungen Jesu ganz ausdrücklich ab. Offen bekennt er, dass er selbst zur vollen Einhaltung des Gebοts der Feindesliebe noch nicht fähig sei (es gelinge ihm zwar, Unrecht zu ertragen, aber es gelinge ihm nicht oder noch nicht, dass er denen, die ihm absichtlich und willentlich Böses tun, dankbar sein könne dafür, dass sie ihn in der „Philosophie“²³⁰ weiter bringen, und dass er von Herzen für sie beten könne); eine solche Erkenntnis dürfe aber für niemanden Anlass sein, eine Tugend für unerreichbar oder ein Gebot für unerfüllbar zu erklären und sich in „tiefere Betrachtungen“ zu flüchten (εἰς θεωρίας καταφεύγειν); Mt 10,10, die radikale Anweisung Jesu bei der Aussendung der Jünger, kein zweites Gewand mitzunehmen, sei dafür ein Beispiel: Denn ich möchte nicht, dass es mir geht wie den Vielen, die, wenn sie an eine bestimmte beste Form des Verhaltens nicht herankommen können (ὅταν τινὸς μὴ δυνηθῶσιν ἐπιλαβέσθαι ἀρετῆς), etwas ganz Unpassendes tun: Entweder glauben sie denen, die das Ziel

 S. ep. 853 (III, 53) (PG 78, 768, A1 f.). In ep. 1406 (V, 137) wird die Feindesliebe denen zugeordnet, die nicht nur „dem göttlichen Gesetz gehorchen“ (nämlich denen Gutes zu tun, die in Not sind), sondern „ein Leben führen, das dem Himmel angemessen ist“ (οὐρανῷ πρέπουσαν πολιτείαν πολιτευόμενοι); sie „übersteigt die Vernunft“ (ist λόγου κρεῖττον) (SC 422, 488, 5 und 9 f.). Vgl. auch ep. 759 (II, 259) (PG 78, 693, A4– 9).  Ep. 1699 (IV, 204) (SC 454, 466, 22 f.): „᾿Aλλὰ πάντως αὐτὰ ἀνυσθῆναι βούλεται· καὶ γὰρ τῶν ἀναγκαίων ἐστί“. In ep. 1699 (IV, 204) (SC 454, 464, 12 – 466, 17) führt er das Zornverbot, die Thematik des neugierigen Blicks, das Eidverbot, die Feindesliebe ausdrücklich an. Sie seien, anders als etwa Jungfräulichkeit und freiwillige Armut, vom Herrn nicht empfohlen, sondern angeordnet, ihre Nichtbefolgung ziehe die ewige Strafe nach sich (a. a.O. 466, 18 – 22).  Ep. 80 (I, 80) (PG 78, 237).  Ep. 83 (I, 83) (PG 78, 240).  Ep. 1768 (V, 398) (SC 586, 110 – 112).  Im Kontext des Christentums ist „wahre φιλοσοφία“ für Isidor nach seiner eigenen Definition „diejenige, die nichts von dem außer Acht lässt, was zum orthodoxen Glauben und zur moralisch guten Lebensführung gehört“ (ἡ μηδὲν τῶν ἡκόντων εἰς εὐσέβειαν καὶ ἀρετὴν παρορῶσα) (ep. 1979 (V, 558) (SC 586, 366; zum Begriffspaar εὐσέβεια und ἀρετή s. oben S. 44 f.).

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erreicht haben, nicht, weil sie von ihren Handlungen auch auf die anderen schließen […]; oder sie scheuen sich davor, dass sie der inneren Schwäche überführt werden, und prahlen, so als ob sie es [auch] erreicht hätten […]; oder sie flüchten sich in tiefere Betrachtungen (εἰς θεωρίας καταφεύγουσι) und laufen vor der Sache davon (τὸ πρᾶγμα ἀποδιδράσκοντες), damit es so aussieht, als hätten sie es nicht aus Leichtsinn, sondern aufgrund eines gesunden Urteils nicht erreicht. Ich weiß selbst, dass es manchen so geht, die [das folgende Gebot] nicht umsetzen können: „und keine zwei Gewänder“²³¹. Man dürfte hier nämlich nicht sagen, dass man das nach einem tieferen Sinn verstehen muss (ὅτι θεωρηθῆναι χρή), sondern man müsste die bewundern, die es umsetzen, und eingestehen, dass man diesen Siegespreis nicht gewonnen hat. Ich jedenfalls lobe diejenigen überall aufs Höchste, die erreicht haben, was ich bisher nicht erreichen konnte.²³²

3.3.2.3 Übertragende Auslegung mit Veränderung der biblischen Aussage durch schriftfremde Lehren So sehr Isidor die übertragende Auslegung nicht grundsätzlich verurteilt und auch selbst praktiziert, wenn der jeweilige Korrespondent dafür aufnahmebereit ist, so aufmerksam ist er doch auch für Grenzen und Gefahren solcher Deutungen. Häufig kritisiert er einen „gewaltsamen“ Umgang mit der Heiligen Schrift, durch den die Schrift „nach der eigenen Meinung“²³³ uminterpretiert oder mit „kraftlosen Meinungen“²³⁴ vermischt werde. Ausdrücke, die er dafür verwendet, können (ἐκ)βιάζεσθαι²³⁵ („gewaltsam [den Sinn] verändern“²³⁶), παραποιεῖν

 Mt 10,10.  Ep. 1768 (V, 398) (SC 586, 110, 22 – 112, 36).  „Πρὸς τὸ οἰκεῖον βούλημα“ (ep. 754 (II, 254) und ep. 1092 (III, 292), s. die folgenden Fußnoten).  Ἐξίτηλα δόγματα, vgl. ep. 925 (PG 78, 828, A1 f.).  So in in den im Anschluss angeführten Briefen 754 und 1092. Ep. 563 (II, 63) (PG 78, 508, A14 f. und B9 f.), ep. 695 (II, 195) (PG 78, 641, B10), ep. 1139 (III, 339) (PG 78, 1000, B1) und ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 280, 30 und 35) verwenden ἐκβιάζεσθαι für ein unangemessenes Beziehen alttestamentlicher Stellen auf Christus. In ep. 563 (a. a.O. B1) und ep. 695 (a. a.O. C2 f.) folgt dabei auch eine Verwendung von παραποιεῖν bzw. παραποίησις im gleichen Zusammenhang (s. zur Thematik unten Abschnitt 3.3.4). In dem kurzen Brief 1621 (V, 293) (SC 454, 350 – 352) erscheinen „πρὸς ὅπερ ἄν τις θέλῃ“ παρακρούεσθαι, ἕλκειν und βιάζεσθαι, „κακούργως“ παραποιεῖν und παρερμηνεύειν als verwerfliche, aber zum Scheitern verurteilte Exegesepraktiken, ohne dass die Begriffe näher voneinander abgegrenzt werden. Ähnlich formuliert ep. 1640 (V, 308) (SC 454, 380 – 382). In ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 154, 3 f., vgl. oben S. 71 f.) erscheint einmalig in exegetischem Zusammenhang μετακομίζειν, und zwar für übertragende Auslegung, die Isidors Briefpartner überhaupt ablehnt und generell für Täuschung und willkürliche Interpretation auf das hin hält, was der Interpret im Sinn hat.

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(„verändern“) und παρερμηνεύειν²³⁷ („falsch auslegen, gegen den Sinn interpretieren“) sein. In einigen Briefen mit diesen Begriffen spricht Isidor sehr allgemein von den Pflichten des Exegeten, der „den Schriften folgen“²³⁸ soll, „nicht ihnen vorausgehen, und ihren Sinn nicht mit Gewalt dorthin verbiegen“ soll, „wohin er selbst will“²³⁹, in anderen schlägt die sicher bis auf Irenäus von Lyon zurückgehende Tradition²⁴⁰ durch, von Häretikern praktizierte übertragende Auslegung

 Vgl. PGL s. v. 2. e. Schon Irenäus von Lyon verwendet das Wort so (Iren. haer. I,3,6 (SC 264, 60, 341 f.)), ebenso Clemens von Alexandria: Clem. str. VII, 96, 5 (GCS 172, 68, 23 f.), übersetzt bei Fiedrowicz 1998, 41, mit Anmerkungen und weiteren Stellen.  Dem Verdikt, dass es sich um ein παρερμηνεύειν und / oder παραποιεῖν handle, verfallen allerdings in der Mehrzahl der Fälle nicht übertragende, sondern einfach aus unterschiedlichen Gründen von Isidor vehement abgelehnte Auslegungen. S. ep. 643 (II, 143) (PG 78, 588, B9 – 11) gegen Leute, die das Dreimal-Heilig von Jes 6,3 nicht auf die Dreifaltigkeit Gottes beziehen wollen; ep. 976 (III, 176) (PG 78, 868, C3: κακούργως παρερμηνεύειν) auf solche, die γυνή in 1Kor 9,5 und evtl. auch Gal 4,4 nicht im Sinn von „Jungfrau“ verstehen wollen. In ep. 1749 (IV, 118) (SC 586, 86) greift Isidor einfach eine textnahe Auslegung von Mt 10,42, die er für falsch hält, als ein παρερμηνεύειν an und setzt eine andere ebenfalls nicht über gewöhnliche Referenzen hinausgehende dagegen. Vgl. auch noch ep. 811 (III, 11) (PG 78, 736, C3) zu Mt 5,28; ep. 1016 (III, 216) (PG 78, 896, A1– 3) zu 1Tim 3,1 und ep. 1060 (III, 260) (PG 78, 940, C15-D2) über die unmoralischen Folgerungen, die Pelusiums Skandalpriester Zosimos aus der Heiligen Schrift zieht. Ähnlich erscheint in ep. 1595 (IV, 209) (SC 454, 312, 25 f.) ἐκβιάζεσθαι τοῦ Νόμου τὸ σοφόν für eine Verwendung des alttestamentlichen Talionsgesetzes als Rechtfertigung für eine Gewaltspirale. In ep. 819 (III, 19) (PG 78, 745, B5) ist παρερμηνεύειν und παραποιεῖν sogar die Auslegung des Alten Testaments durch die Juden, die die Prophetien gerade nicht auf Christus übertragen wollen.  Vgl. Chrys. Is. interp. V, 3 (SC 304, 222, 45 – 224, 49, übersetzt bei Fiedrowicz 1998, 103) gegen „allegorische Auslegung“, die nicht von der Schrift selbst vorgegeben ist (also inhaltlich gegenüber der Allegorese viel restriktiver als Isidor, aber mit ähnlicher Sprache wie Isidor): „δεῖ αὐτῇ τῇ διανοίᾳ τῆς Γραφῆς ἑπομένους, οὕτω τῷ τῆς ἀλληγορίας κεχρῆσθαι τρόπῳ“ – „man muss der eigenen Aussageabsicht der Schrift folgen und so mit dem Stilmittel der Allegorie umgehen“.  Ep. 1092 (III, 292) (PG 78, 965, D1– 8). Oben ist zitiert D4– 6: „ἀκολουθεῖν τε αὐταῖς [scil. ταῖς ἱεραῖς Γραφαῖς] καὶ μὴ ἡγεῖσθαι μηδὲ πρὸς τὸ οἰκεῖον βούλημα τὸν ἐκείνων νοῦν ἐκβιάζεσθαι“. In D7 f. sagt Isidor dann noch, dass ein gewagtes παραποιεῖν und παρερμηνεύειν der Schriften größte Gefahr für das Seelenheil des Exegeten bedeute. Ex negativo spricht ep. 1640 (V, 308) (SC 454, 380 – 382) von den Verfälschern der Schriften, die diese Pflichten nicht erfüllen: „οἱ τοὺς θείους ἢ παραποιῆσαι ἢ παρερμηνεῦσαι χρησμοὺς τολμήσαντες“, auch παρακρούεσθαι, ἑλκύειν und βιάζεσθαι werden als ihre Tätigkeiten genannt.  Zur Polemik des Irenäus gegen die gnostische Allegorese, die im Wesentlichen schon dieselben Züge trägt wie die Polemik Isidors, vgl. Simonetti 1985, 42 oder Young 1997 (1), 19 f. und 291 f.Vgl. auch Clem. str.VII, 96, 2 (GCS 172, 68, 7– 13): „οἱ τὰς αἱρέσεις μετιόντες“ – „die Anhänger der Häresien“ verwenden die Schriften selektiv, achten nicht auf ihren „Leib“ („σῶμα“) und ihr „Gewebe“ („ὕφος“) (Fiedrowicz 1998, 39 übersetzt mit „Gesamtheit“ und „Zusammenhang“) und stellen die wahre Lehre auf den Kopf (Clem. str. a. a.O. 4 (68, 17 f.)). Freilich kritisiert Clemens hier nach Fiedrowicz fehlende, nicht übermäßige Allegorese als Methode der Häretiker (Fiedrowicz

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

abzuwehren. So beginnt ep. 754 allgemein mit den bereits genannten Formulierungen (παραποιεῖν und ἐκβιάζεσθαι πρὸς τὸ οἰκεῖον βούλημα sind hier die Begriffe für illegitime Exegese²⁴¹), endet aber dann mit deutlichem Bezug darauf, was unter dem οἰκεῖον βούλημα zu verstehen ist: „[…] und sie werden dem stillen und sanften Auge [Gottes] nicht entgehen, gegen das sie, von ihrer Schlechtigkeit in die Raserei getrieben, das ihm Entgegengesetzte als Glaubenslehren zu verkünden gewagt haben“²⁴². Ep. 925 spricht im Rahmen einer allegorischen Auslegung von Jes 1,22²⁴³ von Leuten, die „die göttlichen Schriften falsch interpretieren“ (παρερμηνεύειν), nämlich unter die Aussageabsicht (τὸ βούλημα) bzw. die „authentischen Gehalte der [als ein großes Ganzes gesehenen] Heiligen Schrift“ („εἰλικρινεῖς τῆς ἱερᾶς Γραφῆς ἐννοίας“) „das billige und kraftlose Wasser ihrer eigenen Meinungen mischen“ („τῷ φαύλῳ καὶ ἐξιτήλῳ τῶν οἰκείων δογμάτων παρακιρνῶντες ὕδατι“) und so „die Lehre verfälschen“ („νοθεύουσι τὴν διδασκαλίαν“).²⁴⁴ In ep. 169²⁴⁵ bringt Isidor zunächst einen Häretikerkatalog und spielt dann im selben Sinn auf dieselbe Jesajastelle an. Freilich bedeutet „der Schrift zu folgen“ hier nicht etwa historisch-kritische Exegese als Schutz vor verfälschender Interpretation. Maßstab für die Gültigkeit einer Auslegung ist für Isidor wie für viele andere antike Ausleger die moralischdogmatische „Essenz“ des als eine große Einheit gesehenen Schriftkanons.²⁴⁶ „In a. a.O. 39, Anm. 5).Vgl. Origenes’ Umgang mit den Strömungen, die das Alte Testament wegen der im Wortsinn anstößigen Stellen angriffen (s. Hanson 2002, 139 f.).  Ep. 754 (II, 254) (PG 78, 689, C10 f.).  „[…], oὗ τἀναντία ἐκβακχευθέντες ὑπὸ τῆς κακίας δογματίσαι ἐτόλμησαν“ – ep. 754 (II, 254) (PG 78, 689, D4 – 692, A2).  Vgl. unten S. 98 f.  Ep. 925 (III, 125) (PG 78, 825, C9-D1; D4 f.; 825, D14 – 828, A1; 828, A2 f.).  Ep. 169 (I, 169) (PG 78, 293, B7-C3).  Vgl. bei Isidor ep. 653 (II, 153) (PG 78, 608, C6 – 609, A2, „νοῦς“ in 608, C11); ep. 1092 (III, 292) (PG 78, 965, D); auch ep. 930 (III, 130), zitiert unten Anm. 300. F. Young spricht vom „perceived ‚mind‘ of the scriptural canon“ (Young 1997 (1), 296, vgl. auch ebd. 36).Vgl. die Ausführungen von Tigcheler 1977, 165 f., der für Didymus den Blinden ganz Ähnliches feststellt und zusätzlich Lubac 1950, 314 f. über das Verständnis der Einheit der Schrift als exegeseleitendes Prinzip bei Origenes zitiert: „On fait alors supporter par un texte le sens qu’un autre texte de la même Écriture a fourni. L’Esprit prête à l’Esprit. Tout provient du même trésor“ (a. a.O. 315). So sieht Origenes die Orthodoxie seiner Auslegungen gesichert. Vgl. auch Simonetti 1985, 83 über Origenes: „[L]a sua concezione della Scrittura come totalità lo porta ad interpretare tutta la Scrittura con tutta la Scrittura, nel senso che le varie parti del tutto s’illuminano fra loro a vicenda“. Allerdings hat schon Hanson – gerade in Abgrenzung zu de Lubac – hierzu bemerkt: „Origen’s intentions in allegorizing may have been orthodox, admirable and quite acceptable to modern scholarship [was Hanson im Folgenden außerdem in Frage stellt, weil er zu viele unbiblische philosophische Eintragungen und zu viel Geschichtsvergessenheit in Origenes’ Allegorese

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den vormodernen Auslegungen stand die Bedeutung gleichsam über dem Text oder legte sich über ihn.“²⁴⁷ Sowohl in der textnahen Auslegung als auch bei sinnübertragend-assoziativen Exegeseformen sind Querbezüge zwischen verschiedenen Schriftstellen für Isidor zentral.²⁴⁸ „Der Schrift / den Schriften folgen“ kann aber auch bedeuten: „in die Tat umsetzen, was die Schrift sagt“²⁴⁹. Hier zeigt sich wieder – unter einem anderen Aspekt – die für Isidor enge Verbindung von Exegese, Dogma und Lebensführung.

am Werk sieht]. But to defend his intentions is not the same thing as to defend his methods in allegory“. Dass alle Bibelstellen einen dogmatischen geistlichen Sinn haben müssten und dass viele Stellen nicht wörtlich verstanden werden dürften, das seien von Origenes vorgebrachte „suggestions which it is exegetical suicide to entertain“ (beide Zitate Hanson 2002, 257 f.). Hansons Vorwürfe gegen Origenes treffen allerdings Isidor von Pelusium nicht in vollem Umfang.Weder finden sich bei ihm nennenswerte philosophische Eintragungen eines bibelfernen Weltbilds in die Exegese noch die massenhafte Feststellung, dass Gesetzesvorschriften oder gewisse Elemente erzählender Texte nicht „wörtlich“ zu nehmen seien. An gewissen Stellen wird solche „Wörtlichkeit“ von Isidor gerade verteidigt. Freilich versucht Isidor wie alle antiken Exegeten, in für uns anachronistischer Weise das kirchliche Dogma seiner Zeit auch durch übertragende Auslegung schon in der Schrift zu finden (Hanson a. a.O. 257 über Origenes: „[his] arbitrary fancy as to what doctrine any given text ought to contain“ oder Young 1997 (2), 120 auch zur „antiochenischen“ Exegese: „Antiochene exegesis is full of ‚dogma‘ deduced from texts“) bzw. ist – um vielleicht eher aus der antiken Sicht zu sprechen – davon überzeugt, dass es darin schon enthalten ist und den entscheidenden Schlüssel für die Interpretation der Heiligen Schrift bereitstellt (vgl. Young 1997 (1), 18; 43; 296). An diesen Stellen unterscheidet sich Isidors Allegorese von einer Allegorese, die man hinter dem von ihm angegriffenen „gewaltsamen Verändern“ des Sinns der Schrift vermuten kann, nicht in der Methode, sondern in den dogmatischen Voraussetzungen. Vgl. das, was Simonetti 1985, 42 schon über Irenäus von Lyon sagt: „deve insistere sul modo scorretto con cui gli gnostici facevano uso del modulo interpretativo da lui stesso applicato con sistematicità“. Vgl. ganz ähnlich auch Young 1997 (1), 292: „What distinguishes Irenaeus and the Gnostics is not so much allegory in itself, as the task to which allegory is put. Irenaeus recognised a coherent overarching narrative within which the signs and symbols made sense […]. This debate has its counterpart in the Antiochene reaction to Origen“. Vgl. Young 1993, 115 f.  Roth 2010, 268.  Vgl. zum angenommenen „Gesamtsinn“ (νοῦς) der Schrift, der die Grundlage für die Arbeit mit Querverweisen ist, schon Clem. str. VII, 96, 4 (GCS 17², 68, 20 f.). Vgl. auch die Darstellung der trinitätstheologischen Exegese des Athanasius bei Young 1997 (1), 30 – 36, die Querverweise als wichtiges Interpretationsmittel einschloss („the long-established principle of interpreting Homer by Homer or Bible by Bible“ (a. a.O. 32)). So ergibt sich ein komplexer Deduktionsvorgang: „It is complex because one element is the assembly of data from the scriptural material, and the other is a set of theological assumptions which are themselves sometimes justified by scriptural passages even though their import cannot have originally conveyed what they were taken to indicate“ (a. a.O. 35).  So z. B. in ep. 1399 (V, 131) (SC 422, 476, 37).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

Was bei einer Auslegung für Isidor „keinen Schaden nehmen“ darf, sind ἀρετή und εὐσέβεια – Moral und rechte Gottesverehrung im orthodoxen Glauben.²⁵⁰ Sie finden sich an prominenter Stelle in ep. 952²⁵¹ – Isidor lehnt eine bestimmte (allerdings nicht übertragende) Auslegung von Num 12 nicht ab, weil sie „weder die ἀρετή noch die εὐσέβεια irgendwie beschädigt“, setzt aber dennoch eine eigene (ebenfalls nicht bedeutungsübertragende) Alternative, die er für besser hält, dagegen. Auch am Beginn von ep. 1057 argumentiert Isidor ähnlich: Er akzeptiert auch Deutungen für Dan 9,26b²⁵² („und die Stadt und das Heilige wird er vernichten zusammen mit dem kommenden Anführer“), die von seiner eigenen, im Folgenden mit Querbezügen aus anderen Teilen der Schrift ausgeführten Deutung abweichen und in dem „kommenden Anführer“ nicht bereits Christus prophezeit sehen wollen, „solange die Wahrheit keinen Schaden nimmt“ („τῆς ἀληθείας μηδὲν παραβλαπτομένης“²⁵³). Aussagen darüber, ob und inwieweit der „historisch“-materielle Sinn, der Zusammenhang einer Erzählung im Einzelnen und die äußere Kohärenz bei einer übertragenden Auslegung erhalten bleiben müssen, wenn sie legitim sein soll, finden sich bei Isidor allerdings nicht. Das unterscheidet ihn sowohl von einem klassischen „Antiochener“ wie Diodor von Tarsus, der dabei auch gleich den Begriff ἀλληγορία ablehnt²⁵⁴, als auch von dem als Hieronymustext überlieferten

 Zu den Bedeutungen dieser bei Isidor häufig gemeinsam auftauchenden Begriffe s. oben S. 44 f.  Ep. 952 (III, 152) (PG 78, 844, B5 f.).  Isidor zitiert das Buch Daniel nach Theodotions Fassung.  Ep. 1057 (III, 257) (PG 78, 936, A3).  Vgl. z. B. Diodor, proem. Pss. (CCSG 6, 7, 127– 130.139 – 143): „Οὐδὲ γὰρ ἐναντιοῦται ἡ ἱστορία τῇ ὑψηλοτέρᾳ θεωρίᾳ, τοὐναντίον δὲ κρηπὶς εὑρίσκεται καὶ ὑποβάθρα τῶν ὑψηλοτέρων νοημάτων. […] ᾿Aλλ᾿ οἱ καινοτόμοι τῆς θείας γραφῆς καὶ οἰησίσοφοι, περὶ τὴν ἱστορίαν ἢ ἀτονήσαντες ἢ κακουργήσαντες, ἐπεισήνεγκαν τὴν ἀλληγορίαν, οὐ κατὰ τὸν νοῦν τὸν ἀποστολικόν, ἀλλὰ πρὸς τὴν αὐτῶν κενοδοξίαν ἕτερα ἀνθ᾿ ἑτέρων ποιοῦντες νοεῖν τοὺς ἀναγινώσκοντας […]“ („Denn die Materialität der Geschehnisse im Text und deren Erforschung [beides schließt der Begriff ἱστορία ein] stehen der höheren Einsicht nicht entgegen, sondern sie erweisen sich umgekehrt gerade als Fundament und Grundlage der höheren Gedanken. […] Aber die, die Neuerungen an der Schrift vornehmen und sich selbst dabei für weise halten, haben im Hinblick auf diese Materialität und ihre Erforschung nichts ausgerichtet oder sie sogar misshandelt und so die Allegorese eingeführt, und zwar nicht im Sinne des Apostels [Paulus], sondern indem sie zur Befriedigung ihres eigenen Ehrgeizes die Leser dazu bringen, anderes als das Gesagte zu verstehen“ [Übersetzung S.B.]). Diodor greift hier wie Isidor Leute an, die ihre „eigenen Gedanken“ der Schrift aufzwingen, gibt aber im Unterschied zu Isidor die Wahrung der ἱστορία als entscheidendes Moment an, um das zu vermeiden. Zur Frage, was unter ἱστορία hier zu verstehen ist und was das Hauptanliegen der „Antiochener“ war, vgl.Young 1997 (1), 79; 87 und besonders 179 – 181 (zu Diodor) und Young 1993,

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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Kommentar zu Jes 6,1– 7, der wahrscheinlich Theophilus von Alexandria zuzuschreiben und in die origenistischen Streitigkeiten um 400 einzuordnen ist.²⁵⁵

115 f. (116: „The story mattered, even if deeper significance lay in the features […] Their theōria like Origen’s allegory was intended to probe for deeper meanings, but without destroying the coherence of the text’s surface, whereas in their view Origen’s allegory led to piecemeal and disintegrative readings“). Der Vorwurf des ἀτονῆσαι περὶ τὴν ἱστορίαν („im Hinblick auf die Materialität der Geschehnisse im Text und ihre Erforschung nichts ausrichten“) gegen die Allegoristen klingt an Isidors ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, C3 – 5) an: „[…] οἶδα πολλοὺς μὲν νομίζοντας τοὺς τὰ τοιαῦτα λέγοντας ἀμαθίᾳ τοὺς ἀγῶνας ἐκλύειν“ („[…] ich weiß, dass viele der Meinung sind, die, die so etwas [scil. allegorische Deutungen] vorbringen, würden wegen ihrer Unbildung die Anstrengungen [der Auslegung] einstellen“). Dort referiert Isidor einen allegoresekritischen Vorwurf, den er nicht teilt, obwohl er aufgrund dieser verbreiteten Stimmung und der Disposition des Briefempfängers im konkreten Fall auf „Allegorese“ verzichtet (s. oben S. 82 f.).  AMar III, 3, 104, 18 – 105, 13: „Cum haec ita disserat [Origenes], non tam pertinaces sumus, ut allegoriam, si pia sit, et de veritatis fonte ducatur, refutandum putemus; ita dumtaxat, si non sit contraria veritati, non pervertat historiam, si sensum scripturae sanctae sequatur, et non voluntatem perversi interpretis scripturarum praeferat auctoritati. Dicamus igitur et nos Origeni, qui allegoriae nubilo universa confundit: Non sic divinatio tua, non sic. […] Apertissimam enim historiam nequaquam negat [Paulus], et ea quae gesta sunt ad excelsiorem intellegentiam trahens sic erigit culmen, ut fundamenta non subtrahat. Si in hunc modum Origenes allegorias quaereret, et nos libenter haberemus; sed quia sic aedificat mendacium ut destruat veritatem, refutamus eius explanationem.“ („Während Origenes das [nämlich Jes 6,1a] so interpretiert [soeben wurde eine übertragende Deutung des Halbverses als Deutung des Origenes zitiert; zur Quelle vgl. Russell 2007, 200, Anm. 129 f.], sind wir auch nicht so starrsinnig, dass wir glauben, eine Allegorese, wenn sie fromm ist und aus der Quelle der Wahrheit hervorgeht, zurückweisen zu müssen; allerdings [gilt das] nur dann, wenn sie der Wahrheit nicht entgegengesetzt ist, die Erzählung von den Tatsachen [Russell 2007, 160 übersetzt „the factual record“, später „the factual narrative“] nicht verdreht, wenn sie dem Sinn der Heiligen Schrift folgt und nicht das, was ein verdorbener Ausleger will, der Autorität der Schriften vorzieht. Sagen also auch wir dem Origenes, der alles im Nebel der Allegorese durcheinanderbringt: Von dieser Art sind deine Eingebungen nicht, sicher nicht. […] Paulus dagegen leugnet in keiner Weise die völlig klare Erzählung von den Tatsachen, und indem er das, was geschehen ist, auf eine höhere Verständnisebene hebt, errichtet er so das Dach, ohne die Fundamente darunter wegzuziehen. Wenn Origenes auf diese Weise Allegorien gesucht hätte, hätten wir sie auch gerne akzeptiert; aber weil er die Lüge so aufbaut, dass er dadurch die Wahrheit zerstört, weisen wir seine Deutung zurück“ [Übersetzung S.B.]). Die Ausdrucksweise ähnelt hier manchen Stellen bei Isidor bis in die Wortwahl hinein („Frömmigkeit“ und „Wahrheit“ müssen gewahrt bleiben; man muss „[dem Sinn] der Schrift folgen“; der eigene „Wille“ des Auslegers darf nicht den Vorrang haben), aber das Kriterium, dass die „historia“ bei allegorischer Auslegung immer erhalten bleiben muss, findet sich bei Isidor an den einschlägigen Stellen nicht.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

3.3.3 Mögliche Kriterien für die legitime Wahl einer übertragenden Auslegung 3.3.3.1 Nutzen für den Leser Neben den bisher genannten Kriterien ex negativo für eine legitime übertragende Auslegung – es dürfen keine schriftfremden Lehren in die Schrift hineingelesen werden und die Gesamtessenz der als dynamische Einheit verstandenen Heiligen Schrift und damit die Gesamtintention ihres göttlichen Urhebers müssen beachtet werden, am besten auf dem Wege der Vernetzung von Schriftstellen und auf jeden Fall unter Wahrung von Moral und Orthodoxie – kennt Isidor den Nutzen für den Hörer bzw. Leser als positives Kriterium. Das zeigen die oben²⁵⁶ schon übersetzten Briefanfänge von epp. 581, 884 und 1489. Isidor erklärt dort, dass er wegen der Einstellungen seiner Korrespondenten auf „Allegorese“ verzichten wird, auch wenn diese bei den zur Debatte stehenden Stellen durchaus Nutzen brächte²⁵⁷ bzw. dass er „allegorisierende“ Exegeten nicht von vornherein verurteilen möchte, „wenn sie versprechen, etwas Kluges herausgefunden zu haben“²⁵⁸, oder „etwas sagen, was den Hörern Nutzen bringt“²⁵⁹. Zu denken ist sicher in erster Linie an den geistlichen Nutzen, der in der Lebenspraxis Früchte trägt; die hohe Anzahl an Bibelauslegungen Isidors, die in lehrhafte und paränetische Kommunikationszusammenhänge eingebunden sind, gibt Zeugnis davon. Umgekehrt wird in ep. 1275 der unmittelbare Bezug von Ex 12,11 („Esst das Pascha[lamm] hastig/eifrig!“) auf die notwendige Eile beim Auszug aus Ägypten von Isidor nicht verworfen, weil er „den Hörern keinen Schaden bringt“; aber Isidor fügt noch die übertragene Verständnisweise der „Eingeweihten“ (μύσται) in Bezug auf das Essen des „göttlichen und wahren Pascha“ an, für das nicht Schnelligkeit, sondern gute Lebensführung die Voraussetzung ist.²⁶⁰

3.3.3.2 Fehlende Konsistenz oder Kohärenz von Schriftaussagen Tatsächliche oder scheinbare Widersprüche zwischen Bibeltexten oder zwischen biblischen Aussagen und der allgemeinen Weltwahrnehmung waren schon für die antike Exegese ein wichtiges Thema. Widersprüche zwischen Aussagen desselben biblischen Buches oder aus verschiedenen biblischen Büchern stellten die Konsistenz der Bibel, die als große geistige Einheit verstanden wurde, in Frage. Bei Widersprüchen zu Alltagsphänomenen oder zum gesunden Menschenver    

S. 82 f. Ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, C1 f.). Ep. 1489 (IV, 117) (SC 454, 154, 5 f.). Ep. 581 (II, 81) (PG 78, 521, C5 f.). Ep. 1275 (IV, 162) (SC 422, 276 – 278, die Zitate Z. 5 und 15).

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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stand ging es um die Kohärenz von Bibel und Wirklichkeit. Der Vorwurf der Inkonsistenz bzw. Inkohärenz musste von der Bibel als der göttlich inspirierten Heiligen Schrift ferngehalten werden. Das konnte auf unterschiedliche Weise geschehen: Origenes sah in den scheinbaren Widersprüchen und Unmöglichkeiten die bewusste Heilsabsicht des Logos am Werk, der dadurch klar machen will, dass die gesamte Schrift zwar nicht an allen Stellen auf der textnahen Ebene verstanden werden kann, aber auf jeden Fall an allen Stellen geistig zu verstehen ist.²⁶¹ Denn nur durch das geistige Verständnis lernen wir das „Göttlichere“ (θειότερον).²⁶² Johannes Chrysostomus beschäftigte sich dagegen mit einer Vielzahl von Widersprüchen auf der Ebene der Erzählung: Alle „historischen“ sowie theologischen Widersprüche sind für ihn nur scheinbar; die „historischen“ versucht er auf der Textebene aufzulösen, oft etwa indem er bei widerstreitenden Erzählungen die Elemente beider Seiten für wirklich, aber in zeitlicher Aufeinanderfolge geschehen erklärt.²⁶³

 Or. princ. IV, 2,9 – 3,5 (726, 3 – 746, 15 Görgemanns/Karpp = GCS 22, 321, 3 – 331, 15; 746 / 331, 13 – 15 das oben genannte Fazit). C. Jacob hat die wichtige Tatsache unterstrichen, dass es Origenes hier „gar nicht um eine Rechtfertigung der anstößigen und unlogischen Bibelstellen mithilfe der allegorischen Interpretation geht“ (wie Pépin 1957, 397– 400 behauptet), „sondern um die Rechtfertigung dieser Methode der Schriftauslegung“ überhaupt und für alle Stellen der Schrift (Jacob 1992, 154). Origenes leugnet einen geschlossenen Zusammenhang der Schrift auf der Erzählebene („τὸ τῆς ἱστορίας ἀκόλουθον“ – Or. princ. IV, 2,9 (726, 4 Görgemanns/Karpp = GCS 22, 321, 4)), glaubt aber, „daß der Abfassung der heiligen Schriften ein großer Organismus geistiger Erkenntnisse (εἱρμός, ἀκολουθία [vgl. a. a.O. 726, 12.16]) […] vorgegeben ist“ (Görgemanns/Karpp 729, Anm. 36).  Or. princ. IV, 2,9 (726, 3 – 11 Görgemanns/Karpp = GCS 22, 321, 3 – 11).  S. Haidacher 1897, 56 – 68. Zum Beispiel habe, so Chrysostomus, der Hauptmann von Kafarnaum zunächst (wie in Lk 7,3 beschrieben) Kundschafter zu Jesus vorausgeschickt, dann sei er (wie in Mt 8,5 erzählt) selbst gekommen (vgl. Haidacher a. a.O. 57 f.), oder die mit Jesus gekreuzigten Verbrecher hätten zuerst (wie in Mt 27,44 berichtet) beide Jesus beschimpft, danach erst habe der eine (wie in Lk 23,39 – 43 zu lesen) bereut (vgl. Haidacher ebd. 61). Zu Haidachers Art, Chrysostomus zu zitieren vgl. a. a.O. 6, Anm. 4. Origenes hingegen erklärt im Johanneskommentar einen derartigen Widerspruch (die chronologische Einordnung der Tempelreinigung bei Johannes im Unterschied zu den Synoptikern) für real und aus seiner Sicht nur durch Allegorese der johanneischen Erzählung auflösbar (Or. Jo. X, 130 (SC 157, 464, 23 – 27 entspr. GCS 10, 194, 19 – 23), vgl. Hanson 2002, 267). Hanson führt eine ganze Reihe von Beispielen aus dem Alten und Neuen Testament an, wo Origenes Konsistenz- und Kohärenzprobleme durch Verabschiedung einer textnahen Auslegung auf materielle Ereignisse aus dem Weg räumt (Hanson 2002, 265 – 269; die von Hanson viel verwendeten und im Sinn des 20. Jahrhunderts verstandenen Begriffe „historical events“ / „historical reality“ (vgl. Hanson 2002, 265: „a list of other things […] in whose historical reality Origen had ceased to believe“) sind allerdings für die Antike einigermaßen anachronistisch – vgl. dazu Trigg in Hanson 2002, xx/xxi).

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

Isidor macht anders als Origenes keine generellen Aussagen zum Sinn der Widersprüchlichkeiten der Schrift. An drei Stellen im Isidorkorpus nimmt er konkret scheinbare Widersprüche zum Anlass, um eine übertragende Auslegung zu legitimieren und eine wörtliche Auslegung für unpassend oder unmöglich zu erklären. Dem stehen auf der anderen Seite knapp dreißig Briefe gegenüber, in denen Isidor scheinbare Widersprüche meist theologischer Art auf der textnahen Ebene aufzulösen versucht.²⁶⁴ Die drei Stellen, an denen Isidor mögliche Widersprüchlichkeiten feststellt und sich dadurch zur übertragenden Auslegung veranlasst sieht, sind ep. 925, ep. 1499 und eine Stelle in ep. 1574. Ep. 925 beginnt mit einem allgemeinen Angriff auf häretische Bibelausleger, in dem Isidor schon einige Stichworte aus Jes 1,22b²⁶⁵ anklingen lässt, der Stelle, die er im Folgenden als biblische Folie für dieses häresiologische Phänomen seiner Gegenwart bringen wird (Wein, Wasser, mischen, „verramschen“, griechisch καπηλεύειν, von κάπηλος, das in Jes 1,22b vorkommt und einen kleinen Händler oder Gastwirt bezeichnet)²⁶⁶: Oft schon habe ich mich über die gewundert, die die göttlichen Schriften gegen ihren Sinn auslegen und eher das, was sie wollen, als die Intention, die in den Schriften liegt, herauszustellen versuchen. Denn unter die unvermischte, authentische Aussageabsicht der Schriften, die auch in der Lage ist, die Seele zu erfreuen, mischen sie das billige und kraftlose Wasser ihrer eigenen Meinungen und wagen es auf diese Weise, die göttlichen Dinge zu verramschen.²⁶⁷

 S. unten den Abschnitt 4.3.1.  Jes 1,22b: „οἱ κάπηλοί σου μίσγουσι τὸν οἶνον ὕδατι“.  Isidor ist nicht der einzige antike Autor, der Jes 1,22b mit gegnerischer Bibelauslegung in Verbindung bringt, seine Argumentation mit der gewöhnlichen Praxis der Weinpanscher zu Gunsten dieser übertragenden Auslegung habe ich aber bei keinem anderen Autor gefunden. Vgl. z. B. Eus. Is. 19 (GCS 57, 11, 10 – 13); (Ps.‐) Bas. Is. I,48 (PG 30, 209, A9-C1; dieser Basilius von Caesarea zugeschriebene Text lässt ausdrücklich die textnahe und die übertragene Bedeutung der Stelle bestehen, hebt bei der übertragenden Deutung weniger auf dogmatische Verfälschung als auf moralische „Verwässerung“ ab und enthält ebenfalls keine exegesetheoretische Begründung für die übertragende Auslegung); Ath. ep. Aeg. Lib. 17,3 (Ath. Werke I,1,1,57,16 – 18) (eine kurze Anspielung auf Jes 1,22b mit Bezug auf gegnerische Bibelauslegung, vgl. auch Ath. decr. 10,6 (S. 9, 31 Opitz, vgl. Young 1997 (1), 32)). Johannes Chrysostomus sagt an einer Stelle, man dürfe Jes 1,22b auch (!) übertragen verstehen (Chrys. hom. 5 in 2 Cor. 3 (PG 61, 431, 19 – 22)), im Jesajakommentar plädiert er ausdrücklich für die textnahe Referenz (Chrys. Is. interp. I, 7 (SC 304, 82, 57– 80)).  Ep. 925 (III, 125) (PG 78, 825, C9-D6): „Πολλάκις ἐθαύμασα τῶν τὰς θείας παρερμηνευόντων Γραφὰς καὶ τὸ οἰκεῖον μᾶλλον βούλημα ἢ τὸ ἐν αὐταῖς κείμενον παριστᾷν πειρωμένων. Τὸ γὰρ ἄκρατον αὐτῶν καὶ εἰλικρινὲς, καὶ εὐφρᾶναι ψυχὴν δυνάμενον (vgl. Ps 103, 15 LXX) βούλημα τῷ

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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Dann wird Jes 1,22b hier eingeordnet; es folgt eine Begründung, warum diese Zuordnung, die ja auf einer übertragenden Deutung von Jes 1,22b basiert, aus Isidors Sicht legitim ist. Echte Weinpanscher würden nämlich beim Mischen von Wein und Wasser den Wein ins Wasser gießen und nicht das Wasser in den Wein, wie es in Jes 1,22b heißt. Aufgrund dieser Inkohärenz des Bibeltextes mit der gewöhnlichen kriminellen Praxis hält Isidor den übertragenden Bezug des Bibelverses auf häretische Bibelauslegung in seiner Gegenwart für angebracht: Und das ist auch der Sinn des Satzes: „Deine Schankwirte mischen Wasser in den Wein“²⁶⁸. Denn manche meinen zwar, dies sei über die gesagt, die Wein im auf der Hand liegenden Sinn verfälscht verkaufen; auch das gehört sich ja nicht. Aber wenn die Wahrheit entscheidet, meine ich, dass es eher über die gesagt ist, die die göttlichen Worte verfälscht unter die Leute bringen. Denn es heißt ja nicht: „Deine Schankwirte mischen Wein ins Wasser“ (was die Ramschverkäufer gewöhnlich tun), sondern „Wasser in den Wein“. Denn unter die unvermischten und authentischen Gehalte der Heiligen Schrift mischen sie ihre kraftlosen Meinungen und verfälschen so die Lehre.²⁶⁹

In ep. 1499 deutet Isidor das Gebot: „Ἐπὶ ψυχῇ τετελευτηκυίᾳ οὐκ εἰσελεύσῃ“ (etwa: „Einem Toten [nach der LXX genauer: „einer toten Seele“] sollst du dich nicht nähern“²⁷⁰) im übertragenen Sinn: „Mit einer Seele, die gesündigt hat, sollst

φαύλῳ καὶ ἐξιτήλῳ τῶν οἰκείων δογμάτων παρακιρνῶντες ὕδατι, τὰ θεῖα καπηλεύειν (vgl. 2Kor 2,17) τολμῶσι.“  Zur Syntax vgl. Od. 11,123; 23,270: „ἅλεσσι μεμιγμένον εἶδαρ“ – „mit Salz[körnern] gemischte Speise“. An diesen Stellen aus der Odyssee wird klar, dass die Materie, die unter eine andere gemischt wird, im Dativ steht. Isidor bezieht dieselbe Bibelstelle in ep. 169 (I, 169) (PG 78, 293, C1– 3) in derselben Weise auf den Umgang der Häretiker mit der Bibel, allerdings ohne exegesetheoretische Ausführungen.  Ep. 925 (III, 125) (PG 78, 825, D6 – 828, A3): „Καὶ τοῦτό ἐστι τό· ‚Οἱ κάπηλοί σου μίσγουσι τὸν οἶνον ὕδατι‘. Εἰ γὰρ καὶ δοκεῖ τισι περὶ τῶν καπηλευόντων τὸν ἐκ τοῦ προχείρου νοούμενον οἶνον λελέχθαι (ἄτοπον γὰρ κἀκεῖνο), ἀλλά γε ἀληθείας δικαζούσης μᾶλλον περὶ τῶν καπηλευόντων τὰ θεῖα λόγια δοκεῖ μοι εἰρῆσθαι. Οὐ γὰρ ἐρρέθη· Οἱ κάπηλοί σου μίσγουσιν ὕδωρ οἴνῳ (ὅπερ ποιεῖν εἰώθασιν οἱ καπηλεύοντες), ἀλλὰ, ‚τὸν οἶνον ὕδατι‘. Τὰς γὰρ ἀκραιφνεῖς καὶ εἰλικρινεῖς τῆς ἱερᾶς Γραφῆς ἐννοίας τοῖς ἐξιτήλοις ἑαυτῶν παρακιρνῶντες δόγμασι, νοθεύουσι τὴν διδασκαλίαν.“  Der von Isidor angeführte Satz ist in dieser Form in der Bibel nicht zu finden. Am nächsten kommen ihm die Gebote über den Hohepriester Lev 21,11 und über die sogenannten Nasiräer Num 6,6 (an beiden Stellen heißt es vom Hohepriester bzw. Gelübdeträger: „ἐπὶ πάσῃ ψυχῇ τετελευτηκυίᾳ οὐκ εἰσελεύσεται“). Selbst an den nächsten Verwandten sollen diese Gruppen sich bei deren Tod nicht verunreinigen. Diesen Stellen gegenüber ist das Zitat bei Isidor in die 2. Person Singular umformuliert und von der konkreten Anwendung auf eine bestimmte Personengruppe abstrahiert. Weitere, aber schon deutlich anders formulierte Gebote über die Verunreinigung durch Berührung von Leichen finden sich in Num 19,11; Num 5,2; Num 9,6.10 und (für die Priester) in Lev 22,4 und Ez 44,25.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

du keine Gemeinschaft haben“ („ψυχῇ ἁμαρτησάσῃ μὴ κοινωνήσῃς“)²⁷¹. Das begründet er einerseits nach dem häufig bei ihm vorkommenden Verfahren²⁷² durch Verweis auf den Gebrauch von εἰσελθεῖν im Sinn von κοινωνεῖν an einer anderen Schriftstelle (Gen 16,2)²⁷³, andererseits durch die Tatsache, dass Mose selbst nach Ex 13,19 beim Auszug aus Ägypten die Gebeine Josefs mitgenommen habe. Es könne also hier gar nicht um tote Körper gehen; sonst würde Mose sich selbst widersprechen. Isidors Aussage, „dass ein toter Körper nicht unrein macht“²⁷⁴, widerspricht zwar dem unmittelbaren Sinn der alttestamentlichen Reinheitsgebote zum Thema diametral; seine übertragende Deutung und auch die „Verteidigung des Mose“²⁷⁵ fallen ihm aber dadurch leicht, dass die griechische Bibel das hebräische nepheš mit dem im klassischen und nachklassischen Griechisch dem σῶμα entgegengesetzen Begriff ψυχή wiedergibt²⁷⁶. Exegesetheoretisch gesehen, lässt Isidor hier den möglichen Widerspruch zwischen den Reinheitsgeboten und Moses eigener Praxis erst einmal gar nicht aufkommen, indem er von vornherein übertragend moralisch deutet und das auch mit einem sprachlichen Argument untermauert. Dann führt er die Praxis des Mose als Argument für seine Exegese ins Feld (mit einer kurzen Anspielung auf Hebr 10,1²⁷⁷), gibt schließlich aber doch kurz dem möglichen Widerspruch Raum, bevor er Mose, mit einer fiktiven Anklage konfrontiert, in direkter Rede sich selbst verteidigen und dafür Partei ergreifen lässt, die betreffenden Gebote nicht auf Körper zu beziehen. Mose stellt dabei noch drei Querverbindungen zu Stellen im Römerbrief und im Buch Ezechiel her, um die Begriffe „Tod“ und „Sünde“ zu verknüpfen und die Bedeutungsübertragung von „tot“ zu „sündhaft“ zu ermöglichen: [Mose spricht:] Ich breche es [scil. das Gesetz] nicht, […], sondern ich mache dadurch deutlich, dass man die Sache, die durch den Buchstaben erklärt wird [τὸ δηλούμενον διὰ τοῦ γράμματος πρᾶγμα], genau betrachten muss. Denn davon, dass einer, der die Tugend der Selbstbeherrschung geübt hat [nämlich Josef gegenüber der Frau des Potiphar], ein Toter

 Ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164, 2 f.).  Auslegung von Schriftstellen durch Querverweis auf andere Schriftstellen, s. unten den Abschnitt 4.2.2.  Ebd. (SC 454, 164, 3 – 6). In Gen 16,2 geht es um den Verkehr Abrahams mit Hagar, zu dem ihn Sara mit dem Imperativ „εἴσελθε“ auffordert. Κοινωνεῖν („Umgang haben“) kann im Griechischen den Geschlechtsverkehr meinen, was für den Zusammenhang von Gen 16,2 gilt (vgl. LSJ s. v. II.); für Isidors Deutung der Gebote über den Umgang mit Leichen ist es natürlich allgemeiner zu fassen.  Ebd. (SC 454, 164, 6).  Ebd. (SC 454, 166, 27): „[ἡ] Μωϋσέως ἀπολογί[α]“.  S. ebd. (SC 454, 166, 23 – 25). Vgl. aber auch etwa den Gebrauch von ψυχή in Röm 13,1.  Ebd. (SC 454, 164, 8).

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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sein soll, weiß ich nichts; dass der, der denen, die ihm Fallen gestellt hatten, Gutes tat [Josef gegenüber seinen Brüdern], gestorben sein soll, kann ich nicht erkennen; er „lebt für Gott“²⁷⁸, auch wenn er euch im Moment tot erscheint. Und euch ermahne ich, nicht nur die tote Sünde²⁷⁹ zu meiden, sondern auch mit den Sündern keine Gemeinschaft zu haben. Denn die naturbedingten Fehler²⁸⁰ sind außerhalb des Bereichs gelagert, in dem man Anschuldigungen machen kann, aber die Sünden aus freier Entscheidung verdienen Anklage und Bestrafung. Und auch wenn ihr meine Wortwahl prüft, werdet ihr das sehen. Denn ich habe nicht gesagt: „Zu einem toten Menschen“ oder „toten Körper [sollst du nicht hingehen]“, sondern „zu einer [toten] Seele“. Denn „eine Seele, die sündigt, wird sterben“²⁸¹.²⁸²

Schließlich enthält eine kleine Bemerkung gegen Ende von Brief 1574 denselben Gedanken, der auch in den Briefen 925 und 1499 begegnet: nämlich dass ein Konflikt zwischen einer Bibelstelle und einem von innerhalb oder außerhalb der Bibel bekannten Umstand das Kriterium dafür abgibt, dass übertragende Auslegung legitim und sogar gefordert ist. In ep. 1574 beschäftigt sich Isidor mit Ps 71 LXX, der „Εἰς Σαλωμων“ (etwa: „Auf Salomo“) überschrieben ist. Nun stellt Isidor aber fest, dass sich im Text des Psalms vieles nicht auf Salomo beziehen lasse, sondern auf Christus bezogen werden müsse. Als ein Argument für die Notwendigkeit, die meisten Passagen des Psalms, der durchgehend positiv vom König spricht, christologisch zu deuten, gibt er an, dass Salomo „nicht einmal ein untadeliges Lebensende gehabt“ habe.²⁸³ Soweit die Stellen, an denen Isidor (für ihn) fehlende Konsistenz oder Kohärenz zum Entscheidungskriterium für die Schriftauslegung macht. Gegenüber den viel zahlreicheren Versuchen Isidors, Inkonsistenzen im biblischen Kanon auf der unmittelbaren Ebene aufzulösen, fallen sie freilich nicht sehr stark ins Gewicht.

 Röm 6,10.  Vgl. Röm 7,8.  So wohl etwa die Sterblichkeit des Körpers.  Vgl. Ez 18,4.20.  Ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164, 14 – 166, 25. In den verbleibenden sieben Zeilen des Briefes führt Isidor noch zwei weitere Bibelstellen (aus Koh und 2Kön) als Belege für seine gewagte These an, dass Leichname auch nach dem Alten Testament eigentlich nicht unrein sind und nicht unrein machen. Zur Verbindung einer bedeutungsübertragenden Auslegung dieses Reinheitsgebots mit der Wüstenwanderung, auf der die Israeliten die Gebeine Josefs mitführten, vgl. schon Epiph. haer. 9,4,1– 3 (GCS NF 10/1, 200,18 – 201,5), der seine Auslegung dann aber anders weiterentwickelt.  Ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 280, 30). Zu Salomos letzter Lebensphase vgl. 1Kön 11,4– 13: Seine ausländischen Frauen verführten ihn zur Verehrung fremder Götter.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

3.3.4 Kriterien für den Bezug alttestamentlicher Texte auf Christus Für eine vollständige Liste der Stellen, an denen Isidor Kriterien für die Wahl einer bestimmten Auslegungsart angibt, sind nun noch einige Briefe nochmals im Zusammenhang zu behandeln, in denen es um die Frage geht, wann es legitim ist, eine alttestamentliche Stelle auf Christus zu beziehen und wann nicht. Es handelt sich um die Nummern 563, 695 und 1139, die uns auch bereits in anderen Zusammenhängen begegnet sind, und den gerade erwähnten Brief 1574. Die einschlägigen Passagen lauten in deutscher Übersetzung: Die Ausleger müssen also, wenn es möglich sein sollte, [einen Text] ohne Gewaltanwendung in einem Zug durchzuinterpretieren (ἀβιάστως διὰ πάντων διεξελθεῖν), dies mit großer Bereitschaft tun; andernfalls aber dürfen sie Aussagen, für die es [eine übertragende Auslegung] nicht passt, nicht verbiegen (μὴ ἐκβιάζεσθαι τὰ μὴ προσήκοντα), damit sie nicht auch bei den Stellen, für die es passt, den Verdacht hervorrufen, wir würden sie verfälschen (ὑποψίαν παραποιήσεως) und den Juden, den Heiden und den Häretikern Angriffsflächen bieten, auf Christus aber Dinge beziehen, die gering sind und unter seiner Würde liegen. Sondern sie müssen das Geringe übergehen oder dafür halten, dass es sich auf die Inkarnation bezieht, wenn es diese Prägung passenderweise (πρεπόντως) aufnimmt, in Bezug auf das Hohe aber zugeben, dass es nur um der Würde willen (τῆς ἀξίας μόνης ἕνεκα) gesagt ist. Wenn aber etwas mit Bezug auf die Geschehnisse damals (τῶν τότε γεγενημένων ἕνεκα) gesagt wurde, müssen sie zugeben, dass es deswegen gesagt ist, und es nicht so verbiegen, dass es nicht mehr passt (μὴ εἰς τὸ ἀπρεπὲς ἐκβιάζεσθαι).²⁸⁴ Diejenigen, die das ganze Alte Testament auf Christus zu beziehen versuchen, sind nicht schuldlos. Sie geben nämlich den Heiden und den Häretikern, die das Alte Testament nicht anerkennen, Unterstützung in deren Kampf gegen uns. Denn indem sie das, was nicht auf Christus hin gesagt ist, gewaltsam verändern (τὰ μὴ εἰς αὐτὸν εἰρημένα ἐκβιαζόμενοι), sorgen sie dafür, dass auch das, was ohne Gewaltanwendung [auf ihn hin] gesagt ist (τὰ ἀβιάστως εἰρημένα), unter Verdacht steht. Denn durch die Stellen, mit denen jene [die Heiden und Häretiker] sie zu Fall bringen als Leute, die den Textsinn verfälschen (ὡς παραποιοῦντας), glauben sie, sie seien auch bei dem, was ausdrücklich über Christus gesagt ist, Sieger. Ich aber denke, dass mit Notwendigkeit beides der Fall ist: dass einerseits nicht alles über Christus gesagt ist und dass andererseits das, was mit ihm zu tun hat, nicht völlig mit Schweigen bedeckt ist. Denn das war von Vorteil, dass einerseits nicht in allem über Christus gesprochen wurde zu Menschen, die auch in Bezug auf Gott Vater zweifelten und sagten: „Mach uns Götter“²⁸⁵, dass aber andererseits auch nicht völliges Schweigen [über

 Ep. 563 (II, 63) (PG 78, 508, A12-B10). Es handelt sich um die zweite Hälfte des Briefes, der mit der Charakterisierung des göttlichen Urhebers der Schrift als eines Malers begonnen hatte, der die Vorausverweise auf die Geschehnisse des Neuen Bundes aus pädagogischen Gründen mit einer differenzierten Technik ins Alte Testament eingebunden habe (s. oben S. 57 f.).  Isidor spielt auf die Erzählung vom Goldenen Kalb an, wo die Israeliten in Ex 32,1 aufgrund der langen Abwesenheit des Mose ins Zweifeln geraten und diesen Satz zu Aaron sagen – in der

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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ihn] herrschte, damit die Juden, die nicht zum Glauben kommen würden, überführt werden konnten und damit die [Menschen], die glauben würden, sichere Hoffnung gewinnen konnten.²⁸⁶ So wie ich Heiden und Juden und die, die womöglich jenen nacheifern, für gottlos und unvernünftig²⁸⁷ halte, wenn sie behaupten, die Propheten hätten nichts über den Erlöser gesagt, so halte ich auch die, die das ganze Alte Testament auf ihn zu beziehen versuchen, nicht für schuldlos, weil sie ja den Gegnern in dem Kampf, den diese gegen uns führen, auf eine bestimmte Art zuarbeiten. Denn indem sie von jenen überführt werden, dass sie Dinge, die nicht über ihn gesagt sind, mit Gewalt auf ihn beziehen (εἰς αὐτὸν ἕλκειν ἐκβιαζόμενοι), erzeugen sie auch bei den Dingen, die in Wirklichkeit und ausdrücklich über ihn gesagt sind, Verdacht. So darf man es nicht machen, sondern man muss das, was auf ihn hin gesagt ist, klar benennen, aber das, was über andere Vorkommnisse gesagt ist, über jene Dinge gesagt sein lassen, über die es gesagt ist. […]²⁸⁸ Immer wenn der ungetrübte göttliche Geist etwas von den zukünftigen Dingen im Voraus ankündigen wollte, warf er nicht einfach die Prophezeiung hin – denn dann hätten die dummen Juden laut gelacht, die selbst von dem, was völlig klar ist, keine Ahnung haben – sondern er mischte die Erkenntnis des Zukünftigen mit dem Gegenwärtigen und verlieh so der Prophezeiung Gewicht, damit sowohl die Zuhörer damals einen gewissen Nutzen daraus ziehen als auch die Nachgeborenen aus dem Vergleich der Geschehnisse den genauen Sinn erkennen konnten. Aber um nicht alle Prohezeiungen zu umschreiten und so als einer zu erscheinen, der viele Worte macht, werde ich nur eine Art von Prophezeiung zitieren und dadurch denen, die sich auf diese Dinge ausreichend verstehen, auch die anderen Arten klar machen. Es gibt in der Schrift einen Psalm²⁸⁹, der „auf Salomo“ lautet, worin sich zwar einige wenige Dinge auf Salomo beziehen, das Meiste und Wichtigste aber auf Christus.²⁹⁰ Denn die auf der Hand liegende Deutung schien Salomo zu besingen, die authentischere und scharfsichtigere aber den wahren Friedensbringer²⁹¹; so war der Psalm sowohl für die damals Lebenden eine hervorragende Stärkung als auch für zukünftige Generationen eine wun-

Zeit des Alten Testaments war also selbst der Glaube an den Vater nicht gefestigt; da wäre durchgängiges offenes Reden über den Sohn erst recht nicht auf fruchtbaren Boden gefallen.  Ep. 695 (II, 195) (PG 78, 641, B6-C13).  V hat statt „ἀνοήτους“ „ἀνόμους“ – „gesetzlos“.  Ep. 1139 (III, 339) (PG 78, 1000, A5-B8).  Ps 71 LXX.  Justin der Märtyrer bezog den ganzen Psalm ausschließlich auf Christus, vgl. Young 1997 (1), 126. Origenes und Theodor von Mopsuestia, die uns oft genug als Antipoden in der Exegese begegnen (zu direkten Angriffen Theodors auf die Exegese des Origenes vgl. Thome 2004, 142– 145), äußerten sich (bei der Auslegung unterschiedlicher Texte) beide (!), wenn auch verschieden deutlich und mit verschiedenen Nuancen, ablehnend zu einem Vorgehen, wie es Isidor hier empfiehlt – nämlich bei prophetischen Texten einzelne Abschnitte auf eine alttestamentliche Persönlichkeit, andere auf Christus zu beziehen. Beide plädierten dafür, dem alttestamentlichen Textzusammenhang zunächst den Vorrang zu geben. Vgl. Guillet 1947, 263 f.  Isidor bringt wohl den Namen „Salomo“ und hebr. šalōm miteinander in Verbindung und sieht darin ein Argument für die christologische Deutung weiter Teile von Ps 71 LXX.

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

derbare Prophezeiung. Denn der Satz: „(Schon) vor der Sonne besteht sein Name²⁹² und vor dem Mond für Generationen von Generationen²⁹³“ und alles andere, was die Natur übersteigt und Gott zukommt und nicht nur größer ist als Menschenmaß, sondern sogar als das Maß der höheren Mächte²⁹⁴, wurde auf Christus hin gesungen. Aber der Satz „Und sie werden unaufhörlich für ihn beten“²⁹⁵ ist über Salomo gesagt. Glauben wir also nicht, dass die ungetrübte Weisheit durch die Propheten²⁹⁶ die künftige Erkenntnis einfach so im Voraus angekündigt hat, sondern dass sie es getan hat, indem sie das Zukünftige mit Gegenwärtigem mischte, und glauben wir auch nicht, wenn wir etwas Niedriges und dem göttlichen Verweilen des Erlösers unter uns Fremdes hören, dass es zwangsläufig auf ihn hin gesagt sein muss! Glauben wir aber auch nicht, dass das Majestätische und nur zur göttlichen Würde Passende (τὰ μεγαλοπρεπῆ καὶ τῇ θείᾳ ἀξίᾳ μόνῃ πρέποντα) über Salomo gesagt ist, der ja nicht einmal ein untadeliges Lebensende hatte, aber verbiegen wir auch nicht die Prophezeiungen (μηδὲ ἐκβιαζώμεθα τὰς προφητείας)! Lass uns nicht, weil wir die prophetischen Stellen einebnen wollen (τοῦ ὁμαλισμοῦ χάριν τῶν προφητικῶν χωρίων), auf betrügerische Wortmacherei (εἰς ἀγυρτικὰς λογοποιΐας)²⁹⁷ verfallen, sondern mit Verstand das der Wiedergabe von Geschehenem ent-

 Ps 71,17b. Διαμενει kann je nach Akzent sowohl Präsens als auch Futur sein; im Kontext des Psalms, umgeben von lauter eindeutig futurischen Nachbarprädikaten, wird es als Futur zu lesen sein. Isidor nimmt es dagegen wohl als Präsens und liest den Satz als eine Aussage über die Präexistenz Christi.  Ebd. v. 5b.  Vermutlich Anspielung auf Hebr 1,4.  Ps 71,15b LXX.  David als Verfasser der Psalmen galt als Prophet, eben weil viele Passagen der Psalmen als Christusprophetien gelesen wurden.  Isidor bezeichnet hier mit dem Ausdruck ἀγυρτικαὶ λογοποιΐαι dem Kontext nach rein inneralttestamenliche Auslegungen von solchen Stellen, die seiner Meinung nach nur richtig gedeutet sind, wenn man sie auf Christus bezieht. Er verwendet den Ausdruck mehrfach, und zwar außer hier in ep. 1574 noch in den Briefen 870, 894, 1208 und 1537. In 870 (III, 70) (PG 78, 780, A8 f.) und 1208 (III, 408) (PG 78, 1041, C1– 3) geht es um Personen, die den Inhalt der Heiligen Schrift bzw. (in 1208) insbesondere die Androhung des Jüngsten Gerichts (festgemacht an Lk 12,46) nicht ernst nehmen (in 870 Pelusiums „Skandalpriester“ Zosimοs, in 1208 überhaupt alle, die in Isidors Zeit die Kirche durch ihr Verhalten verderben). Dabei wird in 1208 ἀγυρτικὴ λογοποιΐα (hier im Singular) mit μῦθος parallelisiert („᾿Aλλὰ μῦθος αὐτοῖς ἡ τοιαύτη ἀπειλὴ, καὶ ἡ ἀπόφασις ἀγυρτικὴ νομίζεται λογοποιΐα“). In ep. 1537 soll Isidor etwas zu Apg 19,35 sagen („Männer von Ephesus! Wer wüsste nicht, dass die Stadt der Epheser die Tempelhüterin der Großen Artemis und ihres vom Himmel gefallenen Bildes ist?“ [Einheitsübersetzung]). Isidor hält fest, dass hier der (heidnische) γραμματεύς von Ephesus spricht und man hier deshalb nicht die „Stimme der Schrift“, d. h. das wahre Wort Gottes, hören darf. Es gehe um ἀγυρτικαὶ λογοποιΐαι der Heiden, die nicht einmal der Auslegung wert sind (ep. 1537 (IV, 206) (SC 454, 222)). In ep. 894 (III, 94) (PG 78, 797, C6 – 800, B3) schließlich bezeichnet Isidor (a. a.O. 797, C7 f.) mit diesen Worten die Aussagen eines Juden, der Dtn 18,15 – 20 auf Josua („ὁ τοῦ Ναυῆ παῖς“ (a. a.O. 800, A1, vgl. 797, C8 f.) – „der Sohn des Nun“, in der Septuaginta „Jesus, der Sohn des Nave“) statt auf Jesus von Nazareth beziehen will. Isidor bringt im Brief sieben Argumente gegen diese Deutung (a. a.O. 797, D7 – 800, B3). Diese letzte Stelle ist als einzige inhaltlich-kontextuell parallel zu der Stelle in ep. 1574, d. h. hier wird der

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

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sprechend Gesagte bedenken und das der tieferen Einsicht entsprechend Prophezeite erfassen, indem wir weder das, was auf der Darstellungsebene des Textes deutlich ist, zu tieferen Betrachtungen hin verbiegen noch das, was klarerweise tiefer betrachtet werden muss, auf oberflächliche Darstellung reduzieren, sondern beidem in passender Weise den zuträglichen und ihm entsprechenden Sinn geben. Und sollte sich eine Prophezeiung von der Art finden, dass sie sowohl passend den Sinn der oberflächlichen Ebene als auch ohne Zwang den tieferen Sinn bewahren lässt, dann ist sie nach beiden Richtungen hin auszulegen.²⁹⁸

Alle vier Briefe haben Isidors Plädoyer für eine differenzierte christologische Interpretation des Alten Testaments gemeinsam, und immer geht es darum, die Referenz richtig zu bestimmen.²⁹⁹ Nicht alles im Alten Testament und in allen seinen Teilen dürfe auf Christus bezogen werden, sondern nur „das Passende“ (τὰ προσήκοντα, τὰ πρέποντα usw.). An den Stellen, an denen er es für angemessen hält, sieht Isidor allerdings auch eine Verpflichtung zur christologischen Exegese. Er bringt dafür ein theologisches und ein apologetisches Argument: Die differenzierte christologische Auslegung entspricht der Absicht des göttlichen Urhebers der Schrift, denn Gott hat aus pädagogischen Gründen im Alten Testament und auch z. B. innerhalb eines bestimmten Psalms nicht überall von Christus gesprochen und dabei wiederum nicht überall von Christus seiner göttlichen Natur nach.³⁰⁰ Eine der göttlichen Autorintention der Schrift unangemes-

Ausdruck ἀγυρτικαὶ λογοποιΐαι, dessen Bedeutung an sich nicht auf unzulässige „zu wörtliche“ Auslegung alttestamentlicher Passagen beschränkt ist, in etwa genau so verwendet wie in SC 454, 280, 32.  Ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 276 – 280). Das Ende (ab 280, 32) lautet auf Griechisch: „ἀλλὰ νουνεχῶς καὶ τὰ καθ᾿ ἱστορίαν εἰρημένα νοῶμεν καὶ τὰ κατὰ θεωρίαν προφητευθέντα ἐκλαμβάνωμεν, μήτε τὰ σαφῶς ἱστορηθέντα εἰς θεωρίας ἐκβιαζόμενοι μήτε τὰ λαμπρῶς θεωρηθῆναι ὀφείλοντα εἰς ἱστορίαν καταβιβάζοντες, ἀλλ᾿ ἀμφοτέροις πρόσφορον καὶ κατάλληλον νοῦν ἐφαρμόζοντες. Εἰ δὲ τοιαύτη εὑρεθείη προφητεία καὶ τὴν ἱστορίαν ἀραρότως καὶ τὴν θεωρίαν ἀβιάστως σῴζουσα, χρηστέον αὐτῇ κατ᾿ ἄμφω.“ Eine relativ stark wechselnde Übersetzung der Begriffe ἱστορία und ἱστορεῖν schien mir hier unerlässlich, weil die Bedeutung des Wortes hier schwer in einem deutschen Ausdruck zu fassen ist (s. zum Begriff oben Anm. 101). Für Isidor kann ein Text, z. B. ein Psalm, also mehr als eine Referenzrichtung (mehr als einen σκοπός) haben, anders als für den Radikalsten der „Antiochener“, Theodor von Mopsuestia, für den die Identifikation der Einheit des σκοπός einen Text gegen zerteilende, u.U. gegenläufige Interpretation einzelner Abschnitte schützen sollte. Vgl. Young 1989, 191.  Vgl. Young 1997 (1), 128 (über Justin den Märtyrer): „It was all a matter of discerning the right reference“.  Eine praktische Anwendung insofern differenzierter christologischer Exegese findet sich in ep. 930 (III, 130) (PG 78, 829, C1 – 832, A4): Stellen wie Joh 1,9 und Hebr 1,3 sprechen von der Göttlichkeit (Konsubstanzialität, Gleichewigkeit und eigenes Personsein) des Logos. Ps 44,3 LXX (über die Schönheit des Königs) und Jes 53,2 (über das Aussehen des Gottesknechts) widerspre-

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3 Grundlegendes zu Isidors Exegese

sene Interpretation spielt den Heiden, den Juden und denjenigen Häretikern, die das Alte Testament verwerfen, in die Hände, weil durch offensichtlich unangemessene christologische Deutungen auch die legitimen und Gottes Absicht entsprechenden Exegesen dieser Art in Verruf geraten. Eine christologische Deutung der nach Isidors Auffassung deutlich von Gott so intendierten Stellen ist andererseits gerade gegenüber den genannten Gruppen geboten. Freilich gibt Isidor keine klaren Kriterien dafür an, wie man diese „ganz klaren“ Stellen als solche identifizieren kann. Einen Hinweis für den Spezialfall der Beziehung alttestamentlicher Texte auf die Lehre vom Einen Gott in drei Personen enthält u. a. noch das Ende des langen Briefs 643.³⁰¹ Er beginnt mit der Feststellung, dass die Lehre vom Geheimnis der Trinität auch im Alten Testament im Keim angelegt sei³⁰², was selbst Philon als Jude bezeuge. Isidor nimmt konkret Bezug auf Philon und zitiert ihn auch³⁰³, außerdem erörtert er einige Stellen des Alten Testaments, an denen er trinitarische Bezüge sieht, so in Gen 1,26 wegen der Pluralform „lasst uns“ oder wegen Wortwiederholungen, z. B. der Worte „Herr“ und „Gott“, an weiteren alttestamentlichen Stellen³⁰⁴. Gegen Ende des Briefes gibt er eine Regel für die Auslegung solcher Stellen: „Was im Singular steht, [wenn von Gott die Rede ist,] führt die

chen sich nicht. Beide Stellen auf Christus zu beziehen, ist für Isidor selbstverständlich. Die erste beziehe sich auf das Göttliche und Sündenlose, das in der menschlichen Gestalt erscheint (ἡ τῆς ἐνανθρωπήσεως ἔνθεος καὶ ἄπταιστος ἀρετή), die zweite erstens auf die Verborgenheit des Herrn in der Knechtsgestalt, zweitens auf sein Leiden und die Verspottung am Kreuz. „Οὐ τἀναντία ἑαυτῇ […] δογματίζει ἡ θεία Γραφὴ περὶ τοῦ Σωτῆρος διδάσκουσα, ἀλλ᾿ ἑκάστῳ πράγματι τὸ οἰκεῖον καὶ πρέπον νέμει. Τὰ μὲν γὰρ πρὸς τὴν θεότητα βλέπει, τὰ δὲ πρὸς τὴν ἐνανθρώπησιν, τὰ δὲ πρὸς τὰ ἑκούσια πάθη“ – „Die göttliche Schrift widerspricht sich nicht selbst in ihren Lehrsätzen, wenn sie über den Erlöser unterrichtet, sondern sie teilt jedem Gegenstand das ihm Eigene und Passende (τὸ οἰκεῖον καὶ πρέπον) zu. Denn das eine bezieht sich auf die Gottheit, das andere auf die menschliche Gestalt, das dritte auf die freiwilligen Leiden.“ (PG 78, 829, C1– 5).  Ep. 643 (II, 143) (PG 78, 585 – 589). Fast wortgleich zu ebd. 589, A15-B4 ist der Beginn von ep. 827 (III, 27) (PG 78, 748, D1– 4); vgl. außerdem ep. 912 (III, 112) (PG 78, 817).  Ebd. (PG 78, 585, B7– 9: „[…] τὸ μυστήριον τῆς Τριάδος, οὗ καὶ ἐν τῇ Παλαιᾷ Διαθήκῃ ἐγκατέσπαρται ἡ διδασκαλία“).  Vgl. dazu Runia 1993, 206 f. und Runia 1995, 138 – 143 [Runia 1993 zitiert diesen 1995 leicht verändert veröffentlichten Artikel nach dem ersten Veröffentlichungsort als „Runia (1992b)“]. Runia hat auch eine Textfassung, eine Übersetzung und einen Kommentar zu ep. 643 veröffentlicht (Runia 1995 [urspr. 1991], 159 – 167). Er vertritt die Meinung, dass Isidor hier auf Basilius von Caesarea (hex. 9, 6 (GCS NF 2, 158, 11 – 161, 16; von Runia übersetzt a. a.O. 1995, 127 f.) Bezug nimmt, durch den er Philon angegriffen sehe. Isidor verteidige Philon als einen Gelehrten, der – obwohl Jude („καίτοι Ἰουδαῖον ὄντα καὶ ζηλωτὴν“ (PG 78, 585, B9 f.) – der christlichen Gotteslehre sehr nahe gekommen sei (vgl. Runia 1995, 139 – 143).  Zur Frage der korrekten Identifikation der Stellen vgl. Runia 1995, 166.

3.3 Kriterien für die Wahl einer Auslegungsart bei Isidor

107

Selbigkeit der [göttlichen] Natur vor Augen; was über den Singular hinausgeht, die Sonderheit der Personen, die in dem einen Wesen zusammenkommt.“³⁰⁵

3.3.5 Zusammenfassung Bei Isidor kommen sowohl textnahe Schriftauslegungen vor als auch solche, die statt der gewöhnlichen Referenz der sprachlichen Zeichen entferntere Bezüge herstellen. Die Deutungen, die auf der textnahen Ebene verbleiben, sind deutlich in der Überzahl. Dennoch kann keine Rede davon sei, dass Isidor der übertragenden Auslegungspraxis ablehnend gegenüberstehe. Vielmehr scheint es in seinem Umfeld verbreitete Reserven gegenüber der „Allegorese“ zu geben. Möglicherweise steht hier der Streit um Origenes und sein Erbe in Ägypten an der Wende vom vierten zum fünften Jahrhundert im Hintergrund. Isidors wichtigstes Kriterium für eine gültige Bibelauslegung ist der geistliche und moralische Nutzen, den sie hat. Insbesondere darf übertragende Auslegung nicht dazu verwendet werden, sich vorschnell von der Einhaltung angeblich zu harter moralischer Forderungen der Schrift zu dispensieren. Die Auslegung darf außerdem der orthodoxen Glaubenslehre, die sich aus dem angenommenen übergreifenden Gesamtzusammenhang der Schrift ergibt, nicht widersprechen. Widersprüche zwischen Bibelstellen untereinander oder zwischen Bibelstellen und der außerbiblischen Realität können Hinweise auf die Notwendigkeit einer übertragenden Auslegung sein. Solche Argumentationen zur Begründung einer übertragenden Auslegung finden sich bei Isidor allerdings nur sehr selten. Was Christusbezüge im Alten Testament angeht, plädiert Isidor für ein differenzierendes Vorgehen auch innerhalb abgeschlossener Einheiten der Heiligen Schrift (etwa innerhalb eines Psalms). „Nicht alles“ sei auf Christus zu beziehen, aber auch „nicht nichts“.

 Ebd. (PG 78, 589, A15-B4: „τὰ μὲν ἑνικῶς λεγόμενα τῆς ταυτότητος τῆς φύσεως παραστατικά· τὰ δὲ ὑπερβαίνοντα τὸν ἑνικὸν ἀριθμὸν τῆς τῶν ὑποστάσεων ἰδιότητος τῆς εἰς μίαν οὐσίαν συναγομένης“).

4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor 4.1 Voraussetzungen für die Beschreibung 4.1.1 Schriftgebrauch und Auslegung: Ein fließender Übergang Zitate aus der Bibel oder Anspielungen auf die Schrift sind in vielen Isidorbriefen enthalten.Wenn man versucht, sie in Kategorien einzuteilen, ergibt sich ein weites Spektrum mit fließenden Übergängen: manchmal ist erkennbar, dass Isidor auf eine Frage des Briefpartners antwortet, wie eine bestimmte Stelle zu verstehen sei; manchmal reagiert er auf eine nicht direkt auf eine Bibelstelle bezogene Frage mit einem Bibelvers, den er auslegt; manchmal zitiert er ein Schriftwort oder spielt auf eine Stelle an, um einer Argumentation, der Interpretation einer anderen Bibelstelle oder einem moralischen Appell Nachdruck zu verleihen¹; manchmal verkettet er assoziativ mehrere Schriftstellen zu Bildcollagen, die ein bestimmtes theologisches Thema illustrieren. In dieser Studie sollen alle diejenigen Briefe untersucht oder, sofern sie von geringerer Bedeutung sind, zumindest kurz angeführt werden, in denen Isidor ausdrücklich einen zitierten oder klar identifizierbaren Bibeltext auslegt. Am Ende soll ein differenziertes Bild von den verschiedenen Arten stehen, wie Isidor in einem Bibeltext Bedeutung(en) erkennt oder einem Text Bedeutung für eine bestimmte Situation verleiht.

4.1.2 Unschärfen der antiken Terminologie Zunächst ist es zu diesem Zweck notwendig, ein geeignetes Gliederungsschema zu finden, mit dem Isidors exegetische Briefe geordnet und erschlossen werden können. Traditionell wurden bei der Beschreibung der antiken Exegese im Wesentlichen „wörtliche“ und „allegorische“ und / oder „typologische“ Auslegungen einander gegenübergestellt.² Die antike Terminologie ist allerdings wesentlich vielfältiger, als diese neuzeitliche Dichotomie vermuten lässt. Das zeigt sich auch

 Vgl. Fouskas 1966, 287 und Maisano 1980, 41.  Vgl. Young 1997 (1), 186. https://doi.org/10.1515/9783110686180-005

4.1 Voraussetzungen für die Beschreibung

109

bei Isidor.³ Vor allem lassen sich viele antike Begriffe nicht ohne Probleme und ausschließlich einer der neuzeitlichen Kategorien zuordnen, auch wenn solche Gliederungen von Beispielen antiker Exegese in der Forschung gerade für einzelne Autoren oft versucht wurden. Eine gelungene Ausnahme ist wohl die Studie von J. Tigcheler über die Exegese im Sacharjakommentar des Didymus „des Blinden“ (Didymus von Alexandria).⁴ Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Tigcheler die Begriffswelt des antiken Autors ernst nimmt, detailliert untersucht und nicht einfach modernen Kategorien unterwirft. Das Ergebnis ist erstaunlich präzise⁵: Didymus kenne vier Schritte der Bibelauslegung, die Textanalyse πρὸς ῥητόν (der Text an sich), die Untersuchung καθ᾿ ἱστορίαν (das sachliche Umfeld des Textes), die mögliche Ermittlung eines übertragenen „bildhaften“ Sinns (sens figuré) κατ᾿ ἀλληγορίαν und die Identifizierung von Referenzen, die über die unmittelbar gewohnte Referenz hinausgehen κατ᾿ ἀναγωγήν. Darin, dass sich seine exegetische Terminologie so gut unter diesen vier Kategorien, die mit gewissen Variationen wörtlich in seinem Sacharjakommentar vorkommen, systematisieren lässt, dürfte Didymus allerdings unter den antiken Bibelauslegern eher die Ausnahme sein. Isidor von Pelusium jedenfalls ist einerseits in seiner Terminologie vielfältiger, andererseits gab es bisher in der Forschung auch keine Systematisierungsversuche, die über die klassische neuzeitliche Dichotomie „wörtlich“ – „allegorisch“ wesentlich hinausgegangen wären.

4.1.3 Ungenügende Klassifizierungen in der bisherigen Isidorforschung Die Autoren, die sich in neuerer Zeit ausführlicher zu Isidors Exegese geäußert haben, bieten für das Gliederungsproblem keine Hilfestellung. L. Bobers Darstellung von 1878 ist kontroverstheologisch bestimmt.⁶ Isidors maßvolle Allegoresepraxis dient ihm als ein Beispiel für gesunde katholische Exegesetradition⁷, das er protestantischer Kritik an der „allegorischen“ Schriftauslegung und rationalistischer Verabsolutierung der historischen Methode entgegenhält⁸. Seine Sprache bewegt sich dementsprechend weitgehend in den traditionellen, als

 Vgl. oben den Abschnitt 3.2.  Tigcheler 1977.  Es wird von Tigcheler zusammengefasst a. a.O. 154– 158.  Vgl. schon seine praefatio (Bober 1878, v – viii).  Vgl. Bober 1878, 30 f.  Vgl. ebd. 37 f.; 49 – 52. Vgl. eine ähnliche Beurteilung der protestantischen und der historischkritischen Reserve gegen die Allegorese bei Louth 1983 (98 – 101) im späten 20. Jahrhundert.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Schlagworte verwendeten Kategorien von „wörtlicher“ versus „allegorischer“ Auslegung.⁹ Die 1966/67 von C. Fouskas veröffentlichten Artikel zum Neuen Testament bei Isidor sind als Materialsammlung wertvoll. Insbesondere enthalten sie eine ausführliche Aufstellung neutestamentlicher Passagen, die Isidor nach Fouskas (mit oder ohne Zitat der Bibelstelle) interpretiert und der Passagen, die er anderweitig gebraucht.¹⁰ Fouskas verspricht auch eine systematische Untersuchung, bei der er unter anderem „Regeln, Methoden und Arten“ der neutestamentlichen Exegese bei Isidor darlegen will.¹¹ Aber die Durchführung dieses Vorhabens enttäuscht nicht nur durch Fouskas‘ eigene Bemerkungen zu angeblich überzeitlich konstanten Phänomenen in der Geschichte der Exegese oder über die angeblich richtige Exegeseform für bestimmte Bibelstellen¹² und einen Mangel an historischer Kontextualisierung¹³, sondern auch in terminologischer Hinsicht. Zwar weist Fouskas mit Recht auf die notwendige Unterscheidung zwischen Methoden und Arten der Auslegung hin und darauf, dass beispielsweise die „Allegorese“ nicht als exegetische Methode bezeichnet werden sollte.¹⁴ Unter den „Methoden“

 Vgl. etwa Bober 1878, 107– 109. Die interpretatio allegorica (107), auch interpretatio spiritualis (109) oder sensus mysticus (a. a.O. 37), wird dem sensus litteralis (107), auch sensus grammaticushistoricus (108, vgl. auch die Kapitelüberschrift a. a.O. 53), gegenübergestellt. Aufschlussreich für die (freilich bis in unsere Zeit hinein gängige) undifferenzierte und anachronistische Verwendung der beiden Kategorien ist der Umstand, dass Bober die Errungenschaften der historisch-kritischen Methode seiner Zeit, soweit auch er sie zusammen mit dem päpstlichen Lehramt positiv sieht, ebenfalls als „philologorum protestantium circa eruditam investigationem sensus litteralis [Hervorhebung S.B.] merita“ bezeichnet (Bober 1878, 52). Er nennt das, was die historisch-kritische Exegese des 19. Jahrhunderts ermittelt, den „wörtlichen Sinn“ und projiziert dieses Konzept zurück auf die Antike.  Fouskas 1966, 277– 289. Vgl. Évieux 1995, 332, Anm. 115: „Le mérite de Fouskas est d’avoir consulté la presque-totalité des notices des dictionnaires ou encyclopédies et des ouvrages traitant d’Isidore, et de faire le relevé quasi exhaustif des citations du Nouveau Testament. Mais son travail manque totalement d’esprit critique […]“.  Fouskas 1966, 60.  Vgl. ebd. 455 mit Bezug auf ep. 925 (III, 125): „The Scriptures always have attracted the interest and the attention of many people. But all these people did not approach them with the same piety, purity or fitness to deal with them“ oder 611 mit Bezug auf ep. 1243 (IV, 48): „The phrase ‚rise, let us be going‘, Matt. 26,46, ought to be literally interpreted but Isidore preferred to interpret it allegorically, for a certain spiritual profit“.  Dieser zeigt sich in lapidaren Feststellungen wie: „Evidently Isidore had a bad experience of the meaning of the Scriptures being forced by other people […]“ oder 463 f.: „The number of Isidore’s literal interpretations of the N.T. is more than two hundred. Thus we can say that Isidore prefers rather the method of the School of Antioch concerning interpretation, without rejecting of course the allegorical interpretation […]“.  Vgl. ebd. 463.

4.1 Voraussetzungen für die Beschreibung

111

behandelt Fouskas den Querverweis auf andere Schriftstellen – für die Interpretation einer Stelle ein bei Isidor wie in der ganzen antiken Exegese gängiges Verfahren – und die Bezugnahme auf Außerbiblisches.¹⁵ In der Tat kann beides in der patristischen Exegese im Rahmen sowohl einer textnahen als auch einer übertragenden Auslegung stattfinden. Als „Auslegungstypen“ („[t]ypes of interpretation“¹⁶) behandelt er aber dann ohne weitere Definitionen und Abgrenzungen der Begriffe einfach „wörtliche“¹⁷ und „allegorische“¹⁸ Interpretationen, sodann „eine Verbindung dieser beiden Typen“¹⁹, „mehrfache“²⁰ und „misslungene“²¹ Interpretationen. Bei der letzten Kategorie bleiben die Kriterien einigermaßen unklar, nach denen Fouskas die Gültigkeit einer Interpretation beurteilt. Wenn er etwa die übertragende Deutung von Joh 14,31 in ep. 1243²² für „misslungen“ hält, weil eine allegorische Deutung hier nicht nötig sei²³, so wird man sagen müssen, dass „Notwendigkeit“ jedenfalls für Isidor selbst nicht die einzige Grundlage für die Legitimität von „Allegorese“ war. Isidor geht es bei der Beurteilung einer konkreten Auslegung tatsächlich vor allem um „Nützlichkeit“ für Glauben und Leben im Rahmen kirchlicher Glaubenslehre und Moral.²⁴ Auch die jüngste Arbeit, die sich im Besonderen mit Exegese bei Isidor von Pelusium beschäftigt, der 1980 erschienene Artikel von R. Maisano, beschränkt sich im Wesentlichen auf die Unterscheidung von „wörtlicher“ und „allegorischer“ Exegese.²⁵ Zwar ist Maisano der erste, der exegetische Briefe bei Isidor, nämlich im Wesentlichen alle Briefe, die Stellen aus den Büchern Spr, Koh, Hld, Ijob und Sir auslegen²⁶, ausführlich kontextualisiert, und zwar sowohl durch interne Bezüge auf andere Isidorbriefe als auch durch zahlreiche wertvolle Hinweise  Ebd. 457– 463.  A. a.O. 463.  Ebd. 463 – 472.  Ebd. 607– 614.  Ebd. 614– 616.  Fouskas charakterisiert sie als „examples of alternative interpretation, that is passages for which Isidore gives many interpretations at the same time“ (a. a.O. 616 f.). Solche „[a]lternative interpretations“ führt er a. a.O. 617– 624 an.  Fouskas 1966, 624– 632.  Ep. 1243 (IV, 48) (SC 422, 224).  Fouskas 1966, 632: „There is no need to interpret this passage allegorically. We think that Isidore’s interpretation is here unsuccessful“.  Vgl. insbesondere oben den Abschnitt 3.3.3.1.  S. z. B. Maisano 1980, 48 f., 56 f. und 62.  Vgl. zu Maisanos Textauswahl und seinen Zielen Maisano 1980, 41 und 44. Maisano spricht von Plänen, die Beschreibung der exegetischen Arbeit Isidors mit dem Alten Testament über die vorliegende Auswahl hinaus fortzusetzen (vgl. ebd. 41, 44 und 75). Zu weiteren Veröffentlichungen scheint es aber nie gekommen zu sein.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

auf externe Parallelen in der patristischen Literatur. Das Material gliedert er aber nicht systematisch nach exegesetheoretischen Gesichtspunkten, sondern nach den biblischen Büchern, auf die sich Isidor bezieht. Dies und seine relativ eingeschränkte Textauswahl sind wohl die Gründe, warum er die herkömmliche Terminologie nicht reflektiert oder differenziert, obwohl ihre Unzulänglichkeit mindestens an einer Stelle seiner Arbeit deutlich zu Tage tritt: Weil Maisano den Begriff ἁπλῶς²⁷ in ep. 1779²⁸ mit der modernen Konzeption „wörtliche Auslegung“ identifiziert, kann er nicht erklären, warum Isidor im genannten Brief über Spr 24,16a sagt, die Stelle sei nicht ἁπλῶς gemeint, aber dann eine ganz „wörtliche“ Auslegung bietet.²⁹ Am Ende dieses Abschnitts soll noch ein Hinweis auf den kurzen Lexikonartikel von J. Leemans in der Encyclopedia of the Bible and Its Reception stehen. Auch Leemans verbleibt in der traditionellen Terminologie, wenn er etwa über Isidor sagt: „[H]is exegesis cuts a via media between the „literal“ and the „allegorical““.³⁰

4.1.4 Differenziertere Terminologien zur antiken Exegese bei Frances M. Young 1997 hat die britische Exegetin und Patrologin Frances M. Young die klassischen Begrifflichkeiten für die Beschreibung der antiken Bibelauslegung problematisiert und eine differenziertere Terminologie in Verbindung mit einer besseren Verortung der frühchristlichen Exegese im Kontext des antiken Umgangs mit Texten in Rhetorik und Philosophie vorgeschlagen.

 Vgl. zum Begriff oben S. 64 f. und zum Brief unten S. 115 f.  Ep. 1779 (IV, 158) (SC 586, 126, 1).  Maisano 1980, 53: „In realtà il nostro autore, nonostante la sua premessa (τὸ ‚ἑπτάκις πεσεῖται ὁ δίκαιος‘ [Spr 24,16] εἴρηται οὐχ ἁπλῶς), si rivela una volta di più un fedele seguace dell’ interpretazione letterale, perché aderisce pienamente e razionalmente al testo scritturale. Altri autori si sono invece impegnati in ardite ricerche allegoriche, ottenendo risultati assai più problematici“.  Leemans 2016, 391. Selbst wenn man die problematischen traditionellen Begriffe verwenden möchte, gab es hier für Isidor m. E. jedenfalls keine „Schneise“ zu schlagen, da es sich nicht um zwei gegenüberstehende Blöcke von Auslegungsmöglichkeiten, sondern eher um ein kontinuierliches Spektrum handelte (vgl. unten S. 113 f.), auf dem sich Isidor mal näher am einen Ende, mal näher am anderen Ende der Skala positioniert und oft auch mehrere Auslegungen nebeneinanderstellt.

4.1 Voraussetzungen für die Beschreibung

113

Patristic method is commonly characterised in terms of „literal“, „typological“ and „allegorical“ exegesis, the Fathers being understood as the precursors of the mediaeval fourfold sense.³¹ […] Debate in the fourth century between the two great schools of Antioch and Alexandria is generally taken to focus on the merits of the „literal“ and „allegorical“ approaches, the „literal“ usually being equated with the „historical“. […] But not one of these conventional terms is univocal. A review of each will highlight the problems of treating them as methodological categories.³²

Mehrere Ergebnisse aus Youngs Werk sind hilfreich für die Einordnung der antiken exegetischen Terminologie und für eine angemessenere Beschreibung der antiken exegetischen Praxis, als sie mit den traditionellen Kategorien möglich ist: 1. Bei der antiken Verwendung von Begriffen, die traditionell mit „wörtlich“, „allegorisch“ o. ä. wiedergegeben werden, steht die aus der antiken Rhetorik bekannte Unterscheidung von vorausliegender Bedeutung und sprachlicher Einkleidung einer Aussage im Hintergrund. Die „wörtliche Ebene“ ist für die Antike ausschließlich das sprachliche Gewand dessen, was kommuniziert werden soll. Sie schließt z. B. die Wahl des rhetorischen Genus und die Stilmittel ein, und zwar als entscheidende Faktoren zur Erreichung des Kommunikationsziels.³³ Diese Erkenntnis ist besser geeignet, manche Divergenzen zwischen antikem und modernem Begriffsgebrauch zu erklären, als die bisherigen Versuche.³⁴ 2. Die antiken Autoren fragten nach der Referenz („Worauf bezieht sich eine Aussage der Heiligen Schrift?“). Entscheidend war, richtige oder jedenfalls der Wahrheit nicht zuwiderlaufende Referenzen zu identifizieren. Es gab gewöhnliche Referenzen und solche, bei denen man eine rhetorische Figur dekodieren musste, und für solche Dekodierung gab es oft verschiedene Möglichkeiten. „Wörtlich“ und „allegorisch“ waren nicht zwei klar abgegrenzte, einander gegenüberstehende Aussage- und Auslegungsweisen, sondern Bereiche eines

 Die klassische Referenz für die Rückführung der mittelalterlichen Systematisierung der „Schriftsinne“ auf die Antike ist Lubacs „Exégèse médiévale“ (Lubac 1959 / 1961 / 1964, vgl.Youngs Anmerkung).  Young 1997 (1), 186.  Vgl. Young 1997 (1), 35; 81; 120. A. a.O. 30 – 45 führt Young diesen Umstand am Beispiel trinitätstheologischer Exegese bei Athanasius aus, die mit den herkömmlichen Kategorien „wörtlich“ versus „allegorisch“ / „typologisch“ kaum zu fassen ist. Ihr Hauptmerkmal ist die dogmatische Deduktion mit verschiedenen Mitteln, wobei aber die Unterscheidung von „Wort(en)“ und „Sinn“ eine große Rolle spielt.  Vgl. ebd. 187 mit Anm. 5 und ebd. 120: „Often to interpret something allegorically was simply to recognise metaphor rather than taking something very woodenly according to the letter.“ Vgl. in der vorliegenden Arbeit oben S. 67.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Spektrums.³⁵ So konnte die Identifikation eines Prophetenwortes als Christusverheißung mit einer exegetischen Terminologie benannt werden, die in der Neuzeit traditionell mit „wörtlicher Sinn“ o. ä. wiedergegeben wurde.³⁶ 3. „Wörtliche“, „allegorische“ und „typologische“ Auslegung usw. sind keine „Methoden“. Unter den Oberbegriff „Methoden“ gehören nach Young besser „the mechanics employed to extract meaning“. Ein und dieselbe „Methode“, etwa etymologische Erklärung von Namen und Begriffen, konnte in einer mehr „wörtlichen“ oder einer mehr „allegorischen“ Auslegung verwendet werden.³⁷ Young selbst schlägt zur Beschreibung der antiken Exegesepraxis fünf Großkategorien von „Lesestrategien“ (reading strategies) bzw. „exegetischen Strategien“ vor, von denen die dritte eine zweifache und die letzte eine vierfache Unterteilung erfährt.³⁸ Youngs Konzept der „Lesestrategien“, die zu dem Spektrum von direkter und indirekter Referenz bzw. „Wörtlichkeit“ und „Allegorese“ in Beziehung gesetzt werden können, aber dabei mit einer Ausnahme allesamt verschiedene Bereiche des Spektrums berühren³⁹, fördert insbesondere auch die Aufmerksamkeit für den kommunikativen Kontext eines Schriftbezugs oder einer Schriftauslegung. Der Kontext, etwa ein paränetischer, ein apologetisch-dogmatischer oder ein zunächst rein philologischer Kommunikationszusammenhang, bestimmte in der Antike auch die exegetische Vorgehensweise.

4.1.5 Die Problematik bei Isidor von Pelusium Youngs Feststellungen sind fruchtbar auch für die Beschreibung von Isidors Exegese, wie hier nun an einigen prominenten Beispielen nochmals im Zusammenhang gezeigt werden soll.

 Young 1997 (1), 120: „[L]anguage was symbolic, and its meaning lay in that to which it referred. The difference between ‚literal‘ and ‚allegorical‘ references was not absolute, but lay on a spectrum. […] All language signified, and as a sign was symbolic. The crucial question was what it symbolised or referred to“. Vgl. auch ebd. 188.  Vgl. ebd. 121 f.; 124– 128 (128: „It was all a matter of discerning the right reference“).  Young 1997 (1), 202.  Ebd. 202– 213 ausführlich beschrieben und graphisch dargestellt.  S. die Überschriften a. a.O. 203 – 209: „Producing paraenesis“, „Decoding oracles and unfolding prophecies“, „Developing philological scholarship with respect to the scriptures, according to then current cultural norms“ (unterteilt in „Lexical analysis“ und „Explanatory comment“, s. a. a.O. 212), „Demonstrating divine truth and deducing doctrine“, „Discovering the text’s ‚mimetic‘ representation of reality“ (unterteilt in vier Unterkategorien, s. ebd.). Vgl. das Schema ebd. 213.

4.1 Voraussetzungen für die Beschreibung

115

Auch für Isidor gilt, was F. Young generell konstatiert: Es gibt in der antiken Exegese kein einheitliches Konzept und keinen einheitlichen Ausdruck für das, was moderne Autoren mit „wörtlicher Auslegung“ wiedergeben, sondern im Gegenteil eine enorme Vielfalt von Begriffen, die sich oft nicht oder nicht sauber in die moderne Dichotomie „wörtlich“ versus „allegorisch“ einordnen lassen. Einer davon ist ἁπλῶς⁴⁰ – Isidor sagt von der Stelle Spr 24,16a („Siebenmal wird der Gerechte fallen und er wird wieder aufstehen“), sie sei „nicht ἁπλῶς“ gesagt.⁴¹ Nach der klassischen Dichotomie bei der Interpretation antiker exegetischer Ausdrücke müsste man vermuten, dass Isidor den Spruch nun „allegorisch“ auslegt.⁴² Seine Auslegung entfernt sich aber nicht weit vom „Buchstaben“. Der Kontext (der ganze Vers Spr 24,16) legt nahe, dass der Spruch metaphorisch gemeint ist und sich auf Versuchung und Sünde bezieht. Der Gerechte wird mit den Frevlern kontrastiert, die „im Bösen dahinsiechen“ (Spr 24,16b). Isidor, der nur die ersten vier Worte von Spr 24,16a („Der Gerechte wird siebenmal fallen“) zitiert, verbleibt aber während des ganzen Briefes mit seiner Wortwahl im von ihm selbst gewählten, aus der griechischen Kultur stammenden Bild des Ringkampfes, in dem er den Bibelspruch verortet⁴³; erst der Ausdruck πταίσει im letzten Satz des Briefes trägt im christlichen Sprachgebrauch⁴⁴ ziemlich klare Konnotationen in Richtung „Sünde“. Obwohl die Feststellung, etwas sei οὐχ ἁπλῶς gesagt, bei Isidor im Einzelfall auch der Ausgangspunkt für kreative Übertragungen und Verbindungen von Referenzen sein kann⁴⁵, scheint sich in diesem Brief seine Bemerkung, die zitierten Worte seien „nicht einfach so“ gesagt, nicht darauf zu beziehen, dass man hier die metaphorische Referenz erkennen müsse, sondern verweist darauf, dass der Gerechte sozusagen auf eine besondere, ihm eigene Weise „fällt“, die es ihm ermöglicht, schnell wieder aufzustehen, und damit auf die Fortsetzung des Zitierten⁴⁶:

 Vgl. oben S. 64 f.  Ep. 1779 (IV, 158) (SC 586, 126, 1).  Vgl. Maisano 1980, 53, der deshalb einen Gegensatz zwischen Isidors Ankündigung am Beginn des Briefes und der tatsächlichen Auslegung von Spr 24,16 sieht. Diesen Gegensatz kann er nicht erklären.  Freilich kennt schon Paulus Bilder aus der Welt des Sports für das Leben des Christen, vgl. 1Kor 9,24.27, wo wie in SC 586, 126, 8 das Wort στέφανος für den „Siegespreis“ verwendet wird.  Vgl. PGL s.v. πταίω.  Vgl. ep. 393 (I, 393) (PG 78, 404, B2– 8), besprochen unten S. 247 und zu dieser Bedeutung von ἁπλῶς PGL s.v. E.  Vgl. dazu die Verwendung von οὐχ ἁπλῶς z. B. in ep. 1593 (IV, 220) (SC 454, 306, 1– 3).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Der Spruch „Siebenmal wird der Gerechte fallen“ ist nicht einfach so (οὐχ ἁπλῶς) gesagt, sondern [deshalb], weil der, der nach allen Regeln der Kunst⁴⁷ ringt, notwendigerweise und athletisch zu Boden geht.⁴⁸ Das ist keineswegs ein sicherer Grund für eine Niederlage, sondern oft sogar für einen Sieg. […] Deshalb hat er [der biblische Autor] nicht nur (οὐ μόνον) gesagt, dass er [scil. der Gerechte] fallen wird, sondern hat, um den Siegeskranz anzuzeigen, hinzugefügt, dass er auch wieder aufstehen wird.⁴⁹

Auch προχείρως entspricht nicht immer dem, was in der Neuzeit meist „wörtliche Auslegung“ heißen würde. Das zeigt eindrucksvoll ep. 53⁵⁰, ein Brief, der sich mit einem Ausschnitt aus Am 2,16 beschäftigt. Isidor zitiert ihn so: „Der Nackte wird entkommen an jenem Tag“⁵¹. Für Isidor ist es so klar, dass sich diese Worte auf ein Ereignis bei der Gefangennahme Christi beziehen⁵², dass er hier den Ausdruck προχείρως gebraucht: Προχείρως sah der Prophet in Am 2,16 voraus, was sich bei der Passion des Herrn zugetragen hat.⁵³ Die „verborgene und verhüllte Bedeutung“ der Stelle, die Isidor dann noch anführt, bezieht sich auf den geistlichen Weg des Einzelnen: wer sich von allem irdischen Ballast frei gemacht hat, kann unbeschwert dem unvergänglichen Leben entgegengehen.⁵⁴ Der traditionellen Dichotomie nach müsste man die erste Deutung, die der anderen gegenübergestellt und noch dazu durch das Adverb προχείρως von Isidor charakterisiert ist, die „wörtliche“ und die zweite die „allegorische“ nennen. Aber die Verbindung von Prophetenworten, die aus ihrem Kontext gelöst wurden, mit einer Stelle aus dem Markusevangelium, die der Prophet „im Auge gehabt“ haben soll, läge für den modernen historisch-kritischen Interpreten wohl kaum „auf der Hand“, sondern würde wohl als genau so „allegorisch“ gelten wie die eschatologische Auslegung. An ep. 1574⁵⁵ kann man besonders schön zeigen, was es bedeutet, dass es in der antiken Exegese immer darum ging, die Referenz, d. h. die Person, die Sache

 Vgl. LSJ s.v. νομίμως.  Dass der, der siebenmal gefallen ist, auch wieder aufgestanden sein muss, ist eigentlich schon in der Aussage des siebenmaligen Fallens enthalten. Um wieder gefallen sein zu können, muss der Gerechte in der Zwischenzeit wieder aufgestanden sein. Die Fähigkeit dazu zeichnet einen professionellen Athleten aus, der oft sogar aus der liegenden Position heraus einen Gegner zu Fall bringt, wie Isidor in dem hier ausgelassenen Satz SC 586, 126, 4– 6 sagt.  Ep. 1779 (IV, 158) (SC 586, 126, 1– 8).  Ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, A9 – B11). Προχείρως steht a. a.O. B1.  „Ὁ γυμνὸς φεύξεται ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡμέρᾳ“.  Nämlich auf die Flucht des jungen Mannes in Mk 14,51 f., der sein Gewand zurücklässt und nackt entkommt – „καταλιπὼν τὴν σινδόνα γυμνὸς ἔφυγεν“.  Ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, B1 f.).  Ep. 53 (I, 53) (PG 78, 216, B5 – 11).  Ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 276 – 280); vgl. zum Brief oben S. 103 – 105.

4.1 Voraussetzungen für die Beschreibung

117

oder das Ereignis, auf die sich bestimmte Worte der Schrift bezogen, richtig zu bestimmen. In ep. 1574 geht es Isidor um solche Entscheidungen innerhalb von Ps 71. Die Psalmen wurden als Prophetien gelesen, und man erkannte in ihnen vielfältige messianische Bezüge: In den Psalmen war für die antiken Ausleger oft, aber nicht unbedingt überall von Christus die Rede. Isidor versucht in ep. 1574 Kriterien anzugeben, wie man Christusbezüge als solche identifizieren und von inneralttestamentlichen Bezügen (im konkreten Fall auf Salomo, den Isidor in der Psalmüberschrift findet) unterscheiden kann. Er gebraucht in dem Brief viel exegesetheoretische Terminologie (ὁ πρόχειρος νοῦς⁵⁶, ὁ εἰλικρινέστερος καὶ ὀξυωπέστερος [νοῦς]⁵⁷, ἐκβιάζειν⁵⁸, τὰ καθ᾿ ἱστορίαν εἰρημένα⁵⁹, τὰ κατὰ θεωρίαν προφητευθέντα⁶⁰, Entgegensetzung von ἱστορία und θεωρία⁶¹), der entscheidende Punkt ist aber weniger „Wörtlichkeit“ und „Allegorese“ als die Frage, „von wem der Prophet“ dies und jenes „sagt“.⁶² Textimmanent betrachtet (wenn man von der Psalmüberschrift absieht), ist die Herstellung von Bezügen zwischen Stellen in Ps 71 LXX und König Salomo auch keine „wörtlichere“ Deutung als Bezugnahmen auf den als Christus identifizierten Jesus von Nazareth. Denn beide Namen kommen im Text des Psalms nicht vor. Freilich kann die moderne Einteilung der antiken Exegese in zwei Grundkategorien eine gewisse Berechtigung behalten, wenn man mit den Begriffen „wörtlich“ und „allegorisch“ vorsichtiger umgeht, da diese oft nur schlecht zum Befund passen und mit den verschiedenen Terminologien der frühchristlichen Exegeten kaum zur Deckung gebracht werden können. Außerdem sollte man sich bewusst bleiben, dass es nicht um zwei klar voneinander abgrenzbare entgegengesetzte Sphären geht, sondern eher um eine kontinuierliche Skala von Nähe und Entfernung zur gewöhnlichen Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem.⁶³ In dem eben angedeuteten Sinn ist jede Textauslegung, spätestens dann, wenn sie sich nicht auf eine sehr enge Para-

 Ep. 1574 (IV, 203) (SC 454, 278, 14).  Ebd. SC 454, 278, 15.  Εbd. SC 454, 280, 30.35.  Ebd. SC 454, 280, 33.  Ebd. SC 454, 280, 33 f.  Ebd. SC 454, 280, 35 f.38 f.  So schon im Neuen Testament die „exegesetheoretische“ Frage des äthiopischen Kämmerers in Apg 8,34 (vgl. Dawson 2002, 5).  Vgl. Young 1997 (1), 120. Auch so stellt sich noch die Frage, von welchem Standpunkt aus das Maß der „Gewöhnlichkeit“ dieser Beziehung beurteilt wird. Vom mutmaßlichen Entstehungszusammenhang (Zeit, Ort, historische und sprachgeschichtliche Umstände) des Textes oder vom Standpunkt des Interpreten aus? Die antiken Exegeten dachten eher von ihrer Zeit aus.

118

4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

phrase beschränkt, „Allegorese“⁶⁴, denn sie setzt den Text mit etwas in Beziehung, was vom Ausleger an ihn herangetragen wird.

4.1.6 Gliederungskonzept für die Beispiele zu Isidors Schriftauslegung Die Gliederung der Isidorbriefe mit Schriftbezug, die ich im Folgenden vornehme, nimmt einige der Punkte auf, auf die F. Young hingewiesen hat. Zwar bleibt meine Gliederung bei einer Einteilung in zwei große Gruppen von Schriftauslegung und Schriftgebrauch, die ich aber nicht mit den problematischen Begriffen „wörtlich“ und „allegorisch“ benennen möchte. Denn für den modernen Begriff der „wörtlichen Auslegung“ gab es in der Antike keine Entsprechung, und ἀλληγορία und verwandte antike Begriffe bedeuteten nicht dasselbe wie „allegorische Auslegung“ in der Moderne. Die beiden Gruppen von Auslegungen sind außerdem nicht als Blöcke zu sehen, die sich klar abgrenzbar gegenüberstehen, sondern eher als Bereiche eines kontinuierlichen Spektrums. Für die Antike war die Unterscheidung von Aussagegehalt und sprachlicher Gestalt bedeutsam. Auf der einen Seite des Spektrums liegen aus dieser Perspektive Identifizierungen von Bedeutung, wo der Abstand zwischen den Worten und ihren auch in anderen Zusammenhängen üblichen Bedeutungen nicht groß ist, auf der anderen Seite Deutungen, die die Referenz auf weiter Entferntes – gemessen an den gewöhnlichen Bedeutungen – übertragen.⁶⁵ Deshalb bevorzuge ich es, von „textnaher“ und „übertragender“⁶⁶ statt „wörtlicher“ und „allegorischer“ Auslegung zu sprechen. Die Bezeichnung „übertragende Auslegung“ vermeidet auch die Konnotationen, die in dem neuzeitlichen Begriff von „Allegorie“ etwa in Abgrenzung zu „Symbol“ oder „Typologie“ oder zu „moralischer“ und „anagogischer“ Auslegung nach dem Schema des „vierfachen Schriftsinns“ mitschwingen können; es

 Vgl. Young 1993, 116 f. (117, gerade auch in Bezug auf heutige Exegese: „Every critical reading shares something with allegory; every attempt at entering the world of the text, or seeing the text as mirroring our world and reflecting it back to us, involves some degree of allegory“, nämlich indem gesagt wird: „You have read the text this way, but it should be read like this“ (ebd. 116)).  Vgl. Tigcheler 1977, 156 f. über textnahe und übertragene Referenzen von Worten bei Didymus dem Blinden (157 zur Auslegung κατ᾿ ἀναγωγήν bei Didymus: „On trouve ce sens profond en rattachant (ἀνάγειν) un texte ou un mot à une autre réalité que celle que le sens réel ou concret du mot vise. On établit une relation entre ce mot et une réalité nouvelle que le texte ne donne pas immédiatement“). Ein antikes Handbuch für die Unterscheidung mehr oder weniger übertragener Referenzen, das diese zu Gruppen zusammenfasst, ist das Regelbuch des Tyconius, vgl. Young 1997 (1), 137 f.  Ich unterscheide bedeutungsübertragende Auslegungen als Verfahren und (dann hergestellte) übertragene Bezüge als Resultat.

4.2 Methoden der Textanalyse

119

geht einfach um jegliche mehr oder weniger große „Übertragung“ der sprachlichen Referenz. Innerhalb dieser Kategorien gliedere ich nach kommunikativen Kontexten. Zu Isidors bevorzugten Themen gehören etwa eine an der Heiligen Schrift orientierte Ethik und Lebensführung. „Moralische Auslegung“ in diesem Zusammenhang oder überhaupt Herstellung von Bezügen zwischen Schriftstellen und Fragen der Lebensführung findet bei ihm sowohl nah am Bibeltext als auch in übertragenden Deutungen statt. Bei der übertragenden Auslegung erfolgt hier der Transfer der Bedeutung auf das Leben des Christen; er geschieht in einem paränetischen Kontext. Auch eschatologische Referenzen stehen bei Isidor meist in einem paränetischen Kontext, etwa beim Verweis auf das göttliche Gericht, das alle Menschen erwartet. Übertragene christologische und ekklesiologische Bezüge stehen dagegen oft in einem lehrhaften Kommunikationszusammenhang, zum Teil unter mehr apologetischem, zum Teil unter mehr positiv darstellendem Aspekt. Andererseits kann auch eine viel eher textnahe Auslegung der Ausführung und Begründung von Glaubensinhalten dienen, also in einem solchen „dogmatischen“ Kommunikationszusammenhang stehen, in dem die Glaubenslehre in der Schrift gesucht und „aufgefunden“ wird. Zu beachten ist noch, dass es für Isidor nicht unbedingt nur eine einzige gültige Deutung einer Bibelstelle gibt. Etliche der in der vorliegenden Arbeit zitierten Briefe bieten mehr als eine Auslegung für eine besprochene Stelle an. Ep. 1303 zählt sogar ganze zehn „Tore“ auf, durch die man beim Verständnis von 1Kor 6,18 gehen könne!⁶⁷

4.2 Methoden der Textanalyse Eine mögliche, auf die antike Auseinandersetzung mit Literatur in Unterricht und Redekunst zurückgehende Einteilung von grundsätzlichen Methoden bzw. Tech Ep. 1303 (IV, 129) (SC 422, 328 – 336): Isidor zählt acht Aspekte auf, unter denen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe „Sünde gegen den eigenen Leib“ ist, und zwei alternative Referenzen für die Rede vom „eigenen Leib“ in 1Kor 6,18, nämlich die Kirche und den Ehepartner. Auch ep. 739 (II, 239) (PG 78, 676, D – 677, C) über Ps 4,5 bietet in großer Offenheit gleich mehrere Deutungsalternativen hinsichtlich verschiedener Verhältnisbestimmungen von Zorn und Sünde (die Aufforderung „Zürnt, und sündigt nicht!“ sei ein πολυσχιδές und πολύτροπον – a. a.O. 676, D1 f.). Ep. 781 (II, 281) (PG 78, 712, B6-D1) sieht in der Brotbitte des Vaterunser sowohl (mit σοφοί ἄνδρες, also Exegeten vor Isidor – Luz 2002, 449, erwähnt als Vertreter dieser Auslegungsart Origenes) eine mögliche Referenz auf den θεῖος λόγος mit Ableitung des Wortes ἐπιούσιος von οὐσία – das erbetene Brot vereinigt sich mit unserer Substanz, d. h. unserer Seele, als auch auf das materielle Brot für den Leib, soweit es für den jeweiligen Tag notwendig ist.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

niken der Textanalyse ist die in Verfahren, die sich direkt auf den Text und seine sprachliche Gestalt beziehen, und solche, die einen Aspekt des Textes durch Informationen von außen erhellen. Irgendwo dazwischen liegt die für Isidor wie für die gesamte antike Exegese sehr wichtige, ebenfalls schon in der vorchristlichen Literaturkritik wurzelnde Methode, diskussionswürdige Stellen eines Textes unter Zuhilfenahme anderer Stellen desselben Textes aufzuklären, an denen ein fragliches Wort, Konzept oder Thema ebenfalls vorkommt.⁶⁸ Solche anderen Stellen können dabei durchaus auch weit von der zu erklärenden Stelle entfernt stehen. Und in der antiken Bibelexegese bedeutet „derselbe Text“ prinzipiell den ganzen biblischen Kanon, dessen Urheber der Eine Gott ist, auch wenn etwa Isidor durchaus auch mit der notwendigen Konsistenz innerhalb der Gesamtheit der Aussagen eines menschlichen Autors der Bibel argumentieren kann.⁶⁹ Im Folgenden möchte ich den Einsatz dieser Techniken bei Isidor zur praktischen Veranschaulichung an einzelnen Beispielen zeigen. In den mit Bibeltexten arbeitenden Briefen, die ich unten in den Kapiteln 4.3 und 4.4 zur Darstellung der Arten der Schriftauslegung bei Isidor zitiere und bespreche, kommen diese Techniken selbstverständlich immer wieder zum Einsatz.

 Vgl. zu diesen Techniken Young 1997 (1), 76 – 81 für die pagane Tradition und ebd. 82– 90 für ihre Aufnahme in der christlichen Exegese, gezeigt insbesondere am Beispiel des Origenes. Young verwendet und erklärt als antike Begriffe διόρθωσις und ἀνάγνωσις für die Konstituierung des korrekten Textes, τὸ μεθοδικόν für die Klärung von Wortbedeutungen, Grammatik und Syntax, Stilfiguren und Etymologien – auch mithilfe von Querbezügen innerhalb eines Textkorpus – und τὸ ἱστορικόν für die Bereitstellung externer Informationen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit erzählter „Geschichte“. Vgl. auch Young 1989, dort besonders 187. Als Quelle erwähnt Young nur Quintilians Institutio oratoria. Die Begriffe „methodice“ und „historice“ erscheinen ebd. 1,9,1 (S. 57, 31 Winterbottom) (vgl. Marrou 1958, 371; Young 1997 (1) 78 f.; Erläuterung bei Ax 2011, 404 f.). Einen Beleg aus dem griechischen Bereich für διόρθωσις, ἀνάγνωσις und τὸ ἱστορικόν (nicht für τὸ μεθοδικόν) liefert Marrou 1958, 230 – 232, nämlich die Scholien zu Dionysius Thrax (S. 10,8 – 10 Hilgard; dort: „Τέχνη· συνέστηκε γὰρ ἐκ μερῶν τεσσάρων, διορθωτικοῦ, ἀναγνωστικοῦ, ἐξηγητικοῦ καὶ κριτικοῦ, καὶ ἐξ ὀργάνων τεσσάρων, γλωσσηματικοῦ, ἱστορικοῦ, μετρικοῦ καὶ τεχνικοῦ“). Natürlich sind diese Analysetechniken als solche – mit welchen Bezeichnungen auch immer – auch für die Antike nicht spezifisch, sondern vielfach mehr oder weniger bis heute Grundlage der Beschäftigung mit Texten, so etwa auch in der vorliegenden Arbeit beim Umgang mit dem Isidortext.  Freilich kann hier eine Stelle aus dem Kolosserbrief z. B. von „Pauluszitaten“ aus Hebr und aus der Areopagrede in Apg 17 flankiert werden. S. ep. 831 (III, 31) (PG 78, 749, D3 – 8 und 752, B8 – 12).

4.2 Methoden der Textanalyse

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4.2.1 Textimmanente Analyse Isidor bringt in einigen Briefen textkritische Argumente und Meinungen über Varianten oder Athetesen zur Sprache, teils im Rahmen seiner eigenen Argumentation, teils ohne Wertung, teils ablehnend. Es handelt sich um die Briefe 566⁷⁰; 804; das Ende von ep. 895⁷¹; 1244; 1576 und 1868⁷². Exemplarisch seien die Nummern 804, 1244 und 1576 zitiert: Ep. 804 bespricht Dan 8,10 θʹ; das „Horn“ der visionären Bildrede wird mit Antiochus Epiphanes identifiziert, die Makkabäer oder alternativ die jüdischen Märtyrer der Makkabäerzeit mit den „Sternen“, weswegen die Geschichte der Makkabäer für „historische“ Querverweise herangezogen wird. Die Alternative „Kämpfer“ oder „Märtyrer“ als Referenz für die „Sterne“ ergibt sich durch ein Antistoichaproblem, das beim Schreiben zu einem textkritischen Problem wird. Die spätantike, mittel- und neugriechische Aussprache der Buchstabenkombination αι unterscheidet sich nicht von der des Buchstaben ε, weswegen in Dan 8,10 θʹ „ἔπεσεν“ oder aber „ἔπαισεν“ gelesen werden konnte: Weil diese Sache auch denen entgangen ist, die sich intensiv mit der Lektüre [der Heiligen Schrift] beschäftigen, möchte ich auch dich nicht tadeln, dass du sie nicht registriert hast, sondern (die Sache) kurz darstellen: So wie der Apostel diejenigen, die durch einwandfreie Lebensführung den Betrachtern Erleuchtung bringen, Sterne nennt, wenn er schreibt: „[…] unter denen ihr wie Lichter in der Welt seid“⁷³, so nennt auch Daniel die, die wegen ihrer Orthodoxie hervorstrahlen und wegen ihrer Lebensführung herausragen, Sterne. Er sagt ja: „Und [das Horn] fiel auf die Erde von den Sternen und von der Macht⁷⁴“⁷⁵, nicht so, als ob die Sterne heruntergefallen seien, wie manche glaubten – nein, in dem Sinn, dass Antiochus Epiphanes (denn von ihm handelte die Rede des Engels), von den Makkabäern in strahlender

 Ep. 566 (II, 66) (PG 78, 509, A7-B1: Ps 73,15b sei nicht zu athetieren, auch wenn der Versteil in einigen jüngeren Handschriften nicht zu finden sei).  Ep. 895 (III, 95) (PG 78, 804, B-C: Isidor lässt offen, ob der Vorschlag, die Kola von der Herrschaft des Menschen über die Tiere in Gen 1,26.28 zu athetieren, eine sinnvolle Lösung der Frage ist, warum der Mensch, der nach Isidor gerade als Herrscher über die Erde Bild Gottes ist, sich vor den wilden Tieren fürchtet. Isidor argumentiert mit dem Sündenfall, durch den diese Furcht in die Welt gekommen sei).  Zu den Briefen 1576 (IV, 113) (SC 454, 282) und 1868 (IV, 112) (SC 586, 236– 242) s. auch oben S. 47 f. Ep. 1868 bringt nach der Besprechung der zunächst im Mittelpunkt stehenden Stelle 1Tim 4,3 eine Fülle von Beispielen für aus Isidors Sicht problematische Textüberlieferung in der Bibel und diskutiert diese mit dem Ziel, „die Aussage der Schrift […] als fest und solide“ zu erweisen „und die scheinbare Unklarheit“ aufzulösen („ταῦτα εἰπὼν ἃ τὸν νοῦν τῶν γραφῶν […] συνίστησι, βέβαιόν τε καὶ πάγιον ἀποφαίνει καὶ τὴν δοκοῦσαν ἀσάφειαν διαλύει“ – SC 586, 242, 57– 59).  In etwa Phil 2,15.  Vgl. LSJ s. v. ἀπό A. III. 4. und 6.  In etwa Dan 8,10 θʹ.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Weise geschlagen, auch die Herrschaft über Judäa verloren hatte [wörtl.: aus der Herrschaft über Judäa herausgefallen war].⁷⁶ Denn er sagte ja nicht: „Die Sterne fielen“, sondern jener ist gefallen durch die Sterne, die herrlich kämpften, das heißt er wurde (durch sie) besiegt. Wenn aber jemand das Wort „ἔπεσεν“ wie „ἐπάταξεν“ (er schlug) verstehen will (denn auch so wird es oft verwendet, wie in: „er schlägt“ („ἔπαισεν“ für „ἐπάταξε“), „und seine Hände heilen auch“⁷⁷, wenn die zweite Silbe als Diphthong geschrieben wird), kann es besagen, dass er (Antiochus) die sieben Brüder und ihre Mutter schlug⁷⁸, außerdem Eleasar, den Priester⁷⁹, die eine strahlende und glänzende Lebensführung an den Tag legten und wie Sterne in der Welt leuchteten. Denn „Makkabäer“ heißt übersetzt das, was bei den Persern „κοίρανος“ heißt, also „Herrscher“. Denn zu jenen Zeiten, als von Antiochus die Katastrophe gegen jene hochberühmten Männer ins Werk gesetzt wurde, hielten die Makkabäer stand und vertrieben ihn aus dem Land. Deshalb wurde auch für die, die die Folter ertrugen, dieser Name üblich. Makkabäer wurden also auch die genannt, die zur Zeit der Makkabäer Unerträgliches aushielten und die althergebrachten Gesetze nicht verrieten.⁸⁰

Ep. 1244 legt Röm 1,32 aus. Isidor liefert eine Deutung der Stelle, die die offenbar von anderen Exegeten vorgenommenen Eingriffe in den Text vermeidet: Du hast ja dafür gesorgt, dass wir wieder Schätze des Apostels aufspüren – denn du hast gefragt: „Was bedeutet der Satz: ‚Und sie tun das nicht nur, sondern schenken auch noch denen Beifall, die es tun‘⁸¹?“, und hast hinzugefügt: „Wenn das Tun (doch) schwerer wiegt

 Vgl. 1Makk 6; 2Makk 9.  Ijob 5,18.  Vgl. 2Makk 7.  Vgl. 2Makk 6,18 – 31.  Ep. 804 (III, 4) (PG 78, 729, B1-D7): „Ἐπειδὴ καὶ τοὺς κομιδῇ προσέχοντας τῇ ἀναγνώσει τὸν νοῦν τοῦτο διέλαθεν, οὐκ ἄν σε αἰτιασαίμην ὡς μὴ ἀναγινώσκοντα· ἀλλὰ συντόμως φράσαιμι· Ὥσπερ ὁ ᾿Aπόστολος ἀστέρας καλεῖ τοὺς διὰ τῆς ἀρίστης πολιτείας τοὺς θεωμένους φωτίζοντας γράφων· ‚Ἐν οἷς ἐστε ὡς φωστῆρες ἐν κόσμῳ‘, οὕτω καὶ ὁ Δανιὴλ ἀστέρας καλεῖ τοὺς λαμπροὺς μὲν δι᾿ εὐσέβειαν, ἀρίστους δὲ διὰ πολιτείαν. Φησὶ γάρ· ‚Καὶ ἔπεσεν ἐπὶ τὴν γῆν ἀπὸ τῶν ἀστέρων καὶ ἀπὸ τῆς δυνάμεως‘ οὐχ ὡς τῶν ἄστρων πεπτωκότων, ὡς ᾠήθησάν τινες – ἄπαγε, ἀλλ᾿ ὡς ᾿Aντιόχου τοῦ Ἐπιφανοῦς (περὶ γὰρ αὐτοῦ ἦν τῷ ἀγγέλῳ ὁ λόγος) ὑπὸ τῶν Μακκαβαίων λαμπρῶς ἡττηθέντος καὶ τῆς Ἰουδαϊκῆς ἀρχῆς ἐκπεπτωκότος. Οὐ γὰρ εἶπεν· ‚Οἱ ἀστέρες ἔπεσαν‘, ἀλλ᾿ ἐκεῖνος ὑπὸ τῶν ἀστέρων λαμπρῶς ἀγωνισαμένων πέπτωκε, τουτέστιν ἡττήθη. Εἰ δέ τις τὸ ‚ἔπεσεν‘ ‚ἐπάταξεν‘ ἐκλάβοι (καὶ οὕτως γὰρ πολλάκις λέγεται, ὡς τὸ ‚ἔπαισεν‘, ἀντὶ τοῦ ‚ἐπάταξε‘, ‚καὶ αἱ χεῖρες αὐτοῦ ἰάσαντο‘, τῆς δευτέρας συλλαβῆς διὰ διφθόγγου γραφομένης), δύναται λέγειν, ὅτι ἐπάταξε τοὺς ἐπτὰ ἀδελφοὺς καὶ τὴν μητέρα, Ἐλεάζαρόν τε τὸν ἱερέα, λαμπρὰν καὶ ἀστράπτουσαν πολιτείαν ἐπιδειξαμένους καὶ καθάπερ ἀστέρας ἐν γῇ φανέντας. Μακκαβαῖος γὰρ ἑρμηνεύεται οἱονεὶ παρὰ Πέρσαις ‚κοίρανος‘, τουτέστι ‚δεσπότης‘. Ἐν τοῖς καιροῖς τοιγαροῦν ἐκείνοις, ἐν οἷς ἡ κατὰ τῶν εὐδοκιμωτάτων ἐκείνων ἀνρδῶν ἐτολμήθη τῷ ᾿Aντιόχῳ τραγῳδία, οἱ Μακκαβαῖοι συστάντες ἐξήλασαν ἐκεῖνον τῆς χώρας. Διὸ καὶ τοῖς βασανισθεῖσι τοὔνομα ἐξενίκησε. Μακκαβαῖοι γὰρ ἐκλήθησαν καὶ οἱ ἐν τοῖς Μακκαβαϊκοῖς χρόνοις τὰ ἀνήκεστα ὑπομεμενηκότες καὶ μὴ ἐξομοσάμενοι τοὺς πατρῴους νόμους.“  Röm 1,32.

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als das Gutheißen, aus welchem Grund hat es dann Paulus in diese Reihenfolge gebracht?“. Also konzentriere dich ein wenig, so dass du das, was der Apostel meint und was dir entgeht, fassen kannst⁸², und hör zu! Schon einige Ausleger haben, weil sie das Gesagte nicht verstanden haben, sondern wie du in Verlegenheit gerieten und meinten, die Worte des Apostels seien verderbt überliefert, diese Worte wie folgt erklärt: „[dass die, die solches tun, den Tod verdienen], nicht nur die, die es tun, sondern auch die, die denen, die es tun, Beifall schenken“. So stand es, sagten sie, im Urtext, damit das Tun vor dem Gutheißen rangiert. Ich hingegen will weder behaupten, dass die Paulushandschriften an dieser Stelle fehlerhaft sind, noch diejenigen angreifen, denen hier das Verständnis fehlt – denn vielleicht haben sie, auch wenn sie an dieser Stelle unterliegen, an anderen Stellen die Oberhand und haben etwas verstanden, worüber ich noch nicht zur Einsicht gelangt bin – ich will (einfach) sagen, was ich verstanden habe, und denen, die es lesen, das Urteil überlassen. Ich sage also: Weil es viel schwerwiegender ist, die, die sündigen, zu loben, als (selbst) zu sündigen und gewichtiger im Hinblick auf Bestrafung⁸³, deshalb ist mit Recht gesagt: „Sie tun das nicht nur, sondern schenken auch noch denen Beifall, die es tun“. Denn wer, nachdem er gesündigt hat, seine Sünde verurteilt, kann sich mit der Zeit vielleicht wieder moralisch erneuern, weil ihm die Verurteilung seiner Sünde zur Umkehr sehr hilft; wer aber die Schlechtigkeit lobt, beraubt sich selbst der Hilfe, die aus der Reue entspringt. Weil also dieses moralische Urteil [das Lob für die Sünde] ein Zeichen einer verdorbenen Urteilskraft und einer unheilbar kranken Seele ist, wird mit Recht der, der die Sünde lobt, als viel gesetzesbrecherischer beurteilt als der, der sündigt. Denn der Letztere wird sehr schnell, der Vorgenannte aber überhaupt nicht von der Sünde Abstand nehmen, wenn nämlich das jeweilige Urteil dessen, der die Sünde tut, und dessen, der die Sünde gutheißt, die Oberhand gewinnt.⁸⁴

Ep. 1576 beschäftigt sich mit Hebr 9,17. Hier plädiert Isidor auch aufgrund eigenen Handschriftenstudiums für eine Korrektur des Hauptstroms der Überlieferung: In der Meinung, dass Paulus sich zum Gegenteil dessen gewandt hat, was er sich vorgenommen hatte zu sagen, hast du in deinem Brief gefragt, was der Satz bedeutet: „Ein Testament ist nämlich im Todesfall rechtskräftig, weil es vielleicht ⁸⁵ in Kraft ist, wenn der, der es gemacht hat, noch lebt“⁸⁶. Ich antworte, dass das „μήποτε“ „μὴ τότε“ heißt, weil ein Häkchen einem Buchstaben, vielleicht von irgendwelchen ungebildeten Leuten, hinzugefügt

 Isidors Wortspiele mit dem Sinnspektrum von νοῦς (Geist / Bedeutung) und mit „jagen“ und „fangen“ kann man im Deutschen kaum nachahmen.  Dies ist eine in der antiken Exegese gängige Erklärung der Stelle. Vgl. Bray 1998, 50 f.  Ep. 1244 (IV, 60) (SC 422, 224– 226). Zum Inhalt vgl. ep. 1437 (V, 159) (SC 454, 58 – 60).  Zu diesem Verständnis von μήποτε, das von Isidors Briefpartner angegriffen wird, vgl. LSJ s.v. 3. Vgl. Évieux z. St. In ep. 770 (II, 270) (PG 78, 700, B-C; Text, Übersetzung und Kommentar bei Runia 1995, 167– 171) bespricht Isidor Jes 6,10 und deutet dort μήποτε selbst im Sinn von „vielleicht“, was er durch drei biblische Querverweise und einen Verweis auf Philons Sprachgebrauch untermauert.  Hebr 9,17.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

wurde; denn so [nämlich mit μὴ τότε] habe ich es auch in alten Handschriften gefunden⁸⁷ – er, der mit göttlichem Geist ausgestattet und für Hermes gehalten wurde, hätte sich nicht selbst widersprochen. [Der Satz ist also so zu verstehen]: „Denn weil (ein Testament) nicht dann in Kraft ist, wenn der, der es gemacht hat, noch lebt, wird es nach dem Tod rechtskräftig“. Wenn aber „μή ποτε“ dort stehen bleiben sollte, darf man den Akzent nicht auf das μή setzen, sondern auf das πότε, damit es „auf keinen Fall“ bedeutet.⁸⁸

Immer wieder argumentiert Isidor aus der Beobachtung von Syntax und Grammatik biblischer Stellen heraus. Solche Argumentationen können in den verschiedensten Kommunikationszusammenhängen Verwendung finden. So erklärt ep. 18 in einem antijüdischen polemisch-lehrhaften Kontext die Bedeutung der Konjunktion ἕως.⁸⁹ Ziel ist die Verteidigung der Lehre von der geistgewirkten Empfängnis Jesu und der andauernden Jungfrauschaft seiner Mutter. Weitere exegetische Techniken in dem Brief sind Querverweise auf andere Bibelstellen, an denen ἕως vorkommt, und auf weitere Lebensstationen Marias: Du hast gesagt, das folgende in den heiligen Sprüchen gesagte Wort sei für die Juden ein Stein des Anstoßes: „Er erkannte sie nicht, bis (ἕως οὗ) sie ihren Sohn gebar“⁹⁰, als ob gemäß der Schrift der Verlobte danach mit der Jungfrau Verkehr gehabt habe. Dazu soll das gotteslästerliche und undankbare Volk erkennen, dass wir „ἕως“ in der Heiligen Schrift oft mit Bezug auf das Fortdauernde (τὸ διηνεκῶς) finden. „Bis ich deine Feinde als Schemel unter deine Füße lege“⁹¹ – dort bedeutet es „fortlaufend“. „Und die Taube kehrte nicht zu Noach zurück, bis die Erde trocken wurde“⁹², und sie kehrte dauerhaft nicht mehr zurück. Und: „Bis

 Das Novum Testamentum Graece verzeichnet die Variante für ‫ *א‬und D*.  Ep. 1576 (IV, 113) (SC 454, 282): „Ἐπειδὴ γέγραφας, νομίζων εἰς τοὐναντίον οὗ προῄρητο εἰπεῖν περιτετράφθαι τὸν Παῦλον· Τί ἐστι ‚Διαθήκη γὰρ ἐπὶ νεκροῖς βεβαία, ἐπεὶ μήποτε ἰσχύει ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος‘; ἀντεπιστέλλω ὅτι τὸ ‚μήποτε‘ ‚μὴ τότε‘ ἐστίν, μιᾶς κεραίας ἑνὶ στοιχείῳ ὑπό τινων ἴσως ἀμαθῶν προστεθείσης· οὕτω γὰρ εὗρον καὶ ἐν παλαιοῖς ἀντιγράφοις – οὐ γὰρ ἂν ὁ θείῳ πνεύματι κοσμηθεὶς καὶ Ἑρμῆς εἶναι νομισθεὶς εἰς τοὐναντίον περιετράπη· ‚Ἐπειδὴ γὰρ μὴ τότε ἰσχύει ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος, μετὰ θάνατον βεβαιοῦται‘. Εἰ δὲ ‚μή ποτε‘ κέοιτο, οὐκ εἰς τὸ ‚μή‘ τὸν τόνον ἀναπεμπτέον, ἀλλ᾿ εἰς τὸ ‚πότε‘, ἵνα ᾖ ‚μηδαμῶς‘.“ Zum letzten Satz vgl. die Bemerkung von Évieux z. St.: „La remarque d’Isidore sur l’accentuation laisse un peu perplexe“. Es gebe hier zudem Fehler in allen Isidorhandschriften.  Der Beamte Herminos, an den sich der Brief richtet, ist nach Évieux „l’un des correspondants privilégiés d’Isidore“. Das Korpus enthält 41 Briefe an ihn, in denen Évieux eine religiöse Entwicklung des Herminos ausmacht (in der in ep. 317 (I, 317) (PG 78, 365, C1– 5) erwähnten Zehntabgabe sieht er einen Hinweis darauf, dass Herminos im Zuge dieser Entwicklung getauft worden war). Ep. 18 verortet Évieux am Anfang dieser Entwicklung. Vgl. Évieux 1995, 117 f.  Mt 1,25.  Ps 109,1.  Vgl. Gen 8,7. Dort geht es allerdings um den Raben, den Noach vor der Taube aus der Arche nach draußen schickt.Vgl. Rittershausen z. St. Auch was Isidor mit dem zweiten Kolon meint, wird nicht ganz klar.

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ihr alt werdet, bin ich“⁹³, sagt Gott. Und gemeint ist: „durchgehend“. Und vieles andere von dieser Art findet sich verstreut in der Heiligen Schrift. Und der göttliche Geist hat eure Feindseligkeit, ihr Juden, korrigiert, die ihr glaubt und behauptet, der Herr sei aus einem unzüchtigen Verhältnis hervorgegangen, und hat sich beeilt zu zeigen, dass seine anbetungswürdige Geburt ohne Verletzung der Jungfräulichkeit geschah und mit keinerlei Verlangen und keinem Geschlechtsakt in Verbindung stand; denn sie war Gott angemessen und für Menschen nicht fassbar. Und dass die (beiden), die (hier) verleumderisch der Unzucht verdächtigt werden, danach Verkehr miteinander hatten, das verhinderte nämlich die Erscheinung des Engels, dessen Worte es waren, dass der, der in der Jungfrau Fleisch annahm, vom Heiligen Geist war⁹⁴, und die Majestät der Wunderzeichen im Zusammenhang mit der Geburt ließ es nicht zu, nämlich die Jungfräulichkeit (auch) nach der Geburt, der Lobgesang der Engel, die Gaben der Weisen, die Wegweisung durch den Stern, die Führung nach Ägypten, die Entfernung der Götzenbilder und (überhaupt) die Gerechtigkeit jener beiden, wie sie von der Heiligen Schrift bezeugt wird. Klar wird es auch durch die letzte Verfügung des Herrn, wobei er ja Johannes, dem Jungfräulichen, die Gottesgebärerin anvertraute und ihre beiden jungfräulichen Lebensläufe miteinander verband, als er am Kreuz einen Tod erlitt, der Leben bewirkte.⁹⁵ Wenn das (alles) das Volk nicht überzeugt, das immer murrt und die Schlechtigkeit liebt, für das das Kämpfen gegen Gott für die Zukunft schon ein Teil seiner Natur geworden ist, dann säst du auf Felsen und schreibst auf Wasser; dann hör auf, dich sinnlos abzumühen.⁹⁶

 Jes 46,4.  Vgl. Mt 1,20.  Vgl. Joh 19,27.  Ep. 18 (I, 18) (PG 78, 192, B4 – 193, B): „Ἐπειδὴ σκάνδαλον εἶπας οἴεσθαι Ἰουδαίους [Akkusativ nach O V μ; PG hat Dativ] τὸ ἐν τοῖς θείοις χρησμοῖς εἰρημένον ‚Οὐκ ἐγίνωσκεν αὐτὴν, ἕως οὗ ἔτεκε τὸν υἱὸν αὐτῆς‘, ὡς μετὰ ταῦτα, φησὶ, συναφείας τῷ μνηστῆρι πρὸς τὴν Παρθένον γεγενημένης [nach O V μ; PG hat Aorist], γινωσκέτω ὁ βλάσφημος καὶ ἀχάριστος λαός, ὅτι τὸ ‚ἕως‘ πολλάκις καὶ ἐπὶ τοῦ διηνεκῶς [O V μ: ἐπὶ διηνεκοῦς] ἐν τῇ θείᾳ Γραφῇ εὑρίσκομεν κείμενον. [μ fügt ein: ὡς τὸ] ‚Ἕως ἂν θῶ τοὺς ἐχθρούς σου ὑποπόδιον τῶν ποδῶν σου‘, καὶ ἔστι διηνεκές. ‚Καὶ οὐκ ἀνέστρεψεν ἡ περιστερὰ πρὸς τὸν Νῶε, ἕως τοῦ ξηρανθῆναι τὴν γῆν‘, καὶ εἰς τὸ παντελὲς οὐκ ἀνέστρεψε. Καὶ: ‚Ἕως ἂν καταγηράσητε, ἐγώ εἰμι‘, φησὶν ὁ Θεός. Καὶ ἔστι διηνεκῶς. Καὶ ἄλλα τοιαῦτα πολλά σποράδην ἐν τῇ θείᾳ εὑρίσκεται Γραφῇ. Ὁ δὲ θεῖος νοῦς τὴν ὑμετέραν, ὦ Ἰουδαῖοι, κακόνοιαν διορθούμενος ἐκ πορνείας καὶ νομισάντων καὶ εἰρηκότων γεγεννῆσθαι τὸν Κύριον ἀνέπαφον δεῖξαι τὸν προσκυνητὸν ἐσπούδασε τόκον, πάσης δίχα ἐπιθυμίας καὶ συνουσίας γεγενημένον θεοπρεπῆ δὲ ὄντα καὶ ἄληπτον [Ο V: ἄλεκτον. Wenn die Erklärung von Poussines zu dieser Lesart zuträfe („ohne Beilager“), müsste es wohl ἄλεκτρον heißen (vgl. LSJ s.v.)]. Τὸ γὰρ μετὰ ταῦτα μὴ συμβῆναι ἀλλήλοις τοὺς τὴν πορνείαν συκοφαντηθέντας καὶ ἡ τοῦ ἀγγέλου ὄψις ἐκώλυεν ἐκ Πνεύματος ἁγίου εἰρηκότος ὑπάρχειν τὸν ἐν τῇ Παρθένῳ σαρκούμενον, καὶ ἡ μεγαλειότης τῶν τοῦ τόκου θαυμάτων οὐκ ἐπέτρεπεν, ἡ μετ᾿ αὐτὸν παρθενία, ἡ τῶν ἀγγέλων ὑμνολογία, ἡ τῶν Μάγων δωροφορία, ἡ τοῦ ἀστέρος φωταγωγία, ἡ εἰς Αἴγυπτον ὁδηγία, ἡ τῶν εἰδώλων αἰχμαλωσία, καὶ ἡ αὐτῶν ἐκείνων δικαιοσύνη ὑπὸ τῆς θείας Γραφῆς μαρτυρουμένη. Δηλοῖ δὲ καὶ ἡ τελευταία τοῦ Κυρίου διάθεσις Ἰωάννῃ τῷ παρθένῳ τὴν Θεοτόκον συστήσαντος καὶ τὰς ἑκατέρων παρθενίας συνάψαντος, ἡνίκα ἐπὶ τοῦ σταυροῦ ὢν ζωοποιὸν ὑπέμενε θάνατον. Εἰ ταῦτα οὐ πείθει τὸν γογγυστὴν καὶ φιλοπόνηρον λαὸν, οὗ εἰς φύσιν

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Ep. 69 ist an Maron, einen der von Isidor aufgrund ihres Lebenswandels heftig kritisierten „Skandalkleriker“ von Pelusium⁹⁷, gerichtet. Der kommunikative Kontext des Briefes ist daher paränetisch. Isidor greift Esslust (γαστριμαργία) und die seiner Auffassung nach damit eng zusammenhängende⁹⁸ sexuelle Lust an. Er bringt zahlreiche biblische Beispiele für die destruktiven Folgen der Esslust, angefangen bei Adam und Eva, sodann eine ebenso lange Reihe von Vorbildern des Fastens, die von Noach und seinen Söhnen angeführt wird: Hat nicht andererseits Fasten und Verzicht auf Geschlechtsverkehr Noach und seine Söhne vor dem Anbranden der Flut gerettet, die niemand erwartet hatte? Sie aßen ja Pflanzensamen und hatten keinen Umgang mit ihren Gattinnen zum fleischlichen Verkehr. Höre nämlich die Schrift, wie sie Noach befiehlt: „Geh in die Arche, du und deine Söhne und deine Frau und die Frauen deiner Söhne“⁹⁹! Trennt euch voneinander, sagt sie, die Männer für sich und die Frauen für sich. Unzucht und ausschweifendes Leben werden durch die herandringenden Wasser gezüchtigt¹⁰⁰; in diesem Zuge werdet ihr nicht einmal an den unbefleckten Verkehr (in der Ehe) gehen. Weil es darum ging, sagt (die Schrift) auch, als sie die Arche wieder verlassen: „Verlasse die Arche, du und deine Frau und deine Söhne und die Frauen deiner Söhne“¹⁰¹! Weggenommen (von der Erde) ist das sündhafte Geschlecht! Ihr seid wieder unter euch, und nun soll sich das gottesfürchtige Geschlecht wieder vermehren!¹⁰²

Dass Menschen Fleisch essen, beginnt in der Bibel erst nach der Sintflut mit Gen 9; also ernährten sich die Menschen in der Arche fleischlos-asketisch von „Pflanzensamen“ (σπέρματα). Isidor fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu: geschlechtliche Enthaltsamkeit, auf die er aus der syntaktischen Struktur von Gen 6,18 und Gen 8,16 schließt, wo beim Auftrag in die Arche zu gehen (Gen 6,18) die Reihenfolge lautet: „Noach – seine Söhne – Noachs Frau – die Frauen seiner Söhne“, während beim Verlassen der Arche (Gen 8,16) Noach auch syntaktisch wieder mit seiner Frau und seine Söhne mit ihren Frauen gekoppelt werden. Auch ep. 658 gehört zu den Briefen, in denen Isidor eine Gruppe von Klerikern in der Stadt zurechtweist, hier Martinianos, Zosimos, Maron und Eustathios,

λοιπὸν τὸ θεομαχεῖν κατέστη [O V: τὸν εἰς φύσιν λοιπὸν τὸ θεομαχεῖν μεταστήσαντα], κατὰ πετρῶν σπείρεις καὶ καθ᾿ ὑδάτων γράφεις, καὶ πέπαυσο ματαιοπονῶν.“  Vgl. zu seiner Person Évieux 1995, 218 f.  Vgl. unten Kap. 4, Anm. 396.  Gen 6,18.  Griechisch: „Πορνεία σωφρονίζεται καὶ ἀσέλγεια διὰ τῶν ἐπιφερομένων ὑδάτων“. Poussines gibt für O und V die eigenartige Lesart „πορνείᾳ σωφρονίζεσθε καὶ ἀσελγείᾳ“ an; diese lässt sich allerdings für O nicht am Digitalisat der Vatikanischen Bibliothek belegen.  Gen 8,16.  Ep. 69 (I, 69) (PG 78, 229, A15-C2).

4.2 Methoden der Textanalyse

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die in 24 Briefen als Adressaten zusammen auftreten.¹⁰³ Offenbar gebraucht die Gruppe die Stelle Jak 3,6 über die Macht der Zunge als Rechtfertigung ihres unmoralischen Verhaltens in einem irgendwie deterministischen Sinn („Wir können nichts dafür, wir sind eben so“). Isidor argumentiert dagegen mit der SubjektObjekt-Relation an der Stelle, die seine vier Gegner vertauschen würden: Meine Lieben, zu dem, was ihr euch ausgedacht habt, passt das göttliche Schriftstück nicht, sondern widerspricht ihm ganz und gar. Denn ihr habt gesagt, dass die Zunge vom Schicksal bewegt und in Wallung gebracht wird. Der heilige Spruch sagt dagegen, dass durch die Zunge die Zeit unseres Lebens in Verwirrung gerät. Kreisförmig ist nämlich die Zeit, weil sie sich immer wieder zu sich selbst zurückbiegt. Aber nichts ist so gut, wie die Schrift selbst zu hören.Was sagt sie? „Die Zunge steht unter unseren Gliedern so da, dass sie den ganzen Leib in Brand setzt und das Rad des Entstehens befleckt“¹⁰⁴, das heißt das Rad unseres Lebens. Sie [die Schrift] hat ja nicht gesagt: „Das Rad befleckt die Zunge“, sondern „Die Zunge (befleckt) das Rad“, das heißt die kreisförmige Zeit. Denn sie [die Schrift] macht die freie Willensentscheidung verantwortlich und wehrt die unbedachte Voreiligkeit ab, durch welche unser Leben mühsam wird und in zahllose Unregelmäßigkeiten gerät. Deshalb hat sie [die Schrift] auch hinzugefügt: „und von der Hölle in Brand gesetzt wird“¹⁰⁵. Das hätte sie nicht hinzugefügt, wenn die Zunge unfreiwillig bewegt würde. Dass sie aber die Zeit ein Rad nannte wegen ihrer kreisförmigen runden Gestalt (denn sie rollt sich zu sich selbst zurück), das bezeugt der Psalmist, wenn er sie einen Kranz nennt und zu Gott sagt: „Du wirst den Kranz des Jahres deiner Güte segnen“¹⁰⁶. Denn auch dort heißt die Zeit mit Recht von ihrer runden Gestalt her ein Kranz. Wenn ihr euch also nicht lächerlich machen wollt, dann bringt nicht diesen Spruch vor, der zu dem, was ihr wollt, im Gegensatz steht, so als ob er dazu passen würde, sondern würgt eure Zunge mit zahllosen Zügeln ab.¹⁰⁷

 Vgl. Évieux 1995, 394. Vgl. zum Brief Cambe 2012, 402– 406. Cambe lobt in seinem Artikel Isidor für „une inventivité interprétative remarquable“ (a. a.O. 388) und paraphrasiert Isidors Erklärungen zu Jak 3,6 als interessante Anregungen für die bis heute umstrittene Exegese des Verses.  Jak 3,6; allerdings unter Vertauschung der beiden Partizipien, die im Deutschen durch die beiden Prädikate des Konsekutivsatzes wiedergegeben sind. Cambe übergeht diese eigenartige von Isidor vorgenommene Vertauschung in seinem Artikel. Vielleicht liegt ein Versehen Isidors vor; immerhin ist der grundsätzliche Sinn der beiden Verben ähnlich: es geht um negative Veränderung. Ein weiterer Ausdruck aus Jak 3,6 – die Bezeichnung der Zunge als „κόσμος τῆς ἀδικίας“ – wird von Isidor in ep. 1298 (IV, 10) (SC 422, 322– 324) textnah besprochen – dort in unpolemischem Kontext mit vornehmlich texterklärender Zielrichtung und zwei verschiedenen Interpretationsvorschlägen (SC 422, 322, 1 f.: διττὴ ἑρμηνεία). Vgl. Cambe 2012, 392– 395.  Ebd.  Ps 64,12, vgl. dazu ausführlich ep. 1566 (IV, 1) (SC 454, 260).  Ep. 658 (II, 158) (PG 78, 613, A-B): Οὐ συνᾴδει, ὦ βέλτιστοι, ἀλλὰ καὶ κομιδῇ ἀπᾴδει τῷ ὑφ᾿ ὑμῶν νενοημένῳ τὸ θεῖον γραφεῖον. Ὑμεῖς μὲν [μὲν eingefügt aus μ] γὰρ ἔφατε ὑπὸ τῆς εἱμαρμένης τὴν γλῶτταν κινεῖσθαι καὶ συνταράττεσθαι. Τὸ δ᾿ ἱερὸν λόγιον τοὐναντίον φάσκει ὑπὸ τῆς γλώττης συγχεῖσθαι τὸν χρόνον τῆς ζωῆς ἡμῶν. Τροχοειδὴς γὰρ ὁ χρόνος εἰς ἑαυτὸν ἀνακυ-

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Ep. 770¹⁰⁸ beschäftigt sich mit Jes 6,9 f. und analysiert die wechselnden Sprechrichtungen der Verse: Gott richtet sich an den Propheten mit der Aufforderung zum Aufbruch; der Prophet soll sich ans Volk wenden; Gott spricht zum Propheten über das Volk. Sodann interpretiert Isidor das Wort μήποτε nicht als Konjunktion, sondern als Adverb („vielleicht“), was er mit Querverweisen untermauert. Der kommunikative Kontext ist die sachliche Klärung und Belehrung über das Isidor so wichtige Thema der Willensfreiheit, insbesondere der Möglichkeit der Menschen zur freiwilligen Umkehr. Unter der Nummer 831 an den Grammatiklehrer Ophelios¹⁰⁹ findet sich ein langer Brief mit antihäretisch-lehrhafter Ausrichtung. Isidor schlägt eine eigenwillige Lösung¹¹⁰ für die Frage vor, wie Kol 1,15 im Einklang mit der Lehre von der Wesensgleichheit von Vater und Sohn verstanden werden kann: Ich will die ausgetretenen Pfade liegen lassen und klar sagen, was mir vorschwebt, auch wenn ich (damit) für manche einen eher neuen Interpretationsweg einschlagen dürfte. Das Wort „πρωτοτοκος“ bedeutet, wenn die zweite Silbe betont wird, den, der als erster hervorgebracht wurde, wenn die vorletzte betont wird, aber den, der erstmals hervorgebracht hat. Und das wisst gerade ihr, die ihr euch auf Homer bezieht, genau. „Πρωτοτοκος“ heißt bei ihm nämlich die [Kuh], die zum ersten Mal geboren hat.¹¹¹ Es ist also wahrscheinlich, ja

κλούμενος. Οὐδὲν δὲ οἷον αὐτῆς ἀκοῦσαι τῆς Γραφῆς. Τί οὖν φησιν; ‚Ἡ γλῶσσα καθίσταται ἐν τοῖς μέλεσιν ἡμῶν φλογίζουσα ὅλον τὸ σῶμα καὶ σπιλοῦσα τὸν τροχὸν τῆς γενέσεως‘, τουτέστι τὸν τροχὸν [Text nach μ] τῆς ζωῆς ἡμῶν. Οὐ γὰρ εἶπεν, ὅτι ‚Ὁ τροχὸς σπιλοῖ τὴν γλῶτταν‘, ἀλλ᾿ ‚Ἡ γλῶττα τὸν τροχὸν‘, τὸν τροχοειδῆ δηλονότι χρόνον. Τὴν γὰρ προαίρεσιν αἰτιᾶται καὶ τὴν προπέτειαν ἀναστέλλει, ὑφ᾿ οἷς ὁ βίος ἡμῶν ἐκτραχύνεται καὶ μυρίαις ἀνωμαλίαις ὑποπίπτει. Διὸ καὶ ἐπήγαγε ‚καὶ φλογιζομένη ὑπὸ τῆς γεέννης‘, οὐκ ἂν τοῦτο προσθεῖσα, εἴγε ἄκουσα ἡ γλῶττα ἐκινεῖτο. Ὅτι δὲ τροχὸν τὸν χρόνον ἐκάλεσε διὰ τὸ τροχοειδὲς καὶ κυκλικὸν σχῆμα (εἰς ἑαυτὸν γὰρ ἀνελίττεται) ἐγγυᾶται ὁ Μελῳδὸς στέφανον αὐτὸν καλέσας καὶ εἰπὼν πρὸς τὸν Θεόν· ‚Εὐλογήσεις τὸν στέφανον τοῦ ἐνιαυτοῦ τῆς χρηστότητός σου‘. Κἀνταῦθα γὰρ ἀπὸ τοῦ κυκλικοῦ σχήματος στέφανος εἰκότως ὁ χρόνος ὠνόμασται. Εἰ τοίνυν βούλεσθε γέλωτα μὴ ὀφλισκάνειν, μὴ τὸ ἐναντίον τοῖς οἰκείοις βουλήμασι λόγιον ὡς συνᾷδον προφέρετε, ἀλλὰ μυρίοις χαλινοῖς τὴν γλῶσσαν ἄγχετε.“  Ep. 770 (II, 270) (PG 78, 697, D5 – 701, A6), vgl. auch Runia 1995, 167– 171.  An Ophelios sind bis zu 29 Isidorbriefe gerichtet (Évieux 1995, 402).Weil es in ep. 870 (III, 70) (PG 78, 780) an ihn um Zosimos geht, verortet Évieux ihn in Pelusium; er vermutet in ihm einen ehemaligen Schüler Isidors (a. a.O. 146). Zu der Briefgruppe an Ophelios vgl. auch Treu 1997.  Vgl. Évieux 1995, 335, zu diesem Brief: „Mais s’il [Isidor] copie ou imite ses devanciers [wie an anderen Briefen zu beobachten], il est également capable d’invention […] Sa formation littéraire le prédisposait à ces précisions sémantiques ou grammaticales qu’il affectionne“.  Il. 17,5: „[μήτηρ] πρωτοτόκος κινυρή, οὐ πρὶν εἰδυῖα τόκοιο“.Vgl. Bayer 1915, 83; sein Verweis auf die Homerscholien wirkt allerdings wenig überzeugend: Isidor formuliert weitgehend gerade anders als das von Bayer zitierte Scholion. So verwendet er gerade nicht den Ausdruck προπαροξύνειν, dafür aber das Adverb πρώτως bei der Erklärung der „aktivischen“ Form πρωτοτόκος. Die Akzentregel, die Isidor an Homer – mit süffisantem Seitenhieb auf seinen Briefpartner als

4.2 Methoden der Textanalyse

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sogar notwendig, anzunehmen, dass auch an unserer Stelle der göttlich inspirierte Paulus etwas Derartiges im Sinn hatte und nicht lehrte, dass er [Christus] als erster der (ganzen) Schöpfung erschaffen ist – das sei ferne, da er ihn doch „Abglanz der Herrlichkeit und Abbild des Wesens“¹¹² des Vaters nennt¹¹³, sondern dass er als erster die Schöpfung hervorgebracht, das heißt gemacht hat, so dass er – bei Betonung der dritten Silbe – der „erstmalige Erzeuger“ (πρωτογόνος), nicht der „Ersterzeugte“ (πρωτογενής), der „erstmalige Schöpfer“ (πρωτοκτίστης), nicht der „Ersterschaffene“ (πρωτόκτιστος) ist. Wenn aber an unserer Stelle der Begriff „τόκος“ („Erzeugung“, „Geburt“) für die Erschaffung genommen wurde, soll sich niemand darüber wundern, da ja auch anderswo gesagt ist: „Den Gott, der dich gezeugt hat, hast du verlassen“¹¹⁴, und: „Söhne habe ich erzeugt und groß gemacht“¹¹⁵, und: „Ich sagte: Götter seid ihr alle und Söhne des Höchsten“¹¹⁶. Denn weil Gott bei der Zeugung ohne Leidenschaft gezeugt hat und beim Schöpfungsakt ohne Leidenschaft und in Gott angemessener Weise und mühelos erschafft, verwendet die Schrift diese Begriffe nicht, damit wir die Zeugung als Schöpfung und die Schöpfung als Zeugung verstehen, wie es die Häretiker offenbar in böser Absicht unternehmen, sondern um vor Augen zu führen, wie leicht und frei von Leidenschaft Gott dabei war.¹¹⁷ Wenn aber jemand, nur sein Vorurteil bedienend und ohne Blick auf die Wahrheit, widersprechen möchte, möchte weder ich mich selbst beurteilen noch dürfte jener dazu berechtigt sein, (über sich selbst zu richten). Überlassen wir also die Sache unbestechlichen Richtern – lassen wir die Hörer Richter sein! Wenn also jener etwas beweisen kann, soll er es beweisen. Wenn er aber von mir den Beweis fordert, werde ich den Mann [Paulus] selbst vorbringen, der das Betreffende gesagt hat. Denn nach den Worten „Der, der erstmals die ganze Schöpfung geboren hat“¹¹⁸ fährt er fort: „Denn in ihm wurde alles erschaffen, das in

Grammatiklehrer – ja nur belegt, die aber auch jenseits von Homer gültig ist, ist sicher Allgemeingut.  Hebr 1,3.  Paulus, der für Isidor auch der Autor des Hebräerbriefs ist, widerspricht sich nicht selbst. Kol 1,15 kann nicht einen Sinn haben, der Hebr 1,3 widerspricht; denn die göttlich inspirierte Schrift und hier auch im Besonderen das inspirierte Gedankengut des Paulus ist eine konsistente Einheit. Ebenso argumentiert Isidor noch einmal etwas weiter unten mit Apg 17,28, einem Zitat aus der Rede des Paulus auf dem Areopag, das für Isidor auf einer Ebene mit Paulusstellen aus den Briefen steht.  Dtn 32,18.  Jes 1,2.  Ps 81,6.  Vgl. ep. 1155 (III, 355) (PG 78, 1012, C1– 12); ep. 1738 (IV, 142) (SC 586, 72– 74) und ep. 941 (III, 141) (PG 78, 837, B10-C1 über den Sohn, der zu Recht Logos heißt, weil er „θᾶττον ἢ λόγος δημιουργεῖ καὶ ἀπαθῶς ἐτέχθη“ S.u. S. 178 den ganzen Brief). Isidor meint offenbar Folgendes: Leichtigkeit und Freiheit von Leidenschaft sind das Verbindende zwischen „Zeugung“ und „Schöpfung“ bei Gott; und unter diesem Aspekt kann die Schrift auch von „Zeugung“ von Geschaffenem durch Gott im Sohn, dem „Ersterzeuger“, sprechen. Zeugung geschieht bei Gott so frei von (sexueller) Leidenschaft wie beim Menschen „Schöpfung“, Schöpfung geschieht bei Gott so mühelos wie beim Menschen Zeugung.  Kol 1,15.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

den Himmeln und das auf der Erde“¹¹⁹. Wenn er nun gesagt hat: „nach ihm wurde (alles) erschaffen“, dann urteilt zugunsten des Anklägers. Wenn aber: „in ihm“ – denn im Schöpfer ist die Erschaffung und das Bestehen von allem, was er [Paulus] auch an einer anderen Stelle verdeutlicht: „Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“¹²⁰, dann haben wir, glaube ich, einen Sieg eingefahren, dem man nicht mehr widersprechen kann. Und wenn ich auch noch das zitiere, was dann folgt, ist der Sieg noch strahlender. Denn er [Paulus] sagt: „Und er ist vor allen Dingen“¹²¹. Er hat nicht gesagt: „Er ist vor allen Dingen geworden“, sondern: „Er ist vor allen Dingen, und alles hat in ihm Bestand“¹²². Er hat nicht gesagt: „mit ihm“, und auch nicht: „nach ihm“ wurde es erschaffen; warum weisen sie dann die zurück, die sagen, Einziggezeugter (μονογενής) (sei der Sohn) der Gottheit nach, Erstgezeugter (πρωτότοκος) der neuen Schöpfung der Menschheit nach¹²³? Und wenn es weder so verstanden werden noch „Erstschöpfer“ (πρωτοκτίστης) heißen soll¹²⁴, kann das „πρωτότοκος“, wenn es mit dem „μονογενής“ verbunden wird, die echte Abstammung bezeichnen; denn jemand kann sowohl der erstgezeugte als auch der einzige Sohn (καὶ πρωτότοκος καὶ μονογενὴς υἱός) sein; bei geschaffenen Dingen aber geht das nicht. Entweder „einziggeschaffen“ (μονόκτιστος) oder „erstgezeugt“ (πρωτογενής)! Das eine schließt das andere aus. Was hätte denn dann dagegen gesprochen, ihn [den Sohn] offen den „Ersterschaffenen aller Schöpfung“ (πρωτόκτιστος πάσης κτίσεως) zu nennen? Aber wie kann er Einziggezeugter sein, wenn man „Ersterschaffener“ (πρωτόκτιστος) versteht? Denn die Bezeichnung als „einzig“ lässt ein „Anderes“ nicht zu, und die Zuschreibung „Erstes“ weist die Bezeichnung als „Einziges“ zurück. Und wie unterscheidet er [der Sohn] sich von den Geschöpfen, wenn das eben Gesagte gilt, wenn er eben auch selbst geschaffen wurde? Wie kann es sein, dass sie [Isidors Gegner] nicht rot werden, wenn sie ein Geschöpf anbeten und dabei mit ihren eigenen Urteilen im Streit liegen? Denn sie verbieten es als eine heidnische Sache, die Schöpfung anzubeten, und tun es doch selbst, ohne es zu bemerken. Man muss aber auch wissen, dass gleiche Begriffe

 Kol 1,16.  Apg 17,28.  Kol 1,17.  Ebd.  Eine alternative Erklärung des πρωτοτοκος mit der traditionellen Akzentsetzung: seine Referenz wird auf die menschliche Seite Christi (ἡ ἀνθρωπότης) beschränkt.  Hier folgt eine weitere Erklärung des Wortes πρωτοτοκος mit der traditionellen Akzentsetzung auf der drittletzten Silbe. Isidor will wohl zum Ausdruck bringen, dass das Wort, wenn man seiner Akzentverlegung nicht zustimmen und auch die Einschränkung auf die Menschheit Christi nicht mitmachen möchte, immer mit „μονογενής“ zusammengesehen werden muss (ein Begriff, der im NT auf „den Sohn“ bezogen nur in den johanneischen Schriften vorkommt – Joh 1,14.18; 3,16.18 und 1Joh 4,9). Bei der Schöpfung schließen sich μόνος und πρῶτος aus, nicht aber beim Sohn. Das Wort „μονόκτιστος“ findet sich außer an unserer Isidorstelle nur zweimal in der überlieferten griechischen Literatur, nämlich bei Bas. Eun. 2,21 (SC 305, 84, 6) und Ps.-Bas. Eun. 4 (PG 29, 689, C14). An beiden Stellen ist es ein vermutlich von Basilius bzw. Ps.-Basilius ad hoc gebildeter polemischer Begriff, der veranschaulichen soll, auf welche theologischen und logischen Irrwege die Position des Eunomius führt. Für die Diskussion dieser Stelle danke ich den Mitgliedern des Forschungskolloquiums bei Prof. Kany, insbesondere Dr. Christina Abenstein für den Hinweis auf das Vorkommen von μονόκτιστος in Eun.

4.2 Methoden der Textanalyse

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nicht vollständig auch die gleichen Dinge bezeichnen; Namensgleichheit (ὁμωνυμία) zeigt nicht in jeder Hinsicht auch inhaltliche Gleichheit (συνωνυμία) an.¹²⁵ Denn beim Sohn spricht man im eigentlichen Sinn von Zeugung, bei den Geschöpfen nur im uneigentlichen Sinn, bei jenem aufgrund der Wahrheit (der Zeugung) und der Wesensgleichheit [mit dem Vater], bei diesen als Ehrung und aufgrund ihrer Annahme an Kindes Statt. Denn weil er es so wollte, brachte er [Gott] uns hervor durch das Wort der Wahrheit. Also soll die Namensgleichheit an dieser Stelle nicht die Gleichheit in der Würde zur Folge haben, und man soll das, was im uneigentlichen Sinn gesagt ist, nicht so verstehen, als sei es im eigentlichen Sinn gesagt. Denn auch von der inneren Erregung, dem Zorn und allem anderen, was zur göttlichen Natur nicht passt, wird jemand, der vernünftig ist, nicht behaupten, dass es im eigentlichen Sinn gesagt sei – es ist im uneigentlichen Sinn gesagt. Denn es ist offensichtlich, dass für jede Schriftstelle und für jeden einzelnen Ausdruck (nur) die Anwendung der angemessenen und passenden Interpretation die Wahrheit ans Licht bringt.¹²⁶

 Zu Isidors Gebrauch dieser Begriffe vgl. ausführlicher ep. 892 (III, 92) (PG 78, 796, C8 – 797, B6; an denselben Grammatiklehrer Ophelios gerichtet wie ep. 831). Für die Definition der Homonymie (nicht jedoch für die der Synonymie) zitiert Isidor dort den Anfang der Kategorienschrift des Aristoteles (ep. 892 (III, 92) (PG 78, 796, C10 f.) = Arist. Cat. 1a: „ὁμώνυμα λέγεται, ὧν ὄνομα μόνον κοινόν, ὁ δὲ κατὰ τοὔνομα λόγος τῆς οὐσίας ἕτερος“ – „homonym heißt, was nur einen gemeinsamen Namen hat, aber sich in der Beschreibung des Wesens, die dem Namen entspricht, unterscheidet“ [Übersetzung S.B.]). Vgl. Fouskas 1970, 107. Für weitere Belege zum Begriff der Homonymie s. Markschies 2000 [urspr. 1993], 84, Anm. 78 – auch Origenes zitiert Aristoteles mit dem Beginn der Kategorienschrift!  Ep. 831 (III, 31) (PG 78, 749, C7 – 753, A14): „Τὰ κατημαξευμένα παρεὶς, σαφῶς εἴποιμι τὸ νενοημένον, εἰ καὶ δόξαιμί τισι καινοτέραν ἑρμηνείας ἀνατέμνειν ὁδόν. Ὁ πρωτότοκος, εἰ μὲν ἡ δευτέρα ὀξύνοιτο συλλαβή, τὸν τεχθέντα πρῶτον, εἰ δ᾿ ἡ παρεσχάτη, τὸν πρώτως τεκόντα μηνύει. Καὶ τοῦτ᾿ ἀκριβῶς ἴστε μάλιστα ὑμεῖς οἱ ὁμηρίζοντες. Πρωτοτόκος γὰρ ἡ πρώτως τεκοῦσα ἐκείνῳ εἴρηται. Εἰκὸς οὖν, μᾶλλον δ᾿ ἀναγκαῖον ἐννοεῖν, ὅτι κἀνταῦθα τοιαύτῃ τινὶ ἐννοίᾳ ὁ θεσπέσιος ἐχρήσατο Παῦλος, οὐ πρῶτον τῆς κτίσεως αὐτὸν ἐκτίσθαι δογματίζων – ἄπαγε, ὅς γε ‚ἀπαύγασμα τῆς δόξης καὶ χαρακτῆρα τῆς ὑποστάσεως‘ τῆς πατρικῆς αὐτὸν καλεῖ, ἀλλὰ πρῶτον τετοκέναι, τουτέστι πεποιηκέναι τὴν κτίσιν, ἵν᾿ ᾖ, τῆς τρίτης συλλαβῆς ὀξυνομένης, πρωτογόνος, οὐ πρωτογενής· πρωτοκτίστης, οὐ πρωτόκτιστος. Εἰ δ᾿ ὁ τόκος ἐνταῦθα ἀντὶ τῆς κτίσεως παρελήφθη, θαυμαζέτω μηδείς, ἐπεὶ καὶ ἑτέρωσε εἴρηται· ‚Θεὸν τὸν γεννήσαντά σε ἐγκατέλιπες‘ καὶ ‚Υἱοὺς ἐγέννησα καὶ ὕψωσα‘ καὶ ‚Ἐγὼ εἶπα· Θεοί ἐστε καὶ υἱοὶ Ὑψίστου πάντες‘. Ἐπειδὴ γὰρ καὶ γεννήσας ὁ Θεὸς ἀπαθῶς ἐγέννησε καὶ κτίζων ἀπαθῶς καὶ θεοπρεπῶς καὶ ἀμογητὶ δημιουργεῖ, τούτοις τοῖς ὀνόμασι κέχρηται ἡ Γραφή, οὐχ ἵνα τὴν γέννησιν κτίσιν καὶ τὴν κτίσιν γέννησιν ὑπολάβωμεν, ὡς κακουργοῦντες οἱ αἱρετικοὶ κατασκευάζειν δοκοῦσιν, ἀλλ᾿ ἵνα τὴν εὐκολίαν καὶ τὴν ἀπάθειαν τοῦ Θεοῦ παραστήσῃ. Εἰ δέ τις προλήψει μόνῃ δουλεύων καὶ μὴ τἀληθὲς σκοπῶν ἀντείποι, οὔτ᾿ ἐγὼ τὴν ψῆφον ἐμαυτῷ θήσομαι οὔτ᾿ ἐκεῖνος ἑαυτῷ ἂν εἴη δίκαιος. Οὐκοῦν ἐπιτρέψωμεν τὸ πρᾶγμα ἀδεκάστοις κριταῖς, καὶ ἔστωσαν κριταὶ οἱ ἀκροαταί. Εἰ μὲν οὖν ἐκεῖνος ἔχει δεῖξαι, δειξάτω. Εἰ δὲ ἐμὲ ἀπαιτεῖ τῆν ἀπόδειξιν, αὐτὸν τὸν τοῦτ᾿ εἰρηκότα παρακομίσω μάρτυρα. Μετὰ γὰρ τὸ εἰπεῖν ‚Πρωτοτόκος πάσης κτίσεως‘ ἐπήγαγεν· ‚Ὅτι ἐν αὐτῷ ἐκτίσθη τὰ πάντα, τὰ ἐν τοῖς οὐρανοῖς καὶ τὰ ἐπὶ τῆς γῆς‘. Εἰ μὲν οὖν εἶπε ‚μετ᾿ αὐτὸν ἐκτίσθη‘, ψηφίσασθε τῷ κατηγόρῳ. Εἰ δ᾿ ‚ἐν αὐτῷ‘ – ἐν γὰρ τῷ κτίστῃ ἐστὶν ἡ πάντων δημιουργία καὶ διαμονή, ὅπερ καὶ σαφηνίζων ἀλλαχόσε ἔφη· ‚Ἐν αὐτῷ γὰρ ζῶμεν καὶ κινούμεθα καὶ ἐσμέν‘, ἀναντίρρητος ἡμῶν, ὡς οἶμαι, ἡ νίκη. Εἰ δὲ καὶ τὰ ἑξῆς φράσαιμι, ἐπιφανέστερόν ἐστι τὸ τρόπαιον. Φησὶ γάρ· ‚Καὶ αὐτός

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Ep. 1639¹²⁷ dient der sachlichen Klärung der Reihenfolge der beiden Prädikate von Ex 19,8b / 24,7b („Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und hören“), sodann der Verteidigung des freien Willens angesichts von Mt 7,18 und 1Kor 2,14; beide Stellen schließen nach Isidor Umkehr und Veränderung beim Menschen nicht aus. Der Briefkontext ist Belehrung und sachliche Klärung, wobei die vorliegende Exegese auch in einem paränetischen Kontext vorstellbar wäre. Zur Klärung von Wortbedeutungen als exegetisches Mittel finden sich einerseits mehr auf die Syntax bezogene Beispiele wie die oben gezeigten Erklärungen zu ἕως und μήποτε. Unten in Abschnitt 4.3.1 zum kommunikativen Kontext „Sachliche Klärung und Lösung von Widersprüchen“ sind die Briefe 132 (über ἀκρίδες und μέλι ἄγριον in Mk 1,6 / Mt 3,4) und 976 (über ἀδελφὴ γυνή in 1Kor 9,5) und weitere Beispiele verortet. Auch etwa Brief 804, der oben (S. 121) unter dem Aspekt der διόρθωσις und ἀνάγνωσις des Textes angeführt wurde, schließt mit der Klärung einer Wortbedeutung, in jenem Fall des Eigennamens „Makkabäer“. In ep. 650 erklärt Isidor die Bedeutung von Mt 23,5 und dabei insbesondere das Wort φυλακτήρια, die griechische Bezeichnung für die jüdischen Gebetsriemen¹²⁸, während es in ep. 1307 um Ps 9,24b¹²⁹ („καὶ ὁ ἀδικῶν ἐνευλογεῖται“) geht:

ἐστι πρὸ πάντων‘. Οὐκ εἶπεν ‚Αὐτὸς γέγονε πρὸ πάντων‘, ἀλλ᾿· ‚Ἔστι πρὸ πάντων, καὶ τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν‘. Οὐκ εἶπε· ‚μετ᾿ αὐτοῦ‘ οὐδὲ ‚μετ᾿ αὐτὸν‘ ἐκτίσθη· διὰ τί δὲ παραγράφονται τοὺς λέγοντας· μονογενὴς μὲν κατὰ τὴν θεότητα, πρωτότοκος δὲ τῆς νέας κτίσεως κατὰ τὴν ἀνθρωπότητα; Eἰ γὰρ μήτε οὕτω νοηθείη μήτε μὴν ‚πρωτοκτίστης‘ κληθείη, τὸ ‚πρωτότοκον‘, εἰ μὲν τῷ ‚μονογενεῖ‘ συναφθείη, δύναται τὴν εὐγένειαν ἐμφῆναι· δύναται γὰρ εἶναί τις καὶ πρωτότοκος καὶ μονογενὴς υἱός· εἰ δὲ τοῖς κτίσμασιν, οὐκ ἔχει χώραν. Ἢ γὰρ μονόκτιστος, ἢ πρωτογενής. Θάτερον γὰρ θατέρου ἀναιρετικόν ἐστι. Τί δ᾿ ἄρα ἐκώλυε σαφῶς αὐτὸν εἰπεῖν ‚πρωτόκτιστος πάσης κτίσεως‘; Πῶς δὲ, εἰ πρωτόκτιστος νοεῖται, μονογενής ἐστι; Τὸ μὲν γὰρ μόνον, ἄλλο οὐ προσίεται· τὸ δὲ πρῶτον τὸ μόνον παραγράφεται. Τί δὲ διαφέρει τῶν κτισμάτων κατ᾿ αὐτὸ τοῦτο, εἴ γε καὶ αὐτὸς ἐκτίσθη; Πῶς δὲ οὐκ ἐρυθριῶσι κτίσματι προσκυνοῦντες καὶ ταῖς ἐαυτῶν μαχόμενοι ψήφοις; ᾿Aπαγορεύοντες γὰρ [Nach O V; PG hat καὶ] τὸ τῇ κτίσει προσκυνεῖν ὡς Ἑλληνικὸν αὐτοὶ τοῦτο δρῶντες ἑαυτοὺς λανθάνουσι. Χρὴ δὲ καὶ τοῦτ᾿ εἰδέναι, ὅτι οὐ τὰ αὐτὰ ὀνόματα πάντως [Ο V: πῶς] καὶ τὰ αὐτὰ μηνύει πράγματα· οὔθ᾿ ἡ ὁμωνυμία συνωνυμίαν ἐκ παντὸς τρόπου ἐμφαίνει. Ἐπὶ μὲν γὰρ τοῦ Υἱοῦ κυρίως λέγεται ἡ γέννησις· ἐπὶ δὲ τῶν κτισμάτων καταχρηστικῶς, ἐπ᾿ ἐκείνου τῆς ἀληθείας ἕνεκεν καὶ τῆς ὁμοουσιότητος, ἐπὶ δὲ τούτων τιμῆς ἕνεκεν καὶ υἱοθεσίας. Βουληθεὶς γὰρ ἀπεκύησεν ἡμᾶς λόγῷ ἀληθείας. Μὴ τοίνυν ἡ ὁμωνυμία τὴν ὁμοτιμίαν ἐνταῦθα τικτέτω μηδὲ τὰ καταχρηστικῶς εἰρημένα κυρίως λελέχθαι νομιζέσθω, ἐπεὶ καὶ τὸν θυμὸν καὶ τὴν ὀργὴν καὶ τὰ ἄλλα πάντα τὰ τῇ θείᾳ μὴ πρέποντα φύσει καταχρηστικῶς λελεγμένα οὐκ ἄν τις εὐφρονῶν κυρίως πεφράσθαι φαίη. Δῆλον γάρ ἐστιν, ὅτι ἑκάστῳ χωρίῳ καὶ ἑκάστῃ λέξει ἡ πρέπουσα καὶ ἁρμόζουσα ἑρμηνεία προσαγομένη τὴν ἀλήθειαν ὠδίνει.“  Ep. 1639 (IV, 81) (SC 454, 376 – 380).  Ep. 650 (II, 150) (PG 78, 604, B9-C10). Vgl. Bartelink 1964, 177.

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ἐνευλογεῖσθαι sei hier als εὖ λέγεσθαι zu verstehen und bedeute somit „gelobt werden“ (statt „gesegnet werden“). Letzteres wäre in Bezug auf jemanden, der Unrecht tut, anstößig, ersteres lässt sich auf Schmeichler beziehen, die das Unrecht gutheißen. Isidor nimmt die auf eine Frage des Briefpartners antwortende Auslegung zum Ausgangspunkt für Ausführungen mit paränetischem Ziel. Von der Klärung von Wortbedeutungen gibt es außerdem einen fließenden Übergang zum in der Antike überaus beliebten Mittel der Etymologie, die etwa mit Herleitungen aus den Wortbestandteilen den „eigentlichen“ Sinn von Worten zu entschlüsseln versprach. Auch Isidor arbeitet gelegentlich mit Etymologie. Er bietet Etymologien vor allem außerhalb der Bibelauslegung; oft dienen sie, wie an anderer Stelle Bibelzitate, der Untermauerung von Appellen und Paränesen.¹³⁰ Zweimal im Korpus flankieren Etymologien die Exegese, nämlich in ep. 192¹³¹ („Israel“ bedeute „der, der Gott in Reinheit schaut“; ein solcher Mensch siege über die Völlerei, so wie Jakob die Ferse des gierigen Esau im Griff hatte) und in ep. 1043: Du hast geäußert, dass der Satz „Sie wird Frau heißen, weil sie aus ihrem Mann genommen wurde“¹³² wider die Vernunft gesagt ist. Ich dagegen behaupte, dass er, so wie er geschrieben ist, nicht nur der Vernunft entspricht, sondern zudem Bewunderung verdient. Höre, wie ich darauf komme: Das Wort „Frau“ (γυνή) kommt von „Zeugung“ (γονή). „Sie wird Frau (γυνή) heißen“, das heißt „Fruchtbare“, weil sie aus ihrem Mann, der darauf aus ist, sie fruchtbar zu machen, genommen ist.¹³³ Denn wenn der Mann sich mit der Jungfrau vereinigt, macht er sie

 Ep. 1307 (IV, 148) (SC 422, 342). Évieux verweist auf eine inhaltlich mehr oder weniger zu Isidors Erklärung passende Bibelstelle (Spr 24,25), hat aber offenbar nicht erkannt, dass Isidor in diesem Brief Ps 9,24b wörtlich zitiert und auslegt.  So etwa in ep. 1522 (V, 231) (SC 454, 202) an Zosimos, der im fortgeschrittenen Alter sündigt wie ein junger Mann; Isidor hält ihm vor, dass γῆρας („fortgeschrittenes Alter“) von γῆς ἐρᾶν („zur Erde tendieren“) komme – alte Menschen hätten zu erwarten, dass sie wieder zu Erde werden und gingen gebückt – zur Erde hin gebeugt; oder in ep. 1917 (V, 505) (SC 586, 304) an den Klerus von Pelusium: βοήθεια („Hilfe“) komme von μετὰ βοῆς θέειν („laufen, wenn jemand ruft“) und impliziere so eine Verpflichtung. Eine ausführliche Aufstellung von Etymologien und Worterklärungen bei Isidor auch jenseits der Bibelauslegung bietet Bartelink 1964, 171– 180.  Ep. 192 (I, 192) (PG 78, 305, B7-C3). Vgl. Bartelink 1964, 175 f.  Gen 2,23.  Hier scheint die Argumentation nicht ganz stringent, auch wenn man Isidors Etymologie folgen wollte. Die nachfolgenden Ausführungen über „Frau“ und „Mann“ als Relationsbegriffe erscheinen wieder etwas treffender. Gen 2,23 ist natürlich vom griechischen Text her kaum zu erklären; und zum Hebräischen mit seinem Wortspiel ᾿iš – ᾿iššah scheint Isidor keinen Zugang zu haben.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

zur Frau, das heißt zur Fruchtbaren.¹³⁴ Deshalb sagte man auch bei den Athenern über die gesetzliche Vereinigung, dass sie „zum Einpflügen von Kindern“ geschehe; und die, die Kinder zeugen, heißen „γονεῖς“ (Eltern). Die aber, die sagen, dass es (das Wort „Frau“) von den „γυῖα“, das heißt den Körpergliedern, kommt – das ist nicht einmal der Rede wert. Denn dem Glied und dem Teil steht das Ganze und die Gesamtheit gegenüber. Der Frau aber steht der Mann gegenüber, das heißt dem Bauer, der Samen aussät und die weibliche Erde aufbricht (ἀνορύττοντι) – davon leitet sich, glaube ich, „Mann“ (ἀνήρ) ab; denn „Mensch“ ist die gemeinsame Bezeichnung für beide – die Erde, die den Samen aufnimmt und dadurch fruchtbar wird. Ich glaube ja, dass das (der Begriff „Frau“) zu den Relationsbegriffen gehört. Denn sobald man „Mann“ sagt, folgt gedanklich auch „Frau“, so wie man, wenn man „Vater“ sagt, den Sohn mithört und wenn man „Herr“ sagt, der Sklave mitgedacht wird.¹³⁵

Im ersten Abschnitt von ep. 1716 bietet Isidor neben der offensichtlichen gewöhnlichen Erklärung des Titels „Tetrarch“ eine „passivische“ Deutung des Wortes für Herodes Antipas (er „wurde von allen vier Grundtypen des Bösen beherrscht“ – „ὑπὸ τῶν τεσσάρων γενικῶν εἰδῶν τῆς κακίας ἤρχθη“¹³⁶).

4.2.2 Querbezüge Andere Schriftstellen – vom direkten Kontext bis zum weit entfernten Bezug aus einem ganz anderen biblischen Buch – werden von Isidor oft bei der Auslegung herangezogen. Solche Querbezüge sind für ihn bei gleichen Vokabeln und Ausdrücken, sich entsprechenden grammatikalischen Strukturen oder (jedenfalls aus seiner Sicht) inhaltlichen Parallelen für die Erklärung einschlägig. Isidor liest das Alte wie das Neue Testament auf Griechisch; die Schrift ist für ihn sprachlich und inhaltlich eine Einheit. Diese Einheit gründet im Urheber des ganzen Kanons, dem Einen Gott.¹³⁷ Dieses in der ganzen Antike und zumindest innerhalb derselben biblischen Schrift oder Schriftengruppe bis heute auf der Hand liegende und verbreitete Vorgehen findet sich bei Isidor in zahlreichen in dieser Arbeit zitierten Briefen. Für drei verschiedene Quellen von Querverweisen – den direkten Kontext einer Stelle, den Kontext desselben biblischen „Milieus“ und den „Kontext“ der ganzen

 Hier liegt ein gewisser Widerspruch zu ep. 976 vor (III, 176) (PG 78, 868, B10-C9: auch die Frauen, die die Apostel dabeihatten, ohne mit ihnen zu verkehren, und die Jungfrau Maria waren γυναῖκες der Natur und der äußeren Erscheinung nach). S. zum Brief unten S. 151 f.  Ep. 1043 (III, 243) (PG 78, 921, B4-D).  Ep. 1716 (IV, 96) (SC 586, 32, 8 f.).  S. oben den Abschnitt 3.1.4.

4.2 Methoden der Textanalyse

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Bibel – mögen hier als zusätzliche Beispiele ep. 1245, ep. 1446 und ein Auszug aus ep. 1016 stehen. So wird das ganze bei Isidor mögliche Spektrum von Interpretation der Schrift durch die Schrift deutlich: Du hast in deinem Brief gefragt, aus welchem Grund „Gott sie einem verwerflichen Denken ausgeliefert hat“¹³⁸. Meine Antwort ist: wenn du das liest, was unmittelbar darauf folgt, wirst du den Sinn verstehen und von jeglichem Zweifel loskommen. Denn er [Paulus] sagt (im Anschluss): „(Sie sind) angefüllt mit aller Ungerechtigkeit“¹³⁹. […] Denn die, die von Haus aus mit aller Schlechtigkeit angefüllt waren, hat er zu Recht dazu freigegeben, dass sie (ihn) verlassen, nicht indem er sie in ihr verwerfliches Denken hineingetrieben hat, sondern indem er sie, die selbst dahin stürmten, losgelassen hat.¹⁴⁰ Du hast in deinem Brief gefragt, was der Satz des Paulus bedeutet: „Wir beten, dass ihr nichts Böses tut, nicht damit wir angesehen dastehen, sondern damit ihr das Gute tut, wir aber wie ohne Ansehen sind.“¹⁴¹ Höre eine kurze Antwort: Die Strafe, die – (nur) mit einem Wort – gegen die Sünder hervorgerufen wurde, wie zum Beispiel die gegen Leute wie Hananias und Saphira oder die gegen den Magier, der blind wurde¹⁴², machte die Sünder klein, aber die, die sie bestraften, berühmt, angesehen und furchteinflößend; deshalb sagt er: „Wir wollen nicht wegen eurer Schlechtigkeit angesehen dastehen, sondern möchten gerne unbedeutend sein, damit ihr Ansehen habt“. Denn die, die wollen, dass die Bekanntheit ihres hohen moralischen Niveaus aus dem Unglück derer hervorgeht, die Strafe erleiden, scheinen mir nicht Väter oder Lehrer zu sein, sondern Zerstörer, Feinde und Gewaltherrscher.¹⁴³ Als Abwehr ihres gefährlichen Eifers und als Belehrung, dass man nicht einfach so an eine Sache herangehen solle, die für die große Masse unerreichbar sei, sagte er [Paulus]: „Wenn jemand ein Bischofsamt anstrebt, begehrt er eine gute Aufgabe (καλοῦ ἔργου).“¹⁴⁴ Er hat nicht gesagt: „Jedermann soll es anstreben – er tut damit etwas Gutes“ (denn das hätte er gesagt, wenn er nicht die Aufgabe, sondern den, der sie haben will, hätte loben wollen), sondern „eine gute Aufgabe“. Ich übergehe die Tatsache, dass nicht nur die heidnischen Weisen das, was unangenehm ist und sich nur schwer zu einem guten Ende führen lässt, ein ἔργον nennen, sondern auch die Heiligen Schriften, wenn sie sagen: „Es ist ein ἔργον, einen Mann zu finden, dem man vertrauen kann“¹⁴⁵; ich würde sagen, was alle denken. Arbeit (ἔργον), mein Bester, ist die Sache [nämlich das Bischofsamt], nicht Erholung; Sorge, nicht Luxus; Dienst, über den man Rechenschaft leisten muss, nicht Herrschaft, die keiner Kontrolle unterliegt; väterliche Fürsorge, nicht tyrannische Unabhängigkeit; das Vorsteheramt eines Verwalters, nicht Vollmacht, für die man sich nicht zu verantworten hat. Ich lobe die

 Röm 1,28.  Röm 1,29.  Ep. 1245 (IV, 59) (SC 422, 228, 1– 4.15 – 18).  2Kor 13,7.  Vgl. Apg 5,1– 11 und Apg 13,6 – 12. Als (für Isidor) einheitliches biblisches „Milieu“ sehe ich hier die apostolische Zeit, beim Magier Barjesus auch mit Paulus als handelnder Person in Apg.  Ep. 1446 (IV, 7) (SC 454, 76).  1Tim 3,1.  Spr 20,6b.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

mit dem Bischofsamt verbundene Arbeit (τὸ ἔργον τῆς ἐπισκοπῆς) über die Maßen – sie ist nämlich etwas Heiliges – aber das Verlangen danach lobe ich nicht, denn es ist gefährlich.¹⁴⁶

Isidors Briefe 597¹⁴⁷ und 828¹⁴⁸ nennen als allgemeines Prinzip der Beweisführung das Vorgehen, „ausgehend von dem, worüber Einigkeit besteht, das Umstrittene zu deuten“¹⁴⁹. Unter diese Überschrift lässt sich auch Isidors Anwendung des Verfahrens stellen, Bibelstellen unter Zuhilfenahme anderer Bibelstellen auszulegen.

4.2.3 Beibringen externer Informationen Interpretation mithilfe von Informationen, die nicht im Kontext der Perikope, im jeweiligen biblischen Buch oder in anderen Stellen des ganzen Bibelkanons enthalten sind, ist bei Isidor nicht sehr häufig, jedenfalls sobald man über Alltagsbeobachtungen oder allgemein bekannte Tatsachen hinausgeht. Gelegentlich spielt die biblische Geschichte in ihrem Gesamtzusammenhang eine Rolle, ohne dass Isidor konkrete Stellen zitiert, etwa wenn in ep. 1049 an den Diakon Isidor Dan 9,26 θʹ auf Priestertum und Königsherrschaft in Israel bezogen wird oder in dem paränetischen Brief 1205 an den Diakon Palladios, der in den Kreis der „Skandalkleriker“ um Bischof Eusebios geraten ist¹⁵⁰, Jes 52,5 in den Kontext des Exils gestellt wird: Auf Priestertum und Monarchie, lieber Namensvetter, ruht das Gemeinwesen. Denn auch wenn sie sich weit voneinander unterscheiden (das Priestertum entspricht nämlich im Bild gesprochen der Seele, die Monarchie dem Körper), sind sie doch auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet, nämlich das Heil ihrer Untergebenen. Deswegen wurde auch, als das jüdische Gemeinwesen seinen Anfang nahm, das Priestertum als das Notwendigere gesetzlich festgelegt und genügte für lange Zeit. Als sie dann aber, (inzwischen) fleischlicher gesinnt und (für Gott) unempfänglicher, auch die Monarchie forderten, wurde ihnen auch diese gegeben; sie war ja äußerst nützlich und wehrte die Sünden derer ab, die dem Priestertum nicht ge-

 Ep. 1016 (III, 216) (PG 78, 897, C11 – 900, B1).  Ep. 597 (II, 97) (PG 78, 541, A4– 6).  Ep. 828 (III, 28) (PG 78, 749, A4-B2). In diesem Brief tritt der Prophet Daniel als einer auf, der nach dem genannten Prinzip handelte, als er den Traum Nebukadnezzars deutete (Dan 2,29 – 45, vgl. auch noch ep. 1116 (III, 316) (PG 78, 980, C7– 12)).  Ep. 828 (III, 28) (PG 78, 749, A4 f.): „᾿Aπὸ τῶν ὁμολογουμένων τὰ ἀμφίβολα χρὴ κρίνεσθαι […]“. Vgl. Clem. str. II, 11, 48 (GCS 154, 138, 18 – 20) und VIII, 3, 5 (GCS 172, 82, 12– 14); vgl. Früchtel 1938, 61.  Vgl. Évieux 1995, 221 f.

4.2 Methoden der Textanalyse

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horchten.¹⁵¹ Weil sie nun einerseits durch das Priestertum [wohl: unter den anderen Völkern] hervortraten, andererseits durch die Monarchie gerettet wurden, blieb (μ: bleibt) ihnen, nachdem ihnen beides genommen war, nun keine Grundlage ihrer Rettung mehr übrig; weil der Prophet Daniel den völligen Ruin des jüdischen Gemeinwesens nach dem Kreuz zeigen wollte und (zeigen wollte), wie für sie nicht einmal ein Rest ernstzunehmender Hoffnung übrig ist und keinerlei bessere Aussicht für sie besteht, sagte er: „Salbung wird ausgerottet werden, und Urteil wird es in ihr nicht geben“¹⁵², wobei er mit „Salbung“ das Priestertum meinte und mit „Urteil“ das Königtum und die politische Verfassung. Insbesondere zeigte er durch die Aufhebung des Priestertums auch die der Königsherrschaft und aller anderen Dinge mit an. Denn mit der gänzlichen Auflösung des Hauptsächlicheren und Vorrangigeren konnte auch nichts anderes mehr Bestand haben, weil auch für das Königtum die Basis die Orthodoxie im Hinblick auf das Göttliche ist, die sich an der Gottesverehrung entscheidet. Auf jeden Fall sagte er, auch das Königtum werde ein Ende haben, und zeigte so die vollständige Zerstörung des jüdischen Gemeinwesens vorab an. Das bezeugt auch die (jetzige) Situation, die sich hin zu einer um vieles besseren und erhabeneren Religion entwickelt hat.¹⁵³

 Die Quintessenz des biblischen Kanons zur Beurteilung des Königtums in Israel ist differenzierter als Isidors Formulierung. So finden etwa die stark monarchiekritischen Passagen in 1Sam (bes. 1Sam 8) im ganzen Isidorkorpus keine Erwähnung. Aus der engen Verbindung der biblischen Gegebenheiten mit seiner Gegenwart, in der für Isidor „auf Priestertum und Monarchie das Gemeinwesen ruht“ (Anfang ep. 1049), färbt sich auch das biblische Zeugnis ein. Vgl. den „antidemokratischen“ Brief 716, wo Isidor Röm 13,1 auslegt: weil „gleiche Würde oft Streit anfacht, ließ er [Gott] Volksherrschaft nicht zu, sondern [wollte die] Monarchie“ („Ἐπειδὴ γὰρ τὸ ὁμότιμον οἶδε πολλάκις πόλεμον ἀναρριπίζειν, οὐκ ἀφῆκε δημοκρατίαν εἶναι, ἀλλὰ βασιλείαν“) – und überhaupt viele Arten von Hierarchie, so zwischen Mann und Frau,Vater und Sohn, Alt und Jung, Herr und Sklave, Lehrer und Schüler, in Bienenvölkern, Tierherden, Vogel- und Fischschwärmen (ep. 716 (II, 216) (PG 78, 657, C5 – 660, B), das Zitat PG 78, 660, A1– 3). Der Brief lehnt sich eng an Chrys. hom. 23 in Rom. 1 an (vgl. PG 60, 615, 16 ff. mit dem Brief; vgl. Leemans 2013, 38, mit falscher Stellenangabe zu Chrys.). Sogar ein zitierter Einwand des Briefpartners gegen Röm 13,1 (PG 78, 657, C6-D1) erscheint in der Formulierung des Chrysostomus (PG 60, 615, 17 f.) – eine bei Riedinger und Kertsch m.W. nirgends angeführte Parallele, bei der man aber zumindest für den konkreten Brief in Versuchung geraten kann, an dem authentischen Briefcharakter des Textes zu zweifeln (vgl. die ähnliche Parallele Isidor – Chrysostomus bei Riedinger 1964, 19 f.).  Vgl. Dan 9,26 θʹ.  Ep. 1049 (III, 249) (PG 78, 928, C – 929, B): „Ἐξ ἱερωσύνης καὶ βασιλείας, ὦ ὁμώνυμε, τὰ πράγματα συνέστηκεν. Εἰ γὰρ καὶ πολλῷ ἀλλήλων διαφέρουσιν (ἡ μὲν γὰρ ὡς ψυχή ἐστιν, ἡ δὲ ὡς [ὡς eingefügt aus O (lt. Digit.) μ] σῶμα), ἀλλ᾿ εἰς ἓν ὁρῶσι τέλος, τὴν τῶν ὑπηκόων σωτηρίαν. Διὰ τοῦτο καὶ ἡνίκα τὰ Ἰουδαϊκὰ πράγματα ἀρχὴν ἐλάμβανεν, ἡ ἱερωσύνη ὡς [ὡς eingefügt aus O (lt. Digit.) V (lt. Pouss.) μ] ἀναγκαιοτέρα ἐθεσμοθετήθη καὶ ἐπὶ πολὺ διήρκεσεν· ἐπειδὴ δὲ σαρκικώτεροι ὄντες καὶ παχύτεροι καὶ βασιλείαν ἐξεζήτησαν, καὶ αὕτη ἐδόθη χρησιμωτάτη οὖσα καὶ ἀναστέλλουσα τὰ πταίσματα τῶν τῇ ἱερωσύνῃ μὴ πειθομένων. Ἐπεὶ τοίνυν πῆ μὲν τὴν ἱερωσύνην ἔχοντες διέλαμπον, πῆ δὲ τὴν βασιλείαν κτησάμενοι διεσώζοντο, ἀμφοτέρων δ᾿ ἀναιρουμένων οὐδεμία αὐτοῖς ὑπελείπετο [μ: ὑπολείπεται] σωτηρίας ὑπόθεσις· βουλόμενος δεῖξαι ὁ προφήτης Δανιὴλ τὴν παντελῆ τῶν Ἰουδαϊκῶν πραγμάτων μετὰ τὸν σταυρὸν καθαίρεσιν, καὶ ὡς οὐδὲ λείψανον αὐτοῖς χρηστῆς ἐλπίδος περιλειφθήσεται οὐδέ τις προσδοκία αὐτοῖς ἀμείνων φανεῖται,

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Du hast in deinem Brief gefragt, was der Satz bedeutet: „Mein Name wird durch euch verlästert“¹⁵⁴. Ich antworte: Weil die Juden wegen ihrer Sünden in Gefangenschaft gegeben wurden, die, die sie gefangen nahmen, ihren Sieg aber nicht dem Zorn Gottes, sondern der Macht ihrer eigenen Götzen zuschrieben und die alles beherrschende Rechte (Gottes) verurteilten, sie sei schwach, deswegen hat er das gesagt. Denn sie [die Juden] waren, weil sie sündigten und den Feinden in die Hand gegeben wurden, schuld an dem derartigen Verdacht und an der Gotteslästerung. Vielleicht (hat er es aber auch gesagt), weil sie auch ständig das Gegenteil von dem taten, was ihnen aufgetragen worden war, etwas, was auch bei uns heute vor sich zu gehen scheint: denn uns wurde befohlen, die Feinde zu lieben – und wir lieben nicht einmal unsere Freunde; (uns wurde befohlen,) selbstgewählte Armut zu pflegen – und wir begnügen uns nicht nur nicht mit dem, was wir haben, sondern bereichern uns auch noch am Unglück der anderen; wir erhielten den Auftrag, in die Stille zu gehen – und sind geschäftig und belästigen dazu noch die, die in der Stille sind. Und wir tun nicht nur das (alles), sondern machen uns auch daran, andere zu lehren, was wir selbst nicht tun wollen – den Rest lasse ich beiseite; ich will nichts Verfängliches sagen. Wenn das nun die Menschen hören und (wenn sie) sehen, dass ihr daran geht, das eine zu lehren und das andere zu tun, glauben sie, dass wir uns (nur) verstellen und ein Spiel spielen bei Dingen, mit denen nicht zu spaßen ist, und wetzen ihre Zungen gegen die göttliche Vorsehung. Sie wird es ihnen vergelten, uns aber noch mehr, die wir schuld sind an derartiger Gotteslästerung.¹⁵⁵

Externes Wissen aus dem griechischen Bereich ist in den Briefen 1536 – 1538 eingesetzt; dort finden sich Sacherklärungen zu Stellen aus der Apostelgeschichte, die mit heidnischem Kult zu tun haben. Alle drei sind an den Presbyter Heron gerichtet. Gerade 1537 und 1538 scheinen so eng verbunden, dass man folgern könnte, dass sie vor der Veröffentlichung Teile eines einzigen Briefes waren¹⁵⁶: Zwei Gründe werden dafür angegeben, warum in Athen auf dem Altar „Einem unbekannten Gott“¹⁵⁷ geschrieben stand. Die einen sagen, dass die Athener einen Eilboten namens Philippides um Kampfhilfe zu den Lakedaimoniern schickten, als die Perser gegen Griechenland

ἔφη· ‚Ἐξολεθρευθήσεται χρῖσμα, καὶ κρίμα οὐκ ἔσται ἐν αὐτῇ‘ [Dan 9,26 θʹ, dort lautet aber das Ende: „οὐκ ἔστιν ἐν αὐτῷ“] διὰ μὲν τοῦ χρίσματος τὴν ἱερωσύνην μηνύων, διὰ δὲ τοῦ κρίματος τὴν βασιλείαν καὶ τὴν πολιτικὴν κατάστασιν. Μάλιστα μὲν γὰρ διὰ τῆς ἀναιρέσεως τῆς ἱερωσύνης καὶ τὴν τῆς βασιλείας καὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων συνανέφηνε. Τοῦ γὰρ κεφαλαιωδεστέρου καὶ κυριωδεστέρου παντάπασι καταλυομένου [Ο (Digit.) V (Pouss.): καὶ κατακυλισμένου] οὐδ᾿ ἄλλο τι συστῆναι ἠδύνατο, ἐπεὶ καὶ τῆς βασιλείας ἡ κρηπὶς ἡ πρὸς τὸ Θεῖον ἐτύγχανεν εὐσέβεια, ἥτις ἐν τῇ πρὸς Θεὸν ἐκρίνετο [Ο (Digit.) V (Pouss.): ἐκιρνᾶτο] λατρείᾳ. Πλὴν ἀλλὰ καὶ τὴν βασιλείαν ἔφη τελευτήσειν παντελῆ προαναφαίνων τῆς Ἰουδαϊκῆς πολιτείας τὴν ἀναίρεσιν. Καὶ μαρτυρεῖ τὰ πράγματα ἐπὶ βελτίονα πολλῷ καὶ θειοτέραν θρησκείαν ἐπαναχθέντα.“  Jes 52,5.  Ep. 1205 (III, 405) (PG 78, 1040, A9-C8).  Vgl. Évieux 1995, 359.  Apg 17,23.

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in den Krieg zogen; diesem sei auf dem Berg Parthenion eine Erscheinung des Pan begegnet und habe die Athener einerseits beschuldigt, sie würden ihn vernachlässigen und andere Götter verehren, andererseits aber seine Hilfe versprochen. Nach ihrem Sieg (gegen die Perser) hätten sie dann einen Altar erbaut und darauf geschrieben: „Einem unbekannten Gott“. Andere sagen, einmal sei eine Seuche über die Athener hereingebrochen und habe ihnen solches Fieber bereitet, dass sie nicht einmal mehr die leichtesten Kleider tragen konnten. Sie erwiesen denen, die sie für ihre Götter hielten, ihre Verehrung, aber erreichten damit nichts; nun dachten sie, es sei vielleicht ein Gott, den sie bisher ungeehrt gelassen hätten, der die Seuche herabgeschickt habe, bauten einen Tempel und einen Altar, schrieben darauf „Einem unbekannten Gott“ und brachten Opfer dar – und sie wurden sofort geheilt. Paulus nahm diese Sache aus ihren eigenen religiösen Anschauungen auf und eroberte so die Athener, die sich viel auf ihre Weisheit einbildeten.¹⁵⁸ Du wolltest erfahren, was die Stelle in der Apostelgeschichte bedeutet, an der es heißt: „Wer weiß nicht, dass die Stadt der Epheser die Tempelhüterin der großen Göttin Artemis und des vom Himmel gefallenen Bildes ist?“¹⁵⁹. Erkenne, dass diese Äußerung nicht von der Schrift stammt, sondern vom Schreiber der Epheser; und ich halte es für überflüssig, betrügerische Wortmachereien auszulegen, über die, wie ich glaube, schon der Psalmist gesagt hat: „Gesetzwidrige haben mir ihren Unfug erzählt; aber das ist kein Vergleich zu deinem Gesetz, o Herr“¹⁶⁰.¹⁶¹ Weil du gerne dazulernst und dadurch einer sein willst, der viel weiß, will ich dir auch das Folgende noch erklären, damit nicht der Eindruck entsteht, ich wolle dir Kummer machen. Die Erfinder der Götterbilder bei den Griechen wollten den Betrachtern Furcht einflößen und behaupteten daher, dass das (betreffende) Bild aus dem Himmel von Zeus her geschickt worden oder im Flug nach unten gekommen sei – es sei ja über jede menschliche Handwerkskunst erhaben. Deshalb nannten sie es auch „vom Himmel gefallenes Bild“ (diopetes) und „himmlisches Götterbild“ (ouranion bretas) – „bretas“, weil es einem Sterblichen (brotos) ähnelt. Aber in Wirklichkeit war es ganz anders: Sie töteten die Bildhauer oder schickten sie in die Verbannung, damit niemand sagen konnte, dass das Bild von Menschenhand gemacht sei, und ließen dann das Gerücht bei den Menschen die Runde machen, das auch in der Stadt der Epheser umging. Deshalb sagte ihnen auch ihr Stadtschreiber diese Sache.¹⁶² Manche sagen nun, dass der Ausdruck über das Standbild der Artemis gesagt ist, also „der großen Artemis und ihres vom Himmel gefallenen Bildes“, manche, dass sie auch das Palladion – denn auch das war ein Götterbild, nämlich der Athene – zusammen mit der Artemis verehrten. Dass aber die Bildhauer wirklich getötet oder in die Verbannung geschickt wurden, bezeugt das Ereignis, das sich erst vor kurzem im ägyptischen Alexandria zugetragen hat. Denn Ptolemaios hatte dort Künstler versammelt, um das Standbild des Sarapis herzustellen; nach der Ausführung des Auftrags ließ er eine gewaltige Grube graben, dachte sich eine Liege aus Laub und Stroh aus, verbarg die Falle und rief die Künstler zum Gastmahl.Während

    

Ep. 1536 (IV, 69) (SC 454, 220 – 222). Apg 19,35. Ps 118,85 LXX. Ep. 1537 (IV, 206) (SC 454, 222) Vgl. Apg 19,35.

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des Essens stürzten diese in jenen Abgrund und starben, wobei sie, wie mir scheint, die gerechte Strafe dafür zahlten, dass sie es unternommen hatten, Götterbilder herzustellen zur Täuschung derer, die diese antrafen. Gleichwohl tat jener [nämlich Ptolemaios] das, weil er die Künstler aus dem Weg schaffen wollte, damit der angebliche Gott, dem er auch den Beinamen „Der von Menschenhänden Unbefleckte“ gegeben hat, als nicht von Menschenhand gemacht erscheine. Aber sein Vorgehen blieb nicht verborgen. Nachdem das Geschehen bekannt geworden war, erhielten die auf diese Weise Gestorbenen jedes Jahr Ehrungen mit Klageliedern.¹⁶³

Einen textexternen Hinweis auf den babylonischen Kult gibt ep. 19¹⁶⁴ zur Klärung der Frage, warum Daniel in Dan 3 nicht zusammen mit den drei jungen Männern in den feurigen Ofen geworfen wird. Ziel der göttlichen Vorsehung sei dabei gewesen, dass die Babylonier das folgende Wunder nicht der Macht ihres Gottes (Bel/Baal) zuschreiben konnten, dessen Name in dem von ihnen Daniel gegebenen Namen Βαλτάσαρ (vgl. Dan 1,7) enthalten sei und der, so hätten die Babylonier geglaubt, Wunder wirkte, wenn man ihn nur aussprach. Ep. 139 macht heidnische Mythen von Sukzessionen der Götter einschließlich Gewalt, Eroberung und Verlust von Herrschaft als die Problematik aus, auf die Phil 2,6 mit der Rede von der Gottgleichheit als „Raub“ antworte: „Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“¹⁶⁵, schreibt der göttliche Apostel den Philippern, das heißt Leuten, die die falschen Götter verehrten und Vorkämpfer und Hüter der griechischen religiösen Auffassungen waren und wegen ihrer Aufmerksamkeit in diese Richtung für die Verkündigung des Evangeliums unempfänglich waren. Denn weil sie als Heiden gelernt hatten, dass ihr Gott dadurch der oberste (der Götter) geworden war, dass er seinem eigenen Vater die Geschlechtsorgane abgeschnitten hatte, und zwar aus Furcht davor, es könnten weitere Söhne nach ihm kommen, mit denen er die Herrschaft hätte teilen müssen, und weil sie außerdem noch von vielen anderen Arten gehört hatten, wie Göttlichkeit geraubt wurde, von Streitigkeiten und Kämpfen darum, zweifelten sie, ob Gottes Sohn, zur Erde gekommen, Fleisch geworden ist und dabei die himmlische Welt zurückgelassen hat, ohne Furcht, seine Herrschaft [μ: seine Schönheit] könnte sich dadurch irgendwie verändern. Der göttliche Mann und Lehrer verborgener Dinge rückte nun diese Unwissenheit, besser gesagt, diese Dummheit bei ihnen zurecht und sagte: „Habt die Gesinnung untereinander, die auch in Christus Jesus war: Er war in göttlicher Gestalt, hielt es aber nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an“¹⁶⁶, das heißt, er glaubte nicht, dass die Göttlichkeit und Königsherrschaft, die er nicht geraubt, sondern als natürliches Merkmal vor allen Zeiten erhalten hatte, ihm genommen

   

Ep. 1538 (IV, 207) (SC 454, 222– 226). Ep. 19 (I, 19) (PG 78, 193, C-D). Phil 2,6. Phil 2,5 – 7.

4.2 Methoden der Textanalyse

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werden konnte, sondern als Herr über „alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde“¹⁶⁷ verließ er das oben Gelegene nicht und kam doch zu uns auf die Erde; ja, er ging sogar in die Unterwelt, um alles zu durchschreiten und so von überallher alles zum Heil zurückzuführen. Auf der Erde schuf er die neu, die lebten und noch leben sollten; unter der Erde entriss er die, die dort festgehalten wurden, der Diktatur des Todes.¹⁶⁸

Ep. 889 (ein weiterer Brief „an den Diakon Isidor“) liefert einen Versuch, die in Dan 9 genannten „siebzig Jahrwochen“ chronographisch zu füllen: Du scheust ja die Mühe nicht und willst gerne Neues lernen und willst also erfahren, wie die bei Daniel verzeichneten 69 Jahrwochen¹⁶⁹ sich erfüllt haben, die vom Aufbau Jerusalems an gerechnet werden und mit seiner Eroberung enden; wisse also, dass es nicht unter Kyros aufgebaut wurde, sondern im zwanzigsten Jahr der Herrschaft des [Artaxerxes I. mit dem Beinamen] „Langhand“¹⁷⁰. Denn damals kam, wie Esra berichtet, Nehemia und gründete die Stadt (neu).¹⁷¹ Wie, fragst du, wurden nun „siebzig Wochen abgeschnitten für dein Volk und die heilige Stadt“¹⁷²? Insofern in der 69. (Jahrwoche), das heißt im 483. Jahr¹⁷³, der Krieg seinen Anfang nahm; in der folgenden Jahrwoche endete er und mit ihm das jüdische Gemeinwesen.

 Phil 2,10.  Ep. 139 (I, 139) (PG 78, 273, C4 – 276, A): „‚Οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα Θεῷ‘, Φιλιππησίοις γράφει ὁ θεῖος ᾿Aπόστολος, ἀνθρώποις καὶ δεισιδαίμοσι καὶ τῶν Ἑλληνικῶν δογμάτων [Ἑλλήνων ausgelassen nach O V μ] προμάχοις καὶ φύλαξι καὶ ἐκ τῆς πρὸς ἐκεῖνα σχολῆς ἀπαραδέκτως πρὸς τὸ κήρυγμα ἔχουσι τοῦ Εὐαγγελίου. Ἐπειδὴ γὰρ ἔμαθον Ἑλληνίζοντες τὸν θεὸν αὐτῶν καὶ ὕπατον γεγονότα ἐκτεμόντα τῶν γεννητικῶν ὀργάνων τὸν ἐαυτοῦ πατέρα, δέει ὑπάρξεως ἑτέρων υἱῶν καὶ τῆς βασιλείας κοινωνῶν καὶ ἁρπαγὰς θεότητος καὶ ἔρεις καὶ πολέμους περὶ ταύτης πολλοὺς, ἠπίστουν εἰ Υἱὸς τοῦ Θεοῦ δεῦρο ἐπιφοιτήσας σεσάρκωται καταλιπὼν τὰ οὐράνια καὶ μὴ δεδιώς τινα τοῦ κράτους [μ: κάλλους] μετάθεσιν. Ταύτην τοίνυν αὐτοῖς τὴν ἄγνοιαν, ἢ [ἢ eingefügt nach O V μ] καὶ μᾶλλον ἄνοιαν, ὁ θεῖος ἄνθρωπος καὶ τῶν ἀπορρήτων διδάσκαλος διορθούμενός φησι· ‚Τοῦτο φρονεῖσθε ἐν ὑμῖν, ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, ὃς ἐν μορφῇ Θεοῦ ὑπάρχων οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα Θεῷ, ἀλλ᾿ ἑαυτὸν ἐκένωσε μορφὴν δούλου λαβὼν‘, τουτέστιν, ἣν οὐχ [οὐχ eingefügt nach O V μ] ἥρπασε Θεότητα καὶ βασιλείαν, ἀλλ᾿ ἔμφυτον ἔσχε πρὸ τῶν αἰώνων οὐδὲ ἀφαιρεθῆναι ὑπέλαβεν, ἀλλὰ Δεσπότης ὑπάρχων καὶ τῶν ἐπουρανίων καὶ τῶν ἐπιγείων καὶ τῶν καταχθονίων, οὐδὲ τὰ ἄνω κατέλιπε καὶ πρὸς ἡμᾶς παρεγένετο· ἔτι καὶ τῷ ᾅδει ἐπιφοιτήσας, ἵνα διὰ πάντων γενόμενος, πάντοθεν τὰ πάντα ἀνασώζηται [O V nach Pouss. (O hat im Digitalisat allerdings ἀνασώσηται): ἀναδώσηται]· ἐπὶ γῆς μὲν τοὺς ζῶντας καὶ ζησομένους ἀνανεούμενος [μ: ἀνανεωσόμενος]· ὑπὸ γῆν δὲ τοὺς κρατουμένους τῆς τοῦ θανάτου τυραννίδος ἀφαιρούμενος.“  Vgl. besonders Dan 9.25.  Das entspricht 445 v.Chr.  Vgl. Neh 2,1 ff. (entspr. Esr II 12,1 ff. LXX).  Dan 9,24 θʹ.  Das entspricht 38 n.Chr. In den späteren Berechnungen liegen Ungereimtheiten vor, und zwar wohl am ehesten bei der angesetzten Regierungszeit des Augustus und dann des Nero.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Wenn du nun fragst, wie, dann wisse, dass nach dem zwanzigsten Jahr des [Artaxerxes] Langhand bis zum Ende der persischen Herrschaft 113 Jahre vergingen¹⁷⁴; danach dauerte die makedonische (Herrschaft) 294 Jahre.¹⁷⁵ Dann (folgte) die römische Herrschaft, 43 Jahre unter Augustus¹⁷⁶, 22 unter Tiberius, vier unter Gaius [Caligula], sieben unter Claudius. In seinem achten Regierungsjahr¹⁷⁷ begannen bei den Juden die inneren Unruhen, woran sich für sie der Krieg gegen die Römer entzündete, der dann die Einnahme [Jerusalems] zur Folge hatte. Denn unter Nero, dem Nachfolger des Claudius, wurden sie von Vespasian glänzend und mit aller Kraft bekämpft, als er damals für Nero Feldherr war; später dann, als er Kaiser geworden war, wurden sie erobert.¹⁷⁸

Ep. 1435¹⁷⁹ beschäftigt sich im Zuge der Auslegung von Jud 13b („umherirrende Sterne, denen die Finsternis der Dunkelheit auf ewig bestimmt ist“¹⁸⁰) mit naturkundlichen, konkret mit astronomischen Fragen. Diese dienen aber nicht der  Das scheint in etwa historisch korrekt.  Hier lässt sich in etwa die Eroberung Jerusalems durch Herodes den Großen als römischen Vasallen 37 v.Chr. einsetzen.  Hier scheint der erste Fehler zu liegen. Augustus ist erst ab 31 v.Chr. (Schlacht bei Actium) Alleinherrscher und regiert bis zu seinem Tod 14 n.Chr. Zwischen der Eroberung Jerusalems durch Herodes und Actium scheint Isidor etwa eine „Jahrwoche“ bei der Zählung ausgelassen zu haben.  Welches Ereignis Isidor hier im achten Jahr des Claudius genau verortet, wird nicht klar. Die Zeit zwischen 48/49 n.Chr. (achtes Regierungsjahr des Claudius) und der Kommandoübernahme des Vespasian im Jüdischen Krieg 67 n.Chr. bzw. der Eroberung Jerusalems 70 n.Chr. ist wiederum deutlich länger als eine „Jahrwoche“.  Ep. 889 (III, 89) (PG 78, 793, B-C): „Ἐπειδὴ φιλόπονος ὢν καὶ φιλομαθὴς ἠθέλησας μαθεῖν, πῶς ἐπληρώθησαν αἱ παρὰ τῷ Δανιὴλ ἀναγεγραμμέναι ἑξήκοντα καὶ ἐννέα ἑβδομάδες τῶν ἐτῶν αἱ ἀπὸ τῆς οἰκοδομῆς τῆς Ἱερουσαλὴμ ἀριθμούμεναι καὶ εἰς τὴν ἅλωσιν αὐτῆς τελευτῶσαι· ἴσθι, ὅτι οὐκ ἐπὶ Κύρου ᾠκοδομήθη, ἀλλὰ τῷ κʹ ἔτει τῆς βασιλείας τοῦ Μακρόχειρος. Τότε γὰρ, ὡς Ἔσδρας διηγεῖται, Νεεμίας ἐλθὼν τὴν πόλιν ἔκτισε. Πῶς οὖν, ἔφης, ‚ἑβδομήκοντα ἑβδομάδες συνετμήθησαν ἐπὶ τὸν λαόν σου καὶ ἐπὶ τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν‘; Ὅτι ἐν μὲν τῇ ξθʹ, τοῦτ᾿ ἔστι τῷ τρίτῳ καὶ ὀγδοηκοστῷ καὶ τετρακοσιοστῷ ἔτει, ἀρχὴν ἔσχεν ὁ πόλεμος· τῇ δ᾿ ἑξῆς ἑβδομάδι τῶν ἐτῶν ἐτελεύτησε συντελευτησάντων καὶ τῶν Ἰουδαϊκῶν πραγμάτων. Εἰ δὲ λέγεις· Πῶς; ἰστέον, ὅτι μετὰ τὸ κʹ ἔτος τοῦ Μακρόχειρος, ἕως τελευτήσει ἡ Περσικὴ βασιλεία, ἔτη διεγένοντο ἑκατὸν δέκα τρία, μεθ᾿ ἣν ἡ Μακεδονικὴ διήρκεσεν ἕως ἐτῶν διακοσίων ἐνενήκοντα τεσσάρων· εἶτα ἡ Ῥωμαϊκὴ Αὐγούστου μὲν βασιλεύοντος ἔτη τεσσαράκοντα τρία· Τιβερίου δὲ εἰκοσιδύο· Γαΐου τέσσαρα· Κλαυδίου ἑπτά. Τῷ γὰρ ὀγδόῳ αὐτοῦ ἔτει ἤρξατο Ἰουδαίοις ἡ τῶν πραγμάτων κίνησις, ἀφ᾿ ἧς ὁ πρὸς Ῥωμαίους αὐτοῖς ἐξήφθη πόλεμος ὁ τὴν ἅλωσιν ἀποτεκών. Ἐπὶ γὰρ Νέρωνος τοῦ διαδεξαμένου Κλαύδιον λαμπρῶς καὶ κατὰ κράτος πολεμηθέντες ὑπὸ Οὐεσπασιανοῦ τὸ τηνικάδε Νέρωνι στρατηγοῦντος, ὕστερον δὲ βασιλεύσαντος, ἑάλωσαν.“  Ep. 1435 (IV, 58) (SC 454, 42– 54). Bayer 1915 sieht in Aëtius eine Quelle für die naturkundlichen oder naturphilosophischen Aussagen des Briefes (a. a.O. 68 – 70), Riedinger verweist auf Origenes, dessen Positionen Isidor dann in SC 454, 52, 120 – 54, 130 verschärfen, in SC 454, 48, 68 – 50, 80 (die Gestirne als ζῷα λογικὰ καὶ αὐτεξούσια) sich von ihnen distanzieren würde (Riedinger 1956, 66 f.). Zu Isidor und Origenes vgl. oben S. 78 – 82.  Jud 13b: „ἀστέρες πλανῆται οἷς ὁ ζόφος τοῦ σκότους εἰς αἰῶνα τετήρηται“.

4.2 Methoden der Textanalyse

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eigentlichen Exegese, die Isidor kurz abhandeln kann, indem er auf die eindeutig metaphorische Redeweise in Jud 12 f. hinweist: Ich sage, dass es dem Briefautor um Menschen ging, die Sünden von einem Ausmaß begehen, das die Möglichkeit der Vergebung übersteigt – nicht um Gestirne und Wolken, Wellen und Bäume, die er als Bildworte gebraucht.Was jene von Natur aus an sich haben, das ist mit diesen Menschen aufgrund ihrer freien Entscheidung geschehen – so sein Vorwurf.¹⁸¹

Die inkriminierten Menschen „wenden sich vom geraden Weg ab und beschreiten den Weg, der der Tugend entgegensetzt ist“¹⁸², und sind insofern wie „umherirrende Sterne“ bzw. „Planeten“. Erst danach – und wegen des eben Gesagten relativ losgelöst von der Exegese von Jud 13 – folgt eine längere Abhandlung über die Planeten in der Astronomie. Isidor versucht dabei die astronomischen Aussagen in ein auf der Bibel basierendes Weltbild mit absoluter Souveränität der Schöpfers zu integrieren.¹⁸³ Die naturphilosophischen Fragen behandelt er zwar in diesem einen Brief recht ausführlich und zählt verschiedene Theorien zum Wesen der Gestirne auf; zentral bleibt aber seine Skepsis gegenüber dieser Art von Forschung, was sich in mehrmals eingestreuten Bemerkungen wie „Ich halte diese Untersuchung für überflüssig und nutzlos“¹⁸⁴ oder „Ich glaube, dass das nichts zu einer hervorragenden Lebensführung beiträgt“¹⁸⁵ zeigt. Deshalb legt sich Isidor auch kaum auf eine naturkundliche Theorie fest. Glaube und christliche Lebensführung sind ihm das Entscheidende; mit Problemen, die dazu nichts beitragen und deren Lösung dem Menschen vielleicht ohnehin verwehrt ist, sollte man sich nicht zu viel beschäftigen.¹⁸⁶

 Ep. 1435 (SC 454, 44, 9 – 13): „Φημὶ τοίνυν ὅτι περὶ ἀνθρώπων συγγνώμης πταιόντων ὑψηλότερα ἦν τῷ ἐπιστείλαντι ὁ λόγος, οὐ περὶ ἄστρων καὶ νεφέλων, κυμάτων καὶ δένδρων, οἷς δὴ παραδείγμασι κέχρηται, ὅπερ ἔχουσιν ἐκεῖνα κατὰ φύσιν, τοῦτο πεπονθέναι τοὺς ἀνθρώπους κατὰ προαίρεσιν αἰτιώμενος“. Vgl. ebenso wieder das Ende des Isidorbriefs (a. a.O. 54, 131– 138).  Ebd. 44, 22 f.  A. a.O. 48, 61– 68 werden dafür Jes 45,12 und Ps 118,89 zitiert. Dieselben Stellen treten noch einmal auf im folgenden Brief 1436 (IV, 153) (SC 454, 54– 58); dort führt Isidor aus, dass die Himmelskörper an sich rein und geordnet geschaffen seien, aber eben viel geringer seien als ihr Schöpfer und im Hinblick auf diese Relation in Ijob 25,5 „vor Ihm nicht rein“ genannt werden.  A. a.O. 48, 72 f.  Ebd. 50, 85 f.  Vgl. auch ep. 593 (II, 93) (PG 78, 537, B4-C4); das Ende von ep. 600 (II, 100) (PG 78, 545, A1– 9; dort sind als Beispiele für solche Fragen auch der Lauf der Sonne, die Bahn des Mondes und die Positionen der Sterne genannt); ep. 773 (II, 273) (PG 78, 704, A1-B6; wieder mit in etwa den gleichen Beispielen); ep. 837 (III, 37) (PG 78, 757, A4-B). Mit solchen (topischen) Gedanken steht Isidor in einer langen Tradition, die sich neben anderen christlichen Autoren bei Clemens von Alex-

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Den kurzen Brief 1093 zu einem medizinisch-physiologischen Thema (Auswirkungen von Alkohol auf unterschiedliche Konstitutionstypen) beginnt Isidor mit dem Bekenntnis: „Zur Naturwissenschaft habe ich keinen großen Hang“ und endet mit der Feststellung, dass jedenfalls bei jeder Säftemischung im Körper die Herrschaft der Vernunft über die Leidenschaften als moralisches Ziel möglich ist.¹⁸⁷ So ist bei Isidor, was das Beibringen von textexternen Informationen angeht, nicht die Freude an der Präsentation von Wissen erkennbar, die F. Young für manche Passagen bei Origenes diagnostiziert¹⁸⁸, und zwar insbesondere nicht, was den naturkundlichen Bereich angeht. Als ein Beispiel für einen Brief mit weniger prominenten textexternen Informationen für die Interpretation kann ep. 1260 über Dan 3,82 f. gelten. Hier werden zwar nicht unmittelbar im Text enthaltene, aber ganz allgemein bekannte Informationen in die Interpretation eingebracht, nämlich das Wissen um das, was die Vorrangstellung der Juden gegenüber den Heiden ausmachte (besondere Erwählung und Gabe des Gesetzes).

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten In manchen Briefen, in denen Isidor nah am Text bleibt, paraphrasiert er einfach den biblischen Autor oder umschreibt das Gemeinte, ohne aber den Inhalt in größerem Umfang mit etwas, was nicht direkt im Text enthalten ist, in Beziehung zu bringen oder Eigenes hinzuzufügen. Gegebenenfalls setzt er dabei Elemente, die offensichtlich bildhaft sind, auf die Sachebene um.¹⁸⁹ Das alles ist keine spezifische Eigenart unseres Autors; F. Young weist auf die Bedeutung von Zusammenfassung und Paraphrase insbesondere für die antiochenische Exegesetradition hin, der es um Aussagegehalt und Gesamtzusammenhang eines Textes ging.¹⁹⁰ R. Maisano hat diese paraphrasierende Art der Wiedergabe eines bibli-

andria spiegelt (GCS 154, 478, 13 ff.; vgl. Früchtel 1938, 62); Beispiele sind aufgeführt im Apparat von GCS 154, 478; vgl. auch Runia 1995, 139 mit Anm. 27.  Ep. 1093 (III, 293) (PG 78, 968, A; das Zitat A1: „Φυσιολογεῖν μὲν ἐμοὶ οὐ πολλὴ σπουδή“).  Als Beispiel bringt sie einen Abschnitt aus Origenes’ Matthäuskommentar über Arten, Entstehung und Herkunft von Perlen; außerdem referiert sie den Abschnitt desselben Kommentars über die „Brüder und Schwestern“ Jesu (Young 1997 (1), 86 f).  Vgl. für eine Liste solcher Briefe oben Anm. 124 in Kap. 3.  Young 1989, 190 f.: „[…] many readers both ancient and modern have commented upon the dull and pedestrian character of Antiochene commentaries, which rarely rise above the commonsense ‚nitty-gritty‘ of exegesis or simple paraphrase.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

145

schen Textes bei Isidor sogar „tautologische“ Exegese¹⁹¹ genannt. Freilich kommt eine Wiedergabe von Gedanken mit anderen Worten wie schon eine Übersetzung in eine andere Sprache nie ganz ohne „Interpretation“, das heißt ohne Entscheidungen für bestimmte Referenzen und gegen andere aus. Es sind eben Isidors Worte, Isidors Horizont und Isidors Akzentuierungen, mit denen er die Inhalte der Schrift wiedergibt. Oft stehen in diesen Briefen Isidors eigene Umschreibungen oder Verdeutlichungen an erster Stelle und das Bibelwort am Schluss, sozusagen als die biblische Bestätigung des Gesagten, so etwa in den unten zitierten Briefen 1843 und 1948. Öfters enden längere Paraphrasen auch mit einem paränetischen oder lehrhaften Zielpunkt, der dementsprechend auch schon auf die Paraphrasen zurückwirkt, so etwa bei der schönen Ausmalung des Dialogs zwischen Johannes dem Täufer und Jesus nach Mt 3,14 f. in ep. 66¹⁹², die in eine vom Erlöser selbst vorgetragene Soteriologie im Kleinformat mündet, oder in ep. 121¹⁹³, wo die Paraphrase von Mt 15,24 Elemente christologisch-dogmatischer Sprache enthält und der Skopus des „vorösterlichen“ Bibelverses auf eines von Isidors bevorzugten Themen ausgeweitet wird: die Erwählung der Heiden und die Verwerfung der Juden nach Ostern. Drei von vielen Beispielen für weitgehend schlichte Bibelparaphrasen bei Isidor¹⁹⁴ sind die Briefe 1841, 1843 und 1948:

Summary and paraphrase is a persistent Antiochene technique for bringing out the gist of the argument, and the hupothesis usually includes this, together with historical or circumstantial introductory material. This technique ensures that context and thrust were not lost under the mass of detailed commentary.“  Maisano 1980, 52: „un tipo di esegesi che definirei ‚tautologica‘, che si limita cioè a parafrasare o ad ampliare il testo biblico […] senza apportare elementi nuovi o comunque esterni al contesto preso in esame“.  Ep. 66 (I, 66) (PG 78, 225, C1-D3).  Ep. 121 (I, 121) (PG 78, 264, A4-B).  Um die fünfzig weitere Beispiele können hier genannt werden: ep. 34 (I, 34) (PG 78, 204, B) über Mt 11,2– 6 / Lk 7,18 – 23 mit einer gewissen Engführung (die Frage „Bist du der, der kommen soll…?“ sei eine Frage, die sich die Johannesjünger stellten), um Johannes den Täufer von Zweifeln über die Messianität Jesu auszunehmen; ep. 84 (I, 84) (PG 78, 241, A) über Mt 6,3; ep. 94 (I, 94) (PG 78, 248, A8-B11) zu Hebr 4,13; ep. 125 (I, 125) (PG 78, 265, B-D) zu Ex 4,24– 26 (Zippora rettet Mose, indem sie seinen Sohn beschneidet); ep. 172 (I, 172) (PG 78, 296, A7-B5) zu Lk 16,26, wobei das jenseitige Ergehen des Reichen dem Abrahams entgegengesetzt wird; ep. 195 (I, 195) (PG 78, 308, A9-C7) zu Mt 13,24– 30, ausgelegt auf der Sinnlinie des Gleichnisses und mit Beispielen biblischer Personen illustriert; ep. 363 (I, 363) (PG 78, 388, C6-D3) zu Lk 1,43 (Elisabet als Sprachrohr für die prophetische Begabung ihres ungeborenen Sohnes); ep. 400 (I, 400) (PG 78, 405, D1– 4) zu Ps 67,19 / Eph 4,8, wobei hier die Referenz auf das Christusereignis nur im Kontext von Eph mitgegeben ist; ep. 410 (I, 410) (PG 78, 412, A4– 8) zu 1Tim 4,14 – Isidor verbindet wohl 1Tim 4,14 mit 4,13 (Ermahnung und Lehre): Timotheus soll sich nicht durch Wegschauen mit-

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

schuldig machen an den Sünden der ihm Anvertrauten; ep. 428 (I, 428) (PG 78, 420, A8-B5) zu 2Kor 12,9, ausgedeutet an drei Beispielen jenseits von Paulus eigener Person: rhetorisch ungebildete Glaubenszeugen, arme Zöllner und Christus selbst; ep. 429 (I, 429) (PG 78, 420, B6-C2) zu 1Kor 1,20; ep. 442 (I, 442) (PG 78, 425, B4– 11) zu 1Kor 14,20; ep. 452 (I, 452) (PG 78, 432, A4-B1) zu 2Kön 20,19, als vertrauensvolles Gebet Hiskijas gelesen; ep. 459 (I, 459) (PG 78, 433, D7– 436, A) zu Sir 14,1; ep. 469 (I, 469) (PG 78, 440, B1– 5) zu Jes 1,19 („Güter der Erde / des Landes“) mit Exkurs zur Pädagogik Gottes, wörtlich anklingend an Clem. paed. III, 12, 86 (GCS 123, 283, 28 – 30; vgl. Früchtel 1938, 61); ep. 504 (II, 4) (PG 78, 460, B7– 13) zu 2Kor 4,7, in einem ersten Durchgang dem Kontext von 2Kor entsprechend paraphrasiert; ep. 556 (II, 56) (PG 78, 500, A4– 9) zu 1Kor 13,9; ep. 558 (II, 58) (PG 78, 500, C – 504, A) zu Röm 9,3 und der Bedeutung von ἀνάθεμα dort (mit Mose und Rebekka als biblischen Vergleichsgrößen für Paulus); ep. 689 (II, 189) (PG 78, 640, A1-B9) zu Eph 4,26 f.; ep. 769 (II, 269) (PG 78, 697, C6-D5); 771 (II, 271) (PG 78, 701, A7-B7); 1050 (III, 250) (PG 78, 929, B9-C9); 1098 (III, 298) (PG 78, 972, C1-D1); 1376 (IV, 89) (SC 422, 440) jeweils zu Ex 23,3; ep. 772 (II, 272) (PG 78, 701, B8-D6) zu Joh 9,2 f. mit Bezug auf heidnische und jüdische Auffassungen vom Tun-Ergehen-Zusammenhang; ep. 803 (III, 3) (PG 78, 729, A8 – 12) zu Mk 9,40, mit einem militärischen Bild illustriert; ep. 805 (III, 5) (PG 78, 729, D9 – 732, A10) zu Mt 16,18; ep. 851 (III, 51) (PG 78, 765, A6-C2) zu Ps 136,4; ep. 853 (III, 53) (PG 78, 765, D2 – 768, A10) zu Eph 2,15, bezogen auf das Verhältnis von Gesetz und Evangelium bzw. die Forderungen des Alten und des Neuen Bundes; ep. 875 (III, 75) (PG 78, 781, C1 – 784, A8): so wie in Röm 12,1 beschrieben, sind alle Christen Priester; ep. 1037 (III, 237) (PG 78, 917, B-C) zu Spr 21,2; ep. 1074 (III, 274) (PG 78, 952, C7D6) und 1604 (IV, 214) (SC 454, 326) zu Sir 7,6; ep. 1141 (III, 341) (PG 78, 1001, A) zu Dtn 8,3b / Mt 4,4 par.; ep. 1280 (IV, 38) (SC 422, 296) zu Spr 31,4a; ep. 1293 (IV, 160) (SC 422, 314) mit Umsetzung der Bildsprache von Ez 11,19 auf die Sachebene (und Anfügung eines eigenen Bildes von Isidor); ep. 1294 (IV, 213) (SC 422, 314– 316) über ein Pasticcio aus Ez 20,13.16.18.21 (falsche Stellenangabe bei Évieux!), wobei Isidor die Elemente des entstandenen Parallelismus membrorum auf Unterschiedliches, nämlich die Gebote zur Gottesverehrung einerseits und die zur Nächstenliebe andererseits bezieht (vgl. zur Zerlegung eines parallelismus membrorum auch ep. 998 (III, 198) (PG 78, 881, C3-D7) über Jes 1,18, andererseits aber das Bewusstsein für den Parallelismus als Phänomen der Bibelsprache in ep. 895 (III, 95) (PG 78, 801, C14-D2)); ep. 1306 (IV, 100) (SC 422, 340) zu Röm 3,25, freilich mit einem Zug zur Frage nach der Vereinigung von Gerechtigkeit und Güte in Gott; ep. 1348 (V, 91) (SC 422, 396 – 398) über Hebr 4,7– 9; ep. 1370 (IV, 114) (SC 422, 428 – 432) über Spr 27,19 (zitiert a. a.O. 430, 16 f.), breit ausgemalt; ep. 1559 (IV, 168) (SC 454, 250 – 252) über Hebr 10,28 f. mit einem Wechsel zwischen Schrifttext und Paraphrase am Ende des Briefes; ep. 1617 (IV, 44) (SC 454, 344– 346) zur Klärung, wer die Sprecher des Bildworts von der Schuld der Väter und Söhne (Ez 18,2 / Jer 38,29) sind, nämlich das Volk; ep. 1618 (IV, 85) (SC 454, 346 – 348) zu Tit 1,16, flankiert allerdings von einem Demostheneszitat (Olynth. 2, 12) zum Thema der Schriftstelle (Worte und Taten müssen übereinstimmen); ep. 1717 (IV, 94) (SC 586, 40 – 42) zu 1Kor 4,5, beginnend mit Beispielen für verborgene gute und schlechte Motivationen für gutes Handeln und mit ungefährem Bezug auf andere Paulusstellen; ep. 1718 (IV, 173) (SC 586, 42– 44) zu Ps 111,5 LXX; ep. 1779 (IV, 158) (SC 586, 126) zu Spr 24,16 (zur Terminologie in diesem Brief s.o. S. 115 f.); ep. 1780 (IV, 63) (SC 586, 126) mit Annahmen zur Motivation des Paulus für den Satz Röm 8,18; ep. 1959 (IV, 123) (SC 586, 342– 344) über Lk 10,29 – 37: aus dem (nirgends bei Isidor übertragend ausgelegten!) Gleichnis vom barmherzigen Samariter folgt die Aufforderung: „Betrachte als deinen Nächsten vor allem jenen, der in Not ist, und komm ihm unaufgefordert zu Hilfe!“ (a. a.O. 344,22 f.); im Brief freilich ein origineller Bezug des Halbsatzes „er wollte sich rechtfertigen“ (Lk 10,29) auf ein

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Der Satz „Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten“¹⁹⁵ bedeutet, kurz gesagt, etwa Folgendes: nicht schon wenn jemand, mein Bester, aus einer fremden Motivation oder einem äußeren Vorwand heraus dem, was schön ist, Ehre gibt, wird er auch am Ruhm des Schönen Anteil haben, sondern jener wird zusammen mit dem Guten gerühmt werden, der das Gute selbst um seiner [des Guten] selbst willen geehrt hat. Denn viele ehren Propheten oder Gerechte, entweder um Ansehen bei den Menschen oder um irdischen Gewinn zu bekommen. Denn es gibt ja Leute, die denen, die solches regelmäßig tun, sogar Geld geben. Von diesen dürfte wohl niemand sagen, dass sie den Lohn eines Propheten erhalten. Wenn aber jemand ohne solche Vorwände mit unverhüllter Seele auf das Gute schaut und so die Heiligen ehrt, dann wird so ein Mensch verdientermaßen zusammen mit den Heiligen Ruhm erlangen.¹⁹⁶ Es scheint eine allgemein verbreitete Krankheit zu sein, nicht nur zwar für die eigenen Sünden blind zu sein, aber die der anderen scharf zu sehen, sondern auch für sich selbst sogar gegenstandslose Entschuldigungen vorzubringen, über die anderen aber streng und unerbittlich zu Gericht zu sitzen. Aber die, die sich wirklich von der Selbstliebe distanziert haben und die glauben, dass die Gerechtigkeit an erster Stelle stehen muss, sprechen sich selbst dasselbe Urteil, wenn sie sündigen, das sie wohl auch gegen die anderen sprächen, und strafen eher sich selbst durch ihre Umkehr, weil sie wissen, dass Straflosigkeit ins Verderben führt. Denn in diese genaue Selbstprüfung führt uns Christus und sagt: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem Auge aber bemerkst du nicht?“¹⁹⁷ Es passt nicht zusammen, ein strenger Richter der anderen zu sein und das Eigene zu übersehen.¹⁹⁸ Wenn es um die Dinge dieses Lebens geht, begleitet die, die (etwas) wollen, nicht in jedem Fall auch das Können (denn große Taten übersteigen das Vermögen des einzelnen), in geistlichen Dingen aber begleitet die, die wollen, auch die Fähigkeit (dazu); denn was man leistet, so gut man kann, reicht, so zeigt sich, bis an den Himmel. So warf eine Witwe „zwei kleine Münzen“¹⁹⁹ in den Opferkasten und wird gepriesen als eine, die alle Könige und alle Königinnen übertroffen hat. Denn der Richter beurteilte nicht das, was sie hineingelegt hat, sondern krönte ihren Entschluss, ihr ganzes Vermögen zu opfern.²⁰⁰

Auch an diesem Punkt ist zu beachten, dass antike und moderne Terminologie sich nicht unbedingt entsprechen müssen. In ep. 1418²⁰¹ ist die Rede davon, dass der Diakon Theodoros um eine μετάφρασις „ἄνευ προκατασκευῆς καὶ

Präjudiz des Gesetzeslehrers, wer sein Nächster sein könnte; ep. 1982 (IV, 152) (SC 586, 368) über Spr 14,29.  Mt 10,41.  Ep. 1841 (IV, 135) (SC 586, 204).  Mt 7,3.  Ep. 1843 (IV, 25) (SC 586, 206 – 208; die Übersetzung von 206, 8 f. scheint mir fehlerhaft zu sein).  Mk 12,42; Lk 21,2.  Ep. 1948 (IV, 193) (SC 586, 332– 334); vgl. ep. 1749 (IV, 118) (SC 586, 86, 15 – 19).  Ep. 1418 (IV, 12) (SC 454, 22– 24).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

ἀποδείξεως“²⁰² von 1Kor 7,21 f., also in etwa eine „Wiedergabe ohne Einleitung und Beweisführung“ gebeten hat, und nach seinen Ausführungen schließt Isidor: „Soviel soll also zur Wiedergabe („εἰς τὴν παράφρασιν“) der Bibelstelle gesagt sein“²⁰³. Gibt es also auch eine μετάφρασις / παράφρασις mit größeren Zusätzen, in der bestimmte interpretatorische Entscheidungen eingeleitet und begründet werden? Oder ist „ohne“ hier abgrenzend gemeint und definiert sozusagen eine gute μετάφρασις? Aber selbst eben das, was Isidor in ep. 1418 praktiziert, dürfte mehr als eine bloße Paraphrase in unserem Sinn sein. Die Bibelstelle charakterisiert Isidor als schwierig.²⁰⁴ In der Wiedergabe der Stelle mit seinen eigenen Worten entscheidet er sich (etwas widerwillig, aber eben auf Wunsch des Briefpartners) „ohne Einleitung und Beweisführung“ dafür, dass Paulus zum Verbleiben im Sklavenstand rät, aber gibt doch noch zusätzlich eine Begründung dafür als paulinisch an, die sich aus dem Kontext bei Paulus nicht unbedingt ergibt: christliche Sklaven erwarte ein weniger strenges eschatologisches Gericht als christliche Freie. Isidors textnahe Auslegungspraxis beschränkt sich aber nicht auf mehr oder weniger enge Paraphrasen.

4.3.1 Sachliche Klärung und Lösung von Widersprüchen Manche Isidorbriefe sind vor allem der Klärung von Sachfragen im biblischen Text gewidmet. Zur sachlichen Klärung bestimmter Elemente und zur Auflösung vermeintlicher Widersprüche kann Isidor natürlich das gesamte Spektrum der oben aufgefächerten Techniken der Textanalyse heranziehen. Zwar ist kaum eine sachliche Einzelfrage völlig unabhängig von der Verwendbarkeit einer Bibelstelle für Paränese und Glaubenslehre; allerdings steht in manchen Briefen doch die sachliche Klärung im Vordergrund, ohne dass Isidor die Anwendung explizit macht.

 SC 454, 22, 1– 3.  Ebd. 24, 22.  Vgl. auch aus der Sicht des 20. Jh. Schrage 1995, 139: „Das schwierigste Problem stellt das Verständnis von μᾶλλον χρῆσαι. Grundsätzlich ist es möglich, μᾶλλον χρῆσαι sowohl durch ἐλευθερίᾳ bzw. ἐλεύθερος γενέσθαι als auch durch δουλείᾳ zu ergänzen, so daß Paulus also im Fall, daß der Sklave frei werden kann, die Freiheit oder aber die Knechtschaft empfehlen könnte.“ Die (implizite) Ergänzung mit δουλείᾳ war die Standardlösung in der Antike, „auch wenn Chrysostomus noch von Leuten weiß, die anders interpretieren“ (Schrage 1995, 145).

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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In dem zu einer gewissen Berühmtheit²⁰⁵ gelangten Brief 132 an den Lektor Timotheos²⁰⁶ eruiert Isidor etwa Wortbedeutungen und will damit aufklären, wovon sich Johannes der Täufer ernährt habe: Die „ἀκρίδες“, von denen sich Johannes ernährte²⁰⁷, sind keine mit Skarabäen vergleichbaren Tiere, wie manche in ihrer Unwissenheit glauben – nein, es handelt sich um Pflanzentriebe. Der wilde Honig wiederum ist nichts Pflanzliches, sondern von Wildbienen stammender Berghonig, der äußerst bitter und jeglichem Geschmack zuwider ist. Durch diese Dinge zeigte Johannes seine überragende Selbstkasteiung, indem er nicht nur durch die geringe Menge (an Nahrung), sondern auch durch deren Widerständigkeit jede leibliche Begierde bitter werden ließ.²⁰⁸

 Vgl. zu diesem Brief Grégoire 1929 und Bartelink 1964, 174 f. Grégoire beschäftigt sich mit dem Verhältnis des im Isidorkorpus überlieferten Textes zu einer in der Nähe von Milet in der Höhle eines Mönches gefundenen Inschrift wohl aus dem 9. Jahrhundert, die den Brief zitiert, sodann mit der Geschichte der (durchaus lebhaften) Diskussion über die Nahrung Johannes des Täufers bis ins 20. Jahrhundert und die Position Isidors darin. Clemens von Alexandria sieht in den ἀκρίδες Heuschrecken und zeiht Johannes den Täufer angesichts dieser Diät der übertriebenen Askese (Grégoire 1929, 114; auch die von Fouskas 1970, 117, Nr. 29, verzeichnete angebliche Parallele bei Clemens von Alexandria ist für die Frage nach der Bestimmung der Nahrung des Johannes gerade keine „Vorlage“ für Isidor: „καὶ γὰρ μέλι ἤσθιεν καὶ ἀκρίδας, γλυκεῖαν [!] καὶ πνευματικὴν τροφήν“ (Clem. paed. II, 10, 112 (GCS 123, 224, 14 f.)). Eine in einer Katene Athanasius zugeschriebene Kommentierung (in Grégoires Stellenangabe a. a.O. 115 ist eine Ziffer falsch – es handelt sich korrekt um PG 27, 1365, C10-D5) könnte aber eine Vorlage für Isidor gewesen sein. Dort sind zwar die ἀκρίδες nicht Pflanzentriebe, sondern der Name einer Pflanze, die auch in Koh 12,5 vorkomme (auch dort gehe es nicht um eine Heuschrecke); aber der zweite Teil über den Honig ist fast mit Isidors Text identisch, in Details aber nach Grégoires Ansicht besser. Sein für mich vor allem wegen der umstrittenen Echtheit des Athanasiusfragments und der Unterschiede bezüglich der ἀκρίς / ἀκρίδες so nicht nachvollziehbares Fazit lautet: „Nous croyons avoir prouvé surabondamment que, dans sa 132e épître, Isidore de Péluse a copié assez maladroitement un passage de saint Athanase“ (a. a.O. 121). Zu den unterschiedlichsten antiken Versuchen, „Johannes zum Vegetarier zu machen“ vgl. Luz 2002, 204, Anm. 19. Dazu Luz a. a.O.: „Die Querverbindungen zwischen diesen Deutungen und den asketischen und mönchischen Bewegungen sind mit Händen zu greifen“. Für Matthäus selbst erkennt Luz „kaum einen paränetischen Unterton“ (a. a.O. 204 im Fließtext). Mit der Frage nach der Ernährung Johannes des Täufers hat sich J. A. Kelhoffer umfassend beschäftigt (Kelhoffer 2005). Isidors Beitrag zur Debatte wird a. a.O. 173 f. besprochen.  Timotheos, Lektor in Pelusium, ist der Empfänger von 37 Briefen, die oft mit Schriftauslegung zu tun haben. Aus den Briefen ergibt sich ein gewisses Bild seiner Persönlichkeit.Vgl. Évieux 1995, 230 – 233.  Vgl. Mk 1,6 / Mt 3,4.  Ep. 132 (I, 132) (PG 78, 269, C): „Αἱ ἀκρίδες, αἷς Ἰωάννης ἐτρέφετο, οὐ ζῶά εἰσιν, ὥς τινες οἴονται ἀμαθῶς, κανθάροις ἐοικότα [nach Ο V; PG hat ἀπεοικότα; „ἀπεοικώτα“ (mit zu tilgendem Antistoichafehler) hat allerdings auch die Inschrift in der Höhle nahe Milet (vgl. oben Anm. 205), weswegen Grégoire, 1929, 111 für diese Lesart plädiert: „ἀπεοικώς est pris pour ἀπεικασθέν,

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Dass Johannes durch diese sachliche Klärung als Meister der Askese hervortritt, ist klar. Er ernährt sich selbstverständlich vegetarisch und tötet außerdem jeglichen Genuss ab. In ep. 5 wird er unter Erwähnung seiner Kleidung und der Pflanzenspitzen, nicht aber des bitteren Honigs, auch ausdrücklich als Vorbild (τύπος) für den Mönch hingestellt, dem es nachzueifern gilt, auch wenn das den Einzelnen in seiner Schwäche übersteigen kann.²⁰⁹ In unserem Brief wird dagegen nicht direkt dazu aufgefordert, Johannes nachzuahmen; die Paränese ist hier eher unausgesprochen. In anderen, explizit paränetischen Briefen zum Thema Ernährung plädiert Isidor auch gegenüber Mönchen und Klerikern eher nicht für extreme Askese, sondern für ein Mittelmaß zwischen radikalem Nahrungsverzicht und Überfluss.²¹⁰ Gesunden, insbesondere gesunden Mönchen, rät er zwar zum Beispiel deutlich vom Weingenuss ab²¹¹, aber selbst Fleisch zu essen hält er immer noch für weniger schlimm als andere zu verleumden und zu beschimpfen oder auf das eigene Fasten stolz zu sein.²¹² Er selbst wünscht sich von einem anderen Mönch, den er besucht, Pflanzenkost.²¹³ In ep. 566 beschäftigt sich Isidor auf Anfrage mit Ps 73,15b. An dieser Stelle steht in der LXX ein Wort „Ἠθάμ“, das offensichtlich unübersetzt aus dem Hebräischen in den Text gekommen ist. Isidor weist eine Tilgung des Halbverses, wie er sie in neueren Handschriften gefunden habe, als Lösung ab, und erklärt das Wort als einen Ortsnamen:

ἀπῃκασμένον (de ἀπεικάζω)“] – μὴ γένοιτο, ἀλλ᾿ ἀκρέμονες βοτανῶν ἢ φυτῶν. Οὔτε δὲ πόα τίς ἐστι πάλιν τὸ μέλι τὸ ἄγριον, ἀλλὰ μέλι ὄρειον ὑπὸ μελισσῶν ἀγρίων γινόμενον πικρότατον ὂν καὶ πάσῃ γεύσει πολέμιον. Δι᾿ ὧν τὴν ὑπερβάλλουσαν κάκωσιν ἐπεδείκνυτο Ἰωάννης, οὐκ ἐνδείᾳ μόνῃ, ἀλλὰ καὶ τραχύτητι πᾶσαν ὄρεξιν πικραίνων τοῦ σώματος.“  Ep. 5 (I, 5) (PG 78, 181, C1 – 184, A9).  Vgl. ep. 424 (I, 424) (PG 78, 417, C4– 7: Der vernünftige Mönch hält das Gleichgewicht zwischen völligem Nahrungsentzug (ἀσιτία), der zum Verlust der Spannkraft (zur ἀτονία) führt, und Überfluss (πολυσιτία)); ep. 540 (II, 40) (PG 78, 481, D1 – 484, A6: Isidor schreibt an den Diakon Eudaimon über die „Tyrannei unserer Natur“, die diese am stärksten durch den Zwang zur Nahrungsaufnahme ausübt. Vernünftiger souveräner Umgang damit ist es, „wenn wir die Notwendigkeit bedienen und durch Selbsteinschränkung die Maßlosigkeit im Zaum halten“ („εἰ τῇ χρείᾳ τὴν ἀνάγκην θεραπεύσαιμεν καὶ τῇ αὐταρκείᾳ τὴν ἀμετρίαν κολάσαιμεν“). Vgl. auch die Briefe 383 und 384 (I, 383 f.) (PG 78, 400, A3-B8), davon ep. 384 mit einer Etymologie von γαστριμαργία (etwa: „Schlemmerei“ oder „Völlerei“) als „Verrücktheit in Sachen Bauch“, aber auch einem Plädoyer dafür, „die Gaben Gottes maßvoll und dankbar zu sich zu nehmen“ (für die „ἔμμετρος καὶ εὐχάριστος τῶν τοῦ Θεοῦ δωρεῶν μετάληψις“, vgl. 1Tim 4,3).  Vgl. ep. 385 (I, 385) (PG 78, 400, B9-C5) – Timotheus in 1Tim 5,23 erhält den Rat, auch etwas Wein zu sich zu nehmen, weil er eben nicht ganz gesund ist!  Vgl. die Briefe 446 (I, 446) (PG 78, 428, B6-C1) und 474 (I, 474) (PG 78, 441, B1 f.).  Vgl. ep. 58 (I, 58) (PG 78, 220, B7– 10).Vgl. zusammenfassend zum Thema Essen und Trinken bei Isidor Évieux 1995, 245 – 247.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Du fragst in deinem Brief, was das bedeutet, was im 73. Psalm geschrieben steht: „Du hast ausgetrocknet die Flüsse (von) Etham“²¹⁴ (es steht in den alten Psalmenhandschriften, in manche neuen wurde es nicht geschrieben, vielleicht weil es unverständlich schien; deshalb glauben auch manche, dass einiges in den Schriften überflüssig und nicht zu rezipieren ist). Als Antwort schien mir Folgendes richtig: In Palästina gab es einen Ort, durchströmt von Flüssen und voll mit Bäumen und Früchten, außerdem reich an einer Menge von Tieren und Fischen. Weil nun der göttliche Befehl (diesen Ort), der reich an Wasser, Bäumen und Tieren war, wegen der offensichtlich werdenden Gottlosigkeit seiner Bewohner ausgetrocknet hat, verkündet der Psalmist auch dieses zusammen mit den anderen Wundern²¹⁵ (im Psalm).²¹⁶

In der zweiten Hälfte des Briefes wird diese Erklärung noch durch ein Zitat aus Flavius Josephus²¹⁷ und den neuerlichen Verweis auf die innere Logik und den angenommenen kommunikativen Kontext des Psalms (paränetische Vergegenwärtigung der Gerichtsmacht Gottes) untermauert.²¹⁸ In eine ähnliche Richtung wie ep. 132 geht ep. 976. Die Frauen, von denen nach 1Kor 9,5 Apostel auf ihren Missionsreisen begleitet wurden, seien nicht deren Ehefrauen gewesen: Jeder von den Aposteln erhielt sozusagen ein Land und brachte dieses in Ordnung. Paulus aber lief wie ein geflügelter Landwirt²¹⁹ fast die ganze bewohnte Welt ab und schwärmte selbst bis zu den Enden der Erde aus; er führte dabei die, die ihn hörten, zur (göttlichen) Ordnung und pflanzte auch denen, die ihn nicht hörten, die göttliche Botschaft ein. Deshalb hatten auch jene zwar Frauen im Gefolge, freilich nicht, um mit ihnen Kinder zu zeugen oder zusammenzuleben, sondern die Frauen finanzierten sie mit ihrem Eigentum und versorgten die Herolde der Besitzlosigkeit. Diesem [Paulus] aber zu folgen hatten sie weder die Erlaubnis noch waren sie dazu in der Lage, da er ja wie gesagt bis ganz an die Enden der Erde eilte. Und was nimmt es da Wunder, wenn das weibliche Geschlecht zurückblieb, wo doch selbst Barnabas, sein Pendant im Zweiergespann, vor jenem grenzenlosen Lauf und jener grenzenlosen Mühe in die Knie ging und dem Paulus den ersten Rang überließ?²²⁰ Als er noch zusammen mit ihm aufgestellt war, schrieb Paulus Folgendes: „Haben wir nicht das Recht, eine Schwester (ἀδελφὴν γυναῖκα) mit uns zu führen, wie die übrigen Apostel, die Brüder des Herrn und Kephas? Oder haben nur ich und Barnabas nicht das Recht, nicht zu arbeiten?“²²¹ (Das sagte er) nicht, weil die, die zur Jungfräulichkeit rieten, die Selbstbe-

 Ps 73,15b LXX.  Vgl. Ps 73,12– 17.  Ep. 566 (II, 66) (PG 78, 509, A7-B9).  AJ 8,186 (Bd. 2, S. 217, 11– 13 Niese).  Ep. 566 (II, 66) (PG 78, 509, B9-C).  Vgl. 2Kor 3,6 – 9.  Vgl. Apg 15,36 – 41 – eine durchaus kreative Verwendung der Stelle, an der nicht von Erschöpfung des Barnabas, sondern von einem Konflikt zwischen Paulus und Barnabas um die Person des Johannes Markus die Rede ist!  1Kor 9,5 f.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

herrschung verkündeten und die Scharen der Jungfrauen ordneten, mit Frauen zusammenwohnten. Denn wer hätte sie als Ratgeber zur Jungfräulichkeit ertragen, wenn sie selbst überführt worden wären, sich im Vergnügen zu suhlen? Er meint also nicht das (denn sonst hätte er „Ehefrau“ (γαμετὴ γυνή) gesagt, wie die Notare in den Mitgiftverträgen schreiben: „entsprechend den Möglichkeiten ernähren und bekleiden, wie es sich für eine Ehefrau gehört“, wobei sie das Wort „γυνή“ verwenden wegen der Natur und das Wort „γαμετή“ wegen des Zusammenlebens), sondern weil sie sie begleiteten und aus dem, was ihnen zur Verfügung stand, die Ratgeber der Besitzlosigkeit versorgten, sagte er „Schwester“, um die Keuschheit deutlich zu machen, und „Frau“, um die Natur zu zeigen. „Frau“ heißt nämlich auch die Jungfrau, auch wenn sie unberührt ist; sie ist Frau der Erscheinung nach, auch wenn sie unversehrt ist; Frau der Natur nach, auch wenn sie in den Verkehr mit Männern nicht eingeweiht ist.Weil diese Argumentation ihr Ziel nicht verfehlt, hat dieser selbe Paulus, dessen Wortwahl manche in böser Absicht gegen ihren Sinn auszulegen wagen, über die Geburt des Erlösers dem Fleisch nach aus der heiligen Jungfrau Maria gesagt: „geboren von einer Frau“²²².Was tust du da, Paulus? Du nennst die Jungfrau „Frau“ (γυνή)? Ja, sagt er, Frau nenne ich sie wegen der Natur, für eine Jungfrau halte ich sie meiner Überzeugung nach. Denn eine Frau ist die Jungfrau, auch wenn sie unberührt ist – Frau nach Aussehen und Gestalt, Jungfrau, weil sie unversehrt und rein ist.²²³

Auch in diesem Brief geht es zunächst einmal um sachliche Klärung, und zwar insbesondere um die Klärung einer Wortbedeutung (γυνή in 1Kor 9,5). Diese wird mit Argumenten in Bezug auf die logische Konsistenz, mit Querverweisen auf andere Schriftstellen und unter Bezugnahme auf Bibelexternes, nämlich auf juristische Fachsprache, unternommen. Die behandelte Frage hat freilich eine asketische Komponente, die auch in Isidors Wortwahl immer wieder durchklingt. Ebenso wie Johannes der Täufer ein Prototyp der Askese in der Wüste ist, so sind die Apostel Prototypen des armen und ehelosen Lebens im Dienste der Glaubensverkündigung. Deshalb brauchten sie einerseits, um nicht wie Paulus selbst arbeiten zu müssen, Unterstützerinnen, die mit ihnen reisten, gleichzeitig aber ist für Isidor unvorstellbar, dass sie, die „Ratgeber zur Jungfräulichkeit“ für andere, mit Frauen, auch wenn es ihre Ehefrauen gewesen wären, Verkehr gehabt hätten. Die Klärung der Bedeutung seltener oder in einem eigens zu erfassenden Sinn verwendeter Vokabeln als Schlüssel zum Verständnis einer biblischen Passage steht außerdem im Zentrum einiger weiterer Briefe.²²⁴ Sie erfolgt meist im Zu Gal 4,4.  Ep. 976 (III, 176) (PG 78, 865, D1 – 868, C9). Im Umgang mit dem Wort γυνή in diesem Brief liegt ein gewisser Widerspruch zur in ep. 1043 (s. oben S. 133 f.) gebotenen Etymologie des Wortes.  Hierher gehören ep. 456 (I, 456) (PG 78, 433, A8-B5) über die in Röm 13,13; Gal 5,21 und 1Petr 4,3 erwähnten κῶμοι; ep. 477 (I, 477) (PG 78, 441, C3 – 444, A2) über zwei unterschiedliche Verwendungsweisen des Wortes σάρξ in der Bibel, mit paränetischem Schluss über den Umgang mit der σάρξ; ep. 591 (II, 91) (PG 78, 536, B7-C2) über den Areopag in Athen; ep. 677 (II, 177) (PG 78, 629, A-B) über das Wort „ιρ“ (bei Isidor „εἴρ“ in Dan 4,17 θʹ, interpretiert als „Erzengel“; ep. 878 (III, 78)

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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sammenhang der jeweiligen Schriftstelle und wie in ep. 976 unter Zuhilfenahme von Querbezügen, teils auch mit etymologischen Hinweisen. Eine Serie von vier Briefen an denselben Empfänger namens Antiochos²²⁵ (epp. 447– 450) belegt ausführlich aus der Apostelgeschichte, dass es sich bei dem Philippus, der in Apg 8 den Simon bekehrt und den Äthiopier tauft, nicht um den zum Kreis der Zwölf gehörigen Philippus, sondern um den Kollegen des Stephanus aus Apg 6,5 handeln muss. Die Briefreihe beginnt in der Form, die uns vorliegt, mit einer Klage über „unsinnige Auseinandersetzungen“, Geld- und Habgier im Klerus. Zwar ist der Zusammenhang nicht ganz klar – möglicherweise fehlt der Beginn des ersten Briefes²²⁶, und die andere Seite der Korrespondenz kennen wir natürlich ohnehin nicht, aber es entsteht der Eindruck, dass die dann behandelte Frage nach der Identität des Philippus von Apg 8 Anlass für eine dieser „unsinnigen Auseinandersetzungen“ war und Isidor ihr zwar kein großes Gewicht beimisst, aber sie im Folgenden trotzdem aufklärt. Somit wäre der Kontext dieser Briefreihe tatsächlich einfach die sachliche Klärung, die als Vorgang allerdings wiederum in einem lebenspraktischen Zusammenhang stünde, nämlich die fruchtlosen Streitigkeiten um eine, wie Isidor zeigt, eindeutig zu beantwortende Sache zum Ende zu bringen: Eigentlich müssten alle, die dem Herrn, unserem Gott, geweiht sind und im kirchlichen Dienst stehen, ihre Streitigkeiten untereinander und ihre unsinnigen Auseinandersetzungen aufgeben, anstatt von der anderen Seite²²⁷ Unterstützung für ihre Positionen zusam-

(PG 78, 785, B8-C6) über μονόζωνοι in Ijob 29,25; ep. 939 (III, 139) (PG 78, 836, C3 – 837, A4): γραμματική bedeute in Dan 1,17 Verständnis der Heiligen Schrift; ep. 961 (III, 161) (PG 78, 856, C-D) zu ἀστράγαλος/-οι („Handgelenk“) in Dan 5,5.24 θʹ; ep. 1250 (IV, 109) (SC 422, 242– 244) über εἰσελθεῖν in Spr 6,29 mit der Bedeutung „Geschlechtsverkehr haben“ und ἅπτεσθαι ebd. im Sinn von „Körperkontakt haben“; ep. 1313 (IV, 151) (SC 422, 350) über ναίειν in Ijob 22,12; ep. 1369 (IV, 161) (SC 422, 426 – 428) zu παρέστη in Ps 35,5 und εὐλογηθήσεται in Ps 48,19; epp. 1395 (V, 128) (SC 422, 464) und 1563 (IV, 127) (SC 454, 256) über die in 1Kor 2 f. vorkommenden Gruppenbezeichnungen πνευματικοί, ψυχικοί und σαρκικοί; ep. 1398 (IV, 101) (SC 422, 466 – 472): Erklärung zu Röm 11,8 rund um eine ausführliche und differenzierte Besprechung der Bedeutungen von διδόναι und κατάνυξις mit zahlreichen Querbezügen; ep. 1510 (IV, 116) (SC 454, 182– 184) über ἀπολαμβάνειν in Lk 16,25 im Sinn von „als Vergeltung erhalten“.  Möglicherweise handelt es sich um einen Fall, der mit den von Évieux 1995, 359 aufgeführten Beispielen vergleichbar ist, so dass man einen längeren Brief annehmen kann, der bei der Veröffentlichung des Korpus zerteilt und dabei vielleicht auch gekürzt worden ist.  Vgl. dazu den Hinweis von Évieux 1995, 357 mit Anm. 44 („[textes amputés] [c]e qui est courant, comme on peut le constater par exemple dans la correspondance de Basile, de Grégoire de Nazianze et de Théodoret“).  Griechisch „ἑτέρωθεν“; was damit gemeint ist, wird nicht wirklich klar.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

menzuklauben. Aber sie schauen ja nur aufs Geld und halten diejenige Kirche für die heiligere, von der sie das höhere Gehalt bekommen – für ihren Gott halten sie den Bauch²²⁸; durch sie wird auch der göttliche und verehrungswürdige Name gelästert –, kümmern sich aber um das Wichtigere nicht und geben nicht einmal bei Gelegenheit etwas darauf. Wisse also, du bewundernswerter Mann, dass das von dem hervorragenden Hieron²²⁹ Gesagte wahr ist und aus der Heiligen Schrift bewiesen werden kann: nicht der Apostel Philippus, der unter den Zwölf angeführt wird, sondern einer von den Sieben²³⁰ um den Anführer und obersten Feldherrn der herrlich siegreichen Märtyrer Stephanus, ausgewählt für die Versorgung der Witwen²³¹, dieser ist es, der sowohl den Eunuchen getauft²³² als auch den Simon im Glauben unterwiesen²³³ hat. Du verlangst auch einen Schriftbeweis für diese Sache – höre, was der allerbeste Lukas in der Apostelgeschichte schreibt: Nach dem Mord an Stephanus „brach eine schwere Verfolgung über die Kirche in Jerusalem herein, und alle wurden in die Gegenden von Judäa und Samaria zerstreut, mit Ausnahme der Apostel“²³⁴. Daraus wird klar, dass der Apostel Philippus mit den anderen Aposteln in Jerusalem geblieben war. Wenn du mit Wissensdurst die Schriften durchsuchen würdest, fändest du dort auch noch weitere Belege, die dir die Sache klar machen, um die gestritten wird. Als die Apostel alleine in Jerusalem zurückgeblieben waren und alle übrigen Jünger, der eine hier, der andere dort, zerstreut waren, war unter den Zerstreuten auch dieser Philippus, der sowohl den Simon in Samaria im Glauben unterwies als auch den Eunuchen nach göttlichem Spruch²³⁵ taufte, dann vom Geist des Herrn nach Aschdod entrückt und dort wieder aufgefunden wurde und schließlich in seine Heimatstadt Caesarea aufbrach.²³⁶ Von der Trauer um Stephanus auf die Probe gestellt und vielleicht aus Furcht, er könne das gleiche Schicksal erleiden, ging er nämlich nach Hause. Weil es dich ja nach vielen Beweisen verlangt, hier noch weitere: Philippus hatte die, die in Samaria zu Jüngern geworden waren, getauft. Dann aber kamen die Apostel Petrus und Johannes aus Jerusalem zu ihnen herunter und verliehen ihnen die Gnade des Heiligen Geistes.²³⁷ Wenn nun der Taufspender einer von den Aposteln gewesen wäre, hätte er die Vollmacht gehabt, den Geist zu geben. Er aber tauft nur als Schüler, vollkommen machen die Gnade dann die Apostel, denen die Vollmacht zu solcher Gabe gegeben war.²³⁸

 Vgl. Phil 3,19.  Um wen es sich hier handelt, wird weder aus dem Zusammenhang des Briefes noch aus Isidor insgesamt klar. Die beiden an Personen mit dem Namen Hieron adressierten Isidorbriefe (ep. 481 (I, 481) und 1315 (V, 67)) helfen nicht bei der Klärung.  „Ὁ εἷς τῶν ἑπτά“, von mir überprüft nach O μ Billy/Chatard; die PG hat „ὁ εἰς τοὺς ἑπτά“, was keinen Sinn ergibt. Poussines gibt für O V „ὁ εἷς ὢν τῶν ἑπτά“ an.  Vgl. Apg 6,1– 7.  Vgl. Apg 8,26 – 40.  Vgl. Apg 8,9 – 13.  Apg 8,1.  Vgl. Apg 8,26.29.  Vgl. Apg 8,39 f. und 21,8.  Vgl. Apg 8,14– 17.  Epp. 447– 450 (I, 447– 450) (PG 78, 428, C2 – 429, C10).

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Ep. 1686 widmet sich der Frage, ob zwischen den Ausdrücken βασιλεία τοῦ θεοῦ und βασιλεία τῶν οὐρανῶν ein Unterschied besteht, ohne die Ausdrücke einzelnen biblischen Autoren zuzuordnen. Isidor referiert zwei entgegengesetzte Lösungsvorschläge: Du wolltest wissen, was die „Königsherrschaft Gottes“ ist und was die „Königsherrschaft der Himmel“. Meine Antwort ist: Manche glauben, dass das „Reich Gottes“ größer und göttlicher ist, das „Reich der Himmel“ dagegen kleiner und geringer. Andere sagen, dass es in der Sache ein und dasselbe ist und (die Sache) nur unterschiedlich ausgedrückt ist, einmal von Gott her, der der Herrscher ist, das andere Mal von den Engeln und Heiligen, über die er herrscht.²³⁹

In dem ausführlichen Brief 1716²⁴⁰ geht es darum, was genau das Vergehen war, das Johannes der Täufer dem Tetrarchen Herodes Antipas vorwarf. Nach einer mit moralischen Bewertungen kommentierten Paraphrase der biblischen Erzählung vom Tod des Johannes²⁴¹ bietet Isidor drei alternative Erklärungen an und diskutiert deren Plausibilität. Darunter ist die derer, „zu denen auch [Flavius] Josephus gehört“²⁴², den er wörtlich zitiert²⁴³ (Herodes Antipas habe Herodias noch zu Lebzeiten ihres ersten Mannes, seines Halbbruders, geheiratet), und die These, Herodes habe seinen Halbbruder ermordet, um sich seines Herrschaftsgebietes zu bemächtigen und Herodias zu heiraten. Isidor legt sich nicht endgültig fest, plädiert aber trotz eines Einwands für die Erklärung, der erste Mann der Herodias sei bereits verstorben und die Heirat einfach ein Verstoß gegen Lev 18,16; 20,21 gewesen²⁴⁴; die Einwände gegen die anderen Erklärungen scheinen ihm noch gewichtiger. Der Brief schließt mit einer Bewertung der Frage, warum Gott den Tod des Johannes zugelassen hat. Außer in den bisher angeführten Texten dominiert das Kommunikationsziel der sachlichen Klärung insbesondere in gut zwanzig weiteren Briefen.²⁴⁵

 Ep. 1686 (V, 345) (SC 454, 448). Fast den gleichen Inhalt hat ep. 1006 (III, 206) (PG 78, 889, A4B4). Évieux gibt zum Brief eine Stelle aus Evagrius Ponticus an (pract. 2 f.; SC 171, 498– 500). Dort werden βασιλεία τοῦ θεοῦ und βασιλεία τῶν οὐρανῶν unterschiedlich bestimmt, und die βασιλεία τοῦ θεοῦ wird als „Erkenntnis der Heiligen Dreifaltigkeit“ der βασιλεία τῶν οὐρανῶν als der „wahren Erkenntnis des Seienden“ offenbar übergeordnet.  Ep. 1716 (IV, 96) (SC 586, 32– 40).  Ebd. 32– 34.  Ebd. 36,51 f.  Ebd. 36,53 – 57 zit. J., AJ 18,136 (Bd. 4, S. 165, 3 – 6 Niese).  Ebd. 38,70 mit Bezug auf 36,41– 51.  Hierher gehören ep. 33 (I, 33) (PG 78, 201, D – 204, A) zu Mt 11,9 – 11 / Lk 7,26 – 28 (inwiefern ist Johannes der Täufer „der Größte unter den von einer Frau Geborenen“ und „mehr als ein Prophet“? – von Riedinger wegen einer auch wörtlich engen Parallele bei Ps.-Caesarius als sein

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Besonders wichtig wird die sachliche Klärung, wenn es um vermeintliche Widersprüche zwischen Bibelstellen oder längeren biblischen Texten geht – ein durchaus häufiger Kontext in Isidors Briefen. In der großen Einheit der Heiligen Schriften, die auf den Einen göttlichen Urheber zurückgehen, kann es für die antike Exegese letztlich keine Spannungen und Widersprüche geben. Charakteristisch für Isidor ist dabei, dass zur Auflösung scheinbarer Widersprüche in aller Regel nicht etwa (wie besonders bei Origenes) Allegorese zur Anwendung

„Fragment 4“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria geführt,vgl. Riedinger 1960, 173); ep. 68 (I, 68) (PG 78, 228, B-C) zu Mt 11,11b / Lk 7,28b (warum ist „der Kleinste im Himmelreich größer“ als Johannes? – vgl. ebenfalls Riedinger (1960, 174), hier allerdings ist nur der Inhalt parallel); ep. 103 (I, 103) (PG 78, 253, A1– 5) zu Joh 21,15 – 17; ep. 207 (I, 207) (PG 78, 313, C2– 8) zu Mt 18,3; ep. 218 (I, 218) (PG 78, 320, B5-C8; die vier Tiere aus Daniels Vision in Dan 7 werden auf die Reiche der Assyrer, Meder, Griechen und Römer gedeutet); ep. 252 (I, 252) (PG 78, 336, A5 – 11) zu Mt 27,51; ep. 785 (II, 285 = IV, 180) (PG 78, 716, B1 – 717, A4) zu Lk 23,27– 31 (warum tadelt Jesus die Frauen am Kreuzweg? – inhaltlich nahezu deckungsgleich sind ep. 666 (II, 166) (PG 78, 620, A7 – B) und ep. 1238 (IV, 97) (SC 422, 218)); ep. 812 (III, 12) (PG 78, 737 – 740, C2): Isidor versucht mit einer Fülle von Querverweisen zu anderen Schriftstellen zu belegen, dass Mt 5,27 f. nicht nur für Männer, sondern mit umgekehrten Rollen auch für Frauen gilt (ep. 813 (III, 13) (PG 78, 740, C3 – 741, B2) führt dann eine von Isidor dabei eingeführte Differenzierung von Geboten des Alten und Neuen Bundes, die nur für jeweils eines der Geschlechter gegeben sind, gegenüber solchen, die für beide Geschlechter gelten, mit Beispielen näher aus); ep. 877 (III, 77) (PG 78, 785, A4-B7) über die von Paulus in 1Kor 15,44 angesprochenen σώματα πνευματικά; ep. 919 (III, 119) (PG 78, 821, C5 – 824, A10) zur Klärung der Referenz der Begriffe „Diebe“ und „Räuber“ in Joh 10,8, mit Verteidigung des Alten Testaments und dafür Bezug auf Apg 5,36 f. (vgl. zum Brief Riedinger 1975, 17); ep. 982 (III, 182) (PG 78, 872, C5 – 873, A): 2Kor 12,9c wird auf Beispiele aus den in der Apg beschriebenen Erlebnissen der Apostel bezogen; epp. 1084 f. (III, 284 f.) (PG 78, 960, B – 961, A), 1593 (IV, 220) (SC 454, 306 – 308), 1635 (IV, 36) (SC 454, 370 – 372) und 1849 (IV, 37) (SC 586, 212– 214) zu Röm 12,18 mit Selbstaussagen Isidors zu seinem eigenen Umgang mit der Aufforderung von Röm 12,18 in ep. 1085; ep. 1116 (III, 316) (PG 78, 980, B4 – 981, A) zu Dan 2,21c; ep. 1377 (IV, 115) (SC 422, 442– 444) zu Spr 6,30.32 mithilfe einer Reflexion über korrektes Vergleichen; ep. 1638 (IV, 50) (SC 454, 376, 9 – 17) zu Apg 12,22 f. (warum wird Herodes Agrippa bestraft und nicht das Volk?); ep. 1685 (IV, 106) (SC 454, 448) zu einem Detail aus dem Gleichnis Mt 25,14– 30; ep. 1735 (IV, 52) (SC 586, 68 – 70) zu Röm 5,21; Röm 6,23; 1Kor 15,56 (die sachliche Klärung geht über in die Paränese: die Sünde ist stärker und viel mehr zu fürchten als der Tod); ep. 1750 (IV, 46) zu 2Kor 5,16b (SC 586, 88; Vinels Interpunktion und Übersetzung würde ich dahingehend korrigieren, dass der mit ἐπειδή eingeleitete Kausalsatz bis μικράν (88, 3) zu nehmen ist. Nach μικράν ist dann m. E. Komma statt Punkt zu setzen – die Stelle Mt 12,50 parr. (Vinel nennt Lk 8,21) ist ein Querbezug auf ein Herrenwort, den Isidor schon bei Paulus selbst im Hintergrund der im Brief zu erklärenden Aussage vermutet: nicht die biologische Nähe zu Jesus Christus ist wichtig, sondern „den Willen des Vaters zu tun“. Es folgt am Briefende noch ein Querbezug auf Paulus selbst (1Kor 11,1; falsche Stellenangabe Phil 3,17 in der PG und bei Vinel)).

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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kommt²⁴⁶, sondern dass Isidor die Probleme textimmanent zu lösen versucht, wobei der umfassende Text wiederum der ganze Kanon ist. Mit Querverweisen über die ganze Bibel hinweg soll die Schrift durch die Schrift ausgelegt werden. Außerdem beschäftigt sich Isidor kaum mit Widersprüchen zwischen parallelen biblischen Schilderungen gleicher oder ähnlicher Ereignisse im Hinblick auf deren Logik, Chronologie oder Faktizität. Darin unterscheidet er sich nicht nur etwa von Origenes, sondern auf der anderen Seite auch von dem von ihm verehrten Johannes Chrysostomus, für den die Auflösung solcher Widersprüche auf der Ebene der Erzählungen, d. h. ohne Zuflucht zur übertragenden Auslegung, ein wichtiges Anliegen war.²⁴⁷ Isidor geht es dagegen in den einschlägigen Briefen darum, Bibelstellen, die einander in ihren (expliziten oder impliziten) Aussagen über Gott, über Christus oder über das moralisch Gebotene zu widersprechen scheinen, miteinander zu versöhnen. Als besonders interessante oder repräsentative Beispiele zitiere ich im Folgenden die Briefe 7; 117; 895; 1355; 1420; 1429 und 1907.²⁴⁸

 Zu den wenigen Fällen, wo Isidor zur Auflösung von Widersprüchen zwischen Schriftstellen bedeutungsübertragende Auslegungen vornimmt, vgl. oben unter 3.3.3.2 S. 98 – 101.  Vgl. zum Umgang mit Inkonsistenzen innerhalb der Bibel bei Origenes und Johannes Chrysostomus oben S. 97.  Die Auflösung scheinbarer Widersprüche zwischen Bibelstellen ist ferner ein zentrales Thema in folgenden 18 Briefen: Ep. 114 (I, 114) (PG 78, 257, C7 – 260, B: mehrere mögliche Argumentationsgänge zur Frage, inwiefern Jesus „drei Tage und drei Nächte“ im Grab geblieben sei (zu Mt 12,40)); ep. 354 (I, 354) (PG 78, 384, C9 – D: Der Umgang des Paulus mit dem „Zauberer“ in Apg 13 widerspricht nicht dem Gebot der Feindesliebe; vgl. auch ep. 181 (I, 181) über das Vorgehen des Petrus gegen Hananias und Saphira nach der Devise „Unkraut ist sofort auszureißen“); ep. 439 (I, 439) (PG 78, 424, C2-D: Die Rede von einer Reue Gottes in 1Sam 15,11 ist nicht auf einen Fehler in seinem Vorauswissen, sondern auf sein Mitleid und seine Menschenliebe zu beziehen); epp. 633 (II, 133) (PG 78, 576, A8-C), 1570 (IV, 86) (SC 454, 264– 266) und 1595 (IV, 209) (SC 454, 310 – 312) (zu den Briefen s.o. S. 86 f. – Das Talionsgesetz in der Tora (Ex 21,24) und die dazugehörige Antithese der Bergpredigt (Mt 5,39) widersprechen sich nicht; denn Gott hat jeweils das gleiche Ziel, das er mit unterschiedlichen pädagogischen Mitteln verfolgt); ep. 673 (II, 173) (PG 78, 624, C2 – 625, A8: Jesu Weinen um Lazarus widerspricht nicht seinem Vorauswissen um dessen Auferweckung); ep. 907 (III, 107) (PG 78, 813, A1-B3: Mt 13,19 und Mt 13,38 widersprechen sich nicht: (s.u. S. 234)); ep. 917 (III, 117) (PG 78, 821, A3-B10): Dass in Mt 7,11 die Menschen pauschal „böse“ heißen, bedeutet nicht, dass es keine guten Menschen gibt, und widerspricht insofern nicht Ps 124,4 und Mt 12,35; ep. 930 (III, 130) (PG 78, 829, C1 – 832, A4: Ps 44,3 und Jes 53,2 widersprechen sich nicht, da sie über unterschiedliche Aspekte Christi Aussagen machen s. o. Kap. 3, Anm. 300); ep. 942 (III, 142) (PG 78, 837, C8 – 840, A8: ganz ähnlich wie ep. 1355 (s.u. S. 162)); ep. 1046 (III, 246) (PG 78, 924, C9 – 925, A3: Mt 10,34 spricht vom „falschen Frieden“ ohne Frömmigkeit und Gerechtigkeit, Joh 14,27 dagegen vom echten); ep. 1052 (III, 252) (PG 78, 932, A6-C8) zu Gen 2,17 und der Fortsetzung der Geschichte der Stammeltern: sie sterben tatsächlich „an dem Tag“, an dem sie vom Baum essen, insofern die Seele durch die Sünde immer stirbt oder insofern „vor Gott ein Tag wie

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In ep. 7 geht Isidor der Frage nach, wie von einer Abstammung Christi von David die Rede sein kann²⁴⁹, wenn Matthäus den Stammbaum Jesu bei Josef enden lässt, der, so impliziert Isidor, doch nur der Ziehvater Jesu war. Mithilfe von zwei Querverweisen auf Informationen aus Num und Hebr wird festgestellt, dass mit dem Nachweis der Abstammung Josefs von David auch die davidische Abstammung Marias bewiesen sei: Das heilige Evangelienbuch, das die Geschlechterfolge mit der von David her abgeleiteten Verwandtschaft auf Joseph führt²⁵⁰, begnügte sich damit, über diesen zu zeigen, dass auch die Jungfrau aus Davids Stamm war, da ja das göttliche Gesetz anordnete, dass Ehen innerhalb des eigenen Stammes zu schließen seien.²⁵¹ Und der Ausleger himmlischer Lehren, der große Apostel Paulus, macht die Wahrheit ganz offen klar, indem er bezeugt, dass der Herr von Juda abstammt.²⁵² Du weißt das nur zu genau; also frage nicht heuchlerisch! Denn ich merke schon, dass du hier auf der Jagd nach der Niedrigkeit bist.²⁵³

Ep. 117 deutet einen dogmatischen Kontext an, nämlich die Abwehr subordinatianistischer Meinungen über Christus. Diese konnten u. a. mit Mk 13,32 / Mt 24,36 begründet werden. Isidor entkräftet das Argument, indem er die Stelle als eine Art

tausend Jahre sind“ (2Petr 3,8); ep. 1078 (III, 278) (PG 78, 953, D1 – 956, B7: Der Pharisäer in Lk 18 und Ijob rechtfertigen sich beide selbst, aber der eine ohne Anlass und unter Verachtung der anderen Menschen, der andere gezwungenermaßen und zu Recht; daher urteilt Gott gegensätzlich über die beiden); ep. 1705 (V, 359) (SC 586, 18: Ps 76,11 ist aktivisch zu verstehen – nicht Gott verändert sich, sondern er führt Veränderungen herbei – daher besteht kein Widerspruch etwa zu Mal 3,6); ep. 1734 (IV, 216) (SC 586, 66 – 68: Mt 5,20 spricht von der von Israel geforderten Gerechtigkeit; es besteht kein Widerspruch zu den Weherufen über Schriftgelehrte und Pharisäer); ep. 1906 (IV, 107) (SC 586, 294: Ps 103,5 widerspricht Ps 103,22 nicht – die Erde „wird nicht einstürzen“, aber „vor dem Herrn erbeben“); ep. 1937 (IV, 218) (SC 586, 322: In Mt 10,19 geht es um μαρτύριον, in 1Petr 3,15 um διδασκαλία. Der Brief lehnt sich eng an Chrys. hom. 33 (34) in Mt. 5 (PG 57, 394, 14– 30) an; vgl. Riedinger 1964, 19 f.). Ep. 1960 (IV, 26) (SC 586, 346 – 348) erklärt außerdem, warum die Tatsache, dass Esau nach Hebr 12,16 f. der Weg der Umkehr versperrt war, nicht mit mangelnder Vergebungsbereitschaft Gottes in Verbindung zu bringen ist, sondern daran liege, dass er sein Erstgeburtsrecht rechtmäßig verkauft und den richtigen Zeitpunkt zur Änderung seines Lebenswandels verpasst habe.  Mt 1,1.  Mt 1,1– 16.  Vgl. Num 36,6 – 9.  Hebr 7,14.  Ep. 7 (I, 7) (PG 78, 184, C): „Ἡ μὲν ἱερὰ τῶν Εὐαγγελίων πυκτή ἡ εἰς τὸν Ἰωσὴφ τὴν γενεαλογίαν κατάγουσα ἐκ τοῦ Δαβὶδ ἕλκοντα τὴν συγγένειαν ἠρκέσθη δι᾿ αὐτοῦ ἀποδεῖξαι καὶ τὴν Παρθένον τοῦ Δαβὶδ συμφυλετίδα τοῦ θείου νόμου τὰς συζυγίας αὐτοφύλους θεσπίζοντος γίνεσθαι. Ὁ δὲ τῶν οὐρανίων ὑποφήτης δογμάτων, ὁ μέγας ἀπόστολος Παῦλος, ἀναφανδὸν διασαφεῖ τὴν ἀλήθειαν ἐκ τοῦ Ἰούδα μαρτυρῶν ἀνατεῖλαι τὸν Κύριον. Ταῦτα δὲ δριμύτερον ἐπιστάμενος μὴ εἰρωνεύου τὴν ἐπερώτησιν. Οὐ γὰρ λανθάνεις θηρῶν τὴν εὐτέλειαν“.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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rhetorische Finte Jesu zum Nutzen der Menschheit liest²⁵⁴ – somit steht sie nicht im Widerspruch zu Kol 2,3 und zu den apokalyptischen Reden Jesu in den Evangelien: Warum ziehen die Gotteslästerer das Urteil des Herrn gegen sie auf sich? Warum entfachen²⁵⁵ die Widersacher Gottes das Feuer der Hölle? Der Herr wisse selbst den Tag des Endes nicht²⁵⁶, sagen sie. Weg damit – er kennt ihn sehr genau! Aber er hat es abgelehnt, unnütze Fragen zu klären. Denn wie könnte der, der alle Zeiten erschaffen hat, in Unkenntnis sein über die Stunde oder den Tag, er, „in dem alle Schätze der Weisheit sind“²⁵⁷? Es war nicht Sache von jemandem, der sich nicht auskennt, die Zeichen und die Schreckensbilder der Endzeit vorherzusagen und die Endzeit, als ob sie schon da wäre, mit ihren Kennzeichen auszumalen. Aber wie ich schon sagte, Erhellung für die nutzlose Frage [nach Tag und Stunde] gab er nicht. Denn sag mir, was nützt es, den Tag des Endes zu erfahren? Es ist nützlich, ihn nicht zu kennen, damit wir von jedem Tag glauben, dass er jener sei, und so bereit sind für diesen Tag, wachsam und in Erwartung unseres Herrn.²⁵⁸

Der umfangreiche Brief 895 behandelt Gen 1,26 f. unter verschiedenen Aspekten. Der erste Abschnitt endet mit einer Erklärung zu „Bild und Ähnlichkeit (εἰκών und ὁμοίωσις) Gottes“, nach denen der Mensch, genauer – für Isidor – die menschliche Seele²⁵⁹, laut Gen 1,26 LXX geschaffen ist: [… D]er Mensch ist Bild der Herrschaft und des Königtums, nicht des Wesens [Gottes]; wenn er aber gut handelt, auch der moralischen Güte [Gottes].²⁶⁰ Denn auch wenn wir die Geistseele als unsterblich definieren, so doch nicht als wesensgleich mit jener göttlichsten und

 Zur Auslegungsgeschichte der Stelle vgl. Luz 2016, 448 f. Ebd. 449: „Im Grunde sind sich die kirchlichen Ausleger [mit verschiedenen Begründungen] darin einig, daß auch der Sohn den Zeitpunkt des Endes weiß“.  Ich lese ἐκκαίουσιν nach Billy/Chatard, Rittershausen, O und V (Poussines). Morel u. PG haben ἐπικαίουσιν.  Vgl. Mk 13,32; Mt 24,36.  Kol 2,3.  Ep. 117 (I, 117) (PG 78, 260, D5 – 261, A).  S.o. Kap. 3, Anm. 181: dort ist der Beginn des Briefes zitiert. In der Weigerung, Gen 1,26 f. auch auf den menschlichen Körper zu beziehen, und in der Verknüpfung dieser Problematik mit der Ablehnung einer irgendwie gearteten Körperlichkeit Gottes ist Isidor mit Origenes verbunden.Vgl. Markschies 2016, 93 f.  Im weiteren Verlauf des Briefes (s.u.) zeigt sich, dass Isidor hier (wie schon andere Autoren vor ihm, etwa Origenes und Basilius von Caesarea, vgl. Young 2013, 150 – 153) zwischen der Erschaffung des Menschen „nach dem Bild“ Gottes und „nach Ähnlichkeit Gottes“ differenziert: Das Erste sei in der dem Menschen verliehenen Herrschaft über die Welt verwirklicht, das zweite könne der Mensch durch moralisch gutes Handeln aus eigenem Entschluss verwirklichen.

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anfanglosen Natur, sondern so weit [von jener] entfernt, wie natürlich das Geschöpf vom Schöpfer (entfernt ist).²⁶¹

Der zweite Abschnitt widmet sich dann der Frage, wie es zusammenpasst, dass in der Schöpfungserzählung hinsichtlich der Gottabbildlichkeit des Menschen keine Differenzierung zwischen Männern und Frauen auftaucht, bei Paulus dann aber schon: Wenn nun die Seele nach dem Bild [Gottes geschaffen ist], dann natürlich auch die der Frau. Warum hat dann aber Paulus gesagt: „Denn der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen; er ist ja Bild und Abglanz Gottes; die Frau aber ist Abglanz des Mannes“²⁶²? Denn wenn die Seele der Frau unsterblich und unvergänglich ist wie die des Mannes, warum nur hat Paulus das dann mit einer gewissen Abgrenzung gesagt? Wenn nun (Leute) Mose gegen Paulus auffahren und das Wort: „Lasst uns (den) Menschen machen nach unserem Bild und nach Ähnlichkeit“²⁶³ dagegen anführen möchten, könnte man als Hauptsache anführen, dass das Gesagte im Singular steht und nicht über beide [Geschlechter] gesagt ist; aber wir werden nicht so argumentieren. Denn wenn sie das, was folgt, vorbringen sollten, das „und sie sollen herrschen“, wird das Gesagte für uns sprechen. Denn es zeigt sich deutlich, dass sich das „nach dem Bild“ in dem Element des Herrschens ausdrückt. Und wenn sie sagen sollten: „Warum hat Paulus nun den einen (den Mann) als Bild Gottes, die andere (die Frau) aber als Bild des Mannes deklariert?“, dann werden wir antworten, dass die Frau am Anfang gleichrangig war und derselben Herrschaft gewürdigt wurde; nachdem sie aber gesündigt hatte, reduzierte sich ihre Herrschaft und wurde beschnitten, und sie untersteht nun dem Mann. Du konntest die gleiche Ehre nicht tragen, sagt er [Gott], so nimm die Erniedrigung hin. „Auf deinen Mann hin richtest du dich aus, und er wird über dich Herr sein“²⁶⁴. So zeigt der Schöpfungsbericht die Herrschaft, die die Frau vor der Sünde hatte, an, das Apostelwort aber die Unterordnung nach dem Fall. Dass aber dadurch, dass der Mensch zum Herrscher über alles auf der Erde bestimmt ist, seine Gottebenbildlichkeit gewahrt wird, dazu höre den Psalmisten, der die göttlichen Bücher und die königlichen Silben auslegt und sagt: „Mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt und hast ihn über alle Werke deiner Hände gestellt“²⁶⁵. Denn wie das Göttliche über alles, so ist auch der Mensch König über das auf der Erde. Er besitzt also das Element des Herrschens; dieses bewahrt das königliche Bild in ihm. Der Ausdruck „nach Ähnlichkeit“ ist, sofern er nicht manchen als (inhaltlicher) Parallelismus erscheint wie etwa in: „Ich legte mich nieder und schlief ein“²⁶⁶ und in: „Glücklich der, der zum Bettler und Armen

 „Εἰ γὰρ καὶ ἀθάνατον ὁριζόμεθα εἶναι τὴν νοερὰν ψυχήν, ἀλλ᾿ οὐ τῆς θειοτάτης ἐκείνης καὶ ἀνάρχου φύσεως ὁμοούσιον, ἀλλὰ τοσοῦτον ἀπέχουσαν, ὅσον εἰκὸς κτίσμα τοῦ Κτίσαντος.“  1Kor 11,7.  Gen 1,26.  Gen 3,16.  Ps 8,6 f.  Ps 3,6. Text nach O V μ „ἐγὼ δὲ ἐκοιμήθην κτλ.“ (μ om. δέ), was Ps 3,6 besser entspricht. PG hat ἐὰν δέ.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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kommt“²⁶⁷, so auszulegen, dass Gott ihm die Herrschaft in die Hand gab, damit er seine moralische Qualität unter Beweis stellen und die Ähnlichkeit (mit Gott) wahren solle. Du hast, sagt er, die Ehre erhalten, nun zeige deine moralische Qualität, damit das eine dem Schöpfungsakt, das andere dem freien Willen des Geschaffenen zugeschrieben wird.²⁶⁸ Und vielleicht erklärt das den Umstand, dass vom Anfang her gesagt ist: „Lasst uns (den) Menschen machen nach unserem Bild und nach Ähnlichkeit“, dann aber: „Und Gott machte den Menschen, nach dem Bild Gottes machte er ihn“²⁶⁹ ohne Hinzufügung des Ausdrucks „nach Ähnlichkeit“ beziehungsweise in dem Sinn, dass der Ausdruck, wie ich eben sagte, eben das bezeichnet, indem die moralische Qualität damit verknüpft wird, so dass das Gesagte etwa Folgendes bedeutet: „Lasst uns (den) Menschen machen nach unserem Bild“, damit er aus freien Stücken (uns) ähnlich wird; deshalb hat er vor der Erschaffung beides erwähnt, danach nur das eine. Der einziggeborene Gott jedenfalls sagt nach seinem Herabsteigen (zu uns): „Seid ähnlich eurem Vater, der in den Himmeln ist“²⁷⁰, in dem Sinn, dass die Erschaffung das „nach dem Bild“ bewahrt, der freie Wille aber das „nach Ähnlichkeit“.²⁷¹

Nachdem Isidor ausführlich erklärt hat, dass er in der Herrschaft des Menschen über die Schöpfung das Element sieht, in dem dieser sich „nach dem Bild“ Gottes zeigt, entkräftet er zum Abschluss des Briefes noch einen weiteren möglichen Einwand, der eher die Kohärenz des in der Schrift Gesagten mit der allgemeinen Weltwahrnehmung betrifft, nämlich wie solche Herrschaft des Menschen dazu passt, dass der Mensch sich vor den wilden Tieren fürchten muss, anstatt vollkommen über ihnen zu stehen. Ohne auf einen von „einigen Leuten“ beschrittenen textkritischen Ausweg aus diesem Problem einzugehen, zieht Isidor wie bei der Frage nach der Unterordnung der Frau wieder den Sündenfall als Erklärung heran, was er durch Querverweise auf andere Passagen der Heiligen Schrift untermauert: Heilige Männer wie Noach, Daniel und Paulus hatten von den Tieren nichts zu befürchten. Wenn es nun heißen sollte: „Wie kommt es dann, wenn der Mensch die Herrschaft über alles auf der Erde²⁷² erhalten hat, dass er die wilden Tiere fürchtet?“, dann lasse ich jene Erklärung beiseite, sei sie nun wahr oder nicht, die einige dazu gegeben haben, dass nämlich in den göttlichen Büchern von der Herrschaft über die Tiere nicht die Rede war, sondern dieser Punkt nachträglich von gewissen Leuten hinzugefügt wurde, und gebe eine einfache Antwort. Am Anfang, als das Bild [Gottes] (noch) Strahlkraft hatte, war ihm [dem Menschen]

 Ps 40,2.  Isidor ist hier inhaltlich [Ps.–?]Bas. hex. 10,16 (SC 160, 206) sehr nahe (vgl. Young 2013, 151).  Gen 1,26 f.  Kein wörtliches Schriftzitat, aber vgl. Mt 5,48; Lk 6,36.  Die beiden Zitate: ep. 895 (III, 95) (PG 78, 801, A4 – 804, A15).  „Τὴν ἀρχὴν πάντων τῶν ἐπὶ γῆς“ nach Billy/Chatard, Ritt. (mit μ), Morel, O; PG hat „πάντων τὴν ἐπὶ γῆς“.

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alles unterworfen (deshalb gab er ihnen [den Tieren] auch Namen²⁷³), als er aber ungehorsam geworden war, wurde seine Herrschaft zu Recht beschnitten. Jedoch wurde er nicht ganz aus seiner herrschenden Position vertrieben, damit die Gnade nicht für nutzlos befunden würde, aber (die Herrschaft) wurde beschnitten. Denn es wäre nicht gerecht gewesen, dem, der [von der Sünde] besiegt worden war, nun einen Kranz zu verleihen, sondern (es war gerecht), (ihn) durch die Furcht vor den Tieren in die Schranken zu weisen. Dass das wirklich wahr ist, [vermutlich ist in etwa zu ergänzen: wird bezeugt durch das Geschehen²⁷⁴], als Noach dieses Bild [Gottes im Menschen] wieder reinigte, indem er Gerechtigkeit froh bei sich aufnahm: zu ihm kamen alle Tiere; sie erkannten das alte Dienstverhältnis (wieder) an und tadelten damit fast den, der am Anfang gesündigt hatte und seine Herrschaft teilweise verloren hatte. Auch den Daniel verschonten die Löwen²⁷⁵ und das Feuer (verschonte) die drei jungen Männer²⁷⁶. Und die Schlange tat Paulus nichts zuleide.²⁷⁷ Dadurch dass also (diese) die Herrschaft, die ihr Vorfahr hatte, wieder erneuerten, ist klar, dass auch jener sie vollständig erhalten, aber teilweise verloren hatte. So viel von unserer Seite. Wenn aber jemand etwas Besseres (dazu) zu sagen hat, soll er es sagen, und er soll Gehör finden.²⁷⁸

Ep. 1355 beschäftigt sich mit dem Widerspruch, den man zwischen Mt 5,16 und Mt 6,1 in Bezug auf die Sichtbarkeit guter Werke sehen könnte. Isidor deutet die beiden Herrenworte als komplementär: Für die, die ihre Zeit guten Taten widmen, wird es sich als Gewinn herausstellen, wenn sie dabei öffentlich wahrnehmbar sind. Deshalb hat der Erlöser auch gesagt: „Euer Licht soll vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater in den Himmeln preisen“²⁷⁹. Weil aber manche nicht die Ehre des Herrn im Blick haben, sondern ihre eigene, gab er folgenden Rat: „Gebt acht, dass ihr euer Almosen nicht (öffentlich) vor den Leuten gebt. Sonst werdet ihr keinen Lohn bekommen“²⁸⁰. Mit dem ersten (Ausspruch) verdeutlicht er Gerechtigkeit und Liebe zum Guten als Eigenschaften, die sich, selbst wenn es die, die so handeln, wollen, nicht verbergen lassen, mit dem zweiten weist er die Ehrsucht zurück.

 Vgl. Gen 2,20.  Der (soweit mir zugänglich einheitliche) Textbestand ist grammatikalisch undeutlich; es scheint ein Hauptsatz zu fehlen. Τῷ findet sich erstmals bei Morel und so dann auch in der PG; es scheint mir eine sinnvolle Konjektur zu sein, löst aber das syntaktische Problem nicht vollständig. Der ganze Satz lautet in der PG: „Ὅτι δὲ τοῦτ᾿ ἔστιν ἀληθές, ὅτε ὁ Νῶε τὴν εἰκόνα ταύτην ἀνεκάθηρε τῷ δικαιοσύνην ἀσμενίσαι· ἦλθε πρὸς αὐτὸν πάντα τὰ θηρία τὴν ἀρχαίαν δουλείαν ὁμολογοῦντα καὶ μονονουχὶ τὸν ἐξ ἀρχῆς ἁμαρτόντα καὶ μέρος τῆς ἀρχῆς ἀπολέσαντα καταμεμφόμενα.“  Vgl. Dan 6.  Vgl. Dan 3. Dieses Beispiel fällt etwas aus dem Rahmen, da das Feuer ja kein Tier ist.  Vgl. Apg 28,5 f.  Das Ende von ep. 895 (III, 95) (PG 78, 804, B1-C10).  Mt 5,16.  Mt 6,1 (Textvariante).

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Durch den einen hält er die Schlechtigkeit ab, durch den anderen die Selbstdarstellung. Der zweite steht dem ersten nicht entgegen, sondern hält die mit den Tugenden verbundenen und ihnen benachbarten²⁸¹ Übel zurück. Denn jede Tugend heißt wohl dann, wenn sie ohne Selbstdarstellung geübt wird, im eigentlichen Sinn Tugend und ist es auch. Wenn sie sich aber zur Ehrsucht hinziehen lässt, hört sie auch auf, echte Tugend zu sein – ganz zu schweigen davon, dass die, die Almosen geben und es zur Schau stellen, das nicht aus der moralisch besten Haltung heraus tun; im Gegenteil, sie zerren das Unglück anderer Leute ans Licht; sie streben danach, barmherzig genannt zu werden, und entblöden sich dabei nicht, die unglückliche Lage anderer Leute in dunklen Farben auszumalen. Der Ausspruch: „Euer Licht soll leuchten“ ist ja nicht gesagt, damit wir uns rühmen können, sondern in dem Sinn, dass das gute Werk es nicht zulässt, dass es verschwiegen wird, auch wenn die, die es getan haben, es verbergen. Denn wie eine Fackel, wenn sie in einer mondlosen Nacht leuchtet, von selbst die Blicke auf sich zieht, so gibt die Tugend von Natur aus allen Licht, auch wenn die, die sie haben, es gar nicht beabsichtigen.²⁸²

Auf ähnliche Weise wird in ep. 1420 ein möglicher Widerspruch zwischen Röm 13,3 und Röm 13,7 zum Thema „Furcht vor der Obrigkeit“ aufgelöst, wobei Isidor noch einen Alternativvorschlag wiedergibt, der mit unterschiedlichen Referenzen arbeitet: das Kolon über die Furcht in Röm 13,7 wird dabei nicht auf die weltliche Obrigkeit, sondern auf Gott bezogen, womit auch ein Gegensatz zu Spr 7,1a LXX vermieden wäre: Du hast geschrieben: Wenn Paulus den Rat gibt: „Willst du ohne Furcht vor der Obrigkeit leben? Tu das Gute, und du wirst Lob von ihr erhalten“, in welchem Sinn sagt er dann kurz darauf: „Gebt Furcht dem, dem Furcht gebührt“²⁸³? Ich glaube, wenn das (zweite) nicht, wie manche meinen, über Gott gesagt ist – denn es steht geschrieben: „Ehre den Herrn, und du wirst stark sein; außer ihm aber fürchte niemand“²⁸⁴, dann hat er das eine in dem Sinn gesagt, dass der, der moralisch gut leben will, der Furcht entgeht, die von der (staatlichen) Gewalt über Leben und Tod her über denen schwebt, die Böses tun, und dass er Lob von der Staatsmacht erntet, das andere aber in dem Sinn, dass er aufgrund der örtlichen Zugehörigkeit, aus Respekt und wegen der den Herrschenden geschuldeten Ehrerbietung ihnen Furcht schuldet. Denn er ist nicht von dieser Furcht entbunden, die ihm in keiner Hinsicht schadet, sondern sogar sein Ansehen und seine Strahlkraft steigert. Man muss sich nämlich jeder Macht fügen, dort wo weder die Rechtgläubigkeit noch die Moral Schaden nehmen,

 Vgl. zum Gedanken der „Nachbarschaft“ bestimmter Tugenden und Fehlhaltungen auch ep. 899 (III, 99) (PG 78, 805, D1 f.), inspiriert möglicherweise von Gr. Naz. or. 43, 64 (SC 384, 266, 20 – 24, vgl. Kertsch 1985, 116 f.).  Ep. 1355 (IV, 159) (SC 422, 406 – 408).  Röm 13,3 und 13,7.  Spr 7,1a LXX.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

sondern königlicher und angesehener hervortreten durch die Zurückhaltung derer, die sich um sie kümmern.²⁸⁵

Ep. 1429 beschäftigt sich mit dem theologischen Problem der Rechtfertigung der sündigen Menschheit. Die Spannung zwischen Röm und Jak, aus denen Isidor im Brief je eine Stelle zitiert, wird in einem zeitlichen Nacheinander aufgelöst: für die erste Gerechtmachung gelte „allein aus Gnade“, dann aber müssten Werke unbedingt dazukommen: Als der Gott-Logos hierher (zu uns) kam, verlangte er Glauben von uns und machte dann durch Gnade gerecht – denn es war nicht möglich, dass die, die wegen ihrer Schuld aufgegeben worden waren, aufgrund von (eigener) Gerechtigkeit gerettet würden; das haben auch der Psalmist und das „auserwählte Werkzeug“²⁸⁶ ausgesprochen, der eine, indem er versicherte: „Es gibt keinen Gerechten, keinen einzigen“²⁸⁷, der andere, indem er festhielt: „Alle haben gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes“²⁸⁸. Von denen, die zum Glauben kamen, aber forderte er zu Recht höchste Gerechtigkeit, so dass im Fall der ersten (Gerechtigkeit)²⁸⁹ die Gnade gerecht machte, dann aber festsetzte, die Gerechtfertigten sollten gute Werke in Angriff nehmen, weil es nicht möglich sei, aus Glauben allein [andere Lesart: aus Gnade allein²⁹⁰] gerettet zu werden.²⁹¹ Denn mit dem Glauben müssen sich die Taten mischen, und er muss von diesen beseelt werden; denn er ist ohne diese wohl tot.²⁹²

 Ep. 1420 (IV, 102) (SC 454, 26 – 28). Das Ende lautet auf Griechisch: „Εἴκειν γὰρ χρὴ παντὶ σθένει, ἐν οἷς μήτε ἡ εὐσέβεια μήτε ἡ ἀρετὴ καταβλάπτεται, ἀλλὰ καὶ βασιλικωτέρα καὶ ἐπιφανεστέρα ἐκ τῆς τῶν μετιόντων ἐπιεικείας ἀναφαίνεται“. Zum Wortpaar εὐσέβεια und ἀρετή gerade in diesem Zusammenhang vgl. oben S. 44 f.  Vgl. Apg 9,15.  Vgl. in etwa Ps 13,1.3.  Röm 3,23.  „Πιστεύσαντας δὲ δικαιοσύνην ἀκροτάτην εἰκότως ἀπῄτησεν ὥστε παρὰ μὲν τὴν πρώτην ἡ χάρις ἐδικαίωσε, τοὺς δὲ δικαιωθέντας ἔργων ἀγαθῶν ἀντιλαβέσθαι ἐθέσπισεν, ὡς οὐκ ἐνὸν ἀπὸ πίστεως μόνον σωθῆναι.“ Zur Problematik der Übersetzung von παρά in diesem Kolon vgl. Évieux z. St.  ᾿Aπ᾿ αὐτῆς μόνης C O V ς ν. Der Text der PG und der Handschriften γ κ μ („ἀπὸ πίστεως μόνον“), für den sich auch Évieux entscheidet, ist aber näher an Jak 2,24 („ὁρᾶτε ὅτι ἐξ ἔργων δικαιοῦται ἄνθρωπος καὶ οὐκ ἐκ πίστεως μόνον“).  Vgl. Jak 2,24, dann Jak 2,26.  Ep. 1429 (IV, 65) (SC 454, 36 – 38). Isidor äußert an vielen Stellen die Auffassung, dass Gottes für alle guten Taten notwendige Unterstützung (χάρις / ῥοπή / συμμαχία) bei denen am größten ist, die von sich aus alles geben. Gott wirkt mit dem Menschen zusammen, und zwar sozusagen proportional zum menschlichen Einsatz. Vgl. ep. 502 (II, 2) (PG 78, 456, B5 – 457, A; über das Verhältnis von naturgegebener und durch Christus dazugekommener Gnade als Antrieb zum Guten, mit einem Bild Isidors über faule Schiffskapitäne am Ende, s. unten S. 235); ep. 561 (II, 61) (PG 78, 504, C6 – 13); ep. 572 (II, 72) (PG 78, 516, C4– 9); ep. 742 (II, 242) (PG 78, 684, A9-B6: συμμαχία Gottes im „Heiligen Krieg“ gegen die Leidenschaften); ep. 766 (II, 266) (PG 78, 697, B1– 8:

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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In ep. 1907 schließlich taucht ein vermeintlicher Widerspruch zwischen den Evangelien wiederum als Anfrage von Isidors Briefpartner auf. Isidor kann seinen Adressaten beruhigen. Man müsse nur genau hinschauen, um zu erkennen, warum die bei Mk und Mt in der Passionserzählung zitierte Zeugenaussage über den Tempel falsch sei. Sie gebe Jesu Aussage in Joh 2,19 schon grammatikalisch nicht korrekt wieder. Natürlich wird hier wie oft in der antiken Exegese über biblische Buchgrenzen hinweg gearbeitet und vorausgesetzt, die Verleumder beim Prozess Jesu hätten die genaue Formulierung des Herrenworts nach Joh im Kopf haben und somit auch korrekt wiedergeben können, selbst wenn sie nicht verstanden haben, dass Jesus nach Joh 2,21 „vom Tempel seines Leibes“ sprach. Im Hintergrund steht, dass Jesus nach Johannes nie davon gesprochen hat, dass er den Tempel zerstören wolle oder werde, was ihm aber die „falschen Zeugen“ bei Mk und Mt unterstellen: Du hast die Meinung geäußert, im Evangelium stehe ein gewisser Widerspruch, und hast in Frage gestellt, warum es die Aussage über Zerstörung und Auferstehung des Tempels „falsches Zeugnis“²⁹³ nennt; denn es sei ja gesagt: „Zerstört diesen Tempel, und in drei Tagen werde ich ihn aufbauen“²⁹⁴. Ich gebe zur Antwort, dass jene über das Heiligtum sprachen, er [Jesus] aber über seinen Leib.²⁹⁵ Solltest du sagen, das sei nicht überzeugend, denn selbst seine Jünger hätten das niemals verstanden, wenn er nicht von den Toten auferstanden wäre, so antworte ich, dass sie [die falschen Zeugen], auch wenn sie es nicht verstanden haben, doch kein wahres Zeugnis gegeben haben. Denn er kündigte an, das zweite zu tun, nicht beides. Das Zerstören war ja ihre Sache, das Auferwecken seine: „Zerstört ihr, und ich werde wiederherstellen“. Denn das Zerstören war in jedermanns Reichweite, das Auferwecken kam Gott zu.²⁹⁶

Häufig ergeben sich (schon) bei einer sachlichen Klärung, insbesondere zu theologischen Fragen, Bezüge, die vor einem heutigen Verstehenshorizont des

Gott treibt sogar die zur ἀρετή an, die vor ihr davonlaufen, umso mehr hilft er denen, die sich selbst um ein moralisch gutes Leben bemühen); ep. 873 (III, 73) (PG 78, 781, A5-B2: an den „Skandalkleriker“ Palladios – der Glaube allein wird ihn nicht retten); ep. 1071 (III, 271) (PG 78, 949, D – 952, A8: Gottes Gnade wirkt nur entsprechend der Disposition, die sie vorfindet); ep. 1206 (III, 406) (PG 78, 1040, C9-D6: um Gottes Gnade zu bitten, hat nur Sinn, wenn man selbst alles getan hat, was man kann); ep. 1444 (IV, 171) (SC 454, 72); ep. 1663 (V, 327) (SC 454, 412, 5 – 8); ep. 1784 (IV, 51) (SC 586, 130 – 132) (1 f.: „Ἡ θεία χάρις τῇ ἀνθρωπίνῃ κιρναμένη προθυμίᾳ σῴζει τὸν ἄνθρωπον“); ep. 1839 (IV, 13) (SC 586, 202, 7– 13, als Appell an den Briefpartner); ep. 1855 (V, 459) (SC 586, 220 – 222); ep. 1966 (V, 548) (SC 586, 354).  Mt 26,59; vgl. ebd. 59 – 61; Mk 14,56 – 59.  Joh 2,19.  Vgl. Joh 2,21.  Ep. 1907 (IV, 217) (SC 586, 294– 296). Schon Origenes löst das hier behandelte Problem ähnlich (vgl. Metzdorf 2003, 56 f.).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

biblischen Textes wenig nachvollziehbar scheinen, aber die trotzdem die Bedeutung von Worten und Wortgruppen nicht oder nicht weit von den gewöhnlichen Referenzen weg übertragen oder „nur“ ein schon im Bibeltext bildlich ausgesagtes Element auf eine mögliche Sachebene übertragen. Das kann durch den Text bedingt sein, mit dem Isidor arbeitet (beim Alten Testament ist das in der Regel ein Septuagintatext, beim Buch Daniel durchgehend Theodotion), durch mangelnde Rücksichtnahme auf den Kontext, durch ein spezifisches eigenes Anliegen Isidors oder auch durch ein Vorgehen wie die Zerlegung eines alttestamentlichen parallelismus membrorum. ²⁹⁷ Als Beispiele zitiere ich die Briefe 1038, 1138 und 1874: Mit Worten ein moralisch herausragendes christliches Leben zu führen (λόγοις φιλοσοφεῖν) ist leicht, in Taten ist es dagegen mühsam. Das eine schmeichelt den Ohren, das andere bildet Seelen. Deshalb ruft Gott denen, die mit dem Priesterdienst ausgezeichnet sind, das Wort zu, dessen Sinn du erfahren wolltest: „Ihr Priester, redet Jerusalem zu Herzen!“²⁹⁸ Denn weil die, die (nur) mit Worten ein gutes Leben führen (οἱ διὰ λόγων φιλοσοφοῦντες), nicht nur den Zuhörern zur Last fallen, sondern auch dadurch, dass sie das Gegenteil von dem tun, was sie sagen, sich selbst zum Gespött machen, deshalb verlangt er von ihnen hohe Moral aufgrund von Taten (τὴν διὰ²⁹⁹ τῶν ἔργων ἀρετήν), die dann auch die Seele der Hörer berührt. Deshalb muss heilig sein, wer das heilige Amt versieht (ἱερὸν εἶναι χρὴ τὸν ἱερωμένον). Wenn der Unheilige das heilige Amt ausübt, widerspricht das göttlichem Recht.³⁰⁰ Die körperlichen Genüsse sind schmeichlerisch (αἱμύλαι³⁰¹) und haben eine gewaltige Kraft zu verführen, die Vernunft von ihrer Führungsposition zu verdrängen und alles auf den Kopf zu stellen. Aber wenn einmal die impulsive Energie (ὁ θυμός) auf der Seite der Vernunft kämpft und sich (ihr) wie ein Schildknappe seinem König unterstellt, können jene leicht in die Knie gezwungen werden. Denn wenn gerechter Zorn gegen sie in Anschlag gebracht wird, halten sie der Drohung nicht stand, sondern gehen unverrichteter Dinge fort und überlassen das Siegen der Vernunft, die mit Recht siegen muss. Und das ist auch der Sinn dessen, was

 S. oben in Anm. 194 zu ep. 1294.  Jes 40,2a LXX. Die für Isidors Einordnung des Satzes wesentliche Anrede an die Priester findet sich nur im griechischen Bibeltext.  Διά eingefügt aus V (nach Poussines).  Ep. 1038 (III, 238) (PG 78, 917, D1 – 920, A). Die moralische Forderung, dass mit dem Reden auch das Handeln eines Menschen, besonders eines Christen und nochmals besonders eines christlichen Lehrers, Vorstehers oder Klerikers, übereinstimmen muss, ist ein Lieblingsthema Isidors (vgl. z. B. ep. 46 (I, 46) (PG 78, 212, A3 – 7; ebd. 6 f.: „καὶ πρᾶττε λογικῶς, καὶ λέγε πρακτικῶς“); ep. 112 (I, 112) (PG 78, 257, B: an Bischof Eusebios); ep. 180 (I, 180) (PG 78, 300, B); ep. 564 (II, 64) (PG 78, 508, C1– 9); ep. 641 (II, 141) (PG 78, 584, D3 – 585, A3) ex negativo; ep. 1059 (III, 259) (PG 78, 937, A3 – 940, B); ep. 1117 (III, 317) (PG 78, 981, B); ep. 1205 (III, 405) (PG 78, 1040, A9-C8, ausgehend von Jes 52,5); ep. 1579 (V, 265) (SC 454, 286)). Seine Interpretation von Jes 40,2a ist davon bestimmt und losgelöst vom Kontext von Jes 40. Ganz parallel legt Isidor Jes 40,2a auch in ep. 501 (II, 1) (PG 78, 456, A1-B4) und ep. 1002 (III, 202) (PG 78, 884, C7-D5) aus.  Nach V (Poussines).

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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der Psalmist angemahnt hat und was du erkärt haben wolltest: „Zürnt, und sündigt nicht!“³⁰²³⁰³ Auch wenn „die Ehe wertvoll“³⁰⁴ und der eheliche Verkehr vom Gesetz gedeckt ist, darf man sich doch nicht immer darauf stürzen, sondern man muss bestimmte Zeiten dafür nutzen und der Natur ihren Raum lassen, bis sie rein bleibt und für die Kinderzeugung bereit ist. Das hat einerseits das Gesetz geboten, andererseits hat (auch) die Gnade dazu geraten, dass dies [der eheliche Verkehr] in Keuschheit und auf dem Weg über fortwährende Gebete geschieht, wenn sie durch Paulus sagt: „damit ihr für das Gebet frei seid“³⁰⁵, und durch Petrus das, was du erklärt haben wolltest: denn er sagt, die Männer müssten „dem weiblichen Geschlecht als dem schwächeren seine Ehre geben“³⁰⁶.³⁰⁷

Die Zuteilung von Briefen zu dieser Kategorie kann man zwar nicht trennscharf vornehmen; sie hängt auch vom Ermessen und den Bibelinterpretationen der Zeit und der Person ab, die die Briefe rezipieren. Diese Briefgruppe ist aber aus dem Blickwinkel historisch informierter und kontextsensitiver Exegese heute auf jeden Fall nicht klein; sie dürfte über fünfzig Briefe umfassen.³⁰⁸  Ps 4,5a.  Ep. 1138 (III, 338) (PG 78, 997, D – 1000, A4). Ep. 739 bespricht dieselbe Psalmstelle und bietet neben der hier vorkommenden (vgl. ep. 739 (II, 239) (PG 78, 677, A7-C) zuvor noch zwei kurze, etwas andere Deutungen, in denen auch das Verhältnis zwischen Zorn und Vernunft etwas anders nuanciert bzw. unter etwas anderer Hinsicht besprochen wird. Zum Kontext des Psalms passt die hier gebotene Deutung jedenfalls kaum, am ehesten noch die erste Deutung aus ep. 739, wo das Zürnen überhaupt als Frage problematisiert wird (PG 78, 676, D4 – 677, A1). Die Forderung, die Vernunft über Emotionen, Triebe und Leidenschaften herrschen zu lassen, ist ebenfalls eines der bevorzugten Themen Isidors – vgl. die Briefe 689 (II, 189) (PG 78, 640, A1-B9), 810 (III, 10) (PG 78, 733, C1– 4), 1004 (III, 204) (PG 78, 885, C1– 9), 1093 (III, 293) (PG 78, 968, A8 – 12), 1473 (V, 189) (SC 454, 130) und 1747 (V, 384) (SC 586, 84), in denen jeweils die platonische Bildwelt vom Seelenwagen und seinem Lenker anklingt (s. unten Anm. 510), außerdem ep. 866 (III, 66) (PG 78, 777, B1 f.); ep. 950 (III, 150) (PG 78, 841, C4-D4); ep. 1023 (III, 223) (PG 78, 905, B4 f.); ep. 1103 (III, 303) (PG 78, 973, C3 – 9); ep. 1344 (V, 88) (SC 422, 390 – 392); ep. 1619 (V, 291) (SC 454, 350, 5 f.).  Hebr 13,4.  1Kor 7,5.  1Petr 3,7.  Ep. 1874 (IV, 119) (SC 586, 250 – 252). Vgl. zur Sexualmoral bei Isidor zusammenfassend Évieux 1995, 185 (mit Belegen). Die kommunikative Stoßrichtung bei Isidor ist hier sogar der des Paulus mehr oder weniger entgegengesetzt. Paulus mahnt in 1Kor 7 zur Vorsicht bei Enthaltsamkeit in der Ehe (vgl. Schrage 1995, 67– 70), während Isidor den paulinischen Halbsatz einbaut, um vor übermäßigem, ungeregeltem und vor allem vor nicht auf Kinderzeugung ausgerichtetem Verkehr zu warnen. Isidor ist darin im Rahmen der antiken Auslegung des Verses bei weitem kein Einzelfall (vgl. a. a.O. 78 – 81). Auch das Petrusbriefzitat erscheint von seinem Kontext weitgehend isoliert und in den neuen, für Isidor wichtigen Kontext transponiert.  Ep. 17 (I, 17) (PG 78, 192, A1-B4) zu Mt 8,18 – 20: Isidor malt die Gründe dafür, dass Jesus einen Schriftgelehrten wegschickt, breit aus und fügt dem Text einiges zur angeblich bösen Motivation und Konstitution des Mannes hinzu; ep. 32 (I, 32) (PG 78, 201, C3 – 9: Anwendung der Metapher

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von Mt 5,15 nur auf die Priester; ep. 71 (I, 71) (PG 78, 232, A5-B): Ex 12,16 wird auf den Sonntag bezogen, an dem nicht nur Arbeitsruhe herrschen soll, sondern nach dem Zusatz „πλὴν ὅσα ποιηθήσεται πάσῃ ψυχῇ“ auch gute Taten getan werden sollen; ep. 81 (I, 81) (PG 78, 237, D1 – 240, A7): Isidors Deutung von Ps 93,20 als Bitte in Verfolgungen, die der Gerechte erleidet, hängt am Septuagintatext; ep. 82 (I, 82) (PG 78, 237, A8-B) zur Frage, warum die Israeliten in Ri 20 erst zweimal eine herbe Niederlage gegen die Benjaminiter erleiden, bevor sie den Sieg erringen: Isidor gibt sexuelle Vergehen – μοιχεία / πορνεία (oder ist Idolatrie gemeint? – vgl. Ri 17,4; 18 über Dans Gottesbild) – auch bei den gefallenen Israeliten als Grund an; ep. 194 (I, 194) (PG 78, 305, D6 – 308, A8) zu Mt 13,24– 30: Isidor erklärt das Schlafen der Knechte, auf der Sachebene unsere Nachlässigkeit gegenüber den „πονηροὶ λογισμοί“, als das Problem, um das es im Gleichnis gehe (im Unterschied dazu wird im folgenden Brief 195 das Gleichnis wörtlich-paraphrasierend mit den Engeln als Element aus der Deutung in Mt 13,36 – 43 ausgelegt); ep. 200 (I, 200) (PG 78, 309, D2 – 312, B2): Mal 2,13a wird auf die Tränen der Unterdrückten und damit auf soziale Sünden in Israel bezogen, Am 2,8 LXX auf textile Verstöße gegen die kultische Reinheit des Tempels; ep. 221 (I, 221) (PG 78, 321, B1-C1) zu 1Kor 15,29: νεκροί wird gegen den Kontext – vor allem gegen die Syntax: 3., nicht 1. Person Plural, Artikel vor dem Partizip in 15,29a – ausschließlich auf Körper bezogen, es geht nach Isidor hier nicht um eine Praxis der Taufe für Verstorbene; ep. 222 (I, 222) (PG 78, 321, C2-D) mit drei Deutungsalternativen für die „ζῶντες“ und die „νεκροί“, die Christus nach 2Tim 4,1 richten wird, von denen die erste die Begriffe vergleichbar mit ep. 221 auf Seelen und Leiber bezieht, die zweite auf moralisch Gute und Böse (zu diesem Verständnis von νεκρός vgl. etwa auch ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164, 16 – 20)); ep. 301 (I, 301) (PG 78, 357, B1– 6) zu Ps 22,4: mit dem „Stock“ und dem „Stab“ seien Gottes Züchtigung gegen die Sünde und dann Gottes Trost gegen den Kleinmut des Gezüchtigten gemeint; ep. 305 (I, 305) (PG 78, 360, B1– 7) zu Ps 118,25 („meine Seele klebt am Boden“), bezogen auf die Verbindung der Seele mit dem Körper oder aber – näher am Kontext des Psalms – auf freiwillige Selbsterniedrigung wegen begangener Sünden; ep. 320 (I, 320) (PG 78, 368, B3 – 9): Esau heißt in Hebr 12,16 „πόρνος ἢ βέβηλος“, weil Esslust automatisch zu sexuellen Verfehlungen führt (ein Grundsatz Isidors, s. unten Anm. 396); ep. 321 (I, 321) (PG 78, 368, C): „Am Morgen…“ in Ps 100,8 bedeute Nüchternheit und Freiheit von Affekten; ep. 330 (I, 330) (PG 78, 372, D1 – 373, A6): Ps 138,15 wird auf Adam, Eva und den Sündenfall bezogen (Eva und die von ihr ausgelöste Sünde war zuvor ein „Knochen“ Adams); ep. 331 (I, 331) (PG 78, 373, A7-B) schreitet fort zu Ps 138,16, nun direkt mit Adam als Sprecher: Gott sieht seine Nachfahren voraus, oder: Gott sieht, dass Adam nicht sündigen wollte und nur verführt wurde; ep. 413 (I, 413) (PG 78, 412, C): die Aussage von 1Kor 7,29b wird einerseits gegen die „Manichäer“ abgegrenzt, andererseits zu einem Bezug auf den Geschlechtsverkehr in der Ehe eingeengt, etwa im Sinne von 1Thess 4,4 f.; ep. 426 (I, 426) (PG 78, 417, D6 – 10) zu Gen 3,15: hier sei Christus gemeint, weil er als einziger von einer Frau allein abstamme; ep. 443 (I, 443) (PG 78, 425, C1– 8): Isidor bezieht 1Kor 13,10 f. auf Paulus in der Zeit vor seiner Christusbegegnung und Lebenswende; ep. 445 (I, 445) (PG 78, 428, A1-B6) zu 1Kor 3,2: Die dort erwähnte „Milch“ sei der erste Schritt der Glaubenslehre für die, die aus dem Judentum kommen, nämlich die Herleitung der christlichen Lehren aus dem Alten Testament („ὑπ᾿ αὐτοῦ“ in PG 78, 428, B1 verstehe ich als „ὑπὸ νόμου“; der Bezug auf Paulus in Billys Übersetzung „quos in disciplinam acceperat“ scheint mir nicht das zu treffen, worum es geht); ep. 478 Ende (I, 478) (PG 78, 444, A8-B3): Isidor sieht in Ps 88,38b LXX einen Verweis auf den Leib Christi, der in den Himmel aufgenommen wurde; ep. 564 (II, 64) (PG 78, 508, C1– 9): paraphrasiert Tit 1,16, aber bezieht den Vers, ohne näher auf den Kontext zu achten, auf fehlende Übereinstimmung von Gotteslob und Moral; ep. 588 (II, 88) (PG 78, 532, A3-C): Isidor bringt Mt 26,6 – 13 (par.), besonders die Frage nach der Berechtigung des Jüngervorwurfs dort, in Ver-

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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bindung mit Hos 6,6 und stimmt den Jüngern davon ausgehend durchaus zu (ἔλεος wird dabei mit ἐλεημοσύνη gleichgesetzt); er spielt dabei auch darauf an, dass dieses Hos-Zitat im Munde Jesu vorkommt, seine Deutungslinie passt aber kaum zu den entsprechenden Stellen Mt 9,13 und 12,7; ep. 624 (II, 124) (PG 78, 564, A6-B): in 1Tim 5,8 sei in erster Linie die seelische bzw. geistliche Fürsorge für die Anvertrauten gemeint; ep. 635 (II, 135) (PG 78, 577, A5-C): Ps 48,13.21 wird in z.T. sehr enger Anlehnung an Chrys. hom. in Mt. 7:14, 3 (PG 51, 44, 36 ff.; vgl. Fouskas 1970, 122 und Kertsch 1992 (1), 37; Riedinger 1975, 18 f. führt Parallelen – bzw. aus seiner Sicht Quellen für die keinem historischen Autor Isidor zuzuschreibenden Texte (ebd. 29) – bei Clemens von Alexandria an und sieht antimarkionitische Argumentation) nicht auf die Todverfallenheit des Menschen, sondern auf moralische Übel bezogen, worin Menschen mit der bei ihnen möglichen Anhäufung mehrerer Übel eigentlich noch schlimmer seien als einzelne wilde Tiere; in ep. 638 (II, 138) (PG 78, 580, C – 581, B) wird 1Kor 9,21 neben einer Anwendung in lehrhaftem Zusammenhang gegen den paulinischen Kontext darauf bezogen, dass Paulus das Alte und das Neue Gesetz gehalten habe; ep. 708 (II, 208) (PG 78, 648, D2 – 649, B4): Der Satz „Beginnt in meinem Heiligtum!“ in Ez 9,6 wird auf die schlechten Priester bezogen, die das Gericht schärfer treffen wird als alle anderen; ep. 713 (II, 213) (PG 78, 656, A): Röm 1,22 bezeichne die leere heidnische Bildung mit ihrer rhetorischen Tarnung, die von der Wahrheit der Heiligen Schrift mit ihrer sprachlichen Schlichtheit entlarvt worden ist; ep. 800 (II, 300) (PG 78, 728, B): 2Joh 8 wird bezogen auf die kontinuierlich notwendige Bemühung um die Tugend; ep. 833 (III, 33) (PG 78, 753, C1– 10) zu Sach 5,7 LXX: „Blei“ bedeute die Schwere der Sünde, „Maß“ das Ende der Geduld Gottes; ep. 922 (III, 122) (PG 78, 824, D1 – 825, A6): Joh 10,29 wird für einen lehrhaften Argumentationszweck eingeschränkt: durch Gewalt oder eine Schwäche Gottes kann niemand verlorengehen, aber durch Täuschung und aus eigenem freien Willen; ep. 929 (III, 129) (PG 78, 829, B) zu Ps 76,3 f. LXX: Isidors Interpretation auf Traurigkeit, die nur vom Gedanken an Gott vertrieben werden kann, hängt am LXX-Text, ebenso das Problem, an dem er sich in ep. 980 (III, 180) (PG 78, 869, D – 872, A) zu Gen 21,7 abarbeitet; ep. 1003 (III, 203) (PG 78, 885, A-B): Sodom und Gomorra wird es im Gericht „nicht so schlimm ergehen“ (Mt 10,15), weil sie schon im Diesseits „vorbestraft“ wurden; ep. 1120 (III, 320) (PG 78, 984, A1-B8): Koh 7,16 bedeute, dass man gut sein soll, was noch mehr sei als gerecht, oder dass die Gerechtigkeit wie alle Tugenden im Halten des rechten Maßes besteht; ep. 1143 (III, 343) (PG 78, 1001, B8-C9): in Jes 3,3 LXX und Sir 3,29 LXX gehe es um gute, „aktive“ und verständige Zuhörer; ep. 1156 (III, 356) (PG 78, 1013, A1-C7) behandelt die Frage, warum in Dan 6,4 Daniel mit allen Satrapen und nicht nur mit seinen beiden Kollegen an der Spitze verglichen wird (unter den 120 Niedrigeren habe es vielleicht Bessere gegeben als die beiden Kollegen Daniels); ep. 1191 (III, 391) (PG 78, 1032, B8-C11): Dtn 4,19 sei nicht so zu verstehen, als habe Gott die Himmelskörper den Völkern zur Verehrung „zugeteilt“; sie hätten sie vielmehr als Quelle der Erkenntnis des Schöpfers aus seiner Schöpfung erhalten [der frühe Riedinger erkennt in dem Brief eine Widerlegung einer Position des Clemens von Alexandria und des Origenes (Riedinger 1956, 164 f.)]; ep. 1295 (IV, 215) (SC 422, 318): Lk 12,35 wird nicht auf Erwartung des Herrn, sondern auf inneres und nach außen ausstrahlendes Licht durch ein moralisch einwandfreies Leben bezogen; ep. 1360 (IV, 103) (SC 422, 416) zu 1Kor 12,27 [die Stellenangabe bei Évieux ist fehlerhaft], bezogen auf die weltweite Kirche; ep. 1462 (IV, 146) (SC 454, 98 – 102) zu Hebr 2,15: Christus hat uns die Furcht vor dem Gericht eingegeben und so die Furcht vor dem Tod als Ende der Existenz und die Sklaverei der Sünde abgeschafft; ep. 1556 (IV, 211) (SC 454, 246– 248): Aussagen über Gott zu machen, übersteigt selbst die reinen Geistwesen – dies wird aus Hab 3,3c abgeleitet; ep. 1715 (IV, 8) (SC 586, 30 – 32): Gen 4,23 f. LXX wird als Schuldeingeständnis Lamechs gelesen; so entsteht ein moralischer Kontrast zwischen Kain und Lamech; ep. 1749 (IV, 118) (SC 586, 86): Isidor schränkt das Ver-

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

4.3.2 Paränese Auslegungen in paränetischem Kontext, bei denen die Referenzen nahe an den alltäglichen Bedeutungen bleiben, sind im Verhältnis zu übertragenden Auslegungen mit diesem Zweck in der Unterzahl. Gelegentlich gehen sie sehr konkret auf die Situation des Briefpartners ein, wie etwa in den Nummern 1060 und 1284³⁰⁹, die beide an den Priester Zosimos in Pelusium gerichtet sind – einer der Männer, denen Isidor am häufigsten ins Gewissen redet. Ep. 1060³¹⁰ beginnt mit einer Information über simonistisches Handeln des Zosimos, die Isidor offensichtlich anlässlich eines Besuchs einer größeren Gruppe aus der Stadt an seinem Wohnort erhalten hat. Damit scheint auch eine Berufung auf Mt 18,18 in Verbindung gestanden zu haben; denn Isidor bringt in der Folge eine Gegenargumentation zu dieser Stelle, die nicht als Rechtfertigung für Willkür und Bestechung im Zusammenhang mit der Lossprechung von Sünden missbraucht werden könne. Einige weitere Bezüge auf andere Bibelstellen, die in den aktuellen paränetischen Kontext versetzt werden, umspielen diese Argumentation: Ein Mann, der nicht nur für unmoralische Einnahmequellen unempfänglich ist, sondern sogar das, was er hat, an die Bedürftigen austeilt, hatte erfahren, dass du es gewagt hast, nach Erhalt einiger Fische von einem, der einen Meineid geschworen hatte, diesen, soweit es in deiner Macht steht, von seiner Sünde freizusprechen. Daraufhin stöhnte er laut auf und sagte geradeheraus jenes Wort des Demosthenes, wie mir scheint (denn auch wenn das, was jetzt folgt, recht unverschämt scheinen wird, werde ich es sagen und nicht verhehlen), „dieser habe schon deshalb die Todesstrafe verdient, damit er in der Unterwelt den Gottlosen

sprechen von Mt 10,42 auf Spender ein, die nicht mehr zu geben haben als Wasser; ep. 1784 (IV, 51) (SC 586, 130 – 132): Isidor bringt Röm 8,28 in Einklang mit einem seiner Lieblingsthemen, dem notwendigen Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlicher Anstrengung (s. oben Anm. 292); ep. 1809 (IV, 155) (SC 586, 170): Jes 46,3 f. wird mit einer Antistoichavertauschung, eigenwilliger Abgrenzung der Kola und losgelöst vom Kontext gelesen und mit 2Tim 3,7 in Verbindung gebracht; ep. 1842 (IV, 49) (SC 586, 204– 206): Isidors Interpretation von Ijob 6,6 hängt am Septuagintatext (vgl. zum Brief Maisano 1980, 63 mit Hinweisen auf Vorläufer und Originalität Isidors); ep. 1990 (IV, 62) (SC 586, 378) zu Röm 7,8 – die Interpretation konzentriert sich auf die „bibelhistorische“ Frage der Sünde vor der Gabe des Gesetzes durch Mose; Ähnliches geschieht in ep. 1994 (IV, 61) (SC 586, 386) mit Röm 2,10: auch dieser Vers wird nicht auf die Gegenwart des Paulus, sondern auf die Menschen der Zeit vor dem Kommen Christi bezogen.  Sozusagen als „Vorlauf“ dazu stellt sich ep. 1283 (IV, 2) (SC 422, 298 – 300) zur selben Bibelstelle (Ps 118,120) dar. Hier wird die Stelle noch nicht eigentlich ausgelegt, sondern erst einmal festgestellt, dass sie sich auf Zosimos jedenfalls nicht beziehen lässt bzw. dass Zosimos sich diesen Vers wegen seiner Lebensführung nicht als ernsthaftes Gebet zu eigen machen kann.  Poussines macht bei diesem Brief keinerlei Angaben zu Lesarten in O. Die angeführten Lesarten ergeben sich aus meiner Konsultation des Ott. gr. 383 im Digitalisat auf digi.vatlib.it.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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dieses Gesetz gebe“³¹¹. Allerdings sagte jener das unter großen Schmerzen; mir aber und allen anderen Anwesenden schien es nicht abwegig gesagt zu sein. Denn nicht der Umstand, dass du mit Zuwendungen wohlwollend gestimmt wirst, macht jenen von dem Vorwurf [der Sünde] frei, sondern wenn der, der durch den Meineid geschädigt wurde, zurückerhält, was ihm gehört. Verfälsche oder verdrehe also nicht für unmoralischen Gewinn den Sinn der heiligen Sprüche! Denn sie tragen nicht auf, Unrecht zu tun und dann den Priestern Geschenke zu machen, sondern schreiben vor, sich durch Taten bei den Geschädigten von der Schuld frei zu machen³¹². Denn das „Wenn ihr bindet“ ist über die nicht zur Umkehr Bereiten³¹³ gesagt und das „Wenn ihr löst“³¹⁴ über die, die sich eines Besseren besinnen. Und vom Vorwurf macht sich nicht der frei, der den Priester beschwichtigt, sondern der, der den Geschädigten wieder auf seine Seite bringt. Denn wenn du glaubst, den Priestern sei derartige Vollmacht gegeben, dass sie die Sünden derer tilgen könnten, die sündigen und es [mit der Umkehr] gar nicht ernst meinen, dann wird das Schriftwort tyrannisch erscheinen und nur auf den Profit der Priester ausgerichtet³¹⁵ und so, als ob es auf die Geschädigten gar nicht achten würde, die mit der Priesterwürde Geehrten aber würden auf unmenschlichste Weise³¹⁶ extrem grausam wirken, wenn sie nicht alle von ihrer Schuld freisprechen. Aber so verhält es sich nicht, so nicht! Täusche dich nicht, vielmehr: stürze nicht dich selbst und die, die dich hören, mit dir³¹⁷ in den Abgrund und erneuere nicht die Sünden der Schriftgelehrten und Pharisäer, die sich irgendwelchen Zuspruch für die Meineidigen ausdachten für einen unmoralischen Gewinn³¹⁸ und die die Kinder gegen ihre Eltern in Stellung brachten und die göttlichen Gebote gegen ihren Sinn auslegten und auf den Kopf stellten³¹⁹, sondern folge in frommer und reiner Haltung dem, was durch die (heiligen) Sprüche festgesetzt ist. Auch der heilige Apostel folgte dem³²⁰ und sagte: „Denn wir können nichts ausrichten gegen die Wahrheit, sondern (nur) für die Wahrheit.“³²¹ Sonst wird der, der einen Meineid geleistet hat, wenn er reich ist und dem Priester Geschenke macht, freigesprochen; wenn er aber arm ist und nichts bringen kann, bestraft. Aber nicht nur so zu handeln, sage ich, sondern schon so zu denken, ist Unrecht. Denn der Richter wird zu dir sagen: „Glaubtest du, du Gesetzloser³²², ich würde sein wie du?“³²³³²⁴

       σου.       

Vgl. Dem. Tim. 104 (s. Bayer 1915, 34). Griechisch „ἐκλογήσασθαι“ nach O V; PG hat ἀπολογεῖσθαι. Griechisch „περὶ τῶν ἀμετανοήτων“ nach O V; PG hat ἁμαρτανόντων. Mt 18,18. Griechisch „ὁρῶν“ nach O V; PG hat ὁρᾶν. O: „ὠμότατοι καὶ ἀπανθρωπότατοι“ – „extrem grausam und extrem unmenschlich“. Griechisch „σαυτὸν καὶ τοὺς ἀκούοντας σύν σοι“ nach O V; PG hat […] καὶ τοὺς ἀκούοντάς Vgl. Mt 23,16 – 22. Vgl. Mk 7,9 – 13 par. Griechisch „ἀκολουθῶν“ nach O V; PG hat ἀκολούθως. 2Kor 13,8. Griechisch „ἄνομε“ nach O V; PG hat „plane vitiose“ (Poussines) ἄν με. Ps 49,21. Etwas mehr als die erste Hälfte von ep. 1060 (III, 260) (PG 78, 940, C1 – 941, B11).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Ep. 1284 gibt sogar an, auf eine exegetische Anfrage des Zosimos zu reagieren, und zwar zu Ps 118,120 LXX: Du hast in deinem Brief gefragt, was das Wort „Nagle aufgrund der Furcht vor dir mein Fleisch an“³²⁵ bedeutet. Vielleicht hast du ja aus Unwissenheit nach einer Antwort gefragt, die du gar nicht bekommen wolltest. Also höre! [Es bedeutet:] Fixiere es, töte es ab, mach es unbeweglich im Hinblick auf die Lust, wie Nägel soll die Furcht vor dir es fixieren, abtöten, kreuzigen, unbeweglich und untätig im Hinblick auf die Sünde machen. Nun kennst du die Auslegung [dieses Verses]; also frage entweder nicht (mehr) danach, wenn du im Luxus lebst, oder lebe nicht (mehr) im Luxus, wenn du danach fragst, und zwar insbesondere deshalb, weil du diesen Luxus nicht einmal zu Hause zur Verfügung hast; sondern indem du schamlos über anderer Leute Tisch herfällst, was Salomo als etwas Grauenvolles und Elendes beschrieben hat³²⁶, mästest du dein Fleisch auf eine Weise, wie es sich nicht gehört. Denn du wirst dabei nicht eines Bedürfnisses Herr, sondern gehst sogar über die Sättigung gewaltsam hinaus.³²⁷

Weitere Beispiele für eine Verbindung der Heiligen Schrift mit der Gegenwart Isidors und seiner Adressaten zu einem paränetischen Zweck stellen in etwas allgemeinerer Form aber auch die Briefe 79 an Timotheos³²⁸, 155 an den Reeder Theophilos, 506 an den Presbyter Eustathios und 735 an den comes Herminos dar, die sich allesamt auf Passagen der Bergpredigt berufen: Auch³²⁹ wir, mein Bester, unterliegen demselben Gericht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Denn wie diese glaubten, sie würden durch das Studium des Gesetzes das Gesetz auch schon in die Tat umsetzen und das Gesetz dann doch nicht halten konnten³³⁰, in der leichtsinnigen Meinung, die Verkündigung³³¹ des Buchstabens genüge ihnen zur Verwirklichung der Sache³³², so bilden wir uns ein, wir kämen bloß dadurch, dass wir Gottes Altäre berühren, Gott nahe. Aber der Herr treibt uns diese Einbildung aus und sagt: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht überfließt über die der Schriftgelehrten und Pharisäer hinaus, könnt ihr

 Ps 118,120 LXX.  Vgl. vielleicht Spr 23,20 f.  Ep. 1284 (IV, 3) (SC 422, 300 – 302).  Die Handschrift O erweitert die Adressatenangabe und verdeutlicht zu „an den Lektor Timotheos“, der uns auch sonst aus dem Korpus gut bekannt ist (vgl. Évieux 1995, 230 – 233).  Καί eingefügt aus O V.  Das Kolon „und das Gesetz dann doch nicht halten konnten“ („καὶ πάλιν φυλάξαι τὸν νόμον οὐκ ἠδυνήθησαν“) ist eingefügt aus μ und Poussines’ „cod. Barb.“ (vgl. zur Identifikation dieser Handschrift Évieux 1997, 117). O und V haben das Kolon nach Poussines auch, allerdings mit ἠβουλήθησαν am Ende. Das Digitalisat des Ott. gr. 341 auf digi.vatlib.it zeigt allerdings folgenden Text: „καὶ πράττειν τὸν νόμον οὐκ ἐβουλήθησαν“.  Griechisch: „ἀπαγγελίαν“. Ο V μ haben ἐπαγγελίαν.  Ο lässt „zur Verwirklichung der Sache“ (πρὸς ἐργασίαν τοῦ πράγματος) weg.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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nicht in das Himmelreich eingehen“³³³. Er sagt dabei in Gott angemessener Weise Folgendes: Wenn ihr, die ihr glaubt, ihr könnt euch beim Dienst für Gott mit äußerem Schein begnügen, nicht den Anschein in (wirkliches) Tun umsetzt, wird sich das Reich Gottes euch nicht öffnen. Denn wenn das Reich wahr ist, öffnet es sich denen, die es wahrhaft suchen. Und Überfluss über die Gerechtigkeit nach dem Gesetz hinaus ist die Erhabenheit des Evangeliums. Denn das eine [das Gesetz] bestraft die Tat, das andere [das Evangelium] schon den bloßen Vorsatz, indem es seine Genauigkeit im Urteil bis hin zur Tiefenebene der Gedanken anlegt.³³⁴³³⁵ Wenn du zu unserer Herde gehörst und dich dem Guten Hirten unterstellst, dann sag Nein zur Natur der wilden Tiere und zur Ähnlichkeit mit ihnen und folge Seiner Stimme³³⁶ – er befiehlt, überhaupt nicht zu schwören³³⁷. Nicht zu schwören bedeutet aber auch, keinen Eid abzuverlangen. Denn wenn du nicht schwören willst, dann verlange auch von anderen keinen Eid, und zwar aus den folgenden beiden Gründen: entweder sagt der, der gefragt wird, die Wahrheit oder das Gegenteil ist der Fall, und er lügt. Denn wenn der Betreffende gewohnheitsmäßig die Wahrheit sagt, dann sagt er auch vor dem Eid sicherlich die Wahrheit; wenn er aber ein Lügner ist, lügt er auch unter Eid. Man muss also in beiden Fällen keinen Eid fordern.³³⁸ Wer einen strahlenden Sieg einfahren will, darf es nicht nur nobel ertragen, wenn ihm Gewalt und Unrecht widerfährt, sondern muss dem, der ihm Unrecht tut, auch noch mehr geben, als dieser nehmen will, und die Grenzen des bösen Triebs bei jenem mit der Großzügigkeit seines eigenen Ehrgeizes überschreiten. Wenn dir das widersinnig erscheint, werden wir es von den Himmeln beurteilen lassen und dieses Gesetz dort lesen. Denn der Erlöser hat nicht gesagt: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann ertrage es nobel und bewahre Ruhe“ (denn das haben auch ohne Unterweisung einige vollbracht, die auf dem Gebiet der Philosophie herausragten und nach dem naturgegebenen Gesetz lebten), sondern er hat hinzugefügt, man müsse dem, der schlägt, auch die andere (Wange) zum Schlag bereit darbieten.³³⁹ Denn das ist ein strahlender Sieg. Das eine ist philosophisch, das andere übernatürlich und himmlisch.³⁴⁰ So wie ein edler Baum, wenn er schwer von Früchten ist³⁴¹ und volles Laub trägt, sowohl dem Bauer Freude macht als auch den Betrachtern Vergnügen und den Wanderern eine Ruhepause verschafft, so macht auch der, der sich auf dem Sitz eines Lehrers niedergelassen hat, wenn er sich mit guter Lebensführung schmückt und mit dem, was er sagt, hervorsticht, Gott Freude und bringt zugleich den Menschen Nutzen.Wenn ihm beides fehlen sollte, bringt er seinen Schülern keinen großen Nutzen. Denn die (gute) Lebensführung ist notwendig wegen der Leute, die gerne Gründe zur Anklage suchen, und auch Fähigkeit im Reden ist

 Mt 5,20.  Griechisch: „μέχρι βάθους ἐννοιῶν τὴν κριτικὴν ἀκρίβειαν ἐνδεικνύμενον“. Vgl. inhaltlich Hebr 4,12.  Ep. 79 (I, 79) (PG 78, 237, A1-B10).  Vgl. Joh 10,4.  Mt 5,34.  Ep. 155 (I, 155) (PG 78, 285, D – 288, A).  Vgl. Mt 5,39.  Ep. 506 (II, 6) (PG 78, 464, A4-B).  Vgl. Mt 7,17– 20.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

notwendig, um die Häresien widerlegen zu können. Denn auch wenn eine gute Lebensführung auch ohne Redekunst den Vielen von sich aus nützen kann, nehmen sie doch, wenn sie sehen, wie er [der Lehrer] in Schlussfolgerungen und Gesprächen unterliegt, oft an den entscheidenden Stellen Schaden, wenn sie von falschen Lehren betrogen werden. Denn sie machen nicht die mangelnde Erfahrung des Lehrenden, sondern die (angebliche) Hinfälligkeit der Lehre dafür verantwortlich.³⁴²

Ep. 1627³⁴³ umschreibt das Vaterunser Bitte für Bitte, und zwar so, dass zunächst jeweils gesagt wird, welche Handlungen zum ehrlichen Sprechen dieser Bitte nicht passen³⁴⁴, sodann wie man sich verhalten müsse, wenn man die jeweilige Bitte mit Recht sprechen wolle³⁴⁵. Der Brief spielt am Beispiel des Vaterunser ein Lieblingsthema Isidors durch: die Übereinstimmung von Reden (hier: Beten) und Handeln als moralische Grundforderung³⁴⁶. Insgesamt ist die Bergpredigt und dabei insbesondere die Antithesen eine der von Isidor bevorzugt zitierten und verwendeten Passagen der Heiligen Schrift; Paränesen, die von Stellen in der Bergpredigt ausgehen, füllen das Gros der Briefe, die zur hier besprochenen Kategorie gezählt werden können.³⁴⁷ Unter den einzelnen verwendeten Stellen ragt Mt 5,27 f. noch einmal besonders heraus; hier dürfte es sich um die Bibelverse handeln, die Isidor am häufigsten zitiert.³⁴⁸ Anwendungen von Bibelstellen für die Paränese ohne übertragende Auslegung finden sich ebenfalls in den oben bereits angesprochenen Briefen 581³⁴⁹, 884³⁵⁰ und 1211³⁵¹. In ihnen wird jeweils Passagen aus der Tora auf „kurzem“, nicht weit bedeutungsübertragendem Weg ein auch für Isidors Gegenwart

 Ep. 735 (II, 235) (PG 78, 672, D6 – 673, B7).  Ep. 1627 (IV, 24) (SC 454, 358 – 362)  Ebd. 358,6 – 360,37.  Ebd. 360,38 – 362,54.  S. oben Anm. 300.  Zu den Antithesen und dem oft prononciert textnahen Bezug auf sie im Isidorkorpus s. oben S. 88 f. Außer den im laufenden Kapitel übersetzten und den oben angeführten Briefen sind zur Interpretation / Verwendung von Elementen der Bergpredigt noch zu nennen: ep. 84 (I, 84) (PG 78, 241, A) zu Mt 6,3; ep. 926 (III, 126) (PG 78, 828, A4-B4: Mt 5,39 als Einsetzung eines GegenAgons zum olympischen bzw. weltlichen Agon); ep. 1608 (IV, 169) (SC 454, 328 – 330) zu Mt 5,9; ep. 1905 (IV, 93) (SC 586, 292) zu Mt 5,11; epp. 1909 (IV, 41) (SC 586, 296 – 298) und 1946 (IV, 227) (SC 586, 330 – 332) zu Mt 6,1 (inhaltlich und wörtlich recht nah an Or. fr. in Mt. 113 Klostermann (GCS 41, 61), vgl. Riedinger 1960, 162.  S. epp. 234 (I, 234); 562 (II, 62); 607 (II, 107); 778 (II, 278); 789 (II, 289); 811 (III, 11); 812 (III, 12); 853 (III, 53) (am Ende); 866 (III, 66); 956 (III, 156); 999 (III, 199); 1054 (III, 254); 1087 (III, 287); 1233 (V, 17); 1250 (IV, 109); 1273 (V, 46); 1312 (V, 65); 1408 (V, 139); 1454 (V, 173); 1619 (V, 291); 1792 (V, 412).  Ep. 581 (II, 81) (PG 78, 521, C3 – 525, A5, hier besonders 521, D2 – 524, B4). Vgl. oben S. 83 f.  Ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789 B6 – 792, A, hier ab 789, C9).  Ep. 1211 (III, 411) (PG 78, 1044, C4 – 1045, A9).

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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„nutzbarer“ moralischer Sinn beigelegt, so in epp. 581 und 1211 Num 5,1– 4 und Lev 18,19; 20,18 mit Ez 18,6 die Aufforderung zur sexuellen Enthaltsamkeit während der Menstruation der Frau und in ep. 884 Lev 19,19; Dtn 22,11 und Lev 13,47– 59; 14,33 – 53 die Abwehr einer luxuriösen Lebensweise. In ep. 960³⁵² wird Gen 12,10 – 20, die Passage über Abram und Sarai in Ägypten, zunächst mit interpretierenden Zusätzen paraphrasiert (Sarai sei vom Pharao nicht angerührt worden), dann paränetisch auf die Gegenwart der Briefkorrespondenten angewandt: Auch oder gerade in scheinbar ausweglosen Situationen ist auf Gottes „Geduld“ (μακροθυμία) zu vertrauen: er findet Mittel und Wege! Schließlich können in dieser Kategorie die Briefe 1016 und 1641 verortet werden, die beide an einen Palladios, wahrscheinlich dieselbe Person³⁵³, den Diakon Palladios, gerichtet sind, für den Évieux ein ausführliches Porträt aus dem Isidorkorpus entwirft.³⁵⁴ Beide Briefe interpretieren 1Tim 3 und versuchen nachzuweisen, warum die Stelle keinesfalls eine Aufforderung sei, das Bischofsamt anzustreben, eine Versuchung, der Palladios offenbar zu erliegen droht.³⁵⁵

4.3.3 Glaubenslehre In etlichen Isidorbriefen werden Bibelstellen mit dem Verständnis der Dreifaltigkeit Gottes im Sinne der Konzilien von Nizäa und Konstantinopel und der Trinitätslehre der drei großen Kappadokier („ein Wesen / eine Natur, drei Hypostasen / Personen“)³⁵⁶ in Verbindung gebracht, ohne weitergehende Übertragungen  Ep. 960 (III, 160) (PG 78, 856, A5-B).  Vgl. Évieux in SC 454, 383 Anm. 2 z. St. Mit nur ganz kurzem Verweis auf die Schrift ist auch ep. 1221 (V, 6 [„III, 421“ bei Évieux ist eine unsinnige Angabe]) (SC 422, 190 – 192) an den Diakon Palladios noch ein Brief zum selben Thema.  Vgl. Évieux 1995, 221 f. – Palladios ist zunächst „un bon disciple“, der sich aber moralisch zum Schlechteren entwickelt, offenbar unter dem Einfluss der notorischen Sünder im Klerus von Pelusium.  Ep. 1016 (III, 216) (PG 78, 893, D5 – 901, A); ep. 1641 (IV, 219) (SC 454, 382– 384). Ein Ausschnitt aus ep. 1016 ist in dieser Arbeit oben auf S. 135 f. zitiert.  Isidor führt in ep. 1870 (IV, 99) (SC 586, 244– 246) in Absetzung von gegnerischen Positionen einige Fragen der Trinitätstheologie und Christologie an (Existenz und Vorsehung Gottes, Dreieinigkeit im einen göttlichen Wesen („ὁμοούσιος τριάς“, a. a.O. 244,7), wirkliche Inkarnation des Logos, Verhältnis der οὐσίαι in Christus (Vorstellungen von σύγχυσις, κρᾶσις und ἀφανισμός der οὐσίαι werden abgelehnt! – a. a.O. 244,12, vgl. zum Thema Schmid 1948, 77 f.), Verhältnis des Sohnes zum Vater, Göttlichkeit des Heiligen Geistes) und mahnt dann den Briefpartner dazu, sich an das Konzil von Nizäa zu halten, dessen Beschlüsse göttlich inspiriert seien (a. a.O. 246, 16 – 21: „οὐ χρὴ ταῖς τῶν νοσούντων ἕπεσθαι ψήφοις, ἀλλ᾿ ἀπὸ τῆς τῶν ὑγιαινόντων κρίσεως λαμβάνειν

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

von Wortreferenzen vorzunehmen. Textnahe Auslegung in diesem Zusammenhang ist natürlich weitgehend auf neutestamentliche Passagen beschränkt, in denen offen vom „Sohn“ oder vom „Logos“ und vom „Geist“ in ihrem Verhältnis zu Gott dem Vater oder zur Welt die Rede ist. Beispiele sind die Briefe 138, 941 oder 1134 für den Sohn und 59 f., 97 oder ³⁵⁷ 109 für den Geist; für die Herleitung der Lehre über das Verhältnis von Vater und Sohn lassen sich etliche weitere Briefe anführen.³⁵⁸

τὰς ἀποδείξεις, καὶ τῇ ἁγίᾳ συνόδῳ τῇ συγκροτηθείσῃ κατὰ Νικαίαν ἀκολουθεῖν μήτε προστιθέντας μήτε ἀφαιροῦντας· ἐκείνη γὰρ θεόθεν ἐμπνευσθεῖσα τὸ ἀληθὲς ἐδογμάτισεν“ – „man darf nicht den Einschätzungen derer folgen, die krank sind, sondern muss bei der Darstellung vom Urteil derer ausgehen, die gesund sind und muss der heiligen nach Nizäa einberufenen Synode folgen, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen; denn sie hat, von Gott inspiriert, das Wahre gelehrt“). Die Feststellung der eigenartigen Abwesenheit des Bekenntnisses von Konstantinopel in den Quellen bis 451 (vgl. dazu z. B. Hanson 1988, 812 ff.) gilt auch für Isidor. Allerdings setzt er fast in einem Atemzug mit seinem Plädoyer für einen reinen, unmodifizierten nizänischen Glauben in etlichen Briefen Bibelstellen mit dem „kappadokischen Grundmodell“ (Kany 2014, 176; zur Sinnhaftigkeit der Rede von einer einheitlichen und konsistenten „kappadozischen Trinitätstheologie“ affirmativ Markschies 2000 [urspr. 1998], 196 – 237, vgl. auch ebd. 308) der Trinitätslehre in Beziehung. Exemplarisch zusammengefasst ist Isidors trinitarisches Bekenntnis z. B. in ep. 642: „Auf keinen Fall darf man die Natur der Gottheit nach Art der Juden nur auf den Einen Gott und Vater zusammenziehen, sondern (man muss) sie sozusagen ausweiten auf die heilige und wesenseine Dreiheit. Denn wir werden (sie) nach der Eigenart der Personen und nach der Eigentümlichkeit der Hypostasen unterscheiden, aber dann wieder zu dem Einen Gott zusammenziehen wegen der Identität des Wesens.“ (ep. 642 (II, 142) (PG 78, 585, A4– 9): „Ἥκιστα μὲν χρὴ τὴν τῆς θεότητος φύσιν συστέλλειν Ἰουδαϊκῶς εἰς μόνον τὸν ἕνα Θεὸν καὶ Πατέρα, κατευρύνειν δὲ ὥσπερ εἰς ἁγίαν καὶ ὁμοούσιον Τριάδα. Προσώπων γὰρ ποιότητι καὶ ὑποστάσεων ἰδιότητι διαστέλλοντες εἰς ἕνα πάλιν συστελοῦμεν Θεὸν διὰ τὸ τῆς οὐσίας ταὐτόν“). Ausführlicher und unter verschiedenen Aspekten erscheint das Thema auch im 643. Brief (vgl. oben S. 106 f. und unten Anm. 661).  Vgl. zur Wesenseinheit des Heiligen Geistes mit Vater und Sohn ohne expliziten Schriftbezug auch noch ep. 20 (I, 20) (PG 78, 196, A1-B1). Ep. 67 (I, 67) (PG 78, 228, A) geht von der Taufe Jesu, der Herabkunft des Geistes und den Worten der Himmelsstimme (Mt 3,17 parr.) aus und verankert dort die Homoousie der drei göttlichen Personen.  Zu nennen wären ep. 473 (Ι, 473) (PG 78, 441, A) zu Joh 1,14; eine Passage in ep. 638 (II, 138) (PG 78, 581, A4– 8) mit Bezug auf 1Kor 9,21 und Röm 14,6; ep. 831 (s. oben S. 128 – 132); ep. 858 (III, 58) (PG 78, 769, A7-B) und ep. 1155 (III, 355) (PG 78, 1012, C-D) über Hebr 1,3; ep. 966 (III, 166) (PG 78, 860, A7-B10) mit „antihäretischem“ Bezug auf Mt 16,27 und in enger Anlehnung an Chrys. hom. 55 in Mt. 4 (PG 58, 544, 51 – 545, 4; vgl. Schmid 1948, 90, aufgenommen und pauschalisiert von Riedinger 1964, 18); mit ebensolchem Bezug auf Joh 14,28 außer ep. 1134 noch ep. 1142 (III, 342) (PG 78, 1001, B1– 7) und mit Bezug auf Joh 5,19 ep. 1135 (III, 335) (PG 78, 993, D3 – 997, A) und ep. 353 (I, 353) (PG 78, 384, B9-C8); ep. 1202 (III, 402) (PG 78, 1037, C2– 8) mit Bezug auf den Johannesprolog und ep. 1738 (IV, 142) (SC 586, 72– 74) mit detailliertem Bezug auf Joh 1,1 alleine.

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Nach Évieux findet sich in Isidors Briefen in theologischer Hinsicht „rien d‘original“, sondern „ce qui se dit communément chez tous les auteurs orthodoxes du début du Ve siècle“³⁵⁹. Évieux‘ Implikationen über die „Einmütigkeit der Orthodoxen“³⁶⁰ mögen vielleicht für die Trinitätstheologie noch gelten³⁶¹ – hier ist Isidor auch tatsächlich am wenigsten originell und tut sich mithilfe von Schriftverwendung und –auslegung insbesondere „kontroverstheologisch“ hervor; von einer gemeinsamen Position „aller rechtgläubigen Autoren“ in der christologischen Debatte am Beginn des fünften Jahrhunderts zu sprechen, dürfte allerdings deutlich schwieriger sein. Auf diesem Gebiet gesteht freilich auch Évieux selbst Isidor die größte Originalität zu, bis hin dazu, dass er Bild und Ausdrucksweise von ep. 360³⁶² als mögliche Neuschöpfung Isidors sieht. Wenn das so ist, geht Isidor, der sonst in der Christologie seinem Metropoliten Cyrill näher steht als den Orientalen, hier einen Schritt über Cyrill hinaus in Richtung auf die später in Chalzedon beschlossenen Formulierungen.³⁶³ Auch ein Brief wie ep. 236 („Die Aussage „Du bist der Messias, der Sohn Gottes“ (Mt 16,16) bezeichnet die Vereinigung der beiden Naturen, die der Sohn Gottes in sich selbst zu unserem Heil auf Gott angemessene Weise ins Werk gesetzt hat“³⁶⁴), in dem wie in ep. 360 die textkritisch wechselnden, wohl durch Interpolation in den Text gekommenen Zweinaturenformeln fehlen³⁶⁵, kann auf dieser Linie gelesen werden. Zurück zu den oben genannten sieben Beispielen: Ep. 138 ist adressiert „an den Sabellianer Kytherios“³⁶⁶ und beschäftigt sich dementsprechend mit der

 Évieux 1995, 338. Zwei Jahre später formuliert Évieux zurückhaltender: „En effet, dans ses lettres, comme auparavant dans ses enseignements de didascale à Péluse, il explique les divers éléments de la foi chrétienne, le plus souvent sans innovation particulière“ (Évieux 1997, 82). In der Sprache seiner Zeit, aber doch nicht unpassend resümiert Schmid in seiner Studie über Christologie bei Isidor: „Er [Isidor] grübelt nicht spekulativ den dogmatischen Problemen nach, sondern er ist der Exeget, der einerseits die Gegner aus den heiligen Büchern und zwar streng philologisch widerlegt und anderseits die erhabenen Wahrheiten dem Gemüt durch kräftige Bilder dauerhaft einprägen möchte“ (Schmid 1948, 84).  Formulierung von Karl Holl, der auch die „Einmütigkeit der Orthodoxen ausgangs des 4. Jahrhunderts […] im Licht eines über allenthalben lauernden Konflikten errichteten Bundes“ (Holl 1904, 254) sah.  Vgl. aber auch hier einen Artikel, der sich speziell mit Isidors trinitätstheologischen Formulierungen im durchaus nicht völlig einheitlichen Kontext ihrer Zeit beschäftigt: Durand 1985.  Ep. 360 (I, 360) (PG 78, 388, A4– 11). S. unten S. 255 – 257.  Vgl. Évieux 1995, 342 f. und Évieux 1997, 84 f., aufgenommen bei Fédou 2013, 394, Anm. 3.Vgl. auch schon Grillmeier 1979, 703, Anm. 9.  Ep. 236 (I, 236) (PG 78, 328, C8-D3): „Τὸ ‚Σὺ εἶ ὁ Χριστὸς ὁ Υἱὸς τοῦ Θεοῦ‘ τῶν δύο φύσεων σημαίνει τὴν ἕνωσιν, ἣν ἐν ἑαυτῷ ὁ τοῦ Θεοῦ Υἱὸς εἰς σωτηρίαν ἡμῶν θεοπρεπῶς ἐξειργάσατο“.  S. zum Thema oben S. 26 f.  Es handelt sich um den einzigen Brief mit dieser Adressatenangabe: vgl. Évieux 1995, 392.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Unterschiedenheit der göttlichen Personen, die auch in der zwischen Isidor und Kytherios verhandelten Stelle Joh 10,30 zu erkennen sei: Das Licht, das sich in der Schrift verbirgt, kann man, schreibst du, durch das, was du verdeutlicht hast, nicht sehen. Aber du bist vielmehr blind im Blick auf den Glanz, der aus ihr aufblitzt. Denn zu sagen, aus ihr gehe hervor, dass die Hypostase des Vaters und des Sohnes eine einzige sei, ist ein Zeichen von großem Unverstand, ja vielmehr von einer Art Wahnsinn, als wärest du vom Blitz getroffen. Denn wenn du sorgfältig auf das achtest, was zuverlässig dort geschrieben steht [wörtl.: sorgfältig auf die Sicherheit des Geschriebenen achtest], wirst du das Geheimnis in seiner Irrtumslosigkeit [wörtl.: das Irrtumslose des Geheimnisses] finden. „Ich und der Vater sind eins“³⁶⁷, heißt es, nicht: „Ich und der Vater bin eins“. Das Wort „eins“ macht das eine Wesen deutlich, das „wir sind“ zeigt die zwei Hypostasen.³⁶⁸

Brief 941 erklärt, warum der Sohn zu Recht „Logos“ heißt und warum diese Bezeichnung nach Isidor nicht eigenes Personsein ausschließt, wenn man Mt 7,24 / Lk 6,47 berücksichtigt: Der in der Göttlichkeit vollkommene [wörtl.: göttlichste] und unaussagbare Sohn des Vaters, der von uns angebetet wird, wird mit Recht als „Logos“ angesprochen, nicht weil er nur Wort ist und Sprachrohr des Vaters, wie einige meinen³⁶⁹, sondern weil er noch schneller als ein Wort erschafft und (weil er) ohne Leidenschaft gezeugt wurde. Als Logos hat er seine eigene Existenz (ἐνυπόστατός ἐστι) und sein eigenes Selbst (οἰκείαν ἰδιότητα ἔχει). Weil es nicht ohne eigene Existenz ist, sagt das Wort selbst mit folgenden Worten, dass es Worte hat: „Wer meine Worte hört und danach handelt, […]“³⁷⁰. Wenn nun das Wort Worte hat, ist es nicht ohne eigene Existenz, sondern hat eigene Existenz und wird als solches, weil es ohne Leidenschaft (aus dem Vater) hervorgegangen ist, als „Wort“ / „Logos“ angesprochen.³⁷¹

 Joh 10,30.  Εp. 138 (I, 138) (PG 78, 273, B2-C3): „Οὐκ ἔστιν, ὡς ἔγραψας, ἰδεῖν τὸ ἐν τῇ [Artikel eingefügt nach O V μ] Γραφῇ κρυπτόμενον φῶς, δι᾿ ὧν ἐδήλωσας, ἀλλὰ μᾶλλον τυφλώττεις [Ο V: τυφλώττειν] πρὸς τὴν αἴγλην τὴν ἐξ αὐτῆς ἀστράπτουσαν. Τὸ γὰρ εἰπεῖν μίαν εἶναι φαινομένην ἐν αὐτῇ Πατρὸς καὶ Υἱοῦ τὴν ὑπόστασιν μεγάλης ἐστιν [nach O V μ; PG hat εἶναι] ἀνοίας [Ο V: ἀνομίας. ἀνοία passt aber besser zur folgenden sich geistreich innerhalb des Bildfelds „Gewitter“ an αἴγλη ἀστράπτουσα anschließenden Steigerung ἐμβροντησία], ἢ μᾶλλον [Nach O V; PG hat μᾶλλον δέ] ἐμβροντησίας. Εἰ γὰρ πρόσχῃς ἀκριβῶς τῇ ἀσφαλείᾳ τῶν γεγραμμένων, εὑρήσεις τὸ ἀπλανὲς τοῦ μυστηρίου. ‚Ἐγὼ καὶ ὁ Πατὴρ ἕν ἐσμεν‘ εἴρηται, οὐκ· ‚Ἐγὼ καὶ ὁ Πατὴρ ἕν εἰμι‘. Τὸ τοίνυν ἓν τῆς μιᾶς οὐσίας δηλωτικόν· τὸ ἐσμὲν τῶν δύο ὑποστάσεων σημαντικόν.“  Lt. Rittershausens Anm. (zur Stelle in der PG) eine Position Gregors von Nazianz. Rittershausen gibt leider nicht an, welchen Anhaltspunkt er dafür hat. Zur relativ großen Vielfalt der Prädikate für den Sohn bei Gregor von Nazianz vgl. dagegen Holl 1904, 170 f., zur Wichtigkeit der Bezeichnung „Logos“ bei Gregor aber auch ebd. 176.  Vgl. Mt 7,24; Lk 6,47.  Ep. 941 (III, 141) (PG 78, 837, B6-C7): „Ὁ [Artikel eingefügt nach μ] θειότατος καὶ ἄρρητος τοῦ Πατρὸς Υἱὸς ὁ παρ᾿ ἡμῶν προσκυνούμενος εἰκότως Λόγος προσαγορεύεται· οὐχ ὅτι Λόγος μόνον ἐστὶ καὶ τοῦ Πατρὸς ἑρμηνευτής, ὥς τινες οἴονται, ἀλλ᾿ ὅτι καὶ θᾶττον ἢ λόγος δημιουργεῖ καὶ

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Ep. 1134 präsentiert sich als Argumentationshilfe für den Priester Ischyrion gegen „eunomianisch“-anhomöische Positionen, offenbar ausgehend von einer Debatte über Joh 4,22 („Wir beten an, was wir kennen“), wobei der Hauptteil des Briefes sich – in Form einer direkten Rede an die Gegner – an Joh 14,28 („Der Vater ist größer als ich“) abarbeitet³⁷²: Eigentlich sollten die, die sich von Eunomius haben überreden lassen³⁷³, also von einem Menschen, der sich selbst für klug hält, aber zu sagen wagt, dass der Sohn zu denen gehört, die anbeten, und sich nicht vorstellen konnte oder, wie ich jedenfalls glaube, aufgrund von vorgefasster Meinung und Machtstreben nicht zugeben wollte, was doch wahr ist und was Kluge ebenso wie Unverständige bemerken, dass gegen die Meinung der Samariterin, die sich mit ihm [dem Sohn] als mit einem Juden unterhält und ihr Eigenes dem Jüdischen vorzieht, die fragliche Antwort gerichtet ist: „Wir beten an, was wir kennen“³⁷⁴. Denn es ist völlig klar, dass er zu denen gehört, die angebetet werden. Aber damit wir uns von ihnen [den Eunomianern] nicht offensichtlich die Anklage des Hochmuts zuziehen, sage im Streit mit ihnen Folgendes: Ihr leidet an äußerster Dummheit, wenn ihr einem Menschen folgt, der zu lehren wagt, dass der Vater unvergleichbar ist und der den göttlichen Paulus streicht, wenn dieser sagt: „Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“³⁷⁵. Denn das „größer“³⁷⁶, das ihr zur Erniedrigung des Sohnes vorbringt, ist aus einem Vergleich heraus gesagt und nicht aufgrund einer Überlegenheit, die keinen Vergleich zulässt. Denn wenn er [der Sohn], wie ihr sagt, aus nicht Existierendem geworden ist, hat auch das „größer“ keinen Bestand, wenn man euch folgt. Denn welchen Vergleich kann es geben

ἀπαθῶς ἐτέχθη. Λόγος δ᾿ ὢν ἐνυπόστατός ἐστι καὶ οἰκείαν ἰδιότητα ἔχει. Ὅτι δ᾿ οὐκ ἔστιν ἀνυπόστατος, αὐτὸς ὁ Λόγος λόγους ἔχειν φράζει λέγων· ‚Ὁ ἀκούων μου [μου eingefügt nach μ entspr. Mt 7,24 und Lk 6,47] τοὺς λόγους καὶ ποιῶν αὐτούς‘. Εἰ οὖν ὁ Λόγος λόγους ἔχει, οὐκ ἔστιν ἀνυπόστατος, ἀλλ᾿ ἐνυπόστατος ὢν διὰ τὸ ἀπαθῶς προεληλυθέναι Λόγος προσαγορεύεται.“ Vgl. auch ep. 1738 (IV, 142) (SC 586, 72– 74).  Eine Zusammenfassung antiker Stellungnahmen zu Joh 14,28 – leider z.T. ohne Angabe der Belegstellen – findet sich bei Hanson 1988, 836; vgl. ausführlicher dazu Simonetti 1970. Eine äußerst reichhaltige Stellensammlung bietet Vaggione 2000, 391. Für Eunomius (anders als für Arius) war Joh 14,28 eine zentrale Stelle in seiner subordinatianischen Argumentation (vgl. a. a.O. 156).  Vgl. Kany 2014, 176: Die Rezeption des Bekenntnisses von 381 „geschah erst im Laufe des fünften Jahrhunderts“; Streit „flammte hier und dort wieder auf.“ „Auch die Eunomianer bildeten [nach 381] offenbar eine Sonderkirche, die in kleinen Gruppen hier und dort fortexistierte.“ Vgl. dazu Vaggione 2000, 361– 363, der als Belege a. a.O. 362, Anm. 298, u. a. (aber nicht nur!) Isidorbriefe zitiert (leider nicht mit Évieux’ Zählung und z.T. wohl nur unter Bezugnahme auf pauschale tituli wie „Περὶ ᾿Aρειανῶν καὶ Εὐνομιανῶν“ (die tituli sind mit großer Wahrscheinlichkeit sekundär, weil sie nur in wenigen Handschriften stehen (sie sind mit Rittershausen über den Kodex μ in den Text der PG gekommen) und oft, so auch bei manchen von Vaggione angeführten Briefen, den Inhalt eines Briefes überhaupt nicht korrekt wiedergeben – vgl. als zwei weitere von vielen Beispielen die tituli zu ep. 21 und 23 (PG 78, 196)).  Joh 4,22.  Phil 2,6.  Vgl. Joh 14,28.

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zwischen dem, der immer ist, und dem, der aus nicht Existierendem geworden ist?³⁷⁷ Wenn ihr aber zugesteht, dass er außerhalb der Zeit und ohne Leidenschaft aus dem Eigenen [O μ: aus der Ewigkeit] des Vaters geboren ist, könnt ihr doch wohl trotzdem nicht zu der genauen Vorstellung gelangen, derentwegen gesagt ist: „Mein Vater ist größer als ich“³⁷⁸. Denn nicht als Lehre, sondern nur als Zuspruch ist das den Aposteln gesagt, als sie vor Furcht (wie) tot waren, weil sie sich kurz davor sahen, vollständig alleingelassen zu werden [O μ: gefangen genommen zu werden], damit sie Mut hatten durch die Erkenntnis, dass er [der Sohn] zu dem gehe, der ihnen größer schien. Und ein klarer Beweis dafür ist, dass das nicht bei anderer Gelegenheit, sondern nur in eben der Nacht gesagt ist, in der er ausgeliefert werden sollte, in der er seine Worte auch so demütig formulierte, dass er sogar sagte: „Meint ihr, dass ich den Vater nicht bitten kann, und er würde mir zwölf Legionen Engel geben?“³⁷⁹ Denn wozu hätte es so viele gebraucht, wenn zur Zeit des Hiskija ein einziger (Engel) 185.000 Mann tötete und die persische Streitmacht niedermähte?³⁸⁰ Aber wie gesagt, er [Christus] hat gegen ihre Furcht und ihre (dunkle) Vermutung gesprochen.Wenn ihr nun zu diesem wahren Gedanken nicht gelangen könnt, aber den Vorsatz habt, von der Blasphemie der Anhomöer Abstand zu nehmen, könnt ihr sagen, was einer³⁸¹ in der Diskussion mit euch [nach O V] gesagt hat, dass das „größer“ sein Recht hat, insofern er [der Vater] der ist, der zeugt, und das „gleich“, insofern er [der Sohn] Gott und wesensgleich [mit dem Vater] ist.³⁸²

 Vgl. zu dieser Argumentation auch ep. 1377 (IV, 115) (SC 422, 442, 1– 4). Sie geht zurück auf Athanasius, Ar. 1,58,6 (Ath. Werke I,1,2,169, 23 – 26). Vgl. dazu Simonetti 1970, 154.  Joh 14,28.  Mt 26,53 (abgewandelt).  Vgl. 2Kön 19,35.  Schmid (Schmid 1948, 92) sieht hier Gregor von Nazianz im Hintergrund (or. 30,7; SC 250, 240, 7 f.). Das von Isidor angeführte Argument findet sich auch schon bei Basilius von Caesarea, Eun. I, 25 (SC 299, 262, 28 – 44; zu Eun. als Quelle würde Isidors Formulierung „ὃ ἔφησέ τις πρὸς ὑμᾶς διαλεγόμενος“ (PG 78, 992, C14) gut passen). Vgl. Simonetti 1970, 157, dort auch weitere Belege für das Argument bei Autoren nach Basilius.  Ep. 1134 (III, 334) (PG 78, 989, D – 992, D): „Μάλιστα μὲν οὐδ᾿ ἀποκρίσεως ἐχρῆν τυχεῖν τοὺς Εὐνομίῳ πεισθέντας ἀνθρώπῳ δεινῷ μὲν εἶναι οἰηθέντι, εἰπεῖν δὲ τολμήσαντι, ὅτι τῶν προσκυνούντων ἐστὶν ὁ Υἱός, καὶ μὴ δυνηθέντι ἐννοῆσαι ἢ, ὡς ἔγωγε οἶμαι, μὴ βουληθέντι ὑπὸ προλήψεως καὶ φιλαρχίας εἰπεῖν τοῦθ᾿ ὅπερ καὶ ἀληθές ἐστι καὶ σοφοί τε καὶ ἀνόητοι ἐννοοῦσιν, ὅτι πρὸς τὴν ὑπόνοιαν τῆς Σαμαρείτιδος τῆς ὡς Ἰουδαίῳ αὐτῷ διαλεγομένης καὶ τὰ ἑαυτῆς τῶν Ἰουδαϊκῶν προκρινούσης τὴν ἀπόκρισιν ταύτην πεποίηται, ὅτι ‚Ἡμεῖς προσκυνοῦμεν ὃ οἴδαμεν‘. Εὔδηλον γὰρ, ὅτι τῶν προσκυνουμένων ἐστί. Πλὴν ἀλλ᾿ ἵνα μὴ δόξωμεν ὑπεροψίας γραφὴν γράφεσθαι παρ᾿ αὐτῶν, ἀκροβολιζόμενος πρὸς αὐτοὺς εἰπέ, ὅτι ᾿Aβελτηρίαν ἐσχάτην νοσεῖτε, πεισθέντες ἀνθρώπῳ δογματίσαι τολμήσαντι ἀσύγκριτον εἶναι τὸν Πατέρα καὶ παραγραψαμένῳ τὸν θεσπέσιον Παῦλον εἰρηκότα· ‚Οὐχ ἁρπαγμὸν ἡγήσατο τὸ εἶναι ἴσα Θεῷ‘. Τὸ γὰρ ‚μεῖζον‘, ὃ προφέρετε πρὸς ἐλάττωσιν τοῦ Υἱοῦ, ἐκ συγκρίσεως εἴρηται καὶ οὐκ ἐκ τῆς ἀσυγκρίτου ὑπεροχῆς. Εἰ μὲν οὖν ἐξ οὐκ ὄντων, ὥς φατε, γέγονεν, οὐδὲ τὸ ‚μεῖζον‘ ἵσταται καθ᾿ ὑμᾶς. Ποία γὰρ σύγκρισις τοῦ ἀεὶ ὄντος πρὸς τὸν [τὸν nach O V μ; PG hat τὰ] ἐκ μὴ ὄντων γεγονότα; Εἰ δὲ ἀχρόνως καὶ ἀπαθῶς γεγενῆσθαι αὐτὸν ἐκ τῆς πατρικῆς ἰδιότητος [Ο μ: ἀϊδιότητος] ὁμολογήσετε, κἂν [μ: εἰ καὶ. O V: καὶ] μὴ δυνηθείητε τῆς ἀκριβοῦς ἐννοίας ἐφικέσθαι, ἧς ἕνεκεν εἴρηται· ‚Ὁ Πατήρ μου μείζων μού ἐστιν‘. Οὐ γὰρ διδασκαλίας, ἀλλὰ παραμυθίας ἕνεκεν μόνης τοῦτο εἴρηται τοῖς ἀποστόλοις τεθνηκόσι τῷ δέει, ὡς αὐτίκα μάλα ἀλλασσομένοις [Ο μ:

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Die Briefe 59 und 60 „an Gorgonios“ nehmen Mt 12,22– 32 / Lk 11,14– 23 als biblisches Fundament für die Lehre der Wesenseinheit des Heiligen Geistes mit Vater und Sohn³⁸³: Du stellst ein vielschichtiges und vielbesprochenes Problem zur Debatte; es wurde (schon) von vielen untersucht, aber nur von den von Gott Inspirierten verstanden: „Wer etwas gegen den Menschensohn sagt, dem wird vergeben werden; wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser Weltzeit noch in der kommenden“³⁸⁴. Du fragst, warum, wo doch das Wesen der göttlichen Dreiheit eines ist, die Lästerung gegen den Sohn nicht bestraft wird, sondern nur die gegen den Geist? Hör zu: Wer gegen den Menschensohn ein Lästerwort sagt, wird nicht verurteilt, sagt der Herr, weil für die, deren geistiges Auge trüb ist, der auf unaussprechliche Weise mit der Niedrigkeit des in Erscheinung tretenden Fleisches geeinte Gott nicht zu erfassen und nicht zu betrachten ist, weil die verborgene Gottheit nicht erkannt wird. Die aber, die im Verstand rein sind, denen die fleischgewordene Gottheit erschienen ist, die haben weder irgendwie Unglauben in sich noch ist ihnen Vergeltung beim Gericht angedroht. Aber die Lästerung gegen den Heiligen Geist kann deswegen nicht verziehen werden, weil die Werke selbst, die in Erscheinung treten, die Lästerer als ungerecht und undankbar erweisen. Denn als die Leiden ausgerottet und die Dämonen vertrieben wurden in der Kraft der Gottheit, da behaupteten die murrenden Juden in verleumderischer Weise, diese Gotteszeichen geschähen durch Beelzebul.³⁸⁵ Diese Lästerung also, die sich gezielt gegen das göttliche Wesen richtete, deklarierte der Herr als unvergebbar.³⁸⁶

ἁλωσομένοις. V nach Poussines: ἁλωσομένους – vielleicht ein Schreibfehler bei Arcudius/ Poussines], ἵνα θαρροῖεν, ὡς πρὸς τὸν δοκοῦντα αὐτοῖς μείζονα πορευομένου αὐτοῦ. Καὶ τούτου ἀπόδειξις ἐναργὴς τὸ μὴ ἐν ἄλλῳ καιρῷ, ἐν αὐτῇ δὲ τῇ νυκτὶ μόνῃ, ἐν ᾗ ἔμελλε παραδίδοσθαι, τοῦτο εἰρῆσθαι, ἐν ᾗ καὶ εἰς τοσαύτην ταπεινότητα ἐσχημάτισε τὰ λεγόμενα ὡς εἰπεῖν· ‚Δοκεῖτε, ὅτι οὐ δύναμαι παρακαλέσαι τὸν Πατέρα μου καὶ δώσει μοι δώδεκα λεγεῶνας ἀγγέλων;‘ Τί γὰρ τοσούτων ἔδει ἑνὸς ἐπὶ Ἐζεχίου ρπεʹ χιλιάδας ἀνελόντος καὶ τὴν Περσικὴν δύναμιν ἀποκείραντος; ᾿Aλλ᾿ ὡς ἔφην, πρὸς τὴν δειλίαν αὐτῶν καὶ τὴν ὑπόνοιαν ἐφθέγξατο. Εἰ τοίνυν ταύτης τῆς [Artikel eingefügt aus O V Billy/Chatard Ritt mit μ] ἀληθοῦς ἐννοίας οὐκ ἐφικνεῖσθε, ἀφεστάναι δὲ τῆς τῶν ᾿Aνομοίων ἀσεβείας προῄρησθε, δύνασθε λέγειν, ὃ ἔφησέ τις πρὸς ὑμᾶς [nach O V; PG und μ haben πρὸς αὐτούς] διαλεγόμενος, ὅτι καὶ τὸ ‚μεῖζον‘ ἵσταται, ᾗ γεννήτωρ, καὶ τὸ ‚ἴσον‘, καθ᾿ ὃ Θεὸς καὶ ὁμοούσιος.“ Die Angaben zu den Lesarten aus O in diesem Brief stammen nicht von Poussines, sondern aus eigenem Abgleich des Textes der PG mit dem Digitalisat von O auf digi.vatlib.it.  Im kommunikativen Kontext von ep. 59 ist das Anliegen der sachlichen Klärung mit dem der Glaubenslehre verbunden.  Mt 12,32.  Vgl. Mt 12,24; Lk 11,15.  Ep. 59 (I, 59) (PG 78, 220, C1 – 221, B4): „Πολυδύναμον καὶ πολυθρύλλητον ἐπεζήτησας ζήτημα, πολλοῖς μὲν ἐρευνηθέν, μόνοις δὲ τοῖς θεοπνεύστοις καταληφθέν· ‚Ὃς ἂν εἴποι λόγον κατὰ τοῦ Υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου, ἀφεθήσεται αὐτῷ· ὃς δ᾿ ἂν εἴπῃ κατὰ τοῦ Πνεύματος τοῦ ἁγίου, οὐκ ἀφεθήσεται αὐτῷ, οὔτε ἐν τῷ αἰῶνι τούτῳ, οὔτε ἐν τῷ μέλλοντι‘. Καὶ τί, ὅτι μιᾶς οὔσης τῆς οὐσίας τῆς θεϊκῆς Τριάδος, ἡ κατὰ τοῦ Υἱοῦ βλασφημία, ἔφης, οὐκ ἐκδικεῖται, ἀλλ᾿ ἡ κατὰ τοῦ Πνεύματος

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Dass sich, schreibst du, die (fragliche) Lästerung gegen den Heiligen Geist richtet, ist klar aus den Worten des Herrn selbst: „Wer etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben werden“. Und dass die Lästerung gegen den Heiligen Geist bestraft wird, ist auch klar. Dass aber der Heilige Geist vom göttlichen Wesen ist, das wolltest du aus der Schrift verdeutlicht bekommen. Du kannst, wenn du deinen Scharfsinn einsetzt und nur ein wenig in den Herrenworten weiterliest, die du in Händen hältst, auch die Lösung finden. „Wenn ich“, sagt er, „durch Beelzebul die Dämonen austreibe, durch wen treiben dann eure Anhänger sie aus?“³⁸⁷ [und:] „Wenn ich sie aber durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“³⁸⁸. Und bei dem anderen Evangelisten sagt er noch klarer: „Wenn ich durch Gottes Finger die Dämonen austreibe […]“³⁸⁹ und nennt so den Heiligen Geist Finger Gottes. Und ein Finger ist, im Beispiel der Verhältnisse bei uns, von demselben Wesen wie der Körper. So hat er also die vom göttlichen Wesen nicht geschiedene und mit ihm verwandte Person des Heiligen Geistes mit der Bezeichnung „Finger“ deutlich gemacht.³⁹⁰

μόνη; Ἄκουε τοίνυν· Ὃς ἂν εἴποι κατὰ τοῦ Υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου βλάσφημον λόγον, οὐ κρίνεται, εἶπεν ὁ Κύριος, ἐπειδὴ τοῖς λημῶσι τὸν τῆς διανοίας ὀφθαλμὸν δυσκατάληπτος καὶ δυσθεώρητος ὁ ἡνωμένος ἀρρήτως [Ο fügt noch ein: τῷ ἀνθρώπῳ (nicht bei Poussines vermerkt)] Θεὸς τῇ εὐτελείᾳ τῆς φαινομένης σαρκός [O V: ἀνθρωπότητος], ἀγνοουμένης τῆς κρυπτομένης θεότητος. Τοῖς δὲ καθαροῖς τὴν διάνοιαν, οἷς ἐπεφάνη ἡ σαρκωθεῖσα θεότης, οὐδὲ ἀπιστία ὅλως ἐγγέγονεν, οὐδὲ ἡ τῆς κρίσεως ἠπείληται ἀνταπόδοσις. Ἡ δὲ κατὰ τοῦ Πνεύματος τοῦ ἁγίου βλασφημία διὰ τοῦτο ὑπάρχει ἀσύγγνωστος, ἐπειδὴ αὐτὰ τὰ ἔργα φαινόμενα ἀγνώμονας καὶ ἀχαρίστους ἐλέγχει τοὺς βλασφημοῦντας. Τῶν γὰρ παθῶν ἐκκοπτομένων καὶ τῶν δαιμόνων ἐλαυνομένων ἐν τῇ δυνάμει τῆς θεότητος ἐν τῷ Βεελζεβοὺλ ταύτας γίνεσθαι τὰς θεοσημείας οἱ γογγυσταὶ Ἰουδαῖοι ἐσυκοφάντησαν. Ταύτην οὖν τὴν βλασφημίαν τὴν [Ο fügt ein: ὡς] κατὰ τῆς θείας τρανῶς οὖσαν οὐσίας ἀσυγχώρητον εἶναι ὁ Κύριος ἀπεφήνατο.“  Mt 12,27; Lk 11,19.  Vgl. Mt 12,28.  Lk 11,20.  Ep. 60 (I, 60) (PG 78, 221, B5-C): „Ὅτι μὲν, ἔφης, κατὰ τοῦ ἁγίου Πνεύματος ἡ βλασφημία, δῆλον ἐξ αὐτῆς τῆς τοῦ Κυρίου φωνῆς λεγούσης· ‚Ὃς ἂν εἴποι κατὰ τοῦ Πνεύματος τοῦ ἁγίου, οὐκ ἀφεθήσεται αὐτῷ‘. Καὶ ὅτι ἡ κατὰ τοῦ Πνεύματος τοῦ ἁγίου ἐκδικεῖται ἡ βλασφημία, σαφές. Ὅτι δὲ τῆς θείας ἐστὶ τὸ Πνεῦμα τὸ ἅγιον οὐσίας, τοῦτο σοι [Nach O V; PG hat σύ] ᾔτησας Γραφικῶς τρανωθῆναι. Ἔξεστί σοι ἀγχινοῦντι καὶ μικρὸν προελθόντι ἐκ τῶν ἐν χερσὶ τοῦ Κυρίου φωνῶν καὶ τὴν λύσιν εὑρεῖν. ‚Εἰ ἐγώ‘, φησίν, ‚ἐν τῷ Βεελζεβοὺλ ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια, οἱ υἱοὶ ὑμῶν ἐν τίνι ἐκβάλλουσιν;‘ – ‚Εἰ δὲ πνεύματι Θεοῦ ἐκβάλλω ταῦτα, ἄρα ἔφθασεν ἐφ᾿ ὑμᾶς ἡ βασιλεία τοῦ Θεοῦ.‘, ἐν τῷ ἑτέρῳ σαφέστερον εἰρηκὼς εὐαγγελιστῇ [Νach O V; PG hat εὐαγγελιστής]· ‚Εἰ δὲ ἐγὼ ἐν δακτύλῳ Θεοῦ ἐκβάλλω τὰ δαιμόνια‘, δάκτυλον Θεοῦ τὸ Πνεῦμα λέγων τὸ ἅγιον. Δάκτυλος δὲ, ὡς ἐν ὑποδείγματι τῷ καθ᾿ ἡμᾶς, τῆς οὐσίας ἐστὶ τοῦ σώματος. Τὴν τοίνυν ἀχώριστον καὶ συγγενῆ τῆς θείας οὐσίας τοῦ Πνεύματος τοῦ ἁγίου ὑπόστασιν τῷ τοῦ δακτύλου ὀνόματι ἐφανέρωσε.“

4.3 Textnahe Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

183

Ep. 97³⁹¹ leitet die Einheit des Geistes mit Vater und Sohn von der Geistmitteilung und dem Auftrag zur Sündenvergebung an die Jünger in Joh 20,22 f. her, ep. 109³⁹² von der Taufformel. Auch die gegenüber der trinitätstheologischen Debatte jüngere Diskussion über das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in Christus – das große Thema des fünften Jahrhunderts – spiegelt sich ansatzweise im Isidorkorpus. In diesem Zusammenhang spielt auch Maria gelegentlich eine Rolle, deren Jungfräulichkeit vor und nach der Geburt Isidor als Merkmal eines von Christus bewirkten Vorgangs verteidigt, von Christus, der als wahrer Gott Mensch geworden ist: Die Aussage in der Heiligen Schrift, dass jedes Erstgeborene, „das den Mutterschoß öffnet“, dem Herrn heilig³⁹³ ist, ist nicht über jedes Erstgeborene gesagt – die Ungebildeten sollen nicht dieser Meinung sein. Es ist über jenen einen und einzigen gesagt, der bei seiner Geburt den Mutterschoß geöffnet hat. Denn jeden Mutterschoß (sonst) öffnet Geschlechtsverkehr und Beischlaf; den (Mutterschoß) aber, der mit unserem Herrn Jesus Christus schwanger wurde, öffnete er selbst, der ohne Samen empfangen worden war, als er daraus hervorkam, und ließ ihn wieder versiegelt zurück. Er ist wahrhaft Mensch geworden und ist auch wahrhaft Gott und wird angebetet als Einer aus beiden Naturen.³⁹⁴

 Ep. 97 (I, 97) (PG 78, 249, A11-B5). Das Ende des Briefes (nach dem Bibelzitat) ist ganz parallel zu einer von Riedinger dazu zitierten Ps.-Caesarius-Stelle, weswegen er das ganze Material auf Clemens von Alexandria zurückführt (Riedinger 1960, 188: „Fragment 19“). Der Briefanfang scheint aber doch eher die Debatten des 4. Jahrhunderts über die Göttlichkeit des Heiligen Geistes vorauszusetzen; hier ist der zugegebenermaßen schwerlich aus Isidors Zeit stammende titulus nicht das einzige Argument dagegen, den ganzen Brief von Clemens abzuleiten.  Ep. 109 (I, 109) (PG 78, 256, B6-C13). Der Taufauftrag Mt 28,19 wird allerdings nicht direkt zitiert. Neben der Taufe weist Isidor auf die Eucharistie hin, bei der nach der von Christus stammenden Überlieferung (Christus selbst hat also nach Isidor zumindest implizit die Zugehörigkeit des Heiligen Geistes zur göttlichen Dreifaltigkeit gelehrt!) der Heilige Geist „auf dem geheimnisvollen Tisch das gewöhnliche Brot zu seinem [scil. Christi] eigenen Inkarnationsleib (‚σῶμα ἰδικὸν τῆς αὐτοῦ σαρκώσεως‘) macht“. Ein impliziter Bezug auf den Taufauftrag findet sich auch in ep. 20: der Herr „lehrt das Wesen des anbetungswürdigen Geistes der Gottheit, indem er deutlich macht, dass die göttliche Dreiheit einen Namen hat und damit die Einheit des einen Wesens zeigt (‚διδάσκει τὴν οὐσίαν τοῦ προσκυνητοῦ τῆς θεότητος (nach O V lt. Poussines) Πνεύματος ἓν ὄνομα τῆς θείας Τριάδος ἀποφηνάμενος τῆς μιᾶς οὐσίας σημαίνων τὴν ἕνωσιν‘) (ep. 20 (I, 20) (PG 78, 196, A3 – 6).  Vgl. Ex 13,2.12.15; Lk 2,23.  Ep. 23 (I, 23) (PG 78, 196, C7 – 197, A4): „Τὸ εἰρημένον ἐν τῇ θείᾳ Γραφῇ, ὅτι πᾶν πρωτότοκον ‚διανοῖγον μήτραν‘ ἅγιον τῷ Κυρίῳ οὐ περὶ παντὸς εἴρηται πρωτοτόκου· μὴ οὕτως οἱ ἀμαθεῖς νομιζέτωσαν· ἀλλὰ περὶ ἑνὸς ἐκείνου [die codd. Monac. 50/49 haben (unsinnig) ἑκάστου] καὶ μόνου τοῦ ἐν τῷ τίκτεσθαι τὴν μήτραν ἀνοίξαντος. Πᾶσαν γὰρ μήτραν μίξις καὶ συνουσία ἀνοίγνυσι· τὴν δὲ τὸν Κύριον ἡμῶν Ἰησοῦν Χριστὸν κυήσασαν αὐτὸς συλληφθεὶς ἀσπόρως προερχόμενος ἤνοιξε καὶ πάλιν ἐσφραγισμένην κατέλιπεν ἀληθῶς [O V: ἀληθὴς] μὲν γενόμενος

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten In über 90 Briefen (das entspricht ca. 5 % des gesamten Korpus und knapp 20 % der Briefe, in denen Schriftbezug und Schriftauslegung eine maßgebliche Rolle spielen) sind biblische Texte so ausgelegt, dass mehr oder weniger weit von den sprachlich konventionellen Bedeutungszusammenhängen entfernte Referenzen zustandekommen. Nahezu drei Viertel dieser Briefe finden sich unter den ersten fünfhundert der nummerierten Sammlung, also im von den frühneuzeitlichen Herausgebern sogenannten „ersten Buch“.³⁹⁵ Fast alle diese Briefe sind kurze Texte, manche sind regelrechte theologische Miniaturen aus nur einem oder zwei kunstvoll konstruierten Sätzen, in denen Anspielungen auf mehrere Bibelstellen und theologische Inhalte miteinander verflochten sind.

4.4.1 Paränese Die Extrapolation von Feststellungen und Mahnungen, die die Lebensführung betreffen, aus Bibelstellen nimmt angesichts von Isidors seelsorglich-asketischer Grundorientierung einen breiten Raum ein. Ein Mittel der Wahl ist hier vielfach auch die übertragende Auslegung. Exegesen dieser Kategorie finde ich in 35 Briefen; hinzu kommen fünf Briefe, in denen Isidor Bibelstellen in ebenfalls wenigstens implizit paränetischem Kontext auf das eschatologische Gericht bezieht.

ἄνθρωπος, ἀληθῶς [Ο V: ἀληθὴς] δὲ ὢν καὶ Θεὸς καὶ προσκυνούμενος εἷς ἐξ ἀμφοτέρων τῶν φύσεων [Ο V P μ (am Monac. graec. 50 und 49 von mir überprüft; wohl anachronistisch und wohl ebenso wie die andere Lesart interpoliert): ἐν ἀμφοτέραις ταῖς φύσεσιν. Vgl. zur Frage der christologischen Interpolationen Schmid 1948, 55 – 64 und oben S. 26 f.]“. Vgl. ep. 18 (I, 18; vgl. oben S. 124 f.) und 141 (I, 141) (PG 78, 276, C2 – 277, A10: Adam und Eva sind in die Welt gekommen, ohne in einem Sexualakt gezeugt worden zu sein, also kann man das auch von Christus glauben. Maria ist das umgekehrte Pendant zu Adam: Dort ist aus dem Mann ohne Zeugung die Frau entstanden, hier kommt aus der Frau ohne Zeugung der fleischgewordene Herr). Zu Maria bei Isidor vgl. außerdem noch ep. 7 (I, 7) (s. oben S. 158); ep. 54 (I, 54) (PG 78, 216, C – 217, B4: die Wunder Christi und besonders seine Auferstehung belegen, dass Maria wirklich als Jungfrau den Θεὸς σαρκωθείς geboren hat und somit mit Recht und in einem eigenen Sinn Gottesmutter heißt) und ep. 404 (I, 404) (PG 78, 408, C: Isidor parallelisiert die virginitas in partu mit der Auferstehung aus dem versiegelten Grab). Der Titel θεοτόκος findet sich zweimal im Korpus, nämlich in ep. 18 (PG 78, 193, B6) und ep. 201 (I, 201) (PG 78, 312, B7).  Das hat schon Bober 1878 etwas übertrieben vermerkt: „Continentur autem fere omnia, quae mystice interpretata sunt loca, in libro epistolarum primo“ (Bober 1878, 41).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Die 35 Briefe lassen sich noch einmal grob unterteilen in Texte, bei denen sich aus der übertragenden Auslegung von Bibelstellen moralische und asketische Appelle ergeben und Texte, wo biblische Aussagen auf bestimmte Handlungen oder Eigenschaften von Menschen bezogen werden. Im ersten Fall handelt es sich in der Regel bereits bei dem biblischen Bezugstext um einen Appell. Aber auch im zweiten Fall ist der Kontext insofern paränetisch, als die dargestellten Verhaltensweisen und Eigenschaften jeweils nachahmenswert (Nähe zu Gott, Verheißung des ewigen Lohns) beziehungsweise abschreckend (Strafe im Gericht als Konsequenz) gezeichnet sind.

4.4.1.1 Moralische und asketische Appelle Am Ende von ep. 9, einem Brief, der von der Entstehung von Träumen handelt, nimmt Isidor kurz auf Lk 12,35 Bezug („Eure Lenden sollen umgürtet sein und eure Lampen sollen brennen!“). Isidor spricht an vielen Stellen von einem Zusammenhang zwischen unasketischer Ernährung und gesteigerter sexueller Aktivität.³⁹⁶ Ähnliches scheint er auch hier für Träume mit sexuellem Inhalt vorauszusetzen.³⁹⁷ Aus dem Bibelzitat wird so ein Appell zur Bändigung der Esslust und damit auch der Sexualität („dass die Macht der Lende gebunden ist“³⁹⁸) durch „Nüchternheit“³⁹⁹. Schön ist das Spiel mit der Assoziationskette Schlaf – Traum – Wachsein – Wachsamkeit⁴⁰⁰; Wachheit in Beziehung und im Gegensatz zu Traum und Schlaf spielt ja sowohl im Bibeltext als auch in Isidors Referenz eine Rolle. Vergleichbar ist Brief 341⁴⁰¹, gerichtet an einen Bischof Eusebios, offensichtlich

 Vgl. schon die Wortwahl in ep. 9: „Wenn er [der Geist] aber wachsam nüchtern ist und den Herrn gegürtet erwartet, unterliegt er nicht dem Bauch und nicht den Leidenschaften, die von diesem ausgehen“ (ep. 9 (I, 9) (PG 78, 185, A10-B2): „Ὅτε δὲ νήφει ἐγρηγόρως καὶ τὸν Κύριον περιεζωσμένως καραδοκεῖ, οὔτε ὑπὸ γαστρὸς ἡττᾶται οὔτε τῶν ἀπ᾿ ἐκείνης παθῶν“). Ähnlich und noch deutlicher z. B. ep. 608 (II, 108) (PG 78, 549, A5 – 9); ep. 955 (III, 155) (PG 78, 852, A1– 5 – wer seine Kost verfeinert, wird λάγνος und ἀκόλαστος); ep. 956 (III, 156) (PG 78, 852, B6 – 9); ep. 1203 (III, 403) (PG 78, 1037, B6-C1); ep. 1252 (V, 29) (SC 422, 248: „Ἡ πολλὴ καὶ ἀκατάπαυστος τρυφὴ καὶ ἐπὶ τοὺς παρὰ φύσιν παιδοτριβεῖ ἔρωτας“).  Die bei Fouskas 1970, 119, Nr. 73 angegebene Basiliusstelle (entspr. PG 29, 353, C9; vgl. auch Rittershausens Anmerkung zum Isidorbrief) bezieht sich nur auf die Entstehung von Träumen, klingt auch in diesem Punkt nur schwach an Isidor an und ist für den biblischen Bezug bei Isidor nicht einschlägig.  Ep. 9 (I, 9) (PG 78, 185, B3): „τὸ δεδέσθαι τὴν ἰσχὺν τῆς ὀσφύος [O hat τῆς φύσεως]“.  S.o. (PG 78, 185, A10-B2).  Ebd.  Ep. 341 (I, 341) (PG 78, 377, C1-D2).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

den aus etlichen Briefen bekannten „Skandalbischof“ von Pelusium⁴⁰². Der Brief beginnt mit einer Mahnung, auf die Bibel zu hören, und endet mit einer Warnung vor Bestrafung durch Gott. In diesem Brief ist der Bezug von Lk 12,35 über das ausschließlich Sexuelle hinaus weiter gefasst auf alle ἐπιθυμίαι (beispielhaft erwähnt sind noch Zorn und Eifersucht), die Handlungen bewirken, welche sich gegen Gottes Gebot richten. Inhaltlich nicht weit von ep. 9 entfernt ist ep. 80 an einen Mönch namens Neilos⁴⁰³. Hier steht Mt 5,25 im Mittelpunkt: Weil wir ständig in Gegenwart unserer Niederlage [scil. beim Sündenfall] unseren Weg gehen und uns mitten zwischen lauter Fallstricken bewegen, wollte uns der Herr klarsichtig machen und brachte zum Ausdruck, dass wir uns „vor dem Sauerteig hüten“ sollen⁴⁰⁴ und davor, Anstoß zu geben⁴⁰⁵, und dass wir „mit dem Gegner schnell im Frieden sein“ sollen, solange wir „noch mit ihm auf dem Weg sind“⁴⁰⁶. Als „Gegner“ bestimmte er hier in Gott angemessener Weise den Andrang des Körpers gegen den Geist (τὴν τοῦ σώματος ὄρεξιν πρὸς τὸ πνεῦμα), „Weg“ nannte er das Leben, durch das wir Menschen gehen, ohne irgendeine Sicherheit zu haben, als „Frieden“ gegenüber dem Körper sprach er die Wahrnehmung seiner Rebellion an, die von uns genau ins Auge gefasst werden muss, damit wir uns nicht ihrem Diktat unterwerfen, Dinge tun, die der himmlischen Berufung⁴⁰⁷ unwürdig sind und von diesen „dem Richter übergeben“⁴⁰⁸ werden, wenn er erscheint, um unsere Taten und Worte zusammenzustellen und „jedem nach dem, was er getan hat, zu vergelten“⁴⁰⁹.⁴¹⁰

 Vgl. z. B. epp. 699 und 700 (II, 199 und 200) (PG 78, 644, B12 – 645, A10); 746 (II, 246) (PG 78, 684, D5 – 685, A2); 1045 (III, 245) (PG 78, 924, A11-B1: ein „besudeltes fremdartiges wildes Tier in Menschengestalt“ hat die Nachfolge des guten Bischofs Ammonios angetreten) u.v.m.; vgl. Évieux 1995, 206 – 212.  An ihn sind mehrere Isidorbriefe adressiert, u. a. auch ep. 1; vgl. zur Einordnung Évieux 1995, 287– 292.  Vgl. Mt 16,6 par.  Vgl. Lk 17,2 f. parr.  Mt 5,25.  Vgl. Phil 3,14.  Mt 5,25.  Offb 22,12.  Ep. 80 (I, 80) (PG 78, 237, B11-C13): „Ὅτι μετὰ τῆς πτώσεως ἡμῶν περιπατοῦμεν καὶ ἐν μέσῳ παγίδων διαβαίνομεν, διορατικοὺς ἡμᾶς ποιῶν ὁ Κύριος ἀπεφήνατο ‚προσέχειν ἀπὸ τῆς ζύμης‘ καὶ τῶν σκανδάλων καὶ ‚εὐνοεῖν τῷ ἀντιδίκῳ ταχὺ, ἕως ὅτου ὦμεν ἐν τῇ ὁδῷ μετ᾿ αὐτοῦ‘, ἀντίδικον τὴν τοῦ σώματος ὄρεξιν πρὸς τὸ πνεῦμα θεοπρεπῶς ὁρισάμενος, ὁδὸν μὲν τὸν βίον καλῶν ὑπὸ τοῦ γένους ἡμῶν ἀστάτως [Billy / Chatard in mg. und μ: ἀτάκτως] ὁδευόμενον, εὔνοιαν δὲ πρὸς τὸ σῶμα τὴν συναίσθησιν τῆς ἐπαναστάσεως αὐτοῦ προσαγορεύων ὀξέως παρ᾿ ἡμῶν θεωρεῖσθαι ὀφείλουσαν, μήποτε τοῖς αὐτῆς προστάγμασιν ὑποκύψαντες καὶ ἀνάξια τῆς ἄνω κλήσεως πράξαντες παραδοθῶμεν ὑπ᾿ ἐκείνων τῷ Κριτῇ, ὅτε τὰ ἔργα ἡμῶν καὶ τοὺς λόγους συναγαγεῖν παραγίνεται καὶ ‚ἀποδοῦναι ἑκάστῳ‘ κατὰ τὸ ἴδιον ἔργον.“ Der Brief hat eindrucksvolle wörtliche

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Der Begriff der Gegnerschaft aus Mt 5,25 wird auf den Körper (σῶμα, nicht die paulinische σάρξ, vgl. aber auch 1Kor 9,27) und seine Widerständigkeit gegenüber dem πνεῦμα bezogen. Interessant ist dabei, dass der geforderte „Frieden“ bzw. das „Wohlwollen“ (εὔνοια) gegenüber dem Körper offensichtlich in seiner Unterwerfung oder zumindest festen Führung bestehen soll, da sonst die von ihm ausgehenden Impulse die Oberhand gewinnen. Auch im Rückblick auf ep. 9 muss man annehmen, dass hier für Isidor angesichts des ins Auge gefassten Gegners nur ein „Siegfrieden“ denkbar ist.⁴¹¹ Ep. 83 nimmt einen weiteren Appell aus der Bergpredigt auf, und zwar aus der Antithese zum Ehebruch: „Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! […] Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg!“ (Mt 5,29 f.). Isidor bezieht die Körperteile aus der Bibelstelle auf Menschen, die uns so nahestehen und uns so sehr unterstützen wie Teile unseres Körpers. Sollten solche Menschen zum Anlass zur Sünde werden, sind wir aufgefordert, uns von ihnen zu trennen, so nahe sie uns auch sind, um nicht der Ansteckung durch sie zu erliegen.⁴¹²

Entsprechungen zu einer Ps.-Caesariusstelle, die Riedinger anführt (Riedinger 1960, 182 f.). In Riedingers Argumentation a. a.O. 183 findet sich dagegen wie öfters bei Riedinger ein Zirkelschluss von Hypothesen auf Hypothesen. Riedinger liest die Tatsache, dass sich Clemens von Alexandria in str. IV, 13, 95, 2 (GCS 154, 290, 9 – 13) bei der Interpretation von Mt 5,25 gerade von der bei Isidor und Ps.-Caesarius belegten Deutung des „Gegners“ auf den Körper absetzt, als eine Selbstkorrektur des Clemens gegenüber den Hypotyposen, und baut darauf weitere Hypothesen zu diesen und zu seinem hypothetischen „Fragment 15“ auf. Er argumentiert mit seiner theoretischen Rekonstruktion der Hypotyposen aus Isidor und Ps.-Caesarius, als würde es sich um ein erhaltenes oder wenigstens in echten Fragmenten wörtlich rekonstruierbares Werk des Clemens handeln. Für Isidor würde ich hier nur festhalten, dass er gerade die von Clemens in den Stromateis abgelehnte Referenz von Mt 5,25 herstellt, also von den Stromateis hier schon einmal nicht abhängig sein dürfte. Clemens möchte Mt 5,25 auf den Teufel beziehen, eine Deutung, die wiederum Johannes Chrysostomus in hom. 16 in Mt. 11 ablehnt (PG 57, 253); ihm „scheint“ der Herr hier „über die diesseitigen Richter, den Weg zum Gerichtsgebäude und das hiesige Gefängnis zu reden“, und er legt die Stelle textnah paränetisch aus (PG 57, 252, 20 – 254).  Vgl. etwa auch ep. 210 (I, 210) (PG 78, 316, B9 – 12); ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, A1 f.) und ep. 1331 (IV, 136) (SC 422, 374– 376).  Ep. 83 (I, 83) (PG 240, C). Riedinger führt diesen Brief zusammen mit einer recht engen, teils wörtlichen Parallele aus Ps.-Caesarius in seinem „frg. 16“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria an. (Riedinger 1960, 183 f.). Isidors Deutung der Stelle lehnt sich möglicherweise an Johannes Chrysostomus an, auch wenn sich die Formulierungen in Chrys. hom. 17 in Mt. 3 (PG 57, 257, 57 – 258) oder exp. in Ps. 4 (PG 55, 59, 48 – 58) von denen bei Isidor unterscheiden. Vgl. auch z. B. Chrys. oppugn. 3 (PG 47, 359, 27– 30) und compunct. 1 (PG 47, 398, 58 ff.), wo ebenfalls die übertragende Deutung der Körperteile auf nahestehende Personen vorausgesetzt ist. Chrysostomus gibt im Unterschied zu Isidor auch einen Grund an, warum er in dieser Auslegung den

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Die Briefe 126 und 675 nehmen Jesu Aufforderung aus Mt 10,16 („Seid klug wie die Schlangen!“) zum Anlass für moralisch-asketische Ermahnungen. Ich zitiere ep. 126: Herminos, der du so überaus leicht lernst, der Herr trägt uns auf, klug zu sein nach Art der Schlange und in jeder Prüfung unseren Kopf zu bewahren, das heißt unseren Glauben. Denn unter wie vielen Bedrängnissen und Schlägen die Schlange auch leidet, sie bewahrt ihren Kopf unversehrt. Außerdem legt sie mit klugem Vorgehen ihren alten Zustand ab, indem sie sich an irgendeinem engen Durchlass abreibt und ihr Alter von sich weglegt. Er [der Herr] will also, dass auch wir durch den engen Weg⁴¹³ und durch Bedrängnis hindurch den alten Menschen ablegen und den neuen dafür anziehen, der nach Seinem Bild erneuert wird⁴¹⁴.⁴¹⁵

Bei der Frage, worin die nachahmenswerte Klugheit der Schlangen besteht, kommt Isidor auf das „Achten auf den Kopf“ und die Häutung.⁴¹⁶ Übertragend gedeutet werden hier letztendlich diese (angenommenen oder tatsächlichen) Verhaltensweisen der Schlange, die Isidor zu Mt 10,16 assoziiert⁴¹⁷, wobei die nächsten Assoziationen zur „Häutung“ in ep. 126 wieder biblische sind (Mt 7,14; Kol 3,9 f.; Eph 4,22– 24). Ep. 675, in dem es nicht nur um Mt 10,16, sondern umfassender um das Wesen sprachlicher Bilder geht⁴¹⁸, nennt als Referenz des übertragenen Bezug herstellt: mangelnde Konsistenz mit anderen Bibelstellen und mangelnde Kohärenz mit der Realität außerhalb des Bibeltexts (durchaus Kriterien, die auch Isidor kennt, s. den Abschnitt 3.3.3.2): „Denn er sagt nirgends, dass dem Fleisch die Vorwürfe zu machen seien, sondern immer wird die schlechte Absicht verurteilt. Denn nicht das Auge ist es, das sieht, sondern der Geist und die Vernunft. […] Denn wenn er das über Körperteile gesagt hätte, hätte er nicht nur über ein Auge geredet und nicht nur über das rechte, sondern über beide. […]“ Denn am Sehen sowie an der Verführung zum Bösen seien immer beide Augen beteiligt (PG 57, 258, 3 – 15).  Vgl. Mt 7,14.  Vgl. Kol 3,9 f.; Eph 4,22– 24.  Ep. 126 (I, 126) (PG 78, 268, A1– 11).  Vgl. zum Motiv des „Achtens auf den Kopf“ vor Isidor Chrys. stat. IV, 5 (PG 49, 66, 32 ff.; vgl. Fouskas 1970, 122, Nr. 136) und hom. 33 in Mt. 2 (PG 57, 390, 10 – 18). Bei Chrysostomus, stat., entspricht dem Kopf, der bis zuletzt zu bewahren ist, die εὐσέβεια. Die πίστις ist es dagegen in den Matthäushomilien. Die Beziehung der Häutung der Schlange auf das Ablegen des „alten Menschen“ kommt an den beiden Chrysostomusstellen nicht ins Spiel. Riedinger (Riedinger 1960, 184 f.) belegt eine Parallele bei Ps.-Caesarius und führt den Brief als Teil seines „Fragments 17“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria.  Vgl. die Briefe 105 (I, 105; mit biblischem Ausgangspunkt), 275 (I, 275) und 1061 (III, 261) (die beiden letzteren ohne biblischen Anknüpfungspunkt), wo Ähnliches mit der Auffassung geschieht, dass Schlangen bei der Geburt den Leib ihrer Mutter fressen.  Vgl. zur Thematik unten den Abschnitt 4.5.1. In ep. 675 hebt Isidor auch auf die notwendige Verbindung zwischen der „Klugheit der Schlangen“ und der „Einfachheit der Tauben“ aus Mt 10,16 ab. Vgl. (kürzer, etwas anders formuliert und ohne die Überlegungen zum Wesen sprachlicher Bilder) Chrys. hom. 33 in Mt. 2 (PG 57, 390, 18 – 25).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Schlangenbildes wie ep. 126 die Aufforderungen, den „alten Menschen, das heißt die Schlechtigkeit“ abzulegen und den Glauben „wie die Schlange den Kopf“ zu bewahren. Hinzu kommt, in Verbindung mit der letzteren Anwendung, die Aufforderung, sich „um den Leib wenig“ und um „das andere“ gar nicht zu kümmern.⁴¹⁹ In ep. 143 geht es um einen weiteren Appell aus dem Matthäusevangelium (Mt 7,6); auch hier wird bei der Auslegung eines sprachlichen Bildes tierisches auf menschliches Verhalten übertragen: Außerdem wurde uns geboten, die „Perlen nicht vor die Schweine“ zu werfen⁴²⁰, die sich in Leidenschaften einlassen und ein Leben nach Art von Schweinen führen, „damit sie sie“ mit ihrer schlechten Lebensweise „nicht zertreten“ und so den Namen Gottes lästern, „sich umdrehen und euch zerreißen“⁴²¹. Denn die Weitergabe der göttlichen Geheimnisse an solche Leute ist ein Zerreißen, von dem die, die [die Geheimnisse] achtlos weitergeben, sich nicht wieder erholen.⁴²²

Auffällig ist, dass der Ausdruck „Zerreißen“ (ῥήγνυμι/ῥῆξις) im Mt-Zitat als transitive Verbform, in Isidors Auslegung aber für einen offenbar intransitiv aufgefassten Vorgang verwendet wird (wer die Mysterien (aktiv) verrät, „zerreißt“ selbst). Die Briefe 126, 675 und 143 zeigen außerdem sehr schön, dass der Übergang zwischen „reiner“ Umsetzung bildlicher Sprache auf eine Sachebene (in ep. 143

 Ep. 675 (II, 175) (PG 78, 625, D5 – 628, A2).  Mt 7,6.  Ebd.  Ep. 143 (I, 143) (PG 78, 280, A8 – 15): „[…] Τοὺς δὲ μαργαρίτας μὴ βάλλειν ‚ἔμπροσθεν τῶν χοίρων‘ ἐκελεύσθημεν τῶν πάθεσι συμφυρομένων καὶ χοιρώδη βίον μετερχομένων, ‚μή ποτε καταπατήσωσιν αὐτοὺς‘ ἐν τοῖς πονηροῖς αὐτῶν ἐπιτηδεύμασι βλασφημοῦντες τὸ θεῖον ὄνομα ‚καὶ στραφέντες ῥήξωσιν ὑμᾶς‘. Ἡ γὰρ πρὸς τοὺς τοιούτους τῶν μυστηρίων μετάδοσις ῥῆξίς ἐστιν ἀνέγερτος [μ: ἀνενέργητος] τοῖς καταφρονητικῶς μεταδιδοῦσιν.“ (es handelt sich um den zweiten Teil des Briefes; der erste Teilsatz von Mt 7,6 wird im ersten Briefteil ausgelegt, s. unten S. 226 f.). Die Auslegung des Johannes Chrysostomus in den Matthäushomilien ist ähnlich (bei ihm sind die Schweine Menschen, „die durchgehend ein sexuell zügelloses Leben führen“ (οἱ ἐν ἀκολάστῳ βίῳ διατρίβοντας διαπαντός“) (Chrys. hom. 23 in Mt. 3 (PG 57, 311, 6 f.)), ohne jedoch Isidors eigenwillige Deutung des „Berstens“ dessen, der die Geheimnisse preisgibt, zu bieten. Vgl. zur vielfältigen Auslegungsgeschichte von Mt 7,6 in der Antike auch Luz 2002, 497. Isidor bewegt sich demnach hier im Mainstream. Mt 7,6 ist bei Isidor außerdem in ep. 1804 (IV, 181) (SC 586, 164) ausgelegt. „Das Heilige“ bzw. die Perlen werden dort alternativ auf „den Logos“, die Priesterweihe, die Eucharistie (die „göttlichen Mysterien“, s. PGL s.v. μυστήριον F.3.) und die Taufe bezogen, die „Hunde“ zunächst auf Häretiker und die „Schweine“ auf unmoralisch lebende Personen, sodann jeweils auf moralisch indisponierte Empfänger, denen die entsprechenden Sakramente zu verweigern sind.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

z. B. „Schweine“ zu „Menschen“) und Interpretation durch Herstellung zusätzlicher, möglicherweise in sich ebenfalls übertragener Bezüge („Lebensweise von Schweinen“ zu „Ausgeliefertsein an die Leidenschaften“) bei Isidor fließend ist. Das ist in der Antike nichts Ungewöhnliches. Es wäre wohl im modernen Begriffsrahmen etwa der klassischen neutestamentlichen Gleichnisforschung schwer zu sagen, ob es sich bei den zitierten Briefen um eine „wörtliche“ oder eine „allegorische“ Auslegung handelt.⁴²³ Ep. 199 erklärt auf vier verschiedene Weisen, warum Jesus das Reich Gottes mit einem Senfkorn vergleiche. Eine davon hat deutlichere ethische Implikationen als die anderen⁴²⁴; wenn Isidor nämlich Mt 13,31 parr. assoziativ an Mt 7,14 par. (der enge Weg, der zum Leben führt) anbindet. Die Verknüpfung ist die „Schärfe“, die das Senfkorn und der, der auf dem „engen Weg“ geht, teilen, wobei bei letzterem wohl die asketische „Schärfe“ des Lebenswandels gemeint ist.⁴²⁵ Eine interessante Deutung der Perikope mit der Frage nach der Tempelsteuer (Mt 17,24– 27) bietet ep. 206: Das Geldstück, das Petrus aus der Tiefe holen sollte, weil es in dem Fisch verborgen war⁴²⁶, machte unsere durch die Leidenschaften verhüllte Schönheit deutlich, die der Herr in sich zu ihrer ursprünglichen Gestalt zurückruft. Und er ordnete an, dass die Münze für ihn zu zahlen sei, weil er ja Mensch war, allem unterworfen, was zu unserem Leben gehört; er erlaubte nicht, sich dem Kaiser entgegenzustellen⁴²⁷, wenn dieser etwas befiehlt, was keinen Schaden verursacht, und zeigte die Wirksamkeit der Macht Gottes auf.⁴²⁸

 Vgl. Young 1997, 191 in etwas anderem Zusammenhang: „Indeed, allegory cannot be treated as a particular Hellenistic development foreign to the Jewish world, and therefore imported into interpretation of the Gospel parables, as Dodd and Jeremias had taught us to believe. Mashal meant all kinds of riddles, fables, parables and allegories […]“. Vgl. auch Young 1993, 103 mit Bezug auf Jülicher, Dodd und Jeremias. In der Auslegungstechnik nicht weit von den eben behandelten Briefen entfernt ist auch ep. 394 (I, 394) (PG 78, 404, B9-C6), wo Isidor Dtn 25,4 („Du sollst dem Ochsen beim Dreschen keinen Maulkorb anlegen“) ähnlich wie Paulus in 1Kor 9,9 und der Verfasser von 1Tim 5,18 auf den, der für das Evangelium arbeitet, bezieht, aber auch noch den Aspekt des weltlichen Unterhalts auf die geistlichen Früchte überträgt, mit denen sein Briefpartner ihn „belohnen“ soll, wenn er weitere Antworten auf seine Fragen erhalten will.  S. zu diesen unten die Seiten 219 und 259.  Ep. 199 (I, 199) (PG 78, 309, C6 – 8).  Vgl. Mt 17,26 f.  Vgl. auch Mk 12,13 – 17 parr.  Ep. 206 (I, 206) (PG 78, 313, B5-C1). Riedinger führt eine Parallele aus Ps.-Caesarius an und führt daher diesen Brief unter der Nummer 8 seiner „Fragmente“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 177).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Bei all ihrer für Isidor charakteristischen Kürze berührt diese Auslegung mehrere Aspekte der Perikope und mehrere verschiedene Bezugspunkte der Übertragung. Das Geldstück im Fisch, etwas Schönes und Wertvolles, das in der dunklen Wassertiefe und in einem eher unansehnlichen Wesen versteckt ist, wird heilsgeschichtlich gedeutet auf die in der Gestalt, wie sie eigentlich von Gott gedacht war, „verschüttete“ menschliche Natur. Dies führt zu einer christologischen Assoziation: Christus hat sie, wahrhaft Mensch geworden, „in sich“, das heißt in seiner Person und in seinem Leben wieder „hervorgeholt“, und er tut es für jeden, der sich ihm anschließt, immer noch (daher das Präsens ἀνακαλεῖται – „zurückruft“). Als Mensch war er „allem unterworfen, was zu unserem Leben gehört“ („τοῖς ἡμῶν ἅπασιν ὑποκείμενος“) – so auch weltlicher Herrschaft. Obwohl es in der besprochenen Perikope um die jüdische Tempelsteuer und nicht um die kaiserliche Steuer geht, schwenkt daher nun die Assoziationskette ins Sozialethische – die Frage nach der kaiserlichen Steuer in Mk 12,13 – 17 parr. mag mit im Hintergrund stehen – und Isidor tut seine auch sonst geäußerte Haltung zur staatlichen Gewalt kund: der Christ soll sich einordnen und unterordnen, so lange die staatlichen Anordnungen „keinen Schaden verursachen“. Anderswo nennt er als Kriterien dafür εὐσέβεια und ἀρετή, Wahrung, ja Förderung von Orthodoxie und Moral durch die Staatsmacht.⁴²⁹ Das letzte Kolon weist noch auf die wundersame Herkunft des Geldstücks hin; sie wird neben den anderen Deutungsaspekten der Perikope auch als ein Machterweis Gottes ausgewertet. Der wohl berühmteste Vers aus der Perikope über die kaiserliche Steuer wird dann in ep. 209 zitiert: Wenn der in uns wohnende Leichtsinn etwas, was dem materiellen Bereich eigentümlich ist, irgendetwas, was die Verirrung nährt, irgendein täuschendes Trugbild bei uns eingelassen hat, so will der Herr, dass wir das dem Schöpfer und Urheber der Schlechtigkeit zuschreiben. Wenn aber irgendein Zeichen von Tugend (da ist), etwas, woran man heiligen Ernst erkennt, ein Glutkern von Nüchternheit und Standfestigkeit, sollen wir das mit fester Überzeugung für ein Geschenk Gottes halten und ihm dafür das Lob darbringen, das er verdient. Das ist der Sinn des Satzes: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“⁴³⁰.⁴³¹

 Vgl. ep. 1420 (IV, 102) (SC 454, 28, 14– 16); auch ep. 48 (I, 48) (PG 78, 212, B7-C5); dort geht es direkt um die Frage, ob dem Kaiser Steuern zu zahlen sind, was Isidor unter Verweis auf den Herrn bejaht, der angeordnet habe, „sich der Staatsmacht unterzuordnen, wenn sie keinen Schaden anrichtet im Hinblick auf den rechten Glauben („ὅταν μηδὲν παραβλάπτῃ πρὸς τὴν εὐσέβειαν“ – ebd. C1 f.). Vgl. zur Bedeutung von εὐσέβεια und ἀρετή bei Isidor oben S. 44 f.  Mk 12,17 parr.  Ep. 209 (I, 209) (PG 78, 316, A1– 10): „Εἴ τι τῆς ὕλης ἴδιον, εἴ τι πλάνης ἐφόδιον, εἴ τι ἀπάτης εἴδωλον ἐν ἡμῖν ἡ ἔνοικος εἰσέφρησε ῥᾳθυμία, τοῦτο τῷ δημιουργῷ καὶ ποιητῇ τῆς κακίας ἐπιρρίπτεσθαι παρ᾿ ἡμῶν ὁ Κύριος βούλεται. Εἴ τι δὲ ἀρετῆς σύμβολον [nach Ο und Billy / Chatard. PG hat mit μ σύμβουλον], εἴ τι σεμνότητος γνώρισμα, εἴ τι νήψεως καὶ ἀσφαλείας ἐμπύρευμα

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Hier steht der „Kaiser“ nun nicht mehr – der naheliegendsten Referenz nach – für die politische Sphäre, sondern für die böse Macht des Teufels, des „Schöpfers und Urhebers der Schlechtigkeit“. Dabei wird aus dem „Geben“ das „Zuschreiben“ oder „Zuordnen“, was von der Semantik des griechischen ἀποδιδόναι her nicht unmöglich ist.⁴³² Wenn Isidor sonst über das Zusammenspiel von menschlichem Tun und göttlicher Gnade oder Unterstützung spricht, betont er regelmäßig sehr stark den freien Willen und die Verantwortung des Menschen.⁴³³ Will man daher den vorliegenden Brief in das Gesamtbild des Isidorkorpus einordnen, wird man ihn nicht als Generalaussage über die Freiheit des Menschen interpretieren dürfen, sondern als eine geistliche Mahnung zur Unterscheidung der inneren Regungen und zur entsprechenden Reaktion (Abwehr des Teuflischen bzw. Lobpreis Gottes). Nicht zuletzt ist ja nach ep. 209 der eigene „in uns wohnende Leichtsinn“ (ἡ ἔνοικος ῥᾳθυμία⁴³⁴) das Einfallstor für die dem Teufel zuzuschreibenden inneren Regungen und Bilder, die ohne diesen „Leichtsinn“ gar keine Chance hätten. Die folgenden Briefe 210 und 211 beschäftigen sich mit Jesu „Aufträgen“ in den großen eschatologischen Redeabschnitten, die sich bei allen drei Synoptikern vor den Passionserzählungen finden; Isidor bezieht sich auf die Matthäus-

[nach Ο μ; PG hat ἐμπόρευμα], τοῦτο Θεοῦ καὶ ἡγεῖσθαι καὶ πεπεῖσθαι τυγχάνειν δώρημα καὶ ἀξίαν αὐτῷ προσκομίζειν τὴν αἴνεσιν. Τοῦτό ἐστιν, ὅ φησιν ‚᾿Aπόδοτε τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ Θεοῦ τῷ Θεῷ.‘“  Vgl. LSJ s.v. I.2 und 11– 13.  Vgl. z. B. ep. 271 (I, 271) (PG 78, 344, A9-B2); ep. 303 (I, 303) (PG 78, 357, C3 – 6); ep. 579 (II, 79) (PG 78, 520, C12 – 521, A1: „Τὰ μὲν γὰρ σώματα τῇ τῆς φύσεως ἀνάγκῃ δέδοται. Αἱ δὲ ψυχαὶ τῇ τῆς προαιρέσεως ἐξουσίᾳ τετίμηνται.“ – „Unsere Körper unterliegen ja der Gewalt der Natur. Aber die Seelen zeichnen sich dadurch aus, dass sie freie Entscheidungen treffen können“); ep. 629 (II, 129) (PG 78, 573, B6 – 11: „Οὐ γὰρ βίᾳ καὶ τυραννίδι, ἀλλὰ πειθοῖ καὶ προσηνείᾳ ἡ τῶν ἀνθρώπων σωτηρία κατασκευάζεται. Διὸ καὶ τὸ κῦρος ἔχει ἕκαστος τῆς οἰκείας σωτηρίας, ἵνα καὶ οἱ στεφανούμενοι καὶ οἱ τιμωρούμενοι δικαίως ὑπομένοιεν ὅπερ ᾕρηνται“ – „Nicht mit Gewalt und Machtausübung, sondern mit Überzeugungskraft und Freundlichkeit sorgt man für das Heil der Menschen. Deshalb hat jeder einzelne auch die Entscheidung über sein eigenes Heil in der Hand, damit so auch die, die den Siegeskranz erhalten und die, die bestraft werden, zu Recht das Schicksal erhalten, das sie gewählt haben“); ep. 1163 (III, 363) (PG 78, 1016, D1– 4: Gewalt ist bei der Glaubensverkündigung fehl am Platz, da die Menschen einen freien Willen haben; Überzeugung muss vor allem durch das Beispiel des eigenen Lebens geschehen). Zur Verantwortung des Menschen für sein Heil vgl. ep. 1429 (s. oben S. 164), in dem es anhand von Zitaten aus Röm und Jak um das Verhältnis von Glaube, Gnade und guten Werken geht.  Vgl. dieselbe Wortwahl in ep. 303 (I, 303) (PG 78, 357, C5).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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fassung.⁴³⁵ Die Aufträge und (in ep. 211) der folgende Weheruf werden asketisch gedeutet: Du hast in deinem Brief darum gebeten, die Zeichen der Not am Ende der Welt, die der Herr offenbart hat, damit wir sie kennen, erklärt zu bekommen. Erfahre also kurz zusammengefasst ihre Bedeutung! „Die, die sich in Judäa aufhalten, sollen in die Berge fliehen“⁴³⁶, das heißt, die, die im rechten Verhältnis zu Gott gefestigt sind (denn das bedeutet „Judäa“ übersetzt⁴³⁷), sollen auf den hochgelegenen Zufluchtsort schauen⁴³⁸; sie werden von ihrem eigenen Bekenntnis (zum Glauben) beschützt. „Wer auf dem Dach seines Hauses ist, soll nicht hinuntersteigen, um etwas aus seinem Haus zu holen“⁴³⁹, das heißt, wer begonnen hat, sein gegenwärtiges Haus gering zu achten und das ganze Zelt hier unten mit Füßen zu treten⁴⁴⁰, wer im Leben eine hohe Warte erreicht hat und die in ihm wohnenden Leidenschaften fortgeschickt hat, soll nichts davon wieder an sich ziehen, weder Feigheit noch leichtsinniges Vergnügen noch leeren Ruhm noch Hunger nach Reichtum, was alles ein Hinuntersteigen von der hohen Warte ist. „Wer auf dem Feld ist, soll nicht umkehren, um seinen Mantel zu holen“⁴⁴¹, das heißt, wer den alten Menschen abgelegt und von den Dingen des Fleisches Abschied genommen hat, soll den neuen (Menschen) tragen, der ihn zur Erkenntnis Gottes erneuert und vom Schmutz befreit hat.⁴⁴² Damit wird er gegenüber jener großen Bedrängnis vor bösen Überraschungen sicher sein.⁴⁴³

 Johannes Chrysostomus bleibt bei der Auslegung von Mt 24,16 – 19 in hom. 76 in Mt. 1 (PG 58, 693 – 695) bei textnahen Referenzen. Er stellt die historische Verbindung zur Eroberung Jerusalems her, so dass der Mt-Text für die Hörer seiner Predigt seinen eschatologischen Bezug verliert.  Mt 24,16 parr.  Vgl. zu etymologischen Verfahren oben S. 133 f.  Vgl. inhaltlich Ps 120,1.  Mt 24,17 par.  Vgl. inhaltlich 2Kor 5,1– 5; 2Petr 1,13 f.  Mt 24,18 par.  Vgl. Kol 3,9 f.; Eph 4,22– 24 in Verbindung mit Röm 13,14 und Gal 3,27. Isidor verbindet die neutestamentlichen Passagen, die vom „Anziehen des neuen Menschen“ und diejenigen, die vom „Anziehen Christi“ sprechen. Der Relativsatz muss sich auf Christus beziehen. Er hat uns „zur Erkenntnis Gottes erneuert und vom Schmutz befreit“. Er ist der eigentliche Neue Mensch.  Ep. 210 (I, 210) (PG 78, 316, B1-C7): „Τῆς τελευταίας τῶν χρόνων [τῶν χρόνων om. μ] ἀνάγκης τὰ σημεῖα, ἅπερ ὁ Κύριος πρὸς εἴδησιν ἡμῶν ἀπεκάλυψε, σαφηνισθῆναί σοι ἀξιώσας διὰ τοῦ γράμματος ταχέως τὴν τούτων μάνθανε δύναμιν. ‚Οἱ ἐν τῇ Ἰουδαίᾳ φευγέτωσαν εἰς τὰ ὄρη‘, οἱ ἐν τῇ εὐσεβείᾳ ἐρηρεισμένοι (τοῦτο γὰρ ἡ Ἰουδαία ἑρμηνεύεται) ἐπὶ τὴν ὑψηλὴν καταφυγὴν ἀφοράτωσαν ὑπὸ τῆς οἰκείας ὁμολογίας φρουρούμενοι. ‚Ὁ δὲ ἐπὶ τοῦ δώματος μὴ καταβάτω ἆραί τι ἐκ τῆς οἰκίας αὐτοῦ‘, ὁ τῆς παρούσης περιφρονήσας οἰκίας [C Ο μ: σκιᾶς] καὶ πᾶσαν τὴν ἐνταῦθα καταπατήσας σκηνὴν καὶ ὑψηλὸς τῷ βίῳ γενόμενος καὶ τὰ ἔνοικα πάθη ἀποπεμψάμενος μηδὲν ἐξ αὐτῶν ἐπισπάσθω, μὴ δειλίαν, μὴ ῥᾳθυμίαν [C Ο V μ: ἀθυμίαν], μὴ δόξαν κενὴν, μὴ ὄρεξιν πλούτου, ἅπερ ἀφ᾿ ὕψους ἐστὶ κατάβασις. ‚Ὁ ἐν τῷ ἀγρῷ μὴ ἐπιστρεψάτω ἆραι τὸ ἱμάτιον αὐτοῦ‘, ὁ τὸν παλαιὸν ἀπεκδυσάμενος ἄνθρωπον καὶ τοῖς σαρκίνοις ἀποταξάμενος τὸν νέον φορεῖτω, ὃς αὐτὸν εἰς ἐπίγνωσιν Θεοῦ ἀνεκαίνισε καὶ τῆς ἰλύος ἐκάθηρεν. Ἐν τούτοις γὰρ ἕξει τὸ πρὸς ἐκείνην τὴν μεγάλην κάκωσιν ἀνεπίβουλον.“ Riedinger belegt enge wörtliche Parallelen zu Ps.-Caesarius

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

„Wehe denen, die schwanger sind, und denen, die Milch saugen⁴⁴⁴ in jenen Tagen“⁴⁴⁵, das heißt, den Seelen, die die Liebe zu Gott schon in sich tragen, aber nicht den Mut haben, offen zu sprechen und das feste Bekenntnis zu Gott hervorzubringen, und denen, die eine kindliche und unvollkommene Meinung über die göttliche Geduld haben und die Hoffnung auf Lohn nicht beachten, sondern unter Drohungen und Angriffen schwach geworden und der kommenden Dinge beraubt worden sind.⁴⁴⁶

Offensichtlich denkt Isidor an eine Situation der Verfolgung, die zum Bekenntnis des Glaubens herausfordert, wie sie auch der biblische Kontext (Mt 24,9 – 14 und 23 f.!) für die zitierten Verse nahelegt. Um diese bestehen zu können, muss der Christ entsprechend vorbereitet sein. Das ist durch Verankerung in Gott (übertragende Umsetzung des Stichworts „Flucht in die Berge“) und asketische Festigkeit der Fall. Letztere wird konkretisiert als Geringschätzung des Körpers und Loslösung von den ἔνοικα πάθη, außerdem „Abschied“ von allem, was zur σάρξ gehört. In diese Übertragung passt Isidor jedes Detail aus Mt 24,16 – 18 ein; mit der Wortwahl (οἰκία⁴⁴⁷ und σκηνή als Begriffe für den Körper) spielt er auf 2Kor 5,1– 5 und 2Petr 1,13 f. an. Wenn man sich auf dem Dach seines Hauses aufhält, tritt man mit den Füßen auf sein Haus; bei Isidor wird daraus die asketische Lebensweise, bei der man den Körper „mit Füßen tritt“, woran man in der Bedrängnis der Endzeit keinesfalls etwas ändern soll. Die Aufforderung, den zu Hause liegenden Mantel nicht mehr zu holen, wird durch Verknüpfung mit Kol 3,9 f. und Eph 4,22– 24 in Verbindung mit Röm 13,14 und Gal 3,27, den Passagen über das „Anziehen des neuen Menschen“ bzw. Christi, zur Mahnung, nicht wieder in das Gewand des „alten Menschen“ zu schlüpfen. und integriert den Brief in sein „frg. 22“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 189 – 191). Zur Textkritik vgl. auch seinen kleinen Apparat, der sich aus seiner Konsultation der Handschriften P und C ergibt (vgl. Riedinger 1960, 166). Die angeführten von der PG abweichenden Lesarten werden von Ps.-Caesarius unterstützt, wenn man diesen von Isidor abhängig sein lässt.  Das griechische Verb θηλάζειν ist doppeldeutig (säugen/saugen, vgl. LSJ s.v.). Hier ist mit dem intransitiven deutschen Äquivalent „saugen“ zu übersetzen, denn im Folgenden werden die Seelen, auf die der Weheruf bezogen wird, mit Kindern und nicht mit Müttern verglichen.  Mt 24,19 parr.  Ep. 211 (I, 211) (PG 78, 316, C8-D3): „‚Οὐαὶ ταῖς ἐν γαστρὶ ἐχούσαις καὶ ταῖς θηλαζούσαις ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις‘, ταῖς ἐγκυμονούσαις, φησι, τὸν θεῖον ἔρωτα ψυχαῖς καὶ οὐ θαρρούσαις παρρησιάσασθαι καὶ τεκεῖν τὴν περὶ Θεοῦ ὁμολογίαν καὶ ἔνστασιν καὶ ταῖς νηπιώδη καὶ ἀτελῆ περὶ τὴν θείαν μακροθυμίαν γνώμην κεκτημέναις καὶ τῇ ἐλπίδι τῶν ἀμοιβῶν οὐ προσεχούσαις, ἀλλ᾿ ἀπειλαῖς ἢ προσβολαῖς χαυνωθείσαις καὶ τῶν μελλόντων γυμνωθείσαις.“  Οἰκία ist textkritisch unsicher. Vielleicht könnten aber die möglichen biblischen Anspielungen auch für die Textkritik ein Argument sein. Stellen aus Hebr, etwa Hebr 8,5, wo σκιά und σκηνή miteinander in Verbindung gebracht sind, scheinen mir bei Isidor hier eher nicht im Hintergrund zu stehen, weil sie keinen (individual)moralischen Kontext bieten.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Mt 24,19 wird dann in ep. 211 auf das Bekenntnis in der Verfolgung bezogen; „Schwangerschaft“ wird in der übertragenden Deutung zum Begriff für einen innerlich schon vorhandenen Glauben, der aber noch nicht bereit ist zum öffentlichen Bekenntnis, „Milchtrinken“ zum Bild für eine im negativen Sinn kindliche Haltung der Schwäche angesichts der Verfolgungssituation. Alle in diesem Abschnitt bisher behandelten Texte bezogen sich auf appellative Passagen der Evangelien. Nur ganz vereinzelt legt Isidor „Aufforderungen“ aus dem Alten Testament in paränetischem Kontext übertragend aus. In zwei Briefen werden alttestamentliche Stellen zum Umgang mit Toten – Sir 22,11 in ep. 334⁴⁴⁸ und die Reinheitsvorschriften der Tora zu diesem Punkt in dem oben⁴⁴⁹ ausführlich besprochenen Brief 1499 (IV, 157)⁴⁵⁰ – übertragend ausgelegt, und zwar auf dieselbe Weise: es gehe bei der Aufforderung, Tote zu beweinen bzw. bei den Reinheitsvorschriften (Isidor zitiert verallgemeinernd das Gebot für die, die das sogenannte Nasiräergelübde gemacht haben, aus Num 6,6) nicht um physisch Tote, sondern um Leute, die durch die Verstrickung in ihre Sünden moralisch tot sind und „ihren Anteil am zukünftigen Licht verloren haben“⁴⁵¹. Isidors Aussage in ep. 1499, ein Leichnam mache nicht unrein⁴⁵², steht jedenfalls vom Standpunkt der Tora her in klarem Widerspruch etwa zu Num 9,6 f. und Num 19,11– 22 – Isidor arbeitet sich in ep. 1499 freilich an der Frage ab, warum Mose trotz dieser Gebote nach Ex 13,19 die Gebeine Josefs aus Ägypten mitnehmen konnte. Für Sir 22,11a weist dagegen Maisano darauf hin, dass Isidors übertragende Auslegung des von ihm zitierten Teilverses durchaus zum Kontext von Sir 22,9 – 18 passt, wo es nicht in erster Linie um den physischen Tod geht; das Schicksal des physisch Toten ist nur Kontrastfolie für die Klage über den „Toren“ (μωρός), dessen „Leben“ nach Sir 22,11d „schlimmer ist als der Tod“.⁴⁵³ Die Briefe 364 und 457 beziehen sich auf Ps 150. Die dort enthaltenen Aufforderungen zum Lob Gottes mit Tanz und verschiedenen Musikinstrumenten werden in der übertragenden Auslegung zu moralisch-asketischen Appellen. Das passt zu Isidors grundsätzlicher Einstellung zu Instrumentalmusik: Gott ließ sich im Alten Bund Instrumentalmusik ähnlich wie die blutigen Tieropfer noch gefallen; sie mag gelegentlich positive Wirkungen auf die Seele haben.⁴⁵⁴ Instru-

 Ep. 334 (I, 334) (PG 78, 376, A8-B1).  S. oben S. 99 – 101.  Ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164,1 – 166,32).  Ep. 334 (I, 334) (PG 78, 376, A11-B1).  Ep. 1499 (IV, 157) (SC 454, 164,6).  Vgl. Maisano 1980, 71 f. Maisano zitiert noch Origenes, hom. 9 in Jer. 3 (GCS 62, 67,25 – 68,2) als Parallele.  Vgl. ep. 676 (II, 176) (PG 78, 628, C).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

mentalmusik stachelt aber auch Emotionen und triebhafte Regungen auf ⁴⁵⁵ – Isidor spricht von ὄργανα θελκτικά oder ὄργανα ἀπάτης, die ihren Platz bei den κῶμοι, den Gelagen, haben, die in den Briefen des Neuen Testaments verurteilt werden⁴⁵⁶. Der Begriff ὄργανα θελκτικά fällt auch in ep. 364 zur Abwehr der direkten Referenz: „Lobt ihn mit Pauke und Tanz, mit Instrument und Saitenspiel“⁴⁵⁷, sagt der Psalmist. Dabei überlässt er nicht dröhnendem Erz⁴⁵⁸ und betörenden Instrumenten die göttlichen Gesänge, sondern er legt uns nahe, unser eigenes Fleisch zu einer Pauke zu machen, indem es keine leidenschaftliche Emotion mehr kennt, sondern für die irdischen Glieder tot ist⁴⁵⁹. Mit dem Wort „Tanz“ fordert er dann den harmonischen Zusammenklang der Kirche, und mit den „Saiten“ meint er die Empfindungen in uns, von denen das Plektrum der Zunge den Impuls (zum Singen) erhält. Als „Instrument“ findet sich schließlich der ganze Mensch, wenn er von Gott anerkannt ist und mit den Menschen in Harmonie lebt⁴⁶⁰.⁴⁶¹

In ep. 457 sind es dann neben dem „Gedächtnis der Auferstehung“ für das Blasinstrument (σάλπιγξ) von Ps 150,3 die verschiedenen „Organe“ des Menschen, die für Gebet und Gesang als „schriftgemäße Musik“ (γραφικὴ μουσική) nötig sind – Zunge und Mund, Körper und Seele, Herz und „Inneres“ und die Lippen, auf die die einzelnen Begriffe des Psalms bezogen werden.⁴⁶² Die übertragenen Referenzen von ep. 457⁴⁶³ finden sich sehr ähnlich schon bei Clemens von Alexandria.⁴⁶⁴ Johannes Chrysostomus wiederum lehnt zwar für die Instru Das ist nach Isidor, ep. 1410 (IV, 194) (SC 422, 494,1– 4), schon bei Apollon, dem griechischen Gott der kultivierten Musik par excellence, alles, was er zu bieten hat.  Ep. 456 (I, 456) (PG 78, 433, A8-B5). Vgl. die Rede von den κῶμοι in Röm 13,13; Gal 5,21; 1Petr 4,3.  Ps 150,4.  Vgl. 1Kor 13,1.  Vgl. Kol 3,5.  Vgl. Röm 14,18.  Ep. 364 (I, 364) (PG 78, 388, D4 – 389, A10): „‚Αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν τυμπάνῳ καὶ χορῷ καὶ ὀργάνῳ καὶ χορδαῖς‘, φησὶν ὀ Ψαλμῳδὸς, οὐ χαλκῷ ἠχοῦντι καὶ ὀργάνοις θελκτικοῖς τὰς θείας ἐπιτρέπων ᾠδὰς, ἀλλὰ τύμπανον ἡμᾶς τὴν ἑαυτῶν ἀποτελεῖν σάρκα παρεγγυῶν, οὐδὲν ἔχουσαν πάθους κίνημα, ἀλλὰ νεκρὰν τοῖς γηΐνοις ὑπάρχουσαν μέλεσι. Χορὸν δὲ τὴν σύμφωνον τῆς Ἐκκλησίας ἁρμονίαν ζητεῖ· καὶ χορδὰς τὰς ἐν ἡμῖν αἰσθήσεις δηλοῖ, ὑφ᾿ ὧν τὸ τῆς γλώττης ἀνακρούεται πλῆκτρον· καὶ ὄργανον ὁ πᾶς εὑρίσκεται ἄνθρωπος, Θεῷ εὐάρεστος καὶ ἀνθρώποις εὐάρμοστος.“  Ep. 457 (I, 457) (PG 78, 433, B6-C10).  Das gilt – anders als der Apparat in GCS 123, 182 suggeriert und abgesehen von der generellen Parallele einer übertragenden Deutung der Instrumente von Ps 150 auf Menschliches – viel weniger für ep. 364, wo die Instrumente nicht auf „Bestandteile“, sondern auf moralische Verhaltensweisen des Menschen bezogen werden.  Clem. paed. II, 4, 41 (GCS 123, 182, 18 – 183, 1, vgl. Fouskas 1970, 117, Nr. 25). Auch bei Basilius von Caesarea und Didymus dem Blinden finden sich übertragende Auslegungen zu Ps 150,3 f. (vgl.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

197

mente in Ps 149,3 einen übertragenen moralisch-asketischen Bezug ab⁴⁶⁵, den wir zum Teil in Isidors ep. 364 finden (Pauke – Abtötung des Fleisches), stellt aber wie Isidor und Clemens den übertragenen Bezug der Instrumente von Ps 150 auf die „Glieder“ des Menschen her: „So wie er [der Psalmist] die Juden auffordert, mit allen Instrumenten das Lob Gottes zu singen, so fordert er uns auf, es mit allen unseren Gliedern zu tun, mit Auge, Zunge, Gehör und Hand. […]“⁴⁶⁶ Ep. 498 ist ein paränetischer Brief, bei dem der Adressatenbezug sehr deutlich ist. Isidor schreibt an einen Theon, nach Évieux möglicherweise Bischof Theon von Sethroitis im östlichen Nildelta⁴⁶⁷: Strebe nach dem einfachen Leben, das Elischa geführt hat, indem du mit einem Dachzimmer und einer Lampe zufrieden bist⁴⁶⁸ – das zeigte das hochstehende und erleuchtete Verhalten des Mannes an – und gib nicht, indem du dich wie Pharao an große Baumaßnahmen und die Mönche an dieselben bindest, das auf, worum es wirklich geht.⁴⁶⁹

Der Prophet Elischa erscheint als Kontrastfolie zur Baulust Theons; „Dachzimmer“ und „Lampe“ erhalten eine doppelte Bedeutung; in der direkten Referenz bleiben sie stehen im Kontrast zu den von Theon (offenbar mit freiwilliger oder erzwungener Arbeitsleistung durch Mönche⁴⁷⁰) verfolgten „großen Baumaßnahmen“, während sie auf der übertragenen Ebene innere Qualitäten und τὴν ἀληθῆ ἐργασίαν – „das, worum es wirklich geht“, verdeutlichen. Die Briefe 947⁴⁷¹ und 1243⁴⁷² heben den Satz „Kommt, lasst uns gehen!“, den Jesus in Joh 14,31 sagt, aus der historischen Sphäre der Erzählung auf die der immerwährenden Gegenwart des Herrn, der uns vom Irdischen weg „mit sich

Fouskas 1970, 119, Nr. 68 und 123, Nr. 186 entspr. PTS 16, 365 f.), die allerdings keine engen Parallelen zu Isidor aufweisen.  Chrys. exp. in Ps. 149, 2 (PG 55, 494, 22– 25; vgl. Simonetti 1985, 185).  Chrys. exp. in Ps. 150 (PG 55, 497, 5 – 8): „Ὥσπερ οὖν Ἰουδαίοις διὰ πάντων τῶν ὀργάνων, οὕτως ἡμῖν παρακελεύεται διὰ πάντων τῶν μελῶν ἀνυμνεῖν τὸν Θεὸν, δι᾿ ὀφθαλμοῦ, διὰ γλώττης, δι᾿ ἀκοῆς, καὶ διὰ χειρὸς.“ (Chrysostomus zitiert dazu aus Röm 12,1).  Vgl. Évieux 1995, 238.  Vgl. 2Kön 4,10.  Ep. 498 (I, 498) (PG 78, 453, A3 – 8): „Τὴν Ἐλισσαίου εὐτέλειαν ζήλου ὑπερώῳ καὶ λύχνῳ ἀρκούμενος· ἅπερ τὴν ὑψηλὴν καὶ πεφωτισμένην τοῦ ἀνδρὸς ᾐνίσσετο πρᾶξιν [μ: τάξιν]· ἀλλὰ μὴ μεγάλαις οἰκοδομαῖς ὡς Φαραὼ προστηκόμενος καὶ προστήκων αὐταῖς τοὺς μονάζοντας, τὴν ἀληθῆ ἐργασίαν κατάλυε.“  Vgl. Évieux 1995, 238: „recourant pour cela aux bras des moines“.  Ep. 947 (III, 147) (PG 78, 840, D2-A5).  Ep. 1243 (IV, 48) (SC 422, 224).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

ziehen“ möchte.⁴⁷³ Als „Ballast“, der dem entgegenwirkt, tritt hier vor allem die πρόληψις auf. Was Isidor genau damit meint, wird nicht ganz klar. Évieux übersetzt in ep. 1243 mit „présomption“, wohl im Sinne von „Hochmut“, was aber an der Wortbedeutung kaum einen Anhalt zu haben scheint⁴⁷⁴, Billy in ep. 947 näher am sonst geläufigen Bedeutungsspektrum des griechischen Wortes mit „anticipata opinio“, ähnlich Rittershausen in ep. 1243 („anticipatae opiniones et praejudicia“). Möglicherweise geht es um vorgefasste negative Einstellungen gegenüber der christlichen Verkündigung. Ein kurzer übertragener Bezug einer Vorschrift aus der Tora findet sich etwa am Beginn des letzten Drittels von ep. 1151, wo Isidor die Nachteile des Ehestandes für den geistlichen Kampf illustrieren möchte. In diesem Kontext liest er hier die Vorschriften in Dtn 20,6 f. und 24,5 über Ausnahmen von der militärischen Musterung.⁴⁷⁵ Ep. 1261⁴⁷⁶ bezieht die Erzählung von den drei jungen Männern im Feuerofen und ihrer Standhaftigkeit angesichts der Versuchung, das Standbild Nebukadnezzars anzubeten (Dan 3) auf die Versuchung des geistlich Lebenden durch die „Gewaltherrschaft“ (τυραννίς), die Geld und Besitz auf die Menschen ausüben; auch wenn man hier durch Standhaftigkeit in den „Feuerofen der Armut“ fällt, wird das dem „philosophisch“ Lebenden nichts anhaben können; im Gegenteil, es bringt ihm Freiheit und ewigen Lohn ein.⁴⁷⁷ In ep. 1275⁴⁷⁸ schließlich wird Ex 12,11 („Esst das Pascha[lamm] hastig/eifrig!“) übertragen als Aufforderung zum moralisch guten Leben als Voraussetzung für die ewige Gemeinschaft mit Gott gelesen.

 Johannes Chrysostomus bleibt in seinen Johanneshomilien sehr nah am Text; er liest den Satz einfach als eine Aufforderung Jesu zum Ortswechsel, mit dem er seinen Jüngern etwas Ruhe verschaffen will, damit sie aufnahmefähig sind für die wichtigen Inhalte, die in Joh 15 – 17 folgen (Chrys. hom 76 in Jo. 1 (PG 59, 410 – 411,6)). Ein wenig mehr mit Isidor vergleichbar ist Didymus von Alexandria in seinem Sacharjakommentar (SC 85, 1050, 143).  Vgl. LSJ und PGL s.v.  Ep. 1151 (III, 351) (PG 78, 1008, D3 – 1009, A8).  Ep. 1261 (V, 36) (SC 422, 260).  Vgl. ep. 1317 (V, 68) (SC 422, 356): Im Feuer sind die Fesseln der drei jungen Männer abgefallen; entsprechend führen Versuchungen oft nicht zum Schlechten, sondern machen die Menschen wachsamer und stärker.  Ep. 1275 (IV, 162) (SC 422, 276 – 278).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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4.4.1.2 Bezug auf exemplarische Handlungen oder Eigenschaften von Menschen Ep. 2 bietet eine kurze Auslegung von Ps 17,9 auf „heilige“ Menschen (ἅγιοι)⁴⁷⁹: „Kohlen entzündeten sich an ihm“⁴⁸⁰, das heißt die Heiligen an Gott. Denn weil „unser Gott verzehrendes Feuer“⁴⁸¹ ist, werden die, die Gott in Reinheit aufnehmen, mit Recht Kohlen genannt; sie brennen durch die Vereinigung mit ihm und leuchten als Lichter in der Welt.⁴⁸²⁴⁸³

Die übertragende Auslegung wird durch assoziative Verknüpfungen mit anderen Bibelstellen (Hebr 12,29 und Phil 2,15) gestützt, so dass sich zwei parallele Linien ergeben: Feuer, an dem sich Kohlen entzünden und leuchten und die Heiligen, die Gott „in Reinheit aufnehmen“ und die Welt hell machen. Die in einem Teil der leicht zugänglichen Textzeugen vorfindliche Lesart χωροῦντες⁴⁸⁴ („aufnehmen“) erscheint angesichts dieser Parallele von Bild- und Sachseite plausibler als das θεωροῦντες („betrachten“) der PG (trotz der verwandten Formulierung „ὁ βλέπων Θεὸν καθαρότητι“ in ep. 192⁴⁸⁵). Kohlen müssen Feuer „aufnehmen“, um zu brennen und zu leuchten; es genügt nicht, wenn sie es nur „betrachten“. Der eben erwähnte kurze Brief 192⁴⁸⁶ enthält eine übertragende Auslegung der Erzählung von der Geburt Jakobs und Esaus (Gen 25,24– 26). Dass Jakob bei der Geburt Esaus Ferse hielt, wird über eine Etymologie⁴⁸⁷ des Namens Israel

 Die Frage, ob mit den ἅγιοι lebende (vgl. PGL s.v. ἅγιος C.2) oder schon vollendete Gläubige (vgl. a. a.O. D.4– 6) gemeint sind, ist m. E. kaum zu entscheiden.  Ps 17,9.  Hebr 12,29.  Vgl. Phil 2,15.  Ep. 2 (I, 2) (PG 78, 181, A1– 6): „‚Ἄνθρακες ἀνήφθησαν ἀπ᾿ αὐτοῦ‘, ἐκ τοῦ Θεοῦ δηλονότι οἱ ἅγιοι. Ἐπειδὴ γὰρ ‚ὁ Θεὸς ἡμῶν πῦρ καταναλίσκον‘ ἐστὶν, οἱ τὸν Θεὸν χωροῦντες [nach μ O Billy / Chatard in mg. und Riedinger, d. h. C; PG hat θεωροῦντες] τῇ καθαρότητι ἄνθρακες εἰκότως προσαγορεύονται, τῇ πρὸς αὐτὸν ἑνώσει πυρούμενοι καὶ φωστῆρες ἐν κόσμῳ [nach μ, durch Ritt. statt ἑκάστῳ in die PG gekommen. Poussines’ Angabe zu O ist an dieser Stelle nicht korrekt] φαινόμενοι.“ Riedinger führt den Brief wegen einer Ps.-Caesariusparallele als „frg. 11“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 179).  Vgl. Rittershausen, Poussines und das Digitalisat des Ott. gr. 383 auf digi.vatlib.it. Vgl. auch Riedingers Text (Riedinger 1960, 179), der mit meiner Übersetzungsgrundlage identisch ist, auf dem von Riedinger konsultierten Kodex von Grottaferrata basiert und die Lesarten aus dem Paris. gr. 832 angibt (vgl. zu Riedingers Vorgehen bei der Textgestaltung Riedinger 1960, 166).  Ep. 192 (I, 192) (PG 78, 305, B9).  A. a.O. B7-C2.  Zu Etymologien bei Isidor vgl. oben S. 133 f.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

und über die Verbindung mit der Perikope vom Verkauf des Erstgeburtsrechts (Gen 25,27– 34) zu der Formel: „Wer Gott in Reinheit schaut, ist stärker als die Völlerei“. Nach ep. 259 beschreibt Joh 21,25 („Es gibt aber noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen“) den Zustand der (Mehrheit der) Menschen, die Christi Wunder nicht akzeptieren. Die Übertragung gelingt über die Feststellung, dass der Mensch als ein Kosmos im Kleinen (als Mikrokosmos enthält er alle Elemente, die auch in der Welt als ganzer vorkommen) κόσμος – „Welt“ – genannt werden könne: […] „Ich glaube“, so brachte der Evangelist zum Ausdruck, „die Welt würde die Bücher“ mit den Wundertaten des Herrn „nicht fassen, die zu schreiben wären“⁴⁸⁸, weil der Mensch eine kleine Welt für sich ist, die Anteil an allen Elementen hat, aus denen die Welt zusammengesetzt ist. Die Wunder nun, die der Mensch, weil er für gewöhnlich misstrauisch ist, nicht fasste, weil sie ja übernatürlich und göttlich sind und höher und großartiger als alles, was es je vorher gab, von denen vermutete er [der Evangelist], die Welt könne sie nicht fassen.⁴⁸⁹

Die Auslegung, die Isidor in ep. 453 von Jakobs Kampf mit dem geheimnisvollen Mann am Jabbok gibt (Gen 32,23 – 33), ist hauptsächlich „dogmatisch“ zu verorten; sie spricht angesichts von Jakobs Ringkampfgegner über den präexistenten Christus und über das Wesen Gottes⁴⁹⁰. Ein kurzes paränetisches Element ist eingeflochten: die „Hüfte“, an der der Mann Jakob verletzt (Gen 32,26), wird ähnlich wie die „Lenden“ in ep. 9⁴⁹¹ mit den Leidenschaften (πάθη) in Verbindung gebracht, die für Isidor von dieser Körperregion, in der sich die Verdauungs- und Sexualorgane befinden, ausgehen. Dementsprechend hat der Ringkämpfer Jakob gelehrt, „seine Leidenschaften zu beherrschen, indem er seinen Hüftmuskel berührte.“⁴⁹² Das Bild vom Hirten, „der die Schafe von den (Ziegen‐)Böcken scheidet“, aus der Gerichtsszene in Mt 25 (Mt 25,32 f.) wird in ep. 288⁴⁹³ von der Eigenart der Tiere  Joh 21,25.  Ep. 259 (I, 259) (PG 78, 337, C3 – 11): „‚Οὐκ οἶμαι τὸν κόσμον χωρῆσαι τὰ γραφόμενα βιβλία‘ τῶν τοῦ Κυρίου θεοσημείων, ὁ εὐαγγελιστὴς ἀπεφήνατο, ἐπειδὴ κόσμος σύντομος ὁ ἄνθρωπός ἐστι πάντων τῶν τοῦ κόσμου συμπληρωτικῶν μετέχων στοιχείων. Ἃ τοίνυν ὁ ἄνθρωπος ἄπιστος [nach O V μ und Billy / Chatard in mg.; PG hat ἀπίθανος] ὢν ὡς τὰ πολλὰ οὐκ ἐχώρει θαύματα, ὡς ὑπερφυῆ καὶ θεῖα, τῶν καὶ πώποτε φθασάντων ὑψηλότερα καὶ μεγαλοπρεπέστερα, ταῦτα μὴ χωρεῖν τὸν κόσμον ἐστοχάσατο“.  S. unten S. 215.  S. oben S. 185.  Ep. 453 (I, 453) (PG 78, 432, B3 – 5).  Ep. 288 (I, 288) (PG 78, 352, B8-C3).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

201

her erklärt. Ähnlich wie wir es bereits bei den Briefen 126, 675 und 143 gesehen haben⁴⁹⁴, werden Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Tieren mit menschlichem Verhalten identifiziert. Das Schaf steht für Sanftheit und dafür, anderen nützlich zu sein, der junge Ziegenbock für Wildheit und Gefräßigkeit. Der Szene aus dem Matthäusevangelium werden damit zusätzliche Konnotationen für die Frage gegeben, was Kriterien für die Scheidung von „Schafen“ und „Böcken“ sein könnten, und zwar auch über die in Mt 25 selbst genannten Kriterien der sozialen Fürsorge hinaus. Der kurze Brief endet paränetisch mit einem Aufruf, sich an die Lebensweise der „Schafe“ zu halten. Ep. 355 legt einen Satz aus Ex 19,10 f. aus: „Sie sollen ihre Kleider waschen heute und morgen, und sie sollen bereit sein für den dritten Tag“⁴⁹⁵, sagt die Schrift und macht damit Folgendes deutlich: Die, die durch die beiden Testamente und das Verständnis ihrer Bedeutung Tadellosigkeit in der Lebensführung erlangt und Reinheit im Glauben⁴⁹⁶ gefunden haben, werden zur Auferstehung des Herrn geführt, die nach drei Tagen geschieht und die auch Himmelreich heißt. Denn das „Heute“ bezeichnet die Institution des Gesetzes, das „Morgen“ bedeutet die Wahrheit des Evangeliums, die ja vom Gesetz im Voraus angedeutet worden war und nach ihm erschienen ist.⁴⁹⁷

Sowohl im Buch Exodus als auch auf der Ebene, auf die Isidor die göttliche Aufforderung bezieht, geht es um eine bevorstehende Gottesbegegnung: hier vor dem Bundesschluss am Sinai, dort vor der Auferstehung, für die das irdische Leben insgesamt eine Vorbereitung ist. Verbindungen schaffen das Stichwort des „dritten Tages“, die geforderte „Reinheit“ (einmal äußerlich im Waschen verkörpert, einmal durch Moral und rechten Glauben) und die Begriffe „heute“ und „morgen“, die zu Markierungen für die Etappen der Heilsgeschichte werden. Insgesamt gerät der Brief zur Aufforderung, durch Bibelstudium, wie es Isidor versteht, zu „Orthopraxie“ verbunden mit Orthodoxie und auf diesem Weg zur Begegnung mit Gott zu gelangen.

 S. oben die Seiten 188 – 190.  Ex 19,10 f. (mit Umstellung der Syntax).  Wir treffen hier wieder auf die für Isidor zentrale Koppelung von Moral und orthodoxer Glaubenslehre (an anderen Stellen oft mit dem Begriffspaar ἀρετή und εὐσέβεια ausgedrückt). Vgl. oben S. 44 f.  Ep. 355 (I, 355) (PG 78, 385, A1– 10): „‚Πλυνάτωσαν τὰ ἱμάτια σήμερον καὶ αὔριον, καὶ ἔστωσαν ἕτοιμοι εἰς τὴν ἡμέραν τὴν τρίτην‘, λέγει ἡ Γραφὴ τοῦτο δηλοῦσα· Οἱ ἐν ταῖς δύο Διαθήκαις καὶ ταῖς αὐτῶν διανοίαις τὴν καθαρότητα τῆς πολιτείας [μ: καρδίας] κτησάμενοι καὶ τῆς πίστεως τὴν ἁγνείαν εὑράμενοι εἰς τὴν τριήμερον τοῦ Κυρίου χειραγωγοῦνται ἀνάστασιν, ἣ καὶ βασιλεία οὐρανῶν ὀνομάζεται. ‚Σήμερον‘ γὰρ τὴν τοῦ νόμου λέγει κατάστασιν, ‚αὔριον‘ δὲ τὴν εὐαγγελικὴν σημαίνει ἀλήθειαν ὡς ὑπὸ τοῦ νόμου μηνυθεῖσαν καὶ μετ᾿ ἐκεῖνον φανεῖσαν.“

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Ep. 644 ist verwandt mit Stellen aus den weiter unten⁴⁹⁸ angesprochenen Briefen 633 und 1151. Es geht um das Verhältnis der Ehe zum freiwillig ehelosen (παρθενία) und zum in der Ehe oder nach dem Tod eines Partners / einer Partnerin enthaltsamen⁴⁹⁹ Leben. In 633 und 1151 verwendet Isidor dafür ein eigenes, im Wesentlichen nichtbiblisches Bild. Hier in ep. 644 ist es das Ende des Gleichnisses vom Sämann (Mt 13,23), das mit dem genannten Dreischritt verbunden wird: Die Stelle „der eine hundertfach, der andere sechzigfach, der dritte dreißigfach“ kann die Jungfräulichkeit, die Enthaltsamkeit und die hochzuschätzende Ehe⁵⁰⁰ meinen.⁵⁰¹

Ehelosigkeit, Enthaltsamkeit und Ehe sind damit als drei Arten erklärt, Frucht zu bringen, nachdem man das „Wort vom Reich“ (Mt 13,19) gehört hat, und zwar in verschieden großem Maß. Freilich ist das nicht die einzige Möglichkeit, die offene Formulierung von Mt 13,23 zu füllen. Isidor selbst gibt gleich eine Alternative dazu: Sie [die Stelle] kann aber auch die Bildung der Seele, den leiblichen Dienst und das Spenden materieller Güter bedeuten. Denn wichtiger ist es, die Seele zu retten als mit dem Leib seinen Dienst zu erfüllen, so wie das wiederum größer ist als Geld zu spenden. Denn das eine geschieht unter Schweiß und Mühen, das andere wird mit dem erfüllt, was von außen hereinkommt.⁵⁰²

In einer Weise, die mit dem, was sich in ep. 288 und ep. 644 beobachten lässt, verwandt ist, erfolgt in ep. 1096⁵⁰³ eine inhaltliche Füllung von Gen 22,17, einer der beiden Nachkommenverheißungen an Abraham. Die Verheißung spricht von den Sternen am Himmel und vom Sand am Meer, um eine extrem große Zahl zu verdeutlichen. Isidor verbindet nun über Eigenschaften der Sterne (sie strahlen Licht aus) und des Sandes (er ist der Erde verhaftet und instabil) diese Verheißung mit zwei Gruppen der Nachkommen Abrahams. Die Verbindung wird unterfüttert mit Schriftzitaten (Mt 5,16 und Phil 2,15 für die Sterne und Eph 4,14 für den Sand) und

 S. unten S. 239.  Vgl. PGL s.v. ἐγκράτεια 9.  Vgl. Hebr 13,4.  Ep. 644 (II, 144) (PG 78, 589, C1– 3): „Τὸ ‚Ὁ μὲν ἑκατὸν, ὁ δὲ ἑξήκοντα, ὁ δὲ τριάκοντα‘ δύναται μὲν τὴν παρθενίαν καὶ τὴν ἐγκράτειαν καὶ τὸν τίμιον γάμον μηνύειν.“  Ep. 644 (II, 144) (PG 78, 589, C4– 10): „Δύναται δὲ καὶ τῆς ψυχῆς τὴν διδασκαλίαν, τοῦ δὲ σώματος τὴν διακονίαν, τῶν δὲ χρημάτων τὴν ἐπίδοσιν δηλοῦν. Μᾶλλον γάρ ἐστι τὸ σώζειν ψυχὴν, τοῦ διὰ σώματος τὴν διακονίαν πληροῦν, ὥσπερ καὶ αὐτὸ [nach μ; PG hat αὐτῆς] τῆς τῶν χρημάτων χορηγίας. Ἡ μὲν γὰρ μεθ᾿ ἱδρώτων καὶ πόνων γίνεται· ἡ δὲ ἐκ τῶν ἔξωθεν προσόντων πληροῦται.“  Ep. 1096 (III, 296) (PG 78, 972, A4-B6).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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lässt sich gerade mit diesen Schriftstellen paränetisch auf den Adressaten und alle Leser des Briefes verallgemeinern. Entsprechend endet der Brief auch mit einem Hinweis auf das zukünftige Schicksal solcher Menschen, die sich wie der Sand unter den Nachkommen Abrahams verhalten. Ep. 810 stellt die Eigenschaften der Brusttasche des Hohepriesters, wie sie in Ex 28,15 – 30 beschrieben ist, in einen paränetischen Kontext: Das Wort „λoγιον“, hochangesehener Mann, hat nicht nur eine Bedeutung. Wenn nämlich die erste Silbe betont wird, bedeutet es soviel wie „heiliger Spruch“ (χρησμός); wenn dagegen die zweite betont wird, bezeichnet es den Gegenstand, der nach göttlicher Anordnung auf der Brust des Hohepriesters angebracht war⁵⁰⁴ als „Heiligtum des Wortes“, beziehungsweise sein Haus oder heiliger Bezirk. Du fragst nun: „Und weshalb wurde es auf der Brust des Hohepriesters angebracht?“ – Erstens, weil die Vernunft wie ein Wagenlenker über dem aggressiven und dem begehrenden Trieb sitzen musste. Zweitens, weil den, der das Priesteramt ausübt, Wahrheit und Klarheit schmücken müssen. Denn in der Lostasche lagen „Klärung“ und „Wahrheit“⁵⁰⁵; das eine bezeichnete die Klarheit, das andere das Wahre. Wenn du es noch anders betrachten möchtest: dem inneren Wort ziemt die Wahrheit, dem ausgesprochenen die Klarheit. Vielleicht ist der Grund, warum sie so heißen, aber auch der, dass, wie man sagt, ein gewisser Lichtschein von jenen Steinen ausging, wenn der Liturge in das Allerheiligste ging und die Zukunft wahrheitsgemäß deutlich machte.⁵⁰⁶

Nach einer kurzen semantischen Differenzierung zwischen λόγιον (Bibelspruch)⁵⁰⁷ und λογίον / λογεῖον⁵⁰⁸ und einer etymologischen Einordnung für λογεῖον („Haus / Heiligtum des λόγος“)⁵⁰⁹ folgt eine allgemeine, dann eine „priesterspezifische“ paränetische Assoziation. Erstere klingt an Platon an⁵¹⁰,  Ex 28,15: λογεῖον τῶν κρίσεων.  Ex 28,30: δήλωσις / ἀλήθεια (Urim / Tummim)  Ep. 810 (III, 10) (PG 78, 733, B6-C14): „Τὸ ‚λόγιον‘, ὦ ἐλλογιμώτατε, οὐ τὸ αὐτὸ μηνύει. ᾿Aλλ᾿ ὅταν μὲν ἡ πρώτη ὀξύνηται συλλαβή, χρησμὸν δηλοῖ· ὅταν δ᾿ ἡ δευτέρα, τὸ ἐπὶ τοῦ στήθους τοῦ ἀρχιερέως ἐπιτεθῆναι θεσπισθὲν, οἷον ‚λόγου ἱερὸν‘ ἢ οἶκον ἢ τέμενος. Ἐπειδὴ δὲ φής· ‚Καὶ τίνος ἕνεκεν τῷ στήθει τοῦ ἀρχιερέως ἐπετίθετο;‘, φημί, ὅτι πρῶτον μὲν ἐχρῆν τῷ θυμικῷ καὶ ἐπιθυμητικῷ τὸν λογισμὸν ὥσπερ ἡνίοχον ἐποχεῖσθαι. Ἔπειτα ὅτι τῷ ἱερωμένῳ χρὴ τὴν ἀλήθειαν καὶ τὴν σαφήνειαν ἐγκαλλώπισμα εἶναι. Τῷ γὰρ λογίῳ ἐπέκειτο ἡ ‚δήλωσις‘ καὶ ἡ ‚ἀλήθεια‘· ἡ μὲν τὴν σαφήνειαν, ἡ δὲ τἀληθὲς ἐμφαίνουσα. Εἰ δὲ καὶ ἄλλως βούλει νοῆσαι· Ἐπειδὴ τῷ μὲν ἐνδιαθέτῳ λόγῳ πρέπει ἡ ἀλήθεια· τῷ δὲ προφορικῷ ἡ σαφήνεια. Τάχα δὲ ἐπειδὴ καὶ ἔκλαμψίς τις ἐγίνετο, ὥς φασιν, ἐν τοῖς λίθοις ἐκείνοις, ὅτε εἰς τὰ ἄδυτα ἐστέλλετο ἱερουργήσων καὶ ἐδήλου ἀληθῶς τὰ ἐσόμενα, τούτοις κέκληνται τοῖς ὀνόμασι.“  Vgl. PGL s.v. A.  Vgl. PGL s.v. B. Die Schreibweisen λογίον und λογεῖον sind in der Spätantike aussprachegleich.  Zu etymologischen Verfahren vgl. oben S. 133 f.  Vgl. Pl. Phdr. 246ab; R. 441a. Das Bild vom Seelenwagen klingt bei Isidor außerdem u. a. an in ep. 689 (II, 189) (PG 78, 640, A1– 3) und ep. 1747 (V, 384) (SC 586, 84). Isidor zitiert und verwendet

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

passt aber auch zu Isidors sonstiger Haltung zu den πάθη: die Triebkräfte des Menschen, die Isidor hier offenbar in der Brust verortet, sollen durch das darüberliegende „Haus der Vernunft“ beherrscht werden. Die zweite Assoziation bezieht sich auf die Orakelsteine in der Brusttasche des Hohepriesters, die im Hebräischen „Urim“ und „Tummim“ heißen und in der LXX als δήλωσις und ἀλήθεια erscheinen.⁵¹¹ Wenn also „Klarheit“ und „Wahrheit“ auf dem Herzen des Hohepriesters zu liegen haben, weist das darauf hin, dass jeder Priester dazu verpflichtet ist, „Klarheit“ und „Wahrheit“ zu üben. Das gilt insbesondere für seine Sprache; Isidor bringt hier die aus der stoischen Philosophie stammende und schon vor ihm in die christliche Theologie eingegangene Unterscheidung von λόγος ἐνδιάθετος und λόγος προφορικός ins Spiel.⁵¹² Am Ende des Briefes schließt sich noch eine weitere Erklärung der beiden Steine ohne paränetischen Bezug an, ein Beispiel mehr für den Assoziationsreichtum und die Offenheit des Schriftgebrauchs und der Bibelauslegung bei Isidor. Brief 1998 über die Bundeslade wird wegen seiner hauptsächlich christologischen Bezüge weiter unten übersetzt und ausführlicher besprochen.⁵¹³ Hier ist zu erwähnen, dass er mit einer kurzen Deutung des Mannas und des Stabes Aarons, die in der Bundeslade enthalten waren, in paränetischem Kontext endet. Ep. 1198⁵¹⁴ legt einen Satz aus Jesu Gleichnis vom anvertrauten Geld aus: „Du hättest mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich wiedergekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen“ (Mt 25,27). Die Handlung, die der „schlechte und faule Diener“ unterlassen hat, wird den Glaubenslehrern der Gegenwart und ihren Hörern im übertragenen Sinn empfohlen. Das Geld sind die Lehren der Heiligen Schrift; es zu den Bankiers zu bringen,

Platon mehrfach und nennt ihn auch namentlich, vgl. Bayer 1915, 43 – 62 (auch wenn Bayer ep. 810 nicht anführt).Vgl. auch die vereinheitlichte Fassung des Bildes bei Philon von Alexandria, legum allegor. I, 23 (I, 80, 5 – 18 Cohn). Philon ist im Isidorkorpus ebenfalls rezipiert und wird wie Platon namentlich erwähnt (vgl. Bayer 1915, 80 – 82). Bei Philon erscheint z.T. dieselbe Terminologie wie bei Isidor (τὸ ἐπιθυμητικόν, τὸ θυμικόν, ἡνίοχος ὁ λογισμός). Von christlichen Autoren vor Isidor findet sich das Bild vom Seelenwagen mit der Vernunft als Lenker besonders prägnant bei Johannes Chrysostomus, vgl. z. B. hom. 17 in Eph. 5 (PG 62, 120, 52– 56: „Ταῦτα δὴ οὖν τὰ δύο τῆς ψυχῆς εἴδη ῥυθμίσαντες καὶ ὑποζεύξαντες τῷ λογισμῷ καθάπερ ἵππους εὐηνίους, τὴν τε ἐπιθυμίαν καὶ τὸν θυμὸν, οὕτως ἐπιστήσωμεν τὸν νοῦν ἡνίοχον, ἵνα καὶ τὸ βραβεῖον λάβωμεν τῆς ἄνω κλήσεως“).  Ex 28,30.  Vgl. jeweils die Einträge ἐνδιάθετος und προφορικός in LSJ und PGL.  S. unten S. 209 – 211.  Ep. 1198 (III, 398) (PG 78, 1036, D1 – 1037, A2). Die von Poussines in Anm. 17 angegebene Lesart aus V (διδασκάλῳ statt διδάσκοντι) klärt den Sinn: es geht um einen Lehrer, der sein Lehramt nicht ausübt.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

205

bedeutet, diese weiterzuvermitteln – das ist die Pflicht des Lehrers. Der Zinsertrag bedeutet die Umsetzung dieser Lehren ins Leben durch die Hörer – das ist deren Pflicht. Wer in diesem Sinn seine jeweilige Pflicht nicht tut, den erwartet genauso Strafe wie den schlechten Diener im Gleichnis.⁵¹⁵ Typisch für Isidors asketische Haltung ist schließlich sein Bezug des „Stürmerspruchs“ Mt 11,12 auf Menschen, die ihren Körper „beherrschen“⁵¹⁶ in ep. 1331: Die Siegespreise sind größer als jedes menschliche Verdienst und übersteigen bei weitem das für die Mühen geschuldete Entgelt – „die Leiden der gegenwärtigen Zeit“, sagt das „auserwählte Werkzeug“⁵¹⁷, „bedeuten nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“⁵¹⁸; sie verdrängen die Schwäche der Natur mit Gewalt von ihrem Platz. Deshalb heißt es auch: „Dem Himmelreich wird Gewalt angetan, und die Gewalttätigen reißen es an sich“⁵¹⁹. Welche Gewalttätigen? Diejenigen, die auf ihren eigenen Körper mit Fasten, Selbstbeherrschung, Keuschheit und jeder anderen Tugend Druck ausgeübt haben, ihn den Gesetzen des Geistes Gottes unterworfen haben⁵²⁰ und ihn leicht handhabbar und zu einem Bollwerk der Tugend gemacht haben.⁵²¹

 In einer engen, teilweise wörtlichen, aber etwas breiter ausgeführten Parallelstelle (Jud.VIII, 9 (PG 48, 942, 16 – 33)), von der Isidor hier möglicherweise inspiriert ist, betont Johannes Chrysostomus noch mehr die Pflicht zur Weitergabe des Gehörten als Form der Umsetzung ins Leben, statt es wie der schlechte Knecht das Geld bei sich zu behalten.  Vgl. zu diesem Motiv auch oben S. 186 zu ep. 80.  Apg 9,15 (gemeint ist Paulus).  Röm 8,18.  Mt 11,12.  Vgl. inhaltlich 1Kor 9,27.  Ep. 1331 (IV, 136) (SC 422, 374,1 – 376,12) „Τὰ ἔπαθλα μείζονα ὄντα πάσης ἀνθρωπίνης ἀξίας καὶ ἐκ πολλοῦ τοῦ περιόντος τὴν τοῖς πόνοις χρεωστουμένην ἀμοιβὴν ὑπερβαίνοντα – ‚Οὐκ ἄξια γὰρ τὰ παθήματα τοῦ νῦν καιροῦ πρὸς τὴν μέλλουσαν δόξαν ἀποκαλυφθῆναι εἰς ἡμᾶς‘, ἔφη τὸ σκεῦος τῆς ἐκλογῆς – τὴν ἀσθένειαν τῆς φύσεως ἐκβιάζεται. Διὸ καὶ ἐρρέθη· ‚Ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν βιάζεται, καὶ βιασταὶ ἁρπάζουσιν αὐτήν‘. Ποῖοι βιασταί; Οἱ τὸ οἰκεῖον σῶμα νηστείαις καὶ σωφροσύνῃ καὶ ἁγνείᾳ καὶ τῇ ἄλλῃ ἀρετῇ ἐκβιασάμενοι καὶ τοῖς τοῦ πνεύματος νόμοις ὑποτάξαντες καὶ εὐήνιον καὶ ὁρμητήριον ἀρετῆς ἀποφήναντες.“ Riedinger (Riedinger 1960, 172) führt den Brief zusammen mit einer Ps.-Caesarius- und einer Clemensstelle (str. V, 3, 16 (GCS 154, 336, 16 – 19); noch anders interpretiert Clemens in q.d.s. 21,3 (GCS 172, 173, 21– 26: Gott „bezwingen“ (indem man ihn nicht loslässt) und „das (ewige) Leben rauben“) als sein „frg. 3“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria. Die drei Texte sind nur insofern vergleichbar, als sie alle asketische Interpretationen des „Stürmerspruchs“ geben; die Details und konkreten Formulierungen unterscheiden sich aber; wörtliche Übereinstimmungen gibt es praktisch nicht. Riedinger gibt das selbst zu („PsC und Clemens kann hier nur eine schwache Parallele aus dem 4. Buche der Briefe IvP an die Seite gestellt werden. Alle drei Versionen zeigen aszetische Tendenz“), erhöht mit dieser Zusammenstellung dreier Texte aber dennoch die fragwürdige Zahl seiner sogenannten „Hypotyposen-Fragmente“.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Als implizit paränetisch können auch die Briefe angesehen werden, in denen Isidor Bibelstellen direkt auf das Endgericht und seine Konsequenzen – ewigen Lohn bzw. ewige Strafe – bezieht. Dies ist der Fall in epp. 65⁵²², 205⁵²³, 285⁵²⁴, 414⁵²⁵ und 416⁵²⁶. Brief 65 ist eine detailgenaue Umsetzung des eschatologischen Bildes vom Worfeln aus dem Mund Johannes des Täufers in Mt 3,12 auf das Jüngste Gericht. Brief 205 expliziert die ebenfalls schon im Matthäusevangelium selbst gegebene eschatologische Deutung des Gleichnisses vom Fischnetz (Mt 13,47– 50).⁵²⁷ Brief 285 nimmt Bezug auf Mt 24,41 („Zwei Frauen werden mahlen im Mühlhaus; die eine wird mitgenommen, die andere zurückgelassen“). Die Stelle steht schon im Matthäusevangelium in apokalyptischem Kontext. Isidor baut diesen Kontext weiter aus, indem er einem Einzelelement einen übertragenen Bezug gibt – das Mühlhaus ist diese Welt, in der nichts stillsteht, sondern alles beständigem Wandel unterworfen ist – und indem er eine Erklärung versucht, warum zwei, die das Gleiche tun, am Ende ein unterschiedliches Schicksal erleiden: Menschen verhalten sich mit unterschiedlichen Motiven moralisch gut, so Isidor. Die, die „zurückgelassen werden“, sind die, die sich gut verhalten haben, um ihre Tugend zur Schau zu stellen (eine leise Anspielung auf Mt 6,1– 6.16.18); die, die „mitgenommen werden“, waren durch den „künftigen Lohn“ motiviert.⁵²⁸ Der kurze Brief 414 bringt Ps 127,2 mit dem Endgericht in Verbindung; die „Frucht“, die jeder am Ende zu essen bekommt, ist die Frucht seiner Taten im

 Ep. 65 (I, 65) (PG 78, 226, A7-B10). Riedinger bietet teilweise wörtliche Entsprechungen bei Ps.-Caesarius und führt den Brief im Rahmen seines „Fragments 13“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 180).  Ep. 205 (I, 205) (PG 78, 313, A9-B4).  Ep. 285 (I, 285) (PG 78, 349, C1-D1).  Ep. 414 (I, 414) (PG 78, 412, D1– 7).  Hier geht es um den letzten Abschnitt von ep. 416 (I, 416) (PG 78, 413, C7– 13).  Die Briefe 65 und 205 liegen somit im Grenzbereich zwischen textnaher und übertragender Auslegung.  Riedinger führt den ersten Teil dieses Briefes als sein „frg. 10“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria. Aber den paränetischen zweiten Teil, der bei Ps.-Caesarius keine Entsprechung hat, zitiert er nicht, sondern tut ihn lapidar ab: „Der zweite Teil des Briefes Isidors ist lediglich eine monastisch-aszetische Anwendung des ersten Teils“ (Riedinger 1960, 179). Da er das Isidorkorpus als (mehr oder weniger) reines Florilegium sieht, interessiert er sich nicht für dessen inhaltliche Aspekte. Hingegen muss die Parallele zwischen Isidor und Ps.-Caesarius, von der Riedinger auf eine gemeinsame Quelle bei Clemens von Alexandria schließen will, im Bezug des Mühlhauses auf das diesseitige Leben m. E. nicht viel bedeuten, noch nicht einmal, dass Ps.-Caesarius von Isidor abhängt. So manche „klassische“ übertragende Auslegung einer Bibelstelle oder eines biblischen Erzählelements kann durchaus praktisch Allgemeingut gewesen sein.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Leben. Brief 416, der sich mit Spr 30,18 f. beschäftigt, kommt bei der Auslegung von Spr 30,19d auf die Auferstehung der Toten und das Endgericht zu sprechen.⁵²⁹

4.4.2 Glaubenslehre 4.4.2.1 Bezug auf Christus Eine klassische Form der übertragenden Bibelauslegung ist es, Stellen im Alten Testament auf Christus zu beziehen. Isidor reflektiert darüber in einigen Briefen auch theoretisch.⁵³⁰ Exegesepraktisch finden sich einfache Bezugnahmen auf Christus bei der Deutung alttestamentlicher Texte in 15 Briefen. Hinzu kommen acht Briefe, in denen Isidor speziell die kirchliche Christologie in biblischen Bildern und Motiven erkennt und die ich unten im Abschnitt 4.5.4 als eigene Kategorie behandle. Einige der Briefe, die Christusbezüge herstellen, nehmen für ihre Typologien biblische Ansätze auf. So beruhen die Themen der Briefe 114 und 154⁵³¹ auf der Jona-Jesus-Typologie von Mt 12,40 f. Ihr kommunikativer Fokus liegt allerdings auf der Klärung einer Sachfrage (Dauer der Grabesruhe des Herrn) bzw. auf der Paränese. Ep. 252 deutet den Vorhang im Jerusalemer Tempel als Zeichen des vor dem Kommen Christi verschlossenen endzeitlichen Heils und sein Zerreißen beim Tod Jesu als die Öffnung des Heilswegs für die Heiden: Dass der Weg zum Allerheiligsten im Tempel verborgen und durch einen Vorhang abgetrennt war⁵³², zeigte geheimnisvoll an, dass die Heiligung noch nicht gewährt war, weil diese dem Erscheinen unseres Herrn vorbehalten wurde, als er nämlich den Vorhang entzweiriss⁵³³, für die Heidenvölker den verschlossenen Bereich freilegte⁵³⁴, der für die Juden wegen

 Zu ep. 416 s. unten S. 213 f. Zu Gerichtsparänese und Eschatologie bei Isidor vgl. Évieux 1995, 344 f. Das Thema des Gerichts, das dem Individuum spätestens bei seinem Tod bevorsteht, ist insbesondere in den Briefen immer wieder präsent, in denen Isidor moralische Verfehlungen anprangert und zur Umkehr aufruft. Sehr deutlich sind z. B. die Briefe 436 (I, 436) (PG 78, 421, D1 – 424, A6) an den „Skandalpriester“ Zosimos oder 1508 f. (V, 220 f.) (SC 454, 176 – 182) an den Diakon Eutonios, ebenso wie Isidor ein Opfer des Eusebios und seines Umfelds (vgl. Évieux 1995, 224– 228).  Vgl. oben den Abschnitt 3.3.4.  Ep. 114 (I, 114) (PG 78, 257, C7 – 260, B12) und ep. 154 (I, 154) (PG 78, 285, B6-C9).  Vgl. Ex 26,31– 34.  Vgl. Mk 15,38 parr.  Vgl. Hebr 6,19 f.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

ihres Starrsinns verhüllt war, und uns einen Weg bahnte zu denen, die in der Höhe mit uns verwandt sind.⁵³⁵

Neben der bei Isidor häufigen antijüdischen Polemik fällt die Transposition des Passivs der Passionserzählungen (der Vorhang reißt) ins Aktiv (der Herr reißt den Vorhang entzwei) auf, was den freien Willen und die Souveränität Christi bei der Passion betont.⁵³⁶ In ep. 431 werden als Beispiele für angeborene rechte Gottesverehrung und Vorauswissen der zukünftigen Heilsereignisse Enosch, Henoch und Melchisedek angeführt; bei letzterem wird die typologische Entsprechung seiner Darreichung von Brot und Wein an Abraham mit der Eucharistie betont. Dass uns die rechte Gottesverehrung von Natur aus innewohnt und dass das Wissen um das, was zur Erfüllung nach langer Zeit aufbewahrt war, denen, die Gott gefielen, offenstand, soll dich Enosch lehren, der aus eigenem Studium Gott erkannte⁵³⁷, außerdem Henoch, der (Gott) nicht nur gefiel⁵³⁸, sondern auch zu einem besseren Leben überging und noch immer unter den Lebenden ist⁵³⁹, und Melchisedek, der mit Brot und Wein Priester war⁵⁴⁰, wodurch er das Vorausbild der göttlichen Geheimnisse anzeigte (δι᾿ ὧν τὸν τῶν θείων μυστηρίων προεσήμαινε τύπον).⁵⁴¹

Die letztere Typologie wandelt zwar die Argumentationslinie der neutestamentlichen Erwähnung Melchisedeks in Hebr 7 ab (dort spielen Brot und Wein keine Rolle), ist aber in der frühchristlichen Literatur relativ breit bezeugt.⁵⁴² Ep. 909 bringt die Gestalt des Hohepriesters in der Tora mit Christus in Verbindung, und zwar in der für „Typologien“ charakteristischen Figur von Über-

 Ep. 252 (I, 252) (PG 78, 336, A5 – 11). Mit der „Verwandtschaft oben“ (ἡ ἄνω συγγένεια) dürften die Engel gemeint sein. Vgl. dazu z. B. ep. 1405 (IV, 53) (SC 422, 486, 18 – 21): Bei Christi Kommen wurden „dem Himmel angemessene Lehren“ verkündet und eine Lebensweise, die „eher Engeln als Menschen passt und gefällt“ („πολιτεία ἀγγέλοις μᾶλλον ἢ ἀνθρώποις ἁρμόττουσα καὶ ἀρέσκουσα“).  Vgl. die Bilder von Christus als einem souveränen Athleten in den Briefen 95 (I, 95) (PG 78, 248, B12-C10), 666 (II, 166) (PG 78, 620, A7– B) und 785 (II, 285) (PG 78, 716 f.).  Vgl. Gen 4,26.  O V haben statt „μὴ μόνον“ „καὶ μόνος“, d. h. „der als einziger Gott gefiel“.  Vgl. Gen 5,24; Sir 44,16; 49,14.  Vgl. Gen 14,18.  Ep. 431 (I, 431) (PG 78, 420, D2 – 421, A4).  Vgl. vor Isidor und zeitgenössisch mit ihm u. a. Clem. str. IV, 25, 161, 3 (GCS 154, 319, 22 – 320, 2); Eus. d.e.V, 3, 18 f. (GCS 23, 222, 8 – 21); Epiph. haer. 55, 6, 3 f. (GCS 312, 331, 11– 18); Chrys. exp. in Ps. (PG 55, 276, 55 f.).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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einstimmung bzw. parallelen Strukturen (mimēsis in F. Youngs Terminologie⁵⁴³) und Überbietung. Isidor geht von dem Gesetz über die Amnestie nach unfreiwilliger Tötung in Num 35,28 aus und parallelisiert den alttestamentlichen Hohepriester mit Christus. Ich glaube, er [Mose] hat im Gesetz festgelegt, dass die Lebenszeit des Hohepriesters die Grenze der Verbannung eines Menschen sein soll, der getötet hat, ohne es zu wollen⁵⁴⁴, weil er damit Folgendes klar beweisen wollte: Wenn schon der unfreiwillige Tod des Hohepriesters die, die unfreiwillig getötet haben, ihrer Heimat zurückgibt, gewährt ihnen auch der freiwillige Tod des großen Hohepriesters⁵⁴⁵ Heimkehr, (der Tod), der von der Auferstehung ausgelöscht wurde⁵⁴⁶, und er lässt die unfreiwilligen⁵⁴⁷ Vergehen verschwinden, und er gibt alle, die ihm vertrauen, dem oberen Jerusalem zurück. „Das Jerusalem oben“, sagt der gottbegabte Paulus, „ist frei, und es ist unsere Mutter“⁵⁴⁸.⁵⁴⁹

Als Vorlage für diese Exegese kann wiederum der Hebräerbrief gelten, wo Christus erstmals in 2,17 als „Hohepriester“ eingeführt und in 4,14 wie im Isidorbrief auch als „großer Hohepriester“ (μέγας ἀρχιερεύς) bezeichnet wird, der die alttestamentlichen Hohepriester aus dem Stamm Levi überbietet (vgl. Hebr 7,11– 28). Was Isidor hier der im Hebräerbrief grundgelegten Text- und Motivbeziehung hinzufügt, ist die Querverbindung zum Amnestiegesetz im Buch Numeri. Sie ergibt einen weiteren Aspekt, in dem Christus die alttestamentlichen Hohepriester überbietet: Christus stirbt freiwillig, und dieser Tod erlöst Menschen, die – so ist man jedenfalls versucht zu konjizieren – absichtlich und bewusst gesündigt haben. Im Brief 1834, der von der für das christliche Leben richtigen Reihenfolge bei der Lektüre der Salomo zugeschriebenen biblischen Bücher handelt, tritt kurz der klassische Bezug des Bräutigams aus dem Hohelied auf Christus in Erscheinung.⁵⁵⁰ Ep. 1998 schließlich ist ein kunstvoller Brief mit Anklängen an die Bezüge auf die alttestamentliche Bundeslade in Röm und Hebr und an zahlreiche weitere Bibelstellen:

 Vgl. z. B. Young 1997 (1), 209 f.  Vgl. Num 35,28.  Vgl. Hebr 4,14.  Vgl. (inhaltlich) Jes 25,8; Hos 13,14; 1Kor 15,54 f.  Inhaltlich würde man erwarten: „die freiwillig begangenen Vergehen“. Billy übersetzt auch so: „voluntaria etiam crimina“. Die textkritischen Angaben von Rittershausen und Poussines und das Digitalisat des Ott. gr. 341 geben dafür aber keinen Anhaltspunkt.  Gal 4,26.  Ep. 909 (III, 109) (PG 78, 816, A4-B6).  Ep. 1834 (IV, 40) (SC 586, 194, 10 – 12).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Die Bundeslade und die Sühneplatte, die der Aufsatz der Lade war⁵⁵¹, also eine Art Deckel, gaben klare Hinweise auf einen Menschen, der die göttlichen Worte bewahrt und Gott als einen gnädigen (Gott) hat und von den göttlichen Mächten bewahrt wird (wie der Psalmist sagt: „In meinem Herzen barg ich deine Worte“⁵⁵²; aus demselben Grund sagte er auch: „Im Schutz deiner Flügel wirst du mich beschützen“⁵⁵³, das heißt der göttlichen Mächte; denn die Kerubim bedeckten mit ihren Flügeln auch die Bundeslade und die Sühneplatte), mit einem noch natürlicheren Bezug aber auf Christus, der das Gesetz erfüllt hat⁵⁵⁴ und der zur Sühne für unsere Sünden geworden ist⁵⁵⁵, weil er, indem er das Gesetz erfüllte, die Sünde der Welt sühnen sollte. Denn „Gott hat ihn hingestellt als Sühneplatte“, wie der Schatzmeister der Herrenworte⁵⁵⁶ sagt, „um in seinem Blut seine Gerechtigkeit zu zeigen“.⁵⁵⁷ Denn als Lösegeld⁵⁵⁸ hat er den Einziggeborenen zum Ausgleich [in die Welt] eingeführt⁵⁵⁹, damit die Gnade ihr Recht habe. Denn als er ein einziges Opfertier für alle erhalten hatte, das zudem den Wert aller anderen übertraf, beendete er die Feindschaft⁵⁶⁰, hob die Verurteilung auf ⁵⁶¹, führte uns in den Stand angenommener Söhne zurück⁵⁶² und schmückte uns mit unzähligen Gütern. Die Kerubim aber als Thron und Wagen Gottes („Der du auf den Kerubim thronst, erscheine“⁵⁶³) zeigten den an, für den der Tempel gebaut war, [und zeigten,] dass er nicht fassbar und nicht darstellbar ist; als Erkennungszeichen seiner Königsherrschaft waren sie aufgestellt. Denn weil ein Tempel keinen Sinn hat, den nicht ein Götterbild krönt, der Gebieter und Schöpfer des Alls aber jede [geschaffene] Natur und jedes menschliche Nachdenken transzendiert, bildeten sie durch den Thron die Herrschaft des Allkönigs ab. Das Manna aber und der Stab Aarons, der Triebe angesetzt hatte⁵⁶⁴, zeigen an, dass der, der die göttlichen Gebote bewahrt, göttliche Speise genießen wird und dass die, die die Gebote übertreten und die, die sich widerrechtlich auf das Priestertum stürzen, Zurechtweisung erfahren werden.⁵⁶⁵

Der Brief beginnt mit einer allgemeinen Deutung des Motivs der Bundeslade. Ihre wesentlichen Konstruktionselemente nach Ex 25,10 – 22; Ex 37,1– 9 und Hebr 9,1– 5 – der Kasten mit den Gesetzestafeln und sein Deckel, die Sühneplatte               

Vgl. Ex 25,10 – 22; 37,1– 9; Hebr 9,1– 5. Ps 118,11. Ps 16,8; vgl. Ps 90. Vgl. Mt 5,17. Vgl. 1Joh 2,2; 4,10. Vgl. inhaltlich 1Kor 4,1 (Paulus über sich selbst). Vgl. Röm 3,25. Vgl. Mk 10,45. Vgl. Hebr 1,6. Vgl. Eph 2,14. Vgl. inhaltlich Kol 2,14. Vgl. inhaltlich Gal 4,5. Ps 79,2. Hebr 9,4; vgl. Ex 16,33 f. und Num 17,16 – 26. Ep. 1998 (IV, 73) (SC 586, 398 – 402).

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mit den Kerubim – erhalten zunächst einen „offenen“ Bezug auf menschliche Eigenschaften – Halten der Gebote Gottes, Stehen in der Gnade Gottes, Schutz durch Gott. Die Auslegung wird durch zwei Psalmzitate untermauert – in motivisch verbundenen Querverweisen legt Isidor hier wie so oft die Schrift durch die Schrift aus. Dann erst wird präzisiert, dass Christus diese Eigenschaften par excellence erfüllt hat. Er hat nach Mt 5,17 das Gesetz erfüllt und ist nach Röm 3,25 „Sühneplatte“ (ἱλαστήριον) für unsere Sünden geworden, wobei Isidor die beiden theologischen Aussagen schließlich miteinander verknüpft und durch weitere biblische Bilder zur Soteriologie (Lösegeld, Opfertier, Ende der Feindschaft, Ende der Verurteilung, Annahme an Kindes Statt) ergänzt – theologische Verbindungen werden über die Grenzen biblischer Bücher hinweg hergestellt. Es folgt eine weitere Ausdeutung der Kerubim als „Platzhalter“ für den nicht darstellbaren Schöpfer und Allherrscher und eine Deutung von Manna und Aaronstab mit paränetischem Aussageziel. Das Kreuz Christi erkennt Isidor vorausgebildet in den verschränkten Armen Jakobs, der in Gen 48 seine Enkel segnet (ep. 362): Der Segen des Erzvaters, den er Josephs Söhnen betend gab, erfüllte sich nicht nur in jenen, sondern war auch Vorausbild für Größeres. Denn die Verschränkung der Arme⁵⁶⁶ machte das heilbringende Kreuz im Voraus bekannt, und die Bevorzugung des Schwächeren⁵⁶⁷ zeigte geheimnisvoll das neue Volk an und rief dabei fast durch das Verhalten:Wenn das Kreuz zum Segen erscheinen wird, wird das schwächere Volk groß gemacht und der, der sich selbst erniedrigt, erhöht werden.⁵⁶⁸

Dass Jakob Efraim, obwohl er der Jüngere ist, mit der rechten Hand segnet und dabei die Arme überkreuzt, deutet für Isidor auf die Verbindung der Erlösung durch das Kreuz mit der Erwählung der Heiden hin, die gegenüber Israel – dem ersterwählten Volk – „schwächer“ sind. Auch das im Buch Genesis folgende Kapitel 49 bespricht Isidor, und zwar in den Briefen 365 und 366⁵⁶⁹, die mit ep. 362 auch durch den gemeinsamen Adressaten Leonides verbunden sind. Hier geht es allerdings um eine Art „verhinderten Christusbezug“: Jakob sei beim Segnen seiner Söhne durch den Heili-

 Vgl. Gen 48,14.  Vgl. ebd.  Ep. 362 (I, 362) (PG 78, 388, B6-C5). Der letzte Halbsatz mit der Anspielung auf Mt 23,12; Lk 14,11; 18,14 fehlt in μ.  Ohne die Christologie zu erwähnen, spielt er auf das Kapitel im Rahmen einer anderen Fragestellung auch noch in ep. 548 (II, 48) (PG 78, 489, B-D) an.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

gen Geist⁵⁷⁰ aufgefordert worden, gegen seinen Vorsatz über Christus und die Inkarnation zu schweigen, die er prophetisch vorausgesehen habe⁵⁷¹ – denn seine Söhne seien moralisch für diesen Ausblick nicht gerüstet gewesen: Jakob hatte versprochen, die Zukunft vorauszusagen⁵⁷², und auch als er seinen Söhnen das Vergangene auslegte, blieb er nicht hinter dem Versprechen zurück, sondern er war vom Finger Gottes in seiner Wahrnehmung berührt worden, und ihm war [für die Hörer] nützliches Schweigen auferlegt worden. So hatte er zwar vor, zu ihnen über die im göttlichen Heilsplan vorgesehene Fleischwerdung zu sprechen, die von ihnen ausgehen sollte, ertrug es dann aber, seine Pläne zu vergessen und vertauschte das noch nicht Eingetretene mit dem Vergangenen. Denn er [Gott] sprach: „Du hast ein ausreichendes geistliches Fassungsvermögen für dieses so große Geheimnis, und deshalb wurde dir mit Recht auch das Wissen darum anvertraut; diese aber werden in ihrer Gottesverehrung ihrem Vater nicht ebenbürtig sein.“⁵⁷³ Und wenn du auch einen Schriftbeleg für das Geschriebene suchst: Jesaja, der deutlichste der Propheten⁵⁷⁴, hat Jakobs Dilemma ausgelegt und den Abbruch des Vorsatzes, den er erlitten hat, indem er das eine [sagen] wollte, aber anderes [zu sagen] aufgefordert wurde: „Jakob, sag nicht, und warum sagst du, Israel: Verborgen wurde mein Weg vor dem Herrn, und mein Gott nahm mir die Urteilskraft und entfernte sich von mir“⁵⁷⁵. Denn Gott, der ihn lieb gewonnen hatte, nahm Jakob nichts weg, außer das Versprechen, das er wie gesagt seinen Söhnen gegeben hatte, und zwar weil sie, wie Gott voraussah, aufhören würden, Gott zu ehren.⁵⁷⁶

 Den „Finger Gottes“, vgl. Lk 11,20 in Isidors Interpretation in ep. 60 (I, 60) (PG 78, 221, C8 – 13).  Dennoch stehen in Gen 49,9 – 12 im Segen über Juda Aussagen, die häufig messianischchristologisch interpretiert wurden – Juda ist nach dem Neuen Testament Stammvater Jesu (vgl. Mt 1,2 f.; Lk 3,33; Hebr 7,14). Isidor zitiert Gen 49,9 (den „Löwen“-Spruch) zweimal mit einer christologischen Referenz, nämlich in ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, A12– 14) und in ep. 1067 (III, 267) (PG 78, 948, B8 – 10 – das Zitat ist hier eingeleitet mit: „Höre, was der Erzvater über den Erlöser sagt“). Vor Isidor finden sich christologische Auslegungen zu Gen 49,9 – 12 etwa bei Eus. d.e. VIII, 1, 1 f.20 – 52 (GCS 23, 352, 1– 13 und 355, 19 – 361, 33; in 1, 2 (GCS 23, 352, 4– 8) wird allerdings in Bezug auf die drei erstgeborenen Söhne Jakobs – die drei, die Jakob in Gen 49 vor Juda anspricht – wie bei Isidor auf deren fehlende moralische Eignung dafür angespielt, Zukunftsprophezeiungen zu erhalten) oder ausführlich bei Chrys. hom. 67 in Gen. (PG 54, 574, 9 – 575, 17).  Gen 49,1.  Ep. 365 (I, 365) (PG 78, 389, B).  Jesaja ist hier Prophet, insofern er ein Ereignis der fernen Vergangenheit (Jakobs Segen für seine Söhne) deutet. Prophetie im antiken Verständnis ist nicht nur auf Zukünftiges bezogen. Guillet definiert sie sehr schön: „Essentiellement un phénomène miraculeux: la vision des événements du passé et de l’avenir, également impénétrables au regard humain“ (Guillet 1947, 276). Seine Definition bezieht sich auf die „antiochenische Schule“, lässt sich aber m. E. für die christliche Antike durchaus verallgemeinern.  Jes 40,27.  Ep. 366 (I, 366) (PG 78, 389, C).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

213

Auch hier untermauert ein Schriftzitat über Bücher- und Zeitengrenzen hinweg Isidors aus heutiger Sicht eigenwilligen Umgang mit dem Genesisabschnitt samt der dazugehörigen Inspirationsvorstellung. Da für Isidor hier aber der Heilige Geist als die eine Inspirationsquelle der prophetischen Figuren des Alten Testaments (und als der eine göttliche Autor der einen Heiligen Schrift) im Vordergrund ist, steht die Legitimität solcher Querverweise, die aus historisch-kritischer Sicht willkürlich erscheinen müssen, für ihn außer Frage – sie muss nicht einmal thematisiert werden. In den Briefen 365 und 366 nimmt Isidor ein Wissen Jakobs um die Inkarnation an, das sich bei ihm aber durch Gottes Eingreifen zu verdunkeln scheint, bevor Jakob seine Söhne segnet. Die Frage nach der Klarheit der Christusprophetie für den Propheten selbst⁵⁷⁷ wirft Isidor auch in ep. 415 auf, lässt sie dort für Salomo als Autor des Buches der Sprichwörter aber offen (womöglich wegen der Stelle Spr 30,18, auf die Isidor auch anspielt): Die Dinge, nach denen du gefragt hast, sind nicht ohne Doppeldeutigkeit, aber sie tragen auch eine äußerst tiefsinnige Bedeutung. Denn als die abgründige Erkenntnis Gottes den an Verstand überaus reichen Salomo belehrte, legte sie viele Ansatzpunkte [für die Erkenntnis] der Menschwerdung Gottes in ihn; ob er sich ihrer vielleicht nicht bewusst war, weiß ich nicht, für uns aber sind sie ganz und gar passend. Dazu gehören auch die vier Dinge, über die Salomo sich nicht im Klaren war, weil man sie nach seiner Aussage nicht verstehen könne⁵⁷⁸; du aber willst darüber belehrt werden, weil sie, wie du glaubst, leicht zu verstehen sind. Aber ich werde sie dir nicht sagen, weil du selbst imstande bist, es herauszufinden, wenn du die Mühe nicht scheust.⁵⁷⁹

Im 416. Brief, der an denselben Adressaten, den Lektor Timotheus⁵⁸⁰, gerichtet ist und der ep. 415 fortzusetzen scheint oder als weiteres Stück aus einem vor der Veröffentlichung längeren zusammenhängenden Brief stammte⁵⁸¹, wird die christologisch-soteriologische Exegese von Spr 30,19a-c dann doch durchgeführt. Auch du hast das Talent⁵⁸²; urteile nicht, weil du nach dem selben Maß beurteilt werden wirst!⁵⁸³ „Drei Dinge sind es, die ich nicht verstehen kann, und das vierte erkenne ich

 „Prophet“ ist hier in einem weiten Sinn zu verstehen, nicht beschränkt auf die angenommenen Autoren der von uns als „prophetisch“ bezeichneten Bücher des Alten Testaments.  Vgl. Spr 30,18.  Ep. 415 (I, 415) (PG 78, 413, A).  37 Isidorbriefe, darunter etliche mit exegetischer Thematik, sind an ihn gerichtet; aus ihnen ergibt sich ein kohärentes Bild seiner Person. Vgl. Évieux 1995, 230 – 233.  Vgl. Maisano 1980, 55 und Évieux 1995, 359, der weitere Beispiele für derartige „découpage“ von Briefen anführt.  Vgl. Mt 25,14– 30.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

nicht“⁵⁸⁴, sagte Salomo. „Die Spur des Adlers im Flug“⁵⁸⁵. Das ist die göttliche Natur des Sohnes, die für jedes menschliche Denken unerreichbar ist. „Und deine Spur wird nicht erkennbar sein“⁵⁸⁶, sagt der Heilige Geist in den Psalmen. Auch Mose sah ja ebendiesen Adler, wie er mit seinen Flügeln das Volk in der Wüste beschützte.⁵⁸⁷ „Und den Weg der Schlange auf dem Felsen“.⁵⁸⁸ Die krummen Wege der Schlange, die uns die Übertretung einflüsterte, das heißt die Sünden, fanden auf dem Felsen keinen Weg. Fels aber ist Christus⁵⁸⁹, der unverändert blieb, als er im Fleisch war: „Denn Sünde hat er nicht begangen, und es fand sich kein Betrug in seinem Mund“.⁵⁹⁰ „Die Wege des Schiffes, das das Meer durchfährt“⁵⁹¹. Als der göttliche Heilsplan wie ein Lastschiff den Abgrund des Todes durchquerte, hat er unser Geschlecht nach oben gerufen, sein Weg aber wurde in der Unterwelt des Todes nicht gefunden. „Und die Wege eines Mannes in der Jugend“⁵⁹². Unter Jugend versteht er hier die Auferstehung von den Toten, wenn Todverfallenheit in ihr Gegenteil umschlägt und die Natur zur Jugend der Unvergänglichkeit zurückgeführt wird. Jenen Zustand sollst du suchen. Von welcher Art werden wir bei der Auferstehung von den Toten sein? Der Herr deutete ihn an und sagte: „Die Gerechten werden zum ewigen Leben, die Sünder zur ewigen Strafe“⁵⁹³ gelangen.⁵⁹⁴

Wiederum stützen Querverweise auf andere biblische Bücher (Ps, Ex/Dtn, 1Kor, 1Petr) die Auslegung, deren Singularität bei gleichzeitigem Schöpfen aus der patristischen Tradition von R. Maisano herausgestellt wurde. Zwar dokumentiert Maisano Bedeutungsübertragungen für Spr 30,19 auch bei anderen Autoren als Isidor und zitiert das Patristic Greek Lexicon für Adler, Fels und Schiff als klassische Christusbilder, die Auslegung aller drei Elemente auf Christus in der spezifischen Kombination von Isidors ep. 416 finde sich aber nur bei ihm.⁵⁹⁵ Isidors Auslegung von Spr 30,19 ist ein gutes Beispiel für die (bei Isidor eher seltene) Lesestrategie, die F.Young „‚oracular‘ reading of scripture“⁵⁹⁶ nennt. Für derartige Bibelauslegung als Dekodieren von Rätseln und Zeichen eignet sich die Textgattung der Sprichwörter gut.  Vgl. Mt 7,1 f.  Spr 30,18.  Spr 30,19a.  Ps 76,20c.  Vgl. Ex 19,4; Dtn 32,11.  Spr 30,19b.  Vgl. 1Kor 10,4.  1Petr 2,22.  Spr 30,19c.  Spr 30,19d.  Mt 25,46.  Ep. 416 (I, 416) (PG 78, 413, B-C).  Maisano 1980, 57: „una posizione autonoma rispetto ad altri commentatori“, aber „collegamenti precisi con la tradizione patristica“.  Young 1997 (1), 205.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

215

Eine Erzählung, die im frühen Christentum als eine der klassischen „Theophanien“ des Alten Testaments überaus häufig auf Christus bezogen wurde, ist Gen 32,23 – 33, Jakobs Ringkampf am Fluss Jabbok. Isidor beschäftigt sich damit in ep. 453. Erscheinungen Gottes im Alten Testament wurden meistens als Erscheinungen der zweiten göttlichen Person gelesen.⁵⁹⁷ Isidor interessiert sich bei der Erzählung besonders dafür, dass Jakob den Namen des Mannes, der mit ihm ringt, nicht erfährt (Gen 32,30). Das ist für ihn ein Hinweis auf die Unerkennbarkeit und Unfassbarkeit des göttlichen Wesens.⁵⁹⁸ Gott hat in diesem Sinn erst in der Inkarnation einen Namen und ein Gesicht bekommen⁵⁹⁹: Die göttliche Natur kann mit keinem Namen benannt werden (ἡ μὲν θεία φύσις ἀκατονόμαστος). Jakob fragte trotzdem nach dem Namen dessen, der mit ihm rang und ihn lehrte, seine Leidenschaften zu beherrschen, indem er seinen Hüftmuskel berührte.⁶⁰⁰ Aber er hört, wie er sagt: „Wozu fragst du nach meinem Namen?“⁶⁰¹ und ihn belehrt, dass es nicht Sache [der Zeit] des Gesetzes ist und nicht Sache derer, die vor dem Gesetz gelebt haben, das zu erfahren; „spät in der Zeit, wenn die Fülle der Zeiten gekommen ist⁶⁰² und die Sünden der Menschen zahlreich geworden sind, werde ich, Mensch geworden, Jesus heißen, was übersetzt Retter bedeutet.⁶⁰³ Denn zur Rettung derer, die gesündigt haben, werde ich jenen Heilsplan erfüllen.“⁶⁰⁴

Dass Gottes Wesen für die Menschen an sich unerkennbar und unerreichbar ist, stellt Isidor in zahlreichen Briefen heraus. Deutlich ausgedrückt ist dieser Gedanke etwa in ep. 799: „Sein [Gottes] Wesen zu untersuchen, ist nicht notwendig und nicht menschenmöglich. Man muss wissen und glauben, dass Gott ist, aber

 Vgl. Young 2007, 37– 44, dort auch etliche Beispiele aus der griechischen und lateinischen Patristik.  Von Youngs Beispielen kommt dieser Kontextualisierung der Erzählung Gregor von Nazianz am nächsten (vgl. Young 2007, 43 f.; sie bezieht sich auf Gr. Naz. or. 28 und zitiert aus or. 28, 18 (das Zitat entspricht SC 250, 138, 22– 24)).  Der Gedanke, dass der Mann, der mit Jakob ringt, eine der Erscheinungen des Logos in der Zeit vor seiner Inkarnation ist, ist breit bezeugt, vgl. Young 2007 a. a.O. Fouskas 1970, 117, Nr. 12 zitiert von den zahlreichen Belegen dazu Clem. paed. I, 7, 60 (GCS 123, 123, 32 – 124, 1) (vgl. Young a. a.O. 38 f.), eine Stelle, die aber nicht als direkte oder gar wörtliche Vorlage für den Isidorbrief gelten kann.  Vgl. Gen 32,23 – 26.  Gen 32,30.  Vgl. Gal 4,4; Eph 1,10.  Vgl. Mt 1,21.  Ep. 453 (I, 453) (PG 78, 432, B2– 12).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

nicht neugierig nachforschen, was er ist“⁶⁰⁵. Ep. 799 endet mit einem Appell, sich stattdessen um die eigene Lebensführung zu kümmern. Ep. 639 legt die Frage von Ps 29,10 („Welcher Nutzen ist in meinem Blut, in meinem Hinabsteigen in den Untergang?“), aus ihrem Kontext gelöst, Christus in den Mund.⁶⁰⁶ Die Erlösungstat Christi, sein „Blut“ und sein „Hinabsteigen“ drohe ihre Wirksamkeit zu verlieren angesichts der Sünde und der Zerstrittenheit der Menschen, die dem eigentlich geschlagenen Teufel wieder Auftrieb geben. In ep. 1316 ist der Bezug auf das Christusereignis ganz in einen moralischen Appell eingebettet, der von Jes 26,9 f. LXX seinen Ausgang nimmt. Isidor bezieht den Satz „Die Zeit des Gottlosen ist vorbei“ („πέπαυται γὰρ ὁ ἀσεβής“ – Jes 26,10) auf das Ende der Macht des Teufels, das mit dem Christusereignis gekommen ist: Denen, die in der Öffentlichkeit große Reden im Mund führen und allem, was mit Gott zu tun hat, Ehre erweisen, im Verborgenen aber das Gegenteil tun, Philosophen in ihren Worten, aber nicht in ihren Taten, ruft Jesaja mit seiner lauten Stimme zu: „Lernt, Gutes zu tun“⁶⁰⁷. Nicht nur ihnen, sondern allen gibt er denselben Rat: „Lernt, Gerechtigkeit zu üben, ihr Bewohner der Erde; denn die Zeit des Gottlosen ist vorbei“⁶⁰⁸. Denn weil er mit den Augen eines Propheten das Erscheinen des Erlösers im Fleisch sah, das jede Ausdrucksmöglichkeit übersteigt und dem Menschengeschlecht unzählige und über jedes Wunder hinausgehende Güter verschafft, dem Gewaltherrscher aber seine Kraft genommen hat, rief er aus: „Lernt, Gerechtigkeit zu üben!“ Denn der Gewaltherrscher kann nicht mehr gegen jeden und jede angehen; alle sind in Sicherheit außer jenen, die sich freiwillig seiner Täuschung beugen und unterwerfen. Er kann noch täuschen, aber nicht zwingen.⁶⁰⁹

 Ep. 799 (II, 299) (PG 78, 728, A; das Zitat lautet im Original: „Ἡ δὲ περὶ τῆς οὐσίας αὐτοῦ βάσανος οὔτ᾿ ἀναγκαία οὔτ᾿ ἐφικτὴ ἀνθρώποις. Εἰδέναι γὰρ χρὴ καὶ πιστεύειν, ὅτι ἔστι Θεὸς, οὐ τὸ τί ἐστι πολυπραγμονεῖν“). Vgl. außerdem z. B. ep. 1014 (III, 214) (PG 78, 893, C1– 9); ep. 1032 (III, 232) (PG 78, 913, C1 f.); ep. 1556 (IV, 211) (SC 454, 246 – 248), eine Auslegung von Spr 25,2 („Δόξα Κυρίου κρύπτει λόγον“) und Hab 3,3c („Ἐκάλυψεν οὐρανοὺς ἡ ἀρετὴ αὐτοῦ“) im Sinne des anbetungswürdigen unerforschbaren Wesens Gottes; ep. 1676 (V, 339) (SC 454, 432; ebd. 1 f.: „πάντα τὰ ὀνόματα τὰ τῇ θείᾳ καὶ ἀκηράτῳ περιαπτόμενα φύσει ὑπερβαίνει τὰ μέτρα τῆς ἀνθρωπότητος“ – „alle Namen, mit denen die göttliche unvermischte Natur belegt wird, übersteigen menschliches Maß“); ep. 1186 (III, 386) (PG 78, 1028, D1– 6: Schon der Anblick eines Engels sei für Daniel (wohl nach Dan 8,15 – 18) ein παράδοξον gewesen – um wieviel mehr muss Gottes φύσις und das Verhältnis von Vater und Sohn ἄρρητος sein).  Ep. 639 (II, 139) (PG 78, 581, C – 584, B). Isidor folgt diesem Auslegungsweg mit der Referenz auf Christus mit anderen „πολλοὶ ἅγιοι“ (a. a.O. B2). Er sieht auch noch zwei andere Sinnebenen des Textes (Bezug auf David, „ἠθικώτερον“, und Bezug auf Adam, „φυσικώτερον“), zu denen er aber nichts ausführt.  Jes 1,17.  Jes 26,9 f.  Ep. 1316 (IV, 154) (SC 422, 354,1 – 356,16).

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

217

4.4.2.2 Bezug auf die Geschichte Gottes mit der Menschheit Paare von Gegenständen, Personen, Personengruppen oder Ereignissen, die als Vorausbilder (τύποι) und deren Entsprechung in der Zeit der Erfüllung interpretiert werden, verbinden für die antike Exegese nicht nur das Alte mit dem Neuen Testament, sondern auch die ganze biblische Geschichte mit der Gegenwart der Hörer oder Leser. Auch Isidor zieht auf diese Weise etliche Parallelen zwischen verschiedenen Stationen der Geschichte Gottes mit den Menschen und findet an verschiedenen Stellen der Bibel Vorausverweise auf die Anfänge der Kirche und auf die Kirche seiner Zeit. Knapp 30 Briefe können hier eingeordnet werden. In zwei Briefen (ep. 503 f.⁶¹⁰) werden Bibelstellen (Spr 9,2 bzw. 2Kor 4,7) auf die Gestalt der Schrift selbst, nämlich auf die Mischung von „göttlichen Lehren“ (θεῖα παιδεύματα) und „körperlicher“ Einkleidung derselben (λόγοι καὶ παραδείγματα σωματικοί) im einfachen sprachlichen Gewand bezogen. Isidor unterscheidet selbst drei Phasen der Geschichte Gottes mit der Menschheit, wie etwa aus ep. 359, ep. 586 und ep. 774⁶¹¹ hervorgeht: die Zeit vor der Gabe des Gesetzes an Israel, die Zeit des Gesetzes und die Zeit der Gnade. Gegenüber der Zeit des „geschriebenen Gesetzes“⁶¹², das insbesondere im Opferkult verkörpert war, hat das Kommen Christi eine radikale Veränderung gebracht. „Das fleischliche Gesetz ist erfüllt, nun soll das Gesetz des Geistes herrschen“⁶¹³ – so kennzeichnet Isidor die Zeitenwende, wohl in Anlehnung vor allem an Mt 5,17 und Röm 8,2– 4. Im Voraus kommt das für ihn zum Ausdruck in der Perikope von der Tempelreinigung, die er in ep. 106 bespricht. Im zweiten Teil des Briefes legt er Jesu Worte „Schafft das hier weg!“ (Joh 2,16) aus: Und der Ausspruch „Schafft das hier weg!“ meint soviel wie: Blutvergießen ist jetzt nicht mehr nötig; ich gewähre eine unblutige Vergebung der Sünden; von nun an will ich, dass der Geist allein Versöhnung stiftet. Das fleischliche Gesetz ist erfüllt, nun soll das Gesetz des Geistes herrschen und mit dem Werk der Erlösung beginnen.⁶¹⁴

 Ep. 503 (II, 3) (PG 78, 457, B1 – 460, A8) und ep. 504 (II, 4), 2. Teil (PG 78, 460, B13-C11).Vgl. zu den Briefen oben S. 49 f.  S. ep. 359 (I, 359) (PG 78, 385, D5 – 7: „ἐν τῷ νόμῳ“ vs. „ἐν τῇ χάριτι“), ep. 586 (II, 86) (PG 78, 529, C12– 14: „πρὸ νόμου, μετὰ νόμον, μετὰ τὴν χάριν“) und ep. 774 (II, 274) (PG 78, 708, B1 f.: „πρὸ νόμου“, „μετὰ νόμου“, „μετὰ νόμον καὶ χάριν“ (vgl. zum Text Billy/Chatard und zu Text und Inhalt Rittershausens Anmerkung – in der PG unter der Nr. 72)); vgl. auch ep. 1926 (V, 514) (SC 586, 312).  Vgl. ep. 131 (I, 131) (PG 78, 269, B11). Dieser Ausdruck (νόμος γραπτός) findet sich – in ähnlichen Kontexten – auch noch in ep. 356 (I, 356) (PG 78, 385, B4 f.); ep. 1260 (IV, 9) (SC 422, 258, 6); ep. 1405 (IV, 53) (SC 422, 486, 11).  Ep. 106 (I, 106) (PG 78, 253, D2 f.). Für den griechischen Text vgl. die folgende Anmerkung.  Ebd. (PG 78, 253, C10-D3): „Τὸ δὲ ‚Ἄρατε ταῦτα ἐντεῦθεν‘, οὐ χρεία λοιπὸν, φησὶ, τῶν αἱμάτων· ἀναίμακτον ἐγὼ χαρίζομαι πταισμάτων ἄφεσιν· ἐκ τοῦ δεῦρο πνεῦμα μόνον ἐξιλάσκεσθαι βούλομαι. Ὁ σαρκικὸς πεπλήρωται νόμος, ὁ τοῦ πνεύματος κρατείτω καὶ τῆς σωτηρίας ἀρχέτω“.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

„Erfüllung“ bedeutet dabei auch, dass das Gesetz, obwohl es oft nicht befolgt wurde, seine heilsgeschichtliche Aufgabe erfüllt hat. Zacharias und Maria, die großen Gestalten der lukanischen Vorgeschichte, sind seine letzten und vornehmsten Repräsentanten (ep. 131): Das Verstummen des Zacharias⁶¹⁵ geschah nicht durch den Schock, wie du, Scharfsinnigster, glaubst. Denn als Priester war er Theophanien und Erscheinungen von Engeln gewohnt⁶¹⁶ – er versah den Dienst an den heiligen Einrichtungen ja in Reinheit.⁶¹⁷ Hingegen sollte durch das Vorausbild seines Schweigens das Schweigen des Gesetzes angezeigt⁶¹⁸ werden.⁶¹⁹ Dass aber aus Schweigen, Unfruchtbarkeit und Greisenalter die Stimme hervorging⁶²⁰, das zeigt meiner Meinung nach an, dass aus dem durch den Ungehorsam derer, die es empfangen hatten, alt, greisenhaft und unfruchtbar gewordenen geschriebenen Gesetz die Vorhersagen über Christus hervorgingen und dass auch seine Mutter aus dem Gesetz stammte.⁶²¹

Isidor ist von dem Gedanken an eine ideale Anfangszeit der Kirche fasziniert. Er stellt diese seiner eigenen Zeit entgegen, in der er viele Verfallserscheinungen erkennt.⁶²² Ein wesentlicher Zug in seinem Bild von der Frühzeit sind die geringen Mittel, die doch wegen der Wahrheit der Verkündigung und der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu einem überwältigenden Missionserfolg geführt hätten. Eine der Auslegungen, die Isidor für Jesu Gleichnis vom Senfkorn gibt, ist davon geprägt. Sie findet sich in drei Briefen: 199 (dort als eine von vier Deutungslinien), 698 und 1897:

Vgl. zum „Ende der Opfer“, die durch „Gottesverehrung im Geist“ (λατρεία ἐν πνεύματι) abgelöst werden, auch ep. 273 (I, 273) (PG 78, 344, C1– 3). Vgl. zur Auslegungsgeschichte der Tempelaktion Jesu in der Antike und im 19. und 20. Jahrhundert die Monographie von C. Metzdorf (Metzdorf 2003), die außerdem mit ausführlichen hermeneutischen Überlegungen schließt. Isidor wird allerdings nicht besprochen. Sein exegetisches Anliegen in ep. 106 überschneidet sich nach Metzdorfs Darstellung am meisten mit dem Cyrills von Alexandria (vgl. a. a.O. 98).  Vgl. Lk 1,20.22.  Billy / Chatard in mg.: συνεχείᾳ statt συνηθείᾳ.  Vgl. Lk 1,6. Zacharias lebte genau nach dem Gesetz!  μ und Billy / Chatard in mg.: ἐπληροῦτο statt ἐδηλοῦτο.  Isidor bietet seine übertragende Deutung auf die Zeitenwende in der Geschichte Gottes mit den Menschen, ohne die Begründung für das Verstummen zu erwähnen, die im Lukastext selbst gegeben wird (Gabriel erklärt das Verstummen in Lk 1,20 als Konsequenz des Unglaubens des Zacharias). Möglicherweise wäre aber auch diese Begründung auf der Ebene von Isidors Deutung lesbar, wenn man diesen Unglauben mit dem „Ungehorsam derer, die das Gesetz empfangen hatten“, in Verbindung bringt.  Vgl. Lk 1,64.  Ep. 131 (I, 131) (PG 78, 269, B3-C1). Eine enge Parallele findet sich bei Ps.-Caesarius, weswegen Riedinger den Brief als Teil seines „Fragments 4“ der Hypotyposen des Clemens von Alexandria führt (Riedinger 1960, 173 f.).  Vgl. Évieux 1995, 199 f., dort zahlreiche Belege.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

219

Mit einem Senfkorn vergleicht der Herr das Himmelreich⁶²³ […], weil die Herde in den Anfangszeiten des Evangeliums so klein war⁶²⁴ […]⁶²⁵ Weiser Mann, das vollkommen göttliche Wort des Vaters nennt auch seine göttliche Verkündigung Königsherrschaft, insofern sie ja das Himmelreich mit sich bringt (τὸ θεῖον ἑαυτοῦ κήρυγμα βασιλείαν καλεῖ, ὡς ὠδῖνον τὴν τῶν οὐρανῶν βασιλείαν). Denn „das Himmelreich ist einem Senfkorn ähnlich. […] Es ist kleiner als alle anderen Samenkörner; wenn es aber hochgewachsen ist“, wird es „größer als die Kräuter“⁶²⁶. Was es (das göttliche Wort) sagt, bedeutet in etwa Folgendes: Aus einem kleinen Ursprung – denn schlicht ist die sprachliche Gestalt (dieser Verkündigung) – wird es so groß werden, dass es die ganze Weisheit der Griechen in den Schatten stellt. So ist es dann ja auch gekommen. Denn obwohl der Irrtum sich in gepflegtem Attisch ausdrückte und eindrucksvoll argumentierte, hat er der Wahrheit mit ihrem ungelenken Auftreten Platz gemacht.⁶²⁷ Sprachliche Ausdruckskraft vermittelt den Inhalt der Rede in einer klareren Darstellung und stellt sozusagen das Verborgene vor Augen; durch ihr Zutun werden auch die Hörer wie unter dem Eindruck von Leierspiel gelenkt, und zwar insbesondere dann, wenn es nicht um Gewohntes oder längst Breitgetretenes geht, sondern um Dinge, die der Menge unbekannt sind, bei denen die Expertise der Redner klar und der Wissensdurst der Hörer offensichtlich ist; denn das nicht schon sehr Bekannte ist attraktiv. Das habe ich gesagt, weil du ja die Frage angemeldet hast, was der Vergleich des Himmelreichs mit einem „Senfkorn“⁶²⁸ bedeutet. Unscheinbar ist nämlich das Wort der göttlichen Verkündigung bei der Aussaat, und, verglichen mit allen jemals von denen, die als weise galten, vorgebrachten Meinungen, geschieht seine Verkündigung in der unscheinbarsten sprachlichen Gestalt, nicht nur aufgrund der Kürze des Ausdrucks, sondern auch aufgrund der unprofessionellen Sprache. Wenn es aber gepflegt wird, wächst es und breitet sich aus und man stellt fest, dass es alle jemals früher bewunderten Argumentationen überragt, weil es ja die Wahrheit enthält und nicht die Lüge verziert. Und es gibt nichts Größeres als die Wahrheit.⁶²⁹ Deshalb sagen auch die, die sich mit dem Wort „Philosophie“ schmücken, ihren eigenen Meinungen kräftig Lebewohl, sie streben dabei nach dem Schatten, den Gott bietet⁶³⁰, und sie flüchten sich zu ihm. Ja, wie viele Pythagoreer, die zuvor als Lehrer von Dünkel und Hochmut auftraten, sind nun doch Schüler des Wortes geworden? Wie viele Platoniker haben

 Mt 13,31 parr.  Vgl. Lk 12,32.  Ep. 199 (I, 199) (PG 78, 309, C5 f.). Riedinger belegt eine Parallele bei Ps.-Caesarius und integriert die Passage in sein „frg. 1“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 170).  Mt 13,31.  Ep. 698 (II, 198) (PG 78, 644, B1– 11).  Mt 13,31.  Allein dieser letzte kurze, ziemlich unoriginelle Satz firmiert bei Früchtel 1938, 767 (aufgenommen bei Fouskas 1970, 118, Nr. 50 mit falscher Stellenangabe str. „VII, 15“, richtig wäre VII, 16 (GCS 172, 74, 13)) als Entlehnung Isidors aus Clemens von Alexandria. Ein gutes Beispiel für eine „Parallele“, die sicher zu schwach ist, um auf Dingen dieser Art Verdikte über Isidor als „Kompilator“ und „Exzerptor“ aufzubauen!  Vgl. Mk 4,32.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

doch ihren Stolz auf ihre Kunst, schön zu reden, verworfen und sich in seinem Schatten niedergelassen? Wie viele Aristoteliker und Stoiker haben doch der Weisheit, auf die sie sich etwas einbildeten, die Ehre entzogen und sich damit begnügt, sich unter die gehorsamen Hörer zu stellen?⁶³¹

In ep. 183 spiegelt sich die apostolische Zeit in einer Psalmstelle; Isidor setzt die glücklich geretteten Seeleute von Ps 106,23 mit den Aposteln, den Fischern und Menschenfischern, in Bezug. Dabei wird dann auch das Bildelement der Seefahrt übertragend gedeutet; das sich von Natur aus stetig verändernde Meer wird mit der Unruhe des menschlichen Lebens in Verbindung gebracht; wie Jesus auf dem See für Stille (Mk 4,39: γαλήνη μεγάλη) gesorgt hat, so verschaffen die Apostel mit der Verkündigung seiner Botschaft der Menschheit Frieden (γαληνεύσαντες τὴν ἀνωμαλίαν), worin auch ein Moment der Überbietung der Psalmstelle liegt – die Seeleute dort haben, so wie die Apostel zu Jesu Lebzeiten, die Meeresstille als unerwartetes Gottesgeschenk ganz ohne ihr Zutun erhalten: Die, „die mit Schiffen das Meer befahren und auf großen Wassern ihre Arbeit verrichten“⁶³², sind die Gott vermittelnden Apostel des Herrn. Sie sind das sowohl von ihrem früheren Beruf her als auch von ihrer Tätigkeit, in dieser Weltzeit Menschen zu fangen.⁶³³ Denn weil die menschlichen Verhältnisse wie der Seegang einmal aufschäumen und sich dann wieder beruhigen, nennen die göttlichen Sprüche deren Unbeständigkeit mit Recht „Meer“. Die aber, die dieses Meer zur Ruhe gebracht haben⁶³⁴, von denen wird gesagt, dass sie auf großen Wassern ihre Arbeit verrichtet haben.⁶³⁵

Brief 417 schließt an die oben⁶³⁶ besprochenen Briefe 415 und 416 an, indem er die übertragende Auslegung von Spr 30,19 mit Spr 30,20 fortsetzt: Sehr gut passt zu dem soeben Besprochenen auch das Übrige, das sich damit in der Darlegung sofort zu ganz enger Harmonie zusammenfügen wird: „So ist der Weg der ehebrecherischen Frau“, und es folgt: „die sich nach der Tat wäscht und sagt, sie habe nichts

 Ep. 1897 (IV, 76) (SC 586, 282– 284).  Ps 106, 23.  Vgl. Mk 1,16 f. par. und besonders Lk 5,10: „ἀπὸ τοῦ νῦν ἀνθρώπους ἔσῃ ζωγρῶν“.  Vgl. Mk 4,39 parr.  Ep. 183 (I, 183) (PG 78, 301, B4– 13): „Οἱ καταβαίνοντες εἰς θάλασσαν ἐν πλοίοις ποιοῦντες ἐργασίαν ἐν ὕδασι πολλοῖς οἱ τοῦ Κυρίου τυγχάνουσι θεοφόροι ἀπόστολοι καὶ ἐκ τοῦ προτέρου τοῦτο ὄντες ἐπιτηδεύματος καὶ ἐκ τῆς ἐν τῷ βίῳ ζωγρευτικῆς ἐργασίας. Ἐπειδὴ γὰρ ὡς κυμάτων ἐπανάστασις φλεγμαίνει καὶ κατευνάζεται τῶν ἀνθρώπων τὰ πράγματα, εἰκότως θάλασσαν τὴν τούτων ἀνωμαλίαν οἱ θεῖοι καλοῦσι χρησμοί. Οἱ δὲ ταύτην γαληνεύσαντες ἐν ὕδασι πολλοῖς πεποιῆσθαι τὴν ἐργασίαν ἐρρήθησαν.“  Vgl. S. 213 f.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Ungehöriges getan“⁶³⁷. So gut wie unerkennbar, sagt (die Schrift), ist das oben Erwähnte⁶³⁸, das eine so, als ob es gar nicht geschehen wäre⁶³⁹, das andere, insofern nur Gott es erkennt⁶⁴⁰; so wird es auch mit den Sünden des Neuen Volkes sein, wenn sie im Bad der Taufe abgewaschen werden. Genau das nennt sie (die Schrift) völliges Abwaschen der Falten und Entfernung jener Flecken⁶⁴¹; wenn die Kirche Christi das im Glauben empfängt, ist sie überzeugt, dass sie nichts Ungehöriges getan hat, weil sie sich durch das Bad Vergessen des Früheren erworben hat. Dass aber der Herr jede untreue und seinen Geboten entgegengesetzte Gesinnung ehebrecherisch nennt, wirst du an vielen Stellen in den heiligen Schriften finden, wie etwa: „Sie trieben Ehebruch mit Holz und Stein“⁶⁴² und „Eine böse und ehebrecherische Generation fordert ein Zeichen“⁶⁴³.⁶⁴⁴

Neben dem bekannten Verfahren der Erklärung der Schrift durch die Schrift (Querverweise belegen die Deutung des Elements „Ehebruch“ auf Abwendung von Gott und Sünde überhaupt) fällt hier vor allem die Art auf, wie Spr 30,20 an den vorhergehenden und zuvor ausgelegten Vers 19 angebunden wird. Das tertium comparationis zwischen Bildebene und Isidors Sachebene in Spr 30,19 war, dass etwas geheimnisvoll ist, weil Spuren nicht (mehr) sichtbar sind bzw. (für Spr 30,19d) etwas nur Gott bekannt ist. Diese beiden Vergleichspunkte überträgt Isidor nun auf den Spruch von der Ehebrecherin und kommt so zu seiner Deutung der Stelle auf die Kirche und die Taufe: Nach der Taufe sind die Spuren, die die Sünden der Getauften bei ihnen hinterlassen haben, nicht mehr sichtbar und nur noch Gott bekannt. In einigen Briefen bezieht sich Isidor besonders auf bestimmte Gruppen oder Stände in der Kirche. So wird in ep. 50 Jeremias Vision vom Mandelzweig (Jer 1,11) jenseits der Deutung, die ihr in Jer 1,12 beigefügt ist, als Gleichnis für das Priestertum (auch) der Gegenwart Isidors, das heißt des Neuen Bundes, gelesen. Dass die Vision gerade an Jeremia ergangen ist, „der unter den Propheten besonders viele Gefahren ausgestanden hat“ („ὁ τῶν προφητῶν πολυκίνδυνος“) und – das schwingt sicher mit – nach Jer 1,1 selbst aus einer Priesterfamilie stammte, passt

 Spr 30,20.  Vgl. LSJ s.v. προφαίνω I.2. Isidor nimmt Bezug auf den Inhalt von ep. 416. Man kann hier eine Zerteilung eines längeren Briefs in mehrere Nummern im Zuge der ersten Veröffentlichung annehmen. Vgl. Évieux 1995, 359 mit weiteren Beispielen.  Vgl. Spr 30,19a-c.  Vgl. Spr 30,19d.  Vgl. Eph 5,27.  Jer 3,9.  Mt 12,39.  Ep. 417 (I, 417) (PG 78, 413, D1 – 416, A14).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

für Isidor gut dazu, dass sie das äußerlich Harte und Beschwerliche am Priestertum zusammen mit seiner Verheißung illustriert: Jeremia, der unter den Propheten besonders viele Gefahren ausgestanden hat, sah einen Mandelzweig als Zusammenfassung dessen, was das Priestertum ausmacht. Was man nämlich äußerlich an ihm wahrnehmen kann, seine Präliminarien sozusagen, ist streng und hart und hat etwas Schneidendes; was aber darin verborgen ist und weiter innen liegt, ist sicher und fest und kann Kraft verleihen. Man muss also das Mühsame am Priestertum mit großer Bereitschaft tragen und den Gewinn, den es verspricht, mit Freude erwarten.⁶⁴⁵

Der erste Teil des bereits weiter oben⁶⁴⁶ angesprochenen Briefes 106 liefert hierzu einen Kontrast: die Taubenhändler, die Jesus aus dem Tempel treibt, werden auf Priester bezogen, die sich der Simonie schuldig machen. Tertium comparationis ist die Verbindung der Taube mit dem Heiligen Geist. Dass die Taube bei der Tempelaustreibung und bei der Taufe Jesu eine Rolle spielt, scheint Isidor dabei sogar als eine Art von göttlicher Ironie des Heiligen Geistes gegenüber den Simonisten zu sehen: „Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!“⁶⁴⁷, sagte der Herr zu den Taubenhändlern und deutete damit verborgen die Priester an, die die Gaben des Heiligen Geistes verkaufen; denn in Gestalt einer Taube erschien der göttliche Geist⁶⁴⁸ und verspottete so die, die mit göttlichen Dingen Handel treiben.⁶⁴⁹

Ep. 612 an den Diakon Eutonios verbindet Mt 6,22 f. (das Auge als das Licht des Leibes) mit dem Deutungsrahmen des Bildes von 1Kor 12 (der Leib und die Glieder). Als das Auge „im Leib der Kirche“ sieht Isidor den „Lehrer“ (διδάσκαλος): Weil das Auge den ganzen Körper steuert, das Gesicht hell und schön macht und Licht für alle Körperteile ist, deshalb hat es seinen Platz wie an einem königlichen Ort; es hat den oberen Platz erhalten und hat den Vorsitz gegenüber den anderen Sinnen. Ja, den Platz, den die Sonne in der bewohnten Welt einnimmt, den hat das Auge im Körper. Und wenn, sagen wir einmal⁶⁵⁰, die Sonne erlöschen sollte, würde das alles zerrütten; ebenso sind auch, wenn

 Ep. 50 (I, 50) (PG 78, 213, A6-B2).  S. 217.  Joh 2,16.  Vgl. Mt 3,16 parr.  Ep. 106 (I, 106) (PG 78, 253, C5 – 10): „‚Μὴ ποιεῖτε τὸν οἶκον τοῦ Πατρός μου οἶκον ἐμπορίου‘, τοῖς τὰς περιστερὰς πωλοῦσιν ὁ Κύριος εἶπε, τοὺς ἱερεῖς αἰνισσόμενος τὰς τοῦ ἁγίου Πνεύματος ἀπεμπωλοῦντας δωρεάς· ἐπειδὴ ἐν εἴδει περιστερᾶς τὸ θεῖον ἐπεφάνη Πνεῦμα τοὺς θεοκαπήλους προπηλακίζον.“ Die Übertragung der Stelle auf Simonie in der Gegenwart des Auslegers findet sich schon bei Origenes. Vgl. dazu Metzdorf 2003, 63.  Vgl. LSJ s.v. λόγος VI.1.c.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

223

das Auge ausgelöscht werden sollte, die Füße und Hände und nahezu der ganze Körper unbrauchbar. Weswegen habe ich das gesagt? Weil auch der Lehrer Auge des Leibes der Kirche ist. Wenn nun dieser Licht ausstrahlt, das heißt im Licht der Tugenden glänzt, wird der ganze Körper hell sein, von jenem gelenkt und der angemessenen Fürsorge gewürdigt; wenn er aber dunkel ist, das heißt das tut, was der Finsternis angemessen ist, verdunkelt sich nahezu der ganze Körper.⁶⁵¹ Denn wenn es (dann) auch einige in der Reihe der Körperteile geben sollte, die gesund sind und ihre Aufgabe erfüllen und keinerlei Schaden nehmen durch die Verkommenheit des Lehrers, so sind sie doch an Kraft nicht ebenbürtig, weil ja der Schaden und die Schlechtigkeit an den entscheidenden Stellen sitzen, die anderen dazu anspornen, es dem Lehrer gleichzutun, die Gesunden verleumden und auf alle mögliche Weise darauf hinarbeiten, auch sie in die Krankheit zu stürzen. Deswegen ist gesagt: „Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß wird dann erst die Finsternis sein?“⁶⁵² Es ist wie, wenn einer einer Kirche, die einen Lehrer hat, der in ihn mit Gewalt beherrschenden Begierden gefangen ist, sagt: „Wenn der, der eigentlich Nutzen und Licht bringen sollte, das Licht nicht einmal an sich selbst heranlässt, sondern die, die es sich zum Vorsatz gemacht haben, anderen zu nützen, verbannt, was wird es dann noch geben, was die, die ihm (d. h. seinem Lehramt) unterstehen, nicht tun?“⁶⁵³

 Vgl. Mt 6,22 f. par. in Verb. mit 1Kor 12,12.  Mt 6,23b.  Ep. 612 (II, 112) (PG 78, 552, D4 – 553, B13). Angesichts zweier schon in der PG notierter textkritischer Fragen biete ich hier den griechischen Text ab PG 78, 553, A14: „Εἰ γὰρ καὶ εἶέν τινες τῶν ἐν τάξει μελῶν ὑγιαίνοντες καὶ τὰ πρέποντα αὐτοῖς ἀνύοντες, καὶ μηδὲν ὑπὸ τῆς τοῦ διδασκάλου μοχθηρίας παραβλαπτόμενοι· ἀλλ᾿ οὐδὲν τοσοῦτον ἰσχύουσι, τῆς βλάβης τὰ καίρια νεμομένης καὶ τῆς κακίας καὶ τοὺς λοιποὺς εἰς τὸν τοῦ καθηγητοῦ ζῆλον ἐρεθιζούσης καὶ τοὺς ὑγιαίνοντας κακηγορούσης (nach Billy/Chatard und O; PG hat mit μ: κατηγορούσης) καὶ πάντα τρόπον ὅπως καὶ αὐτοὺς εἰς τὸ νοσεῖν ἐμβάλλοι πραγματευομένης. Διὰ τοῦτ᾿ εἴρηται· ‚Εἰ οὖν τὸ φῶς τὸ ἐν σοὶ σκότος ἐστὶ, τὸ σκότος πόσον;‘ Οἷον, ἐάν τις εἴποι Ἐκκλησίᾳ τυραννικαῖς ἐπιθυμίαις ἐχούσῃ ὑφηγητὴν ἑαλωκότα· Εἰ ὁ (Text nach Rittershausens Anmerkung; μ hat ὑφηγητὴν ἑαλωκότα, εἶτα; PG und O haben: ὑπηγητὴν· εἰ ὁ) ὠφελεῖν καὶ φωτίζειν ὀφείλων οὐδὲ φωτισθῆναι ἀνέχεται, ἀλλὰ καὶ τοὺς ὠφελεῖν προῃρημένους ἐξοστρακίζει· οἱ ὑπ᾿ αὐτοῦ τελοῦντες τί οὐκ ἂν δράσοιεν;“ Der erste Teil des Briefes wird von Kertsch (Kertsch 1988, 395 f.) einer Stelle aus Chrys. hom. 56 in Jo. (PG 59, 308) gegenübergestellt. Bei aller anachronistisch polemischen Sprache (Isidor sei „längst als Exzerptor großen Stils entlarvt“; er kopiere „geistige[s] Eigentum des Chrysostomus“ – a. a.O. 395) hält Kertsch doch fest, dass die „‚Nutzanwendung‘“ der Stelle bei Isidor und Chrysostomus verschieden sei (ebd. 396 – bei Isidor wird das Auge im Leib mit dem Lehrer in der Kirche parallelisiert, bei Chrysostomus werde „ein Beispiel für die Großartigkeit der Schöpfung“ gegeben „und damit“ der Schöpfer geehrt). Dies ist freilich auch bedingt durch die unterschiedlichen Kontexte und literarischen Genera – Paränese bei Isidor, (homiletische) Schriftauslegung bei Chrysostomus – der Kontext ist dort die Heilung des Blindgeborenen in Joh 9! Kertsch selbst räumt ein, „daß Enkomien dieser Art [so klassifiziert er den Abschnitt über das Auge; der kommunikative Kontext der Isidorstelle ist allerdings keinesfalls ein „panegyrischer“] durchwegs traditionelle oder konventionelle Züge tragen“ und führt etliche weitere Parallelen für

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Allgemein auf verschiedene Gruppen in der Kirche bezieht Isidor in ep. 1481 die Verse Hld 6,8 f. Ihm geht es dabei um das, was die Gläubigen jeweils zu einem christlichen Leben motiviert: Du fragst in deinem Brief, was die Worte „Sechzig Königinnen sind es“ und das Folgende⁶⁵⁴ bedeuten. Hör zu: Die untadelige und jungfräuliche Kirche, die das Göttliche betreffend den rechten Glauben hat, soll den ersten Rang haben; und sie soll „vollkommene Taube“ heißen, weil sie die Würde aller Stände übertrifft. Wenn man diese Stelle aber auch in Bezug auf das Handeln verstehen soll, soll auch Folgendes gesagt werden: „Sechzig Königinnen“ sind die Seelen, die um des Königreiches willen gut handeln, „achtzig Nebenfrauen“ die, die sich aus Furcht vor Strafe vom Bösen fernhalten, und „junge Frauen ohne Zahl“ die, die aus irgendwelchen weltlichen Gründen enthaltsam leben und die Gerechtigkeit verfolgen; sie handeln weder aus Sehnsucht nach dem Königreich noch aus Furcht vor dem Gericht moralisch gut, sondern damit sie Reichtum, Ansehen oder irgendeine Ehrung nicht verlieren. Es gibt eine einzige „vollkommene Taube“, nämlich die Gemeinschaft der ausgezeichneten Heiligen, die das Gute um des Guten selbst willen tut, die weder wegen eines Lohnes noch wegen einer Strafe noch aus irgendeinem weltlichen Grund, sondern weil es Gott gefällt, moralisch gut handeln; es ist klar, dass sie, weil sie Gott hat, auch alles hat, was zu ihm gehört. Jene werden vernehmen können: Ein Dank an das Königreich und an die Hölle, die dafür gesorgt haben, dass ihr den Sieg errungen habt! Diese aber (die „Taube“) wird nichts von der Art hören, sondern ganz und gar glücklich gepriesen werden.⁶⁵⁵

die Betonung der herausgehobenen Stellung des Auges im Körper aus Philon, Cicero und der christlichen Literatur an (a. a.O. 397).  Hld 6,8 f.  Ep. 1481 (IV, 5) (SC 454, 138 – 140). Übertragende Auslegungen dieser Hoheliedstelle auf Gruppen oder Grade unterschiedlicher Vollkommenheit in der Kirche finden sich auch bei mehreren anderen antiken Autoren. Vgl. dazu Maisano 1980, 61 f. und SC 454, 141, Anm. 3. Allerdings ist keine davon deckungsgleich mit derjenigen, die Isidor bietet. Die Vergleichsstelle aus den Psalmenhomilien des Basilius von Caesarea, die Fouskas 1970, 119, Nr. 81 angibt (entspr. PG 29, 408, C1– 6, vgl. auch SC 454 a. a.O.), bezieht sich nur kurz und ziemlich anders als Isidor auf die „eine Taube“. Maisanos Bemerkungen zu dieser Stelle – „Come è noto, il Cantico ha avuto straordinaria fortuna presso gli esegeti e soprattutto dal punto di vista allegoristico. Non appare quindi strano che su questo passo si siano accumulate interpretazioni di tutte le specie. Poiché alcune di queste interpretazioni, passando da un autore all’altro, si rivelano polivalenti, non è di grande utilità analizzarle tutte nella speranza di individuare i modelli di Isidoro“ (a. a.O. 62) – sind m. E. für viele Isidorbriefe einschlägig, bei denen sich keine klaren wörtlichen Parallelen bei einem früheren Autor identifizieren lassen. Es gibt ganz offensichtlich Exegesen, die „von einem Autor zum anderen wandern“, sich in der grundsätzlichen Referenz ähneln, aber in Details immer in die eine oder andere Richtung unterscheiden oder auch in verschiedenen argumentativen und kommunikativen Kontexten zum Einsatz kommen.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

225

In einem letzten Brief dieser Gruppe (ep. 136) ist zwar nicht der Bibeltext der Ausgangspunkt für Isidors Ausführungen, sondern die Eigenart bestimmter liturgischer Gewänder, die Diakon und Bischof tragen. Im Rahmen der Deutung dieser Gewänder wird jedoch auf zwei markante biblische Texte Bezug genommen; wegen seiner Originalität und der Parallelen zu anderen Briefen mit direkterem Schriftbezug soll der Brief hier auch erscheinen: So sehr wie du unersättlich bist zu lernen, so gerne bin ich bereit, Erklärungen zu geben, wenn nur Gott auf deine Bitten hin mir von oben Kraft gibt, sie zu finden. Das leinene Tuch (ἡ ὀθόνη), mit dem bekleidet die Diakone ihren Dienst in der Liturgie tun, erinnert an die Demut des Herrn, als er die Füße seiner Jünger wusch und abtrocknete.⁶⁵⁶ Das Omophorion [ein über der Schulter getragenes Abzeichen] des Bischofs dagegen ist aus Wolle, nicht aus Leinen, und bezeichnet das Fell des Schafes, das der Herr, als es sich verirrt hatte, gesucht und auf seine Schultern genommen hat.⁶⁵⁷ Denn der Bischof bildet Christus ab; er bringt sein Werk zur Vollendung und zeigt allen durch sein Erscheinungsbild, dass er den großen Guten Hirten nachahmt und sich zum Vorsatz gemacht hat, die Schwächen seiner Herde zu tragen (τὰς ἀσθενείας φέρειν τοῦ ποιμνίου). Gib genau acht: Wenn nämlich der wahre Hirte selbst gegenwärtig wird, indem die verehrungswürdigen Evangelien aufgeschlagen werden, steht der Bischof auf und legt das Gewand, mit dem er ihn nachahmt, ab; so zeigt er, dass der Herr selbst gegenwärtig ist, der Anführer des pastoralen Dienstes, der Gott und Herr.⁶⁵⁸

Dabei wird das Gleichnis vom verlorenen Schaf, auf das Isidor wegen des Stichworts „Schulter“ (Lk 15,5) in der Lukasfassung anspielt, ganz parallel zur Johannesperikope von der Fußwaschung verwendet, nämlich als Aussage über eine exemplarische Tat Christi. Gleichniserzählung und Lebenszeugnis Christi und die von den Klerikern geforderte Nachahmung⁶⁵⁹ verschmelzen in der Interpretation, was allerdings von den Erzählkontexten der verwendeten Bibelstellen her hier kein weiter Weg ist (vgl. Lk 15,1 f.; Joh 13,12– 17). Eine ähnliche, noch weitreichendere Transposition eines Elements einer Gleichniserzählung auf die Ebene des Handelns Christi zur bildhaften Veranschaulichung der Geschichte Gottes mit den Menschen findet sich in ep. 358⁶⁶⁰.

 Joh 13,15.  Lk 15,5.  Ep. 136 (I, 136) (PG 78, 272, C1-D5).  Interessant ist freilich, dass die Nachahmung des Guten Hirten durch den Bischof nicht, wie vom Gleichnis und seinem Kontext her eigentlich zu erwarten, dadurch charakterisiert wird, dass er den Sündern nachgeht und sie zu Gott zurückbringt, sondern dass er abstrakt die „Schwächen der Herde“ (er)trägt.  S. dazu unten S. 253 f.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Breiten Raum nimmt im Isidorkorpus die Polemik gegen Juden, Heiden und Häretiker ein.⁶⁶¹ Daher verwundert es nicht, dass Isidor auch bei der Auslegung einiger Bibelstellen direkte Bezüge zu diesen Gruppen herstellt, von denen er die Kirche abgrenzt. So verallgemeinert er in ep. 105 das Schimpfwort Johannes des Täufers gegen die „Pharisäer und Sadduzäer“ aus Mt 3,7 auf die Juden aller Zeiten in ihrer (un) heilsgeschichtlichen Situation. Ihr Widerspruch gegen Gott, dessen Geschichte Isidor mit einer Anspielung auf Dtn 32,18 aus der Geschichte abruft, ist für ihn in der Ablehnung Christi endgültig und unwiderruflich geworden. In ähnlicher Weise sieht Isidor in ep. 143 in den „Hunden“ von Mt 7,6 Juden und Häretiker verkörpert; ein Querverweis auf eine weitere (alttestamentliche) Bibelstelle über „Hunde“ und deren Zitat im Neuen Testament soll diese Deutung stützen: Schlangenbrut nannte Johannes [der Täufer] die Juden⁶⁶², weil sie für ihn von schlechten Eltern die noch schlechtere Frucht waren. Denn man sagt, dass dieses Tier bei der Geburt den Leib der Mutter auffrisst. Weil sie nun Gott, der sie hervorgebracht hat, verlassen⁶⁶³ und jegliche ihnen gegebene Gnade unwirksam gemacht und abgetötet haben, vergleicht er sie zu

 Vgl. zur antijüdischen Polemik z. B. ep. 1049 (III, 249) (PG 78, 928, C1 – 929, B8 (im Rahmen einer Auslegung von Dan 9,26 θ᾿): Für die Juden als Gemeinschaft ist nach der Kreuzigung Christi und dem Verlust ihres Königs- und Priestertums alles zu Ende, es gibt für sie keine Hoffnung mehr. Eine „viel bessere und göttlichere Religion“ (βελτίων πολλῷ καὶ θειοτέρα θρησκεία) hat ihre Nachfolge angetreten (a. a.O. B6 – 8)); ep. 1094 (III, 294) (PG 78, 968, B1 – 969, B1: Die Heilige Schrift und die Ereignisse der Geschichte bezeugen, dass die Juden im Unrecht sind und nie mehr aus der Diaspora zurückkehren können. Gott erhält sie nur noch am Leben zum Zeugnis ihrer Niederlage und damit sie den Sieg des Gekreuzigten mitansehen (a. a.O. B6 – 10)); ep. 1482 (V, 197) (SC 454, 144, 31 f.: ἡ Ἰουδαίων μικροπρέπεια – ἡ Χριστιανῶν μεγαλοπρέπεια). Das Heidentum ist laut Isidor im Sterben begriffen oder schon ausgestorben: vgl. ep. 270 (I, 270) (PG 78, 244, A1– 8); es bestand aus „erfundenen Geschichten“ (ψευδεῖς μῦθοι), das Christentum dagegen ist aus „himmlischen Lehren“ (οὐράνια δόγματα) zusammengefügt. Juden und Heiden repräsentieren zwei falsche Extreme in der Gottesverehrung: die einen einen radikalen Monotheismus – (ἡ ὡς ἐφ᾿ ἑνὸς προσώπου οὐχ ὑγιὴς ἔννοια) – ihnen folgt „Sabellius“ (ep. 643 (II, 143) (PG 78, 588, D2– 6)), die anderen den Polytheismus (ἡ πολυθεΐα) – ihnen folgen Arius und Eunomius (ebd. 588, D6-A3; bei dieser Positionierung der christlichen Gotteslehre kann Isidor aus Basilius von Caesarea und Gregor von Nyssa schöpfen, wobei er wie so oft variiert – z. B. in der Zuordnung der Häresien zu den falschen Extremen in der Gotteslehre – und reformuliert (vgl. Runia 1995, 140: „he draws on Basil, but goes his own way“)). Häretikerpolemik u. a. auf dieser Linie, aber auch auf dem Feld der Bibelauslegung im Kontext der Christologie, oder auch ein Häretikerkatalog ohne genaue Spezifikation der angegriffenen Inhalte (vgl. z. B. ep. 169 (I, 169) (PG 78, 293, B4-C3)) ergänzen das Bild.  Mt 3,7.  Dtn 32,18.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

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Recht mit jenen giftigen Tieren, die in ihrer Undankbarkeit die ihnen entgegengebrachten Wohltaten zunichte machen, um nicht zu sagen auffressen.⁶⁶⁴ Schön und mit Verstand achtest du auf die Lektüre der göttlichen Bildung; du schließt damit den Überdruss an jener nutzlosen und bitteren Lektüre für dich aus (ναυτιασμὸν ἀποκλεισάμενος⁶⁶⁵) und nimmst die Gebote Christi in einer Haltung der Liebe zu Gott bei dir auf. Gebt also das Heilige nicht den Hunden⁶⁶⁶, das heißt den Juden, die das göttliche Wort oft empfangen haben und wieder zu dem zurückkehren, was sie erbrochen haben⁶⁶⁷, oder den Häretikern (τοῖς ἐξ αἱρέσεων), die gegen das wahre Wort angehen und zu ihrer früheren Verdorbenheit⁶⁶⁸ zurückkehren.⁶⁶⁹

In ähnlicher Weise tauchen „Gottlose“ und „Häretiker“ in ep. 238 auf; auf sie wird dort der Ausdruck „Tore der Unterwelt“ aus Mt 16,18 bezogen: „Tore der Unterwelt“ nannte der göttliche Logos die Gegenschläge der Gottlosen und die Gotteslästerungen der Häretiker. Ihnen allen widersteht die Kirche Gottes; sie ringt die einen nieder und wird von den anderen nicht unterjocht.⁶⁷⁰

Drei Briefe beziehen Bibelstellen auf Christi Kommen zu Juden und Heiden, seine – wie Isidor es sieht – endgültige Ablehnung durch die Juden, woraus deren Verwerfung resultiert, und die Annahme von Heiden durch Gott. Es handelt sich um die Briefe 255 f. über die beiden mit Jesus gekreuzigten Verbrecher, die für Isidor das Verhalten der „beiden Völker“ – Juden und Heiden – gegenüber Gott abbilden, und 273 über Ps 68,31 und das „Ende der Opfer“: Die zwei Räuber⁶⁷¹ zeigten geheimnisvoll die beiden Völker an (τοὺς δύο ὑπέγραφον λαούς): der eine, indem er bis zum Ende seinen Trotz zur Schau stellte und auch von dem äußersten

 Ep. 105 (I, 105) (PG 78, 253, B4-C2). Auf die Auffassung, dass Schlangen bei der Geburt den Leib ihrer Mutter fressen, spielt Isidor auch in ep. 275 (I, 275) (PG 78, 345, A8 f.) und ep. 1061 (III, 261) (PG 78, 944, B1 f.) jeweils kurz an, ohne dort biblische Bezüge herzustellen. Eine Anspielung auf Mt 3,7 als Verurteilung „der Juden“ überhaupt findet sich auch in ep. 675 (II, 175) (PG 78, 625, D1 f.). Dieselbe Assoziation zur Stelle findet sich bei Johannes Chrysostomus, hom. 11 in Mt. 2 (PG 57, 194, 1– 5), ohne dass Chrysostomus die Anklage des Täufers auf „die Juden“ an sich ausweitet (vgl. seine Unterscheidung zwischen „dem Volk“ und den Pharisäern a. a.O. 193, 2 f. und 11 ff.)  Τext nach PG; μ: αἰτιασμὸν ἀποκλυσάμενος.  Vgl. Mt 7,6.  Vgl. Spr 26,11; 2Petr 2,22.  Griechisch „πρὸς τὴν προτέραν κακόνοιαν“: korrigiert nach Billy/Chatard 1585 und O; PG hat den sinnfreien Druckfehler κανόνοιαν.  Ep. 143 (I, 143) (PG 78, 277, D1 – 280, A8).  Ep. 238 (I, 238) (PG 78, 329, A8-B2).  Vgl. Lk 23,39 – 43; Wortwahl „λῃσταί“ aus Mt 27,38.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Gefangenenschicksal, das er von den Römern erlitt⁶⁷², nicht zugab, dass er ihm als Vergeltung für die Schmähungen gegen Christus unterlag; der andere, indem er im Angesicht seines Endes nicht an der Vergebung verzweifelte, sondern die Fülle seiner Übeltaten durch das Bekenntnis zu [Christus als] Gott⁶⁷³ wiedergutmachte.⁶⁷⁴ Dass der Herr es zugelassen hat, dass er zwischen den Räubern gekreuzigt wurde⁶⁷⁵, offenbarte sein freiwilliges Kommen zu den beiden Völkern. Er ist aus eigenem Antrieb zu ihnen gekommen und wollte beide in seiner Menschwerdung erneuern. Freilich hat das erste, wie der eine der beiden Räuber, das Angebot ausgeschlagen, indem es sagte: „Wir haben keinen König außer den Kaiser“⁶⁷⁶, und indem es das unschuldige Blut auf sein eigenes Haupt herabgerufen⁶⁷⁷ und sich des Mordes als einer gerechten Tat gerühmt hat, weswegen sie auch [wie der eine Räuber] als Kollektiv (κοινῶς⁶⁷⁸) aus dem Reich [Gottes] verbannt wurden.⁶⁷⁹ „Ich will im Loblied den Herrn erheben, und das wird ihm mehr gefallen als ein junger Stier“⁶⁸⁰, sang David und bezeichnete damit den Abfall der Juden und die Aufnahme der Heiden (τὴν Ἰουδαίων σημαίνων ἀπόπτωσιν καὶ τῶν ἐθνῶν τὴν οἰκείωσιν). Denn, so sagt er, weil das Volk, dem die Opfer anvertraut worden waren, [Gott] nicht anerkannt hat⁶⁸¹, und weil Gott an blutigen Opfern keine Freude hat, bringe ich ihm die Verehrung im Geiste (τὴν ἐν πνεύματι λατρείαν)⁶⁸² dar, die ihm viel angemessener sein wird als jene andere.⁶⁸³

Auf derselben Linie, allerdings ohne auf Nichtjuden Bezug zu nehmen, wird in ep. 291 Joh 18,10 ausgelegt: Wer mit Jesus lebt und eine Einstellung hat, die Jesus entspricht, kommt seinem Lehrer zu Hilfe, wenn dieser geschmäht wird. So hat es Petrus getan. Als die Juden an der Krankheit des Ungehorsams litten und auch auf das Gesetz nicht achteten, das sie doch lehrte, „auf alles“ zu hören, was Christus sagen würde⁶⁸⁴, hieb er das Ohr des Dieners ab, der dem Priester

 Isidor dürfte hier auf die Jüdischen Kriege, vor allem wohl auf die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels 70 n.Chr., anspielen. Vgl. insbesondere die ausführliche antijüdische Deutung dieser Ereignisse in ep. 1329 (IV, 74) (SC 422, 370 – 372) und ep. 1882 (IV, 17) (SC 586, 262– 264), wo Isidor auf der Grundlage von Hag 2,8 f. nachzuweisen versucht, dass es nie mehr einen Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels geben wird.  Vgl. PGL s.v. θεολογία E.  Ep. 255 (I, 255) (PG 78, 336, C4– 10).  Vgl. Lk 23,39 – 43; Wortwahl „λῃσταί“ aus Mt 27,38.  Joh 19,15.  Vgl. Mt 27,25.  Nach O V; PG hat κἀκεῖνος.  Ep. 256 (I, 256) (PG 78, 336, D1 – 337, A7).  Vgl. Ps 68,31 f.  Vgl. PGL s.v. ἀθετέω 3.  Vgl. Röm 12,1; 1Petr 2,5.  Ep. 273 (I, 273) (PG 78, 344, B6-C3).  Vgl. Dtn 18,15 f.18. Isidor setzt den Satz Dtn 18,15 f. anders fort als der Dtn-Text.

4.4 Übertragende Auslegung in ihren kommunikativen Kontexten

229

gehörte⁶⁸⁵, und machte auf diese Weise klar, dass der Priester ein Sklave des Ungehorsams gegenüber dem Gesetz war und das Schwert nötig hatte, damit sein Widerspruch abgeschnitten wurde⁶⁸⁶.⁶⁸⁷

Isidor verwendet die Stelle aus der Johannespassion zur Illustration der von ihm vorausgesetzten (un)heilsgeschichtlichen Tatsache des „Abfalls“ der Juden. Dies ist hier sein „dogmatischer“ kommunikativer Kontext. Die Neukontextualisierung bewirkt hier auch (ebenso wie an anderen Stellen) eine Lösung aus dem Erzählkontext der Bibel. Dass Jesus Petrus in Joh 18,11 kritisiert und in der Lukasparallele (Lk 22,51) das Ohr sogar wieder heilt, wird nicht reflektiert. Isidors Auslegung tendiert sogar dazu, mithilfe von Joh 18,10 Gewalt gegen Juden zu rechtfertigen oder gar zu einer Christenpflicht zu erklären (vgl. den Beginn des Briefes). Nichtjüdische barbarische Völker hingegen haben das Evangelium angenommen. Darauf bezieht Isidor in ep. 536 Jes 2,4: Du schreibst: „Was bedeutet der Satz: ‚Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden‘⁶⁸⁸?“. Ich glaube, besser gesagt, ich bin überzeugt, dass (damit) eindeutig der Umstand vorhergesagt ist, dass der Pflug des Friedens – ich meine die göttliche Verkündigung über Christus – die kriegliebenden Länder bezähmt; die Waffen, die im Dienst ihrer Schlechtigkeit stehen, werden in landwirtschaftliche Werkzeuge umgewandelt, die dem Leben nützen.⁶⁸⁹

Aber auch die Intellektuellen der Welt haben sich der christlichen Botschaft angeschlossen, die gegenüber ihrer Philosophie zunächst so unscheinbar, ja grobschlächtig, wirkte und doch die Welt erobert hat. Darauf werden am Ende von ep. 1116⁶⁹⁰ und in ep. 1897⁶⁹¹ die Stellen Dan 2,21 θ᾿ bzw. Mt 13,31 angewendet. Schließlich ist auch an dieser Stelle auf die beiden Briefe 169⁶⁹² und 925⁶⁹³ zu verweisen, die Jes 1,22 auslegen und auf häretische „Bibelverfälscher“ beziehen.

 Vgl. Joh 18,10.  Hier kann man wiederum eine Anspielung auf die Jüdischen Kriege und die vernichtenden Niederlagen gegen Rom sehen.  Ep. 291 (I, 291) (PG 78, 353, A3-B1).  Jes 2,4.  Ep. 536 (II, 36) (PG 78, 480, B4-C1). Ähnliches klingt in ep. 204 (I, 204) (PG 78, 312, D4 – 313, A8) an, wo Isidor das Gleichnis vom Fischnetz (Mt 13,47) auf die Kirche aus den Völkern bezieht, die von Gott anstelle der Juden angenommen wurden. Riedinger sieht eine Parallele zu Ps.Caesarius (Riedinger 1960, 176 f.), wörtliche Anklänge fehlen aber weitgehend.  PG 78, 981, A9 – 13.  Vollständig zitiert oben S. 219 f.  Ep. 169 (I, 169) (PG 78, 293, B4-C3).

230

4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Sie sind aufgrund weiterer charakteristischer Aspekte (Verkettung von Bildern in ep. 169, Aussagen zur Exegesetheorie in ep. 925) an anderer Stelle⁶⁹⁴ ausführlich besprochen. Stationen der Geschichte Gottes mit den Menschen werden außerdem noch in einer Briefgruppe verhandelt, die verschiedene Evangelientexte unter den Stichworten „Verweigerung“ / „Verleugnung“ / „Annahme“ miteinander verbindet. Es handelt sich um die Briefe 312 und 358 f. zu Perikopen, in denen ein Feigenbaum eine Rolle spielt und 356 f. über die Verleugnung Jesu durch Petrus und dessen Reue: Der Feigenbaum im Evangelium⁶⁹⁵ ist die Menschheit, der Weinbergbesitzer ist Gott der Vater, der Weingärtner ist der Sohn Gottes, der zu uns gekommen ist, um sich mit unserem Weinberg Mühe zu geben und ihn zu reinigen, nachdem vom Weinbergbesitzer der Auftrag ergangen war, den Weinberg kahlzuschlagen⁶⁹⁶, weil er unfruchtbar sei. „Lass den Feigenbaum dieses Jahr noch stehen“⁶⁹⁷, sagt er. Auch wenn sie sich durch Gesetz und Propheten nicht gebessert haben und keine Früchte der Umkehr hervorgebracht haben, werden sie vielleicht doch durch meine Lehren und Leiden bewässert⁶⁹⁸ und bringen vielleicht die Frucht des Gehorsams; wenn aber nicht, dann kannst du den Baum auch in Zukunft noch umhauen, indem du sie für die andere Zeit, die kein Ende haben wird, aus dem Erbteil deiner Gerechten herausschneidest.⁶⁹⁹ Dass die Menschen⁷⁰⁰ Gott dreimal die Anerkennung verweigert haben (ὅτι τριπλῆ γέγονε τῶν ἀνθρώπων ἡ ἀθέτησις), hat auch der Herr selbst klar gemacht, indem er sagte, er sei dreimal zu dem Feigenbaum gekommen und habe an ihm keine Frucht gefunden⁷⁰¹; den ganzen üblen Zustand des Baumes hat er in sich selbst geheilt, indem er erklärte, die Übertretung werde von nun an keine Frucht mehr hervorbringen.⁷⁰² Die erste Verweigerung der Anerkennung ist die Übertretung des Gebotes,von dem Holz in der Mitte des Paradieses nicht zu essen.⁷⁰³ Die zweite Gottwidrigkeit – im Herrschaftsbereich des Gesetzes – ist die Gesinnung der Hebräer gegenüber dem Kalb.⁷⁰⁴ Die dritte Gottlosigkeit – unter dem Einflussbereich der Gnade – ist die ablehnende Erklärung derer,

 Ep. 925 (III, 125) (PG 78, 825, C9 – 828, A3).  Vgl. die Seiten 92, 98 f. und 246 – 248.  Lk 13,6 – 9.  Zur Konstruktion vgl. LSJ s.v. ἐκκόπτω 2.  Lk 13,8.  ἀρδευθῶσι nach O V; PG hat ἀρδεσθῶσι.  Ep. 312 (I, 312) (PG 78, 364, A10-B11).  Isidor spricht von der ἀθέτησις τῶν ἀνθρώπων; die zweite und dritte „Verweigerung“ ist allerdings ausschließlich auf die Juden bezogen. Vgl. schon ep. 312, wo das Wort „Juden“ genauso wenig fällt, aber doch von „Gesetz und Propheten“ die Rede ist.  Vgl. Lk 13,6 – 9.  Vgl. Mt 21,19 par.  Vgl. Gen 2,17.  Vgl. Ex 32.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

231

die sagten „Wir haben keinen König außer den Kaiser“ und den Herrn der Herrlichkeit verleugneten.⁷⁰⁵⁷⁰⁶ Indem der Anführer der Apostel den Herrn dreimal verleugnete⁷⁰⁷, zeigte er untergründig die Sünde aller Menschen an, die ihrem Schöpfer dreimal die Anerkennung verweigert hatten (τὴν τῶν ἀνθρώπων πάντων ἁμαρτίαν ὑπέδειξε τρὶς ἀθετησάντων τὸν Κτίσαντα), nämlich als das erste Gebot gegeben wurde⁷⁰⁸, als das geschriebene Gesetz aufgestellt wurde, und in der Fleischwerdung des Wortes, unseres Gottes; diese (Sünde) heilte er dann jedoch durch die dreimalige Reue.⁷⁰⁹ So brachte er aus seinen Möglichkeiten auch ein der Wunde entsprechendes Heilmittel ein und zeigte, dass das Erscheinen des Herrn Heilung für alle Übel geworden ist. Der Ausdruck „noch ehe der Hahn kräht“⁷¹⁰ bedeutet soviel wie „noch ehe der Tag der Auferstehung sichtbar wird“. Denn diese Vögel singen, wenn der Morgen naht, aber noch in der Dämmerung. Als nun der Sonnenaufgang, der das Leben brachte, sich näherte, klagte die Stimme des Vogels die Verleugnung an, zeigte aber auch, dass die Nacht des Unheils zu Ende ging und das Licht des Lebens erschien.⁷¹¹

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung 4.5.1 Aussagen Isidors zur Bildtheorie Isidor spricht in mehreren Briefen darüber, was ein Bild oder einen Vergleich ausmacht, nämlich dass die Bildebene und die Sachebene nicht völlig deckungsgleich sind, sondern lediglich in den Punkten, auf die es im Zusammenhang ankommt, Analogien aufweisen. Ein Bild oder ein Vergleich werden verwendet, insofern ein bestimmter Aspekt des Bildes zu einem bestimmten Aspekt der Sache, die es illustriert, oder der Person, für die es steht, analog ist. Isidor formuliert es in ep. 675 so: „οὐ […] κατὰ πάντα τὸ παράδειγμα λαμβάνεται“⁷¹² – „das Bild fasst man [korrekterweise] nicht in Bezug auf jede Einzelheit als Bild auf“, was er im weiteren Verlauf des Briefes noch näher ausführt: Er konstatiert, dass in der Bibel sowohl Christus als auch der Gerechte als auch der Teufel mit einem Löwen verglichen werden. An diesem Beispiel zeigt er, dass Bildworte

 Joh 19,15.  Ep. 358 f. (I, 358 f.) (PG 78, 385, C8 – 388, A3). Vgl. zu ep. 358 auch unten S. 253 f.  Joh 18,17.25 – 27.  Vgl. Gen 2,17.  Joh 21,15 – 17.  Mt 26,34.  Ep. 356 f. (I, 356 f.) (PG 78, 385, B1-C7).  Ep. 675 (II, 175) (PG 78, 625, D2 f.).Vgl. die ganz ähnlichen Formulierungen in ep. 907 (III, 107) (PG 78, 813, A5 – 8), 1067 (III, 267) (PG 78, 948, B2– 7) und 1808 (IV, 137) (SC 586, 168 – 170).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

„nicht in Bezug auf jede Einzelheit, sondern nur in Bezug auf jenen Anteil, der der Aussage dient“ (bei Christus „das Königliche und Unbezwingbare“, beim Gerechten seine Freiheit von Furcht, beim Teufel „das Wilde und Blutrünstige“), sinnvoll aufgefasst werden, und „der Rest beiseite gelassen wird“.⁷¹³ Daraus folgt, dass ein bildlich verstehbares Wort in der Bibel nicht an allen Stellen, an denen es gebraucht wird, dasselbe bedeutet. Der Aspekt oder die Aspekte eines Bildes, die zum Verständnis dessen, was an einer Stelle sonst noch gesagt ist, und zum Kontext der Sachebene passen⁷¹⁴, sind bei der Interpretation einschlägig, die anderen nicht. Wenn man den Kontext beachtet, findet man das an einer Stelle einschlägige Bildelement und damit dann die richtige Referenz. Biblische Bilder sind nach Isidor auf der einen Seite in einem konkreten Fall nie zu hundert Prozent übersetzbar – weder an den Tauben noch an den Schlangen sollen wir nach Mt 10,16 alles nachahmen, sondern die Klugheit der Schlangen mit der Arglosigkeit der Tauben verbinden⁷¹⁵, und das paulinische Bild von Ton und Töpfer⁷¹⁶ darf man nach Isidor nicht so verstehen, dass Paulus hier den freien Willen des Menschen leugne.⁷¹⁷

 Ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, A10 – 12): „οὐ κατὰ πάντα λαμβάνεται τὸ ὑπόδειγμα, ἀλλὰ κατ᾿ ἐκεῖνο μόνον τὸ μέρος τὸ χρησιμεῦον τοῖς λεγομένοις, καὶ τὸ λοιπὸν χαίρειν ἐᾶται“, mit Schriftzitaten weiter ausgeführt an den drei „Löwen“-Vergleichen ebd. A12-B2. Vgl. ep. 1067 (III, 267) (PG 78, 628, B5 – 7): dort wird derselbe Grundsatz an Gen 49,9 (Christus als Löwe) und Hos 13,8 (Gott als Bärin) verdeutlicht.  Ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, B4 f.): „τὸ πρέπον“; ep. 1067 (III, 267) (PG 78, 948, B5 f.): „τὸ χρήσιμον […] καὶ εἰς ὃ παρείληπται“; ep. 1550 (IV, 228) (SC 454, 238, 10 f.): „τὸ ἁρμόζον καὶ πρεπωδέστατον πρὸς παράστασιν“.  Ep. 675 (II, 175) (PG 78, 625, C1 – 628, A6). Was das genau bedeutet, führt Isidor hier noch näher aus. Ep. 1808 (IV, 137) (SC 586, 168 – 170) beschäftigt sich nur mit den „Tauben“.  Röm 9,21.  Ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, B5 – 12). Vielmehr solle es „nicht nur den entschlossenen überzeugten Gehorsam illustrieren, den der Mensch wohl dem Göttlichen schuldet, sondern auch den Wahnsinn derer heilen, die es wagen, Anklage zu erheben gegen die reine und gegenüber aller vernünftigen Überlegung transzendente [göttliche] Einsicht“ (a. a.O. B7– 12). Isidor lehnt sich hier inhaltlich an Johannes Chrysostomus an (Chrys. hom. 16 in Rom 8 (PG 60, 559 f.)), der Röm 9,21 im Verhältnis zum freien Willen des Menschen ähnlich interpretiert und dabei ebenfalls Bemerkungen über das Wesen von ὑποδείγματα / παραδείγματα macht. Isidors Reflexionen wirken allerdings nicht wie bei Chrysostomus der Interpretation der Römerbriefstelle untergeordnet, auch wenn sich diese am Ende von ep. 675 als der Anlass des Briefwechsels präsentiert. Ferner betont Isidor die Nichtidentität von analogem Bild und dargestellter Sache mit dem Schlagwort „ὑπόδειγμα, nicht ταυτότης“ (ep. 675 (PG 78, 625, D3 f.)), das sich bei Chrysostomus nicht findet, und – mit drei Beispielen für biblische Löwen-Vergleiche im Gegensatz zu einem einzigen bei Chrysostomus – die Polyvalenz von Bildern, während Chrysostomus den „Überschuss“ und das angeblich notwendig Hyperbolische an παραδείγματα herausstreicht (a. a.O. PG 60, 560, 13 – 20). In der „Suda“ findet sich eine Mischung der Formulierungen aus Isidor und

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Auf der anderen Seite haben sie eine gewisse Offenheit, „the polyvalence recognised in poetry“ (F. Young)⁷¹⁸. Das kommt schön in ep. 907⁷¹⁹ zum Ausdruck. Isidor antwortet dem Diakon Eutonios auf dessen Frage, ob nicht zwischen dem Gleichnis vom Sämann und dem vom Unkraut unter dem Weizen ein Widerspruch bestehe, weil dabei der „Same“ in den in den Evangelien selbst zu findenden Deutungen jeweils unterschiedlich aufgelöst wird.⁷²⁰ Aber, so Isidor, auch in Gleichnissen hat nicht immer dasselbe auch dieselbe Bedeutung. „In erster Linie muss man sich jedes Gleichnis mit Rücksicht auf den konkreten Zusammenhang (πρὸς τὸ προκείμενον) vor Augen führen und darf nicht gänzlich alles in jeder Hinsicht verstehen“.⁷²¹ Samenkörner bedeuten an einer konkreten Stelle nicht immer alles das, was sie grundsätzlich bedeuten könnten. Die Offenheit der bildlichen Sprache ermöglicht dann aber auch Assoziationen für die „verborgenere“ Deutung (τὸ ἀπορρητότερον)⁷²², die bestimmte Zusammenhänge tiefer verstehen lassen, auch wenn diese – insbesondere aus unserer heutigen Sicht – dem menschlichen Autor der Bibelstelle möglicherweise nicht bewusst waren oder von ihm nicht intendiert sind. Isidor plädiert zunächst dafür, die Bedeutung der „Samenkörner“ im einen und im anderen Gleichnis nicht miteinander zu vermischen.⁷²³ Dann aber öffnet er Chrysostomus (Suda s.v. παράδειγμα (Nr. 323 – IV, 32, 13 – 15 Adler) bringt eindeutig Isidors Formulierungen („τὰ παραδείγματα οὐ κατὰ πάντα λαμβάνεται καὶ τοῖς προκειμένοις ἁρμόζεται· ἐπεὶ οὐκ ἂν εἴη ὑποδείγματα ἀλλὰ ταυτότης“), ebd. 16 – 21 dann aber zwei der Beispiele aus Chrysostomus (der Löwe in Gen 49,9 und die Bärin in Hos 13,8)).  Young 1997 (1), 144.  Ep. 907 (III, 107) (PG 78, 813, A1-B3).  Isidor zitiert Mt 13,19 versus Mt 13,38.  Ep. 907 (III, 107) (PG 78, 813, A5 – 8).  Diese wird ebd. PG 78, 813, A8-B3 ausgeführt. Zu beachten ist, dass hier die traditionellen Kategorisierungen wieder einmal versagen: Das „ἀπορρητότερον“ ist hier nicht ein „geistiger“ Sinn im Gegensatz zu einem „wörtlichen“. Denn was Isidor in der ersten Hälfte des Briefes zitiert, ist keine „wörtliche Exegese“ (in welchem Sinn auch immer): die Gleichnisse sind selbst nicht auf „buchstäbliches“ Verständnis angelegt, und die einschlägigen Gleichnisdeutungen in den Evangelien, die Isidor zitiert und um die es bei ihm zunächst geht, sind nach dem modernen Sprachgebrauch schon „allegorisch“ in ihrer Herauslösung und „Übersetzung“ von Einzelheiten (vgl. Young 1993, 103, die sich auf Jülicher, Dodd und Jeremias bezieht). Isidors „ἀπορρητότερον“ ist da nicht „noch einmal mehr allegorisch“, aber es zeichnet sich hier dadurch aus, dass es über den Kontext des einzelnen Gleichnisses hinausgeht und in assoziativer Verknüpfung von Bildern, deren Unterschiedlichkeit Isidor selbst zunächst konstatiert (!), etwas aussagt über das Verhältnis von Christus und denen, die ihn aufnehmen.  In ep. 675 (II, 175) (PG 78, 628, B4 f.) formuliert er denselben Gedanken in einem ähnlichen Zusammenhang (nämlich der Frage nach Röm 9,21) so: „οὐ συγχέομεν τὰ θεωρήματα, ἀλλ᾿ ἑκάστῳ τὸ πρέπον ἀπονέμομεν“ – „wir vermischen die Betrachtungsgegenstände nicht, sondern weisen jedem (Gegenstand) das zu, was zu ihm passt“.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

den Blick auf den Gesamtzusammenhang der Schrift und erkennt die geistlichen Verbindungen zwischen dem Logos, auf den die Samenkörner in Mt 13,3 – 9 verweisen, und den „Söhnen des Reiches“, die nach Mt 13,38 im Gleichnis vom Unkraut mit den Weizenkörnern gemeint sind, nämlich dass sowohl das Wort Same ist als auch der, der das Wort aufnimmt, indem er sich mit ihm verbindet und dadurch sozusagen neu zusammengesetzt wird. Denn dadurch gewinnt Christus in uns Gestalt, und wir werden nach dem Bild Christi geformt. Deshalb wird ja auch der Same ausgestreut, damit er den Menschen sich ähnlich macht.⁷²⁴

Insbesondere bei der Darstellung göttlicher Eigenschaften oder gar der göttlichen Personen selbst kann nicht ein einziges Bild alles aussagen. Verschiedene Bilder decken verschiedene Aspekte ab. Zum Beispiel lässt der Verfasser des Buches Jesus Sirach die göttliche Weisheit sprechen. Sie lobt sich dabei in Sir 24 selbst und vergleicht sich mit mehreren Pflanzen, und zwar, so Isidor, weil das Bild einer einzigen Pflanze allein der Weisheit nicht gerecht würde. An den einen Pflanzen wird ihre Größe gerühmt, an den anderen ihre Schönheit, an wieder anderen ihr Duft. Immer wird der Aspekt eines Bildes aus der Pflanzenwelt herausgenommen, der für den Vergleich mit der Weisheit etwas austrägt („ἐκεῖνο οὗ χρείαν εἶχεν ἡ εἰκών“), und aus vielen Bildern setzt sich eine einigermaßen würdige Darstellung der Weisheit („ἄξιόν τι τῆς σοφίας ἐννοῆσαι“) zusammen.⁷²⁵

4.5.2 Isidors eigene Bildschöpfung in ihren kommunikativen Kontexten In einer ganzen Reihe von Briefen verwendet Isidor nichtbiblische Bilder, die er in etwa auf dieselben Felder anwendet wie die Bibelstellen, die er übertragend auslegt. Die meisten dieser von Isidor selbst kreierten oder aus der Literatur vor ihm übernommenen Bilder werden auf die christliche Lebensführung bezogen, manche illustrieren Elemente oder Stationen der Heilsgeschichte. Manche nehmen konkreten Bezug auf die Lebenssituation des Briefpartners oder auf den Zustand der Kirche in Isidors Gegenwart. Vor dem Hintergrund dieser (keineswegs nur bei Isidor identifizierbaren⁷²⁶) literarischen Praxis lässt sich auch die übertragende Auslegung von Bibelstellen

 Ep. 907 (III, 107) (PG 78, 813, A9-B3). A12 enthält zusätzlich eine Anspielung auf Gal 4,19, was die Verkettung der Bilder noch reichhaltiger macht.  Ep. 1550 (IV, 228) (SC 454, 238, 5 – 16). Vgl. zu dem Brief auch Maisano 1980, 72.  Ein eindrucksvolles Beispiel für ein ausführliches eigenes Bild eines frühen Autors ist Irenäus von Lyon, haer. I,8,1, wiederaufgenommen ebd. I,9,4 (SC 264, 114, 14 – 116, 29 und ebd. 150,

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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besser einordnen. In der Verwendung zur Illustration eines bestimmten Inhalts muss sich ein Bild, das ohne Zweifel als solches und nur als solches beabsichtigt, ja vielleicht direkt für diese Referenz „maßgeschneidert“ ist, nicht von einer Bibelstelle unterscheiden, die dem ursprünglichen Kontext und der naheliegendsten Referenz nach nichts mit diesem bestimmten Inhalt zu tun hat. Zwischen der übertragenden Verwendung biblischer Texte und eigener Bilder kommen außerdem vielfältige Übergänge und Kombinationen vor: Εin metaphorischer Ausdruck der Bibel kann durch eigene Hinzufügungen des Interpreten zu einem detaillierteren Bild ausgeweitet werden. Die Auslegung einer Bibelstelle kann durch ein eigenes Bild unterstützt werden.⁷²⁷ Ein biblisches Geschehen kann als Vergleich für eine geistliche Realität verwendet werden, ohne dass sich dieser Vergleich als Auslegung dessen präsentiert, was der Bibeltext „eigentlich“ bedeutet. Biblische Bilder können assoziativ zu Bildketten verbunden werden, woraus zum Teil neue zusammengesetzte Bilder entstehen.

4.5.2.1 Eigene Bilder in paränetischem Kontext Die große Mehrzahl der nichtbiblischen Bilder bei Isidor erscheint in paränetischem Kontext. Hier begegnen uns faule Schiffskapitäne in Hafenkneipen, die den günstigen Wind für die Abfahrt nicht nutzen, als Gleichnis für Menschen, die mit Gottes Gnade nicht zusammenarbeiten: […] Aber ich glaube, dass die Mehrheit der Menschen dasselbe erleidet wie die leichtsinnigen Schiffskapitäne, die im Angesicht der Möglichkeit, von einem günstigen Wind zu profitieren, im Hafen bleiben, sich in den Kneipen herumtreiben und dabei auf das Wetter schimpfen, dass es den Wind nicht so liefere, wie es solle. Zu ihnen würde man wohl mit Recht sagen: Ihr Faulsten aller Seeleute, das Wetter hat sich nach seinen Gesetzen ergeben, ihr aber habt die Gelegenheiten nicht genutzt. Es ist die Rolle der göttlichen Vorsehung, denen, die zur See fahren, zu Hilfe zu kommen; Taten aber muss man von sich selbst einfordern. Tragen also auch wir die Mühen mit, im Wissen darum, dass unserer Natur von Gottes Hand die Neigung zur Tugend gegeben ist; dann wird ein glückliches Ende die Folge sein!⁷²⁸

113 – 117), wo Irenäus den Umgang der von ihm Angegriffenen mit der Heiligen Schrift als missbräuchliche Dekomposition und Neuzusammensetzung illustriert. Vgl. Young 1997 (1), 19 f.  Vgl. ep. 1524 (IV, 150) (SC 454, 204– 206) zu 1Kor 2,2 (Christus wie ein gefesselter Athlet, der Olympiasieger geworden ist oder ein mit (scheinbar) nutzlosen Waffen siegreicher Feldherr); ein ganz ähnliches Bild, noch spezifischer bezogen auf den Kampf des Gekreuzigten gegen den Teufel und die Dämonen, in ep. 1539 (IV, 108) (SC 454, 226 – 228) zu Kol 2,15; ep. 1647 (IV, 6) (SC 454, 390 – 392) zu 1Kor 3,18 mit einem Vergleich zwischen Medizin und Sorge um die Seele.  Ep. 502 (II, 2) (PG 78, 457, A2– 14).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Oder Isidor gebraucht – in gut paulinischer Tradition⁷²⁹ – Bilder aus der Welt der Sportwettkämpfe, um die Bedingungen für den erfolgreichen geistlichen Kampf oder für die Umkehr zum Guten zu illustrieren. Auch wenn wir nicht gegen Fleisch und Blut kämpfen⁷³⁰, müssen wir trotzdem von denen, die gegen Fleisch und Blut kämpfen, die Gesetze des Ringkampfs lernen. Wie also jene nicht nur ihre Kleider ablegen (denn der Wettkampf beginnt damit, sich zu entkleiden), sondern sich auch noch die Haare scheren lassen und sich mit Öl einreiben, damit sie nicht an den Haaren gepackt werden können, aber auch dafür sorgen, dass die Hände des Gegners durch das Öl abrutschen, und so zum Wettkampf gehen, so lass auch uns, wenn wir Sieger werden wollen, den alten Menschen mit seinen Taten ablegen⁷³¹, die äußeren Dinge abscheren und für Almosen verbrauchen, und so frei von aller Sorge und unbekleidet die Arena der Tugend betreten in den Olympischen Spielen um die Seele. Wenn wir aber nichts davon tun und dabei glauben, wir würden auch kämpfen und uns auch noch etwas darauf einbilden, werden wir zunächst einmal schon im Diesseits von denen, die Verstand haben, Gelächter ernten. Und später werden wir im Jenseits genau erfahren, dass wir uns selbst in die Irre geführt haben, wenn wir nicht nur ohne Siegeskranz, sondern auch zum Verbüßen unserer Strafe abgeführt werden.⁷³² Es ist keine kleine Sache, was klein aussieht, nämlich nicht Sünde auf Sünde zu häufen, sondern es ist etwas sehr Großes. Es ist nämlich ein Weg, der zur besten Art der Veränderung führt. Denn wenn der Fortgang des Lasters, der dem Verderben entgegenläuft, zum Stillstand kommt, beginnt die Bewegung hin zur Tugend. Denn wie in den Stadien (bei den Wettläufen) das Stehenbleiben und die kurze Pause die Bewegung in die Gegenrichtung hervorbringt (wenn einer nicht stehenbliebe, könnte er nicht in die Gegenrichtung laufen), so würde einer wohl auch in Gegenwart des Lasters, wenn er nicht anhielte, nicht der Tugend Raum geben.⁷³³

Isidor verwendet sogar die Bildwelt von Mt 13,24– 30, dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, losgelöst von der biblischen Erzählung, um eine Aufforderung für das geistliche Leben seines Briefpartners Kelsos zu unterstreichen: Die Landwirte reißen das Unkraut, das mit dem Weizen zusammen wächst, mit der Wurzel aus, damit die Frucht ohne Verunreinigungen zur Ernte kommt. So musst auch du die Laster, die deinen Verstand trüb machen, herausschneiden, damit dein Gewissen gesund und ohne Anteil an irgendeiner Art von Leidenschaft die Speise hervorbringt, die für das ewige Leben bleibt.⁷³⁴

     

Vgl. 1Kor 9,24– 27. Vgl. Eph 6,12. Vgl. Kol 3,9. Ep. 661 (II, 161) (PG 78, 616, A1–B7). Ep. 944 (III, 144) (PG 78, 840, B3–C1). Ep. 432 (I, 432) (PG 78, 421, A5 – 10). Zum Ende des Briefes vgl. Joh 6,27.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

237

Wenn man einen Vergleich mit Mt 13,24– 30 anstellen möchte, so ist in Isidors Verwendung dieses Stoffes die Pointe des biblischen Gleichnisses geradezu auf den Kopf gestellt: die Landwirte warten gerade nicht bis zur Ernte mit der Trennung von Unkraut und Weizen. Das liegt offensichtlich am Kommunikationsziel, für das Isidors Gleichnissatz konstruiert ist: mit der Umkehr und dem Ausrotten der Laster im eigenen Leben dürfte man keinesfalls so lange warten, wie der Mann im biblischen Gleichnis wartet (vgl. dazu auch ep. 181⁷³⁵!). In den weiteren für die Verwendung eigener Bilder in paränetischem Kontext einschlägigen Isidorbriefen geht es um Kindererziehung, der man mindestens so viel Aufmerksamkeit widmen soll wie der Aufzucht von Pferden⁷³⁶ und um die Vielfalt der Tugenden, die sich gegenseitig bedingen – sie sei wie eine Malerei oder ein buntes Gewand⁷³⁷. Außerdem findet sich ein Vergleich des Verstandes mit einem König, der starke Wachen an die Eingangstore seiner Stadt stellen muss, die keinen Feind eindringen lassen – ebenso soll der Verstand die „Tore der Sinne“ verteidigen – Isidor verweist auf das Herrenwort vom gierigen Blick Mt 5,27 f.⁷³⁸ Ferner: Ein Priester, der mit Frauen Umgang hat, wird dadurch wie ein Löwe, dem die Mähne abgeschoren und Zähne und Krallen entfernt wurden; daher müssen Geistliche den Kontakt mit Frauen auf das Allernotwendigste beschränken (der Brief richtet sich an einen Bischof Palladios)⁷³⁹. Schließlich vergleicht Isidor die Mittel zur Wiedergutmachung von Sündenfolgen mit bitterer Medizin, die wir auf unsere Wunden anwenden müssen⁷⁴⁰, die Praxis des Elementarlehrers, der dem Schüler Buchstaben vorzeichnet, mit den Anforderungen an den Tugendlehrer, dessen eigenes Leben die „Vorzeichnung“ ist⁷⁴¹, und den Teufel samt seinen Strategien mit einem Seeräuber und dem Be-

 Ep. 181 (I, 181) (PG 78, 300, C – 301, A4).  Ep. 316 (I, 316) (PG 78, 365, B).  Ep. 403 (I, 403) (PG 78, 408, B4– 11). Die Basiliusstelle, die Fouskas 1970, 119 als (relativ schwache) Parallele angibt, bezieht sich auf den Nutzen des Fastens und enthält nicht das von Isidor gebrauchte Bild.  Ep. 607 (II, 107) (PG 78, 548, C7-D7).  Ep. 784 (II, 284) (PG 78, 713, B1 – 716, A14). Zu den hier teilweise sehr engen Entlehnungen aus mehreren Chrysostomusstellen vgl. Kertsch 1992 (2), 302– 305. Der Anwendungskontext bei Isidor ist allerdings nicht bloß die Kritik am sogenannten Syneisaktentum (dem Zusammenleben von geistlichen Personen beiderlei Geschlechts), wie Kertsch a. a.O. 303 suggeriert; es geht grundsätzlich um Kontakte von Klerikern (für die noch höhere Maßstäbe gelten als für Mönche, s. PG 78, 713, B2 f.) mit Frauen.  Ep. 977 (III, 177) (PG 78, 868, D).  Ep. 1059 (III, 259) (PG 78, 937, A3-B2).

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

lagerer einer Stadt⁷⁴². Ferner steht auch Isidors Bild zum Bibelkanon im Vergleich mit außerkanonischen Schriften⁷⁴³ in ep. 369 durch die damit verbundenen Aufforderungen zum Umgang mit ebendiesen Texten in paränetischem Kontext. Drei weitere Briefe handeln vom Umgang mit der Bibel und bringen dabei eigene Bilder Isidors ein: In ep. 635 nennt Isidor die Heilige Schrift einen „geistlichen Spiegel“, den man „unentwegt in Gebrauch haben muss“, um darin die eigenen Fehler zu sehen. Dieser Spiegel habe aber auch die Kraft, den, der in ihn hineinblickt, „zu unbeschreiblicher Schönheit“ zu verwandeln.⁷⁴⁴ In ep. 503⁷⁴⁵ erscheint zunächst ein aus der Bibel selbst genommenes Bild für die Bibel (der Mischkrug der Weisheit aus Spr 9,2), das am Ende des Briefes wieder aufgenommen wird. Es steht für die Mischung von positiven und negativen exempla für die christliche Lebensführung und für die Mischung von göttlichem Inhalt und menschennaher Präsentation, die die Schrift enthält.Wie öfters bei Isidor, wird die Bibel von der heidnischen Literatur abgegrenzt, ohne aber die heidnische Literatur in Bausch und Bogen zu verdammen.⁷⁴⁶ Darin folgt Isidor unter anderem Basilius von Caesarea; auch Isidors Bild von der Biene, die das Nützliche sammelt und das für sie Unbrauchbare zurücklässt, stammt wahrscheinlich aus Basilius.⁷⁴⁷ In ep. 1188⁷⁴⁸ schließlich ist die Schrift selbst die Blumenwiese, in die man sich forschend und betrachtend vertiefen kann; wer damit beginnt, den lässt sie nicht mehr los, der findet immer wieder Neues und kümmert sich kaum mehr um weltliche Dinge. Auch einige Illustrationen von moralisch gutem oder aber kritikwürdigem Verhalten haben eine paränetische Stoßrichtung: Reichtum geht, wenn man von ihm anderen abgibt, ebenso wenig aus wie eine angezapfte Quelle oder wie eine  Ep. 1185 (III, 385) (PG 78, 1028, B2-C9). Umgekehrt kommt das Bild von der befestigten Stadt auch noch in ep. 1966 (V, 548) (PG 586, 354) vor, wobei die Stadtburg der Seele entspricht. Vgl. zu dieser Bildwelt bei Johannes Chrysostomus, Isidor und anderen Autoren Kertsch 1997 (3).  S. oben S. 54.  Ep. 635 (II, 135) (PG 78, 577, C8 – 14). Der Brief ist in weiten Teilen wörtlich angelehnt an Chrys. hom. 4 in Mt. 8; das Bild vom Spiegel findet sich in PG 57, 49. Vgl. Fouskas 1970, 122.  Ep. 503 (II, 3) (PG 78, 457, B1 – 460, A8).  Vgl. dazu Évieux 1995, 327– 329. Vgl. bei Isidor besonders ep. 1782 (IV, 140) (SC 586, 130); ep. 1412 (IV, 67) (SC 422, 498 – 500); aber auch ep. 1176 (III, 376) (Christus, der Logos und Sophia heißt, verwirft nicht λόγοι und σοφία, sofern sie nicht Schlechtigkeit und Götzendienst verbreiten).  Vgl. Bayer 1915, 8 f. S. Bas. leg. lib. gent. IV, 9 (BPat 3, 92– 94). Das Bienenbild findet sich bei Isidor PG 78, 457, C1– 5. Ein (vgl. Fouskas 1970, 118) ebenfalls aus Basilius (Bas. hex. 5, 7 (GCS NF 2, 82, 8 – 11) entlehntes Bild verwendet Isidor in ep. 884 (III, 84) (PG 78, 789, D6 – 9), um seinen Gebrauch heidnischer exempla für das Thema „Verzicht auf Luxus“ zu rechtfertigen: Wilde Feigenbäume können bei der Zucht von Speisefeigen nützlich sein.  Ep. 1188 (III, 388) (PG 78, 1029, A9-B15).

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Mutterbrust und auch wie Gottes Fürsorge für die Getauften⁷⁴⁹; Menschen, die nach Reichtum streben und Armut fürchten, sind wie kleine Kinder, die ihre Hand ins Feuer strecken, aber vor Masken und Gespenstern Angst haben⁷⁵⁰; ein guter Priester (der Brief richtet sich an einen Bischof Theon, nach Évieux Theon von Sethroitis⁷⁵¹) gleicht einem guten König, der den positiven Wert der Gesetze vermittelt, aber auch Furcht einzuflößen vermag⁷⁵²; mit der Vernichtungskraft der Sünden ist es wie mit Schlangen, die bei der Geburt ihre Mutter fressen⁷⁵³; und die in allen Lebenslagen moralisch Bewährten sind renommierten Tragödienschauspielern vergleichbar⁷⁵⁴, die in jeder Rolle glänzen. In zwei Briefen – ep. 633⁷⁵⁵ und ep. 1151⁷⁵⁶ – vergleicht Isidor Ehe und freiwillige Ehelosigkeit. In ep. 1151 kommt als drittes Element noch die Enthaltsamkeit (ἐγκράτεια), das heißt Enthaltsamkeit in der Ehe oder Verzicht auf Wiederheirat nach dem Tod des Partners / der Partnerin⁷⁵⁷, hinzu.⁷⁵⁸

 Ep. 466 (I, 466) (PG 78, 437, C6-D1). Vgl. inhaltlich Clem. paed. III, 7 (GCS 123, 259, 19 – 24; angeführt auch von Fouskas 1970, 117).  Ep. 757 (II, 257) (PG 78, 692, B11-C8). Zu Isidors Vorlage für das Bild bei Chrysostomus vgl. Kertsch 1992 (2), 306 – 308.  Vgl. Évieux 1995, 238.  Ep. 760 (II, 260) (PG 78, 693, B).  Ep. 1061 (III, 261) (PG 78, 944, B1 f.).  Ep. 1320 (V, 71) (SC 422, 358 – 360).  S. das Ende von ep. 633 (II, 133), wo Isidor im Rahmen von Ausführungen über das Wesen von Vergleichen (etwas größer zu nennen als etwas anderes verkehrt das Kleinere nicht ins Gegenteil) die Ehe mit dem Mond, die Sonne mit der Ehelosigkeit verbindet: Der Mond sei gut, die Sonne besser; so sei es auch mit Ehe und Ehelosigkeit (und mit Altem und Neuem Testament; alle haben zudem den Einen Gott als gemeinsamen Urheber: PG 78, 576, C9 – 15). Vgl. dazu auch ep. 1377 (IV, 115) (SC 422, 442, 1– 4)  Ep. 1151 (III, 351) (PG 78, 1005, B4 – 1009, C6). Der lange Brief hat das Verhältnis von freiwilliger Ehelosigkeit (παρθενία) und Ehe (ὁ τίμιος γάμος, zu dieser bei Isidor notorischen Formulierung vgl. Hebr 13,4) zum Thema. Isidor geht u. a. von 1Kor 7,28 aus, um die Problematik der Ehe für den geistlichen Kampf und die Vorteile der Ehelosigkeit zu illustrieren, er übertragt Dtn 20,6 f. und 24,5 von Geboten für das Militärwesen Israels auf die geistliche Ebene und endet wieder (PG 78, 1009, B14-C6) mit dem aus ep. 633 bekannten kosmischen Vergleich, wobei hier der Mond für die ἐγκράτεια und die Sterne für die Ehe stehen, ein Dreischritt, den er schließlich an 1Kor 15,41 anbindet, wo ebenfalls Sonne, Mond und Sterne erscheinen, wenn auch in anderem Kontext.  Vgl. PGL s.v. 9. Zum Verzicht auf Wiederheirat als Rat an einen Witwer vgl. bei Isidor ep. 213 (I, 213) (PG 78, 317, A8-B5).  Vgl. mit den beiden Briefen noch ep. 644 (S. oben S. 202), wo Isidor die Stelle Mt 13,23 auf den Dreischritt bezieht, der sich auch in ep. 1151 findet.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

In ep. 733⁷⁵⁹ entwirft Isidor ein Bild der Geldgier. Er sagt, er unternehme damit das, was noch nie jemand versucht habe (anders als beim sexuellen Eros, von dem es Bilder gebe und der sich auch sonst von der Geldgier dadurch unterscheide, dass er eine Sättigung kenne).⁷⁶⁰ Heraus kommt das detaillierte Bild eines wüsten, abschreckenden Mischwesens aus weiblichen, tierischen und monströsen Elementen. Schließlich gibt es noch eine Kategorie von Briefen, die eine noch mehr „individuell zugeschnittene“ Paränese enthalten. Es kann sich dabei um die bei Isidor häufigen dringenden Aufrufe zur Umkehr handeln wie in ep. 329 oder im 347. Brief, der sich an die beiden von Bischof Eusebios geweihten „Skandalpriester“⁷⁶¹ Martinianos und Zosimos richtet: Manche spotten über dich, dass du eine unbeherrschte Zunge hast und ein Fluss aus den Quellen der Schmährede bist, indem du ihre Ströme großzügig aufnimmst und wieder ausstößt, obwohl sie [den Menschen] doch in das Meer der Bestrafung werfen. Wenn du der Strafe entgehen willst, dann forsche lieber nach dem Brunnen der lebendigen Wasser, der die Gnade schenkt, dass man nicht mehr Durst hat⁷⁶², und der der Zunge eine Wache gibt, damit sie sich schlechten Worten nicht zuneigt⁷⁶³.⁷⁶⁴ Wenn ihr weder die göttliche Erziehung, die zu eurer Zurechtweisung geschieht, registriert, noch unsere Ermahnungen zur Umkehr annehmt, seid ihr eine Art Charybdis, die der Unterwelt und dem Verderben gleicht und alles, was man ihr gibt, verschluckt und vernichtet. Ihr wird der Allherscher Christus das Maul stopfen, damit ihr die göttlichen Gebote haltet und, wenn auch spät, eines Tages eure Einstellung ändert.⁷⁶⁵

Vergleichbar ist hier auch noch ep. 408, wo Isidor die göttliche Hilfe bei der (hier offenbar eher zu erwartenden) Lebensänderung seines Briefpartners Athanasios mit Wasser vergleicht, das aus dessen Herz fließen und für ihn eine Art zweites Taufmedium ergeben werde⁷⁶⁶ und ep. 1108 über den „Frühling der Seelen“ nach dem „Winter der Sünden“, auf den aber, wenn man den „Frühling“ nicht bewahrt, die sommerliche Hitze des Gerichts folgen wird – vielleicht ein am Anfang beschnittener Brief ⁷⁶⁷, der sich konkret auf das Osterfest bezieht.⁷⁶⁸  Ep. 733 (II, 233) (PG 78, 668 – 672).  A. a.O. PG 78, 668, C2 f.  Vgl. Évieux 1995, 212.  Vgl. Joh 4,14.  Vgl. Ps 140,3 f.  Ep. 329 (I, 329) (PG 78, 372, C).  Ep. 347 (I, 347) (PG 78, 381, A4– 10).  Ep. 408 (I, 408) (PG 78, 409, C3 – 9).  Vgl. zu diesem Phänomen, das man bei Isidor häufig vermuten muss, Évieux 1995, 357 mit Anm. 44.  Ep. 1108 (III, 308) (PG 78, 976, C11-D11).

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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In ep. 488 schließlich vergleicht Isidor – dies wiederum nicht ganz unbiblisch⁷⁶⁹ – sich selbst mit einem Landarbeiter, den Adressaten, den er zur Fruchtbarkeit auffordert, mit seiner Pflanzung: Jeder Pflanzenzüchter und Landarbeiter erträgt in der größeren Hoffnung auf die Früchte seine Mühen, weil die Erwartung der Früchte die Anstrengungen nimmt. So haben auch wir uns in der Glaubensweitergabe abgemüht. Zeige nun du, dass die Arbeit Früchte treibt.⁷⁷⁰

Ein ähnliches Bild, das Isidor gleich mehrfach verwendet, ist das eines nützlichen Baumes, dessen Früchte mit der vorbildlichen und ertragreichen Lebensführung, dessen Blätter dagegen mit der Fähigkeit zu reden und zu lehren identifiziert werden. Insbesondere bei einem guten Lehrer muss beides zusammenkommen⁷⁷¹; ein gutes Leben hilft nichts, wenn es mit häretischen Anschauungen verbunden ist⁷⁷²; noch wichtiger als das Reden ist aber das Handeln⁷⁷³ – so wie man auf die Früchte eines Baumes noch mehr Wert legt als auf die Blätter⁷⁷⁴.

4.5.2.2 Eigene Bilder zur Illustration von Stationen der Heilsgeschichte In sechs Briefen versinnbildlicht Isidor Ereignisse der Heilsgeschichte, und zwar hier ausschließlich „Errungenschaften“ des Neuen Bundes. Die dreitägige Blindheit des Paulus unmittelbar nach seiner Berufung aus dem Judentum wird mit der Vorbehandlung von Wolle vor dem Färben verglichen.⁷⁷⁵ Wenn der Tod wie Feuer ist, ist sein Brennstoff die Sünde, Christus aber der Tod des Todes:

 Vgl. 1Kor 3,5 – 9.  Ep. 488 (I, 488) (PG 78, 448, C6-D1). Meine Grundlage ist der von Poussines mithilfe des Codex V konjizierte Text (s. die Anm. in der PG).Vgl. inhaltlich ep. 394 (I, 394) (PG 78, 404, B9-C6).  Ep. 735 (II, 235) (PG 78, 672, D6 – 673, B7).  Ep. 920 (III, 120) (PG 78, 824, A11-B10).  Ep. 840 (III, 40) (PG 78, 760, A1– 9)  Ep. 1880 (V, 477) (SC 586, 260, 24– 32). Mit einer etwas anderen Referenz (Früchte entsprechen der christlichen, Laub der paganen Bildung) findet sich das gleiche Bild bei Bas. leg. lib. gent. III, 2 (BPat 3, 88).  Ep. 346 (I, 346) (PG 78, 380, D3 – 381, A3). Auch dieses Bild findet sich bei Bas. leg. lib. gent. (II, 9; BPat 3, 86), allerdings nicht auf Paulus bezogen, sondern wiederum auf die pagane Bildung als Propädeutikum für die christliche. Bei Clemens von Alexandria dagegen steht es im Zusammenhang mit Jes 30,1 (paed. I, 9, 78 (GCS 123, 135, 25 – 28; vgl. Früchtel 1938, 61) – ein schönes Beispiel dafür, wie mehreren Autoren gemeinsames Bildmaterial in verschiedenen Zusammenhängen auftaucht.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Als Brennholz betrachte die Sünde, als Feuer den Tod. Wo der Tod nun seine geeignete Nahrung fand, weidete er sie ab; als er sie aber in Christus nicht fand, erlosch er folgerichtig, besser gesagt: er erlitt den Tod.⁷⁷⁶

Was Christus mit seiner Inkarnation und seinen Heilstaten bewirkt hat, ist eine neuartige πανήγυρις, ein allumfassendes andauerndes Fest mit der ἀρετή, der moralisch guten Lebensform, als „Priesterin“, ein Fest, das im Unterschied zu den mit „lasterhaften Spektakeln“ (κακίας δράματα) eng verbundenen heidnischen Festen diesen Namen wirklich verdient.⁷⁷⁷ Im Rahmen der Inkarnation hat Christus für uns die Waffen und die Rüstung der ἀρετή neu hergestellt: Der gemeinsame Feind aller, der ja nach gewaltsamer Herrschaft süchtig ist, entkleidete die Menschheit ihrer natürlichen Vorzüge und umhüllte sie mit derjenigen Lebensführung, die der Tugend entgegengesetzt ist, nachdem der freie Wille der Menschen ihm seine Unterwerfung bekundet hatte. Denn er hätte für sich genommen nicht so viel Macht, wenn er nicht vom Leichtsinn der Betrogenen ganz und gar gestärkt worden wäre. Aber weil es in den Augen der Menschenfreundlichkeit des Schöpfers notwendig war, die Waffen der Tugend wieder anzulegen, stieg der Gott-Logos hier zu uns herab, verfertigte für uns seine Liebe als eine engelhafte Rüstung und baute alle diese (Waffen) auf ihr auf ⁷⁷⁸. Denn was man als die Errungenschaften der Tugenden im Einzelnen aufzählt, das umfasst eine einzige allgemeine Tugend, die „Liebe“ heißt.⁷⁷⁹

Mit diesem Brief vergleichbar ist Brief 1129, der am Ende eine kurze Bezugnahme auf den Beginn von Ps 95 enthält – das „neue Lied“, das der Psalm zu singen auffordert, wird gedeutet als das Siegeslied der befreiten Menschheit: Als die frevelhaften Dämonen mit ihrem Anführer, dem Teufel, nichts in Ordnung bleiben ließen, sondern voller Unrechttun und Herrschsucht und ohne je an ihrer Gewalttätigkeit satt zu werden, die Menschen zum Äußersten an Bösem⁷⁸⁰ antrieben, da, ja da nahm der König des Alls, das Wort des Vaters, die menschliche Natur auf sich und stellte sich zur Schlacht auf; denn er hasste die Gewaltherrschaft der Dämonen und hatte Mitleid mit dem Unglück der Menschen. Von den Siegeszeichen standen dabei die einen schon, die anderen wurden aufgerichtet, die dritten waren zu erhoffen. Und die barbarische Kampfaufstellung der Dämonen beklagte mit ihrem Anführer ihre Niederlage; die menschliche Natur aber lief

 Ep. 787 (II, 287) (PG 78, 717, B6 – 9).  Ep. 1086 (III, 286) (PG 78, 961, B).  „Τὰ πάντα ἐν αὐτῇ ἐτεκτήνατο“ (SC 454, 446, 10). Isidor verwendet hier, vermutlich absichtlich, das Verb τεκταίνομαι, von dem sich das Substantiv τέκτων, die Berufsbezeichnung Jesu nach Mk 6,3, ableitet.  Ep. 1684 (IV, 15) (SC 454, 446).  Text nach O V μ L; die PG hat „zum Äußersten an Leidenschaften“.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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in die Freiheit zurück. Deshalb trug der Psalmist den Befreiten auch auf, ein neues Lied zu singen.⁷⁸¹ Denn mit den Augen eines Propheten schaute er das Zukünftige.⁷⁸²

Schließlich vergleicht ein Brief den Siegeszug der Apostel und ihrer Verkündigung trotz ihrer offensichtlichen Unbildung a minore ad maius mit dem Phänomen, dass ein Analphabet den Sinn eines vorgelesenen Textes versteht, während der Vorleser nicht erfasst, worum es geht. „Wenn also schon (menschlicher) Scharfsinn über (technisches) Wissen siegt, warum wird dann nicht erst recht göttliche Weisheit der Redekunst überlegen sein?“⁷⁸³ Für Inhalte der Trinitätstheologie oder Christologie wie etwa das Verhältnis von Gottheit und Menschheit in Christus verwendet Isidor keine nichtbiblischen Bilder.

4.5.2.3 Eigene Bilder zur Spiegelung der kirchlichen Gegenwart Ein weiteres Feld, auf dem Isidor sowohl biblische als auch nichtbiblische Bilder einsetzt, ist aber die Illustration von Situationen der kirchlichen Gegenwart.⁷⁸⁴ Ausführliche nichtbiblische Bilder sind hier in zwei Briefen enthalten. Der erste (an den Bischof Theodosios) bezieht sich auf die jüngste Geschichte der Stadt Pelusium. Isidor kontrastiert hier scharf den für ihn idealtypischen Bischof Ammonios, den er als Bienenkönigin samt Hofstaat auf einer paradiesischen Blumenwiese darstellt, mit seinem bestialischen Nachfolger Eusebios, der das Priesteramt an Unwürdige vergibt: Mit Recht, Bewundernswerter, weinst du jetzt über die Stadt der Pelusioten, auch wenn du sie früher glücklich gepriesen hast. Denn als sie sich wie eine Mutter angesichts der Geburt eines hervorragenden Kindes mit dem Vorsteheramt des berühmten Ammonios, der ein echter Bischof war, schmücken konnte, wurde sie mit Recht glücklich gepriesen, weil sie ja göttliche und menschliche Güter in Fülle hatte. Seit es aber einem besudelten, fremdartigen und einem Menschen nur ähnlichen wilden Tier übertragen wurde, sie zu verwalten und sie in äußerste Hilflosigkeit geraten ist, verdient sie mit Recht, beklagt zu werden.

 Vgl. Ps 95,1.  Ep. 1129 (III, 329) (PG 78, 988, B9-C14).  Ep. 1145 (III, 345) (PG 78, 1001, D6 – 1004, A15), das Zitat ist der letzte Satz des Briefes.  Vgl. Jacob 1992, 153: „[I]n den Schriften altkirchlicher Theologen“ ist „eine Vermischung von hermeneutischer Allegorese und rhetorischer Allegorie festzustellen, die nicht auf besondere erkenntnistheoretische Erwägungen zurückgeht, sondern ein geläufiges Sprachspiel zum Ausdruck bringt. Biblische Ereignisse werden typisierend ganz konkret auf bestimmte Situationen und Lebensformen der Gegenwart bezogen.“ Das Gleiche kann für biblische und auch für nichtbiblische Bilder gelten!

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Zur Zeit des Ammonios war es wie bei den Bienen, die sich rund um die Königin des Schwarmes auf taugetränkten Wiesenblumen niederlassen – so ehrten ihn alle und umgaben ihn im Reigen. Es ging ja wirklich Honig von ihm aus, so wie er mit den Menschen umging und wie er redete, und er besaß ein Charisma, mit dem er alle für sich einnahm. Zur Zeit dieses anderen aber nun – ich will ja nichts Hartes sagen – beweinen die Zurückgelassenen ihr Unglück – sie haben die festlichen Umstände verloren. Schuld daran, so sagen sie, ist die Tatsache, dass unter Ammonios der göttliche Altar den ihm angemessenen würdigen Dienst erhielt, als sich nämlich heilige Priester um ihn kümmerten, dass unter diesem Mann nun aber schuldbeladene Leute zugelassen, die Rechtschaffenen aber ausgeschlossen werden. Da nun schon das Notwendige leichtsinnig aufs Spiel gesetzt ist, ist auch alles andere verdorben. Denn indem selbst das Allerheiligste von schuldbefleckten Leuten zertreten wird, ist folgerichtig auch die Stadt für die Mehrheit unbetretbar geworden. Beweine sie also nicht nur, heiliger Mann, sondern bete auch, dass sie zu ihrer alten guten Lebensweise und zu ihrem alten Glück zurückfinde.⁷⁸⁵

Ep. 1208 lehnt sich im Bezug des Bildes von einer Frau, die nur noch ihren luxuriösen Schmuck besitzt, aber ihren alten Wohlstand verloren hat, auf die Kirche der Gegenwart eng an Johannes Chrysostomus an⁷⁸⁶, konzentriert sich in der weiteren Anwendung des Bildes aber auch hier dann auf die unwürdigen Priester, die das kirchliche Vermögen missbrauchen, Ämter kaufen und verkaufen, unmoralisch leben und die Drohungen der Heiligen Schrift für ein Märchen und eine „Gauklergeschichte“ (μῦθος; ἀγυρτικὴ λογοποιία) halten.⁷⁸⁷

4.5.3 Kreative Verkettung biblischer Bilder Hier kommen zwölf Briefe in Betracht, die mehrere bildhafte bzw. bildhaft interpretierte Bibelstellen intertextuell miteinander verknüpfen, und zwar in über der Hälfte der Fälle über die Grenze des Alten und des Neuen Bundes bzw. Testaments hinweg. Alle hier behandelten Briefe finden sich unter den ersten 400 der Sammlung. Isidor selbst macht die Polyvalenz der biblischen Bilder zum Thema.⁷⁸⁸ Ein Bild kann an verschiedenen Stellen unterschiedliche geistliche Realitäten verkörpern. Umgekehrt ist aber auch zur Darstellung einer geistlichen Realität eine

 Ep. 1045 (III, 245) (PG 78, 924, A5-C7). Zu diesem Brief vgl. Évieux 1995, 208, Anm. 104.  Die entsprechende Chrysostomusstelle ist hom. 36 in 1Cor 5 (PG 61, 312).Vgl. Kertsch 1990, 75.  Ep. 1208 (III, 408) (PG 78, 1041, A3-C13). Das Bild beginnt bei B2, die Invektive gegen die Priester als „schlechte Verwalter“ (vgl. Lk 12,41– 48) bei B7.  Vgl. oben den Abschnitt 4.5.1.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Vielfalt von Bildern angebracht, ja sie kann sogar notwendig sein.⁷⁸⁹ Isidor ist ein mustergültiges Beispiel für eine solche Theologie in Bildern und Bildketten, in der vieles nicht-diskursiv verhandelt wird. Wichtig ist hier wieder die Überzeugung, dass insbesondere die Frage, wer oder was Gott in sich ist, vom Menschen nicht beantwortet werden kann.⁷⁹⁰ Zur Menschwerdung Gottes etwa gibt es nach Isidor viele Zeugnisse in der Schrift, die schon zu vielen Betrachtungen Anlass gegeben haben (und Isidor setzt diese Tradition von θεωρίαι, betrachtenden Einsichten durch bildliche Sprache, fort), aber im Kern gehe es dabei um etwas, was unser Denken und unsere Sprache übersteigt.⁷⁹¹ In sechs Briefen mit solchen Bildketten spielt Wein eine zentrale Rolle. Verbunden werden dabei u. a. der „Becher des Zornes“ Gottes, der in der alttestamentlichen prophetischen Tradition Israel zur Strafe gereicht wird, aber auch den Fremdvölkern, um sie zu Fall zu bringen, die Stelle von den Weinpanschern in Jes 1,22, die Stelle vom Gastmahl, das die Weisheit gibt in Spr 9, die Erzählung von der Hochzeit in Kana, Mt 9,17, Joh 15, der Bezug auf die Eucharistie, auf Blut, Wein und Essig bei der Passion und schließlich auf das Pfingstereignis. Zentraler Bezugspunkt des Begriffs „Wein“ ist dabei Gottes Selbstkundgabe in Christus bzw. davor und danach in der prophetischen und apostolischen Verkündigung. Hier der Text der Briefe:

 Vgl. Young 2013, 249 mit Bezug auf das christologisch-soteriologische Bildmaterial der christlichen Frühzeit: „[…] somehow Christ is paradoxically both Shepherd and Lamb, Priest and Victim. Only those conceptions of atonement which can embrace this richness of metaphor are truly successful. Simple transactional theories, whether involving the appeasement of God or the conquest of the devil, and doctrines which focus exclusively on either the objective or subjective aspect of atonement, just cannot be found in the patristic literature.“ Ebd. 250 spricht Young von „imaginative integration“ durch den notwendigen Gebrauch einer Vielfalt von Bildern, die als solche erkannt sind. Diese Sprachform sei auch für die Theologie der Gegenwart wiederzugewinnen.  Vgl. oben S. 215 f. mit Anm. 605.  Ep. 323 (I, 323) an Cyrill von Alexandria: „Πολλαὶ μὲν μαρτυρίαι Γραφικαὶ, πολλαὶ δὲ θεωρίαι πατρικαὶ [nach Kodex C, vgl. Évieux 1995, 83, und das Faksimile bei Schmid 1948 zwischen 110 und 111. Diese Lesart ist deutlich attraktiver als das schwer zu erklärende πρακτικαί der PG. Freilich wäre Isidor damit wohl ein ziemlich früher Beleg für die Verwendung von πατρικός in diesem Sinn, vgl. PGL s.v. A.4.] τὸν ἀληθῆ τῆς τοῦ Κυρίου σαρκώσεως λόγον τρανοῦσιν ἀσφαλῶς, εἰ καὶ τῆς ἡμετέρας διανοίας καὶ γλώσσης ἀνώτερόν ἐστι τὸ μυστήριον“ – „Viele Belege aus der Heiligen Schrift und viele betrachtende Deutungen der Väter dazu machen die wahre Lehre von der Fleischwerdung des Herrn zuverlässig klar, auch wenn das Geheimnis unser Denken und unsere Sprache übersteigt“. Vgl. (kongenial dazu) Young 2013, 413.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Diejenigen, die in ihrem gealterten Zustand faul geworden waren und die neu zu ihnen gekommene Gnade verworfen hatten, nannte der Herr „alte Schläuche“⁷⁹², die sozusagen bersten und die neue Lehre von der Königsherrschaft auslaufen lassen. Kajaphas gehört hier erwiesenermaßen dazu. Denn als er vom Herrn gehört hatte: „Der Sohn Gottes bin ich“, zerriss er seine Kleider.⁷⁹³ Petrus dagegen, der das Gesetz des lebenspendenden Geistes angenommen hatte, warf nicht nur den Kopf nicht zurück, nachdem er belehrt worden wäre, sondern wurde nur gefragt und legte schon sein Bekenntnis ab.⁷⁹⁴ So zeigte er, dass das Wissen um die Wahrheit schon fest in ihm wohnte.⁷⁹⁵ Da der Herr sich selbst einen Weinstock genannt hat⁷⁹⁶, einen Weinstock, der die Verkündigung austeilt, die die Heimkehr verspricht und das Herz froh macht⁷⁹⁷, nennt die göttliche Schrift folgerichtig den wahren Vortrag der göttlichen Erkenntnis „Wein“; diesen schenkt die Weisheit ja in einem Mischkrug aus⁷⁹⁸, wobei sie die Seite des Herrn „Mischkrug“ nennt, die Seite, aus der für uns die Freude des wahren Lebens entsprungen ist⁷⁹⁹.⁸⁰⁰ Als die Apostel des Herrn die Herabkunft des göttlichen Geistes aufgenommen hatten, glaubte man, sie seien vom süßen Wein betrunken⁸⁰¹, und sie brachten zu allen Völkern den wahren und unverfälschten Trank der Geheimnisse. Diejenigen, die die göttliche Unterweisung verunstalten und mit unechten kraftlosen Vorschriften die himmlischen Lehren trüben, die Manichäer, Simonianer, Montanisten, Novatianer, Arianer, Makedonianer, Photinianer und alle ihre Gesinnungsgenossen, nennt [der Prophet / die Schrift] also zu Recht „Schankwirte, die Wasser in den Wein mischen“⁸⁰², indem sie der unvermischten Weisheit der göttlichen Worte ihre privaten Empörungen beifügen.⁸⁰³ Den Kelch des Verderbens und den Becher des Zorns⁸⁰⁴ droht Gott denen, die sündigen, als Strafen zur Besserung an; einmal gibt er sie den Babyloniern, ein anderes Mal den Assyrern in die Hand. Von den Hebräern ausgetrunken, haben sie diese zwar betrunken gemacht, aber nicht eines besseren Lebens gewürdigt. Einen einzigen Kelch aber hat Christus am Holz getrunken⁸⁰⁵ und so Bitternis⁸⁰⁶ geheilt und Freude⁸⁰⁷ gebracht.⁸⁰⁸

 Mt 9,17.  Mt 26,65.  Mt 16,16.  Ep. 57 (I, 57) (PG 78, 220, A6-B6). Die Anwendung auf die Erkenntnis Christi und auf Kajaphas findet sich an der von Fouskas 1970, 122 als Parallele angeführten Chrysostomusstelle stat. 16, 4 (PG 49, 167, 6 ff.) nicht. Vgl. inhaltlich ep. 291 (s. oben S. 228 f.).  Joh 15,1– 8.  Vgl. Ps 103,15: „καὶ οἶνος εὐφραίνει καρδίαν ἀνθρώπου“.  Spr 9,2.5; v.2b: „[Ἡ σοφία] ἐκέρασεν εἰς κρατῆρα τὸν ἑαυτῆς οἶνον“.  Vgl. Joh 4,14; 7,38; 19,34.  Ep. 168 (I, 168) (PG 78, 293, A8-B3).  Vgl. Apg 2,13.  Jes 1,22b.  Ep. 169 (I, 169) (PG 78, 293, B4-C3). Vgl. ep. 925 (III, 125) (PG 78, 825, C9 – 828, A3), wo nur die Schankwirte von Jes 1,22b mit Häretikern in Verbindung gebracht werden (ausführlich besprochen oben S. 98 f.).  Vgl. Jes 51,17.22; Jer 32,15 – 19 (25,15 – 19 MT); Ps 59,5; Ps 74,9.  Mk 10,38 parr.; Mk 14,36 parr.; Mk 15,36 parr.  Mk 15,23 par.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Der göttliche Spruch vergleicht die Frohe Botschaft geheimnisvoll mit Wein. Einmal entspringt solcher Wein aus der Seite des Herrn⁸⁰⁹, ein anderes Mal bringt er die Jünger wie mit „süßem Wein“ zum Sprechen⁸¹⁰. Die Freude, die von diesem Wein kommt, verfehlen die Juden, und in ihrer Lust, die Wahrheit durch Lüge zu misshandeln⁸¹¹, reichten sie dem Lehrer der Weisheit Essig⁸¹², unter den sie noch Bitteres gemischt hatten. Denn sie, deren Mund voll von Fluch und Bitterkeit ist, haben auch solche Getränke, indem sie den Pflanzer des lebendigen Weinstocks⁸¹³ mit Essig auszahlen und den, der mit göttlichen Worten und Gesetzen alles süß gemacht hat wie mit Honig, mit der Bitterkeit der Galle⁸¹⁴ grüßen.⁸¹⁵ Sein erstes Wunder⁸¹⁶ hat der Herr nicht nur auf einer Ebene getan. Denn wenn er auch für die Hochzeitsfeier gegeben hat, woran es ihr mangelte, hat er außerdem auch für das Gesetz erfüllt⁸¹⁷, was ihm fehlte. Denn nachdem dieses nur mit Wasser getauft hatte⁸¹⁸, bewirkte er selbst die Vollendung mit seinem eigenen Blut, indem er in sich beides mischte⁸¹⁹ und das Gesetz mit der Gnade vereinigte.⁸²⁰

Isidor nutzt verschiedene Assoziationen des Begriffs „Wein“: Wein als Quelle von Freude und Leben (das ist gleichzeitig auch schon eine Verbindung zu einer Schriftstelle, nämlich Ps 103,15), die blutrote Farbe und die Rolle des Weins beim Letzten Mahl Jesu und in der Eucharistie, der Alkoholgehalt mit der Ambivalenz von Taumel (der Juden und Heiden) und Enthusiasmus (der Jünger an Pfingsten⁸²¹) und die Möglichkeit der Gärung zu Essig.

 Vgl. wiederum Ps 103,15.  Ep. 249 (I, 249) (PG 78, 333, B3 – 9).  Vgl. Joh 19,34; 7,37.  Vgl. Apg 2,13.  O V: „zu verdrehen“ („τρέψαι“ statt „τρίψαι“).  Mk 15,36 parr.  Vgl. Jes 5,1– 7; Lk 13,6 – 9.  Vgl. Mt 27,34; Ps 68,22.  Ep. 293 (I, 293) (PG 78, 353, C1– 11).  Joh 2,1– 11.  Vgl. Mt 5,17: „οὐκ ἦλθον καταλῦσαι ἀλλὰ πληρῶσαι“.  Mt 3,11 (Taufe mit Wasser – Taufe mit Hl. Geist und mit Feuer); vgl. Hebr 9,9 f. (Gaben und Opfer „μὴ δυνάμεναι […] τελειῶσαι“, darunter fallen für Hebr auch βαπτισμοί – die rituellen Waschungen der Tora).  Vgl. Spr 9,2; Joh 19,34.  Ep. 393 (I, 393) (PG 78, 404, B2– 8).  Isidor baut den „süßen Wein“ aus der Pfingsterzählung (Apg 2,13) in seine Assoziationskette ein, obwohl der Weinkonsum den Jüngern dort nur von den Beobachtern unterstellt und diese Erklärung sodann von Petrus abgewehrt wird (Apg 2,15). In Apg handelt es sich noch nicht um ein Bild, sondern um eine verneinte Realität; was die Stelle aber für das Bildfeld „Wein“ nutzbar macht, ist der Aspekt der Begeisterung, freilich einer Begeisterung ohne Betrunkenheit, während die, die Gottes Zorn im Bild aus Jes, Jer und Ps „getrunken“ haben, wie betrunken zu Fall kommen, ohne von Gottes Geist ergriffen zu sein.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Verbindungen zwischen Altem und Neuem Testament entstehen über die Stichworte „Mischung“ / „Mischkrug“ und „Kelch“ / „Becher“. Aber auch Motivparallelen innerhalb des Neuen Testaments werden frei miteinander assoziiert. So wird Kajaphas zu einem Referenten des Gleichnisses von den alten und den neuen Schläuchen, weil die alten Schläuche reißen und Kajaphas sein Gewand zerreißt, und das Wunder auf der Hochzeit zu Kana beschreibt die Erfüllung des Gesetzes durch Jesus und die Verbindung von Gesetz und Gnade. Dabei entspricht das Gesetz dem Wasser und die Gnade dem Wein; beide entspringen am Kreuz aus der Seite Jesu. Die Gabe des neuen Lebens setzt sich fort in der wahren apostolischen Verkündigung (Petrus in Mt 16,16; Apg 2) und in der Verkündigung der Kirche, die nur als reiner Wein vor der Verfälschung durch die Häretiker geschützt bleibt. An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich die Polyvalenz des Bildes von der Weinmischung: In den Briefen 168 und 393 steht diese, ausgehend von Spr 9,2, für etwas eminent Positives – die Gabe der Weisheit, des wahren Lebens und der göttlichen Gnade aus der Seite Christi. In epp. 169 und 925 dagegen ist die Weinmischung, ausgehend von Jes 1,22b, das Bild für die Verfälschung der wahren, schriftbasierten Lehre durch die Häretiker. In den anderen sechs Briefen bilden unterschiedliche Stichworte die Grundlage für die Verkettung. Ep. 16 geht vom Salz aus, mit dem Elischa in 2Kön 2,21 Unfruchtbarkeit und Tod verursachendes Wasser brauchbar macht: Mit Salz machte Elischa die Unfruchtbarkeit verursachenden Wasser von Jericho gesund⁸²², in Übereinstimmung mit dem Evangelium dazu bewegt zu heilen, weil er das Vorherige sah. Denn die unfruchtbar gewordenen Wasser trugen das Bild der ganzen Menschheit im Hinblick darauf, dass sie Tugenden nicht mehr zeugen und in rechter Gottesverehrung keine Frucht mehr bringen konnte, das Salz das Bild der alles nach Hause rufenden und Kraft spendenden Lehre des Herrn, wie er selbst zu seinen Aposteln sagt: „Ihr seid das Salz der Erde“⁸²³, Elischa schließlich das Bild des Schöpfers und Herrn selbst. Denn die, die das Abbild [des Schöpfers] rein bewahren für den, der sie gemacht hat, empfangen auch die Gnade von ihm, mit ihm zusammen Wunder zu tun.⁸²⁴

 2Kön 2,21.  Mt 5,13.  Ep. 16 (I, 16) (PG 78, 189, B8-C10). Aufgrund der schon in den leicht zugänglichen Handschriften variantenreichen textkritischen Lage ist hier der Abdruck des vollständigen griechischen Textes geboten, auch um meine von der PG abweichende Textgestaltung zu verdeutlichen. Die Lesarten von O habe ich dabei am Digitalisat der Vatikanischen Bibliothek überprüft, diejenigen von μ an Rittershausens Isidorausgabe im Vergleich mit dem cod. Monac. graec. 50: „Ἅλατι Ἐλισσαῖος τὰ Ἱεριχούντια ῥεύματα ἀτεκνοῦντα ἰάσατο, εὐαγγελικῶς κινηθεὶς πρὸς τὴν ἴασιν, οἷα βλέπων τὰ ἔμπροσθεν. Τύπον γὰρ ἔφερε τὰ μὲν ὕδατα πάσης τῆς ἀνθρωπότητος

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

249

Die Selbstgabe Gottes in Jesus Christus wurde in den ersten sechs Briefen im Bild des Weines dargestellt. Hier in ep. 16 heißt die „Lehre des Herrn“, die sich in einem Propheten wie Elischa im Voraus andeutet (Elischa heilte εὐαγγελικῶς, „in Übereinstimmung mit dem Evangelium“) und von den Aposteln nach Mt 5,13 weitergetragen werden soll, von 2Kön 2,21 und Mt 5,13 ausgehend, „Salz“. Elischa selbst präfiguriert in ep. 16 Christus⁸²⁵, was sich nicht nur auf eine äußerliche Entsprechung beschränkt. Denn Elischa ist in einer doppelten Weise mit Christus verbunden. Offensichtlich durch seinen vorbildlichen Lebenswandel hat er das nach Gen 1,27 vom Schöpfer dem Menschen eingeprägte Abbild Gottes (τὴν εἰκόνα) „rein in sich bewahrt“; auf diese Weise ist er selbst vor Christi Kommen im Fleisch auch schon in einer Handlungsgemeinschaft mit ihm: er kann wie später Jesus Christus Wunder tun.⁸²⁶ Ep. 64 verbindet anhand der Motive „Baum“ und „Wurzel“ zwei neutestamentliche Stellen, eine aus dem Matthäusevangelium, eine aus dem Römerbrief, miteinander: Johannes [der Täufer] beobachtete die freiwillig gewählte Fruchtlosigkeit [eigtl.: den fruchtlosen freien Willen] der Juden und verglich sie mit fruchtlosen Bäumen, wobei er aussprach, dass die Axt schon an ihre Wurzel gelegt sei, nämlich die scharfe und kurz gesagte Scheidung⁸²⁷ durch das Evangelium, durch die jeder Baum, der keine gute Frucht

πρὸς ἀγονίαν ἀρετῶν καὶ ἀκαρπίαν εὐσεβείας στειρωθέντα [nach O V μ (cod. Monac. graec. 50 hat στειρωθέντι); die PG hat στερεωθέντα], oἱ ἅλες δὲ τῆς πάντα νοστιζούσης [nach O V μ; Poussines nennt νοστίζειν ein „verbum nihili“, vgl. dagegen aber LSJ s.v. und die Verwendung desselben Wortstamms im gleichen Kontext in Isidors ep. 168 (PG 78, 293, A9 f.): „[ὁ Κύριος …] τὸ νόστιμον καὶ καρδίαν εὐφραῖνον παρασχόμενος κήρυγμα“] καὶ δυναμούσης τοῦ Κυρίου διδαχῆς [nach O V; PG und μ haben: ποιότητος καὶ δυνάμεως εἰς τὴν τοῦ Κυρίου διδαχὴν], καθὼς αὐτὸς πρὸς τοὺς ἑαυτοῦ ἀποστόλους φησίν· ‚Ὑμεῖς ἐστε τὸ ἅλας τῆς γῆς‘, Ἐλισσαῖος δὲ αὐτοῦ τοῦ Δημιουργοῦ καὶ Δεσπότου. Οἱ γὰρ τὴν εἰκόνα καθαρὰν φυλάττοντες τῷ ποιήσαντι καὶ συνθαυματουργεῖν αὐτῷ χάριν παρ᾿ αὐτοῦ ἐκομίσαντο.“  Christus heißt bei Isidor Δημιουργός – Schöpfer – z. B. auch in ep. 1095 (III, 295) (PG 78, 969, C3) und in ep. 1455 (IV, 202) (SC 454, 90, 1 f.). Bartelink 1964, 163 führt den Gebrauch von δημιουργός statt κτίστης bei Isidor auf dessen Attizismus zurück.  Wenn Isidor davon spricht, wie Gott und Mensch zum Guten zusammenwirken, verwendet er oft den Begriff συμμαχία („Kampfgenossenschaft“, „Kampfhilfe“ Gottes). Vgl. z. B. ep. 742 (II, 242) (PG 78, 684, A9-B6; Thema ist der Kampf gegen die Leidenschaften, in dem der Mensch alles tun soll, was in seiner Macht steht, für den Sieg aber auf Gottes συμμαχία vertrauen soll) oder 959 (III, 159) (PG 78, 853, C1 – 856, A4; unter der Leitung der göttlichen συμμαχία konnte Pinhas durch seine spektakuläre Aktion der Reinigung von der Sünde die Israeliten von der Seuche befreien (Num 25, 6 – 18)).  Vgl. inhaltlich Hebr 4,12.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

bringt, umgehauen⁸²⁸, aber nicht ausgegraben wird. Denn was aus den Wurzeln gewachsen ist, das Gesetz nämlich, wird bestehen gelassen; darauf wird das neue Volk aufgepfropft⁸²⁹.⁸³⁰

Die Bildverbindung stellt Isidor in den Kontext antijüdischer Polemik, und zwar einerseits durch die Generalisierung der Predigt Johannes des Täufers, die sich bei Matthäus eigentlich an die „Pharisäer und Sadduzäer“⁸³¹ richtet, auf alle Juden damals und zu seiner Zeit⁸³² (die Vergangenheit des biblischen Textes wird mit der Gegenwart des Auslegers in Beziehung gesetzt, angesichts der geschichtlichen Auswirkungen dieser Auslegungstradition hier mit langfristig verheerenden Konsequenzen), andererseits durch eine Modifikation des Bildes vom Ölbaum aus Röm 11,17– 24. Die Zweige, die in Röm 11,17– 24 aus dem edlen Ölbaum entfernt worden sind, für die aber auch Hoffnung besteht, dass sie einmal wieder eingepfropft werden können, stehen für die Glieder des Volkes Israel, die nicht zum Glauben an Christus gekommen sind, und was vom edlen Ölbaum geblieben ist, als die Zweige aus dem wilden Ölbaum eingepfropft wurden, ist bei Paulus offensichtlich nicht nur das Gesetz. Ep. 95 findet Dornen in den Worten über den Menschen bei der Vertreibung aus dem Paradies und dann wieder in der Passionsgeschichte, in der Jesus zum Spott mit Dornen gekrönt wird. Isidor stellt Christus im Bild des Athleten als den souveränen Herrn einer freiwilligen Passion dar⁸³³; die Dornenkrone wird dabei zum Siegeskranz nach dem Brauch der Wettkampfsieger, „ebendie Waffe oder ebendas Werkzeug, durch das sie den Sieg errungen haben, im Triumph mit[zu] führen“, und die „Krönung“ wird vom passiven zum medial-reflexiven Vorgang:

 Mt 3,10.  Vgl. Röm 11,17.  Ep. 64 (I, 64) (PG 78, 224, C8 – 225, A6). Riedinger bietet eine (hier in der Tat auch wörtlich recht enge) Parallele aus Ps.-Caesarius und führt den Brief als „frg. 12“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria. Den letzten Satz des Isidorbriefes mit der Anspielung auf Röm 11,17 lässt er allerdings weg, ohne diese Auslassung anzugeben. Er hat keine Entsprechung in der „Antwort“ bei Ps.-Caesarius, wo Mt 3,10 stattdessen mit Hebr 4,12 assoziiert wird (ebenfalls über den bei Riedinger gebotenen Text hinaus).  Mt 3,7.  Dieselbe Generalisierung mit ebenfalls antijüdischer Stoßrichtung findet sich auch in ep. 59 (I, 59) (PG 78, 220 f.) und in ep. 105 (I, 105) (PG 78, 253, B4-C2). Johannes Chrysostomus bleibt in seinen Matthäushomilien in der Erzählsituation des Evangeliums und differenziert zwischen dem einfachen Volk (οἱ ὄχλοι, ὁ δῆμος) und den Pharisäern (hom. 11 in Mt. 1; PG 57, 193, 2 f. und 11– 18).  Vgl. die Briefe 666 (II, 166) (PG 78, 620, A7 – B) und 785 (II, 285) (PG 78, 716 f.). Diese Briefe setzen sich mit der Frage auseinander, warum Jesus in Lk 23,27– 31 auf dem Weg zur Kreuzigung die Frauen tadele, die ihn beweinen. Auch in diesen Briefen vergleicht Isidor Jesus mit einem Athleten.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Christus bekränzt sich selbst. Auch hier verändert sich ein biblisches Bild durch die Vernetzung mit einem anderen und durch die damit eingetragenen theologischen Implikationen (hier: nicht das, was die Soldaten, die Jesus verspotten, mit der Dornenkrone zum Ausdruck bringen wollen, ist die Wahrheit über ihn, sondern man muss die Dornen als Siegeskranz sehen): Da ja der Dornstrauch die Ernte der Verfluchung war, zu der die Erde nach der Übertretung durch uns verurteilt wurde⁸³⁴, der Herr aber hinzukam, um (diese Verfluchung) in sich selbst⁸³⁵ vollständig zu heilen, hat er [der Herr] sich deswegen wie ein Wettkampfsieger mit Dornen bekränzt⁸³⁶, so wie es die berühmten Sieger machen, wenn sie ebendie Waffe oder ebendas Werkzeug, durch das sie den Sieg errungen haben, im Triumph mitführen. „Habt Mut“, sagt er, „ich habe die Welt überwunden“⁸³⁷. Denn er, der in der Natur der Menschen gegenwärtig war, in ihren Sünden aber nicht gegenwärtig war, hat dem Menschengeschlecht die alte Schönheit zurückgegeben und die Macht des Fluches in ebendieser Natur vernichtet.⁸³⁸

Dieselbe Thematik der Wiedergutmachung dessen, was beim Sündenfall Schaden erlitten hatte, nimmt Isidor auch in ep. 282 auf. Dort liegt der Akzent allerdings auf dem menschlichen Beitrag. Mit ep. 95 hat dieser Brief die Aussage gemeinsam, dass damit, worin sich der Schaden manifestiert hat, auch der Sieg und die Wiedergutmachung errungen werden können. In ep. 282 ist es das Essen bzw. Nicht-Essen, das auch den zentralen bildlichen Konnex ergibt: Der Schöpfer und Herr hatte uns als einen Ort, an dem wir gut hätten leben können, die Wohnung in Eden gegeben⁸³⁹, aber durch die Unbeständigkeit unseres Willens und die Bosheit des Versuchers wurden wir daraus vertrieben und auf eine Erde, die harte Arbeit macht, und in ein aufreibendes Dasein in der Fremde hinausgeworfen.⁸⁴⁰ So hat Christus, der Gute, versprochen, dass er diejenigen von uns, die sich wieder Flügel wachsen lassen⁸⁴¹, das erdverhaftete Leben aufgeben und sich der Höhe der himmlischen Lebensweise nähern, an jenem Ort zusammenführen wird.

 Vgl. Gen 3,17 f.  Vgl. Gal 3,13.  Vgl. Mt 27,29; Mk 15,17; Joh 19,2.  Joh 16,33.  Ep. 95 (I, 95) (PG 78, 248, B12-C10).  Vgl. Gen 2,8 – 25.  Vgl. Gen 3,17– 19.23 f.  Vgl. Jes 40,31: „Die, die auf den Herrn warten, bekommen neue Kraft, sie treiben Flügel wie Adler, sie laufen und werden nicht müde, sie gehen ihren Weg und leiden keinen Hunger“. Über das Stichwort „Flügel entwickeln“ (πτεροφυεῖν) ruft Isidor Jes 40,31 ab; das Ende dieses Verses stellt wiederum eine Verbindung zur Thematik Essen / Verzicht auf Essen her.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Und das ist auch der Sinn der Stelle, nach der du gefragt hast: „Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Geier“⁸⁴², das heißt: Dort, wo die Niederlage durch das unbeherrschte Essen sich ereignet hat, dort ist auch durch Fasten und Enthaltsamkeit, wenn die Natur es hervorbringt, der Sieg aufgerichtet.⁸⁴³

Die Ursache des Sündenfalls war ein „unbeherrschtes Essen“ (nämlich vom Baum der Erkenntnis); die Heilung kann geschehen durch „Fasten und Enthaltsamkeit“. Bestimmte Greifvögel ernähren sich von Aas; auf sie spielt Isidor indirekt mit dem Bild der Flügel und des Aufstiegs nach oben und direkt mit dem Zitat Mt 24,28 an. Mt 24,28 drückt außerdem aus, dass die Heilung, das „Flügelwachstum“ und der Aufstieg „dort“ geschehen, wo auch der Unheilszustand begonnen hat. Ep. 286 illustriert einmal mehr, dass die Verkettung von Bildern und die Herstellung übertragener Referenzen auch eine erhebliche Entfernung vom Bibeltext zur Folge haben kann, soweit nur ein Punkt bestehen bleibt, der „die Verbindung hält“: Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1– 13), also eine bildhafte Passage der Bibel, wird herangezogen, um über Jungfräulichkeit und deren Zusammenhang mit anderen Tugenden als Zugangsberechtigung zum Himmelreich zu sprechen. Um die offene und später verschlossene Tür geht es im Gleichnistext zwar auch, aber die Jungfräulichkeit der zehn Protagonistinnen scheint gleichnisimmanent nicht der springende Punkt zu sein. Eher wäre hier wohl die Vorsorge der fünf „klugen Jungfrauen“ für das nötige Öl zu nennen, die sie von den „törichten“ unterscheidet. Isidor will aber illustrieren, dass eine Tugend alleine nicht ausreicht.⁸⁴⁴ Zu diesem Zweck zieht er den von der direkten Referenz „bunte Farben“ auf eine Vielfalt von Tugenden übertragenen Vers Ps 44,14 heran. Am Ende des Briefes greift er aus dieser Vielfalt die nach Mt 23,12 für die „Erhöhung“ durch Gott notwendige Demut heraus. Eigenartig wirkt allerdings, wenn er zuvor gerade das Mitleid (συμπάθεια) als vor Gott notwendige Ergänzung zur Jungfräulichkeit herausstellt, wo man doch den klugen Jungfrauen im Gleichnis, wenn irgendetwas, dann am ehesten einen Mangel an Mitleid gegenüber den törichten vorwerfen könnte. Offensichtlich ist Isidor schon an dieser Stelle zu weit vοm Gleichnistext entfernt, als dass ihn dieses Problem beschäftigen würde; das Gleichnis ist hier eher der Anlass für Reflexionen über „Charaktere und Lebensweisen“ (τρόποι und βίοι):

 Mt 24,28. Im Griechischen kann diese Stelle schon aufgrund der Semantik auf Verschiedenes bezogen werden. Πτῶμα kann sowohl „Aas“ als auch „Fall/Sturz/Unglück“ bedeuten, was den Vers für Isidor mit dem Sünden-„Fall“ verbindet; ἀετός heißt zunächst „Adler“ – hier erkennt er die Verbindung zu Jes 40,31, wo in der LXX dasselbe Wort steht.  Ep. 282 (I, 282) (PG 78, 348, C1 – 349, A6).  Vgl. zu dieser Maxime ep. 403 (I, 403) (PG 78, 408, B4– 11).

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

253

Das Gleichnis mit den zehn Jungfrauen⁸⁴⁵ zeigt die Unterschiede verschiedener Charaktere und Lebensweisen auf. Alle lebten ja jungfräulich, aber nicht alle kümmerten sich in gleicher Weise auch um die übrigen Tugenden, sondern (einige) glaubten, sie könnten sich für den Zutritt zum Reich (Gottes) mit dieser Tugend [der Jungfräulichkeit] allein begnügen. Das unbestechliche Urteil zeigte aber, dass Jungfräulichkeit nichts nützt, wenn Mitleid fehlt. „Der ganze Glanz der Tochter des Königs ist vielfarbig durch ihren Schmuck“⁸⁴⁶. Das heißt, man muss vielfältig geschmückt sein durch die goldglänzenden Fransen⁸⁴⁷ aller Tugenden. Denn wenn jemand jungfräulich lebt und sich darauf etwas einbildet, verfehlt er die Demut, die eine noch größere Errungenschaft ist. Denn es heißt in der Schrift, dass der erhöht werden wird, der sich selbst erniedrigt⁸⁴⁸, nicht der, der jungfräulich lebt.⁸⁴⁹

In ep. 358 verbindet Isidor zwei Stellen aus den Evangelien, von denen eine aus einem Gleichnis, die andere aus der fortlaufenden Erzählung bei Markus und Matthäus genommen ist. In beiden kommt ein Feigenbaum vor: Dass die Menschen Gott dreimal die Anerkennung verweigert haben, hat auch der Herr selbst klar gemacht, indem er sagte, er sei dreimal zu dem Feigenbaum gekommen und habe an ihm keine Frucht gefunden⁸⁵⁰; den ganzen üblen Zustand (πᾶσαν τὴν κάκωσιν) des Baumes hat er in sich selbst geheilt, indem er erklärte, die Übertretung werde von nun an keine Frucht mehr hervorbringen⁸⁵¹.⁸⁵²

Freilich wird nicht nur die Stelle aus dem Erzählzusammenhang der Evangelien (Mt 21,19 / Mk 11,14) mit Jesus als Subjekt angeführt, sondern auch die Stelle aus dem Gleichnis (Lk 13,6 – 9), als ob Jesus selbst in Lk 13,7 der Sprecher sei. Anders als in der Interpretation, die Isidor selbst in ep. 312 gibt⁸⁵³ und nach der der Besitzer des Weinbergs Gottvater, der Gärtner der Sohn ist, wäre damit Christus der Besitzer des Weinbergs. Die Modifikation geschieht offenbar gerade zum Zweck der Verbindung der beiden Bibelstellen. Klar ist auf jeden Fall der Skopus: es geht

 Mt 25,1– 13.  Ps 44,14.  Vgl. ebd.  Mt 23,12.  Ep. 286 (I, 286) (PG 78, 349, D2 – 352, A9).  Vgl. Lk 13,6 – 9.  Vgl. Mt 21,19 par.  Ep. 358 (I, 358) (PG 78, 385, C9-D2).  Ep. 312 (I, 312) (PG 78, 364, A10-B11). Dieser Brief bezieht sich nur auf das Gleichnis Lk 13,6 – 9. S. oben S. 230. Das Beispiel zeigt besonders schön, dass es für Isidor (wie auch für andere antike Exegeten) kein Problem darstellte, eine Bibelstelle oder ein Motiv auf unterschiedliche oder sogar einander auf einer oberflächlichen Ebene zuwiderlaufende Arten auszulegen.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

ein weiteres Mal um die Wiedergutmachung dessen, was beim Sündenfall geschehen ist. Auf der Grundlage von Gen 3,7 kann der Baum der Erkenntnis, wenn man will, als Feigenbaum identifiziert werden, was Isidor in ep. 51⁸⁵⁴, einem Brief, der sich nur auf Mt 21,19 / Mk 11,14 bezieht, auch tut. Wenn also der Feigenbaum dazu verurteilt wird, keine Frucht mehr zu tragen, bedeutet das, dass die Quelle der Sünde und damit des Fluchs über die Menschheit von Christus ausgetrocknet wird. Aus ep. 312 geht auch hervor, was mit der „dreimaligen Verwerfung“ in ep. 358 gemeint sein dürfte: Dort steht der Feigenbaum für die Menschheit, zu der Gott dreimal kommt: im Gesetz, in den Propheten, schließlich in seinem Sohn; der Gärtner Christus gibt der Hoffnung Ausdruck, dass durch seine „Lehren und Leiden“ (δόγματα καὶ παθήματα) endlich Besserung einsetzt.⁸⁵⁵

4.5.4 Christologie in Bildern Hier sind die oben erwähnten acht Briefe auszulegen, die von der Bibel auf die Christologie schließen.⁸⁵⁶ Auch sie sind alle unter den ersten 400 Briefen der griechischen Sammlung zu finden, und auch sie sind schöne Beispiele für bildhafte, nicht-diskursive Theologie in der Antike. Ein durchgängiges Thema dieser Briefe ist die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem in Christus. Die Termini, die Isidor gebraucht, sind aufgrund der genau an diesem Punkt textkritisch unklaren Lage, die zudem für die einschlägigen Briefe nur rudimentär wissenschaftlich erfasst ist, nicht mit Sicherheit zu erheben. Offensichtlich ist Isidor in dieser Sache in späteren christologischen Streitigkeiten verwendet worden, und offensichtlich haben dabei Eingriffe in den Text zur Anpassung an die jeweils eigene Terminologie stattgefunden.⁸⁵⁷ Deshalb ist heute Zurückhaltung geboten, wenn man Isidor im Umfeld von Ephesus und im Vorfeld von Chalzedon christologisch verorten möchte. Seine Stärke ist ohnehin nicht die begriffliche Definition von Dogmen, sondern die li-

 Ep. 51 (I, 51) (PG 78, 213, B3-C10). Der Bezug auf Gen 3,7 findet sich a. a.O. C5 – 7. Ein Teil des Briefes firmiert bei Riedinger als „frg. 9“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 177 f.).  Ep. 312 (PG 78, 364, B5 – 8).  Ungefähr diese Briefe fasst schon Schmid 1948, 82 als eine Gruppe zusammen. Statt ep. 236 (die Stelle Mt 16,16, die hier behandelt wird, enthält kein ausgearbeitetes Bild) ordne ich ep. 182 in diese Kategorie ein, die somit die Briefe 42; 182; 193; 199; 201; 219; 248 und 360 umfasst. Den griechischen Text einschließlich der aus Rittershausen und Poussines/Migne zu gewinnenden textkritischen Informationen biete ich jeweils in den Fußnoten.  Vgl. Schmid 1948, 60 – 64; 97 f. und 107 f.; Évieux 1995, 87 und 369.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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terarische Kraft seines Bildgebrauchs.⁸⁵⁸ Dieser beruht weithin auf biblischen Motiven, die Isidor auch hier in manchen Briefen – auf der Grundlage inhaltlicher oder einfach motivischer Verwandtschaft – miteinander verbindet und so oft überraschende, aber auch theologisch gehaltvolle Bezüge herstellt. In den Briefen 42, 219 und 360 verbindet Isidor das Theologumenon von der christologischen Einung mit dem Gedanken der Hinwegnahme der Sünde(n). Immer spielt dabei Feuer als reinigendes Element eine Rolle: Mit der Zange empfing der prophetisch hochbegabte Jesaja die Kohle vom Altar.⁸⁵⁹ Dabei schaute er die Menschwerdung unseres Herrn mit größter Klarheit. Denn als Kohle war zu sehen das göttliche Wesen; als Zange dagegen das aus uns mit ihm vereinigte sündenlose Fleisch. Und [die Zange] berührte Jesajas Lippen und entfernte seine Sünden, das heißt die Niederlagen der menschlichen Natur (φύσις). Denn die unaussprechliche Vereinigung des [göttlichen] Wortes mit dem Menschlichen nahm auf eine Weise, die Gott angemessen war, die Sünden der Welt⁸⁶⁰ hinweg.⁸⁶¹ Am Feuer gebraten aßen die Hebräer das Fleisch des Lammes⁸⁶²; sie skizzierten damit durch ihr Essen schattenhaft im Vorausbild das große Geheimnis des göttlichen Heilsplans und lernten im Voraus das Lamm Gottes⁸⁶³ kennen, das das Feuer des göttlichen Wesens (οὐσία) mit dem Fleisch auf unsagbare Weise verflochten hat, [mit dem Fleisch], das nun von uns gegessen wird und die Vergebung des Bösen bewirkt.⁸⁶⁴ Brot heißt der Herr, weil er sich selbst so genannt hat⁸⁶⁵, und zwar dem auf der Hand liegenden Verständnis nach, weil er für alle eine heilbringende Nahrung geworden ist, aber dem verborgenen Sinn nach, weil er den Sauerteig des menschlichen Grundgemischs⁸⁶⁶ mit

 Vgl. Schmid 1948, 82.  Vgl. Jes 6,6.  Vgl. Joh 1,29.  Ep. 42 (I, 42) (PG 78, 208, D1 – 209, A6): „Τῇ λαβίδι ἔλαβεν ὁ διορατικώτατος Ἡσαΐας τὸν ἐκ τοῦ θυσιαστηρίου ἄνθρακα, τὴν τοῦ Κυρίου ἡμῶν ἐνανθρώπησιν θεωρῶν τηλαυγέστατα. Ἄνθραξ γὰρ [γὰρ aus den Kodizes O V μ eingefügt] ἡ θεία ἑωρᾶτο οὐσία [O V: φύσις]· λαβὶς δὲ ἡ ἐξ ἡμῶν αὐτῇ ἑνωθεῖσα ἀναμάρτητος σάρξ [O V wiederum: φύσις]. Ἥψατο δὲ τῶν χειλέων Ἡσαΐου, καὶ τὰς αὐτοῦ ἐκάθηρεν ἁμαρτίας, τὰς πτώσεις [nach O μ; die PG hat πάσης] τῆς ἀνθρωπείας φύσεως δηλονότι. Ἡ [nach Billy, Rittershausen; Morel und die PG haben sprachwidrig ὁ] γὰρ ἄρρητος τοῦ λόγου πρὸς τὸ ἀνθρώπινον ἕνωσις [Ο V μ: ἡ γὰρ τῶν δύο τούτων φύσεων ἕνωσις] ἦρε θεοπρεπῶς τὰς τοῦ κόσμου παντὸς ἁμαρτίας“.  Ex 12,8 f.  Joh 1,29.  Ep. 219 (I, 219) (PG 78, 320, C9 – 321, A2): „Ὀπτὰ πυρὶ τὰ κρέα τοῦ ἀμνοῦ ἤσθιον Ἑβραῖοι, τυπικῶς τὸ μέγα τῆς θείας οἰκονομίας μυστήριον σκιαγραφοῦντες διὰ τῆς βρώσεως, καὶ τὸν ἀμνὸν τοῦ Θεοῦ προμανθάνοντες, τὸ πῦρ τῆς θείας οὐσίας σαρκὶ ἀφράστως συμπλέκοντα, τῇ νῦν παρ᾿ ἡμῶν ἐσθιομένῃ, καὶ τὴν ἄφεσιν τῶν κακῶν ἐργαζομένῃ“. Origenes hatte aus der Stelle Anweisungen über die richtige Art der Bibelauslegung gewonnen: Or. Jo. X, 103 – 111 (SC 157, 444– 448 entspr. GCS 10, 188, 15 – 189, 33).  Joh 6,35.48.  Vgl. LSJ und PGL s.v. φύραμα.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

dem ihm eigenen Feuer der Gottheit vereint, gereinigt und sozusagen durchgebacken hat und zusammen mit ihm zu einer einzigen Person (πρόσωπον) und einer einzigen angebeteten Existenz (ὑπόστασις) geworden ist.⁸⁶⁷

Ep. 42 bezieht sich auf Jes 6,5 – 7, wo ein Seraph die Lippen des Propheten mit einer glühenden Kohle berührt⁸⁶⁸; ep. 219 auf Ex 12,8 f., die Vorschrift, das Lammfleisch beim Exodus am Feuer gebraten zu essen; ep. 360 auf Joh 6,35.48 („Ich bin das Brot des Lebens“) – auch zum Brotbacken braucht es Feuer. Das Feuer bzw. die „feurige“ Kohle stehen dabei jeweils für die göttliche Seite; sie verbindet sich in Christus mit dem Menschlichen, das durch die Zange, das „Fleisch“ und den Brotteig repräsentiert wird. In den Briefen 42 und 219 kommen Anspielungen auf Joh 1,29 hinzu; in ep. 360 steht der Begriff „Sauerteig“ im Anschluss an Mk 8,15 / Mt 16,11 und 1Kor 5,6 f. (nicht Mt 13,33 par.!) für das Sündhafte. Dabei entstehen in jedem der drei Briefe andere Akzente, ausgelöst durch das jeweils verwendete biblische Bild: Das Bild von der Zange und der Kohle legt die Menschheit Christi als eine Art Träger oder Transportmittel für das die Welt reinigende göttliche Wesen nahe. Der Begriff „Fleisch“ in Ex 12,8 f. ermöglicht einen Bezug auf das sündentilgende Essen des Fleisches Christi in der Eucharistie, also vom Alten über das Neue Testament in die kirchliche Gegenwart. In ep. 360 ist die Deutung von Joh 6,35.48 auf die Eucharistie (die „Nahrung des Heils“) die Auslegung nach dem „auf der Hand liegenden“ Verständnis; bei der übertragenden Auslegung auf die hypostatische Union⁸⁶⁹ hört man mit, dass die menschliche

 Ep. 360 (I, 360) (PG 78, 388, A4– 11): „Ἄρτος ὁ Κύριος κέκληται αὐτὸς ἑαυτὸν τούτῳ καλῶν τῷ ὀνόματι, κατὰ μὲν τὴν πρόχειρον ἔκληψιν, ὡς πᾶσι τροφὴ σωτηρίας γενόμενος· κατὰ δὲ τὴν ἀπόρρητον ἔννοιαν, τὴν ζύμην τοῦ ἀνθρωπείου φυράματος ἑνώσας καὶ καθάρας καὶ ὥσπερ ἐξοπτήσας τῷ οἰκείῳ πυρὶ τῆς θεότητος, καὶ εἰς ἓν σὺν αὐτῇ γεγονὼς πρόσωπον καὶ μίαν προσκυνουμένην ὑπόστασιν“. Vgl. zum Brief und der darin enthaltenen christologischen Terminologie auch oben S. 177.  Johannes Chrysostomus erwähnt in seinem Kommentar zu Jes 6,6 f. „einige“, die hier „Zeichen der zukünftigen Geheimnisse“ sähen, beschränkt sich aber an dieser Stelle selbst ausdrücklich auf die ἱστορία (Chrys. Is. interp. VI, 4 (SC 304, 272, 53 – 274, 58)). Ein Basilius von Caesarea zugeschriebener Jesajakommentar sieht in der Kohle allein „vielleicht“ die sündentilgende Menschwerdung Christi vorgezeichnet und sieht das Verhältnis von Kohle und Glut als Bild für die christologische Einung; für die Zange bietet er die menschlichen Aufnahmekapazitäten für die göttlichen Gaben als Bildauflösung an: (Ps.‐)Bas. Is. VI, 183 (PG 30, 429, A2-B11). Isidors christologische Auslegung der Verbindung von Zange und Kohle scheint von ihm selbst zu stammen. Vgl. PGL s.vv. ἄνθραξ und λαβίς.  Der dogmengeschichtlich für Isidor vielleicht noch anachronistische Ausdruck mag hier erlaubt sein, weil Isidor in ep. 360 offenbar tatsächlich selbst das Wort ὑπόστασις gebraucht. Die (wenigen) in den bisherigen Editionen erfassten Handschriften, aber auch Évieux (Évieux 1995, 342 f.), der für andere Briefe, auch solche, die er später nicht mehr edieren konnte, in der Mo-

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Natur im rohen, von der Sünde „durchsäuerten“ Zustand ungenießbar ist; indem er sie „mit dem ihm eigenen Feuer der Gottheit“ „sozusagen durchgebacken hat“, hat Christus in seiner Person eine neue Gemeinschaft von Gott und Mensch hervorgebracht. In einem Gleichnis bei Matthäus und Lukas steht der „Sauerteig“ dagegen auch in einem positiven Sinn für das Reich der Himmel / Reich Gottes.⁸⁷⁰ Isidor setzt dieses Gleichnis in ep. 201 mit der christologischen Einung und ihren Wirkungen in Beziehung, nämlich Erneuerung der Menschheit und des ganzen Kosmos: Einem Sauerteig ist das Himmelreich ähnlich im Hinblick auf die sündenfreie Inkarnation unseres Herrn und Erlösers, weil sie den ganzen Kosmos durchgemischt hat, und im Hinblick auf die Substanz (ὑπόστασις) des einen Leibes [des Herrn], der aus dem, was wir sind (ἐκ τῆς ἡμετέρας οὐσίας), und zwar aus der Gottesgebärerin Maria, genommen wurde, weil sie [diese Substanz des Leibes Christi] die Menschheit, wie sie seit langer Zeit war, dazu erneuert hat, neu geboren zu werden⁸⁷¹.

nographie immer wieder wichtige textkritische Angaben macht (vgl. z. B. ebd. 74; 79 f.; 202, Anm. 89; 342, Anm. 137), verzeichnen keine textkritischen Abweichungen. Évieux kommentiert zu dem Brief: „Ici, Isidore emploie une formule nouvelle qui préfigure celle de Chalcédoine“ (a. a.O. 343).  Mt 13,33; Lk 13,20 f.  Ep. 201 (I, 201) (PG 78, 312, B3 – 8): „Ζύμῃ ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν ἀφωμοίωται, τῇ τοῦ Κυρίου καὶ Σωτῆρος ἡμῶν ἀναμαρτήτῳ σαρκώσει, ἀναφυρασάσῃ τὸν ἅπαντα κόσμον, καὶ ἑνὸς σώματoς ὑποστάσει, ἐκ τῆς ἡμετέρας οὐσίας καὶ τῆς θεοτόκου Μαρίας ληφθέντος, τὴν ἀπ᾿ αἰῶνος ἀνθρωπότητα εἰς παλιντοκίαν ἀνακαινισάσῃ“. In der von Riedinger (Riedinger 1960, 176) für sein „frg. 6“ angeführten Ps.-Caesarius-Stelle kann ich keine nähere Parallele zu Isidor erkennen, allenfalls inhaltliche Anklänge, insofern das Gleichnis vom Sauerteig beide Male mit der Inkarnation in Verbindung gebracht wird. Insbesondere der kosmische Aspekt fehlt aber bei Ps.-Caesarius. Riedinger scheint für die Schwäche der Parallele unterschiedliche „Umformungen“ des Stoffes, den er ja auf die verlorenen Hypotyposen des Clemens von Alexandria zurückführt, „im Geiste der monophysitischen Streitigkeiten“ verantwortlich machen zu wollen, was natürlich nur mit seiner späten Datierung des Isidorkorpus als eines Florilegiums funktioniert. So türmt er Hypothese auf Hypothese. Außerdem wird bei Isidor m. E. nicht wie in Riedingers hypothetischem Clemenstext „der Sauerteig […] mit der Menschwerdung verglichen“ (Riedinger a. a.O.), sondern Isidor weist auf den im Evangelium gemachten Vergleich von Sauerteig und Himmelreich hin und bringt diesen Vergleich in Verbindung mit der Inkarnation. Meine Übersetzung nimmt bewusst „τῇ τοῦ Κυρίου […] σαρκώσει“ und parallel dazu „καὶ ἑνὸς σώματος ὑποστάσει“ nicht als Apposition zu „ζύμῃ“, sondern als „instrumentale“ Dative der Beziehung. Das beschriebene weltbewegende Geschehen der Inkarnation ist die oder eine Manifestation des Himmelreichs, und dieses ist nach dem Wort des Herrn mit einem Sauerteig vergleichbar. Isidor erklärt dann, was die Inkarnation aus seiner Sicht mit dem Sauerteig gemeinsam hat.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Eine Fleischspeise spielt wiederum in ep. 193 eine Rolle, wo Isidor in der Geschichte von Jakob, der sich das Erstgeburtsrecht und den Segen Isaaks erschleicht (Gen 27,1– 40), Christus im Voraus angekündigt sieht. In diesem Brief sind außer dem mehrfachen Bezug auf Gen 27 noch Anspielungen auf bis zu drei weitere Bibelstellen enthalten: Mit Energie widmest Du dich dem Nachdenken und mit Scharfsinn machst du Jagd auf die verborgenen Rätsel. Als sich Jakob die Felle der Ziegenböckchen anlegte⁸⁷² und sich den Segen seines Vaters verschaffte⁸⁷³, deutete er unseren Herrn und Erlöser im Verborgenen an. Denn dieser nahm die schuldbeladene Natur, [selbst] ohne Sünde, an und tötete ihre Leidenschaften in sich ab – denn darauf weist die Umhüllung mit den toten Fellhäuten klar hin. Das tat er, als er nichts Bocksgestaltiges in dieser Natur übrigließ, was es verdient hätte, auf die linke Seite gestellt und verurteilt zu werden⁸⁷⁴. Sondern indem er an ihr die der Erde verhafteten Glieder tötete⁸⁷⁵, brachte er dem Vater eine Speise, wie er sie liebt⁸⁷⁶, [dem Vater], der immer Hunger nach unserem Heil hat, und ließ für uns in sich den Segen entspringen, der uns nicht mehr genommen werden kann⁸⁷⁷⁸⁷⁸.

Isidor setzt hier einzelne Elemente der Erzählung von Jakob und Isaak (Schlachtung der Ziegenböckchen, Bekleidung mit den Fellen, Speise für den Vater, unverlierbarer Segen) mit dem Verhältnis des Sohnes zum Vater in Gott in Beziehung. Die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem in Christus ist impliziert und macht über die menschliche Natur Christi die Öffnung des innergöttlichen Geschehens auf das Heil und den Segen für alle Menschen hin möglich. Der Tod der Böckchen wird auf die Sündenlosigkeit und das Ende der menschlichen Leidenschaften in Christus bezogen, die „Speise, wie sie der Vater liebt“ – mit der doppelten Referenz auf Isaak, den Vater Jakobs, und auf Gottvater – unter möglicher Verbindung mit Joh 4,34 auf den für uns heilbringenden Gehorsam Christi.  Vgl. Gen 27,16.  Vgl. Gen 27,10.19.25.27.  Vgl. Mt 25,32– 34.  Vgl. Kol 3,5.  Vgl. Gen 27,9.14.18 und Joh 4,34.  Vgl. Gen 27,33.  Ep. 193 (I, 193) (PG 78, 305, C3-D5): „Ὀξέως ἐπιβάλλεις τοῖς ἐνθυμήμασι, καὶ δριμέως θηρεύεις τὰ κεκρυμμένα αἰνίγματα. Τὰ δέρματα τῶν ἐρίφων ὁ Ἰακὼβ περιθέμενος, καὶ τὴν εὐλογίαν τοῦ πατρὸς πορισάμενος, τὸν Κύριον ἡμῶν καὶ Σωτῆρα ᾐνίξατο, τὴν ἐναμάρτητον φύσιν ἀναμαρτήτως δεξάμενον, καὶ τὰ πάθη αὐτῆς ἐν ἑαυτῷ θανατώσαντα· τοῦτο γὰρ δηλοῖ ἡ τῶν νεκρῶν δερμάτων περίθεσις· ἐπειδὴ οὐδὲν ἐριφῶδες λοιπὸν ἐν τῇ φύσει κατέλιπε, τῆς εὐωνύμου στάσεως καὶ κρίσεως ἄξιον. ᾿Aλλὰ νεκρώσας αὐτῆς τὰ γήϊνα μέλη, καὶ βρῶσιν προσφιλῆ τῷ Πατρὶ προσεκόμισε, τὴν ἡμετέραν ἀεὶ πεινῶντι σωτηρίαν, καὶ ἡμῖν ἐν ἑαυτῷ τὴν ἀναφαίρετον εὐλογίαν ἐπήγασεν“.

4.5 Bildtheorie, Bildgebrauch und kreative Bildschöpfung

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Es bleiben noch die Briefe 182, 199 und 248. Sie legen drei weitere biblische Bilder auf die Verbindung von Gottheit und menschlicher Niedrigkeit in Christus aus, ohne weitere theologische Motive oder Aussagen zu Wirkungen der christologischen Einung anzuschließen. Es handelt sich dabei um die ReichGottes-Gleichnisse „Perle“ (Mt 13,45 f.) und „Senfkorn“ (Mk 4,30 – 32; Mt 13,31 f.; Lk 13,18 f.)⁸⁷⁹ und um Ps 67,5b LXX („Macht den Weg frei dem, der über dem Untergang aufgestiegen ist“⁸⁸⁰): Der Mann, der die besonders wertvolle Perle sucht und sie mit seinem ganzen Hab und Gut aufwiegt, ist das neue Volk des Herrn, das das Eigentum und die Religion seiner Väter verachtet und den Herrn der Herrlichkeit⁸⁸¹ sucht. Er heißt „Perle“, weil er mit der Tiefe der Gottheit vereint ist und nur von den Fischern und ihren Auslegern erkannt worden ist⁸⁸². Mit einem Senfkorn vergleicht der Herr das himmlische Königreich, und zwar auf mehrere Arten: [erstens] weil bei seiner Herablassung [zu uns] seine Armut so etwas Niedriges war, aus ihr aber Schatten⁸⁸³ und Erholung von allen Leiden im Leben für uns hervorgingen; […] [viertens] weil es nicht zerteilt werden kann, sondern seine ungetrennte Existenz (ὑπόστασις) bewahrt. Denn Er, der mit Gott vereinigt und zu einem einzigen vollendeten Menschen fest verbunden ist, muss den Zusammenhang mit ihm untrennbar und unteilbar bewahren, indem der Zusammenhang durch nichts, was ihm geschieht, geschieden wird, sondern vollständig mit ihm zusammengefügt bleibt⁸⁸⁴. Wenn Gott „Aufgang“ heißt, sagst du, und Licht ist, dem man sich nicht nähern kann⁸⁸⁵, wie kann es dann sein, dass er „über dem Untergang aufgestiegen ist“? „Aufgang“ (ἀνατολή) ist sein Name, die anfanglose Gottheit, die ewiges Licht ist. Der Aufstieg über dem Untergang aber ist die Gemeinschaft mit der menschlichen Armut. Diese [Gemeinschaft] ist Untergang und der Nacht ähnlich, wenn man sie mit der Herrlichkeit in der Höhe vergleichen wollte.⁸⁸⁶

 Für das Senfkorngleichnis werden in ep. 199 vier verschiedene Auslegungen geboten; davon ist die erste und die letzte christologisch. Zu den anderen beiden s. oben S. 219 und S. 190.  „Ὁδοποιήσατε τῷ ἐπιβεβηκότι ἐπὶ δυσμῶν“.  Vgl. 1Kor 2,8.  Ep. 182 (I, 182) (PG 78, 301, A5-B4): „Ὁ τὸν πολυτίμητον μαργαρίτην ζητήσας, καὶ πάντων αὐτῷ τῶν προσόντων ἀντισταθμίσας, ὁ νέος ἐστὶ τοῦ Κυρίου λαὸς, τῆς πατρῴας καὶ οὐσίας καὶ θρησκείας καταφρονῶν, καὶ τὸν Κύριον τῆς δόξης ζητῶν. Μαργαρίτης δὲ κέκληται, ἐπειδὴ τῷ βυθῷ τῆς θεότητος ἥνωται, καὶ μόνοις τοῖς ἁλιεῦσι καὶ τοῖς αὐτῶν ὑποφήταις ἐγνώρισται“.  Vgl. Mk 4,32 (der Schatten der erwachsenen Senfpflanze)!  Ep. 199 (I, 199) (PG 78, 309, C2– 5 und 8 – 13): „Κόκκῳ σινάπεως τὴν οὐράνιον βασιλείαν ἀπεικάζει ὁ Κύριος, πλείστων ἕνεκα τρόπων· διὰ τὴν εὐτέλειαν τῆς ἐν τῇ οἰκείᾳ συγκαταβάσει πτωχείας, ἀφ᾿ ἧς ἡμῖν ἡ σκιὰ καὶ ἀνάψυξις ἀπὸ πασῶν τῶν ἐν τῷ βίῳ γέγονεν ὀδυνῶν· […] διὰ τὸ μὴ διακόπτεσθαι, ἀλλὰ τὴν ἀδιαίρετον σώζειν ὑπόστασιν. Ὁ γὰρ Θεῷ ἑνωθεὶς, καὶ εἰς ἕνα τέλειον ἄνθρωπον συναρμολογηθεὶς, ἀδιαίρετον ἔχειν καὶ ἄτμητον τὴν πρὸς αὐτὸν ὀφείλει συνάφειαν, οὐδενὶ πάθει χωριζομένην, ἀλλ᾿ ὅλην αὐτῷ συντεταγμένην“. Die erste Auslegung firmiert bei Riedinger wegen einer Parallele bei Ps.-Caesarius als Teil seines ersten rekonstruierten „Fragments“ aus den Hypotyposen des Clemens von Alexandria (Riedinger 1960, 170).  Vgl. 1Tim 6,16 und (inhaltlich) Ex 33,20.  Vgl. (inhaltlich) Lk 1,78.

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4 Methoden und Arten von Exegese und Bildgebrauch bei Isidor

Denn unvergleichbar waren die beiden Dinge, bevor der Schöpfer sie in sich selbst vereint hat⁸⁸⁷.

Im zuletzt zitierten Brief (ep. 248) beziehen Isidor und der Briefempfänger die Worte aus Ps 67 LXX selbstverständlich auf Gott, zu dessen Lobpreis v. 5a aufgefordert hatte. Der Korrespondent hat die Frage geäußert, was nun der in v. 5b erwähnte „Untergang“ mit Gott zu tun haben kann, der doch von der Dunkelheit nicht berührt wird. Isidor differenziert in seiner Auflösung des Problems nicht die Personen in Gott, sondern spricht von der Gemeinschaft Gottes überhaupt „mit der menschlichen Armut“, die freilich durch die Inkarnation des Sohnes geschieht, auch wenn Isidor das hier nicht explizit sagt.⁸⁸⁸

 Ep. 248 (I, 248) (PG 78, 333, A6-B2): „᾿Aνατολὴν ἔχων ὄνομα Θεὸς, ἔφης, καὶ φῶς ὑπάρχων ἀπρόσιτον, πῶς ἐπὶ δυσμῶν ἐπιβέβηκεν; ᾿Aνατολὴ αὐτῷ ὄνομα, ἡ ἄναρχος θεότης, ἡ φῶς οὖσα ἀΐδιον. Ἡ δὲ ἐπὶ δυσμῶν ἐπίβασις ἡ κοινωνία τῆς ἀνθρωπίνης πτωχείας, δύσις οὖσα, καὶ νυκτὶ ἐοικυῖα, εἰ συγκρίνοιτο τῇ ἄνω λαμπρότητι. ᾿Aσύγκριτα γὰρ ὑπῆρχε τὰ πράγματα πρὶν ἢ ἑνώσῃ αὐτὰ ἐν ἑαυτῷ ὁ τεχνίτης“.  Zur Rede vom „Leiden Gottes“ in Christus im Zusammenhang mit der Menschwerdung vgl. ep. 124. Zu diesem Brief ist unbedingt die Übersetzung und die ausführliche Anmerkung 137 bei Évieux 1995, 341 f. zu beachten. Der Text des Briefanfangs in PG 78, 265, A6 f. ist nicht zuverlässig.

5 Gesamtzusammenfassung Die Kernaufgabe dieser Untersuchung zu Schriftauslegung und Bildgebrauch bei Isidor von Pelusium war eine Sichtung, Gliederung und Erschließung des exegetischen und bildsprachlichen Materials, das sich bei Isidor findet. Um aber die Grundlage für die Arbeit mit den unter dem Namen „Isidor von Pelusium“ in griechischer Sprache überlieferten Texten als mit einem konsistenten Korpus zu schaffen, hat das erste Kapitel meiner Untersuchung sich im kritischen Anschluss an P. Évieux mit der Bestreitung solcher Konsistenz in der Forschungsgeschichte auseinandergesetzt. Insbesondere wurde dabei der Versuch unternommen, „Isidor“ in gegenüber Évieux neuer, ausführlicherer Auseinandersetzung vor allem mit U./R. Riedinger gegen die radikale These zu verteidigen, es handle sich bei diesen Texten um ein reines Florilegium aus der Zeit um 500 n.Chr. mit fiktiver Autorenzuschreibung. Es gibt m. E. gute Argumente dafür, dass der größte Teil der Isidortexte Material aus wirklichen, von einer realen Person namens Isidor versandten Briefen ist. Im Unterschied zu Évieux gehe ich davon aus, dass die Briefe aus Isidors eigenem Nachlass zusammengestellt wurden. Dies wird wohl – hier schließe ich mich Évieux wieder an – durch Personen aus Isidors eigenem Umfeld geschehen sein, die auch für den Großteil der offensichtlichen redaktionellen Eingriffe in den Text verantwortlich sein dürften. Weitere punktuelle Eingriffe in den Text fanden wohl im Zuge der christologischen Debatten im fünften und sechsten Jahrhundert statt, in denen sich beide Seiten des Streits auf Isidor als Gewährsmann zu berufen versuchten. Es folgte eine komplizierte Überlieferungs- und Editionsgeschichte der Texte, deren Enträtselung erst im 20. Jahrhundert, wiederum durch P. Évieux, zu einem gewissen Abschluss gekommen ist. Für Informationen über Isidors Person sind wir im Wesentlichen auf die Briefe selbst verwiesen. Das wertvolle externe Zeugnis des Severus von Antiochia belegt immerhin die Existenz eines exegetisch versierten Presbyters und Briefschreibers Isidor von Pelusium für das fünfte Jahrhundert. Die Briefe deuten darauf hin, dass Isidor ungefähr das letzte Drittel seines Lebens als Anachoret etwas außerhalb seiner an der Nordostecke des Nildeltas gelegenen Stadt verbracht hat und dort durch persönliche und briefliche Kontakte als Berater, Seelsorger und Lehrer des christlichen Lebens für breite gesellschaftliche Kreise tätig war. Das zweite Kapitel der Arbeit hat wichtige Themen und Ergebnisse der bisherigen Isidorforschung zusammengefasst. Besonderes Augenmerk galt dabei den nach Évieux, d. h. in den letzten knapp zwanzig Jahren, erschienenen Publikationen. Dabei fiel auf, dass in diesen zwar recht zahlreichen, aber meist https://doi.org/10.1515/9783110686180-006

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kurzen Forschungsbeiträgen von sehr unterschiedlicher Qualität die besonders im 20. Jahrhundert kontroversen Einleitungsfragen kaum mehr eine Rolle spielen und Isidor wieder verstärkt, oft ganz unhinterfragt, als historische Quelle ausgewertet wird. In monographischer Ausführlichkeit hatten sich aber auch schon im 20. Jahrhundert nur sehr wenige Autoren mit Isidor beschäftigt; maßgeblich waren vor allem A. Schmid und P. Évieux. Bei der großen Mehrheit der (insgesamt recht wenigen) zu Isidor existierenden Veröffentlichungen handelt es sich um Aufsätze zu einzelnen Briefen oder speziellen Themen oder um Artikel in Lehrbüchern und Lexika. Was Isidors Schriftauslegung und Bildgebrauch angeht, so ist das Konzept dieser Arbeit ohne Vorläufer in der neueren Forschung. Erstmals wurde hier angestrebt, mit einer Isidors eigenen Kategorien möglichst angemessenen Beschreibungssprache, einem sich daraus ergebenden einheitlichen Gliederungskonzept und zahlreichen Textbeispielen in deutscher Erstübersetzung das einschlägige exegetische und bildsprachliche Material vollständig zu dokumentieren. Als weitere Vorarbeit für die Beschäftigung mit Isidors Schriftauslegung und Bildgebrauch wurden dazu im dritten Kapitel einige Prämissen für seine Exegese untersucht. Was Isidors grundsätzliche Auffassungen zur Heiligen Schrift angeht (Erfordernis der Schriftlichkeit als Degenerationsphänomen in der Kommunikation zwischen Gott und Mensch, göttlicher Ursprung des Inhalts der Heiligen Schriften und Inspiration ihrer menschlichen Autoren, Überbietung des Alten Testaments durch das Neue im Rahmen des einen, insgesamt von Gott ausgehenden Schriftkanons), lässt er sich im Hauptstrom der uns erhaltenen christlichen Literatur seiner Zeit verorten. Zu Isidors exegetischer Terminologie und seiner Kriteriologie bei der Entscheidung für bestimmte Auslegungsarten ergab sich ein recht vielfältiges und differenziertes Bild. Quer zur neuzeitlichen Unterscheidung zwischen „wörtlicher“ und „allegorischer“ Schriftauslegung findet sich – wie auch bei anderen Autoren des antiken Christentums – bei Isidor eine größere Vielfalt von exegesetheoretischen Begriffen, als sie die hergebrachte moderne Dichotomie erfassen kann. Diese Vielfalt der Begriffe lässt sich kaum säuberlich in zwei sich gegenüberstehende Kategorien einordnen. Sie verteilt sich vielmehr auf ein Spektrum zwischen Bedeutungszuschreibungen, die den gewöhnlichen Wortreferenzen näher sind, und solchen, die Bedeutung weiter weg von den gewöhnlichen Referenzen übertragen. Eine einheitliche systematische Terminologie, wie sie etwa J. Tigcheler für Didymus von Alexandria („Didymus den Blinden“) aufgewiesen hat, findet sich bei Isidor allerdings nicht. Die in der Literatur zu Isidor teilweise vertretene Meinung, Isidor stehe übertragenden Auslegungen ablehnend oder grundsätzlich kritisch gegenüber,

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lässt sich am Text nicht erhärten. Vielmehr verzichtet Isidor in einzelnen Fällen aus Rücksicht auf seine Kommunikationspartner auf übertragende Auslegungen. Dies lässt sich möglicherweise im Kontext der Auseinandersetzungen um Origenes im Ägypten der Zeit um 400 verstehen. Ebenso ist der in der Forschungsgeschichte mit einander widersprechenden Ergebnissen gemachte Versuch einer Einordnung der Texte in die ohnehin fragwürdige Schematisierung der antiken Exegesegeschichte in übertragungsfreundliche „alexandrinische“ und übertragungsfeindliche „antiochenische“ Schriftauslegung gerade bei Isidor zum Scheitern verurteilt. Isidor bezieht sich beispielsweise einerseits oft, manchmal auch ausdrücklich, auf den traditionell als „Antiochener“ eingestuften Johannes Chrysostomus, auf der anderen Seite teilt er nicht einmal die Reserve der „antiochenischen“ Tradition gegenüber dem Begriff ἀλληγορία, geschweige denn gegenüber bedeutungsübertragender Auslegungspraxis. Isidors Schriftauslegung ist in aller Regel seelsorglich motiviert, und zwar im Wesentlichen durch die Kommunikationsziele Paränese und Glaubenslehre. In diesem Sinne ist sein wichtigstes Kriterium für eine gültige Bibelauslegung der geistliche und moralische Nutzen, den sie hervorbringt. Der manchmal allgemein für die Entstehung von „Allegorese“ angegebene Grund, durch bedeutungsübertragende Verfahren habe man anstößig oder unsinnig gewordene, aber kulturell oder religiös zentrale Texte retten wollen¹, spielt für Isidors übertragende Auslegungspraxis so gut wie keine Rolle. Angebliche moralische Anstößigkeit von Passagen des Alten Testaments oder scheinbare Unerfüllbarkeit von Forderungen Jesu, etwa in der Bergpredigt, lehnt er als Motivation für übertragende Auslegung sogar mehrfach ausdrücklich ab. Auch wenn es um die Auflösung von Widersprüchen zwischen Bibelstellen oder zwischen der Bibel und der außerbiblischen Realität geht, greift Isidor nur selten (dreimal im ganzen Korpus) zu bedeutungsübertragenden Verfahren – im deutlichen Unterschied etwa zu Origenes. Bei der Arbeit an scheinbaren Widersprüchen innerhalb des biblischen Kanons geht es ihm vor allem um theologische Inhalte, nicht wie etwa Johannes Chrysostomus um Fragen der historischen Plausibilität. Das zentrale vierte Kapitel des Buches hatte die Aufgabe, die Isidorbriefe, in denen ausdrücklich Bibelstellen interpretiert werden, umfassend zu sichten und mit einem Gliederungskonzept zu ordnen und darzubieten, das der Vielfalt antiken Umgangs mit der Heiligen Schrift besser gerecht wird als die Schemata, die bisher in der Literatur auf Isidors Exegese angewendet wurden. Als hilfreich hat sich dafür die Art erwiesen, wie F. M. Young die Phänomene antiker biblischer

 Vgl. etwa Cancik-Lindemaier / Sigel 1996 (DNP 1), 519 – 521, besonders den Abschnitt „4. Allegorese als Methode der Aneignung und Anpassung“.

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Exegese vor dem Hintergrund des antiken Umgangs mit Texten überhaupt beschreibt und einordnet. Zunächst wurden (auch) in der Antike verbreitete Methoden der Textanalyse (Textkritik, Argumente aus Syntax und Grammatik, Klärung von Wortbedeutungen, Etymologie, intra- und intertextuelle Bezüge und (eher selten und ohne große Freude an der Präsentation von Wissen) Beibringen von textexternen Informationen) in ihrer Verwendung bei Isidor an ausgewählten Beispielen illustriert. Dann folgte die Erschließung der Exegesepraxis Isidors. Erstmals wurde hier eine vollständige Erfassung der Isidorbriefe mit exegetischem Gehalt in einem einheitlichen Ordnungsschema vorgelegt. Die Intention war, alle derartigen Briefe zumindest summarisch aufzuführen und möglichst alle, die über enge Paraphrase des biblischen Textes, einfache Sacherklärungen oder Umsetzung biblischer Metaphern auf eine Sachebene hinausgehen, durch umschreibende Wiedergabe und vielfach durch ausführliche Zitate in deutscher Übersetzung vorzustellen. Meine Übersetzungen sind dabei m.W. in aller Regel Erstübersetzungen ins Deutsche bzw. bei den Briefnummern 1– 1213 Erstübersetzungen in eine moderne Sprache. Ebenfalls bei den Briefen 1– 1213, für die keine kritische Textedition vorliegt, habe ich mich für die übersetzten Passagen bemüht, textkritische Informationen, die ohne physische Kollation von Handschriften zugänglich sind, zu berücksichtigen und bei inhaltlicher Relevanz auch anzuführen. Die Gliederung der Briefe erfolgte nach den kommunikativen Kontexten, in denen die Exegesen stehen. Diese sind für die mehr textnahen Auslegungen sachliche Klärung, Paränese und Glaubenslehre, für die mehr übertragenden Auslegungen wiederum Paränese und Glaubenslehre. Die Mehrzahl der Exegesen Isidors ist mehr oder weniger textnah. Darunter finden sich viele recht enge Paraphrasen (R. Maisano spricht hier sogar von „tautologischer“ Exegese²), Wort- und Sacherklärungen; die große Mehrzahl steht aber auch dabei mindestens implizit in paränetischen oder lehrhaften Kommunikationszusammenhängen. Selbst einfache Paraphrasen von Bibelstellen laufen nicht selten auf einen paränetischen oder lehrhaften Punkt hinaus. Für mehr explizit ausgeführte paränetische und lehrhafte Zwecke kommen allerdings öfter als textnahe Exegesen solche Auslegungen zum Einsatz, die Bedeutung weiter von den Standardreferenzen weg übertragen. Was die Glaubenslehre angeht, tut sich Isidor auch „kontroverstheologisch“ hervor und greift beispielsweise „Sabellianer“, „Eunomianer“, „Markioniten“ und „Juden“ mit biblisch-exegetischen Argumentationen an.

 Vgl. Maisano 1980, 52.

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Das vierte Kapitel schloss mit einer Darstellung von Isidors bildtheoretischen Überlegungen, gefolgt von Beispielen für Isidors eigene Bildschöpfung, die abermals in paränetischen Zusammenhängen, aber auch zur Illustration von Vergangenheit und Gegenwart in der Geschichte Gottes mit der Menschheit, zum Einsatz kommt. Isidors Kreativität in Bildschöpfung und Bildgebrauch und seine exegetische Praxis verbinden sich, wo er biblische Bilder miteinander verkettet, assoziativ gestaltet und weiterführt; die Briefe, in denen er so verfährt, darunter mehrfach zur Darstellung christologischer Inhalte, gehören zu seinen originellsten Schöpfungen. Für die Frage nach der Eigenständigkeit Isidors als Exeget ergab sich aus der Durchsicht der Briefe folgendes Bild: Isidor lehnt sich öfters an Autoren vor ihm an, am häufigsten an Johannes Chrysostomus und Clemens von Alexandria, seltener etwa auch an Gregor von Nazianz oder Basilius von Caesarea. Solche Anlehnung geschieht aber oft in anderer Mischung oder Akzentuierung der Inhalte oder in einer anderen kommunikativen Situation. Isidors Exegesen sind, soweit erkennbar, in der Regel bewusste Verarbeitung von vorhandenem „exegetischem Material“, das vielleicht oft auch unabhängig von der Fassung bei einem bestimmten Autor vor Isidor allgemein im Umlauf war (Évieux spricht von „réemploi“³). Auch von den Autoren, an die er sich am häufigsten anlehnt, unterscheidet sich Isidor an manchen Stellen wiederum auf spezifische Weise, etwa indem er sich mehrfach gerade dort für eine übertragende Auslegung entscheidet, wo Johannes Chrysostomus sich sehr eng an die gewöhnlichen Referenzen der Worte hält. Durch das ganze Korpus hindurch konsistente Positionen Isidors zu vielen theologischen und aszetischen Themen lassen sich aufzeigen, so etwa: Koppelung von Moral und orthodoxer Glaubenslehre; Willensfreiheit des Menschen, der zeitlebens die Möglichkeit der Umkehr zu Gott hat; proportionales Zusammenwirken von menschlichem Einsatz und göttlicher Gnade; Aufforderung zur Beherrschung von Esslust und sexueller Lust durch die Vernunft; Gebot der Unterordnung unter staatliche Gewalt; Notwendigkeit der Übereinstimmung von Reden und Handeln; Überzeugung von einer idealen Anfangszeit der Kirche; Unerkennbarkeit und Unerreichbarkeit des Wesens Gottes, woraus auch die Wichtigkeit (polyvalenter) Bilder für Gott folgt; Trinitätstheologie im Gefolge des Konzils von Nizäa und seiner „kappadokischen“ Interpretation; Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem in Christus mit dem Ziel der Erlösung von Mensch und Welt.

 Vgl. Évieux 1995, 360 und 1997, 103.

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1.2 Andere Ausgaben antiker Texte außerhalb der PG Acta Petri: Acta Apostolorum Apocrypha, post C. Tischendorf denuo edd. R. A. Lipsius et M. Bonnet, Band I (ed. R. A. Lipsius), Leipzig 1891. https://doi.org/10.1515/9783110686180-007

1. Ausgaben antiker Texte

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Hinweise zu Übersetzungen, Zitatangaben, Abkürzungen, Schreibweisen Isidor: Angegeben ist jeweils die Briefnummer nach der von Évieux rekonstruierten Zählung der Briefe (vgl. Évieux 1975), danach in Klammern die Zählung der PG nach Büchern und Nummern. Bei nicht von Évieux / Vinel edierten Briefen folgt, wiederum in Klammern, die Angabe „PG 78“ mit der entsprechenden Spaltenzahl, dem Buchstaben und der Zeilenzahl. Die Zeile, der der Buchstabe am nächsten steht, zählt als „1“ (bspw. „A1“); die Adressatenangaben und die (in der Überlieferung sekundären, in der PG kursiv gedruckten) Zusammenfassungen des Briefinhalts (von mir in der Arbeit tituli genannt) zählen nicht mit. Die in den Sources Chrétiennes edierten Briefe sind mit Bandnummer, Seitenzahl und ggf. Zeilenzahl im entsprechenden Brief zitiert. Alle Übersetzungen von Isidortexten in dieser Arbeit stammen vom Autor; in Einzelfällen habe ich beim Zitieren des griechischen Textes Interpunktion oder Groß-/Kleinschreibung modifiziert. Hinweise auf vom Text der PG abweichende Lesarten, die sich aus den frühneuzeitlichen Ausgaben, aus den Fußnoten in der PG selbst, aus der Sekundärliteratur oder aus dem Digitalisat der vatikanischen Handschriften Ott. gr. 341 und 383 (s. das Literaturverzeichnis) ergeben haben, verwenden die Handschriftensiglen der Isidorausgaben von Évieux / Vinel. Solche Lesarten sind in der Regel nur dann angeführt, wenn sie Grundlage der Übersetzung ins Deutsche sind oder relevante inhaltliche Alternativen ergeben, die sich semantisch und nicht nur in orthographischen oder grammatikalischen Einzelheiten vom Text der PG unterscheiden. Biblische Bücher sind nach den Loccumer Richtlinien abgekürzt. Das Alte Testament ist aber nach den Kapitel- und Versnummern der Septuaginta (edd. Rahlfs/Hanhart) angeführt. Bei deutlichen inhaltlichen Abweichungen ist der biblischen Zitatangabe „LXX“ hinzugesetzt. Wortstatistiken und Begriffsanalysen wurden für den Bereich der Briefe 1– 1700 mit Hilfe des Thesaurus Linguae Graecae der University of California, Irvine, erstellt. Abkürzungen für Zeitschriften, Serien, Lexika und Quellenwerke im Text der Arbeit und in der Bibliographie richten sich nach S. M. Schwertner, IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin / Boston 32014.

Abkürzungen antiker Autoren und Werke bei Zitatangaben richten sich nach den Verzeichnissen in den Oxforder Wörterbüchern von H. G. Liddell / R. Scott (LSJ) und G. W. H. Lampe (PGL). Griechische Personennamen erscheinen bei im LACL verzeichneten Personen in der dort verwendeten (latinisierten) Form (Abweichungen: „Ps.-Caesarius“ für „Cäsarius von Nazianz“ und „Ps.-Dionysius“ für „Dionysius Areopagita“, außerdem die Städtenamen „Alexandria“, „Antiochia“ und „Caesarea“), bei nicht im LACL erscheinenden Briefpartnern Isidors in einfacher Transkription des griechischen Namens.

Register Die Fußnoten sind in den Registern in Auswahl erfasst. Für das Register der Isidorbriefe gilt: Erstreckt sich die Besprechung eines Briefes im Buch über zwei oder mehr aufeinanderfolgende Seitenzahlen, so ist nur die erste davon im Register angegeben.

Personennamen Akoimeten 2, 13 f., 29 Altaner, B. 12, 25, 29 Aristoteles 131 Artemi, E. 42 Athanasius von Alexandria 180

Évieux, P. 1, 3, 6, 8 f., 11, 14 f., 17 f., 20 – 23, 26 f., 30 – 32, 34, 38 f., 80, 175, 177, 198, 261 f. 25, 30, 93, 113,

Bardenhewer, O. 3, 21, 29, 77 Bartelink, G. 37 Basilius von Caesarea 106, 130, 159, 180, 226, 238, 241, 265 Bate, H. 73 Bayer, L. 37, 238 Billy, J. de 4 f., 8, 198 Bober, L. 22, 36, 71, 109 Cambe, M. 40 Capo, N. 8 Clemens von Alexandria 17, 56, 91, 149, 187, 196, 205, 219, 241, 265 Cyrill von Alexandria 10, 21, 25, 28 f., 31, 41 – 43, 80, 177, 218 Dawson, J. 68 De Salvo, L. 39 f. Didymus der Blinde 31, 61, 66, 73, 92, 109, 118, 262 Diodor von Tarsus 69 f., 94 Ephraem von Antiochia 27 Epiphanius von Salamis 70, 78 Eusebios von Pelusium 15, 25, 31 – 33, 136, 240, 243 Evagrius Ponticus 80, 155

Facundus von Hermiane 14, 28 f. Flavius Josephus 72, 151, 155 Fouskas, C. 19, 36, 110 Gregor von Nazianz 19, 31, 38, 178, 180, 215, 265 Gregor von Nyssa 45, 226 Hanson, R. 68, 77 f., 92 f., 97 Holl, K. 70, 77, 177 Homer 51, 128 Irenäus von Lyon

91, 93, 234

Johannes Chrysostomus 17, 19, 29 f., 37 f., 41, 44, 49 f., 55 f., 58 f., 67, 70, 73 f., 80 f., 97, 137, 157, 187, 189, 193, 196, 205, 227, 232, 237, 244, 250, 256, 263, 265 Kertsch, M. 10, 18, 23, 37, 41 f., 223 Klein, R. 38 – 40 Larsen, L. 40 f. Leemans, J. 40 – 42, 112 Leontius von Byzanz 26 f. Libanius 21 Lubac, H. de 67, 77 f., 92 Maisano, R. 22 f., 36, 40, 111 f., 144, 195, 214, 264 Markschies, C. 79

Register

Origenes 46, 56, 78 – 82, 85, 87, 92, 97 f., 103, 107, 119, 142, 144, 156 f., 159, 165, 222, 255, 263 Pelagius I. 28 Philon 9, 71 f., 106, 123, 204 Photius 27 Platon 53, 203 f. Poussines, P. 7, 9 Ps.-Caesarius 12, 15, 17, 187 f., 190, 193, 199, 205 f., 218, 250, 257, 259 Ps.-Dionysius 12, 16 Riedinger, U./R. 4, 11 f., 14 – 20, 22 f., 37, 39, 41 f., 59, 142, 155, 169, 183, 187 f., 190, 193, 199, 205 f., 218, 250, 254, 257, 259, 261 Rittershausen, K. 4 – 9, 18, 76, 198 Rufinus, Prätoriumspräfekt 17, 30 f. Runia, D. 9, 106 Rusticus, Diakon 3, 14 f., 26, 28

283

Schmid, A. 18, 24, 26 f., 29, 37, 177, 262 Schott, A. 6 – 8 Schwartz, E. 3, 14 Severus von Antiochia 1, 3, 18, 23 – 30, 39, 261 Simon, R. 37 Simonetti, M. 73, 92 f. Smith, M. 29 Stefaniw, B. 52 Theodor von Mopsuestia 62, 70, 103, 105 Theodoret von Cyrus 57, 59 Theodosius II. 25, 31, 43 Theophilus von Alexandria 30, 78 – 80, 95 Tigcheler, J. 61, 76, 92, 109, 118, 262 Toca, M. 2, 31, 42 Turner, C. 3, 6, 15 Vento, A.

39 f.

Young, F. 46, 51, 61 f., 67 f., 70, 78 – 81, 92 – 94, 112 – 114, 118, 120, 144, 190, 209, 214, 233, 245, 263 f.

284

Register

Bibelstellenregister Altes Testament

Lev 18,19 / 20,18 Lev 19,19 175

Genesis Gen 1,26 106 Gen 1,26 f. 159 Gen 1,27 249 Gen 2,17 157 Gen 2,23 133 Gen 3,7 254 Gen 3,15 168 Gen 3,16 160 Gen 3,17 f. 251 Gen 3,19d 66 Gen 3,21 79 Gen 4,23 f. 169 Gen 6,18 126 Gen 8,16 126 Gen 12,10 – 20 175 Gen 16,2 100 Gen 17,14 85 Gen 21,7 169 Gen 22,17 202 Gen 25,24 – 26 199 Gen 25,27 – 34 200 Gen 27,1 – 40 258 Gen 32,23 – 33 200, 215 Gen 48 211

Numeri Num 5,1 – 4 175 Num 6,6 195 Num 9,6 f. 195 Num 12 94 Num 19,11 – 22 195 Num 35,28 209 Deuteronomium Dtn 4,19 169 Dtn 20,6 f. / 24,5 Dtn 22,11 175 Dtn 25,4 190 Dtn 32,18 226 Richter Ri 20

168

1 Samuel 1Sam 15,11

157

2 Könige 2Kön 2,21 2Kön 4,10

Exodus Ex 12,8 f. 256 Ex 12,11 96, 198 Ex 12,16 168 Ex 13,19 100, 195 Ex 19,8b / 24,7b 132 Ex 19,10 f. 201 Ex 21,24 62, 86, 157 Ex 25,10 – 22 210 Ex 28,15 – 30 203 Ex 37,1 – 9 210

248 197

Ijob Ijob 6,6

170

Psalter (Psalmen)

Levitikus Lev 13,47 – 59 / 14,33 – 53 Lev 15,16 86 Lev 18,16 / 20,21 155

175

175

Ps 4,5a 167 Ps 8,6 f. 48 Ps 9,24b 132 Ps 17,9 199 Ps 22,4 168 Ps 29,10 216 Ps 44,3 106, 157 Ps 44,14 252 Ps 48,13.21 169

198, 239

Register

Ps 61,12 66 Ps 67 260 Ps 67,5b 259 Ps 68,31 227 Ps 71 101, 117 Ps 73,15b 150 Ps 76,3 f. 169 Ps 76,11 158 Ps 88,38b 168 Ps 93,20 168 Ps 95 242 Ps 100,8 168 Ps 103,5 158 Ps 103,15 247 Ps 106,23 220 Ps 118,25 168 Ps 118,120 172 Ps 127,2 206 Ps 138,15 168 Ps 138,16 168 Ps 149,3 197 Ps 150 195, 197 Ps 150,3 196 Sprüche Salomos (Sprichwörter) Spr 6,30.32 156 Spr 7,1a 163 Spr 9 245 Spr 9,2 49, 217, 238, 248 Spr 24,16 115 Spr 24,16a 112 Spr 30,18 213 Spr 30,18 f. 207 Spr 30,19 213 f. Spr 30,20 220 f. Prediger Salomo (Kohelet) Koh 7,16

169

Hohelied Hld 6,8 f.

224

Jesus Sirach Sir 3,29 169 Sir 22,11 195

Sir 24

48, 234

Jesaja Jes 1,22 92, 98, 229, 245, 248 Jes 2,4 229 Jes 3,3 169 Jes 6,5 – 7 256 Jes 6,9 f. 128 Jes 26,9 f. 216 Jes 40,2a 166 Jes 46,3 f. 170 Jes 51,17 246 Jes 52,5 138 Jes 53,2 106, 157 Jeremia Jer 1,11

221

Ezechiel Ez 9,6 169 Ez 18,6 175 Daniel Dan 2,21 229 Dan 2,21c 156 Dan 2,29 – 45 136 Dan 3 140, 198 Dan 3,82 f. 144 Dan 6,4 169 Dan 7 156 Dan 8,10 121 Dan 9 141 Dan 9,26 136 Dan 9,26b 94 Amos Am 2,8 168 Am 2,16 62, 116 Jona Jon 3,4b

66

285

286

Register

Habakuk Hab 3,3c

169

Sacharja Sach 5,7

169

Maleachi Mal 2,13a 168 Mal 3,6 158

Neues Testament Matthäusevangelium Mt 1,1 – 16 158 Mt 1,25 124 Mt 3,4 / Mk 1,6 149 Mt 3,7 226 Mt 3,10 250 Mt 3,12 206 Mt 3,14 f. 145 Mt 5,13 249 Mt 5,15 168 Mt 5,16 162, 202 Mt 5,17 211 Mt 5,20 89, 158, 173 Mt 5,22 88 Mt 5,25 89, 186 Mt 5,27 f. 88, 156,174, 237 Mt 5,29 89 Mt 5,29 f. 187 Mt 5,34 173 Mt 5,34 – 37 88 Mt 5,39 88, 157, 173 Mt 5,44 – 47 89 Mt 6,1 162 Mt 6,9 – 13 174 Mt 6,22 f. 222 Mt 7,3 147 Mt 7,6 189, 226 Mt 7,11 157 Mt 7,14 188, 190 Mt 7,17 – 20 173 Mt 7,18 132 Mt 7,24 / Lk 6,47 178 Mt 8,18 – 20 167

Mt 9,17 245 f Mt 10,10 89 Mt 10,15 169 Mt 10,16 188, 232 Mt 10,19 158 Mt 10,28 52 Mt 10,34 157 Mt 10,41 147 Mt 10,42 170 Mt 11,9 – 11 / Lk 7,26 – 28 155 Mt 11,11b / Lk 7,28b 156 Mt 11,12 205 Mt 12,22 – 32 / Lk 11,14 – 23 181 Mt 12,32 52, 181 Mt 12,40 74, 157 Mt 12,40 f. 207 Mt 13,19 157, 234 Mt 13,23 202 Mt 13,24 – 30 168, 236 Mt 13,31 190, 219, 229 Mt 13,31 f. 259 Mt 13,38 157, 234 Mt 13,45 f. 259 Mt 13,47 – 50 206 Mt 15,24 145 Mt 16,16 177, 246, 248 Mt 16,18 227 Mt 17,24 – 27 190 Mt 18,18 170 Mt 21,19 / Mk 11,14 253 f. Mt 23,5 132 Mt 23,12 252 Mt 24,9 – 24 194 Mt 24,28 252 Mt 24,41 206 Mt 25,1 – 13 252 Mt 25,14 – 30 156 Mt 25,27 204 Mt 25,32 f. 200 Mt 26,6 – 13 168 Mt 26,59 – 61 165 Mt 26,65 246 Mt 27,29 251 Markusevangelium Mk 1,6 / Mt 3,4

132

Register

Mk 8,15 / Mt 16,11 256 Mk 11,14 65 Mk 12,17 191 Mk 12,42 / Lk 21,2 147 Mk 13,32 / Mt 24,36 158 Mk 14,52 62 Mk 14,56 – 59 165 Mk 15,38 207 Lukasevangelium Lk 1 218 Lk 10,29 – 37 146 Lk 12,35 169, 185 f. Lk 13,6 – 9 230, 253 Lk 15,5 225 Lk 18,11 158 Lk 23,27 – 31 156 Lk 23,39 – 43 227 Johannesevangelium Joh 1,9 105 Joh 2,1 – 11 247 Joh 2,16 217, 222 Joh 2,19 – 21 165 Joh 4,22 179 Joh 4,34 258 Joh 6,35.48 256 Joh 9,2 82 Joh 10,8 156 Joh 10,29 169 Joh 10,30 178 Joh 11,35 157 Joh 13,12 – 17 225 Joh 14,27 157 Joh 14,28 179 f. Joh 14,31 111, 197 Joh 15,1 – 8 246 Joh 15,9 55 Joh 18,10 228 f. Joh 18,17.25 – 27 231 Joh 19,34 247 Joh 20,22 f. 183 Joh 21,15 – 17 156 Joh 21,25 68, 200

Apostelgeschichte Apg 2 248 Apg 2,13 246 f. Apg 8 153 Apg 12,22 f. 156 Apg 13 157 Römerbrief Röm 1,22 169 Röm 1,28 f. 135 Röm 1,32 122 Röm 2,10 170 Röm 3,25 210 Röm 5,21 156 Röm 7,8 170 Röm 8,28 170 Röm 9,21 232 f. Röm 11,8 153 Röm 11,17 – 24 250 Röm 12,18 156 Röm 13,1 137 Röm 13,3 163 Röm 13,7 163 Röm 13,14 194 Röm / Jak 164 1. Korintherbrief 1Kor 2,2 235 1Kor 2,12 f. 52 1Kor 2,14 132 1Kor 3,2 168 1Kor 3,18 235 1Kor 4,7 49 1Kor 5,6 f. 256 1Kor 6,18 119 1Kor 7 167 1Kor 7,21 f. 148 1Kor 7,28 239 1Kor 7,29b 168 1Kor 9,5 132, 151 1Kor 9,9 45 1Kor 9,21 169 1Kor 11,7 160 1Kor 12 222 1Kor 12,27 169

287

288

Register

1Kor 13,10 f. 1Kor 13,11 f. 1Kor 15,29 1Kor 15,41 1Kor 15,44

168 58 168 239 156

2. Korintherbrief 2Kor 4,7 217 2Kor 5,1 – 5 194 2Kor 5,16b 156 2Kor 12,9c 156 2Kor 13,7 135 Galaterbrief Gal 3,27 Gal 4,24

194 87

Epheserbrief Eph 4,14 202 Eph 4,22 – 24 188, 194 Philipperbrief Phil 2,6 140 Phil 2,15 199, 202 Kolosserbrief Kol 1,15 Kol 2,3 Kol 2,15 Kol 3,9 Kol 3,9 f.

128 159 235 236 188, 194

2Tim 4,1

168

Titusbrief Tit 1,16

168

Hebräerbrief Hebr 1,1 47 Hebr 1,3 47, 105 Hebr 2,15 169 Hebr 2,17 209 Hebr 4,13 69 Hebr 4,14 209 Hebr 7 208 Hebr 7,11 – 28 209 Hebr 9,1 – 5 210 Hebr 9,17 48, 123 Hebr 10,1 56, 58, 100 Hebr 12,16 168 Hebr 12,16 f. 158 Hebr 12,29 199 Jakobusbrief Jak 2,24.26 164 Jak 3,6 40, 127 Jak / Röm 164 1. Petrusbrief 1Petr 3,7 167 1Petr 3,15 158 2. Petrusbrief 2Petr 1,13 f.

194

1. Timotheusbrief 1Tim 3 135, 175 1Tim 4,3 47 1Tim 5,8 169

2. Johannesbrief 2Joh 8

169

Judasbrief 2. Timotheusbrief 2Tim 3,16

52

Jud 13

142

Register

289

Im Haupttext übersetzte oder behandelte Isidorbriefe (Zählung nach Évieux, vgl. die Konkordanzen bei Évieux 1995, 411 – 418) ep. 2 199 ep. 5 150 ep. 7 158 ep. 9 185 ep. 16 248 ep. 18 124 ep. 19 140 ep. 23 27 ep. 42 255 ep. 50 221 ep. 51 254 ep. 53 116 ep. 57 246 ep. 59 181 ep. 60 182 ep. 64 249 ep. 65 206 ep. 66 145 ep. 69 126 ep. 79 84, 172 ep. 80 186 ep. 83 187 ep. 95 250 f. ep. 97 183 ep. 105 226 ep. 106 217, 222 ep. 109 183 ep. 114 207 ep. 117 158 ep. 121 145 ep. 125 31 ep. 126 188 ep. 131 218 ep. 132 149 ep. 136 225 ep. 138 177 ep. 139 140 ep. 143 189, 226 ep. 152 80 ep. 154 207 ep. 155 173 ep. 168 246 ep. 169 92, 230, 246, 248 ep. 177 31

ep. 178 30 ep. 181 237 ep. 182 259 ep. 183 220 ep. 192 133, 199 ep. 193 258 ep. 199 190, 219, 259 ep. 201 257 ep. 205 206 ep. 206 190 ep. 209 191 ep. 210 192 ep. 211 192, 195 ep. 219 255 ep. 236 177 ep. 238 227 ep. 239 74 ep. 248 259 ep. 249 247 ep. 252 207 ep. 255 227 ep. 256 228 ep. 259 200 ep. 273 228 ep. 282 251 ep. 285 206 ep. 286 252 ep. 288 200 ep. 291 228 ep. 293 75, 247 ep. 303 27 ep. 310 80 ep. 312 230, 253 ep. 316 237 ep. 323 25 – 27, 245 ep. 329 240 ep. 334 195 ep. 341 185 ep. 347 240 ep. 355 201 ep. 356 f. 231 ep. 358 253 ep. 358 f. 230 ep. 359 217

290

Register

ep. 360 177, 255 ep. 362 211 ep. 364 196 ep. 365 212 ep. 366 212 ep. 369 238 ep. 393 247 ep. 403 237 ep. 405 27 ep. 408 240 ep. 414 206 ep. 415 213 ep. 416 207, 213 ep. 417 220 ep. 419 41 ep. 431 208 ep. 432 236 ep. 444 58 ep. 447 – 450 153 ep. 453 200, 215 ep. 457 196 ep. 466 239 ep. 488 241 ep. 489 30 ep. 494 59 ep. 498 197 ep. 502 235 ep. 503 49, 217, 238 ep. 504 49, 217 ep. 506 173 ep. 536 229 ep. 563 58, 102 ep. 566 121, 150 ep. 581 82, 85, 96, 175 ep. 586 217 ep. 597 136 ep. 599 68 ep. 607 237 ep. 612 222 ep. 633 62, 86, 239 ep. 635 238 ep. 639 216 ep. 643 106 ep. 644 202 ep. 650 132 ep. 657 26 ep. 658 126

ep. 661 ep. 675 ep. 695 ep. 698 ep. 733 ep. 735 ep. 746 ep. 754 ep. 757 ep. 760 ep. 770 ep. 774 ep. 784 ep. 799 ep. 804 ep. 810 ep. 828 ep. 831 ep. 884 ep. 889 ep. 895 ep. 906 ep. 907 ep. 909 ep. 925 ep. 941 ep. 944 ep. 947 ep. 952 ep. 960 ep. 976 ep. 977 ep. 1016 ep. 1038 ep. 1043 ep. 1045 ep. 1049 ep. 1057 ep. 1059 ep. 1060 ep. 1061 ep. 1093 ep. 1096 ep. 1108 ep. 1116 ep. 1129 ep. 1134

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Register

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291