Romantische Liebe aus dem Fernsehen: Zwischen TV und Tradition: Identitätsaushandlungen junger Frauen in Indonesien [1. Aufl.] 9783839416785

Wird Liebe überall gleich gefühlt und gelebt? Wie gehen indonesische Bugis-Frauen in einer Kultur, in der »romantische L

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German Pages 430 Year 2014

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Romantische Liebe aus dem Fernsehen: Zwischen TV und Tradition: Identitätsaushandlungen junger Frauen in Indonesien [1. Aufl.]
 9783839416785

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
Anmerkungen zu den verwendeten Begriffen
A THEORIE
I What’s love got to do, got to do with it …
1. Einleitung
2. Emotionen – eine ethnologische Perspektive
2.1 Die Universalismus-Konstruktivismus-Debatte
2.2 Emotionen als relationale Prozesse
3. »Romantische Liebe«
3.1 Ein Überblick über die wissenschaftlichen Perspektiven
II Das Fernsehen in einer globalisierten Welt – Theoretische und methodische Implikationen
1. Einleitung
2. Media Worlds – eine ethnologische Perspektive?
3. Die Konzeption der Zuschauer
3.1 Exkurs I: Die verschiedenen Lesarten nach Stuart Hall
3.2 Exkurs II: Die Polysemie der Texte nach John Fiske
4. Kritische Überlegungen
4.1 Zur Problematisierung des Rezeptionsbegriffs
4.2 Fernsehen als Dispositiv?
5. Fazit: Das Fernsehen als soziale Praxis
B DIE FERNSEHREZEPTION ROMANTISCHER FIKTIONEN IN MAKASSAR
I Das Fernsehen in Indonesien
1. Sozio-historischer Überblick
1.1 Der erste staatliche Fernsehsender TVRI
1.2 Der Palapa Satellit – Fernsehen als nationales Medium
1.3 Die Privatisierung der Sender: Eine Gefährdung der »indonesischen Kultur«?
2. Selbst-Regulation und Zensur
3. Fernsehen nach dem Orde Baru Regime
4. Apparative (Nutzungs-)Anordnungen und soziale Fernsehpraxis
5. Abschließende Betrachtung
II »Liebe in Makassar«
1. Einleitung
2. Methoden und Forscherin-Standpunkt
2.1 Methoden
2.2 Selbstreflexivität der Forscherin
3. Die Bugis
4. Kontextualisierung des Forschungsfeldes
5. Intrakulturelle Konzepte und Diskurse
5.1 »Traditionelle« Bugis Konzepte
5.2 Nationalstaatliche Rhetoriken
5.3 Der »indonesische Islam« und der islamische Revitalismus
6. (Romantische) Liebe als umkämpftes Bedeutungsfeld
III Zur Rezeption romantischer Fiktionen
1. Zur Kontextualisierung des spezifischen Rezeptionsfeldes
2. Die »Liebes-relevanten« TV-Sendungen aus dem Ausland
2.1 Telenovelas
2.2 Bollywoodfilme
2.3 Film Mandarin
2.4 Hollywoodfilme und westliche Serien
3. Die »Liebes-relevanten« TV-Sendungen aus Indonesien
3.1 Infotainment
3.2 Sinema elektrik – sinetron
3.3 Indonesische Filme
3.4 Zentrale Themen und Symbole
4. Konstruktionen des Eigenen und des Fremden
4.1. Konstruktionen des Fremden
4.2 Bilder der Begierde/Sehnsucht
5. Realität/Fiktion – Zur Konstruktion von Realitätsbezügen
6. Kollektive versus individuelle TV-Rezeption – Eine Zusammenfassung
7. Fallbeispiele
7.1 Indris Probleme auf dem Weg zur Ehe
7.2 Putri und die Suche nach der wahren Liebe
7.3 Novis »Torschlusspanik«
Schlussbetrachtung
C ANHANG
I Wörterindex
II In der Arbeit zitierte Interviewpartner
D MATERIALIEN
I Bibliographie
II Weblinks
III Filme und Serien

Citation preview

Janna Lau Romantische Liebe aus dem Fernsehen

MedienWelten | Herausgegeben von Dorle Dracklé | Band 6

Janna Lau (Dr. phil.) lebt in Paris und arbeitet an ethnologischen Filmprojekten im außereuropäischen Ausland.

Janna Lau

Romantische Liebe aus dem Fernsehen Zwischen TV und Tradition: Identitätsaushandlungen junger Frauen in Indonesien

D 29 zugl.: Erlangen-Nürnberg, Univ., Diss., 2010 Gedruckt mit Bezuschussung durch die Ilse und Dr. Alexander Mayer-Stiftung und durch das DFG-Graduiertenkolleg »Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz«, Erlangen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Zauberschmetterling / photocase.com Lektorat & Satz: Janna Lau Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1678-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

[W]ithout emotionality everyday life would be an endless empty exchange of repetitive, lifeless meanings, dull and devoid of inner, moral significance. Emotionality lies at the intersection of the person and the society, for all persons are joined to their societies through the self-feelings and emotions they feel and experience on a daily basis. NORMAN DENZIN On Understanding Emotion (1984: x)

’Cultures’ do not hold still for their portraits. JAMES CLIFFORD Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography (1986: 10)

Für Matthieu, den ich in Makassar kennen und lieben lernte, und der mir während der Arbeit über die Liebe stets den persönlichen Glauben an sie erhalten hat.

Inhalt

Danksagung | 11 Einleitung | 13 Anmerkungen zu den verwendeten Begriffen | 21

A THEORIE What’s love got to do, got to do with it … | 25 1. Einleitung | 25 2. Emotionen – eine ethnologische Perspektive | 27 2.1 Die Universalismus-Konstruktivismus-Debatte | 27 2.2 Emotionen als relationale Prozesse | 35 3. »Romantische Liebe« | 39 3.1 Ein Überblick über die wissenschaftlichen Perspektiven | 42 I

II Das Fernsehen in einer globalisierten Welt – Theoretische und methodische Implikationen | 61

1. Einleitung | 61 2. Media Worlds – eine ethnologische Perspektive? | 62 3. Die Konzeption der Zuschauer | 65 3.1 Exkurs I: Die verschiedenen Lesarten nach Stuart Hall | 68 3.2 Exkurs II: Die Polysemie der Texte nach John Fiske | 69 4. Kritische Überlegungen | 70 4.1 Zur Problematisierung des Rezeptionsbegriffs | 70 4.2 Fernsehen als Dispositiv? | 76 5. Fazit: Das Fernsehen als soziale Praxis | 81

B DIE FERNSEHREZEPTION ROMANTISCHER FIKTIONEN IN M AKASSAR Das Fernsehen in Indonesien | 87 1. Sozio-historischer Überblick | 87 1.1 Der erste staatliche Fernsehsender TVRI | 87 1.2 Der Palapa Satellit – Fernsehen als nationales Medium | 92 1.3 Die Privatisierung der Sender: Eine Gefährdung der »indonesischen Kultur«? | 94 2. Selbst-Regulation und Zensur | 99 3. Fernsehen nach dem Orde Baru Regime | 102 4. Apparative (Nutzungs-)Anordnungen und soziale Fernsehpraxis | 103 5. Abschließende Betrachtung | 105 I

II »Liebe in Makassar« | 109

1. Einleitung | 109 2. Methoden und Forscherin-Standpunkt | 112 2.1 Methoden | 112 2.2 Selbstreflexivität der Forscherin | 116 3. Die Bugis | 124 4. Kontextualisierung des Forschungsfeldes | 129 5. Intrakulturelle Konzepte und Diskurse | 134 5.1 »Traditionelle« Bugis Konzepte | 134 5.2 Nationalstaatliche Rhetoriken | 186 5.3 Der »indonesische Islam« und der islamische Revitalismus | 196 6. (Romantische) Liebe als umkämpftes Bedeutungsfeld | 207 III Zur Rezeption romantischer Fiktionen | 211

1. Zur Kontextualisierung des spezifischen Rezeptionsfeldes | 213 2. Die »Liebes-relevanten« TV-Sendungen aus dem Ausland | 218 2.1 Telenovelas | 218 2.2 Bollywoodfilme | 220 2.3 Film Mandarin | 226 2.4 Hollywoodfilme und westliche Serien | 229 3. Die »Liebes-relevanten« TV-Sendungen aus Indonesien | 233 3.1 Infotainment | 233 3.2 Sinema elektrik – sinetron | 234 3.3 Indonesische Filme | 238 3.4 Zentrale Themen und Symbole | 240 4. Konstruktionen des Eigenen und des Fremden | 263 4.1. Konstruktionen des Fremden | 263 4.2 Bilder der Begierde/Sehnsucht | 281 5. Realität/Fiktion – Zur Konstruktion von Realitätsbezügen | 296 6. Kollektive versus individuelle TV-Rezeption – Eine Zusammenfassung | 316 7. Fallbeispiele | 322 7.1 Indris Probleme auf dem Weg zur Ehe | 322 7.2 Putri und die Suche nach der wahren Liebe | 336 7.3 Novis »Torschlusspanik« | 349 Schlussbetrachtung | 361

C ANHANG I

Wörterindex | 379

II In der Arbeit zitierte Interviewpartner | 389

D MATERIALIEN I

Bibliographie | 399

II Weblinks | 425 III Filme und Serien | 427

 

Danksagung

An erster Stelle möchte ich mich für den herzlichen und kritischen Beistand meines Doktorvaters, Prof. Dr. Kay Kirchmann (Erlangen), bedanken. Wurde er mir zunächst im Rahmen des Graduiertenkollegs, in dem diese Arbeit entstand, als Betreuer »zugeteilt«, stand er mir mit großer persönlicher Anteilnahme vom Moment meines Eintritts ins Graduiertenkolleg bis zur Abgabe dieser Arbeit stets beratend zur Seite. Er förderte, kritisierte und ermunterte mich und war in allen Lagen als Ansprechpartner verfügbar. Dafür bin ich sehr dankbar. Es freut mich auch, dass ich viel von seinem scheinbar unerschöpflichen Wissen lernen konnte. Auch bei Prof. Birgitt Röttger-Rössler (Berlin) möchte ich mich bedanken. Sie ermutigte mich, den langen, lehrreichen, schönen wie auch schwierigen Weg der Promotion zu gehen. Ohne sie wäre diese Arbeit womöglich nie zustande gekommen. Auch Prof. Dr. Antje Kley möchte ich herzlich für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre konstruktive Kritik danken. Mein herzlicher Dank gebührt darüber hinaus allen, die Vertrauen in das Gelingen meines Projekts hatten, die dieses als förderungswürdig akzeptierten, und ohne deren Unterstützung es wohl nie zustande gekommen wäre: Finanziert wurde das Projekt durch ein Stipendium des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den Bayerischen Staat finanzierten Graduiertenkollegs »Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz« an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, durch ein Forschungsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für die Zeit meiner Feldforschungen in Indonesien und eine das Projekt abschließende Frauenförderung des Programms »Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre« der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Diese Förderungen ermöglichten mir ein konzentriertes und sorgenfreies Arbeiten an diesem Forschungsprojekt. Den ProfessorInnen, StipendiatInnen und KollegiatInnen des Graduiertenkollegs sei für die zahlreichen Diskussionen, Gedanken und Ratschläge gedankt, die meine Arbeit sehr bereichert haben. Für ihre organisatorische und koordinierende Hilfe sei auch herzlichst Frau Annette Thüngen, der Koordinatorin des Graduiertenkollegs, gedankt, die sich jeder Anfrage in-

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tensiv gewidmet hat und den StipendiatInnen stets unterstützend zur Hilfe stand. Zu Dank bin ich auch der indonesischen Wissenschaftsbehörde LIPI (Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia) für die rasche Bewilligung des Forschungsprojektes verpflichtet. Dieses Buch wäre nie ohne die enorme Hilfsbereitschaft meiner InformantInnen und FreundInnen in Indonesien entstanden, die mich sowohl als Forscherin als auch als Freundin herzlich in ihrem Leben aufgenommen, mir viel Zeit und Geduld geschenkt haben und mich an ihren persönlichsten Geschichten teilhaben ließen. Ihnen habe ich nicht nur diese Arbeit zu verdanken, sondern von ihnen habe ich viel gelernt, das ich nicht missen möchte. Es wären zu viele Namen aufzulisten, um mich bei jedem zu bedanken, der Teil des Gelingens dieses Projekts war. Für ihre große Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit danke ich jedoch insbesondere Abe, Ayu, Imhe, Ina, Inggried, Ira, Muchlis, Nitha, Wiwi, Yani und Yanto. Verschiedene Personen haben sich bereits im Vorfeld mit meiner Arbeit auseinandergesetzt und waren an der inhaltlichen und redaktionellen Korrektur des Textes beteiligt: Meiner Schwester Nina Lau, die sich unermüdlich immer wieder meinen Texten gewidmet hat und auf die ich in jeder Lage zählen konnte, gebührt dabei besonderer Dank für ihren großen Einsatz. Bei meinem Freund und Kollegen, Christoph Mautz, der sich intensiv und mit großer Leidenschaft mit meinen Texten und Gedanken auseinandergesetzt hat, möchte ich ebenso herzlich danken. Seine Gedanken zu meiner Arbeit haben mir zahlreiche Anregungen gegeben, seine Kritik war hilfreich, um Schwächen zu korrigieren, und seine Motivationskünste haben mir aus dem einen oder anderen »Tief« heraus geholfen. Mein Dank gilt auch Thomas Stodulka, mit dem ich nicht nur viel Zeit in Indonesien, ähnliche Forschungsinteressen und eine langjährige Freundschaft teile, sondern auch das »geheime Wissen« um den persönlich schwierigen Feldforschungsprozess, der bei uns beiden zeitlich parallel verlief. Auch wenn Makassar und Yogyakarta als unsere Forschungsorte weiter voneinander entfernt liegen als nun Paris und Berlin, unsere derzeitigen Wohnorte, war ein intensiver emotionaler, psychologischer und kollegialer Austausch dennoch stets gegeben. Großer Dank gebührt auch meinen Freunden, die mich stets unterstützt, ermutigt, aufgebaut, kritisiert haben und immer für mich da waren: Eva Knopf, Janina Meillan-Kehr, Jennifer Jacobs und Kathi Bonjour. Vor allem aber danke ich meinen Eltern, Ralf und Christine Lau, die mich stets mit ihrem Wissen, ihrer Weitsicht, ihrer Lust am Leben und ihrer Neugier am Fremden bereichert, meine Interessen gefördert und unterstützt und mir Mut gemacht haben, diese stets zu verfolgen. Sie haben es mir sowohl ideell als auch strukturell ermöglicht, den Weg bis hierhin zu gehen und standen mir sowohl in den schönen als auch in den schweren Phasen dieser Arbeit stets beiseite.

Einleitung

Wenn ich gefragt werde, was genau mein Forschungsfeld und Inhalt meiner Dissertation sei, gerate ich mitunter in Erklärungsnot. Es ist schwer, die Komplexität der Gedanken, die hinter dieser Arbeit stecken, kurz zusammenzufassen. Oft bleibt als Resultat bei meinen Mitmenschen hängen: Ich forsche über Liebe in Indonesien. Natürlich stimmt dies im weitesten Sinne, aber die daraufhin gestellten Nachfragen – »Wie ist denn das mit der Liebe in Indonesien?«, »Was hat es denn nun mit der romantischen Liebe auf sich?« – evozieren bei mir ein leichtes Unwohlsein. Die große Erwartung einer (wissenschaftlich fundierten) Klärung, was diese ominöse Liebe denn nun ist, muss ich enttäuschen. Anders als in den zahlreichen populärwissenschaftlichen Artikeln zum Thema, die genau solche Art von Erklärungen für das uns alle interessierende persönliche Gefühl liefern wollen, indem sie diese durch physiologische Prozesse wie hormonelle Ausschüttungen oder durch soziobiologische Argumentationen erklären, geht es in dieser Arbeit nicht darum, zu bestimmen, was romantische Liebe ist. Vielmehr beobachte ich, wie Liebe in verschiedenen Kontexten gelebt, ausgehandelt und mit Bedeutung versehen wird und wie diese in Makassar, Indonesien, zur Aushandlungsfläche kultureller Identität und Differenz wird. Diese Arbeit basiert auf einem langjährigen Interesse an Liebessemantiken und der Rolle des Fernsehens im sozialen Alltag in Indonesien. Bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Surabaya im Jahr 2001 drängte sich mir die hier verfolgte Fragestellung praktisch auf. Der alltäglichen Präsenz des Fernsehens und die darin präsentierten, kulturell diversen Liebesgeschichten, die große Aufmerksamkeit genossen, konnte ich mich nicht entziehen. In der Ankunftshalle des Flughafens begegneten mir Gruppen von Indonesierinnen und Indonesiern, die die Sendungen der dort aufgestellten Fernseher verfolgten, lautstark darüber diskutierten und das Geschehen kommentierten. Fahrten durch die Stadt ließen Blicke auf kleine, sehr einfache Essensstände am Straßenrand zu, in denen sich zwischen dem Arrangement von Eiern, Tofu, Satéspießchen, Töpfen, Pfannen und Feuerstellen ein kleiner Fernseher befand, auf den die Blicke der Köche und der Gäste gerichtet waren. Meine ersten Besuche auf dem Kommissariat und bei der Einwanderungsbehörde zur Erlangung des Visums und der offiziellen An-

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meldung im Land zeigten, dass auch in öffentlichen Verwaltungsbüros der Fernseher tagein und tagaus lief. Und wenn eine telenovela1 oder eine sinetron2 gerade an einem Spannungshöhepunkt angelangt war, wurden meine Wartezeiten länger, da sich die ganze Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf die televisuellen Geschichten richtete. Der Fernseher schien in Indonesien nie ausgeschaltet zu werden. Er lief überall, in voller Lautstärke, und jeder in Surabaya schien überall und ständig fernzusehen. In dem Studentenwohnheim (BI3 = kost), in dem ich wohnte, wurde ich morgens um fünf Uhr von der aus verschiedenen Zimmern und dem Gemeinschaftsraum dröhnenden Beschallung durch verschiedene Fernseher geweckt. Auch in dem gemeinsamen Wohnbereich umgaben mich die ibu kost (BI = wörtlich: »die Mutter des Wohnheims«)4, die den Blick beim Bügeln nicht vom Fernseher löste, und Studentinnen, die ihren Reis und ihren Tee zu sich nahmen, während sie sich von den dramatischen Liebesgeschichten von Shah Rukh Khan oder Maria Mercedes unterhalten ließen. Mein Tag begann mit den indischen Helden, die versuchten, sich aus ihren Liebesdramen heraus zu tanzen, beim Mittagessen auf dem Campus wurde ich mit der fiktiven Figur Andie aus der US-Serie Dawson’s Creek verglichen, auf dem Weg aus dem Büro sagte mir jemand, ich sähe aus wie Marie Fredriksson von der schwedischen Popband Roxette, am frühen Abend begegnete ich dem unbeschreiblichen Leid der gutherzigen Maria Mercedes und ihrer unglücklichen Liebe, und am Abend war ich auf einer arrangierten Hochzeit eingeladen. Fiktive Liebesgeschichten aus verschiedensten kulturellen Kontexten begegneten mir überall: Liebe fabriziert in Indien, Südamerika, den USA, Australien, Korea, Taiwan, Hongkong und Indonesien selbst. Der Fernseher war umgeben von jungen Frauen, die die Inhalte diskutierten und mit den Protagonisten mitfieberten. Auch nach Beendigung des Programms tauschten sie sich noch über die fiktiven Geschichten und die beteiligten Charaktere aus, als würden sie über ihre Freunde sprechen. Auf dem Campus ver-

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Telenovelas sind südamerikanische, melodramatische Soap-Operas, die zur Ausstrahlung im Fernsehen produziert werden, vgl. hierzu Kapitel B.III.2.1. Der indonesische Begriff sinetron wird als Kurzform für sinema elektrik (wörtlich: elektrisches Kino) verwendet und bezeichnet die indonesischen, national produzierten, melodramatischen Soap-Operas, vgl. hierzu Kapitel B.III.3.2. BI steht als Kürzel für Bahasa Indonesia, was »Indonesische Sprache« bedeutet. Da in dieser Arbeit sowohl indonesische als auch buginesische Wörter im Original verwendet werden, wird mittels eines Anhangs gekennzeichnet, ob der indigene, kursiv gedruckte Begriff der indonesischen, nationalen Sprache entstammt – versehen mit dem Kürzel BI – oder der lokalen Sprache der ethnischen Gruppe der Bugis – gekennzeichnet mit BB als Kürzel für Bahasa Bugis (Buginesisch). Eine Art Aufseherin, die sich meist um die Reinigung des Hauses und die Wäsche kümmert, vor allem aber eine »traditionelle« soziale Kontrollfunktion erfüllt.

E INLEITUNG

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sammelten sich kleine Gruppen junger Studentinnen, oft in jilbab (BI)5 gekleidet, die sich angeregt über die fiktiven Fernsehgeschichten des Vortages unterhielten und kicherten. Passierten junge Männer die jungen Frauen und musterten sie mit Interesse, senkten diese schamhaft ihre Blicke und unterbrachen die Unterhaltung kurzzeitig, um sich dann über die jungen Männer zu unterhalten. In Gesprächen über ihre persönlichen Beziehungen und Ansichten über Liebe wurde stets betont, es sei zentral für anständige junge Frauen, Liebesgefühle zu kontrollieren und sich Männern gegenüber zurückhaltend und schamhaft zu verhalten. Man müsse seine Kultur wahren und dürfe sich kein Beispiel am »Westen« und dessen freien Sexualpraktiken nehmen. Das verderbe die »indonesische Kultur«6 und bringe nur Un-

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Jilbab ist die plurale Form des arabischen Begriffs jilbaab, der ursprünglich einen langen und lose getragenen Mantel oder Kleidungsstück bezeichnet, der von einigen Musliminnen getragen wird. Dieser entspricht den Anforderungen des Korans nach einem hijab (Arabisch), der Verschleierung muslimischer Frauen, die lediglich die Haare und den Nacken oder auch den ganzen Körper und das Gesicht bedecken kann. In Indonesien wird der Begriff jilbab jedoch nicht im Sinne dieses spezifischen Kleidungsstücks, sondern vor allem lediglich für das muslimische Kopftuch oder einen Schleier, der den Kopf bedeckt, verwendet – äquivalent zu dem arabischen Begriff khimer. Ein jilbab ist das Kopftuch, das Musliminnen tragen, um ihr aurat (ein arabischer Begriff, der jedoch auch im Indonesischen verwandt wird) – die Teile des Körpers einer Frau, die öffentlich nicht sichtbar sein sollten – zu verbergen. Es gibt verschiedene Versionen von jilbab. Die häufigste Variante sind jilbab, die die Haare und den Nacken einer Frau verbergen. Darüber hinaus gibt es die Version, die zusätzlich das komplette Gesicht bis auf die Augen verbirgt. Meist wird dieser als ein großer Schleier getragen, der weit um den ganzen Körper fällt und die Konturen des weiblichen Körpers gänzlich verhüllt. Dies ist in Indonesien jedoch eine relativ seltene Erscheinung. Im Unterschied dazu gibt es eine modernere Version des Kopftuchs, ein Schal, der locker um den Kopf getragen wird und Haare und Nacken nicht komplett verdeckt. Dieses Kopftuch wird kerudung (BI) genannt. Da sowohl im englischen als auch im indonesischen Sprachgebrauch jilbab auch in seiner singulären Verwendung Verbreitung findet, werde ich den Begriff jilbab auch in dieser Arbeit sowohl im Singular als auch im Plural benutzen. Hier in Anführungszeichen gesetzt, da eine einheitlich gedachte »indonesische Kultur« lediglich ein nationalstaatliches Konstrukt darstellt, vgl. Kapitel B.I und B.II.5.2. Ich stelle Wörter im Laufe dieser Arbeit dann in Anführungszeichen, wenn ich sie im Sinne ihres konstruierten Charakters durch Personen oder Diskurse verwende. Sind beispielsweise »Westen«, aber auch »Bali« oder »Indonesien« in Anführungszeichen gestellt, referiere ich auf sie im Sinne ihrer konstruierten Bedeutungen durch meine Forschungssubjekte selbst oder im Sinne seiner Verwendung als rhetorische Figur. Natürlich ist mir darüber hinaus klar, dass der Westen oder Indonesien beispielsweise auch als solcher keinen einheitlichen Kulturraum darstellt und beispielsweise westliche Liebessemantiken oder westli-

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moral und Krankheiten nach Indonesien. Gott habe bereits einen jodoh (Lebens-/Ehepartner)7 für einen ausgewählt, und vielleicht sei es auch besser, eine arrangierte Ehe einzugehen. Die Eltern wüssten wahrscheinlich besser, wer zu einem und der Familie passe. Ja, man möge schon mal einen Jungen, aber man könne kontrollieren, ob man sich verliebt. Wichtig sei aufzupassen, dass der Junge aus gutem Hause komme und eine Arbeit habe, damit er als potentieller Ehepartner von den Eltern akzeptiert werden würde. Abends hingegen fieberten sie mit den Helden der verschiedensten Liebesfiktionen mit und kommentierten aufgeregt das Geschehen mit Ausrufen wie: »Oh, wie romantisch«; Oh, wie süß der ist«; »Oh, wie sexy«; »Oh, das wünsche ich mir auch.« Wurden junge Frauen von den Eltern verheiratet, obwohl sie bereits einen Partner hatten, für den sie Gefühle zeigten, reagierten sie darauf für meine Begriffe ungewöhnlich rational. Für die »große Liebe« schien kaum Platz zu sein, und ich – immer »an die Liebe glaubend« – begann mich zu fragen, ob man Liebe auch von Kultur zu Kultur unterschiedlich erlebt, ob sich auch die kulturelle Entmutigung, Liebesgefühlen zu folgen, im subjektiven Erleben selbst auswirkt, ob ich so sehr von der »großen Liebe«, für die es sich zu kämpfen lohnte, überzeugt war, weil meine Kultur mir dies so beigebracht hat, weil dies ein kulturelles Ideal darstellt, dem ich folge und demzufolge ich meine Gefühle möglicherweise auch erlebe. Doch wie passten das rationale Verhalten und die offiziellen »unromantischen«, Erzählungen der eigenen Gefühle der jungen Frauen einerseits mit ihrer offensichtlichen Begierde nach Liebesfiktionen andererseits zusammen? Und wie war die Zentralität, die diesen Gefühlen im populärkulturellen Raum des Fernsehens zukam, mit der scheinbaren Negierung solcher Gefühle in anderen kommunikativen Kontexten zu vereinen? Wie reagierten die jungen Frauen ganz subjektiv auf die kulturfremden Semantiken von Liebe, die diese positiv bewerten und zelebrieren? Ermutigen diese, Liebesgefühle zu zeigen, zu haben oder diesen zu folgen? Verändern sich durch die mediale Globalisierung emotionale Konzepte oder gar subjektive Emotionalitäten? Diese Fragen beschäftigten mich seitdem sehr, nicht zuletzt um der Frage nach der Liebe persönlich auf die Spur zu kommen. Ähnlich wie Abu-Lughod (2005: 5) die Aufmerksamkeit, die junge Frauen der beduinischen Gruppe der Awlad ’Ali ägyptischen nationalstaatlichen Serien zumessen, damit kommentiert, »[t]his attraction to mass mediated stories of life-worlds that so little resembled their own was curious to me«, liegt auch mein Interesse darin, die scheinbaren Dichotomien zwi-

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che Medientexte weder kulturell noch über die Zeit hinweg konstant einheitlich zu klassifizieren sind. Dennoch verwende ich diese Begriffe dann ohne Anführungsstriche, wenn ich auf geographische Herkunftsbestimmung hinweise und nicht auf die konstruierten Konstrukte, die sich hinter den Begriffen verbergen können. Vgl. zur Verwendung von Anführungszeichen in dieser Arbeit auch die Fußnoten 9, 183, 239, 247, 276 und 342. Vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.2.

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schen der Fernsehwelt, in der romantische Liebe zelebriert und ausgiebig inszeniert wird, und der sozialen Realität junger Menschen in Indonesien, die die Partnerwahl zumindest offiziell als eine rationale Operation beschreiben und für die eine solche nicht lebbar ist, genauer zu betrachten. Mit diesen Fragen begann ich meine Forschung in Makassar, einer Großstadt im Süden Sulawesis und stieß auf ebensolche Phänomene. Fragen, die meine Forschung leiteten, können folgendermaßen gestellt werden: Was passiert bei der Rezeption medial vermittelter romantischer Fiktionen sowohl auf der kollektiven Rezeptionsebene als auch auf der subjektiven Erlebnisebene? Wie werden (kulturfremde) Semantiken über Liebe und fiktive Liebesszenen lokal ausgehandelt und mit Bedeutungen für die eigene Lebenswelt versehen? Verändern die Semantiken, die romantische Liebe als Beziehungsdiskurs positiv bewerten und beschreiben, auch die lokale Wahrnehmung oder Beschreibung von Gefühlen? Wie vereinen junge Frauen »individuelle Gefühle« mit den Vorschriften, wie sie sich zu verhalten haben? Sehen die jungen Frauen selbst Differenzen in der Emotionalität zwischen ihnen und westlichen Menschen oder werden diese als Teil der Selbstpositionierung konstruiert? Diese Arbeit beschäftigt sich vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen mit der Rezeption medial vermittelter romantischer Fiktionen bei jungen Bugis8 Frauen aus ländlichen, traditionellen Kontexten in der indonesischen Großstadt Makassar, die ein komplexes soziales Umfeld bildet, das multidiskursiv vielfach strukturiert ist: Traditionelle lokale Konzepte, Werte und Normen, nationalstaatliche Modernitäts- und Retraditionalisierungsdiskurse, religiöse, vor allem islamische (neue) Diskursen und kulturfremde (westliche, indische, südamerikanische, asiatische) Semantiken im Feld der Liebe prallen hierbei in dem von sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Veränderungen durchzogenen Umfeld der Großstadt aufeinander. Sie stellen den jungen Frauen sehr unterschiedliche Interpretationsfolien für Gefühle wie auch Handlungsmodelle zur Verfügung, die ihre (zumindest situativen) Positionierungen erfordern. Hierbei werden Identitätsfragen besonders zentral: Identitätskonstruktionen als »gläubige Frauen«, als »moderne Frauen«, als »traditionelle Frauen«, etc. spielen nicht nur für die narrativen autobiographischen (Liebes-)Erzählungen der Frauen, sondern auch für Sinngenerierungen ihrer Gefühle, Erfahrungen und sozialen Praktiken eine Rolle. Fremde Gefühlssemantiken, die die Frauen mittels moderner Massenmedien

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Bugis ist eine der Ethnien in Südsulawesi. Neben den Bugis sind in Makassar vor allem die ethnischen Gruppen Makassar und Toraja vertreten. Die Bugis sind in der Stadt jedoch am häufigsten. Bugis und Makassar sind in der Mehrheit Muslime, die Toraja Christen. Jede dieser Ethnien hat ihre eigene lokale Sprache. In der Stadt wird jedoch vorwiegend Indonesisch gesprochen. Vor allem junge Leute verwenden Indonesisch, da die Verwendung der lokalen Sprache oft als kampungan (BI = »dörflich«, jedoch mit negativen Konnotationen von Rückwärtsgewandtheit) bezeichnet wird.

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erreichen – wie z. B. westliche televisuelle romantische Fiktionen – bieten den Frauen andere Erklärungs- und Beschreibungsmodelle für ihre Gefühle an, die Bedeutung für die Interpretation, das Erleben und die Kommunikation ihrer Gefühle haben können. Andererseits wird dieser fremde Liebesdiskurs zentral für die Identitätskonstruktionen der Frauen, indem sie sich narrativ von diesem abgrenzen oder ihn für zur Beschreibung eigener Gefühle anwenden können. Sie können sich eine Identität als »traditionelle« oder »moderne« Frauen zuschreiben, die die Frauen leiblich involviert. Diese komplexen Prozesse werden in dieser Arbeit im Sinne einer Mikrostudie basierend auf einer 13-monatigen Feldforschung in Makassar anhand der Fernsehrezeption romantischer Fiktionen durch junge Bugis Frauen aufgezeigt. Die Arbeit leitet in das konkrete Untersuchungsfeld ein, indem zunächst Emotionen als zentraler Begriff theoretisch genauer beleuchtet werden. Anhand der emotionsethnologischen Debatte, ob Emotionen als universal und primär biologisch konstituiert oder primär durch die Emotionsmodelle einer Kultur konstruiert und somit kulturrelativistisch zu betrachten sind, möchte ich meine eigene Position darlegen, die begründet, warum ich mich RöttgerRösslers (2002, 2004) Konzeption von Emotionen als relationale Prozesse, die sich an der Schnittstelle von Biologie und Kultur konstituieren, darüber hinaus jedoch entscheidend von persönlichen Erfahrungen abhängen, anschließe. Wie auch bei den Erläuterungen zur romantischen Liebe9 deutlich wird, geht es in dieser Arbeit jedoch nicht so sehr darum, was Emotionen sind, sondern wie über Liebe vor dem Hintergrund kultureller Identitätsfragen in einem konkreten Forschungsfeld in Makassar gesprochen wird. So spreche ich von Liebe als kulturelle Semantik und zeige die kulturellen Konzepte und Diskurse um Liebe in meinem konkreten Forschungskontext auf. Dabei stehen jedoch nicht die kulturellen Diskurse per se im Vordergrund, sondern es geht darum, wie soziale Akteure diese Semantiken und Diskurse aktiv einsetzen, um sich in ihrem Umfeld sozial zu positionieren und sich aktiv (emotionale) kulturelle Identitäten zuzuschreiben. In Kapitel A.II gehe ich auf für die Arbeit zentrale medienwissenschaftliche und medienethnologische Fragen ein. Da die Rezeption der durch das Fernsehen präsentierten Liebessemantiken nicht von dem Medium und seinen dispositiven Eigenschaften wie auch von gesellschaftlichen Diskursen über das Fernsehen selbst loszulösen ist, werde ich hier genauer auf ebensolche eingehen. Es geht dabei darum, inwiefern Medien aus einer explizit

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Romantische Liebe als Gefühl beinhaltet immer bereits eine Interpretation eines Gefühls nach bestimmten Semantiken und Konzeptionen. Demzufolge gibt es romantische Liebe nicht einfach per se, sondern nur als narrative Selbstzuschreibung. Romantische Liebe wird in dieser Arbeit jedoch nur dann in Anführungszeichen markiert, wenn von ihr als Zeichen, als Symbol, als Semantik, als Konzept gesprochen wird, oder wenn auf sie im Sinne ihrer konstruierten Bedeutung durch meine Forschungssubjekte hingewiesen werden soll.

E INLEITUNG

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ethnologischen Perspektive, die Medienpraktiken, aktive Zuschauer und eine fundamentale Kontextualisierung der Mediennutzung in den Vordergrund rückt, zu betrachten sind. Dabei werden theoretische Engpässe der Cultural Studies, wie beispielsweise ihr Rezeptionsbegriff, kritisiert, der in seiner Bedeutung für ethnologische Forschungen korrigiert werden muss. Das Fernsehen wird hier als soziale Praktik konzipiert, deren kulturspezifische Kontextualisierung und Interaktion mit anderen sozialen Praxen und Diskursen in den Vordergrund gestellt werden müssen. Dementsprechend wird zur genaueren Kontextualisierung des Fernsehens in Indonesien in Kapitel B.I die sozio-historische Entwicklung des Fernsehens als nationales Medium in Indonesien nachgezeichnet und die es umgebenden Diskurse, Nutzungsweisen und sozialen Funktionen genauer aufgezeigt. Ich stelle dar, wie das Fernsehen in Indonesien als Teil der nationalstaatlichen Rhetoriken des Orde Baru (übersetzt: neue Ordnung) Regimes unter Suharto eingesetzt wurde, die Nation Indonesiens als einheitlichen, rhetorischen Raum zu konstruieren. Dabei wird auf die Politisierung des Mediums, auf Fragen nach der Zensur, aber auch auf aktuelle Programm- und Senderstrukturen nach dem Fall des Orde Baru Regimes eingegangen. Dann werde ich in aller Kürze auf die lokalen Nutzungsweisen und die apparativen Anordnungen des Fernsehens in Indonesien eingehen – diese werden in dem empirischen Teil B.III dann ausführlicher für das spezifische Forschungsfeld beschrieben –, um in der abschließenden Betrachtung B.I.5, die die Gedanken des Medienkapitels noch einmal zusammenfasst, erste Differenzen zu westlichen Fernsehanordnungen zu konstatieren. Mit Kapitel B.II leite ich dann in das konkrete Forschungsfeld ein. Ich werde zunächst eine Übersicht über die angewandten Forschungsmethoden geben und die Positionierung der Forscherin im Feld reflektieren, bevor ich das konkrete Forschungsfeld kontextualisiere. Nach dieser Einführung werden die Ergebnisse der Forschung aufgezeigt. In Kapitel B.II.5 beschäftige ich mich eingehend mit den intrakulturellen Konzepten und Semantiken von Liebe und einhergehenden zentralen Rollenmodellen und Verhaltensnormen, die als traditionell verstanden werden. Aber auch nationalstaatliche Rhetoriken und islamische Diskurse, die zentral für den Liebesdiskurs werden und bedeutsam für die jungen Frauen sind, werden hier vorgestellt. In Kapitel B.III werden dann zusätzlich die verschiedenen kulturellen Formate der romantischen Fiktionen vorgestellt, die die jungen Frauen tagtäglich im Fernsehen sehen: sinetron10,

10 Da ich hier das indonesische Wort verwende, belasse ich dieses auch im Plural in der singulären Form: sinetron statt eines eingedeutschten Plurals sinetrons. Die eigentliche plurale Form im Indonesischen lautet: sinetron-sinetron. Oft wird aber auch auf die plurale Form mit dem Begriff im Singular referiert, wenn von den sinetron die Rede ist. Dies handhabe ich entsprechend auch mit anderen indonesischen Wörtern, die im Original gelassen werden, wie beispielsweise asrama. Darüber hinaus werde ich keine anderen Flexionen bei deren Gebrauch an-

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telenovelas, Bollywoodfilme, Hollywoodfilme, infotainment-Sendungen (Kapitel B.III.2 und B.III.3). Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Topoi, Motive und Semantiken indonesischer Serien und Filme gelegt, die sich im Feld romantischer Fiktionen ausmachen lassen und die in Interaktion mit westlichen medialen Liebessemantiken und –inszenierungen einen modernen indonesischen Liebesdiskurs konstruieren, der deren Symbole, Settings und Semantiken z. T. aufgreift, diese ausdifferenziert und in indonesische Adaptionen überführt. Ich gehe anschließend darauf ein, wie die jungen Frauen in den kollektiven Diskussionen der Rezeption und auch in eigenen autobiographischen Narrativen kulturelle, sowohl intra- als auch interkulturelle Differenzen in Rückbezug auf dieses filmische Material konstruieren (Kapitel B.III.4). Ich zeige auf, wie die jungen Frauen selbst Bezüge zwischen ihrer sozialen Realität und den romantischen Fiktionen konstruieren und inwiefern diese Fiktionen zentral für die Interpretation eigener Erfahrungen und Erlebnisse, wie auch eigener Gefühle werden (Kapitel B.III.5). In Kapitel B.III.6 gehe ich dann eingehender auf die zentralen Widersprüche zwischen den offiziellen Narrationen und Diskussionen der Frauen von Liebe einerseits und den eigenen Gefühlen und individuellen Bedeutungsgenerationen andererseits ein. Um die Ergebnisse dieser Arbeit genauer an den spezifischen autobiographischen Erzählungen der jungen Frauen festzumachen und die vielfältigen Bezüge zu den romantischen Fiktionen und Medienversatzstücken genauer aufzuzeigen, folgen dann in Kapitel B.III.7 drei Fallbeispiele autobiographischer Liebesnarrative von jungen Frauen und ihre Rückbezüge auf Konzepte, Diskurse und Semantiken, die zuvor vorgestellt wurden. In der Schlussbetrachtung werde ich die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit vor dem in Kapitel A entwickelten theoretischen Hintergrund noch einmal zusammenfassen.

wenden. So werde ich auch als genitive Form von beispielsweise asrama »des asrama« verwenden.

Anmerkungen zu den verwendeten Begriffen

Wie Landwehr (2001: 65f.) feststellt, bedarf es aufgrund der inflationären Verwendung und seiner nahezu gänzlichen Beliebigkeit seiner Füllung, inzwischen einigen Mut, das Wort »Diskurs« in wissenschaftlichen Diskussionen zu verwenden. Aus diesem Grund sollen hier Anmerkungen erfolgen, wie ich den Diskursbegriff verstehe und gebrauche. Ausgehend davon, dass Sprache nicht nur ein Mittel ist, um über das Wissen von einer sozialen Realität zu kommunizieren (vgl. Sarasin 2003), sondern dass diese durch Sprache konstituiert wird, müssen ebensolche sprachlichen Konstruktionen, die sehr wirksam für die Wirklichkeitskonstruktion sein können, in ihren spezifischen Formationen untersucht werden. Sprachliche Wirklichkeitskonstruktionen werden dabei immer in ganz konkreten gesellschaftlichen, kulturellen, aber auch religiösen oder politischen Zusammenhängen vollzogen, was ihre Kontextualisierung notwendig macht (vgl. Landwehr 2001: 12). Diskurs wird dabei in Anlehnung an den foucaultschen Diskursbegriff als der verstanden, der »die Möglichkeit von Aussagen zu einem bestimmten Gegenstand regelt, der das Sagbare und Denkbare organisiert« (ebd.: 7). Diskurse sind »Redezusammenhänge mit Aussage- und Wahrheitsregeln, die historisch situiert sind, das heißt einen Anfang und ein Ende sowie einen bestimmten sozialen (und, im weltweiten Vergleich, auch kulturellen) Ort haben« (Sarasin 2003: 34). Diskurse umfassen also organisierte Reihen von Aussagen, die durch Regeln strukturiert sind und daher einem gleichen »Formationssystem« (vgl. Foucault 1981: 156) zugehören. Sie erscheinen an bestimmten sozialen oder kulturellen Orten, sind dabei in konkrete soziokulturelle, politische, religiöse Kontexte eingebettet und können durch neue Diskurse abgelöst werden, sich mit diesen überschneiden und vermischen. Getroffene Aussagen können sich dabei einschreiben. Sarasin versteht Einschreibung dabei als die Wiederholung von Aussagen, die sich in Diskursen wieder finden lassen (Sarasin 2003: 34f.). Diese Wiederholung generiert wiederum Muster diskursiver Regelmäßigkeiten, die nachfolgende Aussagen erneut strukturieren. Da Aussagen dabei in ihrer Wiederholung leicht modifiziert werden und in eigene Erfahrungskontexte integriert werden, erscheint jede Aussage dennoch als individuell, auch wenn sie den diskursiven

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Mustern folgt. Wie im Laufe der Arbeit gezeigt wird, verstehe ich dabei Diskurse jedoch nicht als Subjekte und ihre Aussagen, Wahrnehmungen und Denkweisen komplett strukturierend. Demzufolge betrachte ich auch, wie Menschen als Akteuren mit den Diskursen umgehen und sie umdeuten, ausdifferenzieren und an den Bedeutungsverschiebungen aktiv beteiligt sind. Die später angeführten »zweiten Sprachen« oder alternative Artikulationsräume, wie beispielsweise die Liebespoesie bei den Awlad ’Ali (vgl. AbuLughod 1986), die als Sprache dazu dient, in dominanten Diskursen negierte Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sind somit auch Diskurse, die jedoch in Interaktion mit und im Widerspruch zu anderen Diskursen stehen. Weder die dominanten noch die alternativen Diskurse strukturieren dabei die Subjekte ganz, sondern Menschen greifen zum jeweiligen Ausdruck von Erfahrungen und Gefühlen, aber auch von Weltansichten und Annahmen ebenso auf sich widersprechende Diskurse zurück. Sie wählen aus. Der zweite hier gebrauchte Begriff der Semantiken wird dabei eingesetzt, um auf Begriffe und ihre Bedeutungen zu rekurrieren, die der Wahrnehmungsfähigkeit, dem kollektiven Bewusstsein und dem Handeln von Menschen vorgegeben sind (vgl. Landwehr 2001: 35). Kulturelle Semantiken stellen so ein Repertoire von Begriffen, Themen und Deutungen zur Verfügung, um über bestimmte Dinge (beispielsweise Liebe) zu sprechen. Sie implizieren kulturelle Konzeptionen und rekurrieren auf sie einbettende Diskurse, dabei muss die Verwendung von Semantiken jedoch nicht die Identifizierung bzw. gar Übernahme dieser implizieren. Kulturelle Semantiken sind also losgelöster und freier einsetzbar als Diskurse und haben nicht die Verbindlichkeit von kulturellen Konzepten oder Modellen. Sie können vielmehr in eigene Diskurse oder in bestehende Konzepte integriert werden, aber auch sprachlich zur Indikation aktiv bestimmter Positionalisierung zu dem jeweiligen Ursprungskontext solcher Semantiken reproduziert werden. Zur Begriffsklärung von kulturellen Modellen und Schemata siehe Kapitel A.I.2.2. Wenn ich von kultureller Identität spreche, meine ich damit in keinem Sinne eine als essentialistisch zu denkende Identität, die an eine jeweilige Kultur geknüpft ist. Ich benenne mit diesem Begriff einen Selbstbeschreibemodus aktiver Akteure, in der die sich situativ wandelnde Konstruktion vom Eigenen und Fremden deutlich werden und der sich so als temporäre Figuration essentialistischen Dichotomien kontinuierlich entzieht.

A Theorie

I

What’s love got to do, got to do with it …

1.

E INLEITUNG

In vielen sowohl medienwissenschaftlichen als auch ethnologischen oder soziologischen Arbeiten, die sich mit Gefühlen, Emotionen oder gar romantischer Liebe auseinandersetzen, wird aufgrund eines alltagshermeneutischen Zugangs zu den Begriffen kein großer Wert auf deren genauere Bestimmung gelegt. Es wird auf die »emotionale Wirkung« von Filmen referiert, soziale Handlungen werden in Referenz auf die Gefühle der Akteure erklärt. Des Weiteren werden Emotionsbegriffe in anderen Kulturen oft mit den uns bekannten gleichgesetzt, in ethnographischen Beschreibungen werden die Emotionen der Fremden oft einfach mit eigenen kulturellen Emotionstermini übersetzt und etwaige interkulturelle Bedeutungsverschiebungen nicht berücksichtigt oder problematisiert. Emotionen selbst stehen selten im Zentrum wissenschaftlicher Theoretisierung. Ein solches unreflektiertes Verständnis von Gefühlen bzw. implizite Konzepte von Emotionen gehen oft in weiterführende Analysen von sich mit Emotionen auseinandersetzenden Arbeiten hinein, was Ergebnisse verfälschen oder undeutlich werden lassen kann. Auch das alltagshermeneutische Verständnis von Emotionen ist häufig theoretischen Prämissen verhaftet, die nicht weiter ausgeführt werden. Man kann Emotionen z. B. als aus neuralen Schaltprozessen resultierende physiologische Reaktionen des Körpers (Neurophysiologie) verstehen oder als ganz persönliche Erfahrungen von Individuen sehen, die in schöpferischen, individuellen Tätigkeiten zum Ausdruck gebracht werden (z. B. im Bereich von Kunst, Literatur, Film, Musik) und einen zentralen Raum in gesellschaftlichen Teilbereichen von Kunst, Literatur, Filmen und Musik einnehmen (Kunst-/Literaturwissenschaft). Sie können als soziale Kommunikatoren zwischen dem leibgebundenen sozialen Subjekt und der gesellschaftlichen Struktur konzipiert werden, die Erstere auch leiblich in die gesellschaftliche Ordnung einbinden (Soziologie/Ethnologie). Man kann sie als instinktive Triebe, die durch die gesellschaftlich verursachte Entfremdung des Menschen von seinem (körperlichen) Selbst verdrängt und unterdrückt werden können (Psychoanalyse), konzipieren, oder auch als kul-

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turell konstruierte und durch die Sozialisation erlernte Konzepte (kultureller Konstruktivismus beispielsweise in der Ethnologie) wie auch als kommunikative Zeichen, die auf etwas anderes verweisen (Semiotik). Diese unterschiedlichen Konzeptionalisierungen von Emotionen tragen stets Annahmen über das Verhältnis von »Kultur« und »Natur« in der Prägung, Modellierung und Konstruktion von Emotionen in sich. Dabei ergeben sich aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen natürlich sehr unterschiedliche Zugangsweisen wie auch Methoden zur Untersuchung von Emotionen, die z. T. bestehende Annahmen eines Faches über Emotionen nur reproduzieren11. Der gewählte wissenschaftliche Zugang zu romantischer Liebe in der indonesischen Stadt Makassar, also einem kulturellen Kontext fernab von europäischen Traditionen und geschichtlichen Begriffsentwicklungen von romantischer Liebe12, erfolgt hier unter genuin ethnologischer, kulturwissenschaftlicher Perspektive mit besonderer Beachtung medienwissenschaftlicher Überlegungen. So werden Emotionen explizit unter einer kulturalistischen Fragestellung beleuchtet, was jedoch nicht bedeutet, dass biologische Komponenten bei der Konstitution von Emotionen negiert werden. Diese sind dem methodischen Zugang einer solchen Arbeit jedoch versperrt. Dies gilt ebenso für den Begriff der romantischen Liebe. Auch wenn Liebe theoretisch nicht ausschließlich als diskursives Konstrukt gedacht wird, sondern individuelle (auch leibliche) Erfahrungen und Erlebnisse ebenso als zentraler Bestandteil der Emotion angesehen werden, stehen in der vorliegenden Arbeit die kulturellen Liebessemantiken im Vordergrund. Dabei spielt nicht so sehr die Herleitung des Begriffs der romantischen Liebe in seiner historischen Entwicklung und Ausdifferenzierung in einem europäischen Diskurs-

11 Neurophysiologische Erhebungen zu der Korrelation von Gehirnströmen mit emotionalen Zuständen werden dementsprechend diesbezüglich sicherlich miteinander korrelierbare Daten feststellen können, die im Zirkelschluss die wissenschaftlichen Annahmen, dass Emotionen (gänzlich) auf neurophysiologischen Vorgängen basieren, reproduzieren. Andere Parameter, die die Relevanz von Kultur in der Prägung von Emotionen aufzeigen könnten, werden dabei weder fokussiert noch sind sie methodisch aus der jeweiligen Disziplin einholbar. 12 Der Begriff »romantische Liebe« ist deutlich durch den sozio-kulturellen, historischen Kontext europäischer Gesellschaften vorbelastet und steht in engen Verbindungen zu Konnotationen, die durch die Romantik als Epoche in der europäischen Geschichte entwickelt wurden, welche sowohl den Zeitgeist als auch künstlerisches Schaffen jeglicher Art und auch die Wissenschaft beeinflusst hat (vgl. Mühlmann 1968, Kap.V, 67-73). Ich verwende dennoch den Begriff der romantischen Liebe auch für die lokalen Kontexte Indonesiens, da dieser Begriff dort bekannt ist und zum Einsatz kommt, auch wenn er mit neuen Bedeutungen aufgeladen wird.

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raum eine große Rolle13, denn hier geht es um die Rezeption der kulturellen Semantik der romantischen Liebe in einem Umfeld, in dem diese Entwicklung keine Rolle spielt. Eine Rolle spielen jedoch lokale Konzepte und Semantiken von Liebe, mit denen die kulturfremde Liebessemantik abgeglichen wird, vor deren Hintergrund diese rezipiert wird und mit denen diese in Interaktion tritt. So werden diese später im empirisch-analytischen Teil detailliert ausgeführt. Aus einer ethnologischen und kulturhermeneutischen Perspektive wird betrachtet, wie soziale Individuen Netze symbolischer Bedeutungen selbst spinnen (vgl. Geertz 1983). Dies soll anhand von »romantischer Liebe« im Kontext der Fernsehrezeption geschehen. Wie Akteure dabei eigenen Erfahrungen und Erlebnissen Bedeutung zusprechen, kulturell Eigenes von kulturell Fremden differenzieren und kulturelle Sinnzusammenhänge und Ordnungsmuster (zumindest temporär) generieren und stets neu justieren, steht dabei im Zentrum meiner Untersuchung. Die Rezeption – als bedeutsamer Diskussionsraum über Liebe und einhergehende Praktiken – von Fernsehsendungen, die den jungen Frauen verschiedenste Semantiken über Liebe präsentieren, zeigen diese Prozesse der Konstruktion von kultureller Identität und Differenz besonders gut auf. Da davon ausgegangen wird, dass menschliche Gefühle nicht gänzlich kulturell konstruiert sind, werden Erfahrungen, Erlebnissen und alternative Sprachen über Emotionen, die kontrapunktisch zu dominanten kulturellen Emotionsmodellen sind, wie auch Momenten von Widersprüchen, Ungereimtheiten und Konflikten vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt und ihre Relation zu den offiziellen Narrationen genauer untersucht.

2.

E MOTIONEN – P ERSPEKTIVE

EINE ETHNOLOGISCHE

 2.1 Die Universalismus-Konstruktivismus-Debatte  Das Phänomen der menschlichen Emotion fand bis in das frühe 19. Jahrhundert wenig wissenschaftliche Beachtung, da Emotionen seit dem 17. Jahrhundert als nicht-kognitive Phänomene14 konzipiert wurden, die in die

13 Theoretische Konzepte und Annahmen über romantische Liebe und ihre soziale Funktion im gesamtgesellschaftlichen Rahmen werden jedoch dennoch berücksichtigt – und zwar dezidiert vor der Matrix ihrer Einordnung des Begriffs in europäische Traditionen. 14 Ausnahmen bilden hierbei Aristoteles (382–322 v. Chr.), der eine kognitive Beschreibung von Emotionen anbietet, in der faktische Vorstellungen und moralische Beurteilungen in der Verursachung und Individuation von Emotionen eine zentrale Rolle einnehmen, und Spinoza (1677), der betont, dass emotionales Füh-

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Reihe körperlicher Störungen eingeordnet wurden. Im 19. Jahrhundert wandten sich dann vor allem biologische und phylogenetische Studien dem Phänomen der Emotionen zu, die diese als eng mit dem Konzept von Instinkten in Verbindung stehende, physiologische Reize verstanden, die unabhängig von sozio-historischen und kulturellen Faktoren und der Sprache zu betrachten seien. Diese Konzipierung von Emotionen als »natürliche«, biologisch bedingte, im Rahmen von Reizen und Instinkten zu verordnenden Phänomene hält sich oftmals nicht nur im »Volksglauben« und in populärwissenschaftlichen Schriften, sondern diese Sichtweise ist auch in der Psychologie noch weit verbreitet (vgl. Harré 1986: 2ff.). Diese in der Wissenschaft dominierenden Annahmen führten dazu, dass die Sozialwissenschaften Emotionen erst viel später als potentiellen Untersuchungsgegenstand in Betracht zogen. In der Ethnologie standen Emotionen als biologisch betrachtete Phänomene sowohl außerhalb des auf kulturelle Phänomene abzielenden Interesses als auch außerhalb ihrer methodologischen Zugangsmöglichkeiten. Die Frage nach Emotionen tauchte in der Ethnologie, zumindest implizit, zum ersten Mal in den 1930/40er Jahre in der »Kulturund Persönlichkeitsforschung« auf. Über das Konzept spezifischer kultureller Persönlichkeitstypen fokussierte diese von Margaret Mead und Ruth Benedict15 angetriebene »ethnologische Schule« die Beziehung zwischen Kultur und Psyche im Sinne verschiedener Mentalitäten, die in unterschiedlichen Kulturen dominant seien und von Individuen abstrahiert als kulturelle Psyche essentialisiert wurden. Erst als man sich in der Ethnologie in der poststrukturalistischen Ära vermehrt kulturellen Prozessen wie der Generierung kultureller Systeme und deren Manifestationen im individuellen Verhalten widmete, führten Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Kultur, sozialer Organisation und individuellem Verhalten zu einer ethnologischen Beachtung des Phänomens der menschlichen Emotion. So setzte zu Beginn der 1980er Jahre auch in der ethnologischen Forschung eine systematische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Emotion ein, die bislang jedoch weitestgehend auf die amerikanische Ethnologie beschränkt blieb16 (vgl. Röttger-Rössler 2004: 1f.). In der ethnologischen Emotionsforschung lassen sich zwei theoretische Hauptpositionen in ihrer Annahme unterscheiden, ob Emotionen primär biologisch konstituiert sind oder primär als kulturell konstruiert betrachtet werden. Weder die Universalisten noch die Konstruktivisten postulieren dabei jedoch, dass das Entstehen von Emotionen gänzlich einem der Pole (am Deutlichsten durch das Gegensatzpaar Natur/Kultur auszudrücken) zugeschrieben werden könnte. So geht es in der Universalismus-Konstruktivismus-Debatte also stärker um die Frage, welcher Seite Vorrang bei der Ent-

len stets von einer Idee über einen externen Grund für den emotionalen Zustand begleitet sei (vgl. Harré 1986: 2). 15 Vgl. beispielsweise Benedict (1934): Patterns of Culture. 16 Eine Ausnahme bildet hier vor allem Röttger-Rössler (2002, 2004).

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stehung von Emotionen gegeben werden könne (vgl. Röttger-Rössler 2004: 7). 2.1.1 Emotionen als menschliche Universalien



Die Universalisten, die Emotionen als primär biologisch konstituiert betrachten, postulieren eine Anzahl von als kulturübergreifend universal geltenden Basisemotionen17. Sie gehen davon aus, dass zumindest eine gewisse Anzahl von Emotionen (im Sinne subjektiv erlebter Gefühle) kulturübergreifend universal seien, jedoch in verschiedenen Kulturen durch unterschiedliche, kulturspezifische Auslöser verursacht werden könnten. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Vertreter des Universalismus jedoch in ihren Vorstellungen davon, welche Emotionen als Basisemotionen zu bezeichnen seien. Dementsprechend gibt es auch Unstimmigkeiten in der Anzahl der als Basisemotionen zu propagierenden Emotionen. Die Vertreter der universalistischen Richtung – in der Ethnologie sind dies vor allem Melford Spiro (1984), Eleanor Gerber (1975) und Karl Heider (1991), in anderen Disziplinen Ekman/Friesen (1969), Izard/Buechler (1980), Plutchik (1980), die Emotionen bzw. zumindest eine bestimmte Anzahl von Emotionen als biologische Universalien betrachten – negieren nicht, dass es kulturspezifische Unterschiede im Ausdruck von Emotionen gäbe. Ausgehend von dem Gedanken, dass alle Menschen eine auf biologischen Dispositionen beruhende emotionale Grundausstattung hätten, gehen sie dennoch von sozusagen universalen emotionalen »Tiefenstrukturen« aus, die von der Kultur lediglich überlagert, aber nicht grundsätzlich verändert würden. Den Grund für das kulturell differente Ausdrucksverhalten von Emotionen sehen sie in kulturspezifischen display rules18 (vgl. Ekman/ Friesen 1969: 75). Dies impliziert die Annahme eines »Zweischichtenmodells«, demzufolge biologisch festgelegte Basis- oder Primäremotionen durch den Faktor Kultur lediglich modifiziert und überlagert werden wür-

17 Als Basisemotionen werden dabei von den Anhängern der universalistischen Richtung die Emotionen bezeichnet, die als biologisch verankert kulturübergreifend allen Menschen gemein seien. Sie werden auch als Primäremotionen bezeichnet. Aus diesen Basis- oder Primäremotionen ließen sich sekundäre Emotionen ableiten, die nicht als menschlich universal zu verstehen seien. 18 Das Konzept der display rules, der kulturell vermittelten Darstellungsregeln, wurde von Ekman und Friesen entwickelt, um ihre Erkenntnisse über emotionale Universalien mit den ebenso evidenten kulturellen Differenzen im Bereich emotionaler Phänomene in Einklang zu bringen. Sie verstehen darunter »overlearned habits about who can show what emotion to whom and when they can show it« (Ekman 1984: 320). Ekman klassifiziert vier verschiedene display rules: 1) das Herunterspielen emotionaler Zustände, 2) die Intensivierung der Emotion, 3) das Zeigen eines möglichst neutralen, emotionslosen Verhaltens, 4) das Vortäuschen von tatsächlich nicht gefühlten Emotionen (vgl. Röttger-Rössler 2004: 14).

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den. Dabei werden Primär- bzw. Basisemotionen von Vertretern dieser Richtung unterschiedlich verstanden19, und ebenso herrscht als Folge Dissens über die Anzahl dieser Emotionen (vgl. Röttger-Rössler 2004: 8f.). Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen primären und daraus abgeleiteten sekundären Emotionen wird unterschiedlich beantwortet. Plutchik (1984) und Averill (1975) betrachten sekundäre Emotionen beispielsweise als Mischungen von Basisemotionen. Während Plutchik zufolge die Basisemotionen in diesen jedoch erkennbar blieben, konzipiert Averill die Vermischung von Basisemotionen analog zu einer chemischen Verbindung, in der die einzelnen Elemente als solche nicht mehr auszumachen seien. Die meisten Studien sind jedoch darauf ausgerichtet, die Primäremotionen herauszufiltern, und so wird die Frage nach dem Verhältnis zu den sekundären Emotionen oft nur implizit berührt. Um hier als Beispiel zwei kulturvergleichende Studien der Universalisten kurz vorzustellen: Die US-amerikanischen Psychologen Ekman und Friesen (1971) versuchen in ihrer Studie beispielsweise, Basisemotionen durch interkulturelle Vergleiche emotionaler Gesichtsausdrücke aufzudecken. Ihr Forschungsinteresse ist dabei die Korrelierung von Emotionen mit einem spezifischen kulturübergreifenden mimetischen Ausdrucksverhalten, welche sie in Rückbindung an Konzepte von Charles Darwin (1872) als Ergebnis der Evolution betrachten. Ihre in den 1960ern beginnende systematische Untersuchung durch Emotionen evozierter Gesichtsausdrücke basiert auf der Auswahl von bereits klassifizierten Emotionsbegriffen nach Vorlage von Gesichtsausdrücken abbildenden Fotos durch Probanden fünf verschiedener Kulturen (Brasilien, USA, Argentinien, Chile, Japan). Als Ergebnis dieser Studie konstatiert Ekman (vgl. 1989: 154) deutliche Nachweise für die Universalität des fazialen Ausdrucks einiger Emotionen, die er infolge als Basisemotionen postuliert: Furcht, Wut, Abscheu, Traurigkeit, Überraschung, Freude. Der Rückschluss von scheinbar kulturübergreifenden Momenten in emotionalen Gesichtsausdrücken auf die Existenz universaler Emotionen scheint hierbei jedoch mehr als fragwürdig. Ekman und Friesen ignorieren nicht nur andere emotionale Ausdrucksformen wie Gestik, Körperhaltung, Stimmlage, etc., sondern auch den sozialen Kontext, Auslöser von Emotionen, komplexere

19 Grundsätzlich werden sie als angeboren und biologisch universal für alle Menschen angesehen. Ihre konkrete wissenschaftliche Konzeption unterscheidet sich jedoch je nach Vertreter: Sie werden als diejenigen angesehen, die ähnliche Gesichtsausdrucksmustern evozierten (vgl. Tomkins 1962, 1963, Izard 1971, Ekman/Friesen 1975), die ähnliche Konkordanzen der Antezedenzen, also der die Emotionen evozierenden Situationen, aufweisen würden (vgl. Boucher/Brandt 1981, Boucher 1983), denen ähnliche semantische Kategorien zugrunde liegen würden (vgl. Shaver, Schwartz, et al. 1987) oder die in der menschlichen Ontogenese am frühsten auftreten würden (Emde 1984), die den größten evolutionären Adaptionswert für das Überleben der Menschen hätten (vgl. Plutchik 1980, 1984), usw.

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Handlungsreaktionen sowie den gesamten Bereich der physiologischen Manifestationen und die Ebene des subjektiven Erlebens von Emotionen (vgl. Röttger-Rössler 2004: 13–18). Aus der Kritik an Ekmans Ansatz heraus, jedoch demselben Paradigma verbunden, versuchen infolge andere Emotionsforscher, durch interkulturelle Vergleichsstudien Nachweise für universale Basisemotionen auch in den von Ekman vernachlässigten Dimensionen emotionaler Phänomene zu finden. So legen die Psychologen Jerry Boucher und Mary Brandt (1981) den Fokus auf die Anlässe (Antezedenzen), die bestimmte Emotionen hervorrufen würden. Anders als Ekman, dem zufolge diese Antezedenzen weitgehend kulturell bestimmt seien, sehen Boucher und Brandt auch die kognitive Einschätzung der emotionsauslösenden Ereignisse (antecedent events) als universal an. Sie postulieren die Existenz universaler Kernbedeutungen, durch die in allen Kulturen Ereignisse zu Auslösern (Antezedenzen) emotionaler Erfahrung werden würden. In einem Experiment, bei dem Aussagen von malaiischen und amerikanischen Studenten zu Ausgangssituationen von sechs Emotionen (Furcht, Wut, Abscheu, Traurigkeit, Überraschung und Freude)20 gesammelt, mit Hilfe von Computerverfahren nach Ähnlichkeit sortiert und durch mehrmalige Codierungsverfahren immer mehr abstrahiert wurden, erhielten sie zwölf Kategorien, die sie als »Basisantezedenzen« für die jeweiligen Emotionen deklarieren (vgl. Boucher/Brandt 1981). Als Folge ihrer eingesetzten Methode werden jedoch kulturelle Differenzen praktisch »a priori« nivelliert, was diese Studie nicht sehr aussagekräftig macht. Zudem wird impliziert, dass sich die Emotionen, die sich aus den »Basisantezedenzen« ergeben würden, ebenfalls gleichen würden. Emotionen werden dabei als invariante interne Gefühlszustände konzipiert. Einflüsse, die die kulturellen Darstellungsregeln möglicherweise selbst auf das emotionale Erleben haben, werden ausgeblendet. Boucher und Brandt werden, ähnlich wie Ekman und Friesen (1969, 1971, 1975), der Komplexität emotionaler Phänomene nicht gerecht (vgl. Röttger-Rössler 2004: 20f.). Die Kritik, die primär am biologisch-universalistischen Ansatz hervorzubringen ist, bezieht sich im Wesentlichen auf das Zweischichtenmodell von Emotionen, das ein vom Denken unabhängiges Fühlen propagiert, das universal sei. Auch die unreflektierte Verwendung euro-amerikanischer Emotionskategorien zur Beschreibung emotionaler Konzepte anderer Kulturen wird kritisiert (vgl. Lutz 1988: 42). Lynch (vgl. 1990: 17) bezeichnet die Annahme der Universalität von Emotionen dabei als Form des westlichen Imperialismus über die Emotionen anderer. Dies soll darauf hindeuten, dass Emotionen von den kulturellen Bedeutungssystemen, in die sie eingebettet sind, nicht loszulösen, sondern vielmehr Teil derselben seien. So seien Emotionen also nicht als biologische Entitäten anzusehen und könnten so auch nicht vom jeweiligen sozio-kulturellen Bedeutungssystem einer Kultur ge-

20 Sie wählten diese sechs Emotionen aus, da sie aufgrund Ekmans Studie (1989) für diese eine gewisse Universalität vermuteten.

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trennt betrachtet werden. Aus dieser Kritik heraus ergibt sich die Gegenposition zum Universalismus: Emotionen werden aus der Perspektive der Konstruktivisten primär als sozio-kulturell vermittelte und konstruierte, kognitive und somit kulturrelative Phänomene betrachtet. Der Fokus in der ethnologischen Emotionsforschung verschiebt sich dabei von der Frage nach der Beziehung zwischen der biologischen Grundstruktur und der kulturellen Überformung zu der nach der Bedeutung, die Emotionen in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Zusammenhängen zukommt (vgl. RöttgerRössler 2004: 42f.).



2.1.2 Emotionen als kulturelle und soziale Konstrukte Nachweise von kultureller Diversität und unterschiedlichen kognitiven Ausdifferenzierungen von Emotionen in verschiedenen Kulturen, die sich aus den zunehmenden ethnologischen Untersuchungen über Emotionen ergaben, führten seit den 1980er Jahren zu der Idee eines kulturellen Konstruktivismus von Emotionen (vgl. Harré 1986: 3). Der konstruktivistische Ansatz21 sieht Emotionen als in erster Linie kulturell konstruierte Phänomene an, die durch bestimmte physiologische Prozesse ausgelöst werden könnten, aber durch diese nicht bedingt würden. So definiert Lynch (1990: 93) Emotionen als »culturally categorized and conceptualized nonspecific feeling states concerned with appraisals by a self in relation to persons, things, or events«. Konstruktivisten nehmen an, dass die emotionale Bedeutung fundamental durch spezifische kulturelle Systeme und eine bestimmte soziale und materielle Umgebung strukturiert sei. Der konstruktivistische Ansatz löst Emotionen also aus dem Bereich physiologischer Determination heraus und verortet sie in der kognitiven Dimension, indem Emotionen als Bewertungen und Beurteilungen (appraisals) von Situationen auf Basis kultureller Wertund Glaubensvorstellungen konzipiert werden. Demzufolge seien kulturelle Interpretationsmuster in Form von Normen, Standards, Prinzipien und Zielen auch für das subjektive Erleben von Emotionen zentral. Unter dieser Perspektive treten die Bedeutung der Sozialisation für das Erlernen von Emotionen und die durch sie vermittelten kulturelle Emotionsmodelle in den Vordergrund des Forschungsinteresses. Es wird angenommen, dass Emotionen (vor allem ihr Ausdruck, aber auch ihr Erleben) aufgrund ihrer Bindung an zentrale kulturelle Werte und Normen starke moralische Komponenten zukommen, die Menschen motivieren würden, sich gemäß diesen zu verhalten (vgl. Lynch 1990: 8f.). Dieser Konzeption als soziale Kraft, die Kognition in Aktion (menschliches Handeln) umwandeln würde, zufolge komme Emotionen eine große soziale Bedeutung für die Perpetuierung sozialer Systeme zu (vgl. D’Andrade 1995: 228). Die Anhänger des konstruktivistischen

21 Vertreter in der Ethnologie sind vor allem Catherine Lutz (1988), Michelle Rosaldo (1984) und Owen Lynch (1990).

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Ansatzes gehen zudem davon aus, dass Emotionen – als Bewertungen und Einschätzungen konzipiert – immer in Relation zu einem Objekt stehen, also stets zielgerichtet seien und das Individuum in seine sozio-kulturelle Welt einbinde (vgl. Röttger-Rössler 2004: 44-46). Uneinigkeit herrscht unter den Konstruktivisten über die körperliche Dimension emotionaler Erfahrung. Die rigide Form des Konstruktivismus sieht Emotionen als vollständig sozio-kulturelle Produkte und spricht der körperlichen Dimension emotionaler Zustände jegliche Bedeutung ab. Demzufolge sei also lediglich die kulturelle Bedeutungszuschreibung zentral für das emotionale Erleben. Emotionales Erleben außerhalb der oder abweichend von den diesem Bedeutung zuschreibenden kulturellen Modellen wird negiert. Ohne kulturelle emotionale Konzepte, die körperliche Sensationen gemäß Einschätzungen des situativen Kontexts mit Bedeutung versehen würden, gäbe es nichts Spezifisches an (Gefühls-)Sensationen, das sie eindeutig mit bestimmten Emotionen korrelieren würde. »Emotions are not and cannot be accurately identified by specific feelings. […] The kinds of feelings or sensations one has, say, for anger, may be the same as those for fear or rage. There is nothing specifically in feeling itself that distinguishes fear from either anger or rage; the seeming difference comes from using different emotion words to appraise the situation.« (Lynch 1990: 11)

Um dieses Argument zu stützen, wird immer wieder darauf verwiesen, dass es auch Emotionen gäbe, die nicht mit bestimmten physiologischen Manifestationen zu assoziieren seien (wie beispielsweise Hoffnung, Einsamkeit, Liebe). Eine alternative Sichtweise zu der rigiden Form des Konstruktivismus beinhaltet die Annahme, körperliche Empfindungen seien sehr wohl ein essentieller Bestandteil von Emotionen. Emotionale Phänomene könnten von nichtemotionalen, kognitiven Bewertungen nicht unterschieden werden, würde man die körperliche Dimension von Emotionen negieren. Eine solche konzeptuelle Beschränkung von Emotionen als »körperlose« Kognitionen reduziere die emotionalen Phänomenen innewohnende Vielschichtigkeit wie auch ihre subjektive Überzeugungskraft, die sich aus einer leiblichen Einschreibung ergibt. Rosaldo (vgl. 1984: 143), die die körperliche Dimension von Emotionen als zentral ansieht, konzipiert Emotionen als »embodied thoughts«, also als »in den Körper eingeschriebene Gedanken«. »Emotions are thoughts somehow ›felt‹ in flushes, pulses, ›movements‹ of our lives, minds, hearts, stomachs, skin.« (Ebd.)

So geht sie von der körperlichen Wahrnehmung gedanklicher Konstrukte aus. Demzufolge seien die körperlichen Gefühlsreaktionen nicht von den kulturellen Bedeutungszuschreibungen losgelöst zu betrachten, sondern ge-

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rade selbst fundamental von diesen, also durch die Kultur, geformt (vgl. ebd.: 140f.). Da aus konstruktivistischer Perspektive die kulturell elaborierten Emotionsmodelle, die zentrale kulturelle Werte und Normen enthielten, in den Vordergrund gestellt werden, nähern sich diese ethnologischen Emotionsforscher ihrem Forschungsgegenstand methodologisch primär über das spezifische, kulturell elaborierte Emotionsvokabular. So untersucht Lutz (1988) beispielsweise in ihrer Studie »Unnatural Emotions. Everyday Sentiments on a Micronesian Atoll and their Challenge to Western Theory« das Emotionsvokabular der Ifaluk22 und stellt die daraus ermittelten Vorstellungen über Emotionen euro-amerikanischen Emotionskonzeptionen gegenüber. Während Lutz sich dabei auf die im alltäglichen Sprachgebrauch von den Ifaluk verwendeten Emotionstermini konzentriert, kontrastiert sie diese mit euro-amerikanischen Emotionsmodellen23, die in schriftlichen akademischen Diskursen repräsentiert sind. Die interaktionale Ebene von Emotionen wie auch das von Narrativen potentiell abweichende, beobachtbare Verhalten von Menschen bzw. alternative Ausdrucksweisen von Emotionen, die von den dominanten, sprachlich ausgearbeiteten Konzepten möglicherweise abweichen, werden dabei völlig ausgeblendet. Wie Emotionen erlebt, gelebt und im sozialen Umgang ausgehandelt werden, erfährt man also nicht. Die implizite Reduktion von Emotionen auf kognitive Konstrukte, die Lutz‘ Ansatz verhaftet ist, führt zu einer fast vollständigen Auslöschung körperlicher sowie sozialer Aspekte emotionalen Erlebens und Verhaltens in ihrer Studie (vgl. Hinton 1999: 8, Röttger-Rössler 2004: 53–63). Die Reduktion von Emotion auf mentale Phänomene, die dem konstruktivistischen Ansatz – zumindest bei einigen seiner Vertreter – inhärent ist, findet von vielen Seiten Kritik24. Der Kulturbegriff, den die konstruktivistische Richtung der gegenwärtigen Ethnologie verwendet, fasst Kultur in erster Linie als ein System von Bedeutungen auf. Emotionen werden aus dieser Sicht lediglich als Symbole gesehen, deren Sinn es zu entschlüsseln gelte. Die ideelle, gedankliche Ebene wird betont, körperliche und soziale Dimensionen von Emotionen werden vernachlässigt. Durch die Konzentration der Konstruktivisten auf explizite, in der Lexikalik oder in Diskursen artikulierte und elaborierte emotionale Konzepte werden nicht sprachlich ausgeformte Phänomene, intrakulturelle Differenzen und alternative kulturelle Sprachen über Emotionen vernachlässigt.

22 Die Ifaluk sind die Bewohner eines kleinen, zu den Karolinen (Mikronesien) zählenden Atolls. 23 Sie geht dabei von homogenen euro-amerikanischen Emotionsmodellen aus, die sie nicht weiter, beispielsweise nach Parametern wie Geschlecht, Ethnizität, Klasse, etc., ausdifferenziert. 24 Vgl. dazu Hinton 1993, Lyon/Barbalet 1994, Gergen 1995, Lyon 1995, Leavitt 1996, Reddy 1997.

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Um ein umfassendes Verständnis von Emotionen und ihrer Funktionen innerhalb sozio-kultureller Prozesse zu gewährleisten, ist es aber erforderlich, auch kulturell peripherisierte emotionale Phänomene bzw. hypocognized emotions25 mit in die Betrachtung einzubeziehen, die im sozialen Handeln und für die subjektive emotionale Erlebnisebene von entscheidender Bedeutung sein können. Alternative Sprachen über oder Artikulationsräume von Emotionen, die zum Teil sogar in Konkurrenz zu den dominanten Diskursen der Kultur stehen, müssen dabei ebenso berücksichtigt werden26. Auf diese muss der Forscher gleichermaßen eingehen. Auch die dieser Arbeit zugrunde liegende Fokussierung auf Sinn konstituierende Praxen sozialer Subjekte, die auf die Konstruktion gemeinsamer Wirklichkeitsbilder und Leitvorstellungen abzielen und dadurch Kultur stets (re-)produzieren und aktualisieren, erfordert es, konkrete Prozesse sozialer (kommunikativer) (Aus-)Handlungen im Bereich von Emotionen stärker ins Zentrum der Analyse zu rücken. Die strikte Form des Konstruktivismus lässt theoretisch und methodisch keine Ansatzmöglichkeiten zu, die individuelle Gestaltungskraft von Menschen (agency) und den aktiven Einsatz emotionaler Semantiken zur Selbstpositionierung in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu erfassen. Stärker als um die Frage, wie die kulturellen Semantiken und Konzepte von Emotionen in ihrem kulturellen Zusammenhang gestaltet sind, geht es hier darum, wie die Akteure mit verschiedensten, ihnen zur Verfügung stehenden Emotionskonzepten, -semantiken, -modellen interagieren und wie sie selbst durch aktive (Aus-)Handlungen an ihrer Konstitution und Aktualisierung beteiligt sind. Es stellt sich die Frage nach der sozialen Funktion dieser Konstruktionen und Aktualisierungen angesichts konkreter sozialer Situationen und Kontexte. Die mangelnde Fokussierung der Emotionsforschung der aktiven Konstruktionen kultureller Identität und Differenz durch sozial aktive Akteure über den Emotionsdiskurs soll in dieser Arbeit korrigiert werden. 2.2



Emotionen als relationale Prozesse

Neuere Ansätze versuchen, der Multidimensionalität von Emotionen gerecht zu werden, indem sie sowohl biologische als auch kulturelle Faktoren von

25 Levy bezeichnet »hypocognized emotions« als die Emotionen, die in sprachlichen Diskursen der jeweiligen Kultur unterentwickelt bzw. nicht oder kaum elaboriert sind (vgl. 1984: 227). Dementsprechend spricht man von hyperkognisierten Emotionen dann, wenn diese in sprachlichen Diskursen besonders elaboriert sind und kulturell hoch bewertet werden. 26 Wie Abu-Lughod (vgl. 1986: 232) am Beispiel der beduinischen Gruppe Awlad ’Ali in Ägypten aufgezeigt hat, gibt es alternative Sprachen und Räume der Kultur, wie beispielsweise die Liebespoesie der ghinnawas, in denen solche sonst negierten oder vernachlässigten Gefühle über sehr unterschiedliche, jedoch ebenso konventionalisierte Semantiken artikuliert werden.

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Emotionen gleichermaßen in ihre Überlegungen einbeziehen (vgl. Hinton 1993, 1999, Leavitt 1996, Röttger-Rössler 2002, 2004). So berücksichtigt Röttger-Rössler (2002, 2004) sowohl Ansätze aus der kognitiven Ethnologie, die sich in systematischer Weise mit der Relation zwischen menschlicher Gesellschaft und menschlichem Denken beschäftigt, als auch aus der embodiment- Theorie, einer relativ jungen Teildisziplin der Ethnologie, die sich mit dem Körper in Kultur und Gesellschaft auseinandersetzt27. Ein zentrales Anliegen der kognitiven Ethnologie besteht darin, Klarheit über die Beziehung zwischen kulturellen Repräsentationen und individueller Psyche zu erlangen. Dies ist deswegen für die ethnologische Diskussion über Emotionen zentral, da die konstruktivistischen Vertreter davon ausgehen, dass Emotionen, für die es keine sprachlich explizierten kulturellen Modelle gibt, auch auf der individuellen Ebene nicht erlebt werden könnten (vgl. D’Andrade 1995: 224). Die Gültigkeit dieser Aussage lassen jedoch ethnologische Studien bezweifeln, die zeigen, dass auch hypokognisierte Emotionen, die durch keine eindeutigen Emotionstermini repräsentiert werden, im individuellen emotionalen Erleben durchaus eine Rolle spielen können28. Die kognitive Ethnologie versteht unter einem kulturellen Modell intersubjektiv geteiltes Wissen, das sich Menschen in Form mentaler Abstraktionen in der ständigen Interaktion mit der Umwelt von der externen Welt ausbilden. Kulturelle Modelle werden dabei nicht als reine Repräsentationen, sondern als Informationsprozesse verstanden, die flexible Konfigurationen darstellen und dennoch eine gewisse strukturale Kontinuität besitzen (vgl. Röttger-Rössler 2004: 71f.). Sie helfen Menschen, sich in der externen Welt zu orientieren und zu verhalten. Kulturelle Modelle bestehen aus einer überschaubaren Anzahl von flexibel miteinander vernetzten kognitiven Informationseinheiten (Schemata). Diese werden informal erlernt, sind oft in der alltäglichen Umgangssprache enthalten und werden implizit mit dieser erlernt29. Es handelt sich bei kulturellen Modellen nicht um explizit ausformuliertes Wissen, sondern um implizites, unbewusst und informal gelerntes Wissen, das im Verlaufe der Sozialisation internalisiert und habitualisiert wird. Kulturelle Modelle konstituieren sich neben linguistischen auch aus nonverbalen – wie visuellen, akustischen, olfaktorischen, haptischen und kinästhetischen – Schemata. Die kognitive Ethnologie geht dabei jedoch nicht von einer vollständigen kulturellen Modellierung menschlicher Kogni-

27 Vgl. hierzu beispielsweise Csordas 1994 und Lyon/Barbalet 1994. 28 Z. B. stellt Robert Levy dies in seinen Untersuchungen in Tahiti (1973, 1984) für die Emotion »Traurigkeit« fest. 29 So weisen Redewendungen beispielsweise wie »blind vor Liebe sein«, »Liebe auf den ersten Blick«, »verknallt sein«, etc., die Menschen hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Liebeskonzeptionen unreflektiert verwenden, auf bestimmte kulturelle Modelle von Liebe hin, die durch diese auch sprachliche Habitualisierung der Verwendung gelernt und internalisiert werden und das persönliche Erleben mit bestimmen.

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tion aus, sondern lässt in ihren Konzeptionen auch Raum für Schemata, die nicht kultureller Genese sind. Die mentalen Modelle, die Menschen in der Interaktion mit ihrer Umwelt von dieser und ihren Strukturen ausbilden, seien nur zum Teil kulturelle Modelle. Ein großer Teil umfasse auch idiosynkratische Konstrukte, also mentale Schablonen, die ein Mensch auf Basis persönlicher Erfahrung bilde und nicht mit anderen Menschen teile. Diese würden zwar ebenfalls kulturelle Schemata enthalten, seien jedoch in individual-spezifischer Art und Weise miteinander verknüpft (vgl. RöttgerRössler 2004: 76ff., 2002: 151). Die Künstliche Intelligenzforschung begreift die menschliche Informationsbearbeitung als eine Legierung aus kollektivem Wissen und individuellen Erfahrungen. Semantische und episodische Informationen, also beispielsweise, was Liebe sei und spezifische Erfahrungen von Liebe und »Geliebtwerden«, würden demzufolge nicht voneinander getrennt (Röttger-Rössler 2004: 74f., 2006: 61). Daraus folge, dass Mitglieder einer Gesellschaft zahlreiche kulturelle Modelle teilen können, auch wenn die subjektiven Assoziationen über die Konzepte aufgrund unterschiedlicher persönlicher Erfahrungen voneinander abweichen können. Die kulturellen Modelle würden selbst Einfluss auf Wahrnehmung, Erinnerung und Denken30 haben, jedoch nicht in einem ausschließlichen Maße. So spricht sich die kognitive Ethnologie dafür aus, dass Biologie und Kultur sich wechselseitig beeinflussen und durchdringen. Kulturelle Emotionsmodelle stellen dabei nur eine vieler verschiedener Formen kultureller Modelle dar (vgl. Röttger-Rössler 2004: 78ff.). Diesen Ergebnissen zufolge kann man davon ausgehen, dass die semantischen Informationen, also beispielsweise Liebessemantiken, das Erleben von Liebe selbst beeinflussen, wie auch persönliche Erfahrungen wiederum steuern, wie diese semantischen Informationen interpretiert werden bzw. ob diese für die Interpretation des eigenen Erlebens angewendet werden. Das Teilen kultureller Emotionskonzepte ermöglicht so eine gemeinsame Kommunikation über Emotionen, die von verschiedenen Individuen als personenübergreifend gültig angenommen werden, auch wenn die spezifischen subjektiven Assoziationen sich zum Teil unterscheiden können. Da neue Semantiken (semantische Informationen) stets vor dem Hintergrund bestehender kultureller Modelle wahrgenommen und interpretiert werden, muss davon ausgegangen werden, dass auch westliche romantische Liebessemantiken, die auf einem bestimmten interpersonal geteilten kulturellen Modell von Liebe basieren, in anderen Kulturen anders verstanden und konnotiert werden, da sie auf Basis dort bestehender, d. h. kulturell differenter Emotionsmodelle wahrgenommen und interpretiert werden.

30 Ergebnisse der modernen Hirnforschung ergeben, dass Hirnstrukturen durch soziale Erfahrung modelliert werden. Sie sind so nicht unveränderliche Entitäten, sondern entwickeln sich ebenso gemäß sozialen Erfahrungen und Interaktionen. Vgl. hierzu Eisenberg (1995): »The Social Construction of the Human Brain«.

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Um die körperlichen Dimensionen des emotionalen Erlebens von Emotionen bei diesen Überlegungen zu kulturellen Emotionsmodellen stärker zu berücksichtigen, scheint es sinnvoll, hierbei Überlegungen aus der embodiment-Theorie einzubeziehen. Der Körper wird hier als interkommunikativer und aktiver social agent beschrieben. Personen erfahren ihre Körper nicht nur als externe Besitzobjekte (als Körper), sondern erfahren und erleben durch ihn, ihren Leib, auch ihre Umgebung (vgl. Lyon/Barbalet 1994: 54). Menschen agieren demzufolge nicht nur als kognitive Wesen, sondern immer auch in ihrer Körperlichkeit. Dabei erscheinen Emotionen als Vermittler zwischen sozialer Praxis und körperlicher Erfahrung.

 »The body is intercommunicative and active; and it is so through emotion. Emotion is an integral part of all human existence: emotion activates distinct dispositions, postures and movements which are not only attitudinal but also physical, involving the way in which individual bodies together with others articulate a common purpose, design, or order. The role of emotion in this is essential, for we will show that emotion is precisely the experience of embodied sociality.« (Lyon/Barbalet 1994: 48)

 Wird der subjektiven Emotionalität so Sozialität eingeschrieben, die auch körperlich erfahrbar wird, werden Gefühle jedoch nicht gänzlich kulturell strukturiert. Denn ginge man von der gänzlichen kulturellen Strukturierung menschlicher Gefühle aus, könnten weder abweichende Gefühle noch auf ihnen basierende, nicht mit kulturellen Modellen konforme Verhaltensweisen erklärt werden. Zudem könnte man sozio-historische Wandlungsprozesse emotionaler Konzepten und Semantiken theoretisch nicht begründen, die jedoch in der soziologischen Forschung höchst evident sind31. Wird emotionales Erleben nicht gänzlich kulturell strukturiert, ist es jedoch nicht von den multiplen kulturellen Konzepten und Semantiken über Liebe in dem jeweiligen sozialen Umfeld zu entkoppeln. Diese »innere Dimension« von Emotionen ist also nicht als kulturellen Konzepten und Prozessen vorausgehend, also als asemiotisches »Außerhalb« der Kultur zu betrachten, sondern steht mit ihnen in einem untrennbaren Wechselverhältnis. So sind die mehrfachen und sich teilweise widersprechenden Semantiken und Emotionsmodelle daran beteiligt, dass es zu Hybridprozessen auch auf der subjektiven Erlebnisebene von Gefühlen wie auch, in unterschiedlichen Situationen, zu unterschiedlichen Wahrnehmungen und Interpretationen von Gefühlen nach verschiedenen Modellen kommen kann32, die auch subjektiv spürbar werden. Ich schließe mich Röttger-Rösslers Konzeption von Emotionen als hochgradig komplexe Phänomene an, die auf einer Vielzahl von Faktoren basieren:

31 Vgl. zu dem sozio-historischen Wandel von Liebeskonzepten und -semantiken in westlichen Gesellschaften Luhmann ([1982] 1994). 32 Auch wenn einige kulturelle Modelle durch Langzeitsozialisation, Habitualisierung und Spracherwerb hierbei als verbindlicher zu denken sind als andere.

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»Zum einen auf dem jeweiligen sozialen Kontext und den entsprechenden kulturellen Interpretations- und Verhaltensmodellen, zum anderen auf der spezifischen Psyche und Biographie des Einzelnen sowie den jeweiligen, in der Biologie verankerten, physiologischen Reaktionen und ihrer subjektiven Wahrnehmung, die ihrerseits wiederum z.T. kulturell modelliert ist, ebenso wie die eventuelle Äußerung der Emotion kulturellen Regeln unterliegt.« (Röttger-Rössler 2002: 158)

Emotionen werden so nicht als statische Phänomene, sondern als relationale Prozesse verstanden, in denen kulturelle, soziale, individuelle und biologische Faktoren gleichberechtigt miteinander interagieren. Die ethnologische Methode erlaubt dabei nur einen Zugang zu den kulturellen Konzepten, Semantiken und Diskursen von und über Emotionen, zu der interaktionalen Ebene von Emotionen/emotionalem Austausch und Aushandlungen von Emotionen, welche vom Ethnologen beobachtet werden kann, und den sprachlich oder schriftlich artikulierten Berichten individuellen emotionalen Erlebens, welches wiederum mit beobachtbaren damit korrelierenden oder nicht korrelierenden Verhaltensweisen abzugleichen ist (vgl. Röttger-Rössler 2004: 99). Doch gerade die Beobachtung davon, wie Menschen ihren Gefühlen in kommunikativen Zusammenhängen selbst Sinn zuschreiben, ist höchst spannend. Die Sinnzuschreibung und Verwendung kultureller Semantiken und Konzepte, in denen kulturelle Werte und Normen und Verhaltensvorschriften immer bereits impliziert sind, für die Kommunikation subjektiven Erlebens zeigen einerseits komplexe Prozesse sozialer Selbstpositionierungen in interaktionalen Zusammenhängen auf. Andererseits werden die kulturellen Semantiken und Modelle (also die Kultur selbst) über die Einschreibung in die subjektive Emotionalität auch leiblich verbindlich und dienen der Inklusion bzw. Exklusion eines emotionalen Subjekts in die soziale Struktur.

3.

»R OMANTISCHE L IEBE «  Auch in Kulturen, in denen romantische Liebe kein kulturelles Ideal darstellt und ausformulierte Liebeskonzepte zunächst abwesend zu sein scheinen, nehmen Menschen z. T. große Gefahren – bis zur Gefährdung des eigenen Lebens – auf sich, um mit einem bestimmten Menschen zusammen zu sein, der von seinem sozialen Umfeld nicht als legitimer Partner anerkannt wird. Dieses Verhalten scheint von Gefühlen geleitet zu sein, die mit kulturellen Emotionsmodellen und Verhaltensnormen im Widerspruch stehen bzw. durch diese nicht abgebildet oder gänzlich strukturiert werden. Es lassen sich kulturelle Phänomene finden, die Symptome, die wir als Verliebtsein interpretieren würden, anders erklären, ohne dabei uns bekannte Liebessemantiken zu verwenden. In Makassar findet man dabei das kulturelle Phänomen pelet cinta, eine Art Liebesmagie, das Verliebtsein (nach dem

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westlichen Verständnis) negativ als Krankheit beschreibt, die sich eine Person infolge negativ bewerteter Magie zugezogen hat. Auch Abu-Lughod (1986) hat am Beispiel der beduinischen Gruppe Awlad ’Ali in Ägypten, die zwischengeschlechtliche Liebe in dominanten Diskursen völlig tabuisiert, aufgezeigt, dass es dort eine Form von »Liebespoesie« gibt, die eine alternative Sprache zum Ausdruck von Erfahrungen und Gefühle zur Verfügung stellt, die in anderen Kontexten negiert werden bzw. nicht zur Sprache kommen. Diese Phänomene zeigen zwar, dass das subjektive emotionale Erleben nicht gänzlich kulturell determiniert ist. Doch es wird ebenso deutlich, dass man nicht von einem universal gleichen Gefühl von Liebe (im Sinne unseres Verständnisses von romantischer Liebe) ausgehen kann, das nur mit unterschiedlichen kulturellen Erklärungslogiken überlagert wird. Dies soll in dieser kurzen Einführung veranschaulicht werden. Das kulturelle Konzept pelet cinta, das Menschen in Südsulawesi seit klein auf als negativ bewertete Krankheit kennen, beeinflusst aller Wahrscheinlichkeit nach auch das subjektive Gefühlserleben selbst. Was wir als positives Verliebtsein deuten, wird durch pelet cinta pathologisiert. Die Gefühle, die mit dem lokalen Krankheitsbild einhergehen, werden dabei als negative, kranke Symptome dieser magisch induzierten Krankheit gedeutet und wahrgenommen (zumindest in der Retrospektive). »Opfer« von pelet cinta berichten oft von großen Schmerzen, die sie hatten, von Bewusstlosigkeit, Benebeltheit, von empfundener Trauer, physiologischen Fehlfunktionen, etc. Auch wenn Verhaltensweisen zwischen pelet-Kranken und Verliebten ähnlich sind – das ständige Denken an eine Person, Appetitlosigkeit, die Sehnsucht nach einer Person, etc. – geht dies einher mit körperlichen Symptomen, die als Krankheit wahrgenommen werden und mit dem Behandeltwerden als kranke Person, die zu einem Heiler gebracht wird. Dies steht in eklatantem Widerspruch zu unseren westlichen, auf neurophysiologischen Erkenntnissen beruhenden Erklärungen von romantischen Liebesgefühlen, die selbst von den kulturellen Semantiken beeinflusst zu sein scheinen: »Warum man sich verliebt und welches Objekt der Begierde man dazu auserwählt – das ist immer noch ein Geheimnis. Doch Forscher enträtseln immer weiter die chemischen Abläufe, die für die körperlichen Symptome der Liebe verantwortlich sind. Ein genau abgestimmtes Zusammenspiel von Hormonen und Botenstoffen ist der Auslöser für romantische Liebesanzeichen wie Herzklopfen und Erröten, stimuliert aber auch kräftig die Libido. In den Hauptrollen: Adrenalin wirkt wie ein Aufputschmittel. Allein der unerwartete Anblick der Geliebten/des Geliebten lässt den Kreislauf auf Hochtouren laufen und das Herz schlägt schneller. Vor allem bei einer neuen Liebe schütten die Nebennieren besonders viel von diesem Hormon aus. Dopamin ist ein Botenstoff, der euphorisch macht. Man könnte die ganze Welt umarmen und fühlt sich stark. Deshalb brauchen frisch Verliebte kaum Schlaf und vergessen oft zu essen.

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Noradrenalin macht ebenfalls eine phantastische Stimmung, man meint zu schweben. Dieser Botenstoff weckt die Lust auf Sex. Östrogen steigert bei Frauen die Libido. Auch Männer brauchen dieses weibliche Hormon bis zu einem gewissen Maß. Ein Zuviel bremst bei ihnen allerdings die Lust. Oxytocin zeigte im Tierversuch als »Treue-Hormon«. Der Körper bildet es beim Orgasmus, aber auch bei zärtlichen Hautberührungen. Ein hoher Oxytocin-Spiegel steigert das Bindungsgefühl mit dem Partner. Serotonin gilt als Glückshormon und ist deshalb auch für die Liebe wichtig. Dabei steht es weniger für Euphorie, sondern mehr für Zufriedenheit und Ausgeglichenheit in einer stabilen Beziehung. Testosteron ist das männliche Geschlechtshormon. Doch auch Frauen verfügen über dieses Sexhormon. Allerdings ist ihr Testosteronspiegel nur rund ein Fünftel so hoch wie bei Männern. Testosteron steigert bei Männern und Frauen die Libido.« QUELLE: ÄRZTLICHE PRAXIS. (Artikel vom 04.08.04 aus: http://www.focus.de/gesundheit/news/begierde_aid_85139 html, zuletzt gesichtet am 31.05.08)

 Allseits bekannte Semantiken tauchen in diesen Beschreibungen auf: Die Plötzlichkeit des Auftretens der Gefühle, das Schnellerschlagen des Herzens, das Gefühl, man könne die ganze Welt umarmen, Leben von Luft und Liebe, man schwebe und fühle sich dem Partner verbunden. Betroffene von pelet cinta hingegen gelten als »verrückt« und unzurechnungsfähig, sie erleiden Schmerzen und Bewusstlosigkeit, sie reden vor sich hin und laufen orientierungslos einer bestimmten Person hinterher. Hier werden nicht hormonelle Vorgänge für das Empfinden und die Verhaltensweisen verantwortlich gemacht, sondern Magie (pelet). Der westlichen positiven Beschreibung steht die negative Beschreibung eines Krankheitsverlaufes gegenüber. Doch auch in unserem Sprachgebrauch lassen sich Ausdrücke finden, die romantische Liebe ansatzweise in Richtung der Beschreibungen von pelet cinta semantisieren wie »verrückt vor Liebe sein«, »blind vor Liebe sein«, etc. Deutet dies darauf hin, dass unterschiedliche kulturelle Konzepte dann nur unterschiedliche Facetten des multidimensionalen Gefühls von Liebe stärker betonen, die sich infolge dieser etablierten kulturellen Emotionsmodelle jedoch auch auf die Interpretation und das Erleben des Gefühls auswirken? Ist unsere »wissenschaftliche Erklärung« über Hormone gültiger oder ist sie ein mit pelet cinta ebenbürtig zu konzipierendes kulturelles Konzept, das nicht wahrer erscheint, sondern uns nur geläufiger ist? Aber Hormone scheinen doch auch die pathologischen Konzeptionen von Liebe zu erklären, wie das folgende Beispiel aus dem Magazin GEO zeigt: »CD-Player aus? Herdplatten und Bügeleisen abgestellt? Wer Knöpfe und Schalter allzu gründlich prüft, bevor er die Wohnung verläßt, leidet vermutlich unter einer harmlosen Form von ›Kontrollzwang‹. Mit derartigen Phänomenen ist Donatella Marazziti von der Universität Pisa gut vertraut: Seit mehr als neun Jahren untersucht die

42 | L IEBE IN I NDONESIEN Psychiaterin Menschen, die Taten oder Gedanken ständig wiederholen müssen und entdeckte kürzlich, daß solche Symptome mit einem weitaus häufigeren Leiden vergleichbar sind. Verliebte Menschen nämlich das war Marazziti nicht entgangen sind ebenfalls auf ein Objekt fixiert: die angebetete Person. Wenn dieser rätselhafte Zustand mit einer Zwangsstörung vergleichbar war, so folgerte die Forscherin, müßte sich dies belegen lassen zum Beispiel anhand des Botenstoffs Serotonin, der seit langem als Schlüsselsubstanz für menschliche Gefühle gilt. Weil Serotonin mit Hilfe von Blutproben nachzuweisen ist, ließ Donatella Marazziti verliebte Studenten zur Ader und verglich deren Serotonin-Werte mit denen von Patienten, die an Zwangsstörungen litten. Bei beiden Testgruppen lag der Pegel im Durchschnitt 40 Prozent unter dem Normalwert. Verliebt-Sein mache also, schließt die Psychiaterin, vielleicht wirklich ein wenig "verrückt". Allerdings: Sobald die romantischen Gefühle einiger Testpersonen nachließen, stieg auch ihr Serotonin-Pegel wieder.« (Artikel vom 30.10.1999, aus: http://www.geo.de/GEO/mensch/medizin/946.html, zuletzt gesichtet am 31.05.08)

 Man sieht bereits, dass das Thema der Liebe sehr komplex ist, und es sich lohnt, ihre kulturellen Semantiken genauer zu untersuchen. In Auseinandersetzung mit theoretischen und empirischen Beiträgen über romantische Liebe aus verschiedenen Disziplinen möchte ich im Folgenden aufzeigen, wie ich in dieser Arbeit von Liebe sprechen kann und will.



3.1

Ein Überblick über die wissenschaftlichen Perspektiven

 3.1.1 Romantische Liebe als menschliche Universalie  The very idea that social forces, rather than one’s uniquely personal needs and desires might have shaped the form of one’s love seems like an infringement of personal liberty, an intrusion into that mysterious, private world, the irrational splendour of one’s finer feelings. SARSBY 1983: 1

 Wie Emotionen generell, wurde auch der Liebe lange Zeit keinerlei wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt. Liebe wurde als persönlichstes Gefühl angesehen, das Teil der persönlichen Freiheit jedes Menschen ist, und als unabhängig von sozialen und kulturellen Kräften und Konzepten angesehen wurde. »Liebe« galt als heilig, unberührbar, als mystisch innewohnende Kraft, als »active power in man [sic!]« (Fromm [1957] 1995: 16). Sie wurde als eine Art innere Essenz von Menschen – »I love from the essence of my being – and experience the other person in the essence of his or her being. In essence, all human beings are identical« (ebd.: 44) –, die Men-

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schen miteinander vereint, angesehen. Auch wenn sich seit den 1970er Jahren zunehmend auch die Sozial- und Geisteswissenschaften mit dem Phänomen der romantischen Liebe auseinandersetzten, romantische Liebe als höchst stilisierten Kommunikationscode beschrieben haben (vgl. Luhmann [1982] 1994, Featherstone 1992, Giddens 1992), der sich im historischen Wandel der Differenzierung der Gesellschaft und Modernisierungsprozesse herausgebildet habe, hält sich die Vorstellung von romantischer Liebe als kulturelle Grenzen übertretendes und historischem Wandel trotzendes essentialistisches Gefühl, als »one of the richest experiences in mankind« (Bartels/Zeki 2000: 3833), beständig nicht nur in der öffentlichen Meinung, sondern unterliegt auch zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen primär aus dem naturwissenschaftlichen und psychologischen Lager – sowohl als Ausgangshypothese als auch als naturwissenschaftlich zu beweisendes Endergebnis. Trotz der Analysen des sozio-historischen Wandels der kulturellen Konzeptionen von Liebe und ihrer Semantiken und ethnologischer Untersuchungen, die kulturspezifische Konzepte und Emotionsvokabularien herausgearbeitet haben, bleibt diese universalistische Sicht auf romantische Liebe oft bestehen. Romantische Liebe wird so als »natürliche« Kategorie von Handlungen im Rahmen des Fortpflanzungszyklus von Menschen bezeichnet (vgl. Buss 1988) und selbst von Ethnologen als zumindest auf der persönlichen Ebene universales Gefühl oder als »near-universal« (vgl. Jankowiak/Fischer 1992) angenommen, das »amidst this massive repression [of culture]« (Collins/Gregor 1995: 88) beständig existiert. Auch Marazziti et al. (1999: 741) argumentieren dementsprechend: »As falling in love is a natural phenomenon with obvious implications for the process of evolution, it is reasonable to hypothesize that it must be mediated by a wellestablished biological process.«33



Vielen rezenten neurophysiologischen Versuchsanordnungen unterliegt implizit die Hypothese, dass romantische Liebe als universelles, kulturübergreifendes Phänomen zu verstehen sei, das als solches auch wissenschaftlich nachzuweisen sein müsse. So ist das Ziel solcher Untersuchungen, romantische Liebe (eigentlich: die körperlichen Prozesse, die mit dieser korreliert

33 Diese wissenschaftliche Naturalisierung von romantischer Liebe wurde vielfach kritisiert. Johnson (vgl. 2005) kritisiert die Festschreibung von romantischer Liebe als Teil des menschlichen Fortpflanzungsmechanismus als Naturalisierung von Heterosexualität. De Beauvoir (vgl. [1949] 1997) kritisierte sie als Legitimationsdiskurs der Unterwerfung von Frauen unter Männer im Zeichen ihrer romantischen Gefühle, etc. Interessant ist – wie man später sehen wird –, dass auch in Makassar, Liebe als Grundausstattung des Menschen angesehen und als universales Gefühl konzipiert wird, auch wenn der Umgang und seine Konzeption grundlegend anders ausgestaltet ist und über den Liebesdiskurs gerade kulturelle Differenzen ausbuchstabiert werden.

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werden können) als neurologisch und/oder physiologisch zu begründende Universalie zu messen und nachzuweisen. Romantische Liebe gilt als durch neurale Gehirnaktivitäten (vgl. Bartels/Zeki 2000) oder durch Ausschüttungen bestimmter hormoneller Cocktails im Blut verursacht (vgl. Liebowitz 1983, Fisher 1995). Romantische Liebe wird sozio-biologisch als Teil der menschlichen reproduktiven Strategien bewertet, die auf die Intensivierung der Bemühungen, die sich um die Betreuung der Kinder drehen, abzielt (vgl. Daly/Wilson 1978, Buss 1988, Fisher 1992, 1995, Grammer 2000). Zum Teil wird dabei zwar ein kultureller Einfluss eingestanden. Dieser betreffe jedoch nicht die hormonellen, neurophysiologischen körperlichen Prozesse an sich und demzufolge nicht das subjektive Empfinden von Liebe. Fisher (vgl. 1995: 27) beispielsweise betont, wen man attraktiv fände, wann man mit der Partnerwerbung anfange und wie man einen potentiellen Partner erobert, sei kulturell beeinflusst, doch »parents, teachers, books, movies, and other cultural phenomena do not teach you what to feel as you fall in love«. Bieten die neurophysiologischen und sozio-biologischen Ansätze keinerlei Erklärungsmuster für einen unterschiedlichen persönlichen, kulturellen und sozialen Umgang mit »Liebe«, erklären Konstruktivisten diese Unterschiede lediglich in Verweis auf die Konstruktion von Gefühlen durch kulturelle Semantiken und Konzepte und negieren zumindest zum Teil die biologische oder die leibliche Basis von Gefühlen. In ihrer Fokussierung auf elaborierte kulturelle Semantiken und Konzepte messen sie dem subjektiven emotionalen Erleben, den körperlich erfahrbaren Dimensionen der Gefühle sowie abweichenden sozialen Handlungen, Gefühlen und Erfahrungen oder alternativen Sprachen über Gefühle, die kulturell wenig oder in anderen sozialen Räumen ausformuliert sind, zumindest theoretisch keine Bedeutung zu.



3.1.2 Romantische Liebe als kulturelles Konstrukt



Der konstruktivistische Ansatz betrachtet romantische Liebe vor allem als kulturelles, erlerntes Phänomen, das von einer zur anderen Generation durch Geschichten, Imitation und direkte Instruktion übermittelt werde. Demzufolge operiere die Kultur als Rahmen, in dem emotionale Erfahrung organisiert, benannt, klassifiziert und interpretiert wird. »Cultural frames name and define the emotion, set the limits of its intensity, specify the norms and values attached to it, and provide symbols and cultural scenarios that make it socially communicative.« (Illouz 1997: 4)

 In der Entwicklung von einem kulturell undefinierten sexuellen Reiz zu dem kodifizierten Gefühl von Liebe spiele, Illouz (vgl. 1997: 4f.) zufolge, Kultur wenigstens drei Rollen: Erstens stelle sie dem physiologischen Reiz Bedeutung zur Verfügung, indem sie ihn benennt (z. B. »romantische Liebe«, »sexuelle Lust«, »hormonelle Unordnung«, »magisch induzierte Krankheit«). Zweitens beinhalteten die Bezeichnungen Bedeutungen, die in Körpern von

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Normen, Vorschriften und Verboten eingebettet seien. Dabei könne der normative Kontext nicht nur die Definition einer gegebenen Emotion bestimmen, sondern Menschen würden ihre Emotionen auch managen und kontrollieren, um mit kulturellen Normen konform zu sein (vgl. Hochschild 1983). Drittens legten kulturelle Werte fest, wie die Intensität von physiologischen Reizen zu evaluieren sei. Zudem stelle die Kultur Symbole, Artefakte, Geschichten und Bilder zur Verfügung, durch die romantische Gefühle rekapituliert und kommuniziert werden können. Das Repertoire dieser Bilder, Artefakte und Geschichten sei unterschiedlich, aber begrenzt, und einige dieser kulturellen Symbole seien »griffbereiter« als andere. Während Illouz noch von einer Gefühlsbasis auszugehen scheint, die kulturell unterschiedlich gemäß kulturellen Erklärungen und Werten und Normen interpretiert und kommuniziert werden würde, gibt es Averill (1985: 107) zufolge »no hidden core of love, no component that represent love’s true essence and when we examine love’s components we do not find any that are not heavily and fundamentally influenced by social factors«. Die physiologischen Reize, die romantische Liebe begleiten, sieht er als nicht spezifisch für diese Emotion an, sondern als Resultat einer weiten Varietät von Faktoren wie sexuelle Erregung, Frustration und Angst. Spezifisch hingegen sei, wie auch Illouz (vgl. 1997: 4f.) feststellt, die kulturelle Bewertung und Klassifikation dieser Reize als Emotion. Die Tendenz, Emotionen zu »physiologisieren«, sei in der westlichen, intellektuellen Tradition tief verwurzelt (vgl. Averill 1985: 103). Averill spricht von einem »psychophysiologischen Symbolismus«, worunter er die Tendenz versteht, psychologische mit physiologischen Prozessen auf Basis geteilter symbolischer Bedeutungen zu assoziieren. Diese Assoziationen seien Wandel gegenüber extrem resistent, sie würden den Charakter von Selbstverständlichkeiten annehmen. »Everyone knows that emotions are visceral («gut«) reactions, and that love is a matter of the heart, not of the mind.« (Ebd.: 104)

 Eine dieser Selbstverständlichkeiten stelle in westlichen Kulturen das kulturelle Ideal romantischer Liebe dar, das Averill als »paradigm of emotion« bezeichnet:  »It involves notions such as the idealization of the other, suddenness of onset, absorption in thoughts about the other, and a willingness to make sacrifices, among other things.« (Ebd.: 93)

 Averill (ebd.) konkretisiert das Verhältnis zwischen dem kulturellen Ideal romantischer Liebe, das durch kulturelle und soziale Institutionen generiert und reproduziert wird, und dem Verhalten von Individuen folgendermaßen: »Paradigms of emotion, such as the romantic ideal, provide the individual with a model and rationale for behavior, and by conforming to the paradigm, the individual

46 | L IEBE IN I NDONESIEN serves to confirm the broader cultural network, of which paradigm is an aspect.« (Ebd.)

Menschen würden sich entsprechend ihrer Akzeptanz und Einstellung zu diesen kulturellen Paradigmen Emotionen zuschreiben. Dabei verlaufe die Zuschreibung oft retrospektiv und scheine eng mit der Kommunikation von Gefühlen in Verbindung zu stehen – denn diese kulturellen Paradigmen würden Erfahrungen interpersonal kommunizierbar machen, da sie von jedem als Selbstverständlichkeiten angesehen würden (hier erscheint romantische Liebe gemäß Luhmanns Konzeption ([1982] 1994) als Kommunikationscode). Es bleibt jedoch nicht bei der Kommunikation: Kulturelle Paradigmen wirken Averill zufolge (vgl. 1985: 93f.) auch verhaltensregulierend. So hätten Menschen die Tendenz, das gesamte Verhalten in Konformität mit dem kulturellen Ideal zu bringen, »[o]nce one aspect of the response is interpreted (experienced) as conforming to a cultural ideal (or to some variation of that ideal)« (Ebd.). Auch wenn Averill das romantische Ideal nicht als einheitliche Konzeption sieht (siehe seine Beschreibung zuvor), ergeben ihm zufolge die Merkmale zusammen einen Idealtyp, ein Paradigma. Averill konstatiert, dass, sofern die Erfahrung einer Person mit einem oder mehrerer dieser Merkmale kongruent sei, die Tendenz bestehe, die anderen Erfahrungen an das Paradigma zu assimilieren. Es folge somit eine Reinterpretation der individuellen Erfahrung entsprechend dem Paradigma, vor allem dann, wenn die Einstellung der Person dem Paradigma bzw. seinem Ursprungskontext gegenüber begünstigend sei (vgl. ebd.). Dies stellt auch das Ergebnis seiner zusammen mit seinem Kollegen Boothroyd durchgeführten Studie »On Falling in Love in Conformance with the Romantic Ideal« (1977) dar. »Paradigmen« kann man hierbei terminologisch möglicherweise auch durch kulturelle Modelle oder Konzepte ersetzen, die in bestimmten sozio-kulturellen Kontexten oder Diskursen zu verorten sind. Diese enthalten bestimmte Werte und Normen, die durch die Wahl der Akteure der von ihnen zur Interpretation und Kommunikation ihrer Erfahrungen und Gefühle verwendeten Paradigmen oder Modelle/Konzepte bestätigt werden. Durch das Anwenden bestimmter Paradigmen auf die Interpretation subjektiver Erfahrungen oder für die Narration des eigenen Verhaltens oder der eigenen Gefühle bestätigen die agierenden Menschen so bestimmte Werte und Normen und positionieren sich aktiv in der sie umgebenden Sozialstruktur. Dies ist eine Sicht auf das Untersuchungsfeld der kulturellen Semantiken romantischer Liebe, die in dieser Arbeit von zentraler Bedeutung ist. Es geht ganz entscheidend um die Verbindung zwischen der Interpretation und Kommunikation von Liebesgefühlen, dem emotionalen Verhalten und dem subjektiven Erleben einerseits und Konstruktionen von (kultureller) Identität und Differenz andererseits. Darüber hinaus nehme ich an, dass subjektives emotionales Erleben nicht gänzlich durch »eine Sprache« abgebildet werden kann, sodass es einen subjektiven Spielraum gibt, der es erlaubt, verschie-

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dene Paradigmen, oder vielleicht um es in den Worten von Illouz (1997: 319) zu fassen »cultural frames«34 – als Set semantisch kohärenter Propositionen, die Teil des impliziten Wissens darstellen – zur Interpretation und Kommunikation derselben Erfahrungen und Gefühle anzuwenden, sowohl in artikulierten Kommunikationssituationen als auch im subjektiven Denken über eigene Erfahrungen und Gefühle. Die kulturkonstruktivistische Sicht auf romantische Liebe liefert m. E. viele sinnvolle Ansätze für die Analyse der Rezeption romantischer Fiktionen in Makassar und die kommunikativen Prozesse und autobiographischen Erzählungen eigener Gefühle und Erfahrungen. Gerade hinsichtlich der Beziehung zwischen den Fiktionen und eigenen Empfindungsrealitäten ist ein Ansetzen bei den spezifischen kulturellen Semantiken und den sozialen Prozessen ihrer Verarbeitung und Bedeutungszuweisung (Rezeption) von zentraler Bedeutung. Natürlich ist dies auch die einzige methodische Herangehensweise, die vorstellbar ist: »We have no access either to our own emotions or to those of others, independent of or unmediated by the discourse of our culture.« (Jagger 1989: 148) »There is thus no way of exploring love except through the ways in which it is talked and written about. Language itself, moreover, contributes to the cultural construction of emotions and is a means by which we participate in creating a shared sense of what emotions are.« (Jackson 1993: 207)

Gerade hinsichtlich konstanter populärkultureller Inszenierungen und Reproduktionen kultureller Semantiken und Symbole von romantischer Liebe und ihrer weiten Zirkulationen und Reichweiten weltweit kann man sich Illouz (1997: 179) anschließen, die betont, wir würden uns hinsichtlich Liebessemantiken in einem »age of lost innocence« befinden: Alle Liebesbegriffe seien bereits besetzt. Man könne Gefühle nicht ausdrücken, ohne auf etwas zu referieren, was bereits gesagt wurde. Dieser Recyclingscharakter und die Intertextualität von Liebessemantiken in unserem Medienzeitalter – »The script for love has already been written and is being continually recycled in all the love songs and love stories of Western literature and contem-

34 »Two features identify a cultural frame: (1) It is characterized by a set of semantically coherent propositions which people are only implicitly aware of but which they can articulate when asked to. For example, the cultural frame of »love at first sight« generates a series of propositions such as »love is sudden,« [sic!] »love is uncontrollable,« [sic!] »love is irrational.« [sic!] (2) Different frames may be used by the same person to interpret a single event, although ususally not at the same time or in the same situation. For example, the »love at first sight« frame in incompatible with the frame of »love developed from friendship,« [sic!] although one may be use them alternatively to make sense of different aspects of the romantic sentiment.« (Illouz 1997: 319, n.11).

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porary media« (Brunt 1988: 19 zit. nach Jackson 1993: 212) – ist sicherlich nicht anzuzweifeln. Dennoch haben Menschen Auswahlmöglichkeiten, welche Semantiken oder Konzepte sie zur Interpretation, Beschreibung und zum Ausdruck ihrer Gefühle verwenden möchten: »Those who feel themselves to be ’in love’ have a wealth of novels, plays, movies and songs on which to draw to make sense and describe their passion« (Jackson 1993: 212). Die Personen wählen aus. Dabei kann es zu ganz neuen Bedeutungsaufladungen und subjektiven wie auch kollektiven Interpretationen kommen. 3.1.3 Romantische Liebe im interkulturellen Vergleich Die enge Korrelation von romantischer Liebe mit westlichen Kulturen, die durch die kontinuierliche Beschreibung und Explikation von Liebe als kulturelles Konzept, das sich angesichts Ausdifferenzierungs- und Modernisierungsprozesse westlicher Gesellschaften entwickelt habe (vgl. Durkheim [1933] 1964, Stone 1977, 1988, Luhmann [1982] 1994, Giddens 1992), legt z. T. die Vermutung nahe, dass es sich bei romantischer Liebe um ein explizit westliches Konstrukt handle. Dies kann entweder ganz bewertungsfrei sozialfunktionalistisch argumentiert sein, jedoch auch evolutionistischem Gedankengut entspringende Bewertungen implizieren: Romantische Liebe wird so als »Luxusemotion« bezeichnet (vgl. Ariès 1962) oder als Kultivation einer »aesthetic appreciation for subjective experiences« (Stone 1988: 16), die Menschen anderer, außereuropäischer Kulturen als »lusty savage« (vgl. Jankowiak 1995: 7) auch auf der subjektiven Erlebnisebene abgesprochen wurde35. Dementsprechend dominierte oft die Sicht, romantische Liebe – ohne den Begriff genauer zu klären – habe erst durch den Kontakt mit dem Westen, vor allem durch den Kolonialismus oder aber durch moderne Globalisierungsprozesse, Einzug in außereuropäische Kulturen erhalten und werde so auch erst durch den Kulturkontakt in anderen Kulturen empfunden (vgl. Harris 1995: 104). Dies stellt einen Grund dar, warum sich die Ethnologie lange nicht mit »Liebe« in anderen Kulturen auseinandergesetzt hat. Die kulturell Fremden wurden gemäß Saids Konzept des Orientalismus ([1978] 2003) emotional exotisiert und in emotionaler Differenz zum Eigenen bestimmt. Eine solche Orientalisierung findet nicht nur in solchen wissenschaftlichen Betrachtungen statt, sondern ist ebenso Teil öffentlicher

35 Vgl. hierzu auch Donald Marshall (1971), der in seinem Artikel »Sexual Behavior on Mengaia« Polynesier als fundamental sexuelle Wesen porträtiert, deren Hauptanliegen die »Kopulation« sei und denen er die Fähigkeit, starke emotionale Zuneigung oder gar »romantischer Liebe« zu fühlen, fast gänzlich abspricht. Er steht damit in einer von Margaret Mead in ihrem Buch »Coming of Age in Samoa« ([1928] 1961) formalisierten Tradition, Emotionen im Leben von Polynesiern zu minimieren, die Samoanern Gefühle von Liebe und Zuneigung zugunsten einer ausgeprägten Sexualität abspricht.

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und persönlicher Identitätsdiskurse und -narrative, um die es in dieser Arbeit ja genau geht. In Kritik an den radikalen konstruktivistischen Positionen, die romantische Liebe gänzlich als erlerntes kulturelles Konzept begreifen, körperlichen Prozessen keinen relevanten Raum zusprechen und die Idee eines von sprachlich explizierten kulturellen Emotionskonzepten differierendes subjektives Erleben nicht in Erwägung ziehen, wie auch alternative Narrative und Konzepte, die abweichende Gefühle beschreiben, nicht fokussieren, begannen Ethnologen in den 1990er Jahren in interkulturellen Untersuchungen Beweise für die Existenz romantischer Liebe – zumindest auf der subjektiven emotionalen Erlebnisebene – auch in Kulturen zu finden, von denen die Nichtexistenz romantischer Liebe angenommen wurde. In einer Annäherung über Narrative von Liebe wurde festgestellt, dass seit den Anfängen der Geschichtsschreibung Anekdoten oder Erzählungen über romantische Liebe aufzufinden seien (vgl. Hendrick/Hendrick 1992: 23), dass diese auch in außereuropäischen Kulturen vor dem Kontakt mit dem Westen zu finden seien (vgl. Harris 1995: 105f. für eine Gesellschaft auf Mangaia der Cook Inseln und vgl. Bell 1995: 153 für die Taita in Kenia), wie auch in kontemporären Kulturen, die kein elaboriertes Liebeskonzept besitzen (vgl. Plotnicov 1995 für die Tiv in Nigeria, vgl. Regis 1995 für die Fulbe in Nordkamerun und vgl. Bell 1995 für die Taita in Kamerun)36. Ausgehend von Ähnlichkeiten von Liebesgeschichten über Zeit und Kulturen hinweg, führten William Jankowiak und Edward Fischer (1992) auf Basis von Material, das Murdock und White (1969) für ihr »Standard Cross-Cultural Sample (SCCS)« in über 185 Gesellschaften zusammengetragen haben, eine interkulturelle Vergleichsstudie über die Präsenz romantischer Liebe durch. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass in 147 von 166 untersuchten Kulturen romantische Liebe zumindest als individuelles Gefühl existieren würde (vgl. Jankowiak/Fischer 1992:153). Methodisch gingen sie dabei wie folgt vor: Sie prüften dabei die bereits von Murdock und White bearbeiteten und standardisierten Arbeiten von Ethnographen, ergänzten diese mit Analysen der Folklore der jeweiligen Kulturen und anderen Ethnographien. Aufgrund der unklaren Verwendung der Begriffe »Liebe« und »Liebemachen«, wurde die

36 Dabei betonen sie, dass romantische Liebe als Phänomen auf der individuellen Erlebnisebene existent sei und nicht als kulturelles Ideal, die kulturellen Konzeptionen blieben kulturspezifisch. Beispielsweise beschreibt Regis (vgl. 1995), dass Fulbe das Phänomen der romantischen Liebe als Krankheit konzipieren würden. Dies ist auch für die Makassar in Sulawesi, Indonesien festzustellen, wie Röttger-Rössler (vgl. 2002: 155) aufzeigt. Ihre Krankheitskonzeption (garring lolo), die als spezifisch für Heranwachsende beiderlei Geschlechts gilt und deren Symptomatik auffällig den Beschreibungen gleicht, welche in unserer Gesellschaft im Kontext von Verliebtsein getroffen werden, stellt nach indigener Überzeugung eine durch Magie verursachte Krankheit dar. Vgl. hierzu das Konzept pelet cinta der Bugis, das in Kapitel B.II.5.1.3 genauer vorgestellt wird.

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Präsenz romantischer Liebe nur dann festgestellt, wenn »Liebe« nach einer deutlichen Differenzierung von »Sex« durch den jeweiligen Ethnographen festgestellt wurde. Neben dieser ausdrücklichen Benennung von romantischer Liebe durch den jeweiligen Ethnographen schlossen sie jedoch auch von anderen indikativen Hinweisen und Indizien auf die Präsenz von Liebe. Jankowiak und Fischer (vgl. 1992: 150–152) erstellten eine Liste von folgenden Merkmalen in der initialen Phase der Involvierung der Beziehung von zwei Jahren als Indikator für die Präsenz romantischer Liebe: • • • • •

Berichte von persönlicher Qual und Sehnsucht; Verwendung von Liebesliedern oder Folklore, welche die Motivation hinter der romantischen Involvierung betonen; Weglaufen aufgrund von gegenseitiger Zuneigung; Einheimische Berichte, die die Präsenz von romantischer Liebe bestätigen; Die Bestätigung des Ethnographen, dass das Phänomen der romantischen Liebe präsent ist.

Die Präsenz eines dieser deduktiv erstellten Merkmale wurde als Beleg für die Existenz von romantischer Liebe gedeutet. Romantische Liebe wurde sehr offen wie folgt definiert: »By romantic love we mean any intense attraction that involves the idealization of the other, within an erotic context, with the expectation of enduring for some time into the future. Romantic love stands in sharp contrast to the companionship phase of love which is characterized by the growth of a more peaceful, comfortable, and fulfilling relationship; it is a strong and enduring affection built upon long term association.« (Ebd.: 150)

Auch wenn man je nach Kontext die kulturspezifischen Semantiken von Liebe herausarbeiten müsste, kann man sich dieser breiten Definition von romantischer Liebe als individuelles Gefühl anschließen. Jankowiak (1995: 5) kommentiert das Ergebnis der Studie folgendermaßen: »This finding stands in direct contradiction to the popular idea that romantic love is essentially limited to, or the product of, Western culture. Moreover it suggests that romantic love constitutes a human universal, or at least, a near-universal.«

Diese Schlussfolgerung scheint angesichts der emotionalen Exotisierung des Fremden, auf die diese Studie reagiert, angemessen, um Vorurteile zu korrigieren und diese Exotisierung als solche zu kennzeichnen. Dennoch muss man sie mit Vorsicht geniessen, geht man, wie ich, theoretisch davon aus, dass die kulturellen Konzepte von Liebe das Gefühl immer bereits mit beeinflussen. Dies erweckt die Vorstellung, kulturell unberührte subjektive Erfahrungen seien dem kulturellen Ausdruck – prädiskursiv oder extradis-

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kursiv – vorgeschaltet, selbst wenn dies nicht Jankowiaks Schlussfolgerung ist. Muss man die Absicht der Kritik an dem emotionalen Orientalismus, die durch die Studie ja auch erreicht wird, hoch loben, erscheint die verwendete Methodologie von Jankowiak und Fischer (1992) fragwürdig und Ergebnisse simplifizierend: »Liebes«-phänomene und -konzepte werden bereits durch das »Standard Cross-Cultural Sample (SCCS)« von Murdock und White (1969), auf deren Daten die Auswertung von Jankowiak und Fischer beruht, aus dem gesamtkulturellen Kontext herausgerissen. Zudem reduzieren Jankowiak und Fisher das hochkomplexe emotionale Phänomen zusätzlich dadurch, dass ihnen zur Konstatierung der Existenz romantischer Liebe im jeweiligen kulturellen Kontext die Anwesenheit eines ihrer deduktiv erstellten Indikatoren für das Phänomen ausreicht. Die Reduktionen sowie das Fehlen jeglicher Kontextualisierung in den jeweiligen sozio-kulturellen Zusammenhängen, von denen entscheidend abhängt, wie Gefühle von Menschen interpretiert, verstanden und erfahren werden, ist höchst kritisch anzusehen. Doch auch Jankowiak selbst erkennt dies und schließt: »What is obviously needed are many more close, finetuned analyses of the phenomenon of love as it is experienced and expressed in a variety of social settings, as well as ethnographic and historical contexts.« (1995: 13)

Die vorliegende Arbeit ist eine solche sehr kontextsensitive Studie von Liebe. Wie Jankowiak gehen auch Hatfield und Rapson (1996) sowie Hendrick und Hendrick (1992) von einer gewissen Universalität romantischer Liebe als subjektive emotionale Erfahrung aus. Was romantische Liebe bedeutet und wie sie kanalisiert wird, sei jedoch kulturell modelliert (vgl. Hendrick/Hendrick 1992: 24). »Although the basic ability to love may be part of the machinery of the species, its expression (at least in primates) requires a particular ritual in contact, interaction, and feedback effects during the several developmental sequences.« (ebds.: 110)

Es geht den Autoren hierbei darum, eine interkulturell geteilte »basic ability to love« (ebds.) zu bestätigen, um fremde Kulturen nicht emotional zu exotisieren. Sie zielen nicht auf die theoretische Reduktion von romantischer Liebe auf eine einzige, universelle Erfahrung ab, sondern betonen, dass romantische Liebe Unterschiedliches für unterschiedliche Menschen zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen sozio-kulturellen Kontexten meine (vgl. ebds.: 113). Die Versuche, romantische Liebe als kulturell universal zu konstatieren, scheinen hierbei also weniger einer universalistischen Position, sondern vielmehr der Kritik an einer emotionalen Exotisierung des Fremden zu entspringen, die Kulturen über den Diskurs über Liebe als »Luxusemotion« oder »appreciation of subjective experience«, etc. hierarchisiert: Es scheint also um einen kritischen Angriff auf eine oft implizierte dichotome Gegenüberstellung zwischen dem »weit entwickelten Westen«, der romanti-

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sche Liebe als kulturell elaborierte »Luxusemotion« »zivilisiert« praktiziere und basale Bedürfnisse kontrolliere, einerseits und »triebgesteuerten Wilden«, die abgesehen von ihren »Trieben« keinerlei »höher ausdifferenzierten« Gefühlen folgen würden, andererseits zu gehen. Doch derartige interkulturelle Vergleichsstudien vereinfachen m. E. den Gegenstand zu stark. Sie lösen ihn aus seinem sozio-kulturellen Kontext heraus, der für ein umfangreiches Verständnis desselbigen zentral ist. Kulturelle Unterschiede in der Konzeption oder im sozialen Handlungsfeld von Liebe sind nicht von sozialen Strukturen, wie Verwandtschafts- und Familienstrukturen losgelöst zu verstehen. Goode (1982) und Hsu (1972) zufolge resultiere die Zelebrierung romantischer Liebe im heutigen Westen und in anderen industrialisierten Kulturen aus der relativen wirtschaftlichen und ideologischen Unabhängigkeit der Kernfamilie von der weiteren Verwandtschaftsgruppe, aus starken Eltern-Kind-Beziehungen und aus der relativen Unabhängigkeit von jungen Menschen. Collins und Gregor (vgl. 1995: 89) weisen darauf hin, dass der Grad der Isolation potentieller Liebespartner von den Ansprüchen der sie umgebenden Gruppe zentral für die Konzeption romantischer Liebe in einer Gesellschaft sei. »[S]ocieties with relatively permeable marital relationships are those of traditional cultures, while the bounded dyad is more characteristic of industrialized societies. Love, as a cultural ideal, is less frequent in the former, while in the latter it reaches the proportions of a major industry.« (ebds.: 90)

Ähnlich wie Collins und Gregor (1995) argumentieren auch Dion und Dion (1993). Sie gehen davon aus, dass eine kulturelle Perspektive wichtig sei, um die Faktoren zu verstehen, welche zur Entwicklung eines Konzepts romantischer Liebe beitrage. Dabei reduzieren sie kulturelle Differenzen jedoch auf die konzeptuellen Dimensionen von Individualismus und Kollektivismus37, um einen integrativen Rahmen für ihre Untersuchung zu schaffen. Sie erklären anhand dieser Einteilung kulturelle Unterschiede des Phänomens romantischer Liebe, die eng mit kulturellen Differenzen der Konzeptualisierung des Selbst verbunden seien. Dion und Dion vergleichen die soziale Konstruktion von romantischer Liebe in zwei von ihnen als individua-

37 Diese wurden ihren Angaben zufolge von WissenschaftlerInnen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund als konzeptuell relevant für das Verständnis der sozialen Strukturierung von Beziehungen anerkannt (vgl. Dion/Dion 1993: 54). Individualismus definieren sie als Unterordnung kollektiver unter individuelle Ziele und Kollektivismus als Unterordnung individueller unter kollektive Ziele (vgl. ebds.). Prototypische individualistische Gesellschaften seien die USA, Australien, England und Kanada. Asiatische Länder und Stadtstaaten wie Taiwan, Singapur, Hongkong und Pakistan seien exemplarisch für kollektivistische Gesellschaften (vgl. ebds.: 55). Zur Dekonstruktion dieser konzeptuellen Dimensionen siehe auch Hatfield und Rapson 1996: 17–21.

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listisch eingeordneten Gesellschaften (USA und Kanada) und drei kollektivistischen (China, Indien und Japan) und kommen zu dem Ergebnis: »In societies where individualism is prevalent, greater emphasis is placed on romantic love and on personal fulfilment in marriage. However, some features of individualism at the psychological level make the likelihood of realizing these outcomes more difficult. In contrast, collectivism […] fosters a receptiveness to intimacy, but at the psychological level, this intimacy is likely to be diffused across a network of family relationships.« (1993: 66)

Solch grobe Kategorisierungen von Gesellschaften entlang des Oppositionspaares Individualismus/Kollektivismus zur Erklärung der kulturellen Bedeutung des Phänomens romantischer Liebe erscheinen jedoch wenig sinnvoll. Zusätzlich zu der starken Reduktion der sozio-kulturellen Kontexte auf solche eindimensionalen Oppositionen sind die hier verwendeten Begriffe – beispielsweise: »diskretes Selbst«, »persönliche Erfüllung«, »individualistisch«, »traditionelle Kulturen« – höchst problematisch und beinhalten bereits zahlreiche eurozentristische Annahmen und Konzeptionen. Solche schematischen Vereinfachungen des komplexen emotionalen Phänomens gemäß einer Kategorisierung von Kulturen sind dem Gegenstand gegenüber unangemessen und bringen darüber hinaus wenig Erkenntnis. Auch wenn Studien über romantische Liebe diese in ihren soziokulturellen Gesamtkontext einordnen, soziale Strukturen beobachten, nach sozialen Funktionen von emotionalen Konzepten und Modellen fragen müssen, sind solche Pauschalisierungen und Vereinfachungen – weder auf interkulturellem noch auf intrakulturellem Beobachtungs- und Analyselevel – wenig wünschenswert, da es sich, wie in den folgenden Kapiteln zu sehen sein wird, bei »Liebe« um ein äußerst komplexes und widersprüchliches Bedeutungs- und Handlungsfeld handelt, das stark von den jeweiligen situativen und flexiblen Bedeutungszuschreibungen und Konstruktionen sowie von Kommunikationszielen und Selbstpositionierungen des aktiven Subjekts abhängig ist. 3.1.4 Begriffsbestimmungen romantischer Liebe Dass die Begriffsbestimmung romantischer Liebe erst an dieser Stelle kommt, ist strategisch so gewählt. Jeder Leser hat bereits von Anfang an im Kopf, was er unter Liebe versteht, auch wenn dies recht vage ist. Es scheint, man müsse den Gegenstand gar nicht definieren, weil jeder weiss, worum es geht. Ich habe versucht, durch meine vorhergehenden Darstellungen die Sicherheit, was romantische Liebe sei, zu schwächen, Fragen zu kreieren und Gedanken über den Forschungsgegenstand anzuregen. Es ist generell sehr schwierig, den Begriff für eine ethnologische Studie überhaupt zu bestimmen.

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Bei der Begriffsbestimmung von romantischer Liebe spielen Untersuchungen der Psychologie und deren an phänomenologischen Spezifika orientierten Sichtweise eine große Rolle. Psychologen versuchen, distinktive Merkmale der unterschiedlichen Typen von Liebe zu identifizieren und Liebe aus verschiedenen Perspektiven heraus zu messen (vgl. Harris 1995: 99)38. Einer der bedeutendsten Beiträge hierfür ist »Love and Limerence: The Experience of Being in Love« (1979) von Dorothy Tennov. Tennov führte eine systematische Analyse von über 500 Fällen von romantischer Liebe in den USA durch, von denen sie Schemata von Emotionen, Kognitionen und Verhalten abstrahierte, welche sie mit limerence39 betitelte. Tennov kristallisierte aus ihren Untersuchungen für das Phänomen Limerence ein komplexes Set von identifizierbaren und überpersonalen Komponenten heraus: • • • • • • • •

• • • •

Ständiges Denken an das »limerent object« (LO); akute Sehnsucht nach Erwiderung und vollständigem Zusammenschluss; Abhängigkeit der Laune von den tatsächlichen oder wahrgenommenen Handlungen von LO; Unfähigkeit, auf mehr als eine Person gleichzeitig verliebt zu reagieren; vorübergehende Abhilfe von unerwiderter Verliebtheit durch lebendige Imagination der Handlungen durch LO, die Erwiderung bedeuten; Angst vor Ablehnung und manchmal unfähig machende, aber immer verunsichernde Schüchternheit in LOs Anwesenheit; Intensivierung durch Trübsal; akute Sensibilität für jedes Verhalten, das als positiv interpretiert werden könnte, und die außerordentliche Fähigkeit, versteckte Passion in der scheinbaren Neutralität von LO zu entdecken; Schmerzen des »Herzens« bei starker Unsicherheit; eine allgemeine Intensität des Gefühls, das andere Angelegenheiten in den Hintergrund rückt; Beschwingtheit bei scheinbarer Erwiderung der Gefühle; eine bemerkenswerte Fähigkeit zu betonen, was bewundernswert an LO ist, und zu vermeiden, näher auf das Negative einzugehen, selbst die negativen in positive Qualitäten zu verändern;

38 So definierte Bernard I. Murstein (1988: 29f.) beispielsweise drei Entwicklungsstufen der Liebe: die leidenschaftliche, stark auf sexuellem Verlangen basierende Liebe (passionate love); die davon schwer abzugrenzende romantische Liebe (romantic love), die eng in Zusammenhang mit der Idealisierung des begehrten Gegenübers steht; sowie die partnerschaftliche Liebe (conjugal/companionate love) (1988: 29f.). Vgl. auch Lee 1988 und Hatfield 1988. 39 Limerence ist als synonym mit »Verliebtheit«, »Sich-Verlieben« und »romantischer Liebe« zu verstehen. Diese Begriffe werden auch in der Literatur über Emotionen meist synonym verwendet. Tennov verwendet den Begriff limerence, um sich von kulturellen impliziten Konnotationen der anderen Begriffe zu distanzieren.

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sexuelle Anziehung an LO als potentiellen Sexpartner (vgl. Harris 1995: 99f.)40.

Tennovs Identifikation und Dokumentation komplexer Schemata von Gedanken, Emotionen und Handlungen stellt einen empirisch gewonnenen, äußerst umfassenden Versuch einer Definition von romantischer Liebe dar, die jedoch auf den nordamerikanischen Kulturraum beschränkt bleibt und größtenteils die dort vorherrschenden kulturellen Semantiken der Liebe in abstrahierter Form aufzeigt. Für Tennov stellen die oben genannten Komponenten in ihrer Gesamtheit die notwendige Bedingung für limerence dar. Sie definiert den Untersuchungsgegenstand demzufolge als absoluten Zustand, der weder im Grad der Intensität differiert noch inhaltlich flexibel sei. Andere WissenschaftlerInnen, die sich mit dem Phänomen der Liebe auseinandergesetzt haben41, interpretieren Tennovs Konzept von limerence als eine

40 Tennov (1998: 78f.) im Original: »The subjective experience identified by the term »limerence« as revealed in personal testimonies contains the following elements: intrusive thinking about the person who is the object of desire (the limerent object or LO); acute longing for reciprocation from LO; dependency of mood on LO’s actions, or more accurately, interpretation of LO’s actions with respect to the probility of reciprocation; inability to react limerently to more than one person at a time; some fleeting and transient relief from unrequited limerent passion through vivid imagination of action by LO from which reciprocation can be inferred; fear of rejection and shyness in LO’s presence, especially in the beginning and whenever uncertainty strikes; intensification through adversity (at least, up to a point), acute sensivity to any act or thought or condition that can be interpreted favorably; extraordinary ability to devise or invent »reasonable« explanations for why the neutrality or even rejection that the desinterested observer might see in LO’s behavior is in fact a sign of hidden passion; an aching of the »heart« (a region in the center front of the chest) when uncertainty is strong; buoyancy (a feeling of walking on air) when reciprocation seems evident; a general intensity of feeling that often leaves other concerns in the background; and a remarkable ability to emphasize what is truly admirable in LO and to avois dwelling on less favorable characteristics. Limerence theory holds the following: (1) The underlying mechanism is universal. (2) The state of limerence comes into being automatically when barriers to receptivity are down and a likely person appears. As limerence takes hold, certain laws of operation apply. What happens thereafter depends on how strongly it seems that the hoped-for reciprocation will indeed occur. This is largely, though perhaps not entirely, a matter of LO’s actions. Small doses of attention from LO increase the intensity of the limerence experience. (3) Reciprocation leads to euphoria, followed by a union that might be stable or unstable, and that might or might not endure.« 41 Z. B. Hatfield/Sprecher (1986), Liebowitz (1983), Money (1981), Peele (1988), Shaver, Hazan, et al. (1988), Sperling (1985) und Sternberg (1988).

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extreme oder obsessive Form von Liebe, die eher eine Subkategorie romantischer Liebe darstelle, als mit ihr gleichzusetzen sei. Eine sehr viel kürzere und offenere Definition bieten dahingegen – wie in Kapitel A.I.3.1.3 bereits angesprochen – Jankowiak und Fischer (1992: 150): »By romantic love we mean any intense attraction that involves the idealization of the other, within an erotic context, with the expectation of enduring for some time into the future. Romantic love stands in sharp contrast to the companionship phase of love which is characterized by the growth of a more peaceful, comfortable, and fulfilling relationship; it is a strong and enduring affection built upon long term association.«

Ich werde mich dieser breiten Gegenstandsbestimmung anschließen. Dies kann ich deswegen mit beruhigtem Gewissen tun, da hierdurch versucht wird, das individuelle Gefühl von Liebe relativ losgelöst von kulturellen Spezifika und kulturellen Bewertungen zu beschreiben. Ihre Spezifika für den jeweiligen Kontext müssen hingegen je nach Untersuchungsumfeld detailliert und kontextsensitiv bestimmt werden. Beobachtungen von kulturspezifisch anderen Konzeptionen, anderem Verhalten, anderen Semantisierungen oder Bedeutungsaufladungen des Begriffs romantischer Liebe basieren stets auf einem impliziten Vergleich mit ihrem westlichen Verständnis, das natürlich selbst nicht kohärent und klar definierbar ist. Der implizierten Vergleichsdimension muss bei ethnologischen Untersuchungen über Liebe besondere Beachtung geschenkt werden. Sie sollte besonderer Reflexion durch den Forscher/die Forscherin unterliegen und offen artikuliert werden. Die inhaltsentleerten Konzeptionen von romantischer Liebe als »historically specific set of ideas, experiences and actions« (Johnson 2005: 1), als »kultureller Kommunikationscode« (vgl. Luhmann [1982] 1994) oder als »paradigm of emotion« (Averill 1985: 93), als »product of learned expectations« (Stone 1977: 191), als »aesthetic appreciation of subject experiences« (Stone 1988: 16 zit. nach Jankowiak 1992: 149) verweisen darauf, dass es je nach Untersuchung gar nicht so sehr auf die Begriffsbestimmung von romantischer Liebe als Gefühl ankommt. Man kann sie als kulturelle Semantik, als kulturelles Konzept oder als kulturellen Kommunikationscode verstehen und sie anhand der zur Verfügung stehenden Semantiken und Diskurse für einen bestimmten kulturellen Kontext beschreiben. In meiner Arbeit geht es um die aktiven Aushandlungsprozesse von Personen im Feld von Liebe selbst. Es geht darum, wie romantische Liebe von Einzelpersonen und auch kollektiv in interpersonalen Kommunikationen situativ mit Bedeutung versehen wird. Empirische Studien können kulturspezifische Beschreibungen der Liebessemantiken und den Liebesdiskurs nur für einen bestimmten soziokulturellen Kontext, in den die ProbandInnen einzuordnen sind, leisten (z. B. Tennov 1979). Diese Beschreibungen basieren auf kulturellen Semanti-

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ken und Konzepten, die von den Probanden artikuliert werden. Sie spiegeln so die aktuelle Umsetzung kultureller Konzeptionen von Liebe durch bestimmte, sozial zu verortende Subjekte wider, meist jedoch ohne die sozialen Funktionen und Gründe dieser sich autobiographisch zugeschriebenen Narrationen von Liebe zu fokussieren, z. B. gesellschaftliche Selbstpositionierungen, etc. Dies ist zu kritisieren, mit Lupton (1998: 5) ausgedrückt: »These attempts fail to recognize that what we call ’emotions’ and how we experience them always gain their meaning as part of a wider sociocultural frame. The very mutability, ephemerality and intangible nature of ’the emotions’, as well as their inextricable interlinking with and emergence from constantly changing social, cultural and historical contexts, means that they are not amenable to precise categorization.«

In ethnologischen Studien werden die kulturellen Konnotationen, die den indigenen Begriffen im Bedeutungscluster von Liebe zugrunde liegen, oft nicht genauer ausgeführt, sondern mit angenommenen Äquivalenten der eigenen Sprache übersetzt, die den lokalen Begriffen eigene Bedeutungsaufladungen aufzwingen. Des Weiteren wird meist nicht zwischen Liebe als subjektive emotionale Erfahrung, Liebe als kulturelle Semantik, Liebe als Narrative (»Romanze«), Liebe als soziales Handlungsfeld unterschieden, was den Gegenstand noch schwerer fassbar macht. So ist es zentral zu konkretisieren, auf welcher Ebene man von dem emotionalen Phänomen der Liebe spricht. Illouz (1997: 6) benennt romantische Liebe als »complex emotion interweaving stories, images, metaphors, material goods, and folk theories« und führt aus, dass »people make sense of their romantic experiences by drawing on collective symbols and meanings«. Ich erachte es als sehr zentral, dass Geschichten über und Bilder von romantischer Liebe bedeutsam für die Menschen sind, um Gefühle zu deuten und zu kommunizieren. Dabei wählen die sozialen Akteure aus, welcher Symbole, Geschichten und Konzepte sie sich in welchen Kommunikationssituationen zu welchem Zwecke bedienen. 3.1.5 Romantische Liebe und Populärkultur Wie bereits vielfach angesprochen sind Liebesnarrative, Symbole, Bilder emotionalen Ausdrucksverhaltens, etc. sehr bedeutsam für die Liebeskonzeptionen in einer Gesellschaft. Populärkulturelle mediale Texte sind dabei entscheidend an ihrer Verbreitung beteiligt. Diese stützen sich einerseits auf kulturelle Liebeskonzeptionen und einhergehende Liebessemantiken und sind andererseits entscheidend an ihrer Entwicklung, Ausdifferenzierung, Verbreitung und Weitergabe beteiligt. Mythen, Lieder und Geschichten bieten Narrative und Sprachen an, um Gefühle zum Ausdruck zu bringen und eigenes subjektives Erleben zu organisieren.

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Die Bedeutung von fiktiven Geschichten im Feld von romantischer Liebe wurde bereits seit Beginn der soziologischen Theoriebildung über Liebe festgestellt. Dabei wurde das Aufkommen romantischer Liebe direkt mit dem Modus des Erzählens eines Narrativs, einer Romanze, in Verbindung gebracht. Literarität wird dabei oft als »key to the mode of representation of love« (Goody 1998: 123) gedacht. Die Bedeutung von Novellen, die zunehmende Literarität und veränderte Kommunikationstechniken, die Geschichten in größeren Kreisen zur Verfügung stellen, werden als bedeutsam für das Aufkommen und die Verbreitung des Konzepts der romantischen Liebe im Westen erachtet. Auch Stone (1977: 191) bestimmt Liebe als »a product […] of learned cultural expectations, which came fashionable in the late eighteenth century thanks largely to the spread of novel-reading«. Lipset (2004) kritisiert, dass diese Vorstellung wenig haltbar erscheint, da es nichts Intrinsisches an Literarität gäbe, das ein unvariables Set von Wandel in allen Kulturen verursachen könnte, und man im Bereich von Liebe vorliterarische nicht literarischen Kulturen gegenüberstellen könne. Jedoch steht die Bedeutung von Narrativen für das Erleben und Erzählen von Gefühlen allgemein außer Frage. Durch diese wird das emotionale Erleben strukturiert und »dramatisiert« und in ritualisierte Erzählungen einbettet, die kommunizierbarer sind als die »less formalized, fuzzier, and therefore emotionally less intense« (Illouz 1999: 178) Alltagserfahrungen. Menschliche Gefühle und Erfahrungen als »shapeless, unstylized, and open-ended flow of romantic relationships in everyday life« (Ebd.: 169) werden so in verdichteten kulturellen Erzählungen, die »mimicking the intensely ritualized temporal structure of mass media stories« (Ebd.) artikulierbar, welche wiederum Einfluss auf das subjektive emotionale Erleben und persönliche Erfahrungen haben. Auch Rosaldo (1984: 143) betont die Bedeutung von Geschichten für die Organisation von Gefühlen: »Feelings are not substances to be discovered in our blood, but social practices organised by stories that we both enact and tell. They are structured by our forms of understanding.«

Das, was Illouz (1999) mit der »Lost Innocence of Love« – alle Wörter für Liebe, alle Ausdrücke seien bereits besetzt und werden ständig recycled – bezeichnet, beschreibt Brunt (1988: 19) folgendermaßen: »The script for love has already been written and is being continually recycled in all the love songs and love stories of Western literature and contemporary media.«

Diese westlichen »love stories« werden über die Medien in andere Kulturen transferiert, die keine so etablierte und umfassende Tradition von medial verbreiteten Liebesgeschichten haben. Es kann dabei, in Aushandlung mit bestehenden lokalen kulturellen Konzeptionen und Semantiken, zu neuen Bedeutungsaufladungen dieser Semantiken und Ausdrücke kommen, die

W HAT‫ތ‬S LOVE GOT TO DO, GOT TO DO WITH IT ... | 59

von der ursprünglich implizierten Bedeutung deutlich abweichen können. Die Semantiken und Ausdrücke kommen infolge anders bzw. mit anderen sozialen Funktionen zum Einsatz. Romanzen beinhalten oftmals eine Utopie der Souveränität des Individuums über und gegen die Anforderung der Gruppe (vgl. Illouz 1997: 9). Unabhängig davon, wie genau die Beziehung zwischen »Modernität/Modernisierung« und »romantischer Liebe« zu fassen sein mag, wird romantische Liebe außerhalb von Europa oft als distinktiv moderner Beziehungsdiskurs wahrgenommen und etikettiert, vor allem dann, wenn sie als exklusive Basis für Partnerwerbung und Ehe und getrennt von Ökonomie und Verwandtschaft konzipiert wird (vgl. Lipset 2004: 208). Auch die Massenmedien indossieren die Repräsentationen/Inszenierungen von romantischer Liebe meist als modern und westlich und in Konflikt mit »traditionellen Werten und Normen« stehend. In Indonesien erstellen die Massenmedien eine visuelle Utopie von romantischer Liebe, die in Rhetoriken von Entwicklung, Modernität und Konsumismus eingebunden ist (vgl. Illouz 1997: 31). So kann romantische Liebe als Narrative der Rebellion auch in intergenerationalen Konflikten, als Narrative von Modernität, als Narrative von persönlicher Freiheit eingesetzt werden (ebd.). Burbank (1995: 193) zeigt beispielsweise auf, wie Ideen über Liebe bei jungen, dörflichen Aborigines in Australien, die sie in Interaktion mit Hollywoodfilmen generieren, ein Teil eines »paradigm of adolescent resistance« gegen erwachsende Autoritäten darstellen. Errington und Gewertz (1993) zeigen, wie junge Champri Menschen im Sepik-Gebiet in Papua Neu-Guinea durch ihren Wegzug in die Stadt und die daraus gewonnene räumliche Distanz zu ihren Eltern die Freiheit gewinnen, romantische Unternehmungen zu verfolgen, die sie als Teil von Modernität verstehen, ohne sich Sorge über die magische Rache ihrer Eltern machen zu müssen. Auch Abu-Lughod (1990: 36) setzt den Ausdruck von Liebesgefühlen in einer beduinischen Gesellschaft mit dem Ausdruck von Freiheit gleich, wenn sie sagt: »To love, or to express the sentiment of love, then, also signifies one’s freedom.« Ahearn (2001) zeigt auf, wie im ländlichen Nepal die soziale Praxis junger Menschen, Liebesbriefe zu schreiben, Teil eines Modernitätsdiskurses ist, indem dies mit »modern sein« und dem Ausüben von Freiheit korreliert wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob man auch die soziale Praxis junger Frauen in Makassar, (westliche) Liebesfilme zu schauen, als Ermächtigungspraxis verstehen kann, die mit dem Gefühl, frei und modern zu sein, korreliert wird und als Teil eines Unabhängigkeitsdiskurses gegen die ältere Generation zu verstehen ist.

II

Das Fernsehen in einer globalisierten Welt Theoretische und methodische Implikationen

1.

E INLEITUNG

Moderne Massenmedien wie das Fernsehen sind heutzutage zentraler Bestandteil des sozialen Alltags in nahezu allen Teilen der Welt. Auch in außereuropäischen Kulturen ist die in westlichen Entstehungszusammenhängen entwickelte Kommunikationstechnologie weit verbreitet und mittlerweile in den spezifischen lokalen Kontexten tief verwurzelt. Dennoch wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Fernsehen als soziale Praxis in außereuropäischen Kontexten oft auf den Westen als die Funktions- und Wirkungsweise des Fernsehens prägenden Ursprungskontext verwiesen. Das Fernsehen wird unter dem Vorzeichen des Imports einer westlich geprägten Technologie mit den ihn sie eingeschriebenen westlichen Wahrnehmungsdispositionen in andere kulturelle Kontexte oder als »imperialistisches« Medium betrachtet, das westlich geprägte Ideologien und Diskurse in Kulturen der »Dritten Welt« verbreitet. So wird es oft unter dem Vorzeichen der »Modernisierung« anderer kultureller Systeme im Sinne einer Orientierung an westlichen Entwicklungen und Subjektverständnissen betrachtet. Solchen postkolonial geprägten Betrachtungen, die sich mit medialen Globalisierungsprozessen und -phänomenen auseinandersetzen, unterliegt implizit oft die Vorstellung der kulturellen Unterwerfung von Mitgliedern anderer Kulturen als passive Opfer unter westliche Diskurse, Ideologien und Technologien. »Theorists of cultural imperialism assume that hegemony is prepacked in Los Angeles, shipped out to the global village, and unwrapped in innocent minds.« (Liebes/Katz 1990: v)

Der Import und die zunehmende Präsenz des Fernsehens werden oft mit dem Verlust lokaler Traditionen, mit der Formation eines modernen individualistischen Subjektverständnisses und mit Wandlungsprozessen indigener

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Kulturen im Sinne einer westlich orientierten Modernisierung in Zusammenhang gebracht. Selbst wenn sich dies im Laufe der Diskussionen der Medienethnologie geändert hat – man spricht nun vielmehr von Glokalisierung, von Synthese, von Hybridität, von Transnationalismus, von der lokalen Kreativität mit den globalen Technologien und Produkten, von alternativen, medialen Flüssen – sind diese Annahmen in vielen Studien, Forschungen und Forschungsfragen dennoch z. T. impliziert. Dies liegt m. E. auch mit daran, dass solche Annahmen über die Funktions- und Wirkungsweise der technologischen Apparate eine Tradition in den westlich geprägten Medien- und Filmwissenschaften haben und in das allgemeine unhinterfragte Wissen über Fernsehen und Medien eingegangen sind. »Technologies are unstable things. We think we know what a radio is, or what a cinema is used for, but these phenomena, which we take for granted, have often surprising histories. What media are needs to be interrogated and not presumed. The meanings attached to technologies, their technical functions, and the social uses of which they are put are not inevitable consequence but something worked out over time in the context of considerable cultural debate. And even then, these meanings and uses are often unstable, vulnerable to changing political orders and subject to the contingencies of objects’ physical life.« (Larkin 2008: 3)

In diesem Kapitel möchte ich mich genauer mit solchen Annahmen und epistemologischen Konzepten wie »Rezeption«, dem »Publikum« und Medienpraktiken auseinandersetzen, die Rezeptionsstudien epistemologisch prägen und durch diese theoretisch (weiter-)entwickelt wurden. Ich möchte darüber hinaus die Entwicklung des Fernsehens in Indonesien in seinen Diskurskontexten beschreiben, die Anschlüsse des Fernsehens zu anderen Medien- und Wahrnehmungsdispositiven aufzeigen und lokale Nutzungsanordnungen und die sozialen Funktionen und Nutzungspraktiken des indonesischen Fernsehens vor dem Hintergrund der Liebesdiskurse in Makassar aufzeigen. Dies soll dazu dienen, einen sensibleren Umgang mit dem Medium Fernsehen in Indonesien zu finden, der die lokalen Funktions-, Wirkungsund Nutzungszusammenhänge zu beschreiben versucht, um das Fernsehen nicht von vornherein gemäß unseren, durch eigene westliche (wissenschaftliche) Diskurse und Praktiken geprägten Vorstellungen als gegebenes Forschungsobjekt festzusetzen.

2.

M EDIA W ORLDS – EINE ETHNOLOGISCHE

P ERSPEKTIVE ?

Ethnologische Untersuchungen außereuropäischer Kulturen, die als »geschlossene«, »traditionelle« Gesellschaften konzipiert wurden, zielten in der Vergangenheit oft implizit auf die Konservierung kulturellen, »vormodernen« Wissens und die vom Westen und dessen Einfluss unberührten Tradi-

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tionen ab. Als potentielle äußere (Zer-)Störfaktoren wurden moderne Medien oft entweder als nicht zentral für die traditionelle Kultur angesehen oder ignoriert bzw. bewusst aus den Untersuchungen ausgeschlossen, um Modernisierungsprozesse und westliche Einflüsse auf die vermeintlich traditionelle Kultur hinter die als ursprünglich gedachten kulturellen Traditionen zu verbannen. Medien erinnerten zu stark an die westliche Modernität, als dass sie mit der »Tradition« und der »Vitalität des Lokalen« in Verbindung gebracht werden konnten (vgl. Ginsburg/Abu-Lughod/Larkin 2002: 3). Diese Ansicht kann in der von Kottak (1990: 2) einführend zu seiner ethnologischen Analyse über Fernsehen und Kultur gestellten Frage zusammengefasst werden: »Why should a cultural anthropologist, trained to study primitive societies, be interested in television, which is a creation of a complex, industrial society?«

Doch Medien waren als zentraler Bestandteil des sozialen Alltags auch von Ethnologen nicht mehr zu ignorieren, die diesen verursacht durch »[…] unexpected encounters with the popularity, power, or passion of media in particular locales« (Ginsburg/Abu-Lughod/Larkin 2002: 4) zunehmend mit wissenschaftlichem Interesse begegneten (vgl. hierzu die Arbeiten von Fischer 1990, Kottak 1990, A. Lyons 1990, H. Lyons 1990). Bis auf wenige Ausnahmen (vgl. hierzu Bateson 1943, Powdermaker 1950 und 1967, Mead/Metraux 1953, Worth/Adair/Chalfen [1972] 1997) geschah dies erst in den späten 1980ern als Konsequenz eines Paradigmenwechsels, durch den die Ethnologie als »anthropology of the present« (Fox 1991) konstituiert werden sollte. Zunehmend wandte man sich aktuellen kulturellen Prozessen zu, welche Globalisierung und interkulturellen Kontakt einschließen. Gleichzeitig rückte man nach und nach von dem Konzept ab, Kulturen als »geschlossene Einheiten« zu betrachten. Eine zentrale Anregung zu der zunehmenden Beschäftigung mit Medien in der Ethnologie bot Arjun Appadurai, der in seinem Artikel »Global Ethnoscapes: Notes and Queries for a Transnational Anthropology« (1991) die »mediascape« als zentrales Forschungsfeld für Ethnologen bestimmt, die dessen analytische und praktische Bedeutung in lokalen und transnationalen Kontexten erforschen müssten. Trotz dieser Anerkennung der sozio-kulturellen Bedeutung von Film, Fernsehen, Video und Radio als Teil des Alltagslebens auch in »nichtwestlichen« Gesellschaften blieben medienethnologische empirische Arbeiten zunächst jedoch noch weitgehend aus. Erst Ende der 1990er Jahre und zu Anfang des 21. Jahrhunderts entstanden vor allem im US-amerikanischen Wissenschaftsrahmen erste Publikationen in der Disziplin der Ethnologie, die sowohl theoretische Aspekte beleuchten als auch ethnographische Untersuchungen von Medien als soziale Praxis in außereuropäischen Kulturen vorstellten (vgl. Ginsburg 1991, 2002, Abu-Lughod 1993, 2005, Ginsburg/Abu-Lughod/Larkin 2002, Mankekar 1999, Askew/Wilk 2002, Rofel

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2007, Larkin 2008)42. Ginsburg, Abu-Lughod und Larkin (2002: 1) versuchen mit ihrem Sammelband »Media World. Anthropology on New Terrain«, »to use anthropology to push media studies into new environments and examine diverse media practices that are only beginning to be mapped«. Während gedanklich der Rückgriff auf theoretische Ansätze und methodologisches Werkzeug der Medienwissenschaften angelegt ist, sehen die in dem Sammelband vereinigten Autoren die ethnologische Spezifik im theoretischen Umgang mit Medien darin, Medienrezeption und -produktion als Teil eines Sets alltäglicher Praktiken und Diskurse zu verstehen, durch welche diese komplexen Handlungen der Rezeption und Produktion selbst konstituiert werden (vgl. Silverstone 1994: 133). Medien werden so als ein Aspekt des kontemporären sozialen Lebens verstanden, der essentiell nicht von anderen sozialen Institutionen wie Recht, Ökonomie, Verwandtschaft, Sozialorganisation, Kunst und Religion zu unterscheiden sei (vgl. Askew 2002: 10). Die Aufgabe dezidiert ethnographischer Studien sei es, die Verbindungen zwischen Medienpraktiken und dem kulturellen Referenzrahmen herauszuarbeiten und zu betonen (ebd.). Im Zentrum stehen dabei die sozialen Akteure und ihre Medienpraktiken wie auch ein radikaler Kontextualismus, der zu begrüßen ist. Zentral für die Entwicklung der Subdisziplin der Medienethnologie sind ohne Zweifel die Cultural Studies, wie auch diese selbst von ethnologischen Arbeiten und Methoden inspiriert sind. Erst als es unter aktiver Beteiligung der Cultural Studies zu einem Paradigmenwechsel kommt, bei der die Vorstellung eines »aktiven und kreativen Rezipienten« die des »passiven Medienkonsumenten« der Frankfurter Schule43 ersetzt, rücken die Medienpraktiken in ihrem spezifischen sozio-kulturellen Kontext stärker in den Vordergrund. Die daraus abzuleitende Forderung nach einer radikalen Kontextualisierung von Medien in ihrem spezifischen Umfeld wurde, wie ich später aufzeigen werde, von den Cultural Studies in ihren theoretischen Annahmen und Konzepten jedoch nicht entsprechend umgesetzt wird.

42 In Deutschland war die Medienethnologie bis vor Kurzem eher wenig entwickelt. Derzeit jedoch formieren sich an einigen deutschen Universitären dezidierte medienethnologische Studien- und Forschungsbereiche wie zum Beispiel am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin unter Direktion von Frau Prof. Dr. Urte Undine Frömming, am Exzellenzcluster »Asia and Europe in a Global Context« in Heidelberg unter Leitung von Frau Prof. Dr. Christiane Brosius und am Institut für Kulturwissenschaft an der Universität Bremen unter Leitung von Frau Prof. Dr. Dorle Dracklé. 43 Mit »Frankfurter Schule« werden eine Gruppe neomarxistischer Wissenschaftler, die sich um das 1923 gegründete Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main versammelten, und die Vertreter der dort begründeten Kritischen Theorie bezeichnet. Die bekanntesten Vertreter der Frankfurter Schule sind Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.

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Der »ethnographic turn« in der Medienwissenschaft, der sich als Teil des eigenen wissenschaftlichen Paradigmenwechsels sowie durch die intensivere Betrachtung der jeweilig sehr unterschiedlichen sozio-kulturellen Rezeptionskontexte abzeichnete, bewirkte eine Flut an empirischen Studien konkreter Rezeptionssituationen. Bei diesen geraten die Medien als Apparate, die durch ihre technische Materialität Wahrnehmungsdispositionen und Subjektpositionen festlegen, und eine textuelle Betrachtungsweise von Medien und ihren Texten aus dem Fokus der Forschung. Man widmet sich der aktiven Interpretation der Medientexte und den komplexen Aushandlungsprozessen der Zuschauer im Spannungsfeld mit ihrem sozio-kulturellen Umfeld an sich. Dabei wird der Medientext theoretisch als eigenständiges Objekt, das von sozialen Subjekten »gelesen« werde, von seinen Trägermedien losgelöst – ganz entgegen McLuhans Konzeption »The medium is the message« (McLuhan [1964] 1987: 7). Die Rezeption wird als relativ fixierte Bedeutungsgeneration aus der dem Rezeptionsprozess unterliegenden Textinterpretation angesehen, die in Abgleich mit den »dominanten encodierten Textbedeutungen« als »Vorzugslesart«, als »oppositionelle Lesart« oder als »ausgehandelte Lesart« gesehen wird. Gleichzeitig basiert der Begriff der Rezeption auf der Vorstellung eines der Rezeption gegenübergestellten Textes, der als »self-identical work […] can be rezipiert« (Weber 1996: 141 zit. nach Stauff 2004: 82). Wie jedoch später aufgezeigt wird, erweist sich eine solche Sichtweise als reduktionistisch und wird der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht. Ich werde ein anderes Verständnis von Rezeption entwickeln, das von der konkreten Rezeptionssituation gelöster ist und diese als situativ, nicht zeitlich fixiert und prozessual nicht von anderen sozialen Praktiken und Kommunikationskontexten getrennt ansieht. Das reduktionistische Rezeptionsverständnis der Medienwissenschaften, das zu eng auf die isolierte Interaktion zwischen Zuschauer und einem spezifischen Medientextobjekt abstellt, soll korrigiert und Rezeption durchgängig als soziale Praxis beschrieben werden.

3.

D IE K ONZEPTION

DER

Z USCHAUER

In den 1970ern konstituierte sich an dem Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) an der University of Birmingham eine theoretische, in sich relativ heterogene neue Schule der British Cultural Studies, auch als Birmingham School of Cultural Studies bezeichnet, zu deren prominenten Vertretern Stuart Hall, David Morley, John Fiske und Ien Ang gehören. Sie etablierte und vereinte sich weitestgehend an der Kritik an der Frankfurter Schule, die vor allem durch die Arbeiten von Adorno und Horkheimer geprägt war44. Diese konzeptualisierten das Massenpublikum vor dem Hinter-

44 Besonders bedeutsam war dabei ihr gemeinsames Werk »Dialektik der Aufklärung« von 1947.

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grund zeitgenössischer Fragen nach der massenmedialen Propaganda der beiden Weltkriege pessimistisch als passive Opfer der Medienindustrie. In den 1920ern und 1930ern entstand bei diesen Überlegungen die »massculture thesis« (vgl. Brooker/Jermyn 2003: 5). Die moderne Gesellschaft sei durch den Zusammenbruch sozialer Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu charakterisieren, was zu einer Masse entfremdeter Individuen führe, die durch herrschende Ideologien geführt und kontrolliert werden könnten. Dieser Annahme folgten auch Adorno und Horkheimer in ihrer Theorie der »Kulturindustrie« (vgl. Adorno 1991 und 2003: 55 und Adorno/Horkheimer [1947] 2006). Sie nahmen dementsprechend an, dass unter gegebenem Medienstimulus eine quantifizierbare Publikumsreaktion zu identifizieren und vorherzusehen sei. Diese Phase der Publikumsforschung ist auch unter dem Begriff des hypodermic needle-Modell bekannt, das von Harold D. Lasswell ([1927] 1971) entwickelt wurde, einem einfachen Stimulus-Response Ansatz, bei dem die Medien als eine Art Narkotikum konzeptualisiert werden, die dem Publikum die Botschaft eines Textes direkt injizieren würden (vgl. Brooker/Jermyn 2003: 6). Fragen nach den Einflüssen von Subjekte strukturierenden sozialen und kulturellen Zugehörigkeiten wie Klasse, Ethnizität, Gender und Religion auf die Medienrezeption wurden dabei nicht berücksichtigt. Modifiziert wurde diese der Frankfurter Schule unterliegenden Vorstellung durch Lazarsfeld et al. ([1944] 1968), die anhand von Studien zur medialen Beeinflussung von Wahlverhalten in den USA feststellten, dass die Beziehung zwischen Publikum und Medien weniger direkt sei, als das Stimulus-Response-Modell vermuten ließ. Es sei angemessener, von einem Zweistufenfluss von Informationen zu sprechen, bei dem die medialen Informationen über Meinungsführer zu den weniger aktiven Mitgliedern des Publikums gefiltert werden würden. Dabei erhalten die Meinungsführer dieser Konzeption zufolge eine freiere Rolle in der Bedeutungsgenerierung der Medienbotschaften, als von Vertretern der Frankfurter Schule angenommen wurde. Lazarsfeld et al. (vgl. ebds.) weisen darauf hin, dass Meinungsführer nicht nur vertikal, sondern ebenso horizontal fungieren. So könnten lokale, soziale und familiäre Loyalitäten, Verpflichtungen und Zwänge die Veränderungen in Meinungen und Verhalten mit sich bringen, die aus Medientexten gewonnen werden. Die Vorstellung des Publikums als eine Masse isolierter, nicht miteinander in Verbindung stehender Individuen wird hier durch die Konzeption von in verbundenen und überlappenden sozialen Netzwerken miteinander interagierenden Individuen ersetzt (vgl. Brooker/Jermyn 2003: 6f.). War dies nur ein erster Schritt der Korrektion des Konzepts passiver Medienrezipienten, gehen Vertreter der Cultural Studies noch einen Schritt weiter. Sie konzipieren die Zuschauer als aktive Handlungsagenten, die mit den in sich multidiskursiv strukturierten Medientexten aktiv und kreativ umgehen und Bedeutungen auf Basis von Gruppenzugehörigkeiten und an-

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gesichts ihres sozio-kulturellen Kontextes aushandeln würden. Wurde die Rezeption zuvor als einseitiger Informationsfluss angesehen, bei dem die Macht auf Seite des Medientextes und der Medienproduktion lag, die Botschaften vermitteln, werden hierbei – trotz des neu proklamierten Freiheitsmanifestes des aktiven Zuschauers – die potentiellen Interpretationen der Zuschauer als soziale Subjekte von vornherein als durch ihre soziale und kulturelle Zugehörigkeiten beschränkt angesehen. Die Frage der Macht im Rezeptionsprozess wird also nicht gänzlich aufgelöst, sondern auf Zuschauer strukturierende Machtdiskurse und -strukturen, die ihre »Identität« bestimmen, auf deren Basis sie den Medientext interpretieren, umgelenkt. In der medientheoretischen Debatte rücken damit Fragen nach der Medienrezeption als aktives Aushandlungsfeld von Bedeutungen sowie die sozio-kulturellen Kontextualisierungen der Rezeption und der Zuschauer in den Vordergrund. Die Zuwendung zum Rezipienten als aktives bedeutungsgenerierendes Subjekt eingebettet in ein konkretes sozio-kulturelles (Rezeptions-)Umfeld und die Ausrichtung auf empirische Mikrostudien im Gegensatz zu dem vorhergehenden Fokus auf hegemoniale Machtstrukturen, wie dies in Auseinandersetzung mit den Medien in den kulturpessimistischen Theorien der Frankfurter Schule zum Ausdruck kam, zeugen von der gegenseitigen Fruchtbarmachung der verschiedenen Disziplinen der Ethnologie und der Medienwissenschaft. Die Aufforderung, nun empirisch zu arbeiten und die Rezeption mit ethnologischen Methoden wie teilnehmender Beobachtung in den Fokus des Interesses zu stellen, scheint zunächst kompatibel mit medienethnologischen Forschungen und epistemologischen Annahmen zu sein. In »The Nationwide Audience« (1980) bezeichnet David Morley die Beziehung zwischen dem Publikum und den ideologischen Operationen des Fernsehens als explizit empirische Frage. Qualitative empirische Untersuchungen mit einer kleinen Gruppe von Menschen, die durch teilnehmende Beobachtung ergänzt sei, seien die beste (und einzige) Art, um mehr über den unterschiedlichen Umgang von Menschen mit dem Fernsehen zu erfahren. In der Folge wurden qualitative Methoden breiter akzeptiert als quantitative. Empirische Studien über die Medienrezeption dominieren die medientheoretischen Fragestellungen der Cultural Studies, und auch medienethnologische Studien zeigen unerwartete Lesarten von westlichen Medienprodukten in anderen Kulturen auf (vgl. die Studien von Lull 1980, 1988, Hobson 1982, Liebes 1984, Radway 1984, Ang 1985, Jensen 1986, Lindlof 1987, Liebes und Katz 1990, Michaels 1994, Miller 1994, Leuthold 1995). Im Folgenden werden exkursartig Konzeptionen der Rezeption der Cultural Studies an zwei konkreten Beispielen vorgestellt. Daran schließe ich kritische Überlegungen zum Rezeptions- und zum Dispositiv-Begriff des Fernsehens an, bevor ich zusammenfasse, wie ich in dieser Arbeit »Rezeption« konzipiere und das Fernsehen als soziale Praxis betrachten werde.

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3.1

Exkurs I: Die verschiedenen Lesarten nach Stuart Hall

In seiner Formulierung des »Encoding-Decoding«-Modells spricht sich Stuart Hall (1980, 1994) für die Möglichkeit unterschiedlicher Interpretationen von Medientexten sowohl während des Prozesses der Produktion als auch der Rezeption aus. Er lehnt damit die Vorstellung von Massenkommunikation als transparentem und einseitigem Prozess ab, bei dem stabile Bedeutungen von einem Sender zum Empfänger transportiert werden. »[M]eaning can never be finally fixed. If meaning could be fixed by representation, then there would be no change – and so no counter-strategies or interventions. Of course, we do make strenuous efforts to fix meaning – that is precisely, what the stereotypings are aspiring to do, often with considerable success, for a time. But ultimately, meaning begins to slip and slide; it begins to drift, or be wrenched, or inflected into new directions.« (Hall 1997: 270, Hervorh. i. O.)

Hall verabschiedet so die Vorstellung von der determinierenden Macht dominanter Ideologien und verschiebt die Frage nach der Wirksamkeit von Ideologien von der Ebene der Encodierung auf die Ebene der Decodierung45. Aufgrund unterschiedlicher sozio-kultureller Zugehörigkeiten – Hall betont hierbei vor allem die Klassenzugehörigkeit – von Subjekten, die ihre Lesarten beeinflussen würden, und des polysemen textuellen Charakters ließen sich nicht a priori Aussagen über die Rezeption von Medientexten treffen, auch wenn sich repräsentationale textuelle Strategien ausmachen ließen, die bestimmte Interpretationen über andere privilegieren würden (preferred readings). Die verschiedenen Lesarten haben Hall zufolge so keine kommunikative, sondern eine gesellschaftliche Grundlage. Hall unterscheidet zwischen drei idealtypischen Positionen bezüglich der Decodierung eines medialen Textes. Mittels der »Vorzugslesart« werde ein Medientext gemäß dem herrschenden ideologischen System, gemäß den Interpretationen, die die textuellen encodierten Strategien nahelegen, decodiert. Sie liege dann vor, wenn der Zuschauer die konnotativen Bedeutungen des medialen Textes voll und ganz übernehmen, und die Botschaft so im Sinne des Referenzcodes, mit dem sie codiert wurde, auch decodieren würde. Die »oppositionelle Lesart« liegt Hall zufolge dann vor, wenn der Zuschauer die codierte Bedeutung des Textes zwar versteht, diese aber gänzlich ablehnt, da er sie im Rahmen eines alternativen Bezugsrahmens, in direkter Opposition zum hegemonialen Code interpretiere. Bei der »ausgehandelten Lesart« akzeptierten die Zuschauer grundsätzlich die dominanten Definitionen von Situationen und Ereignissen, passten jedoch die dominante Interpretation gemäß ihren eigenen sozialen Erfahrungen an lokale Situationsbedingungen an. Sie enthalte demzufolge auch oppositionelle Elemen-

45 Dabei ließen sich »encoding« und »decoding« in der sozialen Praxis nicht voneinander trennen, dies könne man nur zu analytischen Zwecken tun.

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te. So konstruiere der Zuschauer in Interaktion mit dem Text mittels eigener sozialer und lokaler Sinnsysteme aktiv eine Bedeutung (vgl. Winter 1997: 50). Hall begreift sein Modell als vorläufig und weist darauf hin, dass die beschriebenen Decodierungspositionen keine soziologischen Beschreibungskategorien darstellen würden. »Audiences are clearly moving between the three positions; so they’re positionalities, they’re not sociological entities. It remains for empirical work to say, in relation to a particular text and a particular section of the audience, which readings operate.« (Hall 1994: 265)

3.2

Exkurs II: Die Polysemie der Texte nach John Fiske

John Fiske ist einer der wichtigsten Vertreter der Cultural Studies, dessen Studien zur Fernseh- und Populärkultur (Fiske 1987, 1989a, 1989b) sehr bekannt geworden sind. Er gehörte jedoch nie zum engeren Kreis der Birmingham School of Cultural Studies. Fiske knüpft theoretisch an das »Encoding-Decoding«-Modell von Hall an. Er begrüßt die Konzeptualisierung von Medientexten als nicht geschlossen und damit nicht in erster Linie den Zuschauer ideologisch manipulierend. Fiske wendet sich bei seiner Konzipierung des Rezeptionsprozesses dem Zuschauer als soziales Subjekt und seiner gesellschaftlichen Situation zu. Ihm zufolge könne der Zuschauer Bedeutungen produzieren, indem er die von der dominanten Ideologie nahe gelegten Bedeutungen moduliere. Fiske kritisert jedoch Halls konzeptuelle Beschränkung auf die Klassenzugehörigkeit – als Positionierung in Bezug zur dominanten Ideologie – als ausschlaggebender sozialer Faktor für die Decodierung von Medientexten. Fiske (vgl. 1992: 285) versucht, diesen Reduktionismus zu korrigieren, indem er andere sozio-kulturelle Faktoren wie Gender, Ethnizität, Nation, Altersgruppe, Religion, Berufsgruppe, Bildung, politisches Zugehörigkeitsgefühl, etc. als »equally significant producers of social difference« ansieht (vgl. hierzu auch Morley 1980). Zudem weist Fiske darauf hin, dass die Medienrezeption gewöhnlich ein Aushandlungsprozess zwischen dem jeweiligen Text und den unterschiedlich gesellschaftlich situierten Lesern sei, dominante oder oppositionelle Lesarten seien selten. Fiske geht darüber hinaus, anders als Hall, nicht von einer singulären Vorzugsbedeutung medialer Texte aus, sondern von Präferenzstrukturen, die bestimmte Bedeutungen nahelegen, während sie andere in den Hintergrund drängen. »A popular text, to be popular, must have points of relevance to a variety of readers in a variety of social contexts, and so must be polysemic in itself, and any one reading of it must be conditional, for it must be determined by the social conditions of its reading.« (Fiske 1989a: 141)

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So analysiert Fiske unterschiedlichste populäre Texte, zeigt deren Unabgeschlossenheit, ihre widersprüchliche Struktur, ihre Inkonsistenzen auf und demonstriert, wie eng populäre Texte auf die gesellschaftliche Realität zu beziehen seien. Er sieht die Rezeption und Aneignung von Texten als soziale Ereignisse, in denen sich gesellschaftliche Antagonismen und Differenzen manifestieren würden. Da er populäre Texte als Teil der Zirkulation von Bedeutungen sieht, welche die Kultur ausmachen, bezieht Fiske sie immer auf die möglichen Kontexte ihrer Rezeption. Im Gegensatz zu der Position radikaler Dekonstrukteure konstatiert Fiske jedoch Grenzen der Interpretation populärer Texte, die sowohl durch ihre strukturierte Polysemie als auch durch historische und soziale Faktoren wie die Rezeptionskontexte bedingt seien. Demzufolge könne man die Bedeutung eines Textes nicht allein aus seiner Analyse erschließen, sondern erst in sozialen Rezeptions- und Aneignungskontexten komme es zu einer temporären Fixierung von Bedeutungen. Fiske sieht mediale Repräsentationen als Diskursereignisse, die immer bereits Spuren anderer Diskurse enthalten und die Realität überhaupt erst als artikulatorische Praxis verfügbar machen würden (vgl. Winter 1997: 52–59). Auch Morley (1980) geht davon aus, dass ein Text im Prinzip auf unendlich verschiedene Arten gelesen werden kann, in der Praxis jedoch die Gruppenmitgliedschaften und die sozialen Faktoren des Zuschauers, wie Alter, Ethnizität, soziale Klasse und politische Überzeugung, die potentiellen Interpretationen limitieren und formen würden (vgl. Brooker/Jermyn 2003: 92).

4.

K RITISCHE Ü BERLEGUNGEN

4.1

Zur Problematisierung des Rezeptionsbegriffs

Zum Zeitpunkt des Erscheinens von David Morleys »The Nationwide Audience« (1980) war der kritische Diskurs über Film und Fernsehen hauptsächlich von der Apparatustheorie und von poststrukturalistischen und psychoanalytischen Positionen v. a. im Rahmen der bekannten Zeitschrift Screen dominiert. Den Zuschauern wurde dabei lediglich aus der Perspektive als im Text angelegte Subjektpositionen Beachtung geschenkt, die rein formalistisch, aus der Technik und dem Apparat der Medien, abzuleiten seien. Der tatsächliche, empirisch zu beobachtende Zuschauer und der Begriff der Rezeption waren hierbei uninteressant. Erst durch »The Nationwide Audience« rückten der Zuschauer und sein sozialer Kontext ins Zentrum des medienwissenschaftlichen Interesses. »By looking at how one text could be encoded in different ways by different groups of social subjects, Morley’s intention, in which he was successful, was to demonstrate that encounters between texts and viewers are far more complex than the textu-

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alist theory would suggest; they are overdetemined by the operation of a multiplicity of forces – certain historical and social structures, but also other texts – that simultaneously act upon the subjects concerned.« (Ang 1996: 38)

Dies hatte einen Paradigmenwechsel zur Folge, der die Entwicklung der Cultural Studies bewirkte, die die Fernsehrezeption infolge als dialogische kulturelle und soziale Praxis konzipiert, die eine Aushandlung von Bedeutungen je nach sozio-historischem und kulturspezifischem Kontext mit sich bringe. Dennoch muss das »neu entstandene« Paradigma des »aktiven Zuschauers« vor dem Hintergrund der eigenen theoretischen Annahmen der Cultural Studies kritisch betrachtet werden. »The ’active audience’ has been held up as a rejection of all that classical critical theory – especially that of the Frankfurt School trajectory – has been committed to criticize: the increasing commercialization and commodification of the cultural and media industries. The emphasis on the ’active audience’ has been taken to be a refutation of the thesis, derived from this line of critical theory, that the masses are ’victims’ of the system, arguing instead that because audiences are ’active’ in their pursuit of pleasure from watching TV – making their own choices and meanings – popular television is a site of cultural democracy rather than cultural oppression. But this rendering of the ’active audience’ is an unneccessarily narrow one, too preoccupied with finding a ’correct’ critical position about popular television – a position which, depending on your standpoint, would be either optimistic or pessimistic. […] In other words, I want to see the discursive emergence of the ’active audience’ as a sign of heightened cultural contradiction in contemporary society.« (Ang 1996: 9)

Ang deutet das neue Paradigma des »aktiven Publikums« so lediglich als eine banale Beobachtung und keineswegs als wissenschaftliche Neuerfindung. Das »aktive Publikum« sieht sie vielmehr selbst als »mythical discursive figure quintessentially attached to postmodernization of the capitalist cultural industries« (Ebd.: 11). In der Betonung der oppositionellen Lesart46 – also entgegen den intendierten dominanten Bedeutungen der Medientexte – wurden die Aktivität und Freiheit des Rezipienten von encodierten dominanten Bedeutungen gefeiert und die Zentralität des sozialen Kontextes für die Bedeutungsgenerierung herausgestrichen. Um dieses »Freiheitsmanifest« des Lesers vom Text in Abgrenzung zu »alten« theoretischen Annahmen zu bestärken und bestätigen und dadurch den wissenschaftlichen Paradigmenwechsel zu begründen, waren Vertreter der Cultural Studies meist darum bemüht, empirische

46 In den Cultural Studies werden meist drei voneinander zu unterscheidende Lesarten konzipiert: Neben den oppositionellen Lesarten – also entgegen den dominanten Bedeutungsstrukturen des Textes – unterscheiden sie die dominanten Lesarten – entsprechend den dominanten Bedeutungsstrukturen des Textes – und die ausgehandelten Lesarten.

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Beispiele für oppositionelle Lesarten zu »suchen«. Die Einteilung verschiedener Lesarten in soziologische Kategorien von »Vorzugslesart«, »oppositionelle Lesart« und »ausgehandelte Lesart« muss kritisch betrachtet werden. Sie simplifiziert m. E. die komplexeren Rezeptionsprozesse entscheidend. Auch Stefan Kramer äußert hierzu Kritik: »Es [das Publikum] bezieht sich in seiner kulturellen Reproduktion – metonymisch – zwar unmittelbar auf das Ausgangsmaterial, zu dem das Fernsehdispositiv und die Fernsehtexte, aber auch zahlreiche weitere Einflüsse gehören. Dabei folgt das Publikum allerdings weder einer hegemonialen Vorgabe, noch widerspricht es dieser durch die Errichtung von Widerstandsdiskursen oder ist in der Lage, einen Kompromiß mit ihr auszuhandeln, wie es das kulturelle Rezeptionsmodell von David Morley und Kevin Robins als Möglichkeiten der Rezeption eigentlich vorsieht [vgl. Morley/Robins 1995]. Vielmehr folgt das Publikum in seinem Wahrnehmungs- und Rezeptionsprozeß weitgehend einer unabhängigen, an multiple materielle und immaterielle Bedingungen gebundenen Struktur von Bedeutungsproduktion. Darunter machen die Dispositionen und die konkreten Bedeutungsangebote des Fernsehens nur einen geringen Teil aus […].« (Kramer 2006: 21)

Dadurch, dass Zuschauer als soziale Subjekte, die sozio-kulturell bereits vorstrukturiert seien bzw. deren spezifischer Lebenskontext potentielle Textinterpretationen gemäß inhärenten Machtpositionen einschränke, verstanden werden, verlagert sich die Frage nach der Macht dabei in die jeweiligen subjektspezifischen Kontexte und Vorstrukturierungen. Zuschauer werden dabei nicht als völlig frei und unabhängig angesehen. »While uses and gratifications researchers generally operate within a liberal pluralist conception of society where indivdiuals are seen as ideally free, that is, unhindered by external powers, in cultural studies, following Marxist/(post)structuralist assumptions, people are conceived as always-already implicated in, and necessarily constrained by, the web of relationships and structures which constitute them as social subjects. This doesn’t mean that they are stripped of agency like preprogrammed automatons, but that that agency itself, or the ’negotiations’ subjects undertake in constructing their lives, is overdetermined (i.e. neither predetermined nor undetermined) by the concrete conditions of existence they find themselves in.« (Ang 1996: 41)

Dieser Ansatz erfordert eine radikale Kontextualisierung der Zuschauer und ihrer Medienpraktiken in den spezifischen strukturellen und kulturellen Prozessen, in denen die jeweilige Rezeption zu verorten ist. Dies macht eine ethnologische, holistisch konzipierte Forschung für die Rezeptionsforschung unerlässlich. Trotz der empirischen Ausrichtung der Cultural Studies wird dies jedoch nicht umfassend gewährleistet. Meist wird die Rezeptionssituation als relativ isoliert von anderen kulturellen Prozessen betrachtet, und die Forschung zielt auf eine relativ fixierte Bedeutungsgeneration spezifischer Medientexte

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ab, die eher unter dem komparatistischen Aspekt von Differenzen in den Lesarten von Subjekten unterschiedlicher sozialer und kultureller Gruppenzugehörigkeiten evaluiert wurden. Die Medientexte werden dabei von ihrem Trägermedium, dessen Einbettung in soziale Kontexte, Diskurse und Nutzungspraktiken und von anderen kulturellen Diskursen und bereits rezipierten Texten relativ isoliert. Wie sich auch später in meinen Forschungsergebnissen aufzeigen lässt, sind Medientexte jedoch nie von anderen, bereits rezipierten Texten wie auch von kulturellen Diskursen um diese und kulturellen Konzepten allgemein zu trennen. »Intertextuelle Zusammenhänge […] sind für die Bedeutungskonstitution in zumindest gleichem Ausmaß von Relevanz wie die formale Struktur eines einzelnen Werkes. […] Jede Aktualisierung eines textuellen Produkts geschieht vor dem Hintergrund und im Kontext anderer textueller Produkte, die eine je neue ›Lektüre‹ hervorbringen, insofern sie den Signifikanten andere Artikulationen verleihen, neue Akzentsetzungen vornehmen, etc. Auch hier könnte an die ›Rezeption‹ als Lösung verwiesen werden – etwa indem rekonstruiert würde, wie eine Person oder eine Gruppe ein Werk selektiv ›aneignet‹ und dabei seine Teilelemente auf die Teilelemente anderer Werke bezieht. Damit würde allerdings wiederum ein vollkommen willkürlicher Einschnitt in den Semioseprozess vorgenommen und der ›Rezeption‹ ungerechtfertigterweise ein besonderer Stellenwert zugesprochen. […] Was unter dem Etikett ›Rezeption‹ als eine Gegenseite zum Zeichenprozess vorgestellt wird, ist somit Teil eines fortlaufenden Semiose-, Umcodierungs- oder Relektüreprozesses. Dieser findet gleichermaßen zwischen verschiedenen Texten (Intertextualität), verschiedenen Medien und unterschiedlichen Praktiken statt.« (Stauff 2004: 92)

Darüber hinaus stellt sich angesichts des eingeforderten und notwendigen Kontextualismus von Rezeptionsforschungen die Frage, was die Fernsehrezeption als ein, von anderen alltäglichen kulturellen Praktiken, durch die Menschen symbolische Bedeutungen und Sinn für ihr Leben kreieren, zu trennender Forschungsbereich überhaupt legitimiert. Der Forschungsgegenstand kann nicht auf eine so enge Konzeption von Rezeption als Interaktion zwischen Zuschauer und einem spezifischen Medientextobjekt in einer an den Akt des Medienkonsums geknüpften Zeitspanne reduziert werden, dem ein Moment der Bedeutungsfixierung folge. Eine Rezeptionsforschung muss zwingenderweise alle multidimensionalen intersubjektiven Netzwerke von Diskursen und sozialen Praktiken beachten, in welche die Medienrezeption und die Medienpraktiken eingebettet sind und durch die die Rezeption wie auch die Medien erst Bedeutung zugeschrieben bekommen. Die Rezeption muss selbst offener verstanden werden. Sie realisiert sich nicht nur im konkreten Akt des Medienkonsums, sondern auch in anderen kommunikativen Bereichen, die ebenso Beachtung finden müssen (vgl. hierzu Kapitel A.II.5). Ähnlich argumentiert auch Stauff (2004: 92):

74 | L IEBE IN I NDONESIEN »Auch wenn die Bedeutungen eines Textes erst in der ›Rezeption‹ realisiert werden sollten, hat diese ›Rezeption‹ weder einen sicheren Ausgangspunkt außerhalb des textuellen Prozesses, noch mündet sie in ein ›Außen‹ jenseits des textuellen Prozesses; sie bleibt immer ein Teil der Praktiken, die Bedeutungen gleichermaßen artikulieren wie aufschieben. Womit der Begriff der Rezeption wenn nicht überflüssig so zumindest unpassend wird.«

Aufgrund des zirkulären Charakters von Rezeptionsprozessen, bei denen sich im weitesten Sinne Texte, Lektüre, soziale Praktiken wechselseitig konstituieren, lassen sich die Bedeutungskonstitution und der Lektüreprozess eines Medientextes nicht von anderen kulturellen Prozessen und anderen Texten (und Diskursen) trennen. Der dem Moment der Rezeption zugeordnete gesonderte Status widerspricht ihrer zirkulären Verflechtung mit anderen Texten, Diskursen und sozialen Praktiken. Dies bedeutet, dass kein eindeutiger Moment der Rezeption auszumachen ist, in dem sich Bedeutungen fixieren, die in anderen Situationen und unter anderen sozialen Praktiken konstant bleiben und der Begegnung mit einem Medientext zuzuordnen sind. »Auch wenn sich fraglos Praktiken auf Medien beziehen und sich an Medien binden, lässt sich keine zeitlich oder örtlich abgrenzbare ›Begegnung‹ zwischen einem Medienprodukt einerseits und einer als dessen ›Rezeption‹ figurierenden Praxis andererseits aus dem medienkulturellen Geflecht herauslösen. Fragmente und Teilelemente medialer Produkte und kultureller Praktiken werden nicht in einem Text oder in einem Kopf, sondern in übergreifenden Prozessen der Intertextualität oder Hegemoniebildung funktional aufeinander bezogen. Schließlich stellt sich grundlegend die Frage nach dem methodischen Stellenwert der ›Rezeption‹ (bzw. nach der epistemologischen Funktion): Wenn die Konstitution von Bedeutung in der fortlaufenden Differenzierung und wechselseitigen Bezugnahme vielfältiger (Inter-) Textualitäten und ebenso vielfältiger Praktiken vorangetrieben wird; wenn dabei auch (vorübergehende) Stabilisierungen nur relational und prozesshaft zustande kommen, dann bleibt es fragwürdig, mit der Kategorie der ›Rezeption‹ einen willkürlichen Punkt zu postulieren, an dem eine – sei es endgültige, sei es lediglich besonders aussagekräftige – Bedeutung aufzufinden sein soll. Bedeutungsprozesse wie Machtverhältnisse realisieren sich eher in Durchgangs- als in Endpunkten.« (Stauff 2004: 97)

Wie ist nun damit umzugehen, dass Rezeption als epistemologisches Konzept per se problematisch ist, wenn man dennoch Medienpraktiken und sich auf Medientexte beziehende Bedeutungsgenerierung in den Fokus der Forschung stellen möchte. Zunächst einmal scheint es notwendig, die Gegenüberstellung von Medienangeboten und deren Aneignung aufzulösen, indem man im Sinne einer dichten Beschreibung die Ebene der Praktiken in den Blick rückt. Dabei tauchen mediale Versatzstücke zwar kontinuierlich in ihrer konkreten situativen Auslegung und Funktion auf, werden jedoch nicht auf konkrete »vorgängige« Angebote rückbezogen und eindeutig mit ihnen

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korreliert. Medien und auf Medien bezogene Praktiken haben dabei methodologisch keinen prinzipiell anderen Stellenwert mehr als andere kulturelle Praktiken. Zentral wird dabei also eher, wie über Medien gesprochen wird, wie und wozu man sich konkret auf sie rückbezieht, als die Annahme einer konkreten fixierten Bedeutungsgeneration auf einen definierbaren Moment der Rezeption, die sich auf einen konkreten Medientext bezieht (vgl. Stauff 2004: 121). Der kulturelle Kontext ist nicht als den sozialen Praktiken vorgängig zu verstehen. Vielmehr konstituieren die Praktiken den Kontext wie auch die Medientexte selbst. Damit meine ich, dass soziale und kulturelle Identitäten nicht den Umgang mit Medien bestimmen, sondern diese durch die Medienpraktiken auch selbst konstituiert werden, und zwar situativ und temporär flexibel je nach sozialer Situation und Funktion (vgl. Stauff 2004: 124). Dies geht also eher einher mit der sogenannten »dritten Generation« empirischer Zuschauerforschung, in der es nicht mehr um die »tatsächliche Rezeption« von Medientexten47, sondern eher um ihre diskursive Konstitution durch Äußerungen von Zuschauern geht: »one studies the range of frames and discourses on the media and their contents as a topic in its own right, not a lens through which to peek into individual acts or reception« (Alasuutari 1999: 13). Ein solcher geforderter Kontextualismus betrifft jedoch auch andere epistemologische Annahmen, die die Funktions- und Wirkungsweise der Medien betreffen. Diese werden oft – ohne diese in dem jeweiligen lokalen Kontext und seinem komplexen Bedeutungsgeflecht sowie vor dem Hintergrund der sozio-historischen Entwicklung (der Diskurse und Praktiken) zu verorten – gemäß eurozentristisch geprägten Erkenntnissen und Annahmen der westlichen Medien-/Filmwissenschaft als unveränderbar angenommen. »It is precisely the idea of profound embeddedness of television consumption (and of media consumption in general) in everyday life, and therefore its irreducible heterogeneity and dynamic complexity, that has been a central emphasis within culturalist audience studies, although the epistemological bearings of this emphasis, which amount to a form of radical contextualism, are not always thoroughly understood. Of course it is true that the recognition of diversity in audience activity has been a major strand in the development of social-scientific audience research, ranging from uses and gratifications research to reception analysis to observational work on television’s social uses within the family. But many of these studies still seem to start out from a conceptualization of television itself as a given phenomenon with fixed features and intrinsic potentials which can then be used or interpreted in different ways by different audience groups. From a radical contextualist perspective, however, television’s meanings for audiences – textual, technological, psychological, social – cannot be decided upon outside of the multidimensional intersubjective networks in which the

47 Sie distanzieren sich generell von der Annahme, dass es eine »tatsächliche« Rezeption mit fixierten Bedeutungen gibt, und sind so keineswegs bestrebt, darüber Aussagen zu treffen.

76 | L IEBE IN I NDONESIEN object is inserted and made to mean in concrete contextual settings.« (Ang 1996: 69f.)

So ist nicht nur das Konzept von Rezeption, das vielen Rezeptionsforschungen unterliegt, zu hinterfragen. Sondern auch, was Medien bedeuten, wie sie in einem bestimmten sozio-kulturellen Kontext »wirken«, welche sozialen Funktionen ihnen zukommen und an welche Diskurse und Nutzungspraktiken sie gekoppelt sind, ist für den spezifischen Kontext zu bestimmen. »[W]e must let go of such an ahistorical assumption of pregiven fixity of what television is, in the recognition that the meanings of television within the domestic realm only emerge within contextualized audience practices. […] To put it more generally, both ’television’ and ’audience’ are fundamentally indeterminate categories: it is impossible to list a priori which possible meanings and characteristics each category acquires in any specific situations in which people engage in television consumption. As a result of this contingency of meaning, the range of potential variety in audience practices and experiences becomes exponentially multiplied, indefinite if not infinite. Which meanings are concretely actualized, however, remains undecided until we have caught the full, multicontextually determined situation in which historical instances of television consumption take place.« (Ang 1996: 70)

In diesem Sinne soll im folgenden Kapitel eine kritische Auseinandersetzung mit dem Dispositiv-Begriff des Fernsehens erfolgen. 4.2

Fernsehen als Dispositiv?

An dieser Stelle sollen Annahmen über die Funktions- und Wirkungsweise des Fernsehens als Dispositiv, die im Kontext einer westlich geprägten Medien- und Filmwissenschaft entstanden sind, vor dem Hintergrund des konkreten Forschungsfeldes kritisch hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert werden. Dabei gehe ich generell nicht davon aus, dass Ansätze, die das Fernsehen als Dispositiv beschreiben, – zumindest solche, die relativ offen sind48 – zwangsläufig für andere außereuropäische Kontexte ungültig seien. Dennoch ist es zentral, die lokalen apparativen Anordnungen und Nutzungsweisen nachfolgend für den indonesischen Kontext zu spezifizieren und sich möglicherweise von allgemeingültigen universalen Prinzipien, die oft selbst in sehr spezifischen wissenschaftlichen Diskurszusammenhängen und vor bestimmten sozio-historischen Hintergründen entstanden sind, zu verabschieden. Die Entwicklung der Technologien der Fotografie, des Films und des Fernsehens vollzog sich zunächst im Rahmen westlicher Kunst- und Wahrnehmungstraditionen, die sich z. T. auch in die Technik eingeschrieben ha-

48 Vgl. hierzu die Ansätze von Winkler (1992) und Hickethier (1995) und die folgende Fußnote 49.

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ben und durch dieselbe materialisiert wurden. Aus diesen Überlegungen bildete sich in der Medienwissenschaft eine Richtung, die Medien als Dispositiv verstehen, um so ihren Untersuchungsgegenstand genauer zu fassen und zu klassifizieren. »Das Dispositiv ist ein Konstrukt oder ein Denk- und Beschreibungsansatz gerade medialer Phänomene, in dem materielle Gegebenheiten und Beschaffenheiten apparativer, technischer Objekte mit physiologischen, psychologischen, epistemologischen und soziologischen Strukturen verschränkbar gemacht werden.« (Engell 2001, 41 zit. nach Stauff 2004: 142)

Der Dispositiv-Begriff wird in der Medienwissenschaft unterschiedlich zum Einsatz gebracht. Oft werden zum Zwecke der Differenzierung von Medien Einzelmedien als Dispositive verstanden. Dies zielt dann vor allem auf deren genauere Gegenstandsfassung und -beschreibung ab. Medien können jedoch auch als Teile von übergreifenden Dispositiven verstanden werden. Aus der zweiten Sicht wäre das Fernsehen dann »keine selbstverständlich [sic!] Einheit, sondern ein Konglomerat von narrativen, journalistischen, visuellen, statistischen u.v.a. (Hilfs-)Dispositiven, die vom Medium – zumindest in einzelnen Genres oder Formaten – reproduziert, gestreut und gestützt werden und diesem dadurch eine Vielzahl an Effektivitäten verleihen« (Stauff 2004: 144f.). Bei Untersuchungen über das Eindringen des Fernsehens als westliche Technologie in andere kulturelle Zusammenhänge wird das Fernsehen jedoch meist gemäß dem Ansatz eines Einzeldispositivs beschrieben, gerade weil der »Zusammenprall« des westlichen Mediums mit traditionellen Wahrnehmungs- und Kunsttraditionen im Fokus des Interesses steht. Dabei spielt der in der Technik materialisierte »westlich-bürgerliche« Blick eine große Rolle, der durch die Nutzung des Fernsehens, das durch seine materiellen Anordnungen49 dem Zuschauer bestimmte Subjektpositionen vorgibt, imperialistische Machteffekte auf ihn ausübe und so tra-

49 Der Film impliziere in seiner Technik und seiner Medienanordnung beispielsweise die Zweidimensionalität des Blicks, Realitätseffekte der filmischen Bilder durch unsichtbaren Schnitt, die optische Bevorteilung der weißen Hauptfarbe durch die Kameratechnik, die psychoanalytische Gleichsetzung der Filmrezeptionssituation mit Platons Höhle, durch die apparative Anordnung gewährleistete Gefangennahme des gaze (der an das filmische Bild gefesselte Zuschauerblick), etc. Entstammen diese Annahmen der von Jean-Louis Baudry geprägten Apparatustheorie des Kinofilms, die davon ausgeht, dass bereits die technische Grundlage des Kinos »spezifische ideologische Effekte« produziere (vgl. Baudry 1974/75: 41), wurden diese oft unhinterfragt auch auf das Medium des Fernsehens übertragen (vgl. Adorno 1953). Dieser Transfer der theoretischen Annahmen auf das Medium Fernsehen hat jedoch Korrekturen durch die Arbeiten von Hartmut Winkler (1992) und Knut Hickethier (1995) erfahren, deren Ansätze ich als offenere Dispositivansätze des Mediums Fernsehen bezeichnen würde.

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ditionelle Wahrnehmungstraditionen und -dispositionen verändern könne. Die technische Materialität von Medien wird dabei als konstitutiver Teil der Medienbotschaften und als Basis der Wirksamkeit oder Funktion von Medien verstanden. Entsprechend McLuhans Diktum »The Medium is the Message« ([1964] 1987: 7) legten die Medien selbst, und nicht ihre Inhalte, bestimmte Kommunikations- und Wahrnehmungsstrukturen fest und prägten die Organisation von Zeit und Raum. Damit könnten sie auch zur konstitutiven Voraussetzung gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen werden (vgl. Stauff 2004: 148). Auch Winkler (1992: 69) stellt fest, »[…] zunächst dringen bestimmte Inhalte in die Maschinerie ein und geben ihr die spezifische Struktur, Form und Funktion. So, wenn der ’bürgerliche’, raumbeherrschende Blick in der materialen Struktur der Kamera vergegenständlicht, dort also quasi ’festgeschrieben’ wird. Dann aber ist ein zweiter Schritt zu benennen. In der Folge nämlich wird die Maschine diesen Blick reproduzieren, und sie wird beliebigen Inhalten aufprägen, was ihr selber aufgeprägt worden ist«, was wiederum Auswirkungen auf die Wahrnehmungsstrukturen von Menschen haben könne und ihnen Subjektpositionen nahelege. Liegt der Nachdruck hier auf den Machteffekten, die relativ ungehindert durch die technische Maschinerie auf Menschen übertragen werden würden und nicht weiter in ihrem Umfeld kontextualisiert werden, relativiert Winkler (ebd.: 239) im Hinblick auf den Forschungsgegenstand des Fernsehens, dass »sich in der Tat Indizien für eine Entmysthifizierung der technischen Bilder, und speziell des Films und der filmischen Apparatur ausmachen« ließen. Vor allem hinsichtlich der Struktur des Programmflusses des Fernsehens und der Praktik des Zappings, die selbst wiederum durch die technische Entwicklung der Fernbedienung ermöglicht wurde und weitreichende Folgen für die Wirkung und Funktionsweise des Mediums mit sich bringe, relativiert er die einseitigen Machteffekte des Fernsehens, die Zuschauer in klar definierte Subjektpositionen brächten. Er weist darüber hinaus auf apparative Erweiterungen hin, welche die einst flüchtigen Bilder dem subjektiven Zugriff zugänglich machen, wie beispielsweise der Videorekorder. Dadurch bekäme der Zuschauer mehr Machtspielraum im Umgang mit den Medien und als Folge würden diese selbst anders »funktionieren« als vor den zusätzlichen technischen Innovationen. Die potentielle Speicherung von Filmbildern, die man dadurch wiederholt rezipieren, vor- und zurückblättern, durch die man Szenen isolieren, einzelne Frames stilllegen kann, etc., führe dazu, dass Bilder nicht länger flüchtig sind, sich nicht mehr entziehen können, sondern dem subjektiven Zugriff zugänglich werden (vgl. ebd.: 240). Dadurch wird dem Mediennutzer größere Macht als in klassischen Dispositiv-Verständnissen, die vor allem auf die technische Apparatur des Kinos gemünzt waren, zugeschrieben. Da Winker auch sich wandelnde Nutzungspraktiken, die Einfluss auf die Wirkung der Fernsehbilder haben, beschreibt, versteht er das Dispositiv des Fernsehens so auch als durch soziale Praktiken von Nutzern mitkonstituiert.

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»Als ein zweiter Faktor, die in dieselbe, oder eine ähnliche Richtung wirkt, tritt die Veränderung der Rezeptionsgewohnheiten hinzu. Die Ausweitung der Kanäle, das Überangebot des filmischen Materials, passagere Rezeption, Switching, sowie die Nutzung des Fernsehens als ein Hintergrundmedium für die verschiedensten häuslichen Tätigkeiten – all das hat einen ’blasierten’, oder im Benjaminschen Sinne ’testenden’ Rezipienten entstehen lassen, der das Gebotene zwar nicht ’durchschaut’, sich von dieser Tatsache aber in keiner Weise gefangen nehmen lässt.« (Ebd.)

Durch das zunehmende Rezeptionsvolumen des Fernsehens trete das einzelne Werk dabei zwangsläufig in den Hintergrund, die »redundanten, wiederkehrenden Strukturen« (ebd.) jedoch umso mehr in den Vordergrund. Dadurch verliere der Weltbezug der Bilder an Bedeutung, und das Vertrauen in die referentielle Kraft der Bilder werde geringer (vgl. ebd.: 241). Zudem setzten sich gerade ästhetische Mittel im Fernsehen durch – vor allem im Bereich der Werbung und der Musikvideos – »die das Realismusversprechen der technischen Bilder in bisher nicht gekannter Weise beschädigen. Die extrem schnellen Schnitte, Bildüberlagerungen und Überblendungen, der Einsatz von Split-Screen-Techniken und vor allem die Einbeziehung von Schrift und graphischen Elementen stellen einen direkten Angriff auf den filmischen Raum, seine Kontinuität und seinen ’Naturcharakter’ dar; der filmische Raum, so könnte man sagen, zerfällt im Stakkato disparater visueller Eindrücke, und an die Stelle eines ruhigen, die Dinge, Personen und Handlungen auf der Leinwand verfolgenden Blicks tritt das blitzschnelle Identifizieren im hohen Maße differenter Bildelemente« (ebd.). Winkler spricht von einer Krise der Realbilder. Es werde zunehmend auf das Gemachte der Bilder zurückgewiesen und auf den Modus der Abbildung referiert. Die Ära der Realbilder neige sich Winkler zufolge seinem Ende zu. »Von einem Verbergen der Maschinerie [wie beim Kinoapparat] und ihres vermittelnden Charakters also wird kaum mehr gesprochen werden können, der Anspruch auf ’Transparenz’ wird zurückgenommen und der Zeichencharakter des Produkts liegt offen zutage.« (Ebd.: 242)

Auch wenn neuere Dispositiv-Verständnisse des Fernsehens, die der Vorstellung des einstig »überwältigten« spectator des Kinos mit seinem auf die Leinwand zentrierten Blicks (gaze) der Apparatustheorie entgegengestellt sind, auf die fließende Programmstruktur des Fernsehens hinweisen, auf den aktiven Zuschauer, der zwischen den Programmen um- bzw. sie auch abschalten oder aufzeichnen kann und diese als viewer mit einem flüchtigen Blick, dem glance, verfolgt, bleiben diese dennoch oft Vorstellungen von Macht- und Subjekteffekten der Medien verhaftet. So tauchen selbst bei Knut Hickethier (1995), der zwischen historisch unterschiedlichen Ausformungen des Fernsehens differenziert und annimmt, dass das Fernsehen vor dem Hintergrund seines sozio-historischen Wandels verschiedene dispositive Strukturen ausgebildet habe, wie auch Überlegungen zur apparativen

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Anordnung zugunsten der Fokussierung der Programmstruktur in den Hintergrund rückt, diese Machteffekte immer wieder auf und zwar beinah umso stärker, je mehr sie durch die scheinbar offene Fernsehprogrammstruktur versteckt seien (vgl. Stauff 2004: 171). Hickethier (1995) konzipiert das Fernsehen als ein Ort der Aushandlung verschiedener Diskurse und Positionen, wenn er es in Rückbezug auf Newcomb/Hirsch (1986) als ein »kulturelles Forum« beschreibt, das »als Begleitinstanz von Modernisierungsprozessen [erscheint], die nicht nur auf der Ebene rationaler Argumentation und informeller Entscheidungen durchzusetzen sind, sondern auch in der Steuerung der Verhaltensweisen bei emotionalen Einstellungen, affektiven Reaktionen und deren Habitualisierung stattfinden. Was an Verhaltensweisen gesellschaftlich angemessen, was »modern« und »zeitgemäß«, was überholt oder adäquat erscheint, bedarf zur breiten gesellschaftlichen Durchsetzung und ständigen Aktualisierung einer intensiven Modellierung der Zuschauer« (Hickethier 1995: 72). Dabei erscheine das Subjekt als unabhängig, sei aber in die vielfältigen Machtstrukturen der Medien eingebunden, die so subtil Interessen vertreten, dass die Lenkung des Zuschauers gemäß den vielfältigen Machtstrukturen verborgen bleibe. Gerade durch seinen unauffälligen und »demokratischen« Charakter könne das Fernsehen so sehr wirksam Machteffekte auf den Zuschauer ausüben. Ähnlich argumentieren Elsner und Müller (1995: 392), dass gerade durch die Habitualisierung des Zuschauers an das Medium Fernsehen als »unspektakuläres, undramatisches, ja fast langweiliges Ausstattungselement moderner Kommunikation […] gerade deshalb, weil es nicht mehr auffällt, Wirkung entfalten kann«. Auch Fues (2005: 149) betont, dass das Fernsehen »[…] kein Fenster zur Welt, sondern selbst primäre Lebenswelt« sei. So verleite das Fernsehen laut Fues (ebd.: 153) nicht zu einer Nachahmung bestimmter Inhalte, sondern »[leite] zur Nachahmung seiner selbst als einer umfassenden Sozialisationsform [an]«. Dies sei durch die »Unmittelbarkeit einer Bilderwelt« gegeben, die vorgebe, »in jedem Augenblick der Repräsentation totale Präsentation zu sein« (ebd.). Auch dieser Sicht zufolge sei das Subjekt dem Fernsehen als umfassende Sozialisationsform komplett ausgeliefert. Sozio-kulturelle Kontexte, lokale kulturelle Diskurse und soziale Praktiken, die Rezeptionsprozesse mitkonstituieren, sowie lokalspezifische sozio-historische Einbettungen des Fernsehens in eigene Wirkungsund Funktionszusammenhänge und kulturelle Diskurse werden hier ausgeblendet. Beispielsweise würde ich für den Forschungskontext meiner Studie zu den dispositiven Eigenschaften des Fernsehens in Indonesien addieren, dass – auch gemäß den Kontexten der Einführung des Fernsehens in Indonesien als öffentliches Medium und den differenten Strukturen öffentlicher und privater Räume in Indonesien – die Gemeinschaftlichkeit und die kollektiven Diskussionen der Medieninhalte einen zentralen Teil des Fernsehdispositivs darstellen. Auch wenn Überlegungen, Medien als Dispositive zu fassen, dazu beitragen, mediale Mechanismen zu präzisieren, muss jedoch für die jeweilige

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Forschungsfrage entschieden werden, wie weit man mit solchen Modellen kommt, die »den Medien eine (allzu) eindeutige Identität verleih[en], aus der Macht- und Subjekteffekte unmittelbar abgeleitet werden können« (Stauff 2004: 149f.). Natürlich steht damit außer Frage, dass Medien Menschen ein Repertoire an Bildern, Semantiken und Diskursen zur Verfügung stellen, auf das sie zurückgreifen können, um fragmentierte Teile der Gesellschaft in das Ganze eines Sozialkörpers zu imaginieren (auch im Sinne einer »national imaginary« gemäß Anderson 1983), normative und evaluative Klassifikationen und Hierarchien zu erstellen, und das Soziale mit Bedeutung zu versehen (vgl. hierzu Machart 2005: 230). Aber entscheidend dabei ist, wie, wann und warum sie welche Bilder, Semantiken und Diskurse verwenden und wozu sie dies tun. »This is the first of the great cultural functions of the modern media: the provision and selective construction of social knowledge, of social imaginary, through which we perceive the ›world‹, the ›lived realities‹ of others, and imaginarily reconstruct their lives and ours into some intelligible ›world-of-the whole‹, some ›lived totality.‹« (Hall 1979: 340f. zit. nach Machart 2005: 230)

Medienbilder und -diskurse sind entscheidend an der Konstruktion von Wirklichkeit beteiligt. Dabei werden die medial verbreiteten Inhalte jedoch stets in konkreten lokalen, sozio-kulturellen Settings – in Indonesien meist kollektiv – verhandelt und mit kultureller Bedeutung versehen. Jedoch ist dieser Prozess nicht einseitig zu betrachten, so wirken Medienbilder und -diskurse nicht nur auf die Menschen ein, sondern werden von diesen auch bewusst für kommunikative Zwecke (beispielsweise zur Konstruktion von Identitäten) eingesetzt. Sie wirken nicht nur als Konsensmanufakturen, als »signifying institutions« (Hall 1977: 86), die daran beteiligt seien, eine imaginär kohärente konsensuelle Ordnung, eine konsensuale Imagination zu schaffen (vgl. Machart 2005: 230), sondern Menschen können diese auch dazu einsetzen, sich eben dieser konsensuellen Ordnung kontinuierlich zu entziehen. Durch die multiplen Interpretationen in changierenden Kommunikationszusammenhängen, aber auch durch die gleichzeitige Aktivierung von verschiedenen Bedeutungen (beispielsweise kollektive versus individuelle Bedeutungen, die zeitgleich produziert werden können und miteinander in einem Bedeutungsverhältnis stehen), werden über Medieninhalte und -praktiken nicht nur »Identität« und »Differenz« konstruiert, sondern zeitgleich auch aufgehoben, dekonstruiert und umgekehrt.

5.

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ALS SOZIALE

P RAXIS

Die Neuperspektivierung der Cultural Studies auf den aktiven Zuschauer, die scheinbar die Frage nach der Macht der Texte über den Leser auf die Macht des Lesers über die Texte verschiebt, basiert nicht auf einer theoreti-

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schen Neukonzeption von Medien an sich. Diese werden auch hier konstant als dispositive Anordnungen gesehen, die Machteffekte auf Subjekte ausüben oder intendieren, die sich diesen Machtmechanismen höchstens entziehen oder aktiv widersetzen könnten. Die Rezeption wird dabei als relativ stabile und zeitlich fixierte Bedeutungszuschreibung gesehen, die in Interaktion mit konkreten spezifischen Medientexten vonstattengehe. Die Rezeption eines Medientextes durch eine bestimmte Gruppe sei so als zeitlich fixierte Bedeutung wissenschaftstheoretisch vom Forscher abrufbar. Neben einer Kritik an dieser starren und fixierten Vorstellung der Rezeption, des Rezeptionsmoments und der Rezeptionsobjekte müssen zwei weitere Aspekte kritisiert werden: 1. Obwohl implizit nach wie vor von aus dem Medium und den Medientexten resultierenden potentiellen Machteffekten ausgegangen wird, die den Lesern preferred readings nahelegen, wird der Medientext in den Rezeptionsstudien konzeptuell von seinem Übergangsmedium, das seine materielle Basis bildet, abgetrennt. Die Bedeutung des Mediums in seinem spezifischen Kontext als selbst zentraler Teil eines Geflechtes von lokal spezifischen Diskursen, Praktiken und Strukturen, tritt dabei gegenüber dem Medientext als eigenständiges, losgelöstes, lesbares Objekt in den Hintergrund. 2. Die agency und Interpretationen des Lesers als soziales Subjekt gelten als von vornherein durch seine soziale und kulturelle Zugehörigkeit gemäß implizierten Machtstrukturen beschränkt. Gruppenidentitäten werden als ontologische Einheiten der Rezeption vorangestellt, die sich auf Basis eben dieser vollziehe. Die kulturellen Prozesse und Diskurse wie auch soziale Praktiken, die solche Gruppenzugehörigkeiten erst konstituieren und konstruieren, finden demzufolge keinen Eingang in die Analyse. Bleibt zunächst einmal eine angemessene Reflexion über Identitätskonstruktionen50 aus, deutet auch die Annahme, dass Prozesse, Diskurse und soziale Praktiken der Identitätskonstruktionen der Rezeption vorgeschaltet seien, darauf hin, dass die Medienrezeption hier nicht als Teil eines Sets alltäglicher Praktiken und Diskurse angesehen wird, durch welche diese komplexen Handlungen der Rezeption und Produktion selbst konstituiert werden (Silverstone 1994: 133, vgl. Kapitel A.II.2). Diese Ansichten sind auf Basis der Ergebnisse meiner Arbeit zu korrigieren. Anstatt »Identitäten« und »Gruppenzugehörigkeiten« als ontologische Ein-

50 Bei dieser müsste bedacht werden, dass sich »Identitäten« durch soziale Praktiken und kommunikative Handlungen in verschiedenen sozialen Situationen immer neu aktualisieren und diese Konstruktionsleistungen durchaus widersprüchlich sein können, dass Mehrfachzugehörigkeiten häufig sind, dass es Diskrepanzen zwischen Identitätsnarrationen und subjektiv wahrgenommener »Identität« geben kann, etc.

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IN EINER GLOBALISIERTEN

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heiten dem Rezeptionsprozess vorgängig zu betrachten, zeigt meine Arbeit, dass diese vielmehr in widersprüchlichen Operationen durch die Medienrezeption selbst – sowohl gemeinschaftlich als auch individuell – (re)konstruiert werden. Die Medienrezeption ist so selbst ein zentraler Teil der aktiven kulturellen Konstruktion von Größen wie »Identität« und »Differenz« von Akteuren, wie an dieser Arbeit zu sehen sein wird. Die Medientexte werden dabei jedoch nicht lediglich dazu verwendet, (kulturelle) Identitäten und Differenzen zu konstruieren, sondern diese werden auch in die jeweiligen Medientexte selbst hineinkonstruiert. Dadurch wird es unmöglich, sie als eigenständige, »self-identical« (Weber 1996: 141) Texte von kulturellen Diskursen und bereits rezipierten Texten zu trennen. Wie auch die Medientexte als Objekte untrennbar in einem Geflecht kultureller Diskurse, anderer Texte und sozialer Praktiken verwoben sind, muss auch die Rezeption offener konzipiert werden. Sie kann nicht als zeitlich fixierte Interaktion zwischen Rezipient und Rezeptionsobjekt (Medientext) angesehen werden, aus der eine fixierbare Bedeutung resultiert. Rezeption schließt dabei meiner Begriffsbestimmung nach alle kommunikativen, aber auch nicht-kommunikativen Situationen mit ein, bei denen Menschen sich auf Medientexte oder Versatzstücke medialer Bedeutungen implizit und explizit (rück-)beziehen, um Bedeutungen oder Erklärungen für eigenes Verhalten oder eigene Auffassungen zu konstruieren oder ihnen auf Basis kultureller Diskurse sowie persönlicher Erfahrungen Bedeutungen zuzuschreiben. Rezeption wird hier also nicht als eine stabile Bedeutungsfixierung angesehen, sondern prozessual als alle Bereiche durchziehende kulturelle Konstruktionsleistung, die einen zentralen Teil des sozialen Alltags von Menschen ausmacht. Sie kann demzufolge sehr widersprüchliche, situativ changierende Bedeutungskonstruktionen beinhalten und zur Basis ganz unterschiedlicher Identitätskonstruktionen werden. In ihrer Komplexität ist sie so nur in dem komplexen Netzwerk kultureller Diskurse und sozialer Praktiken beobachtbar, welches das Alltagsleben von Menschen ausmacht. Die alleinige Fokussierung auf eine Situation (beispielsweise vor dem Fernseher), in der sich eine Rezeption realisiert, sowie die Korrelation der Rezeption mit einzelnen, isolierten Medientexten sind vor diesem Hintergrund für die vorliegende Arbeit eher hinderlich, weil die realen komplexen Prozesse dadurch unangemessen vereinfacht und die sozialen Funktionen und Nutzungsweisen des Fernsehens vor dem Hintergrund der Aushandlung kultureller Identität anhand des Liebesdiskurses nicht genau genug darstellbar werden. Aus diesem Grund überwiegen in dieser Arbeit methodologisch narrative und autobiographische, wie auch gegenstandsbezogene (Rezeptionskontexte, Medientexte, Medienstrukturen, Liebeskonzeptionen, etc. betreffende) Interviews, die mit Beobachtungen konkreter Fernsehsituationen aber auch allgemeiner teilnehmender Beobachtung des sozialen Alltags und der Analyse von Medientexten in ihren »redundanten, wiederkehrenden Strukturen« (Winkler 1992: 240) kombiniert und kontrastiert werden. Rezeption wird als komplexer und etliche soziale Kommunikationssituationen

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und Konstruktionsleistungen durchlaufender Prozess, also nicht direkt mit spezifischen Medientexten, in Verbindung gebracht, weswegen auch die Textobjekte als konkrete Forschungsgegenstände bei dieser Arbeit stärker in den Hintergrund rücken. Die Studie ist stärker darauf fokussiert, wie die Medientexte bzw. -formate vor dem Hintergrund kultureller Identität und Differenz konstruiert und für persönliche Narrative verwendet werden, also wie sie bereits in kollektive und individuelle Bedeutungskonstruktionen impliziert sind und wie auf Basis kultureller Diskurse in sie selbst Differenzen konstruiert werden – ungeachtet des tatsächlichen Materials. Diese Vorstellung von Rezeption erscheint zunächst möglicherweise als zu offen, und es müssen natürlich Fragen gestellt werden, wo und ob man Medienrezeption diesem Verständnis nach von anderen Kommunikationsweisen und sozialen Handlungen überhaupt noch abgrenzen kann und muss. Jedoch verbaut m. E. das enge Verständnis der Cultural Studies von Rezeption als eine alle Widersprüche und Komplexitäten ignorierende oder übersehende vereinheitlichende MetaRezeption, die Bedeutungen fixiert, das Verständnis der komplexen, multiplen und widersprüchlichen Prozesse, die Bedeutungsgenerierungen und Konstruktionsleistungen entscheidend mitbestimmen, ganz entscheidend. Des Weiteren ist es notwendig, das Medium Fernsehen in indonesischen Funktionszusammenhängen, Diskursen, Anordnungen und sozialen Praktiken zu kontextualisieren. Es geht dabei nicht nur um die Frage, wie das andere kulturelle Umfeld auf diese (neue) Technologie reagiert, sondern auch darum, wie sich die Bedeutung, die sozialen Funktionen und die Nutzungsweisen des Fernsehens durch den Kulturtransfer möglicherweise verändern. Ich behaupte nicht, dass das Fernsehen in Indonesien etwas komplett anderes darstellt als in westlichen Kontexten. Dennoch ist es m. E. zwangsläufig notwendig, seine kulturelle Spezifik herauszuarbeiten. Kulturelle Raumkonzepte, aber auch Emotionskonzepte, Genderrollen, etc. können so genauso zentral zum Verständnis des Fernsehens, seiner Nutzungsweisen und sozialen Funktionen sein wie Fragen nach Switching und Zapping, der Programmstruktur, etc. In medienethnologischen Untersuchungen muss dieser Problematik besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um nicht Annahmen, die sich auf das Fernsehen in unserer Kultur beziehen, und daran anschließende kulturelle Konzepte unhinterfragt auf andere sozio-kulturelle Kontexte zu übertragen. Aus diesem Grund soll das Fernsehen im folgenden Kapitel in seine spezifischen sozio-historischen Entwicklungskontexten in Indonesien eingeordnet werden.

B Die Fernsehrezeption romantischer Fiktionen in Makassar

I

Das Fernsehen in Indonesien

Dieses Kapitel soll zunächst einen kurzen sozio-historischen Überblick zur Entwicklung des Fernsehens in Indonesien geben, die es einbettenden Diskurse über seine sozialen und politischen Funktionen und die Konzeptionalisierung des Publikums durch die Produzenten der Fernsehindustrie aufzeigen. Es soll weiterhin die Ausdifferenzierungen und Entwicklungen verfolgen, die das Fernsehen vor dem Hintergrund der politischen Veränderungen und zunehmenden industriellen Globalisierung erfährt51. Auch die Senderstrukturen, die institutionellen Regulatoren und die Verbreitung des Fernsehens im indonesischen Archipel werden kurz dargestellt. Am Ende des Kapitels gehe ich dann kurz auf die lokalen apparativen Nutzungsanordnungen ein, die in Kapitel B.III.1 detaillierter für den spezifischen Forschungskontext diskutiert werden.

1.

S OZIO - HISTORISCHER Ü BERBLICK

1.1

Der erste staatliche Fernsehsender TVRI

Der erste staatliche Fernsehsender TVRI (Televisi Republik Indonesia) in Indonesien nahm seinen Dienst im August 1962 unter der Staatsführung Sukarnos auf. Die ersten Ausstrahlungen zeigten die Feiern des 17. Jahrestags der indonesischen Unabhängigkeit in Jakarta am 17. August 1962 und die Übertragung der vierten Asian Games (vom 24. August bis zum 12. September), einem athletischen Sportwettkampf, der im Turnus von vier Jahren in Asien abgehalten wird. Die Asian Games fanden 1962 unter Teilnahme von 16 asiatischen Nationen in Indonesiens Hauptstadt Jakarta statt.

51 Da es wenige detaillierte Arbeiten zum Fernsehen in Indonesien gibt, stützt sich dieses Kapitel vor allem auf eine Studie von Philip Kitley (2000), der sich mit dem Fernsehen im Orde Baru Regime Indonesiens befasst. Für genauere Analysen zu diesem Thema vgl. Kitley 2000 und Sen/Hill 2000.

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Am 23. Oktober 1961 erteilte Indonesiens Präsident Sukarno dem damaligen Minister für Information, Maladi, der sich seit 1952 um die Einführung der Fernsehtechnologie in Indonesien bemühte, mit, dieser solle das Fernsehen als Informationsmedium in Indonesien etablieren (vgl. Kitley 2000: 22). Es folgte eine zehnmonatige Phase der Planung, des Trainings und des Aufbaus. Das Fernsehen wurde zunächst der Yayasan Gelora Bung Karno (Stiftung des Geistes von Sukarno), einer sozialen Wohlfahrtstiftung unter direkter Kontrolle des Präsidenten, unterstellt. Ein formal am 25. Juli 1961 per Ministerialentscheid einberufenes Komitee unter der Führung Maladis plante infolge die Einführung des Fernsehens in Indonesien. Maladi war als Leiter des offiziellen Radio Rundfunkdienstes Radio Republik Indonesia (RRI) von 1946 bis 1959 ein erfahrener Radio-Rundfunksprecher. Er hatte durch seine Tätigkeiten als Leiter der ersten indigenen Radiostation Solosche Radio Vereeniging (SRV) in der Kolonialzeit unter den Niederlanden sowie als Leiter der Rundfunkstation Hosu Kyoku unter japanischer Herrschaft ausgiebig Erfahrungen im politischen Rundfunk gesammelt. Sein Interesse galt vor allem dem Fernsehen als Medium der Ausstrahlung und Inszenierung sportlicher Spektakel, als potentes Instrument der symbolischen Definition und Konstruktion einer indonesischen nationalen Identität sowie als massenorientiertes Zugangsmittel zu formaler und informaler Bildung (vgl. ebd.: 23). Auch Sukarno selbst hatte unter japanischer Besetzung Erfahrungen mit dem Radio als politisches Propagandainstrument gesammelt und unterstützte Maladis Plan, das Fernsehen zu Staatszwecken einzusetzen: Als einer der nationalen Führer hatte er über die Rundfunkkanäle sein Wort an die indonesische Gemeinschaft gerichtet und war sich der Nützlichkeit des Mediums zu Führungszwecken durchaus bewusst. In der Vorbereitungsphase formierte Maladi ein Team von Rundfunksprechern des indonesischen Radios und Filmemachern aus dem staatlichen Filmzentrum Pusat Perfilman Negara (PFN). Achtzehn dieser Techniker und Produktionsangestellten schickte er zu einem dreimonatigen Training zu dem nationalen Rundfunksender NHK (Nippon Hoso Kyokai) nach Japan. Der spätere Direktor von TVRI (1971–1975), Sumartono Tijitrosidojo, der in Sydney Ingenieurswesen studiert und als Techniker für Hoso Kyoku in Solo gearbeitet hatte, kehrte nach seiner Graduation an der University of New South Wales in Sydney, Australien, nach Indonesien zurück, um unter technischer Kollaboration mit Douglas Cole, seinem früheren Dozenten, an dem Planungskomitee teilzunehmen. Acht japanische Ingenieure waren darüber hinaus unter der Führung von Tetsuo Imai von NEC (Nippon Electric Company) in der Entwicklungsphase der Studio- und Technikfazilitäten für die Asian Games beteiligt. NHK Techniker und Reporter assistierten dem indonesischen Team auch während der Spiele. So entwickelte sich das Fernsehen in Indonesien seit seinen frühsten Entstehungsjahren in einem transnationalen Kontext von Produktion und Austausch von Hard- und Software.

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Am stärksten waren japanische, australische und englische Einflüsse an der Entwicklung des indonesischen Fernsehens beteiligt (vgl. ebd.: 27). Eine Woche vor Beginn der Asian Games beging Sukarno die Geburtsstunde von TVRI mit einer dreieinhalb Stunden andauernden Live-Übertragung der festlichen Riten zum Anlass des 17. Jahrestags der Unabhängigkeitserklärung Indonesiens. »Symbolically, then, TVRI and the Indonesian nation share the same ritual beginnings, and it is this twinning that has linked TVRI since its first broadcast to the political processes of nation building and the construction and circulation of ideas of national culture.« (Ebd.: 28)

Das entstehende Fernseh-Rundfunksystem schloss an bestehende dispositive Traditionen des Radios (sowohl des niederländischen als auch des japanischen Rundfunksystems) in Indonesien an, die sich durchaus widersprüchlich gegenüberstanden. War das niederländische Rundfunksystem in Indonesien ein sehr plurales, dezentralisiertes System mit zahlreichen Stationen in indigener Hand (kollektiv Radio Ketimuran – Radio des Ostens – genannt), leitete die japanische Besetzungsmacht, die vom 1. März 1942 bis zum 15. August 1945 die Herrschaft der früheren Netherlands Indies übernahm, zahlreiche Veränderungen des Rundfunksystems ein. Dabei wurde das neu entstandene Fernseh-Rundfunksystem in dem unabhängigen Indonesien von den persönlichen Rundfunk-Erfahrungen der an seiner Entstehung mitwirkenden, konzeptionalisierenden und exekutiven Mitglieder, welche im Kontext mit dem japanischen politischen Rundfunksystem standen, stark beeinflusst. Direkt nach der Besetzung durch Japan wurden die existierenden Radio-Rundfunkstationen dem japanischen PropagandaDepartement Sendenbu unterstellt, bis das Jawa Hoso Kanrikyoku, das Beaufsichtigungsbüro für javanischen Rundfunk, im Oktober 1942 errichtet war (vgl. ebd.). Unter dessen Leitung wurde das Rundfunksystem gänzlich neu in ein zentralisiertes und hierarchisch verwaltetes Netzwerk mit einer zentralen Rundfunkstation in Jakarta organisiert. Die indonesischen Mitarbeiter des Rundfunks wurden meist übernommen und neu hinzukommenden japanischen, professionellen Rundfunkmitarbeitern unterstellt, während die Niederländer gefangen genommen und alle niederländischen Radiostationen geschlossen wurden (vgl. ebd.: 29). Die indonesischen Rundfunkmitarbeiter wurden schnell in den Gebrauch des Radios als politisch propagandistisches Instrument eingeführt. Sogenannte »Singende Bäume« (Lautsprecher, die auf Marktplätzen und an Straßenecken errichtet wurden) versorgten jeden Einzelnen kontinuierlich mit den japanischen Besetzungsbotschaften, mit japanischen Sprachkursen, mit den Kriegsnachrichten, etc.: »[L]isteners’ access to radio was strictly controlled, even to the extend of banning private sets and forcing people to listen to public sets that could not be turned off. Programming was highly political, overtly propagandistic, and strident. Cultural pro-

90 | L IEBE IN I NDONESIEN grams, broadcast in local languages and Indonesian, were part of the systematical ideological process of influencing indigenous listeners in favor of the invader’s plan.« (Ebd.: 30)

Viele der späteren Gründer und Gestalter von Fernseh-Rundfunkstationen wie Maladi, Sumartono und Sukarno hatten beide Rundfunksysteme, unter niederländischer und japanischer Führung, mittels aktiver Beteiligung erfahren, und so war auch die Entwicklung des Fernseh-Rundfunksystems von diesen Erfahrungen stark geprägt. Die Entwicklung regionaler Fernsehstationen, die lokalen Interessen dienen sollten (geprägt durch das niederländische System) wurde mit einem höchst politisierten Einsatz des Mediums als Instrument der Konstruktion eines nationalen, indonesischen Raums und Identität kombiniert. »The two broadcasting traditions, mediated through the experiences of the individuals involved, the global nature of television technology, and the shifting political agendas of governments in Indonesia have contributed to the development of a tension between television as a medium of popular national culture and television as a means of privileging and legitimating a specific construct of national political culture […].« (Ebd.: 30f.)

Ähnlich wie die »Singenden Bäume« wurden für die erste Fernsehübertragung in Indonesien öffentliche Fernseher an strategischen Orten der Hauptstadt Jakarta errichtet. Die Bewohner Jakartas hatten den ersten Kontakt mit dem neuen Medium des Fernsehens so auf den öffentlichen Straßen ihrer Stadt. »Their location [der ersten Fernsehapparate] associated the sets and viewing experience with the «singing trees« and government propaganda of the Japanese occupation. The distribution of 10,000 sets to public servants, and the projection of the game broadcast into the streets of the city constructed television as an official voice that was part of the government’s elaborate public relations apparatus put in place for the games.« (Ebd.: 32)

Während der Übertragung der Spiele waren ca. 10.000 bis 15.000 Fernsehapparate in Gebrauch, 10.000 davon wurden gratis an öffentliche Bedienstete verteilt. Ein Fernsehapparat kostete ca. das Zwanzigfache des monatlichen Einkommens eines öffentlichen Senior-Bediensteten. Kitley schätzt, dass die ersten Fernsehübertragungen von ca. 80.000 Zuschauern rezipiert wurden, ca. 2 % der Gesamtbevölkerung der indonesischen Hauptstadt Jakarta und somit ca. 0,09 % der gesamten indonesischen Bevölkerung (vgl. 2000: 33). Sie stellten eine öffentliche, gemeinschaftliche Erfahrung auf öffentlichen Straßen dar. Seit der ersten Ausstrahlung war die Sprache des Mediums Indonesisch (Bahasa Indonesia), eine Sprache, die erst seit dem 27.12.1949 als nationale Sprache Indonesiens eingeführt wurde. Dies limitierte den Zugang zu dem Medium und das Verständnis der Medieninhalte

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zusätzlich stark, selbst wenn Indonesisch in Jakarta zumindest weitestgehend gesprochen wurde. TVRI als Teil der Yayasan Gelora Bung Karno wurde von staatlichen Subventionen, monatlichen Gebühren der Besitzer der Apparate und durch Sponsoren finanziert, ab 1963 gab es zusätzliche Einkommensmöglichkeiten über den Verkauf von Werbezeit im Fernsehen. Das Fernsehen, das zunächst nicht direkt in den staatlichen institutionellen Apparat eingegliedert war, genoss eine relative operationale und kreative Autonomie. Erst 1966 – im Zusammenhang mit der Machtübernahme Suhartos, der 1966 Regierungschef, 1967 amtierender Staatschef und am 27.03.1968 schließlich auch offiziell zum Präsidenten Indonesiens ernannt wurde – wurde das Fernsehen in das Generaldirektorat Radio, Fernsehen und Film (Radio, Televisi & Film – RTF) des Informationsdepartments eingegliedert. 1975 wurde der Status von TVRI als Direktorat unter der administrativen Leitung des RTF Direktorats bestätigt und dann nochmals im April 1980, als alle TVRI-Mitarbeiter dem Departement für Information (Menteri Penerbanan) eingegliedert wurden (vgl. ebd.: 34f.). Dennoch blieb die einstige Stiftung der legale Körper, durch den TVRI seine Gelder bezog und ausweitete. Bis 1996 hatte diese darüber hinaus das einzige Recht und die alleinige Verantwortlichkeit für die Lizenzierung von Fernsehdiensten in Indonesien. Sie lizenzierte die ersten kommerziellen Sender RCTI (1987) und SCTV (1990), die einen Teil ihrer Werbeeinkünfte mit TVRI teilen mussten (vgl. ebd.: 35ff. für detailliertere Informationen). Mit der Eingliederung von TVRI im Jahr 1980 in das Departement für Information unter der Staatsführung Suhartos unterstand TVRI stärker dem Einfluss und der Kontrolle des Staates, die Rolle von TVRI wurde zunehmend auf »Information« und »Bildung« beschränkt. Zu diesem Zweck wurde jegliche Werbung aus dem Programm verbannt. »The government’s perception that television was part of the national development apparatus led to strict policy guidelines that governed the selection of suitable programs for TVRI. These guidelines articulate the normative relationship between programs and the state ideology of Pancasila52 and the national constitution, human rights, moral values, culture and worldview, religion, lifestyle, customary norms and practices, major differences of opinion and belief, and matters of legality.« (Ebd.: 41)

52 Die Pancasila (von Pantja Sila, Sanskrit: »Fünf Prinzipien«) stellt die fünf Grundsätze der nationalen Ideologie und Verfassung der Republik Indonesiens dar, die bei der Verkündung der Unabhängigkeit Indonesiens am 17. August 1945 zur Grundlage der Republik wurde und seitdem gültig fortbesteht. Die auf Homogenisierung und Identitätsbildung des kulturell, sozial und religiös pluralen Vielvölkerstaats abzielenden Prinzipien der Pancasila sind: 1. Das Prinzip der All-Einen Göttlichen Herrschaft/Monotheismus (Ketuhanan Yang Maha Esa), 2. Humanismus/Internationalismus (Perikemanusian/Internationalisme), 3. Nationale Einheit (Persatuan Indonesia) 4. Demokratie (Permusyawaratan (Ketu / Perwakilan), 5. Soziale Gerechtigkeit (Keadilan Sosial).

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Neben der zentralen TVRI-Rundfunkstation in Senayan in Jakarta wurden in den folgenden 16 Jahren acht regionale Rundfunkstationen in den großen Städten Javas, Sumatras und Sulawesis errichtet. Die regionale Rundfunkstation in Makassar erhielt ihren Auftrag am 7. Dezember 1972 (vgl. ebd.: 37). In den ersten Jahren war die Sendezeit auf einige Stunden am Abend limitiert. Es liefen vorwiegend politische Nachrichten, LiveAnsprachen von Politikern und Dokumentarfilme. Zehn Jahre nach Beginn der Ausstrahlungen berichtete die in Jakarta basierte Zeitschrift Tempo, nur ein Drittel des Programms würde aus Filmen bestehen, die zum größten Teil importiert seien und deren fremde Sprache nicht untertitelt würden (Tempo 26. August 1972, vgl. Kitley 2000: 45). »The 1972-73 TVRI Program Planner shows that between 6 and 7 P.M., seven days a week, child viewers could look forward to a year-long engagement with Daktari, Bozo the Clown, Jungle Jim, Popeye the Sailor, Bat-Man, Gentle Ben, Sinbad Junior, and Lost in Space. Between 9 and 10 P.M., Sunday to Friday, adult viewers were offered a similar diet of mainly American programs, most of them equally familiar to Australian viewers: The Untouchable, Bonanza, Mission Impossible, Dr. Kildare, The Avengers, Ironside, and Echo.« (Kitley 2000: 45)

Mit der Konstruktion der Erdstation Intelsat in Jatiluhur, West Java, 1969 konnte TVRI erstmals Rundfunksignale ins Ausland senden sowie von internationalen Orten empfangen. Dies ermöglichte Live-Übertragungen aus aller Welt in Indonesien, wie den Start der Apollo 12 im November 1969, das Treffen der Präsidenten Sukarno und Nixon im Weißen Haus, das Endspiel der Weltmeisterschaft in Mexiko, etc. »The television audience became used to a mix of programming that included ceremonial nation-building material; regular screening of imported, particularly American-produced, fictional material; and after November 1969, live access to cultural and current affairs programs from around the world. It was an entertaining, outwardlooking service, which within available production resources, seems to have balanced the interests of its audience with its resonsibilities as a public broadcaster.« (Ebd.: 46)

1.2

Der Palapa Satellit – Fernsehen als nationales Medium

Während bis Mitte der 70er Jahre die TVRI-Ausstrahlungen weitestgehend auf Java beschränkt waren53, änderte sich dies mit der Errichtung des Palapa Satelliten 1976. Der Satellit übertrug die Rundfunksignale bis zu den

53 1974 waren Kitley zufolge 90,81 % aller Fernsehapparate auf Java registriert, wo ca. 60 % der gesamten indonesischen Bevölkerung lebte, die Hälfte davon allein in Jakarta (Kitley 2000: 46).

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äußersten kleinen Inseln des Archipels, und das Fernsehen wurde so zu einem nationalen Medium. Die Anzahl der Fernsehapparate außerhalb von Java stieg drastisch an, sie verdreifachte sich zwischen 1975 und 1978 (vgl. Kitley 2000: 46). Zum ersten Mal rückte die Umsetzung des Plans näher, über das Fernsehen als »Bildungsmedium« nationale Werte gemäß der Staatsideologie der Pancasila in die »zu erziehenden«, sich ihrer Staatsbürgerschaft bewusst werdenden Bewohner Indonesiens zu »implantieren«, um eine neue Generation von »citizens with high-levels of national tenacity« (Republik Indonesia 1984: 519 nach Kitley 2000: 115) zu erschaffen. »It [der Palapa Satellit] promoted television as a means of unifying the country, and constructed the television set and television viewing as a key cultural experience. Palapa turned television into a service that was the right of all citizens, as much a part of being Indonesian as the other key cultural symbols that were shared nationally: the language, the flag, and the national anthem. Like radio, only more vividly because of its visualizing power and its high-tech cachet, television was devised to be both the channel and the manifestation, the nightly dramatization of a shared cultural identity. After palapa, no viewer was unaware that she or he was taking part in a process that effortlessly embraced Sabang in the West and Merauke in the East.« (Ebd.: 47)

Die Errichtung des Palapa Satelliten führte zu einer Rückkehr zu den zentralistischen Tendenzen des Rundfunksystems. Die Privatinteressen, regionale Rundfunkstationen zu errichten, nahmen ab, als die Kontrolle des Rundfunksystems wieder entschiedener nach Jakarta zurückkehrte, und als 1981 Werbung aus dem Fernsehen verbannt wurde. Während nun einerseits die Chance bestand, jede abgelegene Insel des Archipels mit den nationalen Botschaften zu erreichen, brachte die Einführung des Satelliten jedoch auch Ängste der Planer mit sich. Die urbane Elite fürchtet um die Infiltration der ländlichen Bewohner Indonesiens durch die Großstadtkultur Jakartas. Die ländlichen Zuschauer wurden als noch nicht gebildet genug konzeptionalisiert, um verantwortungsvoll mit diesen »modernen« Bildern und Ideen umzugehen. Es wurde befürchtet, dass daraus neue Bedürfnisse bei den ländlichen Massen entstehen könnten, die außerhalb ihrer finanziellen Möglichkeiten lägen. Darüber hinaus sorgte man sich darum, dass der Satellit eben auch die Ausstrahlung nicht-indonesischer Anbieter ermöglichte, die dem »national project« entgegenstehen könnten. In Indonesien konnte man mit der Satelliten-Technologie von nun an auch Signale aus Malaysia, Thailand, Singapur, den USA, Taiwan, Philippinien und Australien empfangen (vgl. ebd. 91). Man hoffte, der Satellit stellte sich als »integrating force, not a divisive one« (ebd.: 53) heraus. Dennoch befürchtete man, die Einführung der Satellitentechnologie könne eine Quelle einer »westoxification« darstellen, die zu einer westlichen kulturellen Dominierung asiatischer Nationen führe (vgl. Sen/Hill 2000: 108). Private Satellitenschüsseln waren zu Beginn an

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den Reichsten des Landes vorbehalten54, weswegen diese Gefahr zunächst die indonesischen Massen nicht sehr aktuell betreffen zu schien. Dennoch wurde 1987 durch einen Ministerialentschluss von 1987, der kommerziellen pay TV autorisierte, festgelegt, dass kommerzielle Dienste nur für diejenigen Bewohner in und um Jakarta zugängig waren, die ihre Receiver mit einem zusätzlichen Decoder ausstatteten, der 131.000 Indonesische Rupiah (IDR) kostete, und zusätzlich eine monatliche Gebühr von 30.000 IDR bedingte (vgl. Kitley 2000: 96). Erneut wurden – gemäß den Erfahrungen mit dem japanischen RadioRundfunksystem und japanischem Fernsehen im eigenen Land, von denen die Rundfunkmitarbeiter in Indonesien durch ihr Training in Japan ten55 – Tausende öffentlicher Receiver in ländlichen Gegenden verteilt, diesmal jedoch dem Satellitensystem unterstellt. Die nationale Produktion von Fernsehgeräten versechsfachte sich nach der Errichtung des Satelliten, und auch der Import von Fernsehgeräten stieg zwischen 1976 und 1980 drastisch an. Fernsehapparate wurden dementsprechend günstiger, und die Anzahl der privaten Fernsehgeräte stieg. 1980/81 waren 2.126.000 Fernsehgeräte registriert, die Abdeckung der nationalen Fläche belief sich auf 24 %, 60% der Gesamtbevölkerung Indonesiens hatte Zugang zum Fernsehen (vgl. ebd.: 62). Obwohl das Fernsehprogramm sich nun quantitativ enorm ausweitete (längere Sendezeiten) und unterschiedlichste Regionen erreichte, wies seine Programmstruktur jedoch wenig Veränderungen auf (vgl. ebd.: 62f). Mit der Verbannung der Werbung aus dem Programm wurde dieses weniger publikums-, sondern mehr entwicklungsorientiert. »In Indonesia, as advertising was cut from TVRI, the service became more closely aligned with government cultural and development priorities. The ban reinforced television’s role in defining the sovereign cultural space of the nation and in defining differences between the Indonesian nation and culture and others beyond.« (Kitley 2000: 72)

1.3 Die Privatisierung der Sender: Eine Gefährdung der »indonesischen Kultur«? Auf die Forderungen durch die Presse in den 1980ern nach einer Einführung kommerzieller Sender in Indonesien, um alternative Ausstrahlungsservices zu gewährleisten und die Wirtschaft durch Werbung anzukurbeln, reagierte

54 Mitte der 1980er kosteten Satellitenschüsseln zwischen 15 und 17 Millionen IDR, ca. 9.000–10.000 US $ (vgl. Kitley 2000: 221). 55 Auch in Japan wurden bei Einführung des Fernsehens 1953 große Fernsehapparate an Straßenecken, in Parks, an Haltestellen und auf bevölkerten Plätzen errichtet, sodass auch dort die ersten Fernseh-Erfahrungen öffentlich und gemeinschaftlich waren (vgl. Kitley 2000: 57).

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die Regierung schließlich mit einem Gesetzeserlass am 20. Oktober 1987, der pay TV Dienste für Jakarta und seine Umgebung erlaubte (Menteri Penerangan § 190A 1987) (vgl. Kitley 2000: 224). Dieser Dienst war jedoch nur mit einem Decoder zu empfangen. TVRI erhielt das Recht, einen Sender zu lizenzieren, der auch Werbung ausstrahlen durfte, jedoch nur solche, welche die nationale Entwicklung fördern würde. TVRI war autorisiert, von dem kommerziellen Sender Gelder zu erhalten, um seine eigenen Operationen durchzuführen. Am 28. Oktober 1987 ernannte TVRI Rajawali Citra Televisi Indonesia (RCTI) als ersten national ausstrahlenden, kommerziellen Fernsehsender in Indonesien. Am 17. Januar 1990 folgte die Lizenzierung von Surya Citra Televisi (SCTV) als kostenpflichtiger Fernsehdienst in Surabaya, Ostjava. Verstieß dies zunächst gegen den Beschluss von 1987, der kommerzielles Fernsehen nur in Jakarta und Umgebung erlaubte, wurde dieser daraufhin im Juli 1990 geändert. Der zunächst revidierte Ministerialbeschluss § 111 differenzierte zwischen kommerziellen Diensten und Stationen, die nur ein lokales Publikum erreichen sollten, und national ausstrahlenden Dienstleistern. Es sollte pro Provinzialhauptstadt nur einen solchen regionalen Dienstleister geben, dem es untersagt war, Netzwerke zu bilden, und der nur sein regionales Publikum erreichen durfte. Darüber hinaus sollte es nur einen nationalweit ausstrahlenden kommerziellen Fernsehdienst geben. Dieser Entschluss, der auf einem dezentralisierten Rundfunksystem beruhte, wurde jedoch erneut einige Male revidiert, bis am 18. Januar 1993 durch den Ministerialbeschluss § 04A eine gänzlich neue Basis zur Strukturierung des kommerziellen Fernseh-Rundfunksystems durchgesetzt wurde. Der Beschluss differenzierte zwischen zwei verschiedenen Kategorien von Ausstrahlungsdienstleistern: In Jakarta angesiedelte kommerzielle Fernsehdienste durften national ausstrahlen, diejenigen in Provinzialhauptstädten oder regionalen städtischen Zentren dagegen nur lokal. Nationalweite kommerzielle Fernsehsender waren auf die Maximalanzahl von fünf Sendern, die lokalen Ausstrahlungsdienste auf jeweils einen pro regionalem oder provinzialem Zentrum beschränkt. Das einst dezentralisierte Rundfunksystem wurde zu einem höchst zentralisierten System mit Zentrum in Jakarta. Die fünf Broadcaster, die im März 1993 lizenziert wurden, waren PT Rajawali Citra Televisi Indonesia (RCTI), PT Cipta Televisi Pendidikan Indonesia (TPI)56, PT Indosiar Visual

56 Am 16. August 1990 wurde das Televisi Pendidikan Indonesia (TPI – Bildungsfernsehen Indonesien) als kommerzieller Sender mit einer generellen Bildungsmission genehmigt. Im Januar 1991 begann der Sender TPI, der mit dem staatlichen Department für Bildung zusammenarbeitet, ohne Pilotprojekte zu lancieren oder ein eigenes Studio zu besitzen, mit seinen Ausstrahlungsdiensten. Sein Programmangebot wurde dabei als nationaler und paternalistischer Dienst konzipiert, der die Bildungslücken des noch als unreif und ungebildet gedachten Publikums schließen sollte. Er finanzierte sich aus Werbeeinnahmen, wobei nach Senderpolitik nur »educational advertising« erlaubt war, und durch die Vergabe

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Mandiri (Indosiar), PT Cakrawala Andalas Televisi (ANTV) und PT Surya Citra Televisi (SCTV) (vgl. Kitley 2000: 225f.). Die Lizenzen aller kommerzieller Sender wurden Geschäftsführern übertragen, die sehr eng mit der Familie des Präsidenten Suhartos in Verbindung standen: Die RajawaliGruppe erhielt die Lizenz erst, als sie sich mit der Bimantara Gruppe vereinigte, die dem Sohn des Präsidenten, Bambang Trihatmodjo, unterstand. Sudwikatmono, der Cousin des Präsidenten, besaß den größten Anteil an SCTV, der Tochter Suhartos, Siti Hardiyanto, war TPI unterstellt, ANTV gehörte der Bakrie Gruppe und Indosiar war in Besitz von Liem Sie Liong’s Salim Gruppe, einem engen Vertrauten des Präsidenten. So war die Deregulation des indonesischen Fernsehens in keinem Sinne mit seiner Liberalisierung gleichzusetzen. Die Medien wurden kontrolliert von einer kleinen Elite, die dem direkten Einfluss des Präsidenten unterstand (vgl. Kitley 2000: 230f.). »The commercial services are largely controlled by the state and have been established in a way that is intended to position them as a compliant adjunct to the political and cultural objectives of the government rather than as assertive, socially responsive broadcasting sector. TVRI has not let go its monopoly; it is just trying to manage it differently.« (Ebd.: 249)

Unter dem Orde Baru Regime Suhartos waren die Medien durch die repressive Kontrolle durch den Staat und direkte Interventionen in die Medienstrukturen gezwungen, die nationalstaatlichen Rhetoriken und Botschaften des Orde Baru und zensierte Nachrichten zu verbreiten. Von einer freien Presse kann nicht gesprochen werden, eher von einem »journalism of fear« (Seno Gumira Ajidarma 1995: 24 zit. nach Kitley 2000: 252), der auf Selbstzensur basierte. Zudem beanspruchte die Regierung das alleinige Recht der Produktion und Verbreitung von Fernseh- und RadioNachrichten. Alternative, differenziertere und nicht staatlich kontrollierte Nachrichten abseits dieser »national news« gab es nicht. »News is attributed positivist truth values and represented by state authorities as informed, objective discourse that is not complicit with nor constitutive of political life. It is constructed as a separate, metadiscourse circulated by responsible authorities with the aim of giving citizens access to objective information that will facilitate their participation in and contribution to national development.« (Ebd.: 253)

öffentlicher Gelder durch die Regierung (vgl. Kitley 2000: 108). Mittlerweile wird TPI mit dem Spitznamen Televisi Pembantu Indonesia (wörtlich: das Fernsehen der Haushilfen Indonesiens) versehen, da der Sender und sein hauptsächlich aus südamerikanischen telenovelas bestehendes Programm besonders bei weiblichen häuslichen Angestellten beliebt sind.

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Als in den späten 1980er Jahren die Privatisierung des indonesischen Fernsehens einsetzte, legte Suharto Regeln fest, die die Programmstruktur und die Inhalte der privaten Sender betrafen. Generell sollten auch die privaten Sender die nationalen Entwicklungspläne in Akkordanz mit der Regierungspolitik unterstützen, und die regionalen Sender wurden verpflichtet, ausschließlich die seit der Unabhängigkeit Indonesiens neu eingeführte nationale indonesische Hochsprache (Bahasa Indonesia) zu verwenden. Darüber hinaus durfte nichts gezeigt werden, was sogenannte SARA Konflikte in Indonesien potentiell erhöhen könnte. SARA steht dabei für suku (Ethnizität), agama (Religion), ras (Rasse) und antar golongan (zwischen sozialen Gruppen oder Klassen) (Sen/Hill 2000: 116). Die Zensur setzte ein, sobald diese Regel übertreten wurde (ebd.: 141). TVRI, deren Programme zu 80 Prozent der inländischen Produktion entstammten, verlor einen Großteil des Publikums an die privaten Sender RCTI und SCTV, die ihre Inhalte in erster Linie importierten. Während der USImport dabei zahlenmäßig überwog, waren jedoch Programme aus Hongkong, Indien, Japan und Südamerika populärer. Mit der Ankunft der Videotechnologie in Indonesien in den frühen 1990er Jahren, nahm die Produktion eigener televisueller Formate zu, sogenannter sinetron (sinema elektronik – elektronisches Kino)57, die von ausländischen Formaten inspiriert, jedoch kostengünstiger und »indonesischer« waren (Sen/Hill 2000: 137). Im April 1991 entschied die Regierung, dass die Prozentzahl ausländischer Filme im staatlichen Fernsehen TVRI um 35 % reduziert werden sollte. Diese Entscheidung zog zahlreiche journalistische Proteste nach sich, die das Fernsehpublikum als international und global orientiert konstruierten. Im Mai 1991 ergab eine Publikumsforschung der Zeitschrift Tempo in Jakarta und Surabaya, dass die beliebtesten Programme ausländische Action-Programme wie MacGyver, Knight Rider, Airwolf, Miami Vice, The Incredible Hulk, Wonder Woman, My Secret Identity, Old Mission Impossible, etc. waren (vgl. Kitley 2000: 100f.).

57 Der Begriff sinetron wurde 1985 von Ishadi SK, dem Direktor von TVRI von 1987–1992, geschaffen (Vista § 121 1991: 33 nach Kitley 2000: 104). Während der Begriff neu war, war das Konzept jedoch im TVRI ein relativ altes, existierten solche Formate doch bereits seit dem Start des TVRI-Programms 1962 und der Serie Sebuah Jendela. Unter dem Orde Baru Regime wurden indonesische Serien v. a. für Familien und Kinder produziert, die die Zuschauer als nationale Bürger erziehen sollten, wie beispielsweise Si Unyil und Keluarga Rahmat (vgl. hierzu Kitley 2000: 112–145; 146–177). Als die Kommerzialisierung des Fernsehens einsetzte, wurden sinetron nach dem Vorbild ausländischer Formate produziert: Zu einem großen Teil waren diese neu entstehenden Serien für junge Menschen gemacht, die durch diese seriellen Filme visuell, sozial und linguistisch als Teenager konstruiert wurden, ein Konzept, was so vorher in Indonesien nicht existierte (Sen/Hill 2000: 153).

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Kritische Stimmen zu den »zu westlichen« importierten Unterhaltungsangeboten der neuen privaten Fernsehsender wie RCTI und SCTV, die »Verwestlichung« und eine Abnahme der »indigenen Kultur« in Indonesien zur Folge haben könnte, spiegelten Ängste über den Einfluss importierter Filme, Musik, Modestile, etc. wider, die bereits unter der kommunistisch orientierten politischen Linie Sukarnos ihren Ausdruck bekamen, als dieser »rock music, jeans and long hair« (ebd.: 103) verbannte und 1964 die Ausstrahlung von Hollywoodfilmen verbot. Es wurde argumentiert, dass das indonesische Publikum angesichts der westlichen Stile und Werte frustriert sein könnte und ihren Machtmangel angesichts globaler Produktions- und Konsumtionsflüsse zu spüren bekommen würde. Während der lokale Programminhalt von TVRI 80 % umfassen musste und so als seinem Publikum verantwortungsvoll gegenüber konzipiert wurde, wurden kommerzielle Sender als »cultural parasite« angesehen (ebd.). Die Ängste, die »indonesische Kultur« könne durch den Import ausländischer Formate und Sendungen bedroht werden, wurden weitestgehend auf Medientexte westlicher Herkunft projiziert. Der »Westen« fungierte seit den frühsten Tagen des indonesischen unabhängigen Staates als Emblem für potentiell die Nation und Kultur Indonesiens korrumpierende Unmoral, für Sexualisierung, Egoismus und negativ zu evaluierende Konsumorientierung. Die westliche Kultur »plays down the importance of the collective and rates aspects of individualism as more important. (Bisnis Indonesia, 17 March 1995)« (Kitley 2000: 307). Man sorgte sich dabei vor allem um die Kinder als heranwachsende, nationale Bürger, die durch das Fernsehen und vor allem durch das Fremde im Fernsehen stark beeinflussbar seien. »[…] Our sons and daughters are inclined to imitate the style of Western people whether in clothes, socializing, flirting, fighting, murder, or even rape. (Suara Karya, 13 January 1995).« (Ebd.)

In der indonesischen Presse und der öffentlichen Meinung war seit Anbeginn der Unabhängigkeit und bleibt bis heute der Topos der Bedrohung der »indonesischen Kultur« durch den Westen sehr zentral, wie auch später in Kapitel B.III ersichtlich wird. »Critics who write against sex and violence on Indonesian television frequently link undesirable content to the imported origin of the offending programs (usually simply described as »Western«). In blaming the »West«, the critics overlook the violent scenes that are part of Japanese-produced cartoons such as RCTI’s popular The Knights of the Black Armor (Kasatria Baja Hitam) and the more stylized violence of Hong Kong-produced kung fu [sic!] movies that have been screened more frequently since 1994 on most channels (Kompas, 19 November 1995). Nevertheless, commercial television is perceived to be culturally threatening in the way it has put Indonesian viewer, especially children, at risk through increased exposure to »West-

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ern« programs that are violent and sexually inappropriate according to Indonesian community standards.« (Ebd.)

Obwohl auch gewalttätige Sendungen stets in Kritik stehen, scheint die Besorgnis um den Einfluss westlicher Beziehungskonzepte und sexuell freierer Darstellungen auch heutzutage weitaus größer zu sein. Dies wird auch evident, betrachtet man die große Anzahl und die öffentliche Beliebtheit der von der Zensur verschonten, sehr gewalttätigen, national produzierten Horrorfilme in Indonesien und die gegenwärtigen Debatten um das Antipornographie-Gesetz (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.3). In seiner Orientierung an internationalen wirtschaftlichen Märkten schirmte Suharto Indonesien jedoch nicht als Absatzmarkt ausländischer medialer Angebote ab. Er sorgte sich stärker um das Verbannen jeglicher politisch linker und kommunistischer Tendenzen, verbannte Denker und Filmproduzenten, die unerwünschte Inhalte verbreiteten, und ließ sie einsperren. Viele indonesische Filme und Bücher, die unter Sukarno entstanden waren und linkes Gedankengut enthielten, wurden zerstört. Regierungskritischen Stimmen ging er entschlossen entgegen. Während heutzutage aufgrund der Erstarkung islamischer Diskurse in Indonesien eher die Besorgnis um freie sexuelle Inhalte in den Medien die öffentliche Meinung bewegt, die die Kontrolle der LSF (Lembaga Sensor Film – Institut für Filmzensur) erzwingen würden, bleiben politische, regierungskritische Stimmen in den Medien, die potentiell den SARA-Code gefährden könnten, stark zensiert (vgl. hierzu das folgende Kapitel B.I.2). Dies scheint ein Erbe des Orde Baru Regimes zu sein, dessen Sympathisanten auch heute noch zentrale Positionen in der Regierung und in entscheidenden Institutionen in Indonesien besetzen.

2.

S ELBST -R EGULATION

UND

Z ENSUR

Neben Suhartos Bestimmungen, den SARA-Code nicht zu überschreiten und der im Ministerium für Information integrierten Zensur von Medien, bildeten die kommerziellen Sender Indonesiens am 2. Mai 1996 ein Forum für Kommunikation und die Koordination des Fernsehens (FKKT), dessen erste öffentliche Verkündigung war, dass sie darin übereinstimmen, das Ausstrahlen gewalttätiger und sexuell unangemessener Filme zu reduzieren. Das Forum traf sich mit dem Institut für Zensur, um Kriterien für die Regulation von medialem Material zu finden, das nicht in Einklang mit der »indonesischen Kultur« stehe. Diese Initiative der Selbstregulation wurde vom Ministerium für Bildung und Kultur unterstützt (Kitley 2000: 325). Es wurde oft kritisiert, dass die kommerziellen Sender ihr Programm dennoch keineswegs gemäß kommunalen Interessen regulieren würden, sondern nur nach Selbstinteresse, nämlich der Maximierung ihrer Einkünfte, handeln würden (ebd.: 326).

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Bestand die Filmzensur bereits während der holländischen Kolonialzeit, um antikoloniale Stimmen zu kontrollieren, war sie während des Orde Baru Regimes Instrument, jegliche regierungskritische Stimmen in den Medien zu kontrollieren. Filmemacher, Autoren und Journalisten waren gezwungen, den Leitlinien der Regierung zu folgen, um ihre eigene Sicherheit nicht zu gefährden. Mit dem Kommunismus sympathisierende Intellektuelle wurden aus Indonesien verbannt oder inhaftiert. Viele Regierungskritiker wie beispielsweise der Autor Pramoedya Ananta Toer saßen unter dem Orde Baru Regime jahrzehntelang im Gefängnis. Die kreative und intellektuelle Elite des Landes war somit extrem in der Produktion medialer Inhalte eingeschränkt. Aus Angst vor Strafen wurde dementsprechend meist Selbstzensur ausgeübt. Auch wenn sich nach dem Fall des Orde Baru Regimes vieles in der Medienlandschaft änderte, neue Zeitungen und Sender entstanden, das Ministerium für Information 1999 von Abdurahman Wahid aufgelöst und die Pressefreiheit proklamiert wurde, blieb die auf einem Gesetz von 1992 beruhende LSF (Lembaga Sensor Film), die Filmzensur, bestehen (UndangUndang Perfilman der Republik Indonesia No. 8/1992). Ihre Zensur betrifft alle Filme, Fernsehprogramme wie auch Fernsehwerbungen. Die Vision, Mission und das Paradigma der LSF lautet offiziell: Die Filmzensurbehörde ist ein Hüter der Kultur des Volkes. Vision: Körper des Volkes Indonesiens, der das Vermögen besitzt, Informationen zu filtern, um das Wertesystem der Kultur des Volkes zu bewahren. Mission: • Beschützen des Volkes vor schlechten Einflüssen, die möglicherweise durch den Umlauf, das Aufführen und das Ausstrahlen von Film und Filmreklame auftreten können. • Zu einem Hüter der Kultur des Volkes werden und Bewahren der Identität des Volkes während seines Eintritts in eine Ära des Wandels, indem am Achten der Werte, der Moral und der Kultur des Volkes festgehalten wird. • Überbrücken der Vielfalt der Kulturen, sodass eine gleiche Wahrnehmung geschaffen wird für Vereinigung und Einheit. Paradigma: • Das Volk behutsam auf das Eintreten in eine Ära des Wandels vorzubereiten, während die moralischen kulturellen Werte respektiert werden. • Überbrücken die Vielfalt der Kulturen, um eine einheitliche Wahrnehmung der Vereinigung und Einheit Indonesiens zu erreichen. (Auszug aus offiziellem Paper der Präsentation der LSF, erhalten bei einem Interview der Mitarbeiter der LSF im Juli 2007 in Jakarta, Übersetzung Janna Lau)

Deutlich werden auch hier die Gedankentraditionen des Orde Baru Regimes: Es geht um die Konstruktion nationaler Werte und um die Konstruktion einer nationalen Identität sowie darum, die unterschiedlichen Kulturen

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Indonesiens gemäß der Staatsideologie der Pancasila zwar zu akzeptieren, aber Differenzen zu überbrücken und Konflikte zu vermeiden. Vier Bereiche fallen nach dem Peraturan Pemerintah No. 7/1994 unter Beobachtung der Zensurbehörde: • • • •

Religion Ideologie und Politik Kultur Öffentliche Ordnung

Im Bereich der Religion sollten anti-religiöse Szenen zensiert werden, darüber hinaus alles, was die Eintracht zwischen den Gläubigen in Indonesien bedrohen könne und Beleidigungen gegen eine Religion, die in Indonesien akzeptiert ist, beinhalte. Im Bereich der Ideologie und Politik sollten solche Szenen zensiert werden, die den Bemühungen der Beständigkeit und der Bewahrung der Werte der Pancasila und der Verfassung von 1945 schaden könne, die der Richtung des Kommunismus, des Marxismus/Leninismus, Maoismus, Kolonialismus und Faschismus folge, wie auch Bilder und Symbole, die mit der Anbetung dieser politischen Richtungen assoziiert werden könnten. Im Bereich der Kultur müssten solche Szenen zensiert werden, die nackte Männer oder Frauen zeigen. Nahaufnahmen von Geschlechtsorganen, Brüsten, dem Gesäß, sowohl bedeckt als auch unbedeckt, dürfen nicht gezeigt werden. Aufreizende Kussszenen sind verboten. Zensiert werden auch jegliche visuelle und auditive Darstellungen »fleischlicher Vereinigung« (persenggamaan) zwischen Menschen bzw. Tieren. Onanie und Oralsex dürfen nicht gezeigt werden. Geburtsszenen von Menschen oder Tieren, die Lust hervorrufen könnten, dürften nicht gezeigt werden. Verhütungsmittel, selbst in anderen Kontexten als dem Geschlechtsakt, dürften nicht thematisiert werden. Szenen, die einen nicht-ethischen Eindruck hervorrufen, müssten ebenso zensiert werden. Im Bereich der öffentlichen Ordnung dürften Szenen nicht ausgestrahlt werden, die den Anreiz beinhalten könnten, ein gezeigtes Verbrechen nachzuahmen, die Sympathien mit dem Bösewicht hervorrufen könnten oder den Sieg des Bösen über das Gute zeigen. Szenen, die zu grausam oder gewalttätig seien, müssten zensiert werden. Szenen, die auf Probleme des Sex hinweisen, müssten gelöscht werden. Zensiert werden müsste alles, was Gefühle in den Bereichen ethnische Herkunft, Religion, Abstammung und zwischensoziale Gruppen verletzen kann. Missbrauch und Genuss von Narkotika dürften nicht gezeigt werden. Auch jegliche Anstiftung zum Begehen von illegalen Taten sollte zensiert werden (vgl. Auszug aus offiziellem Paper der Präsentation der LSF, erhalten bei einem Interview der Mitarbeiter der LSF im Juli 2007 in Jakarta). Sowohl Skripte als auch die fertigen filmischen Produkte müssen zur Zensur vorgelegt werden, bevor diese im Fernsehen oder im Kino ausge-

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strahlt, exportiert, importiert, kopiert oder auf DVD oder VCD gebracht werden. Die Zensurbehörde ist für die Zerstörung schädlicher Szenen verantwortlich und schneidet die Filme selbst neu, was oftmals auf großen Protest der Filmemacher stößt, die dadurch ihr Werk verunstaltet sehen. Trotz der zahlreichen Proteste der Filmgemeinschaft bleibt die Filmzensur als einziges Überbleibsel der Staatspolitik nach der Reform 1998 weiterhin bestehen. Der Diskurs, das Volk vor schädlichem Einfluss zu bewahren sowie intranationale Konflikte zu vermeiden, greift immer noch um sich. Die LSF konstruiert ihren Dienst paternalistisch als Wohlfahrtstat und entgegnet protestierenden Filmemachern, dass es sie durch die Zensur vor dem sich potentiell erzürnenden Volk lediglich schütze. Titi Said, die Vorsitzende der LSF, gab mir gegenüber in einem Interview am 21.07.07 an, die zentralen und notwendigen Gründe für eine Filmzensur in Indonesien seien der Schutz von Kindern, die den ganzen Tag, oft ohne Aufsicht der Eltern, Fernsehschauen würden, wie auch das Vermeiden von Konflikten im Volk, das eine Zensur erwarte und bei Ausstrahlung moralisch ambivalenter Szenen protestieren, die Kinotheater angreifen und Filmemacher und Mitarbeiter der Zensurbehörde bedrohen würde, etc. So wird ihr Dienst oft weniger als Schutz des Volkes vor Unheil bringendem Material, sondern als Schutz der kreativen und intellektuellen Elite vor dem Volk konstruiert. Auch die Konnotation, indonesische Bürger seien noch nicht weit genug entwickelt, um sich selbstverantwortlich vor solchen Szenen zu schützen, indem sie abschalten oder die Inhalte kritisch betrachten würden, schwingt hierbei immer noch mit. Das Gedankengut des Orde Baru Regimes ist in diesem Sinne immer noch aktiv an der Bestimmung der dominanten Diskurse beteiligt.

3.

F ERNSEHEN

NACH DEM

O RDE B ARU R EGIME

Neben dem staatlichen Sender Televisi Republik Indonesia (TVRI) gibt es mittlerweile elf national ausstrahlende kommerzielle Fernsehsender: Rajawali Citra Televisi Indonesia (RCTI), Surya Citra Televisi (SCTV), Cakrawala Andalas Televisi (ANTV), Indosiar Visual Mandiri (Indosiar), Metro TV, Televisi Transformasi Indonesia (Trans TV), Trans 7, Televisi Pendidikan Indonesia (TPI), TVOne, Televisi Edukasi (TVE) und Global TV. Des Weiteren gibt es eine große Anzahl regionaler Sender wie beispielsweise Makassar TV, Jogja TV, Bali TV, etc. RCTV und SCTV haben den größten Publikumsmarkt. Sie zielen auf ein Mittelklassenpublikum ab und zeigen eine Mischung aus ausländischen Filmen und Serien, Sport und Nachrichten und indonesischen sinetron. TPI, einst als Bildungssender konzipiert, ist vor allem bei häuslichen Angestellten populär und fokussiert sein Programm auf melodramatische Soap-Operas oft südamerikanischer Provenienz. Indosiar zielt vor allem auf ein wohlhabendes, chinesisch-stämmiges Publikum ab

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und ANTV auf junge Menschen und den Sportabsatzmarkt (vgl. http://www. article19.org/pdfs/publications/indonesia-muted-voices.pdf, zuletzt gesichtet am 5.08.09). Über einen kostenpflichtigen Satellitenempfang, den sich nur die gehobene Mittelklasse leisten kann und der vor allem in urbanen Zentren wie Jakarta Absatz findet, lassen sich darüber hinaus internationale Sender wie HBO, Star World, MTV, NHK, Eurosport, etc. empfangen. Ca. 2 % der indonesischen Bevölkerung hat Zugang zu diesen kostenpflichtigen Sendern. Das Fernsehen ist weit verbreitet und stellt das populärste Massenmedium für Indonesiens Bevölkerung dar. Bei einer Bevölkerung von ca. 237,5 Millionen Menschen gibt es ca. 40 Millionen Haushalte, die einen Fernseher besitzen (vgl. http://worldscreen.com/pages/profilesdata, zuletzt gesichtet am 5.08.09). Dennoch potentiert sich die Zahl der Fernsehzuschauer natürlich, nicht nur aufgrund der öffentlichen Präsenz des Fernsehens. Auch andere kulturelle Raumanordnungen und -konzepte wie die sehr offene Haushaltsstruktur und die nicht klare Trennung von öffentlichen und privaten Räumen führen dazu, dass auch Menschen, die keinen eigenen Fernseher besitzen, weitestgehend Zugang zu dem Medium haben. In ländlichen Gebieten kommen beispielsweise viele Menschen zusammen, um in einem Haushalt, in dem es einen Fernseher gibt, gemeinsam zu schauen. Durch meine Archivarbeit im Badan Pusat Statistik (BPS – Zentrales Statistikinstitution) in Makassar erhielt ich aus den jährlichen statistischen Erhebungen, die dort einzublicken sind, die Informationen, dass im Jahre 2006 85,86 % aller Bewohner Indonesiens im Alter von über 10 Jahre ferngesehen hatten. Die Prozentzahl der Stadtbewohner Indonesiens liegt dabei bei 93,07 %. In Süd-Sulawesi, dem Hauptforschungsgebiet der vorliegenden Arbeit, haben in den Städten 91,75 % der Einwohner, in ländlichen Gebieten 76,47 % ferngesehen. Auch wenn man aufgrund der fehlenden Informationen zu Erhebungsmethoden und -orten aus diesen Zahlen nur bedingt Schlüsse ziehen kann, deuten diese Zahlen auf die enorme Verbreitung des Mediums in Indonesien hin.

4.

APPARATIVE (N UTZUNGS -)ANORDNUNGEN 58 UND SOZIALE F ERNSEHPRAXIS

In Indonesien findet man sowohl in städtischen als auch in ländlichen Kontexten in nahezu jedem Haushalt einen Fernsehapparat. Darüber hinaus bestimmt das Medium auch das Erscheinungsbild öffentlicher Räume: Man

58 Um an dieser Stelle nicht unnötig zu generalisieren, führe ich detailliertere Beschreibungen der lokalen apparativen Fernsehanordnung und der sozialen Praxis des Fernsehens detaillierter anhand des konkreten Forschungskontexts in Kapitel B.III.1 auf.

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findet es nicht nur in geschlossenen Räumen wie Restaurants, Cafés, öffentlichen Büros und Geschäften, sondern auch an Markt- und Imbissständen auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln, wie den kleinen Bemos und in Bussen oder Taxis, wo kleine Displays angebracht sind, die einem lautstark Musikvideos präsentieren, etc. Selbst wenn man sich gar nicht dem Fernsehapparat widmet, ist er oft angeschaltet, als eine Art Hintergrundgeräuschkulisse, die zu dem öffentlichen Leben in Indonesien dazugehört. Fernsehgeräusche ertönen aus allen Häusern, auf öffentlichen Märkten, auf der Straße. Der Fernseher gehört zum Bild der Öffentlichkeit dazu, er ist nicht Teil des privaten Raumes, sondern des öffentlichen Lebens. Ähnlich beschreibt dies Penacchioni (1984: 340) für Brasilien: »We have already seen how television enters a specific sound space; a space in which there is no split between inside and outside, between the private sphere of intimacy and silence on the one hand, and the collective, the public sphere of togetherness and communication on the other. The various sounds of television and radio … all this is part of a culture which represents, above all, a collective sound space. This sound space allows for the almost complete integration-without the shock of acclimatization-of the electronic feuilleton, the telenovela; and at the same time keeps buoyant the great oral tradition of the North-East.«

Das Fernsehen ist die Kommunikationstechnologie, die in Indonesien alle miteinander verbindet – alle sozialen Schichten, die ländliche und städtische Bevölkerung, jung und alt, alle Regionen und Inseln Indonesiens – und eine gemeinsame Kommunikation, eine Wahrnehmung als Nation und einen gemeinsamen, kollektiven Wissensvorrat ermöglicht. Diese kommunikationsermöglichende Eigenschaft des Fernsehens ist von großer Zentralität, die gemeinsame soziale Praxis des Fernsehschauens und sich darüber ergebende Gespräche fassen die Menschen in einer geteilten imagined community (vgl. Anderson 1983) zusammen und binden das Individuum so in die sie umgebende Gemeinschaft ein. Dabei ist die Aktualität der Informationen zentral, um als Teil dieser »imagined community« einer geteilten Rezeptionspraktik anschlussfähig zu sein. Stellen die neuesten Informationen über die Personen des öffentlichen Interesses – vermittelt über sogenannte infotainment-Sendungen – das zentrale geteilte Wissen dar, wird darüber hinaus jedoch auch über die Geschichten der sinetron gesprochen, über die vergangene Entwicklung der Geschichten sowie über angenommene zukünftige Entwicklungen. Oft wird über die Charaktere der sinetron wie über gemeinsame Bekannte gesprochen. Beim Verfolgen der Gespräche wird nicht sofort ersichtlich, ob es um fiktive Charaktere oder gemeinsame Bekannte geht59. In den Diskussionen der Geschehnisse (der infotainment-Geschichten oder derjenigen der SoapOperas) fließen kontinuierlich Bewertungen über angemessenes und unan-

59 Vgl. hierzu auch Kapitel B.III.5.

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gemessenes Verhalten mit ein. Das Fernsehen bildet damit eine Basis der gemeinsamen Erfahrung und Quelle für Gespräche. So bedeutet auch der Akt des Fernsehens die Teilnahme an der gemeinsamen Erfahrung einer imaginären Gemeinschaft, mit der man das Gesehene teilt, man sieht und erfährt so das, was andere sehen. Gibt es in Indonesien keine FernsehZeitschriften, die über das laufende Programm informieren, sind jedoch in den Tageszeitungen aktuelle Übersichten über das Fernsehprogramm enthalten. Nach meiner Erfahrung informieren sich Menschen in Indonesien jedoch sehr selten mittels gedruckter Medien über das Fernsehprogramm und wählen kaum gezielt aus, was sie schauen möchten. Programminformationen entnehmen sie den Ankündigungen im Fernsehen selbst. Aufgrund der Habitualisierung an den sich nicht stark verändernden Programmfluss wissen sie, zu welcher Zeit welche TV-Sendungen auf welchen Sendern laufen. Es gibt des Weiteren oft an das Fernsehen gekoppelte Medien wie einen VCD (Video CD)- oder DVD-Player. VCDs und DVDs von Filmen und Serien diverser Länder sind als illegale Kopien auf Märkten und an Straßenständen sehr günstig zu erwerben. Diese illegalen Kopien enthalten oft unzensierte Filmfassungen, die von der Filmzensurbehörde nicht kontrolliert werden können. Originale gibt es auch in Geschäften, jedoch zu einem Vielfachen des Preises, zu erwerben. In den Städten gibt es auch Videotheken, die Filme für eine geringe Leihgebühr ausleihen. Zentral ist in Indonesien darüber hinaus die enge Verknüpfung zwischen der indonesischen populären Musikindustrie und der Filmindustrie. Populäre Popsongs werden oft als Soundtrack von Filmen oder als Titelmusik von sinetron verwendet, viele Sänger sind auch gleichzeitig Schauspieler, und in Musikvideos sind immer wieder Szenen aus Serien oder Filmen enthalten, deren Geschichten auch thematisch die Liedtexte bestimmen.

5.

ABSCHLIESSENDE B ETRACHTUNG

Kitley fasst das indonesische Fernsehen als »«the same but different« from television in Western democratic countries« (Kitley 2000:330) zusammen. »The similarities are rooted in the adoption of television technology marketed worldwide in the 1950s and 1960s and in the way Bristish, American, Japanese, and Australian technology, ideas and training were shared with Indonesian broadcasters. There are similarities also in the utilization of television as a medium of popular entertainment and in the commercial sector’s involvement with television as an advertising medium. […] Differences become more marked if we pay attention to the preoccupations of television in Indonesia and the distinctive form and content of some (though not all) domestic productions. Here again the distinctiveness should not be exaggerated.« (Ebd.: 330f.)

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Das Fernsehen in Indonesien entwickelte sich zunächst als politisches Propagandainstrument einer staatlichen nationalen Entwicklungsrhetorik, um Indonesien als nationalen Raum rhetorisch zu vereinen und (konstruierte) nationale Werte und Traditionen zu verbreiten. Selbst nachdem TVRI sein offizielles Monopol verloren hatte, blieb die staatliche Kontrolle des Fernsehens weiterhin indirekt bestehen. »Television’s preoccupations from 1962 to 1989 were the promotion of national development, the construction of the national citizen, and the modeling and circulation of ideas of official national culture. These preoccupations have remained significant even after deregulation. Deregulation was in no sense a liberalization of the television sector, but is best understood as motivated by state authorities’ interest in regulating the influx of foreign televisual services and programming, which became popular in the mid-1980s. The distinctive structure that positioned TVRI as a leader among equals reflected the government’s desire to hold onto its political and cultural investment in the television sector even when all the signs indicated its previous monopoly had gone forever.« (Ebd.: 331f.)

Doch mit der Einführung der Satellitentechnologie in Indonesien wurden auch kulturfremde Bilder, Semantiken und Geschichten in Indonesien weitreichend verfügbar, die nicht staatlich kontrolliert werden konnten und dem »national project« des indonesischen Fernsehens gegenüberstanden. »Where once television everywhere in the world has been largely a medium of national culture, in the mid 1980s through to the early 1990s it shifted decisively to become a globalized medium circulating product from both the First and Third Worlds. These developments challenged the national culture construct of Indonesia as a bordered, spatial unity. The intrusion of foreign cultural products and services, which met a mixed reception from viewers, eventually led the government to dismantle its television monopoly and to integrate the sector into the global system of exchange of products. The government attempted to modify the impact of foreign cultural products by domesticating the global – by granting licenses only to close friends of the regime, by urging stations to maximize local productions, and by putting TVRI in the position of leader. But as the number of channels grew and competition between them for audiences and advertising intensified, the idea of a united team of broadcasters seemed nostalgic and little more than wishful thinking by the government.« (Ebd.: 336)

Die kulturfremden populärkulturellen Produkte, mit denen sich Menschen auf vielfältige Weise auseinandersetzen, gehören heutzutage fundamental zur Landschaft der indonesischen Populärkultur dazu (für einen detaillierten Überblick über die populärsten Filme und Serien siehe Kapitel B.III.2 und B.III.3). Bleiben Versuche der Kontrolle des Marktangebots selbst nach dem Zusammenbruch des Orde Baru Regimes in Form der Filmzensurbehörde bestehen, scheitert die umfassende Kontrolle trotz des strikten Zensurpro-

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gramms spätestens an dem großen Markt illegaler Kopien ausländischer, unzensierter Filmfassungen, die jeden erreichen, der dieses intendiert. Auch über das Internet können sich Nutzer konstant der Kontrolle durch die indonesische Zensur entziehen. Das Fernsehen hat in Indonesien einen weitaus öffentlicheren Charakter als in westlichen Zusammenhängen, was zunächst an dem dispositiven Anschluss an das japanische System öffentlich angebrachter Radiolautsprecher zu liegen scheint. Als die Fernsehausstrahlung in Indonesien aufgenommen wurde, waren die Fernsehapparate oft auf öffentlichen Plätzen als gemeinschaftlich und öffentlich genutztes Medium nationaer Botschaften angebracht. Darüber hinaus liegt dies scheinbar auch an anderen kulturellen Raumkonstrukten von Öffentlichkeit und Privatheit und an anderen, kollektiveren, sozialen Umgangsformen. Dies führt dazu, dass die Fernsehrezeption oft eine gemeinschaftliche soziale Handlung darstellt, die nicht gemäß Haushaltsgrenzen getrennt wird. In Makassar stellt das Fernsehschauen für (vor allem unverheiratete) Frauen aufgrund ihrer durch traditionelle Verhaltensnormen einschränkten Freizeitbeschäftigungen außerhalb des asrama die zentrale Beschäftigung in ihrer Freizeit als auch begleitend zu häuslichen Tätigkeiten dar. Vor dem konkreten Forschungshintergrund werden Fragen nach den sozialen Funktionen der Fernsehrezeption romantischer Fiktionen zentral. Es wird aufgezeigt, wie die Fernsehrezeption dabei zu einem sozialen Raum zur Artikulation und Diskussion von sonst tabuisierten Liebeserfahrungen und -gefühlen wird.

II

»Liebe in Makassar«

1.

E INLEITUNG

Da dieses Kapitel den Einstieg in das konkrete Forschungsfeld darstellt, werden hier zunächst die angewendeten Methoden wie auch selbstreflexive Gedanken über die Position der Forscherin im Feld vorgestellt. Dann soll ein kurzer Überblick über die Ethnie der Bugis, der die Mehrheit meiner Interaktionspartner im Feld angehört, gegeben werden. Diese relativ kurze Vorstellung der Bugis als Ethnie geht einher mit der der Arbeit zugrunde liegenden Distanzierung von einer »Containervorstellung« von Kultur, der zufolge man eine Kultur durch Beschreibung der Geschichte, der Traditionen, Religion, Wirtschaftsweise und des Verwandtschaftssystems holistisch erfassen könne. Analog zu meinem Forschungsinteresse und -vorgehen ist es von wenig Interesse, homogenisierende Beschreibungen und Betrachtungen einer sozial bzw. kulturell als homogen angesehenen Gruppe einzuholen. Dies ist korrelierbar mit dem hier zugrunde liegenden Kulturbegriff, der Heterogenität einschließt und sich von gemeinsamen intrakulturell kohärenten Wirklichkeitsbildern und Leitvorstellungen verabschiedet. Basierend auf einer Alltagshermeneutik soll eine differenziertere Wahrnehmung der Wirklichkeit erreicht werden, die vor allem Momente und Prozesse abseits der Vorstellungen von eindimensionaler Identität und deren Kohärenz fokussiert. Dies wird deswegen besonders wichtig, da es hier gerade um die multiplen und situativ changierenden Konstruktionsleistungen kultureller Identität und Differenz durch soziale Kommunikationshandlungen der Menschen selbst geht. Widersprüche zwischen Erklärungslogiken und sozialen Praktiken ergeben sich aus der sozialen Realität selbst. Damit geht auch die Akzeptanz einher, dass der Verstehensprozess selbst stets ein unabgeschlossener ist und Widersprüche und Unsicherheiten auch in den Verstehenskonstellationen wirksam bleiben60.

60 Dies wird in dem Kapitel B.II.2.2 zur Selbstreflexivität genauer thematisiert, wo der Verstehensprozess und die Verstehenskonstellationen zwischen der Forscherin und dem Feld genauer beleuchtet werden.

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So handelt es sich also bei dieser Arbeit nicht um eine repräsentativ erscheinen wollende Darstellung einer als homogen gedachten Kultur, sondern um eine Mikrostudie junger Bugis Frauen und deren komplexen Identifizierungskonstruktionen in Interaktion mit westlichen medialen Liebessemantiken in der Großstadt Makassar. Auch wenn so kein Anspruch auf eine allgemeingültige Repräsentativität für das soziale Leben aller jungen, unverheirateten Bugis Frauen in Makassar erhoben werden soll, lassen sich anhand dieser Studie zentrale soziale Prozesse und kulturelle Ausdifferenzierungen abzeichnen, die relativ typisch für das Leben junger Frauen in Makassar zu sein scheinen. Dieses Kapitel zeigt zunächst die verschiedenen Konzepte und Diskurse auf, die für die Interpretation von Liebesgefühlen, für deren Bedeutungsgeneration und Narration von Wichtigkeit sind und die von meinen Interaktionspartnern als Teil ihrer kulturellen Tradition beschrieben werden. Dies umfasst einerseits traditionelle Emotions- und Verhaltensmodelle, aber auch relativ neue nationalstaatliche und islamische Diskurse und Verhaltensnormen, die bei der Neubestimmung bzw. Neuerfindung der lokalen Traditionen zentral sind. Wird dabei stets die Abgrenzung zum Westen betont und stehen intrakulturelle bzw. intranationale Konzepte und Diskurse zur Bestimmung des Eigenen im Vordergrund, kann die Bedeutung, die diesen zugesprochen wird, sowie ihre Umsetzung und Ausdifferenzierung nicht gänzlich von der Interaktion mit »kulturfremden« Semantiken und den fiktiven Liebessemantiken der populären Massenmedien losgelöst werden. Lokale Konzepte und neue moderne Diskurse, die in Indonesien Verbreitung finden, erhalten oftmals erst vor dem Hintergrund ihrer konstruierten Differenz zu dem Anderen, z. T. aber auch mittels ihrer Vermischung und Synkretisierung mit kulturfremden Semantiken, ihre situative und lokale Bedeutung61. Geht es hier also nicht darum, was »traditionelle« im Gegensatz zu »modernen«, »westlichen« Konzepten und Diskursen sind, soll aus der Sicht und der Logik meiner Forschungspartner heraus aufgezeigt werden, welche von ihnen der Tradition zugeschrieben werden und wie Tradition von ihnen so aktiv konzipiert wird. Zunächst stehen also der lokalen Kultur und Tradition zugeschriebene Konzepte, nationalstaatliche Rhetoriken und religiöse, islamische (oft rezent erstarkte) Diskurse, die für die Konzeption von Liebesbeziehungen, die Interpretation von Gefühlen und (teilweise) für die Normierung von Verhalten für junge Frauen in Makassar zentral sind, im Vordergrund der Betrachtung. Diese Konzepte und Diskurse nehmen Einfluss auf die Interpretation des subjektiven emotionalen Erlebens. Darüber hinaus werden sie jedoch auch aktiv von Menschen verwendet, um sich narrativ in ihrem sozialen Umfeld zu positionieren und ihr Verhalten sowie das Dritter zu evaluieren. Ich gehe dabei davon aus, dass das Heranziehen von

61 Eine dezidierte Betrachtung von medialen Liebessemantiken und die explizite Interaktion mit westlichen Konzepten und Semantiken erfolgt erst in dem folgenden Kapitel B.III.

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Diskursen, Semantiken und Konzepten zur narrativen Erklärung und Interpretation von Gefühlen und Verhalten auch auf die Wahrnehmung emotionaler Erfahrungen zurückwirkt. So spiegeln sich die angesichts der sozialen Umgebung bevorzugten kulturellen und diskursiven Bedeutungsgenerierungen für Gefühle und Verhalten auch in ihrer wahrscheinlicher gewordenen Wahrnehmung auf der emotionalen Erlebnisebene wider: Z. B. kann das wiederholte Postulieren der kulturellen Erklärung, man sei bis über beide Ohren verliebt, auch dazu führen, dass man sich verliebt(er) fühlt. »Tradition«, »Religion« und »Staat« sind als diskursive Konstrukte nicht klar voneinander trennbar. Sie werden vielmehr stets miteinander vermischt und verleihen sich auch gegenseitig neue Bedeutungen. Die wechselseitigen Bezüge basieren auf aufeinander bezogenen Prozessen von Ausdifferenzierung, Abstoßung und Anlehnung. Ihre Logik und Kohärenz hängt als immer aufs Neue konstruierte, voneinander differenzierte Konzepte entscheidend von den jeweiligen situativen Interpretationen und narrativen Einbettungen der Akteure in konkreten kommunikativen Situationen ab. Demzufolge ist die hier getroffene Einteilung in verschiedene thematische Blöcke (»Tradition«, »Nationalstaatliche Diskurse«, »Islam«) problematisch, jedoch den Zwängen einer schriftlich verfassten Darstellung geschuldet. Diese Darstellung orientiert sich weitestgehend daran, wie Religion, Tradition und indonesische nationale Modernität von meinen InterviewpartnerInnen selbst beschrieben und verstanden werden. Die sozio-historischen und politischen Entstehungs- und Wirkungszusammenhänge werden in der Darstellung dennoch berücksichtigt, um die Mikroprozesse des konkreten Forschungsfeldes gedanklich an die gesamtgesellschaftlichen Diskurszusammenhänge und Entwicklungen anzuschliessen. Dies geschieht, ohne die Widersprüchlichkeit der Konstruktionsleistungen meiner Forschungspartner wie auch der Konzepte an sich zu verbergen. Es ist zentraler Teil des Erkenntnisinteresses diese Widersprüchlichkeiten und Inkohärenzen herauszuarbeiten. Die vorliegende Analyse orientiert sich an den Darstellungen durch meinen Gesprächspartner, Auszüge aus den Interviews dienen der genaueren Veranschaulichung der dahinter steckenden Logik bzw. Unlogik. Dementsprechend erhebe ich weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch gewährleiste ich eine vollständige soziale und politische Kontextualisierung62. Die-

62 Diese damit einhergehende Lückenhaftigkeit, nimmt man die systematische Analyse anderer Disziplinen und wissenschaftlicher Perspektiven zum Maßstab, ist der Komplexität des Forschungsgegenstandes sowie der Logik/Unlogik meiner Forschungssubjekte geschuldet, die es erfordern, mich primär an die empirisch gewonnenen Daten zu halten und Exkurse in die Entwicklungen des Islam in Indonesien, in die politische Landschaft sowie deren historische Entwicklung relativ kurz zu halten. Dies legitimiere ich mit dem Wissensstand der Subjekte selbst, für die eine genaue Kenntnis der Politik Indonesiens oder der religiösen Geschichte und Entwicklungen in ihrem sozialen Alltag nicht von Bedeutung sind. Ich verweise im Verlaufe des Kapitels jedoch auf detailliertere Arbeiten, die sich

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ses Kapitel bildet die Grundlage zu dem Verständnis des folgenden Kapitels B.III, das genauer auf die Fernsehrezeption romantischer Fiktionen und die dabei konstruierten Selbst- und Fremdbilder eingeht. Dort geht es dann expliziter um die Fremdkonstruktionen in Auseinandersetzung mit westlichen und modernen indonesischen Liebessemantiken, ihre Bedeutungszuweisungen durch die jungen Frauen und ihre sozialen Funktionen vor dem Hintergrund der Konstruktion von kultureller Identität und Differenz. Beinhaltet das vorliegende Kapitel immer bereits die Auseinandersetzung mit dem Fremden, beziehen sich die jungen Frauen bei der Fernsehrezeption westlicher oder kulturfremder Medientexte explizit auf die in diesem Kapitel vorgestellten Konzepte des »Eigenen«. Ich werde während der Darstellung auf die wechselseitigen Bezüge zwischen den Kapiteln B.II und B.III hinweisen.

2.

M ETHODEN

2.1

Methoden

UND

F ORSCHERIN -S TANDPUNKT

Die vorliegende Arbeit basiert auf drei, zeitlich in Jahresabständen aufeinanderfolgenden Feldforschungsaufenthalten (2006, 2007 und 2008) in der Großstadt Makassar, im Süden der Insel Sulawesi, wo ich teilnehmende Beobachtung und Interviews, sowohl Focus-Group-Interviews als auch Leitfadeninterviews und narrative, offene Interviews durchgeführt habe. Die Daten habe ich ergänzt mit einigen Interviews, die ich auf Bali durchgeführt habe, um interethnische Unterschiede wie auch interkulturelle Aspekte durch die Kontaktzone Balis mit dem Westen durch den Tourismus zu berücksichtigen63. In Jakarta habe ich Interviews mit indonesischen Film/Serienproduzenten und -regisseuren (Deddy Mizwar, Hanny Saputra, Hanung Bramantyo, Slamet Rahardjo) und der Direktorin der indonesischen Filmzensur Titi Said durchführen können, um deren Konzeption der kulturellen Differenzen zwischen der indonesischen und ausländischen Filmlandschaft und ihren Publika genauer zu beleuchten. Insgesamt habe ich eine ca. 13 Monate andauernde ethnologische Feldforschung durchgeführt, die sich in zwei jeweils mehrmonatige Forschungsaufenthalte (im Jahr 2006 sieben Monate, 2007 fünf Monate) und einem Restudy-Aufenthalt von einem Monat in 2008 gliederte, bei dem ich Analyse-Ergebnisse überprüfen, neue Entwicklungen im Leben meiner ProtagonistInnen weiter verfolgen und in diese Arbeit einbeziehen konnte. Ich konnte so die lebensgeschichtlichen Entwicklungen und die Veränderungen

eingehender und singulärer mit den hier angerissenen Unterthemen in seiner Gesamtheit beschäftigt haben. 63 Zudem spielt Bali als konstruierter sozialer »verwestlichter« Raum auch als Bedeutungskategorie in Makassar eine große Rolle (vgl. hierzu Kapitel B.III.4.1.2.2).

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in den autobiographischen Narrationen bezüglich ihrer sich wandelnde Ziele und Wünsche hinsichtlich zwischengeschlechtlicher Beziehungen, die Revisionen und Neukonzeptionen beinhalteten, einer Kerngruppe von 14 jungen Bugis Frauen zwischen 18 und 26 Jahren über einen Zeitraum von drei Jahren mitverfolgen. Dabei konnte ich einige der Frauen in verschiedenen Phasen zwischengeschlechtlicher Beziehungen begleiten: in der Phase der Partnerwerbung, während einer oder multipler Partnerschaft(en) (im Sinne von pacaran) und im frühen Stadium der Ehe (darunter selbst gewählte und familiär arrangierte Ehen wie auch Fluchtehen – also gegen den Willen der Eltern). Ich baute intensive Beziehungen zu ihnen auf, die das Verhältnis zwischen Forscherin und Forschungssubjekt – als Beziehung enger Freundinnen – überschreiten. Als enge Vertraute konnte ich dabei ihre Ängste, Wünsche, Konflikte, darunter auch sehr persönliche Probleme und Entwicklungen wie Abtreibungen, Fluchtehen, arrangierte Ehen ihrerseits oder vonseiten des Partners, etc. mitverfolgen. Diese intensive Kenntnis erlaubte es mir, ihre öffentlich nicht bekannten Probleme und Taten mit ihren offiziellen Erzählungen über ihre Beziehungen und ihr Verhalten im sozialen Alltag in dem Wohnheim, dem asrama, in dem sie lebten, zu kontrastieren. Der so ermöglichte Vergleich zwischen von in privaten Gesprächen geäußerten Gefühlen und den offiziellen Versionen ihrer Lebensgeschichten, die sie in kollektiven Kommunikationssituationen im asrama äußerten – auch im Zuge der Fernsehrezeption romantischer Fiktionen –, war sehr aufschlussreich bezüglich des Verständnisses der kollektiven Identitätskonstruktionen der Frauen. Die Daten, die auf der Beobachtung konkreter sozialer Situationen und spontan vorgebrachter Alltagsdiskurse, beruhen, welche ich sorgfältig in Feldforschungstagebüchern notiert habe, habe ich mit Interviews ergänzt. Um in das Feld einzusteigen und die natürlich hervorgebrachten Diskurse und Begriffe der Frauen um das Thema zu verstehen, um meine Forschungsarbeit daran anzusetzen, habe ich mehrfach Focus-Group-Interviews zu verschiedenen Themen durchgeführt. In diesen Focus-Group-Interviews von ca. jeweils acht Personen, habe ich ein Diskussionsthema vorgelegt, wie »Was ist Liebe? Wie kommt diese zum Ausdruck?«, »Was wird im Fernsehen geschaut und warum?«, »voreheliche Beziehungen mit Männern«, etc. Ich habe die Personen weitestgehend alleine über das jeweilige Thema diskutieren lassen. Hat sich die gemeinschaftliche Diskussion ausgeschöpft, habe ich Themenbereiche, die besprochen wurden, wieder aufgegriffen und vertieft und Unklarheiten von meiner Seite beseitigt. Diese Focus-GroupInterviews dienen dazu, sensibel für die eigenen Begrifflichkeiten und Diskurslogiken der Frauen zu werden, um zu vermeiden, dem Forschungsgegenstand eigene Begriffe oder Hypothesen aufzuzwingen. Ich habe hierzu zehn Interviews geführt, die ich alle auf Tonbandgerät aufnehmen konnte und anschließend zur Analyse transkribiert habe. Ich habe am Anfang der Forschung Leitfadeninterviews, später vorwiegend offene, narrative Interviews mit den Frauen geführt. Die Interviews

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hatten im Schnitt eine Länge von ca. 1–1,5 Stunden. Da es sich um einen sensiblen Forschungsbereich handelt, konnte ich nicht alle Interviews mit einem Tonbandgerät aufzeichnen. Einige der Frauen wollten dies explizit nicht, bei anderen Frauen merkte ich am Anfang des Interviews mit Tonband die Scham offen zu sprechen, weswegen ich mich entschied, die Tonbandaufnahme zu stoppen. Ich habe 52 Interviews auf Kassette aufzeichnen und transkribieren können. Bei den anderen Interviews habe ich direkt im Anschluss Gedächtnisprotokolle gemacht und diese detailliert ausformuliert. Ich habe wiederholt Interviews mit denselben Personen gemacht, um Änderungen von Bewertungen von Gefühlen und Situationen in ihren Narrativen über die Zeit hinweg aufzunehmen. Insgesamt habe ich 186 Interviews geführt. Die Erhebung des Liebesvokabulars geschah innerhalb dieser Interviews. Ich habe zunächst die natürliche Verwendung von Liebesbegriffen zur Beschreibung von Beziehungsqualitäten im Rahmen von Gesprächen, Focus-Group-Interviews und Leitfaden- und narrativen Interviews beobachtet und die immer wieder auftauchenden Begriffe notiert. Ich habe dadurch das indonesische Liebesvokabular aufnehmen können, da im alltäglichen Gebrauch ausschließlich indonesische Begriffe verwendet wurden. Am Ende der Interviews habe ich mir die hervorgebrachten Liebesbegriffe von meinen Interviewpartnern erneut erklären und voneinander abgrenzen lassen. Die Begriffsbedeutungen habe ich verschriftlicht und mit den Angaben anderer Interviewpartner stets gegengecheckt. Alle meine Interviewpartner habe ich nach dem lokalen Liebesvokabular in der Bugis Sprache gefragt, habe mich dabei auch explizit an ältere Personen im Dorf und sogenannten Spezialisten des Bugis Brauchtums gewandt, die jedoch alle darauf hinwiesen, dass es derartige Wörter – außer das allgemeine ma’pojji (BB) für »mögen« – nicht gäbe, sondern dass dafür das Hochindonesisch verwendet werden würde. Alle meine Daten habe ich verschriftlicht, also Beobachtungen aufgezeichnet, Interview transkribiert und detaillierte Gedächtnisprotokolle erstellt. Diese Texte habe ich dann mit der Software MaxQda weiterbearbeitet, die eine qualitative Analyse von Textdaten ermöglicht und mit der man Texte systematisch auswerten kann. Man kann selbst Codes herstellen, nach denen Texte, Interviewausschnitte, Beobachtungen sortiert und klassifiziert werden, Beobachtungen auf zweiter Ebene erstellen, Memos schreiben und alle Daten nach Codes, Markierungen und Wörtern durchsuchen. Insgesamt erlaubt das Programm eine intensive und übersichtliche qualitative Datenauswertung auf hohem Niveau. Während die jungen Frauen im asrama meine Hauptforschungsgruppe darstellten, sprach ich zur breiteren Kontextualisierung sowie zur Fokussierung der Fremdevaluierung ihrer offiziell hervorgebrachten Narrative durch Dritte auch mit anderen Personen. Dazu gehören ihre (auch männlichen) Freunde und Familienmitglieder, sowohl in den Dörfern als auch in der Stadt, aber auch andere Frauen, die andere Hintergründe und Verbindungen

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zu den lokalen Traditionen haben. Ich habe mit älteren und von den Eltern unabhängigen Frauen der Mittelklasse, die zum Teil bereits eine Ehe hinter sich hatten, Erfahrungen in interkulturellen, zwischengeschlechtlichen Beziehungen hatten und/oder in wesentlich liberalen Kontexten wie z. B. auf Bali lebten, sprechen können. Diese Frauen hatten oft einen intensiveren Kontakt mit westlichen Semantiken, sie lasen US-amerikanische oder englische Romane, hatten Freunde (z. T. auch Partner) aus dem Westen (v. a. England, Australien, Schweiz), mit denen sie sich auch über kulturelle Differenzen ausgetauschten, bereisten gelegentlich andere Orte in Indonesien wie z. B. Bali, Jakarta oder Yogyakarta – bezeichnenderweise die Orte, die auch das Hauptinteresse für westliche Touristen in Indonesien darstellen. Sie setzten sich kritischer mit kulturellen Ver- und Geboten auseinander und versuchten, sich eine Identität als unabhängige, finanziell gut situierte und gebildete, selbstbewusste Frauen zuzuschreiben. Darüber hinaus interagierte ich mit einigen sehr jungen Frauen (17–21 Jahre alt), die in der Großstadt aufgewachsen waren, sich selbst als »sehr modern« und »trendig« wahrnahmen, sich gemäß populären (auch sehr freizügigen) Modetrends kleideten und einem Großstadtleben, wie sie es in Serien und Filmen erlebten, folgen wollten. Sie verwendeten eine an einen Dialekt aus Jakarta orientierte und durch Medien weitergegebene Jugendsprache, die als »cool« gilt (vgl. hierzu Saxby, 2006, http://www.insideindonesia.org/content/ view/198/29/, zuletzt gesichtet am 22.01.09). Sie benutzten häufig auch englische Phrasen, waren dem anderen Geschlecht gegenüber nicht verhalten – aus Sicht der anderen, traditionelleren jungen Frauen sogar sehr aggressiv –, gingen gerne in Diskotheken und tranken sogar Alkohol. Von den jungen Frauen des asrama wurden diese als unreife Teenager – mit dem Begriff ABG (Anak Baru Gede – Kinder, die gerade reif sind)64 – bezeichnet, ein Begriff, der als Differenzmatrix zur eigenen Identitätskonstruktion dient. Ich habe auch Interviews mit lokal als kulturelle Spezialisten geltenden Menschen durchgeführt, die sich z. B. als Hochschullehrer, Journalisten und Kulturdezernate in der lokalen Stadtregierung auch beruflich mit Analysen kultureller und sozialer Zusammenhänge in Makassar auseinandersetzen, wie auch mit einem dukun (Magier, Heiler) über Liebesmagie. Ich war an den gemeinsamen Veranstaltungen, an dem gemeinsamen sozialen Zusammensein inner- und außerhalb des asrama, der gemeinsamen Fernsehrezeption und den Diskussionen um diese beteiligt, habe an Einzel- und Kleingruppenaktivitäten wie beispielsweise Kinobesuchen, Treffen bei Freunden,

64 Dazu gezählt wurden meist sehr junge Menschen zwischen 12 und 20 Jahren, die sich um einen modisch-modernen, westlich geprägten Stil bemühen. Sie geben sich in Abhebung zu anderen jungen Frauen etwas »verrückt« und »cool« (gaul), bemühen sich um den Gebrauch englischer Wörter und gelten als die Hauptzielgruppe für die indonesisch produzierten TV Serien, in denen es um Liebesbeziehungen und -probleme in der Schule geht.

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jalan-jalan (spazieren gehen, »um die Häuser ziehen«) teilgenommen. Darüber hinaus war ich häufig auch bei persönlichen dates dabei65. Neben dieser qualitativen Datenerhebung zeichnete ich zudem einige der indonesischen Serien und Programme auf, die ich zu der Analyse hinzuziehe, erwarb die populärsten indonesischen Liebesfilme sowie eine taiwanesische Serie (The Prince Who Turns Into A Frog – die von den Frauen in die Kategorie der film Mandarin66 eingeordnet wird), die lange Zeit im indonesischen Fernsehen lief und sehr populär war, zur Analyse. 2.2

Selbstreflexivität der Forscherin

Die Anfangs- und Orientierungszeit meiner Feldforschung stellte für mich eine sehr intensive Begegnung mit dem Fremden und dem Eigenen dar, welches mir selbst mit der Zeit fremd zu werden schien. Trotz bereits einiger langer Aufenthalte in Indonesien, in denen ich viele indonesische Freunde gefunden hatte, wählte ich als Forschungsort eine Stadt, die ich nicht und in der ich niemand kannte, um bestehende Freundschaftsbeziehungen nicht mit Beziehungen, die sich im Zuge der Forschung ergeben würden, zu vermischen. Ich wollte mich in den fremden Kontext als Forscherin und nicht als Freundin einführen, um bestehende Beziehungen nicht in meine Tätigkeit als Forscherin zu verwickeln. Glücklicherweise bekam ich schnell Kontakt zu jungen Frauen, die mich als Forscherin in ihre Gemeinschaft aufnahmen, und ich etablierte mich als ständiger Gast im asrama, wo ich von Anfang an herzlich aufgenommen wurde. Ich bemerkte jedoch schnell, dass ich in der relativ stark Prestigeorientierten Kultur der Bugis (vgl. Kapitel B.II.5.1.1) als »Weiße« selbst als Prestigeobjekt behandelt wurde und die Beziehungen zu mir im asrama zum Teil einen Wettbewerbsaspekt unter den jungen Frauen beinhalteten. Fragen danach, wer zu mir die engste Beziehung aufbaute, in welchem Zimmer ich übernachtete, wer neben mir schlief, bei wessen Familie im Dorf ich übernachtete, wurden dabei wichtig. Es zeichnete sich relativ schnell ab, dass exklusive Treffen mit Einzelnen der Frauen Neid und Eifersucht bei den anderen hervorrief. Im asrama gab es eine dominante Gruppe, die die Sozialordnung des Hauses bestimmte. Die dieser nicht zugehörigen Frauen trauten sich nicht, mir in Anwesenheit der Frauen der dominanten Gruppe nahezu-

65 Mein angemietetes Zimmer in einem gemischt geschlechtlichen Wohnheim wurde mehrmals als ein potentieller Treffpunkt für solche dates auserkoren, da meine Verschwiegenheit bekannt war und man dort nicht von anderen Bekannten überrascht werden konnte. 66 Film Mandarin referiert auf asiatische, vor allem aus Korea, Taiwan oder Hongkong stammenden Serien. Film Mandarin ist die singuläre Form. Der Plural wäre eigentlich film-film Mandarin, dies wird jedoch in der Praxis kaum verwendet. Ich verwende film Mandarin in dieser Arbeit so als Singular wie auch als Plural des Wortes.

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kommen. Ich litt darunter, zu merken, dass so viel an meiner Anwesenheit und meiner sozialen Nähe zu Einzelnen festgemacht wurde und dass unter den jungen Frauen diesbezüglich Spannungen aufkamen. Hinsichtlich meiner Forscherinposition, aber auch ganz persönlich, wollte ich mich nicht in solche sozialen Exklusionsmechanismen hinein begeben. Ich wollte neutral bleiben und mir nicht diktieren lassen, mit wem ich mich traf, mit wem ich sprach und mit wem ich welche Art von Beziehungen einzugehen hatte. Dennoch kam ich gegen die hierarchisierte Sozialordnung unter den jungen Frauen im asrama nicht an. Ich wurde in der kollektiven Interaktion zu der Gruppe im asrama assoziiert, die das Sozialgefüge über Klatsch67 und Exklusion dominierte. So traf ich mich mit einigen der Frauen zu gemeinsamen Aktivitäten und Interviews ausschließlich außerhalb des asrama. Einige der Frauen taten sich aus Angst vor weiterer sozialer Stigmatisierung und Klatsch durch die anderen asrama-Bewohnerinnen schwer, mich alleine zu treffen. So wurde ich von einigen Frauen gebeten, den anderen nichts von den »heimlichen« Treffen mit mir zu erzählen, während andere Frauen exklusive Treffen mit mir ostentativ vor der Gruppe präsentierten, um ihr Prestige in der Gruppe zu erhöhen. Die Inhalte der Interviews wurden stets vertraulich behandelt. Es war zentral für die Frauen zu wissen, dass ich anderen nichts über meine Ge-

67 Wie man in dieser Arbeit sehen wird, hat der Klatsch unter den Frauen eine herausragende Rolle. Gluckmann (vgl. 1963: 308) beschreibt Klatsch (gossip) als Mittel sozialer Kontrolle von zu einer Gruppe zugehörigen Individuen, das der Aufrechterhaltung einer bestehenden Ordnung bzw. Moral dient, wenn er sagt, dass über Klatsch die Einheit wie auch die Moralvorstellungen und Werte von sozialen Gruppen aufrechterhalten werden und er eine Verhaltenskontrolle von zu einer Gruppe zugehörigen Individuen ermöglicht. Durch Klatsch können jedoch auch gültige Moralvorstellungen und Werte für eine Gruppe von der Klatsch-Gemeinschaft selbst konstruiert werden. Dem Klatsch kommt dabei große Bedeutung für die Konstitution eines Gruppengefühls zu, dass sich gerade durch die Abgrenzung zu anderen Personen – meist die, über die »geklatscht« wird – auszeichnet (vgl. auch Abrahams 1970 und Röttger-Rössler 1989: 15f.). Damit wird abweichendes Verhalten und das Andere in Differenz zum Eigenen oft überhaupt erst als solches markiert. Gleichzeitig funktioniert Klatsch als »collective problem-solving mechanism through which individuals are able to retain their connection to the group and to arrive at mutually agreeable explanations for and responses to ambiguous events« (Kroeger 2003: 244). Das bietet dem Einzelnen die Möglichkeit für den Einzelnen, eigene Erfahrungen und soziale Verhaltensweisen über so bereitgestellte »collectively constructed explanations« so zu reflektieren und gemäß diesen zu (re-)interpretieren. Wie zu sehen sein wird, entspricht die Art der kollektiven Rezeptionsdiskussionen über die Inhalte der TV-Sendungen nicht nur der Kommunikationsweise von Klatsch, sondern übernimmt auch dieselben sozialen Funktionen. Dies werde ich für den Fall der Rezeption im Laufe der Arbeit genauer ausführen.

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spräche mit ihnen mitteilte. Wie man im Folgenden der Ausführungen sehen wird, ist das Thema der Liebesbeziehungen, damit einhergehender sozialer Praktiken sowie der Ausdruck von Liebesgefühlen generell stark tabuisiert. Man ist es nicht gewohnt, frei darüber zu sprechen. Mir war von Anfang an klar, dass es schwierig sein würde, in der Schamkultur Süd-Sulawesis offen über solche sehr persönlichen Themen zu sprechen. So dauerte es etwas, bis mir das Vertrauen geschenkt wurde, offener über Liebesbeziehungen und -praktiken zu sprechen und mir letztlich sogar Geschichten anzuvertrauen, die kollektiv als Normübertretungen gewertet und die Frauen öffentlich beschämen würden oder zum Teil auch gesetzliche Bestrafungen (z. B. Gefängnisstrafen im Falle von Abtreibungen) zur Folge haben könnten. Ich wurde zunächst regelrecht bezüglich meiner Vertrauenswürdigkeit getestet: Die Frauen versuchten, mir, sowohl aus Interesse an den Geheimnissen der anderen als auch zur Kontrolle meiner Verschwiegenheit, die Inhalte dieser Gespräche zu entlocken. Erst als sie sich meiner Verschwiegenheit relativ sicher waren, öffneten sie sich mir gegenüber. Natürlich drängte sich den jungen Frauen grundsätzlich auch die Frage auf, wieso ich überhaupt Interesse (und dann auch noch ein wissenschaftliches) an ihren privaten Liebesgeschichten und etwas so »Trivialem« wie der Fernsehrezeption hatte: Zwei Bereiche, deren Bedeutsamkeit als wissenschaftliche Forschungsgegenstände für jemanden, der als Ethnologe doch eigentlich Interesse an der »Kultur« haben sollte, nicht auf der Hand zu liegen schien. Auch der methodische Zugang mittels teilnehmender Beobachtung schien ihnen suspekt. Interviews hingegen galten als akzeptierte »Forschungsarbeit«. Wenn ich mit den Frauen im asrama beispielsweise Fernsehen schaute oder mit ihnen gemeinsam anderen Tätigkeiten nachging, fragten sie mich so oft, ob ich nicht eigentlich forschen/arbeiten müsste. Es war schwierig, den Frauen verständlich zu machen – trotz ständiger Wiederholung meinerseits –, dass genau dies Teil meiner Forschung war. Meine Teilhabe an ihrem Leben wurde als ein freundschaftliches Zusammensein angesehen, das es ja darüber hinaus auch für mich war. Auch wenn ich von Anfang an deutlich machte, dass ich mit den Frauen primär zum Zwecke meiner Forschung Zeit teilte und Gespräche mit ihnen – auch jenseits offizieller Interviews, die ich auf Tonband aufzeichnete – zumindest z. T. Bestandteil der Forschung war, wurde dies in der sozialen Kommunikation oft vergessen. Als Folge beschäftigten mich Fragen danach, was mir exklusiv als Freundin und was als Forscherin mitgeteilt wurde und ob ich auch bei der Darstellung meiner Daten zwischen den Informationssituationen (freundschaftlich versus offiziell) unterscheiden müsste. Vor diesem Hintergrund rückten ethische Fragen nach der Balance zwischen registrierter und akzeptierter Teilhabe einerseits und nicht registrierter und persönlicher Informationserhebung68 in den Vordergrund. Dies war deswegen besonders zentral,

68 Nämlich dann, wenn die Frauen mir in Funktion als Freundin und nicht als Forscherin Informationen zukommen ließen und mit mir Zeit verbrachten.

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da die teilweise sehr sensiblen und sehr persönlichen Geschichten nicht nur das persönliche Leid der Frauen, sondern z. T. auch soziale und legale Übertretungen beinhalteten. Da für die jungen Frauen selbst zentral war, dass ihr unmittelbares Umfeld nichts von diesen Geschichten erfuhr, und Menschen fernab von ihrem unmittelbaren Lebenskontext diesbezüglich keine Gefahr für die Frauen darstellten, erachte ich es als ethisch unbedenklich, auch solche Geschichten unter Anwendung von Pseudonymen zum Schutz meiner InformantInnen in dieser Arbeit zu thematisieren. Das bedeutet jedoch, dass es unmöglich ist, dieses Buch in indonesischer Übersetzung meinen InformantInnen selbst vorzulegen, was ich persönlich bedauere, da ich dies im Sinne einer erwünschten Reziprozität zwischen ForscherIn und Forschungssubjekten als positives Verfahren begrüße. Wie zuvor bereits angedeutet, teilten mir die Frauen zu Anfang der Forschung überwiegend offizielle Versionen ihres Liebeslebens mit, die mit »traditionellen« Werten und Verhaltensnormen kohärent waren. Diese wurden im Nachhinein oft revidiert, sei es durch wiederholte Interviews im Rahmen einer wachsenden Vertrauensbeziehung oder durch Beobachtungen des realen sozialen Handelns meinerseits. Die daraus resultierende Skepsis und Unklarheiten darüber, was ich selbst nun als »wahre« und was als »strategische« Aussagen69 verstehen sollte, verursachten persönliche Frustrationsgefühle, nicht an den »wahren Kern« heranzukommen, mich stets mit konstruierten Identitäts-Narrativen konfrontiert zu sehen, die »valide« Ergebnisse zu gefährden schienen, auch wenn ich mich epistemologisch von einer gültigen (Empfindungs-)Wahrheit verabschiedet hatte. Doch mit der Zeit veränderte sich die Situation drastisch. Meine Außenseiterposition als Mitglied einer Kultur, die als individualistisch, (sexuell) offen oder gar freizügig gilt, verbunden mit den wachsenden Freundschafts- und Vertrauensbeziehungen einerseits und dem Fakt, dass junge Frauen gerade wegen der Tabuisierung, über ihre Liebesbeziehungen und -probleme zu sprechen, offensichtlich ein Bedürfnis dazu hatten, führte dazu, dass ich mit der Zeit regelrecht zu Gesprächen über einhergehende Probleme gebeten wurde. Diese völlige Kehrtwendung ging jedoch mit anderen Problemen einher. Ich wurde für viele der jungen Frauen zur einzigen »Komplizin« im love talk. Persönlich wahrgenommene Fehltritte, Ängste und innere Konflikte, welche die jungen Frauen sonst für sich behielten, wurden mir zunehmend mitgeteilt. Ich wurde zu einer Art Ventil für oft nicht artikulierte Probleme und Sorgen70. Das beinhaltete auch, dass ich oft um meine Meinung, um Ratschläge und um Hilfe gebeten wurde. Fragen nach der Legitimation, die

69 Sofern man diese überhaupt analytisch voneinander trennen kann. 70 Dies soll die in diesem Rahmen getätigten Angaben jedoch keinesfalls außerhalb ihres Konstruktionscharakters stellen oder ihnen eine größere Wahrheit bzw. Authentizität zuschreiben als in anderen Kontexten getätigte Aussagen. Vielmehr gehe ich davon aus, dass sich diese komplimentieren und für das soziale Subjekt in verschiedenen Kontexten durchaus gleichermaßen gültig sind.

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Beobachterposition zu verlassen und aktiv in das Feld einzugreifen, wurden aktuell, besonders dann, wenn ich in sehr schwierigen und z. T. illegale Vorgänge betreffenden Situationen um Hilfe gebeten wurde. Auch wenn ich versuchte, meine Beobachtersituation zu wahren, empfand ich ein Eingreifen in einigen schweren Fällen im Rahmen nicht zu verhindernder Abtreibungen und Fluchtehen als notwendig, um katastrophale Entwicklungen zu verhindern. Ich unterstützte die Frauen dabei jedoch eher passiv, im Sinne mentaler Unterstützung, finanzieller Hilfe und durch das Bereitstellen zentraler Informationen, die ihnen fehlten oder sie sich nicht trauten einzuholen. Aber auch alltäglichere, oft indirekte Aufforderungen nach meiner (oft finanziellen) Hilfe begegneten mir als »Weiße«, von der angenommen wurde, sie sei reich, sehr oft. Hierbei musste ich abwägen, was sich im Bereich des Angemessenen befand – auch hinsichtlich einer notwendigen Reziprozität zwischen der Forscherin, die viel Zeit beanspruchte, und den InformantInnen, denen im Gegenzug dafür idealiter etwas zurückgegeben werden sollte –, ohne jedoch ausgenutzt, instrumentalisiert und infolge nicht mehr ernst genommen zu werden. Durch die im Zuge des Forschungsprozesses entstandenen »heimlichen« Beziehungen und das mir entgegen gebrachte Vertrauen wurde ich in einigen Fällen gezwungen, anderen gegenüber unehrlich zu sein. Ich wurde so selbst Teil der sozialen Ordnung von Verschwiegenheit und Heimlichtuereien, die ich zuvor sehr kritisch empfand und für mich persönlich ablehnte. Die Strukturen sozialer Hierarchie und Ordnung machen nicht vor dem teilnehmenden Forscher halt. Teilnehmen bedeutet so auch eine Integration und zum Teil eine Subsumption unter diese fremden Spielregeln, die nicht nur das eigene soziale Handeln und Verhalten restringieren, sondern auch emotional auf die eigene Person wirken. Aus einer distanzierten Beobachterposition wird so zwangsweise eine selbst-involvierende Position, die zwar im Falle ihrer Reflexion für das Erkenntnisinteresse fruchtbar ist – gerade weil sie auch subjektiv und leiblich erfahrbar wird – aber emotional auch sehr schwierig sein kann. Veränderungen des Selbst auch im Fühlen, das an das zunehmende Verständnis und Funktionieren im fremden Umfeld geknüpft ist, werden zwar wahrnehmbar, bleiben aber wenig artikulierbar, vor allem gegenüber dem eigenen Heimatkontext, dem gegenüber man im gleichen Zuge mit zunehmenden Entfremdungsgefühlen begegnet. Gleichzeitig stellte ich mir Fragen nach meinem längerfristigen Einfluss auf das Forschungsfeld. Einige der Frauen hatten durch mich plötzlich die Möglichkeit, sonst nicht zur Sprache kommende Sorgen und Probleme zu artikulieren. Diese Möglichkeit wurde durch meine Abreise wieder genommen. Auch heutzutage bekomme ich noch Textnachrichten von den jungen Frauen, die mir mitteilen, dass sie mit mir über ihre Probleme reden müssten, da sie mit anderen darüber nicht sprechen könnten. Meine Einflüsse auf das Feld waren jedoch auch in anderen Bereichen, noch während meines Aufenthalts, spürbar. In den Gesprächen über Liebe, in denen es stets auch explizit um Konzeptionen des Westens ging, wurden mir oft Fragen gestellt,

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wie es sich denn im Westen mit Liebesbeziehungen verhalten würde, wie ich meine eigene Beziehung sehe und meine Gefühle umsetze, etc. Durch mich traten die jungen Frauen direkt mit dem »Westen« in Kontakt und erhofften sich, in einem interaktiven Austausch Informationen über mein ganz anderes Leben zu bekommen71. Den Fragen nach meinem eigenen (Liebes-) Leben, nach eigenen Konzeptionen, Ansichten und sozialen Praktiken diesbezüglich begegnete ich mit zwar vorsichtig formulierten, jedoch ehrlichen Antworten, die bei meinen Interaktionspartnern möglicherweise zu einer (temporären oder situativen) Revidierung von Stereotypisierungen des Westens und westlicher Menschen72 führen konnten. In diesem Sinne ist ein Einfluss auf potentielle Konstruktionen des Westens durch seine Interaktionspartner unumgehbar. Auch wenn schwer nachvollziehbar ist, ob sich diese in Kontakt mit mir tatsächlich wandelten und die sehr etablierten Konzeptionen des Westens als Ort unmoralischer sexueller Praktiken relativ konstant zu bleiben schienen, bemerkte ich dennoch z. T. Veränderungen im Sinne von Relativierung der negativen Konzeption des Westens in Gesprächen mit mir. Dies diente m. E. zweierlei: Erstens stellten sie so zu Dingen, die ich selbst artikulierte, Bezüge her, um zu demonstrieren, dass sie als offene und intelligente, am Neuen interessierte Menschen »verstanden«, dass der »Westen« ein komplexeres Bild liefere als in eigenen kulturellen Stereotypisierungen. Damit positionierten sie sich auf Basis eines geteilten, reziproken Lerninteresses als mir gleichberechtigte Interaktionspartner. Während ich mich bemühte, ein differenziertes Bild über ihre Kultur zu erlangen, zeigten sie das Bestreben, von mir Informationen über meine Lebensrealität einzuholen. Zweitens bezogen sie mich durch eine Relativierung der Meinung über den Westen, indem sie feststellten, dass die eigentlichen kulturellen Unterschiede gar nicht so groß seien, als Gleiche unter Gleichen auch narrativ in ihre soziale Realität mit ein. Indem die Kritik an dem Westen relativiert wurde, erlaubte man es mir, mich als den Sprechenden ebenbürtig und nicht als Außenseiterin zu verstehen73. Interessanterweise wurde

71 Die offiziell artikulierte Abwertung des »Westens«, über seine konstruierte Immoralität im Vergleich zu der eigenen, auf Tradition und Religion fußenden Sittlichkeit, steht dabei im Widerspruch zu der großen Neugier an »weißen« Menschen. Diesen kommt auf Makassars Straßen viel Aufmerksamkeit zu, da diese – im Gegensatz zu Orten wie Bali oder in den javanischen Städten Yogyakarta oder Jakarta – vor Ort kaum präsent sind. 72 Um einige Beispiele zu nennen: Ich wurde oft gefragt, wie ich es denn aushalten könnte, im Westen auf öffentlichen Straßen stets von Männern unsittlich angefasst zu werden oder ob es sich nicht merkwürdig anfühle, mit jedem, auch fremden Menschen, sofort Sex zu haben. 73 So wurde gesagt, dass alle Menschen, gleich welcher Kultur entstammend, Scham (malu) haben würden, wobei dies in anderen Kontexten als Differenzmarker zum Westen aufgebaut wird. Zudem wurde gelegentlich geäußert, dass mit der Liebe sei doch überall gleich sei, in Indonesien könne man nur nicht so

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ich mit zunehmender Zeit im Feld jedoch oft außerhalb des »Westens« verortet74. Mir wurde oft entgegengebracht, ich sei nicht wie eine »Weiße«, sondern im Herzen eine Bugis und am falschen Ort der Welt geboren. Ich wurde mit den Begriffen kakak (BI = ältere Schwester) oder adik (BI = jüngere Schwester) auch in familiäre Genealogien einbezogen. Freunde sagten mir, sie würden oft vergessen, dass ich eigentlich ein bule – als umgangssprachlicher Begriff für »Weiße«, der konnotativ mit der Bedeutung als Albinos gefasst75 werden kann und der konzeptuell alle einschließt, die nicht asiatisch oder farbig sind (vgl. Echols/Shadily 1989) – sei und würden sich dem erst in Kontakt mit Dritten bewusst, beispielsweise wenn man auf den Straßen eine andere Aufmerksamkeit mir gegenüber spürte. Auch wenn ich diese Aussagen mit Vorsicht genoss, aber dennoch genoss, und ich mir der kulturellen Differenz in vielen Situationen bewusst war, parallelisiert dies z. T. auch meine Selbstwahrnehmung, sich von der eigenen Kultur zu distanzieren und zunehmend durch eine Art zweiter Sozialisierung, die Vertrautheit und Nähe zu dem sozialen Umfeld mit sich bringt, in der fremden Kultur heimisch zu werden im Sinne eines »going native« – um es in dem Malinowskischen Ideal auszudrücken: »[T]o grasp the native's point of view, ͒his relation to life, to realise his vision of his world« (Malinowski [1922] 1984: 25)76. Ich interagierte und fühlte anders, als ich dies in meinem Heimatkontext tat, auch wenn dies im Detail schwierig zu beschreiben ist. Dies ging zum Teil so weit, dass ich, ähnlich wie meine indonesischen Freunde und Bekannte, die auf der öffentlichen Bühne spärlich erscheinenden weißen Touristen mit Befremdlichkeit beäugte und der Ausspruch Lihat, ada bule (»Guck mal, da sind bule«) oft von mir stammte. Ich griff so auf Verhaltensweisen des Bestaunens des mir zum Teil selbst fremd gewordenen »Eigenen« zurück, die mir von meinem Umfeld vorgelebt wurden und die ich selbst, wenn diese an mich gerichtet waren, als störend, be-

frei sein wie im Westen, etc. Es handelt sich dabei um kommunikative Handlungen, die mich als Anderen im Sinne eines Höflichkeitsakts in die Sprechgemeinschaft integrieren. 74 Ob dies aufgrund meiner Assimilation ans und meiner Resozialisierung ins Feld, aus Höflichkeit oder zur Konstatierung einer Solidarität, die bei Gruppengleichen in der Bugis Kultur zum Ausdruck gebracht wird (vgl. hierzu das Bugis Konzept pessé, das in Fußnote 98 vorgestellt wird), geschah, kann ich nicht beantworten. 75 »Despite many expatriates’ determination to identify bule as an intrinsically derogatory term, its semantic potential remains ambiguous. As emerges from discussions with Indonesians, bule can be used in a neutral fashion, as well as carrying positive or negative connotations. Indonesians often explain that bule is used in an unassuming, functional way – as a shorthand to describe a white foreigner.« (Fechter 2005: 95) 76 Natürlich kann dies auf der analytischen Ebene ebenso als eine Form der Romantisierung des eigenen Forschungsprozesses verstanden werden, von der man sich jedoch emotional als ForscherIn nicht gänzlich loslösen kann.

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fremdlich und unangemessen empfand. Mein Selbstbild veränderte sich dahingehend, nicht mehr der »weiße« Außenseiter in einer fremden Kultur zu sein, sondern beinah gleichberechtigt in ihr zu leben77. Trotz dieser Akkulturationsphänomene gibt es in gewissen Situationen dennoch kulturelle Grenzen, die sich vor allem auf der Gefühlsebene manifestieren. Beispielsweise betrifft dies Phänomene des angemessenen körperlichen Abstandes zwischen unbekannten Personen, das Bedürfnis nach Privatsphäre in gewissen Momenten, nach Momenten des Alleinseins. Dies wurde von meiner Außenwelt als sehr befremdlich empfunden. Wenn ich alleine Zeit verbracht hatte, wurde dies bemitleidet und als soziale Isolation empfunden. Für die Frauen war ein ständiges und sehr enges Zusammensein normal. Aber auch das Forschungsthema war davon betroffen: Meine eigenen kulturell geprägten Vorstellungen und Ideale von Liebe, die dadurch für mich besonders aktuell wurden, dass ich mich, während des ersten Forschungsaufenthaltes in eine Person verliebte, die ich vor Ort kennenlernte, sorgten z. T. für Dissonanzen im gefühlten Verständnis zwischen mir und meinen KommunikationspartnerInnen. Es traten Kommunikationsbarrieren auf. Ich fühlte meine eigenen Gefühle und aus ihnen resultierende Konsequenzen für meine Taten von meinen Kommunikationspartnern, die ganz andere Liebeskonzepte hatten und andere Verhaltensweisen an den Tag gelegt hätten, nicht verstanden. Erzählte ich von meinen eigenen Liebesgeschichten, wozu ich in entsprechenden Gesprächen stets motiviert wurde, begegneten mir strukturell ähnliche Reaktionen, wie die jungen Frauen bei der Rezeption romantischer Fiktionen zeigten. Dadurch fühlte ich meine Gefühle nicht wirklich wahrgenommen, sondern über fremde romantische Medien-Settings fiktionalisiert. Der Konflikt, den ich wahrnahm, nämlich eine alte Beziehung in Deutschland beenden zu müssen, um die neue Liebe leben zu können, wurde darüber hinaus nicht verstanden, da lokale Beziehungspraktiken, wie ich später zeigen werde, multiple Beziehungen zur Sicherstellung einer baldigen und familiär akzeptierten Ehe beinhalten78. Als Folge

77 Fechter (2005: 101) bezeichnet dies als coping strategy des Außenstehenden in Indonesien, mit seiner konstanten sprachlich reproduzierten und sichtbaren »Whiteness« als Ausgrenzfaktor in Indonesien umzugehen und benennt die damit einhergehende Funktion folgendermaßen: »[R]e-appropriating the term, expatriates limit the unwanted connotations that Indonesians’ usage of the term might have, thus linguistically regaining a dominant position.« 78 So wurde mir geraten, beide Männer zu »behalten« und zu warten, wer mir als Erster ein Eheangebot unterbreite. Das sei ja generell unproblematisch, da die geographische Distanz der Beteiligten so groß sei, dass sie gar nicht voneinander erfahren würden. Für mein eigenes Gefühl waren dies Ratschläge, die mit meinem eigenen Subjektbewusstsein völlig unvereinbar waren. Als dann der Mann aus Deutschland auch noch anreiste, um persönliche Gespräche zu suchen, und die jungen Frauen ihn kennenlernten, redeten sie auf mich ein, er sei zu bemitlei-

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dieser von mir wahrgenommenen Misskommunikation sprach ich eher selten über mein eigenes Liebesleben und passte, falls ich gezwungen wurde, darüber zu reden, die Narration meiner Liebesgeschichte an die Art an, wie darüber in meinem Umfeld geredet wurde. Ob auch mein subjektives Empfinden von diesen interkulturellen Spannungen beeinflusst wurde, kann ich nicht beurteilen. Dennoch erscheint es möglich, dass ich als eine Art kultureller Abwehrreaktion gegen die vorgeführte Rationalisierung von Liebesgefühlen und -beziehungen meine eigenen Gefühle besonders intensiv empfand und sich dies auch in der Artikulation meiner Gefühle meinem Partner und meinen westlichen Freunden gegenüber widerspiegelte – ganz entgegen den kulturfremden Gefühlskonzepten und Kommunikationsweisen, die ich als dissonant zu meinen eigenen Gefühlen empfand. Als Teil dieser emotionalen Dissonanzerfahrung suchte ich wahrscheinlich z. T. ganz persönlich nach den hinter der kulturellen Tabuisierung von Liebe verborgenen »wahren« Liebesgefühlen der jungen Frauen. Trotz dieser theoretischen Einsicht ist das rein emotionale Empfinden davon oft wenig berührt. Wenn von »wahrer Liebe«, gesprochen wurde, atmete ich innerlich wohl das eine oder andere Mal auf, in dem Sinne, dass ich mir dadurch rein subjektiv den Glauben an die Liebe erhalten könne, dass es doch die Möglichkeit eines empathischen gefühlten Verständnisses abseits von kultureller Interpretation und Sinnzuschreibungen gäbe. Auf einer rationalen, theoretischen Ebene hingegen ist mir die Fehlerhaftigkeit dieser Annahme bewusst. Doch wird mir die Frage gestellt, ob meine Forschung meine persönliche Einstellung zur Liebe und/oder meine Gefühle generell verändert habe, kann ich antworten: theoretisch natürlich, persönlich emotional nicht.

3.

D IE B UGIS

Süd-Sulawesi, eine der vier Provinzen der Insel Sulawesi, die früher auch als Celebes bekannt war, umfasst eine Gesamtfläche von 78.000 km² und wird von vier dominanten ethnischen Gruppen bewohnt: den Bugis, den Makassar, den Toraja und den Mandar. Mit einer Anzahl von ca. 4 Millionen Menschen (vgl. Accaioli 1993: 48) sind die Bugis dabei die dominante ethnische Gruppe, gefolgt von den Makassar mit ca. 1, 8 Millionen (vgl. Rössler 1993: 171). Die Bugis und Makassar, deren dominante Religion der Islam ist, gelten als eng miteinander verwandte ethnische Gruppen. Auch wenn jede dieser Ethnien eine eigene lokale Sprache hat und Differenzen in ihren kulturellen Traditionen zu verzeichnen sind, stehen sich die beiden Gruppen aufgrund enger historischer Interaktionen sowie konstanter Zwischenheiraten sehr nahe und werden auch in ihren kulturellen Traditionen als verwandt angesehen. Sie differenzieren sich stark von der dritten Gruppe

den, und ich sollte ihn doch, wenn er schon diesen Schritt gehe und soviel Einsatz zeige, einfach glücklich machen.

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der Toraja, auch – aber nicht nur – wegen der religiösen Differenzen zwischen Islam und Christentum. Vor der Differenzmatrix zu den Toraja und zu anderen ethnischen Gruppen sehen sich die Bugis und die Makassar als relativ einheitliche Gruppe. Darauf referiert auch der zur ethnischen Bestimmung von ihnen selbst verwendete Terminus Bugis-Makassar, und in der Tat entstammen viele, auch genealogisch, beiden ethnischen Gruppen. Die Bugis sprechen die Sprache Bahasa Bugis, die sich von der Bahasa Makassar unterscheidet, auch wenn beide Sprachen als West-MalayoPolynesische Sprachen der austronesischen Sprachfamilie zugehörig sind. In der Stadt Makassar, der Provinzhauptstadt Süd-Sulawesis, relativiert sich die ethnische Differenz zwischen Bugis und Makassar auch dadurch, dass in der Stadt vorwiegend Bahasa Indonesia, die nationale indonesische Sprache, gesprochen wird, und dort viele Toraja und chinesisch-abstämmigen Indonesier wohnen, gegen die man sich kollektiv abgrenzt. Da die Bugis aufgrund ihrer starken Mobilität die ethnische Gruppe aus Süd-Sulawesi ist, die die größte geographische Verbreitung gefunden hat, gelten die Bugis bei Außenstehenden oft als »«die Einwohner Süd-Sulawesis« schlechthin« (Antweiler 2000: 153). So beschreibt auch Mattulada (1982: 8 zit. nach Antweiler 2000:153): »Every person from South Sulawesi feels that he/she is a Buginese when he/she is outside South Sulawesi. They would call themselves Bugis-Makassar, Bugis-Mandar or Bugis-Toraja.«

Die Bugis sind geographisch vor allem im Südwesten der Insel Sulawesis anzutreffen. Sie leben sowohl in Küstengebieten als auch im Landesinneren. Die Bugis wurden oft als Seefahrer79 beschrieben, was wahrscheinlich auf ihre weltbekannten Schiffe, die traditionellen, motorlosen Pinisis und ihre starke Mobilität zurückzuführen ist. Tatsächlich sind sie in der Mehrzahl Bauern, und ihre Seefahrer-Karriere begann erst im 18. Jahrhundert (vgl. Pelras 1996: 3). Die Bugis sind heutzutage in der Mehrzahl Reisbauern80, Händler und Fischer, jedoch sind viele auch in den großen Städten in Südsulawesis anzutreffen und haben dort Positionen in Behörden oder in der urbanen Industrie. Historischen Rekonstruktionen zufolge entstammen die Bugis dem Gebiet des Sa’dan Flusses und siedelten zunächst am Golf von Bone. Sie expandierten dann weiter in die Palopo Gegend und das heutige kebupaten (Provinzdistrikt) Luwu war ihr erstes Königreich. Die Bugis formierten Staaten außerhalb jeglichen indischen Einflusses, was Pelras zufolge (vgl. ebd.: 4) sehr selten für diese Gegend gewesen sei, zudem entwickelten sie

79 Sie galten oft als Piraten, und man sagt, der englische Begriff des Bogeyman sei aus Zusammentreffen mit den gefürchteten Bugis Piraten resultiert. 80 Antweiler (vgl. 2000: 153) zufolge leben 80% der Bugis in Südsulawesi auf dem Land und vom Reisbau.

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keine richtigen Städte. Nach dem Ansteigen der Handelsvorherrschaft der Makassar im 16. Jahrhundert, erhielten die Makassar-Reiche Gowa und Tallo zunehmenden Einfluss über die Bugis Gegenden und waren auch an ihrer Zwangsislamisierung im 17. Jahrhundert beteiligt. Um sich von den Makassar zu befreien und sich für die Zwangsislamisierung zu rächen (vgl. Röttger-Rössler 1989: 25) alliierten die Bugis mit den neu eintreffenden Niederländern und halfen ihnen, 1667 die rebellischen Makassar zu unterwerfen (vgl. Accaioli 1993: 49). Infolge wurde das Bugis-Reich Bone zum mächtigsten Königreich in Süd-Sulawesi, und die Bugis erhielten auch unter der Kolonialherrschaft der Niederländer einflussreiche Führungspositionen. Im 20. Jahrhundert assoziierten sich viele Bugis Adelige mit den Unabhängigkeitsbewegungen in Indonesien, auch wenn sie und ihre Ahnen unter den Niederländern ein beträchtliches Prestige, Macht über andere Ethnien wie auch Einflusspositionen in der indonesischen Bürokratie eingenommen hatten (vgl. ebd.). Das Verwandtschaftsystem der Bugis ist bilateral strukturiert, Bugis bestimmen ihre Filiation also sowohl von matri- als auch von patrilinearer Seite gleichberechtigt. Die Bugis Verwandtschaftsterminologie ist vom generationalen Typus. Alle Verwandten derselben Generationen fallen dabei unter dieselbe Verwandtschaftsbezeichnung. Die Mitglieder der eigenen Generation werden so alle »Geschwister« genannt, unterschieden werden sie nur danach, ob sie älter (kaka’) und jünger (anri’) sind. In der nachfolgenden Generation werden alle ana’ (Kind) genannt. Alle Personen der älteren Generation, auch die eigenen Eltern, werden entweder mit dem weiblichen Begriff ina-(uré) (Tante) oder dem männlichen ama-uré (Onkel) bezeichnet, etc. Ehen zwischen den so konstruierten Generationen sind dabei strengstens verboten und gelten als Inzest (vgl. Pelras 1996: 152f, 155). Als ideale Ehe wird eine Ehe zwischen Cousine und Cousin (sowohl Parallelcousins als auch Cross-Cousins) angesehen. Ehen zwischen Cousins bzw. Cousinen 1. Grades sind selten, und man findet solche meist nur bei den höchstrangigen Adeligen, die ihr »weißes Blut«, das diese aufgrund der angenommenen direkten Abstammung von göttlichen Wesen hätten, rein zuhalten. Ehen wurden fast immer oder werden auch heute noch recht häufig von den Eltern arrangiert. Scheidungen waren und sind üblich. Nach einer Ehe zieht das Paar entweder in ein eigenes Haus (neolokale Residenz) oder so lange zu den Eltern, meist den Eltern der Braut, bis sie sich ein eigenes Heim leisten können. Der Familie der Braut ist dabei ein »Brautpreis« zu zahlen, der sich nach dem Rang und dem sozialen Prestige ihrer Familie richtet. Traditionellerweise lassen sich drei Ränge bei den Bugis unterscheiden: die Adeligen, die Freien und die Sklaven. Ist die Sklaverei mittlerweile abgeschafft, halten sich die Unterteilung der Ränge in Adelige und NichtAdelige Menschen immer noch. Solche Unterschiede sind stark im Bewusstsein der Menschen verankert und werden mit entsprechenden Namensvorsätzen ausgewiesen, die auch Bestandteil der direkten Anrede sind. Waren Ehen zwischen diesen Rängen traditionellerweise untersagt (sie wur-

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den dennoch gelegentlich praktiziert), haben sich die Eheregeln mittlerweile gelockert. Da soziales Prestige nicht nur an diesen vererbten Rängen festgemacht wird, wie später genauer ausgeführt wird, sondern auch im Laufe des Lebens erworben werden kann – beispielsweise durch hohe Posten in der indonesischen Bürokratie, Reichtum oder verantwortungsvolle Ämter in islamischen Institutionen, etc. – sind Ehen zwischen Adeligen und NichtAdeligen heutzutage stark verbreitet. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Adeligen und Nicht-Adligen basiert auf traditionellen Bugis Mythen wie beispielsweise den La Galigo Texten, dem längsten Epos der Literaturgeschichte. Demzufolge ließen sich ursprünglich zwei Arten von Menschen unterscheiden: die »Weißblütigen«, die dem Mythos zufolge genealogisch direkt von den göttlichen Ahnen abstammten, und die »Rotblütigen«, die Freien und Sklaven. Auch wenn Ehen zwischen diesen Gruppen vermieden werden sollten, um die Reinheit des Blutes zu gewährleisten, sei es durch eben solche zu Zwischenrängen zwischen dem höchsten Adel und den niedrigsten Sklaven gekommen. Dabei sei es adeligen Frauen untersagt gewesen, unter ihrem Rang zu heiraten, während Männer jedoch auch Frauen niedrigeren Ranges heiraten dürften (ebd. 168). Die Bugis etablierten eine mythologisch verwurzelte Grundidee ihres Rangsystems, die auf der Vorstellung von Blutvermischung basierte (vgl. zu einer detaillierten Beschreibung ebd.: 168-174). Auch heutzutage werden noch verschiedene soziale Ränge unterschieden: die datu, andi und die orang biasa. Die datu sind Mitglieder der höchsten Adelsgruppe, die andi entstammen einem etwas niedrigeren Adelsrang und die orang biasa (»normale/gewöhnliche Menschen«)81 sind die ehemaligen Freien und Sklaven (die »Rotblütigen«), also nichtadelige Menschen. Während auch heutzutage bei Mitgliedern des höchsten Adelsranges eine Ehe innerhalb dieses angestrebt wird, und Frauen eine Heirat mit einem sozial höhergestellten Mann als eine Aufwertung ihres Blutes und das ihres Nachwuchses sehen (memperbaiki turunan – den Nachwuchs verbessern), sind Ehen zwischen den sozialen Schichten sehr üblich geworden. Ökonomischer Erfolg, materielle Besitztümer und soziales Prestige, das man selbst unabhängig von seinem sozialen, durch Geburt festgelegten Rang erwerben kann, sind für Ehefragen mittlerweile genauso wichtig. Dennoch determiniert neben Kategorien wie Schönheit, sozialem Prestige der Familie, etc. der soziale Rang in entschiedenem Maße die Festlegung eines Brautpreises für eine Frau, sodass einem armen, männlichen orang biasa die Ehe mit einer adeligen Frau auch heutzutage meist versperrt bleibt.

81 Orang biasa ist ein hochindonesischer Begriff und entspringt nicht der Bahasa Bugis. Jedoch referierten alle meiner Bugis Forschungspartner mit diesem Begriff auf den sozialen Rang der »normalen/gewöhnlichen Menschen«.

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Das Bewusstsein für Rangdifferenzen ist auch heutzutage noch sehr hoch bei den Bugis82. Waren auch ihre soziale und politische Organisation von Patron-Klienten-Verhältnissen geprägt, die auf der Führungsperson eines mächtigen Adeligen und das Gefolge aus ihm hörigen und abhängigen Menschen bestand, gilt auch heute ein Gehorsam Ranghöheren gegenüber noch als zentral für die Bugis. »Hierarchical relations are seen as supportive and caring, while relationships among putative peers are competitive and oppositional.« (Acciaioli 1993: 50).

Die Islamisierung der Bugis begann im 17. Jahrhundert. Heutzutage ist die Mehrzahl der Bugis dem Sunni Islam zugehörig. Ihre religiösen Praktiken sind dennoch stark synkretistisch und mit lokalen Glaubensvorstellungen vermischt, die z. T. durch historische Kontakte mit dem Sufismus auch entsprechende sufistische Elemente enthalten: Ahnenverehrung, Opfergaben und schamanistische Rituale werden auch heute noch durchgeführt, auch wenn die als sehr islamischen geltenden Bugis offiziell den Glauben an nur einen Gott betonen: »The I Galigo literature presents a pantheon of deities (dewata) from whom nobles trace descent, but contemporary Bugis argue that this literature basically recognizes a single great God (Dewata Seuwa’e) in accord with the monotheism of Islam. Despite this, some of the other deities (e.g., the rice goddess) are still given offerings, even by Muslims. Village Bugis also recognize a panoply of local spirits associated with the house, the newborn, and sacred sites; they are variously termed «the etheral ones« (to alusu’), «the not-to-be-seen« (to tenrita), «evil spirits« (sétang), etc. In fact, every object is thought to have its own animating spirit (sumange’), whose welfare must be catered to in order to insure good fortune and avert catastrophe.« (Acciaioli 1993: 51)

Antweiler (2000: 154) zufolge habe Pelras sie mündlich einmal als »komplett islamisch plus komplett nichtislamisch« bezeichnet«. Ihm zufolge scheint gerade die modulare Form der Sequenzen ihrer Rituale diesen Synkretismus zu begünstigen. So lassen sich Gebete des Imam bei Hochzeitsfeiern mit Besprechungen der Brautleute durch »weise Menschen«, die ihnen Glück und Liebe bringen sollen, vereinbaren, die Heilungszeremonien der lokalen Heiler (sanro) lassen sich mit islamischen Gebeten verknüpfen, etc. Die sanro, die Heilungstechniken gegen Krankheiten verwenden wie das Extrahieren von fremden Objekten aus dem Körper, Massagen, den Gebrauch von besprochenem oder heiligem Wasser, oder ein »Herauspusten« der Krankheit bestehen v. a. auf dem Land noch, trotz und neben der Präsenz moderner staatlicher Gesundheitszentren puskesmas (Pusat Kesehatan Masyarakat – Zentrum der Ge-

82 Ein solcher Wettbewerb unter Ranggleichen, der auf das Erlangen sozialen Prestiges abzielt, wird auch durch die Zentralität der Ehre/Scham (siri’) unterstrichen (vgl. hierzu ausführlich Kapitel B.II.5.1.1).

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sundheit des Volkes). Krankheit wird oft als durch das Heraustreten des Geistes (auch als Atem bezeichnet) aus dem Körper verursacht angesehen. Dieser muss wieder in ihn zurückgebracht werden. Eine durch einen sanro durchgeführte Schutzmagie ist deswegen besonders zentral (vgl. Acciaioli 1993: 51, vgl. hierzu auch Kapitel B.III.7.2). Zusammenfassend beschreibt Pelras (1996: 4f.) die Bugis folgendermaßen: »The Bugis are known by their neighbours for their fierce character and sense of honour, which sometimes result in violence; and yet they are among the most hospitable and amicable peoples and the most faithful in their friendship. The cohesion of their society is based largely on the existence of a system of pervasive and interlocking clienteles; and yet most of them have a strong sense of their individuality. Bugis society is one of the most complex and apparently rigidly hierarchical of any in Insulindia; and yet competition for office or wealth ranks high among their motivations. The coexistence of these conflicting traits is perhaps what makes the Bugis so mobile, and lies behind another of their characteristic features, namely their propensity to migrate. [...] Their most valuable assets are certainly this versatility and adaptility which have enabled them to survive over the centuries, always changing and yet always the same.«

4.

K ONTEXTUALISIERUNG

DES

F ORSCHUNGSFELDES

Makassar83 ist als Provinzhauptstadt das ökonomische und politische Zentrum sowie das Bildungs- und Ausbildungs-Zentrum in Süd-Sulawesi. Mit einer Bevölkerung von 1, 25 Millionen84 Menschen ist Makassar die siebtgrößte Stadt des gesamten indonesischen Insel-Archipels85. Vor allem junge Menschen kommen in den letzten Jahrzehnten zunehmend aus den umliegenden Provinzen, primär mit dem Ziel der (Aus-)Bildung oder zur Arbeitssuche oder -anstellung, in die Großstadt. Zusätzlich zu dem größeren Arbeitsmarkt- und Studienangebot ist ihre Migration oft durch vielseitigere Freizeitmöglichkeiten in der Stadt und den städtischen, »liberaleren« Lebensstil außerhalb der direkten Kontrolle ihrer Familie motiviert, der auch ein »freieres«, zwischengeschlechtliches Verhalten ermöglicht86.

83 Von 1971 bis 1999 nannte sich Makassar »Ujung Pandang«, dieser alte Name kommt auch heute noch häufig zum Einsatz. 84 Nach Angabe von Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Makassar, zuletzt gesichtet 8.12.08); die Homepage der Stadt Makassar gibt an, 2004 seien 1.179.023 Einwohner gezählt worden (vgl. http://makassarkota.go.id/index.php?option= com_content&task=view&id=39&Itemid=53, zuletzt gesichtet am 27.11.09). 85 Vgl. hierzu http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_761573214_2/Indonesien. html, zuletzt gesichtet am 8.12.08. 86 Die jungen Frauen gaben oft an, dass es in der Stadt für junge Menschen interessanter sei, da man dort freier Freizeitbeschäftigungen, auch in Begleitung durch

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Die jungen Bugis Frauen, die im asrama (nach ethnischer Gruppe eingeteilte Wohnheime) wohnten, kamen alle ursprünglich aus derselben Provinz Soppeng, die ca. 200 km von Makassar entfernt liegt. Dieses Wohnheim, das den Namen Asrama Putri Soppeng (Aspuri – Wohnheim für junge Frauen aus Soppeng) trägt, ist speziell zur Unterkunft von Bugis Frauen aus Soppeng gedacht. Es wird durch die Provinzregierung Soppengs getragen und dient jungen Frauen aus dieser Provinz, die eine Ausbildung in Makassar absolvieren oder studieren, als kostengünstige Beherbergung. Die Frauen zahlen einmalig zur Aufnahme einen Betrag von 300.000 IDR (im Jahre 2006 knapp 30 Euro). Danach ist die Miete frei, nur die Nebenkosten müssen gezahlt werden (10.000 IDR monatlich, 2006 ungefähr 1 Euro). Die jungen Frauen kommen87 ursprünglich aus dörflichen Verhältnissen. Sie kamen in die Großstadt, um einer Lohnarbeit nachzugehen, eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Ihre Eltern, Verwandte und zum Teil auch Geschwister leben in den Dörfern. Die im Dorf wohnenden Familienmitglieder besitzen Reisfelder, bauen Gemüse an und leben von den landwirtschaftlichen Erträgen. Einige besitzen kleine Geschäfte oder fahren Pete-Pete, die öffentlichen Minibusse, welche die Dörfer und Märkte miteinander verbinden. Andere haben eine Anstellung als Lehrer oder Beamte in der kleinen Provinzstadt Watansoppeng. Nach dem Studium oder der Ausbildung heiraten die Frauen meist und ziehen dann idealiter mit ihrem Mann in ein eigenes Haus. Falls ihre ökonomische Situation das nicht zulässt, wohnen sie zunächst bei den Eltern (meist von der Braut) oder suchen sich ein Zimmer in einem gemischt geschlechtlichen Wohnheim in der Stadt, in der Ehepaare zusammenwohnen können. Die meisten der jungen Frauen kennen sich bereits aus Soppeng, zum Teil bestehen sogar verwandtschaftliche Beziehungen88. Oft bestanden auch vor der Beziehung als Mitbewohnerinnen bereits Freundschaftsbeziehungen, über die das Zusammenwohnen erst zustande gekommen ist. Die jungen Frauen kennen sich untereinander sowie die jeweiligen Familienkontexte recht gut. Einige ihrer Familienangehörigen kennen durch Besuche im asrama auch ihre Mitbewohnerinnen. Die Lokalverbundenheit der jungen Frauen – dies ist auch generell für Menschen in Makassar feststellbar – ist sehr hoch. Meist richten sich die ersten Fragen beim Kennenlernen oder bei jeglicher Art von erstem Kontakt nach der ethnischen Zugehörigkeit: Dari mana? – »Woher kommst

das andere Geschlecht, nachgehen könne. Das Leben im Dorf sei hingegen weniger »aufregend«, man verbringe die meiste Zeit zu Hause und helfe im Haushalt. Eine freie zwischengeschlechtliche Interaktion wäre von Argwohn der und Verboten durch die Eltern begleitet. 87 Der besseren Lesbarkeit gemäß werde ich hier in das Tempus des ethnographischen Präsenz wechseln. Ich werde dies als übliches wissenschaftliches Stilmittel verwenden, das jedoch nicht der Generalisierung meiner Daten dienen soll. 88 Im asrama wohnten zwei Schwesternpärchen und einige Cousinen verschiedener Grade.

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Du/kommen Sie?« oder Orang mana? – »Welcher Abstammung bist Du/sind Sie?« Dabei verweist die Herkunft oft schon auf die ethnische Zugehörigkeit. Die Frauen geben stets an, dass sie im Asrama Putri Soppeng (asrama für junge Frauen aus Soppeng) wohnen. Sie unterhalten darüber hinaus enge Kontakte zu den anderen Wohnheimen der Provinz Soppeng in Makassar89. Die Provinzverwaltung Soppengs unterstützt den lokalen Zusammenhalt der Bugis aus ihrer Region durch die Allokation eines jährlichen Budgets zur Ausrichtung gemeinsamer Veranstaltung wie Studientage, Konferenzen, etc. Oft gibt es gemeinsame Veranstaltungen, wie beispielsweise einen Studientag oder eine Konferenz von Studenten aus Soppeng. An allen öffentlichen Feiertagen, in den Ferien, zu Hochzeiten und Festlichkeiten, aber auch oft lediglich für ein verlängertes Wochenende bzw. dann, wenn sie keine Verpflichtungen in Makassar haben, fahren sie zurück in die Dörfer, um ihre Familien zu besuchen, ihnen auszuhelfen und sich vom »stressigen« Stadtleben zu erholen. Während in etwa die Hälfte der jungen Frauen an einer der Universitäten Makassars studiert, um ihren Sarjana Satu (entspricht etwa einem Bachelor) zu bekommen, absolvieren einige eine Ausbildung zur Krankenschwester oder Hebamme, oder arbeiten bereits als solche. Eine der jungen Frauen arbeitet in einem Kleidungsgeschäft in einer Mall, eine weitere in einer Behörde und einige waren auf der Arbeitssuche. Natürlich veränderte sich dies über die drei Jahre meines Forschungsaufenthaltes. Die jungen Frauen teilen sich meist ein Zimmer zu zweit, dabei wohnen Verwandte immer räumlich zusammen. Wenn sie nicht arbeiten oder studieren, kümmern sie sich um den Haushalt, kochen, räumen auf, waschen ihre Wäsche, sie halten sich meist im asrama auf. Die verschiedenen Fernsehgeräte im asrama laufen rund um die Uhr. Fernsehschauen ist die Hauptfreizeitbeschäftigung der jungen Frauen. Sie tun dies meist gemeinsam. Tagsüber gehen sie dabei begleitenden Nebenbeschäftigungen nach wie Hausaufgaben machen, lernen, sich unterhalten, telefonieren, Essen vorbereiten, etc. Abends schauen sie konzentrierter und lassen sich in Ruhehaltung von den Programmen »berieseln«. Die Frauen bekommen oft Besuch, meist am Abend und von ihren männlichen Freunden. Diese kommen in kleinen Grüppchen, wenn sie noch nicht in festen Zweierbeziehungen mit einer der jungen Frauen liiert sind. Feste Partner kommen oft alleine, um gezielt mit ihrer Freundin Zeit zu verbringen. Da sich Männer beim Besuch im asrama jedoch nicht in den privaten Räumen der Frauen aufhalten dürfen, sondern es – bis auf wenige Ausnahmen – nur akzeptiert ist, dass sie sich im öffentlichen Wohnbereich oder auf der Terrasse des asrama bewegen, ist die Kommunikationssituation oft kollektiv. Um mit einer der Frauen alleine zu sein, führen die jungen Männer sie zum Essen, zum Spazierengehen bzw. -fahren (mit dem Moped) oder ins Kino aus. Samstagabend gilt als der Abend, an dem Pärchen gemeinsam (romantischen) Unternehmungen

89 Neben dem Asrama Putri Soppeng gibt es zwei Wohnheime für junge Männer aus Soppeng und ein gemischt geschlechtliches Wohnheim.

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nachgehen, meist an der Küstenpromenade der Stadt, wo sich viele Cafés und Restaurants befinden, es einen schönen Sonnenuntergang und einen kleinen Strand gibt, der abends abgedunkelt ist und so Treffen von »Liebenden« außerhalb der öffentlichen Sichtbarkeit zulässt. Das asrama, das den Regeln der Provinzregierung unterliegt, hat um 23 Uhr abends Sperrstunde. Bis dahin müssen die Frauen, zumindest offiziell, von ihren Ausflügen zurückgekehrt sein. Da es jedoch keinen Aufpasser im asrama gibt, wie beispielsweise eine ibu kost90, wird dies jedoch gelegentlich von den Frauen ignoriert. Die Tür des asrama wird ihnen von informierten Freunden dann auch zu späterer Stunde aufgeschlossen, oder aber sie übernachten bei ihren Freunden. Ist dies der Fall, wird dies jedoch meist mit Klatsch unter den jungen Frauen im asrama besehen. Sie spekulieren dabei über potentielle Verhaltensübertretungen geschlechtlicher Art. Ohne Begleitung der Männer gehen die Frauen sehr selten Freizeitbeschäftigungen außerhalb des asrama nach. Gelegentlich besuchen sie die Einkaufsmalls, um die Schaufenster zu betrachten, gehen auf den Markt oder in einen Supermarkt, um Lebensmittel zu kaufen, oder besuchen Freunde in anderen Wohnheimen. Nie sind sie dabei jedoch alleine unterwegs, immer in Begleitung anderer Frauen91. Die meisten der jungen Frauen haben zumindest einen »Freund« (pacar), oft jedoch auch mehrere, sowohl in der Stadt als auch im heimatlichen Dorf oder in anderen Provinzen. Dabei ist das Konzept pacar jedoch sehr viel offener als das eines »Partners« im Sinne des westlich geprägten Verständnisses. Nach einigen gemeinsamen Unternehmungen fragt der Mann im Falle von Zuneigung in der Regel die Frau, ob sie mit ihm zusammen sein will. Das verändert jedoch nicht zwangsweise die Qualität der Beziehung, die zwar gemeinsame Unternehmungen beinhaltet, aber nicht gleichzeitig Intimitäten einschließen muss. Es legitimiert jedoch offiziell eine regelmäßige, gemeinsame Freizeitgestaltung. Oft haben die Frauen mehrere pacar, selbst wenn betont wird, man würde nur einen davon »wirklich« lieben. Mehrere pacar zu haben scheint eine Strategie der Frauen zu sein, ihre Freizeitgestaltungen außerhalb des asrama wie auch ihre Chancen auf ein Heiratsangebot zu erhöhen und später eine größere Auswahlmöglichkeit eines geeigneten Heiratspartners zu haben. Entgegen der oft betonten Keuschheit in vorehelichen Beziehungen haben viele der Frauen bereits vor der Ehe sexuellen Kontakt mit ihrem pacar, sofern das Zusammensein mit ihm schon in den Beziehungsstatus eines pacaran serius (eines ernsthaften Zusammenseins mit dem Partner) übergegangen ist. Dies wird jedoch öffentlich negiert. Während sie vor den anderen oft die traditionellen Verhaltensnormen und Rollenmodellen gerecht werdenden jungen Frauen mimen, die Sex vor der Ehe ablehnen, misstrauen die anderen dieser Rolle v. a. dann, wenn sie be-

90 Vgl. Fußnote 4 und den Wörterindex im Anhang D.1. 91 Dass ich selbst so viel alleine unterwegs war, wurde somit als sehr merkwürdig empfunden und galt als unnormal für eine junge unverheiratete Frau. Alle boten mir ständig ihre Begleitung an.

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reits eine pacaran serius-Beziehung haben. Der Klatsch im asrama beruht auf Vermutungen, wer welche Grenzen bereits überschritten haben könnte und was verheimlicht werden würde. Oft scheinen Vermutungen, dass das Gesagte nicht mit dem eigentlichen Verhalten übereinstimmt, auf eigenen Erfahrungen der Frauen zu basieren, die selbst ein solches Versteckspiel führen und ambivalentes Verhalten deuten können. Aus dem pacaran kann sich ein pacaran serius entwickeln. Dieser Begriff wird verwendet, wenn die Frauen bereits enge Beziehungen zu ihren pacar aufgebaut haben und Zukunftsplanungen in Richtung einer angestrebten Ehe beinhalten92. Dies impliziert oft, dass man die Familien bereits kennt und diese von der Beziehung wissen. So finden sich die jungen Frauen im urbanen Umfeld der Provinzhauptstadt in einem Lebenskontext wieder, in dem sie freier mit dem anderen Geschlecht interagieren können – und auch müssen. Dabei stehen ihnen unterschiedliche, oft kontrapunktische Diskurse über Liebe und Partnerschaft zur Verfügung, um ihre Gefühle zu deuten und auszudrücken. Die fehlende Kontrolle durch die Eltern, die einst im Dorf durch das Teilen eines Haushalts gesichert war, die größere, auch ökonomische Unabhängigkeit junger Menschen von den Eltern durch eigene Anstellungen in der Stadt sowie die ständige Interaktion mit modernen Diskursen, die junge Menschen im Kontext von Arbeit, Bildung und Freizeitgestaltung (v. a. massenmedial vermittelt) begegnen, haben, wie man sehen wird, einen weitreichenden Einfluss auf die Praktiken und Semantiken junger Menschen im Feld von Liebe, Partnerwahl und Ehe. Durch die Entwicklung einer kaufkräftigen Mittelklasse im Zuge von Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozessen und einer oft durch Medien verbreiteten und westlich ausgerichteten Konsumkultur, die vor allem junge Menschen als Zielgruppe auserkoren und die Entwicklung eines Konzepts von Jugend als eigenständige Gruppe zur Folge hat93, hat sich die konkrete Lebenswelt junger Menschen in der Großstadt in den letzten Jahrzehnten enorm gewandelt. Dennoch bleiben zahlreiche »traditionelle« Konzepte und Verhaltensnormen für die Frauen in Form von Rollenerwartungen relevant, anhand derer ihr Verhalten sowohl von anderen, als auch von ihnen selbst, sozial evaluiert wird. Diese sollen im Folgenden vorgestellt werden.

92 Intimbeziehungen scheinen in ernsthaften Beziehungen mit dem Ausblick auf eine geplante Ehe etwas akzeptierter zu sein, selbst wenn intime Kontakte weiterhin negiert werden. 93 Vgl. hierzu Kapitel B.II.5.2.2.

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5.

I NTRAKULTURELLE K ONZEPTE

5.1

»Traditionelle« Bugis Konzepte

UND

D ISKURSE

In diesem Kapitel sollen die von meinen Interaktionspartnern94 als traditionell bezeichnete Konzepte und Verhaltensnormen vorgestellt werden, die für die Interpretation subjektiv erlebter Gefühle, für das soziale Verhalten in zwischengeschlechtlichen Beziehungen und für die Narration von Gefühlen und Verhaltensweisen im Feld von Liebe zentral sind. Dies soll geschehen, ohne dass ich diese selbst als Traditionen im Sinne einer ursprünglichen und homogenen Kultur der Bugis festschreibe, die mittels einheitlicher kultureller Modelle und Verhaltensnormen Kollektivsubjekte und stabile Intersubjektivitäten hervorbrächten, welche erst infolge von Modernisierungserscheinungen und im Zuge post-kolonialer Zersplitterung, Aufteilung und Differenzierung ihre kulturelle Identität verlieren würden. Vielmehr bezeichne ich die hier vorgestellten Konzepte und Normen als wirksam bleibende Narrative von und als Deutungs- und Erklärungsmuster (kurz: kulturelle Modelle) für soziale Subjekte selbst, um Verhalten und Gefühle zu interpretieren und zu artikulieren. 5.1.1 Siri’ (Scham, Ehre) Das kulturelle Konzept von siri’ (BB), oft mit den indonesischen Wörtern malu (BI) für »Scham« und harga diri (BI) für »Ehre« (wörtlich: Wert des Selbst) übersetzt95, wird sowohl in der Selbstreferenz der Mitglieder der ethnischen Gruppe der Bugis als auch in der akademischen Fachliteratur über Bugis (vgl. Mattulada 1974, 1985, Millar 1983, Abdullah 1985, Errington 1989, Robinson 2000, Bennett 2003, Idrus 2005) als der zentrale Basiswert der traditionellen Bugis Kultur angesehen. Es bestimme die Weltsicht und das Verhalten der Kollektivsubjekte von Bugis, die sich darüber von

94 Alle zitierten Interviewpartner werden im Anhang des Buches unter D.II genauer vorgestellt. Alle buginesischen und indonesischen Begriffe, die im Laufe der Arbeit auftauchen, sind im Wörterindex D.I am Ende dieses Buches ebenfalls noch einmal erklärt. 95 Ich werde im Folgenden gemäß der Anwendung des Wortes meiner InterviewpartnerInnen siri’ (BB), malu (BI) und harga diri (BI) verwenden. Während siri’ dabei »Scham« und »Ehre« bedeuten kann, wird das hochindonesische Wort malu für »Scham«, das indonesische Wort harga diri für »Ehre« verwendet, jedoch mit denselben konnotativen Bedeutungen wie die jeweiligen Bedeutungen des Wortes siri’. Während siri’ ein sehr Bugis-Makassar-spezifisches Konzept ist, lassen sich jedoch Parallelen zu äquivalenten Konzepten anderer indonesischer Kulturen ziehen, die mit dem indonesischen Wort malu übersetzbar werden: isin (Javanisch), lek (Balinesisch), hiya (Tagalog).

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anderen ethnischen Gruppen (außer zu den Makassar, die selbst ein sehr elaboriertes siri’-Konzept haben und den Bugis hierbei stark ähneln, vgl. hierzu auch Rössler 1987 und Röttger-Rössler 1989) abgrenzen. Siri’ ist zentral für die Konstruktion einer kollektiven kulturellen Identität und dient der Abgrenzung von einem »moralisch minderwertigem« Anderen. Siri’ ist besonders im Feld von Geschlechterrollenverhalten wirksam und auch heutzutage sehr relevant für das Verhalten der jungen Frauen im Bereich Liebesbeziehungen, Partnerwahl und Sexualität (vgl. Rössler 1987: 71, vgl. Pelras 1996: 206f., vgl. Idrus 2005). Siri’ wird von Ethnologen als das zentralste Konzept für die Weltsicht (cultural core value) der Bugis definiert, das als Geist und Seele jeder Person gilt und Menschen überhaupt erst von Tieren unterscheide (vgl. Idrus 2005: 39). »In the life of the Bugis-Makassar people, the most basic element is siri’. For them, no other value merits to be more defended and preserved. Siri’ is their life, their selfrespect and their dignity. This is why, in order to uphold and to defend it when it has been stained or they consider it has been stained by somebody, the Bugis-Makassar people are ready to sacrifice everything, including their most precious life, for the sake of its restoring. So says the saying … ’When one’s honour is at stake, without any afterthought one fights.’ (Hamid Abdullah, Manusia Bugis-Makassar: 37).« (Pelras 1996: 206)

Personen sind einerseits für Handlungen anderer verletzlich, die ihr siri’ oder das ihrer Familie beschädigen können. Andererseits müssen sie ihr eigenes Verhalten stets kontrollieren, um ihr siri’ nicht selbst zu beschädigen oder zu verlieren. Das führt dazu, dass soziale Handlungen nicht als selbstverantwortlich angesehen werden. Sie werden vor einem breiten Netz sozialer Beziehungen evaluiert und haben weitreichende soziale Konsequenzen für das einzelne Subjekt, da sie andere effektuieren. Wissenschaftler haben zahlreiche weitere Bedeutungen für siri’ konstatiert, die sie beispielsweise mit den indonesischen Wörtern segan/kerendahan-hati (Scheu, Demut), takut (Angst), hina/aib (Schande, Ungnade), iri-hati/dengki (Neid), harga-diri (Selbstrespekt, Ehre), kehormatan (Ehre) und kesusilaan (Moral, Sittlichkeit) (La Side 1977: 25–28 nach Idrus 2005: 39) und den niederländischen Wörter beschaamd (beschämt), schroomvallig (schüchtern), verlegen (verlegen), schaamte (Scham), eergevoel (Ehrgefühl), schande (Schande), wangunst (Neid) (Matthes 1874 nach Idrus 2005: 39) übersetzen. Meines Erachtens fallen diese Begriffe unter das übergreifende Bedeutungs- und Emotionscluster von siri’ und beschreiben dabei zu erwartendes Verhalten und einhergehende Gefühle des Einzelnen. Diese Begriffe stellen situative Auslegungen des Konzepts siri’ dar. Beispielsweise wird erwartet, dass junge Frauen, die siri’ haben, schüchtern und verlegen im Umgang mit Männern sind. Neid fungiert als Motor, jemanden zu beschämen, sowie als Ansporn, aktiv sein Prestige zu erhöhen, etc. In diesem Sinne verstehe ich siri’ ähnlich wie Mattulada (1974, 1985) als einen abstrakten Begriff, der den

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essentiellen Wert einer Person bezeichnet. Seine detaillierten Ausformulierungen im sozialen Geschehen werden mittels voneinander differenzierbarer oben genannter Gefühlskonzepte erfahrbar und beobachtbar. Der konkrete Umgang mit sozialen Situationen, in denen siri’ bedeutsam wird, wird in der Sozialisation angelernt und stellt wohl den zentralsten Teil der Erziehung der Kinder dar. Dies fungiert auch als Schutz des siri’ (hier im Sinne von Ehre) der Familie, das, wie man sehen wird, von dem angemessenen Verhalten des Nachwuchses abhängig ist. Die hier gewählte Vorstellung des Konzepts orientiert sich an den Erklärungszusammenhängen der jungen Frauen und seinem zugeschriebenen Einfluss auf ihr Verhalten im heutigen Makassar. Ich zeige auf, wo und wie siri’ für die soziale Alltagspraxis junger Frauen in Makassar im Bereich von Liebesbeziehungen und Partnerwerbung zum Tragen kommt. Um siri’ zu erklären und zu veranschaulichen, werden von meinen InformantInnen konkrete Beispiele genannt. Dabei dominieren Beispiele aus den Bereichen des zwischengeschlechtlichen Umgangs, die sich auf Verhaltensnormen beziehen, die für das Leben der jungen Frauen relevant sind. Während das siri’ in Beziehung zu dem sozialen Rang einer Person, dem onro (BB), steht, der durch die Geburt determiniert ist (in welche Familie, in welche soziale Schicht jemand hineingeboren wurde)96, kann man seinen sozialen Rang jedoch auch durch die Ausübung eines Berufes, durch eine Ehe, durch die Ansammlung materieller Güter oder durch den Erwerb von Titeln97, etc. im Laufe seines Lebens erwerben und dadurch sein Prestige

96 Hierbei wird »Blut« mit dem sozialen gesellschaftlichen Standing (BB= onro) gleichgesetzt. Dabei existiert die Vorstellung, dass »weißes Blut« mit göttlicher oder adeliger Abstammung und hohem sozialen Status assoziierbar ist. Frauen könnten die Proportion von »weißem Blut« in ihrer Nachkommenschaft durch eine eheliche Verbindung mit einem Mann eines hohen sozialen Rangs und Ansehens verbessern. Während diese Vorstellung auf durch Modernisierungsprozesse überholte, traditionelle Konzepte hinzudeuten scheint, sind diese Gedanken in abgewandelter Form auch bei jungen Frauen in der Großstadt weit verbreitet. Meinen Informantinnen geht es bei der Suche nach einem Mann oft darum, den »Nachwuchs zu verbessern« (memperbaiki turunan). Interessant ist, dass auf die Frage, wieso einige junge Frauen besonders auf »weiße« Männer (im Sinne »westlicher Männer«) als wünschenswerte Partner erpicht wären, die Standardantwort lautet, »um den Nachwuchs zu verbessern«. Es geht den Frauen dabei weniger um soziale Mobilität als um scheinbar genau dieses Konzept der »Verbesserung des Blutes«. Ob hierbei eine Analogie zwischen »weißer« Hautfarbe und »weißem Blut« gezogen wird, oder ob die Logik eher über ihren hohen sozialen Status hergestellt wird, kann hier nicht im Einzelnen beantwortet werden. 97 Zum Beispiel ist die Reise nach Mekka bei den als sehr religiös geltenden Bugis sehr prestigereich. Der dadurch erlangte Titel eines Haji wird dem Namen vorangestellt und findet Eingang in die dadurch mit zusätzlichem Respekt versehene Anrede eines Menschen.

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erhöhen. Das führt zu einem sehr wettbewerbsgerichteten Verhalten und zu dem subjektiven Streben, stets besser zu sein als andere (hierauf rekurrieren die oben genannten Bedeutungen von siri’ im Sinne von Neid)98. Genauso, wie man siri’ hier im Sinne von Prestige erwerben kann, ist es ebenso möglich, sowohl angeborenes als auch erworbenes siri’ durch das eigene soziale Handeln wie auch das anderer Familienangehöriger wieder zu verlieren bzw. zu vermindern. Dies erfordert eine ständige Kontrolle sozialer Handlungen sowie die aktive Verteidigung des siri’. Bei einem Fehlverhalten, das öffentlich wahrnehmbar wird (wie beispielsweise einer vorehelichen Schwangerschaft oder einer Fluchthochzeit), beschämen Menschen sich nicht nur selbst und ruinieren ihren sozialen Ruf, sondern verletzen auch das siri’ (im Sinne von Ehre) der gesamten Familie. So ist jedes soziale Subjekt dazu angehalten, sein eigenes siri’ zu kontrollieren und zu bewahren. Erziehungsstrategien wie öffentliches Ausgelachtwerden99 und zahlreiche Warnungen geschmückt mit Veranschaulichungen von Fällen und Auswirkungen von siri’ sind dabei – nicht nur bei der Sozialisation von Kindern – besonders zentral. Neben dieser angestrebten Selbstregulation sind jedoch auch Verhaltenskontrollen vonseiten der anderen Familienmitglieder

98 Dieser Wettbewerbsaspekt, der der Bugis Kultur zugrunde liegt, wird oft als Grund für die große geographische Verbreitung der Bugis über den gesamten Archipel und auch im Ausland und für ihren relativ großen, im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen, ökonomischen Erfolg herangezogen. Chronisten der mythischen Ursprungsgeschichte der Bugis beschrieben die Situation auf der Erde vor der Ankunft der göttlichen Herrscher als Urzustand, in dem Menschen sich gegenseitig wie Fische verspeist hätten, was auf die Notwendigkeit einer Kontrolle des durch siri’ veranlassten Wettbewerb zwischen Menschen durch soziale Hierarchisierung hinweist. Darüber hinaus gibt es ein weiteres, zu siri’ komplementäres, kulturelles Konzept, das pessé. Pessé babua (BB) als terminologische Komplettform bedeutet so viel wie »für jemanden Schmerz in seinem Bauch spüren« und steht für ein tiefes Gefühl von Mitleid/Mitgefühl für Mitglieder einer solidarischen Gruppengemeinschaft. Es steht für eine Gruppensolidarität, die aufrechterhalten werden muss. Für jemanden pessé zu haben, bedeutet so auch, ihn als Mitglied einer gemeinsamen Gruppe zu identifizieren. In diesem Sinne stellen siri’ und pessé dem kulturellen Ideal zufolge sich selbst regulierende Teile eines sozialen Mechanismus dar, der durch die Kontrolle zentraler kultureller Werte und Normen durch die Elaborierung von siri’ die Stabilität einer sozialen Ordnung gewährleistet und gleichzeitig den sozialen Wettbewerb, Neid und Missgunst unter den Gruppenmitgliedern durch das soziale Kohäsion gewährleistende Konzept pessé relativieren und regulieren soll. Interessant ist hierbei, dass viele Liebestermini, auf die ich später zu sprechen komme, ebenfalls semantische Konnotationen von Mitleid beinhalten, was möglicherweise mit dem Konzept von pessé korrelierbar ist. 99 Vgl. hierzu Putris Fallbeispiel in B.III.7.2, die im asrama stets wegen ihres Liebeskummers öffentlich ausgelacht wurde.

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wirksam. Diese betreffen besonders stark unverheiratete Frauen. Zur Kontrolle, zum Schutz und zur Verteidigung des siri’ von Frauen sind nach traditionellem Verständnis die Männer der Familie zuständig. Dem siri’Konzept unterliegt so implizit eine Genderordnung, die Frauen eher zuschreibt, siri’ zu fühlen und ihr Verhalten durch angemessene Schüchternheit und Zurückhaltung zu kontrollieren, und Männern, to masiri’ – bei Beschämung des eigenen siri’ oder das der Familie dasselbige zu verteidigen oder durch soziale Handlungen wieder öffentlich herzustellen. Diese sozialen Handlungen sind oft mit Aggressivität oder Offensivität demjenigen gegenüber verbunden, der das siri’ beschmutzt hat. Tötungsakte wurden hierbei noch vor einigen Jahrzehnten, je nach Schwere des Falles nicht nur als kulturell akzeptiert, sondern als Notwendigkeit zur Wiederherstellung des siri’ angesehen – ganz im Sinne einer Vendetta. So sagt ein Bugis Sprichwort: Naréo siri’na naranreng tenrirenrengina nariéwa (»Wenn das eigene siri’ angegriffen wurde, muss man handeln ohne ein Wort«) (vgl. Machmud 1976: 60). Es gilt als akzeptierter und besser, in einer Verteidigungsaktion des siri’ zu sterben als mit einem beschädigten Ruf praktisch »sozial tot« weiterzuleben. Auch heutzutage gibt es noch viele solcher, nun jedoch durch das nationale Gesetz als »Verbrechen« bezeichnete, siri’-Fälle. Bei der Rechtsprechung wird auch heutzutage (selbst bei Mordfällen100) die siri’ Tradition in den Richtspruch im Sinne einer Strafminderung eingerechnet. Selbst die indonesische Regierung betrachtet siri’ so als »unauslöschliche kulturelle Tatsache unter Makassar und Bugis« (Rössler 1987: 71). Bei der Evaluation eines siri’-Falls spielt der Kontext eine große Rolle. Zentral ist zunächst, ob man selbst für seine Scham verantwortlich ist (z. B. wenn man keine Arbeit hat). Hierbei dient siri’ als positiver Anreiz, alles zu mobilisieren, um seine eigene Situation zu verändern (z. B. eine Arbeit zu suchen). Ist ein Dritter für die Beschädigung des siri’ verantwortlich, gilt es, diesem gegenüber offensiv seinen Ärger zu demonstrieren, um sein siri’ im Sinne seines Selbst-Werts oder seiner Ehre unter Beweis zu stellen. Daraus resultieren Delikte oder Geschehnisse, die täglich in Makassar mitzuerleben sind: Beispielsweise eskalieren auf den öffentlichen Straßen in Makassar oft Gewalttätigkeiten aufgrund von Fehlverhalten im Straßenverkehr. Verliert die lokale Fußballmannschaft PSM (Persatuan Sepakbola Makassar – Fußballvereinigung Makassar) bei einem Heimspiel und beschämt so die lokale Bevölkerung, werden die Spieler beschimpft und mit Müll beworfen, und der Trainer sollte sich nach dem Spiel verstecken, um nicht zum Objekt von Aggressionen zu werden, etc. Zu allerletzt gibt es eine Ebene von siri’, die traditionellerweise mit einer Tötung vergolten werden muss. Dabei geht es besonders oft um den Schutz und die Kontrolle von Frauen in der Familie. Hierzu gehören Fälle von Fluchtehen, von Untreue in der Ehe, Inzest, etc.

100 In der Regel werden für siri’ Morde höchstens 18 Monate als Strafe als gerechtfertigt angesehen (vgl. Rössler 1987: 71). Hierauf komme ich an späterer Stelle nochmals zu sprechen.

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Sehr stark ausgeprägt ist diese Ebene im Bereich des zwischengeschlechtlichen Verhaltens. Da unverheiratete junge Frauen als besonders verletzlich angesehen werden, sind diese angehalten, ihr Verhalten und Umgang mit dem anderen Geschlecht rigoros zu kontrollieren, v. a. deshalb, da der zwischengeschlechtliche Kontakt im großstädtischen Umfeld sehr viel offener geworden ist: Sie sind angehalten, durch angemessenes, zurückhaltendes und moralisches Verhalten ihr siri’ zu schützen und ihren Ruf zu bewahren. Die Familie durch eigene Taten zu beschämen, kann den sozialen Ausstoß aus der Familie bedeuten, was für viele der Frauen einem sozialen Tod gleichkommt101. Darüber hinaus wird dadurch ihre Existenz auch ganz pragmatisch ökonomisch gefährdet, sind die Frauen doch meist finanziell von ihren Eltern abhängig. Des Weiteren birgt dies die Gefahr, aufgrund ihrer beschädigten Ehre keinen Ehemann mehr zu finden, was jegliche Zukunftsperspektive hinsichtlich des Status als ehrenwerte Frau gefährdet – ist doch der Ehe- und Mutterstatus überhaupt erst konstitutiv für den Status als Frau102. Darüber hinaus sind als Folge auch Gewalttaten gegen sie nicht ausgeschlossen, wird doch oft berichtet, dass noch viele Menschen bei Verletzungen des eigenen siri’ Ehrenmorde oder andere Arten von Gewalttaten begehen, um ihre Ehre wieder herzustellen. Frauen können durch »unangemessenes« Verhalten so nicht nur ihren Status, ihren Ruf, ihre soziale und finanzielle Absicherung, ihre Zukunftsperspektiven, sondern ebenso ihr Leben oder ihre Gesundheit gefährden. Als Symbole des siri’ der Familie103 sollten Frauen stets unter einem meist durch Männer repräsentierten Schutz stehen. Wohnt eine junge Frau noch im Elternhaus und ist unverheiratet, ist es der Vater oder der Bruder, der sie überwacht. Sobald eine Frau verheiratet ist, übernimmt diese Rolle der Ehemann. Der Umstand, dass sich junge, unverheiratete Frauen angesichts des sozialen Wandels oft außerhalb der familiären Kontrolle alleine in der Großstadt Makassar bewegen, verursacht seitens ihrer Familie große Ängste ob der daraus resultierenden Gefährdung des siri’ der Familie. Man

101 Eine potentielle Beschämung der Familie lastet sehr schwer auf den jungen Frauen. Eine junge Frau, Indri, die vorehelich schwanger geworden ist, gab an, sie würde sich eher selbst umbringen, als ihre Eltern durch die voreheliche Schwangerschaft zu beschämen. Als Optionen der Lösung für ihr Problem sah sie nur zweierlei an: erstens eine Abtreibung, die es ihr ermöglichen würde, die Schwangerschaft als persönliches Geheimnis zu bewahren, oder zweitens ein Selbstmord, durch den sie eine Selbstregulierung ihres siri’ unternehmen würde (vgl. Indris Fallbeispiel in Kapitel B.III.7.1). 102 Wie später zu sehen sein wird, wird diese Idee auch von nationalstaatlichen und religiösen Genderideologien unterstützt und gewinnt vor allem im Zuge der Modernisierung seit der Unabhängigkeit Indonesiens durch neue islamische Rhetoriken zunehmend an Einfluss, vgl. hierzu Kapitel B.II.5.2 und B.II.5.3. 103 »[…] a woman is potentially the pride of her family and at the same time is potentially the destroyer of family honour« (Idrus 2005: 43).

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versucht, die familiäre Kontrolle durch eine Art Aufsichtsperson vor Ort zu ersetzen. Viele junge Frauen wohnen bei entfernten Verwandten oder Bekannten, und Studentenwohnheime werden meist von einer ibu kost überwacht, die deren klare Regularien wie beispielsweise die abendliche Sperrstunde kontrolliert. Oft sind die Familien im Dorf auch auf eine zügige Ehe ihrer Tochter erpicht, um sie einer männlichen Kontrolle zu unterstellen. Die größeren Freiheiten junger Frauen in der Großstadt erzeugen eine neue und größere Verantwortung bei den Frauen selbst, ihre sozialen Handlungen autark zu kontrollieren. Gleichzeitig verspüren sie den Drang, ihre Ehre und ein moralisches Verhalten narrativ stets zu bestätigen oder zu konstruieren. So schreibt auch Idrus (2005: 44), dass »they [die Frauen] often found themselves caught in a contradiction between working in the modern economy and the expectation that women should not be in situations where the family honour could be under threat«. Die nun durch das Paradigma, ihren Ehemann selbst zu suchen, gegebene Eigenverantwortung, eine gute und passende Partie zu finden, empfinden die Frauen oft als Belastung. Die Ehe fußt nicht mehr auf den unternehmerischen Fähigkeiten des familiären Kollektivs, welches die Frauen vor ihrem Ehrverlust zu schützen scheint, sondern sie sind allein selbstverantwortlich für ihre Wahl und ihre Handlungen. Dies bestätigt Pam Nilan auch für junge Frauen auf Bali: »[C]ontemporary urban individuals at the ‘tendering’ stage for marriage no longer have the automatic formal protection and entrepreneurship skills of larger constituencies (family and kinship groups) behind them. Instead, they must become entrepreneurial in their own right, and effectively manage themselves the ‘risk’ of bad marriage, by a well-informed choice of partner. Past traditions of female ‘honour’ remain. Courtship risks include the possibility of sexual exploitation, and public humiliation.« (Nilan 2003: 49)

Neben der Selbstregulation der Frauen selbst und offiziellen Kontrollorganen einer ibu kost und sie besuchender Familienangehöriger sowie den Kontrollanrufen durch die Familie am Abend dominiert in ihrem sozialen Alltag ein anderer – wenn auch inoffizieller, so doch besonders effizienter – Kontrollmechanismus für ihr Verhalten: der Klatsch (vgl. hierzu Fußnote 67). Durch das gemeinsame Zusammenwohnen mit anderen jungen Frauen derselben Region wird eine Regulierung ihrer sozialen Handlungen mittels informaler Informationsnetzwerke gewährleistet. Diese haben aufgrund des siri’-Konzepts, das ein ständiges Inbezugsetzen der eigenen Person und ihrer Handlungen zu anderen beinhaltet, eine große Wirkungsweise. Angesichts der imaginierten Bedrohung der Weitergabe von Informationen an die eigene Familie – dadurch begünstigt, dass alle der asrama-Bewohnerinnen aus der gleichen Region kommen und sich die Familien untereinander oft kennen – führt dies ganz konkret sowohl zur Verhaltensregulierung der jungen Frauen als auch zum Verschweigen eigener Gefühle und heimlichen Praktiken im Bereich ihrer Liebesbeziehungen. Die Bedeutung des Klat-

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sches scheint in der Bugis Kultur generell sehr verbreitet zu sein und ist zentral für die Verhaltensregulierung von Frauen. Zur Bedrohung ihres Rufes durch Klatsch gibt es traditionelle Bugis-Sprichwörter, wie das Folgende, welches Matthes (1872: 102 zit. nach Idrus 2005: 44, Übersetzung Idrus) der Lontara104 entnommen hat: »A woman is like a glass. When she is gossiped about for an alleged wrong-doing, the glass is cracked. If the gossip is true the glass is broken and worthless.«

Selbst, wenn die Inhalte des Klatsches nicht mit wirklichen Ereignissen oder Taten übereinstimmen, sei »das Glas angebrochen«. So erzählten mir auch die Frauen, dass man niemandem vertrauen könne, und man mit niemandem über Dinge, die einen verletzlich machen könnten – vor allem in den Bereichen Beziehung, Liebe und Sexualität und damit einhergehender Gefühle –, spreche. Die Gefahr der Weitergabe dieser Informationen und zu einem Thema von Klatsch zu werden, seien zu groß. Idrus (2005: 44) zieht zur Veranschaulichung der Vorstellung einer beschädigten Ehre einer Frau ein rezentes populäres Bugis Lied mit dem Titel Ana’ Daraé (BB = »Junge Frau«) heran (Übersetzung Idrus): Nappai ritangna’-tangna’ Nappai rike’ bi’ mata Naseng to mélo rialéna Nasenni icanring aléna

Only a quick stare Only a side glance She thinks I have fallen in love She thinks I have become her boyfriend

Nappai ricanring-canring Nappai rike’bi’-ke’bi haé… Na’béréanni aléna Nasengngi mélo’ ipubéne

Only a temptation Only stealing a glance at her… She has surrendered herself She thinks I will marry her

Idi’tu ana’daraé Aja’ lalo mumalléré Idi’tu ana’ daraé Pada jagaiwi aléwé

We are young girls Don’t let yourselves be tempted We are young girls Take care of yourselves

104 Lontara bezeichnet die traditionelle Bugis und Makassar Schrift, die zur Brahmi-Schriftengruppe gezählt wird. Vor der Ankunft der Holländer wurde allein diese traditionelle Schrift verwendet, die infolge latinisiert wurde. Lontara bezeichnet auch die überlieferten Bugis Manuskripte, die in dieser Schrift auf Palmenrollen angefertigt wurden, historische Chroniken beinhalten und über das Brauchtum und Gesetze, etc. informieren.

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Padaki camming rasaé Repa’na repa’no Dé’gaga betuanna Irapakki’ penne pinceng Nabuang narepa’ Nadé gaga burayanna.

We women are like a mirror Once we are broken We mean nothing Like a porcelain plate Fallen and broken It becomes meaningless.

Auch hier werden erneut die Genderunterschiede deutlich: Während die Männer den Frauen ungestraft Blicke zuwerfen dürfen, erscheint eine Erwiderung vonseiten der Frau als ein gefährliches Unternehmen, durch das sie ihr soziales Ansehen riskiert. Frauen unterliegen dem kulturellen Gebot, dem anderen Geschlecht gegenüber keinesfalls ihr potentielles Verlangen auszudrücken. Dies fungiert einerseits als öffentliche Demonstration ihrer (sexuellen) Reinheit, andererseits wird genau diese gezeigte weibliche Passivität/Schüchternheit dem männlichen Geschlecht gegenüber als Auslöser für das Verlangen der Männer stilisiert105. So schreibt auch Idrus (2005: 45) »[…] women control men’s desire through their unexpressed desire. In spite of the fact that this saying [106] comes from the lontara’, its application can be found in everyday life of the Bugis, especially when elders give advice to young people.« Zu aggressives Verhalten oder offen zur Schau gestellte Zuneigung dem anderen Geschlecht gegenüber, gilt bei Frauen im Gegenzug als abstoßend, als nicht begehrenswert. Eine sich so verhaltende Frau wird als murah (BI = billig)107 bezeichnet und läuft aufgrund ihres Verhaltens Gefahr, von Männern ausgenutzt zu werden und nicht als ernstzunehmende Partnerin und potentielle Ehepartnerin angesehen zu werden. Männer hingegen sind dazu angehalten, dem anderen Geschlecht gegenüber aggressiver aufzutreten. Männer, die ihr Verlangen nicht zum Ausdruck bringen können, werden nicht als männlich angesehen, sondern als calabai – geschlechtliche Männer, die das soziale Verhalten von Frauen

105 In diesem Kontext ist interessant zu erwähnen, dass ein Informant mir mitteilte, dass selbst lokale Prostituierte ihren Freiern gegenüber zunächst eine solche Schüchternheit und Schamhaftigkeit performieren und sich zunächst widerwillig oder schamhaft zeigen würden, ihn intim zu berühren. 106 Idrus (2005: 45) bespricht dies anhand eines Spruchs aus der lontara’ Daramatasia 45 (Übersetzung Idrus): »Men’s desire is like a leaky roof, it is open. Women’s desire is like a corset. That is why men are desirous. Women’s desire is hidden, which means it can be held steady.« 107 Murah (billig) stellt bei der narrativen (und auch persönlichen) Evaluation der Handlungen, des Verhaltens aber auch von materiellen Dingen, wie Kleidung, einen zentralen Begriff dar. Murah hat dabei eindeutig sexuelle Konnotationen und schließt siri’ als positiv konnotierte Charaktereigenschaft aus. So sagt man, jemand, der murah aussehe (das beinhaltet das Tragen sexuell freizügiger Kleidung) kenne kein siri’ mehr. Eine Frau, die murah sei, sei sexuell leicht zu haben.

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übernehmen, weibliche Kleidung tragen und weibliche soziale Funktionen in der Gesellschaft übernehmen, oft als das »traditionelle« dritte Geschlecht bezeichnet (Idrus 2005: 46) – bezeichnet. Von Männern wird ein aggressives Verhalten als Performanz ihrer geschlechtlichen Rolle erwartet, sowohl jemandem gegenüber, der sie oder seine Familie beschämt als auch dem anderen Geschlecht gegenüber. Die Opposition von aktiv-männlichem und passiv-weiblichem Verhalten sei Errington (1977: 53 nach Idrus 2005:46) zufolge mit der sozialen Funktion jeden Geschlechts korrelierbar: Männer müssen ihre Familie beschützen, siri’ aktiv verteidigen und ihre Verwandtschaftsnetzwerke ausbreiten, während Frauen das siri’ der Familie durch das eigene Verhalten erhalten108 und durch »gute Ehen«, also mit einem Mann einer möglichst hohen sozialen Schicht, ihre Nachkommenschaft, ihr »Blut« verbessern müssen (vgl. hierzu Fußnote 96). Wie wird das kulturelle Konzept von siri’ und damit in Verbindung stehende Genderrollen nun von den unterschiedlichen sozialen Akteuren zur Beschreibung, Evaluation und Erklärung ihres Verhaltens kontextualisiert? Von meinen InformantInnen109 wird siri’ als Konzept meist sehr basal und einfach erklärt und eher in situativen Fallbeispielen genauer ausgeführt. Ein Universitätsdozent, Pak Sirajuddin Bantang, der als regionaler Spezialist des Bugis Brauchtum (adat) gilt, erklärt siri’ folgendermaßen: Siri’ befolgt das Prinzip, dass man nichts machen darf, was nicht gut ist, aber für Menschen vom Land [»traditionelle Menschen«] ist das so, wenn ihre Tochter wegläuft, um mich zu heiraten, dann heißt das nipakasiri’ [BB], das bedeutet, dass man beschämt wird [malu gemacht wird]. Das wirft das Risiko auf, dass ich umgebracht werden muss, wenn ich gefunden werde, das nennt man mate nisantangngi [BB]. Es gibt auch Regelungen, wenn ich gejagt werde und getötet werden soll, aber ich trage beispielsweise einen songkok [eine Kopfbedeckung, gemeint ist damit die Muslim-

108 Hierbei gibt es natürlich Ausnahmen, und auch Frauen verteidigen mitunter ihr siri’ oder das der Familie aktiv, vor allem jedoch dann, wenn die Männer der Familie dazu nicht fähig sind. Vgl. hierzu das von Idrus (2005: 42f.) beschriebene Fallbeispiel einer Mutter, die den nicht legitimierten Freund ihrer Tochter umbrachte, als sie von deren Plan erfuhr, eine Fluchtehe zu begehen. Da sie keinen Sohn hatte und ihr Ehemann bereits zu alt war, sah sie sich gezwungen, selbst das siri’ der Familie zu verteidigen. 109 Alle Interviews wurden auf Indonesisch geführt. Die Begriffe, die im Original gelassen werden, sind somit indonesische Wörter, wenn nicht mittels des Kürzels BB für Bahasa Bugis darauf hingewiesen wird, dass sie dem Buginesischen entstammen. Die jungen Frauen benutzen zum Teil Wörter aus der Umgangssprache, der Bahasa Gaul. So entsprechen die transkribierten Textstellen nicht immer gänzlich einem Hochindonesisch. Ich habe versucht, so nah wie möglich an den originalen Formulierungen zu übersetzen. Daraus resultiert, dass die Übersetzungen nicht immer »schön zu lesen« sind, Ergänzungen zum besseren Verständnis habe ich gegebenenfalls in Klammern angefügt.

144 | L IEBE IN I NDONESIEN kappe], dann darf ich nicht getötet werden, oder wenn ich in den Innenhof des Hauses eines anderen Menschen laufe, dann auch nicht. Wenn ich diese überschreite [die Schwelle des Innenhofs], erhält mein Partner die Sanktion. So ist die Regel. Deswegen muss ich einen jodoh [Partner] für mein Kind suchen, damit es nicht wegläuft, um einen anderen zu heiraten und wir uns so bemühen, uns vor all dem zu schützen.

Eine junge Frau, Celly, sagt: Celly: In Makassar gibt es den Ausdruck siri’ na pacce, [BB] das bedeutet, dass BugisMakassar am meisten harga diri [BI = die Ehre/den Selbstwert] betonen, sodass man nichts Falsches macht. Das ist in Soppeng genauso. Dort ist es so, wenn eine Frau vor der Ehe schwanger wird, dann wird sie zum Gegenstand von Klatsch des ganzen Dorfes, sodass die Familie beschämt ist [malu ist]. Verf.: Und wenn sie beschämt [malu] sind, was tun sie dann? Celly: Meistens, wenn sie bereits beschämt [malu] sind, dann ist es für sie schwierig, mit den anderen zusammen zu sein und sie zu treffen. Früher wurden sie vom Volk räumlich entfernt, heutzutage redet man nur über sie, aber sie fühlen sich minderwertig. Zuvor waren sie sehr stolz auf ihr Kind und nun wissen sie, sie ist unehelich schwanger.

Neben der Konsequenz sozialer Exklusion kann man malu auch direkt leiblich so sehr spüren, dass die betroffenen Personen davon krank werden und sogar sterben können. Je mehr Menschen an dem siri’-Fall beteiligt sind, desto größer fällt das siri’ (im Sinne von Scham) der Familie aus. So ist ein Fall dann besonders gravierend, wenn Dritte daran beteiligt sind, wie auch Indri beschreibt: […] ein Problem stellt es dar, wenn das Kind schon einen Freund hat und später mit wem anders verheiratet werden soll, manchmal laufen sie dann weg, um zu heiraten und machen die Eltern beschämt [malu], und wenn diese dann bereits den Brautpreis von denen, mit dem das Kind verheiratet werden soll, bekommen haben, also schon das Geld genommen haben. Dann sind sie sehr beschämt [malu], weil sie schon den Brautpreis genommen haben, während das Kind einen anderen Mann heiratet, und manchmal werden sie wegen dieser Scham [malu] krank und sterben.

Junge Frauen haben aber auch vor siri’-Taten im Bereich von Eifersucht Angst. In der Zeitung findet man viele Berichte von Mordfällen, die aufgrund von Eifersucht geschehen. Oft bringen Ehemänner dabei ihre untreuen Ehefrauen um, die durch ihre Untreue ihre Ehre beschmutzt haben. Während solche Morde unter Gefängnisstrafe gestellt sind, rechnet der Richter

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aufgrund des hukum adat (das Recht/Gesetz des Brauchtums), demzufolge ein solcher Mord zentral zur Wiederherstellung der Ehre ist, oft Begünstigungen ein (vgl. hierzu auch Rössler 1987: 71 und Fußnote 100). Pak Rahmat, ein angesehener, 70-jähriger Journalist in Makassar, selbst Bugis, erklärt dies folgendermaßen: Pak Rahmat: Normalerweise, wenn so ein Mord geschieht, bittet der Richter eine Erwägung angesichts des hukum adat, wenn zum Beispiel die Strafe 15 Jahre wären, dann gibt er zehn, weil er das Recht dazu hat, auch wenn man das nichtsdestotrotz nach dem Gesetz nicht darf. Sodass nicht ein Aufprall [zwischen Gesetz des Brauchtums und nationalstaatlichem Gesetz] geschieht, wird ein Teil des adat-Rechts angewendet, aber das hängt von der Erwägung des Richters ab.

Menschen greifen nach wie vor auf verschiedene, voneinander differenzierte Rechtssysteme (Rechtspluralismus) zurück und wenden diese, auch wenn sie sich widersprechen, gleichermaßen in unterschiedlichen Situationen an. Dies gilt auch für die Bewertungen solcher Fälle. So kann ein Mensch vor dem Gesetz als Verbrecher verurteilt werden und in seiner sozialen Umgebung gleichzeitig als Held gefeiert werden, der das siri’ seiner Familie verteidigt hat und so als ehrenwerter Mensch gilt, wie auch Pak Rahmat beschreibt: Also ist es wirklich sehr schwer, das Adatrecht, schwer deswegen, weil es immer noch vom Volk angewendet wird, zum Beispiel, wenn wir jemanden wegen siri’ umbringen wollen, trifft uns das Strafrecht, und wir müssen ins Gefängnis, aber in der Familie wird man als Held bezeichnet, also hat das Recht nicht nur eine Seite, das geschriebene Gesetz und das Gesetz unseres Staates, denn im Volk ist er ein Held, viele statten ihm oder der hinterbliebenen Familie einen Besuch [als Zeichen großer Wertschätzung] ab, das ist garantiert.

Neben ernsthaften Konsequenzen von Normenübertretungen wie Ausstoß aus der Familie und siri’-Morde, etc. sehen die Frauen siri’ auch für die Gestaltung ihrer Liebesbeziehungen als persönlich wichtig an. Siri’ wird dabei als natürliches Verhalten beschrieben, man handle nicht nur nach siri’, sondern fühle es auch. Ein junge Frau, Novi, warnt davor, Männern zu sehr zu zeigen, dass man sie gern hat, da sich dies für Frauen erstens nicht gehöre und man dadurch beschämt (malu) werden könne, und es zweitens den Männern das Interesse an ihnen nehmen würde: Verf.: Wenn Du Dich in einen Mann verliebst, folgst Du dann Deinem Gefühl? Novi: Nein, das muss kontrolliert werden.

146 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Wie kontrolliert werden? Novi: Man muss sein harga diri [Selbstwert/Ehre] beschützen. Wir brauchen unser harga diri, damit wir nicht so aussehen, als würden wir ihn zu sehr brauchen. Dass man bloß nicht sieht, dass wir ihn brauchen. Man muss etwas gleichgültig sein/sich gleichgültig verhalten. Verf: Also, selbst wenn Du Gefühle für jemanden hast, würdest Du ihm das nicht sagen? Novi: Ja. Bloß nicht. Damit er es zuerst sagt [im Sinne: Er muss die Gefühle zuerst mitteilen]. Wir haben doch eine Kultur, wir Menschen auf Sulawesi: die Scham/Ehre [siri’ (BB), malu (BI)]. Und es ist für Mädchen/Frauen hier verboten/tabu, es zuerst zu sagen. Verf.: Und wenn man seine Gefühle zu sehr zum Ausdruck bringt? Novi: Wenn wir so aussehen, als würden wir es zu sehr wollen, dann bekommt er einen großen Kopf. Er denkt dann, sie braucht/will mich zu sehr. Er wird dann gleichgültig. Verf.: Und wenn man zu sehr gegen die Kultur handelt? Novi: Das ist unnatürlich. Verf.: Und wenn Du schon lange mit Deinem Freund zusammen bist, musst Du dann immer noch Angst haben, dass er Dir gleichgültig gegenüber ist? Sagst Du dann nicht, dass Du ihn liebst? Novi: Ich glaube, wenn man schon lange zusammen ist, dann muss man das nicht durch Worte sagen, man muss ihm Aufmerksamkeit [perhatian] geben. Das ist die Nummer eins [im Original im Englischen: Number One]: Aufmerksamkeit und Kommunikation.

Offizielle Verhaltensnormen werden hier lediglich aufgrund der potentiellen Fremdevaluation und zur Aufrechterhaltung des guten Rufes respektiert. In diesem Sinne beschreibt eine der Frauen im asrama, Zulfa, ihre Selbst-

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Kontrolle Männern gegenüber als sowohl von der Angst vor einem potentiell aggressiven Verhalten des Mannes als auch vor dem Klatsch der anderen Frauen im asrama motiviert. Zulfa: Es gibt nicht viele, die ich mag, aber gerade habe ich einen getroffen, der mir von Anfang an sympathisch war, aber um mein Freund zu werden, lieber nicht, weil ich Angst habe vor Männern, nachher verhält er sich unangemessen, wenn wir schon zusammen sind, und außerdem sind die Mädchen im asrama geschwätzig und mögen Klatsch, und ich habe Angst, dass sie über mich reden und irgendwelche Geschichten erzählen. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn über einen geredet wird, ich will das nicht, nachher schäme ich mich [bin malu]. Verf.: Sie sprechen gar nicht persönlich miteinander? Zulfa: Sie schämen sich sonst [sind malu], also wenn sie mit ihrem Freund ausgehen, dann erzählen sie höchstens, ich war da und dort und habe die Freunde kennengelernt. Das erzählen sie, aber nicht, wie er ist. Verf: Hast Du nicht manchmal große Probleme [die Du jemandem mitteilen musst]? Zulfa: Die gibt es manchmal, aber es gibt das Prinzip, da nicht mit Freunden drüber zu sprechen, weil es mir sehr schwer fällt, einem Menschen zu vertrauen. Ich habe Angst, wenn ich es jemandem erzähle, dass diese Person das ausgerechnet jemand anderem erzählt, was bedeutet das dann, ja? Ich glaube schon nicht mehr an ihn.

Auch Indri berichtet über die Zentralität von Klatsch in Indonesien. Sie zieht hier eine Differenz zum Westen ein, indem sie durch den Einsatz des Wortes »Amerikaner« (im Original: Orang di Amerika = Menschen in Amerika)110 auf den Westen referiert. Wie später zu sehen sein wird, bedeutet dies nicht eine geographische Beschränkung, denn sie zählt mich als bule (»Weiße«) zu diesen »Amerikanern« hinzu. Die Einschätzung, dass westliche Menschen im Vergleich zu Indonesiern Geheimnisse für sich behalten könnten, basiert auf den Erfahrungen mit mir, der sie bereits viele Geheimnisse anvertraut hatte, die ich für mich behalten hatte.

110 »Weiße« Menschen (bule) werden meist nicht nach ihrer Herkunft unterschieden. Hier werden »Menschen in Amerika« in Vertretung für alle »Weißen« genannt.

148 | L IEBE IN I NDONESIEN Indri: Menschen in Amerika haben eine sehr andere Einstellung als Indonesier. Indonesier sind vielleicht geschwätzig und mögen Klatsch, sie erzählen Sachen über andere Menschen. Sie können keine Geheimnisse vor anderen Leuten wahren, nicht wie im Ausland, wo Menschen ihre Geheimnisse fest halten. […] Sie [Indonesier] haben Freunde und gerade dann reden sie bestimmt über sie: »Sie sind so und so.« Es gibt selten jemand, der einem ein Geheimnis anvertrauen will. Sie haben Angst, dass ihr Geheimnis nachher weitergegeben wird und sie sich dann schämen [malu, siri’ fühlen].

Im Bereich von Sexualität mischt sich das traditionelle siri’-Konzept mit religiösen Annahmen von dosa (Sünde). Diese sind voneinander nicht trennbar und werden von den Akteuren meist in einem Atemzug genannt. Die Frauen konstruieren den Islam als essentiellen Teil ihrer Tradition. Vom Grundprinzip ähneln sich siri’ und dosa, stellen sie doch sexuelle Handlungen vor der Ehe explizit unter Verbot. Die kulturelle Zentralität der vorehelichen Keuschheit junger Frauen, die dem Konzept des siri’ unterliegt, wird durch islamische Diskurse einerseits aufgegriffen und andererseits verfestigt. Dennoch lässt sich dabei ein Unterschied konstatieren: Das siri’Konzept zielt auf das Eingespanntsein eines Subjekts in sein soziales Beziehungsnetzwerk ab. So stellt siri’ Subjekte in soziale Netzwerke komplexer Abhängigkeitsbeziehungen. Das Prinzip des siri’ basiert dabei vor allem auf der Sichtbarkeit und der Artikulation sozialer Handlungen. So kann das schnelle Heiraten im Falle einer vorehelichen Schwangerschaft eine Frau und ihr Umfeld davor schützen, (zumindest öffentlich) siri’ zu werden. Auch wenn siri’ oft auf der subjektiven Gefühlsebene verortet wird, scheinen Menschen selbst oft kein Problem mit untersagten siri’-Überschreitungen zu haben, solange niemand davon erfährt. Ängste, siri’ zu werden, beziehen sich in der sozialen Praxis meist auf die Kenntnisnahme durch eine Öffentlichkeit. Daraus erwächst eine Art Doppelmoral, die man mit dem folgenden Zitat eines jungen Mannes belegen kann. Der Religiosität von Menschen wird dabei eine stärkere verhaltensregulierende Wirksamkeit zugesprochen als dem siri’-Konzept: Bayu: Also die Abgrenzung ist dabei der Grad der Gläubigkeit, wie weit sie an den jeweiligen Gott glauben. Sie können das [Keuschheit vor der Ehe] dann wahren, weil sie Angst haben zu sündigen. Aber wenn sie nur halb gläubig sind, dann nicht. Also geht es darum, gläubig zu sein oder nicht, so gibt es viele derzeit, die einen jilbab tragen, aber keine Unterhose. […] Das ist nicht, was ich selbst erlebe, aber wenn ich um mich herum schaue, oder gar in der Gegend Tamalanrea [ein kecamatan (BI) – »Bezirk« – der Stadt Makassar, in dem die großen Universitäten, wie beispielsweise die Universitas Hasanuddin (UNHAS) oder die Universitas 45 situiert sind, und in denen viele Studenten in universitären Wohnheimen wohnen], da gibt es viele Mädchen vom Dorf, die im kost wohnen. Auf dem Campus tragen sie einen Schleier [jilbab], aber abends kommt ihr Freund, wow, und dann ist sie wieder ganz sexy. Die Hülle ist

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gut. Also einen jilbab tragen, aber keine Unterhose. Und ich sehe sie oft miteinander schlafen. […] Also vom Prinzip her ist das Leben hier fast wie im Westen. In den Momenten, wenn man im Zimmer ist. Außerhalb sieht es so aus, als wäre es behütet, aber das Leben im Zimmer ist fast so wie in Europa.

Sehr gläubige Menschen könnten sich demzufolge aus Angst davor, eine Sünde zu begehen, kontrollieren und ihre Keuschheit schützen. Hier zeichnet sich die Differenz zu siri’ ab. Bei dem Konzept der dosa geht es nicht um die Sichtbarkeit von Handlungen in der sozialen Praxis, die zu einer Art Doppelmoral führen kann, sondern um die Selbstverantwortung seiner Taten Gott gegenüber, der alles sieht111. Das siri’-Konzept und die Frage nach der Sichtbarkeit der Handlungen ist im sozialen Alltag der Frauen und ihrer narrativen Selbstpositionierungen machtvoller, da es um die ganz konkreten und unmittelbaren Einflüsse auf ihr Leben geht. Das Konzept dosa wird oftmals lediglich zu einer machtvollen rhetorischen Figur in der Narration, die das Prestige desjenigen erhöht, der angibt, ein gläubiger Mensch zu sein – ganz im Sinne des siri’-Konzepts. Dies soll Religiosität nicht nihilieren, sondern eine Zusatzfunktion von offen zur Schau gestellter oder erzählter Religiosität vor dem Hintergrund traditioneller Konzepte von siri’ und Genderrollen aufzeigen112. 5.1.2 Das Konzept des jodoh (von Gott bestimmter Partner) Kulturelle Vorgaben, wer als geeigneter Ehepartner gilt, sind auch bei der vorehelichen Partnersuche der jungen Frauen entscheidend. Pacaran (BI – die Praxis, voreheliche, zwischengeschlechtliche Beziehungen einzugehen) wird meist als potentielle Vorstufe einer Ehe gesehen. Greift für moderne junge Menschen das Paradigma der Selbstwahl eines Ehepartners113, findet pacaran seine soziale Legitimation darin, dass es als Vorstufe zur Ehe kon-

111 Die Angst davor, Sünden zu begehen, wird vor allem von religiösen TV-Serien geschürt, in denen gezeigt wird, wie Sündiger in der Hölle schmoren (vgl. Rachmah 2008). 112 Beispielsweise kann der jilbab so zu einem Zeichen werden, über das man sich als junge fromme, moralische Frau positioniert (und eben auch als eine Frau mit siri’). Der jilbab wird so jedoch oft auch als Schutz bei Interaktionen in einer gemischt geschlechtlichen Öffentlichkeit getragen und dient als coping strategy junger Frauen, mit den Unsicherheiten und sozial als ambivalent evaluierten gemischt geschlechtlichen Kontaktzonen umzugehen (vgl. hierzu auch Lindquist 2004). 113 Dieses Paradigma wird, wie später genauer ausgeführt wird, von nationalstaatlichen Diskursen über den modernen, indonesischen Bürger bestärkt. Es ist auch essentieller Bestandteil der indonesischen Liebesfilme und der sinetronGeschichten, in denen es immer (auch) um pacaran und die Probleme der Überführung einer vorehelichen Liebesbeziehung in den Status einer Ehe geht.

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zeptionalisiert wird. Pacaran wird oft analog zu traditionellen Formen der Partnerwerbung, die durch die Familie durchgeführt wird, verstanden, gilt dabei jedoch als der »moderne Weg« zur Ehe. Im Gegensatz dazu bilden sexuelle Angezogenheit oder »amour fou« dahingegen sozial nicht akzeptierte Gründe, voreheliche Beziehungen einzugehen. Von diesen irrationalen Gründen zwischengeschlechtlicher Beziehungen grenzen sich die jungen Frauen ab, indem sie dies als cinta monyet (Affenliebe) »unreifen, pubertierenden« Teenagers (ABG) zuschreiben, die noch nicht seriös und erwachsen genug sind, rationale Überlegungen bei der Partnerwahl durchzuführen. Kulturelle Auswahlkriterien für einen geeigneten Ehemann spielen, zumindest offiziell, auch bei der freien Partnersuche eine große Rolle. Selbst dann, wenn Frauen sich auch Partner auf Basis persönlicher Gefühle suchen, betonen sie dies in ihren narrativen Erklärungen nicht. Die kulturelle Auflage, seinen Partner rational auszuwählen, führt dazu, dass die Frauen oft mehrere Freunde haben: Dies fungiert als Strategie, persönliche Bedürfnisse mit sozialen Erwartungen an einen potentiellen Ehepartner zu kombinieren. Die Frauen erhöhen dadurch gleichzeitig ihre Chance auf ein von den Eltern akzeptiertes Eheangebot114. Zusätzlich ermöglicht dies den jungen Frauen eine aktivere Freizeitgestaltung außerhalb des asrama, die von den männlichen Begleitungen abhängt. Anreize, mit einem Mann eine Beziehung ein-

114 Es scheint dabei für die jungen Frauen ökonomischer und sicherer, parallel mehrere pacar (als potentielle Ehekandidaten) zu haben als nur eine pacarBeziehung zu verfolgen. Falls nämlich eine Beziehung zerbrechen bzw. ein dieser entspringendes Eheangebot von den Familien nicht akzeptiert werden würde, müssen sie mit der gesamten Partnerwerbung von Neuem anfangen. Oft wurde mir auf die Frage, wen man denn beabsichtige zu ehelichen, mitgeteilt, das komme darauf an, wer zuerst einen Heiratsantrag macht und ob dieser Mann dann von der Familie akzeptiert würde. Das Paradigma, möglichst schnell zu heiraten, um nicht als »alte Jungfer« zu enden, die Eltern nicht zu beschämen, eine gesicherte Zukunft zu haben, etc., findet sich also auch hier. Dies ist korrelierbar mit der Bugis Vorstellung, dass sexuelles Begehren nur durch das Eingehen einer Ehe gemanagt werden könne. So steht auch in der lontara’: Nakko engka ana'mu wélangpélang, bettuanna tau lolo, naweddinna mallakkai, naengkana maka mupasialangngi, pallakkainisisa'. Idrus übersetzt dies folgendermaßen: »If you have a daughter, a young woman, and she can be married off, and there is a prospective husband, marry her off immediately« (vgl. Idrus 2004, http://intersections.anu.edu.au/issue10/idrus.html#n82, zuletzt gesehen am 27.11.08). Dieser Rat bezieht sich direkt auf ein Hadith des Propheten Muhammad, der besagt, »that if a pious man comes to propose to your daughter, marry her off. Otherwise, it may lead to a slander and damage the earth« (vgl. Muhammad, Fiqh Perempuan: Refleksi Kiai atas Wacana Agama and Gender, p. 96 nach Idrus 2004, http://intersections.anu.edu.au/issue10/ idrus.html#n82, zuletzt gesehen am 27.11.08)

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zugehen, sind also oft von anderen Ideen als von »Verliebtsein« oder »Liebe« geleitet. Bei den rationalen Erwägungen geht es um Fragen nach dem sozialen Status des Mannes, seiner Position in der sozialen Hierarchie (auch vor dem Hintergrund des Bestrebens der Frauen zu sehen, »ihr Blut zu verbessern«, vgl. hierzu Fußnote 96), seiner finanziellen Lage, seiner Arbeit, seiner Religion115, dem Ruf der Familie, etc. Einerseits werden solche Erwägungen später für die Evaluierung eines Partners als Ehepartner auch durch die Familie zentral, andererseits bestimmen solche Kriterien das Prestige eines Mannes, über das die Frauen auch ihr eigenes Prestige erhöhen können, sofern sie mit ihm eine pacaran-Beziehung eingehen. Vor dem Hintergrund des sozialen Wettbewerbs unter den Frauen im asrama – wie im vorherigen Kapitel aufgezeigt – ist dies eine wichtige Nebenfunktion der Partnerwahl. Für die Frauen selbst spielen bei der Partnersuche oft ganz pragmatisch materialistische Gründe eine große Rolle. Für sie ist von großem Interesse, ob der Mann ein Motorrad, ein Auto116 oder möglicherweise schon ein Haus besitzt und ob er imstande und bereitwillig ist, der Frau Dinge zu kaufen, wie Kleidung, einen Fernseher oder einen Kühlschrank oder sie zum Essen, ins Kino, etc. auszuführen. Oft wird mitgeteilt, Liebe würde auch bedeuten, dass der Partner alles, also auch sein Geld mit einem teile. »Romantische Liebe« wird direkt mit materialistischen Aspekten korreliert. Durch die Akkumulation von prestigereichen Objekten erhöhen die Frauen ihr Ansehen im asrama. Jedoch führt der Neid der anderen oft dazu, dass sie als cewek matre117, als materialistische junge Frauen, negativ bewertet und zum Objekt von Klatsch werden. Eine strategische Partnerwahl geht mit der kulturellen Annahme einher, Liebe folge einem regelmäßigen Kontakt und sei darüber hinaus durch rationale Erwägungen steuer- und kontrollierbar. Dies wird durch ein bekanntes Sprichwort – Cinta turun dari mata ke hati (»Liebe steigt von den Augen ab ins Herz«)118 – zum Ausdruck gebracht. Durch regelmäßiges Treffen er-

115 Ehen zwischen Christen und Muslimen werden generell nicht von den Familien akzeptiert, auch wenn es theoretisch gemäß dem Islam möglich ist, dass muslimische Männer christliche Frauen heiraten (aber nicht anders herum). Eine potentielle eheliche Verbindung wäre dabei jedoch an einen Religionswechsel der Frau geknüpft, was von ihren Familien meist nicht akzeptiert wird. 116 Junge Männer teilten mir oft mit, unter dem »Materialismus« von Frauen zu leiden, dem sie strategisch begegnen würden: Ihnen zufolge gäbe es viele Männer, die sich beispielsweise ein Auto leihen würden, um dadurch die Gunst von Frauen zu gewinnen und diese willig zu machen, mit ihnen eine Partnerschaft einzugehen. 117 Vgl. hierzu auch Fußnote 251 und Kapitel B.III.4.1.2.3 wie auch den Wörterindex im Anhang D.1. 118 Dies steht in direktem Gegensatz zu der uns bekannten »Liebe auf den ersten Blick«, deren Semantik jedoch im Rahmen fiktionaler Liebesgeschichten zunehmend an Bedeutung gewinnt.

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wachse dieser Annahme zufolge Liebe. Durch den regelmäßigen Kontakt mit einem sozial angemessenen Partner, der die Erwartungen an eine Beziehung (vor allem Aufmerksamkeit, finanzielle Absicherung und das Streben nach einer Überführung der Partnerschaft in Ehe) erfülle, würde sich Liebe daraus von allein entwickeln. Dieser Annahme zufolge würden auch familiär arrangierte Ehen problemlos funktionieren und bleiben hoch geschätzt: Liebe zwischen den Ehepartnern erwachse nach der Ehe von selbst. Um das »automatische Wachsen« von Liebesgefühlen nach einer Ehe zusätzlich zu unterstützen, gibt es Hilfsmittel, wie von Familienangehörigen bei der Ehezeremonie durchgeführte Rituale. Hierzu wird mappakarawa gezählt, das Sprechen bestimmter geheimer überlieferte Formeln bei der Ehezeremonie durch ältere Menschen, beispielsweise der Großmutter, das zu einer gegenseitigen Liebe zwischen den Ehepartnern beitragen könne. Indri: Bei den Bugis gibt es etwas, was mappakarawa genannt wird. Das bedeutet, es gibt einen Ehemann und eine Ehefrau, die heiraten wollen und sich noch nicht so sehr mögen, weil sie [als Ehepartner] arrangiert wurden, dann gibt es einen alten Menschen, der sie mappakarawa, damit sie sich sehr lieben werden.

Die Vorstellung, Liebe wachse durch den regelmäßigen Kontakt von alleine, führt bei den Frauen zu dem Imperativ, man müsse versuchen, jemanden zu lieben, der als sozial angemessener potentieller Ehepartner gilt. Arrangierte Ehen bleiben, auch wenn junge Menschen meist angeben, ihren Ehepartner selbst wählen zu wollen, angesehen und geschätzt. Man erzählt oft Geschichten familiär arrangierter Ehen, bei denen die Ehepartner sehr glücklich miteinander sind. Es wird betont, dass Eltern oft mehr Weisheit besäßen, den richtigen Partner für ihre Kinder zu finden als die jungen Menschen selbst, die oft von Gefühlen geblendet sind, die nicht unbedingt zu einem Erfolg der Ehe beitragen würden. Arrangierte Ehen werden als stabiler angesehen, da sie durch das Familienkollektiv abgesichert werden und nicht auf »spontanen Gefühlen« basieren würden. Auch Idrus (2004, http://intersections.anu.edu.au/issue10/idrus.html#n82, zuletzt gesichtet am 27.11.08) betont, »[w]hen discussing marriage in Bugis society, it is important to realise that this union must be viewed in relation to kinship, as marriage is perceived as forming two families into one, reflected in the term siala [Bug.: to take each other] as well as nikah119 [Ar.: to gather togeth-

119 Nikah wird oft anstelle des indonesischen Wortes kawin für das Eingehen einer Ehe verwendet. Das arabische Wort bedeutet literarisch »zusammen sein« oder »zusammen kommen«, beinhaltet jedoch auch sexuelle Konnotationen, im Sinne einer »sexuelle Beziehung« oder von »Kopulation«. Dies geht damit einher, dass der Islam die Ehe als einzige Legitimation für sexuelle Kontakte versteht, die außerhalb von ihr haram (verboten) sind und erst durch einen Ehevertrag als halal (erlaubt) gelten (vgl. Idrus 2004, http://intersections.anu.edu.au/issue

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er]«.120 Besonders ältere Menschen sehen Liebesehen als weniger stabil als arrangierte Ehen an. So sagt Sirajuddin Bantang, ein ca. 50-jähriger Universitätslehrer und Spezialist des Bugis Brauchtums: Manchmal, wenn es wegen der gegenseitigen Liebe ist, lassen sie sich nach einem Jahr schon wieder scheiden, vielleicht, weil ihnen langweilig ist, zusammen zu sein. […] Wenn man sich scheiden lässt, ist man normalerweise beschämt [malu]. Man lässt sich erst scheiden, wenn man dazu gezwungen wird. Es gab ein religiöses Gericht, so hieß das früher im Dorf, und es wurde an dem Glauben festgehalten. Aber wenn es wirklich schwierig war, die beiden wieder zu vereinen, dann durfte man das machen [sich scheiden]. Aber normalerweise haben sich die Leute im Dorf ganz selten geschieden wegen des Brauchtums [adat] oder der Normen der Höflichkeit [norma kesopanan]. Heutzutage ist das ganz anders. Heutzutage weichen viele junge Menschen davon ab, was Ehen und Scheidungen zum Resultat hat. Sie halten nicht das lebendig, was das Wesen der Ehe ist. Für sie ist das Wichtigste, erst die Liebe und dann lange zusammen sein. Ich stimme sehr dem zu, was von H. Agus Salim, dem Lehrer von Bung Karno [Sukarno, dem ersten Präsident Indonesiens] gesagt hat. Er hat gesagt, es sei besser, erst zu heiraten und dann zu lieben, weil im Fall, die Liebe käme zuerst, die Ehe von kurzer Dauer sei.

Für viele junge Frauen erscheinen arrangierte Ehen als Erleichterung von der Last, selbstverantwortlich einen geeigneten und akzeptierten Ehepartner zu finden. Die Verantwortung, sein siri’ durch eine falsche, unpassende Wahl zu gefährden, stellt für sie eine große Bürde dar. Denn das Paradigma, sich selbst einen Ehemann zu suchen, hebelt nicht die gesamten gültigen Rahmenprinzipien aus, sondern verschiebt die Verantwortung für den Ehepartnerwerbeprozess lediglich auf die Einzelperson. Die Ehe wird als Folge nicht mehr kollektiv von dem Familienbund getragen und unterstützt. Das Konzept des jodoh lässt sich angesichts dieser Ängste und Herausforderungen als subjektive Umgangsstrategie und Bedeutungszuschreibung in emotional schwierigen Situationen deuten. Jodoh wird verstanden als der für eine Person bereits von Gott vorgesehene Partner. Das Konzept fungiert als Verantwortungsverschiebung bei der Partnerwahl vom Subjekt selbst auf ein außenstehendes Drittes: Gott. Durch die Relativierung der Selbstverant-

10/idrus.html#n82, zuletzt gesichtet am 27.11.08). Die sexuellen Konnotationen sind auch bei auch jungen Leuten präsent. Dies äußert sich in dem Sprachwitz als Antwort auf die Frage, ob jemand schon nikah (verheiratet) sei, Nikah sudah, kawin belum (»Nikah schon, verheiratet noch nicht«) als humoristische Andeutung, sexuell unbefleckt sei diese Person nicht mehr, obwohl sie noch nicht verheiratet sei. 120 Zur detaillierteren Diskussion der Konzipierung von Ehe (BB = siala) gemäß dem Bugis Brauchtum (adat) vgl. Idrus 2004, http://intersections.anu.edu.au/ issue10/idrus.html#n82, zuletzt gesehen am 27.11.08 und Pelras 1996: 154– 156. Zur Beschreibung eines Bugis Eherituals vgl. auch Pelras 1996: 156–160.

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wortung der Wahl eines Ehepartners trägt das Konzept jodoh so zu der subjektiven Entlastung der Frauen bei. Das Konzept Jodoh dient als Art Katalysator für Ängste, falsche Entscheidungen zu treffen. So herrscht die Annahme vor, Gott habe für jeden Einzelnen bereits einen Partner, einen jodoh121, vorbestimmt, und er würde den Weg aufzeigen, diesen zu finden. Während die jungen Frauen das Konzept als Teil des kulturellen Brauchtums beschreiben, habe sich der aktive Umgang mit dem Konzept durch moderne junge Menschen gewandelt. Indri: […] Es gibt es [das Prinzip des jodoh] noch im Gesetz des Brauchtums, wo sie glauben, dass der von Gott bestimmte Partner [jodoh], eines Tages von selbst kommen würde, ohne dass man ihn suchen müsste. Also müsse man es sich nicht schwer damit machen, den jodoh zu suchen, weil man davon überzeugt ist, dass Gott den Weg dafür schon vorgezeichnet habe. Aber um auf uns zurückzukommen. Ob man ihn bekommen kann, ohne dass der Mensch sich selbst bemüht, ihn zu finden? Auch bis heute gibt es noch viele, die das glauben. Sie sitzen nur zu Hause herum, arbeiten, und früher gab es ganz viele, die so waren, und Frauen/Mädchen waren nur zu Hause, bis ein jodoh kam, um ihnen einen Heiratsantrag zu machen. Aber heutzutage ist das schon nicht mehr so, weil es heutzutage das Prinzip gibt, dass Menschen unternehmerisch werden müssen und Gott dies [ihre Aktionen] dann bestätigt. Damit meine ich, dass Menschen sich bemühen, ihren jodoh zu finden, und wenn Gott ihn auch so vorhergesehen hat, dann wird das auch unser jodoh, wenn nicht, dann nicht.

Es wird dabei nicht angenommen, der gewählte Ehepartner sei zwangsläufig der jeweilige jodoh. Man könne nie wissen, ob man sich von ihm wieder trennen werde. Dennoch wirkt die Annahme, es gäbe für jeden Menschen einen jodoh und Gott leite die Entscheidungen von Menschen und deren biographische Entwicklungen in seinem Sinne an, beruhigend auf die jungen Frauen. Dies hilft ihnen beispielsweise auch über den Verlust einer Liebe hinweg, indem sie rationalisieren, dass der Geliebte im Falle einer (auch erzwungenen) Trennung offensichtlich nicht ihr jodoh war. Sie bauen auf die

121 Wenn Eltern eine Ehe für die Kinder arrangieren, wird dies auch mit dem Verb menjodohkan (BI) bezeichnet. Das Konzept des jodoh taucht also auch in der Semantik des Verheiratetwerdens wieder auf: Eine Person wird demnach von seinen Eltern mit seinem jodoh zusammengeführt. Darin impliziert ist die Vorstellung, dass Eltern für die Kinder ihren jodoh finden könnten und darin möglicherweise aufgrund größerer Lebensweisheit auch klüger seien. Zudem gibt es weitere an das Konzept geknüpfte semantische Begriffe, die die Kompatibilität von Partnern betonen: Man sagt oft über Paare, sie hätten ein muka jodoh (BI = ein Gesicht eines jodoh). Dies wird oft in Verweis auf ein ähnliches Aussehen oder ähnliche Gesichtszüge gesagt und weist möglicherweise darauf hin, dass man aufgrund von (strukturellen) Ähnlichkeiten gut zusammenpasse, also »jodoh sein« könnte.

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stille Akzeptanz und das Vertrauen, Gott habe seine Gründe für solche Entwicklungen. So müssten sie auch Partner akzeptieren, für die sie keine Liebesgefühle besitzen, weil Gott diese womöglich für die Frauen vorbestimmt habe. Indri: Ja. Meiner Meinung nach liegt der jodoh in der Hand Gottes. Wenn wir mit jemandem zusammen sind und ihn nicht heiraten, dann ist er wahrscheinlich nicht mein jodoh und wir müssen das akzeptieren, denn es ist schon von dem oben geregelt. Putri: […] auch wenn wir sehr lieben und uns nicht trennen wollen, aber wenn er nicht unser jodoh ist, dann können wir daran nichts ändern.

Eine junge Frau, Putri (vgl. hierzu Kapitel B.III.7.2), die ihre große Liebe verlassen hat, um einen Mann zu heiraten, der eine feste Arbeit hat, reich ist und dementsprechend für eine sichere Zukunft sorgen kann, antwortet auf die Frage, wie es geschehen konnte, dass sie den anderen, den sie liebe, aus eigener Entscheidung verlassen hat: Putri: Vielleicht hat das Schicksal gesagt, das ist er nicht, ich muss jodoh [mit ihm sein]. Verf.: Wenn Du aus Deiner Situation jetzt zurückschaust, denkst Du dann, dass Du ihn dann nicht wirklich geliebt hast? Wenn es wahre Liebe gewesen wäre, wärst Du ihm dann nicht gefolgt? Putri: Ja, das glaube ich, vielleicht, aber eines, was ich rational denke, ist, wenn ich meinen Gefühlen folgen würde, ich ihm dann automatisch hätte folgen und alles andere für ihn verlassen müssen. Aber ich denke, in der heutigen Zeit geht es nicht länger um Gefühle. Das Problem ist, das betrifft meine Zukunft. Was soll denn Liebe, wenn das Resultat dasselbe ist, wenn ich deswegen leiden muss, es ist nicht möglich, Liebe zu essen [von Liebe zu leben]. Wie soll das denn später sein? Ich denke dabei an mich, und viele Menschen heiraten nicht aufgrund von Liebe, sondern, ich denke, ich versuche es einfach. Noch ist Heri [ihr Ehemann] gut und sorgt sich, vielleicht werde ich nach längerer Zeit Coki [ihr Freund zuvor, den sie nach eigenen Aussagen sehr liebte] vergessen. Verf.: Aber mit ihm warst Du sehr glücklich, nicht wahr? Putri: Ja, aber nicht jodoh.

156 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Denkst Du, Heri ist Dein jodoh? Putri: Vielleicht, weil ich ja schon mit ihm verheiratet bin, ist er es, der für mich ausgewählt wurde. Ich denke, das ist das Beste, weil Gott uns stets das Beste gibt, also, denke ich, ist es das Beste. Verf.: Glaubst Du, dass er Dein jodoh ist? Putri: Ich weiß es noch nicht, ich denke erstmal ganz einfach, er ist mein jodoh, und vielleicht, weil der Weg wirklich so ist und Gott ihn bereits so vorgezeichnet hat, muss ich ihn akzeptieren. Außerdem habe ich ihn auch nicht wegen anderen Leuten gewählt, sondern es war die Entscheidung meines eigenen Herzens, und ich habe schon weit gedacht und habe nur mit der Logik entschieden, ohne Gefühle. Wenn ich nach meinen Gefühlen entschieden hätte, hätte ich Coki gewählt, aber meiner Meinung nach ist es nicht mehr die Zeit, Gefühle einzusetzen. Ich habe nur an meine Zukunft gedacht.

Das Konzept des jodoh ist in seiner sozialen Anwendungspraxis und der Erklärungslogik der Frauen durchaus widersprüchlich. Eigene Entscheidungen, die als von Gott angeleitet gesehen werden, werden der Suche nach dem jodoh vorangestellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die daraus resultierende Entwicklung unbedingt Gottes Plan entspricht. Die Frauen nehmen an, dass die weitere Entwicklung, die relativ unabhängig von der eigenen Entscheidung gemacht wird und das Subjekt eher in eine passive Rolle eines Abwartens versetzt, potentielle Korrekturen durch Gott zeigen wird. Jodoh kann dabei in alle Richtungen interpretiert werden, so wie es die jungen Frauen gerade als Beruhigung in ihrer Situation benötigen. Meist wird dabei jedoch die Erfüllung von sozialen Erwartungen betont und aufrechterhalten. Die Beruhigung der Frauen durch dieses Konzept besteht dabei also oft lediglich darin, dass sie den Schmerz über die Opferung individueller Gefühle zugunsten sozialer Verantwortungen besser ertragen können, indem sie die Entwicklungen außerhalb ihrer eigenen Handlungsfähigkeit stellen. Das Konzept jodoh bestätigt so zumeist die dominante soziale Ordnung, lässt dabei den jungen Frauen jedoch den gedanklichen Spielraum, derjenige, den man liebe, könne sich möglicherweise im Laufe der Entwicklung als der wahre jodoh herausstellen. Dies werde sich in von ihnen nicht gesteuerten Entwicklungen von selbst abzeichnen. So fühlen sich die jungen Frauen von der Last zu befreit, aktiv weitere Entscheidungen treffen zu müssen. Frauen werden durch das Konzept des jodoh entmutigt, individuellen Liebesgefühlen nachzugehen. Wenn man als Frau ab einem bestimmten Alter, in dem eine Heirat sozial erwünscht ist (das ist in Makassar ab ca. 25 Jahren), keinen Ehepartner

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findet122 bzw. derjenige, der angekündigt hat, bei den Eltern um die Hand anzuhalten, diesen mündlich vereinbarten Vertrag nicht einhält, wird vermutet, dass externe, meist als magisch gedachte Gründe, ihr verwehren, ihren jodoh zu bekommen (pintu ditutup untuk mendapat jodoh – die Tür wurde verschlossen, um seinen jodoh zu bekommen). Passiert dies einer Frau, wird meist ein Mann dafür verantwortlich gemacht, der aufgrund seines Interesses an der Frau ihrer ehelichen Vereinigung mit einem anderen Mann entgegenstehe. Auch der Neid einer anderen Person kann dafür als Ursache angesehen werden. Die verantwortlichen Personen hätten entweder selbst besondere Kräfte, diese magische Handlung durchführen, oder einen Dritten, einen dukun (Magier, Person mit magischen Fähigkeiten) einbezogen, um die »Verwünschung« zu vollziehen123. Es werden drei unterschiedliche Lösungen, sich von dieser magischen Blockade zu befreien, (buka pintu untuk mendapat jodoh – die Tür zu öffnen, um seinen jodoh zu bekommen), die jedoch auch in Kombination miteinander durchgeführt werden können: 1. der Glaube an Gott und gewissenhaft durchgeführte religiöse Praktiken wie Beten, Besuch der Moschee, etc. 2. der Besuch eines dukun oder eines weisen Menschen, der die Betroffenen während einer rituellen Zeremonie badet, dabei werden meist magische Formeln gesprochen. 3. eine Blockade, seinen jodoh zu bekommen, könne auch durch die Handlungen Dritter aufgelöst werden: So wird beispielsweise geglaubt, dass die Hochzeit einer jüngeren Schwester der älteren durch diese Handlung, die Tür, ihren jodoh zu bekommen, öffnen könne124. Zwei der jungen Frauen aus dem asrama haben sich von diesem magischen Einfluss persönlich betroffen gefühlt. Eine junge Frau, Indri, ließ sich mit einer rituellen Badezeremonie behandeln, nachdem ihrem langjährigen Partner trotz wiederholter Ankündigungen, sie zu heiraten, immer etwas dazwischen kam, bei ihrer Familie vorstellig zu werden. Sie hatte zuvor viele Freunde parallel125, von denen sie dachte, einer hätte diesen magischen Eingriff aus Missgunst, dass sie nun einen anderen Mann heiraten wolle, durch-

122 Vgl. hierzu auch Kapitel B.II.5.2 und 5.3. 123 Vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.3. 124 An dieser Stelle wird dies in aller Kürze konstatiert, da sich das folgende Kapitel B.II.5.1.3 detaillierter mit der Magie, vor allem mit der Liebesmagie (pelet cinta), auseinandersetzt. 125 Als Indri sich zu einer Ehe mit einem der Männer entschieden hatte, erzählte sie den anderen Männern, ihre Familie hätte für sie eine Ehe arrangiert. Sie zog sich dadurch aus der Verantwortung der eigenen Entscheidung, um den Zorn der anderen Männer von sich abzuwenden. Der Verweis auf ein Ehearrangement durch die Eltern fungiert bei vielen Frauen als beliebte Ausrede Männern gegenüber, einen anderen Mann zu ehelichen.

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geführt. Da in ihrem Dorf bereits alle von der Intention zu heiraten erfahren hatten und man anfing, über Gründe zu »tratschen«, warum es nicht zu dem Vollzug der Ehe komme, suchte sie die Behandlung über eine rituelle Badezeremonie. Sie heiratete ein halbes Jahr später den Mann, mit dem eine Ehe bereits geplant war126. Eine andere Frau, Imelda, hatte die vage Befürchtung, ein solcher Zauber würde gegen sie oder generell gegen ihre Familie bestehen. Sie war bereits 26 Jahre alt, und es war noch kein potentieller Ehekandidat in Sicht. Präventiv wollte sie sich somit ebenfalls einem Baderitual unterziehen. Zwei ihrer älteren Schwestern, eine war bereits über 30 Jahre alt und die andere fast 40, waren ebenso noch unverheiratet, was die gesamte Familie bestürzte. Sie wurden, von den Eltern veranlasst, bereits mehrere Male einer rituellen Zeremonie zur Aufhebung dieser Blockade unterzogen, die jedoch noch keine Wirkung zeigte. So fühlte Imelda besonders großen sozialen Druck, so schnell wie möglich zu heiraten, da durch ihre Ehe potentiell auch die Blockade bei ihren Schwestern aufgehoben werden könnte. 5.1.3 Liebesmagie (pelet cinta) und das Konzept over Der kulturellen Vorstellung von Liebe liegt also oft die Annahme zugrunde, dass diese durch rationale Erwägungen und durch soziale Erwartungen kontrollier- und steuerbar sei. Ratio und Emotion werden dabei nicht als voneinander getrennte Konzepte verstanden, sondern als sich beeinflussende und regulierende Teile, die das Gefühl in seiner Gesamtheit bestimmen. Trotz dieser Annahme über Liebe ergeben sich mitunter Situationen oder Erlebnisdimensionen, in denen sich Dissonanzen zwischen der angenommenen Kontrollierbarkeit oder Kontrolliertheit von Liebe gemäß rationalen Überlegungen und den individuellen Gefühlen und Wünschen der Frauen ergeben. Auch wenn sie angehalten sind, den rationalen Gesichtspunkten zu folgen, und nur hoffen, dass sich eine Anpassung der Gefühle – gemäß der Annahme, Liebe entwickle sich von selbst – automatisch ergebe, gibt es dennoch die Vorstellung von einer gänzlich von rationalen Überlegungen losgelösten Liebe (bezeichnet mit den synonym verwendeten indonesischen Begriffen: cinta sejati – wahre Liebe, cinta murni – reine Liebe, cinta buta – blinde Liebe). Diese Liebeskonzepte werden von den Frauen meist von ihrer eigenen sozialen Alltagsrealität, in der ökonomische und strukturelle Aspekte eine große Rolle spielen, getrennt. Sie gelten angesichts ihrer sozialen Realität als nicht lebbar bzw. sehr unrealistisch. Die Frauen gehen mit dieser »Lieblosigkeit« in ihrem sozialen Alltag, zumindest in ihren offiziellen Narrativen, meist sehr nüchtern um.

126 Vgl. hierzu Indris Fallbeispiel in Kapitel B.III.7.1.

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Novi: Cinta sejati [die wahre Liebe] ist die wahre, aber es ist ganz schwer mit cinta sejati. Verf.: Und cinta sejati hängt nicht von materiellen Dingen ab? Novi: Ja. Verf.: Aber wenn Ihr hier einen Freund sucht, dann muss er eine Arbeit haben, weil man an die Zukunft denken muss, also ist es schwierig, die wahre Liebe zu praktizieren, weil es viele Dinge gibt, an die man denken muss [als Wiederholung des zuvor im Interview Geäußerten]? Novi: Das Leben ist für uns so. Wenn wir es nicht von der Seite der Arbeit betrachten, können wir wegen der Liebe sterben und man kann nicht essen [im Sinne von »überleben«], wenn man nur der Liebe folgt.

Diese »wahre« oder »reine Liebe« scheint so für die Frauen aufgrund ihres Lebenskontextes nicht infrage zu kommen. Sie wird vielmehr als erträumtes und im Rahmen fiktionaler Geschichten zu verortendes Konstrukt als ein realer Lebensentwurf gesehen. Dennoch spielt sie eine Rolle für die Imaginationen der jungen Frauen und äußert sich in erwünschten Lebensentwürfen, die sie in direkter Auseinandersetzung mit romantischen Fiktionen äußern. Auch wenn sie nicht als real erscheinendes Modell für eine Beziehung idealisiert und mit fatalen Konsequenzen assoziiert wird, begegnen einem dennoch Aussagen, wie z. B.: die ideale Ehe basiere auf »echter Liebe«. Die jungen Frauen erhoffen sich die Kompatibilität zwischen rationalen Erwägungen und individuellen Liebesgefühlen bei der Wahl des zukünftigen Ehepartners. Im Zuge von pacaran, das auf Zuneigungsgefühlen für den anderen beruhe, könne man sich so bemühen, sozialen Erwartungen entgegenzuarbeiten, indem man den Partner ermutigt, eine gute Arbeit zu finden, etc. PakRahmat: Cinta murni [reine Liebe] ist Liebe, die blind ist, man sieht nichts anderes. Wenn der andere keine Arbeit hat, wie soll man ihn dann heiraten können, auch wenn man ihn liebt. Verf.: Also gibt es rationale und nicht rationale Liebe?

160 | L IEBE IN I NDONESIEN Pak Rahmat: Es gibt auch kommerzielle Liebe, es gibt viele Versionen. […] Aber es ist auch möglich, weil es heutzutage schon sehr modern ist, dass sie einen Mann sehr liebt, der keine Arbeit hat, dann drängt sie ihn sicher dazu, Arbeit zu suchen, also gibt es da schon Vernunft. Das unterscheidet sich von materiellen Menschen [die einen Partner nur gemäß materiellen Erwägungen suchen]. Elida: Früher haben die Menschen ihr Kind nur mit einem Reichen verheiratet, normalerweise haben sie zielgerichtet eine Familie gesucht, damit das Erbe nicht irgendwo hingeht, oder man suchte jemand Reiches auch, um seine Kraft zu erhöhen. Pak Rahmat: Aber wenn wir zurück zu dem Eigentlichen kommen, der Liebe, die blind ist, da ist es egal, ob man Arbeit hat oder nicht.

Das Verfolgen individueller Gefühle und der Einsatz von Strategien, um diese (über-)lebensfähig zu machen, werden hier von Pak Rahmat als Teil der Modernität gesehen. Er konstruiert also einen Mittelweg, bei dem traditionelle Anforderungen mit dem durch moderne Lebenspraxen und Liebessemantiken ermutigten Nachgehen von Liebesgefühlen kombinierbar gemacht werden. Augenfällig ist jedoch, dass die meisten Frauen sich ganz pragmatisch in Männer verlieben, die den sozialen Erwartungen entsprechen. Die Differenzen zwischen Emotion und Ratio verschwimmen so nicht nur auf der konzeptuellen Ebene, sondern oft auch auf der subjektiven Erlebnisebene. Dementsprechend wird auch oft nicht verstanden, warum sich eine Frau in einen Mann verliebt, der beispielsweise keine finanzielle Mittel besitzt. Die Annahmen, dass sich rationale und emotionale Gesichtspunkte bei der Entwicklung und Verfolgung von Liebe wechselseitig bedingen und dass Liebe nicht als individuelles Gefühl losgelöst von dem sozialen Kontext, sondern auf Basis eines interaktiven Austauschs zwischen zwei Personen entsteht, werden auch bei Beschreibungen des Prozesses des Sich-Verliebens deutlich. So wurde mir oft mitgeteilt, man könne sich erst in den anderen verlieben, wenn man über die Gefühle des anderen Bescheid wüsste und die Intentionen des anderen hinsichtlich einer Beziehung einschätzen könnte. Liebe wird so nicht als ein isoliertes individuelles Gefühl, sondern immer bereits in Relation zu dem sozialen Kontext gesehen, der sie erst konstituiert. Angemessenheit erscheint so als konstitutiver Bestandteil der Emotion selbst. Ist dieses sich gegenseitig regulierende Verhältnis zwischen sozialer Struktur und subjektiver Leiblichkeit nicht gegeben, wird auf Erklärungen externer Störungen dieses Mechanismus zurückgegriffen. Die angeführten Erklärungen richten sich dabei nach der Evaluation der Situation und des Lebenskontextes der betroffenen Person. Als gültige Erklärungen gelten dabei das Einwirken äußerer Kräfte wie Magie (erklärt mit dem kulturellen

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Konzept pelet), der negativ konzipierte Einfluss des Westens (erklärt mit dem in Differenz zu pelet konstruierten Konzept over127) oder eine psychosomatische Störung, die analog zu pelet als krankheitsähnlich angesehen wird, aber vor dem Hintergrund einer physiologischen Missfunktion gedeutet wird128. Geht eine Frau Gefühle für einen Mann nach, bei dem rationale Gründe keinerlei Grund für die Wahl darstellen, steht die Frau – sofern sie als traditionelle, moralische Frau angesehen wird – zunächst unter dem Verdacht von pelet cinta (Liebesmagie). Führt die Frau jedoch einen hinsichtlich des Geschlechterkontaktes moralisch ambivalenten Lebensstil und zeigt kein angemessenes Rollenverhalten gemäß traditionellen Werten und Normen, wird diese bzw. ihr Verhalten als over (dem englischen Wort entlehnt – also als kulturelle Grenzen übertretend) beschrieben. Dieses relativ neu hervorgebrachte Konzept over wird als Erklärung für Verhalten herangezogen, das auf den negativen Einfluss des Westens zurückgeführt wird. Es wird dabei in Differenz zu pelet cinta konstruiert, das abweichendes Verhalten von Menschen erklärt, die kulturelle Werte und Normen respektierten. Beiden Konzepten liegt die Vorstellung eines »nicht-natürlichen«, »nicht-normalen« Verhaltens einer Frau dem anderen Geschlecht gegenüber zugrunde, wodurch wiederum als traditionell angesehenes Genderverhalten im Sinne einer weiblichen Passivität/Schüchternheit/Scham naturalisiert wird. Auch das sich in Interaktion mit dem Westen neu etablierte Konzept over trägt so zu einer Reproduktion einer »traditionellen Bugis Kultur« bei. Die Bedeutungssemantiken von pelet cinta, cinta buta (blinde Liebe), cinta murni (reine Liebe) und cinta sejati (wahre Liebe) sind sich sehr ähnlich. Die Konzepte werden aufgrund der differenten situativen Kontextualisierungen, die die Evaluierung durch Dritte mitbestimmt, voneinander unterschieden. Auch Fragen danach, wie, wann, mit wem und zu welchem Zweck von und über Liebe gesprochen wird, sind dabei entscheidend. Aber auch die »emotionale« subjektive Situation des Sprechers sowie dessen vorangegangene emotionale Erfahrungen gehen in die situative Bestimmung der Konzepte mit ein und sind ausschlaggebend für die Aktivierung in eigenen Erzählungen. Diese jeweiligen Erklärungen und Abgrenzungen von Liebeskonzepten können dabei in sich widersprüchlich sein, ohne von den

127 Siehe hierzu die folgenden Ausführungen. 128 Diese Erklärung schließt an moderne, psychologische Konzeptionen des Westens an. Sie stellt somit eine Alternative zu der Erklärung über Liebesmagie dar, die in Abgrenzung zu einer als »rückwärtsgewandter, traditioneller Hokuspokus« verstandenen Magievorstellung, moderne und »wissenschaftlich abgesicherte« Erklärungen vorzieht. Von derselben Person kann je nach Kontext und Kommunikationspartner auch auf sich dabei auf sich widersprechende Erklärungen zurückgegriffen werden. Die Nichttrennbarkeit von Emotionen und rationalen Gesichtspunkten, die Hand in Hand gehen und sich wechselseitig bedingen, bleibt dabei als Annahme gleichermaßen bestehen.

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Subjekten selbst zwangsweise als widersprüchlich verstanden zu werden. So sagt Pak Rahmat zur Liebesmagie (pelet cinta) Folgendes: Es ist wirklich schwierig, das zu definieren, weil es sehr abstrakt ist. Es ist nicht rational, dass man den anderen mag, es ist nicht logisch.

Diese Erklärung von pelet cinta ähnelt sehr derjenigen, die auf die Beschreibung von cinta murni (reine Liebe) abzielt. Die entscheidende Differenz zwischen Liebesmagie und »wahrer Liebe« scheint also nicht auf der subjektiv emotionalen Ebene verortet zu sein – also sich in jemanden zu verlieben oder jemanden zu lieben, ganz ohne Kenntnisnahme rationaler Erwägungen – sondern auf der Verhaltensebene: Das unkontrollierte und sozial inakzeptable aktive Verfolgen solcher Gefühle, das pelet cinta und over zugeschrieben wird, steht dabei der Verhaltenskontrolle eines »natürlichen« Verliebtseins gegenüber. Dabei differenzieren sich pelet und over dadurch, dass im Fall von over angenommen wird, die jeweilige Person verfolge ihre Gefühle und ignoriere ihr sozio-kulturelles Umfeld, für das sie keinen Respekt zeigt, bewusst. Dahingegen sei einem Menschen, der dipelet (als passive Form von pelet) ist, kein Bewusstsein und Verantwortung für seine Taten zuzuschreiben. Dieser handle lediglich aufgrund des magischen Einflusses den kulturellen Normen des sozialen Umfeldes zuwider, die er »eigentlich« respektiere und befolge. Menschen, die dipelet cinta (liebesverzaubert) seien, würden ein merkwürdiges, »unnatürliches« Verhalten zeigen. Symptome, die auf pelet cinta hinweisen würden, seien: der ständige Wunsch, den anderen zu treffen; den Namen des Geliebten auszusprechen, wenn man schlafe; »verrückt« (unkontrolliert) zu agieren; den Zustand nicht aushalten zu können; unkontrolliert und sich dessen nicht bewusst vor sich herzureden oder zu singen; einem Mann »hinterher zu laufen« und dem bekannten sozialen Umfeld zu entflüchten; plötzlich jemanden zu mögen, den man vorher nicht mochte. Sei man ohne Zutun von Liebesmagie verliebt, agiere man ruhiger und kontrollierter, man lächle viel, denke viel an den anderen, sei immer froh, man könne den Zustand jedoch aushalten und werde nicht »verrückt«, wenn man den anderen nicht trifft. Eine von pelet betroffene Person könne dabei selbst ihren Gefühlszustand nicht von einem natürlichen Verliebtsein differenzieren und sei sich ihres »merkwürdigen« Verhaltens nicht bewusst. In der Regel denke sie selbst, sie sei lediglich verliebt129. Eine Hilfe von außen sei

129 Interessant ist dabei, dass in einigen Fällen der Adressat dieser magisch induzierten Liebesgefühle nicht definierbar scheint. Eine junge Frau, Jati, beschreibt ihren pelet cinta-Zustand so, dass sie stets jemanden vermisst und sich nach jemandem gesehnt habe, ohne gewusst zu haben, wer die Person war. Sie hatte jedoch zu einer ähnlichen Zeit (dies ließ sich nicht genau rekonstruieren) eine heimliche Beziehung zu einem verheirateten Mann, was möglicherweise als

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deswegen unumgänglich: Es sind die Freunde und Familienangehörige, die eine Person zu einer Gegenmagie veranlassen. Jati, eine junge Frau, die zu Anfang meiner Forschung auch im asrama wohnte, war nach eigenen Angaben selbst von pelet betroffen. Nachdem mich andere Frauen im asrama bei gemeinsamen Diskussionen oder in Interviewsituationen, aber nie in Anwesenheit von Jati, darauf hingewiesen haben, dass Jati bereits dipelet war, kam ich in einem Einzelinterview mit ihr darauf zu sprechen. Nachdem es eine Zeit lang ganz allgemein um pelet cinta ging, und sie ihre eigene Geschichte nicht thematisierte, stellte ich ihr direkt die Frage nach ihrer eigenen Geschichte. Doch erst bei der zweiten Nachfrage schwenkten ihre Ausführungen von einem unpersönlichen »man« zu einer »Ich«-Erzählung um. Offensichtlich war es ihr zunächst unangenehm, davon zu berichten. Verf.: Woher weiß man, dass eine Freundin/ein Freund dipelet cinta ist? Jati: Das ist unterschiedlich. Wenn wir eine Freundin/einen Freund sehen, die/der wie besessen ist [kesurupan]. Weißt Du, was das ist: kesurupan? Verf.: Nein. Jati: Kesurupan ist wie ohnmächtig werden und aufwachen und wahllos etwas erzählen, ohne dass wir wissen, wovon wir reden. Verf.: Hast Du selbst bemerkt, dass Du dipelet warst? Jati: Manchmal weiß man das auch nicht. Beispielsweise vermissen wir ständig jemanden, aber wir wissen gar nicht, wer das ist. Verf.: Hast Du eine Medizin bekommen? Jati: Ich habe [besprochenes] Wasser bekommen und gebetet.

Grund für die offizielle »Unkenntnis« des geliebten Gegenübers interpretiert werden kann.

164 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Und Du wusstest nicht, was Du gesagt hast? Haben die anderen es Dir nicht erzählt? Jati: Ich wusste es nicht, und die anderen haben mir schon erzählt, Du hast das und das gesagt. Ich habe normalerweise auch geweint, weil ich jemanden vermisst hab, aber ich kannte diesen Menschen nicht. Verf.: Und sie brachten Dich dann zu einem Menschen, der Dir helfen konnte, oder bist Du da selbst hingegangen? Jati: Ja ich wurde normalerweise an einen Ort gebracht, wo mir geholfen werden konnte. Ich wurde »besprochen«. Wenn ich mir viel vorgestellt habe/illusioniert habe, wurde ich normalerweise untersucht. Wenn ich alleine war, bin ich normalerweise wieder ohnmächtig geworden, vielleicht weil ich so viele Gedanken hatte, [ich war] erschöpft [davon].

Pelet gibt es jedoch nicht nur in Form von Liebesmagie, sondern in vielen verschiedenen Formen: Es gibt pelet, welches einen Menschen in einen anderen verliebt macht; es gibt pelet, welches bereits vorhandene Gefühle unterstützt; es gibt Formen von pelet, die meist auf Eifersucht basieren und bewirken sollen, dass eine Person für andere unattraktiv wird und keinen anderen Partner findet130. Neben diesen Formen von pelet, die im weitesten Sinne zwischengeschlechtliche Beziehungen betreffen, gibt es weitere Formen von pelet. Es wird dabei zwischen »gutem« pelet (weiße Magie), das vor allem auf Schutz und Heilung von Menschen abzielt bzw. ihnen helfen soll, ihre soziale Rollen adäquat zu übernehmen, und der negativen Form von pelet (schwarze Magie – celaka), das zu Erkrankungen und sogar dem Tod von Menschen führen kann, differenziert131. Die Akteure, die pelet herbeiführen, werden orang pintar (wörtlich: kluge Menschen; äquivalent zu einem dukun, der jedoch seine magischen Fähigkeiten nicht im Sinne einer Profession nutzt, sondern nur gelegentlich zum Einsatz bringt), dukun (ein javanischer, jedoch im gesamten Archipel verbreiteter Begriff für »indigener Heiler«) oder auch sanro (der buginesische Begriff für dukun, vgl. hierzu Pelras 1996: 199–203) oder paranormal (ein moderner Begriff für dukun, der dessen medizinische Praktiken in Differenz zu moderner »normaler« Biomedizin als »paranormal« bezeichnet) genannt. Im Folgenden werde ich den Begriff dukun verwenden, da er am häufigsten von meinen Interviewpartnern selbst verwendet wurde. Es werden zwei Idealtypen von dukun

130 Vgl. hierzu die Diskussion um die magisch induzierte Blockade, seinen jodoh zu bekommen im Kapitel B.II.5.1.2. 131 Pelet cinta wird als negative Form von Magie klassifiziert.

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voneinander differenziert: Einer, der positiv evaluiert ist, der »weiße Magie« betreibt, meist einen religiösen islamischen Hintergrund hat bzw. seine Rituale mit offiziellen Gebeten aus dem Koran kombiniert, und der mit den jin muslim (den Geistern, die auch im Islam akzeptiert werden und positiv konnotiert werden im Sinne, dass sie den Menschen helfen) kommuniziert. Davon differenziert wird ein dukun, der »schwarze Magie« (BI = celaka) durchführen, den Menschen Leid zufügen und sie von dem richtigen Weg abbringen kann, der sich der jin kafir (BI = heidnische Geister) bedient – und so gegen die Richtlinien des Islam handelt – und »heidnische Rituale« wie Opfergaben für die jin kafir durchführt.132 Pelet cinta wird dieser Kategorisierung zufolge von den negativ evaluierten dukun durchgeführt, eine Heilung von pelet cinta könne ebenso von einem weißen Magier durchgeführt werden. Gilt die »schwarze Magie« generell als unvereinbar mit dem Glauben an Gott und die »weiße Magie« als akzeptierbarere Form, sei meinen Interviewten zufolge, jede Form von pelet im Islam negativ gewertet und offiziell »verboten«. Es gelte das Prinzip, man solle alleine durch seinen Glauben an Gott und durch aktive religiöse Handlungen Gutes bewirken und sich nicht magischer Kräfte bedienen. Zunächst teilte mir jeder stets mit, nicht an Magie (pelet) zu glauben und sich lieber auf Gott verlassen. Dies war jedoch nur eine offiziell hervorgebrachte Meinung, die mit Modernisierungsdiskursen und der neuen religiösen Erstarkung des Islam in Indonesien korreliert, die magische Praktiken als »rückwärts gewandte und unmoderne« Traditionen abwerten. Pragmatisch glaubte jeder, mit dem ich jemals gesprochen habe, an pelet, und viele waren selbst in solche Praxen involviert. Anstatt nur zu Gott zu beten – wie mir oft mitgeteilt wurde – wurde bei Wahrnehmung einer Störung, in welchem Sinne auch immer (z. B. wenn

132 Ein dukun kann seine Fähigkeiten bereits von Geburt an besitzen, sie lägen dementsprechend in der Familie (sudah turun-temurun). Er kann diese einer Initiation entsprechend auch durch eine Eingebung (ilham) oder Anweisung (petunjuk) durch ein makhluk halus (ein feines/vornehmes Geschöpf/Lebewesen) erhalten. Ein dukun, den ich interviewt habe, sagte mir, er hätte einen Traum von Gott gehabt, der ihn über seine neue Aufgabe informierte und ihn unterrichtete, wie er seine Fähigkeiten nutzen solle. Durch ihre Initiationsgeschichte können sich die dukun so auch selbst in dem Spannungsfeld zwischen »offizieller Religion« einerseits und »traditioneller schwarzer Magie« andererseits positionieren und ihre Arbeit darüber legitimieren. Dukun stellen einen Teil eines alternativen traditionellen Medizinsystems dar. Vor allem in dörflichen Gebieten wendet man sich bei Krankheiten oft zunächst an einen orang pintar oder einen dukun. Aber auch in städtischen Krankenhäusern sind Menschen mit paranormalen Fähigkeiten zu finden, und Ärzte leiten Patienten, die ihrer Meinung nach an non-medis (nicht-medizinischen) Krankheiten leiden, in deren Obhut weiter. Auch von biomedizinischer Seite wird in Indonesien meist zwischen medizinischen und paranormalen Krankheiten unterschieden.

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man nicht ab einem gewissen Alter verheiratet ist) meist zunächst (oft sicherheitshalber) ein dukun oder orang pintar aufgesucht. Generell wird der Weg, jemanden zu verzaubern, folgendermaßen beschrieben: Sowohl Männer als auch Frauen133 können zu einem dukun gehen. Man nimmt dabei ein Foto der betreffenden Person oder einen Gegenstand mit, welcher der jeweilig anderen Person gehört. Der dukun kann nun entweder seine Magie mittels ausgesprochener Formeln oder durch das Besprechen von Wasser oder Nahrungsmittel durchführen, die der Person zum Verzehr gegeben werden. In anderen Fällen werden auch Tiere geschlachtet. In einem mir bekannten Fall wurde Blut einer Ziege mit einer anderen Essenz vermischt, diese Flüssigkeit wurde dann auf den Namen der Person, die Opfer der Magie sein sollte, besprochen, und vor deren Haustür vergraben. Die Magie erreichte diese Person dadurch, dass sie diese Stelle überschritt. Zur Heilung müsse der Magie mit einer Gegenmagie begegnet werden. Der dazu aufgesuchte dukun müsse herausfinden, in welcher Form die Magie induziert wurde. Erst dann könne wirksame Gegenmagie geleistet werden. Kompliziertere Formen von pelet seien so schwieriger heilbar (wie beispielsweise der Fall der Frau, bei dem ein Ziegenopfer verwendet wurde und die auch nach zahlreichen Heilversuchen das pelet immer noch zum Teil schmerzhaft spüre). Hierbei lässt sich zwischen dem Grad der spirituellen Kraft des dukun unterscheiden. Ein sehr mächtiger dukun, der sich »schwarzer Magie« bedient, könne somit einen schwieriger heilbaren Zauber leisten, und die Gegenmagie benötige so einen ebenfalls mächtigen dukun. Gilt ein Mensch generell Magie gegenüber als relativ machtlos, könne jedoch ein starker Glaube an Gott zumindest zum Teil als Schutz gegen pe-

133 Im Falle von Liebesmagie wird jedoch angenommen, dass Männer diese Magie öfter als Frauen verwenden, zumindest in Makassar. Dies hängt wahrscheinlich mit der Konzeption ihrer größeren Aggressivität dem anderen Geschlecht gegenüber zusammen. Aber auch männliche Sexualtriebe werden gelegentlich als Auslöser gedacht, Frauen gegenüber Magie anzuwenden, um diese sexuell gefügig zu machen. Da Frauen, wie in Kapitel B.II.5.3 genauer aufgezeigt, jedoch als Auslöser für männliche Lust gelten, und sie ihr Verhalten dem anderen Geschlecht gegenüber deswegen strengstens kontrollieren sollten, wird, wenn sie von Liebesmagie betroffen wurden, dies oftmals ihrem eigenen Verhalten zugeschrieben. Die Warnung, Liebesmagie durch eigenes Verhalten potentiell zu provozieren, dient der Verhaltensregulation von Frauen. Dementsprechend sieht eine junge Frau, Indah, die von Liebesmagie betroffen war, retrospektiv ihr Befreundetsein mit vielen jungen Männern und die Tatsache, dass sie oft außerhalb des Hauses unterwegs war, als begünstigenden Faktor an, Opfer dieser Magie geworden zu sein. Während meiner Zeit auf Bali wurde mir oft mitgeteilt, dass dort indonesische Frauen westlichen Männern gegenüber oft Magie einsetzen würden, um diese als Partner zu gewinnen. Das Problem dabei sei jedoch, dass die Magie nicht über die Entfernung von durch »Meere« getrennte Kontinente hielte, sodass die Magie bei Abreise des Mannes unwirksam würde.

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let fungieren. Gläubige Frauen gelten so als weniger anfällig für Liebesmagie. Reger zwischengeschlechtlicher Kontakt und fehlender Schutz durch die Familie werden als zusätzliche Gefährdung für Frauen angesehen, Opfer von pelet zu werden. Männer kämen nämlich so erst auf die Idee, einer Frau gegenüber Magie einzusetzen. Gegenstände der Frau, die für pelet benötigt werden, wären für sie so einfacher zu erlangen, ebenso sei es weniger schwierig, der Frau »verzauberte« Speisen oder Getränke anzubieten. Aus dem Glauben an pelet leiten sich mitunter Verhaltensvorschriften ab: Man solle sich als junge, unverheiratete Frau grundsätzlich vor einem ausgiebigen Kontakt mit dem anderen Geschlecht schützen. Doch wie kann man pelet cinta als kulturelles Konzept nun deuten? Bennett (2003: 153) deutet pelet anhand ihrer Forschung auf Lombok bei den Sasak (eine ethnische Gruppe auf Lombok, die größtenteils dem Islam zugehörig ist) als einen sozialen Mechanismus, der einen Ort weiblicher Resistenz gegen kulturelle Ideale darstelle: »While love magic functions as a social mechanism to hide or reduce the visibility of female desire, it also creates a space for female resistance through strategic manoeuvering without the heightened risks of stigmatisation and social exclusion. By providing a socially acceptable explanation for unsanctioned sexual behavior, pelet embodies the potential for individuals to resist cultural ideals. The flexibility of its interpretations and functions enables love magic to assume a critical role in mediating social change by normalising tensions arising from historical continuities and discontinuities in the realm of premarital sexuality in a dynamic local culture. Crucial links between the past and present are sustained through the practice of love magic and the discreet transfer of exclusive knowledge associated with Sasak ethnic identity. These links will help to ensure that the indigenous sexual mythology of Lombok does not become extinct with the encroachment of globalisation, modernity and national ’Indonesian culture’.« (Ebd.: 153f.)

So folgert sie, »that the encroachement of modernity in contemporary Indonesia does not require the extinction of indigenous adat (customs), but rather its evolution« (ebd.: 154). Darüber hinaus stellt sie eine Korrelation zwischen liberalen sexuellen Werten »introduced via globalisation and exposure to western modes of courtship« und der indigenen sexuellen Mythologie der Sasak her und grenzt beide von konservativen islamischen Vorstellungen von vorehelicher Keuschheit ab. Erstere seien kompatibler miteinander. Dies gilt m. E. zumindest für den Fall Makassars nicht, gehen Vorstellungen vom »modernen Islam« doch dort genauso in die Ausdifferenzierung des Konzepts von pelet mit ein. Man grenzt sich über das Konzept pelet deutlich vom Westen ab, indem das als unnatürlich angesehene Ausleben von Gefühlen im Kontext von Verliebtsein pathologisiert wird. Gerade durch diese Abgrenzung erfährt das Konzept pelet eine Ausdifferenzierung, die zur Entwicklung des neuen Konzepts over führt. Das aus dem Englischen adaptierte Wort »über« referiert auf transgressives Verhalten in zwi-

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schengeschlechtlichen Beziehungen, wie das zu enge Zusammensein mit dem Freund, eine mangelnde Selbstkontrolle, Ausübungen sexueller Handlungen mit ihm, ständiger Partnerwechsel und das mangelnde Zeigen und Empfinden von Scham (malu/siri’). Im Unterschied zu pelet cinta liegt dieses Verhalten in der Verantwortung des Einzelnen und wird dem Einfluss des Westens zugeschrieben – ganz der semantischen Bedeutung zufolge: »über kulturelle Grenzen treten«. Menschen, die ein solches Verhalten zeigen, werden von den jungen Frauen im asrama sozial oft gemieden und mit Klatsch besehen. Die starke Differenzierung zwischen pelet cinta und over ist scheinbar gerade aufgrund ihrer strukturellen Verhaltensähnlichkeiten besonders zentral für die kulturellen Identitätszuschreibungen der jungen Frauen und wird in Narrativen und Erklärungsmodellen stark elaboriert. Erklärungen des Konzepts pelet als Widerstand von Frauen gegen die restriktive dominante Ordnung, bei dem sie ihre »subversiven« Gefühle ausleben, ohne dafür in Verantwortung gezogen zu werden, scheinen vom analytischen Standpunkt nicht nur nahezuliegen, sondern sich förmlich aufzudrängen. Die analytische Bestimmung solcher Phänomene als weiblicher Widerstand gegen die patriarchale Ordnung ist jedoch generell als kritisch zu betrachten, da sie lokalen Frauen, die keinerlei Kontakt mit feministischen Konzepten von der Freiheit einer restringierten Weiblichkeit haben, ein feministisches Bewusstsein unterstellt, welches die »Politik« der wissenschaftlichen feministischen Perspektive widerspiegelt und damit feministische Konzepte als universale essentialistische Kategorien dem Feld aufzwängt (vgl. hierzu Mahmood 2005: 9f.). Aber auch darüber hinaus werden bei solchen funktionalistischen Erklärungen, die mit Vorstellungen eines relativ bewussten Spielens bzw. Durchexerzierens eines Krankheitsbildes durch betroffene Frauen einhergehen, die leibliche Präsenz des Phänomens sowie die konkreten sozialen Folgen für Betroffene übersehen. Diese erleiden oft körperlich-somatische Fehlfunktionen wie Bewusstlosigkeit, Schmerzen am ganzen Körper, unkontrolliertes Daherreden. Dies als lediglich »gespielt« zu konzipieren, scheint als Erklärung m. E. ungenügend. Darüber hinaus wird oft viel Geld für Behandlungen durch einen dukun ausgegeben. Auch Ärzte schicken die Patienten zu ihnen in Behandlung. Nicht alle Patientin können von pelet geheilt werden, und einige von ihnen enden in der städtischen Nervenanstalt. Der analytischen Sicht eines sozialen Mechanismus steht so die Sicht auf pelet als ein inkorporiertes kulturelles Konzept gegenüber, das sich auch leiblich materialisiert und unter dessen Folgen Menschen in Analogie zu der implizierten Krankheitsvorstellung tatsächlich leiden. Inkongruenzen und Dissonanzen zwischen subjektivem Erleben und kulturellen Modellen können somit zu körperlichen Materialisierungen führen, die jedoch von den kulturellen Bedeutungen um pelet nicht getrennt gedacht werden können, sondern zumindest z. T. ihnen gemäß interpretiert und erfahrbar werden. Aus dieser Sichtweise ist pelet eher als Ort zu verstehen, in dem solche Dissonanzen einen auch öffentlich akzeptierten Raum bekommen und innere Konflikte auch in somatisierter Form ausgelebt wer-

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den können. Ähnlich wie Browne (2001: 149) dies für den Fall von amuk in Zentraljava feststellt, was auch von anderen ethnobehavioristischen Studien bestätigt wird, kann auch pelet cinta als »socially learned, culturally channeled and sanctioned means of expressing normally forbidden emotions […] which claims of amnesia provide a measure of immunity from blame (Tan & Carr, 1977, Carr 1978, Carr & Vitaliano, 1985)« verstanden werden. Jedoch ist pelet cinta deswegen nicht weniger leiblich spürbar, noch sind die »normally forbidden emotions« (Browne 2001: 149) als vor- oder außerkulturell zu konzipieren. Natürlich kann pelet auch bewusst im Sinne eines strategischen Manövers von Akteuren, ganz im Sinne von Bennetts Erklärung, verwendet werden. Frauen können Taten in Rückgriff auf dieses Konzept ein Verhalten gegen die kulturellen Normen erklären und rechtfertigen, ohne selbst in Verantwortung gestellt zu werden. Jedoch hängt ihre Glaubwürdigkeit dabei von ihrem öffentlich von Dritten evaluierten Lebensstil ab. So ist es charakteristisch, dass pelet cinta nicht durch die betroffene Person, sondern durch Dritte festgestellt wird. Die betroffene Person selbst artikuliert so nie zuerst, sie sei dipelet. Sie rekonstruiert erst im Nachhinein, dass sie liebesverzaubert gewesen war. Generell zweifelte niemand meiner Interaktionspartner an, dass es pelet geben würde. Es stellt eine reale Angst junger Frauen dar, dipelet zu werden. Nur gelegentlich wird, wie bereits angedeutet, zögernd über pelet gesprochen, da pelet in modernen nationalstaatlichen aber auch religiösen Diskursen oft in die Nähe eines »rückwärtsgewandten Traditionalismus« gerückt wird, der dem Projekt des modernen Nationalstaats widerspricht, in dessen Rhetorik pelet nicht anerkannt ist. Zudem steht der Glaube an Magie und einhergehende Praxen in Konkurrenz zur dominanten Religion des Islam. 5.1.4 Karma oder die Folgen sozialer Handlungen Neben den zuvor vorgestellten Konzepten gibt es noch ein weiteres verhaltensregulierendes Konzept: das karma bzw. die Angst vor einem schlechten karma. Karma ist in Makassar nicht als etablierter Teil der Religion verankert. Hindu-buddhistische Indonesier sind in Süd-Sulawesi eine Seltenheit und erst kürzlich im Rahmen der Transmigration als nationalstaatliches Programm zur demographischen Entlastung der dicht bevölkerten Inseln Java und Bali nach Sulawesi gekommen. Auch wenn es vor dem Eindringen des Islam hindu-buddhistische Einflüsse in Sulawesi gegeben hat, ist das Ausmaß, in welchem hindu-buddhistische Vorstellungen möglicherweise religiöse und soziopolitische Vorstellungen der Bugis beeinflusst haben, noch ungeklärt (Acciaioloi 1993: 51). Dennoch ist karma bedeutsam für die Erklärung von zwischenmenschlichem Verhalten und der Regulation des eigenen Verhaltens. Dabei ist karma in der Konzeption von Interdependenzen eigener Handlungen mit denen anderer im weitesten Sinne mit siri’ korrelierbar. Bei siri’ betreffen individuelle Handlungen in entscheidender Weise auch immer andere Personen, die in Form von sozialem Ausstoß auf Fehl-

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verhalten reagieren können. Bei karma wird davon ausgegangen, dass eigenes Fehlverhalten in Form Schaden bringender Handlungen zur eigenen Person oder der Familie »zurückkomme«. Dabei wird die Wirksamkeit von karma primär im Diesseits verortet, also nicht im Sinne von Wiedergeburt im nächsten Leben. Tue man Schlechtes, erfahre man selbst oder mit einem eng verbundene Personen dieser Annahme zufolge möglicherweise ebenso Schlechtes. So wird karma zu einem verhaltensregulierenden Konzept, das mit anderen lokalen Konzepten kombinierbar wird, wie folgendes Beispiel deutlich macht. Eine junge Frau beschreibt die Kontrolle von Sexualität in der Beziehung zwischen ihr und ihrem Freund folgendermaßen: Verf.: Du hast vorhin erzählt, es gibt Dinge, die passieren können, wenn man nur zu zweit ist. Du hast gesagt, Ihr küsst Euch höchstens, macht Ihr darüber hinaus nichts anderes? Indri: Wenn ich mit ihm zu zweit bin, dann küssen wir uns höchstens. Außerdem wohnt mein Freund zu dritt mit seinen beiden jüngeren Schwestern zusammen, also wäre es gar nicht denkbar, dass wir mehr tun würden. Und ich habe auch Angst, dass es, wenn wir alleine sind, das Verlangen danach gäbe, mehr zu tun, als uns zu küssen, vielleicht ist das dann schon ein Bedürfnis oder ein sexueller Drang. Bis jetzt konnten wir das immer aushalten, weil wir noch Angst haben, nachher kommt jemand wie eine jüngere Schwester und erwischt uns. Das wäre gar nicht gut, ich habe Angst, dass sie nachher böse wäre und es nicht möge. Verf.: Aber wenn eine jüngere Schwester oder jemand anders nicht da wäre, könnte das dann passieren? Indri: Nein, ich möchte das nicht, weil wir beide dem Islam angehören und dessen Gesetz es verbietet, und wenn wir alleine zusammen sind, erinnere ich mich immer an meine Eltern. Sie erinnern mich immer daran, wenn ich sie sehe oder auch über das Telefon, ich soll nur Gutes tun, und ich darf so etwas nicht machen. Ich soll mich gut verhalten, ich soll nicht mit Männern ausgehen, die so und so sind. Außerdem mag die Familie meines Freundes so etwas auch nicht, außerdem hat er jüngere Schwestern. In Indonesien glauben Menschen noch sehr an karma, und er hat Angst, wenn er so etwas mit mir tue, dann machen andere Männer so etwas Ähnliches mit seinen jüngeren Schwestern.

In der Beschreibung der Gründe zur Selbstregulierung einer sexuellen Beziehung tauchen also mehrere Konzepte und Vorstellungen miteinander kombiniert auf. Neben dem Grund, dass man keinen sicheren Ort hätte, miteinander intim zu werden, geht es zunächst um die Angst, bei Intimhandlungen »erwischt« zu werden, siri’ (im Sinne von Scham) zu werden und

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Angst vor den siri’ Reaktionen Dritter zu haben (Positionierung als traditionelle Frau). Danach nennt Indri religiöse Vorschriften, die sexuelle Handlungen vor der Ehe untersagen und als dosa (Sünde) konzipieren, für die man in die Hölle kommen könne (Positionierung als religiöse Frau) Darauffolgend rekurriert sie auf die Verhaltensvorgaben durch ihre Eltern, die sie stets zu einem passiven und vorsichtigen Verhalten mit dem anderen Geschlecht ermahnen. Hier werden die Verhaltensnormen für Frauen im Kontext mit siri’ bedeutsam. Auch die Familie ihres Freundes möge so etwas nicht. Im Falle, dass sie selbst entsprechend negativ evaluiert würde, könnte sie sich als potentielle Ehefrau für deren Sohn disqualifizieren (Negativevaluierung eines »modernen«, freien geschlechtlichen Umgangs). Zu allerletzt nimmt Indri auf das Konzept karma Bezug. Demzufolge befürchte ihr Freund, dass sein Verhalten zur Folge haben könne, dass sich Männer seinen Schwestern gegenüber genauso verhalten könnten. Ein anderer junger Mann gab an, er habe damit aufgehört, main-main cewek (mit Frauen »herumzuspielen«), da es ja so etwas wie karma gebe, und er befürchte, sein Fehlverhalten könne eines Tages zu ihm in Form negativer Ereignisse »zurückkommen«. Eine junge Frau erklärt die Tatsache, dass ihr Freund sie betrogen hat über das Konzept karma damit, dass sie selbst zuvor untreu gewesen sei134. Über das Konzept karma werden Erklärungen für das Verhalten anderer einem selbst gegenüber gefunden, indem man das eigene Verhalten auf Fehltritte hin beleuchtet. Handlungen können aus Angst vor den karmaFolgen nicht unternommen oder abgebrochen werden. Das karma-Konzept zielt mehr als siri’ auf die Kontrolle auch öffentlich nicht sichtbarer Handlungen ab, die bei siri’ ohne soziale Konsequenzen135 für das Subjekt bleiben, sondern »nur« zu einem schlechten Gewissen, einer subjektiv erlebten Scham oder zur Angst vor einer Entdeckung der Taten führen. Im Unterschied zum Konzept der dosa (Sünde vor Gott), welche auch auf die Regulation nicht-sichtbaren Verhaltens abzielt, werden im Fall von karma die aus Fehlverhalten resultierenden Konsequenzen als weltlich, unmittelbar und direkt gedacht, während bei dosa die Vergeltung in Form der göttlichen Rechtsprechung erst nach dem Tod verortet wird. 5.1.5 Von der Sprachlosigkeit der Liebe zu I love you Wie wird Liebe mitgeteilt, welche indigenen Liebestermini gibt es, welche Gefühlskonzeptionen sind daran geknüpft und wie wird auf moderne (auch westliche) Beziehungsdiskurse bei der Artikulation von Gefühlen reagiert?

134 Ranti: »Er hat mich verlassen, weil er schon eine andere Freundin hatte. Das bedeutet, karma wurde bei mir in Kraft gesetzt. Erst war ich untreu. Dann war er auch untreu.« 135 Im Gegensatz zu öffentlich sichtbaren Handlungen, die starke Konsequenzen haben.

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Zunächst einmal ist auffallend, dass keiner meiner Forschungspartner, weder die jungen Menschen in der Stadt noch die ältere Generation in ländlichen Gebieten oder kulturelle Spezialisten des Bugis Brauchtums, mir indigene Begriffe in der lokalen Sprache Bahasa Bugis nennen konnte, die »Liebe« und ausdifferenziertere Gefühlskonzeptionen der zwischengeschlechtlichen Liebe semantisch erfassen. Es wurde mir lediglich der allgemeine Begriff ma’pojji (BB) für »mögen« (BI = suka) genannt. Dieser bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auf alle möglichen Dinge, die man mögen kann. Man ma’pojji (mag) die Farbe Pink, nasi goreng (BI = gebratener Reis), seinen Kollegen, sinetron (die indonesischen Fernsehserien), seine Mutter, seinen Ehepartner. Diese scheinbare Abwesenheit eines differenzierteren Liebesvokabulariums ist deswegen erstaunlich, da die Makassar, wie Röttger-Rössler (2004: 166–179, 2006: 64ff.) detailliert ausführt, ein Bündel von Ausdrücken für Gefühle haben, die vor allem den prozessualen Aspekt der Liebesentwicklung zwischen Mann und Frau beleuchten, wie z. B. ein Angezogensein (cinna-cini), ein Verlangen (ero’), eine sich einander umsorgende und verstehende Liebe (sikarimangi) und eine einander achtende, respektierende Liebe (sikakutui), wie auch ammalingmaling als tiefe Form von Zuneigung, nicht nur auf den zwischengeschlechtlichen Bereich bezogen, die auch in Form von Mitgefühl zum Ausdruck gebracht werden kann. Dieser prozessuale Charakter der Liebesentwicklung zwischen Mann und Frau ist auch bei den Bugis in Makassar sehr wichtig bei der Liebeskonzeption. Die Begriffe, die jedoch zu dessen Beschreibung verwendet werden, entspringen jedoch der Bahasa Indonesia. Das Fehlen von Liebessemantiken, die das individuelle Begehren und Fühlen stark in den Vordergrund stellen, lässt sich vor dem Hintergrund der traditionellen Tabuisierung des Ausdrucks von Liebesgefühlen, vor dem traditionell restringierten Geschlechterverhältnis und -kontakt und vor dem Hintergrund der traditionellen Dominanz familiär-arrangierter Ehen deuten. So erscheint es als »kulturell nicht sinnvoll«, ein elaboriertes Liebesvokabular romantischer Liebe und so verbal explizierte Modelle zur Interpretation von Gefühlen zur Verfügung zu stellen, die die dominante soziale Ordnung potentiell stören. Dies soll nicht bedeuten, dass es ähnliche Gefühle nicht auch bei den Bugis gäbe. Es sollen hier gerade alternative Sprachen (nicht nur im verbalen Sinne) zum Ausdruck solcher Gefühle beleuchtet werden und untersucht werden, wie die jungen Frauen den von dominanten Emotionsmodellen potentiell abweichenden Gefühlen Bedeutung zuschreiben. Sehr wichtig wird die Nationalsprache Bahasa Indonesia zum Ausdruck und für die Konzeption von Liebe, da sie neue Begriffe im emotionalen Cluster von Liebe zur Verfügung gestellt, deren Gebrauch auch bei den jungen Bugis Frauen weit verbreitet ist. Diese werden hier bezüglich der einhergehenden Konnotationen und implizierten Konzeptionen von Liebesbeziehungen im lokalen Gebrauch genauer betrachtet. Während es in der Bugis Sprache nach Auskunft meiner Interviewpartner keine Liebestermini gibt bzw. diese den jungen Menschen nicht bekannt

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sind, gäbe es traditionellerweise andere kulturell angemessene Möglichkeiten, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Neben der bereits angesprochenen traditionellen Liebespoesie, die Gefühle über damit nicht direkt in Bezug zu setzende allegorische Metaphern ausdrückt (vgl. van Eck 1881: 838, Rössler 1987: 70), über die ich jedoch wenig Informationen vonseiten meiner Informanten bekommen konnte136, werden Gefühle dem anderen Gegenüber meist mittels einer erhöhten Aufmerksamkeit (BI = perhatian) und über überreichte Objekte (wie Kuchen, Geschenke, etc.) mitgeteilt. Aber auch Dritten, die von den jeweiligen Personen zur Hilfe herangezogen werden, kommt eine große Rolle zu, zwischen Personen zu vermitteln, die Gefühle füreinander hegen. Pak Rahmat: Also die Artikulation, dass eine Frau jemanden gern mag, sei es, ob sie sich verliebt hat oder sie ihn sympathisch findet, das funktioniert über zwei Medien, entweder über einen anderen Menschen oder über ein Objekt oder ein Gegenstand. Wenn eine Frau zum Beispiel jemanden leiden kann [wörtlich: mit jemandem froh ist], dann steht sie unter großem Tabu, dieses Gefühl demjenigen mitzuteilen, den sie mag [suka]. Denn seit sie klein ist, hat sie von ihren Eltern gelernt, »Du darfst nicht minderwertig/billig sein [murahan]«, weil es das Brauchtum [adat] übertritt. Und tatsächlich ist das Risiko im Brauchtum so [gemeint ist: das Risiko von Gewalttaten bzw. Mordfällen als Folge von siri’], und deswegen muss man das verhindern. Wenn eine Frau einem Mann oft Kuchen oder so etwas bringt, dann heißt das, dass es bereits eine Sympathie/Zuneigung [simpati] gibt, und es sich in Richtung Liebe entwickeln wird. Ah, und wenn dieser Mann dann anwesend ist, wird ihm eine Spiegelung [der Zuneigung] gegeben, indem man einen Freund dafür verwendet, aber man ihm gegenüber dadurch [die Zuneigung] zeigt, und sicher wird er das spüren/verstehen. Das ist so wegen des Brauchtums [adat], adat beinhaltet das Risiko [eher als »Gebot« zu verstehen], dass man das nicht darf. Zunächst gibt es das Risiko der Scham [malu], dadurch, dass man als minderwertig/billig [murahan] bezeichnet/angesehen wird. Und wenn die Familie das sieht, ist sie erzürnt, ja so ist das.

136 Dennoch haben einige der jungen Frauen selbst sehr metaphernreiche Poesie verfasst, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Dies geschah jedoch nicht mit der Intention, diese einem Gegenüber mitzuteilen. Zudem bezogen sie dieses kreative Schaffen nicht auf traditionelle Formen der Liebespoesie. Dennoch scheint es hier angesichts der eingeschränkten semantischen Möglichkeiten, Liebesgefühle adäquat sprachlich zum Ausdruck zu bringen, eine Verbindung zu geben. Durch den Einsatz der Metaphern wird so einerseits eine direkte Artikulation umgangen, und andererseits bieten diese eine Möglichkeit, Gefühle sehr viel differenzierter zum Ausdruck zu bringen, als das indonesische Emotionsvokabular erlaubt.

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Liebe zeige sich demzufolge über Aufmerksamkeit (perhatian), die konnotativ oft Sorge und Mitleid impliziert137, wohlwollende Handlungen des anderen und durch übergebene Objekte. In der lokalen Kultur gibt es eine bahasa tubuh (BI = Körpersprache), über die Zuneigungsgefühle angemessener, aber auch direkter und ehrlicher zum Ausdruck gebracht werden könnten als über sprachliche Begriffe. Worte können, meinen GesprächspartnerInnen zufolge, manipuliert werden und gelogen sein, während die Körpersprache und die Handlungen eines Menschen die Gefühle unmittelbarer und ehrlicher zeigen. Annäherungen zwischen den Geschlechtern basieren in Makassar auch heutzutage oft auf einer einerseits sehr offensiven Körpersprache der Männer, einem diesbezüglich schüchternen, sich entziehenden Verhalten der Frauen, die dem Werber gegenüber Scham und Verlegenheit demonstrieren. Die Frauen bringen ihre Zuneigung eher mittels angebotener Speisen und Getränke oder über eine dritte Person als Vermittler zum Ausdruck (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.1). Dies entspricht der traditionellen Art und Weise, Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. V. a. der Vermittler ist fester Bestandteil traditioneller Hochzeitsriten der Bugis und Makassar. Die Frage des Mannes Kamu mau jadi pacar saya, tidak? – »Möchtest Du meine Freundin werden, oder nicht?« ist unumgehbar, um die Beziehung in den Status eines pacaran zu überführen. Die Frau antwortet darauf nicht immer direkt, sondern reagiert entsprechend ihrer weiblichen Rollenperformanz mit Verlegenheit. Auch wenn man bereits zusammen ist, werden keine gegenseitig artikulierten Liebesschwüre erwartet. Es gilt, die Liebe weiterhin durch Aufmerksamkeit (perhatian) und durch Taten zu zeigen. Meine Interviewpartnerinnen teilten mir oft mit, dass sie den Sinn von verbal artikulierten Liebeserklärungen und -schwüren nicht verstehen würden. Worte könnten leer und gelogen sein und lieferten keine Beweise (BI = bukti) für die Liebe. Auch Indri, die den Verlauf einer Idealbeziehung beschreibt, betont dabei, dass Liebesgeständnisse für sie keine Rolle spielen bzw. von ihr sogar als störend oder befremdlich empfunden würden. Indri: […] tatsächlich bin ich ein Mensch, der nicht mag, wenn jemand darüber spricht, dass er mich mag. Ich bin froh, wenn es einfach so läuft, wie Wasser fließt. Man ist befreundet, und ich fühle, dass er mit mir zusammenpasst, er fühlt das auch so, und schließlich ist man schon vertraut und spricht sehr persönlich miteinander. Wenn es ein Problem gibt, erzählt er davon, wir gehen oft zusammen aus, um etwas zu unter-

137 Dies ist korrelierbar mit dem Bugis Konzept pessé, auf das ich in Kapitel B.II.5.1.1 bereits zu sprechen gekommen bin, siehe Fußnote 98. Auch RöttgerRössler (2004: 170, 2006: 65f.) hat die Konnotation von Mitgefühl, Mitleid (Bahasa Makassar: pacce) bei dem Makassar-Begriff ammaling-maling, als Form tiefer Zuneigung, die ich im Sinne des später vorgestellten sayang der Bahasa Indonesia verstehe, aufgezeigt. Diese Komponente von Mitgefühl werde ich später noch differenzierter ausführen.

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nehmen, bis man ganz eng miteinander ist. Wenn er mich schon seiner Familie vorgestellt hat, dann fühle ich, dass er seriös ist und keine Angst hat, mich seinen Eltern und seiner Familie vorzustellen.

Liebeserklärungen werden von den Frauen mit Misstrauen begegnet. Sie nehmen an, Männer verwendeten diese in Inspiration von fiktiven Romanzen lediglich dazu, um strategische Ziele (wie mit den Frauen intim zu werden) zu erreichen. Erwartet wird von dem Freund nicht, dass er seine Gefühle in Worte kleidet, sondern vielmehr, dass seine Liebe sichtbar wird. Dies geschehe beispielsweise über sich sorgende Nachfragen, ob man bereits gegessen habe, darüber, dass er die Frau überall hin begleitet, durch die Übergabe materieller Objekte, etc. Trotz der Provenienz der Taten im Feld von Liebe haben Liebesausdrücke dennoch zumindest für einige Frauen eine Bedeutung in zwischengeschlechtlichen Beziehungen, vor allem am Anfang einer »amourösen« Beziehung. Auch die Rezeption romantischer Fiktionen, in der Liebesgeständnisse von Ausrufen der Frauen wie »Oh, wie romantisch« begleitet sind, zeigt, dass Liebeserklärungen dennoch wertgeschätzt werden, auch wenn dies in Gesprächen über Liebe wenig betont wird. Dabei zeigen die unterschiedlichen kulturellen Medientexte auch Unterschiede im Ausdruck von Liebe: In indonesischen Filmen/Serien (auch anderen asiatischen Formaten wie in den film Mandarin) bringen die Protagonisten ihre Liebesgeständnisse oft sehr zögernd und unbeholfen hervor (vgl. hierzu Kapitel B.III.3.4.5). Westliche (vorwiegend US-amerikanische und australische138) Serien und Filme werden von den jungen Frauen als »mutiger« und redelastiger bezüglich Liebesgeständnissen, -erklärungen und gegenseitigen Komplimenten empfunden139. Problematisch bei der Evaluierung der Liebesausdrücke westlicher romantischer Fiktionen ist, dass die Frauen größ-

138 Diese dominieren den Markt westlicher Medienangebote in Indonesien, europäische Filme oder Serien sind kaum vertreten. 139 Die Frauen teilten mir dabei mit, sie könnten nicht verstehen, warum in westlichen Filmen stets so viel über Liebesgefühle gesprochen werde. Sie betonten, dort würden Dinge gesagt, die sie für ihren sozialen Kontext als unangemessen erachten würden. Als Beispiele wurden die zahlreichen Komplimente genannt, die Dating-Phasen begleiten würden, wie »Du sieht aber heute wunderschön aus«, etc., aber auch Liebesschwüre wie »Ich kann ohne Dich nicht leben«, »Ich werde Dich immer lieben«, »Ich habe Angst, Dich zu verlieren«, etc. Dies wird im Kontext der Filme als romantisch empfunden, auch deswegen, weil dabei unterstellt wird, dass dies im Westen kein »leeres Geschwätz« sei, es sei aber für ihr eigenes Leben in zwischengeschlechtlichen Beziehungen nicht relevant. Vielmehr misstrauten sie, wie bereits angesprochen, solchen Aussagen von Männern. Da dies eine für ihre Lebensrealität »unnatürliche« Art wäre, Liebe zum Ausdruck zu bringen, unterstellen sie Männern, sie würden solche Ausdrücke von romantischen Fiktionen »abschauen« und strategisch einsetzen, um bestimmte Ziele zu erreichen.

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tenteils nicht des Englischen mächtig sind und bei der Rezeption entsprechender Medientexte auf die indonesische Untertitelung angewiesen sind, die wiederum auf Liebestermini der Bahasa Indonesia zurückgreift. Das Verfolgen dieser wird mitunter als anstrengend empfunden und lenke von den Bildern ab. Sprachlastige Filmsequenzen werden so als anstrengend und mitunter langweilig empfunden und detaillierte Bedeutungsnuancen werden nicht genau mitverfolgt. Indische populäre Filme (Bollywoodfilme) scheinen aufgrund des indirekten Ausdrucks von Gefühlen in Form von Liedsequenzen mittels metaphorischer Lyrik kulturell anschlussfähiger an lokale Paradigmen des nichtdirekten Mitteilens von Gefühlen zu sein. Gibt es in der lokalen Sprache Bahasa Bugis ursprünglich keine eigenen Liebestermini, wird auch hier mittlerweile das Liebesvokabular der Bahasa Indonesia, der nationalen, indonesischen Sprache, verwendet140. Die Begriffe, die im Rahmen des Clusters »Liebe« zu verorten sind, werden vor allem von jungen Menschen verwendet. Ich werde diese Begriffe zunächst nennen und die impliziten Bedeutungen umreißen, um sie dann in ihre Anwendungszusammenhänge zu stellen und im Prozess vom ersten Kennenlernen zur Liebe zwischen Ehepartnern zu verorten. Der allgemeine unspezifische Überbegriff für Liebe im Indonesischen ist cinta. Wie man später sehen wird, stellt der Begriff cinta jedoch auch wiederum eine spezifizierte Bedeutung im cinta-Cluster für den zwischengeschlechtlichen Bereich dar. Cinta als allgemeiner Überbegriff für »Liebe« beinhaltet noch keine Differenzierung nach dem Gegenüber dieser Liebe. Cinta kann sowohl für Gott, Familienangehörige, den Partner und Freunde empfunden werden. Er bezieht sich jedoch auf Menschen (oder Gott) und nie auf Objekte. In dieser Allgemeinheit ist dieser Begriff sehr unspezifisch und beinhaltete so relativ unkonkret »eine starke Zuneigung« für einen Menschen. Auf die Bitte, cinta genauer zu erklären, wurde erwidert, cinta beinhalte mit Sicherheit suka (BI = mögen) und sayang (BI = mitfühlen, mitleiden, lieb haben), oft als »lieb haben« verwendet. Darüber hinaus würde man jemanden, für den man cinta fühle, rindu (BI = vermissen), wenn er nicht da sei. Wenn man zusammen sei, sei man senang (BI = glücklich). Zwischengeschlechtliche Liebe/Verliebtsein wurde als eine besondere Art von Liebe verstanden, die sich von Liebe für Freunde und Familie unterscheide. Für Letztere gibt es jedoch keinen anderen, spezifizierten Begriff, sondern diese wird auch mit cinta bezeichnet. Cinta romantis (BI = romantische Liebe) wird nicht als eine bestimmte Art zu fühlen verstanden, sondern gilt eher als ein untergeordneter Stil, eine Beziehung zu gestalten, der abhängig von den beteiligten Personen und ihrer situativen mood (aus dem

140 Als auf Basis des Malaiischen neu konstruierte Sprache wurde Bahasa Indonesia 1949 nach der Unabhängigkeit als nationale Sprache eingeführt. Ihre Verbreitung vollzog sich primär über die nationalen indonesischen Medien und über das nationale Bildungssystem.

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Englischen entlehnter, im Indonesischen bei jungen Leuten dennoch geläufiger Begriff für »Laune«) sei. Cinta romantis wird dabei nicht mit Gefühlen korreliert oder beinhaltet als Begriff Vorstellungen, wie einhergehende Gefühle zu konzipieren seien, sondern wird eher mit externen Objekten und Orten in Verbindung gebracht, die stark von der visuellen Symbolik westlicher Medientexte beeinflusst sind. Auf die Frage danach, was zwischengeschlechtliche Liebe ist, wie diese sich anfühle und äußere, wurde eher auf Rollenverhalten rekurriert, anstatt individuelle Gefühle zu beschreiben. Männer betonten, in zwischengeschlechtlichen Beziehungen gehe es darum, jemanden, den man liebt, zu besitzen und von ihm besessen zu werden. Es gehe darum, Verantwortungen und Verpflichtungen zu übernehmen. Frauen betonten stärker, dass man versuche, den anderen durch das Gewähren von Aufmerksamkeit (perhatian) und Sich-um-ihn-Sorgen immer glücklich zu machen (hier wird wieder die Handlungsorientierung deutlich). Dies korreliert mit den semantischen Konnotationen von sayang als »mitfühlen, mitleiden«, wobei sayang auch als Wort für »lieb haben« benutzt werden kann: Saya sayang sama dia. – »Ich habe ihn lieb.«. Dennoch schwingen die Konnotationen von »Mitgefühl oder Mitleid haben« auch hier mit, und sayang wird ebenso für Familienangehörige und Freunde verwendet, ist also nicht speziell für zwischengeschlechtliche Liebe reserviert. Sayang kann auch substantivisch verwendet werden. Dabei kann es sowohl »Schatz, Liebling« bedeuten, wird aber auch oft auch unter Freundinnen als liebevolle Anrede verwendet, als auch im Gebrauch sayang sekali – als Ausruf des Mitfühlens mit der Bedeutung: »schade, sehr bedauerlich«. Ein anderes Beispiel für die Liebessemantik vor dem Hintergrund der Mitgefühl/MitleidKonnotationen ist das Wort kasih. Kekasih bedeutet »Liebling« oder »Schatz«; kasihan, auf derselben Wortwurzel basierend, dahingegen »Mitleid haben«. Auch hier ist das Mitgefühl, das Anteilhaben an dem Leben eines anderen entscheidend. Im Gebrauch eines Verbs bedeutet kasih »geben«, was wiederum auf die Handlungsorientierung und den interaktionalen Charakter von Liebe hinzudeuten scheint. Diese indonesischen Begriffe sind m. E. semantisch mit dem buginesischen Wort pessé als kulturelles Konzept für Mitgefühl/Mitleid/Solidarität mit Gruppengleichen (vgl. Kapitel B.II.5.1.1 und Pelras 1996: 207) wie auch mit dem makassarischen Begriff pacce für Mitleid/Mitgefühl, das Röttger-Rössler (2004: 170, 2006: 65f.) im Rahmen ihrer Untersuchung des Makassar-Liebesvokabulars als zentral für den Liebesbegriff ammaling-maling – als Form tiefer Zuneigung, m. E. im Sinne von sayang (BI) übersetzbar –, zu korrelieren (vgl. Fußnote 137). Dementsprechend kann eine zwischengeschlechtliche Beziehung analog zu einer solidarischen Gemeinschaft zwischen Gruppengleichen, als eine Solidaritätsgemeinschaft, konzipiert werden. Dies ist an die Vorstellung einer kameradschaftlichen Liebe/companionship love, die in der westlichen theoretischen Diskussion meist in Differenz zu romantischer Liebe aufgebaut wird (vgl. Kapitel A.I.3.1.3 und 3.1.4), anschlussfähig.

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Ein erstes Angezogenfühlen wird mit simpati (BI = Zuneigung, Angezogensein, Sympathie) oder simpatik (BI) beschrieben: Jemanden sympathisch finden mit dem weiterführenden Interesse, ihn näher kennenzulernen. Alternativ gibt es das Wort tertarik (BI), »sich angezogen fühlen«. Dieses Wort wird dazu eingesetzt, menyampaikan rasa suka – »das Gefühl Mögen weiterzugeben/zu artikulieren«. Dabei muss dieses »Angezogensein« jedoch genauer definiert werden, man kann nicht allgemein von einer Person angezogen sein, sondern muss konkretisieren, wovon man sich angezogen fühlt141, wie beispielsweise in Saya tertarik karena kamu cantik. – »Ich bin von deiner Schönheit angezogen« oder Saya tertarik sama kamu pandai – »Ich bin davon angezogen, dass du klug bist/Ich mag deine Klugheit« (vgl. hierzu das Gefühl cinna-cini’ (BM142) (Röttger-Rössler 2006: 64). Generell wird die Abhängigkeit eigener Gefühle von denen des anderen betont. Ein als interaktiver Austausch von Gefühlen gedachter Prozess kann so zu dem subjektiven Empfinden von Liebe führen oder auch nicht, dann nämlich, wenn die Liebe als »aussichtslos/sinnlos«, also »irrational«, bestimmt wird. Jati: Wenn ich ihn schon öfter getroffen habe, ihn immer sehe, und immer mit ihm sprechen möchte, vielleicht denke ich dann bereits, dass ich mich in ihn verliebt habe. Wenn er mich auch gerne sieht, sich immer mit mir treffen will, mich ausführt. Vielleicht kann ich mich dann wegen dieser Treffen in ihn verlieben.

Auch Feby, ein junger Mann, beschreibt den Prozess des Verliebens als abhängig von den Gefühlen der Frau. Darüber hinaus betont er die Bedeutsamkeit ihres Verhaltens entsprechend dominanten Verhaltensnormen als ausschlaggebend dafür, ob er sich in sie verlieben könne. Erst nach einer moralisch positiven Evaluierung der Frau gemäß diesen Gesichtspunkten folge dann ein aktives Anstreben einer Beziehung:

141 Die Ausführungen zur prototypischen Entwicklung von Liebe bei meinen Bugis Forschungspartnern ähneln ganz frappierend den Beschreibungen und den jeweiligen Begriffskonnotationen, die Röttger-Rössler (2004: 166-179, 2006: 64ff.) bei der prozessualen Liebesentwicklung bei den Makassar aufzeigt. Dies ist nicht sehr erstaunlich, da Bugis und Makassar enge kulturelle Verwandtschaften tragen und sich oft selbst als eine ethnische Gruppe beschreiben, um sich von anderen Gruppen wie den Toraja abzugrenzen. Um dies jeweils zu kennzeichnen, setze ich die konzeptuell ähnelnden Makassar Begriffe mit der jeweiligen Literaturangabe von Röttger-Rössler, wo diese Beschreibung zu finden ist, in Klammern hinter die indonesischen Begriffe. 142 BM verwende ich nachfolgend als Abkürzung für Bahasa Makassar, die Sprache der Makassar.

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Feby: Das, was man Liebe [cinta] nennt, beginnt bei den Augen und wandert dann zum Herzen. Der Erklärung nach gibt es eine Aura, die von der Frau entspringt, die uns in sie verliebt machen kann. Aber wie begehen wir eine Liebe, zum Beispiel müssen wir zunächst wissen, was in ihrem Herzen [die Füllung ihres Herzens] ist, wie ihre Gefühle für uns sind. Verf.: Und Dein eigenes Gefühl, hängt das davon ab, was sie fühlt? Feby: Ja, wenn sie uns gegenüber gleichgültig erscheint, dann müssen wir ihr näher treten, und wenn die Frau sich uns nähert, dann müssen wir uns ihr gegenüber gleichgültig verhalten. Die Problematik ist, wir haben auch eine eigene Meinung darüber, warum sie uns so einfach akzeptieren kann. Dann denken wir auch darüber nach, ob die Frau uns wirklich liebt oder nicht. Also wir Männer verstehen auch, wie man ein Gefühl einer Frau begreifen kann, wenn sie wirklich seriös/ernst [mit uns] ist. Wenn wir so schnell von einer Frau geliebt werden, dann langweilen wir uns auch ganz schnell mit ihr. Verf.: Und vorher kannst Du wissen, ob eine Frau sich in Dich verliebt hat? Feby: Das sehe ich am Gesicht, an den Augen und dem Blick wie auch an ihrem Verhalten.

Indri beschreibt ihre Gefühle, das Sich-Verlieben und den weiteren Verlauf einer Beziehung folgendermaßen: Meiner Erfahrung nach, normalerweise wenn ich gerade einen Mann kennengelernt habe, dann finde ich ihn zunächst sympathisch [simpatik], vielleicht, weil er gut aussieht, klug oder lieb ist [vgl. hierzu cinna-cini’ (BM) (Röttger-Rössler 2004: 64)]. Später wächst aus dem simpatik das Gefühl suka [mögen], das uns dann das Verlangen [vgl. ero’ (BM) (ebd.)] macht, ihn wieder zu treffen, mit ihm zu »quatschen«. Nach dem zweiten Treffen gibt es normalerweise das Gefühl rindu [ihn zu vermissen] und das Verlangen danach, ihn wieder zu treffen wird größer als zuvor [vgl. ebd.: 65). Nachdem ich ihn einige Male getroffen habe und schon viel mit ihm gesprochen habe, fragt er normalerweise »Willst Du meine Freundin werden?« und in dem Moment werden wir vielleicht bereits denken, »ich passe zu ihm«. Später kennen wir schon sehr die Stärken und Schwächen des jeweilig anderen. Im Indonesischen wird das schon als pacaran serius [ernsthafte, voreheliche, zwischengeschlechtliche Beziehung] bezeichnet, d. h., sie meinen es dann schon sehr ernst miteinander. Ja, danach denken sie meistens schon darüber nach, die Beziehung enger weiterzuführen, also zu heiraten. Und sie lieben sich sehr [mencintai, von dem

180 | L IEBE IN I NDONESIEN Stamm cinta abgeleitet], bis sie ein Kind haben [vgl. sikarimangi (BM) (RöttgerRössler 2004: 169, 2006: 64)].

Beschreibungen analog zu westlichen Liebessemantiken und -konzepten (beispielsweise »Liebe auf den ersten Blick«, »leidenschaftliche Gefühle«, »Trennung von rationalen Überlegungen«) tauchen in dieser prototypischen Beschreibung, wie sich eine Beziehung bis zur Ehe entwickle oder entwickeln sollte, nicht auf bzw. werden semantisch nicht in den Vordergrund gestellt. Es wird lediglich angedeutet, dass man sich nach dem anderen sehne und ihn vermisse. Genauer wird darauf jedoch nicht eingegangen. Im Vordergrund stehen vielmehr Fragen danach, ob man cocok (BI = zusammenpassend) sei, ob man seine Stärken und Schwächen kenne (und akzeptiere) sowie nach der Zukunftsperspektive als erfolgreiches Ehepaar. Als Vorteil von pacaran als Basis für eine Ehe gegenüber einer familiärarrangierten Ehe gilt bei jungen Menschen die Annahme, dass man aufgrund der bestehenden Beziehung schon genau seine jeweiligen Stärken und Schwächen kenne. Im Falle einer familiär-arrangierten Ehe könne man diese erst nach der Ehe kennenlernen. Pacaran wird unter diesem Gesichtspunkt als sicherere Basis für eine erfolgreiche Ehe gesehen143. Stellt cinta generell den Überbegriff des Liebes-Clusters dar, lässt sich das Wort auch als Verb für den Ausdruck von Liebe im Rahmen von zwischengeschlechtlichen Beziehungen einsetzen: Saya cinta kamu. – »Ich liebe dich.« Dies entspricht am ehesten den sprachlichen Äquivalenten »I love you« oder »Ich liebe dich«. Dennoch überwiegt bei dem direkten Mitteilen von Gefühlen sowie bei dem Beschreiben von Liebesgefühlen für einen Mann die Wendung Saya sayang kamu (»Ich habe Dich lieb«) mit stärkerer konnotativen Betonung auf die Sorge um und das Mitgefühl für den anderen. Die Differenz zwischen sayang und cinta wird bei dem Einsatz der Wendungen als sehr zentral empfunden144. Sayang gilt dabei als universaler Begriff, der oft auch für

143 Wie in Kapitel B.II.5.1.2 deutlich geworden ist, wird in anderen kommunikativen Situationen (auch von denselben Frauen) betont, dass familiär arrangierte Ehen sicherer seien als »Liebesehen«, da andere Gründe als Gefühle für die Wahl ausschlaggebend waren und die Eltern aufgrund größerer Lebenserfahrungen »klüger« darin seien, einen passenden Partner für ihre Kinder zu suchen als diese selbst. Dieser Widerspruch ist der sozialen Artikulationspraxis selbst geschuldet, bei der in verschiedenen sozialen Kommunikationssituationen von ein- und derselben Person verschiedene miteinander konkurrierende Annahmen und Meinungen geäußert werden können. Was man in welcher Situation äußert, ist von dem jeweiligen Gesprächspartner und der intentionalen Positionierung kulturellen Diskursen gegenüber abhängig. 144 Vgl. hierzu auch die Filmbesprechung von Love Is Cinta in Kapitel B.III.3.4.5, wo die Wahl von sayang beim Liebesgeständnis das zentrale Problem der Nichtanerkennung dieser Liebeserklärung durch die Frau darstellt, die ein Saya cinta kamu (»Ich liebe Dich«) erwartet.

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Freunde und Familienmitglieder verwendet wird und nicht spezifisch für zwischengeschlechtliche Beziehungen eingesetzt wird. Cinta in einer solchen direkten Erklärung Saya cinta kamu wird relativ deutlich in den Bereich zwischengeschlechtlicher Beziehungen eingeordnet. In dieser Anwendungspraxis impliziert der Begriff cinta, dass diese Beziehung schon vor dem Hintergrund der Wahrscheinlichkeit einer Ehe gedacht wird. Die meisten der jungen Frauen gaben mir gegenüber an, sie würden ihren Freund sayang (lieb haben), aber cinta belum tentu (»Liebe ist noch nicht sicher«) – dass dies zu einer Liebe werde, sei noch nicht sicher. Ob dies zu einer Liebe im Sinne von cinta werden könne, hänge viel mehr von der weiteren Entwicklung der Beziehung ab als von den eigenen Gefühlen. Cinta wird diesem Verständnis zufolge weniger als Gefühlsqualität verstanden denn als Evaluation der Lebbarkeit einer Beziehung vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklungen. Die individuellen Gefühle scheinen als recht unwichtig für diese Bewertung der Beziehung, die sich an der Wahl der verwendeten Liebestermini zeigt. Da man abwarten müsse, wie sich eine Beziehung entwickeln werde, scheint es nicht angemessen zu sein, Liebe auf der subjektiven Gefühlsebene als definitiv zu betrachten (und so mit cinta zu benennen). Angesichts der konkreten Lebensrealitäten der Frauen ist dies schlichtweg »unreal«. Eine junge Frau, Ranti, bezeichnet cinta als durch Handlungen sichtbar gewordenes, sich manifestierendes Gefühl von sayang. Auf die Frage, wie sich sayang und cinta unterscheiden würden, antwortet sie: Cinta [Liebe] wird gemacht mit Handlungen. Sayang [Liebhaben] ist einfach nur sayang. Da wird nichts gemacht. Cinta wird gemacht mit Handlungen, die besser sind. Was sicher ist, ist, dass das Gefühl sayang noch nicht sicher ist … ähm … richtig/echt ist, und man kann es auch noch nicht sehen. Cinta kann man schon sehen. Das Gefühl sayang kann man noch nicht sehen. Verf.: Und wann weißt Du, dass es schon cinta ist? Ranti: Also bisher sayang ich ihn nur, aber cinta noch nicht … aber cinta noch nicht. Ich habe noch nichts gemacht, was »echt« ist.

In diesem Sinne teilten mir auch einige InterviewpartnerInnen mit, dass sie an cinta gar nicht glauben bzw. dass es cinta zwischen Menschen nicht gäbe – genau aufgrund der ihr zugeschriebenen unumstößlichen Fixiertheit. Liebe in diesem Sinne könne es nur zwischen Gott und Menschen geben, nicht aber zwischen Menschen selbst. Elisabeth: Cinta gibt es nicht, ich glaube nicht an das, was den Namen cinta trägt. Cinta gibt es nur im Film. Meiner Meinung nach gibt es cinta nur zwischen Menschen und dem

182 | L IEBE IN I NDONESIEN Schöpfer, untereinander gibt es nur nafsu [BI = Lust, sexuelle Anziehung]. Meiner Meinung nach benötigt man in Beziehungen cinta nicht.

Die zunehmende verbale Artikulation von Liebe, die in Makassar feststellbar ist, ist direkt an die Verfügbarkeit von Begriffen in der Hochsprache Indonesisch und an Prozesse von Modernisierung sowohl im Sinne des nationalstaatlichen Projekts als auch in Kontakt mit westlichen Semantiken, Bildern und Narrativen über Liebe gebunden. Liebeserklärungen und Liebesbeziehungen werden so auch von den jungen Frauen als modern verstanden. In Makassar ist die Sprache der und über die Liebe Bahasa Indonesia. Neben der Tatsache, dass sie Wörter zum direkten Ausdruck von Liebesgefühlen überhaupt erst zur Verfügung stellt, passt Indonesisch als »moderne« Sprache besser zu »modernen« sozialen Praktiken wie pacaran bebas (freie, voreheliche Partnerschaften) und zum »modernen« Ausdruck von Liebesgefühlen. Verf.: Wenn Du Deine Liebesgefühle zum Ausdruck bringen möchtest, welche Sprache verwendest Du dann? Celly: Indonesisch [Bahasa Indonesia], weil es einfacher ist, das auszusprechen, außerdem ist es einfacher für andere Leute, das zu verstehen. Selbst wenn beide, der Mann und die Frau, Bugis sind, aber wenn sie über ihre Gefühle sprechen, ist es einfacher, Indonesisch zu verwenden, weil die Wörter dort ordentlicher/klarer sind, und es angenehmer ist, das zu hören. Gerade in einer Stadt wie Makassar, wo Menschen schon nicht mehr Bahasa Bugis verwenden, weil sie geneigt sind, stolz/prestigereich zu sein145. »Stolz« bedeutet, sie schämen sich [sind malu], ihre eigene regionale Sprache zu benutzen, weil sie in einer großen Stadt wie Makassar leben, wo die meisten Menschen Indonesisch verwenden. Und wenn sie dann Bahasa Bugis sprechen, schämen sie sich normalerweise dafür, vor allem, wenn sie dafür ausgelacht werden. Deswegen neigen sie stärker dazu, Indonesisch zu sprechen und nicht die regionale Sprache wie Bugis.

Man grenzt sich durch das Verwenden von Indonesisch als junger »moderner« Mensch also ganz bewusst von einem dörflichen, als rückwärtsgewandt geltendem Leben ab. Dies geschieht aber m. E. nicht nur durch das Verwenden der indonesischen Sprache, sondern auch dadurch, generell vermehrt Liebestermini (Begriffe zum Ausdruck von zwischengeschlechtlicher Liebe) im zwischengeschlechtlichen Kontakt zu verwenden und modern geltende soziale Praktiken wie pacaran bebas durchzuführen. Zum Teil werden auch englische Phrasen zum Ausdruck von Zuneigungsgefühlen verwendet. Der

145 In dem Sinne, dass man sich schämen würde, die regionale, »unmoderne«, lokale Sprache öffentlich zu verwenden.

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Gebrauch englischer Wörter fungiert dazu, die Gefühle noch »moderner« zum Ausdruck bringen zu können. Nasir: Weil, wenn man die Makassar-Sprache [Bahasa Makassar] verwendet, ist das ganz lustig/merkwürdig. Es ist nicht normal, jemandem seine Liebe auf Bahasa Makassar zu sagen. Außerdem ist Makassar schon modern. Also wenn man jemandem seine Liebe sagt, dann benutzt man Indonesisch oder Englisch. Wenn man noch cooler/trendiger sein möchte, benutzt man Englisch wie I love you. Am meisten benutze ich Englisch, weil es angenehm ist, das auszusprechen und damit es cool ist. In dem Moment, wo wir das sagen, sind wir auch stolz [gengsi], im Vergleich zum Indonesischen, da ist das schwieriger, es auszusprechen [wörtlich: hinaus zu bekommen]. Und tatsächlich, wenn man Englisch verwendet, geht das einfacher, und die Bedeutung ist die gleiche. Der Unterschied ist nur, dass es einfacher auszusprechen ist.

Der Liebesdiskurs wird hier ganz deutlich als modernes Phänomen und als moderne soziale Praxis verstanden. Die lokale regionale Sprache wird als dissonant zum Ausdruck solcher modernen Beziehungskonzepte und -gefühle empfunden, die in der fremden Sprache »einfacher auszusprechen« sind. Da die englischen Liebes-Redewendungen und -phrasen durch die kontinuierlichen Begegnungen mit romantischen Fiktionen des Fernsehens stärker wie formelhafte Zitationen wirken, und da die fremde Sprache eine größere, gefühlte Distanz zu den Wörtern impliziert, ermöglicht das Verwenden englischer Liebesformeln eine größere empfundene Distanzierung des Sprechers von dem Gesagten. Das Gesagte scheint durch den Gebrauch der fremden Sprache weniger selbst-involvierend, also distanter vom Selbst, zu wirken. Es scheint, dass dadurch die generelle Unbehaglichkeit, Gefühle zu artikulieren, relativiert wird. Indem man englische Liebeserklärungen macht, kann man sich so gleichzeitig als »moderner Mensch« positionieren und zumindest teilweise die kulturelle Tabuisierung, individuelle Liebesgefühle auszudrücken, respektieren. Der Gebrauch des Englischen ist auch ein logischer Anschluss an die Populärkultur, die – selbst als modern konzipiert – ganz zentral die Sprache über Liebe mit gestaltet, nicht nur, aber auch mittels westlicher Semantiken und Bilder über Liebe. Gerade die traditionelle Tabuisierung der Artikulation von Gefühlen scheint deren Ausdruck mittels kulturfremder, neuer Liebessemantiken sowie die imaginative Kopplung von Liebe an populärkulturelle Räume wie das Fernsehen zu begünstigen. Durch die Verwendung von englischen, medial stets reproduzierten Phrasen positioniert man sich als moderner junger Mensch, der sich, dem Englischen mächtig, als »Weltbürger« auszeichnet, an der globalen Populärkultur teilhat und dadurch als gaul und keren, »cool« und »trendig«, gilt. Gleichzeitig distanziert man sich dadurch von der »traditionellen Kultur«. Man macht sich der älteren Generation gegenüber, die die Artikulation von Liebe generell als unangemessen betrachtet, »unverständlich«. Diese »neue« Sprache dient so dem Ausdruck

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einer selbst konzipierten Modernität. So begegnen einem Liebesfloskeln und -formeln wie I love him, I miss him so, Love is blind sehr oft. Als sprachliches Äquivalent zu I love you wird Saya cinta kamu (mit den oben genannten Konnotationen) in solchen zitatähnlichen Anwendungskontexten ebenfalls angewendet. Fragt man jedoch genauer nach der Bedeutung von cinta und danach, wie Gefühle dem anderen tatsächlich mitgeteilt werden, taucht die Unterscheidung von sayang und cinta im oben genannten Sinne stets wieder auf. Der Begriff cinta und englische Phrasen werden direkt mit populärkulturellen Texten in Verbindung gebracht. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch folgende Beschreibungen von Liebe zweier, sich als sehr modern verstehender junger Menschen, Imelda und Nasir, stark an medialen Liebessemantiken orientiert: Verf.: Liebe für den Freund, inwiefern unterscheidet sich diese von Liebe Geschwistern oder Eltern gegenüber? Imelda: Also Liebe für den Freund ist speziell, weil sie dazu führt, dass Menschen … ja … also, es gibt den Ausdruck Love is blind. Wir passen nicht auf/»scheren uns nicht«. Wenn man essen will, denkt man an ihn, wenn man schlafen will, denkt man an ihn, wenn man duschen will, denkt man an ihn.

Nasir, ein junger, damals 21-jähriger Makassar Mann, beschreibt stärker die damit einhergehenden Gefühle. Bemerkenswert ist hier die relativ untypische poetische Art, Liebe zu beschreiben, die eher mit der Art und Weise, wie diese semantisch im Rahmen populärkultureller Texte beschrieben wird, korrelierbar ist, als mit der Art, wie junge Menschen eigene Gefühle beschreiben. Nasir: Meiner Meinung nach ist Liebe [cinta] ein Gefühl, das uns ausfüllen kann. In dem Moment, in dem wir cinta bekommen, werden wir uns glücklich fühlen, sie macht alles die ganze Zeit schön. Aber wenn wir von Liebe getragen werden und berauscht sind, dann können wir uns selbst vergessen, einschließlich unserer Freunde und Familie. Verf.: Aber ist das Gefühl cinta nicht breit gefächert, es gibt es für Eltern, Geschwister, die Freundin. Wie ist das Gefühl speziell für seine Freundin [pacar]?

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Nasir: Das Gefühl cinta für die Familie ist nur gewöhnlich, genauso verhält es sich mit den Freunden. Dahingegen für die Freundin ist das fesselnd und cinta ist am Besten/Schönsten zwischen zwei Menschen, die verschiedenen Geschlechts sind, also zwischen Mann und Frau. Verf.: Wie würdest Du das beschreiben? Nasir: Menschen, die sich verlieben, erzählen, dass es immer schön ist, und man das Gefühl hat, dass man sich immer treffen möchte. Cinta kommt vom tiefsten Teil des Herzens, sodass man möchte, dass es immer romantisch ist.

Hier, wie auch im vorherigen Beispiel, wird eine solche romantische Vorstellung von Liebe, die sich sehr an der Filmsprache über Liebe orientiert, mit cinta übersetzt. In diesem Sinne wird cinta als spezifischer Begriff für zwischengeschlechtliche Liebe im Begriffscluster von Liebe also in Richtung »romantischer Liebe« gedeutet. In der sich stets reproduzierenden Aussage, dass man seinen Partner zwar sayang, aber noch nicht cinta, erfährt diese Liebessemantik jedoch zumeist eine Entkräftigung für die Anwendung auf eigene Gefühle. Die direkte Korrelation von cinta als Teil des Liebesclusters mit cinta romantis bestätigen auch andere Informantinnen. So sagt auch Dhita auf die Frage danach, was denn romantische Liebe sei: Romantic love [sie selbst benutzt den englischen Begriff] ist wohl das Gleiche wie cinta. […] cinta romantis ist vielleicht cinta zwischen den Geschlechtern, das ist cinta romantis.

In anderen Kontexten wurde gesagt, dass, ob Liebe romantisch sei, von den beteiligten Personen und deren Launen abhängig sei. Oft begegnete mir auch zunächst eine komplette Wortlosigkeit auf die Frage, was denn romantische Liebe sei, die sich dann meist erst über das Wiedergeben von romantischen Szenarien – wie »bei Kerzenschein essen«, »Blumen schenken«, »Geschenke machen« – auflöste, die größtenteils der visuellen Symbolik und den Narrativen fiktiver romantischer Medientexte entnommen sind. Die Koppelung von »romantischer Liebe« mit Mediengeschichten kommt auch in den Äußerungen der Frauen zum Ausdruck. Verf.: Aber es gibt auch Menschen, die nicht romantisch sind? Aya: Wenn wir über romantische Liebe reden, ist das so, dass, wenn wir gerade einen Freund haben, dass wir dann immer denken, »oh, Romanze, romantisch«, mit dem

186 | L IEBE IN I NDONESIEN Freund »oh, romantische Liebe«, auch wenn unser Freund gar nicht romantisch ist. Wie in Filmen. Aber romantische Liebe ist dabei nicht immer echt.

Cinta wird also in zwischengeschlechtlichen Beziehungen auf zwei unterschiedliche Arten verwendet: Erstens um die Fixiertheit einer Beziehung zu benennen, die die Entwicklung hin zu einer Ehe konzeptuell einschließt, also nicht um individuelle Gefühle zu beschreiben (hierbei werden sayang und cinta unterschieden). Und zweitens im Kontext seiner Interpretation im Sinne »romantischer Liebe«, wo cinta stärker mit Leidenschaft in Verbindung gebracht wird als der Begriff sayang, der eher das Sorgen und Mitfühlen betont. Diese zweite Bedeutung knüpft cinta direkt an die romantischen Medienfiktionen an. Dort findet der Begriff cinta, sowohl in den Titeln der Filme und Serien als auch in den Geschichten selbst, auch häufiger Verwendung als der Begriff sayang. Vor diesem Hintergrund lassen sich Aussagen von Frauen, sie würden den Begriff sayang dem Begriff cinta vorziehen, da sie cinta als kitschig empfänden und auf Basis seiner imaginativen Verknüpfung mit den kitschigen indonesischen romantischen Fiktionen interpretieren. 5.2

Nationalstaatliche Rhetoriken [A]nthropologists must now directly address issues related to nationalism and globalization. Nationalism is perhaps the most obvious example of how affect is organized within decidedly non-local communities (Anderson 1983), and this raises important questions concerning the role of the state and mass media in transforming subjectivities and emotional landscapes. Similarly, globalization theorists have argued that the mobility of people and media images are crucial in theorizing transnational processes (Appadurai 1996, Hannerz 1996).

BOELLSTORFF/LINDQUIST 2004: 439 In diesem Kapitel soll es um nationalstaatliche Rhetoriken gehen, die durch ihre Genderideologien, die nationalstaatliche Familienpolitik und die Konzeption eines modernen nationalstaatlichen Subjekts in Abgrenzung zu einer »rückwärtsgewandten, unmodernen Tradition« auch auf die (Re-)Konzep tion zwischengeschlechtlicher Beziehungen abzielen. Bei der Konstruktion von Tradition und Modernität werden Diskurse über Verhaltensnormen und soziale Praktiken des zwischengeschlechtlichen Kontakts entscheidend mit

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geprägt. So geht es – entsprechend der Forderung in dem oben genannten Zitat – um Fragen nach »[…] the role of the states and mass media146 in transforming subjectivities and emotional landscapes«. Vor allem im Orde Baru Regime unter Suharto zielten nationalstaatliche Rhetoriken darauf ab, eine indonesische nationale Modernität mit nationalen, sich dieser Zugehörigkeit bewusst seienden, modernen indonesischen Bürgern zu konstruieren. Um die Geschichte und die Kulturen Indonesiens als einheitlichen, nationalen Zusammenhang zu reinterpretieren, wurde ein Repertoire aus kollektiv geteilten Bildern und Narrativen konstruiert, das gemeinsame Traditionen, eine gemeinsame nationale Geschichte und gemeinsame Verhaltensnormen sowie ideologische Konzepte wie Genderrollen erst hervorbrachte, in Rückbezug und wechselseitigem Austausch mit anderen Diskursen/Konzepten bekräftigte oder veränderte. Diese wurden mittels der Massenmedien – nach der Einführung der Fernsehtechnologie vor allem über das nationale Fernsehen – im gesamten Archipel verbreitet. Bei der Konstruktion national gültiger Traditionen Indonesiens spielte vor allem die Orientierung an der javanischen »hochkulturellen Tradition« einerseits und die Abgrenzung zu einem »unmoralisch«, »individualistisch« und »sexuell verrucht« konnotierten Westen andererseits – später dann auch die Orientierung an religiösen, islamischen Werten und Normen – eine große Rolle. Dabei sind diese modernen nationalstaatlichen Rhetoriken in Indonesien in sich selbst sehr ambivalent: Wird einerseits die Abgrenzung zum »Westen« durch die staatliche Rekonstruktion indonesischer Traditionen betont, so wird andererseits versucht, die Macht lokaler Traditionen gegenüber der staatlich konstruierten nationalen Gruppenzugehörigkeit zu relativieren und einzuschränken. Dabei wird die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des modernen sozialen Subjekts gegenüber traditionellen Kontrollorganen betont, und auch der private Bereich der zwischengeschlechtlichen Beziehungen wird politisiert. Den nationalstaatlich konstruierten Differenzen zwischen »Westen«/»Indonesien« und »Indonesien«/»lokalen Traditionen« mangelt es so oftmals an Eindeutigkeit und Trennschärfe: Durch die Betonung der Selbstbestimmung des sozialen Subjekts außerhalb kollektiver traditioneller Verbände werden die Abgrenzungen zum »Westen« einerseits weniger wirksam, andererseits werden lokale kulturelle Traditionen durch nationalstaatliche Diskurse neu konstruiert, indem ihnen die Mitgliedschaft zu einer nationalstaatlichen Religion aufgezwungen wird.

146 Hier im Sinne ihrer Verbreitung nationalstaatlicher Rhetoriken im gesamten indonesischen Archipel und nicht im Sinne der Verbreitung westlicher Beziehungsdiskurse und Semantiken zu verstehen.

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5.2.1 Die nationalstaatliche Genderideologie: State Ibuism und kodrat Die nationalstaatliche Genderideologie des postkolonialen indonesischen Staates beinhaltet das Bild einer natürlichen Genderbinarität. Frauen sind dabei als Mütter und Ehefrauen, die den in diesem Zusammenhang anfallenden sozialen Pflichten ihrem Mann und ihren Kindern gegenüber nachkommen und weitgehend im privaten Raum des Haushalts lokalisierbar sind, konzipiert, und Männer gelten als Führungspersonen sowohl im Haushalt als auch in öffentlichen Sphären, denen die Frauen zu folgen haben (vgl. Wieringa 1992, Sears 1996, Suryakusuma 1996, Blackburn 2004, Blackwood 2005). Auch wenn in modernen Staatsrhetoriken mittlerweile die Gleichstellung von Frauen und die Zentralität von Bildung und Anstellung von Frauen eine große Rolle spielen, wird die primäre Rolle von Frauen nach wie in ihrer Funktion als Ehefrauen (und Mütter) gesehen, die ihren Ehemännern folgen und sie unterstützen (ikut suami (BI) = dem Ehemann folgen). Diese Genderideologie wurde vor allem in der Orde Baru Staatspolitik unter Suharto von 1965 bis 1998 ausgebaut, mit (familienpolitischen) Staatsprogrammen versehen und über die staatlich kontrollierten Massenmedien – vor allem über das Fernsehen – und die staatlich kontrollierte Schulausbildung über das gesamte Archipel verbreitet. Diese im Orde Baru Regime unter Suharto durchgesetzte Genderideologie wird auch als state ibuism bezeichnet (vgl. Djajadiningrat-Nieuwenhuis 1987 und Suryakusuma 1987). Der vom indonesischen Wort ibu (BI = Mutter, verheiratete Frau)147 abgeleitete Begriff bezeichnet die »domestication of Indonesian women as dependant wives who exist for their husbands, their families, and the state« (Suryakusuma 1996: 98). Frauen wurden definiert als »appendages and companions to their husbands, as procrearts of the nation, as mothers and educators of children, as housekeepers, and as members of Indonesian society – in that order« (Ebd.: 101). Der state ibuism zielte über die ideologische Regulation von Frauen darauf ab, die soziale Stabilität zu sichern, staatliche Entwicklungspläne durchzusetzen und die Geburtenraten zu verringern. Als Fürsorgerin und Erzieherin der nachwachsenden Generation sollten sie nationalstaatliches Gedankengut, nationalstaatlich konstruierte Traditionen und Verhaltensnormen in der Familie konsolidieren und weitergeben. Die Vorstellung die-

147 Ibu wird im Indonesischen vor allem als Anrede für verheiratete Frauen oder für Frauen, die Kinder haben, verwendet. Darüber hinaus dient der Begriff auch der respektvollen Anrede für ältere oder zu ehrende Frauen (beispielsweise aufgrund eines hohen sozialen Status). Unverheiratete Frauen werden von ibu mit den indonesischen Wörtern gadis oder cewek (BI = Mädchen) abgegrenzt. Auch in dem Wort ibu für Frau ist die staatliche Genderideologie so bereits enthalten, die »Frausein« an den sozialen Status einer Ehefrau und Mutter knüpft.

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ser »natürlichen« Rolle der Frau, die diese Aufgaben und Pflichten als naturgegeben wahrnimmt, wird – entsprechend dem Begriff aus dem Koran für die gottgegebene Natur der Geschlechter – als kodrat bezeichnet. Als Idealfrau wurde diejenige konstruiert, die sich ihres kodrat bewusst ist, (konstruierte) indonesische Traditionen von patriarchaler Autorität aufrechterhält und weitergibt, ihre Entwicklungsaufgaben übernimmt (wie beispielsweise Geburtenkontrolle, Unterstützung des Ehemanns, Eingespanntsein in nationalstaatlichen Frauenprogrammen, etc.) und ihre Kinder als gute indonesische Bürger erzieht (vgl. Robinson 1994, 2000, Blackburn 2004: 26). Der Staat wurde gemäß dem azas kekeluargaan konstruiert, einem paternalistischen Familienprinzip, das Suharto als die ultimative Vaterfigur, als Bapak Pembangunan (BI = Vater der Entwicklung) errichtete. Analog zu der Familienkonstruktion, die die natürliche Autorität des Vaters und Ehemannes beinhaltet und kollektive nationale vor individuelle Bedürfnisse stellt, sollte die Staatspolitik als »democracy with leadership« (McDonald 1980: 95, Robinson 2000: 141) funktionieren. Die hierarchisierte Staatsordnung, in der Zivilbeamte ihre Vorgesetzten ehrenvoll als Bapak (BI = Vater) bezeichneten (vgl. Robinson 2000: 141), hat ihre Wurzeln in der javanischen Hochkultur der priyayi148, die stark auf militärischen Normen von Hierarchie und Gehorsam beruht (vgl. Suryakusuma 1996: 96). Der Familienhaushalt wurde als kleinste Einheit der Nation, wiederum als große Familie konzipiert, gesehen, deren Mitgliedern im Sinne des Nationalismus klar definierte soziale Rollen und Pflichten zugeschrieben wurden, um einen starken Staat zu gewährleisten (vgl. ebd.: 97).

148 Die Konstitution des indonesischen Rechtsstaates 1945 basierte zu einem großen Teil auf einer von Prof. Dr. Supomo – einem Experten des indonesischen Brauchtums (adat) – entwickelten Konzeption, bei der er traditionelle, Javazentrierte »indonesische« und moderne Theorien des Staates miteinander vermengte: Er wollte einen modernen Rechtsstaat schaffen, der jedoch »informed by indigenous social structures, culture, and the «mystical spirit« of Indonesian society« (Suryakusuma 1996: 93) und somit einzigartig »Indonesisch« sei. Diese traditionellen Theorien entlehnte er hauptsächlich javanischen Konzepten der aristokratischen Elite (priyayi) und daran geknüpften Ideen über Staatsmacht und Autorität, die auf der Vorstellung einer Einheit von kawula (Volk oder auch das einzelne Subjekt) und gusti (Gebieter oder auch Staat), als integrale Einheit von autoritärem Herrscher und dem gesellschaftlichen Ganzen, basierte. Dieser Vorstellung entsprechend werden Gesellschaft und Staat als organisches Ganzes betrachtet. Dies lässt kein Raum für die Idee, es könne zu Konflikten zwischen Individuen und dem sie einbettenden Ganzen kommen. Im Orde Baru Regime beanspruchte die Regierung das Monopol über die Identität des Staates. Der indonesische Präsident und die nationale Armee wurden als identisch mit der Pancasila, der indonesischen Staatsideologie, und eine Kritik an ihnen als gleichbedeutend mit einer Kritik an dieser und so als subversiv angesehen (vgl. ebd.: 93f.).

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Um jeden Einzelnen in die Staatsordnung einzubeziehen, gab es vereinheitlichte staatliche Organisationen, die die einzelnen Subjekte gemäß ihren Berufen in staatliche Berufsorganisationen einschloss, wie z. B. staatliche Verbände von Fischern, Arbeitern, Bauern, etc. Alle Beamten mussten der Staatsorganisation für Beamte, der am 29.11.1971 gegründeten Korpri (Korps Pegawai Republik Indonesia – Körperschaft für Beamte der Republik Indonesiens), beitreten. Ihre Ehefrauen wurden automatisch in die Dharma Wanita, die staatliche Organisation von Frauen für indonesische Zivilbeamte, integriert, die eng mit staatsgesponserten Familienentwicklungsorganisationen wie der Pembinaan Kesejahteraan Keluarga (PKK – Förderer des Wohlergehens der Familie) zusammenarbeitete. Die Mitgliedschaft für Frauen in der Dharma Wanita war obligatorisch. Ihre Mitglieder wurden gemäß den Positionen ihrer Männer in der Staatshierarchie – ungeachtet eigener Führungsqualifikationen wie beispielsweise dem eigenen Bildungshintergrund – stratifiziert. »Like Korpri, the structure and ideology of Dharma Wanita engenders conformity and obedience while behavior and image are strictly controlled. Dharma Wanita has established an ikut suami [follow the husband] culture, which epitomize the ideology of State Ibuism. Motherhood is also important, but it comes second to the primary category of wife. Thus a double patriarchy is imposed on women: a hierarchy of gender is superimposed on the hierarchy of bureaucratic state power. The state controls its civil servants, who in turn control their wives, who reciprocally control their husbands and their children and the wives of junior officials.« (Suryakusuma 1996: 100)

Andere noch unter Sukarno aktive Frauenbewegungen, wie die mit der kommunistischen Partei PKI (Partai Komunis Indonesia – Kommunistische Partei Indonesiens) assoziierte Gerwani, die sich – ohne spezielle Genderideologien zu vertreten – generell für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzte, wurden unter der Staatsführung Suhartos als »kommunistische Organisationen« verboten. Ihre Mitglieder wurden verhaftet. In den 1980er Jahren forderten feministische Aktivistinnen die kodrat Ideologie heraus. In Reaktion darauf und auf Druck internationaler Organisationen wie der United Nations149 bezog Suharto Frauen stärker in Prozesse der politischen Entscheidung mit ein. Frauen übernahmen zunehmend Positionen in der Regierung, und die Ausbildung für Frauen wurde verstärkt gefördert. Stand dies natürlich in Konflikt mit der staatlichen kodrat Ideologie, wirkten diese Maßnahmen jedoch zunächst systemstabilisierend (vgl. Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 14f.). Die nationalstaatliche Genderideologie zielte auf die Homogenisierung der Genderkonstruktionen im eth-

149 Die staatlichen Maßnahmen in dem Orde Baru Regime wurden zu großen Teilen von westlichen Staaten finanziert, und so musste die indonesische Regierung internationalen Organisationen gegenüber Eingeständnisse machen, um die finanziellen Subventionen nicht zu gefährden.

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nisch pluralen indonesischen Archipel ab, in dem es eine große kulturelle Diversität von Genderkonstruktionen und -beziehungen gab und noch gibt. Generell haben Frauen in vielen Kulturen Indonesiens einen relativ hohen Status genossen und waren Männern gleichberechtigte (wie z. B. die Bugis und Makassar) oder sogar übergeordnete Entscheidungspersonen (wie z. B. in bei den matrilinearen Minangkabau auf Sumatra) (vgl. Robinson 2000: 142). »[I]ndigenous notions bearing on masculinity and feminity, on gender equality and complementarity, and on various criteria of prestige and stigma are being reworked in the dynamic postcolonial contexts of outmigration, nation building, cultural nationalism and international business.« (Ong und Peletz 1995: 2 zit. nach Robinson 2000: 146, Klammern im Original)

Auch wenn die staatlichen Genderdiskurse lokale Genderkonstruktionen und -beziehungen nicht ausradiert haben, stellen sie nach wie vor machtvolle Rhetoriken über die sozialen Rollen und Pflichten der Geschlechter dar, die das soziale Zusammenleben in entscheidendem Maße mit prägen. Nach dem Ende des Orde Baru Regimes gewannen islamische Gruppen und Parteien neuen politischen und sozialen Einfluss, und der Islam150 nahm einen größeren Platz bezüglich der Identitätskonstruktionen von Menschen in Indonesien ein. »Issues of identity politics in Indonesia have long been unchallenged. Under the New Order regime, individual subject-positions were under the authority of and defined by the state. The creation of different identities was subtly denied […] Hefner (1993) observes that in the New Order era, Islam was considered as the opposition by the regime and it was marginalised within the state political system. Influential Muslim leaders were even restricted from exercising their civil rights.« (Ida 2008: 50)

Wie man bei der Diskussion um den islamischen Revitalismus in Kapitel B.II.5.3 sehen wird, wird die staatliche Genderideologie des Orde Baru Regimes in islamischen Diskursen nach Beendigung der Diktatur Suhartos in religiös gedeuteter Ausarbeitung wieder aufgegriffen. Und auch die nationalstaatliche Genderideologie stützte sich in erster Linie selbst auf religiöse Konzepte wie das kodrat.

150 In neuer Art und Weise, als dies zuvor der Fall gewesen war, da islamische Diskurse in Indonesien sich durch transnationale Kontakte und Interaktionen mit arabischen, islamischen Diskursen veränderten, wie im Kapitel zum islamischen Revitalismus (B.II.5.3) zu sehen sein wird.

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5.2.2 Die »staatlich verordnete« Subjektkonstruktion Die privaten Lebensbereiche von Frauen wurden im Orde Baru Regime bewusst – in Herausforderung und Abgrenzung zu anderen dominanten Ideologien wie denen des Islam und lokaler traditioneller Kulturen – zu einer Staatsangelegenheit gemacht. In der Inanspruchnahme der vorrangigen Rechte, persönliche und familiäre Beziehungen zu regulieren, versuchte man die Potenz von zum Staat konkurrierende lokale oder religiöse Diskurse und Ideologien zu schwächen, die Menschen aus traditionellen Kontexten herauszulösen und für die Staatspolitik und seine Entwicklungsprogramme verfügbar zu machen. Die Einführung eines säkularen Ehegesetzes 1974, das ein Mindestalter für die Ehe einführte und Frauen damit einen Schutz gegen erzwungene familiär arrangierte Ehen ebenso wie die Rechte, eine Scheidung einzuleiten, garantierte, und in dessen Erweiterung vorgeschrieben wurde, Frauen müssten der Entscheidung ihres Mannes, eine zweite Frau zu heiraten, zustimmen, ist somit zweierlei zu deuten: Erstens als ein Schritt eines modernen säkularen Staates, die Rechte von Frauen zu stärken, und zweitens als Strategie, »continuing the agenda of nationalist groups that aimed to weed out feudalism from the realm of personal relations as well as from society at large« (Robinson 2000: 147). Dies zielte auf den Versuch der Konstruktion moderner, selbstbezogenerer Subjektpositionen ab. Solche staatlichen Modernisierungsmaßnahmen lösten Frauen von Anforderungen und Strukturen traditioneller kollektiver Verwandtschaftsnetze. Das Ehegesetz, das als Teil der staatlichen Maßnahme zur Kontrolle der Bevölkerungsdichte151 zu verstehen ist, stellte einen entscheidenden Schritt zur heutzutage größtenteils verbreiteten eigenen Wahl des Ehepartners dar. Die jungen Frauen in Makassar betonen analog dazu die Zentralität dieser eigenen Wahl, die sie einer arrangierten Ehe, zumindest ihrer Narration zufolge (orientiert an »modernen« Diskursen), meist vorziehen 152, und geben an, dass sie vor der Gründung einer Familie zunächst eine Ausbildung machen oder arbeiten wollen.

151 Im Gegensatz zu der nationalen Regierung unter Sukarno, die eine wachsende Bevölkerungsdichte als Basis nationaler Stärke ansah, konzipierte die rationalisierende ökonomische Doktrin des Orde Baru Regimes die Kontrolle der Bevölkerungsdichte als zentral für den ökonomischen Wachstum in Indonesien. Deswegen wurde die Familienpolitik und -planung zu einer entscheidenden Grundlage nationalstaatlicher Entwicklungsprogramme. Frauen waren angehalten, ihre Reproduktion mittels Verhütungsmittel zu kontrollieren. Die staatliche Konzeption einer Idealfamilie mit nur zwei Kindern wurde über die Medien, auf Plakaten in Dörfern, etc. mit dem Slogan Dua anak cukup! (»Zwei Kinder reichen!«) verbreitet (vgl. Robinson 2000: 149). 152 Vgl. hierzu jedoch auch die in den Fußnoten 344 und 346 betonten Widersprüche.

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Das Ehegesetz, der Ausbau des Bildungssektors und neue Anstellungsmöglichkeiten für Frauen führten in den letzten 35 Jahren zu einer drastischen Erhöhung des Ehealters. Die damit verbundene steigende Verfügbarkeit ökonomischer Ressourcen bei jungen Menschen führte zu deren zunehmender Unabhängigkeit von den elterlichen Entscheidungen und trug so zu der Praxis bei, sich Ehepartner selbst zu wählen. Durch diese Zunahme ökonomischer Ressourcen bei jungen Menschen wie auch durch die Abnahme gemeinsamer geteilter Zeit von Eltern und Kindern aufgrund der Industrialisierung des Arbeitssektors, durch zunehmende Bildung und Karrieremöglichkeiten, durch die Etablierung einer Konsumkultur und nicht zuletzt durch neue Bilder, die junge Menschen als eine große Zielgruppe über die Massenmedien erreichen, entwickelte sich ein Konzept von »Jugend« als getrennt soziale Kategorie (vgl. Robinson und Utomo 2003: 5). Ab den späten 1980er Jahren entstanden auch Jugendfilme, die »Teenager« visuell, sozial und linguistisch als distinkte Gruppe konstruierten. Diegetisch werden diese erst durch eine Ehe an die Erwachsenenwelt assimiliert (vgl. Sen und Hill 2000: 153).153 Die verschiedenen Ideologien und Maßnahmen des Orde Baru Regimes führten jedoch auch zu internen Widersprüchen, die nicht gänzlich aufgelöst werden konnten. Die ökonomische Politik des Orde Baru Regimes, die auf Industrialisierung und Indonesiens Öffnung für internationale Fabriken, die vor allem Kleidung, Schuhe und Elektronik herstellten, abzielte, ging einher mit der wachsenden Anstellung von Frauen im industriellen Sektor und führte zu einer Feminisierung der indonesischen industriellen Arbeitskraft154. Diese ökonomischen Entwicklungen standen im Widerspruch zu der dominanten staatlichen Genderideologie, die die häusliche Rolle von Frauen betonte. Die moderne Subjektkonstruktion, die als Folge von nationalstaatlichen Projekten Frauen durch eine größere finanzielle Unabhängigkeit und zunehmenden Verhütungsmöglichkeiten, eine größere Kontrolle über eigene Entscheidungen verschaffte, war von modernen westlichen Diskursen eines selbstbestimmten Individuums nicht immer eindeutig trennbar. Diese hatten trotz der Bestrebungen des Nationalstaates, sich diskursiv vom Westen abzugrenzen, einen größeren Einfluss auf Frauen wie auch auf junge

153 Vgl. hierzu Fußnote 57. 154 Dabei waren (und sind) Frauen angesichts von Löhnen unter dem Existenzminimum und fehlender weiblicher Arbeitsrechte, die Schwangerschaft und Mutterschaft betreffen, Männern gegenüber strukturell stark benachteiligt. Die Finanzkrise Ende der 1990er Jahre, die eine Schließung vieler Fabriken, die vor allem auf weiblicher Arbeitskraft basierten, zur Folge hatte, brachte eine Arbeitsmigration vor allem junger Frauen in den Nahen Osten, nach Hongkong und Malaysia mit sich, wo sie auch heute noch Arbeit zumeist als Haushaltshilfen finden. Dabei leiden die Frauen oft unter langen Arbeitszeiten, Gewalt und sexueller Belästigung, denen sie fernab von sozialem und legalem Schutz ausgeliefert sind.

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Menschen generell. Die Öffnung Indonesiens für kulturfremde Medienbilder einhergehend mit Maßnahmen der Bevölkerungskontrolle wie das Bereitstellen von Verhütungsmitteln für Frauen, wodurch Sex und Reproduktion diskursiv voneinander gelöst wurde, führte Robinson (2000:156) zufolge zu der Neubewertung von Weiblichkeit und Sexualität bei den Frauen selbst. »The dramatic social changes in Indonesian society resulting from the development strategy of the New Order government and the related opening of the archipelago to the global economy and culture have affected not only the manner of women’s economic participation, but also modes of expression of femininity. Women have become more able to make choices for themselves, as a consequence of both new economic roles and exposure to mass media images of differing norms of female behaviour. At the same time, however, the commercially driven circulation of sexual images and norms of sexual attractiveness and the growth in prostitution have created new opportunities for exploitation of women. Hence the effects of these changes are contradictory.«

Die diskursive Trennung von Reproduktion und Sexualität veränderte Robinson zufolge (ebd.) die Wahrnehmung und das Erleben von Sexualität durch Frauen, vergrößerte die Autonomie ihrer Entscheidungen ihren Partnern gegenüber und machte sie unabhängiger von verwandtschaftsbasierten Formen von Macht. Hierbei erwähnt sie jedoch nicht, dass nur verheiratete Frauen Verhütungsmittel legal bekommen. Das religiöse und traditionelle Verbot, vor der Ehe geschlechtlichen Kontakt zu haben, wird auch heutzutage – sei es aus Angst vor Protesten religiöser Gruppen – durch den Staat geschützt. Robinson (ebd.: 158) folgert, dass mit den globalen kulturellen und kapitalbezogenen Flüssen, die in die indonesische Gesellschaft eindringen, eine zunehmende Kommerzialisierung und Sexualisierung einhergehe, die in Widerspruch zu den »offiziellen« Bildern und Normen von Feminität stehen würden. Dies manifestiere sich ihrer Meinung zufolge in dem Verlangen junger Menschen nach romantischer Liebe, die sich in der sozialen Praxis junger Menschen einer auf romantischer Liebe basierenden eigenen Wahl des Ehepartners manifestiere. Sie bietet jedoch keine Begriffsklärung von romantischer Liebe an, sondern impliziert in ihren Ausführungen die Vorstellung von romantischer Liebe als essentialistisches individuelles Gefühl, das durch die moderne Subjektkonstruktion an die kulturelle Oberfläche trete. »This may be read as signaling some advance in personal autonomy in that it frees the sexuality of young men and women from kinship-based forms of power and control. But the shift to marriage choice based on romantic love can also be read as a form of self-subjugation based on the enslavement to the values of the consumer market place, founded on a new model of sexualised feminity, which is promoted in magazines, on television and in films. […] Under the conditions of modernity women may be increas-

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ingly freed from ties to the family and its reproduction, but they have simultaneously been introduced to new forms of subordination and exploitation.« (Ebd.)

Das Eingespanntsein in soziale Netzwerke und in kulturelle (diskursive) Strukturen wird dabei als primär ökonomische Abhängigkeit simplifiziert und die Wahrnehmung von Sexualität als lediglich abhängig von ihrer Koppelung an Reproduktion gedeutet. Sozialen Abhängigkeiten und kulturellen sowie religiösen Annahmen, Konzepten und Diskursen wird dabei kein Stellenwert zugemessen. Gleichzeitig wird romantische Liebe von Robinson direkt mit einer »sexualisierten Kultur« in Verbindung gebracht, die sie als Resultat der Globalisierung versteht, wie im folgenden Zitat sichtbar wird. »The growth in prostitution illustrates the impact of rising commercialisation and sexualisation, trends that in turn reflect the penetration of Indonesian society by global cultural flows, as well as capital flows. The impacts of new cultural forms have been contradictory and often in tension with official images and norms of femininity. These contradictory effects are well exemplified by the issue of free choice marriage. In the mining town of Soroako, a new kind of sexualised culture [Hervorhebung J.L] has manifested in the desire of the young for romantic love [Hervorhebung J.L].« (Robinson 2000: 158)

Wie man angesichts der Narration persönlicher Liebesgeschichten, -auffassungen, und -gefühle junger Frauen in Makassar sehen kann, greift diese Argumentation jedoch zu kurz und simplifiziert die komplexeren Prozesse von wechselseitiger Ausdifferenzierung und sich situativ aktualisierender Differenzierung der verschiedenen Diskurse und Konzepte. Auch vor dem Hintergrund der komplexen Identitätskonstruktionen der jungen Frauen, die sie gerade angesichts der Multidiskursivität sich widersprechender Diskurse kontinuierlich und situativ different produzieren, greift Robinsons Sichtweise zu kurz. Ihrer implizierten Gleichsetzung bzw. Koppelung von »romantischer Liebe«, »Sexualität« und dem Einfluss durch westliche Bilder ist an diesem konkreten Beispiel nicht zuzustimmen. »Romantische Liebe« stellt ein semantisch wenig definiertes Bedeutungsfeld in Makassar dar, das situativ different mit unterschiedlichen nationalstaatlichen, religiösen und westlichen Diskursen und Semantiken neu – und oft sehr widersprüchlich – gefüllt wird. Dennoch spielt »romantische Liebe« hinsichtlich ihrer konstruierten Modernität eine zentrale Rolle für die Identitätskonstruktionen junger Frauen in Makassar. Denn egal, wie die Beziehung zwischen »(westlicher) Modernität« und »romantischer Liebe« zu konzipieren ist, wird letztere in Indonesien wie auch in anderen nicht-westlichen Gesellschaften als distinkt moderner (oft westlich geprägter) Beziehungsdiskurs verstanden (vgl. Lipset 2004: 207), der von »kulturellen Traditionen« abgegrenzt wird. So wird der Liebesdiskurs – wie auch immer er lokal konkret semantisch ausgestaltet wird – oft zu einem Diskurs, durch den junge Menschen ihre »Freiheit« von

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traditionellen Strukturen zum Ausdruck bringen können, der bei intergenerationalen Konflikten eine große Rolle spielt und der als Indikator für Modernität gewertet wird155. 5.3 Der »indonesische Islam« 156 und der islamische Revitalismus Indonesien führt die Liste der Länder mit der größten muslimischen Bevölkerungsdichte an. Fast 90 % der 230 Millionen Bewohner Indonesiens sind Muslime (Houben 2003: 151 und Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 1). Die Islamisierung Indonesiens begann im 15. Jahrhundert mit den zunehmenden Besuchen muslimischer Händler aus dem Mittleren Osten, Persien und Indien und vollzog sich von den westlichen zu den östlichen Inseln157. Vor der Ausbreitung des Islam existierten in den verschiedenen Regionen lokale Formen von Animismus, Hinduismus und Buddhismus. Die jeweilige Sozialorganisation basiert auch heute auf hybriden Formen von lokalem Brauchtum (adat) und den verschiedenen religiösen Ideologien. Dementsprechend wurde und wird der Islam von den verschiedenen Ethnien in höchst synkretistischen Formen aufgenommen. Er wird in bestehendes Brauchtum und in die Sozialorganisation integriert, sodass der »indonesische Islam« auch heutzutage noch durch den unterschiedlichen Einfluss lokaler Geschichte, Ethnizität und Tradition regional sehr variant ist. Neben der Dominanz des Islam gibt es im pluralen indonesischen Archipel religiöse Minoritäten von Christen, Hinduisten, Buddhisten sowie lokale Religionen in synkretistischen Mischformen. In der Pancasila158, als

155 Vgl. hier auch Ahearn (2001) zur Korrelation von »Liebesehen« mit »modern sein« bei jungen Menschen im ländlichen Nepal und dem Verfassen von Liebesbriefen als Ausdruck der Freiheit des Subjekts von traditionellen Strukturen. Vgl. Marksbury (1995) zur Rolle selbstbestimmter Partnerwahl junger Menschen im intergenerationalen Konflikt in Ozeanien. Vgl. hierzu auch Errington/Gewertz (1993), die die Rolle von Liebe im intergenerationalen Konflikt zwischen jungen Champri Menschen und der älteren Generation und die Korrelation von Modernität, Romanze, Begehren und »Stadt« in Papua Neu-Guinea veranschaulichen. Auch Burbank (1995: 193) zeigt auf, dass die von Hollywoodfilmen beeinflussten Ideen über Liebe bei jungen, dörflichen Aborigines in Australien als Teil des »paradigma of adolescent resistance« gegen die erwachsene Autorität zu verstehen sind. 156 Da der Islam in Indonesien nicht homogen ist, wird der Begriff des indonesischen Islam in Anführungsstriche gesetzt. Gleiches gilt für den Begriff des arabischen Islam. 157 Vgl. Houben 2003 für eine detailliertere Beschreibung der Islamisierung Indonesiens. 158 Vgl. Fußnote 52 und den Wörterindex im Anhang D.1.

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Grundlage der Staatsideologie, ist Monotheismus als Indonesien-vereinendes Prinzip im Sinne des staatlichen Credos »Einheit in Vielfalt« festgeschrieben. Vor allem aufgrund des auch nationalstaatlichen Interesses für den internationalen Tourismus werden der Hindu-Buddhismus Balis und der synkretistische Mix aus Christentum und Animismus in Tanah Toraja auf Sulawesi, dessen Toten- und Begräbnisrituale ein kulturelles Highlight bei Touristen darstellen, jedoch öffentlich akzeptiert. Aufgrund der lokalen Adaptionen und synkretistischen Vermengungen mit lokalen religiösen Formen ist der »indonesische Islam« sehr different zu dem »arabischen Islam«. Geertz (1960) hat in seinem bekannten Buch »The Religion of Java« auf den Synkretismus der javanischen Religion hingewiesen und eine klare Differenz zwischen dieser synkretistischen Form und modernen reformistischen Arten des Islam hingewiesen. Diese Perspektive führe jedoch oft dazu, dass Ethnologen den Hindu-Buddhismus in der Beschreibung religiöser Praktiken auf Java überbetonten und den javanischen Islam als regelrecht unislamisch ausstellten (vgl. Blackburn/Smith/ Syamsiyatun 2008: 5)159. Differenzen zwischen »echter Religion«, die dieser Auslegung zufolge meist als skriptförmig und doktrinär verstanden wird, und anderen Praktiken (wie Animismus oder Magie) aufzuziehen, erscheint nicht nur als müßig, sondern werden dem Forschungsgegenstand als intellektuelle Konstrukte mitunter lediglich aufgezwungen. Wenn ich in diesem Kapitel traditionelle und islamische Konzepte und Diskurse in der schriftlichen Darstellung voneinander trenne, soll dies keineswegs lokale religiöse Formen und einen »echten« Islam voneinander trennen. Ich folge in der Darstellungsweise vielmehr den Konzeptionen in den Narrationen der jungen Frauen, die einige Formen als traditionell, andere als islamisch bezeichnen, diese voneinander differenzieren, z. T. jedoch auch kontinuierlich in widersprüchlicher Weise miteinander vermengen. Darüber hinaus soll in diesem Unterkapitel zum Islam ein besonderer Schwerpunkt auf revitalistische Diskurse des Islam gelegt werden, der als Teil einer modernen Identitätspolitik in Indonesien verstanden werden kann. »Analysing sorcery or mystical practices as categories different from ’real religion’ is inappropriate for interpreting fluid and complex religious spheres of activity because these categories ’are at best intellectual constructs rather than descriptions of reality.’ (Bowie 2000: 26).« (Smith 2008: 103)

Den »indonesischen Islam« als »unislamisch« und Indonesier lediglich als »nominelle Muslime« zu beschreiben, birgt zusätzlich die Gefahr, ihm theoretisch seine Legitimation zu entziehen (vgl. Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 5). Dennoch ist die analytische Trennung von den sehr moderaten

159 Wie Julia Day Howell (2001) und Mark Woodward (1988, 1989), aufgezeigt haben, verkörpern die hindu-buddhistischen Praktiken einer anderen Interpretation zufolge einen Aspekt von Sufismus.

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Formen des »indonesischen Islam« und erst kürzlich eingeführten, modern geltenden islamischen Prinzipien, die sich am »arabischen Islam« als Form einer alternativen Modernität in Abgrenzung zur westlichen Modernität orientieren, m. E. sehr zentral. Vor allem bezüglich der daran anschließenden Genderkonstruktionen, der Restriktionen von Frauen und ihrer Handlungsfreiheit ist dies von entscheidender Bedeutung160. Die lokalen Adaptionen des Islam in Indonesien brachten generell sehr moderate Formen des Islam hervor. Indonesische Frauen hatten im Vergleich zu denjenigen aus arabischen Ländern einen höheren Status. Sie mussten sich weder verhüllen noch durften sie sich nicht innerhalb öffentlicher Räume aufhalten. Auch ökonomisch hatten sie eine relativ große Unabhängigkeit (vgl. Sullivan 1994, Brenner 1998, Bennett 2002, 2005). In Indonesien ist die Schulausbildung für beide Geschlechter verpflichtend, es gibt keine geschlechtliche Präferenz bei Kindern, die weibliche Teilnahme auf öffentlichen Bühnen, in Ämtern und selbst am religiösen Gericht ist gegeben und öffentlich akzeptiert. Auch der indonesische Staat blieb seit seiner Unabhängigkeit 1945 säkular und religiös neutral161. Die Staatspolitik, vor allem in dem Orde Baru Regime (1965–1998), zielte z. T. sogar, wie beispielsweise durch die Einführung staatlicher Ehegesetze, auf die Schwächung des Einflusses des Islam in der Regulierung von Sozialbeziehungen ab. Nach dem Sturz Suhartos 1998 gewannen religiöse Parteien neuen Einfluss (vgl. hierzu Blackburn 2008: 91). Politische Führer wie der folgende Präsident Gus Dur (Amtszeit von 1999–2001) erzwangen eine neue Beziehung zwischen Staat und Islam. Es lässt sich eine Form des islamischen Revitalismus – Blackburn (ebd.) zufolge als direkte Reaktion auf die islamische Revolution im Iran 1979162 – vor allem in der städtischen Mittelklasse abzeichnen, der sich am Beispiel

160 Hierzu ist anzumerken, dass die Konstruktion von muslimischen Frauen als passive Opfer einer patriarchaler Ordnung selbst Teil der wissenschaftlichen Konstruktion des Orient darstellt, die zu seiner Exotisierung führt – ganz im Sinne des von Said ([1978] 2003) geprägten Begriffs des Orientalismus. Entsprechend wird immer wieder betont, dass Musliminnen analog dazu westliche Frauen, die sehr viel stärker dem Patriarchat und Konsumismus ihrer Gesellschaften als hilflose Opfer ausgeliefert seien, als »unfreier« konzipieren. Viele Studien zeigen, dass der Schleier von muslimischen Frauen auch als Symbol des Widerstandes gegen die »commodification of women’s bodies in the media, and more generally to the hegemony of Western values« (Mahmood 2005: 16) verstanden wird. Demzufolge kann das Tragen eines Schleiers beispielsweise als Teil ihrer aktiven Handlungsfähigkeit (agency) verstanden werden. 161 Vgl. Blackburn 2008 zu einer detaillierteren Analyse der Beziehung zwischen Islam und Staat vor und nach Indonesiens Unabhängigkeit. 162 Der Begriff »islamische Revolution« bezieht sich auf die Ereignisse 1979 im Iran, in deren Zuge es zur iranischen politischen Systemtransformation hin zu einem islamischen »Gottesstaat« kam.

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des Mittleren Osten als alternative Modernität zu westlichen Modellen von Entwicklung und Modernisierung in Indonesien orientiert. Dies soll an zwei Beispielen veranschaulicht werden, an denen nicht nur der zunehmende Einfluss eines »arabisch orientierten« Islam, sondern auch die zunehmende Verknüpfung von Staat und Islam als Teil dieses islamischen Revitalismus ersichtlich wird: an der Praxis des Tragens eines Schleiers (jilbab) von Frauen und an der seit 2006 diskutierten Einführung eines Antipornographie-Gesetzes durch die indonesische Regierung. In den 1980ern im Orde Baru Regime war das Tragen von Kopftüchern bei Frauen in den 1980ern weder als Teil des »indonesischen Islam« etabliert noch gesellschaftlich akzeptiert. »In the early 1980s, the practice of veiling among Muslim women in Indonesia was limited and seen as a form of Muslim fundamentalism, but some Muslim women, particularly university students, started to wear long dresses and the jilbab over their necks and bosoms in public arenas. During this time the practice gave rise to extreme points of view concerning ’oppression’ and ‘lack of freedom’. Muslim women wearing jilbab were considered conservative by the Indonesian society.« (Ida 2008: 52)

In den 1990ern ist die Praxis des Tragens eines Kopftuchs vor allem bei jungen Frauen der Mittelklasse quantitativ enorm angestiegen. Dies kann als Reaktion auf die politische Strategie der Orde Baru Regierung, den Islam als Teil der nationalen Identität zu konsolidieren163, ebenso wie auf den wachsenden Einfluss islamischer Gruppen nach dem Fall von Suharto und des islamischen Revitalismus als Folge der iranischen Revolution gedeutet werden. Stand das Kopftuch zuvor als visuelles Symbol für Konservatismus, wurde es infolge auch in populärkulturellen Bildern als Symbol für eine sich zum Westen abgrenzende Modernität umgedeutet, die die »gute muslimische, moderne Frau« als Idealbild einer modernen Frau erhebt (vgl. Ida 2008: 47)164. »Western writers have analysed the intersection of Islam, popular culture and modernity in Indonesia that has seen the rise in usually educated middle-class women wearing various forms of head coverings including ‘the veil’ or headscarves as symbolic

163 So erlaubte das Department of National Education and Culture ab 1990 zum ersten Mal das Tragen des jilbab in staatlichen Schulen, und auch die jüngste Tochter des Präsidenten Suhartos, Siti Hardiyanti Rukmana, führte das Tragen eines modern getragenen kerudung (ein lockeres Kopftuch, das nicht komplett die Haare und den Nacken verdeckt) zu ihrem offiziellen Kostüm auf der öffentlichen Bühne ein. Diese Art, ein Kopftuch zu tragen, wurde infolge zu einem modischen Trend in Indonesien, der als Modell für die Konzeption einer islamischen Mode in Indonesien auch durch Modedesigner aufgegriffen wurde (vgl. Ida 2008: 52). 164 Vgl. hierzu auch Kapitel B.III.3.4.2.

200 | L IEBE IN I NDONESIEN of a conscious move from ‘the past’ into a paradoxical new Islamic modernity (see Brenner 1996; Feillard 1996). The trend in veiling grew stronger with the Islamic resurgence in the 1970s and 1980s which was a direct response to the Iranic revolution.« (Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 11)

Das Tragen eines Kopftuchs basiert dabei meist auf der eigenen Entscheidung der jungen Frauen und wird von ihnen oft als Form ihrer Autonomie verstanden165 (vgl. Brenner 1996, Bennett 2005: 52ff.). Der jilbab dient dabei einerseits als »modernes« Schlüsselsignal für eine religiöse, respektierte und moralisch positiv evaluierte junge Frau166, andererseits ermöglicht es einer Frau ein unbeschwerteres Bewegen in öffentlichen, gemischt geschlechtlichen Räumen. Bezeichnenderweise sind jilbab vor allem an Universitäten als moderne Bildungsinstitutionen für junge Menschen mit großen gemischt geschlechtlichen Kontaktzonen besonders präsent. Der jilbab kann dabei zu einem wirksamen Symbol in Generationskonflikten werden: Die modern verstandene Bildungskultur (repräsentiert durch junge studierende Frauen, die einen jilbab tragen) steht dabei einer als primitiv angesehenen Kultur der Dörfer (repräsentiert durch ältere Menschen in den Dörfern) gegenüber. Darüber hinaus gilt der jilbab als positiv evaluiertes, aber modernes Modeaccessoire. Der Trend, einen jilbab zu tragen, reflektiert so auch neue Konsumtionsweisen der städtischen Mittelklasse sowie die Popularisierung einer islamischen religiösen Ikonographie in den Massenmedien (Ida 2008: 47)167. Weibliche Stars der Film- und Musikbranche tragen bei öffentlichen Auftritten oft einen jilbab, die Malls bieten große Sortimente an verschiedentlich dekorierten jilbab in allen Farben an, und junge Frauen präsentieren ihre neu erworbenen, modischen Stücke stolz ihren Freundinnen. »It is clear that nowadays the adoption of jilbab has new meanings, which reaches far beyond the religious need to cover the female aurat (any part of the body which should not be visible according to Islamic interpretation). Rather, the practice of wearing the jilbab (and the politics associated with it) taps into significant issues of female bodies, sexualitiy and subject identities.« (Ebd.)

165 Zumindest wird dies von den Frauen meist selbst so narrativiert. 166 Wie bereits aufgezeigt, kann der jilbab in Makassar auch als Anzeiger für eine Frau, die ein hohes siri’ hat, verstanden werden. Vgl. Fußnote 112 in Kapitel B.II.5.1.1. 167 Vgl. hierzu auch Heryanto (2009: 11f.): »As several scholars have indicated, the new headscarfing trend marked a break from the practice of the older generation (usually rural folk) and has been most noticeable among highly educated female urbanities […], who are a significant part of Indonesia’s middle classes.«

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Der jilbab wird darüber hinaus auch zunehmend als Symbol in indonesischen Filmen und Serien eingesetzt. Es steht dabei für eine moderne, gut situierte, gebildete Frau, die dennoch den religiösen Werten und Normen ihrer »Tradition« folgt (vgl. hierzu Kapitel B.III.3.4.2). »As medium of expression, veiling has articulated new messages of prosperity, high cultural taste and cosmopolitan beauty in complement to, and occasionally in overt substitution for, expressions of religious piety, self-restraint from worldly pleasure, or sexual chastity.« (Heryanto 2009:14)168

Neben dieser auch populärkulturellen symbolischen Aufwertung des jilbab, wird das Tragen eines jilbab an bestimmten Orten wie an Arbeitsplätzen oder islamischen Bildungsstätten zunehmend verpflichtend. Parker (2005: 21) deutet die an einigen Schulen und in einigen Regionen eingeführte Pflicht des Tragens eines jilbab nach dem Ende des Orde Baru Regimes als Zeichen der »Islamisierung« der indonesischen Gesellschaft und als Teil des islamischen Revitalismus169 allgemein. In einigen kebupaten (BI = Provinzdistrikte), in denen islamische Normen und Prinzipien eine große Rolle für die lokale Identitäten darstellen, wurde das Tragen des jilbab sogar durch die Aufnahme des Peraturan Daerah (Perda) Syariah (des regionalen Syariah Gesetzes) in die legalen Verfassungen der regionalen Regierungen verpflichtend, wie beispielsweise in Aceh seit 2002 und in Bulukumba seit 2003 (vgl. Ida 2008: 53). Ermöglicht wurde dies durch die Dezentralisierungsreformen der zentralen Regierung in Jakarta zum Zwecke der Befriedung unruhiger Regionen (vgl. Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 7). Von insgesamt 30 Regionen in Indonesien, in denen Syariah Regulationen bereits greifen, liegen sechs in Süd-Sulawesi, wo meine Forschung stattgefunden hat: Bulukumba, Enrekang, Gowa, Takalar, Maros and Sinjai (vgl. Mabruri et al. 2007: 26). In den Zeitungen dieser Regionen findet man Berichte über diese neu eingeführte Rechtsprechung. Zur Zeit meiner Forschung wurde beispielsweise ein Mann in Bulukumba öffentlich gesteinigt, da er einer verheirateten Frau einen Liebesbrief geschrieben hatte. Frauen wurden nach Einbruch der Dunkelheit von der Polizei festgenommen, da sie sich ohne Begleitung von Männern auf öffentlichen Straßen aufhielten. Am 14. September 2009 wurde in Aceh Syariah Gesetze eingeführt, die Ehebruch mit öffentlicher Steinigung bis zum Tod, Homosexualität mit langen Gefängnisstrafen und vorehelichen Sex mit Schlägen in der Öffentlichkeit bestrafen (vgl. beispielsweise http://www.guardian.co.uk/world/2009/sep/14/

168 Heryanto (2009) zeigt den Trend der religiösen, modern konnotierten Symbolik in indonesischen Filmen an dem sehr populären Film Ayat-Ayat Cinta (2008, Regie: Hanung Bramantyo, übersetzter Titel: Die Verse der Liebe) auf. 169 »Revitalismus« wird dabei hinsichtlich einer Neuinterpretation des Islam in Indonesien verstanden und nicht lediglich im Sinne einer Wiederbelebung.

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indonesia-aceh-adultery-stoning-death und http://news.bbc.co.uk/2/hi/asiapacific/8254631.stm, beide zuletzt gesichtet am 30.09.09). Als zweites Beispiel für die islamische Revitalisierung dient hier die Diskussion um die Einführung eines Antipornographie-Gesetzes, die meine Forschungszeit begleitete. Dies zeigt die Erstarkung religiöser, islamischer Prinzipien auch in der Staatspolitik auf. Aus Mangel an eindeutigen Mehrheiten ist die indonesische Regierung auf Koalitionen mit radikaleren islamischen Parteien angewiesen, die dadurch einflussreiche Rollen in der Regierungspolitik spielen können. So initiierte 2006 eine islamische Minderheit im Parlament einen Entwurf für ein Gesetz, das »Pornographie« bekämpfen und entscheidend die Bewegungsfreiheit von Frauen einschränken sollte. Es sollte Frauen angemessene »keusche« Kleidung diktieren und jede Art »sensueller Bewegung« von Frauen wie beispielsweise ihr Tanzen einschränken. Verstöße sollten mit langen Gefängnis- oder hohen Geldstrafen versehen werden.170 Infolge zahlreicher Proteste von Frauengruppen und kulturellen, künstlerischen und Medien-Gemeinschaften wurden einige der auf der Annahme, dass diejenigen geplanten Maßnahmen wieder aus dem Gesetzesentwurf ausgeschlossen. Dennoch wurde das AntipornographieGesetz am 30.10.2008 in einer reduzierteren Form in die indonesische Verfassung aufgenommen. Das Antipornographie-Gesetz basiert, die »gesehen werden« für »Pornographie« verantwortlich sind und nicht diejenigen, die »sehen«171. »For the Council the source of lust is what is seen rather than those who see. What is seen includes magazines, films, books, – and women, while those who see are men. […] The pornography bill is like the fatwa in that it places responsibility on objects (women) of action rather than subjects (men) of action. This attitude, and the fear of the arousal of sexual desire, is an aspect of Arab culture, specifcally [sic!] the Wahabi brand of Islam, and is being imported into Indonesia under the names of ›Islam‹ and ›morality‹.« (11.03.2006, http://www.indonesiamatters.com/161/arab-or-indone sian/ zuletzt gesichtet 1.11.2008)

Daraus leitet sich ab, dass Frauen ihre Körper bedecken und ihre Bewegungen im Sinne angemessener Keuschheit kontrollieren müssen, um nicht öffentlich angeklagt und Opfer von Denunziationen und Strafen zu werden. In diesem Sinne diskriminiert das geplante Antipornographie-Gesetz Frauen ganz allgemein. »The actions of Islamic pressure groups to control women's bodies and sexuality through legislation (such as the currently debated pornography law) and local regula-

170 Für Küsse in der Öffentlichkeit sollte beispielsweise eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren verhängt werden. 171 Dies wird an späterer Stelle in diesem Unterkapitel noch genauer ausgeführt.

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tions reflect the growing influence of puritanical Islam in Indonesia.« (Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 12)

So legt es nicht nur indonesischen MuslimInnen, sondern auch den diversen ethnischen Gruppen und religiösen Minoritäten in Indonesien islamische Normen im Sinne einer arabischen Form des Islam, oder – wie Blackburn/ Smith/Syamsiyatun (ebds.) es bezeichnen – eines »puritanical Islam« auf. Ist das Antipornographie-Gesetz ein deutliches Zeichen für die Potenz islamischer Gruppen in der Regierung, die gemäß islamischen Leitnormen Einflüsse auf Verfassungstexte haben, wird von den Kreateuren des Gesetzesentwurfs abgestritten, dass das Gesetz etwas mit dem »Islam« zu tun habe. Hidayat Nur Wahid beispielsweise, der Vorsitzende der islamischen Partai Keadilan Sejahtera (PKS), der entscheidend an der Planung des Gesetzesentwurfs beteiligt war, betonte, dass dieser nicht den Interessen einer bestimmten religiösen Gruppe dienen solle, sondern ganz allgemein dem Staat und der Nation. Die Annahme, dahinter stecke die Intention, Indonesien zu einem islamischen Staat zu machen, sei ihm zufolge völlig inkorrekt. Vielmehr sei das Gesetz als Schutz der indonesischen Kultur vor den negativen Folgen der Globalisierung und dem Einfluss des Westens zu verstehen. Die Nation sei ohne dieses Gesetz in Gefahr, einen moralischen Zusammenbruch zu erleiden (vgl. Patung, 2.06.06, http://www.indonesia matters.com/408/ pancasila/ zuletzt gesichtet am 22.01.09). Ähnlich bewerteten meine Informanten das geplante Antipornographie-Gesetz. Von ihnen wurde der Versuch begrüßt, »Pornographie« einzuschränken, da Indonesien wegen des negativen westlichen Einflusses bereits einem moralischen Untergang nahestehe. Vor allem jüngere Menschen und Kinder müssten vor den negativen »pornographischen« Einflüssen des Westens beschützt werden. In Gesprächen, in denen es um die konkreten Auswirkungen des geplanten Gesetzes auf das Leben der jungen Frauen selbst ging, beispielsweise wie sich das geplante Gesetz auf ihren Kleidungsstil auswirke, löste sich die offizielle, uneingeschränkte Unterstützung dieses Gesetzes oft in ein zögerliches Revidieren ihrer Sympathien für dieses auf. Man wolle nach wie vor kurzärmlige T-Shirts tragen können und mit seinem Freund Händchen haltend durch die Mall spazieren. Starke Protesthaltungen gegen diesen Gesetzesentwurf begegneten mir in dem als sehr religiös geltenden Makassar selten, und wenn, dann nur seitens der Christen, die sich durch die Indoktrinierung islamischer Prinzipien als religiöse Minderheit bedroht fühlten. Auf Bali zeigte man dahingegen eine allgemeine, öffentliche Protesthaltung. In zahlreichen Demonstrationen gegen das Gesetz nahmen zur Verteidigung ihrer Rechte auch Frauen eine sehr dominante Rolle ein. In Yogyakarta und in Jakarta protestierten, neben den von dem Gesetz bedrohten Künstlergruppen, wie beispielsweise Dangdut172-Tänzerinnen, vor allem Studenten gegen das Gesetz.

172 Dangdut ist eine populäre indonesische Musikrichtung, die zahlreiche Verwandtschaften mit arabischer, indischer und malaysischer Volksmusik hat und so auch

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Werden hier die konkreten Verknüpfungen von Staatspolitik und Islam deutlich, die Fragen nach einer potentiellen Zukunft eines politischen Islam in Indonesien anschließen, wirken die Verknüpfungen und Wechselwirkungen zwischen Staatsrhetorik und islamischen Diskursen jedoch auch, wie bereits angesprochen, unter der politischen Oberfläche. »The dominant discourses of sexuality in Indonesia are produced by the state, by Islamic clerics, and by regional ethnic leaders. State, Islamic, and ethnic discourses are by no means insulated from each other, nor from global discourses, and in many ways work together to produce a knowledge of gender and sexuality that explicitly limits women’s sexuality within notions of proper femininity and motherhood.« (Blackwood 2005: 227)

Wie bereits angesprochen beinhalten staatliche und islamische Diskurse173 sich sehr ähnelnde Genderideologien, die natürliche Genderdifferenzen konstruieren. Unter dem Vorzeichen des kodrat (der natürlichen, gottgegebenen Geschlechterrolle) werden Frauen dabei als Mütter und Ehefrauen idealisiert und unter die Führung von und Bewachung durch die aktiv handelnden und entscheidenden Männer gestellt. Scheitern Frauen darin, ihre »natürlichen« Rollen und Pflichten zu übernehmen, wird dies als konträr zu ihrer »gottgegebenen Natur« angesehen. »It is considered perfectly acceptable to question a single woman as to why she is not married, or a married woman without children as why she is delaying motherhood.« (Blackburn 2004: 139)

Sie selbst nehmen dies oft als ein persönliches Versagen wahr, ihre weibliche Rolle gemäß der Vorstellung im Koran zu erfüllen. Gründe dieses Scheiterns erklären sich Frauen oft über Fehler in ihrem vergangenen Verhalten, oft den sexuellen Bereich174 betreffend, und/oder sie ziehen Erklä-

den populären indischen Liedern der Bollywoodfilme stark ähnelt. Dangdut wird als traditionelle, indonesische Musik verstanden und ist vor allem auf dem Land sehr populär, gerade auch bei älteren Menschen. Der visuelle Stil von DangdutAuftritten ist z. T. sehr vom erotischen Tanz der Sängerinnen geprägt. Auch in den Liedtexten, in denen es meist um Liebe und Leid geht, tauchen sexuelle Konnotationen auf. Als kulturelles Musik-Genre ist Dangdut direkt von dem Antipornographie-Gesetz betroffen. Vor allem Dangdut-Sängerinnen nehmen eine große Rolle in den Protestbewegungen gegen dieses ein. 173 Damit sind also Diskurse gemeint, die auf die diskursive Konstruktion eines (neuen) Islam in Indonesien abzielen. 174 Eine der jungen Frauen, Novi, hatte dementsprechend große Angst, dass sie, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte, nun aufgrund ihrer nicht mehr vorhandenen sexuellen Unschuld keinen Ehepartner mehr finden würde. Und zwar nicht nur wegen der kulturellen und religiösen Zentralität eines jung-

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rungen magischer externer Kräfte, wie bereits in den vorherigen Kapiteln vorgestellt wurde, heran. Sexualität wird konstruiert als »proper and permissible only within marriage and under the control of a husband. Women are punished for their infidelities through gossip and community sanctions to a much greater degree than are men (Sears 1996). These normative prescriptions mean that women continue to face strong pressures from families to get married to men and have children« (Blackwood 2005: 230). Solch normative Erwartungen bezüglich Treue gelten weniger für Männer. Die größeren Rechte von Männern bezüglich ihrer Sexualität finden Unterstützung im Koran, der Männern das Recht zuspricht, polygame Ehen einzugehen. Auch wenn es das 1974 eingeführte Ehegesetz für Männer schwieriger macht, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, wird es vom Staat geschützt. Frauen hingegen müssen treue Ehefrauen sein, und voreheliche sexuelle Kontakte sind ihnen untersagt (vgl. ebd.: 231 und Suryakusuma 1996). Islamische Diskurse konstatieren Männer als rationaler und vernünftiger als Frauen, die durch ihre stärkere Triebhaftigkeit und größere Lust verletzlich seien und so einem männlichen Schutz unterstehen müssten (vgl. Hefner/Horvatich 1997, Peletz 1996, 2002, Whalley 1998, Blackburn/ Smith/Syamsiyatun 2008: 12). »Dominant Indonesian and local discourses on sexuality usually describe women as both temptresses who must be controlled, and as wives whose purposes is to reproduce healthy citizens and satisfy their husbands. The sexual expectations of Muslim women are tied into local cultural (adat) beliefs and practices and state and Islamic discourses which inform women of their role as mothers, wives and reproductive citizens.« (Blackburn/Smith/Syamsiyatun 2008: 12)

Regulierungen, die auf die Verhüllung und Verschleierung sowie auf die Regulation des Verhaltens von Frauen abzielen, dienten dieser Logik zufolge einerseits ihrem eigenen Schutz vor ihrer »Triebgesteuertheit« wie auch andererseits dem Schutz der Männer, die von dem nafsu175 (sexuelle Lust) der Frauen infiziert werden könnten. Auch in dem Bewusstsein der jungen Frauen in Makassar ist diese Annahme fest verankert und wird auf die Fragen nach Genderdifferenzen bezüglich sexueller Lust dementsprechend expliziert. Frauen werden dabei als triebgesteuert und Männer als Opfer des weiblichen nafsu angesehen, das zum Schutz der Männer sowohl behavioristisch (durch weibliche Schüchternheit, Passivität und Keuschheit) als auch durch äußere Maßnahmen (wie Verdecken des weiblichen Körpers, Verortung von Frauen in der häuslichen Sphäre, etc.) kontrolliert werden müsse. Frauen seien so der ständigen Selbstkontrolle ihres Verhaltens verpflichtet.

fräulichen Status bei Eintritt der Ehe, sondern auch deswegen, da sie dies potentiell als »Strafe« Gottes konzipierte. 175 Der Begriff stammt aus dem Arabischen, ist aber auch im Indonesischen ein geläufiges Wort.

206 | L IEBE IN I NDONESIEN Rachma: Die Frauen müssen sie [nafsu – sexuelle Lust] kontrollieren können, weil die Frauen damit anfangen. Frauen machen Männern sexuelle Lust [nafsu]. Nicht die Männer machen sexuelle Lust [gemeint ist: sie haben von sich aus sexuelle Lust], sondern es sind die Frauen, die sie locken [ködern]. Die Männer sind die Opfer. Also wenn ich ihn küsse, dann steigt seine sexuelle Lust sicher an [in dem Sinne gemeint, dass man dies als Frau nicht tun darf].

Da Frauen generell in den privaten Sphären des Haushaltes lokalisiert werden, gilt es vor allem am Abend für Frauen als nicht akzeptiert, sich alleine in öffentlichen Räumen zu bewegen. »In the cities, women who are out on the streets by themselves or in public places such as bars or discos are immediately assumed to be prostitutes or low-class women […].« (Blackwood 2005: 231)

Während die jungen Frauen tagsüber oft in Gruppen unterwegs sind, müssen sie abends von Männern begleitet werden, um ihren sozialen Ruf zu schützen und um nicht als »leichte Mädchen« betrachtet zu werden176. Nicht nur Orte werden als männlich konstruiert, sondern auch Verhaltensweisen wie Rauchen und das Trinken von Alkohol177. Tut dies eine Frau, wird diese als nakal (BI = frech, ungezogen) bezeichnet, was sie semantisch in die Nähe von Prostituierten rückt, wird doch perempuan nakal (BI = freche/ungezogene Frauen/Mädchen) auch als Ausdruck für Prostituierte verwendet. In Gesprächen über Prostituierte wurde beispielsweise die Geste des Rauchens nachgeahmt, um das Thema des Gesprächs körpersprachlich zu unterstützen. Frauen, die heimlich mit mir eine Zigarette rauchten, kommentierten dies oft (jedoch mit ein wenig Stolz in der Stimme) mit Aduh, saya sudah nakal sekali (»Oje, ich bin schon ganz ungezogen«). Das Trinken von Alkohol ist für junge Frauen noch verpönter. Rauchen und das Trinken von Alkohol gilt als nakal (ungezogen und unangemessen), was mit Annahmen über eine »unreine Sexualität« in Verbindung gebracht wird. In dem Alltag der jungen Frauen spielt der Islam eine große Rolle. Sie nahmen seit klein auf an religiösen Praktiken teil, lernten in der Schule die Inhalte des Korans, gingen gelegentlich mit in die Moscheen zum Beten, und auch heutzutage beten viele der jungen Frauen, wenn auch nicht fünf Mal am Tag, dennoch regelmäßig. Zudem nehmen sie spätestens seit der

176 Wie bereits öfter angesprochen macht es dies für junge unverheiratete Frauen in Makassar notwendig, einen oder mehrere Freund(e) zu haben, der/die sie zur Abendgestaltung ausführt/ausführen. 177 Obwohl dies generell vom Islam verboten ist, konsumieren viele, besonders junge Männer, am Wochenende an Orten wie Bars und in Clubs Alkohol. Fragt man sie in solchen Kontexten nach ihrer Religion, wird einem oft entgegnet Islam KTP, was soviel bedeutet wie »Islam auf dem Pass«.

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Pubertät am Ramadan teil. Islamische Feste haben einen großen Stellenwert, der Ehepartner muss derselben Religion entstammen178, und nach der Ehe halten sich viele an islamische Ratgeber-Bücher, wie man dem Koran zufolge eine gute Ehefrau und Mutter sei179. Auch wenn es nicht danach aussieht, dass sich Indonesien zu einem religiösen Staat entwickeln wird, ist der wachsende Einfluss von islamischen Prinzipien in Auslegungen, die sich am »arabischen Islam« orientieren, sowohl in gesellschaftlichen Diskursen als auch in der Staatspolitik deutlich spürbar. Sie bestimmen zunehmend die Diskurse von Menschen über Geschlechterbeziehungen und -rollen und Sexualität.

6.

(R OMANTISCHE ) L IEBE ALS UMKÄMPFTES B EDEUTUNGSFELD

Trotz der größeren Handlungsfreiheit der jungen Frauen in dem städtischen Umfeld, der Konfrontation mit als modern etikettierten Beziehungsdiskursen (»Liebesehen«, »romantische Liebe«, »Daten«, etc.) und abweichenden sozialen Liebespraktiken sind kulturelle Werte und Normen und Konzepte für die Narrationen ihrer Liebesgefühle und -geschichten weiterhin sehr zentral. Die Frauen verwenden diese nicht nur dazu, um Liebesbeziehungen zu narrativieren und erklären, sondern auf ihrer Basis wird subjektives Erleben auch interpretiert. Sie haben darüber hinaus sicherlich auch Einfluss auf das Erleben selbst. Die kulturellen Verhaltensnormen und Liebeskonzepte spielen zentrale Rollen auch für die Identitätskonstruktionen der Frauen. Auch wenn diese Diskurse und Konzepte von »Tradition«, »Staat« und »Islam« miteinander verknüpft sind, werden sie von den Frauen als kulturelle Traditionen der Bugis Kultur zugeschrieben. Zentral bleiben das kulturell höchst elaborierte Konzept der Scham/Ehre (BI =malu, BB = siri’), die Tabuisierung der direkten sprachlichen Artikulation von zwischengeschlechtlichen Liebesgefühlen und Liebesbeziehungen, Verhaltensnormen, die Frauen eine Passivität in Interaktion mit Männern zuschreiben, das Konzept von Liebesmagie (pelet cinta), die Annahme, Gefühle könnten durch rationale Erwägungen gesteuert werden, die Zentralität sexueller Keuschheit vor der Ehe, die Vorstellung eines von Gott erwählten Lebenspartners (jodoh), die Bedeutung sozio-ökonomischer Erwägungen für

178 Der Islam schreibt fest, dass muslimische Frauen nur muslimische Männer heiraten dürfen, während Männer auch nicht-muslimische Frauen ehelichen können, da die Religion im Islam als über den Vater vererbt gedacht wird (vgl. Blackburn 2008: 83 und vgl. Fußnote 115). 179 Vgl. hierzu das Fallbeispiel von Indri in Kapitel B.III.7.1, die nach ihrer Ehe solche Ratgeberliteratur zurate zieht, um zu lernen, dem Islam zufolge eine gute Ehefrau zu sein.

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die Wahl eines Ehepartners, etc. Die Genderideologien des Nationalstaates und des Islam, die Frauen im Sinne ihres kodrat primär als Ehefrauen und Mütter definieren, bleiben zentral und werden als Teil ihrer Tradition angesehen: Dementsprechend stellt das Ziel der Ehe überhaupt erst die Legitimation für pacaran – ihre vorehelichen Beziehungen zu Männern – dar. Überlegungen bezüglich eines geeigneten Ehepartners spielen in vorehelichen Beziehungen eine große Rolle. Die zentralen Ängste junger Frauen betreffen ihr potentielles Scheitern, in einem angemessenen, sozial erwünschten Alter einen Ehemann zu finden. Gleichzeitig spielen moderne Diskurse einer Gleichstellung der Geschlechter auch bei ihnen eine Rolle. Junge Frauen betonen die erwünschte Unabhängigkeit einer Frau mittels einer eigenen Karriere. Sie möchten selbst, auch nach einer Heirat, arbeiten gehen, wobei sie dieses Ziel aber ihrem Status als Ehefrau und Mutter nachstellen. Generell wird angenommen, dass Ehe und weibliche Arbeitstätigkeit miteinander kompatibel seien und eine moderne Ehegemeinschaft ausmachen. Diese sich teils widersprechenden Diskurse – die Frau als karrierestrebende und gleichzeitig als dem Ehemann dienende und folgende Hausfrau – werden dabei jedoch nicht als widersprüchlich verstanden. Die narrative Abgrenzung zu einem Dritten, dem »Westen«, dient dabei dazu, diese Widersprüche narrativ aufzulösen. Dabei wird eine zentrale Differenz zwischen westlichen unabhängigen und indonesischen unabhängigen Frauen aufgezogen. Westliche Frauen seien ihren Ehemännern gegenüber gleichgültig, würden ihre Pflichten im Haushalt nicht ernst nehmen und den Wünschen des Ehemannes nicht selbstlos entsprechen. Indonesische, auch unabhängige Frauen hingegen würden sich um ihre Männer trotz Berufstätigkeit kümmern, sie umsorgen, ihnen Essen kochen, etc. Einige Frauen begründeten darüber auch das von ihnen wahrgenommene starke Interesse westlicher Männer an indonesischen Frauen: Die indonesischen Frauen würden sich – von ihrer »weiblichen Natur noch nicht degeneriert« – liebevoller und warmherziger um Männer kümmern als selbstbezogene, egoistische, westliche Frauen. Bei Männern gelten Frauen, die als zu modern oder zu unabhängig angesehen werden, als wenig beliebt und nicht als Ehefrauen geeignet. Aus diesem Grund heiraten viele Männer nicht ihre pacar (ihre Freundinnen), sondern suchen sich »gefügigere« Ehefrauen. Eine finanziell unabhängige und karriereorientierte Frau mit einer starken eigenen Meinung, die dem »männlichen« Wort nicht folgt, wird damit als subversiv angesehen180. Diese öffentliche Meinung wirkt verhaltensregulierend auf die jungen Frauen, denn sie wollen nicht als zu moderne, egoistische Frauen

180 Vgl. hierzu auch Heris Gründe, seine unabhängige Ex-Freundin nicht geheiratet zu haben in Kapitel B.III.7.2. Vgl. auch Kapitel B.III.3.4.3 zu dem auch in Fernsehtexten inszenierten negativen Bild solcher karriereorientierten, unabhängigen Frauen.

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wahrgenommen werden. Feby beschreibt diesen Typ von Frau ganz generell als »nicht zu Liebe fähig« und sexuell promiskuitiv181. Verf.: Wie kannst Du Frauen, die nur mit Männern »spielen« [main-main] [beinhaltet sexuelle Konnotationen], von solchen unterscheiden, die es ernst meinen? Feby: Wie beispielsweise Imelda, sie ist ein Typ von Frau, die keinen Menschen lieben kann, das kann man an ihrem Verhalten sehen, sie ist zu beschäftigt mit ihrer Arbeit. Vielleicht denkt sie, dass sie in der Zukunft unabhängig sein kann, ohne von einem Mann abhängig zu sein. Verf.: Unabhängige Frauen sind also vom Typ Mensch, der mit Männern spielt? Feby: Ja, vielleicht hat sie einen solchen Charakter, dass sie nicht von einem Mann abhängig sein möchte, sie möchte nicht angeleitet werden. So kann sie ganz einfach irgendeinen Mann wählen, den man wählen kann, weil sie viel Geld hat.

Unabhängigkeit, Arbeit und Geld von Frauen werden hier direkt mit ihrer sexuellen Ungezügeltheit korreliert. Dieses stark elaborierte negativ konnotierte Frauenbild der »reichen, unabhängigen, sexuell promiskuitiven bad woman« lässt sich auch sehr häufig als Stereotyp in indonesischen populärkulturellen Texten finden (vgl. hierzu Kapitel B.III.3.4.3). Junge Frauen versuchen, sich davon narrativ stets abzugrenzen. Es wird deutlich, dass sich Konzepte und Annahmen des kulturell Eigenen in Konfrontation mit Annahmen über den Westen, mit westlichen Liebesfiktionen wie auch mit der Wahrnehmung von als westlich konzipiertem Verhalten zusätzlich ausdifferenzieren und konturieren. Die Scham/Ehre, die sexuelle Keuschheit und die weibliche Passivität im Umgang mit Männern der Bugis/Indonesier (je nach Differenzmatrix) werden dabei als zentrale Differenzmarker zum »schamlosen Westen« konstruiert. Beschreibungen, dass rationale Gründe für die Partnerwahl zentral und richtig seien, stellen westliche Liebessemantiken und daran geknüpftes individuelles Verhalten a priori außerhalb von kultureller Legitimität. Die Entwicklung des neuen Konzepts over – als kulturelle Grenzen übertretenes Verhalten – entspringt als logische Konsequenz der Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Semantiken und Diskurse. Doch das Fernsehen, das alternative Bilder und Konzepte von romantischer Liebe und Partnerschaft präsentiert, wird mit der Teilnahme an einer begehrten Modernität in Verbindung gebracht. Massenmedien sind Schlüs-

181 Vgl. hierzu auch Novis Einschätzung der neuen Freundin ihres Exfreundes Feby in Kapitel B.III.7.3.

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selmedien, durch die junge Menschen mit »Modernität« interagieren, die außerhalb ihrer lokalen Realitäten liegt. Der Zugang zum Fernsehen, Internet, Kino, Radio, etc. ist höchst gefragt und reflektiert das intensive Begehren der lokalen Jugend, modernere Lebensstile anzunehmen (Bennett 2005: 7). Interessant dabei ist, dass das Streben nach einer »romantische Liebe« beinhaltenden »modernen« sozialen Alltagspraxis bei jungen Frauen von einigen genau über traditionelle Konzepte wie das Bugis-typische Streben nach Prestige und das elaborierte siri’/malu-Konzept erklärt wird. Regina: Ja, ich denke, dass, wenn sie bereits nach Makassar gekommen sind, der Konflikt ganz besonders stark wird, weil das auf dem Land sehr tabuisiert ist, und wenn sie hier herkommen, ist es hier bereits halb vermischt mit der Kultur von Außen, deswegen denke ich, sie werden sich selbst anpassen, denn falls nicht, werden sie zum Gespött. Also denken sie vielleicht, ich kann das auch, weil ihr Ego möglicherweise zu groß ist, und sie können das auch, aber sie können sich selbst nicht mehr kontrollieren, weil sie bereits die Normen, die es gibt, vergessen haben, also können sie zu over in dem Folgen der Kultur von Außen sein, bis sie fallen können, weil sie die Kultur der Bugis vergessen haben. Also, wenn es etwas Gutes ist, sollte man es [das moderne Leben] verfolgen, aber vom Schlechten sollte man bloß nicht zu viel übernehmen, also muss man ein wenig [an den Traditionen] festhalten, damit man das ausbalancieren kann. Ich selbst kann es ausbalancieren. Aber es kann auch sein, dass ich später auch Fehler mache. Meiner Meinung nach ist es nicht so gut, wenn man sich zu oft mit seinem Freund trifft und mit ihm zusammen ist, weil es zu over ist, da kann viel passieren wie schwanger werden oder so etwas Ähnliches.

»Modernität« und »romantische Liebe« werden so selbst zu Prestigeobjekten in der Bugis Kultur, und junge Frauen schämen sich (sind siri’/malu), wenn sie nicht als modern verstanden werden. Andererseits kann ein überzogenes, zu »westlich beeinflusstes« over Verhalten als Gefährdung der Bugis Kultur verstanden werden und zu einer negativen Evaluierung der Handelnden führen, woraus wiederum Scham (siri’/malu) resultiert. In diesem Sinne wird die oft konstruierte Differenz zwischen »Modernität« und »Tradition« aufgelöst. Gerade die Kombination beider Lebensstile wird so gemäß zentralen kulturellen Bugis Konzepten erwünscht und wird als einzig legitime Form von praxeologischer Modernität in Makassar verstanden. Die Modernität junger Menschen ist so genauso Teil ihrer Tradition, wie auch die Tradition Teil ihrer Modernität ist.

III

Zur Rezeption romantischer Fiktionen

Das folgende Kapitel behandelt die Rezeption182 der diversen Liebesgeschichten und -semantiken durch die jungen Frauen, die sie tagtäglich als zentralen Bestandteil ihres sozialen Alltagslebens im indonesischen Fernsehen verfolgen. Dabei stehen insbesondere die sich situativ wandelnden Konstruktionen vom Eigenen und Fremden im Liebesdiskurs im Vordergrund, über die sie Identitäten konstruieren. Die Konstruktionen vom Eigenen und vom Fremden werden vor allem in den kollektiven Rezeptions- und Diskussionszusammenhängen der TV-Rezeption durch die jungen Frauen ausgehandelt. Die Fernsehrezeption bietet den jungen Frauen die Möglichkeit, sowohl kollektiv als auch ganz individuell sonst tabuisierte Liebesthemen zu diskutieren und zu artikulieren. Sie stellt so einen zentralen sozialen Artikulationsraum für sonst tabuisierte Gefühle und Erfahrungen dar. In diesem Kapitel sollen zunächst die verschiedenen, aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten kommenden Fernsehformate vorgestellt und ihre typologisierten Inhalte umrissen werden. Fragen nach der Konstruktion vom Eigenen und vom Fremden stellen sich hier nicht nur bezüglich der tatsächlichen Herkunft der Medientexte, sondern auch der Kategorisierung durch die jungen Frauen. Diese bewerten einige Formate als kulturell fremd und moralisch unangemessen und andere Formate als »indonesischen« Moralvorstellungen angemessen. Um den Rezeptionsprozess in seiner Ambivalenz

182 Hierbei verstehe ich Rezeption gemäß meinen theoretischen Entwicklungen in Kapitel A.II.5 als offenen Begriff, der alle kommunikativen, aber auch nichtkommunikativen Situationen mit einbezieht, bei denen soziale Subjekte sich auf Medientexte oder Versatzstücke medialer Bedeutungen implizit und explizit beziehen, um Bedeutungen oder Erklärungen für eigenes Verhalten zu konstruieren oder ihnen auf Basis kultureller Diskurse oder persönlicher Erfahrungen Bedeutungen zu zuschreiben. Rezeption wird nicht als stabile Bedeutungsfixierung angesehen, sondern prozessual als alle Bereiche durchziehende kulturelle Konstruktionsleistung, die einen zentralen Teil des sozialen Alltags von Menschen ausmacht. Sie kann demzufolge sehr widersprüchliche, situativ changierende Bedeutungskonstruktionen beinhalten und zur Basis ganz unterschiedlicher Identitätskonstruktionen werden.

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und Vieldeutigkeit genauer zu beleuchten, werde ich in Kapitel B.III.5 anhand meines empirischen Materials der Frage nach dem von den jungen Frauen konzipierten Verhältnis zwischen Realität und Fiktion nachgehen. In ihren Erzählungen heben sich die Grenzen zwischen den fiktiven Liebesgeschichten und eigenen Erlebnissen und Erfahrungen zum Teil auf. Bei der Analyse der Rezeptionssituation und der Auswertung der Interviews zeigt sich, dass sich zwei Ebenen der Rezeption – die kollektive Diskussion der Inhalte und die individuelle, stille Rezeption – voneinander unterscheiden lassen, die in Kapitel B.III.6 hinsichtlich ihrer sozialen und subjektiven Funktionen nochmals zusammengefasst werden sollen. Sind diese beiden Ebenen im Rezeptionsprozess voneinander untrennbar und weisen sie gegenseitige interrelationale Wechselwirkungen auf, besitzt diese Trennung so lediglich einen der schriftlichen Form geschuldeten analytischen Charakter. Bei der kollektiven Rezeption der Liebesgeschichten, die, wie man sehen wird, primär auf eine Affirmation kultureller Werte und Normen abzielt, werden kollektive Identitätskonstruktionen der Frauen besonders deutlich. Es geht dabei um die Bestimmung einer eigenen Kultur in Differenz zu einem jeweils different situierten Anderen (oft »der Westen«183). Die individuelle, meist nicht-artikulierte Ebene der Rezeption erlaubt die Sinngenerierung für Erfahrungen und emotionale Erlebnisse, die außerhalb dieser Konstruktion des kulturell Angemessenen stehen, die »kulturelle Grenzen« überschreiten und sogar als subversiv gelten. Hierbei stehen das emotionale Mitfühlen und individuelle Gefühle und Erfahrungen stärker im Vordergrund. Es werden dabei Fragen gestellt wie: Inwieweit fühlen die jungen Frauen mit den Protagonisten mit, inwiefern ziehen sie Parallelen zwischen den Filmemotionen und dem eigenen emotionalen Erleben? Inwieweit dienen ihnen mediale Gefühlsinszenierungen zur Sinnkonstitution für eigene Gefühle? Wie positionieren sie sich persönlich zum kollektiv abgewerteten Verhalten, das dem Fremden zugeschrieben wird und als kulturell inakzeptabel gilt? Der Logik zufolge, dass die Grenzen zwischen den Mediengeschichten und den eigenen Geschichten als »blurred boundaries« aufweichen und die Sinnkonstituierung für eigene emotionale Erfahrungen nur in einem komplexen Wechselverhältnis möglich wird, folgen danach Fallbeispiele autobiographischer Liebesgeschichten der jungen Frauen selbst, die die Ergebnisse der Arbeit veranschaulichen sollen.

183 Da das Verständnis des Westens selbst einer situativen Konstruktion der Frauen unterliegt, werden hier Anführungszeichen verwendet. Wie sich zeigen wird, wird auf den Westen unterschiedlich referiert. Gemein ist diesen Konstruktionen, dass er für das bezeichnet wird, was nicht einem angemessenen »indonesischen Verhalten« entspricht, das wiederum einer situativen Konstruktion unterliegt.

ZUR REZEPTION ROMANTISCHER FIKTIONEN | 213

1.

Z UR K ONTEXTUALISIERUNG DES SPEZIFISCHEN R EZEPTIONSFELDES

Im asrama spielt das Fernsehschauen eine zentrale Rolle im Leben der jungen Frauen. Neben Freizeitbeschäftigungen außerhalb des asrama wie dem Flanieren in der Mall, dem sehr seltenen Besuch eines Kinos oder aber dem gemeinsamen Ausgehen mit ihren Freunden, ist das Fernsehschauen die zentrale Aktivität der jungen Frauen. Im asrama gab184 es zu Anfang meiner Forschung zwei Fernseher, einen im gemeinsamen Flur bzw. Wohnraum und einen im Hinterhaus in einem der privaten Zimmer. Die meisten der jungen Frauen schauten im gemeinsamen Wohnraum, einige der jungen Frauen des Hinterhauses versammelten sich dort. Zum Ende meiner Forschung 2006 hin erwarb eine der asramaBewohnerinnen des Vorderhauses den gebrauchten Fernseher einer Freundin, den sie in ihrem Zimmer aufstellte. Daraufhin verlagerte sich meist die gesamte Gruppe von Frauen, die zuvor im Wohnzimmer ferngesehen hatten, in ihr Zimmer, da dies aufgrund der dort liegenden Matratzen und einem besseren Schutz vor Insekten als gemütlicher und angenehmer galt. Der Rezeptionskontext des Fernsehschauens war stets ein kollektiver. Da die unterschiedlichen jungen Frauen verschiedene Interessen hatten, wurde oft – meistens in den Werbepausen – zwischen den Programmen umgeschaltet. Das Fernsehschauen wurde begleitet von ständigen Gesprächen der Frauen, oft über die Filme und Serien selbst, oder es ergaben sich, von diesen angeregt, auch Klatsch-Gespräche über Bekannte und Freunde. Zum Teil redeten die Frauen auch über völlig andere Themen, während sie die TV-Sendungen nicht ernsthaft verfolgten. Frauen, die die laufenden Sendungen aktiver verfolgten, ermahnten die anderen, welche sich zum Teil lautstark über andere Themen unterhielten, ruhiger zu sein. Der Fernseher lief meist den ganzen Tag nur mit kleinen Pausen. Abends schauten die jungen Frauen regelmäßig zusammen. Tagsüber wechselte das »Publikum« stark und war weniger kontinuierlich. Das Fernsehschauen war oft eine Nebenbeschäftigung zu anderen Tätigkeiten wie das Anfertigen von Hausaufgaben, Lernen, Essen, Lesen oder Sich- Unterhalten. Tagsüber war der Fernseher während der täglichen Alltagsbeschäftigungen für einige der Frauen nur ein summendes Hintergrundbild, das gelegentlich die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich zog, jedoch nicht fokussiert beachtet wurde. Der Wohnraum, in dem die meisten der jungen Frauen gemeinsam Fernsehen schauten, war unmöbliert und nur mit einem Teppichboden ausgelegt.

184 Der hier getroffene Tempus-Wechsel dient dazu, die konkrete Fernsehsituation genau für die Zeit meiner Forschung zu bestimmen und nicht die Annahme entstehen zu lassen, diese sei über die Zeit hinweg bis heute beständig dieselbe geblieben, sind doch auch einige der Frauen derzeit gar nicht mehr Bewohnerinnen des asrama.

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Die jungen Frauen versammelten sich auf dem Boden sitzend oder liegend um den Fernseher herum. Die zentralen Handlungen waren auf den Fernseher als Gegenstand ausgerichtet. Es gab kein weiteres Inventar, das den Blick zum Fernseher ablenkte. Auch das andere Kommunikationsmedium, das Telefon, war neben dem Fernseher aufgebaut, sodass bei Anrufen kaum größere Bewegungs- und Ortsveränderungen stattfanden. Die Gespräche fanden oft in Anwesenheit der anderen und während des Fernsehschauens statt, bei persönlicheren Gesprächen zog sich die Telefonierende in eines der anliegenden Zimmer zurück, was von den anderen oft lachend kommentiert wurde – im Bewusstsein, dass es sich wahrscheinlich um private Gespräche mit einem Mann handelte. Der Fernsehempfang erfolgte über eine Außenantenne, wodurch die jungen Frauen die wichtigsten, nationalen Fernsehsender wie TVRI, RCTI, SCTV, ANTV, Indosiar, Metro TV, Trans TV, Trans 7 und TPI wie auch den lokalen Fernsehsender Makassar TV empfingen. Das Bild war jedoch durch den Antennenempfang oft schlecht. Zusätzlich zu den Bildstörungen gab es zur Zeit meiner Forschung in Makassar oft – fast täglich – Stromausfälle. So kam es häufig zu ungewollten, oft mehrstündigen Unterbrechungen. Der Ausfall des Fernsehbildes wurde jedoch mit einer der Gewohnheit entspringenden Gelassenheit genommen. Angst, deswegen etwas zu verpassen, wurde nicht geäußert185. Die Festlegung, welche Sendungen kollektiv geschaut wurden, lief meistens unkontrolliert ab. Eine der jungen Frauen hatte dabei die Fernbedienung in der Hand und schaltete durch die Programme, bis eine Sendung ihr und/oder das kollektive Interesse weckte. Es gab jedoch auch Sendungen, die regelmäßig verfolgt wurden. Meistens teilten sich dabei Rezeptionsgruppen nach den jeweiligen Interessen auf, da die Sendungen zur primetime oft parallel liefen. Eine Gruppe von Frauen schaute dabei im gemeinsamen Wohnraum die eine beliebte Serie und eine andere Gruppe in einem Zimmer einer der Bewohnerinnen eine andere. Das waren beispielsweise am Abend die beliebten, um das Thema romantischer Liebesbeziehungen und daraus resultierender Familienkonflikte zentrierten sinetron (die indonesischen Soap-Operas) Impian Cinderella, Pink, Bintang und Cinta Fitri, die konsequent von den asrama-Bewohnerinnen verfolgt wurden. Bei Werbepausen wurde auf die jeweils andere, parallel laufende sinetron umgeschaltet, jedoch immer wieder zu dem Ausgangsprogramm zurückgekehrt, sofern keine emotional erhöhten Szenen in den anderen Sendungen ihre Aufmerksamkeit dort verharren ließen. Die Inhalte dieser Abendserien stellten ein

185 Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass sich das TV-Programm in seinen redundanten und immer wieder kehrenden Strukturen stets wiederholt, wie auch daran, dass sich die sinetron-Geschichten in entscheidendem Maße ähneln und ein Verpassen einzelner Folgen nicht entscheidend für das Verständnis der weiteren Entwicklung der Geschichte ist, wie dies auch generell in Soap-OperaStrukturen angelegt ist.

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kollektiv geteiltes Wissen dar. Die jungen Frauen waren stets über aktuelle Handlungsentwicklungen in den sinetron informiert. Sie besprachen den Fortgang der Geschichte und spekulierten über die potentielle Entwicklung der Geschichten – nicht nur innerhalb der Fernsehgemeinschaft, sondern auch mit Freunden und Bekannten bei der Arbeit, auf dem Campus, auf dem Markt, etc. Tagsüber dominierten sogenannte infotainment-Programme (Klatsch-Programme über öffentliche Personen in Indonesien und ihre persönlichen Geschichten, meist SchauspielerInnen und/oder SängerInnen) das indonesische Fernsehprogramm, versetzt mit Bollywoodfilmen, telenovelas, film Mandarin und Nachrichten. Abends liefen dann vor allem die beliebtesten sinetron und später, meist nach 23 Uhr abends, auch westliche Serien und westliche Filme (im Fernsehen vorwiegend Action-Filme). Die Rezeption der sinetron und infotainment-Programme schien besonders zentral für die Frauen zu sein. Sie waren stets auf dem aktuellen Stand der neuesten Entwicklungen und konnten über die neuesten Liebesgeschichten, Hochzeiten, Scheidungen und sonstigen melodramatischen Vorfälle mitreden und mitfiebern. Dies wurde auch als Bedürfnis kommuniziert: Man müsse mitreden können, um sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, welche sich über das geteilte Wissen und die intersubjektive Kommunikation darüber konstituiert. Die ebenso beliebten südamerikanischen telenovelas wie beispielsweise Maria Mercedes waren zu der Zeit meiner Forschung wenig im indonesischen Fernsehen vertreten, aber Berichte über das favorisierte Fernsehverhalten zogen diese immer wieder in ihre Beschreibungen als sehr populär mit ein, auch wenn ihre Präsenz im indonesischen Fernsehen zugunsten von film Mandarin abgenommen hatte. Diese vor allem aus Korea, Taiwan oder Hongkong stammenden Serien, auf die meist als film Mandarin oder sinetron Korea referiert wurde186, waren bei den jungen Frauen sehr beliebt. Sie galten als romantisch, modern und hinsichtlich ihrer implizierten Moralvorstellungen dem »indonesischen Brauchtum« angemessen. Asiatische Serien (aus z. B. Taiwan, Hongkong, Korea) wurden auch oft als Vorlage für indonesische Adaptionen verwendet. Spekulationen darüber, welche Serien als Vorlage für welche indonesischen seriellen Geschichten verwendet wurden, waren stets ein großes Diskussionsthema. Das Fernsehwissen hierbei war sehr groß, und jeder konnte Serien aufzählen, die Plagiate von anderen ausländischen Sendungen (dazu gehören auch im Rahmen indonesischer Feature-Filme Bollywoodfilme als Vorlagen) darstellten. Westliche Sendungen und Filme dahingegen würden entsprechend weniger adaptiert, da sie weniger cocok (BI = passend, angemessen) für den indonesischen Kontext seien und sich dementsprechend weniger gut in eine indonesische Logik überführen ließen. Im indonesischen Fernsehen liefen vor allem auf ANTV und Me-

186 Die Herkunftsländer werden in Gesprächen über diese Serien stets vermischt. Sie werden als film Korea oder film Mandarin bezeichnet.

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tro westliche Filme. Meistens handelte es sich dabei um Action-Filme187, die aufgrund ihres hohen technischen Niveaus sehr gelobt wurden. Westliche Serien oder Filme wurden generell zu späterer Stunde, ca. ab 23 Uhr abends, ausgestrahlt, vor allem dann, wenn es um »moralisch ambivalente« Liebesbeziehungen ging. Neben den zensorischen Maßnahmen, die die Verbreitung westlicher Filme und Serien im indonesischen Fernsehen einschränken, ist ihre Ausstrahlung auch ein ökonomisches Problem. Im Vergleich zu indischen, koreanischen, japanischen und südamerikanischen Produkten sind die Einkaufspreise für diese sehr viel höher. Indonesische Filme wurden meist im Kino angeschaut. Besonders populär waren dabei Liebesdramen und Horrorfilme. Dennoch wurden diese Filme auch im Fernsehen wiederholt und waren auf VCD überall erhältlich. Die jungen Frauen gingen oft ins Kino, meist wurden sie von ihren männlichen Freunden dazu eingeladen. Filme auf VCD oder DVD wurden nicht geschaut, da im asrama ein entsprechender Player fehlte. Nur einige der jungen Frauen schauten von Freunden geliehene Filme, gelegentlich auf dem Computer des asrama oder bei Freunden, die einen entsprechenden Player besaßen. Warum spielt188 nun das Fernsehen eine solch große Rolle bei den jungen Frauen? Neben seiner Omnipräsenz in der indonesischen Gesellschaft ist das indonesische Fernsehen bei der Etablierung und Bereitstellung unterschiedlicher Diskurse vor allem auf dem Feld der Liebesbeziehungen und einhergehenden Semantiken besonders für junge, unverheiratete Frauen in größeren Städten in Süd-Sulawesi aus zwei Gründen von zentraler Bedeutung: Zunächst einmal ist aufgrund der kulturellen Trennung öffentlicher und privater Sphäre gemäß den Geschlechtern der öffentliche Raum für junge, unverheiratete Frauen ein beschränkter. Außerhalb ihrer Arbeit und Ausbildung gilt das Haus immer noch als der angemessene Ort ihres Daseins und Schaffens. Angemessen ist es, ihre Aufgaben im Haus zu erledigen, zu kochen, Wäsche zu waschen, zu beten und sich nicht in der Öffentlichkeit mit Vertretern des anderen Geschlechts »herumzutreiben«. Bekommen Sie Besuch von Männern, sollte dies im öffentlich zugänglichen Wohnraum unter der Aufsicht und Kontrolle des Kollektivs des Haushaltes geschehen. Gleichzeitig ist der Besuch von Männern zeitlich beschränkt, am späten Abend gilt dies als unangemessen, und es gibt öffentliche Beschwer-

187 Action-Filme galten trotz der Gewaltdarstellungen als moralisch weniger anstößig als Filme, die ein Liebesthema beinhalten und potentiell offenere zwischengeschlechtliche Praxen zeigen. Gewaltdarstellungen wurden allseits genossen und als relativ unproblematisch angesehen. Darauf deutet auch die große Anzahl an Horrorfilmen, die in letzter Zeit die indonesisch produzierte Filmlandschaft dominieren. 188 Es erfolgt hier, zugunsten der Leserfreundlichkeit, erneut ein Tempuswechsel ins ethnographische Präsenz, zumal es hier um allgemeinere Erkenntnisse geht, die von der konkreten Forschungssituation losgelöster zu betrachten sind.

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den von Nachbarn, die dies an den örtlichen Vorsteher des Viertels melden. Junge, unverheiratete Frauen haben so ein beschränktes Wirkungsfeld. Auch wenn in den Städten damit freier umgegangen wird, kann ein zu öffentliches und freies Interagieren in öffentlichen Räumen mit dem anderen Geschlecht ihren Ruf schädigen und zu Klatsch in der Nachbarschaft führen. Vor allem nach Einbruch der Dunkelheit ist das freie Bewegen junger Frauen ohne die Kontrolle männlicher Bezugspersonen (z. B. Verwandter) kulturell verpönt. So stellen die gemeinsamen abendlichen Ausflüge mit dem Freund bereits ein Risiko für den Ruf einer jungen Frau dar. Freizeitbeschäftigungen wie Kino, Shoppen und Essen in den Malls der Stadt waren für meine Forschungssubjekte auch finanziell nicht möglich. Dementsprechend verbringen die Frauen den Großteil ihrer Freizeit zu Hause, wo der Fernseher rund um die Uhr läuft. Fernsehschauen wird zur zentralen Freizeitaktivität junger Frauen in Makassar. Über das Fernsehschauen können sie an den fiktiven Welten des gehobenen Mittelklassenlebens teilnehmen. Sie partizipieren an Traumwelten von Konsum, offenen zwischengeschlechtlichen Beziehungen, westlichem Leben, dem Leben der Stars, etc. Aber nicht nur wegen seiner Angebundenheit an die häusliche Umgebung und seinen Unterhaltungsfunktionen ist das Fernsehen von zentralem Interesse für die jungen Frauen. Sie selbst sehen den Fernsehapparat als Fenster zur Welt an, durch welches ihnen Informationen und Bilder zugänglich werden, die außerhalb ihrer eigenen erfahrbaren Lebenswelt liegen. Es wird so auch zu einem Instrumentarium, über welches sie mehr über die Welt außerhalb ihrer eigenen kulturellen Grenzen erfahren können. Sie, die sich selbst als moderne junge Frauen verstehen, fühlen sich über die soziale Praxis des Fernsehens mit der »modernen« Welt imaginativ verbunden. Zentral ist dabei für sie, Informationen zu bekommen, die ihnen in ihrem eigenen Lebenskontext schwer zugänglich sind oder über die sie außerhalb der fiktiven Welten der Unterhaltungsindustrie nicht offen sprechen dürfen. Das sind neben begehrten Informationen über voreheliche (Liebes-)Beziehungen und Sex (auch im Sinne von Aufklärung/Sexualkunde) auch solche über das Leben in Jakarta als moderne Metropole, die bereits als verwestlicht gilt, und über den Westen an sich sowie die Beziehungsdiskurse und -umgangsformen in diesen Lebensräumen. Da in der Bugis Kultur auch unter den engsten Freunden nicht über diese Themen gesprochen werden kann, wird das Fernsehen zu DEM Diskussionsraum für Liebe, Beziehungen und Sex schlechthin. Über die Brücke der fiktiven Geschichten lassen sich persönliche Gefühle und Erfahrungen indirekt thematisieren, die sonst nicht zur Sprache kommen. So stellt die Fernsehrezeption ein Diskussionsforum für Liebe dar, ohne das kulturelle Verbot, individuelle Liebesgefühle öffentlich anzusprechen, zu verletzen. Die jungen Frauen stellten eine emotionale Nähe zwischen den Fiktionen der Medientexten (meist der sinetron, aber auch der asiatischen Fernsehserien und der telenovelas) und ihren eigenen (emotionalen) Lebensrealitäten her –

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trotz der großen Unterschiede in den Lebensrealitäten. Denn die indonesischen Serien spielen meist in Milieus der Mittelklasse oder der oberen Klasse und zeigen oft glamourösere Welten, in denen beispielsweise Jugendliche mit einem Privatchauffeur zur Schule gefahren werden, etc. Vielmehr wird damit der emotionale Realismus gemeint, der in dem nächsten Kapitel, als Teil melodramatischer Formate wie Soap-Operas, näher ausgeführt wird.

2.

D IE »L IEBES - RELEVANTEN « TV-S ENDUNGEN AUS DEM AUSLAND

2.1

Telenovelas

Telenovelas aus südamerikanischen Ländern sind im indonesischen Fernsehen stark vertreten und sehr beliebt189, auch wenn sie – nach Angaben meiner InterviewpartnerInnen – ihre Präsenz in der Vergangenheit zugunsten anderer asiatischer Serien (vgl. hierzu das Kap. B.III.2.3) etwas eingebüßt haben. Die telenovelas laufen im indonesischen Fernsehen meist tagsüber, oft um die Mittagszeit und am Nachmittag im Wechsel mit Bollywoodfilmen, infotainment-Sendungen und Nachrichten. Die ca. 150–200 Episoden umfassenden Serien (vgl. Machado-Borges 2003: 7) werden – wie indonesische sinetron – erst während der Ausstrahlungszeit Episode für Episode weiter geschrieben, um auf Publikumsresonanz und unvorhersehbare Entwicklungen im Schauspielerstab zu reagieren. Die meist für ein weibliches Publikum entworfenen Serien kreisen als melodramatisch inspiriertes Genre um eine emotionsgeladene interpersonale Welt. Das Melodram wird oft als Genre beschrieben, das sich durch Sentimentalität, außergewöhnliche und unvorhersehbare Geschehnisse in den Narrativen sowie die Betonung von Emotionen auszeichnet und oft mit einem Happy End abschließt (vgl. Thorburn 1976: 78, Ang 1985: 61). Dies strukturiert auch die Geschichten der telenovelas. La Pastina/Straubhaar (2005: 275) beschreiben Melodramen als ein Genre, das aufgrund seiner ihm zugrunde liegenden »oral structures, formulas and archetypes« über die Grenzen von Kulturen Publika anspre-

189 Als Lieblings-telenovela bezeichneten die Frauen die mexikanische telenovela Maria Mercedes (Regie: Beatriz Sheridan) von 1992, die lange Zeit und wiederholt im indonesischen Fernsehen lief. Sie erzählt die Geschichte der armen jungen Frau Maria Mercedes, die, um die von ihrer Mutter verlassene Familie zu ernähren, zum Arbeiten in die Stadt zieht und sich in einen jungen, reichen Mann verliebt, den sie schließlich auch heiratet. Ihre Beziehung wird jedoch sowohl von der intriganten Schwiegermutter als auch von der egoistischen und unmoralischen Exfreundin des Mannes gestört. Vgl. hierzu als visuelles Beispiel: http://www.youtube.com/watch?v=xI57-56LSq0&feature=related, zuletzt gesichtet am 3.12.09.

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chen könne und »can reach past cultural differences«. Diese oralen Strukturen entsprechen auch den Strukturen traditioneller Geschichtenerzählung und traditioneller Theatergenres, bei denen sich das jeweilige Publikum stets ein- und ausklingen kann. »Many, if not most, cultures seem to have experienced some form of serial storytelling rather like melodrama even before television became available to them.« (Ebd.)

Möglicherweise erklärt dies die Beliebtheit von telenovelas auch in Indonesien, sowie die strukturellen Ähnlichkeiten von telenovelas zu lokalen, melodramatischen Serien. Marta Klagsbrunn (1992: 17f.) charakterisiert die Geschichten von brasilianischen telenovelas folgendermaßen: »The tale of a man and a woman who fall in love with each other; but before they get together, they must overcome many obstacles. The main characters usually have different social and economic backgrounds: one is rich, the other poor. Families are the core of their respective circles, surrounded by their relations, friends, neighbors, staff, etc. One of the main characters struggle to unveil the mystery that is part of the plot and in most cases involves his/her parents, or tries to discover who stood behind the family’s ruin … Everything happens in a tangle of misunderstandings, surprise events and intrigues.«190

Die Geschichten der telenovelas implizieren immer – wie auch der Großteil der sinetron – Klassengegensätze, Oppositionen von dem Leben in der Stadt und dem auf dem Land und damit verbunden von »Modernität« und »Tradition«, die mit moralischen Fragen gekoppelt werden. Melodramatische Konflikte über moralische Werte, Gegensätze zwischen Loyalität und Unloyalität, Liebe und Hass, Gut und Böse und darüber gekennzeichnete Figurenkonstellationen durchziehen so die Narrative (vgl. Hamburger 2004: 6). Seit den 1980er Jahren erfuhr die telenovela-Industrie eine zunehmende Transnationalisierung, nicht nur innerhalb Südamerikas. Exporte in die USA, nach Europa, nach Asien und in den Mittleren Osten nahmen stetig zu. Die Einnahmen durch die Exporte stellen nur einen Bruchteil der Einnahmen dar. Die Produktion indonesischer sinetron ist entscheidend am Vorbild südamerikanischer telenovelas orientiert. Ihre melodramatischen »Aschenputtel-Geschichten«, die sich oft um die Liebe einer armen, gutherzigen Frau vom Land und einem reichen jungen Mann, der in einer moralisch ambivalenten Umgebung situiert ist, sowie aus dieser Situation resultierende Familienkonflikte und soziale Probleme, die auf dem Weg zu einem Happy End der Liebe gelöst werden müssen, finden sich vielfach in indonesischen sinetron wieder. Die fehlende Thematisierung sexueller Intimität in den telenovelas, die familienbezogenen Konflikte im Zuge der ro-

190 Diese beschriebenen, prototypischen Inhalte ähneln ganz frappierend denen der indonesischen sinetron, wie in Kapitel B.III.3.2 genauer ausgeführt wird.

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mantischen Begegnung und die Thematisierung moralischer Werte und Konflikte sowie die Melodramatik von telenovelas ähneln in starkem Maße den Narrativen indonesischer Serien191. 2.2

Bollywoodfilme

Das Bollywoodkino ist Indiens nationales populäres Kino, welches in Mumbai sein Zentrum hat und Hindi Filme produziert. Es zeichnet sich durch seine Massenproduktion, sein Starsystem nach dem Vorbild Hollywoods und seine nationale Sprache, einer Varietät aus Hindi/Urdu, einer Art »Lingua Franca«, die in großen Teilen des Landes nördlich einer imaginierten Linie zwischen Bombay und Calcutta verstanden wird, aus192. Die Bollywoodproduktion erzielt nicht nur in Indien große Erfolge, auch im globalen Kontext dominiert das indische Entertainment-Kino schon allein durch seinen Umfang die Weltfilmproduktion. Bollywoodfilme finden in großen Teilen der »Dritten Welt« Verbreitung und sind dort oft populärer als Hollywoodfilme und auch indigene alternative oder politische Filme. Gokulsing und Dissanayake (1998: 8) geben an, dass in Indien jährlich über 900 Filme produziert werden. Diese werden nicht nur in Süd- und SüdostAsien, sondern auch in Ostafrika, auf Mauritius, in der Karibik, im Mittleren Osten, in England, Kanada, Australien, in den USA und in den Staaten der früheren Sowjetunion konsumiert193. Rosie Thomas weist darauf hin, dass sich das Bollywoodkino im Laufe seiner langen Geschichte durch eigene, unabhängige Verbreitungsmärkte als »form which has resisted the cultural imperialism of Hollywood« (1985: 116) entwickelt habe, was jedoch nicht bedeute, dass das Bollywoodkino von Hollywood gänzlich unbeeinflusst sei. Während ständige Inspirationen und Assimilationen stattgefunden haben, sei das indische Kino jedoch thematisch und strukturell von Hollywood distinkt geblieben (ebd.). Trotz des Imports der Filmtechnik aus dem Westen könne man die Entwicklung des Bollywoodkinos nicht im Sinne eines kulturellen Imperialismus des Westens über »vormoderne« Gesellschaften verstehen. Vielmehr könne

191 Vgl. zu brasilianischen telenovelas auch Klagsbrunn 1987. 192 Neben dem Bollywoodkino, das als nationales populäres Kino gehandelt wird, gibt es eine Anzahl regionaler Kinos (Madras/Chennai, Punjab, Gudscharat, Westbengalen), die Filme in der jeweiligen lokalen Sprache produzieren. Die regionalen Kinos unterscheiden sich von dem Bollywoodkino, indem sie lokale statt nationale Fragen thematisieren. Sie produzieren vor allem Filme des mythologischen Genres, dessen Popularität in der Hindi Filmproduktion stark abgenommen hat, und werden in Gegenden, in denen Hindi gesprochen wird, oft als anspruchslos und den ungebildeten Geschmäckern der Kleinstädter bzw. der Unterschicht entsprechend belächelt (vgl. Dwyer 2000: 96–101). 193 In europäischen und nordamerikanischen Ländern werden diese vor allem von der indischen Diaspora rezipiert.

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kontemporäres indisches Kino als Kontinuität der indischen Kultur verstanden werden. Gokulsing und Dissanayake (1998: 15) zufolge, wurde Film in Indien schnell »indigenisiert«, um »charakteristische« indische Erfahrungen und Gefühle darzustellen. Seit den 1940er Jahren entwickelten die unabhängigen Produzenten eine Formel, den sie als Grund für den Erfolg ihrer Filme hielten. Diese masala Formel194 besteht aus Elementen wie Stars, Liedern, Tänzen, Spektakel, Humor, Liebe, Kämpfen, religiösen Themen und Fantasie. Sie gilt immer noch als die Formel schlechthin für einen erfolgreichen Bollywoodfilm. Gokulsing und Dissanayake (1998) verstehen kontemporäre Bollywoodfilme als Kontinuität der indischen Tradition. Sie schlagen sechs Einflüsse vor, die den indischen populären Filmen ihre Besonderheit verleihen würden. Dies seien die beiden berühmten Epen Ramayana und Mahabharata, das klassische indische Sanskrit-Theater, das Volkstheater195, das ParsiTheater196, Hollywood und das Musikfernsehen. Die etablierten Epen prägten die Themen, die nicht-lineare narrative Struktur und die soziale Ordnung bestätigende Ideologie der Filme. Wie das klassische indische Theater betonten kommerzielle Hindi-Filme Spektakel, Tanz und konventionalisierte theatralische Expressionen. Auch das Parsi-Theater habe mit seiner kuriosen Mischung von Realismus und Fantasie, Musik und Dialog, Erzählung und Spektakel, kunstvollen Ausführungen und seinem melodramatischen Rahmen starke Ähnlichkeit mit dem indischen populären Kino, sowohl bezüglich der Erzählungen als auch der Themen, der Generation von Emotionen und der Präsentationsstile. Aus Hollywood seien technische Innovationen,

194 Zuschauer und Produzenten von Hindi Filmen bezeichnen diesen Mix von Elementen als masala, als miteinander vermischte Gewürze (vgl. Derné 2000: 43). Produzenten und Regisseure von Hindi Filmen sprechen davon, »blending the masalas in proper proportions« (Thomas 1985: 124), um ein Gleichgewicht von Geschmäckern herzustellen. Die Zentralität dieser Kombination von diversen Elementen ist so sehr zum Teil eines Hindi Films geworden, dass der Begriff masala oft benutzt wird, um das gesamte Genre des kommerziellen Hindi Films zu umschreiben (vgl. Derné 2000: 43). 195 Nach dem Abschwung des Sanskrit Theaters im 10. Jahrhundert entstand das Volkstheater, das in Form regionaler Volksdramen von ungeschulten Bauern ins Leben gerufen wurde, die Essenz, also die Lieder und Tänze, die Erzählstruktur und Melodramatik des klassischen indischen Theaters jedoch weiterhin enthielt (vgl. Gokulsing/Dissanayake 1998: 19). 196 Dieses entstand im 19. Jahrhundert. Die Theatergruppen der Parsis waren primär von kommerziellem Erfolg motiviert. Sie reisten durch das ganze Land und wollten die breite Masse ansprechen. Im Gegensatz zum Volkstheater, das auf ländliche Regionen beschränkt war, war es als urbane Form dem Einfluss westlicher Unterhaltungsformen ausgesetzt. Von elitären Kritikern wurde das Theater mit seinem Fokus auf das Spektakel oft als »sensationalistisch« und »vulgär« bezeichnet.

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die kommerziellen Vorzüge des Studiosystems und der Glamour des Starsystems übernommen worden. Im Unterschied zu klassischen Hollywoodfilmen verbergen Bollywoodfilme die Konstruiertheit ihrer Filme nicht durch technische Hilfsgriffe wie unaufdringliches Licht, Kamera auf Augenhöhe, Fokus auf die zentrale Handlung in einer Szene, Schnitte entsprechend den logischen Verbindungsstellen im Fluss der Erzählung, etc. Die Geschwindigkeit, die schnellen Schnitte, Tanzsequenzen und ungewöhnlichen Kamerawinkel, welche man im modernen Musikfernsehen findet, haben dahingegen klare Analogien im modernen indischen Film (Gokulsing und Dissanayake 1998: 11–22). Dennoch darf man die Verbindung des populären, indischen Kinos zu indigenen, performativen Traditionen nicht überinterpretieren. Der Einzug »moderner« Formen in »traditionelle« Gesellschaften führte oft zu einer Reformierung der eigenen Tradition, was zu einer, wie Ashish Rajadhyaksha (1993) es beschreibt, »Neo-Tradition« führe. »Much of Indian cinema is thus the product of a new public culture that arose during the nineteenth century, the hybridity of which is inherent to its very nature, as it brings together traditional Indian images with industrial technology.« (Dwyer und Patel 2002: 13)

So ist das indische populäre Kino als Konglomerat verschiedenster Einflüsse zu charakterisieren, die alle zu der Form, Struktur, Erzählweise und dem thematischen Fokus von Bollywoodfilmen beigetragen haben. Im Folgenden werde ich die Charakteristika aktueller Bollywoodfilme kurz zusammenfassen: Die meist melodramatischen197 Geschichten populärer Bollywoodfilme, die sich über drei bis dreieinhalb Stunden hinziehen, sind für das Publikum beinah vollständig voraussehbar. Oft sind sie bloße Wiederholungen bzw. Transformationen bereits umgesetzter Geschichten. Sie dienen als Rahmen für viel Spektakel wie Lieder, Tänze, Kämpfe, etc. und als Grundlage für das Artikulieren von Emotionen. Trotz der Anzahl unterschiedlicher Genres finden bestimmte Themen wie romantische Liebe, männliche Freundschaft, Mutterschaft, Entbehrung, Schicksal, Respekt für Tradition und soziale Ungerechtigkeit immer wieder ihren Ausdruck (vgl. Gokulsing und Dissanayake 1998: 24). Die Geschichten von Bollywoodfilmen entwickeln sich nicht linear. Spektakulärer und emotionaler Exzess stehen privilegiert über der Entwicklung der Erzählung. Diese ist oft um eine einfache Opposition zwischen Moralität und Dekadenz aufgebaut. Dabei wird das Traditionelle, Indische mit dem moralisch Guten konnotiert, welches Ideale sozialer Beziehungen wie Respekt für Verwandtschafts- und Freundschaftsverpflichtungen, Schicksal, Patriotismus und Religion wie auch kontrollierte Sexualität

197 Vgl. hierzu den Artikel »The melodramatic mode and commercial Hindi cinema« von Ravi Vasudevan (1989). Zur Charakterisierung von Melodrama siehe Neale 1986 und Brooks [1976] 1995.

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umfasst. Das unmoralische Dekadente ist kategorisiert als das NichtTraditionelle, Westliche. Das »Westliche« fungiert dabei nicht so sehr als tatsächlich geographisch zu lokalisierende Kultur, sondern als Emblem für das exotische, dekadente Andere, »signified by whiskey, bikinis, an uncontrolled sexuality, and what is seen as lack of ‘respect’ for elders and betters, and (from men) towards womanhood« (Thomas 1985: 126). Dies hat starke Korrelationen zu der Inszenierung des Westens beziehungsweise »westlich geprägter oder beeinflusster sozialer Räumen« in indonesischen Serien und Filmen (vgl. dazu Kapitel B.III.4.1.1). Die hohe Toleranz für offene Fantasie im Vergleich zu dem westlichen Diskurs von Realität198 wird vor allem an den Liedsequenzen, die weniger in der Geschichte begründet sind als in Hollywood-Musicals, deutlich. Sie erlauben die Nichteinhaltungen von Kontinuität in Zeit und Raum. »[H]eroines may change saris between shots and the scenery skips continents between verses whenever the interests of spectacle or mood require it.« (Ebd.: 127)

Im Vergleich zu westlichen Filmen erscheinen zudem die Dialoge »überzogen«, die schauspielerische Darstellung ist oft höchst stilisiert, man erkennt die Nichtbeachtung einer psychologischen Charakterisierung der Personen, der Geschichte und Geographie. »What seems to emerge in Hindi cinema is an emphasis on emotion and spectacle rather than tight narrative, on how things will happen rather than what will happen next, on a succession of modes rather than linear denouement, on familiarity and repeated viewings rather than on ’originality’ and novelty, on a moral disordering to be (temporarily) resolved rather than an enigma to be solved. The spectator is addressed 199 and moved through the films primarily via affect , although this is structured and

198 Der Begriff »Realismus« bezeichnet eine Repräsentationsweise, welche auf Annahmen über die Realität basiert. Dabei handelt es sich oft um eurozentrische Konzeptionen, da »Realismus« einen spezifischen Platz in der westlichen Philosophie einnimmt. Mit dem Begriff werden bestimmte künstlerische und literarische, vor allem westliche Bewegungen korreliert. So führte die Hervorbringung des italienischen Neorealismus nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Gleichsetzung des Realismus mit demokratischen, anti-faschistischen Ideologien, während populäre Formen als eskapistisch und verderbend beschrieben wurden (vgl. Prasad 1998: 58). In Indien war die Ästhetik des Realismus lange Zeit kulturell fremd, wie aus der indigenen Narrative, in visuellen Repräsentationen und in der indischen Novelle ersichtlich ist (Chakravarty 1993: 82). Zur Erörterung der Probleme des Einführens von Realismus in die indische Novelle vgl. auch Mukherjee 1985. 199 Dies entspricht der in der Sanskrit-Philosophie zu verankernden rasa Theorie. Unter rasa versteht man eine generalisierte Emotion, welche durch den Konsum von Künsten hervorgerufen werde. Dieser Effekt der künstlerischen Arbeit

224 | L IEBE IN I NDONESIEN contained by narratives whose power and insistence derives from their familiarity, coupled with the fact that they are deeply rooted (in the psyche and in traditional mythology).« (ebd.: 130, Kursivdruck im Original)

Hindi-Filmemacher betonen die Zentralität von Emotionen in Bollywoodfilmen, indem sie Hollywoodfilme als trocken und emotionslos beschreiben. Emotionen werden dabei nicht als innere Zustände eines Individuums, sondern als interaktional, also die Beziehung zu anderen betreffend200, angesehen. »Therefore, adding emotions to a film involves placing the character in a web of social relations of which kin are the most significant and common in Hindi films. The absence of kinship-related conflicts and dilemmas in Hollywood films, articulated as a lack of emotion, is offered as a reason for audiences’ inability to identify with such films.« (Ganti 2002: 291)

Die größten Hits der 1990er, welche die meisten Erfolgsrekorde brachen, waren die »big budget, plushy, romantic films« (Dwyer und Patel 2002: 22). Diese Filme zeigten die Dominanz der Werte der neuen Mittelklasse. Sie belebten eine Form der feudalen Familienromanze in einer neuen, unmissverständlichen patriarchalischen Hindu-Struktur wieder, die vor dem Hintergrund der hinduistischen nationalen Politik der 1980er und 1990er zu sehen ist (vgl. ebds.).201 Beinahe jeder populäre Hindi-Film enthält ein Liebesthema, Liebeslieder und Themen der Liebe, die über das romantische Paar hinausgehen. Oft steht das Thema der romantischen Liebe im Zentrum der Handlung. Es ist jedoch unklar, ob es im populären indischen Kino ein romantisches Genre

sei abhängig von Generalisierungen, die strikte Regeln über Charakter, Ort und Zeit sowie der Gebrauch einer bestimmten Metaphorik und Symbolismus beinhalten. Es wird dabei zwischen neun rasa unterschieden, darunter auch ein romantisches rasa, welche mit bhava, unter dem die konkreten Emotionen verstanden wird (die des romantischen rasa ist dementsprechend »Liebe«), zu korrespondieren seien (vgl. Dwyer 2000: 30). »The rasa engenders emotional pleasure in the audience by allowing it to enjoy an emotion in a pure, generalized state, without a personal response« (Ebd.). 200 Lynch (1990: 27) stellt fest, dass, im Gegensatz zu euro-amerikanischen Konzeptionen von Emotionen als individuelle, »innere« Gefühle, in Indien Emotionen generell eher in Begriffen von sozialen Situationen und Praktiken beschrieben werden. Ähnliches gilt für die Konzipierung von Gefühlen in Makassar (vgl. Kapitel B.II.5.1). Dies mag mit der großen Beliebtheit von Bollywoodfilmen in Makassar zu korrelieren sein, da diese Filme die Emotionen stärker gemäß den lokalen kulturellen Konzipierungen vor Ort darstellen. 201 Vgl. Chatterjee 1989 und Prasad 1998.

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als spezifische und universal anerkannte Kategorie gibt202, oder ob die Romanze nur eine weitere Komponente der masala-Formel Bollywoods ist. Im Unterschied zu Flickers (1998: 67) Kategorisierung einer »Liebesromanze« (siehe Fußnote 202) stellt bei Bollywoodfilmen die romantische Liebe der Protagonisten oft die Ausgangslage der weiteren Filmhandlung dar. So wird also das Kennenlernen der Protagonisten nicht ausgedehnt aufgezeigt, sondern der Fokus dieser Liebesgeschichten liegt vielmehr auf dem Verhältnis der romantischen Liebe zu den sozialen Pflichten, das die Protagonisten im Rahmen ihrer Familie z. B. in Form einer arrangierten Ehe aushandeln sollen. »While almost all films contain some element of romance, the romantic film is often seen as a sub-genre of the social film203, a broad omnibus category. This category, defined by the narrative, is adequate for many romantic Hindi movies […], in which the couple fall in love early on in the movie, but before the interval romance is thwarted by their families, often because they are seduced by the lure of money or social status or because a villain has led them astray. The second part of the movie is often concerned with the young couple’s negotiations with their parents and each other’s families.« (Dwyer 2000: 163f.)

Demzufolge werden die Bollywood-Liebesfilme der westlichen Kategorisierung einer Liebesromanze nicht gerecht, die selbst stark abhängig von der jeweiligen gesellschaftlichen Konstruktion von romantischer Liebe ist. Man könnte dafür plädieren, Bollywood-Liebesfilme als indische Form der Liebesromanze zu kategorisieren und so auch im medienwissenschaftlichen Rahmen die ethnozentrische Kategorisierung von Genres, die auf das auch in der wissenschaftlichen Betrachtung dominierende Hollywoodkino wie auch auf westliche Emotionskonzepte ausgerichtet ist, aufzubrechen. Bollywoodfilme werden von den jungen Frauen als sehr romantisch empfunden.

202 Romantische Liebe ist ein zentrales Thema des Films weltweit. Beinah alle Spielfilme enthalten, unabhängig von ihrem Genre, ein romantisches Thema. Unter dem gesonderten Genre der Liebesromanze versteht Flicker (1998: 67) fiktive Erzählungen, die eine Liebesgeschichte zum zentralen Thema haben. Dabei laufen die Entstehung und die Entwicklung der Liebe zwischen einem Mann und einer Frau – Flicker betont die Einschränkung der »Liebesromanze« auf heterosexuelle Liebespaare – auf ihr Zueinanderfinden hinaus. Es sei für die Dramaturgie des Filmes wichtig, die Figur von Mann und Frau einzuführen und bezüglich ihrer Eigenschaften zu skizzieren. Die weitere Handlung des Films sei darauf ausgerichtet, Kennenlernen und Partnerwahlkriterien ausgedehnt abzuhandeln, sodass das Zueinanderfinden den ersehnten Höhe- und Schlusspunkt der Geschichte darstellt. 203 Das Genre des Sozialen Films gibt es bereits seit den Anfängen des indischen Kinos. Es behandelt soziale Fragen, oft die Beziehung zwischen den Religionen, den Kasten, etc. (vgl. hierzu Gokulsing/Dissanayake 1998: 25).

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Die Hits der Bollywoodindustrie sind in Makassar weit bekannt, sie laufen sowohl im indonesischen Fernsehen als auch im Kino und werden auf DVD und VCD zum Kauf bzw. zum Verleih angeboten. Die Lieder werden mitgesungen und sind weit bekannt, die Tanzeinlagen werden imitiert. Die SchauspielerInnen gelten als sehr schön und die Art und Weise, wie sich die Narrative entwickeln, wird von den jungen Frauen als sehr romantisch bezeichnet. Die romantischen und erotischen Spannungen der Filme gelten als mehr halus (BI = feiner) inszeniert als die plakativen Darstellungen zwischengeschlechtlicher Intimitäten in westlichen Liebesfilmen. Von einigen der jungen Frauen werden Bollywoodfilme als »erotischer« bezeichnet als westliche Filme. Die zahlreichen erotischen Anspielungen wie nasse Saris, das Locken und Necken zwischen den Protagonisten, ohne dass es zu Intimitäten kommt, wird als »heißer« (BI = lebih panas)204 empfunden als das direkte Inszenieren intimer Szenen in Hollywoodfilmen, in denen es zu Küssen und intimen zwischengeschlechtlichen Handlungen kommt. Elemente aus Bollywoodfilmen wie entsprechende Tanzeinlagen werden zum Teil auch in indonesischen (Fernseh-)Filmen mit denselben Funktionen der Artikulation von Emotionen wie in den Originalen eingesetzt. 2.3

Film Mandarin

Der Terminus film Mandarin wird generell für Jugendserien anderer asiatischer Länder, wie beispielsweise Japan, Taiwan, Korea und Hongkong, die sich um Liebesgeschichten drehen, verwendet. Gelegentlich wurden für diese Serien auch die Begriffe film Korea, film Taiwan oder auch sinetron Mandarin, sinetron Taiwan, sinetron Korea verwendet, meist ungeachtet des tatsächlichen Herkunftslandes. Diese asiatischen Serien, auf die ich im Folgenden mit film Mandarin rekurriere und die meist Liebesgeschichten für junge Menschen, oft mit fantastischen und humoristischen Einlagen, erzählen, weisen trotz ihrer unterschiedlichen Herkunftsländer aufgrund gegenseitiger Adaptionen und Kopien zahlreiche strukturelle und inhaltliche Ähnlichkeiten auf. In den frühen 1990ern wurde der Formathandel in Asien durch die größte Werbefirma in Japan, Denstû, gefördert, die vor allem in Japan erfolgreiche Talkund Game-Show Konzepte an andere asiatische Fernsehstationen verkaufte. Auch heutzutage werden zahlreiche japanische Programme von koreanischen, chinesischen und taiwanesischen Fernsehindustrien kopiert und imitiert205 (vgl. Iwabuchi 2004: 31). Die Kopien und Imitationen beziehen sich vor allem

204 Siehe Wörterindex im Anhang D.1. 205 Diese Imitationen sind auch deswegen erfolgreich, weil die Originalprogramme zum Teil, beispielsweise in Korea aufgrund Koreas lang andauernden negativen Kolonialisationserfahrungen durch Japan (von 1910 bis 1945) immer noch aus der koreanischen Fernsehlandschaft verbannt werden. Für eine detaillierte Auflistung und Differenzierung lizenzierter und unlizenzierter Adaptionen japanischer Formate und Geschichten in Korea vgl. Lee 2004: 41–48.

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auf die Narrative und die Charaktere von Fernsehdramen für Jugendliche, in denen es meist um Liebesgeschichten geht. Diente in den 1990er Jahren Japan als führende Ressource für Medienkulturen in asiatischen Ländern, wurde in den späten 1990er Jahren Korea, stark beeinflusst von Japans Medienprodukten, selbst zu einem zentralen Produktionsland, dessen Medienformate und Narrative von anderen asiatischen Ländern kopiert und imitiert wurden (vgl. Lee 2004: 37). Natürlich sind diese Austauschprozesse nicht nur zwischen Japan und Korea zu beobachten, sondern sie gelten auch für Japan und andere asiatische Länder sowie zwischen anderen asiatischen Ländern untereinander. Vor allem das Aufkommen eines idol-drama in Japan hatte große Einflüsse auf die Fernsehindustrien anderer asiatischer Länder. Liu und Chen (2004: 67) bezeichnen dieses als ein neues Genre mit spezifischen Produktionskonventionen. Die japanischen idol-drama (Ou Xiang Ju) stellen Adaptionen von sehr bekannten manga (japanische Comicgeschichten) dar. Das Zielpublikum stellen junge arbeitende Frauen und Studentinnen zwischen 14 und 24 Jahren in Großstädten und »within fashionable circles« (ebds.) dar. Die Hauptdarsteller sind aktuelle Ikonen der Popkultur wie beispielsweise Mitglieder bekannter Bands. Durchschnittlich läuft eine Serie ca. zehn bis zwölf Episoden, sie haben im Gegensatz zu den traditionellen Fernsehdramen auch bei wiederholter Ausstrahlung einen großen Erfolg. Der »Hype« um die Schauspieler und die Vermarktung der integrierten Musik und Mode tragen zu ihrem Erfolg bei und machen sie zu einem beliebten Produkt bei den Rundfunksendern. Liu und Chen (ebds.) beschreiben die idol-drama folgendermaßen: »[…] the Japanese idol-drama genre contains several fundamental elements: pop idols, pledged tokens, distinctive locations, fantastic occupations, sweet-sounding music, and brand commodities. The fashionable role models of young audiences – the stars of idol-dramas – are the key to the success or failure of a production. A token, which can be a ring, a bird, or a violin, is the symbolic medium to connect two lovers. A distinctive location, which might me a corner of an office, a church or even a flower shop, is repeatedly used to symbolized the occupations of characters or to recall the feelings of lovers. Fascinating occupations (musicians, hairdressers and flower girls) can stimulate audience imagination with characters and induce more romantic feelings. The music, usually a theme song or variations on a theme using different instruments – captures the moods and emotions of the main characters. Brand commodities, such as clothes, watches, and purses, are worn to attract the attention of young ladies and promote merchandise.«

In Indonesien begann der Erfolg solcher Serien zeitlich nach der Popularität actionzentrierter Hongkong-Serien und Filmen mit Stars wie Andy Lau und Jackie Chan Mitte der 1990er Jahre. Zunächst liefen vor allem japanische Serien wie beispielsweise Tokyo Love Story, Long Vacation oder Ordinary People auf dem indonesischen Sender Indosiar. Anfang der 2000er Jahre führte der durchschlagende Erfolg von Meteor Garden (mit einer Einschaltquote von 5,1 % und einem Anteil von 29,9 % aller eingeschalteten Fern-

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sehgeräte vgl. Kompas, 2/6/02 nach http://kunci.or.id/teks/12meteor.htm, zuletzt gesichtet 12.11.2008), einem taiwanischen idol-drama, das auf einem japanischen manga basiert, dazu, dass film Mandarin einen festen Platz im indonesischen Fernsehprogramm einnahmen. »The format and production of Meteor Garden closely resembled Japanese idoldrama with Western pop as background music, sophisticated cinematography, and a quick-moving narrative. In order to accomodate local tastes some distinctive Taiwanese cultural elements were retained, such as the rustic flavour of certain elderly roles, aspects of family relationships, generational conflicts, and religious superstitions. In this process Taiwanese resources were integrated into a Japanese story in order to simulate the Japanese idol-drama genre. The end result was the creation of a Taiwanese style idol-drama. While heavily influenced by Japanese popular culture the Taiwan production of Meteor Garden mapped out a new territory for local drama production.« (http://kunci.or.id/teks/12meteor.htm, zuletzt gesichtet 12.11.2008)

Die vier männlichen Hauptdarsteller wurden im Zuge des Erfolgs von Meteor Garden zu bekannten Superstars. Sie formierten eine Popgruppe, die sich F4 nannte. Ihre Alben, Plakate und VCDs und DVDs wurden Verkaufsschlager, und sie wurden in eine Vielzahl weiterer Fernsehsendungen eingeladen. Auch in Indonesien sind die Darsteller der asiatischen Serien zu modernen Schönheitsidolen geworden. Sie gelten darüber hinaus als »cool« und »modern« und werden moralisch positiv evaluiert, da vorehelicher Sex in der Darstellung der Serien generell abgelehnt wird. Sie zieren Jugendmagazine, Bilder von ihnen dienen der Vorlage von Haarschnitten in indonesischen Friseursalons, die dadurch inspirierte Mode wird in indonesischen Modemagazinen als moderner asiatischer Stil angepriesen. Auch die zum Teil humoristischen Einlagen, die Darstellung der Romanze und die fantastischen Elemente und märchenhafte Einlagen werden nach Angaben meiner InterviewpartnerInnen genossen206. Sie betonen darüber hinaus, dass die Geschichten dieser Serien nicht so schnell voraussehbar seien wie die indonesischer sinetron und einen stringenteren und kürzeren Plot als die indonesischen, langatmigen Serien hätten. Kartika: Also, es ist nicht so, dass ich sinetron nicht mag, manchmal schaue ich die auch, nur guck ich sie nicht durchgängig. Ich mag am liebsten Filme aus Taiwan, weil ich deren Atmosphäre und deren Darsteller mag, so sehr, dass ich auch den Wunsch habe,

206 Vgl. als Beispiel ein Ausschnitt aus der taiwanesischen Serie The Prince Who Turns Into A Frog http://www.youtube.com/watch?v=rvrDJuVhFrI&feature=Play List&p=C3FAFD59550D1B08&playnext=1&playnext_from=PL&index=78 zuletzt gesichtet am 3.12.09. Diese taiwanesische Serie von 2005 ist die Vorlage der indonesischen sinetron Impian Cinderella aus demselben Jahr, die auf RCTI lief und bei den jungen Frauen sehr beliebt war.

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mal nach Taiwan zu fahren. Die Geschichten sind nicht zu lang und umschweifend, die Geschichten sind auch schwer vorauszusagen.

Doch dieser »moderne, asiatische Stil« wird nicht nur über die von den Protagonisten der Serien geprägten Mode- und Schönheitsideale in Indonesien als Imitationsvorlage für junge Menschen wirksam. Sondern auch die besondere Visualität der Serien, die eher an schnell geschnittene Musik-Clips erinnert und durch ungewöhnliche Einstellungen und Montage die Konstruktion der filmischen Bilder ausstellt, wie auch ihre Erzählweise, die kontinuierlich zwischen diegetischen und fantastischen Szenen hin und her wechselt, werden zu einem Zeichen für eine »asiatische Modernität«, die in Abgrenzung zum »Westen« steht. Diese wird versucht, in indonesischen Serien und Filmen z. T. nachzuahmen. Auch die Geschichten werden für den indonesischen sinetron-Markt kopiert. Es lassen sich zahlreiche indonesische Serien finden, die Plagiate dieser Originale darstellen. Dennoch erscheinen indonesische Adaptionen der idol-drama Geschichten dennoch »realistischer« angelegt, die fantastischen Elemente und märchenhaften Einlagen sind stark reduziert und die Spielorte etwas realistischer formuliert. Der plot, die Charaktere und deren Modestil sind jedoch den Originalgeschichten entnommen. Die Originalserien laufen meist mittags und nachmittags im indonesischen Fernsehen, während ihre indonesischen Adaptionen zur primetime am Abend laufen. Die Originalserien sind überall auf VCD zu kaufen oder zu entleihen. 2.4

Hollywoodfilme und westliche Serien

Im indonesischen Fernsehen laufen vor allem Actionfilme oder Komödien aus Hollywood. Liebesromanzen und Serien, in denen es um zwischengeschlechtliche Beziehungen geht, sind im indonesischen Fernsehen seltener und meist erst zu späterer Stunde anzutreffen. Selbst die zensierten Versionen solcher Filme werden gemäß der öffentlichen Meinung meist als ungeeignet für ein indonesisches Fernsehpublikum angesehen, das zu großen Teilen aus der Landbevölkerung, die solche Bilder nicht gewohnt seien, und aus vielen jungen Menschen und Kindern bestehe, die die offeneren »Intimpraktiken« und Kleidungsstile imitieren könnten. Kommentare von prominenten Figuren der indonesischen Film- und Fernsehindustrie wie der Folgende sind dabei typisch: »Film series such as Beverly Hills systematically teach free sex and thus are much more dangerous than national films, which these days are attacked for their sexual and violent themes. The total number of Beverly Hills episodes numbers ten, hundreds of titles. If each week [Beverly Hills, 90210]207 is part of our young people’s

207 Im Original in Klammern.

230 | L IEBE IN I NDONESIEN diet, won’t that be dangerous?« (Slamet Rahardjo, Republika, 24 January 1995 zit. nach Kitley 2000: 308)

Westliche Filme und Serien im indonesischen Fernsehen wie auch im Kino sind nicht übersetzt. Das Verständnis ihrer Geschichten ist so abhängig vom Mitlesen der Untertitel, da die meisten Indonesier dem Englischen nicht mächtig sind. Die jungen Frauen, die nur selten Englisch sprechen, geben an, sie empfänden es als anstrengend, die Untertitel während des Fernsehschauens zu verfolgen. Dies lenke von den Bildern ab. Bei sehr sprachlastigen Filmen oder Filmen, deren Verständnis oft von den Dialogen abhängt, wie es bei Liebesromanzen häufig der Fall ist, wird dies als störend empfunden. Westliche Actionfilme hingegen werden durch die direktere Adressierung von Sensationen und die eingeschränktere Abhängigkeit von den Dialogen als leichter zugängig und interessanter empfunden. Sie werden vor allem aufgrund ihrer entwickelten »Technologie« und der special effects geschätzt, die in der indonesischen Filmindustrie nicht auf einem so hohen technischen Level erreicht werden. Auch indonesische Filmproduzenten und -regisseure erklären den großen Erfolg von actionzentrierten Hollywoodfilmen über die weiter entwickelte Filmtechnologie. Im Rahmen dramatischer Geschichten haben ihnen zufolge jedoch lokale Produktionen neben indischen oder anderen asiatischen Serien und Filmen einen größeren Erfolg208. Imelda: Ich mag diese Filme [westliche Liebesfilme – film barat] nicht so gerne, ich mag lieber sinetron, auch wenn sie sehr langwierig sind und viel Zeit benötigen. Verf.: Du magst also westliche Filme, die von Liebe handeln, nicht so? Was ist der Grund dafür? Imelda: Ja, ich mag diese Liebesfilme wirklich nicht so gerne, ich mag lieber Actionfilme. Novi: Vielleicht ist ein Grund dafür, dass westliche Filme englischsprachig sind, also, wir sind faul, sie [Untertitel] zu lesen. Wenn es Indonesisch ist, kann man das direkt hören. Wir sind nicht so klug darin, das Englische zu enträtseln, dann muss man das lesen, also gibt es viele Sinne, die gebraucht werden, und man kann sich nicht auf das Bild konzentrieren. Das ist anstrengend, die zu sehen.

208 Diese Einschätzungen stammen von drei Regisseuren, mit denen ich in Jakarta im Jahre 2007 Interviews durchgeführt habe: Hanny Saputra, der bei den in dieser Arbeit vorgestellten Filmen Love Is Cinta und Heart (vgl. das Kapitel B.III.3.4.5) Regie geführt hat, Hanung Bramantyo und Deddy Mizwar.

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Die Probleme und Emotionen der Protagonisten westlicher Liebesgeschichten werden von den jungen Frauen oft nicht verstanden. Neben der Abhängigkeit von der fremden Sprache liegt dies daran, dass diese von den jungen Frauen aufgrund ihrer ganz anderen Lebensrealität nicht als realistisch empfunden werden. Westliche Filme und Serien betonen die von rationalen Erwägungen getrennten individuellen Liebesgefühle stärker, die als Basis und einzig legitimer Grund für zwischengeschlechtliche Beziehungen angesehen werden. Die Abhängigkeit der Liebesbeziehungen oder der Gefühle von dem sozialen Umfeld wie auch von rationalen Erwägungen und externe Konflikte, die einem Liebes-Happy End im Weg stehen, werden dabei nicht betont. Gerade diese sind für die Lebensrealität der jungen Frauen aber von zentraler Bedeutung. Westliche Liebesfilme kreisen eher um die psychologischen Entwicklungen der Protagonisten auf dem Weg zu dem Bewusstsein ihrer Liebesgefühle und nicht um die Frage, wie man bestehende Gefühle, die in indonesischen Filmen und Serien meist bereits am Anfang der Geschichten als unumstößlich konstatiert werden, dem anderen mitteilen und mit sozialen Verpflichtungen und Konflikten vereinbaren kann209. Bezeichnenderweise waren so besonders Hollywoodfilme wie Romeo und Julia (1996) oder Titanic (1997)210, die von Liebenden, deren Liebe von ihrem sozialen Umfeld nicht akzeptiert wird, erzählen, in Indonesien besonders populär. Die in westlichen Filmen häufiger auftretenden verbalen Erklärungen und Äußerungen von Liebe stehen im Gegensatz zu der in indonesischen Filmen und Serien oft zelebrierten indirekten Art, Liebesgefühle zu artikulieren, beispielsweise durch Geschenke, Aufmerksamkeit und Lieder. Vor dem Hintergrund der eigenen Lebenswelt und der sozialen Realität der jungen Frauen werden diese relativ direkten verbalen Liebesäußerungen und Thematisierungen von Gefühlen als fremd und nicht nachvollziehbar empfunden211. Während die plots der Geschichten lokaler und anderer asiatischer Produktionen als besser verständlich und vor dem Hintergrund der Entwicklung der Liebesgeschichte und des Ausdrucks der Gefühle als angemessener für das »indonesische Brauchtum« konzipiert werden, ziehen Elemente westlicher Filme wie Kuss- und Intimszenen, die offiziell negativ als vulgär evalu-

209 Vgl. zum westlichen Genre des Liebesfilms auch Flicker 1998 und Fußnote 203 in Kapitel B.III.2.2. 210 Titanic und Romeo und Julia wurden von ihnen stets als Beispiel für ihre Lieblings-Hollywoodfilme herangezogen, die von Liebe handeln. Sie wurden als besonders romantisch angesehen. 211 Vgl. hierzu die Diskussion im Kapitel B.III.2.2 über Bollywoodfilme. Die RezipientInnen könnten sich mit westlichen Filmen nicht identifizieren, da die Filme deswegen als nicht emotional angesehen werden, da sie keine verwandtschaftsbasierten Probleme angesichts einer Liebesliaison ansprechen und die Protagonisten nicht in soziale Netzwerke verorten, von denen sie und ihre Handlungen abhängig sind.

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iert werden, aber auch westliche Konsumgüter und Modestile und die »weißen« Schauspieler (bule) dennoch großes Interesse der jungen Frauen auf sich. In vertrauten Gesprächen gaben die jungen Frauen zum Teil an, dass sie diese intimen Szenen als aufregend empfinden würden und diese durchaus inspirierend für die eigene sexuelle Praxis seien. Angesichts der Tabuisierung von Sexualität in Indonesien und des Fehlens einer sexuellen Aufklärung für junge Menschen werden westliche Filme, aber auch verbotene Pornofilme, die dennoch weitgehend auf dem Schwarzmarkt verfügbar sind, als Horizonterweiterung und Aufklärung wie auch als Anregung für eigene Praktiken verstanden – ganz entgegen ihrer offiziellen Negativevaluierung. Trotz der geringen Verbreitung westlicher Serien im indonesischen Fernsehen sind den jungen Frauen die Serien 90210 Beverly Hills, Friends und Baywatch bekannt. Sie haben diese Serien nach eigenen Angaben im Fernsehen verfolgt. In der Zeit meines Forschungsaufenthaltes liefen die westlichen Serien Desperate Housewives und Heroes im lokalen Fernsehen. Alle bekannten westlichen Serien und westliche Romanzen waren darüber hinaus – oft in unzensierten Versionen – als Raub-DVDs für einen sehr kleinen Preis an Straßenständen und sogar an Ständen in Einkaufszentren erhältlich. Auch wenn westliche Filme und Serien im asrama weniger rezipiert wurden, waren ihnen viele westliche Liebesfilme und Serien bekannt, und auch im Kino schauten sie recht häufig die aktuellen Box Office-Hits aus Hollywood. Darüber hinaus imitieren indonesische Filme und Serien oftmals Liebesszenarien, -settings und -symbole der westlichen Filmsprache wie Candle Light Dinner-Situationen, Sonnenuntergänge, rote Rosen, der glitzernde Fingerring als Geschenk des Mannes an die Frau, etc.212. Auch westliche Luxus- und Konsumgüter wie große, westliche Autos, schicke Abendgarderobe (Anzüge, Abendkleider), als westlich geltende Kleidung (Miniröcke, Tops mit tiefen Ausschnitten), mit dem Westen assoziiertes Essen (Chicken Wings, Hamburger, Pizza und Pasta) und Getränke (Rotwein, Sekt, etc.) oder auch »westliche« Orte (Diskotheken, Pubs, Malls) tauchen in indonesische Filmen stets zur Inszenierung der Modernität der Großstadt, an die die romantische Liebebeziehung oft ebenso gekoppelt ist, auf213.

212 Der Einsatz dieser westlichen romantischen Symbole wird auch später in den Analysen indonesischer Filme deutlich. 213 Dies wird genauer anhand der konkreten Filmbeispiele in Kapitel B.III.3.4.5 deutlich.

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3.

D IE »L IEBES - RELEVANTEN « TV-S ENDUNGEN AUS I NDONESIEN

3.1

Infotainment

Das infotainment, als Neologismus von Information und Entertainment, bezeichnet die indonesischen Klatsch-Fernsehmagazine, die tagsüber einen Großteil des indonesischen Fernsehprogramms bestimmen. Es wird dabei im Stil der Boulevard-Presse vor allem über das Leben von indonesischen SchauspielerInnen und SängerInnen, ferner auch über andere öffentliche Personen und aktuelle Geschehnisse in Indonesien berichtet. Die jungen Frauen haben ein großes Interesse an den sensationsgeleiteten Berichten über die Stars und Sternchen, die ihre Idole und Identifikationspersonen darstellen. Im Zentrum stehen deren persönlichen Liebesgeschichten und Alltagsdramen: neue Liebesbeziehungen, Ehedramen, Scheidungen, Krankheiten und Unfälle. Man spricht über die neuen Filmrollen und Musikalben der Berühmtheiten. Diese kommentieren auch aktuelle soziale und politische Geschehnissen (wie beispielsweise die Diskussion um das Antipornographie-Gesetz) wie auch soziale Praktiken (wie voreheliche Beziehungen) und Prozesse (wie Globalisierung und ihre Einflüsse). Die Programme bieten so einen Überblick über öffentlich wirksame Themen, die darüber hinaus von bekannten Persönlichkeiten bewertet und evaluiert werden. Deren soziales Verhalten – vor allem aber ihre zwischengeschlechtlichen Beziehungen – unterliegen in den Berichten selbst einer starken Bewertung, bei der »indonesische Verhaltensnormen« exemplifiziert werden. Dabei stehen die zwischengeschlechtlichen Beziehungen oftmals im Zentrum des Interesses. Die jungen Frauen im asrama haben ein großes Interesse daran, über die aktuellen Geschichten gut informiert zu sein. Denn darüber tauscht man sich auch außerhalb der direkten Fernsehrezeptionssituation, beispielsweise auf dem Campus oder bei der Arbeit, aus. Kann man dabei nicht mitreden erfährt man einen Ausschluss aus vielen Kommunikationssituationen, deren Gespräche sich um die infotainment-Sendungen kreisen. Die infotainmentProgramme sind ein vitaler Bestandteil der angeregten Debatten über moralische Werte und Normen, über nationale Identität, über Religiosität, etc. Auch in den kollektiven Diskussionen über Werte und Verhaltensnormen wird auf die infotainment-Inhalte stets Bezug genommen. Die Programme zeichnen sich durch schnelle Schnitte, Zeitlupen zur Dramatisierung »emotionaler« Situationen, den Einsatz von stimmungsuntermalender Musik, kurzen Interviewsequenzen mit bekannten Persönlichkeiten, footage Material und einem stark bewertenden und moralisierenden, den Zuschauer durch die Sendung führenden Off-Kommentar aus214.

214 Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=ysB3Vk55KHI, zuletzt gesichtet am 3.12.09, für ein Beispiel aus der infotainment-Sendung Cek & Ricek, das einen

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3.2

Sinema elektrik – sinetron

Die national produzierten melodramatischen Soap-Operas in Indonesien, die sinetron, dominieren derzeit das indonesische, vor allem abendliche Fernsehprogramm. In Reaktion auf die Öffnung des Fernsehens für ausländische TV-Sendungen, auf die Neuentstehung zahlreicher privater Fernsehprogramme wie auch auf die anschließende Reduzierung ausländischer TVSendungen im indonesischen Fernsehen (vgl. Kitley 2000:103), sollte durch die zunehmende Produktion von sinetron für ein indonesisches Publikum »geeignetere« Alternativen für die ausländischen Serien geschaffen werden. Dies diente zudem der Ankurbelung der nationalen Filmproduktion und der Einsparung von entstehenden Kosten durch die geringen Produktionskosten der sinetron im Vergleich zur teureren Ausstrahlung ausländischer Sendungen. In dem Orde Baru Regime galten sinetron als unterhaltende Bildungsmaßnahmen für Fernsehzuschauer, die als »ungebildet« und »zu belehren« galten. Nationalstaatlich konstruierte Werte und Normen sowie Rollenmodelle fanden in den Geschichten explizite Ausformulierung. Sie sollten über die Geschichten von den RezipientInnen »erlernt« werden und so zu der Konstruktion eines einheitlichen Nationalstaates und einer nationalen indonesischen Identität beitragen. An der Entwicklung der Geschichten waren die Regierungsorganisationen direkt beteiligt, die die nationale Politiklinie im Bereich von Gesundheitspolitik, Transmigrationsplanung, Familienplanung, etc. direkt in Medienbotschaften integrierte (vgl. hierzu Kapitel B.I). Die sinetron-Texte waren so mit sehr klischeehaften Botschaften und Stereotypen nationalstaatlicher Rhetoriken durchzogen. Aripurnami (1996: 250), die dies detaillierter ausführt, schreibt hierzu: »Sinetron is not the same as soap opera, however, for it does not deal with romance and family life. It also carries messages from the government.«

Auch nach dem Ende des Orde Baru Regimes bleiben die sinetron, die positive und negative Rollenmodelle konstruieren, mit moralischen Untertönen versehen (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.2, B.II.5.3 und B.II.6). Dennoch wird bei der Konzeption der Serien mittlerweile stärker auf ein vonseiten der Produzenten konstruiertes Bild der Bedürfnisse und Wünsche des Publikums eingegangen, die es, um erfolgreiche Einschaltquoten zu gewährleisten, zu befriedigen gelte. Angesichts der indonesischen Filmzensur greift jedoch bereits in der Produktionsphase eine Selbstkontrolle der Produzenten und Regisseure, die die Inhalte und Bilder ihrer filmischen Produkte im Bewusstsein einer potentiellen späteren Zensur bereits im Vorfeld restringiert (vgl. hierzu Ka-

Beitrag zum trend kawin siri’ (Scham-Hochzeit; wörtlich: Trend zu heiraten wegen siri’, z. B. wegen einer außerehelichen Schangerschaft) bei indonesischen Fernsehstars zeigt.

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pitel B.I.2). Küsse, intime Szenen, rauchende Frauen und Alkohol konsumierende Menschen, die Darstellung von Tätowierungen beispielsweise – all das steht potentiell unter Gefahr, von der Filmzensur entfernt zu werden, weswegen solche Bilder bereits bei der Produktion weggelassen werden. Um den aktuellen Trends des indonesischen »Filmgeschmacks« zu folgen, orientieren sich die meisten sinetron derzeit stark am Vorbild der südamerikanischen telenovelas und der asiatischen Serien (film Mandarin). Die sinetron werden in kurzer Produktionszeit und mittels geringerer Kosten hergestellt. Die meist melodramatischen, in Serienform gedrehten Formate215 werden Episode für Episode produziert. Abhängig von ihrem Erfolg beim Publikum wird die Produktion fortgeführt oder auch beendet. So kommt es dazu, dass einige der sinetron endlos weiterlaufen und einige ohne abgeschlossenes Ende einfach aus dem Programm verschwinden. Diese Produktionsweise orientiert sich an den Einschaltquoten der einzelnen Folgen, von denen auf die Attraktivität ihres Inhalts für das Publikum geschlossen wird. So wird in der Folgeproduktion versucht, durch die Einschaltquote signalisierte, besonders »beliebte« Höhepunkte (wie Schlägereien, komödiantische Einlagen, etc.) erneut in der Geschichte zu berücksichtigen. Von Zentralität für den Erfolg einer Serie ist darüber hinaus der Einsatz bekannter SchauspielerInnen oder schauspielernder SängerInnen, die auch in infotainment-Programmen zum Thema öffentlicher Diskussionen werden. Darüber hinaus ist die verwendete Musik (meist indonesische Popmusik), die meist von national bekannten Musikgruppen stammt, zentral für die Popularität einer Serie. Der Titelsong, der einem auch im Radio oder auf Musikkanälen stets begegnet, wird eng mit der jeweiligen Serie korreliert, Musikvideos der Gruppen zeigen immer wieder auch Ausschnitte der Serien (oder Filme). Die mit Abstand größte Mehrzahl aller sinetron kreisen um das Thema der Liebe in zwischengeschlechtlichen Beziehungen. Oft geht es dabei um die Liebesbeziehungen junger Menschen. Diese werden jedoch stets in einem Netz sozialer Beziehungen kontextualisiert, die die Liebe zwischen den Protagonisten erschweren, wie beispielsweise Eltern, die ihr nicht zustimmen216. Als Hauptthemen der Serien lassen sich folgende Bereiche herauskristallisieren: Liebesbeziehungen im Rahmen von Highschool-Geschichten; Liebesgeschichten zwischen einer jungen Frau aus einer ländlichen Region und einem reichen Mann aus der Stadt; Ehe-/Beziehungsprobleme verursacht durch Untreue, Krankheit, Inakzeptanz durch die Familien; Generationsprobleme angesichts des modernen Lebensstils der Kinder.

215 Vgl. zum Melodrama die Kapitel B.III.2.1 über telenovelas und B.III.2.2 über Bollywoodfilme. 216 Vgl. hierzu das Kapitel B.III.2.2 über die Bollywoodfilme, bei denen sich die Emotionen nach Ansicht der Filmproduzenten gerade durch das Eingespanntsein der Liebenden in ein Netz sozialer Beziehungen und Verpflichtungen ableitet. Dies scheint bei sinetron und indonesischen Filmen ähnlich zu sein.

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So stimmen die Familien der Protagonisten ihren Liebesbeziehungen oft nicht zu und intrigieren gegen die Verbindungen; einer der beiden Liebenden ist bereits einem Dritten versprochen; die Liebenden wissen ihre Gefühle füreinander nicht zu artikulieren; eine Krankheit oder der Tod eines der Liebenden verhindert ein gemeinsames Glück; einer der Liebenden opfert seine Liebe zugunsten sozialer Verpflichtungen, um dem Geliebten eine gute und glückliche Zukunft zu garantieren oder aus Mitgefühl für einen Dritten. Man findet in sinetron oft folgende Personenkonstellationen: Eine schöne Frau in einer verzweifelten Situation und ein reicher moderner Mann mit einem guten Herz, die sich ineinander verlieben; ein »böser« Mann, der eine »gute« Frau bedroht; eine dritte Person, die eine bestehende, glückliche Zweierbeziehung bedroht; eine intrigierende, meist reiche (potentielle) Schwiegermutter und eine gutherzige, meist aus armen Verhältnissen stammende (potentielle) Schwiegertochter; die direkte Gegenüberstellung einer guten, dem Mann folgenden Ehefrau/Frau, die ihre häuslichen Pflichten und emotionale Sorge um alle Familienmitglieder ernst nimmt, mit einer egozentrischen, oft karriereorientierten, unabhängigen Ehefrau/Frau, die ihr eigenes Vergnügen über ihre weiblichen Pflichten stellt, etc. Sinetron zeichnen sich darüber durch die Abwesenheit von »sexuellem« Material aus. Neben den konkreten »externen« Problemen auf dem Weg zu einem Happy End der Liebe thematisieren die sinetron auch »interne« Konflikte der Liebenden wie beispielsweise Artikulationsprobleme von Liebesgefühlen und die Unsicherheiten, die sich aus dem Konflikt zwischen persönlichen Gefühlen und der kulturellen Vorgabe, zurückhaltend zu sein, ergeben (dies gilt besonders für die Darstellung von Frauen). Es lassen sich deutliche Korrelationen zu Problemen und zentralen Fragen der jungen Frauen in ihrer eigenen sozialen Alltagswelt ziehen. In rezenten indonesischen Liebesfilmen, die für das Kino produziert sind, spielen familienbezogene Probleme eine geringere Rolle. Zum Teil werden die familiären Kontexte der Protagonisten nicht einmal thematisiert. Es geht dort stärker um die Probleme der Artikulation von Liebesgefühlen, die Missverständnisse verursachen, die sich erst am Ende der Geschichte auflösen lassen, um eine Dreierkonstellation in der Liebesgeschichte, die das Opfern der Liebe einer der Personen beinhaltet, sowie um dramatische Krankheiten, die die Liebe bedrohen und oft zum Tod einer oder eines der Liebenden führen217. Die familienbezogenen Konflikte der sinetron hingegen scheinen von größerem Interesse für das breite, alle Altersklassen und Schichten durchziehende Fernsehpublikum zu sein, wie auch mehr Raum für eine lange, sich über zahlreiche Episoden hinziehende, verstrickte Entwicklung der Seriengeschichte zu bieten. Wie bereits angesprochen, stellen indonesische sinetron oft Adaptionen oder auch direkte Plagiate importierter Fernsehserien, meist anderer asiatischer oder auch südamerikanischer Länder, dar, die

217 Dies wird in Kapitel B.III.3 genauer ausgeführt.

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beim indonesischen Publikum bereits Erfolg verzeichnet hatten. Während die Produzenten der sinetron berichten, sie seien aufgrund der hohen Nachfrage an finanziell günstig und ohne großen Zeitaufwand produzierten neuen Serien dazu gezwungen, auf bestehende Geschichten zurückzugreifen, schreiben die Konsumenten dies meist deren Einfallslosigkeit zu. Es ist weitbekannt, welche sinetron eine Adaption oder Kopien welcher ausländischen Serien218 darstellt, und jede neue indonesische Serie steht zunächst unter Verdacht, ein Plagiat zu sein, was in den meisten Fällen auch zutrifft. Kitley (2004: 147f.) beschreibt detailliert die breite Akzeptanz illegaler Kopien von Formaten und Geschichten ausländischer Dramen vonseiten der Produzenten und der Fernsehsender in Indonesien. Eine unzureichende institutionalisierte Copyright-Regulation in Indonesien führt dazu, dass illegale Kopien und Adaptionen in Indonesien immer noch große Verbreitung finden (ebd.: 148–151). Kitley argumentiert, dass »[t]he recent rise in the format trade is best understood as an outcome of Indonesian audiences’ preferences – like audiences worldwide – for local productions, and of an industry that has developed over two distinct time frames« (ebd.: 153). Formatadaptionen würden den lokalen Fernsehstationen darüber hinaus Sicherheit bieten, relativ erfolgreich zu sein, und Indonesiens Fernsehindustrie an die Normen und Praktiken, die auch die internationale Industrie formen, anschließen: »Format programmes offer Indonesian television stations a ready supply of what audience accept – and the new regulatory regime promotes – as local programming. The production values, well worked out scripts and track record of formats offer stations security, not only in the sense that formats are tested products and have a good chance of success, but also in the sense that buying formats aligns the stations to the norms and practices which shape the international industry.« (Ebd.: 153)

Neben den Liebesgeschichten gibt es sinetron religi. Sie dominieren das Fernsehprogramm während des Ramadans, werden jedoch auch in eingeschränkterem Maße im täglichen Programm gezeigt. Es geht dabei meist um das Leben religiöser Menschen in einem moralisch ambivalenten Umfeld von egoistischen, ungläubigen sowie geld- und machtgierigen Menschen und den daraus resultierenden Problemen. Meist beinhalten sie auch Geschichten einer Person – oft einer armen, gutherzigen, jungen Frau –, die gerade erst lernt, ihre (neue) Religion zu praktizieren, da sie aus einem »ungebildeten« (»unreligiösen«) Umfeld kommt oder zu einer neuen Religion konvertiert ist. In den Fernsehgeschichten geht es dabei immer um den Is-

218 Auch im Internet gibt es zahlreiche Foren, in denen darüber diskutiert wird, wie auch Listen mit »erkannten« Plagiaten, vgl. hierzu beispielsweise: http://www. rileks.com/artikel/31102006119538-128-jiplakan-sinetron-indonesia.html, zuletzt gesichtet am 27.02.09 oder http://hellojolly.multiply.com/journal, zuletzt gesichtet am 27.02.09.

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lam. Davon zu unterscheiden sind sinetron mistik, in denen es Figuren der »mythischen Welt« gibt, wie hantu (Geister), tuyul (kleine, den Menschen dienende Gnome, die andere Menschen bestehlen oder Schaden anderer Art über sie bringen können), etc. Diese versuchen, das Leben guter Menschen zu verkomplizieren oder – mitunter gesteuert durch andere Personen –, Schaden anzurichten. Auch »paranormale Techniken« wie Hypnose, pelet (Magie, vgl. Kapitel B.II.5.1.3), etc. werden hier thematisiert und negativ als »rückwärtsgewandt«, »unmodern« und »heidnisch« dargestellt. Indonesische Zuschauer geniessen solche »mythischen« Genres, was auch der Erfolg der sehr populären indonesischen Horrorfilme zeigt, die von Geistern, Zombies, schwarzer Magie, etc. handeln. Filmregisseure, die einen solchen Markt bedienen – wie z. B. auch mein Interviewpartner Hanny Saputra – artikulieren, dass indonesische Zuschauer solche »rückwärtsgewandten« und »unmodernen« Geschichten sehen wollten, was die indonesische Filmproduktion bestimmt. Die »erzwungene« eigene Produktion solcher Filme wird von den Regisseuren als Restriktion der eigenen eigentlichen Ideen und kreativen Vorstellungen der Regisseure durch die Zuschauerbedürfnisse konzipiert219. Diese grenzen sich vom »ungebildeten Filmgeschmack«, wie auch von den »heidnische« und »unmoderne« Glaubensvorstellungen, des Großteils der Indonesier ab. Der indonesische Markt sei für ihren eigenen moderneren und selektiveren Filmgeschmack noch nicht reif. Solche als künstlerisch und inhaltlich wertvoller gedachten Filme könnten in Indonesien derzeit (noch) keinen Erfolg haben220 3.3

Indonesische Filme

Diese national, meist in der Hauptstadt Jakarta produzierten Filme beziehen sich selbst auf Settings, Symbole und z. T. auch Semantiken ausländischer Filme, die jedoch für den indonesischen Kontext adaptiert und so für ein indonesisches Publikum als angemessen erachtet werden. Die Filme konstruieren einen modernen indonesischen Beziehungsdiskurs und Liebessymbole und -semantiken, die zum großen Teil von kulturellen Bugis Konzepten und Verhaltensnormen abweichen. Dies ist zum einen ihrem Herkunftskontext aus Jakarta, der modernen Großstadt zuzuschreiben, zum anderen ihrem spezifischen Absatzmarkt, der auf ein kaufkräftiges Publikum der Mittelklasse oder der gehobeneren Schicht ausgerichtet ist, das sich die teuren Kinoeintrittspreise leisten kann. Es wird also nur für einen kleinen Teil der meist städtischen Bevölkerung und nicht für das indonesische Fernsehpublikum produziert. Die Filme stellen modern orientierte Liebessemantiken und

219 Dies ergibt sich aus Interviews mit Hanny Saputra und Hanung Bramantyo. 220 Neben Hanny Saputra und Hanung Bramantyo bestätigen auch Interviews mit Deddy Mizwar und Slamet Rahardjo diese Meinung. Diese Interviews führte ich im Jahre 2007 in Jakarta durch.

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-settings und ein offeneres zwischengeschlechtliches Verhalten als die, die in indonesischen Fernsehfilmen gezeigt werden, dar. Küsse (keine Zungenküsse) des Paares sind in solchen Filmen üblich, während diese im indonesischen Fernsehen nicht gezeigt werden dürfen. Oft spielen die Familien in Bezug auf die Entwicklung der Liebesgeschichte gar keine Rolle. Das Setting der Filme ist meist in urbanen Kontexten der Mittelklasse oder der gehobenen Schicht situiert, die Visualität der Filme ist geprägt von großen Autos, herrschaftlichen, großen Häusern, schicken Restaurants und Cafés, moderner und oft recht freizügiger Kleidung der ProtagonistInnen, etc. In den Filmen geht es meist, nachdem bereits zu Anfang des Filmes relativ deutlich geworden ist, wessen Liebesbeziehung in dem Film behandelt werden soll, darum, die entstandenen Liebesgefühle zu artikulieren und die Beziehung so, nach vielen Hindernissen und Schwierigkeiten, in eine etablierte Mann-Frau-Beziehung zu überführen. Die Hindernisse, die es auf diesem Weg zu überwinden gilt, sind einerseits die Artikulation der Gefühle und die Deutung der Gefühle des anderen, die aufgrund deren fehlender Artikulation nicht deutlich zum Vorschein treten – auch wenn dem Zuschauer diese durch den Einsatz von Musik, durch Großaufnahmen, durch die Montage und durch Teile der Geschichte, die dem jeweils anderen verborgen bleiben, von Anfang an deutlich gemacht werden. Ein zentraler Topos des Hindernisses einer Liebesbeziehung stellt in solchen Filmen auch oft eine schwere, oft tödliche Krankheit eines der beiden Protagonisten dar. Diese veranlasst den Protagonisten, sich von dem anderen zurückzuziehen und seine Gefühle nicht kundzutun, um entstehende Erwartungen an eine gemeinsame Zeit nicht durch den nahestehenden Tod zu enttäuschen. Oft ist in die Liebesgeschichte auch ein jeweiliger Dritter involviert, der Gefühle für einen der beiden Protagonisten hegt und seine Liebe zugunsten des Wohls der Liebenden opfert. In den Liebesfilmen stehen die romantischen Liebesgefühle der Protagonisten im Vordergrund und nicht, wie im wahren Leben der jungen Frauen, die Notwendigkeit, seinen Partner nach rationalen Aspekten zu wählen. Sie scheinen damit das Verfolgen individueller Liebesgefühle zu ermutigen. Die Figurenkonstellation besteht in diesen Filmen aus einem jungen, aktiven, gut aussehenden Mann, der sich zuerst in eine junge, schöne, oft zurückhaltende Frau verliebt. Die Erwiderung der Liebe durch die Frau erscheint dahingegen oft als eine Art passive Reaktion auf die Gefühle und Taten des jungen Mannes. Der Mann muss seine Liebe zu ihr durch Taten unter Beweis stellen und schließlich auch artikulieren. Die Frau hingegen zeigt oft ein passiveres, schüchterneres und abwartendes Verhalten dem Mann gegenüber. Sie ist meist nicht fähig, die Gefühle des Mannes ihr gegenüber zu deuten, sofern diese nicht direkt ausgesprochen werden, obwohl die Zuneigung durch seine Handlungen und Taten eigentlich offensichtlich wird. Die Protagonistin, in die sich der Mann verliebt, ist in den Filmen meist eine sehr feminine und schöne Frau, mit langen Haaren und einem zurückhaltenden Verhalten. Burschikosere Frauen spielen in den Fil-

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men auch oft eine Rolle, sind jedoch meist diejenigen, deren Liebe von den Männern nicht erwidert wird. Sie werden von ihm eher als platonische Freundinnen und Vertraute wahrgenommen und stehen ihnen oft sogar bei deren Partnerwerbung um andere Frauen tatkräftig zur Seite. 3.4

Zentrale Themen und Symbole

Im Folgenden sollen einige der zentralen Oppositionen vorgestellt werden, die für die Bestimmung des Eigenen und des Fremden zentral werden und die die moralischen Spannungen der Geschichten von sinetron und Filmen konstruieren. Auch die immer wieder auftauchenden Topoi und Symboliken, die für die Darstellung der Romanze zentral sind, sollen kurz vorgestellt werden. Einige dieser, wie das besondere Problem der Artikulation von Liebesgefühlen, sind speziell für den indonesischen Film sehr typisch – wewegen ich dieses Problem anhand dreier Filmbeispiele beispielhaft genauer analysiere – andere Symboliken, wie beispielsweise das »romantische Dinner«, Blumen, Ringe, etc., sind vom Hollywood- und Bollywoodkino inspiriert. Als stereotypisierte romantische Symbole, als sich ständig wiederholende und gegenseitig zitierende »symbolic «snapshots« […] in which romantic feelings can be recapitulated« (Illouz 1997: 4), sind sie zentral für das Verständnis von romantischer Liebe der jungen Frauen in Makassar und bestimmen die Art und Weise, wie über romantische Liebe gesprochen wird. 3.4.1 Dorf-/Stadt-Dualismus Der Dorf-/Stadt-Dualismus, der in vielen indonesischen Serien und auch Filmen aufgebaut wird, schließt an die widersprüchlichen nationalstaatlichen Rhetoriken an, die auf die Konstruktion einer indonesischen nationalen Modernität abzielen. Dabei wird das dörfliche Leben im Gegensatz zur modernen, fortschrittsorientierten Stadt einerseits als Raum »überholter« und »rückwärtsgewandter Traditionen«, in dem viele »noch nicht aufgeklärte«, »primitive«, »ungebildete« Menschen wohnen, andererseits in Abgrenzung zum verwestlichten städtischen Leben als Ort eines »heilen Idylls«, in dem die »indonesische Tradition« noch unberührt von negativen westlichen Einflüssen ist, konstruiert (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.2). In indonesischen Serien und Filmen findet man oft prototypische Figurenzeichnungen »unmoderner«, dörflicher, ungebildeter und »heidnischen Glaubensvorstellungen« verhafteter Charaktere, die tölpelhaft und humoristisch inszeniert sind. Aufgrund ihres mangelnden Intellekts unterlaufen ihnen oft Missgeschicke mit humoristischen Folgen. Diese »dörflichen Tölpel« werden dabei mit »edlen und gebildeten« Charakteren kontrastiert – reichen, aber gutherzigen Personen aus einer städtischen Umgebung mit einer guten und »modernen« Arbeit. Auf der anderen Seite findet man jedoch dazu widersprüchliche Prototype einfacher, aber warmherziger Charaktere aus ländlichen Regionen. Diese setzen sich aufopfernd für andere ein und machen ihr Glück nicht von

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Materialitäten abhängig. Meistens stehen dabei gutherzige, einfache und schöne Frauen vom Land, die zu Objekten des Begehrens städtischer Männer werden, im Mittelpunkt der sinetron. Diese werden im »unmoralischen« Umfeld der Stadt Opfer zahlreicher Intrigen der dort lebenden Menschen221. Die Entwicklung der Beziehung zwischen einer »ländlichen« Frau und einem »städtischen« Mannes bedarf jedoch einer längeren Phase der Annäherung, bei der sich beide Personen zunächst kritisch von ihrem jeweiligen sozialen Umfeld distanzieren müssen: Der reiche Großstadtmensch erfährt das tugendhafte Leben im Dorf 222. Die junge Frau erkennt nach der Revision ihrer schlechten Meinung über die unmoralischen Großstadtmenschen das gute Herz des Mannes und ihre wahren Gefühle. Sie übernimmt durch ihr Leben in der Stadt positiv konnotierte moderne Elemente des Großstadtlebens (beispielsweise macht sie eine Ausbildung, kleidet sich »städtisch«, etc.), bleibt jedoch die moralisch gute Frau, die sich von den negativen Seiten des Lebens in der Stadt wie Konsumorientierung, sexuelle Unmoral, Egoismus, etc. nicht beeinflussen lässt. Die städtischen Charaktere lernen z. T. von ihrer Tugend, ihrer Moral und ihrer Einfachheit. Der Mann geht infolge seiner Liebe für die einfache Frau kritischer mit seinem z. T. moralisch dubiosen Umfeld um und grenzt sich zunehmend gegen dieses ab. So kann die Liebe der Protagonisten, die oft – trotz zahlreicher Intrigen – in einem Aschenputtel-Happy End abschließt, auch als Vereinigung der unterschiedlichen Regionen und Schichten Indonesiens als einheitliche Nation, die moralisch anständig, aber modern ist, interpretiert werden. Die Großstadt und das Dorf fungieren in den Medientexten so als Zeichen mit jeweilig doppelten Bedeutungen. Die Großstadt steht dabei einerseits für eine westlich beeinflusste Unmoral im oben aufgeführten Sinne, auf der anderen Seite fungiert sie als Symbol modernen Fortschritts und Bildung. Sie wird in den Serien so einerseits zur Inszenierung sozial unakzeptablen Verhaltens eingesetzt, von dem man sich abgrenzen sollte, andererseits als Zeichen für Modernität, die man anstreben sollte, konzipiert. Die jeweilige Darstellung der Großstadt ist eng verknüpft mit der Inszenierung des Dorfes, da diese meist in ein zueinander gegensätzliches Verhältnis gestellt werden. Je nach der jeweiligen Bedeutungszuschreibung der Großstadt kann das Dorf als moralisches,

221 Beispielsweise der »bösen« Schwiegermutter, die die arme Frau nicht akzeptiert und bereits eine andere, reiche Frau für ihren Sohn ausgewählt hat, oder einer anderen Frau, die an dem Mann interessiert sind und durch Intrigen versucht, ihn für sich zu gewinnen (vgl. beispielsweise die Serie Cinta Fitri, deren vier Staffeln wiederholt auf SCTV ausgestrahlt wurden, auch zum Zeitpunkt meiner Forschung). 222 Vgl. hierzu beispielsweise die Serie Impian Cinderella, die zum Zeitpunkt meiner Forschung auf RCTI lief: Dort erfährt der reiche Mann aus dem modernen, aber »egoistischen« Umfeld der Stadt durch einen Erinnerungsverlust bei einem Unfall eine soziale Resozialisierung bei einer ländlichen Familie, die sich um ihn kümmert.

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tugendhaftes Idyll, in dem die Menschen noch kulturellen Werten und Normen folgen, inszeniert werden oder auch als Ort »rückwärtsgewandten, primitiven Traditionalismus«223. Medientexte handeln diese Oppositionen selten kohärent einheitlich aus, sondern stützen sich situativ auf diese Zeichen. So werden einige der Großstadtmenschen als unmoralisch und geldgierig dargestellt, andere als gutherzig und fortgeschritten-modern, wie auch einige Dorfbewohner als einfache, gutherzige, solidarische Menschen beschrieben werden und andere als unzivilisierte »Tölpel«224. 3.4.2 Religiosität/Unreligiosität Wie bereits angesprochen, fungiert Religiosität im Sinne einer monotheistischen Religion – in indonesischen Serien und Filmen meist der Islam – in den Medientexten als Differenzmarker zwischen Gut und Böse, zwischen Moral und Unmoralität. Dabei werden unreligiöse Menschen meist als »triebgesteuert« und »interessegeleitet« inszeniert. Interessen wie Geld und Sexualität, Egoismus und Unmoral stehen bei der filmischen Inszenierung ihres Verhaltens im Vordergrund. Zum Erreichen ihrer Ziele verwenden sie oft mystische und negativ evaluierte »heidnische« Praktiken wie pelet und agieren mit moralisch dubiosen Personen wie negativ evaluierten Magier. Sie verfolgen eigene Interessen in Ignoranz des Wohls anderer Menschen und bringen oft Schlechtes über andere Menschen, etc. Die unreligiösen Menschen mit ihrem unsozialen und unmoralischen Verhalten werden meist direkt mit religiösen, visuell durch die Farbe Weiß markierten und mit religiösen Accessoires wie Schleier oder einer Muslimkappe ausgestatteten Menschen, kontrastiert, die das Wohl anderer über ihr eigenes stellen und moralisch stets einwandfrei handeln225. 3.4.3 Frauenbilder In indonesischen Filmen und Serien werden Frauenbilder gemäß bestehenden, in nationalstaatlichen und religiösen Diskursen konstruierten Frauenrollen (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.2.1 und B.II.5.3 wie auch B.II.6) ausgearbeitet. Dabei steht die sich um den Mann (ihren Vater, ihren Freund oder ihren Ehemann) aufopfernd sorgende, gutherzige Frau einer egozentrischen, kar-

223 Natürlich wird diese Dorf-/Stadtkonzeption immer über das Verhalten der Charaktere transportiert. Also werden primär Menschen diesen Konzeptionen zufolge inszeniert. 224 Diese Darstellungen lassen sich direkt auf die in sich widersprüchlichen nationalstaatlichen Diskurse, die in Kapitel B.II.5.2 vorgestellt wurden, beziehen. 225 Vgl. hierzu auch Heryanto 2009 und Kapitel B.II.5.3.

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riereorientierten und den Mann vernachlässigenden Frau gegenüber226. Die Serien und Filme warnen kontinuierlich vor den negativen Konsequenzen, die den Geschichten zufolge aus einem solchen egoistischen Verhalten resultieren: die daraus resultierende Untreue des Mannes, verheerende Folgen ihrer außerehelichen sexuellen Kontakte wie Tod, Krankheit oder Schwangerschaft und Abtreibung. Zur Erklärung für »subversives« weibliches Verhalten werden diegetisch meist Gründe herangezogen, die dieses durch externe Entwicklungen begründet und dies so als nicht-natürliches weibliches Verhalten deklarieren: Beispielsweise können dabei ein reiches, emotional kaltes Elternhaus, in dem sich die einem Beruf nachgehende Mutter nicht um ihre Tochter gekümmert hat, oder auch der Tod der leiblichen Mutter und eine »böse« Schwiegermutter für die »Störung« der Tochter verantwortlich gemacht werden. Auch eine zerbrochene große Liebe und die Nichtaufarbeitung der Gefühle werden als Grund dafür zitiert, die Frau emotional aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben, etc. Männliches Fehlverhalten einer Frau gegenüber (wie eheliche Untreue) wird meist mit einem Fehlverhalten der Ehefrau erklärt und nicht als Fehler des Mannes beschrieben. 3.4.4 Familienkonflikte Ein zentraler Topos in indonesischen Serien ist die Nichtakzeptanz der filmisch entwickelten Liebesbeziehung zwischen den aus verschiedenen sozialen Klassen stammenden Protagonisten durch die Eltern. Meist handelt es sich dabei um die Eltern des reichen Mannes, die für ihn bereits eine andere Ehekandidatin aus demselben sozialen Umfeld auserwählt haben. Der Protagonist ist dabei ökonomisch oft von seinen Eltern abhängig: Agiert der Protagonist gegen den Willen der Eltern, läuft er Gefahr, beispielsweise seine meist in der Firma des Vaters lokalisierte Arbeit zu verlieren und mittellos aus der Familie ausgestoßen zu werden. Doch wählt der Protagonist meist die Liebe vor der finanziellen Sicherheit und der Loyalität zu seinen Eltern, woraus lang andauernde familiäre Spannungen resultieren, die andere Figuren, wie Geschwister oder Freunde, im Laufe der Geschichte versuchen zu bereinigen. 3.4.5 Die Liebeserklärung In indonesischen Filmen stellt die Liebeserklärung oft ein zentrales Problem der Geschichte dar. Während dem Filmzuschauer durch die Schnitte, den

226 Vgl. hierzu auch die Angaben der jungen Frauen selbst, die sich von diesem negativen Frauenbild abgrenzen wollen, beispielsweise Indri in dem Kapitel B.III.7.1, wie auch die negative Evaluation von solchen karriereorientierten Frauen durch Feby in Kapitel B.II.6, die ihm zufolge keine Liebe empfinden könnten.

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Einsatz von Musik, Rückblenden, die Blicke der Protagonisten und Gespräche mit Dritten, etc. deutlich geworden ist, dass die Protagonisten ineinander verliebt sind, wissen diese oft nichts von der Liebe des anderen, da die Liebeserklärung ausbleibt. Dafür gibt es meist zwei verschiedene Gründe: Entweder weiß der Held seine Gefühle nicht in Worte zu fassen oder traut sich nicht, seine Gefühle dem/der anderen mitzuteilen. Andere Gründe, wie eine lebensbedrohliche Krankheit oder die Liebe des Geliebten zu einer dritten Person, können ebenso dazu führen, dass einer der Protagonisten seine Liebe verschweigt – zum Wohl des anderen. Aus dieser nicht vollzogenen Liebeserklärung resultieren Probleme und Missverständnisse, auf denen die weitere Entwicklung der Narrative basiert, bis am Ende des Filmes die Liebe schließlich zum Ausdruck gebracht wird und alle Missverständnisse aufgelöst werden. Im Folgenden werde ich das Problem der Liebeserklärung an drei verschiedenen indonesischen Kinofilmen beispielhaft genauer analysieren. Love Is Cinta (2007) Love Is Cinta (2007) ist ein indonesischer Kinofilm von Hanny Saputra, der auf einem in indonesischen Filmen zentralen Thema basiert: eine langjährige Freundschaft zwischen einem jungen Mann, Ryan, und einer jungen Frau, Cinta (sowohl ein Frauenname als auch das indonesische Wort für Liebe) seit ihrer Kindheit, die während des Heranreifens der Protagonisten zu einer Liebe wächst, die jedoch nicht sprachlich artikuliert wird. Ryan soll nach der Schule zum Studieren in die USA gehen, erleidet jedoch einen tödlichen Unfall. In einem anderen Körper kehrt er jedoch ins Diesseits zurück, um Cinta endlich seine Liebe zu gestehen. Der erste Versuch Ryans, Cinta seine Liebe zu erklären, verläuft am Anfang des Films folgendermaßen227: Ryan: Wenn ich wählen könnte, würde ich wählen, hier zu bleiben. Wir stehen uns bereits so nah. Cinta: Wie nah sind wir denn Deiner Meinung nach?

227 Die hier verwendete Sprache ist ein Jakarta-Slang junger Menschen, auch mit Bahasa Gaul (Slang) bezeichnet, der jedoch in ganz Indonesien zu verstehen ist, im Vergleich zur Hochsprache Bahasa Indonesia nur einige Wörter anders ausspricht und einige Wörter durch neue ersetzt. Viele junge Menschen anderer Regionen ahmen diesen aufgrund seines häufigen Einsatzes in Filmen und Serien und aufgrund seiner Konnotation mit Modernität oft nach. Auch die jungen Frauen im asrama verwendeten ihn oft. Vgl. hierzu auch Saxby, 2006, http://www. insideindonesia.org/content/view/198/29/, zuletzt gesichtet am 22.01.09.

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Ryan: Unsere Freundschaft ist so schön. Cinta: Freundschaft. Du meinst, Du und ich sind Freunde. So? Ryan: Nein, nein, ich meine, ich … Ich … Du verstehst schon, was ich sagen will, oder? Cinta: Wie soll ich das denn je verstehen, wenn Du es auch nie sagst? Ryan: Ich bin verwirrt … Ich bin verwirrt, wie ich das in Worte übersetzen kann … oder love? Verstehst Du, was ich meine? Cinta: Hm. Ryan: Okay, okay … [seufzt] … ich … Cinta: Ja? Ryan: Ich … Cinta: Was? Ryan: 228 Ich habe Dich lieb [sayang]. Cinta [lacht enttäuscht, ein Lied setzt ein, sie sagt mit einem wütenden Unterton]: Ja, ja, tatsächlich ist es schon normal, dass wir in diesem Leben so sind, tatsächlich müssen wir uns sehr gern haben [sayang]. Weißt Du, oder? Wir müssen unsere Eltern gern haben, Freunde gern haben, unsere Familie gern haben, Kumpel gern haben, menschliche Wesen gern haben [sayang]. Ryan: Nein [so meine ich das nicht] …

228 Vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.5 und siehe Wortübersicht in Anhang D.1.

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Cinta versteht sayang hier als allgemeines Wort für »gern haben, lieb haben«, das ebenso für Freunde und Familienangehörige verwendet wird. Sie kann dieses so, aufgrund der bestehenden Freundschaft zwischen den beiden, nicht als spezifische, zwischengeschlechtliche Liebeserklärung interpretieren. Den Zuschauern ist bewusst, dass Cinta in dieser Situation auf den Begriff cinta, den deutlicher auf »romantische Liebe« hindeutenden Begriff, gewartet hat. Da eine von ihr als solche akzeptierte Liebeserklärung also ausblieb, reagiert Cinta enttäuscht. Sie schubst Ryan etwas wütend weg und entschuldigt sich, dass sie ihn am nächsten Tag nicht zum Flughafen bringen könne, da Ivan Geburtstag habe. Am nächsten Tag singt Cinta auf Ivans Geburtstagsfeier ein Lied, nachdem sie von Ivan, der in einer Band spielt, dazu aufgefordert wird. In Cintas Lied geht es um ihr Warten auf eine Liebeserklärung von Ryan. Es bringt ihre Liebe zu ihm deutlich zum Ausdruck bringt: Irwansyah & Acha229 (Interpreten): Ada Cinta (»Es gibt Liebe«, Übersetzung: Janna Lau): Ucapkanlah kasih. Satu kata yang ku nantikan. Sebab ku tak mampu membaca matamu, Mendengar bisikmu.

Spreche die Liebe230 aus, ein Wort, auf das ich warte, denn ich bin nicht fähig, deine Augen zu lesen, dein Flüstern zu hören.

Nyanyikanlah kasih. Senandung kata hatimu, sebab ku tak sanggup mengartikan getar ini, sebab ku meragu pada dirimu.

Sing von der Liebe. Summe das Wort deines Herzens, weil ich dieses Zittern nicht deuten kann, weil ich an Dir zweifle.

Mengapa berat. Ungkapkan cinta. Padahal ia ada. Dalam rinai hujan dalam terang bulan, juga dalam sedu sedan.

Warum ist es so schwer (tust Du Dich so schwer), die Liebe (cinta) auszusprechen. Obwohl sie doch da ist. In dem Rauschen des Regens, in dem Vollmond, auch in dem Schluchzen.

229 Die Schauspieler der Rollen Cinta (Acha) und Ryan (Irwansyah) sind auch gleichzeitig die Interpreten dieses Liedes wie auch anderer Lieder des FilmSoundtracks. 230 Hier wird kasih (BI) verwendet, das sonst relativ selten verwendet wird, aber auch Liebe bedeuten kann, vgl. hierzu den Wörterindex im Anhang D.1.

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Die Szenen der singenden Cinta sind mit Szenen vom am Flughafen wartenden Ryan versetzt, der bedrückt vor sich hinschaut und in der sich leerenden Wartehalle verharrt. Die verstreichende Zeit bis zu ihrer endgültigen Trennung wird zusätzlich dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Cinta, während sie singt, ständig auf ihre Uhr schaut. Das Lied und die Gedanken an den abreisenden Ryan nehmen sie so mit, dass ihr Tränen aufsteigen, ihre Stimme zu zittern beginnt und ihr schließlich im Halse stecken bleibt. Abrupt beendet sie das Lied, rennt von der Bühne und fährt überstürzt zum Flughafen. Wie voneinander angezogen sieht man auch Ryan, der sich auf dem Weg zum Boarding Gate befindet, sich plötzlich umdrehen und zum Ausgang des Flughafengebäudes rennen. Der Film montiert Szenen, die Ryan im Taxi zu Cinta zurückkehrend zeigen, mit denen, die Cinta in ihrem Auto auf dem Weg zum Flughafen zeigen. Beide bleiben aufgrund eines zwischen ihnen lokalisierten Unfalls im Verkehr stecken. Ryan, der zuerst am Unfallort ankommt, handelt blitzschnell, als er ein kleines Mädchen in dem brennenden Unfallauto wahrnimmt. Wagemutig rettet Ryan das Kind aus den Flammen, kurz bevor der Wagen explodiert und er selbst in der Explosion stirbt. Doch der Film übernimmt Ryans Perspektive, der seinen Tod selbst nicht wahrnimmt, sondern dem davon laufenden Kind hinterher schaut. So erfährt auch der Zuschauer zunächst noch nichts von dem tragischen Unglück, denn der Film rekonstruiert das wahre Geschehen erst durch die Bilder der Fernsehnachrichten, über die auch Cinta schließlich von Ryans Tod erfährt. Ryan, der sich selbst noch am Leben glaubt, sieht auf der anderen Seite des Unfallgeschehens Cinta, die vergeblich versucht, die anderen Autos aus ihrem Weg zu dirigieren, um freie Fahrt zu erhalten. Während man Cinta am Flughafen dem abfliegenden Flugzeug hinterher blickend sieht, wird Ryan von einem Boten des Jenseits in Menschengestalt aufgesucht. Doch Ryan weigert sich, diesem ins Jenseits zu folgen. Er könne Cinta noch nicht verlassen, bevor er ihr nicht seine wahren Gefühle mitgeteilt habe. Der Bote gewährt Ryan letztlich drei Tage zusätzliche Zeit auf der Erde, um seine Angelegenheit mit Cinta zu klären. Jedoch müsse er die Gestalt eines anderen jungen Mannes, Doni, annehmen, da sein Körper durch die Explosion gänzlich zerstört sei. In Gestalt von Doni nähert sich Ryan nun Cinta, versucht mit ihr Zeit zu verbringen und sie davon zu überzeugen, dass er Ryan ist, um sie dann über seine Gefühle aufzuklären. Zu diesem Zwecke unternimmt er Dinge mit ihr, die sie bereits zuvor gemeinsam unternommen haben, sagt Sachen, die er ihr bereits gesagt hat, nimmt sie erneut auf den Hochhausrohbau mit. Doch Cinta, die über die Fernsehnachrichten von Ryans Tod erfahren hat, hält ihn für einen Lügner und zieht sich von ihm zurück. So vergeht seine verbleibende Zeit auf der Erde erfolglos. Bevor Ryan am Ende des Films seinen Weg zu dem Hochhausrohbau antritt, von wo er ins Jenseits begleitet wird, passiert er ein letztes Mal Cinta, die sich mit Ivan trifft. Ivan macht Cinta eine Liebeserklärung und schenkt ihr einen Ring. Doch diese lehnt den Ring als Symbol der Liebe ab, es sei nicht die richtige Zeit dafür. Ihren Blick auf den dämmernden Himmel

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gerichtet bricht Cinta panisch zum Hochhaus auf. Erneut zeigen die Bilder die hektische Cinta im Auto in Richtung Ryan eilend. Während Cinta erneut im Stau stecken bleibt, sieht man Ryan, der sich langsam und kraftlos auf das Hochhaus schleppt. Seine Hände zeigen bereits schwarze Flecken und deuten auf das Verrinnen der knappen restlichen Zeit auf der Erde hin. Doch dieses Mal kommt Cinta nicht zu spät. Im Licht der Dämmerung rennt Cinta die Treppen des Rohbaus hoch und sieht Ryan in Donis Körper auf dem Gebäude in der Dämmerung stehen. Und nun, am Ende des Filmes, kommt es endlich zu der Liebeserklärung, die bislang ausstand. Ryan bittet Cinta, ihm zu glauben, dass er wirklich Ryan ist und sie umarmen zu dürfen. Ein Lied setzt ein. Irwansyah & Acha (Interpreten): Cinta (»Liebe«, Übersetzung: Janna Lau): Percayakah dirimu pada keindahan cinta yang membuat jiwa ini merona jingga.

Glaube selbst an die Schönheit der Liebe (cinta)231, die diese Seele orangefarben färbt.

Percayakah dirimu pada kekuatan cinta yang memberi kita waktu untuk bersama lagi.

Glaube selbst an die Stärke der Liebe, die uns die Zeit gibt, um wieder zusammen zu sein.

Karena cinta ku ada disini. Cintai dirimu walau sebentar saja.

Weil meine Liebe ist hier. Liebe Dich selbst, auch wenn nur für einen Moment.

Terbanglah bersama dirimu menuju langit biru. Teriakkan kata cintamu Sedahsyat halilintar.

Lass mich mit Dir fliegen in den blauen Himmel. Ruf das Wort deiner Liebe aus So laut wie Donner.

Melayanglah bersama dirimu Melintasi samudra. Tarikanlah tarian cintamu Seindah gelombang.

Lass mich mit Dir schweben, mit Dir den Ozean durchqueren. Tanz den Tanz deiner Liebe Wie eine schöne Welle.

231 In diesem Liebeslied wird ausschließlich das Wort cinta für Liebe verwendet. Wie in Kapitel B.II.5.1.5 bereits ausgeführt, ist dieser Begriff äquivalent zu romantischen Konnotationen von Liebe zu verstehen.

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Terbanglah bersama dirimu Menuju langit biru Teriakkan kata cintamu Sedahsyat halilintar

Lass mich mit Dir fliegen in den blauen Himmel. Ruf das Wort deiner Liebe aus So laut wie Donner.

Melayanglah bersama dirimu Melintasi samudra Tarikanlah tarian cintamu Seindah gelombang.

Lass mich mit Dir schweben, mit Dir den Ozean durchqueren. Tanz den Tanz deiner Liebe Wie eine schöne Welle.

Während das Lied spielt, umarmen sich die beiden. Cinta schließt ihre Augen. Als sie diese wieder öffnet, ist Ryan in seiner alten Gestalt zu sehen. Cinta weint vor Glück. Man sieht die beiden in Großaufnahmen. Sie schauen sich an und sind überglücklich. Als sie sich umschauen, sehen sie, dass sie fliegen. Eng umschlungen drehen sich die beiden in der Luft. Nachdem sie wieder auf dem Hochhaus »gelandet« sind, kommt es endlich zu der Liebeserklärung. Ryan sagt: »Ich (Cinta: »Ja?«), ich liebe (cinta) dich.«. Beide lachen glücklich und sind gerührt von ihren überschwänglichen Emotionen. Cinta erwidert: »Ryan, die Stärke der Liebe hat Dich schon zu mir zurückgebracht. Und macht meine rastlose Seele wieder friedvoll. Ich bin mir sicher, dass Du weißt, dass ich Dich auch liebe.« Ryan erhebt sich erneut in die Luft und Cinta ruft ihm hinterher: »Auch wenn Du gehen musst, Du bist immer in meinem Herzen, für immer.« Apa Artinya Cinta (2005) Apa Artinya Cinta (übersetzt: »Was bedeutet Liebe«) von Sunil Soraya kam 2005 in die indonesischen Kinos und ist überall auf VCD günstig zu erstehen. Die Geschichte, die in einem sehr reichen städtischen Umfeld spielt, dreht sich um die Bekanntschaft zwischen Aliza, einer jungen, schönen Frau, die noch zur Schule geht, und Dara, dem Nachbarssohn, der in seinen Ferien aus Amerika zurückgekommen ist, wo er studiert. Aliza ist ein großer Fan der Vereinigten Staaten: Das spiegelt sich wider in ihrem Kleidungsstil (amerikanische Baseballkappe) und darin, dass sie stets davon redet, in den USA studieren zu wollen. Am Anfang des Films, noch bevor Aliza und Dara sich treffen, wird das Gerücht etabliert, Dara sei homosexuell. Dies stellt das große Missverständnis des Films dar, welches erschwert, dass der schüchterne Dara, der es nicht schafft, Aliza seine Liebe mitzuteilen, und Aliza, die sich auch in Dara verliebt, zueinander finden. Daras erstes Erscheinen vor Aliza wird am Anfang des Films in einer Szene, in der Aliza und ihre Mutter ihre Nachbarn besuchen, imposant inszeniert. Aliza und ihre Mutter sieht man in einer Totalen von hinten vor der roten Eingangstür stehen und klingeln. Einen Moment später öffnet sich die Tür, die man nun in einer Großaufnahme sieht, in Zeitlupe. Es setzt eine spannungssteigernde Musik ein. Bevor der Blick auf Dara freigegeben wird,

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sieht man eine Großaufnahme von Aliza und ihrer Mutter aus einer leichten Obersicht. Während die Mutter lächelt, schaut Aliza mit weit aufgerissenen Augen und einem halb geöffneten Mund in Richtung Dara, ihre Haare scheinen von einem von Dara ausgehenden Wind nach hinten geweht zu werden. Das Bild bleibt in Zeitlupe verzögert. Man sieht Dara in einer Nahaufnahme. Er schüttelt in Zeitlupe seine langen Haare, auf der Tonspur ist ein Windgeräusch zu vernehmen. Erneut ist eine Großaufnahme von Aliza und ihrer Mutter gegen geschnitten, die Kamera zoomt langsam auf Alizas Gesicht. Die Schuss-/Gegenschusssituation zeigt erneut Dara, nun ebenso in einer Großaufnahme aus Alizas Sicht, einer leichten Unterperspektive, während Aliza aus einer leichten Obersicht gezeigt wird. Der Blick der beiden wird ausdehnend inszeniert und deutet auf die Besonderheit dieses Augenblicks hin, mit dem die aufkommenden Liebesgefühle, zumindest von Alizas Seite, assoziiert werden. Die stakkatoartige und spannungsgeladene Musik wird unterbrochen von der Stimme der Mutter, die Dara begrüßt. Im Haus stehen sich Dara und Aliza etwas schüchtern gegenüber, Dara antwortet einsilbig auf Alizas Fragen, fixiert sie jedoch mit seinen Blicken, was Aliza etwas unangenehm zu sein scheint. Etwas enttäuscht von dem einsilbigen Gespräch kehrt Aliza heim. Ihre Unsicherheit, ob Dara homosexuell sei oder ob er Interesse an Aliza habe, zieht sich durch den ganzen Film. Sowohl sein feminin eingerichtetes Zimmer als auch seine langen Haare, seine Zurückhaltung Aliza gegenüber und die Tatsache, dass er oft mit einem anderen Mann zusammen ist, der sich später als sein Bruder herausstellt, scheinen darauf hinzuweisen. Doch im Lauf des Filmes ergeben sich zahlreiche ambivalente Situationen zwischen den beiden, die immer wieder in inszenierten, zeitlich ausgedehnten Anblicksituationen enden. Aliza, die sicher ist, Dara sei homosexuell, beginnt mit einem anderen Mann, Tama, der sehr hellhäutig ist und rötlich-blonde Haare hat, auszugehen. An einem Abend fährt Tama Aliza mit seinem Ferrari nach Hause: Eine Detailaufnahme des Ferrari Symbols seines Autos stellt Bezüge zwischen Tama und dem »Westen« her, diesmal im Sinne seines, wie man sehen wird, unmoralischen Verhaltens. Im Inneren des Autos, das im nächtlichen Regen vor Alizas Haus steht, fängt Tama ein Gespräch an, das mit dem Vorschlag seinerseits endet, die beiden sollten eine engere Beziehung eingehen. Aliza möchte sich der Situation entziehen und sagt, es sei spät, ihre Mutter würde auf sie warten. Als sie aussteigen will, zieht Tama sie zu sich und versucht, sie mit Gewalt zu küssen. In diesem Moment setzt eine Zeitlupe ein, man sieht eine Faust durch das Autofenster nach Tama schlagen. Es setzt eine suspensesteigernde Melodie ein. Dara zieht Tama aus dem Wagen und schlägt auf ihn ein. Man hört nun nur noch den Regen. Als Tama k.o. geschlagen ist, setzt eine romantische Melodie ein, in Zeitlupe und aus einer Untersicht erhebt sich der muskulöse, in einem schulterfreien Shirt gekleidete Dara und umkreist das Auto. Er stellt sich vor Aliza, die im Regen steht, und fragt sie, ob es ihr gut gehe. Seine Hand streckt sich nach ihrem Arm aus, er vollzieht die Bewegung letztlich jedoch nicht und teilt Aliza mit, sie solle besser

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heimgehen, es sei schon spät. In Zeitlupe verlässt Aliza das Geschehen, um ins Haus zu gehen. Der heldenhafte Dara rettet Aliza vor dem westlich assoziierten, sexuell gewalttätigen Tama. Dara, der am Anfang des Filmes oft trotz seines männlichen und muskulösen Erscheinungsbildes sehr feminin inszeniert wurde, erscheint hier als maskuliner heldenhafter Retter. Seine kurzen Haare, seine entblößten Muskeln und sein heldenhaftes Auftreten, durch das er die schutzlose junge Frau rettet, entziehen dem Zuschauer schließlich alle Zweifel bezüglich einer potentiell ambivalenten sexuellen Orientierung. Scheint der Zuschauer sich nun dessen gewiss, dass Dara nicht homosexuell ist und Aliza begehrt wie auch beschützt, und erwartet er nun die lang ersehnte Vereinigung der beiden Liebenden, konstruiert der Film zur Steigerung des Dramas die geographische Trennung der beiden. Dara bricht wieder nach Amerika auf, wovon Aliza erst nach seiner Abreise erfährt, da er sie, als er sich verabschieden will, nicht Zuhause vorfindet. Doch wenig später brechen auch Aliza und ihre Familie nach Amerika auf, um ihren Onkel und Alizas zukünftigen Studienort zu besuchen, denn die Familie hat ihrem Wunsch mittlerweile zugestimmt. Aliza, die Daras Telefonnummer von ihrem Bruder bekommen hat, meldet sich daraufhin etwas schüchtern bei Dara. Die beiden verabreden sich zu einem FlamencoAbend. Die anschließende Szene ist eine direkte Adaption der SevillaFlamenco-Szene aus Mission Impossible II mit nur wenigen Abweichungen, wobei Dara die Rolle von Tom Cruise und Aliza diejenige der Hauptdarstellerin Thandie Newton übernimmt. Aliza trägt als Einzige im Publikum ein rotes Kleid wie die Tänzerinnen. Wie in Mission Impossible II werden Einstellungen von Dara und Aliza gegeneinander geschnitten, dabei wird der Blick jeweils durch die Tänzerinnen in der Mitte des Saales geführt, die zum Teil mit ihren Kleidern die Sicht auf den jeweilig anderen verhüllen. Kurz bevor sich die beiden sehen, werden die Bilder in Zeitlupe verzögert. Als die beiden sich sehen, hält die Melodie des Liedes inne, nur das rhythmushafte Klatschen und Auftreten der Füße bleibt zu hören. Aliza winkt Dara, der sie anblickt, zu. Anders als in Mission Impossible II verschwindet, nachdem das Kleid einer der Tänzerinnen den Blick auf Dara verhüllt hat, jedoch Dara aus Alizas Sicht, nicht die Protagonistin aus dem Blick des Mannes – ganz gemäß dem inszenierten Begehren, wurde doch bislang meist Dara als Objekt von Alizas Begierde inszeniert. Aliza dreht sich erneut suchend um, bis Daras Hand von hinten ihre Schulter ergreift. Umgeben vom rhythmischen Klatschen des Flamenco-Publikums stehen sie sich gegenüber und unterhalten sich. Dara sagt Aliza, sie sähe anders aus an diesem Abend. Sie sei schön. Aliza bedankt sich und fragt ihn, ob dies heißen würde, sie sei sonst nicht hübsch. Dara verneint und sagt, er würde sie immer mögen (suka). Aliza lächelt erfreut. Dara schlägt vor, die beiden könnten spazieren gehen, Aliza bejaht und erst jetzt setzt die Melodie des Liedes wieder ein. Man sieht die Tänzerinnen weiter tanzen, bis das Lied endet, sie in einer Endpose verharren und man ein Klatschen der Zuschauer hört.

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Die nächste Szene zeigt erneut Nahaufnahmen eines Ferrari-Symbols, eines Ferrari-Schriftzuges, von Ferrari Motoren, bevor die Kamera in das Auto schwenkt. Man sieht Aliza und Dara in dem Wagen sitzen. Aliza fängt erneut ein Gespräch an. Obwohl beide immer noch sehr schüchtern sind, ist die Atmosphäre etwas entspannter zwischen den beiden, sie scherzen sogar miteinander. Dara stellt ein Lied an, das er bereits bei einer zuvorigen romantischen Situation mit Aliza im Auto gespielt hat. Auf Alizas Nachfrage, ob er dieses Lied immer spiele, antwortet er, er spiele es nur in romantischen Situationen. Man sieht die beiden die ganze Zeit in einer Frontaleinstellung in einer Nahaufnahme. Nun schauen sich die beiden tief in die Augen, und während ihre Köpfe näher zusammen rücken, zoomt die Kamera auf eine Großaufnahme der beiden, die sich zärtlich küssen. Aliza, ihren Blick gefangen in Daras Augen, flüstert ihm zu, sie müsse nun hineingehen. Jedoch kann sie sich scheinbar nicht von ihm lösen, es kommt zu einem zweiten Kuss. Erst danach bricht Aliza zögernd auf, die beiden schauen sich eine Weile hinterher. Am nächsten Tag sieht man Aliza lächelnd und fröhlich in Zeitlupe zwischen vielen Menschen auf der Straße zu Dara gehen. Man sieht ein großes Gebäude mit einem Fahrstuhl an der Außenwand, der in den obersten Stock fährt und auf den die Kamera zoomt. Das anschließende Bild zeigt Dara im Inneren des Appartements entsprechend der Anfangsszene des Filmes jemandem seine Zuneigung gestehen. Aliza, die durch den Spalt der Eingangstür schaut, verfolgt unbemerkt die Szene. Dara fragt die nicht im Bild sichtbare Person: »Ich mag Dich (suka). Ich hab Dich lieb (sayang), willst Du mein Freund232 werden?« Es tritt ein Mann ins Bild und umarmt Dara. Man sieht eine Großaufnahme von Alizas Gesicht, die zunächst erschrocken und dann traurig schaut. Sie schließt die Tür und verlässt das Gebäude. Wie sich später herausstellt, probte Dara seinen Auftritt vor Aliza für das geplante Abendessen lediglich vor seinem großen Bruder, dem Mann, der Dara in Indonesien stets begleitete, ihn besuchte und mit ihm in einem Zimmer übernachtet hatte. Die Missverständnisse des Filmes klären sich, als Aliza am Folgetag zum Abendessen kommt. Noch im Wohnungsflur stehend, erzählt sie Dara, sie habe das Gespräch mit dem anderen Mann mitverfolgt und wisse nun, dass Dara homosexuell sei. Dara klärt Aliza auf, dass er nur probte und der Mann sein Bruder gewesen sei. In Rückblenden sieht man Szenen, die zeigen, wie sich die von Aliza als merkwürdig empfundenen Situationen wirklich abgespielt haben. Sein feminin eingerichtetes Zimmer in Indonesien ist das seiner Schwester, der Mann, der mit ihm in einem Zimmer übernachte, sein Bruder. Zudem werden Gespräche mit seinem Bruder gezeigt, in denen er von seinen Gefühlen für Aliza spricht, und es wird gezeigt, wie er Aliza folgt, um sie zufällig zu treffen und abends darauf wartet, dass sie heim-

232 Er verwendet das geschlechtsneutrale Wort pacar, das »Freund« oder »Freundin« bedeuten kann. Da er es, wie man einen Moment später sehen kann, einem Mann gegenüber hervorbringt, versteht Aliza es als »Freund«.

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kehrt, um sie vor dem anderen Mann, der ihr zu nahekommt, zu schützen. Aliza ist nach dieser Erklärung überrascht und aufgeregt. Aliza:233 Ja, das gibt es ja nicht! Dara: Ja, es macht auch nichts, wenn Du mich nicht magst. Ich kann das schon verstehen. Aliza: Nein, Dar … Du verstehst das ganz falsch. Ich habe Dich zuerst gemocht [suka], ich habe Dich zuerst lieb gehabt [sayang]. Dara: Also … Du hast mich lieb [sayang]? Aliza: Hä? Nein … nein … Dara: Oh. Also nicht … Aliza: Ja. Dara: Also doch. Aliza: Äh, nein … Dara: Vorhin hast Du von Mögen, von Liebhaben gesprochen … wie denn nun, vorhin ja und nun nein …? Aliza: Schluss jetzt, wenn Du sprichst, bist Du so knapp, deswegen neige ich dazu, Dich falsch zu verstehen. Wenn ich einen Satz sage, hast Du nie mehr als sieben Wörter gesagt … Warum lächelst Du denn?

233 Hier wird wieder die Bahasa Gaul, die Umgangssprache, verwendet. Vgl. hierzu Fußnote 229.

254 | L IEBE IN I NDONESIEN Dara: Nichts, los, lass uns hineingehen.

Sie nickt lächelnd. Man sieht eine Detailaufnahme seiner Hand, die nach der Alizas greift, Aliza lächelt und gibt ihm ihre Hand. Als die Hände ineinandergreifen, setzt ein Jingle ein: I’m Falling in Love with you. Die beiden treten in ein Zimmer ein und bleiben stehen. Dara gratuliert ihr zum Geburtstag. Aliza ist angesichts der sich ihr offenbarenden Überraschung freudig erstaunt. Doch die Kamera bleibt auf Dara und Aliza verweilen, der Zuschauer kann die sich Aliza offenbarende Szenerie noch nicht teilen. Sie fragt, ob er das alles für sie getan habe. Er nickt, sie lächelt gerührt. Der Jingle I’m Falling in Love setzt erneut ein. Er nimmt Aliza wieder an die Hand und sie gehen zum Tisch, den man nun erst sieht. Nun setzt das zuvor durch den Jingle angekündigte Lied ein. Melly Goeslaw (Interpretin): I’m Falling in Love (Übersetzung: Janna Lau): Kekasihku, mendekat padaku, saat ini ku ingin Sejarah kita berdua, telah lama, disini. Andai saja, aku pengantinmu bahagia, pasti di hati. Rengkuh aku bersamamu. Malam ini, milik berdua Refrain: Dan ku telah jatuh cinta. Ku wanita dan engkau lelaki. Perasaanku berkata, I’m falling in love. Sang cinta mendekatlah. Malam menyanggupi jadi saksi. Hati kecilku berkata, I’m falling in love. I’m, falling in love (2x).

Mein Liebster, näher Dich mir, in diesem Moment wünsche ich mir, dass die Geschichte von uns beiden zusammen schon lange anhält, hier. Wenn ich einfach deine Braut Wäre, bestimmt hätte ich großes Glück im Herzen. Halt mich mit Dir. Dieser Abend gehört uns Beiden. Refrain: Und ich bin schon verliebt. Ich bin eine Frau und Du ein Mann. Mein Gefühl sagt mir, I’m falling in love. Die Liebe nähert sich an. Der Abend sieht zu und wird Zeuge. Mein kleines Herz sagt mir, I’m falling in love. I’m falling in love. (2x).

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Jatuh cinta ternyata memang Indah. Apalagi bersamamu. Walau aku, tak pasti bisa, mendapatkan cintamu. Refrain I’m fallin in love.

Sich zu verlieben ist wirklich schön. Vor allem mit dir. Auch wenn ich, nicht sicher Deine Liebe bekommen kann. Refrain I’m falling in love.

Es eröffnet sich eine Totale, die das Szenario zur Schau stellt: Der Tisch ist mit einer weißen Tischdecke überhängt, auf ihm stehen zwei Kerzen, er ist gedeckt mit weißem Geschirr, Servietten und gefüllten Sektgläsern. In der Mitte steht eine rote Blume, wahrscheinlich eine rote Rose234 in einer kleinen Vase, dahinter ein kleiner Geburtstagskuchen mit einer Kerze. Zwei weiße moderne Stühle stehen vor dem Tisch. Hinter dem Tisch eröffnet sich eine große Glasfront, die den Blick auf die Hochhäuser und Lichter der Stadt freigibt. Der Raum ist mit zahlreichen Kerzen geschmückt, die für eine romantische Atmosphäre sorgen. Aliza pustet die Geburtstagskerze aus. Man sieht sie dann in Großaufnahme, sie bedankt sich bei Dara, der ihr eine CD mit romantischer Musik schenkt, die die beiden bereits oft gemeinsam gehört haben. Es entsteht ein Gespräch, das ihre Gefühle thematisiert: Aliza: Aber, ich möchte Dich etwas fragen. Du hast gesagt, Dein Flugzeug ist morgens abgefahren. Was hast Du denn schon morgens bei mir gemacht [im Sinne: Warum bist Du vor Deiner Abreise nach Amerika zu mir gekommen]? Dara: Nichts, ich wollte nur tschüss sagen. Aliza: Nur das? Nichts weiter? Dara: Ich wollte auch sagen … dass ich Dich mag [suka]. Aliza: Nur »mögen«? Dara: Und, dass ich … Dich lieb habe [sayang]. Aliza: Was?

234 Dies ist aufgrund der Bildqualität nicht eindeutig zu bestimmen.

256 | L IEBE IN I NDONESIEN Dara: Du hast mich schon gehört. Aliza: Nein, ich habe gar nichts gehört, versuch, es noch einmal zu wiederholen. Dara: Ich habe Dich lieb [sayang]. Aliza: Ich habe Dich auch lieb, aber ich wollte, dass Du es zuerst sagst. Wie soll das denn sein, dass das Mädchen es zuerst ausspricht.

Auf Alizas Frage, seit wann Dara sie schon möge, antwortet dieser: »Seit ich Dich zum ersten Mal getroffen habe …« Es erfolgt eine Schuss-/Gegenschussmontage der Großaufnahmen ihrer Gesichter. Sie tauschen intensive Blicke aus. Erneut erklingt das Lied Apa Artinya Cinta (»Was bedeutet Liebe?«), welches Dara soeben Aliza geschenkt hat (Übersetzung: Janna Lau): Tiba-tiba engkau ada, kemudian engkau hadir. Laksana kerdil ku memeluk. Lihat aku lebih dalam, di matamu ku melihat. Ada cinta yang tersirat Tirani hati merebak

Plötzlich bist Du da, dann bist Du anwesend. Meine kleine Gestalt umarmt Dich. Sieh tiefer in mich hinein, in Deine Augen schaue ich. Da ist Liebe. Der Herrscher des Herzens ist überall.

Barangkali aku salah. Ku terdiam bukan bisu.

Vielleicht liege ich falsch. Ich bin verstummt, nicht stumm. Ich weiß, dass Du sehr schüchtern bist und dein nervöses Gefühl verbirgst.

Kutahu engkau besar malu tutupi rasa gelisah.

Biar saja waktu nanti yang menikmati kisah ini. Bersamamu aku senang.

Auf dass die Zeit später diese Geschichte genießt. Mit dir zusammen bin ich glücklich.

Belum juga kah kau Menyadarinya akulah yang pantas untuk kau cintai.

Du hast auch noch nicht bemerkt, dass ich die Richtige für Deine Liebe bin.

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Di bawah langit biru aku Bersumpah diriku tanpamu apa artinya cinta. Arti cinta ini sudah menelan waktuku. Siang malam hanya untuk pikirkan engkau.

Unter dem blauen Himmel schwöre ich, ich ohne dich, was bedeutet Liebe. Die Bedeutung von Liebe hat schon meine Zeit verschluckt. Von morgens bis abends nur, damit ich an Dich denke.

Sejuta kali aku berani bersumpah Diriku tanpamu apa artinya cinta?

Tausend Mal bin ich mutig zu schwören. Ich ohne Dich, was bedeutet dann die Liebe?

Man sieht die beiden dann im Profil in einer Großaufnahme, ihre Gesichter kommen sich näher und sie küssen sich schließlich zärtlich auf den Mund. Es wird auf den Kuss der beiden gezoomt, sodass die Gesichter in Detailaufnahmen zu sehen sind, während das Lied weiter im Hintergrund läuft. Nach dem Kuss sieht man Aliza glücklich lächeln, während sie Dara anblickt. Es folgt ein Zeit- und Ortssprung: Der Film endet mit einer Szene in Indonesien. Aliza und ihre Freundin befindet sich kurz vorm Schlafengehen in Alizas Zimmer und reden über die Geschehnisse zwischen Dara und Aliza und ihre Zukunftsperspektiven. Aliza wird in San Francisco studieren und mit Dara zusammen sein. Sie sprechen über Ängste wie Untreue und geographische Entfernung, jedoch eher mit einem sich neckenden und amüsierten Unterton, bevor die beiden jungen Frauen das Licht löschen und schlafen gehen. Heart (2006) Der Film Heart (2006) von Hanny Saputra wird von den jungen Frauen im asrama als indonesische Adaption des indischen Erfolgsfilm Kuch Kuch Hota Hai (1998) von Karan Johar gehandelt, dessen Figurenkonstellationen Ähnlichkeiten aufweisen235: Es geht um die langjährige Freundschaft zwischen einem jungen Mann mit einer etwas burschikosen Frau, die dieser zunächst lediglich als »Kumpel« betrachtet und dessen Liebe zu einer zweiten, schönen, femininen jungen Frau, die jedoch krank ist (Heart) oder nach der Geburt ihrer Tochter stirbt (Kuch Kuch Hota Hai). In Kuch Kuch Hota Hai wird der Protagonist jedoch am Ende des Films mit seiner herangereiften und nun sehr femininen Schulfreundin glücklich, nachdem die Frau, die er geheiratet hat, nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes stirbt. In Heart

235 Auf diese Ähnlichkeiten wiesen die jungen Frauen im asrama, die beide Filme gut kennen, stets hin.

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wird der Protagonist Farel mit der schönen, femininen Frau Luna glücklich, die nach einer Herzspende von Rahel, seiner jungenhaften Freundin, die stirbt, gesundet. Am Anfang des Filmes sieht man Farel als jungen, gut aussehenden Mann in einem Buchladen, wo er einen Comic kauft, den Luna, eine junge, schöne, etwas traurig wirkende Frau gezeichnet hat. Der Comic handelt von einem Mädchen, das seit Kindesalter weiß, dass sie aufgrund einer unheilbaren Krankheit sterben wird. Farel verliebt sich auf den ersten Blick in Luna, als er sie vor dem Buchladen sieht, und fragt sie als Autorin des Comics nach einer Signatur des Buches und ihrer Telefonnummer und Adresse. Die »Liebe auf den ersten Blick«-Situation wird einseitig dargestellt. Farel verliebt sich in Luna, die ihm gegenüber ein kontrollierteres Verhalten zeigt und deren Liebe zu Farel in der Entwicklung der Geschichte eher als Reaktion auf Farels Liebe erscheint. Die »Liebe auf den ersten Blick«-Szene wird folgendermaßen dargestellt: Farel befindet sich in dem Buchladen, während Luna vor dem Geschäft aus einem Auto aussteigt. Farel schaut aus dem Fenster, ihre Blicke kreuzen sich kurz. Ein Lied Pencinta Wanita (»Freund von Frauen«) setzt ein, gesungen von dem Schauspieler Irwansyah, der Farel verkörpert (Übersetzung: Janna Lau):

Kurang lebih yang seperti dia kuharap dalam cintaku. Ku tak mau menjanjikanya pasti bahagia bila denganku. Biar dia rasakan sendiri betapa gilanya cintaku.

Ich habe in meiner Suche die wahre Liebe meines Lebens gefunden. Ungefähr wie sie habe ich mir meine Liebe erhofft. Ich möchte nicht versprechen, dass sie mit mir glücklich wird. Sie soll es von selbst fühlen, wie verrückt meine Liebe ist.

Refrain: Aku memang pencinta wanita namun ku bukan buaya yang setia pada seribu gadis. Ku hanya mencintai dia. Aku memang pencinta wanita yang lembut seperti dia. Ini saat ku akhiri semua pencarian dalam hidup. Dan cintaku ternyata yang kumau hanyalah dia.

Refrain: Ich bin wirklich ein Freund von Frauen, jedoch kein Krokodil (buaya)236, der Tausend Mädchen treu ist. Ich liebe nur sie. Ich bin wirklich ein Freund von Frauen, die so zart sind wie sie. In diesem Moment beende ich die ganze Suche in meinem Leben. Und meine Liebe stellt sich heraus, diejenige die ich möchte, ist nur sie.

Kutemukan dalam pencarian cinta sejati untuk hidupku.

236 Ein bekannter Ausdruck für Männer, die versuchen, Frauen (sexuell) auszunutzen/»zu verschlingen«. Vgl. hierzu auch Kapitel B.III.4.2.1 und den Wörterindex in Anhang D.1.

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Farel fragt den Buchladenbesitzer nervös, ob Luna die Autorin des Comics sei, den er gerade gekauft hat. Er fragt nach einem Stift, greift sich den Comic und läuft aufgeregt hinaus. Doch Luna ist schon fortgegangen. Man sieht Luna Blumen kaufen. Der im Hintergrund sichtbare Farel läuft zu ihr. Die Musik wird ausgeblendet. Farel spricht Luna sehr nervös an, sie verhält sich zurückhaltend, aber freundlich. Er macht ihr Komplimente für ihren »lustigen« Comic, den er sehr gerne gelesen habe. Dass die Geschichte in Wirklichkeit sehr traurig ist, weiß er nicht. Luna, die ahnt, dass Farel den Comic noch gar nicht gelesen hat, lacht amüsiert über diesen Fauxpas. Sie gibt ihm dennoch ihre Telefonnummer und Anschrift, bevor sie in das Auto steigt. Aufgeregt läuft Farel zum Wagen, klopft an die Scheibe und fragt nach einer Wegbeschreibung zu Lunas Haus, die sie ihm ebenfalls gibt. Das Lied setzt erneut ein. Er hält Luna ein zweites Mal auf, um sich nervös zu bedanken. Das Auto fährt weg und Farel bleibt alleine auf der Straße stehen. Er freut sich und läuft zu seiner Freundin Rahel, um ihr die von der freudigen Bekanntschaft und seinen Gefühlen zu erzählen. Farel schwärmt Rahel von Luna vor: Luna sei schön und feminin, sie sei seine Traumfrau. Rahel scherzt, ob Farel sicher sei, er sei auch ihr Traummann, und spritzt ihn lachend mit dem Wasserschlauch nass, mit dem sie gerade ihr Auto sauber macht. Farel erklärt Rahel nochmals, er sei verliebt und werde alles versuchen, Luna für sich zu gewinnen. Er bittet Rahel, ihm zu helfen. So wird Rahel, die sich ihrer Gefühle für Farel noch nicht voll bewusst zu sein scheint, zu seiner Komplizin in der Werbung um Luna. Erst, als Rahel Luna zum ersten Mal trifft und sie dem wegfahrenden Auto mit Farel und Luna traurig hinterher schaut, bemerkt der Zuschauer und womöglich auch Rahel selbst zum ersten Mal, dass sie tiefere Gefühle für Farel hegt. Im Folgenden lernen sich Luna und Farel besser kennen. Farel macht ihr Geschenke und führt sie zu romantischen Unternehmungen aus, wie beispielsweise einem Ausflug zum See, wo sie Erdbeeren essen und eine von Farel bestellte Band romantische Lieder für die beiden singt. Rahel bemerkt angesichts der sich entwickelnden Liebe zwischen Farel und Luna ihrerseits immer stärker ihre wahren Gefühle für Farel, die sie angesichts der aussichtslosen Lage immer trauriger und bedrückter stimmen. Sie artikuliert ihre Liebesgefühle ihm gegenüber jedoch nicht, sondern gibt vielmehr vor, sie gehe auch mit einem Mann aus. Sie möchte das Glück zwischen Farel und Luna nicht zerstören und ermuntert Farel sogar dazu, Luna seine Liebe zu gestehen. Farel erklärt Luna seine Liebe, indem er mit einem großen roten Herz aus Pappe vor ihrer Tür steht und ihr mitteilt, er liebe sie (cinta). Wenn sie das Herz annehme, bedeute dies, sie nehme seine Liebe an, wenn sie es zerbreche, lehne sie dadurch seine Liebe ab. Luna weigert sich zunächst, ihm eine Antwort zu geben. Sie sieht niedergeschlagen aus, erklärt Farel jedoch nicht, dass sie eine tödliche Krankheit hat. Farel besteht auf eine Antwort. Und schließlich zerbricht Luna das rote Herz und läuft davon. Erst später gesteht Luna Farel, dass sie todkrank ist, sie habe eine Herzzirrhose. Sie sagt ihm, sie liebe (mencintai) ihn, könne jedoch wegen ihrer Krankheit nicht mit ihm zusammen

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sein. Farel erwidert, er liebe sie (cinta), egal was kommen werde, er würde sie immer lieben. Beide weinen aufgelöst. Bei einem Telefongespräch etwas später teilt Luna Farel jedoch erneut mit, sie möchte ihn nicht mehr sehen und er solle sie vergessen. Doch Rahel sucht die ebenfalls trauernde Luna auf und überzeugt sie in einem dramatischen Gespräch davon, dass sie Farels Liebe nicht ablehnen könne, da sich beide so sehr lieben würden. Während Luna und Farel daraufhin glücklich zusammen werden, wird Rahel immer unglücklicher, die beiden zusammen zu sehen. Als sie einen Kuss der beiden mit ansieht, läuft sie verzweifelt weinend durch einen Wald und stürzt schließlich. Sie kommt erst im Krankenhaus wieder zu sich, wo ihr mitgeteilt wird, dass ihre Beine amputiert werden müssen. Zur gleichen Zeit wird Luna ins Krankenhaus eingeliefert, da ihre Krankheit in der Endphase ausbricht. Die Ärzte teilen Luna mit, ihre einzige Überlebenschance wäre eine Herztransplantation. Rahel, die in demselben Krankenhaus untergebracht ist, verweigert mit der Aussicht auf ein Leben im Rollstuhl jegliche Nahrung. Sie stirbt am Ende des Films und spendet Luna ihr Herz. In einem Abschiedsbrief teilt sie Farel mit, dass seine Freundschaft ihr alles bedeute, und sie durch ihr, in Luna implantiertes Herz nun immer bei ihm sein könne. Erst als Farel, der Höhenangst hat, am Ende des Films zum ersten Mal auf das Baumhaus steigt, auf das Rahel seit Kindesalter geklettert ist, und in dem Baumstamm seinen Namen und den von Rahel in einem Herz eingeritzt sieht, versteht er, dass Rahel ihn seit eh und je geliebt hat. Sie hat ihm ihre Liebe stets verschwiegen. Farel hat mit der nun gesundeten und fröhlichen Luna eine Familie gegründet. Sie haben einen gemeinsamen Sohn. 3.4.6 Das romantische Dinner Eine zentrale Szene in Liebesfilmen und in indonesischen sinetron stellt das romantische Dinner dar. Es ist stets der Mann, der dieses organisiert und ausrichtet, um einer Frau gegenüber seine Liebe auszudrücken. Meist findet das Essen in einem von der Öffentlichkeit abgetrennten Raum statt, wie bei dem Mann zu Hause (vgl. Apa Artinya Cinta) oder an einem abgeschiedenen Ort in der Natur (vgl. Heart), an dem die Liebenden nur zu zweit sind und ungestört Blicke und liebevolle Worte austauschen können. Zu dem Szenario gehören meist Kerzen, Blumen, Musik, Geschenke, hübsche Kleidung (oft eine westlich inspirierte Abendgarderobe). Als Geschenke können ein Ring als Symbol für Liebe, Blumen oder ein Gegenstand, an dem gemeinsame Erinnerungen hängen, wie die CD mit der romantischen Musik in Apa Artinya Cinta dienen. Oft lassen sich westlich konnotierte Accessoires finden: Sekt, Erdbeeren, eine großstädtische Atmosphäre, ausländische Autos, die sie zu dem Dinner fahren. Es werden in solchen Kontexten oft englische Floskeln wie I love you, Thank you, etc. verwendet. Die Frau wird meist von dem überwältigenden Dinner überrascht, oft führt der Mann sie mit verbundenen Augen in die Szenerie ein. Eine solche Szene ist oft an eine Liebeserklärung gebunden, beinhaltet gegen-

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seitige Gefühlsäußerungen und lässt Raum für Zärtlichkeiten wie Küsse, Umarmungen und Händchenhalten. 3.4.7 Der Ring Der Ring ist in den meisten Filmen und Serien ein wichtiges Symbol für Liebe. Oft kommt es zeitgleich mit einer Liebeserklärung zu der Übergabe eines Ringes. Der Mann fragt die Frau, ob sie den Ring und damit seine Liebe annehme. Das Tragen eines Ringes deutet so auf eine Verbindlichkeit einer Liebe hin, die erst dann wieder aufgelöst wird, wenn der Ring abgenommen wird. Es kann auch passieren, dass ein Ring einer Frau nicht passt, was durch den Film dramatisch inszeniert wird und darauf hindeutet, dass der Liebe etwas im Wege stehen und sie möglicherweise ein unglückliches Ende nehmen wird237. Die Übergabe eines Ringes ist oft an einen romantischen Ort gekoppelt und in eine romantische eingebunden. Ähnlich beschreiben auch Liu und Chen (2004: 67) für die japanischen idol-drama den Ring als symbolisches Medium »to connect two lovers« (vgl. hierzu Kapitel B.III.2.3). Auch die jungen Frauen im asrama schreiben dem Ring einen besonderen symbolischen Wert hinsichtlich der Liebe zu. Wie in Kapitel B.III.7.1 genauer in seinem Kontext ausgeführt wird, sagt Indri beispielsweise: »Er gab mir dann ein Geschenk, da war ein Ring drin. Ganz klar, dass wir unser anderes Gefühl erhöhen, wenn wir etwas am Finger haben. Er sagte auch, wenn Du mich nicht magst, reiche es aus, wenn Du den Ring einfach aufhebst.« Wenn man Ring eines Mannes am Finger trage, »materialisiere« sich dies dieser Annahme zufolge auch in einem stärkeren Gefühl für ihn. Trage man einen Ring, zeige man dabei deutlich die Entscheidung für einen Mann, dem man sich infolge, auch wegen des Ringes, stärker verbunden fühle. 3.4.8 Medien zum Ausdruck von Gefühlen Zum visuellen Ausdruck von Gefühlen werden auch andere Hilfsmedien hinzugezogen, die Gefühle indirekt und nicht-verbal artikulieren können.

237 Vgl. hierzu den Film Heart: Bevor Lunas Krankheit akut ausbricht, schenkt Farel ihr einen Ring. Er teilt ihr mit, er liebe sie über alles und für immer, egal, was passieren werde. Luna, die sehr glücklich über das Geschenk ist, steckt sich den Ring an den Ringfinger. Doch der Ring ist zu klein. Sie fängt daraufhin bestürzt an zu weinen und zu zittern. In der Not behauptet Farel, er habe den Ring für ihren kleinen Finger ausgewählt. Auf diesen Finger passt der Ring schließlich. Dramatisch inszeniert mit Detailaufnahmen auf die Hand von Luna, die aufgelöst versucht, den Ring mit Gewalt an ihren Finger zu stecken, deutet die Szene darauf hin, dass der Liebe etwas (die Krankheit von Luna) im Wege steht, und hinterlässt den Zuschauer so in der Ungewissheit, ob die Liebesgeschichte ein Happy End nehmen werde.

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Das können beispielsweise Fotografien, Zeichnungen oder auch Lieder sein. Zeichnungen können dabei die inneren Gefühlszustände der Protagonisten verdeutlichen, wie beispielsweise Lunas Zeichnungen in Heart238. Fotografien halten Momente des gemeinsamen Zusammenseins wie auch die Emotionen und Erinnerungen der Protagonisten visuell fest. Durch ein wiederholtes Anschauen der Bilder durch die Protagonisten werden diese in die Erinnerung des Filmzuschauers geholt. Aber auch der Akt des Fotografierens ist für die Inszenierung von Emotionen in Filmen interessant: Dadurch, dass die Personen für ein Foto eng beieinander posieren müssen, kommt es zu einer großen Nähe zwischen den Liebenden, die in anderen Situationen selten erreicht wird. Das Posieren für die Kamera erfordert darüber hinaus emotionale Expressionen, die auf innere Zustände der Personen hinweisen können, indem sie zu den Gesichtsausdrücken vor und nach dem jeweiligen Fotoakt kontrastiert werden. Durch die Kamera hat der jeweilige Fotograf darüber hinaus die Legitimation, das Objekt der Begierde zu betrachten, zu fixieren, zu fokussieren. Der Blick der Begierde wird über den Akt des Fotografierens legitim, wobei dieser ohne den Fotoapparat als aufdringlich und unhöflich gewertet würde. Musik – sowohl diegetisch als auch extradiegetisch – spielt in den Filmen eine große Rolle für den Ausdruck von Liebesgefühlen. In Love Is Cinta singt Ivan bei Konzerten, an denen Cinta teilhat, beispielsweise oft von Liebe, während er sie anschaut. Auch Cinta singt ein Lied, das von dem Wunsch handelt, dass die von ihr geliebte Person ihr endlich ihre Liebe erkläre. In Apa Artinya Cinta spielt Dara immer wieder das Lied Apa Artinya Cinta, dessen Text von den Liebesgefühlen und Unsicherheiten des Liebesausdrucks handelt, die die beiden beschäftigen. Und auch extradiegetisch werden bei besonders emotionalen (romantischen oder traurigen) Szenen Lieder eingespielt, die meist von den SchauspielerInnen selbst gesungen werden. Dabei sind die jeweiligen Liedtexte meist für den jeweiligen Film geschrieben und artikulieren, ähnlich wie in Bollywoodfilmen, in poetischer Art und Weise die Gefühle der Protagonisten. Anders als in Bollywoodfilmen ersetzen Lieder jedoch nicht die Liebeserklärungen der Protagonisten. Sie dienen der musikalischen Hintergrunduntermalung und weisen lediglich den Zuschauer auf die emotionalen Zustände der Protagonisten hin. Die Lieder, die für die jeweiligen Filme geschrieben werden, werden als Soundtrack der Filme vermarktet. 3.4.9 Krankheit, Tod und Krankenhaus In vielen Liebesfilmen spielt die (tödliche) Krankheit eines Protagonisten eine große Rolle. Überlebt der Protagonist dabei nicht immer, findet die Liebe je-

238 Zu Beginn des Films zeichnet sie die Figur des Mädchens aus ihrem Comic stets traurig. Als sie dann mit Farel zusammen ist, zeichnet sie ein fröhliches Mädchen, das man zusammen mit einem jungen Mann sieht.

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doch meist einen Weg, alle Grenzen, selbst die der Krankheit oder des Todes, zu überwinden. Die Krankheiten gelten dabei meist als unheilbar. Der Kranke lehnt eine Liebe zunächst meist ab, um den Geliebten nicht unglücklich zu machen. Daraus entwickelt sich das Drama der Geschichte. Teil der Geschichte ist dabei oft, den Geliebten von der Stärke der eigenen Liebe zu überzeugen und diesen trotz der Krankheit als Partner zu gewinnen. Macht dieser Prozess oft einen großen Teil der Geschichte selbst aus, ist das Liebesglück der Protagonisten infolge sehr kurz, bevor die Krankheit in seiner Endphase ausbricht und häufig mit dem Tod endet. In fast allen Filmen in Indonesien wie auch in den Serien im Fernsehen gibt es dramatische Krankenhausszenen, die Probleme, die vorher existierten (wie zerstrittene Parteien, Unsicherheiten, die Beziehung zu verfolgen, Unvermögen, die Gefühle auszudrücken), unwichtig machen und neue Wendungen mit sich bringen. Auch wenn einer der Liebenden dabei stirbt, wird das Band der Liebe auch durch den Tod nicht zerstört. Oft bleibt auch ein »Teil« des Toten bei dem Lebenden, wie in Ungu Violet (2005, Regisseur: Rako Prijanto) die Augen von Lando, die er seiner Geliebten, der blinden Karlin, spendet, die infolge die Welt durch seine Augen sieht; oder auch in Heart: Das gespendete Herz von Rahel bleibt in Lunas Körper nahe bei Farel, ihrer großen Liebe. Auch nach dem Tod können die Liebenden oft nicht voneinander getrennt werden: In Apa Artinya Cinta kehrt Ryan aufgrund seiner Liebe zu Cinta auf die Erde zurück, um ihr seine Liebe zu erklären. Die Erinnerungen an die Liebe zu dem anderen bleiben bis in die Ewigkeit bestehen. Die Liebe könne alle Grenzen überqueren, selbst die zwischen Leben und Tod. Vor dem Hintergrund der herausragenden Rolle von Krankheit und Tod in indonesischen Liebesgeschichten – möglicherweise damit zu erklären, dass allein Liebesgefühle als Basis für eine (Ehe-)Beziehung für viele Menschen in Indonesien als sehr irreal erscheint – ist es auch nicht verwunderlich, dass von den jungen Frauen im asrama als Lieblings-Liebesfilme aus Hollywood meist Filme genannt wurden, bei denen am Ende einer der Liebenden stirbt z. B. Titanic und Romeo und Julia.

4.

K ONSTRUKTIONEN DES E IGENEN UND DES F REMDEN

4.1. Konstruktionen des Fremden 4.1.1 Interkulturelle Differenzen: Der Westen als das (emotional) Fremde Die Konstruktionen des Westens durch die Frauen im asrama sind in Makassar direkt an die medialen Bilder wie auch an kulturelle Diskurse gekoppelt, die die Frauen umgeben (vgl. hierzu Kapitel B.II.5). Die Frauen entnehmen den westlichen Filmen und Serien, die sie als Abbildung der realen

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Lebenswelt westlicher Menschen verstehen (vgl. Kapitel B.III.5), z. T. auch direkt Annahmen über den Westen, und sie generieren aus ihnen auch individuell Bedeutungen für eigene Erfahrungen. Andererseits werden Bilder des emotional Fremden in kollektiven Rezeptionskontexten in Rückgriff auf »traditionelle« Konzepte und nationalstaatliche und religiöse Diskurse (vgl. Kapitel B.II.5) auch erst erschaffen. Dabei gilt der Westen als sozialer Raum von Unmoral, Unreligiosität, Konsumorientierung, ungezügelter Sexualität und Schamlosigkeit. Diese Sinnzuschreibungen an den Westen gehen der Rezeption westlicher Medientexte voraus, was dazu führt, dass die Frauen sich zur Bestätigung dieses Stereotyps selektiv Szenen und Momente heraussuchen, die dieses belegen. Aber auch Elemente indonesischer Filme, die als dem »indonesischen Brauchtum«239 unangemessen gelten, werden als westlich bzw. verwestlicht beschrieben. Dabei verweist der »Westen« in seiner konkreten Anwendung als Emblem für alles Negative, von dem sich »Indonesien« abgrenzen will, nicht auf reale geographische Lokalitäten und Ursprungskontexte. Dadurch wird das »Indonesische« positiv als das Eigene aufgewertet. In dieser Loslösung von tatsächlichen geographischen Gebieten wird der »Westen« zu einem mobil einsetzbaren Emblem für jegliches negatives Verhalten. Es wird dabei ein stark simplifizierendes Bild des Westens geschaffen, das in auch in die westlichen Medientexte hereingelesen wird: Beispielsweise schaute ich mit Indri zusammen eine Folge der Serie O.C., California, in der eine Frau ein Verhältnis mit dem Freund ihrer Tochter hatte. Einige Zeit später referierte Indri darauf, dass es ja im Westen normal sei, dass die Mütter mit den Freunden der Töchter schliefen. Auf Basis einer bestehenden Negativkonzeption bleiben solch kulturell schockierende Szenen im Gedächtnis der jungen Frauen bestehen und das negative Bild des Westens wird kontinuierlich davon gespeist, zumindest in der kollektiven Sinnzuschreibung. So gehen die jungen Frauen beispielsweise davon aus, dass man als Frau im Westen täglich von Männern unsittlich berührt werde, dass Menschen täglich ihre Sexualpartner wechselten, dass Untreue in Beziehungen generell akzeptiert und praktiziert werde, dass HIV/Aids eine Krankheit des »sexuell unkontrollierten Westens« sei, dass man als Frau in sehr frühen Jahren im Westen meist beinah dazu gedrängt werde, sexuelle Kontakte einzugehen, da sich sonst alle über sie lustig machen würden, etc. Der »Westen« wird zu einem mobil einsetzbaren Emblem für jegliches negatives Verhalten. So kann der »Westen« auch zur Beschreibung von Menschen240, sozialen Milieus und Orten innerhalb Indonesiens angewendet, denen ein soziales oder sexuelles Verhalten im Sinne der Konzeption des

239 Dies steht hier, wie auch an anderen Textstellen, in Anführungszeichen, um auf den konstruierten Charakter eines als einheitlich konzipierten indonesischen Brauchtums zu verweisen. 240 Wie in Kapitel B.II.5.1.3 genauer ausgeführt, werden die Menschen, denen ein westliches, nicht-indonesisches Verhalten zugeschrieben wird, auch als over bezeichnet – als »über« kulturelle Grenzen tretend.

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Westens zugewiesen wird und von welchen man sich durch ein solches »Label« abgrenzt. Dass der »Westen« Einzug in Indonesien erhalten, wird mit der medialen Globalisierung erklärt. Die westlichen Medientexte, die in Indonesien Einzug erhalten, werden als Ursache dafür angesehen, dass negative Verhaltensweisen bei bestimmten Menschen, in bestimmten sozialen Milieus und an bestimmten Orten auch in Indonesien um sich greifen. Dies werde ich an späterer Stelle genauer ausführen (vgl. hierzu Kapitel B.III.4.1.2). Wie mächtig die Negativkonzeptionen des Westens sind, zeigt sich dadurch, dass sie selbst dann bestehen bleiben, wenn direkte Kontakte mit westlichen Menschen oder westliche Medientexte diese keinesfalls zu bestätigen scheinen. So werden westliche Menschen, mit denen die jungen Frauen in direktem Kontakt stehen (z. B. ich als Forscherin), die nicht ständig die Intimpartner wechseln, als Ausnahmen bewertet. Dies wird beispielsweise mit einer Resozialisation in Indonesien begründet, bei der man von dem positiven Eigenen gelernt habe. Bei der Konzipierung westlicher Menschen zeigt sich eine emotionale Exotisierung des Fremden, ähnlich wie dies in Kapitel A.I.3.1.3 beschrieben wurde: Wurden Menschen außereuropäischer Kulturen von Ethnologen mit dem Hinweis auf das Fehlen von romantischer Liebe als Wilde, die nur ihren Trieben folgten, konzipiert, dreht sich hier die emotionale Exotisierung um. Westliche Menschen gelten dabei als die vulgären, in ihrer Sexualität unmoralischen und ausschweifenden Fremden. Nur der Differenzmarker (im ersten Beispiel »romantische Liebe«) ist hierbei ein anderer. Westliche Menschen werden nicht Aufgrund eines Fehlens romantischer Liebe, sondern wegen ihrer Schamlosigkeit, also des Fehlens des kulturellen Konzepts der Scham, Ehre (malu, siri’) (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.1), als triebgesteuert und »kultur«-los beschrieben. Die Schamlosigkeit westlicher Menschen führe dazu, dass sie ohne einen Sinn für Moralität und sozial angemessenes Verhalten wie »triebgesteuerte Wilde« agieren würden. Westliche Medientexte werden vor allem dann, wenn sie intime Szenen (dazu zählen auch Zungenküsse) oder freizügige Kleidungsstile beinhalten, oft von Vornherein pauschal als vulgär beschrieben. Indri: Ich finde, die Sendungen aus dem Ausland haben viele Unterschiede zu den Sendungen aus Indonesien, selbst wenn das, was sich unterscheidet, noch innerhalb des Angemessenen liegt. Es gibt Unterschiede zwischen der Art der Kleidung, selbst wenn es solche auch in Indonesien gibt. Der Darstellung der Beziehungen ist im Ausland sehr anders, vielleicht mehr hervorgehoben, nämlich zeigen die Sendungen, wie sie miteinander [sexuellen] Kontakt haben, während in Indonesien solche Sendungen schon als vulgär angesehen werden. Amy: Kontakt haben [im Sinne von zwischengeschlechtlichem sexuellen Kontakt] in Indonesien und Kussszenen im Film sind überhaupt nicht akzeptiert, so wurden bereits

266 | L IEBE IN I NDONESIEN Filme [aus dem Programm] wieder herausgenommen, weil sie nicht für das asiatische Brauchtum [wörtlich: Brauchtum des Ostens] geeignet sind. Es gibt auch westliche Filme wie Dawson’s Creek, Maria Mercedes, Marimar241. Da ist die Darstellung sehr sexy, und das ist anders als in Indonesien, wenn sie [die Protagonisten] zum Beispiel Kontakt haben und sich küssen, obwohl sie noch nicht verheiratet sind. Vielleicht gibt es das [in Indonesien], aber es kann in Indonesien noch nicht akzeptiert werden.

Westliche Filme und Serien gelten dabei als die indonesische Kultur und Moral gefährdend, da v. a. junge Menschen deren Inhalte imitieren würden. Dieser dominante, auch in den Medien weit verbreitete Diskurs in Indonesien begründet die Zentralität der Filmzensur und wird auch als Grund für die Einführung eines Antipornographiegesetzes (vgl. Kapitel B.II.5.3) herangezogen. Wie in Kapitel B.I.1.3, B.I.2 und B.III.4.1.3 aufgezeigt, hat dieser Diskurs eine lange Geschichte in Indonesien und beinhaltet die Konzipierung des indonesischen Fernsehpublikums als »zu erziehende Kinder« und die Vorstellung der Fernsehrezeption gemäß dem hypodermic needleModell (vgl. hierzu Kapitel A.II.3, B.I.2 und B.III.3.2). Vor allem seit der Einführung des Satellitenfernsehens, welches eine zentralisierte Kontrolle über die Fernsehsendungen in Indonesien unmöglich machte, überschlugen sich Warnungen vor westlichen Fernseh- und Filmformaten: »[...] commercial television is perceived to be culturally threatening in the way it has put Indonesian viewers, especially children, at risk through increased exposure to «Western« programs that are violent and sexually inappropriate according to Indonesian community standards« (Kitley 2000: 207). Indem man sich selbst von den westlichen Medientexten abgrenzt, kann man sich als »according to Indonesian community standards« (ebd.) identifizieren. Dies geschieht nicht nur über deren negative kognitive Evaluation, sondern auch auf einer emotionalen Ebene: Indem die jungen Frauen betonen, sie könnten die emotionalen Probleme der Charaktere und die Entwicklung der Geschichten von westlichen Liebesfilmen emotional nicht nachvollziehen und sich nicht mit den Protagonisten identifizieren, grenzen sie sich auch emotional als anders fühlende Menschen von »schamlosen westlichen Menschen« ab. Man schäme sich in den Momenten, in denen man »vulgäre« Szenen sehe, selbst dann, wenn man solche Szenen ganz alleine schaue. Nasir: Liebe [cinta] im Westen [barat] ist fast so wie in Indonesien, aber das Ziel im Westen sind dabei sexuelle Beziehungen. In den Medien in Indonesien geht das nicht so weit, sonst gäbe es bestimmt welche, die protestieren würden.

241 Maria Mercedes und Marimar sind südamerikanische telenovelas, werden jedoch – wie später weiter ausgeführt – meist unterschiedslos zu westlichen Filmen und Serien dazu gezählt.

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Verf.: Wie ist das mit der Medienzensur? Nasir: Das macht uns auch ärgerlich, aber wenn es nicht zensiert werden würde, könnte das unsere Moral kaputt machen, außerdem schämen wir uns auch [sind malu], so etwas zu sehen.

Weil sie ihre »Kultur« »verleiblicht« hätten, reagierten einzelne Personen auf das Betrachten von Intimszenen emotional mit Scham (malu). Kulturelle Differenz werde so auch leiblich spürbar – ganz entsprechend des Emotionskonzepts von Rosaldo (1984: 143) als »embodied thoughts« (vgl. hierzu Kapitel A.I.2.1.2). Beispielsweise wurde mir einmal mitgeteilt, dass, als die jungen Frauen im asrama – mehr zufällig denn geplant – einen pornographischen Film (bezeichnet als: Blue Film) schauten, starke somatische Reaktionen auf die ungewohnten und nicht akzeptablen Inhalte zeigten, wie Sich-Übergeben, andauernd urinieren zu müssen, hysterisch zu lachen. Ihre kulturelle Emotionalität äußert sich so direkt in körperlichen Reaktionen. Aber auch die Entwicklung der Liebesbeziehungen in den Geschichten ließe sich schwer nachvollziehen. So sagt beispielsweise Imelda: Ja, manchmal, also in diesen Filmen, gibt es auch, also es ist so, dass ich den Fortgang der Geschichte nicht verstehe. Es gibt viele westliche Filme, es gibt viele auf Trans TV. […]. Es gibt viele Konflikte. Ich bin dann verwirrt. Ja, es gibt Geschichten, die ich nicht verstehe. Es gibt viele Konflikte in ausländischen Filmen. Manchmal bin ich verwirrt, worum geht es denn da? Warum muss das denn so sein?

Ranti präzisiert, was sie in westlichen Filmen nicht nachvollziehen kann und kontrastiert dies direkt mit indonesischen Filmen. Verf.: Was kannst Du denn weniger gut verstehen in westlichen Liebesgeschichten? Ranti: Normalerweise, wenn sie [die Protagonisten] sich zum ersten Mal treffen, küssen sie sich einfach. Eh! Warum küssen die sich sofort im Film? Filme, wo es zuviel Liebe gibt, sind so. Also hier, gibt es einen Kuss höchstens am Ende des Films. Ja, oder? Bei Liebesfilmen ist das so.

Reflexionen über die kulturellen Differenzen bezüglich der Gestaltung und des Ausdrucks von Liebesbeziehungen dominieren dabei, zumindest in den offiziellen Diskussionen, vor einem empathischen Mitgehen mit den Gefühlen und Aktionen der Protagonisten. Ähnliches beschreibt auch Indri.

268 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Und wenn sie die Liebesproblematik in westlichen Filmen nicht so verstehen, liegt das daran, dass es hier anders ist? Indri: Ja, man ist überrascht, sie [die Protagonisten] haben sich gerade eben kennengelernt, warum können sie schon miteinander schlafen, warum ist das bloß so? Vielleicht taucht diese Frage dann auf. Und nachdem sie das getan haben, reden sie gar nicht mehr miteinander. Warum können sie das tun, während ihre Eltern in der Küche sind? Das wirft bei einem viele Fragen auf, weil sie sehr frei erscheinen, ihre Eltern sind da, aber sie können sich trotzdem umarmen und küssen. Verf.: Hast Du darauf eine Antwort? Indri: Vielleicht ist das tatsächlich deren Brauchtum, sie können frei küssen, ganz anders als hier, hier kann man sich erst küssen, wenn man ganz alleine ist, an bestimmten Orten. Es gibt welche, die frei sind, und es gibt auch Filme, die nicht so frei sind, vielleicht ist jede Region dabei anders. Es gibt welche, die vorher heiraten müssen und dann ein Haus zusammen haben können, und es gibt auch welche, die nicht verheiratet sind, aber in einem Haus/Wohnung zusammenwohnen können. Verf.: Es gibt verschiedene Kulturen des Westens, der Westen ist ja z. B. Deutschland, England, Nordamerika, Australien … Indri: Ja. Aber für die Bevölkerung vom Land sind vielleicht alle westlichen Menschen [orang barat] gleich und machen das Gleiche. Aber um wieder zurückzukommen, es gibt in der Tat Unterschiede, nicht alles ist gleich in den Filmen. Verf.: Was sind denn die Unterschiede? Indri: 242 In englischen Filmen gehen sie oft direkt nach Hause, es gibt welche, die in einem 243 Haus wohnen ohne eine Verbindung [eheliche]. Ja, und in mexikanischen Filmen

242 Damit sind englischsprachige Filme gemeint, auch wenn der Begriff »englische Filme« eigentlich auf einen Herkunftskontext auf England referiert. Hier sieht man erneut die Uneindeutigkeit, die dem Konstrukt des Westens unterliegt. 243 Hiermit sind eigentlich alle telenovelas gemeint, auch solche, die nicht aus Mexiko stammen. Erneut zeigt sich hier die Uneindeutigkeit von Herkunftskontexten kulturfremder Filme.

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ist das anders, die telenovelas, die gezeigt werden, da müssen sie zuerst heiraten, da gibt es Eifersucht. In westlichen Filmen, auch wenn sie zusammen sind, können sie einen anderen Menschen auf die Lippen küssen, in mexikanischen Filmen geht das 244 nicht . Verf.: Und Mexikaner sind auch westliche Menschen [orang barat]? Indri: Ja, alle westlichen Menschen sind gleich. Verf.: Soll man auch keine telenovelas schauen? Indri: Ja, das ist auch verboten [von den Eltern], aber in telenovelas gibt es keine solchen Szenen, vielleicht weil sie schon zensiert sind. Verf.: Und wie ist das mit indischen Filmen? Indri: Sie245 glauben, Indien ist ganz normal, aber ich glaube, dass sie noch heißer sind als westliche Filme, wir sehen das an den Klamotten, die sie da so zeigen. Also wenn man es vergleicht, sind indische Filme vielleicht heißer als westliche Filme. Aber indische Filme sind nicht so frei mit Küssen. Das muss so sein, indische Filme sind manchmal feiner gemacht.

Es wird hier die große Verwirrung darüber deutlich, wie Menschen im Westen sich tatsächlich verhalten würden, gerade aufgrund der kulturellen Diversität der kulturfremden Medientexte, deren Ursprungskontexte die Frauen jedoch generell als Westen verstehen. Indri führt den Unterschied in der Darstellung zwischengeschlechtlichen Verhaltens verschiedener als westlich markierter Medientexte auf die Filmzensur zurück, die bei telenovelas die intimen Szenen heraus geschnitten habe, während sie in anderen »westlichen« Medientexten noch nicht ganz entfernt worden seien. Das Konstrukt des Westens, dem alle Menschen zugeordnet werden, die als bule (»weiße Menschen«) gesehen werden, bleibt dabei weitgehend einheitlich bestehen.

244 Wird hier einerseits eine Differenz zwischen westlichen Filmen und mexikanischen Filmen aufgezogen, wird diese im Folgenden wieder dekonstruiert, indem gesagt wird, dass »mexikanische Menschen« auch »westliche Menschen« seien, wie auch dass alle »westliche Menschen« gleich seien. 245 Hier bleibt unbestimmt, wer »sie« sind, wahrscheinlich sind damit vor allem Eltern und Menschen gemeint, die Bollywoodfilme als unbedenklich erachten.

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Indische Filme und film Mandarin werden dahingegen nicht als westlich angesehen, sondern kulturell in die Nähe zur »indonesischen Kultur« gerückt, indem sie dem ketimuran (asiatisches Brauchtum, wörtlich: Osten), der in Differenz zu einem einheitlich gedachten Westen konstruiert wird, zugeordnet werden. Die gemeinsame Differenz zum »Westen« bringt so einen einheitlichen rhetorischen Raum des Asiatischen oder einer asiatischen Modernität hervor. Die größere kulturelle Nähe anderer asiatischer TV-Sendungen und Filme in Bezug auf Umgangsformen und Ausdruck von Liebe wird also primär durch ihre (konstruierte) Differenz zu »westlichen« Filmen und Serien festgestellt. Die Differenz ist nicht unbedingt in den Medientexten selbst zu finden, sondern wird vielmehr in die Medientexte hinein konstruiert. Straubhaar (1991) und La Pastina und Straubhaar (2005) räumen dem Konzept von »cultural proximity« einen großen Platz hinsichtlich von Publikumspräferenzen ein. Sie vertreten die Ansicht, dass »[…] audiences will tend to choose to watch television programs that are closest, most proximate or most directly relevant to them in cultural and linguistic terms« (La Pastina/Straubhaar 2005: 273). Doch während »cultural proximity« zu einem großen Teil auf der vertrauten Sprache basiere, »there are other levels of similarity or proximity, based in cultural elements per se: dress, ethnic types, gestures, body language, definitions of humor, ideas about story pacing, music traditions, religious elements, etc.« (ebds.: 274). Doch wird, wie hier zu sehen ist, die Konzeption einer »kulturellen Nähe« nicht nur auf Basis der Medientexte getroffen, sie wird ihnen auch vorangestellt. Auch wenn in den Medientexten selbst nichts darauf hinweist, führt die prätextuelle Konstruktion von Filmen oder Serien als dem Westen zugehörig zu der Annahme, ihre in Indonesien verfügbaren Versionen seien geschnittene Fassungen von den im Original sicher »sexuelles« Material enthaltenden »westlichen« Versionen. Dadurch, dass gerade die konstruierte »asiatische« Art, Liebe zu erzählen und mitzuteilen, von den jungen Frauen als besonders romantisch benannt wird, erklären sie sich einer »asiatischen Modernität« in Abgrenzung zum »Westen« zugehörig. Imelda: Koreanische Filme246 sind romantisch, ja, aber es gibt nicht so viele Pornoszenen. Ich denke, sie sind noch wenig freizügig, deswegen mögen sie viele Menschen [in Indonesien] wahrscheinlich. Romantisch, ja, der Inhalt, und viele Frauen mögen sie, ja.

Das Fehlen intimer Szenen in den film Mandarin gilt als Begründung für ihre Beliebtheit bei Indonesiern, die diese als romantisch empfinden. Ähnliches gilt auch für Bollywoodfilmen. Da sie keine Kussszenen und sexuell freizügigen Szenen zeigen würden, würden sich im Rahmen der kulturellen

246 Gemäß den Darstellungen in Kapitel B.III.2.3 sind hiermit nicht nur Filme gemeint, die aus Korea stammen, sondern ebenso solche anderer asiatischer Länder wie Taiwan, Japan, Hongkong, die als film Mandarin klassifizierbar werden.

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Angemessenheit Indonesiens bewegen. Sie seien feiner (halus) gemacht, womit meist die indirekte Art, die Liebesgefühle auszudrücken und der allusive Charakter der Gefühlsdarstellungen gemeint ist. Bei Bollywoodfilmen werden besonders die Tanz- und Gesangsszenen genossen. Auch die »schönen« SchauspielerInnen werden als Grund angegeben, diese Filme besonders zu mögen. Es bestehen darüber hinaus aufgrund historischer Kontakte und Austauschprozesse zwischen Indien und Indonesien kulturelle Ähnlichkeiten zwischen der Musik der Bollywoodfilme und dem in Indonesien populären Musikgenre des Dangdut. Auch die poetische Sprache der Bollywoodfilme, die die Liebesgefühle indirekter, oft in Gedichtformen oder in Liedtexten, mitteilen, ist mit dem Ausdruck von Gefühlen in der Bugis Kultur korrelierbar, in der Liebesgefühle traditionellerweise durch eine poetische Sprache indirekt vermittelt wurden. Diese Art und Weise, Gefühle auszudrücken, scheint in Makassar akzeptierter zu sein als die »direkte« Liebessprache westlicher Filme und wird auch als romantischer verstanden. Auch wenn indonesische Liebesbegriff eine zunehmende Bedeutung für den Ausdruck von Gefühlen bekommen, bleibt doch auch diese recht indirekt im Vergleich zu den westlichen Liebessemantiken. Zudem bleibt die Evaluierung eines indirekten Gefühlsausdruck als angemessenere kulturelle Art und Weise, Gefühle zu kommunizieren, bestehen. 4.1.2 Intranationale Differenzen Wie bereits dargelegt, wird der »Westen« auch losgelöst von jeglicher geographischer Verortung zu einem mobil einsetzbaren Emblem, das ebenso zur Beschreibung von Menschen, sozialen Milieus und Orten angewendet wird, denen im Sinne des oben beschriebenen Konstrukts des Westens ein negativ evaluiertes soziales (v. a. sexuelles) Verhalten zugeschrieben wird, das die Grenzen der eigenen kulturellen Angemessenheit übertritt. Die Evaluationen davon, was das Fremde jeweils darstellt, sind stark situations- und kontextabhängig und sehr flexibel einsetzbar. So kann »Indonesien«, inklusive »Bali« und »Jakarta«247, als das »Eigene« im Vergleich zum »Westen« gelten, in anderen Situationen kann aber auch die »Kultur der Bugis« als das »Eigene« wiederum von »Bali«, »Jakarta«, aber auch anderen Regionen oder Ethnien Indonesiens abgegrenzt werden. Das »moderne« Stadtleben kann als das »Eigene« im Vergleich zu dem »primitiven« Dorfleben angesehen werden, das Verhalten von jungen Menschen in anderen Studentenwohnheimen als dem asrama kann als fremd und verwestlicht im Vergleich zu dem eigenen, noch die Traditionen respektierenden Verhalten im asrama beschrieben werden, etc. Insgesamt werden der Westen und auch Prozesse

247 Dies wird an dieser Stelle ebenso in Anführungszeichen gesetzt, da es sich in diesem Gebrauch lediglich um die jeweiligen Konstruktionen von Indonesien, Bali und Jakarta handelt. Es geht hier nicht um die tatsächlichen geographischen Orte. Vgl. hierzu Fußnote 6.

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von Verwestlichung in Indonesien, die als Verlust der eigenen Kultur verstanden werden, direkt mit dem Fernsehen und seinen Effekten bei den Rezipienten in Verbindung gebracht. Das Fernsehen, welches Bilder des Fremden nach Indonesien bringt, wird als primäre Ursache für ein verändertes, nicht traditionskonformes Verhalten vor allem junger Menschen angesehen. Es wird so als Indonesiens Kulturen gefährdend erachtet. Auf die Frage, welche Effekte das Fernsehen auf Menschen habe, antwortet eine junge Frau so: Ranti: Die Welt draußen248 zu kennen. Wenn sie solche Filme von Außen sehen, da gibt es viele, die das auch tun wollen. Wegen der Filme aus dem Ausland, viele zeigen Sex [ML als Abkürzung für making love] gratis, deswegen schauen sie das. Aus dem Ausland. Also praktizieren das auch viele.

Dieser Logik zufolge greift der »Westen« mit den oben beschriebenen Konnotationen also auch innerhalb Indonesiens um sich. Besonders betroffen seien dabei als verwestlicht geltende Orte (wie beispielsweise Jakarta und Bali), aber auch Orte, an denen sich viele junge Menschen außerhalb der Kontrolle ihrer Eltern oder anderer Kontrollorgane befinden (wie beispielsweise Studentenwohnheime), die viel fernsehen und bevorzugt westliche Medientexte konsumieren. Junge Menschen, die als ABG (Anak Baru Gede)249 bezeichnet werden, seien von ihrem Umfeld noch stark beeinflussbar und gelten als besonders gefährdet, dem Einfluss des »Westens« zu unterliegen. Aber auch reiche Menschen, die aufgrund ihrer finanziellen Unabhängigkeit ihrem sozialen Umfeld gegenüber gleichgültiger seien, zeigten so vermehrt Handlungsweisen, bei denen individualistische Ziele vor soziale Pflichten gestellt werden (vgl. hierzu auch Kapitel B.II.6 und B.III.3.4.3). Die Semantiken, die im Zuge der Beschreibung des Westens verwendet werden, werden hier auch bei der Beschreibung dieser innerindonesischen, »verwestlichten« Orte und Verhaltensweisen aktiviert. Es sind die Orte, in denen der »Westen« durch den Kontakt mit der dunia luar, der Welt außen, bereits Einzug erhalten habe. Seine »sexuelle Offenheit«, seine »Unmoral«, daraus resultierende Konsequenzen wie »Abtreibungen«, »HIV Infektionen«, etc., sein »Kapitalismus« und »Geldgier« wie auch sein »Individualismus« und seine »Unsozialität« und das Fehlen von Scham (malu/siri’) werden zur Charakterisierung dieser konstruierten sozialen Räume herangezogen.

248 Dunia luar (BI), direkt übersetzbar mit »Welt draußen/außen«, wird als »Ausland« verstanden, jedoch oft synonym mit »Westen« (BI = barat) verwendet. 249 Vgl. hierzu Fußnote 64 in Kapitel B.II.2.1 und Wörterindex in Anhang D.1.

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4.1.2.1 Das verwestliche Leben der Großstadt Zahlreiche indonesische Medientexte, wie beispielsweise die Filme Jakarta Undercover (2006, Regisseur: Lance) und Cewek Matrepolis250 (2006, Regisseur: Effi Zen), inszenieren das Leben in der Metropole Jakarta (bzw. ein Teil dieses Lebens) als von unmoralischen freien sexuellen Kontakten, von Konsumorientierung und Egoismus geprägt. Kulturelle Werte und Normen werden übergangen und ignoriert. Man fände hier in gehäuftem Maße Prostitution, Abtreibungen, HIV-Infektionen, Untreue, Korruption und Kriminalität. Das »verruchte« Leben der Großstadt wird in diesen Medientexten vor allem in Nachtclubs, in Studentenwohnheimen, ferner auch in Malls, in großen Business-Companies oder in privaten pompösen Anwesen lokalisiert. Zur visuellen Szenerie gehören luxuriöse Autos, freizügige Kleidung, westliche Markenprodukte, westliche Nahrungsmittel, Alkohol und Zigaretten251. Die Konzeption von Jakarta als fremder, westlich beeinflusster, gefährlicher Raum zwischen Sex, Konsum und Gewalt ist ein beliebtes Thema nicht nur in Film und Fernsehen. Es gibt derzeit regelrecht eine literarische Gattung von »Aufklärungsbüchern« über das verruchte Sex- und Nachtleben in Jakarta und/oder im studentischen Umfeld großer indonesischer Städte. Dazu zählen beispielsweise die Bücher Jakarta Undercover/Sex’n the City (2002) und Jakarta Undercover 2 (2003), Jakarta Undercover 3/Forbidden City (2007) von Moammar Emka und Sex in the »Kost«. Realitas dan Moralitas Seks Kaum »Terpelajar« (Sex in dem »Kost«. Die Realität und sexuelle Moralität bei dem Volk der »Gelehrten«) von Iip Wijayanto (2003). Diese Bücher basieren angeblich auf verdeckter Recherche in Studentenwohnheimen, Nachtetablissements, Bars,

250 Cewek (BI) bedeutet »Mädchen«. Matrepolis ist ein Neologismus, der sich aus den Worten matre mit der Bedeutung »materialistisch« und metropolis für »Metropole« zusammensetzt. Der Begriff cewek matrepolis bezeichnet junge Frauen, die in der Großstadt leben, ihre Partner lediglich nach materiellen Gesichtspunkten auswählen und sexuell aktiv sind. Auf der Suche nach »reichen« Männern besuchen sie Nachtclubs und Malls, in denen sie Gefahren wie sexueller Ausbeutung und Drogen aufgeliefert sind. Da dieses Verhalten und diese Orientierung für indonesische Frauen als nicht gewöhnlich angesehen werden, liefern die Geschichten meist psychologische Hintergründe für ein solches »unnatürliches« Verhalten. Dazu zählen in der diegetischen Logik meist schlechte Erfahrungen mit Männern, der Verlust einer großen Liebe oder familiäre Missstände, von deren Abhängigkeit die Frauen sich über die Suche nach reichen Partnern zu lösen suchen, oder das Fehlen geeigneter Identifikationsund Kontrollpersonen, die ihnen angemessene Werte und Normen nahebringen. Vgl. hierzu auch Kapitel B.III.3.4.3. 251 Wie man später sehen wird und z. T. bereits in der Filmanalyse von Apa Artinya Cinta (vgl. Kapitel B.III.3.4.5) deutlich geworden ist, werden diese westlichen Symbole jedoch teilweise auch positiv bewertet und symbolisch mit Fortschritt, Modernität und Glamour in Verbindung gebracht.

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etc. Sie haben den Anspruch, Indonesier über das verruchte Leben als Folge meist medial induzierter Verwestlichung und Modernisierung aufzuklären und sie vor einem solchen »Kulturverfall« zu warnen. Aufgrund ihrer sexuellen Allusionen sind die Bücher vor allem bei religiösen Gruppen stark umstritten, beim Publikum jedoch sehr populär und in Verweis auf ihren Aufklärungszweck und ihre Warnfunktion akzeptiert. Die entsprechenden Filme sind mit einem stark moralischen Unterton konzipiert und mit Warnungen versehen, diesem westlichen Nachtleben nicht zu folgen. Sie inszenieren verheerende Konsequenzen eines solchen Lebenswandels, wie beispielsweise HIVInfektionen, Tod, Schwangerschaften vor der Ehe, etc. Auch wenn diese Negativkonzeptionen bei den kollektiven Rezeptionsdiskussionen der jungen Frauen im Vordergrund stehen und das Bild der Hauptstadt durch solche Inszenierungen stark geprägt ist, ist der Anreiz, solche Filme zu sehen, oft ein anderer, als gewarnt zu werden. Es geht oft gerade um die Neugier an dem Fremden, an der großen, »wilden« Hauptstadt, am »Westen«, am Sex und darum, überhaupt Aufklärungsmaterialien über das Leben außerhalb ihrer direkten Lebenswelt und über sexuelle Praktiken zu erlangen. Dieses Bild von Jakarta wird auch in den kollektiven Diskussionen der Frauen kontinuierlich reproduziert und speist wiederum die Erwartungen, die diese an das reale Leben in Jakarta herantragen. So gingen meinen Reisen nach Jakarta stets Warnungen der jungen Frauen voraus, ich solle dort aufpassen, und es wäre dort für unverheiratete Frauen sehr gefährlich. Auch bestimmte Persönlichkeiten von Menschen, die aus Jakarta kommen, wurden über dieses Bild beschrieben. Ranti beispielsweise erklärt in einem Interview den Umstand, dass ihre Cousine gelegentlich Sex für Geld anbietet, mit deren Herkunft aus Jakarta. Auf die Frage, warum sich diese prostituiere, sagt Ranti: Weiß ich nicht. Aber sie ist aus Jakarta. In Jakarta geht das Leben nur um Geld. Vielleicht wurde sie dadurch dazu gezwungen. Sie will da auch schon wieder hin.

Geld und Sex werden dabei eng miteinander verknüpft. Jakarta wird mit Geld, Geld mit Unmoral, Korruption, Egoismus und freiem Sex in Verbindung gebracht. Das geldorientierte Verhalten von Menschen in Jakarta wird dabei zum Teil durchaus als Zwang beschrieben, dem man unterlege, sofern man in der Metropole lebe. Deswegen wird ein Leben in Jakarta als gefährlich und nicht wünschenswert konstruiert. 4.1.2.2 Bali als Ort der Weißen Während Jakarta oft mit Sex, Gewalt und Korruption (z. T. jedoch auch mit dem Reichtum und Glamour der indonesischen Stars und der gehobenen Schicht, wie weiter unten ausgeführt wird) assoziiert wird, spielen bei der Konstruktion von Bali auch andere Komponenten eine Rolle. Hier macht sich die Assoziierung Balis als paradiesische »Insel der Götter«, wie sie vor

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allem durch die Propagierung in der Tourismusbranche in weiten Teilen der Welt anzutreffen ist, in gleichem Maße bemerkbar. So wird Bali als tempat bule (BI = Ort der Weißen) konstruiert, an dem Touristen in einer paradiesischen Umwelt ihren Genüssen nachgehen und sich entspannen. Dazu gehören Sex, Konsum, freizügige Kleidung und Drogen (primär Alkohol). Dhita, die aus Surabaya stammt und mit 18 Jahren ihrer großen Schwester nach Bali gefolgt ist, um dort zu arbeiten, berichtet von den Warnungen ihrer Familie folgendermaßen: Dhita: Als ich zum ersten Mal hier hergezogen bin, vor zwei Monaten, Bali, ne? Dort hatten die jüngere Schwester meiner Mutter und meine Mutter, die Christinnen sind, sie hatten Angst davor, dass ich hier herziehe, Angst, weil das Leben hier zu offen ist, die Menschen mögen es, sich zu betrinken, sie mögen, tanzen zu gehen, ihre Angst war dieser Art, weil sie davor Angst hatten … wenn man mit bule [»weißen Menschen«] zusammen ist. Wir haben noch eine Kultur … no sex before marriage … so sagt meine Mutter immer: »Hüte Deine Jungfräulichkeit« – Keep your virginity. Ich sage: »Ja, I know, I know, mom« [lacht]252. Verf.: Aber? Dhita: No I am still. I just I don’t want, ich will nur nicht sagen … natürlich muss man die hüten, aber ich weiß nicht, wie es später in der Zukunft sein wird. Jetzt kann ich sagen, dass ich sie hüten kann. Aber ich weiß es auch nicht, weil ich sehe, in den Romanen, wenn es englische Romane sind, dass sie das tun, auch wenn es nicht geplant war. Dann passiert es schon. Ich kann darum nicht sagen ja, wirklich ja, ich befürchte … Wenn man es kann, dann besser nicht. Ich kann nur sagen »oh ja«, aber wie es dann später ist …

Ihr Umzug nach Bali wird von ihrer Tante als Gefahr angesehen, mit »weißen« Männern in Kontakt zu kommen und dadurch ihre Jungfräulichkeit zu gefährden. Dieser Logik zufolge sind »Bali« und der »Westen« über die durch Letztere nach Bali »importierten« freien, vorehelichen sexuellen Kontakte direkt miteinander verbunden. Auch die jungen Frauen in Makassar evaluieren Bali primär als westlich besetzten Raum. Dabei hätten die westlichen Touristen und ihre Umgangsweisen großen Einfluss auf die dort lebenden IndonesierInnen, im Sinne eines Abfärbens der westlichen Kultur. Dies wird durchaus – wie auch später zu sehen sein wird – ambivalent bewertet, je nach Gesprächskontext, -partner und -intention. In jedem Fall wird jedoch eine Differenz zwischen dem »Eigenen« und »Bali« aufgezogen.

252 Ich lasse die englischen Sätze und Wörter, die sie so im Original benutzt, in Kursivschrift stehen, damit der Leser die originale Sprachwahl nachvollziehen kann.

276 | L IEBE IN I NDONESIEN Indri: Also auf Bali ist das sicher, weil die ganzen »Weißen« [bule] aus verschiedenen Ländern dahin kommen, weil es dort ein Touristengebiet ist, deswegen ist das Verhalten sicher freier. Ich habe schon mal eine Geschichte von einem Freund gehört, der hat erzählt, da gab es ein balinesisches Mädchen, das ihn mochte, und sie war sehr aggressiv. Mein Freund wollte nicht, weil er aggressive Mädchen nicht mag. Er sagte, vielleicht seien sie so aggressiv wegen ihres Umgangs [im Sinne von Umfeld als Kontaktzone mit dem »Westen«]. Also, die Kultur hat sich dort schon ganz schön verändert. Verf.: Kennst Du Dich mit der balinesischen Kultur aus, bezüglich Zusammensein und Liebe? Indri: In der SMA [Sekolah Menegah Atas = Oberschule mit Schülern im Alter von 15–18 Jahren], habe ich schon etwas über die Kultur Balis gelernt, aber über das Verhalten und den Stil des Zusammenseins weiß ich nichts. Verf.: Und glaubst Du, die Balinesen sind ursprünglich mutiger [im Sinne von weniger reglementiert in ihrem zwischengeschlechtlichen Umgang], von ihrer Kultur aus? Indri: Ja, das glaube ich, ich habe mal ein Fernsehprogramm gesehen über etwas, was sie [die Balinesen] als Spiel verstehen, da haben Jungs und Mädchen, es gab so eine Art Wettbewerb im Küssen und in der Veranstaltung mussten sie alle Mädchen suchen, die sie küssen sollten und die ihre Freundinnen werden. Ich glaube, vielleicht ist das nicht gut. In der Öffentlichkeit zu küssen, hier, stimmt’s, da darf man das nicht, während es dort als Spiel gesehen wird. Ich glaube, die Kultur in Bali ist ganz verschieden, hier gibt es vielleicht eine große Scham, dort gibt es die auch, aber nur ein wenig. Verf.: Liegt das daran, dass es dort keinen Islam gibt? Indri: Ja, dort kann man fragen, was ist das denn für ein Brauchtum, dass man sich frei küssen darf. Ich habe schon mal Nachrichten im Fernsehen gesehen, das ist auch aufregend, aber ich glaube, das ist nicht gut zu sehen und von vielen Menschen bezeugt zu werden. Dass sie sich auf die Lippen küssen, das ist nicht gut, sie sind zu mutig. Ich küsse Iwan nur, wenn Zulfa [Indris Schwester] nicht da ist, aber wenn nochF Freunde da sind, ist das undenkbar. Und sowieso nur an geschlossenen Orten, aber heutzutage 253 gibt es vielleicht welche an dem Strand , sie suchen Orte, die dunkel sind.

253 Der Strand bzw. die Küstenpromenade in Makassar ist ein zentraler Ort für romantische Treffen und für Dates. Dort gibt es die meisten günstigen Cafés, dunkle, abgeschiedene Orte, »romantische« Sonnenuntergänge. Sicherlich spie-

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Bali wird als imaginativer Raum zunächst mit dem Tourismus in Verbindung gebracht und als Ort von bule beschrieben, deren Einfluss auch bei den Indonesiern vor Ort durch ihr zu mutiges und aggressives zwischenmenschliches Verhalten bemerkbar sei. Darüber hinaus wird das Fremde Balis aber auch auf die Balinesen selbst projiziert, deren »ganz andere Kultur« weniger Scham (malu/siri’) kenne als die der Bugis. Das aggressive Verhalten der jungen balinesischen Frau wird also sowohl als Folge des Einflusses des Westens markiert, wie auch als fremdes Brauchtum exotisiert, das keine Scham kenne. Dies wird z. T. dem Fakt zugeschrieben, dass die Menschen auf Bali nicht vorwiegend muslimisch, sondern hindu-buddhistisch sind. Denn der Islam, der als zentraler Teil der Bugis Tradition verstanden wird, und die siri’- Kultur der Bugis seien ausschlaggebend für ein ein positives weibliches Verhalten. 4.1.2.3 Studentenwohnheime als Orte verwestlichter Intimpraxen Wie bereits angesprochen werden Studentenwohnheime – sogenannte kost (BI) oder kost-kostan im Plural – oft als Orte freier, vorehelicher sexueller Kontakte konstruiert, an denen oft auch Prostitution und Drogenkonsum vorherrschen. Vor allem Wohnheime, die in der Nähe der großen Universitäten liegen, wie auch mietbare Häuser, die extra für Studierende gedacht sind, gelten dabei als moralisch bedenkliche Orte. Das Motiv sexuell promiskuitiver Studenten taucht in zahlreichen indonesischen Medientexten auf. In enger Verknüpfung zu dem Konzept Cewek Matre254 – materialistische, vor allem in Großstädten lebende junge Frauen – wird angenommen, dass es oft Studentinnen sind, die auf dem Campus Sex für Geld anbieten, und Studierende, die einer freien Sexualität frönen. Neben den zahlreichen Filmen und Serien, die dies thematisieren, gibt es – wie im vorhergehenden Kapitel bereits angesprochen – auch einen Roman-Beststeller von Iip Wijayanto, der auf Basis eigener Erfahrungen, die er als Forschung bezeichnet, sehr reißerisch das Leben von Studenten in Studentenwohnheimen beschreibt: Sex in the »Kost«. Realitas dan Moralitas Seks Kaum »Terpelajar« (Sex in dem »Kost«. Die Realität und sexuelle Moralität bei dem Volk der »Gelehrten«) von 2003. Dort erzählt er in Episoden von seinen Erfahrungen in sechs verschiedenen kost-kostan, in denen er gelebt hat. Diese Geschichten berichten von den vorehelichen sexuellen Kontakten und vom Alkoholund Drogenmissbrauch in diesen Wohnheimen. Wijayanto beschreibt diesen

len bei dieser Bewertung als »romantischer Ort« auch westliche und indonesische Filmszenarien, die exotische Strände und Sonnenuntergänge als Teil ihrer romantischen Symboliken darstellen, eine Rolle. 254 Vgl. hierzu auch Fußnote 250 und Kapitel B.III.4.1.2.1 wie auch den Wörterindex in D.1.

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Lebensstil mit Verachtung und betont die negativen Seiten und Folgen dieser »neuen Praktiken«. Sein Buch soll als Warnung und Abschreckung fungieren, diesem »freien« Lebensstil zu folgen und mahnt zur Achtung kultureller und religiöser Werte und Regeln. Er erklärt die Ursachen dieser neuen Praktiken über die durch moderne Massenmedien eingeführten Modernisationsprozesse und dem einhergehenden Rückgang der indonesischen Kultur und der Religiosität der Menschen. »Auf unbewusste Weise erleben derzeit die Jugendlichen und jungen Menschen eine Identitätskrise, die sehr erschreckend ist. Die Penetration der Kultur, die sich über die elektronischen Medien vollzieht, führt zu einer Persönlichkeitsspaltung der Nachfolgegeneration des Volkes, die sehr besorgniserregend ist. Betrachten wir, wie die dialektische wissenschaftliche Kultur bereits verlassen wurde, weil sie nicht als populäre Kultur bewertet wird, die Gruppen der jugendlichen Forscher haben keine Interessenten mehr, und so weiter. Weil es den Einzelnen um die Befriedigung ihrer Lust an dem genannten Pragmatismus geht, sind die kapitalistischen Orte des Wertetransfers [ein Wechsel des Bewertungssystems] wie Malls, Musikstudios, Schönheitssalons und andere überfüllt. Der Grund ist einfach, sie sind inspiriert von sinetron und infotainment-Sendungen, die tatsächlich ein völlig einfaches und glamouröses Leben versprechen, und veranlassen, dass sie [die jungen Menschen] wettstreiten, dies alles zu bekommen« (Wijayanto 2003: 99f.; Übersetzung: Janna Lau).

Hervorzuheben ist hierbei, dass der Autor die Übernahme fremder, »nichtindonesischer« Verhaltensmuster im Bereich zwischengeschlechtlicher Beziehungen als Folge einer durch die westlichen Medieneinflüsse induzierten Identitätskrise und Persönlichkeitsspaltung junger Menschen beschreibt. Auch in dieser Argumentation wird dem Konstrukt von Identität eine große Rolle zugemessen. Sozial angemessenes Verhalten wird so als Anzeiger einer (intakten) indonesischen Identität gedeutet, während Überschreitungen kultureller Grenzen der Angemessenheit als Identitätskrise oder Persönlichkeitsspaltung angesehen werden, die durch den Kontakt mit dem Westen oder von ihm inspirierten indonesischen Medienangeboten verursacht wurde. Identität wird direkt mit Verhalten korreliert, sodass man von dem jeweiligen Verhalten auf die »Intaktheit von Identität« schließen könne. Wijayanto (2003: xix) erklärt in einer seiner Episoden das Verhalten einer Studentin, die mit einem anderen Studenten in einem Wohnheim sexuellen Verkehr hatte, als direkten Effekt ihres Medienkonsums, der bei ihr nach und nach den Wunsch verursacht hätte, selbst sexuelle Handlungen auszuprobieren. Dieser Medienkonsum sei jedoch verbunden mit persönlichen Schwierigkeiten der Studentin: Aufgrund ihres Studiums könne sie noch nicht heiraten, also nicht ihre »natürlich vorgezeichnete« Frauenrolle einnehmen. Gleichzeitig werden persönliche Schwierigkeiten wie Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit, eine sozial erwünschte Rolle als Ehefrau einzunehmen, sowie das Fehlen einer Kontroll- und Leitperson in ihrem Leben als Gründe angeführt, besonders dem Medieneinfluss zu unterliegen.

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»Viele Aspekte müssen abgewogen werden. Auf der einen Seite kennt sie die Religion sehr gut, aber weil sie stets als Leiterin positioniert wird, ist sie unabhängig. Es gibt niemanden, der sie leitet und kontrolliert. So kann man annehmen, dass ausgerechnet das, was sie weiß, das ist, was sie falsch verwendet [dass sie ihr Wissen missbraucht]. Auf der anderen Seite studiert sie derzeit bereits sieben oder sechs Jahre. Konon sagt, sie war arbeitslos am Ende der SMA [Oberschule]. Sie war damals mindestens schon 26 Jahre alt, sie schaute fast jeden Tag Fernsehen, dessen Inhalte Menschen vielleicht provozieren, sexuelle Aktivitäten einzugehen. Sie will heiraten, aber ihr Studium ist noch nicht beendet. Zum Schluss fast-track … leise liest sie Bücher in der Preisklasse Enni Arrow, Valentino [pornographische Novellen], die am Anfang der 90er Jahren so bekannt waren, und wünscht sich, das auch zu praktizieren, sucht sich einen intimen Freund, Petting-Sex, am Ende making-love (zunächst mal versuchen, dankbar sein, nicht schwanger zu sein), heiraten erst später. Sünde? Nebensache.« (Wijayanto: 2003: xix Übersetzung: Janna Lau)

Dieses Bild vom Studentenleben und dem Leben im kost findet sich auch in den Beschreibungen meiner InterviewpartnerInnen wieder, die selbst oft Studierende sind und in diesen Wohnheimen ein- und ausgehen. Die jungen Frauen konstruieren das sexuell offene Leben in anderen kost-kostan in direkter Differenz zu ihrem Leben im asrama, wo sie selbst, trotz des Fehlens einer offiziellen Kontrollperson wie einer ibu kost, ihr eigenes Verhalten wie auch das der anderen behüten und so »kulturell anständig« leben. Wie bereits an anderer Stelle (siehe Kapitel B.II.5.1.1) zitiert, berichtet Bayu von dem Leben in den kost-kostan, von dem sich die jungen Frauen abgrenzen, folgendermaßen: Das ist nicht, was ich selbst erlebe, aber wenn ich um mich herum schaue, oder gar in der Gegend Tamalanrea [Bezirk in Makassar, in dem die großen Universitäten, wie beispielsweise die Universitas Hasanuddin (UNHAS) oder die Universitas 45, situiert sind und in denen viele Studenten in universitären Wohnheimen wohnen], da gibt es viele Mädchen vom Dorf, die im kost wohnen. Auf dem Campus tragen sie einen Schleier [jilbab], aber abends kommt ihr Freund, waw, und dann ist sie wieder ganz sexy. Die Hülle ist gut. Also einen jilbab tragen, aber keine Unterhose. Und ich sehe sie oft miteinander schlafen.

Aufgrund dieser öffentlichen Meinung sind auch die Eltern von Studierenden, vor allem von Studentinnen, sehr besorgt, ihre Kinder zum Zwecke des Studiums in der Großstadt in einem kost unterzubringen. Sie bevorzugen es, ihre Kinder bei Verwandten oder Freunden wohnen zu lassen oder ihnen ein kleines Haus nahe des Campus zu mieten (kontrakan rumah), wo sie isolierter von den anderen Studenten sind.

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4.1.3 Filmzensur als Schutz der indonesischen Kultur Zum Schutz der indonesischen Kultur vor den verheerenden Folgen des »Westens« wird die indonesische Filmzensur auch von den jungen Frauen als sehr wichtig eingeschätzt. Sie geben meist an, Indonesier fühlten sich durch intime Filmszenen oder Filmküsse »gestört«, ihre Schamgrenze werde dadurch verletzt. Zudem hätten solche Szenen Effekte auf die Rezipienten, die die »indonesische Kultur« zerstören würden. Zulfa: Das Fernsehen hat positive und negative Auswirkungen, aber in Indonesien gibt es ein Zensurinstitut, das damit beauftragt ist, das Programm zu redigieren, bevor es ausgestrahlt wird. Dennoch gibt es noch Sendungen, die ganz schön schädigend sind, vor allem Filme von außerhalb [bedeutet: aus dem Ausland], die, wenn sie mit unserem asiatischen [ketimuran] Brauchtum geeignet gemacht werden … also solche Dinge sind für uns noch nicht gewöhnlich zu sehen und haben zur Folge, dass in Indonesien so etwas nachgemacht wird wie z. B. die Entwicklung der Mode, die sehr negativ ist. Über den Umgang gibt es auch viele Sendungen, die nach Indonesien kommen, wo unser Volk den als modern angesehenen Lebensweg sehen kann, wie einen freien [zwischengeschlechtlichen] Umgang, den man im Fernsehen sehen kann, in Filmen und sinetron. Es gibt sogar einige Fernsehstationen, die abends Sendungen über das Nachtleben ausstrahlen wie über Diskotheken, Massagehäuser der Nacht. Auch wenn das auch etwas Positives hat, damit wir wissen, dass das nicht gut ist.

Der zentrale Tenor dabei ist, dass vor allem junge Menschen vor den westlichen und Bildern freier zwischengeschlechtlicher Beziehungen geschützt werden müssten. Sie seien anfällig, alles, was sie im Fernsehen sehen würden, nachzuahmen. Dabei werden jedoch stets andere als verletzlich für die negativen Effekte von potentiell gefährdenden Medientexten konzipiert, nicht man selbst. Dies ist korrelierbar mit Morleys Feststellung: »One point of interest here is that these ’television zombies’ are always other people. Few people think of their one use of television in this way« (Morley 1989: 16).

Auch Davison (1985: 502) beschreibt dies als den »third-person-effect«: »A person exposed to a persuasive communication in the most media sees this as having a greater effect on others than on himself or herself.«

Dieser »third-person-effect« taucht auch in den Diskussionen um die Auswirkungen von Fernsehtexten auf vor allem junge Menschen immer wieder auf. Dementsprechend wird die Filmzensur nicht als wichtig erachtet, um sich selbst vor kulturell nicht angemessenen Szenen (wie beispielsweise Sex-, Kuss- undGewaltszenen) zu schützen, sondern um anderen – vor allem

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Kindern und jungen Menschen, von denen man annimmt, dass sie das dargestellte Verhalten ungefiltert übernehmen – Schutz zu bieten. Jedoch begegneten mir, obgleich sehr selten, auch kritische Stimmen, die sich gegen die Filmzensur aussprachen. Feby äußerte die Meinung, dass es von jedem selbst abhänge, was er aus Medientexten übernehmen würde. Er sieht unzensierte Medieninhalte als Horizonterweiterung, mehr über die Welt und das Leben in anderen Kulturen zu erfahren. Der Rezipient sei selbstverantwortlich und könne entscheiden, was er selbst als positiv oder negativ ansehe. Feby: Auch meiner Meinung nach sind die Unterschiede zwischen der westlichen und der asiatischen Welt sehr riskant, weil sich Indonesien sehr vom Ausland wie von Nordamerika unterscheidet, die Unterschiede sind sehr groß, es ist gut dies vonseiten der Kultur zu betrachten. Und ich stimme auch nicht so sehr dem Vorgehen Indonesiens zu, das über ein Zensurinstitut verfügt. Weil es ein Phänomen ist, obwohl es die Sendungen, die gesehen werden, bewertet, ist es doch von den Menschen, die sie schauen abhängig, ob sie diese für richtig oder falsch erachten. Und mit dem Problem, dass das unzensiert ist, das ist doch universal. Es ist abhängig von den Menschen selbst, deswegen stimme ich dem Zensurinstitut nicht zu. […] Also braucht man keine Zensur in Indonesien, weil wir den Horizont und das Wissen erweitern können, wie wir das anwenden können.

Die meisten meiner InterviewpartnerInnen betonten zwar die Zentralität der Filmzensur in Indonesien zum Schutz der jüngeren oder weniger gebildeten Fernsehzuschauer, artikulierten jedoch häufig in persönlichen Gesprächen, dass sie selbst gerne freizügigere Szenen sehen würden. Um dieses ambivalente Verhältnis zu den westlichen Filmen und sexuell offeneren filmischen Szenarien genauer über die jeweilige Artikulationslogik der Interviewten darzustellen, sollen diesbezüglich getroffenen Kommentare am Anfang des folgenden Kapitels als eine Art Überleitung zu einem ganz anderen Verständnis vom Westen (als Projektionsfläche subjektiver Begierden) beschrieben werden. 4.2

Bilder der Begierde/Sehnsucht

4.2.1 Der Westen als Projektionsfläche subjektiver Begierde und als Ort von Romantik Einige der jungen Frauen artikulieren, meist in persönlichen Gesprächen, ihre Enttäuschung über den eigenen Verzicht des Schauens intimer Filmszenen.

282 | L IEBE IN I NDONESIEN Ranti: Wahrscheinlich ist es gut, dass sie [die TV-Sendungen, Filme] zensiert sind, damit Kinder255, die das schauen, damit sie das nicht praktizieren. Zensur ist gut. Aber normalerweise sind Erwachsene, wenn sie zensiert sind, sauer. Aber es gibt welche, die das mögen und welche, die das nicht mögen. Also ich persönlich, also wenn nur wir gucken, dann macht mir das nichts aus, wenn es nicht zensiert ist, aber für kleine Kinder muss es sicher zensiert werden. Ich mag das, das mag ich. Warum sollte es zensiert sein? Wenn man so was umsonst gucken kann. Verf.: Und was sind die Auswirkungen vom Fernsehgucken westlicher Filme für junge Kinder/Menschen? Ranti: Die Welt draußen zu kennen. Wenn sie solche Filme von Außen sehen, da gibt es viele, die das auch tun wollen. Wegen der Filme aus dem Ausland, viele zeigen Sex [ML als Abkürzung für making love] gratis, deswegen schauen sie das. Aus dem Ausland. Also praktizieren das auch viele256.

Betont Ranti hier also, dass eine Zensur besser für junge Menschen sei, artikuliert sie ihren Wunsch, selbst die unzensierten Fassungen zu sehen. Sie könne mit diesen selbstverantwortlich umgehen und liesse sich von ihnen nicht beeinflussen. Sie positioniert sich so als moralische junge Frau (da sie sich nicht beeinflussen ließe), die dem Fremden gegenüber jedoch aufgeschlossen und neugierig eingestimmt ist. Ranti: Ja, ich mag das, warum soll ich heuchlerisch sein? Ich mag das sehen, weil nicht ich es bin, die es praktiziert.

Ihre Aussage, sie würde heuchlerisch sein, würde sie angeben, so etwas nicht gern zu schauen, impliziert dabei eine Kritik an jungen Menschen, die betonen, sie würden unzensierte westliche Filme nicht gerne sehen. Ranti zufolge sei dies nur eine heuchlerische offizielle Version, die sie verbreiten würden, um sich als moralisch überlegen zu positionieren. Als kommunikative Abgrenzung von den westlichen Medieninhalten als moralisch nicht verwerfliche junge Frau beharrt sie jedoch darauf, sie möge dies nur deswe-

255 Anak (BI = Kind) ist ein sehr weiter Begriff, der nicht nur junge Menschen bis in ihre zwanziger Jahre einschließen kann, sondern z. T. auch verwendet wird, um eine Zugehörigkeit zu etwas zu bestimmen. Anak-anak asrama bezeichnet so die Menschen, die im asrama wohnen, anak-anak jalanan (jalan, BI = Straße) alle Menschen, die auf der Straße leben, etc. 256 Dies habe ich bereits in Auszügen in Kapitel B.III.4.1.2 zitiert.

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gen sehen, weil sie das nicht selbst praktizieren würde257. Ranti hat großes Interesse am Westen und an als bule bezeichneten »weißen« Menschen. Darüber hinaus wünsche sie sich einen bule als Freund. Sie begründet dies damit, dass »weiße« Männer gut aussehen würden, sie selbst gerne ins Ausland gehen würde, dass bule viel Geld hätten, dass sie Englisch sprechen könnten und dass sie selbst memperbaiki turunan, »ihren Nachwuchs verbessern«258 möchte. Ein bule als Freund zu haben, fungiert sowohl als Statussymbol, als Symbol für »Modernität« als auch als Garant einer finanziellen Sicherheit und sozialen Mobilität. So schwärmt Ranti für die ausländischen Fußballspieler des lokalen Fußballvereins PSM, die aus südamerikanischen Ländern kommen, und versucht über befreundete indonesische Fußballspieler Kontakt zu ihnen aufzubauen. Zudem gibt sie an, sie würde gerne nach Bali gehen, da dort ein American lifestyle (von ihr selbst als solcher bezeichnet) vorherrsche, der ein freieres soziales Verhalten wie auch das Tragen freizügigerer Kleidung erlaube, zudem würde man dort mit den vielen westlichen Touristen in Kontakt kommen. Ihr Interesse, ins Ausland zu gehen, begründet sie spontan folgendermaßen: Vielleicht im Ausland, wenn man mit jemandem zusammen ist, dann … äh … schläft man auch mit ihm. Ja, oder? Deswegen will ich ins Ausland [sie lacht].

So sieht sie Sex vor der Ehe zumindest in dieser Kommunikationssituation nicht als generell moralisch verwerflich, sondern eher als ortsgebundenes Paradigma an. Ein Leben an einem anderen Ort würde ihr so andere Freiheiten verschaffen, von denen sie gerne profitieren würde. Sie stellt sich dabei eine glamouröse Welt des Westens vor, in der ein Leben als junge, moderne Frau angesichts mangelnder kultureller Regulatoren »einfacher« sei und die

257 Dies geht mit ihrer ständigen Betonung einher, sie selbst würde nie vor der Ehe sexuellen Aktivitäten nachgehen. Dies wurde als offizielle Narration erst zu dem Zeitpunkt entlarvbar, als sie aufgrund einer vorehelichen Schwangerschaft den Vater des Kindes in einer sehr eilig herbeigeführten Ehe heiraten musste. Und selbst nach dieser Ehe und der Geburt ihres Kindes, das fünf Monate nach der Hochzeit zur Welt kam, blieben sie und ihre Familie stets der offiziellen Version treu, sie sei direkt nach ihrer Ehe schwanger geworden und keineswegs zuvor. Die »wahre Geschichte« vertraute sie mir erst nach vielen Nachfragen in einem sehr persönlichen und emotionalen Gespräch unter vier Augen an. Jedoch fließen auch in diese »wahre Geschichte« stets narrative Konstruktionen mit ein, die als Rechtfertigungen für ihr Verhalten dienen (beispielsweise habe ihr Freund sie dazu gedrängt, eine Hochzeit sei schon geplant gewesen, etc.). Zwischen den konstruierten narrativierten Versionen und den wahren Begebenheiten ist jedoch nicht klar zu unterscheiden. Genauso wenig kann man ihre Sicht und ihre Verständnis des wahren Hergangs der Geschichte von den zahlreichen Konstruktionen loslösen, die sich immer, wenn auch retrospektiv, in diese einspeisen. 258 Vgl. hierzu auch die Fußnote 96 in Kapitel B.II.5.1.1.

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ein freies zwischengeschlechtliches Verhalten mit den »gut aussehenden«, »modernen« und »klugen«, weißen Männern beinhalte. Dieses nach außen getragene Bestaunen eines »westlichen Lebensstils«, dem die damals (2007) 18-jährige Ranti durch Besuche von Diskotheken, dem Tragen von zum Teil recht figurbetonter Kleidung und sehr aktiven Interaktionen mit Männern nachzugehen sucht, wird von den jungen Frauen des asrama als ein typisches Verhalten von ABGs bezeichnet und negativ bewertet. Ranti wird von den Frauen asrama als einer dieser Teenager bezeichnet, die infolge des Konsums von Filmen und sinetron ständig über Liebe sprechen und häufig ihre Freunde wechseln. Während sich Ranti selbst von »zu modernen« und »verwestlichten« jungen Frauen, wie zum Beispiel ihrer Cousine aus Jakarta, die Sex gegen Geld anbietet, oder Freundinnen, die bereits vor der Ehe sexuellen Kontakt hatten, abgrenzt und betont, sie folge kulturellen Normen – wie beispielsweise die Wahrung der Jungfräulichkeit vor der Ehe –, grenzen sich die jungen Frauen aus dem asrama gegen solche Frauen wie Ranti ab, die bereits zu over seien und schamlos mit dem anderen Geschlecht interagierten. Ranti grenzt sich wiederum gegen diese ab, indem sie ihnen »Heuchelei« vorwirft. Ranti zufolge präsentieren sie sich in einem zu positiven Licht, werten alles von traditionellen Werten und Normen Abweichende ab und leugnen ihr Interesse an »anderen« Praktiken wie auch Gefühle von Lust und Begierde. Die Selbstpositionierung als moralisch positiv zu evaluierende Frau konstituiert sich so in einem Spannungsfeld komplexer Differenzierungsprozesse, die situativ das Eigene und das Andere stets neu konstruieren. Erst über komplexe und situativ differente Abgrenzungsprozesse zu dem jeweiligen Anderen – auf der einen Seite dem zu »Konservativen« und »Traditionellen« und auf der anderen Seite zu dem »zu Modernen«, »kulturell Unangebrachten« und »Verwestlichten« – kommt es zu einer narrativ konstruierten Selbstaufwertung und Identitätszuschreibung als »junge moderne, aber kulturell angemessene junge Frau«. Eine solche angestrebte Selbstpositionierung vereint dabei alle meine Interaktionspartner, auch wenn die jeweilige Interpretation und Auslegung wie auch die narrativ zugeschriebenen Eigenschaften jeweils (zumindest graduell) unterschiedlich sind. Wie wenig diese Identitätskonstruktionen oft mit den einhergehenden Gefühlen korrelierbar sind – auch wenn diese entscheidend die Wahrnehmung und Interpretation von Gefühlen mitmodellieren können259 – zeigen die folgenden Beispiele aus Interviewpassagen. In einem Gruppeninterview mit Imelda und Novi, die Cousinen und enge Freundinnen sind, betont Imelda, dass sie als junge Frau, die kulturelle Werte und Normen anerkennt und nach diesen lebt, ihre Gefühle einem Mann gegenüber nicht zum Ausdruck bringen würde, da sich das nicht gehöre. Selbst dann, wenn man bereits sehr lange einen Freund habe, würde man als »erwachsene und vernünftige Frau« nicht über seine Liebesgefühle

259 Vgl. hierzu die der Arbeit zugrunde liegende theoretische Konzeption von Emotionen in Kapitel A.I.2.

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sprechen, ganz im Gegensatz zu den ABGs (wie Ranti), die infolge des Medienkonsums ständig über Liebe sprechen würden: Imelda: Ja, es reicht das Verhalten [im Sinne man muss nicht über seine Gefühle sprechen]. Weil ich glaube, dass wenn wir schon lange zusammen sind, ist es nicht die Zeit über Liebe zu sprechen, wir sind ja schon erwachsen. Ich glaube, worüber wir sprechen, ist dann die Zukunft, wir sind ja schon erwachsen, wie es ist, wenn wir später heiraten. Nicht wie die ABG Kinder, die jungen Leute, ich glaube, sie reden immer über Liebe, anders als Erwachsene. Verf.: Warum ist das so? Imelda: Ich glaube, das ist ein Effekt von den Medien und dem Fernsehen. Nicht nur Filme aus dem Ausland, sondern auch die von hier. Es gibt viele Reality Soaps über Liebe, aber die meisten sind für ABGs. Verf.: Und Du denkst, dass sie als Effekt von den Medien so viel über Liebe sprechen? Imelda: Ja, ich glaube, das ist ein Medieneffekt. Ich glaube das. Verf.: Und bei Dir wirkt das nicht so, dass Du viel über Liebe sprechen möchtest? Novi: Ja, aber wir schämen uns [fühlen uns malu], wenn wir so mit Jungs sind. Dann sind wir zu aggressiv.

Novi sagt, dass bei ihr die Filme einen ähnlichen Wunsch bewirken würden, mehr über Liebe zu sprechen und ihre Gefühle offener zu zeigen. Doch aufgrund ihrer Kultur, die sie verinnerlicht habe und pflege, schäme sie sich, dies auch wirklich zu tun. Zudem kontrolliere sie ihr Verhalten, um ihr Selbstbild als traditionell noch verwurzelte junge Frau in ihrem Umfeld aufrechtzuerhalten: Sie möchte nicht als zu aggressiv gelten, um nicht zum Thema von Klatsch zu werden, ihre Familie zu beschämen oder keinen potentiellen Ehemann zu finden. Ähnlich beschreibt auch Marita, eine verheiratete junge Frau, die angibt, kulturellen Traditionen zu folgen, den »westlichen Lebensstil«, den junge Menschen nacheifern, als hidup glamour (Glamour-Leben), den sie – auch im Bereich zwischengeschlechtlicher Kontakte – semantisch mit Konsum, nämlich »Kaufen«, »Verkaufen« in Verbindung bringt:

286 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Was ist Deiner Meinung nach unter Modernisierung in Indonesien zu verstehen? Marita: Eigentlich, wenn sie klug wären, dürften sie das Unreife/Rohe nicht schlucken, sie müssten gemäß ihrer Kultur aussieben. Bloß nicht nur deswegen, weil es in Europa so ist. Wir müssen auswählen und annehmen, was gut ist. Aber bei den anderen weiß ich nicht. Guck Dir mal die Mädchen an, die absichtlich ein »Glamour-Leben« führen, sie sind nur einen Monat oder eine Woche mit jemandem zusammen. Meiner Meinung nach ist das nicht Liebe, sondern »Verkaufen«-»Kaufen«. Verf.: Aber warum sind sie so? Marita: Weil sie sich nicht selbst kontrollieren können und das als einen Teil von Modernisierung verstehen. Obwohl das nicht Modernisierung ist. Aber das sieht man schon an ihren Charakteren.

Dennoch artikulieren auch Imelda, Novi und Marita eine Art Sehnsucht nach einem freien Nachgehen von Liebesgefühlen. Sie ziehen jedoch eine Differenz zu den ABGs auf, indem sie angeben, diese Sehnsucht kontrollieren und ihr Verhalten gemäß kulturellen Normen regulieren zu können. Einerseits seien sie stolz darauf, so ihre traditionelle Kultur zu leben, andererseits sehen sie sich durch diese ihnen »oktroyierten« Verhaltensnormen in ihrer Freiheit eingeschränkt. Verf.: In westlichen Filmen werden Gefühle frei ausgedrückt. Novi: Wir haben auch den Wunsch, aber wir sind durch die Normen eingeschränkt, die es schon seit jeher gibt. Verf.: Denkst Du, dass das Gefühl von Liebe in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich ist? Novi: Ich denke, das ist gleich, die Liebe. Das, was sich unterscheidet, ist die Art, sie [die Liebe] auszudrücken, die sich unterscheidet. Vielleicht machst Du [im Sinne von zur Kategorie der westlichen Menschen zugehörig, gemeint ist damit: ihr westlichen Menschen] das zu viel, also dort darf man das zu sehr tun, und hier gibt es viel, was wir hüten müssen, dazu gehört die Kultur der Scham [malu], diese Regeln machen Angst, sie zu überschreiten, diese Regel. Weil das Volk dann … es gibt das, was man

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das Gesetz/Recht des Volkes nennt, wir [Imelda: das Adatrecht] dürfen nicht als zu »billig« [murah]260 isoliert/ignoriert werden. Imelda: Das wird gering geschätzt. Verf.: Es gibt welche [Paare], die schon lange zusammen sind, aber sich trennen müssen, weil sie von ihren Eltern mit jemand anderem verheiratet werden. Aber wenn man sich wirklich liebt [cinta], dann hat man dann sicher Liebeskummer, wie kann man so etwas denn kontrollieren? Novi: Ja, man muss sich bemühen, Freunde zu suchen, damit man angesichts seiner Gefühle nicht zu sehr aufgelöst ist. Verf.: Und funktioniert das? Novi: Ja manchmal. Der Beweis ist, ich hatte schon einmal ganz viele Probleme und habe mich bemüht, Freunde zu suchen. Verf.: Und wenn man das nicht kontrolliert, dann kann man verrückt werden, ja?261 Novi: Das geschieht wahrscheinlich oft. Imelda: Ja, wie Depressionen oder Stress. Verf.: Wenn man seinen Liebeskummer nicht kontrollieren kann? Imelda: Ja, eine Person weint dann immer und wütet [mengamuk262]. Es ist schon einmal passiert, dass ein Mädchen im Dorf, ja, sie hatte einen Freund, der gekommen ist, um um

260 Vgl. Wörterindex in Anhang D.1. 261 Diese Annahme bezieht sich auf Angaben der jungen Frauen aus vorherigen Gesprächen. Vgl. hierzu auch Kapitel B.II.5.1.3. 262 Mengamuk entstammt der Wortwurzel amuk, das ein elaboriertes kulturelles Syndrom in Indonesien darstellt. Das deutsche Wort Amok ist eine Ein-

288 | L IEBE IN I NDONESIEN ihre Hand anzuhalten, aber er wurde von den Eltern des Mädchens nicht akzeptiert. Das Mädchen ist eine stille Person und redet nicht viel, also vergräbt sie immer ihre Gefühle, bis sie am Ende jetzt verrückt geworden ist, und sie ist schon einige Male in die Psychiatrie hier gekommen, die in der Straße Lanto.

In diesem Gesprächskontext wird die konstruierte emotionale Differenz zwischen dem Westen und dem Eigenen aufgehoben. Das Gefühl von Liebe sei überall dasselbe, nur wie man es wo zeigen könne, unterscheide sich. Auch wenn man sein Verhalten gemäß kulturellen Normen regulieren würde, könne jedoch ein abweichendes (nämlich als universal konzipiertes) Gefühl bestehen bleiben. Dies könne man nicht vollständig kontrollieren, sondern lediglich Strategien finden, mit diesem umzugehen. Beispielsweise könne man sich Freunde suchen, um sich von seinem Liebeskummer abzulenken, wie Novi vorschlägt. Auch wenn diese Ablenkungstaktiken zum Teil erfolgreich seien, versprächen sie nicht immer Erfolg. So könne man aufgrund mangelnder Kontrollkompetenzen infolge »unterdrückter« und »nicht auslebbarer« Liebesgefühle an Depressionen und Stress leiden, mengamuk263 (wüten, ein aggressives Verhalten zeigen) oder sogar selbst zu einem Fall der Psychiatrie werden. Die Differenz zum Westen, die einerseits – meist in kollektiven Gesprächen – aufgebaut wird, wird auf einer anderen, nämlich auf einer subjektivierten emotionalen Ebene z. T. wieder zurückgenommen. Es wird oft betont, dass Liebesgefühle und Gefühle sexuellen Verlangens über kulturelle Grenzen hinaus universal seien. Lediglich der konkrete Umgang mit den Gefühlen und das gezeigte soziale Verhalten wie auch der jeweilige Ausdruck und die Kommunikation der Gefühle würden sich von Kultur zu Kultur unterscheiden. Dies hänge mit der Regulation des individuellen Verhaltens gemäß kulturellen Vorschriften (die im Westen nicht existieren würden) zusammen wie auch mit dem kulturell elaborierten Gefühl von Scham und Ehre (malu/siri’). Dabei schränke die Bugis Kultur Subjekte in ihrem Verhalten und dem Nachgehen individueller Gefühle und Sehnsüchte ein. In anderen Kommunikationssituationen wird jedoch das kulturell differente Fühlen betont, das unter anderem an der Verinnerlichung von siri’ und an der Nichttrennbarkeit von Gefühlen und rationalen Erwägungen, etc. festgemacht wird. Man grenzt sich dabei auch emotional vom Westen ab. Stärker als Ranti, die angibt, zentrale kulturelle Grenzen wie das Verbot von außerehelichem Geschlechtsverkehr nicht zu übertreten (Differenz zum »Westen«), betonen Imelda, Novi und Marita ihre »kulturelle Identität« als Bugis dadurch, dass sie ihr Ausdrucksverhalten von Gefühlen wie auch das generelle soziale Verhalten stark nach Verhaltensnormen regu-

deutschung des Wortes amuk. Vgl. hierzu auch Kapitel B.II.5.1.3 und den Wörterindex im Anhang D.1. 263 Vgl. hierzu auch das Fallbeispiel von Putri in Kapitel B.III.7.2, die aufgrund ihres Liebeskummers oft polternd, Türen schlagend und schreiend durch das asrama gewütet ist.

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lieren würden und dass sie ein offeneres Verhalten moralisch abwerten und verurteilen (Differenz zum »Westen« und zu »ABGs«). Einige wenige Interviewpartner, meist Männer, die angesichts sexualmoralischer Evaluationen durch andere weniger verletzlich als Frauen sind, heben im Bereich zwischengeschlechtlicher Beziehungen jegliche Differenz zwischen dem Westen und Indonesien auf, indem sie die offiziellen Angaben eines differenten »indonesischen« Verhalten bzw. eines differenten emotionalen Erlebens in zwischengeschlechtlichen, vorehelichen Beziehungen als generelle Heuchelei dekonstruieren. Hinter den »verschlossenen Türen« seien die sexuellen Praktiken in Indonesien genauso wie im Westen, es würde lediglich nicht darüber gesprochen264. Diese Ansicht wird meist von Menschen geäußert, die – aufgrund ihres Geschlechts (Männer), ihres Umfeldes (fernab von den sozialen Netzwerken, die sie kontrollieren oder in gesellschaftlichen Randgruppen verortet wie z. B. Homosexuelle) oder eines Ursprungskontextes aus anderen, liberaleren Regionen (wie aus dem Norden Sulawesis, wo die Majorität Christen sind) – freier über zwischengeschlechtliche Praktiken sprechen können als von Autoritäten abhängige, junge unverheiratete Frauen, die sehr verletzlich für die Schädigung ihres offiziellen Rufes sind. Die folgende Aussage stammt von einem jungen Mann: Bayu: Normalerweise tun Frauen so, als seien sie rein [im sexuellen Sinne], sie sagen, sie seien noch Jungfrau, aber nachdem man das dann versucht, zeigt sich, dass das gar nicht stimmt. Deswegen sage ich, es ist fast wie in Europa, wenn man schon zu zweit im dunklen Zimmer ist, nur wir beide, die davon wissen, dann kann alles passieren. Wenn man dann noch erregt ist und eine kalte Atmosphäre/kühles Klima herrscht, dann gehört die Welt nur uns, das andere ist nur angemietet.

Die Welt, von der Bayu spricht, diese Gefühlswelt, die nur den beiden Personen gehört, in der kulturelle Regeln und Verhaltensnormen nicht greifen,

264 Vgl. hierzu auch die Anmerkungen von Feby über Novi, die seiner Meinung nach eine sehr heuchlerische Person sei, da ihr offiziell narrativiertes Verhalten sehr stark von ihrem tatsächlichen Verhalten mit ihrem Freund abweiche, sie andere Personen nach ihren Verhaltensgrundsätzen evaluiere und zum Teil sehr vernichtend verurteile, auch wenn sie sich selbst nicht an diese halte. Neben Feby, der persönlich ihr abweichendes Verhalten erlebt habe, glauben auch die anderen jungen Frauen, die lediglich die offiziellen Angaben von Novi kennen, nicht daran, dass sie sich selbst an die von ihr als zentral beschriebenen Verhaltensnormen halte. Dies geht einher mit einem generellen Zweifel daran, dass Menschen, die in der Großstadt leben, sich an die Prämisse, vor der Ehe keine sexuellen Handlungen durchzuführen, hundertprozentig halten. Darüber hinaus leiten sie aus beobachtbaren Handlungen Rückschlüsse auf angenommene Handlungen ab, wie z. B. die Annahme, dass ein Paar bereits intim gewesen sei, sofern es gelegentlich gemeinsam an einem Ort übernachten würde, etc.

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wird dabei in dem Sinne mit dem Westen korreliert, dass auch dort Gefühle über soziale Regeln gestellt werden. Der Westen gilt dabei als Ort, an dem das individuelle Verhalten »kulturell nicht reguliert« wird, sondern Gefühle individuell ausgelebt werden können. Dies spiegelt sich auch in Aussagen wider, die westliche Menschen als cuek (BI), als gleichgültig bezeichnen, nämlich angesichts von Verhaltensnormen und sozialen Regularien. Cuek wird somit zu einem semantischen Äquivalent für »individualistisch«, »selbstbezogen« oder auch »egoistisch«. Vor diesem Hintergrund kann der Westen auch als von sozialen Pflichten losgelöster Ort imaginiert werden, in dem man seinen Emotionen frei folgen könne. Seine gleichzeitige imaginative Koppelung an Glamour, Schönheit, Wohlstand und Luxusgüter führt dazu, dass Westen mit Romantik und starken Liebesgefühlen assoziiert wird, die in glamourösen Kontexten von Konsum imaginiert werden. Auch wenn sich die jungen Frauen in anderen Kommunikationssituationen, wie zuvor aufgezeigt, rigoros vom Westen abgrenzen, äußern sie, meist in sehr persönlichen Gesprächen, nach dem so als begehrenswert imaginierten Westen Sehnsucht: Marita: Was das angeht, was ich mir wünsche, ich sehne mich nach einem Gefühl wie in Europa. Aber ich bin hier geboren und groß geworden, also wertschätze ich das. Ich bin stolz darauf, auch wenn ich darin gefangen bin.

Ihr zufolge seien romantische Fiktionen deswegen überall auf der Welt so beliebt, da es ein grundsätzliches Bedürfnis von Menschen darstelle, zu lieben und geliebt zu werden. Hierbei werden jedoch Genderdifferenzen konstruiert: Frauen seien generell emotionaler und romantischer als Männer und würden dementsprechend auch stärkeres Interesse an den Filmromanzen haben. Bei Männern spiele hierbei jedoch auch der Bildungshintergrund eine Rolle. Gebildete Männer gelten meist als romantischer. Bildung wird dabei mit Modernität korreliert und Modernität wiederum mit Romantik, die direkt an die Liebesfiktionen angebunden wird. Dementsprechend gelten auch bule, »weiße« Männer, generell als romantischer, dies sehe man ja an den westlichen Filmen: Marita: Ich denke, das grundsätzlichste Bedürfnis ist Lieben und Geliebtwerden. Also, wenn man das [solche Geschichten] anschaut, ist das sehr interessant, ich denke, dass Menschen, egal wo, interessiert an der Liebe sind. Verf.: Was ist der Grund dafür?

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Marita: Das Gefühl, sich zu wünschen, geliebt zu werden und zu lieben, wegen der Emotionen, das macht sie daran [an den Liebesgeschichten] interessiert, und noch mehr, das selbst zu erleben. Verf.: Gibt es dabei einen Unterschied zwischen Männern und Frauen? Marita: Den gibt es, Männer sind normalerweise gleichgültiger, in dem Sinne, dass sie denken, dass es nur ein Film ist, und sie wägen das eher egoistisch ab, ihre Emotionalität ist nicht sichtbar. Verf.: Sind also indonesische Männer nicht sehr romantisch? Marita: Ah, das ist unterschiedlich, aber hier sind die meisten nicht sehr romantisch, vor allem dann, wenn ihre Bildung niedrig ist. Aber es gibt auch welche, die eine hohe Bildung haben, aber trotzdem nicht romantisch sind. Verf.: Sind bule Deiner Meinung nach romantischer als Indonesier? Marita: Sicher, das denke ich, vielleicht sind sie realistisch. Ich weiß nicht, weil ich nicht so viele »Weiße« [bule] kenne. Verf.: Aber was denkst Du? Marita: Also ich, demzufolge, was ich gelernt habe, sind sie romantischer, weil von der französischen Kultur, was ich davon gelernt habe, bereits beim ersten Mal, an dem man sich trifft, beachten sie bereits kleine Dinge, wie zum Beispiel, äh – »Deine Schuhe sind so und so« – und hier ist da nicht so. Verf.: Und was ist der Grund dafür, dass Männer so sind? Marita: Vielleicht ist das einfach die Art der Kultur, weil hier das Patriarchat an oberste Stelle gestellt wird, nicht nur in Indonesien, sondern in Asien generell.

292 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Und was ist Deiner Meinung nach Liebe, wie ist das Gefühl? Marita: Sicher ist für mich, dass Liebe ist, dass ich ihn und er mich mag. Ich kann nicht ohne ihn leben, das ist Liebe.

Diese Korrelation des Westens mit Romantik und starken Liebesgefühlen besteht so neben seiner negativen Korrelation mit Unmoralität, ungezügelter Sexualität, Konsumgier und Drogen. Die erste Bedeutung als Raum von Romantik und Freiheit wird meist dann von den Frauen aktiviert, wenn es in persönlichen Gesprächen um individuelle Sehnsüchte und Erwartungshaltungen in Beziehungen geht. Die zweite Bedeutungsmöglichkeit taucht eher in offizielleren und kollektiven Diskussionen auf, in denen es stärker um die soziale Selbstpositionierung der Frauen im gesamtgesellschaftlichen Umfeld geht. »Romantische Liebe« wird dabei meist direkt mit dem Westen, und so auch mit westlichen Filmen und deren Filmszenarien und -settings, aber auch indonesischen Filmszenarien, die auf Erstere rekurrieren, in Verbindung gebracht. So ist die Konzeption von romantischer Liebe oftmals direkt an die filmische Visualität, die eingesetzten Symbole für Liebe und die filmischen Liebessemantiken gekoppelt. Die visuellen Filmszenarien scheinen die (verbalen) Leerstellen, die sich aus der nichtelaborierten Konzeption romantischer Liebe in Makassar ergeben, aufzufüllen. Gefühle können über die medial zitierten romantischen Symbole und Szenarien kommuniziert werden. »Romantische Liebe« in seinen (neuen) lokalen semantischen Ausformulierungen wird dabei stark an materielle Dinge, Orte und Handlungsszenarien geknüpft. Während in westlichen Diskursen die romantischen Liebessemantiken auf die materiell und sozial losgelöste, transzendentale Einheit zweier Individuen referieren, und Liebe so von Materialitäten loslöst wird, obwohl – wie Illouz (1997) aufgezeigt hat – romantische Liebe als »consuming passion« ganz stark in Verbindung mit dem Kapitalismus steht, treten in Beschreibungen von romantischer Liebe in Makassar gerade die Konsumorientierung, die Verbindungen zu materiellen Dingen, die Betonung von Orten, etc. in den Vordergrund. Dies mag auch daran liegen, dass Gefühle aufgrund ihrer kulturellen Tabuisierung auch traditionellerweise stärker über diese materialisierende Objekte oder die Körpersprache zum Ausdruck gebracht werden (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.5). Konsumgüter und Objekte, die auch in filmischen Inszenierungen romantischer Szenarien betont werden, scheinen so als Symbole für Gefühle wie auch für deren Ausdruck prädestiniert zu sein. Essen bei Kerzenschein und in Restaurants, der Austausch von Geschenken, die Küstenpromenade, der »Westen«, »Bali« sowie Gegenstände wie Ringe, Blumen, aber auch eine bestimmte Art von Kleidung (eine westlich inspirierte Abendgarderobe) werden so zu ro-

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mantischen Symbolen265. Während also die story plots und die Art und Weise, über Liebe zu sprechen, in westlichen Liebesfilmen als schwer nachvollziehbar und fremd beschrieben werden, scheinen sich ihre visuellen Settings und die Symbole relativ unproblematisch aus den fremden Ursprungskontexten lösen und sich in eigene Beschreibungen davon, was romantisch ist, einfach und modular integrieren lassen, ohne dass die »lokale Emotionsideologie« verändert werden muss. Die Beschreibungen davon, was romantische Liebe sei, beziehen sich so fast immer auf Zitationen dieser auch visuell umgesetzten Symbole und Semantiken. Dabei wird romantische Liebe also auch deswegen mit Modernität korreliert, da die fiktiven Romanzen die jungen Frauen über das modern konnotierte Medium des Fernsehens erreichen. Durch die Übernahme von Elementen ihrer visuellen Symboliken und Szenarien in ihr eigenes Leben können RezipientInnen an einer imaginierten Modernität des »Westens« und an dessen »romantischen Lebensstil« teilhaben. Indem solche Medienversatzstücke in autobiographische Geschichten von Liebe integriert und betont werden, wird den Zuhörern dadurch ein »romantischer Lektüremodus« nahegelegt. Das Zurückgreifen auf das Repertoire stereotypischer visueller Szenarien und Symbole in solchen autobiographischen Geschichten wird als romantischer und interessanter empfunden als der Einsatz von Gefühlsbeschreibungen266. Romantische Treffen werden entsprechend dieser modernen Markierungen mit westlich konnotierten Schauplätzen wie Einkaufsmalls, Kino, Restaurants, US-amerikanischen Fastfoodketten oder der Strandpromenade (und den dortigen Cafés)

265 Dies soll nicht negieren, dass dies ebenso im Westen der Fall ist. Dennoch besteht hierbei der Unterschied, dass die Liebeserklärungen, die Gespräche über Gefühle, die intimen Szenen, etc. für die Semantisierung von romantischer Liebe eine untergeordnete Rolle spielen. 266 Auf die kulturellen Unterschiede in der Rezeption von persönlichen Schilderungen von Liebesfragen habe ich bereits in meinem Selbstreflexivitätskapitel (B.II.2.2) hingewiesen. Standen in meinem romantischen »Erzählmodus« die Artikulation von Gefühlen, Sorgen, Ängsten im Vordergrund, wurden diese von meinen Kommunikationspartnern meist zugunsten der verstärkten Wahrnehmung oben genannter Elemente praktisch »überhört«. Erzählte ich beispielsweise über einen Gefühlszustand, den ich auf Bali »erlebte«, wurde nicht der Beschreibung des Gefühls zugehört und meine Gefühle kommentiert, sondern Bali in seiner Zeichenfunktion als Romantik wurde mehr Beachtung geschenkt. So wurde beispielsweise dieser Ort mit »Oh, wie romantisch!« kommentiert und meine Gefühlsbeschreibungen, die eigentlich auf Ratschläge meiner KommunikationspartnerInnen oder auf ihr emotionales Mitfühlen abzielten – ein mir bekannter Rezeptionsmodus von Liebesgeschichten –, nicht mit (für mein Empfinden ausreichender) Beachtung gewürdigt. Diese kulturelle Differenz in den Gesprächen über Beziehungen führte bei mir dazu, dass ich mich nicht »verstanden« fühlte und letztlich solche Gespräche über meine Gefühle und Probleme in Beziehungen größtenteils gänzlich unterließ.

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bei Sonnenuntergang in Verbindung gebracht. Auf die Frage, was romantische Liebe für sie sei, entgegnen die jungen Frauen meist mit Beschreibungen, die den Handlungsszenarien, Orten, Symbolen aus Filmen und Serien entsprechen267. Dabei stammen diese nicht nur aus westlichen Filmen, haben doch die indonesischen Filme und Serien diese kulturelle (Bild-)Semantiken, ikonographischen Motive und Settings schon längst in ihre Inszenierungen von Romantik eingebaut. Aya beispielsweise, eine junge, aus Surabaya stammende Frau, die nun auf Bali wohnt und bereits einige westliche Partner hatte, antwortete auf die Frage nach romantischer Liebe mit einer deutlich an Filmszenarien orientierten Beschreibung: Aya: Als ich mit Dean zusammen war, hat er mir, obwohl wir uns nicht gesehen haben, oft Blumen über das Internet gekauft. Er ist sehr romantisch. Weil, mein erster Freund war ganz gleichgültig, kühler. Dean is more warm, er schenkt einem viel Aufmerksamkeit [perhatian]. Wenn ich ihm gesagt habe, dass ich ihn vermisse, dann dauerte es nicht lange, am nächsten Tag oder einige Tage später hat er mir sicher eine Email geschrieben. Er hat nicht immer geschrieben, »ich hab Dich lieb« [saya sayang kamu], »ich liebe Dich« [saya cinta kamu], I love you, things like that, no. Nur manchmal. Er machte personal jokes that we share when we were together, something that I say or something that he said. Ähm … Wie was, ja? Wenn wir beide hier waren, ist er auch immer in dasselbe Restaurant gegangen, wo wir uns getroffen haben. Jedes Mal, wenn er gekommen ist, haben wir da gegessen. Als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, habe ich auch nicht daran gedacht, einen Mann zu suchen, und ich habe das erste Mal, als ich ihn getroffen habe, nur geantwortet: ja, nein, ja. Aber er hat es geschafft, mich zum Reden zu bringen. Was gibt es noch, ja? […] When we had dinner he always stay in a hotel, a very nice one … I remember I once asked him why do you like to stay in a nice hotel. He said he is here, he wants to see me and he wants to spend lots of time, he think he don’t just want to go to any hotel because he really wants to be with me. When we go out for dinner, sometimes he said, okay it’s time to celebrate, so he ordered a bottle of wine, und ich vertrag nicht viel, nach einem Glas oder zwei bin ich sofort müde, oh, ich will schon schlafen, und das Hotel, das er immer gewählt hat, da ist es sehr weit von der Rezeption bis zum Zimmer, oh ich bin schon ganz müde, also wurde ich von ihm getragen … so war das immer. I remembered one of the hotel was really far and there is a room quite close

267 Hierbei wird nicht angenommen, dass dies in westlichen Kontexten unbedingt anders ist, wie beispielsweise auch die sehr detaillierte Arbeit von Eva Illouz (1997) gezeigt hat. In diesem Sinne lässt sich Illouz (1997: 170) zitieren (vgl. hierzu die ausführlicheren Darlegungen in Kapitel B.III.5): »These autobiographical stories cannot be simply reduced to a copy or simulacrum of their fictional «code«. The influence is mutual; as psychologist Jerome Butler aptly puts it, «narrative imitates life, life imitates narrative [in Fußnote: Bruner 1987, 13]«. This intrinsically blurred and fuzzy boundary between life and texts must be addressed and recast by a postmodern theory of love.«

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to the beach, I think he had to carry me from the reception to the room and it is the second floor … [lacht]. Daran erinnere ich mich immer.

Die romantischen Symbole und Semantiken wie in Restaurants Essen gehen, Blumen, Wein, Hotels, Strand, etc. tauchen auch hier wieder auf. Auch die Frauen in Makassar beschreiben romantische Liebe mit solchen Symbolen und Semantiken: Kerzenschein, Dinner in Restaurants, Küssen, Strand, Blumen, etc. tauchen als prototypische Merkmale für romantische Liebe in den Angaben fast aller Frauen auf. So auch bei Ranti: Verf.: Wie ist das mit der romantischen Liebe? Ranti: Etwas wie Küssen, was ist romantisch? Manchmal sagt er [ihr Freund], ich hab Dich lieb [sayang]. Manchmal ist er auch gleichgültig. Aber ich möchte, dass er romantisch ist. Verf.: Sind Deiner Meinung nach »weiße Menschen« [orang bule] romantischer oder weniger romantisch? Ranti: Ja, bule sind romantischer, das kann man in den Filmen sehen, da werden sie zum Abendessen ausgeführt mit Kerzenlicht. Verf.: Und ist es Deiner Meinung nach gut, wenn die westliche Kultur hier hereinkommt? Ranti: Ja, aber es reicht schon wie auf Bali, alles will ich nicht. Auf Bali ist es entspannt, hier werden wir angeguckt, wenn wir uns sexy kleiden, wenn wir uns auf der Straße umarmen, wird man angeguckt.

Bali wird hier als ein westlich konzipierter Raum der Romantik gesehen, der zwischen dem »Westen«, als vielleicht sexuell bereits zu freizügig, und »Indonesien«/»Makassar«, als zu wenig romantisch und durch kulturelle Normen eingeschränkt, verortet werden kann. Immer, wenn ich nach Bali fuhr, reagierten die jungen Frauen mit Neid, dass ich an einen solchen traumhaften, romantischen Ort fuhr. Die Neugier am Fremden, auch an den bule, die sich dort als Touristen aufhalten, und die romantischen Konnotationen überwogen dabei vor den zuvor dargestellten negativen Evaluationen Balis. In anderen Situationen wurden diese alternativen Konzeptualisierungen Balis als Negativfolie für das eigene positive Verhalten jedoch wieder aktiviert. So gab man mir ebenso Ratschläge mit auf den Weg, mich vor den

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buaya (wörtlich: Krokodile; bekannter Ausdruck für Männer, die versuchen, Frauen sexuell auszunutzen/»zu verschlingen«) dort in Acht zu nehmen. Je nach Gesprächskontext werden auch von derselben Person widersprüchliche Semantiken über den Westen und als westlich konzipierte soziale Räume abgerufen268. Die Begierde nach dem »Westen« scheint dann unproblematisch durch die jungen Frauen artikulierbar zu sein, solange sie in ihrem sozialen Verhalten – zumindest scheinbar – den kulturellen Verhaltensnormen folgen und »kulturelle« Übertritte unsichtbar bleiben.

5.

R EALITÄT /F IKTION – Z UR K ONSTRUKTION VON R EALITÄTSBEZÜGEN What is real is your relation to this fiction. GODARD ZIT. NACH KOLKER 1998: 60

In diesem Kapitel soll anhand des Interviewmaterials genauer darauf eingegangen werden, wie die Frauen selbst das Verhältnis von sozialer (Erlebnis-)Realität und den romantischen Fiktionen beschreiben. Trennen sie die Fiktionen als ebensolche von ihrer sozialen Realität und ihrer eigenen Emotionalität ab oder finden diese Eingang in die Bedeutungszuweisung und Interpretation eigener Gefühle und in ihre autobiographischen Erzählungen ihrer Liebesgeschichten und -gefühle? Inwiefern referieren sie auf die medialen Bilder von Liebe, wenn sie über eigene Erfahrungen und Gefühle sprechen? Dienen die Fiktionen ebenso als Interpretationsmodelle für Gefühle? Wie konstruieren die Frauen die Beziehung zwischen Realität und Fiktion? In welche Beziehung stellen sie die romantischen Fiktionen zu kulturellen Diskursen und Emotionsmodellen? Wie gewinnen die Fiktionen also Bedeutung für die Wahrnehmung, Interpretation und Kommunikation von Gefühlen und Erfahrungen? Es wurde vielfach angenommen »that fiction overpowers our romantic experience (Illouz 1997: 154) oder dass »[l]ove stories have penetrated the fabric of our everyday life so deeply that we suspect they have altered, even transformed, our experience of love« (ebd.). Haben fiktive Texte also sogar eine besondere Stellung zur Bedeutungsgenerierung und Interpretation von Liebesgefühlen im Vergleich zu anderen kulturellen Modellen? Kann man soziale Realität und Fiktion diesbezüglich überhaupt theoretisch voneinander abtrennen? Da die Differenzkonstruktion zwischen Fiktion und Realität als »außertextuelle Welt […], die als Gegebenheit dem Text vorausliegt und

268 Diese kreisen jedoch bezeichnenderweise stets um das umkämpfte Bedeutungsfeld von Liebe und zwischengeschlechtlichen Beziehungen.

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dessen Bezugsfelder269 bildet« (Iser 1991: 20), angesichts der Einsicht in die Konstruktion von Wirklichkeit durch mediale Texte theoretisch nicht haltbar erscheint, geht es in diesem Kapitel also nicht um eine solche konzeptuelle Unterscheidung von meiner Seite aus, sondern dezidiert darum, ob und wie die jungen Frauen hierbei unterscheiden und das Verhältnis zwischen Fiktionen und ihrer sozialen Realität selbst konzipieren. Das geht mit der Einsicht einher, dass die Bestimmung des Realen »als die Vielfalt der Diskurse, denen die Weltzuwendung des Autors durch den Text gilt« (ebd.) die Tatsache ignoriert, dass die Diskurse durch die Texte sowie durch die Rezeptionsprozesse sozial situierter Subjekte selbst konstruiert werden. Die Vorstellung der Existenz einer nicht veränderbaren ursprünglichen außertextuellen Welt, zu der man die medialen Texte in Bezug setzt, erscheint problematisch. Am Beispiel der romantischen Liebe wird dies deutlich. Das subjektive Erleben von Liebesgefühlen wird durch kulturelle Semantiken (auch medial vermittelte) a priori mit modelliert, da diese Menschen eine Sprache geben, diese auszudrücken und zu deuten. Diese kulturellen Semantiken überlagern nicht ein davon unberührtes Liebesgefühl, noch konstruieren sie Liebesgefühle komplett, sondern beide Seiten gehen Hand in Hand, beeinflussen sich wechselseitig und bestimmen, wie Liebe erlebt und kommuniziert wird. Dass dies keine stabile Anordnung ist, zeigt sich dadurch, dass unterschiedliche Semantiken und Sprachen angewandt werden können und dies in verschiedenen Situationen mitunter auch in widersprüchlicher Art und Weise getan wird. So speisen sich die Fiktionen konstant in die subjektive Bedeutungsgenerierung von Liebe ein und stellen Narrative und kollektiv geteilte Bilder bereit, auf die Menschen zur Kommunikation von Gefühlen zurückgreifen können. Dementsprechend wird die Unterscheidung zwischen sozialer Realität und Fiktion hier also nicht auf Basis ihrer Selbstevidenz verortet, sondern es wird aufgezeigt, was die jungen Frauen als real oder fiktional für ihre eigenen emotionalen Erfahrungen beschreiben. Es geht um den Lektüremodus romantischer Fiktionen durch soziale Subjekte, die den Medientexten vor dem Hintergrund der eigenen Emotionalität eine Realität zuschreiben oder diese in Differenz dazu fiktionalisieren bzw. als unrealistisch für ihre eigene Erlebniswelt konstruieren. Zu diesem Themenbereich gehören dann ebenso die theoretisch höchst ungeklärten, aber alltagssprachlich von den jungen Frauen in diesem Kontext hervorgebrachten Begriffe von »Identifikation«, »Empathie« sowie die Referenz ihrer Beschreibungen eigener Erfahrungen und Gefühle auf romantische Fiktionen, in Form von aus diesen abgeleiteten und als real angenommenen Tatbeständen. Es soll analysiert werden, wie in der sozialen Praxis sprachlicher Handlungen – zum Beispiel in der Narration autobiographischer Liebesgeschichten und der Expli-

269 Unter diesen Bezugsfeldern versteht Iser (1991: 20) »Sinnsysteme, soziale Systeme und Weltbilder genauso […] wie etwa andere Texte, in denen je spezifische Organisation bzw. Interpretation von Wirklichkeit geleistet ist.«

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kation der zugrunde liegenden Gefühle – diese Differenzen auftauchen, verschwimmen, beschrieben oder aufgehoben werden, denn »ein Oszillieren zwischen Fiktionalität und Nicht-Fiktionalität, zwischen Vergegenwärtigung und Gegenwärtigkeit [ist] nicht nur möglich, sondern auch recht häufig« (Anderegg 2007: 385)270. Das zeigt sich auch an dem konkreten Forschungsfeld: Die jungen Frauen in Makassar stellen sowohl in der konkreten Fernsehsituation als auch in autobiographischen Erzählungen eigener Liebesgeschichten kontinuierlich Bezüge zwischen den romantischen Fiktionen und ihren eigenen Lebens- und Empfindungsrealitäten her. Sie reflektieren dabei selbst, dass die TV-Serien und Filme fiktive Erzählungen darstellen, die Schauspieler keine realen Personen verkörpern und dass es sich nicht zwangsweise um autobiographische Geschichten handelt. Dennoch stellen die jungen Frauen Bezüge zwischen ihrer emotionalen Realität sowie ihren Liebesgeschichten und -erfahrungen und den Fiktionen her. Dies geschieht über die Konstruktion von Bezügen der Medientexte zu einer angenommenen vortextuellen (Empfindungs-)Realität der Textproduzenten und über die konkrete emotionale Erlebnisebene beim Rezeptionsprozess. Des Weiteren entnehmen die Frauen den Fiktionen Annahmen über die soziale Realität – auch wenn diese immer bereits mit anderen kulturellen Diskursen und Annahmen vermengt sind –, die für ihr eigenes Leben als real verstanden werden und auf die sie bei ihren eigenen Erzählungen immer wieder direkt oder indirekt verweisen. Es soll hier das Aufweichen von Grenzen zwischen den primären Realitätserfahrungen junger Frauen und denen, die sie im Rahmen der Rezeption romantischer Fiktionen machen, bei der Sinnkonstitution für ihre emotionalen Erfahrungen wie auch in ihren narrativen Selbstbeschreibungen anhand meines empirischen Materials genauer aufgezeigt werden. Nähert man sich dem Gegenstand zunächst von außen – über die soziale Kommunikation über romantische Fiktionen – ist erstaunlich, wie wenig aus den Diskussionen der jungen Frauen, sei es während des Fernsehschauens als auch in anderen sozialen Situationen, hervorgeht, dass sie sich über fiktive Geschichten und fiktive Protagonisten und nicht über real existierende Freunde oder Bekannte austauschen. Strukturell unterscheidet sich der Klatsch über reale Personen nicht von der Art, wie über die fiktiven Charaktere gesprochen wird. Lediglich die Grenzen, wer dabei jeweils zur Kommunikationsgruppe gehören kann, verschieben sich. Während bei den Gesprächen über Protagonisten romantischer Fiktionen niemand aus der Diskussionsgruppe ausgeschlossen wird, hängt bei Gesprächen über reale Personen vom Gesprächsthema und der jeweiligen sozialen Beziehung der potentiellen Teilnehmer zu der Person, über die gesprochen wird, ab, wer

270 Natürlich bedeutet dies auch, dass man sich in Referenz auf die romantischen Fiktionen aktiv über die Zuschreibung von Gefühlen eine Selbstpositionierung zuschreiben kann, ohne dass diese als real empfunden werden müssen.

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mitreden darf271. Abgesehen von dieser Einschränkung ist nicht erkennbar, ob – sowohl in der direkten Fernsehsituation als auch in von diesen zeitlich losgelösten Gesprächskontexten – über die fiktiven Geschichten und Protagonisten, das medial inszenierte Privatleben der Film- oder Seriendarsteller oder über Personen des sozialen Umfeldes und ihre Geschichten gesprochen wird. Pam Nilan (2001: 91) stellt dies auch für das Beispiel Balis fest: »[…] I was embarrassed to find that I couldn’t easily tell at times, listening from the distance, whether Luh and Ketut were talking about what had happened in a sinetron episode I hadn’t seen, or whether they were exchanging local gossip. Either kind of conversation took place in a mixture of Balinese and Indonesian, making extensive use of the third person pronouns but (she) and pak (he). So when actual names were not mentioned, their conversations about the characters in a particularly compelling episode seemed exactly the same to me as their gossip about various families and couples down the gang (lane).«

Nilan erklärt diese Beobachtungen mit Silverstones Annahme (1994: 179), dass die Interaktion von Rezipienten mit Texten auf denselben Praktiken basieren, die auch den Rest ihres Alltagslebens bestimmen. In einem zweiten Artikel über die Funktionen medialer Romanzen für junge Frauen auf Bali führt Nilan (2003: 62) dann aus: »Young women in Indonesia engage with the media text discourse of romance, that is: ideas, images, sets of logical practices and suggested strategies – which magazines and television offer – in the same field of reference as their lives social practice.«

Die Tatsache, dass gleichermaßen über fiktive wie über reale Personen gesprochen wird, ist natürlich nicht mit einer Aufhebung der Differenzen zwischen sozialer Realität und Fiktion gleichzusetzen. Den jungen Frauen ist natürlich bewusst, dass es sich bei Serien und Filmen um Fiktionen handelt. Alle an den Diskussionen Beteiligten – auch außerhalb des konkreten Fernsehkontextes – können eine Zuordnung der Personen zu dem Bereich der Fiktionen aufgrund ihrer detaillierten Kenntnis der Fernsehgeschichten, die einen kollektiv geteilten Wissensvorrat darstellen, relativ problemlos treffen. Anders verhält sich dies bei infotainment-Sendungen, die den neusten Klatsch über Personen des öffentlichen Interesses – v. a. über SchauspielerInnen und SängerInnen – verbreiten. Die Frauen gehen hierbei davon aus, dass die Sendungen deren Lebens- und Liebesgeschichten real und objektiv abbilden würden. Dass diese sehr wertenden Sendungen gemäß bestimmten Diskursen Klischees konstruieren und stark inszenieren, wird nicht reflektiert. Implizierte Rollenbilder und Botschaften werden so, als objektive Tatsachen und Einschätzungen wahrgenommen, meist von den jungen Frauen

271 Beziehungsweise ändern sich die Formen des Gesprächs bei Erweiterung der Gruppe, je nach Person und Gesprächsthema.

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bestätigt– zumindest in der kollektiven Diskussion. Nachrichten, dokumentarische Sendungen und selbst der Sensationsjournalismus in Form von stark inszenierten und bewertenden Reportagen272 werden von den meisten der jungen Frauen als die Realität abbildend beschrieben. Diese Kommunikation in Form von Klatsch über die Inhalte der romantischen Fiktionen wird von den jungen Frauen als ein zentrales Interesse der Fernsehrezeption beschrieben. Aus diesem Grund bevorzugen sie auch das Fernsehschauen in einer Gruppe. Zulfa: Ich gucke lieber mit vielen Leuten, weil man dann die Sendungen zusammen kommentieren kann. Indri: Ja, wir diskutieren oft und fragen uns gegenseitig, wie die Geschichte wohl weitergeht. Es gibt dazu viele Meinungen, aber keine, die richtig ist. Wenn wir mit vielen Leuten schauen, dann ist sicher, dass wir über das diskutieren, was wir schauen.

Auch in anderen Kommunikationssituationen als dem unmittelbaren Rezeptionsmoment wird über die Sendungen ausgiebig gesprochen. Die detaillierte Kenntnis von TV-Sendungen ist damit nicht nur kommunikationsstiftend, sondern auch gemeinschaftsstiftend. Kartika: Ich habe Freunde, die dieselben film Mandarin wie ich mögen. Wir reden normalerweise, wenn ich sie auf dem Campus treffe, bevor wir Unterricht haben, über diese Filme, während meine anderen Freunde auch oft infotainment gucken, wenn ich sie dann treffe, wird es schon mal laut, wenn wir darüber sprechen.

Das Verpassen bestimmter Sendungen bedeutet für die Frauen den kommunikativen Ausschluss aus einer Diskussionsgruppe – man kann nicht mitreden. Das konstante Verfolgen vor allem von sogenannten infotainmentSendungen wird so sehr zentral für die jungen Frauen. So drückt Mila das Verpassen dieser Sendung als ein »Fehlen von etwas« aus, das für ihre Lebenswelt zentral ist.

272 Oftmals handelt es sich dabei um Berichte und Aufdeckungsstorys über moralisch verdorbene Studenten, die verbotenen sexuellen Handlungen nachgehen (vgl. hierzu Kapitel B.III.4.1.2.3), oder um das verrufene Sex-/Nachtleben in Jakarta (vgl. hierzu Kapitel B.III.4.1.2.1) oder Bali (vgl. hierzu Kapitel B.III.4.1.2.2), ganz im Sinne der zuvor besprochenen »Aufklärungsliteratur« wie Jakarta Undercover, Sex in the »Kost« oder Forbidden City (vgl. hierzu Kapitel B.II.4.1.2.1).

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Mila: Also, ich will einfach nicht aufhören, infotainment zu schauen, weil wir über Klatsch debattieren, der gerade »hot« im Fernsehen ist und wenn ich nicht Klatsch-Sendungen schaue, dann hab ich das Gefühl, dass dann etwas fehlt.

Über die geteilte Praxis des Konsums derselben Fernsehsendungen können sich aber auch – losgelöst von konkreten Kommunikationssituationen – im Sinne von Andersons imagined community (1983) imaginierte Gemeinschaften über lokale Grenzen hinweg bilden (z. B. junge, moderne, indonesische Frauen). Man kann sich dabei als Teil einer überlokal zu verortenden Gemeinschaft imaginieren, die orientierungs- und sinnstiftend für die Interpretation und Sinngenerierung von eigenen sozialen Praktiken und Gefühlen sein kann273. Dennoch widerspreche ich Meyrowitz’ Annahme (1989: 330), dass in Konfrontation einer Person mit den Bilderwelten »Lokalität nicht länger notwendigerweise als Hauptbühnen des Alltags gesehen wird« und der Vorrang der Lokalität und face-to-face-Kommunikation vielmehr durch die elektronischen Medien mit ihren nationalen und internationalen Angeboten unterminiert werden würde, indem ein vereinheitlichter nationaler, rhetorischer Raum konstituiert würde. Meyrowitz geht dabei davon aus, dass voneinander getrennte Gruppen durch die gemeinsame Fernseh-Erfahrung in einem Prozess der »kulturellen Homogenisierung des Hier und Jetzt« zusammen gebracht werden würden. Doch gerade die kontinuierliche Einbindung der Medieninhalte in lokale intersubjektive kommunikative Handlungen, die sich in meiner Forschung zeigt, sowie die ständige Aktualisierung von Differenzen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in Indonesien – auch in der Medienrezeption wird das deutlich – widerspricht der Annahme einer kulturellen Homogenisierung durch das Fernsehen. Auch außerhalb der kollektiven Bedeutungsaushandlungen, bei der individuellen Rezeption der Medientexte, bleiben lokale Konzepte und Werte und Normen z. T. zentral zur Sinngenerierung. Die konkrete Lokalität und die dort situierten Diskussionen und Evaluationen von medientextimmanenten Handlungen bleiben zentral für diese überlokalen imaginierten Gemeinschaften. Sie erhalten erst auf Basis lokaler Aushandlungen ihre imaginierte Existenz und ihre konkrete Form. »Fiktion« und »Realität« werden jedoch nicht nur auf der Ebene der sozialen Kommunikation vermischt– indem vom Fiktiven in gleicher Weise und an denselben Orten wie vom Realen gesprochen wird und die beiden Modi stets fließend ineinander übergehen und sich gegenseitig anregen, selbst wenn die Frauen zwischen Realität und Fiktion z. T. unterscheiden können. Die Grenzen zwischen »Fiktion« und »Realität« werden auch auf

273 Vgl. vor diesem Hintergrund auch die Anmerkungen zu Klatsch in Fußnote 67, der der kollektiven Fernsehrezeption strukturell stark ähnelt wie auch ähnliche soziale Funktionen hat. Die Verbindung zu Klatsch wird von Mila hier auch selbst gezogen.

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der subjektiven Wahrnehmungs- und Erlebnisebene der jungen Frauen undeutlich. Die eigene Emotionalität wird sowohl während des Fernsehschauens selbst und auch in autobiographischen Narrativen mit den fiktiven Gefühlen abgeglichen. Die jungen Frauen stellen stets Verbindungen zwischen der eigenen Emotionalität und den filmisch inszenierten Gefühlen her, obwohl die inszenierten, fremden Welten der romantischen Fiktionen oft in glamourisierten Kontexten von Konsumgütern und Luxusobjekten der Mittelklasse oder Oberschicht situiert sind, die nichts mit ihrer eigenen Lebensrealität zu tun haben274. In der Literatur findet man diesbezüglich die Erklärung, dass Soap-Operas und melodramatische Filme zwar kein realistisches Abbild der Lebenswelt des Publikums darstellen, jedoch über ihre Gattung als Melodrama eine Form von emotionalem Realismus einholen könnten275 (vgl. Ang 1985: 47f.,57f. und La Pastina/Straubhaar 2005: 272). Trotz unrealistischer Darstellungen können sich die Zuschauer mit den fiktiven Emotionen der Protagonisten »identifizieren«276. Die emotionale Erlebnisebene rücke bei diesen melodramatischen Filmtexten in den Vordergrund der Rezeptionsweise. Basierend auf der Annahme der Frauen, dass mediale Geschichten ihren Ursprung immer in der Realität hätten, werden hier Differenzen zwischen Realität und Fiktion auf der subjektiven Erfahrungsebene zunehmend aufgelöst277. Die Frauen nehmen an, dass die emotionalen Erfahrungen und Erlebnisse der Produzenten der Geschichten bzw. ihres Umfeldes, der medialen »Umsetzung« vorausgehen und ihr Rohmaterial darstellen würden.

274 Die jungen Frauen selbst gehören eher der Unterschicht an, die Welt der upper class ist ihnen verborgen, der Zugang zu Konsumgütern sehr eingeschränkt, sie nehmen nur imaginativ mittels dieser Fiktionen an der als modern präsentierten fiktiven Luxuswelt teil. 275 Vgl. hierzu auch die Diskussionen über telenovelas und Bollywoodfilmen in Kapitel B.III.2.1 und B.II.2.2. 276 Dies stelle ich in Anführungszeichen, da es sich um einen höchst ungeklärten Begriff in der Medientheorie handelt, der m. E. auch nicht zu klären ist. »Identifikation« dient eher als suggestives Konzept, über das eine Herstellung von Beziehungen zwischen Medientexten und der Lebens- oder Erlebniswelt der RezipientInnen erklärt werden soll. Wenn ich im Folgenden von »Identifikation« spreche, gebrauche ich den Begriff in dem Sinne, wie die jungen Frauen ihn selbst anwenden. 277 Dies widerspricht den Aussagen der Film- und Serienproduzenten selbst, die angeben, das Publikum möchte gerade Liebesfilme sehen, die die Liebesgeschichte überromantisieren und wenig realistisch sind, um der Alltagswelt zu entflüchten. Hanny Saputra, ein bekannter indonesischer Filmregisseur, antwortete mir in einem Interview auf die Frage, was das Publikum sich bei Liebesfilmen wünscht: »Meiner Meinung nach ist das Wichtigste, das Gefühl von Liebe zu spüren, eine romantische Atmosphäre, die Schönheit einer Liebe. Eine realistische Darstellungsweise, da tun sie sich sehr schwer mit. «

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Dementsprechend würden emotionale Erfahrungen in den fiktionalen Texten verarbeitet. Die so konstruierten emotionalen Realitäten werden von den jungen Frauen also über die emotionalen Ursprungsrealitäten begründet, die in Bezug zu der Lebenswelt der Rezipienten stehen würden. Über imaginative Beziehungen zu den Textproduzenten als Mitglieder einer »indonesischen« (emotionalen) Alltags- und Erfahrungswelt konstruieren sie sowohl die emotionale Nähe der Texte zu ihren eigenen Erfahrungen als auch eine ganz grundsätzlich eine »indonesische Emotionalität«. Imelda: Manchmal schauen wir fern und werden emotional, manchmal gibt es auch etwas in der Geschichte, was dem ähnelt, was wir selbst fühlen. Novi: Ja, vielleicht ist das dann genauso wie im wahren Leben. Imelda: Ja, genau so. Manchmal macht ein Regisseur einen Film oder eine sinetron aufgrund seiner eigenen persönlichen Erfahrungen oder denen eines Freundes. Er macht dann eine Geschichte, die genauso ist, wie die des Regisseurs. Er macht eine Geschichte, dessen Verlauf den Prozessen wie … (Novi: der Verlauf der Geschichte) ja genauso. Und wir haben eine Verbindung, so als wenn wir eine Beziehung zu ihnen hätten. Novi: Das ist genauso, als würde ein Freund/eine Freundin eine Geschichte erzählen, dann fühlst du auch mit. Das ist genauso mit denen [Regisseuren], obwohl du sie gar nicht kennst. Imelda: Ja genau. Novi: Ja. Und es gibt oft Filme, die beinahe genauso sind wie das, was wir fühlen, wie die Geschichten, die wir erleben. Ja, oft gibt es das, oder wir haben Freunde, die fast dasselbe erleben, wie das, was die Geschichten des Filmes zeigen. Dann fühlen wir mit [wörtlich: werden wir von unseren Emotionen getragen] und sind sehr gerührt.

Auf den Punkt bringt diese Annahme ein anderer Auszug aus einem Interview mit einem jungen Mann. Ilham: Ein Film zeigt eine Geschichte eines Menschen, von einem Regisseur, vielleicht von dem Regisseur, der die Geschichte geschrieben hat, in der Geschichte ist es dann vielleicht wie in echt, nur die Schauspieler sind andere, weil diejenigen, die sie spielen, sind nicht mehr die Menschen, die die Geschichte gemacht haben. Aber tatsäch-

304 | L IEBE IN I NDONESIEN lich ist die Liebesgeschichte [kisah cinta] im Film tatsächlich wie die wahre Geschichte.

Dass die jungen Frauen die Geschichten in Beziehung zu ihren eigenen Erfahrungen und emotionalen Erlebnissen setzen, entspringt der Annahme einer geteilten Emotionalität als Indonesier. Die Konstruktion einer kollektiven indonesischen Identität erfolgt dabei durch den Rekurs auf in der Gruppe verständliche, gemeinsame Emotionen und emotionale Erfahrungen. In diesem Sinne sind die Konstruktionen von Realitätsbezügen zu fiktiven Liebesgeschichten als Teil der sozialen Selbstpositionierung der jungen Frauen und als Teil der Konstruktion kultureller Identität zu verstehen. Ein emotionales Mitfühlen mit den Charakteren der Geschichte werde so auch dann möglich, wenn deren inszenierte fiktive Erfahrungen und Erlebnisse nicht mit selbst erlebten Geschichten korrelierbar seien. Dies werde durch Empathie (empati) ermöglicht: Verf.: Fühlt ihr emotional mit [beim Betrachten der Fernseh-Liebesgeschichten]? Aya: Ja! [Aya und ihre jüngere Schwester lachen]. Das kann man fühlen, bis der Film schon vorbei ist. Dann ist das vorbei. Wenn ich einen Roman lese, ist das auch so. Wenn der Roman dann traurig ist, dann kann es passieren, dass ich weine. Unterschiedlich. Weil, manchmal gibt es einen Roman, der es schafft, dass wir … wenn sie einen Konflikt haben in dem Roman, bei dem … der macht … in einem Roman gibt es oft ein Mädchen, das Liebeskummer hat oder weil Männer etwas machen wie … wir haben ja Empathie, ja. Wir folgen den Gefühlen.

Der Identifikationsprozess wird dabei über kognitive Prozesse und die Kraft der Vorstellung beschrieben. Man stelle sich vor, wie es wäre, wenn man in derselben Situation wäre. Auf die Frage, ob man bei der Fernsehrezeption nur etwas emotional nachempfinden kann, das man bereits erlebt und gefühlt habe oder auch bei Erfahrungen der Protagonisten emotional mitfiebert, die man aus seinem eigenen Leben nicht kennt, antworten Novi, Aya und Dhita folgendermaßen: Novi: Ja, das kann man. Ja. Vielleicht haben wir das selbst noch nicht erlebt, aber vielleicht denken wir, wie es wäre, wenn wir so etwas erleben würden, wie das dann wäre. Manchmal ist das so. Aya: Vielleicht ist es so, dass, wenn wir einen Film schauen oder ein Buch lesen, manchmal, obwohl wir nur schauen oder lesen, aber das, was wir schauen oder lesen, geht trotzdem hier herein [klopft auf ihre Brust/Herz] … wir fangen an uns vorzustellen,

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wie es wäre, wenn man selbst in dieser Situation wäre, und schließlich verursacht das dann, dass wir weinen können oder dass es etwas ausmacht. […] Weil, als ich noch in der Schule war und romantische Filme geschaut hab, bin ich auch traurig geworden, wenn die Geschichte traurig war, obwohl ich selbst noch nie einen Freund hatte. Vielleicht weil wir uns vorstellen können, wie es wäre, wenn man in ihrer Position wäre, und schließlich folgen unsere Gefühle automatisch. Dhita: Ja, wenn es nur ein bisschen traurig ist, dann möchte ich schon weinen [lacht]. Manchmal ja, wenn wir uns in deren Lage versetzen, dann stellen wir uns vor, wie es wäre … manchmal wenn wir einen Film schauen, dann fiebern wir auch mit »Hum. So wäre es besser, so und so und so« … manchmal fiebern wir so mit.

Dennoch scheint Empathie davon abhängig zu sein, ob man den Geschichten eine Realität zuschreiben kann und die eigene (emotionale) Lebenswelt in den Geschichten reflektiert sieht. Dies unterliegt dem Prozess eines Abgleichs der Geschichten und ihrer Logik mit der eigenen Lebenswelt (zumindest emotional) und den sozialen Rahmenbedingungen wie kulturellen Verhaltensnormen, bekannten sozialen Konflikten, kulturellen Annahmen und Bewertungen, etc. Da ein solcher Abgleich bei westlichen Liebesgeschichten negativ ausfällt, weil man keine Vergleichsfolie einer Realität hat, sind die Frauen unsicher, wie das Verhältnis von westlichen Filmen/Serien und westlicher Realität zu bewerten sei. Indri: Ich glaube, dass die Geschichten, die in sinetron gezeigt werden, meist aus dem wirklichen Leben stammen. Wie das im Westen ist, weiß ich nicht, ob dort die Geschichten aus dem wirklichen Leben kommen. Verf.: Hast Du das schon einmal mit Deinen Freunden besprochen? Indri: Ja, ich diskutiere darüber, sie sagen, dass das Leben im Film genauso sei und das wahre Leben abbilde. Wie das mit den westlichen Filmen ist, weiß ich nicht, ob das wie das wirkliche Leben ist oder nicht. Aber in Indonesien sind Filme und sinetron aus dem wirklichen Leben entnommen, sinetron sind wie das wirkliche Leben, weil sie ihm entnommen sind.

Indem sich die jungen Frauen von den westlichen Fiktionen über die Angabe, sie empfänden diese nicht als realistisch und könnten mit den Protagonisten nicht mitfühlen, distanzieren, konstruieren sie eine kulturelle Identität als Indonesier in Differenz zum Westen auch über ihre Emotionalität. Dadurch affirmieren sie die den Geschichten zugrunde liegenden Wertsysteme und Verhaltensnormen auch »emotional« und positionieren sich als indone-

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sische »gute« junge Frauen. Trotz dieser oft genannten emotionalen »Nichtidentifikation« mit westlichen Protagonisten fiebern die jungen Frauen »im Stillen« oft mit westlichen Liebesfiktionen mit278. Bezüge zu westlichen, medial vermittelten Liebesszenarien werden eher, wie bereits vorher schon ausgeführt, im Sinne neuer Anregungen wie eines neuen westlichen (Beziehungs-)»Styles«, von dem man Elemente279 in sein eigenes Leben integrieren und dadurch an der Modernität des »Westens« teilnehmen könnte (vgl. hierzu Kapitel B.III.4.2.1). Bezüglich der emotionalen (Nicht-)Identifikation mit den westlichen Protagonisten280 lassen sich Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Frauen aufzeigen. Gemäß der Einsicht, dass bei der Konstruktion emotionaler Nachvollziehbarkeit von Geschichten Fragen nach Selbstpositionierung eine große Rolle spielen, sind Differenzen zwischen jungen Frauen verschiedener sozialer Umgebungen, verschiedener religiöser und sozialer Zugehörigkeiten sowie verschiedener Bildungsniveaus zu konstatieren. Auch die sich aus diesen strukturellen Umständen ergebenden differenten eigenen Erfahrungen mit Liebe, die z. B. aus einer größeren individuellen Selbstbestimmtheit des Subjekts resultieren, spielen dabei eine Rolle281. Dies wird bei Gesprächen mit Personen höherer sozialer Schichten (auch Bildungsschichten), mit größerer individueller Freiheit, die aus einer geographischen Entfernung zu den Eltern und dem eigenen sozialen Kontext heraus resultiert, und mit Zugehörigen zu Minoritäten (sowohl religiösen –

278 Dies zeigt sich in persönlichen Gesprächen oder auch in alternativen kollektiven Sinnzusammenhängen, z. T. auch in den Kommentaren bei der Rezeption, die mit Angaben, westliche Liebesfilme nicht empathisch nachvollziehen zu können, konflingieren, vgl. hierzu Kapitel B.III.6. 279 Z. B. Dates an romantisch geltenden Orten (Strand, Restaurants), Geschenke und Blumen als romantische Aufmerksamkeiten, Modestile, etc. 280 In Makassar wird das ständige Reden über Liebesgefühle und die Entwicklung des emotionalen Szenarios westlicher Filme, das sich meist nicht im Kontext familiärer Konflikte, sozialer Unterschiede, von Fragen nach der kulturellen Angemessenheit von Verhalten bewegt, von den jungen Frauen als unreal und demzufolge auch als uninteressant artikuliert. Die Narration, also die Entwicklung des story plots bezüglich der romantischen Liebesgeschichte und die psychologische Entwicklung der Charaktere, erschien ihnen demnach fremd, uninteressant und unwahr für ihre eigene Lebenswelt. 281 Wie in Kapitel A.I.2.2 aufgezeigt wurde, sind kulturelle Emotionsmodelle flexibel und lassen Raum für idiosynkratische Konstrukte. Bei der Informationsprozessierung werden persönliche Erfahrungen mit kulturellem Wissen legiert, sodass Menschen Liebeskonzeptionen generell teilen können, aber unterschiedlich auf sie wie auch auf neue Liebessemantiken reagieren können. Individuell gemachte Erfahrungen, die sich beispielsweise aus anderen Lebenskontexten ergeben, sind so auch für die Rezeption westlicher Liebessemantiken und der Realitätszuschreibung westlicher Liebesfiktionen zentral.

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z. B. Christen – als auch sozialen – z. B. Homosexuellen) deutlich. Diese äußerten oft, westliche Filme seien realistischer für die eigene Gefühlswelt als indonesische Liebesfiktionen. In Makassar fand man eine solche Meinung vor allem bei Frauen der Mittelklasse mit höherem Bildungsniveau. Zentral dabei ist, dass diese Frauen einen besseren Zugang zu westlichen Filmen haben, da sie durch pay TV Zugriff auf ausländische Fernsehsender wie beispielsweise HBO haben, und da sie des Englischen mächtig sind. Darüber hinaus rezipieren sie auch andere mediale, westliche Texte, wie z. B. westliche Novellen oder Romane. Diese Texte scheinen dabei die emotionale Identifizierung auch mit Protagonisten westlicher Liebesfilme dadurch zu erleichtern, dass sie die Gefühlsebenen der liebenden Protagonisten ausführlich in Worten beschreiben und die Entwicklung der Liebesbeziehungen verdeutlichen. Dadurch kommt es zu einem komplimentierten Verständnis der westlichen Filme. Auch junge Männer bewerteten westliche Filme im Vergleich zu jungen Frauen öfter als realistischer, vermutlich deswegen, da Verhaltensnormen für Frauen als zentraler angesehen werden und so von ihnen – über eine emotionale Abgrenzung zu westlichen Fiktionen – auch stärker betont werden müssen. Im Falle von gays282 und z. T. auch von Christen scheint die wahrgenommene Zugehörigkeit zu einer sozialen oder religiösen Minorität zu einer Distanzierung zu dem dominanten, gesellschaftlichen Umfeld zu führen, die ein stärkeres Interesse an dem »wirklich« Fremden, dem Westen, verursacht. Von diesem erhoffen sie sich einerseits Orientierungshilfen, und sie imaginieren diesen dabei als etwas, mit dem sie das eigene Fremde teilen könne. Bei jungen Frauen, die ihr ursprüngliches Umfeld durch ihren Zuzug nach Bali verlassen haben, ermöglichen das soziale Umfeld und die geogra-

282 Diese englische Eigenbezeichnung gays wird von Homosexuellen zur Abgrenzung von den in den lokalen Traditionen als drittes Geschlecht angesehenen calabai (BB) oder waria (BI, abgekürzte Form von wanita pria, wörtlich: FrauMann) selbst verwendet. Gays tragen im Gegensatz zu calabai/waria Männerkleidung und fühlen sich als Männer, die sexuelle und Liebes-Beziehungen mit anderen Männern eingehen. Dahingegen fühlten – nach eigenen Angaben – und leben calabai/waria wie Frauen, kleiden sich als solche und besitzen »traditionellerweise« aufgrund der ihnen zugeschriebenen magischen Potenz ein hohes soziales Standing. Sie übernehmen oft die ihrem dritten Geschlecht zugeschriebenen traditionellen Rollen von Ausstattern, Visagisten oder Caterern bei Hochzeiten oder führen in ländlichen Gegenden ihren »traditionellen« Beruf der bissu (schamanistische Priester des dritten Geschlechts, die als magisch besonders potent gelten). Interviews ergaben, dass gays zur Abgrenzung zu dem traditionellen Genderkonzept imaginative Beziehungen zu einer westlichen gay community herstellen, von denen sie annehmen, dass diese einen akzeptierten, nicht-diskriminierten Teil der westlichen Gesellschaft darstelle und in der Gestaltung ihrer Liebesbeziehungen ganz frei sei.

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phische Entfernung zu ihrem sie kontrollierenden Elternhaus eine größere Freiheit in Liebesbeziehungen. Dies und der intensivere Kontakt zu westlichen Personen und dadurch entstehende andere Erfahrungen tragen entscheidend dazu bei, dass sie westliche Liebesfiktionen als realistischer beschreiben. Bei den jungen Frauen in Makassar, die in ein kulturelles Umfeld eingebunden sind, das zwischengeschlechtliche soziale Handlungen stark einschränkt, sind indonesische Serien und Filme, sowie die telenovelas, Bollywoodfilme und film Mandarin mit deren familienbezogenen Liebeskonflikten dahingegen am populärsten und werden als am realistischsten für ihre Lebenswelt eingeschätzt. Durch die Realitätszuschreibungen haben diese Liebesfiktionen auch konkrete Einflüsse auf persönliche Entscheidungen, Erwägungen, Gedanken und Emotionen der jungen Frauen. Die Fiktionen fungieren so z. T. als ein Wissensvorrat von Warnungen und Ratschlägen in Aushandlung eigener Liebesgeschichten, -beziehungen und -problemen. Dementsprechend artikulieren die jungen Frauen stets, sie könnten aus den fiktiven Geschichten lernen – sowohl von positiv besetzten Charakteren als auch von abschreckenden Beispielen. Die Geschichten, in denen die sozialen Handlungen der Protagonisten in mit moralischen Wertungen behaftete Ursache-EffektZusammenhänge gestellt werden, würden sie – ihren Aussagen zufolge – davor bewahren, ähnliche Fehler selbst zu begehen. Sie würden ihnen Modelle von moralisch gutem Verhalten an die Hand geben, denen sie in ihrem sozialen Alltag folgen könnten. Die medial konstruierten Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge werden – durch ihre imaginäre Verortung durch die Frauen in einer realen Ursprungswelt – als lebensweltlich wahr bewertet. Sie gehen in ein kollektiv geteiltes Wissen der jungen Frauen ein, bestimmen oft Annahmen über reale potentielle Entwicklungen in Liebesbeziehungen und finden sich auch in den persönlichen Narrationen von Liebesgeschichten und deren Erklärungszusammenhängen wieder. So stellt auch Nilan (2003: 54) fest, dass die romantischen Fiktionen einen »significant body of knowledge upon which girls might draw in negotiating their own ‘flirting and courting’ dilemmas« darstellen. Damit adressieren die indonesischen romantischen Fiktionen »[…] a relatively new set of anxieties about young women having to manage themselves as a kind of commodity in the marriage market, and make effective executive choices about the suitability of a marriage partner in the modern contractual business of marriage. While media texts such as girls’ magazines and television soap operas cannot solve the dilemmas faced by modern young Indonesian women, it can be argued that they offer both direct and implicit guidance and information that may assist in making important choices« (ebd.: 64f.). Als Teil ihres sozio-kulturellen Wissens, das in sozialen Alltagskommunikationen im Kontext der Fernsehrezeption erworben wird, haben diese Warnungen und Verhaltensanleitungen der Filme Folgen für und Auswirkungen auf persönliche Entscheidungen, Bewertungen von Verhalten wie

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auch auf die Interpretation von emotionalen Erfahrungen. Ich möchte dies an einem Beispiel veranschaulichen, das in Kapitel B.III.7.1 genauer in seinem Kontext eingebettet wird: Indri wohnte zum Zeitpunkt meiner Forschung im asrama und hatte ihr Studium bereits beendet. Sie sollte bald heiraten, da sie bereits 25 Jahre alt war283. Sie hatte einige, parallel laufende, amouröse Beziehungen, die sie in dem aktuellen Kontext nach der potentiellen Überführung in eine Ehebeziehung evaluierte. Einen dieser jungen Männer, Cepe, kannte sie bereits sehr lang und sie liebte ihn – nach eigenen Angaben – sehr. Er war für Indris Eltern als potentieller Heiratspartner nicht akzeptabel, da er noch studierte, weswegen er ihrer Tochter zum damaligen Zeitpunkt keine gesicherte Zukunft garantieren konnte, und zudem in Hongkong lebte. Indri stand mit ihm in SMS- und Chatkontakt. Wenn Indri mit ihm über das Internet mittels eines Headphones und einer Webcam284 sprach, war sie davon emotional sehr bewegt. Sie musste einige Male aufgelöst weinen, ihrer eigenen Angabe zufolge aus einer Mischung aus Glück, endlich mit ihm zu sprechen und ihn zu sehen, und Traurigkeit, weil sie keine gemeinsame Zukunftsperspektive hätten. Cepe wusste nicht, dass Indri einen weiteren, sechs Jahre älteren Freund namens Iwan hatte. Dieser war Indris bevorzugter Ehekandidat, da er aufgrund seiner gesicherten Arbeit von ihren Eltern als Ehepartner akzeptiert wurde. Cepe sprach von großer Liebe und wollte zurückzukommen, um Indri zu heiraten, nachdem er in Hongkong genügend Geld für eine Hochzeit verdient hatte. Indri brachte es nicht über ihr Herz, ihm zu sagen, dass sie bereits einen potentiellen Ehekandidaten hatte. Sie beabsichtigte im Falle einer Eheschließung mit Iwan zu erzählen, ihre Eltern hätten eine Ehe für sie arrangiert – eine immer funktionierende und kulturell legitimierte Ausrede, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Indri war fest entschlossen, die Ehepartnerwahl auf Basis rationaler Erwägungen zu treffen, weil sie endlich erwachsen werden müsse und nicht mehr mehrere Liebesbeziehungen haben dürfe. Doch obwohl sie Iwan ja auch lieb habe, und er der kulturell ange-

283 Als Wunschalter für eine Hochzeit wird 25 Jahre angegeben. Wenn man mit 30 Jahren als Frau noch nicht verheiratet sei, laufe man Gefahr als »alte Jungfer« zu enden und keine Aussicht mehr auf einen Ehepartner mehr zu haben. Dies ist mit großen Ängsten verbunden, hängt doch die soziale Anerkennung einer Frau von ihrem Ehestatus ab (vgl. Kapitel B.II.5.1.2 zu den lokalen Annahmen über Ehelosigkeit, vgl. Kapitel B.II.5.2 zur nationalstaatlich konstruierten Frauenrolle, die Ehe und Mutterschaft als konstitutiven Teil des sozialen Status einer Frau beinhaltet, vgl. Kapitel B.II.5.3 zu der »islamischen« Genderideologie in Indonesien, die die Ehe als »natürliche Rolle« einer Frau konstruiert und vgl. zur Veranschaulichung dieser Ängste das Fallbeispiel von Novi in Kapitel B.III.7.3. 284 Die Internetkommunikation ist über mich zustande gekommen. Indri hatte mich nach wiederholten Anfragen von Cepe, ob sie nicht über ein Chatprogramm kommunizieren können, gebeten, ihr zu zeigen, wie dies funktioniert.

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messenere Ehemann für sie sei285, war sie von der Entscheidung, wen sie heiraten solle, emotional sehr bewegt. Dies zeigte sich sehr deutlich bei der Rezeption von Serien oder Filmen, in denen die Protagonisten ihre »große Liebe« zum Wohle einer sozial verträglicheren Hochzeit schweren Herzens opfern oder in denen aus multiplen Liebschaften der Protagonisten schwerwiegende soziale Folgen für diese resultieren. Indri: Wenn ich zum Beispiel ein Liebesthema sehe, bei dem der Hauptdarsteller sich mit einer zweiten Person einlässt, dann bin ich sicher auch aufgelöst. »Ach, das bin ich, ich war vorher so, warum muss ich noch jemand anderes mögen, obwohl ich schon einen Freund habe.« Vielleicht hoffe ich ein wenig, wieder mit ihm zusammen zu kommen, heute Morgen hat er angerufen, er bittet mich immer Friendster zu öffnen, er sagt, dort seien viele Fotos, die ich öffnen könne. Und dann bittet er mich, ihm auch irgendwann welche zu schicken. Er plant, im Mai nächsten Jahres wiederzukommen. Er sagt, er wird mich überall suchen, Hauptsache – sagt er – er trifft mich, wenn er zurück in Indonesien ist. Ich habe große Angst. Wie ist das, wenn ich dann schon eine Familie habe, und er kommt und alles kaputt macht. Und er schwört, egal was passiert, auch wenn ich schon verheiratet bin, wird er mich suchen. Also, wenn ich sinetron sehe, die eine solche Geschichte haben, dann werde ich ganz traurig und weine.

Oft verließ sie bei solchen Geschichten den gemeinsamen Wohnraum und zog sich in ihr Zimmer zurück. In persönlichen Gesprächen offenbarte sie mir, das tue sie, weil sie ihre Gefühle vor den anderen nicht verbergen könne und sich zurückziehe, um alleine zu weinen. Ein solches emotionales Verhalten sei vor den anderen nicht angemessen und würde sie peinlich berühren (malu). Zudem laufe sie dadurch Gefahr, zum Thema allgemeinen Klatsches im asrama zu werden. Das wäre nicht nur »peinlich«, sondern könnte auch die Liaison mit Iwan gefährden. Würde er erfahren, dass sie noch Gefühle für einen anderen habe, würde ihre weibliche Reinheit und Moral möglicherweise infrage gestellt, und es bestehe die Gefahr einer Diskreditierung ihrer Rolle als potentielle Ehefrau für Iwan. Obwohl sie gelernt hatte, dass es besser sei, im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln und individuelle Liebesgefühle mittels rationaler Entscheidungen zu kontrollieren, brachte sie im Zuge eines Gespräches über Fernsehtexte und deren Bezug zur Realität Folgendes hervor:

285 Angaben dieser Art vollzieht sie oft in Rückbezug auf Geschichten von sinetron, die darstellen, welch verheerende Folgen es haben kann, wenn eine junge Frau als promiskuitiv angesehen wird und sich nicht rechtzeitig auf einen Mann als Ehepartner besinnt.

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Indri: In sinetron gibt es viele Geschehnisse wie in der sinetron Hidayat [Titel der Serie], da haben sie schon zehn Jahre eine Familie und treffen später einen Menschen, der zu einem passt, der einem alles gibt, was man nicht in der eigenen Familie bekommt. Sie kommen zusammen, und ich habe Angst, dass mir das passiert […] tatsächlich gibt es das sehr häufig im wirklichen Leben, und die meisten Menschen im Film [business] entnehmen dieses Problem aus einer wahren Geschichte, sie haben diese Idee, weil sie davon gelesen haben, schließlich entwickeln sie daraus die Idee, so eine Geschichte zu machen. Also entstammen diese Geschehnisse meistens dem wahren Leben.

Ihre Ängste gründeten also auf der vermuteten Beziehung der Fiktionen auf realen Ereignissen. Sie nahm an, dass die Häufigkeit dieser Geschichten in Serien und Filmen auf die wirkliche Häufigkeit in der Realität hinweise. In ihrer Situation angesichts einer bevorstehenden Ehe machte ihr dies Angst und brachte Unsicherheiten mit sich, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dies ist in Beziehung zu der kulturellen Annahme zu sehen, jeder Mensch habe einen von Gott vorhergesehenen jodoh, und junge Frauen müssten sich heutzutage selbst aktiv bemühen, ihn zu finden. Mediale Sinnzusammenhänge werden in diesem Sinne mit kulturellen Überzeugungen zusammengeführt. Sie bilden zusammen ein Konglomerat aus kulturellem Wissen, auf dessen Bestandteile sich die jungen Frauen in verschiedenen Kontexten zur Artikulation und Sinngenerierung ihrer Gefühle beziehen können. Die Geschichten des Fernsehens werden dabei zu der eigenen Situation und den eigenen Gefühlen in Beziehung gesetzt. So war Indri bei der Rezeption vermehrt auf Geschichten fokussiert, die mit ihrer eigenen sozialen Situation und ihren emotionalen Erfahrungen und Ängsten korrelierbar waren286. Da dies generell der Fall zu sein scheint, sind die jungen Frauen aus dem asrama sehr sensibel für das Verhalten anderer Frauen bei der Fernsehrezeption selbst. Wenn eine junge Frau beispielsweise ganz still wird oder den Raum verlässt, wird hinter ihrem Rücken über ihre Gefühle und potentielle Anlässe für dieses merkwürdige Verhalten spekuliert. Die Frauen sind in dem Rezeptionskontext so sehr vorsichtig, was sie zu den kollektiven Diskussionen beitragen bzw. versuchen, den Ausdruck emotionalen Bewegtseins bei der Rezeption von Geschichten zu kontrollieren, in der sie eigene emotionale Erfahrungen und Erlebnisse reflektiert sehen. Dies kommt vor allem dann zum Tragen, wenn diese kulturell nicht angemessene Verhaltensweisen oder Gefühle der Protagonisten einschließen, die sie von sich selbst kennen, die in dem kollektiven Diskussionsrahmen aber abge-

286 Dieses direkte Inbezugsetzen der fiktiven Geschichten mit eigenen Lebens- und Gefühlssituationen wird auch dadurch deutlich, dass sie, nachdem sie eine Abtreibung durchführen ließ, in Gesprächen über emotionale Prozesse bei der Fernsehrezeption stets Geschichten über Abtreibungen als Beispiel für durch die Rezeption emotionales Bewegtsein hervorgebracht hat.

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wertet und »heruntergespielt« werden. Ein Auszug aus einem Interview soll dies verdeutlichen: Indri: Ja, oft gibt es solche Geschichten [über Abtreibungen]. Aber ich äußere dann keine Worte, die sie [die anderen jungen Frauen] auf die Idee bringen könnte, dass ich schon einmal selbst so etwas gemacht habe. Also höchstens, wenn sie darüber reden, wie es so weit kommen könnte [in den fiktiven Geschichten]. Dann sage ich manchmal, dass es dafür viele Gründe geben kann, vielleicht haben sie [die Protagonisten der Geschichten] Angst vor den Eltern, oder sie wollen noch studieren […] ich muss bei solchen Geschichten oft weinen. Verf.: Weinst Du vor der Öffentlichkeit? Indri: Oh nein, wenn ich weinen muss, dann gehe ich direkt hinaus und verlasse die Freunde und renne in mein Zimmer oder auf die Toilette, um meine Gefühle zu beruhigen. Weil, wenn ich das sehe, oje, warum habe ich das damals getan, warum war ich so hartherzig. Sicher ist, dass ich mich dann erneut schuldig fühle, also wenn ich das [diese Geschichten] sehe, dann rede ich nicht mehr, das heißt dann, dass ich sehr mitfühle, weil ich Gewissensbisse habe. Das Gefühl erscheint dann sicher von selbst. Also wenn ich beim Fernsehschauen solche Nachrichten sehe, dann schalte ich direkt um. Ich möchte nicht, ich habe große Angst Buser [eine infotainment-Sendung] zu sehen, weil man da oft Babys sieht, die weggeworfen wurden. Ich bin dann sehr traurig. Wenn ich damals nicht so gewesen wäre, wäre es schon groß. Vielleicht erscheinen solche Gefühle, wenn ich solche Filme sehe.

Junge Frauen, die die indonesischen sinetron und Liebesfilme als nicht realistisch erachten287, sprechen davon, diese würden nichts als Illusionen verkaufen und den Rezipienten ein falsches Bewusstsein vermittelt. Elisabeth, eine Christin aus Nordsulawesi, die nun in Makassar lebt und die selbst einen anderen, offeneren, zwischengeschlechtlichen Umgang gewohnt war, sagt dazu: Verf.: Wie ist das mit der Liebe [cinta] [aus dem vorherigen Gesprächskontext geht deutlich hervor, dass es hier um die zwischengeschlechtliche Liebe geht]? Elisabeth: Liebe gibt es nicht, ich glaube nicht an das, was Liebe genannt wird. Liebe gibt es nur im Film. Meiner Meinung nach gibt es nur Liebe zwischen dem Menschen und

287 Dies kann ebenso lediglich Teil einer narrativ konstruierten Selbstpositionierung sein.

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dem Schöpfer, untereinander gibt es nur Lust. Meiner Meinung nach braucht man in Beziehungen keine Liebe. Verf.: Und warum gibt es Liebe im Film? Elisabeth: Das ist nur ein Wert zum Verkauf. Meiner Meinung nach wird Liebe im Film nur dramatisiert und als etwas Schönes dargestellt. Aber die Wirklichkeit ist nicht so. Verf.: Was Du siehst, ist das weit entfernt von Deinem Leben? Elisabeth: Ja. Verf.: Siehst Du gerne fern? Elisabeth: Ja, ich schaue gerne, ich mag gerne zuschauen und lachen. Verf.: Wenn es keine Liebe gibt, wieso gibt es dann überall Liebesgeschichten, in westlichen Filmen, in indischen Filmen, in indonesischen Filmen …? Elisabeth: Man darf das nicht einseitig sehen, weil es ein Bedürfnis des Volkes ist, deswegen machen das die Produzenten und verkaufen es, wie in sinetron, Menschen sehen Reichtum, obwohl es in echt nicht so ist. Das wird nur zu einem Imaginationskörper für das Volk. Verf.: Glaubst Du, es gibt einen Nutzen von Filmen? Elisabeth: Das kann sein, aber nicht alles. Es gibt Positives, es gibt Romantisches, gleichzeitig kann das auch negativ sein, weil Mädchen etwas möchten, was dem in den Filmen ähnelt, obwohl Jungs so etwas nicht geben können.

Ihre Annahme, Filme würden Erwartungen bei Menschen kreieren, die aufgrund der Fiktionalität ihrer Geschichten im wahren Leben nicht zu erfüllen seien, deckt sich mit Angaben junger Frauen, sie würden aus den romantischen Fiktionen auch Wünsche für ihr eigenes Liebesleben entwickeln: Sie

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wünschen sich Romantik, einen schönen und reichen Freund, etc. Dies resultiert z. T. in einer Unzufriedenheit mit ihrem eigenen Leben. Imelda: Ja, wenn sie [die Protagonisten] gerade ganz glücklich mit ihrem Freund oder Ehemann sind, dann stellen wir uns auch vor, wie das wäre, wenn man an ihrer Stelle wäre. Bestimmt wäre das sehr schön. Einen gut aussehenden Freund zu haben, reich, das wünsche ich mir sehr. […] Manchmal wünschte ich, mein Freund, ich wünschte, mein Freund wäre ganz perfekt und hätte alles, aber die Wirklichkeit … [lacht]. [Novi: Und er ist in echt langweilig.] Ja, mir ist schnell langweilig.

Die meisten jungen Frauen nehmen an, es gäbe so etwas – ganz »perfekte«, sehr romantische Liebesgeschichten – auch in der Wirklichkeit, wenn auch nur sehr selten. Männer beschweren sich darüber, dass junge Frauen durch dieses mediale »unrealistische« Bild über Männer und Beziehungen zu hohe, unerfüllbare Erwartungen an sie stellen, die sie nicht erfüllen könnten. Dementsprechend berichteten mir junge Männer oft, dass sie den Liebesgeschichten Flirt- und Beziehungstaktiken entnehmen würden – zum Beispiel sprachliche Ausdrücke, ihre Liebe zu erklären oder als romantisch erachtete Praktiken wie »gemeinsam Essen gehen«, »Geschenke machen«, etc. So könnten sie zumindest scheinbar den Erwartungen der jungen Frauen gerecht werden und erfolgreich flirten. Junge Frauen begegnen daher Liebeserklärungen und -schwüren von Männern oft mit Misstrauen, da sie annehmen, diese von den Filmen inspirierten Ausdrücke würden von Männern lediglich strategisch zum Verfolgen bestimmter Interessen eingesetzt und seien »gelogen«288 (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.5). Hanny Saputra, ein indonesischer Regisseur aus Jakarta, der selbst solche Liebesdramen produziert (z. B. die in Kapitel B.III.3.4.5 analysierten Filme Apa Artinya Cinta und Love Is Cinta), sieht das Potential des Films, eigene Liebespraxen zu inspirieren, hingegen als positiv an. Ihm zufolge könne dies das oft etwas triste »wirkliche Leben« nur bereichern. Das reale Leben ist auch nicht so reich [wie die Filmwelt], aber oft inspiriert die [in Filmen dargestellte] Kraft der Liebe [cinta]. Wenn Menschen wirklich lieben [mencintai], können sie auch etwas Außergewöhnlicheres machen im Vergleich … in Wirklichkeit ist dies eine Wahrheit … zum Beispiel, wenn wir etwas machen, wenn wir ernsthaft lieben [cinta], es ist gelogen, wenn er nicht auch Taten folgen lässt. Das ist für mich die Wahrheit. Oft genug besitzen wir keine Kraft, meiner Meinung nach kann das inspirieren, gleichzeitig kann das zum Körper von Gedanken werden, vielleicht, wenn sie das [in Filmen] sehen …

288 Diese Einschätzung ist den Angaben meiner männlichen Interviewpartner zufolge oftmals auch richtig, wobei diese jedoch betonen, dass junge Frauen dies meist glauben würden, weil sie die Romantik der Filmgeschichten gerne auch in ihrem eigenen Leben haben würden.

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Grundsätzlich ist feststellbar, dass die autobiographischen Liebesnarrative der jungen Frauen an den romantischen Fiktionen orientiert sind, sich kontinuierlich auf diese beziehen und dass die jungen Frauen ihnen eine zentrale Bedeutung für ihr eigenes Leben zusprechen. Entgegen den oft wenig geschlossenen und ambivalenten Erfahrungen der Alltagslebensgeschichten werden Liebesgeschichten im Austausch mit diesen Fiktionen retrospektiv eine an den Fiktionen orientierte narrative Kohärenz aufgesetzt, die diese auch in autobiographischen Geschichten erzählbar/kommunizierbar machen. Elemente, Unsicherheiten und Konflikte, die auch in den fiktiven (indonesischen) romantischen Geschichten im Vordergrund stehen, werden so oft auch in autobiographischen Narrativen betont. Diese werden einerseits durch die Konfrontation mit den romantischen Geschichten subjektiv eher wahrgenommen, andererseits werden diese auch aktiv im Sinne von Inspirationen289 in die Liebeshandlungen einbezogen. Die Korrelierung eigener Lebensgeschichten mit den Fiktionen geschieht so auf Basis der Evaluierung ihrer Realität für die eigene soziale Alltagswelt. Diese Evaluierung kann je nach sozialer Schichtzugehörigkeit, persönlich gemachten Liebeserfahrungen und dem Maße der individuellen Freiheit im Verfolgen von Liebesgeschichten variieren. Die romantischen Fiktionen stehen mit der sozialen Wahrnehmungsrealität romantischer Gefühle in einem zirkulären Austausch, sie sind wechselseitig sinnstiftend. So stellt auch Illouz (1997: 170) fest290: »These autobiographical stories cannot be simply reduced to a copy or simulacrum of their fictional ›code‹. The influence is mutual; as psychologist Jerome Butler aptly puts it, «narrative imitates life, life imitates narrative [im Original Fußnote: Bruner 1987, 13]«. This intrinsically blurred and fuzzy boundary between life and texts must be addressed and recast by a postmodern theory of love.«

Dabei scheine romantische Liebe als Zeichen, als »[…] sign […] to be more real than the paler reality, not because it has replaced it, but because the enactment of highly energized, monosemic, ritualized, and collective symbolic scenarios is semiotically and experientially more binding than the fuzzier, attenuated meanings of everyday life. In this sense can we say that in postmodern culture the relationship between the «sign« of romantic love and their referent has become problematic« (ebd.: 183). Am Beispiel der Rezeption romantischer Fiktionen durch junge Frauen in Makassar wird besonders deutlich, dass die romantischen Fiktionen immer in Bezugsetzung zu lokalen kulturellen Konzepten – wie am Beispiel des jodoh zu sehen war – wie auch vor dem Hintergrund eigener Erfahrun-

289 Beispielsweise junge Männer, die fiktive Elemente gemäß der Annahme, junge Frauen würden diese im Flirt- und Datingverhalten von ihnen erwarten, in soziale Datingpraktiken einbeziehen. 290 Dies wurde bereits in Kapitel B.III.4.2.1 in Fußnote 267 zitiert.

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gen291 Sinn und emotionale Realität zugesprochen bekommen. Konstruktionen vom Fremden und Eigenen sind bei der Bewertung als real oder irreal für die eigene Empfindungsrealität entscheidend.

6.

K OLLEKTIVE

VERSUS INDIVIDUELLE TV-R EZEPTION E INE Z USAMMENFASSUNG



Wie in dieser Arbeit immer wieder dargelegt wurde und hier als Ergebnis nochmals zusammengefasst werden soll, lassen sich bei der Fernsehrezeption durchaus widersprüchliche Rezeptionsebenen unterscheiden. Man findet einerseits die kollektiven Rezeptionsdiskussionen der jungen Frauen, die wiederum ambivalente Bilder und Konstruktionen des Eigenen und Fremden aktivieren (vgl. Kapitel B.III.4). Andererseits findet eine individuelle Rezeption statt, die sich durch das subjektive Inbezugsetzen der romantischen Fiktionen zu eigenen Erlebnissen und Erfahrungen auszeichnet, denen ein von den kollektiven Bedeutungen abweichender Sinn zugesprochen werden kann. Unterschiedliche, sich widersprechende Sinngenerierungen können dabei in unterschiedlichen sozialen Situationen auch für dieselben Erfahrungen und Erlebnisse angewendet werden, ohne, dass die jungen Frauen dies selbst als Widerspruch empfinden292. Die kollektiven Diskussionen im Rezeptionsprozess zielen stärker auf die kollektive Affirmierung und Konstruktionen kultureller Werte und Normen ab, über die im Kollektiv eine gemeinschaftliche kulturelle Identität als junge indonesische Frauen konstruiert wird, die als positiv evaluiert von einem situativ jeweils unterschiedlich konzipierten Fremden abgegrenzt wird (vgl. Kapitel B.III.4.1.1). Dabei können der »Westen«, »Jakarta«, »Bali«, »eine ungebildete, rückwärtsgewandte Dorfbevölkerung«, ABGs, »zu moderne junge Frauen«, etc. das kulturell Fremde darstellen. Die Spannweite konstruierter Fremd- und Selbstbilder streckt sich von einer »unmoralischen, westlich-inspirierten Modernität« über eine »indonesische, gemäßigte kulturelle Werte und Normen respektierende Modernität« bis hin zu einer »positiv evaluierten Kulturverbundenheit/Traditionalität« und einer »rückwärtsgewandten, primitiven Traditionalität«. Dabei positionieren sich die jungen Frauen je nach Gesprächsintention, -situation und -partner, wie auch je nach der jeweiligen Differenzfolie, innerhalb dieses Spannungsfeldes unterschiedlich. Die sozia-

291 Vgl. hierzu auch die Fallbeispiele in Kapitel B.III.7. 292 Vgl. hierzu auch Kapitel A.I.3.2: Eine Kohärenz oder Konsistenz eines emotionalen Selbstbildes wird kontinuierlich narrativ konstruiert, ist jedoch de facto durch die Anwendung sich mitunter widersprechender Modelle und Semantiken von Liebe und durch soziale Praktiken, die mit autobiographischen Narrationen völlig auseinanderbrechen können, nicht gegeben.

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le Funktion bleibt dabei stets dieselbe: eine positive Selbstevaluierung als »moderne, aber dennoch kulturell angemessene Frau«. Die kollektiv bestätigten Werte, Normen und Verhaltensmodelle, die mittels der Fernsehrezeption unter Rückbezug auf kulturelle, religiöse und nationalstaatliche Diskurse (re-)konstruiert und aktualisiert werden, spielen nicht nur in den persönlichen Narrativen der Frauen eine Rolle, sondern dienen auch als Modelle und Schemata (vgl. hierzu Kapitel A.I.2.2), um eigene Erlebnisse und emotionale Erfahrungen zu interpretieren oder auch retrospektiv zu reinterpretieren. So haben sie auch Einfluss auf das subjektive Erleben selbst, auch wenn dieses von diesen nicht gänzlich strukturiert wird, wie deutlich geworden ist293. Durch ihre starke Präsenz im sozialen Umfeld der jungen Frauen und ihre konstanten Wiederholungen und kollektiven Affirmationen/Rekonstruktionen, die wiederum vom sozialen Kontext abhängen, – wie Illouz (1997: 5) sagt: »[…] some of these cultural symbols are more readily available than others« – liegt es nahe, eigene Erlebnisse und Erfahrungen zunächst gemäß diesen Modellen und Schemata zu interpretieren oder zu kontrollieren – entsprechend Hochschilds (1983) Konzept von »emotion work«. Durch das Anwenden dieser Semantiken, Diskurse und Konzepte bestätigen sie auch das Umfeld – das dominante soziale Umfeld –, das diese hervorbringt und zu dem sie zugehören wollen. Dies funktioniert m. E. ganz gemäß Averills (1985: 93) bereits zitierter Annahme mit dem Unterschied, dass hierbei nicht romantische Liebe das Emotionsparadigma ist, zumindest nicht in Form des westlich geprägten Ideals: »Paradigms of emotion, such as the romantic ideal, provide the individual with a model and rationale for behavior, and by conforming to the paradigm, the individual serves to confirm the broader cultural network, of which the paradigm is an aspect.«

Beispiele für solche Modelle/Schemata für junge Frauen in Makassar sind beispielsweise »Scham und Zurückhaltung im Umgang mit dem anderen Geschlecht«, »Kontrolle von sexueller Begierde«, »Rationalität bei der Partnerwahl«, »Sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe«, etc. Das »broader cultural network, of which the paradigm is an aspect« ist dabei beispielsweise die »Bugis Kultur« oder der »Islam«. Dennoch ist zu beobachten, dass das individuelle Verhalten der jungen Frauen von diesen Verhaltensnormen oft abweicht, selbst wenn es in seiner narrativen Rekonstruktion kulturellen Verhaltensnormen enstprechend korrigiert wird. Kulturelle Emotionsmodelle strukturieren das subjektive Erleben so nicht gänzlich, gerade davon abweichende Gefühle scheinen Men-

293 Dieser Konzeption zufolge wird beispielsweise malu (Scham) nicht nur als kultureller Wert und Verhaltensnorm narrativ in den Gefühlsbeschreibungen benannt, sondern wird auch subjektiv leiblich empfunden, was jedoch nicht heißt, dass ein abweichendes Verhalten oder abweichende nicht-schamhafte Gefühle nicht genauso existieren (vgl. hierzu Kapitel A.I.2.2).

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schen zu einem abweichenden Verhalten zu veranlassen. Gleichzeitig findet man in jeder Kultur auch Artikulationsforen und Sprachen, die solche abweichenden Gefühle mittels anderer Semantiken zum Ausdruck bringen und abweichende Interpretationsmuster für sie anbieten. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese anderen Sprachen Gefühle zwangsweise authentischer abbilden bzw. angemessener erklären als die dominanten Emotionsmodelle und -sprachen (vgl. Lau 2006: 247f.). Diese alternativen Sprachen über Gefühle parallelisieren die offiziellen Diskurse und Konzepte und stellen Menschen ein alternatives Repertoire von Bildern, Symbolen und Geschichten zur Verfügung, um ihren emotionalen Erlebnissen Sinn zuzuschreiben und diese zu artikulieren. Romantische televisuelle Fiktionen, vor allem westlicher Herkunft, können als so eine »zweite Sprache« fungieren. Elemente dieser alternativen Liebessemantiken und Bilder von romantischer Liebe können aufgrund ihrer Präsenz im Leben der jungen Frauen und ihrer sich ständig wiederholenden und sich zitierenden »symbolic «snapshots« […] in which romantic feelings can be recapitulated« (Illouz 1997: 4) auch in gemeinschaftlichen Kommunikationszusammenhängen z. T. anerkannt sein. Jedoch erhalten diese ihre Bedeutung erst vor dem Hintergrund ihrer Aushandlung mit lokalen Konzepten und Modellen. Dies zeigt sich beispielsweise an der semantischen Neuformulierung eines Konzepts romantischer Liebe, das stärker auf die Betonung materieller Objekte, Settings und Orte abzielt als auf die Beschreibung der individuellen, überwältigenden Gefühle (vgl. Kapitel B.III.4.2.1). Darüber hinaus gibt es jedoch Momente der individuellen Rezeption, in der eigene Erfahrungen und Gefühle mit den Medientexten und -bildern in direkte Beziehung gesetzt werden, die so subversiv – entgegen den sonst bestätigten Werten, Normen und Verhaltensmodellen – zu sein scheinen, dass sie in kollektiven Kommunikationssituationen nicht artikuliert werden können. Stellt eine junge Frau eine solche Verbindung zwischen den Fiktionen und ihren eigenen »verbotenen« emotionalen Erlebnissen oder sozialen Handlungen her, bleibt sie entweder in der kollektiven Diskussion dieser fiktiven Geschichten, die auf deren moralische Abwertung abzielen, still, oder kann sich den kollektiven Verurteilungen weiterhin anschließen – ganz im Sinne der viel zitierten »Heuchelei« der Frauen. Falls die jungen Frauen ihren emotionalen Ausdruck vor den anderen nicht kontrollieren können (Tränen an sich halten, etc.), verlassen sie den kollektiven Rezeptionskontext, damit die anderen keine Rückschlüsse auf ihre Gefühle oder persönlichen Erlebnisse ziehen können (vgl. Indris Fallbeispiel in Kapitel B.III.5). Darüber hinaus gibt es jedoch noch eine weitere Ebene eines scheinbar gerade durch die Bildlichkeit des Mediums – losgelöst von sprachlichen Diskursen und Semantiken – ermöglichten »körperlichen Erlebens« bei der Rezeption. Das Betrachten der Bilder kann anscheinend auch losgelöster von den kulturellen Bewertungen und Semantiken geschehen und direkter »leiblich spürbar« sein. Ob es ein asemiotisches Erleben von Bildern geben kann – im Zuge der Diskussion um den »Mehrwert des Bildes« im Vergleich zum »Text« werden solche Fragen oft gestellt –,

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kann jedoch auch hier nicht beantwortet werden. Anstelle dessen soll nur ein Beispiel angeführt werden: Indri: […] wenn ich beispielsweise einen westlichen Film sehe, der ein bisschen so etwas beinhaltet, dass man sich wünscht, so etwas zu tun [Sex], dann habe ich plötzlich ein Gefühl, wie … es gibt ein anderes Gefühl, es gibt auch sexuelle Lust. Aber wenn der Film beendet ist, hab ich das dann nicht mehr. Verf.: Was für Szenen? Indri: Wenn sie sich umarmen oder wie … die Art, sich zu umarmen, ist vielleicht intimer, vielleicht ist das dort anders. Oft habe ich dann das Gefühl, ich möchte das auch, es kommt ein warmes Gefühl. Warum ist das so, das Gefühl, das auch zu möchten, wenn der Film beendet ist, dann ist das Gefühl vielleicht schon nicht mehr da. Verf.: Bei was für Filmen? Bei ganz normalen Filmen? Indri: Ja, bei ganz normalen Filmen, wenn sie sich küssen, so wie sie sich küssen, das ist anders, weil es mit ganz viel Lust geschieht. Und wenn wir das sehen, gibt es viele Reaktionen, es gibt welche, die schreien, andere lachen, oder sagen »Oh, wie schön«. Es gibt viele Gefühle, die dann auftauchen. Wenn ich das sehe, ist das so »Oh, wie das wohl ist.« Ich möchte das auch gerne tun.

So »funktionieren« die Bilder z. T. auch losgelöst von dem Inbezugsetzen zu eigenen Erfahrungen und zu kollektiven Bewertungen und kulturellen Semantiken scheinbar auch ganz direkt leiblich. Ob durch das Betrachten solcher Bilder, wie Indri formuliert, der Wunsch, dies auch zu tun, auch zu einem kulturelle Grenzen übertretenden Verhalten führt, kann und soll hier nicht beantwortet werden. Dennoch geniessen die jungen Frauen z. T. also auch »verbotene« Szenen, die sie offiziell moralisch abwerten, jeglicher negativen Evaluierung durch die sie umgebenden Diskurse zum Trotz. Ich nehme an, dass solche, in vielen westlichen Liebesfilmen als ansprechend konzipierte Bilder (als »«romantic« photograph[s]« (Illouz 1997: 4)) auch mit eigenen Gefühlen beim Praktizieren von Intimitäten korreliert werden, sodass diese fremde Symbolik positiv gewerteter Erotik im Rahmen romantischer Liebessemantiken eine alternative Interpretation für intime Situationen der jungen Frauen mit Männern darstellen kann als die offiziell bevorzugte Sünden-Metaphern. Da eine solche persönliche Sinngenerierung jedoch nicht artikuliert wird, sondern im Bereich der Imagination der Frau bleibt, müsste man konsequenterweise die Frage nach der Beziehung zwi-

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schen Imagination und Sagbarkeit bei der Sinngenerierung von Mediensemantiken und -bildern stellen (vgl. hierzu auch die Schlussbetrachtung in Kapitel C). Um hier etwas überspitzt und mittels einer analytischen Trennung zweier unterschiedlicher Rezeptionsebenen, die im Rezeptionsprozess jedoch nicht voneinander trennbar sind und miteinander in einem wechselseitigen Austauschverhältnis stehen, die Ergebnisse zusammenzufassen: Im kollektiven Rezeptionsprozess werden die Sendungen entlang einer konstruierten oppositionellen Differenz vom Fremden/Eigenen angeordnet. Sie werden so nach der kulturellen Angemessenheit der fiktiven Romanze für den lebensweltlichen Kontext der jungen Frauen bewertet. Indonesische Sendungen, indische Bollywoodfilme und film Mandarin (gelegentlich auch die südamerikanischen telenovelas, vgl. hierzu aber auch Kapitel B.III.4.1.1) werden dabei bezüglich des Liebesdiskurses als »das asiatische Brauchtum wahrend« den westlichen Semantiken und Bildern gegenübergestellt. Diese Fremd- und Eigenkonstruktionen greifen auch in indonesischen medialen Texten, bei denen Handlungen und ProtagonistInnen entlang der Achse »Westen«/»Indonesien«, »unmoralisch«/»moralisch«, »kulturell akzeptabel«/»kulturell verwerflich« angeordnet werden. Hierbei werden Sex vor der Ehe, öffentliches Zeigen von Liebesgefühlen, Vernachlässigung der töchterlichen Pflichten, etc. als westlich und fremd, als bereits zu modernes Verhalten von Indonesierinnen abgelehnt und verurteilt. Obwohl westliche Filme und Serien rezipiert werden – oft mit einem erhöhten Interesse gerade an den Szenen mit intimen Inhalten – wird meist angegeben, man könne sich mit westlichen Liebesgeschichten und deren ProtagonistInnen emotional nicht identifizieren, weil ihre Probleme nicht verstanden würden und diese lebensweltlich unrealistischer und emotional weniger wahr seien(vgl. hierzu Kapitel B.III.4.1.1 und B.III.5). Diese kollektive Affirmation von kulturellen Werten und Normen wirkt im Rahmen der Rezeptionsgruppe gemeinschaftsstiftend. Durch ihre Kommentare positionieren sich die jungen Frauen im Kollektiv meist als moralische, moderne junge Frauen, die ihre Kultur wahren. Das gesteigerte Interesse an den intimen Szenen sowie individuelle Korrelationen von emotionalen Geschichten der ProtagonistInnen mit eigenen Erfahrungen treten in den gemeinschaftlichen Rezeptionsgesprächen in den Hintergrund. Diese so gemeinschaftliche konstituierte Identitätskonstruktion als moderne, aber kulturell verbundene Bugis Frauen spiegelt sich in der offiziellen Narration individueller Liebesgefühle und -geschichten und deren Interpretation stets wider. Dieses geschieht selbst dann, wenn diese autobiographischen Erzählungen mit tatsächlichen sozialen Handlungen oder Gefühlen auseinanderbrechen. So dient die kollektive Fernsehrezeption als zentrales soziales Forum zur Aktualisierung und (Re-)Produktion kultureller Werte und Normen und zur kollektiven Konstruktion einer kulturellen Identität und wirkt damit stark gemeinschaftsstiftend. Über die Brücke der Fiktionen und ihrer ProtagonistInnen lassen sich darüber hinaus auch eigene Belange, Erlebnisse, Unsicherheiten im Feld von zwischengeschlechtlichen Beziehungen deper-

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sonalisiert von der eigenen Person kollektiv diskutieren und in den kulturellen Rahmen einordnen. Dies ist aufgrund der kulturellen Tabuisierung des Ausdrucks von und der Kommunikation über Liebesgefühle und -probleme sonst kaum möglich. Eigene Verhaltensweisen und -praktiken werden dabei indirekt auch gemäß gemeinschaftlich konstruierten Werten und Normen kulturell evaluiert. Daneben ist das individuelle, emotionale Mitfiebern mit den ProtagonistInnen bei der Rezeption zentral, das jedoch nur zum Teil Eingang in die gemeinschaftlichen Gespräche findet. Die jungen Frauen stellen enge Beziehungen zwischen den Fernsehtexten und ihren eigenen Lebensgeschichten und Gefühlen her. Dies kommt jedoch im kollektiven Rezeptionsprozess nicht immer zum Ausdruck, vor allem dann nicht, wenn Übertretungen kultureller Normen involviert sind oder persönliche Gefühle adressiert werden. Die Fiktionen erinnern sie an emotionale Erlebnisse, die vor den anderen nicht artikuliert werden können wie z. B. Abtreibungsgeschichten, Liebeskummer, Sex vor der Ehe und damit verbundene Schamgefühle, aber auch als schön und aufregend empfundene intime Momente mit ihrem Freund und starke und leidenschaftliche Zuneigungsgefühle. Die individuellen emotionalen Reaktionen darauf werden im Kollektiv nicht gezeigt und können sogar mit ihren im Kollektiv gemachten sprachlichen Äußerungen konträr gehen. Das Betrachten kulturelle Grenzen überschreitenden Verhaltens wird oft genossen, wie z. B. Kuss- und Intimszenen westlicher Filme, offensive Frauen, die Männer anflirten, sexy Kleidung tragen, in Diskotheken gehen und ganz allgemein kulturell nicht restringierte Liebesbeziehungen führen. In gewisser Weise scheint von kulturellen Normen abweichendes Verhalten korrelierbar zu sein mit persönlichen Sehnsüchten und dem eigenen Verlangen (auch sexueller Natur). Der Widerspruch zu der kollektiven Rezeption, in der dieses transgressive Verhalten abgewertet wird, verdeutlicht hierbei den Konstruktionscharakter von Sinnbezügen sowie die subjektive Anstrengung, individuelle Erfahrungen und Erlebnisse gemäß kulturellen Emotionsmodellen und Verhaltensnormen zu (re-)interpretieren (vgl. hierzu Averill 1985). Abweichungen und Transgressionen in der sozialen Praxis sind oft feststellbar, auch wenn die offizielle Lebensnarrative gemäß den gültigen kulturellen Konzeptionen und Werten und Normen rekonstruiert wird294. Die jungen Frauen grenzen ihre Handlungen von dem Bild, das sie von westlichen Liebespraktiken haben, weiterhin kontinuierlich ab. Diese kontinuierlich konstruierten Differenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden werden auf der Gefühlsebene temporär zumindest jedoch verwischt. Beim emotionalen Erleben so-

294 So gaben fast alle jungen Frauen mir gegenüber zunächst an, dass sie natürlich keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr hätten. Erst nach und nach, mit zunehmendem Vertrauen dekonstruierten sie diese Version mir gegenüber. Gelegentlich deckten auch das Beobachten tatsächlicher, abweichender sozialer Handlungen und Gespräche mit ihren Partnern solche Konstruktionen auf (vgl. hierzu auch das Selbstreflexivitätskapitel B.II.2.2).

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wie dessen Artikulation findet sowohl eine Überschreitung, eine Parallelisierung wie auch eine temporäre Verwischung der Differenzen statt, die jedoch als solche stets wieder rekonstruiert und so nie gänzlich aufgehoben werden. Meine Erkenntnisse sollen konkret an den drei nachfolgenden Fallbeispielen vorgestellt werden.

7.

F ALLBEISPIELE

7.1

Indris Probleme auf dem Weg zur Ehe

Auch wenn an vielen Stellen dieser Arbeit bereits Rekurs auf Indris Geschichte genommen wurde (vgl. B.III.5 und B.III.6), sollen an dieser Stelle diese vereinzelten Bezüge in den Gesamtkontext ihrer kohärenten und chronologischen Entwicklung gestellt werden: Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Arbeit soll Indris Weg zur Ehe dargestellt und analysiert werden. Die multiplen Beziehungen, die sie vor ihrer Ehe hatte, ihre Sorgen darum, die richtige Entscheidung zu treffen, wer ihr zukünftiger Ehemann sein sollte, die Rolle, die auch die Familie dabei stets spielte, das Inbezugsetzen ihrer eigenen Geschichte zu den Medientexten, über die mit Entscheidungen konflingierende Gefühle deutlich werden, wie auch die retrospektive Korrektur oder (Neu-)Bewertung ihres Verhaltens und ihrer Gefühle zeigen dabei relativ typische Probleme, Fragen und Gefühlskonflikte der jungen Frauen in zwischengeschlechtlichen Beziehungen auf und veranschaulichen die Prozesse ihrer Identitätskonstruktionen. Zu Beginn meiner Forschung im Jahr 2006 hatte Indri, damals 23 Jahre alt, drei Freunde: Dedi, den sie schon seit 2000 kannte, der in Bulukumba (175km von Makassar entfernt, ca. 6 Stunden mit dem Auto oder Moped) wohnte und den sie kaum sah, mit dem sie jedoch per Telefon und SMS Kontakt pflegte; Cepe, der zwei Jahre zuvor nach Hongkong gegangen war, um dort zu arbeiten, um für eine Ehe mit Indri genug Geld zu verdienen; und Iwan, der bereits sechs Jahre älter als sie war, einer geregelten Arbeit in einem Büro nachging, in Maros (19km von Makassar entfernt, 40 Minuten mit dem Moped oder Auto) wohnte und sie oft im asrama besuchte. Aufgrund der verschiedenen Wohnorte der Männer sah sie sich nie gezwungen, sich von einem Mann aufgrund einer neuen Liaison zu trennen. Sie hielt es deswegen für sinnvoll, mit allen Dreien zusammenzubleiben, da sie alle lieb hatte (sayang) und durch diese Strategie ihre Chancen auf ein gutes Eheangebot erhöhte. Sie wollte warten, wer ihr als Erster ein Eheangebot unterbreitete und wer darauffolgend von ihrer Familie akzeptiert würde. Indris Familie wusste von den Männern, war damit einverstanden und riet ihr dazu abzuwarten, wer ihr als Erstes einen Hochzeitsantrag mache. Sie erzählte ihre Geschichte folgendermaßen:

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Verf.: Wie ist das Gefühl, sich zu verlieben, für Dich? Indri: Meiner Erfahrung zufolge ist die Geschichte folgendermaßen. Ich habe einen Freund, der Dedi heißt, seit Dezember 2000. Damals kam er mit fünf Freunden ins asrama. Bis dahin hatte ich noch nie das Gefühl, ihn zu mögen [suka], also ich habe meine [platonischen] Freunde mehr gemocht. Jeden Tag kamen sie. Ich war am Anfang tatsächlich nicht von ihm angezogen, weil er tatsächlich nicht interessant ist. Er ist schwarz [dunkelhäutig], groß, hat einen Schnurrbart, und ich dachte, es sei nicht möglich, dass ich mich in ihn verlieben könnte, und er war wirklich nicht mein Typ. Ich weiß nicht, warum, aber zwei Monate später kam, er zu zweit ins asrama, mit seinem Freund. Ich habe mich gewundert, dass er so mutig war, zu zweit ins asrama zu kommen. Danach haben wir uns oft zusammen im KBU Wartel [Telefoncafé] unterhalten. Später kam er mit neun Freunden, die er mir später vorstellte. Und zu diesem Zeitpunkt fühlte ich, dass er von mir angezogen war. Danach veränderte er sich, er wurde still, er sprach wenig mit seinen Freunden. Danach rief er mich an, er wollte mich ausführen. Er wollte mich zu einem Bazar mitnehmen und bat um meine Hilfe. Ich fragte ihn, was für eine Hilfe, was kann ich denn tun? Er erzählte mir dann, dass es einmal eine Frau gab, die er schätzte, aber die ihn ablehnte, und diese Frau ihm gegenüber dreckige Worte geäußert hatte. Er wollte der Frau zeigen, dass er auch eine andere Freundin haben kann. Also war ich bereit, ihm zu folgen. Am nächsten Tag gingen wir zu dritt mit einer Freundin, die Yani heißt. Als wir auf dem Bazar waren, wollte ich eng neben ihm sitzen, ohne dass es irgendein Gefühl dabei gab. Also unterhielten wir uns, und er bat wieder um meine Hilfe. Er sagte, er wollte mich gerne hinten auf sein Moped mitnehmen, als wir dort hingefahren sind, war ich nicht bei ihm auf dem Moped, und ich stimmte zu. Auf dem Weg hatten wir beinah einen Autounfall mit einem großen Auto. Er bremste plötzlich sein Moped und so … ich hatte Gelegenheit, seinen Geruch zu riechen, der sehr in meiner Nase zu spüren war, und dann hatte ich ein anderes Gefühl. Aber ich versuchte, ruhig zu bleiben, weil ich dachte, es sei nicht möglich, dass ich mich in ihn verlieben [jatuh cinta, wörtlich: in Liebe fallen] könnte. Als wir zu Hause angekommen waren, versuchte er auszuhandeln, wieder irgendwann mit mir auszugehen, und ich sagte, er dürfe das. Danach bin ich in mein Zimmer gegangen und erzählte Yani, dass ich irgendetwas für Dedi fühlte. Danach rief er mich immer an, er führte mich zusammen mit Yani aus, mit seinem Auto. Er gab mir dann ein Geschenk, da war ein Ring drin. Ganz klar, dass wir unser anderes Gefühl erhöhen, wenn wir etwas am Finger haben. Er sagte auch, wenn Du mich nicht magst, reiche es aus, wenn Du den Ring einfach aufhebst. Danach ging ich auf den Campus, ich traf dort einen Mann, der Amlan hieß, er sah gut aus, und ich mochte ihn. Und ohne groß nachzudenken, bin ich mit ihm zusammen gekommen. Aber mit Dedi bin ich nach wie vor ausgegangen, wie zuvor, ohne dass es irgendeine Beziehung gab. Bis er eines Tages davon erfuhr, dass ich einen Freund hatte und mich fragte, warum ich ihm das nie erzählt hätte, dass ich schon mit jemand anderem zusammen gekommen bin, und ich bat Dedi zurückzutreten. Aber Dedi sagte, er könne nicht so einfach zurücktreten, da er mich schon sehr möge [suka]. Am Schluss

324 | L IEBE IN I NDONESIEN sagte er, er wolle zurücktreten, aber mit seinem Verschwinden hatte ich das Gefühl, etwas zu verlieren. Ich hatte zudem schon das Gefühl sayang [lieb haben] für ihn, zusätzlich zu einem leeren Gefühl, weil er mich nie mehr angerufen hat, sodass ich weinen musste. Mit Amlan hatte ich auch sayang, und er war auch gut, aber mit Dedi gab es ein tieferes Gefühl, sodass Amlan mir empfahl, ihn anzurufen oder einen Brief zu schreiben, damit er nach Makassar komme. Schließlich ist er wirklich gekommen, und ich war sehr glücklich darüber, dass er gekommen ist. Tatsächlich war ich sehr froh, weil ich ihn nicht wegen seines Aussehens, sondern wegen seiner inneren Werte lieb hatte. Aber ohne einen Grund dafür zu haben, habe ich mich von Amlan getrennt, und er stimmte zu, dass es klüger sei, dass ich mit jemandem zusammen sei, den ich mehr lieb hätte. Dann war ich vier Jahre lang mit Dedi zusammen, und er war immer in meinen Gedanken bei mir. Später habe ich dann schließlich Iwan auf dem Campus kennengelernt. Verf.: Und dann hast Du Dich noch einmal verliebt [jatuh cinta]? Indri: Ja, ich habe mich erneut verliebt, in Iwan. Weil, vielleicht wegen der Situation und Dedi war auch gerade beschäftigt mit seinem Studium. Weil wir uns oft auch dem Campus getroffen haben und schließlich hatten wir uns dann gegenseitig sehr lieb [sayang], sodass wir einen Ausflug gemacht haben an einen romantischen Ort in Malino, von dem die Leute sagen, dass er wirklich sehr romantisch ist, weil dort ein kühles Klima vorherrscht. Dort waren wir uns ganz nahe, der eine mit dem anderen, sodass er sich entschied, seine Freundin zu verlassen, um mit mir zusammen zu sein. Aber bedauerlicherweise hatte ich doch schon einen Freund, auch wenn Dedi misstrauisch war, dass Iwan mir nahestand. Aber ich habe abgelehnt, dass Iwan mein Freund wird. Aber letztendlich bin ich auch mit Iwan zusammen gekommen, und wir begannen eine lange Beziehung. Und dann einmal, bei einem Bazar, zu dem ich mit Iwan gegangen bin, habe ich Cepe kennengelernt. Er war interessant, schenkte mir Aufmerksamkeit [perhatian], und später bin ich auch mit ihm zusammen gekommen, auch wenn Dedi und Iwan nichts davon wussten. Wenn Cepe krank war, habe ich mich sicher um ihn gekümmert, und ich habe stets in seinem Haus übernachtet. Aber es gab später ein Angebot, im Ausland zu arbeiten, deswegen musste ich mich von ihm für diese Zeit trennen, auch wenn wir nicht von einer Trennung gesprochen haben. Weil er mich darauffolgend selten anrief, entschied ich mich, die Beziehung zu ihm zu beenden. Aber er wollte das nicht und sagte, er würde zurück nach Indonesien kommen. Später fuhr ich in sein Haus, weil ich bereits wusste, dass er schon zurückgekehrt war. Aber da gab es etwas, was ich dort gesehen habe, er war mit einer anderen Frau im Haus zusammen, während sie schliefen. Ich hatte großen Liebeskummer [sakit hati, wörtlich: Schmerz des Herzens/der Leber], das zu sehen. Verf.: Warum hattest Du Liebeskummer?

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Indri: Weil ich Cepe sehr lieb habe [sayang]. Wenn er krank war, habe ich ihn gepflegt, er war gut, und er ist bereits etabliert. Also habe ich mich sicher gefühlt, neben ihm zu sein. Verf.: Von Dedi, Iwan, Cepe, wen hast Du am meisten lieb? Indri: Der, den ich am meisten lieb habe [sayang], ist Cepe. Weil er gut ist, vielleicht auch gut aussieht, klug ist, etabliert und mir Aufmerksamkeit [perhatian] schenkt, im Vergleich zu den anderen. Verf.: Und wissen sie denn nun, dass Du mit drei Männern zusammen bist? Indri: Ja, sie wissen das. Sie sagen nur, das hängt davon ab, wer Dein von Gott vorgesehener Partner [jodoh] ist, und sie wissen, dass ich tatsächlich so ein Mensch bin. Also verstehen sie das einfach295. Verf.: Also magst [suka] Du Cepe, und Du heiratest ihn nicht, weil er im Ausland ist? Indri: Ja, ihn mag [suka] ich am meisten, und ich möchte ihn nicht heiraten, weil er im Ausland ist und in meiner Familie gibt es niemanden, der ihn mag. Verf.: Und wen mögen sie [deine Familienmitglieder] am meisten? Indri: Ja, sie mögen Iwan und Dedi. Und sie sagen, wir sehen einfach, wer als Erstes einen Antrag macht, ja, und dann bist Du eben mit ihm. Verf.: Und Dir ist es egal, ob Du Dedi oder Iwan heiratest?

295 In einem anderen Gesprächskontext erzählte Indri, ihre Freunde wüssten nichts voneinander und sie versuche, es geheim zu halten, dass sie mehrere Freunde besäße, um die Männer nicht ärgerlich zu stimmen.

326 | L IEBE IN I NDONESIEN Indri: Ich möchte nicht Dedi heiraten, weil er zu gut ist. Weil ich ihn auch schon mehrere Male verraten habe. Und ich es nicht über das Herz bringe. Vielleicht suche ich jemand anderen. Verf.: Wenn Du drei Freunde hast, vielleicht resultieren daraus auch Probleme? Wissen sie, dass Du mehrere Freunde hast? Indri: Ja, da muss man gut mit umgehen. Vielleicht ist es auch deswegen nicht zu schwer, einen Zeitplan zu machen, weil Dedi selten in Makassar ist. Verf.: Und Deine Eltern wissen, dass Du drei Freunde hast? Indri: Ja, sie wissen das. Sie sind damit einverstanden und sagen, [man müsse abwarten] wer nachher Dein jodoh ist. Weil sie wissen, dass meine Einstellung so ist. Warum verliebe [jatuh cinta] ich mich so schnell?

Mit Dedi schien sie viele persönliche Erlebnisse und Erinnerungen und ein tiefes Gefühl zu verbinden, sie könne sich gut mit ihm unterhalten und schätze seine Nähe296. Jedoch sei er zu gut für sie, und sie habe ihn bereits zu oft enttäuscht. Meiner Interpretation zufolge stehen diese negativen, enttäuschenden Momente Indris Selbstbild im Weg, später eine »einwandfreie« nur positiv evaluierte, gute Ehefrau für den Mann zu sein. Dieses Bild könne sie so vielleicht später aufgrund des geteilten Wissens um ihr Fehlverhalten nicht einlösen, zumindest sei es beschädigt. In Cepe war sie sehr verliebt. Sie gab an, sie möge ihn am liebsten (Indri: »Weil, auch wenn eine Frau fünf oder sechs Freunde hat, gibt es sicher einen, den sie am meisten lieb hat (sayang).«). Doch er würde von ihrer Familie nicht für einen guten Ehekandidaten für Indri gehalten. Iwan war der Älteste der drei Männer, und sie hielt ihn für den geeignetsten Ehekandidaten, da er bereits eine Arbeit hatte und reifer als die anderen sei. Sie möge ihn gerne, schien jedoch nie sehr verliebt in ihn zu sein. Indris Aussage zufolge könne sie keinen der Männer wirklich vergessen und bliebe so mit allen Dreien zusammen. Als sie dann einen weiteren jungen Mann kennenlernte, Nasir, wurde die Situation etwas komplizierter, da sowohl Iwan als auch Nasir oft ins asrama kamen, um In-

296 In ihrer Erzählung, wie sich die beiden kennengelernt haben, tauchen stets Elemente auf, die auch in romantischen Fiktionen einen zentralen symbolischen Wert für die Liebesdarstellung haben: beispielsweise die Übergabe des Ringes, der romantische Ausflug, ein Mopedunfall, der Geruch, der in die Nase steigt, etc.

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dri zu besuchen. Indri hatte große Angst, die beiden, die nichts voneinander wussten, könnten sich dort über den Weg laufen. Iwan war – meines Erachtens auch wegen Indris häufiger und geheimnistuerischer SMS-Aktivität mit den anderen Männern – sehr eifersüchtig. Er drohte, jeden Mann, der Indri zu nahekomme, umzubringen297. Als Indri eines Tages mit Cepe in Hongkong mittels eines Chatprogrammes, welches eine Webcam beinhaltete, wieder Kontakt aufnahm, war sie von ihren Gefühlen zu ihm scheinbar emotional überwältigt298. Sie begann zu weinen und sprach infolge ständig von Cepe und davon, wieder mit ihm sprechen zu wollen. Sie teilte mir zu diesem Zeitpunkt mit, dass sie eigentlich Cepe lieben würde, aber die Verbindung keine Zukunft haben könne, da er weit weg sei, sie bald heiraten müsse und ihre Familie ihn nicht als einen Ehekandidaten akzeptieren würde. Cepe sprach davon, bald nach Indonesien zurückzukehren, um Indri zu heiraten und ihnen mit dem Geld, das er in Hongkong verdient hatte, ein Haus zu kaufen. Indri teilte ihm nichts von Iwan mit. Wie bereits in den Interviewauszügen in Kapitel B.III.5 aufgezeigt, war Indri zu dieser Zeit sehr sensibel für Serien, in denen es um scheiternde Ehen ging. Sie bezog die Medientexte stets auf ihr eigenes Leben und fragte sich, was passieren würde, wenn sie sich für den falschen Mann entscheiden und diese Entscheidung später bereuen würde. Die zahlreichen Fernsehgeschichten über das Scheitern von Ehen, über Untreue in einer Ehe, etc. bereiteten ihr großes Kopfzerbrechen. In Konfrontation mit solchen Geschichten fragte sie sich stets danach, wie sie selbst handeln sollte, welche Entscheidungen sie treffen sollte, welche sie bereuen könnte. Angesichts ihrer scheinbar nicht zu verwirklichenden Liebe zu Cepe reagierte sie auch sehr emotional auf Geschichten, in denen die Protagonisten ihre Liebe opferten, um eine andere Person zu heiraten, die von den Eltern akzeptiert oder bevorzugt würde oder um eine gesicherte Zukunft zu haben. Sie zog sich dann oft aus der kollektiven Rezeptionssituation zurück, um alleine in ihrem Zimmer zu weinen, weil sie Cepe vermisste. Meist sprach sie jedoch sehr rationalisiert über ihre Ehepläne. Sie wog dabei ab, dass Iwan der geeignetere Kandidat sei und sie sich »zusammenreißen« müsse, um Cepe zu vergessen und eine gesicherte Zukunft zu haben299.

297 Dies widerspricht Indris Aussage, die Männer wüssten voneinander und akzeptierten, dass sie mehrere Freunde habe. Tatsächlich hielt sie dies vor den verschiedenen Männern geheim. 298 Vgl. hierzu Kapitel B.III.5. 299 Dies ist ein allgemein verbreitetes Thema bei den jungen Frauen. Sie benennen dies meist als »endlich erwachsen werden müssen«. »Erwachsen sein« impliziert »rationales Verhalten in der Partnerwahl«. »Erwachsen sein und handeln« fungiert bei den jungen Frauen als Abgrenzungskriterien zu den belächelten ABGs mit ihrer cinta monyet (Affenliebe) als irrationales Verhalten in zwischengeschlechtlichen Beziehungen (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.2 und Imeldas Aussage in Kapitel B.III.4.2.1: »Ja, es reicht das Verhalten (im Sinne man muss

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Indri betonte stets, sie komme aus einer sehr konservativen Familie. Als sie und ihre Schwester noch im Dorf wohnten, hätten ihre Eltern den Schwestern verboten, einen Freund zu haben. Dies sei ihren Eltern zufolge gefährlich und nicht angemessen für junge Frauen. Als sie nach Makassar zog, hatte sie, außerhalb der Kontrolle ihrer Eltern, diesbezüglich mehr Freiheiten, die sie auszunutzen genoss. Angesichts ihres Alters betonte Indri oft, sie müsse nun langsam seriös werden und aufhören, mit Männern »herumzuspielen« (main-main). Sie müsse erwachsen werden und rational handeln300, um einen guten Ehepartner zu finden. Während Indri mir oft im Geheimen mitteilte, dass sie Intimitäten mit ihrem Freund genießen würde, dass sie ihn, wenn die beiden alleine seien, gern küsste, und auch von ihrem »warmen Gefühl« erzählte, wenn sie mit ihrem Freund zärtlich war301, sagte sie mir stets, sie würde jedoch nicht mit ihrem Freund schlafen. Dies dürfe man erst nach einer Ehe tun. Sie habe diesbezüglich große Angst, eine Sünde zu begehen, die Familien zu beschämen und außerehelich schwanger zu werden (vgl. hierzu Indris Interviewauszüge in Kapitel B.II.5.1.4). Sie erzählte, sie könne ihre eigene Lust kontrollieren, da sie an die Warnungen ihrer Eltern denke.

nicht über seine Gefühle sprechen). Weil ich glaube, dass wenn wir schon lange zusammen sind, ist es nicht die Zeit über Liebe zu sprechen. Ich glaube, worüber wir sprechen, ist dann die Zukunft, wir sind ja schon erwachsen, wie es ist, wenn wir später heiraten. Nicht wie die ABG Kinder, die jungen Leute, ich glaube, sie reden immer über Liebe, anders als bei Erwachsenen.«). Wie man später in Indris Fallbeispiel sehen wird, bewerten junge Frauen ihr zwischengeschlechtliches Verhalten in der Retrospektive nach der Ehe meist als unreifes und unerwachsenes Verhalten, das sie von ihrem aktuellen Verhalten abgrenzen – auch wenn Abgrenzungen zu ABGs bereits in den vergangenen Aussagen getroffen wurden (vgl. Imeldas oben zitierte Aussage). So wird die autobiographische Narrative retrospektiv um den Übergang vom »ABG sein« zum »Erwachsensein« geordnet, der einen Verhaltens- und Einstellungswandel mit sich bringe. Aus dieser Retrospektive ist dieser Übergang oft mit dem Eintritt in die Ehe bzw. mit der Fällung der Entscheidung, jemanden zu heiraten, gleichzusetzen. Diese retrospektive Perspektive beinhaltet dabei oft eine Abwertung des früheren Verhaltens im Vergleich zu einem positiv bewerteten gegenwärtigen Verhalten. Vgl. hierzu Putris Aussage aus Kapitel B.III.7.2: »Vielleicht war ich früher noch labil und noch jung, sodass ich nur an Just for Fun gedacht habe. Ich denke jetzt, dass das falsch war, und wenn ich ein Kind habe, dann möchte ich nicht, dass das so ist (…)«. 300 Vgl. hierzu die vorherige Fußnote 299. 301 Vgl. hierzu auch Kapitel B.III.5, in dem ich auf ihre Rezeption intimer Szenen in westlichen Filmen eingehe, die bei ihr die Sehnsucht verursachten, so etwas auch selbst auszuprobieren und die Interviewpassage in Kapitel B.III.4.1.2.2, in der sie sich davon distanziert, in dem sie eine Differenz zwischen ihrem Verhalten mit ihrem Freund und einem »westlichen Verhalten« aufzieht.

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Sowohl Indri als auch Iwan teilten mir stets mit, sie und ihre Familien würden sehr nach den Regeln des Islam leben und das kulturelle Brauchtum respektieren. Sie wollten darüber hinaus auch ihre Familien nicht beschämen. So würden sie nicht miteinander schlafen, sondern bis zur Ehe warten. Indri sprach oft über Frauen, die sich nicht kontrollieren könnten und bereits sexuelle Kontakte vor der Ehe hätten. Sie bewertete diese negativ als zu schwach und als nicht religiös genug, um ihre Lust zu kontrollieren. In diesen Kontexten berichtete sie oft von den schlimmen Folgen von Sex. Verf.: Was denkst Du über Frauen, die bereits vorehelichen Sex hatten? Indri: Frauen, die bereits Sex vor der Ehe hatten, hatten dies vielleicht, weil ihr Umgang zu 302 frei ist und sie nicht genug [Aufmerksamkeit] von ihren Eltern bekommen haben , und sie haben vielleicht mehr [Aufmerksamkeit] von ihrem Freund bekommen, bis sie das getan haben, oder es gibt auch welche, die ihre sexuelle Lust [nafsu] nicht aushalten können. Verf.: In der Religion, gibt es da auch Verbote? Indri: Ja, es ist verboten, und wenn Frauen das schon getan haben, sind sie nicht mehr rein, und wenn sie ihren Freund [mit dem sie Sex hatten] nicht heiraten, wird der Ehemann sicher fragen, Du bist das [ini303 hier: Jungfrau] schon nicht mehr. Es ist [dann] sicher sehr schwer, für einen anderen Menschen, Verantwortung für sie zu übernehmen.

So differenzierte sie sich von den Frauen, die bereits vorehelichen Sex hatten, wie bereits in Kapitel B.II.5.1.4 in seinem Gesamtkontext zitiert: Nein, ich möchte das nicht, weil wir beide dem Islam angehören und dessen Gesetz es verbietet, und wenn wir alleine zusammen sind, erinnere ich mich immer an meine

302 Vgl. hierzu auch die diegetischen Erklärungen in indonesischen sinetron für ein solches »unnatürliches« Verhalten von Frauen, die ihrer Erklärung hier stark ähneln. Dass Frauen sich so verhalten, wird dabei über einen Liebesmangel im Elternhaus oder das Fehlen einer positiv konnotierten Mutterfigur erklärt, siehe Kapitel B.III.3.4.3. 303 Das indonesische Wort ini für ein undefiniertes »das« wird hier analog zu dem javanischen Wort anu eingesetzt (vgl. Kapitel B.III.7.3), um etwas auszudrücken, das man nicht aussprechen darf, etwas, das tabuisiert ist: in diesem Fall »Jungfrau sein«. Da dies in diesem Kontext als »nicht mehr Jungfrau sein« verwendet wird und dies Sex impliziert, wird dies hier nicht ausgesprochen.

330 | L IEBE IN I NDONESIEN Eltern. Sie erinnern mich immer daran, wenn ich sie sehe oder auch über das Telefon, ich soll nur Gutes tun, und ich darf so etwas304 nicht machen. Ich soll mich gut verhalten, ich soll nicht mit Männern ausgehen, die so und so sind. […] Aber es gibt viele heutzutage, die so sind, vielleicht oft in Zusammenhang mit der Entwicklung des Zeitalters und der Modernisierung, sie machen zu viel, sodass sie nicht mehr mit den Regeln der Religion oder der Regierung konform sind. Das geschieht oft in der Umgebung, wie in den Wohnheimen in der Gegend um den Campus 305, es gibt dort viele, die eine Abtreibung machen, schwanger werden.

Auch als sie in einem anderen Gesprächskontext über eine Freundin und die schrecklichen Folgen des vorehelichen Sex spricht, wertet sie deren Verhalten ab: Verf.: Und was denkst Du über Frauen und Männer, die vorehelichen Sex haben? Indri: Vielleicht ist das schon ihr Recht, das meint, es kommt zu ihnen selbst zurück [im Sinne von karma oder einer Strafe durch Gott]. Vielleicht können sie das unter bestimmten Konditionen nicht mehr aushalten und wünschen sich, Sex zu haben, auch wenn es verboten ist, und am Ende zerstören sie sich damit selbst. Ich habe eine Freundin in der Nähe des Campus306, sie hat gerade Schwierigkeiten, sie ist gerade schwanger, obwohl sie noch nicht verheiratet ist. Und sie muss viel Geld ausgeben, weil die Kosten für eine Abtreibung so hoch sind, sodass sie sehr gestresst ist. Ich kann ihr nur sagen, das ist das Risiko, für das Du Verantwortung übernehmen musst. Weil Du das getan hast, musst Du auch mutig sein, die Folgen zu akzeptieren. Und jetzt bereut sie das sehr. Aber zum Glück möchte der Mann Verantwortung übernehmen, nur er studiert eben noch, sodass er noch nichts machen kann [wie z. B. heiraten]. Verf.: Wollen sie das nicht [heiraten]? Indri: Sie sind noch jung, studieren noch und zudem haben sie Angst vor beiden Eltern. Außerdem sind die Eltern sehr schnell wütend, sie [ihre Freundin] kann bestraft werden.

304 Statt auszusprechen, was man nicht machen darf, nämlich Sex haben, wird hier stets das undefinierte »so etwas« (im Indonesischen hal yang seperti ini, wörtlich: eine Sache wie das) verwendet, vgl. hierzu die vorherige Fußnote 303. 305 Vgl. hierzu das dominierende Bild von sexuell promiskuitiven Studenten, die in der Nähe des Campus wohnen, wie in Kapitel B.III.4.1.2.3 ausgeführt. 306 Vgl. hier wieder den Topos des Campus im Zuge der Diskussion um verbotenen, vorehelichen Sex, vgl. B.III.4.1.2.3.

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Verf.: Nach welchem Gesetz, dem Adatrecht [hukum adat]? Indri: Nein, sie kann von den Eltern bestraft, geschlagen werden. Außerdem sind ihre Eltern sehr roh, »ungehobelt« [kasar], also hat sie große Angst. Vielleicht, [ist das passiert] weil der Mann [ihr Freund] alleine wohnt, und sie dort oft übernachtet hat. Früher hat sie oft erzählt, dass sie im Haus von ihrem Freund übernachtet, und mir hat das leidgetan, dass sie so war. Verf.: Hat sie zuvor erzählt, was sie mit ihrem Freund tut, oder hat sie sich geschämt [war sie malu]? Indri: Sie hat sich geschämt [war malu]. Weil sicher, wenn sie das erzählt hätte, hätte ich gesagt, tu das bloß nicht, und am Ende ist das nun so, und ich kann nichts mehr sagen. Sie hat bereits einen aufgeblähten Bauch, schon eine Abtreibung und hat viel Geld ausgeben müssen.

Auch wenn Indri sich so stets vom »unmoralischen Sex« vor der Ehe distanziert, sprechen erotische Filmszenen sie körperlich jedoch stark an (vgl. hierzu Kapitel B.III.6). Sie bekomme dabei ein warmes Gefühl und sei davon inspiriert, Ähnliches mit Iwan auszuprobieren. So antwortet sie auf die Fragen nach den Effekten von westlichen Filmen auf indonesische Rezipienten: Indri: Die Effekte auf mich sind, dass ich manchmal denke, vielleicht ist es auch gut, wenn 307 ich so einen Stil auch einmal ausprobiere. Verf.: Und probierst Du das aus? Indri: Ja, manchmal praktiziere ich das. Und ich frage Iwan: »Hast Du den Film gestern Abend gesehen?« – »Nein, warum?« – »Ich habe ihn gesehen, und es gab dort einen neuen Stil, sich zu küssen, den ich gesehen habe.« – »Oh ja? Wie geht der? Mach das doch einfach mit mir.« Ja, also, mach ich das mit ihm. Also gibt es tatsächlich sehr viele Effekte, aber vielleicht ist das abhängig von den jeweiligen Menschen. Ob wir das tun, weil wir [sexuelle] Lust verspüren oder um Spaß zu machen oder herumzuspielen.

307 Hier also nicht als »Gefühlen folgen«, sondern als (moderner) Stil verstanden.

332 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.: Also können die Effekte gut oder auch nicht sein? Indri: Ja, sie können schlecht sein oder auch nicht, aber wenn wir nur Filme schauen, in denen es Kussszenen und Umarmungen gibt, dann denke ich, dass das nicht so sehr schlechte Effekte mit sich bringt. Außer, wenn wir wirklich Filme schauen, die genau dafür gemacht sind [pornographische Filme]. Das ist nicht gut, weil wir dann denken werden, wie kann ich so etwas auch tun, und ich muss das [auch] machen, das ist dann gefährlich, Kuss- und Umarmungsszenen, das ist nicht schlimm.

Sie artikuliert eine Differenz zwischen »Kussstile im Spaß auszuprobieren« auf der einen Seite und solche Szenen nachzuahmen, weil man sexuelle Lust verspüre, auf der anderen Seite. Bei Ersterem könne man die Lust kontrollieren, sodass diese Zärtlichkeiten keine ernsthaften Folgen«– wie tatsächlich Sex miteinander zu haben – hätten. Zweites sieht sie als einen Zwang an, bei dem die Kontrolle kein Einhalt mehr gebietet, dies könne gefährliche Konsequenzen haben. Dennoch sei die Kontrolle des eigenen Verlangens im intimen Umgang mit ihrem Freund oft sehr schwierig. Dabei helfe ihr ihre Religion, ihre Lust zu kontrollieren. So helfe air wudhu (Wasser zum Reinigen vor dem islamischen Gebet) dabei, diesen Zustand auszuhalten und zu minimieren. Verf.: Denkst Du, Du kannst das aushalten bis zur Ehe [Jungfrau zu bleiben], oder ist das manchmal schwierig? Indri: Manchmal ist das sehr schwer, weil einem heiß [panas] ist. Sehr heiß, wenn man das aushält, aber bei Muslimen, da reicht es air wudhu zu nehmen. Aber für Männer ist das sehr schwer, auszuhalten.

Im Laufe der Zeit wurden Indris Hochzeitspläne konkreter. Iwan und Indri sprachen darüber zu heiraten. Iwan wie auch seine Familie standen diesbezüglich bereits mit Indris Familie in Kontakt. Die Grenzen des Kontakts wurden angesichts der Planung einer Hochzeit etwas gelockert. So durfte Indri Iwan zu einer Hochzeit seines Bruders nach Süd-Ost-Sulawesi begleiten, nachdem sie ihren Eltern versprach, sie würde nichts Verbotenes tun und würde mit den Schwestern und Cousinen von Iwan in einem Zimmer übernachten. Iwan hatte Indris Eltern telefonisch um Erlaubnis gefragt. Möglicherweise veränderte die Aussicht auf eine baldige Hochzeit mit Iwan auch ihr intimes Verhalten in ihrer Beziehung. Es gilt generell als akzeptierter, dass zukünftige Ehepartner bereits vor der Ehe intimen Kontakt haben. Dieser wird dieser Logik zufolge praktisch durch den anschließenden Eheakt im Nachhinein legitimiert. Zudem muss man sich als Frau keine Sorgen

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machen, von dem zukünftigen Ehemann nicht anerkannt zu werden, weil man keine Jungfrau mehr sei. Möglicherweise initiierte auch der den konkreten Eheplanungen vorausgehende Geschlechtsverkehr bei Iwan auch einen höheren sozialen Druck, Indri zur Frau zu nehmen308. Möglicherweise besteht zwischen den konkreteren Eheplanungen und dem vorehelichen Geschlechtsverkehr der beiden auch keinerlei Zusammenhang. Jedoch rief mich Indri, nachdem sie von der Hochzeitsfeier zurückgekehrt war, emotional aufgelöst an: Sie müsse dringend mit mir sprechen. Sie sei schwanger und wisse nicht, was sie tun solle. Ihrer Angabe zu Folge habe sie drei Wochen zuvor zum ersten Mal mit Iwan geschlafen309. Angesichts der geplanten Ehe zwischen Iwan und Indri riet ich den beiden, möglichst schnell zu heiraten. Wenn Indri ihre Mutter über die Tatsache informiere, sei es möglich, wenn nicht wahrscheinlich, sehr bald eine Ehe einzuleiten und die Eheverhandlungen zu beschleunigen, um die Familienehre öffentlich zu wahren310. Doch Indri lehnte dies strikt ab: Iwans Eltern hätten den Brautpreis für Indri noch nicht beisammen, was eine Ehe zwangsweise herauszögern würde, und Indri wolle ihre Eltern unter keinen Umständen von ihrer Schwangerschaft in Kenntnis setzten. Ihre ältere Schwester sei bereits vorehelich schwanger geworden, woraufhin ein ebensolches Prozedere einer schnellen Hochzeit mit ihrem Freund eingeleitet worden sei, um die Ehre der Familie zu schützen. Mehr Scham und Schande halte die Familie jedoch nicht aus. Indri würde sich eher umbringen, als ihrer Familie davon zu erzählen. Sie ließ sich nicht davon abbringen, das Kind abzutreiben. Während Indri über Hörensagen Informationen über dubiose Medikamente, die eine Abtreibung zur Folge haben könnten, einholte, versuchte ich, sie zu überzeugen, dass dies sehr gefährlich sei und sie sich professionelle Hilfe holen müsse. Ich versuchte über NGOs (Non-Governmental Organisations), die sich um Frauenrechte bemühen, Informationen über Ärzte, die Abtreibungen durchführen311, einzuholen und Indri zu einem Gespräch mit einem Psychologen einer solchen NGO zu bewegen. Sie weigerte sich jedoch, mit irgendjemandem über die Angelegenheit zu sprechen. Sie würde sich zu sehr schämen (malu sein). Darüber hinaus wolle sie schnell handeln, selbst wenn sie dadurch ihre Gesundheit gefährdete. So nahm sie, ohne dass sie mich

308 Einige junge Männer teilten mir mit, dass junge Frauen sich oft auf vorehelichen Sex einlassen würden, sofern der Mann ihr verspreche, sie auch zu ehelichen. 309 Es ist wahrscheinlich, dass dies nicht stimmt, sondern eine Angabe ist, um sich – als noch bis vor drei Wochen die Verhaltensnormen wahrend – positiver zu positionieren. Im Falle, dies stimme nicht, wäre sie zusätzlich malu gewesen, mir mitzuteilen, sie habe mich nicht die ganze Zeit angelogen, zumal sie sich von anderen »heuchlerischen« Frauen zuvor stets narrativ abgegrenzt hatte. 310 Dies ist eine häufig praktizierte soziale Praxis angesichts einer vorehelichen Schwangerschaft und wird mit nikah siri’ – wörtlich: Schamehe – bezeichnet. 311 Abtreibungen sind in Indonesien illegal und stehen unter hohen Gefängnisstrafen.

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davon in Kenntnis setzte, ein Medikament ein, das sie über einen Freund von Iwan, der in einer Apotheke arbeitete, bekam und das in einer hohen Dosierung eine Fehlgeburt zur Folge hätte. Sie hatte infolge starke Blutungen und Fieber, doch der erwünschte Effekt blieb aus, und Indri blieb schwanger. Schließlich führte sie in einer »Nacht-und-Nebel-Aktion« eine Abtreibung bei einem Arzt durch. Sie hatte danach große Gewissensbisse, war jedoch froh, ihr Problem gelöst zu haben. Wie in Kapitel B.III.5 bereits ausgeführt, reagierte sie infolge sehr sensibel für Filme und Serien, in denen Abtreibungen zur Sprache kamen. Sie verließ dabei oft den gemeinsamen Rezeptionskontext, um sich den Geschichten, die Abtreibungen als moralisch verwerflich kontextualisierten, wie auch den kollektiven Diskussionen der anderen Frauen, die diese negativ evaluierten, zu entziehen und um ihre Gefühle beim Betrachten dieser Filme vor den anderen zu verheimlichen. Obwohl sie dachte, sie hätte ihre Abtreibung vor den anderen Frauen verheimlichen können, ahnten und spekulierten die anderen hinter ihrem Rücken darüber, dass sie möglicherweise eine solche gehabt habe. Ihr auffallend anderes Verhalten, ihre etwas dubiose Geschichte eines Motorradunfalles, der ihr Schmerzen bereitet habe, ihre Depressionen und vielleicht auch ihr verändertes Verhalten in den gemeinsamen Rezeptionszusammenhängen, etc. schienen die anderen Frauen misstrauisch zu machen. Indri war nach der Abtreibung sehr bestrebt danach, Iwan nun endlich zu heiraten, um die gestörte Ordnung wieder herzustellen. Zudem waren ihre Eltern und die Nachbarn im Dorf bereits längere Zeit über ihre Hochzeitspläne unterrichtet, sodass öffentlich darüber spekuliert wurde, wann Iwan bei ihren Eltern erscheinen würde, um offiziell um Indris Hand anzuhalten. Da Iwan jedoch nie Zeit fand, dies zu tun, schämten sich Indri und ihre Eltern angesichts des Geredes im Dorf. Es wurde darüber spekuliert, warum diese Hochzeit zwar geplant und öffentlich bekannt war, jedoch nicht umgesetzt zu werden schien. Auch im asrama redeten die jungen Frauen davon. So wurde Indri mit der Zeit auch selbst immer besorgter. Sie suchte nach Gründen dafür, dass immer etwas dazwischen kam, wenn Iwan um ihre Hand anhalten wollte. Schließlich vermutete sie, jemand habe ihr mithilfe magischen Zutuns den Weg zur Heirat versperrt (tutupin pintu untuk mendapat jodoh – »die Tür sei verschlossen worden, um seinen jodoh zu bekommen«)312. Wahrscheinlich sei dies ein Mann gewesen, der in sie verliebt sei, den sie zurückgewiesen hatte und der nun ihre Ehe mit einem anderen Mann nicht akzeptieren könne. Auch ihre Familie war von dieser Erklärung überzeugt, sodass für Indri eine rituelle Badezeremonie organisiert wurde, die diese Magie aufheben sollte. Diese wurde schließlich von ihrem Großvater durchgeführt, dem paranormale Fähigkeiten zugeschrieben werden und der als orang pintar (weiser Mann) gilt. Nach dieser Zeremonie war Indri sehr optimistisch gestimmt, dass nun ihrer Meinung nach einer Ehe mit Iwan nichts mehr im Wege stehe. Iwan und Indri heirateten einige Monate

312 Vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.2 und B.II.5.1.3.

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später. Sie zogen in das Haus von Iwans Schwester nach Maros. Indri wurde sofort nach der Hochzeit erneut schwanger. Sie bekam ein gesundes Kind. Iwan und Indri wohnen nun in einem eigenen Haus in Maros, das Iwan von seiner Arbeitsstelle gestellt bekommen hat. Noch vor der Geburt ihres Kindes, das erst nach meiner Abreise 2008 zur Welt kam, teilte mir Indri mit, sie sei überglücklich, wieder schwanger zu sein und dass mit dem Kind alles in Ordnung zu sein schien. Sie habe befürchtet, dass Gott ihr aufgrund ihrer vorherigen Sünden kein weiteres Kind schenken würde. Indri beurteilte ihr vergangenes Verhalten, mehrere Freunde zu haben, Männer zu »daten« und sich ständig neu zu verlieben, retrospektiv als nakal (frech)313. Sie habe zuviel mit Männern herumgespielt (main-main) und sich moralisch nicht einwandfrei verhalten. Nach der Ehe mit Iwan habe sie sich jedoch verändert. Sie würde sich nun – gemäß dem Bild einer guten Ehefrau – nur noch um ihre Familie sorgen. Als Ehefrau dürfe sie nun nicht mehr ausgehen und Freunde treffen. Sie sei jedoch glücklich, diese Rolle übernehmen zu dürfen. Sie wolle den Wünschen und Entscheidungen ihres Ehemannes folgen314 und zu Hause bleiben, für ihn kochen, ihn umsorgen. Sie berichtete mir von einem Buch, Menuju Keluarga Sakinah – Eine Sakinah315 Familie führen (1994) von Lubis Salam, das sie zur Hochzeit von ihrer Schwägerin bekommen hat. Darin ist eine Anleitung zu finden, wie man dem Islam zufolge eine gute Ehefrau sei und welchen religiösen Regeln man als Frau folgen müsse, um in seiner Familie sakinah (einen inneren Frieden) zu finden. Sie habe sich die Ratschläge und Richtlinien zu Herzen genommen und wolle nicht so sein, wie moderne Ehefrauen, die auch nach der Ehe weiterhin ihre Freunde treffen, in Malls gehen, ohne ihren Ehemann Dinge unternehmen oder solche, die mehr Geld als ihre Ehemänner verdienen würden, die zu unabhängig von ihm und zu egoistisch seien316. Mit ihrer Ehe, der Geburt ihres Kindes und ihrem neuen Selbstbild als gute, sich aufopfernde Ehefrau rehabilitiert Indri ihr moralisches Grundgefüge wieder, aus dem sie temporär herausgefallen war317.

313 Vgl. hierzu Kapitel B.II.5.3: Nakal hat oft sexuelle Konnotationen und beinhaltet in jedem Fall den Übertritt der Grenzen kultureller Angemessenheit oder Verhaltensnormen. Beispielsweise werden auch Prostituierte als perempuan nakal (wörtlich: freche/ungezogene Mädchen) bezeichnet. 314 Vgl. hierzu das nationalstaatlich konstruierte Paradigma ikut suami, siehe Kapitel B.II.5.2.1, 315 Sakinah entspringt dem Arabischen und bezeichnet einen »inneren Frieden«, den man durch ein religiöses und Allah gehorchendes Verhalten erreichen könne. 316 Vgl. hierzu Kapitel B.II.6, B.III.3.4.3 und Putris Fallbeispiel in Kapitel B.III.7.2, wo ihr Ehemann Heri seine Freundin nicht heiraten wollte, weil sie zu reich und zu unabhängig sei, weswegen sie sich als potentielle gute Ehefrau disqualifiziere. 317 Die Bewertung, dass sie früher den Verhaltensnormen nicht entsprochen habe, ist wiederum eine retrospektive Interpretation ihres früheren Verhaltens und

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Ihren ehemaligen Freunden Dedi, Cepe und Nasir hat sie erzählt, sie habe eine arrangierte Ehe gehabt. Damit konnte sie sich aus der Verantwortung der eigenen Entscheidung ziehen und sich vor einer potentiellen Wut der anderen Männer, die aufgrund der Verletzung ihrer Ehre (BB = siri’) hätte entstehen könnte, schützen. Als Iwan und Indri heirateten, habe Iwan Indris alte SIM-Karten zerstört, damit kein anderer Mann sie mehr über ihre alte Telefonnummer erreichen konnte. Cepe sei, wie Indri von Bekannten erfahren habe, tatsächlich mit der Intention nach Makassar zurückgekehrt, Indri zu heiraten. Als er sie in Makassar nicht fand, sei er sehr wütend gewesen. Er habe bereits ein Haus für sie in Makassar gekauft und sei doch nur in Hongkong gewesen, um Geld für die Ehe mit Indri zu verdienen. Man berichtete Indri, Cepe wolle auf sie warten, bis sie geschieden sei. Doch Indri teilte mir mit, sie habe nun kein sayang mehr für Cepe. Dass sie Iwan geheiratet hat und ein Kind mit ihm bekomme werde, sei der von Gott für sie vorgezeichnete Weg. Er sei so wohl ihr jodoh (vgl. Kapitel B.II.5.1.2). Aufgrund ihrer Badezeremonie fühle sie sich nun sicher, dass dieser für sie vorgezeichnete Weg nicht mehr von außen durch andere gestört werden würde. 7.2

Putri und die Suche nach der wahren Liebe Vielleicht brauchen sie [die Menschen] die [Geschichten über Liebe] auch, um davon zu lernen. Liebe ist wirklich die Geschichte, die am interessantesten ist, weil sie kein Ende hat. Es gibt Leute, die wegen Liebe sterben, andere werden wegen Liebe geboren. Also ich möchte viel über Liebe lernen, weil ich noch nicht viel Richtiges gefühlt habe. Im Moment möchte ich noch von dem Leben lernen. Weil das, was in den sinetron gezeigt wird, unterscheidet sich von dem realen Leben. Zum Beispiel gibt es dort pencinta sejati [wahre Liebende], aber in meinem Leben ist das noch nicht sicher. Manchmal ist die Liebe da zu romantisch, und in Wirklichkeit ist das nicht so wie in meinem Leben. […] Vielleicht gibt es das [Liebesgeschichten wie Romeo und Julia], aber nicht in meinem Leben, obwohl ich mir das wünsche, aber die gibt es nicht. Das ist sehr unterschiedlich im wirklichen Leben. Also, dass es Romeo und Julia gibt, da gibt es Beweise für, dass es das im wahren Leben gibt. Aber nur ganz selten. PUTRI

Putri ist eine der jüngsten Frauen im asrama. Bei meinem ersten Forschungsaufenthalt 2006 war sie gerade erst 19 Jahre alt und lebte noch nicht

Lebensstils, hat sie sich doch auch früher selbst narrativ von »unmoralischen« Frauen abgegrenzt.

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sehr lange in Makassar. Sie hatte bei den anderen jungen Frauen im asrama stets eine Sonderstellung, aus verschiedenen Gründen: Zunächst einmal galt sie aufgrund ihrer sehr hellen Hautfarbe als eine der Schönsten im asrama. Jedoch unterschied sie sich auch durch ihre Art und ihr Verhalten von den anderen jungen Frauen. Putri kleidete sich in den Augen der anderen jungen Frauen oft sehr sexy, sie trug abends – zum Ausgehen – sogar gelegentlich kurze Röcke. Sie war auch die einzige der asrama-Bewohnerinnen, die abends gelegentlich in die Diskothek ging – meist in Männerbegleitung – und ab und an Alkohol trank und rauchte. Im Gegensatz zu den meisten anderen jungen Frauen sprach sie vor allen immer sehr offen über ihre Aktivitäten und Liebesbeziehungen mit Männern. So gestand sie in Anwesenheit der anderen beispielsweise ein, dass sie mit ihrem Freund Zungenküsse austausche, was die anderen jungen Frauen nie in der Öffentlichkeit kundgetan hätten. Sie hob sich dadurch sehr stark von den anderen jungen Frauen ab, die diese recht ehrliche Art einerseits bewunderten und schätzten, wie mir in sehr persönlichen Gesprächen mitgeteilt wurde, diese Informationen jedoch andererseits als Grundlage für Klatsch über Putris Privatleben verwendeten. In Abgrenzung zu Putris Lebensstil, der zwar einerseits im Stillen oft bewundert wurde, aber offiziell als nicht angemessen für eine junge unverheiratete Frau, die nach kulturellen Werten und Normen lebt, galt, sprachen die anderen jungen Frauen hinter ihrem Rücken oft schlecht über Putri. Sie wurde als nakal (frech)318 beschrieben. Auch wenn in ihrer Anwesenheit nie schlecht über Putri gesprochen wurde, zeigten beispielsweise überfreundlich formulierte Nachfragen der jungen Frauen, mit wem sie am Abend zuvor ausgegangen sei, ob sie nicht im asrama genächtigt habe, etc., eine deutliche Missbilligung ihres Lebenswandels. Putri nahm den Ausschluss aus der dominanten Gemeinschaft des asrama wahr, ohne ihn genauer begründen zu können, und fühlte sich dort als Außenseiterin. Sie fragte sich, warum die Gespräche zwischen den jungen Frauen oft verstummten, wenn sie einen Raum betrat und wieso keine der anderen Frauen sie zu mögen schien. Einmal als nakal beschrieben – sowie meiner Vermutung nach auch aus Neid ob ihres Erfolges bei Männern – wurden ihre sozialen Handlungen sehr vorschnell als Verstöße gegen die kulturellen Normen angesehen. Dort, wo Handlungen anderer junger Frauen noch mit Akzeptanz versehen wären, wurden bei Putri bereits Beschwerden angebracht. So gab es böse Stimmen darüber, dass sie bereits nach zwei Tagen des Kennenlernens mit Coki zusammen gekommen sei, betrage doch die akzeptierte Mindestdauer der Datingphase einen Monat, bevor man »zusammen sein« könne. Die anderen Frauen kommentierten das damit, Putri sei zu schnell »zu haben«. Männer wüssten dies und würden sie demzufolge ausnutzen319. Aus diesem Grund

318 Vgl. hierzu Fußnote 313 und Kapitel B.II.5.3. 319 Dieser Diskurs fungiert dabei auch als Warnung, bestehende kulturelle Vorschriften, nicht murah (billig) zu erscheinen, zu wahren, da man als Frau sonst

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habe sie immer Pech mit Männern und würde letztendlich von ihnen sitzen gelassen. Während die anderen Frauen Putri als zu murah (billig/minderwertig)320 einschätzen, wich die kontemporäre Selbsteinschätzung von Putri davon ab. So erklärte Putri, dass sie Adnan, ihrer amourösen Liaison, gegenüber cuek (BI = gleichgültig) sei, da auch er ihr nicht besonders viel Interesse entgegenbrachte. Sie sei sich zu schade dazu, ihm nachzustellen. Sie wolle nicht als zu murah, sondern als anständige junge Frau angesehen werden. Putri war sehr auf die »große Liebe« fokussiert. Nach eigenen Angaben mochte sie romantische Dinge und schaute sehr gerne vor allem westliche Romanzen/Liebesfilme und auch Serien wie Desperate Housewives oder Heroes, die zu der Zeit meiner Forschung gerade im indonesischen Fernsehen liefen. Damit war sie eine der Einzigen im asrama, die westlichen Filmen und Serien den Vorzug vor Indonesisch produzierten gab. Sie selbst schrieb Gedichte und Geschichten über ihre eigenen Liebeserfahrungen und -gefühle. Dabei verwendete sie eine metaphernreiche, indirekte und ihrer Ansicht nach für Dritte nicht zu entschlüsselnde Sprache321. Während sie einerseits sehr engagiert Liebesgeschichten in verschiedener medialer Form verfolgte, selbst Liebespoesie verfasste und sehnsüchtig von Liebe sprach, evaluierte sie in Gesprächen, die ihr eigenes Leben betrafen, die Chancen einer Realisation von »romantischer, wahrer Liebe« angesichts der sozialen Umstände und Zwänge als unwahrscheinlich. Zudem war sie zunehmend von ihren eigenen, scheiternden zwischengeschlechtlichen Beziehungen enttäuscht, die mit ihren Vorstellungen und Träumen von der großen Liebe nicht korrelierten, auch wenn sie den Glauben und die Hoffnung, dass es die ganz »großen Liebesgeschichten« auch im wirklichen Leben geben könne, nicht gänzlich aufgegeben habe. Ihre Vorstellung von Liebe, unter der sie verstand, dass man alles von dem anderen akzeptiere, auch das Schlechte, und alles mit diesem teile (auch das Geld) und dem anderen stets große Aufmerksamkeit (perhatian) schenke – wandte sie stets auf ihre eigenen Beziehungen an. Sie betonte stets die großen Gefühle zu ihrem jeweiligen Freund, den sie über alles liebe

seine Ehre (siri’) verlöre, vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1, vor allem die Zitate von Novi und Imelda, und Fußnote 107. 320 Vgl. hierzu Fußnote 107 und Kapitel B.II.5.1.1. 321 Diese Art, ihre Gefühle auszudrücken, ist – wie sie selber angibt – nicht direkt als Teil der an anderer Stelle angesprochenen traditionellen Liebespoesie (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1 und B.II.5.1.5, wie auch Rössler 1987: 70 und van Eck 1881: 838) zu verstehen, sondern ein von ihr selbst gewählter indirekter Modus zum Ausdruck von Gefühlen, deren Artikulation kulturell tabuisiert ist. Dennoch scheinen Ähnlichkeiten zu bestehen, die sich wohl daraus ergeben, dass angesichts der kulturellen Tabuisierung von Liebesgefühlen eine solche indirekte und metaphernreiche Sprache über Liebe prädestiniert zu sein scheint.

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(sie benutzte dabei oft das Wort cinta)322. Dennoch wurde sie stets enttäuscht: Sie beklagte sich entweder über zu wenig Aufmerksamkeit (perhatian) durch den Mann, oder dieser war ihr untreu. Die Suche nach der großen Liebe machte sie in der Retrospektive auch für viele Handlungen verantwortlich, die sie im Nachhinein negativ bewertete. So begründete sie das »Daten« einer Vielzahl von Männern, das ständige Wechseln von Partnern, etc. mit ihrer Suche nach Liebe. Als ich Putri kennenlernte, hatte sie einen Freund in Soppeng, Farul, von dem sie angab, ihn über alles zu lieben. Sie hatte aufgrund der geographischen Distanz zu ihm jedoch stets Zweifel an seiner Treue. Als diese Zweifel dann durch das Gerede der jungen Frauen im asrama zunehmend geschürt wurden – eine der Frauen hatte bei einem Besuch in Soppeng von Faruls neuer Freundin erfahren – stellte Putri ihn zur Rede. Dieser stritt alles ab, und Putri glaubte ihm zunächst. Sie sagte, sie müsse ihm doch glauben, weil sie ihn so sehr lieben würde. Als dann jedoch auch andere Frauen, die in Soppeng waren, von einer zweiten Freundin berichteten, trennte sich Putri schweren Herzens von Farul, der auf Putris Drängen nach einer Entscheidung die andere Frau gewählt hatte. Obwohl auch Putri bereits vor dieser Trennung einen neuen Freund gefunden hatte, Coki, und die beiden sehr glücklich zusammen schienen, war Putri angesichts der Trennung von Farul sehr unglücklich. Sie zog sich oft alleine in ihr Zimmer zurück, um zu weinen, begann zu rauchen und gelegentlich Alkohol zu trinken, ihrer Angabe zufolge wegen des Stresses. In der Öffentlichkeit reagierte sie auf die Hänseleien der anderen jungen Frauen, die über ihren Liebeskummer scherzten, sie damit aufzogen und auslachten, jedoch mit Humor. Diese öffentlichen Hänseleien dienen meiner Interpretation zufolge der allgemeinen Kontrolle des Ausdrucks von Gefühlen, deren Artikulation kulturell tabuisiert ist. Putri war so angehalten, ihre Emotionen öffentlich zu kontrollieren, mit einem Lächeln zu ertragen und ihr Leben mit der gegebenen Situation fortzusetzen. Dass dies einer großen Anstrengung bedurfte, merkte man sowohl daran, dass sie sich größtenteils von den anderen zurückzog, viel Zeit alleine in ihrem Zimmer verbrachte und weinte und bei Fernsehgeschichten, die Trennungen oder Untreue beinhalteten, umschaltete oder das Zimmer verließ. Einige Male habe ich erlebt, dass Putri ihren Kummer in der Öffentlichkeit nicht kontrollieren konnte und diesen in Form eines Wutanfalls zeigte (mengamuk). Sie lief dann aufgewühlt und polternd durch das asrama, trat gegen die Wand, schlug Türen und fluchte aufgeregt (vgl. hierzu Fußnote 262 und 263). Meiner Meinung nach erscheint die Transformation von Liebeskummer in Wut als öffentlich akzeptierter, da dies als eine erwünschte Reaktion auf die Beschämung durch einen anderen angesehen wird, wie in ihrem Fall durch die Untreue des Exfreundes. Während Putri mit den anderen Frauen außer in Form dieser sozial anerkannten Belustigung über ihre Situation

322 Diese Art zu sprechen, wurde von den anderen Frauen missbilligt und stellte eine Begründung für Putris Negativevaluierung im asrama dar.

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nicht sprach, öffnete sie sich mir gegenüber stärker. Sie schrieb mir, auch wenn wir beide gemeinsam im asrama waren, Textnachrichten, in der sie mich, ohne Kenntnis der anderen, über ihre Gefühle informierte, die sie im gleichen Moment vor den anderen nicht zeigte und mit Fröhlichkeit überspielte. In meinem Forschungstagebuch notierte ich mir eine Nachricht, die sie mir per Handy schickte, als wir beide im asrama waren und sie sich fröhlich mit den anderen Frauen zu unterhalten schien: »Jann, bis zu diesem Zeitpunkt bin ich noch sehr traurig. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich liebe ihn sehr und habe große Angst, ihn zu verlieren, aber was kann ich denn tun, er hat schon einen anderen Menschen. Hilf mir.« Infolge traf sie sich mit vielen jungen Männern, sie ging abends oft mit ihnen aus, besuchte öfter die lokalen Diskotheken, sie trank abends häufig Alkohol und fing an zu rauchen. Sie selbst beschreibt die Zeit aus der Retrospektive folgendermaßen: Putri: Mein Amüsement früher, bevor ich wieder einen Freund hatte und ich so, wie ich wollte, Männer wechselte, war kein anhaltendes Glück. Wenn ich schon wieder zu Hause war, fühlte ich mich wieder einsam. Ich wechselte die Männer nach Gefallen, aber eigentlich mochte ich das nicht. Ich habe sie nicht wirklich lieb gehabt [sayang], also ich denke jetzt, das war auch kein Glück, ich habe nur kurzzeitig Spaß gesucht, damit mir nicht langweilig wurde. […] Ich denke, das war nicht gut, man sollte sein Glück nicht dadurch suchen, viele Freunde zu haben, das sollte nicht so sein. Vielleicht war ich früher noch labil und noch jung, sodass ich nur an Just for Fun gedacht habe, ich denke jetzt, dass das falsch war und wenn ich ein Kind habe, dann möchte ich nicht, dass das so ist, weil alles nur temporär ist. Wenn dem Mann langweilig wird, dann geht er, und wir fühlen das auch, wir gehen aus, aber sind auch nicht glücklich. Verf.: Aber was hast Du damals gefühlt? Putri: Ich habe Zuneigung [sayang] gesucht.

Dass Putri sich sexy kleidete und abends mit Männern ausging, brachte jedoch auch andere Probleme als nur Klatsch mit sich. Nachdem Putri eines Abends in Minirock gekleidet mit einem wesentlich älteren (28 Jahre alt), verheirateten Mann – ein Freund von Putris Familie – ausging, tuschelten die anderen Frauen über ihr unangemessenes Outfit und über ihre so viel ältere Begleitung. Sie vermuteten, Putri hätte eine verbotene, sexuelle Beziehung zu ihm. Am nächsten Tag rief mich Putri sehr verstört an und bat um ein sofortiges Treffen. Sie erzählte mir, der Mann hätte sich in sie verliebt und wolle sie nun davon überzeugen, sie solle seine Freundin werden. Er sei am Vorabend sehr betrunken gewesen und habe sie nicht mehr nach

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Hause fahren können. Als Putri mit dem Taxi fahren wollte, ließ er das nicht zu. Sie sei so gezwungen gewesen, mit ihm in einem Hotelzimmer zu übernachten. Es sei dabei jedoch nicht zu einem intimen Kontakt zwischen den beiden gekommen. Dennoch sei der Mann ganz verrückt nach ihr und drohe ihr an, Liebesmagie (pelet cinta) anzuwenden, wenn Putri seine Gefühle nicht von selbst erwidern würde. Er habe davon gesprochen, sich von seiner Frau zu trennen und Putri zur Not auch mit Gewalt zu seiner Freundin zu machen. Diese Drohung versetzte Putri in große Panik. Angesichts seiner Drohung, Magie anzuwenden, um Putri zu seiner Freundin zu machen, überlegte sie, nun selbst zu einem dukun (Magier) zu gehen, um einen Schutzzauber herbeizuführen. Doch da der Islam so etwas verbieten würde, entschied sie sich schließlich dagegen. Nachdem der Mann sie zunächst noch oft anrief, verlief sich die Geschichte jedoch mit der Zeit von selbst im Sande. Als Putri noch mit Farul zusammen war, lernte sie in Makassar einen jungen, als sehr gut aussehend geltenden Mann, Coki, kennen, der wie sie aus Soppeng kam. Neben ihrem weiteren pacar (Freund) Adnan in Makassar, der ihr jedoch wenig Aufmerksamkeit (perhatian) schenkte und mit dem sie nach und nach den Kontakt abbrach, war Coki nun ihr Freund in Makassar. Sie verbrachten sechs Monate gemeinsam in Makassar, dann zog Coki nach Soppeng, wo er seinen sozialen Dienst als Lehrer ableistete, um Pegawai Negeri Sipil (PNS)323 zu werden. Putri fand aufs Neue ihre »große Liebe«. Sie betonte ständig, mit Coki habe sie alles gefunden, was sie jemals von einem Menschen gewollt hätte. Sie würde ihn über alles lieben (cinta) und auch andersherum sei dies so. Coki kümmere sich trotz der Distanz nach Soppeng sehr um sie, er riefe sie beispielsweise ständig an, um zu fragen, ob sie schon gegessen habe, wie es ihr gehen würde, etc. Im Unterschied zu Farul, an dem sie stets bemängelt hatte, dass er sich zu wenig um sie kümmern würde (zu wenig perhatian für sie gehabt hätte), sowie zu Adnan, der ebenso eher gleichgültig mit Putri umgegangen wäre, würde Coki die in einer Beziehung gewünschte Aufmerksamkeit (perhatian), die Liebe adäquat zum Ausdruck bringe, zeigen (vgl. Kapitel B.II.5.1.5). Putri gab an, sie hätte ihre große Liebe nun gefunden. Coki akzeptiere alles an ihr, das Gute wie das Schlechte, und würde alles mit ihr teilen. Auch 2007, bei mei-

323 PNS bezeichnet einen indonesischen staatlichen Zivilbeamten. In seinem Beamtenstatus kann ein PNS nicht gekündigt werden, zudem bekommen in Indonesien nur PNS nach der Pensionierung eine Rente. Um PNS zu werden, muss man mindestens drei Jahre gegen ein sehr geringes Gehalt in einem staatlichen Sektor wie in einer Schule, einer Bank, dem Kommunikationssektor, o. Ä. arbeiten und verschiedene Tests bestehen, sowie zugleich großen bürokratischen Aufwand hinter sich bringen. Um PNS werden zu können, muss man zunächst von jemandem empfohlen werden. Diese Abhängigkeit von sozialen, auch inoffiziellen Netzwerken ist oft verbunden mit der Notwendigkeit, Korruptionsgelder zu bezahlen.

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nem zweiten Forschungsaufenthalt, war Putri in ihrer Beziehung mit Coki sehr glücklich. Als ich 2008 zurück nach Makassar kam, war Putri mit einem anderen Mann verheiratet, mit Heri, einem chinesisch-stämmigen jungen Mann, mit dem Putri vor der Ehe lediglich zwei Monate zusammen war. Sie wohnte nicht mehr im asrama. Die jungen Frauen im asrama erzählten mir, Putri sei obsessiv mit dem Gedanken gewesen, jung zu heiraten. Scheinbar sei sie auch ein cewek matre (materielles Mädchen)324, habe sie doch ihre Liebe Coki für die Ehe mit Heri, der aus einer reichen Familie komme, aufgegeben325. Imelda unterstützte diese Annahme mit dem Argument, Putri hätte oft gesagt, Liebe könne man schließlich nicht essen. Imelda: Sie [Putri] war wie obsessiv mit dem Gedanken, jung zu heiraten, und Coki wollte Putri zwar heiraten, aber er hat 2009 anvisiert, nachdem er eine bessere Arbeit gefunden hat. Obwohl er noch studiert und noch jung ist. […] Sie [Putri und Heri] waren nicht lange zusammen, sie [Putri] war nicht schwanger, er [Heri] ist reich, sie [Putri] hat das tatsächlich immer verglichen und gesagt, Liebe kann man nicht essen. Sie [Putri] liebt ihn [Coki] noch, Coki sieht auch besser aus.

Während die anderen jungen Frauen Putris Motivation, Heri zu heiraten, eher als materiell bedingt einschätzten, betonte Putri in ihren eigenen Erklärungen nicht die Umstände, dass Heri eine gute Arbeit habe und aus einer recht wohlhabenden Familie stamme. Putri erzählte, nicht sie wollte jung heiraten, sondern ihre Eltern hätten sie dazu gedrängt. Diese hätten sich unwohl damit gefühlt, dass Putri alleine außerhalb ihrer Obhut oder der einer männlichen Schutzperson in der Großstadt wohnte. Putri erklärte die Gründe ihrer Eltern folgendermaßen:

324 Vgl. hierzu Fußnote 250 und Kapitel B.3.1.2.3. 325 Die Negativevaluation als cewek matre wird hier vor dem Hintergrund einer generellen Negativkonzeption von Putri aktiviert. Denn im Grunde genommen zeigt Putri durch ihr Verhalten eine rationale Entscheidung, wie sie bei der Wahl eines Ehepartners angemessen erscheint und reetabliert sich somit als »erwachsen« und kulturelle Verhaltensnormen anerkennend (so positioniert sie sich auch selber). Diese Negativeinschätzung hat möglicherweise auch etwas mit dem Fakt zu tun, dass Heri ein chinesisch-stämmiger Indonesier ist und diese in Makassar generell von Bugis und Makassar negativ als geldorientiert und als »echte Indonesier« ausnutzend evaluiert werden. Man grenzt sich von den orang cina (BI, wörtlich = Chinesen) stets ab, und es gibt in Makassar zahlreiche interethnische Konflikte zwischen den orang cina und den Bugis/Makassar. Die Ehe von Putri mit einem orang cina wird so möglicherweise auch als »Verrat an ihrer Kultur« konzipiert, der durch ihre Geldgier motiviert gewesen sei.

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Putri: Nicht? Ich bin alleine in Makassar. Niemand passt auf mich auf, mein Moped war defekt, es musste bereits einige Male repariert werden, ich bin bereits bis zu zehnmal hingefallen, deswegen hatten sie Angst um mich. Und dann habe ich Heri kennengelernt, und er hatte viel Aufmerksamkeit [perhatian] für mich, und dann hat er mich gefragt, ob ich ihn heiraten will.

Sie betonte – anders als ihre Mitbewohnerinnen –, dass sie sich Coki zuliebe von ihm getrennt habe, um ihm und seiner Familie eine gute Zukunft zu garantieren und ihn langfristig glücklich zu machen326. Sie verstand ihre Entscheidung nicht als egoistisch, sondern als im Sinne Cokis. Putri begründet die Entscheidung, Heri zu heiraten, folgendermaßen: Putri: Ja, ich musste eine Entscheidung treffen und meine Eltern drängten mich und gaben mir die Wahl. Wenn ich ihn [Coki] heiraten würde, müsse ich ihm folgen/mit ihm gehen. Oje, und wie wäre es dann mit meinem Studium, und dort [in Soppeng] gibt es keine Arbeit, und ich habe ja auch noch nicht einmal einen Universitätsabschluss, und im Dorf ist es schwierig, eine Arbeit zu finden, man kann höchstens aufs Reisfeld, und mit schwerem Herzen musste ich ihn [Coki] dann verlassen, und ich habe Heri aus diesem Grund gewählt. Er [Coki] wollte mir nach Makassar folgen, aber hier ist es später schwierig, eine Arbeit zu finden. Wie soll das denn werden, wenn ich schon verheiratet bin, man braucht vieles und hat kein Geld, man muss ein Haus mieten, und es ist schwierig, eine Arbeit zu suchen. Und in Soppeng hat er bereits eine Arbeit. Er ist Mathematiklehrer. […] Ich war mit beiden zusammen, und letztlich wusste ich nicht, was zu tun. Schließlich erfuhren sie davon, nachdem wir uns zu Dritt im asrama getroffen haben. Es gab beinah einen Kampf, er [Coki] hat bereits ein Messer gezogen und wollte Heri umbringen, dieses wurde ihm jedoch von Heri entrissen, und er [Heri] sagte, wir müssen nicht kämpfen, wir fragen einfach Putri, wen sie wählt, wenn sie dich wählt, sind wir fair, und ich bin bereit zurückzutreten, ich gewähre, aber wenn sie mich wählt, dann musst du das akzeptieren, und es war schwer zu entscheiden. […] Ja, ich habe eine Entscheidung getroffen, und schließlich musste ich Heri wählen vor allen Leuten, Coki hätte beinah geweint und hat mich gebeten, ihn nicht zu verlassen, aber ich habe gedacht, es ist zu schwierig, wenn er zu mir nach Makassar kommt, was soll dann mit seiner Mutter passieren, seine Eltern sind geschieden, und falls er zu mir nach Makassar kommt, dann kann niemand auf seine Mutter in Soppeng aufpassen. Ich habe auch gedacht, in Makassar müsse man ein Haus mieten, man muss an all das denken, wenn man lange nachdenkt, wenn ich ihm ins Dorf folge, was soll ich dann dort arbeiten, also war ich gezwungen. Und auch wenn ich ihn mehr lieb habe [sayang], aber ich bin gezwungen, Heri zu wählen,

326 Diese Art der Erzählung ähnelt denen einiger indonesischen Serien und Filmen, die oft positiv bewertete Charaktere inszenieren, die ihre Liebe zum Wohl des/r Geliebten aufgeben und sich so für ihn aufopfern, damit diese/r glücklich werden könne.

344 | L IEBE IN I NDONESIEN ich hab ihn wirklich lieber, und war nur traurig, weil ich jemand heiraten musste, den ich nicht liebe [cintai], und es fiel mir sehr schwer, Coki zu verlassen, und ich habe mich fehlerhaft gefühlt. Das hat mir ganz schlimm weh getan, und ich wusste überhaupt nicht, was ich tun sollte zu der Zeit. Verf.: Hattest Du denn auch sayang Gefühle für Heri oder hast Du Dich nur rational entschieden? Putri: Nein, die gab es nicht. Ja, ich habe mich nur rational entschieden, und ich habe gedacht, es ist besser, wenn ich ihn [Heri] wähle. Cokis Zukunft ist noch lang. Alle Entscheidungen, die ich getroffen habe, habe ich ihm zuliebe getroffen, nicht wegen mir selbst. Wenn ich Coki geheiratet hätte, hätte ich vielleicht seine Zukunft ruiniert, und so wäre es auch mit meiner Zukunft gewesen. Wenn ich nach Soppeng gegangen wäre, wäre es schwierig gewesen, eine Arbeit zu bekommen und schließlich habe ich mich aus diesem Grund für Heri entschieden, weil es das Beste für Coki und für alle ist. Wenn er mit mir zusammen wäre, gäbe es niemanden, der sich um seine Eltern kümmern würde, obwohl sie schon alt sind. Wenn ich mit zu ihm gehen würde, wäre es noch schwieriger, dann gäbe es keine Arbeit, wenn man dann noch ein Kind hat. Also musste ich mich entscheiden. Vielleicht ist es richtig, wenn Leute sagen, dass man Liebe [cinta] wirklich nicht unbedingt haben müsse und man gewähren lassen müsse [sich von der Idee lösen müsse], auch wenn ich ihn [Coki] liebe, denke ich, vielleicht ist er nicht mein jodoh [von Gott vorbestimmter Partner]. Manchmal rufe ich ihn an, und ihm geht es gar nicht gut, er hatte einen Unfall, eine Woche, nachdem ich geheiratet habe. Er ist mit dem Mofa gefahren und hat sich eine Hand gebrochen, und eine »Blutader« ist kaputt gegangen.

Trotzdem konnte Putri Coki nicht vergessen. Sie fühlte sich schuldig, weil er sich bei einem Unfall verletzt hatte, den sie auf ihre Trennung zurückführte. Bei den zahlreichen Operationen im Krankenhaus habe er sehr viel Geld verloren, er habe hohe Schulden, sein Moped sei nicht mehr zu reparieren, und er habe ein gebrochenes Herz. Putri fühlte sich für all das verantwortlich. Sie habe Sehnsucht nach ihm und würde ihn gerne wiedersehen, wenn er nach Makassar komme. Sie habe jedoch Angst davor, dass ihr Ehemann davon erfahren und ihr Untreue nachsagen würde. Daraus könnten große Probleme mit Heri und seiner Familie entstehen, so sei ein Treffen mit Coki zu riskant. Bereits zwei Monate nach der Hochzeit mit Heri327 war die Situation mit den Eltern etwas angespannt, und die Beziehung zu Heri hatte sich verkomplizierte. Heris Mutter sei Putri zu Folge traurig, dass Heri nicht seine vorherige Freundin geheiratet hat. Diese würde gut verdienen und stamme wie Heri aus einer reichen Familie. Heris Mutter würde Putri

327 Dieses Gespräch fand 2008 kurz vor meiner Abreise aus Indonesien statt, das letzte Mal, dass ich Putri traf.

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nicht mögen, und Putri fühlte sich nicht besonders willkommen in Heris Familie. Meinen eigenen Beobachtungen zufolge gingen Heris Eltern sehr herablassend mit Putri um und behandelten sie wie eher wie eine Hausangestellte. Putri fand ihre Situation in vielen seriellen Medientexten indonesischer und südamerikanischer Herkunft reflektiert. Die dominante Narrative einer guten, traditionellen, aber armen Frau, die in eine reiche Familie einheiratet, jedoch dort meist mit der bösen, reichen und emotional unterkühlten Schwiegermutter Probleme hat, passte hier zur Interpretation der neuen Figurenkonstellation in der Familie sehr gut. Putri litt sehr unter der angespannten Situation und fühlte sich in der neuen familiären Umgebung einsam. Heris Aufmerksamkeit für sie sei nach der Ehe abrupt zurückgegangen. Er werde oft wütend auf Putri und bleibe oft die ganze Nacht weg. Hatte Putri am Anfang ihrer Beziehung das Gefühl, Heri sei sehr warmherzig und habe sie wirklich gern, habe sich dies ihrer Einschätzung zufolge nach der Ehe schnell geändert. Putris frühere Vorstellungen davon, wie ihr Leben in einer Ehe mit einem Mann aussähe, müsse sie nun revidieren. Sie sah ihre Suche nach der großen Liebe letztlich als gescheitert an. Ihre Vorstellung von Liebe konzipierte sie im Nachhinein als unrealistisch. Sie stellte in Bezug auf das Liebesthema eine Dichotomie zwischen ihrer zuvorigen Imagination und der Darstellung in fiktiven Medientexten von »wahrer Liebe« auf der einen Seite und der sozialen Realität auf der anderen Seite fest. Romantische Liebe als Idee, den Mann, den man liebt, zu heiraten und mit ihm glücklich zu werden, lokalisierte Putri dementsprechend retrospektiv in den fiktiven Welten von Poesie, Fernsehen, Film und Büchern. Putri: Bevor wir heiraten, sicher denken wir alle so darüber, wir wollen den Menschen heiraten, den wir lieben [cintai], Kinder und Glück. Aber es dauert nicht sehr lange, bis unsere Wünsche der Realität weichen. Ja, ich denke, vielleicht ist das mein Schicksal, weil das was ich jetzt fühle, weicht sehr von dem ab, was ich mir vorgestellt und erträumt habe, es unterscheidet sich sehr davon.

Auch wenn sie sichtbar sehr enttäuscht davon war und persönlich mit ihrem Liebeskummer und ihrem unwohlen Gefühl in der Ehe mit Heri zu kämpfen hatte, versuchte sie, mit ihrer Situation rational umzugehen. Sie versuchte, ihre Gefühle zu kontrollieren, auch wenn ihr das nicht immer gelingen würde. In Gesprächen mit mir musste sie oft weinen und war emotional aufgelöst, während sie versuchte, in ihrem Zuhause und vor Heri eine gute Miene zu machen. Diese Rationalisierung ihrer Situation beinhaltete die Erklärungen, sie selbst sei es gewesen, die Heri als Ehemann ausgewählt hat, sie könne dementsprechend niemand anderes dafür verantwortlich machen, sie sei schließlich nicht gezwungen worden, Heri zu heiraten. Sie konzipierte ihre Ehe mit Heri als den von Gott für sie vorgezeichneten Weg. Nun müss-

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te sie das Beste aus ihrer Situation machen und die Aufgabe, die Gott ihr gestellt habe, meistern. Putri: Ich möchte es nicht bedauern, ich habe diesen Weg bereits gewählt, also muss ich das Risiko auch selbst tragen, selbst wenn ich es bedaure, hat es ja keinen Nutzen, vielleicht sagt Gott dann: »Du selbst hast ihn doch gewählt, also mache niemand anders dafür verantwortlich.« Wenn ich mit ihm streite und von ihm herausgeworfen werde … also denke ich mir, es hat keinen Sinn, es zu bedauern. […] Vielleicht, weil ich ja schon mit ihm verheiratet bin, ist er es, der für mich ausgewählt wurde. Ich denke, das ist das Beste, weil Gott uns stets das Beste gibt, also, denke ich, ist es das Beste. Verf.: Glaubst Du, dass er Dein jodoh ist? Putri: Ich weiß es noch nicht, ich denke, ich bin ganz einfach und er ist mein jodoh, und vielleicht, weil der Weg wirklich so ist und Gott ihn bereits so vorgezeichnet hat, muss ich ihn akzeptieren, außerdem habe ich ihn auch nicht wegen anderer Leute gewählt, sondern es war die Entscheidung meines eigenen Herzens, und ich habe schon weit gedacht und habe nur mit der Logik entschieden, ohne Gefühle. Wenn ich nach meinen Gefühlen entschieden hätte, hätte ich Coki gewählt, aber meiner Meinung nach ist es nicht mehr die Zeit, Gefühle einzusetzen. Ich habe nur an meine Zukunft gedacht.

Wie in Kapitel B.II.5.1.2 genauer ausgeführt, funktioniert das Konzept jodoh auch hier in dem Sinne, dass Putri ihr Leid und ihr Schicksal akzeptiert. Sie nimmt an, Gott habe diesen Weg für sie ausgewählt und dieser sei (zumindest auf lange Sicht) das Beste für sie. Dementsprechend plant sie auch keine aktiven Veränderungen ihrer Situation, sondern wartet passiv die weitere Entwicklung ab, denn Gott würde den richtigen Weg schon aufzeigen. Ihre hier getroffene Aussage, sie habe bei der Wahl lediglich rationale Erwägungen getroffen und dabei nur an ihre Zukunft gedacht, steht im Widerspruch zu der oben aufgezeigten Narrative, sie habe ihre Liebe Coki zum Wohle geopfert. Diese erscheint so umso stärker eine Folge der indonesischen TV-Geschichten auf eigene Narrative zu sein: das Bild der Frau, die ihre Liebe zum Wohle des Liebenden aufgibt (vgl. beispielsweise Rahel in Heart, siehe Kapitel B.III.3.4.5). Diese Art, ihre Entscheidung zu interpretieren, scheint so durch die medialen Liebessemantiken beeinflusst zu sein. Auch wenn hier klare Rückgriffe auf mediale Geschichten gezogen werden, mittels derer man eigene Entscheidungen und Gefühle begründet und interpretiert, muss dies nicht bedeuten, dass diese Interpretationen Putris persönlichem Erleben zufolge weniger wahr sind. In Referenz auf die fiktiven Me-

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dientexte, die Happy Ends in Liebesgeschichten und Glück in Ehen versprechen, sagt Putri jedoch angesichts ihrer aktuellen Situation: Ich glaube, das ist alles gelogen, das gibt es alles nicht. Generell sind alle Männer anders, wenn man noch nicht mit ihnen verheiratet ist. Als ich noch nicht mit Heri verheiratet war, hat er mich sehr gern gehabt und sich sehr um mich gekümmert. Aber nach der Ehe hat sich vieles verändert. Ich kann auch nicht dafür garantieren, dass Coki nach einer Ehe nicht auch so sein würde. Es ist schon möglich, dass er sich auch verändern würde, nachdem man [nur] zusammen war [also schon verheiratet wäre]. Bislang war ich nur mit ihm zusammen, und er war sehr liebevoll. Aber nach einer Ehe könnte er sich ebenso verändern, weil Männer einfach so sind, denke ich. Wenn man nur mit ihnen zusammen ist, sind sie ganz gut zu einem, aber nach einer Ehe, oje, da werden sie gemein, und es gibt kein sayang, keine Aufmerksamkeit [perhatian] mehr und sind einfach ganz anders. Ich glaube, da sind alle gleich, das sehe ich an meiner Realität derzeit. Ich lerne aus meinen Erfahrungen. Sie sind immer anders, wenn man nur mit ihnen zusammen ist, dann sind sie noch romantisch, und sie verändern sich nach der Ehe.

Putri denkt, es gäbe ganz wenige, die aus Liebe heiraten, denn »automatisch treffen Menschen Entscheidungen immer mit vielen Abwägungen, das muss eben nicht nur Liebe sein, es gibt vieles, wie materielle Gründe, denn heutzutage ist es nicht mehr das Zeitalter, um Gefühle entscheiden zu lassen, wenn man die Gefühle benutzt und später fortwährend Not leidet, und man hat ein Kind, was nicht zur Schule kann.« Unter diesem Aspekt ist es also auch interessant, die Beweggründe von Heri, Putri bereits nach zwei Monaten zu heiraten und seine vorherige Freundin zu verlassen, zu betrachten. Die Geschichte verlief nach der Aussage von Putri folgendermaßen: Heri und Putri haben zusammen in einem Büro gearbeitet. Heri hatte noch eine Freundin, mit der er sechs Jahren lang zusammen war, Putri war noch mit Coki zusammen. Ihre Geschichte begann damit, dass Heri Putri mehr Aufmerksamkeit schenkte, als unter Arbeitskollegen normal gewesen wäre. Eines Tages fragte er Putri, ob sie nicht mit ihm zusammen sein wolle, um ihn dann sehr bald zu heiraten. Heri wusste, dass Putri einen Freund hatte, und Putri entgegnete, sie wolle zunächst Coki fragen. Putris Eltern drängten zu diesem Zeitpunkt bereits darauf, dass sie bald heiraten solle. So sprach Putri mit Coki über dessen Pläne, sie zu heiraten. Coki sagte Putri, er wolle sie zwar gerne heiraten, könne dies jedoch erst im Folgejahr tun, weil er noch kein PNS (Beamter)328 sei. Daraufhin war Putri zunächst mit beiden Männern zusammen, bis zu ihrer dramatischen Entscheidung im asrama (siehe oben). Sie heiratete Heri, nachdem die beiden lediglich zwei Monate zusammen waren. Auf die Frage, wieso Heri Putri so schnell heiraten wollte, obwohl er noch eine andere Freundin hatte, gab Putri Heris Erklärungen folgendermaßen wieder:

328 Vgl. hierzu Fußnote 323 in diesem Kapitel.

348 | L IEBE IN I NDONESIEN Putri: Ich habe ihm gesagt, ich hätte bereits einen Freund, und er hatte auch bereits seit sechs Jahren eine Beziehung. Er wollte sich trennen, weil seine Freundin sehr eigenwillig/störrisch sei und schwierig anzuweisen, gerade so wie jemand, der reich ist. Seine Freundin ist Krankenschwester und sagte normalerweise zu Heri, dass er nicht arbeiten müsste, weil sie ihn ernähren könnte, aber Heri mochte das nicht, weil sie noch nicht mal verheiratet waren und er schon herumkommandiert wurde und sein Selbstwertgefühl [harga diri] dadurch angegriffen wurde. Seine Freundin war arrogant und schwierig anzuweisen. […] Sie mochte nichts gesagt bekommen, sondern sie wollte Menschen anweisen, und man musste sich ihre Worte anhören, und stell dir vor, wie das ist, wenn man verheiratet ist, und Heri wollte auch schnell heiraten, aber das Mädchen wollte noch nicht, obwohl sie schon 30 Jahre alt war, älter als Heri [er war zu dem Zeitpunkt 27 Jahre alt]. Er sagte, ja, er möchte [heiraten], weil er schon genug davon habe, sich herumzutreiben und die Lust, herumzuschweifen und an die Küstenstraße auszugehen und erst morgens zurückzukommen, beginne zu verschwinden, es sei schon der Moment zum Heiraten, es sei schon zur Gewohnheit geworden, abends auszugehen, um sich mit Leuten zu treffen. Also habe ich gesagt, ich frage Coki, da hat sich herausgestellt, dass er noch nicht bereit ist zu heiraten, und selbst wenn ich ihn geheiratet hätte, hätte ich nach Soppeng gehen und dort wohnen müssen, ich habe gedacht, wenn ich dort wäre, wie wäre es dann mit meinem Studium und was könnte ich arbeiten. Oje, mein Studium, meine Arbeit, wenn ich die ganze Zeit Zuhause wäre, würde mir langweilig werden, ich langweile mich im Dorf, ich weiß nicht, was ich da machen soll, also habe ich gedacht, meine Güte, was soll ich denn tun, bis ich beinah verrückt geworden bin und wen sollte ich denn wählen? […] Er denkt, eine Frau, die reich ist, kann alles machen, was sie will und kann so keine gute Ehefrau werden, ich brauche keinen Reichtum [sagt Heri], weil ich selbst reich bin, ich brauche nur eine Frau, die mir als ihr Ehemann zuhört und eine gute Hausfrau wird. Weswegen sollte ich ein reiches Mädchen suchen, ich habe doch selbst schon Geld. Ich möchte jemanden, der mich sayang [im Sinne von »sich um jemanden kümmern«].

Auch hier scheint ein allseits bekanntes Rollenmodell einer guten (Ehe-) Frau durch, das in Fernsehtexten, in religiösen Texten und in kulturellen Normen stets reproduziert wird: die einfache, anspruchslose Frau mit gutem Herzen, die den Worten ihres Mannes folgt und sich diesem fügt329. Auch die Wahl von Ehefrauen durch Männer ist so durch diese medial inszenierten Stereotypen und kulturellen Rollenmodelle (vgl. hierzu auch Kapitel B.II.5.2, B.II.5.3 und B.II.6) bestimmt. Es gehört zu der männlichen Ehre, dass sich ihre Ehefrauen ihnen unterordnen und ihren Wünschen fügen, dass diese nicht ihren eigenen Belangen nachgehen, sich stets das Einverständnis der Männer einholen und sich nicht frei und ohne Begleitung ihrer Männer an Orten bewegen, die außerhalb von Arbeit, Studium, Familie und häuslichen Pflichten lokalisiert sind. Auch hier kontrollieren Klatsch und üble

329 Vgl. hierzu Kapitel B.II.6, B.III.3.4.3 und Indris Fallbeispiel in Kapitel B.III.7.1.

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Nachrede die Taten der Frauen. Viele der Frauen lesen nach ihrer Hochzeit religiöse Texte, wie sich eine gute Ehefrau dem Koran zufolge zu verhalten habe, und demonstrieren stolz ihren neuen Status mittels eines geänderten sozialen Verhaltens. Sie bleiben stets zu Hause und treffen sich nicht, wie zuvor, mit ihren FreundInnen (vgl. hierzu Indris Fallbeispiel in Kapitel B.III.7.1). Dies konzipieren die Frauen jedoch als ihre eigene Entscheidung, die sie treffen, weil sie sich als moralische, pflichtbewusste, gute Ehefrauen verstehen. Dennoch klagt Putri gelegentlich über Einsamkeit und bedauert, dass sie weder Zeit noch den Mut habe, Freunde zu treffen. Sie habe Angst, die Probleme mit Heri könnten sich noch verschlimmern, wenn sie ihm keine tadellose Ehefrau sei. Coki hatte Putri bei ihrer Trennung versprochen, zwei Jahre lang auf sie zu warten. Er hoffe darauf, dass sie sich von Heri scheiden ließe und die beiden als jodoh doch noch zueinanderfänden. Dies sieht Putri als potentielle Lösung, falls die Situation mit Heri weiterhin angespannt bleibt. Jedoch hat sie auch Angst, dass Coki später sein Versprechen nicht einhalten würde, aus Rache, dass sie ihn verlassen hat330. Putri hoffte, dass sie Heri mit der Zeit lieben lernen und Coki vergessen könnte. Das würde jedoch voraussetzen, dass Heri gut und verständnisvoll mit ihr umgehen würde. Ihre Annahme, sie könnte Heri lieben lernen, geht konform mit der kulturellen Vorstellung, Liebe komme nach der Ehe von alleine (vgl. Kapitel B.II.5.1.2). Außer mir teilte sie niemanden von den emotionalen Problemen in ihrer Ehe mit. Sie hatte große Angst vor Klatsch, der die Lage mit Heri noch verschlimmern könnte und bei dem ihre Eheprobleme als Folge ihres eigenen Fehlverhaltens in der Vergangenheit interpretiert werden könnten331. So mimte sie vor allen anderen die gute und zufriedene Ehefrau, während sie, wenn sie alleine war, emotionale Zusammenbrüche bekam und ihre Gefühle nach wie vor in der von ihr eigens verfassten Poesie zum Ausdruck brachte. 7.3

Novis »Torschlusspanik«

Novi war von Anfang an eine meiner engsten Bezugspersonen, jedoch auch eine der jungen Frauen, die sich am schwersten tat, über ihre persönlichen Liebesbeziehungen und -gefühle zu sprechen. So teilte sie mir zu Beginn meiner Forschung lediglich »offizielle Versionen« ihres Liebeslebens mit, die mit kulturellen Werten und Normen konform gingen und sie als sehr traditionsbewusste junge Frau positionierten. Sie distanzierte sich mit moralischer Abwertung von Praktiken vorehelichen Geschlechtsverkehrs und jeg-

330 Vgl. hierzu auch Novis Meinung, Febys erneute Trennung von ihr sei ein Rachezug ihr gegenüber gewesen, da sie ihn zuvor verlassen hatte, siehe Kapitel B.III.7.3. 331 In indonesischen Medientexten, v. a. in sinetron, wird das Fehlverhalten eines Mannes in der diegetischen Logik oft als Resultat eines fehlerhaften Verhaltens seiner Frau erklärt, vgl. Kapitel B.II.3.4.3.

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lichem »kulturell unangemessenen« Lebenswandel. Es hat lange gedauert, bis sie mir gegenüber auch davon abweichendes Verhalten eingestand und über Probleme und Gefühle mit mir sprach, über die sie sonst aufgrund ihrer kulturellen Tabuisierung nicht sprach. Trotz der offiziellen Wahrung des Scheins einer tugendhaften und sittlichen, recht konservativen jungen Frau, betonten die anderen jungen Frauen in Gesprächen mit mir, dass Novi ein sehr verschlossener und heuchlerischer Mensch sei, eigenes Verhalten und Gefühle verschweige, sich moralisch von kulturell nicht angemessenen Verhalten distanziere und andere junge Frauen für ebensolches Verhalten lautstark kritisiere. So kommentierte auch ihr Exfreund/Freund332 in einem Interview mit mir: Feby: Ja, Novi ist ein viel zu heuchlerischer Mensch, sie schämt sich zu sehr [ist zu sehr malu], um sich selbst einzugestehen, dass sie bereits mit mir geschlafen hat. Sie ist sehr verschlossen. Wenn sie in mein kost kommt, möchte sie sicher nicht, dass die Tür meines Zimmers verschlossen wird, wenn draußen viele Menschen sind. Sie möchte nur zu zweit, sie ist nicht transparent, weil sie in der Heuchlerei lebt.

So erfuhr ich, nachdem ich bereits oft mit Novi über ihre Liebesbeziehung gesprochen hatte, zum ersten Mal von Feby, dass die beiden bereits miteinander geschlafen haben. Zuvor hatte Novi die Version vertreten, sie habe noch nicht mit einem Mann geschlafen, weil dies eine Sünde vor Gott sei und sich nicht gehöre. Sie würde ihren Freund zudem nur auf die Wange küssen und mit ihm Händchen halten, alles andere würde die Grenzen der kulturellen Angemessenheit überschreiten. Sie erzählte mir, dass es natürlich viele junge Menschen gäbe, die auch intimer miteinander seien und auch miteinander schlafen würden. Dies sei ein Effekt der Modernisierung und des Kontakts mit dem Ausland, junge Menschen würden nicht mehr so sehr an ihrer Kultur festhalten, in der dies verboten sei. Dies würde schlimme Konsequenzen haben wie Abtreibung, HIV/Aids, Ausschluss aus dem familiären Kontext, etc. Novi lokalisierte diese verbotenen »Geschehnisse« in kost-kostan (Wohnheimen), vor allem auf dem Campus, also an Orten, wo viele junge Menschen ohne Kontrolle durch die Familien zusammenwohnen333

332 Feby und Novi waren zu Anfang meiner Forschung in einer bereits zwei Jahre lang andauernden Beziehung noch zusammen, trennten sich im Laufe meines ersten Forschungsaufenthalts 2006 voneinander, hielten jedoch ihre Freundschaft aufrecht. Am Ende meines Forschungsaufenthaltes 2007 sind sie wieder zusammen gekommen, und bei meinem Restudy-Aufenthalt 2008 waren sie gerade wieder frisch getrennt. Feby ist nun mit einer anderen jungen Frau verheiratet. Zu dem Zeitpunkt des Interviews mit Feby waren die beiden zusammen. 333 Vgl. hierzu die Konstruktion der sozialen Räume kost und Campus als sexuell offene und gefährliche Orte, wie in Kapitel B.III.4.1.2.3 genauer ausgeführt wird.

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Novi: Das hängt von den unterschiedlichen Menschen ab. Aber normalerweise passiert das in einem Wohnheim [kost], weil das beispielsweise nicht behütet wird.

Bei einem Interview mit Feby, bei dem Novi, die unbedingt dabei sein wollte, mit Kopfhörern Musik hören sollte, um das Gespräch nicht mit anhören zu können, erzählte er, die beiden hatten bereits Geschlechtsverkehr. Novi hörte entweder mit, von was wir sprachen oder sie rekonstruierte die Inhalte des Gespräches im Nachhinein. Einige Tage nach dem Interview mit Feby wandte sich Novi so an mich. Sie teilte mir mit, sie habe mein Gespräch mit Feby mitverfolgt und schien das Bedürfnis zu hegen, die konflingierenden Aussagen klarzustellen. Anstatt Febys Aussage zu widersprechen, öffnete sie sich mir gegenüber. Sie erzählte mir, sie würde sich schämen, zuzugeben, dass sie bereits Sex gehabt hat, da vorehelicher Sex verboten und eine Sünde vor Gott sei. Tatsächlich habe sie bereits mit ihrem ersten Freund in Soppeng geschlafen und sei sehr glücklich darüber gewesen, dass Feby, ihr nachfolgender Freund, sie so »beschmutzt« als Freundin überhaupt akzeptiert hätte. Dennoch hege sie selbst oft Schuld- und Schamgefühle für ihr fehlerhaftes Verhalten. Sie befürchte, Gott könnte sich für diese große Sünde an ihr rächen. Als Novi sich von Feby, der Drogen- und Aggressionsprobleme hatte, unter denen sie zunehmend litt, trennte, stellte ihre sexuelle Erfahrung für sie eine große Angst dar, deswegen keinen neuen Freund zu finden, der sie potentiell auch zur Ehefrau nehmen wolle. Sie befürchtete, dass kein anderer Mann sie so »beschmutzt«334 überhaupt akzeptieren könne. Angesichts ihres »fortgeschrittenen Alters« (24 Jahre alt im Jahre 2006) für eine unverheiratete Frau stehe sie unter sozialen Druck, bald zu heiraten. Nach der Trennung von Feby, der bereits familiäre Diskussionen um eine Ehe mit Novi eingeleitet hatte, und aufgrund des Umstandes, dass sie sexuell bereits aktiv gewesen sei, sei das Unternehmen »Ehe« nun mehr als zuvor ein unsicheres und besorgniserregendes Unterfangen. Wie bereits gesagt, hatte Novi bereits, als sie noch in Soppeng gelebt hat und zur Schule gegangen ist, einen Freund im Dorf: Hamid. Hamid sei ein höflicher junger Mann, der in Novis Familie immer willkommen gewesen war und oft zu Besuch kam. Sie hatte bereits mit ca. 20 Jahren mit ihm Geschlechtsverkehr. Als er eines Tages mit seiner Familie in eine andere Gegend umzog, brach der Kontakt zwischen den beiden unangekündigt ab. Da die beiden zu der Zeit noch keine Handys besaßen, sei es ihm unmöglich gewesen, Novi von seinem Umzug und seinem plötzlichen Verschwinden zu unterrichten. Novi war daraufhin sehr enttäuscht und verletzt. Als sie bereits nach Makassar gezogen war, um dort zu studieren, tauchte Hamid eines Ta-

334 Vgl. hierzu auch die in Kapitel B.II.5.1.1 vorgestellten Bugis Sprichwörter, die junge Frauen vor vorehelichem Geschlechtsverkehr warnen, da sie infolge wie ein Ei oder ein Spiegel »angebrochen« seien und keiner sie als »beschädigtes Gut« mehr zur Ehefrau nehmen würde.

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ges plötzlich wieder auf. Er hatte bei ihrer Familie um Informationen über Novis aktuellen Wohnort gebeten und sie daraufhin in Makassar wieder gefunden. Novi: […] er hat mich auch schon einmal verlassen. Er hat die Schule gewechselt und hat mir nichts davon erzählt, er hat sich nicht verabschiedet. Damals sind wir in eine Schule gegangen. Damals gab es noch keine Telefone und Handys, ich habe ihn nie gesehen. Nach der SMA [Oberschule] haben wir uns wieder getroffen. Damals hat er mir erzählt, er wurde von seinen Eltern an einen anderen Ort geschickt, er war selten hier [in Soppeng], weil er in Makassar war und ich im Dorf. Er wohnte hier in Makassar und zu der Zeit habe ich nicht mehr anu [Wort aus dem Javanischen, um etwas auszudrücken, was man nicht aussprechen darf, etwas, was tabuisiert ist; dies ist an dieser Stelle als »intim miteinander sein« oder »zusammen schlafen« zu verstehen] mit ihm, weil ich viele Geschichten darüber gehört habe, er würde Drogen nehmen, meine Güte, ich habe gedacht, wie kann das denn sein. Nicht lange, nachdem ich angefangen habe zu studieren, ist er zu meiner Familie gekommen und hat meine Familie gefragt, wo ich wohne, nach meiner Adresse und Telefonnummer, und er hat sie bekommen, von dem Ehemann meiner Cousine, und er hat mich gesucht.

Die beiden kamen daraufhin wieder zusammen. Doch die aus diesem Vorfall resultierenden verletzten Gefühle bzw. Novis verletzter Stolz schienen für ihre weiteren Entscheidungen zentral zu bleiben, wie man später sehen wird. Hamid wohnte nun wieder in Soppeng, da er dort Arbeit gefunden hatte, und Novi studierte in Makassar, weswegen die beiden sich nicht häufig sahen. Novi: Damals wohnte er im Dorf, er hatte dort Arbeit, er folgte seinem Onkel, und er war selten hier. Und Feby, Imelda und andere Freunde sind immer hergekommen, versammelten sich an meinem Ort. Da bin ich mit Feby in engeren Kontakt gekommen, und der Erste, Hamid, kam selten nach Makassar, wir haben uns selten gesehen, und ich habe auch gehört, er habe dort [im Dorf] eine andere Freundin. Und da habe ich gedacht, meine Güte, was soll ich bloß machen, er hat auch schon eine Freundin dort, und ich habe gedacht, es ist besser, wenn ich einfach mit Feby zusammenkomme, und es mit ihm weiterführe.

Da sie als unverheiratete Frau ganz alleine in Makassar war, benötigte sie einen Mann, der sie bei Unternehmungen begleitete und sie beschützte (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.2). Auf die Frage, warum sie nicht einfach mit Feby befreundet gewesen sei, sondern mit ihm zusammen gekommen ist, obwohl sie keine Gefühle für ihn hatte (Belum terlalu suka – Ich habe ihn noch nicht so sehr gemocht), antwortete sie: Ja, weil sie immer bei mir waren, und ich mich mit ihm wohl gefühlt habe.

ZUR REZEPTION ROMANTISCHER FIKTIONEN | 353

Verf.: Aber, warum wart ihr nicht einfach befreundet, man kann trotzdem Dinge zusammen unternehmen. Novi: Ja, zu der Zeit hat Feby mir schon gesagt, dass er in mich verliebt ist [bilang cinta – wörtlich: Liebe sagen], und ich hatte da gerade Probleme, also habe ich einfach »Ja« gesagt. Verf.: Und wie hast Du dann Gefühle für Feby entwickelt? Novi: Weil wir immer zusammen waren, und er mir immer Aufmerksamkeit [perhatian] geschenkt hat. Er ist mir nahe gekommen. Verf.: Und ihr habt Euch noch nicht geküsst? Ihr habt nur Sachen zusammen unternommen? Novi: Nein, noch nicht. Wir haben nur Sachen zusammen unternommen, uns unterhalten und dann tauchten irgendwann Gefühle auf.

Während dieser Zeit wusste Hamid noch nichts von Feby. Als er von Novis zweiter Beziehung erfuhr, stellte er sie vor die Wahl: Sie müsse sich für einen Mann entscheiden. Novis Entscheidung fiel am Telefon: Hamid rief an, als Feby und andere Freunde bei ihr waren. Alle konnten das Gespräch mit anhören. Nur deswegen, weil sie in Anwesenheit von Feby und seinen Freunden unter Druck stand, habe sie sich am Telefon für Feby entschieden: Novi: […] als er [Hamid] davon erfuhr, fragte er mich immer, wie kannst Du das tun? Du musst wählen: ich oder er. Und in dem Moment, weil viele Menschen da waren, als ich mit ihm am Telefon sprach, und ich nicht frei reden konnte, weil alle Freunde von Feby und auch Feby mich hier umgeben haben, alle saßen zusammen, habe ich habe direkt gesagt, ja, ich bin mit Feby zusammen. Ojeeee! Verf.; Warum hast Du Feby gewählt, obwohl Du den anderen noch magst [suka]? Novi: Ich war an dem Tag auch verwirrt, wieso konnte ich das tun. Alle waren in dem Moment zusammen. Ojeeee!

354 | L IEBE IN I NDONESIEN Verf.; Und wenn hier keine Freunde im Zimmer gewesen wären, hättest Du dann Hamid gewählt? Novi: Ja, vielleicht, weil ich schon ein paar Mal mit ihm zusammen war und ihn schon lange kenne und ich mit ihm seit der 2. Klasse der SMP [Sekolah Menegah Pertama – Mittelschule] zusammen war, seit 1998.

Novi zufolge, habe sie nach einigen Monaten Gefühle für Feby entwickelt, ganz gemäß der weitverbreiteten Annahme, wenn man Zeit zusammen verbringen würde, würden die Gefühle von selbst kommen (vgl. Kapitel B.II.5.1.2). Initiiert wurde ihre Entscheidung, mit Feby zusammen zu sein, zunächst auf Basis von Eifersucht auf eine potentiell existierende zweite Freundin von Hamid im Dorf und aufgrund ihrer Rachegefühle. Hamid habe sie bereits einmal, noch zu Schulzeiten, unangekündigt im Stich gelassen habe. Gleichzeitig benötigte sie in der Großstadt Makassar einen Freund, um Sachen zu unternehmen und nicht alleine zu sein, und Hamid kam sie selten besuchen. Die endgültige Entscheidung für Feby traf sie in einer Situation, in der sie unter sozialem Druck stand, sich für ihn zu entscheiden, und aus einer Scham vor den anderen, die das Gespräch mit anhörten – sie wollte Feby nicht beschämen. In der Folgezeit stand Novi mit Hamid sporadisch noch in Kontakt, was Feby sehr eifersüchtig stimmte. Die wirklichen Probleme in der Beziehung mit Feby tauchten Novi zufolge jedoch erst Ende 2005 auf. Feby hatte am Tag ihrer Studium-Abschlussfeier Geburtstag. Zu Novis Feier waren viele Verwandte aus dem Dorf angereist, um die sich Novi, die diese beherbergte, kümmern musste. Deswegen habe sie nicht zu Febys Geburtstagsfeier gehen können, woraufhin sich Feby vernachlässigt gefühlt habe. Er sei sehr wütend geworden und habe Novi vorgeworfen, sie würde sich nicht mehr um ihn kümmern335. Als Novi Febys anhaltende Wutausbrüche nicht mehr ertragen konnte, trennte sie sich 2006 von ihm. Sie waren jedoch noch eng befreundet, und Feby schien Novis Entscheidung nicht zu akzeptieren. Der Kontakt zwischen Novi und Feby nahm jedoch mit der Zeit etwas ab, obwohl sie stets miteinander telefonierten und sich Nachrichten schickten. Novi lernte etwas später einen anderen jungen Mann kennen, der ihr von einer Mitbewohnerin vorgestellt wurde und mit dem sie gelegentlich etwas zusammen unternahm. Als Feby davon erfuhr, demolierte er in Novis Zimmer aus Wut einen Schrank und drohte Novi an, sie beide umzubringen336. Es sei besser, beide seien tot und zusammen, als dass Novi einen anderen Freund habe.

335 Würde zu wenig perhatian (Aufmerksamkeit), als zentrales Konzept in einer Liebesbeziehung, zeigen, vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1.5. 336 Wie in Kapitel B.II.5.1.1 genauer ausgeführt wird, gilt Wut und Aggression bei den Bugis als kulturell angemessene und traditionell erwünschte Reaktion auf

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Novi: Ich war bereits von ihm getrennt, aber er wollte dies nicht akzeptieren, er hatte Wutanfälle [mengamuk-mengamuk337], und er zerlegte mein Zimmer, er machte da hinten einen Krawall, er war sehr emotional, bis er mein Zimmer zerlegt hat, und er mich töten wollte, und er sagte, du sollst tot sein, wir sollten einfach zusammen tot sein, besser, als wenn Du einen anderen Freund hast. Und Feby wusste, dass Fanny mich einem Freund vorgestellt hat, dem Polizisten, und Feby dachte, wegen dieses Mannes wolle ich nicht mehr mit ihm zusammen sein. Nachdem wir getrennt waren, bevor er kam und hier wütete [mengamuk], hat er bereits um meine Hand angehalten, danach hatte ich schon Kopfschmerzen wegen ihm und war ganz erschöpft, ihm zu begegnen. Warum verhält er sich so?

Da sie jedoch ihrem Vater nichts von der Trennung erzählt hatte, Feby über indirekte Netzwerke bereits seinem Wunsch verkündigt hatte, Novi zu ehelichen und auch Febys Vater Novi bereits im asrama aufgesucht hatte, zog sie dennoch, auch angesichts ihres reifen Alters für eine Ehe, in Betracht, Feby zu heiraten. Zu diesem Zwecke sprach sie mit ihrem Vater über dessen Meinung, wohl hoffend, er würde Feby als potentiellen Ehepartner ablehnen. Doch er überließ die Entscheidung gänzlich Novi. Über die indirekten Kommunikationsnetzwerke hatten Novis Familie und ihre Nachbarschaft im Dorf bereits von Febys Intention erfahren, Novi zu heiraten. In Reaktion darauf wurde gemutmaßt, wann es wohl zu einer Ehe kommen werde. Novi fuhr aufgrund dieses Klatsches nur noch ungern zurück ins Dorf. Gerade, weil sie noch nicht wusste, ob sie Feby heiraten wolle, war ihr dies sehr unangenehm. Sie wog ab, dass sie ihn einerseits bereits sehr gut kenne, er sie auch trotz ihrer »verlorenen Jungfräulichkeit« akzeptiere und sie aufgrund ihres Alters bald einen Ehemann finden müsse. Auf der anderen Seite habe sie bereits zu viele Probleme mit Feby gehabt, er habe noch keine Arbeit und sei noch nicht mit dem Studium fertig, seine Wutausbrüche machten ihr zu schaffen und ihre Zuneigung (sayang) zu ihm habe bereits abgenommen. In der Folgezeit ging Feby zunächst zurück zu seiner Familie nach Soppeng, weswegen die beiden sich eine Zeit lang nicht sahen. Im August 2006 fuhren Novi und ich dann zu einer Hochzeit einer ehemaligen asramaBewohnerin nach Soppeng. Dort traf sie Hamid wieder, der ihr verkündigte, er würde seine Freundin heiraten, da diese schwanger sei. Dieses Zusammentreffen sowie die Aussicht, dass Hamid bald ganz an jemand anderen vergeben sei, lösten bei Novi große Gefühlsausbrüche aus. Sie bereute, sich damals von ihm getrennt zu haben, da sie noch Gefühle für ihn habe. Als sie mir ihre Gefühle mitteilte, fing sie an zu weinen, kontrollierte ihre Emotio-

die Beschmutzung oder Verletzung des eigenen Ehrgefühls, weswegen eine solche Reaktion nicht überraschend erscheint. 337 Mengamuk entstammt der Wortwurzel amuk, das ein elaboriertes kulturelles Syndrom in Indonesien darstellt. Vgl. hierzu auch Kapitel B.II.5.1.3 und den Wörterindex im Anhang D.1.

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nen jedoch schnell wieder. An den Folgeabenden, den Letzten vor seiner Hochzeitsfeier, telefonierten die beiden oft zusammen. Novi fragte ihn, ob er sie wirklich nun ganz verlassen wolle, Hamid entgegnete, Novi habe ihn damals zuerst verlassen. Hamid bat um Erlaubnis, Novi auch nach wie vor nach der Hochzeit anrufen zu dürfen. Er wollte mit seiner zukünftigen Frau nach Makassar ziehen. Novi machte dies große Angst. Es sei eine große Sünde, mit einem verheirateten Mann so intim zu sprechen, weswegen sie den Kontakt nach der Hochzeit lieber abbrechen wollte. Der Kontakt mit Feby nahm in den Folgemonaten mehr und mehr ab. Novi schien sich entschlossen zu haben, ohne dies offen kundzutun, Febys Eheangebot nicht anzunehmen. Feby war noch in Soppeng. Einige Monate später lernte Novi Ilham kennen. Sie war sehr froh, endlich wieder einen Freund zu haben, denn sie hatte große Sorge, keinen potentiellen Ehepartnerersatz für Feby zu finden und als »alte Jungfer« zu enden. Anfangs ging sie nur mit ihm aus, sie mochte ihn, und so wurden die beiden ein Paar. Doch sie beschwerte sich schnell darüber, dass mit seinem Studium und seinen anderen Aktivitäten zu beschäftigt sei und sich zu wenig um sie kümmern würde, zu wenig perhatian zeigen würde. Er beantwortete ihre SMS und Anrufe selten, sie fühlte sich von ihm missachtet. Nach einiger Zeit trennte sie sich von Ilham und begann damit, wieder positiv von Feby zu sprechen. Er habe sie immer angerufen und ihr stets viel Aufmerksamkeit geschenkt, so wie es sich für einen Partner gehöre. Die Ängste, alleine zu bleiben und keinen Ehemann zu finden, waren nach der kurzen Beziehung mit Ilham größer als zuvor. Ihre Familie, der sie noch nichts von der Trennung von Feby erzählt hatte, fragte oft, wann Feby endlich um ihre Hand anhalten würde. Schließlich kamen Feby und Novi erneut zusammen, vermutlich auch wegen des Drucks der Nachfragen der Familie nach ihren Eheplänen. Die Hochzeitspläne wurden wieder aufgenommen und die Familie wurde dabei einbezogen. Als Novi wegen einer Mandeloperation im Krankenhaus lag, kümmerte sich Feby ausgiebig um sie. Die Hochzeitspläne wurden immer konkreter. Feby, der mittlerweile im Gefängnis in Makassar arbeitete, sollte nur noch seinen PNS338 (Beamten-)Status erhalten, bevor die beiden heiraten wollten. Jedoch sahen sie die beiden sich nur selten, da Novi angefangen hatte, weit vom Zentrum der Stadt entfernt zu arbeiten. Als dann noch ihr Onkel erkrankte, verbrachte sie ihre Abende bei ihm im Krankenhaus, und Feby und Novi sahen sich kaum. Feby beschwerte sich erneut, Novi würde ihm zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Als Novi ihn an ihrem Geburtstag anrief, nachdem er sich nicht bei ihr gemeldet hatte, antwortete eine junge Frau, die ihr mitteilte, sie sei Febys neue Freundin. Novi wollte dies zunächst nicht glauben, aber Gespräche mit Feby bestätigten dies. Feby erklärte, Novi habe ihn zuvor auch verlassen, außerdem sei sie zu beschäftigt gewesen und habe sich nicht um ihn gekümmert. Angesichts ihrer konkreten Hochzeitspläne war Novi daraufhin am Boden zer-

338 Vgl. hierzu Fußnote 323 in diesem Kapitel.

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stört. Sie rief Feby oft an, um zu fragen, ob er es mit der anderen Frau wirklich ernst meine, die sie selbst als »billig« (murah), »unanständig« und »ungehobelt« bezeichnete. Sie sei zu sexy gekleidet und habe keinen Anstand und keine Moral. Novi: Ich sehe, dass sie sexy Kleidung mag, auch ihre Art zu sprechen ist »dreckig/ungehobelt« [kasar]. Wenn ich anrufe und sie abnimmt, sagt sie: »Hey, Mädel, werd Dir darüber klar, dass Feby jetzt mich hat«. Ich sage: »Damit nur Du Dir mal darüber klar wirst, Du bist es, die mir meinen Freund ausgespannt hat. Du kennst keine Scham [malu], Du bist wie eine Frau, die überhaupt nicht ankommt [bei Männern], lässt Dich von Deinem Cousin vorstellen. Feby hat das nur getan, weil Dein Cousin mit ihm zusammenarbeitet, und der ihn dazu gedrängt hat, Dich kennenzulernen. Wenn es eine Veranstaltung gab, wurde Feby immer dazu gerufen, ihn zu begleiten«.

Novi bewertet Febys Trennung von ihr als Racheakt daran, dass sie ihn zuvor auch verlassen hat. Sein Ehrgefühl sei dadurch verletzt geworden. Auch Febys Freunde und seine Familie würden Novi zufolge nicht verstehen, wieso Feby mit dieser Frau zusammen sei, die »ungehobelt« (kasar) und unmoralisch sei und ihn ständig herum kommandieren würde. Sie würden vermuten, Feby sei nur verwirrt und würde sich mit der Zeit wieder fangen. Vielleicht habe er so reagiert, weil Novi zuvor keine Zeit für ihn gehabt habe. Ähnlich wie in den indonesischen Filmen und Serien präsentiert, greift auch hier die Erklärung, dass Männer fremdgehen, wenn die Frauen sich nicht ausreichend um sie kümmern. Novi: Ich weiß jetzt auch nicht, was ich tun soll. Vielleicht ist das einfach so. Aber der Vater und die Mutter von Feby motivieren mich immer. Sein Vater ruft ihn immer an, und sie nimmt dann ab. Er mag nicht mir ihr sprechen. Er sagt mir, ich solle mir keine Sorgen machen, vielleicht sind nur seine Gedanken ungeordnet, weil Du ihm zu wenig Aufmerksamkeit [perhatian] gegeben hast, also musst Du das nicht [Dich sorgen].

Doch Feby ließ sich nicht erweichen, zu Novi zurückzukehren. Und Novi war erneut Single. Mittlerweile war sie bereits 26 Jahre alt und die Ängste davor, keinen Ehepartner zu finden nahmen stetig zu. Sie suchte Erklärungen dafür, dass sie keine Beziehung fand, die anhielt und sich in Richtung einer Ehe entwickelte. Sie fand eine Erklärung erneut in der Rache Gottes an ihr aufgrund ihres sexuellen Fehlverhaltens. Hamid nahm zu dieser Zeit wieder Kontakt mit Novi auf. Er habe mittlerweile zwei Kinder und sei mit seiner Frau unglücklich. Er teilte Novi mit, er würde in Erwägung ziehen, sich von dieser scheiden zu lassen und fragte sie, ob sie sich vorstellen könne, wieder mit ihm zusammen zu kommen. Novi war davon emotional sehr bewegt, versuchte sich und ihre Antworten ihm gegenüber jedoch zu kon-

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trollieren, um nicht an dem Scheitern der Ehe schuldig gemacht werden zu können339. So teilte sie Hamid – wie eine anständige Frau das tun sollte – mit, er sollte versuchen, seine Ehe zu retten, und sie könne ihm nicht sagen, wie es zwischen ihnen im Falle einer Scheidung von seiner Frau weiter gehen könnte. Vielleicht habe sie dann auch einen neuen Freund. Verf.: Also ist Hamid hier hergekommen? Aber er ist schon verheiratet. Novi: Er ist schon verheiratet und hat zwei Kinder, aber er hat so etwas wie eine Seelenverwandtschaft mit mir, und er spürt, wenn ich Probleme habe, wenn ich so bin, dann ruft er mich sicher an und fragt: »Was hast Du für Probleme, warum muss ich an Dich denken?« Er ist immer so, wenn ich gerade wieder Probleme habe: »Hallo, wo bist Du gerade, was hast Du wieder für Probleme, warum muss ich die ganze Zeit an Dich denken. Du hast sicher Schwierigkeiten. Lüg mich bloß nicht an. Du kannst mir erzählen, was Du für Probleme hast.« Verf.: Also zeigt er Dir immer Aufmerksamkeit [perhatian]. Novi: Er hat mir tatsächlich schon gesagt: »Falls ich mich von meiner Frau trennen sollte, möchtest Du dann wieder mit mir zusammen sein?« – »Ach je, sag so etwas nicht, Du sündigst, Du hast doch schon Kinder, schon eine Ehefrau.« Verf.: Dürfen sich Ehepartner denn nicht voneinander scheiden? Novi: Ja, das dürfen sie nicht. Verf.: Aber hast Du noch das Gefühl sayang [Liebhaben] für ihn? Novi: Ja, ich erinnere mich noch daran, er war meine erste Liebe [cinta]. Verf.: Und kannst du Dir vorstellen, wieder mit ihm zusammen zu kommen, wenn er von seiner Ehefrau getrennt ist?

339 Dies wird von den Frauen als eine große Sünde konzipiert.

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Novi: Nachher muss man sehen, wie die Situation ist, wer weiß, ob ich nachher schon wieder einen Freund habe, das hängt davon ab. Verf.: Hast Du darüber schon einmal nachgedacht? Novi: Nein, ich denke nicht. Weil er schon eine Ehefrau hat, und sie waren ja auch [freiwillig] zusammen, bevor sie geheiratet haben.

Nach meinem letzten Aufenthalt in Indonesien, bei der gerade die Trennung von Feby sowie das Wiederauftauchen von Hamid Novis »Gefühlsleben« bestimmte, hörte ich einige Zeit nichts von ihr. Eines Tages rief mich Novi am Boden zerstört an: Feby würde die andere Frau heiraten. Hoffte sie nach wie vor, Feby könne zu ihr zurückkommen und sie endlich heiraten, waren nun ihre Hoffnungen auf eine baldige Hochzeit gänzlich zerstört. Zudem konnte sie nicht verstehen, wie Feby eine so »untugendhafte« Frau ihr, die sie sich rollenkonform als gute, sich sorgende, anständige und kulturelle Verhaltensnormen beachtende Frau verstand, vorziehen konnte. Ihr Ordnungssystem, das auch von den sinetron und implizierten Frauenbildern stets bekräftigt wurde, schien völlig aus den Fugen geraten zu sein. Novi gab in Interviews stets an, dass ihre favorisierten sinetron gute, junge Frauen darstellten, die ihr als Rollenmodelle dienten, von denen sie lernen könnte, selbst »gut« zu sein340. Novi: Ich mag gerne Bintang schauen, weil sie [Bintang ist gleichzeitig der Name der Serie, wie auch der Name der Heldin der Serie] einen guten Charakter hat, sie ist mitfühlend und hilfsbereit. Aber in der sinetron gibt es auch Rollen, deren Charaktere ihrer Einstellung sehr entgegengesetzt sind, wie beispielsweise Riang, die störrisch und starrköpfig ist. Doch Riang ist zusammen mit Riva, den ich nicht so mag, weil er egoistisch ist und nicht viel über das Brauchtum lernen möchte. Bintang ist gerade mit Marlo zusammen, ihre Beziehung ist gut. Ich mag das schauen und vielleicht kann ich viele Lektionen von der Einstellung von Bintang entnehmen, die gut, ehrlich ist, deswegen mag ich das schauen.

Sie wiederholte ständig, sie wolle von den Charakteren der Serien lernen, wie man sich verhalten solle und wie nicht. Dementsprechend kommentierte sie bei den Serien auch meist das dargestellte Verhalten und bewertete es nach Parametern wie »moralisch gut« und »moralisch schlecht«. Diese stereotypisierten Rollen wandte sie ebenso auf ihr eigenes soziales Umfeld und

340 Nach dem Tod ihrer Mutter, die starb, als Novi 15 Jahre alt war, übernahm sie als pflichtbewusste Tochter die Rolle der sich sorgenden Frau im Haushalt.

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auch zur Selbstbeschreibung und für ihr Selbstbild an. Ihr Selbstbild entsprach eher einer Bintang, da sie sich stets bemühe, gut, aufmerksam und pflichtbewusst zu sein, und ihr Brauchtum zu respektieren und befolgen. Lediglich der Fakt, dass sie bereits vor der Ehe mit Männern geschlafen habe, konnte sie in diese Konstruktion ihrer Identität nicht integrieren. Sie schäme sich dafür und fühle sich minder (minderwertig). Febys Freundin bewertete sie gemäß dem Bild einer egoistischen und schamlosen Frau, das in indonesischen Serien und Filmen deutlich entwickelt ist. Da in den Serien meist die gute Protagonistin letztlich den Mann durch ihre Tugendhaftigkeit und Geduld für sich gewinnt, weil dies auch dem Stereotyp einer bei Männern begehrten Ehefrau entspricht, konnte sie Febys Verhalten nicht verstehen. So suchte sie andere Gründe für Febys Verhalten, die ihr Wertesystem intakt ließen: Sie spekulierte, die andere Frau habe pelet (Magie) angewendet, um Feby für sich zu gewinnen. Oder möglicherweise stehe Feby auch unter einem so großen sozialen Druck, dem Wunsch seines Arbeitskollegen zu entsprechen, da seine Arbeit in irgendeiner Form von diesem abhängen würde. Oder vielleicht sei seine Freundin auch schwanger und die beiden müssten heiraten. Dass er sich für die andere Frau entschied, da diese ihm als bessere Ehefrau erschien oder er sie liebe, stand dabei jedoch außerhalb jeglicher Erklärungsmöglichkeit. Da Feby nun eine andere Frau geehelicht hatte, konnte Novi ihre Trennung von Feby vor ihrer Familie nicht mehr geheim gehalten, worauf diese auch bald zu reagieren schien341. Novi teilte mir am Telefon mit, dass sie in Soppeng einen alten Schulfreund von ihrem großen Bruder getroffen habe, der ein enger Freund der Familie sei und zu ihnen zu Besuch gekommen sei. Er wohne in Papua-Neuguinea, suche jedoch eine Ehefrau aus Soppeng, die das Bugis Brauchtum kennt und ihm so eine bessere Ehefrau sein könne als eine ethnisch fremde Frau. Er habe Novi anscheinend ziemlich direkt gefragt, ob sie sich vorstellen könne, mit ihm für eine (kurze) Weile zusammen zu sein (pacaran), um ihm dann nach Papua-Neuguinea zu folgen und ihn zu heiraten. Meiner Ansicht zufolge ist dies nicht ohne das »Arrangement« der Familie geschehen, die um eine baldige Hochzeit von Novi bemüht war. Novi erzählte mir, die beiden hätten nun Telefon- und SMSKontakt und sie würde sehen, wie es sich entwickeln werde. Generell ist sie meines Erachtens aufgrund ihrer Ängste, keinen Ehemann zu finden, einer (z. T. arrangierten) Ehe nicht abgeneigt, zumal sie viele schlechte Erfahrungen mit pacaran gemacht hat. Ich habe seit langer Zeit keine Neuigkeiten von ihr. Um die weitere Entwicklung bin ich demzufolge nicht informiert.

341 Da ich nur einige Informationen von den sporadischen Telefongesprächen mit Novi habe, ist dies an dieser Stelle eine Rekonstruktion meinerseits.

Schlussbetrachtung

Im kontemporären Indonesien bringen Urbanisierung, geringere Fertilitätsraten und spätere Ehen durch die Orde Baru Entwicklungspolitik und die damit einhergehende verlängerte Phase der Partnerwerbung, zunehmende Bildung und Literarität sowie verbesserte Anstellungsmöglichkeiten für Frauen und damit einhergehende Migration junger Frauen aus den dörflichen Kontexten in größere Städte weitreichende strukturelle Veränderungen mit sich, die vor allem die jungen Menschen in den Städten betrifft. Darüber hinaus führt die mediale Globalisierung dazu, dass die Medien ihnen unterschiedliche kulturfremde Diskurse und Semantiken über Liebe, Partnerschaft und soziale Anforderungen im Feld von Liebe und Liebesbeziehungen präsentieren, die zusätzliche Deutungsmuster und Sprachen für und über ihre Gefühle bereitstellen. Während die jungen Bugis Frauen in ihrem Alltag in der Stadt zunehmend mit modern angesehenen, westlichen Beziehungsdiskursen und Liebessemantiken – größtenteils über das Fernsehen vermittelt – in Kontakt kommen und mit diesen auf vielfältige Art und Weise interagieren, bestimmen kulturelle Modelle und Verhaltensnormen im Bereich von zwischengeschlechtlichen Beziehungen, die als Teil ihrer kulturellen Tradition bestimmt werden, nach wie vor die Art und Weise, wie sie ihre Gefühle deuten, zum Ausdruck bringen und ihre Liebesbeziehungen gestalten. Durch ihre kontinuierliche Reproduktion in der Sozialisation kommt ihnen – trotz der mit dem interkulturellen Dialog einhergehenden Bedeutungsverschiebungen und Ausdifferenzierungen – eine gewisse gesellschaftliche Verbindlichkeit zur Erklärung und dem Ausdruck von Gefühlen und emotionalem Verhalten zu. Die aktive Positionierung zu diesen ist zentraler Bestandteil des Identitätsdiskurses der jungen Frauen. Die kulturelle Tabuisierung des Ausdrucks von Liebesgefühlen, das in der Bugis Kultur stark elaborierte Konzept von siri’, dem zufolge Frauen einen passiven, zurückhaltenden Umgang mit dem anderen Geschlecht zeigen müssen und das bei Grenzübertretungen zahlreiche soziale Sanktionen bewirkt, sowie rationale Gründe der Partnerwahl vor dem Hintergrund sozio-ökonomischer Erwägungen bleiben zentral für die Lebenswelt und die Partnerschaftspraktiken der jungen Frauen in Makassar, die sich im Spannungsfeld von »kultureller Tradi-

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tion« und »westlich inspirierter Modernität« verorten müssen. Dementsprechend stehen Liebes- bzw. Zuneigungsgefühle als alleiniges Kriterium zum Eingehen zwischengeschlechtlicher Beziehungen außerhalb jeglicher kultureller Legitimation. Dies zeigt sich auch an dem Konzept von pelet cinta, das einen kulturell nicht angemessenen Ausdruck von Liebesgefühlen als magisch induzierte Krankheit beschreibt. Westliche Liebessemantiken, die im Sinne einer »amour fou« leidenschaftliche Gefühle über rationale, sozio-ökonomische Erwägungen stellen und die »passionierte, leidenschaftliche Liebe« als kulturelles Ideal beschreiben, sind somit mit diesen kulturellen Konzepten und Verhaltensnormen zunächst unvereinbar. Die jungen Frauen grenzen sich von einem »westlichen« Verhalten in zwischengeschlechtlichen Beziehungen und einem offenen Ausdruck von Liebesgefühlen narrativ konstant ab. Der Westen wird dabei als unmoralischer und sexualisierter Raum abgewertet, Differenzen zu dem eigenen Verhalten und Fühlen werden betont und stellen einen zentralen Teil der autobiographischen Liebesnarrative der jungen Frauen dar. Die kulturellen Verhaltensnormen und Konzepte, die als Tradition bestimmt werden und die auch in autobiographischen Liebesnarrativen dazu eingesetzt werden, eine kulturelle Identität in Differenz zum (emotional) Fremden zu konstruieren, sind jedoch, wie in Kapitel B.II aufgezeigt, selbst mit nationalstaatlichen Rhetoriken und islamischen Diskursen durchzogen, die eine »indonesische Tradition« rekonstruieren und explizit auf die Etablierung einer »indonesischen Modernität« abzielen. Diese »indonesische Modernität« zielt auf die Herauslösung des Individuums aus kollektiven, traditionellen Verbänden und seine Eingliederung in den rhetorischen Raum des modernen indonesischen Nationalstaates mit einer einheitlichen »indonesischen Kultur« ab, die dabei jedoch als rhetorische Figur erst geschaffen wird. Die nationalstaatliche Abgrenzung von lokalen Traditionen und die darüber betonte Selbstbestimmung des Individuums, die auch »Liebesehen«342 den Vorzug vor den traditionell arrangierten Ehen geben, sind dabei an westliche Diskurse von individueller Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit des Individuums von es restringierenden sozialen Kontrollnetzwerken anschlussfähig. Der Zusammenprall unterschiedlicher Diskurse, Semantiken und Konzepte, die synkretistische und hybride, wie auch multikulturelle Beschaffenheit des Konstrukts »Indonesien« und die zahlreichen sozio-ökonomischen Veränderungen in Indonesien verursachen instabile Anordnungen und das

342 Dies wird hier in Anführungszeichen gestellt, da dies oftmals auch nur eine rhetorische Figur ist, wie man an den konkreten Beispielen gesehen hat. So werden unter »Liebesehen« solche Ehen verstanden, die auf den eigenen Entscheidungen der Beteiligten beruhen würden, auch wenn zentrale kulturelle und sozio-ökonomische Erwägungen, die für arrangierte Ehen eine Rolle spielen, hier genauso ausschlaggebend sind.

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Verschwimmen von (konstruierter) Differenz. Da der sich durch diese multiplen, sich z. T. widersprechenden Diskurse und Konzepte konstituierende indonesische Identitätsdiskurs so wenig kohärent ist, scheint eine Abgrenzung zum Westen umso zentraler. Interne Differenzen werden über die Figur des kulturell Anderen, von dem man sich als »IndonesierIn« rhetorisch abgrenzt, überbrückt. Die Differenzen werden dabei erst situativ je nach Abgrenzungsfolie (beispielsweise »lokale Traditionen« oder der »Westen«), nach Abgrenzungsintention (Positionierung als »moderne junge Frau« oder als »traditionelle junge Frau«) und nach Gesprächspartner (Eltern, andere junge Menschen im asrama, Forscherin) aktualisiert und temporär fixiert. Die jungen Frauen positionieren sich dabei situativ flexibel zwischen den von ihnen konstant (re-)konstruierten und changierenden Polen einer »westlich-unmoralischen Modernität«, einer »indonesisch angemessenen Modernität« oder einer »positiv evaluierten Traditionalität« und einer »rückwärtsgewandten, primitiven Traditionalität«. In Interaktion mit nationalstaatlichen und islamischen Diskursen und westlichen Liebessemantiken und -inszenierungen werden »traditionelle« Konzepte und Verhaltensnormen dabei einerseits ausdifferenziert und mit neuer Bedeutung versehen und können auch in Differenz zu dem Anderen (beispielsweise »westliches Verhalten« oder »westliche Emotionalität«) eine stärkere Bestimmung/Rekonstruktion erhalten. Wie aufgezeigt entwickeln die jungen Frauen beispielsweise in Abgrenzung zu pelet cinta angesichts des Einzugs westlicher Liebessemantiken und -inszenierungen ein neues Konzept, das mit over betitelt wird und dessen Abgrenzung zu pelet cinta dieses kulturelle Konzept neu aktualisiert. In Interaktion mit nationalstaatlichen Rhetoriken, die die Zentralität von Selbstbestimmtheit auch in der Partnerwahl betonen, entwickelt sich eine neue Form von Ehe, die als eine Art »arrangierte Liebesehe« zwischen der traditionell arrangierten Eheform und der westlichen, völlig freien Liebesehe anzuordnen ist343. Auch kulturelle Genderrollen erhalten vor dem Hintergrund nationalstaatlicher und religiöser Diskurse neue bzw. mit deren Genderideologien synkretisierte Bedeutungen: Die kodrat Ideologie modelliert die Konstruktion traditioneller Frauenrollen neu; die jilbab tragende, religiöse Frau wird zu einem neuen, modernen Rollenmodell für junge Frauen. In Abgrenzung zum Westen wird dieses Rollenmodell für Frauen

343 Dabei gehen die jungen Frauen voreheliche Beziehungen (auch mehrere) ein, warten auf Eheangebote ihrer Freunde und konsultieren dann ihre Eltern, die den sozio-ökonomischen Hintergrund des jungen Mannes evaluieren und ihrer Tochter dann ihre Entscheidung mitteilen, die meist respektiert wird. Familienmitglieder können der Tochter auch junge Männer als potentielle Ehepartner nahelegen, mit denen die junge Frau zunächst eine voreheliche Beziehung eingeht – selbst dann, wenn sie keine Gefühle für den jeweiligen jungen Mann besitzt –, um auszutesten, wie die beiden als potentielle Ehepartner miteinander auskommen würden.

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als traditionell oder kulturell angemessen beschrieben, in Abgrenzung zu dem »primitiven Leben im Dorf« jedoch zu einem Rollenmodell für eine moderne, städtische und gebildete Frau, die sich ihrer religiösen Werte und Normen – wiederum als Tradition bestimmt – bewusst ist. Dient auf der intranationalen Ebene die rhetorische Figur des Westens als Abgrenzungsfolie, die innerindonesische Pluralitäten und Differenzen rhetorisch zu vereinen mag, fungiert der »Westen« auf der subjektiven Ebene oft als Projektionsfläche für Sehnsüchte der jungen Frauen nach einem selbstbestimmten Leben im Bereich von Partnerschaften und nach Gefühlen von »wahrer, romantischer Liebe«. Diese wird dabei in glamourösen Kontexten einer Konsumwelt, die sie begehren, imaginiert. »Modernität«, »romantische Liebe« und »Glamour/Konsum« werden dabei eng miteinander korreliert. Restringiert der Lebenskontext der Frauen ihre Möglichkeiten, sich Männern gegenüber offensiver zu verhalten und ihre Sehnsüchte auszuleben oder zu artikulieren, werden jedoch englische Phrasen, die den Liebesfiktionen entnommen sind, wie beispielsweise I love you, I miss you, Love is blind, etc., in das Vokabular übernommen. Durch diesen Sprachstil positionieren sich die jungen Frauen als moderne, Englisch sprechende und weltoffene, weitsichtige Personen und nehmen, zumindest imaginativ, an der glamourösen modernen Welt der Medien teil344. Aber auch Settings, Orte und Praktiken des modernen Datings (pacaran) werden von den ausländischen Liebesfiktionen inspiriert: Küstenpromenaden bei Sonnenuntergängen, moderne Restaurants und Cafés, Settings wie das »romantische Dinner« und Symbole wie Rosen und Fingerringe werden in die eigenen Datingpraktiken eingebunden und als romantisch verstanden. Das freie, zwischengeschlechtliche Verhalten des Westens wird hingegen zumindest offiziell als vulgär und für »indonesische Standards« als nicht angemessen bezeichnet345. Generell zeichnet sich ab, dass mit der zunehmenden Konfrontation mit kulturfremden Semantiken, vor allem über die Populärkultur, der Begriff cinta romantis (romantische Liebe) semantisch an Bedeutung gewinnt. Als kulturell nicht elaborierter und gewachsener, relativ neuer und an mediale

344 Gleichzeitig scheint die fremde Sprache als Form von Distanzierung zu dem Ausgedrückten zu fungieren, sodass das Paradigma, individuelle Liebesgefühle offen zu artikulieren, dadurch nicht zu stark beeinträchtigt wird (vgl. Kapitel B.II.5.1.2). 345 Ein westlich inspiriertes Verhalten bei IndonesierInnen wird so in Abgrenzung zu dem Konzept pelet cinta als over bezeichnet, als kulturelle Grenzen übertretendes Verhalten. Im Gegensatz zu pelet cinta wird dabei die Verantwortung dem einzelnen Individuum, das sich von den westlichen Beziehungsstilen beeinflussen lässt, und nicht, wie bei pelet cinta, dem Einfluss externer magischer Kräfte zugeschrieben, auch wenn Symptome und Verhaltensweisen des Einzelnen sich dabei sehr ähneln können. Die Evaluation einer Person richtet sich dabei entscheidend nach der Einschätzung ihrer sozialen Positionierung traditionellen Werten und Normen gegenüber.

SCHLUSSBETRACHTUNG | 365

Fiktionen gekoppelter Begriff stellt er und das durch ihn bezeichnete Liebeskonzept in Makassar eine Art Leerstelle dar, die kontinuierlich mit Bedeutungen gefüllt wird. Dabei spielen die romantischen Fiktionen des indonesischen Fernsehprogramms eine große Rolle. Cinta romantis wird mit medialen Settings, visuellen Symbolen, Praktiken der Protagonisten in medialen Narrativen in Verbindung gebracht, die jedoch in lokalen Aushandlungen mit anderen kulturellen Beziehungskonzepten und Liebessemantiken kombiniert werden. Dies führt dazu, dass cinta romantis in Indonesien semantisch sehr anders eingesetzt wird und andere soziale Praxen hervorbringt, als dies in westlichen Kulturen der Fall ist346. Meine These hierzu ist, dass die Unterschiede nicht nur aus der lokalen Interpretation, Adaption und Synkretisierung mit bestehenden Konzepten, Diskursen und Semantiken resultieren, sondern darüber hinaus auch damit zu tun haben, dass cinta romantis über die visuelle Kultur überhaupt erst konzipiert wird. Die von mir untersuchten jungen Frauen positionierten sich so auch über ihre emotionalen Narrative in verschiedenen Kontexten unterschiedlich: als moderne Frau, als traditionelle Frau, als keusche Frau, als religiöse, gläubige Frau, als dem Westen gegenüber offen eingestellte Frau oder eben einer Melange aus diesen, was kontinuierliche Differenzierungen und Abgrenzung nötig macht und die Differenzen zwischen »Tradition«, »Modernität«, »Westen«, »Indonesien« immer wieder aufs Neue hervorbringt. Ihre erzählten Liebesgeschichten können dabei enorm von den tatsächlich beobachtbaren sozialen Handlungen im Feld von Liebe abweichen, was sowohl den Konstruktionscharakter von Identitäten als auch deren Instabilität und Flexibilität deutlich macht, aber auch auf den wenig kohärenten Charakter eines emotionalen Selbst hindeutet, das erst narrativ als ein kohärentes emotionales Selbst (re-)konstruiert wird (vgl. Kapitel A.I.3.2). Romantische Liebe bleibt so aufgrund der »complex interrelationship of discourses, embodiment, memory, personal biography, sociocultural processes and thought that constitute and give meaning to emotional states« (Lupton 1998: 167) ein »moving target« (ebd.). Im übertragenden Sinne bezieht sich dies auch auf das Selbstbild jedes Einzelnen. Wie Craib (1994: 94) ausführt, scheint jede Person zu versuchen, »to hold on to some idea of ourselves as maintaining some consistency beneath the multitude of things that we do, that happen to us, that we experience«, und da die »constantly shifting meanings around emotions, however, mean that it may be difficult to maintain a sense of coherence and certainty in relation to selfhood« (Lupton 1998: 168), werden Emotionen bzw. »Liebe« zu einem komplexen diskursiven Aushandlungsfeld von Identitätsund Differenzkonstruktionen, über das man sich selbst narrativ in Kulturen bzw. sozialen Gruppen in Diskursen verordnen kann. Eine Kohärenz oder Konsistenz dieses emotionalen Selbstbildes wird kontinuierlich narrativ

346 Ohne diesen ein einheitliches Konzept romantischer Liebe zu unterstellen bzw. diese selbst als Einheit zu konzipieren.

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konstruiert, ist jedoch de facto durch die Anwendung sich mitunter widersprechender Modelle und Semantiken von Liebe und durch soziale Praktiken, die mit autobiographischen Narrationen völlig auseinanderbrechen können, nicht gegeben. Auch wenn ich davon ausgehe, dass Liebessemantiken und -symbole für Personen in bestimmten sozio-kulturellen Kontexten »greifbarer« sind als andere (vgl. Illouz 1997: 5) und deswegen auch das emotionale Erleben stärker beeinflussen als kulturell fremde Narrative und Symbole, treten Menschen diesen gegenüber als aktive Handlungsagenten auf und sind nicht passive Marionetten kultureller emotionaler Strukturierungen. Personen verorten sich aktiv in der Vielzahl der von ihnen interpretierten Diskurse, Konzepte und Semantiken und ziehen diese aktiv und selektiv zur Beschreibung eigener Gefühle heran. Wie auch Jackson (1993: 212) feststellt, »[t]hose who feel themselves to be ’in love’ have a wealth of novels, plays, movies, songs on which to draw to make sense of and describe their passion.« Natürlich vollzieht sich die Rezeption von kulturfremden (medialen) Liebessemantiken vor dem Hintergrund bestehender kultureller Modelle, Diskurse und Konzeptionen von Liebe. Sie können gemäß bzw. vor der Folie der »offiziellen Kultur«347 interpretiert werden, ihnen können aber auch in einer Abgrenzung von ihr (z. B. als Teil eines Unabhängigkeits-, Modernitäts- oder Rebellionsdiskurses angesichts intergenerationaler Konflikte) oder zum Zwecke des Anschlusses an ein (begehrenswertes) Anderes (z. B. dem »Westen«, »westlicher Modernität«, etc.) andere Bedeutungen zugewiesen werden. Dies kann sowohl zum Zwecke einer bewussten Identifizierung mit oder Abgrenzung von kulturellen Werten und Normen und sozialen Positionen geschehen, aber auch singulär und subjektiv vonstattengehen, indem die aus Fiktionen gezogenen Bedeutungen ganz persönlich mit dem emotionalen Erleben korreliert werden. So führt auch Jackson (1993: 212) aus: »Our subjectivities, including that aspect of them we understand as our emotions, are shaped by social and cultural processes and structures but are not simply passively accepted by us. As Haug (1987) has argued, we actively participate in working ourselves into structures and this in part explains the strength of our subjection to them. We create for ourselves a sense of what our emotions are, of what being ’in love’ is. We do this by participating in sets of meanings constructed, interpretated, propagated and deployed throughout our culture, through learning scripts, positioning ourselves within discourses, constructing narratives of self. We make sense of feelings and relationships in terms of love because a set of discourses around love pre-exits us as individuals and through these we have learnt what love means.«

347 Collins und Gregor (1995:88) definieren »offizielle Kultur« als »the most prominent values and institutions of a people«.

SCHLUSSBETRACHTUNG | 367

Wenn man aber Emotionen wie Lyon und Barbalet (1994: 48) als »embodied sociality« verstehen kann, die Individuen körperlich in die sozialen Strukturen ihres Umfeldes einbindet (vgl. auch Scheper-Hughes/Lock 1987: 28f.), und sie gleichzeitig als Konstruktions- und Aushandlungsfeld von kultureller Identität und Differenz betrachtet, dann schreiben sich darüber konstruierte Identitäten auch leiblich zumindest teilweise in den Körper ein. Dies erklärt dann nicht nur, wie Jackson (1993: 212) ausführt, die »strength of our subjection to them [social and cultural processes, bzw. hier auch zu ersetzen durch Emotionsmodelle und -semantiken, die Teil der sozialen und kulturellen Prozesse sind]«, sondern auch die subjektiv empfundene Stabilität von Identität und die Selbstintegrität, die sich über Emotionen z. T. leiblich in den Körper einschreiben. Dementsprechend geht man meist von einem kohärenten (emotionalen) Selbst aus, selbst wenn die Interpretationen und Narration von Gefühlen situativ sehr wandelbar und soziales Verhalten, das auf einem solchen basiere, durchaus widersprüchlich sein können. Über die aktive Auswahl von zur Verfügung stehenden Emotionsnarrativen und -semantiken, die auf bestimmten kulturellen Emotionsmodellen basieren, zur Artikulation und Kommunikation von Gefühlen können sich Menschen so aktiv in ihrem Umfeld positionieren, wie auch emotionale Selbstverständnisse konstruieren. Die konstruierten kulturellen Identitäten, die situativ in bestimmten Kommunikationssituationen aktualisiert werden, bekommen so auch eine leibliche Verbindlichkeit, ohne leiblich fixiert zu sein. Gefühlsnarrationen, die Rezeption emotionaler Semantiken wie auch das subjektive Erleben von Gefühlen werden so zu einem zentralen Aushandlungsfeld von kultureller Identität und Differenz. Gerade dort, wo neue, fremde Narrative, Semantiken und Konzepte von Emotionen (wie z. B. im Fall medialer, westlicher romantischer Fiktionen in Makassar) durch die mediale Globalisierung oder durch soziale Wandlungsprozesse deutlich auf der Bühne des sozialen Alltags auftauchen, wird dieses meines Erachtens über die Artikulation, aber auch das Erleben von Emotionen gefasste Ringen um Bedeutungen, die mit Identitäts- und Differenzkonstruktionen einhergehen, besonders bedeutsam. »Eigenes« und »Fremdes« werden dabei über den Emotionsdiskurs in oppositionell angeordnete, differente Emotionalitäten übersetzt, über die man sich sowohl diskursiv als auch körperlich an sein sozio-kulturelles Umfeld anschließen oder von einem Anderen differenzieren kann. Dies soll nicht die körperlich zu spürende Gefühlsqualität von Emotionen negieren und einem »diskursiven Determinismus« Platz machen. Ich möchte Emotionen nicht lediglich als Anzeiger für konstruierte Selbstbeschreibungen und Identitäten degradieren, sondern die gelebte subjektive Erfahrung von Emotionen und ihre relationalen Dimensionen ernst nehmen348. Feststellbare Diskrepanzen zwischen situativ unterschiedlichen narrativen Konstruktionen und sozialen Evaluatio-

348 Es soll hier angemerkt werden, dass auch subversives subjektives Erleben und Handeln immer bereits in einem sozio-kulturellen Rahmen stattfinden.

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nen von Gefühlen wie auch zwischen den »offiziellen« Gefühlsnarrationen einerseits und dem zu beobachtbaren sozialen Verhalten und in anderen »Sprachen« vollzogenen alternativen Beschreibungen und Bewertungen von Gefühlen (vgl. hierzu die Liebespoesie bei Abu-Lughod 1986) andererseits, deuten darauf hin, dass subjektive Erfahrungen und Empfindungen durchaus komplexer und widersprüchlicher sind, als dass sie über relativ fixierte kulturelle Semantiken und Modelle von Emotionen einholbar zu sein scheinen. Einerseits scheint die Mehrdimensionalität und die uneindeutige Abbildbarkeit des emotionalen Erlebens die Anwendbarkeit verschiedener emotionaler Sprachen und Semantiken für die Interpretation und Artikulation subjektiver Erfahrungen zu begünstigen. Andererseits führen die durchaus heterogenen, vielfältigen und polysemischen Konzepte und Semantiken m. E. dazu, dass das subjektive Gefühlserleben multidiskursiv artikulierbar bleibt, statt eindimensional strukturiert zu werden. Es enthält kulturelle Widersprüchlichkeiten immer bereits. So können Menschen in verschiedenen (kommunikativen) Situationen auf verschiedene Konzepte und Semantiken zurückgreifen, um ihre Gefühle auszudrücken oder zu kommunizieren, ohne dass sie den Gebrauch auch widersprüchlicher Konzepte und Diskurse zwangsläufig als widersprüchlich »empfinden« (so kann ich meinen Partner in bestimmten Situationen als meinen Freund/companion begreifen und in anderen Situationen als leidenschaftlichen Liebespartner). Auch die subjektiven Empfindungen können so von (emotionalen) Mehrfachzugehörigkeiten geprägt sein. Jedoch muss dies nicht als Auflösung der Kohärenz des emotionalen Selbst empfunden werden, das kontinuierlich mittels autobiographischer Erzählungen (re-)konstruiert wird. So werden die autobiographischen Liebesgeschichten selbst wie auch die TV-Rezeption verschiedener kultureller medialer Liebessemantiken und -inszenierungen, die auf verschiedene kulturelle Konzeptionen verweisen, zu einem zentralen Feld für kulturelle Identifizierungs- und Differenzierungsprozesse349, die sich auch auf der emotionalen Ebene manifestieren.

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Dass diese nicht immer klar in binäre Oppositionen vom Eigenen und vom Anderen aufteilbar sind, zeigt sich in der konkreten Analyse. Möglicherweise spielt hierbei auch der Mehrwert des Bildes eine Rolle, welches RezipientInnen neben damit verbundenen sprachlichen Semantiken auch visuell und sinnlich anspricht und sich so sprachlich erfolgender Festlegung kontinuierlich entziehen kann. Nicht-sprachliche Kommunikationen und Handlungen sind auch ohne den Einbezug der ihnen semantisch Bedeutung zuweisenden und sie strukturierende Sprache lesbar (zum Beispiel bei dem Betrachten eines Kusses oder von intimen Szenen). Berghaus’ These (1986) von der »partiellen Außersozialität der Bilder«, die sie als Schlupflöcher aus der soziokulturellen Verbindlichkeit versteht, könnte hier fruchtbar gemacht werden. Doch Berghaus’ Argumentation ist dabei nicht zu folgen, verbindet sie doch essenzialistische und naive Vorstellungen von »vorsozialen Komponenten der Bilder« (1986: 289) mit universalistischen und essenzialistischen Emotionskonzipierungen, wenn

SCHLUSSBETRACHTUNG | 369

Entgegen postimperialistischen Vorstellungen des Imports romantischer Liebe und deren homogener Durchsetzung in anderen Kulturen über die vermehrte Präsenz westlicher Liebessemantiken durch zunehmende Literarität350 und der Verbreitung moderner Massenmedien stehen in Makassar in Konfrontation mit westlichen oder modernen Liebessemantiken und -konzepten nicht die Aufhebung alter kultureller Konzepte und Semantiken, sondern vielmehr die komplexen Ausdifferenzierungen der Liebessemantiken im Vordergrund. Zentral wird dabei, dass sich die jungen Frauen angesichts dieser Vielzahl von Diskursen und Semantiken kontinuierlich in verschiedenen sozialen Kontexten und Situationen positionieren müssen. Die Fernsehrezeption romantischer Fiktionen zeigt diese Prozesse m. E. besonders gut an, weil die jungen Frauen in den kollektiven Rezeptionsdiskussionen Position beziehen und den kulturell unterschiedlichen romantischen Fiktionen, in die zusätzlich kulturelle Differenzen bereits a priori hineinkonstruiert werden, kollektiv Bedeutung zusprechen. Gleichzeitig beziehen sie sich in autobiographischen Narrativen über eigene Liebespraktiken immer wieder auf Medientexte und stellen Verbindungen zwischen den Fiktionen und ihren eigenen sozialen Realitäten und Gefühlen her. Die Fernsehrezeption wird darüber hinaus, wie vielfach aufgezeigt, überhaupt erst zu einem Artikulationsforum (sowohl kollektiv als auch individuell, z. T. auch im Bereich des Imaginativen verharrend) für Gefühle, Ängste, Unsicherheiten aber auch soziale Liebespraktiken, die sonst größtenteils der kulturellen Tabuisierung ihrer Artikulation unterliegen. Das Fernsehen stellt den jungen Frauen so einen Raum zur Verfügung, in dem das relativ repressive traditionelle System nicht greift, und in dem – gerade weil er als Raum »nicht-ernst-zunehmender« Unterhaltung markiert wird – Gespräche über Liebe und Neusemantisierungen und Interpretationen von Gefühlen (selbst wenn zunächst nur imaginativ) zustande kommen. In den Rezeptionsdiskussionen werden dabei indirekt eigene Erfahrungen und Erlebnisse vor dem Hintergrund der verschiedenen Diskurse und Konzepte evaluiert. Die kollektive Fernsehrezeption aktualisiert die »traditionelle Kultur« immer wieder, indem in ihr kulturelle Werte und Normen affirmiert und (re-)produziert werden und davon als abweichend markierte Semantiken, die das individuelle Erleben von Gefühlen romantischer/leidenschaftlicher Liebe und sexuelles Begehren ins

sie sagt, »[f]erner kann das Individuum die menschliche Mimik weitgehend ohne erlernte Begriffe verstehen. Affekte und Beziehungsqualitäten wie Freude, Fröhlichkeit, Überraschung, Wut, Enttäuschung, Trauer und Angst werden durch angeborene, sozial nur ausgebaute Fähigkeiten entschlüsselt«. Angesichts des dieser Arbeit zugrunde liegenden theoretischen Verständnisses von Emotionen und der gewonnenen Ergebnisse kann solchen simplifizierenden Annahmen keineswegs zugestimmt werden. 350 Vgl. Stone 1977, 1988 zur Verbreitung romantischer Liebe durch verbreitete Literarität und vgl. Goody 1998: 123 zur Literarität als »key mode of the representation of romantic love«.

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Zentrum stellen, als kulturell fremd und subjektiv nicht nachvollziehbar konstruiert werden. Die Konstruktion einer kollektiv ausgehandelten »kulturellen Identität« im Rezeptionsprozess scheint deswegen so bedeutsam für die jungen Frauen zu sein, da die widersprüchlichen Erwartungshaltungen an sie (gleichermaßen »moderne junge indonesische Bürger« wie auch »traditionelle junge Frauen im Sinne eines positiv evaluierten Frauenbildes« zu sein) zahlreiche Unsicherheiten mit sich bringen. Diese machen kollektive Identitätskonstruktionen notwendig, lösen dennoch potentielle (auch imaginierte und emotionale) Mehrfachzugehörigkeiten nicht gänzlich auf. Auf der individuellen Rezeptionsebene steht dahingegen das individuelle Inbezugsetzen der fiktiven Geschichten zu eigenen Erlebnissen und Gefühlen im Vordergrund, was nicht bedeuten muss, dass die kollektiven Sinngenerierungen dabei keinerlei Rolle spielen. Abweichenden Gefühlen kann dabei individuell mehr Bedeutung zugeschrieben und leidenschaftliche Gefühle können positiv bewertet werden. Der »Westen« kann so zur Projektionsfläche für kulturell unangemessene Begierden und Gefühle der Frauen werden. Offiziell negativ evaluierte Elemente dieser Filme wie beispielsweise Intimpraktiken (Zungenküsse, vorehelicher Sex, etc.), eine zunehmende Betonung einer sozial autarken Zweierbeziehung, die sich nicht nach rationalen Gesichtspunkten richtet, etc. können durch diese Filme ermutigt werden und potentiell stärker (zumindest imaginativ) in eigene Lebensbezüge integriert werden, ohne dass dies in kollektiven Rezeptionskontexten artikuliert wird oder trotz der Tatsache, dass man sich davon narrativ abgrenzt (vgl. hierzu die genauere Diskussion der »individuellen, stillen« Rezeption in Kapitel B.III.6). Sind die Bilder, die mit diesen Imaginationen in Verbindung gebracht werden, an den Fernsehapparat und die Rezeptionssituation geknüpft, wird so die Fernsehrezeption selbst zu einem Artikulationsraum für solche Gefühle und Begierden, selbst wenn diese im Imaginativen verharren und nicht zur Sprache gebracht werden. Auch wenn eine solche individuelle Sinngenerierung in der Imagination der Einzelnen verharrt, kann sie für die sozialen Beziehungspraktiken der jungen Frauen dennoch bedeutsam sein. Diese Arbeit erweitert aus emotionsethnologischer Perspektive die Einsicht in die kulturelle Modellierung von Gefühlen, deren komplexe Prozesse hier aufgezeigt werden, um die Aufdeckung der zentralen Bedeutung der aktiven, relativ flexiblen und situativen sozialen Positionierungen von Personen im gesamtgesellschaftlichen Kontext für die Interpretation und den Ausdruck von Gefühlen. Es wird verdeutlicht, inwieweit Prozessierungen von kultureller Identität und Differenz direkt an den emotionalen Bereich geknüpft sind und dass die (mediale) Einführung kulturfremder emotionaler Konzepte und Semantiken nicht lediglich zu bloßen Übernahmeprozessen führt, sondern im Gegenteil erst weitere Differenzierungen etabliert und bestehende Konzepte ausdifferenziert. Im Gegensatz zu Konzipierungen von romantischer Liebe in soziologischen Theorien (vgl. Luhmann [1982] 1994) als ein sich im Zuge der zunehmenden Differenzierungsprozesse der gesell-

SCHLUSSBETRACHTUNG | 371

schaftlichen Modernisierung etablierender symbolischer Intimitätscode, »der darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann« (ebd.: 9) – im Sinne einer kommunikativen Überwindung von Differenzen zwischen zwei personalen Systemen – zeigt sich hier, dass sich im (semantischen) Feld der Liebe auf Differenzen basierende (auch emotionale) Mehrfachzugehörigkeiten nicht auflösen, sondern vielmehr zusätzlich etablieren. Bisherige, in der Tendenz meist spekulative Annahmen über den Einfluss westlicher Medieninhalte auf außereuropäische Kultur- und Lebenskonzepte fußen so auf unsoliden Grundannahmen. Geeicht an modernen, westlichen Identitätsdiskursen verfehlt die bisherige Forschung den ungleich multipleren, situativ changierenden Aushandlungsraum von Identitätsfragen, auch und gerade im Hinblick auf etwaige Rollenvorbilder aus westlichen Medientexten. Die Sinnzuschreibung der jungen indonesischen Frauen an das Ideal einer romantischen Liebe, wie es etwa in den in Indonesien häufig rezipierten westlichen TV-Serien und Liebesfilmen (v. a. US-amerikanischer Provenienz) vorartikuliert erscheint, sind nämlich extrem flexibel und je nach Rezeptions- und Kommunikationssituation variierend. Der Identitätsbildungsprozess junger Bugis Frauen ist dabei viel situativer und interaktionistischer ausgerichtet, als es das Luhmann’sche Modell von Liebe als modernes Kompensationsphänomen beschreibt. Dem – wie ambivalent auch immer formulierten – Mythos von der kulturimperialen Prägekraft westlicher Medienangebote wird hier seine vordergründige Überzeugungskraft entzogen. Anscheinend fällt es den jungen Frauen gerade aufgrund einer generell zu konstatierenden Inkohärenz eines emotionalen Selbst (vgl. Kapitel A.I.3.2) wie auch aufgrund der Vielschichtigkeit von Gefühlen, die nie eindeutig kulturellen Emotionsmodellen entsprechen und nie gänzlich in eine »Sprache« zu überführen sind, nicht besonders schwer, zwischen verschiedenen, oft kontrapunktischen Narrativen und Gefühlszuschreibungen zu wechseln. Dies wird nicht als Inkonsistenz der eigenen Person oder des emotionalen Selbstbildes empfunden. Vielmehr zeigt sich, dass ein emotionales Selbstbild narrativ stets rekonstruiert wird – und zwar sehr situativ. Es wurde gezeigt, wie einzelne Individuen mit diesen Mehrfachzugehörigkeiten und dem temporären Auflösen selbstgezogener Differenzen selbst aktiv relativ unproblematisch umgehen. Oft sind diese ihnen sogar bewusst, sie reflektieren diese, gehen sprachlich darauf ein, und diese spiegeln sich in ihrem sozialen Handeln wider. So wird in dieser Arbeit auch die Bedeutung medialer Fiktionen für den emotionalen Bereich deutlich. Diese speisen sich in die Konstruktion eigener Gefühle – natürlich immer in Aushandlung mit lokalen Modellen und Konzepten – ein. Die Vorstellung einer kulturellen Modellierung von Emotionen über relativ konsistente und elaborierte kulturelle Emotionsmodelle, die im Einklang mit präpersonalen kulturellen Werten und Normen stehen, ist so wenig sinnvoll. Die relative Stabilität einer kulturell modellierten

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Emotionalität ist genauso wenig gegeben, wie man von homogenen Kulturen ausgehen kann. Dazu kommt, dass es in jedem kulturellen System Bereiche zu geben scheint, die gerade zu dominanten kulturellen emotionalen Modellen alternative Sprachen zur Verfügung stellen, die abweichende Gefühle betonen und artikulieren, diese jedoch in einer nicht weniger konventionalisierten Sprache semantisieren. Ich sehe das Fernsehen/die Fernsehrezeption in Indonesien und die dort verhandelten romantischen Fiktionen als einen so zu konzipierenden, sehr zentralen öffentlichen Raum für junge Frauen in Makassar351. So können die televisuellen romantischen Fiktionen als »freedom to experience which is outside the official system«352 (Abu-Lughod 1986: 256) verstanden werden sowie die soziale Praxis des Fernsehschauens als Ausübung von individueller, modern konnotierter Freiheit (als solche von den Frauen – wenn auch z. T. nur auf imaginativer Ebene – selbst konzipiert) angesichts des restringierenden kulturellen Umfelds353. Die Differenz zwischen »modern sein«, »individuelle Freiheit ausüben« und dem Außerhalb des »offiziellen Systems« einerseits und dem »offiziellen System«, sozialer Kontrolle und Einschränkung des Individuums andererseits ist jedoch, wie aufgezeigt, nur eine temporäre konzeptionelle Konfiguration, die kontinuierlich aufgehoben, unterwandert und neu definiert wird. Mediale Fiktionen sind so als instabile und flexible Figurationen sehr bedeutsam für die Konstruktion des eigenen emotionalen Erlebens und speisen sich kontinuierlich in die autobiographischen emotionalen Liebesgeschichten mit ein. Andererseits stellen die kollektiven Rezeptionsdiskussionen eine gewisse kollektive Werteverbindlichkeit für die Evaluation von Emotionen und einhergehenden sozialen Praktiken her, die aufgrund ihres alltäglichen Charakters einen großen Anteil an der (Re-)Konstruktion kultureller Emotionsmodelle haben und von diesen nicht zu trennen sind. Aber auch die subjektiven Imaginationen, die mit der Interaktion der Medienfiktionen einhergehen, können für die Sinngenerierung des Einzelnen für Gefühle entscheidend sein, auch wenn sie nicht immer sprachlich expliziert werden.

351 Vgl. hierzu Abu-Lughod 1986, die Ähnliches für die poetische Form der ghinnawas bei den Awlad ‘Ali, einer beduinischen Gruppe, feststellt, durch die Gefühle ausgedrückt werden, die innerhalb »offizieller« Diskurse ihrer Lebenswelt nicht artikuliert werden dürfen, und vgl. Lau 2006: 245 für den populärkulturellen Raum der Bollywoodfilme in Indien. 352 Dabei meint jedoch »outside the official system« nicht außerkulturell, denn diese Räume stellen gerade einen zentralen und wichtigen Bereich einer Kultur dar, vgl. hierzu beispielsweise auch die traditionelle Liebespoesie bei den Bugis (vgl. hierzu Kapitel B.II.5.1 und B.II.5.1.5, wie auch Rössler 1987: 70 und van Eck 1881: 838). 353 Vgl. hierzu Ahearn 2001 für die Praxis des Schreibens von Liebesbriefen und Abu-Lughod 1990: 36, die feststellt, »[t]o love, or to express the sentiment of love, then, also signifies one’s freedom«.

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Vor dem medienwissenschaftlichen und medienethnologischen theoretischen Hintergrund zeigt sich, dass Rezeption nicht lediglich als einfacher Lesevorgang eines Medientextes durch Rezipienten, die gemäß ethnischen, sozialen, geschlechtlichen Gruppenzugehörigkeiten vorstrukturiert sind, die wiederum die Rezeption bestimmen, zu konzipieren ist, sondern komplexere Prozesse beinhaltet, die in die Untersuchung einbezogen werden müssen. Nicht der Medientext konstruiert Größen wie »Identität« und »Differenz« und die Interpretationen von Medientexten basieren nicht auf – dem Rezeptionsprozess vorgängig zu konzipierenden – »Identitäten« und Gruppenzugehörigkeiten«, sondern diese werden durch die Rezeption – in genau dem oben genannten offenen Verständnis – situativ, flexibel und zwischen verschiedenen Kommunikationssituationen oft widersprüchlich konstruiert. Dabei ist die Rezeption als Teil der Konstruktionsprozesse von kultureller Identität und Differenz zu verstehen, denen in verschiedenen Rezeptionskontexten situativ flexibel auch widersprüchliche Operationen zugrunde liegen. Rezeption ist so nicht als Moment eines unmittelbaren Lesevorgangs in dem direkten Moment des Medienkonsums, in dem sich Bedeutungen fixieren, zu sehen, sondern von anderen Kommunikationssituationen und sozialen Praktiken theoretisch nicht abtrennbar, die so bei einer Rezeptionsstudie genauso Beachtung finden müssen. Denn diese Arbeit zeigt, dass den Medientexten je nach Situation und Sinnzusammenhang Bedeutungen zugeschrieben werden, wodurch man sich sozial unterschiedlich positionieren kann. Man kann den Texten – je nach Kontext und Intention der sozialen Positionierung gegenüber einem jeweils temporär konstruierten Anderen – sehr unterschiedliche Bedeutung zuschreiben354. So veranschlagt diese Arbeit kulturelle Differenzen nicht in den Medientexten selbst, die durch kulturelle Differenzen vorstrukturiert sind, sondern fokussiert die Konstruktion von kulturellen, sowohl inter- als auch intrasystemischen, Differenzen in der sozialen Praxis der Rezeption. Rezeption wird dabei nicht als orts- und zeitgebunden an den Fluss der Medientexte erdacht. Sie umfasst einer solchen offeneren Konzipierung zufolge ebenso die autobiographischen Beschreibungen und Erzählungen, die sich auf die romantischen Fiktionen beziehen. Die Rezeption wird dabei als potentiell doppelter Prozess angesehen. Neben der individuellen Rezeption, in der eigenen Erfahrungen und Gefühlen auf Basis der Medienversatzstücke Bedeutungen zugeschrieben bzw. diese (re-)interpretiert und in untrennbare Beziehung mit den Fiktionen gebracht werden, dienen die kollektiven Rezeptionsdiskussionen, in denen vor allem kollektive Werte und Normen rekonstruiert werden, v. a. als Orientierungsmatrix für die Evaluation von sozialem Verhalten. Dabei wird keiner dieser lediglich analytisch zu trennenden Ebenen der Rezeption die Qualität einer »wahren« Rezeption zugesprochen. Die beiden Ebenen können mitei-

354 Weswegen sie jedoch nicht weniger als »real« oder »bedeutsam« für die jungen Frauen selbst gedacht werden.

374 | L IEBE IN I NDONESIEN

nander in wechselseitigen Bedeutungsrückkopplungen stehen, jedoch auch von den RezipientInnen selbst als voneinander getrennt angesehen werden355. Zentral für beide Ebenen ist, dass das Fernsehen dabei als zentraler kultureller Artikulations- und Diskussionsraum von Liebessemantiken und erfahrungen fungiert, als sowohl öffentlicher als auch privater Aushandlungsraum sonst kulturell tabuisierter Thematiken. Durch die Beobachtung von anderen Sinnzuschreibungen an westliche Semantiken durch junge Frauen aus Lebenskontexten, die aufgrund des direkten anderen sozialen Umfeldes (beispielsweise Bali im Vergleich zu Makassar) sehr unterschiedliche Möglichkeiten besitzen, zwischengeschlechtliche Beziehungen zu leben und Gefühle zu artikulieren, komme ich des Weiteren zu dem Ergebnis, dass die konkreten sozialen Kontexte für die langfristige Bedeutungsgenerierung für emotionale Erfahrungen sehr zentral sind. Dies entspricht der theoretischen Auffassung von Röttger Rössler (2004: 74f., 2006: 61), die davon ausgeht, dass kulturelle Liebesmodelle stets Raum für idiosynkratische Konstrukte lassen und mit persönlichen Erfahrungen verschmelzen. Semantische und episodische Informationen sieht sie dabei als nicht voneinander getrennt an. Das kulturelle Wissen darüber, was Liebe ist, sei nicht von eigenen Erfahrungen mit Liebe zu trennen, die natürlich wiederum durch erstes beeinflusst sind. Menschen könnten kulturelle Emotionsmodelle so trotz unterschiedlicher persönlicher Erfahrungen teilen, aber auch unterschiedlich auf diese reagieren (vgl. ebd.). Durch die anderen Erfahrungen, die Menschen in solchen Kontexten machen, ihre größere Freiheit, Gefühle auch öffentlich anders zu beschreiben und deswegen, da sich m. E. konstant wiederholende Aussagen über ein emotionales Selbst stärker in der auch individuellen Konzeption des Selbstbildes verfestigen als lediglich imaginierte Ideen, wird eine solche, alternativ konzipierte Emotionalität auch zu einem Teil der eigenen Identitätskonstruktion. Der Sagbarkeit von Gefühlen gemäß sozialen Kontexten wird so eine zentrale Rolle für die Konzipierung einer emotionalen Identität zugemessen. Hierbei stellt sich natürlich am Ende nochmals die selbstreflexive Frage, ob ich als Forscherin dadurch, dass ich mit meinen Forschungssubjekten viel über auch kulturell unangemessene Gefühle und soziale Praktiken gesprochen habe und dadurch strukturell einen neuen Raum ihrer Artikulation geschaffen habe, auch z. T. Emotionalitäten und emotionale Selbstpositionierungen mit verändert habe. Bietet das Fernsehen, wie oben aufgezeigt, auch einen solchen sozialen Artikulationsraum, bleiben hierbei jedoch solche subjektiven Bedeutungsgenerationen für abweichende, emotionale

355 So können für die individuelle Rezeption kollektive Bedeutungszuschreibungen genauso zentral sein, diese kann jedoch auch losgelöst von diesen neue Bedeutungen generieren. Die individuelle Rezeption kann z. T. auch in Form von Kommentaren wie »Oh sexy«, etc. in die kollektiven Rezeptionsdiskussionen Eingang finden.

SCHLUSSBETRACHTUNG | 375

Erfahrungen meist unausgesprochen: Hier müsste man also noch einmal über die Beziehung zwischen dem Gesagten und dem Imaginierten reflektieren. Wie ist die Beziehung zwischen dem vor dem Kollektiv Gesagten und dem subjektiv Gedachten und Gefühlten auch theoretisch bei der Konzipierung von Emotionen einholbar? Diese weiterführende Frage, die hier nicht beantwortet werden kann, eröffnet neue, sehr komplexe Forschungshorizonte über Emotionen, auf die ich mich sehr freue, denn »without emotionality everyday life would be an endless empty exchange of repetitive, lifeless, dull and devoid of inner, moral significance« (Denzin 1994: x).

C Anhang

I

Wörterindex

ABG – Anak Baru Gede (BG)

Wörtlich: »Kinder, die gerade reif sind«, wird verwendet als Begriff für Teenager, der mit sich etwas mokierenden Konnotationen einhergeht, ähnlich wie »Teenies«

Adat (BI)

Brauchtum

Amuk

Ein elaboriertes kulturelles Syndrom in Indonesien, bei dem eine davon betroffene Person vor Wut rast und ein nichtkontrolliertes Verhalten zeigt, das Opfer seiner Aggression zur Folge haben kann. Das deutsche Wort Amok ist dem indonesischen Wort amuk entlehnt. Das Verb für »wüten« oder »vor Wut rasen« ist mengamuk.

Andi (BB)

Buginesischer Adelstitel eines mittleren Ranges

Asrama (BI)

Nach ethnischer Gruppe eingeteilte Wohnheime, in dem vor allem junge Menschen wohnen, zu vergleichen mit einem kost, nur dass es in einem kost keine Einschränkung der ethnischen Zugehörigkeit gibt

Bahasa Bugis, Kürzel: BB

Die lokale Sprache der Bugis

Bahasa Indonesia, Kürzel: BI

Die nationale, indonesische Hochsprache, die 1949 als gültige Hochsprache für ganz Indonesien eingeführt wurde

380 | L IEBE IN I NDONESIEN

Bahasa Makassar, Kürzel: BM

Die lokale Sprache der Makassar

Bahasa Gaul, Kürzel: BG

Eine Umgangssprache vor allem junger Leute, die einem Jakarta-Slang entstammt: Es werden nur einige andere Wörter als im Hochindonesischen verwendet. Bahasa Gaul ist, zumindest unter jungen Menschen, in ganz Indonesien zu verstehen. Sie wird häufig in den populären Filmen und Serien von den jungen ProtagonistInnen gesprochen und aufgrund ihrer modernen Konnotationen von vielen Menschen auch außerhalb Jakartas nachgeahmt. Auch die jungen Frauen im asrama verwendeten ihn oft. Vgl. hierzu auch Saxby 2006, http:// www.insideindonesia.org/content/view /198/29/, zuletzt gesichtet am 22.01.09.

Bahasa tubuh (BI)

Körpersprache

Barat (BI)

der Westen

Bissu (BB)

schamanistische Priester des dritten Geschlechts in der »traditionellen« Bugis Kultur: geschlechtliche Männer, die als Frauen aufwachsen, weibliche Kleidung tragen und zentrale Rollen in religiösen Praktiken einnehmen

Bule

4als umgangssprachlicher Begriff für Weiße, der konnotativ mit der Bedeutung »Albinos« gefasst werden kann (vgl. Echols/Shadily 1989)

Calabai (BB)

das dritte Geschlecht: Geschlechtliche Männer, die als Frauen aufwachsen, weibliche Rollen übernehmen und weibliche Kleidung tragen; ihnen kommen oft zentrale Rollen bei der Ausstattung und Ausrichtung von Hochzeitsfeiern zu

WÖRTERINDEX | 381

Celaka (BI)

schwarze Magie, wörtlich auch: Unglück, Unfall

Cewek (BI)

umgangssprachlich für Mädchen, wird verwendet für unverheiratete Frauen, auch als Ruftermini für angestellte junge Frauen in Restaurants beispielsweise, entspricht hierbei dem veralteten deutschen Begriff »Fräulein«

Cewek matre

junge, materialistische Frauen, die konsumorientiert sind; oft auch als solche verstanden, die ihre Partner lediglich nach materialistischen Aspekten auswählen

Cinta (BI)

Liebe, lieben

Cinta buta (BI)

blinde Liebe: also solche, bei der rationale Erwägungen der Partnerwahl ausgeschlossen sind

Cinta monyet (BI)

umgangssprachlicher Terminus für nicht ernstzunehmende, unerwachsene Liebelei, die vor allem von ABGs (»Teenies«) praktiziert wird, enthält sich mokierende Konnotationen

Cinta murni (BI)

reine Liebe, im Sinne einer »echten Liebe«

Cinta romantis (BI)

romantische Liebe

Cinta sejati (BI)

wahre Liebe, synonym verwendet für cinta murni

Cintai, mencintai (BI)

Verb: lieben

Dangdut

Dangdut ist eine populäre indonesische Musikrichtung, die zahlreiche Verwandtschaften mit arabischer, indischer und malaysischer Volksmusik besitzt und den populären indischen Liedern der Bollywoodfilme ähnelt. Dangdut wird als traditionelle, indone-

382 | L IEBE IN I NDONESIEN

sische Musik verstanden und ist vor allem auf dem Land sehr populär, gerade auch bei älteren Menschen. Der visuelle Stil von Dangdut-Auftritten ist geprägt vom z. T. sehr erotischen Tanz der Sängerinnen. Auch in den Liedtexten, in denen es meist um Liebe und Leid geht, tauchen oft sexuelle Konnotationen auf. Als kulturelles MusikGenre ist Dangdut so direkt von dem Antipornographie-Gesetz betroffen, das am 30.10.2008 schließlich eingeführt wurde. Vor allem DangdutSängerinnen nehmen eine große Rolle in den Protestbewegungen gegen dieses ein. Datu (BB)

der höchste buginesische Adelsrang

Dipelet (BI)

passive Form von pelet

Dosa (BI)

Sünde

Dukun (Javanisch)

javanischer Term für einen lokalen Magier, Heiler, wird wie ein indonesisches Wort auch in Makassar verwendet und synonym zu dem buginesischen Wort sanro gebraucht

Film Mandarin (BI)

asiatische Fernsehserien im Format des idol drama

Film barat (BI)

westliche/r Film/e

Gadis (BI)

Mädchen, unverheiratet

Gaul (BG)

umgangssprachlich: cool, trendig, kommt von dem indonesischen Wort pergaulan für »Verhalten, Umgang«

Gaya tinggi (BI)

wörtlich: hoher Stil, umgangssprachlich: cool, trendig

Halus (BI)

fein

WÖRTERINDEX | 383

Harga diri (BI)

Wert des Selbst, Ehre

Ibu (BI)

wörtlich: Mutter, auch: verheiratete Frauen; wird auch als respektvolle Anrede für ältere Frauen als man selbst oder für Frauen höheren sozialen Ansehens verwendet

Ibu Kost (BI)

die Aufseherin von Studentenwohnheimen (kost), die oft auch Aufgaben wie Wäsche waschen, etc. übernimmt

Ikut suami (BI)

Slogan der Orde Baru Rhetoriken = »dem Ehemann folgen«

Infotainment (BI)

indonesische Infotainment-Formate für das Fernsehen

Jatuh cinta (BI)

sich verlieben, wörtlich: in Liebe fallen

Jilbab (aus dem Arabischen)

das Kopftuch, der Schleier muslimischer Frauen in Indonesien

Jin kafir (BI)

heidnische Geister

Jin muslim (BI)

Geister, die auch im Islam akzeptiert und positiv konnotiert werden, im Sinne, dass sie den Menschen helfen

Jodoh (BI)

von Gott erwählter Lebenspartner; die Person, mit der man vorbestimmt ist, eine zwischengeschlechtliche, eheliche Beziehung einzugehen

Karma

Das Wort wird verwendet für die Vorstellung, dass eigenes Fehlverhalten in Form von Schaden bringender Handlungen bzw. dass positives Verhalten anderen gegenüber als ebensolches eines Tages zu einem selbst oder der Familie »zurückkomme«.

Kasih (BI)

als Verb: geben; als Subjektiv (auch kekasih): Schatz, Liebste/r

384 | L IEBE IN I NDONESIEN

Kasihan

als Substantiv: Ausdruck für eine zu bedauernde oder bemitleidende Person, im Sinne »Ärmste/r«; als Verb: bemitleiden, bedauern, mitfühlen (Bsp.: Saya kasihan sama dia – »Ich fühle mit ihm mit« oder »Ich bemitleide ihn«).

Kawin (BI)

heiraten, Heirat

Kawin lari (BI)

Fluchtehe; weglaufen, um verbotenerweise zu heiraten (beispielsweise weil die Eltern die Vereinigung nicht akzeptieren)

Kebupaten (BI)

Staatlich autorisierte Provinzdistrikte

Kecamatan (BI)

Staatlich autorisierte Stadtdistrikte

Keren

Umgangssprache: cool

Kodrat (BI)

Die Vorstellung der »natürlichen« Rolle der Frau als fürsorgende Mutter und Ehefrau – entsprechend dem Begriff aus dem Koran für die gottgegebene Natur der Geschlechter; eng verknüpft mit der Orde Baru Genderideologie und deren Entwicklungsprogrammen, vgl. hierzu Kapitel B.II.5.2.1

Kost, Plural: kost-kostan (BI)

Wohnheim für überwiegend junge Menschen ohne Beschränkungen nach Alter oder Ethnie

La Galigo

ein prä-islamisches Epos der Bugis, das auf oralen Traditionen basiert und ins 14. Jahrhundert datiert: Es erzählt von der Kreation des Diesseits und dem Leben der ersten sechs Generationen und veranschaulicht die Kosmologie der alten Bugis Welt und ihre Entstehungsgeschichte. Ein zentraler Heldencharakterer der Geschichte ist Sawerigading, der Königssohn des Reiches Luwu (das erste Bugis Königreich

WÖRTERINDEX | 385

und heutzutage ein regionaler Distrikt in Süd-Sulawesi), der weite Odysseeähnliche Abenteuerreisen unternimmt. La Galigo gilt als das längste geschriebene Epos der Weltliteratur. Lontara (BB)

bezeichnet die Bugis Manuskripte, die auf Palmenblättern geschrieben wurden

Lembaga Sensor Film (BI)

indonesische Filmzensurbehörde (Kürzel: LSF)

Ma’pojji (BB)

mögen; kann für Personen und Objekte verwendet werden

Malu (BI)

Scham, sich schämen

Mappakarawa (BB)

ein zeremonielles Sprechen bestimmter geheimer überlieferte Formeln, wird beispielsweise bei der Ehezeremonie durch ältere Menschen, beispielsweise die Großmutter, eingesetzt und soll dabei zu einer gegenseitigen Liebe zwischen den Ehepartnern beitragen

Mengamuk (BI)

vgl. amuk

Menjodohkan (BI)

durch die Eltern verheiratet werden im Sinne einer arrangierten Ehe, vgl. jodoh

Mood

aus dem Englischen, im Indonesischen oft von jungen Menschen verwendet: Laune

Murah, Murahan (BI)

billig, minderwertig

Nafsu (BI)

sexuelle Lust (aus dem Arabischen)

Nakal (BI)

frech, ungezogen

Nikah (BI)

Nikah wird oft anstelle des indonesischen kawin für das Eingehen einer Ehe im Sinne des Legitimierungspro-

386 | L IEBE IN I NDONESIEN

zesses einer ehelichen Verbindung verwendet. Das arabische Wort bedeutet literarisch »zusammen sein« oder »zusammen kommen«, wird aber metaphorisch auch sexuell verstanden im Sinne »sexuelle Beziehung« oder »Kopulation«. Nikah siri’ (BI, BB)

bezeichnet die Eheschließung nach einer vorehelichen Schwangerschaft, man müsse heiraten, um die Familie und sich selbst nicht zu beschämen

Orang barat (BI)

westliche Menschen

Orang biasa (BI)

gewöhnliche Menschen, wird bei den Bugis als Bezeichnung für »nichtadelige Menschen« verwendet

Orang Bugis (BI)

Bugis

Orang cina (BI)

wörtlich: Chinesen, wird auch für chinesisch-stämmige Indonesier verwendet

Orang pintar (BI)

wörtlich: kluge, weise Menschen; bezeichnet Menschen mit paranormalen Fähigkeiten

Orde Baru

bezeichnet die indonesische Staatspolitik unter Suharto von 1965 bis 1998

Pacar (BI)

zwischengeschlechtlicher Partner, Freund/ in in einer zwischengeschlechtlichen Beziehung

Pacaran (BI)

voreheliche Beziehung, Daten

Pacaran bebas (BI)

freie, voreheliche Beziehungen

Panas (BI)

heiß, auch verwendet mit sexuellen Konnotationen, z. B. »erotisch«

Pancasila

Die Pancasila (von Pantja Sila, Sanskrit: »Fünf Prinzipien«) stellt die fünf

WÖRTERINDEX | 387

Grundsätze der nationalen Ideologie und Verfassung der Republik Indonesiens dar, die bei der Verkündung der Unabhängigkeit Indonesiens am 17. August 1945 zur Grundlage der Republik wurden und seitdem gültig fortbestehen. Die auf Homogenisierung und Identitätsbildung des kulturell, sozial und religiös pluralen Vielvölkerstaats abzielenden Prinzipien der Pancasila sind: 1. Das Prinzip der All-Einen Göttlichen Herrschaft/Monotheismus (Ketuhanan Yang Maha Esa), 2. Humanismus/Internationalismus (Perikemanusian/Internationalisme), 3. Nationale Einheit (Persatuan Indonesia), 4. Demokratie (Permusyawaratan (Ketu/Perwakilan), 5. Soziale Gerechtigkeit (Keadilan Sosial). Paranormal (BI)

paranormal, eine Person mit paranormalen Fähigkeiten

Pelet (BI)

Magie, Heilkunst

Pelet cinta (BI)

Liebesmagie, magisch induzierte Liebe

Pembantu (BI)

Haushaltsgehilfin, -kraft

Pencinta sejati (BI)

die wahren Liebenden

Perhatian (BI)

Aufmerksamkeit, zentral für das Liebeskonzept bei meinen ProbandInnen

Pessé (BB)

Mitleid, Sorge, ein zentrales Bugis Konzept, das siri’ komplementiert

Pegawai Negeri Sipil (BI) (PNS)

bezeichnet einen indonesischen staatlichen Zivilbeamten

Rindu (BI)

vermissen, sich sehnen

388 | L IEBE IN I NDONESIEN

Sanro (BB)

lokaler Heiler, Magier bei den Bugis, synonym mit dukun gebraucht

Sayang (BI)

mitfühlen, mitleiden; im Liebescluster: lieb haben

Senang (BI)

glücklich

Simpati (BI)

Sympathie

Simpatik (BI)

sympathisch, sich von jemandem angezogen fühlen

Sinetron (BI)

die indonesisch produzierten Fernsehserien

Siri’ (BB)

Scham, Ehre

SMA

(Sekolah Menegah Atas) Oberschule mit Schülern im Alter von 15–18 Jahren

SMP (Sekolah Menegah Pertama)

Mittelschule mit Schülern im Alter von 11–14 Jahren

Suka (BI)

mögen

Syariah

das islamische Syariah Gesetz

Waria (BI)

die indonesische Bezeichnung für das dritte Geschlecht; geschlechtliche Männer, die als Frauen aufwachsen, sich als solche kleiden und weibliche Rollen einnehmen; der Begriff setzt sich zusammen aus den indonesischen Wörtern wanita (Frau) und pria (Mann)

II

In der Arbeit zitierte Interviewpartner

Adnan

Bugis aus Bone, 24 Jahre alt (2006), wohnt und arbeitet in Makassar. Da er als Graphikdesigner viel Geld verdiente (ca. 200 € im Monat), war er bei Frauen sehr beliebt. Er genoss es kleine Grüppchen von Frauen zu Unternehmungen einzuladen, die ihn deswegen bewunderten.

Amlan

Bugis aus Bone, 26 Jahre alt (2006), ehemaliger pacar von Indri, keine detaillierten Infos.

Amy

Bugis aus Soppeng, 22 Jahre alt (2006), wohnt im asrama und machte zu meiner Forschungszeit eine Hebammenausbildung. Sie hatte enge Kontakte zu ihrer Familie in Soppeng und fuhr bei jeder Gelegenheit nach Hause. Sie hatte einen pacar, der jedoch in Soppeng wohnte und von dem sie kaum sprach. Sie war generell sehr ruhig und still.

Aya

Christin aus Surabaya, 22 Jahre alt (2006), wohnt mit ihrer kleinen Schwester Dhita auf Bali. Sie arbeitet in dem Bali Bird Park in Batubulan und hat viel Austausch und Kontakte mit den Touristen auf Bali, nicht nur im Zuge ihrer Arbeit. Sie spricht fließend Englisch, liest gerne englischsprachige Romane und sieht Hollywoodfilme. Sie hatte bereits zwei intime Beziehungen mit Männern aus England. Sie ist sehr aufgeschlossen und hat keine Probleme, über ihre intimen Gefühle und Praktiken zu sprechen.

Bayu

Bugis aus Soppeng, 24 Jahre alt (2006), wohnt in einem asrama für junge Bugis Männer aus Soppeng, er studiert Soziologie an der UNHAS (Universitas Hasanuddin) in Makassar. Er ist mit den jungen Frau-

390 | L IEBE IN I NDONESIEN

en aus dem asrama befreundet. Er schenkt den Frauen wenig Glauben in dem, was sie angeben, in Partnerbeziehungen zu tun oder nicht zu tun. Er empfindet dies als Heuchelei, beobachtet er doch täglich, wie junge Menschen in Makassar sich tatsächlich verhalten und wie soziale Praktiken und offizielle Narrative dabei voneinander abweichen. Er selbst ist Single und auf der Suche nach einer Freundin. Celly

Bugis aus Soppeng, 23 Jahre alt (2006), wohnt im asrama, studiert Wirtschaft. Sie hat keinen pacar und ist sehr oft in Soppeng bei ihrer Familie.

Cepe

Bugis aus Soppeng, 24 Jahre alt (2006). Er hatte eine lange Beziehung mit Indri, lebte und arbeitete seit 2005 jedoch in Hongkong, um Geld für eine Hochzeit mit Indri zu verdienen. Indri war sehr in ihn verliebt, doch die Kommunikation zu Cepe war aufgrund der räumlichen Distanz schwierig. Indris Eltern waren gegen eine Heirat zwischen Indri und Cepe, da Cepe im Ausland wohnte und noch nicht sesshaft geworden ist. Er habe darüber hinaus auch nicht die finanziellen Mittel, Indri zu heiraten.

Coki

Bugis aus Soppeng, 22 Jahre alt (2006). Er hatte eine lange Beziehung mit Putri, die er bei einer Konferenz der Studenten aus Soppeng kennengelernt hatte. Er studierte am Anfang meiner Forschungszeit Mathematik an der UNHAS und war bei meinem zweiten Aufenthalt fertig mit dem Studium. Er fand eine Arbeitsstelle in Soppeng als Mathematiklehrer und bemühte sich, PNS zu werden. Er wohnte dort bei seinen Eltern, die sehr alt waren und um die er sich kümmerte.

Deddy Mizwar

bekannter indonesischer Schauspieler, Regisseur und Produzent, geboren 1955 in Jakarta. Deddy Mizwar ist immer noch als Schauspieler, Regisseur und Produzent aktiv. Seine Domänen sind religionsbezogene Filme und Serien und Komödien.

Dedi

Bugis aus Bulukumba, 24 Jahre alt (2006). Er hatte eine lange Beziehung mit Indri.

IN DER ARBEIT ZITIERTE INTERVIEWPARTNER | 391

Dhita

Christin aus Surabaya, 19 Jahre alt (2006), wohnt mit ihrer älteren Schwester Aya auf Bali und kümmert sich um den Haushalt.

Elida

Bugis aus Gowa, 42 Jahre alt (2006). Elida hat mit 20 Jahren einen Mann geheiratet – nach eigenen Angaben aus Protest ihren Eltern gegenüber, die wollten, dass sie studierte – und ist seit über 15 Jahren von diesem geschieden. Sie hat zwei Kinder, 2006 waren diese 18 und 16 Jahre alt. Sie ist die Tochter von Pak Rahmat und entstammt einer gut situierten Mittelklassefamilie mit hohem sozialen Ansehen. Sie hat sich selbstständig gemacht und macht Karriere mit der lokalen Beratung (inter-)nationaler Unternehmen, die in Südsulawesi tätig werden wollen. Sie spricht fließend Englisch und hat viele ausländische Freunde. Sie hatte auch bereits Liebesbeziehung zu europäischen Männern, die sich jedoch mit deren Wegzug aus Indonesien wieder zerschlugen. Sie steht unter dem Druck, bald erneut einen Ehemann zu finden, um nicht alleine alt zu werden.

Elisabeth

Christin, stammt aus Manado, dem Norden Sulawesis, 18 Jahre alt (2006). Elisabeth wohnte bei einer Tante von ihr in Makassar. Sie hatte einen ca. 10 Jahre älteren Freund, der Bugis und Muslim war. Nachdem sie vorehelich schwanger geworden war, hat sie gegen den Willen ihrer Eltern ihren Freund geheiratet. Sie wurde daraufhin aus ihrer Familie ausgestossen und wohnt nun mit ihrem Ehemann und ihrem Kind in Makassar.

Farul

Bugis aus Soppeng, 21 Jahre alt (2006). Er wohnte in Soppeng. Er hatte eine lange Beziehung mit Putri, die ihn oft besuchen kam. Nachdem jedoch andere Frauen aus dem asrama Putri darauf hingewiesen haben, dass er in Soppeng noch eine andere Freundin hatte, trennte sich Putri schweren Herzens von ihm.

Feby

Bugis aus Soppeng, 25 Jahre alt (2006). Feby wohnte im asrama Soppeng für Männer. Er hatte eine lange Beziehung mit Novi und die beiden planten auch eine Ehe, die sich im letzten Moment zerschlug. Feby war sehr offen bezüglich seiner intimen Beziehungen und sprach gerne offen über Sex, was die schamhafte No-

392 | L IEBE IN I NDONESIEN

vi sehr störte. Er kritisierte die jungen Frauen, indem er ihnen vorwarf, nie die Wahrheit zu sagen, sondern ständig ihre intimen Beziehungen und Praktiken zu verheimlichen. Er empfand dies als Heuchelei, der er sich selbst nicht anschließen wollte. Feby war ein sehr energischer Charakter. Wenn er Novi eines Fehlverhaltens anklagte, wurde er sehr wütend und zerlegte das eine oder andere Mal einen Schrank oder eine Kommode in ihrem Zimmer. Er war sehr eifer- und rachsüchtig. Dies führte dazu, dass die geplante Ehe der beiden letztlich doch nicht zustande kam. Hamid

Bugis aus Soppeng, 26 Jahre alt (2006), wohnte zu meiner Forschungszeit in Soppeng, wollte aber nach der Ehe mit seiner Frau nach Makassar ziehen. Hamid war der erste pacar von Novi von zur Zeit, als diese noch in Soppeng wohnte. Der Kontakt brach ab, als Hamid aus Soppeng wegzog, entstand aber erneut, als diese sich in Soppeng wiedergetroffen hatten. Er heiratete seine nicht weiter bekannte Freundin, da diese vorehelich schwanger geworden war. Novi hegte noch starke Gefühle für ihn und war sehr traurig, als sie von seiner Eheschließung erfuhr. Er wohnt nun mit seiner Ehefrau und zwei Kindern in Makassar.

Hanny Saputra

bekannter indonesischer Regisseur (Filme: Love Is Cinta, Heart, Virgin, etc.), geboren 1965 in Zentraljava, lebt und arbeitet in Jakarta.

Hanung Bramantyo

bekannter indonesischer Regisseur (z. B. Ayat-Ayat Cinta und Jomblo) und Produzent, geboren 1975 in Yogyakarta, lebt und arbeitet in Jakarta.

Heri

chinesisch-stämmiger Indonesier aus Makassar, 27 Jahre alt (2008), seit 2008 verheiratet mit Putri, entstammt einem finanziell gut situierten Elternhaus und arbeitet in demselben Büro wie Putri, wo er sie kennengelernt hatte.

Ilham

Bugis aus Luwu, 26 Jahre alt (2006), studierte Journalismus in Makassar. Er war für ein paar Monate Novis pacar. Er war sehr beschäftigt mit seinem Studium, weswegen er kaum Zeit für Novi hatte. Novi beschwerte sich ständig darüber, dass er ihr nicht genug Aufmerksamkeit zukommen ließ.

IN DER ARBEIT ZITIERTE INTERVIEWPARTNER | 393

Imelda

Bugis aus Soppeng, 25 Jahre alt (2006). Imelda wohnt im asrama und arbeitet in einer staatlichen Frauenbehörde Dharma Wanita. Sie ist Novis Cousine und ihre Familien kennen sich sehr gut. Imelda und Novis bestimmen die dominante Gruppe im asrama. Sie positionieren sich als Frauen, die ihre kulturellen Traditionen sehr respektieren und gegen zu offene pacaran-Beziehungen sind. Imelda hatte keinen pacar, lernte nur ab und an einen Mann kenne, mit dem sie sich vorstellen konnte, pacaran zu sein. Sie hatte große Angst, noch keinen potentiellen Ehepartner in Sicht zu haben, zumal ihre älteren Schwestern auch noch nicht verheiratet waren und man sich fragte, was mit ihrer Familie los sei, dass diese die Töchter nicht verheiratet bekommt. Man vermutete, es läge ein magischer Zauber auf der Familie.

Indri

Bugis aus Soppeng, wohnt im asrama, 23 Jahre alt (2006). Sie hat Wirtschaft studiert und war danach auf Arbeitssuche, hat jedoch keine passende Anstellung gefunden. Sie war pacaran mit Amlan, Cepe, Dedi, Iwan und Nasir. Sie präsentierte sich dabei stets als kulturelle Traditionen respektierende Frau und lehnte vorehelichen Geschlechtsverkehr rigoros ab. Seit 2008 ist sie mit Iwan verheiratet, die beiden haben ein gemeinsames Kind und wohnen zusammen in Maros. Indri ist nun Hausfrau.

Iwan

Bugis aus Maros, 29 Jahre alt (2006). Iwan arbeitet als Beamter in einem Telekommunikationsbüro. Er ist seit 2004 mit Indri pacaran und war häufiger Gast im asrama. Er ist seit 2008 mit Indri verheiratet.

Jati

Bugis aus Soppeng, 26 Jahre alt (2006). Jati wohnte im asrama und war als sehr traditionelle Frau angesehen. Sie hat in Makassar Pharmazeutik studiert und arbeitet nun in einer Apotheke. Sie war selbst Opfer von pelet cinta gewesen und wurde nach meinen Forschungsaufenthalten von den Eltern verheiratet. Sie war jedoch selbst darüber nicht unglücklich, vielleicht auch angesichts ihrer negativen LiebesmagieErfahrungen und hat ein Kind nun ein Kind mit ihrem Ehemann. Das Ehepaar wohnt nun wieder in Soppeng und Jati ist Hausfrau.

394 | L IEBE IN I NDONESIEN

Kartika

Bugis aus Soppeng, 22 Jahre alt (2006), wohnt im asrama. Kartika machte eine Hebammenausbildung. Da sie sehr schlechte Erfahrung mit pacaran gemacht habe – ihr Freund hatte sie verlassen und sie war sehr traurig deswegen – bat sie ihre Eltern für sie, nach Beendigung ihrer Ausbildung, eine Ehe zu arrangieren. Sie wollte selbst nicht noch einmal an der Wahl ihres pacar/zukünftigen Ehemanns scheitern.

Marita

Bugis aus Bone, 28 Jahre alt (2006). Marita war eine gebildete junge Frau aus der Mittelklasse, die bei einer lokalen Zeitung arbeitete. Sie war verheiratet und hatte zwei Kinder.

Mila

Bugis aus Soppeng, 23 Jahre alt, wohnt im asrama, arbeitet in einem Modegeschäft in einer Mall, sie hatte keinen pacar.

Nasir

Makassar aus Gowa, 21 Jahre alt (2006), arbeitet in einem Optikgeschäft.

Novi

Bugis aus Soppeng, 25 Jahre alt (2006). Sie wohnt im asrama. Sie hat Wirtschaft in Makassar studiert und war zum Zeitpunkt meines ersten und zweiten Forschungsaufenthaltes auf Arbeitssuche. Sie ist Imeldas Cousine und ihre Familien kennen sich sehr gut. Imelda und Novis bestimmen die dominante Gruppe im asrama. Sie positionieren sich als Frauen, die ihre kulturellen Traditionen sehr respektieren und gegen zu offene pacaran-Beziehungen sind. Novi hatte eine sehr lange pacar- Beziehung mit Feby, den sie auch beabsichtigte zu heiraten. Dieser Plan zerschlug sich aus verschiedenen Gründen, die in diesem Buch genau ausgeführt werden. Vor Feby war sie mit Hamid zusammen und zwischenzeitlich hatte sie eine kurze Beziehung mit Ilham.

Pak Rahmat

Bugis aus Gowa, ca. 75 Jahre alt (2006). Er arbeitete früher als Journalist, nahm eine zentrale Rolle in der lokalen Politik ein und galt als sehr kluger Mann. Seine Familie war adelig und hatte ein sehr hohes soziales Ansehen. Er ist der Vater von Elida.

Putri

Bugis aus Soppeng, 18 Jahre alt (2006). Putri galt im asrama, wo sie wohnte, als sehr hübsche Frau und

IN DER ARBEIT ZITIERTE INTERVIEWPARTNER | 395

zog von vielen jungen Männern Interesse auf sich. Sie war, während meiner Forschungsaufenthalte mit Adnan, Coki und Farul pacaran. Sie begann in Makassar Wirtschaft zu studieren, nahm jedoch einen Job in einem Immobilienbüro an und besuchte die Universität nur noch selten. Für den gut situierten Heri, der sie ohne eine gemeinsame pacaran-Zeit, um ihre Hand anhielt und den sie 2008 heiratete, beendete sie die Beziehung zu Coki, mit dem sie sehr glücklich war. Rachma

Makassar aus Makassar, 16 Jahre alt (2006), wohnt mit ihrer Schwester Ranti bei ihren Eltern in Makassar. Rachma geht noch zur Schule und hat wechselnde pacaran-Beziehungen.

Ranti

Makassar aus Makassar, 17 Jahre alt (2006). Sie wohnt mit ihrer jüngeren Schwester Rachma bei ihren Eltern in Makassar. Sie ging noch zur Schule, heiratete 2008 ihren Freund, nachdem sie vorehelich schwanger geworden war. Sie war sehr interessiert am »Westen« und »westlichen Menschen« und wünschte sich, in einem Kontext zu leben, wo sie auch voreheliche Beziehungen mit Männern haben konnte.

Regina

Bugis aus Enrekang, 23 Jahre alt (2006), aufgewachsen bei ihrer Großmutter in Makassar, weil ihre als alleinstehende Mutter (sie wurde von ihrem Mann verlassen) arbeitete und keine Zeit hatte, sich um ihre Tochter zu kümmern. Regina arbeitete seit sie 16 Jahre alt ist, in Eis- und Essensshops in der Mall, um ihre Mutter und ihre Geschwister finanziell zu unterstützen. Sie hätte gerne Journalistik studiert, jedoch hatte die Familie kein Geld für die Studiengebühren. 2007 wurde sie nach Enrekang zum Arbeiten geschickt, wo ihr Onkel ihr einen Job in einem Krankenhaus anbot (zunächst in der Apotheke, nun ist sie Hebamme). Obwohl sie nicht nach Enrekang wollte, auch weil ihr pacar in Makassar lebte, konnte sich die Familie dem Ruf des Onkels, als männliches Familienoberhaupt, nicht widersetzen. Regina war eng mit den Frauen aus dem asrama befreundet und ein häufiger Gast im asrama, als sie noch in Makassar wohnte.

Sirajuddin Bantang

Universitätslehrer an der UNHAS und Spezialist des Bugis Brauchtums, ca. 50 Jahre alt. Er gibt Kurse in

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lokaler Bugis Musik und Tanztraditionen. Er stammte aus Gowa. Slamet Rahardjo

bekannter indonesischer Schauspieler, Regisseur und Produzent, geboren 1968, spielt eine wichtige Rolle in der indonesischen Theater- und Filmlandschaft. Bis heute ist er als Schauspieler und Regisseur aktiv.

Titi Said

Direktorin der LSF (Filmzensurbehörde) in Jakarta und Schriftstellerin von ca. 25 Novellen, u. a. Jangan Ambil Nyawaku (Nimm nicht meine Seele weg), Reinkarnasi (Reinkarnation), sie war auch Redakteurin bei der Frauen-Zeitschrift Kartini. Sie stammte aus Bojonegoro, Ostjava, lebte jedoch bis zu ihrem Tod in Jakarta. Sie starb im Oktober 2011 im Alter von 76 Jahren an einem Hirnschlag.

Zulfa

Bugis aus Soppeng, 21 Jahre alt (2006), jüngere Schwester von Indri, mit der sie sich im asrama ein Zimmer teilte. Sie studierte Geographie und war sehr engagiert in Studentenorganisationen. Sie hatte keinen pacar, wollte damit warten und sich zunächst auf ihr Studium konzentrieren. Außerdem hatte sie große Angst vor dem Klatsch im asrama und sehr bemüht kulturell angemessen mit dem anderen Geschlecht umzugehen.

D Materialien

I

Bibliographie

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III

Filme und Serien

F ILME Apa Artinya Cinta (2005), Regie: Sunil Soraya, Indonesien Ayat-Ayat Cinta (2008), Regie: Hanung Bramantyo, Indonesien Cewek Matrepolis (2006), Regie: Effi Zen, Indonesien Heart (2006), Regie: Hanny Saputra, Indonesien Jakarta Undercover (2006), Regie: Lance, Indonesien Love Is Cinta (2007), Regie: Hanny Saputra, Indonesien Romeo und Julia (1996), Regie: Baz Luhmann, USA Titanic (1997), Regie: James Cameron, USA Ungu Violet (2005), Regie: Rako Prijanto, Indonesien

S ERIEN Airwolf (1984–1986), USA Baywatch (1989–2001), USA Bintang (2006), RCTI, Indonesien Cinta Fitri (Produktionsbeginn 2007), SCTV, Indonesien Dawson’s Creek (1998–2003), USA Desperate Housewives (Produktionsbeginn 2004), USA Friends (1994–2004), USA Heroes (Produktionsbeginn 2004), USA Impian Cinderella (2005), RCTI, Indonesian Knight Rider (1982–1986), USA Long Vacation (1996), Japan MacGyver (1985–1992), USA Maria Mercedes (1992), Mexiko Marimar (1994), Mexiko Meteor Garden (2001), Taiwan Miami Vice (1984–1989), USA My Secret Identity (1987–1991), USA O.C., California (2003–2007), USA

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Old Mission Impossible (1988–1990), USA Ordinary People (1993), Japan Pink (2006), Indosiar, Indonesien Sebuah Jendela (1962), TVRI, Indonesien The Incredible Hulk (1982), USA The Prince Who Turns Into A Frog (2005), Taiwan Tokyo Love Story (1991), Japan Wonder Woman (1975–1979), USA

MedienWelten Cora Bender Die Entdeckung der indigenen Moderne Indianische Medienwelten und Wissenskulturen in den USA 2011, 354 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1102-1

Birgit Bräuchler Cyberidentities at War Der Molukkenkonflikt im Internet 2005, 402 Seiten, kart., 28,90 €, ISBN 978-3-89942-287-0

Julia Dombrowski Die Suche nach der Liebe im Netz Eine Ethnographie des Online-Datings 2011, 378 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1455-8

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MedienWelten Angela Dressler Nachrichtenwelten Hinter den Kulissen der Auslandsberichterstattung. Eine Ethnographie 2008, 268 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-961-9

Eliane Fernandes Ferreira Von Pfeil und Bogen zum »Digitalen Bogen« Die Indigenen Brasiliens und das Internet 2009, 256 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1049-9

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