Romanisierung – Romanisation: Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele 9781841718668, 9781407328690

21 papers on contemporary perspectives of Romanization presented at a graduate seminar and colloquium on 'Romanizat

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Romanisierung – Romanisation: Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele
 9781841718668, 9781407328690

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Inhalt
Einführung
Die Anfänge der Romanisierungsforschung
Identität
Imperialismus, Kolonialismus und Postkolonialismus in der Romanisierungsforschung
Integration
Synkretismus und Romanisierung
Romanisierung/ Romanisation und das Konzept des Widerstandes
Das Akkulturationsmodell
Creolization – Ein Modell der Romanisation?
The new silver bullets?* Anmerkungen zu Nicola Terrenatos ‚elite negotiation’
Gender studies und Romanisierung
Das Zentrum – Peripherie – Modell in der Romanisierungsforschung
Frühe Kontakte nach Italien und der Beginn der Romanisierung auf dem Gebiet der römischen Provinz Lusitania
Kaiserzeitliche Grabmonumente in der Lusitania zwischen Romanisierung und Afrikanisierung
Sprachkontakte und Latinisierung in Hispanien im Spiegel antiker Quellen
Kleidung und Romanisierung: Der Raum Rhein/Mosel
Dakien: Romanisierung ohne Elite?
Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa – ein Beispiel für Romanisierungsprozesse im Imperium Romanum?
Romanitas und Latinitas als Träger römischer Herrschaft in Nordafrika
Grabarchitektur, Ausstattung und Beigaben als Indikatoren der Romanisierung/Romanisation in der Römischen Provinz Asia am Beispiel des Grabbaues am Theater in Priene
Aspekte der Romanisation in pisidischen Kleinstädten
Sepulkralrepräsentation im kaiserzeitlichen Phrygien: Elite ohne ‚Negotiation’?

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BAR S1427 2005  SCHÖRNER  

Romanisierung – Romanisation Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele

ROMANISIERUNG – ROMANISATION

herausgegeben von

Günther Schörner

BAR International Series 1427 9 781841 718668

B A R

2005

Romanisierung – Romanisation Theoretische Modelle und praktische Fallbeispiele herausgegeben von

Günther Schörner

BAR International Series 1427 2005

Published in 2016 by BAR Publishing, Oxford BAR International Series 1427 Romanisierung – Romanisation © The editor and contributors severally and the Publisher 2005 COVER IMAGE

Th. Schierl (using designs of vessel types Uslar II and Dragendorff 37)

The authors' moral rights under the 1988 UK Copyright, Designs and Patents Act are hereby expressly asserted. All rights reserved. No part of this work may be copied, reproduced, stored, sold, distributed, scanned, saved in any form of digital format or transmitted in any form digitally, without the written permission of the Publisher.

ISBN 9781841718668 paperback ISBN 9781407328690 e-format DOI https://doi.org/10.30861/9781841718668 A catalogue record for this book is available from the British Library BAR Publishing is the trading name of British Archaeological Reports (Oxford) Ltd. British Archaeological Reports was first incorporated in 1974 to publish the BAR Series, International and British. In 1992 Hadrian Books Ltd became part of the BAR group. This volume was originally published by Archaeopress in conjunction with British Archaeological Reports (Oxford) Ltd / Hadrian Books Ltd, the Series principal publisher, in 2005. This present volume is published by BAR Publishing, 2016.

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Inhalt

Günther Schörner

Einführung

V

Theorie: Grundbegriffe Ursula Rothe

Die Anfänge der Romanisierungsforschung

1

Hadwiga Schörner

Identität

15

Günther Schörner

Imperialismus, Kolonialismus und Postkolonialismus in der Romanisierungsforschung

25

Dennis Graen Integration

35

Marcolf Baliga

Synkretismus und Romanisierung

39

Henning Wabersich

Romanisierung/Romanisation und das Konzept des Widerstandes

45

Theorie: Modelle Korana Deppmeyer

Das Akkulturationsmodell.

57

Sebastian Matz

Creolization – ein Modell der Romanisation?

65

I

Thomas Schierl

The new silver bullets? Anmerkungen zu Nicola Terrenatos ‚elite negotiation’

73

Yvonne Schmuhl

Gender studies und Romanisierung

87

Günther Schörner

Das Zentrum-Peripherie-Modell in der Romanisierungsforschung

95

Praxis: Fallbeispiele Iberische Halbinsel Thomas Schierl

Frühe Kontakte nach Italien und der Beginn der Romanisierung auf dem Gebiet der römischen Provinz Lusitania

101

Dennis Graen

Kaiserzeitliche Grabmonumente in der Lusitania zwischen Romanisierung und Afrikanisierung

135

Mareike Rind

Sprachkontakte und Latinisierung in Hispanien im Spiegel antiker Quellen

155

Nordwest-Provinzen Ursula Rothe

Kleidung und Romanisierung: der Raum Rhein/Mosel

169

Donau-Provinzen Yvonne Schmuhl

Dakien: Romanisierung ohne Elite?

181

II

Afrika Sebastian Matz

Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa - ein Beispiel für Romanisierungsprozesse im Imperium Romanum

187

Thomas Brüggemann

Romanitas und Latinitas als Träger römischer Herrschaft in Nordafrika

201

Griechischer Osten Hadwiga Schörner

Grabarchitektur, Ausstattung und Beigaben als Indikatoren der Romanisierung/Romanisation in Asia am Beispiel des Grabbaues am Theater in Priene

219

Korana Deppmeyer

Aspekte der Romanisierung in pisidischen Kleinstädten

235

Günther Schörner

Sepulkralrepräsentation im kaiserzeitlichen Phrygien: Elite ohne ‚Negotiation’

III

253

IV

Einführung von

Günther Schörner Frühere Bestimmungen von Romanisierung stellten vor allem die ‚harten’ Faktoren in den Mittelpunkt, wie Schaffung der Infrastruktur in Form von Straßen, Garnisonen und Verwaltungszentren, Gründung von Kolonien und Verbreitung des römischen Bürgerrechts, um abschließend dann noch die Ausbreitung der römischen Kultur zu konstatieren7. Während die Steuerung der ersten drei Punkte durch Rom und ihre Verbreitung recht genau nachvollzogen werden kann, bleibt der letzte Faktor doch sehr im Ungefähren. Genau hier setzt jedoch die aktuelle Diskussion über Romanisierung an: Wie diese Ausbreitung erfolgte, was überhaupt in diesem Zusammenhang römische Kultur ist, bietet ausreichend Stoff für Kontroversen. Nachdem lange Zeit einseitig die aktiven Maßnahmen Roms, also die Romanisierung, im Mittelpunkt des Interesses standen, geriet spätestens mit der Arbeit von M. Millett zum römischen Britannien die Romanisation als entscheidender Faktor ins Blickfeld der Forschung8. Millett betont vor allem die Rolle der einheimischen Eliten, die aus eigenem Interesse, zur Sicherung und zum Ausbau ihrer sozialen Stellung, Elemente der römischen Kultur übernehmen, während die übrige Bevölkerung dann ihrerseits wieder die selbst-romanisierte Oberschicht nachahmt (Emulation; Einsickerungseffekt; trickle down). Dieses Modell wurde in den letzten Jahren so bestimmend, dass es als neue Orthodoxie bezeichnet werden kann. Eine Mittelpositon zwischen Betonung der Romanisierung und der Romanisation wird von Forschungen vertreten, die sich des Akkulturationsmodells zur Klärung der Mechanismen bei der Begegnung zweier Kulturen bedienen9. Die Probleme mit dem Begriff ‚Romanisierung’ sind unterschiedlich gelagert. In erster Linie sind natürlich historisch begründete Bedenken zu vermelden, die allein durch die Verwendung des Begriffs ein Weiterleben imperialistischen Denkens erkennen10. Nach einer langjährigen, sehr intensiv geführten Diskussion besteht jedoch m. E. keine Gefahr mehr, dass Romanisierung im selben Sinn wie von Th. Mommsen11 und F. Haverfield12

1. Romanisierung – ein totes Pferd? ‚Romanisierung’ bezeichnet für jeden, der sich mit der römischen Kaiserzeit beschäftigt, ein Kernproblem. Diese unzweifelhafte Aussage bezog sich bis vor wenigen Jahren selbstverständlich auf den antiken Vorgang (in welcher Form auch immer dieser stattfand), doch in letzter Zeit ist der Begriff selbst zu einem Problem geworden. Gerade in der englischsprachigen Forschung wird die Romanization als ein totes Pferd bezeichnet1, oder es wird von ihr nur als dem R-word gesprochen2. Die Ablehnung ist bei weitem nicht einhellig, doch gibt es gewichtige Stimmen, die ganz auf einen Verzicht dieses Terminus plädieren3. Weshalb dann nun hier weitere Beiträge zur Romanisierung? 2. Romanisierung: Vorteile und Probleme eines Konzepts Der wissenschaftliche Grund für diese Publikation liegt vor allem darin, dass unserer Meinung nach kein Konzept existiert, das ‚Romanisierung’ begrifflich und inhaltlich ersetzen kann. Kein Ersatzbegriff nennt bereits im Namen die entscheidende geschichtliche Größe, Rom. Die Unterscheidbarkeit von anderen ähnlichen historischen Vorgängen ist dadurch von vornherein gegeben. Dennoch ist natürlich der Geschichte des Begriffs Rechnung zu tragen, wie dies U. Rothe () in ihrem Beitrag unternommen hat. Im Deutschen hat man zudem den Vorteil, sprachlich eindeutig zwischen Romanisierung und Romanisation unterscheiden zu können, beispielhaft von G. Woolf4 und W. Spickermann5 im ‚Neuen Pauly’ definiert. Wenn im Folgenden immer von Romanisierung gesprochen wird, dann in einer übergreifenden, beide Termini umfassenden Bedeutung. Zudem sollte man sich vergegenwärtigen, dass Romanisierung immer den Prozess meint, nicht das Ergebnis dieses Prozesses. Festzuhalten ist somit, dass Romanisierung den politischen, ökonomischen und kulturellen Wandel nach Eingliederung in das Imperium Romanum bedeutet6.

7

So noch Bergemann (1998) 117f. (mit Literaturangaben). 8 Millett (1990a); Millett (1990b) 9 S. unten und den Beitrag von K. Deppmeyer; Beispiele: Bartel (1995); Heimberg (1998). 10 Hingley (1996); Freeman (1997); s. den Beitrag von U. Rothe. 11 Mommsen (1854); Mommsen (1992). 12 Haverfield (1923).

1

Alcock (2001) 227; Merryweather – Prag (2002) 8-10. Merryweather – Prag (2003) 5. 3 z. B. Barrett (1997); Mattingly (2002); Hingley (2003) 113-115; Mattingly (2004) 5-7. 4 Woolf (2001). 5 Spickermann (2001). 6 Spickermann (2003) 310-318 2

V

Günther Schörner

gebraucht wird und allein durch die Terminologie die Überlegenheit der römischen Kultur fortgeschrieben wird. Die Diskussion in den englischsprachigen Ländern ist mittlerweile auch bis zu einem Punkt gelangt, dass Ermüdungserscheinungen vor allem definitorischer Natur auftreten13, doch ist auch dies kein Grund, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Gewichtiger sind natürlich die Stimmen, die Romanisierung deswegen nicht mehr verwenden wollen, weil ihres Erachtens der Terminus in keiner Weise geeignet ist, die historischen Abläufe korrekt zu beschreiben14. So wird ‚Romanisierung’ abgelehnt, weil dadurch zu sehr der römische Charakter betont werde. Der Begriff sei deshalb problematisch, da er impliziere, dass alle Kulturen sich änderten mit Ausnahme der römischen Kultur selbst, also der Kultur Italiens bzw. der Hauptstadt. In den Provinzen betone Romanisierung dabei zu sehr die Konformität und impliziere eine kulturelle Homogenisierung. Der kulturelle Wandel werde auf eine einfache Dichotomie ‚römisch’ – ‚indigen’ reduziert15. Zudem entstünde in den Provinzen keine Form römischer Kultur durch Akkulturation oder als Synkretismus16, sondern ganz neue Kulturen17. Die Einwände sind sicherlich bis zu einem gewissen Maß berechtigt und decken sich mit der Kritik an der Akkulturation18 sowie an jüngeren Arbeiten, die die Rolle des Zentrums Rom überbetonen19. Die Ansicht, dass die Kultur Roms unbeeinflusst bleibt bzw. nicht von den Entwicklungen in den Provinzen tangiert wurde, ist jedoch ebenso im Verschwinden begriffen wie die Auffassung, Rom und Italien würden eine kulturelle Einheit bilden20. Auch die römische Kultur selbst darf nicht als Monolith mit einem fest definierten materiellen Inventar angesehen werden. Wichtigstes Mittel gegen eine solche Kulturauffassung sind in erster Linie Lokalstudien, die zeigen, dass die Situation in Ligurien21 oder Dakien22 anders ist als in Etrurien23 oder im westlichen Kleinasien24.

Der Auffassung, Romanisierung sei zu vereinheitlichend, ist entgegenzuhalten, dass zum einen Romanisierung einen Prozess bezeichnet und der Prozess aus wechselnden Ausgangspositionen und unter differierenden Bedingungen unterschiedlich verlaufen und zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Zum anderen sind trotz des Weiterlebens kultureller Differenzen die kulturellen Gemeinsamkeiten unter den verschiedenen Teilen des Römischen Reiches größer als vor der Eingliederung in das Imperium Romanum25. Die Kritik am Begriff der Romanisierung verweist aber auf einige Problemfelder, die kurz im Einzelnen angesprochen werden sollen. a) Romanisierung in West und Ost In früheren Jahren wurde häufig die reichsweite Gültigkeit des Konzepts bezweifelt. Gerade für den griechischen Osten wurde die Existenz von Romanisierung und vor allem Romanisation in Frage gestellt26. Aktuelle Untersuchungen konnten jedoch zeigen, dass jedoch auch in der östlichen Reichshälfte sozio-kulturelle Veränderungen stattfanden27, die nur auf die römische Herrschaft zurückgeführt und nicht als eigenständige Entwicklungen erklärt werden können. Unterschiede zum Westen sind selbstverständlich, zudem ist die Gegenüberstellung Westen und Osten stark simplifizierend, da wieder auf den lokalen Charakter verwiesen werden muss; man vergleiche nur, um ein grobes Raster zu nutzen, die Differenzen zwischen den Provinzen Macedonia und Achaia28. Dass diese Romanisierung in weiten Teilen die Form einer zunehmenden (oder erstmaligen) Hellenisierung annehmen, ist kein Widerspruch. Auch die Romanisierung Britanniens und mit Einschränkungen der germanischen Provinzen ist im Wesentlichen eine Gallisierung29.

13

z.B. Alcock (2001) 227. vgl. zum Folgenden vor allem Barrett (1997); Mattingly (2002); Hingley (2003); Mattingly (2004) (mit weiterer Lit.) 15 So zuletzt Mattingly (2004). 16 Zum Begriff vgl. hier den Beitrag von M. Baliga. 17 Dies ist vor allem ein Ansatz, den G. Woolf in seinen Arbeiten vertritt: Woolf (1995); Woolf (1997); Woolf (1998). 18 s. dazu hier zu Anm. 44-47. 19 Vgl. MacMullen (2000); Zanker (1987) 20 Vgl. hierzu die verschiedenen Beiträge in Keay – Terrenato (2001) und die Rezension von Mattingly (2002); grundlegend Saddington (1991); Häussler (1998). 21 Gambaro (1999). 22 Vgl. hier den Beitrag von Y. Schmuhl. 14

23

Terrenato (1998a) ; Terrenato (2001); s. hier Th. Schierl, The new silver bullets?. 24 Vgl. z.B. den Beitrag von H. Schörner. 25 Grundlegend: Woolf (1992). 26 z.B. Bowersock (1965) 72; vgl. Schörner (2003) 211f. 27 Alcock (1993); Mitchell (1993); Woolf (1994); Alcock (1997b);zusammenfassend zuletzt Waelkens (2002); ein Aspekt behandelt von Schörner (2003) 211-216. 28 Allgemein: Schörner (2003) 5. 29 Freeman (1993). Besonders prägnant stellt Reece (1988) 11 die verschiedenen Komponenten heraus: Das römische Britannien «became more Gaulish, more Rhinelandish, more Spanish, a little more Italian, a very little more African, and a little more Danubian».

VI

Einführung

b) Lokale Eliten Für viele der zur Zeit wichtigsten Modelle für den Ablauf der Romanisierung spielen die lokalen Eliten eine zentrale Rolle, die durch Romanisation den entscheidenden Schritt für die Verbreitung römischer Kulturelemente in den Provinzen machen30. Besonders gilt dies sowohl für M. Milletts Modell31 als auch für G. Woolfs Bild der Formierung neuer provinzialer Kulturen32. In den letzten Jahren wurde an diesen Auffassungen aus unterschiedlichen Gründen Kritik geübt33. Ein Hauptpunkt betrifft das Konzept der indigenen Eliten selbst. Diese lokale Oberschicht wird als gegebene feste einheitliche Größe absolut gesetzt ganz im Sinne einer statischen klassen- bzw. statusspezifischen Gesellschaftsstruktur34. Es wird kein Versuch unternommen, diese Eliten sowohl genau zu definieren als auch weiter zu differenzieren. Implizit wird immer mit zwei Voraussetzungen gearbeitet: 1.) Die Gesellschaft ist strikt in eine Oberschicht und nachgeordnete Gruppen geteilt. 2.) Vor, während und nach der römischen Eroberung herrscht soziale Kontinuität: Eliten bleiben Eliten. Wie Graham richtig feststellte, sind jedoch beide Aussagen nicht von vornherein anzunehmen, sogar unwahrscheinlich. Er konnte zeigen, dass in Britannien wahrscheinlich erst nach der römischen Eroberung durch die Ausbildung von Patron-Klienten-Verhältnissen neue lokale Eliten gebildet wurden. Negativ wurde auch angemerkt, dass es im Vergleich zur althergebrachten Auffassung der Romanisierung nur zu einer leichten Verschiebung der Schwerpunkte gekommen sei: Anstelle der römischen Siedler und Soldaten als Kulturbringer schlüpfen nun die einheimischen Eliten in diese Rolle. Dieses Argument erscheint mir freilich insofern problematisch, als es sich nicht mit der historischen Wahrscheinlichkeit auseinandersetzt. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass bei dieser Konzentration auf die Eliten nur ein Fragment der provinzialen Gesellschaft berücksichtigt wird. Wie D. Mattingly in einem Beispiel ausgeführt hat35, werden über 90% der Bevölkerung einer Provinz ignoriert. Dieser Gesichtspunkt kann nur unterstrichen werden, doch liegt das Grundproblem natürlich in der geringen Greifbarkeit der Nicht-Eliten, an die man sich bei unserer Quellensituation nur schwer annähern kann. In der Interpretation des archäologischen Fundmaterials liegen freilich Optionen, diesem Manko zu begegnen: So muss besonders auf nicht-romanisierte Kontexte geachtet werden, d.h. es dürfen nicht nur villae rusticae 30

untersucht werden, sondern vor allem auch einfache Bauernhöfe, nicht nur der Bestand an terra sigillata, sondern auch einfaches Gebrauchsgeschirr usw. In diesem Zusammenhang sollte man sich des Modells der ‚bricolage’ bedienen, wie es von N. Terrenato entwickelt wurde, und eben nicht von einem fest gefügten Kulturbegriff ausgehen36. Grundsätzlich sollte deshalb bei der Untersuchung des Prozesses ‚Romanisierung’ auch nach Kontinuitäten gesucht werden und nicht nur nach Wandel, obwohl unsere Untersuchungs- und Analysemethoden eher zur Konstatierung von Änderungen geeignet sind. Schließlich sollte damit gerechnet werden, dass sogar eindeutig römische Artefakte nicht immer die gleiche ‚römische’ Bedeutung haben müssen, d.h. nicht Indikatoren desselben Grades von Romanisierung sein müssen, da die Objekte zu unterschiedlichen Zwecken benützt und in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden konnten37. Es kann also nicht immer von Nachahmung im Sinne eines trickle down-Modells ausgegangen werden. c) Kultur vs. material culture Ein besonders tief greifendes Problem, das nicht nur unser Thema betrifft, aber hier besonders akut wird, ist das Verhältnis von Kultur im Allgemeinen und materieller Kultur im Speziellen. Im Kontext der Romanisierung ist vor allem die Frage zu stellen, ob ein archäologisch feststellbarer Wechsel (in) der materiellen Kultur tatsächlich einen Wechsel der Kultur insgesamt anzeigen kann bzw. beide sogar identisch sind. Verbunden damit ist natürlich das Problem einer näheren Bestimmung des Kulturbegriffs38. Die Frage wurde in Deutschland besonders prägnant von E. Flaig gestellt39, der sich dezidiert gegen eine ‚Verdinglichung des Kulturbegriffs’ wendet. Sicher richtig stellt Flaig fest, dass Kultur immer ein Ensemble von kulturellen Praktiken, nicht von Objekten ist und nicht die Artefakte an sich entscheidend sind, sondern ihre Verwendung. Folgerichtig weitergeführt würde dies aber den Aussagewert der Archäologie generell stark einschränken. Es ist also nach Wegen aus diesem Dilemma zu fragen. Zunächst ist die praxeologische Interpretation der Artefakte zu fordern, d. h. es ist konsequent nach dem Handlungszusammenhang und Kontext des Objektes zu fragen. Wichtige und weiterführende Interpretationsansätze kommen dann aus dem Bereich der material culture studies: So kann die materielle Kultur kein Index für soziale Veränderung in direktem Sinn sein, doch ist sie ein integraler Bestandteil

36

So bereits Brunt (1976). Millett (1990a); Millett (1990b). 32 Woolf (1995); Woolf (1997); Woolf (1998). 33 z. B. Mattingly (2004) 6. 34 Zum Folgenden: Grahame (1998a). 35 Mattingly (2004) 9-16.

Terrenato (1998b). Zu diesem Konzept s.u. (mit. Lit.). 38 Zum Begriff in der Archäologie summarisch Dally (2000) ; ansonsten z. B. Flaig (1999) 92-95 mit weiterer Lit. 39 Flaig (1999); Flaig (2003) 72-74.

31

37

VII

Günther Schörner

für Konstitution von Identität als einem Kernbegriff40. Ein Wechsel der materiellen Kultur impliziert immer einen Wandel der Praktiken, mit denen Identitäten geschaffen werden. Auch wenn archäologisch nicht der physische Kontext sozialer Bezüge greifbar ist, so ist doch der gegenständliche Bestandteil dieser Aktivitäten zu erreichen und zu rekonstruieren41. Im Umkehrschluss kann eine Veränderung der physischen Komponenten einen Wandel der zugehörigen nicht-materiellen Komponenten der Kultur nach sich ziehen. Eine weitere Möglichkeit muss sein, die berechtigterweise von Flaig angeführte Trennung von Signifikat vom Signifikanten in Sinne de Saussures zu berücksichtigen und die Bedeutung eines Objektes vom materiellen Objekt selbst abzukoppeln42. Dies ist genau der Ansatzpunkt von J. Websters Modell der creolization, die von einem Bedeutungswandel der Artefakte selbst ausgeht, deren Belang immer aktiv konstruiert wird43. Trotz aller Schwierigkeiten, vor allem bei der praktischen Umsetzung und Nachweisbarkeit, kann Kreolisierung an diesem Punkt weiterführen. d) Grundbegriffe und Modelle Zu einzelnen der Themen des ersten theoretischen Teils wurden gezielt Einwände vorgebracht, auf die nicht immer konkret eingegangen werden konnte. Die Kritik an einem der behandelten Modelle, der und damit verbunden der Akkulturation44, Unterkategorien wie Assimilation, beruht ebenso auf diesen fest gefügten abstrakten Blöcken ‚Römer’ und ‚Einheimische’, da von einem sehr statischen Kulturmodell ausgegangen wird45. Ein Vorteil des Akkulturationsmodells ist jedoch die Möglichkeit, eine Typologie der Formen von Kulturkontakt zu entwickeln. Im deutschen Sprachraum sehr einflussreich ist die Einteilung von U. Bitterli46, der Akkulturation als intensivste Form kultureller Begegnung begreift, wobei durch Kulturverflechtung eine Mischkultur entsteht, worauf K. Deppmeyer hinweist. Aufschlussreich aus Sicht der material culture und in der Romanisierungsdiskussion bisher nicht rezipiert ist die Aufstellung von Hyung Il Pai zu Kulturkontakt und Kulturwandel in Korea47. Er erstellt folgende Typologie 40

Material culture und Romanisierung grundsätzlicher mit weiteren theoretischen Überlegungen behandelt z. B. bei Freeman (1993); Grahame (1998a); Gardener (2003b); Roth (2003) 35-45. 41 Grahame (1998a) 4-6. 42 Flaig (1999) 92f. (mit weiterer Lit.) 43 Webster (2001); Webster (2003); vgl. auch Mattingly (2004) 7. und unten bzw. den Beitrag von S. Matz. 44 Vgl positiv vor allem Gotter (2001). 45 Kritik zusammengefasst bei Spickermann (2003) 311; vgl. auch Carr (2003). 46 Bitterli (1991) 47 Hyung Il Pai (1992).

materieller Veränderungen der Keramik je nach Grad der Akkulturation von Substitution (1) über Addition (2-3) zur Akzeptanz (4-5): 1.) unveränderte Übernahme von Han-Formen (trotz der Existenz indigener funktionaler Gegenstücke) 2.) unveränderte Übernahme von Han-Formen (ohne Existenz indigener funktionaler Gegenstücke) 3.) indigene Kopien nach Han-Formen 4.) Han-Formen mit Dekoration in indigener Tradition 5.) Han-Materialien und -Techniken, aber indigene Formen Eine solche Einteilung ist sicher als Ordnungsmuster hilfreich, als Erklärungsmodell erscheint m. E. Akkulturation zu simplifizierend, da Kulturen eben nicht als homogene Entitäten gesehen werden können. In deutlicher Abgrenzung zur Akkulturation ist Integration zu sehen. D. Graen verweist in seinem Beitrag auf die hohe Integrationskraft Roms als einen Erfolgsgaranten für die Bildung und Dauer des Imperium Romanum. Konzeptionell ist die Integration der entscheidende Faktor vor allem für die Romanisierungsmodelle, die in Provinzialkulturen neu entstandene Phänomene sehen48. Besonders deutlich wird dies an der bekannten Definition von Romanisierung als »socio-cultural change resultant upon the integration of indigenious societies into the Roman empire«, wie sie Millett, Roymans und Slofstra bieten in einem Band, der Integration programmatisch schon im Titel führt49. Außerhalb der provinzialen Religion50 spielt der Begriff des Synkretismus trotz seiner weiteren Bedeutung, wie M. Baliga nochmals herausstellt, keine große Rolle in der Diskussion über die Romanisierung. Sicherlich aufzugeben ist die Auffassung, die lange in der Religionswissenschaft tradiert wurde, dass mit dem Terminus etwas Künstliches oder Unauthentisches bezeichnet werden soll51. Der große Geltungsbereich verlangt jedoch immer eine historische Präzisierung, um zwischen Einfluss, Verschmelzung oder Gleichsetzung unterscheiden zu können52. Im Anschluss an die Forschungen von M. Benabou53 entwickelte sich der Widerstand als ein beherrschendes Konzept der Romanisierungsforschung vor allem in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts54. Im Unterschied zum von H. Wabersich behandelten militärischen Widerstand war es vor allem der kulturelle Widerstand, der interessierte, so dass annähernd jede 48

s. hier zu Anm.17. Millett – Roymans – Slofstra (1995) 1. 50 Vgl. z. B. Webster (1997); grundsätzlich zum Synkretismus in der griechisch-römischen Religion: Auffarth (2004). 51 Berner (2001). Berner (2004). 52 Interessant die Klärung des Verhältnisses von Synkretismus und Identität als zweier Kernbegriffe durch Feldtkeller (2002). 53 Benabou (1976a) ; Benabou (1976b). 54 z. B. Alcock (1997); Hingley (1997). 49

VIII

Einführung

Form von Nativismus als Widerstand ausgelegt wurde. Neben den Schwierigkeiten, diesen Widerstand nachweisen zu können, gibt es auch schwerwiegende konzeptionelle Einwände gegen diese Vorstellung. Kritisiert wurde, dass man der provinzialen Bevölkerung nur eine sehr eingeschränkte Wahl zwischen Assimilation oder Widerstand zubillige. Außerdem wurde betont, dass nur die als etabliert angesehenen Machtverhältnisse von Römern und Einheimischen unter anderen Vorzeichen fortgeschrieben werden: Der römischen Kultur zu entkommen, ist nur in der Form des Widerstandes möglich55. Um auf diesem schwierigen Terrain der Gefahr der Beliebigkeit zu entgehen, sollte auf Beispiele der post colonial studies rekurriert werden, die einen differenzierteren Zugang ermöglichen56. Eine relativ untergeordnete Rolle spielte bisher der Komplex der gender studies auf dem Gebiet der Romanisierung57. Thematisiert wird er vor allem im Zusammenhang mit der Frage nach der Machtausübung und vor allem im Rahmen der post colonial studies, wo Frauen der Kolonialbevölkerung als zweifach Subalterne – neben einzelnen gelten58. Das Problem ist Übertreibungen59 – einmal mehr die Annäherung: Meist sind, wie von Y. Schmuhl aufgeführt, nur bestimmte Gruppen von Frauen fassbar. Die Schwierigkeiten, die mit der Greifbarkeit der Nicht-Eliten verbunden sind, treffen auf den weiblichen Part natürlich noch viel stärker zu. Als Thema kann es vor allem im Zusammenhang mit der bricolage provinzialer Kultur eingeordnet und behandelt werden60, wie es in der Fallstudie von U. Rothe im Kontext der Kleidung vorgeführt wird. Ein diesem Themenkreis zuzuordnendes Problem ist die Art und Weise, wie die Römer provinziale Frauen und ihren Grad von Romanisierung gesehen haben. Interessante Aussagen sind nicht nur aufgrund der literarischen, sondern auch mit Hilfe der archäologischen Quellen möglich61: So gilt für die Opferszenen der Trajanssäule, dass je deutlicher die Provinzbevölkerung durch die Kleidung als römisch gekennzeichnet ist, desto weniger Frauen zu dieser Gruppe gehören62. In Szene 91 erscheint bei der ersten, römischen Gruppe keine einzige Frau, bei den Dakern dagegen sind es vier Frauen

gegenüber drei Männern. In der ebenfalls deutlich römisch aufgefassten Opfergesellschaft von Szene 86 stehen zwei Frauen elf Männern gegenüber. Die relativ gemischte Bevölkerung von Szene 80/81 ist auf einem niedrigeren Level romanisiert und ‘schlechter’ gekleidet, da hier häufiger Kapuzenmäntel (paenulae) getragen werden. Hier ist der Frauenanteil dann auch viel höher und beträgt 3:7. Allein bei den barbarisch gekleideten Dakern der Szene 91 sind mehr Frauen anwesend als Männer. Höhe des Frauenanteils und Charakter der Kleidung sind also aufeinander abgestimmt, beide Kategorien werden für die Kennzeichnung der Opfergemeinschaft als vertraut bzw. fremd genutzt. Von N. Terrenato wurde auf Basis von Untersuchungen im Umkreis von Volterra das Konzept der elite negotiation entwickelt63, das hier Th. Schierl einer grundsätzlichen Überprüfung unterzieht. Kritisch anzumerken ist vor allem, dass die Frage der Machtausübung doch deutlich vernachlässigt wird, so dass das idyllische Bild entsteht, im Imperium Romanum konnte zugunsten freiwillig geübten Ausgleichs ganz auf Zwang verzichtet werden64. Daraus ergibt sich zumindest die Konsequenz, dass elite negotiation nur in ganz spezifischen Bereichen praktikabel war. In den letzten Jahren hat sicher das von J. Webster auf die Romanisierung übertragene Konzept der creolization den stärksten Einfluss auf die Forschung gehabt65. S. Matz setzt sich kritisch mit der Kreolisierung als Modell und Ersatz für den Begriff ‚Romanisierung’ auseinander und betont ihre nur partielle Anwendbarkeit. Darüber hinaus sind vor allem die Implikationen problematisch, die sich durch die Ableitung aus der Sprachwissenschaft ergeben66. Gänzlich unklar ist deshalb – im übertragenen Sinn – die Stellung im Kommunikationsprozess. PidginSprachen werden aus dem Zwang geboren und fungieren als notwendige Verständigungsmittel, im übertragenen Sinn hätte dies auch für andere ‚kreolisierte’ Bereiche der Kultur zu gelten. Der Grad der Vergleichbarkeit ist also fraglich, so dass das Modell nicht zu ‚wörtlich’ zu nehmen ist. Dennoch ist die creolization in Zukunft sicher nicht zu ignorieren, da sie m. E. einen Weg bietet, um zentrale Probleme der Romanisierung – Stichworte: vulgar romanization67, Verbindung pragmatische und materielle Aspekte der Kultur – besser in den Griff zu bekommen. Als Option ist Kreolisierung deshalb vor allem in relativ gering romanisierten Kontexten immer ‚mitzudenken’.

55

van Dommelen (2002) (mit älterer Lit.). Vgl. hier den Beitrag von G. Schörner. 57 Eine aktuelle Zusammenstellung allgemein zum Thema gender studies: von Braun – Stephan (2005). 58 z. B. Ye÷eno÷lu (1998) in Anlehnung an Guha (19821987). 59 So Rodgers (2003). 60 S. hier zu Anm. 36. 61 Betrachtung der römischen Kunst aus Perspektive der gender studies: Kampen (1996) 62 Zur Trajanssäule: Cichorius (1896-2000); LehmannHartleben (1926); Baumer – Hölscher – Winkler (1991); zu den Opferszenen L. Winkler in Baumer – Hölscher – Winkler (1991) 267-277 (mit weiterer Lit). 56

63

Vor allem Terrenato (2001). Berrendonner (2003);vgl. auch den Kommentar von Alcock (2001) 218. 65 Webster (2001); Webster (2003). 66 Carr (2003). 67 Begriff übernommen von Alcock (2001); Mattingly (2002). 64

IX

Günther Schörner

BAR in Oxford zur Veröffentlichung bestätigte uns in unserem Vorhaben. Leider konnten schließlich nicht alle Teilnehmer am Kolloquium ihre Beiträge abliefern, so fehlen ursprünglich vorgesehene Artikel z. B. zum kulturellen Widerstand und zur Romanisation von Trinksitten; besonders erfreulich ist es dagegen, dass U. Rothe von der Universität Manchester einen Aufsatz zur Geschichte der Romanisierungsforschung schrieb und M. Rind eine philologische Komponente beisteuerte, da die Latinisierung natürlich nicht nur ein entscheidender Bestandteil der Romanisierung ist, sondern auch als Vergleich für ähnliche Phänomene im Rahmen der materiellen Kultur dienen bzw. zur Klärung der Frage beitragen kann, ob eine solche Parallelisierung überhaupt möglich und sinnvoll ist. Dr. Th. Brüggemann (Universität Halle) erweiterte mit seinem Essay den behandelten Zeitraum bis weit in die Spätantike hinein Ein weiterer eher praktischer Grund für die Berechtigung eines weiteren Beitrages zur Romanisierung liegt in der Forschungssituation in Deutschland selbst68. Grundsätzlich wird im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig über Konzepte und Methoden der Romanisierung diskutiert. Auch die Öffnung für Fragestellungen aus anderen geisteswissenschaftlichen Feldern erfolgte mit deutlicher Verspätung. Dies ist eine Tatsache, die immer wieder von in- und ausländischen Wissenschaftlern konstatiert wird69. Beiträge, die auch Konzepte aus anderen Kulturwissenschaften übernehmen, sind immer noch selten70. Forschungen, die sich mit der Kultur der römischen Provinzen beschäftigen, haben dabei große Vorteile bei der Einlösung dieser Forderung aufgrund der enormen Vielfältigkeit und des Reichtums ihrer materiellen Hinterlassenschaft. Unbestrittene Vorteile der Verwendung im weiteren Sinn kulturwissenschaftlicher Modelle sind vor allem in folgenden Punkten zu sehen71: x Verwendung einer exakten Terminologie x Verdeutlichung innerer Zusammenhänge oder Prozesse x Schaffung eines größeren kausalen Zusammenhangs. Die sachliche Hauptgefahr liegt neben dem häufigen Missverhältnis von theoretischem Vorspann und praktischem Ertrag in der Enthistorisierung, da die spezifischen zeitgebundenen Kontexte aufgelöst werden.

3. Romanisierung – Romanisation als Thema einer Lehrveranstaltung Der Auslöser dafür, dass dieses Buch tatsächlich erscheint, liegt in seiner Entstehungsgeschichte begründet: Die Publikation hat seinen Ursprung in einem Kolloquium, das als Lehrveranstaltung im Wintersemester 2003/2004 und im Sommersemester 2004 an der Friedrich-Schiller-Universität stattfand und an dem sich vor allem (aber bei weitem nicht nur) Magistranden und Doktoranden des Faches ‚Klassische Archäologie’ beteiligten, die sich in ihren Arbeiten mit unterschiedlichen Themen aus dem Bereich des Imperium Romanum beschäftig(t)en. Mit dem Kolloquium sollte deshalb ein Plenum geschaffen werden, in dem zum einen aktuelle Modelle und wichtige Begriffe der Romanisierungsforschung wie Integration und Identität etc. betrachtet und kritisch diskutiert werden, zum anderen aus dem Bereich der eigenen Arbeit Fallbeispiele vorgestellt und mit deren Hilfe diese Modelle auf ihre Praktikabilität geprüft werden. Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass im praktischen Teil ohne spezielle Vorgaben ein sehr weites Spektrum an Themen sowohl in geographischer als auch in zeitlicher Hinsicht abgedeckt wurde, von der Republik bis zur Spätantike, von der Iberischen Halbinsel bis nach Anatolien. Gleichermaßen wurden in den Fallstudien unterschiedliche kulturelle Phänomen behandelt, aus spezifisch archäologischer Sicht verschiedene Materialgruppen wie Siedlungen, Gräber, Keramik und natürlich Bilder im weitesten Sinne. In die Auswahl wichtiger Konzepte und Modelle wurde dagegen steuernd eingegriffen, um einen Kernbestand an Themen zu garantieren. Freilich waren schon aufgrund der begrenzten Zahl der Teilnehmer Einschränkungen notwendig. Weder in der Vorstellung der Konzepte noch in deren Aufarbeitung war auch nur andeutungsweise Vollständigkeit Ziel der Veranstaltung (ganz zu schweigen von der Erfassung der wissenschaftlichen Literatur, altertumswissenschaftlich oder allgemein kulturwissenschaftlich), sollte doch zunächst überhaupt die Bereitschaft zur (und Freude an der) Beschäftigung mit theoretischen Modellen geweckt werden und stand dann die Frage nach der Möglichkeit deren praktischer Umsetzung im Vordergrund. Die Lehrveranstaltung war mit dieser Konzeption und mit diesen Zielen über jede Erwartung hinaus erfolgreich, so dass aus lauter Spaß am Debattieren die allwöchentlichen Kolloquiumssitzungen bald nicht mehr ausreichten, sondern ausgedehnt werden mussten, bis schließlich täglich ‚Romanisierungsgespräche’ geführt wurden, die bisweilen recht heftig ausfielen. Jedenfalls war die ganze Gruppe so eifrig dabei, dass bald der Wunsch nach Publikation der Beiträge laut wurde, der durch verschiedene Stimmen von außerhalb unterstützt wurde. Diese Reaktionen zeigten uns auch, dass der Markt auf dem Feld der Romanisierung anscheinend noch nicht gesättigt ist; nicht zuletzt die prompte Bereitschaft des

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Krauße (1996). Implizit: Krauße (1996); vgl. verschiedene Diskussionsbeiträge in Haffner – von Schnurbein (2000) 533f. (T. Derks); 534f. (J. F. Drinkwater); 538f. (C. Haselgrove). 70 Z. B. die Beiträge in Noelke(2003); vgl. jedoch Heimberg (1998) und natürlich Krauße (1996) und Spickermann (2001); Spickermann (2003). 71 Krauße (1996) 270f. 69

X

Einführung

Die Einbeziehung ethnologisch-kulturanthropologischer Modelle ist natürlich kein Allheilmittel, sondern sollte immer unter zwei Prämissen erfolgen72: x kritische Überprüfung der entsprechenden Modelle x Kenntlichmachung der Modelle. Deshalb soll der erste Punkt hier in einem ersten Teil, der zweite in den Fallbeispielen des zweiten Teils eingelöst werden. Gerade für die Konkretisierung stehen genügend Quellen unterschiedlicher Gattungen für entsprechende Einzeluntersuchungen zur Verfügung. Im Idealfall sollten die archäologischen Befunde unter Nennung der theoretischen Anwendungen interpretiert werden. Eine andere Ursache für diese eher zögerliche Beschäftigung mit allgemeinen Problemen des Romanisierungsprozesses ist die Trennung der verschiedenen archäologischen Disziplinen, wobei insbesondere die Existenz eines Faches ‚Provinzialrömische Archäologie’ ein deutsches Spezifikum darstellt73. Dies führt dazu, dass nicht immer im erforderlichen Umfang sämtliche sich an der Diskussion im Sinne eines gesamtaltertumswissenschaftlichen Diskurses beteiligen. Ohne den im Rahmen unseres Unternehmens megalomanen Anspruch erheben zu wollen, dieses Manko beseitigen zu können – dies ist schon aufgrund der Konzeption nicht beabsichtigt, zudem gibt es in Jena keine ‚provinzialrömische Archäologie’ –, werden hier philologische, althistorische und archäologische – prähistorische und klassische – Beiträge zusammengeführt, wobei im Laufe der Dauer des Kolloquiums freilich die Disziplinengrenzen immer mehr verschwammen und durchlässig wurden. Aus der Sicht der Klassischen Archäologie wird deshalb hier relativ selten ‚große’ Kunst behandelt, häufiger ist vom ‚provinzialrömischen Kunstschaffen’ die Rede.

verstärkter Austausch unter Spezialisten und Generalisten in verschiedenen Foren und die Erstellung von Synthesen weiterhelfen. Zudem erfordert die Komplexität des Romanisierungsprozesses es notgedrungen, stark lokal eingegrenzt zu arbeiten. In vielen Fällen wird deshalb nicht nur von einer Fragmentierung, sondern gar einer Atomisierung gesprochen. Es ist also nach Optionen der Vereinheitlichung zu fragen. Auch hier muss versucht werden, durch Disziplinen übergreifende Arbeiten Abhilfe zu schaffen. Die beklagte Dekonstruktion der Romanisierung ist eine Folge eben von Spezialisierung und Fragmentierung, ein Mittel zur Sinngebung ist trotz aller notwendigen Einschränkungen die Anwendung von Interpretationsmodellen außerhalb der Archäologie. G. Woolf hat vor kurzen zudem die Entwicklung einer ‚Historischen Archäologie’ gefordert, die gleichermaßen der literarisch-epigraphischen und materiellen Kultur der römischen Kaiserzeit Rechnung trägt, also weder eine Ersatz-Vorgeschichte betreibt mit bewusstem Verzicht auf althistorische Forschung, um kulturanthropologische Modelle etc. ohne altertumswissenschaftlichen ‚Ballast’ anwenden zu können, noch eine Archäologie, die nur zur Illustration von ‚Wahrheiten’ dienen kann, die anhand absolut gesetzter, die Deutungshoheit vermittelnder Texte herhalten soll75. Erklärungsmodelle sollten also dem archäologischen Material direkt entnommen werden. Grundsätzlich ist es sicher schwierig, den erforderlichen Spagat zwischen im Material begründeter differenzierter Betrachtungsweise und verallgemeinernder gültiger Darstellung zu machen. Neben diesen allgemeinen konzeptionellen Problemen gibt es natürlich auch speziellere, die Romanisierung als solche betreffende Fragen, die im Rahmen des Kolloquiums diskutiert wurden. Eine besondere Aufgabe liegt in der Historisierung der Vorgänge76. Können Regionen übergreifend ähnliche Abläufe konstatiert werden? Konkret gefragt: Können, wie dies W. Spickermann für die germanischen Provinzen vorgeschlagen hat77, auch für andere Regionen folgende drei Phasen unterschieden werden: x formative Periode x Konsolidierungsperiode x Periode der Romanisation? Ist diese Einteilung reichsweit gültig, auch in Relation zu Rom und Italien selbst? Weitere Fragen, die uns wichtig erschienen, betrafen die Beurteilung ähnlicher Phänomene: Können Hellenisierung, Punisierung (und evtl. auch Christianisierung) mit der Romanisierung verglichen werden? Um das Problem, welche aktive Rolle Rom bei der Romanisierung spielte, wie also Roms Macht und Herrschaft wirkten, besser untersuchen zu können, ist

4. Aufgaben Mehrere in jüngster Zeit erschienene eher resümierende Aufsätze zum Stand der römischen Archäologie kommen zu durchaus vergleichbaren Einschätzungen, was die zukünftigen Aufgaben der Forschung betrifft, weil sie vor allem ähnliche Probleme sehen74: x Spezialisierung x Fragmentierung x Fehlen ‚großer Erzählungen’ – Dekonstruktion. Die ersten beiden Punkte ergeben sich aus der Forschungssituation nahezu selbstläufig: Der Informationsgewinn durch neue Grabungen und Surveys hat einen solchen Umfang angenommen, dass eine immer stärkere Spezialisierung notwendig ist. Hier kann nur 72

Krauße (1996) 270f. So auch Woolf (2004) 426; zur Situation: Bender u. a. (2000). 74 Gardener (2003a); James (2003); Woolf (2004) 73

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Woolf (2004) 426. Gardener (2003a) 77 Spickermann (2003) 312-318. 76

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Günther Schörner

zudem Formen der Romanisation außerhalb des Imperium Romanum nachzugehen78, wobei nicht nur das thüringische Haarhausen79, sondern natürlich auch Hatra oder Ghirza zu berücksichtigen sind80. Schließlich ist, zugleich als Gegenprobe bestimmt sehr aufschlussreich, zu fragen, wie sich das Ende der römischen Herrschaft auf die Kulturen der Regionen des Imperium Romanum auswirkte. In welchen Bereichen wurde zuerst auf Elemente verzichtet, die für uns römisch konnotiert sind? Wie erfolgte also die Deromanisierung? Romanisierung als Thema der Altertumswissenschaft erscheint mir also alles andere als tot, sondern sehr lebendig!

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5. Danksagung Danken möchte ich zunächst allen Teilnehmern am Kolloquium, die mit ihren Beiträgen, ihrer Diskussionsfreudigkeit und ihrem Engagement die Voraussetzung für das Gelingen dieses Projekts waren. Besonderer Dank gilt Mareike Rind, die sich der entsagungsvollen Aufgabe, das Layout zu erstellen und die Texte redaktionell zu bearbeiten, unter nicht immer einfachen Bedingungen widmete. Der Belegschaft der Universitätstagungsstätte ‚Haus Rosenbaum’ in Siegmundsburg, vor allem Frau K. Kühnlenz, möchte ich für die Bewirtung während unserer Abschlusstagung vom 23. bis 25. Juli 2004 danken, so dass wir uns zwar in den Wäldern des Barbaricum, aber ungestört und konzentriert mit Problemen der Romanisierung beschäftigen konnten. Als besonderen Glücksfall empfinde ich, dass auch die Beiträge eines ‚Graduiertenkolloquiums’ gedruckt werden konnten. Diese Publikation wäre nicht möglich gewesen ohne einen namhaften Druckkostenzuschuss der Gesellschaft der ‚Freunde und Förderer der FriedrichSchiller-Universität Jena’. Hierfür möchte ich ebenso danken wie für die Bereitschaft des BAR unsere Beiträge in der vorliegenden Form zu drucken.

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Krauße (2003) 318-320; zur Romanisierung vor der Eroberung exemplarisch: Haselgrove (1984). 79 Dušek (1999) 134-137 (mit weiterer Lit.). 80 Hatra: Sommer (2003); Ghirza: Brogan – Smith (1984); Mattingly (2003); allgemein wichtig: Grahame (1998b).

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XII

Einführung

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XVI

Die Anfänge der Romanisierungsforschung von

Ursula Rothe Zusammenfassung:

auseinandergesetzt. Hier muss die Arbeit vor allem Richard Hingleys und Phil Freemans erwähnt werden, die sehr umfangreich die Ideologie des 19. Jahrhunderts und die Urheber des Romanisierungskonzeptes, insbesondere Theodor Mommsen und Francis Haverfield, behandelt1. Doch diese Literatur deutet oft an, dass man sich, indem man mit einem kritisierenden Finger auf die Voreingenommenheit der Vorfahren zeigt, sich von Subjektivität gänzlich befreit, ohne zu bedenken, wie sehr das eigene zeitliche Umfeld einen selbst beeinflusst. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Romanisierungskonzeptes ist gerade in Großbritannien durch die retrospektive Bearbeitung der eigenen Kolonialgeschichte angeregt worden. In der deutschsprachigen Forschung ist das Thema jedoch überhaupt selten behandelt worden.

Seit der Entwicklung des Romanisierungskonzeptes im späten 19. Jahrhundert bis heute ist das Verständnis der kulturellen Prozesse im römischen Reich immer sehr vom wandelnden Zeitgeist und von ideologischen Entwicklungen beeinflusst gewesen. Dieser Artikel soll kurz die Anfänge der Romanisierungsforschung schildern. Dabei werden Aspekte der ideologischen und welthistorischen Entwicklungen der Zeit wie auch die Umgebung der „Romanisierungspioniere“ und ihren Einfluss wiederum auf das damalige Verständnis der Romanisierung behandelt. Der Standpunkt ist allerdings nicht, wie oft üblich in der Altertumswissenschaft, von oben herab, mit einem kritisierenden Zeigefinger auf die Subjektivität früherer Forscher aufmerksam machend. Man soll dabei vor allem bedenken, wie sehr auch die eigenen Ansätze immer noch von zeitgenössischen Denkweisen gelenkt werden.

Dieser Aufsatz soll einen kurzen Grundriss der Anfänge der Romanisierungsforschung bieten2. Nach einer knappen Schilderung einiger wichtiger ideologischer Aspekte der Epoche gilt es einige Worte über die zwei Hauptfiguren der Romanisierungsforschung in dieser Zeit zu verlieren: Mommsen und Haverfield. Daran schließt ein Überblick über das damalige Verständnis von Romanisierung an, in drei Teile gegliedert: Erstens, das Wesen der Romanisierung; d. h. was war die ursprüngliche Vorstellung bezüglich des Kulturaustauschs? Wurde er von den Römern vorangetrieben? Wie standen die Einheimischen dieser neuen Kultur gegenüber? Zweitens, der Umfang der Romanisierung: Welches Bild hatte man vom Ausmaß der kulturellen Änderungen, nicht nur geographisch, sondern auch zeitlich und in Bezug auf verschiedenen Schichten der Gesellschaft? Drittens: Was waren die Merkmale, anhand derer man die Romanisierung gemessen hat, bzw. was hielt man für die Kanäle, durch welche die Romanisierung vonstatten ging? Diese Einteilung ist an sich hilfreich, um dem etwas schwammigen Begriff etwas Ordnung zu verleihen, sie wird aber noch nützlicher, wenn man anfängt, das

Abstract: From the late 19th century, when the concept of Romanisation was created, to the present day, our understanding of cultural processes in the Roman Empire has always been under the influence of the changing Zeitgeist and ideological developments. This article will briefly outline the origins of Romanisation studies. Far from wanting to take the standpoint of the betterinformed drawing attention to the subjectivity of earlier research, the aim is to make clear how environment informs scholarship and should provoke scholars to realize the extent to which their own attitudes and their criticism of earlier scholarship are also shaped by contemporary streams of thought. 1. Einführung Die Romanisierung als Begriff wird immer problematisch sein, denn sie ist ein Produkt sowohl einer sehr spezifischen Zeit wie auch eines sehr spezifischen Raumes, nämlich Westeuropa im späten 19. Jahrhundert. Deshalb bleiben Aspekte ihrer Anfänge bis heute in der Vorstellung des Begriffes erhalten. So ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, aus welchem Zeitgeist der Terminus der Romanisierung entstanden ist und was die ursprüngliche Vorstellung dieses wichtigen Konzepts der Altertumswissenschaft war.

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Freeman (1993) 438-445; Freeman (1996) 19–34; Freeman (1997) 27-50; Hingley (1991) 90–101; Hingley (1994) 11-23; Hingley (1996) 35–48; Hingley (2000). 2 Dabei sollte erwähnt werden, dass man sich zu diesem Zeitpunkt aus Gründen der geographischen Herkunft der ersten Romanisierungsforscher, mit den Kulturprozessen vor allem in den Nordwestprovinzen des römischen Reiches auseinandergesetzt hat. So überträgt sich diese geographische Schwerpunktsetzung zwangsläufig auf meine Arbeit.

In den letzten Jahren haben sich einige, hauptsächlich britische, Altertumswissenschaftler mit diesem Thema

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Verständnis der Romanisierung mit dem späterer Epochen zu vergleichen. Letzteres ist ein Thema, das in einer Publikation größeren Umfanges zukünftig von mir behandelt werden wird3.

Doch auch anderswo in Europa herrschte die Ideologie des Imperialismus. Zudem wurde Charles Darwins Evolutionstheorie in ganz Europa Inspirationsquelle für ähnliche Ansätze in den Sozialwissenschaften, wie etwa Herbert Spencers Social Darwinism. Die Idee eines linearen Entwicklungsablaufes diente als ideologisches Fundament für das Bild der ‚primitiven’ Völker, die durch die europäische Kolonialmächte ‚zivilisiert’ wurden. Für die Briten galt das viktorianische England als der Gipfel dieser „social and moral trajectory“7. So entwickelte sich besonders in England im 19. Jahrhundert die Überzeugung, dass sie eine mission civilisatrice zu erfüllen hätten8. Dementsprechend sah man die Römer auch als eine evolutionäre Rolle ausfüllend.

2. Das 19. und frühe 20. Jahrhundert Zu Anfang des 19. Jahrhunderts dominierten die Ansätze von E. Gibbon (1737-1794) und B. G. Niebuhr (17761831) die römische Geschichtsforschung. Zwar hatte sich die Wissenschaft gegenüber vorigen Zeiten weit entwickelt4, doch auch wenn einige5 sich im neuen Feld der Archäologie sehr engagiert zeigten, basierte die Altertumswissenschaft zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich auf schriftlichen Quellen. Ebenso waren die Interessensgebiete andere als am Ende des Jahrhunderts: Das Augenmerk galt weniger den ‚gewöhnlichen’ Bewohnern des Reiches, über die aufgrund des Fehlens archäologischer Quellen ohnehin nur wenig bekannt war; die Forschung beschränkte sich weitgehend auf die herrschenden Klassen und ihre Eroberungen.

Nicht nur Altertumswissenschaftler zogen Vergleiche zwischen Rom und Britannien, sondern auch Politiker. So sprach beispielsweise Lord Cromer in zahlreichen Reden und Publikationen vom römischen Reich als moralisches und verwaltungstechnisches Vorbild. Er suchte „… in the history of imperial Rome for any facts or commentaries gleaned from ancient times which might be of service to the modern empire of which we are so justly proud“9. Das belegte er mit der Theorie, „in politics, as in natural sciences, similar combinations will bring about similar results“10. Doch dieses ständige Vergleichen kann auch als eine Art Rechtfertigungsrhetorik angesehen werden, mit welcher europäische Mächte versuchten, die Ausbeutung der von ihnen unterworfenen Völker im Kontext eines historischen Schicksalsgedankens zu begründen11. Die Wurzeln eines so selbstverständlichen Vergleichsansatzes in Großbritannien liegen vor allem im damaligen Bildungswesen: Altertumswissenschaften machten einen Großteil der traditionellen englischen Schul- und Universitätsausbildung aus. Ein Verständnis der Philosophie und Tugendlehre der klassischen Schriftsteller wurde als wichtiger Grundstein für die Charakterbildung eines britischen Gentlemans gesehen, von denen später viele im imperialen Verwaltungsapparat tätig sein sollten12. Doch nicht nur in England beeinflussten Verknüpfungen zwischen Antike und Moderne die Altertumswissenschaft. Zudem trug der heranwachsende Nationalismus in allen europäischen Staaten dazu bei, dass ein Verlangen nach Ursprungsmythen und Anknüpfungen an die ‚Vorfahren‘, als welche die Kelten und Germanen betrachtet wurden, entstand13. Solche Analogien waren aber natürlich immer

Das Fehlen an Wissen über und Interesse an der Masse der Reichsbevölkerung führte auch zu der Annahme, dass alle römischen Funde innerhalb der Provinzen mit Einwanderern aus Italien in Verbindung zu bringen seien. Mit dieser Vorstellung verbunden war ein Bild des römischen Einwanderers, angesiedelt in isolierten Enklaven, umgeben von unzivilisierten Einheimischen. Ein möglicher kultureller Austausch wurde nicht in Betracht gezogen. Infolgedessen gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Romanisierungsforschung. Das geistige Klima der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zu wesentlichen Änderungen. In Großbritannien kann diese Zeit als Höhepunkt des britischen Empires gesehen werden. Das römische Reich und seine Verwaltung wurden als Ursprung, Vorbild und Inspirationsquelle für das britische Empire betrachtet6. 3

Rothe (im Druck). Insbesondere Niebuhr forderte einen kritischeren Umgang mit den lateinischen Quellen und bevorzugte die objektiveren antiken Annalisten, ein Ansatz, der im Gegensatz zum bis dahin üblichen, einen eher romantischen Umgang mit der römischen Geschichte zur „Idee der historischen Wahrheit“ führte (Peter [1863] 2). Sein sachlicher, methodischer Umgang mit den Quellen „(...) inaugurated the systematic study of Roman history“ (Gooch [1952] 18). 5 z. B. Niebuhr. 6 Hinzuzufügen ist, dass die Briten ihr Reich aufgrund des despotischen Wesens der römischen Herrschaft als überlegen betrachteten. Siehe z. B. Richards (1901) 41: „[The Roman government] was all foreign, external to the people – giving them certain undoubted benefits, such as the English give to India, but making little attempt, as the 4

English do, to elevate the subjects to the power of selfgovernment.“ 7 Hingley (1994) 13. 8 Siehe hierzu Hingley (1994); Hingley (1996) bes. 36. 9 Zitat Cromer (1913) 80. 10 Zitat Cromer (1910) 115. 11 Siehe hierzu z. B. Drummond – Nelson (1994). 12 Siehe hierzu Hingley (2000). 13 Hier denke man nur an das Hermannsdenkmal bei Detmold. Die Entwicklung ist von Haverfield

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foreigners to open up Germany’[17], and this internal strife of German against German runs through Mommsen’s depiction of Roman Imperial history”18.

selektiv. Manche Aspekte wurden besonders hervorgehoben, andere modifiziert oder ignoriert. Darüber hinaus wurde die römische Geschichte fast ausschließlich in einem positiven Licht dargestellt14. So entwickelte sich ein spezifisches Bild der römischen Geschichte, von dem der anfängliche Romanisierungsansatz geprägt ist. Doch die Entwicklung dieser Zeit, die speziell für die Altertumswissenschaft am wichtigsten sein sollte, war das Bewusstwerden des Potenzials von nicht-literarischen Quellen. Erst durch die Beschäftigung mit dieser Quellengruppe, insbesondere durch Mommsen und seinen Zeitgenossen, konnten sie das Romanisierungskonzept entwickeln. So gilt es im Folgenden diese Personen und ihre Beiträge näher zu betrachten.

Mommsens bedeutendster Beitrag zur Altertumswissenschaft war die Erschließung neuer Quellengattungen. Er förderte Münzen und Inschriften als wichtige Quellen und ebnete so den Weg für die moderne Epigraphik und Numismatik. Das Mammutprojekt CIL, das einen Großteil der bis dahin bekannten Inschriften methodisch erfasste, machte sie für die Wissenschaft erstmals zugänglich. Die Analyse dieser neuen Quellen ging einher mit einer neuen Deutung derselben, und ließ so neue Erkenntnisse über die römische Geschichte, sowie ein methodischeres, quellenbasierteres Vorgehen, zu19. Dies ermöglichte erstmals Einblicke in das Leben und die Kultur der ‚gewöhnlichen’ Reichsbewohner und führte zu einer revolutionären Erkenntnis: Der Großteil der römischen Funde in den Nordwestprovinzen stammte von Einheimischen, die Elemente römischer Kultur angenommen hatten, und nicht von Einwanderern aus Italien, wovon man bisher ausging. Dies führte zu einem zunehmenden Interesse an der Geschichte der Provinzen und zudem zwangsläufig zu einer stärkeren Beachtung der Kaiserzeit. In den ersten Jahren beschäftigte sich Mommsen, wie seine Zeitgenossen, mit der Republik20. Doch bald erkannte er das Spannende an der Kaiserzeit und konzentrierte sich zunehmend auf diese21.

3. Theodor Mommsen (1817-1903) Mommsen begann seine wissenschaftliche Karriere mit dem Studium der Geschichts- und Rechtswissenschaft an der Universität Kiel. Er erwarb dort 1843 seinen Abschluss und wurde 1848 für drei Jahre Professor für Zivilrecht in Leipzig. 1852 bis 1861 lehrte er zuerst in Zürich, dann in Breslau, um 1861 eine Professur für Alte Geschichte in Berlin anzutreten. Sein Leben war aus wissenschaftlicher Perspektive außerordentlich ertragreich: Er veröffentlichte etwa 1500 Publikationen und gewann 1902 den Literatur-Nobelpreis für seine Römische Geschichte. Als aktiver Zeitzeuge der politischen Wirren der Mitte des 19. Jahrhunderts und des wachsenden deutschen Nationalbewusstseins sah er, ebenso wie seine britischen Kollegen, Parallelen zum Zeitgeschehen in der römischen Geschichte. Er glaubte fest an die pädagogische Rolle der Geschichtswissenschaft. Sein politisches Anliegen war die Vereinigung der deutschen Länder zu einer Nation. Für diese betrachtete er die römische Einigung Italiens als ein Vorbild15. So flossen für das 19. Jahrhundert typische Begriffe in Mommsens Schriften ein, vor allem das Wort ‚Nation‘. Die Begriffe ‚Germanen‘ und ‚Deutsche‘ waren für ihn von gleicher Bedeutung16. Für Mommsen könnten die Deutschen von der Geschichte der Germanen etwas lernen: „(...) the Germanic peoples were for Mommsen, as for many others in his day, the ancient Germans, (...) Mommsen castigated them for this same reason. For even then they possessed the German national vice: factionalism. Even under Augustus, ‘Germans helped

Weil er den Antrieb gab für die Beschäftigung mit neuen Quellen – und dadurch mit der Provinzialbevölkerung – wird Mommsen als Urheber des modernen Romanisierungskonzepts angesehen. Doch obwohl er sich sehr für die Archäologie einsetzte, blieb Mommsens Reform auf die Bereiche der Epigraphik und Numismatik beschränkt. Wie Haverfield schrieb, „he did not often

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Mommsen (1905) 332. Zitat Demandt (1990) 292. 19 Siehe hierzu Peter (1863). 20 Er soll einmal gesagt haben, das Prinzipat habe „wenig Geist, noch weniger Geschmack und am wenigsten Freude am Leben.“ (Zitat: Macdonald [1919–1920] 490). 21 Macdonald (1919–1920) 490: Als alter Mann soll er sogar behauptet haben, wenn er sein Leben noch mal leben durfte, würde er sein Studium der römischen Geschichte mit Diocletian anfangen. Siehe hierzu Starr (1987) bes. 47. Die stärkere Beachtung der Kaiserzeit als Trend dieser Zeit ist auch von Stobart festgehalten worden: „The Roman histories of the nineteenth century were wont to stop short with the Republic, because ‘Classical Latin’ ceased with Cicero and Ovid. (…) From the standpoint of civilisation this is an absurdity. The Republic was a mere preface. The Republic until its last century did nothing for the world, except to win battles whereby the road was opened for the subsequent advance of civilisation“ (Stobart [1912] vii). 18

festgehalten worden: „Napoleon broke Europe into a new order, and therewith came new national consciousness and a zeal in each people for national history“ (Haverfield [1904] 80). 14 Vgl. hierzu Webster (1996) 1-17. 15 Zum letzteren siehe Freeman (1997); Linderski (1984) 133-164; Demandt (1990) 285-307. Allgemein zu Mommsen und seinem Werk siehe Hartmann (1908). 16 z. B. Mommsen (1941) 105.

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advance into the regions of the uninscribed“22. Funde wie Gebrauchsgegenstände und Gebäudereste hatten zu Mommsens Zeit noch nicht die Bedeutung erhalten, die sie bald haben sollten. Das Potential der Archäologie entfaltete sich erst unter seinen englischen Nachfolgern.

Die positive Einstellung zu den Forschungsansätzen im kontinentalen Europa sowie die Freundschaft zu Mommsen, die Pelham Haverfield vererbte, prägten die Arbeit Haverfields in starkem Maße. Ihm wurde sogar vorgeworfen, Mommsen vergöttert zu haben29, und in der Tat bewunderte er den Deutschen ungemein30. Mommsen erteilte ihm den Auftrag, die britischen Inschriften für den entsprechenden CIL-Band (VII) zusammenzutragen, welcher ihm zu seinem Ruf als bedeutsamer Epigraphiker verhalf. Er übersetzte zudem Teile der Römischen Geschichte ins Englische. Doch blieben ihm auch die Schwächen des Mommsenschen Werkes nicht verborgen. Haverfield machte es sich zur Aufgabe, diese Lücken, vor allem die mangelnde Berücksichtigung der Archäologie, zu schließen. Romanization erschuf er als Konzept, um die kulturellen Entwicklungen in der Provinz Britannia zu erklären, die in Folge der römischen Eroberung stattfanden. Diese neuen Ansätze kamen in The Romanization of Roman Britain zur Entfaltung, ein Werk, das zuerst als Vortrag im Jahre 1905, im Jahre 1912 dann als ganzes Buch publiziert wurde und „set the agenda for Romano-British studies for the next sixty years“31.

4. Francis Haverfield (1860-1919) Haverfield studierte 1879-1884 Altertumswissenschaft am New College in Oxford und lehrte später dort am Christ Church College (1892-1907). Er war Schüler, Kollege und, ab 1907, als Camden Professor, Nachfolger von Henry Francis Pelham (1846-1907). Pelham hatte zwar wenig publiziert, Haverfield zählte ihn jedoch zum Hauptakteur der „revolution in Roman history“23. Pelham war mit Mommsen gut befreundet und bewunderte die wissenschaftlichen Entwicklungen auf dem Kontinent. Er teilte Mommsens Interesse an der provinzialen Gesellschaft24, unterstützte die Archäologie und führte selbst Ausgrabungen durch. Er war es, der Haverfield Mommsen vorstellte und in die Archäologie einführte25. Haverfield veränderte das Ansehen, den Umfang und den Inhalt der Archäologie in Britannien. Er arbeitete gegen die Intoleranz vieler seiner Kollegen gegenüber der Archäologie, bedauerte ihren noch unerheblichen Stellenwert in der Altertumswissenschaft26 und verlangte ihre Einbeziehung in die Curricula der Universitäten. „Today the spade is mightier than the pen; the shovel and pick are the revealers of secrets“, soll er einmal gesagt haben27. Er war fest davon überzeugt, dass die Archäologie den Weg ebnen würde für eine neue, viel umfangreichere Geschichtsschreibung als durch die Analyse der schriftlichen Quellen möglich war: “The more I study the ordinary written materials, the harder I find it to learn the truth from them, the more often I feel that the story they tell is not the story which is worth telling. I would sacrifice all that tract of Arrian which Professor Pelham was discussing, for a little appropriate archaeological evidence”28.

Haverfield setzte die Beschäftigung Mommsens und Pelhams mit der Kaiserzeit fort. Ihm wurde sogar vorgeworfen, die Republik vernachlässigt zu haben. Hierfür liefert George Macdonald eine Erklärung: “[Haverfield] held that the ‘sources’ for the period of the Republic, being almost entirely literary, had probably taught us as much as we were ever likely to know. There was no scope for the exercise of his particular gifts. … The Empire, on the other hand, with its wealth of archaeological material, offered unlimited opportunities for independent inquiry and for the thrill of new discovery (…)”32. Haverfields Einstellung zur römischen Geschichte muss im Zeitgeist des imperialistischen Englands der Jahrhundertwende gesehen werden, jedoch ist umstritten, inwieweit Haverfields Bild vom römischen Reich auf dem britischen Empire basierte. Richard Hingley glaubt, dass Haverfield stark im Kontext seiner Epoche dachte33: “Presumably the process of romanization, by which the native British became more like the Romans was also

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Zitat Haverfield (1904) 86. Haverfield (1911a) xvi. 24 Stuart-Jones (1920) 4. 25 Durch Vermittlung Pelhams war Haverfield in die Cumberland & Westmorland Society eingetreten, eine private archäologische Organisation, die am Hadrians Wall tätig war. Für Näheres zu Pelham und sein Beitrag zur Romanisierungsforschung siehe Freeman (1997) bes. 36ff. 26 Haverfield (1912) 339: “[The general reader] gets excited at the prospect of new texts emerging from the tombs of Egypt or the libraries of Greece or Turkey (…). He forgets (…) the yet more important fact that the earth around him, in England or France or Germany, is full of precious stuff, though not of texts.“ 27 Zitiert in: Craster (1920) 65. 28 Zitat Haverfield (1911b) xvi. 23

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z. B. Macdonald (1919–1920) 489: „His admiration for him amounted to reverence.“ 30 Haverfield (1911b) xiv: „[Mommsen] was the greatest scholar of the European world since the Renaissance, and his unequalled and amazing achievements stamp the historical research of the nineteenth century with its particular feature.“ 31 Zitat Hingley (1994) 15. Für weitere Informationen zu Haverfield und seine Ansichten, siehe auch Freeman (1997) 38ff. 32 Zitat Hingley (1994) 15. 33 Hingley (1996); Hingley (1994) 17f.

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conceived by Haverfield as a testament to the fact that the idea of progress had real validity in his own world; if Rome had succeeded why should the British not also?”34. Und tatsächlich findet man in Haverfields Schriften Belege für eine solche Auffassung: „[Rome’s] republican constitution offers the one true analogy to the seeming waywardness of our own English constitution. Its imperial system, alike in its differences and similarities, lights up our own Empire, for example in India, at every turn”35.

die antiken Vorfahren und der unkritische Umgang mit dem Imperialismus waren für Haverfield, wie für die meisten seiner Zeitgenossen, selbstverständlich. 5. Das Wesen der Romanisierung 5.1. Die Romanisierung und der römische Imperialismus Das Romanisierungskonzept ist im Geiste des 19. Jahrhunderts entstanden, und die Weltanschauung dieser Zeit schlägt sich vor allem im damaligen Verständnis vom Wesen der Romanisierung nieder. Von Mommsen stammt die Idee des ‚defensiven Imperialismus’39. Diese Vorstellung eines ‚unschuldigen‘ Imperialismus stimmte mit Mommsens Überzeugung von der Rechtschaffenheit der römischen Sache überein: Rom und seine Expansion wurden von ihm durchweg positiv dargestellt40. Er betrachtete es als Naturzustand (als Metapher benutzte er das Gravitationsgesetz), dass politisch höher entwickelte Staaten diejenigen Nachbarländer absorbieren, die nicht so weit entwickelt sind, sehr im Sinne der Darwinschen Theorie. Mommsen glaubte fest an den „notwendigen endlichen Sieg des Edlen über das Gemeine“41. So habe Rom die weltgeschichtliche Rolle eingenommen, die Zivilisation nach Westeuropa zu bringen: „(...) ohne die römischen Eroberungen würden wir nichts von Kultur wissen, und innerhalb dieser Grenzen war ihre Erscheinung das größte Weltereignis, welches je vor sich gegangen ist. ... Wenn man sich wundert, dass die Römer nicht auch, wie Alexander der Große, nach Arabien und Indien gingen, sondern alle ihre Kräfte darauf verwendeten, Spanien, Gallien, Germanien, Dacien zu zivilisieren, so liegt der welthistorische Grund dieser Erscheinung darin, dass die zivilisierende Tendenz im Osten schon durchgeführt war, und der welthistorische Beruf Roms nur der war, von der Mitte der Welt aus, welche Rom eingenommen hatte, den Okzident zu zivilisieren“42.

Phil Freeman dagegen unterstreicht die relative Seltenheit solcher Vergleiche in den Werken Haverfields. Er betont dessen kontinentaleuropäischen Blickwinkel, der mitunter in der Tatsache zu sehen ist, dass er viele Vergleiche zwischen Ereignissen der Antike und des modernen Kontinentaleuropa anführte. Freeman zieht in Erwägung “(…) a possible reluctance on Haverfield’s part to see his teaching directed to the training of potential colonial administrators. Placed in the context of Haverfield’s repeated failure to discuss British imperialism and the Roman Empire, this reluctance may reflect a broader unhappiness with British imperialism. This would not be at variance with Haverfield’s pan-European outlook”36. Haverfield hat tatsächlich die Nutzung der Geschichte für Analogien und politische Argumentation missbilligt: „[Greek history] provides few direct parallels or precise precedents; the wise man does not look for that in history“37. Haverfield war weniger nationalistisch eingestellt als die meisten seiner Zeitgenossen. Er sah Großbritannien als einen kleinen Teil Europas; dementsprechend sah er auch das römische Britannien als einen unwesentlichen Teil des römischen Reiches38. Doch trotz seiner Aufgeschlossenheit war Haverfield in vielerlei Hinsicht ein Kind seiner Zeit. Die Vorstellung eines linearen Fortschritts mit der Unterscheidung in zivilisiert und primitiv, die genealogische Anknüpfung an

So war für Mommsen die Romanisierung ein von den Römern bewusst gesteuerter Prozess. In diesem Zusammenhang bezog er sich unter anderem auf Tacitus, Agricola 21, der Forschern als der locus classicus gilt, um eine solche gelenkte Romanisierung nachzuweisen.

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Zitat Hingley (1994) 16f. Siehe auch Haverfield (1911b) xviii: „The methods by which Rome incorporated (…) more than half of its wide dominions, and the success of Rome (…) in spreading its Graeco-Roman culture (…) concern in many ways our own age and Empire“. 36 Zitat Freeman (1996) 30. 37 Haverfield (1911b) xviii. Für Haverfield war die Hauptaufgabe des Geschichtslehrers „(…) to widen the political imaginations of their audiences, and to make them realise that, quite apart from the personal factors of any moment, there are forces and tendencies not easily stated except in the abstract.“ (Haverfield [1910] 105f.). 38 Craster (1920) 69. Es herrschte ein sehr britannienzentrierter Ausblick in der römischen Archäologie in Großbritannien, den Haverfield in vielen seiner Vorlesungen angefochten hat, indem er die Unwesentlichkeit Britanniens im römischen Reich betonte. 35

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Siehe hierzu Mattern (1999) 214; Linderski (1984) 133, der Mommsen als „the originator, and to many the holy patron, of the idea of defensive imperialism“ beschreibt. 40 z. B. Mommsen (1941) 8: „[W]enn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet damals oder heute mit größerem Verstande und mit größerer Humanität regiert worden ist, ob Gesittung und Völkerglück im Allgemeinen seitdem vorwärts- oder zurückgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Spruch zu Gunsten der Gegenwart ausfallen würde.“ 41 Mommsen (1905) 89. 42 Zitat Mommsen (1941) 497f.

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Ihre Bedeutung ist in der Altertumswissenschaft jedoch umstritten: Sequens hiems saluberrimis consiliis absumpta. Namque ut homines dispersi ac rudes eoque in bella faciles quieti et otio per voluptates adsuescerent, hortari privatim, adiuvare publice, ut templa fora domos extruerent, laudando promptos, castigando segnis: ita honoris aemulatio pro necessitate erat. Iam vero principum filios liberalibus artibus erudire, et ingenia Britannorum studiis Gallorum anteferre, ut qui modo linguam Romanam abnuebant, eloquentiam concupiscerent. Inde etiam habitus nostri honor et frequens toga; paulatimque discessum ad delenimenta vitiorum, porticus et balinea et conviviorum elegantiam. Idque apud imperitos humanitas vocabatur, cum pars servitutis esset43.

Besiegung bekam die Griechenland und im Barbaren“45.

Kulturwelt in Italien, in Orient Ruhe vor diesen

Haverfield hat die Ansätze Mommsens verinnerlicht und erheblich weiter entwickelt. Für ihn war die Romanisierung gleichzusetzen mit Zivilisierung, welche nicht biologisch bedingt war, sondern durch einen Lernprozess übernommen werden konnte: „The spread of Roman civilization was not the spread of a race. It was the adoption of an external civilization by other races, kindred indeed, but hitherto distinct in blood and speech and customs. … It is an instance, and perhaps the best instance in all history, of the influence of a higher civilization on lower races fitted to assimilate it”46. Er betrachtete die Völker der Nordwestprovinzen als „racially capable of accepting Rome’s culture“47. Wie Mommsen sah er die weltgeschichtliche Bedeutung Roms darin, diese Völker zu zivilisieren: „In the end the Roman legionary went down before the Gothic horseman. But before he fell he had done his work. In the lands that he had sheltered, Roman civilization had taken firm root”48.

Mommsen interpretiert dieses Zitat als einen eindeutigen Beleg nicht nur für die romanisierende Tätigkeit des Agricola in Britannien, sondern auch für eine allgemeine Romanisierungspolitik: „Alles dies ist zwar von Tacitus laudatorisch gehalten, hatte aber doch augenscheinlich eine faktische Grundlage und wird durch alles, was wir sonst wissen, bestätigt. Offenbar handelte es sich nicht bloß um persönliche Bestrebungen des Agricola, sondern um wohlerwogene Regierungspolitik, und Agricola war nur deren befähigter Vertreter“44. Er erkannte den Indigenen jegliche Selbstmotivation innerhalb der Romanisierung ab: „Nun kann man zwar die Zwischenfrage einwerfen, ob es nicht möglich gewesen wäre, dass die Kelten sich selbst kultiviert hätten. Ich glaube kaum, diese Frage mit Ja beantworten zu können; denn sie waren von karthagischen und anderen zivilisierenden Einflüssen umgeben, und doch brachen sie stets als Räuber in Italien und Asien ein und setzten sich fortwährend der Kultur entgegen, und erst durch ihre

Infolgedessen war die Romanisierung für Haverfield eine positive Sache für alle Beteiligten49 und die Absichten der Römer ehrenhaft und weitsichtig: “(…) the believer in human nature can now feel confident that, whatever their limitations, the men of the empire wrought for the betterment and the happiness of the world”50. Bis zu diesem Punkt stimmt Haverfields Romanisierungsbild mit dem Mommsens überein. Doch anders als Mommsen zählte Haverfield den Willen der Einheimischen, zivilisiert zu werden, zu den wichtigsten Faktoren im Romanisierungsprozess. Er betrachtet Tacitus, Agricola 21 als Beleg für ein aktives Eingreifen seitens einiger Statthalter wie Agricola51. Den entscheidenden Punkt stellte jedoch für ihn die Tatsache dar, dass die Römer die Bevölkerung nicht zwangen, ihre

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„Der folgende Winter wurde für sehr vorteilhafte Maßnahmen verwendet. Denn damit sich die zerstreut lebenden, unzivilisierten und deshalb leicht zu kriegerischen Unternehmungen neigenden Menschen durch Annehmlichkeiten an Frieden und Ruhe gewöhnten, ermahnte er sie persönlich und half ihnen mit öffentlichen Mitteln, Tempel, Marktplätze und Häuser zu errichten; dabei lobte er die Willigen und tadelte er die Zögernden. So stellte sich Ehrgeiz statt Zwang ein. Des weiteren ließ er die Söhne der führenden Männer in den freien Künsten erziehen; dabei schätzte er die Begabung der Britannier mehr als den Lerneifer der Gallier. Das hatte zur Folge, daß die Menschen, die gerade noch nichts von der römischen Sprache wissen wollten, nunmehr dringend nach Beredsamkeit verlangten. Bald galt es sogar als vornehm, sich ein Aussehen wie das unsere zu geben, und man trug häufig die Toga; allmählich verfiel man auch verlockenden Lastern, wie sie Säulenhallen, Bäder und erlesene Gastmähler bieten. Und das nannten die Unerfahrenen Kultur, wo es doch nur ein Stück Knechtschaft war (Übersetzung A. Städele) “ 44 Zitat Mommsen (1992) 303f.

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Zitat Mommsen (1941) 496. Zitat Haverfield (1924) 175. 47 Zitat Haverfield (1905–1906) 186. Weiter heißt es: „Celt, Iberian, German, Illyrian were marked off from Italian by no broad distinction of race and colour, such as (…) that which now divides Englishman from Indian or Frenchman from Algerian Arab. (…) It was possible, it was easy, to Romanize these western peoples.“ 48 Zitat Haverfield (1905–1906) 185f. 49 Haverfield (1910) 106: „I stand with Gibbon and with Mommsen in the old belief. The empire of the second and early third centuries brought (I think) more happiness to more of the known world than any age till the French Revolution, and that happiness was not confined to a dominant race or to an upper class.“ 50 Haverfield (1923) 10. Vgl. Stobart (1912) 211: „The treatment of the conquered land was wise and humane.“ 51 Haverfield (1924) 245; Haverfield (1905–1906) 208. 46

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Gruppen wie die Druiden58 und beschrieb teilnahmslos das brutale Niederschlagen von Aufständen59.

Kultur anzunehmen. Gerade dies machte, so Haverfield, den Reiz der römischen Kultur aus52: „The advance of this Romanization followed manifold lines. Much was due to official encouragement by statesmen who cherished the ideal of assimilating the provinces or who recognized more cynically that civilized men are easier ruled than savages[53]. More, perhaps, was spontaneous. The definite and coherent culture of Rome took hold on uncivilized but intelligent provincials and planted in them the wish to learn its language and share its benefits. And this wish was all the keener since Roman tolerance drove no one to uniformity. (...) Rome made her culture more attractive by not thrusting it upon her subjects“54. Die grundlegende Bedingung der Romanisierung war für Haverfield die pax Romana, denn nur in einer friedlichen Umgebung könne die Zivilisation gedeihen55. Somit betrachtete er die römische Besetzung als ‚Pazifikation‘ und neigte dazu, das friedvolle Nebeneinander hervorzuheben, sowie Gewalt und Zerstörung zu ignorieren56. Auch wenn die Kriegswehen des anbrechenden 20. Jahrhunderts für eine zunehmende Betonung der aggressiveren Seite der römischen Geschichte verantwortlich waren57, galten doch die von Mommsen und Haverfield geschaffenen Interpretationsweisen als die bis in die post-imperiale Zeit führenden.

Widerstand gegen die Romanisierung fand trotzdem vereinzelt Erwähnung. Mommsen stellte sich ihn sehr im Sinne des Nationalismus vor, wie zum Beispiel, wenn er das Druidentum behandelt: „Die Inschriften von Paris sind jetzt gesammelt erschienen – es ist eine ganz geringe Ausbeute. Die Ortschaften sind nicht arm und dürftig gewesen – darin liegt nicht der Grund dieser auffallenden Erscheinung: es ist die stille Opposition, die Ablehnung der römischen Zivilisation. Es ist auch von einem Studiensitz, einer Art Universität in Augustodunum die Rede; hier saß aller Wahrscheinlichkeit nach die nationale Opposition. (...) Wenn von römischen Schriftstellern angegeben wird, es seien die Auswüchse, die Menschenopfer etc., die man bekämpft habe, so ist dies ja gewiß zum Teil wahr; aber das eigentlich Gehasste und Gefürchtete war die nationale Grundlage“60. Bei Haverfield verursachte die Bewunderung für Rom hingegen kein Verständnis für die Aggressivität der Römer gegenüber der autochthonen Bevölkerung, sondern führte zu einer etwas naiveren Vorstellung: Widerstand gegen Romanisierung existierte für ihn schlichtweg so gut wie gar nicht61. In vereinzelten Fällen verharrte die indigene Tradition weiter, so Haverfield, „not so much in active opposition as in latent persistence“62, war jedoch absolut vereinbar mit der römischen Kultur: „If he [the provincial] felt sometimes the claims of his province and raised a cry that sounds like ‘Africa for the Africans’, he acted on a geographical, not on any native or national idea. He was demanding individual life for a Roman section of the Empire. (...) He was not attempting to recall the old pre-Roman system”63.

5.2. Widerstand Die Thematisierung des möglichen Widerstandes gegen die Romanisierung von Seiten der indigenen Bevölkerung gestaltete sich im 19. Jahrhundert anders als heute. In einer konfliktvollen und vom Darwinismus und Imperialismus geprägten Zeit zeigte man Verständnis für aggressives römisches Vorgehen gegen widerspenstige

Haverfield betrachtete das gallische Sonderreich als das beste Beispiel für die Verinnerlichung römischer Strukturen gekoppelt mit ‚geographischem‘ Widerstand64.

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Siehe hierzu auch Hingley (1996). Dieser letzte Punkt ist eine Ausnahme: Nur selten hat Haverfields Generation von Romforschern die möglichen pragmatisch-administrativen Motive hinter der ‚Zivilisierungsmission‘ betont, ein Aspekt, der erst von späteren Generationen mehr hervorgehoben wurde. 54 Haverfield (1923) 14. 55 Haverfield (1923) 11: „Had Rome failed to civilize, had the civilized life found no period in which to grow firm and tenacious, civilization would have perished utterly.“ 56 Haverfield (1923) 11: „The age of the Empire is the longest interval – indeed, it is the one long interval – of peace which has yet been granted to any large portion of the world.“ 57 Freeman (1997) 32: Canter und Oldfather insbesondere kritisierten Mommsens Idee des “defensiven Imperialismus” als naiv und unrealistisch (Canter – Oldfather [1915]). Für ein Beispiel, der die aggressivere Seite der römischen Expansion hervorhebt, s. Kromayer (1912). 53

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z. B. Mommsen (1941) 75. z. B. Mommsen (1941) 60ff. 60 Zitat Mommsen (1992) 327f. 61 Haverfield (1923) 20: „When [the Roman provincial] adopted, and adopted permanently, the use of things Roman, we may say of him, (…) that he had ceased to bear any national hatred against them. Such hatred must have existed here and there; Tacitus hints that it existed for a little while in Britain. But it was rare.“ 62 Zitat Haverfield (1923) 22. 63 Zitat Haverfield (1905–1906) 188f. 64 Haverfield (1905–1906) 189 und (1923) 17f.: „Here Roman elements dominated, but they mixed in friendly fashion with native things. (…) It not only claimed independence from Rome, but it modelled itself on Rome. (…) We see Gaulish rulers with Gaulish names appealing in some sort to native memories and at the 59

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Es sei ein Versuch seitens der Gallier gewesen, das Römische in Gallien zu verteidigen. Auch die Periode ab dem 2. Jahrhundert, in der Literatur manchmal ‚keltische Renaissance‘ genannt, in der keltische Kulturelemente scheinbar eine Art Wiederbelebung in der provinzialen Kultur widerfuhren65, sah Haverfield nicht als eine neue Widerstandsbewegung gegen die Romanisierung, sondern als ein neues keltisches Bewusstsein innerhalb eines selbstverständlich gewordenen römischen Rahmenwerks66.

‚Niemandslandes‘ jenseits des Limes, einer Zone, die von den Römern völlig entsiedelt wurde, um als Pufferzone und Unterbrechungsraum zu dienen69. Doch obwohl man in Verallgemeinerungen dazu tendierte, die Einheitlichkeit innerhalb des Reiches zu übertreiben, war man sich durchaus der kulturellen Heterogenität innerhalb des Reiches bewusst. Schon Mommsen hatte erkannt, dass es mehr und weniger romanisierte Provinzen gegeben hat70 und auch mehr und weniger romanisierte Gebiete innerhalb der Provinzen71. Haverfield betonte diese Tatsache oftmals: „[The] want of uniformity in the government was matched by a similar feature in the governed. The nationalities ruled by Rome were, in the first instance, widely different one from another, and though they necessarily grew more like as they grew more Romanised, they never wholly lost their original differences”72.

6. Der Umfang der Romanisierung 6.1. Räumlich Im Geiste des 19. Jahrhunderts sah man die Grenzen des römischen Reiches als scharfe Trennungslinien zwischen Zivilisation und Barbarei67. Allen Studien der Zeit ist die Tendenz gemein, die Homogenität der zwei Gebiete innerhalb und außerhalb des Reiches überspitzt darzustellen: Die Gebiete innerhalb seien so gut wie vollständig romanisiert, die Gebiete außerhalb vollkommen barbarisch. Haverfield verglich das römische Reich mit einem provençalischen Feld: “Like the dark rows of cypresses that guard the fields of Provence from the Mistral, they protect a nation’s life against the chill winds or wild hurricanes of external enemies. It was the particular glory of the Roman army that it saved, not a single nation, but civilization itself, that behind its encircling shelter the culture of the old world took firm root in western Europe (…)”68.

6.2. Gesellschaftlich Das Bild des gesellschaftlichen Umfangs der Romanisierung im 19. Jahrhundert ist charakterisiert durch eine ähnliche Diskrepanz wie das des räumlichen Umfangs: Man findet Verallgemeinerungen Seite an Seite mit differenzierteren Darstellungen. Vor allem Haverfield generalisierte oft das Ausmaß der Romanisierung innerhalb der Gesellschaft: „The whole area [the western Empire], in varying degrees, became Romanized. In speech and literature, in fashions, in art and architecture – in short, in the whole fabric of the habits of life – it adopted Roman ways”73. Er tendierte dazu, die Aussage mancher Quellen überzubewerten. Sein Statement, „[i]n most districts the Latin tongue obviously prevailed“74, sah er belegt durch die Tatsache, dass viele lateinische, aber sehr wenige keltische Inschriften gefunden

Auch die physische Struktur der Grenzen bewirkte, so die Forscher der Jahrhundertwende, eine eindeutige kulturelle Unterbrechung. Bauten wie der Hadrians Wall sah man als architektonische Zeugnisse eines solchen Zustandes. Pelham entwickelte die Idee eines

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Pelham (1897) 178. z. B. Mommsen (1992) 304: „Ist also die Kultur Britanniens mit derjenigen der höchstkultivierte Teile Germaniens und Galliens, etwa mit der Narbonensis, nicht in eine Linie zu stellen, so ist sie doch derjenigen z. B. der Normandie ebenbürtig.“ 71 Mommsen (1941) 73; Mommsen (1992) 324f. Z. B. teilte er Gallien in zwei Romanisierungszonen auf: Der Norden und Westen seien weniger romanisiert, der Osten (durch Präsenz des Militärs) und Süden (durch Nähe an Italien) dagegen sehr. Dabei kam er allerdings zu dem merkwürdigen Entschluss, dass die Germanen am Rhein ‚romanisierbarer‘ waren als die Gallier weil sie ‚keine Nationalidentität‘ hatten: „Die Germanen und Halbgermanen stellten sich den Römern nicht so schroff entgegen wie die Kelten“ (Mommsen [1992] 337). Aufgrund dieser Tatsache stellte der Kaiser, so Mommsen, ausgerechnet Germanen als seine Leibwache ein. 72 Zitat Haverfield (1901) 136. 73 Zitat Haverfield (1924) 173. 74 Zitat Haverfield (1905–1906) 188. 70

same moment fully accepting Roman fashions, speech and political institutions.“ 65 Als Beispiele dieser zurückkehrenden Traditionen werden das Auftauchen von keltischen leuga als Längenmaß auf Meilensteinen statt der römischen mille passus und ein plötzliches Wieder-sichtbar-werden der Druiden genannt. 66 Haverfield (1923) 17f. Doch nebenbei bemerkt: Anders als für Haverfield war für seinen Zeitgenossen Camille Jullian der kulturelle Widerstand der Kelten gegenüber der Romanisierung Realität. Dieses Thema war für Jullian so wichtig, dass er ihm ein ganzes Unterkapitel seines ‚Histoire de la Gaule widmete’ (Jullian [1920b] 110ff.). 67 Auch amerikanische Historiker hatten Erfahrung mit einer Art ‚Imperialismus‘: Die Ausdehnung Amerikas gen Westen. Ein amerikanischer Frontierhistoriker, F. Jackson Turner, beschrieb die Frontier als „the meeting place between savagery and civilisation.“ (Turner [1893] 199f.). 68 Zitat Haverfield (1924) 171.

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Romanisierungsforschung

wurden75. Haverfield scheint nicht bedacht zu haben, dass Inschriften nie ein Spiegelbild der ganzen Gesellschaft dargestellt haben76. Lateinische Graffiti auf Gefäßen waren für Haverfield der Beweis, dass auch die Mitglieder der unteren Schichten Latein beherrschten77. Die Tendenz zur Übertreibung beschränkte sich nicht nur auf die Sprache. Haverfield lehnte für die meisten Elemente der römischen Kultur gesellschaftliche Unterschiede ab: „Nor is the Roman fashion of housefittings confined to the mansions of the wealthy. Hypocausts and painted stucco, copied, though crudely, from Roman originals, have been discovered in poor houses and mean villages. They formed part, even there, of the ordinary environment of life”78.

Das Keltische sieht Mommsen als eine Sprache, die vor allem im privaten Bereich und in den unteren Gesellschaftsschichten die übliche war83. Ebenso zeichnen Pelham und Jullian ein anderes Bild als Haverfield. Pelham schrieb oft vom Fortbestand indigener Sentiments und Strukturen84, und Jullian bestand auf das Überdauern des urkeltischen Charakters, der für ihn dem französischen Nationalcharakter zugrunde lag85. Diese „persistance de la nationalité gauloise“86 erklärte Jullian mit der Tatsache, dass das „sang indigène“87 das römische „sang nouveau“88 in Gallien weit überwog.

Haverfields Pauschalisierungen waren ein Punkt, der seinen Zeitgenossen Angriffsfläche für Kritik bot79. Er selbst war sich seines Tuns bewusst, aber um ein bestimmtes Argument klarer vertreten zu können, nahm er Verzerrungen gern in Kauf80. Haverfields Vorstellung des römischen Reiches als eine „unity of sentiment and culture“81 steht deutlich im Kontrast zu den Studien anderer Historiker der Jahrhundertwende, die die Begrenztheit der Romanisierung betonten. Mommsen hat beispielsweise erkannt, dass die keltische Sprache in Gallien noch lange nach der römischen Eroberung weit verbreitet war: „(...) das Lateinische mag in dem größten Teil Galliens damals ungefähr die Stellung gehabt haben wie nachher im frühen Mittelalter gegenüber der damaligen Volkssprache. Das energische Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die Wiedergabe der gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter Beibehaltung unlateinischer Lautformen“82.

Haverfield ist der einzige der bislang erwähnten Altertumswissenschaftler, der sich zum zeitlichen Umfang der Romanisierung äußerte. Er setzte den Zeitpunkt des strukturellen Einsetzens der Romanisierung in Britannien in der Ära des Agricola an, also um 80-85 n. Chr. Dies begründete er anhand der Tatsache, dass Siedlungen wie Silchester und Bath in dieser Zeit zu richtigen Städten wurden89. Nach einer Anfangszeit, in der viele einheimische Elemente in der Kultur Britanniens weiterlebten, dominierten im 2. und 3. Jahrhundert, so Haverfield, die römischen Elemente90. Als Höhepunkt der Romanisierung betrachtete er die konstantinische Ära, in der „country houses and farms first became common in all parts of the civilized areas“91. Doch dieser Höhepunkt dauerte nicht lange an; ab 350 fielen die Pikten in Britannien ein. Es folgte dann ein rascher Verfall römischer Strukturen92.

6.3. Zeitlich

7. Die Instrumente und Merkmale der Romanisierung In letzten Jahren hat sich eine Debatte entfacht über den Wert verschiedener Quellen, die als ‚Indikatoren’ für die Romanisierung dienen. Richard Reece hat in einem sehr wertvollen Beitrag deutlich gemacht, wie bestimmte Quellengattungen verschiedene Bilder der Romanisierung liefern können93. In diesem Sinne ist es auch wichtig, vor

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Haverfield (1924) 177. Vgl. Jullian, der für Sprache in Gallien ähnlich argumentiert (Jullian [1914] 104ff.). 76 Vgl. Haverfield (1905–1906) 210. 77 Haverfield (1905–1906) 194. 78 Zitat Haverfield (1905–1906) 198. 79 Collingwood (1924) 436: „But in making his point, H. was led to exaggerate both the degree and the extent of this Romanization; to understate the degree to which Romano-British culture, even where it was most Roman, remained British, and to overstate the extent to which it affected the poorer classes of the population. (…) It would be a real misfortune if his authority should lead others to neglect the task of distinguishing the Roman and the British elements in that complex culture, whether in art, religion, or economic life.“ 80 Collingwood (1924) 436. Vgl. Haverfield (1905–1906) 201: „Exceptions are always more interesting than rules – even in grammar. But the exceptions pass and the rules remain. (…) The rule stands that the material civilization of Britain was Roman.“ 81 Zitat Haverfield (1923) 11. 82 Zitat Mommsen (1941) 72.

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Mommsen (1992) 333. z. B. Pelham (1911a) 155f. 85 Jullian (1920a) 18. 86 Zitat Jullian (1914) 447ff. 87 Zitat Jullian (1920a) 20. 88 Zitat Jullian (1920a) 21. 89 Haverfield (1905–1906) 208. 90 Haverfield (1923) 17. 91 Haverfield (1905–1906) 209. 92 Haverfield (1905–1906) 210: “The rural districts, it is plain, began then to be no longer safe, and some houses were burned by marauding bands, and some abandoned by their owners. Therewith came necessarily, as in many other provinces, a decline of Roman influences and a rise of barbarism.“ 93 Reece (1990) 30-34. 84

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Ursula Rothe

Mommsens Bild der Romanisierung basierte fast ausschließlich auf diesen strukturellen Faktoren. Im Bereich der Kultur beschäftigte er sich nur mit der Sprache intensiv. Aspekte wie Kunst und Architektur wurden so gut wie nie thematisiert, eine Lücke, die Haverfield einige Jahre später schließen sollte.

allerwichtigste Faktor100. Für ihn waren die römischen Städte in Britannien bereits am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. gut etabliert101, und zudem keine isolierten römischen Inseln, sondern kulturell fest mit der umliegenden Landschaft verbunden102. Für Haverfield als Epigraphiker war auch das Bürgerrecht und die daraus resultierenden Karrierechancen ein wichtiges Romanisierungsinstrument103. Er betonte ferner die Bedeutung der Armee in der Provinz Britannia als Wirtschaftsfaktor, Gesellschaftsgruppe und wichtigen Teil des Romanisierungsinstrumentariums104. Doch Haverfield interessierte sich, aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit archäologischen Funden, insbesondere für die subtileren kulturellen Ausprägungen der Romanisierung. Er betrachtete z.B. Mosaiken, Keramiken, Statuen, Villen und Architektur, Fibeln und Gebrauchsgegenstände als genauso wichtig wie die strukturellen Ausprägungen der Romanisierung: „The researches of the last few years (...) have taught us that the potsherd and the fibula and the ground-plan of the house or fort are, or soon will be, among the most valuable aids to the Roman student”105. Er sah, ganz anders als viele moderne Forscher, diese Artefakte als wichtige Zeugnisse der persönlichen Verinnerlichung römischer Werte und Kultur: „Some writers (…) speak as if the external environment of daily life (…) bore no relation to the feelings and sentiments of those that used them. That is not a tenable proposition. The external fabric of life is not a negligible quantity but a real factor. On the one hand, it is hardly credible that an unromanized folk should adopt so much of Roman things as the British did, and yet remain uninfluenced. And it is equally incredible that, while it remained unromanized, it should either care to understand how to borrow all the externals of Roman life”106. Durch diese Beobachtung stellte Haverfield fest, dass manche Elemente der römischen, vor allem materiellen, Kultur sich sehr schnell in Britannien verbreiteten, und dass andere, wie z.B. Sprache und Religion, sich relativ langsam verbreiteten107.

Haverfield betonte auch die Rolle von römischen Strukturen in der Verbreitung der Romanisierung. Wie für Mommsen war für ihn die Urbanisierung der

Zusammen definierten Mommsen und Haverfield durch die neuen Daten, die ihnen zur Verfügung standen, die Bereiche, in denen man die Romanisierung beobachten

Augen zu führen, welche die ‚Indikatoren’ waren, die ursprünglich benutzt wurden. Mommsen stellte fest, dass in Germanien, Gallien und Britannien zur Zeit der römischen Herrschaft ähnliche kulturelle und strukturelle Veränderungen stattfanden. Diese Tatsache lässt den Schluss zu, dass diese Prozesse mit der römischen Herrschaft in Verbindung zu bringen wären und demzufolge als ‚Romanisierung‘ zu definieren wären: „Here Mommsen emphasized certain Roman institutions (e. g. official colonization, the spread of citizenship, language and coinage) and made notable use of inscriptions to highlight the similarity of these regions. These similarities were the standards by which the penetration and accomplishments of Roman civilization could be measured. On these simple criteria the acculturation of these regions could be amply confirmed”94. Mommsens ‚Indikatoren’-Auswahl zeigt eine deutliche Neigung zu den strukturellen Seiten der Romanisierung. An erster Stelle ist die Urbanisierung zu nennen, da „die Städteverfassung, das municipium überhaupt, das Zauberwort war, mit dem die Römer die fremden Völker unter ihrer Herrschaft festhielten“95. Nicht zuletzt durch seine intensive Auseinandersetzung mit Inschriften spielten auch Bürgerrechtsverleihung und Sprache für Mommsen eine große Rolle96. Zusätzlich sah er das Heer als einen wichtigen Vermittler der Romanisierung: Die Präsenz von Armeen in autochthonen Gebieten und der Kontakt mit den Bewohnern dieser Gebiete97 wie auch die Tatsache, dass zahlreiche Einheimische im römischen Heer dienten98, hielt er für wichtige Faktoren in der Verbreitung der Romanisierung99.

100

Haverfield (1923) 14f.: „The most potent single factor in the Romanization was the town. Italian civilization was based on city life; it was natural that the Empire should diffuse that life, especially in the provinces of western and central Europe which had few towns or none before they came under Roman rule.“ 101 Haverfield (1924) 198. 102 Haverfield (1924) 213. 103 Haverfield (1923) 16. 104 Haverfield (1924) 171f. 105 Zitat Haverfield (1911b) xvii. 106 Zitat Haverfield (1905–1906) 203. 107 Haverfield (1923) 18f.

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Zitat Freeman (1997) 31. 95 Zitat Mommsen (1992) 303. 96 z. B. Mommsen (1941) 72. 97 Mommsen (1992) 295: „Die Provinzialgeschichte wird vielfach an die Geschichte der Regimenter und der Legionsquartiere anknüpfen müssen. Sie waren die Brennpunkte der römischen Zivilisation, und von ihnen ging die Romanisierung größtenteils aus.“ 98 Mommsen (1992) 337: „(…) alle Bataver, Nervier, Sugambrer kamen als Fremde ins Heer und gingen nach zwanzigjährigem Dienst als Römer wieder fort.“ 99 S. dazu den Beitrag von M. Rind in diesem Band.

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Romanisierungsforschung

und messen konnte. Diese Rahmenbedingungen bilden bis heute die Basis der Romanisierungsforschung.

Cromer (1913): Lord Cromer, Political and Literary Essays 1908–1913 (1913).

8. Zusammenfassung Demandt (1990): A. Demandt, Theodor Mommsen, in: Briggs – Calder (1990) 285-307.

In der Debatte um den Prozess der Romanisierung wird oft vergessen, dass nicht nur das Konzept der Romanisierung das Ergebnis eines spezifischen historischen Zeitgeistes ist, sondern auch dass es noch viel von seinem anfänglichen Charakter behalten hat. So ist es wichtig, wenn man an die theoretische Substanz des Begriffes herangehen möchte, sich der Umstände der Anfänge der Romanisierungsforschung bewusst zu sein. Wie dieser Aufsatz gezeigt hat, war das ursprüngliche Bild der Romanisierung geprägt von der Ideologie im Westeuropa des späten 19. Jahrhunderts, aber auch von der persönlichen Weltanschauung der beiden Hauptprotagonisten in der Entwicklung des Konzepts: Mommsen und Haverfield. Eine Beachtung der Umstände der Anfänge der Romanisierung sollte nicht in einem Hochhalten der Fehler vergangener Historiker ausarten. Ganz im Gegenteil: Sie soll veranschaulichen, wie sehr die Wissenschaft von ihrer Umwelt beeinflusst wird, damals wie heute.

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Identität von

Hadwiga Schörner bewussten Identitätsbildung und dem Identitätsbewusstsein gestellt. Außerdem wird Beispielen nachgegangen dafür, dass Identität nicht nur bewusst wahrgenommen, sondern auch absichtlich verändert werden konnte, etwa durch gezieltes Vergessen oder Umformen. Ein gewaltsamer Eingriff von außen in die Identität einer Gruppe, also Veränderung unter Druck und Zwang, kann zu Widerstand, Resistenz, führen1.

Zusammenfassung: Der Begriff ‘Identität’ beschreibt einen maßgeblichen Bestandteil für das Selbstverständnis eines Individuums bzw. einer Gruppe. Im Rahmen der Romanisierung interessiert hauptsächlich die kulturelle Identität einer Gruppe. Die Mitglieder dieser Gruppe tragen und erneuern immer wieder ihre Identität durch Wahrnehmung und gemeinsame Erinnerung, auf die das Gedächtnis durch ständige Wiederholung zurückgreifen kann. Identität beruht auf Abgrenzung einer zu einer bestimmten anderen Gruppe, etwa zwischen zwei indigenen Volksstämmen, oder aber der Abgrenzung eines Stammes gegenüber den Römern. Identität ist dynamisch, sie kann sich also nach Maßgabe verändern, sie kann aber auch absichtlich von Personen innerhalb der Gruppe verändert werden.

Im 19. Jh. wurde in der Ur- und Frühgeschichte erstmals die Frage nach der ‘ethnischen Identität’ einzelner Völker bzw. Stämme gestellt, im Vordergrund standen Abstammungsfragen mit ethnischem und regionalem Schwerpunkt2. Allerdings kreisten die Versuchskonzepte auch im 20. Jh. hauptsächlich um sich selbst, da sie sich nicht davon lösen konnten, dass ‘Ethnien’ mit ‘archäologischen Kulturen’ übereinstimmen sollten. Außerdem wurden Kultur, Ethnos, Sprache und Abstammungsgemeinschaft als statische, unveränderliche Größen angesehen3. Erst mit dem Aufkommen der Romanisierungsforschung wurde auch die ‘Identität’ wieder neu betrachtet vor dem Hintergrund von Unterdrückung und Widerstand bzw. Zusammengehörigkeit und Trennung einzelner vom Römischen Reich einverleibter Stämme bzw. der Selbstdefinition dieser Stämme im Gegenpol zum Selbstverständnis der römischen Bürger.

Abstract: The term ‘identity’ describes a decisive element for the self-understanding of an individual or of a group. In relation to Romanisation the cultural identity of a group is of main interest. The members of that group are carrying and refreshing again and again their identity by observation and common remembrance, on which the memory can fall back upon permanent repetition. Identity is basing on the distinction to another determined group, either between two native tribes or the distinction of a tribe against the Romans. Identity is dynamic, it could change according to condition, but it can be changed intentional by persons within the group.

2. Definitionen Im Brockhaus von 1997 wird ‘Identität’ folgendermaßen definiert4: Zuerst wird darauf hingewiesen, dass der Terminus sich von spätlateinisch idem, derselbe, ableitet. „Allgemein: Die völlige Übereinstimmung einer Person oder Sache mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird.“. In der Psychologie spielt der Terminus der ‘Ich-Identität’ eine maßgebliche Rolle, definiert als „die Übereinstimmung von subjektiver Selbsteinschätzung und der Beurteilung der eigenen Person durch andere.“5. Schließlich folgt die Definition aus dem Bereich der Soziologie: „Kulturelle Identität. Häufig gebrauchter, zugleich aber umstrittener Begriff, nach dem die Individuen und Gruppen über eine spezif.

1. Einleitung Bei Identität handelt es sich um ein bedingendes Grundelement, das einen wichtigen Bestandteil für das Selbstverständnis eines Individuums bzw. einer Gruppe bildet und demnach natürlich auch Bestandteil des nichtrömischen Individuums bzw. der nicht-römischen Gruppe im Rahmen der Romanisierungsforschung ist. Um dieses Phänomen möglichst genau zu beschreiben und die Funktion der Identität (bzw. der Identitäten) benennen zu können, erscheint es ratsam, den Begriff ‘Identität’ zuerst einmal historisch-sprachwissenschaftlich und zum anderen historisch-literarisch zu beleuchten. Weiterhin bieten sich als Mittler dabei die Elemente an, die Identität ausdrücken bzw. in denen wir heute Identität greifen können. Es wird dabei auch die Frage nach der

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S. dazu auch den Beitrag von H. Wabersich. Brather (2000) 162 gibt darüber einen Überblick. 3 Brather (2000) 162f. 4 Brockhaus 10 (1996) 397 s. v. Identität. 5 Brockhaus 10 (1996) 392 s. v. Ich-Identität. 2

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„personalen Identität“8 und zum anderen auf der kollektiven oder Gruppen-Identität9. Die kulturelle Identität ist per se keine Angelegenheit eines Individuums, sondern die einer Gruppe, also eines sozialen Gefüges. Man spricht daher auch von WirIdentität. Allerdings wirkt die Wir-Identität stets auf die individuelle Identität des Einzelnen zurück. Grundlage für die hier wichtige Gruppenidentität10 ist zum einen die Wahrnehmung und zum anderen das Gedächtnis, auf das durch die Erinnerung auf das Wahrgenommene zurückgegriffen werden kann. Das für die Gruppenidentität wichtige Wissen wird durch Zirkulation bzw. regelmäßige Wiederholung auf die jüngeren Generationen übertragen und wirkt daher ständig identitätssichernd. Diese Übertragung sollte in der abwandlungsfreien Form der Wiederholung erfolgen11. Maßgeblich ist dabei auch, dass die Identität der Gruppe in direkter Verbindung mit dem Territorium steht, auf dem sie sich auf Dauer befindet: „Der geheiligte Bestand von Texten, Regeln, Werten fundiert und formt eine (kollektive) Identität.“12. Identität ist allerdings nicht starr, sondern dynamisch, da sie sich nach Maßgabe verändern und anpassen kann, wie im Weiteren noch gezeigt werden wird.

Art des Selbstbewusstseins verfügen, das sich aus ihrem Bezug auf die durch eine bestimmte Kultur repräsentierten Werte, Fähigkeiten oder Verhaltensmuster ergibt. K. I. hat damit die Funktion, die eigene Person bzw. das Gruppenbewusstsein zu stabilisieren oder hervorzuheben, indem die jeweils als kulturelle Eigenheiten angesehenen Muster und institutionell getragenen Vorgaben (Familie, Religion, Region, Sprache, Traditionen, Gruppenzugehörigkeit) tradiert, lebendig gehalten oder (erneut) in Geltung gesetzt werden.“6. Sebastian Brather definiert innerhalb des prähistorischen Bereiches folgendermaßen: „‘Identität’ bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch eine Übereinstimmung, Gleichheit oder Wesenseinheit. Identitäten von Individuen stellen deren mehr oder minder bewusste und subjektive Selbst-Zuordnung zu einer sozialen Gruppe dar, für die spezifische Merkmale in bestimmten Situationen herangezogen werden. Identität ist deshalb insgesamt ‘eine Sache von Wissen, Bewußtsein und Reflexion’ [Assmann (1997) 144]. Sie stellt gemeinschaftsbildende Grundüberzeugungen bereit und ist also das Bewußtsein sozialer Zugehörigkeit. In die Mitgliedschaft einer sozialen Gruppe werden dabei bestimmte Individuen einbezogen – und damit andere zugleich ausgeschlossen [Müller 1987]. Die Konstruktion von Identität geht – aufgrund dieses Wechselspiels von Einbeziehung (Inklusion) und Ausschließung (Exklusion) – stets mit dem Aufbau von Alteritäten einher. Identitätsbildung funktioniert also durch Abgrenzung. ‘Die Anderen’ werden dabei tendenziell als zweitrangig betrachtet. Individuen gewinnen ihre jeweilige Identität nicht aus sich selbst heraus. Sie erlangen sie nur über die Gruppe, indem sie an deren Wechselbeziehung (Interaktion und Kommunikation) teilhaben. Die kollektive Identität wiederum existiert nur durch die sie tragenden Gruppenmitglieder [Assmann (1997) 130f.]. Identitäten ergeben sich daher aus dem Wechselspiel von Ich- und Wir-Identität, d. h. aus der Identität des Einzelnen und derjenigen der Gruppe. Deshalb sind sie stets soziale Identitäten. Alle gesellschaftlichen Gruppen lassen sich als solche Identitätsgruppen verstehen – von der Familie über Altersklassen, Geschlecht, Beruf, Religion, Region bis hin zu Ethnien und modernen Nationen“7.

Die Selbst- und die Außenwahrnehmung – sowohl des Individuums als auch der Gruppe – kann grundsätzlich differieren13. Dies führt zu der Überlegung, dass Gruppenidentität zu einem maßgeblichen Teil aus Abgrenzung, Distinktion besteht, also daraus, dass eine Gruppe sich durch ihre speziellen identitätsbildenden Merkmale von einer anderen Gruppe unterscheidet. Wer nicht zur Gruppe der Personen mit übereinstimmender Identität gehört, gehört zu den anderen, also zur Alterität14. Der Aufbau der Identität einer Gruppe bedingt immer auch den Aufbau der Alterität – aus der Sicht der Mitglieder einer Gruppe. Wichtig ist dabei auch, dass ein Mensch jeweils nicht nur einer Identitätsgruppe angehört, sondern vielmehr gleichzeitig mehreren von diesen, z. B. seiner Familie, seinem Geschlecht, seiner Religion, seiner regionalen Herkunft, seiner Sprachgruppe, seiner Altersklasse, seiner staatsbürgerlichen Zugehörigkeit und noch vielem mehr15.

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Die „personale Identität“ darf nicht verwechselt werden mit der „Ich-Identität“ innerhalb der Psychologie. 9 Assmann (1997) 126. 10 Dies nicht zuletzt deshalb, weil wir einzelne Individuen im antiken Barbaricum kaum fassen können. 11 Assmann (1997) 126. 12 Zitat Assmann (1997) 127. 13 Huskinson (2000a) 10. 14 Brather (2002) 158. 15 Tonio Hölscher hat vor kurzem darauf hingewiesen und sich deutlich gegen eine singuläre Behandlung des Begriffes ‘Identität’ gewandt: Hölscher (2000) 317.

Maßgeblich innerhalb der Romanisierung bzw. Romanisation ist also die kulturelle Identität. Diese beruht zum einen auf der von J. Assmann so genannten

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Brockhaus. Die Enzyklopädie, 20. Aufl. Bd. 12 (1996) 919 s. v. Kulturelle Identität. 7 Zitat Brather (2000) 158.

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Identität

1) gemeinsames Territorium oder Land, 2) gemeinsame Abstammung, 3) eine gemeinsame Sprache, 4) Gemeinsamkeit der Sitten bzw. der Kultur, 5) Gemeinsamkeit der Weltanschauung bzw. der Religion, 6) ein gemeinsamer Name bzw. ein Ethnonym, um Gruppenidentität auszudrücken, 7) Selbst-Bewusstsein, Selbst-Identität, 8) eine gemeinsame Geschichte bzw. ein gemeinsamer Gründungsmythos.

3. Sprachgeschichte Der Terminus selbst ist in der lateinischen Antike der Republik und Kaiserzeit noch unbekannt. Erstmalig erscheint identitas im 4. Jh. n. Chr., etwa zeitgleich mit seinem Pendant, der alteritas16. Beide scheinen direkt abstrakt von idem (der selbe, der nämliche, der gleiche) bzw. alter (der andere [von beiden], der andere [als Gegensatz]) abgeleitet worden zu sein. Interessant ist der Anlass dieser Wortbildungen: Die beiden Termini wurden nötig bei einer Übersetzung der Worte IJĮȣIJȩIJȘȢ (der selbe) und İIJȘȡȩIJȘȢ (der andere) aus dem Griechischen in das Lateinische17. In ihrem frühchristlichen Kontext verbreiteten sich die lateinischen Termini weiter und fanden über das Konzil von Chalzedon 451 n. Chr. Eingang in das mittelalterliche Latein18, und über dieses in alle von dem Lateinischen abstammenden Sprachen Europas. Inhaltlich wurde identitas beispielsweise auch im arianischen Streit verwendet, bei der Frage, ob Christus mit Gott ‘identisch’ sei oder nicht, da er ja von ihm wie von einem Vater abstamme19. Interessant ist über den sprachhistorischen Horizont hinaus, dass zu jener Zeit Religion einen maßgeblichen Schwerpunkt der personalen Identität eines Menschen in der Gesellschaft bildete20, ganz abgesehen davon, ob er nun Christ war oder einer anderen Glaubensgemeinschaft angehörte. 4. Elemente der Schriftquellen

Identität

nach

den

Grundlage des Verständnisses von Identität in der Antike sind die antiken Schriftsteller, und hier vor allem die Geographen und Historiker. Die Geographen beispielsweise setzten bei ihren Werken unterschiedliche Schwerpunkte: Claudius Ptolemäus etwa fasste sich selbst als exakter Beschreiber der maßgeblichen Merkmale auf, indem er Kurzbeschreibungen mit exakten Lagebestimmungen gab22. Pomponius Mela folgte in seiner Beschreibung dem Küstenverlauf und behandelte zusätzlich die vier größten Städte im Binnenland23. Plinius der Ältere, der seine „Naturalis Historia“ gut ein halbes Jahrhundert nach Einrichtung der augusteischen Regionen verfasste, beschrieb Italien (im 3. Buch) entlang der Küste, und zwar von Westen über Süden nach Osten, also von Ligurien über Kalabrien bis Venetien24. Ein historisches Vorgehen bevorzugte der Geograph Strabon, der die Geschichte in die geographische Beschreibung mit einbezog, indem er die territoriale Gliederung und die Ethnizität der Bevölkerung zueinander in Beziehung setzte25.

antiken

Für Ray Laurence21 gehören zu einer Gruppe, die eine gemeinsame Ethnizität besitzt, folgende Elemente, wobei er von seinem Untersuchungsgebiet, der Apenninenhalbinsel, ausgeht:

Im folgenden Beispiel beschreibt Strabon um die Mitte des 1. Jhs. v. Chr. die Ethnizität der Einwohner von Neapolis, dem heutigen Neapel in Süditalien, das von Kyme aus gegründet worden war (Strab. V 4, 7): „Nach Dikarcheia kommt Neapolis der Kymäer (später sind als Siedler noch Chalkidier hinzugekommen sowie einige Pithekussäer und Athener, so dass die Stadt deshalb auch Neapolis genannt wurde), wo das Grabmal einer der Sirenen, Parthenope, gezeigt und aufgrund eines Orakels ein gymnischner Wettstreit abgehalten wird. Später haben sie sich entzweit und Kampaner als Mitsiedler aufgenommen – sie wurden gezwungen, ihre größten

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Barlow (2004) 501 (seine Untersuchungen basierten auf einer Auswertung des Thesaurus Linguae Latinae). Alteritas ist allerdings nicht zeitgleich, sondern erst etwas später als identitas zum ersten Mal belegt. 17 Diese zwei Begriffe kannte schon das klassische Griechisch: Liddell – Scott (1996) 1761 s. v. IJĮȣIJȩIJȘȢ (Aristoteles); Liddell – Scott (1996) 701 s. v. İIJȘȡȩIJȘȢ (Platon). Der frühchristliche Text ist ein Brief des Eusebius von Nikomedeia, den er etwa 320/21 n. Chr. verfasst hatte. Die Übersetzung stammt von Candidus, einem Freund des Marius Victorinus. Zu Eusebius von Nikomedeia: Rist (1998) 310f. Zu Candidus: M. Meier (1997) 962, jeweils mit weiterführender Literatur. 18 Barlow (2004) 501. Zum Konzil von Chalzedon: Studer (1998) passim. 19 Zum Arianismus und dem sog. Streit um das Iota: K. Seibt (1996) 1077-1079. 20 Barlow (2004) 502. 21 Laurence (1998) 65. Er bezieht sich auf Renfrew (1996) 130.

22

Er lieferte den Namen der Stadt sowie die Lage in Grad- und Minuten-Angaben. Zu Claudius Ptolemäus: Folkerts – Harmon – Hübner (2001) 559-570. 23 Dies waren Rom, Capua, Bononia und Patavium, vgl. Laurence (1998) 98f. Zu Pomponius Mela, der die bekannte Welt vom Meer aus beschrieb: Gärtner (2001) 126f. 24 Zu Plinius dem Älteren: K. Sallmann (2000) 11351141. 25 Laurence (1998) 99f. Zu Strabon: Radt (2001) 10211025.

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Feinde als ihre eigensten Leute zu behandeln, da ihre eigenen Leute ihnen zu Fremden geworden waren –; das zeigen die Namen der Gemeindevorsteher: die ersten sind griechisch, bei den späteren sind die griechischen untermischt mit kampanischen. Doch haben sich dort sehr viele Reste der griechischen Kultur – Gymnasien, die Ephebie, Phratrien und griechische Namen – erhalten, obwohl sie Römer sind, und wird jetzt bei ihnen ein vierjährlicher, mehrere Tage dauernder musischer und gymnischer Wettkampf abgehalten, der es mit den hervorragendsten in Griechenland aufnehmen kann. (...).“26.

Wie definierten die Griechen sich selbst als gemeinsames Volk? Kontrastieren wir das spätrepublikanische Italien mit dem klassischen Griechenland durch eine etwa 400 Jahre ältere Schriftquelle. Hintergrund ist eine Anfrage des persischen Königs Xerxes im Jahre 480 v. Chr. bezüglich einer Unterwerfung der Griechen unter die Perser bzw. einer Aussöhnung zwischen beiden, die von dem Historiker Herodot um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. geschildert wird (Hdt. VIII 144): „(...) Die Furcht der Lakedaimonier, wir könnten uns mit dem Barbaren aussöhnen, ist durchaus menschlich. Trotzdem ist diese Furcht wenig ehrenvoll. Ihr kennt doch die Haltung der Athener, dass wir nicht um alles Geld der Welt, nicht um das schönste und trefflichste Land persisch würden und Griechenland in die Sklaverei brächten. Wir haben viele und schwerwiegende Gründe, die uns daran hindern, auch wenn wir es wollten. Zunächst und am gewichtigsten sind die niedergebrannten und zerstörten Tempel und Götterbilder, wofür wir blutigste Rache nehmen müssen, ehe wir uns mit dem aussöhnen können, der dies getan hat. Dazu haben wir gleiches Blut und gleiche Sprache mit den Griechen, die gleichen Heiligtümer und Opfer, die gleichgearteten Sitten. Es wäre nicht anständig, wenn wir dies alles verraten wollten. Wenn ihr es bisher nicht gewusst habt, dann sollt ihr es jetzt wissen! Solange noch ein einziger Athener am Leben ist, gibt es keine Aussöhnung mit Xerxes.“32.

Das ist wohl so zu verstehen, dass die Einwohner, die durch den Streit untereinander ihre ursprüngliche Ethnizität verloren hätten, statt dessen eine römische Identität angenommen hätten, obwohl sich noch einige griechische Elemente bei ihnen fänden. Strabon betrachtet als Grundlage der ethnischen Identität ihre – griechische – Abstammung27. Als maßgebliche Elemente der Identität nennt er also zuerst die Namensgebung und weiterhin kulturelle Elemente wie Erziehung, Verwaltung und Agonistik. An anderer Stelle benennt er auch die anderen von Laurence erwähnten Elemente: 1) die Sprache, die auch in den Ortsnamen fassbar sei28; 2) ein gemeinsames Territorium, etwa bei den Umbriern (Strab. V 2, 10), wobei sich das Territorium Umbrien dadurch definiere, dass Umbrier dort wohnten29; 3) Kleidung und weitere Sitten (Strab. VI 1, 2), etwa könne man die Leukaner, Brettier und Samniten nicht mehr nach ihrer Sprache, Bewaffnung, Kleidung und anderen Bräuchen unterscheiden, da ihnen diese Dinge verloren gegangen seien30; dies bewertet Strabon übrigens negativ, indem er sagt, sie seien ‘heruntergekommen’. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Namensgebung in den Schriftquellen variieren kann (griechische bzw. lateinische Namen) und dies auf einen deutlichen Unterschied zwischen der Selbstund der Außenwahrnehmung hinweist. Als Fazit hält C. Renfrew fest, dass seine Herangehensweise ergiebiger sei als der vormalige vereinfachte Blick, der lediglich auf Herrschaft und Widerstand sowie auf der Dualität zwischen römischer und einheimischer Kultur beruhte. Als „Methode der Romanisierung“ sieht er den Gebrauch von Ethnonymen in der Geographie an, die die Unterscheidung der italischen Völkerschaften benennt, sie aber mit Rom als Zentrum einigte31.

Den Griechen war also ihre disparate geographische Einheit durchaus bewusst. Das gerade trotzdem vorhandene starke Zusammengehörigkeitsgefühl beruhe laut des Historikers Herodot auf: 1) gleiches Blut, also eine gemeinsame ethnische Abstammung, 2) dieselbe Sprache, also Griechisch, ohne besondere Berücksichtigung der verschiedenen Dialekte, 3) gemeinsame Religion, die sich in Heiligtümern und Opfern ausdrückt, sowie 4) gleichgeartete Sitten. Die Zerstörung der Tempel und Götterbilder, also der bildliche Ausdruck und den Kultstätten ihrer Religion als wichtiges Identitätselement bedinge, dass alle Griechen die gleichen Rachegefühle gegenüber König Xerxes und den Persern empfänden, und daher eine Aussöhnung nicht möglich sei33, bzw. stehe Rache vor jeder möglichen Aussöhnung zwischen Griechen und Persern. Entscheidend war, sowohl für Herodot als auch für Strabon, die Abstammung als Grundlage der ethnischen Identität34. Trotzdem darf nie vergessen werden, dass auch die Schriften antiker Geographen, trotz der angestrebten Außensicht, stets subjektiv war, d. h., dass sie beim Fehlen geographischer Grenzen ihre eigenen ‘Grenzen’ schufen35. R. Laurence hält als Fazit fest, dass

26

(Übersetzung S. Radt). Zu Neapolis: A. Muggia (2000) 773-775. Das genannte Kyme entspricht dem heutigen Cuma nordwestlich von Neapel. 27 Laurence (1998) 100. 28 Laurence (1998) 100. 29 Laurence (1998) 100f. 30 Laurence (1998) 101. 31 Laurence (1998) 109.

32

(Übersetzung J. Feix). Vgl. Laurence (1998) 99. 34 Laurence (1998) 100. 35 Laurence (1998) 102. 33

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Identität

werden.“41. Als Darstellungsträger von Identität in diesem Fall benennt Chaniotis Städtenamen, Dialekte, Institutionen, spezielle Bräuche, bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten, lokale Kulte und ähnliches. Maßgeblich ist auch dabei wieder die kollektive Erinnerung an das gemeinsam Erlebte bzw. die gemeinsame ferne Vergangenheit. Träger dieser Identität wiedergebenden Elemente sind in seinem Fall Münzen, Texte oder Eigennamen42, die aber bereits eine Auswahl darstellten, und Auswahl bedeute Intention. Als Beispiel nennt Chaniotis hier die sog. Archivwand am Theater von Aphrodisias43: die dafür ausgewählten und gemeinsam zu einem bestimmten Zeitpunkt niedergeschriebenen Urkunden haben eine besondere Bedeutung für das Geschichtsbewusstsein und für die Selbstdarstellung der Einwohner von Aphrodisias und steuern diese zugleich.

das Konzept der tota Italia und der Gebrauch von Ethnonymen in der geographischen Definition der antiken Autoren eine Methode der Romanisierung darstellt, die eine klare Unterscheidung innerhalb italischer Völkerschaften trifft, diese aber zugleich durch Rom als Zentrum verbindet. Diese Herangehensweise erscheint ihm ergiebiger als der vereinfachte Blick, der lediglich auf Herrschaft und Widerstand beruht, sowie auf der Dualität zwischen der römischen und der einheimischen Kultur36. 5. Bewusstsein der eigenen Identität: Beharren, gezielter Rückgriff und intentionelle Veränderung Wie wir gesehen haben, war den Griechen der früh- bis hochklassischen Zeit ihre Zusammengehörigkeit auf Basis verschiedener Elemente, die wir heute als bedingende Grundelemente der Identität ansprechen, sehr wohl bewusst. Das bedeutet, dass diese konsequent und bewusst durch Repetition vertieft und weitervermittelt wurden. Allerdings ist es dadurch natürlich auch möglich, dass Identitätselemente bewusst verändert oder auch vollkommen neu konstruiert werden konnten. Dies kann sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen betreffen.

Die Möglichkeiten und Formen von Identität nach A. Chaniotis sind: 1) Identität durch das gemeinsam Erlebte (jüngere Vergangenheit), 2) Identität durch die Verehrung der Schutzgöttin (Aphrodite, die auch die mythisch-historische Verbindung mit Rom darstellt), 3) Identität durch Gründungsmythen (ferne Vergangenheit); hier lässt sich ab etwa 200 n. Chr. ein bewusster Eingriff feststellen, indem der alteingesessene Gründer Ninos plötzlich von Bellerophon ‘überflügelt’ wird und als älter als jener ausgegeben wird. Interessant ist, dass die „Erfindung“ von Bellerophon als mythischen Gründer von Aphrodisias eine Reaktion auf einen Wettstreit mit einer anderen Stadt darstellt44. Diese Selbstdarstellung entstammt der Elite der Stadt, die „naturgemäß für die Konstruktion von Identität federführend war.“45. Während des 4. Jhs. n. Chr. gab es eine breitgefächerte religiöse Identität in Aphrodisias, da neben den Verehrern der Aphrodite auch noch Christen und Juden in der Stadt wohnten. Während viele Juden alttestamentliche Namen trugen, gab es auffallend wenig karische Eigennamen. Die Komponenten der kollektiven Identität von Aphrodisias um die Mitte des 3. Jhs. waren also zum ersten die politische Komponente (Treue und Bündnis mit Rom), die religiöse Komponente (Aphrodite als eponyme Göttin und ihre Rolle), und die mythische Komponente (die ‘alten’ Gründungslegenden mit Ninos und Bellerophon). Die historische Komponente, die hellenistische Stadtgründung, war zu diesem Zeitpunkt so verdrängt, dass sie keine Rolle mehr spielte. Jede der genannten Komponenten stellt eine Reaktion auf eine

Ein Fall von bewusster Veränderung einer Gruppenidentität ist aus dem karischen Aphrodisias in Kleinasien bekannt37. Der Ausgangspunkt war für A. Chaniotis, der sich mit diesem Phänomen befasst hat, die Namensänderungen der Stadt: bei ihrer Gründung im 3. Jh. v. Chr. ist der Name nicht sicher überliefert38, im 2. Jh. v. Chr. erscheint erstmals „Aphrodisias“ in einem Sympolitievertrag, in dem sich zwei gleichwertige Poleis, Plarasa und Aphrodisias, verbanden. In augusteischer Zeit verschwindet dann der Name Plarasa ganz. In bereits christlicher Zeit, in der 2. Hälfte des 7. Jhs. n. Chr., heißt die Stadt dann „Stauropolis“39. Chaniotis geht davon aus, dass im frühen Christentum eine Art ‹kollektiver Amnesie› um sich griff, da der Wunsch nach einem christlichen Namen sehr stark war und, als Folge davon, die frühere Stadtgöttin Aphrodite nicht nur aus dem neuen Stadtnamen gestrichen, sondern auch auf den sichtbaren Inschriften eradiert wurde40. Daraus schließt Chaniotis, dass kollektive Identität einen dynamischen Charakter hat, „als soziales, historisches Konstrukt unterliegt [sie] (...) der ständigen Veränderung. Sie kann ausgelöscht, sie kann aber auch neu konstruiert 36

Laurence (1998) 109. Chaniotis (2003) 69-84. 38 Evt. Nineudos, abgeleitet von dem Eigennamen Ninos: Chaniotis (2003) 70. 39 Stephanos von Byzanz nennt noch zwei weitere Namen, die aber sicher konstruiert sind, und zwar „Lelegon Polis“ und „Megale Polis“: Chaniotis (2003) 70f. mit den Nachweisen. 40 Chaniotis (2003) 71. 37

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Zitat Chaniotis (2003) 72. Chaniotis (2003) 72. 43 Diese Inschriften wurden nicht gemäß ihrer Entstehungszeit, sondern alle gleichzeitig um die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. in diese Wand gemeißelt, vgl. Chaniotis (2003) 73. 44 Chaniotis (2003) 74-80. 45 Zitat Chaniotis (2003) 81. 42

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konkrete historische Situation dar. Historisch lassen sich diese so aufschlüsseln: in der formativen Phase der Stadt (1. Jh. v. Chr.) war die kollektive Erinnerung an das gemeinsam Erlebte wichtig. Nach der Etablierung des Gemeinwesens (2. Jh. n. Chr.) wurde ein neues kulturelles Gedächtnis konstruiert. Gemeinsam ist beiden Komponenten, dass sie sich auf die Anfänge des Gemeinwesens beziehen46. Etwas anders sieht es wohl mit der christlich motivierten Namensänderung im 7. Jh. n. Chr. aus: hier waren die paganen Vorläufer, wie etwa der Aphroditetempel, in den die Bischofskirche eingebaut wurde, eigentlich noch erkennbar – für jene, die über dieses Wissen verfügten. Kult und Name der Aphrodite wurden aber ähnlich einer damnatio memoriae aus bereits bestehenden Schriftquellen entfernt.

im römischen vollkommen unübliches Patronymikon anhängte50. I. Hahn unterscheidet bei seiner Untersuchung der ethnischen Identität im Licht der Namensgebung drei Motive des politischgesellschaftlichen Verhaltens: 1) Annäherung und Loyalität dem römischen Volkstum gegenüber, 2) gleichzeitige Tendenz zur nicht aggressiven, aber vollkommen bewussten Abgrenzung im Verhältnis zu diesem Römertum, und 3) ethnisches Identitätsbewusstsein, das sich z. B. in der Namensgebung auswirken konnte51. Es gibt auch deutliche Beispiele, dass Bewohner kleinasiatischer Städte zur Zeit der römischen Herrschaft gezielt auf die Elemente ihrer alten griechischen Identität hinweisen wollten. Unter den Spuren von absichtlichen Rückgriffen auf ältere, vorrömische Elemente sind die Dialektrückgriffe besonders interessant. Diese finden sich beispielsweise seit der Zeit der Einrichtung der Provinz Asia (129 v. Chr.) im Zusammenhang mit intraurbanen Gräbern bzw. Bestattungen. Mit einem intraurbanem Grab, einer Ausnahme der faktisch bestehenden Regel der extraurbanen Bestattung, konnten seit früharchaischer Zeit (Ende des 8. Jhs. v. Chr.) im griechischen Siedlungsgebiet außergewöhnliche Persönlichkeiten aufgrund ihrer Taten durch ihre Heimatstadt geehrt werden52. Auf äolischen Dialekt wird zweimal in der Stadt Kyme in der Aiolis zurückgegriffen. Archippe, die Tochter des Dikaiogenes, war eine Euergetin gewesen, sie hatte beispielsweise das Bouleuterion von Kyme auf ihre Kosten erbauen lassen, dafür wurde sie zu Lebzeiten und nach ihrem Tod in den Jahren nach 130 v. Chr.53 mit sehr vielen profanen und kultischen Ehren und mit dem intraurbanen Grab bedacht54. Die linke Schmalseite des Inschriftenpfeilers trug die Koine-Schriftfassung, die Vorderseite dagegen den äolischen Text, es handelt sich also um eine bilinguale Inschrift. In spätaugusteischer Zeit (2 v. – 14 n. Chr.) wurde L. Vaccius Labeo auch in Kyme mit einer Bestattung im städtischen Gymnasium geehrt. Eine Begründung wird nicht genannt, doch wird er mit dem Titel ǼȊǼȇīǼȉǾȈ angesprochen. Auch er wurde zu Lebzeiten und nach seinem Tod mit Ehrungen

Eine besondere Rolle bei der Identität eines Menschen in der römischen Antike spielte der Name. Während der griechische Name aus einem Personennamen mit Patronymikon bestand, waren bei den Römern die sog. tria nomina üblich, bestehend aus Praenomen, Nomen gentile und Cognomen, wobei letzteres nicht zwingend nötig war. Ein griechisch sprechender Mensch aus dem östlichen Mittelmeergebiet, der das römische Bürgerrecht erlangte, musste seinen Namen ändern, allerdings konnte er seinen alten griechischen Namen als Cognomen weiter tragen47. Interessant ist, dass berühmte Personen wie Dion von Prusa, Lucian, Appian oder Plutarch sich selbst nur mit ihrem griechischen Namen benannten, obwohl sie als römische Bürger natürlich auch einen römischen mehrteiligen Namen besaßen, auf ihn aber keinen Wert legten bzw. als selbstbewusste Griechen erscheinen wollten48. Dies wirft aber wiederum ein Licht darauf, wie vorsichtig damit umgegangen werden muss, von einem schriftlich überlieferten Namen auf den Bürgerstatus eines Menschen schließen zu wollen. Es bleibt also festzuhalten, dass Namensänderungen, die durch die Verleihung des Bürgerrechtes, aber auch Adoption oder Freilassung verursacht waren, keine bewusste und willentliche Veränderung eines Menschen darstellte, sondern sozusagen von außen oktroyiert war49. Allerdings gab es auch in diesem Rahmen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, etwa wenn der Grieche sich einen römisch klingenden Namen gab, der weiterhin aus den Bestandteilen Personennamen und Vatersnamen bestand, oder wenn der inzwischen zum römischen Bürger gewordene Grieche an seinen ursprünglichen Namen, den er jetzt als Cognomen führte, auch noch sein

50

Hahn (1993) 13f. Hahn (1993) 16f. 52 Auf dieses Phänomen kann in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei auf die demnächst erscheinende Dissertation der Verf., Untersuchungen zum Phänomen der intraurbanen Bestattungen bei den Griechen. 53 Engelmann (1976) 27-42 Nr. 13 Dekret I: Ehren für die Erbauerin des Rathauses. Archippe ist übrigens die früheste namentlich bekannte weibliche Euergetin. 54 Die erhaltene Inschrift auf einem Marmorpfeiler, als Spolie wiederverwendet in der östlichen Stadtmauer Kymes, wird heute im Museum Izmir aufbewahrt. 51

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Chaniotis (2003) 83. Hahn (1993) 11. Vgl. etwa den Fall des aus Knidos stammenden Bürgers C. Iulius Theopompos, der das Bürgerrecht von seinem Freund C. Iulius Caesar verliehen bekam. Zu diesem und seinem Sohn C. Iulius Artemidoros s. unten. 48 Hahn (1993) 12. 49 Vgl. dazu vor allem Hahn (1993) 14f. 47

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Identität

geradezu überhäuft55. Auf dem Text56 der Inschriftentafel aus weißem Marmor sind einige äolische Wortbildungen enthalten57.

Eigenständigen erreicht wurde, war eine Gegenreaktion auf das allumspannende Imperium.“66. 6. Die Bedeutung der Identität für die Romanisierungsforschung

Auch im ehemals dorischen Sprachraum gibt es zwei Dialektrückgriffe in Zusammenhang mit zwei intraurbanen Gräbern in Knidos, die beide in augusteische Zeit datiert werden. Die nur lückenhaft erhaltene Inschrift für einen sonst unbekannten Parasitas überliefert neben dem Grab in der Stadt und der öffentlichen Bestattung weitere Profanehren58. Der Text der Inschrift, der viele Fehlstellen besitzt, ist in dorischem Dialekt gehalten59. Etwa zur gleichen Zeit wurde der römische Bürger C. Iulius Artemidoros, der Sohn des C. Iulius Theopompos, einem Freund C. Iulius Caesars60, mit einem Grab im Gymnasium geehrt. Die kultischen und profanen Ehren für ihn sind sehr umfangreich61. Der Text62 ist durchgehend in dorischem Dialekt geschrieben. W. Blümel hat sich mit den Fragen der griechischen Dialekte in Kleinasien beschäftigt, vor allem mit dem Äolischen auf der Halbinsel Troas63. Er stellte fest, dass während des Hellenismus der äolische Dialekt fast ganz zurücktritt, in der hohen Kaiserzeit aber wieder stärker aufkommt. Dies erklärt er damit, dass der äolische Dialekt stets mehr oder weniger präsent war, und die in der Aiolis lebenden Griechen sozusagen zweisprachig lebten64. Er ist überzeugt davon, dass es sich bei dieser Wiederbelebung regionaler Eigenheiten um eine Rückbesinnung auf vergangene Werte handelt65: „Die Identitätsstiftung, die durch die Betonung des

Identität ist für die Forschung innerhalb der Romanisierung bzw. Romanisation ein maßgebliches Element. Sie bildet die Grundlage für nahezu alle theoretischen Modelle und jegliche Beschäftigung mit dem Phänomen. Resistenz etwa ist nicht verständlich und auch nicht fassbar ohne die vorherige Definierung der Identität einer speziellen ethnischen Gruppe, die ihren Widerstand gegen eine andere, starke und machtausübende Gruppe formiert, wobei die Identitäten beider, der majoristischen und der minoristischen Gruppe, im Vorfeld geklärt werden müssen. Was sind nun die Erkennungsmerkmale einer bestimmten Identität für uns heute? Das können Trachtbestandteile, religiöse Spezifika oder sprachliche Eigenheiten sein, die sich uns überliefert haben als Grabbeigaben oder in Darstellungen, auf Relief, Münzen, Mosaiken oder Inschriften67. Wichtig ist aber auch hier die Distinktion, also beispielsweise die Unterscheidung der Trachtbestandteile von jenen einer anderen Gruppe. Man sollte also einen Referenzwert bestimmen, beispielsweise die römische Tracht, um dann in der Abgrenzung die Identität der anderen, meist indigenen Gruppe zu fassen. Doch dies ist problematisch, denn auch die römische ist keine homogene Kultur, die überall im Reich die gleichen unverwechselbaren Charakteristika besitzt, die dann als Referenz wieder aufgefunden werden können68. Denn Rom bildet wohl das Zentrum des Römischen Reiches, ist aber umgeben von den später hinzugewonnenen Teilen des Reiches mit seinen eigenen unterschiedlichen kulturellen Identitäten, auch wenn diese nun im Kontext der imperialen Macht zusammengefasst sind69. Deshalb sind regionale und lokale Einzelbetrachtungen für die Bestimmung der Identitätselemente unerlässlich.

55

L. Vaccius Labeo hatte beispielsweise ein Bad erbaut und eine Stiftung zum Unterhalt desselben eingerichtet, daraufhin schlug das Volk durch Akklamation umfangreiche Ehrungen für ihn vor, darunter den Titel ȀȉǿȈȉǾȈ Ȁǹǿ ǼȊǼȇīǼȉǾȈ und einen Kult in einem eigenen Naos im Gymnasion. Den Kult und den Ktistestitel lehnte er ab. Die restlichen Ehren, die er akzeptierte, sind in der schriftlichen Fassung des Ratsbeschlusses erhalten. 56 Engelmann (1976) 60-70 Nr. 19. 57 Die Inschrift war bei dem W-Hafen von Kyme 1749 gefunden worden, und befindet sich heute in Paris: Louvre Inv. MND 1778. 58 Die Inschrift besteht aus Marmor und wurde nach Nisyros verschleppt, wo sie sich noch heute befinden soll. 59 Dubois (1883) 485 Z. 1-22. 60 Zu den persönlichen Verhältnissen: App. civ. II 116; Plut. Caesar 65; Cass. Dio 44, 18; Price (1986) 48f. 61 Der an zwei Seiten gebrochene Inschriftenblock aus blauem Marmor wird heute im British Museum aufbewahrt: London, BM Inv. GR 1859.12-26.764. 62 Blümel (1992) 49f. Nr. 59. 63 Blümel (1996) 9-13. 64 Blümel (1996) 12. 65 Blümel (1996) 12f.

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Zitat Blümel (1996) 13. Dazu gehört natürlich auch die Bart- und Haartracht, bei der wir aber grundsätzlich auf Darstellungen angewiesen sind. 68 Huskinson (2000a) 20. 69 So auch Huskinson (2000a) 25. 67

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Hadwiga Schörner

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Imperialismus, Kolonialismus und Postkolonialismus in der Romanisierungsforschung von

Günther Schörner Gewicht auf die Frage gelegt, inwiefern Romanisierung (und im geringeren Maße auch Romanisation) imperialistische Phänomene sind bzw. ob - vereinfacht gesprochen - von einem römischen ‚Kulturimperialismus’ die Rede sein kann, der in reichsweiter Perspektive erst in der Kaiserzeit virulent werden kann4.

Zusammenfassung: Existenz und vor allem Charakter des ‚römischen Imperialismus’ sind in der Forschung umstritten. In diesem Beitrag wird deshalb versucht, einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Diskussion zu geben und die Begriffe ‚Imperialismus’ und ‚Kolonialismus’ unter Einbeziehung auch nichtaltertumswissenschaftlicher Literatur näher zu bestimmen. Schließlich werden Inhalte der post-colonial studies referiert, die als Ansätze für Forschungen im Bereich der Romanisierung dienen können.

2. Imperialismus – Kolonialismus: Begriffsbestimmungen Um eine gemeinsame Diskussionsbasis zu gewährleisten, ist zunächst eine Begriffsbestimmung notwendig, die sich jedoch als sehr problematisch erweist. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist ‚Imperialismus’ durchweg negativ konnotiert und meint die ungerechte und erzwungene Herrschaft oder Kontrolle eines Volkes durch ein anderes. Sie ähnelt zudem auch dem Imperialismus-Begriff von J. A. Schumpeter als der »Möglichkeit eines Staates zu unbegrenzter gewaltsamer Expansion«5. Geläufige Definitionen in der neueren historischen Forschung versuchen dagegen Wertungen zu vermeiden und sind bestimmt zum einen durch eine Gegenüberstellung mit dem Begriff ‚Kolonialismus’, zum anderen durch eine Ableitung vom Begriff ‚Imperium’6. In diesem Sinn ist auch die bekannte Definition E. Saids zu verstehen, der Imperialismus versteht als »die Praxis, die Theorie und die Verhaltensstile eines dominierenden großstädtischen Zentrums, das ein abgelegenes Territorium beherrscht; ‚Kolonialismus’, der nahezu immer eine Folgeerscheinung des Imperialismus ist, bedeutet die Verpflanzung von Siedlungen auf entlegenes Territorium«7. Entscheidend für den Zusammenhang zwischen Imperium und Imperialismus ist, dass Imperialismus nicht nur als Grundbedingung für Erwerb eines Imperiums gesehen wird, sondern auch, dass ein Imperium genauso Imperialismus bedingt8. Die Schwierigkeit dieser Definition ist jedoch, dass das Problem nur auf den Begriff ‚Imperium’ ‚vorverlegt’ wird, so dass eine Klärung dieses Terminus notwendig wird. Eine doppelte Definition in diesem Sinne stammt von M. W. Doyle: »Imperium ist eine formale oder informelle Beziehung, in der ein Staat die effektive

Abstract: The general existence and the special character of ‚Roman Imperialism’ are subjects of a fierce debate of the Classical Studies. In this paper I will try to resume the current positions and to discuss definitions of ‘imperialism’ and ‘colonialism’ in different aspects. Finally I will feature some issues of the post-colonial studies which can be used as suggestions for further studies of romanization. 1. Einleitung ‘Y a-til eu un impérialisme romain?’ fragte vor Jahren P. Veyne in einem berühmten Aufsatz und ging dabei dem Problem nach, ob die Eroberungen des 3. und 2. Jhs. v. Chr. ein ‚Rome imperialiste’ kennzeichnen1. Spätestens seit diesem Essay ist ‚Imperialismus’ einer der Kernbegriffe in der altertumswissenschaftlichen Diskussion2, wobei sich die althistorische Forschung zunächst vorzugsweise mit der republikanischen Zeit und insbesondere mit den Deutungsansätzen bei Polybios beschäftigte3. In universalhistorischer Sicht ist zudem mit dem Begriff Imperialismus die Möglichkeit verbunden, das Imperium Romanum mit modernen Großreichen in Verbindung zu bringen und zu vergleichen. Aus archäologischer Perspektive wurde dagegen mehr 1

Veyne (1975) 793-855. (Zitat auf S. 793). Wichtigste Arbeiten: Gabba (1990) 189-232; Garnsey – Whittaker; Ferrary (1988). 3 Walbank (1957); Walbank (1967); Walbank (1979); Walbank (1972); Musti (1978); Ferrary (1988); Derow (1979) 1-15; Gabba (1990) 189-190. Wichtigste Stellen bei Polyb. sind I 1, 5; I 2, 7; I 3,4-6; I 6, 4-6; III 2,6; III 3, 1-9. 2

4

Vgl. vor allem MacMullen (2000). zitiert und übersetzt nach Schumpeter (1951) 7. 6 Vgl. hierzu Osterhammel (1995) 123f. 7 Said (1994) 44. 8 Osterhammel (1995) 123. 5

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Günther Schörner

Imperialismus15. Dies entspricht auch Bernsteins Definition des Kolonialismus als direkter Herrschaft, während Imperialismus als generelles System der Domination durch einen Staat über andere Staaten verstanden wird16; Kolonialismus ist folglich nur eine Ausprägung dieser Herrschaft, während Imperialismus als übergeordneter Begriff verschiedene Formen der direkten oder indirekten Kontrolle umfasst. Definiert durch die spezifische Form der Kontrolle und Machtausübung wird Kolonialismus auch in diesen Parametern beschrieben, was sinnvoller erscheint als der Bezug auf eine schwer konkretisierbare Ausbeutung durch eine herrschende Macht mittels einer relativ kleinen Zahl von Beauftragten vor Ort17: Grundsätzlich hört als Folge des Kolonialismus die vorkoloniale Herrschaft auf zu existieren bzw. kann nicht mehr ungehindert in der gewohnten Art und Weise funktionieren. Für die konkrete Machtausübung ist sowohl die Präsenz der Kolonialmacht durch lokal stationierte Beamte notwendig als auch die Kollaboration durch Einheimische18. Die Vertreter der Kolonialmacht üben dabei zentrale Herrschaftsfunktionen aus wie Besteuerung, Rechtsprechung, Überwachung der lokalen Selbstverwaltung und Polizei- sowie Militärgewalt; zudem sind die auswärtigen Beziehungen vollkommen monopolisiert19. Befördert wird Kolonialismus zudem durch eine Ideologie, die die kulturelle Überlegenheit und somit die zivilisatorische Aufgabe der Kolonialmacht festschreibt20. Bei dieser Begriffsbestimmung ist deutlich zwischen Kolonie – oder gar colonia – und Kolonisation einerseits und Kolonialismus andererseits zu trennen21: Während ersteres nur die Gründung von Siedlungen in einem fremden Land meint, bezeichnet letzteres eben die direkte Kontrolle eines fremden Landes. Anhand der Vielzahl an Definitionen und Charakterisierungen ist natürlich zu fragen, ob denn die Begriffe ‚Imperialismus’ und ‚Kolonialismus’ grundsätzlich sinnvoll auf die römische Antike angewandt werden können. So ist für viele Historiker nur in der Neuzeit bzw. mit der industriellen Revolution Imperialismus möglich, da erst dann die Möglichkeit weltweiter Expansion gegeben war22, so dass Imperialismus auch als Epochenbegriff verstanden

politische Souveränität einer anderen politischen Gesellschaft kontrolliert. Sie kann durch Gewalt, durch politische Zusammenarbeit oder durch ökonomische, soziale oder kulturelle Abhängigkeit hergestellt werden. Imperialismus ist ganz einfach der Prozess oder die Politik der Errichtung oder Aufrechterhaltung eines Imperiums«9. Steht bei dieser Erklärung die Frage der Macht und der Kontrolle sowie ihrer Ausübung im Vordergrund, so definiert J. Osterhammel ein Imperium eher phänomenologisch. Er stellt – wesentlich konkreter und deshalb in unserem Sinne auch praktikabler – einen Kriterienkatalog auf, der zur Kennzeichnung eines Imperiums dient10: x militärisch gesicherte, aber durchlässige Außengrenze x ethnisch und kulturell verschiedenartige Einheiten x übernationale politische Eliten mit einem übernationalen Weltbild x die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie Wichtige Elemente für die Aufrechterhaltung eines so definierten Imperiums, also von imperialistischem Handeln, sind in historischer Perspektive eine effiziente Verwaltung und Organisation sowie eine aggressive Ideologie, die partikuläre Interessen als allgemeine durchsetzt. Die spezifische Form der Machtausübung und Kontrolle kann variieren, Fremdherrschaft im eigentlichen Sinn ist nur eine Möglichkeit, das Imperium kann informell sein11: So ist auch das Imperium Romanum über seine Grenzen hinaus von Bündnispartnern und Klientelstaaten umgeben, dessen Könige von Rom eingesetzt werden. Aus diesem Grund ist die rex datus-Thematik ein beliebtes Sujet der kaiserlichen Repräsentation12. Direkte Fremdherrschaft ist jedoch charakteristisch für den Kolonialismus. Kolonialismus erscheint gegenüber Imperialismus deshalb in den meisten kontrastierenden Klärungsversuchen als unter- bzw. nachgeordneter Begriff, als Folgeerscheinung13 oder Spezialfall14 des

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Doyle (1986) 19. 45. Osterhammel (1995) 124. 11 Osterhammel (2003) 24-26. 12 Swoboda (1956); Göbl (1961); M. R.-Alföldi (1999). 13 Said (1994) 44; ähnlich auch Heimberg (1998) 19-40, die eine ideale Abfolge der römischen Herrschaft von einer hegemonialen imperialistischen Phase zu einer territorialen kolonialistischen Phase postuliert. Ihre im Vorfeld (22f.) gegebene Definitionen von Kolonialismus als ‚Herrschaft mit Gewalt’ und Imperialismus als ‚Herrschaft durch Macht’ sind kaum praktikabel; problematisch ist auch ihre Bedeutungseinengung des Imperialismus auf die rein ökonomische Komponente, so wird die Akkulturation im Imperialismus auf die Änderung des Wirtschaftssystem beschränkt (Schema auf S. 20). 14 Osterhammel (2003) 28. 10

15

Allgemein: Osterhammel (2003) 26-28 (mit älterer Lit.). 16 Bernstein (1992) 179. 17 So jedoch aber Bernstein (1992) 171. 18 Von Trotha (1994); Osterhammel (1995) 126-128; zu den einheimischen Trägern kolonialer Macht s. auch passim zu den ‚lokalen Eliten’. 19 Osterhammel (2003) 25. 20 Osterhammel (2003) 20. 21 Osterhammel (2003) 19f. 22 z. B. Mommsen (1979) 410; vgl. jedoch Osterhammel (1995) 122f.

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Imperialismus

werden kann (‚Zeitalter des Imperialismus’)23. Grundsätzlich wäre das Primat der Wirtschaft als Motor des Imperialismus, wie für viele moderne Imperialismen postuliert wird, für die Antike nicht aufrechtzuerhalten24. Aufgrund der Ableitung des Imperialismus-Begriffs von Imperium steht es jedoch m. E. außer Frage, vom römischen Imperialismus sprechen zu können, da Rom ein Imperium – auch nach den Kriterien von J. Osterhammel – ‚betrieb’ und somit zwangsläufig imperialistisch war. Problematischer ist die Anwendung des Terminus ‚Kolonialismus’, doch erscheint auch hier – bei strikter Trennung von Kolonisation und Kolonie – eine Anwendung heuristisch gewinnbringend, da er spezifische praktische Formen der Machtausübung bezeichnet, die ebenfalls auf das Imperium Romanum angewandt werden können25, doch ist unbedingt das für das römische Reich typische Gefüge von juristisch unterschiedlich definierten Herrschaftsobjekten zu berücksichtigen.

entscheidend, doch gehören sie einer anderen sozialen Schicht an, man vergleiche z. B. Agricola in Britannien. Eine größere Rolle spielen die Imperialismustheorien, die im Grunde auf den Marxismus zurückzuführen sind29. Für die römische Antike wurden speziell die Konzepte von Immanuel Wallerstein und ganz besonders Johan Galtung herangezogen30. Da vor allem Galtung eine idealtypische Darstellung des Imperialismus bietet, wird seine Theorie auch strukturelle Imperialismus-Theorie genannt31. Gerade weil er somit nicht auf spezifische historische Eigenarten eingeht, kann sein Modell am leichtesten Zeiten übergreifend adaptiert werden. Galtung unterscheidet zunächst verschiedene Formen des Imperialismus: x Ökonomischer Imperialismus x Politischer Imperialismus x Militärischer Imperialismus x Kommunikationsimperialismus x Kultureller Imperialismus Grundlegend für alle ‚Imperialismen’ ist jedoch wie bei Wallerstein der Gegensatz von Zentrum und Peripherie. Sowohl Zentrum als auch Peripherie haben geographische, wirtschaftliche, politische und soziale Bedeutung, so dass weiter zwischen Zentrum des Zentrums, Peripherie des Zentrums, Zentrums der Peripherie und Peripherie der Peripherie unterscheiden werden kann. Diese Differenzierung ist Folge der zentralen Herrschaftsstrukturen, die die imperialistische Macht in die Peripherien exportieren und immer weiter reproduzieren. Für die Aufrechterhaltung der zentralen Herrschaft in der Peripherie ist ein "Brückenkopf" entscheidend, den das Zentrum der zentralen Nation als Zentrum der Peripherie etabliert. Hierbei handelt es sich um eine zur Zusammenarbeit bereite und in ihrer Ideologie dem Zentrum angeglichene lokale Elite, die deshalb ein Eigeninteresse an der Konservierung der Herrschaftsverhältnisse besitzt32, da beide Gruppen gemeinsam die Peripherie der Peripherie ausbeuten. Zwischen Zentrum und Peripherie der Zentralnation herrschen genauso Disharmonie wie zwischen Zentrum und Peripherie der peripheren Nation, doch muss das Konfliktpotential in der Peripherie immer größer als im Zentrum sein, um das System aufrecht erhalten zu können. Gleichzeitig müssen die Zentren darauf achten, dass zwischen den Peripherien Uneinigkeit und Interessenkonflikte bestehen. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit von zentraler Macht und

3. Das Problem der Imperialismustheorien In der historischen Forschung zum Imperialismus in der Neuzeit spielen unterschiedliche Imperialismustheorien eine Rolle, die versuchsweise auch zur Erklärung der Funktionsweise des römischen Imperialismus und der Romanisierung und Romanisation angewendet werden26. Grundsätzlich kann bei Imperialismustheorien zwischen Globaltheorien und partiellen Erklärungen unterschieden werden, wobei auch einzelne nationale Imperialismen wie der englische, französische oder russische behandelt werden. Die klassischen politischen und ökonomischen Imperialismustheorien spielen keine größere Rolle, da sie in diesem Zusammenhang nicht rezipiert wurden, wie allgemein die historische Forschung eine kritische Position gegenüber diesen Konzepten einnimmt 27. Für die Antike ebenso unzutreffend ist die objektivistische Imperialismustheorie, wobei vor allem die Annahme, dass die Expansion von eher marginalen Gruppen der Gesellschaft vorangetrieben wurde, der antiken Praxis widerspricht28. Die ‚men on the spot’ sind sicherlich 23

Mommsen (2003). Die Versuche, einen ökonomischen Imperialismus bereits in der Antike zu etablieren, sind wenig überzeugend: vgl. Starr (1980); Hingley; hierzu Bleicken (2004) 171 und G. Schörner in diesem Band. 25 Man vergleiche nur die Formen direkter Herrschaftsausübung bei Osterhammel (2003) 5 und die Aufstellung der römischen Provinzverwaltung z. B. bei Brunt (1979) 173f. Unterschiede bestehen vor allem in der Vielfältigkeit im Grad der lokalen Selbstverwaltung in Abhängigkeit vom rechtlichen Status. 26 Imperialismustheorien: Mommsen (1987). 27 Mommsen (1987) 7-26, 135-137. 28 Zur Theorie zusammenfassend: Mommsen (1987) 6266. 24

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Neuere Übersicht zu Imperialismustheorien aus marxistischer Sicht: Bollinger (2004) passim, vor allem 7-44. 30 Zu Wallerstein s. hier G. Schörner, Das ZentrumPeripherie-Modell in der Romanisierungsforschung. 31 Galtung (1987) 29-104. 32 So auch Mommsen (1987) 119-121.

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Dependenz ist somit im ‚Idealfall’ keine direkte offene Gewalt notwendig. Die Anziehungskraft dieses Imperialismus-Modells für Romanisierungsstudien, aber auch seine Schwächen sind offenkundig: Die Attraktivität liegt vor allem in der wichtigen Rolle des peripheren Zentrums als ‚Brückenkopf’ der Zentralmacht und ihrer Funktion. Galtung weist den lokalen Eliten eine entscheidende Rolle im imperialistischen System zu, wie auch allgemein in der Romanisierungsforschung für die einheimische Oberschicht eine entscheidende Mittlerrolle angenommen wird. Spätestens seit Brunt und M. Millett ist die Wichtigkeit dieser sozialen Gruppe für den Romanisierungs- bzw. Romanisationsprozess allgemein bekannt. Die treibende Kraft und der Vorbildcharakter der lokalen Oberschicht wurde schnell zur ‚neuen Orthodoxie’. Entscheidende Elemente der strukturellen Imperialismus-Theorie werden in dieser Parallelisierung ausgeblendet, vor allem die für das Modell notwendigen Interessenkonflikte und Disharmonien, so dass die lokalen Eliten im Sinne Galtungs eben nicht als Vorbilder in einem ‚trickle down’-Prozess dienen könnten. Zudem ist keine eindeutige Trennung in Zentren und Peripherien möglich33. Allgemein ist der hochgradige Schematismus des Modells sehr problematisch, so wurde nie der Versuch unternommen, mit Hilfe welcher Mechanismen die Abhängigkeiten in einer konkreten historischen Situation in die Praxis umgesetzt wurden. Im Gegenteil: Von W. Mommsen wurde die Anwendbarkeit in einer speziellen politischen Situation an signifikanten Beispielen widerlegt34. So sinnvoll und gewinnbringend es m. E. ist, auch für das Imperium Romanum mit den Begriffen ‚Imperialismus’ und ‚Kolonialismus’ zu arbeiten, so problematisch erscheinen mir dagegen die Anwendungsmöglichkeiten von Imperialismustheorien.

und seine politisch-militärische Vorgehensweise. Gegenstand der Kontroverse sind vor allem der Charakter der Expansion und damit auch die inneren Triebkräfte für die Entstehung der Herrschaft. Im Allgemeinen werden drei verschiedene Formen des Imperialismus unterschieden: x akzidenteller Imperialismus x defensiver Imperialismus x aggressiver Imperialismus Der akzidentelle Imperialismus, wie er insbesondere von Holleaux vertreten wurde, hält den Zufall oder externe Faktoren, die nicht von Rom gesteuert werden konnten37 für entscheidend. Als Gegenpol zum aggressiven Imperialismus’ entworfen sprechen sowohl die historische Wahrscheinlichkeit als auch die Argumente, die gegen die These des ‚defensiven Imperialismus’ ins Feld geführt wurden, auch gegen diese Theorie, die deshalb in der Diskussion keine Rolle mehr spielt. Die These des ‚aggressiven Imperialismus’ sieht Rom als eine Macht, die systematisch und bewusst die Weltherrschaft anstrebt. In dieser extremen Formulierung ist die Auffassung nicht zu halten, doch gewann die Position in den letzten Jahren vor allem in der Auseinandersetzung mit dem ‚defensiven Imperialismus’ wieder an Gewicht. Ein gewichtiges Argument gegen die unbedingte Konsequenz der römischen Expansion bleibt das Zögern bei der Etablierung der territorialen Herrschaft. Gerade in der Phase der schnellsten Ausbreitung bis in das 1. Jh. v. Chr. ist der römische Staat vergleichsweise langsam, erobertes Land zu annektieren. Sicherlich die einflussreichste Position ist der ‚defensive Imperialismus’. In Nachfolge von Th. Mommsen38 und Badian39 wird das Imperium Romanum als Folge einer Außenpolitik angesehen, die nur auf die eigene Sicherheit und die Sicherheit der Bundesgenossen bedacht war40. Das Imperium Romanum entstand nur durch Kämpfe aus einer defensiven Grundhaltung heraus. Rom agiert eher passiv und fällt nur Tatsachenentscheidungen, deren Konsequenzen – der Erwerb eines Weltreiches – nicht geplant und vorhergesehen waren. Ein Vertreter dieses ‚defensiven Imperialismus’ ist auch P. Veyne, der seine eigene Frage, ob es einen römischen Imperialismus gegeben hat, deshalb auch negativ beantwortet41: Um imperialistisch handeln zu können, muss man bewusst imperialistisch sein und Gefallen an Eroberungen finden. Der defensive Imperialismus richtet sich auch ausdrücklich gegen eine ökonomische Begründung der römischen Expansion. Die Eroberungen dienten nicht zur Etablierung von Handelsbeziehungen, sondern nur zum schnellen Erwerb von Kriegsbeute. Eine zentrale Rolle in

4. Die römische Expansion als Imperialismus Als Zeitalter des römischen Imperialismus per se gilt vor allem die Phase der römischen Expansion in der mittleren und späten Republik35. Exemplarisch zeigt sich diese Auffassung in der Definition von E. Gabba, der unter den Begriff des römischen Imperialismus den Aufbau und die Konsolidierung der römischen Herrschaft im gesamten Mittelmeerraum subsumiert36. Weiter gefasst ist die Erklärung von J. Webster, die die römische Expansion und die dahinter stehende Motivation als Imperialismus verstanden wissen will. Grundsätzlich konzentriert sich die Erörterung des römischen Imperialismus republikanischer Zeit auf Rom als dem aktiven Zentrum 33

Vgl. hier Schörner, Zentrum – Peripherie – Modell. Mommsen (1987) 120f. 35 Zusammenfassend zuletzt Bleicken (2004) 168-175; Champion – Eckstein (2004) 1-15. 36 Gabba (1990) 189-233; zur Definition: Gabba (1990) 189.

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Holleaux (1921). Mommsen (1854) 781f. 39 Badian (1980) 34-40. 40 Linderski (1984). 41 Veyne (1975) 846-855. 38

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Imperialismus

der Theorie des defensiven Imperialismus spielt das Konzept des bellum iustum42, das nur nach dem alten ius fetiale durchgeführt werden durfte und nicht-aggressive Haltung rechtlich festschreibt. Seit dem Buch von Harris wird die Auffassung dieses ‚defensiven Imperialismus’ wieder diskutiert, nachdem sie lange Zeit die Lehrmeinung bestimmte43. Das methodisch grundlegende Problem war zunächst die Unterscheidung zwischen den Ursachen der Expansion, der offiziellen Ideologie des Imperialismus und schließlich der Realität imperialistischer Herrschaft. Der defensive Imperialismus ist in großen Zügen von der römischen Eigensicht, gestützt auf die literarischen Quellen, bestimmt und vergisst, die Praxis der Expansion ausreichend zu gewichten. So sind die römischen Kriege sicherlich in ihrer Intention aggressiv, auch wenn sie formal defensiv begründet wurden. Auch wurden materielle Gründe zu wenig berücksichtigt, da nachweislich gerade die Entscheidungsträger der Republik enorme Gewinne aus den Eroberungen zogen. Selbst wenn man diese Einwände als ‚Äußerlichkeiten’ abtun möchte, so konnte vor allem P. A. Brunt44, Garnsey und Whittaker45 sowie J.A. North46 nachweisen, dass das Verhaltensethos der römischen Aristokratie darauf ausgerichtet war, regelmäßig Krieg zu führen, der ein legitimes Mittel auf der Suche nach Reichtum und Ruhm war. Imperialismus ist somit ein Produkt der internen Strukturen der römischen Gesellschaft und ein bewusstes Phänomen der römischen Aristokratie. Zudem war territoriale Expansion ein öffentlich sanktioniertes Ziel römischer Außenpolitik, wie auch das Imperium in der Sicht der späten Republik die Quelle von gloria und dignitas ist47. Die Diskussion des ‚defensiven Imperialismus’ verdeutlichte erneut die offensiven Züge der römischen Expansion, so dass aktuell die Position des aggressiven Imperialismus’ mehr Gewicht bekommt. Alle diese Thesen zum spezifisch römischen Imperialismus sind jedoch insofern problematisch, als sie im Wesentlichen auf die Zeit der Republik beschränkt bleiben und sehr stark militärisch-politisch orientiert sind. Ökonomische und vor allem kulturelle Elemente sind weitestgehend ausgeblendet. Ihr Hauptmanko ist jedoch die absolute Konzentration allein auf Rom ohne Berücksichtigung der Objekte der Expansion und ihres Einflusses auf die vermeintlich allein agierende Macht.

5. Post-colonial studies Aus dem allgemeinen Unbehagen über die Konzentration auf die zentrale, imperialistische bzw. kolonialistische Macht entstanden in den letzten Jahrzehnten des 20. Jhs. die so genannten post-colonial studies48. Als Schlüsselwerke dieser Forschungsrichtung dürfen zwei Bücher von E. Said gelten, ‚Orientalism’49 und ‚Culture and Imperialism’50. Allein der Titel des zweiten Werkes besagt auch, dass man sich dezidiert den kulturellen und nicht nur politischen Aspekten imperialistischer Herrschaft widmete. Eine Grundthese Saids ist, dass weder Imperialismus noch Kolonialismus einfache Akte der Akkumulation oder Aneignung sind, sondern durch geeignete Ideologien bzw. ideologische Programme unterstützt oder angetrieben werden. Exemplarisch führt dies Said in ‚Orientalism’ an der Konstruktion des ‚Orients’ als geographische und kulturelle Einheit durch den Westen und für den Westen vor, das zur politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Dominanz führte, indem kulturelle Stereotype etabliert wurden, die die europäische Präsenz und Herrschaft rechtfertigten. Ein besonders für die Romanisierungsforschung wichtiger Punkt ist, dass im Rahmen der post-colonial studies erstmals auch der kolonisierten lokalen Bevölkerung Aufmerksamkeit geschenkt wurde, so dass postcolonialism sogar als Behandlung der Effekte von Kolonialismus auf Kulturen und Gesellschaften definiert werden konnte51. Besonders interessieren in diesem Zusammenhang verschiedene Formen der kulturellen Selbstbehauptung bis hin zur Bekräftigung nationaler Identitäten. Als besonders fruchtbar erwies sich auch das Konzept der diskrepanten Erfahrungen (discrepant experiences)52: Dabei werden die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungshorizonte des Kolonisierten bzw. Kolonisten auf Eroberung und (Fremd-)Herrschaft thematisiert. Said führt als besonders prägnantes Beispiel die Eroberung Ägyptens durch Napoleon an, die aus französischem Blickwinkel ganz anders geschildert wird als aus einheimisch-ägyptischem53. Die post-colonial studies wurden nach E. Said in verschiedene Richtungen weitergeführt. Im Hinblick auf die Romansierungsforschung erscheinen vor allem die Arbeiten zum Verhältnis von Kolonialmacht und indigener Bevölkerung besonders interessant, so konnte P. Hulme eindrucksvoll die Unterscheidung zwischen ‚guten’ und ‚bösen’ Einheimischen – in Abhängigkeit von ihrer Positionierung gegenüber der kolonisierenden

42

Kategorie des bellum iustum vor allem bei Cicero rep. III 35; Cic. off. I 20ff.; vgl. hierzu jedoch Webster (1995). 43 Vgl. zusammenfassend Bleicken (2004) 169-171. 44 Brunt (1978) 159-191. 45 Garnsey – Whittaker (1978) 1-6. 46 North (1981) 1-9. 47 Brunt (1978) 162-164. 170-172.

48

Zusammenfassende Literatur: Hawley (2001); Young (2003) ;Young (2001. 49 Said (1978). 50 Said (1993); dt. Übersetzung: Said (1994). 51 Ashcroft – Griffiths – Tiffin (1989) 186. 52 Said (1994) 70-83. 53 Said (1994) 72-74.

29

Günther Schörner

Macht – aus europäischer Sicht herausarbeiten54. Ein weiteres wichtiges Thema betrifft die so genannte Mimikry als zentrales Phänomen zur Schaffung einer Zwischengruppe zwischen Kolonialherren und kolonisierten Völkern, die somit den für die Romanisation so wichtigen einheimischen Eliten entspricht55. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Mimikry immer einen Bedeutungsverlust zwischen der indigenen Nachahmung und dem kolonialistischen Urbild mit sich bringt und eher eine bloße Wiederholung als bewusste Aneignung der kolonialen Macht und ihrer Symbole ist. Weitere Aspekte der post-colonial studies ergaben sich durch Einwände gegen das Werk Saids selbst. So wurde im vor allem die Vereinheitlichung der Vorgänge im Rahmen des Kolonialismus56, die Vernachlässigung des indigenen Widerstandes57 und seiner Heterogenität sowie das Fehlen eines gender-Ansatzes vorgeworfen58. Aus dieser Kritik heraus entstanden als wichtige Weiterentwicklung die subaltern studies, die insbesondere auf der Suche nach Repräsentationsformen der kolonisierten Völker sind, die nicht auf die Kolonialmacht oder die einheimischen Eliten zurückzuführen sind59. Ihr Interesse gilt vor allem der subalternen Frau, die sich weder in Texten der Kolonialmacht noch in von Männern dominierenden Texten der ‚resistance’ ausdrücken kann. Eine grundsätzliche Analyse des Verhaltens von untergeordneten sozialen Gruppen in kolonialen Gesellschaften wurde in diesem Kontext von J. C. Scott erarbeitet60, die in vielen Aspekten Anregungen für das Verständnis provinzialer Gesellschaften im Imperium Romanum geben kann. Allgemein führt die Diskussion in vielen Punkten sehr weit und wird schnell sehr theoretisch und verliert manchmal die Rückbindung an die historische Realität, doch verhelfen die post-colonial studies zu wichtigen, gerade für die Romanisierungsforschung neuen Erkenntnissen und Gesichtspunkten61: x Aufgabe der imperialistischen bzw. kolonialistischen Kultur als dem einzigen maßgeblichen Standard

x Zugeständnis unterschiedlicher, diskrepanter Sichtweisen x Auffassung der Geschichte der kolonisierten Einheimischen als aktiver Geschichte mit Phasen offenen und verdeckten Widerstands x neue Aspekte in der Charakterisierung der indigenen Eliten und ihres Verhältnisses zur Kolonialmacht x Dekonstruktion des einfachen Gegensatzes von Eigen und Fremd in der Wahrnehmung 6. Imperialismus, post-colonial studies und Romanisierung: Forschungen und Fragestellungen Als imperialistisches Phänomen erscheint Romanisierung vor allem dann, wenn aus literarischen Quellen, vor allem der berühmten Vergil-Stelle62, eine antike Ideologie abgeleitet wird, die Rom als Kulturbringer sieht, so dass in Folge der militärischen und politischen Dominanz in den Provinzen eine entsprechende Infrastruktur geschaffen wird und mit Mitteln wie der Gründung von Kolonien oder der Verleihung des Bürgerrechts römische kulturelle Standards (Latein, römische Kulte, römischer Kunstgeschmack) verbreitet werden sowie eine weitest mögliche Urbanisierung durchgesetzt wird63. Dies kann jedoch natürlich keine Beschreibung der historischen Wirklichkeit sein, sondern im besten Fall die Checkliste einer detaillierten Prüfung. Gerade in Folge der post-colonial studies erfolgte ein Umdenken hinsichtlich des grundsätzlichen Charakters der Romanisierung, insbesondere wurde die u. a. aus der Konzentration auf die literarischen Quellen verursachte positive Grundeinstellung gegenüber der römischen Herrschaft kritisch hinterfragt. D. Mattingly geht sogar so weit, die Literatur zum römischen Imperialismus selbst als Teil eines imperialistischen Diskurses zu Explizit wendet er sich gegen das bezeichnen64. consensus-Modell, das das Einverständnis von Zentrum und Provinzen über die Rolle Roms als Basis des Imperium Romanum sieht65. Als weitere Folge der postcolonial studies wird Kritik an der implizierten Einheitlichkeit des Prozesses ‚Romanisierung’ laut, der eben kein generalisiertes festgeschriebenes Verfahren war, nach dem Motto: ‚Die Kelten werden romanisiert’66. Zu different ist die Situation unter den unterschiedlichsten sozialen Gruppen in den verschiedenen Provinzen; selbst die Interaktion zwischen

54

Hulme (1986). Zu diesem Phänomen vor allem H. Bhabha in einer Vielzahl von Aufsätzen, vor allem aber Bhabha (1994) passim, speziell 85-92; dt.: Bhabha (2000). 56 So z. B. Lowe (1991), der die Unterschiede zwischen französischen und britischen Kolonialismen, d. h. die Zeit- und Ortsabhängigkeit von kolonialen Diskursen aufzeigt. 57 Zum Widerstand s. hier H. Wabersich. 58 Vgl. jetzt post-colonial studies mit gender-Ansatz: Mills (1991); Lewis (1996); Ye÷eno÷lu (1998). 59 Vor allem Guha (1982-1987); R. Guha (1982-1989); Spivak (1989) 271-313; vgl. auch Spivak (1993). 60 Scott (1990). 61 Vgl. hierzu Webster (1996) 6-8. 55

62

Verg. Aen. 851-853; als Beweise für bewusste Romanisierung auch herangezogen: Tac. Agric. 21; Dio. 56, 18; moderner Ansatz mit Belegen: Whittaker (1997). 63 So z. B. Savino (1999) 28-30. 64 Mattingly (1997) 14f. 65 Das Consensus-Modell wieder aufgenommen durch Ando (2000); vgl. aber die Kritik bei Stevenson (2002). 66 Vgl. hierzu Webster (1996) 11.

30

Imperialismus

Rom und den lokalen Eliten kann nicht vereinheitlicht werden67. Grundsätzlich führte die Forschungen der letzten Jahre zu einem Umdenken in vielen positiv gewerteten Punkten des römischen Imperialismus und der Romanisierung. Vor allem folgende Aspekte sind zu nennen68: x römischer Imperialismus als defensiver Imperialismus x Vorstellung einer homogenen Romanisierung x Darstellung der Romanisierung als organischen Prozess x Gegenüberstellung römisch/zivilisiert – einheimisch/barbarisch (mit Verkürzung römisch – barbarisch) x Vorstellung von religiöser Toleranz und positiven Synkretismus Eine praktische Untersuchung, die explizit Bezug auf post-colonial studies Bezug nimmt und sie auch praktisch für die archäologische Erforschung einer romanisierten Landschaft nutzen möchte, liegt in der 2002 erschienen Arbeit von D. Finchham zum römischen Fenland vor69. Für künftige Studien der Romanisierung ergeben sich m. E. deshalb folgende Folgen und Aufgabestellungen: Als Folge der Diskussionen im Rahmen der post-colonial studies, insbesondere aufgrund des Konzeptes der discrepant experiences ist zunächst eine strikte Regionalisierung der Untersuchungen zu römischen Imperialismus notwendig, um auch der Sicht der provinzialen Bevölkerung gerecht zu werden. Das römische Reich ist nicht als eine große hegemoniale Einheit zu sehen, sondern als ein Konglomerat aus unterschiedlichen Bestandteilen mit verschiedener geographischer, sozialer oder kultureller Prägung. Folge dieses Vorgehens kann eine Dezentralisierung des Imperium Romanum sein, die Rom nicht als einzigen Standard gelten lässt. Ein einheitliches Imperialismusmodell im Sinne einer ‚Großen Theorie’ ist m. E. in unserem Kontext nicht gewinnbringend einsetzbar; falls man am Aufstellen von Modellen für die Funktionsweise des Imperialismus festhalten möchte, so sollten diese strikt regional begrenzt sein, wobei unbedingt die ‚kolonisierte’ Gesellschaft einbezogen werden sollte. Notwendig ist auch, dass die lokalen Kontexte der römischen Herrschaft zu berücksichtigen sind – eine Forderung, die Zeit übergreifend für die Erforschung aller Imperialismen aufgestellt wurde70. Grundproblem all dieser theoretischen Überlegungen ist natürlich ihre Anwendbarkeit in der archäologischen Praxis. Neben der leicht zu erfüllenden Forderung nach

Regionalstudien, die nicht nur römische Importe behandeln oder nur die hauptstädtische Kunst als alleinigen Bewertungsmaßstab gelten lassen, sind m. E. vor allem zwei grundlegende Forschungsfelder vorrangig zu nennen: Ein besonders wichtiger Aspekt, der jedoch bisher kaum berücksichtigt wurde, ist die geographische Dimension, die der Imperialismus als Raum verändernde Macht besitzt und bedingt wird durch die Wirkung der Expansion auf Landschaften und Siedlungsformen. Ein weiteres Betätigungsfeld liegt im Bereich der ‚material culture’ und im Konzept der Hybridisierung und vor allem der ‚creolization’, nicht als allumfassendes ‚Gegenmodell’ zu Romanisierung71, sondern als Möglichkeit, Konzepte wie ‚discrepant experiences’ auch an Fundobjekten erfahrbar zu machen, so dass zum einen verschiedene Lesarten ein und desselben Gegenstandes möglich werden, zum anderen die abgrenzende Bestimmung von ‚Fremd’ und ‚Eigen’ durchlässig zu machen. Bibliographie: Allen – Thomas (1992): T. Allen – A. Thomas (Hrsg.), Poverty and Development in the 1990’s (1992). Ando (2000): C. Ando, Imperial Ideology and provincial loyalty in the Roman Empire (2000). Ashcroft – Griffiths – Tiffin (1989): B. Ashcroft – G. Griffiths – H. Tiffin, The Empire writes back : theory and practice in post-colonial literatures (1989). Badian (1968): E. Badian, Roman Imperialism in the Late Republic (1968) (2. Auflage). Badian (1980): E. Badian, Römischer Imperialismus in der Späten Republik (1980). Bartel (1980): B. Bartel, Colonialism and cultural responses: problems related to Roman provincial analysis, World Archaeology 12, 1980, 11-26. Benabou (1978) : M. Benabou, Les romains ont-ils conquis l’Afrique?, AnnalesESC 33, 1978, 83-88.

67

Man vergleiche z. B. die Situation in Dakien, wo von Ausrottung der ehemals führenden Familien gesprochen wird: Ruscu (2004) 80-84; hier auch Y. Schmuhl. 68 vgl. auch Webster (1996) 9f. 69 Fincham (2002). 70 Osterhammel (2003) 19-28.

71

Hierzu: Webster (2001); vgl. hierzu die Kritik von S. Matz in diesem Band.

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34

Integration von

Dennis Graen

allgemein verbindliche Wert- und Handlungsmuster. Der Grad der Integration bestimmt das Ausmaß der Übereinstimmung der Gesellschafts-mitglieder über die gemeinsamen Ordnungsprinzipien und damit die gesellschaftliche Stabilität. Integration im Völkerrecht bezeichnet den Zusammenschluss von Staaten in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht.

Zusammenfassung: Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wird der Begriff Integration für die Beschreibung der aktiven oder passiven Eingliederung fremder Völkerschaften in das Imperium Romanum, vor allem in der italienischen und spanischen Forschung, gebraucht. H. Galsterer erkannte ein Fünf-Schritte-Modell dieses Prozesses: 1. militärische Eroberung, 2. Zentralisierung und Urbanisierung, 3. Aufbau einer gesellschaftlichen Ordnung, 4. Neuordnung des Wirtschaftssystems, 5. Übernahme römischer Sprache und Religion. Nach E. Flaig beruht die enorme Integrationskapazität Roms vor allem auf der Kombination von drei Hauptmechanismen: Urbanisierung, Verleihung von Bürgerrechten und soziale Aufstiegschancen. Im Zusammenhang mit Religion wird Integration als völlige Neuschaffung eines Kultsystems in der Provinz verstanden.

2. Integration und Romanisierung Der Begriff wird im Zusammenhang mit Romanisierung (Romanization) erstmals verwendet von R. Cohen und J. Allerdings wird hier Integration, Middleton1. Assimilation oder Incorporation als einseitiger Sieg Roms gedeutet und die dort getroffenen Feststellungen sind nicht immer relevant für den Großteil der Bevölkerung Nordafrikas, dem von Cohen und Middleton untersuchten Gebiet2. Besonders die spanische Forschung versteht den Prozess der Romanisierung/Romanisation bzw. der Eingliederung fremder Völkerschaften in das römische Imperium als Integration3, und auch im Zusammenhang mit der Eingliederung Etruriens in das römische Herrschaftsgebiet spricht die italienische Forschung gern von Integration4. Auch die jüngere englischsprachige Forschung versteht den Prozess der Romanisierung als Integration der Provinzen in die römische Herrschaft im Sinne eines Prozesses des soziokulturellen Wandels, der aus der Integration indigener Gesellschaften in das römische Reich resultiert5. Allerdings stellt sich dabei insgesamt die Frage, ob die nicht-römischen Gesellschaften und Kulturen von den Römern integriert werden oder sich selbst in das Imperium Romanum integrieren. Dies ist jedoch vermutlich von Fall zu Fall unterschiedlich, beide Möglichkeiten sind denkbar. U. Heimberg sieht die Integration, bei der sich über die sozialen Grundmuster indigener Völkerschaften die ungleich komplexeren römischen Strukturen legen, als Kettenreaktion6: Urbanisierung und die daraus entstehende Klassengesellschaft und differenzierte

Abstract: Since the 1970’s the notion “integration” is used to describe the active and passive integration of foreign populations into the Roman Empire, especially by the Italian and Spanish historians. H. Galsterer realized a model of five steps for this process: 1. military conquest, 2. centralisation and urbanisation, 3. construction of a social system, 4. construction of an economic system, 5. adoption of Roman language and religion. After E. Flaig the capacity of Roman integration is enormous because of three main mechanisms: urbanisation, grant of civil rights, possibility of social ascent. In context of religion integration is understood as complete new creation of a provincial cult system. 1. Defintion Meyers Grosses Taschenlexikon, Bd. 10 (1983) 263 f. bietet folgende Definition des Begriffs Integration: Allgemein ist Integration die (Wieder-) Herstellung eines Ganzen/einer Einheit durch Einbeziehung verschiedener, außenstehender Elemente oder auch eine Vervollständigung. Integration in der Soziologie wird verstanden als ein gesellschaftlicher Prozess, der durch einen hohen Grad harmonischer, konfliktfreier Zueinanderordnung der verschiedenen Elemente gekennzeichnet ist. Es bezeichnet außerdem Prozesse der bewusstseinsmäßigen bzw. erzieherischen Eingliederung von Personen und Gruppen in bzw. ihre Anpassung an

1

Cohen – Middleton (1970). Whittaker (1995) 19. 3 Santos (1982); Santiago (1991); Pitillas Salañer (1998); Pitillas Salañer (1998/99); Olesti i Vila (2000). 4 Kneppe (1990); Convegno (2001). 5 Millett – Roymans – Slofstra (1995). 6 Heimberg (1998) 34-40. 2

35

Dennis Graen

Steuererhebungen führen zur Umgestaltung der Ökonomie auf Überschussproduktion und damit verbunden zu neuen Techniken und Arbeitsweisen. Die Entwicklung des Handels lässt neue Formen des privaten Lebens entstehen, die sich wiederum im Städtebau sowie in Schrift und Sprache, Kleidung und Nahrungsgewohnheiten, Religion, Jenseitsvorstellungen sowie in Bildlichkeit und Demokratisierung niederschlagen. Entscheidend dabei ist ihrer Meinung nach die Ausgangssituation der jeweils zu integrierenden Völkerschaft, die zu einer differenzierten Integration in das römische Imperium führte: sehr zügig sei der Vorgang beispielsweise am Rhein verlaufen, wo die Armee ein „mächtiger Katalysator“ gewesen sei, in Gebieten mit erkennbarer Kontinuität – und wohl auch einem ausgeprägteren Identitätsbewusstsein7 – ist er wohl langsamer verlaufen8. Dem von U. Heimberg zugrunde gelegten Grundverständnis von Romanisierung als imperialistischem Modell9 zufolge wäre dies jedoch ohne Zustimmung und aktive Mitarbeit der „Opfer“, auf die sich Imperialismus stütze, nicht möglich gewesen. H. Galsterer versteht unter Integration die Übernahme der römischen Sprache und Religion, Namen und Institutionen sowie Bodenrecht und Wirtschaftsformen und die damit verbundene Verdrängung der früheren Zustände10. Anhand der Romanisation des hispanischen Nordwestens, der sich aufgrund der schriftlichen Überlieferung gut fassen lässt, entwirft er ein Modell in fünf Schritten:

5.

Je mehr diese Vorraussetzungen erfüllt worden seien, desto eher habe nach Galsterer die Chance bestanden, das latinische oder römische Bürgerrecht zu erhalten; wichtig sei deshalb vor allem die Integration der Oberschicht gewesen. E. Flaig weist auf die außerordentliche Integrationskapazität Roms mit Blick auf die Gründungslegende Roms hin, nach der Romulus die Stadt mit Räubern und Wegelagerern angefüllt habe – und eine Räuberbande habe eine bemerkenswerte Integrationskapazität: sie nehme in der Regel jeden auf, der den Ehrenkodex der Bande schnell verinnerliche, sich in die Bandenorganisation reibungslos einordne und die Interessen der Bande rücksichtslos gegen den Rest der Welt verteidige. Prinzipiell könne jeder aufgenommen werden, es müsse nur noch ein Rest übrig bleiben, den man berauben kann11. Nach Flaig hat das Imperium Romanum über drei hauptsächliche Mechanismen der Integration unterworfener oder verbündeter Stämme in die politische Gemeinschaft Roms verfügt: 1.

2. 1.

2.

3.

4.

Übernahme römischer Sprache, Religion und Zivilisation (=Umgangsformen).

Nach der militärischen Eroberung des Gebietes müssen als Voraussetzung für die Einführung der römischen Zivilverwaltung aus den bisherigen Stammesverbänden Territorialeinheiten gebildet werden, die dem Statthalter unterstellt und verwaltungstechnisch (politisch, polizeilich, fiskalisch) verantwortlich sind. Zentralisierung und Urbanisierung durch Einrichtung einer „Hauptstadt“ (civitas) für die Beherbergung von Behörden und den wichtigsten Heiligtümern. aristokratische bzw. timokratische Ordnung der Bevölkerung: die männlichen Mitglieder der ca. 100 Familien umfassenden Oberschicht stellen die decuriones, die über die Geschicke der Stadt entscheiden und Verhandlungspartner der römischen Provinzialverwaltung sind. Diese finanzieren zu großen Teilen auch die Gemeindeämter. Neuordnung des Wirtschaftssystems dergestalt, dass die ratsfähigen Familien genügend Einkommen aus dem Territorium beziehen (absentee-ownership, Rentengedanke).

3.

7

s. dazu den Beitrag von H. Schörner. Heimberg (1998) 36. 9 s. dazu den Beitrag von G. Schörner. 10 Galsterer (1979).

Durch die Urbanisierung und die damit verbundene soziale Differenzierung werde die kulturelle Identität der sozialen Gruppen verändert, weil sie traditionelle Bindungen aufbreche und deren Bedeutung minimiere. Die Verleihung des Bürgerrechts sei ein einzigartiges Integrationsmittel, weil das Bürgerrecht ablösbar vom Territorium und nicht an die Teilnahme an der politischen Entscheidung gebunden gewesen sei. Die Verleihung konnte z. B. durch Freilassung von Sklaven oder durch Militärdienst bei den Hilfstruppen des römischen Heeres erfolgen. Im 1. Jh. n. Chr. beispielsweise wurden auf diese Weise jährlich ca. 6000 „Neurömer“ produziert12. Ob und wie weit diese tatsächlich in die politische Gemeinschaft Roms integriert waren, bleibt jedoch fraglich. Angehörige romanisierter lokaler und regionaler Eliten hätten unaufhörlich aufsteigen können. Eine wichtige Rolle habe dabei wiederum das Heer gespielt, das Offiziere nichtrömischer Ethnien zunächst einer intensiven Romanisierung unterzogen habe, was meist dazu geführt habe, dass der Adel so durch den veränderten Lebensstil von der eigenen Ethnie abgegrenzt worden sei. Das habe für Rom die positive Folge gehabt, dass Aufstände, die meist von jenen regionalen Führungsschichten organisiert worden seien, keine Chance mehr gehabt hätten; andererseits habe die Integration

8

11 12

36

Flaig (1995). Flaig (1995) 48.

Integration

der Oberschicht und die damit verbundene Entfernung vom eigenen Stamm auch Gefahren geborgen, besonders, wenn Rom selbst als deren Stütze in eine Krise geriet.

nicht jede Romanisierung oder Romanisation ist eine Integration. Es gibt durchaus Regionen des römischen Reiches, die nicht nach dem von Galsterer und Flaig entworfenen Modell integriert worden sind (z. B. das Baskenland, Dakien).

Nach Flaig beruhte die Integrationskraft des Reiches vor allem auf der Kombination aller drei Mechanismen. Bibliographie: Verschiedene Autoren verwenden den Begriff Integration auch bei der Untersuchung religiöser Systeme in den römischen Provinzen. So führt beispielsweise F. Marco13 eine Weihung in Form eines Altares des Municipiums Asturica Augusta im Nordwesten der Iberischen Halbinsel aus dem 2. Jh. an, in der der Gott Vagodonnaegus der „Zielgott“ ist. Die Weihung erfolgte laut Inschrift durch den Magistrat. Marco schlussfolgert daraus, dass hier ein indigener, als deus bezeichneter Gott in die offizielle Religion der Civitas integriert ist. Die decuriones, die für diesen offiziellen Kult zuständig waren, haben vermutlich weitgehende Freiheiten bei der Einrichtung der lokalen Kulte gehabt, sofern die Kapitolinische Trias und eine dynastische Gottheit darin vorgekommen sind. J. Scheid hat ein ähnliches Phänomen für die civitas Treverorum untersucht, wo im Rahmen einer Neuordnung bzw. Neueinrichtung des lokalen Kultsystems sogar ein ganzer Tempelbezirk – der Tempelbezirk im Altbachtal – neu erbaut und in die Stadtplanung miteinbezogen wurde14. Die indigenen Gottheiten sind von römischer Seite niemals unterdrückt oder auf eine zweite Ebene in den privaten oder ländlichen Bereich zurückgedrängt worden und können wohl im institutionellen Sinne sogar als römisch bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit Romanisierung bzw. Romanisation ist die Verwendung des Begriffes Integration durchaus sinnvoll. Allerdings ist es notwendig, dass jeweils, z. B. wie bei Santos (1982), dazu gesagt wird, um wessen Integration es sich handelt und wohin sie erfolgt. Der allein stehende Begriff an sich ist daher in dem hier erörterten Zusammenhang kaum brauchbar. Integration als Modell [nach Galsterer (1979) und Flaig (1995)] beschreibt das Phänomen der Romanisierung/Romanisation treffend und ist daher ebenfalls zur Beschreibung bestimmter Sachverhalte und Vorgänge in verschiedenen Provinzen des römischen Reiches geeignet. Auch hier muss jedoch zusätzlich zu dem Wort an sich noch jeweils eine Konkretisierung mit genannt werden, also z. B. „Die Integration der westlichen Schwarzmeerregion in das römische Reich“ oder „Die Integration der Häduer in die römische Provinz Gallia Lugdunensis“ etc.. Eine als Modell verstandene Integration kann Romanisierung/Romanisation jedoch nicht ersetzen, denn 13 14

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Marco (1996). Scheid (1995).

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Dennis Graen

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38

Synkretismus und Romanisierung von

Marcolf Baliga

Zusammenfassung: Das Synkretismuskonzept wurde im letzten Jahrhundert entwickelt. Es sollte vorrangig dazu dienen, die Vermischung von Religionen in Kontaktsituationen zu erklären. Die Diskussion um dieses Konzept ist noch immer im Gange und es fehlt bis heute eine Definition, die seine Anwendung ermöglicht. Im Aufsatz wird zunächst erklärt, was Synkretismus ist und welche Grenzen ihm obliegen. Dem folgt ein Blick auf seine Herkunft, seine Bedeutung in der Neuzeit (17.Jh.) und besonders auf die Debatte um das Synkretismuskonzept. Im dritten Teil wird gezeigt, auf welche Weise das Konzept angewendet werden könnte insbesondere im Zusammenhang zur Romanisierung hergestellt. Abstract: The concept of syncretism emerged during the last century. Its original purpose was to explain the mingling of religions in situations of cultural contacts. The discussion of the theory is still ongoing while any clear definition of its subject is missing. In this essay the syncretism theory will be examined, casting a light onto the problems and limits in this kind of approach. A view to its origin is to follow, especially pointing to its importance in early modern times (17th century) and to the state of debate today. The third chapter contains the attempt to prove the usability of the concept in certain contexts. The essay concludes with the connection of syncretism and Romanisation. 1. Synkretismus: Das Problem Der Begriff Synkretismus wird sowohl von Religions- als auch Sprachwissenschaftlern angewandt 1 . In der Sprachwissenschaft bezieht er sich unter der Bezeichnung „Kasus-Synkretismus“ auf die Endungsgleichheit verschiedener Kasus der indogermanischen Sprachgruppe 2 , worauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird, da es zu weit vom eigentlichen Thema wegführt3. 1

Colpe (1975) bezieht den Begriff auch auf Kulturwissenschaftliche Phänomene. 2 Vgl. dazu Colpe (1975) 17 f. Weiterführend Literatur zum sprachwissenschaftlichen Synkretismus: B. Delbrück, Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen, 1. Teil (1893) 189-199; J. Wackernagel, Vergleichende Sprachsyntax Bd. 1 (1926)² 301-305. 3 Zudem findet diese Anwendung keine Zustimmung bei Colpe (1975) 17.

In der Religionswissenschaft wird der Synkretismus grundsätzlich als Konzept angesehen, das die Verschmelzung vorher getrennter Elemente zu einem neuen Gebilde beschreibt 4 . In der Praxis wird dieses Konzept traditionell nur auf die Vermischung von Religionen oder religiösen Teilbereichen angewandt, wobei man zwischen Synkretismus in einem Religionssystem und dem Synkretismus, der bei Kontakt mit einer anderen Kultur entsteht, unterscheidet. Für die theoretische Auseinandersetzung mit dem Synkretismusbegriff ergeben sich aber erhebliche Probleme. In der Debatte um die Anwendbarkeit des Synkretismuskonzepts (s. u.), die hauptsächlich in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts geführt wurde, warfen die Forscher nach und nach immer mehr Ansichten und Aspekte in die Diskussion, was eher zur Verwirrung führte als zur Klärung beitrug. Unterschiedliche Ansichten und nicht zuletzt die Infragestellung des Synkretismusbegriffs verhinderten bis heute die Entstehung einer einheitlichen und verbindlichen Terminologie und erschweren damit seine Anwendbarkeit in der Praxis. Jedoch kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass diese Aspekte von Wichtigkeit sind, um das Problem zu erfassen und wissenschaftlich zu beschreiben. Es stellt sich zunächst die Frage, was man als Synkretismus anspricht. Ist Synkretismus der Prozess, der zu einem Ergebnis führt, oder ist er das Ergebnis eines Prozesses. Als nächstes muss beachtet werden, was sich auf welche Weise miteinander vermischt und ob dies innerhalb einer Religion (interner Synkretismus) oder zwischen zwei Religionssystemen bei einer Begegnung (Kontaktsynkretismus) vonstatten geht. Nicht unwichtig ist der Aspekt, ob die Vermischung ein unbewusst oder ein bewusst durchgeführter Vorgang ist und welche soziale Rolle (Machtstellung) die Vermischenden (Synkretisten) in den Religionssystemen einnehmen. Zuletzt sollte auch beachtet werden, welche Position der Forscher selbst einnimmt. Ist er Teil eines der sich vermischenden Religionssysteme oder betrachtet er sie von außen. Gerade die eigene Religion als synkretistisch zu beschreiben fällt vielen Forschern schwer 5 . Es ist leichter den Synkretismusbegriff auf andere Religionen anzuwenden, ein Vorteil, den man hat, wenn man das 4

Wobei unter Elementen ganze Religionen, religiöse Teilbereiche, ideologische und kulturelle Aspekte verstanden werden können: Vgl. Colpe (1975) 16; Droogers (1989) 13. 5 Hier spielt zusätzlich die in der frühen Neuzeit entstandene negative Wertung des Synkretismus (s. u.) eine nicht unwichtige Rolle. 39

Marcolf Baliga

„Synkretisten gleich Sündechristen“ 13 , womit Personen gemeint waren, die unvereinbar getrennte Ansichten zu vereinbaren suchten. Gerade die Vorstellung von der „Religionsmengerei“, die im 17. Jh. als anrüchig galt, verbindet man aber in der modernen Religionswissenschaft mit Synkretismus 14 . Seit dem letzten Jahrhundert begann man damit, den Synkretismus von seinem negativen Anstrich zu befreien und ihn als religionswissenschaftlichen Fachterminus zu gebrauchen. Der holländische Theologe G. van der Leeuw beschreibt den Synkretismus als eine Entwicklungsstufe, die „vom Polydämonismus zum Polytheismus führt“ 15 und wendet ihn damit hauptsächlich auf ein sehr frühes Stadium der Religion an. Für ihn ist der Synkretismus ein Element der Dynamik zwischen den Religionen, bei dem lediglich Verschiebungen von Bedeutungsinhalten auftreten. Dies ist ein Phänomen, das besonders in der Mission zum Tragen kommt, also dort, wo die Religion am ehesten mit einer anderen in Kontakt tritt16. Er kommt auch zu der Erkenntnis, dass der moderne Mensch ein Synkretist ist, da sich seine Religion aus vielen verschiedenen Quellen zusammensetzt 17 . Damit ist jede moderne Religion ein synkretisches Gebilde. Eine Typologie versuchte G. van der Leeuw aufzustellen, indem er die von H. Frick postulierten Gesetzmäßigkeiten der Religionsausbreitung und Mission (Assimilation, Substitution und Isolation) auf den Synkretismus anwendet18. Sein Landsmann H. Kraemer vermutet die Wurzel des Synkretismus im Monismus 19 und ist ebenfalls davon überzeugt, dass grundsätzlich jede Religion synkretistisch ist. Er unterscheidet aber bereits einen unbewussten von einem bewussten Synkretismus, wobei der bewusste Synkretismus hauptsächlich paganen Religionen zugewiesen wird, während der Synkretismus in der historischen Entwicklung ein dem Menschen unbewusster Vorgang ist. Diese Auffassung teilt später Kamstra, der den Synkretismus als eine dem Menschen innewohnende Eigenschaft – und damit auch jeder Religion – ansieht, die ihn dazu bringt, ständig neue Elemente in die eigene Religion aufzunehmen und sie so zu „verfremden“ 20 . Dabei kann der Synkretismus auch intern in einer Religion stattfinden 21 . Für ihn stellt der Synkretismus eine Entwicklung dar. Er ist nicht nur

Problem aus der „historischen Distanz“ auf die antiken Religionen anwendet. Zum Verständnis des Problems ist es wichtig, einen Blick auf die Herkunft und vor allem die historische Entwicklung des Synkretismusbegriffs zu werfen. 2. Herkunft und Wandel Der griechische Begriff Synkretismós ist bereits in der Antike angewendet worden, und Plutarch überliefert dazu eine Erklärung6. Nach ihm handelt es sich dabei um ein Verhalten, das den Bewohnern Kretas zu eigen war, wenn Brüder uneins und zerstritten untereinander sind, sich aber zusammentaten, sobald ein Feind von außerhalb drohte, um diesen zu bekämpfen. In der jüngeren Forschung ist angemerkt worden, dass der Begriff, entgegen Plutarch, auch von dem Wort sýnkratos, welches sich von keránnymi (vermischen) herleitet, abstammen könnte. Aus sýnkratos würde im ionischen Dialekt synkrêtos werden7. Als Plutarch diesen Begriff erwähnte, besaß er offenbar schon eine längere Tradition in der Volksethymologie, jedoch ist dies nicht mehr zu beiden klären 8 . Zumindest findet sich aber in Erklärungen der gleiche Sinngehalt: der, dass sich etwas, das getrennt war, miteinander vermischt9. In der frühen Neuzeit wurde der Begriff durch Erasmus von Rotterdam wieder aufgenommen, der erstmals den Zusammenhang zur Religion herstellt, das Wort aber noch in der gleichen Weise anwandte, wie es durch Plutarch überliefert war 10 . In dem Brief vom 22. April 1519 an Phillipp Melanchthon 11 ruft er seinen protestantischen Kontrahenten zum Zusammenschluss gegen diejenigen auf, die sich von der Wissenschaft der Theologie abgewandt haben. Zur gleichen Zeit wurden aber gerade diese Leute als Synkretisten bezeichnet, die sich gegen die reine christliche Lehre gewandt hatten. Damit begann eine Herabstufung des Begriffs zu einem Schimpfwort. Im 17. Jh. wurden damit vor allem Leute belegt, die sich um eine Einigung zwischen Katholizismus und Protestantismus bemühten; so der Theologe Calixt 1645, dem „Religionsmengerei“ vorgeworfen wurde12. Es entstand das negative Schlagwort

6

Plutarch, De amore fraterno 19 (Mor. 490 B). Pariente (1969) 320. 8 K. Rudolph vermutet, dass Plutarch durch ältere Quellen, wie möglicherweise Aristoteles, in denen der Begriff in politischer Bedeutung angewandt worden sein könnte, beeinflusst war: Rudolph (1979) 194. 9 Die sprachgeschichtliche Deutung wird vertreten von: Colpe (1975) 16, Anm. 1; ders. (1979) 1648; Kamstra (1985) 210 f. Dagegen sieht Rudolph (1979) 195 die sprachgeschichtliche Ableitung unter dem Einfluss der modernen Vorstellung vom Synkretismus. 10 Rudolph (1979) 195. 11 Köhler (1986) 234. 12 Tschackert (1907) 242. 7

13

Vgl. Rudolph (1979) 196. Es ist nicht mehr jene von Plutarch überlieferte Vorstellung vom Zusammenschluss gegen einen gemeinsamen Feind. 15 van der Leeuw (1956) 186. 16 Dass diese Ansicht bereits in der Antike bekannt war, zeigt die Areopagrede des Apostels Paulus in Apg. 17: Vgl. Rudolph (1979) 197. 17 Van der Leeuw (1956) 693. 18 Ebd. 694; Frick (1928) 53 f. 19 Kraemer (1937) 7. 20 Kamstra (1970) 23. 21 Ebd. 27. 14

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Synkretismus

Prozess innerhalb einer Entwicklungsstufe, sondern der gesamte Prozess der Entwicklung einer Religion, die mit fortschreitender Zeit immer weiter „synkretisiert“ wird. Dagegen sah H. Ringgren den Synkretismus von seiner praktischen Seite und bezeichnet damit einfach eine „mixture of two or more religions“22. Diese beeinflussen sich untereinander und bestimmte Elemente werden dabei ausgetauscht. Eine Gegenstimme in der Synkretismusdebatte erhob R. D. Baird. Für ihn stellt besonders der religionswissenschaftliche Gebrauch des Begriffes ein Problem dar, denn er geht davon aus, dass kein Gläubiger seine eigene Religion als synkretistisch bezeichnen würde 23 . Daher könnten auch niemals konträre Standpunkte vereinigt werden, sondern nur solche, die harmonisch zueinander passen. Dies mache es aber sinnlos, von Synkretismus zu sprechen. Zusätzlich wäre die Anwendung zu universal und nicht auf ein spezifisches Phänomen beziehbar. Nach seiner Auffassung sollte der Begriff in der Religionswissenschaft nicht benutzt werden. Lediglich zur Beschreibung historischer Situationen, bei denen „conflicting ideas or practices brought together into a new complex which is devoid of coherence”24 könnte er in einem universalen Sinne, besonders aber aus der historischen Distanz heraus, angewendet werden. Einen anderen Ansatz bietet M. Pye. Er führt das Kriterium der Doppeldeutigkeit („Ambiguity“) 25 in die Debatte ein. Für ihn ist Synkretismus die zeitweise doppeldeutige Koexistenz aus Elementen verschiedener Religionen 26 . Er vergleicht besonders Aspekte der japanischen Religionsauffassung aus dem Shintoismus und dem Zen-Buddhismus, wo Kami (Shintogötter) die gleichen Eigenschaften aufweisen können wie Buddhas oder Bodhisattvas. Er betrachtet damit den Synkretismus als ein zeitweiliges Phänomen und nicht als eine Entwicklung oder Ergebnis. Unter den deutschen Religionswissenschaftlern hat sich besonders C. Colpe mit dem Synkretismus beschäftigt. In seiner Auseinandersetzung betrachtet er den Begriff universell und bezieht ihn nicht nur auf andere Religionen oder zurückliegende Ereignisse, sondern gerade auf die moderne Religionswissenschaft. Synkretismus wird als eine Mischung aus „Kultur- und Religionsphänomen“ 27 in einem breiteren Rahmen akzeptiert. Weiterhin ist der Synkretismus strukturellen Bestimmungen unterworfen, die er als „Strukturgesetz“ in die Diskussion wirft (s. u.). Er stellt drei Typen von Synkretismen auf (Symbiose, Akkulturation und Identifikation), wobei er selbst nur die Symbiose erklärt. Außerdem kann Synkretismus intern in einer Religion

geschehen und bei Kontakt mit einer anderen, wobei wiederum drei Typen unterschieden werden. K. Rudolph brachte in seinem Aufsatz eine Zusammenstellung der wichtigsten Standpunkte in der Synkretismusforschung und unterzog sie einer kritischen und hilfreichen Betrachtung. Darauf fußend stellte er zunächst fest, dass Synkretismus eine „universale, relativ wertungsfreie Anwendung für eine Form des Kultur- und Religionskontaktes“ ist28, der eine Dynamik innerhalb der Religionen darstellt. Dagegen herrscht ein großes Durcheinander in der Typologisierung, der vor allem eine einheitliche Terminologie fehlt. Daran anschließend fasst er alle aufgekommenen Termini zusammen und ordnet sie in drei Typen oder Kategorien nach dem Vorbild Colpes 29 . Ein wichtiger Aspekt, der grundsätzlich bei allen Autoren angeschnitten wird, ist der des „unbewussten“ und „bewussten Synkretismus“. K. Rudolph rückt diesen stärker in den Mittelpunkt der Diskussion und stellt ihn in Relation zur sozialen Hierarchie. Für ihn kann ein bewusster Synkretismus nur ein reflektierter Vorgang sein, der vor allem demjenigen auffällt, der „Träger der Überlieferung und reflektierender Bearbeiter des Glaubensgutes“ ist (Priester und Theologen) 30 . Der Rezipient des Glaubensgutes, das Volk, dagegen wird immer stets Synkretismen unbewusst, von einem naiven Standpunkt aus, durchführen. Auch K. Rudolph sieht im Synkretismus den Prozess der zu einer „funktionierenden Synthese“ als Ergebnis findet31. Den Aspekt der Macht greift auch A. Droogers auf32. Er sieht verschiedene Prozesse der Vermischung unter dem Aspekt, dass sie sowohl unter Zwang durch den Klerus oder der religiösen und politischen Elite erfolgen kann als auch als Widerstand gegen die Eliten. Jedoch sieht er gerade diesen Punkt mehr unter dem religionswissenschaftlichen Aspekt. 3. Synkretismus als Instrument Unter dem Eindruck der in der Religionswissenschaft geführten Debatte um den Synkretismus soll an dieser Stelle eine Zusammenfassung der daraus gewonnenen Ergebnisse vorgenommen und eine Möglichkeit beschrieben werden, wie mit dem Synkretismuskonzept Vermischungsprozesse, vorzugsweise von Religion, untersucht werden könnten. Dabei steht vor allem das von C. Colpe entworfene Modell im Mittelpunkt. Dabei ist wieder auf die Überlegungen, die am Beginn des Essays gemacht wurden zurückzukommen. Zunächst muss festgelegt werden, wann ein Synkretismus vorliegt. Hierzu hatte bereits C. Colpe ein Strukturgesetz

22

Ringgren (1969) 7. Baird (1070)149 f. 24 Baird (1970) 151. 25 Pye (1971) 90. 26 Ebd. 93. 27 Colpe (1975) 16. 23

28

Rudolph (1979) 206. Ebd. 210. 30 Ebd. 208. 31 Ebd. 210. 32 Droogers (1989) 16 f. 29

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Marcolf Baliga

wird meist auch mit „Interpretatio“ umschrieben41. Dies betrifft beispielsweise die Benennung fremder Götter mit Namen eigener Götter, wenn in ihnen ähnliche Funktionen erkannt werden. Dies geschieht vor allem in der interpretatio graeca und romana, beispielsweise bei der Gleichsetzung des Dionysos mit dem ägyptischen Gott Osiris42 oder wenn Caesar über die gallischen Götter schreibt, ihnen aber Namen aus dem römischen Pantheon verleiht, die ihm auf die fremden Gottheiten zu passen scheinen43. Es wurde bereits erwähnt, dass Synkretismus in zwei Situationen auftreten kann: intern, also innerhalb einer Religion, oder bei Kontaktmit einer fremden Kultur 44 . Der „interne Synkretismus“ spielt in der Romanisierung nur eine untergeordnete Rolle, da sie ja ein Kontaktphänomen ist. Hierbei kommt es zur Vermischung verschiedener religiöser Aspekte eines Systems. So können Götter meist unter dem Einfluss lokaler Kulte zusätzliche Funktionen aufnehmen, wobei aber die Form gewahrt bleibt. Kommt es zum Kontakt zwischen zwei Kulturen, treten auch die Elemente beider Religionen in einen „synkretischen Prozess“. Das Ergebnis kann dann in drei verschiedenen Formen auftreten. Auch diese hat bereits C. Colpe vorgestellt45: 1. Das Element der überlagernden Kultur bleibt beherrschend 2. Das Element der überlagerten Kultur bleibt beherrschend. 3. Es stellt sich ein Gleichgewicht ein. Das erste Ergebnis zeigt sich vor allem in der Ausbreitung des Christentums. In den meisten Kulturen, in denen es nach dem Kontakt akzeptiert wurde, nimmt es eine dominante Rolle ein, während ältere einheimische Religionen lediglich auf einem unteren Level noch tradiert werden. Dagegen blieben gerade in der Antike, in den Provinzen des Römischen Reiches oft einheimische Religionen vorherrschend und wurden weiter tradiert, nachdem sie in Kontakt mit der römischen Kultur und Religion getreten waren.

entworfen, wonach ein Synkretismus dann vorliegt, wenn: 1. Zwei Elemente vor der Vermischung längere Zeit eigenständige Elemente waren oder noch nach der Vereinigung selbstständige Elemente bleiben. 2. Beide Elemente nach der Vereinigung noch fassbar bleiben 3. die Vereinigung Bestand hat. Die Art der Vereinigung unterliegt unterschiedlichen Prozessen. Diese werden als Typen oder Grade angesprochen33. Man unterscheidet im Allgemeinen drei Grade: 1.) Symbiose: Diese wird von den meisten Forschern anerkannt34. Sie läuft auf einem sehr niedrigen Reflektionsniveau ab und wird unbewusst von den Menschen ausgeführt. Es handelt sich dabei um eine Vermischung in der Form, dass formal getrennte Elemente aus jeweils anderen Religionen je nach Belang angewendet werden. Beispielhaft ist hier besonders die von M. Pye angeführte 35 moderne japanische Religionsauffassung, in der das Nebeneinander mehrerer Religionen akzeptiert wird. Der Rezipient ist nicht an eine bestimmte Religion gebunden, sondern wendet sich je nach Anliegen und Vorstellung an eine der Religionen. 2.) Amalgamation oder Akkulturation 36 : Sie tritt auf, wenn fremde Elemente in die eigene Religion aufgenommen werden. Der Prozess gleicht meist einer Adaption oder Integration 37 . Hierfür ist die Übernahme und Verschmelzung von Kulten beispielhaft, so der Kult des Iuppiter Dolichenus, nach der Stadt Doliche in Kommagene (Kappadokien), bei dem besonders ikonographische Elemente miteinander verbunden wurden38. Iuppiter erscheint bärtig mit seinem Attribut Blitzbündel, jedoch trägt er Tiara, Schwert und Doppelaxt39. Ein Element nichtklassischer Ikonographie stellt besonders das Stehen auf dem Stier dar. Iuppiter tritt hier in seiner Eigenschaft als Wetter- und Himmelsgott auf. Er ist das Ergebnis eines Synkretismus mit dem älteren Gott Hadad oder Tešub 40 , aus dessen Ikonographie er Stier, Tiara, Schwert und Doppelaxt erhalten hat. Der Kult hat sich – tradiert besonders durch die römischen Legionäre, ähnlich wie im Mithraskult – im gesamten römischen Reich ausgebreitet und ist somit ein Teil römischer Religion geworden. 3.) Identifikation. Hierbei handelt es sich um die Vermischung ähnlicher Elemente zweier Religionen. Sie

4. Synkretismus und Romanisierung Das in diesem Aufsatz vorgestellte Synkretismuskonzept ist vor allem von dem Grundgedanken geprägt, dass Synkretismus als ein Prozess der Vermischung vorher getrennter Elemente angesehen werden kann, dessen Ergebnis eine Synthese darstellt. Dieser Grundgedanke ergibt sich aus den Worten Plutarchs und er steckt auch in der sprachgeschichtlichen Herleitung des Wortes 46 . So

33

Zuletzt durch Rudolph (1979) 209. So durch; Colpe (1975) 19; Rudolph (1979) 209; Kamstra (1985) 217 f. 35 Pye (1971) 90-93. 36 Vgl. Essay K. Deppmeyer. 37 Vgl. Essay D. Graen. 38 Hörig (1984) 2140-2143 39 Ebd. Taf. 1. 40 Ebd. 2139 f. 34

41

Colpe (1975) 20; Rudolph (1979) 209. Hdt. II 144. 43 Caes. Gall. VI 17. 44 Zuletzt wurde diese Einteilung von J. Gippert (2001) 1151 verwendet. 45 Colpe (1975) 21 f. 46 So vor allem Colpe (1975) 15 f. 42

42

Synkretismus

ausgedrückt ergibt sich ein universeller Kontext, der in vielen Disziplinen anwendbar wäre. Bisher ist das Konzept aber lediglich auf religionswissenschaftliche Phänomene ausgerichtet geblieben, doch hatte bereits C. Colpe einen Bogen auch zur Kulturwissenschaft geschlagen und versucht, das Konzept in einen allgemein gültigen Zusammenhang zu stellen 47 . Man könnte es durchaus überall dort anwenden, wo sich etwas miteinander vermischt. Aspekte, wie Akkulturation 48 , Assimilation, Integration49, Identifikation50 und Adaption (s. o.), die nach und nach in das Konzept eingeflochten worden, um die Verschiedenartigkeit des Prozesses erklären zu können, finden sich auch an anderer Stelle. Auch Romanisierung oder Romanisation stellt einen Vermischungsprozess dar, der durch Kulturkontakt entsteht. Hier werden die soeben genannten Aspekte angewendet und diskutiert. Es scheint daher verlockend, Romanisierung oder Romanisation als einen Synkretismus aufzufassen, jedoch sollte man insofern gewarnt sein, als dass es leicht passieren kann, dass hier ein umstrittenes Konzept gegen ein anderes ausgetauscht wird. Gerade das Problem vom Synkretismus unter dem Einfluss von Macht und der Aspekt des Widerstandes51 (s. o.) sind bis heute nur angeschnitten und kaum erforscht. Man begibt sich damit auf unsicheres Terrain. Abschließend ist festzustellen: Es ist ein interessanter Ansatz, die Romanisierung als einen „synkretischen“ Prozess aufzufassen. Es erfordert aber noch weitergehende Forschung und besonders eine definitorische Betrachtung, um Fachtermini verbindlich anwenden zu können, besonders muss geklärt werden, in welchem Rahmen Synkretismus wirklich zu fassen ist: als Prozess, Ergebnis eines Prozesses oder, wie bei Kamstra, als eine unaufhörliche dynamische Entwicklung. Daher ist eine Verwendung dieses Konzeptes im Rahmen der Romanisierung zu diesem Zeitpunkt nicht zu empfehlen.

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47

Ebd. 16 u. 22 - 37. Vgl. Essay K. Deppmeyer. 49 Vgl. Essay H. Schörner. 50 Vgl. Essay D. Graen. 51 Zum Widerstand in der Romanisierung: Vgl. Essay H. Wabersich. 48

Pariente (1969): A.Pariente, SUNKRHTISMOS, Emerita 37, 1969, 319-321.

43

Marcolf Baliga

Pye (1971): M. Pye, Syncretism and Ambiguity, Numen 18, 1971, 83 – 93. Ringgren (1969): H. Ringgren, The Problems of Syncretism, in: Hartman (1969) 7 – 14. Rudolph (1979): K. Rudolph, Synkretismus – Vom theologischen Scheltwort zum religionswissenschaftlichen Begriff, in: Humanitas Religiosa (1979) 194-212. Tschackert (1907): D. Albert Hauck (Hrg.), Realenzyklopädie der protestantischen Theologie (1907) s. v. Synkretismus (Tschackert).

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Romanisierung/ Romanisation und das Konzept des Widerstandes von

Henning Wabersich

Zusammenfassung:

der sich zu militärischem Widerstand entschließt. Das wesentliche Beispiel in diesem Rahmen bilden die verschiedenen Gegner Roms während der Expansionsphase und der Herausbildung des Weltreiches. Seien es die Italiker, die Karthager, die hellenistischen Großreiche, die Gallier, Britannier und andere, sie alle entschlossen sich zu einer militärischen Reaktion auf die bevorstehenden oder akuten römischen Expansionsbestrebungen, also zum bewaffneten Widerstand.1 Während dieser Konfrontationen setzte Rom sich, teilweise in jahrzehntelang andauernden Auseinandersetzungen, schließlich durch, der militärische Widerstand wurde gebrochen. Die wichtigste Folge des Endes bewaffneter Konflikte besteht in der Eroberung und Assimilation der besiegten Völkerschaften und ihrer Überführung in das entstehende römische Weltreich. Doch dies bedeutet nicht zwangsläufig das Ende jeglichen Widerstandes, denn zum einen kann der militärische Widerstand auch nach der Eingliederung neuer Gebiete in das Reich wieder aufflammen (wie sich im Folgenden zeigen wird), zum anderen existieren subtilere Formen des Widerstandes, die wesentlich schwerer fassbar sind als direkte militärische Auseinandersetzungen. Elemente dieses waffenlosen Widerstandes könnten im Bereich der indigen nichtrömischen Identität der unterworfenen Völkerschaften zu finden sein, etwa in der Verteidigung einheimischer Sitten und Religionen. Diese Form des Widerstandes, der in diesem Rahmen als irenischer Widerstand bezeichnet werden soll, erfordert eine äußerst präzise Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen dem expandierenden römischen Reich mit seiner kulturellen und religiösen Wucht in der Phase des Zusammenpralls mit den neu hinzuerworbenen Völkerschaften. Gerade im Versuch der Bewahrung eigener Identität, etwa durch Tradition und Religion, gegen diese zivilisatorische Übermacht Roms könnte ein wichtiger Ansatzpunkt für die Untersuchung irenischen Widerstandes bestehen. Es kann in diesem Rahmen jedoch lediglich eine zwangsläufig als minimal anzusehende Untersuchung sowohl des militärischen als auch des irenischen Widerstandes im Zuge der Romanisierung/Romanisation unternommen werden, wobei aus verschiedenen Überlegungen heraus Britannien

Während des Prozesses der Romanisierung oder Romanisation begegnet immer wieder das Prinzip des Widerstandes. Es ist jedoch schwer zu klären, worin genau Widerstand eigentlich besteht. Welche Formen des Widerstandes können nachgewiesen werden? Wie kann man die Idee des Widerstandes unter dem obigen Gesichtspunkt für die weitreichende Romanisierungsdebatte nutzbar machen? Wie kann man Gedanken zum Widerstand überhaupt im obigen Rahmen positionieren? Ist die Untersuchung des Widerstandes unter Umständen zu weitreichend und daher wenig gewinnbringend für die Romanisierungsdiskussion? Dies sind viele Fragen, auf die zu antworten nicht leicht fällt. Abstract: In shifting the major focus onto civil settlements on Hadrian’s Wall and its vicinity, the ‘traditional’ view in Roman archaeology of northern Britain shall be challenged in this paper, where military installations and infrastructure are still the main centres of attention. Using the material record of several examples (such as Housesteads, Vindolanda, Corbridge), certain aspects and terms within the Romanization process will be discussed regarding to their effectiveness, as well as the possibilities for justified use of the term “Romanization” itself. 1. Einführung Schon die schiere Definition von Widerstand wird durch die mannigfaltigen modernen Erklärungen in eine Richtung getrieben, die ein direktes Zitat verhindert. Daher soll versucht werden, aus altertumswissenschaftlicher Sicht zu einer kurzen Beschreibung von Widerstand zu finden. Widerstand besteht in der antiken Welt aus einer Reaktion auf sich ändernde Verhältnisse, vor allem politischer Natur. Im Rahmen der Expansion verschiedenster Imperien reagieren die von der Expansion dieser Großreiche bedrohten Völkerschaften mit Widerstand. Dieser äußert sich auf verschiedene Arten, deren greifbarste der militärische Abwehrkampf ist. Diese Form des Widerstandes gipfelt in einer direkten militärischen Konfrontation mit dem expandierenden Imperium, die zumeist zu Ungunsten desjenigen verläuft,

1

Grundlegend zu diesem Thema: Dyson (1975), in Bezug auf Britannien bes. 167-169.

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Henning Wabersich

die wesentliche Grundlage bilden soll2. Einerseits können wir im Rahmen der römischen Britannienpolitik militärischen Widerstand sowohl während der Eroberung als auch danach nachweisen, andererseits besteht in der Ansicht der meisten Britannienforscher3 auch in der friedlichen Provinzialzeit ein Romanisierungs/ Romanisationsgefälle zwischen dem Süden und dem Norden Britanniens. Liegt die Ursache hierfür etwa darin, dass gerade im Norden Britanniens der irenische Widerstand gegen den Zivilisationsdruck Roms größer war als im Süden? Oder muss man davon ausgehen, dass andere Gründe für diese Unterschiede heranzuziehen sind? In Britannien scheinen die Beziehungen zwischen Rom und indigener Bevölkerung vergleichsweise gut greifbar zu sein, es soll nun anhand weniger Beispiele untersucht werden, wie das Konzept des Widerstandes auf die Idee der Romanisierung/Romanisation einwirkt und ob man dieses Konzept mit Berechtigung in diesem Bereich ansiedeln kann.

Provinz koordiniert. Der von den Römern überwundene militärische Widerstand einheimischer Völkerschaften bildet an dieser Stelle die Vorraussetzung dafür, dass Romanisierung/Romanisation in voller Stärke einsetzen kann. Es gibt jedoch auch eine andere, gefährlichere Facette militärischen Widerstandes, die gerade in Britannien sehr gut fassbar ist. In der Phase der Konsolidierung nach der Eroberung beschränkte sich direkte römische Kontrolle auf das Gebiet des südöstlichen Britanniens, man war jedoch auf römischer Seite bestrebt, auch über die zunächst als Provinzgrenzen definierten Gebiete hinaus nach Möglichkeiten der Kontrolle zu suchen. Dies wurde durch die Anerkennung und Bestätigung verschiedener Klientelkönigtümer erreicht, deren prominenteste die der Icener und Briganten waren. Diese mächtigen Stammeskönigtümer standen auf römischer Seite, während der Kern der Provinz sich rasch entwickelte und römische Verwaltungsstrukturen immer deutlicher Gestalt annahmen. Dennoch kann von einer friedlichen Provinzentwicklung Britanniens beileibe nicht die Rede sein. Der große Aufstand der Icener unter ihrer Königin Boudica5 bildet, abgesehen davon, was er für die nationale Identität der modernen Briten bedeutet, in diesem Rahmen einen wesentlichen Rückschlag beim Prozess der Romanisierung/Romanisation der Provinz Britannien und ist daher von außerordentlicher Wichtigkeit. Ohne zu detailliert auf die Ereignisse einzugehen, muss man jedoch einige Worte zum Umfeld jener verheerenden Auseinandersetzung verlieren. Das Königtum der Icener war nach anfänglichem Widerstand rasch als römisches Klientelkönigtum bestätigt worden, wobei das Stammesgebiet ebenso wie die direkt eroberten Territorien der Catuvellauni mit dem oben genannten Sicherungsnetz überzogen wurde. Diese eigentlich sehr schwerwiegende Maßnahme wurde von den Icenern ohne weiteres akzeptiert, deren König Prasutagus sich in den Jahren nach der Eroberung als zuverlässiger Bundesgenosse erwies. Dies funktionierte bis ins Jahr 60, in dem der König sein Reich, wohl in der Hoffnung auf Sicherheit oder aus einer gewissen Resignation heraus, testamentarisch an Rom vererbte. Was nun folgte, kann man nur als Akt der Willkür und Grausamkeit seitens der Römer bezeichnen. Beamte und Soldaten fielen über die Besitztümer der Königsfamilie her, verwüsteten den Palast und bedrängten Boudica mit ihren Töchtern. Wie auch immer der Bericht in den Schriftquellen aussieht, so scheint es doch zu einer drastisch verschärften Ausbeutungspolitik auf Seiten der römischen Provinzbeamten gekommen zu sein, allen voran Decianus Catus, der als Prokurator der Provinz in den Berichten des Tacitus und Cassius Dio in sehr ungünstigem Licht steht6. Boudica entschloss sich zu

2. Militärischer Widerstand im römischen Britannien Im Zuge der großen römischen Expansionsbestrebungen des Jahres 43 n. Chr.4 ist militärischer Widerstand seitens der Britannier deutlich fassbar. Den von Boulogne-surmer nach Richborough übergesetzten römischen Truppen stellten sich alsbald einheimische Kontingente der Britannier, namentlich der Catuvellauni, entgegen. Die Bereitschaft zum militärischen Widerstand ist von Beginn an fassbar. Dennoch hatten die Truppen des Caratacus der effizienten römischen Kriegsmaschinerie letztlich nichts entgegenzusetzen. Nach verschiedenen Gefechten wurde schliesslich die Hauptresidenz der Catuvellauni, Camulodunum (Colchester), erobert und bildete den nucleus der entstehenden Provinz Britannia (Abb. 1a). Erst nachdem der militärische Widerstand gebrochen war, konnten römische administrative Apparate greifen, und die Sicherung des neu erworbenen Gebietes wurde eingeleitet. Man versah den Südosten Britanniens mit einem weitreichenden Netz aus militärischen und infrastrukturellen Einrichtungen, die in der ersten Phase direkt nach der Eroberung im Wesentlichen aus einem Raster verschiedenster Befestigungsanlagen bestanden, die durch ein effektives Gitter aus Straßen miteinander verbunden waren. Von Colchester aus, wo der römische Statthalter der Provinz residierte, wurden die umfangreichen Sicherungsbestrebungen in der neuen 2

Britannien fungiert hier allein aus Platzgründen als wesentliches Beispiel, es sei jedoch angemerkt, dass die Idee des Widerstandes keinesfalls nur auf diese Provinz beschränkt ist, sondern sich bei genauer Untersuchung auch in ganz anderen Regionen des römischen Reiches nachweisen lässt, s. etwa Alcock (1997). 3 Hierzu genügt ein Blick in die modernen Überblicksdarstellungen, etwa Salway (1993), Frere (1987). 4 Für eine genauere Beschreibung Webster (1999).

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Webster (2003). Zum Aufstand: Tac. ann. 30 – 37; Dio Cass. 62, zu Decianus Catus: Tac. ann. 14, 32, 3 – 33, 1; Dio Cass. 62, 2, 1.

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Widerstand

Stadt, „ob Römer oder Britannier“, vorgingen9. Die Zerstörung dreier wichtiger Städte inklusive der Provinzhauptstadt bildete zusammen mit dem Verlust einer großen Zahl römischer Soldaten einen herben Rückschlag für die Entwicklung der gesamten Provinz, man stand im Urteil der Schriftquellen kurz davor, die Provinz aufzugeben10. Schliesslich kam es jedoch zur entscheidenden Schlacht zwischen römischen Truppen und dem Heer der Boudica11, deren Austragungsort unbekannt ist. Hier setzte sich nach einem erbitterten Gefecht schliesslich die römische Kampfkraft durch, womit das jähe Ende des Aufstandes und des militärischen Widerstandes in dieser Phase der Provinzialisierung Britanniens markiert wird. Tacitus kann sich nicht einer gewissen Selbstgefälligkeit enthalten, wenn er kommentiert12: „...quam unius proelii fortuna veteri patientiae restituit...“.

militärischem Widerstand gegen die römische Willkür. Es verwundert, wie entschlossen die Icener zu Felde zogen und wie vernichtend sich der Beginn des Aufstandes auf die noch immer im Stabilisierungsprozess befindliche römische Herrschaft auswirkte. Erstes Ziel der Aufständischen bildete das Zentrum römischer Macht, die mitten in einer raschen Entwicklung stehende colonia Camulodunum (Colchester). Die Stadt wurde völlig niedergebrannt, Spuren dieser Zerstörungen lassen sich an vielen Stellen im Stadtgebiet nachweisen (Abb. 1b). Auch der Tempel des Claudius wurde nach längerem Kampf von den Aufständischen zerstört. Interessant ist hierbei, dass die Britannier in ihm laut Tacitus offenbar das Symbol der verhassten Fremdherrschaft sahen7 und er somit zum wichtigsten Ziel des militärischen Widerstandes wurde. Die nach Colchester geeilte IX. Legion unter Petilius Cerialis vermochte nicht, den Ansturm der Aufständischen aufzuhalten und wurde fast völlig vernichtet, nur der Legat konnte mit der Reiterei entkommen. Diese Ereignisse zeigen, wie entschlossen der militärische Widerstand, wie prekär die Lage der Provinz noch zu diesem Zeitpunkt war. Ebenfalls muss hier deutlich werden, dass jegliche Tendenzen der Romanisierung und Romanisation gefährdet sind, solange militärischer Widerstand möglich ist. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die gängige römische Praxis der militärischen Vernetzung und Garnisonierung neu eroberter Gebiete durchaus als plausible, notwendige Maßnahme, um den Boden für römische Herrschaft und die damit verbundenen Veränderungen zu bereiten. Den wesentlichen Nachteil solcher Maßnahmen bildet allerdings die Verteilung kleinerer Kontingente über ein weites Gebiet, was die erheblichen Schwierigkeiten zu Beginn des Aufstandes der Boudica erklärt. In diesem frühen Stadium der Provinzentwicklung waren die Legionen damit beschäftigt, weite Gebiete zu kontrollieren und dementsprechend aufgeteilt, da feste Legionsbasen noch in der Entstehung befindlich waren und die Struktur der Provinz sich in einer Kristallisationsphase befand. Für den Prozess der Romanisierung/ Romanisation besonders schädlich war die nun folgende Zerstörung von Londinium (London), welches sich schon vor der Zeit der römischen Eroberung zu einer wichtigen Handelszentrale herausgebildet hatte und im Jahre 60 bereits ein blühendes Handelszentrum war, dessen Bedeutung als solches von Tacitus besonders hervorgehoben wird8. Ein weiteres blühendes municipium, Verulamium (St. Albans), fiel den Aufständischen ebenfalls zum Opfer, wobei diese laut Tacitus mit äußerster Härte gegen die Einwohner der

3. Nicht – militärischer Widerstand in Britannien Widerstand zu fassen, der sich nicht mit militärischen Mitteln ausdrückt, fällt um einiges schwieriger als der Nachweis bewaffneter Konflikte. Die Untersuchung dieses Phänomens ist, wenn überhaupt durchführbar, ungleich schwieriger, da die zu verwendenden Ressourcen sowohl zeitlich als auch materiell wesentlich umfassender verteilt sind und ihre Einordnung daher sehr viel schwerer fällt. Es kann demzufolge in diesem Rahmen lediglich das Anliegen bestehen, auf mögliche Formen des irenischen Widerstandes anhand sehr weniger Beispiele hinzuweisen und mittels dieser zu einer Bewertung nicht – militärischen Widerstandes zu gelangen, besonders in Hinsicht darauf, ob die Idee des irenischen Widerstandes nutzbar ist und ob sie besonders im Kontext der Romanisierung gewinnbringende Anwendbarkeit nahe legt. Ein Ansatz von R. Hingley soll in diesem Rahmen als Einstieg in die Materie fungieren13. In seinem Essay „Resistance and Domination: social change in Roman Britain“ legt Hingley Wert darauf, im Rahmen der Untersuchungen von Wechselwirkungen 9

Tac. ann. 14, 33, 2; Besonders wichtig ist die von Tacitus genannte Zahl von 70000 getöteten römischen Bürgern und Bundesgenossen, auch wenn diese Zahl höchstwahrscheinlich zu hoch angesetzt ist, so würde selbst die Hälfte noch genügen, das schnelle Wachstum der municipia im neuen Provinzgebiet deutlich zu machen und darin ein Anzeichen für eine erfolgreiche Befriedung der Provinz und die damit zu verbindende Romanisierung/ Romanisation zu erkennen. 10 Über Neros Gedanken zur Aufgabe der Provinz: Suet. Nero 18; Flucht des Decianus Catus nach Gallien: Tac. ann. 14, 32, 3. 11 Dessen Stärke wird von Cassius Dio auf etwa 120000 Mann beziffert, Dio Cass. 62, 3. 12 Tac. Agr. 16, 2. 13 Hingley (1997).

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Tac. ann. 31, 2 – 4 : arx aeternae dominationis. Tac. ann. 14, 32, 3 – 33, 1; Man beachte besonders die explizite Erwähnung der zahlreichen vor Ort anwesenden römischen Kaufleute. 8

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Henning Wabersich

zwischen Rom und seinen Untertanen in den Provinzen besonders auf die möglichen Formen der Reaktion seitens der einheimischen Bevölkerung hinzuweisen, die als Widerstand gedeutet werden können. Er wendet sich hierbei besonders den Bevölkerungsschichten zu, die den Nichteliten zugeordnet werden können. Ausgehend von einer Beurteilung der Haverfieldschen Theorie von Romanisierung/Romanisation14 macht Hingley deutlich, dass bisherige Ansätze, etwa bei Haverfield oder Millett15, zwar unterschiedliche Motive für die Romanisierung/Romanisation der einheimischen Bevölkerung benennen, dennoch auf einem progressiven Modell beruhen, wobei davon ausgegangen wird, dass die lokalen Eliten als wesentliche Träger des Prozesses fungieren und den Katalysator für eine graduelle, zielgerichtete und sich stets ausbreitende Romanisierung/Romanisation bilden. Somit verändert sich während dieses Prozesses die gesellschaftliche Struktur immer mehr zu etwas, das als „römisch“ bezeichnet werden kann. Ohne auf die bereits einer solchen Bezeichnung innewohnende Problematik zu sprechen zu kommen, verbinden sich mit einer solchen Auslegung der Prozesse während der Romanisierung/Romanisation vielfältige Probleme. Ein von Hingley richtig beobachtetes Grundproblem bei der Beurteilung des Prozesses besteht in der Zielrichtung der Forschung, die sich, geprägt etwa von den Arbeiten Haverfields und Millets, besonders darauf konzentriert hat, im Bereich administrativer Anlagen, militärischer Strukturen und aufwendiger ziviler Gebäude Nachweise für die obigen Theorien zu liefern. Diese Zielrichtung ist in der heutigen Forschung noch immer deutlich bemerkbar, da es in der Natur des Faches liegt, möglichst substantielle Anlagen aufzudecken und dem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Dies ist neben den oben angedeuteten Grundtendenzen der aktuellen Forschung das wesentliche movens der überwiegenden Mehrzahl aktueller Projekte. Gerade darauf kommt es Hingley im vorliegenden Essay allerdings nicht in entscheidender Weise an. Er versucht vielmehr, die Romanisierung/ Romanisation aus dem Blickwinkel der Nichteliten heraus zu betrachten. Als Aufhänger für Hingleys Ausführungen fungiert das Schlagwort Widerstand. Er stellt am Beispiel Britanniens die Frage, auf welche Art und Weise die einheimische Population auf die einschneidenden Veränderungen reagieren konnte, die die römische Eroberung mit sich brachte. Dem Widerstand kommt in seiner Untersuchung eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung der Prozesse zu. In seiner Kritik an den bisherigen Versuchen wendet er sich besonders den vielfältigen regionalen Unterschieden in Hinblick auf den Grad der Romanisierung/Romanisation zu. Er lehnt die von Haverfield und Millet16 vorgebrachten Ansätze ab, dass die indigene Bevölkerung in punkto Romanisation

einen grundsätzlich pro-römischen Standpunkt vertreten habe und sich letztlich freiwillig dazu entschlossen habe, römische Zivilisation anzunehmen. Während Haverfield von einem der indigenen Bevölkerung innewohnenden Bedürfnis ausging, sich der überlegenen Zivilisation anzuschließen und Römer zu werden, konzentriert sich Millet auf die lokalen Eliten, die durch ihre Bezugnahme auf ideelle römische Werte und materielle römische Kultur Prestige zu erlangen suchten, um ihre Machtbasis gegenüber den Untertanen auszuweiten. Laut Hingley bieten beide Ansätze nur eine teilweise Erhellung der tatsächlichen Abläufe während des Zusammenpralls römischer und einheimischer Kultur. Gerade in der Betrachtung des Materials, welches aus den Funden als nichtelitär anzusehender Strukturen stammt, verspricht sich Hingley wichtige Erkenntnisse für den Romanisierungs-/Romanisationsprozess in Britannien. Dabei geht er besonders auf Formen nichtmilitärischen Widerstandes ein, die auf subtile Weise eine Reaktion auf die sich rasch ändernden politischen und kulturellen Verhältnisse in Britannien darstellen könnten. In diesen Formen der Reaktion glaubt Hingley eine Manifestation des Widerstandes als Reaktion auf die neue politisch dominierende Macht Roms in Britannien zu erkennen, die für ihn eine wichtige, nicht ausreichend beachtete Facette im komplexen Prozess der Romanisierung/Romanisation darstellen. Es kommt ihm besonders darauf an, in welcher Weise die archäologische Forschung die materiellen Hinterlassenschaften nutzen kann, um etwaige subtile Äußerungen des Widerstandes nachzuweisen. Dies kann laut Hingley nur geschehen, wenn man besonders darauf achtet, auf welche Weise römische materielle Kultur von den Einheimischen genutzt werden kann. In der oben angedeuteten These Milletts, die einheimische Elite mache sich römische materielle Kultur zunutze, um ihre Kontrolle über die Untergebenen zu festigen und zu erweitern, liegt für Hingley ein Ansatz, der unbedingt weiterzuverfolgen ist. Könnte die Instrumentalisierung römischer Kulturformen seitens der lokalen Eliten eventuell Reaktionen des Widerstandes bei ihren Untertanen, den Nichteliten, hervorgerufen haben? Solche Reaktionen irenischen Widerstandes sind für Hingley, der einem Ansatz Websters17 folgt, beispielsweise in der Verbindung einheimischer Gottheiten mit dem römischen Pantheon, deren Beweis die oft zu findende Verwendung von Doppelnamen etwa in Weihinschriften liegt, zu sehen. Es scheint deutlich zu werden, dass diese Verwendung von Doppelnamen und somit der Akt der interpretatio, der am häufigsten im Bereich des Militärs auftritt, den Soldaten höheren Ranges vorbehalten war, während sich Militärangehörige der niederen Ränge oder auch Zivilisten in ihren Weihungen wesentlich öfter lediglich der einheimischen Götternamen bedienten18. Dies ist ein interessanter Ansatz, der darauf hindeutet, dass ein Teil der

14

Hingley (1997) 82-84. Haverfield (1915); Millet (1990). 16 kritisch zu Millett auch Freeman (1993). 15

17 18

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Webster (1995a), (2003). Webster (1995b).

Widerstand

einheimischen Bevölkerung gegen die von den Römern und den Eliten vorgenommene interpretatio Widerstand leistete, indem sie auf die Nennung von Doppelnamen in Weihungen verzichtete. Wesentlich interessanter als dieser eher unsichere Versuch der Wahrnehmung irenischen Widerstandes, ist das von Hingley als nächstes angesprochene Phänomen: es ist als erwiesen anzusehen, dass Rom auf bereits bestehende Herrschaftsstrukturen in Britannien zurückgriff, um die Verwaltung der Provinz unter Einbeziehung der lokalen Eliten durchzuführen. An Ort und Stelle früherer einheimischer oppida wie Camulodunum (Colchester) oder Viroconium (Wroxeter) (Abb. 2) entstanden die unter römischer Oberhoheit nach einem geregelten städtebaulichen System angelegten Hauptstädte oder civitates. Diese regelmäßig angelegten Siedlungen entsprechen dem gewohnten Bild systematisch angelegter römischer Städte und weisen die für sie charakteristischen Elemente auf, wie etwa ein geordnetes Straßenraster mit einheitlicher Wohnbebauung sowie zentrale Bauten in Form des Forums, der Basilika und anderer öffentlicher Bauten wie Thermen oder Amphitheater. Somit entstanden an den Orten früherer Machtkonzentration die Zentren römischer Oberhoheit und Kontrolle, wobei die lokalen Eliten von Anfang an in den Prozess der Herrschaft und Kontrolle einbezogen wurden, da die neu gegründeten civitates als Sitz der Stammesversammlungen fungierten. Somit wurde durch römische Inbesitznahme und Veränderung traditioneller Machtzentren die Grundlage für die römische Kontrolle sämtlicher wirtschaftlicher und politischer Prozesse in der Provinz geschaffen, als deren Mittler die lokalen Eliten fungierten. Ein weiteres Element in der Betrachtung der civitates stellt die unmittelbare Präsenz römischer Kultur an ehemaligen Zentren einheimischer Macht dar. Hiermit wurde zumindest den Bewohnern der neu entstandenen Städte und ihrem unmittelbaren Wirkungsbereich die Anwesenheit eines neuen kulturellen Horizontes vor Augen geführt, weswegen die Hauptstädte der civitates auch als wesentliche Motoren und Zentren im Prozess der Romanisierung/Romanisation zu deuten sind. Doch was hat dies mit dem Konzept des Widerstandes zu tun? Hingley weist auf wesentliche strukturelle Veränderungen in der Provinz Britannien hin, die sich während der 350 Jahre römischer Herrschaft ereigneten. Seit dem Beginn des 3. Jh. lassen sich umgreifende Veränderungen im Bereich dieser Städte beobachten. Viele der Städte stagnierten in ihrer Entwicklung, wenige neue öffentliche Gebäude wurden errichtet, andere wurden nicht mehr genutzt. Stattdessen finden wir, einhergehend mit dem Rückgang des Handels und der industriellen Produktion, eine Zunahme im Bereich luxuriöser Privatresidenzen. Daneben entwickeln sich ab dem 3. Jh., oft unweit der Grenzen der civitates, neue Siedlungsanlagen, die „small towns“ genannten Städte19

(Abb. 3). Diese weisen eine strukturell sehr unregelmäßige Anlage auf, bestehend unter anderem aus einem ungeordneten Straßensystem mit verschiedenen Bebauungszentren. Bei diesen ‘Kleinstädten’ fällt besonders auf, dass man selten eine zentrale Konzentration als öffentlich zu deutender Gebäude antrifft. Dennoch erreichten einige dieser ‘small towns’ substantielle Ausmaße, die die Ausdehnung der civitates übertrafen. Zudem weist der Charakter des Großteils dieser Anlagen deutlich auf die Strukturen der vorrömischen oppida zurück. Hingley weist eindeutig darauf hin, dass man Abstand von der Idee nehmen muss, dies seien römische Anlagen, während die ‘Kleinstädte’ einheimischen Charakter besäßen. Beide Typen sind laut Hingley römisch-britannische Mischformen. Man könnte eher davon ausgehen, dass in der Entwicklung der ‘Kleinstädte’ bis zu einem gewissen Grad ein Ausdruck des Widerstandes gegen die Versuche römischer Kontrolle der Provinz mittels lokaler Eliten zu sehen ist. Hingley merkt an, dass ein Teil der einheimischen Bevölkerung offenbar beschlossen habe, ausserhalb der Zentren zu leben, um damit entweder direkter römischer Kontrolle oder aber der Kontrolle der eigenen Oberschicht zu entgehen. Die Entscheidung, gegen wen sich der Widerstand der Bewohner dieser ‘Kleinstädte’ richtete, fällt Hingley allerdings schwer, denn er vermag nicht zu entscheiden, ob wir hier irenischen Widerstand gegen Rom selbst oder die romanisierte einheimische Elite in den civitates vorfinden. Daher spricht Hingley vom Widerstand gegen diejenigen, die sich auf römische Konzepte der Kontrolle und Herrschaft bezogen und bezeichnet somit indirekt die einheimische Elite als Ziel des Widerstandes der Bewohner der neu entstehenden ‘small towns’. Trotz aller Schwierigkeiten mit dieser These kann man in der Entstehung der „small towns“ eine Form der Reaktion auf politischen Druck erkennen, der sich in den von Rom statuierten Verwaltungszentren manifestiert hatte. Hingley geht unter Berücksichtigung moderner postkolonialer Untersuchungen davon aus, dass diese „kulturelle Retardierung“ ein Ausdruck des Widerstandes ist20. Mit diesem Ansatz wendet sich Hingley einem weiteren Beispiel der materiellen Hinterlassenschaften Britanniens zu, dem Rundhaus. Diese Form der Architektur besitzt in der britannischen Eisenzeit eine lange Tradition, während seit dem Beginn römischer Herrschaft die Konstruktion rechteckiger Behausungen immer mehr zunimmt und schliesslich, mit Sicherheit eingeführt von der römischen Armee und römischen Siedlern, zur beherrschenden Hausform in weiten Teilen des römischen Britanniens wird21. Dennoch, und darauf kommt es Hingley ganz wesentlich an, existieren seit dem 1. Jh. n. Chr. in Britannien die Rundhäuser weiter, bilden in manchen 20

Hingley (1997) 93. für typologisch als „römisch“ zu bezeichnende Wohnarchitektur und ihre Implikationen im 1. Jh. n. Chr.: Blagg (2002). 21

19

Hingley (1997) 91; s. a. Burnham und Wacher (1990); Wacher (1995).

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Henning Wabersich

Gegenden sogar noch immer die vorherrschende Siedlungsform. Sanft gegen das Millett’sche Modell der Romanisierung polemisierend, bemerkt Hingley, dass bei der Anwendung des Modells davon ausgegangen werden müsse, dass die lokalen Eliten die Form der rechteckigen Behausung adaptierten, um mit dem Bezug auf römische Werte Macht und Autorität zu festigen und sich mit römischer Macht zu assoziieren. Durch Emulation würde sich diese Idee der Behausungen römischen Stils praktisch von oben nach unten verbreiten, bis beinahe jeder in einem Haus römischer Prägung wohne. Hingley weist jedoch nach, dass dieses Modell in keinster Weise genügt, um die Dynamik und Komplexität der Veränderung der Wohnformen in Britannien zu erklären. Sowohl im Süden als auch in weiten Teilen Nordbritanniens wurden Rundhäuser teilweise bis in das 4. Jh. n. Chr. neu errichtet. Laut Hingley sind die meisten Archäologen der Ansicht, eine genauere Diskussion sowie eine intensivere Ergrabung solcher Anlagen sei nicht notwendig, da sie die Ausnahme darstellten und ohnehin als Behausung der ärmsten Bevölkerungsschicht ohne große Bedeutung für die Geschichte Britanniens wären. Gerade der Mangel an Grabungen und die Abwesenheit einer detailliert publizierten Erörterung solcher Strukturen stellen für Hingley ein wesentliches Problem in der Bewertung der Wohnkultur Britanniens dar. Anhand weniger ergrabener Beispiele (Abb. 4) kann Hingley einige sehr interessante Beobachtungen machen, die das traditionelle Bild von Rundhäusern römischer Zeit als archaischer Behausungen der Unterschichten bereits in diesem unvollkommenen Stadium der Untersuchung beträchtlich erschüttern. Zunächst lässt sich nachweisen, dass man keineswegs davon ausgehen kann, dass nur die ärmsten Bevölkerungsschichten auf diese Form der Behausung zurückgriffen. Unter den wenigen bekannten Beispielen existieren einige außergewöhnlich große und massive Rundhäuser mit Steinfundamenten, deren Bewohner mit Sicherheit weder ohne Einfluss noch bar einer materiellen Grundlage waren, andererseits sind sehr erbärmliche Konstruktionen rechteckiger Häuser gefunden worden, so dass das traditionelle Modell schon durch diese Beobachtungen modifiziert werden muss. Des Weiteren finden wir in verschiedenen Gebieten Konstruktionen von formal traditionellen Rundhäusern, die jedoch mittels neuer Konstruktionstechniken in Stein aufgeführt wurden. Hingley beschäftigt sich im Folgenden mit den Gründen für diese Befunde. Warum tauchen Rundhäuser praktisch während der gesamten Zeit der römischen Herrschaft in Britannien auf? Laut Hingley kann man diesen Befund durchaus als Ausdruck des Widerstandes gegen die durch die Römer vermittelten kulturellen und ideellen Werte deuten, wobei nicht zu klären ist, ob sich dieser Widerstand gegen die Römer selbst oder gegen die den Römern zugetanen einheimischen Eliten richtete. Es steht seiner Ansicht nach jedoch fest, dass in der Komplexität der Siedlungsformen in Britannien zu Zeiten der Römer durchaus spezifische Reaktionen einzelner Individuen auf

das neue System zu erkennen sind. Wesentliches Element solch einer Reaktion besteht laut Hingley in dem Versuch der Erhaltung traditioneller Werte und eigener Identität, der sich in den subtilen Formen des Widerstandes gegen römische oder andersartige übergeordnete Kontrolle äußert. Hingley fasst zusammen, dass eine Vielzahl indigener Reaktionen auf die römische Eroberung nachweisbar ist, wobei der Widerstand in all seinen teilweise schwer zu greifenden Facetten ein sehr wichtiges, grundlegendes Element beim Prozess der Romanisierung/Romanisation darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Ansatz in der Zukunft weiterverfolgt wird, um ein vollständigeres Bild der komplexen Prozesse von Wechselwirkungen zwischen Rom und Britannien zu gewinnen. Gerade im Bereich wenig repräsentativer Strukturen, die mit den Nichteliten zu verbinden sind, existiert ein enormer Forschungsbedarf, um vor allem die traditionellen Blickwinkel der Romanisierung/Romanisation zu erweitern und eventuell zu modifizieren und den Prozess in seiner Komplexität besser zu erfassen. Der Ansatz Hingleys besticht vor allem dadurch, dass darauf hingewiesen wird, sich regionaler Differenzen bewusst zu werden und die Wirkkraft römischer Kultur vor allem hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Rezeption in verschiedenen Gebieten zu untersuchen. Gerade im Norden Britanniens fassen wir eine erhebliche Konzentration von Strukturen, die nicht dem römischen Vorbild entsprechen22. Ob dies darin zu begründen ist, dass sich die indigene Bevölkerung entschiedener gegen die neue Macht wehrte oder ob die Wirkung römischen Einflusses nach Norden hin geringer wurde, lässt sich im Augenblick schwer entscheiden. Es steht jedoch fest, dass beide Formen des Widerstandes für den Prozess der Romanisierung/ Romanisation von großer Bedeutung sind. Der direkte militärische Widerstand muss gebrochen werden, damit die Romanisierung und Romanisation überhaupt einsetzen können und bildet somit eine erste Hürde. Doch auch wenn die römische Kultur bereits auf die Entwicklung einer Provinz einwirkt, kann militärischer Widerstand, beispielsweise in Form eines Aufstandes, sehr schädlich für den Prozess sein, da er, etwa im Fall Britanniens, die gerade entstehende römische Provinz in ihren Grundfesten zu erschüttern vermag. Ist jeglicher militärischer Widerstand undenkbar, können wir mittels der Idee des irenischen Widerstandes unter Umständen einen Einblick in die verschiedenen Versuche gewinnen, mit denen die indigene Bevölkerung versuchte, zumindest einen Teil ihrer Identität und Tradition gegen die kulturelle und zivilisatorische Übermacht Roms zu bewahren. Das Konzept des nichtmilitärischen Widerstandes ist jedoch um einiges schwerer zu greifen als ersteres, da vor allem archäologische Zeugnisse in ihrer Vielfalt herangezogen werden müssen, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht im erwünschten Maße geschehen ist. Sowohl im Bereich von 22

50

hierzu bes. Hingley (2004).

Widerstand

Religion, Architektur und Kunst lassen sich Beispiele für irenischen Widerstand während der Romanisierung/ Romanisation finden23. Man sollte dabei allerdings bedenken, dass sich Widerstand mit Sicherheit nicht auf die Nichteliten allein beschränkt, genauso wenig wie man sagen kann, dass diese Bevölkerungsgruppen generell römischen Wertvorstellungen abgeneigt waren24. Man sollte vielmehr davon ausgehen, dass sowohl unter den Eliten als auch im Bereich ihrer Untergebenen Personenkreise existierten, die sich mit verschiedenen Mitteln der römischen Herrschaft widersetzten, ebenso wie Individuen, die bereitwillig ebendiese Herrschaft mit all ihren Eigenschaften annahmen. Insofern bildet der Widerstand ein spezifisches Element im Bereich der Romanisierung/Romanisation, welches in seinen sämtlichen Formen bei der Untersuchung des Phänomens zu beachten ist. Das Konzept des Widerstandes ist in vielfältiger Weise mit der Identität einheimischer Bevölkerungsgruppen verbunden, gerade in dem Versuch der Bewahrung eigener Identität liegt eine der Hauptursachen des Widerstandes. D. Mattingly spricht von einer „non – Roman identity“ 25, die er als Form der Reaktion auf römische Macht sieht, was man als Ausdruck des Widerstandes gegen römische politische Oberhoheit und kulturelle Übermacht erkennen kann26. Das Problem der Identität stellt jedoch im Kontext der Romanisierung/ Romanisation ein gesondertes Phänomen dar, Mattingly weist auf die verschiedenen Identitäten hin, die ein Bewohner des römischen Reiches besitzen konnte27. Dennoch scheint ein enger Zusammenhang zwischen Identität und Widerstand zu bestehen, denn gerade die Individualität lässt eine Person entscheiden, ob sie sich dem neuen System anpassen oder eher Widerstand gegen eben dieses System leisten will.

Untersuchungen zur Romanisierung und Romanisation sind zu verallgemeinernd, da die Vorgänge in den Regionen des römischen Reiches weder einfach, noch standardisierbar oder vorhersehbar sind28. Wenn man daher die Idee des Widerstandes in diesem Rahmen gewinnbringend nutzen will, so muss man davon ausgehen, dass dieses Modell lediglich einen Teilaspekt während des Prozesses beschreibt und nicht den Prozess selbst in all seinen Feinheiten erklären kann. Gerade in der Verbindung von Identität und Widerstand scheint eine Möglichkeit zu bestehen, einen Teil der weitläufigen Prozesse während der Romanisierung und Romanisation besser zu erfassen. Definiert man Widerstand als militärische oder irenische Reaktion auf verschiedene Arten des Drucks von römischer Seite, so ist davon auszugehen, dass das Konzept des Widerstandes eher mit dem Prozess der Romanisierung als mit dem der Romanisation zu verbinden ist, da wir in ersterem Bereich wesentlich mehr römischen Druck wahrnehmen können als im Rahmen der weitgehend freiwillig ablaufenden Romanisation. Es bleibt zu hoffen, dass in der Untersuchung beider weitreichender Prozesse sowohl Identität als auch Widerstand, möglichst in ihrer Verbindung, fürderhin eine größere Rolle spielen werden. Bibliographie : Alcock (1997) : S. Alcock, Greece. A landscape of resistance?, in: Mattingly (1997) 103-115. Baker u. a. (1999): P. Baker, C. Forcey, S. Jundi und R. Witcher (Hrsg.). TRAC 98: proceedings of the eigth Annual Theoretical Archaeology Conference (1999).

Zusammenfassung: Berry – Laurence (1998): J. Berry – R. Laurence (Hrsg.), Cultural identity in the Roman Empire (1998).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die beherrschende Macht Rom verschiedene Mittel und Wege ersann, um ihre dominatio durchzusetzen, worauf die Beherrschten verschiedene Wege einer Reaktion fanden, die in einem komplexen System aus Ideen zu einem gewissen Teil aus Untertänigkeit, aber auch aus differenzierten Formen des Widerstandes bestand. Eine präzisere Sicht auf die Vorgänge in den von Rom kontrollierten Regionen ist notwendig. Die aktuellen

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23

s. bes. Noelke (2003). überblickend: James (2001). 25 Mattingly (2004) 10; für das Beispiel der Druiden und ihrer spezifischen „non – Roman identity“: Webster (1999b). 26 zum Problem der „cultural identity“: Berry and Laurence (1998); für eine spezifische Untersuchung der Abläufe während der Kontaktphase einheimischer Bevölkerungen und Rom s. Carroll (2001); Fragen der Identität beim Militär werden bei James (1999) erörtert. 27 Mattingly (2004) 22.

Burnham – Wacher (1990): B. Burnham – J. Wacher, The small towns of Roman Britain (1990).

24

Carroll (2001): M. Carroll, Indigenous peoples in contact with Rome, JRA 14, 2001, 598 – 602.

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52

Widerstand

Abb. 1a: Colchester, römische Festung, 1. Jh. n. Chr.

Abb. 1b: Colchester, Zerstörungsplan nach dem Boudica- Aufstand 60 n. Chr.

53

Henning Wabersich

Abb. 2: Viroconium (Wroxeter), römische Civitas - Hauptstadt

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Widerstand

Abb. 3: „Small towns“, Geländepläne. a) Braughing b) Neatham c) Wanborough d) Alcester

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Henning Wabersich

Abb. 4: Beispiele für Rundhäuser römischer Zeit. a) Winterton b) Thorplands c) Gorhambury d) Whitton e) Penrith f) Trethurgy

56

Das Akkulturationsmodell von

Korana Deppmeyer vorgenommen, die ein Melville Herskovits2 Memorandum for the Study of Acculturation herausgaben: Nach dortiger Deutung begreift Akkulturation die Erscheinungen, die aus einem direkten und fortwährenden Kontakt zwischen Personengruppen resultieren und als Ergebnis Veränderungen in ursprünglichen Kulturmustern in einer oder beiden Gruppen aufzeigen. Hinzufügend wurde der Versuch unternommen, eine Liste von Klassifizierungen der Kulturbegegnung zu erstellen, die sich aus folgenden Punkten zusammensetzt: - die Analyse der Gruppen, d. h. beispielsweise Größe oder Kontaktart - die Frage nach der bestehenden Begegnungssituation und den jeweiligen Machtverhältnissen - die Herausstellung der verbindenden Beziehungen zwischen den kulturellen Systemen, sprich das Interesse der Geber und Nehmer, und schließlich - die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen der getauschten Güter. Als aus einem Akkulturationsprozess hervorgehende Ergebnisse wurden drei potentielle Varianten unterschieden. So gibt es die Möglichkeit der Akzeptanz und daraus entstehend die Assimilation, also die Annäherung an die dominante Seite, die zur Aufhebung der Differenzen und der Übernahme externer, die eigenen ersetzenden Modelle führt, die Adaption mit einer Mischkultur als Resultat und schließlich den Widerstand, also eine Antiakkulturationsbewegung, die die Übernahme oder Integration äußerer Einflüsse verhindert.

Zusammenfassung: Die ursprüngliche Definition von Akkulturation als ein Phänomen des Kontaktes zweier Kulturgruppen mit dem Ergebnis der dauerhaften Änderungen von kulturellen Mustern auf einer oder beiden Seiten, wurde als ein dem Bereich der Ethnologie entstammender Begriff auf die historischen Wissenschaften, insbesondere die Archäologie übertragen und zu einem der theoretischen Modelle. Akkulturation wird häufig mit Fragen der Romanisierung verbunden, manchmal sogar als Synonym verwendet. Der dem Begriff innewohnende breite Deutungsspielraum evoziert verschiedene Probleme der uneinheitlichen Anwendung und des oft wenig differenzierten Gebrauches, die der Artikel aufzeigen soll. Abstract: The original definition of acculturation as a phenomenon which results when groups come into contact with subsequent change in the cultural patterns of either one or both groups, were transferred from ethnology to the historical sciences as one of theoretical models. Acculturation is very often connected with romanisation, not infrequently as a synonym. Difficulties arise from the different methods for the use and the irregular interpretation of “acculturation” which will be pointed out by this article. 1. Definition

2. Die Übertragung des Akkulturationsmodelles in die Archäologie

Akkulturation wurde als Begriff erstmals in der Ethnologie am Ende des 19. Jhs. im Zusammenhang mit Studien zu Kulturkontakten und sozialen Gruppen verwendet, war allerdings nicht einheitlich definiert. Als der klassische Fall von Akkulturation wurde jedoch gemeinhin die Situation der Begegnung europäischer oder amerikanischer Zivilisation mit einer indigenen Bevölkerungsgruppe angesehen1. Die bis heute anerkannte und schlüssigste Definition von Akkulturation, die nach wie vor ihre Autorität besitzt, wurde in den 30er Jahren des 20. Jhs. von den Kulturanthropologen Robert Redfield, Ralph Linton und

Durch zunehmende Versuche der Wissenschaft, erklärende Modelle für Wandlungen kultureller Art zu finden, die mit einem Güteraustausch zwischen disparaten Gesellschaften oder verschiedenen Kulturen einsetzte und durch daraus folgende Veränderungen auf beiden Seiten neue kulturelle, wirtschaftliche oder auch politische Strukturen bewirken, wurde die Erforschung von Akkulturation über die Grenzen der Ethnologie hinaus auch für andere Fachbereiche interessant. Diese waren neben der Soziologie vor allem die historischen Wissenschaften, insbesondere die Archäologie, welche sich zunehmend dieses Akkulturationsmodelles bedienten.

1

An dieser Stelle sollen nur einige Aufsätze genannt werden: Malinowski (1945); Ianni (1958); Spiro (1955); Kodjo (1973); Beidelmann (1982); Hodder (1982); Köhler (1982); Domeier (1993); zu verschiedenen Reaktionen auf Fremdheit s. Stagl (1996).

2

57

Redfield – Linton – Herkovits (1936).

Korana Deppmeyer

Ausgangspositionen von Begegungen zurückgreifen konnte. In archäologischen Untersuchungen erscheint das klassische Akkulturationsmodell stark verwässert und oft mangelnd spezifisch. Es läßt Feinheiten vermissen und beläuft sich großenteils auf generelle Feststellungen, wobei die Anwendung uneinheitlich bleibt. Diese Probleme scheinen auch darin begründet zu sein, dass viele das Akkulturationskonzept betreffende Punkte unbeantwortet bleiben müssen und sich durch archäologische Untersuchungen oftmals nicht erhellen lassen16: So ist es in den seltensten Fällen möglich, eine Entwicklung der im Kulturkontakt beteiligten Gruppen vom ersten Zusammentreffen bis zu eintretenden Veränderungen konsequent zu verfolgen. Gerade wenn man sich auf archäologische Hinterlassenschaften beziehen muss, sind die Lücken zwangsläufig sehr groß. Ein weiteres Problem bei der Begriffsanwendung liegt in der angenommenen Grundvoraussetzung der beteiligten homogenen Einheiten, die bei Akkulturationsprozessen aufeinandertreffen. Diese sind jedoch in der Geschichte oder Archäologie nicht gegeben. Man geht von nichtexistenten Idealtypen aus, während in der Realität komplexe Mischungen mit verschiedensten Differenzen vorkommen.

So ist in den letzten Jahrzehnten die Zahl der archäologischen Interpretationen von kulturellen Interaktionen, die als Resultat ‘Akkulturation’ aufweisen, stark angewachsen. Das zu untersuchende Element konnte in seiner Auswahl sehr verschieden sein: so wurden Betrachtungen zum Wandel in Bestattungssitten vorgenommen3, Fragen der Akkulturation in Schriften antiker Autoren untersucht4, sprachliche5, ethische6 und ökonomische7 Änderungen besprochen oder schließlich auf materielle Hinterlassenschaften wie Keramik8 oder auch Porträts9 Bezug genommen. Ebenso breit ist das Spektrum des betrachteten Zeitraumes. So existieren beispielsweise Studien zu Akkulturationserscheinungen in prähistorischer Zeit10, für das 6.-2. Jh. v. Chr. im italischen Raum läßt sich eine Untersuchung von O. Dally11 anführen. Zur Erforschung von Akkulturation im Hellenismus trug u. a. ein 1994 veranstaltetes Kolloquium bei12. Arbeiten zu kulturellen Veränderungen in römischer Zeit sind ebenfalls recht zahlreich13. Es schließen sich Betrachtungen für die Zeit des Ostgotenreiches an14 oder die ebenfalls im Rahmen eines Hallenser Kolloquiums untersuchten Akkulturationserscheinungen, beginnend im Alten Ägypten bis zum Nahen Osten in der Neuzeit15. 3. Aus der Anwendung resultierende Probleme in der Praxis

Somit bilden an das Konzept und den Fragenkatalog zur Akkulturation angelehnte Arbeiten eine Ausnahme. Hervorzuheben sind hier die Untersuchungen von S. Gruzinski und A. Rouveret, die am Beispiel von Mexiko und Süditalien Akkulturationsprozesse darstellen unter Berücksichtigung von Ausgangsformen, Mechanismen und Grenzen sowie von Widerstand und Assimilation wobei sie auch auf Fragen der Bedeutung des Zeitpunktes einer Interaktion, der beteiligten Gruppen und der Sehr facettenreich Prozeßergebnisse eingehen17. behandelt J. H. F. Bloemers Fragen zur Akkulturation im Rhein-Mosel-Bereich vom 1.-5 Jh. n. Chr.18. Ähnlich dicht am klassischen Modell orientiert sich der gut strukturierte Aufsatz von J. Spielvogel zu Fragen der Akkulturation und deren Scheitern im Ostgotenreich19.

Die Definition von Akkulturation scheint für die archäologische Disziplin sinnvoll anwendbar, denn verschiedenste Kulturkontakte und der Austausch von Gütern sind insbesondere für die Phasen der Hellenisierung oder Romanisierung relevant und bieten somit eine breite Projektionsfläche. Doch entstehen aus dem zunächst breiten Einsatzpotential auch deutliche Mängel, die teilweise gewiß daraus resultiert, dass das Akkulturationskonzept aus der Ethnologie übernommen wurden und auf andere, weitaus klarere

3

Schmitz (1997) 177-202. Christes (1997) 13-35: Hier zur Wahrnehmung fremder Völker im Spiegel antiker Autoren und zum Einfluß griechischer Kultur und Bildung auf die Römer. 5 Spencer (1978); Lomas (1993). 6 Gehrke (1994). 7 Hodder (1978a) 199-269; Wells (1980). 8 Kramer (1985). 9 Balty (1995). 10 Best – de Vries (1980); Melas (1991); Klinkott (2001). 11 Dally (2000). 12 Funck (1996); weiter: Coarelli (1990). 13 Bloemers (1983); Lomas (1993); Bartel (1995); Haselgrove (2002); Bloemers (2002); Kunow (2002); Gechter (2002); Trow (2002). 14 Spielvogel (2002). 15 Leder – Streck (2002). 4

4. Versuche von Differenzierungen Aufgrund dieser Unschärfen wurde der Versuch unternommen, deutlichere Abstufungen vor allem beim Ergebnis des Kontaktes zu treffen, z. B. indem man mit dem Begriff Akkomodation operiert, was inhaltlich - und auf die Romanisierung übertragen – dem nativistischen Romanisierungsmodell entspricht – also nur die oberflächliche funktionale Anpassung unter Beibehaltung der eigenen Merkmale meint. Das bedeutet, dass 16

Eine breite Diskussion bietet hierzu Gotter (2001). Gruzinski – Rouveret (1976). 18 Bloemers (1983). 19 Spielvogel (2002). 17

58

Akkulturation

3.) Einen weiteren Punkt bezeichnet Gotter als Rezeptionsdynamik: Als Extreme dieser können bestehen: das Oktroyieren der eigenen Kultur mit militärischer Überlegenheit oder eine Rezeption der Dinge im friedlichen Sinne. So eröffnen sich Einblicke in die Handlungsspielräume und auch die Interessen der Beteiligten. 4.) Den letzten Punkt bildet die Veränderung der ursprünglichen Muster. Das heißt konkret: Wie ändern sich die Lebenswelten und -weisen einer Bevölkerungsgruppe durch Kontakt mit beispielsweise den Römern, wofür Indizien über archäologische, numismatische, epigraphische oder auch literarische Quellen greifbar sein können. Hier schließt sich die Frage nach der Einseitig- oder auch Beidseitigkeit der Veränderungen und die Bedeutung für den Rezipienten an.

Akkulturation in eine formale und materielle Ausprägung geschieden wird20. Weitere Differenzierungsversuche unternahm Bitterli21, jedoch auf Kontakte zwischen Europa und Übersee bezogen, indem er verschiedene Arten des Zusammentreffens und potentieller Folgeerscheinungen – Zusammenstoß, Berührung, Verflechtung oder Beziehung – typologisierte, allerdings immer mit der Prämisse von politischer Überlegenheit einer Seite. Dies kann letztlich auch nichts anderes meinen – oder lediglich in feinerer Abstufung – als die schon dem klassischen Akkulturationsmodell zugeordneten Resultate von: Assimilation nach erfolgter Akzeptanz, Adaption mit einer entstandenen Mischkultur als Ergebnis und die Antiakkulturation. In diesem Zusammenhang sei ein Aufsatz von Osterhammel angeführt, der Bitterlis Modell um Konstellationen von „kulturellen Abgrenzungen“ und Reflexionsarten erweitert22. Allerdings ist auch das Muster nicht auf die Archäologie zugeschnitten, sondern für kulturelle Beziehungen in der Neuzeit geschaffen worden. Ein weiteres Konzept von Kulturtransfer in Anlehnung an das klassische Akkulturationsmodell wurde speziell für deutsch-französische Beziehungen vom 18.-20. Jh. entworfen23. Diese neuen, das klassische Modell erweiternden Schemata bieten jedoch keine Anwendungsmöglichkeiten oder eine breite methodische Grundlage für die Archäologie. Dass für bestimmte Regionen und Zeiten neue oder ergänzende Modelle zur Akkulturation entwickelt wurden, verdeutlicht die nur bedingte Anwendbarkeit des allgemeinen Konzeptes. So fordert beispielsweise Gotter24 die Dynamisierung des klassischen Akkulturationsmodelles für geschichtliche und archäologische Zwecke: 1.) Es muss eine konkrete Bestimmung und Begrenzung der Gruppen nach den Kriterien der eigenen Identifikation vorhanden sein, die beispielsweise eine gemeinsame Ethnizität bedeuten kann, deren Veränderungen den Gegenstand der Untersuchung bildet. 2.) Die Bestimmung von Verschiedenheit zwischen den zusammentreffenden Gruppen muss gewährleistet sein, was z. B. die Bereiche der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Strukturen oder Schichtungen betrifft, also die Pole der Selbstidentifikation und Fremdwahrnehmung müssen als Grundbedingung vorhanden sein, denn diese sind nur zu Beginn des Kontaktes nachweisbar, bevor Vermischungen stattfinden. Nur vor diesem Hintergrund sind Aussagen zu Intention von Rezeptionen bei einer Kulturbegegnung zu treffen.

Es ist gewiß ein sehr sinnvoller Versuch, das Akkulturationsmodell für die Historischen Wissenschaften besser anwendbar zu machen, doch fordert Gotter mit diesen Punkten ein breites, diffiziles Spektrum an zu betrachtenden Gegebenheiten oder Komplexen, die m. E. nur in den seltensten Fällen zu beantworten sind. Und somit wird dieser Katalog nicht auf weiteren Ebenen einsetzbar, sondern man verringert im Gegenteil seinen Anwendungsspielraum. Einen Kritikpunkt sehe ich in Punkt 2: Hier wird das Problem der nicht greifbaren Zeit relevant, was die Anwendung fast unmöglich macht. Der Zeitpunkt einer Kontaktaufnahme wird nicht archäologisch evident, und Akkulturation stellt sich als Ergebnis eines langen Prozesses, einer Entwicklungsphase dar. Darüber hinaus ist es nahezu ausgeschlossen, die Fragen zu Selbstsicht und der eigenen Identifizierung der betreffenden Gruppen zu beantworten. Faßbar sind in den meisten Fällen nur die Eliten durch literarische oder epigraphische Belege, Aussagen zu den niederen Bevölkerungsschichten sind kaum zu treffen, womit man sich schon zu Beginn auf den Pfad der Spekulation begeben würde. Wie ist es heute möglich, die Wahrnehmung der Fremdheit des anderen Parts zu beurteilen, wenn man nicht auf literarische Berichte – und auch diese müssen, wenn vorhanden, nicht zuverlässig sein – zurückgreifen kann? Wie ist eine historische Momentaufnahme zu greifen, in der sich eine Gruppe gegenüber der anderen als zusammengehörig empfindet? Gotter gibt jedoch auch selbst zu bedenken, dass man diesen Fragenkatalog nicht auf jede Kultur und Zeit anwenden kann: „Man hat im Grunde nur die Wahl zwischen dem endgültigen Verschleiß eines Begriffes oder der methodischen (Selbst)-begrenzung.“25

20

so z. B. Bastide (1970) 137; Heckmann (1992). Bitterli (1991). 22 Osterhammel (1995). 23 Espagne – Werner (1985). 24 Gotter (2001). 21

25

59

Gotter (2001) 280.

Korana Deppmeyer

entsprechend ihrer Komplexität sowie aufgrund der Vorgänge auf unterschiedlichsten Ebenen über einen langen Zeitraum32, nicht nur auf einzelne Aspekte wie Sprache, Kleidung oder Architektur bezieht33. Auch sollten beide an diesen Prozessen beteiligten Seiten genauer betrachtet werden, um feinere Unterscheidungen beispielsweise in gradueller Sicht auf Akkulturationsergebnisse vornehmen zu können und damit sowohl potentielle Rückwirkungen von indigenen Faktoren als auch beidseitige Interessen besser beurteilen zu können. Ebenso sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass Akkulturation nur einen möglichen Erklärungsansatz für den Wandel von Kulturen darstellt34. Dies würde auch „Romanisierung“ der identischen Deutung entheben. So ergibt sich m. E. das Fazit, dass man den ohnehin breiten Fragenkatalog zu Akkulturation nicht erweitern muss, sondern die Anwendbarkeit auf jeden einzelnen Fall besser prüfen und differenzierter, verbindlicher und spezifischer auf der Grundlage des ursprünglichen Modelles benutzen sollte.

5. Zur Anwendbarkeit des Akkulturationsmodelles im Zusammenhang mit Romanisierung – Romanisation Akkulturationserscheinungen in Verbindung mit Hellenisierung, aber auch Romanisierung wurden besonders für den unteritalischen – sizilischen Raum seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts untersucht, trifft man doch hier auf eine Konstellation von Einheimischen, Griechen und Römern26. Wie schon an anderer Stelle erwähnt wurde, untersuchte O. Dally das daunische Heiligtum Canosa vom 6. - 2. Jh. v. Chr. zu Akkulturationsprozessen in den Bereichen der Architektur, Keramik und des Kultes27. Doch auch östliche Gebiete des Römischen Reiches waren für Betrachtungen relevant. J. Bergemann widmete in seiner Untersuchung zur griechischen Stadt Butrint im Rahmen der Romanisierung Griechenlands ein Kapitel der Frage nach erfolgter Akkulturation28. B. Bartel bespricht Interaktionen zwischen Indigenen und Römern im Donaubereich von Moesia Superior und stellte in seinem Aufsatz verschiedene Akkulturationsgrade – vorrangig in ökonomischpolitischen Bereichen – einzelner Gegenden heraus29 und S. D. Trow verfolgte urbanistische Aspekte im Zuge der Romanisierung in Britannien30. Gerade in der archäologischen Literatur läßt sich, wie schon erwähnt, eine begriffliche Begrenzung vermissen. Akkulturation steht gewissermaßen als Synonym für Romanisierung31. Dennoch scheint in Untersuchungen zu Romanisierung die Anwendung des Akkulturationsmodelles sinnvoll und am meisten ergiebig, denn Romanisierung ist immer mit Akkulturationserscheinungen verbunden und evoziert solche. In diesem Bereich – im anhaltenden Kontakt zwischen Römern und Indigenen – scheint das Modell seine größte Wirkkraft zu entfalten, kommt es doch häufig der ursprünglichen kolonialen Situation, der das Akkulturationskonzept zugrunde liegt, näher als andere Kulturbegegnungen. Darüber hinaus hat dieses Konzept gegenüber anderen entwickelten Modellen und Begriffen, die im Zusammenhang mit Romanisierung/Romanisation auftauchen, wie z. B. elite negotiation, peer polity interaction, Widerstandskonzepte, Synkretismus oder Creolisation, den entscheidenden Vorteil der breiteren Anwendbarkeit.

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32

zu Phasen und Variablen der Akkulturation: van der Leeuw (1983). 33 So könnte auch vermieden werden, dass bei Untersuchungen zu Akkulturationen der Begriff lediglich im Titel auftaucht, wie bei: Schmitz (1997); Eine Unterscheidung zwischen Romanisierung und Akkulturation wird auch in verschiedenen Aufsätzen zu Kontakten zwischen Römern und Einheimischen in den westlichen und nördlichen Provinzen, die im Kapitel zu Initialkontakten und Akkulturation aufgeführt sind, nicht ersichtlich: Haselgrove (2002); Bloemers (2002); Kunow (2002); Gechter (2002); Trow (2002). 34 s. auch Gotter (2001).

Allerdings ist es m. E. wichtig, der Anwendungsdiffusität Abhilfe zu schaffen. Dies wäre möglich, wenn man Akkulturation verbindlicher verwendet und 26

Gruzinski – Rouveret (1976); Dewailly (1983) 257-72; Pontrandolfo (1989); Lomas (1993); Gabba (1994). 27 Dally (2000). 28 Bergemann (1998). 29 Bartel (1995). 30 Trow (2002). 31 so z. B. bei Dally (2000) 18; Trow (2002).

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Creolization – Ein Modell der Romanisation? von

Sebastian Matz

Schwierigkeiten wichtig für die Entstehung des neuen Vorschlages von Jane Webster sind. Als der britische Gelehrte F. Haverfield 1905/06 erstmals die Romanisierung am Beispiel Britanniens genauer untersuchte4, ahnte er sicher nicht, dass die althistorische und archäologische Forschung noch knapp 100 Jahre später über den Terminus „Romanisierung“ und dessen Bedeutung streiten würde. Später definierte er den Begriff „Romanization“ als einen Prozess, in dem den römischen Provinzen »eine Kultur gegeben wurde« 5 . Diese Sichtweise auf den kulturellen Austausch zwischen den Römern und den Bewohnern der Provinzen blieb lange Zeit gültig. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde immer wieder Kritik an dieser Auffassung geübt. Die Kritik setzte im Laufe der Zeit an verschiedenen Punkten der Romanisierungstheorie an. Als Ergebnis der kritischen Untersuchungen zeigte sich immer, dass die Theorie Haverfields zu einfach und wissenschaftlich veraltet war6. Haverfield ging davon aus, dass den Provinzialen während des Romanisierungsprozesses eine neue – nämlich die römische – Kultur gegeben wurde: Die Bewohner der römischen Provinzen erhielten also eine neue Sprache, eine neue materielle Kultur, eine neue Kunst, einen neuen städtischen Lebensstil und eine neue Religion 7 . Haverfield fasste den Prozess der Romanisierung in zwei Grundthesen zusammen: »Die Romanisierung beseitigt die Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen Römern und Provinzialen in allen Lebensbereichen. Dieser Prozess geschieht nicht überall und zur gleichen Zeit in einer Provinz «8. Allerdings nahm Haverfield in seinen Studien an, dass die Romanisierung der provinzialen Eliten repräsentativ für die kulturelle Entwicklung einer gesamten Provinzbevölkerung sei 9 . Aus diesem Grund vernachlässigte er die Untersuchung der

Zusammenfassung: Die These J. Websters, welche die generelle Ersetzung des Konzeptes der Romanisierung durch das Konzept der Kreolisierung (Creolization) vorschlägt, wird in diesem Aufsatz kritisch untersucht. Das Konzept der Kreolisierung (Creolization) scheint zwar auf verschiedene Aspekte der Romanisierungs- bzw. Romanisationsproblematik anwendbar zu sein, jedoch bleibt festzuhalten, dass auch das Konzept der Kreolisierung (Creolization) nicht alle Einzelaspekte des Romanisierungs-/Romanisationsprozesses zu erklären vermag. Abstract: This paper deals critically with the theory of J. Webster, who generally wants to replace the concept of Romanization by the concept of Creolization. This new concept for cultural changing processes is certainly applicable to some aspects of the Romanization process, but the concept of Creolization is not qualified for an extensive explanation of the whole Romanization process. 1. Forschungsgeschichte Anhand dieses Aufsatzes soll überprüft werden, ob der Vorschlag von Jane Webster, das Modell der Romanisierung durch das Modell der Creolization (Kreolisierung) zu ersetzen 1 , praktikabel erscheint oder nicht. Dabei wird besonders darauf zu achten sein, ob mit diesem neuen Modell alle – oder zumindest sehr viele – Bereiche der kulturellen Wandlungsprozesse in einer römischen Provinz zu erklären sind. Webster beginnt ihren Aufsatz2 mit einer Einführung in die verschiedenen Modelle zur Romanisierung 3 . Eine solche – an Webster angelehnte – Einführung bildet auch den Anfang dieses Aufsatzes, da die verschiedenen Romanisierungsmodelle und ihre jeweiligen

4

Haverfield (1905/06) 185-217; Allerdings hatte T. Mommsen bereits 1885 (Erscheinungsjahr der Erstausgabe seines Werkes „Römische Geschichte“) den Begriff erwähnt und benutzt: Mommsen (1933) z. B. 6264. 78 f. 92 f. 153 f. 176 f. 180 f. 183-186. 193-195. 5 Haverfield (1923) 11. 6 Webster (2001) 209. 7 Haverfield (1923) 11. 8 Haverfield (1923) 22. 9 Webster (2001) 211.

1

Webster (2001) 209-225. Der Aufsatz zur Creolization basiert auf früheren Forschungen Websters. s. dazu Webster (1997a) 165-184; Webster (1997b) 324-338. 3 Webster (2001) 209-217. 2

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Romanisierung 17 . Er nahm an, dass die Romanisierung ein weitgehend spontaner Prozess war 18 . Allerdings gestand er den einheimischen Eliten eine aktive Rolle in diesem kulturellen Wandlungsprozess zu. Denn Millett sah in der aktiven Übernahme römischer Kulturelemente durch die provinzialen Eliten die „Triebfeder“ für die Romanisierung. Diesen Eliten war durch die Römer die Macht zur Regierung ihrer lokalen Herrschaftsbereiche gegeben worden. Um ihre Macht zu festigen, versuchten sie, der Kultur und dem Lebensstil der Römer nachzueifern und sich so gewissermaßen selbst zu romanisieren. Die Elemente der Romanitas boten den Eliten die Möglichkeit, sich von der übrigen Provinzbevölkerung abzuheben und so ihre hohe soziale Stellung zu betonen 19 . Im Laufe der Zeit ahmten dann auch die provinzialen Nichteliten die römische Lebensweise und Kultur nach, so dass auch diese Bevölkerungsteile – zumindest teilweise – romanisiert wurden bzw. sich selbst romanisierten. Millett hatte mit seinem Modell der Provinzbevölkerung – und dabei hauptsächlich den Eliten – eine aktive Rolle in der Romanisierung, d.h. der Romanisation, gegeben20.

Romanisierungsprozesse in der ländlichen Provinzialbevölkerung und interpretierte den „Misserfolg“ der Romanisierung der Nichteliten als Ergebnis des hartnäckigen Bestehens auf althergebrachte Sitten und Gebräuche bei der Landbevölkerung10. Der erste Gelehrte, der diese Sichtweise kritisierte, war R. G. Collingwood, der 1932 in seinem Buch über das römische Britannien erstmals von einer römischbritannischen Mischkultur in der Britannia sprach 11 . Dieser Denkansatz, welcher von einer Mischkultur in antiken Kolonialgesellschaften ausgeht, wurde in den 90er Jahren durch P. van Dommelen auch auf das punisch besetzte Sardinien des 5. – 3. Jhs. v. Chr. angewendet12. Er beschreibt die Entstehung einer Mischkultur als ‘hybridization’ und weist u. a. daraufhin, dass die Übernahme der punischen materiellen Kultur durch die antiken Sarden nicht gleichzusetzen sei mit einer alles umfassenden kulturellen Assimilation. So zeigt van Dommelen, dass die sardische Religion – trotz punischer Einflüsse – ihre indigene Prägung behielt. In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die wissenschaftliche Diskussion zur Romanisierung erneut durch eine andere Sichtweise vorangetrieben. Besonders die nordafrikanischen Wissenschaftler, welche teilweise noch selbst die Kolonialzeit in ihren Heimatländern erlebt hatten, begannen den militärischen und kulturellen Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen die römische Kolonialmacht und deren Kultur in den Mittelpunkt der Forschung zu rücken 13 . In Großbritannien entwickelte sich in dieser Zeit ebenfalls eine Forschungsmeinung, welche die römisch-britannische Mischkultur in der Provinz Britannia nahezu negierte, indem sie davon ausging, dass die Einheimischen aus taktischen Gründen lediglich in der Öffentlichkeit einige römische Kulturelemente annahmen und im privaten Bereich die römische Kultur nahezu ignorierten 14 . Diese These wurde mit der langsamen Ausbreitung der lateinischen Sprache, dem schnellen Verfall der städtischen Siedlungen und dem verstärkten Wiederauftauchen keltischer Kulturelemente im spätantiken Britannien begründet15. Die „Nativisten“ kritisierten an Haverfields These der Romanisierung hauptsächlich, dass der einheimischen Bevölkerung im Prozess der Romanisierung keine aktive Rolle zugestanden wurde16. Deshalb entwarf M. Millett in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein neues Modell der

2. Websters Ansatz Der Hauptansatzpunkt für Websters Kritik am Romanisierungsmodell Milletts ist der Fakt, dass auch in seinem Modell lediglich die Beziehungen zwischen den Römern und der provinzialen Elite zur Erklärung der kulturellen Umwälzungen in den römischen Provinzen herangezogen werden21. Für Webster besitzt das Modell Milletts zwei große Schwachpunkte. Zum einen nennt sie die Druiden, die, obwohl sie sicher zur provinzialen Elite gehörten, fast ausnahmslos keine römische Kultur annahmen, woraus deutlich wird, dass bei weitem nicht alle Angehörigen der Provinzelite den Römern in jeglicher Beziehung nacheiferten, um ihre Machtposition zu halten22. Zum anderen kann auch mit diesem Modell die Romanisierung der provinzialen Nichteliten nicht ausreichend erklärt und verdeutlicht werden23. Die größte Schwierigkeit des Romanisierungsmodells besteht – laut Webster – darin, dass man mit diesen nicht erklären kann, warum die Romanisierung in den städtischen Gebieten wesentlich tiefgreifender und dauerhafter war als in den ländlichen Gebieten 24 . Die Romanisierung Milletts 17

Die neue Sichtweise auf die Romanisierung führt er besonders in zwei seiner Schriften aus: Millett (1990a); Millett (1990b). 18 Schon Haverfield verstand die Romanisierung als spontanen Prozess.; s. dazu Haverfield (1923) 14; Webster (2001) 213. 19 Webster (2001) 213. 20 Webster (2001) 213. 21 Webster (2001) 214. 22 Webster (2001) 215; s. auch Webster (1999). 23 Webster Provinces 215. 24 Webster (2001) 215.

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Haverfield (1923) 21-22; Webster (2001) 211. Collingwood (1932) 92. 12 v. Dommelen (1997). 13 s. z. B. Laroui (1970); Benabou (1976a); Benabou (1976b); Zum Problem der postkolonialen Archäologie v. a. in Nordafrika s. Mattingly (1996). 14 Webster (2001) 212. 15 Webster (2001) 212. 16 Webster (2001) 213. 11

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Creolization

verändertes phonologisches System charakterisiert ist 34 . Solche Sprachen entstehen, wenn mindestens zwei Sprachgemeinschaften untereinander kommunizieren wollen oder müssen 35 . Dabei bedienen sich die Gesprächspartner der augenscheinlichsten Merkmale der jeweils anderen Sprache und nutzen diese – in reduzierter Form – zur Verständigung mit dem Gegenüber 36 . Die Pidginsprachen entstanden hauptsächlich in kolonialen Kontexten während der Expansion der europäischen Großmächte in Ost- und Westindien, Afrika und Amerika 37 . Die linguistische Forschung konnte feststellen, dass sich im Allgemeinen die Sprache der politisch und wirtschaftlich schwächeren Gruppe an die der stärkeren Gruppe anpasst 38 . Durch den Prozess der Creolization/Kreolisierung kann später aus einer Pidginsprache eine Kreolsprache entstehen oder die Pidginsprache wird durch die dominante Sprache der Kolonialherren verdrängt und verschwindet völlig. Eine Pidginsprache besteht also in der Regel nicht sehr lang. Die Kreolisierung wird durch eine strukturelle, funktionale und stilistische Erweiterung der Pidginsprache fassbar, was dazu führt, dass die kreolisierte Sprache in Bezug auf ihre formale und funktionale Komplexität anderen Sprachen vergleichbar wird 39 . Durch eine eigenständige grammatikalische Entwicklung der Sprache, die ihrerseits strukturelle Veränderungen derselben hervorruft, werden zumindest teilweise die – für die Pidginsprachen typischen – sprachlichen Vereinfachungen beseitigt40.

basiert auf dem Streben der Provinzialen nach möglichst hoher kultureller Angleichung an die Römer. Dabei wird oft vergessen, dass ein ärmerer provinzialer Landbewohner oft überhaupt nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu hatte, sich der römischen Lebensweise anzugleichen 25 . Nach Millett erhielten die Nichteliten der römischen Provinzen erst in einem zweiten Romanisierungsprozess die Möglichkeit römische Kulturelemente zu übernehmen. Denn die römische Kultur erreichte die Nichteliten gleichsam „gefiltert“ durch ihre – sozial höhergestellten – Mitmenschen und machte sie somit zu »passiven Empfängern ausgewählter römischer Kulturelemente«26. Aufgrund dieser Zweifel möchte Webster das Modell der Romanisierung durch das Modell der ‘Creolization’ ersetzten 27 . Sie hofft, so die – für den Fortgang in der Romanisierungsforschung – oft hinderliche Auffassung von der polarisierten Gesellschaft (Römer und romanisierte provinziale Eliten im Gegensatz zu provinzialen und weniger romanisierten Nichteliten) im Römischen Reich beseitigen zu können 28 . Man kann Websters Meinung nach eben nicht immer sicher davon ausgehen, dass römische bzw. romanisierte materielle Kultur zwingend auf die Anwesenheit der Römer oder romanisierter Provinzialer schließen lässt 29 . Außerdem meint Webster, dass dieses Bild einer polarisierten Gesellschaft theoretisch auch nicht die Adaption römischer materieller Kultur durch die Provinzialen zulässt, d. h. die Bewohner der Provinzen mussten römische Kulturelemente ausschließlich im römischen Sinne benutzen30. Es wäre also z. B. ausgeschlossen, dass ein Provinzbewohner eine römische Terra Sigillata in einer Opferzeremonie für eine indigene Gottheit benutzt hätte. Diese Diskrepanzen bewogen Jane Webster zu der Annahme, dass man die älteren Romanisierungsmodelle durch das neue Modell der Creolization/Kreolisierung zu ersetzen hätte31.

4. Creolization in den Kulturwissenschaften Seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann man in der Forschung den Begriff der Kreolisierung auch für Wandlungs- und Entstehungsprozesse außerhalb der Sprachwissenschaften anzuwenden. So versuchte E. K. Brathwaite 1971 den Kreolisierungsbegriff auf die gesamte Kulturentwicklung in Jamaika zu übertragen41 . Da dieses Konzept seit nunmehr 30 Jahren erfolgreich zur Erklärung kultureller Wandlungsprozesse in den kolonialen Gesellschaften Amerikas und den daraus resultierenden archäologischen Funden und Befunden herangezogen wurde, ist Jane Webster davon überzeugt, dass man das Kreolisierungsmodell auch zur Erklärung der kulturellen Veränderungen in den römischen Provinzen einsetzten sollte42.

3. Der Begriff Creolization/Kreolisierung Der Terminus Creolization/Kreolisierung stammt aus der Linguistik. In diesem Wissenschaftszweig bezeichnet er den Übergang von einer sog. Pidginsprache 32 zu einer sog. Kreolsprache33. Eine Pidginsprache ist eine Behelfsbzw. Handelshilfssprache, die durch eine stark reduzierte grammatische Struktur, ein beträchtlich eingeschränktes Lexikon, einen verringerten Stilumfang und ein 25

34

26

35

Webster (2001) 215. Webster (2001) 216. 27 Webster (2001) 217. 28 Webster (2001) 216 f. 29 Webster (2001) 217. 30 Webster (2001) 217. 31 Webster (2001) 209. 217-219. 223. 32 Zu den Pidginsprachen s. Bauer (1987). 33 Zu den Kreolsprachen s. Bauer (1987).

Raith (2000a). Raith (2000a). 36 Raith (2000a). 37 Raith (2000a). 38 Raith (2000a). 39 Raith (2000b). 40 Raith (2000c). 41 Brathwaite (1971). 42 Webster (2001) 217.

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Sowohl die Entwicklung kreolischer Sprachen als auch die Entwicklung einer materiellen kreolischen Kultur ist kein allmählicher akkulturativer Prozess, bei dem die einheimische Kultur Schritt für Schritt durch die Kultur der Kolonialherren ersetzt wird 43 . Vielmehr handelt es sich um eine Entwicklung, während welcher sich verschiedene Elemente der beiden aufeinander treffenden Kulturen unter den Bedingungen eines ungleichen sozialen Machtverhältnisses vermischen44. Diesen schwer zu fassenden kulturellen Wandlungsprozess beschrieb Abrahams 1983 wiederum am Beispiel der Sprache45: Er wies nach, dass westafrikanische Sklaven in den Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent nur selten englische Wörter einfach übernahmen. Für die Sklaven war eine solche Übernahme nur dann unumgänglich, wenn sie für die Bedeutung eines englischen Wortes keinen eigenen Ausdruck hatten. Reines Englisch wurde nur sehr selten bei „offiziellen“ Anlässen gesprochen46. Die Sprache des täglichen Lebens blieb eine Mischung aus Englisch und der jeweiligen Muttersprache. Laut Webster scheint es so, als ob dieses Konzept der Kreolisierung auch auf die Entstehung materieller Kulturen im kolonialen Kontext anwendbar ist 47 . Wiederum geht Webster hier von Beispielen aus der Kolonialarchäologie des amerikanischen Kontinents aus. Zum einen führt sie das Beispiel von Yentsch an, die 1994 zeigte, dass die afrikanischen Sklaven ihre Kochgewohnheiten im kolonialen Kontext nicht wesentlich umstellten, sondern lediglich einige Anregungen aus der englischen Küche ihrer Kolonialherren übernahmen 48 und somit zur Entstehung der kreolischen Küche beitrugen49. Zum anderen nimmt Webster Bezug auf die Arbeit von Ferguson, in der gezeigt werden konnte, dass die Sklaven zwar meist die materiellen Kulturelemente (Artefakte, Darstellungsformen, Architektur usw.) ihrer Herren übernahmen, diese jedoch – trotz ihrer eindeutig europäischen Herkunft – nach afrikanischer Sitte gebrauchten 50 . Diese Erkenntnisse mahnen die

archäologische Forschung zu vorsichtigem Umgang mit Funden und Befunden aus kolonialen Kontexten. Webster meint, an Ferguson anschließend51, dass man die Problematik der Benutzung offensichtlich fremd geprägter Artefakte (der Kolonialherren) nach indigenem Brauch (der Sklaven) auch auf andere koloniale Kontexte und somit auch auf die provinzialrömische Forschung und das Problem der Romanisierung übertragen könnte. Es ist – laut Webster – also durchaus denkbar, dass scheinbar rein römische Artefakte nicht nach römischen sondern nach indigenen Sitten und Gebräuchen genutzt worden sind52. 5. Religion, Kunst, Ikonographie und Creolization Um ihre These zu stützen beschreibt Webster ein Beispiel aus dem Bereich der Religion und bezieht sich dabei besonders auf die – hauptsächlich in Gallien verbreiteten – Gottheiten Epona 53 , Cernunnos 54 und Sucellus 55 und fasst diese in einer Gruppe zusammen 56 . Diese ist einerseits durch die anthropomorphen Darstellungen und andererseits dadurch charakterisiert, dass diese Götter weder direkt aus dem graeco-römischen Pantheon stammen noch aus Vorbildern desselben abgeleitet worden sind57. Sie zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass die in ihr zusammengefassten Gottheiten – mit Ausnahme des Cernunnos 58 – wahrscheinlich vor der römischen Eroberung Galliens nicht in anthropomorpher Form dargestellt wurden59. Dies hängt sicherlich mit der allgemeinen Abneigung der Kelten gegenüber anthropomorphen Darstellungen zusammen 60 . So ist wahrscheinlich anzunehmen, dass die Pferdegottheit Epona vor der römischen Eroberung Galliens zumindest semizoomorph dargestellt wurde und sich erst nach der römischen Eroberung die Darstellung derselben Gottheit in anthropomorpher Gestalt durchsetzte61. Jedoch verlor Epona nicht völlig ihre keltische Darstellungstradition, denn sie wird grundsätzlich zusammen mit Pferden bzw. Fohlen abgebildet62. Auf die keltischen Ursprünge dieser Gottheit weist außerdem der Umstand hin, dass ihr Name vom keltischen Wort für Pferd abgeleitet ist63. Lange Zeit wurde die Übernahme römischer – nämlich anthropomorpher – Darstellungsweisen keltischer Gottheiten und die damit verbundene Aufnahme dieser

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Webster (2001) 218. Webster (2001) 218. 45 Abrahams (1983). 46 Abrahams (1983) 26. 47 Webster (2001) 218. 48 Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch in der provinzialrömischen Archäologie machen. So ließen bestimmte Funde und Befunde, welche in engem Zusammenhang mit der Ernährung der indigenen Bevölkerung im römisch besetzten Britannien stehen, G. Hawkes zu dem Schluss kommen, dass die einheimische Bevölkerung in Britannien trotz der römischen Eroberung an alten Kochgewohnheiten festhielt und lediglich manchmal neue Nahrungsmittel und Gewürze – die durch die römischen Eroberer nach Britannien gelangt waren – benutzten. s. dazu Hawkes (2001); Hawkes (1999). 49 Yentsch (1994) 374 f. Anm. 4; Webster (2001) 218. 50 Ferguson (1992) bes. 116-120; Webster (2001) 218. 44

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Ferguson (1992) S. XLI. Webster (2001) 218 f. 53 Zu Epona s. Boucher (1990). 54 Zu Cernunnos s. Blázquez (1988). 55 Zu Sucellus s. Nagy (1994). 56 Webster (2001) 219-223. 57 Webster (2001) 221. 58 Green (1986) 193 mit Abb. 86. 59 Webster (2001) 221. 60 Webster (2001) 220. 61 Webster (2001) 221. 62 Webster (2001) 221. 63 Webster (2001) 221. 52

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graeco-römischen „Partnern“ zusammenzuführen 74 . Somit ist für Webster klar, dass diese drei Gottheiten weder graeco-römische noch keltische Gottheiten waren, sondern dass Epona, Cernunnos und Sucellus romanokeltische Götter waren, die durch eine Vermischung von unterschiedlichen Kulturelementen entstanden sind75. Im römischen Gallien war also ein neues kreolisches Pantheon entstanden 76 . Dies war einerseits durch die Grenzen des problemfreien Synkretismus (Resistenz der keltischen Götter gegenüber Identifikation bzw. Zusammenführung mit graeco-römischen Göttern) und andererseits durch die Nichtaufnahme der vormals keltischen Götter in das klassisch-römische Pantheon bedingt 77 . Für Webster war die »Darstellung keltischer Götter im Westen des Römischen Reiches weder eine einfache Nacheiferung der stadtrömischen Kunst noch ein visueller Ausdruck des Widerstandes gegen Rom« 78 . Vielmehr sei die oben beschriebene Darstellung der vormals keltischen Götter als „Mittelweg“ zwischen »Akzeptanz und Ablehnung« zu sehen 79 und somit als Creolization/Kreolisierung zu interpretieren80. Wichtig ist dabei auch, dass die Entwicklung der kreolischen Kulturen sowohl im neuzeitlichen als auch im antiken Kontext auf kulturelle Wandlungsprozesse zurückgeht, die von den unteren gesellschaftlichen Schichten ausgehen81. Dieses Konzept sieht also nicht mehr die sog. provinzialen Eliten als Träger der kulturellen Wandlung in den römischen Provinzen, sondern betont eher den Beitrag der ärmeren ländlichen Bevölkerung zu diesem kulturellen Wandlungsprozess. Neuerdings wird sogar der oben erwähnte linguistische Begriff der Pidginsprachen in die Archäologie übertragen. So will G. Carr in außergewöhnlichen Artefakten aus einem Grab aus der Zeit um 50/60 n. Chr. in der Nähe des heutigen Colchester den Ausdruck einer materiellen „Pidgin-Kultur“ erkennen 82 . Diese zeichnet sich in Anlehnung an die Definition der Pidginsprachen durch ihr Auftreten lediglich am Anfang der Kontaktaufnahme verschiedener Kulturgruppen, durch ihren experimentellen Charakter und durch ihr zeitlich begrenztes Auftreten aus83.

Gottheiten in das graeco-römische Pantheon als problemfreier Synkretismus angesehen64. Demgegenüber möchte Webster die Darstellung der drei Götter nicht als Synkretismus 65 sondern als Creolization/Kreolisierung interpretieren. Zur Bestätigung ihrer These argumentiert sie folgendermaßen: Obwohl es gerade im römischen Gallien häufiger vorkommt (z. B. Mercurius-Rosmerta66), dass einheimische Gottheiten mit klassisch-römischen Gottheiten zusammen dargestellt werden 67 , gibt es bis heute kaum Beispiele, bei welchen die drei genannten Götter direkt neben klassischen Göttern dargestellt werden 68 . Gleiches gilt für die (vergleichsweise wenigen 69 ) epigraphischen Zeugnisse, denn auch hier zeigen die drei Gottheiten eine ausnahmslose Resistenz gegenüber der Gleichsetzung mit einem klassisch römischen Gott, obwohl auch dies sonst – auch bei den bildlichen Darstellungen – häufig auftritt 70 (LenusMars 71 , verschiedene keltische Formen des Apollon 72 , Sulis-Minerva73). Während die einheimischen Kelten es von ihrer Warte aus offenbar für möglich erachteten, ihre eigenen Götter nun anthropomorph darzustellen, war es für sie anscheinend nicht tragbar, diese keltischen Gottheiten mit

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Webster (2001) 219. s. dazu den Beitrag von M. Baliga in diesem Band. 66 Zu Mercurius-Rosmerta s. Bauchhenß (1992); Bauchhenß (1994). 67 Zu dieser Zusammenführung von keltischen und graeco-römischen Gottheiten s. Green (1986) 45-73. 68 Webster (2001) 222: für Epona gibt es bis heute kein Beispiel (die Beispiele aus Boucher (1990) 995 zeigen niemals Epona in direkter Verbindung mit einem graecorömischen Gott); für Cernunnos sind nur 6 Beispiele (davon nur 3 sicher zu identifizierende Beispiele) überliefert (Blázquez (1988) 840 f.); Zuletzt kritisch zur Subsumierung aller Götterdarstellungen mit Hirschgeweih in den Nordwestprovinzen unter dem Namen Cernunnos: Altjohann (2003); Sucellus tritt nur in Verbindung mit der ebenfalls keltischen Gottheit Nantosuelta (s. Nagy (1997)) auf (Nagy (1994) 822). 69 Webster (2001) 222 lehnt eine ökonomische Erklärung für das Fehlen epigraphischer Hinweise für die Zusammenführung von keltischen und römischen Götternamen ab, da zumindest einige der Reliefs gute Qualität besitzen und somit teuer waren, weshalb es für die Auftraggeber auch möglich gewesen sein müsste auf die Reliefs Inschriften setzten zu lassen. Über 300 Darstellungen der Epona stehen nur knapp 30 Inschriften, die diese Gottheit erwähnen, gegenüber. 70 Webster (2001) 222. 71 s. zu Lenus-Mars Bauchhenß (1984a); Zuletzt zu Lenus-Mars: Klein (2003) bes. 96. 72 Für die verschiedenen Formen des keltischen Apollon s. Bauchhenß (1984b). 73 Zu Sulis-Minerva s. Heichelheim (1931); Euskirchen (2001). 65

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Webster (2001) 222. Webster (2001) 222 f. 76 Webster (2001) 222 f. 77 Webster (2001) 222 f. 78 Webster (2001) 223. 79 Laut Webster (2001) 223 führte dieser „Mittelweg“ sogar teilweise dazu, dass klassisch-römische Götter, wie Merkur, mit Hörnern – also semizoomorph – dargestellt wurden, was die Ambiguität des neuen gallo-römischen Pantheons hervorhebt. 80 Webster (2001) 223. 81 Webster (2001) 220. 223. 82 Carr (2003). 83 Carr (2003) 122. 75

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colonia im vormals punischen Nordafrika wurden seit der römischen Eroberung durch duoviri, triumviri, quattuorviri sowie durch aediles, quaestores und eine In keinem Volksversammlung geleitet 89 . nordafrikanischen municipium und in keiner colonia ist eine „Vermischung“ von römischen und punischen Verwaltungsformen belegt90. Auch die Landaufteilung (limitatio/centuriatio) wurde überall in den Provinzen nach rein römischem Vorbild und ohne Rücksicht auf alte einheimische Flurteilungen vorgenommen91.

6. Kritik an Websters Modell Es ist nicht der Zweck dieses Aufsatzes, die – in sich schlüssige – Argumentation von Jane Webster zu widerlegen, doch ist m. E. bei der Übertragung des Konzeptes der Creolization/Kreolisierung auf alle kulturellen Wandlungsprozesse in den römischen Provinzen Vorsicht geboten. Webster evoziert mehrfach in ihrem Aufsatz die Annahme, man könnte durch das neue Konzept der Creolization/Kreolisierung das alte akkulturative Konzept der Romanisierung/Romanisation völlig ersetzen84. Dabei wählte sie sicher nicht ohne Grund ein Beispiel aus der Religion, denn dieser Bereich der Kultur stand immer – wie sie selbst schreibt85 – im Mittelpunkt der Erforschung der Kreolisierung. Es scheint nämlich so, als ob die Menschen gerade an religiösen Sitten und Traditionen am längsten festhalten, so dass sich auch in diesem Bereich am ehesten Widerstand und Resistenz gegenüber akkulturativen Prozessen herausbilden86. Nun bleibt die Frage zu stellen, ob das Modell der Creolization/Kreolisierung auf alle Bereiche des kulturellen Wandlungsprozesses innerhalb einer römischen Provinz übertragbar ist. Meiner Meinung nach ist dies nicht der Fall, was ich an einigen Beispielen aus dem Bereich der Administration des Römischen Reiches verdeutlichen möchte. Hier etwa ist die Verwaltungsstruktur der römischen Provinzen zu nennen. Überall im Imperium Romanum wurden die Provinzen ohne Rücksicht auf ethnische Strukturen eingerichtet. Die Römer nahmen keinerlei Bezug auf alte Strukturen, obwohl diese sicherlich bestanden. So ist z. B. bekannt, dass Augustus keltische Volksstämme trennte und verschiedenen Provinzen zuordnete 87 . Die Provinzen im Westen wurden in civitates, municipia und coloniae eingeteilt, ohne dass man grundsätzlich Rücksicht auf die vorher bestehenden Verwaltungseinheiten nahm. So gründeten die Römer in Germanien auch in Gebieten, in denen vorher keine städtischen Siedlungen existierten, civitates und municipia88. Im Allgemeinen entstanden in den Provinzen keine Verwaltungsstrukturen, die sich in irgendeiner Weise an indigenen Vorbildern oder Traditionen orientierten. Ähnlich verhielt es sich mit der Verwaltung der urbanen Siedlungen. Die Geschicke eines municipium oder einer

7. Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten, dass das Modell der Creolization/Kreolisierung m. E. nicht auf alle Bereiche des kulturellen Wandels in den römischen Provinzen angewandt werden kann und nicht alle Phänomene des kulturellen Wandels in den Provinzen des Imperium Romanum erklären kann. M. E. ist eine Romanisierung/Romanisation einer gesamten Provinz nur durch die provinzialen Nichteliten genauso undenkbar wie nur durch die provinzialen Eliten. Sicherlich spielten die höheren Gesellschaftsschichten bei der „Übertragung“ römischer Verwaltungsmodelle auf die neuen Provinzen eine große Rolle, so dass eine Romanisierung/Romanisation – dazu gehört auch die Einführung einer Verwaltung nach römischem Vorbild92 – ohne die Eliten nahezu unmöglich gewesen wäre. Für einige Aspekte der Romanisierungs-/RomanisationsProblematik scheint mir der Ansatz des Modells der Creolization/Kreolisierung trotzdem durchaus anwendbar zu sein. Allerdings ist es m. E. auch nicht wahrscheinlich, dass man ein Modell der Romanisierung/Romanisation entwickeln kann, welches ausnahmslos alle Phänomene

89

Zu den municipia und deren Verwaltungsstruktur s. Galsterer (2000). 90 Aounallah (2001) 174. 196; Lediglich einige civitates in Nordafrika behielten ihre alte Verwaltungsstruktur bei: Die sog. Sufeten blieben die höchsten Verwaltungsbeamten der ehemals punischen Städte, die nun zum Römischen Reich gehörten. Dies stellt m. E. aber keine Kreolisierung dar. Die Einheimischen hielten lediglich an der althergebrachten Verwaltungsform fest, was höchstwahrscheinlich nicht ohne vorherige Genehmigung durch die Römer möglich war. Zu einer „Vermischung“ der Verwaltungsformen kam es nicht. Vgl. hierzu Aounallah (2001) 191-195 mit einer Liste der betreffenden civitates in Nordtunesien. Für eine vollständige Liste solcher civitates in Nordafrika s. Belkahia – Di Vita-Evrard (1995) 257-260; Außerdem gab es wenige municipia, welche weiterhin durch Sufeten verwaltet wurden. Vgl. dazu Aounallah (2001) 173-175. 91 s. dazu den Beitrag des Verfassers zur Centuriation Nordafrikas in diesem Band. 92 Wolff (1989) 2.

84

Webster (2001) 209 (»… ,which contributes to the replacement of Romanization by putting forward a new framework …. This framework is termed Creolization.«). 217 (»… It is time to replace Romanization with a new framework…. This framework is creolization.«). 223 (»… this acculturative model should be discarded in favour of the concept of creolization.«). 85 Webster (2001) 219. 86 Webster (2001) 219. 87 Wolff (1989) 17-19. 88 Wolff (1989) 3 f. 19.

70

Creolization

dieses hoch komplizierten Wandlungsprozesses zu erklären vermag.

kulturellen

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72

The new silver bullets?* Anmerkungen zu Nicola Terrenatos ‚elite negotiation’ von

Thomas Schierl Jahrhundert mit dem Begriff Romanisierung, hauptsächlich bezogen auf die römischen Provinzen, umschrieben werden1, besonders innerhalb der angelsächsischen Theorie-Diskussion eine bedeutende Rolle2. Neben dem Entwerfen von neuen, mehrheitlich nur auf Teilaspekte besser oder schlechter anwendbaren Konzepten, die jedoch zu gerne für die Umschreibung der Gesamtheit der Vorgänge innerhalb dieses komplexen Kulturaustausches herangezogen werden, zweifelt heute niemand mehr daran, dass im Verlauf und im Ergebnis der Romanisierung/Romanisation (engl. selfRomanisation)3 territoriale Unterschiede zu erkennen Abgewendet von einer allgemeinen sind4. Charakterisierung und hin zur Einzelfallbetrachtung kam die Forderung nach kleinräumigen Studien auf.

Zusammenfassung: Nicola Terrenato entwarf auf der Grundlage von flächendeckenden Surveys und den Ergebnissen von kleineren Ausgrabungen in der Umgebung und im Stadtgebiet von Volterra ein Modell für die Vorgänge der Romanisierung im nördlichen Etrurien. In den beiden großräumig untersuchten Gebieten südlich von Volterra und an der nordetrurischen Küste konnte eine mehr oder weniger kontinuierliche Siedlungsentwicklung ohne deutliche Siedlungszunahme oder Ausbau einer „Villenlandschaft“ für die Zeit der Eingliederung Etruriens in den römischen Herrschaftsbereich nachgewiesen werden. Nicola Terrenato sieht darin das Ergebnis von Verhandlungen der lokalen, etruskischen „Elite“ mit den Vertretern Roms und einer sich daraus ergebenden Erhaltung bzw. Konservierung alter etruskischer Abhängigkeitsverhältnisse bis weit in die römische Zeit. Doch erscheint die archäologische Materialbasis für solche weitreichenden Schlussfolgerungen zu beschränkt. In Gebieten mit stärkerem, römischen Einfluss zeigen sich Ähnlichkeiten mit den Vorgängen im nördlichen Etrurien.

Auf der Grundlage von flächendeckenden Surveys und kleineren Ausgrabungen im Cecina-Tal (Toskana, Italien) und in der nordetrurischen Küstenregion5 gelang es

* Nach Alcock (2001) 230. 1 Hier besonders zu nennen: Mommsen (1854) und Haverfield (1912). 2 An dieser Stelle soll weder über die Richtigkeit und die Anwendbarkeit des Begriffes nachgedacht noch für den in der Forschungsgeschichte geläufigen „Spezialbegriff“ ein anderer, vermeintlich zutreffender eingeführt werden. Romanisierung/Romanisation wird vom Autor als allgemeiner Überbegriff für alle Vorgänge einer Auseinandersetzung, eines Ausgleiches und/oder einer Annährung an die Lebensweise und Vorstellungswelt im politischen, verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Gefüge mit dem Vorbild Roms lebender Personengruppen durch Personenkreise mit anderen dominierenden kulturellen Grundlagen verstanden und trotz der andauernden Diskussion um diesen, hier weiterhin verwendet. 3 Zur allgemeinen Begriffscharakterisierung vgl. Spickermann (2003). Siehe auch Noelke (2003). 4 James (2001) 200. Beeinflussend wirkten vor allem die örtlichen Grundlagen bzw. Ausgangssituation, die politische und ökonomische Lage des römischen Staates, die agierenden Einzelglieder – sowohl auf römischer als auch auf der Gegenseite – und das Interesse für eine Annäherung auf beiden Seiten, also letztendlich der entstehende Nutzen. 5 Zwischen 1987 und 2002 durchgeführte Surveys wurden ergänzt durch Ausgrabungen in kleineren

Abstract: Nicola Terrenato developed a model of Romanization in Northern Etruria which is based on a wide-ranging programme of archaeological investigations (excavations and large-scale surveys) concerning Volterrae, its territory on the coastline and in the surroundings of the city. The surveyed areas both on the coastline and in south of Volterrae show more or less continuity in settlement pattern even after the incorporation of Etruria in the Roman Empire. According Nicola Terrenato this development was only possible by the global preserving of old dependences by negotiation of the local élite with Rome as representatives for the whole civitas. But this model based on a small (archaeological) foundation on which it is almost impossible to reconstruct complex ancient society developments. Similarities are visible with other territories with stronger Roman impact and the guiding rôle of the elites are an important point as well in other areas during Romanization. 1. Einleitung Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts spielen die Fragen um die Vorgänge, die bereits seit dem 19.

73

Thomas Schierl

Nicola Terrenato6, ein Modell für die Vorgänge der Romanisierung zwischen den letzten drei Jahrhunderten vor und dem 1. Jh. n. Chr. im Gebiet von Volterra7 zu erarbeiten. Die erzielten Ergebnisse stehen jedoch, da sie über den untersuchten Zeitraum hinweg kaum eine Veränderung im Siedlungsgefüge erkennen lassen, im Kontrast zu den für andere tyrrhenische Regionen – z. B. das südliche Etrurien und nördliche Kampanien – rekonstruierten Entwicklungen, die eine deutliche Siedlungszunahme bzw. einen Ausbau der ländlichen Infrastruktur u. a. mit Villen erkennen lassen8.

Luna und Pisa, größtenteils erst in der augusteischen Zeit vollzog13. 2. Die Siedlungsentwicklung im Gebiet um Volterra – der Befund14 Bereits für die hellenistische Zeit ließ sich in den im Zuge des Cecina Valley Survey-Projektes untersuchten Gebieten (Abb. 1) das Erscheinen von einer hohen Zahl an heute als 100 bis 2000 m² große Fundplätze wahrzunehmende Niederlassungen, die von Nicola Terrenato als kleine Hofkomplexe (farms, piccoli insediamenti) gedeutet wurden, nachweisen15. Größere Fundkonzentrationen waren nur in deutlich geringerer Zahl zu erkennen. Einige von diesen legen mit dem Erscheinen von Mosaiksteinen, dekoriertem Mörtel (Stuck), Marmorfragmenten, architektonischen Terrakotten und dem Nachweis von suspensurae oder Säulenziegeln im Fundspektrum eine spezielle Wohnund Repräsentationsfunktion nahe. Diese Plätze wurden vom Bearbeiter als Villen (villas, ville) und andere, auf denen sich genannte Fundgruppen nicht nachweisen ließen, als Dörfer (villages, villaggi) verstanden. Eine Unterscheidung zwischen beschriebenen Platzgattungen anhand des Fundstoffes fiel nach Angaben des Bearbeiters mehrheitlich sehr deutlich aus16. Eine zu enge Interpretation der Bedeutung der nachgewiesenen Ansiedlungen ist jedoch als Grundlage für weiterführende Überlegungen zu relativieren. Während Dörfer und Hofstellen in unterschiedlicher Dichte an der Küste und im Hinterland nachgewiesen wurden, fanden sich Fundstellen, die als Reste von Villen angesprochen werden können, nur an der Küstenlinie17. Zusammen mit einigen, in schriftlichen Quellen

Das nördliche Etrurien gehörte spätestens seit den Auseinandersetzungen Roms mit den nordetrurischen Städten Arezzo, Cortona und Perugia seit dem Ende des 4. Jhs. v. Chr. zum römischen Interessen- und Einflussbereich9. Daran änderte auch die Beteiligung etruskischer Kontingente an weiteren Kämpfen gegen Rom im folgenden Jahrhundert nichts10. Mit der Gründung römischer Kolonien, besonders Cosa 273 v. Chr. und dem Ausbau der Via Aurelia wurde hauptsächlich das südliche Gebiet Etruriens stärker als vorher auch strukturell in das Römische Reich eingebunden11. Mit dem Sieg über Volsinii und dessen Zerstörung 264 v. Chr. war die Eroberung Etruriens vermutlich weitestgehend abgeschlossen. In der Zukunft verbanden Allianzen die etruskischen Städte mit Rom12. Volterra, seit dem späten 3. Jh. v. Chr. Bundesgenosse Roms, wurde um 90 v. Chr. zum municipium, obgleich sich der Ausbau zu einer römischen Stadt, ähnlich wie in

Hofkomplexen von Podere Cosciano (1999-2001) und San Mario (1993-1996) sowie in Volterra selbst. 6 Nicola Terrenato wurde am 22.10. 1963 in Rom geboren. Er studierte von 1983 bis 1988 an der Universität vom Rom und ab 1990 an der Universität von Pisa, an der er 1994 im Fach Römische Archäologie sein Studium mit einer Promotion zum Thema: Städte und Gebiete in Nordetrurien in römischer Zeit beendete. 1992 besuchte er die Universität von Michigan. Es folgten verschiedene Lehrtätigkeiten an den Universitäten von Rom, Siena und Durham. Seit Januar 1999 ist er als assistant professor am Lehrstuhl für Klassische Archäologie an der Universität von North Carolina tätig. 7 Zum Gebiet von Volterra vgl. Carafa (1993). Die im Zuge des Cecina Valley Survey-Projektes untersuchten Gebiete beinhalten nicht die gesamte Umgebung des ehemaligen Stadtstaates, sondern beschränkten sich auf Areale südlich von Volterra im Cecina-Tal. 8 Vgl. z. B. Potter (1979) 93f.; Arthur (1991a) 35-79; Arthur (1991b) 153-168; Attolini u. a. (1991) 142-152; Rasmussen (1991) 106-114. 9 Cornell (1995) 355-358; Steingräber (1981) 18. 10 Pallotino (1988) 1-116. 11 Harris (1971) 47f.; Munzi (2001) 43. 12 Cornell (1995) 362f. Ähnlich auch Steingräber (1981) 19.

13

Terrenato (2001) 57; Aigner-Foresti (1998b) 21; Pallotino (1988) 212f.; Harris (1971) 264. 14 Als Grundlage für die folgenden Ausführungen dienten: Terrenato (1998a); Terrenato – Saggin (1994); Keay - Terrenato (2001). Vgl. auch Terrenato Ammermann (1996); Terrenato (1998b). 15 Terrenato (1998a) 95. Ausführlicher zur Methode und ihrer Aussagekraft: Terrenato - Ammermann (1996). 16 Ebd. 96 mit Anm. 8 und 11. 17 Natürlich kann nicht von einer vollständigen Erfassung aller Plätze ausgegangen werden, doch wurde, nach den Angaben Terrenatos, viel Wert auf die Charakterisierung der Fundorte gelegt. Von 150 im Hinterland erschlossenen Plätzen konnte nicht einer aufgrund des Nachweises der charakteristischen Fundgattungen als Villa angesprochen werden, und dies obwohl in anderen, auf diese Art und Weise untersuchten Gebieten Italiens gerade solche als Villen charakterisierte Fundkonzentrationen deutlich zu identifizieren bzw. von anderen abzugrenzen waren (Terrenato [1998a] 96). Ähnlich auch Perkins (1999) 20; Arthur (1991a) 19-21. Grundsätzlich: Carandini (1989). Zur Baugeschichte am Beispiel einer Villa vgl. Carandini u. a. (1997).

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Elite negotiation

worden zu sein25, zumal als Bewohner der beschriebenen Villen in einigen Fällen Personen etruskischer Herkunft wahrscheinlich gemacht werden können26. Über die Struktur der als Villen verstandenen Fundplätze ist nur wenig bekannt. In peripherer Lage nachgewiesen, kommt ihnen nach N. Terrenato weniger eine wirtschaftliche als vielmehr eine Bedeutung als Statussymbol zu27. Archäologisch untersuchte Objekte sind rar. Das bisherige Interesse war obendrein vor allem auf den Wohnbereich ausgerichtet, während die für eine Einschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung solcher Villen so aussagekräftigen landwirtschaftlichen Produktionsanlagen (partes rusticae) bisher kaum bekannt sind, obwohl gerade diese auch für eine Beurteilung des Verhältnisses zwischen Villenbesitzern und den Bewohnern der kleineren Hofstellen von großer Bedeutung wären. Eine mit den Villen selbst verbundene, vielleicht auf Sklaven gestützte, landwirtschaftliche Produktion in großem Maßstab ist jedoch wegen der fehlenden einschneidenden Veränderungen im Siedlungsgefüge, die mit ihrem Auftreten in Verbindung gebracht werden könnten, nicht zu vermuten. Dagegen kann eine deutlichere als von N. Terrenato dargestellte Abnahme der bäuerlichen Siedlungen im Umland der Villen in den Jahrhunderten um die Zeitenwende und in der Folgezeit (vgl. Abb. 1 und 2)28, die im wesentlichen zusammenfällt mit dem Anlegen neuer Villen29, als Ausdruck einer gewissen wirtschaftlichen Konkurrenz oder von Umstrukturierungsvorgängen gewertet werden, sofern man dies nicht mit einem allgemeinen Trend in Verbindung bringen will, der jedoch im Landesinneren keine Bestätigung erfahren würde. Eine Abnahme der Zahl von Siedlungsplätzen ist auch in anderen Regionen des nördlichen Etrurien30, nach einem starken Anstieg31, der seinen Höhepunkt im südlichen Etrurien in der augusteischen Zeit32 und gelegentlich auch früher33 erreichte, sowie im Zusammenhang mit

überlieferten Plätzen lassen sich Villen damit in der römischen Zeit nur in den peripheren Gebieten (in deutlicher Entfernung von Volterra)18, entlang der NordSüd-Kommunikationsachse, der im 3. Jh. v. Chr. angelegten Via Aurelia19, entlang der Küste und im Tal des Flusses Elsa, also in verkehrsgünstigerer Lage20, nachweisen21. Im starken Kontrast zu anderen Gebieten Italiens (z. B. Südetrurien), wo sich eine Siedlungszunahme im wesentlichen mit der römischen Eroberung zeitlich zusammenfällt und daher mit dieser verbunden wird22, änderte sich das erschlossene Siedlungsbild im nördlichen Etrurien insgesamt nicht wesentlich in der Zeit der späten Republik und der frühen Kaiserzeit sowie kaum bis in die spätantike Zeit. Das Einsetzen der Villen23 in der Küstenregion hatte nach N. Terrenato keinen oder kaum einen direkten Einfluss auf die vorhandenen bäuerlichen Strukturen, auf die Hofstellen und Dörfer, die häufig ein höheres Alter besaßen als die Villen24. Damit scheint die durch die Errichtung von Villen zum Ausdruck kommende Entwicklung nicht extern induziert, also nicht durch die Ansiedlung von ortsfremden Personengruppen verursacht

18

Terrenato (1998a) 100 Abb. 3. Dieses gestückelte Bild spiegelt sicher nur einen geringen Ausschnitt der ehemaligen Realität wider. 19 Vor allem die durch die neu angelegten Straßen verkehrsgünstige Situation ist als Standortfaktor nicht zu unterschätzen (Potter [1987] 121). Die Verkehrsachsen beachten die neu entstandenen, römischen Siedlungen, orientierten sich jedoch nicht an den älteren, etruskischen Niederlassungen (Harris [1971] 161f.). – Die Anlage der weiter landeinwärts verlaufenden Via Cassia erfolge später, in der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. (Potter [1979] 94). 20 Wasserläufe als Transportwege waren sicher von nicht geringer Bedeutung (dazu Patterson [1987] 140f.). 21 Attolini u. a. (1991) 151. 22 Arthur (1991a) 79 Abb. 19; Potter (1979) bes. Abb. 35. Es ist möglich, dass erst ab diesem Zeitpunkt ländliche Siedlungen und Populationen aufgrund des charakteristischen Fundmaterials sichtbar werden oder eine zeitliche Einordnung zweifelsfreier erfolgen kann (so auch Terrenato [2001] 2). 23 Zur Siedlungsentwicklung im Bereich des untersuchten Küstenstreifens vgl. bes. Terrenato – Saggin (1994). Das Erscheinen von Villen und ein Ausbau der ländlichen Infrastruktur sind nicht unmittelbar an die Romanisierung gebunden. Vielmehr werden damit wirtschaftliche und strukturelle Änderungen, im Sinne einer Umorganisation eines Wirtschafts- und Lebensraumes, sichtbar, die zwar im Zuge der Romanisierung, aber auch zu einem anderen Zeitpunkt auftreten können (Ähnlich auch Terrenato [2001b] 63). 24 Eine Koexistenz von Villen und einfachen Hofstellen ist ebenfalls für das Gebiet um Cosa für die ersten drei Jahrhunderte v. Chr. belegt (Perkins [1999] 37-39).

25

Zur Ansiedlung von Veteranen scheint es nie gekommen zu sein (Chellini [1995] 380). 26 Terrenato (1998a) 101f. Etrusker als Besitzer von Villen können auch für andere Gebiete wahrscheinlich gemacht werden (Attolini u. a. [1991] 151; Torelli [1969] 288f.). 27 Terrenato (2001b) 62. 28 Vgl. dazu ausführlicher Terrenato – Saggin (1994) 467469 Abb. 2 bis 4. 29 Der deutliche Einschnitt ist um die Zeitenwende zu spüren, als eine Zahl neuer Villen im Untersuchungsgebiet angelegt wurden (Terrenato [1998a] 96 Anm. 9). 30 Rasmussen (1991) 109f. mit Abb. 3 und 4. 31 Perkins (1999) 30-39 und 57. 32 Potter (1979) 113. 33 Rasmussen (1991) 110.

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Thomas Schierl

Umstrukturierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft auch bereits im 2. Jh. v. Chr. nachzuweisen34. Auch für die kleinen Hofstellen scheint eine größere landwirtschaftliche Potenz, nach den Untersuchungen Terrenatos u. a. in San Mario geurteilt, kaum angenommen werden zu dürfen35, doch verbietet sich eine verallgemeinernde Einschätzung aufgrund der wenigen, im Arbeitsgebiet untersuchten Beispiele solcher einfachen Siedlungsplätze. Solche sind dagegen aus anderen Regionen bekannt36. Eine wirtschaftliche Bedeutung der Villen im Küstengebiet kann damit nicht ausgeschlossen werden37. Klärung könnten hier neuere Ausgrabungen bringen.

und östlich von Volterra nachgewiesenen, als Dörfer oder Hofstellen interpretierten Fundkonzentrationen streuen dagegen entlang der Flüsse bzw. bleiben weitestgehend auf die Bereiche unter 1000 m ü. n. N. beschränkt und sind damit den natürlichen Gegebenheiten der Landschaft angepasst41. Kleinräumige Ansiedlungen bzw. kleinere Hofstellen bildeten von der etruskischen bis hinein in die römische Zeit den höchsten Anteil ländlicher Siedlungsformen42. Einen Eindruck von der möglichen Struktur einer solchen kleinen, von N. Terrenato als farm bzw. insediamentio bezeichneten Ansiedlung kann das im Zuge des Surveyprojektes archäologisch untersuchte Gehöft San Mario vermitteln43. Die kleine, ehemals möglicherweise aus zwei Räumen mit Flur und einem Hof mit einer Zisterne bestehende Struktur, die Fundmaterial erbrachte, das nach den Angaben des Bearbeiters für eine mehr als 700jährige Nutzung vom späten 4. Jh. v. Chr. bis zum 5. Jh. n. Chr. spricht44, war, nach den Vermutungen Terrenatos, aus mit Lehm verstrichenem Trockensteinmauerwerk errichtet45. Der Hof bestand aus festgestampfter Erde. Neben dem vollständigen Fehlen von Mörtel konnten genauso wenig Wandputz oder opus signinum sowie Ziegel nachgewiesen werden, während Dachziegeln Verwendung fanden, ein Umstand, der bei

Die im Inland nachgewiesenen Entwicklungen verliefen vermutlich konträr. Das Vorhandensein von Hofstellen und Dörfern sowie das scheinbare Fehlen von Villen im Hinterland, spricht dort ebenfalls gegen eine intensive, Ein auf Sklaven gestützte Bewirtschaftung38. möglicherweise von Volterra kontrolliertes Kerngebiet scheint frei zu sein von den im Küstenstreifen belegten Villen, während dort das “traditionelle“ Siedlungssystem, gestützt auf kleine Hofstellen und Dörfer, bis in die Zeit nach der Romanisierung des Stadtstaates mit einer im Gegensatz zum Küstengebiet leicht steigenden Zahl an Hofkomplexen nachgewiesen werden kann39. Das Fehlen von ländlichen Siedlungen im näheren Umland von Volterra könnte für eine Landnutzung sprechen, die unmittelbar von Bewohnern der Stadt organisiert und ausgeübt wurde40. Die weiter südlich des Flusses Cecina

etruskischer aber auch römischer Orte ist gelegentlich zu beobachten (Attolini u. a. [1991] 143f.). 41 Die hauptsächlich auf die Herstellung landwirtschaftlicher Erzeugnisse ausgerichteten Ansiedlungen finden sich bis in die Spätantike hinein mehrheitlich in den fruchtbaren Flusstälern bzw. auf Flächen unter 1000 m ü. n. N. und etwas häufiger noch über 500 m ü. n. N. (Coccia - Mattingly [1992]115). Erst im Mittelalter werden auch die höheren Lagen in nennenswerter Weise aufgesiedelt bzw. begangen (z. B. Coccia - Mattingly [1992] bes. 125 und Coccia Mattingly [1995]; Small [1991]; Artur [1991] 108 Abb. 22 mit Katalog 109-124). Gelegentlich können sich in allgemein höheren Siedlungslagen die Verhältnisse nach oben verschieben. 42 Potter (1979)133; Potter (1987) 115. 43 Terrenato (1998a) 102–104 mit Abb. 5 und Anm. 30. 44 Terrenato (1998a) 102f. Einfache ländliche Ansiedlungen können, je nach historischen Gegebenheiten, eine lange Kontinuität aufweisen (z. B. Barker [1995] 236). Jedoch ist bei einer über 700 Jahre andauernden Siedlungstätigkeit von einer Mehrphasigkeit (auch des Baues) auszugehen. Umbauten mit Änderungen in der Struktur sind zu vermuten, im vorgelegten Befundplan jedoch nicht zu erkennen, was sich wohl aus der fragmentarischen Überlieferung erklärt. 45 Luftgetrocknete oder schlecht gebrannte Ziegeln werden als Baumaterial bei einfachen römerzeitlichen Wohnbauten auf der Grundlage von schriftlichen Überlieferungen vermutet und hinterlassen, errichtet auf Trockensteinmauern als Fundament, ebenfalls keine Spuren.

34

Attolini u. a. (1991) 145. Ausführlicher unten. Vgl. dazu Terrenato (1998a) 102– 104 mit Anm. 30. Zur Struktur früher etruskischer Hofstellen vgl. z. B. Perkins - Attolini (1992) bes. Zusammenstellung 114 Abb. 21; Barker (1988). Allgemein vgl.: Donati (2001). 36 Beispielsweise Ward-Perkins (1986) 109-118. 37 Von einer landwirtschaftlichen Produktion kann möglicherweise auch auf der Grundlage von Vergleichen mit anderen Regionen sowohl im Bezug auf die Villen als auch auf die kleineren Ansiedlungen ausgegangen werden (vgl. Barker [1995] 200). 38 Mit dem Fehlen der Villen als zentralen Ausgangspunkt einer solchen ländlichen Organisationsform scheint eine entsprechende Bewirtschaftungsweise ausgeschlossen (Terrenato [1998a] 101). Vgl. im Gegensatz dazu Arthur (1991) 100. Grundsätzlich: Carandini (1988). 39 Von einem Fortbestehen etruskischer Besitzverhältnisse bis in die römische Zeit kann selbst bei römischen Umstrukturierungsmaßnahmen mindestens gelegentlich und möglicherweise besonders, gebunden an ertragreichere Böden, ausgegangen werden (Attolini u. a. [1991] 144). 40 So auch Ward-Perkins (1986) 267; Potter (1987) 120. Das Fehlen von Farmen in der Umgebung größerer 35

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Baubefunden aus der Zeit nach dem 3. Jh. n. Chr. üblich ist. Die Einfachheit der Ausführung der Bauten46 steht damit dem zahlreichen Erscheinen von – nach Angaben des Ausgräbers – qualitätvollen Kleinfunden (Feinkeramik, eine etruskische Bronze, eine Gemme, viele Münzen, eine bronzene Figur eines Gottes) gegenüber47. Von einem Gebäudeteil, der mit der landwirtschaftlichen Produktion in Verbindung zu bringen ist, scheint kaum etwas erhalten, wie dies in ähnlicher Weise auch für das gesamte Gebäude zutrifft, so dass auf diesen Befund aufbauende Schlussfolgerungen sehr fraglich bleiben müssen. Die auf der Grundlage der Bestimmung der archäozoologischen Reste rekonstruierte Lebensweise, bei der nicht unwesentlich auch auf wildlebende Tierarten zurückgegriffen wurde, steht dem Konzept einer intensiven Landwirtschaft entgegen und nutzt dagegen natürliche Ressourcen einer mäßig besiedelten Landschaft (vgl. dazu die Abb. 1 und 2)48. Im Rückblick auf die geschilderten Verhältnisse in der Küstenregion stellte sich damit die Frage nach der Lebensgrundlage der im Gebiet von Volterra lebenden Menschen. Möglicherweise spielten hier neben der Landwirtschaft auch noch andere Erwerbszweige eine Rolle. Geomagnetische Untersuchungen zeigten nach N. Terrenato auch auf anderen Fundplätzen vergleichbare Strukturen, ohne dass genauere Aussagen zu ihrer Wirtschaftsweise oder den sich dahinter verbergenden sozialen Strukturen möglich wären49.

Ländereien verwaltende Personen in den nachgewiesenen „Dörfern“, die im Auftrag der in Volterra ansässigen Landeigentümer handeln, erweitert werden und das Bild verändern52. Weitreichende gesellschaftliche Aussagen sind jedoch auf der Grundlage von archäologischen Befunden und Funden kaum zu erwarten. Hier können nur schriftliche Überlieferungen behilflich sein. Gesellschaftliche Umstrukturierungen, wie Besitzerwechsel von Gehöften, sind archäologisch gar nicht zu erfassen, jedoch in Rechnung zu stellen. Eine mehr oder weniger autarke Lebensweise der Hof- und vielleicht auch der Dorfbewohner scheint allein ausgehend vom archäologischen Befund möglich, jedoch finden dort Abhängigkeitsverhältnisse bekanntlich kaum einen Niederschlag. Wie schwierig eine Gesamtinterpretation des durch die Surveys gewonnenen Bildes im nördlichen Etrurien ist, zeigen die auch in den südlichen Gebieten Etruriens festzustellende, ungleichmäßige Verteilung von Villen und kleineren bäuerlichen Ansiedlungen. Dort finden sich einzelne Bereiche, die mal durch Villen und mal durch bäuerliche Ansiedlungen dominiert werden oder wo beide ehemals nebeneinander existierend nachzuweisen sind und die mehr oder weniger „fließend“ ineinander übergehen53. So ist auch mit strukturellen Unterschieden zwischen Kleinräumen zu rechnen. Kommunikationspunkte und –wege sowie Orte von zentralerer oder wirtschaftlicher Bedeutung bilden den Bezugspunkt54. Fernere Regionen wurden als weniger attraktiv betrachtet und daher auch häufig erst später kultiviert55. Ähnlich sind die Verhältnisse wohl auch im Gebiet zwischen der nordetruskischen Küste und Volterra einzuschätzen. Leider blieb jedoch der für eine diesbezügliche Einschätzung wichtige und zwischen beiden Gebieten vermittelnde Bereich im nördlichen Etrurien von den Untersuchungen weitestgehend ausgeschlossen. Das erschlossene und infolge historischer

In dem beschriebenen Befund sieht Nicola Terrenato den Beleg für einen allgemein geringen Romanisierungsgrad der ländlichen Bevölkerung50. Das lange Beharren auf Althergebrachtem (beim Gehöft San Mario möglicherweise im Bezug auf die Bauweise) im Vergleich zu den städtischen Zentren, wo die etruskische Elite die Führungsschicht bildet, ist dagegen in ländlichen Regionen häufiger zu beobachten und sicher auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und sozialen Lage deren Bewohner zu sehen51. Terrenatos Vorstellung von autark wirtschaftenden Bauern könnte auch durch weitere Elemente wie z. B. die

52

Dabei ausgehend von der einfachen und unkritischen Übertragung der vermuteten Siedlungsstruktur auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Vgl. die Überlegungen von Massa-Pairault (2000) bes. 264f. In ähnlichen Zusammenhang auch Barker (1995) 234. 53 Beispielsweise Potter (1979) Abb. 35. Nur eine geringe Zahl bzw. ein Fehlen von Villen konnte für einen wahrscheinlich ebenfalls noch nach der Gründung von Nachbarkolonien mit eingeschränkter Autonomie versehenem Gebiet in der Umgebung von Vulci nachgewiesen werden (Munzi [2001] 43), wo beschriebene Dörfer und Hofstellen bis in das 2. Jh. v. Chr. überwiegen und sich die Villen um die Kolonien oder an der Küste konzentrierten (Perkins [1999] 37-39; Attolini u. a. [1991] bes. 147 Abb. 4; Coccia – Mattingly [1992] 270 Abb. 20; Barker [1995] 228). 54 Barker (1995) 201 mit 228 Abb. 86; Perkins (1999) 5961. 55 Potter (1979) 133; Potter (1987) 116.

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Ähnliche Bauttypen sind auch aus anderen Region noch nach der römischen Eroberung bekannt (z. B. WardPerkins [1986] 109-118 mit Abb. 12). 47 Terrenato (1998a) 104. 48 Das Bild relativiert sich weiter, da man nicht von der Gleichzeitigkeit aller nachgewiesen Gehöfte und Siedlungen ausgehen kann. Dagegen ist die Möglichkeit des Übersehens geringerer Reste von Gebäuden in Erwägung zu ziehen. 49 Terrenato (1998a) 104. 50 Ebd. 105. 51 So auch Aigner-Foresti (1998b) 25. Im Beharren auf Althergebrachtem findet die scheinbar geringe Größe des Baues, verglichen mit den angeblich „qualitätvollen Kleinfunden“, keine Erklärung.

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privaten Sphäre64, ein im Zuge der Romanisierung häufig anzutreffendes Phänomen65. Ihre Bedeutung für die Romanisierung der unteren Schichten der Gesellschaft scheint dagegen in Anbetracht eines zunehmend stärker romanisierten Wirtschafts- und Kulturraumes beschränkt 66 . Bei den Eliten und in den städtischen Zentren ist die Romanisierung im archaeological record deutlicher fassbar, da sie dort auf der Grundlage vorhandener finanzieller Mittel und einem gesteigerten Interesse sich als gleichberechtigte Partner in einem neuen kulturellen Gefüge darstellen, das ihrem eigenen nicht fremd war und zu dessen Ausprägung Etrurien einen starken Beitrag leisten konnte, einen deutlicheren Ausdruck fand67. Das Handeln der „Nicht-Eliten“ dagegen dürfte im Wesentlichen von anderen, vorzugsweise wirtschaftlichen bzw. pragmatischeren Gesichtspunkten bestimmt gewesen sein. Übernahme von neuen kulturellen Elementen und Veränderungen in der Mentalität bleiben bei dieser Bevölkerungsgruppe unsichtbar, das heißt, es wird in den meisten Fällen durch die allgemeine Veränderung des Wirtschafts- und Kulturraumes überdeckt und ist archäologisch kaum nachzuweisen. Für die etruskische Elite war es nicht notwendig, die eigene Identität vollständig aufzugeben, vielmehr gewann man eine (übergeordnete) dazu68. Die Möglichkeit zum Aufstieg in der römischen Verwaltung wurde dann auch schnell wahrgenommen69. So scheint das gute Verhältnis,

Vorgänge entstandene Bild ist stark von u. a. strukturellen und wirtschaftlichen Umständen der Einzelregionen, die zu einer unterschiedlichen Ausprägung einer Siedlungslandschaft führten, und nicht allein von politischen Handlungen abhängig56. In Volterra ist die Romanisierung dagegen ab der augusteischen Zeit im öffentlichen und privaten Bereich zu spüren57, obgleich etruskische Kulturelemente bis in die frühe Kaiserzeit besonders auf dem kulturellen Sektor bzw. im privaten Bereich erhalten blieben (z. B. etruskische Bestattungsrituale, zweisprachige Grabinschriften)58. Die sowohl in der Stadt als auch im Territorium im Zusammenhang mit den Villen nachgewiesenen romanisierte Elite59 sollte nach den Überlegungen von N. Terrenato eine entscheidende Rolle als Vermittler der Romanisierung im Gebiet um Volterra zugekommen sein60. In ihrer Bedeutung als Träger sozialer Verantwortung mit hoher Stellung in der Gemeinschaft61 und als Erhalter und Förderer etruskischer Kultur konnte nur ihnen die Rolle des Ansprechpartners bei Verhandlungen mit Rom und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Sprecher für die gesamte civitas zukommen62. Gleichsam waren sie auch die Nutznießer einer Annäherung an Rom. N. Terrenato fasst zusammen: “They were key `interface´ figures in the negotiation between their city-state and Rome and their ambivalent character is clearly shown by their behaviour.“63. Die etruskische Elite adaptierte auf der einen Seite römische Lebenskultur und bewahrte auf der anderen Seite etruskische Elemente, besonders in der

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Ein Rückgriff oder Wiederaufleben von älteren kulturellen Elementen findet sich zu römischer Zeit auch im griechischen Süden Italiens (Lomas [1995]). 65 Terrenato (1998b) 23. 66 Ab dem 2. Jh. v. Chr. und besonders im 1. Jh. v. Chr. fanden römische Münzen ihren Umlauf in den nordetruskischen Städten (Crawford [1985] 46-51 und 69-74; allgemein auch Backendorf [1998]; Vicari [1999]). Zur etruskischen Münzprägung vgl. allgemein Catalli (1990) und Catalli (1995). Zur Verbreitung von Keramik vgl. Cambi (1985); Gianfrotta (1985). Beispielsweise finden Amphoren eine flächige Verbreitung weitgehend unabhängig von der Intensität der Urbanisation (vgl. Attolini u. a. [1991] 148–150 Abb. 5–7). Zum Erscheinen von lateinischen Grabinschriften vgl. Anm. 58. Die aus dem 2. Jh. v. Chr. stammende Statue des Arringatore aus einem Fundort bei Perugia trägt eine etruskische Inschrift, zeigt jedoch durch die in Toga und Tunika bzw. mit Sandalen dargestellte Person sowie durch ihre die naturgetreue Darstellung römischen Einfluss (vgl. Etrusker und Europa [1992] 155 Nr. 240). Ähnliches ist auch bei den Sarkophagdeckeln zu beobachten. 67 Vgl. Dobesch (1998) bes. 146f. 68 Etrusker erscheinen noch gelegentlich in späteren Zusammenhängen bis in das 6. Jh. n. Chr. (Amm. 23, 5, 8 spricht von etruskischen Haruspices; Zos. 5, 41; Prok. Goth. 8, 21, 10). Eine Kontinuität von etruskischen Familien bis in das Mittelalter wird ebenfalls vermutet. 69 Weber (1998).

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Beispielsweise Barker (1995) 196-200; Potter (1987) 116; Patterson (1987). 57 Terrenato (2001b) bes. 57; Terrenato (1998a) 105; Chellini (1997); Maggiani (1996) 131f. 58 Allgmein: Benelli (2001) bes. 10f. und 14; HadasLebes (1998); Kaimio (1975) 215f. sowie Nielson (1975) 387-389. Vgl. auch Mansuelli (1991). 59 Im Folgenden in Anlehnung an N. Terrenato weiterhin als abstrakter Begriff verwendet, sollte diese nicht als einheitlicher Block sondern vielmehr als heterogene „Spitze“ der etruskischen Gesellschaft, also als eine Gruppe von Verantwortungsträgern unterschiedlicher Bedeutung und Interessen verstanden werden. 60 Gerade die etruskische Oberschicht könnte die Möglichkeit eines sozialen Aufstieges in ihrer Heimatstadt oder in Rom selbst gelockt und eine Annäherung als viel versprechend gesehen haben (Aigner-Foresti [1998b] 23). 61 Vgl. allgemein Massa-Pairault (2000) 255-271 (hier weiterführende Literatur). Die Religion diente ebenso der etruskischen Oberschicht zur Legitimierung (AignerForesti [1998b] 17). 62 Terrenato (1998a) 106–109; Terrenato (2001b) 61. 63 Terrenato (1998a) 108f.

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welches die nordetrurische Caecina-Familie70 zu Cicero unterhielt, dessen Klient sie auch war, Cicero bewogen zu haben, für sie in Notzeiten das Wort zu ergreifen71. Auffällig ist dagegen die Zurückhaltung der etruskischen Elite in der Nennung von römischen Titeln und senatorischen Rängen in den Grabinschriften, wo solche später auftauchen als z. B. im südlichen Etrurien72. Während des Bürgerkrieges verhielten sie sich weitestgehend neutral. Den Höhepunkt der Zusammenarbeit bildet die erste Hälfte des 1. Jhs. n. Chr., in der die Stadt den Titel Colonia (Iulia?) Augusta bekam und die Caecinae mehrmals (gelegentlich auch noch später) das Amt des Consuls übernahmen73. Obwohl die Familie wahrscheinlich ein Haus am nördlichen Abhang des Palatin in Rom besaß, bliebt die Bindung an die etruskische Heimat, verdeutlicht durch die Stiftung des neuen Theaters in Volterra, weiterhin erhalten74. Noch bis ins 5. Jh. n. Chr. besaß die Familie Ländereien in ihrer Heimat. Kann ein relativ klares Bild von der Bedeutung der Spitze der etruskischen Gesellschaft gezeichnet werden75, so bleibt das Verhältnis zu den unteren Schichten der Bevölkerung verschwommen. Permanente und enge Beziehungen, die auf mögliche Eigentumsverhältnisse der von ihnen bewirtschafteten Ländereien und/oder auf ein religiös oder traditionell motiviertes Verständnis von Abhängigkeit und gegenseitiger Verpflichtung zurückzuführen sind76, die nach Ansicht N. Terrenatos in der Prophezeiung der Nymphe Vegiosa zum Ausdruck kommen könnten, bleiben jedoch nur anzunehmen. Landorganisation, gestützt auf tief verwurzelte Vorstellungen, wäre ein Stabilitätsfaktor besonders auch in den ländlichen Regionen. Nach N. Terrenato konnte nur die globale Erhaltung des Systems auch die dominante Position der Aristokratie sichern, und dafür scheint seines Erachtens die relativ kontinuierliche Entwicklung zumindest der Dörfer und Hofstellen des Hinterlandes zu sprechen. Doch lässt sich das Fortbestehen älterer Siedlungsstrukturen, also eine gewisse Immunität gegen Änderungen im Zuge der Romanisierung, ebenfalls in anderen küstenfernen

Regionen beobachten77. Auch im Umland von Saturnia blieben trotz deutlicher Siedlungszunahme und Zenturiation im frühen 2. Jh. v. Chr. alte etruskische Besitzverhältnisse bestehen78. Der Aufbau einer neuen Infrastruktur ist somit nicht zwangsweise mit einer Zerstörung der älteren verbunden79 und orientiert sich eher an ökonomischen und politischen Bedürfnissen. Das möglicherweise auch von römischer Seite bewusste Zurückgreifen auf bzw. das Erhalten von alten Strukturen sorgte zumindest während der Eingliederung in das römische Herrschaftsgebiet für eine gewisse Stabilität80, und die zum Teil damit verbundene Autonomie scheint gelegentlich in ländlichen Gegenden dazu geführt zu haben, dass die Grundlagen der etruskischen sozialen Ordnung bis in die spätantike Zeit übliche Norm blieb81. Ob nun die lokale Elite – als eine Gruppe handelnder Einzelpersonen unterschiedlicher Bedeutung und sicher auch mit unterschiedlichen Zielen zu verstehen – als mögliche Nutznießer einer stagnierenden Entwicklung bzw. einer Erhaltung der bestehenden Verhältnisse auch die ausschlaggebenden Initiatoren einer solchen darstellten, bleibt zumindest fraglich. Wahrscheinlich haben sie jedoch nicht die Romanisierung der unteren Schichten der Bevölkerung aktiv und intentional vorangetrieben. 3. Das elite negotiation-Modell und seine Anwendung Die von N. Terrenato für das nördliche Etrurien rekonstruierten Zusammenhänge sind exemplarisch für die heterogenen Vorgänge („incorporation events“ nach S. James82) in den Jahrhunderten um die Zeitenwende, die unter dem Begriff Romanisierung zusammengefasst werden83. Die Komplexität der von ihm umrissenen Entwicklungen kann nur erahnt werden84 und sollte wenn möglich jeweils einer Einzeleinschätzung der Vorgänge unterzogen werden. Wird das von N. Terrenato entworfene Bild als auf andere Regionen übertragbares Modell (elite negotiation and convergence model) verstanden85, so wäre kritisch zu fragen, wo es funktioniert bzw. wo es zu den überlieferten Nachweisen passt, in wie weit es zutrifft und in welchen Bereichen es angewendet werden kann86. Sind die Grenzen des Modells bekannt, so wird es

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Vgl. dazu grundsätzlich: Caecina. In: RE III, 1 (München 1991) 1236-2143. Vgl. auch Capdeville (1997); Hohti (1975). 71 Cic. Caecin. Vgl. auch Frier (1985); Terrenato (1998a) 108f. 72 Terrenato (1998a) 106. 73 Ebd. 108. 74 Ein starkes etruskisches Identitätsbewusstsein findet sich ebenfalls bei anderen Angehörigen der etruskischen Elite (z. B. Maecenas) (vgl. dazu Aigner-Foresti (1996)). 75 Vgl. auch Terrenato (2001) 3f. 76 Eine enge Bindung zwischen dem etruskischen Land und dessen Bewohnern scheint ein fester Bestandteil etruskischen Weltverständnisses gewesen zu sein (Aigner-Foresti [1998b] 15f.).

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Attolini u. a. (1991) 151; Coccia – Mattingly (1992)115-117; Terrenato (2001b) 62. Vgl. Auch Potter (1979) 96. 78 Attolini u. a. (1991) 151. 79 Guidobaldi (2001) 88f.; Coccia – Mattingly (1992)115. 80 So auch Potter 1979) 95. 81 Terrenato (1998a) 112. 82 James (2001) 187. 83 Rezensionen zu Keay – Terrenato (2001): Bryn Mawr Classical Review (2002) 7.23 von K. Lomas. 84 James (2001) 197. 85 So verstanden z. B. von James (2001) 187. 86 Ebd. 197.

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möglich sein, es zu modifizieren oder auszubauen87. Eine hohe, wenn nicht sogar entscheidende Bedeutung für die Interaktion mit Rom kann der Spitze der Bevölkerung als Vermittler, von Region zu Region in unterschiedlich starkem Maße und unterschiedlicher Art, abhängig von den jeweiligen Grundvoraussetzungen in verschiedenen Gebieten des Römischen Reiches, mit Sicherheit zugestanden werden88. Die Art des Agierens der einheimischen Eliten mit Rom hing sicher nicht unwesentlich von der persönlichen Stellung und den persönlichen Zielen des Einzelnen ab und bewegte sich mehrheitlich zwischen Verhandlung und Widerstand. Für die Wirkungsweise und den Erfolg eines interelitären Austausches waren strukturelle Grundvoraussetzungen nicht unwichtig. So blieb dieser nicht immer friedlich und führte nicht in jedem Fall zu einer Eingliederung in das Römische Reich89. Auch der Versuch einer Kontaktaufnahme, verbunden mit dem Austausch von Geschenken zwischen den Römern und den Oberhäuptern germanischer Stämme führte kaum zu einer längerfristigen Stabilisierung der politischen Gesamtlage90. Nicola Terrenato setzt sich nicht mit Fragen zur Gewalt und zum Widerstand auseinander91. Verhandlungen sollten auch nach der Meinung von Simon James nicht als alleiniger Ersatz die Rolle einnehmen, die bisher den kriegerischen Auseinandersetzungen zugebilligt wurde. Austausch und Gewalt/Widerstand sind die zwei wichtigsten Faktoren jeglicher Entwicklungsvorgänge, sie wirken simultan und können unmittelbar nebeneinander auftreten. Besonders im Hinblick auf einen so komplexen Prozess wie die Romanisierung/Romanisation sollte über Rolle und Bedeutung im Einzelfall nachgedacht werden. Auch scheint das Bild von als passives Element ausgeschlossen Non-Eliten übertrieben92. Sie hatten in unterschiedlichem

Maße ebenfalls Möglichkeiten zur Durchsetzung eigener Interessen, jedoch innerhalb eines bestimmten Beziehungsgeflechtes, deren erste übergeordnete Einheit, bei einer Erhaltung der Bedeutungsverhältnisse während der Eingliederung in das Römische Reich, mehrheitlich die einheimischen Würdenträger dargestellt haben dürften. Die geringen materiellen und literarischen Überlieferungen erlauben es kaum, ein Profil dieser Leute zu zeichnen und lassen sie im Verhältnis zu den Eliten neutral erscheinen. So gilt es den Blick zu schärfen für die in der auf uns gekommenen materiellen Kultur kaum zu erfassenden Non-Eliten und gleichsam für die feinen individuellen und territorialen Unterschiede, die nicht mit allgemeinen Die Kategorisierungen zu erfassen sind93. Vielgestaltigkeit der Ausgangspunkte und die unzähligen Einflussfaktoren machen jede Romanisierung zu einem dessen wünschenswert genaues Einzelfall94, Nachzeichnen der archäologische Filter kaum erlaubt. Die im nördlichen Etrurien greifbaren Unterschiede in der Siedlungsentwicklung während der Jahrhunderte um die Zeitenwende im Vergleich zu den südlichen Gebieten Etruriens und Italiens sind möglicherweise nicht so gravierend wie von Nicola Terrenato dargestellt. Die ausschlaggebende und entscheidende Rolle der Eliten, die möglicherweise durch Verhandlungen mit den Vertretern Roms für die Erhaltung alter Abhängigkeitsverhältnisse verantwortlich gewesen sein könnten, bleibt eines von verschiedenen denkbaren Modellen zur Beschreibung der Romanisierung im nördlichen Etrurien. Bibliographie : Aigner-Foresti (1996): L. Aigner-Foresti, L`uomo Mecenate. Rivista storica dell’antichità 26, 1996, 7-26.

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Ebd. 198. Beispielsweise James (2001) 193f.; Millet (1990) 66f.; Henig (1998); Creighton (2000); Creighton (2001); Caes. Gall. 1,31 und 6,12. 89 James beschränkt ein mögliches Funktionieren des Modells im Wesentlichen auf die nachmaligen provinzialen Gebiete, während in den Gebieten außerhalb der Provinzen die nötigen strukturellen Grundlagen fehlen. Interaktion mit den einheimischen Eliten findet auch dort statt und führt, zum Teil begleitet von kriegerischen Auseinandersetzungen, ebenfalls zu einer Romanisierung bzw. Romanisation, hat jedoch nicht die Eingliederung in das Römische Reich zur Konsequenz (z. B. Limesvorland, Barbaricum in der Nähe der Provinzen u. ä.). 90 Als Geschenke sind z. B. die besonders in der augusteischen Zeit in die Gebiete rechts des Limes gelangten Silberbecherpaare zu verstehen (vgl. Peška Tejral [2002] 329-349; Künzl [1997]). 91 Vgl. zusammenfassend Alcock (2001) 228. So auch James (2001) 198. 92 James (2001) 199. 88

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Alcock (2001) 228; James (2001) 204. Terrenato (1998b) 25: „We seem to have to tackle a universe of variability with many dimensions, where the only hope seems to be that of putting our finger on recurring patterns: sets of responses which (even granted some background noise) seem to frequently occur together within the same community.” 94

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Abb. 2a: Terrenato (1998a) Abb. 2

Abb. 1a: Terrenato (1998a) Abb. 1a Abb. 1b:Terrenato (1998a) Abb. 1a

Abb. 2b: Terrenato (1998a) Abb. 3

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Elite negotiation

A

B Abb.1: Verteilung der nachgewiesenen Fundpunkte im Arbeitsgebiet a) Fundpunkte des 3. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. b) Fundpunkte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis 1. Jahrhundert n. Chr.

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Thomas Schierl

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B Abb.2: a) Verteilung der nachgewiesenen Villen in der Umgebung von Volterra b) Befundplan vom Gehöft San Mario

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Gender studies und Romanisierung von

Yvonne Schmuhl

von Frauen im kaiserzeitlichen Kleinasien3, der einen neuen Erklärungsversuch der gehobenen Stellung dieser Frauen bietet.

Zusammenfassung: Zunächst wird in diesem Aufsatz der Forschungsstand zu den Gender studies innerhalb der Forschung zur Romanisierung referiert. Da aber bisher nur wenige gender-differenzierte Arbeiten existieren, werden auch solche mit einbezogen, die sich allgemein Frauen in den Provinzen widmen. Im folgenden werden Frauen, welche sich in den Provinzen aufhalten, aufgelistet und hinsichtlich ihrer Relevanz in der Romanisierungsforschung betrachtet. Eine genderdifferenzierte Analyse war dabei lediglich bei den einheimischen Frauen möglich. Diese haben einen großen Anteil an der Romanisierung der Peregrinen, da sie durch eine eheähnliche Gemeinschaft mit den Soldaten sich selbst romanisieren und romanisierten Nachwuchs erziehen.

Ein weiteres häufig behandeltes Thema sind Frauen gehobener sozialer Stellung, die ihre Männer (Offiziere, Provinzstatthalter etc.) in die Provinzen begleiteten4. Damals wie heute werden Berichte über solche Frauen zum Anlaß genommen, die Rolle der ehrbaren römischen Frau zu definieren. In römischer Zeit kam man 21 bzw. 24 n. Chr. in Urteilen zu dem Schluss, dass Ehefrauen zwar die beste Erholung für die Offiziere darstellen, ihre Anwesenheit im Militärlager also erlaubt ist, die Gatten aber trotzdem für die Ausschweifungen ihrer Damen verantwortlich sind5. Einen wichtigen Aspekt in der Behandlung des Themas ‘Frauen und Romanisierung’ spielt das conubium, da es sowohl das Leben der Soldaten, Veteranen und vor allem der einheimischen Frauen betrifft. Die Literatur hierzu läßt sich in zwei Kategorien aufteilen. Die erste6 behandelt vor allem die rechtlichen Konsequenzen für die Soldaten (Verleihung des Bürgerrechts, das Erbrecht, Verleihung des conubium nur an Prätorianer und Angehörige der Auxiliareinheiten etc.), während die zweite7 gender-orientierte Gruppe sich hauptsächlich den sozialen Aspekten der Ehen zwischen Soldaten/Veteranen und einheimischen Frauen widmet. Um die Rolle der Frau innerhalb der Romanisierung zu bestimmen, sind beide Sichtweisen hilfreich, da man erst durch die Klärung der sich verändernden rechtlichen Grundlagen und der sich daraus ergebenden sozialen Stellung solcher Ehen auf den Prozess der Romanisierung schließen kann. Hilfreich ist der Aufsatz von M. Debrunner Hall: ‘Eine reine Männerwelt? Frauen um das römische Heer’, weil er mehrere Aspekte von Frauen in der römischen Provinz bietet 8. Nach einer kurzen Einleitung, in der sie einen weiten Bogen vom klassischen Griechenland bis in die heutige Schweiz schlägt, beleuchtet die Autorin die zwei

Abstract: Firstly I will refer the state of research on gender studies in romanisation. But because of the scarcity of ‘gendered’ works also such will be included which attend generally to women in the provinces. Secondly different groups of women will be listed and examined with regard to their relevance for the research of romanisation. Generally only the indigeneous women could be investigated in regard of a gender differentiated analysis: Because of their relations to the soldiers of the Roman army they romanized theirselves and their children and had in doing so a great share of the romanisation of the ‘peregrines’. 1. Forschungsgeschichte Da es bisher kaum Literatur gibt, die die Rolle der Frau innerhalb des Romanisierungsprozesses beleuchtet, werden hier Aufsätze besprochen, die sich allgemein dem Thema Frauen in den Provinzen widmen. Frühe Arbeiten zu Frauen in den Provinzen beschäftigten sich zunächst fast ausschließlich mit den kleinasiatischen sich durch Bekleidung hoher Honoratiorenposten auszeichnende Frauen wie Plancia Magna in Perge und Motoxaris in Selge1. Bis heute üben diese Frauen eine Faszination aus, die zu zahlreichen Publikationen über sie führten. Zu den jüngsten Arbeiten gehören R. MacMullen, Women in public in Roman Empire2 und J. Nollé, Frauen wie Omphale? Überlegungen zu ‘politischen’ Ämtern 1 2

3

Nollé (1996). Marshall (1975a); Marshall (1975b); Rapsaet-Charlier (1982). Debrunner Hall (1994) 213-219; Vermeule III (2000). 5 Tac. ann. 3, 33-34. 6 Behrends (1986); Mirkoviü (1986); Campell (1978); Jung (1982). 7 Fantham u. a. (1994a); Roxan (1991); Debrunner Hall (1994) 207-228. 8 Debrunner Hall (1994) 207-228. 4

Paris (1891); Braunstein (1911). MacMullen (1980).

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Yvonne Schmuhl

‘Haupttypen von Frauen um Heere’9 in republikanischer Zeit. Im folgenden Kapitel ‘Frauen im Heerlager- die Frauen von Offizieren und Amtsträgern’ stützt sie sich hauptsächlich auf die Vorarbeiten von A. J. Marshall und bereichert diese zum einen durch die Betrachtung sozialer Strukturen, die sich mit der Anwesenheit von Offiziersgattinnen im Heerlager veränderten und zum anderen durch Einbeziehen neueren Materials. Das dritte Kapitel ‘Frauen um das Heerlager – Berufssoldaten und Frauen’ widmet sie vor allem den Soldatenehen, also dem conubium und den Beweggründen von einheimischen Frauen und auxiliaren und legionären Soldaten, sich trotz eines Verbots in ehelicher Form zu verbinden.

Frauen eine noch größere Andersartigkeit und die barbarische Frau mit entblößter Brust ein Höchstmaß an Andersartigkeit symbolisieren. Rodgers meint, dass die Darstellung einer gefangenen Barbarin neben einem Barbar die visualisierte Andersartigkeit des besiegten Volkes steigert, da beides, Barbarentum und Weiblichkeit, außerhalb der römischen männlichen Bürgersphäre liegt. Vielmehr ist es wohl aber so, dass Frau und Mann gemeinsam auf einem Bildträger das bezwungene Volk in ihrer Gesamtheit darstellen, so wie auch Kriegsschriftsteller wie Caesar die Frauen der eroberten Gebiete als Teil des besiegten Volkes wahrnehmen und ihr Verhalten oft beschreiben14. Folgt man Rodgers weiter, so stellen barbarische Frauen mit entblößter Brust ein Höchstmaß an Andersartigkeit dar. Der Autor widerspricht damit Cohen15, der schreibt, dass die entblößte Brust der Amazonendarstellungen ein Symbol für eine bevorstehende Niederlage ist. Eine der bedeutendsten Eigenschaften der Amazonen war ihre Andréia16, eine eigentlich männliche Eigenschaft, die in der römischen Gesellschaft mit Virtus umschrieben wird und von ebenso zentraler Bedeutung im Wertekanon der Römer wie der Griechen war. Um die Virtus zu verbildlichen, wählten die Römer die Gestalt einer Frau, die auf die Darstellungsweise der Amazonen zurückgehend, eine entblößte Brust zeigt, wie beispielsweise die Virtus auf den Cancelleria-Reliefs17. Roma selbst wird zum Beispiel auf der Basis der Antoninus-Pius-Säule mit einer entblößten Brust gezeigt. Die entblößte Brust symbolisiert also zum einen die sprichwörtliche Virtus der Amazonen oder bei Barbarinnen und auch bei Amazonen eine Niederlage. Deshalb kann man wohl annehmen, dass zum Beispiel das Claudiusrelief aus Aphrodisias18, welches den Kaiser im Kampf mit einer Provinzpersonifikation mit entblößter Brust zeigt, nicht die Andersartigkeit des symbolisierten Volkes, sondern seine Tapferkeit im letztendlich doch gegen die Römer aussichtslosen Kampf abbildet. In Bezug auf die Provinzpersonifikationen konstruiert Rodgers eine ähnliche Art der Steigerung der Andersartigkeit. Zunächst jedoch stellt er fest, dass bewusst Frauen als Personifikationen der Provinzen gewählt wurden, um einen ersten Grad dieser Andersartigkeit zu verbildlichen. Die verschiedenen Darstellungsweisen der Provinzen (gefährlich, empfangend, handreichend) interpretiert er als Gradmesser der Andersartigkeit, wobei der gefährlichen, also noch kämpfenden Provinz (Claudiusrelief aus Aphrodisias), ein Höchstmaß an Andersartigkeit zugrunde liegt. Problematisch ist bei dieser Interpretation,

Vielversprechend, doch letztlich mit nur geringer Bedeutung für die Romanisierung, sind ethnographische Untersuchungen, bei denen zuletzt durch C. Ulf und R. Rollinger auch die Frauen fremder Völker zunehmend in den Blickpunkt geraten sind10. Die geringe Bedeutung resultiert vor allem daraus, dass lediglich römische Autoren über einen Zustand bei fremden Völkern berichten, nicht aber Veränderungen, die nach der Eroberung stattfanden, beschreiben. Erschwerend kommt hinzu, dass solche Darstellungen meist durch Topoi der Barbarenbeschreibung verzerrt sind. Seit einiger Zeit wird auch die Provinzialkunst unter dem Aspekt der Geschlechterrollen untersucht, so beschäftigt sich M. Aldhouse Green11 unter anderem mit den Götterdarstellungen in Britannien und kommt zu dem Schluss, dass männliche (römische) und weibliche (gallische) Götter zum Teil gleichberechtigt in Größe, Haltung und Attributen abgebildet werden, was ihrer Meinung nach auf eine gewisse Art von Widerstand gegen Rom zu deuten ist12. Zu den jüngsten Aufsätzen, die sich dem Thema Frauendarstellungen in den Provinzen annehmen, gehört R. Rodgers, ‘Female Representation in Roman Art: Feminising the Provincial ‘Other’’13. Der Aufsatz soll hier etwas ausführlicher besprochen werden, da er zum einen methodisch fragwürdig ist, zum anderen die Aussagen provinzialer Kunst verfälscht. Nachdem Rodgers einen ausführlichen Überblick zur Forschungsgeschichte der Gender Studies, zur Ideologie und zur Repräsentation von Ideologien gibt, stellt er fest, dass die männliche römische Gesellschaft die Ideologie der ‘Andersartigkeit (otherness) der Frauen’ kennt. Rodgers geht dabei von einer Liste des Pythagoras sowie der Darstellung Kleopatras in der römischen Literatur aus. Danach kommt der Autor zum eigentlichen Anliegen seines Aufsatzes: Rodgers postuliert, dass in der provinziellen Kunst Frauen Andersartigkeit, barbarische

14

Caes. Gall. 1, 29, 1; 1, 51, 3; 2, 13, 3; 2, 16, 5; 2, 28, 1… . 15 Cohen (1997) 74. 16 Diod. 2, 46, 6; vgl. Blok (1995) 128, 157 (Anm.), 185, 282, 286, 429. 17 Cancelleria-Reliefs: Helbig (1963) 8-10. Nr. 12 (Relief A: 10-12; Basis der Antoninus-Pius-Säule: Coarelli (2000) 293 f. mit Abb. 18 Zanker (1997) Abb. 234.

9

Debrunner Hall (1994) 211. Ulf – Rollinger (2002). 11 Green (2003). 12 Green (2003) 114. 13 Rodgers (2003). 10

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Gender Studies

dass das Höchstmaß an Gleichartigkeit Rom, ebenfalls durch eine Frau, nämlich Roma, symbolisiert wird. Die gleichgesetzten, gegensätzlichen Paarungen Andersartigkeit – Gleichartigkeit = Frau – Mann funktionieren also nicht. Auch widerspricht er mit der Annahme, dass die verschiedenen Darstellungsweisen der Provinzen den Grad der Andersartigkeit wiedergeben, Toynbee19, die bereits 1934 schrieb, dass die Darstellungsweisen Romanisierungsstadien bzw. den Grad der Friedenssicherung aufzeigen. Ihrer Interpretation ist der Vorrang zu gewähren, da sie näher an der bildlichen Darstellung liegt. Wenn Claudius auf dem Relief mit einer Provinz kämpft, heißt es, dass Rom in schweren Kämpfen die Provinz besiegen konnte. Es ist deshalb unmöglich, in der von Rodgers vorgestellten Provinzialkunst eine Ideologie der ‘Andersartigkeit der Frau’ zu erkennen.

Lagerkommandanten nur ungern und wenn dann in den Wintermonaten Besuch bei ihren Frauen zu gestatten24. Dass des Kaisers Eingreifen erfolglos war, zeigt eine Liste bei Rapsaet-Charlier25, in der Frauen, die ihre hochrangigen Gatten in die Provinz begleiteten, zusammengestellt wurden. Die Meinungen der Römer zu diesem Thema gehen weit auseinander: Auf der einen Seiten stehen die, die durch die Anwesenheit der Frauen die Disziplin des römischen Heeres gefährdet sahen, hervorgerufen durch Frauen wie Munatia Plancina, die an Übungen und Manövern teilnahm und sich im Übrigen auch in politischen Schmähreden äußerte26. Auf der anderen Seite stehen natürlich die Offiziere selbst, Autoren wie Lucan, der Cornelia, die ihren Gatten Pompeius Magnus nach Ägypten folgt, zu einem Ideal der römischen Ehefrau stilisiert, und schließlich die Rechtsprechung, welche besagt, dass Frauen die schönste Erholung für Krieger seien. Seit 24 n. Chr. hatten aber die Männer dafür zu sorgen, dass ihre Frauen im Lager nicht für Unruhe sorgten27. Da diese Frauen vermutlich aber die meiste Zeit im Heerlager verbrachten, spielten sie wohl in den Romanisierungs- bzw. Romanisationsprozessen der Provinzen kaum eine Rolle. 3. Frauen mit Honoratiorenamt in Kleinasien Frauen in Kleinasien treten erst in einer zweiten Phase der Romanisierung auf (in der hohen und späten Kaiserzeit). Obwohl die Stellung der elitären Frauen in Kleinasien in Bezug auf das Bekleiden von Ämtern und wohltätiger Verteilung eine andere, also gehobenere als im übrigen römischen Reich ist, unterscheidet sich ihre Rolle innerhalb des Romanisierungsprozesses nicht von ihren männlichen Kollegen, die ähnliche Honoratiorenämter übernommen haben. Das heißt, begüterte Frauen Kleinasiens stellen zwar im Gegensatz zum übrigen Reich ein romanisierendes Element dar, eine gender-differenzierte Rollenverteilung ist aber nicht zu erkennen. 4. Einheimische Frauen Es ist nur natürlich, dass sich die oft jahrelang in den Provinzen stationierten Soldaten und die einheimischen Frauen einander annäherten. Zahlreiche antike Zeugnisse berichten von solchen Verbindungen, obwohl es für sie lange Zeit keine rechtliche Grundlage gab: Seit republikanischer Zeit war es aktiven Soldaten verboten zu heiraten28. Eine bereits geschlossene Ehe wurde während der Dienstzeit ausgesetzt und nach Beendigung des militärischen Einsatzes fortgeführt, was in der Republik offensichtlich unproblematisch war, da militärische Aktionen zeitlich begrenzt waren. Unter Augustus, der um die Disziplin der Truppe fürchtete, wurde dieses Gesetz erneuert. Erst unter Septimius Severus wurde es auch einfachen Soldaten gestattet zu

2. Die Bedeutung der Frauen für die Romanisierung Um der Bedeutung der Frau innerhalb der Romanisierung/Romanisation gerecht zu werden, ist es zunächst nötig festzustellen, welche Frauen in den Provinzen überhaupt auftraten: 1. Die „HeerfolgerInnen“ Prostituierte sind in der Nähe des Heeres häufig bezeugt, wobei ihre Erwähnung stets dazu diente, die schlechte Disziplin der Truppe darzustellen20. Es handelt sich wohl meist nicht um Einheimische, so dass sie gewissermaßen in Konkurrenz zu den peregrinen Frauen standen und eine hemmende Wirkung auf den Romanisierungsprozess haben könnten. Da sich aber das Angebot der Prostituierten (schnelle sexuelle Befriedigung) von dem der peregrinen Frauen (Gründung einer Familie) unterscheidet, dürfte den Prostituierten innerhalb des Romanisierungsprozesses kaum eine große Bedeutung zukommen. HändlerInnen spielen in der Romanisierung durch die Verbreitung römischer (Kultur-)Güter natürlich eine herausragende Rolle, eine nach Geschlecht differenzierte Rollenverteilung ist wohl aber auszuschließen. Ähnlich verhält es sich bei Köchen, Bäckern und Schauspielern, welche durch Iustin21 als ‘Heerfolger’ bezeugt sind. Der Sanitätsdienst wurde von Männern, also Soldaten oder mitziehenden Ärzten erledigt22. 2. Die römischen Frauen von Amtsträgern und Offizieren Caecilia Metella war die erste römische Frau, die ihren Gatten Sulla 86 v. Chr. nach Athen begleitete23. Ihrem Beispiel folgten zahlreiche Frauen, so dass Augustus, der die alten Sitten gefährdet sah, sich veranlaßt fühlte, 19

Toynbee (1934) 6. Caes. Gall. 6, 37, 2; Liv. perioch. 57 (Scipio d. J. vertreibt aus dem Militärlager von Numantia 2000 (!) Prostituierte); Val. Max. 2, 7, 1; App. Hisp. 85; Liv. 23, 18, 10-16; Tac.hist. 3, 83 ; Hist. Aug. Spart. 3, 9-10. 21 Iust. 38, 10. 22 Wesch-Klein (1998) 76-84. 23 Plut. Sull. 6, 12; 13, 1; 22, 1. 20

24

Suet. Aug. 24, 1. Rapsaet-Charlier (1982). 26 Tac. ann. 2, 55. 27 Tac. ann. 3, 33f.; Marshall (1975b). 28 Behrends (1987); Debrunner Hall (1994) 219-228; Jung (1982) 302-346. Campell (1978). 25

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Yvonne Schmuhl

heiraten29. Wegen längerer Einsätze und dem deshalb entstandenen Berufsheer waren bereits vor dem Kriegsdienst geschlossene Ehen aufgrund der langen Abwesenheit der Ehemänner zum Scheitern verurteilt. Wurden römische Bürger aus dem Militärdienst entlassen, erhielten sie ausschließlich das Recht eine Bürgerin zu heiraten. Die Soldaten der Auxiliareinheiten und andere Peregrine erhielten mit der Entlassung aus dem Militärdienst das Bürgerrecht sowie das conubium (das Recht, eine peregrine Frau zu ehelichen). Hinter dieser Rechtsregelung verbergen sich offensichtlich zwei Beweggründe: zum einen war es peregrinen Soldaten wahrscheinlich fast unmöglich, in ihrer Heimat eine Frau mit römischem Bürgerrecht zu finden. Zum anderen stellen aber gerade diese Soldaten ein romanisiertes und damit eventuell stimulierendes Element in den Provinzen dar. Die römischen Soldaten hingegen, welche die meiste Zeit in Provinzen stationiert waren, sollten durch eine Legitimation der Ehe mit einer Nichtbürgerin nicht dazu ermutigt werden, sich mit einer solchen zu verbinden und unter Umständen als Mitglied eines peregrinen Familienverbandes zu ‘deromanisieren’30. Aus rechtlicher Sicht hatte das conubium vor allem Auswirkungen auf die Kinder, die einer solchen Ehe entstammen, da diese weiblichen oder männlichen Nachkommen dank ihrer Herkunft das römische Bürgerrecht besaßen, ihre Mutter jedoch nicht. In der Realität sah das Verhältnis zwischen Soldaten und einheimischen Frauen jedoch ganz anders aus und bildet so ein wichtiges Element innerhalb der Romanisierung: Bereits für das Jahr 170 v. Chr. zeigt eine Liviusstelle, in welchen Größenordnungen Verbindungen zwischen römischen Soldaten und peregrinen Frauen eingegangen wurden, ohne dass es für diese Beziehungen rechtliche Grundlagen gab: Und es kam noch eine andere Gesandtschaft aus Spanien von einer neuen Menschenklasse. Sie sagten, sie stammen von römischen Soldaten und spanischen Frauen, zwischen denen es eine gültige Ehe nicht gebe. Es waren über 4000 Mann. Und sie baten, man möge ihnen eine Stadt geben, in der sie wohnen könnten. Der Senat beschloß, sie sollten sich bei L. Canulejus melden, und wenn sie welche freigelassen hätten, auch die. Man wollte sie in Carteja am Ozean ansiedeln. Den Einwohnern von Carteja, die in ihrer Heimat bleiben wollten, gebe man die Möglichkeit, sich zu den Ansiedlern rechnen und sich Land anweisen zu lassen. Es solle eine Latinerkolonie sein und sie solle „Kolonie der Freigelassenen“ heißen.31 Diese Begebenheit zeigt erstens, dass es solche Verbindungen trotz des Verbots in großer Zahl gab, zweitens, dass diese Mischlinge anerkannt wurden und drittens, die Nachkommen hier sogar direkt zu einem Instrument der Romanisierung Spaniens gemacht wurden. Carteja war die erste latinische Kolonie außerhalb Italiens. Es wird aber auch deutlich, dass sich die

Nachkommen selbst als römisch sahen, da sie sonst wohl nicht den Senat um Hilfe angerufen hätten. Anders als in der Kaiserzeit bleiben die Beweggründe, die die einheimischen Frauen veranlassten, eine Verbindung mit einem römischen Soldaten einzugehen, im Dunkeln. Den Frauen dürfte zum einen nicht verborgen geblieben sein, dass die Männer nach ihrem Dienst zurück in ihre Heimat und oft wohl auch zu ihren Ehefrauen kehrten, zum anderen konnten sie aber auch nicht damit rechnen, dass ihren Kindern ein Sonderstatus eingeräumt werden wird. Ein weiterer, ebenso deutlicher Beweis für die Missachtung des Verbots der Soldatenehen stellen Grabsteine dar, auf denen oft der Name der Ehefrau und Kinder eines Auxiliarsoldaten, seltener eines Legionärs, genannt sind. Ebenso zeigen Militärdiplome, dass bereits während der Dienstzeit bestehende, also verbotene eheähnliche Verbindungen nach der Entlassung legitimiert wurden32. Die Nennungen der Ehefrauen von Auxiliarsoldaten werden bis in das 3. Jh. n. Chr. immer zahlreicher33. Ein erstes förderliches Element waren wohl die immer häufiger werdenden dauerhaften Stationierungen in den Provinzen seit Hadrian, was den einheimischen Frauen, die sich mit einem Soldaten verbunden hatten, ein stetes Umziehen von Lager zu Lager ersparte und auch längerfristige Familien- und Güterplanung ermöglichte34. Im Gegensatz zur sicheren Legitimierung der Ehen zwischen peregrinen Frauen und Auxiliarsoldaten nach der Pensionierung war der Rechtsstatus der vor der Verleihung des Bürgerrechts an den Auxiliarveteran geborenen Kinder nicht sicher. Offiziell stand diesen Kindern nicht das römische Bürgerrecht zu, es ist aber überliefert, dass sie ein Erbe antreten konnten35. Unter Septimius Severus wurde das in der Praxis nicht durchsetzbare Soldateneheverbot aufgehoben36, was einen neuerlichen Anstieg der Erwähnungen von Ehefrauen auf den Grabsteinen hervorrief. Für die Frauen schien eine illegitime Ehe mit einem Soldaten derart lukrativ, dass teilweise sogar Mitgift gezahlt wurde, obwohl rechtlich keine Handhabe bestand diese zurückzufordern37. Nicht selten sind Fälle, in denen Auxiliare nach ihrer Pensionierung und der damit verbundenen Verleihung des römischen Bürgerrechts die 32

Als Beispiele: Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatliche Museen, Antikenabteilung 30 498 D; vgl. Römer am Rhein (1967) C 44, datiert 15. 04. 78; Mainz, Mittelrheinisches Landesmuseum 0, 400; Römer am Rhein (1967) C 45, datiert 27. 10. 90. 33 Grabsteine für Legionäre in Carnuntum: Debrunner Hall (1994) 222ff.; Für Auxiliarsoldaten: Roxan (1991) 462-67; Allgemein: Mirkoviü (1987) 168 f.; Für die Zeit des Prinzipats: Saller – Shaw (1984). 34 ebenda. 35 Mirkoviü (1987) 169. 36 Hdn. 3, 8, 5. 37 Mitteis – Wilcken (1912) 2, 2, Nr. 372; Debrunner Hall (1994) 227.

29

Herodian, Kaisergeschichte 3, 8, 5. Behrends (1987) 117-119. 31 Liv. 43, 3, 1ff. Übers. J. Hüllen 1988. 30

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Gender Studies

peregrine Frau, mit der sie zum Teil Kinder zeugten, sitzen ließen, um eine ihrem neuen Status entsprechende römische Bürgerin zu ehelichen38. Ebenso erhielten selbst nach der Pensionierung legitim geheiratete peregrine Frauen, anders als ihre Männer und Kinder, nicht das Bürgerrecht. Die Vorteile, wie zum Beispiel steuerliche Erleichterungen, scheinen die Frauen in die Arme römischer Soldaten getrieben zu haben, womit sie der Romanisierung einen nicht geringen Vorschub leisteten. Da Soldatenehen im 2. Jh. zwar noch nicht legitimiert, doch aber akzeptiert wurden, ließen sich immer mehr Frauen auch auf Grabsteinen abbilden. Dass sie sich häufiger in einheimischen Trachten darstellen ließen, kann zum einen am fehlenden Bürgerrecht, zum anderen aber auch am Mangel an Darstellungen römischer Frauen liegen.

aber auch um die Anerkennung ihrer eigenen Position in Bezug auf ihre römischen Ehemänner bedacht (Darstellung auf Grabsteinen). Sie leisten also auch einer Romanisation Vorschub. Die Rolle der einheimischen männlichen Bevölkerung im Romanisierungsprozess besteht wohl vor allem im Nachahmen und durch die Aneignung kultureller und zivilisatorischer Elemente und ist somit hauptsächlich für die Romanisierung der eigenen Generation verantwortlich. Als Nichtbürger und aus Mangel an geeigneten römischen Frauen war es ihnen gar nicht möglich, durch eine Ehe mit einer römischen Bürgerin eine ähnlich herausragende Bedeutung innerhalb der Romanisierung zu spielen wie peregrine Frauen. Lohnende Untersuchungen zu Frauen und Romanisierung könnten zum Beispiel Arbeiten zu Grabsteinen von Soldaten/Veteranen und ihren Familienangehörigen sein, wie dies Saller und Shaw für die Zeit des Prinzipats bereits getan haben41. Doch sollte den einheimischen weiblichen Elementen (Kleidung, Namen) eine größere Bedeutung zukommen. Ebenso steht bis heute eine Untersuchung zu den auf Militärdiplomen erwähnten uxores und ihrer Herkunft aus42, weshalb zum einen ein wichtiger Anhaltspunkt zur Quantität der Ehen zwischen einheimischen Frauen und römischen/romanisierten Soldaten/Veteranen fehlt, zum anderen das Schicksal der wegen einer Bürgerin sitzengelassener peregrinen Frauen und Kinder nicht beleuchtet werden kann. Die Betrachtung der Stellung der Frau in den Provinzen, zum Beispiel im speziellen Fall der liburnischen Frau, kann einen Hinweis auf den Grad der Romanisierung einer ganzen Region geben, weshalb auch Untersuchungen hierzu lohnend erscheinen. Die einfache peregrine Frau sollte also eine über das bisherige Maß hinaus herausragende Rolle bei der Untersuchung von Romanisierung/ Romanisation und seinen Prozessen spielen.

Ein weiteres Beispiel, das zeigen soll, dass sich die Untersuchung der Frauenrolle als lohnend für die Romanisierung/Romanisation erweisen kann, stammt aus Dalmatien. Bei den Liburnern stellt die matrilokale Großfamilie (nach einer Hochzeit zieht der Ehemann in das Haus der Frau) und die damit verbundene gesteigerte, für die klassische griechisch-römische Welt völlig ungewöhnliche Rolle der Frau eine lokale Tradition dar39. Das zeigt sich vor allem auf von Einheimischen errichteten Grabsteinen, von denen Alföldi im Jahr 1961 70 zählte. Auffällig ist, dass 46 von Frauen und nur 24 von Männern aufgestellt wurden, obwohl von den 150 im übrigen Dalmatien gezählten Grabsteinen nur 35 von Frauen und 115 von Männern errichtet wurden. Da sich die Stellung der liburnischen Frau mit der Eroberung durch die Römer offensichtlich allmählich den griechisch-römischen Traditionen angleicht40, könnte eine Untersuchung der Rolle der Frau einen wichtigen Anhaltspunkt für den Grad der Romanisierung in Liburnien bieten. 3. Zusammenfassung

Bibliographie:

Weder Prostituierte noch die Frauen der Offiziere und höherer Amtsträger spielen im Romanisierungsprozeß eine besondere Rolle. Die Honoratiorenämter bekleidenden Frauen Kleinasiens und Händlerinnen treten zwar als romanisierende Elemente in den Provinzen durch Verbreitung römischer Kultur und Kulturgüter auf, ihre Rolle unterscheidet sich aber nicht von der, die Männer in gleicher Positionen spielen. Eine gender-differenzierte Untersuchung ist hier also nicht möglich. Die einheimischen Frauen, die Verbindungen mit Römern oder romanisierten Peregrinen der Auxiliareinheiten eingehen, spielen jedoch gerade bei der Zeugung und Erziehung römischen/romanisierten Nachwuchses eine herausragende Rolle, sind daneben

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Das Zentrum – Peripherie – Modell in der Romanisierungsforschung von

Günther Schörner

Eine der wichtigsten modernen systematischen Anwendungen des Zentrum-Peripherie-Konzepts - außer der Imperialismustheorie J. Galtungs5 - geht auf den amerikanischen Soziologen Immanuel Wallerstein zurück6, der in seinem Werk ‚The Modern World System’ grundlegende und immer wieder diskutierte Thesen über Entstehung und Funktion von weite geographische Räume umfassende politische oder ökonomische Systeme entwickelt hat7. Das primäre Interesse Wallersteins als eines deutlich marxistisch beeinflussten Soziologen und Wirtschaftshistoriker gilt den ökonomischen Beziehungen verschiedener Regionen auf der Erde als Teile eines großen ‚Weltsystems’. Den Austausch in diesem Weltsystem sieht er nicht als gleich und gerecht, sondern deutlich aufgeteilt zwischen einem core und der periphery, wobei der Kern, d.h. die westlichen Industrienationen, die Peripherie, die Entwicklungsländer als Rohstofflieferanten, ausbeutet. Das historische Anliegen Wallersteins ist insbesondere darin zu sehen, dass er die grundlegende Struktur dieser weltweiten ‚Arbeitsteilung’ bereits auf die Zeit der portugiesischspanischen Kolonisation des 16. Jhs. zurückführt. Den Kern dieses frühneuzeitlichen Weltsystems bilden Portugal, Spanien, Frankreich und England, während die Peripherie das nordöstliche Europa und vor allem die Kolonien in Amerika umfasst. Fundamental ist die räumliche Verteilung unterschiedlicher Produktionsweisen: Während im ‚Kern’ mit Lohnarbeit, arbeitsintensive Veredelungsprodukte hergestellt werden, werden in der Peripherie mittels Zwangs- bzw. Sklavenarbeit die entsprechenden Rohstoffe gewonnen oder Nahrungsmittel produziert. Als Vermittler zwischen dem Kern und der Peripherie wird die Semiperipherie eingeführt, die im 16. Jh. durch das Weiterleben des Feudalsystems, wie z.B. in Deutschland, charakterisiert war. Für eine solche world economy als world system ist entscheidend, dass nicht ein Imperium der fundamentale Faktor (world economy) ist, sondern der gemeinsame wirtschaftliche Markt. Hier liegt der entscheidende

Zusammenfassung: Das Zentrum – Peripherie – Modell ist grundlegend für viele Untersuchungen im Rahmen der Romanisierungsforschung. Vor allem die Welt-SystemTheorie von I. Wallerstein wurde in unterschiedlichen Stufen rezipiert. Bisherige Versuche, sie direkt auf die römische Wirtschaft oder in anderen Bereichen anzuwenden, müssen kritisiert werden, doch bietet das Modell die Möglichkeit, Untersuchungen in unterschiedlichen Gebieten zum Verhältnis von Hauptstadt und Provinzen zu systematisieren. Abstract: This paper deals with the concept of ‘core and periphery’ as a key topic in the discussion of romanization. Above all the world system theory developed by E. Wallerstein was adopted in different forms, but the previous attempts to apply this model in a Roman context without modifications have to be criticized. The concept should be used in a more general way as a means for a systematic analysis of the relations between Rome and the provinces. Die Begriffe ‚Zentrum’ und ‚Peripherie’ spielen seit jeher eine entscheidende Rolle bei der Beschreibung von Interaktionen zwischen den Kulturen des Mittelmeerraumes und ihren Randgebieten. Dies gilt ebenso für die griechisch-hellenistische Welt wie auch für Rom und die von Rom eroberten Gebieten1. Allgemein sollen ‚Zentrum’und ‚Peripherie’ nicht nur geographische Entfernung, sondern auch Dominanz respektive Abhängigkeit in politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht zum Ausdruck bringen2. Bereits die Antike kannte ähnliche Konzepte3, wobei insbesondere griechische Autoren die zentrale Rolle Roms betonten4. In neueren Forschungsansätzen zur Romanisierung ist das Begriffspaar Zentrum und Peripherie ein grundlegendes, immer wiederkehrendes Element zur Beschreibung und Erklärung für Aufbau und Funktionsweise des Imperium Romanum.

5

Galtung (1987) 29-104. Zu Shils s.u. zu Anm. 15. 7 Wallerstein (1974); mittlerweile auf drei Bände angewachsen, meist aber nur Band I zitiert. Zusammenfassungen der Thesen Wallersteins in der archäologischen Literatur vor allem bei Woolf (1990) 4458; Kümmel (2001); vgl. auch Mommsen (1987) 119121. 6

1

Vgl. z. B. die Beiträge in Bilde (1993), vor allem Shipley (1993). 2 So auch Maier (1996) 608. 3 Zusammenfassend Nicolet (1989) 476-480. 4 z.B. Strab. XVII 3, 24; Arist. or. XXVI 61 Keil; Ath. I 20b.

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Günther Schörner

Unterschied zum ebenfalls charakterisierten world empire, das im System von Wallerstein der dominierende Typus des ‚Weltsystems’ bis zur Neuzeit war. Eine direkte Beziehung zwischen world empires and world economies kann insofern bestehen, als häufig aus world economies entsprechende world empires entstehen, wenn die politische Herrschaft auf wirtschaftlich dominierte Gebiete ausgedehnt wird. Obwohl sie für Wallerstein nicht primär im Zentrum seiner Untersuchung standen, sind es in erster Linie die Ausführungen zu den world empires, die für die Anwendung des Zentrum-PeripherieModells vor der Neuzeit und somit auch für das Imperium Romanum zählen. Nach Wallerstein ist jedes world empire durch drei Kennzeichen charakterisiert, deren Gültigkeit natürlich von besonderem Interesse ist: der Gegensatz von Zentrum und Peripherie, die konzentrische Organisation und die zelluläre Struktur, die sich durch die Entstehung aus einer Reihe vorher unabhängiger Mini-Systeme ergibt. In einer aktuellen Arbeit geht nun Chr. Kümmel systematisch den unterschiedlichen Formen nach, in der die Rezeption des Zentrum-Peripherie-Modells in der Kümmel archäologischen Forschung erfolgte8. unterscheidet grundsätzlich vier Stufen: 1.) Direkter Bezug zum Weltsystem-Modell: Er besteht dann, wenn direkt auf die Konzepte Wallersteins oder seiner unmittelbaren Nachfolger zurückgegriffen wurde. Dazu muss ein vollständiges world system innerhalb der Alten Welt beschrieben werden. 2.) Prestigegüter-Ansatz: Auf dieser Stufe werden fast ausschließlich ‚Peripherien’ von ‚Weltsystemen’ untersucht. Im Zentrum des Interesses stehen vor allem prestige goods, die die Peripherien mit den Zentren verbinden9. 3.) Makrohistorische Ansätze sind gekennzeichnet durch den bewussten Einsatz von Begriffen der WeltsystemTheorie bei der Darstellung größerer überregionaler Zusammenhänge. 4.) Die allgemeinste Rezeptionsstufe umfasst Untersuchungen unter dem sehr allgemein gehaltenen Motto center & periphery. Obwohl auch Untersuchungen der drei letztgenannten Gruppen sich mehr oder minder ausdrücklich auf Wallerstein zurückführen, sind es vor allem die der ersten die ein Urteil über die Anwendungsmöglichkeiten des world system im Bereich der Romanisierungsforschung ermöglichen. Es ist evident, dass bei der Anwendung auf vorkapitalistische Verhältnisse frühe ‚Weltsysteme’ postuliert werden müssen10. Ein Beispiel für die (versuchte) direkte Umsetzung des Wallersteinschen Weltsystems entwickelt R. Hingley in

seinem Aufsatz über die wirtschaftliche Entwicklung des römischen Britannien11. Er betrachtet diese Provinz unter der Prämisse, dass alle Handlungen Roms als der kolonisierenden Macht durch den Willen motiviert sind, das eroberte Gebiet wirtschaftlich auszubeuten. Seiner Meinung kamen die Römer nach Britannien, um ein Herrschaftssystem zu etablieren, dass es ihnen erlaubt, einen Überschuss an Gütern nach Rom zu schaffen. Er unterscheidet drei verschiedene Aktionsniveaus, die Reichsebene (inter-provincial) mit einem Machtgefälle zwischen Zentrum und Peripherie, die Provinzebene (provincial) und die lokale Stammesebene (tribal) mit einem Machtgefälle zwischen Stadt und Land. Obwohl Hingley durchaus auch administrative Dominanzen und Dependenzen berücksichtigt, begründet er die ZentrumPeripherie-Relation vor allem auf ökonomische Verhältnisse. Er postuliert einen systematischen Fluss von Rohstoffen, Sklaven und Agrargütern von der Peripherie Britannien in das Zentrum Rom. Im Ausgleich liefert Rom hochwertige Fertigprodukte, die als Statussymbole fungieren und das eigentliche Vehikel der Romanisation sind. Das Verwaltungszentrum Londinium ist zugleich Stützpunkt von Händlern aus dem Zentrum, so dass der Handel monopolisiert in den Händen der Römer liegt. Die wirtschaftliche und administrative Dominanz ist nach Hingley nicht nur auf reichsweiter und provinzialer Ebene gekoppelt, sondern auch auf Stammesebene, da Steuern auch den lokalen Eliten zugute kommen, zumal das Stammeszentrum gleichzeitig Handelszentrum ist. Die Hauptorte monopolisieren dabei sowohl den Fernhandel als auch den lokalen Handel, so dass das Land administrativ, sozial und ökonomisch abhängig von der Stadt ist. Grundsätzlich ist der Austausch zwischen Stadt und Land parallel zum Austausch zwischen Zentrum und Peripherie auf Reichsebene zu sehen. Gemäß den world economies Wallersteins basiert die Wirtschaft auf ungleichem Austausch: Sowohl das Zentrum auf Reichsebene wie auch die Städte auf lokaler Ebene profitieren durch ungleichen Tausch mit der Peripherie bzw. dem Land. Die Kritikpunkte an dieser These sind evident und sollen nur kurz angeführt werden12. Abgesehen von allgemeinen starken Vereinfachungen bleibt vor allem der Begriff des Kerns unklar. Die postulierte zentralistische Ausrichtung des Wirtschaftssystems entspricht ebenso wenig der historischen Realität wie die Vorstellung, dass das Zentrum in der frühen und hohen Kaiserzeit reicher war als manche der Provinzen. Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass die römische Wirtschaft eher durch regionale Austauschsysteme gekennzeichnet ist denn durch ein world system. Wie an den Produktionsorten von Amphoren oder auch von Terra sigillata gezeigt werden kann, herrschen in der Kaiserzeit

8

Kümmel (2001) 39-106. Grundlegend zur peer polity interaction: Renfrew (1986) 1-18; Champion (1989b) 9-11. 10 Eine Reihe von Beispielen bei Champion (1989a); Kristiansen – Rowlands (1998); Rowlands – Kristiansen (1997). 9

11

Hingley (1982) 17-52. Vgl. zur Kritik an der Anwendung wirtschaftlicher Konzepte in diesem Kontext: Woolf (1993) 50-54. 12

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Zentrum – Peripherie - Modell

grundsätzlich Produkte vor, die weniger weit verbreitet sind und lokal produziert werden. Auch bei anderen Versuchen, die Theorien Wallersteins auf das Imperium Romanum anzuwenden, sind gravierende Mängel festzustellen13. Ein wichtiger Punkt, der das Imperium Romanum grundsätzlich von allen world empires unterscheidet, ist die Struktur der Militärmacht und somit die Rolle der Grenzgebiete: Per definitionem sind diese Regionen Peripherie und müssten vom Zentrum ausgebeutet werden, doch realiter sind sie neben der Hauptstadt die wichtigsten Verbraucher von Einkünften. Außerdem ist zwar das Heer Basis für Macht und Sicherheit des Imperium, trotzdem wird es nicht zentral, sondern ist in kleine Einheiten aufgesplittert, die zudem abhängig von der Produktion der Einheimischen sind, so dass die Kontrolle innerhalb des Reiches denkbar gering ist. Neben diesen Haupteinwänden sind viele kleinere Unstimmigkeiten auszumachen, so die Tatsache, dass die Grenzen der vormals unabhängigen Einheiten nicht mit den Provinzen übereinstimmen. Grundsätzlich ist deshalb eine direkte Anwendung der world system theory auf das Imperium Romanum kaum möglich, auch wenn natürlich allein die Falsifizierung des Modells heuristischen Wert besitzt.

dass die Verbindung mit der world system theory kaum mehr vorhanden ist. Es bleiben somit vor allem Untersuchungen des Rezeptionstyps IV nach Kümmel, die allgemein die Dichotomie von Kern und Peripherie beschreiben und für die Erklärung der Funktionsweise des Römischen Reiches nutzbar machen wollen17. Doch auch hier bleiben Probleme: Als Beispiel für den engeren Bereich der Klassischen Archäologie als der Geschichte antiker Kunst ist dabei von Überlegungen auszugehen, die anhand der renaissancezeitlichen Kunst Italiens angestellt wurden. Für die Feststellung und Fortschreibung einer Zentrum-Peripherie-Relation auf künstlerischem Gebiet wurden von E. Castelnuovo und C. Ginzburg folgende Kriterien erarbeitet18: x Plünderung der symbolischen Güter der Peripherie durch das Zentrum x Abwanderung der besten Talente aus der Peripherie ins Zentrum x Export von Produkten hoher symbolischer Wirkungskraft aus dem Zentrum in die Peripherie x Ausarbeitung unterschiedlicher Codes im Zentrum, von denen die einen für das Zentrum, die anderen für die Peripherie gültig sind x erzwungene Übernahme stilistischer und ikonographischer Modelle des Zentrums in der Peripherie Legt man diesen Katalog zu Grunde, so zeigt sich, dass keinesfalls für alle Regionen und Phasen des Imperium Romanum von der gezielten Konstruktion Roms als Zentrum gesprochen werden kann. Während von Plünderung der symbolischen Güter in größerem Ausmaß nur während der Republik gesprochen werden kann19, wurden Kunstwerke hohen symbolischen Gehalts z.B. in Form der Kaiserporträts erst während der Kaiserzeit exportiert20. Allein die Zuwanderung von Künstlern aus allen Reichsteilen nach Rom erfolgte zu allen Zeiten. Noch problematischer sind die beiden letzten Punkte: Es ist zwar richtig, dass stadtrömische Vorbilder in unterschiedlicher Form rezipiert werden konnten, es ist jedoch nicht anzunehmen, dass in allen Fällen die Vorbilder in Rom konzipiert wurden. In den meisten Fällen werden die Parameter der Übernahme nicht vom Zentrum festgelegt, sondern von der Provinz, gerade wenn stadtrömische Vorgaben nur partiell aufgegriffen

Im Rahmen seiner grundlegenden Auseinandersetzung mit den Theorien Wallersteins schlägt G. Woolf deshalb eine Ausweitung vor. Er möchte als weiteres Weltsystem neben wold economy und world empire die world symbols setzen, ausgehend von der Überlegung, dass es neben ökonomischer und politischer auch symbolische Macht gibt14. Er nähert sich somit der Auffassung von Zentrum und Peripherie an, wie sie von E. Shils geprägt wurde15. Der englische Soziologe geht von der Existenz eines zentralen Wertesystems in jeder Gesellschaft aus, wobei die Übereinstimmung mit diesen Grundwerten das zentrale Element ist: Je größer die Zustimmung zu diesen Werten ist, desto näher befindet man sich am Zentrum; je weiter entfernt, je peripherer die eigene soziale Position, desto häufiger die Missachtung. Woolf selbst nennt als Beispiele für zwei Weltsysteme dieser Art die mittelalterliche Welt des christlichen Europa und des Islam, die zwar kulturell-ideologisch, aber weder politisch noch wirtschaftlich eine Einheit bildeten16, doch erscheint auch hier die Bezeichnung als world system fraglich: Kann wirklich im Mittelalter von einer einheitlichen christlichen Symbol-Basis gesprochen werden? Zudem sind wesentliche Bestandteile der Thesen Wallersteins außer Kraft gesetzt, vor allem die Antinomie von Zentrum und Peripherie und Charakteristika der für das Imperium Romanum ausschlaggebenden world empires wie zellulärer und konzentrischer Aufbau, so

17

Kümmel (2001) 103-105. Vgl. hierzu vor allem Castelnuovo – Ginzburg (1987) 21-91, spez. 75-76. Zur Rolle Roms als künstlerisches Zentrum: Wrede (1995) 33-55; von Hesberg (1995a) 5772, spez. 65-69. 19 Pape (1975); Ausnahme ist die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und die Verschleppung der Sakralgeräte nach Rom und ihre Zurschaustellung im Triumph 71: Künzl (1988) 9-29. 20 Zuletzt Boschung (2003) 1-3 (mit der älteren Lit.). 18

13

z.B. Carandini (1986) 3-19. Woolf (1993) 54f. 15 Shils (1961) passim, spez. 2-4. 16 Woolf (1993) 54f. 14

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Günther Schörner

werden. Genauso unwahrscheinlich ist, dass Zwang ausgeübt wurde, um stadtrömische Vorbilder zu verbreiten. Wie bereits richtig festgestellt wurde, ist die stadtrömische Kunst eher als ein Angebot an die Provinzen als ein verpflichtender Kanon zu werten21. Die festgestellte mangelnde Einheitlichkeit der römischen Kunst, der starken Diversifikation ihrer Themen, Formen und Auftraggeber geschuldet, ist gerade ein Zeichen dafür, dass von Rom nicht explizit eine zentrale Stellung angestrebt wurde22. Zu berücksichtigen ist außerdem die geographische Dimension: Die Ausbreitung stadtrömischer Stilformen und ikonographischer Modelle erfolgte im griechischen Osten unter ganz anderen Voraussetzungen und in wesentlich geringerem Maße als im Westen23. Innerhalb dieser beiden Reichshälften können natürlich noch weitere Differenzierungen getroffen werden24. Gerade auch in Hinsicht der Beschreibung eines auf symbolischer Macht basierenden Welt-Systems eignet sich die Kunstproduktion nicht, um die zentrale Rolle Roms zu konstituieren. Trotz dieses eher negativen Ergebnis besitzen m.E. Untersuchungen, ob und in welchem Maß sich ZentrumPeripherie-Relationen feststellen lassen, einen großen heuristischen Wert, weil sie eine systematische Analyse des Verhältnises zwischen der Hauptstadt und den einzelnen Reichsteilen auf unterschiedlichen Gebieten ermöglichen. Trotz einiger Vorarbeiten sind insbesondere ‚weiche’ Bereiche wie Kunst oder Literatur, aber auch Religion besonders geeignet, auch weil sie die kulturelle Dimension im Funktionsgefüge ‚Imperium Romanum’ aufzuzeigen helfen25.

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Wrede (1995) 46; Boschung (2003) 12. Wrede (1995) 46. 23 Für die Verbreitung stadtrömischer Kultikonographie als Fallbeispiel s. demnächst Verf. 24 Vgl. z.B. die Einteilung bei Wrede (1995) 34, weitere Differenzierungen sind nahezu beliebig möglich. 25 Gerade zur Religion sind in letzter Zeit viel versprechende Aufsätze erschienen; grundlegend z.B. Bendlin (1997) 35-68; als besonders interessantes Fallbeispiel: Schäfer (2003) 421-439. Hier ist auf religiösen Gebiet der exzeptionelle Fall greifbar, dass das Zentrum einen religiösen ‚Code’ für die Peripherie erarbeitete, doch ist dies anscheinend ein Einzelfall. 22

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Frühe Kontakte nach Italien und der Beginn der Romanisierung auf dem Gebiet der römischen Provinz Lusitania - Eine von den Kleinfunden ausgehende Skizze von

Thomas Schierl

und Baumaßnahmen gelenkt, die unter Augustus die Grundlagen für eine funktionierende Infrastruktur nach römischem Vorbild schufen. So stellt sich einem kritischen Betrachter des historischen Schauspiels die Frage nach der Wirkung der mehr als ein Jahrhundert andauernden römischen Herrschaft in der spätrepublikanischen Zeit. Abgekehrt vom militärischen und politischen Aspekt der Eroberung und der ‚Eingliederung’ soll im Folgenden nach Zeugnissen dieses ersten, zweiten und dritten Kontaktes gesucht und ihre Aussagefähigkeit hinterfragt werden. Abgewendet von den südlichen und südöstlichen Küstenregionen, wo mediterrane Einflüsse aufgrund geographischer Gegebenheiten früher, ab dem 8. Jh. v. Chr. und beschleunigt in hellenistischer Zeit2, spürbar wurden und sich Phönizier, Griechen, Punier und zuletzt die Römer entscheidende auf die Ausbildung und Entwicklung einer iberischen Kultur auswirkten3, blieb das keltisch geprägte Gebiet der nachmaligen Provinz Lusitanien weitgehend, wenn auch nicht vollständig4, frei von solchen Einflüssen. Dort bewirkt erst die römische Herrschaft eine partielle kulturelle Integration5. Bis zu diesem Zeitpunkt scheint das Binnenland – von der mediterranen Seite betrachtet – weitestgehend unbekannt geblieben zu sein6, während die östlichen Küstenregionen ab dem 3. Jh. v. Chr. als Schauplatz historischer Auseinandersetzungen, den Punischen Kriegen, in das Licht schriftlicher Überlieferungen rückten. Damit erscheint dieser Raum – der Westen der iberischen Halbinsel – für Studien zur Romanisierung/Akkulturation geradezu prädestiniert. Untersuchungen zu Fragen von Akkulturationsvorgängen vor, während und nach der römischen Okkupation Hispaniens sind, besonders in den letzten Jahren, angeregt durch ein auf der Grundlage der

Zusammenfassung: Ausgehend vom archäologischen Fundgut werden die Kontakte zwischen Italien und der Lusitania ab der orientalisierenden Epoche bis in das 1. Jh. n. Chr. rekonstruiert. Über lange Zeiträume werden Einflüsse und Entwicklungen wirtschaftlicher und kultureller Natur deutlich, die mit der Eroberung der iberischen Halbinsel nicht abbrachen, jedoch ihre Qualität veränderten. Besonders im 1. Jh. v. Chr. wurden die Kontakte ‚persönlicher’ und beschleunigen den Wandel der einheimischen Kultur. Ein Wechsel im Siedlungsbild, angestoßen durch das ‚römische Vorbild’ und getragen durch ‚Römer’, legt die Grundlagen für die Neustrukturierung unter Augustus und die Eingliederung des Gebietes der Lusitania in den römischen Wirtschaftsund Verwaltungsraum. Abstract: The contacts between Iberia and Italy will be shown on the base of archaeological finds from the Orientalizing period to the 1st century BC. During this period, influences and developments with a stimulating effect on art and culture are visible until the time of the Roman conquest. Over the course of time the contacts to Italy became more ‘personal’ and, particulary in the first century BC, accelerated the transformation of the indigenous cultures. A change in the organisation of the settlement area –based on a Roman model and supported by ‘Romans’ – was the foundation for the new organisation of the provinces by Augustus and for the incorporation of the area of Lusitania into the Roman economic and administrative space. 1. Vorwort

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Jaeggi (1999) 3. Downs (2000). 4 Auch hier sind Unterschiede zwischen den Küstenregionen und dem Hinterland zu erkennen, auf die jedoch unten noch genauer eingegangen werden soll. 5 Jaeggi (1999) 5. 6 Jaeggi (1999) 10. Ab der 2. Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. scheinen auch die geographischen Kenntnisse um die atlantischen Gebiet übermittelt durch griechische Seefahrer stagniert zu haben: Blech (2001) 308. 3

Sucht man nach Spuren der frühen Phase der Romanisierung auf der iberischen Halbinsel1 – besonders auf dem Gebiet der Provinz Lusitania – so wird die Aufmerksamkeit recht schnell auf die Umstrukturierungs1

Eine ähnliche, jedoch umfassendere Übersicht wurde für den Osten der Iberischen Halbinsel bereits von M. Blech vorgelegt: Blech (1993).

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Thomas Schierl

angelsächsischen Theoriendiskussion gesteigertes Interesse zahlreich erschienen7. Auch das portugiesische Gebiet kann dank der Arbeiten von Carlos Fabião8 und der etwas älteren Ausführungen von Manuel Maia9 als gut aufgearbeitet gelten10. In den folgenden Ausführungen sollen nicht die Vorgänge während der Eingliederung Hispaniens in das Römische Reich in ihrer vollen Komplexität beschrieben werden, vielmehr wird versucht, das Augenmerk des Lesers auf einige m. E. bisher wenig beachtete Aspekte, besonders vor dem Hintergrund neuerer Forschungsergebnisse, zu lenken und Fragen zur seit langem geführten Diskussion über das Verhältnis zwischen „politischer Geschichte“ und „archäologischer Geschichte“ hier vor dem Hintergrund der Vorgänge in den Jahrhunderten vor Christi Geburt auf der iberischen Halbinsel aufzuwerfen. Zudem hat sich unser Bild durch Veröffentlichungen der letzten Jahre und neuerliche Zusammenstellungen zu einzelnen Fundgattungen geändert und lässt es als lohnend erscheinen, diese vor dem historischen Gesamthintergrund zu betrachten.

hoffentlich einleuchtet, jedoch nicht von vornherein abschrecken. Weitgehend ausgeklammert sollen jene kulturellen Erscheinungen bleiben, die in der orientalisierenden Zeit auf das Ausgreifen der Phönizier sowie der Griechen zurückzuführen sind, den Osten und den Westen des Mittelmeeres verbanden und in der Folgezeit getragen wurden durch die Punier, als Vertreter der westphönizischen Siedler. Das heißt, bezogen auf Italien, es sollen Objekte jener Fundgattungen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, die aus Mittel- und Norditalien stammen, also aus jenen Gebieten, die das frühe Reich Roms stark prägten. Eine besondere Rolle kommt dabei im Folgenden den Fundgütern aus den etruskischen Gebieten allein schon deswegen zu, da die feinkeramischen Erzeugnisse aus diesem Bereich (Campana B) neben den Amphoren des Typs Dressel 1 diejenigen sind, die als charakteristisches Fundgut der spätrepublikanischen Zeit nahezu auf der gesamten iberischen Halbinsel ihre Verbreitung erfuhren. Weniger auf der Suche nach wie auch immer gearteten „Einflüssen“, die, so allgemein wie beschrieben, auch meist nur eine sehr allgemeine Erklärung finden, soll versucht werden, den Blick zu schärfen für Objekte, die auf einen direkten Austausch hinweisen könnten.

Ist der Ausgangspunkt des Prozesses, der bis zum heutigen Tag als Romanisierung bzw. Romanisation umschrieben wird, in erster Linie als Kontaktaufnahme11 und „Wunsch zum Austausch“ zwischen zwei – im archäologischen Sinne – sich materiell unterscheidenden Kulturgruppen zu verstehen, so liegen die Anfänge auf dem Gebiet der iberischen Halbinsel in früheren Zeiten und waren alles andere als militärisch geprägt. Das eine solche Betrachtungsweise, also die notwendige Übertragung späterer Verhältnisse auf frühere Zeiten, mit Problemen behaftet ist, verwundert wenig, sollte von diesem Unterfangen, wie am Ende dieser Ausführungen

2. ‚Frühe Kontakte’ Zeugnisse vom Kontakt zwischen den Völkern der Apenninenhalbinsel und denen der iberischen Halbinsel reichen weit, mindestens bis in die Bronzezeit, zurück12, sollen uns hier jedoch nicht schwerpunktmäßig interessieren. Am Ende der Bronzezeit, noch vor der Anlage der phönizischen Niederlassungen, sind Kontakte nachweisbar, die für die Vermittlung von Anregungen und möglicherweise auch Sachgut sorgten, die den zentralmediterranen Raum mit der iberischen Halbinsel verbanden und ihren Widerhall auch im einheimischen Sachgut fanden13. Die iberische Halbinsel stand bereits im 10. und 9. Jh. v. Chr. im Austausch mit dem zentralmediterranen Kulturraum, dem ebenfalls die Apenninenhalbinsel angehörte, auch wenn der hauptsächliche „Blick“ weiter nach Osten gerichtet war14, was wiederum ältere Traditionen hatte15.

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Allgemein: Keay - Terrenato (2001); MacMullen (2000). – Gesamtzusammenstellung: Jaeggi (1999); Blázquez Martínez – Alvar (1996), Blázquez Martínez (1976); Blech (1993); Coarelli u. a. (2002); Marín Días (1988). Vgl. auch Curchin (2004); Curchin (1991); Abad Casal (2003); Nünnerich-Asmus (1999). Regionale Studien: Arasa (2001); Baretlett – Puche-Sorribes (1990); Santos Yanguas (1985). Grundlegend: Blázquez Martínez (1976). 8 Fabião (1998). Auf ihn gehen verschiedenen Einzelstudien zum gleichen Problemkreis zurück z.B. Fabião (1996); Fabião (2002) u.s.w. 9 Maia (1986). Zum Problem der Wehrgehöfte bzw. der „casas fuertes“ vgl. unten. 10 Jedoch sind die entworfenen ‚Bilder’ stärker als in anderen Gegenden vom Stand der Feldforschung abhängig. Vgl. den neuerlichen Nachweis von spätrepublikanischen Bauten ähnlich dem Castelo da Lousa durch Surveys im Alentejo zwischen Evora und dem Guadiana: Mataloto (2002). 11 Als entscheidende Aspekte dieses Prozesses sind die Möglichkeit und das Interesse zur Kontaktaufnahme.

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Kontakte über Land oder See sind natürlich, aufgrund der Nähe beider Gebiete, zu jeder Zeit zu vermuten und spätestens seit dem Erscheinen der Cardialkeramik zu erkennen (Zum Stand der Diskussion: Kunst (2003) bes. 63-65; Barnett (2000); Zilhão (2000). Vgl. zu früheren Kontakten: Schubart (1975) 150-161. 13 Vgl. Kartierung bei Cáceres (1997) besonders 132-136 mit Abb. 2. Ähnlich bereits Schüle (1969) 25-28 mit Karten 1-3. 14 So bereits Schüle (1969) 19f.; Blázquez Martínez – García-Gelabert Pérez (1990). Zur frühen Bronzezeit: Schubart (1975) 20-23 (Ärmchenbeile), 23-25 (Herzsprungschilde), 25 (Kniefibeln).

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Geographisch bedingt und chronologisch weitestgehend unabhängig lässt sich bereits in der Bronzezeit ein Unterschied in der Stärke der Aufnahme mediterraner Anregungen von Osten nach Westen erkennen, ein Aspekt, der bestimmend für die kulturelle Entwicklung Hispaniens blieb. Diese Verbindungen in den ostmediterranen Bereich reißen auch in den folgenden Jahrhunderten nicht ab, sind jedoch von unterschiedlicher Intensität und möglicherweise getragen von unterschiedlichen Gruppen16. Auch im Languedoc werden im 7. und 6. Jh. v. Chr. die alten Beziehungen aufrechterhalten17. Wenige eindeutige Zeugnisse italischen Ursprungs sind für die Frühzeit im Arbeitsgebiet anzuführen. Sie reichen

zurück in die orientalisierende Zeit in der hispanischen Vorgeschichte18. 3. ‚Der Auftakt’ Formale Ähnlichkeiten schienen für Schüle ebenfalls dafür zu sprechen, dass im 8. und 7. Jh. v. Chr. Kontakte zwischen Oberitalien und der iberischen Halbinsel, besonders dem Bereich der Meseta nachzuweisen sind, diese Elemente waren seiner Auffassung nach „…zweifellos norditalisch-ostalpiner Herkunft…“19. Die formalen Ähnlichkeiten der dafür herangezogenen Stücke mit entsprechenden Funden aus dem genannten Raum sind jedoch eher allgemeinen Charakters. Ein Beleg für eine Übermittlung einzelner bleibt weiterhin aus. Die Parallelen in der künstlerischen Ausdrucksweise lassen den Bereich im Norden der iberischen Halbinsel als Teil eines mitteleuropäischen ‚Kommunikationsraumes’, dem auch der oberitalisch-ostalpine Bereich zuzurechnen ist, erkennen20, der spätestens durch die Verbreitung von Stücken „keltischen“ Geschmacks deutlich zum Vorschein tritt21. Zudem finden sich symmetrische

Neben der Aufnahme von kulturellen Anregungen bzw. Impulsen ist der Austausch von Objekten des Kunstschaffens für die Zeit vor den Kolonisationen nur punktuell belegt und wahrscheinlich nicht direkt, sondern über Stationen erfolgt. In diesen Zusammenhang gehören die Funde von mykenischer Keramik aus Llanete de los Moros (Montoro, Prov. Córdoba), aufgefunden in spätbronzezeitlichen Zusammenhängen, die in die Zeit zwischen 1400 und 1230 v. Chr. gehören (vgl. dazu Martín de la Cruz [1990] 49-52; allgemein: Mederos [1999]). Für eine Übermittlung über verschiedenen Stationen spricht meines Erachtens auch der deutliche mengenmäßige Unterschied zwischen den mykenischen Funden in Unteritalien und Sardinien, der nicht allein forschungsgeschichtlich zu erklären ist. 15 Allgemein und Übersicht bei Schauer (1983). 16 Parzinger – Sanz (1986). Die Autoren verstehen die Übermittlung der Vorformen der Gürtelhaken vom Typ Acebuchal (im 7. Jh. v. Chr.) vor dem Hintergrund der Ansiedlung phönizischer Händler auf der Iberischen Halbinsel, möglicherweise unter Beteiligung ionischer Griechen (S. 183-186). Für Kontakte zwischen Ionien und der Iberischen Halbinsel bereits im 7. Jh. v. Chr. sprechen auch südspanische Elfenbeinfunde im samischen Heraion (vgl. dazu Freyer-Schauenburg, Elfenbeine) ebenso wie das zahlreiche griechische Fundgut in den phönizischen Faktoreien. Aus Jerez stammt ein griechischer Bronzehelm, der in die 1. Hälfte des 7. Jh. v. Chr. zu datieren ist (Boardmann [1981] 251256 mit Abb. 252-254). Auch spricht Pausanias von einem Weihegeschenk aus tartessischer Bronze in Olympia (Pausanias 5, 19, 2). Auch soll ein Teil der Bewohner der Insel Rhode vor der ersten Olympiade dorthin ausgewandert sein (Str. 14, 2, 10; Ps Skym. 205. 206). Vgl. allgemein: Kimmig (1983); Krinzinger (2000), hier besonders Schattner (2000); Blech (2000). Nicht zuletzt gehen die entscheidenden Anregungen zur Entwicklung einer Schrift auf westmediterrane Anregungen zurück (vgl. zusammenfassend Untermann [2001] mit älterer Literatur). 17 Schüle (1969) 59 (Grab von Corno Lauzo).

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Vgl. allgemein Silva – Gomes (1994). Zur spanischen Extremadura vgl. grundlegend Almagro-Gorbea (1977); Enriquez u. a. (1986). 19 Schüle (1969) 71f. 20 In diesem Sinne: Almagro-Gorbea u. a. (1999) 51f. Siehe dazu auch Quesada Sanz u. a. (2003) hier bes. Blanco (2003) bes. 88-91. 21 Allgemein Almagro-Gorbea (1993a); Lenerz-de Wilde (1991). Speziell zum Gebiet der Lusitania: Berrocal Ranges (2001) sowie Berrocal Ranges (1992). Kelten sind möglicherweise bereits im 5. Jh. v. Chr. auf der Iberischen Halbinsel präsent. Zur Frage der Einwanderung können die antiken Überlieferungen kaum etwas beitragen. Sie sind bis ins 3. Jh. v. Chr. sehr spärlich. Diodor spricht in Bezug auf die Keltiberer eindeutig von einer Vermischung von Kelten und Einheimischen, während Isodor von einer Namensschöpfung aus der Bezeichnung für die Eingewanderten (Celtici) und dem neuen Siedlungsgebiet am Fluss Iberus ausgeht (vgl. dazu Tomaschitz [2002] 28-36, bes. 28-30). Das Spektrum der archäologischen Funde erfährt, bezogen auf den möglichen Zeitpunkt und Verlauf von Einwanderungen, unterschiedliche Deutung, ganz zu schweigen von dem Nachweis solcher überhaupt. Archäologisch schwerer ist ein mitteleuropäischkeltischer Anteil zu fassen, da das Fundgut geprägt ist von einheimischen Besonderheiten (Zum Material vgl. Almagro-Gorbea [1991] 389-405. Zur Frage der Einwanderung aus archäologischer Sicht vgl. die kurze Erläuterung bei Tomaschitz [2002] 28 mit Anm. 95; dazu bes. Lenerz-de Wilde [1991] 193-218, bes. 206-218; Parzinger – Sanz [2000] 245-355, hier bes. 349).

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Frühlatènefibeln, auch mit seitlichen Knöpfchen, ebenso in den Gebieten nördlichen der Pyrenäen und damit nicht nur auf italischem Boden22. Erstaunlich ähnlich erscheinen die bereits von Schüle angeführten Fibeln, in deren mehrmalig gelochtem Bügel kleine Ringe eingesetzt sind23. Da solche Ringe jedoch ebenfalls an einheimischen Pferdefibeln erscheinen24, scheinen sie dem einheimischen Formenrepertoire zu entstammen. Ihr Erscheinen, erklärt sich hier wie dort aus der ähnlichen Funktion als Ansatz für einen Gehängeschmuck25. Ähnliche Fibeln sind auch aus Frankreich bekannt26. Alle aufgezeigten Erscheinungen stehen jedoch nicht isoliert, sondern zeugen von einem ähnlichen kulturellen Umfeld und entsprechenden Verbindungen in den französischen Raum. Sind zunächst allgemeine Ähnlichkeiten im Sachgut mit den nordöstlich gelegenen Gebieten festzustellen, so finden sich, zwar nur vereinzelt und in geringer Zahl, ab der orientaliserenden Epoche auch Gegenstände, die eine sehr enge formale Bindung an das Formengut des italischen Bereiches zeigen oder eine Herkunft aus diesem vermuten lassen, die älteren Kontakte fortsetzen und an die Traditionen transmediterraner Handelsbeziehungen wieder anknüpften27. Zu den ältesten Stücken gehören zwei Bruchstücke von Fibeln mit verdickten, bogenförmigen Bügeln (Abb.1)28. Beide Stücke sind als Altfunde von der Nekropole bei Alcácer do Sal ohne Fundzusammenhänge auf uns gekommen. Obgleich der Fuß abgebrochen ist, scheint es sich, nach Größe und Verzierung geurteilt, um eine Sanguisuga-Fibel (Fibule a sanguisuga e rivestite con staffe corta) zu handeln. Bogenfibeln mit verdicktem Bügel leiten im 9. und frühen 8. Jh. v. Chr. zu den Sanguisuga-Fibeln über, von denen vergleichbare Stücke ihren Verbreitungsschwerpunkt in Mittelitalien haben. Diese Formen gehören hauptsächlich in das 8. Jh. v. Chr. und können im Norden Italiens noch bis in das 7./6. Jh. v. Chr. hinein auftreten29. In Form und Verzierung

vergleichbare Stücke sind sowohl aus Frankreich als auch aus Italien bekannt30. Ebenfalls in das 9. bzw. 8./7. Jh. v. Chr. gehört das zweite aus Alcácer do Sal überlieferte Stück, deren einfache Verzierung gut vergleichbar ist mit der auf entsprechenden Fibeln aus dem norditalischen Raum31. Die genannten Funde sind auch nach der küstennahen Lage des Fundplatzes möglicherweise mit den regen Handelsbeziehungen und Kontakten mit dem östlichen Mittelmeerraum in Verbindung zu bringen32. Ein Ausstrahlen der phönizischen Handelstätigkeit in den etruskischen Bereich, angeregt durch die dortigen Erzvorkommen, scheint jedoch erst am Ende des 8. Jh. v. Chr. eingesetzt zu haben33. Zentralitalische Amphoren erscheinen jedoch bereits zusammen mit euböischspätgeometrischer Feinkeramik in den frühesten Schichten von Karthago34. Ähnlich ist wohl ein Exemplar eines früheisenzeitlichen Griffzungenschwertes vom Typ Terni aus Bétera, nahe Valencia, zu werten35. Schwerter dieser Art fanden ihre Verbreitung in Umbrien und in Latium, dagegen seltener im südlichen Italien und gehören ebenfalls ins 9. und die erste Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. 36. Damit bleiben für das Ende der Bronzezeit und die frühe Eisenzeit im Westen der iberischen Halbinsel Nachweise für italische Stücke gering an Zahl als Belege für einen direkten Kontakt, da auch in keinem Fall aus gesicherten Zusammenhängen, unsicher37. Sie sind vor dem (1985) 139f. Vgl. dazu auch Trachsel (2004) 197-256, hier bes. 212-242. 30 Eles Masi (1986) Taf. 47, 671, ähnlich auch Taf. 46, 666; Duval u. a. (1974) 20 Abb. 11, 3 und 5. 31 Eles Masi (1986) 60 mit Taf. 32, 470 (Este) und 62 mit Taf. 34, 505 und 506. Der D-förmige Bügelquerschnitt entspricht Stücken die sich häufig in der Emilia Romana und im Picenum finden: Eles Masi (1986) 67 und 68. Vgl. auch Müller-Karpe (1959) 217-226 Taf. 57, 1-3 und Taf. 58, 5 und 6 (Bologna II, Este II); Trachsel (2004) 197-256. 32 Zu Alcácer do Sal vgl. Arruda (2000) mit älterer Literatur. Grundlegend: Tavares da Silva u. a. (1981). 33 Bernardini (1993) 79f. 34 Niemeyer/Docter (1994). 35 Almagro-Gorbea (1992) 178f. 36 Peroni (1970) 90-93. 37 Ebenfalls mehrheitlich italischer Herkunft sind sechs Fibeln, die angeblich vom Castro de Pirreitas (Con. A Alcobaça) stammen und dem Ethnographischen und Archäologischen Museum in Nazaré aus privater Hand übergeben wurden (da Ponte [1984]). Bei den Exemplaren handelt es sich in der Mehrzahl um Fibeln, die außerhalb Italiens nur eine geringe Verbreitung erfuhren – darunter ebenfalls eine in augusteische Zusammenhänge gehörende Fibel vom Typ Jezerine. Auffällig ist, das die Fibeln, obwohl gleicher geographischer Herkunft, damit einen chronologischen

Deutliche formale Affinitäten zu den nördlichen keltischen Gebieten bestehen, ohne dass das Bild wirklich schlüssig chronologisch oder kulturell entzerrt werden kann. Auch S. Keay spricht von „…indirect influence of `celtic` traditions from peninsular Europe…“ (Keay [2002] 155). Vgl. dazu grundlegend Kalb (1990). 22 Lenerz-de Wilde (1991) 32-36. 23 Schüle (1969) Taf. 172, 27 und 38. 24 Ebd. Taf. 156, 6; Taf. 169, 22. 25 Wie beispielsweise Eles Masi (1986) Taf. 41, 617A. Vgl. auch ähnliche Fibeln vom Gräberfeld Hallstatt (Kromer [1959] Taf. 10,1; 33,4; 96,5 u.s.w.). 26 Duval u. a. (1974) 14 Taf. 7, 6. 27 Kopcke (1990). 28 Schüle (1969) 153 Abb. 71; Taf. 109, 22; da Ponte (1985) 150 Nr. 1 und 2. 29 Vgl. Eles Masi (1986) 77-80; Müller-Karpe (1959) 217-226 (Prähellenistisch II, Rom-Albanerberge III, Tarquinia II); Donder (1994) 43-49 mit Taf. 5, 24; Ponte

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Hintergrund des Ausgreifens ostmediterraner Völkerschaften in den Westen zu verstehen und bilden nur eine Randerscheinung. Im Einzugsbereich des phönizischen Handels verbreiteten sich auch andere kunsthandwerkliche Gegenstände mediterraner Herkunft oder deren Nachahmungen in ähnlicher Formgebung38, die, lokal hergestellt, auf eine Verbreitung hauptsächlich im Süden der iberischen Halbinsel und den Küstenregionen Portugals beschränkt blieben39. Phönizisch-griechische Einflüsse gelangten so in „tartessischer“ Ausformung vom Guadalquivirbecken auch durch den Handel mit dem metallreichen Norden dorthin40.

scheint nach seinem Ende im 5. Jh. v. Chr. nicht wieder aufgesucht worden zu sein. Obgleich die Fundumstände unklar sind, so belegt das kulturelle Umfeld mit einer reichen Zahl an exotischen Importgegenständen – darunter griechische Keramik, Augenperlen u.a. 44 – die deutliche Anbindung an den mediterranen Raum, an den spanischen Süden bzw. an den tartessischen Raum45. Weiter besonders in der orientalisierenden Epoche nachzuweisende Ähnlichkeiten sowohl in der Ausformung von Sachgut, wie beispielsweise Bogenknebel aus Cancho Roano46, als auch in kulturellen wie dem Auftreten von Erscheinungen47, Königsgräbern48, Palästen49, Skulpturen, Schmuck, Waffen (Falcata)50, Herzpanzer u.s.w., sind Zeichen ähnlicher, eng verknüpfter Entwicklungslinien in Folge einer phönizischen ’Initialzündung’. Eine kleine, bronzene Applike, deren Herkunft ebenfalls als etruskisch bestimmt wurde, stammt aus dem Bereich bzw. der Umgebung der eisenzeitlichen Höhenbefestigung von El Raso (Abb. 5)51. Auch für dieses abgenutzt wirkende Objekt lassen sich keine genaueren Angaben zu den Fundzusammenhängen machen. Die genannten Gegenstände des etruskischen Kunstschaffens gehören in das 6. und den Beginn des 5. Jhs. v. Chr. und sind wahrscheinlich als Einzelstücke in das Hinterland gelangt. Etwas jünger ist ein dreidorniger Doppelring (Abb. 3), der ähnlich wie die oben bereits beschriebenen Fibeln ohne Fundzusammenhang vom Gräberfeld von Alcácer do Sal überliefert ist52. Solche Stücke, die dem Pferdegeschirr zugerechnet werden, gehören in das 4. und in die 1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. und fanden ihre hauptsächliche Verbreitung von der Emilia-Romagna bis in das Picenum, obgleich sie ebenfalls in Venetien und in Mittel- und Inneretrurien erscheinen und bis Griechenland (Olympia) und Ägypten streuen53. Das Erscheinen von bronzenen Einzelstücken im Westen der iberischen Halbinsel, die leider aus den

4. Etruskische Funde auf der iberischen Halbinsel Ab dem 6. Jh. v. Chr. erreichen etruskische Realien – zunächst Keramik, dann im 5. Jh. v. Chr. auch Metallgefäße – mit hoher Wahrscheinlichkeit über den Seeweg die Küsten und von dort auch das Hinterland der iberischen Halbinsel41. Vom Gebiet der nachmaligen römischen Provinz Lusitania ist nur eine geringe Zahl an Funden bekannt, doch lassen sie, im Kontrast zu den Funden von der iberischen Ostküste, einige Aussagen zum Charakter der Übermittlung dieser Stücke zu. Zu den ältesten Objekten dieser Fundgattung auf der iberischen Halbinsel gehört der Griff eines Infundibulums aus dem relativ weit von der Küste entfernt gelegenen Palastheiligtum von Cancho Roano (Abb. 2)42. Das in einem Seitenraum des Hauptgebäudes aufgefundene Stück kann seinen stratigraphischen Zusammenhängen jedoch nicht genau zugeordnet werden43. Der Palast Rahmen von fast 900 Jahre umspannt. Daher sollte die Herkunft der Stücke als nicht gesichert angenommen werden. Fast vollkommen identisches Stück zu den Fibeln 3 und 4 aus Osteria dell’Osa (Bietti [1992] Taf. 3c.36 (Grab 116) 21,33 und Taf. 3c.87 (Grab 224) 23). 38 Beispielsweise: Phönikische Bronzekannen (Kannen aus in orientalischer Tradition arbeitenden Werkstätten). (Vgl. Grau-Zimmermann [1978]; Vgl. dazu allgemein Blaquez [2001]). 39 Vgl. dazu allgemein Niemeyer (2001) 276f. Karte 22. Einen Gesamtüberblick erlaubt: Jiménez Ávila (2002). 40 Vgl. dazu allgemein Blech (2001) bes. 334 Karte 32. Zu Bronzearbeiten der oreintalisierenden Epoche. 41 Vgl. allgemein mit Forschungsgeschichtlicher Einführung Llobregat (1991). Eine gute Übersicht über den bisherigen Forschungsstand erlaubt: Remesal – Musso (1991); Gran Aymerich (1984) 47f.; Blázquez Martínez (1991) 199-210. Vgl auch zur älteren Literatur Marzoli (1991) 87 Anm. 3 und 4. In das frühe 6. Jh. v. Chr. gehören Bucchero-Kantharoi aus Grabfunden, die in Ampurias zutage kamen (Al magro [1949]). 42 Maluquer de Motes (1981) 321f. mit 320 Abb. 34 und 322 Abb. 35 und Taf. 32; Celestino (1991). 43 Almagro-Gorbea u. a. (1990)298.

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Vgl. Übersicht bei Almagro-Gorbea u.a. (1990) Abb. 12-21 sowie Celestino (1996) 179f. Abb. 45-46; Celestino – Avila (1993) 131-134. 45 Celestino – Avila (1993) 85-99. 46 Maluquer de Motes (1983)54-59. Dazu von Hase (1969) 24f. mit Taf. 22. 47 Blázquez Martínez (2001a). 48 Vgl. auch Stary (1989). 49 Llobregat (1991) 309-336. 50 Beispielsweise Quesada Sanz (1991). 51 Molinero (1958); Fernández Gómez (1972) bes. 273275; Fernández Jurado (1991). 52 Schüle (1969). 53 Naso (2003) 254-259; Sannibale (1998) 222-253 Typ A1. Eine ähnliche Verbreitung weisen auch die von D. Marzoli vorgestellten etruskischen Bronzekannen auf (Marzoli [1991] 86-93, hier 90); die bei Córdoba gefundenen Bornzekannen gehören ebenfalls in die 2. Hälfte des 6. bis in die Mitte des 5. Jhs. v. Chr.).

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Fundzusammenhängen keinen Rückschluss auf ihre Verwendung erlauben, steht im Gegensatz zu den Verhältnissen an der Ostküste54. Im Süden und im Osten, in den Küstenregionen und besonders in strategisch wichtigen Gebieten kolonialer Aktivitäten (Kolonie Ampurias, Ebromündung) finden sich hauptsächlich keramische Erzeugnisse aus dem etruskischen Raum: Bucchero (meist Kantharoi) und häufig auch Weinamphoren, die die Küste entlang bis nach Huelva eine Verbreitung erfuhren, was den Handel von etruskischem Wein wahrscheinlich macht (Abb. 4). In einigen Regionen, besonders im Hinterland der Küstenbereiche, überwiegen Importe aus Metall. Häufig handelt sich dabei um Trinkgeschirr, das nicht notwendigerweise an die Einfuhr von Wein, aber doch an seinen Konsum geknüpft war und möglicherweise als Luxusartikel zu verstehen ist55. Seltener erscheinen Toilettartikel56, die zu den späten Importen des 3. und 2. Jhs. v. Chr. gehören. Letztgenannte Gegenstände markieren eine Wende im Zustrom von italischen Gütern in Qualität und Quantität, auf die später noch einzugehen ist, und sprechen für einen verfeinerten Lebensstil. Weiterhin finden sich Einzelobjekte57. Dass die Einfuhr etruskischer Produkte anregend auf das einheimische Kunsthandwerk wirkte zeigten eine Reihe von Imitationen nach etruskischen Vorbildern58. Der systematische Handel erreichte dabei nur die Küstengebiete der iberischen Halbinsel, wie das Erscheinen der Bucchero-Fragmente verdeutlicht59,

während wertvollere Bronzegegenstände, möglicherweise über mehrere Zwischenetappen, ihren Weg bis zu weit im Landesinneren gelegenen eher herausgehobenen Stätten gelangten, mit einem direkten Handel sind sie jedoch nur schwer in Verbindung zu bringen. Damit bleibt der etruskische Import in seiner Masse auf die Gebiete des Südens und des Ostens der iberischen Halbinsel beschränkt, in dem ebenfalls griechische Produkte ihre Verbreitung fanden. Die wertvollen und selteneren Einzelstücke sind vermutlich mehrheitlich als persönliche Mitbringsel oder als Geschenke auf die iberische Halbinsel gelangt und seltener wirklich verhandelt worden60, waren aber in den meisten Fällen für herausgehobene Personen bestimmt. Das heutige portugiesische Gebiet wird kaum erreicht. Auch die Frage, ob die Gegenstände direkt von den Etruskern verhandelt wurden, sollte offen bleiben. Entsprechende stratigraphische Hinweise aus dem äußersten Nordosten der iberischen Halbinsel61 sind nicht unbedingt auf den Rest der Küstenregionen und schwerlich auf den Süden zu übertragen62. So findet sich etruskisches Kunstgut nicht selten in phönizischen/punischen Ansiedlungen (Toscanos) sowie im tartessischen Raum63. Nach den Funden von Bucchero auf Sardinien und dem Erscheinen italischer Stücke in Karthago ist auch eine Übermittlung über diese Stationen bzw. auch durch andere Träger weiterhin erwägenswert64. Unterschiede in Art und Quantität zeichnen sich zwischen dem auch geographisch näher liegenden Nordosten der iberischen Halbinsel und dem Süden ab65. Auch die Menge und Art des

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Jede Interpretation des Fundbildes ist schwierig, da dieses stark vom Forschungsstand abhängig ist. Entsprechende Plätze mit längerfristigen Grabungen (besonders an der Küste) zeigen ein Spektrum unterschiedlichster Funde etruskischer Herkunft. Auf dem portugiesischen Gebiet fehlen solcher Ausgrabungen weitgehend. Auch sind nicht immer etruskische Objekte zweifelsfrei zu erkennen. Wie bei den genannten Funden sind Fundzusammenhänge in den meisten Fällen unbekannt (Marzoli [1991] 87). 55 Auf den Konsum von Wein weist auch die Zusammensetzung eines wahrscheinlichen Grabfundes aus der Umgebung von Córdoba, der zwei Kannen, ein Sieb, ein Becken und wahrscheinlich eine Palette enthielt (Marzoli [1991] 87f.). Aus Ampurias stammen neben Bucchero und Amphoren ein etruskisch-korinthischer Aryballos und ein etruskischer Spiegel. 56 Beispielsweise Mansel (1998). Hier auch allgemeine Aussagen zu diesem Phänomen. 57 Beispielsweise eine Elfenbeindose von Los Villares. 58 Beispielsweise ein Stamnos von Ullastret und eine Oinochoe von Illa dén Rexac. Vgl. dazu die Karte nach Almagro-Gorbea (1991) 175 Karte. 59 Vgl. dazu Karte bei von Hase (2000) 80 Karte I. Wahrscheinlich sind die Trinkgefäße aus Bucchero zusammen mit den gefüllten Weinamphoren als Beifracht verschifft worden. Zu den Verhältnissen in Südfrankreich vgl. Pape (2000).

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Erinnert sein nur an die Gabe der Keimelia (Fischer [1973]). 61 So Almagro-Gorbea (1991) 178. 62 Zur Rolle Südfrankreichs für den Handel vgl. Cunliffe (1993). 63 Aufgrund starker Ähnlichkeiten zwischen Kunstobjekten tartesischen Ursprungs und etruskischitalischen Stücken hält es J. Ma. Blázques Martínez sogar für möglich, dass etruskische Handwerker in Südspanien gewirkt haben (Blázques [1991]). 64 Kantharoi der Form Ramussen 3e fanden zwischen dem letzten Dittel des 7. und der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. eine Verbreitung über Sizilien und Sardinen bis nach Karthago und Südspanien (bis Huelva). Fundkonzentrationen sind an der südfranzösischen Küste bis in die Gegend um Ampurias zu erkennen. Eine ähnliche Verbreitung – von Italien, Südfrankreich bis in die Gegend um Ampurias fand auch etrusko-korinthische Keramik (von Hase [1989] 365 Abb. 27 und 379 Abb. 31). Gerade in der 2. Hälfte des 7. und im 6. Jh. v. Chr. scheint es intensive Handelsbeziehungen zwischen Karthago und Etrurien gegeben zu haben. Möglicherweise erreichte der Bucchero die spanische Südostküste durch karthagische Vermittlung (So auch von Hase [1989] 381 mit Anm. 224). 65 Vgl. dazu Gómez Bellard (1991) bes. 307 Abb. 3 sowie Asensi (1991) bes. Abb. 1.

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Erscheinens verändert sich. Findet sich etruskischer Bucchero häufig in frühen Zusammenhängen des 6. Jhs. erscheinen Amphoren noch in v. Chr.66, Fundzusammenhängen des 4. Jhs.67. In der Folgezeit orientierte sich der etruskische Import in den Norden, und etruskische Objekte gelangen fast nur noch als Einzelstücke an die spanische Küste. Im Gegenzug erreichen, in der späteren Zeit – ab dem Ende des 4. Jhs. v. Chr.68 – und bis in das 1. Jh. v. Chr. hinein, iberische Keramik die Küste Westküste der Apenninenhalbinsel bis weit in den Süden69. So erscheint zunächst graue Keramik aus Ampurias, bei deren Formen es sich meist um bikonische Krüge, seltener um paterae und Töpfe handelte70, ab dem 4. Jh. v. Chr. und bis in das 2. Jh. v. Chr. im nordtyrrhenischen Bereich,71 besonders auch im aufgrund seiner Eisengewinnung wichtigen Populonia72 ihre Verbreitung erfuhren. Erst später, mehrheitlich zwischen dem Beginn des 2. Jhs. v. Chr. und der augusteischen Zeit, erreicht auch bemalte iberische Keramik73, meist der Kalathos „Sombrero de copa“74, die mehrheitlich ebenfalls aus der Umgebung

von Ampurias stammt, die italische Küste. Diese Formen erfuhren in einer ersten Phase der Verbreitung (175-125 v. Chr.) eine weite Streuung entlang der Westküste bis weit in den Süden, während sie in einer zweiten (125 bis 70/60 v. Chr.) anscheinend auf den Norden beschränkt blieben75. Produkte aus Elche-Archena erscheinen erst spät im 2. bzw. im 1. Jh. , jedoch nur sporadisch, und sind in Italien nur aus Albintimilium und Pompeji bekannt76. Wenige Stücke mit weißer Engobe stammen aus der Gegend von Girona; mit dem Erscheinen von südlichen Produkten verbreitert sich auch das Formenspektrum77. Die durch den Warenaustausch nachgewiesenen Kontakte sind anscheinend nicht allein auf den Handel zurückzuführen. Das zahlreiche Erscheinen von keramischen Produkten aus dem Nordosten der iberischen Halbinsel im Gebiet von Populonia kann auch im Zusammenhang mit der Ausbeutung und dem Handel von Metall verstanden werden78. So scheint der beschriebene Befund auch für eine Fortsetzung des Handels noch bis in die Zeit der römischen Herrschaft hinein nicht abzureißen79. In Albintimilium fand sich die größte Menge in Straten, die den Jahrzehnten kurz vor der Zeitenwende zugewiesen werden können80. Die geringe Zahl spricht nicht für organisierten Handel, sondern eher für eine Bewegung von Individuen, vielleicht unter römischer Ägide81.

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Gran Aymerich (1991) bes. 627. Sanmartí u. a. (1991). Vgl. dazu Fernández Jurado (1991) bes. 425. Auch in Südfrankreich scheint der Handel mit etruskischen Amphoren im 5. Jh. v. Chr. nahezu zum Erliegen zu kommen, doch in der 2. Hälfte des 4. Jh. erreichen noch gelegentlich südetrurische Produkte die Küste Frankreichs und Nordostspaniens (von Hase [1989] 381f. mit Anm. 227). 68 Zwei Gefäße wurden nach A. Carcía Bellido angeblich in Zusammenhängen des Ende des 6. Jhs. v. Chr. gefunden (García y Bellido [1952] 45 und García y Bellido [1954] 248). 69 Bruni (1992); Bruni – Conde Berdós (1991); Stacciali (1992); Santos Velasco (1983); Lamboglia (1954). 70 Conde Berdós (1996) 163f. 71 Conde Berdós (1996) 152-156 finden sie sich noch in die augusteische Zeit (Estrato 5). 72 Eine Konzentration im nordetrurischen Bereich kann festgestellt werden. So erscheint solche Keramik, durch Handelskontakte oder durch Personentransfer, auch im Minenbereich von Populonia (Bruni u. a. [1992] 544547). 73 Das älteste Stück eines Sombrero de copa stammt aus Belora (Nordetrurien) und kann nach seinem glänzend rotem Überzug mit iberischen Produkten aus dem Südosten der Halbinsel in Verbindung gebracht werden, die zwischen dem 6. und noch bis in das 3. bzw. ins 2. Jh. v. Chr. nachzuweisen sind (Lillo [1981]404). Andere Hinweise lassen eine Datierung in das 4. bzw. 3. Jh. v. Chr. vermuten (Bruni – Conde Berdós [1991] 548). 74 Bruni – Conde Berdós (1991) 548. Nur in Luni sind ebenfalls andere Formen nachgewiesen. Scheinbar wurden auch südfranzösische? Nachahmungen verhandelt. So auch Conde Berdós (1996)163. Gelegentlich finden sich auch andere Formen; Teller und Töpfe. 67

5. Exkurs: Die kulturellen Verhältnisse im 4. und 3. Jh. v. Chr. am Beispiel des Depotfundes von Garvão Die kulturellen Verhältnisse während des 4. und 3. Jhs. v. Chr.82 verdeutlicht auf portugiesischem Gebiet wohl kaum etwas besser als das 1982 bei Bauarbeiten aufgefundene und rituell zu wertende Keramikdepot von Garvão. In einer flachen Grube von 5 x 10 m fanden sich hier eine große Anzahl in einheimischer Tradition für den Hausgebrauch hergestellter Gefäße sowie solcher mit plastischen Darstellungen. Unter den unzähligen Resten einheimischer Keramik kamen ebenfalls Gefäße mit 75

Produkte aus einem Ofen, der in Fontscaldes en Tarragona gefunden wurden, lassen sich mit relativer Sicherheit mit Funden aus Etrurien, die in das letzte Drittel des 2. und den Beginn des 1. Jhs. v. Chr. datiert werden, in Verbindung bringen. 76 Conde Berdós (1996) 162; Bruni – Conde Berdós (1991) 554. 77 Conde Berdós (1996) 163. 78 Bruni – Conde Berdós (1991) 555. 79 Vgl. auch Bruni (1992) 64f. Zur Kontinuität bis in das 2. und 1. Jh. v. Chr. vgl. auch Conde Berdós (1996)162f. 80 Conde Berdós(1996) 163. 81 Ebd. 164f. 82 Der Rest einer hispanischen Ringfibel und angebrochene Enden von Fibeln vom Frühlaténeschema bestätigen deine Datierung in das 4./3. Jh. v. Chr. (vgl. Beirão u. a. [1985] 93 Abb. 35, 95-97).

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bemalter und zum Teil gestempelter Oberfläche zum Vorschein (Abb. 6). Ein sicher nur im kultischen Kontext zu verstehendes Gefäß mit vertikal gelochten Knubben findet die besten Parallelen in der spanischen Levante und südlich der Ebromündung83. Auch die anderen Reste bemalter Keramik aus dem Depot – besonders jene mit der im iberischen Bereich häufig anzutreffenden Bemalung aus konzentrischen Halbkreisen – haben ihre Vergleiche in den keramischen Produkten des westlichen Andalusien oder der spanischen Levante84. Der iberische Bereich spielt eine entscheidende Rolle für die Vermittlung kultureller Impulse aus dem mediterranen Raum in den Westen der iberischen Halbinsel, das Ebrotal aufwärts über die keltiberischen Stämme im Norden der Halbinsel, wo sich ebenfalls die charakteristische Stempelverzierung auf den Gefäßen findet85, oder über das Guadalquivirbecken im Süden.

unwahrscheinlich. Eher ist von einem Verwahrfund auszugehen. Die letztgenannten Komplexe heben sich nicht nur durch die Zugehörigkeit zu einer anderen Fundgattung von den zuerst genannten Funden aus Heiligtümern, sondern ebenfalls durch eine jüngere Zeitstellung ab. Die besten Vergleiche finden sich damit im iberischen Raum und können zwischen das 4. und 2. Jh. v. Chr. datiert werden89. Die zu Grunde liegende Idee ist wohl aus dem hellenischen Raum importiert worden90 und findet sich im griechischen Bereich sowie in Süditalien am Beginn der Eisenzeit belegt91. Außerhalb der iberischen Halbinsel finden sich solche Darstellungen z. B. im Quellheiligtum der Seine92 zusammen mit Darstellungen anderer Körperteile und sind dort mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls als Devotionalien zu interpretieren, gehören jedoch bereits der römischen Kaiserzeit an. Bronzeblechvotive mit der Darstellung von Körperteilen sind im 4. und 3. Jh. v. Chr. noch im griechischen Raum (Lousoi, Peloponnes), auf dem Balkan (Mesembria, Thakien) und aus dem venetischen oder allgemeiner im nordostitalischen Raum93 bekannt und lassen sich in Griechenland bis in die Kaiserzeit verfolgen94. Gelegentlich finden sich solche Bleche ebenfalls im etrurischen Raum (Bolsena) oder noch weiter südlich. Im venetischen Raum, wo kleine bronzene Votive überwiegen, bilden sie jedoch den geringsten Anteil an Darstellungen95, während andere Körperteile bzw. noch häufiger figurale Darstellungen (auf Blechen oder plastisch) überwiegen. Ein dargestellter Kopf auf einem der Bleche von Garvão ist sicher nicht mit dem Kopfkult der Kelten zu verbinden, sondern ist eher in mediterraner Tradition als ein Votiv (möglicherweise als pars pro totoGabe an eine Gottheit96) zu verstehen. Solche Darstellungen finden sich ebenso unter den Votivblechen aus dem venetischen Raum.

Zu den auffälligsten Funden zählen wohl die bronzenen oder goldenen, mehrheitlich abgerundet rechteckigen Metallblättchen, von denen eine große Zahl strahlenumkränzte Augenpaare zeigt. Zahlreiche Beispiele solcher „Votive“ stammen aus iberischen Heiligtümern86. Ähnliche Bleche stammen aus Heiligtümern im Südwesten der iberischen Halbinsel (z. B. Collado de los Jardines und Castellar de Santisteban)87. Dort fanden sie sich zusammen mit Devotionalien wie Figürchen, Arme, Beine und Hände aus Ton und Bronze, die eine Deutung als Bittgaben nachvollziehbar erscheinen lassen. Weitere Exemplare solcher Bleche erscheinen in Hortfunden (Drieves und Salvacañete)88. In einem Fall (Drieves) fanden sie sich vermutlich kombiniert mit keiner geringen Menge an Hacksilber, die eine Ansprache als Materialdepot möglich erscheinen lässt, obgleich ein weiteres mit zwei Buckeln verziertes Blech als Darstellung von weiblichen Brüsten zu interpretieren ist, wie sie auch in Heiligtümern belegt sind. Der Hortfund von Salvacañete dagegen enthielt neben einem Augenblech mehrheitlich unbeschädigte Metallgefäße und Schmuckgegenstände sowie weitere Bleche mit Gesichts- und Personendarstellungen. Im letzten Fall scheint daher eine Deutung als Materialdepot

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Beispielsweise in den Funden von Cehegín (Murcia) (Berrocal Ranges [1992] 146). 90 Die Tradition, Votivgaben zu spenden, ist im Mittelmeerraum über einen langen Zeitraum hinweg belegt (Beirão u.a. [1985] 120f.). 91 Berrocal Ranges (1992) 146 (vgl. Sabucina, Sizilien und Mendolito, Catania). 92 Vgl. Sources de la Seine (Borgonha), Source des Roches a Chamalieres (Clermont-Ferrand); Bourbonneles-Bains (Haut-Marne): Deyts (1973); Deyts (1983); Dumontet – Romeuf (1980); Dumontet – Romeuf (2004). 93 Beirão u. a. (1985) 120. Beispielsweise EsteCaldevigo: I Paleoveneti (Padova 1988) 45 Abb. 47; auch Reitia – Heiligtum in Este. 94 Forsén (1996) 113. 95 Pascucci (1990). Augenbleche stammen aus den venetischen Heligtümern Este-Barratella und Caldevigo (insgesamt 3 Exemplare). 96 Steingräber (1980).

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Beirão u. a. (1985) 112f. Neue Kartierung bei López (2002) 100 Abb. 1. 84 Beirão u. a. (1985) 131f. 85 Vgl. dazu allgemein Berrocal Ranges (1992) 100-102. 86 Beirão u. a. (1985)119f. Salvacañete (Cuenca): Cabré (1936); Levante: Collado de los Jardines und Castellar de Santisteban: Alvarez (1941); Drieves (Guadalajara) und San Valero: Aparisi (1945); Alhonoz (Sevilla): Palomo (1981); Palomo (1983); Nicolini (1967) Taf. 17, 24. 87 Vgl. Alvarez (1941) Kat. 1860-2272 und 2273-2322 mit Taf. 146 und 147. 88 Zuletzt Fabião (1998) 261-268; Berrocal Ranges (1992) 146-148 mit Abb. 28 mit älterer Literatur. Vgl. auch Raddatz (1969) Taf. 7-21, hier Taf. 15, 253 und Taf. 50-54, hier Taf. 53, 30.

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Im Vergleich zu den dargestellten Fundpunkten bilden die Bleche mit in Strahlen gefassten Augenpaardarstellungen nun die Mehrheit unter den Blechen aus Garvão; andere Körperteile fehlen fast vollständig. Werden die Augenpaare in den beschriebenen Zusammenhängen, ähnlich der Bleche mit Darstellungen anderer Körperteile, als Bitte um Linderung von Schmerzen in den entsprechenden Körperregionen oder als Dank für Heilung verstanden, so sollte im Bezug auf Garvão über eine andere Deutung nachgedacht werden, die wahrscheinlich eher im apotropäischen Charakter solcher Darstellungen verborgen liegt97. Bei der aufgedeckten Deponierung könnte es sich um das „rituell entsorgte“ Inventar eines Kultraumes handeln, wie es ähnlich auf dem Oppidum von Capote (span. Extremadura) entdeckt wurde98. Die wenigen Fundpunkte von u. a. auf Blechen dargestellten Körperteilen, hier hauptsächlich der Augen, scheinen, soweit dies auf der geringen Materialgrundlage überhaupt zu vermuten ist, besonders im Süden der iberischen Halbinsel im 4. und 3. Jh. v. Chr. verbreitet zu sein99. Dort und im iberischen Raum werden die wahrscheinlich vom Vorderen Orient ausgehenden, über den griechischen Raum und durch die Übermittlung Italiens die iberische Halbinsel erreichenden Impulse aufgenommen und bilden die Grundlage für einheimische Ausformungen, die einmal mehr die starke Einflussnahme der mediterranen „Kulturen“ im Süden belegt100.

in den archäologisch besser nachweisbaren wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die ab dem Ende des 3. Jhs. v. Chr. exportierte, anknüpfend an griechische Schwarzfirnisware auf Ischia und am Golf von Neapel hergestellte Campana A-Ware wurde, spätestens ab der Rückeroberung von Capua 211 v. Chr., einer der römischen ‚Exportschlager’102, der, bezogen auf die iberische Halbinsel, auch als ein Anzeiger für das Ausgreifen des römischen Einflussbereiches gewertet werden kann (Abb. 7). Im Gegensatz zur Verbreitung der griechischen und der etruskischen Importe, die sich hauptsächlich in den Küstengebieten fanden, verteilt sich die Campana A-Ware das Ebro-Tal aufwärts bis weit ins Hinterland. Sie belegt die immense Bedeutung des Ebrotales als alte Kommunikationsachse103, die, früh durch römische Stadtgründungen (1. Hälfte 2. Jh. v. Chr.) markiert, dem römischen Militär als Einfallstor in das Innere der iberischen Halbinsel und in den keltiberischen Raum diente. Das Vorkommen der Campana A-Ware zwischen dem Guadalquivir und dem Guadiana reflektiert dagegen den Beginn der römischen Bergbautätigkeit104. Das Mengengefälle der Fundstücke vom Osten der iberischen Halbinsel in den Westen verdeutlicht die Situation und spiegelt in gewissem Sinne die Machtverhältnisse in der Frühzeit der Eroberung wieder. So sind aus Sidamunt 866 Fragmente und vom Cerro del Molinete (Cartagena) gar mehrere tausend Fragmente Bündnisse ihre Herrschaft auch diplomatisch anzusichern. Ihre Macht konzentriert sich in Karthago Nova, der wichtigsten ihrer Gründungen. Rom sieht seine Interessen auf der iberischen Halbinsel bedroht und 226 v. Chr. zum Abschluss des sog. Ebro-Vertrages gedrängt, der eine Teilung der Einflussgebiete entlang des Ebro vorsieht. Die Eroberung des mit Rom verbündeten Saguntums führte dann jedoch 218 v. Chr. zum Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges. Mit der politischen Neuordnung des Mittelmeerraumes im Zuge der Punischen Kriege veränderte sich neben dem politischen Gefüge ebenfalls die wirtschaftlichen Verhältnisse. So gelang es den römischen Truppen bis 206 v. Chr., nach fast einem Jahrhundert der Auseinandersetzungen, die Karthager von der Iberischen Halbinsel zu vertreiben und ebenfalls die wirtschaftliche Vormachtstellung zu gewinnen. Zuerst und relativ schnell gerieten die Gebiete im Süden und Osten unter römische Kontrolle. Ausgehend von diesen Gebieten rückt Rom schrittweise nach Westen vor. Den Ebro aufwärts führen sie die weiteren Offensiven gegen die keltiberischen Gebiete. Doch erst mit dem Dritten Punischen Krieg und der endgültigen Zerstörung Karthagos gelingt es Rom sich als die bestimmende Macht im Mittelmeerraum durchzusetzen (Vgl. allgemein dazu Bagnal [1990]). 102 Zusammenfassend Jaeggi (1999) 32-34. 103 Vgl. Cunliffe (1995). 104 Vgl. die neu vorgelegte Arbeit von Blázquez Martínez u. a. (2002).

6. Handel und Eroberung – die Campana-Waren Die veränderten politischen Machtverhältnisse nach den ersten zwei Punischen Kriegen101 finden ihren Widerhall 97

Doppelpaar von Augen finden sich häufig im mediterranen Raum, auf Augenschalen oder sogar gelegentlich auf Altären (Demeteraltar). Auf Sardinien finden sich in punischer Zeit Augenpaare auf Eierschalen (Acquard [1984] 49 Abb. 66. Diese verzierten Straußeneierschalen erreichen auch den Süden der iberischen Halbinsel. 98 Vgl. dazu Berrocal Ranges (1992) 194f. mit Abb. 40. Grundsätzlich Berrocal Ranges (1993). 99 Die beschrieben und in der Literatur (Berrocal Ranges [1992] 145-148; Beirão u. a. [1985] 119-125) bereits genannten Fundpunkten ist noch mindestens ein weitere hinzuzufügen. 100 So auch Raddatz (1969) 162. 101 Ab dem 3. Jh. v. Chr. gerät die iberische Halbinsel in das Spannungsfeld der beiden rivalisierenden Großmächte Karthago und Rom. Während in der Folge des Ersten Punisches Krieges und dem darauf folgenden Söldneraufstandes Sardinien und Sizilien an Rom fällt, können die punischen Generäle Hamilkar Barkas und nach seinem Tod sein Schwiegersohn Hasdrubal größere Teile des Südostens der iberischen Halbinsel unter ihre Gewalt. Sie versuchen über gezielte Heiratspolitik und

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belegt, während für das portugiesische Staatsgebiet und Andalusien nur bescheidene Zahlen zu nennen sind. Auf dem Gebiet des heutigen Portugal findet sich Campana A-Ware nicht selten und relativ flächig verteilt im Süden, dem Bereich der recht früh auch unter römischen Einfluss geriet, bis in den Alentejo. Die landeinwärts gelegenen Gebiete im Norden scheinten die Campana A-Ware kaum erreicht zu haben. Dagegen streuen die Funde die Küsten hinauf bis in den äußersten Norden, was wohl als Hinweis auf die Bedeutung der Küstenschifffahrt – auch vor dem Hintergrund einer Verbindung entlang der Küste mit dem metallreichen Norden – für die Verbreitung der Waren gedeutet werden kann105. Wenigstens im Süden knüpft das Erscheinen von kampanischer Keramik an die Tradition der Einfuhr mediterraner Importgegenstände (attische Keramik106, phönizisch/punischer Import) an und übertrifft in ihrer Durchdringung der iberischen Halbinsel noch den Absatz der griechischen Waren im 4. Jh. v. Chr. So ist auch ihre Verbreitung, die Küste entlang in den Norden, nicht allein vor dem Hintergrund des militärischen Ausgreifens Roms zu sehen, vielmehr spiegelt es die wirtschaftlichen Gegebenheit – die wachsende Bedeutung und Dominanz italischer Waren – wider107. Ab dem letzten Viertel des 2. Jhs. v. Chr. auf die iberische Halbinsel vermarktet, erscheint die in Etrurien, unter anderem in Cosa und im nördlichen Kampanien hergestellte Campana B-Ware (Abb. 8)108 auf den hispanischen Fundplätzen und wird erst im dritten Viertel des 1. Jhs. v. Chr. wieder von den roten Sigillaten abgelöst. Im Vergleich zu der Verteilung der Campana AWare verschiebt sich das Absatzgebiet der tendenziell jüngeren Campana B-Ware nach der Anzahl der Fundpunkte geurteilt etwas weiter nach Westen in den portugiesischen Bereich und in die Extremadura. So erscheint diese Keramik gehäuft in den ab dem Beginn des 1. Jhs. v. Chr. massiv ausgebeuteten Minengebieten im Hinterland der großen Flüsse, zwischen dem Guadiana und Guadalquivir. Den Westen der iberischen Halbinsel erreichte die Campana B-Ware im größeren Maße als die Campana AWare, obgleich das Mengengefälle zum Osten bestehen bleibt. Das bereits für die Campana A-Ware beschriebene Verbreitungsbild ändert sich nur mengenmäßig. Das häufige Erscheinen dieser Keramik im Süden des heutigen Portugal verdeutlicht dabei die spätrepublikanische Siedlungstätigkeit in diesem Bereich, die mit der Anlage der sog. Wehrgehöfte verbunden werden kann109. Die außerordentliche Beliebtheit dieser schwarzgefirnisten Keramik findet nicht nur ihren

Widerhall in der großräumigen, ja flächigen Verbreitung auf der iberischen Halbinsel, sondern ebenfalls in der Häufigkeit ihrer Imitationen, die teilweise bis annähernd 50 % der gefundenen Menge ausmachen können. Dabei handelt es sich um Nachahmungen, die weiträumigere Verbreitung erfuhren (Kouass/Ibiza) während eine kaum zu unterschätzend Anzahl an kleineren Werkstätten Keramik dieser Art für den interregionalen und teils wahrscheinlich ebenso nur für den örtlichen Bedarf produzierten. Bei den in großen Mengen auf die iberische Halbinsel eingeführten Importgefäßen – und dies gilt für die griechischen, etruskischen und für die kampanischen Produkte – handelte es sich in der überwiegenden Mehrheit um Trinkgefäße, die wahrscheinlich mit dem Genuss von Wein, wenigstens jedoch mit seinem Handel, in Verbindung zu bringen sind. Der Import von Wein auf die iberische Halbinsel ist seit dem 7. Jh. v. Chr. belegt. Wenige, aber sicher datierte Hinweise sprechen für eine Herstellung von Wein auf der iberischen Halbinsel bereits im 6. Jh. v. Chr. 110 Weitere Nachweise bleiben jedoch rar. Obgleich nach Roulliard 82, 3 % der griechischen Gefäße Trinkgefäße sind, ist der Anteil von 1,3% an griechischen Transportamphoren erstaunlich klein111. Dagegen dominiert der italische Weinexport, der ab dem 3. Jh. v. Chr. noch zunimmt, das Bild, wie es von den ersten in Hispanien weit verbreiteten graeco-italischen Amphoren und den ab der Mitte des 2. Jh. v. Chr. verhandelten Amphoren der Form Dressel 1 verdeutlicht wird, die auch in fast jeder einheimischen Ansiedlung im Westen der iberischen Halbinsel auftauchen und in Italien hergestellten Wein in die westlichen Regionen des Mittelmeeres transportierten. Auf dem Gebiet des heutigen Portugal erscheinen bereits graeco-italische Amphoren, jedoch an Orten, die mit frühen römischen Militäreinsätzen verbunden werden können (Choes de Alpompé und Alcáçova de Santarém)112. Ob vorher der Wein in Eigenproduktion hergestellt wurde oder die in reicher Zahl aus einheimischen Siedlungen bekannten punischen Amphoren solchen Inhalt vermittelten, kann aus der Fundlage heraus nicht entschieden werden. Erst ab dem 2. Viertel des 1. Jhs. v. Chr. steigt der Import von italischem Wein merklich an (Dressel 1B und Lamboglia 2) und dominiert den Markt bis in augusteische Zeit. Ab dem Beginn des 3. Viertels des 1. Jhs. v. Chr. ist dagegen ein Rückgang italischer zu Gunsten baetischer Produkte zu verzeichnen, repräsentiert durch den Anstieg der Zahl an Amphoren der Form Haltern 70113. 110

Jaeggi (1999) 38-41. Rouillard (1991) 180-185; 322-326. 112 Arruda – de Almeida (1999) 332f. 113 Vgl. Tchernia (1986). Besonders Arruda – de Almeida (1999).

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Luís (2003) 23-43. 106 Rouillard (1991)124f. 107 Luís (2003) 37f. 108 Zusammenfassend Jaeggi (1999) 34f. 109 Allgemein dazu Wahl (1985); Maia (1986); Maia (1978); Moret (1999); Fabião (2002).

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

stilisiertem Vogelkopf. Neben Bronzegeschirr erscheinen bereits bzw. spätestens ab dem Ende des 2. Jhs. v. Chr. und besonders im 1. Jh. v. Chr. dünnwandige Becher auf der iberischen Halbinsel, die als Trinkgefäße auch zum Verköstigen von Wein dienten (Monte da Nora).

7. Der Beginn der Romanisierung – das 1. Jh. v. Chr. Bezogen auf die westlichen Gebiete der iberischen Halbinsel scheinen Akkulturationsvorgänge effektiv erst im 1. Jh. v. Chr. spürbar zu werden. Gleichsam an ihrer Spitze stehen die in hoher Zahl eingeführten Amphoren und die entsprechenden Trinkgefäße, die aus Italien stammen, ältere Entwicklungen fortsetzten, doch jetzt in deutlich geänderter Qualität oder eher Quantität. Die römische Eroberung Hispaniens und die neu gewonnene Vorherrschaft im Mittelmeer, besonders im westlichen Teil, sorgten für die Sicherung des größten Marktanteiles für römische Produkte und die einsetzende „Romanisierung“ für einen erweiterten und wachsenden Absatzmarkt im Westen der iberischen Halbinsel in den Gebieten, die vorher nicht in so starkem Maße von mediterranen Importgegenständen durchdrungen wurden. Die Umsiedlung von Personen, auch im Zuge des kontinuierlichen und intensivierten Abbaus von Rohstoffen und des Ausbaus der Landwirtschaft, die ihre Lebensgewohnheiten nicht aufgeben und nicht auf die heimischen Produkte verzichten wollten, sorgte zudem für eine Verbreitung der römischen Lebensweise. Ähnlich wie bereits bei den etruskischen Importen neben den Gegenständen, die mit dem Import oder dem Genuss von Wein in Zusammenhang zu bringen sind, erscheinen jetzt Gegenstände, auch solcher gehobener Qualität, in den römischen Lagern (Cáceres el Viejo) (Abb. 10, 16) und ebenso in zivilen Zusammenhängen (Mesa do Castelinho, Capote,) (Abb. 9, 12), die dem italischen „Alltag“ entstammen und mehr noch als die Keramik von der Übernahme römischer Lebensart zeugen. Zweiteilige Kellen mit horizontalem Griff zeigen eine weite Verbreitung von Unter- bis Oberitalien und streuen bis auf den Balkan und nach Südfrankreich (Abb. 17)114. Vom portugiesischen Gebiet sind hauptsächlich Kellen der Form A (Kellen mit dreigliedrigem Griff) und B (Kellen mit zweigliedrigem Griff) belegt, die im Guadalquivirbecken und im Ebrotal ihre Gegenstücke finden. Form A findet sich in Etrurien ab dem 2. Jh. v. Chr. und erscheint in Grabfunden in Oberitalien ab dem 1. Jh. v. Chr. (90 bis 50 v. Chr.). Die Form B ist ebenfalls aus Fundkomplexen des 1. Jhs. v. Chr. belegt (Wrack von Spargi), kann aber noch bis in augusteische und tiberische Zeit niedergelegt werden. Kellen der Form A stammen aus dem nach Münzfunden in das 1. Viertel des 1. Jhs. v. Chr. datierten römischen Lager von Cáceres el Viejo, aus der eisenzeitlichen Siedlung von Mesa do Castelinho sowie aus dem Castelo da Lousa und dem Castelo Velho do Cobre, beides sog. Wehrgehöfte, auf die später noch einzugehen sein wird. Zu den in einheimischen Kontexten aufgefundenen Bronzegefäßen republikanischer Zeitstellung gehören auch doppelkonische Bronzekannen und in einem Fall eine römische Pfanne mit hakenförmigem Griffende und

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Neben den Gegenständen, die mit dem Genuss von Wein verbunden werden können, finden sich in Fundkomplexen des 1. Jhs. v. Chr. auch Trachtbestandteile (Abb. 18), die nur vor dem Hintergrund von „Personenverschiebungen“ zu erklären sind. So ist wohl auch das Erscheinen der Nauheimer Fibeln auf der iberischen Halbinsel zu verstehen. Zu mehreren Exemplaren erscheinen sie nicht selten in römischen Zusammenhängen (Cabeça de Vaiamonte und Lomba de Canho) – so in Lagern der Sertoriuszüge – und tauchen ebenfalls in den einheimischen Siedlungen auf und belegen den engen Kontakt zwischen „Neuankömmlingen“ und Einheimischen. Ihre einfachen, unverzierten Formen finden eine Verbreitung vom Rhein über Südfrankreich bis nach Spanien und lassen die Möglichkeit einer Übermittlung solcher Formen durch keltische Personen in römisch-militärischen Zusammenhängen für denkbar erscheinen115. Bei den profilierten Nauheimer Fibeln und den an die Nauheimer Fibeln angelehnten Fibeln von Typ Telamon116, die ihren Verbreitungsschwerpunkt auf der iberischen Halbinsel haben, scheinen jedoch hispanische Entwicklungen zu sein, ähnlich wie dies neuerdings wieder für die Scharnierfibeln vom Typ Alesia angenommen wird117. Diese Formen belegen die Aufnahme und die kreative Neugestaltung von metallischen Erzeugnissen, ähnlich wie dies auch an der einheimischen Keramik nachzuweisen ist. Nach den mitgeführten Trachtbestandteilen fanden sich unter den Truppen, die im Zuge der Auseinandersetzungen des 1. Jhs. v. Chr. auf der iberischen Halbinsel eingesetzt waren, Leute, die ihre Heimat in Norditalien und oder im Bereich der Adria hatten118. Aus dem Lager von Cáceres el Viejo stammt u. a. eine Fibel vom Typ Nova Vas (Abb. 10, 29), die ihren Verbreitungsschwerpunkt im nordadriatischen Raum hat119. Die Verbindungen, wie sie durch die Fibel vom Typ Nova Vas verdeutlicht werden, reißen scheinbar 115

Striewe (1996) 23 mit Karte 3; Lenerz-de Wilde (1991) 67. Feugère rechnet mit einer Entstehung dieser Form im Languedoc (Feugère [1985], 312), das um das Ende des 2. Jh. v. Chr. bereits zum römischen Reich gehörte. Zur Iberischen Halbinsel vgl. Erice (1995) 4559. 116 Als eigener Typ aufgefasst und behandelt durch Ulbert (1984) 58f. mit Anm. 153; Lenerz-de Wilde (1991) 65; Striewe (1996) 87f. mit Karte 38. 117 Luik (1997). 118 So bereits Ulbert (1984) 195f. 119 Guštin (1987) 54 Abb. 13; Demetz (1999) 56-58.

Mansel (2000) 200.

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nicht ab und sind bis in die augusteische Zeit am Fundgut nachweisbar. In römisch-militärischen (Abb. 10 , 30) und etwas später in zivilen Zusammenhängen (Monte da Nora) erscheinen die Fibeln vom Typ Gorica auf der iberischen Halbinsel. Sie haben ähnlich wie die Fibeln vom Typ Nova Vas ihren Verbreitungsschwerpunkt am Caput Adriae und finden sich in geringer Zahl auf der iberischen Halbinsel120. Besonders bei den Exemplaren mit ovalem Bügelquerschnitt der Form IIc nach Demetz wird dies deutlich. Aus dem in augusteischer Zeit durch ein römisches Forum n Oppidum Conimbriga stammen weitere Fibeln adriatisch-alpiner Herkunft (Fibel vom Typ Jezerine IIc) (Abb. 18 oben links)121. Bemerkenswert ist ein Stück mit dachförmigem Querschnitt, welches in den Umkreis alpiner bzw. norisch-pannonischer Fibeln zu stellen ist (ähnlich Knotenfibel I) (Abb. 18 unten links), ohne ein passendes Gegenstück zu finden.

wahrscheinlich im 3. Viertel des 1. Jhs. v. Chr. gegründete römische Stadtanlage von Beja (Pax Julia) im Baixo Alentejo besessen zu haben122. Die am Beginn der römischen Kaiserzeit gegründete Stadtanlage dominiert eine fruchtbare Ebene, die wahrscheinlich von den Bewohnern der Stadt bewirtschaftet wurde. Von den frühen Stadtgründungen ausgehend erfolgte die Romanisierung des Hinterlandes. 9. Romanisierung des Hinterlandes Viele der im Alentejo nachgewiesenen einheimischen Siedlungen zeigen eine kontinuierliche Nutzung bis in das 1. Jh. v. Chr., wo sie dann am Beginn dieses Jahrhunderts oder um die Zeitenwende aufgegeben werden. Wahrscheinlich am Beginn des 1. Jhs. v. Chr. setzt eine neue ‚Gattung’, kleinflächige Siedlungen mit wehrhaftem Aussehen, ein. In ihrer Positionierung durchaus vergleichbar mit den befestigten Höhensiedlungen älteren Charakters123 unterscheiden sie sich jedoch deutlich durch einen zumindest bei den wenigen gegrabenen Beispielen nachgewiesenen, wehrhaften, meist wohl turmartigen Zentralbau (Abb. 11, 13)124. Seine Herleitung ist entscheidend für die Interpretation der Anlagen allgemein. Doch ist dies vergleichsweise schwer. J. Wahl zog allgemein ostmediterrane spätklassisch-frühhellenistische Beispiele als Vorlagen heran125, die von den Römern übernommen und in den Westen vermittelt wurden, während J. C. Moret das Atrium italischer Villen als Vorbild, das zum Teil in einheimische Bautradition umgesetzt wurde, meint erkennen zu können126. Nach den jeweils bemühten Vorbildern geht man heute allgemein davon aus, dass es sich bei diesen Bauten um eine wehrhafte Art von Speicherbauten handelt, die zur Lagerung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen127, möglicherweise auch von Erzen gedient haben128. Auf letzteres scheinen

Neben Gegenständen, die beim Symposium auch stets eine „Außenwirkung“ erzielen konnten, zeigt sich jedoch mit den im 1. Jh. v. Chr. jetzt auch in einheimischen Siedlungen auftretenden römischen Reibschalen und in der Verwendung von nach römischen Vorbild geformten Dachziegeln (Monte da Nora), wie tiefgreifend die Änderungen auch das alltägliche Leben umstrukturierten. 8. Frühe Städte Den deutlichsten Einschnitt stellt wohl, auch im Zuge der Ansiedlung von Ortsfremden, römischen oder romanisierten Personen, die im 1. Jh. v. Chr. beginnende Neu- und Umstrukturierung der Siedlungslandschaft dar. Das endeisenzeitliche, wahrscheinlich auf befestigte Höhensiedlungen ausgerichtete Landnutzungssystem erfuhr im 1. Jh. v. Chr. eine völlige Umstrukturierung, die sich wahrscheinlich schrittweise durchsetzte. Das gleichsam „siegreiche“ Modell wurde aus dem italischen Mutterland übernommen und visualisiert sich zuerst in den römischen Städtegründungen des fortgeschrittenen 1. Jhs. v. Chr., obgleich die Anfänge wahrscheinlich bereits früher zu fassen sind. In den Küstenregionen konnte im Gegensatz zu dem eher keltisch geprägten Hinterland auf entsprechende Strukturen zurückgegriffen werden, während im Alentejo, also landeinwärts, eine mit den römischen Vorstellungen kompatible Infrastruktur kaum bestand. Dazu gehören wahrscheinlich auch die nicht geringe Zahl an Neugründungen, unter ihnen, nach dem bisherigen Wissensstand, auch Beja und Merida, während das zu einer römischen Stadtanlage ausgebaute Conimbriga als Gegenbeispiel genannt sei. Die entscheidende Bedeutung für den frühen Abschnitt der Umstrukturierung der Lusitania scheint die

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Faria (2001) 352f. Zusammenfassend Beschreibung der Lage bei Luik (1998) 244f. 124 Den Prototyp stellte das best untersuchteste Beispiel, das Castello da Lousa, dar. Zum Castelo da Lousa vgl. Wahl (1985). Zu ähnlichen Anlagen aus dem Bajo Alentejo vgl. Maia (1974); Maia (1978); Maia (1986)(hier auch ältere Literatur). 125 Wahl (1985) 161-169. 126 Moret (1999) 59-72. 127 Wahl (1985) 168f. M. Maia bemerkt die Kargheit des Bodens im Bereich der Anlagen im Baixo Alentejo, führt aber doch ein Beispiel einer Villa aus der unmittelbaren Umgebung eines der Castelos an, die weiter bis in die Kaiserzeit bestand (Maia [1986] 214-220). Im Gebiet um das heutige Beja läßt sich keine geringe Zahl an Villen nachweisen (Vgl. Teichner [1997] 148). Kritisch dazu Moret (1999) 74-76. 128 Zuerst Maia (1986) 221f. ; zuletzt zusammenfassend Moret (1999) 77f. (Hier auch die ältere Literatur zu den 123

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Demetz (1999) 106-108, hier bes. 107 (Gorica IIc) mit Karte 32 (hier auch ältere Literatur). 121 Demetz (1999) 99-105 mit Karte 29-31.

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

zahlreiche Funde von Blei, Tropfen vom Schmelzprozess sowie Erzstücke hinzuweisen129. Dieses einheitliche architektonische Konzept sollte bzw. muss jedoch keine einheitliche Nutzung implizieren130. Bisher gibt es keine schlüssigen Belege für eine militärische Nutzung dieser Plätze, stattdessen ist nach dem bisherigen Forschungsstand von einer zivilen auszugehen131. Auch scheint die zum Teil abweichende Bauweise der Anlagen im Alto Alentejo von denen des Baixo Alentejo gegen ein einheitliches Bauprogramm zu sprechen. Die kräftigen Mauern der häufig trocken gesetzten zentralen Bauten könnten sich auch aus statischen Gründen erklären, so sollte doch ein Obergeschoss getragen werden132. Bei den beschriebenen Beispielen solcher Anlagen aus dem Baixo Alentejo, denen seit neuestem auch vergleichbare Plätze aus dem Alto Alentejo an die Seite zu stellen sind133, handelt es sich möglicherweise um die ältesten auf der iberischen Halbinsel134. Weitere größere Konzentrationen solcher Siedlungen südöstlich von Mérida135 und aus dem Guadalquivir-Becken136 scheinen erst in das 1. Jh. n. Chr. zu gehören137. Auch über die

Bewohner kann nur spekuliert werden. Da die Vorbilder im mediterranen bzw. römischen Bereich gesucht werden, geht J. Wahl von einer gezielten Kolonialisierung durch römische Veteranen aus138. Aus dem bisher publizierten Fundgut heraus ist dieses Problem jedoch nur schwer und mit aller Vorsicht zu da sich dort einheimisches, beurteilen139, republikanisches Material mit römischen Funden vermischt (Abb. 12), obgleich das architektonische Konzept, im Castelo da Lousa ein atriumartiger Lichthof mit einer Zisterne im Zentrum, ebenso wie die vermutliche Nutzung von römischen Maßeinheiten, tatsächlich für eine Erbauung von Römern oder von romanisierten Einheimischen sprechen könnte140. Für die neu nachgewiesenen Bauten im Alto Alentejo möchte R. Mataloto ein differenzierteres Bild entwerfen. Seine Unterscheidung zwischen Bauten eher zivilen Charakters, die zwar durch defensives Aussehen bzw. Funktion gekennzeichnet sind, doch kleinräumlich keine dominierende Position einnehmen und deren Grundlage seiner Meinung nach hauptsächlich die Landwirtschaft darstellte141, und wehrhaften Kleinanlagen, deren Aufgabe es war, positioniert an kleinräumigen Schlüsselstellungen, Wege zu überwachen und das Territorium zu verteidigen142, sind „…zwei Seiten der gleichen Realität“. Die Bedeutung dieser Bauten für die Phase der Akkulturation könnte größer sein als zunächst

einzelnen Fundpunkten). Die ersten Offensiven innerhalb der römisch-hispanischen Auseinandersetzungen richteten sich gegen die Stadt Castulo, deren Minen in flavischer Zeit 7% des römischen Staatshaushaltes erwirtschafteten ( Koch [1993] hier 2f. und 7). Gleiche Bedeutung kommt den Minengebieten zwischen Guadiana und Guadalquivir zu, die bereits kurz nach der römischen Eroberung ausgebaut wurden (Jaeggi [1999] 33). 129 Maia (1986) 214-222. 130 Die neuerliche Zusammenstellung verdeutlicht das Problem. Während für die befestigten Bauten im Baixo Alentejo, der Serena und die im Bereich La Caroline zumindest wenige Kilometer von bereits in römischer Zeit ausgebeuteten Metallvorkommen zu finden sind, trifft dies für die Anlagen des Alto Alentejo (vgl. Merideth [1998]) und denjenigen auf dem Gebiet der Provinzen Jaén und Córdoba wahrscheinlich nicht zu (Moret [1999] 56 Abb.1). Hier scheinen andere „Standortvorteile“ von Bedeutung gewesen zu sein. 131 Bis auf wenige Schleuderbleie aus dem Castelo da Lousa fehlen jedoch Waffenfunde im größeren Umfang. Schattner, Wegweiser (1998)177 zählt die Wehrgehöfte, wahrscheinlich wegen der u.a. von J. Wahl angeführten Vergleiche und möglichen Vorbilder – burgusartige Bauten aus militärischen Zusammenhängen – mit zur militärischen Architektur (Wahl [1985] 168). Kritisch Luik (1998) 246. Sicher ist eine zivile Nutzung anzunehmen (Moret (1999) 78-84). 132 Allgemein kritisch auch Fabião (2002). 133 Mataloto (2002) 134 Zuletzt Moret (1999) 57f.; Luik (1998) 241-246. 135 Rodríguez Díaz - Ortiz Romero (1990); García y Bellido (1995); Grundlegend auch Ortiz Romero (1995). 136 Grundlegend Fortea – Berner (1970). 137 Moret (1999) 57f.

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Wahl (1985) 172; so auch Schattner (1998) 177. Unter den Funden aus dem Castelo da Lousa findet sich, neben den römischen Hinterlassenschaften, ebenfalls eine reiche Zahl an einheimischer Keramik des 1. Jh. v. Chr. Dieses Bild kann natürlich ebenso für römische Gründungen in einer durch einheimische, eisenzeitlich geprägte Bevölkerungsteile besiedelte Gegend zutreffen. Schattner (1998) 177 bemerkt, dass die Funde ein rein römisches Spektrum aufweisen. Dies ist falsch. Bereits in den ersten Grabungsberichten fand sich eine ganze Zahl an einheimischer Keramik des 1. Jhs. v. Chr. abgebildet (Paço – Baçao Leal (1966) Abb. 21, 1315 und Abb. 24h-l). Über die Mengenverhältnisse der Fundgruppen lässt sich jedoch auf der Grundlage der alten Publikationen nichts aussagen. Neue Ausgrabungen bestätigen die hohe Zahl an einheimischer, eisenzeitlicher Keramik. 140 Luik (1998) 241. 141 Mataloto (2002) 193-196. 142 Mataloto (2002) 209-211. Eine Nutzung dieser kleinräumigen Anlagen zur Verteidigung von Territorium ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, da bisher kein überzeugendes Konzept für die Art und Weise einer solchen Verteidigung vorliegt (vgl. dazu die seit längerem in der Archäologie des Mittelalters geführte Diskussion). Jedoch könnte über eine Nutzung zur schnellen Übermittlung von Nachrichten nachgedacht werden, die im Notfall, also bei Bedrohung, möglich machten, schnell Hilfe herbeizurufen. 139

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Überlieferungen berichten150. Die seit dem Jahre 193 v. Chr. mit unterschiedlicher Heftigkeit andauernden militärischen Auseinandersetzungen mit den nördlich der Celtici siedelnden Lusitanier zogen den Alentejo und die dort siedelnden Bevölkerungsteile besonders im 1. Jh. v. Chr. in Mitleidenschaft151. Höhepunkte bilden sicher die Aufstände unter Viriathus (147-139 v. Chr.) und Sertorius (80-72 v. Chr.). Doch selbst nach der Niederlage des Sertorius sahen sich die römischen Herren noch genötigt, militärisch gegen die Lusitanier vorzugehen. Durch vereinzelte Militäraktionen gegen die Lusitanier gelang es Iulius Caesar ab 61 v. Chr. den Frieden in der Lusitania weitestgehend zu sichern, doch kam es auch in der Folgezeit wahrscheinlich weiterhin zu Unruhen, die militärischer Beruhigung bedurften152. Erst mit dem Niederschlagen der letzten Aufstände im Nordwesten der iberischen Halbinsel im Jahre 19 v. Chr. kann von einer allgemeinen Beruhigung der Lage ausgegangen werden153, so dass Augustus befahl sämtliche Legionen abzuziehen, von denen ab 69 v. Chr. nur noch eine in der Provinz Tarraconensis stationiert war. Im Grenzgebiet zwischen den Celtici und den Lusitaniern gelegen, dürfte die Ansiedlung auf dem Monte da Nora mehr oder weniger direkt von den Auseinandersetzungen betroffen gewesen sein. Folgt man den Überlegungen von J. Wahl, so könnte die Existenz der neu erkannten sog. Wehrgehöfte bzw. wehrhaften Bauten in der Umgebung des Monte da Nora als Beleg für eine direkte Bedrohung dieses Landstriches gewertet wird, fernab von den großen Ebenen im schwerer zugänglichen, bergigen Landstrichen 154. Ein direkter Bezug zwischen den einheimischen Siedlungen und den beschriebenen wehrhaften Bauten ist jedoch nicht zu erkennen, was nach Ansicht von R.

angenommen. Mit der Gründung der ersten Städte im Alto Alentejo in caesarisch-augusteischer Zeit ging die Ansiedlung von Veteranen einher, ebenso wie möglicherweise auch die Aufteilung und Vermessung des Landes143. Dieser entscheidende Einschnitt manifestierte sich jedoch erst im Laufe des 1. Jhs. n. Chr. deutlich mit dem verstärkten Erscheinen von Villen in der Lusitania144. Wahrscheinlich wurden mindestens die stadtnahen Ländereien von Leuten bewirtschaftet, die in der Stadt ansässig waren, wie dies ähnlich für die Nutzung der Ländereien in der Eisenzeit anzunehmen ist145. Konzentrationspunkte dieser Entwicklung sind die neu gegründeten Städte (Pax Iulia; Emerita Augusta; Liberalitas Iulia)146 und ihr stärker romanisiertes Umland mit bereits im 1. Jh. v. Chr. angesiedelten Veteranen147. Fern von diesen Konzentrationspunkten, in den etwas höher gelegenen, bergigeren Gebieten, finden sich nun die Ansammlungen der beschriebenen „festen Häuser“, wie sie Moret betitelte, in zum Teil schwerer zu überschauenden und möglicherweise auch zu kontrollierenden ‚Zwischenräumen’ und weniger prosperierenden Gegenden. Sie scheinen als kleinräumliche Organisationseinheiten die Antwort auf die großen, romanisierten Einzugsgebiete der Städte darzustellen. Als wehrhafte Villa, mit einer Möglichkeit für die Bewohner, sich kurzzeitig für Verteidigungszwecke zurückzuziehen, und gleichzeitig den Bedürfnissen einer wirtschaftlichen Produktionseinheit und damit den Anforderungen der (neuen?) Siedler entsprechend, scheinen sie, wie die vergleichbaren Anlagen im Baixo Alentejo, ‚Vorposten’ in einer nur wenig ‚romansierten’ Gegend gewesen zu sein. Wie die vergleichbaren Anlagen im Baixo Alentejo bleiben scheinbar auch die Bauten des Alto Alentejo auf das 1. Jh. v. Chr. beschränkt148. Die vollständige Eingliederung dieses Gebiets in die römische Administration und Verwaltung wird symbolisiert durch die Gründung der Stadt Ebora Liberalitas Iulia, die sich möglicherweise in den letzten Jahrzehnten v. Chr. (12 v. Chr. als municipium, vorher bereits Kolonie nach römischem Recht) vollzog149.

150

Zur Romanisierung in Portugal allgemein Schattner (1998) 31:“Die römische Eroberung des Westens ist die Geschichte einer Romanisierung, die auf erbitterten Widerstand stieß, entsetzliche Opfer forderte, nicht linear erfolgte, und letztlich niemals durchdringend geglückt ist.“ 151 Bereits im 3. und 2. Jh. v. Chr. werden die Reaktionen auf die römische Machtentfaltung und die römische Okkupation augenscheinlich. Für diese Zeit ist an einigen Orten ein Ausbau der Umwehrung zu beobachten (Vgl. Hourcade u.a. [2003] 176 Abb. 1). 152 Wahl (1985) 170; Schattner (1998) 35f. und 41. 153 Zahlreiche im 1. Jh. v. Chr. niedergelegten Münzschätze, die, zwischen dem Tejo und dem Douro gehäuft, bis in den Süden Portugals streuen, scheinen ebenfalls die unsicheren Zustände widerzuspiegeln. 154 Wahl (1985)171. Das dargestellte Schutzbedürfnis kann jedoch nicht als Erklärung für die Anlagen des 1. Jh. n. Chr. in der Provinz Baetica dienen. Wie oben bereits erläutert wurde, ist nur mit Vorsicht von dem scheinbar gleichartigen Grundriss auf eine vergleichbare Funktion zu schließen.

Die sog. Wehrgehöfte werden als Beleg gewertet, dass im 2. und 1. Jh. v. Chr. eine gewisse Notwenigkeit bestand, sich zu verteidigen, was ebenfalls die historischen

143

Moret (1999) 79. Gorges (1979) 36f. mit 30 Abb. 3 und 35 Abb. 6. 145 Ähnlich Moret (1999) 80. 146 Zu Emerita Augusta (Merida) vgl. Keay (2002) 179 und Mateos Cruz (2001); Panzram (2002) 231-234 sowie Faria (1998). 147 Moret (1999)81f.; Panzram (2002) 234. 148 Mataloto (2002) 195f.; 210. 149 Mataloto (2002) 195; Faria (1999) 33; Teichner (1994) bes. 357f. 144

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Mataloto nicht gegen einen Sichtkontakt spricht155, doch ist mit der gleichzeitigen Existenz von eisenzeitlichen Siedlungen und den beschriebenen Anlagen auszugehen.

Grabenwerk157 des Monte da Nora eben dieses Aufgeben alter Traditionen vor dem Hintergrund neuer gestalterischer Ansprüche während der Pax Romana versinnbildlichen, wie im Gegenzug die römische Villa von Fonte do Milho (Abb. 19) scheinbar die Übertragung oder Konservierung eines Grundrisses einer befestigten, eisenzeitlichen Siedlung in die römische Zeit darstellt. Beide Bauten versinnbildlichen die zwei gundsätzlichen Elemente der Romanisierung: Beharrung und Weiterentwicklung.

Eine solche Siedlung fand sich auf dem Monte da Nora156 unweit der heutigen Ortschaft Terrugem im Alto Alentejo. Umgeben mit Spitzgräben, die sowohl Vergleiche in der römischen Lagerarchitektur und im eisenzeitlichen Umfeld finden, scheint die Art der Konzeption des Eingangsbereiches auf eisenzeitliche Vorbilder zurückzugehen (Abb. 14). Das Fundmaterial belegt durch das Vorkommen von Amphoren der Form Dressel 1A und kampanischer Keramik sowie römischen Reibschalen mit vertikalem Rand, wie sie ebenfalls aus den römischen Lagern bekannt sind (Abb. 10), deutlichen römischen Einfluss, während endeisenzeitliche, rädchenoder Kammstichverzierte bzw. stempelverzierte Keramik einheimische Traditionen fortsetzt. Ähnliche Verhältnisse sind von anderen eisenzeitlichen Siedlungen belegt. Um 100 v. Chr. fanden sich in einem Raum auf der befestigten Höhensiedlung von Capote neben den einheimischen Waren importierte römische Amphoren und eine Lampe aus Schwarzfirnisware in einheimisch keltisch geprägtem Umfeld; sie verdeutlichen die wirtschaftliche Komponente, die hier, abgekehrt von einer Interpretation als Beleg für Romanisation, archäologischem Sachgut zugewiesen werden kann (Abb. 9). Stehen Amphoren und die kampanische Keramik für den bereits über viele Jahrhunderte nachzuweisenden Import von mediterranen Luxusgütern, so zeigt die Vorliebe für schwarz polierte Gefäße offensichtlich einheimischer Formgebung einen deutlichen Einfluss der importierten Waren (kampanischer Keramik) auf die einheimische Keramikproduktion, die über die reine Aufnahme von Importgütern hinausgeht, sondern die Vorbildwirkung betont und den Wunsch der Umsetzung und Übernahme in die eigene Sachkultur zum Ausdruck bringt. Die Verfüllung des Grabenwerkes auf dem Monte da Nora erfolgte in einem Zeitraum im 1. Jh. v. Chr. möglicherweise in dessen zweiter Hälfte bzw. in der augusteischen Zeit (Abb. 15), der in ländlichen Gegenden mehrheitlich einherging mit der Aufgabe alter, vor allem auf den defensiven Charakter ausgerichteter Siedlungsmodelle mehrheitlich größerem Maßstabs und in dem sich auf repräsentative Außenwirkung bedachte Ansiedlungen (Villen) kleinerer Personenkreise (familia) durchsetzten, die für die Folgezeit das wirtschaftliche Gefüge der römischen Provinz Lusitania geprägt haben. Dies ist wohl einer der entscheidendsten, ebenfalls in anderen Regionen des römischen Reiches zu beobachtenden Einschnitte in das kulturelle und wirtschaftliche Gefüge im Zuge der Romanisierung. So könnte das möglicherweise nie fertig gestellte

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123

Thomas Schierl

124

Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Abb. 1: Fibeln aus Alcacer do Sal M. 2:3.

Abb. 2 : Infundibulum aus Cancho Roano.

Abb. 3: Dreidorniger Doppelring aus Alcácer do Sal M. 1:2

Abb. 4: Verbreitung etruskischer Fundstücke auf der iberischen Halbinsel. Dreiecke: Etruskische Funde; Rechteck: Bucchero.

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Thomas Schierl

Abb. 5: Etruskische Applike von El Raso.

Abb.6: Ausgewählte Funde aus dem Depot von Garvão.

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Abb. 7: Verbreitung der kampanischen Keramik Sorte A.

Abb. 8: Verbreitung der kampanischen Keramik Sorte B.

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Thomas Schierl

Abb. 9: Funde aus Capote.

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Abb. 10: Funde aus Cáceres el Viejo.

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Thomas Schierl

Abb. 11: Befundplan der letzten Grabungen auf dem Castelo da Lousa.

Abb. 12: Funde vom Castelo da Lousa.

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Abb. 13: Grundrisse von verschiedenen „festen Häusern“ .

Abb. 14: Grabungsplan vom Monte da Nora.

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Abb. 15: Übersicht über das Fibelspektrum auf dem Monte da Nora im Vergleich mit ausgewählten römischen Militärlagern

Abb. 16: Verbreitung der bronzenen Amphoren vom Typ Agde.

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Frühe Kontakte und Romanisierung in Lusitania

Abb. 17: Verbreitung der Simpula.

Abb. 18: Späteisenzeitliche und frühkaiserzeitliche Fibeln

Abb. 19: Fonte do Milho, ohne Maßstab.

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Kaiserzeitliche Grabmonumente in der Lusitania zwischen Romanisierung und Afrikanisierung von

Dennis Graen

Zusammenfassung:

im Südwesten, in der spanischen Extremadura wie auch im Nordwesten und zeigen deutliche Beziehungen zum westphönizischen Kulturkreis. Der eigentliche Anstoß für die Produktion und die Aufstellung von Stelen mit Reliefdarstellungen und Inschriften in größerer Anzahl setzt jedoch, wie so oft, erst mit dem zunehmenden Einfluss Roms ein1. Sie tragen immer lateinische Inschriften2. Elke Schlüter hat kürzlich eine Typologie für die hispanischen Grabstelen der Kaiserzeit dabei hat sich eine deutliche aufgestellt3; Regionalisierung der Stelenformen erkennen lassen. Die Zentren der Herstellung lagen nach Schlüter zumeist in kleineren civitates in den abgelegeneren Regionen des Nordens und Nordwestens, in denen sich indigene Traditionen besser erhalten haben4. Typische Stelenformen sind z. B. Bogenstelen (mit gerundetem, bogenförmigem oberen Abschluß), Radstelen (ähnlich den Bogenstelen, jedoch mit Rad im oberen Schaftteil), diskoide Stelen (mit hochrechteckigem oder trapezförmigem Schaft und seitlich überkragender Scheibe als oberem Abschluß, (Abb. 1), Altarstelen oder anthropomorphe Formen. Die Mehrzahl der Stelen trägt nichtfigürliche Dekormotive, meistens mit dem Zirkel gezogene Ornamente in Form komplexer, flächendeckender Muster in so genannter KerbschnittTechnik. Auf unzähligen Stelen finden sich Motive aus dem astralen Bereich; dies sind vor allem Mondsicheln (lunulae) und Rosetten (Abb. 2). Lunulae gehören zu den häufigsten Motiven auf den hispanischen Grabstelen, deren Hauptverbreitungsgebiet in der Lusitania, im Gebiet um die Städte Norba und Caurium, liegt. Die Darstellung von Mondsicheln wird immer wieder mit dem für Hispanien überlieferten Mondkult in Verbindung gebracht5. A. García y Bellido betrachtet den Mondkult in Hispanien als indigen, in römischer Zeit jedoch als durch

Die Analyse der kaiserzeitlichen Grabmonumente in der Lusitania zeigt, dass Anregungen hauptsächlich aus Italien und Nordafrika kommen. So zeigen hispanorömische Grabstelen in schwach romanisierten Gebieten noch vorrömische Formen und Ornamente, deren Wurzeln vermutlich ins punische Nordafrika zurückreichen. Eine aus Rom importierte Form sind Altäre, die jedoch länger als in Italien hergestellt werden. Eine Mischform sind Altarstelen, bei denen vorrömische Stelenformen mit römischen Altarbekrönungen kombiniert werden. In der Provinzhauptstadt dominieren aufwendige Porträtgrabsteine, die sich an stadtrömischer Plastik orientieren. In der späteren Kaiserzeit sind Impulse aus Rom nur schwach, während Beziehungen nach Nordafrika erstarken; so wird die cupa anstelle des Reliefsarkophages zur bestimmenden Gattung lusitanischer Sepulkralmonumente. Abstract: The grave monuments from imperial Lusitania show two main cultural influences: Italy and northern Africa. The roots of Hispano-Roman gravestones from less romanized regions reach back to pre-Roman times, probably to Punic northern Africa. Altars as a monument type, however, were originally imported from Rome. There is also a mixture of elements of pre-roman gravestones and Roman altars. The provincial capital Augusta Emerita is dominated by costly gravestones and altars with portraits which imitate portrait sculpture from Rome itself. In the Later Empire the ties to Rome grow weak, while those to northern Africa become stronger. As a consequence, the cupa becomes the dominating Lusitanian grave-monument instead of the relieved sarcophagus. 1. Stelen

1

Schlüter (1998) 7, 26. vgl. den Beitrag von M. Rind. – Grundlegend zur lat. Epigraphik der Lusitania s. auch: Vives (1971/72); San Antonio (1977); Encarnação (1984); Ramos Ferreira (2004). 3 Schlüter (1998) 7. 4 Schlüter (1998) 24 f. 5 García y Bellido (1949) 329 ff.; Julia (1971) 24 ff. 2

Der Brauch, Stelen über Gräbern zu errichten, reicht auf der iberischen Halbinsel bereits in vorrömische Zeit zurück. Die meist mit Ritzzeichnungen versehenen Grabsteine dienten auch hier der Markierung des Bestattungsplatzes und dem Andenken der Verstorbenen. Die früheisenzeitlichen Exemplare finden sich vor allem

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Dennis Graen

römisch-italische Vorstellungen überlagert6. Tatsächlich erwähnt Strabon (III 4, 16) Tänze und Opferhandlungen der Keltiberer in Vollmondnächten zu Ehren eines Gottes. Ptolemaios (II 5, 3) erwähnt eine dem Mond geweihte Insel im Nordwesten der Halbinsel. Auch Schlüter denkt an eine besondere Bedeutung des hispanischen Mondkultes für den funeralen Bereich7. Um die These zu beweisen, dass der Mondkult ein keltisches Kulturerbe sei, zieht Schlüter Darstellungen von Mondsicheln aus Kleinasien, Pannonien, Gallien und anderen Gebieten heran8, welche die Hispanier (Keltiberer) im Zuge ihrer Romanisierung von dort übernommen haben und als Abbild ihres eigenen traditionellen Mondgottes auf den Grabstelen einsetzen. Welche Bedeutung der Mond im Jenseitsglauben der romanisierten Hispanier allerdings gehabt haben soll, bleibt nach wie vor offen9. Entsprechend der Deutung der lunulae als Darstellung des keltischen Mondgottes werden die Rosetten und Wirbelmotive, die ebenfalls sehr häufig auf den Grabstelen als Motive eingesetzt werden, als Darstellung des Sonnengottes gedeutet10. Dass die lunulae und Rosettenmotive tatsächlich erst mit dem zunehmenden Einfluß Roms auf den Stelen auftauchen, ist evident. Dass allerdings keltische Motive durch die Vermittlung römischer Musterbücher, wie von

Schlüter postuliert, auf hispanischen Stelen zur Verwendung kamen, erscheint wenig glaubhaft, zumal die Keltiberer – wie ihre keltischen, nach Schlüter so engen Verwandten in Gallien oder anderswo – eigentlich selbst diese Symbole in ihrem Motivschatz bereits hätten haben müssen. Vielmehr sind die lunulae und Rosetten nach Ansicht d. Verf. auf einen anderen Ursprung zurückzuführen. Es wurden bereits die Beziehungen der vorrömischen Stelen aus der Extremadura mit dem westphönizischen Kulturkreis angesprochen. Diese Beziehungen scheinen auch in der Kaiserzeit noch weiter zu bestehen. Vergleicht man beispielsweise die lusitanischen Stelen mit punischen bzw. neopunischen Stelen aus Nordafrika11, so stellt man fest, dass sie nahezu dieselben lunula-Motive im oberen Abschnitt aufweisen12. Die Mondsicheln haben nach Ansicht d. Verf. ihren Ursprung in der punischen Religion und werden dort meist in Verbindung mit dem Symbol der karthagischen Hauptgottheit Göttin Tanit zusammen verwendet13. Auch die Rosetten und Wirbelmotive finden so exakte Vergleiche in den neopunischen Stelen Nordafrikas14, dass man vermuten möchte, die Motive hätten ihren Weg ohne Umschweife auf die lusitanischen Grabstelen gefunden. Die Hypothese, dass die Ornamente der hispano-römischen Grabstelen ihren Ornamentschatz Vorbildern aus Nordafrika verdanken, findet Unterstützung in einer weiteren Parallele. So haben auch die anthropomorphen Stelen (hochrechteckiger Schaft mit abgeschrägten Schultern und menschlichem Kopf als oberem Abschluß), wie diejenige des Avitianus aus dem 2. Jh. n. Chr. aus Emerita (Abb. 3)15, die besonders im Norden der Lusitania verbreitet sind, direkte Vergleiche bei punischen Stelen, wie sie in einer größeren Gruppe u.

6

García y Bellido (1949) 332 sieht hierin pythagoräische Glaubensvorstellungen ausgedrückt, nach denen der Mond Aufenthaltsort der Seelen der Verstorbenen sei. Diese These ist nach Ansicht d. Verf. jedoch unwahrscheinlich. Die indigene Landbevölkerung des Nordens und Westens – die hauptsächlichen Auftraggeber der Stelen – wird kaum mit derartigen philosophischen Vorstellungen in Kontakt gekommen sein. Darüber hinaus ist eine derartige Vorstellung nicht durch Schriftzeugnisse zu belegen und Weihungen an die römischen Himmelsgötter in Hispanien sehr selten; dazu: Schlüter (1998) 67f. 7 Auf den herangezogenen Reliefs werde „die Verbindung von Tod und göttlicher Verehrung des Mondes (...) evident“: es seien jeweils zwei Figuren dargestellt, die einer großen lunula über ihren Köpfen „in anbietender Geste“ Opferschalen entgegenhalten: Schlüter (1998) 67; Kat.-Nr. Burgos 65 und Burgos 175. 8 Es liegen z. B. aus Carnuntum und anderen Orten Pannoniens und Noricums Grabstelen mit Astralsymbolen (lunulae, Rosetten) vor, die aber höchstwahrscheinlich nicht keltischen Ursprungs sind, sondern über das römische Militär hierher vermittelt worden sind. – Dazu: Gabler (2003) Abb. 5 (Grabstele des Dasius in GyĘr). 9 Schlüter (1998) 68: „Ihr Glaube an den Mondgott war offenbar mit Jenseitsvorstellungen verbunden, deren Inhalte wir im einzelnen jedoch nicht nachvollziehen können. Auch bleibt unklar, ob und inwieweit in der Kaiserzeit in diesen Kult zusätzliche östliche Glaubensinhalte einflossen.“ 10 García y Bellido (1949) 329; Julia (1971) 26 f.

11

s. u. a. folgende Stücke: La Blanchére – Gauckler (1897) Taf. XVII Nr. 117 ; Taf. XVIII Nr. 657 ; 732 ; Babelon (1899) Taf. XVI Nr. 2 ; Moscati (1984) 228 Abb.; Carthage (1986) 132 Nr. II.120 ; Moscati (1988); Rebourg (1995) 12; Yacoub (1996) 89 Abb. 11. 12 Gute Vergleiche im Motivschatz bieten beispielsweise die Grabstele der Valeria Amoena oder diejenige des C. Caecilius Fronto (beide aus dem 2./3. Jh. n. Chr. und aus Cárquere; heute im Museum von Lissabon). 13 Die Verbindung von Tanit/Tinnit mit lunaren oder solaren Symbolen beruht möglicherweise auf ihrer Funktion als Himmelsgottheit; dafür spricht u. a. auch ihre spätere Gleichsetzung mit Artemis oder Iuno Caelestis (s. Anm. 17); dazu: DNP 12/I, 605 f., s. v. Tinnit ; Ribichini (1984); Fantar (1995) 72 f. 14 Blanchère – Gauckler (1897) Taf. XX Nr. 769; Carthage (1983) 106 f. Nr. 152 ; 153: röm. Stelen aus Maktar; Fantar (1995) 85: aus dem 4. Jh. v. Chr.); 15 Der Verstorbene stammt jedoch aus der civitas Aravorum im Norden der Lusitania; zu dem Stück: Alarcão (1988) Vol. I, 22 f.; Schlüter (1998) Badajoz Nr. 3; Hispania (1999) 604 Nr. 173.

136

Grabmonumente Lusitania

a. aus Selinunt auf Sizilien vorliegen16. Die Beispiele belegen nach Ansicht d. Verf. eine Herkunft sowohl der anthropomorphen Stelen wie auch der Stelenmotive (lunulae, Rosetten) im Nordwesten Hispaniens aus Nordafrika, wo sie noch in römischer Zeit auf Stelen verwendet werden und dort vermutlich apotropäische Funktion haben17. In den weniger stark romanisierten Gebieten der iberischen Halbinsel scheinen sich demnach zumindest bis an das Ende des 2. Jhs. n. Chr. noch vorrömische Formen und Motive erhalten zu haben, die jedoch nicht indigen-keltischen Ursprungs sind, sondern eher durch Vermittlung der punischen Kolonien an der spanischen Levanteküste hierher gelangt sind.

Zeit gelegentlich Altäre dargestellt, die jedoch meist nur als ornamentales Beiwerk mit geringer formaler Aussage erscheinen. Altäre selbst als Grabmonumente bleiben auch in der Kaiserzeit eher für den stärker romanisierten Süden und die östlichen Küstengebiete, also die Mittelmeerküste, typisch, während diese Denkmälergruppe im Norden und Westen vor allem in den Zentren der Romanisierung (coloniae, muncipia) nachgewiesen ist. Die Sockel bzw. Basen der Altäre dienten nicht nur der Sicherung eines festen Standes der eingelassenen Altäre, sondern nahmen in ihrem ausgehöhlten Inneren oft auch den Leichenbrand selbst und Beigaben auf, wie u. a. der in situ gefundene Altar des C. Servilius Claranus aus Tróia (Grândola) aus dem 2. Jh. zeigt (Abb. 4)19. Auf den Altären hat man wohl für die Toten Opfer in Form von Blumen (Girlanden) oder Früchten niedergelegt20. Die große Masse der privaten Weihe- und Grabaltäre setzt erst gegen Ende des 1. Jhs. n. Chr. ein, bis dahin sind vor allem Grabstelen gebräuchlich21. Diese eher späte Verwendung von Altären im sepulkralen Kontext steht im Gegensatz zu der Entwicklung in anderen Reichsteilen. So tritt die Verwendung von Grabaltären beispielsweise in Aquileia seit dem Ende des 1. Jhs. zurück und an ihre Stelle rücken seit trajanischer Zeit Sarkophage, die in denselben Werkstätten hergestellt worden sind22. Auch in Rom enden die Grabaltäre mit dem Beginn des 2. Jhs.23. Eine bedeutende Konzentration von Grabaltären innerhalb der Lusitania findet sich in der Hauptstadt Emerita Augusta24. Die Stadt verfügte als Zentrum der Romanisierung bzw. Romanisation offenbar über leistungsfähige Werkstätten, in denen auch die Anwesenheit von griechischen Bildhauern belegt ist und die den Altären ein eigenes Gepräge verliehen25. Die

2. Altäre Der Altar ist eine genuin italische Gattung, er ist in vorrömischer Zeit in Hispanien unbekannt. Die ersten Altäre erscheinen auf der iberischen Halbinsel als Darstellungen auf Münzen und Reliefs und datieren in die Zeit des Tiberius18. Auf Grabstelen werden seit dieser 16

Moscati (1992) Abb. 20. Neben der Verwendung auf Votivstelen (z. B. vom Tophet in Karthago) sind die Tanit-Symbole zusammen mit lunulae und Sonnendiskoi auch auf Malereien in Grabkammern oder auf Grabstelen nachzuweisen: Fantar (2002) 116 ff. ; Taf. XI a. ; c. ; Taf. XXXVII a.; Taf. XXXIX a.; Taf. XL b.; Taf. XLIII c.; – In römischer Zeit finden sich die Motive u. a. auch auf Stelen für Dea Caelestis, die möglicherweise im Rahmen einer interpretatio Romana aus der punischen Göttin Tanit/Tinnit hervorgegangen ist; daran könnte auch die dreieckige, dem Tanit-Symbol sehr ähnliche Körperform der Dea Caelestis erinnern. Wie auf den Stelen für Tanit sind über dem Kopf der Dea Caelestis Mondsichel und Sonnenscheibe angebracht. Dea Caelestis scheint eine ambivalente Funktion zu haben (Fruchtbarkeit und kosmische Gottheit); dazu: Picard (1954)76 f.; Eingartner (2003). 18 Die hispanischen Münzen mit Altardarstellungen sind Prägungen der hispanischen Städte kurz vor dem Ende der autonomen Münzstätten und datieren in die Zeit des Tiberius. Die Altäre auf den Münzen folgen der klassischen Typologie und sind aus dem italischen Mutterland übernommene Formen, die allerdings wohl keine real am Ort existierenden Altäre abbilden, sondern bereits geprägte Bildformen auf den Münzen verwenden, verbreitet sich doch der Altar besonders im Kaiserkult erst seit tiberischer Zeit auch auf der iberischen Halbinsel: Gamer (1982). – Zu den Formen: Altmann (1906); Hermann (1961); Boschung (1987); Noelke (1990); Dexheimer (1998). – Gamer (1989) 131 Anm. 411 führt den auf Münzen abgebildeten Altar des Augustus in Tarraco an, dessen äußere Gestalt in tiberische Zeit weist und nicht in die Zeit von 26-24 v. Chr., als sich Augustus in Tarraco aufhielt: „die 17

tiberischen Münzen geben also eine gleichzeitige Altarform wieder und stellen nicht in historisierender Weise einen Altar aus einer zurückliegenden Epoche dar.(...) Erst ab Tiberius werden Altar und Tempel des Landtages zum Gegenstand eines Provinzialkultes des Augustus auf dem capitolium in Tarraco.“ 19 Religiões (2002) 542 Kat.-Nr. 280. 20 Altar für L. Norbanus Narcissus: Vedder (2001) Kat.Nr. 45. – Trankopfer gab es wohl nicht, jedenfalls sind dafür keine Vorrichtungen erhalten: Dräger (1994) 23-28 – Zu den Girlanden: Amedick (1975) 106 Anm. 11. 21 Gamer (1989) 68. 22 Gabelmann (1973) 7; 199; Dexheimer (1998). 23 Altmann (1906) 27. 24 Die Weihealtäre zeigen ein „andersgeartetes religiöses Ambiente“: ein Taurobolienaltar, vier Rundaltäre und Mithrasaltäre: Gamer (1989) 63. 25 Eine entsprechende Künstlersignatur befindet sich auf einer um 155 in ein Mithras-Heiligtum geweihten Statue des Cautopates: Ferri (1937) 173 f., Nagales Basarrate (1997) 215; zu dem Mithraeum selbst: García y Bellido (1961).– Es wäre allerdings zu überprüfen, ob es sich

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Eigentümlichkeit der Emeritenser Grabaltäre ist, dass sie nur dem Bekrönungstypus mit Giebel und pulvini angehören, allerdings in verschiedenen Varianten. Die meisten Stücke sind sehr breit und nicht sehr tief, dazu kommen häufig Marmor als Werkmaterial und bestimmte Schriftmerkmale26. Eine weitere Eigentümlichkeit sind auch die Altäre mit Porträts der Verstorbenen. Die Werkstatt Emeritas wirkte noch weit westlich bis in die Region Alentejo hinein27.

3. Repräsentation in der Provinzhauptstadt: Grabreliefs und -altäre mit Porträts Wie Ursula Vedder kürzlich zeigen konnte, existiert vor allem in der Provinzhauptstadt Emerita Augusta eine Gattung von Grabdenkmälern mit Porträts, die sich in zwei Typen einteilen lässt31: zum einen die Reliefs mit Porträt, die in einen architektonischen Kontext gehören, zum anderen die Altäre mit Porträt, die hier noch einmal gesondert betrachtet werden sollen. Beide Typen gehen auf stadtrömische Vorbilder zurück. Das erste Beispiel eines Porträtreliefs datiert bereits in die 1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. und ist damit noch gleichzeitig mit den stadtrömischen, eine größere Produktion setzt jedoch erst in der Mitte des 2. Jhs. ein. Die Ausbildung der PorträtAltäre geht einher mit der Entwicklung der typischen Emeritenser Grabaltäre; sie haben eine Laufzeit von der 1. Hälfte des 2. Jhs. bis zur Mitte des 3. Jhs. Beide Typen, Porträt-Reliefs und Portät-Altäre, übernehmen einen stadtrömischen Typus und gestalten diesen aber nach den eigenen Bedürfnissen so um, dass eine direkte Abhängigkeit von den Vorbildern nicht mehr zu erkennen ist32. Bei den Altären beispielsweise werden zwar einzelne Elemente übernommen, die an stadtrömischen Vorbildern orientiert sind, das Monument an sich als fertiges Produkt ist aber als eigenständig zu beurteilen. So sind die Porträts selbst zwar Vorbildern aus der stadtrömischen Freiplastik, genauer gesagt: den Privatporträts, abgeschaut, hier jedoch in Relieftechnik umgesetzt; die Portäts in Büstenform auf den Emeritenser Grabmonu-menten tragen dem Zeit-geschmack entsprechende drapierte römische Kleidung und römische Frisuren – besonders bei den Frauen sind die Frisuren gut zu bestimmen und zu datieren – und sind oft vereinfacht dargestellt oder um Arme mit Attributen (z. B. Buchrolle, Girlanden, Blüten, Früchte) erweitert. Das handwerkliche Niveau ist im allgemeinen mit dem der einfacheren stadtrömischen Werkstätten gleichzusetzen33 und entspricht damit auch dem allgemeinen Bild der Provinz. Die genannten Attribute stellen oft eine Verbindung zum Klinenmahl her. Eines der schönsten und am besten erhaltenen Stücke ist das Grabrelief für Lutatia Lupata (Abb. 6)34, das im Bereich der Grabbauten „Los Columbarios“ im Süden von Emerita gefunden wurde: das Stück in Form eines Aedicula-Altares zeigt das Halbfigurenporträt eines jungen Mädchens in der Tunica, das auf einem pandurium spielt. Das Haar kann aufgrund

Es gibt auch Mischformen zwischen Altar und Stele. Die Verbindung ist bisweilen so eng, dass sich im Einzelfall nur schwerlich entscheiden läßt, ein Monument als Stele oder als Altar zu bezeichnen. In Emerita Augusta beispielsweise wurden im 2. Jh. Aedicula-Stelen mit Halbfigurennische und architektonisch gefasste Nischenstelen gefertigt, die oft Rundfocus und pulvini der Altäre als obere Bekrönung erhalten und im glatten Giebel die Konsekrationsformel D M S enthalten. Diese lokale Bekrönungsform unterscheidet sich von dem italischen Typus und denen anderer Provinzen und kann als Eigenart der in Emerita Augusta beheimateten Werkstatt angesehen werden, die jedoch der auch sonst in Hispanien verbreiteten Neigung folgt, Stelen mit Altarbekrönungselementen zu versehen28. Im Gegensatz zu Beispielen dieser Mischformen aus anderen Provinzen zeichnet sich der hispanische Typus – auch der Altäre selbst – dadurch aus, dass die Stelenbekrönung in Form einer Bekrönungsplatte ausgeführt ist, vor die Giebel und Akrotere in flachem Relief hervortreten. Ein eigenwilliges Beispiel stellt eine Gruppe aus Cárquere/Resende (Distr. Viseu) dar, wie die Stele der Iulia Tongeta aus dem 2. oder 3. Jh. im Museum von Lissabon (Abb. 5), bei der die sehr kleinen pulvini seitlich an der Basis eines hohen Spitzgiebels sitzen; im Giebel befindet sich die Darstellung zweier – vermutlich männlicher und daher nicht mit der Verstorbenen zu identifizierenden – Personen in einer Rundnische29. Die sehr ähnliche Stele der Celea und diejenige des C. Caecilius Fronto30 vom gleichen Fundort lassen vermuten, dass wir es hier mit drei Stücken der gleichen Werkstatt zu tun haben, die sich an Vorbildern aus der Hauptstadt Emerita Augusta orientiert hat, wobei die Exemplare aus Cárquere freilich wesentlich provinzieller und vermutlich von weniger geschulten Einheimischen gefertigt sind.

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tatsächlich um einen Griechen oder nicht eher um einen „Künstlernamen“ handelt. 26 Gamer (1989) 65. 27 Gamer (1989) 63. 28 Gamer (1989) 132. 29 Gamer (1989) Taf. 151d; Schlüter (1993); Religiões (2002) 552 Kat.-Nr. 296. 30 Religiões (2002) Kat.-Nr.297; 299.

Vedder (2001) Anm. 20. Vedder (2001) 20 f. 33 So wird etwa in antoninischer Zeit auf Augen- und Haarbohrungen großenteils verzichtet; Vedder (2001) 24 f. 34 García y Bellido (1957); Trillmich (1993); Nogales Basarrate (1997) 103-105; Hispania (1999) 603 Kat.-Nr. 171; Vedder (2001) Kat.-Nr. 32. 32

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eines stadtrömischen Vergleiches35 in spät- bis nachseverische Zeit datiert werden. Das Musikinstrument gehört ebenfalls in den Kontext des Klinenmahles36. Es gibt zahlreiche Sarkophagdarstellungen, die eine pandurium-Spielerin in einem Sessel am Fußende einer Kline zeigt; außerhalb dieser Monumentengattung sind bislang keine derartigen Darstellungen bekannt37. Der Vergleich mit einer Darstellung auf einem Sarkophagdeckel, die eine Frau mit pandurium und einen Mann mit Buchrolle zeigt38, macht deutlich dass das Relief der Lutatia Lupata außerdem ein römisches Bildungsideal propagiert, das die musikalische Bildung der Frau einschließt39. Im Gegensatz zu vielen anderen Monumentengattungen40 nicht nur der sepulkralen Kunst wird am Beispiel der Porträtgrabsteine deutlich, dass die Emeritenser Werkstätten sich immer wieder von neuem an stadtrömischen Vorbildern orientieren; man könnte es vielleicht auch als permanente Romanisation bezeichnen. Für die Porträtgrabsteine und –altäre ist wohl am ehesten der Begriff Akkulturation zutreffend41; hier werden Porträttypen und architektonische Elemente aus der Hauptstadt übernommen und in eine eigene Formensprache integriert oder in neuem Zusammenhang präsentiert. Anhand des Klinenmahles wird deutlich, dass auch stadtrömische Rituale von der Provinzbevölkerung übernommen und in der Sepulkralkunst zur Schau gestellt werden. Die Vorläufer für die Reliefs und Altäre mit Porträtnischen, die seit antoninischer Zeit bis weit ins 3. Jh. hinein gearbeitet werden, sind auch in Emerita Augusta freiplastische, lebensgroße Marmorporträts von Verstorbenen in Form von Statuen oder Büsten, die im Grabbezirk oder im Grabbau selbst aufgestellt wurden42. Die meisten dieser freiplastischen Porträts gehören ins 1. Jh.; nach der Mitte des 3. Jhs. werden in Emerita keine freiplastischen, lebensgroßen Privatporträts mehr hergestellt43. Hier setzt die Reihe der Porträts in Relief ein, die sich jedoch noch stark am freiplastischen Vorbild orientiert. Für die Auftraggeber bedeutet dies, dass sie offenbar über nicht geringe finanzielle Mittel verfügt haben, um solche aufwendigen Marmorporträts in Auftrag geben zu können. In der 1. Hälfte des 3. Jhs. setzen allein die Porträtreliefs die entscheidenden

Akzente in der ansonsten eher sparsamen Emeritenser Sepulkralkunst. Die Mehrzahl (mindestens die Hälfte) der Auftraggeber entstammt offenbar dem Sklaven- und vor allem dem Freigelassenen-Milieu44. Das Bild in Emerita Augusta entspricht der Situation in Rom und kann mit dem gesteigerten Bedürfnis zur Selbstdarstellung dieser Personengruppe erklärt werden45. Es bleibt zu überlegen, ob nicht vielleicht der Monumenttypus des Porträtreliefs bzw. des Porträtaltares selbst mittels dieses Personenkreises am Ende des 1. Jhs./Anfang des 2. Jhs. in die Lusitania gelangt ist46. Mit Blick auf die zweite Gruppe von Auftraggebern, die städtische Führungsschicht Emeritas, konstatierte S. Panzram kürzlich, dass diese durch das Kopieren stadtrömischer Vorbilder beeindrucken und damit ganz entscheidend den Prozeß der Romanisierung im Südwesten der iberischen Halbinsel befördern wollte; anders sei das Bestreben der lokalen und provinzialen Elite, in ihren Bildnissen der von Rom und seinen Herrschern vorgegebenen Mode zu folgen, kaum zu erklären47. Dieses Bestreben wird gemeinhin mit dem Begriff der Emulation bezeichnet48. Die Grabsteine mit Porträt bleiben aber ein allein auf die Nekropolen Emerita Augustas beschränktes Phänomen. 4. Tonnengrabsteine (cupae) Eine größere – wenn nicht die größte – Gruppe von Grabmonumenten in der Lusitania sind die tonnenförmigen cupae49. Durch eine Grabinschrift im Museum von Barcelona50 ist uns die antike Bezeichnung für diese Denkmälergattung bekannt: der Name cupa (lat.=Tonne, Faß) bezieht sich auf das Aussehen der Grabsteine. Aus Nordafrika ist der Name cupula ebenfalls inschriftlich überliefert. Die langrechteckigen Grabsteine mit gerundetem oberen Abschluß bestehen fast immer aus lokalem Stein51 und haben meist an einer Langseite eine tabula mit Inschrift, die oft zusätzlich noch extra ausgestellt oder aufgesetzt ist; gelegentlich, wohl meist bei enger Aufstellung innerhalb einer Nekropole, kann die Inschrift auch auf eine Langseite rutschen, wie dies z. B. bei den Stücken aus Cascais der Fall ist52. In Barcelona (Abb. 7) oder Emerita haben sich

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Fittschen – Zanker (1983) 110 Nr. 165 Taf. 194. Wille (1967) 216; Eichmann (1994) 102. 37 Amedick (1991) 131 Nr. 62; 155 Nr. 208; 123 Nr. 16 u. a. 38 Koch (1975) 102 Nr. 67. 39 Vedder (2001) 58. 40 So orientieren sich die cupae und Stelen, aber auch Kultbauten und später die Kirchen mit Doppelapsiden an Vorbildern aus anderen Regionen des Imperium Romanum oder bleiben konservativ stadtrömisch, d. h., ohne sich immer wieder erneuernde Vorbildnahme. 41 s. dazu den Beitrag von K. Deppmeyer. 42 Vedder (2001) 71. 43 Nogales Basarrate (1997) 165-169. 36

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Vedder (2001) 72-75. von Hesberg (1992) 239. 46 Vedder (2001) 74. 47 Panzram (2002). 48 s. dazu auch den Beitrag von K. Deppmeyer zur Akkulturation. 49 Julia (1965). – Noch unpubliziert sind die Forschungen von C. Tupman (Southampton). 50 CIL II, 6178. 51 Seltener bestehen cupae auch aus importiertem bzw. nicht-lokalem Material (z. B. Granit): Castro (1978). 52 Encarnação (2001) Kat.-Nr. 7, 11, 12, 13, 14, 20, 21, 37. 45

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die cupae noch in situ gefunden und zeigen deren einstige Aufstellung im Freien direkt über den Grabgruben53. Eine besondere Fundkonzentration gibt es in der Africa Proconsularis54. Auch aus Sardinien ist eine größere Anzahl der Tonnengrabsteine bekannt55. In Italien selbst kommen cupae nur sehr vereinzelt vor. Einen größeren und völlig allein stehenden Komplex der Gattung brachte eine Nekropole im Bereich der Castra Albana östlich von Rom hervor56. Innerhalb der Lusitania liegen zahlreiche Exemplare aus der Hauptstadt Emerita Augusta (heute Mérida)57, aus Pax Iulia (Beja)58, Ebora (Évora)59, Myrtilis (Mértola)60, in der Umgebung von Olisipo (Lissabon)61 und anderen Zentren der Provinz vor62. Die überwiegende Mehrzahl der lusitanischen cupae ist unverziert bis auf vier jeweils an den Körperenden und in regelmäßigen Abständen auch die Fläche umlaufenden zwei- oder dreisträngigen Bändern und die zentrale tabula. Eine größere und für das Gebiet der Lusitania repräsentative Gruppe von cupae wurde in Quinta de Marim (Algarve) gefunden63. Hier sind viele der Stücke unverziert und tragen lediglich eine kleine quadratische tabula mit Inschrift auf der Langseite. Die cupa der Patricia (Abb. 8) hingegen ist reich verziert64. Neben über den ganzen Körper verstreuten Rosetten bzw. kleinen Blüten sowie auf den Schmalseiten angebrachten, aus Rhomben zusammengesetzten großen Kranzrosetten sind es vor allem die in mehreren Zweiergruppen abgebildeten länglichen zylindrischen Körper, die jeweils in drei spitz zulaufenden Zipfeln enden und die der Forschung bislang Rätsel aufgaben. Es wurde vorgeschlagen, hierin Beutel, Fläschchen, für den Totenkult überlieferte brennende Kerzen mit mehreren Dochten oder andere mysteriöse Gegenstände zu sehen.65 Es wird sich aber meiner Ansicht nach eher um stilisierte

Knospen, Keime oder ähnliche vegetabile Symbole handeln, die auf ein Weiterleben nach dem Tod anspielen. Bis auf zwei weitere Grabmonumente (Altäre), die ebenfalls aus Quinta de Marim stammen und dieselben Darstellungen tragen, fehlen bislang weitere Parallelen zu derartigen Darstellungen. Die Frage nach dem Ursprung dieser ungewöhnlichen und nur regional bzw. punktuell verbreiteten Monumentgattung ist bislang nicht beantwortet. Angesichts der länglichen Form mit abfallenden Enden und Gliederung durch Ringe bei manchen cupae (Abb. 9) mag man einen tatsächlichen Ursprung in Fässern vermuten. Auch das Fass auf dem Grabrelief der Wirtin Sentia Amarante aus Emerita Augusta (Abb. 10) zeigt eine verblüffende Ähnlichkeit mit einigen der cupae66. Warum aber ausgerechnet Fässer für eine Gattung von Grabmonumenten Pate gestanden haben sollen, läßt sich wohl kaum sinnvoll erklären. Cupa kann im Lateinischen auch Grabgewölbe meinen; Guntram Koch vermutet daher, dass die Vorbilder für die massiven Monumente aus Stein in gemauerten Gräbern zu suchen sind67. Tatsächlich scheinen besonders die erhaltenen Gräber in der schon erwähnten Nekropole von Barcelona (Abb. 7) eine solche Vermutung zu bestätigen. Die dortigen gemauerten, rechteckigen Grabgruben finden in einem kleinen, außen verputzten Tonnengewölbe ihren oberen Abschluß und sind äußerlich kaum von den massiven cupae aus Stein zu unterscheiden. Höchstwahrscheinlich tragen beide Grabformen sogar denselben antiken Namen68. Wo allerdings die gemauerten Gräber ihren Ursprung haben, ist genauso wenig geklärt wie der Ursprung der massiven cupae. Ob größere Grabbauten mit rechteckigem Grundriß und Tonnengewölbe, wie sie z. B. in der Nekropole auf der Isola Sacra vorkommen, als Vorbilder in Frage kommen, müsste genauer überprüft werden. Die Bauten dort haben z. T. verblüffende Ähnlichkeit mit den gemauerten cupulae der genannten Nekropole von Barcelona69. Als ein Verbreitungsschwerpunkt der cupae wird Mittelitalien genannt70. Hier kommen die Tonnengrabsteine allerdings ausschließlich im Bereich der Nekropole der Castra Albana vor. Einige wenige Einzelstücke finden sich sonst nur noch in Apulien71. Die in Albano stationierte Legio II Parthica wurde von

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Zu den Stücken in Barcelona: Balil (1955/56); Durán y Sanpere (1963); Bonneville (1981). 54 Bacchielli (1986); – zu den Stücken in Mérida: Bendala Galán (1976); Bendala Galán (2004). 55 Balil (1955/57); Stefani 1988. 56 Lugli (1965); Tortorici (1975), 19 f.; 135 f. 57 Castro (1978). 58 Die Stücke sind in der Loggia des archäologischen Museums in Beja (Alentejo) ausgestellt. 59 Matos (1995) 126 f. Kat.-Nr. 58. 60 Ein Stück befindet sich im Núcleo Romano im Gebäude der Câmara Municipal de Mértola, ein anderes im Nationalmuseum von Lissabon. 61 Mehrere Exemplare befinden sich in den Museen von Cascais und Sintra. 62 Lambrino (1967); Fabre (1973); Encarnação (1984). 63 Die Stücke sind nur z. T. publiziert: Encarnação, (1984) 81-101; Encarnação (1991). Weitere Stücke befinden sich vor Ort in Privatbesitz oder sind in der ‚Torre de Marim’, einem mittelalterlichen Küstenwachtturm, vermauert. 64 Schröder (1993). 65 Encarnação (1984) 93; Schröder (1993) 406.

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Hispania (1999) 610, Kat.-Nr. 182. Koch (1993) 26. 68 Schröder (1993) 407. 69 Baldassare (1996) 21 Abb. 3: es handelt sich um ein aus Ziegeln gemauertes Grab mit kleinem Tonnengewölbe und tabula an der Schmalseite. Auch die größeren Mausoleen haben im Grundgedanken ihrer Anlage eine Ähnlichkeit mit den cupae, z. B. 22 Abb. 4; 101 Abb. 42. 70 Koch (1993) 26; 124. 71 Ein Exemplar befindet sich in Rocchetta S. Antonio, eines in Spinazzola und eines in S. Agata di Puglia: Tortorici (1975) 23 Anm. 4. 67

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Grabmonumente Lusitania

Septimius Severus anlässlich seines Feldzuges 196 und 197 gegen die Parther zusammen mit zwei weiteren Legionen gegründet, die jedoch beide in Mesopotamien stationiert wurden72. Für die Legio II Parthica lassen sich inschriftlich folgende Ethnien fassen: 23 Thraker, sechs Pannonier, acht Italiker, drei Illyrer, zwei Syrer, zwei Afrikaner sowie ein Daker und ein Ägypter73. Der größte Teil der Legionäre stammte folglich aus Thracia oder anderen Donau- oder Balkanprovinzen. Daher kann der Verdacht, die Legionäre könnten diese Form der Grabmonumente aus ihrer Heimat mitgebracht haben, was dadurch zu diesem seltsam isolierten Fundort geführt haben könnte, ausgeschlossen werden, da cupae im Donau-Balkan-Raum nahezu unbekannt sind. Möglicherweise haben die Legionäre aber hier eine Form von Grabmonumenten adaptiert, die sie auf ihren Feldzügen kennen gelernt haben. Werfen wir einen Blick auf die Zusam-mensetzung aller Grabmonumente im Bereich der Nekropole der Castra Albana, so läßt sich folgender Befund feststellen: von den 52 Grabmonumenten sind 40 cupae verschiedener Typen, acht sind Mischformen, die Bestandteile von cupae sowie Chamosorien (=Vertiefungen im anstehenden Felsen, auf die sarkophagähnliche Deckel aufgesetzt sind) aufweisen, die restlichen vier sind nicht bestimmbar74. Chamosorien finden ihren Verbreitungsschwerpunkt in Lykien und Kilikien75. Auch die Albaner cupae sind so gearbeitet, dass sie auf in den Fels geschlagene Grabgruben aufgesetzt sind; viele der Stücke zeigen darüber hinaus östliche Einflüsse, so z. B. in der Gestaltung von Eckakroteren, so dass man in der Tat eine östliche Herkunft vermuten möchte76. Die ältesten und meisten cupae scheinen jedoch aus der Africa Proconsularis vorzuliegen77; vor allem im Gebiet von Ammaedara (Haïdra), aber auch in Maktar, Hadrumetum (Sousse), Bulla Regia, Simitthus (Chemtou) sowie im Gebiet von Tipasa und Thamugadi (Timgad) ist Die eine Fundkonzentration zu beobachten78. nordafrikanischen Stücke (Abb. 11) sind z. T. aufwendiger verziert als die hispanischen oder Albaner

Grabsteine; viele zeigen neben der Inschriftentafel noch vegetabilen oder geometrischen Reliefdekor. In Einzelfällen sind auch Figuren (die Verstorbenen), Gefäße und Mondsicheln dargestellt. Aufgrund der Verbreitungsschwerpunkte der cupae (auf der iberischen Halbinsel, auf Sardinien und vor allem in Nordafrika, wo sich auch die ältesten Stücke finden) bleibt zu vermuten, dass die Gattung der cupae ihren Ursprung im ehemals punischen Nordafrika hat und sich von dort aus in bestimmten Regionen verbreitet hat, die mit Nordafrika besonders enge Verbindungen pflegten79. Die Punier jedoch kannten derartige Grabmonumente aus Stein nach heutigem Kenntnisstand offenbar noch nicht. Es bleibt daher zu überlegen, ob nicht Objekte aus anderen Materialien für die cupae Pate gestanden haben könnten – sofern man die Vorbilder nicht, wie genannt, in den gemauerten Grabbauten oder den lykisch-kilikischen Chamosorien erkennen will. Eine gewisse Ähnlichkeit weist eine Gruppe von Bleisarkophagen auf, die ihren Verbreitungsschwerpunkt im syrisch-palästinensischen Raum, dem Ursprungsgebiet der Punier, hat80. Die Gattung, deren Produktionszentrum im phönizischen Tyros lokalisiert wird, zeichnet sich durch eine langrechteckige Form mit tonnengewölbtem Deckel und bestimmte Dekorationsschemata aus81. Auch bei Holzsarkophagen gibt es gelegentlich tonnenförmig hochgewölbte Deckel82. Die Produktion der syrischpalästinensischen Bleisarkophage datiert vermutlich in die Zeit von der 1. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. bis an den Beginn des 4. Jhs. n. Chr., also etwa zeitgleich mit den cupae. Jüdische Ossuarien erscheinen ebenfalls in Gestalt von Truhen mit hochgewölbten Deckeln, datieren aber bereits früher, nämlich in die Zeit des 1. Jhs. v. Chr. bis 1. Jhs. n. Chr. und sind in Stein gearbeitet83. Möglicherweise sind die Ursprünge der cupae in diesem Umfeld des syrisch-phönizischen Raumes zu suchen und sind über Nordafrika nach Hispanien und anderswo 79

Eine solche Vermutung äußern z. B. Bendala Galán (1976) und Bonneville (1981). 80 Müfid (1932); Bertin (1974); Koch – Sichtermann (1982) 571f.; Froning (1990); Stubbe Østergaard (1996) 161-166, Kat.-Nr.71-76. 81 Die Langseiten der in verlorener Form gegossenen Sarkophage sind meist durch korinthische, seltener ionische Säulen gegliedert, zu denen darüber und darunter verlaufende Friesstreifen treten, die von Kordeln eingefasst sind und meist mit Lorbeerblattsträußchen und Weinranken gefüllt sind; die eine Schmalseite ziert eine tetrastyle Tempelfront mit syrischem Giebel, die andere ein Stern aus gedrehten Stäben: Froning (1990) 526. 82 So z. B. die auf dem Leichenzug präsentierten Sarkophage mit hochgewölbtem Deckel auf den Stelen von Daskyleion oder auf dem Istanbuler Klagefrauensarkophag: Fleischer (1983) 44 -47; zu den Holzsarkophagen: Watzinger (1905) 3 f. 83 Goodenough (1953) 110 f.; Meyers (1971) 39 f.; Froning (1990) 531.

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Dio Cass. LV, 24, 4. Tortorici (1975) 21. 74 Tortorici (1975) 22. 75 Koch (1993) 25. 76 Tortorici (1975) 23 weist darauf hin, dass es auch in Thrakien (Philippopolis) eine Sarkophagproduktion gegeben hat, deren Deckelform der vorliegenden ähnelt (Eckakrotere). Er vermutet daher, dass die Legionäre hier in Peperin eine Form nachgeahmt hätten, die sie bereits aus der Heimat kannten; s. dazu auch: Tsontchev (1963) Taf. 14-16. 77 Berciu –Wolski (1970). 78 Die Stücke liegen großenteils noch unpubliziert an der Oberfläche jeweils um die antiken Ruinen herum verteilt. Für den Hinweis danke ich den Teilnehmern einer Exkursion der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Oktober 2002. 73

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gekommen, wo sie eine weite Verbreitung gefunden haben.

Marmorurne mit Aedicula-Dekor, die wohl ins 2. Jh. datiert93.

5. Urnen

6. Sarkophage

Häufig anzutreffen sind in der Lusitania Urnen, meist aus Kalkstein, Blei, Glas und vor allem Ton. Hier sind altertümliche Züge zu bemerken. So kommen relativ roh gearbeitete Stücke wie ein steinerner Aschenbehälter aus Alcácer do Sal im Lissaboner Nationalmuseum84 in Italien bereits in vorrömischer Zeit vor85 und werden dort in spätrepublikanischer Zeit von Urnen aus Marmor oder Keramik verdrängt. In Hispanien dagegen wird offenbar noch im 1. Jh. n. Chr. in derartigen Urnen bestattet. Häufig finden sich hierin, neben dem Leichenbrand, auch Beigaben wie Glasbalsamarien, Knochennadeln oder Münzen86. Urnen aus Blei sind vor allem im 1. Jh. n. Chr. gebräuchlich87, gelegentlich kommen in dieser Zeit – und bis ins 2. Jh. – auch Urnen aus Glas vor88. Urnen aus Ton halten sich bis ins 3. Jh. n. Chr., bis sich auch in der Lusitania die Körperbestattung allmählich durchsetzt. Eine Marmorurne aus Ajuda/Lissabon (Abb. 12), die auf der Vorderseite unter der tabula mit der Inschrift eine Girlande zeigt, auf und unter der vier Vögel sitzen, bleibt dagegen ein Einzelstück89. Sowohl der Bestattete als auch der Stifter sind – den tria nomina nach zu urteilen – freie römische Bürger. Die Girlande zeigt tiefe Bohrungen; Reliefstil und Inschrift deuten nach Ansicht des letzten Bearbeiters auf eine Datierung an den Beginn des 3. Jhs. n. Chr.90. Dekor und Fundort (im Bereich der Hafenstadt Olisipo) machen nicht unwahrscheinlich, dass es sich um ein Importobjekt handelt. Das Repertoire von Girlandenmotiven wird in Rom allerdings bereits seit dem 2. Jh. deutlich reduziert, lediglich Lorbeer- und Fruchtfestons leben im Motivschatz weiter; im 3. Jh. verschwindet vegetabiler Dekor völlig91. Bei dem vorliegenden Stück kommt also, sofern die Datierung zutrifft, entweder ein gewisser Konservativismus zum Tragen oder es handelt sich eventuell um eine lokale Nachahmung älterer stadtrömischer Marmorurnen92. Im Museum von Mérida findet sich noch eine weitere

Generell lassen sich in den westlichen Provinzen in der frühen Kaiserzeit nur vereinzelt Sarkophagbestattungen nachweisen. Ein Sarkophag in Tarraco datiert wohl in augusteische Zeit und wird mit dem Umfeld der ab 27 v. Chr. anwesenden römischen Beamten verbunden, nachdem die Stadt Sitz des Statthalters der Hispania Citerior geworden war94. Die Zahl der Sarkophage aus Stein ist in Hispanien auch in der hohen und späten Kaiserzeit ungewöhnlich gering im Verhältnis zur Größe der Provinzen; vereinzelt gibt es Bleisarkophage, z. T. mit Dekoration95. Sowohl die importierten paganen Sarkophage des 3. Jhs. wie auch die frühchristlichen Sarkophage des 4. Jhs. übten darüber hinaus keine nennenswerte Wirkung auf die lokale Produktion aus, eine eigenständige einheimische Produktion hat es offenbar nicht gegeben. Vielmehr wurden in lokalen Werkstätten vereinzelt importierte Stücke mehr oder weniger frei kopiert und abgewandelt; hierbei fallen jedoch keine für Hispanien spezifischen Besonderheiten auf 96 – das mag vor allem in der ebenfalls äußerst geringen Anzahl an Nachahmungen begründet sein, die auf uns gekommen ist. Die ersten Kopien setzen bereits im 2. Jh. ein und laufen bis ins 4. Jh. hinein. Die meisten römischen Marmorsarkophage wurden in der nordöstlichen Tarraconensis, in dem Gebiet um Gerona – Tarraco, gefunden. Besonders die späteren frühchristlichen Sarkophage aus der Tarraconensis haben Beziehungen zu Stücken aus Nordafrika oder den östlichen Reichsteilen. Gamer konstatiert mit Blick auf die Mosaikkunst, dass in der Spätantike die Verbindungen Hispaniens nach Nordafrika enger als nach Italien zu sein scheinen97. Aber schon im mittleren 3. Jh. sind aus Nordafrika stammende Magistraten in Emerita Augusta belegt98. Man kann diese Tendenzen sogar noch früher, seit dem späten 1. und vor allem seit der 2. Hälfte des 2. Jhs., feststellen, als bereits im größeren Stil nordafrikanische Terra Sigillata des

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Religiões 2002, 516 Kat.-Nr. 216. Vgl. z. B. die Urnen aus den Hypogäen des 4./3. Jhs. v. Chr. in Latium: Borda (1956-58). 86 So z. B. in den baetischen Nekropolen von Salacia, Carmo oder Baelo: Fernández Fúster (1950); Remesal Rodríguez (1979). 87 Religiões (2002) 516 f. Kat.Nr. 218; 219. 88 Religiões (2002) 517 Kat.-Nr. 220; 221. 89 Chaves (1934-36); Matos (1995) 112 f. Kat.-Nr. 50. 90 Matos (1995) 112. 91 Sinn (1987) 56 ff. 92 Eine weitere Möglichkeit wäre, das Stück früher zu datieren; dagegen spricht aber – nach J. L. de Matos – u. a. die tiefe Bohrung der Girlande und die Form der Buchstaben. 85

93

Inv.-Nr. 23.239; das Stück ist unpubliziert: Vedder (2001) 71 Anm. 562. 94 Brandenburg (1978); Fless (1998) 322. 95 Koch – Sichtermann (1982) 308; Koch (1993) 131. 96 Koch (1993) 131. 97 Gamer (1989) 142 Anm. 480. – Zu den Mosaiken s. z. B. Dunbabin (1976); Durán Kremer (1998); Graen (2005b). 98 Eine Grabinschrift bei Vedder (2001) 103 Nr. 41 bezeichnet einen Antonius Saturninus als Madaurensis. – García Iglesias (1975) 32 f. erwähnt die Inschrift einer Servilia C. f. Secunda Tingitana. – s. dazu auch: Haley (1991) 44; Panzram (2002) 292 Anm. 47.

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Grabmonumente Lusitania

Typs Chiara A importiert wird99. Trotz dieser engen Beziehungen zwischen Lusitania und Nordafrika fällt auf, dass sich hier im Bestand der importierten und kopierten Sarkophage keine Verbindungen zu Nordafrika herstellen lassen. Vielmehr orientieren sich nahezu alle Stücke an stadtrömischen Vorbildern. Die wenigen Marmorsarkophage mit Reliefdekor aus dem Gebiet der Lusitania seien kurz im einzelnen aufgeführt100: die Fragmente eines Sarkophages mit den Taten des Hercules vom Monte da Azinheira bei Reguengos de Monsaráz aus dem frühen 3. Jh. (MNA Lissabon), der Vindemia-Sarkophag aus Castanheiro do Ribatejo (Abb. 13) aus der Mitte des 3. Jhs. (MNA Lissabon), der Porträtkopf von einem Philosophensarkophag aus tetrarchischer Zeit aus Emerita das Fragment eines (MNAR, Mérida)101, Hirschjagdsarkophages aus Emerita (etwa um 300/310; MNAR, Mérida)102, das Fragment eines Sarkophages mit Stibadium-Mahl aus Emerita aus dem frühen 4. Jh. (MNAR, Mérida)103, der Sarkophagdeckel mit Bankettszene aus der Mitte des 4. Jhs. aus Tróia (MNA, Lissabon) sowie der qualitativ hochwertige JahreszeitenSarkophag mit Clipeus (Abb. 14), ebenfalls aus Reguengos de Monsaráz aus dem 4. Jh. (Museu Nacional de Soares dos Reis, Porto) sind wohl Importe aus Rom. Das Fragment eines Erotensarkophages aus der Mitte des 2. Jhs. aus Elvas (Museu de Elvas), der Riefel-Sarkophag aus Évora (Abb. 15) vom Ende des 2. Jhs. (MNA Lissabon), der Sarkophagdeckel mit Darstellung von Musen und Philosophen aus Chelas/Lissabon vom Beginn des 3. Jhs. (MNA, Lissabon), der Musensarkophag aus Alfeizerão (Alcobaça) aus dem 4. Jh. (Museu do Carmo, Lissabon) sowie das kleine, neu gefundene Fragment eines Sarkophagdeckels aus Quinta de Marim/Olhão (Magazin IPA Silves), das vermutlich eine Vindemiaszene zeigt, scheinen dagegen lokale Kopien stadtrömischer Vorbilder zu sein104. Die Thematik der Reliefs bedient das übliche auch andernorts bekannte Repertoire. Ein leichter Schwerpunkt liegt auf Darstellungen, die sich auf den Bildungskontext beziehen (Musen, Philosophen etc). Ein Blick auf die Verbreitung (Abb. 16) zeigt eine Konzentration der Fundorte in Mittelportugal (Alentejo, Westküste). Aus Emerita Augusta und anderen Orten sind auch einige unverzierte

Marmorsarkophage bekannt105. Generell bedeutet dies also eine Häufung in den stärker romanisierten Gebieten. Angesichts der wenigen Exemplare (insgesamt 14) stellte die Bestattung in einem Marmorsarkophag in der Lusitania einen beinahe schon unerhörten Luxus dar. Selbst die Oberschicht der Provinzhauptstadt und der Conventushauptstädte scheint andere Bestattungsformen vorgezogen zu haben – ob dies allein mit den hohen Kosten zu erklären ist, kann bezweifelt werden, immerhin gibt es gelegentliche Sarkophagbestattungen sowohl unter der städtischen Bevölkerung als auch, wohl in der Mehrzahl der Fälle, unter reichen Villenbesitzern106. Es muß also noch andere Gründe für das weitgehende Fehlen von Sarkophagbestattungen in der Lusitania geben. M. Fless hat kürzlich mit Blick auf die frühkaiserzeitlichen Bestattungen in Rom festgestellt, dass diese nicht auf eine durch religiöse oder philosophische Anschauungen oder durch ihre soziale Stellung definierte Gruppe festgelegt sind. Vielmehr handelt es sich offenbar um eine durch individuelle Beweggründe motivierte Bestattungsform. Dies wiederum erklärt, nach Fless, „warum die Sarkophagbestattung keine über den singulären Fall hinausgehende Verbreitung in den Provinzen gefunden hat. Denn dafür hätte es einer homogeneren Personengruppe bedurft, die diesen Brauch geübt und aus Rom in die Provinzen übertragen hätte, was voraussetzte, dass diese Personengruppe auch in den Provinzen präsent gewesen sein müsste“107. Wir können also festhalten, dass in der frühen Kaiserzeit – der für die Romanisierung bzw. Romanisation der Lusitania so wichtigen, ja vielleicht wichtigsten Phase – die Sarkophagbestattung sich auch in Rom noch nicht durchgesetzt hatte und deshalb auch in der westlichsten römischen Provinz kaum Verbreitung gefunden hat. In der Folgezeit, seit dem 2. Jh. n. Chr., sind die Verbindungen nach Nordafrika wichtiger und enger als nach Italien. Das erklärt, dass in der Lusitania die 105

U. Vedder konnte in Emerita weitere 14 unverzierte Sarkophage zählen, elf davon werden im MNAR in Mérida aufbewahrt, drei in der Casa del Anfiteatro ebd.: Vedder (2001) 71 Anm. 562; zu einem Beispiel im MNAR s. auch: Sánchez – Pajuelo (1990) 117. – Ein Exemplar stammt aus Talaíde (Cascais): Cardoso u. a. (1995). – Ein weiteres Exemplar konnte kürzlich im Rahmen einer Rettungsgrabung bei Ourique (Alentejo) geborgen werden: Deus u. a. (2004). 106 So z. B. im Falle der Sarkophage aus Quinta de Marim, Évora u. a.: Maciel (1996) 126; Graen (2005a). 107 Fless (1998) 232 f. führt als Beispiel Stat. silv. V 1, 225 f., Plin. nat. VII 54, 187 und Plin. nat. XXXV 46, 160 an, bei dem u. a. von einem Sekretär Domitians berichtet wird, er habe seine Frau in Marmor bestatten lassen, weil er den Rauch und das Geräusch des Scheiterhaufens nicht habe ertragen können. Auch Varro ließ sich aus persönlichen Gründen in einem tönernen Sarkophag bestatten.

99

Cueva (1985); Silva u. a. (1992); Coutinho (1997). Nach García y Bellido (1949) 206-221; Koch (1977); Koch – Sichtermann (1982); Matos (2002). 101 García y Bellido (1949) 300 Nr. 296; Nogales Basarrate (1997) 99 Nr. 66. 102 García y Bellido (1949) 259 Nr. 266; Andreae (1980) Nr. 49. 103 Amedick (1991) Nr. 75. 104 Ein weiterer römischer Sarkophag scheint sich in Sandoeira/Freixianda (Distr. Ourém) zu befinden; zu dem Stück konnte jedoch kein Material beigebracht werden. 100

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Dennis Graen

afrikanische cupa und nicht der Marmorsarkophag nach römischem Vorbild zur vorherrschenden Gattung unter den Sepulkralmonumenten wird. Die wenigen Importstücke und Kopien nach stadtrömischen Vorbildern sind wohl mit dem Wunsch einzelner, vor allem wohlhabender Individualisten zu erklären, sich in einer Form bestatten zu lassen, die sie entweder persönlich oder in Überlieferung aus Rom kannten.

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Grabmonumente Lusitania

Abb.1: Stele des Auscus Boutius (Burgos,

Abb.2: Stele des C. Licinius Rufus (Vigo, Museo de Castrelos)

Museo Provincial)

Abb.3: Stele des Avitianus (Mérida, MNAR)

Abb.4: Grabaltar des C. Servilius Claranus (Lissabon, MNA) 149

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Abb.5: Altarstele der Iulia Tongeta (Lissabon, MNA)

Abb.6: Grabaltar mit Porträt der Lutatia Lupata (Mérida, MNAR)

Abb.7: Nekropole mit gemauerten und steinernen cupae in Barcelona 150

Grabmonumente Lusitania

Abb.8: cupa der Patricia aus Quinta de Marim (Lissabon, MNA)

Abb.9: cupa der Cogitata aus Mértola (Lissabon, MNA)

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Dennis Graen

Abb.10: Grabrelief der Sentia Amarante aus Mérida (Mérida, MNAR)

Abb.11: cupa des Q. Volusinius Ianuarius in der Nekropole von Haïdra (in situ)

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Grabmonumente Lusitania

Abb.12: Marmorurne des P. Clodius Iuvenis aus Ajuda (Lissabon, MNA)

Abb.13: Vindemia-Sarkophag mit Clipeus aus Castanheiro do Ribatejo (Lissabon, MNA)

Abb.14: Jahreszeiten-Sarkophag mit Clipeus aus Reguengos do Monsaráz (Porto, Museu Nacional de Soares dos Reis) 153

Dennis Graen

Abb.15: Riefel-Sarkophag aus Évora (Lissabon, MNA)

Abb.16: Verbreitung von Reliefsarkophagen in der Lusitania

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Sprachkontakte und Latinisierung in Hispanien im Spiegel antiker Quellen von

Mareike Rind

Ancient literary sources testify ignorance and disdain towards the indigenous population of the Iberian peninsula, as well as towards its various languages and dialects, which can be divided into two main zones. The languages were not immediately replaced by Latin but survived in several cases, i.e. in surnames. Latinization and Romanization developed more slowly in the rural regions of the northwestern Peninsula than in the more urbanized coastal regions. For a more sucessful Latinization, measures such as forced recruitment and permanent military presence would have been necessary. Nevertheless Hispanic Latin is characterized by linquistic archaisms and conservatisms as consequence of the early Romanization.

einheimischen Sprachen1 und einer unbestimmbaren Zahl von Dialekten gegenüber2 (Abb.1). Die einzelnen Sprachräume lassen sich anhand der epigraphischen Quellen abgrenzen. Abgesehen von den Völkern3, die schon vor der Eroberung durch die Römer auf der Halbinsel kolonisierten (Griechen an der Ostküste, z. B. Emporion, Hemeroskopeion, Alonai, Akra Leuke, Mainake, Pyrene Kypsela; Punier an der Küstenzone im Süden der Halbinsel, z. B. Malaka, Sexi, Gadir, Baria, Ebyssos, Abdera) 4, kann man die iberische Halbinsel vor der Latinisierung in zwei große Sprachräume aufteilen: das Iberische im Süden und an der Ostküste (Andalusien, Valenciano, Katalonien, Aragon, Navarro) und das Keltiberische im zentralen Teil Hispaniens sowie an der West- und Nordküste. Dieser Sprachraum lässt sich anhand von Inschriften und Eigennamen festlegen, die an einigen Orten der iberischen Halbinsel zutage gekommen sind (Abb. 2). Sie enthalten zum einen den iberischen Bestandteil ilti- oder iltu- , der entlang der Küste und in den Pyrenäen erscheint und im übrigen Land nicht vorkommt5, zum anderen ist ein anderes charakteristisches Merkmal im restlichen Teil der Halbinsel der Bestandteil –briga bei Ortsnamen. Dieser Suffix ist laut J. Untermann6 indogermanischer Herkunft und wird als Überrest einer vorrömischen Sprache bis in die römische Zeit im Nordwesten der Hispania verwendet und wird sogar mit römischen Namen verbunden, z.B. bei Caesarobriga, Augustobriga, Flaviobriga. Die Verbreitungsgebiete dieser vorrömischen Namensbestandteile7 bezeichnen die oben genannten Sprachräume, die von der Guadianamündung über die Sierra Morena und die Mancha verläuft, bei Segobriga am Mittelmeer zu erkennen ist und dann quer durch Aragón und den oberen Ebro hinweggeht (Abb.3)

1. Vorrömische Sprachen und die Latinisierung

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Zusammenfassung: Antike Schriftquellen bezeugen Ignoranz und geringe Wertschätzung für die indigene Bevölkerung Hispaniens sowie die Vielfalt ihrer Sprachen und Dialekte, auf die die Römer dort trafen und die sich grob in zwei Sprachräume einteilen lassen. Die Sprachen wurden nicht sofort verdrängt oder gänzlich durch Latein ersetzt, sondern lebten auf verschiedene Weise, u. a. in Eigennamen, weiter. Latinisierung und Romanisierung gingen z.B. in den ländlichen Gegenden des Nordwestens langsamer voran als in großen Küstenstädten: dort waren seitens der Römer besondere Maßnahmen wie Zwangsrekrutierungen und ständige Stationierung von Militär notwendig. Aufgrund der frühen Romanisierung sind im Latein Hispaniens „archaische“ Züge und Konservatismen zu erkennen. Vielfältige Sprachkontakte sind ebenfalls bezeugt. Abstract:

1

Strab. III 1, 6, über die Vielzahl von Sprachen allgemeine Bemerkungen zur Romanisierung der iberischen Halbinsel z.B. bei: Keay (2001) 117-144. 3 zu den einzelnen Völkern: Plin. nat. III 13; IV, XXXV 113ff.; Mela III 3f., Strab. III 4.5 4 García y Bellido (1972) 462-500. 5 Untermann (1961) 12; Reichenkron (1965) 271-278; Hubschmid (1960) 124-179. 6 Untermann (1961) 13-15 mit Anhang Karte 3. 7 Untermann (1961) 14-16 mit Anhang Karte 4. 2

Einer der wichtigsten Aspekte der Romanisierung ist die Latinisierung. Dadurch ist ein Prozess bezeichnet, in dessen Verlauf die einheimischen Sprachen verschwunden und fast gleichzeitig durch das Lateinische ersetzt worden sind. Daraus haben sich im Laufe der Jahrhunderte die romanischen Sprachen herausgebildet. Am Ende des 3. Jhs. v. Chr. kamen die Römer – und damit auch das Latein als Sprache des Militärs, der Rechtsgeschäfte und des Handels auf die iberische Halbinsel und standen hier einer Vielfalt von

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Mareike Rind

Fast alle epigraphischen Zeugnisse8 verwenden die iberische Schrift9, ein neugeschaffenes Alphabet aus griechischen und phönizischen Elementen, welches aus Silben und Einzellautzeichen zusammengesetzt war10 (Abb. 4). Sowohl die keltiberischen als auch die iberischen Inschriften11 sind alle zeitlich nicht weit vom Beginn der Romanisierung entfernt, da sie, von einigen Ausnahmen abgesehen, alle aus den drei letzten Jahrhunderten vor Christus stammen. Ein wichtiger Datierungsbestandteil sind die einheimischen Münzen. Keine dieser Münzen in iberischer Schrift ist älter als 197 v. Chr., von einigen Ausnahmen wie den frühen Silbermünzen aus Sagunt und dem umliegenden Küstengebiet abgesehen. Der Großteil dieser Münzen wurde zwischen 150 und 70 v. Chr. in der Provinz Hispania Citerior und einigen Gebieten der Baetica geprägt, in demselben Gebiet, in dem auch die Inschriften in iberischer Schrift vorkommen12. Die jüngste Münze in iberischer Schrift aus Osicerda am unteren Ebro stammt aus der Zeit Caesars13. Hieran ergibt sich für den iberischen Sprachraum die Feststellung, dass mit der Eroberung der Römer die iberische Schrift und Sprache nicht etwa zurückging, sondern dass es noch einmal zu einer Blüte der einheimischen Schriftkultur kam. Einige dieser Münzen sind bilingual: auf der Vorderseite ist die lateinische Legende, auf der Rückseite die iberische Entsprechung. Hier sind zu nennen: CEL – kelse (Abb.5); OSI – usekerte; SAGVNTINV – arse; GILI – kili; SAETABI – saiti (Abb.6); OBVLCO – ibolka. Bei den Legenden, bei denen ein deutlicher Unterschied in der Namensgebung auftritt, ist zu erkennen, dass man nicht allein die lateinische Transskription der iberischen Legende vornahm, sondern dass die offizielle lateinische Form der entsprechenden Stadt erscheint. Die Beispiele dieser Bilinguen zeigen, dass zum einen sowohl die lateinische als auch die iberische Ortsnamensgebung in

Gebrauch war, weil es eine vielleicht zweisprachige iberische Oberschicht gab, die Wert darauf legte, dass die alte Sprache – dokumentiert auf den Münzen – weiterhin in Gebrauch blieb14. Ein besonders wichtiges Zeugnis für das iberische Sprachgebiet ist die sogenannte Turma Sallutiana, eine Bronzetafel15, die in Rom gefunden und 89 v. Chr. in Asculum in Picenum verfasst wurde (Abb.7). Sie enthält die Namen von 30 im Gebiet zwischen Zaragoza und Lérida beheimateten Hispaniern, die Reitersoldaten einer Hilfstruppe, der turma sallutiana, waren. Die einheimischen iberischen Namen wurden sprachlich exakt mit lateinischer Schrift wiedergegeben und sind für die Forschung deshalb von großer Bedeutung, weil sie zum Teil ganz und zum Teil in ihren Elementen mit Lautfolgen übereinstimmen, die auf iberischen Inschriften in mutmaßlichen Personenangaben übereinstimmen.16 Im keltiberischen Sprachgebiet (Abb.4), welches ebenfalls die iberische Schrift benutzt, lässt sich der Übergang von der einheimischen zur lateinischen Schrift ebenfalls anhand von Münzprägungen festmachen. Hierbei sind zwei Städte zu nennen: Clunia am oberen Duero und Segobriga, dessen genaue Lage unbekannt ist. So erscheint kolounioku auf Silbermünzen, auf den Bronzemünzen derselben Zeit jedoch steht schon CLOVNIOQ; CLVNIA auf Münzen der Kaiserzeit. Sekobirikes steht sehr häufig auf Münzen des beginnenden 1. Jhs. v. Chr., zeitlich nicht weit entfernt die lateinische Form SEGOBRIS auf Bronzemünzen, SEGOBRIGA auf einer Reihe von Münzen aus augusteischer Zeit17. Hier lässt sich erkennen, dass sprachliche und graphische Latinisierung nicht zusammenfallen. Man verwendete entweder die einheimische oder die lateinische Form, man schwankte vermutlich, ob die alte iberische oder die neue lateinische Schrift geeigneter war, die einheimische Sprache wiederzugeben. Bei den Inschriften auf tesserae hospitales, die in keltiberischer Sprache abgefasst, jedoch in lateinischen Buchstaben geschrieben wurden, handelt es sich um Geschenke unter Gastfreunden18 (Abb.8). Andere

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Inschriftenträger in einheimischer Sprache sind Münzen, Keramik, Stelen, Bronzetafeln etc.; einige Beispiele einheimischer Inschriften bei Untermann (1972) 792-818. 9 Die Keltiberische Sprache, ein altkeltischer Dialekt, verwendet teils das iberische, teils das lateinische Alphabet: siehe dazu Untermann (2001) 402. 10 Zum iberischen Alphabet siehe Untermann (1961) 521, Karte 1-19; Untermann (1993) 111-119; Untermann (2001) 399-407; Untermann (1972) 792-818. 11 Eine Zusammenstellung der inschriftlichen Zeugnisse bis 1893 sind publiziert bei Hübner (1893), eine zusammenfassende Darstellung mit Neufunden bei Untermann, Monumenta Linguarum Hispanicarum 1-5. 12 zu den Münzinschriften Untermann (1975) in Zusammenfassung: Untermann (1972) 796-798.; Untermann (1980) 1-18; zur Datierung der Münzen: Villaronga (1958) 9-49. 13 Untermann (1980) 7f.

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Untermann (1980) 8f. CIL I2 709 16 Untermann (1972) 799; Untermann (1993) 114; Untermann (1980) 3f. 17 Untermann (1980) 10f.; dieses Segobriga ist jedoch nicht mit der Stadt am Nordrand der Mancha gleichzusetzen, sondern eher zwischen dem oberen Duero und Ebro zu suchen. 18 Diese tesserae konnten verschiedene Formen haben, z.B. Fische, Eber, gefaltete Hände und konnten Inschriften in unterschiedlicher Länge enthalten; Blech (1993) 262f., Taf. 22b.; bei dieser tessera aus Castillo wird ein Vertragspartner benannt, der einen lateinischen Namen trägt (P. Turulius P.F. Mai). 15

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Sprachkontakte und Latinisierung

Beispiele zeigen wiederum lateinische Namen in iberischer Schrift, z. B. ein Licinius aus Osicerda als Künstlersignatur auf einem opus signinum - Boden in einem Tablinum aus Caminreal (Prov. Teruel)19 (Abb.9) und Andelos (Prov. Navarra)20.

So verzichtet zum Beispiel Strabon (III 3, 7) auf eine Aufzählung einiger Zungenbrecher von Namen von Orten und Völkerschaften im Norden Spaniens „[...] denn wer könnte Freude daran finden, Namen zu hören wie die der Plentouisoi, Bardietai, Allotriges oder andere, noch häßlichere und noch fremdere [...]“. Auch Plinius (NH III 28; III 7; IV 118) bemerkt mit aller Verachtung, dass „[...] man allenfalls noch die Namen der Biballi, Collerni, Callaeci, Equaesi, Limici, Querquerni aussprechen kann, ohne dass es einen ekelt [...]“. Pomponius Mela (III 15) hingegen zeigt lediglich Ausspracheschwierigkeiten hinsichtlich der einheimischen Sprache auf: „Bei den Kantabrern gibt es einige Stämme und gewisse Flüsse, deren Namen unser Mund nicht aussprechen kann[...]!“.23 Aber die Diskriminierungen richteten sich nicht nur auf Sprache und Dialekte sondern auch auf Äußerlichkeiten oder Sitten und Gebräuche24. Livius bemerkt in seiner römischen Geschichte ab urbe condita noch relativ höflich, dass die Hispanier „von unruhigem Charakter und stets auf Umsturz erpicht“ seien25, Cicero hingegen beschreibt in einem Brief26 aus dem Jahre 60 v. Chr., dass man den Hispaniern humanitas vermitteln müsste, weil sie immanes nationes ac barbarae seien. Auch Caesar hatte der Bevölkerung Barbarensitten vorgeworfen, weil sie sich im Bürgerkrieg auf die Seite des Pompeius geschlagen hatten27. Catull, ein Zeitgenosse Caesars, hat seinen Feind und Nebenbuhler Egnatius zum einen als „einen Sohn des von Kaninchen zerwühlten Keltiberien“28 zum anderen als einen Langhaarigen29, „[...] den ein dunkler Bart veredelt und ein Gebiss, geputzt mit iberischem Harn“ (dens Hibera defricatus urina)30 bezeichnet. In einem anderen Gedicht beschreibt er letzteres sogar als Sitte der Keltiberer31: „Im Celtibererlande reibt jeder sich frühmorgens mit dem Wasser, das er ließ (quod quisque minxit), Gebiss und rotes Zahnfleisch ein [...]“.32 Die einheimische Bevölkerung selbst verhielt sich gegenüber der Sprache, Kultur und Lebensgewohnheiten der Eroberer immer nur passiv und war nicht nur tolerant,

2. Literarische Quellen Um einen Eindruck davon zu geben, welchen Sprachen und Dialekten die Römer bei ihrer Ankunft auf der iberischen Halbinsel gegenüberstanden, ist es notwenig einen Blick auf die uns zur Verfügung stehenden antiken Quellen zu diesem Thema zu werfen. Es ist dazu nur wenig Literatur erhalten, besonders griechische Quellen, die die Ethnologie der Halbinsel ausführlicher behandelt. Polybios schreibt in seinen Historien (Buch XXXIV) als Einleitung zu Buch XXXV, welches die lusitanischen und keltiberischen Kriege behandelt, eine geographische und ethnographische Abhandlung der iberischen Halbinsel. Strabon berichtet (III 4, 3; 4, 19), dass Asklepiades von Myrleia einen ausführlichen Bericht über die Turdetaner verfasste, da er einige Zeit bei ihnen lebte. Von Strabon wissen wir außerdem (III 4, 5), dass es auf der iberischen Halbinsel Kelten gibt, die Celtiberes heißen. Die Geschichtsbücher des Poseidonios sind nahezu vollständig verloren; was davon erhalten ist, kennen wir aus Exzerpten Strabons und Diodors, sie überliefern einen Teil dessen, was über Bergwerke Hispaniens berichtet wurde. Ein heute verlorenes Geographiewerk in elf Büchern wurde von Artemidoros verfasst, bei dem das 2. Buch auf die iberische Halbinsel Bezug nahm; auch daraus kennen wir einige Stellen aus Strabon und Plinius. Die Quellen sind nicht allein nur deshalb knapp, weil sie heute verloren sind, sondern weil die Römer und Griechen mehr über Geographie21 und Bodenschätze22 mitzuteilen hatten als über die fremden Völker selbst und deren Sitten, sie besaßen kein Verständnis dafür, und die Kommentare zeugen von Ignoranz und geringer Wertschätzung.

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zur Transkription der Inschrift: Blech (1993) 261f., Taf. 21b.;auf ein weiteres Beispiel für einen Licinius wird bei Untermann (1993) 113 verwiesen. 20 Untermann (1993) 113; Iberer (1998) 242. 21 Hdt. III 152; Pind. Ol. 3, 43; Pind. Nem. 3, 21ff; Mela, III 6f. 22 Mela a.O. : „Hispania […] ist mit Ausnahme der Seite, wo es die beiden Gallien berührt, überall vom Meer umgeben [...].Es hat Überfluss an Männern, Pferden, Eisen, Zinn, Erz, Silber und sogar Gold und ist so fruchtbar, dass es sogar dort, wo es infolge Wassermangels dürr [...] ist, dennoch Flachs und Federgras hervorbringt.“ (Übs. nach: Bechert (1996)); App. Hisp. 54: „[...] das ganze Land sei von Gold und Silber.“(Übs. nach: Trillmich (1993))

Übs. nach: García y Bellido (1972). Trillmich (1993) 43. 25 Liv. XXII.21,2, Übs. Nach Trillmich (1993). 26 Cic. ad Q. fr. I 1, 27-28. 27 Corp. Caes. 42. 28 Übs. nach Trillmich (1993). 29 Der aus Bilbilis stammende Martial beschreibt in einer Invektive (X 65) gegen einen eleganten Mann als stolzer Abkomme von Iberern und Kelten seine Haartracht: „ Du stolzierst einher, niedlich aufgemacht mit gewelltem Haar; ich dagegen trage stolz mein widerspenstiges hispanisches Haar zur Schau“. 30 Catull. 37. Übs nach von Albrecht (1995). 31 Catull. 39; aber auch Diod. V 33, 5 und Strab. III 4, 16 32 Übs. nach von Albrecht (1995).

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Mareike Rind

sondern sogar aufnahmebreit33, denn sie erkannten, dass die Sprache der Römer ihnen als Sprache der Justizverwaltung, Senatsverfügungen, Reskripte und Verordnungen der Statthalter, der Dekrete der Dekurionen, der Rechte und Verfügungen der Munizipien und Kolonien, des Kalenders etc. eine Menge Vorteile bot. So fungierte das Latein als universelles Kommunikationsmittel im Umgang mit der übrigen römischen Welt und war nun Sprache des gesamten öffentlichen und privaten Lebens.34 Im öffentlichen Leben verfuhren die Römer zwar streng, im nichtöffentlichen Leben waren sie jedoch weitaus nachgiebiger. Sie zwangen niemandem ihre Götter auf, ebenso wenig zerstörten sie die soziale Ordnung der Völker, die die römische nicht annahmen.35 Auf der gesamten iberischen Halbinsel existierte die einheimische Götterwelt weiter; auf lateinischen Inschriften im keltiberischen Sprachgebiet fand man etwa 20 Götternamen36, im Westen und Nordwesten der iberischen Halbinsel erscheinen über hundert Altäre mit Votivtexten mit vielfältiger Götternamensgebung37. Die lateinische Sprache wurde aber trotz Beibehaltung der einheimischen Sprache und Kultur längst gesprochen, spätestens seit Kaiser Claudius schien der Erwerb der lateinischen Sprache obligatorisch für denjenigen gewesen zu sein, der das römische Bürgerrecht verliehen bekommen haben wollte, wenn man Suetons38 Äußerung Glauben schenken darf, dass er einem Würdenträger aus der Provinz Achaea das Bürgerrecht entzog, weil er kein Latein konnte. Hierbei muss man die ironische Bemerkung in Senecas Apocolocyntosis anführen, in der steht, man wolle ihm „[...] noch ein bisschen Zeit

zugeben, bis er die paar Leutchen, die noch übrig sind, auch noch mit dem Bürgerrecht beschenkt hätte [...], er hatte nämlich beschlossen alle Griechen, Gallier, Spanier [...] als römische Vollbürger in der Toga zu sehen“39. Dies ist zwar als Übertreibung aufzufassen, um den Kaiser zu verunglimpfen, ganz von der Hand zu weisen jedoch scheint die Bemerkung bei Seneca nicht zu sein, da auch Cassius Dio anführt, dass sowohl Claudius als auch von ihm ermächtigte Freigelassene eine Zeit lang das römische Bürgerrecht freigiebig verliehen haben sollen und dass es sogar das Gerücht gab, man würde das sonst so behütete Bürgerrecht für ein paar Glasscherben erwerben können40. Aufgrund der verschiedenen einheimischen Sprachen und Dialekte und der Unterschiede der einzelnen Landschaften und eines jeden Stammes ist der Schluss deutlich, dass die Ausbreitung der lateinischen Sprache nicht gleichförmig und regelmäßig verlief, sondern sich von Ort zu Ort auf unterschiedliche Art und Weise verbreitete; im Süden und Osten des Landes nämlich kann man von einer raschen und in der Meseta, im Westen, Nordwesten und im Norden von einer mehr oder weniger langsamer voranschreitenden Latinisierung sprechen. 3. Latinisierung im Spiegel antiker Quellen Die Latinisierung der Hispania Ulterior hatte schon früh begonnen und schritt dann im Laufe des 2. Jhs. v. Chr. voran.41 Am Anfang des 1. Jhs. v. Chr. wurde hier nicht nur Latein, sondern auch, bedingt durch die griechischen Kolonien an der Ostküste, Griechisch gesprochen42. Latein war in dieser Zeit zumindestens Umgangssprache für viele Einheimische, aber auch Griechisch43 war ein sehr wichtiger und nützlicher Bestandteil, vor allem für Kaufleute der großen Hafenstädte (Gades) aufgrund der Handelsbeziehungen mit dem Rest der griechischen Welt. In augusteische Zeit fällt eine Aussage Strabons (III 2, 15) über die südlichen Völker: „Die Turdetaner und besonders die um den Baetis herum Wohnenden haben ihre Lebensweise völlig in die römische verwandelt und selbst ihre eigene Sprache vergessen. Die meisten sind latinische Bürger geworden, so dass nur wenig fehlt, dass alle auch noch Römer sind [...] Diejenigen Iberer, die solche Sitte angenommen haben, heißen stolati oder

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García y Bellido (1972) 468f. García y Bellido (1972) 469. 35 García y Bellido (1972) 469. 36 z.B. Epona, Arco, Vaelicus u. a., siehe bei Untermann, Hispania Antiqua. Römerzeit a.O. 115-117.; Weihungen in das Heiligtum des Endovellicus von São Miguel da Mota, Alandroal (Alentejo) lassen sich mindestens bis in die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. (Weihungen) oder sogar bis in die Mitte des 4. Jhs. n. Chr. (Münzfunde) nachweisen: Cardim Ribeiro (2002) 81; zu den Inschriften: Encarnação (1984) Nr. 520; zu den Weihungen: Matos (1995) 134-179 Nr. 61-113. 37 Die Normalform sind zweiteilige Namen, die erste Stelle bildet der eigentliche Göttername (z.B. Bandu, Cosu, Munidi, Nabia u. a.) , die zweite Stelle ein Adjektiv, welches mit Suffixen gebildet ist (lokale Erscheinungsform der Gottheit). Bei stark latinisierten Inschriften steht an erster Stelle, anstatt des Götternamens, nur noch deus, lar oder genius u. a.; zu den Götternamen siehe auch: Untermann (1985) 343-363. 38 Suet. Claud. 25, 7-8; 16, 4. “Einen Würdenträger aus der Provinz Graecia strich er von der Richterliste, entzog ihm das römische Bürgerrecht und versetze ihn so in den Peregrinenstand zurück, weil er kein Latein konnte.“ 34

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Sen. apokol. 3,3, Übs. nach Bauer (1981). Dio Cass. LX 17, 4 41 García y Bellido (1972) 470; Reichekron (1965) 278. 42 Allgemeine Bemerkungen zum Griechischen im Bezug auf die Romanisierung bei: Leiwo (1995) 293-301. 43 García y Bellido (1972) 471; aus der Kaiserzeit gibt es einige Hinweise auf Griechischlehrer: Domitius Isquilinus aus Corduba: magister grammaticae, graecus (CIL II 2236); Troilus aus Gades: retor graecus (CIL II 1738). 40

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Sprachkontakte und Latinisierung

Castelo)52 (Abb.11) und einer Granitstatue eines Bullen aus Guisando (Prov. Avila)53. Das beweist, dass es zwar eine Eingliederung in die römische Kultur gegeben hat, an der Sprache und/ oder Kultur hat die einheimische Bevölkerung jedoch festgehalten. Weiterhin blieben, von einigen Ausnahmen abgesehen, sowohl in der Citerior als auch in der Ulterior die früheren Städtenamen in der Umgangssprache gebräuchlicher als die offiziellen Namen in lateinischer Sprache;54 phönizische Städtenamen dagegen wurden durch lateinische ersetzt55 und bei neugegründeten Kolonien benutzte man erwartungsgemäß den lateinischen Namen weiter, da keine vorrömische Form existierte (Emerita Augusta, Valentia, Polentia). Im Inneren der Tarraconensis und der Lusitania gerieten die einheimischen Sprachen nicht so schnell in Vergessenheit, da diese kulturell weniger entwickelte und damit auch schwächer romanisierte Gebiete waren.56 Die Sprache der Römer konnte sich dort auch am Ende des 1. Jhs. v. Chr. noch nicht als Umgangssprache durchsetzen. Strabon bezeichnet die Einwohner des Duerolandes und des Quellgebietes des Tejo in Zentralspanien als Wilde, die ausschließlich in Wäldern lebten. Weiterhin gibt er zu bedenken, dass sie für ihre Nachbarn aufgrund ihrer Wildheit ständig eine Gefahr darstellen würden. Aber auch der Einfluss der bereits romanisierten Städte in der Nähe (Numantia, Termes, Bilbilis) würde nicht ausreichen, diese Waldbewohner zu zivilisieren57. In vielen Landstrichen der Tarraconensis (Kantabrien, Asturien und Galizien) müssen die alten Sprachen noch sehr lange58, vereinzelt sogar bis in das frühe Mittelalter

togati, wozu auch die Keltiberer gehören, früher die wildesten von allen“.44 Ein Vorteil der raschen Romanisierung und damit Latinisierung im südlichen Bereich der Hispania Ulterior war die Tatsache, dass die iberische Bevölkerung dieser Gegend städtisch geprägt war. Doch trotz der raschen Annahme der lateinischen Sprache konnte man die Einheimischen anhand ihres Akzentes durchaus erkennen. So wird beispielsweise über Hadrian berichtet, der einen Teil seiner Kindheit in seiner Geburtsstadt Italica verbrachte, dass er, als er vor dem römischen Senat eine Rede Trajans verlesen musste, so „provinziell“ geredet haben muss, dass er das Gelächter seiner Zuhörer erregte (agrestius pronuntians risus esset)45. Aber auch dem Schriftsteller und Redner Antonius Julianus hörte man durch Hispano ore46 seine Herkunft sofort an. Wenn man von den großen Zentren an der Küste sowohl in die abgelegenen Städte als auch in die bäuerlichen Gegenden der Ulterior schaut, muss man feststellen, dass noch bis in augusteische Zeit hinein entweder nur die einheimische Sprache gesprochen wurde oder man sich notgedrungen mit der Zweisprachigkeit abgefunden hat47. So erfährt man z. B. bei Cicero, dass man gelegentlich einen Dolmetscher brauchte, wenn spanische Delegationen, welche vermutlich zum größten Teil aus dem Inneren der Ulterior stammten, zum römischen Senat kamen, um sich verständlich machen zu können.48 Für ein „offizielles Dolmetscheramt“ gibt es aber weder in Inschriften noch in der Literatur aufschlussreiche Quellen49. Während des 1. Jhs. v. Chr. und in augusteischer Zeit gibt es im nördlichen Teil der Halbinsel einheimische Namen auf Grabstelen mit lateinischen Inschriften; aus Casa de la Vega (Prov. Cáceres) für Togeta Talaba(ri), in der Nähe von Porto für Sunua Aviti.50 und aus Burgos die Grabstele der Aia Caelaon51 (Abb.10). Umgekehrt gibt es auch ab dem späten 1. Jh. bis in das frühe 2. Jh. hinein römische Namen und ganze Inschriften auf einheimischer Kunst, z. B. auf einer der sog. Lusitano-Galizischen Kriegerstatuen aus São Paio de Meixedo (Viana do

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CIL II 2462, 5611; Edmondson (2002) 54f. mit Abb. 4.8, 4.9; Vorderseite: Clodane / Corocaudi / f(ilio) Se[stio?]; linke Seite: L. Sest/ius L.l. Coroc/udius / contu(bernalis) / frater. 53 CIL II 3052; Edmondson (2002) 56f. mit Abb. 4.10; Longinus / Prisco Cala/etiq(um) patri f(aciendum) c(uravit); weitere dieser Bullen mit lateinischen Inschriften aus Guisando bei: López Monteagudo (1989) 123-138. 54 So benutzte man z. B. den alten Namen Hispalis anstelle von Colonia Iulia Romula, Barcino vor Colonia Iulia Augusta Paterna Faventia, Tarraco anstelle von Colonia Iulia Urbs Triumphalis, Corduba anstatt Colonia Patricia Corduba etc. 55 Qart Hadašt verschwand und wurde durch Carthago Nova (Cartagena) ersetzt; García y Bellido (1972) 470. 56 García y Bellido (1972) 479. 57 Strab. III 4, 13. 58 So erfährt man z.B. von Tacitus (Tac. ann. IV 45), was ungefähr in die Zeit des Tiberius fällt, dass ein Bauer aus Termessos aus politischen Gründen den Prätor L. Calpurnius Piso ermordet hatte, der daraufhin verhaftet und gefoltert wurde, um die Namen seiner Mitverschworenen zu verraten, er aber voce magna sermone patrio frustra se interogari clamavit; Seneca

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Übs. nach : Bechert (1996). Hist. Aug. Hadr. 3 46 Gell. XIX 9, 2 47 García y Bellido (1972) 471. 48 Cic. div. II 131, Cicero spricht hier nur allgemein von Hispani. 49 García y Bellido (1972) 469. 50 Edmondson (2002) 52f. mit Abb. 4.5-4.10.; weitere Beispiele sind u. a. die Grabstelen aus Cárquere (Viseu), hier ist z.B. die Grabstele der Iulia Tongeta zu nennen, auch die Ornamentik der Stelen weist auf einen indigenen Ursprung – siehe dazu den Beitrag von D. Graen mit weiterer Literatur. 51 Schlüter (1993) 339f., Taf.123. 45

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in Gebrauch gewesen sein; laut Eutrop59 kam es erst mit dem Vordringen des Christentums und später mit der Herrschaft der Westgoten zu einer Latinisierung60. Die Latinisierung des Nordwestens erfolgte in mehreren Schritten. Zum einen waren es die einheimischen und wegen ihrer Lage unter Augustus romanisierten oder neugegründeten Städte, welche zum Zweck der Verwaltung nach den Kantabrerkriegen angelegt wurden; zu ihnen gehören Asturica Augusta (Astorga), Lucus Augusta (Lugo), und auch Bracara Augusta (Braga). Ein weiterer Schritt, der erst im 1. Jh. n. Chr. begonnen wurde, waren die Gründungen von fora61, ländlichen Gemeinden, die an einer Straße oder in unmittelbarer Nähe eines regelmäßig abgehaltenen Marktes entstanden, städtisch organisiert wurden und somit einen ersten Schritt zur Urbanisierung des bäuerlichen Landes darstellten. Der dritte Schritt ging am Ende des 1. Jhs. von den Flaviern aus, die allen Hispaniern, die noch mit keinem politischen Status betraut waren, das ius Latii62 schenkten.

Ein weiterer Faktor für die Latinisierung war die intensive Rekrutierung Einheimischer, aus denen Auxiliarverbände für das kaiserliche Heer gebildet wurden63. Nach ihrer Entlassung kamen die Soldaten vollständig latinisiert zurück, bekamen das volle römische Bürgerrecht verliehen und wurden darüber hinaus mit den wichtigsten Aufgaben in der Politik in ihrer Gemeinde betraut. Aber auch die ununterbrochene Stationierung der legio VII Gemina in diesem Landesteil64 trug entschieden zur Romanisierung und damit auch Latinisierung bei. Ein Vertrag aus dem Jahre 25 n. Chr. und seine Erneuerung etwa 125 Jahre später65 ist ein wichtiges Zeugnis des Fortschrittes der Latinisierung im Nordwesten der iberischen Halbinsel. Im erst genannten Vertrag tragen die sieben unterzeichnenden Magistrate peregrine Namen (Aransa, Docius, Turaius, Abienus, Magilo, Bodecius, und Elaesus), während im zweiten Vertrag die Unterzeichner schon die römischen nomina führen (Sempronius Perpetuus, Antonius Arquius, Flavius Fronto, L. Domitius Silvo und L. Flavius Severus). Von einem solchen Fortschritt der Latinisierung können ausschließlich die großen Küstenstädte (Emporion, Dertosa, Barcino, Valentia, Saguntum, Dianium, Carthago Nova), die Städte des Ebrotales (Ilerda, Osca, Bilbilis, Calagurris, Cascanto, Biscargis, Turiaso, und natürlich die Kolonien und Munizipien betroffen sein, in den Dörfern ging es wesentlich langsamer voran, wie einige Inschriften und Texte in einheimischen Sprachen bezeugen66, z.B. die Bronzeplatte von Luzaga

(Sen. dial. XII 7, 9) berichet, dass er die Sprache der Kantabrer mit dem Korsischen vergleicht, d.h. er muss sie sprechen gehört haben. 59 I Cor. 14, 18, Lib. De similit. Carnis peccati, ediert in : Morin (1913) 107-150. « … ethnicis uero et istis barbaris uestris nonminus mente quam lingua, qui mortem putant idola non uidere, illa peculiariter exhibebas : sermone blando, et suo unicuique, dei nostri insinuare notitiam, et lingua barbara hebraicam adserere doctrinam, dictura cum apostolo : Bene quod omnium uestrum lingua loquor… » « … mit diesen Heiden und mit diesen deinen Barbaren, Barbaren der Seele wie der Zunge, die immer noch glauben, dass ihre Götter den Tod nicht kennen, hast du dich in besonderer Weise befasst, denn in süßer Rede und mit jedem in seiner eigenen Sprache sprechend flößest du ihnen die Erkenntnis unseres Gottes ein, und in der Sprache der Barbaren legtest du ihnen die hebräische Lehre aus, du, die du mit dem Apostel sagen kannst: sehet, wie ich in eurer Sprache zu euch rede...“ – Die Autorschaft ist nicht ganz geklärt. Er spricht von einer vornehmen Dame, die auf der iberischen Halbinsel gewirkt hat, an einem Ort der Diozösen Barcino oder Valentia. Die Forschung weist diesen Text zwei möglichen Autoren zu. Eutrop, Bischof von Valentia oder St. Pacianus, Bischof von Barcino (4. Jh.). Die neuere Forschung geht von Eutrop aus, dann würde der Text in das 6. Jh. zu datieren sein. 60 García y Bellido (1972) 479f. 61 hier wären zu nennen: im NW das Forum Limicorum (Limici), Forum Gigurrorum, Forum Bibalorum (Stadt der Bibali – heute Bibalo); García y Bellido (1972) 481. 62 Edikt des Vespasian aus dem Jahre 73/74; es betraf ganz besonders die Stämme und Völker im Norden und Nordwesten der Halbinsel. Als Dank entwickelten sich zu

Ehren des Gönners Städte, die den Gentilnamen der Flavier enthielten: Flavionavia, Flavio Lambris, Bergidum Flavium, Aquae Flaviae, Iria Flavia und eine flav. Kolonie mit dem Namen Flaviobriga (Gründung zw. 69 und 77 n. Chr.); García y Bellido (1972) 481. 63 Strab. III 3, 8; durch diese Politik schwächten die Römer durch die Einzüge der jungen Leute in das Herr die Gefahr der Aufständigkeit - die Namen dieser Auxiliarverbände lassen die Herkunft der Stämme verraten aus denen sie kamen; z.B. Lucenses, Bracari, Astures etc.; García y Bellido (1972) 482. 64 Die legio VII gemina wurde im Jahre 73/74 n.Chr. wo heute León liegt stationiert und blieb als einzige zurück, während alle anderen zwischen 39 und 70 aus dieser Gegend abgezogen wurden; Strabon (III 3, 8) berichtet über die Anwesenheit der legiones: „Ihrer Anwesenheit ist es zu danken, dass diese Völker teilweise nicht nur zu friedfertigen Menschen, sondern sogar zu Städtern geworden sind [...]“; Übs. nach García y Bellido (1972). 65 tessera hospitalis von Astorga (CIL II 2633)- sie enthält zwei Dokumente: eine Vertrag aus dem Jahre 27 n. Chr. und seine Erneuerung etwa 125 Jahre später (152 n. Chr.); García y Bellido (1972) 484. 66 Der Text wurde in iberischem Schrift und keltiberischer Sprache wiedergegeben; weitere Beispiele,

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Sprachkontakte und Latinisierung

(Guadalajara)67, die Bronzetessera Paris68 und ein Steinzeugnis aus Ibiza69. Wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, ist die Entwicklung zum Latein und das damit verbundene Aussterben der einheimischen Sprachen und Schrift längst nicht so schnell und einheitlich erfolgt, wie in den Schriftquellen behauptet wird. In den weniger zivilisierten Gegenden pflegte sich die einheimische Sprache länger zu halten als in den stark romanisierten Gegenden der Küstenzone. Solch eine - nicht unumstrittene - heute noch vorhandene vorrömische nicht-indogermanische Sprache ist das Baskische70, welches zwischen Bilbao und Biarritz, dem Meer und dem kantabrischen Küstengebirge und in den westlichen Pyrenäen gesprochen wird. Es gibt nur wenig epigraphische Quellen, die als antike Zeugnisse für das Baskische angesehen werden könnten71; sicher ist, dass sie weder als iberisch noch keltiberisch zu deuten ist72. Entweder handelt es sich um eine uns völlig unbekannte althispanische Sprache, die durch keinerlei antike Quellen belegt werden kann, oder sie gelangte mit römerzeitlichen oder vielleicht sogar erst mit frühmittelalterlichen Bevölkerungsverschiebungen auf die Halbinsel73. Dennoch muss diese Sprache Kontakt mit dem hispanischen Latein gehabt haben, denn es gibt „Baskismen“ in allen drei romanischen Sprachen der Halbinsel: port. esquerda, piçarra (Schiefer); kast. izquierda, pizarra; kat. esquerra, pissarra74. Aber auch

die Wörter páramo (span., port.) „Ebene“, arroyo (span.) arroio (port.) „Bach“ gehen auf das Baskische zurück75. Ein weiterer vorrömischer Substrateinfluß scheint das im heutigen Spanien typische Phänomen des anlautenden f > h zu sein, welches dann später gänzlich verstummte: filius > hijo, formica > hormiga gegenüber dem französischen fils/fourmie und italienischen figlio/formica76. Aber auch die Verstärkung/Geminierung eines anlautenden r auf der gesamten Pyrenäenhalbinsel geht nach einstimmiger Meinung der Forschung auf eine vorrömische Sprache zurück77. Mit diesem Phänomen eng verwandt scheint die Palatalisierung des anlautenden l und n zu ñ zu sein, welches das gesamte katalanische Sprachgebiet78, Asturien79 sowie die westlichen und nördlichen Teile von Léon betrifft80. Nördlich der Pyrenäen erscheint es als interdentales l, welches mit O umschrieben wird81. Aufgrund von Gemeinsamkeiten der Verstärkung von anlautendem r in der südmediterranen Romania (Sardinien, Sizilien, Unteritalien) und der Palatalisierung des anlautenden l im westlichen Oberitalien, geht die Forschung von einer engeren Verwandtschaft zur Pyrenäenhalbinsel aus82; es besteht die Annahme einer Einwanderung eines

_____________________ 75

Diese Herleitung ist nicht mehr nachzuvollziehen, da von einer Verwandtschaft des Baskischen mit dem Iberischen ausgegangen wird. 76 Rohlfs (1955) 408; Aufgrund der Tatsache, dass es den Buchstaben f im Baskischen nicht gibt, gehen einige Meinungen von einer baskischen Herkunft aus. 77 Rohlfs (1955) 408; span.: rrueda, rrana, rrey, port.: rrabo, rregar, rriga, kat.: rram, rres, rriba usw., in der Gaskogne gilt dasselbe Phänomen mit vokalisiertem arr-: arrat -rat, arré- rien, arride- rire, arroda- roue. Tatsächlich entspricht der Gaskognische Sprachbestand genau dem Baskischen, dem statt einem r nur ein errbekannt ist: lat. rege –bask. errege, lat. Roma – bask. erroma. 78 Rohlfs (1955) 409; kat.: llana, llibre, lloc, lluna. 79 Östlich von Asturien in der Provinz Santander finden sich die Spuren noch in den Mundarten: llavazo, llar, llubina; im asturisch-leon. Kerngebiet erscheint statt l nicht nur y (yobo, yengua,yardo), sondern auch andere merkwürdige Ergebnisse, die ebenfalls auf einem alten gedehnten ll beruhen: t oder d: atí - alli, catar -callar, fuete – fuelle; dingua- lingua; dunis- lunes usw. 80 Rohlfs (1955) 409: llana, llagarta, llobo, llingua, lluna. 81 Rohlfs (1955) 409; in Auzat (westlich von Ax-lesThermes) : Oéit- lait, Oapin- lapin. 82 Rohlfs (1955) 413.sard.: arrana- rana, arramu -ramo, Kalabrien: arramu -ramo, arrídiri –ridere;ll ist in Oberitalien nicht mehr vorhanden, aber an dessen Stelle steht wieder d in teils geminierter Form: dduna, ddengua, dana, dait – latte, duna, dunudi-lunedi etc.

jedoch in lateinischer Schrift und in keltiberischer Sprache sind: Arroyo del Puerco (Cáceres), Lamas de Moledo bei Vizeu (nördl. Coimbra), Peñalba de Villastar (Teruel) und Cabeço das Fráguas bei Guarda. Untermann (1972) 801. 67 Tovar (1949) 175-183. 68 Untermann (1972) 801. 69 Untermann (1972) 801. 70 Untermann (1972) 811f.; Untermann (1974) 14; Mariner Bigorra (1983) 843f.; Tamás (1983) 35. 71 Dies sind Personen -und Götternamen auf lateinischen Inschriften aus dem obersten Garonne-Tals, aus einigen Orten des Baskenlandes und auf einer Inschrift aus Lerga in Navarra; Untermann 1974, 14, weitere ausführliche Literatur zum Baskischen: Michelena (1954) 409-455; Caro Baroja (1945). 72 Michelena (1961) 65-74. 73 Untermann (1972) 811f. 74 Mariner Bigorra (1983) 844; nachvollziehbar ist dies nicht, da Mariner Bigorra nicht die baskische Entsprechung nennt. Tamás (1983) 35f. geht von einem iberischen Substrat aus, da er noch von der Verwandtschaft von Iberisch und Baskisch ausgeht.

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Mareike Rind

indoeuropäischen Volkes vor den Kelten, einige Forscher glauben, es waren die Ligurer83.

Einige dieser republikanischen Schreibweisen überdauern bis ins 2. Jh. n. Chr.: so wurden z. B. in der modernen Provinz Cáceres Inschriften gefunden, bei denen anstelle von curavit quravit, statt Victoria Viqtoria oder auch quius anstelle von cuius geschrieben wurde96. Aber auch das Cognomen Secundus/a wurde öfter als Sequndus/a97 wiedergegeben. Weitere „archaische“ Schreibweisen in dieser Region betreffen zum einen den Diphthong ae, der als ai vorkommt, wie z.B. im Namen Caicilia Muntani f. Aranta98, zum anderen die Vorliebe eines v anstelle eines i vor dem Labial m bei Adjektiven wie optimus, maximus und pientissimus (optumus, maxumus, pientissumus99). Dieses Phänomen tritt auch bei latinisierten griechischen Namen auf; Onesumus100, Cresumus101 und Sosumus102. Aber auch in anderen Gebieten der Lusitania wurde an einigen Beispielen der Diphthong ae durch einen Monophthong ersetzt, häufig im femininen Genitiv und Dativ, aber auch in den Gentilnamen Elius und Celius, anstatt statt Aelius und Caelius103. Solche grammatikalischen und orthographischen „Irrtümer“ kann man auch über die ganze Provinz zerstreut finden. So scheint es zum Beispiel, als hätte die einheimische Bevölkerung ein Problem mit der Aspiration gehabt, welches sich bis in die heutigen romanischen Sprachen fortgesetzt haben könnte; die Namen der Herennii und Helvii erscheinen hier als Elvii104 und Erennii105. Auch die Hyperkorrektheit tritt in einigen Inschriften auf, z. B. Hoctavius statt Octavius106. Catull spricht in einem seiner Gedichte genau über dieses Problem, indem er sich über einen gewissen Arrius lustig macht, der „Hangenehm“ zu sagen pflegte, wenn er „Angenehm“ sagen wollte und „Hanschlag“ statt „Anschlag“, auch das ionische Meer sei, nachdem Arrius dorthin gegangen wäre nicht mehr das „Ionische“, sondern das „Hionische“ 107.

4. Das hispanische Latein Die Merkmale der lateinischen Sprache auf der iberischen Halbinsel sind Archaismen und Konservatismus84. Archaismen sind Elemente, die schon für das klassische Latein als archaisch bzw. veraltet galten, denn aufgrund umfangreicher linguistischer Forschungen85 wurde deutlich, dass sowohl eine Menge spanischer Wörter ihren Ursprung im Latein des 2. Jhs. v. Chr. haben, als auch, dass eine relativ hohe oskische Komponente86 in dem Latein vorhanden war, welches sich auf der iberischen Halbinsel entwickelte. Das weist darauf hin, dass das Latein in relativ früher Zeit (ab 218 v. Chr.) auf die Halbinsel gebracht wurde. Das Ergebnis war, dass eine „archaische“ Form der lateinischen Sprache über Jahrhunderte lang in Hispanien in Gebrauch war und sich so auf natürliche Weise weiter bis hin zu den romanischen Sprachen (Catalan, Castellano, Portugiesisch) entwickeln konnte. Konservatismus bezieht sich auf den Widerstand gegen die Neuerungen der Sprache, die sich in der Zentralromania bereits durchgesetzt haben und die „archaischen“ Elemente der Sprache sowohl verdrängt als auch ersetzt haben. Solche Archaismen und Konservatismen sind in Inschriften der Lusitania erkennbar: bei Namen wie Maximus / Maxumus oder bei Wörtern wie uxor und vixit wurde das x durch die Buchstabenkombination cs oder xs oder – nicht ganz so häufig – durch cx oder xc wiedergegeben: Maxsumus87, Maxsimus88, uxsor89/ ucsor90/ ucxor91, vixsit92 / vicsit93/ vicxit94/ vixcit95.

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83

z. B. Pokorny glaubt an ein ligurisches Substrat: (1938) 59f. 84 Die folgenden Abhandlungen stützen sich auf die Aufsätze von: Mariner Bigorra (1972) 820-852; Edmondson (2002) 41-60; Tovar (1980) 331-342. 85 Tovar (1968); Tovar (1974) 95-108; Mariner Bigorra (1960)199-236; Mariner Bigorra (1983) 819-852; Díaz y Díaz (1960) 153-98, 237-50; García y Bellido (1967) 329; García y Bellido (1972) 462-500. 86 Das Oskische könnte auf die ethnische Herkunft der ersten Siedler auf der Halbinsel hinweisen, Edmondson (2002) 47. 87 Encarnação (1984) Nr. 439, 451, 592, 594, 597. 88 Encarnação (1984) Nr. 628. 89 CIL II 5172, 68; Encarnação (1984) Nr. 269. 90 CIL II 349. 91 CIL II 168. 92 Encarnação (1984) Nr. 17, 266, 311. 93 CIL II 83, 551. 94 Encarnação (1984) Nr. 344. 95 CIL II 839.

96

Beispiele bei: Edmondson (2002) 49. CIL II 719, 827, 361. 98 CPILC 289; Edmondson (2002) 49. 99 Edmondson (2002) 49; er zitiert hierbei auch Quintillian (1.7.21), der überliefert, dass die Formen optimus und maximus anstatt von optumus und maxumus zum ersten Mal in einer Inschrift von C. Caesar vorkommen. 100 CIL II 445. 101 CIL II 6272. 102 CIL II 425. 103 aus Balsa Elius: CIL II 5173; aus Emerita Celius: EE IX 179. 104 aus Emerita: CIL II 557-560 105 Batlle Huguet (1963) Nr. 62, Taf.XI.7. 106 CIL II 601. 107 Catull, carm. 84: „Chommoda” dicebat, si quando commoda vellet dicere, et insidias Arrius „hinsidias“ […]Ionios fluctus, postquam illuc Arrius isset, 97

162

Sprachkontakte und Latinisierung

Im heutigen Spanisch sind Wörter aus der häuslichen Arbeit wie z. B. callus > span. callo (Kutteln), Lucanica > span. longaniza (Schlackwurst), mustaceum > span. mostacho (Schnurbart), piscatus > span. pescado (Fisch) als Archaismen nachzuweisen108.

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Abb. 7: Hispania (1999) 559, Abb. 79. Abb. 8: Hispania Antiqua (1993) Taf. 22 b, c.

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Abb.11: Edmondson (2002) 54, Abb.4.8, 4.9.

Abb.10: Hispania Antiqua (1993) Taf. 123.

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Sprachkontakte und Latinisierung

Abb. 1: Die Völker der iberischen Halbinsel im 2. Jh. v. Chr. und die iberischen, phönizischen und griechischen Fundstätten.

Abb.2: Inschriftenfunde auf der iberischen Halbinsel.

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Abb.3 Sprachgrenze auf der iberischen Halbinsel.

Abb. 4: Bronzetafel in keltiberischer Sprache und iberischer Schrift aus Contrebia Belaisca (Prov. Zaragoza), Ende 2. Jh. v. Chr.

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Sprachkontakte und Latinisierung

Abb. 5: Bronze-As, Bilingue aus CEL/kelse aus dem Jahre 45/44 v. Chr.

Abb. 6: Bronze-As, Bilingue aus SAETABIS/saiti.

Abb. 7: Bronze von Ascoli mit Namen von 30 Reitersoldaten einer Hilfstruppe, der sog. Turma Sallutina, 89 v. Chr.

Abb. 8: Tessera hospitalis aus Castillo (Prov. Teruel), 1. Jh. v. Chr.

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Abb. 9: Opus signinum-Boden aus Caminreal (Prov. Teruel) mit iberischer Inschrift, 100 v. Chr.

Abb. 10: Grabstele der Aia Caelon, Burgos, Museo Arqueológico

Abb. 11: Lusitano-galizische Kriegerstatue mit lateinischer Inschrift aus São Paio de Meixedo (Viana do Castelo), Viana do Castelo, Museu Municipal.

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Kleidung und Romanisierung: Der Raum Rhein/Mosel von

Ursula Rothe So ist es gekommen, dass die Vorstellungen der „Romanisierungspioniere“ Theodor Mommsen und Francis Haverfield, die, ganz im Geiste ihrer Zeit, unter Romanisierung eine „Zivilisierungsmission“ der Römer verstanden1, insbesondere seit den 1960ern und 1970ern angezweifelt werden. An deren Stelle ist inzwischen ein ganzes Spektrum an Meinungen und Definitionen getreten, die sich mit verschiedenen Fragen auseinandersetzt, z. B., welche Rolle die unterschiedlichen Akteure beim Kulturaustausch gespielt haben. Einige, wie zum Beispiel Martin Millett, reden dabei beispielsweise von einer aktiven ‚Selbstromanisierung’ der Einheimischen (Romanisation), die so hofften, im neuen römischen System weiterzukommen2. Andere, wie zum Beispiel Richard Hingley, reden wiederum von heftigem Widerstand, der einen gewissen Druck seitens der Römer voraussetzt3.

Zusammenfassung: Aufgrund einer zunehmenden Stagnierung in der Romanisierungsdebatte ist es notwendig geworden, neue Ansätze in Bezug auf kulturelle Prozesse in den römischen Provinzen zu entwickeln. In den letzten Jahren haben sich einige Forscher von traditionellen Indikatoren wie Urbanisierung und Numismatik abgewandt zugunsten anderer, die mehr die persönlicheren Seiten beleuchten. Dieser Artikel soll das Potential von Kleidung, in diesem Fall anhand von Grabporträts im Raum Rhein-Mosel, als Indikator für Änderungen in kultureller Identität aufzeigen. Abstract: Due to increasing stagnation in the Romanisation debate, it is necessary to take a new perspective on cultural change in the Roman provinces. In recent years, some scholars have shifted away from the traditional cultural indicators, urbanisation, the coinage and so forth, in favour of ones which shed light on more personal, psychological aspects. This article will demonstrate the potential of dress, in this case based on funerary portraits in the Rhine/Moselle area, as an indicator for changes in cultural identity.

Der Begriff selbst wird auch inzwischen von allen Seiten angegriffen. Kann man von ‚Romanisierung’ überhaupt sprechen? Beinhaltet der Begriff nicht einen einseitigen Prozess? Gab es nicht auch gegenseitigen Kulturaustausch? Impliziert der Begriff, dass der Prozess ein aktiver war? Und kann man überhaupt von ‚Römischer’ und ‚Einheimischer’ Kultur sprechen, wo über die Zeit doch so viele Überlagerungen und Beeinflussungen im Gange waren? Diese Fragen haben einige Forscher dazu veranlasst, den Begriff vollständig aufzugeben4.

1. Einführung Die kritische Auseinandersetzung in den letzten Jahren mit dem ursprünglichen Konzept der Romanisierung hat, vor allem in der angelsächsischen Forschung, zu einer heftigen Diskussion über die theoretische Grundlage für Mechanismen des Kulturaustausches in den römischen Provinzen geführt. Wie bei Mommsen und Haverfield sind die Ansichten der mitstreitenden Forscher in dieser Frage auch von ihrem jeweiligen persönlichen Standpunkt beeinflusst. Der Grund hierfür ist leicht zu sehen: In der Romanisierungsforschung geht es um kulturellen Austausch, um Imperialismus, um Identität, um das Überleben oder Aussterben von einheimischen Kulturen, um Macht und Unterwerfung. All diese Dinge gelten ohnehin auch als emotional befrachtete Themen. Hinzu kommt, dass Europa – und die meisten Wissenschaftler, um die es hier geht, stammen aus Europa – in den letzten 100–150 Jahren seine eigene Erfahrungen mit diesen Thematiken gemacht hat. So kann man den Werdegang des Begriffs bzw. des Konzepts zum Teil mit der Geistesgeschichte Europas in dieser Zeit verbinden und verfolgen.

So relevant diese Fragen auch sein mögen, ist gerade um diese Fragen ein großer Teil des Romanisierungsdiskurses in eine theoretische Spirale gelangt, so dass man zumindest an dieser Stelle überhaupt nicht weiterkommt. Glücklicherweise gab es in den letzten Jahrzehnten auch andere Entwicklungen, die von der zentralen Debatte etwas abschweifen und die mehr zu einem allgemeinen Weiterkommen beitragen. Eine dieser Entwicklungen betrifft die Ebene, auf der die kulturellen Prozesse im römischen Reich untersucht werden. Bis vor 20 Jahren waren es vor allem die strukturellen Aspekte der Romanisierung, die als wichtig galten. Das hatte zur Folge, dass die ‚Indikatoren’, die gewählt wurden, um 1

Siehe den anderen Beitrag der Verf. in diesem Band. z. B. Millett (1992). 3 z. B. Hingley (1997). 4 z. B. Freeman (1993) und Barrett (1997). 2

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kulturelle Prozesse zu ermitteln, vor allem Themen wie Urbanisierung, Sprache, das Militär, die Wirtschaft und das Bürgerrecht umfassten5.

Natürlich blieb diese Idee nicht von Kritik verschont. Woolf hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass Objekte leichter in einer fremden Kultur Eingang finden als Ideen und Werte13. Blagg hat gezeigt, dass die einheimischen Bewohner von Häusern römischen Stils in Gallien und Britannien nicht immer einen entsprechenden römischen Lebensstil annahmen wie zum Beispiel das regelmäßige Einladen von Gästen nach Hause14. Nicholas Cooper hat argumentiert, dass die Verwendung römischer Gebrauchsgegenstände mehr mit ihrer Erhältlichkeit auf dem Markt zusammenhing als mit einem tiefen, psychologischen Entscheidungsvorgang auf Seiten der einheimischen Menschen15. Trotz Bedenken bezüglich der potentiellen Überinterpretation hat die zunehmende Beschäftigung mit den persönlicheren Aspekten des Kulturaustausches eine wichtige Auswirkung gehabt: Das Individuum und seine Wahrnehmung der kulturellen Vorgänge steht jetzt mehr als je zuvor im Mittelpunkt der Forschung. Wo haben die Menschen sich selbst, im größeren Zusammenhang der kulturellen Änderungen, gesehen? Genau diese Frage versuche ich anhand meiner Studie zur Kleidung im Raum Rhein/Mosel nachzugehen. Wie die Anthropologin Hilda Kuper schreibt, “a person’s relationship to his clothing is at once different from and more intimate than his relationship to all other material objects”16.

Heutzutage sind diese Themen natürlich immer noch von Bedeutung, doch hinzugetreten ist ein zunehmendes Interesse an den ideologischen, psychologischen und überhaupt persönlicheren Aspekten des kulturellen Austausches6. Diese Entwicklung darf natürlich nicht isoliert betrachtet werden: Sie ist Teil einer allgemeinen Tendenz in der postmodernen Wissenschaft, die ein Historiker als ‚anthropologische und semiotische Revolution’ bezeichnet hat7. Im Zuge dieser Entwicklung sind Themen, die bisher in der Altertumswissenschaft nur am Rande betrachtet wurden, zum Mittelpunkt neuer Studien geworden. Beispiele solcher Themen sind Propaganda8, Methoden der psychologischen Einschüchterung9, Religion und Synkretismus10. Zudem ist einiges an Arbeit geleistet worden zu der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Romanisierung und der Mentalität verschiedener einheimischer Gruppen11. All dies hat die Forschung zwangsläufig in eine faszinierende Debatte hineingeführt, bei der es darum geht, inwieweit die Annahme einzelner Elemente einer fremden materiellen Kultur als Beleg für eine psychologischen Neuorientierung des Annehmenden interpretiert werden darf. Einige Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass materielle Kultur eine tiefe, symbolische Aussagekraft besitzt. Richard Hingley und David Mattingly sprechen hierbei von ‘hidden transcripts’12, Botschaften, die archäologische Zeugnisse enthalten und die, mithilfe entsprechender theoretischer Methoden wie Texte gelesen werden können. Die Beibehaltung bestimmter Aspekte der ursprünglichen Kultur könnte so, aus dieser Perspektive, als Zeichen eines gewissen Maßes an Widerstand gegen die römische Kultur interpretiert werden.

2. Kleidung und Identität Die Kleider- und Textilforschung ist als Bereich der Geschichtswissenschaft nicht gerade neu: Schon lange wird das Thema von zwei verschiedenen Schulen der Forschung behandelt, deren Ansätze aber nicht nur sehr unterschiedlich, sondern auch zum Teil widersprüchlich sind. Auf der einen Seite stehen die Textilhistoriker, die oft im Rahmen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an Universitäten arbeiten und die Kleidung größtenteils aus der Perspektive der Textilherstellung, der Technologie und des Arbeits- und Handelsaufbaus betrachten. Auf der anderen Seite stehen die sogenannten „dress historians“, die vorwiegend in Museen und ähnlichen Einrichtungen tätig sind und die Kleidung vor allem aus der deskriptiven Perspektive betrachten, indem sie versuchen, zeitliche Änderungen im Kleiderstil zu ermitteln. Über längere Zeit hinweg existierte ein gewisses Konfliktpotential zwischen diesen beiden Lagern: Erstere betrachteten die Beschäftigung der „dress historians“ mit Mode als wenig wissenschaftlich seriös; diese warfen wiederum den Textilforschern vor, einiges an wichtigen historischen Informationen zu verpassen, solange sie die Kleidungsstücke als solche außer acht ließen17.

5

z. B. Brunt (1976); Petit (1976); Vittinghoff (1976); Hopkins (1980); Ørsted (1985); Alföldy (1988); Cunliffe (1988). 6 Vgl. Einleitung in Millett – Roymans – Slofstra (1995) 1f. Beispiele von Veröffentlichungen mit diesem Ansatz sind u. a. Roymans (1990); Roymans (1996a); Hanson (1994); alle Beiträge in Metzler et al. (1995); Woolf (1998); Derks (1998). 7 Griffin (2002) 225. 8 Zanker (1997). 9 z. B. Millett (1990) 40ff. 10 z. B. Picard (1981) 42, sowie den Beitrag von M. Baliga in diesem Band. 11 z. B. MacMullen (2000) 133; Roymans (1996a) 13ff. 12 Mattingly (1997a) 15: “[T]hrough the archaeological record, we have abundant ‘texts’; they are far more difficult to read and interpret than conventional ones, but nonetheless contain pattern and significance.” S. auch Hingley (1997) 81f. und Häussler (1997-1999) 93.

13

Woolf (1998) 16. Blagg (1990). 15 Cooper (1996). 16 Kuper (1973) 366. 17 Siehe Taylor (2002). 14

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Kleidung und Romanisierung

Erst in den 1990er Jahren wurde Brückenarbeit zwischen diesen beiden Bereichen geleistet, als einige Historiker auf das Potential der Kleidung als Quelle zur Ermittlung von sozialen und kulturellen Entwicklungen in der Geschichte aufmerksam machten. Styles hat diesen neuen Ansatz mit den allgemeinen Tendenzen in den Geisteswissenschaften der letzten Jahrzehnte, die oben in der Einführung schon angesprochen wurden, in Verbindung gebracht, nämlich die zunehmende Beschäftigung mit dem Persönlichen, dem Subjektiven und dem Identitätsverbundenen. Er hat darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung “render[ed] important the very characteristics of dress that previously made it intellectually suspect”18.

geeigneter war, und Gesundheitsschäden20.

erlitten

als

Folge

schwere

Sowohl die Soziologie wie auch die Anthropologie sind von den Entwicklungen in den Gesellschaftswissenschaften mitgerissen worden, die von einem Wissenschaftler als der „burgeoning of the omnivorous field of semiotics“21 beschrieben wurden und die in philosophischen Theorien wie die von George H. und der verwandten symbolischen Mead22 Interaktionstheorie ihren Ursprung hatten. Ein grundlegendes Prinzip dieser Theorien ist die Kommunikation mit einem Schwerpunkt auf dem Nichtverbalen23. In der Vergangenheit verglichen Strukturalisten wie Lévi-Strauss and Roland Barthes24 Kommunikation durch Kleidung mit linguistischen Modellen wie die von de Saussure25.

Es ist signifikant, dass diese Entwicklung in der Geschichtswissenschaft erst in den letzten zehn Jahren stattgefunden hat: Für Anthropologen und Soziologen ist sie dagegen überhaupt nicht neu, und es sind diese Wissenschaften, an die man sich wenden sollte, um die Bedeutung der Kleidung in einem allgemeinen kulturellen Kontext besser zu verstehen. Die Soziologie und die Anthropologie haben in der Vergangenheit aber auch das Thema in verschiedener Art und Weise untersucht. Während die Soziologie für gewöhnlich Kleidung in der westlichen Kultur mit dem Schwerpunkt im Phänomen Mode erforschte, hat sich die Anthropologie mit Trachtsitten in nichtwestlichen Kulturen auseinandergesetzt und diese in erster Linie beschrieben und klassifiziert. In den letzten Jahrzehnten wuchsen diese beiden Disziplinen jedoch auch näher zusammen, indem sich das Blickfeld der Soziologie etwas erweitert hat, sowohl geographisch wie auch in Bezug auf Zeit, und als Folge eines zunehmenden Interesses seitens der Anthropologen an Erklärungen für die unterschiedlichen Trachtsitten der von ihnen erforschten Völker19.

Die Idee der Kleidung als eine nichtverbale Sprache dauert in der Soziologie zum Teil bis heute an; manche glauben sogar in der Kleidung linguistische Elemente wie Vokabular, archaische Wörter, Fremdwörter, Umgangssprache, vulgäre Wörter, Adjektive und Adverbien identifizieren zu können26. Andere sehen die Kleidung mehr als einen Kodex, anders als die Sprache, in der Botschaften ausgetauscht werden, in den Worten des Fred Davis, “allusively, ambiguously, and inchoately, so that the meanings evoked by the combinations and permutations of the code’s key terms (…) are forever shifting or ‚in process’”27. Egal welcher Ansatz bevorzugt wird, scheint unter Soziologen zumindest so zu der Tatsache Konsens zu herrschen, dass die Kleidung sehr wohl unter anderem die Funktion hat, etwas über den Träger auszusagen, oder, anders gesagt, seine persönliche Identität zum Ausdruck zu bringen28. Doch zusätzlich zur Rolle der Kleidung als eine passive Widerspiegelung der Identität eines Menschen, haben Beispiele aus der Anthropologie gezeigt, dass sie auch aktiv und flexibel vom Träger eingesetzt werden kann, um seine persönliche Grundhaltung gegenüber seinen

Betrachtungen der Kleidung basierten ursprünglich in beiden Wissenschaften stark auf Theorien wie die des Psychiaters Flügel von 1930, die von drei Hauptzwecken der Kleidung sprachen: Schutz, Scham und Verzierung. Diskurs über die gesellschaftliche Rolle der Kleidung wurde dominiert von Debatten um das Verhältnis dieser drei Hauptzwecke untereinander. In den letzten Jahrzehnten, jedoch, ist das Stichwort Identität als ein zusätzlicher wichtiger Aspekt hinzugekommen. Schon 1965 haben sich die Anthropologen Roach und Eicher für eine zunehmende Beachtung des Themas Identität ausgesprochen, als Folge ihrer Studie zu den GambellInuit. Diese waren nach Kontakt mit westlicher Kultur darauf erpicht, westliche Kleidung zu tragen, obwohl ihre ursprüngliche Kleidung für die Kälte wesentlich

20

Roach – Eicher (1965) 282. Siehe auch Hughes (1960). Davis (1992) 5. 22 z. B. Mead (1934). 23 Stone (1962) 216. 24 Siehe z. B. Barthes (1967). 25 Davis (1992) 5 Anm. 2. 26 Lurie (1992). 27 Davis (1992) 5. 28 Davis (1992) 25: “Obviously, because clothing (along with cosmetics and coiffure) comprises what is most closely attached to the corporeal self – it frames much of what we see when we see another – it quite naturally acquires a special capacity to, speaking somewhat loosely, ‘say things’ about the self (Stone 1962). Dress, then, comes easily to serve as a kind of visual metaphor for identity (…)”. 21

18

Styles (1998) 387. Siehe u. a. Barnes – Eicher (1992); Benthall (1975); Eicher (1995a); Lynch (1999); Weiner – Schneider (1986); Tarlo (1996); Hendrickson (1996a); Hay (1989). 19

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Umfeld in Zeiten kulturellen Wandels zu kommunizieren. In solchen Fällen ändert sich die Zusammensetzung der Kleidung in unmittelbarer Abhängigkeit von Änderungen in der persönlichen Grundhaltung29. Dies wird an Beispielen aus der anthropologischen Arbeit im subsaharischen Afrika der kolonialen und postkolonialen Zeit deutlich, in den Forschungsergebnissen von Wissenschaftlern wie Hilda Kuper und Heddy Hendrickson. Ihre Befunde sind besonders interessant, da die Machtverhältnisse und kulturellen Entscheidungsstrukturen bei den Bewohnern dieses Raumes Vergleiche mit denen der Rheinzone in römischer Zeit erlauben.

at risk – in a changing, plural, social and cultural world”34. Kuper stellte Ähnliches fest: “(…) clothing does not only serve the ends of the status quo. External appearance, of which clothing is an essential part, can be deliberately manipulated to assert changes in the identity and commitment of both individuals and groups”35. Natürlich muss der Umfang der Anwendbarkeit von solchen Theorien und Ergebnissen auf die Nordwestprovinzen des römischen Reiches festgestellt werden. Dabei wären einige Aspekte der zu vergleichenden Fällen von besonderer Bedeutung, z. B. die jeweiligen Machtverhältnisse der imperialen Macht gegenüber den Einheimischen, die Einstellungen der verschiedenen agierenden Gruppen zueinander (insbesondere die Einstellung der Angehörigen der imperialen Macht zu den einheimischen Kulturen) und der Grad der Homogenität der jeweiligen Kulturen. Letzteres ist natürlich ohnehin ein wichtiges Thema innerhalb der Romanisierungsdebatte.

Kuper und Hendrickson stellten fest, dass in den von ihnen untersuchten Fällen Kleidung eine enorme Rolle bei der Kommunikation zwischen der Kultur der Kolonialmacht und der der Einheimischen gespielt hat. Sie wurde oft ganz bewusst benutzt, um die Stellung eines Menschen innerhalb des kulturellen Kontextes zum Ausdruck zu bringen30. Diese Wissenschaftler haben auch betont, dass egal wie die Politik der größeren gesellschaftlichen Gruppen aussah, die kulturellen Prozesse selbst auf der Ebene des alltäglichen Kontaktes und der zwischenmenschlichen Beziehungen in Form verbaler und visueller Kommunikation abliefen31. Die „Sprache“ der Kleidung gewann natürlich zusätzlich dort an Bedeutung, wo eine reelle Sprachbarriere bestand32.

Nichtsdestoweniger sind die Befunde der Soziologen und Anthropologen hinsichtlich der Rolle der Kleidung in sich wandelnden kulturellen Situationen von enormem Wert für eine Untersuchung der provinzialen Gesellschaft des römischen Reiches. Sie deuten an, dass einiges an Information über die persönliche Wahrnehmung der kulturellen Prozesse aus der Kleiderwahl der Provinzbewohner gewonnen werden kann. Die Anwendung von Material aus anderen Disziplinen ist in der Geschichtswissenschaft eine relativ neue, aber stark ansteigende Richtung, insbesondere in der Neuen Geschichte36. Obwohl dies von manchen für eine Modeerscheinung gehalten wird, wäre es töricht, angesichts der zunehmenden Behandlung von menschenbezogenen Themen in den Altertumswissenschaften, die Unmenge an Arbeit zu diesen Themen zu ignorieren, die von Anthropologen und Soziologen schon geleistet worden ist. In Bezug auf Themen wie Kleidung und Identität, stehen wir in der Geschichtswissenschaft dagegen erst am Anfang.

Man entdeckte zum Beispiel Fälle, in denen Einheimische westliche Kleidung annahmen, in einem bewussten Versuch Konformität mit der Kultur der Kolonialmacht zu zeigen. Oft hatte dies mit dem Beruf des Menschen, bzw. dem Umfang und der Art seines Kontakts mit Angehörigen der Kolonialmacht zu tun33. Andererseits gibt es zahlreiche Beispiele für die Anwendung der Kleidung, um Widerstand gegen die koloniale Kultur zu zeigen. Ihre umfassende Studie der Swazi-Kultur im südlichen Afrika brachte Hendrickson zu der Folgerung, dass “the recognition of formal, material or physical commonalities between members of unlike groups or cultures may constitute an avenue of implicit resistance to developing ideologies of the other. (…). Possibilities for resistance lie in the fact that this semiotic process can never be fully controlled, even by a dominating colonial power. (…) The body is perhaps the quintessential subversive object sign, since it refers almost inevitably to individual as well as to group intentions and identities, which are always at issue – and

a) Die Quellen Wenn Kleidung als „Kulturindikator“ potentiell so wichtig ist, wie findet man heraus, was die Menschen in und um römisches Trier, Köln und Mainz getragen haben? Um die Wahl der Quellen zu erklären, muss kurz vom Thema abgeschweift werden: Jeder Mensch trägt Kleidung irgendeiner Art. Doch in einer Untersuchung, in der es um die Identität eines Menschen geht, ist die Frage nach dem Bewusstsein der Kleiderwahl äußerst wichtig.

29

Kuper (1973) 366, basiert auf ihrer Forschung über die Swazi-Tracht in Afrika. 30 Kuper (1973) 347f. und Hendrickson (1996b) 15. 31 Hendrickson (1996b) 15. 32 Hendrickson (1996b) 15. 33 z. B. Renne (1996); Schoss (1996)

34

Hendrickson (1996b) 15. Kuper (1973) 366. 36 Siehe z. B. Hunt (1984). 35

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Kleidung und Romanisierung

Die Gefahr der Überinterpretation, auf die Kritiker des „hidden transcript“ – Ansatzes aufmerksam gemacht haben, muss im Auge behalten werden. Ist es zum Beispiel problematisch anzunehmen, dass überhaupt ein gewisses Maß an bewusster, identitätsverbundener Überlegung bei der Wahl der Kleidung im Alltag eine Rolle gespielt hat? In einer Untersuchung nach externen Merkmalen von kulturellem Austausch, wäre diese Frage im Prinzip irrelevant: Veränderungen im Kleiderstil könnten als Manifestation dieser kulturellen Prozesse gelesen werden, egal ob die Träger sich dessen bewusst waren oder nicht. Für eine solche Untersuchung wäre es an erster Stelle wichtig herauszufinden, was die Menschen im Alltag tatsächlich getragen haben.

Bestimmung und Beschreibung verschiedener Kleidungsstücke und Ensembles viel geleistet worden. Hierbei wäre die Arbeit der Textilforscher John Peter Wild aus Großbritannien und Astrid Böhme aus Deutschland zu nennen37. Diese Arbeit ist jedoch größtenteils deskriptiv gewesen. Beim vorliegenden Projekt gilt es, auf dieser deskriptiven Arbeit aufzubauen bzw. den nächsten Schritt zu machen: das Identifizieren und Analysieren von Verhaltensmustern bei der Wahl der Kleidung der verschiedenen Bewohner dieses Raums und der Versuch, diese Muster zu erklären. Natürlich kann nicht behauptet werden, dass die Grabplastik eine Aussage über die Bevölkerung dieses Raumes insgesamt erlaubt. Viele Bewohner werden aus finanziellen oder kulturellen Gründen gar nicht auf die Idee gekommen sein, Grabmonumente im römischen Stil in Auftrag zu geben. Doch anhand der Inschriften kann man sich zumindest eine Vorstellung machen, was für Menschen es in der Regel waren, die dies taten, und wenigstens über diesen Teil der Bevölkerung etwas aussagen.

Wie findet man dies heraus? Schriftliche Zeugnisse, wie zum Beispiel die Schilderungen der Germanenkleidung in Tacitus’ Germania, sind äußerst selten und undeutlich. Fundquellen sind zahlreicher, doch sind bisher im untersuchten Gebiet keine Textilreste gefunden worden, und die Rekonstruktion ganzer Trachtensembles anhand von Fibeln, Broschen, Schnallen und Ähnlichem ist in den günstigsten Fällen spekulativ, doch oft schlichtweg unmöglich. Hilfreicher sind bildliche Darstellung, meist in Form von Reliefs auf Steindenkmälern, wie z. B. Porträts und Alltagsszenen auf Grabdenkmälern sowie Abbildungen einheimischer Gottheiten in nichtrömischer Tracht. Dennoch reicht dieses Quellenspektrum nicht aus, empirisch wertvolle Aussagen zu treffen über die genaue Verbreitung bestimmter Kleiderensembles im Alltag.

Der Hauptteil der Quellenarbeit der Untersuchung liegt bei der Zusammenstellung einer Datenbank aller vorhandenen Grabporträts, in der relevante Informationen zu der Kleidung und zu den Kleidungsträgern festgehalten wird. Darauf folgt eine Auswertung und Diskussion dieser Information. An der Datenbank wird zurzeit noch gearbeitet. So ist es noch nicht möglich, genaue Resultate zu machen, doch ist es an dieser Stelle vielleicht sinnvoll, anhand von Beispielen von bisher festgestellten Erscheinungen das Aussagepotenzial der Arbeit zu veranschaulichen.

Natürlich werden alle oben genannten Quellengattungen bei der Untersuchung berücksichtigt, doch die Dimension der Identität erfordert einen etwas anderen Ansatz. In dieser Hinsicht ist eine bestimmte Quellengattung besonders interessant: Porträts auf zivilen Grabsteinen. Diese sind nicht nur im zu untersuchenden Raum sehr zahlreich, sie setzen auch ein gewisses Maß an bewusster Vorüberlegung voraus: Was auch immer die Menschen im Alltag getragen haben und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass dies ein bewusster Vorgang war, kann kein Zweifel bestehen, dass zu einer Wahl der Darstellung eines Menschen auf seinem Grabmonument, d. h. wie der Mensch von der Nachwelt gesehen werden wollte, Überlegungen zum Charakter, zu Status und zur Identität des Verstorbenen gehörte, sowie Gedanken, wie sich dies am besten darstellen lässt. Diese Grabbilder sind außerdem leicht zugänglich: sie sind fast alle in verschiedenen Corpora wie die Recueil Général des BasReliefs des Emile Espérandieu und der CSIR (Corpus signorum imperii romani) bzw. den dazugehörigen Supplementbänder publiziert worden.

b) Die Fragen Die Arbeit mit den Quellen hat, wie schon gesagt, zum Ziel, Tendenzen bei der Kleiderwahl verschiedener Menschen zu ermitteln. Diese werden im größeren Zusammenhang des Projektes als Fragen formuliert, die es im anschließenden Teil der Arbeit zu beantworten gilt. Vorläufige Fassungen einiger dieser Fragen können schon anhand bereits studierter Beispiele gegeben werden: 1. Das erste, was einem bei der Betrachtung der bildlichen Quellen auffällt, ist, dass die Hosen (bracae), die oft in den literarischen Quellen als ein Grundelement der keltischen Tracht erwähnt werden, bei Darstellungen aus dem keltischen Teil dieser Region völlig fehlen. Hat dies etwas mit der römischen Einstellung zu diesem bestimmten Kleidungsstück zu tun, die in der Literatur zuhauf bezeugt ist? Hing das Tragen der bracae mit einem bestimmten Berufsstand zusammen, der bei und

Glücklicherweise besteht schon länger eine Zusammenarbeit zwischen Textilhistorikern und „dress historians“ bei der Erforschung der Kleidung in den Nordwestprovinzen des römischen Reiches. Größtenteils auf der Grabkunst basierend, ist bezüglich der

37

u. a. Wild (1963); Wild (1964); Wild (1965); Wild (1966); Wild (1968a); Wild (1968b); Wild (1985); Wild (1986); Böhme (1974); Böhme (1985); BöhmeSchönberger (1997); Böhme-Schönberger (1999).

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Ursela Rothe

nach der römischen Eroberung vielleicht in irgendeiner Art und Weise beeinträchtigt wurde, wie z. B. Krieger38? Oder wurden sie doch weiterhin getragen, nur nicht von denselben Menschen, die auf Steindenkmälern römischen Stils erscheinen?

Bearbeiten der Quellen, die außerhalb der Klassifizierung Grabporträts liegen, wird vermutlich darüber hinaus noch weitere Fragen aufwerfen.

2. Es gibt einige Porträts, insbesondere aus dem Raum Mainz des 1. Jahrhunderts n. Chr., auf denen Ehepaare in einheimischer Tracht erscheinen. Beispiele hierfür sind zwei Grabmäler aus Mainz-Weisenau aus der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. (Abb. 1. 2)39. Wieso haben sie diese römische Art des Grabes ausgesucht, wenn sie doch offensichtlich in Sachen Kleidung noch sehr an ihrer einheimischen Kultur hängen?

Antworten auf diese Fragen würden, angesichts des Quellenstandes für den Raum Rhein-Mosel in römischer Zeit, sehr schwierig zu finden sein ohne komparative Arbeit. Durch Sichten der anthropologischen Forschung zu Kleidung in modernen kolonialen Kontexten hat man Zugang zu einer Vielzahl an potenziell vergleichbaren und zugleich viel besser dokumentierten Beispielen. So wird im letzten Teil der Untersuchung in der anthropologischen Literatur nach vergleichbaren Zusammenhängen gesucht, um mögliche Antworten auf die in der Quellenarbeit aufgeworfenen Fragen zu geben. In einem wertvollen Artikel aus dem Jahr 2002 hat sich der Historiker Roger Griffin sowohl für die Anwendung anthropologischer Theorien und Beispiele als auch für die Untersuchung von Kleidung als Gegenstand kulturhistorischer Forschung ausgesprochen: “Treated ‘anthropologically’, a cultural history which takes seriously the realm where the aesthetic impinges on the political [i.e. dress] is far from being a mere (and typically feminine) complement or fashion accessory to ‘real’ (masculine) history. (…) [W]hat people wear to conceal and expose their persons can take the historian to the core of complex social and political processes of stability and change, conformism and challenge to the status quo. Seen historically, dress is simultaneously cosmetic and functional, superstructure and base, surface and fundament, appearance and reality, private and public, ornament and the ‘real thing’.”45.

c)

3. Einige Steine aus der Mainzer und Trierer Gegend zeigen den Mann in römischer Tracht, also der toga, und die Frau in einheimischer Tracht (Abb. 3)40. Natürlich spielt beim Tragen der toga der rechtliche Status eines Menschen eine Rolle: nur römische Vollbürger durften die toga tragen. Doch wieso behält die Ehefrau ihre einheimische Tracht? Waren diese Frauen weniger als ihre Männer von der römischen Kleidung angetan? Hat dies etwas mit einem eingeschränkteren Umgang der hauptsächlich häuslich orientierten Frauen mit römischer Kultur zu tun? Wurde die römische Kleidung als für Frauen unangebracht angesehen? 4. Wiederum andere Steine aus dem Raum Trier zeigen die Frau in römischer Kleidung, den Mann aber in Hatten die beiden einheimischer Tracht41. unterschiedliche kulturelle Hintergründe oder Einstellungen? Natürlich gibt es zahlreiche weitere Varianten, wie zum Beispiel das Tragen römischer Kleidung von beiden Eheleuten, obwohl sie aufgrund ihrer Namen eindeutig einheimisch sind42, oder das Drapieren nach römischer Art von eindeutig einheimischen Kleidungsstücken43. Interessant ist auch das Erscheinen einer sehr eigenartigen Tracht bei menschlichen Frauen auf Grabsteinen aus dem ubischen Raum, die sonst von den Matronengöttinnen dieser Gegend getragen wird44. Das

Die Antworten: der komparative Ansatz

3. Zusammenfassung Das Forschungsprojekt, das hier kurz umrissen wurde, ist natürlich noch nicht zu Ende, und der Rahmen eines Aufsatzes reicht nicht aus, um das ganze schon Gewonnene darzustellen. Beispiele für weitere Überlegungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden konnte oder in Zukunft beachtet werden müssen, sind die Faktoren, die die Wahl der Kleidung bestimmten (Wer hatte in der Familie das Sagen? Wo kam die Kleidung her?) sowie wer die Darstellung auf dem Grabporträt auswählte. Letzteres wird oft anhand der Grabinschrift deutlich. Beispiele weiterer Variablen bei der Analyse der Muster im Kleiderverhalten wären, neben dem schon besprochenen Aspekt des Geschlechts, dem Beruf, das Alter, die Nomenklatur, die geographische Lage und die Entstehungszeit. Die Veröffentlichung der Endergebnisse des Projekts ist eine Sache der Zukunft. Doch ist es wichtig, angesichts der

38

Dank geht an Dr. John Peter Wild im Fach Archäologie der Universität Manchester für diesen Vorschlag. 39 Espérandieu (1907-1966) 5815. 4768: „Blussusgrabmal“; Espérandieu (1907-1966) 7581. 40 z. B. aus Nickenich: Espérandieu (1907-1966) 7758. 7759; aus Nieder-Ingelheim: Kutsch (1930) Taf. 25 B; Wild (1985) 384 Taf. VI 23. Beide claudisch. 41 z. B. aus Arlon: Mertens (1973) Abb. 10. 42 z. B. aus Neumagen, 2. Jh.: Espérandieu (1907-1966) 5150. 43 z. B. aus Pesch, Mitte 1. Jh.: Espérandieu (1907-1966) 6364; Bauchhenß (1979) Nr. 3. 44 z. B. aus Bonn, Mitte 1. Jh.: Espérandieu (1907-1966) 6286; Bauchhenß (1979) Nr. 56; aus Thorr, Anfang 3.

Jh.: Espérandieu (1907-1966) 6321; Bauchhenß (1979) Nr. 48. 45 Griffin (2002) 225.

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Kleidung und Romanisierung

manchmal frustrierend wirkenden Kreisbewegung der Romanisierungsdebatte, dass Forschungsvorhaben bekannt gemacht werden, die versuchen, durch Betrachtung aus einem etwas anderen Blickwinkel die Diskussion voranzubringen.

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Abbildungsnachweis: Abb. 1: H. Schoppa, Die Kunst der Römerzeit in Gallien, Germanen und Britannien (1957) Abb. 52. Abb. 2: H. Cüppers (Hrsg.), Die Römer in Rheinland – Pfalz (1990) S. 172 Abb. 79. Abb. 3: H. Schoppa, Die Kunst der Römerzeit in Gallien, Germanen und Britannien (1957) Abb. 53.

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Kleidung und Romanisierung

Abb.2: Grabrelief des Blussus und der Menimane aus Mainz-Weisenau, 1.Jh.

Abb.1: Porträt eines Paares auf einem Grabmal aus Mainz-Weisenau, 1. Jh.

Abb.3: Familiengrabstein aus Nickenich, 1. Jh.

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Dakien: Romanisierung ohne Elite? von

Yvonne Schmuhl romana4, letzteres durch eine sehr schnelle Romanisierung mit der Übernahme lateinischer Namen begründet5.

Zusammenfassung: In diesem Aufsatz soll anhand von Inschriften, Votivreliefs, Grabsteinen und alltäglichen Gebrauchsgegenständen gezeigt werden, wie römische und dakische Elemente zu einer neuen Provinzialkultur verschmelzen. Am Ende soll ein möglicher Grund für das Verschwinden einzelner Elemente der dakischen Kultur vorgestellt werden.

Im Folgenden sollen punktuell einige Bereiche hinsichtlich der Romanisierung dargestellt werden und anschließend eine mögliche Erklärung für das verhältnismäßig seltene Auftreten der einheimischen Bevölkerung in der Epigraphik oder deren Götter in der Religion der Provinz vorgestellt werden.

Abstract:

2. Die Religion

This paper will demonstrate how Roman and Dacian elements were combined on gravestones, votive reliefs and inscriptions in Roman Dacia. The aims are, firstly, to identify indications of the integration of both Roman and Dacian elements into a new provincial culture and secondly, to find causes for the disappearance of any Dacian elements beside their integration.

Von den Göttern der Geto-Daker sind durch antike Autoren nur sehr wenige bekannt. Herodot nennt die Götternamen Zamolxis und Gebeleisis, behauptet aber an gleicher Stelle, dass es sich dabei nur um einen Gott handelt6. Aus der Herodotstelle lässt sich schließen, dass es sich bei Zamolxis um einen Naturgott handelt, der für Werden und Vergehen der Natur und des Menschen verantwortlich ist. Ein weibliches Gegenstück gleichen Namens nennt die Suda7. Diodor berichtet, dass die GetoDaker eine Göttin des Herdes und Feuers, vergleichbar der griechisch-römischen Hestia/Vesta kannten8. Nicht weniger als siebenmal wird jedoch ein namentlich nicht bekannter Kriegsgott, häufig als Hauptgott, der Geten genannt9. Mehr wird nicht über das Pantheon der GetoDaker aus den Quellen bekannt. Die Religion der GetoDaker war offensichtlich anikonisch und schriftlos. Da in Dakien, im Gegensatz zu beispielsweise den Provinzen Gallien und Britannien10, die einheimischen Götter nicht in Form von Beinamen, ikonographischen Neuschöpfungen etc. gemeinsam mit griechischrömischen Gottheiten wiederkehren, wurde immer wieder versucht, die dakischen Götter anhand anderer Kriterien ausfindig zu machen11. Geto-dakische Beinamen sind nicht überliefert und ikonographische Neuschöpfungen lassen sich immer auf den Einfluss der aus allen

1. Einleitung Die Aussagen Julian Apostatas1, der Trajan sagen lässt: „Ich habe das Volk der Geten vernichtet“ und Eutrops2: „...weil Dakien infolge des langandauernden Krieges gegen Decebalus von Männern entblößt war.“, sowie das im Vergleich zu anderen Provinzen seltenere Auftreten der Einheimischen haben die Dakienforscher des vergangenen Jahrhunderts in zwei Lager gespalten: auf der einen Seite die, die trotz der geringen Hinterlassenschaft der Geto-Daker am Fortbestehen der bodenständigen Bevölkerung in der Provinz Dacia festhielten3; auf der anderen Seite die Wissenschaftler, welche eine Existenz der Bodenständigen leugneten und geto-dakische Funde zugezogenen, sogenannten freien Dakern zuordneten. Inzwischen konnte sich zu Recht die These des Fortbestehens der indigenen Bevölkerung durchsetzen, doch sind einige Hauptargumente der Leugner wie das Fehlen dakischer Götter nach der Eroberung durch die Römer oder das nur geringe Auftreten dakischer Namen beim epigraphischen Material bisher nicht ausreichend geklärt. Ersteres wird mitunter durch eine besonders nachhaltige interpretatio

4

Daicoviciu (1945) 155; vgl. auch Bodor (1989) 11381161. 5 Boilă (1980) 284. 6 Hdt. 4, 94. 7 Suda, s.v. Zamolxis. 8 Diod. 1, 94, 2. 9 Verg. Aen. 3, 35; Ov. Trist. 5, 3, 22; Ov. pont. 4, 14, 14; Iord. Get. 5, 41; Stat. Silv. 1, 2, 52-53; Mart. 7, 2; Veg. Mil. 1, 28. 10 Birley (1986) 28-31; 47-51; 68-74. 11 Die verschiedenen Vorschläge zählt Bodor (1989) 1138-1143 auf. Zuletzt befaßte sich Schäfer (2003) mit den Kulten in Dakien.

1

Julian Apostata, Caesares 327 D. Eutrop, Breviarium 8, 6, 2. 3 Den Stand dieser Diskussion referieren: Protase (1977) und Babeú (1994) bes. 120-126. Zu erwähnen ist hier, dass auch jüngere Aufsätze noch immer die alte These der Entvölkerung Dakiens vertreten: Makkai – Mócsy (1986) 46, 80 f. 2

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Yvonne Schmuhl

Reichsteilen zugewanderten Kolonisten und Soldaten zurückführen. Geht man von der Überlieferung aus, müsste man annehmen, dass sich der geto-dakische Kriegsgott, der sehr häufig in den Quellen genannt wird, in einer sehr hohen Zahl an Weihungen und bildlichen Darstellungen des Mars äußert. Gerade aber in der Provinz Dakien erscheint er mit nur 18 Weihungen und wenigen Darstellungen verhältnismäßig selten12. Auch wird auf keiner Inschrift ein Daker als Stifter genannt. Noch deutlicher zeigt sich dieses Phänomen bei der durch Diodor überlieferten Göttin Vesta, für die keine Weihung bekannt ist13. Da man von den Quellen ausgehend zu keinem Ergebnis kommt, wurde oft versucht, anhand überlieferter Monumente Rückschlüsse auf die dahinter vermuteten dakischen Gottheiten zu ziehen. Am häufigsten geschah dies bei Liber/Libera, da es zu diesem Gott oder Götterpaar relativ viele Inschriften (45) und noch mehr Darstellungen (über 150) gibt. Neben dem häufigen Auftreten in der Provinz diente vor allem die Inschrift einer Vereinigung an Liber dazu, hinter diesem römischen das Wesen eines dakischen Gottes zu vermuten14. Die Inschrift nennt in einer Liste der Mitglieder einige dakische Namen15. Da es sich jedoch um ein Einzelstück handelt und die dakischen Namen lediglich bezeugen, dass Daker dem römischen Liber weihten, ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei dem Liberkult in Dakien um einen Synkretismus aus römischem und geto-dakischem Gott handelt. Bei den in Dakien weit verbreiteten sogenannten bei denen sich allein aus Donaureitern16, ikonographischen Gründen eine Verschmelzung mit den Dioskuren anbieten würde, sind keinerlei eindeutig interpretierbare Veränderungen feststellbar. Unter anderem ist es bei diesem Kult wohl auch wegen seines anepigraphischen Erscheinungsbildes schwierig. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang noch, dass in Dakien bisher lediglich eine Inschrift für die Dioskuren gefunden wurde17.

Attribute und Veränderungen im Erscheinungsbild eines römisch-griechischen Gottes gibt. Außer im Fall der thrakischen Reiterheroen tauchen dako-getische Gottheiten weder in Inschriften noch auf bildlichen Darstellungen auf. Durch die Inschrift an Liber ist zwar eine Übernahme römischer Kulte, nicht aber deren Umformung im Sinne von Synkretismen nachweisbar. Zurückzuführen ist dies entweder auf eine unreflektierte Übernahme römisch-griechischer Götter oder ein Beibehalten der anikonisch-anepigraphischen Religionsvorstellungen. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass es aus römischer Zeit keine den Dakern zugewiesenen Heiligtümer gibt18. 3. Die Begräbnissitten Aus vorrömischer Zeit (3. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) sind bisher nur die Bestattungen von etwa 300 Individuen auf dem Gebiet des heutigen Rumänien bekannt19. Meist wurden sie auf kleineren Gräberfeldern mit bis zu 20/25 Begräbnissen gefunden, wobei häufiger Tumulus-Gräber und ‘Fürstengräber’ vorkamen20. Brandbestattung war die vorherrschende Form. Aus römischer Zeit sind hingegen zahlreiche große dakische Gräberfelder (jeweils 200-300 Bestattungen21) bekannt, die nie einen vorrömischen Friedhof fortführten22. Während jetzt Urnengräber mit einfachen Beigaben vorherrschen, sind Tumulus-Gräber seltener und Prunkgräber fehlen vollständig. Es lassen sich einige Charakteristika der einheimischen römerzeitlichen Gräberfelder feststellen: Wie Babeú erwähnt, handelt es sich bei den wenigen Körperbestattungen bei einigen Gräberfeldern ausschließlich, bei anderen meist um Kinderbestattungen23. Den größten Teil der Bestattungen machen jedoch Deckelurnen mit Leichenbrand und Beigaben sowie ärmlichere Grubengräber aus, wobei Babeú auf die charakteristische[...] Einheit der GrabBeigaben- und Trachtsitten hinweist24. Offenbar lassen sich aber zwei Elemente der einheimischen Bestattungssitten auf römischen Einfluß zurückführen. Zum einen handelt es sich dabei um die Sitte der Körperbestattung bei Kindern, die eventuell als eine Reaktion auf ein Verbot, welches die Brandbestattung von Kindern untersagt und bei Plinius überliefert ist25, zu verstehen ist. Zum anderen scheint die Beigabe eines Charonpfennigs in einigen Fällen die

Anders als in anderen Provinzen ist für Dakien kein Synkretimus nachweisbar. Das liegt wohl daran, dass es weder geto-dakische Beinamen römischer Götter noch auf das Wesen eines dakischen Gottes zurückzuführende 12

Zum Vergleich lt. Bodor (1989) 1077-1128: Liber 45 Inschriften; Aesculap und Hygieia 70; Herkules 50; Fortuna 30; Jupiter 250; Diana 60. 13 Bodor (1989) 1112. 14 CIL III 870; Literatur zu einheimischen Elementen des Liberkultes in Dakien: Toynbee (1963) 130; Bodor (1989) 1116; Toutain (1907) 366-368; Domaszewski (1894) 54-56; Daicoviciu (1945) 153 Anm. 3; Bruhl (1953) 214-217; Bodor (1963); Popescu – Popescu (1972). 15 Die genannten dakischen Namen sind: Tattaro, Dizo, Eptala, Mucianus, Tzinto, Tzinta. 16 Tudor (1969). 17 CIL III 1287 = IDR III/3 291; Bodor (1989) 1131.

18

Zu den Heiligtümern vorrömischer Zeit: Lockyear (2004) 57-63. 19 Lockyear (2004) 65. 20 Lockyear (2004) 63; Babeú (1994) 126. 21 Protase (1977) 1010. 22 z. B. die von LechinĠa de Mureú, Locusteni, Obreja, Sopor etc.. 23 Babeú (1994) 128; Suceveanu (1985) 111-115. 24 Babeú (1994) 128. 25 Plin. nat. 7, 15.

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Dakien

vorrömischer Zeit belegt34. Doch zeigen Keramikfunde35 und einige Inschriften mit dakischen Namen, dass sich Daker zwar in geringer Zahl, aber doch nachweisbar am Handel mit den provinzialrömische Bevölkerung beteiligten und sich teilweise in die römischen Strukturen einfügten36.

Übernahme einer griechisch-römischen Tradition zu belegen26. An Beigaben finden sich neben dakischer Tonware auch Gegenstände römischer Machart wie beispielsweise Keramik27 und Schmuck28, weshalb man annehmen kann, dass ein reger Handel zwischen der bodenständigen Bevölkerung und den römischen Kolonisten stattfand29.

Bei ländlichen Siedlungen muss zunächst festgestellt werden, ob es sich bei den Bewohnern hauptsächlich um Einheimische oder Kolonisten handelt. Da Beifunde meist römischen Ursprungs sind – selbst in allgemein als indigene Siedlungen anerkannten Ortschaften, liegt der Anteil dakisch – handgeformter Keramik bei nur 10 – 15 %37 – gilt als erstes Unterscheidungskriterium die Form der Häuser. Die Daker siedelten vor der Eroberung durch die Römer meist in einfachen, kleinen Dörfern, deren Häuser sich vor allem durch Einräumigkeit und Eintiefung in den Boden auszeichneten38, oder in und um den Festungen39, welche wohl, da sich dort oft Wohntürme befanden, auch als die Residenzen der Fürsten angesprochen werden dürfen. Es wurden zahlreiche römerzeitliche Siedlungen mit der eingetieften Häuserform gefunden, doch erstaunlicherweise wurde festgestellt, dass nur wenige dieser Dörfer bereits in vorrömischer Zeit bestanden40. Das lässt auf eine großangelegte Zwangsumsiedlung der Einheimischen durch die Römer schließen. Zum einen ist das wohl mit der militärisch gefährlichen Konzentration der indigenen Bevölkerung in und um die Festungen in den Bergen, für welche sich keine Nutzung in römischer Zeit nachweisen lässt, zu erklären. Sie wurden vermutlich evakuiert und die Menschen in kleineren ungefährlichen Gruppen auf dem Land angesiedelt41. Zum anderen wäre es möglich, dass auf der Suche nach Land für die Kolonisten Einheimische angestammte Siedlungsplätze räumen mußten. Beides, Zwangsumsiedlung und Ansiedlung in nur kleinen Verbänden, hatte wahrscheinlich eine Zerschlagung alter gesellschaftlicher Strukturen zufolge. Dass die Bevölkerung der einheimischen Dörfer durchaus romanisiert war, zeigt neben der zahlreichen römischen

Nur in wenigen Fällen sind Grabsteine als eine römische Grabform von Dakern bekannt. Sie bezeugen aber teilweise sehr deutlich ein Fortschreiten der Romanisation der dakischen Bevölkerung, denn während die Eltern oft noch dakische Namen tragen, wurden den Kindern römische Namen gegeben30. Im Fall eines Herculanus aus Tropaeum Traiani , Sohn des Scoris, lässt sich bei seinem Sohn Victor, Sohn des Herculanus die dakische Herkunft nicht mehr vom Namen ableiten31. Grabsteine von Dakern fanden sich jedoch nur im städtischen dako-römischen Kontext und nicht auf den Einheimischen zugeschriebenen Gräberfeldern. Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass die Grabsitten im ländlich-einheimischen Bereich homogen sind, wenn sie auch nicht auf vorrömische Traditionen zurückgreifen. Die einfachen Gruben- und Urnengräber stehen im Kontrast zu den Grabsteinen verstorbener, aber im städtisch dako-römischen Kontext beigesetzter Daker. Die Verwendung von Grabsteinen lässt darauf schließen, dass die Romanisation/Romanisierung in den Städten fortgeschrittener war als auf dem Land32. Dafür sprechen auch die römischen Namen der Kinder dakischer Eltern, die mehrfach auf Grabsteinen bezeugt sind. Trotzdem lässt sich bei einheimischen Gräberfeldern römischer Einfluß in den Sitten in Form von Charonspfennig und Kinderbestattung und bei den Beigaben feststellen, womit wohl auch hier eine zwar abgeschwächte, aber doch vorhandene Romanisation anzunehmen ist. 4. Die Siedlungen In den Städten sind Einheimische nur selten zu fassen. Die meisten Städte sind provinzialrömischen Ursprungs; so lassen sich weder für Sarmizegetusa noch für Apulum oder andere Orte einheimische Vorgänger nachweisen33. Einzig für Napoca ist durch eine Inschrift, die zahlreiche dort geborene Söldner erwähnt, ein Bestehen bereits in

34

CIL VIII 18025. Macrea (1967) 148: Karte mit Fundkomplexen dakischer Keramik. 36 Zum Beispiel die oben erwähnten Inschriften aus Tropaeum Traiani: CIL III 14214/14; CIL III 14214/11; CIL III 14214/12; CIL III 7481 oder Napoca: CIL III 870. 37 Protase (1977) 1003. 38 Oltean (2004). 39 Babeú (1982) und Babeú (1994) 125. 40 Oltean (2004) 161 nennt als einzige Dörfer, die aus vorrömischer Zeit stammen und nach der Eroberung nicht aufgegeben wurden Cetea, Cicău und Slimnic; Protase (1977) 1005 nennt jedoch Slimnic, Cernatul de Jos, und wahrscheinlich LechinĠa, Ciunga, Cipău (Sf. Gheorghe). 41 Babeú (1994) 128. 35

26

Protase (1971); Protase (1973). Römer in Rumänien (1969) 129, D 27 (= Grab aus Soporu de Cîmpie (Kreis Cluj)). 28 Protase (1977) 1011. 29 Tonware der dakischen Bevölkerung findet sich auch in allen anderen Bereichen des ländlichen Dakiens einschließlich der Militärlager. Vgl. Protase (1977) Abb. 2. 30 CIL III 14214/14; CIL III 14214/11; CIL III 14214/12; CIL III 7481. 31 Stefan (1974) 251-257. 32 zu den römischen Grabsitten: Conrad (2004) 33 Diaconescu (2004) 88-120. 27

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Yvonne Schmuhl

Keramik zum Beispiel auch das zunehmende Auftreten römischer Werkzeuge42.

Die im Vergleich mit anderen Provinzen verhältnismäßig geringe Zahl dakischer Namen in lateinischen Inschriften bezeugt zum einen, dass den sozial schlechter gestellten Dakern die finanziellen Möglichkeiten fehlten, sich einen Grabstein mit Inschrift errichten zu lassen, und dass zum anderen, ein Teil der Einheimischen weder die Sitte des Aufstellens von Grabsteinen annahm noch sich der lateinischen Sprache bediente.

5. Das epigraphische Material Für die römische Zeit kann man auf etwa 3000 Inschriften auf dakischem Boden zurückgreifen. Nur 8 % dieser Inschriften wurden in ländlichen Kontexten gefunden und nur etwa 2 % aller Inschriften nennen dakisch-thrakische Namen, wobei es bisher nicht möglich ist, die dakischen der Einheimischen von denen der thrakischstämmigen Kolonisten zu unterscheiden, weshalb wohl mit einer noch geringeren Zahl wirklich einheimischer Namen zu rechnen ist. Das seltene Auftreten dakischer Namen ist eines der Hauptargumente der Gegner des Fortbestehens der indigenen Bevölkerung. Doch wurde es auch zur Begründung des Verbleibens der Daker und ihrer schnellen Romanisierung angeführt. So schreibt beispielsweise Boilá: Ihre (die der Daker) Einfügung in die römische Lebensweise ist in den Inschriften gut bezeugt. Bedeutsam ist erstens die Tatsache, dass sie alle lateinische Inschriften setzten, auf ihre traditionellen Namen verzichteten und römische Namen annahmen. Infolge der allgemeinen Bürgerrechtsverleihung durch die Constitutio Antoniana wurden die thrakischen Namen immer seltener sowohl in den Städten wie auch auf dem Lande.43 Problematisch ist bei dieser Feststellung zum einen, dass man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass sich hinter lateinischen Inschriften mit der Nennung römischer Namen romanisierte Einheimische verbergen, zum anderen ist die Basis von nur 8 % lateinischer Inschriften, die auf dem Land gefunden wurden, und einer unbedeutenden Anzahl dakischer Namen auf ihnen zu wenig aussagekräftig, als dass man sagen könnte, dass die thrakischen Namen auch auf dem Land immer seltener wurden. Trotzdem kann man aber feststellen, dass sich Daker vor allem in der Stadt bisweilen der römischen Sitte, Grabsteine zu errichten, bedienten und dabei die lateinische Sprache nutzten. Dass aber auch die nur teilweise romanisierten Kolonisten44 einen Einfluss auf die dakische Kultur hatten, zeigt die griechische Inschrift eines Dakers aus Tomis (ConstanĠa): Skirtos, der Daker, freigeboren, sechsmal glücklicher Sieger, hat die Welt verlassen und bewohnt jetzt sein Grab in Tomis.45 Ob nun aber mit der griechischen Inschrift und dem Erwähnen der Volkszugehörigkeit noch im 3. Jh. n. Chr. einem gewissen Widerstand Ausdruck gegeben wurde, ist aus Mangel an weiteren Beispielen nicht zu eruieren.

6. Die Elite Jene Fürsten stellten vor der Eroberung durch die Römer ohne Zweifel die Elite der Daker dar, die vermutlich die Festungen bewohnten, sowie die Priester, die nachweislich eine ähnlich führende Rolle bei den Dakern ausübten46 wie sie für die Druiden in Britannien und Gallien bezeugt ist. Doch anders als in Britannien, wo zum Beispiel das jährliche Druidentreffen auch nach der Eroberung noch stattfand, die Druiden also noch immer eine tragende Rolle innerhalb der jeweiligen Gesellschaft spielen47, wurde im römischen Dakien kein Hinweis auf eine führende Rolle der Priesterschaft unter den Einheimischen gefunden. Im Gegenteil scheint es, als wären die Priester nach Ankunft der Römer verschwunden, da bisher kein Hinweis auf ihre Existenz schließen lässt. Das korrespondiert sehr gut mit der Tatsache, dass keine dakischen Heiligtümer römischer Zeit nachweisbar sind und außer den Reiterheroen, die ohnehin dem thrakischen, nicht aber dem dakischen Pantheon angehören, offensichtlich kein dakischer Gott in römischer Zeit wiederkehrt. Ähnlich verhält es sich mit den Fürsten und ‘Stammesführern’, die zu einem nicht unerheblichen Teil in den durch die Römer geräumten Festungen gewohnt haben dürften. Mit der Evakuierung hat sich offensichtlich die Stellung der Fürsten verändert, denn im römischen Dakien lassen sie sich nicht mehr nachweisen: Anders als beispielsweise in der Provinz Dalmatien, für die durch eine auf dakischem Boden gefundene Inschrift ein dalmatischer princeps bezeugt ist48, lassen sich dakische principes epigraphisch nicht nachweisen. Ebenso sind mit der Eroberung durch die Römer die zuvor für Dakien so charakteristischen Prunkgräber verschwunden49. Über die Gründe für das Verschwinden der Elite kann man nur spekulieren: Möglich wäre zum Beispiel, dass durch das Zerschlagen gesellschaftlicher Strukturen bei den Zwangsumsiedlungen ‘Stammesführer’ an Bedeutung verloren haben, oder aber die Fürsten von den

46 Zur herausragenden politischen Rolle der Priesterschaft in Dakien: Strab. 7, 3, 5; Suda, s. v. Deisidaimonia; Iord. Get. 540. 47 Criúan (1975) 183-184; Richmond (1966) 28, 186-189; Green (1986) 136- 138. 48 CIL III 1322 = ILS 7153. 49 Lockyear (2004) 63; Babeú (1994) 126.

42

Protase (1977) 1007. Boilă (1980) 284. 44 Oltean (2004)160. 45 Vulpe (1965); Römer in Rumänien (1969) 124, D 3. 43

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Dakien

Römern gezielt vertrieben gezwungen wurden50.

oder

zum

Selbstmord

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7. Zusammenfassung Das Verschwinden der dakischen Oberschicht, also der Priester und Fürsten, zeigt sich vor allem durch das seltene epigraphische Material, das beide nicht erwähnt. Aber auch die noch nicht einmal in synkretistischer Form nachweisbaren dakischen Götter und das offensichtliche Nichtvorhandensein dakischer Heiligtümer in römischer Zeit unterstützen die Annahme, dass die Priester mit der Eroberung durch die Römer verschwunden sind. Ähnlich verhält es sich bei den Fürsten, deren ursprüngliche Wohnstätten (vermutlich die Wohntürme der Festungen) verlassen und verfallen, sowie die ihnen in vorrömischer Zeit zugeschriebenen Prunkgräber in der Provinz nicht nachweisbar sind.

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Durch das Fehlen der Elite beschränkt sich pauschalisiert die Romanisierung auf die Daker niederer sozialer Schichten. Bei den einfachen Dakern kann man durchaus eine fortschreitende Romanisierung feststellen, so ersetzen zum Beispiel in der 2. Hälfte des 2. Jhs. römische Werkzeuge, die bis dahin bei den Einheimischen dominierenden Geräte dakischer Prägung. Aber auch bei den Begräbnissitten konnte mit Charonspfennig und Kinderbestattung römischer Einfluss nachgewiesen werden. Die Hauptargumente der Gegner des Fortbestehens, also fehlende Anzeichen dakischer Religion, kaum epigraphisches Material und verlassene Festungen, ließen sich befriedigend mit einer gezielten Vertreibung oder Ermordung der religiösen bzw. politischen Oberschicht begründen. Die Vertreibungsszenen der Trajanssäule wären allein schon mit den kaum noch umstrittenen Zwangsumsiedlungen zu erklären. Dakien bietet also die Möglichkeit, Romanisierung einer Provinz ohne die vermittelnde Rolle der Elite zu untersuchen.

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Unter den Darstellungen der Trajanssäule finden sich sowohl Vertreibungsszenen, die allerdings auch schon als Rückkehrszenen interpretiert wurden (CLIV/CLV nach Cichorius) als auch die Selbsttötungen der dakischen Fürsten (Szene CXX/CXXI nach Cichorius). Um einen ähnlichen Fall von Verschwinden der indigenen Bevölkerung handelt es sich bei der römischen Kolonie in Butrint. Anders als in Dakien, betrifft es hier jedoch die gesamte Bevölkerung: Bergemann (1998) 6773.

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Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa – ein Beispiel für Romanisierungsprozesse im Imperium Romanum? von

Sebastian Matz Luftaufnahmen4 z. B. Italiens oder Tunesiens rechtwinklige Gitternetzstrukturen, die das Land in gleich große, quadratische Flurstücke teilen (Abb. 1. 2). Die Centuriation/Limitation der Landschaft bildet einen grundlegenden Bestandteil römischer Kulturlandschaften. Das Auftreten dieses regelmäßigen Katastersystems sowohl im italischen Mutterland als auch in verschiedenen Provinzen des Römischen Reiches macht diese Thematik interessant für eine Untersuchung hinsichtlich der tief greifenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozesse der Romanisierung/Romanisation in den römischen Provinzen. In diesem Aufsatz sollen nach einer allgemeinen Erläuterung der Centuriation/Limitation die Landvermessungen und -aufteilungen des italischen Mutterlandes untersucht werden. Am Beispiel Tunesiens soll dann gezeigt werden, wie in den Provinzen Landvermessungen vorgenommen wurden, um im Vergleich erörtern zu können, inwiefern die Centuriation/Limitation als Teil des Romanisierungsprozesses zu verstehen ist.

Zusammenfassung: Die Landvermessung und Landaufteilung (limitatio) zur Zeit der römischen Republik entwickelte sich wahrscheinlich vor allem aus ägyptischen und griechischen Vorbildern. Mit der Expansion der Römer in Italien ging seit der 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. die limitatio nach dem Muster der scamnatio und strigatio einher. Später (2. H. 3. Jh. v. Chr.) setzte sich allmählich die regelmäßige Aufteilung des Landes in quadratische centuriae durch (centuriatio). Die limitatio wurde in der Forschung teilweise als »Geheimnis der Romanisierung« Italiens bezeichnet. Der Aufsatz untersucht, ob die Landvermessung und -aufteilung nach 146 v. Chr. auch in Nordafrika als Romanisierungsprozess verstanden werden kann. Abstract: The surveying and assignation (limitatio) of land in the days of the Roman republic were developed from Egyptian and Greek models. Since the second half of the 4th century BC, the Romans started dividing the conquered land in strigae and scamna. Later (in the 2nd half of the 3rd century BC), the centuriatio (with square plots of the same size) became the predominate system for the division of land. Some scholars have described the limitatio as the »secret of the Romanization« of Italy. This paper investigates whether the surveying and assignation of land in Roman North Africa from 146 BC onward may be interpreted as a process of Romanization.

2. Die Centuriation/Limitation Die römische Feldmesskunst hatte sich wahrscheinlich während der stetigen Expansion5 der Römer auf der Apenninenhalbinsel aus ägyptischen6, griechischen7, punischen8 und etruskischen9 Einflüssen entwickelt10. 4

Zu den Methoden und Hilfsmitteln zur Erforschung der römischen Landvermessung s. Attolini (2003 d); Caciagli (2003); Attolini (2003 e); Heimberg (1977) 20. 5 s. dazu Regoli (2003 c). 6 Hdt. II 109 berichtet von der gleichmäßigen Aufteilung und Vermessung Ägyptens durch die Pharaonen. 7 Aufteilung der Stadtgebiete der neu gegründeten Kolonien in parallele Streifen (z. B. Megara Hybleia: 7. Jh. v. Chr.; Priene: 4. Jh. v. Chr.) bzw. Aufteilung der Chora der neuen Kolonien in parallele Streifen (z. B. Metapont: Mitte 6. Jh. v. Chr.) 8 Es ist wahrscheinlich, dass in der Landwirtschaftslehre des Puniers Mago auch die Landaufteilung und Landvermessung thematisiert wurde. Plin. nat. XVIII 22 berichtet, dass die Landwirtschaftslehre des Mago nach 146 v. Chr. auf Senatsbeschluss ins Lateinische übersetzt wurde. Außerdem finden sich viele Hinweise auf das Werk des Mago in späteren Quellen zur Landwirtschaft

1. Einführung Die Reste der römischen Landvermessung und -aufteilung1 haben sich bis heute an verschiedenen Orten im Mittelmeergebiet2, aber auch in Mitteleuropa3 erhalten. So erkennt man auch heute noch auf

1

Den besten Überblick zur römischen Landvermessung geben Heimberg (1977) sowie Schubert (1996) und Bussi (2003). 2 Celuzza (2003 e); Kuhnen (1999) 234 f.; Heimberg (1977) 37-55. 3 Heimberg (1977) 45-50.

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Sebastian Matz

wurde17 (Abb. 3, II). Schließlich entstand die auf einem Modul basierende scamnatio, die sich durch einheitliche Seitenlängen auszeichnete, welche je nach Region zwischen 210m und 490m betragen konnten18 (Abb. 3, III). Aus diesen Vorläufern entstand eine Methode (centuriatio)19, durch welche das Land mittels eines regelmäßigen und rechtwinkligen Gitternetzes in gleich große quadratische Flurstücke von 710,4m Seitenlänge aufgeteilt wurde, die an den Ecken durch Grenzsteine (termini) markiert wurden20. Solche Flurstücke nannte man centuriae. Diese 50ha großen Flächen wurden meist noch in kleinere Parzellen unterteilt, deren Größe zwischen 0,5ha (Römische Republik) und 25ha (frühe Kaiserzeit) schwankten21 (z. B. Abb. 3, IV). Bei der centuriatio gingen die römischen Landvermesser (agrimensores, mensores, finitores) wie folgt vor22: Mit Hilfe einer Sonnenuhr bestimmte man zuerst die Himmelsrichtungen. Dann wurde der Schnittpunkt der beiden Hauptachsen des Gitternetzes festgelegt. Auf diesen Schnittpunkt setzte man nun die so genannte groma, ein Rechtwinkel- und Fluchtinstrument. Mit diesem konnte der Feldmesser nun den decumanus maximus (Ost-West-Hauptmessachse) und den cardo maximus (Nord-Süd-Hauptmessachse) anpeilen und Ausgehend von diesen beiden bestimmen23. Hauptmessachsen wurden dann parallel zu diesen im Abstand von jeweils 710,4m weitere cardines und decumani eingemessen und festgesetzt, so dass ein rechtwinkliges Gitternetz aus sich schneidenden Feldwegen (limites) entstand24. Bei dieser Parzellierung achtete man kaum auf das Bodenrelief des betreffenden Geländes. Lediglich schwer zu vermessende oder kaum landwirtschaftlich nutzbare Gebiete sowie einzelne

Da mittels der Centuriation/Limitation die Fläche bestimmter Gebiete festgestellt werden konnte, diente die Feldmesskunst vor allem der Erfassung des Landes zur Erhebung der Grundsteuer und vereinfachte außerdem die regelmäßige Aufteilung der Fluren, die hauptsächlich staatlich gesteuerte Landzuweisung (assignatio) an Siedler11 und die Klärung von Besitzstreitigkeiten12. Die Landzuweisungen wurden in so genannten formae festgehalten, um sie nachprüfbar zu machen13. So sind z. B. Teile der römischen Katasterkarte von Arausio (h.: Orange, Frankreich) erhalten14. Die Vermessung und Aufteilung des Landes entwickelte sich über mehrere Jahrhunderte hinweg15. Anfangs – wohl seit dem 4. Jh. v. Chr. – teilten die Römer das Land mittels der so genannten scamnatio auf16. Dabei gliederten die Landvermesser das jeweilige Gelände in rechteckige Streifen, welche längs oder quer entlang einer Basislinie angelegt waren. Diese Landaufteilung orientierte sich zum Teil noch stark am jeweiligen Bodenrelief. Aus dieser unregelmäßigen scamnatio (Abb. 3, I) entwickelte sich im Laufe der Zeit die regelmäßige scamnatio, welche noch kein regelmäßiges, orthogonales Netz aufweist, aber mittels welcher die betreffende Fläche in einheitlich ausgerichtete Parzellen – allerdings mit variierenden Seitenlängen – zu jeweils einem ganzen oder halben actus (1 actus = 1260,25m²) eingeteilt (Colum. III, 12, 5. III, 15, 4. IV, 10, 1. V, 5, 4. VI, 1, 2. VI 26. VI 37, 3. IX 14, 6. XII 4, 2. XII 46, 5; Plin. nat. XVII 93. XVII 128; Varro rust. II 1, 27. II 5, 18). Es muss laut Colum. I 1, 10 auch eine griechische Übersetzung des Werkes gegeben haben. Die Erwähnungen in Cic. de orat. I 249 und Varro rust. II 5, 18 zeigen, dass die Schrift des Mago in der Zeit der späten Republik in Rom anerkannt war. vgl. dazu Ruffing (1999). 9 So fand man z. B. in Marzabotto (vgl. Miller (1999)), Capua (vgl. Regoli (2003 a)) und Spina (vgl. Uggeri (2001 a)) Hinweise auf Vermessungsarbeiten der Etrusker, die wohl die Voraussetzung zur römischen Feldmessung bildeten (Kuhnen (1999) 233); s. dazu auch Dilke (1971) 32-34; gegen eine Herleitung der Centuriation auch aus etruskischen Vorbildern spricht sich Heimberg (1977) 36 f. aus. 10 Regoli (2003 a); Kuhnen (1999) 235; Dilke (1971) 1930; Heimberg (1977) 5-12. 11 Zu den Kolonien und kleineren Siedlungen sowie zu den Siedlern s. Celuzza (2003 a); Celluzza (2003 b); Celluzza (2003 c). 12 Kuhnen (1999) 233 f.; Hafemann (1981) 57 f. 13 Heimberg (1977) 19 f. 14 s. dazu Dilke (1971) 159-177; Heimberg (1977) 51-55; Piganiol (1962). 15 Gabba (2003); Chouquer – Clavel – Favory (2003); Camaiora (2003 a). 16 Zur scamnatio s. Kuhnen (1999) 234; Schubert (1996) 43-51; Heimberg (1977) 18; Hinrichs (1974) 23-48; Hotzel (1972) 46 f.

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Schubert (1996) 50 f.; Zu den römischen Flächenmaßen s. Panerai (2003 c); Schubert (1996) 55 Abb. 18; Heimberg (1977) 15-18. 18 Schubert (1996) 51. 19 Wann diese Form der Landaufnahme entstanden ist, bleibt umstritten. So nimmt Schubert (1996) 55 an, dass die centuriatio sich während der Expansion der Römer in der Poebene in der 2. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. entwickelte, während Hinrichs (1974) 56 f. von einer Entwicklung dieser Form im 3./ 2. Jh. v. Chr. ausgeht und Dilke (1971) 133 die Entstehung der centuriatio bereits im 4. Jh. v. Chr. ansetzt. 20 Regoli (2003 b); Chouquer – Favory (1992) 139-152; Heimberg (1977) 13-15 (termini) 35 f. 21 Camaiora (2003 b); Dilke (1971) 82-97. 22 Zur Methodik und Technik der centuriatio s. Panerai (2003 b); Filippi (2003); Dolci (1998); Chouquer – Favory (1992) 77-100. 139-152; Flach (1990) 7-16; Heimberg (1977) 12-15. 23 Zur Orientierung der Hauptmessachsen s. Heimberg (1977) 18 f. 24 Zum römischen Wegerecht in Bezug auf die Centuriation im italischen Mutterland s. Colognesi (2003).

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Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa

Landvermessung und Landaufteilung in Nordafrika35. Freie agrimensores waren in dieser Zeit hauptsächlich in der zivilen Rechtssprechung bei Streitigkeiten über Grundstücksgrenzen tätig36. Außerdem waren servi augusti, liberti augusti und servi publici bei den verschiedenen Provinzialverwaltungen oder den Verwaltungen der kaiserlichen Güter angestellt und dort mit Vermessungsaufgaben und der census-Überwachung betraut37. Über die Ausbildung der agrimensores wissen wir relativ wenig38. Die meisten Feldmesser der republikanischen Zeit werden ihr Handwerk wahrscheinlich beim Militär erlernt haben39. Es gibt Hinweise darauf, dass später eine Schule für Feldmesser in Alexandria eingerichtet wurde40. Das bereits erwähnte corpus agrimensorum romanorum diente sicherlich auch als Lehr- bzw. Handbuch für die freien agrimensores41. Weitere Details über die Ausbildung der freien agrimensores sind nicht bekannt42.

Fluren, die zwischen verschiedenen Zenturiationsgebieten lagen, blieben als subcesivae bzw. subcesivae inter perticas unvermessen. Diese Form der Landesaufnahme wurde hauptsächlich in Gebieten mit hoher landwirtschaftlicher Effizienz angewandt, während weniger fruchtbare Landesteile zum ager publicus erklärt wurden und somit auch von den weniger privilegierten Bevölkerungsteilen genutzt werden konnten 25. Es bleibt die Frage zu stellen, wie die Landvermessung in römischer Zeit genau organisiert war und wer sie durchführte. Als ergiebigste Quelle zur antiken Landvermessungstechnik gilt heute das corpus agrimensorum Romanorum26, welches zu einem großen Teil aus dem 5. Jh. n. Chr. stammt. Aus diesem Text und aus verschiedenen epigraphischen Zeugnissen lässt sich schließen, dass die agrimensores27 entweder als private Feldmesser, als beamtete Feldmesser oder als Feldmesser im Militärdienst tätig waren28, wobei festzustellen ist, dass sich die Aufgabenbereiche und das Quantitätsverhältnis der verschiedenen Gruppen im Laufe der Zeit änderten29. Die Limitation des Landes lag anfangs wahrscheinlich im Aufgabenbereich des Militärs, so dass zu Zeiten der Römischen Republik wohl kein Berufsstand der agrimensores existierte30. Erst später wurden fachkundige Zivilisten, die ihr Handwerk allerdings auch beim Militär erlernt hatten, zur Landvermessung eingesetzt31. In spätrepublikanischer Zeit beauftragten dann römische Beamte private Unternehmer, welche die entsprechenden Fachkenntnisse besaßen, große Landvermessungsprojekte durchzuführen. Zwar ist diese Praxis in der lex agraria des Jahres 111 v. Chr.32 nur einmal für die Gegend von Korinth belegt33, dennoch geht F. T. Hinrichs – m. E. nicht zu unrecht – davon aus, dass die neuen Siedlungsgebiete der Römer auf dem ager Campanus und in Nordafrika im Laufe des 2. Jhs. v. Chr. von privaten Unternehmern im Auftrag des römischen Staates vermessen wurden34. Denn nur so konnten die riesigen Landstriche in Nordafrika und in Süditalien schnell vermessen und verpachtet werden. Die relativ wenigen agrimensorisch geschulten Gehilfen der römischen Magistrate hätten diese sehr großen Flächen sicherlich nicht alleine bewältigen können. Auch während der Kaiserzeit wurde die centuriatio des römischen Reichsgebietes betrieben. So erweiterten militärische agrimensores der legio III Augusta z. B. die

3. Die Centuriation/Limitation des italischen Mutterlandes Auf vielen Luftaufnahmen des italischen Mutterlandes sind heute noch Hinweise auf die römische Landvermessung und -verteilung43 zu erkennen (Abb. 1. 4). Außerdem lässt die systematische archäologische Untersuchung bestimmter Gebiete Rückschlüsse auf die Entwicklung der römischen Flureinteilung zu44. Die Entdeckung und erste wissenschaftliche Erforschung der Centuriationen des italischen Mutterlandes ist das Verdienst von P. Kandler, E. Lombardini, E. N. Legnazzi45 und P. Fraccaro46. Anfangs teilten die Römer das Land mittels der verschiedenen Formen der scamnatio auf47 (Abb. 3). So lassen sich in der Gegend der antiken Siedlungen von 35

Hinrichs (1974) 166 f. Hinrichs (1974) 167 f. 37 Hinrichs (1974) 168-170. 38 Zur Ausbildung der Feldmesser s. Hinrichs (1974) 162165. 39 Hinrichs (1974) 163. 40 Hinrichs (1974) 165. 41 Hinrichs (1974) 163. 42 Hinrichs (1974) 163; Schulten (1912) 1890 nahm an, dass man aus corpus agrimensorum Romanorum I 8, 26 und I 273, 15 schließen könne, dass man nur nach einem Examen als Feldmesser in den Staatsdienst aufgenommen wurde und dass nur staatlich konzessionierte Feldmesser Assignation und Judikation durchführen durften. Dies bestreitet Hinrichs (1974) 163 Anm. 29. 43 Zur Landvermessung im italischen Mutterland s. auch Heimberg (1977) 21-34. 38-44. 44 Vgl. Camaiora (2003 c); Kuhnen (1999) 234. 45 Attolini (2003 b). 46 Attolini (2003 c). 47 Schubert (1996) 43-51. 36

25

Kuhnen (1999) 235; Chouquer – Favory (1992) 27-33. Textausgabe: Blume – Lachmann – Rudorff (1848; 1852); Übersetzung (engl.): Campbell (2000). 27 Zu den agrimensores s. auch Panerai (2003 a). 28 Hinrichs (1974) 76. 166-170. 29 Hinrichs (1974) 76-92. 158-170. 30 Hinrichs (1974) 84. 31 Ebenda. 32 CIL I 200; s. dazu Johannsen (1971). 33 CIL I 200 Zeile 96f; s. dazu Johannsen (1971) 178 f. 396-398; Hinrichs (1974) 90. 34 Hinrichs (1974) 90. 26

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Sebastian Matz

Suessa Aurunca (röm. Kolonie seit 313 v. Chr.)48, Sinuessa (röm. Kolonie seit 296 v. Chr.)49, Ferentinum (361 v. Chr. von den Römern erobert)50 und Anagnia51 (seit 306 v. Chr. unter römischem Einfluß) die Reste einer unregelmäßigen Landaufteilung per strigas et scamnas beobachten (Abb. 3, I). Die Gebiete um die Siedlungen von Venafrum (nach 268 v. Chr. unter römischem Einfluss)52 und Bovianum (nach 268 v. Chr. unter römischem Einfluss)53 sowie auf dem ager Anagnus54 (Abb. 3, II) wurden bereits regelmäßiger aufgeteilt. Schließlich wurden, wie z. B. in Cales55 (334 v. Chr. von den Römern erobert) oder Alba Fucens56 (304 v. Chr. von den Römern gegründet) (Abb. 3, III), die Fluren in regelmäßige Module aufgeteilt, welche auf der Anlage von parallelen decumani basierten. Die gesamte Landaufteilung während des 4. Jhs. v. Chr. und der 1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr. wurde von den Römern auf diese Art und Weise bewältigt57. Als dann im späteren 3. Jh. v. Chr. bzw. im frühen 2. Jh. v. Chr. durch das Vordringen der Römer in die großen Ebenen Norditaliens plötzlich riesige Flächen zu vermessen und einzuteilen waren, setzte sich die Landaufteilung nach dem Muster der centuriatio – d. h. die Aufteilung des Landes in jeweils gleich große, quadratische centuriae von 700-710m Seitenlänge – endgültig durch58 (Abb. 5). Eventuell lassen sich die ersten Beispiele für eine Landaufteilung durch centuriatio bereits im 4. Jh. v. Chr. fassen. So fand man in der Gegend des antiken Tarracina (seit 329 v. Chr. röm. Kolonie)59 und auf dem ager Pomptinus (383 v. Chr.: Einsetzung einer römischen Senatskommission zur Ackerverteilung)60 kleinere quadratische centuriae61. Jedoch setzte sich die regelmäßige centuria mit einer Seitenlänge von rund 710m Seitenlänge erst mit der Expansion der Römer in der Poebene durch62. Die Centuriation/Limitation der Poebene wurde von R. Chevallier als »secret de la romanisation«63 bezeichnet und J. Bradford sah in den Landvermessungen und aufteilungen ein Zeichen für die Herausbildung einer »great power«64.

4. Die Centuriation/Limitation der Poebene am Beispiel von Ariminum65 Mit dem Vordringen der Römer in die Poebene im 3. Jh. v. Chr. gehen Koloniegründungen und andere infrastrukturelle Maßnahmen einher66. Hier sind besonders der Straßenbau und die Limitation zu nennen. Seit der Gründung der Kolonie in Ariminum (h.: Rimini) im Jahre 268 v. Chr. begann sich die klassische Form der Centuriation in centuriae mit einer Größe von 20 mal 20 actus (rund 50ha) endgültig durchzusetzen67. Am Beispiel von Ariminum, im äußersten südlichen Ausläufer der Poebene gelegen, lässt sich die Entwicklung der römischen Landvermessung und -verteilung in der Poebene gut nachvollziehen. Die erste Centuriation68 (wohl kurz nach 268 v. Chr.) des heutigen Rimini (Abb. 6) wurde wahrscheinlich schon in Form einer centuriatio mit centuriae von 20 mal 20 actus Größe durchgeführt. Allerdings ist die der centuriae nicht genau zu rekonstruieren, sie muss aber aufgrund des Befundes zwischen 704m und 710m betragen haben. Das Achsenkreuz dieser Centuriation ist höchstwahrscheinlich identisch mit dem Achsenkreuz der alten Kolonie. Das Gitternetz war N 51° 15’ O ausgerichtet und umfasste wohl an die 200 centuriae. Die zweite Centuriation69 (Abb. 7) orientierte sich am Verlauf der via Flaminia und war demzufolge N 41° O orientiert. Diese Centuriation steht wohl im Zusammenhang mit der Viritanassignation, d. h. einer Landverteilung ohne Koloniegründung70, die im Jahre 232 v. Chr. durch C. Flaminius durchgeführt wurde. Da die via Flaminia, an der sich die Centuriation orientierte, um 220 v. Chr. erbaut wurde, ist wohl auch diese Centuriation mit etwa 600 centuriae mit jeweils rund 704m Seitenlänge zu dieser Zeit entstanden. Die dritte und letzte Centuriation71 (Abb. 8) erfolgte zwischen dem Ende des 2. Jhs. v. Chr. und 90 v. Chr. (vielleicht 132 v. Chr. durch P. Popillius Laenas)72. Sie war N 4° 30’ W orientiert, bezog sich also nicht mehr auf den Verlauf der via Flaminia und bestand aus etwa 500 centuriae (jeweils 706m Seitenlänge).

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Uggeri (2001 b). Morciano (2001). 50 Uggeri (1998). 51 Uggeri (1996 b). 52 Morciano (2002); Schubert (1996) 63. 53 Buonocore (1997); Schubert (1996) 63-65. 54 Schubert (1996) 49-51. 55 Garozzo (1997). 56 Uggeri (1996 a). 57 Schubert (1996) 55. 58 Schubert (1996) 55. 65. 59 Uggeri (2002). 60 Sonnabend (1996). 61 Schubert (1996) 54. 62 Schubert (1996) 55. 65; zur Limitation der Poebene s. auch Büsing-Kolbe – Büsing (2002) bes. 10. 54-55. 63 Chevallier (1983) 74. 64 Bradford (1957) 157. 49

5. Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa Nachdem Rom aus den Auseinandersetzungen mit den Puniern durch die völlige Zerstörung Karthagos im Jahre 146 v. Chr. endgültig als Sieger hervorgegangen war, 65

Uggeri (1996 c); Zur Limitation von Ariminum s. Chouquer (1981) 843-849. 862; Schubert (1996) 66-68. 66 Zur Centuriation der Poebene vgl. auch Mazzoli (1998); Dall’Aglio (1997). 67 Schubert (1996) 65. 68 Schubert (1996) 66 f.; Chouquer (1981) 843. 862. 69 Schubert (1996) 67; Chouquer (1981) 843-846. 862. 70 Vgl. dazu Celuzza (2003 d). 71 Schubert (1996) 67 f.; Chouquer (1981) 846-849. 862. 72 Chouquer (1981) 862.

190

Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa

wurde die römische Provinz Africa eingerichtet. Die deshalb von Rom ausgesandte zehnköpfige Kommission sollte gemeinsam mit Scipio die Verhältnisse in der neuen Provinz regeln73 und fasste zunächst folgende Beschlüsse: Die letzten Reste von Karthago sollen zerstört werden; der Boden des alten Karthagos darf nie mehr bewohnt werden; die Byrsa Karthagos und die Vorstadt Megara sollen verflucht werden; die karthagotreuen Städte sollen zerstört werden; die prorömischen Städte in Nordafrika sollen durch Landzuweisungen belohnt werden; den übrigen Bewohnern des karthagischen Gebietes soll eine Grundund Kopfsteuer auferlegt werden; das ehemals karthagische Territorium soll in Zukunft von römischen Promagistraten verwaltet werden74. Die Römer begannen nach der Eroberung die neue Provinz nach außen hin abzugrenzen, sie in militärische Kommandobereiche und zivile Verwaltungsbezirke zu gliedern, sie nach innen (Territorialschutz) und außen (Grenzschutz) zu sichern75. Das römische Africa wurde also sowohl im militärischen als auch im zivilen Sinne völlig neu organisiert und administrativ gegliedert76. Zu Beginn der römischen Herrschaft bestand das alte Nordafrika nach Aussage der antiken Autoren aus einem dichter besiedelten, kultivierten77 und einem kaum besiedelten und kaum kultivierten Teil 78. Die Römer veränderten die punischen Siedlungsstrukturen in Nordafrika kaum. Die nicht zerstörten Siedlungen in den dichter besiedelten Gebieten des römischen Nordafrikas waren nun – mit Ausnahme einiger oppida libera – tributpflichtige oppida stipendiaria, denen große Teile ihres ehemaligen Territoriums genommen, erhebliche Grundsteuerlasten auferlegt und ihr Recht auf Selbstverwaltung aberkannt wurde79. Zu den Neuerungen, die durch die Römer nach Afrika gelangten, gehörte die Landvermessung und -aufteilung80 nach dem Muster der Centuriation/Limitation, durch die die Agrarlandschaft Nordafrikas »den entscheidenden, originär römischen Charakter erhielt«81.

Die Römer begannen sicherlich bereits kurz nach 146 v. Chr. mit der Centuriation/Limitation der neuen Provinz Africa82, um durch die Erstellung eines Katasters zum einen die Landverteilung an römische Siedler und die Einziehung der sich daraus ergebenden Grundsteuer und zum anderen die Berechnung der zu zahlenden Grundsteuer für die unfreien oppida stipendiaria, in denen Einheimische wohnten, zu erleichtern83. Das Grundanliegen der Centuriation/Limitation – Erleichterung von Landzuweisungen und Berechnung der Grundsteuersätze – war also das gleiche wie im italischen Mutterland. Außerdem sollte durch die Vermessung und Abgrenzung einzelner Stammesterritorien die Sesshaftwerdung der nomadisch lebenden Völker Nordafrikas gefördert bzw. erzwungen84 sowie die Aushebung von Auxiliarsoldaten erleichtert werden85. Die verschiedenen Centuriationen/Limitationen im römischen Nordafrika Die Landvermessung und -aufteilung durch die Römer in Nordafrika wurde zu verschiedenen Zeiten und mittels unterschiedlich orientierter Vermessungssysteme realisiert86. Man nutzte hierzu ausschließlich die seit dem 2. Jh. v. Chr. im italischen Mutterland übliche centuriatio. Das Gitternetzsystem der Limitationen ist auch heute noch auf vielen Luftaufnahmen zu erkennen und lässt sich auch durch systematische Feldforschung v. a. im heutigen Tunesien nachweisen87. Der Däne C. T. Falbe entdeckte als Erster die Reste der Limitationen in der Umgebung von Karthago und publizierte 1833 seine Beobachtungen88. In der modernen Forschung unterscheidet man heute anhand der unterschiedlichen Ausrichtung ihrer jeweiligen Hauptmessachse (decumanus maximus)89drei geschlossene römische Limitationssysteme90. Außerdem finden sich in verschiedenen Gegenden des heutigen Tunesiens (Gebiete um Ammaedara und Sufetula)91 kleinere sowie im heutigen Ostalgerien92 Limitationssysteme mit unterschiedlichen Ausrichtungen.

73

Manche Quellen sprechen von dieser Kommission (App. Lib. 135; Cic. leg. agr. II 19, 5; CIL I² 200), andere Quellen wiederum sprechen von einer Neuregelung durch Scipio alleine (Vell. Pat. II 38, 2; Plin. nat. V 25; Cic. leg. agr. I 2, 5. II 22.). 74 Huss (1985) 457. 75 Fushöller (1979) 181. 76 Zu den einzelnen Maßnahmen s. Fushöller (1979) 180280. 77 z. B. Sall. Iug. 78, 5 (…frequentem Numidiam…); s. dazu Fushöller (1979) 58 f. 78 z. B. Sall. Iug. 89, 4 (…ingentis solitudines…); s. dazu Fushöller (1979) 59. 79 Hafemann (1981) 62. 80 Zur Centuriation Nordafrikas s. auch Heimberg (1977) 45. 81 Hafemann (1981) 62.

82

Ebenda. Hafemann (1981) 57 f. 84 Zum Einfluß der römischen Administration auf die nomadisch lebenden Einheimischen s. Hitchner (1997). 85 Fushöller (1979) 379 f. 86 Hafemann (1981) 55. 87 Hafemann (1981) 55. 88 Falbe (1833) 57 f.; s. dazu auch Carandini (2003); Attolini (2003 a). 89 Hafemann (1981) 56. 90 Schulten (1902); Barthel (1911); Piganiol (1954); Caillemer – Chevallier (1957) 45-54; Hafemann (1981) 55-58; Dilke (1971) 151-158. 91 Caillemer – Chevallier (1957) 52; Hafemann (1981) 57. 92 Soyer (1973); Soyer (1976). 83

191

Sebastian Matz

Das erste der drei Limitationssysteme bildet die sog. Centuriation Nord93 (Abb. 9). Dieses Gebiet wird im Norden und Osten vom Mittelmeer, im Westen von der fossa regia und im Süden von einer gedachten Linie auf der Höhe von Horrea Caelia begrenzt. Das centurierte Gebiet umfasst somit eine Fläche von rund 15000km². Die Hauptmessachse ist 32° NO ausgerichtet und entspricht somit der Ausrichtung des decumanus maximus des augusteischen Karthagos. Da die Ausrichtung der Hauptachsen Karthagos aber mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine vor 111 v. Chr. entstandene Centuriation Bezug nimmt94, ist davon auszugehen, dass die Römer den Norden Tunesiens – also den alten karthagischen Machtbereich – bald nach 146 v. Chr. vermessen und aufgeteilt haben. Westlich der fossa regia fand man Reste einer 28° NO orientierten Centuriation, welche wahrscheinlich auf marianische Kolonisationsversuche im Gebiet um die heutigen Siedlungen von Ghardimaou und Teboursouk zurückgehen95. Dieses Gebiet wird im Allgemeinen allerdings zur Centuriation Nord gezählt. An das eben beschriebene Gebiet schließt sich die sog. Centuriation Mitte-Ost an96 (Abb. 2. 9), deren Gebiet sich über einen etwa 30km breiten Küstenstreifen zwischen Horrea Caelia und Caput Vada erstreckt. Die Hauptmessachse dieser Centuriation ist 42° NO ausgerichtet. Wahrscheinlich ließ bereits Caesar, nachdem er die Pompeianer endgültig besiegt hatte, die Centuriation anlegen, die dann unter Augustus fertig gestellt wurde. Im Gebiet um Acholla wurde möglicherweise zur selben Zeit eine Centuriation durchgeführt. Diese sog. Centuriation Süd-Ost war auf einen 15km breiten Küstenstreifen beschränkt, dessen Hauptvermessungsachse 32° SO orientiert war97. Diese Centuriation wird aufgrund ihrer geringen Ausdehnung oft zur Centuriation Mitte-Ost gezählt. Die sog. Centuriation Süd98 (Abb. 9) erstreckte sich von südlich des Chott el Djerid bzw. des Chott el Fedjadj weit nach NO bis in das Gebiet von Taparura. Das Gitternetz dieses Vermessungssystems war 39° NO orientiert. Die Rekonstruktion der Centuriation Süd erfolgt hauptsächlich anhand der vielfach gefundenen Grenzsteine, welche durch die regelmäßige Nennung des Kaisers Tiberius gleichzeitig einen Datierungsanhalt

liefern. Wie weit das Gebiet der Centuriation Süd nach Norden reichte ist unbekannt. Vielleicht reichte es bis in die Gegend von Sufetula. Wie oben bereits erwähnt, gab es noch verschiedene kleinere Centuriationsysteme im römischen Nordafrika, z. B. in der Gegend von Ammaedara, dessen, wahrscheinlich in vespasianische Zeit datierendes, Vermessungssystem 28° NO orientiert war99. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es so, als ob die Römer im heutigen Tunesien nach dem Ende des 1. Jhs. n. Chr. keine größeren Landvermessungen mehr vorgenommen hätten100. Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass die Weiterentwicklung der Luftbildarchäologie und die zukünftige systematische Feldforschung zur Entdeckung weiterer Limitationsgebiete und -systeme im heutigen Tunesien führen werden101. So weisen z. B. einige Grenzsteine (termini) in Nordafrika auf spätere Limitationen von Stammesgebieten der nomadisch lebenden indigenen Bevölkerung hin. Jedoch ist nicht bekannt, ob diese Gebiete nur vermessen und gegeneinander abgegrenzt oder ob sie ebenfalls centuriert wurden102. Jedenfalls wurden in den Jahren zwischen 80 und 117 n. Chr. die Gebiete der Suburbures und der Nicibes (südöstlich von Cirta), der Suppenses und der Vofricenses (südöstlich von Thagaste) sowie die Gebiete der Muduziuvii und der Zamucii (südöstlich von Macomades) untereinander abgegrenzt. Im Zeitraum zwischen 100 und 138 n. Chr. wurden offensichtlich die Stammesgebiete der Musulamii (Gebiet zwischen Theveste und Sufes), der Numidae (Gebiet westl. von Sitifis) und der Nybgenii (Gebiet des Chott el Fedjadj) festgelegt. Die Centuriation/Limitation Romanisierungsprozess?

Nordafrikas

als

Wie zu Beginn bereits angedeutet, sieht Chevallier in der Centuriation der Poebene das »Geheimnis der Romanisierung«103 dieser Region. In der vorangegangenen Untersuchung zeigte sich, dass die Centuriation, wie sie in der Poebene seit der 2. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. üblich war, auch in Nordafrika angewandt wurde: Die Kulturlandschaft des römischen Nordafrika wurde durch die Auswirkungen der Centuriation/Limitation auf die »Form und Größe der Besitzund Wirtschaftsparzellen, auf das Wirtschaftswegenetz und auf die Entstehung von Lesesteinwällen, Ackerrainen und Hangterrassierungen«104 soweit umgeformt, dass sie

93

Caillemer – Chevallier (1957) 46-49; Hafemann (1981) 57. 94 Hafemann (1981) 57; Caillemer – Chevallier (1957) 48. 95 Caillemer – Chevallier (1957) 48 f.; Hafemann (1981) 57. 96 Caillemer – Chevallier (1957) 49 f.; Hafemann (1981) 57. 97 Caillemer – Chevallier (1957) 50; Hafemann (1981) 57. 98 Caillemer – Chevallier (1957) 52 f.; Hafemann (1981) 57.

99

Caillemer – Chevallier (1957) 52. Caillemer – Chevallier (1957) 53; Hafemann (1981) 57. 101 Hafemann (1981) 56. 102 Fushöller (1979) 379 f. mit Anm. 342 (Nachweise der einzelnen Grenzsteine). 103 Chevallier (1983) 74. 104 Hafemann (1981) 58. 100

192

Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa

hinsichtlich dieser Merkmale stark an das italische Mutterland erinnerte und deshalb mit voller Berechtigung als romanisiert bezeichnet werden darf, da die regelmäßige Ackerflächeneinteilung einen konstituierenden Bestandteil römischer Kulturlandschaft bildet. Die Grabinschriften105 der agrimensores, die in Nordafrika tätig waren und dort bestattet wurden, lassen es nicht zu, einen dieser Feldmesser als indigenen Afrikaner zu identifizieren106. Dies wäre der Hinweis auf einen noch tiefer greifenden Romanisierungsprozess, denn dann wäre der Beweis für die Übernahme römischer Techniken durch Provinziale in Afrika erbracht. Die Landvermessung und -aufteilung als Bestandteil des Romanisierungsprozesses ist, wie gezeigt, in den genannten Gebieten des Römischen Reiches vergleichbar. Dennoch würde ich in beiden Fällen von der Centuriation nicht von dem Geheimnis der Romanisierung sprechen. Viel eher würde ich die Centuriation als eine von vielen Voraussetzungen für die Romanisierung einer Region verstehen. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie am Beginn dieses Prozesses steht, da sie die Grundlage für eine Ansiedlung von römischen Kolonisten und die Gründung römischer municipia bzw. coloniae war. Die römischen Siedler waren Träger der Romanitas und deshalb war ihre Ansiedlung eine zwingende Voraussetzung für die Romanisierung einer Provinz. Außerdem erleichterte die Centuriation durch die klare Parzellierung der römischen Kulturlandschaft in Nordafrika z. B. die Einrichtung von künstlichen Bewässerungsanlagen und die Diese Trockenlegung von Feuchtgebieten107. bemerkenswerten Leistungen der römischen Ingenieure machten das heutige Tunesien innerhalb kürzester Zeit zur Kornkammer Roms.

Durch die Centuriation/Limitation wurde in Nordafrika eine römische Kulturlandschaft nach dem Vorbild des italischen Mutterlandes geschaffen, was die Rolle der Landvermessung und -einteilung bei Romanisierungsprozessen unterstreicht. Bibliographie: Attolini (2003 a): I. Attolini, La riscoperta della centuriazione: Falbe, in: Bussi (2003) 166-169. Attolini (2003 b): I. Attolini, La riscoperta della centuriazione, in: Bussi (2003) 170-174. Attolini (2003 c): I. Attolini, Gli studiosi della centuriazione: Fraccaro, in: Bussi (2003) 174-177. Attolini (2003 d): I. Attolini, Metodi di rilevamento e di ricostruzione: la cartografia, in: Bussi (2003) 178- 185. Attolini (2003 e): I. Attolini, Metodi di rilevamento e di ricostruzione, in: Bussi (2003) 193-200. Barthel (1911): W. Barthel, Römische Limitation in der Provinz Africa, BJ 120, 1911, 39-126. Blume – Lachmann – Rudorff (1848; 1852) : F. Blume – K. Lachmann – A. Rudorff (Hrsg.), Die Schriften der römischen Feldmesser I (1848). II (1852).

Zusammenfassung

Bradford (1957): J. Bradford, Ancient Landscapes (1957).

Es bleibt festzuhalten, dass die Centuriation/Limitation der römischen Provinzen in Nordafrika zwischen 146 v. Chr. und dem Ende des 1. Jhs. n. Chr. insofern als Teil eines Romanisierungsprozesses zu verstehen ist, als die Landvermessung und -einteilung des Provinzialbodens als eine Voraussetzung für die Romanisierung zu deuten ist. Denn erst die auf der Assignation von zuvor centuriertem Boden beruhende Ansiedlung von Römern – den Trägern der Romanitas – machte eine „erfolgreiche“ Romanisierung Nordafrikas möglich.

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105

Für ein eindrucksvolles Beispiel einer Grabstele eines Feldmessers – allerdings aus der Poebene – s. Sartori (1998). 106 Die Grabinschriften, die in Afrika gefunden wurden, lassen sich zum einen den Feldmessern im militärischen Dienst zuordnen (CIL VIII 2564. 11428 2856/7. 2935. 2946. 3028. 3074) zum anderen handelt es sich um Feldmesser im kaiserlichen Dienst (CIL VIII 1263612639. 12912/13. 24690) 107 Hafemann (1981) 58.

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196

Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa

Abb. 1: Italien, Luftaufnahme mit deutlich erkennbarer Ackerflächeneinteilung, wie sie sich seit römischer Zeit erhalten hat.

Abb. 2: Tunesien, Centuriation Mitte-Ost, Luftaufnahme mit deutlich erkennbaren Resten der Centuriation.

Abb. 3: Übersicht zu den verschiedenen Formen der scamnatio.

197

Sebastian Matz

Abb. 4: Zentraler Mittelmeerraum, Übersichtskarte mit allen bekannten Centuriationen.

Abb. 5 Schema zur Landverteilung mittels der centuriatio.

198

Die Centuriation/Limitation der Provinz Africa

Abb. 6 Ariminum (h.: Rimini), Umgebungsplan mit den Resten der Centuriation I.

Abb. 7 Ariminum (h.: Rimini), Umgebungsplan mit den Resten der Centuriation II.

199

Sebastian Matz

Abb. 8 Ariminum (h.: Rimini), Umgebungsplan mit den Resten der Centuriation III.

Abb. 9 Tunesien, Übersichtskarte mit den verschiedenen Centuriationssystemen.

200

Romanitas und Latinitas als Träger römischer Herrschaft in Nordafrika von

Thomas Brüggemann and vagueness Romanization.

Zusammenfassung: Die ethnische Zusammensetzung der nordafrikanischen Provinzen am Beginn des 5. Jhs. hat sich gegenüber der des 2. Jhs., als indigene Stämme den größten Teil der Einwohner ausgemachten, kaum wesentlich verändert, da es während der Kaiserzeit keine nennenswerte Immigration aus Italien oder anderen Reichsteilen mehr gegeben hatte. Daher war der weitaus größte Teil des römischen Nordafrika durch eine Mehrheit indigener Gesellschaften geprägt, die einen allenfalls geringen Romanisierungsgrad aufwiesen. Somit waren diese Bevölkerungsgruppen zu keinem Zeitpunkt ‚Römer’ im politischen oder ethnischen Sinne; sie gehörten zwar de iure zum römischen Reich, de facto aber waren sie ihren Besatzern in dieser Zeit nur virtuell unterworfen. Dennoch belegt eine beachtliche Zahl lateinischer Inschriften verschiedenster Provenienz, die zwischen dem 3. und 7. Jh. gesetzt wurden, Wirkung und Nachhaltigkeit römischer Zivilisation bzw. lateinischer Kultur bei diesen Gruppen. Überlegungen zu Ursachen, Verlauf und Erscheinungsformen eines Phänomens (‚weiche Assimilation’), das bislang hinter der Weite und der Unschärfe des ‚klassischen’ Begriffs der Romanisierung zugleich verborgen blieb, werden deswegen im Zentrum des Beitrages stehen.

of

the

‘classical’

definition

of

1. Römer und Nomaden Latinitas und romanitas waren die entscheidenden Symptome sowohl für jegliche Form ‚römischer Ordnung’ als auch ‚lateinischer Kultur’ 1 . Der kulturstiftende Einfluss beider Phänomene auf provinziale Bevölkerungen kann im gesamten römisch beherrschten Mittelmeerraum beobachtet werden, so also auch im nordafrikanischen Teil des Imperium Romanum. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Römer hier mit grundsätzlich anderen Sozialformen konfrontiert waren, als sie sie bis dahin in ihrem Einflussbereich kennengelernt hatten, so dass eine Einbindung der tribalen Strukturen Nordafrikas in das römische Herrschaftssystem der Provinzen durchaus zweifelhaft erscheinen musste 2 . Deswegen dauerte es auch mehr als ein Jahrhundert, bis die Provinzverwaltung angemessene Mechanismen im Umgang mit nomadischen Gesellschaften entwickelt hatte. Die römische Administration stand nämlich vor dem Problem, dass die nomadisierenden Bevölkerungen in unzählige nahezu autonome Einheiten zerfielen und keinen gegliederten Staatsaufbau im römischen Sinne kannten3. Die zentralen nomadischen Sozial- und Lebensformen, d.h. ihre agropastorale Subsistenzwirtschaft einschließlich der damit verbundenen Wanderungen sowie der nomadischen Gemeinschaften der familiae, der tribus sowie der Clans, bestanden während Besatzung unverändert fort, auch wenn die afrikanischen Stämme für die römische Verwaltung schließlich zu administrativen Einheiten, den gentes, geworden waren 4 . Zunächst führte diese

Abstract: The ethnic structure of the North African provinces at the beginning of the 5th century AD was nearly identical to that of the 2nd century, when indigenous tribes comprised the main part of the population, as the sources do not support the idea of significant immigration from Italy or other regions of the empire during the principate. Thus Roman North Africa was mainly settled by societies that were at best only slightly romanized. Consequently, these groups could never have been considered Romans in a political or ethnic sense; although they belonged to the Roman Empire de iure, de facto they stayed independent during the period of Roman occupation. Nevertheless, a remarkable number of Latin inscriptions of different kinds from the 5th till 7th centuries show the lasting effects of Roman civilization or rather Latin culture on these indigenous cultures. This paper will express thoughts on the reasons for and emergence and development of a particular phenomenon (‘soft assimilation’), which may hitherto have been concealed as a result of the breadth

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Dodi (1986) 111-119; Barrett (1997) 51-66. Vgl. in dieser Hinsicht grundlegend (mit ausführlichen Quellenangaben) Werner (1993) 1-36; Woolf (1997) 339350; Whittaker (1997) 143-164. 3 Exemplarisch in diesem Zusammenhang auch bereits Kotula (1965) 347-365; Mattingly (1997a) 117-142. 4 Für durchaus mit der Antike vergleichbare Phänomene der Neuzeit vgl. die Ausführungen von Lewis (1975) 426-442; zudem für die Antike bereits Clarke (1955) 157167; Swift (1975) 443-454; ein Territorialgefühl im Sinne von Besitz oder Privateigentum existierte nicht, vielmehr machte nur ein Stamm Eigentumsrechte geltend und verteidigte diese in größeren Konföderationen, allerdings auch nur dann, wenn sie unmittelbar bedroht wurden oder in ihrer Existenz gefährdet waren, vgl. zum Aufbau 2

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Gesellschaftsstruktur jedoch dazu, dass die Römer binnen zweier Jahrhunderte ihrer nordafrikanischen Herrschaft zahlreiche unergiebige Kriege gegen nomadische Verbände eingingen, ohne erkennbare territoriale oder politische Resultate zu erzielen. Sicher waren indigene Nomadenstämme nicht in der Lage zu Revolten, die größere Ausmaße hatten und länger andauerten 5 . Dennoch war das militärische Unvermögen der nordafrikanischen Nomaden auch zugleich ihr Vorteil, da die römische Zentralmacht ihrer mit den herkömmlichen militärischen Mitteln nicht Herr werden konnte6. Erst die sich im 3. Jh. wandelnde wirtschaftliche Situation Afrikas ermöglichte nicht nur das Erschließen neuer Wirtschaftsräume, sondern auch die großräumige soziale Integration der Nomaden in dieses System7.

der Integration führender oder wohlhabend gewordener einheimischer Familien in die römische provinziale Oberschicht dauerte bis ins 4. Jh. ungebrochen an 9 . Nahezu jeder Einwohner einer nordafrikanischen Stadt wies im 4. Jh. indigene Elemente im Stammbaum auf, wobei besonders in der Proconsularis mit ihrer hohen städtischen Verdichtung die Bevölkerung in einem so hohen Maße romanisiert war, wie dies außerhalb Italiens überhaupt möglich war. In der Numidia und den Mauretaniae stellte sich demgegenüber die Situation abweichend dar, obwohl es durchaus auch in diesen Provinzen Regionen gegeben hat, die einen Romanisierungsgrad wie die Proconsularis aufwiesen, so beispielsweise das nordwestliche Aurès-Plateau 10 , ein Gebiet, in dem es seit dem 2. Jh. eine besonders intensive Ansiedlung von Veteranen gegeben hatte 11 . Die weit größeren Teile dieser Provinzen waren allerdings durch eine Dominanz indigener Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet, deren Romanisierungsgrad weit geringer war. Hier kann eher von Romanisierung denn von Romanisation gesprochen werden, da einerseits die Präsenz militärischer und administrativer Einrichtungen sowie andererseits die vor allem in der 2. Hälfte des 3. Jhs. einsetzende agrarische Erschließung der Marginalzonen12 mit ihrem Bedarf an einheimischen Arbeitskräften den Wandel verspätet auslöste13.

Die ethnische Zusammensetzung der nordafrikanischen Bevölkerung im 4. Jh. war gegenüber der des 2. Jhs. kaum eine andere, als indigene Stämme sowie punisierte Nomaden den weitaus größten Anteil der Einwohner ausgemacht hatten. Denn während der Kaiserzeit hatte es keine nachweisbare größere Einwanderung aus Italien in die afrikanischen Provinzen mehr gegeben. So konnte mittlerweile sogar nachgewiesen werden, dass selbst in den Städten des prokonsularen Afrika, wo der römische Einfluss unzweifelhaft am intensivsten war, unzählige römische Inschriften tatsächlich lateinische Um- bzw. Übersetzungen einheimischer Namensformen aufwiesen, wobei daneben natürlich dennoch indigene Namen öffentlich weiter, wenn auch in abnehmendem Maße, beibehalten wurden. Demgegenüber war die Vorrangstellung überkommener einheimischafrikanischer Kulturformen in der Numidia oder den Mauretaniae, wo die infrastrukturelle Erschließung weit weniger fortgeschritten, die Dichte der Städte sehr viel geringer sowie der Anteil italischer Einwanderer an der Gesamtbevölkerung noch niedriger gewesen sind, immer evident. Gleichwohl ist die Anziehungkraft der römischen Zivilisation zunächst bei einheimischen Eliten immens gewesen, ob es sich um Nomaden oder sesshafte Bevölkerung handelte, so dass nach einigen Generationen eine Unterscheidung von Nachfahren ursprünglich italischer Immigranten kaum mehr möglich war8. Der Prozess temporärer nomadischer Stammesverbände Mattingly (1983) 96-108; Shaw (1982/83) 25-33; vgl. auch Burian (1964) 420-549. 5 Zum punktuellen Charakter solcher ‚Aufstände’, die sich niemals gegen die römische Besatzung per se richteten, Kolb (1977) 440-478 und ebenso Shaw (1981 a) bes. 31-38. 6 Mattingly (1992) 31-60. 7 Vgl. hierzu allgemein Cribb (1984) 11-46; Hitchner – Mattingly (1991) 36-55; Leveau (1988) 177-195. 8 Prominentes Beispiel hierfür sind die Memmii aus Gigthis, die sich auf einen Urahn zurückführten, dessen Name und der seines ansonsten unbekannten Stammes inschriftlich überliefert sind: CIL VIII 22729 L.

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MEMMIO L. F. QVIR. PACATO FL. PERP. DIVI TRAIANI CHINI THIO IN QVINQVE DECVRIAS A DIVO HADRIANO ADLECTO CHINITHI OB MER ITA […] ET PIETATEM QVA NATIONI SVAE PRAE STAT […] POSVERVNT; vgl. auch CIL VIII 22471, 22718, 22719; Lepelley (1979-81) II 368-371; zu den Gabinii aus Thugga ILT 1511-1513; CIL VIII 26517; Broughton (1929) 59 Anm. 83, allerdings ist von A.D. 48 und nicht von 48 B.C. auszugehen. 9 Wie dies beispielsweise an einer christlichen Inschrift von 320 aus Cirta deutlich wird, in der von einem PROFESSOR ROMANARVM LITTERARVM/ GRAMMATICVS LATINVS die Rede ist, dem Sohn eines decurio aus Cirta und dem Enkel eines Mauren, der als Soldat im comitatus gedient hatte; zu dieser ‚Familiengeschichte’ auch Appendix I zu Opt. (CSEL XXVI 185). 10 Zur Geographie Morizot (1979) 309-337; Morizot (1990) 429-446; Morizot (1993) 177-240. 11 Hierzu Fentress (1979) 32-56; Shaw (1983) 133-157. 12 Vermittels ausgedehnter und effektiver Bewässerungssysteme, zu diesen grundsätzlich Shaw (1991) 63-91; Shaw (1984) 121-173; Hitchner (1997) 37; bes. für den archäologischen Befund Mattingly (1996) 111-158. 13 Daneben existierten aber selbst in der Spätantike in diesen Provinzen noch Regionen, besonders in den Gebirgszonen, in denen maurische Stämme in nahezu völliger Unabhängigkeit von römischer Herrschaft und Zivilisation weiterleben konnten, hierzu Nollé (1982) 152f.; Nollé (1999) 107ff.; Shaw (1981 b) 58-62;

Romanitas und Latinitas

nicht anzutreffen. Die Isolation dieser Region im Inneren des vandalischen Herrschaftsgebietes bedingt wohl in erster Linie diesen Umstand, der deswegen eindrucksvoll den römischen kulturstiftenden Einfluss der vorausgegangenen Jahrhunderte zu zeigen vermag18. Eine ähnliche Serie christlicher Inschriften zwischen 599 und 655 stammt aus Volubilis, d.h. sie reicht bis kurz vor die arabische Invasion 19 , also in eine Zeit lange nach der Aufgabe der römischen Provinz Mauretania Tingitana. Für die Zeit vor der ersten Inschrift dieser Serie, also vor 599, sind für Volubilis und dessen Umgebung bislang keinerlei christliche Hinterlassenschaften bekannt, was allerdings nicht als Indiz dafür angesehen werden darf, dass es in der Tingitana vor dem 7. Jh. keine Christen gegeben hätte 20 . Ebenso wie die Inschriften der westlichen Caesariensis weisen auch die Funde aus Volubilis lange nach dem Ende römischer Herrschaft nach wie vor durchgängig die Datierung nach Provinzjahren auf21. Es wird daher wahrscheinlich, dass sich Wachstum und Ausbreitung des Christentums in diesen ‚rauheren’ Regionen Mauretaniens, die bereits während der römischen Periode nur virtuell unter administrativem Einfluss der Besatzungsmacht gestanden hatten, gleichsam ungestört vom Zusammenbruch der römischen Herrschaft in Nordafrika vollziehen konnte, wann immer dieser Zusammenbruch hier auch erfolgte. Augenscheinlich änderte sich an der soziopolitischen Disposition der Mauren durch den Wechsel der Besatzungsmacht von Römern zu Vandalen de facto nichts, so dass auch die lateinische Sprache zumindest für religiöse Zwecke22 weiter gepflegt wurde. Auch Männer

2. Mischkultur Eine beachtliche Zahl von Inschriften, die zwischen dem 5. und 7. Jh. gesetzt wurden, untermauern die Annahme einer Nachhaltigkeit römischer Zivilisation bei maurischen Bevölkerungsgruppen in den westlichen Provinzen Nordafrikas, als dies bislang vermutet wurde. Von nahezu 70 christlichen Inschriften aus der Caesariensis, die in die Zeit zwischen 450 und 651 fallen, stammen allein 50 aus dem Gebiet westlich des Oued Chelif, vorrangig aus Pomaria, Altava und Albulae 14 . Bemerkenswert erscheint, dass das Latein dieser Inschriften nicht schlechter ist als das zeitgenössischer Inschriften der mehr romanisierten Provinzen des afrikanischen Ostens. Die genannten Personen, gleichermaßen Männer wie Frauen, tragen lateinische Namen – gewöhnlich nur zwei, was bereits lange Brauch in Afrika war 15 , wobei einige ältere Inschriften durchaus auch noch die traditionellen tria nomina aufweisen können 16 . Die formula dieser Inschriften nennt zunächst den Namen des Geehrten selbst, dann deren Stifter, üblicherweise mit dem Zusatz domus aeternalis oder aeterna versehen. Diese Reihenfolge ist Ausdruck einer konservativen epigraphischen Praxis, die in jener Zeit in Afrika tatsächlich nur noch in der Caesariensis anzutreffen war 17 . Der auffällige Konservatismus der lokalen westmauretanischen Inschriftenpraxis kommt zudem durch die immer wiederkehrende Verwendung der Floskel D(IS) M(ANIBVS) S(ACRVM) zum Ausdruck, die trotz paganen Ursprungs kurzfristig in ganz Afrika gebräuchlich war, jedoch bereits seit dem Ende des 3. Jhs. ‚aus der Mode’ kam und nur hier weiter die Regel blieb. Auch sind spezifisch christliche Vornamen des 5. Jhs., die sich im restlichen Afrika sowie auch im Gesamtreich in katholischen Kreisen ausgesprochener Beliebtheit erfreuten, wie beispielsweise Adeodatus oder Deusdedit, in den Inschriften des westlichen Mauretanien

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Ein charakteristisches Beispiel für die in der Caesariensis vorzufindenden Inschriften ist D M S/NONNEA PRIMA/VIX(it) AN(nos) LXXX/CVI FILI(us) FECIT/DOM(um) ETERNALEM/AN(no) (provinciae) DX VIII, CIL VIII 9939 aus Pomaria, 547; bemerkenswert ist die nach Provinzjahren vollzogene Datierung noch lange nach dem Ende der direkten römischen Herrschaft – obwohl die bezeichneten Provinzen formal lange nicht mehr existierten, wurden sie von den Einheimischen gegenüber den Vandalen weiter erhalten. 19 Sjoström (1993) 55-57; Carcopino (1936) 105f.; Riße (2001) 110-112. 20 So sind durch die Passio Marcelli, AnBoll 12, 1923, 2603-2605, durchaus Christen in der Region von Tingi bereits während der Regierungszeit des Diokletian bekannt. 21 Diese Praxis ist möglicherweise vergleichbar mit der Datierung von Monumenten in kleinen Regionen von Burgund nach dem Konsulat des Justinus (540) und des Basilius (541) noch bis ins 7. Jh.; hierzu Le Blant (1856/65) bes. Nr. II, LX und LXXI. 22 In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich auf die Sprachenverwendung am limes in der Tripolitania zum Ende des 4. Jhs. verwiesen, wo sämtliche aus dieser Zeit stammenden lateinischen Graffiti christlicher Provenienz

Gutsfeld (1989) 126-156; Witschel (1999) 182-238; Cherry (1998) 75-100; Whittaker (1978) bes. 347-351. 14 Für die Inschriften vgl. ILCV III 270-272; diese Inschriften sind auch überzeugende Belege dafür, dass vor dem Einfall der Vandalen die römische Herrschaft über die gesamte Caesariensis andauerte und keineswegs der Westen ausgenommen war bzw. sogar bereits unter Diokletian geräumt worden sei: Hier ist Salama (1966) 1291 zuzustimmen, der feststellt, dass diese Provinz zumindest „für die ersten 60 Jahre des 4. Jahrhunderts ein verwaltungsmäßig und militärisch homogenes Ganzes“ darstellte; u. a. gegen Kadra (1979) 281. 15 Vgl. hierzu CIL VIII 2403; 17824; deutlicher wird dies auch durch das sog. ‚Album von Thamugadi’, hierzu Horstkotte (1988) 237-246; Witschel (1995) 266-331. 16 So beispielsweise CIL VIII 9966 aus Numerus Syrorum aus dem Jahre 402. 17 Wenngleich es auch einige Beispiele aus Italien gibt; zu diesen vgl. bereits Carcopino (1936) bes. 106-108.

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und Frauen trugen weiterhin lateinische Namen, was besonders für Volubilis23 nennenswert erscheint, sind hier doch die Inschriften nahezu 300 Jahre nach dem Ende römischer Präsenz entstanden. Frappant ist die Ähnlichkeit im Aufbau der Inschriften aus der Caesariensis und aus Volubilis. Nicht unwahrscheinlich wird dadurch auch die Annahme, dass die gesamte Region westlich des Chelif zum Stammesgebiet der Baquaten gehörte, deren Metropole vermutlich Volubilis war. Nun waren die Baquaten dann also christlichen Glaubens und standen unter erheblichem Einfluss der Nachwirkungen und Prägung römischer zivilisatorischer und kultureller Hegemonie, völlig unabhängig von deren physischer oder politischer Präsenz in der Region24. Die Beziehung zwischen Mauren und in der Region verbliebenen romanisierten Bevölkerungsteilen wird zudem durch ein weiteres epigraphisches Zeugnis deutlich. Es stammt aus Altava und ist ins Jahr 508 zu datieren25: PRO SAL(ute) ET INCOL (umitate) REG(is) MASVNAE GENTIVM MAVR (orum)/ET ROMANOR(um) CASTRVM EDIFIC(atum) A MASGIVINI PREF(ecto) DE SAFA RI/IDIR PROC(uratore) CASTRA SEVERIANA QEVM MA SVNA ALTAVA POSVIT/ET MAXIMUS PROC VRA TOR ALT(avae) PERFECIT/P(ositum) (anno) P(rovinciae) CCCCLXVIIII. Die Inschrift wurde etwa 20 Jahre nach dem Aufstand der Mauren gegen die Vandalen und etwa 80 Jahre nach der nordafrikanischen Invasion der Vandalen gesetzt26. Obwohl der König ein maurischer

Fürst ist und die Römer erst an zweiter Stelle erwähnt werden, bedeutet ihre reine Nennung in Verbindung mit dem römischen Duktus der Inschrift bereits, dass das Römische nach wie vor ein bedeutendes Element des kulturellen und sozialen Selbstverständnisses dieses Stammes darstellte 27 . Sowohl die Inschriften maurischrömischer Könige als auch die zuvor beschriebenen christlichen Epitaphe zeigen überaus deutlich die enorme Kraft und Kontinuität der Attraktivität römischer Zivilisation und des mit dieser einhergehenden Christentums für zumindest semi-barbarisch zu nennende Stämme und Bevölkerungen unterschiedlicher nordafrikanischer Gebirgsregionen, die diese Kulturformen völlig zwanglos adaptiert hatten28. Ausdrücklich sei in dieser Hinsicht darauf verwiesen, dass diese Personengruppen zu keinem Zeitpunkt ‚Römer’ im politischen oder ethnischen Sinne gewesen sind. De iure maurischen ‚Reiches’ auf die von den Römern etablierte Verwaltung, d. h. die Provinz Caesariensis, gegenüber den Vandalen ungebrochen zeigt; vgl. zur Inschrift wie generell zum Djedar A Kadra (1979) 269; die gleichrangige ‚Verschmelzung’ indigener und römischer Kulturformen, die kaum Synkretismus genannt werden kann, wird zudem durch die ‚libysche’ Verwendung lateinischer Buchstaben, wie in dieser Inschrift von rechts nach links geschrieben, ersichtlich, so Cadenat (1957) 94 sowie 98 mit Abb. 3. 5; vgl. auch ein Beispiel aus Ksar Kaoua Ende des 4. Anfang des 5. Jhs. nach Gsell (1901) Bd. 1, 102-106; grundsätzlich Kadra (1979) 271f. bes. Anm. 13. 27 Die Nutzung römischer Titel durch die Vandalen war nämlich ebensowenig unüblich wie die Indienstnahme von Mauren, hierzu Février (1988) 133-147; Camps (1984) 183-218; Pringle (1981) 47-49; Mattingly (1983) 96-108; Desanges (1962); Courtois (1954); bei der Differenzierung der Begriffe ‚Römer’ und ‚Maure’ im 5. und 6. Jh. ist Courtois (1955) 326, rechtzugeben, der bemerkt, dass „die Lebensweise […] das sicherste Unterscheidungskriterium dar [stellte]“. Römer war vor allem derjenige, der dem Stadtleben und gleichzeitig der Kultur treu blieb, die Rom eingeführt hatte, nämlich dem Latein und dem Christentum. Maure ist im Gegensatz dazu derjenige, der in seinen Stammestraditionen verwurzelt blieb, nicht zweisprachig war und den die Bekehrung nicht in dem Maße wandelte, um aus ihm einen wirklichen Römer zu machen; Chatillon (1955) 371-388. 28 Diese Epitaphe sind es dann auch, die ebenso deutlich machen, dass christliche Elemente in indigenen nordafrikanischen Kontexten keineswegs zwangsläufig eine nachrömische Entstehung beweisen; in dieser Hinsicht ist besonders Kadra (1979) 264 zu widersprechen, die fälschlich einen kausalen Zusammenhang zwischen christlichen Motiven und Entstehungszeit herstellt: Gerade nach den ‚turbulenten’ christlichen Ereignissen des afrikanischen 4. Jhs. ist eine solche Aussage kaum vertretbar.

sind, die libyschen stammen jedoch aus paganem Kontext; vgl. hierzu auch Ward-Perkins (1976) 24-29; Février (1973) 157. 23 Besonders auch durch den Wortlaut eines Epitaphes einer Frau aus Volubilis DE ALTAVA KO[o]PTIVA. 24 Vgl. hierzu bereits Carcopino (1936) 110; auch die arabischen Invasoren bezeichneten die Baquaten alsbald als ‚Römer’; Kuhoff (1993) 55-57. 25 CIL VIII 9835; vgl. auch Marcillet-Jaubert (1968) Nr. 194; auf den interessanten Aspekt der in indigenen Kontexten ansonsten völlig unbekannten Heroisierung des Fürsten und der naheliegenden Annahme einer maurischen Adaption des römischen Kaiserkultes kann hier leider nicht näher eingegangen werden; den in diesem Zusammenhang bereits von Aymard (1951) 523558 geäußerten Überlegungen ist zuzustimmen; vgl. ebenfalls Février (1973) 157. 26 Courtois (1955) 88-109 und passim; außerdem hängen alle genannten Orte tatsächlich auch in der Umgebung von Altava zusammen; Lepelley (1979-81) II 522-534; die berberischen Djedars in der Gegend von Tiaret dokumentieren die Nachhaltigkeit der römischen ‚Prägung’ berberischer Stämme überdies sehr deutlich; der größte dieser Grabhügel weist beispielsweise eine lateinische Inschrift auf, deren fragmentarischer Erhaltungsgrad zwar keine Aussagen über ihren Inhalt zulässt, allerdings durch das erkennbare provincia, wie bei CIL VIII 9835 (Anm. 25), den Bezug auch des

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Romanitas und Latinitas

gehörten sie zwar während der römischen Herrschaft über Nordafrika zum Reich, de facto aber waren sie ihren Besatzern in dieser Zeit kaum unterworfen. Ihre Kontakte mit römischer Zivilisation und deren Kulturformen beschränkten sich auf gelegentliche Berührung mit Grenztruppen 29 , die die Siedlungsgebiete in der Umgebung der limites überwachten, aber nicht in sie vordrangen oder in weit erheblicherem Maße auf ihre arbeitstechnische Einbindung in die römische Agrarindustrie der Spätantike.

Marktinschrift sicherlich eine vorseverische Setzung 34 35 . Die Inschrift lautet ausschließt 36 37 NVNDINA /ANNV(as) QVOD /PRAECEPIT/IOVIS38 ET IV/BA 39 ET GENIVS VANISNESI/QVOD PRECEPE/RVNT DII INGI/ROZOGLEZIM 40 . 34

3. Romanitas Auch wenn bereits in vorrömischer Zeit im nordafrikanischen Hinterland Tausende rurale periodische Märkte existiert haben dürften, gibt es dennoch nur sehr wenige Anhaltspunkte aus der Epoche afrikanischer Königtümer, die über ihre Strukturierung näheren Aufschluss geben könnten30. Ein singuläres Bespiel eines ausschließlich indigenen Marktes während der römischen Herrschaft in Afrika illustriert deren Funktionsweise wohl am authentischsten 31 . In der von den Folgen römischer Besatzung weitgehend unberührt gebliebenen Region von Hassawana, die in den Hügelketten des allenfalls virtuell kontrollierten MejƗna – Plateaus unmittelbar westlich von Sitifis gelegen war32, fand sich eine von regionalen Stämmen gesetzte lateinische Inschrift, die deren Markt(-ort) nach römischem Vorbild bezeichnete. Die Einheimischen beabsichtigten durch diese Anleihe bei der gegenüber der eigenen als weiterentwickelt empfundenen Kultur vermutlich die Aufwertung ihres Handelsplatzes 33 . Generell kann man davon ausgehen, auch wenn die Inschrift kaum absolut zu datieren ist, dass die Verwendung der lateinischen Sprache in Verbindung mit der römischen Praxis einer 29

In diesem Zusammenhang wird immer die sog. ‚Barbarisierung’ des römischen Heeres in der Spätantike als Indiz genannt; eine Entwicklung, die natürlich auch in den afrikanischen Provinzen zu konstatieren ist; vgl. hierzu Speidel (1975) 202-231. 30 de Ligt (1993 a) 120ff.; de Ligt – de Neeve (1988) 391-416; De Ligt (1993 b) 253-255.; Nollé (1999) 97-104; MacMullen (1970) 333-341; Banaji (2001) 203-205. 31 Vgl. hierzu bereits Gsell (1911) 285f., Karte 15 (Akbou) Nr. 73 für Befunde im Dreieck von KherbetGuidra, Tassameurt und Hassawana; Gsell (1901) speziell zu Hassawana Bd. 2, 211-213, wonach das Ruinenfeld von Hassawana etwa 13 ha umfaßte; leider hat es in der Region seit Gsell, geschuldet natürlich auch der teilweise komplizierten politischen Situation, bis heute keine weiteren archäologischen Untersuchungen in der Region gegeben; zur Hassawana-Inschrift allerdings auch Nollé (1982) 153-155. 32 Etwa 14 km nord-östlich von Bordj-bou-Arreridj; vgl. auch Fushöller (1979) 433 Karte 36. 33 Wie beispielsweise Schuller (2003) 1-13 zeigen kann.

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Wahrscheinlicher ist demgegenüber, dass sie mindestens 100 Jahre nach dem in der MejƗna Ebene errichteten Landgut gesetzt wurde, da die Region ansonsten sehr wenige und eher qualitativ minderwertige epigraphische Zeugnisse aufweist, von denen CIL VIII 8831 bzw. 20631 aus Sertei aus 211 das früheste absolut zu datierende ist; ein Schriftvergleich bietet keine Anhaltspunkte, ob die Marktinschrift vor 211 geschaffen worden ist. 35 CIL VIII 20627 = 4490 = AE 1894, 96; gelesen nach Gsell (1911) 285f., Karte 15 (Akbou) Nr. 73. 36 Die Ergänzung NVNDIVA(s) von Shaw (1981 b) 51, ist zugunsten der ursprünglich gegebenen Form des Textes abzulehnen, da NVN DINA in afrikanischem Kontext durchaus Parallelen findet, wie beispielsweise aus CIL VIII 8280 = 20077, Nollé (1982) 132-134, ersichtlich wird. 37 Dass die Verfasser das Lateinische nur schlecht beherrschten, zeigt auch, dass das Relativpronomen hier nicht korrekt an das Bezugswort anschließt und auch der Numerus in Zeile drei falsch ist; obwohl mit nundina oder nundinae periodisch abgehaltene Wochenmärkte bezeichnet wurden, war hier wohl tatsächlich nur ein Jahrmarkt gemeint; vgl. de Ligt (1993 a) 62f.; die Funktionsweise antiker periodischer Märkte beschreibt grundsätzlich auch de Ligt (1988) 391-416; Mitterauer (1967) 277. 38 Obwohl der Text von mangelnden Lateinkenntnissen der Verfasser zeugt, ist jedoch die Form Iovis als Nominativ Singular epigraphisch gut belegt, vgl. ILS III 1, 534. 39 Gemeint ist wohl Iuba II., 50 v. Chr. – 23 n. Chr.; vgl. beispielsweise auch Min. Fel. XXIV 1, der bemerkt, dass et perierante Proculo deus Romulus et Iuba Mauris volentibus deus est et divi ceteri reges, sowie Lact. inst. I 15, 8, wenn er sagt, dass hac scilicet ratione Romani Caesares suos consecraverunt et Mauri reges suos; privatim vero singuli populi gentis aut urbis suae conditores, seu viri fortitudine insignes erant seu feminae castitate mirabiles, summa veneratione coluerunt, ut Aegyptus Isidem, Mauri Iubam, Macedones Cabirum, Poeni Uraniam, Latini Faunum, Sabini Sancum, Romani Quirinum; Coltelloni-Trannoy (1997) bes. 67-118. 40 Die von Nollé (1982) 154f. vorgenommenen Ergänzungen VANISNE(n)SI(um) sowie INGI ROZOGLE(n)ZI(um) sind, abgesehen natürlich von den grammatischen Endungen, kaum erforderlich; vgl. hierzu RE Suppl. III, 1918, Sp. 1239 ‚Ingirozoglezim’; ablehnend zu den Konjekturen von Nollé auch de Ligt (1993 a) 62f. bes. Anm. 31; ähnlich Shaw (1981 b) 50-53, der zudem auf einen Presbyter Vannidensis hinweist, der im 5. Jh. in einer Bischofsliste erscheint; der genius

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Besonders die (scheinbare) Kuriosität dieses Textes gilt es zu untersuchen, wobei zunächst davon auszugehen ist, dass es sich kaum um einen regelmäßigen Markt gehandelt habe dürfte, sondern die Intervalle vermutlich größer gewesen sind, da dieser Ort ja dem Einfluss der Römer und somit auch der Möglichkeit der Übertragung des italischen Marktzyklus entzogen war41. Signifikantes Merkmal dieser Marktproklamation, neben dem mäßigen Latein, ist das Fehlen jeden Hinweises, der das Einholen bzw. die Gewährung einer Genehmigung durch die römischen Behörden anzeigte. Denn wie der Text der Inschrift impliziert, wurde diese nundina auf Anweisung der genii loci eingerichtet. Außer Iuppiter und Iuba werden der genius Vanisnesi und die dii Ingirozoglezim genannt 42 , so dass zunächst durchaus der Eindruck entstehen kann, dass diese Stämme durch die ausdrückliche Erwähnung von Iuppiter an der Spitze der an der Einrichtung beteiligten Götter sowie als creator des Marktes zu einer Konzession an die herrschende römische Zentralmacht bereit waren und sich ihr unterordneten. Tatsächlich muss aber vor dem Hintergrund der intensiven Verehrung des Saturn durch afrikanische Gruppierungen auch in der Region von Hassawana wohl eher davon ausgegangen werden, dass in dieser Inschrift eine Gleichsetzung von Iuppiter und Saturn vorliegt 43 . Nachdem die einheimischen Stämme

damit also zunächst das Oberhaupt des afrikanischen Pantheon angerufen hatten, folgt der Name des Iuba, bei dem es sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit um die Apotheose Iuba II. gehandelt haben muss, der als einer der letzten indigenen Herrscher diesen Teil der Mauretania regierte44. Beim folgenden genius Vanisnesi, also dem Geist des Vanisnesus, stellt sich die Frage, um wen oder was es sich dabei gehandelt haben könnte, wobei vermutlich lediglich der Name des Ortes, an dem der Markt stattfand, bezeichnet war. Denn die Verehrung solcher genii loci von Bergen, Quellen, Felsen, Höhlen und selbst Bäumen war ein weithin verbreitetes Phänomen afrikanischer Kultpraxis in der Antike. Dennoch ist natürlich nicht gänzlich auszuschließen, dass mit diesem Namen auch ein Individuum bezeichnet wurde, beispielsweise ein heiliger Mann, der im Kontext des Marktes und zu dessen Schutz verehrt worden ist45. An letzter Stelle werden Götter mit dem exotischen Erscheinungsformen des Saturn, nämlich Nutrix, Iupitter und Tellus; schließlich auch Le Glay (1961) 2, 268 = CIL VIII 8434 (ähnlich auch CIL VIII 20340) des Jahres 234 aus Sitifis sowie CIL VIII 8432 und 8433, beide von 236; grundsätzlich zum afrikanischen Phänomen der Verschmelzung beider Gottheiten Le Glay (1961) 1, bes. 336 = CIL VIII 16523 = Inscritions Latines de l’Algérie I. 3006 (Henchir Rohban); Le Glay (1961) 1, 339 = CIL VIII 10624 = Inscritions Latines de l’Algérie I. 3005; Le Glay (1961) 1, 348f. = RSAC 55, 1923/24, 215f. (Tébessa); Le Glay (1961) 1, 349 = Inscriptions Latines de l’Algérie I. 3473 (Henchir Gûnfida); es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass generell alle gleichsetzenden Identifikationen von römischen Stiftern, alle synkretistischen jedoch grundsätzlich von Afrikanern vorgenommen worden sind; Desanges (1999) 181-196; vgl. in diesem Zusammenhang für das nahegelegene Hamm-âm-Guergûr Le Glay (1961) 2, 289, Nr. 95; für ǥAïn Rousa, Le Glay (1961) 2, 286f., Nr. 93 und das bereits erwähnte ǥAzziz-ben-Tellis vgl. zudem Tayeb – Berthier (1970) 301-312; in Nordafrika war auch die Gleichsetzung von Baal Hammon und Iupiter verbreitet, wie CIL VIII 9018 = ILS 4428 aus Auziae in der Caesarienis zeigt [pan]THEA CORNIGERI SACRIS ADIVNCTA TONAN TIS/ [q]VAE LIBYCVS MAVRISQVE SIM VL VENERABILIS ORIS [his] ETIAM COLI TVR TE[rr]IS/ QVAM IVPPITER HAMMON [inter] VTRVMQVE LAT[us] M[e]DIAM CV M DITE SEVERO [dext]ER SEDE TEGIT; Vössing (1997) 245-247. 44 Hierzu Toutain (1920) bes. Bd. 3, Kapitel 1: Les cultes africaines, 39f.; Camps (1960) 279-287; Camps (1961) 548-559; Boube (1966) 91-108 zeigt, dass sein Kult in der Tingitana sogar bis ins 5. Jh. überdauerte. 45 So ist beispielsweise für das Jahr 484 ein Presbyter des Namens ‚Vannidensis’ aus der Liste der Bischöfe der Caesariensis bekannt, Mesnage (1912) 347; Maier (1973) 237; Gsell (1911) 286 zur christlichen Basilica von Hassawana, Plan und Abb. 103.

Vanisnesus ist der Geist eines Ortes und nicht der eines zweiten Stammes. 41 Obwohl hier mit nundina sicherlich im entfernten Sinne des Wortes wohl tatsächlich eher ein indigenruraler ‚Jahrmarkt’ bezeichnet gewesen sein dürfte, ist dessen ungeachtet Mitterauer (1967) 277 Recht zu geben, der im Zusammenhang mit sog. ‚Kastell-Märkten’ – gemeint sind mittelalterliche Märkte in der Nachfolge antiker Wochenmärkte bei limes - Kastellen – feststellt, dass „zur Zeit ihrer Aufzeichnung [gemeint: eine lateinische Inschrift (der Verf.)] unter nundinae keineswegs jährlich abgehaltene Markttreffen verstanden [wurden]. Dieser Wortgebrauch kam erst im Mittelalter auf“; anders beispielsweise Shaw (1981 b) 51; ebenso de Ligt – de Neeve (1988) 398ff.; vgl. zum italischen System periodischer Märkte de Ligt (1993 b) 238-262 sowie MacMullen (1970) 333-341. 42 Fentress (1978) 507-516. 43 Zu Jupiter als Schutzgott der nundinae bereits Plut. Rom. 42; Macr. Sat. I 16, 30 sowie beispielsweise auch CIL III 3936 = 10820 = ILS 7116 des Jahres 238 aus Siscia in Oberpannonien, wo es heißt „I(ovi) O(ptimo) M(aximo)/ N(undinario)“; zur Gleichsetzung der beiden Gottheiten Jupiter und Saturn in Afrika Le Glay (1966) 233-236; in diesem Zusammenhang ebenfalls Le Glay (1961) 2, 310f. = CIL VIII 9195 des Jahres 259 aus Rapidum für die Identifikation von Saturn mit dem numen Iovis durch einen römischen Ritter, der Präfekt eines gens Masat[...] gewesen ist; außerdem Le Glay (1961) 2, 63 = CIL VIII 8246 = ILS 4477 aus Idicra (ǥAziz-ben-Tellis), einer Dedikation an gleich drei

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Namen ‚Ingirozoglezim’ angeführt, die außer in dieser Inschrift völlig unbekannt sind. Obschon man daher gewiss hinsichtlich ihrer Funktion und Rolle keineswegs absolute Aussagen treffen kann, implizieren Form und Art der Namensgebung durchaus Ähnlichkeit zu weiteren ausschließlich aus Afrika bekannten Gruppen von Gottheiten – die dii mauri, dii magifae, dii macni bzw. die dii gaetulorum seien hier genannt –, dass es sich auch bei ihnen um eine Sorte ethnischer oder regionaler Götter gehandelt haben dürfte, allerdings einzigartig in einer Inschrift und in lateinischer Sprache46.

Kulturformen wahrgenommen werden, weder geographisch noch ethnisch zusammenpassen. Der Ansatz vom Wiedererstarken der einheimischen Aspekte in den afrikanischen Provinzen, denen ein antirömischer Separatismus immer latent inhärent gewesen, der aber erst im Rahmen der Christianisierung im 4. Jh. durch den Donatismus gebündelt worden sei, verliert durch diese Diskrepanz zwischen literarischer und materieller Überlieferung erheblich an Überzeugungskraft. Die ungewöhnlich große Zahl christlicher Kirchen, die im südlichen Numidien gefunden werden konnten, gibt beredtes Zeugnis davon, dass durchaus einheimische handwerkliche Fertigkeiten in ihren traditionellen Erscheinungsformen weiterexistierten und auch eine indigene Kultpraxis, deren Kontinuitäten von vorrömischer Zeit bis in die islamische Epoche reichte. Einflüsse auf die Ausübung des Christentums in diesen Gebieten sind daher nicht unwahrscheinlich, müssen aber sowohl für dessen katholische als auch donatistische Variante eingeräumt werden52. Von der Kirchendichte in einer ansonsten schwach besiedelten Region sind immer wieder Rückschlüsse auf deren Gesellschaft gezogen worden 53 . Bedauerlicherweise aber wurden neuzeitliche französische Standpunkte gegenüber berberischen Siedlungsformen und deren Wahrnehmung eins zu eins auf die Situation von Römern und Einheimischen im Afrika der Spätantike übertragen. Dass dieses Vorgehen sehr zweifelhaft ist, vermag allein schon daran gezeigt werden, dass die für die an Hand der Inschriftenfunde oder anderer archäologischer Hinterlassenschaften zu konstatierenden antiken indigenen Siedlungsgebiete nicht mit denen der heutigen Berber beispielsweise in Algerien übereinstimmen54. Einig sind sich die Befürworter dieser Ansätze darin, dass die Auswirkungen, die das Wiedererstarken einheimischer Kulturen und das Christentum gewissermaßen als deren Katalysator auf das soziale und politische Klima des römischen Nordafrika besonders im 4. Jh. wirkten, so erheblich waren, dass den Vandalen letztlich nichts entgegengesetzt werden konnte, ja diese von Teilen der afrikanischen Bevölkerung sogar begrüßt wurden, da sie die ‚verhasste’ Besatzungsmacht beseitigten 55 . Es herrscht leider viel zu oft die holzschnittartige, unscharfe und nicht zu belegende Auffassung, dass die Ausbreitung des Christentums in Afrika seit dem 3. Jh. einerseits und der andauernde Gegensatz zwischen Katholiken und Donatisten im 4. Jh.

4. Afrikanisches Christentum Häufig sind es nur Mutmaßungen, die den Aufstieg des Christentums in Afrika mit dem Wiedererstarken indigener lokaler Kulturen verbinden. Deren Wiederaufleben, so wird argumentiert, könne nicht nur den raschen Zerfall der römischen Herrschaft und Ordnung mit der Invasion der Vandalen seit 429 erklären, sondern auch das völlige Verschwinden der römischen Zivilisation und des Christentums in Afrika im Frühmittelalter 47 . Die lokalen Kulturen der Region werden konnotiert mit den vermeintlich bis in die Spätantike überlebenden einheimischen Sprachen, so dem Punischen auf der einen Seite und dem Libyschen auf der anderen, wobei letzteres leider allzu oft unter Inkaufnahme einer kaum zu übersehenden Unschärfe als antikes Äquivalent der neuzeitlichen Berbersprache betrachtet wird. Die Evidenz für das Überleben des Punischen beispielsweise, der lingua Punica, ist jedoch in erster Linie literarischer Natur, Augustinus 48 und Procopius 49 sind die Protagonisten dieser Annahme. Demgegenüber ergibt sich eine Evidenz für das Libysche anscheinend einerseits aus der Interpretation libyscher Inschriften, allerdings nicht nur solcher der Spätantike und der christlichen Epoche50, und andererseits aus der angenommenen Kontinuität sowohl indigener Kultpraxis als auch ebensolcher Handwerkskunst, die gleichermaßen anzutreffen seien in christlichen Kirchen Numidiens 51 . Augenfällig wird rasch, dass die Gebiete, die für den indigen punischen Sprachraum gehalten werden können und die, in denen Aspekte vorrömischer libyscher 46

Vgl. Gsell (1913/29) Bd. 6, 135-138; Camps (1960) 287; zu den dii Mauri bereits Camps (1954) 233-260; zuletzt Fentress (1978) 507-516; dii Manci erscheinen in CIL VIII 8023 = 19981 = ILS 4136 aus Rusicade; dii Magifae schließlich kommen beispielsweise in CIL VIII 16749 = ILS 4493 = Inscritions Latines de l’Algérie I. 2977 aus Tinfadi (Henchir Mekkides) vor. 47 Brown (1961) 83-101; MacMullen (1966) bes. 12f.; MacMullen (1967) 202-241; Vössing (1997) 245-247. 48 Bereits Green (1951) 179-190; Röllig (1980) 185-187. 49 Prok. Vand. II 10. 50 Beispielsweise Galand (1966) Nr. 1-27; Röllig (1980) 185-187. 51 Ausgehend von Frend (1942) 342-352.

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Shaw (1981 b) 54-56. Ausgehend von den archäologisch bahnbrechenden Untersuchungen Berthiers (1943) mit falschen Schlußfolgerungen 220-224; vgl. auch Mattingly (1996) 128-130; auch Frend (1971) 52-59; heute besser mit der Beschränkung auf archäologische Befundbeschreibung Duval – Gui – Caillet (1992) Bd. 1, 47-50. 54 Zu Berbern auch bereits Dermenghen (1954) 43; Sjoström (1993) 142-167; Drague (1951) 93-102. 55 Hierzu Brown (1961) 255; Markus (1972) bes. 30f. 53

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andererseits mit der fortschreitenden Schwäche der römischen Eliten in den Städten koinzidierte, hinreichende Kontrolle über die wenig romanisierten Bevölkerungen der ländlichen Regionen auszuüben. So hätte sich also der Donatismus geradezu zwangsläufig mit der auflebenden einheimischen Kultur der ländlichen Bezirke besonders in Numidien sowie der unteren Schichten in den Städten verbunden, während der Katholizismus in seiner tradierten Verbindung mit der römischen Oberschicht, den Großgrundbesitzern und den städtischen Beamten verblieb. Letzterer wurde demnach in der öffentlichen Wahrnehmung der Zeitgenossen mit der Unterstützung des Kaisers und als afrikanische Interessenvertretung der Zentralregierung identifiziert, so dass die Gegner der katholischen Kirche geradezu zwangsläufig zum Fokus der sozialen und politischen Gegensätze werden mussten 56 . Abgesehen vom Fehlen überzeugender epigraphischer Spuren für das Überleben oder die Renaissance entweder des Punischen oder des Libyschen als bedeutenden Sprachen im Afrika der Spätantike 57 , zeigen auch die literarischen Belege nur sehr unzureichend die Relevanz eines indigenen ‚LokalPatriotismus’ und noch viel weniger dessen soziale oder politische Motivierung während der donatistischen Kontroverse 58 . Die ohne Zweifel vorhandenen sozialen

und politischen Dimensionen des Donatismus müssen daher in anderen als ethnischen Aspekten gesucht und überdies viel differenzierter beschrieben werden 59 . Es handelt sich nämlich bei den afrikanischen Erscheinungen des 4. Jhs. nicht in erster Linie um die absichtsvolle Verbindung von Christentum und einheimischen Kulturformen, sondern vielmehr um die Beziehung zwischen Christentum und klassischer Zivilisation als Gesamtphänomen des lateinischen Westens in spätrömischer sowie frühmittelalterlicher Zeit. 5. Latinitas Den Terminus ‚lingua Punica’ verwendet Augustinus überproportional häufig 60 . Dennoch war das Punische eine Sprache, die wohl kein Bischof, ob er nun katholisch oder donatistisch war, ohne einen Dolmetscher beherrschte. So bleibt die lingua Punica bei Augustinus auch konturenlos, da sich die Textstellen nie auf spezifische Phänomene einer Sprache beziehen, sondern nur allgemeine Hinweise auf die ‚linguistische Situation’ der Region um den Bischofssitz geben. Es handelte sich demnach um eine vermutlich überwiegend zweisprachige Gesellschaft 61 . Weitere Erwähnungen der punischen 59

Tengström (1964) widerlegt bereits frühzeitig überzeugend die pauschalen und generalisierenden Bewertungen Frends (1971) durch detaillierte Überprüfung der Quellen; ähnlich in jüngerer Zeit Kriegbaum (1986) 44-82 und Tilley (1997) 135 mit Anm. 19. 60 An insgesamt 21 Stellen soll Augustinus nach Brown (1968) 87 auf die lingua Punica hinweisen, was der Verfasser allerdings nicht überprüft hat; an zwei Stellen bezieht er sich auf Wörter und Konstruktionen, die originär semitisch sind, so Aug. ep. ad Rom. incoh. expos. 13; Aug. enarr. in Ps. 128, 8 (CCL XXXVIII – XL); eine weitere Passage macht deutlich, dass Augustinus selbst kaum in der Lage gewesen sein dürfte, die Bedeutung eines punischen Wortes genau zu erkennen, so Aug. mag. XIII 44; fünf Belege beziehen sich auf die lingua Punica, mit der der Bischof – pragmatisch und somit zwangsläufig – bei seinen Verpflichtungen im Umland von Hippo in Kontakt gekommen ist, so Aug. ep. ad Rom. incoh. expos. 13; Aug. epp. 66, 2; 108, 14; 209, 3 (CSEL XXXIV I 2, 4458); Aug. de haeres. 87 (PL XLII 20-50). 61 Exemplarisch sei hier auf eine Begebenheit hingewiesen, bei der ein einheimischer Landarbeiter eine Unterhaltung, die er auf punisch geführt hatte, umgehend für dieser Sprache nicht mächtige ins Lateinische übertrug, so Aug. ep. ad Rom. incoh. expos. 13; Lardinois – McClure (2001) 149-151; zur generellen Situation nomadischer Bevölkerungen vgl. Shaw (1981 b) 29-50 sowie Whittaker (1978) 331-362; Vössing (1997); Hammerich (1973); die zur Zeit Tertullians noch übliche griechische und lateinische Zweisprachigkeit im 4. Jh. in den nordafrikanischen Provinzen eher selten;

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Hierbei beabsichtigten die Circumcellionen natürlich, dass agrarische System zu zerstören, um der von den afrikanischen Lebensmittellieferungen abhängigen Besatzungsmacht existentiellen Schaden zuzufügen, vgl. Hitchner (1997); auch die ‚Unterstützung’ donatistischer Bischöfe für Usurpatoren wie Firmus und Gildo diente angeblich gezielt und vorsätzlich der Beendigung der römischen Besatzung – das wäre eine für die Antike bemerkenswert weitsichtige Strategie gewesen; obwohl Afrika grundsätzlich nicht allein stand, schließlich kam es auch in Syrien und Ägypten in der Spätantike zu Abspaltungen von der Reichskirche, blieb seine Situation doch singulär; denn sowohl die syrischen als auch die ägyptischen Schismatiker entwickelten zügig eine jeweils eigenständige Ausdruckform ihrer ‚Bewegung’, indem sie ihre lokalen Sprachen verschriftlichten, so beispielsweise das Koptische in Ägypten; solche Phänomena dokumentieren eine fundamentale Abwendung von der römischen Besatzungsmacht; die Donatisten blieben demgegenüber bei der Sprache der vermeintlich ‚verhaßten’ Herrscher, Latein; vgl. hierzu MacMullan (1966) 14 und van Minnen (1995) 13-38; Lardinois – McClure (2001) 149-151; Vössing (1997) 476; Khanoussi – Maurin (2000) 33-47; Rössler (1979) 59-97 und Abb. 576f. 57 Millar (1969) 129; MacMullen (1966) 12f.; wohl im 4. Jh. sind sogar punische Texte in lateinischen Buchstaben gesetzt worden: CIL VIII 10971, 22663, 22664; Röllig (1980) 285-287; Urner (1952) 25-42. 58 Überzeugend dagegen bereits Jones (1959) 280-295; auch Brown (1961) bes. 91-95; Brown (2000); Brown (1963) hierzu bes. 293-297; Grasmück (1964) 52f.

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isoliert und nie im Satzkontext beschäftigte 64 . So erläuterte ihm beispielsweise, als er noch einfacher Priester war, sein Bischof Valerius die Verwendung des Wortes salus durch die Landbevölkerung in der Umgebung von Hippo. In der punischen Sprache nämlich hieß salus ‚drei’ – vergleichbar mit dem hebräischen shalosh. So war für Augustinus klar, dass immer dann, wenn ein Einheimischer das Wort salus in einer Unterhaltung verwendete, dieser zwar einerseits ‚drei’ meinte, andererseits aber auch die lateinische Bedeutung ‚Heil’ immer konnotiert war. Der Kirchenvater sah sich daher, durch die ‚mystische Vorsehung’ der Sprache gewissermaßen an die Verbindung von ‚Heil’ und ‚Dreifaltigkeit’ in einem Wort erinnert 65 . Diese enge Verbindung kam für das Landvolk von Hippo durch die auf Grund göttlicher Vorsehung geschaffene Verbindung zwischen der biblischen Idee des ‚Heils’, salus, mit ihrem Wort für ‚drei’, ebenfalls zumindest lautlich ‚salus’, für Augustinus klar zum Ausdruck. Allerdings darf es keinen Zweifel über die Quelle dieses ‚Heils’ für diese ‚Israeliten von Hippo’ geben – natürlich konnte das nur der katholische Bischof der Stadt sein. Auch stand für Augustinus sicher außer Frage, wie ihm seine Gemeindemitglieder ihre Bitte um salus an ihn vorbrächten. Das Ersuchen würde in Latein vorgetragen und salus war in diesem Fall die katholische Taufe 66 . Denn Augustinus war in der Zeit, nachdem er das Bischofsamt in der Stadt angetreten hatte, wie kaum zuvor in seinem Leben mit dem Problem der Evangelisation und der Bekehrung der Einheimischen durch das gesprochene Wort, die Predigt, befasst 67 . Die lingua Punica war für ihn Hilfsmittel, Zwischenstufe, auf dem Weg zur vollständigen Christianisierung, aber auch zur vollen Latinität der Bevölkerung seiner Gemeinde. Daher war das Punische auch in seinen Predigten immer nur eingebettet in den großen Kontext der lateinischen Kultur wahrnehmbar – es gab nur eine Kultursprache im spätrömischen Afrika, das war Latein68. Denn auch die

Sprache finden sich in den Predigten des Augustinus, beispielsweise bei Kommentaren zu unübersetzten hebräischen Wörtern der Bibel, wie mammon, Edmon, Messias und deren vom Kirchenvater hergestellten Bezug zum Punischen62. Handelte es sich hierbei grundsätzlich zwar um eine eher theoretische Auseinandersetzung mit der Sprache, wird allerdings doch deutlich, warum Augustinus häufig und gern von der lingua Punica gesprochen hat und so seine Sicht der Rolle des Punischen innerhalb der kulturellen Tradition der katholischen Kirche Afrikas zum Ausdruck brachte. Er befasste sich immer nur auf semantischer oder etymologischer Ebene mit ausgewählten, isolierten Begriffen 63 . Das Punische war für Augustinus daher vergleichbar mit dem neuzeitlichen Hang zu Piktogrammen: Er nahm einzelne nomina Punica wahr, mit denen er sich ausschließlich Irwin (1999) 251-260; Habermehl (2000) 174-182; Weber (2000) 157-174; Walde (2001); Seebach (2000) 76-83; vgl. Passio Perpetuae et Felicitatis 13, 4 [...] coepit Perpetua Graece cum illis loqui (zum Märtyrertod der vornehmen Römerin Vibia Perpetua, ihrer conserva Felicitas und drei weiterer Katechumenen in Karthago am 7. März 203; Ermann (2001) 365-377; Divjak – Wischmeyer (2001) 613-627; Text bei van Beek (1936); Baldwin (1984); Roueché (1984); Aldrete (1999); Urner (1952) 25-42); die passio der Perpetua, ein Vorbild für spätere Märtyrerakten, besteht zum Teil aus eigenhändigen Passagen, die von Perpetua und Saturus im Kerker niedergeschrieben worden sein sollen; er wurde noch zur Zeit des Augustinus am Gedächtnistag der überall im Reich verehrten Märtyrer in der Kirche von Hippo vorgelesen, Aug. serm. 280-282, Bremmer (2002 a) 106; Trumbower (2001) 76-90 und 134-136; Gamble (1995) 1-41; Dolbeau (1995) 89-106; Lambot (1949) 249-266; Steinhauser (1997) 244-249; Vict. Vit. hist. pers. I 9; Potter (1993) 53-88; Bergmann – Kondoleon (1999) für den christlichen Kontext 250-261; neben dem umfangreichen lateinischen Original existieren jüngere Auszüge sowie eine griechische Fassung, die wohl eine spätere Übersetzung ist, vgl. neuerdings Bastiaensen (1987) 64-66; Bastiaensen (1988) 130-135; Amat (1996) 51-66; Bremmer (2002 b) 1-44; Musurillo – Miller (1994) 148-183. 62 Zu ‚mammon’ beispielsweise Aug. loc. in hept. I; Aug. ep. ad Gen. I 24; zu ‚Edmon’ beispielsweise Aug. qu. in hept. VII 16; Aug. tract. in Ioh. XV 27; Aug. enarr. in Ps. 128, 8 sowie 136, 18; zu ‚Messias’ u. a. Aug. serm. 113 II, 2; Aug. de serm. dom. in monte II xiv, 47 oder Aug. contra litt. Pet. II civ, 229. 63 Zum Umstand, dass Sprache besonders in Form klassischer Literatur in der Spätantike nur noch als Kunstwerk um ihrer selbst willen betrachtet wurde und nicht mehr als möglicherweise nutzbringender Gebrauchsgegenstand mit praktischen Anwendungsgebieten im eigenen Alltag wahrgenommen wurde, schon Marrou (1938) 25; Lardinois – McClure (2001) 149-151; Vössing (1997) 469-476; Kaster (1997) 32-98.

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So Aug. ep. 17, 2 (CSEL XXXIV I 2, 44-58); auch muss man Augustinus wohl eine eher ‚romantische’, verklärende Attitüde im Zusammenhang mit dem Punischen unterstellen, so wie Marrou (1938) 16 und Mandouze (1968) 676 dies zutreffend festgestellt haben. 65 Aug. ep. ad Rom. incoh. expos. 13. 66 Dass ‚Taufe’ bei diesen Punici Christiani als ‚Salus’ bezeichnet wurde, zeigt sich in Aug. de pecc. mer. et rem. I 24, 34 Optimi Punici christiani baptismum ipsum nihil aliud quam salutem […] vocant; zur christlichen Taufe in Afrika zuerst Tert. de pudic. 22 (CCL II 1279-1330); Cypr. epist. XV 1, 2 (CSEL III 2, 247); Krämer – Bernhard (1988) 152ff.; auch Dassmann (1973) Nordafrika, 153-182. 67 Zur Taufe in der Sicht des Augustinus, auch im Zusammenhang seines Umfeldes, Brown (2000) 213-226. 68 Mohrmann (1994) 76-78; Mohrmann (1932) 1-22; van der Meer (1958) 595-607; in dieser Hinsicht unterschied sich Augustinus übrigens nicht von seinen donatistischen

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spezifische Form des Christentums im spätrömischen Afrika, gleich, ob nun katholisch oder donatistisch, bedurfte einer solchen einheitlichen, konsensualen Kultursprache. So verursachte die Christianisierung Numidiens auch keineswegs das Wiedererstarken irgendeiner indigenen Kultur, sondern lediglich die Ausbildung einer lateinischen, in einer bilingualen Gesellschaft vermutlich sublateinischen, afrikanischen Kultur in einem bemerkenswert breiten Umfang 69 . Die Schwierigkeiten, die zweifelsohne mit der Ausbildung einer populär-lateinischen Kultur für christliche Zwecke zusammenhingen, sind in den Texten des afrikanischen Christentums jener Zeit nachvollziehbar dokumentiert und gehen über das hinaus, was die Verweise auf die lingua Punica isoliert betrachtet suggerieren. Vor dem Hintergrund der missionarischen Situation in den afrikanischen Provinzen ist bei jeder Argumentation, die hinsichtlich der Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Donatisten zunächst den Kampf sozialer Klassen und Ethnien sieht, zu beachten, dass eine solche den schwachen und fragilen Status des Christentums innerhalb einer in der Zeit des Augustinus immer noch in weiten Teilen paganen Welt vollkommen ignoriert. Denn Numidien ist ja keineswegs plötzlich christianisiert worden. Zahlreiche donatistische Geistliche sind im 4. Jh., ebenso wie katholische, unmittelbar aus einem paganen Umfeld konvertiert (worden). Gleichermaßen standen Katholiken und Donatisten am Ende des 4. Jhs. als kleine Gruppierungen nach wie vor in einer übermächtigen, hinsichtlich des Kirchenstreites nicht immer neutralen, Umklammerung der paganen Bevölkerungsmehrheit, die

überhaupt erst noch zu evangelisieren war70. 6. Fazit An Hand dieser kursorischen Beispiele hat sich zeigen lassen, dass Wirkung sowie Nachhaltigkeit römischer Zivilisation bzw. lateinischer Kultur bei indigenen, in Teilen sogar nomadischen Bevölkerungen in unterschiedlichsten regionalen und sozialen Kontexten erheblich waren. Ursachen, Verlauf und Erscheinungsformen dieses Phänomens, das wohl zutreffend als ‚weiche’ Assimilation zu charakterisieren ist, kann man daher mit der ‚klassischen’ Vorstellung von Romanisierung und ihrer Erkennbarkeit kaum gerecht werden. Denn Weite und Unschärfe einer solchen Sichtweise fordern meist die vollständige Absorption provinzialer Bevölkerungen, d.h. die Adaption der artes liberales, des kompletten Spektrums mediterraner Bildung und Kultur also. Diesen Raum zwischen vollständiger Romanisierung und vollständiger Autonomie indigener Gesellschaften, zumindest für Nordafrika zu füllen, war das Ziel der vorliegenden Ausführungen. Die Skizze dieses stufenweise verlaufenden – langen – Weges von einer naturgemäß immer unvollständigen Romanisation bis zur völligen Assimilation, die in der Regel kaum zu erreichen ist, ist so facetten- und farbenreich, dass zukünftig liebgewonnene Topoi bei der Wahrnehmung von romanitas und latinitas auch in anderen Reichsteilen den Blick nicht mehr verstellen dürfen. Bibliographie : Aldrete (1999): G. Aldrete, Gestures and Acclamations in Ancient Rome (1999).

Amtskollegen; grundsätzlich gab es christliche Traditionen, durch die sich die nordafrikanische Kirche von der römischen unterschied; die Unterschiede lagen in der Taufbefragung ebenso wie im Kirchenbau, wobei meist Verbindungen Afrikas zu östlichen Traditionen nachweisbar sind, zugleich aber auch afrikanische Eigenheiten ohne Vorbilder hervortreten; vgl. zu Fragen der Taufe und zum Bekenntnis Badcock (1933) 3-9; Hamman (1972) 99-105; Holland (1970) 126-144 und schließlich zu den Einflüssen auch auf den Kirchenbau Romanelli (1970) 369-371; Mandouze (1987) Bd. 2, 211216. 69 Das Verhältnis zwischen der Kultursprache Latein und der möglicherweise partikular noch indigenen Alltagssprache Punisch ist besonders an Hand der nachlassenden Qualität der punischen Inschriften beinahe eindeutig zu bestimmen, wie auch Röllig (1980) 285-287 zeigt; ähnlich bereits Charles-Picard (1959) 58, anders, zugunsten des Punischen, Simon (1955) 95f.; Brown (2000) 258 zu Augustinus’ Vorstellung der Kultursprache ‚Latein’; zum ‚Sprachenproblem’ im frühen Christentum Bardy (1948) Bd. 1, 32-46; Urner (1952) 25-42; Lardinois – McClure (2001) 149-151; Kotula (1965) 386392.

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Vgl. v. Haehling (1978) 47-63; der immense ‚Bestand’ an pagani wird von Augustinus immer wieder thematisiert, so Aug. catech. rud. XXV 48; Hopkins (1998) 185-226; auch berichtet er immer über Einigkeit in dieser Frage bei Katholiken und Donatisten, so im Zusammenhang mit circumcellionischen sowie katholischen Übergriffen gegen pagane Kultstädten des Hinterlandes Aug. serm. 62, 13; Lepelley (2001a) 345356; Barnes (1995) 135-147; Lane Fox (1986) 400-402.

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Grabarchitektur, Ausstattung und Beigaben als Indikatoren der Romanisierung/Romanisation in der Römischen Provinz Asia am Beispiel des Grabbaues am Theater in Priene von

Hadwiga Schörner

Zusammenfassung:

1. Einleitung: Die Provinz Asia, ihre Einrichtung, Geschichte und Wirtschaft

Gräber und ihre Kontexte geben uns umfangreiche Einblicke in eine mögliche Romanisierung oder auch Romanisation ihrer Grabherren. Das Aufkommen römischer Architekturformen, etwa dem Ädikulagrab, neben kleinasiatischen Grabbautypen geht Hand in Hand mit Arten der Bautechnik, die in Italien entwickelt wurden und sich dann im Osten des Römischen Reiches ausbreiteten, wie die Verwendung von Kalkmörtel. Neben römischen Ausstattungsformen (Grabstatue in der Ädikula) der meist oberirdischen Gräber gelten als deutlichstes Zeichen der Romanisation die Grabbeigaben, die aufgrund ihrer italischen oder kleinasiatischen Herkunft das jeweilige Selbstverständnis des Grabherren widerspiegeln. Dies soll am Beispiel eines intraurbanen Grabes gezeigt werden, das sich durch seinen Erhaltungszustand und seine Beigaben dafür besonders gut eignet, nämlich des Grabes am Theater in Priene an der westkleinasiatischen Küste.

Die Provinz Asia1 ist in ihrem Verhältnis zu Rom durch zwei Grundzüge charakterisiert: zum ersten musste sie nicht militärisch erobert werden, zum zweiten gehört zumindest die Westküste Kleinasiens zu altem griechischem Siedlungsgebiet und somit zu den kulturellen Wurzeln der hellenistisch-römischen Kultur. Die dort ansässigen Griechen besaßen eine einheitliche Religion, eine einheitliche Sprache, wenn auch unterschieden nach Dialekten, eine diese Sprache wiedergebende einheitliche Schrift sowie eine über viele Jahrhunderte dauernde Entwicklung in Wissenschaft und Kunst. Es handelt sich hier also um die maßgeblichen Elemente einer gemeinsamen, in diesem Falle griechischen Identität2. Dass sich die gebildeten Römer dieser Tatsache durchaus bewusst waren, wird in einem Brief Ciceros an seinen Bruder Quintus deutlich, der drei Jahre lang, von 61 bis 58 v. Chr., Prokonsul der Provinz Asia war. M. Tullius Cicero schreibt anläßlich einer Verlängerung des Prokonsulates seines Bruders (Cic. Quint. I 27f.): „Darum bleib mit ganzer Seele und allem Eifer dem von Dir bisher vertretenen Grundsatz treu, alle, die Dir Senat und Volk von Rom auf Gedeih und Verderb überlassen und anvertraut haben, zu achten, in jeder Weise zu schützen und Dich zu bemühen, sie so glücklich wie möglich zu machen. Hätte Dich das Los an die Spitze von wilden Barbarenstämmen, Afrikanern, Spaniern oder Galliern, berufen, Deine Menschenfreundlichkeit würde Dich trotzdem verpflichten, für ihren Vorteil zu sorgen und ihren Interessen, ihrem Wohlergehen zu dienen. Nun sind wir aber über eine Bevölkerung gesetzt, die nicht nur selbst Kultur besitzt, sondern die sie auch, wie allgemein anerkannt, andern vermittelt hat; da müssen wir gewiß vor allem denen gegenüber Kultur beweisen, von denen wir sie empfangen haben. Denn ich scheue mich nachgerade nicht, zumal angesichts unserer Lebensführung und unserer Taten irgendein Verdacht

Abstract: Graves and their contexts give us extensive information about the degree of romanization or self-romanization of their owners. The impact of Roman architectural shapes, like the aedicula, on micro-Asiatic grave types is linked to building techniques, like the use of lime-mortar, developed in Italy and which later spread out to the East. Italic forms of tomb equipment (e.g. grave statues in an aedicula), as well as grave offerings as the most distinctive markers, reflect the self-image of the deceased. For both the Self-Romanization of a member of the local elite and the adoption of micro-Asiatic burial customs by a Roman citizen with foreign origin the grave near the theatre in Priene on the western microasiatic coast could be a fitting example because of its wellpreserved condition of the architecture and the graveofferings.

1

Zu einem Überblick über die Geschichte der Provinz Asia: Bechert (1999) 89-93 mit weiterführender Lit. 2 Zur Identität als elementarer Bestandteil innerhalb der Romanisierung s. den Beitrag der Verf. in diesem Band.

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Hadwiga Schörner

von Laxheit oder Charakterlosigkeit nicht aufkommen kann, offen auszusprechen, daß wir unsre Erfolge der Beschäftigung mit den Wissenschaften und Künsten verdanken, die uns in den Denkmälern und Lehren Griechenlands überliefert sind. Mithin, will mir scheinen, sind wir, abgesehen von der selbstverständlichen Aufgeschlossenheit, die wir jedem Menschen schulden, darüber hinaus diesem Menschenschlag gegenüber besonders dazu verpflichtet, uns zu bemühen, bei denen, deren Unterweisung wir unsre Bildung verdanken, zu betätigen, was wir von ihnen gelernt haben.“3.

Der Erbfall trat nach seinem Tod im Jahr 133 v. Chr. ein, worauf eine römische Delegation unter der Leitung von P. Scipio Nasica für Verhandlungen nach Pergamon reiste. Allerdings musste vor der tatsächlichen Provinzgründung noch der angebliche illegitime Sohn des Attalos II., Aristonikos, niedergerungen werden. Bei der Einrichtung der Provinz im Jahre 129 v. Chr. gehörten zur Asia schließlich die Landschaften Mysien, Lydien, Ionien und Karien sowie die ostägäischen Inseln, Teile Phrygiens kamen wenig später dazu. In den ersten Jahren wurde die Asia allerdings sowohl von den römischen Statthaltern als auch von den Steuerpächtern (publicani) in teilweise extremer Weise ausgebeutet. Die daraufhin entstehende antirömische Stimmung machte sich König Mithradates VI. von Pontos zu eigen, der 88 v. Chr. mit einem Heer einmarschierte und von den Bewohnern der Provinz als Befreier empfangen wurde. Cn. Pompeius Magnus beendete schließlich die Unruhen, indem er sowohl 67 v. Chr. die Seeräuber im östlichen Mittelmeer regelrecht ausrottete, als auch 63 v. Chr. den Mithradates bezwang. Seit dieser Zeit kann man von einer pax romana im westlichen Kleinasien sprechen.

Ein maßgeblicher Unterschied zwischen Asia und jenen anderen von Cicero genannten Provinzen bestand auch in der sehr viel weiter entwickelten Urbanisierung. Die Römer hatten hier die Herrschaft über ein Land übernommen, in dem sie kaum neue Städte gründen mussten, da es schon eine große Anzahl gab, die teilweise seit Jahrhunderten existierten und sich bis zur Ankunft der Römer in späthellenistischer Zeit geformt und entwickelt hatten. Wie aber kann eine Landschaft durch die Herrschaft und das Eindringen der Römer ‘romanisiert’ werden, aus deren kulturellen Grundlagen sich die Kultur der Römer erst entwickelt hatte? Dies erscheint zu Recht auf den ersten Blick paradox.

Im Jahre 27 v. Chr. ordnete Augustus die Provinzen neu, dabei wurde Asia zu einer senatorischen Provinz, die von einem Proconsul verwaltet wurde4. Innerhalb der Städte existierten aber auch weiterhin die althergebrachten städtischen Ämter mit ihren griechischen Titeln, die von den Bewohnern dieser Städte besetzt wurden. Die einzelnen Poleis hatten sich zum Ȁȅǿȃȅȃ ǹȈǿǹȈ zusammengeschlossen. Spätestens seit Beginn der Kaiserzeit war nicht mehr Pergamon die Hauptstadt der Provinz, sondern Ephesos. Erst später zog auch der Statthalter mit seinem Amtssitz nach Ephesos um5. Erst bei der Neuordnung des Reiches unter Kaiser Diokletian wurde die ursprüngliche Provinz Asia aufgeteilt6. Die wirtschaftlichen Faktoren der Asia beruhten vor allem auf ihrer Handelsstärke, da die Provinz neben ihren Bodenschätzen über viele große Häfen verfügte, die zu bedeutenden küstennahen Städten gehörten. Produziert und verhandelt wurden Wolle7, Holz, Marmor8, Keramikund Lederprodukte. Diese wirtschaftliche Stärke hatte

Grundlage für die Ausdehnung der Provinz Asia war das hellenistische Königreich der Attaliden mit der Hauptstadt Pergamon gewesen, das seit dem Frieden von Apameia 188 v. Chr. prorömisch eingestellt war und in den folgenden Jahren deutlich an Staatsgebiet im Osten und Süden hinzugewinnen konnte. Die römische Provinzgründung wurde durch König Attalos III. ermöglicht, der kinderlos geblieben war und sein Reich der Römischen Republik testamentarisch vererbt hatte. 3

Quapropter incumbe toto animo et studio omni in eam rationem, qua adhuc usus es, ut eos, quos tuae fidei potestatique senatus populusque Romanus commisit et credidit, diligas et omni ratione tueare et esse quam beatissimos velis. quodsi te sors Afris aus Hispanis aut Gallis praefecisset, immanibus ac barbaris nationibus, tamen esset humanitatis tuae consulere eorum commodis et utilitati salutique servire; cum vero ei generi hominum praesimus, non modo in quo ipsa sit sed etiam a quo ad alios pervenisse putetur humanitas, certe iis eam potissimum tribuere debemus, a quibus accepimus. non enim me hoc iam dicere pudebit, praesertim in ea vita atque iis rebus gestis, in quibus non potest residere inertiae aut levitatis ulla suspicio, nos ea, quae consecuti sumus, iis studiis et artibus esse adeptos, quae sind nobis Graeciae monumentis disciplinisque tradita. quare praeter communem fidem, quae omnibus debetur, praeterea nos isti hominum generi praecipue debere videmur, ut, quorum praeceptis sumus eruditi, apud eos ipsos, quod ab iis didicerimus, velimus expromere. (Übersetzung H. Kasten).

4

Dem Proconsul standen drei legati pro praetore und ein quaestor zur Seite. 5 Das Selbstverständnis und das Eigengewicht der Poleis läßt sich auch an den vielen Münzstätten in den mehr als 350 Städten ablesen, die autonome städtische Münzen, die sog. „Greek Imperials“, prägten. 6 Die ehemalige Asia wurde zerstückelt: unter der Diözese Asiana verbanden sich sechs Teile, und zwar Hellespontus, Asia, Lydia, Caria sowie Phrygia I und II. 7 Auch in ihrer Weiterverarbeitung, etwa als Kleidung oder Webteppiche. 8 Als Produkte der Weiterverarbeitung des Rohstoffes Marmor sind vor allem Sarkophage, etwa mit dem Produktionszentrum Dokimeion, bedeutend.

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Grabbau Priene

natürlich auch das Interesse der Römer geweckt, die das ehemalige pergamenische Königreich kampflos übernehmen konnten.

die Südfront angebaut worden15, was dafür spricht, dass damals die Grabfunktion nicht mehr bekannt gewesen sein dürfte (Abb. 4).

2. Der Grabbau an der Theaterstraße in Priene9

Oberirdisch liegt der heute teilweise zerstörte Raum, der auf der rückwärtigen Nordseite durch eine schmale Tür zu betreten und mit einer schmalen Bank, ca. 25 cm tief, an der Innenseite der Nordmauer ausgestattet ist. In der Südwand befand sich ein großes Bogenfenster, das sich auf die Theaterstraße öffnete, und deren unterer Abschluß, der wie eine Balustrade wirkt, heute noch zu erkennen ist. Der obere Abschluß des Grabhauses wurde vom Architekten Knackfuß aufgrund einiger Bauteile überzeugend zu einem recht flachen Satteldach rekonstruiert16, so dass sich hinter dem Giebel mit dem stumpfen Winkel ein niedriger Dachstuhl befunden haben muss (Abb. 3). Im Kellergeschoss dieses Grabnaiskos fand sich auf einer gemauerten Bank eine Körperbestattung. Die Grabkammer besitzt ein Tonnengewölbe aus Bruchsteinen in Mörtelbettung17, sie ist aber nicht ausreichend publiziert, d. h. es fehlen Pläne, Schnitte und Ansichten; lediglich dem Längsschnitt durch die obere Kammer bei Wiegand – Schrader ist das Vorhandensein der unterirdischen Grabkammer zu entnehmen18. Zugänglich war die Grabkammer zum Zeitpunkt der Niederlegung des Leichnams durch eine quadratische Öffnung in der Mitte der Nord-Wand, die danach durch eine Marmorplatte verschlossen wurde und so auch von den Ausgräbern aufgefunden wurde19. Der

In Priene wurde während der Grabungsarbeiten im Jahr 1897 an der sog. Theaterstraße, östlich des Theaters und nördlich des oberen Gymnasions (Abb. 1), per Zufall eine Grabkammer entdeckt10. Das Gewölbe der unterirdischen Grabkammer war beim Verlegen der Schienen für den Bau der Grabungsbahn zum Theater durch die östliche Parodos angegraben und beschädigt, aber eben dadurch bemerkt worden. 2. 1. Beschreibung Der Bauplatz war seit der Errichtung des Theaters, also seit dem letzten Viertel des 4. Jhs. v. Chr., frei geblieben11 und erst einige Jahrhunderte später bebaut worden (Abb. 2). Der Bau ist errichtet aus Bruchsteinen unter Verwendung lokalen Kalksteins in Verbindung mit Kalkmörtel in einer Zwei-Schalen-Technik. An seiner auf die Theaterstraße orientierten Südfront besaß er eine Verkleidung aus Marmor12, an den anderen Außenseiten war er verputzt. Die Außenmaße des Oikos13 betragen in der Länge 5,96 m, in der Breite 5,39 m, die inneren Maße in der Länge 4,62 m und in der Breite 3,18 m14, wobei die Innenmaße der unterirdischen Grabkammer mit denen des Raumes darüber identisch sind (Abb. 3). Die Außenwände im Westen und Osten waren 1,10 bzw. 1,11 m dick, die im Süden und Norden nur 0,67 m stark. Die gesamte Höhe wird mit etwa 5,50 m rekonstruiert, heute stehen die Mauern des Hauptgeschosses noch bis zu 2,50 m Höhe an. In der Spätantike war ein Wasserbecken vor

15

Berns (2003) 249f. Kat. 35 A 5 Abb. 46. Wiegand – Schrader (1904) 278 mit Abb. 285. Giebelschräge und Keilsteinbogen des Bogenfensters sind durch maßgebliche Bauteile gesichert. Demnach muß sich hier unter dem flachen Satteldach ein Dachstuhl befunden haben. Unklar ist, wieso F. Rumscheid den oberirdischen Raum als tonnenüberwölbt bezeichnet, was schon aufgrund der Befunde bei Wiegand – Schrader nicht möglich ist: Rumscheid (1998) 178 mit Abb. 158 (Grundriß der oberirdischen Kammer und rekonstruierter Aufriß der Südseite). Vermutlich beruht dies auf einer Verwechslung, da er auch drei den Wänden vorgelagerte Bänke in der oberirdischen Kammer erwähnt, dies aber nur für die unterirdische Grabkammer zutrifft, wie ebenfalls auf den Zeichnungen bei Wiegand – Schrader sowie vor Ort deutlich zu sehen ist. 17 Wiegand – Schrader (1904) 278. Dies ist auch ein datierender Hinweis, da Gewölbe aus Bruchsteinen in Mörtelbettung, die über einer Holzverschalung gegossen worden sein müssen, auf italischem Boden frühestens in der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. vorkommen, vgl. hierzu die Tonnengewölbe in der spätrepublikanischen Basilika Aemilia am Forum Romanum in Rom: Bauer (1993) 183187. 18 Wiegand – Schrader (1904) 277 mit Abb. 283. 19 Wiegand – Schrader (1904) 276 Abb. 282 (gestrichelte Linien), Höhenlage und genaue Erstreckung unbekannt. 16

9

Zum Komplex der intraurbanen Bestattungen als griechisches kulturelles Phänomen s. die demnächst erscheinende Dissertation der Verf., Untersuchungen zum Phänomen der intraurbanen Bestattungen bei den Griechen. 10 Fund- und Grabungsbericht: Wiegand – Schrader (1904) 277-283; Rumscheid (1998) 177-180 mit Abb. 158f., Stadtplan Abb. 18 (vordere Umschlagseite). 11 Für die Erbauung des Theaters von Priene waren im Westen Abarbeitungen des anstehenden Felsens und im Osten Aufschüttungen notwendig. Dabei blieb östlich des Theaters ein etwa 18 m breiter Streifen frei, der für eine weitere Bebauung, wohl wegen seiner Maße, ungeeignet war: Nachweise bei v. Gerkan (1921) 18. 12 Die drei quadratischen Dübellöcher in der 2. Sockelverkleidungsplatte von Westen sind wohl sekundär eingeschlagen worden. 13 Rumscheid (1998) 177 verzeichnet andere Maße. Die hier genannten Maße sind übernommen aus dem Grundriß bei Schede (1964) 82 Abb. 94. 14 Wiegand – Schrader (1904) 278.

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Hadwiga Schörner

Raum besaß außer auf der Nordseite drei aus gebrannten Ziegeln aufgemauerte Bänke, wobei die im Westen und Osten 1,25 m tief waren, die im Süden dagegen 3,0 m tief. Der Leichnam war auf der westlichen Bank mit dem Kopf nach Süden niedergelegt worden, wobei die Ausgräber eine Niederlegung in einem Holzsarkophag mit Bleiplattenverkleidung postulierten. Nachdem diese Technik in Kleinasien allerdings völlig unbekannt ist, lag der Leichnam höchstwahrscheinlich in einem Bleisarg innerhalb eines nicht erhaltenen Holzsarkophages, da Bleiwannen in Sarkophagen aus anderem Material in Kleinasien durchaus üblich sind20. Die Annahme eines hölzernen Sarkophages stützt sich auf Funde von Schlossblechen, Schlüsseln, Riegeln und einigen Nägeln mit Holzresten. In der Grabkammer dieses Ehrengrabes fanden die Ausgräber neben der Körperbestattung eine stattliche Anzahl von Beigaben (Abb. 5). Eine Beschädigung des Tonnengewölbes wurde von den Ausgräbern als Einstieg von Grabräubern bezeichnet21, wozu auch die Unordnung der Beigaben passen soll, allerdings hatten die Ausgräber auch selbst das Gewölbe beim Fund verletzt.

2. 2. Die Beigaben: Beschreibung, Datierung, Herkunft In der Grabkammer konnten 1904 noch folgende Beigaben22 aufgefunden werden (Abb. 5): Teile von mindestens vier bronzenen Trageketten; ein bronzener Bügelhenkel mit bügelförmiger Klammer; zwei bronzene Schlossbleche mit versilberter Vorderseite sowie zwei bronzene Schlüssel und zwei bronzene Riegel; fünf bronzene pilzförmige Beschlagnägelköpfe sowie ein flacher bronzener Ziernagelkopf und zwei bronzene Nägel; ein Blechring mit dem Rest einer Eisenverklammerung; ein eiserner Schlüssel und Teil eines eisernen Schlossblechs; drei eiserne Nägel sowie Teile von vier weiteren Eisennägeln; eine bronzene Griffschale23, mit Relief eines hockenden Anglers im Tondo und mit einer Silensmaske am Griffende, am Griff Reste von Versilberung (Abb. 7); eine bronzene Griffschale24 mit angelötetem Griff aus zwei miteinander verflochteten Efeuranken (Abb. 8); zwei bronzene Badeschalen25; zwei bronzene Spiegelscheiben26, eine davon verschollen; zwei bronzene Strigilen27, eine davon verschollen; ein heute verschollener, leicht schadhafter silberner Fingerring mit Karneolgemme28 mit der Darstellung von Artemis und Apollon; ein Denar des

Ich danke Herrn Dipl.-Ing. Alexander von Kienlin, TU München, der von der Reinigung des Grabes in Priene während der Kampagne 1998 einen schriftlichen Bericht verfaßte und diesen mir freundlicherweise zusammen mit Photographien zur Verfügung stellte. Dem Leiter der Priene-Grabung, Herrn Prof. Dr. Wolf Koenigs, TU München, danke ich für die Initiative und die Durchführung der Reinigung. 20 Der Leichnam des Tib. Iulius Celsus Polemaeanus, bestattet um 114-117 n. Chr. in der von ihm gestifteten Bibliothek in Ephesos, lag in einem Bleikasten mit Holzdeckel innerhalb des bekannten Girlandensarkophages: Theuer (1953) 43-46. Ebenfalls in Ephesos fand sich am Bibliotheksplatz in einer Grabkammer der Girlandenhalbfabrikat-Sarkophag des T. Claudius Flavianus Dionysius Rhetor, gestorben etwa eine Generation nach Celsus, dessen Leichnam auch nicht direkt im Marmorsarkophag lag, sondern in einer schmucklosen Bleikiste: Atalay (1978-1980) 53-58 Abb. 1b. 2b. 21 Wiegand – Schrader (1904) 279; Berns (2003) 249f. Kat. 35 A 5. Angesichts dieser Annahme erstaunt, dass in der Kammer noch so viele und hochwertige Beigaben gefunden werden konnten. Die Annahme beruht vor allem auf dem Fehlen von Kannen, die – zumindestens im italischen Raum – zu den Griffschalen gehörten, vgl. Nuber (1972) 83; Raeder (1983) 29f., aber auch dem Fehlen eines Salbgefäßes, welches Teil eines Palästrabesteckes gewesen sein muß. War diese Grabkammer tatsächlich beraubt, so müssen wir von ursprünglich einigen weiteren qualitätvollen Beigaben ausgehen, wohl aus Edelmetall, die den Grabräubern sofort ins Auge gesprungen waren und von diesen den jetzt noch erhaltenen Beigaben vorgezogen wurden.

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Zu den Beigaben, die nach Abschluß der Grabungen in die Berliner Museen transferiert wurden, s. Wiegand – Schrader (1904) 279-283, und v. a. Raeder (1983) 29f. 39f. Taf. 24f. mit den Inventarnummern. Einige Objekte des Grabinventars sind heute leider verschollen (dies ist jeweils einzeln verzeichnet). Die Möglichkeit, das Inventarbuch der Berliner Museen zu den Priener Beigaben einzusehen, verdanke ich der Freundlichkeit von Herrn Prof. Dr. Gerhard Zimmer (jetzt Eichstätt). Die Beigaben selbst waren zu diesem Zeitpunkt (Herbst 1998) wegen des Museumsumzugs verpackt. Zu den Beigaben s. auch die bereits genannte Diss. der Verf., Kat. A 23. 23 Misc.-Inv. 10090, Maße: L 36,5 cm, H 5,5 cm, Dm Schale 21,0 cm, Dm Tondo 6,2 cm, Dm Fuß 8,2 cm. 24 Misc.-Inv. 10091, Maße: L 39,0 cm, H 7,0 cm, Dm Schale 24,0 cm, Dm Fuß 9,0 cm. 25 Misc.-Inv. 10092: L 28,3 cm, H 3,9 cm, Dm Schale 16,0 cm, Dm Fuß 7,0 cm; Inv. 10093: L 23,0 cm, H 3,3 cm, Dm Schale 13,0 cm, Dm Fuß 5,5 cm. 26 Maße, die verschollene (Misc.-Inv. 10094): Dm 17,5 cm, Dicke 1,5 cm, hier war die Spiegelfläche nahezu vollständig mit Onyx überzogen; die erhaltene (Misc.Inv. 10095): Dm 21,5 cm. 27 Maße, die erhaltene (Misc.-Inv. 10096): L 20,0 cm; die verschollene (Misc.-Inv. 10097): L 21,0 cm. 28 Misc.-Inv. 10098, Maße: Dm Ring 2,0 cm, Dm Stein 1,2 cm. Dargestellt sind Artemis und Apollon, einander anblickend, beide bekränzt, zwischen den beiden oben ein kleiner Halbmond.

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Grabbau Priene

Augustus29, auf dem Revers die beiden Adoptivsöhne Gaius und Lucius; zwei etwas verdrückte GoldblechRöhrchen30; sechs Glasgefäße31; drei tropfenförmige, braunrot gefirnisste Tonflaschen32; fünf Räucherkelche eine Rundschnauzenlampe mit aus Ton33; Benutzungsspuren, im Spiegel das Relief einer dionysischen geflügelten Silensmaske (Abb. 6)34.

Nur wenig besser ist die Situation der Tonflaschen, die sich aber auch in Gräbern mit besser datierbaren Beigaben finden39. Man kann im Allgemeinen davon ausgehen, dass die unten gerundete Flaschenform eine Weiterentwicklung der langen spindelförmigen Tonunguentarien auf schmalem Fuß darstellen, die im 2. und 1. Jh. v. Chr. von den tropfenförmigen Flaschen ohne Fuß abgelöst werden40.

Bislang sind die Beigaben, die eine genauere zeitliche Einschränkung ermöglichen könnten, nicht genauer untersucht worden35. Die Räucherkelche sind für eine genauere Datierung zu unspezifisch, ebenso die Schlüssel und Riegel, Beschlagbleche, Nägel und Beschlagnägelköpfe. Die Ketten können zu aufgehängten Objekten gehört haben, der Blechring mit Eisenresten vielleicht zu einer Palästrabesteck-Aufhängung. Die Strigilen sind schmucklos, daher müssen sie sich chronologisch den anderen Beigaben unterordnen36.

Bei der Lampe41 handelt es sich um eine Rundschnauzenlampe vom Typ Loeschcke VIII mit der herzförmigen Schnauze H und der Schulter 6 b (Abb. 6). Sie besitzt Benutzungsspuren, also Brandspuren an der Schnauze. Diese Bildlampe mit geflügeltem Silenskopf wurde sicher aus Italien importiert, wo dieser Typ aber frühestens in tiberischer Zeit produziert wurde42. Die Entstehungszeit der Lampe, die in verschiedene Provinzen des Römischen Reiches exportiert wurde, weist also frühestens in das 3. Jahrzehnt des 1. Jhs. n. Chr.

Die frei geblasenen Glasunguentarien37 in Tropfenform kommen mit nur geringfügigen Veränderungen vom 1. bis ins 4. Jh. n. Chr. vor. Auch ihr Produktionsort kann nicht genauer eingegrenzt werden: es gibt Produktionszentren im Osten, wie die phönizische Küste oder Alexandria, aber auch im Westen, etwa in Südfrankreich, Aquileia oder Kampanien. Funde von Rohglas und Glasgefäßen in mediterranen Schiffswracks, etwa vor Grado oder der Insel Malta, machen deutlich, dass Glasprodukte über weite Distanzen verhandelt werden konnten38. Festzuhalten bleibt, dass Gläser als Grabbeigaben einen gewissen Wohlstand andeuten.

Die beiden Badeschalen besitzen viele Parallelen in Funden aus dem germanischen Raum, wobei die Schalen mit Herstellerstempeln in ihrer Gesamtheit bearbeitet wurden43. Die beiden Badeschalen aus dem Priener Grab, die leider keine Stempel tragen, können typologisch folgendermaßen eingeordnet werden: die größere (Inv. 10092): Petrovszky Typ VIII, Griffende 1 b (rhombisch gekantet); die kleinere (Inv. 10093): Petrovszky Typ VIII, Griffende 2 a (gerade abgeschnitten), mit Den schlüssellochförmigem Aufhängeloch44. Produktionsbeginn setzt Petrovszky45 um 40/50 n. Chr.

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Misc.-Inv. 10099, Vs: Kopf des Augustus bekränzt nach rechts; Rs: Gaius und Lucius, die principes iuventutes als consules designati, mit zwei Schilden, zwei Speeren, rechts einem simpulum, links einem lituus; Dm 1,8 cm. 30 Misc.-Inv. 10100, Maße: L 1,8 cm bzw. 2,2 cm. 31 Misc.-Inv. 10101-10106, Maße: H 15,5 cm, 9,5 cm, 14,5 cm, 10,0 cm, 11,0 cm, 13,0 cm. 32 V. I. 3902-3904, Maße: H 12,5 cm, 10,0 cm, 21,0 cm. 33 V. I. 3905-3909, durchschnittliche Maße: H 9,9 cm, oberer Dm 12,0 cm. 34 TC 8715, Maße: H 3,0 cm, L 9,7 cm, Dm des Relieftondo 7,5 cm. 35 Berns (2003) 250 schreibt lapidar: „Der Grabbau wurde also vermutlich in der frühen Kaiserzeit errichtet, ohne daß die zur Verfügung stehenden Kriterien einen präziseren Ansatz erlaubten.“ 36 Zu den beiden Strigiles: Kotera-Feyer (1993) 113-115 mit Anm. 12. 20 hält die beiden Priener Stigiles „für eine chronologische Bewertung nicht brauchbar.“ 37 Platz-Horster (1976) 64-66 Kat. 119-124 mit Einzelabbildungen; Platz-Horster (1979) 27-31. 38 Mit den Beispielen: Noelke (2001) 313. Für einen Überblick über die antike Glasproduktion und ihre Verhandlung: Sternini (1995) passim.

39

Vgl. beispielsweise die exemplarische Untersuchung über Tonunguentarien-Funde in Stobi, für die feinere Einordnung müssen aber jeweils lokale Eigenheiten berücksichtigt werden: Anderson-Stojanovic (1987) 105122. 40 S. hierzu Anderson-Stojanovic (1987) passim. 41 Berlin, Inv. TC 8715: Vierneisel (1978) 136 Nr. 125 mit Abb. der von Sinter gereinigten Lampe (hier Abb. 6) und ebenfalls zu früher Datierung (50 v. – 50 n. Chr.), die wiederum von der Prägezeit des Denars abhängt; Raeder (1983) 56f. Nr. 270. Die Lampe besitzt einen Schuhsohlenstempel auf der Standplatte, leider sind genauere Angaben dazu nicht publiziert. 42 Die Lampenproduktion dieses Typs hat seinen Höhepunkt in der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. und läuft zum Ende des 1. Jhs. n. Chr. aus: Loeschcke (1919) 49-51. Betonung der nachaugusteischen Datierung: ebd. 51. Vergleichsstück: Bailey (1980) 312 Q 1245 Taf. 63. 43 Petrovszky (1993). 44 Über die Ausarbeitung des Bodens und des Mundsaumes, was auch für die Einordnung wichtig wäre, kann leider wegen fehlender Beschreibungen und Abbildungen nichts ausgesagt werden. 45 Petrovszky (1993) 92-97.

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aufgrund von datierbaren Fundkomplexen aus den Nordwest-Provinzen an. Die Badeschalen gehören normalerweise zu Badeservicen, die aus einer oder mehreren Strigilen, einem meist metallenen Salbfläschchen, oftmals auch einem Schwamm sowie einer Badeschale bestanden, die gemeinsam an einem Metallring aufgehängt waren.

Legende CAESAR AVGVSTVS – DIVI F PATER PATRIAE. Auf dem Revers stehen die Adoptivsöhne des Augustus, Gaius und Lucius, in Toga mit bedecktem Haupt, je eine Hand auf einen Schild gelegt, mit zwei gekreuzten Speeren, darüber rechts ein simpulum, links ein lituus, sowie die Legende AVGVSTI F COS DESIG PRINC IVVENT, im Abschnitt C L CAESARES55. Dargestellt sind die vorgesehenen Nachfolger, Enkel und Adoptivsöhne des Augustus, die principes iuventutes, als consules designati. Die publizierten Datierungsvorschläge reichen von 3/2 v. Chr. bis 11 n. Chr.56, wobei es allerdings nur schwer vorstellbar ist, dass nach dem Tod des L. Caesar im August 2 n. Chr., vor allem aber nach dem Tod des C. Caesar im Februar 4 n. Chr. bzw. darüber hinaus diese kaiserliche Edelmetallemission unverändert weiter-geprägt worden sein soll. Daher wird hier die Prägezeit dieser Münze in die Jahre zwischen 2 v. Chr.57 und 2 n. Chr.58 gesetzt. Sie war, auch nach ihrem abgegriffenen Erhaltungszustand, einige Jahre bis Jahrzehnte im Umlauf bzw. in Familienbesitz gewesen.

Den Griffschalen46 widmete sich H. U. Nuber in seiner 1972 erschienenen Dissertation47. Er ordnete unsere beiden Schalen (Abb. 7. 8) seinem Typ Millingen zu, also Schalen, die mit den jeweils zugehörigen Kannen das Standardservice der römischen Kaiserzeit gebildet hatten48. Diese Griffschalen wurden im gesamten Römischen Reich gefunden, der Schwerpunkt liegt aber auf dem Westen des Reiches. Auf außereuropäischem Boden sind nur 14 Fundstellen verzeichnet, davon elf im Osten des Schwarzen Meeres49, eine in Kleinasien50, eine in Ägypten51 und eine in Syrien52. Aufgrund der geringen Fundzahl und der oft gestörten Fundumstände kann über die zwingende Zusammengehörigkeit der Sets aus Kanne und Griffschale im Osten des Reiches keine Aussage gemacht werden. Nach Nuber gehören die frühesten sicher datierbaren Griffschalen des Typus Millingen in claudische Zeit53, mit unseren beiden Schalen befinden wir uns also frühestens im 5. Jahrzehnt des 1. Jhs. n. Chr.

Bezüglich der Datierung der Beigaben des Grabes in Priene bleibt festzuhalten, dass es bislang in der Forschung deutlich zu früh datiert wurde, da die Prägezeit der Münze oft fälschlich wie ein terminus ad quem betrachtet wurde. Die anderen Beigaben, vor allem die Lampe sowie die Griff- und Badeschalen, zeigen aber deutlich, dass diese Bestattung etwa fünf Jahrzehnte später angesetzt werden muss, und daher frühestens kurz vor der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. erfolgt sein kann.

Einen wichtigen terminus post quem für die Datierung bietet eine Charonsmünze, die im Bereich des Schädels gefunden wurde, und zwar ein augusteischer Denar54: auf dem Avers ist das Porträt des Augustus bekränzt nach rechts abgebildet, ergänzt durch die nicht ganz erhaltene

2. 3. Formen und Arten des Eindringens römischer Elemente in den Priener Grabbau

46

In der Publikation von 1904 äußerten die Ausgräber noch die Auffassung, dass beide Griffschalen nicht verhandelt, sondern vor Ort in Anlehnung an die italische Produktion hergestellt worden wären: Wiegand – Schrader (1904) 280-282. 47 Nuber (1972) 1-232 Taf. 1-31 Beil. 1. 48 Nuber (1972) 45-54. 193 Typ Millingen, E II c 3 (Akanthusblätter, in der Mitte gebündelt); E II a 1 (frei geflochtene Efeuranken); 218 Nr. 141 Taf. 5 a-c (E II c 3), Taf. 6 a-c (E II a 1). 49 Nuber (1972) 220 Nr. 174-184 Beil. 1. 50 Aus unserem Grab in Priene, wobei er die dazugehörigen Kannen für geraubt hält: Nuber (1972) 118 Nr. 141 Beil. 1. 51 Eine Schale mit zwei Kannen in Anibeh: Nuber (1972) 220 Nr. 186. 52 Eine Kanne ohne Griffschale in Khisfin, Hauran: Nuber (1972) 220 Nr. 185 (Typus VI: Canterbury). 53 Die Produktion in einer italischen Werkstätte liegt dabei nahe, kann aber nicht eindeutig nachgewiesen werden. 54 Berlin, Misc.-Inv. 10099, Prägestätte Lugdunum: Regling (1927) 183. 195 Nr. 57; BMC RE I 543 Taf. 14, 2; RIC I² 207.

2. 3. 1. Bautechnik Wie bereits angemerkt, weist auch die Verwendung von Kalkmörtel darauf hin, dass der Bau nicht vor der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. entstanden sein kann59. Die ältesten bekannten Bauten, bei denen Kalkmörtel bei der Errichtung aufgehender Wände verwendet wurde, 55

Beide Legenden sind nach besser erhaltenen Stücken ergänzt. 56 Wiegand – Schrader (1904) 280 Abb. 291: 3/2 v. Chr. als terminus post quem; Regling (1927): zwischen 3/2 v. und 4 n. Chr.; Raeder (1983) 30 Abb. 8 [Kat. 121]: zwischen 2 v. und 4 n. Chr.; v. Hesberg (1994) 177: 3/2 v. Chr.; Platz-Horster (1976) 64: 3 v. – 2 n. Chr.; PlatzHorster (1979) 27: 2 v. – 11 n. Chr. 57 L. Caesar wird consul designatus und princeps iuventutis, gleichzeitig nimmt er die toga virilis an: Kienast (1996) 75. 58 Todesjahr des L. Caesar: Kienast (1996) 75. 59 Zur Verwendung von Mörtel mit Bruchsteinen im Osten des Römischen Reiches: Waelkens (1990) 94-105.

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Grabbau Priene

wie einzelne Fundstücke beweisen66. Die Verwendung von Kalkmörtel im Mauerwerk konnte in Kleinasien in verschiedenen Ausführungen vorkommen: als Füllung einer zweischaligen Mauer aus Quaderwerk, oder – wie in unserem Fall – zwei Schalen mit Handquadern in Mörtelverbund, wobei die Füllung aus Mörtelmasse mit Bruchsteinen besteht.

befinden sich in Ephesos. Dabei handelt es sich um den einem massiven Rundbau am Panayirdag60, zweigeschossigen zylindrischen Bau mit vertikaler Außengliederung in Form von Halb- und Vollsäulen aus der Zeit um die Mitte des 1. Jhs. v. Chr., und das Oktogon an der unteren Kuretenstraße, ein intraurbaner Grabbau, der aufgrund seiner Bauornamentik um 40 v. Chr. datiert wird61. Der massive Rundbau wurde vorschlagsweise als Tropaion für die gelungene Befreiung des Mittelmeeres von den Piraten durch Cn. Pompeius Magnus angesprochen, oder als ein Ehrenmal für den Prokonsul P. Servilius Vatia Isauricus62, für das Oktogon gibt es einen Zuschreibungsvorschlag an die im Jahr 41 v. Chr. in Ephesos ermordete jüngere Schwester Kleopatras VII., Arsinoe IV.63. An der Errichtung des intraurbanen Grabes könnte dann auch M. Antonius Anteil gehabt haben, der möglicherweise mit der Ermordung in Zusammenhang steht. Bei beiden Bauten wird also eine Verbindung mit römischen Persönlichkeiten postuliert, obwohl es sich dabei bislang zugegebenermaßen nur um Vorschläge handelt. Wie M. Waelkens64 herausgearbeitet hat, dringen Elemente römischer Bautechnik nur langsam nach Kleinasien ein. Vorreiter waren die politisch wichtigen Städte wie Pergamon und Ephesos, oder Gegenden mit starker Militärpräsenz wie Kilikien. Einen Sonderfall bildet Sardeis, das im Jahre 17 n. Chr. von einem Erdbeben stark zerstört worden war und wohin Kaiser Tiberius Architekten und Arbeiter aus Rom schicken ließ, was ein besonders schnelles Eindringen römischer Bauformen und Techniken ermöglichte65.

2. 3. 2. Architekturform und Ausstattung Im Priener Grab vereinigten sich verschiedene sepulkrale Formelemente: zum einen das kleinasiatische Grabhaus mit Satteldach, zum anderen die römisch-italische Ädikulaform. Allerdings besitzen die Grabhäuser vergleichbarer Datierung, etwa diejenigen in der Nordwest-Nekropole von Hierapolis im südlichen Phrygien67, ihren Eingang auf der Frontseite, und im Innern befinden sich die Bestattungen auf Klinen. Dies ist in Priene nicht der Fall, da der Eingang auf der Rückseite nicht in die Grabkammer führte, die im nicht begehbaren Untergeschoss liegt, sondern in einen oberirdischen Raum darüber. Trotz des Grabhauscharakters erscheint der Priener Grabbau nämlich von der Straße aus wie eine Ädikula, die den Rahmen für eine nicht mehr erhaltene Statue abgibt. Das oben bogenförmig abschließende Fenster, in der die Statue stand, ist auf die Straße zu, also nach Süden orientiert und wird daher tagsüber auf natürliche Weise beleuchtet. Das Innere des Raumes dagegen, also der Hintergrund der Statue, wirkte dabei stark verschattet und bildete so einen natürlichen Abschluß hinter dieser Statue. Die Aufstellung einer Ehrenstatue des Verstorbenen an dieser Stelle ist sehr wahrscheinlich68, obwohl sowohl die Auflageplatten der Brüstung als auch die Statue selbst nicht erhalten sind. Das Bogenfenster gäbe also den ädikulaförmigen Rahmen für eine solche Statue ab.

Auch in Kleinasien gab es Gegenden, in denen die einheimischen Techniken niemals ganz verschwanden. In pisidischen Städten wie Termessos, in Phrygien oder Galatien kann man auch noch in der hohen Kaiserzeit bestes mörtelloses Quadermauerwerk antreffen. Obwohl auch ausschlaggebend gewesen sein kann, dass die genannten Regionen bezüglich ihrer Infrastruktur oftmals geringer ausgestattet und daher schwerer zu erreichen waren, kann auch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass die einheimischen Baumeister dieser Landschaften die römischen Bautechniken schlicht ablehnten. Exakte Haustein-Arbeit kommt auch bei dem Priener Grabbau vor: der Bogen des großen Fensters war in massiver Steinbautechnik als echter Keilsteinbogen ausgeführt,

Grab- bzw. Ehrenstatuen in sepulkralem Kontext kommen in Kleinasien erst in römischer Zeit vor.

66

Der echte Keilsteinbogen besitzt zudem eine komplett durchlaufende Faszierung: Wiegand – Schrader (1904) 278. Dies ist nicht ungewöhnlich, da auch der große Agora-Ost-Bogen fasziert ist: Dornisch (1992) 208-211 Kat. 159 Abb. 27. 67 Zu den Nekropolen im phrygischen Hierapolis: EquiniSchneider (1972) passim. 68 Wiegand – Schrader (1904) 277f. – Berns (2003) 249f. Kat. 35 A 5 nimmt an, dass die Stufen der Krepis („Treppenstufen“) auf der Südseite zu begehen gewesen wären. Neben der Tatsache, dass die Cella durch die Tür der Nord-Seite begehbar war, und ein Herantreten an die Balustrade auf der Süd-Seite keinen Sinn ergibt, sind die Stufen, die wie eine Krepis wirken, dafür auch zu schmal.

60

Zum Rundbau auf dem Panayirdag: Niemann – Heberdey (1906) 143-180; Alzinger (1974) 37-40 Abb. 24-26. 61 Zum Oktogon: Keil (1930) 41-45; Thür (1990) passim. 62 Alzinger (1974) 38f. 63 Thür (1990) 43-56. 64 Waelkens (1990) 98-101. 65 Waelkens (1990) 97.

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Hadwiga Schörner

Beispielsweise gibt es in der Ostnekropole69 von Priene ein großes römerzeitliches Kammergrab, das in der gleichen Mauertechnik wie das intraurbane Grab errichtet ist. An dessen rechter Seite des Dromos sind vier sehr große und tiefe Nischen mit oben halbrundem Abschluss ausgemauert. M. E. ist dabei kaum eine andere Funktion möglich als jene, auch hier Statuen aufgestellt anzunehmen. Abgesehen von der Mauertechnik ist dieses Grab leider nicht genauer zu datieren, da es ausgeraubt und teilweise zerstört aufgefunden wurde70.

Die Körperbestattung des Brandbestattung75. herausragenden Toten im intraurbanen Grab in Priene folgt also den alten einheimischen Sitten. Der Raum oberhalb der Grabkammer diente sicher als Verehrungs- bzw. Kultraum. Die gemauerte Bank auf der Nordseite weist entweder auf die Möglichkeit des Verweilens hin76, oder aber sie diente, wegen ihrer geringen Tiefe, für das Abstellen der Gaben beim Grabkult. Ob die Räucherkelche, wohl zum Verbrennen des Weihrauchs, und die Lampe noch bei der Bestattung selbst zum Einsatz kamen, kann nicht entschieden werden, obwohl sowohl Feuer in Form von Lampen oder Fackeln bei der Aufbahrung oder Niederlegung als auch Rauchopfer bei der Niederlegung des Leichnams möglich wären77.

Die Aufstellung von Grabstatuen in Ädikulen oder auch unter Baldachinen steht in römisch-italischer Tradition, hier gibt es vor allem Beispiele von den Vesuvstädten oder aus Norditalien. Beispielsweise unterscheidet H. Gabelmann in der Nekropole vor der Porta Nocera in Pompeji verschiedene Typen von zweigeschossigen Grabbauten seiner ‘Mausoleumsgrundform’. In der Unterabteilung ‘Ädikulatypus’71 nennt er den Grabbau des P. Vesonius (West 23), mit einem Giebel als Bekrönung. Da es sich im Gegensatz zu unserem Beispiel um ein Familiengrab handelt, sind hier mehrere Grabstatuen aufgestellt72. Auch in baldachinartigen Architekturtypen können Statuen aufgestellt sein, etwa in Monopteroi, die es sowohl im Westen des Römischen Reiches als auch im Römischen Kleinasien gab73.

2. 3. 4. Beigaben Auffällig ist bei den Beigaben die große Anzahl der importierten Stücke, darunter besonders die Tonlampe sowie die bronzenen Griff- und Badeschalen, die alle aus dem italischen Raum stammen. Die Münze, ein Exemplar der kaiserlichen Prägestätte in Lugdunum, kann auf einer Reise mitgebracht aber auch durch die normale Verbreitung der wertvollen Edelmetallemissionen bis nach Kleinasien gelangt sein. Die Glasgefäße sind sicher auch importiert, obwohl sich der Produktionsort nicht feststellen lässt. Tonfläschchen und Räucherkelche entstammen vermutlich lokaler Produktion. Strigiles bilden zusammen mit einer Badeschale, einem Aryballos und einem Schwamm das sog. Palästrabesteck, das sowohl im Osten als auch im Westen des Reiches üblich war, der dabei zu postulierende bronzene oder tönerne Ölbehälter wäre demnach geraubt worden. Ebenso fehlen für die beiden Griffschalen die dazugehörigen Kannen. Trotzdem bleibt unklar, weshalb die Grabräuber so viele

2. 3. 3. Bestattungsart und Grabkult In Kleinasien wurde die Körperbestattung als Bestattungsart durchgehend während des Hellenismus und der Kaiserzeit praktiziert74, während die Brandbestattung eine deutlich untergeordnete Rolle spielte. Auf italischem Boden dagegen dominierte im 2. und 1. Jh. v. Chr. und im 1. Jh. n. Chr. die

69

Leider sind die Nekropolen Prienes nur ansatzweise untersucht. Einen Überblick bieten Wiegand – Schrader (1904) 54f.; Rumscheid (1998) 36-40 Abb. 25-29. 70 Zu diesem Grab: Wiegand – Schrader (1904) 55 Abb. 31. 71 Gabelmann (1979) 10f. 37f. Abb. 7f., 69 Abb. 42 (Aufrisse). Vgl. auch Gabelmann (1977) 101-117 Taf. 33, 2. 72 Gabelmann (1979) 38 Abb. 8. 73 Sie besitzen stets einen Sockel, die späthellenistischen/frühkaiserzeitlichen einen noch nicht so hohen, wie der oktogonale Monopteros von Aphrodisias, der sich für eine Statuenaufstellung geradezu anbietet; die hochkaiserzeitlichen Monopteroi etwa in Ephesos und Pergamon haben einen höheren Sockel. Zum Grab am Odeion in Aphrodisias: Berns (2003) 177 Kat. 5 A 1 Taf. 3, 1 + 2. Zu den Monopteroi in Ephesos und in Pergamon: Koenigs – Radt (1979) 317-354. 74 Cormack (1997) 137f.

75

v. Hesberg (1992) 13-18. Zu diesem in römischer Zeit häufig vorkommenden Phänomen vgl. etwa das intraurbane oktogonale Grab in Aphrodisias am Odeion ebenfalls aus der frühen Kaiserzeit, oder den Grabbau des Publius Varius Aquila aus dem 2. Jh. n. Chr. in Assos in der Nekropole am Westtor. Zum Oktogon in Aphrodisias: Berns (2003) 178f. Kat. 5 A 1. Zum Grab des Aquila in Assos: Clarke – Bacon – Koldewey (1921) 226-239. 77 Weihrauch wurde nicht nur bei Götteropfern, sondern auch auf Hausaltären oder beim Symposion verbrannt: Sigismund (1884) 48f. Rauchopfer sind literarisch hauptsächlich für Götter und mythische Heroen (Paus. VI 20, 2) und seltener für den Grabkult überliefert. Archäologisch sind kleine Feueraltäre aber auch häufiger im sepulkralen Kontext belegt, z. B. in den Nekropolen von Limyra in Lykien, oder Latmos in Karien. Zu Limyra: Borchhardt (1993) 53-68. Zur Stadt Latmos: Peschlow-Bindokat (1996) 37-42. 76

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Grabbau Priene

annäherungsweise festgelegt werden82, weil die in der Hiera Stoa eingemeißelten, auf ihn bezogenen Inschriften lediglich eine Datierung in die Zeit nach 84 v. Chr. zulassen83. Sicher ist es richtig, dass für ihn hohe Ehren und ein aufwendiges Begräbnis beschlossen worden waren, doch kennen wir im späteren Hellenismus (2. und 1. Jh. v. Chr.) acht weitere namentlich bekannte Bürger, denen ein öffentliches Begräbnis zugesprochen worden war. Viele von ihnen konnten ebenso viele Ehrungen auf sich vereinigen und wurden in den Inschriften als ǼȊǼȇīǼȉǹǿ angesprochen84. A. Aemilius Zosimos tritt also nicht auffällig unter den anderen Wohltätern hervor. Die von Rumscheid85 wiederum postulierte Bestattung des Zosimos um Christi Geburt in Priene kann daher nicht mit unserem Grabbau am Theater zusammengebracht werden, zumal die Beigaben es etwa ein halbes Jahrhundert jünger datieren.

wertvolle Beigaben zurückgelassen haben. Der einzige schlüssige Grund wäre, wenn die Grabräuber gestört worden wären und in der Eile nur auf den ersten Blick wertvolle Gegenstände, eben jene aus Edelmetall, mitgenommen hätten. Festzuhalten bleibt, dass die noch verbliebenen Beigaben den intraurban Bestatteten als eine durchaus vermögende, gebildete und mit den römischen Sitten zumindest vertraute Persönlichkeit ausweisen. 2. 3. 5. Kein Identifikationsversuch Es wirkt so, als ob der Bestattete italischer oder auch kleinasiatischer Herkunft sein könnte. Allerdings wurden mit einer intraurbanen Bestattung fast nur Bewohner ihrer Stadt geehrt78. War er kleinasiatischer Grieche, so wollte er zumindest als up to date gelten, mit Sets und Services, die genau so in Italien verwendet und auch dort ins Grab gegeben wurden. Der Grabinhaber war also entweder ein Grieche der „romanisierten Oberschicht“79, der auf römischen Lebensstil Wert legte oder ihn nach außen zeigen wollte, oder ein römischer Bürger, der importierte Gebrauchsgegenstände, die er von der Apenninnenhalbinsel kannte, bevorzugte. Der Identifikation des Grabinhabers mit A. Aemilius Zosimos, die erstmals von J. Raeder80 vorgeschlagen und jüngst von F. Rumscheid81 wieder aufgenommen wurde, kann an dieser Stelle ausdrücklich nicht zugestimmt werden. Die Lebenszeit des Zosimos kann zum ersten nur

3. Zusammenfassung Unserem Grabinhaber wurde also das intraurbane Grab im frühkaiserzeitlichen Priene nach Beschluss von Ekklesia (Volksversammlung) und/oder Boule (Ratsversammlung) offiziell als Ausdruck besonderer Ehrung zugestanden. Gemeinsam mit diesem Beschluss erfolgten sicher noch weitere Ehrungen, wahrscheinlich gehörte auch mindestens eine Statue dazu, die im Bogenfenster des Grabes ihren Standort gefunden haben kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Lage und die architektonische Form des Grabbaues normalerweise von der Volks- oder Ratsversammlung bestimmt wurde, anders also als bei den privaten Gräbern in den Nekropolen. Die römischen Elemente an diesem Grab können also auf den Wunsch der Polisbürger zurückgehen86. Außergewöhnlich viele römische Elemente weisen Bauform und Bautechnik auf, bei der das kleinasiatische Grabhaus mit der italischen Ädikula verbunden wurde. Neben der exakten Hausteinarbeit wurde auch Kalkmörtel verwendet, der noch nicht so lange aus Italien bekannt war. Die Lage, an einer wichtigen Straße und in Theaternähe, ist für ein

78

Die Ausnahmen hierbei sind sehr wenige. In der demnächst erscheinenden Dissertation der Verf. konnten 30 literarisch und epigraphisch überlieferte intraurbane Bestattungen (Katalog B) gesammelt werden, darunter sind 25 sicher Bürger der Stadt gewesen, in der sie dann auch begraben wurden, ein Fall ist unsicher, und vier Persönlichkeiten waren ausdrücklich nicht Bürger: 1.) Brasidas in Amphipolis 422 v. Chr. (Thuk. V 11), dem aber in seiner Heimatstadt Sparta ein Kenotaph errichtet wurde (Paus. III 14, 1); 2.) Timoleon aus Korinth in Syrakus um 336 v. Chr. (Nep. Timoleon 5, 4; Plut. Timoleon 39, 1-7); 3.) König Pyrrhos in Argos 272 v. Chr. (Paus. I 13, 8; II 21, 4); 4.) der römische Bürger M. Castricius in Smyrna nicht lange vor 59 v. Chr. (Cic. Flacc. 75). Während die ersten beiden sich als Neugründer bzw. Retter der Städte hervorgetan hatten, von denen sie dann mit dem intraurbanen Grab geehrt wurden, sind die Gründe der Bestattung des Pyrrhos in einem Demeterheiligtum in Argos, wo er gefallen war und entsprechend verhasst war, nicht auf diese Weise positiv zu werten, und im Fall des M. Castricius sind die Umstände seiner Bestattung in Smyrna vollkommen unbekannt. 79 Zitat Raeder (1983) 30. 80 Raeder (1983) 30. 81 Rumscheid (2002) 80-82.

82

Nach den Inschriften, vor allem ihrem Anbringungsort: Hiller von Gaertringen (1906) Nr. 112-114. 83 Hiller von Gaertringen (1906) XIX. 84 Dies geht hervor aus Asboeck (1913) 51 Tab. III. 85 Rumscheid (2002) 82. 86 Allerdings war es möglich, dass während der späten Republik und der frühen Kaiserzeit die entsprechenden Beschlüsse im Rat noch zu Lebzeiten stattfinden konnten und der Geehrte dadurch Einfluß auf sein öffentliches Grab und die dazukommenden Ehrungsbezeugungen nehmen konnte. Dies ist etwa der Fall bei Adrastos, der um 60 n. Chr. im Aphrodisias mit einem intraurbanen Grab geehrt wurde: Reynolds (1996) 121-126 Abb. 1. 2.

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intraurbanes Grab in Kleinasien nicht außergewöhnlich87, ebenso die Bestattungsart der Körperbestattung. Die Beigaben teilen sich auf in italische Importe und lokale Produktionen, wobei das Bild dadurch verfälscht wird, dass das Grab wohl beraubt wurde. Angesichts der Tatsache, dass Priene im 1. Jh. n. Chr. ein verschlafenes Provinzstädtchen gewesen sein soll88, ist die Menge der ausdrücklich italischen bzw. westlichen Elemente sehr hoch, was nicht auf einen Zufall zurückgehen kann. Auch wenn wir auf der Basis der derzeit zur Verfügung stehenden Informationen nicht entscheiden können, ob es sich bei dem Bestatteten um einen römischen Bürger oder einen kleinasiatischen Griechen ohne Bürgerrecht gehandelt hat, so ist die Affinität zu römischem Leben und Umfeld doch außergewöhnlich stark.

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In der Dissertation der Verf. datieren vier Gräber in das 1. Jh. n. Chr. Keines von ihnen liegt an der Agora, sondern an kleineren Plätzen, an wichtigen Straßen oder im Bereich von Kreuzungen. 88 So jedenfalls Rumscheid (2002) 84.

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Noelke (2001): P. Noelke, Glasgefäße, in: Fischer (2001) 313. Nuber (1972): H. U. Nuber, Kanne und Griffschale, BerRGK 53, 1972, 112-129.

Sternini (1995): M. Sternini, La Fenice di Sabbia. Storia e tecnologia del vetro antico (1995).

229

Hadwiga Schörner

Theuer (1953): FiE V 1, Die Bibliothek² (1953), II. Der Sarkophag des Celsus [M. Theuer] 43-46.

Abbildungsnachweis: Abb. 1: M. Schede, Ruinen von Priene (1934) Faltplan am Buchende.

Thür (1990): H. Thür, Arsinoe IV, eine Schwester Kleopatras VII, Grabinhaberin des Oktogons von Ephesos? Ein Vorschlag, ÖJh 60, 1990, Hauptbl. 43-56.

Abb. 2: Wiegand – Schrader (1904) 276 Abb. 282. Abb. 3: Wiegand – Schrader (1904) 277 Abb. 283.

Vierneisel (1978): K. Vierneisel (Hrsg.), Römisches im Antikenmuseum (1978).

Abb. 4: Photo H. Schörner 1997.

Waelkens (1990): M. Waelkens, The Adoption of Roman Building Techniques in the Architecture of Asia Minor, in: Macready – Thompson (1990) 94-105.

Abb. 6: Vierneisel (1978) 136 Abb. 125.

Abb. 5: Raeder (1983) 86 Abb. 24.

Abb. 7: Nuber (1972) Taf. 6. Abb. 8: Nuber (1972) Taf. 5.

Wiegand – Schrader (1904): Th. Wiegand – H. Schrader, Priene. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen in den Jahren 18951898 (1904).

230

Grabbau Priene

Abb. 1: Stadtplan von Priene (Teilansicht).

Abb. 2: Priene, Oberes Gymnasion und Umgebung, Detailplan.

231

Hadwiga Schörner

Abb. 3: Grabbau am Theater, Grundriß, Schnitte und rekonstruierter Frontaufriss.

Abb. 4: Priene, Grabbau am Theater, Ansicht.

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Grabbau Priene

Abb. 5: Beigaben, Gesamtansicht.

Abb. 6: Lampe, Ansicht (nach Reinigung).

233

Hadwiga Schörner

Abb. 7: Griffschale mit hockendem Fischer im Tondo.

Abb. 8: Griffschale mit Efeu-Griff.

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Aspekte der Romanisation in pisidischen Kleinstädten von

Korana Deppmeyer

erschwert. Dennoch scheint es sinnvoll, gerade diese kleinen, abgeschieden gelegenen Gebiete im Hinblick auf römischen Einfluss und mögliche kulturelle, bauliche oder auch sprachliche Adaptionen zu untersuchen, zeigen sie doch ganz andere und zeitverzögerte Entwicklungsstrukturen als die großen und prosperierenden Städte im kleinasiatischen Raum.

Zusammenfassung: Für die pisidischen Kleinstädte Ariassos, Melli und Sia, die als hellenisierte Orte in ihrer Verwaltung stets autark blieben, sollen römische Einflüsse und deren Adaption dargestellt werden. Die im Vergleich zu anderen prosperierenden Regionen in Kleinasien erst sehr spät evident werdenden westlichen Elemente zeigen sich beispielsweise in der Grabarchitektur der städtischen Eliten und in den ebenfalls von der einheimischen Honoratiorenschicht dedizierten Ehrenmonumenten für Mitglieder des antoninischen und severischen Kaiserhauses, bei denen eine augenfällige Affinität zum Kaiser Caracalla deutlich wird. Dennoch sind die Städte auch in der Spätzeit nicht als romanisiert zu bezeichnen, sondern das Indigene wird allenfalls um einzelne römische Aspekte erweitert.

Die frühe Geschichte von Pisidien und ihrer Kultur liegt im Dunkeln. Aus verschiedenen Surveys ging hervor, dass mit Ausnahme des Ortes Panemoteichos I2 keine größeren befestigten Siedlungsareale vor dem 4. Jh. v. Chr. existierten3; ebensowenig reichen literarische Quellen vor diese Zeit zurück4. Pisidien gehörte zunächst nicht zur neugeschaffenen Provinz Asia, die von den Römern 129 v. Chr. eingerichtet wurde, doch seit ca. 100 v. Chr. kann man von einer dauerhaften römischen Präsenz in Pamphylien und Pisidien5 und damit einer kontinuierlichen Einflußnahme auf die indigene Bevölkerung ausgehen.6. Die Römer trafen in diesem Raum auf unabhängige und bereits hellenisierte Einwohner, als welche sie auch schon in den ersten nachweislichen Quellen auftreten. Die Personennamen zeigen häufig, dass sie dennoch ein einheimisches Volk blieben7, was dadurch verdeutlicht wird, dass man die größte Gruppe indigener Namen in Pisidien feststellte8. Die endgültige Provinzialisierung dieser Region erfolgte im Jahr 25 v. Chr. mit der Einrichtung der Provinz Galatia, zu welcher nun Pamphylien und Pisidien gehörten9. Im Rahmen der augusteischen Kolonisation gelangten zahlreiche römische Veteranen und

Abstract: The Pisidian cities Ariassos, „Melli“ and Sia were selfgoverning independent communities since the Hellenistic period. Both direct Roman influence and its adaptation is evident in these towns. However, in contrast to other prosperous regions in Asia Minor, there is an obvious delay in the emergence of cultural elements from the west. Roman patterns are visible in architectural features on tombs of prominent citizens and in the monuments dedicated to the Antonine and Severan Emperors by the local elite. Particular affinity to the ruler Caracalla is very noticeable. Nevertheless, the native cities did not become totally romanized. Concepts from the west were filtered and adopted to the special requirements of the towns. Die für die Betrachtung ausgewählten Kleinstädte Ariassos, Melli und Sia liegen im pisidischen Bergland (Abb.1) und sind aufgrund der sämtlich nur sehr fragmentarischen und stark lückenhaften inschriftlichen Quellen1 und dürftigen Überlieferungen von antiken Autoren lediglich partiell in ihrer allgemeinen geschichtlichen und städtischen Entwicklung und speziell in ihrem Romanisierungsprozess lediglich partiell zu bewerten. Darüber hinaus haben verschiedene Raubgrabungen und Plünderungen eine archäologische Auswertung der ohnehin schlecht erhaltenen Bausubstanz

2

Aydal – Mitchell – Robinson – Vandeput (1997) 14172; Mitchell (1994) 136-44. 3 Mitchell (1998) 248. 4 Mitchell (1998) 242. 5 zur Geschichte von Pisidien allgemein: Lanckoronski; v. Aulock (1977) 1-51; v. Aulock (1979) 15-51; Mitchell (1991) 119-45; Schwertheim (1992); Brandt (1992); Mitchell (1998) 238-53; Mitchell (1999a) 155-75; Zur Spätzeit: Flemming (1964); Belke – Mersich (1990); Mitchell (2000) 139-52. 6 Brandt (1992) 39, 44. 7 Mitchell (1992) 25. 8 Hall – Coulton (1990) 130. 9 Brandt (1992) 98.

1

Von den 54 pisidischen Städten sind bisher nur 47 lokalisiert: Mitchell (1998) 238.

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Korana Deppmeyer

negotiatores nach Pisidien und wurden dort ansässig10, wobei man offenbar die bestehenden Polisstrukturen beließ und in diese nicht stark verändernd eingriff11. In Kremna, der unter Augustus neugegründeten Colonia Iulia Augusta Felix Cremna12, gliederten sich beispielsweise die Römer in eine bereits gut ausgebaute Stadt mit vorherrschend griechischer Kultur ein13. Schließlich wurde durch die Errichtung der von Perge nach Antiochia ad Pisidiam führende Via Sebaste14 eine Verbindung und Kommunikation zwischen den Städten ermöglicht.

Tempels sowie einer großen Stoa erhalten haben21. Die Datierung der öffentlichen Bauten wird in das späte 2. und 1. Jh. v. Chr. vorgenommen22. Eine Stadtmauer umgibt das Areal im Westen, Norden und Osten23. Im Süden schließt die Nordnekropole an, deren Bestattungen zum Teil noch weit in das Stadtgebiet hineinreichen und eine deutliche Trennung von diesem und der Nekropole nicht erkennen lassen24. Ebenfalls in südlicher Richtung – am ansteigenden Hang – befindet sich die aus relativ einheitlichen, kleineren und einfachen Gräbern bestehende Südnekropole25. Die überwiegende Zahl der Bestattungen setzt sich aus schlichten Kalksteinsarkophagen oder eintürigen Grabhäusern durchschnittlicher Größe zusammen26 und ist damit den Gräbern anderer pisidischer oder auch lykischer Städte wie z. B. Termessos vergleichbar. Reste der römischen Stadt erstrecken sich östlich der hellenistischen Bebauung in der Talsohle. Außer einer noch aufrecht stehenden dreibogigen Toranlage27 gehören die erhaltenen Baustrukturen zu zwei großen christlichen und vorwiegend aus Spolien errichteten Basiliken28, die einige römische Gebäudefundamente überlagern. Die westliche Begrenzung der römischen Bauten wird von einem auf einem großen Platz stehenden Nymphäum gebildet. Ein Theater schließt sich im Westen an und nordöstlich trifft man auf einen Bäderkomplex mehrerer Bauphasen mit Palästra und einer großen rechteckigen Exedra sowie zwei Zisternen29. Eine weitere Nekropole wurde östlich der römischen Stadt angelegt, sowohl außerhalb der römischen Bebauung als auch der sich weit nach Osten erstreckenden hellenistischen Stadtmauer, im deutlichen Unterschied zur Nordnekropole. Auch bei diesen Gräbern handelt es sich um einfache Bauten aus massiven Kalksteinblöcken. Ein offensichtlich hervorgehobenes und nicht in die drei Nekropolen integriertes Bestattungsareal befindet sich an einer südöstlich der römischen Stadt errichteten Straße30.

1. Ariassos Die Kleinstadt Ariassos15 befindet sich 50 km nördlich von Antalya und wurde erstmalig von K. Lanckoronski16 1892 erwähnt – allerdings fälschlicherweise als Cretopolis, was wenig später von V. Bérard mit Hilfe einer Inschrift, die den Ortsnamen erwähnt, berichtigt werden konnte17. Die Geschichte betreffende Quellen sind nicht vorhanden18, jedoch finden sich verschiedene kurze Erwähnungen bei antiken Autoren19. Ariassos erstreckt sich auf einem terrassenartigen Hang und erfuhr durch verschiedene Surveys von 1988-90, geleitet von S. Mitchell, eine entscheidende Aufarbeitung, wobei die Geschichte der städtischen Bebauung in hellenistischer und auch römischer Zeit erhellt wird (Abb. 2). Den ursprünglichen Stadtkern bilden einige hellenistische Bauten, von denen sich Reste eines Bouleuterions20, eines Prytaneions, eines Anten10

Brandt (1992) 160, 167. Quass (1984) 200; Stephan (2002) 59. 12 zu Kremna: Petersen (1892) 161-163; Rott (1908) 21, 359 Nr. 50, 5; Mitchell (1989) 229-42; Mitchell (1995); Horsley – Mitchell (2000) 13-44. 13 Ausschließlich römische Namen sind in der Stiftungstätigkeit evident, wie z. B. L. Fabricius Longus, Sohn des Caius, der mit seiner Frau Vibia Tatia und Tochter Fabricia Lucilla ganze Areale bebauen ließ: das Forum, die Basilika, eine Exedra und Marmorstatuen der römischen Kaiser Hadrian und den vergöttlichten Trajan: Mitchell (1995) 65 f.; Brandt (1992) 110 f.; Horsley – Mitchell (2000) 13-19. 14 Mitchell (1993) 78; Mitchell (1998) 240; Vandeput (2002) 205. 15 Rott (1908) 23-25. 16 Lanckoronski 123-26. 17 Bérard (1892) 427 Nr. 61; IGRR III 422. 18 Es lässt sich jedoch ein Gründungsdatum um 189 v. Chr., resultierend aus anderen Inschriften, annehmen: Mitchell (1992) 16; Brandt (1992) 53; Leschhorn (1993) 391 f. 19 Antike Benennungen z. B. bei Strab. 12, 570, 2; Ptol. 5, 5, 6; Hierokles 681, 4; siehe ausführlich bei v. Aulock (1977) 26 f. 20 Krischen (1941) 17; Meinel (1980) 508 (Kretopolis); Filgis (1986) 64 f.; Filgis (1988) 1-6; Müller-Wiener, 11

(1988) 160 f. Abb. 96; Mitchell – Owens – Waelkens (1989) 65; Gneisz (1990) 327 Nr. 33 (Kretopolis). 21 Mitchell – Owens – Waelkens (1989) 65; Mitchell (1991) 160 f.; Schulz (1992) 34. 22 Mitchell – Owens – Waelkens (1989) 66. 23 Mitchell (1991) 159; Schulz (1992) 35 f. 24 Auch im pisidischen Ort Panemoteichos finden sich römische Gräber im Bereich der Wohnbebauung: Aydal – Mitchell – Robinson – Vandeput (1997) 159. 25 Cormack (1996) 14. 26 Cormack (1989) 31 f. 27 Lanckoronski (1892) Taf. 22; Mitchell (1991) 162-65 Abb. 3, 4; Schulz (1992) 37-39; Horsley – Mitchell (2000) 118-22. 28 Rott (1908) 25; Mitchell (1991) 165 f.; Schulz (1992) 31. 29 Mitchell – Owens – Waelkens (1989) 64. 30 Zu den römischen Grabbauten: Cormack (1989) 31-40; dies., (1991) 170; dies., (1996) 3-25.

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Romanisation in Pisidien

Hier trifft man auf einige aufwändiger gestaltete Gräber. Das sog. Grab ST 1 liegt etwas abseits am Hang und ist damit auffällig positioniert und weithin sichtbar. Den interessantesten Aspekt des Baus stellt seine Form dar, die stark an einen römischen Podiumstempel angelehnt ist31 (Abb. 3). Das aus Kalksteinblöcken errichtete Grabgebäude erhebt sich auf einer zweistufigen Krepis und besitzt an seiner Vorderfront ein sechsstufiges hohes Podium. Die Seitenwände bilden im vorderen Bereich Anten aus; möglicherweise existierten einst Säulen zwischen diesen. In der Größe - die Länge der Cella mißt 5,40 m - übertrifft dieses Grabhaus die meisten anderen. Im Inneren fanden sich zahlreiche marmorne Sarkophagfragmente eines kleinasiatischen Säulensarkophages32, was bei der seltenen und sparsamen Marmorverwendung - selbst für Kaiserweihungen bestimmte Statuenbasen wurden fast ausnahmslos aus örtlichem Kalkstein gefertigt - in diesem Gebiet recht auffällig ist und sich ebenso stark von der üblichen undekorierten pisidischen Grabarchitektur abhebt. Es ist fraglos, dass sich hier eine führende und der städtischen Elite zugehörige Person bestatten ließ - in einem Grabbau gut sichtbarer topographischer Position und typisch römischer Bauform, aber in einem kleinasiatischen Sarkophag, nahe der „Gräberstraße“, die wiederum deutlich römischem Vorbild folgt33. Auch in anderen Städten Kleinasiens, wie z. B. in Assos oder Hierapolis ist die Übernahme von Gräberstraßen zu beobachten. Nicht nur in der Grabarchitektur sind westliche Einflüsse spürbar, auch die starke Präsenz römischer Kaiserstatuen ist augenfällig: auf dem römische Bogen34 (Abb. 4) haben sich drei stadtauswärts gerichtete Statuenbasen erhalten, die mit jetzt nur noch schwer zu lesenden Inschriften versehen sind. Eine vierte Basis fand sich niedergestürzt neben dem Bogen. Aufgrund des erhaltenen Stifternamens des Gymnasiarchen und Kaiserpriesters Diotimos, Sohn des Samos, für den in einem anderen Kontext eine Statue errichtet wurde35, die in das Jahr 427 nach der Ära von Ariassos datiert, was den Jahren 238/9 n. Chr. entspricht, lassen sich Rückschlüsse auf die aufgestellten

Kaiserstatuen ziehen, denn die Lebensdaten des Diotimos fallen mit der Regierungszeit des Severus Alexander 22235 n. Chr. zusammen36. Somit ist davon auszugehen, dass der Bogen mit den ihn bekrönenden Statuen unter Severus Alexander erbaut wurde und neben dem Kaiser selbst Mitglieder seiner Familie darstellt. Aus den erhaltenen Resten der Baseninschriften und den vorgenommenen Ergänzungen lässt sich folgendes Bild gewinnen37: Die südliche, jetzt heruntergefallene Basis trug wahrscheinlich eine Statue des vergöttlichten Septimius Severus. Es folgt vermutlich eine Basis des Caracalla, die sich noch in situ befindet und eine entsprechende Inschrift trägt. Ebenso in situ steht die wohl Severus Alexander zuweisbare Basis. Die Fragmente der nördlichen Basis sind zwar ebenso noch am Ort, allerdings erlaubt die starke Zerstörung keine Lesung mehr. Das Postament könnte sich jedoch auf Julia Mamaea, die Mutter des Severus Alexander beziehen38. Mir erscheint allerdings auch eine Statuenkombination mit Julia Domna sehr wahrscheinlich, da sie im gesamten Römischen Reich in den meisten statuarischen Kaisergruppenweihungen in Verbindung mit Septimius Severus und auch Caracalla auftritt. Auch im Militärlager von Murrhardt39 finden sich beispielsweise zwei zusammen aufgestellte Statuen der Julia Domna und des Severus Alexander. Bei der Prüfung von Kaisergruppen wurden jedoch nur wenige Beispiele von der Statuenkombination des Severus Alexander und der Julia Mamaea, bekannt nämlich aus Italien, unbekannter Provenienz, Szentendre und Gerasa40. 36

Schulz (1992) 39; Leschhorn (1993) 390 f; Mitchell vermutet einen Zusammenhang zwischen der Errichtung des Bogens mit seinem Skulpturenschmuck und dem Feldzug des Severus gegen die Sassaniden in den Jahren 231-33 n. Chr.: Horsley – Mitchell (2000) 121. 37 Horsley – Mitchell (2000) 118-22. Maße der Basis für Septimius Severus H 0,78 m B 0,33 m (erh.) T 0,62 m (erh.); Basis für Caracalla? H 0,79 m B 1,00 m T 1,05 m; Basis für Severus Alexander? H 0,68 m B 1,05 m T 1,32 m. 38 Horsley – Mitchell (2000) 121. 39 Fabricius – Hettner – v. Sarwey (1929) 9 f.; Gamer (1968) 57; Schillinger-Häfele (1982) 66 f. Nr. 27; Stoll (1992) 204, 400-07 Nr. 36 III 3.1,2; Stoll (2001) 185. 40 Zu Italien: Kunisch (1982) 11-17; Jucker – Willers (1983) 173-77 Nr. 71-3; Varner (2001) 51; Varner (2004) 282 Nr. 7.25; Szentendre: Fitz (1983) 140; Visy (1988) 148-151; Gerasa: Clermont-Ganneau (1895) 142; Lucas (1901) 69 f. Nr. 57, 58; R. Brünnow – A. v. Domaszewski (1909) 324 f.; Kraeling (1938) 430 Nr. 157-58. Möglicherweise handelt es sich auch bei zwei Statuen aus dem Legionslager von Carnuntum um Severus Alexander und Julia Mamaea. Aufgrund der fehlenden Köpfe muss eine Zuweisung jedoch

31

Cormack (1996) 20 f. Taf. IV a,b. Cormack (1996) 22 f. 33 auch in anderen Städten Kleinasiens, wie z. B. in Assos oder Hierapolis ist die Übernahme von Gräberstraßen zu beobachten. Vgl. dazu: v. Hesberg – Zanker (1987) 17 f.; Cormack (1997) 140. 34 erhaltene Höhe: 11 m; Gesamtbreite 18,6 m; Breite des mittleren Durchganges 4,30 m, Breite der seitlichen Durchgänge 2,90 m (Angaben nach Schulz (1992) 38). 35 SEG XIII 546; Bérard (1892) 429; Mitchell – Owens – Waelkens (1989) 63; Mitchell (1991) 162; Schulz (1992) 39;Leschhorn (1993) 390; Horsley – Mitchell (2000) 118-22. Man errichtete für ihn eine Statue, weil Diotimos die Stadt mit Land beschenkte, aus dessen Erträgen das Öl für das Gymnasium finanziert werden konnte. 32

237

Korana Deppmeyer

Eine weitere, gewachsene Statuengruppe für römische Kaiser in Ariassos ließ sich durch die wiederverwendeten Inschriftenbasen im Bereich der die römische Straße flankierenden Basilika eruieren. Aufgrund ähnlicher Maße und Gestaltung der verbauten Basen kann man von einer zusammengehörigen Kaiserweihung ausgehen41. Das ursprüngliche Monument trug Statuen von Lucius Verus, drei des Caracalla und eine weitere des Severus Alexander. Nach dem Ort ihrer Auffindung liegt es nahe anzunehmen, dass auch das Kaisermonument einst an einem bevorzugten und repräsentativen Platz im Bereich des römischen Agorazentrums aufgestellt war. Erhalten hat sich die in der Nordmauer der zentralen Basilika vermauerte, aus zwei Blöcken bestehende Basis mit Inschrift für den vergöttlichten Lucius Aurelius Verus42. Die von Boule und Demos gestiftete Statue datiert kurz nach 169 n. Chr.. Eine große, mit zwei Inschriften versehene Basis für Caracalla war an der Westseite der parallel zur Straße gelegenen Basilika verbaut. Wie aus der Inschrift hervorgeht, weihte der Dedikant Hieronymos eine vergoldete Statue für Caracalla, der als Sieger über die Parther, Briten und Germanen gepriesen wird. Die untere Inschriftenzeile läuft über den ganzen Block und benennt das Amt des Aurelius Silanus Hoplon als Proboulos, im Jahr 402 (213-14) n. Chr. In der zweiten Inschrift wird als Dedikant der Demiurg Marcus Aurelius Nanerianos Molesis, Sohn des Trokondas, aufgeführt, der zwei Statuen des Caracalla weihte. Eine Basis für den Kaiser Severus Alexander fand sich in einer Mauer des Baptisteriums der zentralen Basilika. Hier hat sich kein Stiftername erhalten und eine Datierung der Aufstellung kann nur allgemein in die Regierungszeit des Kaisers von 222-35 n. Chr. vorgenommen werden.

Aurelius Seilanos Hoplon als Proboulos errichtet wurde. Hieronymos fungierte als Kaiserpriester und stiftete die vergoldete Bronzestatue, während Marcus Aurelius Nanerianos Molesis als Demiurg gleich zwei Statuen des Herrschers errichten ließ. Beide Inschriften datieren in die Jahre 213-14 n. Chr., kurze Zeit nach der von Caracalla 212 n. Chr. bewirkten constitutio Antoniana, die allen freien Provinzialen das römische Bürgerrecht verschaffte. In den Inschriften wird das Phänomen der Namensvermischung deutlich: Seilanos Hoplon und Nanerianos Molesis ergänzten ihre eigenen Namen um den des römischen Marcus Aurelius43. Kehrt man in das alte hellenistische Zentrum von Ariassos zurück, zeigt sich, dass nicht nur der römische Stadtbereich der Aufstellung von Kaiserstatuen diente, sondern vor allem die große Portikus einen sichtlich lange genutzten Ort zur Kaiserehrung bot: es fanden sich neben leider nicht zuweisbaren Marmorfragmenten eine ganze Anzahl von Statuenbasen, von denen eine Inschrift für den Kaiser Gordian III. auszumachen ist, die von der Boule und dem Demos gestiftet wurde44. Dass auch dieses Areal nicht an Wichtigkeit eingebüßt hatte und offenbar nach wie vor ein zentraler öffentlicher Platz war, machen die mehrfach vorgenommenen Umbauten dieser Portikus sowie die aufgestellten Statuenbasen deutlich. Aus den Bauten und Ehrenmonumenten, den reichen römischen Grabbauten und der augenfälligen Präsenz von Statuen des severischen Kaiserhauses lässt sich eine Blütezeit der Stadt im späten 2. und beginnenden 3. Jh. n. Chr. vermuten45. Zusammenfassend sei festgehalten, dass bei den Kaiserweihungen Caracalla eine besondere Verehrung zukam, was sich auch in der Münzprägung widerspiegelt: die meisten Prägungen sind unter Caracalla feststellbar46. Nachfolgende Weihungen für spätere Kaiser, jetzt nur noch durch eine Statuenbasis des Gordian nachweisbar, schließen sich an prominentem und frequentiertem Ort an. Römischer Einfluss wird ebenso bei reichen Bestattungen an der „Gräberstraße“ deutlich.

Die erhaltenen Inschriften auf der großen, Caracalla dedizierten Basis lassen erkennen, dass dieses Monument, möglicherweise in Verbindung mit einem Kleinasienbesuch des Kaisers, auf Veranlassung der städtischen Führungsschicht in der Amtszeit des Marcus

2. Melli- Kocaaliler Die intensive Hellenisierung im pisidischen Bereich ist auch auf den Kremna und Sia benachbarten Ort „Melli“47 zu beziehen, der ca. 1 km vom modernen Dorf Kocaaliler entfernt in der Provinz Burdur liegt48. Der antike Name

hypothetisch bleiben: s. dazu: Hirschfeld (1878) 180 f.; Hauser (1884) 58; Schober (1953) 37 f.; Gamer (1968) 57; Stiglitz – Kandeler – Jobst (1977) 632-36; Genser (1986) 574 ff.; Stoll (1992) 10 Anm. 40. 41 Horsley – Mitchell (2000) 114. 42 vgl. Horsley – Mitchell (2000) 114-18; Das Material ist jeweils Kalkstein. Maße der Basis für Lucius Verus: a) H 0,51 m, B 1,56 m, T 0,90 m; b) H 0,45 m (erh.) B 1,32 m, T 0,13 m (erh.); Basis für Caracalla: H 1,45 m, B 2,73 m, T 0,46 m; Basis für Severus Alexander, aus zwei Blöcken bestehend a) H 0,48 m, B 0,76 m, T 0,66 m; b) H 0,50 m, B 0,92 m, T 0,75 m

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s. dazu: Mitchell (1999) 433. Mitchell – Owens – Waelkens (1989) 66; Horsley – Mitchell (2000) 122. 45 vgl. Brandt (1992) 113. 46 v. Aulock (1977) 67-76. 47 Der antike Name ist unbekannt. Von V. Bérard wurde der Ort „Milyas“ genannt: Vandeput – Köse (2001) 133. 48 Vandeput – Köse – Aydal (1999) 135; Horsley – Mitchell (2000) 153. 44

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Romanisation in Pisidien

des Ortes ist nicht bekannt. Seine größte Prosperität erlangte Melli, wie auch Ariassos, erst in der späteren Kaiserzeit. Die seit 1998 durchgeführten Surveys und Untersuchungen unter der Leitung von L. Vandeput haben verdeutlicht, dass sich die Bebauung auf zwei schmalen Plateaus eines hohen Bergrückens erstreckt (Abb. 5). An der Ost-, Süd- und Westseite folgt die in hellenistische Zeit datierende und in verschiedenen Mauertechniken ausgeführte Stadtmauer49 der natürlichen Plateaubegrenzung. Bebauungsspuren ausserhalb dieser Mauer sind sehr gering. Auch die römische Stadt entwickelte sich – anders als in Ariassos oder Sia – innerhalb der hellenistischen Anlage. Das Stadtzentrum wird von zum Teil noch gut erhaltenen Bauten50 gebildet und besteht aus einer Agora mit einer langen schmalen Halle im Westen, die wohl als eine Art Marktgebäude diente und im Vergleich mit anderen ähnlichen Zwecken dienenden Bauten in Pisidien, beispielsweise in Sagalassos oder Selge, in das 2. Jh. v. Chr. datiert wird51. Westlich dieser Anlage hat sich ein monumentaler Treppenaufgang von 18 m Breite erhalten. Diesem gegenüber, in geringer Distanz zu einem dorischen Bogen, fanden sich an der Nord-Westseite der Agora52 die Reste eines auf einem Podium angelegten Ehrenmonumentes. Es weist hohe Basen mit Inschriften und diese bekrönende Kapitelle von einer 1,80- 2,00 m betragenden Gesamthöhe auf 53. Spuren für die Einlassungen von Bronzestatuen sind auf den Deckplatten noch sichtbar. Die erhaltenen Inschriften beziehen sich auf Statuen römischer Kaiser des 2. und 3. Jhs. n. Chr., die von der Boule und dem Demos dediziert wurden. Von diesem sicher einst sehr auffälligen Ehrenmonument für Antoninus Pius, Septimius Severus und der auch hier dreimal vorhandenen Weihung für Caracalla, hat sich nur die Basis des Antoninus Pius in situ erhalten54 während die anderen Blöcke als Spolien in der L-förmigen Mauer an der Agora verbaut wurden (Abb. 6). Wie aus den erhaltenen Fundamenten hervorgeht, scheint es sich hier um eine u-förmige Anlage zu handeln, die die Statuen trug.

Für das Postament des Antoninus Pius kann nur eine allgemeine Datierung in die Regierungszeit des Kaisers von 138-61 n. Chr. vorgenommen werden Der Aufstellungszeitpunkt der Septimius Severus-Basis lässt sich ebenfalls nur grob auf die Jahre 193-211 n. Chr. eingrenzen. Aus zwei Fragmenten einer Basis konnte eine Inschrift für Caracalla rekonstruiert werden: Eine weitere Basis wurde wiederum Caracalla dediziert und datiert in die Jahre 197-217 n. Chr.55.  Erst jüngst wurden nahe der Basis für Antoninus Pius weitere Fragmente eines Kalksteinpostamentes entdeckt, die sich nach der Inschrift ebenfalls Caracalla zuweisen lassen und zum selben Monument gehören56. Über die ehemalige Anordnung der Kaiserstatuen lassen sich leider keine Aussagen mehr treffen. Wie lange dieses Monument nach der severischen Dynastie noch Bestand hatte, ist nicht feststellbar. Neben den Fundamenten des an der Nordostseite in die Stadt führenden dreitorigen Bogens befanden sich die Überreste eines stark zerstörten Gebäudes, das nach dem Auffinden von vier zu einem Architrav gehörigen Inschriftenfragmenten als Antoninus Pius geweihter Bau oder Sebasteion gelten kann57. 58 Leider wird aus der Inschrift nicht ersichtlich , welche Person aus eigenen Mitteln diese Weihung vornahm, allerdings ist aufgrund der Schriftaufteilung eher von einem einzelnen Namen mit Patronym als den tria nomina eines Römers auszugehen59. Eine Nekropole wurde, wie auch in Ariassos, beidseitig der von Norden her in die Stadt führenden Straße angelegt,. Die Bestattungen setzen sich aus Monumentalgräbern, Sarkophagen, rechteckigen Osteotheken und Felsgräbern zusammen. Am auffälligsten sind die großen Tempelgräber. So erhebt sich beispielsweise das zur Straße ausgerichtete Tempelgrab TT1 auf einem hohen Podium, ähnlich dem genannten Beispiel aus Ariassos, was eine römische Beeinflussung auch hier zeigt. Es besitzt eine Cella mit Pronaos und Anten an den Seitenwänden, was hier ebenfalls auf mögliche, allerdings nicht erhaltene Säulen in antis hindeuten könnte60. Ähnlich präsentieren sich die Gräber TT2 und TT3, die auch auf einem hohen Sockel

49

55

Vandeput – Köse – Aydal (1999) 135. Vandeput – Köse (2002) 145-52. 51 Vandeput – Köse – Aydal (1999) 140; Vandeput – Köse (2001) 133. 52 Vandeput – Köse – Aydal (1999) 139; Vandeput – Köse (2001) 133-36. 53 Bérard (1892) 436 f.; Bean (1960) 76 f.; Vermeule (1968) 273, 324; Vandeput – Köse – Aydal (1999) 140 f.; Horsley – Mitchell (2000) 154 -57 Nr. 149-55; Vandeput – Köse (2001) 133. 54 Sehr ungewöhnlich ist die Tatsache, dass sich auf der Basis für Antoninus Pius keine Statue des Kaisers, sondern eine dorische Säule befand. vgl.: Mitchell (2003) 142 Abb. 2.

IGRR III 390, 388; SEG 19 (1963) 863; IK 57, 155 Nr. 151; Maßangaben: H 1,17 m B 0,74 m T 0,74 m. Einlaßspuren lassen auf eine Bronzestatue des Kaisers schließen. 56 Mitchell (2003) 144 Nr. 3; Maßangaben: H 1,17 m B 0,74 m T 0,74 m. 57 Nach Meinung von Vandeput wurden Bogen und Sebasteion, resultierend aus der gleichartigen Dekoration und Ausführung der Steine zusammen errichtet: Vandeput – Köse (2001) 136 Abb. 4, 5. 58 Bérard (1892) 437 Nr. 76; IGRR 3, 385 (Fragment B); Bean (1960) 77 Nr. 72; Horsley – Mitchell (2000) 153 f. 59 Horsley – Mitchell (2000) 154. 60 vgl. Vandeput – Köse (2001) 138.

50

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errichtet wurden. Ihr schlechter Erhaltungszustand erlaubt jedoch keine genaueren Vergleiche oder Datierungsversuche61. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Stadt seit hellenistischer Zeit existierte und dass man vor allem die öffentlichen Gebäude bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein weitergenutzt zu haben scheint, ohne das Stadtbild entscheidend zu verändern, oder in römischer Zeit, wie in Ariassos, ein neues Zentrum neben dem alten zu errichten. Hier lässt sich keine Urbanisierung oder forcierte städtische Fortentwicklung des öffentlichen Raumes beobachten. Das Monument oder Sebasteion für die römischen Herrscher schien ein gewachsenes und beständig ergänztes Gebäude zu sein, das sowohl in der Bauform als auch in der sukzessiven Statuenaufstellung auffällig mit anderen pisidischen und lykischen Ehrenmonumenten der römischen Herrscher vergleichbar ist, z. B. in Sia und Boubon. Es erhielt auf der Agora einen hervorgehobenen Standort, direkt neben dem dorischen Tor, was ebenfalls für den Antoninus Pius geweihten Bau gilt, der von jedem in die Stadt Kommenden als erstes wahrgenommen wurde und die Wichtigkeit der Kaiserverehrung und der kaiserlichen Statuenpräsenz im öffentlichen Raum der kleinen Stadt deutlich dokumentiert. Scheinbar erst seit der 2. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. wird eine Erweiterung der Bauten um vor allem Ehrenmonumente für die römischen Kaiser vorangetrieben, zeitgleich mit den einsetzenden Bauprogrammen anderer pisidischer Kleinstädte. Die Stadt blieb offenbar ohne direkte römische Einflußnahme und Besiedlung.

Eine weitere kleine, ebenfalls auf einem Bergrücken gelegene Stadt in Pisidien befindet sich ca. 25 km von Ariassos entfernt62. Die Bauten sind noch unpubliziert, jedoch haben verschiedene Surveys gezeigt, dass sich im Bereich der Agora drei kleinere, dicht aneinanderliegende römische Tempel auf Podien befanden, die eine große Anzahl von Statuenbasen beherbergten. Am Fuße eines Berghanges wurden die älteren baulichen Reste der Stadt entdeckt63. Über eine Treppe gelangte man auf die höher gelegene Agora, auf der sich das Bouleuterion fand, das in hellenistischer Zeit errichtet wurde64.

Eine Nekropole liegt am westlichen Fuß des Berges und ist in ihrer Anlage, ähnlich Ariassos, nicht klar von der Stadtbebauung abgetrennt. Eine weitere Parallele zeigt sich in der in römischer Zeit erfolgten Verlegung des Stadtzentrums vom geschützten Bergrücken in die leichter zugängige Talebene65. Auch in Sia wurde das in Bezug auf Aspekte der Romanisation interessanteste Gebäude am Fuß des Westhanges im Bereich der Agora errichtet und bildet ein Pendant zum erwähnten Ehrenmonumente von Melli und auch dem von Boubon. Die u-förmige und podienartige Anlage ist über vier Stufen zu erreichen. An drei Seiten des Baus befanden sich Basen, die einst Statuen der severischen Kaiserfamilie trugen – aufgestellt vom Demos der Stadt, wie aus den partiell erhaltenen Inschriften hervorgeht (Abb. 7). Man orientierte sich bezüglich der Bauform möglicherweise an den Nachbarorten und wies auch hier dem Kaisermonument einen wichtigen und gut sichtbaren Platz zu - gegenüber der Front der drei römischen Tempel auf der Agora. Die Inschriften der Basen, die in ihrer Form denen von Ariassos entsprechen, sind stark beschädigt und zum Teil eradiert, dennoch kann die antike Aufstellung der Statuen zum großen Teil rekonstruiert werden66: An der Fronseite standen einst vier Statuen mit gelöschter Inschrift auf dem Postament. Daneben befindet sich eine Basis für Septimius Severus mit einer erhaltenen Inschrift. Die Datierung erfolgt nach der Titulatur in die Jahre 198211 n. Chr.67. Es schließt sich eine wiederum eradierte Basis severischer Zeitstellung für vermutlich Geta an. Die nächstfolgende Basis trug die Statue des Caracalla und ist zwischen 198-217 n. Chr. anzusetzen. Jeweils an den Seiten standen die Basen des Geta als Sohn des Septimius Severus sowie der Julia Domna - auf der Oberseite der Basis haben sich Fußspuren für den Einsatz einer Kinderfigur und der einer erwachsenen Person erhalten (Abb. 8) - datiert in die Jahre 198-211 n. Chr.  Es schließt sich die Basis für Gallien an, dediziert zwischen 253-68 n. Chr. Eine weitere Basis des Caracalla wird von Bérard68 erwähnt, deren Zugehörigkeit zu diesem Monument muss jedoch fraglich bleiben.

61

65

3. Sia

vgl. Vandeput – Köse (2001) 141. Zunächst wurde Sia von V. Bérard fälschlicherweise anhand des Inschriftenmaterials zu Osia ergänzt, was erst in der Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts durch Bean berichtigt wurde: Bérard (1892) 434 f.; Bean (1960) 74 f. 63 Mitchell (1992) 19; Horsley – Mitchell (2000) 144. 64 Bean (1960) 74 Taf. 11b; Mitchell (1992) 19: Daneben weisen auch die Mauertechnik und Bauweise der Türme Ähnlichkeiten mit entsprechenden Anlagen anderer späthellenistischer Städte auf.

Mitchell (1998) 244. Horsley – Mitchell (2000) 147-50 Nr. 138-44; Nr. 142 ist die Basis des Geta, für welche die Maße H 0,88 m B 0,94 m T 0,58 m betragen; Basis Nr. 143 trug die Statue des Gallien: H 0,41 m B 0,57 m; IGRR III 418-21. 67 Die vorgeschlagene Datierung von Horsley – Mitchell (2000) 147 in den Zeitraum von 196-211 n. Chr. muss korrigiert werden, da Septimius Severus erst seit 198 n. Chr. den Beinamen Parthicus maximus trägt. vgl. Kienast 158. 68 Bérard (1892) 436 Nr. 69.

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Romanisation in Pisidien

Die Qualität der allesamt aus Bronze gearbeiteten Statuen ist mit Ausnahme der qualitativ herausragenden Statue des Marc Aurel gering und deutlich provinziell, jedoch verbindlichen Herrscherporträttypen folgt.

Die Datierung kann nur allgemein in das 2. – 3. Jh. n. Chr. vorgenommen werden. Man erweiterte auch hier das Monument sukzessive um Statuen, entsprechend den Dedikationen in Melli oder Ariassos, wobei die Ehrung in Sia ebenfalls dem severischen Kaiserhaus galt.

Auffällig ist in allen drei Städten und auch in Boubon, dass man Kaisergruppen, die erstmals unter den Antoninen auftreten und für das severische Kaiserhaus verbindlich werden, nach ähnlichen Schemata in dafür vorgesehenen u-förmigen, kleinen, offenbar schmucklosen Kultbauten oder Schreinen mit an je drei Seiten umlaufenden Basen aufstellte, die gewiss einen kostengünstigeren Ersatz für größere und prunkvolle Tempel darstellten. Unter den Statuen scheinen die des Caracalla besonders hervorgehoben, sowohl bezüglich ihrer aufwändigeren Gestaltung und des Materials, wie einige Weihungen aus vergoldeter Bronze zeigen, als auch ihrer Anzahl nach, was m. E. eine Reaktion der städtischen Führungsschicht auf die constitutio Antoniana war, die sich dem Kaiser Caracalla zu besonderem Dank verpflichtet sah. Bei allen Kaiserweihungen der severischen Dynastie im gesamten römischen Imperium treten Caracalla-Statuen nie häufiger als einmal im Gruppenkontext auf, was die pisidischen Beispiele zur Ausnahme macht73.

4. Boubon Einen Vergleich zu den vorgestellten Kaiserkultbauten bietet eine ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Anlage der Stadt Boubon im benachbarten Nordlykien in der antiken Landschaft Kabalis. Über die Geschichte Boubons ist so gut wie nichts bekannt: Der heute größtenteils verschüttete Ort zeigt noch Mauerreste von Bauten, wenige Stufen eines Theaters69 und verschiedene Inschriften70.  Der dortige durch verschiedene Raubgrabungen stark zerstörte Kultbau (Abb. 9) samt seiner jetzt auf viele amerikanische Museen und Sammlungen verstreuten Skulpturenausstattung konnte von J. Inan 1990 rekonstruiert werden71 und bietet eine auffällige bauliche Parallele zu den Kaisermonumenten von Melli und Sia, die Form des nicht mehr zu rekonstruierenden Ehrenmonumentes von Ariassos folgte möglicherweise auch diesem Muster. Das Sebasteion von Boubon besitzt einen u-förmigen Grundriß von 4,80 m x 6,5 m Größe. Seitlich wird dieser Bau von zwei nicht mehr erhaltenen ähnlich gestalteten Räumen flankiert. An den Innenwänden laufen Postamente um, auf denen die Statuen ihre Aufstellung fanden. Der als Sebasteion bezeichnete Kultbau wurde schon unter Nero von der Boule und dem Demos gestiftet, wie aus der erhaltenen Dedikationsinschrift des Gebäudes hervorgeht72. Dessen Statue und die seiner Gattin Poppaia bildeten die Erstausstattung und waren vor der Rückwand aufgestellt, was aus den teilweise zuweisbaren Inschriften entnommen werden konnte. Nero wurde nach der damnatio memoriae durch die Statue des Nerva ersetzt. Nachfolgende Kaiser fehlen, die Reihe setzt erst wieder mit Marc Aurel ein und wird fortgeführt bis zu Gallien und seiner Gattin Salonina. Der Zyklus umfasste insgesamt 14 Statuen. Es ist also auch hier eine gewachsene Gruppe vorhanden, allerdings in wesentlich größerem Umfang als in Melli oder Sia. Die Herrscher sind mit Ausnahme der Marc-Aurel-Statue nackt dargestellt und folgen hellenistischen Statuentypen des 4. Jhs. v. Chr., wie dem des lysippischen „Alexander mit der Lanze“ oder im Falle des Marc Aurel dem Vorbild von Philosophenstandbildern mit Chiton und Himation.

Zusammenfassung In den kleinen Ortschaften im pisidischen Bergland setzte der entscheidende Schub oder generell die Sichtbarwerdung von Romanisation erst im späteren 2. und beginnenden 3. Jh. n. Chr. ein, stark verzögert im Vergleich zu benachbarten größeren Städten wie Kremna74 oder Sagalassos75. Der Grund für die späte und auch vereinzelte Übernahme römischer Elemente im Stadtbild kann sicher nicht in einem potentiellen Widerstand der Bevölkerung gesehen werden, sondern die abgeschiedene Lage der nur kleinen, unbedeutenden Siedlungen, einhergehend mit dem fehlenden direkten Einfluß römischer Siedler erlaubte die lange Beharrungsdauer der Einheimischen in ihren Traditionen jeglicher Art sowie die Bewahrung der 73

Eine Ausnahme stellt die Ausstattung des Theaters von Leptis Magna dar. Hier wurden die Mitglieder der severischen Kaiserfamilie Fulvia Pia, Paccia Marciana, Septimia Octavilla, Julia Domna, Septimius Severus, P. Septimius Geta, Caracalla und Geta geehrt. Einige Statuen kommen in diesem Ensemble zweifach vor, so auch die des Caracalla. Da der Kaiser hier jedoch nicht innerhalb der Gruppe hervorgehoben wird, kann dies nicht mit der offensichtlichen Intention der pisidischen Beispiele verglichen werden. s. zu der Stiftung: Torelli (1971) 105-111. 74 Mitchell (1995) 53 f. 75 Vandeput (1997) 22 f., 64-77, 203-05; zur Romanisierung in Saglassos grundlegend: Waelkens (2003).

69

Inan (1977-78) 269. Schindler (1972). 71 Inan (1977-78) 267-96; Inan (1993) 213-39; Inan (1994); Fittschen (1999) 128 f. Nr. 48; Lahusen – Formigli (2001) 233 f. Nr. 144; 240-43 Nr. 148; 255 f. Nr. 158. 72 Inan (1993) 219. 70

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weswegen offen bleiben muss, ob in diesem Gebiet Emulation stattfand. Die Anwendung des Akkulturationsmodelles ist insofern schwierig, als entscheidende Punkte nicht zu bewerten sind: so lassen sich beginnende Kontakte zwischen den Römern und Indigenen nicht nachweisen und innerhalb der einheimischen Bevölkerung ist nur die Schicht der Elite greifbar. Über eine mögliche Präsenz von römischen Siedlern lassen sich ebensowenig Aussagen treffen. So zeigt sich lediglich bei der Bestattung, dass wohlhabende Bürger ihre einheimische Grabtradition um römische Aspekte, sei es Bauform oder die Beisetzung an Gräberstraßen, ergänzten. Die wenigen Grabbauten in Form von Podiumstempeln finden sich an diesen Straßen. Kulturelle römische Aneignungen sind bei den Eliten gewiss als Status- oder Prestigesymbole zu bewerten, was auch die Ergänzung des eigenen einheimischen Namen um den des römischen Marcus Aurelius verdeutlicht. Dass man sich für die Verleihung des römischen Bürgerrechts erkenntlich zeigen wollte, beweisen m. E. deutlich die Mehrfachweihungen an Caracalla, ein Phänomen, dass als singulär angesprochen werden kann. Es erfolgte also die Adaption von römischen Elementen, ohne dass eine komplette Assimilierung stattfand. Romanisationserscheinungen treten auf, jedoch waren diese Gebiete nie einer Romanisierung unterworfen.

eigenen Identität. Für eine Betrachtung potentieller Integrationsmuster oder –tendenzen ist der Bewertungsspielraum zu gering. Integration wird allenfalls auf rechtlicher Ebene mit der Verleihung des römischen Bürgerrechts evident und der daraus folgenden Übernahme der römischen Nomenklatur. Während sich im ersten Jahrhundert in den größeren Städten die römische Macht allmählich konsolidierte und eine Integration in das römische Imperium stattfand, lässt sich in den kleinen Siedlungen allenfalls partiell eine Berührung mit römischer Kultur feststellen76. Die diesbezüglich seltenen Quellen setzen dann aus und treten erst wieder ab dem mittleren 2. Jahrhundert n. Chr. ein, jetzt in gehäufter Zahl. Somit trifft die von D. Whittaker77 für die westlichen Provinzen und Nordafrika postulierte Periodisierung der Romanisation, bestehend aus einer zunächst formativen oder konsolidierenden Phase, die dann abgelöst wird von einer zweiten Phase, in der römische Phänomene deutlich evident werden und die mit einer verstärkten Bautätigkeit seit der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. einhergeht78, bedingt auch auf den pisidischen Raum zu. Allerdings ist die erste Phase nur indirekt über vermutliche Einwirkungen anderer benachbarter Städte, die stärkerem römischen Einfluss unterlagen, greifbar. Generell sind in den Kleinstädten nur die städtischen Eliten sporadisch fassbar, zu den unteren Bevölkerungsschichten fehlen bewertbare Quellen,

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76

So ist beispielsweise in Ariassos eine kaiserliche Münzprägung in augusteischer Zeit, seit Einrichtung der Provinz Galatia 25 v. Chr., nachweisbar; danach treten Münzen erst wieder unter Antoninus Pius auf und sind bis Gallien nachzuweisen : v. Aulock (1977) 29. In Panemoteichos sind die ersten Münzen unter Julia Domna und Caracalla anzutreffen. Die wenigen Reste von Inschriften beziehen sich als ebenso früheste bekannte auf eine Weihung an Septimius Severus: Aydal – Mitchell – Robinson – Vandeput (1997) 141 und Mitchell (1994) 136–39. So auch in der nordlykischen Kleinstadt Balboura: die Stadt weihte zwei Statuenbasen für Septimius Severus und Commodus: Naour (1980) 36 f. Nr. 6, 7. Die Münzprägung von Kodrula ist erst seit der Regierungszeit des Antoninus Pius bis Valerian nachweisbar: Weiß (1991) 69; Mitchell (1994) 146. Die früheste bekannte Statuenweihung in Melli bezieht sich auf Kaiser Augustus als Soter und datiert in das Jahr 3-4 n. Chr.: Bérard (1892) 437 Nr. 75; IGRR III 391; Horsley – Mitchell (2000) 157 f. Nr. 154. Im Sebasteion von Boubon fehlen nach Weihungen an Kaiser des julisch–claudischen Hauses Dedikation an die Flavier, die Kaiser Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und setzen erst wieder mit einer Statue des Marc Aurel ein: s. dazu Anm. 70. 77 Whittaker (1995) 22. 28-30. 78 vgl. dazu auch: Woolf (1995) 9-17.

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Abbildungsnachweis: Abb. 1: Vandeput – Köse – Aydal (1999) 134 Abb. 1. Abb. 2: Schulz (1992) 32 Abb. 1. Abb. 3: Cormack (1996) 23 Abb. 16. Abb. 4: Schulz (1992) Taf. 7,2. Abb. 5: Vandeput – Köse – Aydal (1999) 139 Abb. 5. Abb. 6: Vandeput – Köse – Aydal (1999) 141 Abb. 7. Abb. 7: Horsley – Mitchell (2000) 145 Abb. 54. Abb. 8: Horsley – Mitchell (2000) 146 Abb. 55. Abb. 9: Inan (1993) Taf. XII 7.

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Abb. 1: Plan von Pisidien.

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Abb. 2: Städtisches Areal von Ariassos.

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Abb. 3: sog. Grab ST 1.

Abb. 4: Römischer Bogen von Ariassos.

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Abb. 5: Agora von Melli mit dem kaiserlichen Ehrenmonument.

Abb. 6: Fragmente des Kaisermonumentes mit der erhaltenen Basis für Antoninus Pius.

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Romanisation in Pisidien

Abb. 7: Agora von Sia.

Abb. 8: Postament für die Statuen der römischen Kaiser.

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Abb. 9 Sebasteion von Boubon mit den erhaltenen Statuenbasen.

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Sepulkralrepräsentation im kaiserzeitlichen Phrygien: Elite ohne ‚Negotiation’? von

Günther Schörner In den letzten Jahren rückte man – zu Recht – von diesem Modell ab und legte den Schwerpunkt auf Romanisation, der Aneignung römischer Kultur durch die Provinzialen selbst2. Die entscheidende Rolle bei dieser Adaption sollten die lokalen Eliten spielen, die auch für die weitere Verbreitung dieser kulturellen Phänomene in niederen Bevölkerungsstraten wenn auch nicht direkt verantwortlich, so doch vorbildlich waren3. Diese Honoratioren sind nach der Definition von Max Weber4 Personen, die »1. kraft ihrer ökonomischen Lage imstande sind, kontinuierlich nebenberuflich in einem Verband leitend und verwaltend ohne Entgeld oder gegen nominalen oder Ehren-Entgelt tätig zu sein und welche 2.) eine, gleichviel worauf beruhende, soziale Schätzung derart genießen, daß sie die Chance haben, bei formaler unmittelbarer Demokratie kraft Vertrauens der Genossen zunächst freiwillig, schließlich traditional, die Ämter inne zu haben«. Will man die Mechanismen der Romanisation besser verstehen, so ist es vor allem notwendig, zwei grundsätzliche Phasen zu betrachten:

Zusammenfassung: Phrygien ist noch in der römischen Kaiserzeit agrarisch geprägt und wenig urbanisiert und besitzt somit einen wesentlich anderen kulturellen Habitus als das zur selben Provinz gehörige westliche Kleinasien. In der Sepulkralrepräsentation fallen vor allem die deutlichen Diskrepanzen zwischen aufwändigen Grabmonumenten der Oberschicht wie Sarkophagen und einfachen Grabstelen auf, die differenten künstlerischen Traditionen folgen und auch unterschiedliche Aussageinhalte besitzen. Trotz einer schrittweisen ‚Anatolisierung’ der Ikonographie auch bei den Sarkophagen besitzen die Monumente der Oberschicht keinen Vorbildcharakter für die einfacheren Grabstelen, so dass Phrygien als Gegenbeispiel für die verschiedenen von den Honoratioren getragenen Romanisationsmodellen dienen kann. Abstract: Phrygia as an agriculture-based and only slightly urbanized region, displays a very different cultural habitus to the western part of the province Asia. The sepulcral representation is characterized by evident contrasts between luxurious monuments for the local elite and modest grave stelai for peasants, both following different aristic traditions and semiotic intentions. In spite of the gradual Anatolization of the iconography of the sarcophagi, the monuments of the elite had no influence on the more humble stelai. As such the different strata of sepulcral representation in Phrygia display the opposite scenario to elite-driven models of Self-Romanization in other provinces of the Roman empire.

1.) die Übernahme (stadt-)römischer Kulturformen durch die lokalen Eliten 2.) die Übernahme der von den lokalen Eliten adaptierten Formen durch andere, gesellschaftlich schlechter gestellte Provinziale.

Möglichkeit, phrygische Grab- und Votivdenkmäler vor Ort zu sehen, danke ich deshalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Für die Diskussion von Einzelaspekten danke ich zudem den Mitgliedern des SPP, vor allem H. Cancik (Tübingen/Berlin) und J. Rüpke (Erfurt). Für die Genehmigung, den Sarkophag in Afyon publizieren zu dürfen, gilt mein Dank dem türkischen Kultusministerium. 1 Zur Geschichte des Begriffs ‚Romanisierung’ vgl. hier den Beitrag von U. Rothe; allgemein: Woolf (2001). 2 Unterscheidung in diesem Sinn definiert durch Spickermann (2001). Zur unterschiedlichen Verwendung von Romanisation im deutschen Sprachraum hier G. Schörner, Einführung. 3 Vgl. z. B. Brunt (1976) 161-173; Millett (1990a); Woolf (1994) 116-143; Millett (1990b) 35-41; Woolf (1998); Terrenato (1998) 94-114; Terrenato (2001) 54-68; zusammenfassend: Alcock (2001) 227-230. 4 Weber (1980) 170, zitiert Stephan (2002) 67.

1. Einführung Lange Zeit verstand man Romanisierung als eine Folge der direkten Politik Roms, also des Kaisers, der Magistrate und des Heeres, d. h. die Verbreitung römischer Kultur erfolgte durch aktive Maßnahmen des Zentrums in der Peripherie auf mehr oder minder direkter Art und Weise1. Der Aufsatz entstand aus der Beschäftigung mit Opferdarstellungen im römischen Kleinasien im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 „Römische Reichsreligion und Provinzialreligion“. Für die

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der architektonischen Gliederung ersichtlich, die eher römisch geprägte Schaufassaden wie Nymphäen oder scaenae frontes zum Vorbild hat als griechischhellenistische Tempelarchitektur14. Grundsätzlich ist das häufige Klinenmotiv aus dem Westen übernommen15. Auch motivisch lassen sich stadtrömische Einflüsse nachweisen, wie im Folgenden anhand der Opferdarstellungen auf den Schmalseiten gezeigt werden soll, die neben mythischen oder allegorischen Figuren wie den Musen oder Jahreszeiten und anderen ‚Alltagsszenen’ wie der Jagd oder Lektüre zum ikonographischen Repertoire der Säulensarkophage gehören16. Ob es sich dabei um Versinnbildlichung der pietas bzw. eusebeia der Verstorbenen handelt oder, was weniger wahrscheinlich ist, um Anspielungen auf das Totenopfer, sei erst einmal dahingestellt17. Wichtig ist, dass die Ikonographie in einigen Fällen eindeutig auf stadtrömische Vorbilder zurückgeht bzw. römisch ist: Ganz einfach zu erkennen ist das bei einem Fragment heute in Ankara, das einen Togatus capite velato zeigt18. Sowohl Kleidung als auch Ritus sind rein römisch. Auf einer Schmalseite in Wien (Abb. 1) treten zwei Opferdiener auf19. Während der äußere Habitus, Tunika bzw. Chiton und lange Haare sowohl griechisch als auch römisch sein kann, geben die Attribute einen eindeutigen Hinweis auf stadtrömische Opferikonographie: Der rechte minister trägt eindeutig eine acerra, der linke das sogenannte Handwaschgeschirr20, Kanne und Griffschale, das als symptomatisch für römische Darstellungen des Opfers gelten kann21. Dieses Fragment stammt zwar aus der Sammlung Este und somit vermutlich aus Italien, doch gibt es ebenso Säulensarkophage mit ähnlichen camilli aus kleinasiatischen bzw. phrygischen Orten22, so dass auch in der Provinz eindeutig stadtrömischer Einfluss zu greifen ist. Als Beleg für den Export von stadtrömischer Opferikonographie nach Kleinasien im Sepulkralzusammenhang, speziell auf Sarkophagen, kann die Schmalseite eines Sarkophags heute im Magazin des

2. Sarkophage Die römische Provinz Asia ist ein kulturell sehr heterogenes Gebilde. Entstanden im Wesentlichen aus der Erbmasse des Reiches von Attalos III., umfasste die Provinz neben den kulturell rein griechischen Küstenregionen Ionien, Äolis usw. mit ausgeprägtem Polis-System auch das westliche anatolische Binnenland, das wesentlich weniger hellenisiert und kaum urbanisiert war. Die zentralste dieser Regionen ist Phrygien. Während Untersuchungen zum römischen Westkleinasien relativ zahlreich sind, spielte das kaiserzeitliche Phrygien mit wenigen Ausnahme eine eher untergeordnete Rolle5. Im folgenden möchte ich kurz und durchaus skizzenhaft auf einige Fragen zum Ablauf der Romanisierung bzw. Romanisation in dieser alten Kulturlandschaft eingehen, Ausgangspunkt sind dabei Grabmonumente in der Kaiserzeit. Die sicher bekanntesten Denkmäler mit sepulkralem Bezug und phrygischer Provenienz sind in der römischen Kaiserzeit die in Dokimeion produzierten Sarkophage der kleinasiatischen Hauptgruppe6. Auch wenn viele dieser Sarkophage exportiert wurden7, sieht man anhand der Verbreitungskarten8, dass viele der Produkte in Phrygien blieben und für den eigenen Bedarf gedacht waren9. Obwohl die Sarkophage der Hauptgruppe – im Unterschied zu den lokalen kleinasiatischen Sarkophagen – relativ gut erforscht sind10, bleibt als Grundproblem jedoch die Frage nach den Anregungen, vor allem den Einflüssen durch die stadtrömische Sarkophagproduktion: Relativ eindeutig ist die Situation bei den wenigen kleinasiatischen Friessarkophagen, da man sie nahezu einhellig auf stadtrömische Vorläufer zurückführt11. In einem neueren Aufsatz konnte F. Iúik für die Girlandenfriese schlüssig nachweisen, dass sie motivisch ebenfalls auf hauptstädtische Vorbilder zurückgehen12. Anders sieht es mit den Säulensarkophagen aus. Für sie wird mitunter eine durchgehende Tradition bis in die hellenistische Zeit postuliert13, doch sind auch sie ohne römische Anregungen nicht denkbar. Dies wird allein aus

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Wiegartz (1965) 11f.; Cormack (1997) 147. Cormack (1997) 146. 16 Zum Themenrepertoire: Wiegartz (1965) 53-139; Koch – Sichtermann (1982) 506. 17 Zum Gehalt der Darstellungen: Strocka (1984) 197241; vgl. auch: Zanker (1995) 253-255. 18 Ankara A: Wiegartz (1965) 123. 144 Taf. 17e. 19 Wien, KHM: Wiegartz (1965) 70f. 122f. 129. 172 Taf. 19g; Waelkens (1982) 113 Nr. 17 Taf. 24,2. 20 Grundlegend: Nuber (1972) 96-112. 21 Fless (1995) 15-17; Siebert (1999) 45-47. 178-185. Zur spezifisch römischen Form der acerra: Siebert (1999) 2731. 22 vgl. Paris A aus Denizli: Wiegartz (1965) 166; Waelkens (1982) 82 Nr. 76; Baratte – Metzger (1985) 285f. r. 188 (F. Baratte); Iznik H: Wiegartz (1965) 161; Waelkens (1982) 79 Nr. 58; Üskerles: Wiegartz (1965) 172; Waelkens (1982) 81 Nr. 68. 15

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Vgl. vor allem Mitchell (1993) 80-96. 143-195; s. auch Haspels (1971); Drew-Bear (1976); MAMA (1993). 6 Wichtigste Literatur: Wiegartz (1965); Waelkens (1982); Koch – Sichtermann (1982) 497-507; Koch (1993) 113-122; IúÕk (1998) 278-294; Özgan (2003). 7 Koch (1982) 167-208; Koch – Sichtermann (1982) 507f.; Koch (1993) 121. 8 Wiegartz (1965) Taf. 48; Waelkens (1982) Taf. 31. 9 Aufstellungskontexte bekannt z.B. durch die Funde in Aizanoi: Turktüzün (1993) 517-526. 10 s. Lit. in Anm. 6. 11 Waelkens (1982) 31f.; Koch – Sichtermann (1982) 477f.; IúÕk (1998) 283 (mit weiterer Lit.); zur Frage der Beeinflussung durch den Export s. u. zu Anm. 23. 12 IúÕk (1998) 283-290. 13 z. B. Strong (1978) 677.

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Sepulkralrepräsentation Phrygien:

Louvre dienen, die aus dem antiken Tralles stammt23. Dargestellt ist ein victimarius und ein lictor, beides also genuin römische Figuren. Im Unterschied zu den römisch beeinflussten Opferdarstellungen mit Opferdienern stehen Szenen (Abb. 2), bei denen eine Frau das Opferrind treibt24. Dies ist eine Darstellungsform, die aufgrund ihres reduzierten Erzählstils enger an andere kleinasiatische Opferbilder angeschlossen werden kann, wie auch die kleine runde Pyxis der Frau ein spezifisch griechisches Opferutensil ist25. Wir haben hier also den Fall, dass im Motivrepertoire zwei unterschiedliche Gestaltungsformen getrennt werden können, deren eine stadtrömisch beeinflusst ist, während die andere enger mit einheimisch-griechischen Vorbildern verbunden werden kann. Da in der Bildauswahl nicht zwischen Versionen für Export und Heimgebrauch differenziert werden kann, liegt die Vermutung nahe, die Unterschiede chronologisch zu interpretieren. Tatsächlich gibt es eine eindeutige Tendenz, dass die Sarkophage, die eine ‚römische’ Opferszene mit camilli auf der Schmalseite zeigen, früher zu datieren sind als die mit ‚griechischer’ Opferszene samt Frau26.

Einflüsse - Opferdarstellungen lässt sich nicht nur an Sarkophagen der Hauptgruppe exemplifizieren, sondern auch an lokalen Produktionen: Ein Sarkophag aus Aphrodisias in der Nachbarlandschaft Karien besitzt auf den Langseiten mythologische Szenen, auf den Schmalseiten zwei Szenen eines Opfers27. Schon die Konzeption als Friessarkophag verweist wieder auf Anlehnung an römische Vorbilder; dafür sprechen auch Details der Kultikonographie wie die acerra des minister. Besonders aufschlussreich ist ein bisher unpublizierter Sarkophag lokaler phrygischer Produktion, der heute im Museumsgarten von Afyon aufgestellt ist (Abb. 3)28. Zu beiden Seiten einer heute inschriftlosen Tabula befinden sich zwei Ritualdarstellungen: ein Voropfer und ein durch das Rind gekennzeichnetes Hauptopfer. Da beide Male die Protagonisten identisch sind, liegt es nahe, beide Szenen als Darstellung zweier aufeinander folgender Phasen eines einzigen Opfers zu lesen. Der Opfernde selbst trägt Chiton und Himation, keine Toga. Besonders aufschlussreich ist die Haartracht mit kurzem Bart und langem, in der Mitte gescheiteltem Haar. Für Bildnisse auf Sarkophagen ist diese Haartracht ungewöhnlich, freiplastische Porträts mit ähnlicher Frisur sind jedoch mehrfach aus dem griechischen Raum bekannt. Wurden sie zunächst als Barbaren missverstanden, so konnte K. Fittschen die richtige Interpretation liefern29: Alle diese Köpfe stellen Griechen des 2. und 3. Jhs. dar, die sich deutlich am Alexander-Ideal orientieren und somit als Ausdruck der Rückbesinnung auf die klassische Kunst interpretiert werden können. Der allgegenwärtige Klassizismus der griechischen Kunst in der Kaiserzeit wirkt sich in dieser Form somit auch auf die Porträtgestaltung in Kleinasien aus.

Entscheidend für die Fragestellung ist die evidente Tatsache, nämlich dass auch in der Ikonographie der Säulensarkophage stadtrömische Einflüsse zu verzeichnen sind. Die Verbindung Sarkophag – römische 23

Ronke (1987) 176. 734 Nr. 198 Abb. 204 (nicht in Baratte – Metzger [1985]). 24 z.B. Antalya N (aus Perge): Wiegartz (1965) 147; Waelkens (1982) 82 Nr. 80; Konya B: Wiegartz (1965) 163; Waelkens (1982) 115 Nr. 26; Özgan (2003) 21-24 Nr. 9; Ankara M (aus Ankara): Wiegartz (1965) 145; Waelkens (1982) 87 Nr. 113; Antalya AA: Wiegartz (1965) 148 Taf. 31c; Waelkens (1982) 87 Nr. 114; Istanbul H (aus Istanbul): Wiegartz (1965) 158; Waelkens (1982) 87 Nr. 116; Bursa D: Wiegartz (1965) 153; Waelkens (1982) 93 Nr. 152; vgl. auch Ankara A (hier Anm. 17). 25 Vgl. dazu demnächst G. Schörner in ThesCRA; selten als Opfergerät bei Frauen in römischen Kontexten: Siebert (1999) 30. 26 Vgl. die Übersicht bei Wiegartz (1965) Taf. 47. Eine Ausnahme ist der neu gefundene Sarkophag in Konya, der bereits in das 3. Viertel des 3. Jhs. datiert werden kann und einen ‚Camillus’ samt Opferrind zeigt. Die Opferdarstellungen mit Camilli, die das typisch römische ‚Handwaschgeschirr’ (z. B. Wien, Iznik) tragen, gehören jedoch zu den frühesten Beispielen der Säulensarkophage. Andere Interpretation der Camilli bei Wiegartz (1965) 113-115; seine Deutung ist jedoch deshalb abzulehnen, weil es 1.) zwischen den von ihm zitierten hellenistischen Denkmälern und den Sarkophagen einen Hiat gibt, und 2.) die Attribute differieren.

Für die Sepulkralrepräsentation der Honoratioren, wie sie anhand von Sarkophagbestattungen greifbar ist, ergeben sich dadurch folgende Tendenzen: Die Säulensarkophage zeigen, dass sich die gesellschaftliche Elite in Phrygien der gleichen Sarkophage bediente wie die Elite in Rom. Es gibt keine Unterschiede im Produkt und in den Anforderungen an das Produkt, so dass daraus geschlossen werden kann, dass auch die damit verbundenen Intentionen und inhaltlichen Aussagen identisch waren. Ein Motiv dieser gehobenen Form der Sepulkralrepräsentation sind neben mythischen Figuren und Bildern, die Tüchtigkeit und Bildung zum Thema haben, Opfer, die in unterschiedlicher Form visualisiert werden können. 27

Erim (1973) 84-87 Abb. 31-35; Koch – Sichtermann (1982) 529 Abb. 519. 28 unpubliziert; für die Publikationsgenehmigung danke ich der Museumsleitung und dem Kultusministerium der Türkischen Republik sehr herzlich. 29 Fittschen (1989) 108-113 (mit Beispielen); vgl. auch Zanker (1995) 242-251 mit anderem Schwerpunkt, jedoch ebenso auf ein gesamt-griechisches Phänomen verweisend.

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Dennoch ist aufgrund ihrer Ikonographie, der Darstellungsträger und schließlich allein aufgrund ihrer Instrumentalisierung zu Repräsentationszwecken immer ein romanisierter Kontext gegeben, so dass die Opferbilder selbst Ausdruck der Romanisation sind. Für die Repräsentation wird auf einen Tugendkanon rekurriert, der sich in statusrelevanten Tätigkeiten äußert und durch ebensolche Tätigkeiten zum Ausdruck gebracht wird30. Der Sarkophag in Afyon belegt zudem, dass auch die phrygische Oberschicht geistigen Strömungen verpflichtet war – Stichwort: Zweite Sophistik –, die im griechischen Kernbereich virulent waren. Die Grabrepräsentation der Honoratioren in Phrygien mit lokalen, griechischen und römischen Elementen weist auf eine ähnliche multiple Identität hin, wie sie auch für die anderen Regionen Kleinasiens typisch war31.

Kaiserinnen vorgegebene römische Mode erahnen. Vereinzelt kommen zu den Ganzfiguren in einzelnen Predella-Feldern noch Büsten weiterer Verstorbener hinzu34. Ebenfalls in einzelnen kleinen Bildfeldern, aber auch als Dekoration der Rahmung werden berufsbezeichnende Attribute dargestellt35. Neben Spindeln, Körben und Kämmen, die für weiblichen Hausfleiß stehen, sind es vor allem Ochsengespanne mit und ohne Pflug, Rinder, aber auch Pferde alleine, die die landwirtschaftliche Tätigkeit des Mannes bezeichnen, wobei noch zwischen Ackerbau und Viehzucht differenziert werden kann. Rebmesser und Trauben lassen zusätzlich auf Erwerb im Weinbau schließen. Neben diesen grundlegenden agrarischen Tätigkeiten verweisen Schriftrolle bzw. Tabula auf Bildung, Geldbeutel wohl auf Finanzkraft. Alle diese Themen kommen in reduzierter Form auch bei den Türstelen mit und ohne Büsten vor (Abb. 5). Im Vergleich zur Ikonographie der Sarkophage ist das Fehlen zweier großer Themenkreise bezeichnend: Der Mythos spielt mit nur ganz wenigen Ausnahmen keine Rolle36. Das zweite große Manko sind Szenen, die Tugenden exemplifizieren wie die Jagddarstellungen und natürlich auch die Opferszenen.

3. Grabreliefs Ein ganz anderes Bild zeigt die Grabrepräsentation auf niedrigerem Qualitätsniveau, also im Bereich der Grabstelen. Hier ist die lokale Divergenz sehr groß, da viele regionale Gruppen unterschieden werden können32, wobei grundsätzlich, teilweise auch mit chronologischer Relevanz, zwei große Typen – Türsteine mit und ohne Büsten, sowie Bogenfeldstelen – zu fassen sind33.

Grundsätzlich sind die Grabstelen jedoch wie die Sarkophage Instrumente der Sepulkralrepräsentation. Das langsame Verschwinden der Türsteine mit einfacher Tür und Löwen in den Lünetten und das gleichzeitige Aufkommen (bzw. die Massierung) figürlicher Lösungen mit Büsten oder ganzen Figuren sprechen eindeutig dafür, dass auch die Grabstelen der Selbstdarstellung der Bestatteten dienten37. Dafür wird jedoch im Vergleich zu den Sarkophagen mit anderen Inhalten gearbeitet. Signifikant ist vor allem, dass die berufliche Tätigkeit bei den Grabstelen eine solch große Rolle spielte. Genauso bezeichnend ist auch, dass keines der Repräsentationselemente der Sarkophage übernommen wurde, die Inhalte der Repräsentation sind im Wesentlichen unterschiedlich: Bei den Grabstelen zum einen die Betonung des beruflichen Erfolges bis hin zur ostentativen Demonstration von Reichtum, bei den Sarkophagen der Bezug auf die gemeinsame griechische Kultur mit ihren klassischen mythischen und historischen Vorbildern sowie dem Rekurs auf einen Tugendkanon von Andreia bis Eusebeia bzw. von virtus bis pietas. Folgen die Sarkophage somit überregionalen bzw. reichsweiten Wertvorstellungen und benützen entsprechende Bilder, sind die Grabstelen deutlich regionalisiert.

Zunächst fällt bei allen Stelen die Ausarbeitung auf, die sich deutlich von römisch-italischen, aber auch griechischen Grabstelen aus dem Mutterland oder dem westlichen Kleinasien unterscheidet. Stilistisch sind Kategorien wie Frontalität, Linearität und formale Reduktion gültig, die man üblicherweise mit provinzieller Kunst assoziiert. Ikonographisch fällt auf, dass sich selbst bei den stilistisch qualitätvollsten Grabstelen, den Bogenfeldstelen der AltȚntaú-Ebene bzw. dem TembrisTal in der Nähe von Kütahya, nur wenige Bildmotive unterscheiden lassen (Abb. 4). An erster Stelle kommen die Verstorbenen selbst, die in repräsentativer Haltung in ganzer Figur stehend dargestellt sind. Weder in der Kleidung noch in der Haartracht lassen sich eindeutig westlich-römische Einflüsse feststellen, nur manche Frauenfrisuren lassen als fernes Vorbild die von den 30

Vgl. hierzu Stephan (2002) 67 mit einem aufschlussreichen Zitat aus Veblen (2000) 55. 31 Zum Begriff: Stephan (2002) 26-30; multiple Identität kleinasiatischer Honoratioren: ebenda 114-260, speziell 255-260; zu Eliten im ländlichen Kleinasien, die sich nicht von städtischen Eliten unterscheiden: ebenda 268271. 32 Grundlegende Literatur zu phrygischen Grabstelen: Pfuhl – Möbius (1977/79); Gibson (1980); Koch (1990) 115-132; Lochman (1990) 453-508 (jeweils mit weiterer Lit.). 33 Lochman (1990) 453-455; zu den Türstelen: Waelkens (1986) Waelkens (1986).

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z.B. Lochman (1990) 483-487 Nr. 263. Hierzu explizit Waelkens (1977) 277-315. 36 Seltener Beleg: Stele aus dem Tembristal im Museum von Uúak mit dem Raub der Persephone, Hades fährt freilich einen vierrädrigen Bauernkarren. 37 So auch Lochman (1990) 506f. 35

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Sepulkralrepräsentation Phrygien:

Dies zeigt sich auch in anderen Bereichen: Viele der Grabstelen tragen Inschriften, doch sind die Aussagen sehr standardisiert. Die Onomastik auf den Grabstelen, d.h. die Namen der Verstorbenen und weiterer Familienangehöriger, die für die Finanzierung des Reliefs sorgten, ist meist einheimisch bzw. gräzisiert einheimisch, lateinische Formen kommen kaum vor38. Die benutzte Sprache ist Griechisch, jedoch mit deutlichen Abweichungen und ‚Schreibfehlern’39. Bei einer Gruppe von Grabstelen wird zudem Neo-Phrygisch verwendet, erstmals nach den phrygischen Sprachdenkmälern der archaischen Zeit40.

stiftenden Personen und auf deren Lebensgrundlage im Bereich der Landwirtschaft mit den Grabstelen zusammenschließen, da sonst kaum Votivreliefs so direkt für die Darstellung der Lebenswelt der Stifter genutzt werden. Die Namen der Dedikanten sind wieder bis auf zwei Freigelassene phrygisch-indigen bzw. phrygischgräzisiert48. Auffällig ist, daß häufig der Dorfname in adjektivischer Form an den Personennamen angehängt ist, so dass der Lokalbezug direkt ablesbar wird49. 5. Repräsentation in einer geteilten Gesellschaft Die Grabmonumente in Phrygien lassen also keine einheitliche ‚Provinzkultur’ oder auch nur Bildsprache bzw. Ikonographie erkennen. Obwohl beide Gruppen der Repräsentation dienen, sind die Formen grundsätzlich unterschiedlich und zeigen keine oder kaum Übereinstimmungen bzw. gegenseitigen Einfluss, so dass sich keine gemeinsamen Berührungspunkte zwischen Sarkophagund Grabstelen-Besitzern bzw.Auftraggebern erschließen lassen. Hierin liegt der Hauptunterschied zu anderen Regionen des Reiches, in denen die Eliten bzw. ihre Repräsentation das Vorbild für die weitere Bevölkerung bilden50. Dieses unverbundene Nebeneinander von Eliten und einfacher Bevölkerung ist in der Soziologie kein unbekanntes Phänomen, sondern ein signifikantes Merkmal für auf Landwirtschaft basierende Gesellschaften. Wie vor allem Ernest Gellner in seinem erstmals 1983 erschienenen Buch ‚Nations and Nationalism’ in aller Klarheit festgestellt hat, lassen sich bei agrarischen Gesellschaften zwei deutliche Strata unterscheiden51: eine kleine herrschende Oberschicht und eine große Schicht von Bauern. Beide Fraktionen sind klar voneinander getrennt und bleiben es im Wesentlichen auch, da die soziale Durchlässigkeit sehr gering ist. Kultur ist demnach deutlich heterogen und dient auch der Distinktion. Für die Eliten ist es geradezu von Vorteil, die unterschiedlichen und monopolisierbaren Züge zu betonen und weiter zu auszubauen. Das Errichten kultureller Schranken ist für die Honoratioren nicht nur vorteilhaft, sondern auch einfach. Dank der relativen Stabilität agrarischer Gesellschaften kann eine

4. Ein Vergleich: Votivreliefs Der starke Lokalbezug wird auch durch die Votivreliefs der Region bewiesen41. Trotz wiederum deutlicher lokaler Unterschiede lassen sich einige allgemeine Züge herausstellen42: Im Unterschied zu den meisten anderen Weihreliefs im Imperium Romanum zeigt nur eine Minderheit der phrygischen Votive, vor allem die qualitätvollsten aus dem Tembris-Tal, auch die Gottheit, meist Zeus in Büstenform43. Die überwiegende Mehrheit beschränkt sich auf die Wiedergabe der Dedikanten44 oder auch ihrer ‚Besitztümer’, insbesondere Rinder und Pferde, für deren Wohlergehen die Weihung dargebracht wurde45. Kultszenen sind auch in einfachster Form selten, Opfer in keinem Fall dargestellt46. Die Votivreliefs unterscheiden sich dadurch sowohl von römischen als auch von griechischen Weihungen47, lassen sich aber durch den deutlich herausgearbeiteten Bezug auf die 38

Lochman (1990) 493f. sowie die Korrekturen von T. Drew-Bear in: Berger (1990) 507. 39 Zum Neo-Phrygischen: Haas (1966); Brixhe (1993) 323-344 (mit weiterer Lit.); zum anatolischen Griechisch und seinen ‚Fehlern’ grundlegend: Brixhe (1987); vgl. zusammenfassend für die Stelen : Lochman (1990) 492f. 40 Inwieweit hier ein bewusster Rückgriff (so Lochman [1990] 501) auf eine als glorreich empfundene eigenständige Vergangenheit zum Ausdruck gebracht werden soll, lässt sich mangels einschlägiger weiterer Quellen nicht beweisen. 41 Grundlegend: Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) . 42 Vgl. Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 30. 43 Neben den Beispielen Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 253-289; zur Ikonographie allgemein: Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 36-39; vgl. auch Koch (1990). 44 z.B. Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 87-203. 45 Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 205-219 und passim. 46 Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 42 (mit Beispielen). 47 Zu römischen Weihreliefs: Schraudolph-Gauthier (1993); zu Weihreliefs im römischen Griechenland: Schörner (2003) 29-65. 549-578.

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Drew-Bear – Thomas – YÕldÕzturan (1999) 43-47. Drew-Bear – Thomas - YÕldÕzturan (1999) 44f. 50 Das beste Beispiel sind in Rom selbst die Kastengrabsteine der Freigelassenen, die aufwändigere Repräsentationsformen imitieren: Zanker (1975) 267315; Kockel (1993); anders auch die Reliefs mit Berufsdarstellungen in Rom, die deutliche Anleihen an die Grabrepräsentation der Oberschicht machen und einen einheitlichen Tugend- und Wertekatalog belegen: Zimmer (1982) 62-64 (mit Beispielen). Als östliches Beispiel kann die Situation in Athen dienen mit evidenten Übernahmen bei den Grabstelen aus der »‚öffentlichen’ Wertewelt«: von Moock (1998) 55-83, speziell 78-80. Grundlegend: Zanker (1992) 339-349. 51 Gellner (1983) 8-18. 49

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Trennung der Bevölkerung leicht aufrechterhalten werden, ohne untragbare soziale Spannungen zu provozieren, so dass sie geradezu als naturgegeben dargestellt werden kann. Für die Verbindung innerhalb der zwei Straten herrschen unterschiedliche Gesetze: Während innerhalb der Elite enger Kontakt die Regel ist und auch selbstverständlich mit Nachbar-Eliten kommuniziert wird, gibt es unter den Bauern eine deutliche Trennung in kleinere Gruppen, freilich nicht in bewusster Separierung, sondern aufgrund der Lebensweise in Dörfern ohne große Austauschmöglichkeiten.

vorhanden sind. Beide Gattungen kommen nämlich in Phrygien erst in der Kaiserzeit auf. Allein die Existenz von (Grab-)Repräsentation ist ein Zeichen der Romanisation auch im unteren gesellschaftlichen Bereich. Sie erfolgte nur nicht nach dem üblichen Modell durch Nachahmung entsprechender Formen der Oberschicht. Ausschlaggebend für die Romanisation sind anscheinend externe Einflüsse, da zumindest für die Grabreliefs die Vorbilder im westlichen Kleinasien, aber auch in der nördlichen Nachbarregion Bithynien zu suchen sind57. Grundsätzlich muss dies auch für die Votivreliefs gelten, auch wenn in Phrygien durch Anpassung an die spezifischen Lebensumstände schnell etwas ganz Eigenes entsteht. Romanisation im unteren Bereich der Gesellschaft war somit nur durch erhöhte Mobilität möglich geworden58 (und somit Zeichen für eine unkanonisch ausgeprägte Agrargesellschaft, bei der sonst die Bauern keinen Fremdeinflüssen ausgesetzt sein dürften) und konnte zumindest teilweise auch unabhängig von der Romanisation der lokalen Eliten erfolgen.

Alle diese allgemeinen soziologischen Beobachtungen treffen auch auf das kaiserzeitliche Phrygien zu und bieten einen Schlüssel für das Verständnis der unterschiedlichen Formen von (Sepulkral-) Repräsentation52. Für den kulturellen Habitus im kaiserzeitlichen Phrygien bedeutet das zunächst, dass Romanisierung im eigentlichen Wortsinn nicht oder nur kaum stattfindet. Gut zu greifen ist jedoch die Romanisation der lokalen Eliten, die Formen, Motive und Inhalte der Repräsentation von anderen Eliten übernehmen. Im Speziellen ergeben die Opferdarstellungen nur als von Rom übernommenes Repräsentationsmotiv, d.h. in einem von Rom vorgegebenen Bedeutungsrahmen, überhaupt einen Sinn, da in Kleinasien ansonsten ausführliche bildliche Schilderungen von Opfern ohne Parallele sind. Die Eliten agieren deshalb auch überregional bzw. reichsweit und orientieren sich entsprechend.

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Problematisch ist jedoch die Beziehung zwischen Eliten und Bauern, um es plakativ auszudrücken. Sowohl die ‚elite negotiation’ von N. Terrenato53 als auch das ‚trickle down’-Modell von M. Millett54, das in der neueren Forschung unsere Vorstellung von der Ausbreitung römischer Kultur bestimmt, können unter diesen Prämissen nicht oder nur in speziellen Bereichen funktionieren.

Baratte – Metzger (1985) : F. Baratte – C. Metzger, Catalogue des sarcophages en pierre d’époques romaine et paléochrétienne (1985). Berger (1990): E. Berger (Hrsg.), Antike Kunstwerke aus der Sammlung Ludwig III: Skulpturen (1990).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur die phrygischen Eliten von römischer Kultur beeinflusst waren, denn auch die phrygische Landbevölkerung war romanisiert. Das erkennt man an einzelnen Details wie der Verwendung von Büsten55 bei manchen Grabstelen oder der Übernahme der tabula ansata56 als Grundform von Reliefs. Noch entscheidender ist freilich die Tatsache, dass Grabstelen und Votivreliefs aus Stein überhaupt

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52

Zum ländlichen Kleinasien allgemein: Mitchell (1993) 195-197; Schuler (1998); eher kritisch, doch die Unterschiede nicht verwischend: Dignas (2003) 77-91. 53 vgl. Anm. 3. 54 s. Anm. 3. 55 allgemein: Cormack (1997) 147-149. 56 vgl. Drew-Bear – Thomas - YÕldÕzturan (1999) 211 Nr. 312; 233 Nr. 361.

57

T. Lochmann in: Drew-Bear – Thomas - YÕldÕzturan (1999) 28; Lochman (1990) 506f. Vgl. auch Cremer (1992) 70f. (Römer als Auftraggeber der ältesten Türstelen). 58 Erhöhte Mobilität als grundlegender Faktor der Romanisation: Woolf (1998) 88-91.

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261

Günther Schörner

262

Sepulkralrepräsentation Phrygien:

Abb. 1: Schmalseite eines Säulensarkophags; Wien, Kunsthistorisches Museum.

Abb. 2: Schmalseite eines Säulensarkophags (Ausschnitt); Antalya, Archäologisches Museum.

263

Günther Schörner

Abb. 3: Sarkophag lokaler Produktion; Afyon, Museumsgarten.

Abb. 4: Phrygische Bogenfeldstele; Bursa, Arch. Museum.

Abb. 5: Phrygische Türstele; Paris, Louvre.

264