Leitung industrieller Forschung und Entwicklung: Theoretische und praktische Probleme von Innovationen [Reprint 2022 ed.] 9783112647202

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Leitung industrieller Forschung und Entwicklung: Theoretische und praktische Probleme von Innovationen [Reprint 2022 ed.]
 9783112647202

Table of contents :
Inhalt
KAPITEL I Theoretische Grundlagen und aktuelle Aufgaben der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung
Herausbildung industrieller Forschung und Entwicklung und der wissenschaftlichen Fundierung ihrer Leitung
Zur Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Leitung von Forschung und Entwicklung in der sozialistischen Industrie
Aktuelle Anforderungen zur Vervollkommnung der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung
Kapitel II Bedeutung und Aufgaben internationaler Vergleiche für die Leitung industrieller Forschung und Entwicklung
Aufgaben, Ablauf und Kriterien internationaler Vergleiche
Leitungsorganisation internationaler Vergleiche
Algorithmus internationaler Vergleichsdurchführung und Anwendungsbeispiele
Zur Bedeutung internationaler Analysen der Innovationspolitik kapitalistischer Konzerne für die Leitung industrieller Forschung und Entwicklung
Kapitel III Analyse der Verflechtung von Neuerungs- und Reproduktionsprozeß
Bestimmung der Neuerungsrate der Industrieproduktion
Analyse der Altersstruktur der Industrieproduktion
Analyse des Neuerungstempos der Industrieproduktion
Kapitel IV Aufgaben, Ablauf und Kennziffern der komplexen Planung von Innovationen
Hauptaufgaben des Planes Wissenschaft und Technik in der sozialistischen Industrie
Ablauf der Planung von Neueinführungen
Kennziffern der komplexen Planung von Neueinführungen
Kapitel V Ideenfindung und Anwendung heuristischer Methoden
Zum wachsenden Rang des gesellschaftlichen Schöpfertums
Phasen des schöpferischen Denkprozesses und produktive Phantasie
Zur Geschichte der Heuristik
Zum ökonomischen Wirkungsfeld der Heuristik
Hemmende Faktoren für schöpferische Denkleistung und ihre Überwindung
Heuristik und Wissenschaftsprognose
Zur Heuristik komplexer Neuerungsprozesse
Personenregister
Sachregister

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W.-D. Hartmann/H.-D. Haustein Leitung industrieller Forschung und Entwicklung

Wolf-D. Hartmann Heinz-D. Haustein

Leitung industrieller Forschung und Entwicklung Theoretische und praktische Probleme von Innovationen

Akademie-Verlag • Berlin

1979

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR—108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin 1978 Lizenznummer: 202 • 100/53/79 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 446 Gräfenhainichen • 5205 Einbandgestaltung: Nina Striewaki Bestellnummer: 753 070 3 (6367) • LSV 0305 Printed in GDR DDR 1 4 , - M

Inhalt

Seite

Kapitel I Theoretische Grundlagen und aktuelle Aufgaben der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung

7

Herausbildung industrieller Forschung und Entwicklung und der wissenschaftlichen Fundierung ihrer Leitung Zur Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Leitung von Forschung und Entwicklung in der sozialistischen Industrie . . . .

25

Aktuelle Anforderungen zur Vervollkommnung der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung

33

7

Kapitel II Bedeutung und Aufgaben internationaler Vergleiche für die Leitung industrieller Forschung und Entwicklung

43

Aufgaben, Ablauf und Kriterien internationaler Vergleiche . . . .

43

Leitungsorganisation internationaler Vergleiche

53

Algorithmus internationaler Vergleichsdurchführung und Anwendungsbeispiele Zur Bedeutung internationaler Analysen der Innovationspolitik kapitalistischer Konzerne für die Leitung industrieller Forschung und Entwicklung Kapitel

III

Analyse

der Verflechtung von Neuerungs- und Reproduktionsprozeß

Bestimmung der Neuerungsrate der Industrieproduktion Analyse der Altersstruktur der Industrieproduktion Analyse des Neuerungstempos der Industrieproduktion

57 62

79 79 89 100 5

Kapitel IV Aufgaben, Ablauf und Kennziffern der komplexen Planung von Innovationen

114

Hauptaufgaben des Planes Wissenschaft und Technik in der sozialistischen Industrie

114

Ablauf der Planung von Neueinführungen

124

Kennziffern der komplexen Planung von Neueinführungen . . . .

136

Kapitel V Ideenfindung und Anwendung heuristischer Methoden

6

146

Zum wachsenden Rang des gesellschaftlichen Schöpfertums . . . .

146

Phasen des schöpferischen Denkprozesses und produktive Phantasie .

152

Zur Geschichte der Heuristik

159

Zum ökonomischen Wirkungsfeld der Heuristik

165

Hemmende Faktoren für schöpferische Denkleistung und ihre Überwindung

169

Heuristik und Wissenschaftsprognose

178

Zur Heuristik komplexer Neuerungsprozesse

183

Personenregister

188

Sachregister

190

KAPITEL

I

Theoretische Grundlagen und aktuelle Aufgaben der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung Herausbildung

industrieller Forschung

und der wissenschaftlichen

Fundierung

und ihrer

Entwicklung Leitung

Der Initiator der 1700 gegründeten Berliner Akademie der Wissenschaften und ihr erster Präsident, Gottfried Wilhelm Leibniz, forderte: „Endlich muß man ein praktisches Buch über die Art und Weise, die Wissenschaften in die Praxis zu übertragen, schreiben, das auf einer Gliederung der Probleme und ihrer Ordnung beruhen muß, wodurch sie zu unserem und zu fremdem Glücke beitragen."1 Das Problem der Verbindung der wissenschaftlichen Forschung mit der Praxis und die Erkenntnis daraus resultierender politischer wie wirtschaftlicher Macht sind daher keineswegs neu. Verändert haben sich im Verlaufe der Geschichte der Entdeckungen und Erfindungen jedoch der Problemcharakter und die Bedeutung der Lösung aller mit diesem zentralen Problem verbundenen Fragen bis hin zu dem überragenden Stellenwert, den die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der Phase der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und des allmählichen Übergangs zum Kommunismus heute einnimmt.2 Lenin umriß den Gegensatz der Funktionen der wissenschaftlich-schöpferischen Arbeit sowie der Nutzung ihrer Ergebnisse in der kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftsordnung mit den Worten: „Früher war das ganze menschliche Denken, der menschliche Genius nur darauf gerichtet, den einen alle Güter der Technik und Kultur zu geben und den anderen das Notwendigste vorzuenthalten.. . Jetzt dagegen werden alle Wunder der Technik, alle Errungenschaften der Kultur zum Gemeingut des Volkes, und von jetzt an wird das menschliche Denken, der menschliche Genius niemals mehr ein Mittel der Gewalt, ein Mittel der Ausbeutung sein." 3 Gewähr dafür bieten die sozialistischen Produktionsverhältnisse, die führende Rolle der Partei und die Macht des sozialistischen Staates. Die 1 2

3

G. W . Leibniz, Fragmente zur Logik, Leipzig 1960, S. 99. Vgl. X X V . Parteitag der K P d S U . Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K P d S U und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, Berichterstatter: L. I. Breshnew, Berlin 1976, S. 58ff.; I X . Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den I X . Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berichterstatter: E. Honecker, Berlin 1976, S. 72ff. W . I. Lenin, Dritter Gesamtrussischer Kongreß der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten, in: Werke, Bd. 26, Berlin 1961, S. 480ff.

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historischen Erfolge der UdSSR bei der Industrialisierung des Landes und der Schaffung der materiell-technischen Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus, zur Überwindung des tiefgreifenden Rückstandes eines Volkes von Bastschuhträgern und Analphabeten bis zur Erringung der führenden Position im Wissenschafts- und Bildungspotential der Welt legen davon nachhaltig Zeugnis ab. Zugleich unterstreicht die Erfolgsbilanz des anhaltenden stabilen sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion wie in den anderen sozialistischen Staaten Lenins These, „. . . daß nur der Sozialismus die Wissenschaft von ihren bürgerlichen Fesseln, von ihrer Unterjochung durch das Kapital, von ihrer sklavischen Bindung an die Interessen schmutziger kapitalistischer Gewinnsucht befreien werde. Das qualitativ neue Herangehen an die Entfaltung und Nutzung der schöpferischen Fähigkeiten wie der wissenschaftlich-technischen Ergebnisse erforderte ein einschneidendes, radikales Umdenken, und machte es zur Aufgabe, enorme politisch-erzieherische und ideologische Arbeit zur Erhöhung der Qualifikation, der Aus- und Weiterbildung verantwortlicher Kader in der sozialistischen Wirtschaft und im sozialistischen Staatsapparat zu leisten. Lenin verlangte nachdrücklich und unnachgiebig: „Wir müssen, koste es was es wolle, zur Erneuerung unseres Staatsapparates die Aufgabe stellen, erstens zu lernen, zweitens zu lernen und drittens zu lernen und zu kontrollieren, ob die Wissenschaft bei uns nicht toter Buchstabe oder modische Phrase geblieben ist (und das kommt bei uns, verhehlen wir es nicht, besonders häufig vor), ob die Wissenschaft wirklich in Fleisch und Blut übergegangen, ob sie vollständig und wirklich zu einem Bestandteil des Alltags geworden ist." 5 Damit orientierte Lenin auf die praktische Wirksamkeit der Wissenschaft und des Neuen und sprach sich für die nüchterne Bewertung des real erreichten Standes aus. Zugleich schuf er durch den „GOELRO-Plan" und den „Entwurf eines Planes wissenschaftlich-technischer Arbeiten" die theoretischen Grundlagen und praktikablen Aufgabenstellungen für die konkrete Realisierung des qualitativ neuen Herangehens an die Leitung und Durchsetzung des wissenschaftlich technischen Fortschritts unter sozialistischen Produktionsverhältnissen. Dabei hob Lenin stets die Bedeutung der Einheit von politischer Machtausübung der Arbeiterklasse und Verwirklichung der notwendigen materielltechnischen Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus hervor. „Der Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus, die Festigung des Sozialismus kann erst dann als gesichert gelten, wenn die proletarische Staatsmacht, nachdem sie jeden Widerstand der Ausbeuter endgültig gebrochen und sich vollkommene Stabilität und völlige Unterordnung gesichert hat, die gesamte Industrie nach den Grundsätzen des kollektiven Großbetriebs und auf Grund der modernsten Errungenschaften der Technik (Elektrifizierung der gesamten Wirtschaft) reorganisiert." 6 4 5 6

8

W. I. Lenin, Rede auf dem I. Kongreß der Volkswirtschafteräte, in: Werke, Bd. 27, Berlin 1960, S. 407 f. W. I. Lenin, Lieber weniger, aber besser, in: Werke, Bd. 33, Berlin, S. 476. W. I. Lenin, Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur Agrarfrage, in: Werke Bd. 31, Berlin 1959, S. 149f.

Bereits hier, noch in den Geburtswehen des ersten sozialistischen Staates, wird die herausragende Bedeutung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts nicht allein erkannt, sondern in ein Programm zur Mobilisierung von Masseninitiativen umgemünzt, um diese, nur dem Sozialismus eigene Triebkraft unmittelbar für den sozialistischen Aufbau zu nutzen. Eine fundamentale Leistung für Theorie wie Praxis, deren Dimension erst eingedenk der realen politischen und ökonomischen Lage im jungen Sowjetstaat begreifbar wird und heute angesichts der mancherorts bei uns nicht seltenen ausschließlichen Konzentration der Leitung auf aktuelle Tagesfragen umso höher zu bewerten ist. In der historischen Entwicklung der Beziehungen zwischen der wissenschaftlich-technischen Forschung und ihrer praktischen Nutzanwendung im Handwerk, Manufakturbetrieb und der kapitalistischen Industrie bis zum Beginn des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaftsordnung sind verschiedene Etappen zu unterscheiden. Ihre Kurzcharakteristik ist hier von Interesse, um die Genesis naturwüchsig entstandener Leitungsformen in der auf praktische Nutzung gerichteten Forschung und Entwicklung herausarbeiten zu können und zugleich zu untersuchen, welche Bedeutung diese für Theorie wie Praxis der sozialistischen Leitung von Industrieforschung und Entwicklung besitzen. Dabei ergibt sich für die Bestimmung der wissenschaftlichen Grundlagen der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung die Frage, anhand welcher Kriterien der wachsende Stellenwert einer organisierten Leitung von Forschung und Entwicklung sichtbar wird. Ausgehend von den entscheidenden Determinanten des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts sind unseres Erachtens drei Aspekte maßgebend: 1. der wissenschaftlich-technologische Aspekt, der alle quantitativen und qualitativen Neuerungen vom Standpunkt naturwissenschaftlich-technologisch definierter Größen umfaßt (energetischer Wirkungsgrad, Metrik, Logik, Größenordnung, Zuverlässigkeit usw.) und damit die Problematik der Nutzung von Naturkräften und der immer besseren materiellen Realisierung physikalischer, chemischer, biologischer und sonstiger Gesetzmäßigkeiten oder — kurz gesagt — die Rolle der Wissenschaft als Produktivkraft, betrifft. Die Geschichte der Technik gibt Aufschluß darüber, wie in der Vergangenheit die Entwicklung dieser Determinante des wissenschaftlich-technischen Fortschritts erfolgte. Welche leitungsmäßigen Veränderungen notwendig geworden sind, kann dabei in bestimmtem Maße auch aus dem Niveauunterschied zwischen einzelnen technologischen Stufen abgeleitet werden, denn je niedriger das technische Niveau ist, um so geringer ist in der Regel auch der Leitungsaufwand. 2. der technisch-ökonomische Aspekt, der anhand komplexer Analysen des technisch-ökonomischen Niveaus der Produktion Aufschluß darüber gibt, wie sich in den einzelnen Phasen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts Neuerungen auf das Niveau und Tempo der Arbeitsproduktivität und der volkswirtschaftlichen Effektivität ausgewirkt haben. Hier wird die ökonomische Problematik von Forschung und Entwicklung direkt anhand solcher Kriterien wie personeller, materieller und finanzieller Aufwand und daraus erreichter Nutzeffekt aus F/E-Arbeiten entscheidendes Kriterium für 9

die Beurteilung der Anforderungen an die Organisation der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung. Anhaltspunkte hierfür geben statistische Analysen der Patententwicklung, der Produktivitätsentwicklung usw. 3. der soziale Aspekt der Entwicklung von Wissenschaft und Technik in den einzelnen Etappen und Gesellschaftsformationen. Hier ist besonders die Veränderung der Funktionen des Menschen im Arbeitsprozeß infolge qualitativ neuer Techniken von Interesse und die damit einhergehende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen. Das Wesen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wird gerade durch diesen Faktor bestimmt und ist für die Charakteristik des Niveaus der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung, weil die unmittelbare Verbindung zum werktätigen Menschen und den sich historisch entwickelnden sozialen Formen der Arbeitsorganisation hergestellt wird. Marx hat diese „. . . Verwandlung des Produktionsprozesses aus dem einfachen Arbeitsprozeß in einen wissenschaftlichen Prozeß, der die Naturgewalten seinem Dienst unterwirft und sie im Dienst der menschlichen Bedürfnisse wirken läßt . . ."7 deshalb als entscheidenden Maßstab für die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse erkannt und analysiert. Die wichtigsten Abschnitte der Entfaltung experimenteller Forschung und Entwicklung und ihr schrittweiser Übergang zu systematischer Industrieforschung und Entwicklung unter Beachtung der qualitativen Veränderungen der Leitung in den einzelnen Perioden können in Etappen zusammengefaßt werden.8 Die erste Etcvppe umfaßt den gesamten Zeitraum der vorkapitalistischen Produktionsweise und dehnt sich zeitlich bis zum Beginn der Industriellen Revolution aus. In dieser außerordentlich langen Periode kann man noch nicht von einer Erfindungstätigkeit sprechen, die systematisch erfolgte, obwohl es zweifelsohne herausragende Leistungen technischer Meisterschaft und wissenschaftlicher Denkkraft sowie handwerklicher Fähigkeiten gibt. Die bedeutendsten Erfindungen und Entdeckungen für das Handwerk und Gewerbe bis zum zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden naturgemäß von Einzelerfindern ersonnen, was nicht heißt, daß sie sich nicht auf den jeweils vorhandenen Wissensfundus stützten. Marx definiert: „Allgemeine Arbeit ist alle wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung, alle Erfindung. Sie ist bedingt teils durch Kooperation 7 8

K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 588' Kusicka und Leupold nehmen eine Einteilung in drei Etappen vor, die gemäß den qualitativen Veränderungen der Industrieforschung im gegenwärtigen Kapitalismus zu erweitern wäre (vgl. H. Kusicka/W. Leupold, Industrieforschung und Ökonomie, Berlin 1966, S. 12ff.). Gericke hat sich der Einteilung von Kusicka/Leupold angeschlossen (vgl. R. Gericke, Ökonomisch begründete Entscheidung in der Industrieforschung, Berlin 1968, S. 56ff.). Wolkow verzichtet auf eine Einteilung nach Etappen (vgl. G. N. Wolkow, Soziologie der Wissenschaft, Berlin 1970, S. 137ff.). Zahlreiche interessante Anregungen enthalten die umfassenden Arbeiten von J. D. Bemal, Die Wissenschaft in der Geschichte, Berlin 1967 und von J. Kuczynski, Wissenschaft und Gesellschaft, Berlin 1972.

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mit Lebenden, teils durch Benutzung der Arbeiten früherer. Gemeinschaftliche Arbeit unterstellt die unmittelbare Kooperation der Individuen." 9 Für die individuell erarbeiteten, für Handwerk und Gewerbe wichtigen Erfindungen bzw. Entdeckungen dieser Periode wurden weit über 2000 Jahre benötigt, wobei solche grundlegenden früheren Erfindungen wie das Rad, das Schmiedeeisen, die Bronze, das Spinnen und Weben, die Brotgärung sowie Wein- und Bierbereitung und geographische Entdeckungen nicht enthalten sind. Charakteristisch für diese Erfindungen und Entdeckungen, ohne damit ihre prinzipielle Bedeutung im Rahmen der historischen Entwicklung zu schmälern, ist die geringe Veränderung des wissenschaftlich-technologischen, ökonomischen und sozialen Niveaus. „ A u f den früheren Stufen der Produktion ist beschränktes Maß der Kenntnis und Erfahrung unmittelbar mit der Arbeit selbst verbunden, entwickelt sich nicht als von ihr getrennte selbständige Macht, kommt daher im ganzen nie hinaus über traditionell fortgeübte und nur sehr langsam und im Kleinen sich erweiternde Rezeptsammlung. {Erfahrungsmäßige Erlernung der mysteries of each handicraft) Hand und und K o p f nicht getrennt" 1 0 , charakterisierte Marx diese Periode. Unter leitungsorganisatorischem Aspekt einer systematischen, auf praktische Nutzanwendung orientierten Erfindungstätigkeit können daher aus dieser längsten Periode die wenigsten Schlußfolgerungen gezogen werden. Die zweite Etappe umfaßt die Periode des Übergangs und der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie beginnt mit der Industriellen Revolution und endet mit dem Aufschwung des Kapitalismus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Diese durch ihre bedeutenden, revolutionären Neuerungen auch heute noch außerordentlich wichtige und interessante Epoche für die Wirtschaftsund Leitungstheorie ist durch zahlreiche neue Erfindungen und Entdeckungen gekennzeichnet, die mit der Entwicklung der Spinnmaschine durch James Hargreaves und der Dampfmaschine von James W a t t ihren Anfang nahmen und zu tiefgreifenden revolutionären Wandlungen im sozialökonomischen wie politisch-ideologischen Bereich führten. „Die Maschine, wovon die Industrielle Revolution ausgeht, ersetzt den Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanismus, der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf einmal operiert und von einer einzigen Triebkraft, welches immer ihre Form, bewegt wird." 1 1 Zugleich entstanden vor allem aus praktischen Erfordernissen der Produktion heraus mannigfache neue Erfindungen, die eine mit der wachsenden Vergesellschaftung der Produktion parallel gehende schrittweise engere Verflechtung experimenteller erfinderischer Tätigkeit nach sich zog. „Die Dampfmaschine selbst, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des K . Marx, Das Kapital, Dritter Band, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (im folgenden M E W ) Bd. 25, Berlin 1964, S. 113/114. 10 Aus dem handschriftlichen Nachlaß von Karl Marx, in: Kommunist, Nr. 7, 1958, S. 22. " K . Marx, Das Kapital, Erster Band, in: M E W , Bd. 23, Berlin 1964, S. 392f. 9

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18. Jahrhunderts fortexistierte, rief keine Industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr umgekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionäre Dampfmaschine notwendig machte." 12 Obschon mit diesen Erfindungen einschneidende Niveauveränderungen in technologischer, ökonomischer und vor allem sozialer Hinsicht einhergingen, kann auch hier noch nicht von einer eigentlichen Industrieforschung und -entwicklung gesprochen werden. Handwerkliches Geschick und Erfahrung, fachmännische und technische Findigkeit waren entscheidend für die Neuentwicklung bedeutender Techniken. Eine zielstrebige Organisation und Leitung der Erfindertätigkeit auf den gesamten Produktionsprozeß — und nicht nur einzelne Elemente, vor allem Arbeitsinstrumente, fehlten. Von einer technologischen Forschung kann zu Beginn der Industriellen Revolution noch keine Rede sein und eine gesonderte Forschungsleitung und -methodik haben nicht existiert. Auch in materiell-technischer Hinsicht war die Basis der auf industrielle Nutzanwendung orientierten Erfindertätigkeit unbedeutend. Organisatorisch war sie nicht von anderen Tätigkeiten getrennt. Gesellschaftliche Koordination und Zielstrebigkeit mangelten, Erfolge und Mißerfolge hielten sich die Waage. Dennoch reiften im Zuge der wachsenden Vergesellschaftung der Produktion, des sich entwickelnden technologischen Niveaus und der ökonomischen Interessen der Unternehmer jene Bedingungen, die die erfinderische Leistung mehr von unmittelbarem Interesse für das Kapital macht. Vom politökonomischen wie leitungsorganisatorischem Aspekt her ist interessant, daß einerseits zahlreiche Erfinder selbst zu bedeutenden kapitalistischen Unternehmern avancierten 13 und von daher ein kompliziertes Transformationsproblem neuer Ideen in die Wirtschaft nicht oder nur in begrenztem Maße bestand. Zum anderen ist jedoch erstaunenswert, daß viele umwälzende Erfindungen in jener Periode der noch nicht organisierten „Industrieforschung" gewöhnlich nicht innerhalb, sonden außerhalb einer Industrie gemacht worden sind. Marx spottet über den „Gipfel" handwerksmäßiger Weisheit des „Ne sutor ultra crepidem", indem er die Außenseiterrolle bedeutender Erfinder hervorhebt. Neuerungstheoretisch wie praktisch wird diese Tatsache heutzutage oft ignoriert, obwohl zweifellos wichtige Motivationen jener Erfinderpersönlichkeiten im heute • durchorganisierten „Forschungsbetrieb" verlorengehen können. So erfand z. B. Arkwright, ein Friseur und Barbier, den Spinnrahmen, und Cartwright war Pfarrer und Dichter, bevor er den Maschinenwebstuhl erfand. Selbst James Watt beschäftigte sich nicht berufsmäßig mit Dampfmaschinen, bis er als Instrumentenmacher des Glasgow-College das Modell einer Newcomen-Pumpe zur Reparatur erhielt. Weder Howe noch Singer waren Schneider, als sie ihre Nähmaschinen erfanden, Fulton und Morse waren Künstler, die Gebrüder Wright waren Fahrradmechaniker, und selbst Edison war „Außenseiter" und keineswegs ein geborener Geschäftsmann. Für die wissenschaftlichen Grundlagen der Organisation und Leitung schöp12 Ebenda, S. 392. 13 Vgl. J. Kuczynski, Wissenschaft und Gesellschaft, Berlin 1972, S. 146.

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ferischer Arbeiten bzw. für die praktische Leitung von Neuerungen stellten sich hier interessante Fragen, deren Beantwortung mehr Achtung gebührt angesichts der großen Möglichkeiten in unserer Zeit im Vergleich zu den Anfängen der Industriellen Revolution. So muß beispielsweise die Frage beantwortet werden, welche leitungsorganisatorischen Konsequenzen erforderlich sind, um wertvolle, zukunftsträchtige Ideen und Vorschläge nutzen zu können, die außerhalb des Planes Wissenschaft und Technik entstehen. Ferner ist sozialpsychologisch näher zu untersuchen, welche Maßnahmen notwendig sind, um das individuelle Schöpfertum zu erhöhen und neue Ideen nicht an formalen Kompetenzschwierigkeiten zerschellen zu lassen, oder wie neue Ideen und Möglichkeiten, die z. B. an Hochschulinstituten entdeckt wurden, schneller von der sozialistischen Industrie aufgegriffen werden können. Vor allem unter dem Blickwinkel der Ausbildung erster industrieller Forschungslaboratorien und der damit einhergehenden unmittelbaren Einbeziehung der Wissenschaft in den Produktionsprozeß ist die dritte Etappe der Entfaltung von Industrieforschung und Entwicklung der eigentliche Markstein in der Entstehung dieses neuen Arbeitsfeldes. Immer eindeutiger wird in dieser Periode sichtbar, daß Produktivität und Reichtum „. . . vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion"abhängen.14 Zugleich wird aus den enormen technologischen Veränderungen, die mit der Entstehung völlig neuer Industriezweige, vor allem der chemischen und elektrotechnischen Industrie verbunden sind und mit grundlegenden Neuerungen durch qualitativ andersartige Technologien in allen Zweigen einhergehen, die unmittelbare Wirksamkeit der Wissenschaft als Produktivkraft deutlich. Marx folgerte: „Die Entwicklung des Capital fixe zeigt an, bis zu welchem Grade das allgemeine gesellschaftliche Wissen, knowledge, zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist, und daher die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter die Kontrolle des general intellect gekommen, und ihm gemäß umgeschaffen sind."15 Hier findet sich ein direkter Hinweis auf die prinzipielle Bedeutung dieses Prozesses für die Entwicklung des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Der vereinzelt arbeitende „Erfindungshandwerker" wird Schritt für Schritt durch kooperative Arbeitsweise zunächst im Stil der „Erfindungsmanufaktur" abgelöst und mit Entstehen der ganz und gar wissenschaftlich fundierten Chemie- und Elektroindustrie durch „Erfindungsfabriken" ersetzt.16 In diesen tiefgreifenden Umwälzungen liegt die eigentliche Geburtsstunde der organisierten Industrieforschung und Entwicklung. 1863 gründeten die Chemiker Lucius und Brünning die „Höchster Farbwerke" auf der Grundlage systematischer Forschungsarbeit. 1867 entdeckte Siemens das Dynamoprinzip und im gleichen Jahr Alfred Nobel das Dynamit. Die unternehmerische 14

K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 592. 15 Ebenda, S. 594. 16 Vgl. H. Mottek/W. Becker/A. Schröter, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß, Bd. 3, Berlin 1974, S. 49. 13

Ausbeute erfolgte genauso rasch, wie das durch Bell 1875 entwickelte elektromagnetische Telefon Furore machte und die amerikanische Telefonindustrie ins Leben rief. Die Arbeiten von Westingkouse, Stanley und ihren Mitarbeitern führten zur Gründung des Westinghouse-Konzerns, Edison und Thomson begründeten General Electric in Amerika und Siemens und Halske die gleichnamige Firma im damaligen Deutschland. Sowohl die Elektrokonzerne als auch die Chemieindustrie gingen dabei bereits bei ihrer Gründung dazu über, durch qualifizierte Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung neue Produkte zu entwickeln und dabei das Problem der Anpassung der Neuerungen an die Produktion durch direkten Anschluß der F/E-Stellen an die Unternehmungen zu lösen. Spiegelbild der Leistungen von Forschern und Knoblern der Gründerjahre der Industrieforschung sind z. B. die seit dem Patentgesetz in Deutschland vom Mai 1877 bis 1907 erfolgten 458682 Patentanmeldungen, für die 181275 Patente erteilt worden sind. 17 Das sind jährlich über 6000 Patente! Nur um die Dimension zu vergleichen, sei daran erinnert, daß Anfang der siebziger Jahre von den in Forschung und Entwicklung Tätigen in unserer Republik rund 4500 Patente jährlich angemeldet worden und etwa die gleiche Zahl erteilt worden sind.18 Obwohl solche Vergleiche natürlich nur bedingt möglich sind, weil das erforderliche technisch-technologische Niveau heute viel größer ist, sind sie insofern interessant, da die gesamte Leitung und Organisation der Industrieforschung früher ausschließlich empirisch fundiert war und es die heute selbstverständlichen technischen Ausstattungen und Informationshilfen nicht gab. Immerhin ist bemerkenswert, daß die Zahl der Geschäftsnummern des ehemaligen Kaiserlichen Patentamtes in Berlin sich im Jahre 1906 bereits auf 553771 belief, die Ausgaben der Behörde, die damals rund 1000 Beamte zählte, sich im gleichen Jahre auf 3992651 Mark stellten, während die Einnahmen 8240056 Mark betrugen. 19 Ein beachtlicher Aufwand für die organisatorische und verwaltungsmäßige Beherrschung der Patentwirtschaft, der auch vom Nutzeffekt Vergleiche mit heutigen Werten standhält. Solche Statistiken, die objektive Anhaltspunkte für den Leitungsaufwand und den erreichten Effekt geben, fehlen leider für die Genesis der Industrieforschung. Der namhafte englische Wissenschaftler und Repräsentant der Weltfriedensbewegung, John Bernal, schätzte die Gesamtzahl der Ende des 19. Jahrhunderts tätigen Wissenschaftler auf 50000, darunter ca. 15000 Beschäftigte in der Forschung. 20 Anhaltspunkte über das Niveau von Organisation und Leitung ihrer Arbeiten sind in der Regel nur spärlich aus Firmengeschichten oder Lebens17

Der Siegeslauf der Technik, Hrsg. M. Geitel, Stuttgart-Berlin-Leipzig, o. J „ S. 22. Mottek u. a. nennen 195000 Patentunterlagen. Vgl. H. Mottek/W. Becker/ A. Schröter, Wirtschaftsgeschichte . . ., a. a. O., S. 49. 18 Vgl. Statistisches Jahrbuch der D D R 1975, Berlin 1975, S. 69. 19 Der Siegeslauf der Technik, a. a. O., S. 22. 20 Vgl. J. D. Bemal, Wissenschaft und Industrie im 19. Jahrhundert, Berlin 1953; ders.: Die Wissenschaft in der Geschichte, a . a . O . , S. 473 und 495.

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beschreibungen der großen Erfinderpersönlichkeiten abzuheben. Die ersten Industrielaboratorien entwickelten sich gemäß praktischen Erfordernissen und Möglichkeiten, jedoch durchweg zunächst ohne grundlegende Ordnungen und Regelungen, eher empirisch und geprägt durch die Persönlichkeit der Erfinder und Pioniere, nicht zuletzt jedoch durch die Anforderungen der wachsenden Produktionsmaßstäbe, vor allem hinsichtlich der Menge und Qualität der Produkte. In vielen Industriezweigen, vor allem der Chemieund Elektroindustrie, aber auch der Grundstoffindustrie, entwickelten sich die F/E-Stellen aus Abteilungen zur Güte- und Qualitätskontrolle heraus. Ein Beweis mehr für die heute außerordentlich aktuelle Verbindung von Qualitäts- und F/E-Arbeit aus der Genesis der Industrieforschung. Besonders profilierend wirkten auf die Entfaltung industrieller F/EArbeiten die zunehmenden technologischen Anforderungen. Karl Marx hat in bestechender Art und Weise bereits ganz am Anfang der industriellen Großproduktion diese wachsende Bedeutung der Technologie vorausgesehen: „Die große Industrie zerriß den Schleier, der den Menschen ihren eigenen gesellschaftlichen Produktionsprozeß versteckte und die verschiedenen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegeneinander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Rätseln machte. Ihr Prinzip, jeden Produktionsprozeß, an und für sich und zunächst ohne alle Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine konstituierenden Elemente aufzulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die buntscheckigen, scheinbar zusammenhanglosen und verknöcherten Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich auf in bewußt planmäßige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft." 21 Im Profitinteresse forcierte technologische Fortschritte wurden bereits frühzeitig durch entsprechende Lehrbücher (Beckmann unternahm einen ersten Versuch 1777) und vor allem durch ein technisches Unterrichtswesen unterstützt. Dabei wurden in Deutschland neben den Industrie- und Gewerbeschulen Technische Hochschulen gegründet, die sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts zu Zentren der Lehre und Forschung entwickelten (Aachen, Berlin, Braunschweig, Darmstadt, Dresden, Hannover, Karlsruhe, München, Stuttgart) und nach 1875 zu einem generellen Aufschwung in der Vermittlung technischen Wissens führten. Das drückte sich nicht zuletzt in der rasch wachsenden Hörerzahl aus, die sich innerhalb von nur vier Jahren fast verdoppelte. An den neun technischen Hochschulen studierten im Sommersemester 1893 4845 Studierende und Hospitanten, während im Wintersemester 1896/97 bereits 7908 gezählt wurden.22 Für die Leitung der industriellen Forschung und Entwicklung ist unter dem Blickwinkel der heute existierenden komplizierten Überleitungsprobleme und Koordinierung von Forschung und Technologie besonders wichtig, daß in den ursprünglichen Industrielaboratorien aller Zweige eine solche Trennung nicht existiert hat. Der Entwickler war zwangsläufig 21 22

K . Marx, D a s K a p i t a l , Erster Band, in: MEW, B d . 23, S. 510 Brockhaus Konvereations Lexikon, B d . 17, Leipzig-Berlin-Wien 1898, S. 973. Zum Vergleich: E s studierten im Winter 1896/97 an den damaligen 20 Uni-

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gezwungen, fertigungsgerecht zu arbeiten und die Belange der Produktion zu berücksichtigen, wenn seine Erfindung überhaupt produktionswirksam werden sollte. Dabei muß man wissen, daß die Ingenieure in den damaligen Entwicklungsabteilungen im eigentlichen Sinne nicht geleitet wurden. „Die Ingenieure sind zugleich ihre eigenen Administratoren" wird um die Jahrhundertwende noch ausdrücklich bei der Charakteristik der neuen Berufsgruppe hervorgehoben.23 Dadurch wurde das Problem der betriebswirtschaftlichen Einordnung von technischen Neuerungen und F/E-Leistungen zwangsläufig gelöst, weil die existierenden F/E-Stellen noch eng mit den relativ überschaubaren Produktionsprozessen verbunden waren, die umfassendere Arbeitsteilung und Kooperation gemäß den komplizierter werdenden Anforderungen der technischen Vorbereitung erst entstanden. Die weiteren Verzweigungen der heute außerordentlich aufgefächerten Arbeitsteilung zwischen Forschung und Entwicklung sowie technologischer Produktionsvorbereitung haben, historisch gesehen, also einen Stamm. Es bleibt zu untersuchen, ob die erreichten Produktivitätsfortschritte aus dieser hohen Arbeitsteilung und Vergesellschaftung von F/E den exakt kaum berechenbaren „Bremswirkungen" aus leitungsorganisatorisch nur außerordentlich kompliziert beherrschbaren Überleitungsproblemen gerecht werden. Nur zum Vergleich sei daran erinnert, daß Edison beispielsweise in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts ca. zwei Jahre benötigte von der beginnenden Laborarbeit nach einer neuen Idee bis zum Aufbau eines Versuchsbetriebes. Heute werden in vielen Zweigen dagegen fünf Jahre und oftmals noch weit mehr benötigt. Mit wachsender technologischer Kompliziertheit der Produktion und höheren technisch-ökonomischen Parametern entwickelten sich Arbeitsteilung und Leistungsforderungen an die industrielle Forschung und Entwicklung. Eine theoretische Durchdringung und Entsprechung in wissenschaftlich fundierten Leistungskonzeptionen fanden sie nicht. 1903 entstand erst Taylors bekannte Arbeit zur Leitung des kapitalistischen Produktionsprozesses „Shop Management" (New York 1903), die in deutscher Ausgabe unter dem Titel „Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstätten" 1914 bereits in dritter Auflage erschien.24 Taylors Arbeit „The Principles of Scientific Management" (New York 1911) war dann auch einer der ersten Versuche, die Grundsätze einer wissenschaftlichen Betriebsleitung herauszuarbeiten, die von Lenin tiefschürfend analysiert und gewertet wurden.25 Obwohl Taylor sich eindeutig für die Schaffung wissenschaftlich fundierter Arbeitsregeln ausspricht und „Wissenschaft, keine

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versitäten in Deutschland 29937, darunter 3067 Mathematik und Naturwissensehaften (ebenda, S. 993). Vgl. Brockhaus Konversations Lexikon, Bd. 9, Leipzig-Berlin-Wien 1898, S. 595. F. W. Taylor, Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstätten, Berlin 1914; ders.: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, MünchenBerlin 1922. Vgl. W. I. Lenin, Das Taylorsystem — ein wissenschaftliches System zur Schweißauspressung, in: Werke, Bd. 18, S. 588ff.

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Faustregeln!" 2 6 fordert, gibt sein System der „wissenschaftlichen Betriebsführung" keine Ratschläge f ü r die Leitung der F/E-Arbeiten als Grundlage der wissenschaftlichen Durchdringung der Produktion. Das Problem der Leitung industrieller F/E-Arbeiten bleibt auch in denjenigen bürgerlichen Schulen und Lehrmeinungen zur Theorie von Organisation und Leitung lange Zeit ausgeklammert, die den Taylorismus ablösen. D. M. Gvisiani hat eine umfassende marxistisch-leninistische Analyse dieser Strömungen vorgenommen. 27 Typisch ist, daß bis zum I I . Weltkrieg die Probleme der Leitung von Industrieforschung und -entwicklung keinen wesentlichen Niederschlag in den zahlreichen Theorien und empirischen Ansätzen gefunden und auch danach als erste die Vertreter der „empirischen Schule" speziell mit der Analyse von Problemen der Leitung von Forschung und Entwicklung begonnen haben. Dieses Zurückbleiben in der theoretischen Ausarbeitung und Diskussion praktisch relevanter Leitungsprobleme industrieller Forschung und Entwicklung ist einmal bedingt durch die erst beginnende extensive Entfaltung des F/E-Potentials, zum anderen durch die bis zum Beginn der wissenschaftlich-technischen Revolution im großen und ganzen funktionierende Einordnung von Forschung und Entwicklung in das betriebswirtschaftliche Gesamtgeschehen. Die Erfahrungen der Chefkonstrukteure und Haupttechnologen für Entwicklung und Produktion waren für die Koordinierung und Leitung des Neuerungsprozesses ausreichend. Die Veränderungen in der Industrieforschung und Entwicklung sind in erster Linie quantitativer Natur bis zum sprunghaften Anwachsen der Rolle und Bedeutung von Forschung und Entwicklung im I I . Weltkrieg und der Nachkriegsperiode. Die Auswirkungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in technologischer, ökonomischer und vor allem sozialer Hinsicht ziehen lange Zeit in den kapitalistischen Ländern keine qualitativ neuen Anforderungen an die Leitung nach sich. Zu Beginn des II. Weltkrieges gab es in den USA erst rund 100 industrielle Forschungslaboratorien, 1960 waren es dagegen 5400 und die Zahl der in der Forschung Tätigen wuchs von 87000 1941 in zwanzig Jahren auf 387000, 28 während gegenwärtig ca. 540000 in der Forschung und Entwicklung beschäftigt sind. Wachstumsraten des industriellen F/E-Potentials und der Aufwendungen um 10% waren in hochentwickelten kapitalistischen Ländern keine Seltenheit und die Zahl der Patente von Einzelerfindern, die 1900 noch 80% in den USA ausmachte, ging ständig zurück. Bernal hat geschätzt, daß der Umfang der industriellen Forschung und Entwicklung in den kapitalistischen Ländern zwischen 1920 und 1960 auf mehr als das Hundertfache gestiegen 26

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F. W . Taylor, D i e Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, a. a. O., S. 151. Vgl. D . M. Gvisiani, M a n a g e m e n t . Eine A n a l y s e bürgerlicher Theorien v o n Organisation u n d Leitung, Berlin 1974, S. 199ff. L. S. Silk, T h e Research R e v o l u t i o n , N e w Y o r k 1960. Vgl. E . Mansfield, T h e E c o n o m i c s of Technological Change, N e w Y o r k 1968, S. 45. Hartmann

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ist. 29 „Die Erfindung wird dann ein Geschäft und die Anwendung der Wissenschaft auf die unmittelbare Produktion selbst ein für sie bestimmender und sollizitierender Gesichtspunkt." 30 Mit dieser Entwicklung zum ökonomischen Faktor und dem zahlenmäßigen Wachstum der Forscher, Ingenieure und Techniker verbindet sich die Herausbildung der technischen und experimentellen Basis der Industrieforschung, die Herausgabe zahlreicher technischer und wissenschaftlich technischer Zeitschriften, die Entstehung und Ausdehnung wissenschaftlicher Gesellschaften, Akademien und ein Anwachsen der universitären Forschung und Ausbildung und nicht zuletzt die empirische Begründung der grundsätzlichen Organisationsformen industrieller Forschungs- und Ent wi cklungsarbeiten. Dennoch herrschte bis in die fünfziger Jahre in vielen kapitalistischen Konzernen die Auffassung, die beste Art, die Forschung zu leiten, wäre der Einsatz guter Leute und, ihnen möglichst weitgehenden Spielraum für ihre Arbeit an Neuerungen zu geben. Andererseits wurden als Extrem dazu keinerlei Unterschiede zu sonstigen betrieblichen Funktionalbereichen gemacht und daher keine Unterschiede in der Leitungsorganisation gesehen und auch praktisch nicht eingeführt. 31 Mit Erkenntnis der wachsenden Rolle von Forschung und Entwicklung für die Erzielung von Konkurrenzvorteilen und der wachsenden Enttäuschung über einen sich keineswegs aus größeren F/E-Anstrengungen (bigscience) automatisch ergebenden höheren ökonomischen Ertrag rückte die Leitungsproblematik von F/E immer stärker in den Mittelpunkt des Managementinteresses. Forcierend haben vor allem der für die USA traumatische „Sputnikschock" 1957 und nicht zuletzt die Erkenntnis gewirkt, daß die wissenschaftlich-technische Revolution und die mit ihr einhergehenden Veränderungen im Charakter der Arbeit und bei der weiteren Vergesellschaftung der Produktion unumgänglich eine Intensivierung der schöpferischen Arbeit und der F/E-Routineprozesse verlangen. Ausgehend von einem wahren Literaturboom zu F/E-Managementproblemen in den USA entwickelte sich auch in der B R D in den sechziger Jahren eine enorme Zunahme der einschlägigen Literatur.32 Die Behandlung des technischen Fortschritts als Wachstums- und Konkurrenzfaktor Nummer 1 tritt in den Mittelpunkt betriebswirtschaftlicher theoretischer Arbeiten und der Theorien zur kapitalistischen Unternehmensleitung. 29 30 31 32

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J. D . Bernal, D i e W i s s e n s c h a f t in der Geschichte, a. a. O., S. 820. K . Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, a. a. O., S. 591. Vgl. E . Mansfield, T h e E c o n o m i c s of Technological Change, a. a. O., S. 8 0 f f . H a n d l e setzt den eigentlichen A u f s c h w u n g in einer Literaturstudie für die B R D nach 1967 an. Vgl. F. H a n d l e , M a n a g e m e n t in F o r s c h u n g u n d E n t wicklung — Bibliographische Materialien m i t einer Einführung, S t u d i e n u n d Berichte 21 des M a x - P l a n c k - I n s t i t u t s für Bildungsforschung, Berlin (West) 1971, S. 19. Früher liegen vor allem die Arbeiten v o n K . Mellerowicz, Forschungs- u n d E n t w i c k l u n g s t ä t i g k e i t als betriebswirtschaftliches P r o b l e m , Freiburg 1958 u n d die vielzitierte Arbeit v o n G. Schätzle, F o r s c h u n g u n d E n t w i c k l u n g als unternehmerische A u f g a b e , K ö l n - O p l a d e n 1965.

Eine ausführliche Analyse dieser Prozesse, ihrer objektiven Hintergründe und Konsequenzen für die Entfaltung des industriellen F/E-Managements soll hier nicht versucht werden.33 E s geht vor allem darum, deutlich zu machen, daß eine historisch über mehr als 250 Jahre verfestigte und nach kapitalistischen Zielen, theoretischen Ansätzen und Methoden gewachsene Organisation der industriellen Forschung und Entwicklung nicht problemlos in einer historisch entschieden kürzeren Zeitspanne in allen Punkten einschließlich der notwendigen Bewußtseinsänderung der Forscher, Ingenieure und Techniker verändert werden kann. Selbst im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsformation — also unter qualitativ prinzipiell gleichbleibenden Bedingungen — wurden und werden Veränderungen in der Organisation und Leitung von Forschung und Entwicklung erhebliche Widerstände entgegengesetzt. Nicht uninteressant im Hinblick auf die oft angeführten „technologischen Lücken" zwischen den imperialistischen Hauptmächten ist dabei die Tatsache, daß wichtige Veränderungen in der Leitung und Organisation oft nach amerikanischem Vorbild kopiert worden sind. Gleichzeitig wirkte der Vorsprung der USA vor den europäischen kapitalistischen Ländern dahingehend, daß die Forschungspolitik der USA generell als beispielhaft interpretiert und akzeptiert wurde. Hauptargument hierfür waren der zurückgebliebene Stand von Wissenschaft und Technik in den westeuropäischen Ländern und der dadurch bedingte Produktivitätsrückstand. Ebenso bedeutende Ursachen für den Rückstand der europäischen kapitalistischen Länder gegenüber den USA wurden und werden in dem ungenügenden F/E-Management zur Gewinnung und Verwertung technischen Wissens gesehen. Dabei setzt sich in jüngster Zeit mehr und mehr die Auffassung durch, daß die formale Anlehnung an die amerikanische Forschungspolitik keineswegs unproblematisch war und ist, da die USA als kapitalistische Weltmacht Nr. 1 die höchsten Prioritäten für die militärische Präsenz, Weltraumforschung, Atomforschung usw. setzen, während viele im Interesse der Menschheit liegende Probleme vernachlässigt werden, so daß wachstumspolitisch wie sozialökonomisch nicht der erwartete Nutzen eingetreten ist. Mit der zunehmenden Entwicklung der Forschung unter kapitalistischen Bedingungen und der rasch voranschreitenden Institutionalisierung von Forschung und Entwicklung entstanden völlig neue Probleme der Organisation und Leitung von Wissenschaft und Technik, die zunächst allein im Rahmen der Konzerne und Monopolgesellschaften gelöst werden sollten, später jedoch zwangsläufig regulierende Eingriffe des Staates erforderten. Inhaltlich resultieren die Probleme der Leitung dieses Potentials vor allem daraus, daß der Unbegrenztheit möglicher Forschungsziele und F/E-Projekte ständig limitierte Mittel, hohe Risiken und begrenzte Zeiträume zur Realisierung der Vorhaben und Maßnahmen unter Konkurrenzdruck gegenüberstehen. Mit dem Anwachsen dieser Ziel-Mittel-System-Widersprüche ge33

2*

Vgl. W. D. Hartmann/W. Stock, Management von Forschung und Entwicklung. Zur K r i t i k der bürgerlichen Theorie und Praxis von Organisation und Leitung industrieller Forschung und Entwicklung, Berlin 1976.

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Winnen die Ökonomie und staatliche Regulierungsversuche in einem Bereich des kapitalistischen Reproduktionsprozesses an Gewicht, der bislang ausschließlich Domäne der Ingenieure und Naturwissenschaftler war. Der ganze Problemkreis einer wissenschaftlich fundierten Zielfixierung, Planung und Bewertung, Organisation und Kontrolle von F/E-Vorhaben stellt enorme Anforderungen in theoretischer, instrumentaler und nicht zuletzt strukturellpersoneller Hinsicht. Der ursprünglich in vielen kapitalistischen Unternehmen vorhandene Widerstand gegen eine theoretisch fundierte F/E-Leitung und Hilfe des Staates mußte bei Strafe des Zurückbleibens und Marktverlustes aufgegeben werden. Die Probleme der Zielfindung und -auswahl, Planung von Forschungsprojekten und -ablaufen sowie die damit einhergehende Bewertung alternativer Varianten, des Nutzeffektes von F/EProjekten und der Leistungsfähigkeit von F/E-Einheiten sind zentrale Aufgaben, an deren Qualität und Wirksamkeit sich das F/E-Management mißt, dessen leitungsorganisatorisches Niveau gegenwärtig aus betriebswirtschaftlicher Sicht in den Konzernen oft beachtlich ist. Durch die zwangsläufig erforderliche Arbeit interdisziplinär zusammengesetzter F/E-Kollektive und die wechselseitig immer engere Verknüpfung von F / E und Produktion entsteht ein elementares Organisations- und Leitungsproblem, das stark durch Anlehnung an vorhandene Lösungen der Produktionsleitung und -Organisation befriedigt wird. Nicht selten geschieht das gegen den Widerstand der in F / E Beschäftigten und ohne genügende Berücksichtigung der Spezifik des F/E-Prozesses. Die zunächst noch überwiegenden „Einzelforscher" werden in große Forschungskollektive integriert und häufig zu eng spezialisierten Fachwissenschaftlern umprofiliert, die wie die Produktionsarbeiter Teilaufgaben ohne den Blick f ü r das Ganze lösen müssen. Die Leitungsaufgaben sind von „F/E-Managern" übernommen worden, die in der Mehrzahl kaum Wissenschaftler für den eigentlichen Forschungsgegenstand sind, aber dennoch erfolgreich ihre Leitungsaufgaben erfüllen können. Generell kann festgestellt werden, daß den Organisations- und Leitungsfragen unter zahlreichen Aspekten in jüngster Zeit ständig mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, nicht zuletzt deshalb, weil viele traditionelle Lösungen, historisch entstandene Strukturen, „klassische" Aufteilung von Labors und Konstruktionsbüros einerseits und ihr Zusammenwirken mit den unmittelbaren Fertigungsabteilungen andererseits offensichtlich den gewachsenen Anforderungen der schnellen und aufwendigen Überleitung von Forschungsergebnissen kaum genügen. Mit der Veränderung der F/E-Aufgaben hinsichtlich des Problemcharakters, der Problemstruktur und des Problemumfanges sowie der Zahl der in F / E Beschäftigten, der Dauer und des Risikos der Problemlösung und notwendigen Kooperation wachsen auch die Anforderungen an die erforderlichen finanziellen Mittel sowie die notwendigen Koordinierungshilfen des kapitalistischen Staates. Durch die vor allem in den USA im I I . Weltkrieg entstandene und ausgebaute „big science" des Militärindustriekomplexes entstanden neue Formen der Verschmelzung von staatlicher Forschungsförderung und privatkapitalistischer Nutzung der Ergebnisse. „An Stelle der bisherigen Spontanität treten staatsmonopolistisch pro20

grammierte Kooperationsbeziehungen. Das Staatsmonopol als herrschendes Produktionsverhältnis bietet damit neue und erweiterte Möglichkeiten, u m die im Rahmen der Großforschung erforderlichen vielfältigen und weitreichenden Kooperationsbeziehungen in wirksame Instrumente der Durchsetzung der Herrschaft der Monopole zu verwandeln." 3 4 Moderne Management-Methoden für F / E werden somit einerseits zwangsläufig notwendig, aber durch Unterstützung des Staates und den Einsatz von elektronischen Informations- und Datenverarbeitungsanlagen auch andererseits erst ermöglicht, um die intensive Ausnutzung des F/E-Potentials und staatlicher Finanzhilfen im Interesse des Profits zu sichern. Eindeutig kann hier eine sehr enge Wechselbeziehung festgestellt werden, die nicht allein zu großen Konsequenzen für die Leitung und Organisation des Forschungsprozesses, sondern auch zu erheblichen Veränderungen im F/EProzeß hinsichtlich der Kollektivzusammensetzung und Qualifikation des einzelnen Forschers geführt haben. Zahlreiche Elementaroperationen im konstruktiven Entwicklungsprozeß werden mehr und mehr an leistungsfähige Computer abgegeben mit dem Ziel, durch Erhöhung der Produktivität der in Forschung und Entwicklung Beschäftigten die aufwendige technische Basis, ohne die moderne naturwissenschaftliche Forschung undenkbar geworden ist, schneller zu amortisieren. Parallel hierzu entstehen staatlich vermittelte, profitbedingte Bestrebungen, große und komplexe Forschungsvorhaben über die Konzerngrenzen hinaus gemeinsam zu lösen, um Entwicklungskosten, aber auch Forschungsinvestitionen zu sparen. Wie an das Management, stellt diese Entwicklung auch an den einzelnen Forscher völlig neue Anforderungen, zwingt zu einer Änderung der Arbeitsweise, Methoden und Instrumente im F/E-Prozeß, wie sie bislang noch nicht da gewesen sind. Dabei werden neue Fragen gestellt, die sowohl die prinzipielle Einordnung und Struktur von Forschung und Entwicklung im Unternehmen betreffen als auch das innere Zusammenspiel und die Produktivität der im unmittelbaren F/E-Prozeß agierenden Persönlichkeiten, die letztendlich jedoch alle auf das Zentralproblem, die komplexe Beherrschung des Innovationsprozesses, gerichtet sind. 3 5 Die Beherrschung dieser Komplexität des Innova34

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Autorenkollektiv, Ltg.: G. Speer, Wissenschaft im Klassenkampf, Berlin 1968, S. 53. Vgl. auch: Autorenkollektiv, Imperialismus und Wissenschaft, Berlin 1977, S. 13ff. Der Begriff „Innovation" (vom lateinischen Wort „novare" — „erneuern" abgeleitet) ist nur schwer mit einem treffenden Wort zu beschreiben. Er umfaßt den gesamten technisch-ökonomischen Prozeß der erstmaligen Uberleitung einer neuen Idee bzw. Erfindung in Produktion und Absatz. Der Begriff der „Innovation" (Erneuerung) steht in engem Zusammenhang mit dem Begriff „Invention" (Erfindung) und dem der „Diffusion" (Verbreitung neuer Produkte und Verfahren in einer Volkswirtschaft). Werden mit dem Begriff „Invention" Fragen des Schöpfertums und der Kreativität berührt, so geht es bei der „Innovation" um technisch-ökonomische und technisch-organisatorische Fragen der erstmaligen ökonomischen Verwertung und bei der „Diffusion" um volkswirtschaftliche Probleme der Ausbreitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.

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tionsprozesses wird zum Prüfstein für das gesamte Management und macht unter Beachtung der vorgenannten Faktoren deutlich, daß viele Lösungen für die Organisation und Leitung von Forschung und Entwicklung unter Zugzwang, dem Druck dringender Probleme der Effektivitätssteigerung im Unternehmen entstanden sind. Das findet seinen Niederschlag in der Entwicklung theoretischer Konzeptionen. 3 6 Für die sozialistische Wirtschaftstheorie u n d -praxis sind die kritische Analyse und Wertung dieser strategischen Bemühungen auf dem Gebiet des wissenschaftlich-technischen Fortschritts von hoher Aktualität. „Auch in den kapitalistischen Ländern spielen Wissenschaft und Technik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ohne Zweifel wurden und werden in den führenden imperialistischen Ländern auf wissenschaftlich-technischem Gebiet beachtliche Erfolge erreicht. Es wäre falsch, die Augen vor dieser Tatsache zu verschließen. Das entscheidende Kriterium aber, um die Bedeutung dieser Leistungen richtig zu werten, ist die Frage, wem diese wissenschaftlichen Ergebnisse vor allem zugute kommen." 3 7 Die zwanghafte Durchsetzung eines spezifischen technisch-technologischen Fortschrittsprozesses ist für die Aufrechterhaltung der Funktionsgrundlagen des kapitalistischen Systems unerläßlich. Die Spezifik der Rolle und Struktur technischer Innovationen im gegenwärtigen Kapitalismus ergibt sich aus den Anforderungen der Profitrealisierung der großen Monopole, d. h. aus den politökonomischen Bedingungen und Zusammenhängen des Verwertungsprozesses monopolistischer Einzelkapitale vor dem Hintergrund größerer innerer politischer und wirtschaftlicher Labilität des Imperialismus. I m gegenwärtigen Prozeß der Zuspitzung der allgemeinen Krise des Kapitalismus verschärft sich der internationale Konkurrenzkampf, und das Monopolkapital sucht in der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus seine ökonomisch-politischen Positionen durch neue Strategien zu halten. Dieser technische Fortschrittsprozeß muß sich dabei sowohl auf die Produktion von relativem Mehrwert (hohe Arbeitsproduktivität, niedrige Kosten etc.) als auch auf die ständige Sicherung seiner Realisierung richten. 36

Vgl. dazu u . a . : G . A . S t e i n e r , Top-Management-Planung, München 1971; A. Kieser, Unternehmenswachstum und Produktinnovation, Westberlin 1970; W. Schwetlick, Forschung und Entwicklung in der Organisation industrieller Unternehmen, Berlin (West) 1973; R. Nelson/M. J. Peck/E. D. Kalachek, Technology, Economic Growth and Public Policy, Washington 1967. E. Mansfield, The Economies of Technological Change, N e w York 1968; D. G. Marquis/S. Myers, Successful Industrial Innovations. Study of Factors Underlying Innovation in Selected Firms, Washington 1969; K. Agthe, Strategie und Wachstum, Baden-Baden 1972, S. 170. B. Hake, Die Suche und Auswahl neuer Produkte. Die Praxis der Diversifikation, München 1967; J. Schmitt-Grohe, Produktinnovation, Verfahren und Organisation der Neuproduktplanung, Wiesbaden 1972; G.Mensch, Zur Dynamik des technischen Fortschritts. Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Bd. 41, 1971; G. Mensch, Basisinnovation und Verbesserungsinnovation. Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Bd. 42, 1972. 37 K. Hager, Wissenschaft und Technologie im Sozialismus, Berlin 1974, S. 16.

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Marx hat das prägnant entwickelt, als er darauf verwies, daß „. . . die Produktion von relativem Surpluswert, d. h. die auf Vermehrung und Entwicklung der Produktivkräfte gegründete Produktion von Surpluswert. . . Produktion neuer Konsumtion (erheischt); daß sich der konsumtive Zirkel innerhalb der Zirkulation ebenso erweitert, wie . . . der produktive Zirkel. Erstens quantitative Erweiterung der bestehenden Konsumtion; zweitens: Schaffen neuer Bedürfnisse dadurch, daß vorhandene in einem größeren Kreis propagiert werden; drittens: Produktion neuer Bedürfnisse und Entdeckung und Schöpfung neuer Gebrauchswerte. Dies in anderen Worten, daß die gewonnene Surplusarbeit nicht nur quantitatives Surplus bleibt, sondern zugleich den Kreis der qualitativen Unterschiede der Arbeit (damit der Surplusarbeit) beständig vermehrt, mannigfaltiger gemacht, in sich selbst mehr differenziert wird. Zum Beispiel braucht durch die Verdopplung der Produktivkraft nur mehr ein Kapital von 50 angewandt werden, wo früher eins von 100, so daß ein Kapital von 50 und die ihm entsprechende notwendige Arbeit frei wird, qualitativ verschiedener Produktionszweige geschaffen werden, der neues Bedürfnis befriedigt und hervorbringt. Der Wert der alten Industrie wird erhalten, (dadurch) daß fund für eine neue geschaffen wird, wo sich das Verhältnis des capital and labour in einer neuen Form setzt. Also Explorieren der ganzen Natur, um neue nützliche Eigenschaften der Dinge zu entdecken; universeller Austausch der Produkte aller fremden Klimate und Länder; neue Zubereitungen (künstliche) der Naturgegenstände, wodurch ihnen neue Gebrauchswerte gegeben werden. Die Exploration der Erde nach allen Seiten, sowohl um neue brauchbare Gegenstände zu entdecken, wie neue Gebrauchseigenschaften der alten; wie neue Eigenschaften derselben als Rohstoffe etc.: die Entwicklung der Naturwissenschaft daher zu ihrem höchsten Punkt (Hervorh. d. Verf.); ebenso die Entdeckung, Schöpfung und Befriedigung neuer aus der Gesellschaft selbst hervorgehenden Bedürfnisse . . . ist. . . eine Bedingung der auf das Kapital gegründeten Produktion."^ Wichtig ist dabei, daß — worauf Karl Marx wiederholt hingewiesen hat — technische Erfindungen für das partielle Hinausschieben der Widersprüche der Kapitalverwertung bedeutungsvoll sind. „Die im Laufe der normalen Akkumulation gebildeten Zusatzkapitale dienen vorzugsweise als Vehikel zur Exploration neuer Erfindungen und Entdeckungen, überhaupt industrieller Vervollkommnung." 39 An anderer Stelle schreibt er über die Notwendigkeit, daß der auf dem Markt realisierte Mehrwert zwecks neuer Kapitalisierung neue Investitionsmöglichkeiten und -anlässe braucht. „Akkumulation braucht daher keine neue Arbeit unmittelbar in Bewegung zu setzen, sondern braucht nur der alten andere Richtung zu geben." 40 Diese im Vollzug einer auf wachsender Stufenleiter zu garantierende Kapitalakkumulation ist im gegenwärtigen Kapitalismus in eine tiefgreifende 38 39 40

K . Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 311 ff. K . Marx, Das Kapital, Erster Band, in: M E W , Bd. 23, Berlin 1962, S. 657. K . M a r x , Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil, in: M E W , B d . 26, 3, Berlin 1968, S. 434.

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Krise geraten. Es wird offensichtlich, wie das Monopol zu einer Ursache für die Krisen in kapitalistischen Volkswirtschaften wird, indem es die wissenschaftlich-technische Entwicklung im Interesse der Erhaltung seiner ökonomischen Machtposition manipuliert. Neben einem partiell schnellen Fortschreiten der Technik sind Tendenzen einer verlangsamten und ungleichmäßigen Einführung neuer Technik bzw. der Stagnation in der Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts typisch. Dies bestätigt erneut Lenins Erkenntnis, daß im Imperialismus die Technik zwar durch die Monopole in einem früher nicht gekannten Ausmaß stimuliert wird, sie aber andererseits umfangreiche ökonomische Möglichkeiten besitzen, den technischen Fortschritt zu hemmen. Die negativen Auswirkungen der kapitalistischen F/E-Politik zeigen sich besonders drastisch in der Unfähigkeit des Kapitals, die sozialen Konsequenzen neuer Technologien zu beherrschen, den wissenschaftlich technischen Fortschritt im umfassenden Sinne zur Entwicklung aller Produktivkräfte und der friedlichen Anwendung neuer Erkenntnisse zum Wohle der Menschheit zu nutzen. Die verheerende Arbeitslosigkeit, die Entwicklung immer neuer Waffen und perverser Vernichtungstechniken, die Perspektivlosigkeit der Jugend und immer mehr wachsende Arbeitslosigkeit akademisch gebildeter Kader sind hierfür typische Beispiele. So werden selbst neueste technische Errungenschaften, wie die Mikroelektronik eher als Furie denn als Fortuna gewertet, wird in demagogischer Weise versucht, die Technik an sich und nicht ihre kapitalistische Anwendung für die noch unübersehbaren Konsequenzen im gegenwärtigen Herrschaftsbereich des Kapitals verantwortlich zu machen. Die im Wesen des Monopolkapitalismus liegende Tendenz zur Stagnation und Fäulnis zeigt sich daher heute am deutlichsten an den unlösbaren Konflikten im sozialökonomischen Bereich, an der künstlichen Aufblähung von Branchen und an mannigfaltigen scheinbaren Neuerungen, die einen sinnlosen Konsumzwang und beabsichtigten immer schnelleren moralischen wie physischen Verschleiß neuer Erzeugnisse entsprechend dem „Wolfsgesetz des Kapitalismus" nach sich ziehen. „Die Vielfalt täuscht", resümiert das BRD-Wirtschaftsmagazin „Wirtschaftswoche" Anfang 1977. Auf den großen Konsümgütermessen der kapitalistischen Länder sind wirkliche Neuheiten selten geworden. Von 200 elektrotechnischen Unternehmen, die auf der Düsseldorfer Fachmesse „Hifi 76" mehr als 6000 verschiedene Geräte zeigten, wurden beispielsweise kaum echte Neuentwicklungen angeboten, Färb- und Formunterschiede dominierten. Ähnliche Einschätzungen können für viele weitere Branchen getroffen werden, was jedoch keineswegs den galoppierenden Preisanstieg dämpft, von Ausnahmen abgesehen. „In dem Maße, wie Monopolpreise, sei es auch nur vorübergehend, eingeführt werden, verschwindet bis zu einem gewissen Grade der Antrieb zum technischen und folglich auch zu jedem anderen Fortschritt, zur Vorwärtsbewegung und insofern entsteht die ökonomische, Möglichkeit, den technischen Fortschritt künstlich aufzuhalten." 41 Der gegenwärtige Kapitalismus offenbart, daß der Umfang der Investitio41

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W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Werke, Bd. 22, Berlin 1960, S. 281.

nen und das ökonomische Wachstum hinter den Möglichkeiten des technischen Fortschritts zurückbleiben. Die Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch die monopolkapitalistischen Einzelkapitale und die von ihnen entwickelten F/E-Aktivitäten führen im volkswirtschaftlichen Zusammenhang zu strukturellen Fehlentwicklungen und Disproportionen, die rückwirkend selbst wieder die monopolistische Kapitalverwertung untergraben. Bei dem erreichten hohen Stand der Produktivkräfte muß die Kapitalverwendung immer mehr dadurch gesichert werden, daß den Erfordernissen der Vergesellschaftung von Produktion und Wissenschaft in der industriellen Forschung und Entwicklung entsprochen wird, was infolge der privatkapitalistischen Eigentumsverhältnisse nur eingegrenzt auch mit Hilfe des Staates möglich ist. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hemmen den Fortschritt sowohl durch die Fehlleitung großer Teile des volkswirtschaftlichen F/E-Potentials (konkurrenzbedingte objektiv unnötige Produktionsvariationen, Rüstungsforschung, Bedürfnismanipulierung) und durch die Blockierung technologischer Innovationen auf Basis der monopolistisch verfestigten Produktions- und Marktstrukturen. Hinzu kommt, daß durch die monopolistischen Eigentumsverhältnisse der horizontale und vertikale Technologietransfer zur volkswirtschaftlichen Ausbreitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts behindert wird, z. B. durch den Aufbau umfangreicher Sperrpatente. Die durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bedingten Defekte werden umso gravierender, je wichtiger die Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts für die Entwicklung der Produktivkräfte im Interesse der relativen Mehrwertproduktion, für die Fortsetzung des kapitalistischen Akkumulationsprozesses und damit für die Durchsetzung der Monopole im internationalen Konkurrenzkampf und für die Aufrechterhaltung der ökonomischen und politischen Stabilität des imperialistischen Systems in der Klassenauseinandersetzung mit dem Sozialismus wird. Zur Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Leitung von Forschung und Entwicklung in der sozialistischen Industrie Der GOELRO-Plan wird heute mit Fug und Recht als die Geburtsurkunde der einheitlichen wissenschaftlich-technischen Politik und erster Perspektivplan der UdSSR charakterisiert und setzt Maßstäbe für langfristig wissenschaftlich-technische Pläne, die heute mit wesentlich größerem Aufwand und mit Beteiligung vieler namhafter Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker erarbeitet werden. Lenin hob das Kriterium der wissenschaftlichen Fundierung der Pläne als Grundlage der sozialökonomischen Entwicklung hervor, indem er betonte, „. . . daß wir . . . Pläne haben, die nicht der Phantasie entspringen, sondern technisch untermauert und wissenschaftlich vorbereitet sind. . . ." 42 Hierin liegt ein wesentlicher Faktor der 42

W. I. Lenin, Bericht über die Arbeit des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees, in: Werke, Bd. 30, Berlin 1961, S. 325.

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historisch neuen Qualität für die Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Die sozialistische Planmäßigkeit und die nach dem Leninschen Prinzip des demokratischen Zentralismus organisierte Leitung der wissenschaftlich-technischen Arbeit werden zielstrebig und konsequent auf der Grundlage sozialistischer Eigentumsverhältnisse im gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Interesse entwickelt. Die Durchsetzung dieser neuen Qualität der Leitung war und ist nur auf der Grundlage und in Verbindung mit der Mobilisierung und Nutzung der schöpferischen Initiativen aller Werktätigen möglich. „Der lebendige, schöpferische Sozialismus ist das Werk der Volksmassen selbst", schrieb Lenin und zugleich: „Nur der wird siegen und die Macht behaupten, der an das Volk glaubt, der bis auf den Grund der lebendigen Schöpferkraft des Volkes tauchen wird." 4 3 Das entscheidende Neue, das es leitungsorganisatorisch unter Führung der Partei und mit Hilfe der Gewerkschaften auf der Grundlage einer theoretisch fundierten, gesamtgesellschaftlichen Planung und Leitung zu entwickeln und im umfassenden Sinne zu nutzen gilt, ist die Freisetzung von Massenschöpferkraft. Zur Charakteristik dieser neuen Form des sozialistischen Wettbewerbs schrieb Lenin: „Erst jetzt wird in breitem Maße, wahrhaft für die Massen, die Möglichkeit geschaffen, Unternehmungsgeist, Wettbewerb und kühne Initiative zu entfalten. . . . Zum erstenmal nach Jahrhunderten der Arbeit für andere, der unfreien Arbeit für die Ausbeuter, bietet sich ihm die Möglichkeit, für sich selbst zu arbeiten, und zwar zu arbeiten, gestützt auf alle Errungenschaften der modernen Technik und Kultur." 4 4 Hierbei konnten sich die Leiter und Organisatoren der jungen Sowjetmacht auf keine leitungstheoretischen Abwandlungen im heutigen Sinne stützen und mußten die Schlußfolgerungen für die rationellste Leitung aus der unmittelbaren praktischen Verwirklichung des Neuen ableiten. Natürlich entwickelten sich bei der Neuorganisation dieser praktischen Leitungstätigkeit auf nahezu allen Gebieten neben hervorragenden, schnell wirksamen und bis heute bewährten Leitungsprinzipien und neuen Formen und Methoden der Leitungsorganisation auch „Amtsschimmel", Formen des Bürokratismus und der Leitung über Berge von Papier. Lenin erkannte frühzeitig die hierin verborgene Gefahr und warnte davor: „Das Wichtigste ist meines Erachtens, vom Schreiben von Dekreten und Anforderungen wegzukommen (hier machen wir Dummheiten bis zur Idiotie) und das Schwergewicht auf die Auswahl der Menschen und die Kontrolle der Durchführung zu legen." 4 5 Hieraus wird zugleich die hohe Wertschätzung erkennbar, die Lenin sachkundigen, politisch wie fachlich fähigen Kadern für die sozialistische Leitungstätigkeit zugemessen hat. Unbarmherzig rechnete er mit denjenigen ab, die eine rationelle Planung, Organisation und Leitung verhinderten, und sprach sich nachdrücklich für die Verallgemeinerung und 43 44 45

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W . I. Lenin, Sitzung des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees, in: Werke, Bd. 26, Berlin 1961, S. 283 und S. 287. W. I. Lenin, Wie soll man den Wettbewerb organisieren, in: Werke, Bd. 26, Berlin 1961, S. 405. W . I. Lenin, Brief an A. D. Zjurupa, in: Werke, Bd. 36, Berlin 1962, S. 551.

Nutzung gewonnener guter Erfahrungen aus. Besondere Beachtung fand dabei wiederum die theoretische Fundierung einer qualifizierten Leitung der Wissenschaft. „Man muß endlich lernen, die Wissenschaft zu schätzen, mit der ,kommunistischen' Hoffart von Dilettanten und Bürokraten aufzuräumen; man muß endlich lernen, systematisch zu arbeiten und dabei die eigene Erfahrung, die eigene Praxis auszuwerten." 46 Die Notwendigkeit der Nutzung einmal gewonnener Erfahrungen der Leitungstätigkeit, ihrer theoretischen Verallgemeinerung und Erweiterung besteht heute verstärkt, weil beinahe täglich neue komplizierte Fragen und Probleme infolge der Realisierung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auftreten und viele Seiten der Wirtschaftstätigkeit eine Vervollkommnung erfordern. Für die theoretische Erfassung und Interpretation dieser außerordentlich komplizierten Fragestellungen gibt es kein Rezept, genauso wenig wie für die praktische Durchsetzung das wissenschaftlichtechnischen Fortschritts in der sozialistischen Industrie und Gesellschaft. Davor kann niemand die Augen verschließen, und es wäre falsch, aus der besonders gegenwärtig allerorts und allenthalben üblichen Betonung der gewachsenen und wachsenden Rolle des wissenschaftlich-technischen Fortschritts abzuleiten, daß damit gewissermaßen zwangsläufig auch ein höheres Niveau der leitungsmäßigen Beherrschung dieser Prozesse erreicht wird. Mit sicherem Blick hat Lenin auch in dieser Frage erkannt, worauf es bei der weiteren Entfaltung der sozialistischen Leitungstheorie wie -praxis zur Beschleunigung des W T F ankommt: „Weniger politisches Wortgeprassel. Weniger intelligenzlerische Betrachtungen. Näher heran ans Leben. Mehr Aufmerksamkeit dafür, wie die Arbeiter- und Bauernmassen in ihrer täglichen Arbeit in der Praxis etwas Neues bauen. Mehr Kontrolle darüber, wie weit dieses Neue kommunistisch ist." 47 Die Planung und Leitung der wissenschaftlich-technischen Arbeit erlangte und verlangt in dem Maße wachsende Bedeutung in Theorie und Praxis von Organisation und Leitung, wie der wissenschaftlich-technische Fortschritt und die ökonomische Verwertung seiner Ergebnisse die Effektivität der Industrieproduktion immer entscheidender bestimmen. Das derzeitige System der Leitung der Industrieproduktion und darüber hinaus der gesamten sozialökonomischen Entwicklung unterliegt unter diesem entscheidenden Einfluß grundlegenden Wandlungen, die eine tiefgehende theoretische Durchdringung der qualitativen Veränderungen verlangen und an die praktische Bewältigung der Aufgaben auf dem Gebiet der Leitung höhere Anforderungen stellen. Während die grundlegende revolutionäre Umgestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen durch den Übergang der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus und Kommunismus weiter voranschreitet, vollzieht sich zugleich unter den Bedingungen der sich zunehmend intensiver entfaltenden wissenschaftlich-technichen Revolution eine enorme Beschleunigung der 46

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W . I. Lenin, U b e r den einheitlichen Wirtschaftsplan, in: Werke, B d . 32, S. 137. W . I. Lenin, Ü b e r den Charakter unserer Zeitungen, in: Werke, B d . 28, Berlin 1959, S. 88.

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Prozesse der Vergesellschaftung der Produktion, eine historisch noch nie dagewesene Erhöhung der Kompliziertheit und Internationalisierung des gesamten Reproduktionsprozesses. Theorie wie Praxis werden hierbei mit zahlreichen neuen Fragestellungen und Problemen konfrontiert, die bis vor kurzem nicht einmal Gegenstand der Theorie von Organisation und Leitung waren. Die schöpferische Suche nach marxistisch-leninistisch fundierten theoretischen Maximen und für die Praxis geeigneten Wegen kann sich dabei n u r in begrenztem Maße auf Erfahrungen außerhalb des sozialistischen Lagers stützen. I m realen entwickelten Sozialismus sind eigenständige, historisch gesehen neue theoretische Grundlagen und praktisch realisierbare Leitungsformen f ü r die industrielle F/E-Arbeit und ihre Einbettung in den sozialistischen Reproduktionsprozeß zu entwickeln. Zu solchen wichtigen Problemkomplexen, die theoretisch neu erschlossen werden mußten, zählten und zählen: — die Erforschung der Bedürfnisse und des Bedarfs als Ausgangspunkt der Planung des wissenschaftlich-technischen und sozialökonomischen F o r t schritts ; — die Ausdehnung der Planung auf längere Zeiträume entsprechend den Anforderungen der Reproduktionsprozesse, der sozialistischen ökonomischen Integration und Erkenntnissen aus prognostischen Forschungen z u r Sicherung des wissenschaftlich-technischen Vorlaufs; — die weiterführende Analyse zur Vertiefung der sozialistischen Intensivierung aller Bereiche durch verstärkte Nutzung und Beschleunigung deswissenschaftlich-technischen Fortschritts und der übrigen Intensivierungsfaktoren ; — die theoretische Durchdringung und praktische Beherrschung der Wirkungsbedingungen ökonomischer Gesetze des Sozialismus als Voraussetzung für die volle Entfaltung der wissenschaftlich-technischen Revolution und der komplexen sozialistischen Intensivierung; — die Steigerung der volkswirtschaftlichen Effektivität und Produktivität wissenschaftlich-technischer Arbeiten sowie die Beherrschung des notwendigen Übergangs von der extensiven Wissenschaftsentwicklung zur Intensivierung von Forschung und Entwicklung; — die Messung und Bewertung des technisch-ökonomischen Niveaus der Produktion und der Erzeugnisse sowie der Qualität der Produktion zur Erhöhung der Gebrauchswerteigenschaften und Zuverlässigkeit der Erzeugnisse, an internationalen Maßstäben gemessen; — die bessere Verbindung des Zyklus von Wissenschaft — Technik — Reproduktion vor allem in der Überleitungsphase in die Fertigung bis zur vollen technisch-organisatorischen und technologischen Beherrschung der projektierten Parameter; — die Herausbildung und Vertiefung der sozialistischen ökonomischen Integration, insbesondere in der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit auf entscheidenden Gebieten; — die Probleme der Gestaltung der materiell-technischen Basis und der volkswirtschaftlichen Proportionalität in der sozialistischen Wirtschaft; 28

— die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch seine verbesserte Planung, Bewertung, Organisation, Stimulierung und Kontrolle sowie Erziehung und Ausbildung der Kader im Leitungsprozeß unter Ausnutzung der elektronischen Datenverarbeitung. Bei der Lösung dieser Aufgaben wurden in den letzten Jahren gute Portschritte erzielt und werden ungelöste Probleme zielstrebig weiter bearbeitet. Dabei sind die Erfahrungen aus der sowjetischen Leitungstheorie und Praxis von besonderem Interesse und müssen konstruktiv auf die spezifischen Gegebenheiten unserer Industrieforschung übertragen werden. Bei der Bearbeitung weiterführender Forschungsaufgaben muß die Ermittlung des erreichten Standes und die Einschätzung der Entwicklungstendenzen einen hervorragenden Platz einnehmen. Während zur Lösung wissenschaftlich-technischer Aufgaben gesetzlich vorgeschriebene Recherchen bereits seit langem selbstverständlich und durch den Patentschutz unumgänglich sind, fehlen oftmals ähnliche tiefgehende Literaturstudien vor Beginn gesellschaftlicher Forschungen. Das ist einerseits durch das in vielen Fällen objektiv bedingte unterschiedliche Herangehen kaum zu umgehen, andererseits aber oftmals die Ursache dafür, daß viele Forschungsarbeiten auch über relativ lange Zeit in gleiche oder ähnliche Richtung führen, während andere Fragestellungen unberührt bleiben. Solche „weißen Flecken" aufzudecken und stärker in den Mittelpunkt neuer wissenschaftlicher Arbeiten zu stellen, sollte auch in der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung analytisch abgesichert werden. Das ist umso wichtiger, als sich dadurch der Blick für neue Aspekte eines bereits seit längerer Zeit bearbeiteten Forschungsschwerpunktes schärft, die häufigsten Fragestellungen, aber auch die Schwachstellen, klarer erkennbar werden. Um Forschungsschwerpunkte für die Themenkomplexe „Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und Erhöhung seiner Effektiv i t ä t " abzuleiten, wurden beispielsweise den Komplex betreffende Arbeiten und Sachgebiete über 20 Jahre anhand der DDR-Fachliteratur analysiert/' 8 Allein anhand der führenden theoretischen Zeitschrift auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet in der D D R läßt sich die wachsende Bedeutung des o. g. Problemkreises insgesamt eindeutig nachweisen. Die dabei auftretenden Schwankungen in der Intensität der Veröffentlichungen auf diesem Gebiet sollen hier nicht näher analysiert werden. Sie sind nicht überzubewerten, weil der steigende Trend insgesamt eindeutig überwiegt und bei der rein quantitativen Analyse der Zahl der Aufsätze naturgemäß ihre Qualität, beispielsweise gemessen am theoretischen Niveau und ihrer praktischen Relevanz, nicht erfaßt werden kann. Hier liegt bekanntlich die Achillesferse aller quantitativen Literaturrecherchen und auch ein Mangel von rechnergestützten Recherchen aller Art, weil bei Analysen nach Stichworten bisher die Qualität der Arbeiten in 48

D i e Recherchen wurden i m Auftrag der Autoren v o n Dipl. oec. M. Wilke durchgeführt. Vgl. W . D . H a r t m a n n , M. Wilke, N u t z u n g v o n Literaturstudien für die B e s t i m m u n g v o n Forschungsschwerpunkten, i n : I n f o r m a t i k 2/1977, S. 38.

29

Abb. 1: Anzahl der Veröffentlichungen pro J a h r zu P r o b l e m e n d e s wissenschaftlich-technischen Fortschritts

den ausgedruckten Listen weder Auswahlmaßstab ist, noch nachgewiesen werden kann. Systematisiert man die einzelnen Arbeiten nach Sachgruppen, lassen sich Schwerpunkte gut ablesen: Tabelle 1 : Zuordnung der analysierten Arbeiten nach Sachgebieten 1. W T F allgemein (einschließlich materiell-technische Basis) 2 . W T F u n d Charakter der Arbeit i m Sozialismus 3 . E f f e k t i v i t ä t des W T F 4 . Prognose u n d P l a n u n g des W T F 5. Forschung/Entwicklung/Überleitung (Zyklus W i s s e n s c h a f t — T e c h n i k Produktion) 6 . Stimulierung des W T F (einschließlich Preise für N e u h e i t e n ) 7 . Strukturfragen und sozialistische ökonomische Integration 8 . Leitung/Organisation/Entscheidung 9 . Sonstige theoretische u n d ideologische Fragen

Absolut

Prozent

17

1 0 , 1 o/o

11 29 24

17,1% 1 4 , 2 o/ 0

37

21,9%

9

5 , 3 o/ 0

11 14

6 , 5 o/ 0

17

1 0 , 1 o/o

169

100,0%

6,5%

8,3%

Bei dieser Systematisierung nach Sachgruppen entstehen zwei Probleme. Erstens die Bestimmung der Sachgruppen selbst, auf die hier nicht näher eingegangen wird, und zweitens die Zuordnung der einzelnen Arbeiten zu diesen Sachgruppen. Auf Grund des analysierten Inhalts der 127 Abhandlungen ergaben sich insgesamt 169 Zuordnungen, weil Doppelrichtungen einzelner Arbeiten dabei unvermeidlich sind auf Grund des vielschichtigen Inhalts mancher Aufsätze. Daraus wurden, wie in der Tabelle dargestellt , die absoluten und prozentualen Verteilungen auf die einzelnen Sachgruppen ermittelt. Anhand solcher Studien lassen sich „Baissen" und „Haussen" einzelner Sachgebiete gut ablesen, ohne das damit voreilig Rückschlüsse auf ihre wissen30

schaftliche Bedeutung zu ziehen sind. Gleichzeitig ist die zunehmende Beschäftigung mit einzelnen Sachgebieten gut erkennbar. Insgesamt zeigt sich, daß derartige Studien bei aller Einschränkung durch Schwierigkeiten der Erfassung, der Qualität einzelner Arbeiten, durch Zuordnungsprobleme usw. dennoch gute Ansatzpunkte für einige theoretisch noch zu wenig angepackte Fragen liefern. So kann allein aus der Tabelle in Kenntnis des Inhalts der Arbeiten eingeschätzt werden, wo Lücken bzw. Nachholebedarf besteht. Das betrifft: Erstens die Probleme der Gestaltung der materiell-technischen Basis, die in der sowjetischen Literatur viel häufiger behandelt werden. Nur in zwei Arbeiten wurde näher auf diese Fragen eingegangen. Mit der Frage der materiell-technischen Basis sind zugleich die Strukturfragen eng verbunden, zu denen es ebenfalls noch zu wenig konkrete Arbeiten gibt. Zweitens fehlen theoretisch tiefgreifende fundamentale Analysen zum Gesamtproblem, also solche Arbeiten, die im besten Sinne des Wortes Primärquellen sind und eine Fülle weiterer Forschungen auslösen. Drittens gibt es zwar auf dem Gebiet Planung/Prognose genügend Arbeiten, aber davon beschäftigen sich noch zu wenige mit Fragen der Analyse und Prognose des technisch-ökonomischen Niveaus der Produktion, das für die Intensivierung von entscheidender Bedeutung ist. Es mangelt an konkret aufgezeigten Verfahrensmöglichkeiten. Viertens ist die Zahl der Arbeiten zu gering, die der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie gewidmet sind. Die in der Tabelle dieser Problematik zugeordneten Artikel (Sachgruppe 9) behandeln meist nur bestimmte, bewußt herausgegriffene Brennpunkte, wie z. B. Automatisierung und Arbeitslosigkeit u. ä. Eine Auseinandersetzung mit bürgerlichen Innovationstheorien im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Krise fehlte beispielsweise völlig. Aber nicht nur die Auseinandersetzung mit bürgerlichen Theorien zeigt Lücken, sondern auch das Aufgreifen neuer, aktueller Fragen der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Sozialismus, beispielsweise die Erhöhung des Schöpfertums der Werktätigen und die Intensivierung der wissenschaftlich-technischen Arbeit selbst sowie die komplexe Leitung von Neuerungsprozessen. Fünftens zeigt sich, daß der Behandlung von Fragen der Stimulierung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zunehmend mehr Bedeutung beigemessen werden muß. Die angespannte Situation auf dem Rohstoffmarkt und die Veränderung der Industriepreise machen es erforderlich, die derzeitige Situation auf dem Gebiet der Stimulierung einschließlich der Preisbildung eingehend zu untersuchen und neue Schlußfolgerungen zu ziehen. Weiterführende Arbeiten zu Fragen der Stimulierung wurden beispielsweise erst Anfang der siebziger Jahre veröffentlicht. Sechstens ist die Behandlung des Gebietes Leitung/Organisation/Entscheidung noch lückenhaft. Die Problematik wurde erst Ende der sechziger Jahre umfassender aufgegriffen, obwohl sie für die bewußte Durchsetzung und Verwirklichung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sehr wichtig ist. 31

Diese knappe Analyse der Entwicklung der theoretischen Grundlagen der Leitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zeigt Schwerpunkte der weiteren Arbeit und sollte daher in der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung verallgemeinert werden. In der theoretischen Durchdringung der Leitungsproblematik industrieller Forschung und Entwicklung ist ein Nachholebedarf gegenüber praktischen Erfordernissen und den veränderten Maßstäben qualitativ effektiver F/E-Leistungen f ü r die Wirtschaft unverkennbar. Das widerspiegelt sich deutlich in der — gemessen an der Rolle und Bedeutung f ü r das Wirtschaftswachstum — geringen Zahl wissenschaftlicher Publikationen zur sozialistischen Leitungstheorie und Praxis von Industrieforschung und Entwicklung in der D D R und speziell zur Leitung komplexer Neuerungsprozesse. Auch international gibt es auf diesem Gebiet noch relativ wenig grundlegende Arbeiten. In der UdSSR wird eingeschätzt, daß f ü r die Vervollkommnung der Leitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die die Erforschung der Probleme von Neuheiten (novsestvo) bzw. Neueinführungen (novovvedenie) erstrangige Bedeutung erlangt. 49 In der DDR-Fachliteratur wird in jüngster Zeit die „Erhöhung der Anpassungsfähigkeit des Reproduktionsprozesses für wissenschaftlich-technische Neuerungen" vielfach als Grundproblem zur Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts charakterisiert. 50 Um so erstaunlicher ist es, daß offensichtlich so bedeutsame Begriffe wie „Neuerung" oder „Innovation" weder im Philosophischen Wörterbuch (10. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Leipzig 1974) noch in der zweiten, völlig neu erarbeiteten Auflage von Meyers Neuem Lexikon auch nur erwähnt werden. Auch für den Terminus „Neuheit" fehlt jeder Definitionsversuch, was sich praktisch in vielen Fällen in einer sehr subjektiven Auslegung solcher wichtigen Charakteristiken wie „neu- oder weiterentwickelte Erzeugnisse", „neu- oder weiterentwickelte Technologien" auswirkt. Auf dem XXV. Parteitag der K P d S U betonte daher L. I. Breshnew kritisch: „Es gibt noch Erzeugnisse, die in den Berichten als „neu" angeführt werden, in Wirklichkeit aber nur ihrem Herstellungsdatum, nicht aber ihrem technischen Niveau nach neu sind." 5 1 Daß es sich hierbei keineswegs um eine mehr oder weniger akademische Fragestellung handelt, wird allein schon dadurch unterstrichen, daß nach ernstzunehmenden Untersuchungen bis zu 90 Prozent aller Patentanmel49

50

51

32

G . C h . P o p o v , E f f e k t i v n o e upravlenie, M o s k v a 1976, S. 12. Vgl. a u c h : I. I. Grusnov, Osvoenie v y p u s k a n o v y c h izdeli, M o s k v a 1976; G. M. Glagoleva, Technologiöeskoe osvoenie n a n ö n y c h otkryti i razrabotok, M o s k v a 1977; J. M. P e t r o v , SoverSenstvovanie upravlenöja nauönotechniöeskim progressom, M o s k v a 1976; Z. P. K o r o v i n a , Organizacija vnedrenija n o v o i techniki, Moskva 1976. Vgl. Autorenkollektiv unter L e i t u n g v o n H . N i c k , W i s s e n s c h a f t u n d Produktion i m Sozialismus, Berlin 1976, S. 6. X X V . P a r t e i t a g der K P d S U . R e c h e n s c h a f t s b e r i c h t des Zentralkomitees der K o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i der S o w j e t u n i o n u n d die n ä c h s t e n A u f g a b e n der P a r t e i in der Innen- u n d Außenpolitik, Berichterstatter: L. I. Breshnew, Berlin 1976, S. 59.

düngen zur Zeit die Schutzrechte versagt werden müssen, da nur „Wiederentdecktes" beschrieben wird, also keine echte Neuheit vorliegt. 52 In der englischsprachigen Fachliteratur zum Management von Forschung und Entwicklung wird der Terminus „innovation" breiter verstanden als seine unmittelbare wörterbuchgetreue Übersetzung. In dieser weiteren Auslegung umfaßt der Begriff „innovation" den Gesamtprozeß der erstmaligen Realisierung einer neuen Idee oder einer Erfindung (lateinisch „Invention") in der Produktion bis zur Durchsetzung der Neuerung auf dem Markt und und bei den Anwendern. Dieser komplizierte Prozeß wurde in der DDR-Fachliteratur vor allem unter dem Stichwort „Überleitung in die Produktion" erforscht, teilweise auch als „Überführungsprozeß" vor allem hinsichtlich der Produktionswirksamkeit von Ergebnissen der Grundlagenforschung charakterisiert. 53 Eine fundierte Neuerungstheorie des wissenschaftlich-technischen Fortschritts steht dagegen noch aus. Die vorliegende Arbeit stellt sich das Ziel, hierfür Bausteine zu liefern und den Blick auf bisher noch zu wenig erforschte Probleme zu lenken. Aktuelle Anforderungen zur Vervollkommnung industrieller Forschung und Entwicklung

der Leitung

Bekanntlich stellt jede neue Etappe unserer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung objektiv weiterführende und spezifische Aufgaben und Probleme an die Leitung, insbesondere an die politisch-ideologische und politisch-organisatorische Arbeit. Gegenwärtig werden diese in hohem Maße durch die Anforderungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unter den Bedingungen der weiteren Gestaltung des entwickelten Sozialismus und der Schaffung der Grundlagen des Kommunismus geprägt. Gesellschaftlicher Fortschritt in Richtung Kommunismus und beschleunigte Entwicklung von Wissenschaft und Technik bilden eine Einheit und bedingen einander. Die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts stellt in diesem Zusammenhang vielfältige, qualitativ neue Anforderungen an die 52 53

A. Korennoj/H. Engelbert, Die wissenschaftliche Information als Element des wissenschaftlich-technischen Potentials, in: Informatik 4/1976, S. 14ff. Vgl. W. Marschall, Probleme der Überleitung von Forschungsergebnissen bei der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in: Wirtschaftswissenschaft 9/1972, S. 1339; Autorenkollektiv, Probleme der Überleitung naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die gesellschaftliche Praxis, Berlin 1973; F. Pleschak, Aufgaben bei der Beherrschung der Überleitung wissenschaftlich-technischer Ergebnisse in die Produktion, Dresden 1973; W. Heyde, Beherrschung der Überleitungsprozesse — eine Grundfrage in der Kette Wissenschaft—Technik—Produktion, in: Die Technik 4/1974, S. 266; A. Lange/D. Voigtberger, Überleitung von wissenschaftlich-technischen Ergebnissen, Möglichkeiten und Methoden der rationellen Gestaltung, Berlin 1975; Autorenkollektiv, Ltg. : W. Heyde, Die Ökonomie der betrieblichen Forschung und Entwicklung, Berlin 1976, Abschnitt 11.

3 Hartmann

33

Leitung komplexer Neuerungsprozesse. Auf dem X X V . Parteitag der K P d S U wurde daher als ureigene Aufgabe der Partei, als aktuellste und verantwortungsvoll wahrzunehmende Aufgabe jedes Genossen gestellt, grundlegende Veränderungen im Prozeß der Planung u n d Leitung von Neuerungsprozessen durchsetzen. „Die Revolution in Wissenschaft u n d Technik erfordert grundlegende Veränderungen im Stil und in den Methoden der Wirtschaftstätigkeit, den entschlossenen K a m p f gegen Konservatismus u n d Routine, die Hochachtung vor der Wissenschaft, die Fähigkeit und das Verlangen, sie zu R a t e zu ziehen u n d ihr Rechnung zu tragen. Sie fordert die Vervollkommnung der Planung u n d der ökonomischen Stimulierung, u m Voraussetzungen zu schaffen, die in vollem Maße zur möglichst schnellen Überführung der neuen Ideen über alle Stufen — von der Erfindung bis zur Massenproduktion — beitragen u n d der Herstellung veralteter Erzeugnisse einen zuverlässigen ökonomischen Riegel vorschieben." 5 4 Auf dem I X . Parteitag der S E D wurde die entscheidende Rolle des wissenschaftlich-technischen Fortschritts f ü r die Fortsetzung der wirtschaftsund sozialpolitischen H a u p t a u f g a b e sowie die Stärkung der materielltechnischen Basis auf dem Wege der Intensivierung bekräftigt. Aus den Erfahrungen, die insbesondere seit dem V I I I . Parteitag gesammelt wurden, sind wesentliche Schlußfolgerungen zur Rolle komplexer Neuerungen und damit zu den H a u p t a u f g a b e n der Vervollkommnung ihrer Leitung abzuleiten: Erstens bestätigt sich immer offensichtlicher, d a ß der Zusammenhang zwischen der Bedürfnis-, Bedarfs- und Marktentwicklung sowie der Art und Weise ihrer Befriedigung überdurchschnittliche Anforderungen an die Erneuerung der Produktion, insbesondere die Qualitätserhöhung stellt. Die Beherrschung der flexiblen Reaktion auf Bedarfsveränderungen im Inund Ausland sowie die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist ein Zentralproblem zur E r h ö h u n g der Wirksamkeit von Wissenschaft u n d Technik in der gesamten Volkswirtschaft. Zweitens bestätigt sich der vom I X . Parteitag und den nachfolgenden ZK-Tagungen immer wieder hervorgehobene Zusammenhang zwischen der Entwicklung der materiell-technischen Basis u n d der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. D a s tiefe Verständnis der Rolle komplexer Neuerungen als Haupthebel zur Schaffung der materiell-technischen Basis ist eine Schlüsselfrage f ü r die Lösung der anspruchsvollen Aufgaben mit Hilfe des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Von besonderer Bedeutung bei dieser Erneuerung der materiell-technischen Basis ist die engere Verbindung der Erzeugnisneu- und -Weiterentwicklung mit neuen Investitions- u n d Rationalisierungsmaßnahmen. Drittens wird durch die Direktive des I X . Parteitages hervorgehoben, daß durch die Nutzung wissenschaftlich-technischer Ergebnisse 80—90% der 54

34

Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K o m m u n i s t i s c h e n P a r t e i der S o w j e t u n i o n u n d die nächsten A u f g a b e n der P a r t e i in der Innen- u n d Außenpolitik, Berichterstatter: L. I. Breshnew, Berlin 1976, S. 60.

notwendigen Steigerung der Arbeitsproduktivität und jährlich 220—280 Millionen Arbeitsstunden in der Industrie und im Bauwesen insgesamt sowie ca. 80% der notwendigen Materialeinsparungen durch wissenschaftlich-technische Leistungen erreicht werden müssen. Das unterstreicht die erste Stelle des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unter den 10 Punkten der Intensivierung, wie sie vom Gen. E. Honecker auf der Beratung des Sekretariats des ZK der S E D mit den 1. Sekretären der Kreisleitungen herausgearbeitet wurden. Damit wird nicht nur der Rang und die Reihenfolge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unter den 10 Punkten der Intensivierung charakterisiert, sondern der wissenschaftlich-technische Fortschritt und damit der komplexe Neuerungsprozeß als der wesentlichste und übergreifende Faktor hervorgehoben, der alle anderen Intensivierungsfaktoren maßgeblich beeinflußt. Das Verständnis und die leitungsmäßige Beherrschung dieser Komplexität zur Erhöhung des technisch-ökonomischen Niveaus der Produktion und der Effektivität ist die dritte zentrale Frage der Erhöhung der Wirksamkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der gegenwärtigen Etappe. Das erreichte Niveau der sozialistischen Leitung wissenschaftlich-technischer Arbeiten in der Gegenwart und Perspektive muß an der Aufgabe gemessen werden, in größerem TJmfang als bisher die dem Sozialismus eigenen Formen des Zusammenschlusses der Wissenschaft mit der Produktion zu entwickeln und zugleich zu prüfen, wie dadurch Wachstum, Struktur und Leistung der Volkswirtschaft beeinflußt werden. Diese Aufgabenstellung gewinnt aus objektiven Gründen ständig weiter an Bedeutung. Sie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. „Die planmäßige und konzentrierte Förderung von Wissenschaft und Technik war und ist die vom Gewicht her entscheidende Voraussetzung, um die Arbeitsproduktivität zu steigern, die Qualität der Erzeugnisse, der Produktionsmittel wie auch der Konsumgüter, und die gesamte Effektivität der Arbeit zu erhöhen. Entwicklung von Wissenschaft und Technik und Verbesserung des Lebensniveaus des Volkes sind bereits zu einem untrennbaren Prozeß geworden. Man kann sagen, daß hohe wissenschaftlich-technische Leistungen ein grundlegendes gesellschaftliches Bedürfnis unserer gesamten Vorwärtsentwicklung verkörpern. Gerade von dieser Warte aus t u t unsere Partei alles, um die Entwicklung von Wissenschaft und Technik in unserem L a n d an der Seite der Sowjetunion im Interesse der Menschen zu beschleunigen und mit hoher Wirksamkeit gesellschaftlich zu nutzen." 5 5 Hieran wird deutlich, wie die Parteiführung die Leitungstätigkeit auf allen entscheidenden Gebieten beeinflußt und politisch-ideologisch unterstützt und vorwärtsentwickelt. „Es gehört gerade zu den größten Vorzügen der sozialistischen Gesellschaft, daß auch die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung durch die Partei der Arbeiterklasse geleitet wird. Das ermöglicht, die materiellen Mittel und die wissenschaftlichen K r ä f t e rationell einzusetzen, die sozialistische Gemeinschaftsarbeit zu entfalten, Doppel55

3*

I X . P a r t e i t a g der S E D , Bericht des Zentralkomitees . . ., a. a. O., S. 73.

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arbeit zu vermeiden und die erzielten Resultate zielstrebig in die Praxis zu überführen." 5 6 Die wichtigste objektive Ursache f ü r die wachsenden Aufgaben u n d die steigende Verantwortung des Leiters als Organisator des wissenschaftlichtechnischen und sozialökonomischen Fortschritts liegt daher in der f ü r den Fortschritt des Sozialismus unumgänglich notwendigen tieferen E n t f a l t u n g des schöpferischen Wetteiferns, der immer umfassenderen Nutzung der fortgeschrittensten Erfahrungen und des Gedankenreichtums und Erfindergeistes aller Werktätigen. Hier liegt eine Hauptquelle f ü r die Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems, und es werden zugleich völlig neue Maßstäbe an die sozialistische Leitung gestellt. Bekanntlich werden Neuerungen nicht immer und überall gleichermaßen begrüßt. Vielfältig bringen Neueinführungen auch „Unbequemlichkeiten" mit sich, stellen ungeachtet der ständig fortschreitenden Verbesserungen in den Arbeits- und Lebensbedingungen höhere Anforderungen an die Arbeit, die Qualität und Zuverlässigkeit, die Termintreue und die sozialistische Sparsamkeit jedes einzelnen im Kollektiv. „Umdenken" u n d oftmals „Neulernen" sind unumgängliche Begleiterscheinungen der Durchsetzung wissenschaftlich-technischer Neuerungen. Das heißt, die komplizierte Lenkung dieser Prozesse ist „in erster Linie eine zutiefst ideologische Aufgabe, die allen Beteiligten volle Bereitschaft abverlangt, demNeuen gegen alle Schwierigkeiten zumDurchbruch zu verhelfen." 5 7 In vielen Betrieben und Kombinaten werden schon jetzt über 50 Prozent und mehr der Produktivitätssteigerung durch die Rationalisatoren- und Neuererbewegung erbracht. Hieraus ist das Gewicht der Überlegungen und Vorschläge der Werktätigen zur Intensivierung der Produktion erkennbar und wird zugleich deutlich, welche Relevanz die Neuererarbeit f ü r die Effektivitätssteigerung besitzt. Auf diesem Wege der Nutzung aller schöpferischen Potenzen der sozialistischen Gesellschaft ist es erforderlich, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt allseitig zu beschleunigen und in größerem Maße produktionswirksam zu machen. 2. Die mit der gegenwärtigen wissenschafblich-technischen Revolution verbundenen Neuerungen lassen sich prinzipiell nicht auf einzelne Fachgebiete oder Bereiche der Leitung des gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Prozesses begrenzen. Mehr und mehr bestimmt die Dynamik wissenschaftlichtechnischer Neuerungen alle Lebensbereiche. „Der von dem verstorbenen englischen Wissenschaftler Bernal geprägte Begriff wissenschaftlich-technische Revolution bezeichnet solche Veränderungen der Produktivkräfte, deren Auswirkungen nicht nur einzelne Seiten des Produktionsprozesses oder einzelne Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betreffen, sondern die sich in grundlegender Weise auf mehrere, wenn nicht 68

57

Autorenkollektiv, Sozialismus — Wissenschaft — Produktivkraft. Uber die Rolle der Wissenschaft beim umfassenden Aufbau des Sozialismus in der D D R , Berlin 1963, S. 34. K. Hager, Sozialismus und wissenschaftlich-technische Revolution, Berlin 1973, S. 48f.

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auf alle wesentlichen Lebensbereiche der Gesellschaft auswirken." 58 Der Einfluß des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die höheren Anforderungen an seine Leitung dürfen daher nicht allein auf die produktive Sphäre begrenzt werden. Die Komplexität der Forschungsaufgaben und Problemstellungen erhöht sich nicht zuletzt gerade in der Gegenwart immer stärker von sozialpolitischen und -ökonomischen Fragestellungen ausgehend. Aus dieser objektiven Entwicklung heraus ist es zwingend notwendig, leitungsmäßig einerseits den immer komplexeren Problemstellungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts über viele Gebiete und Zweige zu entsprechen, andererseits auf jedem einzelnen Gebiet tiefer in Detailprobleme einzudringen und zahlreiche Spezialrichtungen zu verfolgen. Das führt sowohl zu einer komplexen Arbeitsweise und integrativen Problemarbeit, als auch zu tiefgehender Spezialisierung und Kooperation zwischen den Forschungspartnern im nationalen wie internationalen Maßstab. Beides hat erhebliche Auswirkungen auf die Leitungstätigkeit und führt zu Konsequenzen, die bis in das Aus- und Weiterbildungssystem reichen. Besonderes Gewicht erhält diese Entwicklung der zunehmenden Kompliziertheit und Komplexität zu bearbeitender Forschungsprobleme und -richtungen unter dem Blickwinkel der rascher fortschreitenden sozialistischen ökonomischen Integration, die mit der Koordinierung und Abstimmung der Volkswirtschaftspläne und vor allem der wissenschaftlichtechnischen Aufgaben beginnt. Im Zeitraum 1976—80 sind rund 500 große komplexe Problemkreise und F/E-Themen von ausschlaggebender volkswirtschaftlicher Bedeutung gemeinsam mit der UdSSR und anderen RGWPartnern zu lösen. An komplexen Forschungsaufgaben sind in der UdSSR vielfach mehrere Ministerien und Dutzende Institute sowie viele hundert verschiedene Produktionsbetriebe beteiligt. Das heißt, für die Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution erlangen das effektive Zusammenwirken und die direkte Vereinigung von Forschungskapazitäten auf der Grundlage langfristig abgestimmter Forschungs- wie Volkswirtschaftspläne immer entscheidendere Bedeutung. 80% der zentralen Aufgaben des Planes Wissenschaft und Technik und 70% der Arbeit der naturwissenschaftlichen Forschungsbereiche der Akademie der Wissenschaften der DDR werden in Zusammenarbeit mit der UdSSR realisiert, zugleich erhöht sich der Anteil der spezialisierten Produktion im Warenaustausch, der 1970 erst 0,7% betragen hat, im Zeitraum 1976—80 auf 35%, bei Maschinen und Ausrüstungen sogar auf über 50%. 59 In der leitungsmäßigen immer besseren Koordinierung dieser Zusammenarbeit besteht zugleich einer der entscheidenden Vorzüge des Sozialismus bei der Meisterung neuer, komplizierter und komplexerer wissenschaftlich-technischer Aufgaben. 3. Der wachsende Stellenwert einer zielstrebigen Leitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wird immer deutlicher anhand der vor uns 58 59

K. Hager, ebenda, S. 23. Zahlenangaben aus Argumentationen zum Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der D D R und der U d S S R vom 7. 10. 1975 zusammengestellt. Vgl. Informationen 1976/13/Nr. 137.

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stehenden mannigfaltigen Aufgaben zur komplexen Intensivierung des Reproduktionsprozesses. Die Schärfe und Dimension dieser Aufgabenstellung wurden bereits auf der 13. Tagung des Zentralkomitees der S E D 1974 betont und stehen seither im Mittelpunkt der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion. Dabei geht es heute nicht mehr allein um Einzelerfolge der Intensivierung, wie sie punktuell in vielen Betrieben und großen Wirtschaftseinheiten erreicht worden sind, sondern um die komplexe Verbesserung des Niveaus und Entwicklungstempos in der Intensivierung, um Reserven, deren Erschließung aufwendiger wird als früher, weil sie sich dem bisherigen Zugriff entzogen haben. „Die künftige erfolgreiche Verwirklichung der sozialpolitischen Ziele erfordert nun die Erschließung noch größerer ökonomischer Reserven — im Maßstab der ganzen Volkswirtschaft wie in jedem ihrer Bereiche, Zweige und Betriebe. Der Blick voraus auf den Zeitraum 1976 bis 1980 bestätigt, d a ß es notwendig ist, den Intensivierungsprozeß in unserer Ökonomie entscheidend zu vertiefen und damit eine spürbar höhere Effektivität der Arbeit zu sichern." 6 0 Das Ziel dieser neuen Qualität der Intensivierung besteht darin, durch die Produktivitäts- und Effektivitätserhöhung der Arbeit im gesellschaftlichen Rahmen das Niveau der Bedürfnisbefriedigung auf allen Gebieten des Lebens weiter zu verbessern. Die Notwendigkeit einer stärkeren Analyse und leitungsmäßigen Beherrschung der Wechselbeziehungen einzelner Intensivierungsmaßnahmen wird daran deutlich, daß es praktisch keinen isoliert wirkenden Intensivierungsfaktor gibt. Angefangen von der komplexen Wirkung der Neueinführung eines Erzeugnisses bis hin zu einzelnen Rationalisierungsmaßnahmen gewinnen die Fragen der proportionalen Entwicklung der materiell-technischen Basis entscheidendes Gewicht für die erzielbaren Effekte aus Neuerungen bzw. Vervollkommnungen durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Die dabei im Mittelpunkt stehende programmatische Aufgabe, die Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus enger zu vereinigen, ist kein Siegeszug auf glatter, ebener Straße. Sie vollzieht sich vielmehr in widersprüchlicher Weise. Nicht selten werden diese objektiv auftretenden Widersprüche der komplexen Intensivierung durch Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unterschätzt, wo sie bewußt und zielstrebig analysiert, konzeptionell vorausschauend erfaßt und leitungsmäßig richtig gelöst werden müßten. Ein solches zentrales Problem der Leitung wissenschaftlich-technischer Arbeiten ist beispielsweise die richtige Proportionierung von evolutionären und revolutionären Neuerungen unter dem Aspekt der immer besseren Bedürfnisbefriedigung und Bedarfsdeckung durch die komplexe Intensivierung und Sicherung einer möglichst optimalen Ressourceninanspruchnahme. „Die Wissenschaft, die in immer höherem Maße zur unmittelbaren Produktivkraft wird, ermöglicht revolutionäre Veränderungen in den Erzeugnis60

38

A u s d e m Bericht des Politbüros an die 13. T a g u n g des Z K der S E D , Berichterstatter: E . Honecker, Berlin 1974, S. 25.

sen und Verfahren der Produktion. Diese können für die volkswirtschaftliche Effektivität von sehr großer Tragweite sein. Andererseits wird dadurch die Einheit von Qualität und Quantität der wissenschaftlich-technischen Entwicklung nicht aufgehoben. Auch die Verbesserungen und Vervollkommnungen des Vorhandenen, der normale wissenschaftlich-technische Fortschritt behalten ihre Bedeutung. Weder das eine noch das andere darf unterschätzt werden." 6 1 Mit der richtigen Entscheidung in jedem Einzelfall auf betrieblicher Ebene wie aus zentraler volkswirtschaftlicher Sicht f ü r die Orientierung der Wissenschaftsentwicklung und Forschungspolitik sind zahlreiche komplizierte Leitungsprobleme verbunden, die weit im Vorfeld der eigentlichen Produktion über die Effektivität und volkswirtschaftliche Strukturentwicklung bestimmen. P i e Beherrschung des komplexen Neuerungsprozesses in seinen zahlreichen differenzierten Stufen und weitreichenden Verflechtungen als das Hauptproblem des wissenschaftlich-technischen Fortschritts rückt daher naturgemäß und zwangsläufig die Leitung dieses Prozesses in den Vordergrund der gesamten Leitungstätigkeit. 4. Die komplizierteren und zugleich komplexeren Aufgaben des wissenschaftlich-technischen Fortschritts bedingen wachsende personelle, materielle und finanzielle Aufwendungen, so daß sich auch aus dieser Sicht das Gewicht der Leitung und Ökonomie der F/E-Prozesse erheblich erhöht. Während sich in der UdSSR z. B. die gesamten Arbeiter und Angestellten in der Volkswirtschaft auf mehr als das Achtfache von 1928 bis 1972 entwickelten, erhöhte sich der Anteil des wissenschaftlichen Personals und wissenschaftlich-technischen Hilfspersonals auf mehr als das Vierzigfache. (Vgl. Tabelle 2) Tabelle 2: Mittlere Zahl der Arbeiter und Angestellten sowie des wissenschaftlichen Personals in der Volkswirtschaft der UdSSR (in 1000 Personen) Jahr

1928

Alle Arbeiter und Angestellten in der Volkswirtschaft [1000 Personen] 11444 o/o zu 100 1,00 Wissenschaftler und wissenschaftliches Hilfspersonal [1000 Personen] 82 % zu 100 1,00

1940

1960

1965

1970

1971

1972

33926 2,96

62032 5,42

76915 6,72

90186 7,88

92799 8,11

95242 8,32

362 4,41

1763 21,50

2625 32,01

3238 39,49

3374 41,15

3544 43,22

Angaben nach Rubzow, I. E . : Naucno-techniöeskij progress v usloviach razvi togo socialistiöeskogo obäöestva, Moskva 1975, S. 59 61

E. Honecker, Fragen von Wissenschaft und Politik in der sozialistischen Gesellschaft, Berlin 1972, S. 11 f.

39

Eine ähnliche überdurchschnittliche Entwicklung ist auch anhand entsprechender Kennziffern der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR abzuleiten. (Vgl. Tabelle 3) Tabelle 3: Entwicklung des Nationaleinkommens und der Aufwendungen für Wissenschaft und Technik (in Mrd. Mark) Jahr Nationaleinkommen [Mrd. M.] % zu 1950 Ausgaben für Wissenschaft und Technik [Mrd. M.] % zu 1950

1950 27 1,0

0,10 1,0

1955

1960

1965

50 1,85

71 2,63

84 3,11

0,60 6,0

1,30 13,0

2,10 21,0

1970

1975

108 4,0

142 5,3

4,20 42,0

5,80* 58,0*

* 1974

Das F/E-Potential der DDR betrug Anfang der siebziger Jahre über 155000 Beschäftigte, und ca. 55% der F/E-Mittel wurden für Überleitungsaufgaben verwendet. 62 Der Konzentrationsgrad der Forschung und Entwicklung liegt beträchtlich über dem Konzentrationsgrad der Industrieproduktion und nimmt weiter zu. Entscheidende Aufgaben zur Durchsetzung höherer volkswirtschaftlicher Zielstellungen und Aufgaben sind überhaupt nur mit Hilfe und durch wissenschaftlich-technische Neuerungen in Verbindung mit organisatorisch-strukturellen Veränderungen lösbar. Zugleich verändert sich die technische Basis für die F/E-Arbeiten grundsätzlich, wird der Forschuugsprozeß als Arbeitsprozeß durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt selbst revolutioniert und führt zu einer nachweisbaren Verkürzung technologischer Entwicklungsraten. Ohne die bisherigen Ergebnisse und zukünftigen Möglichkeiten überzubewerten, ist festzustellen, daß in der wissenschaftlich-technischen Arbeit in wachsendem Maße international ein Trend entsteht, intuitive Such- und Problemlösevorgänge methodisch neu zu organisieren und mit Hilfe dazu entwickelter rationeller Problemlöseverfahren abzuarbeiten. Für die Intensivierung der wissenschaftlich-technischen Arbeit gewinnt dabei auch der Einsatz leistungsfähiger technischer Rationalisierungsmittel und informationeller Arbeitshilfen wachsende Bedeutung. 63 Ausgehend vom Zeitaufwand und dem Wiederholfaktor von Elementartätigkeiten können die Schwerpunkte der Mechanisierung, Rationalisierung und Automatisierung analytisch begründet werden, um einem stufenweisen Einsatz moderner Technik zu gewährleisten. Gegenüber dem Wachstum der 62

Vgl. A. Lange/D. Voigtberger, Überleitung von wissenschaftlich-technischen Ergebnissen, Berlin 1975, S. 9. 63 Vgl. K. Stanke, Erhöhung des Leistungsvermögens und EDV-Einsatz in der konstruktiven Produktionsvorbereitung. Schriftenreihe Maschinenbauökonomik, H. 11, Berlin 1970.

40

Anzahl der Wissenschaftler und Techniker kommt es in den nächsten Jahren nach sowjetischen Berechnungen darauf an, die Menge der wissenschaftlichen Geräte, Instrumente und der technischen Hilfsmittel um etwa 30% schneller zu erhöhen, um den enorm steigenden Anforderungen an die technische Vorbereitung gerecht zu werden. Gegenwärtig werden in der metallverarbeitenden Industrie der DDR erst 20% der Rechnerkapazität für Aufgaben der AUTEVO benutzt, und es bestehen z. B. erhebliche Disproportionen zwischen dem Arbeitsaufwand für Zeichnungen (46% des Gesamtarbeitsaufwandes der technischen Vorbereitung) und der real verfügbaren Zeichnerkapazität (17% der Arbeitskräfte sind Zeichner).64 Aus solchen Analysen lassen sich die entscheidenden Rationalisierungsschwerpunkte ableiten, um zu einer einschneidenden Verkürzung der technischen Vorbereitung zu gelangen. Die Zurückführung auf Elemententätigkeiten zur Rationalisierung der wissenschaftlichtechnischen Arbeit, wie Informieren, Koordinieren, Auswählen, Berechnen, Zeichnen, Schreiben, Vervielfältigen usw., muß mit einer Analyse der Zeitund Kostenaufwendungen einschließlich der eingesetzten Arbeitsmittel einhergehen und zu Schlußfolgerungen für neu bzw. effektiver einzusetzende Rationalisierungsmittel führen (Schreib-, Vervielfältigungs- und Organisationsautomaten, Mikrofilmtechnik, Datenbanktechnik, Tisch-, Klein, Mittel-, Großrechner, Plotter, NC-Zeichentische, Datensichtgeräte, Bildschirmgeräte mit Leuchtschrift, moderne Labor- und Prüftechnik usw.). Dabei dürfen die Anwendungen für die Anpassung der inhomogen gewachsenen technischen Vorbereitung der Betriebe an die moderne Technik nicht unterschätzt werden. Zu den wichtigsten Anforderungen zählen: — einheitliche technologische Dokumentation nach Art und Umfang — einheitliche technologische Richtwerte (Standards )und Normative — Beseitigung der unterschiedlichen Organisationsabläufe. Welche Bedeutung der Rationalisierung traditionell gewachsener Arbeitsabläufe zukommt, wird am Problem der Informationsarbeit deutlich, die etwa einDrittel der Arbeitszeit von Fachwissenschaftlern umfaßt. Eine Reduzierung dieser Aufwendungen auf die Hälfte des Istzustandes entspräche einer Zunahme der Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiter von 25%. Die ständige Analyse und systematische Modernisierung der materiell-technischen Basis wissenschaftlich-technischer Arbeiten wie ihre Rationalisierung gehören daher zu den Leitungsaufgaben zur Erhöhung der Produktivität von F/EKollektiven, die wachsende Bedeutung erlangt. 5. Die theoretische Durchdringung und praktische Beherrschung der Komplexität von Neuerungsprozessen erweisen sich immer mehr als entscheidende Schlüsselfrage der Wirtschaftlichkeit eines bedarfsgerechten wissenschaftlich-technischen Fortschritts. In der besseren leitungsmäßigen Beherrschung des Zyklus Wissenschaft—Technik—Produktion—Anwendung gewinnt die technologische Realisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, d. h. der gesamte Überleitungsprozeß in die Serien- oder Massenfertigung, herausragendes Gewicht. 64

Vgl. D . Altmann, Rationalisierung und Automatisierung der technischen Produktionsvorbereitung — A U T E V O , in: Fertigungstechnik und Betrieb 10/1974, S. 628ff.

41

Bereits auf dem X X I V . Parteitag der K P d S U ist eingeschätzt worden, daß hier das schwächste Glied in der Kette von der Forschung bis zur Produktion besteht. 65 Der X X V . Parteitag der K P d S U hat diese Schwerpunktaufgabe erneut bestätigt. „Es ist noch viel zu tun, damit die Erkenntnisse der Wissenschaft schnell nicht nur in einzelnen — wenn auch noch so glänzenden — Experimenten und Ausstellungsstücken realisiert werden, sondern auch in Tausenden und aber Tausenden neuen Erzeugnissen, von nicht in Serie gefertigten Maschinen bis zu allem, was der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen dient. Die Überleitung der neuen wissenschaftlichen Ideen in die Praxis ist heute eine nicht minder wichtige Aufgabe als ihre Ausarbeitung." 6 6 Das ist eine erstrangige Aufgabenstellung für die gesamte Leitungstätigkeit. Arbeitsteilung und Kooperation, Information und Koordination spielen gerade in der Überleitungsphase eine ausschlaggebende Rolle, wobei den sozialistischen Produktionsverhältnissen gemäß, die Neuerungsprozesse immer mehr zu einem gesellschaftlich zu lösenden Problem werden. Dabei wird im folgenden davon ausgegangen, daß die Neuerungsprozesse mit der Konzipierung der Entwicklungs-Aufgabenstellung und im weiteren materiell mit der Erarbeitung des technischen Lösungsweges beginnen. Bereits mit der Herstellung des Funktionsmusters sind im wesentlichen die in der technologischen Realisierung erzielbaren Parameter bestimmt und werden nach Erfahrungen aus der praktischen Arbeit auch in den Entwicklungs- und Überleitungsstufen zur Herstellung eines Fertigungsmusters und in der Nullserie sowie in der Anlaufphase der Serienfertigung bis zum Erreichen der projektierten Parameter nicht mehr grundsätzlich verändert. 65 Vgl. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K P d S U an den X X I V . Parteitag der K P d S U . Referent: L. I. Breshnew, Moskau/Berlin, 1971. 66 X X V . Parteitag der K P d S U , Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees . . . , & . a. O., S. 59.

42

KAPITEL

II

Bedeutung und Aufgaben internationaler Vergleiche für die Leitung industrieller Forschung und Entwicklung

Aufgäben, Ablauf und Kriterien internationaler Vergleiche Der I X . Parteitag der SED betont: „Technische Neuerungen dürfen nicht bereits vor ihrer volkswirtschaftlichen Nutzung veralten. Neue Ideen, effektivitätsträchtige Erfindungen, ökonomische interessante wissenschaftlich-technische Lösungen müssen in kurzen Entwicklungszeiten erschlossen und unverzüglich ökonomisch verwertet werden. Durch kluge und vorausschauende Arbeit, ständig kritische Auseinandersetzung mit dem internationalen Stand des technischen Niveaus . . . müssen wir verstärkt solche Schritte der Intensivierung gehen, die zum Zeitpunkt ihrer gesellschaftlichen Nutzung internationales Höchstniveau verkörpern." 1 Unter den gegenwärtigen Bedingungen nimmt die weitere Erhöhung der Qualität und Effektivität der Neuerungen daher einen zentralen Platz im internationalen Klassenkampf ein. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die ökonomischen Faktoren der Beherrschung neuer Technik und Technologien sowie die qualifizierte Leitung der Produktion gewinnen im Zeichen der friedlichen Koexistenz mehr denn je politisches und sozialökonomisches Gewicht. Während das zaristische Rußland gegenüber den damaligen kapitalistischen Hauptländern einen ökonomischen Rückstand von 50 bis 100 Jahren hatte, nimmt heute die UdSSR hinsichtlich ihres Wirtschaftspotentials, gemessen am Gesamtvolumen der Produktion, den ersten Rang in Europa und den zweiten in der Welt ein. Die Sowjetunion übertrifft die USA in der Förderung von Kohle, Erdöl, Erdgas, Eisen- und Manganerz, in der Produktion von Roheisen, Stahl, Koks, Stahlrohren, spanabhebenden Werkzeugmaschinen, Diesel- und Elektrolokomotiven, im Aufkommen von Holz, in der Produktion von Schnittholz, Zement, vorgefertigten Stahlbetonkonstruktionen und Stahlbetonfertigteilen, Mineraldünger, Wollstoffen und anderen wichtigen Erzeugnissen. Die Erfordernisse des ökonomischen Wettbewerbs der beiden Systeme bewirken, daß solche qualitativen Aufgaben wie die Erhöhung der Effektivität und des wissenschaftlich-technischen Niveaus der Produktion und die Steigerung der Erzeugnisqualität in den Vordergrund rücken. „Die Hauptfrage ist heute . . . nicht so sehr, wieviel man produziert hat, als vielmehr, zu welchem Preis, mit welchem Arbeitsaufwand. W. I. Lenin hat hervorgehoben, gerade dies sei letztlich für die ökonomische Überlegenheit dieses oder jenes 1

I X . Parteitag der SED, Bericht zur „Direktive des I X . Parteitages der S E D zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R in den Jahren 1 9 7 6 - 1 9 8 0 " , Berichterstatter: H. Sindermann, Berlin 1976, S. 40.

43

Wirtschaftssystems, für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung ausschlaggebend. Eben auf diesem Gebiet liegt gegenwärtig der Schwerpunkt des Wettstreits der beiden Systeme."2 Aus diesem langfristigen, strategischen Zusammenhang ergibt sich die erstrangige Bedeutung gründlicher Analysen und Vergleiche des wissenschaftlich-technischen und technisch-ökonomischen Standes im Weltmaßstab. Genosse Erich Honecker betonte daher in Auswertung der erreichten Fortschritte seit dem IX. Parteitag, daß „in jedem Betrieb die Erzeugnisse und Verfahren kompromißlos mit dem internationalen Stand zu vergleichen sind. An den so erzielten Bestwerten müssen sich die Aufgaben orientieren." 3 Das ist eine grundsätzliche Aufgabe zur Hebung des allgemeinen Qualitätsniveaus der Produktion, zur wesentlichen Stärkung der Exportkraft unseres Landes und damit zur Vervollkommnung der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung. Eine ganz besondere Bedeutung gewinnt der Weltstandsvergleich auf jenen ausgewählten technischen Gebieten, wo es gilt, Spitzenleistungen zu erreichen. Hier genügt es natürlich nicht, lediglich von den bereits in Produktion befindlichen Vergleichsmustern auszugehen. Auf den Gebieten, die für das Tempo und die Wirksamkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts im Maßstab der Volkswirtschaft von erstrangiger Bedeutung sind, ist es notwendig, mindestens Labormuster und Forschungsergebnisse, vor allem aber systematische Patentanalysen zu nutzen. Im Zusammenhang mit den Analysen und Vergleichen im Stadium der Produktion, der Entwicklung und der Forschung spielen in der praktischen Leitungstätigkeit vor allem vier Überlegungen eine Rolle. Erstens kommt es darauf an, den Zeitfaktor exakt zu beherrschen. Jede Entwicklung neuer Erzeugnisse und Verfahren umfaßt einen bestimmten Zeitraum, der von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren dauern kann und natürlich bei Einhaltung der technisch-ökonomischen Ziele möglichst zu verkürzen ist. Bereits im Stadium der Entscheidungsfindung über dasEntwicklungsthema ist aber zu berücksichtigen, daß der Weltstand eine dynamische Größe ist und zum Zeitpunkt der Überleitung und der Serienproduktion schon wieder weiter vorangeschritten sein wird. Zweitens kann es nicht allein um wissenschaftlich-technische Parameter dea Vergleichs gehen. Die ökonomische Seite, der Aufwand an Arbeitszeit, Material und Energie, gibt letztlich den Ausschlag. Die Einschätzung dieser Größen erfordert vor allem eine gute Zusammenarbeit der technischen und ökonomischen Bereiche. Drittens wird jedes Verfahren und jedes Erzeugnis in der arbeitsteiligen Kette wirksam, die vom Rohstoff bis zum Endprodukt reicht, in einem bestimmten Produktionssystem und Bedürfniskomplex. Der hohe Verflechtungsgrad zwingt uns, schrittweise Weltstandsvergleiche einzelner Erzeugnisse und Verfahren auf technologisch oder bedürfnisseitig miteinander verbundene technische Gebiete auszudehnen. 2 L. I. Breshnew, Auf dem Wege Lenins, Bd. 2, Berlin 1971, S. 5 4 5 - 5 4 6 3 Aus dem Bericht des Politbüros an die 5. Tagung des ZK der SED, Berichterstatter: E. Honecker, Generalsekretär des ZK der S E D , Berlin 1977, S. 13. 44

Viertens erfordert der wissenschaftlich-technische Vorlauf auch bewußtseinsmäßigen, ideologischen Vorlauf. Es muß die Bereitschaft geweckt und gefördert werden, sich dem vorbehaltlosen Vergleich zu stellen, vor allem aber auch selbst in Neuland vorzustoßen und ein gesundes und notwendiges Risiko zu übernehmen. Der internationale Vergleich von Erzeugnissen und Verfahren hat eine lange historische Tradition. Noch vor der industriellen Revolution entwickelten die Merkantilisten, in Frankreich vor allem Colbert, wirksame Methoden, um aktiv den Weltstand zu bestimmen.4 Im vormonopolistischen Kapitalismus und später im Imperialismus wird die Praxis der internationalen Vergleiche im Interesse des Profitstrebens schnell vervollkommnet. W. I. Lenin hat in den ersten Jahren der Sowjetmacht unter den damaligen schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen der Ausnutzung internationaler wissenschaftlich-technischer Ergebnisse und der Förderung der Erfindertätigkeit zur Hebung der Produktivität und zur Erleichterung der menschlichen Arbeit große Bedeutung beigemessen.5 Welcher Rang den internationalen Vergleichsmethoden durch das Kapital beigemessen wurde und bis heute wird, läßt sich an zahlreichen bürgerlichen theoretischen Schriften6 und nicht zuletzt anhand der großen Anstrengungen, eingetretene Rückstände in der Lehre und Ausbildung wettzumachen, deutlich erkennen.7 Heute stützen sich die Weltstandsvergleiche in den sozialistischen Ländern auf die langjährigen eigenen Erfahrungen, aber auch auf die geschaffenen theoretischen Grundlagen, zu denen die Qualimetrie8, die ökonomische Analyse des technischen Niveaus 9 , die wissenschaftlich-technische Prognostik10 und die Theorie der Proportionalität der technischen Basis 11 gehören. 4 5 6

7

8 9 10 11

J. Kuczynski, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte. Von der Urzeit bis zur sozialistischen Gesellschaft, Berlin 1951, S. 193. Vgl. W. I. Lenin, VIII. Gesamtrussischer Sowjetkongress, in: Werke, Bd. 31, Berlin 1969, S. 506. Vgl. zu den Vorläuferarbeiten: J. Plenge, Die Stammformen der vergleichenden Wirtschaftstheorie, Essen 1919; W. Chr. Hauck, Der Betriebsvergleich. Lehr- und Handbuch des Betriebsvergleichs für Theorie und Praxis, Erster Band; Betriebsvergleichslehre, Theorie und Methodik, Baden-Baden 1933 und aus der Gegenwart: G. N. Halm, Wirtschaftssysteme. Eine vergleichende Darstellung, Berlin (West) 1960; P. Knirsch, Bemerkungen zur Methodologie eines Vergleichs von Wirtschaftssystemen, in: Beiträge zum Vergleich der Wirtschaftssysteme, Hrsg. E. Boettcher, Berlin (West) 1970, S. 13ff. In der B R D wurde diese Lücke zur Erkenntnis von Produktivitätsreserven zuerst 1965 an der Universität München durch Gründung des Instituts für Vergleichende Betriebswirtschaftslehre, und eines weiteren 1968 an der Westberliner Universität geschlossen. Seit 1973 wird von letzterem unter Leitung v o n W. Endres die Schriftenreihe „Betriebswirtschaftliche Vergleiche" herausgegeben. G. G. Azgal'dov/E. P. Rajchman, O kvalimetrii, Moskva 1973. H.-D. Haustein/K. Neumann, Die ökonomische Analyse des technischen Niveaus der Industrieproduktion, Berlin 1965. G. M. Dobrov, Prognozirovanie nauki i techniki, Moskva 1969. H.-D. Haustein, Die Proportionalität der technischen Basis, Berlin 1975.

45

Wir heben hier besonders einige Aussagen zur Proportionalität der technischen Basis hervor, die f ü r internationale Vergleiche der Erneuerung der Produktion wesentlich sind: 1. Die Entwicklung der Erzeugnisse und Verfahren muß auf optimale Weise Antriebs- und Ausgleichsfaktoren verbinden. Als Antriebsjaktoren sind solche Prozesse zu werten, die zu qualitativen Veränderungen im technischökonomischen Niveau führen und damit revolutionäre Neuerungen darstellen, während Ausgleichsjaktoren zur Überwindung vorhandener Niveauunterschiede und Disproportionen führen. Die erweiterte Reproduktion eines wirtschaftlichen Komplexes ist, über eine genügend lange Zeitperiode betrachtet, stets eine Einheit von Antriebs- und Ausgleichsjaktoren. Eine wissenschaftlichtechnische Maßnahme kann dazu dienen, schnell einen hohen Effekt durch Ausgleich von Produktivitätsengpässen herbeizuführen. Wenn der Ausgleich erreicht ist, schwindet der zusätzliche Effekt. Eine Maßnahme kann aber auch an einem Abschnitt des Komplexes oder Prozesses Höchstniveau schaffen und einen enormen Antrieb f ü r die zurückbleibenden Abschnitte auslösen. Aber zunächst ist der Effekt gering, er steigt erst mit einer bestimmten Verzögerung höher als bei einfachen Ausgleichsmaßnahmen. Eine durchgreifende und anhaltende Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts können wir nur erreichen, wenn wir in der richtigen Weise Spitzenleistungen und allgemeine Hebung des technischen Niveaus, Antriebs- und Ausgleichsfaktoren, miteinander verbinden. Ein Beispiel für die typische Ungleichmäßigkeit der technischen Tabelle 4: Proportionalität der technischen Entwicklung im textilen Zyklus Erstmalige AnBreitere Anwenwendung neuester dung neuer Prinziplösungen Prinziplösungen

Rationalisierung traditioneller Technologien

Faden

Klebverfahren u. a.

Erweiterung OE Folien

Fläche

Wellenfachweben Liropoltechnik

Veredlung

Strahlenchemische und plasmachemische Veredlung

Nähwirkvlies Folien Spinnvlies Voltex Klebe-Krumpf und Nadelvlies Lösungsmittelveredlung

Erhöhung des Automatisierungsgrades der Ringspinnereien Weiterentwicklung schützenloses Weben, Näh wirken

Konfektion

46

Thermische Indirektverformung Automatisierung des Transports u. Zuschnitts

Weiterentwicklung Appreturverfahren Mechanisierung des Zuschnitts und des Transports

Entwicklung zeigt die folgende Übersicht zur Proportionalität im textilen Zyklus. Der breiten Front neuer und neuester Flächenbildungsverfahren steht die relative Stagnation der Konfektionsstufe gegenüber. Hinzu kommt, daß die technologische Basis der Betriebe (Forschung, Werkstätten) der steigenden Vielfalt der Verfahren nicht gewachsen ist. 2. Jede technische Neuerung wird in einem wirtschaftlichen Bezugssystem wirksam, das aus den Stufen des gesellschaftlichen Produktions- und Verbrauchszyklus mit den zugehörigen Haupt-, Hilfs- und Nebenprozessen, aus den Bedürfnis- und Ressourcenkomplexen sowie aus den zeitlich gestaffelten technischen Generationen besteht. Die wissenschaftlich-technische Entwicklung verläuft nicht rein kontinuierlich, gewissermaßen jeder Zeit einpaßbar in das gegebene Produktionssystem. Bei der Suche nach neuen Lösungen werden Gebiete entdeckt, deren technische Optimalitätsbedingungen weit über dem derzeitigen Anforderungsniveau der Produktion liegen. Die theoretisch mögliche Leistung eines Verfahrens oder Arbeitsmittels wächst oft schneller als die praktisch realisierbare. Daher darf man Prognosen der technischen Möglichkeiten nicht verwechseln mit der Prognose der ökonomischen Möglichkeiten. Andererseits schafft der wissenschaftlich-technische Vorlauf einen bedeutenden Druck in Richtung auf die Vervollkommnung der organisatorisch-ökonomischen Seite. So beträgt die Maschinenleistung pro Stunde eines der modernsten Textilverfahrens das Neunfache des klassischen Verfahrens, während die reale Betriebsleistung pro Tag nur das Zweieinhalbfache ausmacht. Der Weltstandsvergleich muß diese organisatorisch-ökonomische Seite genau ausweisen. Aus der Theorie der Proportionalität der technischen Basis ergibt sich: Das wissenschaftlich-technische Niveau eines bestimmten technischen Gebietes in der Welt ist eine komplexe Erscheinung, die nach vier Richtungen qualitativ und quantitativ gestaffelt ist: Erstens nach Parametern, die einen unterschiedlichen Grad der Progressivität, der Bedürfnisbefriedigung und der Beziehung zur Ressourcenentwicklung aufweisen. Zweitens nach den Stufen im gesellschaftlichen Produktions- und Verbrauchszyklus von der extraktiven Stufe bis zur Konsumtion sowie nach Haupt-, Hilfs- und Nebenprozessen. Drittens nach den Phasen des Zyklus Forschung, Entwicklung und Produktion. Zu einem gegebenen Zeitpunkt ist das in der Forschung erreichte Niveau stets höher als das in der Produktion erreichte. Viertens nach Ländern, die auf dem betreffenden technischen Gebiet einen unterschiedlichen Stand erreicht haben. Die Ermittlung des internationalen Niveaus erfordert eine klare Fixierung des Ausgangszeitpunktes (T0) und des betrachteten Zeitraumes (AT). In diesem Zeitraum existieren die 12 folgenden Niveaustufen, von denen drei als Basisstufen (eigenes technisches Niveau ETN) und 9 als Vergleichsstufen zu betrachten sind (vgl. Tabelle 5 und Abb. 2). Ihre Rangfolge hängt vom Entwicklungstempo und den Entwicklungsvariationen auf dem betreffenden technischen Gebiet ab. 47

Tabelle 5 : Basis- und Vergleichsstufen für internationale Vergleiche Forschung F

Entwicklung E

Produktion P

Patente

Labormuster

Erzeugnis der Serienprodukt.

1.1

1.2

1.3

2.1

2.2

2.3

3.1

3.2

3.3

4.1

4.2

4.3

Ergebnisgröße

Niveaustufen Prognostiziertes Weltniveau P W N Geplantes eigenes Niveau G E N Gegenwärtiges Weltniveau G W N Eigenes techn. Niveau ETN

Jahre

Abb. 2: Niveaustufen des Weltstandsvergleichs

Daraus ergibt sich die in Tabelle 6 dargestellte Rangordnung. Hiernach hat der Vergleich mit dem prognostischen Weltniveau der Forschung (PWN-F) den höchsten Rang gegenüber dem Vergleich des eigenen technischen Niveaus von Erzeugnissen der Serienfertigung mit dem gegenwärtigen Weltniveau der Serienproduktion (GWN-P). 48

Tabelle 6 : Rangordnung der Stufenvergleiche f ü r das Abbildungsbeispiel Rang

1. 2. 3. 3. 4. 5. 6. 7. 7. 8. 9. 10.

Bewertung

Stufen-Nr.

Bezeichnung

10 9 8 8 7 6 5 4 4 3 2 1

1.1 2.1 3.1 1.2 4.1 2.2 1.3 4.2 3.2 2.3 3.3 4.3

PWN-F GEN-F GWN-F PWN-E ETN-F GEN-E PWN-P ETN-E GWN-E GEN-P GWN-P ETN-P

Ausgehend von der Theorie der Proportionalität der technischen Basis gibt es fünf Gütekriterien eines Weltstandsvergleichs: 1. Der Grad der Erfassung der Beziehungen des technischen Gebietes zum historisch bestimmten sozialökonomischen Bedürfnisniveau eines Landes und seinen Entwicklungstendenzen. 2. Der Grad der Erfassung der Beziehungen eines technischen Geb'etes zum Komplex der Ressourcen bzw. die Vollständigkeit der Aufwandsermittlung. 3. Der Grad der Erfassung der Beziehungen eines technischen Gebietes zum technisch-ökonomischen Gesamtsystem innerhalb des Produktions- und Verbrauchszyklus. 4. Der Grad der Erfassung der Niveaustufen des Vergleichs u n d damit zugleich des Zusammenhangs langfristiger, mittelfristiger und operativer Weltstandsvergleiche. 5. Der Grad der Erfassung der für das betreffende technische Gebiet kompetenten Länder, Produzenten und Forschungseinrichtungen. Der praktische Weltstandsvergleich dient stets einem begrenzten Ziel und muß in einer vorgegebenen Zeit von den dafür festgelegten K r ä f t e n durchgeführt werden. Das kann zu Einschränkungen des Gütegrades führen, auf die jedoch die Leitung bei Entscheidungen auf Grund von Vergleichen aufmerksam zu machen ist. Nur bei höchsten Anforderungen an die Güte und Objektivität des Vergleichs enthält die technische Politik ein zuverlässiges Erkenntnis- und Arbeitsmittel. Ferner ist zu beachten, daß bei prognostischen Vergleichen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit des Eintreffens der Voraussagen gerechnet werden muß. 1 2 12

H . - D . H a u s t e i n , W i e k a n n die Sicherheit v o n w i s s e n s c h a f t l i c h e n P r o g n o s e n für die Z w e c k e der P l a n u n g s r e c h n u n g b e w e r t e t w e r d e n ? , i n : D i e T e c h n i k 1 0 / 1 9 7 1 , S. 6 1 4 - 6 1 9 .

4 Hartmann

49

In der Wirtschaftsliteratur der D D R gibt es eine größere Zahl von zugänglichen Literaturquellen, in denen theoretische und praktische Erkenntnisse zum Ablauf des Weltstandsvergleichs dargestellt wurden.13 Dazu gehören vor allem — die Einbeziehung der Gesamtheit der wesentlichen Eigenschaften der Vergleichsobjekte, — die Beachtung der Veränderung der Eigenschaften, — der Repräsentativcharakter des Vergleichs, das heißt die Einbeziehung aller führenden Konkurrenzprodukte und — die Beachtung des konkreten Verwendungszwecks des Erzeugnisses. Als Vergleichsbasis bei Erzeugnissen und Verfahren wird das derzeitig führende Produkt oder der kombinierte Höchststand (aus den Bestwerten aller Versuchsobjekte) empfohlen. Die Bestwertkombination ist ein Vergleichsobjekt, das real meist nicht existiert. Es gibt dem Vergleich eine dynamische Orientierung, wenn keine Angaben über die Prognose der Parameter der Vergleichsprodukte, der Labormuster oder der Patente vorliegen. Sie erspart also gewissermaßen aufwendige Informationen, hat aber auch erhebliche Nachteile. Jede neue technische Lösung ist ein Kompromiß zwischen gegenläufigen Faktoren, so zum Beispiel zwischen Lebensdauer und Leistung. Der internationale Vergleich muß zeigen, in welcher Richtung dieser Kompromiß zu suchen ist und wo er den größten Effekt für das Verhältnis von Gebrauchswert und Kosten bringt. Das setzt technisch-ökonomische Analysen über die bisherige und zukünftige Entwicklung voraus, die grundsätzlich mehr und wertvollere Informationen enthalten als die „Idealkombination" der Bestwerte. Eine bereits erwähnte Forderung besteht in der Einbeziehung der Gesamtheit der für den Verwendungszweck wesentlichen Eigenschaften der Vergleichsobjekte. Diese Eigenschaften kann man nach folgenden Gruppen gliedern: 1. Kennziffern des technischen und technologischen Niveaus des Gebrauchswertes und der Qualität (TN) 1.1. Kennziffern der Zweckbestimmung 1.2. Kennziffern der Zuverlässigkeit 1.3. Kennziffern der Standardisierung 13

H . Bernicke/L. Wunderlich, Die Ermittlung des Weltstands — eine Voraussetzung für die Planung und Vorbereitung von Mechanisierungs- und Automatisierungsvorhaben in der elektronischen Industrie, Wiss. Zeitschrift der H f Ö , 4/64, S. 333—338; Autorenkollektiv, Qualitätssicherung — Qualitätskontrolle, Berlin 1964, S. 56—67; H . - D . Haustein, Die analytische Vorbereitung wissenschaftlich-technischer Entwicklungsziele, Statistische Praxis 6 u. 7/1965; Autorenkollektiv, Der ökonomische Nutzeffekt des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, Berlin 1966; Typenmethodik der Prognostizierung der Qualität der Erzeugnisse in der Massenproduktion der Erzeugnisse (Methodologische Grundprinzipien), Moskau 1969; W . Kube/V. Liers, Weltstandsvergleiche für Erzeugnisse, Berlin 1971; H . - D . Haustein/W.-D. Hartmann, Verfahren der ökonomischen Bewertung, Berlin 1975; F. K . Pusynja, Einschätzung des wissenschaftlich-technischen Niveaus technischer Entwicklungen, Fertigungstechnik und Betrieb 26/1976, 8, S. 455—458.

50

1.4. Kennziffern der Konstruktion 1.5. Kennziffern der technologischen Durchführbarkeit 1.6. Kennziffern der Formgestaltung 2. Kennziffern des ökonomischen Niveaus, des Aufwands und Nutzens (ÖN) 2.1. Kennziffern des Aufwands im Naturalausdruck (Zeit, Energie, Material, Arbeitskräfte u. a.) 2.2. Kosten und Preise 2.3. Kennziffern des Nutzens beim Hersteller und Anwender 2.4. Kennziffern des Zeitfaktors 2.5. Kennziffern der Bedarfsdeckung 2.6. Kennziffern der Organisation 2.7. Kennziffern des Exports und Imports 2.8. Kennziffern des Ressourcenkreislaufs 3. 3.1. 3.2. 3.3.

Kennziffern des sozialen Niveaus (SN) Kennziffern der Arbeitsbedingungen Kennziffern der Umwelt Kennziffern der Landesverteidigung und Sicherheit

Die angeführten Hauptgruppen und Untergruppen sind nicht bei jedem konkreten Weltstandsvergleich umfassend vertreten. Aber in der Tendenz müssen diese Vergleiche künftig exakter die Wechselbeziehungen des technischen, ökonomischen und sozialen Niveaus erfassen. Eine zusammenfassende Charakterisierung des Weltniveaus wird gewöhnlich mit Hilfe von gewogenen Indizes der verschiedenen Eigenschaften gegeben. Das ist gewissermaßen die Standardmethode der Qualimetrie. Die Gewichte werden aus Expertenbewertungen gewonnen. Der Ökonom arbeitet darüber hinaus mit bestimmten zusammenfassenden Kennziffern der indirekten ökonomischen Messung des Weltstandes. Dazu gehört der Neuheitsgrad des Erzeugnisses. Er wird bestimmt durch die Kenngrößen a) in der Erfindungsperiode: (Forschung) Zeit seit der ersten Artikula- v , tion des Bedürfnisses \ / Zeit von der ersten Artikula- I I tion des Bedürfnisses bis zum I I Nachweis der technischen I \ Durchführbarkeit

Zahl der bekannten Lösungsideen Zahl der denkbaren Ideen z. B. auf Grund einer morphologischen Analyse

b) in der Entwicklungsperiode: wesen Zeit seit der ersten wesentlichen Patenterteilung 1Zeit von der ersten wesentlichen I Patenterteilung bis zum vorI aussichtlichen Maximum der Pa- / tenterteilung

I 1 \

Zahl der bereits erteilten Patente im technologisch^ führenden Land Zahl der zu erwartenden Patente im technologisch führenden Land 51

c) in der Verbreitungsperiode:14 Zeit seit Produktionsbeginn im Weltmaßstab X I Voraussichtliche Lebensperiode des Produkts oder Verfahrens '

Produktionsumfang der Neuheit Gesamtproduktion auf dem betreffenden Gebiet '

Besondere Probleme entstehen oftmals bei der Ermittlung der erforderlichen Informationen, der Vergleichbarkeit ermittelter Daten, ihrer Realität und Genauigkeit usw. Für die Lösung dieser Probleme gibt es kein Rezept. Die Erfahrung zeigt, daß dort die wenigsten Schwierigkeiten bestehen, wo die Arbeit mit internationalen Vergleichen von der Leitungsspitze her ernst genommen wird und nicht allein auf den Vergleich mit Erzeugnissen aus kapitalistischen Ländern reduziert wird. Analysen der Reisedirektiven von Messekadern, Auswertungen von Reiseprotokollen usw. zeigen gleichfalls manche Lücke, ähnlich wie die Besetzung vieler Stellen für Patentanalysen oder der Planstellen für Information und Dokumentation usw. Zu den für die Informationsgewinnung wichtigsten Quellen gehören: — F/E-Ergebnisse und ZIID-Informationsdienst — Patentinformationen und Wirtschaftsberichte — Marktanlagen und Geschäftsberichte — internationale Statistiken, Kataloge, Prospekte — Fachzeitschriften, Bücher — Reise- und Messeberichte — wissenschaftliche Kongresse, Tagungen usw. — Vergleichsmuster u. ä. — gesetzliche Bestimmungen Die internationale Wirtschaftspraxis unterstreicht zugleich, daß durch derartige Informationsquellen oft Nachlauf und Verzögerungen unvermeidbar sind. Ein beträchtlicher Teil des technologisch neuesten Wissens wird durch Direktkontakte übermittelt, d. h. beispielsweise durch unmittelbare Zusammenarbeit oder Investitionsbeteiligung der technologisch führenden Länder im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Schlußfolgerungen zur qualitativen Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit in dieser Richtung abzuleiten, sind daher bedeutend konstruktiver als das mancherorts übliche einseitige Lamentieren über Informationsmängel. Auch bei idealer Informationsbereitstellung oder wesentlich verstärkten Informationsmöglichkeiten wird „Besuchern" nachweisbar immer weit weniger offenbart als ernstzunehmenden Partnern. 14

Der Vorschlag zur Einführung des Neuheitsgrades stammt von J. Garscha (Zeitfaktor und Produktionsstruktur, Berlin 1969, S. 180). Die von Garseha vorgeschlagene Kennziffer wurde hier weiterentwickelt und für die Stufen der Forschung und Entwicklung definiert.

52

Leitungsorganisation

inter nationaler

Vergleiche

Aus den theoretischen Grundlagen sowie den fortgeschrittenen Erfahrungen der praktischen Arbeit mit internationalen Vergleichen können folgende verallgemeinerungsfähige Leitungsprinzipien abgeleitet werden: 1. Es ist eine klare Zielstellung für den durchzuführenden internationalen Vergleich zu formulieren: Mit der Zielstellung zur Erarbeitung des internationalen Vergleichs werden diejenigen Aspekte bestimmt, unter denen die Weltstandsanalyse durchgeführt werden soll. Nach Erarbeitung der Analyse muß entschieden werden, in welcher Richtung aufbauend auf den gewonnenen Ergebnissen die weitere Arbeit erfolgen soll. Ein Mangel der gegenwärtig durchgeführten internationalen Vergleiche besteht oft darin, daß beim Vergleich des gegenwärtigen Weltniveaus zum eigenen technischen Niveau

ausländische Erzeugnisse mit dem

eigenen technischen Niveau verglichen werden, die selbst nicht mehr das höchste gegenwärtige internationale Niveau bestimmen. Der aktuellen Informationsbeschaffung, wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, kommt also größte Bedeutung zu; letztendlich wird hierdurch der Erfolg bzw. der Aussagewert des internationalen Vergleichs entschieden. Es versteht sich, daß bei der Formulierung der Zielstellung nicht von subjektiven Wunschvorstellungen ausgegangen werden kann. Internationale Vergleiche haben nicht nur das Ziel nachzuweisen, auf welchen Gebieten wir internationales Niveau mitbestimmen, sondern mit ihrer Hilfe soll auch aufgedeckt werden, was zu t u n ist, um in bestimmten, für uns wichtigen Bereichen Spitzenleistungen zu erreichen. Eine solche Mitbestimmung des Weltniveaus muß natürlich ökonomisch vertretbar sein und muß der Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft dienen, indem sie Anstoßwirkungen und Schlüsselfunktionen für die beschleunigte Entwicklung anderer Gebiete ausübt. 2. Die zu vergleichenden Objekte eines technischen Gebietes (Erzeugnisse, Verfahren, Prozesse, Organisationslösungen usw.) sind gemäß ihrer Bedeutung für die gegenwärtige und künftige Produktion anhand vorgegebener Auswahlkriterien zu bestimmen. Damit kann durch die Leitung von Anfang an verhindert werden, daß nur diejenigen Objekte in den Vergleich einbezogen werden, die ein weitestgehend günstiges Ergebnis erbringen. Bewährt hat sich hierbei die Regel, mit 20 % der zu vergleichenden Objekte für möglichst 80% der Produktion verwertbare Vergleichsaussagen zu erhalten, d. h. weitestgehend typische und profilbestimmende Erzeugnisse in den Vergleich einzubeziehen. 3. Es ist eindeutig zu klären und festzulegen, wer für die Erarbeitung des jeweiligen internationalen Vergleichs verantwortlich ist und wer danach entsprechende Entscheidungen zu treffen hat. Diese Forderung erscheint zunächst trivial, jedoch haben Diskussionen mit Leitern in der Industrie gezeigt, daß diesen leitungsorganisatorischen Aufgaben eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt. Teilweise bremsen unklare Verantwortlichkeiten ganz entschieden die Arbeit mit internationalen Vergleichen 53

oder es werden unproduktive Strukturen geschaffen, etwa besondere Struktureinheiten für Weltstandsvergleiche. U. E. ist das nicht sinnvoll, weil ein wesentliches Anliegen der internationalen Vergleiche gerade darin besteht, die Entwickler, Hersteller und Anwender einer beliebigen Technik mit dem jeweiligen internationalen Stand zu konfrontieren, so daß jeder unmittelbare eigene Schlußfolgerungen für seine Forschung und Arbeit ableiten kann. Manchmal existiert auch ungenügende Klarheit hinsichtlich der planerischen und organisatorischen Beherrschung der Realisierung des Ablaufs internationaler Vergleiche. Nicht immer sind die Verantwortungsbereiche einzelner Mitarbeiter bei umfassenderen Analysen deutlich sichtbar, zumal beispielsweise mehrere Themengruppenleiter verantwortlich an einem Projekt mitarbeiten. In der Praxis treten immer wieder in solchen Bereichen Rückstände bei der Erarbeitung und Realisierung von internationalem Niveau entsprechenden wissenschaftlich-technischen Zielstellungen auf, in denen die Leiter ihre persönliche Verantwortung für die Leitung der wissenschaftlich-technischen Arbeit noch nicht voll wahrnehmen oder notwendige Entscheidungen aus durchgeführten Analysen verzögert werden. Gut bewährt hat sich die Arbeit mit Kollektiven, die gemeinsam internationale Vergleiche vornehmen. In solchen Kollektiven sollten u. a. mitarbeiten: — Spezialisten und Fachleute mit guten Sprachkenntnissen und hohem fachlichem Wissen — der jeweilige Themenverantwortliche — Vertreter des Bereiches Ökonomie für Preis- und Kostenvergleiche — Vertreter des Bereiches Markt- und Bedarfsforschung — Vertreter der Hauptanwender 4. Von keinem Leiter sollte die Rolle von internationalen Vergleichen in der Plandiskussion unterschätzt werden. Weltstandsanalysen sind in den besten Betrieben Gegenstand der Plandiskussionen. Die aus den internationalen Vergleichen zu ziehenden Schlüsse gehen vor allem die Kollektive an, die sich später mit ihrer Realisierung befassen müssen. Anhand der internationalen Vergleiche können Diskussionen sehr konkret geführt werden, wobei das Kosten-Nutzen-Denken der Werktätigen gefördert wird und sich ihre Initiativen entfalten können. Beispielsweise kann unter Einbeziehung der GKA beraten werden, wie die Produktion kostengünstiger bzw. rationeller zu gestalten ist, um die internationalem Niveau entsprechende Arbeitsproduktivitätssteigerung und Selbstkostensenkung zu erreichen. Weiterhin ist zu prüfen, ob bei der Preisbildung für neue Erzeugnisse alle Faktoren berücksichtigt wurden, um den höchstmöglichen Effekt für den Absatz der Produkte zu sichern. Wiederholt bestätigte sich, daß die Plandiskussionen dort am erfolgreichsten verliefen, wo es die verantwortlichen Leiter verstanden, mit den Werktätigen über neue Erfordernisse und einzuleitende Maßnahmen bei Neueinführungen anhand konkreter, international erreichter oder vorgesehener Parameter am Objekt zu diskutieren. Bewährt hat sich auch, daß Kollektive direkt Gelegenheit nehmen, die fortgeschrittensten Erfahrungen in den sozialistischen Bruderländern an Ort und Stelle zu studieren, um Schlußfolgerungen für die eigene Arbeit abzuleiten. 54

5. Dem härter gewordenen internationalen Konkurrenzkampf entsprechend sind die eigenen Leistungen ständig mit den wachsenden Anforderungen zu konfrontieren. Das setzt — parteiliches Herangehen, Leistungswillen und Verantwortung voraus, — die Überwindung jeglicher Vorurteile und Überheblichkeit bzw. Ignoranz internationaler Entwicklungen, — die Anerkennung objektiver Realitäten und ihre sachliche, emotionsfreie Beurteilung, — die Erarbeitung eines eigenen Standpunktes zu den Ergebnissen des Weltstandsvergleiches voraus. Zugleich kann nicht nachdrücklich genug unterstrichen werden, daß die internationalen Vergleiche nicht einseitig technizistisch angelegt werden dürfen. Insbesondere bei Vergleichen mit kapitalistischen Produkten und Verfahren ist die Einordnung in die gesamte Unternehmenspolitik, die politische Landschaft, die Entwicklung von Krisensymptomen sorgfältig mitzubeobachten, da hieraus oftmals wichtige Indikatoren für künftige Entwicklungen abzuleiten sind. 6. Internationale Vergleiche müssen komplex angelegt werden. Es hat wenig Sinn, einseitige Parameter hervorzuheben, ohne sie in den Zusammenhang der gesamten Entwicklung einzuordnen und daraus die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Deshalb reicht die traditionelle Form des Weltstandsvergleichs oftmals nicht aus. Notwendig ist die Verbindung mit langfristigen Strategien und den Veränderungen der jeweiligen politischen, technisch-ökonomischen und sozialen Umwelt und den Ressourcen. Zum Beispiel können aus dem Rückgang der Erweiterungsinvestitionen, der Marktanteile f ü r einzelne Techniken und Technologien usw. oftmals sogar eher Schlußfolgerungen auf bevorstehende Neueinführungen gezogen werden als aus dem bloßen Vergleich mit dem jeweils gerade aktuellen Modell. Die Kenntnis, insbesondere kapitalistischer Unternehmensstrategien, staatlicher Förderungs- und Innovationsprogramme sind hier bedeutende, für internationale Vergleiche vielfach noch zu wenig genutzte Instrumentarien. 1 5 7. Weltstandsvergleiche sind kontinuierlich, mindestens jedoch zweimal jährlich, durchzuführen und müssen aussagefähiges Informationsmaterial als Entscheidungsgrundlage liefern. Deshalb sind internationale Vergleiche besonders f ü r die Ableitung von F/E-Aufgaben, f ü r die Begründung von Investitionsentscheidungen und Rationalisierungsmaßnahmen wichtig. Werden internationale Vergleiche regelmäßig durchgeführt, verringert sich der Arbeitsaufwand beträchtlich. Es ist ferner sehr nützlich, internationale Vergleiche mit den wichtigsten Kooperationspartnern und Hauptabnehmern regelmäßig auszutauschen, u m sich gegenseitig über die wichtigsten Ergebnisse und daraus abzuleitenden Schlußfolgerungen zu informieren und recht15 Vgl. W. D. Hartmann/W. Stock, Management von Forschung und Entwicklung. Zur Kritik der bürgerlichen Theorie und Praxis der Leitung industrieller Forschung und Entwicklung, Berlin 1976.

55

zeitig notwendige Koordinierungen, volkswirtschaftliche Einordnungen und Abstimmungen vorzunehmen. 8. Internationale Vergleiche und ihre systematische Arbeit gehören zur Arbeit jedes Leiters und tragen Grundlagencharakter. Sie können und müssen wesentlich dazu beitragen, den Aufwand f ü r Änderungen im Entwicklungsgang bzw. bei gerade erst neu eingeführten Erzeugnissen und Techniken wesentlich zu verringern. Werden technische Änderungen an ungenügend konzipierten Erzeugnissen vorgenommen, ist die zur Erreichung von Spitzenleistungen notwendige Konzentration der F/E-Kräfte, Überleitungskapazitäten sowie technologischen Abteilungen auf strukturbestimmende Erzeugnisse nicht möglich. 1969 wurde festgestellt, daß der Arbeitszeitfonds von Konstruktions- und technologischen Abteilungen in Maschinenbaubetrieben zu 40—60% mit der Vorbereitung und Durchführung einer Vielzahl konstruktiver Änderungsmaßnahmen ausgelastet war. 16 Bei der Senkung dieser Aufwendungen wurden noch nicht in allen Betrieben die erforderlichen Fortschritte erreicht, teilweise sind sogar erhöhte Änderungsaufwendungen eingetreten. Bei bereits in die Produktion übernommenen Erzeugnissen stehen jedoch technisch-ökonomische Parameter und Kostenniveau weitestgehend fest. Die Bedeutung internationaler Analysen liegt gerade darin, das prinzipiell Neue in Erzeugnissen und Verfahren festzustellen, in welchem sich bessere Funktion und höhere Leistungsfähigkeit widerspiegeln. Umfassende Innovationsstudien der bedeutendsten wissenschaftlich-technischen Neuerungen beweisen, daß allein durch partielle Verbesserungen kaum Spitzenleistungen erreicht werden, zumal sich häufige Änderungen störend auf den Produktionsablauf auswirkei. Jede Produktionsumstellung bringt ein zeitweiliges Absinken der Arbeitsproduktivität in der Anlaufphase mit sich, wobei vorher zu prüfen ist, ob die durchzusetzende technische Änderung so weit qualitätserhöhend wirkt, daß dadurch der zur Umstellung notwendige Aufwand kompensiert wird. Das unterstreicht die Bedeutung anspruchsvoller und weitgehend zukunftsorientierender Aufgabenstellungen. Es ist oftmals nicht sinnvoll, aus durchgeführten Vergleichen Entscheidungen zu treffen, die lediglich Nachentwicklungen oder bestenfalls Weiterentwicklungen eingefahrener Produkte darstellen. I n der Praxis zeigt sich deutlich, daß an Stelle von Weiter- und Nachentwicklungen für Spitzenleistungen Basisinnovationen treten müssen, die auf neuen Prinziplösungen beruhen und im internationalen Maßstab durch ihre Erstmaligkeit, qualitative Verschiedenheit von bisherigen Lösungen sowie Anstoßwirkungen zur Entwicklung ganz neuer Zweige und Branchen charakterisiert sind. Eines der bekanntesten Beispiele der Gegenwart liefert der Einsatz von Mikroprozessoren in der Elektrotechnik/Elektronik zur Ablösung zahlreicher „klassischer" Techniken. Der prinzipielle leitungsmäßige Ablauf internationaler Vergleiche ist überblicksmäßig der Abb. 3 zu entnehmen: 16

56

E . Garbe, Mit K o n s t r u k t i o n s ä n d e r u n g e n D i e W i r t s c h a f t 1969, 31.

den W e l t s t a n d

bestimmen?,

in:

Abb.

3 : Prinzipieller leitungsmäßiger Ablauf internationaler Vergleiche

Algorithmus internationaler und Anwendungsbeispiel

Vergleichsdurchführung

Allgemein gilt für den methodischen Ablauf folgender Algorithmus: 1. Es existieren i = 1,2 . . . m Vergleichsobjekte in j = 1,2 . . . n Ländern. 2. Es werden die Ergebnisgruppen technisches Niveau TN, ökonomisches Niveau ÖN und soziales SN unterschieden (Bewertungskriterien). Innerhalb jeder Bewertungsgruppe werden Ä"li2,3 = 1,2 . . . P1>2,3 Ergebnisparameter unterschieden. Es können auch Untergruppen in jeder der drei Ergebnisgruppen gebildet werden. 57

3. Jeder Bewertungsgruppe wird ein Gewichtskoeffizient 6?i 2 3 zugeordnet. Es gilt G t + 0 2 + 03 = 1,00 4. Jedem Ergebnisparameter einer Bewertungsgruppe wird ein Gewichtskoeffizient g s zugeordnet. Für jede Bewertungsgruppe ist

1^=1,00

jr=1

Die Gewichtskoeffizienten schätzen den Beitrag jedes Parameters zur Sicherung des betreffenden Niveaus. 5. Jeder Ergebnisparameter wird in seinen realen Dimensionen und relativ zum besten nachweisbaren Vergleichsniveau gemessen, das heißt auf den Wertebereich 0 . . . 1,00 normiert (Xk). 6. Jedem Ergebnisparameter wird ein Koeffizient der wissenschaftlichtechnischen Dynamik W g (0 . . . 1) zugeordnet. Er kann aus der Rangordnung der Niveaustufen oder aus speziellen Prognosen abgeleitet sein. Dabei können theoretische Grenzwerte verwendet werden. 7. Alle Parameter, für die ein nationales Limit oder ein nationales Ziel der Bedürfnisbefriedigung festgelegt sind, sind gesondert auszuweisen. 8. Die Parameter der technischen Durchführbarkeit, des Aufwands und der Kosten sind gesondert zu messen und zu bewerten. 9. Die Ergebnisgröße jedes Vergleichsobjekts ist die Summe der Produkte des relativen Wertes Xg, des Gewichtskeoffizienten g^ und (¿1,2,3 sowie des Koeffizienten der wissenschaftlich-technischen Dynamik Wk über alle Parameter in allen drei Ergebnisgruppen. Die Ergebnisgröße E des i-ten Vergleichsobjektes ist also

Pi 2 9k-Xk-Wk+ K=1 PlI G2 • 2 9k • Xk • WK+ K =1

Ei=Gl•

Pill

Gz • 21 gm • XK • WK 10. Die Ergebnisgröße jedes Vergleichsobjekts ist nach Möglichkeit einem zusammenfassenden Ausdruck für den Aufwand gegenüberzustellen (zum Beispiel dem Preis). Der aufgezeigte Lösungsalgorithmus soll an einem allgemeinen Beispiel erläutert werden.17

Zum 1. Schritt Wir unterstellen der Übersichtlichkeit wegen nur drei Vergleichsobjekte in zwei Ländern A und B. 17

Das Beispiel wurde von M. Wilke berechnet.

58

Im Land A existiert das Vergleichsobjekt VO,^ und im Land B V0 2 und V0 3 . Zum 2. Schritt

Es werden für das technische Niveau TN die Erzeugnisparameter Kn, K12 und Kl3, für das ökonomische Niveau ÖN die Erzeugnisparameter K2i und K22 und für das soziale Niveau SN die Parameter K3l und K32 ausgewählt. Untergruppen sollen in den jeweiligen Ergebnisgruppen der Übersichtlichkeit halber nicht gebildet werden. Zum 3. Schritt

Den Bewertungsgruppen TN, ÖN und SN wurde durch eine Expertengruppe die Werte Gt =0,5, G2 =0,3 und ö 3 = 0,2 zugeordnet. Das bedeutet also, daß für die zu untersuchenden Vergleichsobjekte das technische Niveau TN die größte Bedeutung hat. Danach folgen ÖN und SN. Die Bedingung Gt +02 + G3 = l ,00 ist erfüllt.

Zum 4. Schritt

Die Zuordnung der Gewichtskoeffizienten zu den einzelnen Erzeugnisparametern wird ebenfalls von einer Expertengruppe vorgenommen. Es ergibt sich beispielsweise, daß der Erzeugnisparameter Ki2 den größten Beitrag zur Sicherung des betreffenden technischen Niveaus ausmacht (0,4) und K t l sowie K 1 3 in pgleicher Weise (0,3) für das Erzeugnis von Bedeutung sind. Die Bedingung 2,9k— 1,00 ist erfüllt. Die weiteren Werte sind Tabelle 7 e=1 zu entnehmen. Tabelle 7: Ermittlung der Ergebnisgröße

TN

ÖN

SN

des Vergleichsobjekts V0j

Vergleichsobjekt V 0 4 G Land A (1)

gK (2)

Xi (3)

w* (4)

K

(1)

E• ' (2)

2 Ki3

0,5 0,5 0,5

0,3 0,4 0,3

0,7 0,4 0,6

0,2 0,3 0,3

0,021 0,024 0,027

2

-

1,0

-

-

0,072

K2t K22

0,3 0,3

0,9 0,1

0,5 0,6

0,3 0,4

0,0405 0,0072

2

-

1,0

-

-

0,0477

K31 K32

0,2 0,2

0,6 0,4

0,7 0,7

0,6 0,7

0,0504 0,0392

-

1,0

u

2 E t gesamt

(3)

(4)

0,0896 0,2093

59

Zum 5. Schritt Die Werte X g werden ermittelt, indem absolute eigene Werte jeweils gemessen werden am relativ höchsten nachweisbaren Vergleichsniveau in der Zukunft (Vergleich prognostiziertes Weltniveau zu geplantem eigenem Weltniveau) und in der Gegenwart (Vergleich gegenwärtiges Weltniveau zu eigenem technischem Niveau) im jeweiligen Bereich der Forschung F, Entwicklung E und Produktion P. Es werden also mit jedem Erzeugnisparameter 6 Untersuchungen durchgeführt, welche sich in zwei Gruppen gliedern. Gruppe 1 Vergleich des gegenwärtigen Standes ETN-P gegenwärtiges eigenes technisches Niveau Produktion GWN-P gegenwärtiges Weltniveau Produktion j k ETN-E gegenwärtiges eigenes technisches Niveau Entwicklung GWN-E gegenwärtiges Weltniveau Entwicklung ETN-F gegenwärtiges eigenes technisches Niveau Forschung GWN-F gegenwärtiges Weltniveau Forschung Gruppe 2 Vergleich des zukünftigen Standes ^ GEN-P geplantes eigenes TN Produktion P W N - P prognostisches WN Produktion GEN-E _ geplantes eigenes TN Entwicklung P W N - E prognostisches W N Entwicklung ^ GEN-F geplantes eigenes TN Forschung PWN-F

prognostisches W N Forschung

Zum 6. Schritt Die Zuordnung des Koeffizienten der wissenschaftlich-technischen D y n a mik W& erfolgt wie im Algorithmus angegeben und ist in Tabelle 1 abzulesen. Der Koeffizient W x ist das Verhältnis des höchsten Vergleichsniveausim Rahmen des auf eine der sechs Stufen begrenzten internationalen Vergleichs zum theoretischen Grenzwert oder zum P W N - F (wenn kein theoretischer Grenzwert vorliegt). Zum 7. Schritt Beim Vergleich müssen die nationalen Einsatzbedingungen berücksichtigt werden, die häufig in Standards und gesetzlichen Regelungen verankert sind. Beispielsweise spielen beim Vergleich von Lichtquellen unterschiedliche Stromtarife eine Rolle für die Optimierung von Gebrauchseigenschaften. Diese Spezifika sind gesondert auszuweisen. Zum 8. Schritt Die Aufwandsparameter sind getrennt nach den 3 Stufen Produktion,. Entwicklung und Forschung zu bestimmen. Die ausführlichste Bestimmung" ist in der Stufe Produktion möglich, da hier in der Regel bis zu konkreten Kosten und Preisgrößen gegangen werden kann. Dagegen ist in der Stufe der Forschung oft nur eine Abschätzung des Schwierigkeitsgrades möglich. Tabelle 8 gibt dazu einen Überblick. 60

Tabelle 8 : Aufwandaparameter in der Stufe Produktion

Erzeugnis

techn. Durchführbarkeit

MaschinenZeitfonds MZF h/Stck.

Arbeitszeitfonds AZF h/Stck.

Selbstkosten S K in TM/Stck.

Preis P in TM/ Stck.

vo, vo2 vo3

0,9 0,8 0,8

2000

3000 2000

108,20 111,00 108,90

137,50 158,30 129,50

Zum 9. Schritt

Die jeweilige Ergebnisgröße der drei Vergleichsobjekte VOi, V0 2 und V0 3 wird nach dem angegebenen Lösungsalgorithmus ermittelt. Die entsprechenden Werte sind in Tabelle 1 für VOt enthalten bzw. lassen sich wie folgt errechnen: -01=0,5- 2 9k ' XK • WK K =1 + 0,3-

2

2 K =1

9k-Xk-Wk

+0,2 • 2 9K • XK • WK E =1 El = 0,5 • (0,042 + 0,048 + 0,054)+ 0,3 • (0,135 + 0,024) + 0,2 • (0,252 + 0,196) = 0,0720 + 0,0477 + 0,0896 = 0,2093 Zum 10. Schritt

Die im 9. Schritt ermittelten Ergebnisgrößen aller Vergleichsobjekte werden Aufwandsgrößen wie beispielsweise dem Preis gegenübergestellt. Eine Übersicht vermittelt Tabelle 9. Tabelle 9 : Vergleich der Ergebnisgrößen mit Aufwandsgrößen Vergleichsobjekt

Preis in TM (1)

Ergebnisgröße Prozent (2)

Internationaler Vergleichswert des Aufwandskoeffizienten d):(2)

VO, vo2 vo3

137,50 158,30 129,50

20,93 40,81 58,23

6,57 3,88 2,22

Dabei ist dasjenige Vergleichsobjekt das progressivste, welches den kleinsten internationalen Vergleichswert des Aufwands besitzt. Im angeführten Beispiel ist das das Ergebnis V0 3 aus dem Land B, welches das derzeitige Weltspitzenerzeugnis repräsentiert. Das Erzeugnis V 0 t des Landes A ist auf Grund seiner Parameter am weitesten vom Weltstand entfernt. 61

Zur Bedeutung internationaler Analysen der Innovationspolitik kapitalistischer Konzerne für die Leitung industrieller Forschung und Entwicklung Da Wissenschaft und Technik wachsende Bedeutung in den antagonistischen Gesellschaftssystemen von Sozialismus und Kapitalismus erlangen, genügt allein der internationale Vergleich von Erzeugnissen, Verfahren oder auch der Patentintensität nicht. Derartige Untersuchungen gestatten primär Schlußfolgerungen für die Bewertung und Niveaubeurteilung der laufenden Produkt- bzw. Verfahrensgeneration zu ziehen. Darüber hinaus ist es jedoch in zunehmendem Maße notwendig, vorausschauende Einschätzungen und Bewertungen der strategischen Entwicklung vorzunehmen, um rechtzeitig wesentliche Veränderungen in der Innovationspolitik maßgeblicher Konkurrenten aufzuklären. Derartige, über internationale Erzeugnis- und Verfahrensvergleiche hinausgehende Analysen fehlen noch häufig. Sie sind jedoch ein unentbehrliches Hilfsmittel für die planmäßige Nutzung von Forschung und Entwicklung als Hauptfaktor im internationalen Klassenkampf. „Man kann ohne Übertreibung sagen, daß heute gerade auf diesem Gebiet, auf dem Gebiet des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, eine der Hauptfronten des so außerordentlich bedeutsamen Wettstreits der beiden Systeme verläuft." 18 Die tiefgreifenden sozialen und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten, die alle westlichen Industrieländer in den letzten Jahren kennzeichnen, haben nachhaltige Konsequenzen. Neben lang andauernden Konjunkturflauten, Massenarbeitslosigkeit, Inflation und strukturellen Disproportionen in der kapitalistischen Wirtschaft wurde zugleich der internationale Konkurrenzkampf wesentlich verschärft. Hauptarenen der Auseinandersetzung um Märkte und Käufer im Interesse hoher Profite sind die Qualität der Produkte, die gesamten technisch-technologischen Leistungen im Verhältnis zum Preis. Durch Forcierung von Innovationen wird der Versuch unternommen, ständig neue Absatzmärkte zur Profitexpansion zu erschließen, Konkurrenten durch qualitativ verbesserte Erzeugnisse aus dem Felde zu schlagen usw. Seitens der Parteiführung wurde diese Entwicklung nüchtern eingeschätzt: „Wir können nicht außer acht lassen, daß die technische Entwicklung im internationalen Maßstab zum Teil sehr schnell erfolgt, was von großer ökonomischer Bedeutung ist. Damit muß unsere Volkswirtschaft auf wichtigen Gebieten Schritt halten. Auch die Anforderungen an die Qualität unserer Erzeugnisse bleiben nicht gleich, sondern erhöhen sich ständig." 19 Welche Anstrengungen die führenden kapitalistischen Industrieländer zur Forcierung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unternehmen, kann anhand der F/E-Ausgaben in ausgewählten Staaten nachgewiesen werden (vgl. Tabelle 10). 18 19

L. I. Breshnew, Auf dem Wege Lenins, Bd. 2, Berlin 1971, S. 363. E. Honecker, Schlußwort zur 2. Tagung des ZK der SED, in: Neues Deutschland vom 4./5. 9. 1976, S. 4.

62

Tabelle 10: F/E-Ausgaben in ausgewählten Staaten und Anteil am Bruttosozialprodukt Staat

1963 1967 1969 1971 Millionen Anteil Millionen Anteil Millionen Anteil Millionen Anteil Landes- am Landes am Landes- am Landes- am Währung B SP % Währung BSP%währung B SP % Währung B S P %

Belgien 6411 0,9 Frankreich 6996 1,7 BRD 5 745 1,5 Italien 181729 0,6 Japan 321128 1,3 Niederlande 11812) 1,9 Großbritannien 7713) 2,3 USA 19215 3,0 4) 2) 3) 4)

5) 6)

11230 12376 8 337 279453 606293

1,1 2,2 1,7 0,6 1,3

13055 13860 10433 433 9381) 933228

1,1 1,9 1,7 0,8 1,5

1775

2,1

2087

2,0

962 222856)

2,4 3,0

10174) 2,35) 26595 2,8

17581 16006 15609 5725191) 1345919 2 695

1,2 1,8 2,1 0,9 1,6 2,0

10825) 2,35) 27 528 2,6

mit 1963 und 1967 nicht vergleichbar 1964 1964/65 1968/69 1969/70 1966

Quelle: Bundesbericht Forschung V, Drucksache 282/75, Bonn 1975, S. 63

Analysiert man die jüngste Entwicklung in den mächtigsten kapitalistischen Industriestaaten, so können erhebliche Wachstumsdifferenzen festgestellt werden. Während beispielsweise in der B R D die Gesamtausgaben zur Förderung der Wissenschaft, Forschung und Entwicklung gerade in den letzten Jahren seit 1970 weiter überproportional erhöht wurden und allein in den fünf Jahren von 1969 bis 1974 auf 34,2 Milliarden DM anwuchsen, so daß sich der Anteil der Wissenschaftsausgaben am BSP von 2,6 auf 3,4% erhöhte, wurden in den USA die 3% Anteil am BSP von 1964 mit 2,3% 1974 noch nicht wieder erreicht.20 Überdurchschnittliche Wachstumsraten für F/E wurden auch in Japan realisiert, das mit 25 Wissenschaftlern und Ingenieuren pro 10 Tausend Einwohner um nur einen Mann schlechter da steht als die USA mit 26, während die B R D mit 15 Wissenschaftlern und Ingenieuren bezogen auf 10 Tausend Einwohner hier deutlich abfällt.21 Überlegene Positionen im gesamten kapitalistischen Lager nimmt nach wie vor der USA-Imperialismus ein, wo die Industriekonzerne 60% der 20

21

Vgl. Bundesbericht Forschung V, Bonn 1975, S. 50 sowie Research Management, 1976, 3, S. 2. Vgl. Statistical Abstract of the United States, Washington 1974, S. 535. Allerdings dürfen hierbei die absoluten Niveauunterschiede nicht übersehen werden.

63

wichtigsten wissenschaftlich-technischen Neuerungen aller kapitalistischen Staaten entwickelten und 75% aller bedeutenden Innovationen der kapitalistischen Welt realisieren. Wie groß die Anstrengungen der imperialistischen Konzerne auf wissenschaftlich technischem Gebiet in Gegenwart wie Zukunft sind, kann anhand der geplanten F/E-Ausgaben in ausgewählten Zweigen der US-Industrie nachgewiesen werden (vgl. Tabelle 11). Tabelle 11: Geplante F/E-Ausgaben in ausgewählten Industrien der USA in den J a h r e n bis 1979 in Millionen Dollar Industrie

1979 1976 [Mili U S $]

Metall 410 Maschinenbau 2989 Elektroausrüstungen und Kommunikation 6086 Raumfahrt 6407 Fahrzeugbau 2373 Industrieller und wissenschaftlicher Gerätebau 1207 Chemie 2859 Papier 240 Gummiprodukte 311 Steine, Ton und Glas 229 Petroleumprodukte 690 Nahrung und Genußmittel 388 Nichtverarbeitende Industrie 1019

%

Entwickig.

534 4065

30 36

6938 7368 2705

14 15 14

1569 3717 295 404 298 842 512 1447

30 30 23 30 30 22 32 42

Quelle: Research Management 1976, 4, S. 23

I n der amerikanischen Industrie wurde Mitte 1976 eingeschätzt, daß bei einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von rund 10% c a - 25,8 Milliarden Dollar für F / E verausgabt wurden. Vorgesehen ist, die F/E-Ausgaben in drei Jahren bis 1979 erneut u m durchschnittlich 22% in der verarbeitenden Industrie zu erhöhen, in der nichtverarbeitenden Industrie ist zwischen 1976—1979 sogar ein Sprung um 4 2 % vorgesehen. Naturgemäß nehmen die forschungsintensiven Wirtschaftsbranchen hierbei eine hervorragende Stellung ein, vor allem die chemische Industrie, die Elektrotechnik/Elektronik, der Straßenfahrzeugbau, der Luftfahrzeugbau und der Maschinenbau und allen voran hierbei der gesamte militärischindustrielle Komplex. Es ergibt sich die Frage, worauf das Kapital seine K r ä f t e konzentriert und mit welchem Ziel der wissenschaftlich-technische Fortschritt gerade in der gegenwärtigen zyklischen und strukturellen Krise forciert wird? Die entscheidende Schlüsselfunktion nimmt die Innovationspolitik in der kapitalistischen Strategie ein. Aus marxistisch-leninistischer Sicht sind die mit diesem Problemkreis direkt und indirekt verbundenen Fragen noch zu 64

wenig systematisch analysiert worden und es fehlt eine dialektische Analyse der bourgeoisen Innovationstheorien und -praktiken. Da die Anpassungsfähigkeit des Reproduktionsprozesses für wissenschaftlich-technische Neuerungen international das Grundproblem der ökonomischen Beherrschung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und seiner Beschleunigung darstellt, ist es notwendig, die theoretischen Konzeptionen, Zwänge und Widersprüche der profitorientierten Innovationspolitik kapitalistischer Konzerne sowie der Möglichkeiten und Grenzen des staatlichen Einflusses auf die Forschungs- und Technologieentwicklung aufzudecken. Eine der bekanntesten empirischen Untersuchungen über technische Innovationen in 121 Unternehmen aus fünf Zweigen der USA-Industrie (Eisenbahnen und Zulieferer, Zulieferer für Haushaltwarenprodukte, Computerindustrie und ihre Zulieferer) legten Marquis und Myers vor. 22 Aus 567 technischen Innovationen seit 1945 wurde geschlußfolgert, daß 58 Prozent der Innovationen zu marktfähigen Produkten, 24 Prozent zu neuen und verbesserten Technologien und 18 Prozent zu neuen Komponenten in vorhandenen Produkten führten. Rund ein Drittel aller Innovationen umfaßten Modifikationen, bei denen es vordergründig um schnell wirksame, oftmals scheinbare Verbesserungen im Interesse der Sicherung oder des Ausbaus von Marktanteilen und Profiten geht. Diese Untersuchungen unterstreichen den überragenden Rang der Produktneu- und Weiterentwicklung in der kapitalistischen Unternehmensstrategie. Neuere Analysen über die F/E-Ausgaben der US-Industrie und ihre Zielorientierung bestätigen das Primat der Produktentwicklung (vgl. Tab. 12). Tabelle 12: F/E-Ausgaben für Produkt- und Verfahrensentwicklung in verschiedenen Industriezweigen der USA 1975 Industriezweig

Stahlindustrie Nichteisen, Metalle Elektrotechnik Maschinenbau Raumfahrt Fahrzeugbau Steine, Ton u. Glasind. Chemieindustrie Papierindustrie Gummiindustrie Ölindustrie Textilindustrie Nahrungs- u. Genußmittel

Prozent der F/E-Ausgaben 1975 Neue Verbesserung Neue Produkte existierender Verfahren Produkte 30 21 48 40 34 31 30 30 33 25 23 23 35

53 29 39 53 56 49 42 51 41 50 39 51 38

17 50 13 7 10 20 28 19 26 25 38 26 27

Quelle: Research Management, 1975, Heft 4, S. 2 22

5

I). G. Marquis/S. Myers, Suocesful Industrial Innovations, Study of F a c t o r Underlying Innovation in Selected Firms, Washington 1969, S. 20. Hartmann

65

Die Betonung der Weiterentwicklung vorhandener Produkte ist offensichtlich, denn in der US-Industrie wurden 1975 48% oder 11,9 Milliarden Dollar der gesamten F/E-Ausgaben dafür aufgewendet. Analysiert man die Innovationskosten näher, zeigt sich deutlich, warum das Kapital das Hauptaugenmerk auf die Erzeugnisneu- und Weiterentwicklung legt. Nach Angaben des U.S. Department of Commerce von 1967 setzen sich die Innovationskosten für neue Produkte durchschnittlich folgendermaßen zusammen:23 (Vgl. Tabelle 13) Tabelle 13: Innovationskosten für ein neues Produkt Kostenursprung

Prozent

Forschung und Entwicklung Projektierung und Design Technische Vorbereitung der Produktion Einführung der Serienproduktion Marketing

5—10 10—20 40—60 5—15 10-25

Quelle: U.S. Department of Commerce, Washington, Januar 1967

Berücksichtigt man bei dieser Analyse die gesamten Kosten, insbesondere die erforderlichen Kapitalaufwendungen für die Kommerzialisierung von Innovationen, wird die erheblich größere Kostenintensität für neue Verfahren augenscheinlich und damit die „Zurückhaltung" des Kapitals auf diesem Gebiet sehr plastisch (vgl. Tabelle 14). Tabelle 14: Innovationskosten für neue und weiterentwickelte Erzeugnisse und Verfahren (Angaben in Prozent) Kostenursprung Forschung und Entwicklung Patentarbeit Prototyp und Versuchsmuster Werkzeuge und technische Vorbereitung Produktionsanlauf Produktmarketing Kapital zur Kommerzialisierung Finanzierung und Organisation

Produkt -=4 Mio $

Verfahren > 4 Mio $ • '



Quelle: Research Management, 1976, Heft 2, S. 30

Einmal abgesehen davon, daß diese kanadischen Untersuchungen aus den Jahren 1971—1973 erheblich von den amerikanischen Untersuchungen ab23

Mansfield kommt aus Analysen verschiedener Zweige der bearbeitenden Industrie zu gleichen Angaben. Vgl. E. Mansfield, Research and Innovation in the modern Corporation, New York 1971, S. 118.

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weichen, wird der notwendige wesentlich höhere Kapitalaufwand für Verfahrenskommerzialisierung deutlich sichtbar. Zugleich weisen die Unterschiede in den analysierten Aufwandsverteilungen darauf hin, daß die differenzierten Kostenstrukturen in einzelnen Industriezweigen naturgemäß auch wesentliche Unterschiede in der Innovationspolitik nach sich ziehen. In Tabelle 15 werden hierzu vier wichtige Industriebereiche gegenübergestellt. Tabelle 15: Innovationsausgaben verschiedener Industriegruppen (Angaben in Prozent) Kostenursprung

Chemische Maschinen Elektrische Andere Industrie u. Ausrü- Industrie stungen

Forschung und Entwicklung Patentarbeit P r o t o t y p und Versuchsmuster Werkzeuge und technische Vorbereitung Produktionsanlauf Produktmarketing Kapital zur Kommerzialisierung Finanzierung und Organisation

22

77

5

43 1 19

2 2 5 61 3

18 8 3 6 2

1 1 1 13





7

-

44 1 10 6 8 2 28 1

Quelle: Research Management, 1976, Heft 2, S. 31

Bereits diese Faktoren unterstreichen, daß beispielsweise in der Elektrotechnik/Elektronik eher technologische Innovationen durchgeführt werden als in der wesentlich kapitalaufwendigeren Chemieindustrie. Da es dem Wesen des Kapitals entspricht, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt primär als Instrument der Profitmaximierung zu handhaben, wird nachhaltiger Druck auf das Erneuerungstempo des Produktionssortiments ausgeübt. Renommierte Firmen verweisen darauf, daß 40 bis 60 Prozent ihres Produktionsprogramms nicht älter als fünf Jahre sind, wobei auf einzelnen Gebieten, wie mikroelektronischen Bauelementen, jährliche Innovationsraten von über 70 Prozent auch in Zukunft als eher zu niedrig geschätzt angesehen werden.24 Gerade das Beispiel der Mikroelektronik unterstreicht zugleich, daß das Primat der Produktentwicklung im Imperialismus nicht zu falschen Schlußfolgerungen verleiten darf. Obwohl das Überwiegen der Anzahl von Produktneuentwicklungen im Vergleich zu technologischen Neuerungen anhand vieler Angaben belegt werden kann, darf nicht vergessen werden, daß neue Technologien die multivalent wirksame Grundlage einer großen Zahl neuer Produkte sind. Nur aus diesem Grunde ist auch verständlich, daß große kapitalistische Konzerne bei entsprechenden flankierenden Hilfen des Staates überhaupt bereit sind, außerordentlich hohe Aufwendungen für die technologische Entwicklung zu betreiben. Letztlich entscheidendes Ziel bleiben 24



Vgl. Innovation — Zukunft für Bauelemente, Ind.-Elektrik und Elektronik, 1 / 2 / 1 9 7 6 , S. 4 / 5 .

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„endnachfrageerweiternde" Produktinnovationen gegenüber Prozeßinnovationen, um im Konkurrenzkampf und Profitstreben möglichst lukrativ abzuschneiden. Der Innovationsdruck im internationalen Konkurrenzkampf ist keineswegs auf die Hersteller von Produktionsmitteln beschränkt, im Gegenteil. Mit besonderer Härte wird auf dem Konsumgütersektor um Marktanteile und Kunden konkurriert. Dabei zeigt sich, daß auch in den von der Krise besonders betroffenen Branchen, wie z. B. der Textilindustrie, durch modische Innovationen erhebliche Umsatzsteigerungen erzielt werden. So brachte die bekannte Firma „Levi Strauss & Co." 1975 in 5 Produktgruppen 10 Innovationen auf den Markt, wodurch der Umsatz gegenüber 1974 um 13,1% gesteigert wurde, im 1. Quartal 1976 sogar um plus 28%. Dabei muß sich der „Jeans-Pionier" heute gegen 6 weitere international anerkannte andere Handelsmarken mit hohen Marktanteilen und gegen etwa 90 „anonyme" Konkurrenten durchsetzen, um für über 1 Milliarde Dollar pro Jahr Jeansprodukte zu verkaufen. 25 Den ernstzunehmenden Forcierungen des Tempos und der Qualität wissenschaftlich-technisch neuer Lösungen im internationalen Konkurrenzkampf stehen nicht weniger umfangreiche Bemühungen des Kapitals gegenüber, durch eine künstlich verkürzte Lebensdauer neuer Erzeugnisse, durch scheinbare Verbesserungen der Produkte und oftmals sogar offenen Betrug bei raffinierter Werbung und Produktgestaltung größere Umsatz- und damit Profitsteigerungen zu erzielen. Die Bemühungen der produktbezogenen F/E richten sich daher vorrangig auf Innovationen, die im monopolistischen Kampf um die relativen Marktanteile schnell wirksam werden, d. h. auf verbesserte bzw. neue, aber risikoarme Produkte, bei denen ihr kurzfristiger Verschleiß schon programmiert ist. Die unnatürlich forcierte Verkürzung der Produktionszyklen von Waren im Verein mit der durch eine aufwendige Reklame dem Käufer psychologisch aufgezwungenen Akzeptierung von objektiv nicht notwendigen Gebrauchswertänderungen der Produkte werden zu immanenten Kriterien für den Einsatz des wissenschaftlich-technischen Potentials. Ein Spezialist für Innovationsprobleme, G. Mensch, kommt angesichts dieser Tatsache zu der Schlußfolgerung, daß sich der technische Fortschritt in der kapitalistischen Wirtschaft vor allem infolge des raschen Wechsels auf dem Gebiet der Verbesserungs- und sogenannter „Scheininnovationen" beschleunige und somit seine Dynamik in ökonomischer Hinsicht nicht überbewertet werden darf. Auf dem Felde grundlegender, weitreichender und revolutionierender Erfindungen und Innovationen („Basisinnovationen"), die neue Produktionen und Industriezweige ins Leben rufen, sieht er diese permanente Beschleunigung nicht und konstatiert auf diesem Gebiet mit Ausnahme der Mikroelektronik gegenwärtig sogar umfangreiche Stagnationstendenzen. 26 Mit 25

Vgl. Absatzwirtschaft, 6/1976, S. 7. 26 Vgl. G. Mensch, Zur Dynamik des technischen Fortschritts, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Bd. 41, 1971, S. 295 ff.; G.Mensch, Basisinnovation und Verbesserungsinnovation, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Bd. 42, 1972, S. 291 ff.

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dieser These wurde sich aus marxistischer Sicht bislang zu wenig auseinandergesetzt. Um einem ökonomischen Verlust bei Modifikationen zu entgehen und dennoch einen breiten Fächer von Möglichkeiten des Umsatzwachstums und der Kapitalverwertung zu erschließen, findet zwangsläufig das Moment der Markt- und Bedürfnismanipulation in den kapitalistischen Unternehmensstrategien großen R a u m . Der Alltag im Kapitalismus liefert dafür mannigfaltige Beispiele aus allen Lebensbereichen. Selbst bürgerliche Theoretiker erkennen diese Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Innovationspolitik, die einerseits zu bedeutenden konstruktiven Fortschritten auf begrenzten wissenschaftlich-technischen Gebieten führt, andererseits sowohl durch die enormen militärischen F/E-Aufwendungen als auch durch die sinnlosen Vergeudungen im zivilen Konsumsektor doppelt destruktiv und produktivkraftzerstörend wirkt. Allerdings gelingt es den bürgerlichen Wissenschaftlern nicht, zu den eigentlichen Ursachen der Stagnation, der Fäulniserscheinungen und des Parasitismus vorzustoßen, die Lenin in seiner genialen Imperialismus-Analyse bereits ausführlich entwickelt hat. 2 7 Anstatt von den politökonomischen Ursachen derartig deformierter Innovationen auszugehen, werden außerordentlich vielfältige und im Detail durchaus beachtliche Innovationsstudien vorgelegt, 28 die jedoch zu keinen wirklich durchgreifenden Veränderungen in der Forschungs-, Technologieund Innovationspolitik führen. Entscheidender Ausgangspunkt im kapitalistischen Konkurrenzkampf ist und bleibt, daß das hergestellte Produkt „gesund" ist, also Profit macht. Von diesem Ziel ausgehend werden alle strategisch-taktischen Überlegungen abgeleitet, vor allem f ü r die Ausrichtung der Forschungs- u n d Entwicklungspolitik und die gesamte kapitalistische Unternehmensführung. Dabei hat sich bei vielen Firmenmanagern die Erkenntnis durchgesetzt, daß man sich auf gewonnene Vorrangstellungen nicht verlassen darf. Früher oder später werden selbst Spitzenprodukte mit 27

Vgl. W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Werke, Berlin 1967, S. 22. 28 Vgl. H. G. Barnett, Innovation. The Basis of Cultural Change, N e w York— Toronto—London 1953; C. Argyris, Organisation and Innovation, Homewood 1965; Botz, Allen & Hamilton, Management of N e w Products, N e w York 1968; F. Mansfield, The Economics of Technological Change, London 1968; D. G. Marquis/S. Myers, Successful Industrial Innovations, Washington, D. C., 1969 ( N S F 69—17); J. Schmookler, Inventions and Economic Growth, Cambridge Mass. 1966; J. Jewkes/D. Sawers/R. Stillermaonn, The sources of Invention, London 1960; A. Kieser, TTnternehmerwachstum und Produktinnovation, Berlin 1970; E. Mansfield, Industrial Research and Technological Innovation, London 1969; E. Mansfield, Research and Innovation in the modern Corporation, N e w York 1971; G. Mensch, Das technologische Patt, Frankfurt/M. 1975; J. L. Mannory, La Genese des Innovations, Paris 1968; Science, Technology and Innovation, National Science Foundation, Washington D. C., 1973; H. Freudenberger, G. Mensch, Von der Provinzstadt zur Industrieregion (Brünn-Studie), Göttingen 1975; F. R. Pfetsch (Hrsg.), Innovationsforschung als multidisziplinäre Aufgabe, Beiträge zur Theorie und Wirklichkeit von Innovationen im 19. Jahrhundert, Göttingen 1975.

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ausgefeilter Herstellungstechnologie allgemein produzier- oder substituierbar, und bestenfalls die besseren „Vertriebskanäle" können dann noch höhere Profite als bei der Konkurrenz sichern. Daher rangiert der ständige Kampf um qualitative Verbesserungen, technologisch neue Lösungen, höhere Neuerungsraten an erster Stelle einer ganzen Reihe von Erfolgskriterien des internationalen Konkurrenzkampfes, wie: — technische Neuheit, technologische Lösung und „know-how" als Grundlage für Extraprofite und Umsatzsteigerungen; — Qualität und Zuverlässigkeit technischer Produkte zur Stärkung des Firmen-Images, zum Gewinnen von neuen und Halten alter Kunden (bei Erzeugnissen der Leicht- und Konsumgüterindustrie oft zusätzlich modischer Chic, Gesamtdesign) — Preis/Leistungsverhältnis unter normalen Fertigungsbedingungen — multinationaler Zugriff zu F/E-Ergebnissen durch Konzentration und Monopolisierung — Lieferzeit und Liefertreue (Vertragseinhaltung) — Flexibilität dem Kunden gegenüber einschließlich zugehöriger „Soft-ware" — Weiterentwicklungsmöglichkeit des Produkts und Geschäfts zum gegenseitigen Vorteil — Wartbarkeit des Produkts und Reaktionsfähigkeit des Kundendienstes — Erhöhung des Aufwands für Werbung und Verpackung — Umweltfreundlichkeit und in jüngster Zeit in wachsendem Maße Ressourceninanspruchnahme beim Gebrauch — Haftung des Produzenten, Garantieleistungen. Da die qualitativen Maßstäbe und das Entwicklungstempo durch die führenden Hersteller bestimmt werden, wird im internationalen Konkurrenzkampf deutlich unterschieden, wo Entwicklungsrückstände aufholbar sind und wo besser neue, zukunftsträchtige Gebiete erschlossen werden sollten. Hinsichtlich der Produktpolitik unterscheiden sich selbst branchengleiche Konzerne beträchtlich, so z. B. die Erzeugnispolitik der allgemein als Autohersteller bekannten Firmen Fiat, Ford und Volkswagen. Jahrelang wurde bei VW am Erfolgsmodell „Käfer" festgehalten, bis sinkende Verkaufszahlen zur Neuentwicklung eines anderen Erfolgsmodells („Golf") zwangen. Solch ein Wechsel ist bei Erfolgsmodellen mit hohen Stückzahlen stets risikoreich und schwierig, da Fehlschläge nicht auszuschließen sind. Die Firma Ford hat ihre Produktpolitik daher anders aufgebaut. Durch eine funktionsgebundene Spezialisierung kann auf alle Kundenwünsche eingegangen werden, solange das Prinzip „Fortbewegung auf vier Rädern" Grundlage bleibt. ModellWechsel sind daher Routineangelegenheiten. Fiat ist dagegen auf die Bewältigung des Transportproblems in seiner ganzen Vielfalt ausgerichtet, auf die Produktion von Transportmitteln für Straße, Schiene, Luft und Wasser. In diesem Konzept ist ein bestimmter PKW-Typ ein Produkt unter vielen zur Lösung der komplexen Transportprobleme. Die einzelnen Strategien haben also unterschiedliche Bezugspunkte: Produkt, Funktion, komplexe Problemlösung. Es liegt auf der Hand, daß dadurch die einzelnen Konzerne unterschiedliche Chancen im internationalen Konkurrenzkampf haben, sobald die Lösung eines neuen Transportproblems 70

entsteht, z. B. die Entwicklung und Produktion von Transportbändern für Stadtverkehr. Daraus wird die interessante Schlußfolgerung abgeleitet: „Zielsetzungen, die sich nur auf eine Zahl oder einen qualitativen Satz stützen, werden sich in Zukunft als so vereinfacht erweisen, daß sie schließlich bedeutungslos sind." 29 Ausgehend von komplexen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen werden Funktionslösungen entwickelt und dafür bestimmte Produkte hergestellt. Dieses Vorgehen bringt folgende Vorteile mit sich: — etappenweise Entwicklung von transferierbarem, international gefragtem „Know-how" — Baukasten- und Systementwicklung, Senkung von prinzipiell gleichartigen technischen „Doppellösungen" um 30—60% — Zusammenarbeit von F/E-Spezialisten verschiedener Branchen untereinander und mit Generalisten — Berücksichtigung zukünftig bedeutsamer globaler Entwicklungselemente — Einbeziehung der Kunden bei Entwicklungsaufgaben, Angebot eines Bündels von Software, Lieferungen und Montageleistungen — bessere Beachtung der möglichen Materialwiederverwendung und systematische Erhöhung der Langlebigkeit von Produkten — bessere Berücksichtigung der komplexen Ressourceninanspruchnahme, vor allem bei Rohstoffen und Primärenergieträgern. Diese Überlegungen finden bei der praktischen Festlegung der notwendigen Produktqualität ihren Niederschlag in den Anforderungen, die — hinsichtlich der Lebensdauer, Zuverlässigkeit, Gebrauchsfähigkeit und Betriebssicherheit durch die Forschung und Entwicklung — hinsichtlich der Bearbeitungsschritte, Technologien und Verfahren, der notwendigen Ausrüstungen, Werkzeuge, Formen und Prüftechnik durch die Technologie und Produktion — hinsichtlich der Preisgestaltung, Marktvorbereitung und -entwicklung, der Werbung und „Image"-pflege durch das Marketing und den Vertrieb — hinsichtlich der Ermittlung der materiellen, personellen und finanziellen Aufwendungen für die Montage und Instandhaltung durch den ServiceBereich zu erbringen sind. Angesichts der erschwerten Verkaufsbedingungen in Krisenzeiten fehlt es nicht an Vorschlägen, die Profitaussichten durch größere Managementanstrengungen zu erhöhen. So berichtet die Schweizer Management-Zeitschrift „Industrielle Organisation" über Hauptfehler im Konkurrenzkampf, deren Beseitigung als Sofortmaßnahmen zur Verkaufssteigerung empfohlen werden (siehe Tabelle 16). Immer mehr Konzerne erkennen, daß ihre Erfolge weitgehend davon abhängen, wie rechtzeitig sie neue technologische Entwicklungen aufgreifen. Ein vielzitiertes Beispiel der jüngsten Zeit ist dafür die Entwicklung in der 29

P. Peratz, Diversifikation. Einige Voraussetzungen zu ihrer erfolgreichen Durchführung. VDI-Zeitschrift, 116, 1974, Nr. 17 (Dezember), S. 1416.

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Tabelle 16: Hauptursachen für Verluste im internationalen Konkurrenzkampf • mangelnde Innovation 0 Veränderung, Verschiebung der Nachfrage nicht gesehen oder nicht beachtet, Bedarfseinschätzungen •Änderung der Kaufgewohnheiten unterschätzt • Sortiment zu einseitig oder zu zersplittert • Preise nicht marktgerecht •falsche Diversifikation (zu viele Sparten mit hohen Fixkosten) • Expansion „um jeden Preis" •inländische Konkurrenz verfolgt, aber von ausländischer Konkurrenz überrascht • schlechte Kombination von Qualitäts- und Billigprodukten • mangelnde Flexibilität in der Produktionsentwicklung (Produkt bereits dann überholt, wenn es auf den Markt kommt) •einseitige Abnehmerstruktur/Distribution •ungenügende Absatzprognosen • zu spät in einem zukunftsträchtigen Markt eingestiegen • Marktlücken, Randmärkte nicht erfaßt und entwickelt •Überkapazitäten (Produktion, Lager) • zu späte Situationsanalysen, Fehlbewertungen • mangelnde Gebrauchswert-Kostenanalysen und Unkostenbewertung N a c h : Industrielle Organisation 44 (1975), Nr. 10, S. 4 5 3

Uhrenindustrie, wo durch Einsatz der Halbleitertechnik elektronische Uhrwerke die traditionellen feinmechanischen, arbeitsaufwendigen Technologien zu ersetzen beginnen. Aus der Fülle der von den bürgerlichen Autoren gewählten Ansatzpunkte zur Analyse von Innovationen und Innovationsprozessen, — nach dem sachlichen Inhalt und Objekt der Neuheit, — nach Produkt- und Verfahrensinnovationen bzw. dem Komplexitätsgrad, — nach der Induktionsrichtung des technischen Fortschritts oder — nach dem Neuheitsgrad stellt letzterei? daher den lohnendsten Ansatz dar. Der Neuheitsgrad einer Innovation ist von entscheidender Bedeutung für ihre Wirkung auf die gesamte Wirtschaft. Das ist seit der Marx'schen Unterscheidung der Etappen der technischen Entwicklung nach dem Neuheitsgrad des Materials, oder nach der von Marx erstmalig vorgenommenen Unterscheidung von revolutionär wirkenden Erfindungen und ihrer produktiven Nutzung gegenüber bloßen Verbesserungen alter und herkömmlicher Technik keineswegs eine neue „Entdeckung", wie manche bürgerlichen Autoren glauben machen wollen. Die Begriffe „revolutionierende Neuheit", „grundlegende Neuheit" oder „Basisinnovation" können als gleichrangig angesehen werden im Sinn von Antriebsfaktoren. Zu welchen enormen revolutionären Veränderungen sie führen, haben die Klassiker des Marxismus-Leninismus anhand fundierter historischer, technisch-ökonomischer und sozialpolitischer Studien nachgewiesen; Marx und 72

Engels zu ihrer Zeit für die Innovationen der industriellen Revolution, Lenin für die beginnende wissenschaftlich-technische Revolution. Erinnert sei an Marx' berühmte und vielfach zitierte Erkenntnis im „Kapital": „Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntnis der Organisation untergegangener Tiergeschlechter, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurteilung untergegangener ökonomischer Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird." 30 Die von Marx und Lenin vorgenommenen Analysen der Konsequenzen neuer, revolutionierender Technik gingen dabei weit über die bloße technizistische oder rein ökonomische Analyse hinaus. Mißt man die bürgerliehen Innovationsstudien an diesen Kriterien, fällt auf, daß selbst bei außerordentlich soliden und faktenreichen Detailstudien komplexe Ursache-Wirkungszusammenhänge unaufgedeckt bleiben. So wird von einer Reihe bürgerlicher Theoretiker, am eindeutigsten von G. Mensch, die These vertreten 31 , revolutionierende Neuheiten oder Basisinnovationen treten schubweise bzw. in Schwärmen auf und stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit Krisenerscheinungen bzw. wirtschaftlicher Prosperität. Pate für diese These stehen sowohl die Schumpeterschen Konjunkturtheorien, die Kuznets-Schemata als auch die Kondratieffzyklen, auf die hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden soll. Als Beweis für einerseits „Innovationsreichtum" andererseits „Innova-

Abb. 4: Häufigkeit von Basisinnovationen in 22 von 1 7 4 0 - 1 9 6 0 nach G. Mensch

Zehnjahresperioden

3« K. Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 194f. 31 Vgl. G. Mensch, D a s technologische Patt. Innovationen überwinden die Depression, Frankfurt/M. 1975, S. 19ff.

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sechziger Jahre dieses Jahrhunderts. Die von Mensch so ermittelte Häufigkeit von Basisinnovationen wird in Abb. 4 dargestellt. Beleuchten wir zunächst diese Fakten im Lichte der dialektischen Vorgehensweise der Klassiker, so fällt auf, daß die von Marx als eigentlicher Ausgangspunkt der industriellen Revolution charakterisierte Basisinnovation, die Einführung der Werkzeugmaschine, derartig gewichtet außer acht gelassen wird. „Die Maschine, wovon die industrielle Revolution ausgeht", schrieb Marx, „ersetzt den Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanismus, der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf einmal operiert und von einer einzigen Triebkraft, welches immer ihre Form, bewegt wird." 32 Die Erfindung, industrielle Anwendung und kommerzielle Nutzung der Neuerungen von J. H A R G R E A V E S 1767 Spinnmaschine (Jenny) J. W A T T 1769 Dampfmaschine R. A R K W R I G H T 1769 Garnspinnmaschine durch Wasserkraft getrieben S. CROMPTON 1775 Mule Spinnmaschine E. C A R T W R I G H T 1785 Mechanischer Webstuhl u. a. stellten Basismnovationen ersten Ranges zu ihrer Zeit dar, die fundamentale sozialökonomische Bedeutung hatten. Diese komplexe Wertung der Bedeutung von Basisinnovationen hinsichtlich — der Auswirkungen auf einzelne Bedürfniskomplexe und der Niveaustufen ihrer Befriedigung, — der Ressourceninanspruchnahme, — der Verarbeitungszyklen und infrastrukturellen Konsequenzen, — der Stufen des technischen Niveaus der Produktion fehlt bei bürgerlichen Innovationsstudien, ungeachtet der Fülle analysierter Daten. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß das Problem der Gewichtung von Neuerungen auch in der sozialistischen Theorie wie Praxis weitgehend ungeklärt ist. Die taxative Recherche von Erfindungszeitpunkt, Zeitraum bis zur industriellen Nutzung und Ausbreitungsgeschwindigkeit der Innovation hat daher nur begrenzte Aussagekraft. Wichtiger ist die Herausarbeitung der entscheidenden Kettenglieder und die Bewertung des Niveaus von Innovationen analog dem Marxschen Herangehen, auch bei Verzicht auf enzyklopädische Vollständigkeit. Hierfür ist die Methodologie noch weiter zu entwickeln. Ausgehend von den ermittelten Fakten wird von G. Mensch eine Diskontinuitätshypothese entwickelt, die „einen dramatischen Wechsel zwischen Innovationsfülle und Innovationsmangel" behauptet und zugleich die zyklischen Krisen des Kapitalismus bis zu den aktuellen besonderen Depressionserscheinungen der Gegenwart erklären soll. Ferner werden Prognose für bevorstehende neue Schübe an Basisinnovationen abgeleitet, die noch näher aus marxistischer Sicht zu prüfen sind. Im Klartext heißt es: 32 K . Marx, Das Kapital, Band 1, in: M E W , Bd. 23, Berlin 1962, S. 396.

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„Die sich wandelnden Gezeiten, Innovationsfluten und -ebben, erklären den Wirtschaftswandel, nämlich Wachstums- und Stagnationsphasen".33 Die zyklischen Krisen in der Entwicklung des Kapitalismus, insbesondere die Krisenjahre um 1825,1873 und 1929 sowie die gegenwärtigen, langandauernden Depressionserscheinungen besonderer Art in allen imperialistischen Ländern, werden demzufolge völlig einseitig, nichtsdestoweniger jedoch mit Geschick und apologetischem Können, allein auf den Mangel an Basisinnovationen zurückgeführt. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die den nicht zu übersehenden Mangel an grundlegenden Innovationen im Kapitalismus verursachen, werden mit keinem Wort erwähnt. Insbesondere fehlt jede kritische Einschätzung der manipulierenden Wirkungen des Monopols und wird die spezifische Form der Wirkung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus im Bereich der wissenschaftlichen Tätigkeit nicht erkannt. Dieser Widerspruch ist dadurch gekennzeichnet, daß dem gesellschaftlichen Charakter der Entwicklung und Produktion neuen Wissens spezifische Formen der privatkapitalistischen Aneignung der Resultate dieser Wissensproduktion entgegenstehen.34 Gesellschaftlich notwendige und wünschenswerte Innovationen grundlegender Art werden dadurch wesentlich erschwert und teilweise ganz unmöglich. Das Fehlen von Basisinnovationen im Kapitalismus führt zu einer Situation, die von Mensch nicht unoriginell „technologisches Patt" genannt wird. Sie ist, wie der Terminus schon ausdrückt, dadurch gekennzeichnet, daß alle wesentlichen technologischen Möglichkeiten praktisch im internationalen Maßstab von den ernstzunehmenden Konkurrenten gleichermaßen beherrscht werden. Das Kapital kann durch Verbesserungs- und insbesondere Scheininnovationen über eine bestimmte Periode Profit machen und erreicht sogar eine Beschleunigung des technischen Fortschritts im Rahmen der bestehenden Technologien. Welchen Zielen unterliegt diese Art von Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in einzelnen Branchen, die mit einer gleichzeitigen Stagnation in vielen anderen Bereichen verbunden ist ? Zunächst bestätigen sich bis in die Gegenwart die immer offensichtlicheren Disproportionen im technisch-ökonomischen Niveau sowohl innerhalb eines kapitalistischen Machtbereiches als auch zwischen den imperialistischen Hauptzentren. Das kann anhand der außerordentlich differenzierenden Wachstumsindizes der den technischen Fortschritt bestimmenden Branchen einerseits, wie zum Beispiel der chemischen Industrie, der Elektrotechnik, Elektronik, dem Maschinen- und Fahrzeugbau, und der Stagnation in der Eisen- und Stahlindustrie, der Textilbranche, dem Bauwesen usw. andererseits leicht nachgewiesen werden. Lenin wies bereits auf diese typisch kapitalistische Entwicklung hin: „. . . zugleich bringt das beschleunigte Tempo der 33 Ebenda, S. 149. 54 Vgl. dazu: G. Domin/H.-H. Lanfermann/R. Mocek/D. Pälike, Bürgerliche Wissenschaftstheorie und ideologischer Klassenkampf. (Wissenschaft und Gesellschaft. Herausgegeben vom Institut für Wissenechaftstheorie und -Organisation der A d W der D D R durch Günter Kröber, Bd. 2), Berlin 1973, S. 21 ff.

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technischen Entwicklung immer mehr Elemente des Mißverhältnisses zwischen den verschiedenen Teilen der Volkswirtschaft, immer mehr Chaos und Krisen mit sich".35 Während also einerseits im Interesse des Profits beachtliche Fortschritte in bestimmten Bereichen, gegenwärtig beispielsweise auf dem Gebiet der Mikroelektronik, erreicht werden, verschärfen sich gleichzeitig die Widersprüche und Ungleichmäßigkeiten des technischen Fortschritts unter kapitalistischen Bedingungen. Lenin hat auf diese Schwankungen im Tempo und in der Tiefe des technischen Fortschritts am Beispiel der Krisen von 1873 bis 1900 hingewiesen und die Diskontinuität des technischen Fortschritts als eine für den Kapitalismus typische Tendenz herausgearbeitet. Bis in unsere Tage bestätigt sich daher immer wieder die einfache Wahrheit: Die Entwicklung und Nutzung neuer Technik trägt Klassencharakter. Im Kapitalismus ist sie der Profitmehrung sowie der verschärften Ausbeutung der Werktätigen untergeordnet. Zwangsläufig resultiert hieraus eine keineswegs unter kapitalistischen Verhältnissen zu negierende Diskontinuität des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Vorrangig werden immer jene Bereiche entwickelt, in denen der größte Profit erzielt werden kann. Die Verletzung der proportionalen Entwicklung der Technik und damit der technischen Basis, die im Sozialismus überwunden werden muß und kann 36 , ist geradezu unvermeidlich. Es ist nicht zu übersehen, daß das Kapital gerade in jüngster Zeit verstärkte Anstrengungen unternimmt, der Disproportionen und Krisenerscheinungen Herr zu werden. Das widerspiegelt sich nicht allein im wachsenden Innovationsdruck im internationalen Konkurrenzkampf, sondern auch in bestimmten Versuchen, durch staatliche Regulierungsmaßnahmen und „Innovationshilfen", Umorientierungen auf bisher wenig profitabel erscheinende Gebiete zu erreichen. Während im Brooks Report der OECD „Science, Growth and Society" Anfang der siebziger Jahre die erste Generation der Wissenschaftspolitik als eine vordergründig wachstumsorientierte Forschungs-, Technologie- und Bildungspolitik charakterisiert wird, ziele die sogenannte zweite Generation der Wissenschaftspolitik auf eine stärkere Integration der Wissenschaft und Technologie in die Sozialpolitik hin, um „Disparitäten in der regionalen und Arbeitsmarktentwicklung" zu vermeiden. Naturgemäß übernimmt alle Risiken dieser Veränderungswünsche in der Innovationspolitik der Staat, sprich damit der Steuerzahler. Solange F/E für Kriegstechnik und Rüstungsinnovationen jedoch noch schnelleren und höheren Profit bringen als die angestrebten F/E-Leistungen für solche Gebiete wie Gesundheit, Bildung, Wohnungsbau, städtischer Massentransport usw., sind alle Aktivitäten in eine stärker sozial orientierte Innovationspolitik zumindest mit Skepsis zu betrachten. Als Maxime gilt nach wie vor: „Der industrielle Wettbewerb ist durch eine Innovations35 36

W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Werke, Bd. 22, Berlin 1960, S. 213. Vgl. H.-D. Haustein, Die Proportionalität der technischen Basis im Sozialismus, Berlin 1975, S. 11.

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konkurrenz gekennzeichnet, bei der die raschere Beherrschung der besseren Technologie über den wirtschaftlichen Erfolg entscheidet." 3 7 Angesichts solcher Eingeständnisse ist es daher sehr zweifelhaft, inwiefern es dem kapitalistischen Staat überhaupt gelingen kann, über sektorale steuernde Eingriffe hinaus in die privatmonopolistische Innovationspolitik einzugreifen, u m von gesellschaftlichen Bedürfnissen und Nutzenskalkülen ausgehend größere Planmäßigkeit und Kontinuität, vor allem im Aufkommen an Basisinnovationen zu sichern. Die verstärkten bürgerlichen Anstrengungen im sogenannten „technology assessment" können nicht über die systembedingte Schwäche kapitalistischer Innovationspolitik hinwegtäuschen. Die schwergewichtige Orientierung auf Schein- und Verbesserungsinnovationen führt langfristig unausweichlich zu künstlicher Branchenaufblähung, bis auch noch so ausgeklügelte Verbesserungen und Raffinessen die stagnierende Nachfrage nicht mehr beleben. Der gegenwärtige Kapitalismus offenbart, daß der Umfang der Investitionen und das ökonomische Wachstum hinter den Möglichkeiten des technischen Fortschritts zurückbleiben. Ursache dafür ist einmal, daß große gesellschaftliche Ressourcen im aufgeblähten Bereich der Rüstungsproduktion zweckentfremdet genutzt werden und auch ein fragwürdiger „Spinn-off"-Prozeß als Übertragungsmechanismus so gut wie nichts zum ökonomisch-sozialen Fortschrittsprozeß beiträgt. Zum anderen bringt das durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bedingte Profitstreben Mechanismen hervor, die auch bezüglich des im „zivilen" Bereich angelegten F/E-Potentials nur eine unzureichende, disproportional verzerrte, nicht den eigentlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechende Nutzung dieser gesellschaftlichen Potenzen zulassen. Es nimmt nicht Wunder, daß das Kapital dabei die auf bestimmten Gebieten noch vorhandenen Qualitätsmängel oder Lücken im Konsumgütersortiment der sozialistischen Länder genüßlich zum Anlaß nimmt, die eigenen Systemschwächen zu vertuschen und die kapitalistische „Konsumgesellschaft" heilig zu sprechen. Der gewöhnliche Alltag im gegenwärtigen Kapitalismus (Stagnation, Inflation, Massenarbeitslosigkeit, Preistreiberei) unterstreicht nachdrücklich: Die Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch die monopolkapitalistischen Einzelkapitale und die von ihnen entwickelten F/EAktivitäten führen im volkswirtschaftlichen Zusammenhang zu strukturellen Fehlentwicklungen und Disproportionen, die rückwirkend selbst wieder die monopolistische Kapitalverwertung untergraben. Bei dem erreichten hohen Stand der Produktivkräfte muß die Kapitalverwertung immer mehr dadurch gesichert werden, daß den Erfordernissen der Vergesellschaftung von Produktion und Wissenschaft in der industriellen F / E entsprochen wird, was infolge der privatkapitalistischen Eigentumsverhältnisse nur eingegrenzt möglich ist. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse hemmen den Fortschritt sowohl durch die Fehlleitung großer Teile des volkswirtschaftlichen F/E-Potentials (konkurrenzbedingte unnötige Produkt Variationen, 37

Bundesbericht Forschung V, a. a. O., S. 15.

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Rüstungsforschung) und durch die Blockierung technologischer Innovationen auf Basis der monopolistisch verfestigten Produktions- und Marktstrukturen. Hinzu kommt, daß durch die monopolistischen Eigentumsverhältnisse der. horizontale und vertikale Technologietransfer zur volkswirtschaftlichen Ausbreitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts behindert wird, z. B. durch den Aufbau umfangreicher Sperrpatente. Die durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bedingten „Defekte" werden um so gravierender, je wichtiger die Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts für die Entwicklung der Produktivkräfte im Interesse der relativen Mehrwertproduktion, für die Fortsetzung des kapitalistischen Akkumulationsprozesses und damit für die Durchsetzung der Monopole im internationalen Konkurrenzkampf und für die Aufrechterhaltung der ökonomischen und politischen Stabilität des imperialistischen Systems in der Klassenauseinandersetzung mit dem Sozialismus wird. Zugleich unterstreicht die kapitalistische Innovationspolitik, wie tiefgreifend die durch qualitativ neue Technologien bedingten strukturellen Veränderungen sind und wie notwendig es ist, den internationalen Trend und wissenschaftlich-technischen Höchststand sorgfältig zu verfolgen, um den wissenschaftlich-technischen Höchststand selbst mitzubestimmen und allgemein durchzusetzen.

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KAPITEL III

Analyse der Verflechtung von Neuerungsund Reproduktionsprozeß

Bestimmung

der Teuerungsrate

der

Industrieproduktion

Die umfassende Durchsetzung von Neuerungen ist eine fundamentale Voraussetzung für die Sicherung eines höheren Leistungsbeitrages aus Wissenschaft und Technik. „Eine wichtige Aufgabe ist die komplexe Planung der zur Erhöhung des wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Niveaus der Produktion und der Erzeugnisse notwendigen Neuerungen, begonnen von der volkswirtschaftlichen Zielstellung bis zur umfassenden Einführung der Ergebnisse in der Volkswirtschaft. Das setzt auf allen Ebenen die Vervollkommnung der analytischen Arbeit voraus." 1 Worauf muß diese Vervollkommnung der analytischen Arbeit für die Qualifizierung der Leitung und Planung komplexer Neuerungen hinzielen ? Es sind u. E. drei Hauptprobleme, die gegenwärtig bei der Leitung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der Industrie noch zu wenig analytisch durchdrungen sind. 1. Wie trägt der Plan Wissenschaft und Technik zur Erneuerung des Produktionssortiments bei? 2. Wie sichert der Plan Wissenschaft und Technik eine hohe Qualität der Erzeugnisse? 3. Wie sichert der Plan Wissenschaft und Technik eine hohe Reaktionsfähigkeit der Industrie auf veränderte äußere Bedingungen, wie Preisveränderungen bei wichtigen Rohstoffen und Materialien, Einführung kostengünstiger Technologien in anderen Ländern oder auch modisch bedingte neue Trends? Eine zusammenfassende Kennziffer für diese Seite der Wirtschaftstätigkeit gibt es nicht, sie ist also qualitativ und quantitativ durch verschiedene Kennziffern zu charakterisieren. Zu diesen wichtigen Kennziffern gehören : — der wertmäßige Anteil neuer Erzeugnisse, — der Gütezeichenkoeffizient, — der Anteil 1. und 2. Wahl, — die Entwicklung und der Anteil des Absatzes auf den Hauptwarenmärkten, — die Entwicklung des Exports 1 I X . Parteitag der S E D , Bericht zur „Direktive des I X . Parteitages der S E D zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R in den J a h r e n 1 9 7 6 - 1 9 8 0 " , Berichterstatter: H . Sindermann, Berlin 1976, S. 53.

79

und weitere mögliche Kriterien, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll. In der DDR-Fachliteratur haben sich vor allem Garscha, Rouscik/Oberländer mit der Erzeugnis-, Sortiments- und Produktionsentwicklung sowie Schneider mit der Neueinführung von Erzeugnissen, speziell unter absatzwirtschaftlichem Aspekt, befaßt. 2 In den genannten Arbeiten werden kritische Wertungen des erreichten Niveaus der analytischen Durchdringung der Erneuerung des Produktionssortiments vorgenommen und Probleme aufgezeigt, die u. E. bis heute im wesentlichen nicht gelöst wurden. Dazu zählen in erster Linie — grundsätzliche Mängel in der betrieblichen Erfassung und Analyse von Neueiiiführungen in ihrem Einfluß auf den Reproduktionsprozeß (Anteil der Neueinführungen an der Produktionserhöhung, der Produktivitätssteigerung, am Export, Gewinn usw.) — fehlende exakte Definition für neue Erzeugnisse und weiterentwickelte Produkte und mangelnde Arbeit mit internationalen Vergleichen. Internationale Erfahrungen besagen, daß ein außerordentlich enger Zusammenhang zwischen der Erneuerung der Produktion und dem Unternehmenswachstum bzw. Umsatz besteht. Untersuchungen in der amerikanischen Industrie ergaben, daß bei 40 Prozent von 173 Unternehmen der Produktionsgüterindustrie 20 bis 39 Prozent des gesamten gegenwärtigen Absatzes auf Produkte entfiel, die in den letzten fünf Jahren auf den Markt gebracht wurden. Bei etwa 25 Prozent der Firmen betrug der Prozentsatz 10 bis 19 Prozent des gegenwärtigen Umsatzes und rund 15 Prozent der Firmen führten ihren gegenwärtigen Absatz sogar zu 40 bis 60 Prozent auf solche Produkte zurück. I m Konsumgütersektor wurden 50 Unternehmen befragt. Von ihnen gaben über 30 Prozent an, daß 20 bis 39 Prozent ihres Absatzes auf in den letzten fünf Jahren eingeführten Produkten beruht, rund 20 Prozent der Firmen gaben einen Prozentsatz von jeweils 10 bis 19 Prozent bzw. weniger als 10 Prozent an, aber 12 Prozent der Firmen sogar 60 Prozent und mehr. 3 Nach Schätzungen amerikanischer Ökonomen beträgt der jährliche durchschnittliche Anteil neuer Produkte am Wert der realisierten Produktion der verarbeitenden Industrie der USA 3,35—4,45 Prozent. Eine vollständige Erneuerung des Produktionssortiments vollzieht sich demzufolge nach 16 bis 21 Jahren. Bildet man anhand dieser von amerikanischen Experten geschätzten Daten f ü r die Erneuerung der Produktion den einfachen arithmetischen Mittelwert, so ergeben sich die in Tabelle 17 dargestellten Werte der jahresdurchschnittlichen Erneuerungsrate der Produktion. 2

3

Vgl. J . Garscha, Zeitfaktor u n d Produktionsstruktur, Berlin 1969; L. R o u s c i k / K . Oberländer, Langfristige Erzeugnis-, Sortiments- u n d Produktionsentwicklung, Berlin 1975; G. Schneider, B e d a r f , Erzeugnisentwicklung, Markteinführung, Berlin 1974. Vgl. G. A . Steiner, „Top-Management-Planung", München 1971, S. 7 1 0 f f . ; A. Kieser, U n t e r n e h m e n s w a c h s t u m und P r o d u k t i o n i n n o v a t i o n , Berlin (West) 1970.

80

Tabelle 1 7 : Durchschnittliche Erneuerungsrate der P r o d u k t i o n in der verarbeitenden Industrie der U S A im Zeitraum 1 9 6 7 - 1 9 7 8 (Schätzungen) Industrie

Durchschnittlicher Neuerungsgrad in Prozent

Schwarzmetallurgie Buntmetalle Elektromaschinenbau Maschinenbau Autoindustrie Luft- u. B a u m f a h r t industrie Übrige Transportmittel Geräteindustrie Metallerzeugnisse Baumaterialien u. Glasindustrie Übrige Erzeugnisse langlebiger Nutzung Gesamt Erzeugnisse langlebiger Nutzung

1,84 2,64 4,76 5,52 7,02 8,19 4,84 6,00 2,40 4,46 4,91 5,1

Chemieindustrie Papierindustrie Gummiindustrie Erdölchemie Lebensmittelindustrie Textilindustrie Übrige kurzlebige Erzeugnisse Gesamt für kurzlebige Erzeugnisse

3,48 2,69 1,88 1,4 2,6 4,58

2,47

gesamte verarbeitende Industrie

3,9

1,28

Quelle: B e r e c h n e t nach Angaben aus: Autorenkollektiv, L t g . : Sedov, V . I . , Sovremennij kapitalism: ökonomiöeskie faktori osvoenija novoi techniki, Moskau 1976, S. 70 Vergleicht m a n diese Angaben mit einigen für die jährliche E r n e u e r u n g s r a t e der D D R - P r o d u k t i o n angegebenen W e r t e n zwischen 5 u n d 15 P r o z e n t , wäre a u f eine höhere E r n e u e r u n g s r a t e als in der U S A - I n d u s t r i e zu schließen/ 1 Auch die T a t s a c h e , daß die Mehrzahl der Betriebe dabei nur R a t e n u n t e r 10 Prozent erreicht, wäre, gemessen an den in Tabelle 17 gegebenen D a t e n , durchaus positiv zu beurteilen. 4

Vgl. zu den Angaben: G. Schneider, Bedarf, Erzeugnisentwicklung, einführung, Berlin 1974, S. 32.

6 Hartmann

Markt-

81

Die von uns auf Basis umfassender Analysen ermittelten Daten ergeben jedoch, deutlich niedrigere Werte. Genügend statistisch abgesicherte Untersuchungen aus der gesamten Industrie der D D R lassen den Schluß zu, daß die durchschnittliche Erneuerungsrate im untersuchten Zeitraum 3,1 Prozent betrug, wenn die Berechnung auf Grund der allgemein üblichen Vorschrift, auf die noch näher eingegangen wird, erfolgt. Dabei sind in einzelnen Bereichen deutliche Unterschiede erkennbar. So beträgt der Anteil neuer Erzeugnisse an der industriellen Warenproduktion in den meisten Betrieben und Kombinaten der Energie- und Brennstoffversorgung sowie der Wasserwirtschaft Null Prozent. Diese Tatsache ist verständlich und bedarf zumindest hinsichtlich der Wasserwirtschaft keines weiteren Kommentars. In der Energie- und Brennstoffindustrie ist auch international in dem der Untersuchung zugrunde liegenden Zeitraum kein neuer Energieträger bzw. Brennstoff für traditionelle Anwendungszwecke entwickelt worden. Tabelle 18 vermittelt einen Überblick über die unterschiedliche Entwicklung der Neuerungsrate in verschiedenen Industriebereichen gemessen an der industriellen Warenproduktion des jeweiligen Untersuchungsjahres. Tabelle 18: Neuerungsrate der Industrieproduktion im Zeitraum 1973—1976 in Betrieben und Kombinaten verschiedener Industriebereiche der volkseigenen Industrie der DDR (Angaben in Prozent) Ausgewählte volksJahre eigene Betriebe u. Kombinate der Industrie0 bereiche A B C D E F G

0,4 3,4 2,7 5,5 1,9 1,4 0,2

1

2

3

0,5 2,2 2,5 3,8 1,5 1,3 0,2

0,2 3,0 1,5 3,8 3,6 3,0 0,2

0,4 2,4 1,5 5,1 2,3 1,3 0,3

Die in Tabelle 18 dargestellten Angaben beziehen sich auf die jeweils laufende Produktion des betreffenden Jahres. Eine höhere Neuerungsrate ergibt sich bei einer anteiligen Berechnung der gesamten Warenproduktion aus neuen Erzeugnisarten, bezogen auf 12 Monate ihrer Produktion, unabhängig vom jeweiligen Einführungszeitpunkt (vgl. Tabelle 19). Analysiert man zunächst diese Fakten, so können keine prinzipiellen Unterschiede zu den vergleichsweise in Tabelle 17 gegebenen Daten festgestellt werden. Allerdings wird deutlich, daß der Ausweis des Erneuerungsgrades der 82

Tabelle 19: Anteil der für 12 Monate berechneten Neueinführungen an der gesamten Warenproduktion in ausgewählten Betrieben und Kombinaten verschiedener Industriebereiche der volkseigenen Industrie der D D R (Angaben in Prozent) Ausgewählte Betriebe u. Kombinate der Industriebereiche A B C D E F G

Jahre 0 0,7 4,4 4,2 8,8 3,6 3,0 0,3

1 0,9 3,4 3,2 6,2 2,7 2,1 0,3

2

3 0,4 4,3 2,8 7,4 5,2 3,5 0,6

0,5 3,8 1,8 8,7 4,9 1,6 0,6

Produktion in starkem Maße von den verwendeten Ausgangsgrößen und der Art und Weise ihrer methodischen Verknüpfung abhängt. Da in der Leitungspraxis gerade mit der Kennziffer „Erneuerungsgrad" der Produktion häufig gearbeitet wird, sind methodische Regelungen für seine Bestimmung besonders wichtig. Dazu muß die Berechnungsgrundlage der Neuerungsrate einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Der Neuerungskoeffizient der Produktion wird im allgemeinen definiert als Kennziffer, „die den Grad der Einführung neuer Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik in die Produktion, bezogen auf einen bestimmten Zeitraum, ausdrückt. Als neu sind in diesem Zusammenhang nur solche Erzeugnisse und Technologien zu betrachten, die in bezug auf ihre technischen und ökonomischen Daten die früher produzierten Erzeugnisse bzw. die früher angewandte Technologie oder Ausrüstung wesentlich übertreffen." 5 Formelmäßig heißt das für den Neuerungskoeffizienten der Produktion Kp: V 4- V v n r r m Tr ÄJ> = y wobei F n = Volumen der Produktion neuer Erzeugnisse in vergleichbaren Preisen oder im Naturalausdruck [ M , ME] V m = Volumen der Produktion modernisierter Erzeugnisse in vergleichbaren Preisen oder im Naturalausdruck \M, ME] V = Volumen der Bruttoproduktion in vergleichbaren Preisen oder im Naturalausdruck [M, ME] Analog gilt für den Neuerungskoeffizienten der Technologie — K t K 5

6*

^

W. Nachtigall, Betriebswirtschaftliche Formeln und Darstellungen, Berlin 1972, S. 198.

83

wobei VnT = Produktionsvolumen der nach neuer Technologie hergestellten Erzeugnisse [M, ME] bzw. für den Neuerungskoeffizienten der Ausrüstung — K^ A

GF

wobei An = während des Jahres in Betrieb genommene neue Technik \_M] GF = Wert des aktiven Teils der Produktions-Grundfonds [M] Anhand der Definition der Kennziffer werden mehrere Mängel offensichtlich: Erstens wird durch den bloßen Bezug auf „früher" produzierte Erzeugnisse bzw. angewandte Technologien eine subjektive Auslegung des Neuheitsgrades möglich. Als Neuerungen der Produktion können somit auch Veränderungen angesehen werden, die in größerem Rahmen oder internationalem Maßstab keineswegs diesen Anspruch erheben können, weil sie im internationalen Vergleich keineswegs neu sind, sondern lediglich neu für den betreffenden Hersteller bzw. das jeweilige Produktionsland. Hier handelt es sich im Kern um genau das Problem, auf das im Rechenschaftsbericht durch den Generalsekretär des Z K der KPdSU 6 kritisch hingewiesen wurde, wie bereits einleitend erwähnt. Diesbezüglich bedarf die o. g. Definition des Erneuerungskoeffizienten der Produktion unbedingt eine Ergänzung anhand der im II. Kapitel dargelegten internationalen Vergleiche des Neuheitsgrades. Zweitens ist die Definition der Neuheit ausschließlich hinsichtlich des Übertreffens bisheriger technischer und ökonomischer Daten nicht immer ausreichend. Neuheiten können sowohl in technischer wie ökonomischer Hinsicht den bisherigen Prinziplösungen vorerst nur ebenbürtig sein, repräsentieren aber das langfristig aussichtsreichere technische Prinzip oder aber verhindern Umweltverschmutzungen, mindern körperlich schwere Arbeit oder substituieren sich verknappende Rohstoffe. Für derartige Neuheiten können unschwer zahlreiche Beispiele angeführt werden und keineswegs nur aus dem Bereich der Modeindustrie oder dem Konsumgütersektor. Erinnert sei hier nur an den anfänglich sogar oftmals teureren Ersatz von Meß- und Regelungstechnik auf elektronischem Wege gegenüber traditioneller Steuerungstechnik. Drittens wird durch die Bestimmung des Erneuerungskoeffizienten als Quotient aus der Summe von Neu- und Weiterentwicklungen in Relation zum gesamten Produktionsvolumen eine weitere Verzerrung der realen Aussage hinsichtlich der Erneuerung der Produktion ermöglicht. Bei zahlreichen Untersuchungen in der Industrie konnte festgestellt wer6

X X V . Parteitag der K P d S U , der K P d S U . . ., a. a. O., S. 59.

84

Rechenschaftsbericht

de8

Zentralkomitees

den, daß die Auslegungen darüber, welche Verbesserungen und Modernisierungen an bestehenden Erzeugnissen dazu berechtigen, von Neu- oder Weiterentwicklungen zu sprechen, außerordentlich breit streuen. Obwohl auch Kriterien für die Klassifizierung als Weiterentwicklung vorhanden sind, werden sie oftmals weitgehend subjektiv ausgelegt. Unsere Untersuchungen zeigen daher, daß allein durch die Summierung des unterstellt wirklich Neuen — mit dem mehr oder weniger Weiterentwickelten — verzerrte Analysen der Erneuerung der Produktion möglich sind. Durch hohe Anteile an modernisierten Erzeugnissen kann so ein scheinbar hohes Tempo der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts suggeriert werden, das sehr schnell beruhigend wirkt, statt erhöhte Anstrengungen zu mobilisieren. Hier liegt ein für die praktische Leitungstätigkeit geradezu gefährlicher Mangel beim Operieren mit Zahlen zur Neuerungsrate der Industrieproduktion. Viele Kombinats- und Betriebsleitungen können daher den realen Stand der Neuentwicklungen selbst kaum von Weiterentwicklungen unterscheiden und erst tiefergehende Analysen, beispielsweise zur Entwicklung der Warenproduktion mit Gütezeichen Q aus Neuanläufen decken solche Schwächen auf. Viertens erweist sich die Forderung der Bewertung des Neuerungsgrades anhand vergleichbarer Preise in der Praxis als eine Achillesferse, über die kaum hinwegzusehen ist. Angesichts der international üblichen jährlichen Preissteigerungsraten zwischen 3 bis 8 Prozent kann über wertmäßige Vergleichskennziffern nur sehr schwer das wirkliche wertmäßige Wachstum des Produktionsvolumens aus Neuheiten bestimmt werden. Das unterstreichen auch die international ausgewiesenen rückläufigen Neuerungsraten. Fünftens ist die Bestimmung des Neuerungskoeffizienten der Technologie irreführend, da der Anteil der Warenproduktion, die mit neuen Technologien hergestellt wird, zu wenig über die wirkliche Progressivität dieser neuen Technik aussagt. Zur Vervollkommnung der traditionellen Analyse des Neuerungsgrades der Industrieproduktion wird folgende modifizierte Kennziffer zur Anwendung empfohlen: JT* __

V

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