Römische Geschichte und Heilsgeschichte [Reprint 2013 ed.] 9783110885224, 9783110169423

How did Christians in Classical Antiquity view history? How did they apply and modify traditional biblical options - for

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Römische Geschichte und Heilsgeschichte [Reprint 2013 ed.]
 9783110885224, 9783110169423

Table of contents :
Vorwort
Römische Geschichte und Heilsgeschichte

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Dieter Timpe Römische Geschichte und Heilsgeschichte

W DE

G

Akademieunternehmen „Griechische Christliche Schriftsteller" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Hans-Lietzmann-Vorlesungen

Herausgegeben von Christoph Markschies Heft 5

Walter de Gruyter · Berlin · New York

2001

Dieter Timpe

Römische Geschichte und Heilsgeschichte

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

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Einheitsaufnahme

Timpe, Dieter Römische Geschichte und Heilsgeschichte / Dieter Timpe. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2 0 0 1 (Hans-Lietzmann-Vorlesungen ; H. 5) ISBN 3 - 1 1 - 0 1 6 9 4 2 - 8 © Copyright 2 0 0 1 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D - 1 0 7 8 5 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Rainer Engel, Berlin Für die Umschlaggestaltung wurden Abbildungen eines Mosaiks aus der Hagia Sophia (Istanbul; 9. Jh.) und des Codex Vat. Graec. 1 2 0 9 , fol. 65 r (Rom; 4. Jh.) verwendet. Das Mosaik zeigt den Erzengel Gabriel, die Handschrift den griechischen Bibeltext Exodus 14,26 f. Datenkonvertierung: Readymade, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Werner Hildebrand, Berlin

Vorwort Daß nach zwei Religionswissenschaftlern, einem Archäologen und einem Patristiker nun auch einmal ein Althistoriker im Rahmen einer dem Andenken Hans Lietzmanns gewidmeten Vorlesungsreihe gesprochen hat, war sozusagen überfällig, um an die althistorische Dimension im Werk des Namenspatrons dieser Vorlesungsreihe zu erinnern. Denn das Werk Lietzmanns, was aus heutiger Perspektive am ehesten gleichzeitig die Prädikate „klassisch" und „zeitlos aktuell" verdient, ist doch wohl seine vier bändige „Geschichte der Alten Kirche", eines der wichtigsten Werke, die im 20. Jahrhundert zur Geschichte des antiken Christentums geschrieben worden sind. Darüber, daß sich der Autor auf nahezu jeder Seite als vorzüglicher Historiker erweist, kann eigentlich überhaupt kein Streit sein. Es muß hier nicht wiederholt werden, was zur Begründung dieses Urteils im Vorwort zum Paperback-Nachdruck dieses Werkes über Hans Lietzmanns historische Methode und seine bleibende Bedeutung geschrieben steht; der Verlag hat die vielen hundert Seiten in seinem Jubiläumsjahr 1999 zu einem günstigen Preis veröffentlicht und damit selbst Studierenden mit knappem Geldbeutel ermöglicht, das alles selbst nachzulesen 1 . Eher scheint interessant, nochmals darauf hinzuweisen, daß Lietzmann - durchaus im Unterschied zu seinem Berliner Vorgänger Harnack - keine langatmigen theoretischen Abhandlungen über Fragen heutiger historischer Methodik geschrieben hat. Ein Punkt, der ihn übrigens, wenn ich recht sehe, mit dem Autor der folgenden UnterH. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche. Mit einem Vorwort von Ch. Markschies, Berlin/New York « / s 1 9 9 9 , V-XXIII.

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Christoph Markschies

suchung verbindet. Auch von Dieter Timpe existieren keine vom althistorischen Stoff abgelösten Traktate zu Fragen der historischen Methodik; beispielsweise hat er die Frage nach dem Wesen der Kirchengeschichte im Kontext einer Untersuchung über Eusebius gestellt und in gewissem Sinne damit auch grundsätzlich zu beantworten versucht 2 . Aus einer Fülle von Beiträgen zur römischen Geschichtsschreibung seien hier vor allem seine Arbeiten zur Historiographie der Republik und frühen Kaiserzeit hervorgehoben 3 . Lietzmann hat - in diesem Punkt übrigens auch Timpe vergleichbar - die Frage interessiert, wie antike christliche Historiker praktisch gearbeitet haben, obwohl es hierzu kaum ausführliche eigene Publikationen aus der Hand des Berliner Kirchenhistorikers gibt, sondern nur knappe Abschnitte in seiner erwähnten „Geschichte der Alten Kirche" - im Kreise der Kirchenväterkommission war wohl eher Eduard Schwartz für solche Zusammenhänge zuständig. Lietzmann beschränkte sich auf seine äußerst gründlichen Sammelrezensionen zur „Altchristlichen Literatur" in der „Theologischen Rundschau" und zur „Geschichte der christlichen Kirche" in der „Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie" bzw. im „Archiv für Religionswissenschaft" und edierte seine Tabellen zur „Zeitrechnung der römischen Kaiserzeit, des MittelD. Timpe, Was ist Kirchengeschichte? Z u m Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius, in: FS R. Werner zu seinem 65. Geburtstag, dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, hg. v. W. D a h l h e i m / W . Schuller/J. von Ungern-Sternberg (Xenia. Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen 22), Konstanz 1 9 8 9 , 171-204. D. Timpe, Fabius Pictor und die Anfänge der römischen Historiographie, A N R W I 2, Berlin/New York 1972, 9 2 8 - 9 6 9 ; ders., Erwägungen zur jüngeren Annalistik, AuA 25, 1979, 9 7 - 1 1 9 ; ders., Geschichtsschreibung und Prinzipatsopposition, in: Opposition et résistances à l'empire d'Auguste à Trajan: 9 exposés suivis de discussions, Vandœuvres-Genève, 2 5 - 3 0 août 1986, éd. par K.A. Raaflaub (Entretiens sur l'antiquité classique 33), Vandœuvres-Genève 1987, 65-95.

Vorwort

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alters und der Neuzeit für die Jahre 1-2000 nach Christus" in der „Sammlung Göschen" 4 . Und obwohl im Œuvre Lietzmanns Timpes verschiedenen Arbeiten vergleichbare eigenständige Beiträge zur antiken christlichen Historiographie fehlen, gibt es in Lietzmanns Werken Passagen, die für eine Geschichte der antiken christlichen Geschichtsschreibung ganz und gar einschlägig sind. Freilich sind auch sie in ganz nüchternen, unpathetischen Worten formuliert. So schließt Lietzmann seinen Abschnitt über die Kirchengeschichte des Eusebius in seinem Hauptwerk mit folgenden Worten: „Es versteht sich von selbst, daß auch diese eindrucksvolle Zusammenfassung geschichtlichen Stoffes eine theologische Absicht verfolgt" 5 . Es muß hier eigentlich gar nicht explizit darauf hingewiesen werden, daß alle solchen Fragen nach dem Zusammenhang von antiker christlicher Historiographie und Theologie auch heute noch von höchster Bedeutung sind: Wird unter dem Stichwort „Kirchengeschichte" eigentlich die spezifische christliche Sicht der Universalgeschichte mit universellem Deutungsanspruch behandelt oder nur die spezifische Geschichte der Kirche, also eines mehr oder weniger bedeutungsvollen Segments der Universalgeschichte? Gibt es vielleicht doch spezifische Maßstäbe einer theologischen Geschichtsschreibung, wenn es denn keine spezifischen Methoden geben sollte? Oder liegen die Unterschiede zwischen einer Kirchengeschichte und einem beliebigen anderen Segment der Universalgeschichte nur in der Materie, die Stoff der Geschichtserzählung wird? Und werden unter dem Stichwort „Kulturwissenschaft" vielleicht gar alle Katzen grau? Daß solche 4

H . Lietzmann, Altchristliche Literatur (Sammelrezension), T h R 1, 1 8 9 7 / 1 8 9 8 , 5 0 4 - 5 1 7 ; 3, 1 9 0 0 , 1 9 - 2 8 . 5 6 - 6 6 ; 5, 1 9 0 2 , 9 9 - 1 1 2 ; 6, 1 9 0 3 , 2 8 - 3 1 ; 8, 1 9 0 5 , 3 4 5 - 3 5 1 ; 9 , 1 9 0 6 , 1 4 - 2 5 ; 12, 1 9 0 9 , 3 1 3 3 1 7 . 3 4 0 - 3 5 4 ; dazu ders., Geschichte der christlichen Kirche, A R W 15, 1 9 1 2 , 2 6 0 - 2 9 8 ; 2 0 , 1 9 2 1 , 4 4 2 - 4 6 8 ; 2 1 , 1 9 2 2 , 1 8 6 - 2 0 5 ; ders., Zeitrechnung der römischen Kaiserzeit, des Mittelalters und der Neuzeit für die Jahre 1 - 2 0 0 0 nach Christus (SG 1 0 8 5 ) , Berlin 1 9 3 4 .

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H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, 8 1 5 .

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Christoph Markschies

Fragen nicht bedeutungsvoll wären, auch wenn sie gegenwärtig von deutschen evangelischen Kirchenhistorikern kaum oder nur sehr unzureichend behandelt werden, wird wohl keiner behaupten wollen. Es ist hier nicht der rechte Ort, die Antworten des Herausgebers auf solche Fragen auch nur anzudeuten; es paßt vielmehr zu der vornehmen Zurückhaltung Timpes, darauf hinzuweisen, daß vor allem Theoretisieren über Geschichte die gründliche Analyse von Werken antiker Historiker stehen sollte. Nur solche gründlichen Analysen können vor hochproblematischen Urteilen auf diesem Feld bewahren, die man häufiger lesen und hören muß ein besonders charakteristisches Beispiel ist das Vorurteil, es habe erst in der frühen Neuzeit eine wirklich wissenschaftlich arbeitende Historik gegeben 6 . Dieter Timpe sprach im November 1999 als fünfter Gast im Rahmen der Jenaer „Hans-Lietzmann-Vorlesungen", die erstmals 1995 stattgefunden haben. Wie schon in den vergangenen Jahren konvergierten in einem gewissen Sinne diese Ordnungszahl der Vorlesung und der Referent: Die Zahl ,fünf' galt vor allem den Neuplatonikern als Zahl der Synthese - der Synthese aus Dyas und Trias, aus männlicher und weiblicher Form; Jamblich nennt sie daher γάμος, Hochzeit 7 . Auch vom Referenten waren aufgrund seiner vorzüglichen Kenntnisse paganer wie christlicher Texte Synthesen zu erwarten. Aber die fünfte Lietzmann-Vorlesung eröffnete auch noch in einem ganz anderen Sinne die Perspektive einer Heirat, nämlich der Verbindung zwischen Berlin und Jena. Das sei zuletzt noch knapp ausgeführt: Nach fünf Jahren konnte man mit Blick auf diese Vorlesungsreihe wohl ohne allzu große Übertreibung von einer Einrichtung sprechen, die sich etabliert hat - in gegenwärtigen Zeiten freilich kein Anlaß, sich auf Erreichtem auszuruhen, son6

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Ch. Markschies, Art. Geschichte /Geschichtsauffassung VI. Kirchengeschichte, RGG III, Tübingen 4 2 0 00, 78 9 - 7 9 1 . Iamb., theol. arith. 5 (BiTeu 3 0 , 1 9 De Falco).

Vorwort

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dem vielmehr Grund genug, schon allein aus Gründen der Bestandssicherung das in Jena bewährte Modell der „HansLietzmann-Vorlesungen" auch anderswohin zu exportieren. Und da im Jahre 1 9 9 9 zwei Jenaer Kollegen Verantwortung für eben jene Berliner Kirchenväterausgabe trugen, für die auch Hans Lietzmann als Nachfolger Harnacks Verantwortung trug 8 , wurde damals beschlossen, von der sechsten Vorlesung an diese Veranstaltung auch parallel als Akademievorlesung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durchzuführen. Die „Hans-Lietzmann-Vorlesungen" sind so zu einem Joint-Venture-Unternehmen der Berliner Akademie und ihres Langzeitvorhabens „Griechische Christliche Schriftsteller" einerseits und der Theologischen Fakultät und des Instituts für Altertumswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität in Jena geworden. Es ist auch hier wieder weit mehr Vergnügen denn Pflicht, Frau Dr. Claudia Brauers und dem Verlag Walter de Gruyter zu danken. Ein Vergnügen nicht zuletzt deswegen, weil Frau Brauers schon zum wiederholten Male mit den geschulten Augen einer Germanistin das Manuskript einer Vorlesung sorgfältig betreut und durch charmante, aber beständige Rückfragen mit dabei geholfen hat, den Text fertigzustellen. Ich nutze diese Gelegenheit, auch den Mitarbeitern meines Lehrstuhles für die engagierte Arbeit Dank abzustatten, die sie auch und gerade in diesem Jahr wieder in die Publikation der Lietzmann-Vorlesungen investiert haben: Henrik Hildebrandt, Bernhard Mutschier und Oliver Weidermann. Heidelberg, Ostern 2 0 0 1

Christoph Markschies

Gemeint ist das Langzeitvorhaben „Die Griechischen Christlichen Schriftsteller" der „Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften"; die Leitung des Unternehmens lag im Jahre 1999 in den Händen der damals in Jena lehrenden Jürgen Dummer und Christoph Markschies.

Joeben Bleicken zum 3. 9. 2001 gewidmet

Römische Geschichte und Heilsgeschichte 1

,Heilsgeschichte' ist ein verhältnismäßig junges Wort für ein altes, aber auch voraussetzungsreiches und uneindeutiges, mit Aporien belastetes theologisches Konzept 1 . Es hat seinen Grund in vielfältigen alttestamentlichen, prophetisch begründeten Bezeugungen des gnädigen und fordernden, wechselvollen, aber auch geheimnisvoll zielstrebigen Handelns Gottes mit und an seinem erwählten Volke und der Völkerwelt, das als Abfolge in der Zeit und Wirkungszusammenhang aufgefaßt und beschrieben wird und damit auch einen Erwartungshorizont erschließt. Ihn deutete, erfüllte und veränderte die jüdische Apokalyptik, die in eschatologischer Radikalisierung das Ganze der bisherigen Geschichte aller Menschen, ja der Schöpfung, als unabänderlichen Verfall begriff und auf dem gewissen Weg zum Ende und Gericht sah (4Esr 4,26). Ohne inhaltliches Interesse an den Geschicken und Ordnungen dieser Welt suchte sie aber doch die eigene geschichtliche Stunde zu bestimmen und rüstete sich für G. Weth, Die Heilsgeschichte. Ihr universeller und ihr individueller Sinn in der offenbarungsgeschichtlichen Theologie des 1 9 . Jahrhunderts (FGLP 4 / 2 ) , München 1 9 3 1 ; O. Cullmann, Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsauffassung, ZollikonZürich 2 1 9 4 8 (dritte Aufl. mit einem „Rückblick auf die Wirkung des Buches in der Theologie der Nachkriegszeit", Zürich 3 1 9 6 2 ) ; ders., Heil als Geschichte. Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 1 9 6 5 ; R. Bultmann, Heilsgeschichte und Geschichte. Z u O. Cullmann, Christus und die Zeit, T h L Z 7 3 , 1 9 4 8 , 6 5 9 - 6 6 6 = ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments,

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Dieter Timpe

d e n A n b r u c h des neuen A i o n s der G o t t e s h e r r s c h a f t 2 . D e r G l a u b e d e r J ü n g e r J e s u , die ihre ü b e r w ä l t i g e n d e n E r f a h r u n g e n als den e r h o f f t e n E i n t r i t t des K a i r o s u n d E i n l ö s u n g g ö t t l i c h e r V e r h e i ß u n g e n , als E n d e der t o d v e r f a l l e n e n , alten W e l t u n d A n b r u c h der Endzeit und Gottesherrschaft verstanden ( M k

1,15;

Gal

4 , 4 ) , b e z o g sich, w e n n a u c h o h n e d o g m a t i s c h e B e s t i m m t h e i t , a u f solche universalistischen, finalistischen u n d deterministischen A n s c h a u u n g e n . Sie h a t t e n d a m i t j e d o c h a u c h die B o t s c h a f t zu verbinden, d a ß d a s H i m m e l r e i c h o h n e k o s m i s c h e n U m b r u c h u n d c h r o n o l o g i s c h e Z ä s u r in W e l t u n d Z e i t eingetreten und , m i t t e n u n t e r i h n e n ' ( L k 1 7 , 2 1 ) sei, die P a r a d o x i e , d a ß G o t t sich in m e n s c h l i c h e r N i e d r i g k e i t o f f e n b a r t e , u n d die E r w a r t u n g ,

daß

d a s ö s t e r l i c h e G e s c h e h e n den W a n d e l der W e l t einleiten w e r d e . ausgewählt, eingeh u. hg. v. E. Dinkier, Tübingen 1 9 6 7 , 3 5 6 - 3 6 8 ; K.G. Steck, Die Idee der Heilsgeschichte. Hofmann, Schlatter, Cullmann (ThSt 5 6 ) , Zollikon 1 9 5 1 ; A. W e i s e r / O . Engels/K. Koch, Art. Heilsgeschichte I.-III., LThK IV, 3 1 9 9 5 , 1 3 3 6 - 1 3 4 3 ; W . Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte, KuD 5, 1 9 5 9 , 2 1 8 - 2 3 7 . 2 5 9 - 2 8 8 ; H. Ott, Art. Heilsgeschichte, R G G 3 , 3 1 9 5 9 , 1 8 7 - 1 8 9 ; W . Lohff, Art. Heil, Heilsgeschichte, Heilstatsache, H W P 3, 1 9 7 4 , 1 0 3 1 - 1 0 3 3 ; H. Freiherr von Campenhausen, Die Entstehung der Heilsgeschichte ( 1 9 7 9 ) , in: J . M . Alonso-Núñez (Hg.), Geschichtsbild und Geschichtsdenken im Altertum (WdF 6 3 1 ) , Darmstadt 1 9 9 1 , 2 6 8 - 3 0 9 ; K. K o c h / U. Luz, Art. Geschichte, Geschichtsschreibung, Geschichtsphilosophie, T R E 12, 1 9 8 4 , 5 6 9 - 5 8 6 . 5 9 5 - 6 0 4 ; D. Wiederkehr, Art. Heilsgeschichte, EKL 2 , 3 1 9 8 9 , 4 6 0 . - Weth, Heilsgeschichte (s.o.), 2 : „Heilsgeschichte ist heute ein vielumstrittenes, problemschweres Wort. Wenn es überhaupt jemals eine einigermaßen übereinstimmende Erfassung seines Inhalts gegeben hat, so scheint sie heute [ 1 9 3 1 ] völlig verwehrt"; das gilt auch für die moderne, vor allem durch die Namen O . Cullmann, W . Pannenberg und R. Bultmann bestimmte Situation. Die Wortgeschichte scheint nicht untersucht zu sein; vgl. Weth, 82. Nach von Campenhausen, Entstehung (s.o.), 2 6 8 „dürfte das Wort ,Heilsgeschichte', Historia salutis, nicht vor dem 18. Jahrhundert aufgekommen sein". Die ausgedehnte Thematik kann hier nicht dokumentiert werden; vgl. zur Information: D. Rössler, Gesetz und Geschichte. Untersuchungen zur Theologie der jüdischen Apokalyptik ( W M A N T 3), Neukirchen

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σ ω τ η ρ ί α , salus, Heil meint als B e g r i f f der n e u t e s t a m e n t l i c h e n T h e o l o g i e 3 die E r r e t t u n g des M e n s c h e n d u r c h d a s Erscheinen C h r i s t i , d u r c h K r e u z u n d A u f e r s t e h u n g , die d e m E v a n g e l i u m geschichtliches Ereignis u n d o f f e n b a r e n d e s göttliches H a n d e l n in einem sind ( 2 K o r 6 , 2 n a c h J e s 4 9 , 8 ) . K e i n n e u t e s t a m e n t l i c h e s Z e u g n i s lautet eindeutiger u n d g e w i s s e r , w e n n a u c h P a u l u s , d a s l u k a n i s c h e G e s c h i c h t s w e r k o d e r der H e b r ä e r b r i e f b e s o n d e r e A k zente setzen. In d r e i f a c h e r W e i s e ist dieses Heil geschichtlich: E s ist reales G e s c h e h e n u m die historische P e r s o n J e s u , in r a u m zeitliche, menschlich-soziale Z u s a m m e n h ä n g e eingelassen u n d c h r o n o l o g i s c h fixiert. E s bezieht sich ferner a l s ,neuer B u n d ' z u r ü c k a u f A b r a h a m s v e r h e i ß u n g , E x o d u s u n d B u n d e s s c h l u ß , als Erfüllung auf prophetische Verheißungen, Weissagungen

und

G o t t e s e r f a h r u n g e n und ist s o mit f r ü h e r e n geschichtlichen Heils-

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1960; J. Schreiner, Alttestamentlich-jüdische Apokalyptik. Eine Einführung (BiH 6), München 1969; P. von der Osten-Sacken, Die Apokalyptik in ihrem Verhältnis zu Prophetie und Weissagung (TEH 157), München 1969; J . M . Schmidt, Die jüdische Apokalyptik. Die Geschichte ihrer Erforschung von den Anfängen bis zu den Textfunden von Qumran, Hamburg 1969; Ph. Vielhauer, Einleitung zu Apokalypsen u. Verwandtes', in: NTApo 2, Tübingen 4 1971, (407-427) 407; W. Schmithals, Die Apokalyptik. Einführung und Deutung, Göttingen 1973; G. Lanczkowski, Art. Apokalyptik, Apokalypsen, T R E 3, 1978, 189191; Κ. Koch/J.M. Schmidt (Hg.), Apokalyptik (WdF 365), Darmstadt 1982; I. Gruenwald, Jewish Apocalyptic Literature, in: ANRW II 19.1, Berlin/New York 1979, 89-118; G. von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels (EETh 1), Gütersloh 1 0 1993, 108.316; C.C. Rowland, Apocalyptic: The Disclosure of heavenly Knowledge, in: CHJud 3, Cambridge 1999, 776.1172. - Bibliographie: A. Lehnardt, Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit (JSHRZ 6 / 2 ) , Gütersloh 1999, 43. Von Haus aus ist σωτηρία kein theologisch prägnanter Begriff; σωτήρ wird zunächst überwiegend in politisch-panegyrischer Sprache verwendet: W. Foerster/G. Fohrer, Art. σώζω κτλ., ThWNT 7, 1964, 966-1024; R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 8 1980,510 (σωτηρία metaphorisch ίΰΓζωή). Auch der Würdetitel σωτήρ (Phil 3,20) scheint diese Entwicklung genommen zu haben.

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taten, mit dem alttestamentlichen Erfahrungshorizont, unlösbar verknüpft 4 . Schließlich gilt die eschatologische Erwartung der Wiederkehr Christi und dem Ende der Zeitlichkeit, wo das Heil aus dem Status der Vorläufigkeit und Verborgenheit in den der offenbaren Endgültigkeit treten wird; das gegenwärtige, durch Taufe und Glauben vermittelt und in der Kirche denen gegeben, die in ihr gesammelt sind, ist ein Vorlauf der künftigen Vollendung. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bilden ein Kontinuum mit Richtungssinn; es ist durch göttliche Führung, nicht durch den faktischen Wirkungszusammenhang menschlicher Handlungen konstituiert, mit diesem aber doch beständig verknüpft, über alles Verstehen hinaus prädestiniert und kontingent in einem. So ,hat', theologisch gedacht, das Heil zwar keine ,Geschichte', aber es wirkt nach biblischer Anschauung in die diesseitigen Geschicke der Menschen hinein und durch sie hindurch. ,Heilsgeschichte' bezeichnet insofern kein geschichtliches Geschehen, sondern einen Aspekt, die Deutung der gesamten Menschengeschichte im Lichte religiöser Erfahrung und Erwartung 5 . Das Bedürfnis, dieser Deutung in gläubiger Gewißheit vertiefend und umfassend nachzugehen, nicht ein profanes Interesse an den rea4

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Vgl. die Reden der Apostelgeschichte: Stephanus vor dem Synhedrion (7,52), Paulus in Antiochia in Pisidien (13,23-41), dazu M. Dibelius, Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung (1949), in: ders., Aufsätze zur Apostelgeschichte, Göttingen 4 1961, 142; H. Freiherr von Campenhausen, Entstehung (wie Anm. 1), 272. R. Bultmann, Heilsgeschichte (wie Anm. 1), 662 = 361 f. - Die Kritik am Begriff .Heilsgeschichte' bezieht sich entweder auf die diesbezüglichen theologischen Konzepte des 19. Jahrhunderts oder auf seine wissenschaftslogischen Schwierigkeiten (z.B. „das Wort Heilsgeschichte ist mehr ein Bonmot als ein brauchbarer Begriff": G. Schrenk, zit. nach H.-D. Wendland, Geschichtsanschauung und Geschichtsbewußtsein im Neuen Testament, Göttingen 1938, 7). Dennoch wird der Begriff, weil im Verständnis der biblischen Überlieferung begründet, überwiegend als unverzichtbar angesehen (vgl. z.B. W. Lohff, Art. Heil [wie Anm. 1], 1031).

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len Ereignissen, begründet und bewegt heilsgeschichtliches Denken. Dennoch ist sein Einfluß auch auf das konkrete geschichtliche Verstehen evident und unabsehbar; er besteht in der bleibenden Wirkung des Konzepts einer universalen Weltgeschichte mit Anfang, Richtung und Ende, mit innerer Einheit und transzendenter Steuerung. Diese bereits alle Erfahrung übersteigende Vorstellung wird weiter akzentuiert durch die spekulative Vereinheitlichung des Handlungsträgers (der Menschheit schlechthin, der Gemeinschaft der Auserwählten oder des dauernden Antagonismus der Guten und Bösen), die teleologische Ausrichtung des Handlungsablaufs und die offenbarungsgeschichtliche Deutung des Gesamtgeschehens. Aber eine methodische Trennung objektiver geschichtlicher Erfahrung von religiöser Interpretation ist im Rahmen ganzheitlichen heilsgeschichtlichen Denkens gar nicht möglich; deshalb lassen sich Metaphorik, zeitgebundene Denkform und unverzichtbare Glaubensaussage im biblischen Zeugnis kaum auseinanderhalten und die wertende Betrachtung geschichtlicher Vorgänge nicht auf eine subjektive Einschätzung neutraler Tatsachen reduzieren. In diesem Rahmen allgemein biblisch-heilsgeschichtlichen Denkens bildet das Christusgeschehen das heilsgeschichtliche Zentralereignis, das die bisherige Menschengeschichte, ja die Schöpfung, besiegelt und beendet, vor allem aber auch den Einzelmenschen von Grund auf erneuert: τα άρχαΐα τταρήλθεν, ϊδού γέγονεν καινά (τα πάντα) (2Kor 5,17). Es stellte die nachösterliche Zeit, die im Bewußtsein des geschehenen Erlösungswerkes und in der eschatologischen Erwartung der Wiederkehr Christi lebte, zugleich unter das Zeichen der Endgültigkeit wie das der Vorläufigkeit. Daraus entsprang beim Ausbleiben der Parusie nicht nur die theologische Frage nach dem heilsgeschichtlichen Status dieser unerwartet langen Zeit, sondern auch die lebenspraktische nach der Einrichtung der Christen in einer immer mehr Eigengesetzlichkeit enthüllenden, aber auch christlicher Verantwortung überlassenen Welt. Das als Ankündigung der Endzeit gedeutete Erscheinen Christi verschob sich in gewis-

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sem Sinne zur ,Mitte der Zeit'. Dadurch erschienen nun religiöse Erfahrung und subjektive Heilsgewißheit an Vorgänge gebunden, die mit wachsender zeitlicher Entfernung auch als historische Facta wahrnehmbar wurden und als solche, wie andere auch, der historischen Überlieferungskritik oder dem kontextuellen Verständnisbemühen ausgesetzt werden konnten. Der Rückgriff auf ein Geschehen, das auch das Gesicht eines in Raum und (vergangener) Zeit eingebundenen historischen Vorganges zeigte, wurde wichtiger als der Ausblick auf die erwartete Endzeit. Die Auswege, die sich in dieser Situation dem christlichen Denken eröffneten, bestanden im eschatologischen Ignorieren oder im spekulativen Überspringen des zeitlichen Spatiums, in der dogmatischen Fixierung oder der dynamisch-prozeßhaften Ausfüllung der nachösterlichen Zeit vor dem Ende dieser Welt. Dieser letzte wurde der weitaus wichtigste und konnte inhaltlich konkretisiert werden (vor allem durch das Missionsziel), wobei der Kirche die neue Funktion der Heilsvermittlung zufiel (Iren., haer. III 4). Damit zeichnen sich neue Schwerpunkte heilsgeschichtlicher Interpretation ab: Die Aionen überschneiden sich; die Erleuchteten »kosten' schon in diesem die Kräfte des künftigen (Hebr 6,5), der Glaube an Jesus allein macht schon den Übergang aus (Joh 5,24, vgl. 3,18f.). Führte der Einbruch der Gottesherrschaft aber nicht das kosmische Ende des alten A i o n herauf, sondern eine irdische Zeit der Entscheidung und Bewährung (Hebr 3 u.ö.), der Anstrengung der Verkündigung und der Chance der Bekehrung, dann ließ er auch Raum für menschliches Handeln, erlaubte, zeitliche Verläufe zu verfolgen, und belebte das Interesse an deren Deutung, Bewertung und Bewahrung. Schon die apokalyptische Konzeption einer dank göttlicher Bestimmung im zeitlichen Nacheinander (4Esr 5,49 u.ö.) sinnhaft und zielstrebig verlaufenden Universalgeschichte begünstigte zwar eschatologische Intensivierung, aber kein Interesse an realgeschichtlichen Zusammenhängen. Sie konkretisierte sich nun in der spannungsreichen, aber verschiedener Auslegung fähigen Dualität zwischen Kirche und Welt. Und da die Kirche

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als Heilswerkzeug und Heilsanstalt objektiviert und in ihrer institutionellen Kontinuität verfolgt werden konnte, lieferte ihr Tun und Erleiden (wie immer das aufgefaßt wurde) den heilsgeschichtlich aktiven und positiven Strang. So kündigt sich jene Verengung und Materialisierung der Heilsgeschichte an, die sie trotz oder wegen ihres universalgeschichtlich-apokalyptischen Anspruchs als historia divina, sacra, ecclesiastica zu einem bloßen innergeschichtlichen Spezialbereich werden ließ. Die gedankliche Arbeit der frühchristlichen Kirche galt nicht der Frage, wie das Nebeneinander zu denken, wie etwa Heteronomie der Geschichte und Autonomie des Handelns zu verbinden seien, und schon gar nicht galt sie der Erforschung realgeschichtlicher Kontinuität, wohl aber - in Fortführung jüdisch-hellenistischer Homiletik6 - der immer dichteren Verknüpfung der Bezüge, der (nicht zuletzt apologetisch motivierten) Selbstvergewisserung des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs und der Verortung der eigenen Stellung in diesem System. Konstruktionen wie die Genealogien Jesu7 oder die Deutung der Propheten und des Täufers als der Wegbereiter des σωτήρ, vor allem aber die typologische und speziell christologische Auslegung des Alten Testaments insgesamt beleuchten dieses Interesse8. Es richtete sich auf die Erarbeitung neuer christologischer Kategorien, so, wenn etwa Christus als Hoherpriester nach Art (κατά την τάξιν) Melchisedeks (des

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H. Thyen, Der Stil der Jüdisch-Hellenistischen Homilie (FRLANT 65), Göttingen 1 9 5 5 . Sie verraten in der Erweiterung von David bis Abraham (Mt 1,2) und Adam (Lk 3 , 3 8 ) und in der Epochengliederung (Mt 1,17) die heilsgeschichtliche Interpretationsarbeit (in diesem Falle: der judenchristlichen Gemeinde) (H. Freiherr von Campenhausen, Entstehung [wie Anm. 1], 2 7 3 : „weitet sich ins Universale"). L. Goppelt, Art. TOTTOÇ, T h W N T 8, 1 9 6 9 , 2 4 6 ; H.-D. Wendland, Geschichtsanschauung (wie Anm. 5); L. Goppelt, Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen, Gütersloh 1 9 3 9 ; H. Freiherr von Campenhausen, Entstehung (wie Anm. 1), 2 7 6 ; B. Strenge, Art. Typos, HWP 10, 1 9 9 8 , ( 1 5 8 7 - 1 5 9 4 ) 1 5 8 8 .

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Priesterkönigs von Jerusalem, der Abraham segnete [Hebr 7]) anstatt des aaronitischen Hohenpriesters gedeutet, oder auf bildhaft-allegorische Veranschaulichung, wenn z.B. Jonas im Walfisch auf Jesus im Grabe bezogen wurde (Mt 12,40), oder auf komplizierte argumentative Verknüpfungen wie der, die der Paulus der Apostelgeschichte im pisidischen Antiochia (Act 13,2229) zwischen davidischer Abkunft und Auferstehung Jesu herstellt. Dieselbe Denkweise konnte aber auch auf überraschend Kleines und Lebensnahes angewendet werden, so etwa, wenn der Autor der Apostelgeschichte den Petrus der Pfingstpredigt das Zungenreden der Jünger spontan aus einer Weissagung des Propheten Joel erklären läßt, um so dem skeptischen Verdacht zu begegnen, man habe es mit Trunkenen zu tun (Act 2,14-21). Denn langfristig noch wichtiger als die - theoretisch immerhin abschließbare - Legitimierung des Christusgeschehens aus dem alttestamentlichen Deutungshorizont (κατά τάς γραφάς, lKor 15,3) wurde die stets aktuell bleibende typologische Ortsbestimmung der jeweiligen Gegenwart: So war seit der apostolischen Generation vor allem die Ablehnung der christlichen Botschaft durch die Juden bei so viel Beweismitteln durch Schriftauslegung unverständlich und beunruhigend, aber die Methode lieferte nun die immunisierende Erklärung solcher Wirkungslosigkeit: Diese ließ sich nämlich mit dem Stephanus der Apostelgeschichte (7,51f.) aus oft bewiesener jüdischer Verstocktheit und insbesondere aus der Analogie zu alttestamentlicher Prophetenfeindschaft und -Verfolgung 9 erklären. Das erregendste zeitgeschichtliche Ereignis, der Untergang Jerusalems und die Zerstörung des Tempels, wurde zum Anstoß langen, schriftbezogenen Nachdenkens: OfO.H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten. Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum ( W M A N T 23), Neukirchen-Vluyn 1 9 6 7 , 2 6 5 ; H.-M. Döpp, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des zweiten Tempels im Jahr 70 in den ersten drei Jahrhunderten n.Chr. (TANZ 24), Tübingen 1 9 9 8 , 33.

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fensichtlich bedeutete die Katastrophe eine Strafe der Verfolger ( M t 2 2 , 7 ; Lk 2 1 ) und bekräftigte sie das neue, auf Tempelkult und Gesetz nicht verpflichtete Gottesvolk der Kirche 1 0 . W a r Christus des Gesetzes Ende und stand die Parusie bevor, dann ließ sich über die Geltung auch sozialer Normen lange und womöglich mit handfesten Konsequenzen streiten; und immer blieb die apokalyptische Einordnung aller möglichen Zeichen und Beunruhigungen ein Feld fromm rechnender eschatologischer Analyse. Das feste Vertrauen in die Erfüllung von schriftbezeugten Verheißungen und in die Bewährung religiöser Exempla machte die kodifizierten Zeugnisse von Glaubenserfahrungen, also die Heiligen Schriften, zu einem unerschöpflichen typologischen oder allegorischen Verweissystem, dem ständig neue, erhellende Wegleitungen abzugewinnen waren. Die Allgemeinheit dieser Denkform erlaubt, wie die Beispiele bestätigen, sie auf alle Lebensbereiche anzuwenden, auf die individuelle Daseinsbewältigung vielleicht sogar in erster Linie, zumal dann, wenn sich die Grenzen zwischen Typologie und Weissagung verwischten. Jedenfalls zwingt nichts, sie vorzugsweise auf kollektive Prozesse und übergeordnete Zusammenhänge zu beziehen. Dennoch ist es unschwer zu verstehen, daß sie in besondere Affinität zur Deutung geschichtlichen Geschehens geriet und am Ende das göttliche Heilshandeln selber als geschichtlicher Vorgang aufgefaßt werden konnte. Denn die Offenbarungen und Heilstaten des alten Bundes galten dem Volk Israel, seine Erfahrungen mit dem Gott der Väter sind es, die die Propheten reflektierten, und die alttestamentlichen Geschichtswerke gestalteten den folgenschweren Wechsel von Bundestreue und Abfall als volksgeschichtlichen Handlungszusammenhang. In Analogie dazu wird das Evangelium der Geburt Christi ,allem

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S.G.F. Brandon, The Fall o f Jerusalem and the Christian Church. A study of the effects of the Jewish overthrow of A.D. 7 0 on Christianity, London 2 1 9 5 7 ; N . Walter, Tempelzerstörung und synoptische Apokalypse, Z N W 5 7 , 1 9 6 6 , 3 8 - 4 9 ; H . - M . Döpp, Deutung (wie Anm. 9).

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Volke' (παντί τώ λαώ, Lk 2,ΙΟ) 1 1 zugesprochen und setzt die christliche Predigt das quasi-ethnische Kollektiv der Gemeinde des neuen Bundes aus Juden und Heiden voraus 1 2 . In Kirche und apostolischer Sukzession konkretisiert sich die fortdauernde Gemeinschaft der Christen, und ihre äußeren Geschicke, Fortschritte und Rückschritte, werden wie die des alten Gottesvolkes als Wirkung der Gnade oder des Zorns, der Bewährung oder des Versagens ausgelegt. Es ist - trotz der Akzentuierung des individuellen Heils in der Apokalyptik - die Verlaufsgeschichte von Kollektiven, in der das Heilsgeschehen vornehmlich und zumal in seiner universalen Relevanz zutage tritt; es sind biblisch dokumentierte, für geschichtlich verbürgt angesehene Erfahrungen, die den wichtigsten Stoff für jene geheimnisvolle doppelte Buchführung liefern, in der menschliches Tun und göttliche Fügung verrechnet werden. Heilsgeschichtliches Denken ordnet aber auch den realen geschichtlichen Handlungszusammenhang einer Sinnebene unter, von der aus sich Relevanz, (sparsame) Auswahl und Deutung des Ereignishaften erst bestimmen. Diese Betrachtungsweise wird also nicht in erster Linie von dem Wunsche bestimmt, unbestritten Denk- und Erinnerungswürdiges dem Vergessen zu entreißen und den Ruhm anerkannt großer Taten über den 11

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Die Auslegung schwankt zwischen der allgemeinen Publizitätsformel (.jedermann') und der Volksgesamtheit (vgl. Act 4 , 1 0 ) ; vgl. etwa: J.B. Green, T h e Gospel of Luke (NIC), G r a n d R a p i d s , Mich. 1 9 9 7 , 1 3 4 ; W. Schmithals, D a s Evangelium nach L u k a s ( Z B K . N T 3 / 1 ) , Zürich 1 9 8 0 , 4 2 . - E. Schweizer, D a s Evangelium nach L u k a s ( N T D 3), Göttingen 1 9 8 2 , 3 3 ; C.F. Evans, Saint Luke ( N T C ) , L o n d o n 1 9 9 0 , 204. N . A . D a h l , D a s Volk Gottes. Eine Untersuchung zum Kirchenbewußtsein des Urchristentums, D a r m s t a d t 2 1 9 6 3 ( N a c h d r u c k der A u f l a g e O s l o 1 9 4 1 ) ; zur Entwicklung (und zunehmenden Verfestigung) der volksgeschichtlichen Interpretation: A. von H a r n a c k , Die M i s s i o n und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 4 1 9 2 4 , 2 5 9 ; D . T i m p e , Apologeti cristiani e storia sociale della chiesa antica, A F L S 7, 1 9 8 6 , (99-127) 104.

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Wandel der Zeiten hinweg zu bewahren. Sie folgt nicht einer Intention, die ihren Sinn in sich trägt, und ist nicht vom Interesse am konkreten irdisch-menschlichen Geschehen um seiner selbst willen in irgendeiner Hinsicht geleitet, sondern will diesem lediglich - in womöglich extremer Selektion und Voreingenommenheit - die Beweismittel für ihr eigenes Erkenntnisziel entnehmen. Freilich schließen die beiden Formen des Umgangs mit geschichtlicher Erfahrung einander nicht völlig aus: auch die biblische Überlieferung ,rühmt' die Heilstaten Gottes und hält die Erinnerung an das Tun (εργα, πράξεις) und Ergehen seiner auserwählten Werkzeuge fest; auch die pagane antike Historiographie kennt umgekehrt die argumentative Aufbereitung geschichtlichen Wissens oder die Aufreihung von Exempeln. Aber die heilsgeschichtliche Denkweise und ihre Darstellung betonen doch vor allem den paradoxen Gegensatz zur normalen, weltlichen Erfahrung, insbesondere derjenigen der äußerlich Erfolgreichen: Der kinderlose Abraham soll zum Stammvater eines großen Geschlechtes werden, das kleine Israel sich gegen die ganze heidnische Welt behaupten, ,der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden' (Mt 2 1 , 4 2 und IPetr 2,7 nach Ps 118,22), und die verängstigten Jünger sollen den Glauben bis ans Ende der Welt tragen: Die Geheimspur der Heilsgeschichte verläuft gegen alle wahrscheinliche Erwartung und ist mit gewöhnlichen Augen gerade nicht wahrzunehmen. Deshalb kann sie von begnadeten Wissenden ,enthüllt' werden und gibt es Apokalyptik; deshalb gibt aber auch die Deutung des göttlichen Heilshandelns dem Gläubigen besondere Probleme auf (vgl. 4Esr 4,10f.; 5,1.9f.; 8,62). Doch denken die biblischen Zeugnisse mit zunehmender Klärung des eigenen Gottesverhältnisses auch das verborgene Weltregiment als ein planmäßiges, zusammenhängendes und zielstrebiges Nacheinander von der Schöpfung bis zum Ende der Welt, so daß sich eine gewisse Zweigleisigkeit und zugleich Gegenläufigkeit der beiden geschichtlichen Entwicklungslinien ergibt, die den Polaritäten von wahrer, aber geheimer Wirklichkeit und irrigem Schein, verborgenem Hinter-

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grund und zu relativierendem Vordergrund zugeordnet sind, aber eschatologischer Auflösung zustreben. Wieweit hier anthropomorphe Metaphorik der entmythologisierenden Interpretation bedarf, ist eine auch in der Theologie umstrittene Frage. Aber die moderne Diskussion bezieht sich auch nur mittelbar auf die antike Problematik; in ihr gehen vielmehr biblisch-theologische Konzeption, kirchengeschichtliche Entwicklung und moderne Begriffsgeschichte oft verwirrend durcheinander. Der neuzeitliche Begriff ,Heilsgeschichte' setzt eine ganz andere Situation voraus als das antike heilsgeschichtliche Denken: Seit dem Humanismus wurde die Einteilung des Erfahrungsbereichs der historia in historia divina und civilis (und naturalis) aufgegeben und die alte historia divina in die allgemeine, immanent-säkular gedachte Weltgeschichte integriert 13 . Dabei traf die Verflachung der historia sacra, die, auf das Spezialgebiet der Geschichte kirchlicher Institutionen und Lehrsysteme verengt, einen Sonderanspruch dieses Stoffes nicht mehr rechtfertigen konnte, zusammen mit dem umfassenden neuzeitlichen Historisierungsschub, der keine Exemption geschichtlicher Vorgänge aus dem einheitlichen, raum-zeitlichen Geschichtszusammenhang mehr zuließ. Die moderne Geschichtsanschauung, der im Deutschen sprachlich der neugebildete Begriff ,die Geschichte' entspricht 14 , setzt einen (mit offenem Ziel) prozeßhaften und rein innerweltlichen, aber sinnhaltig und bewußtseinsfähig gedachten Zusammenhang der menschlichen Handlungen und Zustände voraus; diese ,Geschichte' beansprucht damit, eine umfassende transzendentale Wirklichkeitsbegründung zu geben. Die idealistische Geschichtsphilosophie konnte sie deshalb auch spekulativ antizipieren und die so gewonnene Vorstellung (die Einheit des 13

14

R. Koselleck, Art. Geschichte V., Geschichtliche Grundbegriffe 2, Stuttgart 1975, (647-691) 682-691 mit umfassender Dokumentation. R. Koselleck, Historia magistra vitae, in: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (stw 757), Frankfurt 3 1 9 9 5 , 3 8 ; ders., Art. Geschichte V. (wie Anm. 13), 647; G. Scholtz, Art. Geschichte III., HWP 3, 1974, (352-361) 352.

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Mannigfaltigen, die Entwicklung der Menschheit als Gattung, die Entäußerung des Geistes an die Zeit usw.) zur Kenntnis und Erforschung der individuellen Realität, zur empirischen historischen Wissenschaft, in Beziehung setzen. Der Forschung sollte ihrerseits die Aufgabe zufallen, das .Allgemeine', .Notwendige', die ,Ideen' und .Tendenzen', die .gestaltenden Kräfte' und .Strukturen' hinter der Masse des Geschehenen sichtbar zu machen und - als höchstes Ziel - .Weltgeschichte' als sinnhaft-anschauliche Synthese darzustellen 15 . Es liegt auf der Hand, daß diese transzendentale Einheit der Geschichte sachlich und historisch der biblisch-theologischen Welt-Heilsgeschichte entspricht und ohne die Konzeption der im Heilsplan Gottes angelegten, zielgerichteten Einheit dieser Welt nicht zu denken ist; die Romantik hat denn auch ausdrücklich und emphatisch in religiöser Sprache von ihr geredet 16 . In der davon ausgehenden gedanklichen Tradition stehen wieder die maßgebenden heilsgeschichtlichen Theologen des 19. Jahrhunderts, die auch den Begriff .Heilsgeschichte' zur Geltung gebracht haben, J.Ch.K. von Hofmann, dessen trinitarische Theologie von Schelling beeinflußt ist, und J.T. Beck, der vor allem Vorstellungen Hegels verarbeitet hat. Sie betonen, daß die Offenbarung selbst einen zeitlich-geschichtlichen Modus besitze, eine durch die Jahrhunderte laufende, planmäßige Entwicklung, ein ,organisches Wachstum' aufweise und in der biblisch bezeugten göttlichen Ökonomie begründet sei 17 . Heilsgeschichte ist danach nachbildende Darstellung der Offenbarungsgeschichte, 15

16

17

G. Masur, Rankes Begriff der Weltgeschichte (HZ.Β 6). München 1 9 2 6 , 52. G. Scholtz, Art. Geschichte III. (wie Anm. 14). 1 9 7 4 , 3 6 6 ; vgl. C. Hinrichs, Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 19). Göttingen 1 9 5 4 , 161. G. Weth, Heilsgeschichte (wie Anm. 1). 5 6 ; K.G. Steck, Idee (wie Anm. 1). 19; E.W. Wendebourg, Die heilsgeschichtliche Theologie J.Chr.K. v. Hofmanns in ihrem Verhältnis zur romantischen Weltanschauung, ZThK 52. 1 9 5 5 , 6 4 - 1 0 4 ; W . Lohff, Art. Heil (wie Anm. 1). 1 9 7 4 , 1 0 3 1 .

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die zusammen mit der biblischen Weissagungs-Erfüllungs-Grundlage und der Realität der Gemeinde ein heilsgeschichtliches .System' bildet. Die heilsgeschichtlichen Theologen betonen ferner die eschatologische Zielrichtung der Geschichte: Alle Geschichte ist ihnen Weissagungserfüllung, also trotz ihres Entwicklungscharakters kein immanenter Prozeß, sondern Offenbarung souveränen göttlichen Handelns. Diese geschichtstheologischen Entwürfe konnten sich wohl in ihren Elementen, aber nicht in ihrem Systemanspruch auf die biblischen Zeugnisse berufen, und ihr spekulativer Begriff von geschichtlichem Zusammenhang vertrug sich mit dem geschichtswissenschaftlichen nicht. Die heilsgeschichtliche Theologie des 19. Jahrhunderts hat deshalb die Zeit der idealistischen geschichtsphilosophischen Systeme nicht überdauert, aber doch ihre wirkungsgeschichtlichen Spuren hinterlassen: Als geschichtstheologisch gedeutete Universalgeschichte oder auch nur Christentumsgeschichte ist ,Heilsgeschichte' in den Wissens- und Methodenzusammenhang der säkularen Geschichte einschließlich der Ideen- und Religionsgeschichte nicht einzuordnen und hat diesen deshalb auch nicht mehr beeinflußt. Wohl aber ist aus dem biblisch begründeten jüdischen und christlichen Offenbarungsglauben der zeitlichgeschichtliche, universalistische und teleologische Aspekt nicht auszuscheiden, und gibt es deshalb auch moderne Ansätze zur theologischen Begründung heilsgeschichtlichen Denkens 18 . Dabei ist die Polemik gegen die überholte, naive Vorstellung einer objektivierten heilsgeschichtlichen Parallelschaltung 19 je18

19

Vgl. R. Bultmann, Heilsgeschichte (wie Anm. 1); W. Pannenberg, Heilsgeschehen (wie Anm. 1); O. Cullmann, Heil als Geschichte (wie Anm. 1). So die öfter zitierte Äußerung Karl Barths, Der Römerbrief, Zürich 1918, 32: „Es gibt keine besondere Gottesgeschichte als Partikel, als Quantität in der allgemeinen Geschichte. Alle Religions- und Kirchengeschichte spielt sich ganz und gar in der Welt ab. Die sog. ,Heilsgeschichte' ist nur die fortlaufende Krisis aller Geschichte, nicht eine Geschichte in oder neben der Geschichte."

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doch längst obsolet. Das Problem, das heilsgeschichtliches Denken dem modernen Verständnis von Geschichte aufgibt, liegt nicht in der Bewältigung einer geheimnisvollen Doppelstöckigkeit des geschichtlichen Geschehens oder einem Anspruch auf apokalyptische Entzifferung des Weltenlaufs, nicht in den konkurrierenden Geltungsansprüchen konträrer Begriffe, sondern vielmehr darin, daß der moderne säkulare Geschichtsbegriff selber schon heilsgeschichtliche Elemente in sich birgt. Das bleibende Erbteil des heilsgeschichtlichen Denkens liegt in allen Vorstellungen von der Menschheitsgeschichte als einem universalen und sinnvollen, wenn auch empirisch nie zu beweisenden Zusammenhang, einem zielstrebigen Nacheinander von Epochen und dominierenden Kräften, einem nach geheimen, wenn auch durchaus säkularen Prinzipien (wie Entwicklung, Fortschritt, periodische Erneuerung usw.) ablaufenden und einem Ende zulaufenden Ganzen, in der Bereitschaft, ,der' Geschichte eine Richtung oder Intention zuzubilligen, oder der Verlockung, in markanten Veränderungen des Weltgeschehens ihr Ende und den Anbruch des Millenniums zu diagnostizieren 20 . In diesem Sinne hat bekanntlich Karl Löwith die Geschichtsphilosophie, die „maßlose Frage" nach Sinn und Zweck ,der' Geschichte, als säkularisiertes Derivat der christlichen Heilsgeschichte betrachtet 21 . Aber das .theologische Erbe' lebt nicht nur in abgehobener Geschichtsphilosophie fort und läßt sich nicht mit dieser aus dem historischen Geschäft eliminieren; es wirkt auch schon in dem Bedürfnis nach Sinngebung des geschichtlich Konkreten, in der Neigung, das ,bloß Stoffliche', .Faktische' leicht abwertend einem höheren Ordnungswissen unterzuordnen, in der Hypostasierung ,der' Geschichte.

20

21

Neuerdings etwa F. Fukuyama, Das Ende der Geschichte. W o stehen wir?, München 1992. K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1953; das Zitat S. 13.

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Die unabsehbaren Auswirkungen solcher Doktrinen und Denkweisen machen die Aufklärung ihrer geschichtstheologischen Herkunft zu einem erregend aktuellen Thema. Aber noch weiter greift wohl die Frage, wie es zu einer Berührung und Durchdringung heilsgeschichtlichen Denkens mit paganer Historiographie kam und kommen konnte, wie christliche Geschichtsschreibung überhaupt möglich wurde und was dann darunter ursprünglich zu verstehen ist. Sie findet freilich nicht dort ihre Antwort, wo heilsgeschichtlichen Konzepten eine Vorstellung von profaner Geschichte gegenübersteht, die selbst bereits von heilsgeschichtlichen Voraussetzungen her bestimmt ist, sondern in der römischen Kaiserzeit, wo zuerst christliche Hoffnung und eschatologische Naherwartung im alttestamentlichen Deutungshorizont auf literarisch geformte Geschichtsschreibung in antiker Tradition traf. Dabei begegneten zunächst nicht, wie harmonisierend wohl gesagt wird, zwei unterschiedliche Geschichtskonzeptionen einander, etwa eine der paganen Seite gern zugeschriebene zyklische einer vermeintlich spezifisch christlichen linearen; sondern dem breiten Spektrum vielfältiger Formen und konkreter Interessen antiker Historiographie trat die radikale christozentrische Zeitspekulation und Parusiehoffnung der urchristlichen Gemeinde entgegen, die am eigengesetzlichen, diesseitig-menschlichen Geschehen, also politischer Geschichte, und seiner literarischen Verarbeitung fast gänzlich desinteressiert war. Der Gegensatz liegt nicht auf derselben Ebene und kann kaum krasser gedacht werden. Widerspricht hier doch nicht einem historischen Modell ein historisches Gegenmodell, sondern gattungsmäßig geformter historischer Überlieferung und ausgeprägtem geschichtlichem Erfahrungswissen etwas diesem ganz Inkommensurables: die eschatologische Heilserwartung, die alle profane Geschichte entwertet. Das Denken der jüdischen Prophetie und Apokalyptik wird zwar .geschichtlich' genannt und dies in gewisser Hinsicht auch mit Recht 22 . Aber es belebte deshalb keineswegs das politische Inter22

Aufschlußreich: Ph. Vielhauer, Einleitung (wie Anm. 2), 4 1 6 .

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esse und historische Verständnis für die mediterrane Umwelt und ihre Gestaltungskräfte, und noch mehr gilt dies für die in eschatologischen Erwartungen lebende urchristliche Gemeinde. Nur als Phase der Bewährung vor dem nahen und doch jäh hereinbrechenden Gericht konnte die verbleibende Zeit vor dem εσχστον für die ersten christlichen Generationen noch Bedeutung haben, und das Neue Testament kennt folgerichtig keinen Begriff von Geschichte. Dagegen galt römischen Autoren des 1. Jahrhunderts dieses Welt- und Zeitverständnis der frühen Christen, sofern sie es überhaupt ausnahmsweise zur Kenntnis nahmen, als .maßloser, verdrehter Aberglaube' 23 und keiner ernsthaften Würdigung wert. Und ihr Urteil wurde von den Christen paradoxerweise sogar akzeptiert; sie gewannen ihm eine Bestätigung der göttlichen Gnadenwahl ab und wußten es typologisch zu begründen: ,Das Wort vom Kreuz ist Torheit (μωρία) für die, die zugrunde gehen ...' (IKor 1,18 unter Berufung auf Jes 29,14). Diese Positionen schlossen also jedes gegenseitige Verständnis, jede Vermittlung zunächst gänzlich aus. Auf welchen Wegen und in welchem Umfange sie dann aber dennoch zustande gekommen sind, ist die hier zu erörternde Frage. Das ,Wort vom Kreuz' verbreiteten Paulus und die Apostel durch Predigt und subliterarische Briefschreiberei. Auch römische Beamte erfuhren von christlicher superstitio nicht aus Lektüre, sondern durch mündliche Zeugnisse und zeigten dabei wie die Märtyrerakten erkennen lassen und schon die Apostelgeschichte ironisch illustriert (25,19f.) - wenig Neigung und Bereitschaft, sich näher darauf einzulassen. - Römisch-pagane Geschichtsschreibung dagegen existierte im Medium gattungsgebundener Literatur 24 . Sie war nicht .natürlicher' Ausdruck 23

24

Plin., ep. X 9 6 , 8 : superstitio prava immodica; Tac., ann. X V 4 4 , 3 : exitiabilis superstitio. Vgl. in christlicher Verfremdung: μανία, Act 26,24. Überblicke über die historiographische Entwicklung: A.D. Leeman, Die römische Geschichtsschreibung, in: Römische Literatur (NHL 3), hg. ν. M. Fuhrmann, Frankfurt 1 9 7 4 , 1 1 5 ; K. Christ, Römische

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eines kollektiven Geschichtsbewußtseins, wie die Erinnerung an Menschen und Dinge oder die Orientierung am mos maiorum, sondern ursprünglich begrenztes Mittel der politischen Selbstdarstellung und Einflußnahme senatorischer Autoren, die beanspruchten, zur Wahrung und politisch-moralischen Nutzanwendung der geschichtlichen Erinnerung berufen zu sein 25 . Als die weltbeherrschende Stadt sich dann politischen Problemen gegenübersah, die über den lokalen Horizont weit hinausgingen, half den Senatshistorikern zu deren Bewältigung die befreiende Begegnung mit der griechischen Historiographie: Das Werk des Polybios bot ihnen eine Analyse der eigenen historischen Lage und verhieß Orientierung des Handelns durch historische Erkenntnis; Thukydides' Stil und analytische Fähigkeit haben Sallust beflügelt, der darüber zum römischen Pendant des griechischen Historikers erklärt wurde (Quint., inst. X 1,32.101; 2,17). Senatorische Autoren schrieben aber für ihresgleichen, für politisch Kompetente und rhetorisch-literarisch Gebildete; ohne aktive Teilhabe an der Politik hatte zunächst niemand Veranlassung, literarische Äußerungen darüber zur Kenntnis zu neh-

25

Geschichtsschreibung, in: Propyläen Geschichte der Literatur 1, hg. v. E. Wischer, Berlin 1 9 8 1 , 4 0 9 ; D. Flach, Römische Geschichtsschreibung, Darmstadt 3 1 9 9 8 , 1; A. Dihle, Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justinian, München 1 9 8 9 ; A. Mehl, Römische Geschichtsschreibung. Grundlagen und Entwicklung. Eine Einführung, Stuttgart 2 0 0 1 . K. Haneil, Zur Problematik der älteren römischen Geschichtsschreibung, EnAC 4, 1956, 149; G. Perl, Die Anfänge der römischen Geschichtsschreibung, FuF 3 8 , 1 9 6 4 , 1 8 5 - 2 1 3 ; E. Badian, The Early Historians, in: Latin Historians, hg. v. Th.A. Dorey, New York 1 9 6 6 , 1-38; E. Gabba, Considerazioni sulla tradizione letteraria sulla origini della repubblica, EnAC 1 3 , 1 9 6 7 , 133; V. Pöschl (Hg.), Römische Geschichtsschreibung (WdF 90), Darmstadt 1 9 6 9 ; D. Timpe, Fabius Pictor und die Anfänge der römischen Historiographie, A N R W I 2, Berlin/ New York 1 9 7 2 , 9 2 8 - 9 6 9 ; E. Rawson, The First Latin Annalists, Latomus 3 5 , 1 9 7 6 , 6 8 9 - 7 1 7 ; D. Flach, Geschichtsschreibung (wie Anm. 24), 56; Die frühen römischen Historiker, Bd. 1: Von Fabius Pictor bis Ch. Gellius, hg. V. H. Beck u. U. Walter, Darmstadt 2 0 0 1 , 17-53.

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men 26 . Wie der geschlossene Kreis zwischen Produktion und Rezeption in der Adelsrepublik die historische Überlieferung sicherte, so schuf die Konkurrenz der Nobiles, solange sie produktiv funktionierte, den Freiheitsspielraum für politisch engagierte Zeitgeschichtsschreibung; römische Geschichtsschreibung war keine Wissenschaft, sie unterstand der Autorität der sozial und politisch Führenden, nicht der Verantwortung von Forschern. Für die Masse des römisch-italischen .Publikums' war der Umgang mit der geschichtlichen Tradition zwar ein konstitutives Element der allgemeinen Lebens-Orientierung, aber auf die Historiker und auf intellektuelle Wissensvermittlung überhaupt war sie deshalb auch nicht besonders angewiesen. Die Historiographie verbreiterte ihre soziale Basis, als im spätrepublikanischen Jahrhundert auch NichtSenatoren begannen, römische Geschichte literarisch zu behandeln, und weitere Leserkreise ihre Produktion zur Kenntnis nahmen. Die memoria rerum gestarum wurde damit immer eindeutiger ein Gegenstand von Literatur (Liv. VI 1,2) und ihre Vertreter Schriftsteller, die als solche zu würdigen waren, nicht etwa als Spezialisten, die ein besonderes Wissensgebiet .Geschichte' nach methodischen Regeln erforschten und lehrten. Der Geschichtsschreibung fehlte also die fachlich-methodische Autonomie, sie galt aber Cicero als ein opus oratorium maxime (leg. I 2,5) und fand ihren 26

K.-J. Hölkeskamp, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4 . Jahrhundert v.Chr., Stuttgart 1 9 8 7 , 18; J . von Ungern-Sternberg, Überlegungen zur frühen römischen Überlieferung, in: Vergangenheit in mündlicher Überlieferung (Colloquium Rauricum 1), hg. v. J. von U n g e r n - S t e r n b e r g / H . Reinau, Stuttgart 1 9 8 8 , 2 3 7 ; D. Timpe, Mündlichkeit und Schriftlichkeit als Basis der frührömischen Überlieferung, in: Vergangenheit in mündlicher Überlieferung (Colloquium Rauricum 1), hg. v. J. von U n g e r n - S t e r n b e r g / H . Reinau, Stuttgart 1 9 8 8 , 2 6 6 ; ders., M e m o r i a und Geschichtsschreibung bei den Römern, in: Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewußtsein (Script-Oralia 9 0 ) , hg. v. H.-J. G e h r k e / A . Möller, Tübingen 1 9 9 6 , 2 7 7 .

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wichtigsten Platz im rhetorisch geprägten Bildungssystem, nicht als Besitz eines allgemeinen Lesepublikums oder einer Expertenzunft 2 7 . Die Rhetorisierung der Geschichte, oft als Verfall der Geschichtsschreibung beklagt, war in der antiken Bildungsgeschichte und speziell der römischen Sozialgeschichte lange und triftig angelegt; die Kaiserzeit hat sie vorgefunden und kräftig befördert. Der Nutzen der Geschichte besteht danach in Unterhaltung und Erhebung, moralischer Erziehung und Erfahrungsvermittlung; die historia als magistra vitae stellt Exempla vor Augen, die als Modellfälle der Lebensorientierung, als Argumentationshilfe der öffentlichen Rede oder als Verständigungsbasis der gebildeten Kommunikation dienen. Der Aggregatzustand historischen Wissens begünstigte also viel weniger geschichtlichen Zusammenhang, Verstehen des geschichtlich Andersartigen und Einmaligen, als vielmehr packende Erzählung und verwendbares Fallwissen. Wer Geschichtswerke nicht als Fundgrube für Exempla benutzte, las sie gewöhnlich als sprachliches Kunstwerk, exzerpierte etwa die Reden als Stilmuster. Ausführliche Darstellung sollte, wenn sie überhaupt angestrebt wurde, durch formale Qualitäten (wie Verlebendigung oder emotionale Wirkung) gefallen 28 , nicht durch Exaktheit und primäre Tatsachenforschung für sich einnehmen, und Livius' aus Bewunderung der römischen Vergangenheit und im Bewußtsein einer kaum zu bewältigenden Aufgabe (praef. 3f. 31,1) geschriebenes Riesenwerk wurde in diesem Sinne als literarische Synthese anerkannt. Aber Präzision bei Namen und Sachen, Orten und Zeiten galt fast eher als zu vermeidende Pedanterie denn als erstrebenswerte 27

28

D. Timpe, Erwägungen zur jüngeren Annalistik, AuA 25, 1979, 97119. - Rhetorik in Theorie und Praxis: A.D. Leeman, Orationis ratio. The stylistic Theories and Practice of the Roman Orators, Historians and Philosophers 1-2, Amsterdam 1963, bes. 67.243.329 (Historiographie); H.-I. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum (DTV-WR 4275), München 1977, 521. Vgl. die Charakterisierung des Livius durch seine Jactea ubertas' und die milde Form seiner Reden: Quint., inst. X l,31f.

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Tugend: Livius dispensiert sich ausdrücklich davon, und Polybios, meinte z.B. Dionysios von Halikarnassos (comp. 4), sei vor Langweiligkeit ungenießbar. Auch die Werke der großen Historiker waren deshalb der Epitomierung oder dem Verlust ausgesetzt und sind trotz ihres (mit den Stilmoden wechselnden) Ansehens nicht oder nicht vollständig erhalten geblieben. Die historische Kasuistik, die von der Rhetorik begünstigt wurde, erlaubte eine gewisse Typisierung und Vergleichbarkeit wiederkehrender historischer Situationen und Personen; aber der geschichtliche Stoff verlor auch an Eigenrecht und individuellem Profil, wenn er den immer gleichen Klischeevorstellungen unterworfen wurde. Geschichtliches Wissen in Form literarischer Geschichtsschreibung und rhetorisch vermittelt bot den Gebildeten die erforderliche Orientierung über den historischen Gesamtzustand, die ihnen erlaubte, ihren privilegierten Platz in der Reichsgesellschaft einzunehmen. Prüfung der Grundlagen oder tieferes Verständnis der geschichtlichen Lage wurden dabei weder erstrebt noch erreicht. Besonders der Stoff der vorkaiserzeitlichen Geschichte konnte immer wieder tradiert, exzerpiert und epitomiert, immer neu dramatisiert und personalisiert werden, ohne daß die Sicht und Bewertung der Vergangenheit davon grundsätzlich berührt worden wäre oder die Unzuverlässigkeit der Überlieferung Besorgnis erregt hätte (vgl. die praefatio des Livius). In der Geschichtsschreibung der frühen Kaiserzeit durchdringen sich die Gattungsdifferenzen und wechselnden Stilideale, der unterschiedliche Umgang mit der politischen Macht und die Wahrheitsverpflichtung der Historiker in verwirrender Weise. Er gehe auf aschebedeckter Glut, bestätigte Horaz dem caesarischen Zeithistoriker Asinius Pollio (carm. II l,2f.), und was Freimut, was Frechheit in der Behandlung der Gegenwart (libertas - libido: Tac., ann. IV 35,1) sei, wo Zeugenmut, wo lebenskluge Zurückhaltung (Tac., ann. III 65 - Ag. 42) geboten sei, blieb immer situationsabhängig und strittig. Die senatorische Historiographie, die in Tacitus ihren Gipfel erreichte, hat den Möglichkeiten und Grenzen der Geschichtsschreibung unter dem

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Prinzipat ihr melancholisches Nachdenken zugewendet (Tac., hist. 11; ann. IV 33; Cass. Dio LUI 19), weil historisches Zeugnis und Urteil den Traditionalisten als ein Stück ihres Handlungsspielraumes erschien. Sie hat zwar nach den causae der verlorenen (senatorischen) Freiheit gefragt, aber die vorkaiserzeitliche Geschichte nicht durchdrungen, die Prinzipatszeit personalistisch-psychologisch und kaiserbezogen betrachtet und die vom romazentrischannalistischen Schema nicht erfaßten Bereiche der kaiserzeitlichen Entwicklung außer Betracht gelassen. Daneben gab es jedoch weniger traditionsgebundene Geschichtsschreibung: adulatorische, wie Vellerns Paterculus und viele nach ihm, gewissenhaft-chronistische, wie der ältere Plinius sie lieferte, monographisch, biographisch oder memoirenhaft orientierte, und neben der zumeist romazentrischen auch universalhistorische nach Art des Pompeius Trogus. Aliorum famam cum sua extendere (Plin., ep. V 8,1) ist bei alledem schon das ehrenhaftere Motiv, bloße Klientenschreiberei wurde um handfesterer Vorteile willen betrieben. - Erstaunlich divergieren die Wertungen und Wirkungen. Tacitus hielt seinen Vorgänger Flavius Rusticus für den eloquentissimus auctor recentium (Ag. 10,3), Plinius prophezeite seinem Freunde Tacitus die literarische Unsterblichkeit (ep. VII 33,1); aber Rusticus ist völlig verloren und vergessen, Tacitus hätte leicht dasselbe Schicksal haben können. Die senatorische und oppositionelle Historiographie war in ihrem voraussetzungsreichen Traditionalismus nur einer kleinen Minderheit politisch und historisch Gebildeter zugänglich, und ihre Wirkungsspuren sind dementsprechend gering. Aber die literarische Wertung blieb davon unabhängig; wo Geschichte als Verwandte der Poesie, als quodam modo carmen solutum (Quint., inst. X 1,31) definiert wurde, ging es um Geschmacksurteile, formale Kriterien und rhetorische Verwendbarkeit29, nicht um Sachgerechtheit und politische Loyalität. Entsprechend konn-

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Quint., inst. X 1 , 3 1 : Historia quoque alere oratorem quodam uberi iucundoque suco potest. - Die Differenz zwischen Historie und Rhetorik charakterisiert Plin., ep. V 8.

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te die Entwicklung der Historiographie in ciceronianisch-augusteischer Zeit als nicht fortsetzbare Höhe (Veil. I 17,2) oder als trübseliger Niedergang (Liv., praef. 5) angesehen werden, als Greisenalter (nach dem Lebensaltervergleich des älteren Seneca) oder als Beginn eines neuen Aufschwungs (Florus). Optimismus und Resignation konfrontiert und personifiziert Tacitus in seinem Dialog über die Redner 30 . Das breite soziale Fundament der imperialen Zivilisation bildete immer mehr die Munizipalaristokratie, deren Verwurzelung in Städten und Regionen auch ihr Geschichtsbild prägte. Persönlichkeiten wie der jüngere Plinius oder der Redner Dion von Prusa bezeugen ein lebendiges Verhältnis zu ihrer historischen Heimat, bewährten sich als Patrone und Lobredner ihrer Städte. In dem vielfältigen Städtelob der Redner 31 wird ein Bogen von den Mythen und Gründungsgeschichten zur pax Romana der Gegenwart und den Segnungen der Kaiserherrschaft geschlagen. Das Imperium erscheint dabei als eine Art Commonwealth von Stadtgemeinden; Roms Ehrenvorrang stellt den Ruhm der vielen anderen Städte, besonders des hellenistischen Ostens, nicht mehr in Frage. Dem gemeinsamen Wurzelboden der heroischen Gründungszeit, den die mythologischen Zusammenhänge der Götter, Helden, Gründer und Kolonisatoren bilden, entspricht die kulturell vereinheitlichte Gegenwart, die dabei Raum läßt für unerschöpfliche Rivalitäten und einen unablässigen Wetteifer um Ehre und Vorrang. Geschichtliche Höhepunkte und Denkwürdigkeiten wirken in diesem statischen Geschichtsbild wie Dekorationen, dramati-

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K. Heldmann, Antike Theorien über Entwicklung und Verfall der Redekunst (Zet. 77), München 1 9 8 2 . Vgl. die Topik des Städtelobs des Rhetors Menandros von Laodikeia (Rhetores Graeci Bd. 3, hg. v. L. Spengel [BiTeu], Leipzig 1 8 5 6 , 3 2 9 ; mit Kommentar und Ubersetzung hg. v. D.A. Russell/N.G. Wilson, Oxford 1 9 8 1 ) ; s. P. Weiss, Lebendiger Mythos. Gründungsheroen und städtische Gründungstraditionen im griechisch-römischen Osten, Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. NF 10, 1 9 8 4 , 179-208.

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sches Geschehen wie Bewegung an der Oberfläche. - Die wichtigste Vermittlung historischer Kenntnisse und Vorstellungen leistete auch in der Kaiserzeit der rhetorische Unterricht mit seinen eigentümlichen Folgeerscheinungen: einerseits der Rezeption des Stoffes unter literaturästhetischen Gesichtspunkten und ohne Fähigkeit und Interesse, die historische Tradition kritisch zu prüfen, andererseits der Verwendung der Historie vor allem als Fallwissen und zur Sacherklärung in der Literaturexegese, was zwar einen Lebens- und Praxisbezug nicht ausschloß, aber Verständnis für historischen Zusammenhang oder Differenz nicht förderte. Die römisch-pagane Geschichtsschreibung weist also nach gedanklichem Gehalt, Entstehungsbedingungen und sozialer Funktion kaum Berührungen mit heilsgeschichtlichem Denken auf. - Vor allem fehlten ihr alle eschatologischen Elemente. Sie kannte die immer mögliche Gefährdung des politischen Zustandes der römischen Kaiserzeit durch Instabilität der Herrschaft: Tyrannische Principes waren mit konstitutionellen Mitteln nicht auszuschließen, Usurpationen und Bürgerkriege konnten den Frieden zerrütten, unberechenbare Barbaren das Glück der Zivilisierten aufs schwerste belasten; all diese Möglichkeiten lagen im Bereich der geschichtlichen Erfahrung, und sie konnten als Folge schuldhaften Versagens oder als schicksalhaftes Verhängnis gedeutet werden. Aber kein kaiserzeitlicher Autor konnte sich einen positiven geschichtlichen Gesamtzustand nach einem Ende des Imperiums vorstellen oder ihn gar erwarten. Das römische System, die Herrschaft der Kaiser über die zivilisierte Oikoumene, galt bei Mißständen im einzelnen als politisch verfaßte Kulturwelt, zu der es keine Alternative im ganzen gab; es hatte die άρχή της οικουμένης gewonnen (Polybios), und zwar die letzte vorstellbare. Es strebte deshalb bestenfalls seiner weiteren Verbesserung und Selbstvollendung zu, aber nicht über die gegenwärtige Lage grundsätzlich hinaus. Diesem geschichtlichen Selbstverständnis entsprach der Universalismus der Kaiserzeit, der die Oikoumene oder den orbis terrarum mit der mediterranen Städtewelt und der imperialen

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Ordnung trotz aller Kenntnisse der realen Geographie ideologisch gleichsetzte, die Umwelt aber als Barbarenzone klassifizierte. Die hatte sich stets und offenbar aus konstitutionellen Gründen nur zu kurzen, zerstörerischen Eruptionen imstande gezeigt; denn ihr fehlten ratio und disciplina (im Norden) oder die innere Kraft freier Bürgergemeinschaften (im Osten). Dem Superioritätsanspruch der politisch geeinten Reichsgesellschaft lag also nicht einfach bornierte Überschätzung der eigenen Singularität oder gar naive Unkenntnis der nichtrömischen Außenwelt zugrunde, sondern immerhin die anhaltende Konvergenz der geschichtlichen Erfahrung mit der politischen Theorie. Historiker der Kaiserzeit konnten dramatische Untergänge gestalten und tragisches Scheitern würdigen, aber ihre Welt war einheitlich, statisch und in ihren Grundelementen konstant; sie bestätigte sich selbst und war dank ihrer politischen und kulturellen Dynamik zu Diffusion und Assimilation ihrer Ränder imstande. Ihren Repräsentanten war der Dualismus zwischen einer auserwählten Minorität, die doch ein höheres geschichtliches Recht auf ihrer Seite hatte, und einer mächtigen, aber zum künftigen Unterliegen bestimmten Mehrheit fremd. - Endlich war das pagane Geschichtsverständnis Teil einer öffentlichen intellektuellen Kultur; die memoria rerum gestarum konnte Schaden nehmen oder verlorengehen, aber sie hatte nichts Geheimnisvolles und Verborgenes an sich. Es gab auch Lüge und Verschweigen, parteiische Geschichtsschreibung und, zumal unter dem Prinzipat, Vorgänge, die nicht aufgeklärt werden konnten, aber doch keine fundamentale Doppelbödigkeit der Wirklichkeit und keine Hinter- oder Überwelt, die hätte enthüllt werden können. Das Interesse an Geschichte galt der diesseitigen pragmatischen Wirklichkeit menschlichen Handelns und Erleidens, bestenfalls der Erkenntnis ihres Kausalzusammenhanges, und ganz wesentlich dem Ruhm der Beschriebenen und Beschreibenden, aber keiner transzendenten Steuerung der menschlichen Geschicke. Deshalb war geschichtliches Wissen grundsätzlich zugänglich und flöß in andere Medien, vor allem öffentliche Rede, ein, als Mahnung, Erinnerung oder Argument.

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Religiöse Aspekte der Geschichtsschreibung bleiben demgegenüber marginal. Die Berufung auf fatum oder fortuna ist mehr eine Redeweise, die eine Grenze des rational Verstehbaren und die Erfahrung der Kontingenz bezeichnet, als daß darin eine positive religiöse Haltung zum Ausdruck käme. Die religiöse Aura ist poetisches Stilmittel der Historiographie, so vor allem in der epischen Färbung archaischer Anfänge (vgl. Liv., praef. 6f.) und der tragödienartigen Dramatik römischer Katastrophen (Tac., hist. I 3,2). Auch die umfassend registrierten Prodigien (z.B. in den Kaiserbiographien) stellen die Autonomie des menschlichen Handelns nicht ernstlich in Frage. Und der alte und verbreitete Gedanke des Tun-Ergehen-Zusammenhanges, der römische Größe als Lohn der pietas und Dekadenz als Strafe für Sittenverfall ansehen ließ, verblaßt in der stationären Kaiserzeit. So bleiben hauptsächlich zwei religiös relevante Aspekte: Die Überhöhung der Monarchie in Kult, Symbolik und einer Wolke adulatorischer Sprachformeln hat religiöse Emotionen ausgelöst, die auch in der Geschichtsschreibung, vor allem ihrer Zentriertheit um die personale Leitung der Kaiserregierungen, wirksam geworden sind. Und: Der Gedanke einer Abfolge von Weltherrschaften, deren letzte und endgültige das Imperium sein sollte, kam der heilsgeschichtlichen Vorstellung einer universalgeschichtlichen Evolution mit Richtungssinn entgegen. Die Deutung des vierten und letzten danielischen Weltreichs (Dan 2,40-45; 7,7-8) auf Rom ist denn auch eine der frühesten Verknüpfungen zwischen historischer Erfahrung und biblisch-christlicher Eschatologie 32 . - In der Affinität von Monarchie und Monotheismus 3 3 und in der universalgeschichtlicher und heilsgeschichtlicher Auslegung fähigen römischen Weltreichsidee sind 32

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K. Koch, Das Buch Daniel (EdF 145), Darmstadt 1980, 182; D. Bauer, Das Buch Daniel (Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament 22), Stuttgart 1996, 244. E. Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie im Imperium Romanum, Leipzig 1935 (= ders., Theologische Traktate, Würzburg 1994, 23).

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die Aspekte der paganen historiographischen Tradition zu sehen, die sich christlichem Denken am ehesten als Anknüpfungspunkte anboten. Die Begegnung und Durchdringung römisch-paganer Geschichtsschreibung mit christlich-heilsgeschichtlichem Denken reicht über literaturgeschichtliche Zusammenhänge weit hinaus, aber kann sie benutzen, um das unerschöpfliche Feld der Beziehungen zwischen Christentum und paganer Antike zu erschließen. Dies soll in den folgenden zeitlichen Querschnitten geschehen.

2 Die Einstellung der ersten christlichen Generationen zur paganen Geschichte und Geschichtsschreibung war nicht einheitlich. Die Berührungen zwischen heilsgeschichtlichem Denken und historiographischer Tradition vollzogen sich aber auf gebahnten Wegen literarischer Kommunikation, sie sind dem Gebrauch der Formen und Gattungen der Literatur zu entnehmen. Am äußersten Rande ihres Spektrums steht die Apokalyptik, weil sie die geschichtsferne, endzeitliche Entscheidungssituation und eschatologische Erwartung am radikalsten zum Ausdruck brachte. Die älteste und unter vielen allein kanonisch anerkannte frühchristliche Vertreterin dieser Gattung ist die johanneische Apokalypse 34 , das Werk eines judenchristlichen, wohl im eigenen 34

M . Rissi, W a s ist und was geschehen soll danach. Die Zeit- und Geschichtsauffassung der Offenbarung des Johannes ( A T h A N T 4 6 ) , Zürich 1 9 6 5 ; A. Strobel, Art. Apokalypse des Johannes, T R E 3, 1 9 7 8 , 1 7 4 - 1 8 9 ; Κ. Aland, Das Ende der Zeiten. Über die Naherwartung im Neuen Testament und in der frühen Kirche, in: ders., Neutestamentliche Entwürfe (TB 6 3 ) , München 1 9 7 9 , ( 1 2 4 - 1 8 2 ) 1 2 4 ; H . W . Günther, Der Nah- und Enderwartungshorizont in der Apokalypse des heiligen Johannes (fzb 4 1 ) , Würzburg 1 9 8 0 . - Benutzt sind im folgenden die K o m m e n t a r e von H . Kraft, Die Offenbarung des Johannes ( H N T 1 6 a ) , Tübingen 1 9 7 4 ; J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes ( Z B K . N T 1 8 ) , Zürich 1 9 8 4 ; E. Schüssler

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N a m e n schreibenden Visionärs aus spätdomitianischer Zeit 3 5 , bestimmt, von innen und außen bedrängten christlichen Gemeinden der Provinz Asia Halt und Hoffnung durch weit- und heilsgeschichtliche Orientierung über ihre Lage zu geben. Universaler Horizont und aktueller Bezug treffen also unvermittelt zusammen. Dazu enthüllt der Offenbarungsempfänger (1,1 Of.) Fiorenza, The Book of Revelation. Justice and Judgement, Philadelphia 2 1989; P. Prigent, L'Apocalypse de Saint Jean ( C N T 14), Lausanne 1981; E. Lohse, Die Offenbarung des Johannes ( N T D 11), Göttingen , 5 1 9 9 3 ; H. Giesen, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997; ferner die Forschungsberichte von A. Feuillet, The Apocalypse (franz. 1963), Staten Island, N . Y . 1965; U. Vanni, Rassegna bibliografica sull'Apocalisse (1970-1975), RivBib 2 4 , 1 9 7 6 , 277-301; O. Böcher, Die Johannesapokalypse (EdF 41), Darmstadt 3 1988; ders., Die Johannes-Apokalypse in der neueren Forschung, in: A N R W II 25.5, Berlin/New York 1988, 3850-3893; T. Holtz, Literatur zur Johannesapokalypse 1980-1996, ThR 62, 1997, 368-413. 35

Der Autor nennt sich Johannes (Apk 1,4.9; 22,8) und einen Zeitgenossen der Adressaten (1,9), er spricht mit hoher Autorität und will eine auf Weisung Christi niedergeschriebene Prophetie mitteilen. Er ist ausweislich des Stils und der Sprache judenchristlich-palästinensischer Herkunft (dazu J. Roloff, Offenbarung des Johannes [wie Anm. 34], 17), nicht der Zebedaide (entgegen altkirchlicher Überlieferung, Eus., h.e. III 18,1 [GCS Eusebius I I / l , 230,16-22 Schwartz]; anders A. Strobel, Art. Apokalypse [wie Anm. 34], 186f.) und Verfasser des Evangeliums, aber wahrscheinlich der „Presbyter" Johannes (M. Hengel, Die johanneische Frage [WUNT 67], Tübingen 1993), und schreibt nach überwiegender Meinung (anders zuletzt H. Kraft, Offenbarung des Johannes [wie Anm. 34], 11) im eigenen Namen. Datierung: Iren., haer. V 30,3. Krafts (Offenbarung des Johannes [wie Anm. 34], 221f.) Datierung auf Sommer 97/Frühjahr 98 auf Grund von Apk 17,10 in Verbindung mit 13,18 beruht auf der Deutung der Siebenzahl und der (hypothetischen) Lesung der Rätselzahl 666 (= M . Nerva in griechischen Kapitalen, aber die griechische Form heißt ΝΕΡΟΥΑΣ; die übliche Deutung geht auf Nero: J. Roloff, Offenbarung des Johannes [wie Anm. 34], 144). Spätdatierung auch bei J.W. Taeger, Johannesapokalypse und johanneischer Kreis. Versuch einer traditionsgeschichtlichen Ortsbestimmung am Paradigma der Lebenswasser-Thematik (BZNW 51), Berlin 1989.

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auf göttliche Weisung hin bilderreich die kurze, noch verbleibende Frist vor der Parusie Christi (ά δει γενέσθαι εν τάχει, 1,1; 22,6 nach Dan 2,28) den Gläubigen, die selig gepriesen werden, wenn sie diese ,Prophetie' hören und beachten (1,3; 22,7). Die Bildersprache ihrer Visionen, ihre Symbolik und allegorische Verrätselung bezeugen die enge Bindung an die alttestamentliche prophetische Botschaft und die Tradition der jüdischen, vor allem vom Buch Daniel repräsentierten Apokalyptik, die nun christlichen Gedankengängen dienstbar gemacht werden 36 . So konnten die eschatologisch gedeuteten Glaubenskämpfe der Makkabäerzeit zum Modell für die Situation kleinasiatischer Christen (wohl mit palästinensischen Wurzeln) in der frühen Kaiserzeit werden, konnten Zwei-Äonen-Lehre und Hoffnung auf den Untergang des letzten Weltreiches auf das Imperium angewendet werden, aber der direkte Weissagungs-ErfüllungsZusammenhang und Vergangenheitsbezug (samt der pseudepigraphischen fiktiven Vergangenheitsposition des Autors) wurde ersetzt durch die bilderreiche Zukunftsschau des kosmischen Kampfes Gottes mit dem Satan und seinen Werkzeugen, den der Sieg Christi und seiner Getreuen und das Endgericht beschließen 37 . Die wechselnden Vorstellungen unterstreichen den metaphorischen Charakter der Bilder. Den verfolgten und standhaften Christen werden in anspielungsreichen Wendungen ein opferreicher Kampf und schließlich glorreicher Lohn vorausgesagt (9,14-17; 15,2-4), wenn die teuf36

Eine andere Frage ist, ob in den „zeitgeschichtlichen" Kapiteln 13 und 17 eine jüdische Vorlage auszumachen ist, die den Nero redivivus (Suet., Nero 4 0 , 2 ; 4 7 , 2 ; 5 7 ) zum Thema hatte. R. Bergmeier, Die Erzhure und das Tier: Apk 1 2 , 1 8 - 1 3 , 1 8 und 17f. Eine quellen- und redaktionskritische Analyse, in: A N R W II 2 5 . 5 , Berlin/New York 1 9 8 8 , 3 8 9 9 - 3 9 1 6 will im Anschluß an W . Bousset aus Apk 17 eine vom Verfasser der Apk bearbeitete jüdische Quelle vespasianischer Zeit herausschälen.

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Der Apk fehlt auch der moralische Pessimismus der Apokalyptik; nicht Altwerden und Dekadenz des Aions zeigen sein nahes Ende an, sondern die Herrschaft der satanischen Mächte: 1 3 , 7 nach Dan 7 , 2 1 .

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lische Gegenmacht im großen Gericht gebrochen sein wird. Dann soll die Herrschaft des Imperiums, des weltbeherrschenden 38 siebenköpfigen Tieres aus dem Meer (12,18-13,10 mit der Deutung 17,9)39 und des zweiten, vom Lande kommenden, falsche Zeichen und Wunder wirkenden und Verehrung fordernden Tieres (13,11-18), durch das Lamm vernichtet oder das Gericht an der .großen Hure Babylon', die auf dem siebenköpfigen Tier reitet, vollstreckt werden (17,1-6; 18,1-24). Die Offenbarung ist ersichtlich an christliche Gemeinden gerichtet, mit denen der Verfasser nicht nur im Glauben, sondern auch im Verständnis der Bildersprache und des alttestamentlichen Deutungshorizontes verbunden war. In ihnen werden Vorleser und Hörer seiner Botschaft vorausgesetzt (1,11 mit 1,3), an ihre Treue und Leidensbereitschaft (13,10), aber auch Verständnisfähigkeit (vous à εχων σοφίαν, 17,9, vgl. 13,18) appelliert der Seher von Patmos. Dieser direkten und engen Kommunikationssituation entspricht die in den einzelnen Briefen (2,1-3,20) gegebene kenntnisreiche und konkrete, kritisch-nüchterne Beurteilung der sieben Gemeinden 40 , an deren Gesamtheit die apokalyptische Schrift gerichtet ist, aber kontrastiert auch sehr auffällig das Fehlen aller konkreten, politisch-zeitgeschichtlichen Bezüge überregionaler Art. Die Romfeindschaft des Verfassers geht fast völlig in der apokalyptischen 38

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Apk 13,7: εδόθη αύτώ εξουσία επί πδσαν φυλήν και λαόν καί γλώσσαν και εθνο;, in Verbindung mit V. 12; vgl. J. Roloff, Offenbarung des Johannes (wie Anm. 34), 135f. Der Drache (Teufel) gab dem Tier die Macht (Material aus Dan 7). E. Lohse, Offenbarung des Johannes (wie Anm. 34), 77 verweist für die Vorstellung der satanischen Bevollmächtigung der Gegenmacht auf 2Thess 2,9. Sie werden gelobt oder getadelt, ihre Entwicklung wird positiv (Apk 2,19 Thyatira; 3,8 Philadelpheia) oder negativ (3,lf. Sardes; 3,14-17 Laodikeia) beurteilt, es wird vor gnostischem Libertinismus konkret gewarnt (2,20 Thyatira), persönliche Verhältnisse und einzelne Gemeindemitglieder (2,13 Pergamon; 3,4 Sardes), Konflikte mit der Synagoge (2,9 Smyrna; 3,9 Philadelpheia) sind dem Autor bekannt; auf lokale Besonderheiten wird angespielt (3,18 Medizin in Laodikeia).

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Konfrontation auf. V o n der herrschenden M a c h t ist nur in s o blumiger, personaler Weise die Rede (und dies ersichtlich nicht nur der Verschlüsselung w e g e n ) , d a ß s c h o n eine begriffliche Vorstellung des ,römischen Staates' dem Autor k a u m zugebilligt w e r d e n kann. Ein v o n den K o m m e n t a r e n mit (allzu großer) Selbstverständlichkeit vorausgesetzter Konflikt u m die kultischen Ansprüche Domitians bleibt nach Anlaß und Verlauf der Verfolg u n g ganz vage 4 1 , aber u m so deutlicher werden die Bedrängnis41

Die Andeutungen: Apk 13,4-6 (Proskynese vor dem Drachen und dem Tier, Lästerung Gottes „über 3 1 / 2 Jahre"; vgl. Apk 11,2f.; 12,6.14 nach Dan 7,24; s. H. Giesen, Offenbarung des Johannes [wie Anm. 34], 246). Apk 13,12-17 (Proskynese vor dem ersten Tier, Bild des Tieres, Tötung derer, die es nicht anbeten, Name des Tieres als χάραγμα für alle, die am Verkehr der Menschen teilnehmen); zur Deutung auf Domitians Kultbestrebungen: R. Schütz, Die Offenbarung des Johannes und Kaiser Domitian (FRLANT 50), Göttingen 1933; P. Touilleux, L'Apocalypse et les cultes de Domitien et de Cybèle, Paris 1935, 100; E. Schüssler Fiorenza, Religion und Politik in der Offenbarung des Johannes, in: Biblische Randbemerkungen. FS R. Schnackenburg, hg. ν. H. Merklein/J. Lange, Würzburg 1974, 261-271; P. Prigent, Au Temps de l'Apocalypse II. Le culte impériale au 1 er siècle en Asie mineure, RHPhR 55,1975,215-235; P. Keresztes, The Impérial Roman Government and the Christian Church I, in: A N R W I I 23.1, Berlin/New York 1979, (247-315) 271; L.L. Thompson, The Book of Revelation. Apocalypse and Empire, New York 1990; B.W. Jones, The Emperor Domitian, London 1992, 114; H. Giesen, Das römische Reich im Spiegel der Johannesapokalypse, in: ANRW II 26.3, Berlin/New York 1996, 2501-2614. - Die Vorstellung einer generellen Konfrontation (P. Keresztes, Roman Government [wie oben], 271: „Christianity was engaged in a death battle with Imperial Rome") und großen, zweiten Verfolgung (Eus., h.e. III 17 [GCS Eusebius II/1, 230,8-15 Schwartz]) ist die generalisierende Sicht der verfestigten christlichen Tradition und wird den Gegebenheiten der domitianischen Zeit nicht gerecht. Vom (hier nicht einschlägigen) römischen Staatskult und dem der Divi und dea Roma ist der forcierte und durch Schmeichelei erweiterte Genius-Kult Domitians (ILS 9059) zu unterscheiden; zur Schmeichelei, die freilich dem gesteigerten religiösen Selbstbewußtsein des Kaisers entgegenkam, ist wahrscheinlich der dominus et deus-T\tt\ zu rechnen (Suet., Dom.

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se, auch die internen Konflikte, in den eschatologischen Horizont des Danielbuches gestellt. Ein Zusammenhang zwischen bereits geschehenen Verfolgungsmaßnahmen (2,13) und den erwarteten, umfassenderen wird nirgendwo erörtert; die Gefährdung der Christen steht auch nicht mit der persönlich motivierten Politik eines individuellen Herrschers oder übereifrigen Magistraten in Verbindung, auf deren Änderung sich eine H o f f n u n g richten könnte: Das Tier kann Wunden empfangen, aber bleibt doch dasselbe. Kompetenz und Funktion des zweiten Tieres werden durch das danielische Bild weniger charakterisiert als verdunkelt, weil der Visionär für die konkrete politische Ordnung weder Interesse noch Verständnis aufbringt. Es wird zwar deutlich, daß das zweite Tier vom ersten delegiert oder legitimiert ist, daß es dessen Verehrung bejaht und fördert und für konkrete Aktionen und Maßnahmen direkt verantwortlich ist 42 ; aber nähere Präzisierung verbietet weniger die allegorische Ausdrucksweise als die

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13,2; Cass. Dio LXVII 4,7; 13,4; Mart. 5,8,1 u.ö.), der provinziale Kaiserkult vor allem als Euergetes-Kult, seine Ausweitung als politische Huldigung zu verstehen, die Bedrückung der Juden (Suet., Dom. 12,2) politisch und fiskalisch motiviert. Das politische Klima wird örtliche Schikanen und Denunziationen befördert und neue Konfliktfelder eröffnet haben, aber ist nicht Ausdruck einer allgemeinen Verfolgung; s. L.L. Thompson, Book of Revelation (wie oben), 129; B.W. Jones, Emperor Domitian (wie oben), 116; H . Giesen, Offenbarung des Johannes (wie oben). Nachträglich bekannt wurde mir: U. Riemer, Das Tier auf dem Kaiserthron? Eine Untersuchung zur Offenbarung des Johannes als historische Quelle (Beiträge zur Altertumskunde 114), Stuttgart/Leipzig 1998, mit überwiegend konvergierender Beurteilung der domitianischen Religionspolitik und ihrer Spiegelung in der Apokalypse. Apk 13,12.14. Das Fehlen danielischer Motive in dieser Vision begründet die häufige Vermutung, daß sie von Johannes selbständig gestaltet wurde (Gegensatz Meertier - Landtier aber topisch und auf Hiob 40 zurückgehend: H. Kraft, Offenbarung des Johannes [wie Anm. 34], 179 nach anderen). Die überwiegende Deutung auf provinziale oder munizipale Repräsentanten des Kaiserkults wird bestritten z.B. von M . Rissi, Was ist und was geschehen soll danach (wie Anm. 34), 69; H . Kraft, Offenbarung des Johannes (wie Anm. 34), 180.

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nebulose Anschauung des Autors von politischen Instanzen und Zuständigkeiten. Wenn, wie wahrscheinlich, in Apk 13 ein direkter oder redaktionsgeschichtlich vermittelter Bezug zum Neroredivivus-Motiv zu erkennen ist 43 , weist das, ebenso wie das Bild von der geheilten Todeswunde des siebenköpfigen Tieres (13,3; 14) 4 4 , auf sehr einfache und diffuse zeitgeschichtliche Kenntnisse und volkstümliche Vorstellungen hin. Auch ein zeitgeschichtliches Epochenbewußtsein der Apokalypse läßt sich aus der eschatologischen Schematik kaum herauslösen; es ist sehr fraglich, ob der Zählung der Kaiser (17,9) eine verläßliche chronologische Anschauung und Kenntnis der Kaisergeschichte und -abfolge zugrunde liegt oder nicht eher nur das überall anzutreffende Spiel mit symbolischen Zahlen 45 . Aber vergleichsweise recht anschauliche Streiflichter werfen die apokalyptischen Bilder auf städtischen Warenverkehr und Handel samt Sklavenhandel (13,17; 18,11-19 [im dichten Anschluß an prophetische Formulierungen]): Es ist anscheinend die Sphäre, in der der Visionär zuhause war. Die Verfolgungssituation ist also ganz in heilsgeschichtliche Gesamtvorstellungen eingetaucht; der Visionär ist ohne Interesse an der konkreten Vergangenheit, und von einem .Geschichtsbild' (sofern damit eine zusammenhängende Vorstellung über reales geschichtliches Geschehen gemeint ist) 46 kann man nicht spre43

P. Prigent, Temps de l'Apocalypse (wie Anm. 4 1 ) , 2 2 9 ; R. Bergmeier, Die Erzhure und das Tier (wie Anm. 3 6 ) , 2 5 ; H. Giesen, Das römische Reich (wie Anm. 4 1 ) , 2 5 0 1 ; H. Giesen, Offenbarung des Johannes (wie Anm. 34), 3 8 7 .

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Sie ist eher auf den Bürgerkrieg 6 8 / 6 9 zu beziehen als auf einen einzelnen Kaiser, insbesondere den Nero der Legende. H . Kraft, Offenbarung des Johannes (wie Anm. 3 4 ) , 2 2 1 zu Apk 1 7 , 1 0 ; A. Strobel, Art. Apokalypse (wie Anm. 3 4 ) , 1 8 2 . So aber W . G . Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 2 0 1 9 8 0 , 4 0 4 ; vgl. dagegen E. Lohse, Offenbarung des Johannes (wie Anm. 3 4 ) , 8 7 ; K. Koch, Apokalyptik (wie Anm. 2), der darlegt, daß dem apokalyptischen Denken die Vorstellung historischer Epochen fehlt. - Untersuchung der Zeitbegriffe: M . Rissi, W a s ist und was geschehen soll danach (wie Anm. 3 4 ) , 2 7 .

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chen. Das Imperium erscheint als die große, nur in mythischen Chiffren beschreibbare, weltbeherrschende Macht, die wider Erwarten auch ihre Existenzkrise überwindet, ja, dadurch ihre Akzeptanz nur steigert. Aber die Bewertung dieser Macht ist radikal negativ, sie ist Instrument der satanischen Gegenmacht (13,2), mit dieser dem Gericht verfallen (17,1-8), und ihre Legitimität ist geliehen (vgl. das wiederholte Passivum divinum εδόθη, 13,57.14f.). Im schroff deterministischen und dualistischen Denken des Apokalyptikers sind die Parteifronten vorgegeben und bleibt über das geforderte Durchhalten hinaus für eine gestaltende christliche Teilnahme an weltlicher Ordnung oder auch nur zurückhaltende, Koexistenz erlaubende Indifferenz (3,15) kein Platz: Alle Fragen des sozialen Verhaltens werden zu Bekenntnisfragen, Arrangement ist Abfall 47 . Die Naherwartung, die alles der eschatologischen Perspektive unterordnet, läßt schon bloßes Interesse an konkreten geschichtlichen Ereignissen, auch solchen der Gegenwart, nicht zu. Unterdrückung, Verfolgung und Martyrium der Christen sind notwendige Begleiterscheinungen des kosmischen Kampfes, bei dem es nur darauf ankommt, treu auf der gerechten Seite auszuharren. Die Umschreibung der aktuellen Situation kann sich auch deshalb der Sprache der jüdischen Apokalyptik bedienen, weil die Ereignisse keinen historischen' Charakter haben: Das Machtsymbol der bluttrunkenen Frau mit Namen ,Babylon' (17,1-6) oder die Anspielungen auf die Makkabäerzeit drücken aus, daß die Konstellation sich typologisch wiederholt und keine ereignisgeschichtliche Individualität besitzt. Deshalb hat die christliche Weigerung, das siebenköpfige Tier zu verehren, auch mit politisch motivierter Romfeindschaft wenig 47

Vgl. den erklärten H a ß des Apokalyptikers gegen die als konformistisch geltenden Nikolaiten: Apk 2 , 6 . 1 5 ; dazu: E. Schüssler Fiorenza, Religion und Politik (wie Anm. 4 1 ) , 2 6 7 mit älterer Literatur; R. Heiligenthal, W e r waren die „Nikolaiten"? Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des frühen Christentums, Z N W 8 2 , 1 9 9 1 , 1 3 3 - 1 3 7 ; H. Giesen, Das römische Reich (wie Anm. 4 1 ) , 2 5 2 2 mit umfassender Dokumentation; ders., Offenbarung des Johannes (wie Anm. 3 4 ) , 1 0 0 .

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zu tun 48 . Die Apokalypse verheißt denn auch keinen irdischen Lohn des Gehorsams. Sie richtet sich in ihrer (unterschiedlich stark) verrätselten Botschaft 49 ausschließlich an die Gläubigen: Die Enthüllung höchster Geheimnisse gilt keiner Öffentlichkeit. Die moderne wissenschaftliche Entdeckung der Apokalyptik fand hier ein religionsgeschichtliches Phänomen sui generis, dessen entscheidende Bedeutung vor allem in der Erhellung der Vorgeschichte des Christentums liegen sollte. „Die jüdische Apokalyptik ist die geschichtliche Vermittlung zwischen der Religion des Alten Testaments und dem Christenthum, weil zwischen der Messias-Hoffnung des späteren Judenthums und dem MessiasGlauben des Christenthums von Anfang an die innigste Berührung stattfand" 50 . Diese Auffassung ist mit wachsender Einsicht modifiziert worden: Abgesehen von der nicht befriedigend geklärten Herkunft und der Variationsbreite dieser geistigen Bewegung (die sich auf ein einziges Motiv nicht einengen läßt) lebt die jüdische Apokalyptik auch in der christlichen Zeit weiter; sie steht mit dem Glauben der essenischen Qumrangemeinde in Beziehung und partiell auch mit der Verkündigung Jesu51; apokalyptische Passagen enthält das Neue Testament auch außerhalb 48

49

10

51

Diese Unterscheidung vermißt man bei H. Fuchs, Der geistige Widerstand gegen Rom in der antiken Welt, Berlin 1938, 19. Der Seher fordert das intellektuelle Vermögen heraus, das mit der gottgeschenkten Weisheit gepaart sein muß (vous ò σοφίαν Ιχων): Apk 13,18; 17,9, scheint also die Verschlüsselung für nichtchristliche Leser vorauszusetzen. Sie ist aber etwa 17,9 mit 18 (Stadt auf sieben Bergen) anders zu beurteilen als 13,18 (die Zahl 666). A. Hilgenfeld, Die jüdische Apokalyptik in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Christenthums nebst einem Anhang über das gnostische System des Basilides, Jena 1857, VIII, abgedruckt in: K. Koch/J.M. Schmidt (Hgg.), Apokalyptik (wie Anm. 2), 41. O. Böcher, Die Johannes-Apokalypse und die Texte von Qumran, A N R W II 25.5, Berlin/New York 1988,3894-3898. - Gottesherrschaft und Menschensohn-Begriff als apokalyptische Elemente in der Verkündigung Jesu: Ph. Vielhauer, in: NTApo 2 (wie Anm. 2), 428-454.

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der J o h a n n e s - A p o k a l y p s e 5 2 , u n d in der christlichen A p o k a l y p t i k h a t die j ü d i s c h e eher eine V a r i a n t e als einen N a c h f o l g e r . V e r f o l g u n g s - u n d U n t e r d r ü c k u n g s e r f a h r u n g e n h a b e n bei J u d e n u n d C h r i s t e n die H o f f n u n g e n des e s c l i a t o l o g i s c h e n D u a l i s m u s g e n ä h r t u n d neu e n t z ü n d e t , u n d nicht zuletzt h a t sich die G n o s i s m i t d e m Fundus apokalyptischer Vorstellungen verbunden. D a s eindrücklichste Zeugnis für das Weiterwachsen a p o k a l y p t i s c h e r G e d a n k e n g ä n g e , Bilder u n d A s s o z i a t i o n e n w i e a u c h f ü r d e r e n s y n k r e t i s t i s c h e E n t g r e n z u n g bietet j e d o c h die h e t e r o g e ne S a m m l u n g der sibyllinischen O r a k e l . In ihr s i n d ältere heidn i s c h e S t ü c k e in j ü d i s c h - c h r i s t l i c h e Z u s a m m e n h ä n g e e i n g e a r b e i tet, k ö n n e n christliche u n d j ü d i s c h e P a s s a g e n o f t n u r s c h w e r o d e r g a r nicht g e t r e n n t w e r d e n , sind s a c h l i c h u n d zeitlich vers c h i e d e n e S t o f f e v o m z w e i t e n v o r c h r i s t l i c h e n bis z u m dritten nachchristlichen Jahrhundert verbunden53. Einige

Konstanten

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Synoptische Apokalypse: Mk 13; apokalyptische Jesussprüche wie IThess 4,16f.; Mk 9,1; 14,62; Briefe: 2Kor 12,1-4 (Paulusvision); 2Thess 1,5-10; 2,3-12; 2Petr 3,3f. - Vgl. E. Käsemann, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen 2, Göttingen 1964, 105-131 und die Entgegnung: R. Bultmann, Ist die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie? Eine Auseinandersetzung mit Ernst Käsemann, in: ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, ausgew., eingel. u. hg. von E. Dinkier, Tübingen 1967, 476-482.

53

Text: Oracula Sibyllina, bearbeitet im Auftrag der KirchenväterCommission der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften von Johannes Geffcken, Leipzig 1902; A. Kurfess, Sibyllinische Weissagungen, s.l. 1951; H. Merkel, Sibyllinen ( J S H R Z 5 / 8 ) , Gütersloh 1998. - J . Geffcken, Komposition und Entstehungszeit der Oracula Sibyllina (TU 8 / 1 ) , Leipzig 1902; J.J. Collins, The Sibylline Oracles, in: Jewish Writings of the Second Temple Period. Apocrypha, Pseudepigrapha, Q u m r a n Sectarian Writings, Philo, Josephus, ed. by M.E. Stone (CRI 2 / 2 ) , Assen 1 9 8 4 , 3 5 7 - 3 8 1 ; ders., The Development of the Sibylline Tradition, in: A N R W I I 20.1, Berlin/New York 1987, 421459; A. Momigliano, Prophetie und Geschichtsschreibung (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 27), Marburg 1986; E. Schürer, A History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ. A New English

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treten aus diesem Wust aber deutlich hervor: Dominant ist die Sicht der Unterdrückten, die sich die eschatologische Rache an ihren und Gottes Feinden und die Umkehrung der Machtverhältnisse durch die große göttliche Revolution bilderreich und phantastisch ausmalt. Die durchgehende Vorstellung eines supranaturalen Wechsels der Aionen begründet für den gegenwärtigen wohl Bußruf oder eventuell Ta uffor der ung, aber schließt den geheimnisvollen Einbruch der Gottesherrschaft im Hier und Jetzt aus. Universalgeschichtliche Gliederungsschematismen nach Generationen, Herrschersukzessionen, Weltreichen oder Weltaltern, die sich der Bibel, der griechischen Mythologie und grober zeitgeschichtlicher Kenntnisse bedienen, lassen das Ganze der Geschichte von der Schöpfung bis zum Gericht als - immerhin periodisierte - Einheit erfassen, ohne aber an der passiven Rolle der Gläubigen und Auserwählten als Geschichtsträger etwas zu ändern. Ausmalung der unermeßlich gesteigerten endzeitlichen Drangsale mit Naturkatastrophen und kosmischem Feuer, Verschlüsselung der Aussagen und pseudepigraphe Fiktionen illustrieren Interessensrichtung und Niveau der Weissagungen. Beispiele bieten etwa die ins Monströse gesteigerte, aber der historischen Realität weitgehend entkleidete Figur Neros, der (in den jüdisch geprägten Büchern 4 und 5 der Sibyllinen) als Zerstörer des Tempels und Menschenfeind verdammt wird (5,150-154), zu Medern und Persern geflohen sein soll (4,119-122; 5,143149) und als endzeitlicher Weltbeherrscher und Zerstörer Roms (4,137-159; 5,363-380) zu mythischen Dimensionen gerät 54 , ferner der betonte und wechselnd bewertete Ost-West-Gegensatz Version, revised and edited by G. Vermes, F. Millar and M. Black, Vol. I I I / l , Edinburgh 1986, 6 1 8 - 6 5 4 ; V. Nikiprowetzky, La Sibylle juive et le „Troisième Livre" des „Pseudo-Oracles Sibyllins" depuis Ch. Alexandre, in: A N R W II 2 0 . 1 , Berlin/New York 1 9 8 7 , 4 6 0 - 5 4 2 . - Literatur: A. Lehnardt, Bibliographie (JSHRZ 6 / 2 ) (wie Anm. 2), 4 5 3 - 4 6 0 . 54

P. Prigent, Temps de l'Apocalypse (wie Anm. 41), 2 2 9 ; J. Lawrence, Nero Redivivus, FiHi 11, 1 9 7 8 , 5 4 - 6 6 ; L. Kreitzer, Hadrian and the Nero Redivivus Myth, Z N W 79, 1 9 8 8 , 9 2 - 1 1 5 .

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oder die dominierende Stellung Ägyptens und hier wieder die Rolle der Kleopatra-Gestalt. Die Entwicklung der Apokalyptik verlief also vor allem in zwei Richtungen: Sie sank ins Subliterarische ab und verlor dabei an gedanklichem Niveau (und namentlich auch theologischer Kontur); volkstümliche Geschichtsmythologie, romanhaft-erbauliche Darstellung und eschatologische Phantasie verbanden sich in zunehmendem Maße auch in der apokryphen neutestamentlichen Literatur. Oder sie verhärtete sich, von Verfolgungssituationen darin begünstigt, zu rigoristischem Dualismus, der in der kompromißlosen Ausgrenzung Anpassungswilliger (Apk 3,16) seine Glaubenstreue bewährte und durch die Abkapselung von der heidnischen Umwelt ins Konventikelhafte und Sektierermilieu geriet. Dabei spielte die eschatologische Naherwartung mit ihrer psychischen Hochspannung naturgemäß eine entscheidende Rolle, während die Verzögerung der Parusie vermittelnde Erklärungen nötig machte 55 , aber auch schon die Botschaft vom Anbruch des Gottesreiches durch die Verkündigung Christi und die Umkehr in diesem Leben, die Ablehnung der Zeichen (Lk 21,8) und der Zeitspekulation (2Petr 3,8) Spielraum für geschichtliches Handeln eröffnete und Interesse für weltliche πράξεις ermöglichte. Solcher Spielraum und solches Interesse wurden durch nichts so sehr theologisch begründet und praktisch begünstigt wie durch das den Christen aufgegebene Ziel der Bekehrung, die Missionierung der Heiden. Die Aufgaben, in dieser Welt für die künftige gerüstet zu leben und den Nichtgläubigen ,bis ans Ende der Welt' den ,lebenschaffenden' Glauben an Christus zu verkündigen, machten die verbleibende Zeit zu einer eigenständigen heilsgeschichtlichen Epoche und für die Lebenden zur positiven Größe, machten aber auch die Vergangenheit wichtig, weil sie der Gegenwart und Zukunft als Vorgeschichte, Vergleichshintergrund oder Beweismittel diente. Das Missionsziel hat die paulinische Konzeption des Heidenchristentums und die Öffnung nach 55

Als Ausweis göttlicher Geduld gedeutet: 2Petr 3,9.

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außen gegen den Widerstand der Urgemeinde erzwungen, damit die Einwurzelung der Christen in die heidnische Umwelt und das geschichtliche Wirken der Kirche in der Öffentlichkeit ermöglicht. Hierin gründete auch die Berührung mit der paganen Geschichtsschreibung, weil die ,paulinische Wende' die Öffnung zur kaiserzeitlichen Kultur und Gesellschaft einschloß. Die Brücke von den oben betrachteten Auffassungen der Apokalypse zu Anschauungen, die geschichtlicher Orientierung und historiographischem Interesse Raum ließen, kann für uns der 1. Petrusbrief schlagen 56 . Der an christliche Gemeinden Kleinasiens gerichtete Brief (1,1), der mit guten Gründen der domitianischen Zeit zugewiesen wird, mahnt die Adressaten zu Geduld und Standhaftigkeit und spricht wie die Apokalypse in eine Verfolgungs- oder Bedrohungssituation hinein (4,14.17; 5,8f.). Er nennt wie diese Rom ,Babylon* (5,13), unterscheidet sich aber von der Romfeindschaft des Sehers von Patmos durch seine grundsätzlich positive Stellung zur politischen Ordnung und differenziertere gesellschaftliche Vorstellungen. Mit paulinischen Wendungen wird die christlich gebotene loyale Unterordnung unter die weltlichen Institutionen gefordert, einer patriarchalisch-autokratischen Ordnung Sympathie entgegengebracht und werden als ihre Repräsentanten Kaiser und (von ihnen delegierte) Provinzstatthalter eigens genannt 57 ; die Kommunikation mit 56

Kommentare: W . Schräge, Die Petrusbriefe, in: H . B a l z / W . Schräge, Die Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes und Judas ( N T D 10), Götting e n / Z ü r i c h 1 9 7 3 ; L. Goppelt, Der Erste Petrusbrief (KEK 1 2 / 1 ) , G ö t t i n g e n 8 1 9 7 8 (1. Aufl. dieser Neubearb.); N . B r o x , Der erste Petrusbrief (EKK 2 1 ) , Zürich/Braunschweig/Neukirchen-Vluyn 1 9 7 9 . W . G . Kümmel, Einleitung (wie Anm. 4 6 ) , 3 6 7 ; J.B. Bauer, Der 1. Petrusbrief und die Verfolgung unter Domitian, in: Die Kirche des Anfangs. FS H . Schürmann, hg. v. R. Schnackenburg, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 1 9 7 8 , 5 1 3 - 5 2 7 .

57

IPetr 2 , 1 3 : ύποτάγητε ττάση άνθρωττίνη κτίσει (zur Bedeutung s. Ν . B r o x , Der erste Petrusbrief [wie Anm. 5 6 ] , z.St.) διά τόν κύριον· είτε βασιλεϊ ώς ύττερέχον-n, είτε ήγεμόσιν ώς δι'αύτού πεμπομένοις . . . ; 2 , 1 7 : τόν βασιλέα τιμάτε.

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der nichtchristlichen Umwelt (άναστροφή έν τοις εθνεσιν, 2 , 1 2 ) setzt der Autor, wenn auch nicht konfliktfrei (4,4), voraus. Von grundsätzlicher, etwa kultisch motivierter Ablehnung des politischen Systems ist nicht die Rede; der Teufel geht zwar als b r ü l lender Löwe' (5,8, nach Ps 2 2 , 1 4 ) einher, aber wird nicht mit dem Imperium oder dessen Organen identifiziert 58 . Die Bedrükkung der Christen wird vielmehr mit konkreten Umständen wie Mißgunst und Bezichtigungen, womöglich gar berechtigten (4,15), ihrer heidnischen Landsleute ( 2 , 1 2 ; 3 , 1 4 . 1 6 ; 4 , 4 . 1 4 ) in Verbindung gebracht, und der Schreiber versucht, die religiös motivierte Verfolgung (ώς Χριστιανός, 4 , 1 5 ) umsichtig von anders begründeten Vorwürfen zu unterscheiden. Hier ist das Problem der christlichen Existenz in heidnisch geprägter Umwelt aufgeworfen, wenn auch ohne allzu drängenden Aktualitätsbezug, und eben damit auch die Einstellung zu deren Geschichte und ihrer Auffassung berührt. Das aufschlußreichste Material dafür bietet das ungefähr gleichzeitige lukanische Doppelwerk, die zwei Bücher an Theophilus, Evangelium und Apostelgeschichte 5 9 . Ein heidenchrist-

58

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Auf eine allgemeine Verfolgung, so L. Goppelt, Der Erste Petrusbrief (wie Anm. 56), 6 0 . 3 4 1 , läßt nichts schließen; die Allgemeinheit der Paränese betont mit Recht dagegen N. Brox, Der erste Petrusbrief (wie Anm. 56), 2 4 . M. Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte (FRLANT 4 2 ) , hg. v. H. Greeven, Göttingen 1 9 5 1 ; E. Lohse, Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, EvTh 14, 1 9 5 4 , 2 5 6 - 2 7 5 ; H. Conzelmann, Geschichte, Geschichtsbild und Geschichtsdarstellung bei Lukas, T h L Z 8 5 , 1 9 6 0 , 2 4 2 - 2 5 0 (zu E. Haenchen, Die Apostelgeschichte [KEK 3], Göttingen 1 9 5 6 ) ; ders., Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17), Tübingen 5 1 9 6 4 ; H. Flender, Heil und Geschichte in der Theologie des Lukas (BEvTh 4 1 ) , München 1 9 6 5 ; E. Plümacher, Art. Lukas als griechischer Historiker, PRE.S 14, 1 9 7 4 , 2 3 5 - 2 6 4 ; W.G. Kümmel, Einleitung (wie Anm. 4 6 ) , 1 1 6 - 1 1 9 ; M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 2 1 9 8 4 ; G. Schneider, Lukas, Theologe der Heilsgeschichte. Aufsätze zum lukanischen Doppelwerk (BBB 59), Königstein/Taunus 1 9 8 5 . - Folgende Korn-

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licher Autor der dritten christlichen Generation 60 blickt hier auf die Anfänge, das Wirken Jesu, zurück und verfolgt unter eigener Perspektive die sieghafte gesetzesfreie Mission der Apostel. Zäsur wie Zusammenhang beider Themen ergeben sich durch die Himmelfahrt Jesu, das Ende seiner irdischen Wirksamkeit und die gleichzeitige Bevollmächtigung der Apostel (Act 1 , 2 . 4 - 1 2 ) , den Fortgang

der räumlich entgrenzten Verkündigung der βασι-

λεία του θεού; dem entspricht die Buchtrennung, die durch die Rekapitulation Act 1 , 1 - 1 0 aber auch überbrückt wird. Widmung und Prolog (Lk 1,1-4: wiederaufgenommen Act 1,1) gelten offensichtlich dem Gesamtwerk und halten dieses zusammen. Der Autor erfüllt nicht den Auftrag, eine ihm wie einem Medium zuteil gewordene Offenbarung einem bestimmten Empfängerkreis mitzuteilen und im übrigen womöglich geheimzuhalten, sondern er konzipiert aus eigener Erkenntnis und eigenem Entschluß eine

60

mentare sind herangezogen: H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte ( H N T 7), Tübingen 2 1 9 7 2 ; E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen 7 1 9 7 7 ; J . Roloff, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen 1 9 8 1 ; A. Weiser, Die Apostelgeschichte ( Ö T K 5,1-2), Gütersloh 1 9 8 1 ; W. Schmithals, Die Apostelgeschichte des Lukas ( Z B K . N T ) 3 / 2 , Zürich 1 9 8 2 ; R. Pesch, Die Apostelgeschichte (EKK 5 , 1 - 2 ) , Zürich 1 9 8 6 ; J . Zmijewski, Die Apostelgeschichte ( R N T ) , Regensburg 1 9 9 4 . - Forschungsberichte: E. Grässer, Die Apostelgeschichte in der Forschung der Gegenwart, T h R 2 6 , 1 9 6 0 , 9 3 - 1 6 7 ; ders., Acta-Forschung seit 1 9 6 0 , T h R 4 1 , 1 9 7 6 , 1 4 1 - 1 9 4 ; ders., Acta-Forschung seit 1 9 6 0 (Fortsetzung), T h R 4 1 , 1 9 7 6 , 2 5 9 - 2 9 0 ; ders., Acta-Forschung seit 1 9 6 0 (Fortsetzung), T h R 4 2 , 1 9 7 7 , 1 - 6 8 ; E. Plümacher, Acta-Forschung 1 9 7 4 - 1 9 8 2 , T h R 4 8 , 1 9 8 3 , 1 - 5 6 ; ders., Acta-Forschung 1 9 7 4 - 1 9 8 2 (Fortsetzung und Schluß), T h R 4 9 , 1 9 8 4 , 1 0 5 - 1 6 9 ; F. Hahn, Der gegenwärtige Stand der Erforschung der Apostelgeschichte. Kommentare und Aufsatzbände 1 9 8 0 1985, ThRv 82, 1986, 178-190. Die Priorität des Lukasevangeliums (Act 1,1) und dessen Abfassung nach 7 0 n.Chr. sowie der Rückblick Lk 1,2 führen auf die gewöhnliche Ansetzung um 9 0 (so die meisten Kommentatoren; W . Schmithals, Apostelgeschichte [wie Anm. 59], 17: „nicht zu weit vom J . 1 0 0 " , nimmt Josephus-Kenntnis an).

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διήγησις των πραγμάτων 6 1 , eine von ihm selbst in eigener Verantwortung geformte und geordnete 62 , mit Überzeugungsabsicht vorgetragene, werbende Darstellung eines ereignishaften Sachverhalts. Literarische Form (1), Individualität des Autors (2) und Öffentlichkeit seines Wirkens als Schriftsteller (3) sind damit diejenigen Aspekte, die das lukanische W e r k gegenüber allen bisherigen christlichen Schriften kennzeichnen, aber auch die Beziehung zur Historiographie herstellen. (1) Literarische Gestaltung setzt eine thematische Konzeption voraus, und so nennt der Prolog als Gegenstände der Darstellung das ττοιεΐν και διδάσκειν Jesu bzw. die πράξεις άποστόλων, einen Handlungszusammenhang, wie er ähnlich besonders in der Biographie, vornehmlich der Philosophen- und andrerseits der Herrscherbiographie, vorausgesetzt wird. Die organische (σωματοειδής) Einheit einer Monographie fordert weiter inneren Zusammenhang und Verhältnismäßigkeit der Teile; wie die Glieder eines Körpers, so das Bild der rhetorischen Theorie (Quint., inst. I X 4 , 1 2 9 ; Lukian, hist, conscr. 55), sollen die Elemente der

61

Lk 1,1 (dazu F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas [EKK 3 / 1 ] , Zürich 1 9 8 9 , 34); vgl. Dion. Hal., Thuk. 2 5 ; Lukian, hist, conscr. 5 5 (διήγησις: Hauptteil der Geschichtserzählung; vgl. G. Avenarius, Lukians Schrift zur Geschichtsschreibung, Meisenheim 1 9 5 6 , 118). Dem entspricht die narratio in Rede und Geschichte (Cie., inv. I 2 7 : narratio est rerum gestamm aut ut gestarum expositio), mit Nebensinn der erörternden, geordneten Darlegung: H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, München 3 1 9 9 0 , 164.

62

Zu καθεξής (Lk 1,3), „der Reihe nach", „im folgenden" oder „lückenlos", s. M. Völkel, Exegetische Erwägungen zum Verständnis des Begriffes καθεξής im lukanischen Prolog, NTS 2 0 , 1 9 7 4 , 2 8 9 - 2 9 9 ; E. Plümacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 59), 2 4 2 ; F. Mußner, καθεξής im Lukasprolog, in: Jesus und Paulus. FS W.G. Kümmel, hg. v. E.E. Ellis / E . Grässer, Göttingen 1 9 7 5 , 2 5 3 - 2 5 5 ; G. Schneider, Lukas (wie Anm. 59), 31; W.G. Kümmel, Einleitung (wie Anm. 46), 1 0 7 („in der rechten Reihenfolge", aber nicht streng chronologischer Ordnung).

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Erzählung (aber nicht nur in der Historiographie) miteinander in gefälliger und funktionaler Verbindung stehen. Die Ankündigung, καθεξής zu schreiben, sowie die wohlproportionierte, dem gedanklichen Ziel und der inneren Einheit des Gegenstandes gemäße Komposition entsprechen diesem Postulat. - Schließlich erwartete der rhetorisch geschulte Leser, daß eine geschichtliche Darstellung Weitschweifigkeit meide und klar formuliere, daß sie anschaulich, aber auch wirklichkeitsgetreu sei; die unterschiedliche Bewertung und Beachtung dieser Forderungen 6 3 führen auf das vielgestaltige Feld der historiographischen Praxis. Lukas zeigt durch seine vielen, meist kurzen Reden, die effektvolle Aneinanderreihung abgerundeter Episoden und zwischengeschalteter ,Summarien', die Gestaltung dramatischer Höheund Wendepunkte - ohne Interesse an intern-chronologischer Genauigkeit! - sowie die sprachlichen Mittel, die er zu verwenden weiß 6 4 , daß und wie er literarischen Ansprüchen genügt, wenn auch sein Werk aus einsichtigen Gründen einem bestimmten Gattungsmodell nicht zuzuordnen ist. Er gestaltet seinen Stoff zwar mehr als Szenenfolge denn als kausal kohärente Ereigniskette, aber gedanklich einheitlich als einen Prozeß der Bewegung und Entfaltung (eine

κίνησις vielleicht im thuky-

dideischen Sinne, aber schwerlich so gedacht): Das Lukas-Evan-

63

Die bekannte Polemik des Polybios gegen die dramatisierende Geschichtsschreibung (Plb. II 5 6 ) zeigt, daß die Forderungen der pragmatischen Geschichtsschreibung nach sachgemäßer Tatsachentreue und die der mimetisch-tragisierenden nach emotioneller Vereinnahmung des Lesers unvereinbaren Interessen dienten und unterschiedliche Darstellungsformen hervorriefen; vgl. H . Strasburger, Die Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung ( 1 9 6 6 ) , in: ders., Studien zur Alten Geschichte 2, Hildesheim 1982, (963-1016) 996.

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Z u Sprache und Stil des lukanischen Werks: E. Haenchen, Apostelgeschichte (wie Anm. 5 9 ) , 8 5 ; J . Roloff, Apostelgeschichte (wie Anm. 5 9 ) , 1 0 ; grundlegend: H . J . Cadbury, The Style and Literary M e t h o d of Luke 1 - 2 (HThS 6), Cambridge, Mass. 1 9 1 9 - 1 9 2 0 .

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gelium ist als großer Aufbruch, als Reisebericht Jesu stilisiert, die Apostelgeschichte hat ein missionsgeschichtliches Telos. (2) In einem literarischen Werk manifestiert sich sein Autor gegenüber dem Leser; er begründet deshalb gewöhnlich sein Vorhaben und erklärt sein Verhältnis zum gewählten Gegenstand, bestimmt seinen Standort und setzt sich mit Vorgängern auseinander. So geschieht es auch im Lukas-Prolog, w o sich der Autor zwar irregulärerweise nicht als solcher vorstellt 65 , aber doch deutlich macht, daß hier nicht die Stimme einer höheren Offenbarung spricht, sondern eine eigenverantwortliche literarische Persönlichkeit, die selbstgesetzte Ziele mit selbstgewählten Mitteln zu erreichen unternimmt. Auch w o ein Autor sich bemüht, hinter seinem W e r k zurückzutreten, oder zu erkennen gibt, daß er im Banne des von ihm beschriebenen Geschehens oder Heldens steht, bleibt er doch desto mehr mit seinem persönlich geprägten W e r k verbunden, je höher dessen literarischer Anspruch und Charakter ist. Die ,Wir-Berichte' der Apostelgeschichte bringen das auch äußerlich zum Ausdruck. „Bescheiden wirkt Lukas, wenn man ihn mit dem Seher von Patmos vergleicht, der eine neue Offenbarung empfing und verkündigt, anspruchsvoll ist er hingegen in seinem Drang nach Ordnung, Zuverlässigkeit, Kunst und theologischer Disposition des Zeitablaufs" 66 . - Und die mit Erstaunen beobachtete späte Anerkennung der Apostelgeschichte als Buch der Kirche 67 verrät ein deutliches Empfinden dieses Sachverhalts bei der christlichen Nachwelt. „In ihr (der Apostelgeschichte) begegnete der christliche Leser einem Buch, wie er es noch nicht kannte, einem Buch, das für Predigt und Unterricht nicht notwendig und üblich war.

65

Da er ersten Lukas haft".

66

F. Bovon, Evangelium nach Lukas 1 (wie Anm. 61), 43. E. Haenchen, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), 23.

67

gleichwohl in der geschraubten Periode des Prologs in der Person Singular spricht, bezeichnet F. Bovon, Evangelium nach 1 (wie Anm. 61), 33 die Anonymität mit Recht als „rätselEbenso aber Barn 1,1.

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Nur die Verbindung der Apostelgeschichte mit dem dritten Evangelium hat ihr dann den Schritt über die Schwelle des Kanons erlaubt". Die v o r die Sache tretende Subjektivität des Autors machte das lukanische W e r k für die Kirche zunächst fremdartig und schwierig. (3) Als literarisches Produkt sind die Bücher an Theophilus auf Kenntnisnahme durch andere angelegt, richteten sich also nicht wie ein Brief an einen bestimmten Adressaten, sondern an ein unbestimmtes Lesepublikum. Denn das ist der Sinn einer rhetorisch-stilistisch ausgearbeiteten Darstellung, auch w e n n sie nicht im Stil der hohen Historiographie verfaßt ist. Lukas wendete sich gewiß zunächst an heidenchristliche, zumindest w o h l w o l lende und empfängliche Leser; aber anders als innergemeindliche Briefliteratur konnte eine veröffentlichte Schrift mit literarischem Anspruch nicht auf ein christliches Publikum beschränkt werden und sollte es w o h l auch nicht 6 8 . M i t der W i d m u n g an einen κράτιστοξ ist zudem die Ausrichtung auf das munizipalbürgerliche oder ritterliche Milieu angedeutet 6 9 .

68

Ob ein christliches oder heidnisches Publikum angesprochen werden soll, ist umstritten: E. Haenchen, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), 89 („für Fremde nicht geschrieben"), E. Plümacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 59), 261 („vorwiegend christliche Leser"), M . Dibelius, Aufsätze (wie Anm. 59), 118 („auch für den Büchermarkt"), H. Freiherr von Campenhausen, Glaube und Bildung im Neuen Testament, in: ders., Tradition und Leben. Kräfte der Kirchengeschichte. Aufsätze und Vorträge, Tübingen I960, (17-47) 28 (heidnische Leser). Dabei ist weder mit modernem Buchvertrieb zu rechnen noch mit der Widmung eine Publikation verbunden zu denken. Und natürlich ist die eingetretene Rezeption der Schrift nicht der beabsichtigten Wirkung gleichzusetzen.

69

Gegenüber dem durch W. Bauer/K. und B. Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin/New York 6 1988 und die Kommentare nahegelegten weiteren Gebrauch der Anrede κράτιστος ist zu bedenken, daß sie in Act nur ritterlichen Prokuratoren (viri egregii) gilt: 23,26; 24,3; 26,25.

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Die Eigenart des Werkes liegt, pointiert gesagt, darin, daß hier die Grenze zwischen Verkündigung und Literatur irritierend fließend wurde: für frühchristliche Leser, die Verkündigung erwarteten, eine Anstößigkeit, für pagan Gebildete, die Literatur lasen, eine Naivität. Lukas erzählt also Geschichten mit den dafür charakteristischen technischen Mitteln: Spannung, Überraschung, Anschaulichkeit, aber er wollte gewiß auch in der Apostelgeschichte der Verkündigung dienen, die Erfüllung der Verheißung, daß die Reich-Gottes-Botschaft die Grenzen der Erde erreichen werde, darlegen. Bei aller Farbigkeit und Dramatik der Darstellung führt er die Ereignisse nicht auf autonomes Handeln der Beteiligten zurück, sondern auf die Lenkung durch den Heiligen Geist. Komplizierte übernatürliche Arrangements bewirken das Zusammentreffen Sauls mit Ananias (9,6 mit 9,10-19) oder des Petrus mit Cornelius (10,3-8 mit 10,11-20.23-25); Weissagungen durch Engel, Entrückungen und Gesichte, plötzliche übernatürliche Fähigkeiten oder Eingebungen bestimmen das Geschehen, Zeichen und Wunder bewegen einzelne und ganze Menschengruppen zu unerwartetem Verhalten, am folgenreichsten wohl dort, wo der Heilige Geist die Mission schrittweise von Asia ab nach Europa lenkt (16,6-10). - Mehr noch lassen die Reden erkennen, wie sehr theologische Absichten die literarischen Formen beeinflussen 70 . Wollen sie doch nicht als rhetorische Einlagen gewürdigt werden, und werden in ihnen nicht relative Standpunkte zum Ausdruck gebracht, noch dienen sie der Deutung, Korrektur oder Ergänzung der Ereignisschilderung. Soweit sie aus der Handlung heraustreten, tun sie das, um den Leser anzusprechen; ihre Aussage

70

M. Dibelius, Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung, in: ders., Aufsätze (wie Anm. 59), 120; U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5), Neukirchen 1961; E. Plümacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 59), 244; W.G. Kümmel, Einleitung (wie Anm. 46), 136; R. Pesch, Die Apostelgeschichte (wie Anm. 59), 42f.

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ist nicht relativ, sondern absolut, der Autor läßt nicht durch die Reden seine Personen wie auf einer Bühne agieren, sondern spricht in ihnen selber, nämlich als Prediger. Die »Unparteilichkeit des Historikers' mußte unter diesen Umständen zu einem gänzlich unanwendbaren Postulat werden. Es konnte aber auch ohnehin keine Bedeutung für eine Darstellung haben, die gar nicht anstrebte, Taten und Ereignisse objektiv zu beschreiben und in ihrem Zusammenhang verständlich zu machen, um damit lehrhafte, adhortative oder unterhaltende Zwecke zu erfüllen. Lukas will vielmehr die .Ereignisse, die sich unter uns erfüllt haben' (πράγματα εν ήμΐν πεπληροφορημένα), schildern, wählt also im Rahmen seines historischen Themas ohne Rücksicht auf Vollständigkeit und Interesse an Materialvorlage das aus, was unter dem heilsgeschichtlichen Aspekt von Verheißung und Erfüllung von Belang ist und auf diese Weise die christliche Verkündigung argumentativ absichern kann (περί ών κατηχήθης λόγων την άσφάλειαν)71. Er gesellt sich damit zu früheren .Dienern des Wortes', von denen er sich nur durch den größeren Zeitabstand und die dadurch erforderte άκρίβεια der quellenmäßigen Erforschung nicht mehr selbsterlebter Vorgänge (eine Historiker-Qualität!) unterscheidet (Lk 1,1-4). Der Autor verfolgt demnach bei aller Beherrschung literarischer Regeln und Kenntnis historiographischer Formen eher ein theologisches, heilsgeschichtliches als ein historisches Ziel; Selektion und Bewertung des Stoffes dienen bei ihm weniger der kohärenten und wirkungsvollen Beschreibung eines Ereigniszusammenhanges um seiner selbst willen als vielmehr einem schlüssigen und erfolgreichen Glaubensplädoyer, für das die geeigneten historischen Beweise und Argumente als Mittel eingesetzt werden. Die Erzählstruktur seiner Darstellung war freilich dennoch für Lukas deshalb nicht in Frage gestellt, weil ihm die Jesusgeschichte und

71

E. Lohse, Lukas (wie Anm. 59), 2 6 1 ; W . Schmithals, Apostelgeschichte (wie A n m . 59), 14; F. B o v o n , Evangelium nach Lukas 1 (wie Anm. 61), 35.

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die Ausbreitung des Glaubens im ganzen als Erfüllung von Verheißung galten; Geschichte wurde zwar zum Credo, aber doch nicht zur Formel, sondern blieb komplexe, erzählbare Realität, διήγησις των πραγμάτων. Dies wurde zur entscheidenden Voraussetzung der lukanischen Ferwwirkung. Daß die traditionellen Rezepte der rhetorischen Historiographie sich mit den neuen Intentionen widerspruchsfrei verbanden, war aber trotzdem nicht zu erwarten, und es fragt sich deshalb, was der christliche Autor seinem selbstgewählten Verfahren inhaltlich abgewonnen hat. Da ist zuerst die Propagierung der Koexistenz von Christentum und Imperium zu nennen, die man doch nicht als ein ,Werben um staatliche Duldung' mißverstehen darf 72 . Lukas schreibt nicht nur als hellenistischer Autor für eine literarische Öffentlichkeit, er schreibt auch über den christlichen Glauben als eine öffentliche Angelegenheit 73 . Wie der soziale Zusammenhalt der Gläubigen die reichsbürgerliche Solidarität nicht in Frage stellt, so vollzieht sich danach die Verkündigung im Rahmen der öffentlichen Kommunikation. Die Reden und ihre kompositorische Funktion belegen diese Publizität 74 ebenso wie die programmatische Erklärung des lukanischen Paulus gegenüber König Agrippa II., nicht von verborgenen Dingen zu sprechen, die ,im Winkel' geschehen seien, sondern von einer öffentlich bekannten Angelegenheit (Act 26,26). Leitmotivisch durchzieht die Beto-

72 73

74

Dazu H. Conzelmann, Geschichte (wie Anm. 59), 244f. Die Bedeutung der Öffentlichkeit illustriert etwa die ironische Charakteristik des Proselyten bei Juv., sat. X X I V 2 0 2 : (Iudaicum ius), tradidit arcano quodcumque volumine Moyses. E. Plümacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 59), 2 4 7 betont die an Livius erinnernde Funktion der Reden, die Situation, in der sie gehalten werden, selber zu beeinflussen, also ihre internliterarische Wirkung. Dazu ist die durch den persönlichen Rang vieler Adressaten (Asiarch: Act 1 9 , 3 1 ; Prokonsul von Zypern: 1 3 , 1 2 ; Prokurator von Judäa: 2 5 , 1 0 ; 2 6 , 2 5 ; dessen Frau: 2 4 , 2 4 ; König Agrippa II.: 2 6 , 2 - 2 3 ) gegebene interne Wirkung zu nehmen; vgl. E. Plümacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 59), 2 3 9 .

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nung der παρρησία die Apostelgeschichte 75 bis zum letzten Satz: ,Dank voller Redefreiheit' (μετά πάσης παρρησίας) ,ungehindert' (άκωλύτως) predigt sogar der Gefangene in Rom das Evangelium (28,31) 7 6 . Was in aller Öffentlichkeit propagiert wird, setzt sich auch unbesorgt den Blicken der Öffentlichkeit aus, ohne den Vorwurf unerlaubter Vereinsbildung oder menschenfeindlicher Absonderung fürchten zu müssen. Bis hart an die Grenze des christlichen Selbstverständnisses geht diese Stilisierung der Mission, die wesentlich mit der Wendung der hellenistischen Judenchristen und des Paulus zur gesetzesfreien Heidenmission zu tun hat 77 und ihr Gegenstück, die Gemeindeorganisation, weitgehend vernachlässigt, sie allenfalls als konfliktfreie Urgemeinschaft oder Philosophenschule idealisiert 78 . Aber die Betonung der gesellschaftlichen Konformität der christlichen Gemeinschaft ermöglicht auch, die Freiheit des antiken Stadtbürgers, die die Ordnung der pax Romana gewährleistete, für die Verkündigung in Anspruch zu nehmen 79 . Die damit proklamierte Vereinbarkeit von Mission und weltlicher Ordnung erlaubt, sich die Ausbreitung des Evangeliums so vorzustellen, als verliefe sie gleichsam auf römischen viae publicae, und sich an der geläufigen Vorstellung vom orbis terrarum als orbis Romanus zu orientieren: Die Mission soll nach dem Auftrag des Auferstandenen das ,Ende der Erde' 80 erreichen, 75

76

Reden mit (aller) παρρησία: Act 2 , 2 9 ; 4 , 1 3 . 3 1 ; 2 8 , 3 1 ; verbal (παρρησιάζομαι): 9 , 2 7 . 2 8 ; 1 3 , 4 6 ; 1 8 , 2 6 ; 1 9 , 8 ; 2 6 , 2 6 . F. Stagg, The Book of Acts. The Early Struggle for an Unhindered Gospel, Nashville, Tenn. 1 9 5 5 hat vor allem auf diesen Gesichtspunkt abgestellt.

77

M . Hengel, Geschichtsschreibung (wie Anm. 5 9 ) , 6 3 .

78

E. Plümacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 5 9 ) , 2 3 9 . So zerstreut Paulus Act 2 1 , 3 7 - 4 0 den Verdacht, ein ägyptischer Aufrührer und Demagoge zu sein, indem er sich dem die Tempelwache kommandierenden Militärtribun als Bürger von Tarsos vorstellt und um Redeerlaubnis bittet. A c t 1 , 8 nach Jes 4 9 , 6 ; die konkrete Bedeutung ( R o m , Spanien) ist fraglich, s. E. Haenchen, Apostelgeschichte (wie Anm. 5 9 ) , z.St.; H .

79

80

50

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aber das sucht der Heidenapostel, der das Entscheidende dafür tut, in Rom und darüber hinaus vielleicht im hispanischen Westen oder im Illyricum (Rom 15,19), und die pfingstliche Oikoumene, die für einen Augenblick Mesopotamien und Medien in den Blick rückt (Act 2,9), spielt im weiteren Verlauf der mediterran und hellenistisch zentrierten Erzählung keine Rolle mehr. Missionsreisen und Erfolge, Konflikte und Schicksal des Paulus der Apostelgeschichte setzen die imperiale Verkehrsgemeinschaft und die Stellung des Apostels in der Reichsgesellschaft, nicht zuletzt seine Civität, voraus. - Ebenso verläuft der heilsgeschichtliche Prozeß nach Lukas bekanntlich in zeitlicher Korrelation zur Reichsgeschichte, wie die vielerörterten Synchronismen (Lk 1,5; 2,1; 3,1) zeigen. Das Erscheinen Jesu wird in den weit- und reichsgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet und insbesondere der chronologische Bezug zur augusteischen Monarchie betont. Die heilsgeschichtliche Überdehnung dieses Zusammenhanges gehört freilich einer späteren Zeit an. Dagegen sagt der Autor erstaunlicherweise nichts von allgemeiner Verfolgung oder von Konflikten der Christen mit kaiserlichen Kultansprüchen, provinzialer Administration oder kommunaler Nachbarschaft. Es sind bei Lukas die Juden, die Jesu Tod verursachen (Lk 22,2; 23,22-24) und auch die Verhaftung des Paulus betreiben (Act 21,11-14.27-36). Ihre aggressive Feindschaft gegen die christliche Botschaft, die auch die Denunziation bei römischen Behörden nicht scheut (Act 17,6f.), aber freilich in der jüdischen Gesetzestreue begründet ist, erzeugt jene nie endende, zumal für das Bewußtsein des Autors konstitutive Konfliktlage, von der die Apostelgeschichte eingehend berichtet. Römische Autoritäten reagieren dagegen bloß auf jüdische AkConzelmann, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), z.St.; vgl. W.C. van Unnik, Der Ausdruck ¡ως εσχάτου της γης (Apostelgeschichte 1:8) und sein alttestamentlicher Hintergrund, in: Studia Biblica et Semitica. FS Th.C. Vriezen, Wageningen 1966, 335-349 (Umdeutung des alttestamentlichen Sprachgebrauchs auf Rom). Vgl. τό τέρμα της δύσεως, lClem 5,7.

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tionen gegen die Christen, erweisen sich aber oft als gerecht, wohlmeinend und einsichtig, zumindest neutral und an religiösem Hader nicht interessiert. Während der Kaiser und der Kaiserkult gar nicht in den Blick der Christen geraten, was der gewöhnlichen Lebenserfahrung im Reichsosten entsprechen mochte, huldigt der lukanische Paulus ausdrücklich der griechischen Kultur (in der Areopagrede) und rechtfertigt sich erfolgreich vor römischen Behörden gegen kriminelle Anklagen (18,15; 25,18); er nutzt in Ephesus seine überraschende Freundschaft mit Asiarchen (19,31) und genießt als geborener civis Romanus den Respekt eines Centurio (22,26). Nach alledem kann es kein Zufall sein, daß die Apostelgeschichte von römischen Verfolgungsmaßnahmen schweigt. Mangels einer genaueren Datierung der Schrift läßt sich nicht entscheiden, ob ihr Autor von den Bedrängnissen der Gemeinden in Kleinasien noch nichts wissen konnte oder ob sie außerhalb seines Gesichtskreises lagen; aber in Kenntnis des Märtyrertodes des Paulus hat er unzweifelhaft geschrieben, und von Neros römischer Verfolgung muß er gewußt haben, ohne daß er doch an seiner reichsloyalen Haltung (vgl. 25,8) darüber irre geworden wäre. Da die Vermutung, Lukas habe aus taktischen Gründen über Verfolgungsmaßnahmen geschwiegen 81 , ebenso unannehmbar ist wie die, er habe das anachronistische Programm einer religiösen Neutralität des Staates empfehlen wollen 82 , bleibt die Annahme wahrscheinlich,

81

82

So der Konsequenz nach E. Pliimacher, Lukas als griechischer Historiker (wie Anm. 59), 261. Die komplizierte Vermutung, gerade tatsächlich bestehende Schwierigkeiten der Christen mit politischen Instanzen hätten die deswegen erschwerte Mission durch das Programm der παρρησία neu stimulieren sollen, scheint mir unbegründet. E. Haenchen, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), 519; H. Conzelmann, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), z.St.; G. Schneider, Lukas (wie Anm. 59), 22. - Die Entscheidungen des Proconsuls Gallio (Act 18,15) und des Procurators Festus (25,18) richten sich gegen jüdische Anklagen, begründen aber keine religiöse Neutralität der römischen Gerichte.

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daß er die Verfolgungsmaßnahmen als Willkürakte einzelner, nicht als diabolische Auswirkungen eines politischen Systems wertete 8 3 und daß er zeitlich oder regional begrenzte Konflikte auf kontingente Umstände zurückführte 8 4 , die eine generelle Romfeindschaft nicht rechtfertigen konnten. Hier wird man eine patriarchalisch-reichsbürgerliche Sozialethik voraussetzen dürfen, wie sie ähnlich auch aus den Äußerungen des 1. Petrusbriefes spricht. Dem romfeindlichen, rigoristisch-eschatologischen Dualismus der Apokalypse stellt die Apostelgeschichte also die ausgreifende Dynamik einer relativ reichsloyalen Weltoffenheit entgegen, der die »eifernden' (ζηλώσαντες, 17,5), gesetzestreuen Juden entschiedenere Gegner sind als die hellenistischen und römischen Heiden. Statt von verrätselten apokalyptischen Bildern für visionär erregbare, abgeschlossene Gruppen spricht sie von der Verkündigung in der Öffentlichkeit und an die Öffentlichkeit, die sich der antiken Kommunikationsformen bedient. Ungleich enger erscheint hier die Verflechtung der Christen in den sozialen Lebenszusammenhang, und dem entspricht die farbige und anschauungsgesättigte Ereignisschilderung in literarischer Form. Die lukanischen Prediger meiden die Welt nicht, ergreifen vielmehr jede, auch unerwartete Gelegenheit, das Evangelium ihren Zeitgenossen nahezubringen, seien die nun Offiziere oder Gefängniswärter, reisende Diplomaten oder Kaufleute. So ist es auch verständlich, daß die Machthaber dieser Welt hier nicht aus feindseliger Distanz typologisch etikettiert werden, sondern realistisch und differenziert mit ihnen umgegangen wird, daß der Prediger der Mission nicht nur die geschichtsferne, eschatologische Entscheidungssituation vor Augen hat, sondern den

83

Vgl. T a c . , hist. IV 7 4 , 2 (Rede des Petilius Cerialis): quomodo sterilitatem aut nimios imbres et cetera naturae mala ita luxum vel avaritiam dominantium tolerate!

84

Vgl. die Schilderung des jüdisch inspirierten Volksaufruhrs in Thessalonike, Act 1 7 , 5 .

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Zufällen und Herausforderungen, Chancen und Gefahren der gewöhnlichen Welt begegnet. Freilich schwächt sich auch der heilsgeschichtliche Universalismus ab, wo unmerklich ,die Welt' mit dem orbis Romanus gleichgesetzt wird. Und die politische Ordnung des Imperiums erfaßt der weltläufige Reichsbürger zwar präziser als der verengte Blick des Visionärs, aber auch für Lukas und den lukanischen Paulus sind höchstens die hohen Reichsbeamten vor Ort individuelle Persönlichkeiten, nicht aber die allzu fernen Kaiser in ihrer undurchschaubaren Majestät. Vollends dürfte von den objektiven Bedingungen des römischen ,Staates' auch er keinen klaren Begriff haben. Für die abschließende Einschätzung dieser Unterschiede ist die Bedeutung der endzeitlichen Orientierung in der Apostelgeschichte entscheidend, die deshalb auch zum wichtigsten Thema der von H. Conzelmanns Interpretation ausgehenden modernen Forschung geworden ist: Lukas' heilsgeschichtliche Theologie hängt danach aufs engste mit seiner Zeiterfahrung, der Parusieverzögerung, zusammen, die Jesu Erscheinen zur ,Mitte der Zeit' werden und mit dem Wirken der Apostel die ,Zeit der Kirche' beginnen ließ; unerfüllte Naherwartung und Dynamik der Mission (seit ihrer Wendung zur gesetzesfreien Heidenmission) verzeitlichten die heilsgeschichtliche Stufe zu einer historischen Epoche, die Themen, Aufgaben und Ereignisabläufe umschloß und Gegenstand von Geschichtsschreibung werden konnte 85 . -

85

H. Conzelmann, Mitte der Zeit (wie Anm. 59); zur Wirkung dieses Werks s. nur E. Grässer, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), 110; ders., Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte (BZNW 22), Berlin 3 1977; E. Haenchen, Apostelgeschichte (wie Anm. 59), 106; G. Schneider, Lukas (wie Anm. 59), 206; E. Plümacher, Lukas (wie Anm. 59), 35. - Die Kritik geht einerseits von der Frage der theologischen Absicht, s. W.G. Kümmel, Einleitung (wie Anm. 46), 138, andererseits den eschatologischen Vorstellungen der Zeit aus, s. K. Aland, Das Ende der Zeiten (wie Anm. 34), 124 (lebendige Naherwartung bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts; zum Spott über die Parusie-Erwartung [2Petr 3,3] 148).

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Die Konzeption des Doppelwerks zeigt, daß die Ausbreitung des Evangeliums dem Autor über das Leben Jesu hinaus in die Zukunft reichte, ein Gegenstand der Entwicklung in der Zeit geworden war. Und für Lukas hat (anders als für den Visionär der Apokalypse) die Erwartung der nahen Parusie mit den ihr vorausgehenden Schrecken ihre lebensbeherrschende Ausschließlichkeit verloren (Act 1,7), sie läßt diesseitigen Gedanken Raum, ja, es wird bei ihm vor falschen Endzeitverkündigungen gewarnt (Lk 21,8). Aber der eschatologische Horizont ist deshalb doch keineswegs aufgehoben (vgl. Lk 9,27) 8 6 . - Ferner dient die größere Weltoffenheit keinem innerweltlichen Interesse, das positivere Verhältnis zu den politischen und sozialen Gegebenheiten fördert kein sachliches Engagement; die Mission, die Ausbreitung der Verkündigung des Reiches Gottes, bleibt das einzige Ziel der Entwicklung und für die Erzählung einziges leitendes Thema und kompositionelles Motiv. Das sieghafte Vordringen des Evangeliums ist die Erfüllung einer Verheißung (Act 1,8 mit 28,31), nicht das Ergebnis unverfügbarer, offener Geschichte. Irdische Hemmnisse und Widerstände stellen den Erfolg der Verkündigung nicht wirklich in Frage, sondern erweisen sich allemal als unerkannte Mittel der göttlichen Providenz, während ernste Gefahren nur jene eschatologischen Bedrohungen darstellen, die auch der lukanische Paulus fürchtet (wie die Wölfe, die nach seinem Weggang die Herde seiner Missionsgemeinde heimsuchen werden, Act 20,29). Gerade die Schilderung von Rückschlägen und Verfolgungen zeigt, daß das bewegt Ereignishafte dem Schriftsteller zwar in herkömmlicher Weise erzähltechnisch dazu dient, Spannung und Dramatik zu erzeugen, in Wirklichkeit aber nur Oberfläche eines Geschehens ist, das nach ganz anderen Bestimmungen abläuft, die denn auch gleichzeitig der Prediger enthüllt. Lukas bietet also (nach Thematik und Komposition ebenso wie nach seiner Auffassung vom geschichtlichen

A b w ä g e n d : W . G . K ü m m e l , Einleitung (wie A n m . 4 6 ) ,

112.138.

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Handeln) auch in der Apostelgeschichte Heilsgeschichte, die geschichtliche Pragmatik ist vordergründig. Wenn sich in seinem W e r k Verkündigung und Literatur mischen, so dient doch diese jener, nicht umgekehrt. Die Annahme einer Historisierung der heilsgeschichtlichen Epoche als Zeit der Kirche und Gegenstand von Geschichtsschreibung nimmt die literarische Technik zu Unrecht für geschichtliche Konzeption. Es geht Lukas aber nicht nur um eine literarisch wirkungsvolle, sondern auch eine dem reichsbürgerlichen Verständnishorizont des Lesepublikums angemessene Darstellung seiner Auffassung der Heilsgeschichte. Er will deutlich machen, daß sie zwar in Korrelation, aber nicht in Interdependenz zur Reichsgeschichte verläuft. Wenn er das Erscheinen Jesu zur Zeit des Augustus betont, so illustriert das die selbstverständliche Einbindung des Autors in die politischen Orientierungen und kulturellen Anschauungsformen seiner Zeit und Umgebung, aber bedeutet noch keine heilsgeschichtliche Verknüpfung des göttlichen Erlösungswerkes mit dem Imperium Romanum. Seine Perspektive bewirkt freilich, daß er hoffnungsvolle Aussichten wahrnimmt, wo der Autor der Apokalypse Vorzeichen eines grauenhaften, endzeitlichen Kampfes erkennt, daß sich ihm ein gewisser zeitlicher und sachlicher Spielraum für konstruktives Handeln eröffnet, wo der Seher von Patmos nur den Aufruf zur existentiellen Entscheidung hört. Der Unterschied ist nicht gering, aber es ist mehr ein Unterschied des kulturellen Milieus und der religiösen Sozialisation als der Konzeption von Geschichte und der Parusie-Erwartung. Deshalb ist der Autor des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte auch nicht der erste christliche Historiker 8 7 , mag 87

So mit W . G . Kümmel, Einleitung (wie Anm. 4 6 ) , 1 2 9 gegen M . Dibelius, Aufsätze (wie Anm. 59), 1 0 8 und vielen anderen. Das Kriterium ist aber nicht, so Kümmel, das Fehlen von Merkmalen „ d e r " Historiographie (vielmehr: nur einer bestimmten Gattung derselben) wie Vollständigkeit der Materialvorlage oder pragmatische Genauigkeit.

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das auch im nachhinein oft so angesehen worden sein. - Nicht Kirche als historische Größe und Objekt des Historikers ist Gegenstand seiner Darstellung, auch nicht eine Theologie der Kirche, sondern die Mission, die Predigt des Evangeliums, die sich auf die Weisung des Auferstandenen hin durch die Apostel ausbreitet und die im Problem der Gesetzesbindung, nicht in der Ungunst äußerer Umstände ihre größte providentielle Schwierigkeit zu überwinden hat. Auch an den Einzelgemeinden und ihrem Innenleben ist der Autor über ihre geistliche Gemeinschaft und gelegentliche, die πράξεις άποστόλων berührende Aktionen hinaus nicht besonders interessiert. - Als Schriftsteller schreibt Lukas zwar in Kenntnis der Formen und Regeln, die die rhetorische Literaturtheorie aufgestellt hatte, und bedient sich in diesem Zusammenhang auch historiographischer Sach- und Stilelemente wie der Überlieferungskritik, der Redenkomposition, der dramatisierenden Handlungsführung und Episodentechnik; aber im Rahmen der paganen Literatur wäre er nichtsdestoweniger eher als Verfasser hellenistischer Wundererzählungen' zu klassifizieren. - Von der historiographischen Konzeption einer ,Zeit der Kirche' war der Verfasser der Apostelgeschichte noch weit entfernt. Begriffe, Anschauungen oder Stilformen, die als Zeugnis dafür in Anspruch genommen wurden, beweisen nur ein gewisses Bildungsmedium, eine kulturelle Einfärbung der Verkündigung des Evangelisten, nicht ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur Zeitlichkeit. Dennoch wurde es von größter Bedeutung für die weitere Geschichte des mediterranen Christentums, daß es vor allem Angehörige dieses kulturellen Milieus waren, die es literarisch vertraten und sich der paganen Umwelt als gedankliche Vermittler anboten. In dem dadurch eingeleiteten kulturellen und gesellschaftlichen Assimilationsprozeß hat auch das Aufkommen christlichen Geschichtsdenkens zwischen historiographischer Tradition und heilsgeschichtlicher Spekulation seinen Platz. Und auf einem wieder anderen Blatt steht die geschichtliche Bedeutung der Apostelgeschichte als Quelle. Die kirchliche und säku-

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lare Geschichte späterer Zeit hat die lukanische Schrift als das genommen, was sie ihrer Intention nach nicht war und nicht sein konnte: eine Geschichte der apostolischen Zeit.

3 Das T o r zum reichsrömischen Christentum des zweiten Jahrhunderts bilden die Schriften der sogenannten Apostolischen Väter, die zum Teil zeitlich und sachlich den neutestamentlichen Briefen nahestehen und nur durch die Kanonbildung von ihnen getrennt sind. Nicht die Verfasserschaft von Apostelschülern und auch nicht die (oft unsichere) Zeitstellung, wohl aber die Ausrichtung auf die als dauerhaft vorgestellte Gemeindepraxis begründen ihre Zusammengehörigkeit 8 8 . Wie vor ihnen die neutestamentlichen Briefschreiber wendeten sich ihre Autoren ohne literarischen Anspruch mahnend und tröstend an Gemeinden, Gemeindeverbände oder einzelne Adressaten, die jedoch durch Austausch und Verlesung in den Gemeinden (2Clem 1 7 , 3 ; Eus., h.e. IV 2 3 , 1 1 ) daraus eine innerchristliche Subliteratur werden ließen. Gemeindezucht und Gemeindefriede, Heiligung und Buße, Martyriumsbereitschaft und Endzeiterwartung, heilsgeschichtliche Deutung des Alten Testaments und deren Absicherung gegen Juden und Häretiker sind die Hauptthemen bei Clemens, Ignatius und Polycarp, im Barnabasbrief und im Hirten des Hermas. 88

W . Rebell, Neutestamentliche Apokryphen und Apostolische Väter, München 1 9 9 2 , 1 8 1 . 2 5 8 . Z u r Abgrenzung und Definition siehe B. A l t a n e r / A . Stuiber, Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, Freiburg im Breisgau 8 1 9 7 8 , 4 3 - 4 4 ; SUC I, S. I X . Vgl. A p F ( T ) 1: Introduction. (2: 1. and 2. Clement; 3: Barnabas and The Didache; 4 : Ignatius of Antioch; 5: Polycarp, M a r t y r d o m of Polycarp, Fragments of Papias; 6: Hermas); A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 (Aufsätze zu den Apostolischen Vätern); H . Köster, Einführung in das Neue Testament, Berlin 1 9 8 0 , 4 4 0 . 5 0 0 . 6 9 8 ; P. Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, B e r l i n / N e w Y o r k 1 9 7 5 , 5 1 3 . 5 2 9 . 7 1 9 . 7 5 7 .

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Die Endzeiterwartung ist bei Ignatius intensiv (IgnEph 11,1: έσχατοι καιροί) und hier durch das erwartete und erwünschte Martyrium motiviert, sonst wird sie zwar erwähnt, aber eher als konventionelle Lehre (lClem 23,5; Did 16,6-8; Herrn vis 4,3,3), im Barnabasbrief begegnet die Auffassung von der 6000-jährigen Dauer der Welt (15,4), und dem Bischof Papias von Hierapolis trug sein aus mündlicher Tradition gespeister chiliastischer Realismus den derben Vorwurf ein, recht wenig Verstand gehabt zu haben (Eus., h.e. III 39,12f.). Die Erwartung der nahen Parusie hörte nicht wegen ihres Ausbleibens auf, gleichsam als Reaktion auf eine Enttäuschung, sie verlor nur ihre lebensbeherrschende Radikalität 8 9 ; sie trat als eschatologisches Lehrstück unmerklich zurück vor der immer wichtiger werdenden Kontinuität der kirchlichen Tradition und Organisation, mit denen sich denn diese Schriften auch hauptsächlich befassen 90 . Die Parusieverzögerung ließ den unerwarteten Spielraum vor der Wiederkunft Christi und dem Gericht hier zwar zur ,Zeit der Kirche' werden, aber die erschien nicht als eine mit eigener heilsgeschichtlicher Würde 89

90

K. Aland, Das Ende der Zeiten (wie Anm. 34), 1 2 4 - 1 8 2 ; J.G. Gager, Das Ende der Zeit und die Entstehung von Gemeinschaften, in: W . A . Meeks (Hg.), Zur Soziologie des Urchristentums (TB 62), München 1979, 88-130. C. Trevett, A Study of Ignatius of Antioch in Syria and Asia (SBEC 29), Lewiston, N.Y. 1 9 9 2 , 37; W.R. Schoedel, Polycarp of Smyrna and Ignatius of Antioch, in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 2 7 2 - 3 5 8 ; C. Munier, Où en est la question d'Ignace d'Antioche? Bilan d'un siècle de recherches 1 8 7 0 - 1 9 8 8 , in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 3 5 9 - 4 8 4 (Forschungsbericht zu Ignatius). - G. Schöllgen, Die Didache als Kirchenordnung, J b A C 2 9 , 1 9 8 6 , 5-26; A. Tulier, Art. Didache, TRE 8 , 1 9 8 1 , 7 3 1 - 7 3 6 ; F.E. Vokes, Life and Order in an Early Church: the Didache, in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 2 0 9 - 2 3 3 ; L. Pernveden, The Concept of the Church in the Sheperd of Hermas (STL 27), Lund 1 9 6 6 , 1 7 7 ; R. Staats, Art. Hermas, TRE 15, 1 9 8 6 , 1 0 0 - 1 0 8 ; Α. Hilhorst, Art. Hermas, R A C 14, 1 9 8 8 , 6 8 2 - 7 0 1 ; Ν. Brox, Der Hirt des Hermas (KAV 7), Göttingen 1 9 9 1 , 2 7 2 ; R. Joly, Le milieu complexe du .Pasteur d'Hermas', in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 524-551.

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ausgestattete Epoche missionarischer Dynamik und neuer geschichtlicher Verantwortung, sondern als mühsame Alltäglichkeit mit ihren Problemen, wie etwa bischöflichen Ansprüchen (IgnEph 4 , 1 u.ö.) oder Versorgung von Wanderaposteln (Did 1 1 , 4 - 6 ) , mit kasuistischen Ehefragen (Herrn mand 4), liturgischen Regelungen (Did 7 - 1 0 ) u.ä. Die Sicherung der Gemeinden, bei Clemens vor dem Schisma in Korinth, bei Ignatius vor der Verfolgung in Antiochia (IgnPhld 10,1), bei Polycarp vor den Häretikern (Polyc 7,1), bei Hermas vor den sozialen Spannungen der Großstadt, zog die Energien auf sich. Wem, wie selbst Ignatius, die Sorge um die episkopale Autorität in den Gemeinden am Herzen lag, der dachte eher an deren Zukunft als an ein nahes Ende. Das innere Leben der Kirche, die Ordnung der Normalität, begann zum Inhalt aktiven Handelns und Planens in dieser Welt zu werden. Der politische Rahmen der imperialen Ordnung wird in diesen Schriften deshalb fraglos anerkannt und erstaunlich wenig diskutiert, selbst da nicht, wo er den Christen als feindliche M a c h t begegnete. Die Anerkennung gilt nicht ,dem Staat' in irgendeinem Sinne, wofür nach wie vor schon ein Begriff und die Möglichkeit gedanklicher Erfassung fehlt, sondern einem - begrifflich kaum zu durchdringenden und in der Wirklichkeit nicht zu durchschauenden - singulären Komplex aus ubiquitärer munizipaler Honoratiorenpraxis und punktuell einwirkenden römischen Instanzen, weitverwurzelter patriarchalischer, in vorpolitische Schichten zurückreichender Sozialordnung und diffuser philosophisch-religiöser Herrschaftssymbolik. Die εξουσία της βασιλείας, die abstrakte M a c h t des Kaisers, die nie personalisiert, aber gelegentlich aufgeteilt gedacht wird auf Kaiser und Provinzstatthalter (ηγούμενοι) oder άρχοντες und ηγεμόνες, ist ein Abbild der göttlichen Herrschaft ( l C l e m 6 1 , 1 ) , der das Gebet auch noch der Verfolgten gilt ( l C l e m 6 0 , 4 ; Polyc 12,2). Im Milieu der kaiserzeitlichen Stadtzivilisation des zweiten Jahrhunderts hat die frühe Kirche das Netz ihrer Ortsgemeinden und deren Organisation ausgebaut, und im gesellschaftlichen Gefüge der Zeit

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hat sie eine gewisse, prekäre Stellung gewonnen 91 . Die christliche Einwurzelung und Ausbreitung in der mediterranen Welt setzt ferner die Verkehrsfreiheit der pax Romana voraus, damit nicht zuletzt auch den ungehinderten Austausch von Schriften, Gedanken und reisenden Vermittlern, der zur Normierung der Glaubenstradition (in Bekenntnisformeln, Kanonverzeichnissen, Festordnungen usw.) und zur überlokalen Meinungsbildung (über aktuelle Probleme) in der Gesamtkirche nötig war. Verfolgungen werden angedeutet, so bei Clemens (lClem 1,1; 5,1) oder Hermas, vor allem natürlich bei Ignatius, wo sie die Voraussetzung der Briefschreiberei bilden, aber sie werden weder gezählt noch systematisiert92. Sie bleiben begrenzte und verein91

H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche 2, Berlin 4 / 5 1 9 9 9 (= 1 9 3 6 ) , 3 7 ; J. Lebreton/J. Zeiller, L'Église primitive, Paris 1 9 3 8 , 3 9 7 ; K. Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche (HKGQ] 1), Freiburg im Breisgau 3 1 9 6 5 , 1 7 2 ; L. Goppelt, Die apostolische und nachapostolische Zeit (KIG 1, Lfg. A), Göttingen 2 1 9 6 6 , 7 4 - 1 0 3 ; C. Andresen, Die Kirchen der alten Christenheit ( R M 2 9 / 1 - 2 ) , Stuttgart 1 9 7 1 , 1 7 ; K. Aland, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem N T und den Aussagen des zweiten Jahrhunderts, in: ders., Neutestamentliche Entwürfe (wie Anm. 89), 2 6 - 1 2 3 ; ders., Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Frühzeit, in: A N R W II 2 3 . 1 , Berlin 1 9 7 9 , (602 4 6 ) 6 5 . 2 3 6 ; C. Andresen/A.M. Ritter, Geschichte des Christentums, Bd. 1: Altertum (ThW 6 / 1 ) , Stuttgart 1 9 9 3 , 7.

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Vgl. demgegenüber die Zählung bei Eusebius, h.e. III 17, die die pagane Verurteilung der senatsfeindlichen Kaiser voraussetzt (Tert., apol. 5,3). - Zur frühen Märtyrerverehrung: H. Freiherr von Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche, Göttingen 2 1964; W. Rordorf, Zur Entstehung der christlichen Märtyrerverehrung, in: F. von Lilienfeld (Hg.), Aspekte frühchristlicher Heiligenverehrung (Oikonomia 6), Erlangen 1 9 7 7 , 3 5 - 5 3 . 1 5 0 - 1 6 8 = ders., Lex Orandi - Lex Credendi. Gesammelte Aufsätze zum 60. Geburtstag (Parad. 3 6 ) , Fribourg 1 9 9 3 , 1 2 8 - 1 6 5 ; T h . Baumeister, Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums (TC 8), Bern 1 9 9 1 . Ohne die Ignatiusbriefe gäbe es keine Kenntnis seines Martyriums, ohne die Pliniusbriefe keine der bithynischen Verfolgung unter Trajan. Römische Märtyrerverehrung erst im dritten Jahrhundert: A. Stuiber, Heidnische und christliche Gedächtniskalender, J b A C 3, 1 9 6 0 , 2 4 - 3 3 .

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zelte Prüfungen und Drangsale, die die grundsätzliche Loyalität gegenüber dem politischen System nicht in Frage stellen: Die irdische, also imperiale Ordnung und noch mehr die patriarchalische Sozialordnung 93 im allgemeinen werden als Geschenk Gottes positiv gewertet und durch Verfolgungssituationen nicht unglaubwürdig. Bei der Dominanz innergemeindlicher Themen und dem im allgemeinen bescheidenen sozialen Niveau der Schreiber wie der Leser oder Hörer dieser Schriften ist es verständlich, daß ihnen vieles zur Gemeindesoziologie, aber kaum etwas zu geschichtlichen Anschauungen zu entnehmen ist. Geschichtliche Reflexion forderte die scheinbar stillstehende Zeit des Kaiserfriedens auch den Christen so wenig ab, wie sie es in der paganen Sphäre tat, wo die große Tradition der Geschichtsschreibung im zweiten Jahrhundert keine Fortsetzung mehr fand. Doch lassen sich, wie ansatzweise schon in den neutestamentlichen Briefen, die Anfänge interner Traditionsbildung erkennen. Bischof Papias von 93

l C l e m 1,3; 3,2; 2 1 , 6 ; 3 0 , 8 ; 5 6 , 2 - 1 6 ; vgl. die Militärmetaphorik 3 7 , 1 4 ; Respektierung der ηγούμενοι 5,7; 3 7 , 3 . - Did 4 , 1 1 (Sklaven). - Α. Stuiber, Art. Clemens Rom. I, RAC 3 , 1 9 5 5 , 1 8 8 - 1 9 7 ; C. Eggenberger, Die Quellen der politischen Ethik des 1. Klemensbriefes, Zürich 1 9 5 1 (Spätdatierung, fiktiver Charakter der korinthischen Motivation angenommen); O.B. Knoch, Im Namen des Petrus und Paulus. Der Brief des Clemens Romanus und die Eigenart des römischen Christentums, in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 3 - 5 4 ; A.W. Ziegler/G. Brunner, Die Frage nach einer politischen Absicht des Ersten Klemensbriefes, in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 5 5 - 7 6 . - Allgemein zur sozialen Einstellung des Urchristentums: W.A. Meeks (Hg.), Soziologie (wie Anm. 89); J . G . Gager, Kingdom and Community. T h e Social World of Early Christianity (Prentice-Hall studies in religion series), Englewood Cliffs, N.J. 1 9 7 5 ; G. Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums ( W U N T 19), Tübingen 1 9 7 9 ; R. Grant, Christen als Bürger im römischen Reich, Göttingen 1 9 8 1 (= engl.: Early Christianity and society, San Francisco 1 9 7 7 ) ; H.C. Kee, Das frühe Christentum in soziologischer Sicht (UTB 1 2 1 9 ) , Göttingen 1 9 8 2 (= engl.: Christian Origins in Sociological Perspective, Philadelphia 1 9 8 0 ) , bes. 9 5 ; A.J. Malherbe, Social Aspects of Early Christianity, Philadelphia 2 1 9 8 3 .

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Hierapolis galt Irenaeus (haer. V 33,4) als Schüler des Johannes und Freund Polycarps, obwohl er selbst nicht beanspruchte, die Apostel noch selbst erlebt zu haben (Eus., h.e. III 39,2). Er bemühte sich aber um die Sammlung aller von den πρεσβύτεροι erreichbaren Nachrichten über sie, unterschied dabei das Faktische von Auslegungen (έρμηνεΐαι), bewertete mündliche Quellen höher als schriftliche und fand in der Glaubenstreue ein Wahrheitskriterium (Eus., h.e. III 39,3-4), dies alles anscheinend aus eigenen kritischen Erwägungen, nicht in Befolgung methodischer Regeln (etwa platonischer Schriftkritik) 94 . Clemens von Rom stellt den Korinthern Exempel für die verhängnisvollen Wirkungen von ζήλος und φθόνος vor Augen und fügt den ,alten' (alttestamentlichen) Belegen als Jüngste' die (römischen) Martyrien des Petrus und Paulus an (lClem 5,1). Aus alttestamentlichen Zeugen (vgl. 7,1) und christlichen Helden entstand so für die Kirche eine eigene personale Legitimationskette. An deren einzelnen Gliedern hatten die Gemeinden unterschiedlich starken Anteil, aber die auf sie beziehbaren Elemente pflegten sie (wie Clemens' Erwähnung der Apostelfürsten zeigt) besonders nachdrücklich, ähnlich, wie es in paganen Stadttraditionen mit Stiftern und Heroen, eigenen und in die Stadtgeschichte verflochtenen fremden Helden seit jeher auch geschah. Ein unscheinbares, aber weites und disparates Feld bilden die ins Allgemeine nicht hineinragenden christlichen Lokaltraditionen, auf deren Entstehen bereits die Paulusbriefe ein kurzes und einseitiges Licht werfen. Missionszusammenhänge und Gründungsereignisse, interne Konflikte aller Art, aber Verfolgungsgeschichte und Martyrien anscheinend nur in undurchsichtiger Selektion, sodann die bischöflichen Sukzessionen (und was an Bemerkenswertem daran anzuknüpfen war) und damit

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F. W o t k e , Art. Papias 1, P R E 1 8 / 3 , 1 9 4 9 , 9 6 6 - 9 7 6 ; A p F ( T ) 5 ; U . H . J . Körtner, Papias von Hierapolis ( F R L A N T 1 3 3 ) , Göttingen 1 9 8 3 ; ders., Papiasfragmente, in: SUC 3 , 9 - 1 0 3 ; W . R . Schoedel, Papias, in: A N R W II 2 7 . 1 , Berlin 1 9 9 3 , 2 3 5 - 2 7 0 .

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ein chronologischer Verlaufsfaden sowie ein etwaiger brieflicher Außenverkehr scheinen das Material dafür geliefert zu haben. Die unterschiedliche Stabilität der Gemeinden und ihre unterschiedlich festen Erinnerungen, konkurrierende Legitimitätsansprüche und Grad der Verbindung mit allgemeiner Kirchenoder Reichsgeschichte, Einflüsse der Literarisierung und zufällige Selektion müssen die Überlieferungslage im einzelnen geformt haben. Sie ist nach ihrer Entstehung meist nicht durchschaubar, und der ganze Bereich christlicher Lokaltraditionen scheint systematisch nicht erforscht zu sein; er hat aber eine aufschlußreiche Parallele in den säkularen Lokalgeschichten und Lokalchroniken 95 : Wie für diese stellen sich auch für die christlichen Lokaltraditionen die spezifischen Probleme von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von Reichweite und Verläßlichkeit der Erinnerung, von Herkunft, Tendenz und Selektion des Überlieferungsstoffes sowie die Frage nach den Möglichkeiten und der Qualität, den Interessen und Tendenzen historiographischer Synthesen, die Lokaltraditionen bewahren konnten, indem sie sie verarbeiteten. Der Vergleich zeigt, daß die Christen des zweiten Jahrhunderts noch kein Interesse an einer historischen Verknüpfung solcher Einzelfäden zu einem Gesamtgewebe hatten; auch von einem Anschluß an die Geschichtstheologie des Lukas bleiben diese Ansätze christlicher Traditionsbildung ebenso weit entfernt wie vom romanhaften Erzählstil der Apostelgeschichte. Daß aber überhaupt Ortsgemeinden Traditionen ausbildeten, die sich erhielten und später, bei Eusebius, in das, was er Kir95

Vgl. R. Laqueur, Art. Lokalchronik, PRE 1 3 / 1 , 1 9 2 6 , 1 0 8 3 - 1 1 1 0 ; W . Spoerri, Art. Lokalchronik. Lokalgeschichte, KP 3 , 1 9 6 9 , 7 1 5 - 7 1 7 ; F. Jacoby, Über die Entwicklung der griechischen Historiographie und den Plan einer neuen Sammlung der griechischen Historikerfragmente, in: ders., Abhandlungen zur griechischen Geschichtsschreibung, zum 80. Geburtstag hg. v. H. Bloch, Leiden 1 9 5 6 , (16-64) 4 9 (= Klio 9, 1 9 0 9 , 8 0 - 1 2 3 ) ; ders., Atthis. The Local Chronicles of Ancient Athens, Oxford 1 9 4 9 ; K. von Fritz, Die griechische Geschichtsschreibung, Berlin 1 9 6 7 , 7 7 - 1 0 3 .

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chengeschichte nannte, eingehen konnten, ist bemerkenswert genug. Bedeutet es doch, daß Geschichte der Kirche nun nicht mehr nur als Summe von πράξείξ der Apostel-Missionare und als Ausbreitung der sieghaft und dynamisch die Welt ergreifenden Verkündigung verstanden werden konnte, sondern auch als die Gesamtheit der vielen, örtlich gebundenen und miteinander vernetzten Einzeltraditionen in der römisch beherrschten Oikoumene, weniger als die heilsgeschichtlich notwendige Bedingung der nahe gedachten Vollendung denn als nüchterne, institutionalisierte Aktivität in dieser Welt. Vor diesem Hintergrund ist der außerordentliche Umbruch zu würdigen, den etwa seit hadrianischer Zeit das Wirken der sogenannten Apologeten bedeutete. M i t ihm ist nicht weniger als der Beginn christlicher Literatur im eigentlichen Sinne des Wortes verbunden 9 6 , denn die Apologeten schrieben, wie vorher allenfalls Lukas in gewissem Grade, formgebunden für die und in die literarische Öffentlichkeit. Sie aber taten das nun unter den veränderten Voraussetzungen des zweiten Jahrhunderts: verfestigter kirchlicher Organisation und Gemeindestruktur, die durch Lehrtradition und Wandermissionare, Briefverkehr und weiterverbreitete Gemeindeschriften zusammengehalten wurden und in den ortsfesten Episkopen ihr Rückgrat hatten. Damit stellt sich die Frage, in welcher Funktion und Absicht und mit welcher Vollmacht sie für die christliche Gemeinschaft sprechen konnten. 96

B. Altaner/A. Stuiber, Patrologie (wie Anm. 36), 5 8 - 6 1 ; G. Bardy, Art. Apologetik, RAC 1, 1 9 5 0 , 5 3 3 - 5 4 3 ; R.L. Wilken, Toward a Social Interpretation of Early Christian Apologetics, ChH 39, 1 9 7 0 , 4 3 7 4 5 8 ; L.W. Barnard, Art. Apologetik I, T R E 3, 1 9 7 8 , 3 7 1 - 4 1 1 ; D. Timpe, Apologeti (wie Anm. 12) (einige Gedanken und Formulierungen dieses Aufsatzes sind im folgenden übernommen); R.M. Grant, Greek Apologists of the second Century, Philadelphia 1 9 8 8 ; W . Kinzig, Der „Sitz im Leben" der Apologie in der Alten Kirche, Z K G 1 0 0 , 1 9 8 9 , 2 9 1 - 3 1 7 (formgeschichtlich; Petition an den Kaiser als Realgrund der Apologien). - In A N R W II 2 7 . 2 - 3 ist seit langem eine Sammlung von Aufsätzen und Forschungsberichten zur Apologetik angekündigt.

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Die Apologeten äußern sich zum ersten Male als individuelle Autoren im eigenen Namen, sie treten als Literaten an die nichtchristliche Öffentlichkeit und wenden sich sogar unerschrocken an die politischen Autoritäten, um zu belehren und aufzuklären, zu argumentieren und zu diskutieren und die ihnen feindliche Umwelt herauszufordern. All das war im christlichen Raum ohne jedes Vorbild 9 7 . Statt sich in homiletischer Fürsorglichkeit den Glaubensgenossen zuzuwenden und sich der Binnensicht der Gemeindeliteratur zu widmen oder sich passiv und in Erwartung jenseitiger Gerechtigkeit in das Leiden der Verfolgung und die Feindschaft ,der Welt' zu ergeben, forderten sie demonstrativ Vernunft, Gerechtigkeit und für die christliche Gemeinschaft einen anerkannten Platz in der Gesellschaft. In dieser παρρησία gleichen sie den lukanischen Verkündigern, aber sie predigen nicht wie diese die paradoxe Botschaft von Kreuz und Auferstehung, die nüchternen Heiden als μανία (Act 2 6 , 2 4 ) erscheinen mußte, sondern räsonieren wie intellektuell geschulte, öffentlich auftretende Redner oder Schriftsteller, die das Verständnis ihres Publikums einfordern und Zustimmung erwarten. Ihre Absicht ist gar nicht, theologisch zu argumentieren, und sie ist überhaupt nicht auf ein einziges, immer gleiches gedankliches Ziel gerichtet, aber hängt doch stets mit der offensiven, allgemeinverständlichen Verteidigung des christlichen Glaubens zusammen, der gegenüber Heiden, Juden oder Häretikern als überlegen, wahr, durch recht verstandene Tradition legitimiert und der philosophischen Vernunft konform erwiesen werden soll. Apologetik ist auch keine einheitliche literarische Gattung, womöglich neben anderen; vielmehr bedienen sich die Apologeten vieler unter-

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Anders dagegen in der jüdisch-hellenistischen Literatur, wie z.B. der Aristeas-Brief, Philo oder Josephus zeigen. Doch ist das Vorbild der Apologeten sicherlich eher in der kaiserzeitlichen Lebenswelt zu suchen; vgl. G. Bowersock, Greek Sophists in the R o m a n Empire, O x f o r d 1 9 6 9 ; J . H a h n , Der Philosoph und die Gesellschaft (HABES 7), Stuttgart 1 9 8 9 .

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schiedlicher Formen: des Briefes, der Rede oder des Dialogs, der fingierten amtlichen Eingabe (εντευξις) oder des philosophischen Traktats. Sie allein treten als Christen literarisch an die Öffentlichkeit, und eben dies verbindet sie miteinander mehr als Inhalt und Form ihrer Schriften. Sie schalten sich (wie Tertullian) als Advokaten in die juristische Argumentation der Verfolger ein, um die Widersprüchlichkeit der Rechtslage und die Haltlosigkeit der Anklagen darzulegen, oder sie nennen sich (wie Aristides oder Athenagoras) ,Philosophen und Athener', um sich den philhellenischen Philosophenkaisern Hadrian und M a r c Aurel als Gesprächspartner anzubieten, oder sie stellen sich (wie Minucius Felix und der Verfasser des Diognetbriefes) als urbane, gebildete Angehörige der munizipalen Oberschicht dar, die in gepflegter, höflicher Atmosphäre mit anderen verkehren und damit Anspruch auf Respekt und Gehör erheben. Diese Autoren verteidigen zwar die christliche Gemeinschaft gegen heidnische und jüdische Polemik, aber nicht als deren Funktionäre; ihre soziale Stellung als Intellektuelle, Lehrer, Wanderprediger entsprach der Rolle der heidnischen Rhetoren, Sophisten und Philosophen der Zeit, deren selbstbewußte und provokative Haltung, nicht kluge und vorsichtige, diasporajüdischer Lebenspraxis entstammende Anpassung, auch ihr Auftreten leitete. Als literarische Wortführer und Meinungsbildner konnten sie eine weitreichende Wirkung entfalten und erscheinen deshalb noch uns als Repräsentanten der Kirche, aber für die Gemeinden ihrer Zeit waren sie vermutlich eher Außenseiter 9 8 . Den Gegensatz zwischen ortsnahen kirchli-

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Als „Justinus, Sohn des Priskos, Enkel des Bakchios, aus Flavia Neapolis in Palästina" stellt sich Justin mit N a m e n und Origo als Peregriner in amtsmäßiger Förmlichkeit vor ( l a p o l . 1,1), aber weder hier noch sonst führen sich die Verfasser apologetischer Schriften, auch wenn sie sich offen als Christen bekennen, als kirchliche Amtsträger ein (obwohl wenigstens Melito von Sardes [bei diesem umstritten], Theophilus von Antiochia und Apollinaris von Hierapolis als Bischöfe bekannt sind [Eus., h.e. IV 2 0 ; 2 6 , 1 ] ) . Apostel und Bischöfe

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chen Praktikern und freizügigen christlichen Intellektuellen hat erst die Verfolgungssituation des dritten Jahrhunderts aufgehoben und damit dann auch die alte Apologetik beendet. Die Kirche des zweiten Jahrhunderts hat sich mit ihren Intellektuellen zwar nicht identifiziert, aber ihnen doch Spielraum gelassen und Anerkennung gewährt. Den Typus des ortsungebundenen christlichen Sophisten illustriert besonders eindrücklich der Märtyrer-Philosoph Justin. Er beschreibt selbst (dial. 2 - 7 ) sein unbefriedigtes Herumsuchen bei den Schulphilosophen, bis er im Christentum Erfüllung fand. Als Wanderlehrer redete er die Leute an, gründete schließlich in R o m eine christliche Schule und fand hier unter M a r c Aurel den Märtyrertod - wohl durch die Denunziation eines Konkurrenten (2apol. 8; Eus., h.e. IV 1 6 , 1 ) " . Einer seiner Schüler wurde der Apologet Tatian, der sich selber einen ,Barbarenphilosophen aus dem Assyrerland' nennt (orat. 4 2 , 1 ) . Als hellenisierter Orientale wurde er Sophist und Wanderlehrer, geriet in R o m unter den Einfluß des von ihm bewunderten Justin, aber wandte sich nach dessen T o d wieder nach dem Osten (und hier der rigoristischen

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führen sonst dagegen von Paulus an gegenüber Gemeinden und Mitchristen ihre Amts- und Würdetitel. Die ersten christlichen Literaten, die sich leichter Philosophen als Kleriker nennen, geben damit zu erkennen, daß sie als Intellektuelle aus eigenem Antrieb, nicht als Sprachrohr der Kirche ihre Stimme erheben. Die Kirche hatte auch solche Vertreter nicht vorgesehen: Paulus zählt die Funktionen auf, die es in der Gemeinde gebe; auch Charismatiker sind dabei, nicht aber „Apologeten": I K o r 1 2 , 5 - 3 1 ; 1 4 ; Eph 4 , 8 - 1 2 ; s. J . Brosch, Charismen und Ämter in der Urkirche, Bonn 1 9 5 1 . C . Andresen, Justin und der mittlere Piatonismus, in: C. Zintzen (Hg.), Der Mittelplatonismus ( W d F 7 0 ) , Darmstadt 1 9 8 1 , 3 1 9 - 3 6 8 (= Z N W 4 4 , 1 9 5 2 / 5 3 , 1 5 7 - 1 9 5 ) ; N . Hyldahl, Philosophie und Christentum. Eine Interpretation der Einleitung zum Dialog Justins (AThD 9), Kopenhagen 1 9 6 6 ; L . W . Barnard, Justin M a r t y r . His Life and Thought, Cambridge 1 9 6 7 ; E . F . Osborn, Justin M a r t y r ( B H T h 4 7 ) , Tübingen 1 9 7 3 ; H . H . Holfelder, ευσέβεια und φιλοσοφία. Literarische Einheit und politischer K o n t e x t von Justins Apologie, Z N W 6 8 , 1977, 48-66.231-251.

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Sekte der Enkratiten zu). In anderer Weise beleuchtet die Wirkungsmöglichkeiten christlicher Intellektueller Tertullian, der karthagische Jurist severischer Zeit 1 0 0 . Seine überragende literarische Tätigkeit hat ihm Ruhm und Leser bis heute gesichert, aber er entfaltete sie als Schriftsteller (und da in verschiedenen Rollen, selbst als Ehemann) und spricht nie von sich als Funktionär der Kirche, obwohl er nach Hieronymus (vir. ill. 5 3 ) Presbyter in Karthago war. Als er Montanist wurde, hat er die Kirche mit derselben Schärfe bekämpft wie früher ihre Gegner. Wie die heidnischen kennzeichnete auch die christlichen Literaten die mehr oder weniger enge Einbindung in die munizipalbürgerliche Reichsgesellschaft, die Übernahme der dort ausgebildeten intellektuellen Vermittlungsformen und eine relativ große Mobilität. Ihr Protest gegen Christenfeindschaft mündete in Aufklärungsoptimismus, nicht in Opposition gegen die Welt, in der sie lebten, wie auch die Ablehnung des Polytheismus nicht Selbstausschließung von der Bildungstradition bedeutete, mit der er doch unlöslich verbunden war. Eschatologischer Radikalität und heilsgeschichtlicher Selbstvergewisserung bot dieses bildungssoziologische Milieu naturgemäß wenig Raum. - Wir fragen uns, welches Geschichtsverständnis die christlichen Literaten von ihren Voraussetzungen aus haben konnten und welche Rolle es im Rahmen ihrer Apologetik spielte, vor allem aber, wie es sich zur christlichen Tradition verhielt und die heidnische beeinflußte. Traten Christen ohne Auftrag und auf eigene Verantwortung unter ihrem eigenen Namen wie Lehrer, Rhetoren oder Sophisten vor das Lesepublikum, um den christlichen Glauben einer 100

R. Klein, Tertullian und das römische Reich (BKAW.NS, 2. Reihe 2 2 ) , Heidelberg 1 9 6 8 ; W . Rordorf, Tertullians Beurteilung des Soldatenstandes, VigChr 2 3 , 1 9 6 9 , 1 0 5 - 1 4 1 (= ders., Lex Orandi Lex Credendi [wie Anm. 92], 2 6 3 - 2 9 9 ) ; T.D. Barnes, Tertullian. A historical and literal study, Oxford 2 1 9 8 5 ; J.-C. Fredouille, Tertullien et l'Empire, RechAug 1 9 , 1 9 8 4 , 1 1 1 - 1 3 1 ; E. Osborn, Tertullian. First Theologian of the West, Cambridge 1 9 9 7 .

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weiteren Öffentlichkeit verständlich und sympathisch zu machen, um Angriffe zurückzuweisen und Mißverständnisse zu entkräften, dann mußten sie eine klare Vorstellung davon haben, wie die Stellung der christlichen Gemeinschaft in der Gegenwart für die Gesellschaft überzeugend definiert und geschichtlich begründet werden konnte. Die Apologeten geben ihren Zeitgenossen und Mitbürgern drei Antworten auf die Frage, was die Christen denn seien. Sie sind, besagt die erste, ein ,neues Volk', das ,dritte Geschlecht' neben Heiden und Juden (oder das vierte, wenn die Heiden in Griechen und Barbaren zerfallen) 1 0 1 . Diese befremdliche Ethnologie hat die antike Anschauung, daß Kult ethnizitätsstiftend bzw. Ethnos auch kultisch definiert sei, zur Voraussetzung und wendet einen entsprechenden heidnischen Vorwurf ins Positive 1 0 2 . Das war nur möglich, weil die Bezeichnung der Christen als ,Volk', die Ethnizitätsmetaphorik, bereits neutestamentlich begründet ist. Sie geht dort auf die Übertragung der Auserwähltheitsvorstellung auf die Christen zurück 1 0 3 . So wen,01

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Zuerst: Clem., str. VI 5,41 (Keryg. Petr. 5; vgl. H. Paulsen, Das Kerygma Petri und die urchristliche Apologetik, ZKG 88, 1 9 7 7 , 1 - 3 7 = ders., Zur Literatur und Geschichte des frühen Christentums. Gesammelte Aufsätze [WUNT 99], Tübingen 1997,137-209); Athenag., leg. 1; Arist., apol. 2; Just., lapol. 1; Tert., apol. 24,9; Minuc. 8,4 (lucifugax natio). Weiteres s. A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig η 924, 259; W. Schäfke, Frühchristlicher Widerstand, in: ANRW II 23.1, Berlin 1979, (460-723) 615. Material dazu bei W. Schäfke, Widerstand (wie Anm. 101), der aber zwischen ethnischen Kulten und dem Staatskult für Roma und Augustus nicht unterscheidet, auch nicht erklärt, wie ein heidnischer Vorwurf in christlicher Sicht zum Vorzug werden konnte. Vgl. Act 20,28 (ekklesia); Gal 6,16 (Israel Gottes); Phil 3,3 (geistliche Gemeinschaft); IPetr 1,19 (durch Christus Erlöste). Die paulinische Verwendung des Begriffs „Ekklesia" für die christliche Gemeinde (die konkrete Einzelgemeinde wie die universale Gemeinschaft) folgt jüdisch-hellenistischem Sprachgebrauch (Septuaginta-Lehnübersetzung von qahal, Aufgebot, Volksversammlung, dann Kultgemeinschaft

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det der erste Petrusbrief (2,9) alttestamentliche Prädikate Israels auf die Christen an: ,Ausgelesenes (aus den Juden und Heiden) Geschlecht' (γένος εκλεκτού), ,heiliges V o l k ' (εθυος άγιου), ,als eigenerworbenes V o l k ' (λαός είξ περιποίησιν) heißt die christliche Gemeinschaft dort, und gemeint ist mit dieser Häufung ethnischer Termini, daß die Christen ein Verband v o n Menschen seien, der sich künstlicher Erwählung statt natürlicher Abstammung verdankt, aber trotzdem wie eine Abstammungsgemeinschaft als ,Volk', als Ethnos, lebt 1 0 4 . Die Christen stammen, sagt z.B., diesen Gedanken zu paradoxer Plastizität steigernd, der Apologet Aristides (apol. 2 , l - 9 ) 1 0 5 , von Christus ab wie die Juden v o n A b r a h a m . Eine originelle, aber praktisch relevante Konsequenz daraus zog der Apologet Athenagoras (leg. I) 1 0 6 : Da in der polytheistischen W e l t alle Völker unwidersprochen ihre eigene Gottesverehrung hätten, müßte das auch dem Chri-

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Israels und schließlich das von Gott „gesammelte" geistliche Israel, das mit dem realen Volk nur beiläufig zu tun hat; vgl. N.A. Dahl, Das Volk Gottes. Eine Untersuchung zum Kirchenbewußtsein des Urchristentums, Darmstadt 2 1963; W. Schräge, „Ekklesia" und „Synagoge". Zum Ursprung des urchristlichen Kirchenbegriffs, ZThK 60, 1963, 178-202. L. Goppelt, Der erste Petrusbrief (KEK 12/1), Göttingen 8 1978, 151; N. Brox, Der erste Petrusbrief (EKK 21), Zürich 1979, 102; W. Schräge, „Auserwähltes Geschlecht", in: H. Balz/W. Schräge, Die katholischen Briefe (NTD 10), Göttingen 1973, 84. Das Wortspiel λαός - ελεοξ (ήλεημενοι), durch das IPetr 2,10 (nach Hos 1,6.9; 2,1.24) Volkwerdung mit dem Akt des göttlichen Erbarmens parallelisiert wird, zeigt das Metaphorische des Gedankens. J. Geffcken, Zwei griechische Apologeten (Sammlung wissenschaftlicher Kommentare zu griechischen und römischen Schriftstellern), Leipzig 1907, 41; B. Altaner, Art. Aristides von Athen, RAC 1 , 1 9 5 0 , 652-654; K.-G. Essig, Erwägungen zum geschichtlichen Ort der Apologie des Aristides, ZKG 97, 1986, 163-188 (nimmt jüdische Provenienz der Apologie an). J. Geffcken, Apologeten (wie Anm. 105), 160; P. Keseling, Art. Athenagoras, RAC 1, 1950, 881-888; A.J. Malherbe, The Structure of Athenagoras' Supplicatio pro Christianis, VigChr 23, 1969, 1-20; L.W. Barnard, Athenagoras (ThH 18), Paris 1972.

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sten,volk' zugestanden werden. - Das ethnizistische Verständnis hatte also die Funktion, die religiöse Ausnahmesituation der Christen zu rechtfertigen; es griff dazu auf alttestamentliche Voraussetzungen zurück und orientierte sich praktisch an der Sonderstellung des jüdischen Volkes. Der christlichen Gemeinschaft eine eigene Ethnizität zuzusprechen hieß aber auch, das christliche Auserwähltheitsbewußtsein in einer für Außenstehende mißverständlichen Metaphorik auszudrücken. Christen, denen das Einvernehmen mit der Umwelt wichtig war 107 , vermieden deshalb, sie zu gebrauchen. Der paganen Kaiserzeit, die über die Kenntnis der theologischen Voraussetzungen solcher Gedanken nicht verfügte, mußte der Anspruch, auserwählt zu sein, absurd und anmaßend vorkommen, als Bekenntnis zur άμιξία und Ablehnung der Gemeinschaft des genus humanum erscheinen. Seiner ethnizistischen Metaphorik entkleidet lieferte der Erwählungsgedanke aber kein Gesellschaftsmodell; er umschrieb nur das religiöse Bewußtsein der Christen, das sonst die Bedeutung ethnischer Bindungen gerade relativierte (Minuc. 33,1), der Gemeinschaft der Kirche aber auferlegte, Licht der Welt und Salz der Erde zu sein, und ihr allenfalls eine heilsgeschichtliche Funktion im kosmischen Drama der Endzeit zuwies. Doch diese Konzeption war nach außen schwer verständlich zu machen und konnte im werbenden Gespräch mit Heiden nicht im Vordergrund stehen. Sie wurde auch nicht konkret entfaltet, indem etwa der Kirche als geschichtlicher Größe neuer Art spezifische Aufgaben und Möglichkeiten zugedacht worden wären. Für pagane Kritiker des Christentums stellte der Auserwähltheitsgedanke auch immer eine besondere

107

Trotz christlicher Sondersitten (Bestattung, Speisen, Gesten, Verkehrsformen und dergleichen) betonen die in der Reichsgesellschaft verwurzelten Christen regelmäßig die Gemeinschaft mit ihrer Umwelt, so vor allem Tertullian (apol. 42; über die gerade dadurch entstehenden Konfliktmöglichkeiten und Mißverständnisse besonders idol.); W. Schäfke, Widerstand (wie Anm. 101), 488.

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Provokation dar. Der Christengegner Celsus verglich die absurde Vorstellung, Werden und Vergehen des Kosmos habe im heilbringenden Erscheinen Christi seine Mitte, dem Wahn von Fröschen und Würmern, ihr Tümpel sei das Zentrum der Welt (Orig., Cels. IV,23); aber Celsus sah freilich auch in dem Eindruck, den die endzeitliche Gerichtsdrohung auf Ungebildete machte, einen Hauptgrund für die Ausbreitung des Christentums. Die zweite Antwort entstammte diasporajüdischer Erfahrung und städtischer Rechtspraxis; sie vergleicht die Existenz der Christen mit dem Status niedergelassener Fremder, weist ihnen also eine Art Gastrecht zu, ohne sie aber als völlig Fremde aus der Gesellschaft zu eximieren. Weder durch besondere Wohnorte noch nach Sprache, Sitte oder Lebensweise unterschieden sie sich von ihrer jeweiligen Umgebung, sagt der anonyme Diognetbrief (Diog 5,1-10) 1 0 8 , nur ihr sittliches Verhalten verrate die Glieder der christlichen Gemeinde und isoliere sie dadurch in ihrer Umgebung, gleichsam wie πάροικοι (Ansässige ohne volles Bürgerrecht) in ihrer Stadt (πατρίς) 109 . Ein Vorbehalt gegen das Aufgehen der Christen in .zufälligen' diesseitigen Zusammenhängen besteht also, ihre innere Distanz gegenüber bürgerlichen Bindungen wird bejaht (Diog 5,5), aber die sozialen und politischen Nahverhältnisse, in denen auch die Christen leben, werden dennoch anerkannt. Die Christen füllen sie sogar besonders vorbildlich aus: An Rechtstreue, Vaterlandsliebe und gewissenhafter Pflichterfüllung überträfen sie noch ihre Mitbürger, heißt es etwa (Diog 5,10). Diese Position der Verbindung innerer Distanz mit begrenzter Solidarität nach außen war in der Haltung vieler Philosophen und Philosophenschulen vorgebildet; Epikurs Maxime μή πολιτεύεσθαι (D.L. X , 1 1 9 ) , das latenter

108 109

SUC 2, 2 8 3 . Die Stelle setzt IKor 7 , 2 9 - 3 1 voraus, aber die eschatologisch begründete Distanz der christlichen Existenz ist zur räumlich-sozialen geworden (SUC 2, 3 4 4 Anm. 38).

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vivere um der unerschütterten Seelenruhe willen, geht in die gleiche Richtung. Die christliche παροικία war eine Variante dieses eingespielten philosophischen Vorbehalts gegen das Aufgehen in bürgerlicher Aktivität und konnte so weit auf Verständnis rechnen, wie die Christen im übrigen dem Philosophenideal nicht allzu kraß widersprachen. Für eine positive christliche Sondergeschichte oder eine spezifisch christliche Sicht und Bewertung der weltlichen Geschichte fehlte aber auch hier die Möglichkeit. Die dritte und vielleicht geläufigste Antwort lautet 110 : Die Christen sind eine philosophische Sekte, dem Schulzusammenhang und der Lebensgemeinschaft von Kynikern oder Epikureern vergleichbar. Wie Aristides, Athenagoras, aber auch Tatian und Hermias gefiel sich als Philosoph im Pallium besonders der Märtyrer Justin, der im christlichen Glauben die „allein verläßliche und angemessene Philosophie" (φιλοσοφίαν άσφαλή τε καί σύμφορον) gefunden hatte (dial. 8). Christentum als die wahre Philosophie zu bestimmen trug dem Anspruch auf rationale Stringenz der Lehre und verantwortliche Lebensführung Rech-

110

Melito bei Eus., h.e. IV 2 6 , 7 ; Just., l a p o l . 2 1 , 1 . 4 6 ; 2apol. 1 0 , 1 . 1 3 . 1 5 ; dial. 2 ; 3 , 4 . - G. Bardy, „Philosophie" et „philosophe" dans le vocabulaire chrétien des premiers siècles, R A M 2 5 , 1 9 4 9 , 9 7 - 1 0 8 ; R . L . Wilken, Social Interpretation (wie Anm. 9 6 ) , 4 4 3 ; Ν . Hyldahl, Philosophie und Christentum (wie Anm. 9 9 ) ; L . W . Barnard, Justin M a r t y r (wie Anm. 1 2 ) , 2 7 ; J . C . M . van Winden, Das Christentum und die Philosophie ( 1 9 7 0 ) , in: C. Zintzen (Hg.), Der Mittelplatonismus (wie Anm. 9 9 ) , 3 9 7 - 4 1 2 ; H . B . Timothy, The Early Christian Apologists and Greek Philosophy, exemplified by Irenaeus, Tertullian and Clement of Alexandria ( W T S 2 1 ) , Assen 1 9 7 3 ; R. Joly, Christianisme et philosophie. Études sur Justin et les apologistes grecs du IIe siècle (Université Libre de Bruxelles. Faculté de Philosophie et Lettres 5 2 ) , Brüssel 1 9 7 3 ; E.F. Osborn, Justin M a r t y r (wie Anm. 9 9 ) , 9 9 ; R.L. Wilken, Kollegien, Philosophenschulen und Theologie, in: W . A . Meeks, Soziologie (wie Anm. 8 9 ) , 1 7 0 - 1 9 3 ; A. Stötzel, W a r u m Christus so spät erschien - die apologetische Argumentation des frühen Christentums, Z K G 9 2 , 1 9 8 1 , 1 4 7 - 1 6 0 .

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nung und entsprach damit dem Argumentationsziel der A p o l o geten; es kam aber auch dem Gedanken der erwählten

Ge-

meinschaft und des besonderen Lebenszusammenhanges

der

Gläubigen entgegen. Philosophie kann für ihre intellektuelle und moralische Haltung auch an das höhere Urteil der Nachwelt appellieren, wenn das der Gegenwart in die Irre geht. Dementsprechend sagt Justin seinen heidnischen Lesern ( l a p o l . 2,2): „ O b ihr mit Recht Fromme, Philosophen, Hüter der Gerechtigkeit und Freunde der Bildung heißt, wie es euch allenthalben entgegenschallt, das wird sich erst noch zeigen". Ein spezifisches Verhältnis zur Geschichte ergab sich daraus nicht, es sei denn wie in anderen Philosophenschulen - durch den Rückbezug auf Stifter und Urkunden oder durch die Schulsukzession; jenen erzwang die Wahrung der reinen Lehre, diese die institutionelle Ordnung. Diese Aspekte sind aber in der Tat in der Kirchengeschichte wichtig geworden. M i t diesen Deutungen und durch die Assoziationen, die sie weckten, versuchten die Apologeten, die Stellung der Christen als religiös-soziales Phänomen in der kaiserzeitlichen Gesellschaft nach außen hin verständlich und akzeptabel zu machen. Ihr eigentliches Ziel war also, den Christen durch Aufklärung einen legalen, anerkannten Platz in der sozialen Welt, wie sie fraglos bestand, zu sichern. Sie berücksichtigen dabei gedankliche Konzeptionen und begriffliche Distinktionen ihrer Zeit und berühren manchmal auch deren Empfindungen und Konflikte, aber zu einer sinnvollen Erfassung ihres Gegenstandes scheinen sie doch weder aus distanzierter Objektivität noch aus emotionaler N ä h e recht imstande zu sein. Die christlichen Gemeinden und ihre Gefährdung werden vorausgesetzt, aber aus den abstrakten und künstlichen Deduktionen wird ihre wahre Lage kaum anschaulich, und es entsteht kein aus Einzelzügen erwachsendes Gesamtbild. Auf konkrete Verhältnisse, örtliche Traditionen, aktuelle kirchliche Probleme oder auch missionarische Aufgaben der Kirche nehmen die Apologeten keinen Bezug, und den christlichen Glauben behandeln sie fast nur in abstrakter Allgemeinheit

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und als Gegenstand intellektueller Einsicht (vgl. Minuc. 3 9 ) . Vor allem fehlt ihnen jede historische Perspektive. Die mit unterschiedlichen Akzenten stereotyp wiederkehrenden Themen könnten populärphilosophischen Schuldebatten entstammen: Kritik am Mythos und an paganer Religion, Philosophie und Literatur, ferner die Vernunftgemäßheit des christlichen Glaubens, die mit einfachen kosmologischen Argumenten, natürlicher Theologie und (hierzu erwünscht!) passenden Äußerungen nichtchristlicher Philosophen (besonders Piatons) erwiesen werden soll, schließlich die moralische Überlegenheit und Konsequenz des christlichen Lebens. Dagegen werden Entstehung und Ausbreitung des Christentums, Verbreitungsbedingungen und quantitative Verhältnisse, konkrete Unterschiede, Entwicklungen und Wirkungen mit keinem W o r t berührt; es ist schon viel, wenn einmal auf die große Zahl der Christen angespielt wird (Minuc. 3 3 , 1 ; Tert., apol. 3 7 , 4 ) . Tertullian deutet an, daß in der Bürgerkriegssituation nach Commodus die Parteinahme der Christen politisches Gewicht haben könnte oder daß Christenprozesse als Belastung des inneren Friedens besser zu vermeiden wären 1 1 1 ; er ist damit ein Sonderfall. Fast stereotyp versichern die Autoren aber ihre grundsätzliche Loyalität gegenüber dem politischen System, so Justin ( l a p o l . 17) unter Hinweis auf den ,Zinsgroschen' (Mt 2 2 , 2 1 ) und mit der zweideutigen Beteuerung, auch für die rechte Einsicht der Herrscher zu beten. Für sachliche Stellungnahmen zur aktuellen politischen Gegenwart fehlen den christlichen Literaten allerdings zumeist politische Kompetenz, Herrschaftswissen und Interesse. Es gibt folglich keine Äußerungen über konkrete Maßnahmen, keine Urteile über Außenpolitik oder Personalentscheidungen der Kaiser, keine Einschätzungen kaiserlicher Persönlichkeiten, wie sie doch schon die Kaiserbiographien bieten. Konkreter wird nur wieder Tertullian, der nicht nur das Gebet für den Kaiser (apol. 111

T e r t . , s c a p . 2 - 3 ; apol. 3 5 - 3 6 (dagegen aber die Indifferenzerklärung 3 8 , 3 ) ; s. R. Klein, Tertullian (wie A n m . 1 0 0 ) , 3 5 .

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30.1) auf das Schriftgebot (31,1) zurückführt, sondern es auch inhaltlich detailliert. Er weiß, worauf es ankommt, wenn er für den Kaiser erbittet: vitam prolixam, imperituri securum, domum tutam, exercitus fortes, senatum fidelem, populum probum, orbem quietem (30,4); und die Gesetze, die doch der Autorität des Kaisers entspringen, werden bei ihm kritisch relativiert (4; 6,2), antichristliche anerkannt schlechten Kaisern (nämlich Nero und Domitian) zugeschrieben (5,3-4) und das Reskript Trajans an Plinius offen kritisiert (2,8). Athenagoras betet - damit politisch Relevantes berührend - (leg. 37), daß die Dynastie Marc Aurels fortdauern und der Kaiser die Weltherrschaft gewinnen möge. Gewöhnlich bleiben aber die Ergebenheitserklärungen allgemein und werden nicht mit positiver Lebenserfahrung begründet, sondern mit frommen Analogien wie der zwischen kaiserlicher Herrschaft und der göttlichen Weltregierung. Wenn christliche Autoren bekennen, für die Dauer des Imperiums zu beten, um dadurch die Schrecken der Endzeit hinauszuschieben (Arist., apol. 16,6; Just., 2apol. 7,1; Diog 6,7; Tert., apol. 32,1; 39.2), so vermischen sich Eschatologie und Romtreue. In diese Loyalitätsbekundungen ist viel Untertanentopik eingeflossen, zumal ja das Gebet für den Kaiser als Ersatz für die verweigerte kultische Verehrung gewürdigt werden will; sie geben kaum eine konkrete politische Position zu erkennen, die es auch meistens nicht gibt oder die sich nicht formulieren läßt, aber doch ohne allen Zweifel ein christlich begründetes positives Verhältnis zur Ordnung der diesseitigen Welt (έξουσία) im allgemeinen. Auf derselben allgemeinen Ebene bleibt auch das Wenige, was die Apologeten darüber hinaus zur geschichtlichen Genese ihrer Gegenwart und damit auch der christlichen Gemeinschaft, zum geschichtlichen Verständnis der Vergangenheit, zu sagen haben. Das Denken der christlichen Literaten war hier von zwei einander widersprechenden Voraussetzungen bestimmt: Einerseits ergab sich eine positive Einstellung zum historischen Traditionswissen allein schon aus der Rolle der Autoren als öffentlich wirkender Redner und Schriftsteller; sie war ohne breite

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Rezeption der Bildungsbestände nicht möglich. Aber andrerseits begegnete man in der Tradition auch überall ihren religiösen Implikationen und konnte den historischen Aspekt daraus nicht isolieren. Jede Kritik radikalisierte sich dadurch und fiel auf die verdächtigen Argumente der politischen Romfeindschaft und der philosophischen Kulturkritik zurück 112 . Der christliche Dialogpartner bei Minucius Felix hält der römischen Geschichtsvulgata entgegen: Die antiquitas war in ihrem Vorsehungsglauben unwissend, die maiores naiv leichtgläubig (Minuc. 20,2-3), der Glaube der Römer an ihre herrschaftsbegründende iustitia ist haltlos (Minuc. 25), die orientalischen Weltreiche relativieren die Singularität des Imperiums (Minuc. 25,12). Er diskutiert damit nicht Diskutables oder auch für Heiden längst Obsoletes, sondern greift das historisch gewachsene Lebensgefühl an, und die gesellschaftliche Höflichkeit und Heiterkeit der Gesprächsatmosphäre wirken unglaubwürdig, wo christliches Verhalten das verbindende Herkommen von der Kußhand für die Götterstatue (Minuc. 2,4) bis zur festlichen Bekränzung des Soldaten (Tert., cor. 1,1) provozierend in Frage stellt. - Über die Befangenheit in ihrer Bildungswelt kamen die christlichen Intellektuellen nicht hinaus: Die literarische Tradition, in die die geschichtliche Erinnerung eingebettet war, umgab sie wie die Atemluft, auch dann noch, wenn sie sie aus religiösen Gründen ablehnen mußten. Die formale Eigenart ihres geschichtlichen Wissens kann man abschätzen, weil sie die gleiche war wie bei Nichtchristen. Besonders Tertullians kenntnisreiche und faktenfreudige Darlegungen zeigen, daß sich Geschichte für ihn weniger als chronologisch-kausale Verlaufskette und erst recht nicht als prozeßhafte Entwicklung darstellt, sondern als das gewöhnliche Fall- und 1,2

Ein Beispiel bietet die Verfolgungsgeschichte bei Justin, 2apol. 2: Der zunächst unbeteiligte Lucius, der ein Christenurteil des Richters Urbicus als des Kaisers Pius unwürdig tadelt, wird daraufhin selbst zum Bekenntnis genötigt, verurteilt und preist sich nun glücklich, ττουηρώυ δεσποτών των τοιούτων άττηλλάχθαι ( 2 , 1 9 ) ; vgl. Ε.F. Osborn, Justin M a r t y r (wie Anm. 9 9 ) , 1 7 2 .

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Testimonienwissen, das durch den rhetorisch ausgerichteten Unterricht vermittelt wurde; es umfaßt als solches aber die ganze römische Geschichte bis zu Romulus (Tert., apol. 6,4; 23,24), dazu ähnlich organisierten Stoff aus der griechischen, orientalischen und biblischen Geschichte. Kaiserzeitliche und gar zeitgeschichtliche Ereignisse werden nur sehr selten erwähnt, was sich leicht daraus erklärt, daß die schulische und rednerische Praxis natürlich Gefährliches und Bedenkliches aus ihrem Exemplamosaik auszuschließen suchte oder daß sie Zeitgenössisches noch gar nicht literarisch aufbereitet vorfand. Tertullian, der auch sonst einen unerschöpflichen Exempelvorrat präsent hat, ist mit seinen aktuellen Bezügen eher die Ausnahme, und etwa seine Versicherung, die Christen hätten mit den Bürgerkriegsgegnern des Septimius Severus nichts im Sinne gehabt (Tert., apol. 35,811), ist von ganz irregulärer Offenherzigkeit. Der Stoff, aus dem sich so organisierte geschichtliche Anschauungen bildeten, wurde zur Anwendung in handliche Portionen geteilt, gleichsam verzettelt. Er entstammte einem - notwendigerweise paganen - Literaturkanon, der weiter oder enger und verschieden akzentuiert sein konnte und auf den gelegentlich verwiesen wird (z.B. Minuc. 33,4). Bei den Apologeten sind es, ihrer Argumentationsrichtung entsprechend, die Philosophen und Dichter, die den wichtigsten Platz einnehmen, aber auch Historiker werden darin manchmal berücksichtigt - als Steinbruch für Exempla, wie Homer und Piaton auch, nicht etwa als Quelle historischer Reflexion oder einer historischen Gesamtanschauung. So denkt Tertullian beim Thema infanticidium (Tert., apol. 9,6-9) zunächst an Belege aus den Tragödien, dann fällt ihm dazu eine Stelle aus Herodot ein, der nun aus diesem Anlaß zitiert wird; oder: die Replik auf den Vorwurf christlichen Eselskultes (Tert., apol. 16,1-5) gibt ihm Gelegenheit, unter den dafür relevanten Nachrichten auch Angaben des Tacitus im Judenexkurs seiner Historien anzuführen und den Historiker als Gewährsmann zu nennen, wenn auch schroff ablehnend (mendaciorum loquacissimus). Denn die Technik der Zerstückelung der

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Texte in Fallbeispiele und Testimonien und ihre Lektüre unter darstellungstechnischen und -ästhetischen Gesichtspunkten erlaubte eine bewertungsneutrale Verwendung des Stoffes, machte es also möglich, neben zustimmend gemeinte Exempla ebenso auch abschreckend und warnend gedachte zu stellen. Die Apologeten konnten so die pagane literarische Tradition gegen deren eigene Intention verwenden; sie gebrauchten ihre Kenntnis und stoffliche N u t z u n g zur materiellen Unterfütterung einer dem Material fremden Tendenz. Consulite commentarios vestros!, sagt Tertullian sarkastisch (Tert., apol. 5,3), wenn er die Geschichte in polemischer Absicht nach Gegenbeispielen belohnter pietas und iustitia durchmustert. M i t diesem Verfahren bedienten sich die christlichen Literaten einer Technik, die, wie k a u m anders zu erwarten, im intellektuellen Diskurs der Zeit auch sonst üblich war. Historisches Wissen entstammte normalerweise nicht dem zusammenhängenden und sachorientierten Studium der klassischen Werke der Historiographie oder gar der kritischen Prüfung der Überlieferung und Sachzeugnisse (dem modernen wissenschaftlichen Verfahren), sondern rhetorischen H a n d b ü c h e r n , Florilegien und Geschichtsabrissen sowie dem daraus schöpfenden Unterricht. Hier wurde das unter formalen Gesichtspunkten geordnete M a terial vorgelegt und blockartig festes Überblickswissen (z.B. zur römisch-republikanischen Geschichte) stofflich vermittelt. Auch reiche Einzelkenntnisse lassen deshalb keinen sicheren Schluß auf Lektüre der originalen Autoren und selbständige Beschäftigung mit deren historischen Ansichten und historiographischen Absichten zu; sie repräsentieren in der Regel nur verfestigtes Traditionswissen oder ein mehr oder weniger systematisch geordnetes und abrufbares Fallwissen aus punktualisierten und abgeschliffenen Exempla und Testimonien. Dieses w a r kontextindifferent, typisiert und argumentativ variabel verwendbar, es Schloß deshalb, auch wenn es vielseitig, breit und präsent war, distanzlose Flachheit der geschichtlichen Anschauung im ganzen nicht aus. Lukians Diatribe gegen die Historiker seiner Zeit

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verspottet deren Eitelkeiten, Albernheiten und Unzulänglichkeiten, aber nur, um danach (hist, conscr. 34-63) Hinweise zur besseren Darstellung zu geben, die auf langer, fleißiger Übung und Nachahmung der alten Vorbilder zu beruhen habe. Zur Hauptsache, dem historischen Verständnis (σύνεσις πολιτική), weiß der Kritiker nur die Erklärung zu geben, sie sei ,ein nicht lehrbares Geschenk der Natur' (hist, conscr. 34,1, vgl. 37f.). Das Fehlen historischer Perspektiven oder die stereotypen Reihen immer gleicher Exempel für Mythen-, Polytheismus- und Dichterkritik in der apologetischen Schriftstellerei beweisen unter diesen Umständen bloß die Abhängigkeit von zeitgenössischen Bildungsvoraussetzungen, deren Überwindung von Autoren, die kein originäres geschichtliches Interesse hatten, nicht zu erwarten war. Nicht in selbständiger gedanklicher Durchdringung und kritischer Prüfung des konventionellen, schulmäßigen historischen Wissens, aber in der neuartigen Montage seiner Elemente konnte sich eine andere Anschauung vom geschichtlichen Zusammenhang ausdrücken. In der Tat ist sie bei den Apologeten zu beobachten, nämlich in ihrem Anschluß an die alttestamentliche Tradition. In den apologetischen Schriften wird das heilsgeschichtliche Verhältnis der Christen zum auserwählten jüdischen V o l k und zu den Verheißungen des alten Bundes umgeformt in einen Selbstanschluß der Christen an die geschichtliche Tradition des Alten Testaments. Dieser wichtige und folgenreiche Schritt reduzierte den existentiellen Angelpunkt der paulinischen Theologie, der gesetzesfreien Heidenmission der ersten christlichen Generation und der lukanischen Verkündigungsgeschichte zur Epochengrenze in einer als verlaufsgeschichtliches Kontinuum gedachten vorchristlich-christlichen Gesamtgeschichte. Sie mündete in der zeitgeschichtlichen Gegenwart dank der fraglosen Loyalität der Autoren gegenüber dem universalen und alternativlosen politischen System des Imperiums ein - wenn auch nicht konfliktfrei - in allgemeine Kaiser- und Reichsgeschichte. Diese Konstruktion bescherte der christlichen Gemeinschaft einerseits die Würde

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geschichtlichen Alters und bestätigte ihr andrerseits die beanspruchte Teilhabe an der Kulturwelt. Schon die Naivität des Aristides leitet die Christen über Jesus Christus von den Hebräern ab (Arist., apol. 2,6), aber stellt ohne logische Bedenken gleichzeitig die vier Menschengeschlechter der Barbaren, Griechen, Juden und Christen nebeneinander (apol. 2). Tertullian konfrontiert das historisch junge Alter des ,ziemlich neuen' Christentums mit der Würde seiner jüdischen Vorgeschichte (den antiquissima Iudaeorum instrumenta) und gibt in wohl seltener Offenheit das Anfechtbare dieser - Selbstlegitimierung mit Ablehnung verbindenden - Konstruktion zu (Tert., apol. 21,1-2). Die Rückbindung der christlichen Offenbarung an die alttestamentlichen Verheißungen und die christologische Auslegung der prophetischen Weissagung ließ die Kirche nach ihrer Trennung vom Judentum zur Konkurrentin um den legitimen Anspruch auf die biblische Tradition werden; die Auseinandersetzung konnte auf christlicher Seite den Charakter einer usurpierenden Monopolisierung des Alten Testaments annehmen. Besonders kraß bestreitet der Barnabasbrief Israel das Recht, sich auf Gesetz und Propheten zu beziehen113: Die Propheten haben (ausschließlich) auf Christus hin prophezeit (Barn 7,6), und indem er (Christus) ,Israel lehrte', ,verkündigte er' (Barn 8,1). Auf höherem Niveau und mit wohlwollenderer Gesinnung verfolgt Justins Dialog mit Tryphon diesen Gedanken, indem er neben die Argumentationslinie: Das Gesetz ist gebrochen - der neue Bund tritt an die Stelle des alten (Just., dial. 11), die andere stellt: Das Gesetz ist symbolisch zu verstehen und wird erst von den Christen recht erfüllt (vgl. dial. 24). Aber auch dieser Samaritaner erklärt eindeutig für die Christen: ,Das wahre, geistige Israel und das Geschlecht Juda, Jakob, Israel und Abraham ... sind wirV (dial. 11,5), ,wir sind das Volk, das Gott dem Abraham verheißen hat' (dial. 119,4).

1,3

Barn 4 , 6 : Schon das A T (διαθήκη εκείνων) „ a u c h " das unsrige zu nennen ist Sünde! Es ist nur das unsrige, die Juden haben es am Ende verloren (άπώλεσαν).

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Wenn die Juden enterbt sind, das Alte Testament ihnen abgesprochen ist und allein die Christen legitime Empfänger der Verheißung sind, dann ist der Altersbeweis gegen die Griechen und die pagane Kultur für die Christen gelungen, denn Moses lebte vor Homer und allen griechischen Nomotheten (Tatian, orat. 31.36; Tert., apol. 19,2-3). Diese Argumentation hat die Konzeption einer christlichen historia perpetua ermöglicht, von der vor allem Theophilus von Antiochia eine Vorstellung gibt, wenn er biblische Geschichte als christliche Weltgeschichte erzählt (Autol. II 31-34; III 16-25). Er berichtet darin auch die Rückkehr der Juden aus dem Exil und schließt mit dem Fazit (Autol. III 26,1), ,daß sich unsere heiligen Schriften (τά ιερά γράμματα τά καθ'ημάς) als älter und wahrer erweisen als die der Hellenen und Ägypter oder irgendwelche anderen Geschichtsschreiber', von denen dann (konventionell) Herodot, Thukydides und Xenophon genannt werden. Sie sind für den Bischof von Antiochia aber nicht nur jünger, sondern auch uninteressant. Ebenso summarisch nimmt sich die Adoption der römischen Geschichte aus (Autol. III 27): ,Zu Kyros' Zeiten wurden bereits die Römer groß und mächtig', deshalb wird noch Tarquinius Superbus als Kyros' Zeitgenosse einer abschreckenden Erwähnung gewürdigt. Was danach kommt, auch nur aufzuzählen (nach der Eponymenliste), hält er für zu weitläufig und auch überflüssig, da man sich aus dem Abriß (άναγραφαί) des nur hier genannten kaiserlichen Nomenklators und Freigelassenen Marc Aurels, Chryseros 114 , über alle Namen und Daten der römischen Geschichte bis zur Gegenwart unterrichten könne. - Wichtig sind für Theophilus also allein die historische Kontinuität an sich und die chronologischen Schlüsse, die sich aus seinem historischen Gerüst ergeben. Sie werden in einer zweigeteilten Zeitberechnung von Adam bis zur babylonischen Gefangenschaft (Autol. III 24-25) und von da bis Marc Aurel (Autol. III 27) gezogen, mit dem Ergebnis, daß die Dauer der Welt bis jetzt " 4 FGrHist 96; H. Schenkl, Art. Chryseros 3a, PRE.S 3, 1 9 1 8 , 2 4 8 - 2 4 9 .

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5 6 9 5 Jahre betrage (Autol. III 28) und die Wahrheit der christlichen Religion aus ihrem sich daraus ergebenden, konkurrenzlos hohen Alter folge. Die spekulative Anschlußlegitimation mündet also unmittelbar in nüchtern rechnende römische Chronographie ein, die in der kaiserzeitlichen Gegenwart endet; das christliche, aus konventionellen Elementen montierte Geschichtsbild konzipierte eine lineare Weltgeschichte, die die biblische Schöpfung mit dem römischen Imperium verband. Doch die Grundgedanken sind keine Erfindung des antiochenischen Bischofs. Auch Tertullian beruft sich wenig später und sicherlich unabhängig von Theophilus ausführlich auf die jüdische und heidnische Überlieferung, die historiae et litterae orbis (Tert., apol. 19,7), und er deutet seine ausgedehnte Kenntnis des prädestinierten - universalhistorischen Zusammenhanges (concatenationes temporum, Tert., apol. 2 0 , 1 - 3 ) an, aber nur, um das Alter der jüdischen Religion zu beweisen, denn am Alter hängt die Wahrheit (Tert., Marc. IV 5,1). Die universale Weltgeschichte endet bei ihm nicht in imperialer Zeitgeschichte, sondern in der universalen (Tert., apol. 37,4), durch die apostolische Sukzession legitimierten Kirchengeschichte. Der Schritt zur christlichen Chronistik ist nicht weit. Die merkwürdige Konzeption der christlichen Weltgeschichte ist bei Theophilus erstaunlicherweise völlig frei von allem Interesse am realen geschichtlichen Prozeß, ihr theoretischer Universalismus, der israelitische mit griechischer und römischer Geschichte verknüpft, bleibt inhaltlich uneingelöst und verträgt sich eben deshalb auch mit unreflektiertem kaiserzeitlichem Romzentrismus. Sie verbindet exakt meßbaren Ablauf der Zeit und abstrakte Totalität des historischen Subjekts mit inhaltlicher Leere, als beschriebe sie eine Uhr der Menschheit, die der Schöpfer zu Anbeginn aufgezogen hat und der Untertan des Kaisers Marc Aurel in Antiochia nun abliest. Andere Autoren füllen das Modell zwar inhaltlich weiter aus, ändern es aber nicht grundsätzlich. Der Gedankenentwurf einer christlichen Weltgeschichte dient nicht geschichtlicher Anschauung, sondern

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der systematischen Begründung zweier Ansprüche: des biblischmonotheistischen Pnontóísanspruches gegenüber der paganen Kulturhoheit, der als solcher auf die jüdische Apologetik zurückgeht 115 , und zugleich des christlichen Legitimationsanspruches gegenüber der jüdisch-alttestamentlichen Tradition. Er setzt das Gottesvolk als Subjekt der Geschichte voraus und verfolgt seinen Weg vom Sündenfall über Abrahams Erwählung und Israels Geschicke weiter zur Erscheinung Christi und der Ausbreitung des Evangeliums bis zum Weg der Kirche in der Welt und stellt somit eine heilsgeschichtliche Theorie dar. Aber die theologische Konzeption wird hier eigentümlich simplifiziert und historisiert, ohne doch historisch praktikabel zu werden: Die Gemeinde Gottes ist zuerst das Volk des alten Bundes, setzt sich aber fort im Quasi-Ethnos des christlichen Gottesvolkes, doch dies nicht als Glaubenssatz gemeint, sondern als chronologisch nachrechenbare Realität. Die christlichen Autoren schreiben somit die alttestamentliche Geschichte der imperiumskonformen Kirche ihrer Zeit als deren konkrete Vorgeschichte zu, ohne doch die konstruierte Kontinuität in realer Geschichte sichtbar machen zu können, aber auch ohne sie noch der eschatologischen Gerichtsdrohung zu unterstellen. Es ist eine unter dem Einfluß zeitgenössischer Gedanken seltsam verformte Heilsgeschichte, die sich hier darbietet; aber sie verbindet zuerst konzeptionell römische Geschichte und Heilsgeschichte, indem sie diese chronographisch historisiert und jene in den so geschaffenen Rahmen einsetzt. Zwei Ansätze zur Konkretisierung dieser Verbindung verdienen Beachtung; sie stützen sich beide auf die vertiefte Aus115

Hekataios von Abdera, FGrHist 2 6 4 F 6 (Diod. 40,3); vgl. J.G. Gager, Moses in Greco-Roman Paganism (SBL.MS 16), Nashville, Tenn. 1 9 7 2 , 2 6 . Danach dann der jüdische Fälscher Ps.-Hekataios (erstes Jahrhundert v.Chr.) bei Josephus, Ap. I 2 2 ; E. Schürer, A History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ I I I / l (wie Anm. 53), 6 7 1 ; B. Bar-Kochva, Pseudo-Hecataeus, „On the Jews" (Hellenistic Culture and Society 21), Berkeley, Cal. 1 9 9 6 .

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deutung neutestamentlicher Zeugnisse. Sicherlich wollen die Synchronismen des Lukas-Evangeliums (die Verbindung des augusteischen Reichszensus mit der heiligen Weihnacht [Lk 2,1-2] und der tiberianischen Regierung mit dem Auftreten des Täufers Johannes [Lk 3,1-2]) noch nicht Ereignissen der römischen Geschichte die Dignität heilsgeschichtlicher Daten geben. Aber im zweiten Jahrhundert wurden sie dazu gemacht. Bischof Melito von Sardes legte in seiner Apologie an Marc Aurel (und ähnlich dann Tertullian nach ihm) die Providenz der gleichzeitig beginnenden Kirchen- und Kaisergeschichte inhaltlich aus: Das seitherige Glück des Imperiums spiegele den Segen wider, den das Christentum der Welt gebracht habe; und: Nero und Domitian, die die römisch-historiographische Überlieferung als Tyrannen verurteilte, seien eben auch die einzigen Christenverfolger 116 . - Geschichtstheologisch noch weiter reicht Tertullians Bejahung der römischen Ordnung, die auch von seiner Kritik an Christenverfolgungen, die einzelne zu verantworten hätten, nicht berührt wird. Er setzt den Rechtsstaat des Imperiums mit jener die endzeitliche Katastrophe aufhaltenden Macht, dem κατέχων (oder κατέχον), gleich, von der der Apostel Paulus in einer dunklen Andeutung (2Thess 2,6f.) gesprochen hatte (Tert., apol. 32,1), und will daraus die reichsloyale Gesinnung der Christen ableiten: Um den entsetzlichen Leiden des Weltendes zu entgehen,

" 6 Melito bei Eus., h.e. IV 2 6 , 7 - 1 1 ; danach Tert., apol. 4 0 , 1 3 ; vgl. 5,3; 2 1 , 2 4 (Caesares ... necessarii saeculo); Hipp., Dan. 4 , 9 ; vgl. schon Athenag., leg. 3 7 , 2 . - R. Klein, Tertullian (wie Anm. 100), 5 8 ; W . Schneemelcher, Heilsgeschichte und Imperium. Meliton von Sardes und der Staat, Kl. 5, 1 9 7 3 , 2 5 7 - 2 7 8 = ders., Reden und Aufsätze. Beiträge zur Kirchengeschichte und zum ökumenischen Gespräch, Tübingen 1 9 9 1 , 1 6 - 3 1 (Heilsgeschichte bei Melito Teil seiner Soteriologie); R.M. Grant, Five Apologists and Marcus Aurelius, VigChr 62, 1 9 8 8 , 1 - 1 7 ; R.M. Grant/H.D. Betz, Art. Kirche und Staat I, T R E 18, 1 9 8 9 , ( 3 5 4 - 3 7 4 ) 3 6 9 ; S. Hall, Art. Melito von Sardes, T R E 2 2 , 1 9 9 2 , ( 4 2 4 - 4 2 8 ) 4 2 4 ; H. Drobner, 15 Jahre Forschung zu Melito von Sardes ( 1 9 6 5 - 1 9 8 0 ) . Eine kritische Bibliographie, VigChr 3 6 , 1 9 8 2 , 3 1 3 - 3 3 3 .

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hätten sie allen Anlaß, um Aufschub und Bestand des Imperiums zu beten 1 1 7 . Damit wird der römischen Herrschaft eine die irdische Geschichtlichkeit übersteigende heilsgeschichtliche Qualität zugesprochen und in eschatologischer Perspektive eine solidarische Interessengemeinschaft aller Menschen proklamiert, die sogar den Religionsgegensatz überbrückt. Z u s a m m e n f a s s e n d gesagt: Eine spezifisch christliche Geschichtsauffassung, die zwischen profaner Ereignisgeschichte und heilsgeschichtlicher Sinngebung inhaltlich vermittelt hätte, hat das zweite Jahrhundert nicht hervorgebracht. Frühchristlichem Verständnis war die geschichtliche Zeit von der Spannung zwischen Verheißung und Erfüllung bestimmt und die Gegenwart die Vorstufe der Parusie und des Gerichts. Die unerwartete Extension dieses Zeitraumes in eine ungewisse Zukunft hinein ließ die Bedeutung diesseitiger Orientierung und Ordnung zunehmen, sie äußerte sich aber nicht in theoretischen Gedanken darüber, sondern in verstetigter kirchlicher Praxis. Diese trug zur Verfestigung von Einzeltraditionen bei, die ein allgemeines christliches Geschichtsbewußtsein jedoch zunächst nicht fördern konnten. Von seiten christlicher Intellektueller, die sich in apologetischer Absicht über die Stellung der Christen in der Welt äußerten, sind dann Vorstellungen zur Bewertung der kulturellen Tradition, zur geschichtlichen Kontinuität und zur Haltung gegenüber der politischen Ordnung entwickelt worden, die zwar an Bildungsvoraussetzungen, Interessenhorizont und sozialen Stand ihrer Vertreter gebunden waren, aber sich als kirchliche Positionen, die sie ursprünglich nicht waren, durchsetzten oder solche zumindest beeinflußten. Die christlichen Literaten hatten an politischer Zeitgeschichtsschreibung keinen Anteil und auch an der Geschichte der Vergangenheit kein spezifisches Interesse, teilten aber die positive Einstellung gegenüber der Ordnung des Imperiums und der Reichszivilisation. Als Gebildete verfügten 1,7

2Thess 2,6.7; Tert., apol. 32,1; 39,2. - W.G. Kümmel, Einleitung (wie Anm. 46), 229.

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sie über das literarische Traditionswissen, dem sie auch ihre Geschichtskenntnisse in schulmäßig aufbereiteter Form entnahmen, um sie argumentativ gegen die implizit religiösen Deutungen der römischen Geschichtsvulgata zu verwenden. Der Anschluß an die biblische Tradition gab ihrem Geschichtsbild universalgeschichtlichen Zusammenhang und chronologische Prägnanz, aber eine inhaltliche Ausfüllung des Konzepts einer christlichen Weltgeschichte erfolgte nicht. Dagegen förderte die bleibende romazentrische Sicht Ansätze zu einer Art heilsgeschichtlicher Reichstheologie, die das römische Imperium optimistisch als irdisch-zeitlichen Endzustand deutete.

4 Die Apologeten - und am eindringlichsten unter ihnen Tertullian - beanspruchten, an der Rechts- und Kulturgemeinschaft des Imperiums Anteil zu haben, ohne deshalb auf seine Kultgemeinschaft verpflichtet zu sein. In immer neuen Wendungen verteidigt Tertullian abweichendes christliches Verhalten in Sitte, Moral, gesellschaftlichem Verkehr und vor allem im Kult und wird nicht müde, die logische und juristische Widersprüchlichkeit der Kriminalisierung und Verfolgung der Christen pathetisch, ironisch oder drohend anzuprangern, um desto intensiver die positive soziale Qualität der christlichen Gemeinschaft und ihre Loyalität gegenüber Kaiser und Imperium zu betonen (bes. apol. 39): Die Christen sind nicht im technisch-negativen Sinne eine factio zu nennen (39,1 mit 20-21), aber ein religiös geeintes corpus (de conscientia

religionis et disciplinae untiate et spei foedere; 2); christliche Zusammenkünfte haben keinerlei konspirativen Charakter, dienen allein kultischen Zwecken (3), disziplinarische Maßnahmen ge-

gen Mitglieder (exhortationes,

castigationes, censura divina) lei-

ten sich nur aus dem religiös begründeten moralischen Anspruch an die Lebensführung her, die Autorität der praesides aus Bewährung und Alter; die (nur uneigentliche) Vereinskasse speist sich

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aus bescheidenen, die religiösen Funktionen nicht beeinflussenden Gaben (4-5), und untadelig sind die Verkehrsformen, unanstößig die Speisegemeinschaften (8-19). Die Loyalität dem Kaiser und den politischen potestates gegenüber ist den Christen religiöse Pflicht und im eigenen Interesse geboten, ihre Gebete für den Kaiser und die politische Ordnung sind deshalb glaubhaft und überdies allein wirkungsvoll. Auch Verfolgungen motivieren keine Ablehnung ,des römischen Staates', dessen Ende auch das Ende der Welt bedeuten würde: oramus ... pro imperatoribus,

pro ministris eorutn et potestatibus, pro statu saeculi, pro rerum quiete, pro mora finis (39,2). Die wohlabgewogenen (nicht zuletzt auch nach ihren Proportionen und Akzenten aufschlußreichen) Erklärungen 118 enthalten eine genau durchdachte Verteidigungsstrategie. Bleibt auch offen, was sie für christliches Verhalten in einer Konfliktsituation tatsächlich besagte 119 und wie weit die angebliche politische Indifferenz ging (nec ulla res magis aliena quam publica, apol. 38,3), so ist doch an der grundsätzlichen christlichen Systemloyalität nicht zu zweifeln. Sehr zweifelhaft ist aber der Erfolg solcher Plädoyers 120 . Die kaiserliche Rechtsprechung zu Christenprozessen verdichtete und

1,8

G. K r ü g e r , Die Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen ( K R A 1 1 5 / 1 1 6 ) , A m s t e r d a m 1 9 6 9 (= Stuttgart 1 9 3 5 ) , 9 1 - 9 5 ; R . L . W i l k e n , Social Interpretation (wie A n m , 9 6 ) , 4 5 2 ; T . D . Barnes, Tertullian (wie A n m . 1 0 0 ) , 2 1 1 ; J . C . Fredouille, Tertullien (wie A n m .

100),

2 9 3 . Vgl. O r i g . , Cels. I 1 . 3 . 7 ( V o r w u r f der geheimen Verbindung). 119

Die Hinweise auf das wirkliche o d e r mögliche G e w i c h t christlicher P a r t e i n a h m e in Bürgerkriegssituationen o d e r bei kritischen Entscheidungen (s. z.B. A n m . 1 1 1 ) bleiben vordergründig und werden nicht grundsätzlich weitergeführt.

120

R . L . W i l k e n , Social Interpretation (wie A n m . 9 6 ) , 4 5 6 :

„Neither

Tertullian's a r g u m e n t in the A p o l o g e t i c u m n o r Justin's a c c o u n t of his c o n v e r s i o n in the Dialogus with T r y p h o w o u l d have been intelligible t o Pliny o r T a c i t u s . " -

Richter lassen sich a u f christliche Auslas-

sungen nicht ein, z.B. pass. Seil. 5 (R. K n o p f / G . K r ü g e r / G . R u h b a c h , Ausgewählte M ä r t y r e r a k t e n [ S Q S . N F 3 ] , Tübingen p. 2 8 f . ) .

41965,

Nr.

6,

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verfestigte sich 121 , und die christlichen Apologeten kommentierten und kritisierten zwar diese Entwicklung, haben sie aber schwerlich beeinflußt 122 . In Prozessen weigerten sich Richter, auf christliche Argumentationen einzutreten, und beschränkten sich bewußt auf die ständige Rechtspraxis. Neuartige, wenn auch kurzatmige Repressionsmaßnahmen gegen die rasch wachsende Kirche als ganze, die immer mehr auch von der kaiserlichen Reichsspitze selbst ausgingen, entzogen Dialog und Diskussion den Boden 123 , und damit endete die Apologetik im alten Sinne. Die optimistische Zeitgeistkonformität christlicher Konvergenztheoretiker zerbrach im Ernst einer neuen Zeit, deren Kriege und Bedrängnisse vor allem disciplina Romana und die alte Gewähr der römischen Herrschaft, virtus religiosa (Minuc. 6,2), zu verlangen schienen. War das Unglück der Gegenwart bei solchen zu lokalisieren, die sich den religiös vernetzten Bürgerpflichten verweigerten, so mußte ihrer Sozialschädlichkeit mit geeigneten Disziplinierungsmaßnahmen begegnet werden. „Verehre das 121

122

123

Ulpians siebentes Buch einer Sammlung von Rechtsvorschriften für Statthalter war nach Lact., inst. V 11,19 den Kaiserreskripten zu Christenprozessen gewidmet; schon Meliton von Sardes erwähnt die Menge von Vorschriften seit Hadrian (Eus., h.e. IV 26,5 [GCS Eusebius II/1, 384,1-7 Schwartz]). Justin bei Eus., h.e. IV 8,6-10 (GCS Eusebius II/1, 316,18-320,17 Schwartz); Meliton von Sardes bei Eus., h.e. IV 13 (GCS Eusebius II/ 1, 326,17-332,2 Schwartz); Tert., apol. 2,6-9; 5,7-8; Oros., hist. VII 13,7. Vgl. D. Timpe, Apologeti (wie Anm. 12), 119. H.B. Grégoire, Les persécutions dans l'empire Romain (Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique. Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques 46/1), Brüssel 1950, 35; J. Vogt, Art. Christenverfolgung I, RAC 2, 1954, (1159-1208) 1183; J. Moreau, Die Christenverfolgungen im römischen Reich (AWR NF 2), Berlin 1961, 84; T.D. Barnes, Legislation against the Christians, JRS 58,1968, 32-50 = ders., Early Christianity and the Roman Empire (Variorum Reprint CS 207), London 1984, nr. II; J. Molthagen, Der römische Staat und die Christen im zweiten und dritten Jahrhundert (Hyp. 28), Göttingen 2 1975, 61; R. Freudenberger, Art. Christenverfolgungen 1. Römisches Reich, TRE 8, 1981, 23-29.

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Göttliche überall unbedingt nach hergebrachter Weise und zwinge die anderen, es zu ehren, aber hasse und bestrafe die, die fremde religiöse Bräuche einführen, ... wer neue Gottheiten einführt, verführt auch andere zu neuen Sitten, und daraus entstehen Verschwörungen, Komplotts (συστάσεις) und Hetairien", empfiehlt der griechische senatorische Historiker Cassius Dio im dritten Jahrhundert, wenn er diesen Rat seinem Maecenas an Augustus in den Mund legt (LH 36,1-2). Und das Todesurteil gegen den karthagischen Bischof Cyprian formuliert 2 5 8 als Unrechtstatbestand: „Du hast dich als Feind der römischen Götter und der heiligen Kulte erwiesen" 124 . Doch eine generelle christliche Staatsfeindschaft oder gar Rückkehr zu eschatologischem Radikalismus sind dadurch nicht ausgelöst worden. Auch die Erschütterungen des dritten Jahrhunderts und die reichsweiten Verfolgungen haben die christliche Haltung gegenüber der politischen Ordnung im ganzen nicht grundsätzlich verändert. Das imperiale System ließ sich auch in dieser Zeit weder wegdenken noch wegwünschen, der Kaiser und die potestates blieben als von Gott gesetzte Herrschaft re-

spektiert: Quem necesse est suspiciamus ut eum, quem dominus

noster elegit, sagt Tertullian (apol. 33,1) und in schlichter Sprache ebenso die einfache Märtyrerin aus dem afrikanischen Scili:

Honorem

Caesari quasi Caesari, timorem autem Deons.

Die

Verweigerung des Kaiserkultes geht mit der ständigen Versicherung einher, für das Wohl des Kaisers und seiner Herrschaft zu beten (Orig., Cels. VIII 65.67.73). - Verfolgungen wurden ihren Urhebern persönlich, nicht dem politischen System zugerechnet, und stets werden einzelne oder ein Komplott einzelner 126 , hinter denen womöglich eine dämonische Eingebung steht, für christen-

124

125 126

Cypr., Acta proconsularia 4 (CSEL III/1, CXIIf. Härtel): diu sacrilega mente vixisti et plurimos nefariae tibi conspirations homines adgregasti et inimicum te diis Romanis et religionibus sacris constituisti. Pass. Seil. 9. lmpiorum conspiratio: Lact., mort. 2 , 4 .

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feindliche Aktivitäten verantwortlich gemacht, die deshalb auch mit deren Ausscheiden oder Sinnesänderung ein Ende haben. Die Appelle der Apologeten wie die Gebete für den Kaiser und seine Repräsentanten schlossen die Hoffnung auf Wandel der Einstellung der persönlich Verantwortlichen - bis hin zu ihrer Bekehrung - ein, und selbst durch Verfolgungsmaßnahmen mochte der Kaiser ungewollt die Ausbreitung des Glaubens befördern: semen est sanguis Christianorum, nach Tertullians (wohl bekanntestem) Dictum (apol. 50,14). Dagegen haben die Erschütterungen des dritten Jahrhunderts den einfachen Grundgedanken des Tun-Ergehen-Zusammenhanges und die religiöse Geschichtsdeutung auf allen Seiten mächtig belebt, und hier standen deshalb christliche und heidnische Interpretation samt den aktuellen Folgerungen daraus in diametralem Gegensatz zueinander. Im geschichtlichen Erfolg der Römer einen Lohn ihrer pietas zu sehen war freilich weniger eine tiefe religiöse Überzeugung als eine moralisierende Überhöhung der geschichtlichen Konvention über die römische Republik; aber Bildungskonvention und Erfahrung, philosophische Skepsis und kultischer Konservativismus waren eine Verbindung eingegangen, die sich gerade in Bedrängnissen als Lebensmacht erwies. Das Leben, so läßt Minucius Felix seinen heidnischen Dialogpartner argumentieren (Minuc. 6,1), beruhe auf Zufall oder auf unerkennbaren Prinzipien; eine geschichtliche Gerechtigkeit lasse sich nicht erweisen; aber eben deshalb müsse man das Herkommen als religiös legitimiertes Regulativ akzeptieren (antistitem veritatis maiorum excipere disciplinant, religiones traditas colere, déos ... adorare). Mag die Paradoxic hier ironisierend verschärft sein, so entspricht der Gedanke im wesentlichen doch anderen christlichen und nichtchristlichen Zeugnissen (vgl. oben Cassius Dio): Demonstrative Absage an die alten Kulte (nicht etwa religiöse Indifferenz oder philosophische Skepsis) bricht in gemeinschädlicher Weise mit der historisch bewährten normativen Tradition (jenem Komplex der veterum instituía, zu dem die Kulte gehören, ohne daraus isoliert werden zu können) und

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führt zu politisch und sozial unerwünschter Faktionsbildung. Am normalen menschlichen Leben teilnehmen, formuliert bündig der Christengegner Celsus (Orig., Cels. VIII 55), fordert auch Kultbeteiligung (θεραπεύειν τά εικότα). Aus den komplexen und diffusen Motiven des Religionskonflikts tritt dieser Elementargedanke immer wieder hervor, dem mit rationalistischer Kritik an Mythen und Riten und an der schwachen Logik historischer Vergeltungstheorie nicht zu begegnen war. Aus ihm folgte vielmehr, daß Mißachtung der maiorum disciplina, namentlich der Staatskulte, auch an allem Unheil der Gegenwart schuld sein mochte und deshalb unter Strafandrohung zu ahnden war. Die Christen teilten weitgehend das Vergeltungsdenken; sie sahen auch ihrerseits in Geschichte und Gegenwart das auf menschliches Verhalten erkennbar antwortende - lohnende und strafende - Handeln Gottes, das den Lauf der Welt auf ihrem Wege zum Ende so oder so vorantrieb. Verfolgungen waren eine heilsame Züchtigung der laxer werdenden Christenheit oder eine Prüfung der Frommen, die Verfolger Feinde, aber dennoch Werkzeuge Gottes; die Erfolglosigkeit der staatlichen Unterdrückung und das Scheitern derer, die sie betrieben hatten, demonstrierten den Triumph der geprüften Kirche über die Feinde Gottes. Lactanz' Schrift De mortibus persecutorum, 314 und vor der Alleinherrschaft Konstantins geschrieben, ist das bekannteste und am weitesten ausgreifende Beispiel solch kurzgeschlossener Geschichtsbetrachtung, der erste Versuch einer groben christlichen Geschichtsdeutung in concreto, der viele Nachfolger gefunden hat 1 2 7 . Alle Verfolgerkaiser haben danach ein trauriges oder schreckliches Ende genommen, schon Nero, Domitian, Decius, Valerian und Aurelian bestätigen diese Regel und noch viel deutlicher die mit Diocletian und Maximian beginnende Gegenwart. Tendenziöse Interpretationen solcher Art

127

Lactance, De la mort des persécuteurs. Introduction, texte critique et traduction de J. Moreau (SC 3 9 / 1 - 2 ) , Paris 1 9 5 4 .

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mochten im einzelnen haltlos sein und schnell veralten, aber das Vergeltungsschema im ganzen blieb aktuell, weil die Bedrohungen und Nöte der Zeit religiös erklärt sein wollten und das Bedürfnis nach Deutung der geschichtlichen Stunde nicht geringer wurde. Die Spiegelbildlichkeit der Konzeptionen machte jedoch historische Argumente fast austauschbar: Führten die Heiden die Wirren des dritten Jahrhunderts auf den Abfall der Christen von Tradition und Kult der Alten zurück, so die Christen auf die Verfolgung des wahren Glaubens; bedeutete den Christen Konstantins Wendung den glorreichen Triumph der Wahrheit, so konnten die Heiden darauf verweisen, daß auch das vierte Jahrhundert kein Paradies geworden war, und machten den Abfall der Kaiser vom alten Kult dafür verantwortlich. Im Ergehen von einzelnen und Gemeinschaften den verdienten Lohn ihres Verhaltens zu sehen war dem persönlichen Glauben an den Schöpfergott ebenso möglich wie der Kultreligion und dem politischen Traditionalismus, weil das Deutungsschema dem Erkenntnisinteresse beliebig angepaßt werden konnte - zu Lasten eines sachgerechten historischen Verständnisses. Bescheidene Ansätze, geschichtliche Vorgänge grundsätzlich aus immanenten Ursachen zu erklären, treten demgegenüber zurück und begegnen vor allem (vgl. oben Minucius Felix, dann vor allem im vierten Jahrhundert) in der polemischen Abwehr gegnerischer Deutungen. Die Epoche erlebte deshalb nicht nur die Ausbreitung und Verfolgung der Kirche, sondern auch den Kampf konkurrierender geschichtstheologischer Denkweisen, ein Ringen um die Deutungshoheit über die Geschichte, bei dem einerseits die Traditionsmacht der historischen Überlieferung schwer ins Gewicht fiel, aber andererseits auch die produktive Möglichkeit einer christlichen Einordnung, Umwertung und Fortsetzung der römischen Geschichte zur Diskussion stand (Orig., Cels. III 9; VIII 69-73). Die Frage war, wer mit welchen Mitteln diese Auseinandersetzung für sich entschied, und sie verweist uns merkwürdigerweise zunächst auf die unscheinbaren neuen Gat-

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tungen, in denen christliche Beschäftigung mit Geschichte zuerst erkennbar wird. Die große Historiographie und vor allem politische Zeitgeschichtsschreibung bildeten nämlich nicht das Feld dieser Auseinandersetzung; die Tendenzschrift des Lactanz zeigt, wie weit die Christen des dritten Jahrhunderts noch davon entfernt waren, ernsthafte, christlich gedeutete Zeitgeschichte zu schreiben. Obwohl Melito und nach ihm Tertullian, ansatzweise auch schon andere Apologeten und vorher die Apostelgeschichte dem Imperium heilsgeschichtliche Bedeutung zusprechen und obwohl den intellektuellen Wortführern der christlichen Gemeinde (so Tertullian oder Orígenes) deren politische und soziale Dimension durchaus bewußt ist (z.B. beim Kriegsdienst, der Untertanenloyalität in Bürgerkriegen oder der Verläßlichkeit christlicher Hofbeamter, sogar der Steuermoral [Tert., apol. 42,9]), haben christliche Autoren des zweiten und dritten Jahrhunderts doch weder die Auseinandersetzung mit paganer Zeitgeschichtsschreibung gesucht, noch sind sie selbst in dieser Gattung (im Unterschied zum philosophischen Streitgespräch) produktiv geworden. Sie standen im allgemeinen den Bereichen von Hof, Militär, Reichsverwaltung und Politik zu fern, um die nötige Kompetenz für Geschichtsschreibung aufzubringen, und ihre Abstinenz gegenüber öffentlichen Angelegenheiten, selbst munizipaler Aktivität (Orig., Cels. VIII 75), ließ auch kein Interesse an ihrer Beschreibung und Analyse aufkommen. Die Mitte des dritten Jahrhunderts verfaßten acht Bücher des Orígenes gegen Celsus, die umfassendste apologetische Schrift überhaupt, die nun freilich nicht mehr der heidnischen Öffentlichkeit und Obrigkeit, sondern einem christlichen Schüler und Mäzen des Autors gewidmet ist, beleuchtet einigermaßen den geschichtlichen Horizont gebildeter Christen der Zeit 128 . Trotz eigener dramatischer 128

R. Bader, Der αληθής λόγος des Kelsos (TBAW 33), Stuttgart 1940; Origen, Contra Celsum. Transi, with an introd. & notes by H. Chadwick, Cambridge 1953; Ph. Merlan, Art. Celsus, RAC 2, 1954,

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Verwicklung in die politische und Kirchengeschichte verrät der große Theologe ein eigentümlich statisches und distanziertes Verständnis des geschichtlichen Zustandes: Städte und Bürgergemeinden mit ihren Verfassungen und Gesetzen, hierarchisch geordneten Institutionen, Obrigkeiten, Gerichten und Kulten (III 9 . 3 0 ; IV 8 1 ; VIII 7 4 ) sind danach die Bausteine einer Welt, die ihre individuellen Farben von den Unterschieden der Völker und ihrer Sitten und Traditionen empfängt und die in Kultivierte und Nichtkultivierte (Griechen und Barbaren), in die Masse und die ,maßgebenden Menschen' - nicht etwa der Kaiser und ihrer politischen, militärischen und rhetorischen Paladine, sondern der Stifter, Propheten, Philosophen, Weisen und Heiligen zerfällt (I 2 1 - 2 3 ; III 5 . 3 7 . 4 6 ) . Sie ist größtenteils im orbis Romanus geeint, in dem es zwar Kriege und Bürgerkriege gibt wie Krankheiten im Leben des einzelnen, aber doch eine grundlegende Änderung der imperialen Ordnung und der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur nicht erwartet wird. In dieser römisch geprägten und geeinten 129 Welt vollzieht sich die wundersame Expansion der Kirche, die doch allen Obrigkeiten unerwünscht ist (I 26f.); die weltliche Ordnung verdient deshalb die Fürbitte und die Unterstützung der Christen (VIII 7 3 - 7 4 ) , obwohl diese sich von der aktiven Teilnahme an ihr ausdrücklich dispensieren. Die geschichtliche Dimension reicht weit und in universale, in den Schriftzeugnissen der Menschheit dokumentierte Zusammenhän9 5 4 - 9 6 5 ; C . Andresen, L o g o s und N o m o s . Die Polemik des Kelsos wider das Christentum ( A K G 3 0 ) , Berlin 1 9 5 5 ; K. Pichler, Streit um das Christentum. Der Angriff des Kelsos und die A n t w o r t des Orígenes ( R S T h 2 3 ) , Bern 1 9 8 0 . 129

Orig., Cels. II 3 0 : ,Die göttliche V o r s e h u n g wirkte, indem G o t t die V ö l k e r seiner Lehre zuwendete, d a m i t sie unter die H e r r s c h a f t des einen r ö m i s c h e n Kaisers k ä m e n und nicht, veranlaßt durch viele v o n e i n a n d e r getrennte politische Einheiten, die V ö l k e r unvermischt blieben und so der Missionsauftrag schwieriger zu erfüllen w ä r e . Es ist offensichtlich, d a ß gerade unter der H e r r s c h a f t des Augustus Jesus g e b o r e n w u r d e , damit durch die U n i v e r s a l m o n a r c h i e die vielen Bew o h n e r der E r d e sozusagen angeglichen w ü r d e n (όμαλίσαντος).'

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ge zurück (I 42-45), und sie umfaßt andrerseits eine mögliche Zukunft der Christianisierung aller Menschen (III 9; VIII 6972), aber als historischen Prozeß und politische Dynamik denkt Origenes all das so wenig, daß reale Geschichte bei ihm praktisch nicht vorkommt und auch eine Eschatologie nicht ausgemalt wird. Mögen diese geschichtlichen oder ungeschichtlichen Anschauungen zu einem Teil platonistischer Weltfremdheit zuzuschreiben sein, so paßten sie doch zu zeitgenössischen Vorstellungen und Akzentuierungen. Auch die heidnischen Polemiker gegen die Christen dachten nicht historisch; Celsus kannte die Bibel und die christliche Theologie, aber interessierte sich (über die Herkunft der Kirche aus dem Judentum hinaus: III 1-10; V 5961) kaum für die Geschichte der Kirche und deren konkreten Zusammenhang mit der Zeitgeschichte. Allgemeine römische oder Weltgeschichte und politische Zeitgeschichte sind seit dem zweiten Jahrhundert auch von nichtchristlichen Autoren wenig gepflegt worden, die senatorische Historiographie hat nach Tacitus nur in Cassius Dio noch einen vereinzelten Vertreter gefunden, und dieser Zustand entsprach offenbar den politischen Bedingungen und historischen Interessen der Zeit. Selbsterlebte Zeitgeschichte, deren Darstellung eine gewisse Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit sowie Zugang zu Zeugen verlangte, konnte nur noch als panegyrische oder dramatisierende Kaiser- und Hofgeschichte geschrieben werden. Vergangenheitsgeschichte dagegen mußte aus literarischen Vorgängern geschöpft werden, und das war eine Aufgabe formaler Gestaltung der verfestigten Tradition, nicht der historischen Reflexion oder Forschung. Für die Gegenwart stand außer Frage, daß jedermann die politische, rechtliche und zivilisatorische Vereinheitlichung der Welt als segensreiche Errungenschaft ohne positive Alternative ansah; näherhin berührten dagegen die Geschäfte und Geschicke der Kaiser und ihrer Gefolgsleute die Masse auch gebildeter Provinzialer, solange sie nicht davon betroffen wurden, nur wenig. Die römische Geschichtstradition, deren stehendes Repertoire nun

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auch die eindeutig ,guten' und schlechten' Kaiser umfaßte, gehörte mit ihren mythischen Anfängen, ihrer Heldengalerie und ihrem Exempelschatz zum Bildungswissen, wichtig für Schule, Rede und Sozialprestige, aber irrelevant für Fragen der aktuellen politischen und sozialen Orientierung. Das politische System, das den gegenwärtigen Zustand der Welt erreicht hatte und weiter garantierte, leitete sich zwar selbst aus dieser Tradition ab, doch niemand außer den Christen hatte Grund, sich damit nicht pragmatisch zufriedenzugeben und eine andere geschichtliche Konzeption zu entwerfen. Christen mußten freilich als anstößig empfinden, daß die historische Überlieferung, wie die literarische Tradition - zumal die Dichtung - überhaupt, in hohem Grade pagan-religiös geprägt war; sie konnten auch nicht übersehen, daß profane Historiographie mit christlicher Heilsgeschichte kaum zu verknüpfen war. Folgten sie dieser, dann war nicht die Gründungstat des Romulus, sondern die Heilstat Christi der entscheidende Angelpunkt der Geschichte, und nicht der Weg über Aeneas zurück zur mythologischen Heroenwelt konstitutiv, sondern der über den Antitypus Christi, Adam, zu Schöpfung und Sündenfall. Aber Roms singuläre Entwicklung in einem Zusammenhang zu sehen, der nicht von Jupiters Auftrag bestimmt war, bedeutete auch keine Provokation mehr. Römische Geschichte hatte schon Pompeius Trogus in augusteischer Zeit in einen vielbeachteten weltgeschichtlichen Rahmen gestellt; sein Gedanke, das Imperium als Sammelbecken vieler historischer Einzelentwicklungen zu betrachten, verband romfreundliche Tendenz mit dem leisen Anspruch auf Respektierung von Sondertraditionen. Den Aufgaben und Möglichkeiten, die sich christlichem Denken in dieser Situation ergaben, wendete sich die Chronographie zu, deren wesentliche gedankliche Elemente jedoch auch vor und außerhalb der chronographischen Literatur auftauchen, also aus breiteren Voraussetzungen der christlichen Orientierung in Welt und Geschichte erwuchsen. Sextus Iulius Africanus, Freund und Schüler des Orígenes, der mit seinen fünf Büchern Χρονογραφίαι

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in severischer Z e i t die christliche C h r o n o g r a p h i e als selbständige G a t t u n g b e g r ü n d e t e 1 3 0 , füllte d a s S c h e m a aus, d a s m a n z u e r s t bei T h e o p h i l u s findet. Sein Z e i t g e n o s s e H i p p o l y t ,

der

berühmte

P r e s b y t e r u n d s c h i s m a t i s c h e B i s c h o f , der A n f a n g des d r i t t e n J a h r h u n d e r t s in R o m w i r k t e , v e r f a ß t e neben a n d e r e n c h r o n o l o gischen Schriften, die der Festlegung des O s t e r t e r m i n s g a l t e n , Χρονικά, die d a s W e r k des Iulius A f r i c a n u s z u g r u n d e legten u n d ü b e r a r b e i t e t e n 1 3 1 ; sie w u r d e n ihrerseits v o n E u s e b i u s v o n C a e s a r e a , d e m V e r f a s s e r der ersten K i r c h e n g e s c h i c h t e , benutzt. E u s e bius' C h r o n i k (Χρονικοί κανόνες καί επιτομή παντοδαπής ιστορίας Ε λ λ ή ν ω ν τε καί βαρβάρων), v o r der k o n s t a n t i n i s c h e n

Wende

v e r f a ß t , steht seinen a p o l o g e t i s c h e n Schriften u n d der K i r c h e n g e s c h i c h t e n a h e und ist d a n n w i e d e r v o n d e m gelehrten H i e r o n y m u s ü b e r a r b e i t e t u n d (bis 3 7 8 ) fortgesetzt w o r d e n 1 3 2 . 130

131

Fragmente bei M . J . Routh, Reliquiae sacrae Vol. 2. Sive auctorum fere jam perditorum secundi tertiique saeculi post Christum natum quae supersunt. Accedunt synodi, et epistolae canonicae, Nicaeno concilio antiquiores, Oxford 2 1 8 4 6 , 2 3 8 (moderne Edition fehlt). - Grundlegend: H. Geizer, Sextus Julius Africanus und die byzantinische Chronographie 1. Die Chronographie des Julius Africanus, Leipzig 1 8 8 0 ; ders., Sextus Julius Africanus und die byzantinische Chronographie 2 / 1. Die Nachfolger des Julius Africanus, Leipzig 1 8 8 5 ; ders., Sextus Iulius Africanus und die byzantinische Chronographie 2 / 2 . Nachträge, Leipzig 1 8 9 8 ; W. Kroll, Art. S. Iulius Africanus, P R E 1 0 / 1 , 1 9 1 0 , 1 1 6 - 1 2 5 ; A. Harnack, Geschichte der altchristlichen Litteratur bis Eusebius 1/2, Leipzig 1 8 9 3 (Nachdruck 1 9 2 1 ) , 5 0 7 . Hippolytus Werke IV. Chronikon, hg. v. R. Helm (GCS 36), Berlin 1 9 5 5 . - C. Schölten, Art. Hippolytus II, RAC 15, 1 9 9 1 , ( 4 9 2 - 5 5 1 ) 5 0 8 ; M . Marcovich, Art. Hippolyt, T R E 15, 1 9 8 6 , 3 8 1 - 3 8 7 . Eusebius Werke VII. Die Chronik des Hieronymus, hg. v. R. Helm u. U. Treu (GCS 7), Berlin 3 1 9 8 4 ; Übersetzung der armenischen Version: Eusebius Werke V. Die Chronik, aus dem Armenischen übersetzt v. J . Karst (GCS 2 3 ) , Berlin 1 9 1 1 . F. Overbeck, Über die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung. Programm zur Rektoratsfeier der Universität Basel, Basel 1 8 9 2 , 2 2 ; E. Schwartz, Art. Eusebios von Caesarea, P R E 6, 1 9 0 7 , ( 1 3 7 0 - 1 4 3 9 ) 1 3 7 6 ; D.S. Wallace-Hadrill, Eusebius of Caesarea, London 1 9 6 0 , 1 5 5 ; R . M . Grant, Eusebius as Church Historian, Oxford 1 9 8 0 , 3. 2

132

Nach

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ihm verfaßten im vierten Jahrhundert der Gallier Sulpicius Severus und der Hispanier Paulus Orosius Weltchroniken, an die andere anschlossen: Die Gattung hat auch später im Westen wie im Osten Vertreter gefunden 133 . Die Chroniken bilden also eine Traditionskette, fast ein kollektives Kompendium, das die einzelnen Bearbeiter (etwa wie moderne wissenschaftliche Kommentare) ohne literarische Originalitätsansprüche aus- und fortschrieben und dabei auch verbessern und erweitern konnten, weil der konzeptionelle Rahmen feststand. Es waren Kompilationen chronologischer Tabellen, die, als »Nachschlagewerke' gedacht, einfach, praktisch, leicht verständlich, aber zuverlässig und vollständig sein sollten und ohne allen Tiefsinn und literarische Prätention dazu dienten, christlichen Lesern Orientierung zu leisten und durch Aufbereitung von Datenmaterial Argumentationshilfe zu liefern. Die der chronologischen Literatur zugrunde liegende Konzeption erklärt sich nicht aus einem bestimmten historischen Interesse der christlichen Autoren oder ihrer Auseinandersetzung mit paganer Geschichte und Geschichtsschreibung, sondern sie ergab sich aus dem Anschluß an die Modelle und Vorstellungen der Apologeten. Die weltgeschichtlichen Tabellenwerke begannen also mit der Schöpfung und reichten bis zur Gegenwart ihres Autors. Ihr Gegenstand war der weitestmögliche, die einheitliche Menschheit unter heilsgeschichtlichem Aspekt, jenes paradoxe Konstrukt, das den universalen Anspruch des auserwählten Vol133

G.K. van Andel, The Christian Concept of History in the Chronicle of Sulpicius Severus, Amsterdam 1 9 7 6 ; S. Weber, Die Chronik des Sulpicius Severus. Charakteristika und Intentionen (Bochumer altertumswissenschaftliches Colloquium 30), Trier 1 9 9 7 . - A. Lippold, Orosius, christlicher Apologet und römischer Bürger, Ph. 113, 1 9 6 9 , 9 2 - 1 0 5 ; H.W. Goetz, Die Geschichtstheologie des Orosius (Impulse der Forschung 32), Darmstadt 1 9 8 0 ; R. Ampio, La concezione orosiana della storia, attraverso la metafore del fuoco e del sangue, CClCr 9, 1 9 8 8 , 2 1 7 - 2 3 6 ; J . M . Alonso-Núñez, Die Auslegung der Geschichte bei Paulus Orosius: Die Abfolge der Weltreiche, die Idee der Roma Aeterna und die Goten, WSt 106, 1 9 9 3 , 1 9 7 - 2 1 3 .

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kes mit der universalen Mission der Kirche im orbis Romanus verknüpfte, das von keiner konkreten Geschichte eingeholt werden konnte und von jeder konkreten Geschichte weit entfernt war. Aber die synchronistische Einarbeitung der ägyptischen, altorientalischen und griechischen Geschichte in die biblische Chronologie demonstrierte doch die ,concatenationes temporum\ wie Tertullian eindrucksvoll beschreibt (apol. 19,7), und das universale Imperium schien dem universalen ,Volk' der Christen zu korrespondieren, denn: ,die Völker sind räumlich begrenzt, aber die Christen füllen den Erdkreis' (Tert., apol. 37,4). Die vorchristliche Verlaufsgeschichte als Zeit der Verheißung traf durch die chronologisch festliegende Lebensgeschichte Jesu in augusteisch-tiberianischer Zeit mit der römisch-heidnischen zusammen, um die Zeit der Erfüllung einzuleiten. Wie dieses zweiteilige Geschichtsbild der großen Zäsur der römischen und mediterranen Geschichte providentielle Bedeutung zubilligte (Orig., Cels. 11,30), so mochte es für Heiden in gewissem Grade praktikabel sein; denn auch für Griechen oder andere Provinziale, ja, bei großzügiger Betrachtung auch für Italiker, mündete ihre jeweilige, räumlich begrenzte Teilgeschichte mit dem Kaiserfrieden definitiv in die Universalgeschichte des augusteischen Imperiums ein. Doch hatte die christliche Geschichte dabei aller heidnischen die heilsgeschichtliche Dignität voraus, der römischen die weltgeschichtliche Weite. Der alte Anspruch aller Geschichtsschreiber, Wahres zu ermitteln und mitzuteilen, erfuhr in der christlichen Chronographie eine außerordentliche Vertiefung und Präzisierung: ,Ich will dir', schreibt schon Theophilus seinem Adressaten (111,16), ,mit Gottes Hilfe die Chronologie genauer darlegen, damit du erkennst, daß unsere Sache nicht neu 134 und fabelhaft ist, sondern älter und wahrer als die aller Dichter und Schriftsteller, die im ' 3 4 Vgl. Kelsos bei Orig., Cels. I 2 6 : „ E r (der Soter) hat erst vor ganz wenigen Jahren (ττρό ττάνυ ολίγων έτών) diese Lehre eingeführt und ist von den Christen für den Sohn Gottes gehalten w o r d e n " , ein Vorwurf, dem dann das folgende Räsonnement des Orígenes gilt.

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Ungewissen dahinschreiben'. D a ß Alter die Gewähr der Wahrheit sei 135 , ist allen christlichen Autoren die unumstößlich gewisse Voraussetzung ihrer Überzeugung, daß der christliche Gottesglaube älter sei als die Kulte der Heiden: der ,Altersbeweis' wurde so zum Angelpunkt aller christlichen Chronographie. Ihm diente zunächst der schwierige, Identifizierung mit Absage verbindende Selbstanschluß der Christen an die alttestamentliche Tradition, durch den allein die Alterslegitimation des (an sich: ,jungen') Christentums gesichert werden konnte; und er war dann im Namen der christlich vereinnahmten biblischen Tradition synchronistisch gegen Ägypter, Phönizier, Babylonier und Griechen zu führen und sollte dabei insbesondere dartun, daß ,Moses älter als Piaton' sei, das Alte Testament die Priorität gegenüber der Philosophie beanspruchen dürfe. Altersargumente dienten aber auch innerkirchlich zur Sicherung der normativen apostolischen Uberlieferung. Hegesipp, der mit seinen fünf Büchern Hypomnemata Mitte des zweiten Jahrhunderts vornehmlich dieses Ziel verfolgte, meinte schon, daß die jungfräuliche Kirche der Apostel von den Häretikern befleckt worden sei 136 , und formulierte damit ein Hauptthema aller späteren Kirchengeschichte. Die Bischofslisten als Dokumentation der richtigen Amtssukzession und Gewähr der apostolischen Tradition der Gemeinden stehen deshalb am Anfang der christlichen Chronographie; Geschichte ist hier Überlieferung der richtigen Lehre, für die die Schriftquellen das Beweismaterial liefern. Die Chroniken setzten ihre aus Zahlen der biblischen, orientalisch-hellenistischen und römischen Geschichte kompilierten 135

So mit besonderer Eindringlichkeit (und umgekehrter Folgerung) Tert., apol. 1 9 , 1 : primant instrumentis istis (den Propheten) auctoritatem summa antiquitas vindicat; apud vos quoque religionis est instar fidem de temporibus adserere. Weiter zum Altersbeweis: Orig., Cels. IV 1 1 . 2 1 . 3 1 . 3 6 ; V 3 4 ; VIII 4 7 .

136

Eus., h.e. IV 2 2 , 4 - 5 (GCS Eusebius H / 1 , 3 7 0 , 7 - 3 7 2 , 3 S c h w a n z ) ; III 3 2 , 7 - 8 (GCS Eusebius I I / 1 , 2 7 0 , 7 - 1 8 Schwartz); Hier., vir. ill. 2 2 . Ν . Hyldahl, Hegesipps H y p o m n e m a t a , StTh 1 3 , 1 9 5 9 , 7 0 - 1 1 3 .

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chronologischen Berechnungen in Beziehung zum angenommenen Gesamtzeitraum der Weltgeschichte, also einem geschlossenen chronologischen System. Seit dem Barnabasbrief und Irenaeus (s.o. S. 58) wurde aus der Metaphorik des Psalmisten eine vorbestimmte Dauer der Welt von 6 0 0 0 Jahren abgeleitet, nämlich sechs ,Schöpfungstage' zu je tausend Jahren 1 3 7 . Wie schon Theophilus berechneten auch Africanus und Hippolytos dann aus alttestamentlichen Genealogien und Zeitangaben den Abstand von Adam bis zur Gegenwart, um damit die noch verbleibende Weltzeit zu bestimmen. Danach fiel die Geburt Christi ins Jahr 5 5 0 0 nach der Schöpfung, das Weltende war dann in circa 2 8 0 Jahren zu erwarten. Bei Hieronymus, der die Chronik des Eusebius bearbeitete, fiel die Sintflut ins Jahr 2 2 4 2 nach Adam, bis Abraham folgten dann 942, bis Christi Geburt noch einmal 2 0 1 5 Jahre; das Ende war dann in beruhigende Ferne gerückt. Niemand hat ernstlich den Gedanken erwogen, das römische Reich könnte ein Ende nehmen, ohne daß gleichzeitig die Parusie Christi der Geschichte überhaupt ein Ende machte. Vermutlich konnte sich kein antiker Christ vorstellen, warum es dann überhaupt noch so lange weitergehen sollte. Die eigene Zeit stand im Schatten des erwarteten Anbruchs des Endes, mochte dieses nun nah oder etwas weniger nah gedacht sein. Und immer bestimmte sich das Verhalten mehr von diesem Zukunftsverständnis her als aus dem Nachwirken von Früherem, so daß Achtgeben auf eschatologische Symptome in gewissem Grade die alte Orientierung an Exempla, am Beispiel des Alten, ersetzte. Sammelfleiß, untaugliche Genauigkeit und spekulative Weite stehen bei den christlichen Chronisten in eigentümlicher Spannung zueinander. Sie waren so wenig politische Historiker wie 137

Ps 9 0 , 4 ( 1 0 0 0 Jahre vor Gott wie der vergangene Tag und eine Nachtwache), danach das sechstägige Schöpfungswerk (dem das Millennium des siebten Tages nach Apk 2 0 , 2 entspricht), Barn 15,4 (vgl. W . Shea, The Sabbat in the Epistle of Barnabas, AUSS 4, 1 9 6 6 , [ 1 4 9 - 1 7 5 ] 158). Ablehnend dagegen Eus., Chron., Prooem. (arm.) (GCS Eusebius V, 1-4,5 Karst).

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ihre Vorgänger, machten keine Geschichte und reflektierten sie nicht, ihrem Stoff gegenüber blieben sie unselbständig, und ihre Werke erheben keinen literarischen Anspruch; die Formen und Themen der literarischen Historiographie interessierten sie nicht. Aber der abstrakte universalhistorische Horizont dieser spröden synchronistischen Abrisse reicht weiter als der heidnischer Kaiserpanegyrik und Hofhistoriographie. Dem schulbuchartig nüchternen Informationszweck und der einprägsamen Kürze nach sind die Chroniken mit den historischen Breviarien zu vergleichen, und tatsächlich vermischten sich beide Gattungen im vierten Jahrhundert. Ihre praktische Bedeutung war denn auch außerordentlich groß und ist an ihrer Wirkung abzulesen: Hippolytus und Eusebius benutzten Africanus und Klemens von Alexandrien, und die Kanones des Eusebius wurden über Orosius und Augustin grundlegend für alle spätere christliche Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung. Die Chronographie ist von einem biblisch-heteronomen, universalhistorischen und linearen Geschichtsbild geprägt. Sie verzeichnet und kombiniert konventionelle Daten und Fakten, um das chronologische System und seine Aussagekraft zu verbessern, nicht aus genuinem Interesse an den realen Vorgängen und gestaltenden Kräften der Geschichte; und nicht weitreichendes, planendes Handeln von Menschen, folgenreiches Ergehen von Staaten und kontingentes Schicksal formen und gliedern ihr die Ereigniswelt, sondern das Wirken des Heiligen Geistes. Aber zugleich wird die Weltgeschichte hier als ein einheitlicher und geschlossener Raum der Geschöpflichkeit verstanden, in dem alle Menschen dauernd und existentiell gefordert sind. In ihm entsteht geschichtliche Bewegung nicht oder nur vordergründig durch ereignishaftes Geschehen, wohl aber durch den heilsgeschichtlichen Prozeß, in dem Gott die Erziehung der Menschen durch Lehrer, Weise und Propheten, am weitestreichenden aber durch Christus, den Logos (Orig., Cels. IV 4) und παιδαγωγός (Klemens), betreibt. Die neben der alttestamentlichen Offenbarung wichtigste Vorstufe des Christentums war deshalb für Klemens von Alexandrien die

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griechische Philosophie (str. I 80 u.ö.), nicht etwa das augusteische Imperium. Damit wieder war die überragende Bedeutung der normativen Überlieferung, ihrer schriftlichen Dokumentation und argumentativen Verwendbarkeit berührt, die Vorstellung einer dem Frommen einsichtigen und überschaubaren Geschichte mit menschlichen Maßen (Orig., Cels. 119). Denn sie ist hier nicht eine Kette erinnerter großer Taten und denkwürdiger Ereignisse, die von bestimmten Menschen oder Kollektiven zur Daseinsorientierung, pädagogischen Ermahnung oder auch nur aus Vergnügen an der Buntheit und Dramatik des Lebens bewußt gehalten werden, sondern - weil im Willen Gottes beschlossen, nicht vom Zufall gesteuert - ein intelligibler Zusammenhang mit Anfang und Ende. Sein Verständnis weist den Lebenden ihre Stunde, zeigt ihnen den Ort der Wahrheit und ruft sie zur Verantwortung, auch wenn dabei weite Bereiche der geschichtlichen Empirie als für dieses Ziel irrelevant außer Betracht bleiben. M a n braucht die Geschichte nicht zu kennen, um sie zu verstehen, weil ihr Sinn feststeht, und man findet deshalb in ihr nur, was man grundsätzlich schon weiß; aber sie beweist (nicht zuletzt gegen Uneinsichtige) und präzisiert, was angenommen werden mußte. Die Anwendbarkeit von Chronologie und Faktologie stellen zwar die theologischen Intentionen der Verfasser keineswegs in Frage, aber man unterschätzt doch leicht die Spannungen, unter denen diese Autoren gestanden haben müssen. Denn die rechnenden Chronographen waren erstaunlicherweise gleichzeitig den großen theologischen Schulen des Ostens verbunden: Africanus als Freund, Hippolytus als Lehrer, Eusebius als Enkelschüler des Orígenes. Und für den christlichen Piatonismus des Orígenes hatte doch die irdische Geschichte, wie alles Wandelbare und Vergängliche, den Status der Defizienz, war sie der W e l t des Verfalls zugehörig, ja recht eigentlich ihr Abbild. Das vollkommen Reale muß hingegen ewig und zeitlos sein, und folglich dachte Orígenes auch Schöpfung und Gottessohnschaft als ewige Beziehungen, Erscheinen, T o d und Auferstehung Christi als kosmische Ge-

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schehnisse, auf die die Kategorien der Zeit wie Anfang und Ende nicht anzuwenden waren. Christus als der Logos wirkte im Sinne der stoischen Logos-Spekulation auf die materielle Welt ein, aber nicht auf dem Wege zeitlich verursachender Ereignishaftigkeit. Die origenistische Theologie erlaubte zwar, den geschichtlichen Prozeß als Entfaltung des nach göttlichem Ratschluß ewig Notwendigen zu begreifen oder als beständiges gestaltendes Einwirken des göttlichen Geistes in die irdische Hinfälligkeit zu denken, und sie konnte sich die geschichtliche Welt dann in gewissem Maße als Entwicklung vorstellen. Aber diese Philosophie war doch grundsätzlich ahistorisch und legte deshalb das Interesse an den Ereignissen der Verlaufsgeschichte nicht gerade nahe, denen Realität im vollen Sinne nicht zugebilligt werden konnte. Auch die apokalyptische Endzeiterwartung, die eschatologische Berechnung irdischer Gottesherrschaft und der Glaube, der göttliche Weltenplan lasse sich an Zeichen und typologischen Beziehungen ablesen, lag den christlichen Piatonikern fern: für sie war die Z u k u n f t offen und nach Zeitquantitäten nicht zu bestimmen (Orig., Cels. VIII 72), sie mochte sogar in zyklischer Wiederholung des ewig Gleichen bestehen. Es konnte nicht leicht fallen, zwischen solcher Theologie und dem chronologischen Berechnen von Endzeitdistanzen eine Brücke zu schlagen. Die geschichtstheologische Spannweite der christlichen Chronographen kann danach eingeschätzt werden. Konkreter ist all das der Kirchengeschichte des Eusebius zu entnehmen, mit der nach des Autors eigenem Urteil (h.e. I 1,5) und dem der Nachwelt die Kirchengeschichtsschreibung als neue historiographische Gattung begann 138 . Eusebius bezeichnet aber selbst (h.e. 11,6) die bereits 303 n.Chr. oder noch früher verfaß138

F. Overbeck, Anfänge (wie Anm. 132), 22; E. Schwartz, Eusebius (wie Anm. 132), 1370-1439; ders., Über Kirchengeschichte, in: ders.,· Gesammelte Schriften, Bd. 1: Vergangene Gegenwärtigkeiten, Berlin 1 9 3 8 , 1 1 0 - 1 3 0 ; H. Eger, Kaiser und Kirche in der Geschichtstheologie Eusebs von Caesarea, Z N W 38, 1939, 97-115; R.L.P. Milburn, Auf daß erfüllt werde. Frühchristliche Geschichtsdeutung, München 1956,

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te C h r o n i k 1 3 9 a l s » E p i t o m e ' der K i r c h e n g e s c h i c h t e , d i e s e a l s .verv o l l s t ä n d i g t e D a r s t e l l u n g ' der C h r o n i k ; a u c h h a t er die , K i r c h e n g e s c h i c h t e ' f o r t s c h r e i b e n d s e l b s t a k t u a l i s i e r t : m i n d e s t e n s die letzten drei B ü c h e r s i n d ein m i t n e u e m P r o o e m i u m

eingeleiteter

N a c h t r a g einer . N e u a u f l a g e ' n a c h d e m E n d e der V e r f o l g u n g e n , d e r e n M ä r t y r e r n n u n d a s 8. B u c h g e w i d m e t w a r . E i n e g e g e n ü b e r d e m ä l t e r e n W e r k n e u e K o n z e p t i o n liegt a l s o d e r K i r c h e n g e s c h i c h t e nicht z u g r u n d e , sie ist a u c h nicht die e r l e b n i s g e b o r e n e h i s t o r i o g r a p h i s c h e A n t w o r t a u f die E r f a h r u n g e n der

diocle-

t i a n i s c h e n V e r f o l g u n g u n d der k o n s t a n t i n i s c h e n W e n d e . A u c h a u s i h r e m I n h a l t u n d A u f b a u ergibt sich der e n g e Z u s a m m e n h a n g der K i r c h e n g e s c h i c h t e mit der C h r o n i s t i k ; es g e h t E u s e b i u s n ä m l i c h (h.e. I 1 , 1 ) u m die D a r s t e l l u n g u n d D o k u m e n t a t i o n d e r w i c h t i g s t e n B i s c h o f s s u k z e s s i o n e n a l s zeitliches G e r ü s t , in d a s

93; D.S. Wallace-Hadrill, Eusebius (wie Anm. 132); R. Farina, L'impero e l'imperatore cristiano in Eusebio di Cesarea. La prima teologia politica del Cristianesimo, Zürich 1966; C. Andresen, „Siegreiche Kirche" im Aufstieg des Christentums. Untersuchungen zu Eusebius von Caesarea und Dionysios von Alexandrien, A N R W II 23.1, Berlin/New York 1979, 387-459; R.M. Grant, Eusebius (wie Anm. 132); H. Kraft, Einleitung: Eusebius von Caesarea, in: Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, Darmstadt 2 1 9 8 1 , 1 1 - 7 4 ; A. Cameron, Eusebius of Caesarea and the Rethinking of History, in: Tria Corda. FS A. Momigliano, a cura di E. G a b b a (Biblioteca di Athenaeum 1), Como 1983, 71-88; D. Timpe, Was ist Kirchengeschichte? Z u m Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius, in: FS Robert Werner zu seinem 65. Geburtstag dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, hg. v. W. Dahlheim/ W. Schuller/J. von Ungern-Sternberg (Xenia. Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen 22), Konstanz 1989, 171-204 (dort weitere Literatur; einige Gedanken und Formulierungen dieses Aufsatzes sind im folgenden übernommen). 139

Z u m Zusammenhang mit der Chronik: E. Schwartz, Eusebius (wie Anm. 132), 1376 und ders., in: Eus., h.e. (GCS Eusebius II/3), C C X V f . ; F. Overbeck, Anfänge (wie Anm. 132), 22; R.L.P. Milburn, Auf daß erfüllt werde (wie Anm. 138), 93; R.M. Grant, Eusebius (wie Anm. 132), 22.

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wichtige Ereignisse der Kirchengeschichte, vor allem die Verfolgungen und Martyrien - und damit die synchrone Reichs- und Kaisergeschichte - , sodann die bedeutenden Kirchenlehrer und Häretiker und schließlich die Geschicke des jüdischen Volkes eingetragen sind: eine Tabelle in der Art der Chronik mit feststehenden Rubriken, nach F. Overbeck 140 . Eusebius berücksichtigte hier zwar nicht Ägypter und Assyrer, aber der weltgeschichtliche Rahmen ist bei ihm wie in der Chronistik durch die Vorschaltung der alttestamentlichen Heilsgeschichte als Zeit der Verheißung, als christlicher Vorgeschichte, gegeben. Der Horizont des Origenisten und Platonisten reicht sogar darüber noch hinaus: ihm zeigt die Geschichte die Entfaltung des ewigen göttlichen Logos, des ,Lichtes, das vor dem Kosmos da war', der ,vor der Zeit wesenhaften und intelligiblen Weisheit' (h.e. 12,3). Den Logos erkannten dann ,vom Anfang der Menschheit an' alle durch Gerechtigkeit und Frömmigkeit ausgezeichneten Menschen ,mit den reinen Augen des Geistes' (I 2,6); gestalthaft erschienen ist er aber in Christus, und sein Leib ist die Kirche. Damit hat das Christentum zugleich ,hohes Alter' (also Zeitlichkeit) wie auch ,göttliche Majestät' (also Zeitlosigkeit; I 2,1). Die Logosspekulation macht also die Kirche zum Thema und Gegenstand der Geschichte, weil die Gestaltung der Welt durch den Logos Sinn und Thema der Geschichte ist und die Kirche sein besonderes Instrument. Aber es ist nicht die Institution und Organisation (dafür wird der Begriff εκκλησία selten verwendet 141 ), auch nicht das christliche ,Volk' 1 4 2 , was die Kirche für Eusebius ausmacht, sondern die Lehre Christi und der 140 141

142

F. Overbeck, Anfänge (wie Anm. 1 3 2 ) , 3 8 . H . Z i m m e r m a n n , Ecclesia als Objekt der Historiographie. Studien zur Kirchengeschichtsschreibung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ( D Ö A W . P H 2 3 5 / 4 ) , Wien 1 9 6 0 , 7f. So jedoch F. Overbeck, Anfänge (wie Anm. 1 3 2 ) ; das christliche Volk ist aber nur anonymer Gegenstand der Kirchengeschichte, es tritt als solches nicht handelnd in Erscheinung (D. Timpe, Kirchengeschichte [wie Anm. 1 3 8 ] , 1 8 4 ) .

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Apostel. Da diese auf sorgfältige Überlieferung angewiesen ist, kommt der legitimen Tradition und der bischöflichen Amtssukzession, der richtig bewahrten Lehre und der apostolischen Kontinuität, entscheidende Bedeutung zu. Sie werden durch Vorlage von Dokumenten (kanonische Schriften, Bischofslisten, Urkunden, Briefe, Reden, Exzerpte und andere Materialien) gegen Juden, Häretiker oder Heiden argumentativ bewiesen wie ein Rechtsstandpunkt im Prozeß und forderten deshalb die kritische Bewertung und Benutzung der Zeugnisse mit philologischen Methoden heraus. Diese Materialien überwuchern die geschichtliche Darstellung sogar so sehr, daß die formale Einheit des Werkes dadurch in Frage gestellt wird. In der modernen Forschung (E. Schwartz) ist die Kirchengeschichte deshalb auch mehr als Quellensammlung, als großer commentarius, denn als Geschichtsschreibung angesehen worden. So kann die Kirchengeschichte mit der Doppelnatur des präexistenten Christus beginnen, um mit einer Aktensammlung zu enden; die spannungsreiche Synthese des Eusebius besteht in der Verknüpfung an sich unmetaphysischer Chronistik mit an sich ahistorischer Logosspekulation. Die eusebianische Kirchengeschichte folgt in ihren Intentionen und mit ihren Grundgedanken der christlichen Chronistik; wie diese fordert und fördert sie kein Interesse an realer Geschichte, aber will den Gesamtraum der Weltgeschichte als heilsgeschichtlichen Weg der Erfüllung des Verheißenen erklären und als sinnvollen Realzusammenhang, in dem der einzelne seinen Platz und seine Aufgabe hat, verständlich machen. Kirchengeschichte ist kein konkreter und spezieller historischer Gegenstand neben anderen möglichen und erst recht kein Gegensatz zu profaner Geschichte, sondern potentiell Weltgeschichte unter heilsgeschichtlichem Aspekt; sie zeichnet die geoffenbarten Wege der göttlichen Vorsehung mit den Menschen nach. Der Sinn des Ganzen liegt fest; das macht die menschlichen Täter zu Werkzeugen Gottes oder des Teufels und läßt für Autonomie des menschlichen Handelns, für Ergründung seiner Ursachen oder

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Aufklärung seiner Ziele keinen Raum. Wohl aber ist die richtige Entscheidung gefordert, und dafür sollen die wesentlichen Argumente geboten werden. Das geschichtliche Geschehen, an dem der Autor im Grunde wenig interessiert war, wird auf diesem Wege dennoch wichtig als Beleg des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs. Geschichtstheologische Theorie und tatsachenerforschende Praxis verbinden sich zur Einheit, wenn auch nur der Idee nach; denn der grundsätzlich lückenlose, durch Schöpfung, Erlösung und Vollendung gegliederte und begrenzte, durch Weissagung und Erfüllung strukturierte Geschichtsraum konnte selbstverständlich nicht homogen ausgefüllt werden. Aber die Geschichte der Kirche war doch eine irdische Realität mit Menschen aus Fleisch und Blut und nicht auf ein ideengeschichtliches Gedankengebilde zu reduzieren. Und in gewissem Maße ließ sich in das christlich-biblische Geschichtsbild als Bezugssystem auch die profangeschichtliche Welt eintragen, soweit ihr Zusammenhang mit der Kirchengeschichte unübersehbar war oder (vor allem durch die Kaiserregierungen) der elementaren chronologischen Orientierung diente. Auf diesem Wege ist dann die Gattung der „Kirchengeschichte" weitergegangen. Die Eusebius kennzeichnende Vermittlung zwischen Theorie und Praxis, zwischen spekulativer Konzeption und kirchenpolitischer Nahsicht, bestimmte auch seine Stellung zur Zeitgeschichte. Die Entfaltung des Logos als allgemeines Thema von Geschichte mündete ihm ein in konkrete kirchliche Lehrtradition und Amtssukzession, in weitläufig dargestellte dogmatische Auseinandersetzungen und dramatisch erzählte Verfolgungsgeschichten, und dies nicht etwa, weil er sein Thema verloren hätte, sondern weil ihm in der realen Kirche seiner Zeit mit ihren Auseinandersetzungen und Verflechtungen in weltliche Geschikke, und darüber hinaus in der kulturellen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, das Einwirken des Logos sichtbar wurde: ,Er ist früher nur einzelnen, in der Kirche aber allen Menschen und Völkern erschienen' (I 2,17). Denn die anfänglichen Menschen führten ein tierisch-primitives Leben bis hin zu

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Kannibalismus und (in den Giganten!) zu Aufstand gegen Gott; sie lebten nämlich als N o m a d e n und W i l d e ohne πόλις, πολιτεία, τέχναι und

έπιστήμαι. Sintfluten, Hungersnöte, Seuchen und

Kriege dezimierten sie deshalb zur Strafe für ihre Bosheit, bis in Moses und den Propheten, in Gesetzgebern und Philosophen bis hin zum Beginn des kaiserzeitlichen Imperiums die Gesittung durch das Wirken des Logos sich Bahn brach (I 2,18-23). Die erstaunliche Mischung aus origenistischer Logostheologie und stoischer Kulturentstehungstheorie erklärt den weitreichenden Zivilisationsoptimismus des Eusebius: Für die doch im Weltenplan vorherbestimmte und von den Propheten

geweissagte

Menschwerdung des Erlösers war gerade erst die augusteische Zeit hinreichend gesittet (I 2,23)! Und die heilsgeschichtliche Bedeutung der christlichen Gemeinde ist nicht ein verborgenes Mysterium; ihr entsprechen vielmehr sichtbar die räumliche Verbreitung und das äußere Ansehen der Kirche: Schon die anfängliche Christenheit ist ,nicht klein und schwach, sondern das stärkste, frömmste und siegreichste „ V o l k " unter allen V ö l kern' (I 4,2), die Gottheit Christi ,allen Menschen' bekannt (I 13,1 )143, und ,die Stimme der Evangelisten und Apostel erreicht sogleich die Grenzen der Oikoumene' (II 3,1, nach Ps 18,5; II 13,1; III 1,1). Solch sieghaftem Optimismus konnte nicht zweifelhaft sein, daß der Glaube auch das Imperium durchdringen werde, mit dem er immer schon providentiell verbunden war. Das Ende der Verfolgungen erfüllte Eusebius deshalb zwar mit Freude und Dankbarkeit, aber den großen, unerwarteten Wendepunkt der Weltgeschichte konnte er darin nicht sehen. Der Origenist verstand auch das Verhältnis der Kirche zu den weltlichen Mächten als dauernden, wechselvollen Prozeß der Einwirkung des Logos, der hinter allem scheinbaren Auf und A b danach strebte, sich in

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Eus., h.e. I 4,2 (έθνος où μικρόν ούδ' ασθενές οΟδ' επί γωνίας ποι γης ίδρυμένον [GCS Eusebius ΙΙ/1, 38,10-17 Schwartz]), zitiert Lukas, Act 26,26.

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einer geeinten und befriedeten, christlichen und sittlich geordneten Welt zu konkretisieren. Dazu bediente sich die göttliche Allmacht auch der Seelen und Entschlüsse der Herrscher, wie umgekehrt der Böse Häresien und Verfolgungen erregte: Die .göttliche Gnade' gab den Kaisern ihre .Palinodie', das Toleranzedikt, ein (VIII 16,1), so wie ,die göttliche Gerechtigkeit' bereits den Kaiser Aurelian ,fast am Arm festhielt', als er ein schon unterschriftsbereites antichristliches Dekret ausfertigen wollte (VII 30,21). Und so brachte auch Konstantin zwar die verheißene Erfüllung des Weltzustandes (X 4,53), aber doch nicht als großer historischer Täter aus eigener Kraft und eigenem Entschluß, sondern als Werkzeug Gottes; denn nicht erst der Kaiser machte die Kirche zur wichtigsten Formkraft der Welt, sie ist als solche schon immer angelegt. Die Kräfte des Ewigen und die vergängliche Welt stehen sich auch nicht in schroffem Dualismus gegenüber, sondern das Wirken des Logos vermittelt sie in einem prozeßhaften Miteinander. Die Schöpfung ist also nicht durch den Sündenfall der Verlorenheit anheimgegeben oder selbstherrlicher menschlicher Autonomie überlassen, sie bleibt der göttlichen Einwirkung ständig ausgesetzt. Das relativiert historisches Glück und Unglück und nimmt den menschlichen Entscheidungen die Endgültigkeit. Deshalb bleibt für den Autor nicht zuletzt auch die Z u k u n f t unbekannt und ohne apokalyptische Ausmalung; Eusebius verschmäht die eschatologischen Berechnungen seiner Vorgänger, wie er auch Adams Alter nicht für errechenbar hält 144 , und sucht auch nicht die Geschichte nach Zeichen und Beziehungen ab, aus denen Nutzanwendungen zu ziehen wären. Die geschichtliche Zeit und Z u k u n f t bleibt bei ihm also frei von allzu kruder und massiver Determinierung, die reale Geschichte damit offen und fortsetzbar, wenn auch - zu Trost oder Warnung - heilsgeschichtlich festgelegt. So ist der positive Sinn des geschichtli144

Vgl. H. Geizer, Africanus 1 (wie Anm. 12), 36; E. Schwartz, Eusebius (wie Anm. 132), 1 3 7 8 .

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Dieter Timpe

chen Ablaufs also doch von vornherein garantiert; er kann deshalb auch leicht in das reale Geschehen hineingedeutet werden. Diese schwerwiegende Konsequenz war offenbar auch deshalb unvermeidlich, weil (wie schon oben erörtert) die historiographische Antwort der Christen auf zeitgeschichtliche Herausforderungen - seien es Verfolgungen oder Triumphe der Kirche - nur in der breiteren Einarbeitung und Deutung der Ereignisse im Rahmen der vorgegebenen heilsgeschichtlichen Daseinsinterpretation bestehen konnte, das christliche Geschichtsdenken aber für eine auch nur relative Eigengesetzlichkeit des geschichtlichen Handelns keinen Raum ließ. Methodische Verfahrensweisen, die die apologetische, kirchenpolitische oder origenistischtheologische Tradition in der Auseinandersetzung mit Heiden, Juden und Häretikern ausgebildet hatten, betrafen nur Textanalyse, Prioritätsfragen und ähnliche kritische, gleichsam ,hilfswissenschaftliche' Operationen, aber nicht historische Urteilsfähigkeit im allgemeinen, ursächliches Verständnis komplexer Zusammenhänge und zeitgeschichtlich-politische Stellungnahmen. Für weite Bereiche der geschichtlichen Realität besaßen die christlichen Autoren weder Interesse und Sachkenntnis noch Urteilskategorien, und sie durchdrangen sie deshalb auch nicht; insbesondere fehlten ihnen weitgehend Maßstäbe und soziale Kompetenz, um säkulares politisches Handeln sachangemessen zu beurteilen und zu beschreiben. Die konventionelle Bejahung der bestehenden Herrschafts- und Gesellschaftsordnung oder das Gebet für den Kaiser waren nicht politisch gedacht und ohne inhaltlich ausfüllende Programmatik. Sie beruhten auf den Gedanken der gottgewollten weltlichen Ordnung, der Konvergenz von Imperium und Kirche und des orbis Romanus als Feld der Mission. In ihnen hatte auch die unkritische Zustimmung des Eusebius zu Konstantins Herrschaft und die Bereitschaft, in dem Kaiser eine Art Heilsbringer zu sehen, ihre Grundlage, und eine Vorstellung, wie eine diesseitige Zukunft in einem christianisierten Imperium aussehen könnte und aktiv zu gestalten wäre, ergab sich daraus noch nicht.

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Das christliche Geschichtsdenken des Eusebius ist also charakterisiert durch universalgeschichtlichen Rahmen, dogmatische Methode und einprägsame Darstellung bei politisch grundsätzlich systemkonformer Haltung. Die vorgegebene Sinngarantie und die jeder Erfahrung vorausgehende religiöse Interpretation lassen Geschichte als geschlossenen Prozeß und intelligiblen Zusammenhang von der Schöpfung bis zur Vollendung verstehen. Das erlaubt, erklärt und kompensiert ein weitgehend fehlendes Interesse an konkreter geschichtlicher Anschauung und eine geringe Kenntnis der außerkirchlichen Lebenswirklichkeit (und geht deshalb mit unkritischer Rezeption der Geschichtsvulgata und bereitwilliger Zustimmung zur Ordnung des universalen Imperiums einher), aber ist dennoch im ganzen und einzelnen einer logisch argumentierenden, mit schriftlichen Beweismitteln arbeitenden Beurteilung zugänglich. Diese Struktur begünstigt die schematisierende Aufbereitung und breitenwirksame Epitomierung des Stoffes, berührt aber Fragen der Zeitgeschichte und politische Entscheidungen der Gegenwart nur am Rande und namentlich bei kirchenpolitischen Entscheidungen. Den Kaisern war die christliche Loyalität deshalb um so eher gewiß, je mehr sie sich den heilsgeschichtlichen Anschauungen der christlichen Theologen einpassen ließen und ihren kirchenpolitischen Erwartungen entsprachen. Einige dieser gedanklichen Elemente entsprachen dem veränderten Verhältnis der Zeit zur geschichtlichen Vergangenheit. Sie war längst nicht mehr der von Senatoren gehütete Spiegel, der im Namen der politisches Leben und alle gesunden Kräfte fördernden libertas der dominatio der principes vorgehalten wurde, nicht mehr der unbestrittene Hort einer normativen Tradition, aus der die Führungsschicht ihre moralisch-politischen Maßstäbe und sozialen Ansprüche herleitete. Und die aus sozialer Privilegierung, politischer Erfahrung und ideellem Rückbezug auf die Senatstradition erwachsene Legitimierung, über die kaiserliche Herrschaft zu urteilen, war zur allgemeinen Forderung, ein ziviles Regiment zu üben (άναιμωτί άρχειν) und Heer und Hof in Zucht zu halten, verblaßt; sie vertraten auch Griechen

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Dieter Timpe

wie Cassius D i o oder NichtSenatoren wie Herodian oder Nichthistoriker wie der Kaiserbiograph Marius Maximus, und jeder Christ konnte sie sich zu eigen machen. Den besten Vertretern der kaiserzeitlichen Historiographie war ferner bewußt (vgl. Cass. D i o LUI 19), daß wegen der nun fehlenden Öffentlichkeit der politischen Entscheidungen der wahre Ablauf der Dinge sich nicht mehr sicher feststellen und darstellen ließ, daß dank der Größe des Imperiums und der Fülle der Ereignisse die Zeitgeschichte überhaupt weitgehend undurchschaubar geworden war und ihre Beschreibung auf die Zufallsauswahl des Bekanntgewordenen angewiesen blieb. Der historische Verlauf wurde immer weniger auf Ursachen, Folgen und Zusammenhang hin durchleuchtet, auf anwendbare Erkenntnis hin reflektiert, sondern schrumpfte zu kaiserbiographischer Hofgeschichte oder stereotyper Militärgeschichte, von denen einem christlichen Verhältnis zur Vergangenheit weder Herausforderung noch Konkurrenz erwuchs. - Längst war schließlich das geschichtliche Wissen hauptsächlich durch die fragmentierende Aufbereitung im rhetorischen Bildungskanon präsent, den sich auch die Christen aneignen konnten, zeitgeschichtliches Geschehen aber V o r gang auf einer Bühne, an dem alle, nicht nur die Christen, bloß als Zuschauer, nicht mehr als Mitspieler teilnahmen. Zur historischen Legitimierung und ideologischen Begründung des richtigen Weges war freilich der Blick in die Vergangenheit wichtiger denn je, und hierbei verfügten die Christen über weiten Horizont und diskutable Argumente. Die Frage, ob in dem Ringen konkurrierender geschichtstheologischer Konzeptionen im dritten Jahrhundert die christliche oder die heidnische Seite über die besseren W a f f e n und die größeren Siegeschancen verfügte, läßt sich daher beantworten: Die christlichen Orientierungsangebote, um mit dem Erbe der Vergangenheit, den Bedrängnissen der Gegenwart und den Rätseln der Zukunft umzugehen, waren gedanklich stringent und unter bestimmten sozialen und intellektuellen Voraussetzungen auch attraktiv, soweit sie nicht als heuristische Grundlage me-

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thodisch geübter Geschichtsschreibung verstanden wurden, sondern als praktische Anwendung des heilsgeschichtlichen Denkens im historisch-politischen Bereich. Die Christen hatten weder literarisch anspruchsvolle Geschichtsschreibung zu bieten, noch schrieben sie aus neuer Perspektive etwa Hof-, Reichs- und Zeitgeschichte. Auch ihre weltgeschichtlichen Anschauungen liefen auf eine tendenziöse Exempelsammlung hinaus, und die vorherrschende Bemühung, einen vorgegebenen heilsgeschichtlichen Rahmen stofflich auszufüllen, war dürftig und unselbständig und deshalb gewiß nicht nach jedermanns Geschmack. D a f ü r wußten sie das Große mit dem privaten Kleinen triftig zu verbinden, leisteten intellektuelle Orientierung, didaktisch hilfreiche Aufbereitung geschichtlichen Wissens und damit Argumentationshilfe bei Anfeindung und Zweifel, ohne andere und anspruchsvolle Interessen auszuschließen. Mit Vorführung von Belegmaterial, Quellenvergleich und Überlieferungskritik wurden sie sogar teilweise und auf neue Weise dem methodischen Niveau der großen historiographischen Tradition gerecht. Es fragt sich daher abschließend, ob und wie unter diesen Bedingungen eine Synthese christlicher, heilsgeschichtlich geprägter Geschichtsbetrachtung mit der politischen Geschichtsschreibung möglich wurde, für die die konstantinische Wende und die breite Symbiose der ecclesia triumphans mit Staat und Kultur im vierten Jahrhundert die äußeren Voraussetzungen schufen.

5 Wie christliche und heidnische Autoren nach der staatlichen Anerkennung - und bald auch Begünstigung - der Kirche mit den Aufgaben und Problemen der Geschichtsschreibung umgingen, zeigt sich nicht im Streben nach neuen Formen, aber in der Verwendung der alten. Die Fortschreibungen der eusebianischen Kirchengeschichte und die Entwicklung der Chronistik können dafür als Beispiele dienen.

116

Dieter T i m p e

Kirchengeschichtsschreibung

w a r wie andere

historiogra-

phische G a t t u n g e n a u f F o r t s c h r e i b u n g angelegt, E u s e b i u s selbst sein e r s t e r F o r t s e t z e r .

Nach

i h m h a b e n zuerst Gelasius

von

C ä s a r e a u n d R u f i n u s v o n Aquileia d e n A r c h e g e t e n fortgesetzt, dann

Sokrates

Scholasticus,

Sozomenus

und T h e o d o r e t

von

C y r u s als O r t h o d o x e , P h i l o s t o r g i u s als H ä r e t i k e r a n ihn a n g e s c h l o s s e n 1 4 5 . Einige dieser A u t o r e n sind a u c h v o n e i n a n d e r a b h ä n g i g , die drei o r t h o d o x e n des fünften J a h r h u n d e r t s im s e c h sten zu G e s a m t d a r s t e l l u n g e n

(Historia

tripartita)

kompiliert

w o r d e n . Diese u n d weitere K i r c h e n g e s c h i c h t e n des sechsten J a h r h u n d e r t s , die für d a s b y z a n t i n i s c h e u n d lateinische M i t t e l a l t e r t r a d i t i o n s b e s t i m m e n d w u r d e n , s o w i e Ü b e r s e t z u n g e n ins L a t e i n i s c h e ( R u f i n u s , E p i p h a n i u s ) bezeugen die e r s t a u n l i c h e P r o d u k t i -

145

Anknüpfung an Eusebius: Sokr., h.e. I 1,1-2; Soz., h.e. I 1,12. Zur Kirchengeschichtsschreibung: W . Nigg, Die Kirchengeschichtsschreibung. Grundzüge ihrer historischen Entwicklung, München 1 9 3 4 , 2 7 ; F.J. Foakes Jackson, A history of church history. Studies of some historians of the Christian church, Cambridge 1 9 3 9 , 71; R.L.P. Milburn, Auf dai? erfüllt werde (wie Anm. 138), 84; A. Momigliano, Pagan and Christian Historiography in the Fourth Century A.D., in: ders. (Hg.), T h e Conflict between Paganism and Christianity in the Fourth Century. Essays, Oxford 1 9 6 3 , 7 9 - 9 9 = Heidnische und christliche Geschichtsschreibung im 4. Jahrhundert n. Chr., in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 1: Die Alte Welt, hg. v. W . Nippel, Stuttgart/ Weimar 1 9 9 8 , 3 5 1 - 3 7 2 . 4 1 6 - 4 1 9 ; G. Downey, The Perspective of the Early Church Historians, GRBS 6, 1 9 6 5 , 5 7 - 7 0 ; P. Meinhold, Geschichte der kirchlichen Historiographie, Bd. 1 (OA 3 / 5 ) , Freiburg 1 9 6 7 , 1 1 1 ; F. Winkelmann, Zur Geschichtstheorie der griechischen Kirchenhistoriker, Acta conv. Eirene 11, hg. v. C. Kumaniecki, Breslau/Warschau/Krakau/Danzig 1 9 7 1 , 4 1 3 - 4 2 0 ; G.F. Chesnut, The first Christian histories: Eusebius, Socrates, Sozomen, Theodoret, and Evagrius (ThH 4 6 ) , Paris 1 9 7 7 . - Gelasius: F. Winkelmann, Charakter und Bedeutung der Kirchengeschichte des Gelasios von Kaisareia, in: Polychordia. FS Franz Dölger zum 7 5 . Geburtstag, hg. v. P. Wirth (ByF 1), Amsterdam 1 9 6 6 , 3 4 6 - 3 8 5 ; J . Schamp, The Lost Ecclesiastical History of Gelasius of Caesarea (CPG 3 5 , 2 1 ) : Towards A Reconsideration, PBR 6 , 1 9 8 7 , 1 4 6 - 1 5 2 . - Rufinus (ed. Th. M o m m -

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vität und Vielfalt der Gattung 146 . Die Kirchengeschichten sind damit der lebendigste Zweig der spätantiken Historiographie, in dem die gedanklichen Ansätze des Eusebius verfestigt und durch Aufnahme traditioneller Stilelemente zu gattungstypischen Formen weitergebildet werden. Auch Laien (wie die konstantinopolitanischen scholastici Sokrates und Sozomenos) bedienten sich dieser Gattungsform, die ein politisch aktuelles, darstellungswürdiges und der literarischen Behandlung auch zugängliches Thema in einer Weise zur Anschauung brachte, die dem individuellen Wollen und Können der Autoren Raum ließ und es zugleich in einen überpersonalen Rahmen einordnete. Den objektiven Zusammenhang der Gattung, in den sich der einzelne einfügt, unterstreicht besonders der Anschluß der Kirchenhistoriker an Vorgänger; sie begannen meist nicht mit Schöpfung, Sündenfall oder Abrahams Erwählung, sondern da, wo ein Vorgänger (vor allem Eusebius) aufgehört hatte. Philippus von Side, konstantinopolitanischer Kleriker aus dem Umkreis des Johannes Chrysostomus, mit seiner voluminösen Χριστιανική ιστορία ab Adam im fünften Jahrhundert und der monophysitische Märtyrer Johannes von Ephesus mit seiner eigenartig aufgebauten Kirchengeschichte ab Julius Caesar im sechsten Jahr-

146

sen = Eusebius, Die Kirchengeschichte, Bd. 2 / 1 - 2 / 3 [GCS 9 / 1 - 9 / 3 ] , hg. v. E. Schwartz/Th. Mommsen, 1 9 0 3 - 1 9 0 9 ) : F . X . Murphy, Rufinus of Aquileia ( 3 4 5 - 4 1 1 ) . His life and works (SMH.NS 6), Washington, D.C. 1 9 4 5 , 158. - Sokrates (ed. G.C. Hansen, GCS.NF 1, 1 9 9 5 ) : M. Wallraff, Der Kirchenhistoriker Sokrates. Untersuchungen zu Geschichtsdarstellung, Methode und Person (FKDG 68), Göttingen 1 9 9 7 . - Sozomenos (ed. J. Bidez/G.C. Hansen, GCS.NF 4, 2 1 9 9 5 ) . - Theodoret (ed. L. Parmentier/G.C. Hansen, GCS.NF 5, 1998). - Philostorgios (ed. J. Bidez/F. Winkelmann, GCS, 2 1 9 7 2 ) . Zur Historia tripartita des Theodorus Lector (ed. G.C. Hansen, GCS.NF 3, 2 1 9 9 5 ) : H.G. Opitz, Art. Theodoros Anagnostes, PRE 5A, 1 9 3 4 , ( 1 8 6 9 - 1 8 8 1 ) 1 8 7 0 - 1 8 7 2 ; danach Epiphanius, s. R. Helm, Art. Cassiodorus, RAC 2, 1 9 5 4 , ( 9 1 5 - 9 2 6 ) 9 2 5 . Die Kirchengeschichten des sechsten Jahrhunderts verzeichnen B. Altaner/A. Stuiber, Patrologie (wie Anm. 36), 2 2 7 .

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hundert sind die erklärbaren Ausnahmen 1 4 7 . Auch Bemühen um stilistischen Glanz und literarischer Wetteifer der sich gegenseitig sachlich kritisierenden Autoren weisen die nacheusebianischen Kirchenhistoriker als wichtige Erben der großen Historiographie aus. Sie verfolgten nun weniger die geheimnisvollen Wege des göttlichen Logos im allgemeinen als das Hin und Her der Hof- und Kirchenpolitik und widmeten ihm genaue, pragmatische und von ihrem jeweiligen Standpunkt aus - kritisch-urteilende Beschreibungen; denn die Reichskirche als Institution und - davon nicht mehr zu trennen - der Kaiser und sein H o f bilden die Schwerpunkte ihrer verlaufsgeschichtlichen Darstellungen, ob sie nun wie Sokrates die Kirchenparteien dogmatisch neutral behandeln (h.e. V 2 0 , 1 ) oder wie Theodoret mit fanatisch orthodoxer Tendenz oder wie Philostorgius und andere von einer parteilichhäretischen Position aus. Sie tragen nicht nur einzelne profangeschichtliche Ereignisse in ihre Geschichtserzählungen ein, sondern behandeln die Kirchenpolitik insgesamt als historischen Gegenstand wie frühere Historiker die inneren Begebenheiten oder äußeren Geschehnisse des römischen Staates. Hier geht es um Kirchenparteien und Häresien wie anderswo um Fraktionskämpfe und Bürgerkriege, um die wahren Hirten der Kirche, die von Gott eingesetzt, aber vor allem von den Kaisern als Mittel der 47

Philippos v o n Side (s. H . G . Opitz, A r t . Philippos von Side, P R E 1 9 , 1 9 3 8 , 2 3 5 0 f . ) : S o c r . , h.e. VII 2 7 kritisiert seinen asianischen Stil, die ungeheure Weitschweifigkeit (so a u c h P h o t . , bibl. c o d . 3 5 ) und die A u f n a h m e g a n z d i s p a r a t e r Materialien; er betont, d a ß Philippos keine Εκκλησιαστική

ιστορία (sondern eine

Χριστιανική)

geschrieben

habe, und nennt sein W e r k eine χαυνήν ττραγματείαν. D a m i t erklärt sich w o h l a u c h die zeitliche E x t e n s i o n . - D e r syrische M o n o p h y s i t Johannes

(s. J . J . v a n Ginkel, J o h n o f Ephesus. A

Monophysite

H i s t o r i a n in Sixth C e n t u r y Byzantium, Diss. Groningen 1 9 9 5 ; S. A s h b r o o k H a r v e y , A r t . J o h a n n e s v o n Ephesus, R A C 1 8 , 1 9 9 8 , [ 5 5 3 5 6 4 ] 5 5 5 ) faßte im ersten Teil (sechs Bücher) die Z e i t v o n C a e s a r bis 4 4 9 als Vorstufe seiner kirchlichen Zeitgeschichte (II und III zu je sechs B ü c h e r n ) s u m m a r i s c h z u s a m m e n .

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Reichseinheit gebraucht und gefördert werden, und um ihre vom Satan verführten Gegenspieler. Die alte reichstheologische Vorstellung einer Konvergenz von Kirche und Imperium bot die gedankliche Handhabe für solche Verflechtung, und bezeichnenderweise folgen die Buchgrenzen der Kirchengeschichten bald wie die der Profangeschichten seit eh und je dem Wechsel der Kaiserregierungen. Ermöglicht wurde dieses Aufblühen einer neuen Form der Historiographie nicht nur dadurch, daß das dramatische Geschehen der Reichskirchenpolitik ein historisch relevantes, aktuelles Thema bot; es war zugleich durch die neue, politisch und sozial herausgehobene Schicht des Klerus und die relative Öffentlichkeit seiner Bezeugungen der Beobachtung und Beurteilung von außen zugänglich, gab auch mit seinem schriftförmigen Niederschlag einen Gegenstand der intellektuellen Debatte ab und legitimierte den Hof und die großen Bischofssitze als Entscheidungszentralen. Damit stellte sich also in gewissem Grade auf neuartige Weise jene Situation wieder her, deren Verschwinden die Senatshistoriker der Kaiserzeit beklagt hatten: ein Öffentlichkeitsraum, in dem die Erinnerung an große, denkwürdige Taten gepflegt (vgl. Theodoret, h.e. prol.) und politisch relevante Vorgänge und Entscheidungen nicht undurchsichtiger Machtausübung überlassen blieben, sondern wahrer Erkenntnis, unabhängiger Erörterung und tätiger Behandlung zugänglich wurden. D a ß aber nun nicht Senatsverhandlungen, sondern Kirchenpolitik den Gegenstand der Geschichte bildete, erklärt die neuartige Bedeutung intellektueller Konzepte und theologischer Dokumentation, die kritisch begleitet und kommentiert werden konnten. Für die Kirchenhistoriker blieb deshalb der argumentative, zitierfreudige Stil und der konstitutive Rückbezug auf Quellen bestimmend, eröffnete sich aber auch ein Spielraum menschlichen (oft freilich Gott oder dem Teufel zugeschriebenen) H a n d e l n s , der heilsgeschichtlich-schematischem Denken ursprünglich fremd war. Mit seiner sachlichen Analyse und objektiven Beschreibung nähern sich die Kirchenhistoriker der Tradition der großen paganen Historiographie an.

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All dies kann an der Kirchengeschichte des Sokrates veranschaulicht werden, die nicht nur ihrer historischen Qualität nach für die Gattung repräsentativ ist, sondern auch durch zahlreiche methodische Bemerkungen besonders aufschlußreich. - Welches der Gegenstand der Kirchengeschichte seit Konstantin sei, ist für Sokrates schwer zu bestimmen, weil eine gewisse συμπάθεια der weltlichen (δημόσια) mit den kirchlichen Angelegenheiten bestehe (V, prooem. 3). Seit die Kaiser sich als Christen bekennen, ist das Handeln der Kirche (wie etwa die großen Synoden zeigen) von ihnen abhängig (9), und staatliche Übel bedingen auch kirchliche (4). Deshalb muß Kirchengeschichte nun auch Kaisergeschichte berücksichtigen, sogar Kriege (1), wenngleich sie sich auf diejenigen kaiserlichen πράξεις beschränken sollte, die mit der Kirche zu tun haben, und ihr Hauptthema nichtsdestoweniger die innerkirchlichen Vorgänge, vor allem die kirchenpolitischen und dogmatischen Auseinandersetzungen, bleiben. Konstantin hat der Kirche den (äußeren) Frieden gebracht, auf den aber dann der dogmatische Streit, der innere Krieg (εμφύλιος τ ω ν Χριστιανών πόλεμος, I 4,6) folgte, der als .große Bewegung' den Hauptgegenstand seines Werkes bildet: Es endet infolgedessen mit dem erneuerten Frieden unter Theodosius, weil nunmehr dem Kirchenhistoriker der Stoff fehlte (VII 48,7)! - Sokrates kritisiert seinen Vorgänger Eusebius wegen dessen panegyrischer Behandlung Konstantins; Geschichte schreiben heiße τ α γενόμενα άκριβώς περιλαμβάνειν, nicht: εν έγκωμίω φροντίζειν (I 1,2), schriftliche Quellen, Autopsie und Zeugenberichte, nicht Phrasenschwall sollen die Grundlage der Darstellung sein (I 1,3.6, prooem.). Rücksichtslos wahrhaftige, auf sorgfältiger Tatsachenermittlung beruhende Berichterstattung geben heißt ihm ,den Gesetzen der Geschichte gehorchen' (VI prooem. 9; vgl. auch die programmatische Wahrheitsforderung bei Sozomenus, h.e. I 1). Das alte Objektivitätsideal, das damit beschworen wird, bewährt der Autor nun am Arianismusstreit, w o er - gegen den auf Eusebius beruhenden Auszug Rufins - auf die von Athanasius stammenden oder ihn betreffenden Dokumente zurückgreift (zweites

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Buch); Objektivität demonstriert er ferner mit der Kritik an machtsüchtigen Patriarchen oder der Darstellung von Konflikten mit Häretikern (deren Duldung er verlangt). Die Öffentlichkeit dieser Auseinandersetzungen und die Zugänglichkeit von urkundlichem Beweismaterial bieten die Möglichkeit dafür. - Solche Verpflichtung auf Tatsachentreue und Unparteilichkeit des Historikers vertrug sich freilich schlecht mit der Gewißheit, den Weg des Logos durch alle Niederungen des Alltages zu kennen. Sokrates ist sich denn auch (anders als dogmatisch stärker festgelegte Kirchenhistoriker) nicht sicher, was der gute Gott mit Häretikern, falschen Aposteln und neidischen Bischöfen eigentlich beabsichtige; die Frage sei, sagt er bei Behandlung der Manichäer (I 2 2 ) , nicht ohne weiteres zu entscheiden, und er wolle sich nicht über die Dogmen und die schwer zu findenden Gründe der göttlichen Vorsehung und des Gerichts auslassen, sondern die Ereignisse der Kirchengeschichte sachlich darstellen (22,14): Δόγματα und πράγματα werden methodisch auseinandergehalten und diesen damit Selbständigkeit und Eigenrecht zugestanden. Die andere Gattung, in der christliche Autoren des vierten Jahrhunderts ihre Geschichtsauffassung konkretisierten, ist die Chronistik, im Gegensatz zur Kirchengeschichte auf christlicher wie heidnischer Seite ein alter, aber eher niederer Gegenstand der Geschichtsschreibung. Chronologische Abrisse sind wie Breviarien oder Epitomierungen komprimierte Geschichtsdarstellungen, denen bei aller Verschiedenheit der Formen, Tendenzen und Zwecke das didaktische Motiv gemeinsam ist: Sie wollen über einen historischen Zusammenhang orientieren und dies einprägsam, übersichtlich und in angemessener Kürze leisten, ohne aber Originalität im Stofflichen anzustreben und ohne einen zensorischen Anspruch zu erheben. Das Bedürfnis danach war beträchtlich 1 4 8 148

Es war auch weit größer als das nach ausführlichen, tieflotenden Darstellungen, die sich stets gegen die obtrectatores lottgi (Amm. M a r c . X V 1,1) zu rechtfertigen hatten. Die unterschiedlich breite Textüberlieferung illustriert das ähnlich wie Auflagenhöhen die Verbreitung wissenschaftlicher Literatur im Vergleich mit populärer.

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und wird im Laufe der Kaiserzeit eher noch zugenommen haben. Es erwuchs einmal aus dem rhetorisch geprägten Schulunterricht, wo die Verlaufsgeschichte als Bildungshintergrund und Exempelschatz gebraucht wurde, aber bestand anscheinend auch bei Kaisern, die das legitimierende Traditionswissen befestigt zu sehen wünschten (Eutrop und Festus begründen damit einleitend ihre Breviarien). Die Christen suchten weltgeschichtliche Orientierung, um ihre heilsgeschichtliche Position gegenüber der paganen Geschichte zu klären und zu sichern, die aber dazu ,in Umrissen' bekannt sein mußte; wohl niemand hat das klarer formuliert als Sulpicius Severus in der Einleitung seiner Weltchronik 149 . Die Geschichtsabrisse konnten im übrigen stilistische Ansprüche erheben oder in schlichter Sprache verfaßt sein, den universalgeschichtlichen Rahmen weit ziehen oder romazentrisch verfahren, synchronistische Tabellenform verwenden und die Zeitachse

149

I 1,1-4: Res a mundi exordio sacris litteris editas breviter constringere et cum distinctione temporum usque ad nostram memoriam carptim dicere adgressus sum, multis id a me et studiose efflagitantibus, qui divina compendiosa lectione cognoscere properabant, quorum ego voluntatem secutus non peperei labori meo, quin ea, quae permultis voluminibus perscripta continebantur, duobus libellis concluderem, ita brevitati studens, ut paene nihil gestis subduxerim. Visum autem mihi est non absurdum, cum usque ad Christi crucem Apostolorumque actus per sacram historiam cucurrissem, etiam post gesta conectere: excidium Hierosolymae vexationesque populi Christiani et mox pacis tempora, ac rursum ecclesiarum intestinis periculis turbata omnia locuturus. Ceterum illud non pigebit fateri, me, sieubi ratio exegit, ad distinguenda tempora continuandamque Seriem usum esse historicis mundialibus atque ex his, quae ad supplementum cognitionis deerant, usurpasse ... - Alle Aspekte der christlichen Chronistik sind hier zusammengefaßt: praktischer Abriß der Geschichte statt voluminöser Breite bei unselbständigem Verhältnis zum Stoff, dahinter stehendes Leserbedürfnis, heilsgeschichtlicher Z u s a m m e n h a n g (alttestamentliche Geschichte, Christus und die Apostel, Kirchengeschichte), Vorstellung der historia continua, Auffüllung des heilsgeschichtlichen Gerüstes durch Exzerpte aus Profanhistorikern (aber nur als supplementum cognitionis, d.h. Einzelnachrichten).

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einer durchgehenden Aera betonen oder Viri illustres und Caesares summieren, sie konnten kommentierende und wertende Bemerkungen einschalten (wie Aurelius Victor) oder einen dürren Regestenstil bevorzugen (wie Eutrop und Festus). Die christliche Chronographie diente ursprünglich dazu, den Altersbeweis zugunsten des Christentums zu führen, wobei sich die Kirche die alttestamentliche Tradition als eigene Vorgeschichte zuschrieb. Die weitergehende Ausfüllung des synchronistischen Gerüsts führte zur christlichen Weltchronik. Der dazu benötigte Stoff bestand zunächst nur aus wenigen chronologischen Orientierungen; so gewann Theophilus (s.o. S. 82) aus dem - über die Olympiadenrechnung gewonnenen - Synchronismus Kyros-Tarquinius Superbus die Verknüpfung der biblischen mit der römischen Geschichte, übersprang aber dann die Zeit von Kyros' Tod bis Marc Aurel, die für ihn nur als Spatium von Bedeutung war (und auf 741 Jahre berechnet wird: Aut. III 27). Schon Iulius Africanus und nach ihm Hippolytus und Eusebius fügten dann profangeschichtliche Listen in das chronologische System ein, Eusebius reicherte es auch mit ereignisgeschichtlichen Daten an: ,die großen Taten von Barbaren und Griechen, Ariern und Nichtariern und ihre militärische Macht, die Heerführer, Weisen, Helden, Dichter, Geschichtsschreiber und Philosophen' wolle er berücksichtigen (Chronik, armenische Version, prooem., S. 1). Hieronymus, der die eusebianische Chronik ins Lateinische übersetzte und bearbeitete, hat sie für die römische Geschichte bis Konstantin durch Exzerpte ,aus Sueton und den übrigen angesehenen Historikern' (vor allem Eutrop), von Konstantins zwanzigstem Jahr bis zu Valens auch aus Eigenem ergänzt (totum meutn est: Vorrede der Chronik, S.6). Auch Sulpicius Severus rühmt sich, in seine verlaufsgeschichtliche Darstellung trotz ihrer Kürze Nachrichten aus profanen Historikern eingearbeitet zu haben (Chron. I 1,4); der sogenannte Chronograph von 354 ist eine Kompilation, die Hippolyts Chronik fortsetzt und dazu ganz unterschiedliche (stadtrömische) Quellen wie Märtyrer-Kalender, Papstliste, Ostertafel und der-

124

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gleichen zusammenarbeitet 150 . Ähnlich ist im Osten in den Weltchroniken des Panodoros und Annianos am Ende des vierten Jahrhunderts die Anreicherung des christlich-chronologischen Gerüsts durch die Verarbeitung des Dexippus fortgesetzt worden 151 . - Sind auch diese Chroniken großenteils nur indirekt oder fragmentarisch bezeugt, so vermitteln sie doch den sicheren Eindruck, daß die Auffüllung des heilsgeschichtlich-chronologischen Schemas mit profangeschichtlichem Stoff immer weitergegangen ist. Es gab auch keine andere Möglichkeit, um das vorgegebene christlich-biblische Geschichtsbild zu konkretisieren; trotzdem verdient das durch die Verwerfung des Heidentums nicht gebrochene Vertrauen in die grundsätzliche Glaubwürdigkeit der paganen Überlieferung Beachtung. Bedeutet es doch, daß auch die Chronisten an der theologisch indifferenten Faktizität der überlieferten geschichtlichen Ereignisse festhielten und keine Schwierigkeit hatten, sie in ihren vorgegebenen geschichtstheologischen Rahmen einzusetzen: Auswahl, Inhalt und Form der erinnerten und schriftlich überlieferten Wirklichkeit paßten in die Maße und Perspektiven des Menschheitsgeschichtsraumes von der Schöpfung bis zum Weltende; die ,großen Taten' der Heiden ließen sich in das vorgegebene Zeitgefüge der Christen einfüllen. Sie konnten das aber nur als Faktenmaterial und Einzelereignisse, nicht als Traditionszusammenhänge mit ihren spezifischen Voraussetzungen und immanenten Wertungen. Dagegen haben sich christliche Autoren der politischen Zeitgeschichte als historiographischer Gattung auch im vierten Jahr150

Th. Mommsen, Chronica min. 1, MGH.AA 9, Berlin 1 8 9 2 , 1 3 - 1 4 8 . Vgl. O. Seeck, Art. Chronograph vom J. 3 5 4 , PRE 3, 1 8 9 9 , 2 4 7 7 2 4 8 1 ; H. Stern, Le calendrier de 3 5 4 . Étude sur son texte et ses illustrations (BAH 55), Paris 1 9 5 3 . Panodoros, in Spuren bei Georgios Synkellos (Georgii Syncelli Ecloga chronographica, ed. A.A. Mosshammer [BiTeu], Leipzig 1 9 8 4 ) erhalten, schöpfte aus Iulius Africanus und Eusebs Chronik, vgl. H. Geizer, Sextus Iulius Africanus [wie Anm. 1 3 0 ] 2, 1 8 9 : O. Seel, Art. Panodoros, PRE 1 8 / 3 , 1 9 4 9 , ( 6 3 2 - 6 3 5 ) 6 3 2 ; Annianos fußt auf Panodoros (Sync. p. 6 1 , 3 ; 6 2 , 2 Bonn).

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125

hundert nicht gewidmet, und etwa ein christlicher und in christlichem Geiste schreibender Nicomachus Flavianus oder auch nur Ammianus Marcellinus wäre kaum denkbar. Erst recht lag eine aus christlicher Sicht neu erarbeitete und über einen stofflich unselbständigen Abriß hinausgehende Vergangenheitsgeschichte außerhalb des Gesichtskreises der Zeit; christlicher Umgang mit der Vergangenheit blieb abhängig von dem bisherigen Wissensstand, eine Überprüfung der Grundlagen hat niemand erwogen. Das selektive christliche Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen, die intellektuellen Mittel zur Deutung von Vergangenheit und Gegenwart und der universale geschichtstheologische Horizont haben zu neuen Konzepten und Formen der politischen Geschichtsschreibung also auch dann nicht geführt, als die veränderten politischen Voraussetzungen das möglich gemacht hätten. Das heilsgeschichtlich orientierte christliche Denken hat sich auch unter dem Eindruck kirchlicher Freiheit und kirchlichen Einflusses der Sphäre des profanen geschichtlichen Handelns nicht reflektierend bemächtigt, es hat auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der römischen historiographischen Tradition nicht gesucht. Ebensowenig haben umgekehrt pagane Historiker auf ihrem Felde den Deutungsanspruch der christlichen Geschichtstheologie und den chronistischen Geschichtsentwurf aufgenommen und kritisiert; die Auseinandersetzung fand auf anderen Ebenen statt. Die pagane Geschichtsschreibung sah im Christentum allenfalls bei gegebenem Anlaß ein religions politisches Problem, aber empfand es nicht als historiographische Herausforderung. So nehmen die Breviarien des vierten Jahrhunderts auf das Christentum keinen Bezug, und Konstantins religionspolitische Wende wird hier nicht als historische Zäsur gewertet. Das war kein Ausdruck negativer Beurteilung des Kaisers 152 oder eine Folge der Verkür-

152

Konstantin wird differenziert oder positiv beurteilt: Eutr. X 5 - 8 ; Aur. Vict., Caes. 4 1 , 4 - 5 . 1 1 ( C r i s p u s ) - 1 5 („für den Historiker A.V. existiert

126

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zung, denn auch Ammianus Marcellinus teilt anscheinend das geringe Interesse am Religionsgegensatz und preist die tolerante Indifferenz, das inter religionutn

diversitates

medius

stare

(XX

9 , 5 ) ; bald nahm allerdings die Toleranzforderung aus heidnischem Munde defensiven Charakter an (vgl. Symm., rei. 3 , 3 ) . Die nicht- oder antichristliche Position historischer

Autoren

äußert sich zunächst in der Beurteilung der kaiserlichen Persönlichkeiten, vor allem in der kritischen oder distanzierten Einstellung zu Konstantin und der enthusiastischen Schilderung Julians. Gemäßigt tat das auch schon Ammian (der aber auch Julians antichristliche Kulturpolitik tadelt: X X I I 1 0 , 7 ) , mit großem Nachdruck dann Eunapios und sein späterer Nachfolger Zosimos 1 5 3 . Darüber hinaus ist es die zentrale Stellung der Kaiser überhaupt, ihr Charakter, ihre Herkunft, Bildung und Position gegenüber Senat, Militär und Hof, was als feste Bezugspunkte die pagane Historiographie auch bei größter Verkürzung weiter

153

das Christentum nicht": P.L. Schmidt, Art. Das Corpus Aurelianum und S. Aurelius Victor [Nachtrag zum Art. Victor], PRE.S 15, 1978, [1583-1676] 1663); Fest. 26; epit. de Caes. 41,11-16 (J. Schlumberger, Die Epitome de Caesaribus. Untersuchungen zur heidnischen Geschichtsschreibung des 4. Jahrhunderts n. Chr. [Vestigia 18], München 1974, 199). Vgl. E. Malcovati, I breviari storici del IV. s., Annali Fac. Lett. Cagliari 11, 1942, 40; A. Momigliano, Historiography (wie Anm. 145), 86. Es ist deshalb unwahrscheinlich, daß ein renovatio-Programm Konstantins über die ideologischen Sprachformeln hinaus ernst genommen wurde (zu: K.M. Girardet, Renovatio imperii aus dem Geiste des Christentums. Zu Herkunft und Umfeld des Begriffs, ZAC 4, 2000, [102-115] 108). Eunapios negativ über Konstantin: Phot., bibl. cod. 77,1; Suid. Κ 2285 (= R.C. Blockley, The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire. Eunapius, Olympiodorus, Priscus and Malchus, Bd. 2: Text, Translation and Historiographical Notes, Liverpool 1983, Eun. Nr. 1; 9); Zos., hist. II 29 (Bekehrung in tendenziös-heidnischer Version nach Soz., h.e. I 5; s. F. Paschoud, Zos. II 29 et la version païenne de la conversion de Constantin, Historia 20, 1971, [334-353] 334); II 31,2-3.34; vgl. F. Paschoud, Art. Zosimos, PRE 10A, 1972, (795-841) 832.

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kennzeichnet 1 5 4 und bei einigermaßen unabhängigem Urteil den sog. »senatorischen Standpunkt' auch da noch ausmacht, wo die Autoren über die historische und rechtliche Stellung des Senats nur noch unklare Vorstellungen haben und persönlich dem Stand nicht angehören. Damit wieder hängt der ständige Rückgriff auf die römische Geschichte, die Heranziehung von Exempeln (auch bei grober Unkenntnis der Geschichte, z.B. Fest. 6,2 über M a r i u s oder Aur. Vict., Caes. 12,1-2 über Nerva) und die Berufung auf römische virtutes zusammen: Wer sich in positiver Einstellung assoziierend und reflektierend (wie besonders Aurelius Victor) in diesem R a u m bewegte, brauchte nicht ausdrücklich gegen das Christentum zu polemisieren, um seinen paganen Standpunkt und M a ß s t a b zu erkennen zu geben; er setzte sich damit, auch wenn Kenntnisse und Gesichtskreis begrenzt waren, gegen den abstrakten universalgeschichtlichen Horizont, die chronistischen Rechenkünste und die einseitigen Interessen christlicher Autoren klar genug ab 155 . Der geschlossene gesellschaftliche Kreis der römischen Aristokratie, der Bildungsstolz und die rückwärts gewandte Traditionsorientierung haben darüber hinaus schließlich ein esoterisches Spiel der Anspielungen und halbverschlüsselten Beziehungen, eine Metasprache der Wissenden ausgebildet, die sich den historiographischen Bekundungen des sieghaften christlichen Geschichtsglaubens (die von dem Eutr. X 18,3 und A m m . Marc. X X X I 16,9 geforderten stilus maior wohl weit entfernt blieben!) hoch überlegen wähnten. W e n n sich heidnisches und christliches Geschichtsdenken auch nicht in religiös-ideologisch entgegengesetzt geprägten 154

155

Aur. Vict., Caes. 42,25: atque uti verum absolvant brevi: ut imperatore ipso praeclarius, ita apparitorum plerisque magis atrox nihil. Chronistische Kompilationen haben den Beigeschmack des Subalternen: Freigelassener Hadrians war Phlegon von Tralles (FGrHist 257), Autor von 14 Büchern Olympiades; Chryseros (FGrHist 96; s.o. S. 82) Freigelassener Marc Aurels. Eunapios' unqualifizierte Verachtung der Chronologie (Blockley [wie Anm. 153], Frg. 1 = exc. de leg. 1) mag damit zusammenhängen.

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Geschichtsdarstellungen manifestierte, so sind ihre Konfrontation - und die Folgen davon - doch an zwei zentralen gedanklichen Motiven direkt zu beobachten: der Rom-Idee und der alten Vergeltungsvorstellung, wonach menschliches Tun und Verhalten im diesseitigen Ergehen Lohn und Strafe finden. - In der sogenannten Rom-Idee durchdringen sich dichterisch-emphatische Überhöhung, die ihren bekannten Höhepunkt in der augusteischen Klassik fand (Verg., Aen. VI 777-900), und aus der Rhetorik stammende und in ihr weiter gepflegte Personifikation der patria Roma (Cie., Cat. 117 und später) mit religiösen Aspekten: der - zuerst griechischen - Vergöttlichung der Stadt, dann dem provinzialrömischen Kult der Roma und des Augustus, weiter, seit Hadrian, der Romaverehrung auch in Rom, sowie schließlich mit dem historischen Bewußtsein unvergleichlicher Stabilität und Singularität oder auch ehrfurchtgebietenden Alters der römischen Staatstradition (symbolisiert in der greisenhaften Roma) 156 . Eine christliche Interpretation dieses Komplexes konnte es naturgemäß zunächst nicht geben; auch die geschichtstheologische Konzeption eines providentiellen Zusammentreffens von Imperium und Kirche oder der christlicherseits

156

F. Klingner, Rom als Idee, in: ders., Römische Geisteswelt, München 1965 (= Stuttgart 1979), 645; C. Koch, Roma aeterna, Gymn. 59, 1 9 5 2 , 1 2 8 - 1 4 3 . 1 9 6 - 2 0 9 ; U. Knoche, Die augusteische Ausprägung der Dea Roma, Gymn. 59, 1952, 324-349; K. Latte, Römische Religionsgeschichte (HAW V / 4 ) , München 1 9 6 0 , 3 0 6 . 3 1 6 ; V. Buchheit, Christliche Romideologie im Laurentiushymnus des Prudentius (1966), in: R. Klein (Hg.), Das frühe Christentum im römischen Staat (WdF 167), Darmstadt 1971, 455-485; F. Paschoud, Roma Aeterna. Études sur le patriotisme romain dans l'occident latin à l'époque des grandes invasions (BHRom 7), Rom 1967; R. Klein, Symmachus. Eine tragische Gestalt des ausgehenden Heidentums (Impulse der Forschung 2), Darmstadt 1971 (= 2 1986), 99; R. Mellor, Θεά 'Ρώμη. The Worship of the Goddess Roma in the Greek World (Hyp. 42), Göttingen 1975; D. Brodka, Die Romideologie in der römischen Literatur der Spätantike (Europäische Hochschulschriften 15. R. 76), Frankfurt a.M. u.a. 1998. 5

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der römischen Herrschaft zuerkannte endzeitliche Rang kamen einer Christianisierung der Rom-Idee zunächst nicht zugute. Aber im späten vierten Jahrhundert tritt in dem berühmten Konflikt um die Aufstellung des Victoria-Altars in der Senatskurie und um die Alimentierung der alten Staatskulte die R o m verehrung in das Zentrum der religiösen Konfrontation 1 5 7 . Der heidnische Rhetor und Stadtpräfekt Symmachus läßt die personi-

fizierte Roma erklären: hie cultus in leges meas orbem redegit, haec sacra Hannibalem a moenibus, a Capitolio Senonas reppulerunt (rei. 3 , 9 ) , um mit diesem Kausalzusammenhang von Götterverehrung mit dem historischen Erfolg Roms die Forderung nach Erhaltung des Altars zu begründen. Die alten Kulte seien auch weiterhin die Gewähr des römischen Gedeihens, und das sacrilegium (ihrer Mißachtung) ziehe sichtbar die göttliche Strafe (der Mißernte des Jahres 3 8 3 ; 15f.) nach sich. In neuplatonischen Wendungen läßt der Redner im übrigen die Vernunfterkenntnis

in religiösen Fragen im Ungewissen {ratio omnis in operto; 8), um desto bestimmter die göttliche Macht in jenen für die Römer positiven Wirkungen bestätigt zu finden, die Gegenstand der ge-

schichtlichen Erfahrung seien (de memoria atque documentis rerum secundarum cognitio venit numinum, 8). Aus diesem Zusammenhang der Kultreligion mit historischer Tradition und in ihrem Lichte gedeuteter Gegenwartserfahrung (der an dem Anliegen der Offenbarungsreligion vorbeigeht) ergibt sich die Forderung, die durch ihr Alter geheiligten Kulte (der Roma, aber der

157

H . Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, Bd. 4 , Berlin 2 1 9 5 3 , 6 7 ; J. Wytzes, Der letzte Kampf des Heidentums in R o m (EPRO 5 6 ) , Leiden 1 9 7 7 ; F. Paschoud, R o m a Aeterna (wie Anm. 1 5 6 ) , 7 5 . 1 9 6 ; R. Klein, Der Streit um den Victoriaaltar: die dritte Relatio des Symmachus und die Briefe 1 7 , 18 und 5 7 des Mailänder Bischofs Ambrosius. Einführung, T e x t , Übersetzung und Erläuterungen (TzF 7), Darmstadt 1 9 7 2 (Texte); A. Dihle, Z u m Streit um den Altar der Viktoria, in: W . den Boer u.a. (Hgg.), Romanitas et Christianitas (FS J . H . Waszink), A m s t e r d a m / L o n d o n 1 9 7 3 , 8 1 - 9 7 ; I. Lana, La storiografia latina del IV secolo D.C., Turin 1 9 9 0 , 1 1 5 .

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dit patrii, dii indigentes überhaupt; 10) zu respektieren. In ihr verbinden sich Treue gegen das normative Herkommen, pagane religiöse Logik und praktische Klugheit. Die christlichen Antworten sind nach ihrer gedanklichen und formalen Brillanz der Rede des Symmachus ebenbürtig, aber konzeptionell im entscheidenden Punkte uneinheitlich. - Bischof Ambrosius hält dem Plädoyer des heidnischen Traditionalisten zunächst eine konventionelle rationalistische Kritik entgegen 158 : Auch die römischen Gegner ehrten die Götter (ep. 18,4), auch deren römische Verehrer hatten andererseits Mißerfolge (3538), und die göttliche Hilfe bei den Bedrohungen durch Karthager oder Kelten wäre spät genug gekommen (4). Die Logik zwinge deshalb zu einer natürlichen Interpretation der Ursachen: militärische Siege erklärten sich aus der Überlegenheit der Kräfte, die römische also aus jener sonst gefeierten römischen virtus (7), Mißernten aus (nach statistischer Wahrscheinlichkeit) wechselnden Wetterlagen (21). Deshalb läßt Ambrosius die Roma anerkennen: aliis ego disciplinis orbem subegi (7); sie bereut, im Blut der Tieropfer die Stimme Gottes vernommen haben zu wollen. Aber die Reife des Alters äußere sich in der Fähigkeit zu Einsicht und Bekehrung: nullus pudor est ad meliora transiré (7). Hier ist der Zusammenhang von staatlichen Kulten und Traditionslegitimation, von geschichtlicher Erfahrung, begrenzter Skepsis und kluger Beachtung des evident Nützlichen (der allein der konservativen Argumentation zu Schlüssigkeit verhalf) zerris-

158

S. Anm. 157 und J.R. Palanque, Saint Ambroise et l'Empire Romain. Contribution à l'histoire des rapports de l'église et de l'état à la fin du quatrième siècle, Paris 1933; F.H. Dudden, The Life and Times of St. Ambrose, Oxford 1935, 256; H. Berkhof, Kirche und Kaiser: Eine Untersuchung der Entstehung der byzantinischen und der theokratischen Staatsauffassung im vierten Jahrhundert, Zollikon-Ziirich 1947, 171; H. Freiherr von Campenhausen, Lateinische Kirchenväter (UrbanTB 50), Stuttgart 4 1978, 90; H.J. Diesner, Kirche und Staat im ausgehenden vierten Jahrhundert: Ambrosius von Mailand (1964), in: R. Klein, Das frühe Christentum (wie Anm. 156), 415-454.

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sen. Befreiend öffnet sich der Blick von der Vergangenheitsorientierung auf eine mögliche Entwicklung zum Besseren, und die Alltagserfahrung der kosmischen, biologischen und kulturellen Evolution (23-28) begründet für den Bischof einen Geschichtsoptimismus, dem die Zukunft offen, wenn auch unbestimmt ist. Denn keine falschen Leitbilder engen sie mehr ein; freilich erscheint sie auch nicht durch den göttlichen Heilsplan materiell determiniert. - Der christliche Dichter Prudentius widmet der eindrucksvollen Rede des Symmachus ebenfalls eine lange, poetische Entgegnung (contra Symmachum libri duo), aber er bestätigt anders als Ambrosius den Zusammenhang zwischen historischer Erfahrung, supranaturaler Interpretation der Wirklichkeit und religiösem Verhalten, deutet ihn nur christlich um 159 . Die historischen Leistungen der Republik (c.Symm. II 488f.) und der Kaiserzeit (I 287-296) werden als römische Erfolge vorbehaltlos gefeiert, seien aber dem wahren Gott zu verdanken, und die bekannte providentielle Konvergenz von Imperium und Kirche wird unterstrichen. Auch Prudentius läßt die greise Roma sich bekehren, aber um so sicherer bleiben ihr dadurch ihre alten Prädikate: nunc merito dicor venerabilis et caput mundi (II 662). Die räumlich und zeitlich unbegrenzte römische Macht wird mit der verjüngten Roma christlich stabilisiert (II 578-634), die alte vergilische Verheißung auf das ewige, unbezwingliche, Recht und Gesetz stiftende christliche Rom, das nach Gottes Willen den orbis beherrscht, ausdrücklich übertragen (I 542). Fortschritt und neue Jugend bestätigen, sichern und

159

V. Buchheit, Romideologie (wie Anm. 156); ders., Göttlicher Heilsplan bei Prudentius (Cath. 11,25-48), VigChr 44, 1990, 222-241; C. Gnilka, Prudentius über die Statue der Victoria im Senat, FMSt 25, 1991, 1-44; S. Döpp, Prudentius' Gedicht „Contra Symmachum" in der religiösen Auseinandersetzung seiner Zeit, in: G. Binder/K. Ehlich (Hgg.), Religiöse Kommunikation - Formen und Praxis vor der Neuzeit. Stätten und Formen der Kommunikation im Altertum VI (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 26), Trier 1997, 271-300.

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steigern hier das Alte. Damit entsprechen sich die pagane Rompanegyrik des vierten Jahrhunderts und die christliche des Prudentius; die religiöse Legitimation von politischer Macht und kultureller Überlegenheit (zum Barbarenhaß des Prudentius: II 815f.) gleichen einander. Diese Christianisierung der Rom-Idee begründet eine politische Theologie und ermöglicht eine Hofhistoriographie eusebianischer Richtung. Eine ähnliche Differenz zeigt der Vergleich christlicher Stellungnahmen zum Vergeltungsdenken. In kontingenten geschichtlichen Wendungen, wie dem plötzlichen Tod eines Kaisers, Lohn oder Strafe des Himmels zu sehen, war eine Christen und Heiden gemeinsame Denkweise, die in der Erregung des Religionskampfes eine ungeheure Aktualisierung erfuhr. Besonders die im Namen der alten Götterkulte begonnene und gegen sie entschiedene Erhebung des magister militum Arbogast und der heidnischen Senatsopposition gegen Theodosius oder demonstrative Gewaltakte wie die Zerstörung des alexandrinischen Serapeions im Jahr 391 wurden als Gottesurteile tief empfunden160. Eine umgekehrte Wirkung haben die Gotenkriege, besonders der Einfall in Italien und die Einnahme Roms im Jahr 410, ausgelöst161. Augustin, der in De civitate dei noch ganze Bücher der Frage widmete, wie das Großwerden Roms unter christlichem Gesichtspunkt zu begreifen sei, veranlaßte den spanischen Presbyter Orosius zur Abfassung seiner historia adversus paganos. Die letzte und bedeutendste christliche Universalgeschichte und Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Tradition sollte dem Nachweis dienen, daß entgegen dem heidnischen Pessimismus leo Nachweise u.a. bei R. Klein, Symmachus (wie Anm. 156), 5 2 ; A. Lippold, Theodosius der Große und seine Zeit (BSR 2 0 9 ) , München 2 1 9 8 0 , 8 7 ; H.J. Diesner, Kirche (wie Anm. 158), 4 4 8 . 161 P. Courcelle, Histoire littéraire des grandes invasions germaniques (EAug), Paris 3 1 9 6 4 , 6 7 ; A. Lippold, Orosius (wie Anm. 133), 9 7 ; H. Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München Ί 9 9 0 , 165.

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133

die Zustände nicht schlimmer geworden seien. Dazu nahm Orosius die Tradition der Chronographie wieder auf und kompilierte einen historischen Abriß, in dem bei starker Bevorzugung der römischen Geschichte der Kanon der Weltgeschichte synchronistisch eingefügt war 162 . Aber hinter der Befreiung vom negativen Erfolgsmaßstab in der Geschichte, der Widerlegung des Vorwurfs also, daß in der Gegenwart die Strafe der Götter erkennbar werde, lauert doch schon die christliche Umkehrung: Seit das Christentum in die Welt trat, wandte sich in der Geschichte alles zum Besseren. Die Sieghaftigkeit der weltumspannenden römischen Zivilisation ist für Orosius, der doch Zeitgenosse der westgotischen Eroberung Roms war, so unzweifelhaft, daß er die Bekehrung der Germanen und ihre politische Eingliederung ins christliche römische Reich erwartet 163 . In dieser wirkungsmächtigen geschichtstheologischen Tendenzschrift treten das alte Deutungsschema und die alte, kurzgeschlossene heilsgeschichtliche Sinngebung der geschichtlichen Realität erneut zutage. Vor diesem Hintergrund ist die Bestimmung des Verhältnisses von realer Geschichte und göttlicher Heilsplanung zu sehen, die Augustin unter dem Eindruck der 162 Nicht diese apologetische Absicht, wohl aber die nicht immer kohärenten positiven Vorstellungen des christlichen Historikers über Rang und Zukunft des römischen Staates sind umstritten. S. aus der abundanten Literatur mit z.T. unterschiedlichen Positionen: J. Straub, Christliche Geschichtsapologetik in der Krisis des römischen Reiches, Hist. 1, 1 9 5 0 , ( 5 2 - 8 1 ) 66; F. Paschoud, Roma Aeterna (wie Anm. 156), 2 7 6 ; A. Lippold, Orosius (wie Anm. 133), 92; F. Fabbrini, Paolo Orosio, uno storico, Rom 1 9 7 9 ; H.W. Goetz, Die Geschichtstheologie des Orosius (Impulse der Forschung 32), Darmstadt 1 9 8 0 ; D. Koch-Peters, Ansichten des Orosius zur Geschichte seiner Zeit (Studien zur klassischen Philologie 9), Frankfurt/Main 1 9 8 4 ; J.M. Alonso-Núñez, Auslegung (wie Anm. 133), 197. 163

Gottesurteil über Valens: VII 33; christliche Barbaren stehen Römern näher als heidnische: VII 3 7 , 9 ; Barbaren im Reich: VII 4 3 , 1 3 ; vgl. auch das berühmte Athaulf-Dictum VII 4 3 , 5 - 6 . S. Α. Lippold, Orosius (wie Anm. 133).

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zeitgeschichtlichen Erfahrung gegeben hat; sie ist die entscheidende neue Antwort des christlichen Denkens auf die geschichtliche Sinnfrage. Augustin konnte die Lösung weder in der Christen wie Heiden vertrauten Parallelschaltung sehen noch in einer agnostischen Beziehungslosigkeit. Er hat den primitiven Zusammenhang zwischen pietas und Erfolg grundsätzlich aufgelöst, indem er ihn für die Heiden widerlegte, aber er wollte deshalb die profane Geschichte nicht in die Autonomie entlassen. Das Miteinander, Gegeneinander und Ineinander der civitas terrena und der civitas dei ist weit komplizierter und tiefer als jeder, auch christlicher, Geschichtsmaterialismus annimmt. Kaum zu leisten, meint er resümierend - und verschiebt das Problem damit zu einer quantitativen historischen Erkenntnisfrage - , sei wegen der Masse der Ereignisse die Prüfung des Zusammenhanges zwischen menschlichem Tun und kontingentem Geschehen in vorchristlicher und auch christlicher Zeit. Aber die Quintessenz ist einfach und erledigt krude und selbstgerechte heilsgeschichtliche Gewißheiten (civ. dei IV 2): „In allen drei nun abgeschlossenen Büchern habe ich stets, wo es passend schien, nachdrücklich darauf hingewiesen, wieviel Trost Gott selbst in schweren Kriegsübeln durch Christi Namen ... Guten wie Bösen verschafft hat. Denn ,er läßt seine Sonne aufgehen über Guten und Bösen und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte' (Mt 5 , 4 5 ) " . Die christliche Überzeugung, daß die vergangene und gegenwärtige Geschichte von Gott gelenkt werde und der Fromme im Ereignisablauf seine tröstliche Führung erkennen könne, geht einher mit der Einsicht, daß das göttliche Regiment sich jeder vereinnehmenden Berechnung entziehe. Wenigstens im Prinzip ist das geschichtliche Handeln und Geschehen damit auch profanhistorischer Betrachtung und der Analyse seines immanenten Zusammenhanges freigegeben. Der Ausblick ergibt: Auch die nachkonstantinische Zeit brachte keine Verschmelzung heilsgeschichtlicher Konzeptionen mit der historiographischen Tradition, aber Entwicklungen, die ohne die Christianisierung nicht denkbar gewesen wären. Dazu gehört vor

Römische Geschichte und Heilsgeschichte

135

allem die Tendenz der Kirchengeschichten, zu kirchenpolitisch akzentuierter Zeitgeschichte zu werden. Mit dem wachsenden Interesse am Gegenstand und der Nahsicht der Autoren auf die behandelten Vorgänge gewinnt die Darstellung individueller Gestalten, einmaliger Geschehnisse und kontingenter Umstände Raum und Lebendigkeit gegenüber dogmatischen Vorgaben, womit freilich parteiliche Einseitigkeit keineswegs ausgeschlossen war. Schreiben die Kirchenhistoriker Zeitgeschichte aus erster Hand, so die Chronisten didaktischen und Orientierungszwecken dienende historische Sekundärliteratur, in der das Erbe der Chronographie fortwirkt. Ohne eigene Beziehung und genuines Interesse an der historischen (und gar politischen) Realität füllen diese Autoren fortschreitend profangeschichtliches Material in den vorgegebenen universalgeschichtlichen und heilsgeschichtlichen Rahmen ein; daß die nichtchristliche Überlieferung dazu stofflich vereinnahmt werden konnte, war eine wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung der Gattung der christlichen Weltchroniken. Das allem heilsgeschichtlichen Denken inhärente Problem, ob und wieweit dem realen geschichtlichen Geschehen Autonomie zugebilligt werden könne, die historische Sinnfrage, haben nicht pagane Historiker christlichen Konkurrenten entgegengehalten, aber es ist innerhalb des christlichen Spektrums bedacht worden. Daß die Theologie der Zeit menschliches Handeln und Erleben nicht völlig der unmittelbaren und sichtbaren heilsgeschichtlichen Steuerung unterordnete, hat dem geschichtlichen Denken und der Geschichtsschreibung denjenigen Freiraum gelassen, in dem das Gespräch mit der paganen historiographischen Tradition wiederaufgenommen, aber auch heilsgeschichtliche Konzeptionen neu entworfen werden konnten.

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1989. XV, 312 S. I S B N 3-11-017314-X

Sokrates

I S B N 3-11-017323-9

Kirchengeschichte

Die Pseudoklementinen

(GCS Neue Folge, Band 1)

G. C. Hansen (Hrsg.)

Band I: Homilien

1995. LXII, 501 S.

B. Rehm (Hrsg.)

I S B N 3-11-017318-2

3., verbesserte Aufl. v. G . Strecker 1992. X X X , 287 S. I S B N 3-11-017315-8 Band II: Rekognitionen B. Rehm (Hrsg.) 2., verbesserte Aufl. v. G. Strecker 1993. C X X I , 388 S. 9 Abb. I S B N 3-11-017316-6 Band III.2: Konkordanz zu den Pseudoklementinen. Zweiter Teil: Griechisches Wortregister, Syrisches Wortregister, Index nominum, Stellenregister v. G. Strecker 1989. 554 S. I S B N 3-11-017317-4

Theodoras Anagnostes Kirchengeschichte G . C. Hansen (Hrsg.) (GCS Neue Folge, Band 3) 2., durchgesehene Auflage 1995. XLI, 232 S. I S B N 3-11-017319-0

Orígenes Werke Band III: Jeremiahomilien. Klageliederkommentar. Erklärung der Samuel- und Königsbücher E. Klostermann (Hrsg.) 2., bearb. Aufl.hrsg. v. P. Nautin 1983. L, 368 S. I S B N 3-11-017307-7

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