Ringstraße ist überall: Texte über Architektur und Stadt 9783035619195, 9783035619126

Städtebau und Baukunst Warum vergolden die Österreicher ihre Baudenkmäler selbst dann, wenn sie zu Staub zerfallen? Wi

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Ringstraße ist überall: Texte über Architektur und Stadt
 9783035619195, 9783035619126

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
Personenregister

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Christian Kühn Ringstraße ist überall Texte über Architektur und Stadt 1992–2007

Birkhäuser Basel

I 1992–2007

2007

01/10/2005

15/12/2007

09/09/2005

Die Quadratur des Kreises ≥ S. 11

Autistische Türme, diffuse Konturen ≥ S. 77

10/11/2007

27/08/2005

Die Baukunst meiner Freunde ≥ S. 13

Blechblitze in der Kalkputzstadt ≥ S. 80

13/10/2007

16/07/2005

Das Auto und seine Plazenta ≥ S. 16

Sechstes Geschoss, Bergsee ≥ S. 82

09/09/2007

11/06/2005

Wie man das Neue organisiert ≥ S. 19

Wie viel Spiel verträgt die Stadt? ≥ S. 85

07/07/2007

06/05/2005

Wursteln im Prater ≥ S. 22

Zu jung, um gut zu sein? ≥ S. 88

19/05/2007

02/04/2005

Karstadt in Buxtehude ≥ S. 25

Der Swing der Maschine ≥ S. 90

05/05/2007

19/03/2005

Barock für die Fische ≥ S. 27

Tirol, gewellt, gefaltet ≥ S. 93

31/03/2007

19/02/2005

Die Guten, die Bösen und die Dummen ≥ S. 30

Nischen, global ≥ S. 96

24/02/2007

Operation gelungen, Patient tot ≥ S. 34 27/01/2007

Schaufeln für die Baukultur ≥ S. 37

2006 23/12/2006

Wie gut ist gut gemeint? ≥ S. 41 09/11/2006

Schön schiach ≥ S. 44 30/09/2006

Kein Geruch nach Gummi ≥ S. 47 05/08/2006

Hier tanzt der Beton ≥ S. 49 08/07/2006

Alle auf einen Blick ≥ S. 52 10/06/2006

Ein Kult braucht seine Tempel ≥ S. 55 22/04/2006

Elf Tonnen heiße Luft ≥ S. 58 11/03/2006

Ringstraße ist überall ≥ S. 60

Barbie, Pink und Mörtel ≥ S. 74

29/01/2005

Ghiberti und die Jetti-Tant ≥ S. 99

2004 18/12/2004

Warm und sauber ≥ S. 103 25/09/2004

Schule, neu gedacht  ≥ S. 105 16/08/2004

Prinzip Hoffnung ≥ S. 108 03/07/2004

Keine Zeit zum Feiern ≥ S. 111 19/06/2004

Wem das reicht ≥ S. 114 15/05/2004

Neufert trifft Buster Keaton ≥ S. 117 28/02/2004

Ziegel, sorgfältig verpackt ≥ S. 119 03/01/2004

Café Gespenst ≥ S. 122

2003

14/01/2006

28/11/2003

Im Zeichen des Pixels ≥ S. 63

Durch und durch und durch ≥ S. 126

2005 31/12/2005

Das Haus des Jahres ≥ S. 68 17/12/2005

Quickness statt Speed ≥ S. 71

03/10/2003

Es bleibt alles besser ≥ S. 129 15/09/2003

Jenseits des Lofts ≥ S. 132 16/08/2003

Strategie des Anpickens ≥ S. 135 04/07/2003

Was heißt schon Residenz? ≥ S. 138

12/04/2003

11/11/2000

Selber Schuld? ≥ S. 141

Es entsteht halt überall was ≥ S. 211

15/03/2003

14/10/2000

Sweet Home Alabama ≥ S. 143

Ironie im Hamsterrad ≥ S. 214

04/01/2003

12/08/2000

Wenn die Mitte im Weg steht ≥ S. 146

Wie ein Gebäude auf die Welt kommt ≥ S. 217

2002

22/07/2000

Wer spricht hier schon von Siegen? ≥ S. 220

16/11/2002

17/06/2000

Wie man Winkel zieht ≥ S. 151

Das andere Bauen ≥ S. 223

10/08/2002

03/06/2000

Alles nicht so schlimm, oder? ≥ S. 153

Bank aus Stahl, Dach aus Luft ≥ S. 229

13/07/2002

29/04/2000

Solitär oder im Rudel? ≥ S. 157

Architektur macht Schule ≥ S. 232

15/06/2002

01/04/2000

Die dekorierte Schuppenente ≥ S. 161

Verwertungslogik und Inspiration ≥ S. 235

04/05/2002

19/02/2000

Bastelstube im Irrenhaus ≥ S. 163

Weichen, hört die Signale! ≥ S. 239

30/03/2002

Wenn die Stadt sich tot stellt ≥ S. 167 23/02/2002

Zu dicht – gibt’s denn das? ≥ S. 170 26/01/2002

Und das ohne Blumenkübel! ≥ S. 173

2001

1999 24/12/1999

Avantgarde mit Bodenhaftung ≥ S. 244 23/10/1999

Gleichauf mit dem Flakturm ≥ S. 247 25/09/1999

Baukunst in der Kostenschere ≥ S. 250

01/12/2001

31/07/1999

Denkmalschutz mit der Brechstange ≥ S. 178

Bis zur allerletzten Schraube! ≥ S. 252

20/10/2001

Mehr Sturm, weniger Ruhe bitte!  ≥ S. 180 13/10/2001

Provokation und Konus ≥ S. 183 18/08/2001

Warum nicht von der Stange? ≥ S. 187 14/07/2001

Wer stets die Treppe vergisst ≥ S. 189

04/06/1999

Noch was zu bestellen? ≥ S. 255 08/05/1999

Wo Orte zur Sprache kommen ≥ S. 258 30/04/1999

Von Bunkern und Hühnerställen ≥ S. 260 13/03/1999

Shopping Mall, Parlament? ≥ S. 263

Flach auf dem Bauch ≥ S. 193

1998

17/04/2001

24/12/1998

Begräbnis letzter Klasse ≥ S. 196

„Mach doch die Bude groß“ ≥ S. 268

03/02/2001

14/11/1998

Der silberne Mittelweg ≥ S. 200

Die hohe Kunst der Schräge ≥ S. 271

26/05/2001

2000 30/12/2000

Rettet das Tirolerhaus! ≥ S. 205 09/12/2000

Es geht auch ohne Kichern ≥ S. 208

26/09/1998

Wenn die Welt ins Haus bricht ≥ S. 274 19/09/1998

Viele Häuser sind noch keine Stadt ≥ S. 277 25/07/1998

Kunst oder Hülle? ≥ S. 283

13/06/1998

20/05/1995

Die unheilbare Hauskrankheit ≥ S. 287

Knoten im Wald ≥ S. 362

02/05/1998

04/02/1995

Der schöne Name „Arche“ ≥ S. 290

Edle Wilde und Hundertwassers Hosenträger ≥ S. 365

11/04/1998

Die Skulptur im Zaubergarten ≥ S. 294 07/02/1998

Oasen in der Zwischenstadt ≥ S. 297 10/01/1998

Das, was sich nicht fassen lässt ≥ S. 301

1997 20/12/1997

Nur keine Handschrift, bitte! ≥ S. 306 22/11/1997

Von Highways und Sackgassen ≥ S. 309 26/10/1997

Im Land der vergoldeten Asche ≥ S. 312

28/01/1995

Blitzende Zahnspange mitten im Gesicht? ≥ S. 369

1994 15/10/1994

Stil, Ornament und andere Verbrechen ≥ S. 372 20/08/1994

Nach dem Salto Mortale ≥ S. 374 25/06/1994

Grüße vom Verschönerungsverein ≥ S. 378 18/06/1994

Die Maschen der Wirklichkeit ≥ S. 316

Von falscher Idylle und echtem Leben ≥ S. 380

03/05/1997

23/04/1994

Komfort mit Ecken und Kanten ≥ S. 320

Ordnung und Verordnung ≥ S. 383

22/03/1997

26/02/1994

Am Ende der wilden Jahre ≥ S. 323

Die Zeit, der Sand und die Realisierer ≥ S. 386

08/02/1997

12/02/1994

Sanierung mit Totalschaden ≥ S. 326

Der Stoff aus dem die Österreicherwitze sind ≥ S. 390

27/09/1997

18/01/1997

Vom Nutzen der Unwirtlichkeit ≥ S. 330

1993

1996

31/12/1993

28/12/1996

Suiten mit Zen ≥ S. 393

Der edle Wilde und seine Villa ≥ S. 335 16/11/1996

Bodenlose Punkte der Stille ≥ S. 338 02/11/1996

Wie klingt eine Hauptstadt? ≥ S. 341 03/08/1996

Ein Parkplatz als Paradies ≥ S. 344 29/06/1996

So oder doch ganz anders ≥ S. 347 06/04/1996

Die Stadt der schönen Worte ≥ S. 350

1995 25/11/1995

Das Ende der Kalkputzstadt? ≥ S. 355 23/09/1995

Holz und 1000 Jahre ≥ S. 358

24/12/1993

Leicht ist schwer zu machen ≥ S. 396 20/11/1993,

Prädikat: organisch ≥ S. 398 09/10/1993

Im Stile unserer Zeit ≥ S. 401 17/07/1993

Die Sehnsucht des globalen Dörflers ≥ S. 403 24/04/1993

Ironie mit Wellblech ≥ S. 406 30/01/1993

Wohin mit dem fahrbaren Haus? ≥ S. 408

1992 14/11/1992

Nur ein Türschild ≥ S. 413 17/10/1992

Widerspruch mit Folgen ≥ S. 416

Einleitung Architektur wird oft als Hintergrund gesehen, als dauerhafte Bühne, auf der die Wechselfälle des privaten und öffentlichen Lebens vorüberziehen. Ich teile diese Meinung nicht: Architektur ist für mich ein übergeordneter Begriff, der nicht nur Bau­werke umfasst, sondern auch Ideen, nicht nur das Realisierte, sondern auch das Erträumte, nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Abfolge der Handlungen, die zum Ergebnis führen. Zur Architek­ tur gehören die verschlungenen Wege einer Projektgeschichte, vom ersten Entwurfsgedanken über den Gebrauch bis hin zur Umnutzung und vielleicht zum Abriss. Die hier gesammelten Kritiken – in den Jahren 1992 bis 2007 als Beiträge für das Feuilleton der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ entstanden – setzen sich mit Architektur in diesem sehr umfassenden Sinn auseinander. Sie bieten 127 Anlässe zur kriti­ schen Betrachtung von Architektur und Stadt, wobei das Spektrum vom Einfamilienhaus bis zur Regionalplanung reicht. Im Unterschied zur Tageszeitung, wo jeder dieser Texte für sich allein stand, werden in der Buchform Zusammenhänge deutlich. Wer will, kann sich – der chronologischen Ordnung der Texte folgend – aus der Gegenwart ins Jahr 1992 zurücklesen und dabei eine österreichische Architekturgeschichte der letzten 15 Jahre konstruieren. Ob er oder sie dabei allen wichtigen Bau­ ten und Projekten dieser Zeit begegnet, sei dahingestellt. Die Leitthemen, deren Gewichtung sich über die Jahre kontinuierlich verschiebt, halte ich aber jedenfalls für repräsentativ: Identität und Region, Ortsbindung und Globalisierung, Geschichtsbewusst­ sein und Offenheit für die Zukunft, Kernstadt und Zwischen­ stadt, Positionierungskämpfe und Partnerschaften, Architektur­ wettbewerb und Architekturpolitik. Das Unsichtbare an der Architektur steht im Mittelpunkt dieser Texte, auch wenn sie so weit wie möglich von dem ausgehen, was an architektonischer Substanz vorhanden ist: Raum, Form, Material und Konstruktion. Meine besondere Neugier gilt den Interessen, die hinter einem Projekt stehen, vor allem in der Stadtentwicklung, die sich heute als unentwirrbare Verflechtung Tausender einzelner Akti­ vitäten darstellt, großer Ankündigungen und kleiner Korrup­ tionen, getrieben von Gemeinsinn und Egoismen, von der Hoff­ nung auf ein besseres Leben und vom Streben nach Macht und Geld. Weil in jedem architektonischen oder städtebaulichen Pro­ jekt solche Interessen verhandelt werden, ist das Ergebnis ein Abbild gesellschaftlicher Zustände. Auch das missglückte Projekt hat so betrachtet einen Wert: Es bietet Anlass, die Kräfte hinter seinem Scheitern aufzuklären und davon zu lernen. Deshalb gibt es in diesem Buch auch kaum „Verrisse“. Die vernichtende Kritik kommt in der Architektur – im Unterschied zum Theater oder zur Literatur – sowieso meist zu spät, und der Zukunft ist mit einer differenzierten Darstellung und einem sorgfältigen Argument besser gedient. Die Wiener „Presse“ bietet dafür seit den 1960er-Jahren in ihrer Wochenendbeilage einen 6

Freiraum, der die Architekturdiskussion in Österreich wesentlich mitgeprägt hat. Autoren wie Friedrich Achleitner, Otto Kapfinger und Dietmar Steiner haben diesen Freiraum vor mir genutzt und ein Niveau der Auseinandersetzung begründet, das für die aktu­ ellen Autorinnen und Autoren als Maßstab gilt. „Huldigungen“ an Einzelpersonen wird man in diesem Buch ebenfalls nicht finden, obwohl ich vor der Leistung von Architek­ tinnen und Architekten großen Respekt habe. Architektur ist heute ein riskanter Beruf, vor allem, wenn man ihn mit jener Leiden­ schaft für die Sache betreibt, ohne die keine Qualität entstehen kann. Architektinnen und Architekten sind in ihrer Arbeit aber auf eine Vielzahl von engagierten Partnern angewiesen, angefangen von den Bauherren über die Fachplaner bis hin zu den Ausfüh­ renden. Über die Lebenszeit eines Bauwerks betrachtet gehören auch die Nutzer dazu, wenn sie sich ein Bauwerk oder eine Stadt als ihren Lebensraum aneignen. Sie alle brauchen dabei Ver­ ständnis für architektonische und stadträumliche Qualitäten. Es ist ein Anliegen dieses Buchs, ihnen Mut zu machen, sich dabei auch auf ungewohnte Lösungen einzulassen: Oft genug werden Projekte, die zuerst Widerstand und Kritik auslösen, am Ende als Meilensteine erkannt, während solche, die sofort allgemeinen Beifall finden, sich im Rückblick als kleinster gemeinsamer Nenner erweisen, Mittelmaß, für das sich niemand mehr interessiert. Dass Architektur aufregen kann, gehört aus meiner Sicht zu ihren wichtigsten Qualitäten. Die Politik hat zur Architektur aus demselben Grund ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits gehört es zum klassischen Rollenbild des Politikers, als Initiator großer öffentlicher Bauaufgaben aufzutreten und die Stadtentwicklung zu steuern. Andererseits ist damit immer das Risiko verbunden, durch die oft unkontrollierbare Kritik an einem Projekt selbst beschädigt zu werden. Viele Texte in diesem Buch befassen sich aus dieser Perspektive mit dem Beispiel der Stadt Wien. Das Schlüsselereignis für die Entwicklung Wiens in den letzten 20 Jahren war die Öffnung des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989, durch den die Stadt plötzlich vom östlichen Rand der westlichen Welt in die geographische Mitte Europas rückte. Das Bild der nahen undurchdringlichen Grenze, von Schienensträngen, die sich grasüberwachsen an dieser Grenze totlaufen, hatte bis dahin jahrzehntelang die Mentalität der Stadt geprägt. Nach 1989 durfte man sich an ein grenzen­ loses Wien erinnern: An eine Stadt, die im Jahr 1906 bereits mehr als zwei Millionen Einwohner hatte und für die Otto Wagner den Plan einer „Unbegrenzten Großstadt“ entwarf, einer end­ losen Stadtstruktur ohne jede Sentimentalität. Die Erinnerung an diese nüchterne, aber zukunftsorientierte Metropole konnte nur für einen Moment die Tendenz der Stadt aufhalten, sich in einem gemütlichen Zerrbild des „Wien um 1900“ einzurichten. Der Versuch, die Stadt mit einem Weltausstellungs­ projekt, der EXPO 95, aus ihrer Gemütlichkeit herauszulocken, scheiterte 1991 an einer von der äußersten politischen Rechten organisierten Volksbefragung, die mit fremdenfeindlichen Parolen gegen das Projekt Stimmung machte. Die Wiener Stadtplanung 7

hat ihre Lektion aus diesem Misserfolg gelernt und propagiert seither statt großer Zukunftsprojekte die Patchwork-City, in der allerlei Ideen miteinander konkurrieren dürfen, Themensied­ lungen, einmal frauenfreundlich, einmal autofrei, nie umfas­ send und nie verbindlich. Ihren Beitrag zum Weltkulturerbe sah die Stadt zuerst in Schloss Schönbrunn, das bereits 1996 in die UNESCO-Welterbe-Liste aufgenommen wurde, dann in der gesam­ ten Wiener Innenstadt, die 2001 folgte. So sehr Wien auch bemüht ist, eine zeitgemäß verwaltete und sozial integrative Stadt mit hoher „Lebensqualität“ zu bleiben: Eine selbstbewusste urbane Identität jenseits von Barock und Historismus hat die Stadt bisher nicht gefunden. In der Mitte liegt, von der „Ring­straße“ mit ihren Prachtbauten umschlossen, das Weltkulturerbe. Der Rest ist Patchwork. Diesem Umstand verdankt das Buch auch seinen Titel, „Ring­ straße ist überall“. Denn auch dort, wo die Stadt ihre Zukunft noch vor sich hätte, wird sie inzwischen von den Bildern der Vergan­ genheit infiziert. Auf dem Gelände des ehemaligen Flugfelds Aspern am Wiener Stadtrand entsteht in den nächsten Jahren ein Stadtteil für 20.000 Menschen, beiläufig nach Motiven des 19. Jahr­ hunderts geformt, von der Blockrandbebauung bis zu einer allee­ gesäumten Ringstraße, die unmissverständlich an das berühmte Vorbild im Zentrum der Stadt erinnert. Dieser Plan ist das Ergeb­ nis eines Wettbewerbs aus dem Jahr 2005. Dreizehn Jahre davor hatte es für dasselbe Areal schon einmal einen Wettbewerb gege­ ben, aus dem ein ganz anderes Projekt hervorgegangen war: Ein wilder Schnittmusterbogen mit ausgreifenden Achsen kreuz und quer durch das Areal, dessen Baufelder erst in Kooperation mit den Bauträgern zu ihrer endgültigen Form finden sollten. Diesen Plan zu verfolgen, hätte eine radikale Neuordnung vieler eingefahrener Prozesse der Stadtentwicklung erfordert, und so ließen die Bauträger das Projekt so lange vor sich hin dämmern, bis ein neuer Wettbewerb gerechtfertigt erschien. Diese Geschichte ist beispielhaft für eine bemerkenswerte Wendung in der Architekturentwicklung der letzten 15 Jahre, die sich nicht auf Wien und Österreich beschränkt. Diese 15 Jahre waren in Hinblick auf die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Architektur eine Erfolgsgeschichte. Noch nie wurde inter­ national so viel über Architektur berichtet, in vielen Ländern und Regionen entstanden neue Architekturzentren oder -museen, Star­ architekten gehören zum fixen Bestandteil der Gesellschaftsseiten, und immer mehr Investoren oder Stadtentwickler sind bereit, für einzelne Projekte einen dieser Stars zu beauftragen. Auch wenn ein Großteil des Gebauten immer noch wenig mit Architektur zu tun hat, gibt es heute mehr Qualitätsarchitektur als noch vor 15 Jahren. Deren Anteil mag regional unterschiedlich sein und sinkt in Österreich deutlich von Westen nach Osten, aber sowohl formal als auch technisch ist zumindest das Potenzial für höchstes Niveau vorhanden. Die Kehrseite dieser Erfolgsgeschichte ist jedoch, dass Architek­ tur sich zunehmend den Spielregeln des Markts unterwirft. Immer öfter wird sie ausschließlich als Produkt verstanden und ihre 8

Herstellung als Dienstleistung. Je mehr sich diese Haltung durch­ setzt, umso leichter wird Architektur zum Dekor, das man benutzt, solange es dem Verkauf nützt, und durch ein anderes ersetzt, sobald sich der Markt dreht: Wenn Ringstraße und Blockrandbe­ bauung wieder gefallen, werden sie ohne Rücksicht auf Verluste gebaut. Eine Architektur, die sich Distanz zu den Kräften des Marktes bewahrt hat, würde stattdessen nach Alternativen jenseits eingefahrener Klischees suchen. Auf Produkt und Dienstleistung reduziert, fehlt ihr dafür die Kraft. Sie verliert, was ihr viele der heutigen Architekturstars, als sie in den 1980er-Jahren noch zur Avantgarde gehörten, erkämpfen wollten, nämlich Autonomie. Dieser Anspruch auf Selbstbestimmung mag bei einer Kunst, die schon immer von der Macht und vom Geld anderer abhängig war, hochtrabend oder naiv klingen, aber er hat seine Berechtigung. Architektur ist mehr als nur die korrekte und kostengünstige Über­ setzung eines Raumprogramms in ein funktionsfähiges Gebäude, mehr als das Setzen von Denkmälern für potente Auftraggeber, mehr auch als nur soziales Engagement mit räumlichen Mitteln. In ihren besten Momenten ist Architektur die Sprache der Utopie, eine Sprache, die ohne Worte auskommt und gerade deshalb universell verständlich und ausdrucksstark ist. Gelungene Architek­ tur reagiert auf die Vielzahl oft widersprüchlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens, die sich in jeder Bauaufgabe ausdrücken, mit Antworten, aus denen die Idee einer besseren Welt hervor­ leuchtet. In diesem Sinn handelt es sich bei der vorliegenden Lektüre nicht zuletzt um ein Handbuch für Träumer, also Bauher­ ren und Architekten, die an die Bedeutung von Architektur als Medium des gesellschaftlichen Fortschritts glauben. Dass dieses Buch entstehen konnte, verdankt es einer Reihe von Menschen, die an die Architektur ähnlich hohe Ansprüche stellen. In erster Linie ist der Redaktion der „Presse“ zu danken, die mich über viele Jahre begleitet hat, insbesondere Wolfgang Freitag, der dort die Rubrik „Zeichen der Zeit“ leitet. Für die graphische Gestaltung danke ich Erwin Bauer, der für dieses Buch die Form einer „kondensierten Tageszeitung“ entwickelt hat. Dass es ohne hochwertige Architekturfotografie heute nicht mehr möglich ist, ein größeres Publikum für das Thema zu interessieren, ist klar, und es freut mich, dass sich die renommiertesten österreichischen Architekturfotografinnen und -fotografen für dieses Projekt gewin­ nen ließen. Dank gebührt auch den Sponsoren und Förderge­ bern, die an anderer Stelle angeführt sind, und der Technischen Universität Wien, die mir die finanzielle Unabhängigkeit sichert, die ein Kritiker braucht, um in Wien zu überleben. Schließlich danke ich den Architektinnen und Architekten, Ingenieuren und Stadtplanern, Beamten, Bauherren und Politi­ kern, deren Denken und Handeln den Anlass für meine Texte geliefert hat. Ein ausführlicher Index im Anhang wie auch Quer­ verweise am Seitenrand sollten es bei der Lektüre erleichtern, den mehr oder weniger hellen Spuren dieser Akteure quer durch das Buch zu folgen.

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15 / 12 / 2007   

DIE QUADRATUR DES KREISES

Nach langer Pause haben PAUHOF sich wieder dem Thema des Wohnhauses in der Landschaft gewidmet. Das Ergebnis, nahe Brixen, Südtirol: Ein Sprung aus der Moderne ins Ungewisse.

I

m Film gehören die moder­ nen Häuser immer den Böse­ wichtern. Dr. No ist nur der Erste in einer ganzen Reihe von James-Bond-Gegen­ spielern, die sich am liebsten in hypermodernen, wenn auch manchmal mit Antiqui­ täten bestückten Räumen bewegen. Auch Philip Vandamm, der Bösewicht aus Hitchcocks „North by Northwest“, residiert in einer im Stil Frank Lloyd Wrights gehaltenen, dramatisch über dem Abgrund schwebenden Villa mit ungestörtem Panoramablick, Ausgangspunkt für die finale Verfol­ gungsjagd über die Felsskulpturen des Mount Rushmore. Das Architektenduo Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger – kurz PAUHOF – hat sich mit dem ambivalenten Charakter des modernen Raums, dessen grenzenlose Freiheit ab einem gewissen Moment ins Heimatlose und Bedrohliche umschlagen kann, schon seit langem beschäftigt. Das jüngste Ergebnis dieser Aus­ einandersetzung ist eine derzeit im deSingel Kunstcampus in Antwerpen gezeigte Ausstellung, die unter dem Titel „The Wrong House“ der Filmarchitektur Alfred Hitchcocks gewidmet ist. Von PAUHOF stammen dort nicht nur die Ausstellungsgestaltung, sie haben auch Modelle und Zeichnungen von eigenen Projekten in die Installation einbezogen. Die Kombination ist durchaus schlüssig: PAUHOF sind an den Angsträumen, die sich hinter der scheinbar rationalen Oberfläche des modernen Lebens verbergen, genauso interessiert wie es Hitchcock in seinen Filmen gewesen ist, und sie setzen in ihren Projekten virtuos kinematographische Mittel der Inszenierung ein. Damit stehen sie in einer großen Tradition: Schon Le Corbusiers Villa Savoye, ein Schlüsselbau der klassischen Moderne, ist wie eine Abfolge von Filmsequenzen komponiert. Eine andere, regional nähere Referenz für PAUHOF ist Le Corbusiers Zeitgenosse Lois Welzenbacher, der in den Jahren um 1930 einige der besten modernen Häuser im Alpen­ raum geschaffen hat, etwa das Haus Heyrovsky in Zell am See. Der ungebrochene Glaube an die Segnungen der Moderne, der

Zwischen klassischer Moderne … Foto: Matteo Piazza

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… und psychedelischer Geometrie: Wohnhaus in Brixen, Südtirol Foto: Matteo Piazza

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aus diesen Bauten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg spricht, ist heute längst vergangen. Schon das Einfamilienhaus an sich ist angesichts von Sprawl und Ozonloch zu einem Bösewicht geworden, der auch in der Passivhausvariante nie so ökologisch korrekt sein kann wie die Wohnung im dicht verbauten Stadtgebiet. Auch die Frage, wie „schön“ man heute über­ haupt noch wohnen darf, kann zum Problem werden, zumindest wenn man sich an den Hinweis Adornos hält, es gehöre heute „zur Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein“. Das jüngste Projekt von PAUHOF, ein Einfamilienhaus in der Nähe von Brixen, lässt sich in diesem Sinn als Versuch interpre­ tieren, ein Haus zu entwerfen, das Distanz zu sich selbst hält. Kaum glaubt man es durchschaut zu haben, etwa als Paraphrase auf die horizontal gelagerten Bauformen der klassischen Moderne, überrascht es den Besucher mit der surrealistisch verzogenen Geometrie eines die Terrasse überspannenden Baukörpers, den sich das Haus in einer großen Kurve gleichsam über die Schulter wirft wie einen Schal. Bergseitig geht dieser Baukörper in die Skelettkonstruktion einer Pergola über, die immer schmäler wird und schließlich in den Terrassen des angrenzenden Weinbergs ausläuft. Die mehrfach gekrümmte Holzkonstruktion dieses Elements ist eine Meisterleistung, ausgeführt vom Unternehmen des Bauherren, das sich auf computergesteuerte Holzzuschnitte spezialisiert hat. Im Inneren des Hauses wird der Besucher von einem raffi­ nierten System aus Bewegungs­ und Blickachsen geleitet. Alle Blicke sind so komponiert, dass möglichst viel von der grandiosen Landschaft rundum sichtbar wird, ohne dass Nachbarbauten das Bild stören. Umgekehrt wirkt die Terrasse durch den schwebenden Baukörper beinahe wie ein Innenhof, der vor den Blicken der Nachbarn schützt. Die vier Geschosse des Hauses haben ihren jeweils eigenen Charakter: Ganz oben schwebt die Holzbox eines „Herrenzimmers“ mit Panoramablick, über eine schmale Treppe mit dem Terrassengeschoss verbunden. Dort befinden sich der Wohn­ und Essraum, die Küche und das Schlafzimmer der Eltern. Küche und Essraum liegen auf einer 20 m langen Achse, die am einen Ende tief in den Hang hineinführt und am anderen Ende in einem zweigeschossigen Raum endet, der die Treppe nach unten ins Eingangsgeschoss aufnimmt. Auf diesem Niveau

liegen auch die Kinder- und Gästezimmer, die einen weiteren über zwei Geschosse reichenden Raum begrenzen, der auf der untersten Ebene als Kunstgalerie der Bauherrin dient. Obwohl sonst strenge Orthogonalität herrscht, ist die Geste der großen Kurve überall im Haus präsent: Sie dominiert den Terrassenhof, taucht im Eltern­ schlafzimmer als gekrümmte Rückwand auf und im untersten Geschoss als Begrenzung der Galerie. So kompliziert diese Anordnung klingt, so entspannt wirkt sie in natura. PAUHOF ist es gelungen, eine Selbstkritik der Moderne zu inszenieren, die das Alltagsleben nicht beschwert, sondern bereichert. Dass diese Quadratur des Kreises aufgehen konnte, liegt nicht zuletzt an der Zusammenarbeit mit dem Künstler Manfred Alois Mayr aus Bozen, dem PAUHOF die Gestaltung einzelner Elemente des Hauses überlassen haben. Von Mayr stammen Farben und Oberflächen an strategischen Punkten, etwa die Idee, die dunkle Farbe der Holzleisten, mit denen die Außenwand und einige Decken des Gebäudes verkleidet sind, durch das Flämmen von Eichenholz herzustellen. Die Kontrolle aufzugeben, also trotz höchster Präzision im Detail kein Gesamt-, sondern ein offenes Kunstwerk zu schaffen: Darin besteht wohl der entscheidende Sprung aus der Moderne ins Ungewisse, der PAUHOF mit diesem Meisterwerk gelungen ist.

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10 / 11 / 2007   

DIE BAUKUNST MEINER FREUNDE

Was haben Otto Wagner, Clemens Holzmeister und Hans Hollein gemeinsam? Ihre Mitgliedschaft in der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, die heuer ihren 100. Geburtstag feiert. Eine Gratulation.

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rchitekten geben nur ungern zu, dass sie Vereinsmeier sind. Lieber sehen sie sich als einsames Genie, das seine Projekte trotz Heimtücke der Behörde, Unverständnis der Ausführenden und Geiz der Bauherren realisiert. Diese Figur mag zwar heute einiger­ maßen in die Jahre gekommen sein, sie ist aber nach wie vor Teil des Selbstbilds, mit dem Architekten ihre Sonderrolle im Bauwesen begründen. Ein Umstand bleibt dabei dezent im Hinter­grund: Der Erfolg dieser Einzelgänger ist nicht zuletzt darin begründet, dass sie trotz allem hochgradig assoziationsfähig sind. Vieles spielt sich dabei auf der Ebene informeller Netzwerke ab. Aldo Rossi, einer der Väter der postmodernen Architektur, dessen radikal aufs Archetypische reduzierte Formensprache jeder anderen Position das Lebensrecht abzusprechen scheint, antwortete 13

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auf die Frage, welche Architektur er denn schätze, schlicht: „I like the architecture of my friends.“ Und die befreundeten Bau­ künstler durften ruhig vom formal ganz anderen Ufer kommen, solange sie seinem Clan angehörten. Zu diesen informellen Netzwerken kommt eine Vielzahl von offiziellen, die erstaunlich langlebig und wandlungsfähig sind, wie das Beispiel der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, kurz ZV genannt, beweist. Ihre Gründung geht auf eine Initiative Ludwig Baumanns zurück, einer der erfolgreichsten Großarchitek­ ten der K.-K.-Monarchie. Baumann war ein Multifunktionär, Mitglied und Präsident des Österreichischen Ingenieur- und Architektenvereins, Mitglied der Genossenschaft der bildenden Künstler und deren Aquarellistenclubs. Entlastung von so viel ernsthafter Funktionärstätigkeit verschaffte er sich in der Schla­ raffia Vindobona, deren Wahlspruch „in arte voluptas“ gut zu Baumanns neobarocker Architekturauffassung passt. Über die Gründung der ZV berichtet die Zeitschrift „Der Architekt“ in ihrer Ausgabe vom Juli 1907: „Im Festsaal der Wiener Kaufmannschaft fand eine Versammlung der hervorragendsten Architekten – ohne Rücksicht auf Richtung und Betätigung – statt. Der vorsitzende Proponent, Oberbaurat L. Baumann, hielt eine programmatische Rede, in der er darauf hinwies, dass der Gedanke der Bildung einer Zentralvereinigung, in der die Architek­ ten selbst, und zwar die in der Front für ihre Existenz, für die Erhaltung ihrer Selbstständigkeit kämpfenden Architekten, die Wahrung ihrer Standesinteressen in die Hand nehmen, schon lange propagiert wurde. Als Aufgaben der ZV nannte er: Gericht­ liche Belangung jener Personen, die sich unbefugt den Titel eines Architekten beilegen, Stellungnahme gegen die Verleihung des Titels ,Baurat‘ an Geschäftsleute, Baugewerbetreibende, Chemiker usw., Erwirkung von Staatsaufträgen an selbstständige Architekten, Stellungnahme gegen die Invasion ausländischer Architekten, vorherrschend in Tirol und Nordböhmen, Vorarbeiten für die Schaffung von Architektenkammern auf legislatorischem Wege.“ Besondere Sensibilität mag man der militärisch durch­ wirkten Diktion dieses Programms nicht attestieren, es geht aber im Kern über die Wahrung von Geschäftsinteressen hinaus. Mit der Einrichtung der ZV deklarierten die besten Vertreter ihres Fachs einen autonomen Bereich, innerhalb dessen sie selbst verhandeln wollten, was Qualität ist. Die Mitgliedschaft in der ZV ist daher bis heute nur auf Empfehlung anderer Mitglieder möglich. Neben Leopold Bauer, Fellner und Hellmer, Karl Mayreder und Josef Hoffmann trat auch Otto Wagner der ZV bei und übernahm als weltweit bedeutendster österreichischer Architekt seiner Zeit den Vorsitz beim Internationalen Architektur­kongress, den die ZV 1908 in Wien veranstaltete. Ein Jahr später führte ein interner Streit allerdings zum Austritt Wagners, der auch mit dem Wettbewerb für das Kriegsministerium im selben Jahr zusam­menhängen dürfte, den Baumann für sich entscheiden konnte. Neben 60 anderen Architekten hatten auch Otto Wagner und Adolf Loos teilgenommen, die nicht zu Unrecht behaupteten,

dass Baumann seinen Sieg nicht seinem schwachen Projekt, sondern der Protektion durch den Thronfolger Franz Ferdinand zu verdanken hatte. Weil die ZV ja gerade diese Art von Einfluss­ nahme hätte verhindern sollen, musste das als Verrat an ihren Qualitätszielen empfunden werden. Ihre einflussreichste Phase hatte die ZV in der Zwischenkriegs­ zeit, während der auch die Teilnahmeberechtigung an Wettbe­ werben für öffentliche Gebäude an eine Mitgliedschaft gebunden war. Zugleich begann die ZV mit eigenen Publikationen auf die Qualitätsdiskussion Einfluss zu nehmen, zuerst mit der Zeitschrift „Bau- und Werkkunst“, ab 1931 mit dem „Profil“. Beide waren anspruchsvoll redigiert und international ausgerichtet. Präsidenten der ZV in dieser Zeit waren Hermann Helmer, Siegfried Theiß, Clemens Holzmeister und Hans Jaksch. 1938 wurde die ZV auf­ gelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg konstituierte sie sich neu und schloss auch rasch an ihre publizistische Tätigkeit vor dem Krieg an, ab 1946 mit der Zeitschrift „Der Bau“, die 1965 von einer jungen Redaktion um Hans Hollein neu konzipiert wurde und unter dem Titel „Bau“ bis 1971 erschien und wichtige Impulse für den architektonischen Diskurs dieser Zeit lieferte. Mit der Einrichtung der Architektenkammern im Jahr 1959 war eines der Gründungsziele der ZV erreicht, sie übertrug damit aber zugleich den Großteil ihrer faktischen Macht an die neuen Institutionen. Dass Eugen Wörle von 1961 bis zu seinem Tod 35 Jahre lang als Präsident der ZV wirken konnte, ist kaum ein Zeichen für institu­ tionelle Dynamik. 1996 ist Hans Hollein in dessen Fußstapfen getreten und hat erfolgreich die wesentlichste öffentliche Aktivität der ZV am Leben erhalten, nämlich den seit 1967 vergebenen Bauherrenpreis, der sich zum wichtigsten österreichischen Archi­ tekturpreis entwickelt hat. Auch die aktuellen Preisträger zeigen ein breites Spektrum formaler Ansätze auf einem durchgängig hohen Niveau. Zwischen den formalen Extrempunkten des Wolkenturms von the next ENTERprise (einer Freilichtbühne in Grafenegg) und dem Michele­ hof von Philip Lutz in Vorarlberg finden sich die Donau-Universität Krems von Dietmar Feichtinger, die Sonderschule in Schwechat von Fasch & Fuchs, die Polizeistation am Wiener Karlsplatz von Pretterhofer"Spath Arquitectos sowie die Sonderschule im Tiroler Kramsach von Marte und Marte. Ihren Geburtstag feiert die ZV neben einem Fest mit einer Reihe von Führungen im Umkreis der Ringstraße, die heuer mit 150 Jahren ebenfalls ein Jubiläum begeht. Heute ist die ZV – die im Übrigen keine Bundesinstitution ist, sondern in jedem Bundes­ land eigene, teils sehr aktive Vereine betreibt – eine von vielen Institutionen, die sich bemühen, dem schwierigen Begriff der „architektonischen Qualität“ einen öffentlichen Diskussions­raum zu bieten. Sie ist personell stark mit den österreichischen Archi­ tekturhäusern vernetzt, die ihrerseits in der Architekturstiftung verbunden sind, zu deren Gründungsmitgliedern 1996 wiederum die ZV gehört. Als Qualitätszirkel der Architekturschaffenden ist die ZV aber nach wie vor einzigartig. Ihrem nächsten Jahrhundert kann sie gelassen entgegensehen. 15

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DAS AUTO UND SEINE PLAZENTA

73.000 Quadratmeter Nutzfläche, 180 mal 120 Meter Dach, 14.000 Tonnen Stahl. Und das alles, um Autos auf die Welt und an den Mann zu bringen. Die „BMW-Welt“ in München von Coop Himmelb(l)au.

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on der Idee, dass die Form der Funktion folgt, haben sich Automobilhersteller schon seit Jahren entfernt. Das Produkt Auto ist heute eingebettet in eine emotional aufgeladene Fantasiewelt, die von den Herstellern ebenso gezielt gestaltet wird wie das Produkt selbst. Deshalb spielen BMW-Fahrzeuge in James-Bond-Filmen mit, und deshalb hat BMW vor einigen Jahren bei namhaften Regisseuren wie Ang Lee oder Wong Kar Wai eine Reihe von Kurzfilmen in Auftrag gegeben, in denen es jeweils zwei Hauptdarsteller gab, einen BMW und den britischen Schauspieler Clive Owen. 75 Millionen Zuseher haben diese Filme, die über das Internet zum Download angeboten werden, inzwischen gefunden und damit ihren Teil zur Marken­ entwicklung von BMW beigetragen. Bereits Anfang der 1990er-Jahre entstanden erste Ideen, der Marke BMW auch architektonisch ein Denkmal zu setzen. Architek­ tur war zwar schon damals in den Markenauftritt des Unterneh­ mens einbezogen, aber vor allem als neutraler, in Chrom und Weiß gehaltener Hintergrund, vor dem das eigentliche Produkt umso deutlicher zur Wirkung kommen sollte. Für die normalen BMW-Autohäuser gilt diese Doktrin nach wie vor. In der Nähe des Münchner Stammwerkes sollte jedoch ein einzigartiges Bau­ werk entstehen, eine Kult- und Pilgerstätte, im Idealfall ein Pflichtbestandteil jedes München-Besuchs. Da jeder Kult einen Ritus braucht, wurde auch der erfunden: Hier kann der Besitzer sein ofenwarm vom Fließband kommendes Auto in Besitz nehmen und zum ersten Mal in die freie Wildbahn des Münchner Stadt­ verkehrs ausfahren. Übernommen hat BMW diese Idee von Ferrari, wo die optionale Übergabe am Ende des Fließbands schon immer zum Brauchtum gehörte. Einen besseren Standort für dieses Vorhaben hätte BMW kaum finden können. Einerseits befinden sich in unmittelbarer Nach­ 16

barschaft zwei architektonische Meilensteine der deutschen Nach­ kriegsmoderne, das Olympiagelände mit den weit gespannten Zelt­ dächern nach dem Entwurf von Frei Otto und Günter Behnisch aus dem Jahr 1972 und das BMW-Hochhaus von Karl Schwanzer, 1973 als Abschluss des Münchner BMW-Werks errichtet. Andererseits lässt sich kaum ein anderer Stadtraum denken, für dessen Ausformung das Automobil so direkt verantwortlich ist: Hier kreuzen sich auf zwei Ebenen eine 14-spurige und eine sechsspurige Schnellstraße, was allein von der Frequenz her ent­ sprechende Werbewirksamkeit garantiert. BMW schrieb für diesen Standort einen internationalen, offenen Wettbewerb aus, den Coop Himmelb(l)au unter 275 Teilnehmern nach mehreren Phasen im August 2001 für sich entscheiden konnte. Obwohl es bereits im Wettbewerb ein genaues Raumprogramm gab, lässt sich die eigentliche Funktion des Gebäudes nur schwer bestimmen. Es ist jedenfalls vieles zugleich: Seine Hauptfunktion leistet es als Auslieferungszentrum für Neuwagen, das in der oben geschilderten Weise bis zu 250 Fahrzeuge pro Tag bewältigen kann. Zugleich ist es ein Veranstaltungszentrum mit einem voll ausgebauten Theater für bis zu 800 Zuseher mit einer Bühnenausstattung, um die es so manches Theater einer deutschen Mittelstadt beneiden würde. Dazu kommen weitere Veranstaltungsräume unterschiedlichen Zuschnitts sowie groß­zügige Ausstellungsflächen und Gastronomie­ bereiche auf mehreren Ebenen, die über eine Brücke mit dem Werksgelände und dem bestehenden BMW-Museum verbunden sind, einem runden, schüsselförmigen Gebäude, das ebenfalls von Karl Schwanzer stammt. Coop Himmelb(l)au haben den Wettbewerb nicht zuletzt des­halb gewonnen, weil sie erkannt haben, dass dieses komplexe, genau ausgearbeitete Raumprogramm in Wirklichkeit nichts ande­ res war als ein Vorwand für ein möglichst spektakuläres Gebäude.

Die Auto-Übergabe als surrealistisches Drama: Vom ovalen Präsentierteller über die Spiralrampe ... Foto: Ari Marcopoulos

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... durch den Geburtskanal zur Jungfernfahrt. Das Auslieferungszentrum von BMW in München, Kultstätte und Gebärmaschine Foto: Ari Marcopoulos

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Ihr Projekt ist ein unbeirrtes Stück Coop Himmelb(l)au, in dem die gewünschten Funktionen zwar gut bedient sind, seine Form gewinnt es aber aus ganz anderen Quellen: vor allem aus der Idee eines großen, das gesamte Areal überspannenden Daches in Form einer künstlichen Wolke, die an einer Ecke in die vertikale Figur eines Doppelkegels übergeht, ein bekanntes Element aus dem Repertoire von Coop Himmelb(l)au, das hier angesichts des meteorologischen Dachmotivs auch als Wirbelsturm gedeutet werden kann, der sich aus dem Boden emporschraubt. Im Grund­riss bildet dieser Doppelkegel ein exaktes Pendant zu Schwanzers Museum, wie überhaupt die Einpassung des Projekts in den Kontext mit großer Selbstverständlichkeit gelungen ist. Die im Westen angrenzende Parklandschaft des Olympiaparks wird über große Verglasungen in den Raum unter der Glaswolke einbezogen, während die Verbindung zum Produktionswerk durch einen Einschnitt im Baukörper akzentuiert ist, der die Achse einer gegenüberliegenden Werksstraße aufnimmt. Die Leichtigkeit und Dynamik, die man von den computer­ generierten Bildern des Projekts in Erinnerung hat, will sich in natura freilich nicht so recht einstellen. Das Gebäude wirkt deutlich schwerer und dichter, was angesichts der konstruktiven Anstrengungen, die hier unternommen wurden, auch nicht verwunderlich ist. Das Wolkendach ist eine beeindruckende, viel­ fach geschwungene Stahlkonstruktion, die nur auf dem Doppel­ kegel und wenigen schlanken Stahlbetonstützen auflastet. Im Tragwerksplaner Klaus Bollinger, der mit Wolf D. Prix auch an der Universität für angewandte Kunst unterrichtet, haben die Architekten hier einen kongenialen Partner gefunden. Besonders hervorzuheben ist auch, dass Coop Himmelb(l)au nicht nur für den Entwurf, sondern auch als Generalplaner für das Gesamt­ projekt verantwortlich waren. Wer sich von der BMW-Welt eine

Verherrlichung des Automobils als chromblitzende Maschine erwartet hat, etwa in der Tradition des italienischen Futurismus, wird jedenfalls nicht auf seine Kosten kommen. Viel näher liegt die Assoziation zum Surrealismus, der für Coop Himmelb(l)au schon immer eine Inspiration gewesen ist. Hier, bei einer Aufgabe, bei der es kaum funktionelle Einschränkungen gab, konnte er sich fast ungebremst entfalten. Das gilt etwa für den Fußgänger­ steg, der die Halle durchzieht und den besten Blick auf den ovalen Präsentationsbereich im Zentrum der Anlage bietet, auf dem die über einen Glaslift angelieferten neugeborenen BMWs vor der Übergabe noch kurz auf Dreh­tellern rotieren, bevor sie in ihr selbstständiges Leben entlassen werden. Gleich an mehreren Stellen lässt dieser Steg seine Brüstung hängen wie Salvador Dalis geschmolzene Uhren, und wirkt insgesamt wie eine Nabelschnur in einer großen, dem automobilen Gebären gewidmeten Plazenta. Ob die BMW-Marketingabteilung wirklich weiß, welche Art von Meisterwerk sie hier um einen kolportierten Betrag von über 250 Millionen Euro geschaffen hat, ist noch nicht abzuschätzen. Vorderhand sind die Freiflächen mit Objekten und einem Geflim­mer von Präsentationen bespielt, die besser auf der IAA in Frankfurt oder im Museum gegenüber aufgehoben wären. Aber vielleicht geht dieser Anfall von Horror Vacui ja irgendwann vorbei, und BMW überlässt die Halle ganz dem Kunstbetrieb, der dann die Gebärmaschine in der Mitte in bester surrealistischer Tradition umspielt.

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09 / 09 / 2007   

WIE MAN DAS NEUE ORGANISIERT Visionen für die Zukunft hat man bald einmal. Die Schwierigkeit liegt in der Umsetzung. Über alltägliche Innovationen und die Wege dorthin. Am Beispiel Architektur­wettbewerb.

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ochhäuser in Form von exotischem Gemüse, das aus einem Feuchtbiotop hervorwächst: Muss man sich so die Stadt des 21. Jahr­hun­ derts vorstellen? Der südkoreanische Architekt Minsuk Cho hat diesen Vorschlag kürzlich bei einem Symposium an der Wiener Univer­ sität für angewandte Kunst präsentiert. Wie ernst diese Provokation aller formalen Codes der „modernen Architektur“ gemeint ist, sei dahingestellt. Auch an ihrem Neuigkeitswert kann man Zweifel anmelden, lässt sich die Anlage doch als rund gedrechselte Version des Wohnparks Alt Erlaa mit seinen hängenden Gärten und der anämischen Parkland­ schaft rundum interpretieren. Vielleicht will Minsuk Cho, der 19

brillanteste unter den jungen Architekten Südkoreas, in dessen tatsächlich ausgeführten Hochhäusern keinerlei Anleihen am Gemüsegarten vorkommen, hier aber eher einen Kommentar zu unserer gegenwärtigen Situation abgeben: Fortschreitender Natur­ verlust, der durch Ersatzgrün kompensiert wird; eine individuali­ sierte Gesellschaft, deren ideale Wohnform die Einzelzelle ist, an die sich halb­öffentliche Zonen für die Aktivitäten der Patchwork­ familie andocken; und eine zunehmende Verdrängung ästheti­ scher Fragen durch ökologische Parameter, die sich formal in einem dumpfen Biologismus niederschlagen, sofern sie Form überhaupt noch als Thema gelten lassen. Dass die Zukunft des Wohnens nicht genau so aussehen wird wie in Chos Vision, kann als sicher gelten. Aber welche Elemente davon werden wir in unseren Städten tatsächlich finden? Und wie können wir schon heute die Möglichkeiten ausloten, auf die genannten Entwicklungen zu reagieren? Die Entstehung von Neuem in der Architektur ist ein heikles Thema, bestehen doch 99 Prozent des Bauens aus der Abwandlung bekannter Lösungen. Innovation steckt in der Orga­ nisation des restlichen Prozents. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Architekturwettbewerb zu. In seiner heutigen Form gibt es ihn seit der Renaissance, als Bauherren begannen, ihre Entscheidungsmacht an Gremien von Fachleuten zu delegieren. Verbunden damit, setzte sich die Trennung zwischen dem aus­ führenden Handwerk und dem architektonischen Entwurf als künstlerische Tätigkeit durch. Das versprach sozialen Aufstieg, allerdings zum Preis einer über weite Strecken prekären wirt­ schaftlichen Situation, von der bis heute alle Architekten, die ihre Karriere auf Wettbewerbe aufgebaut haben, berichten können. Trotzdem ist der Architekturwettbewerb eine erstaunlich robuste Institution. Gab es vor einigen Jahren noch eine Diskussion darüber, ob man nicht überhaupt auf ihn verzichten könnte, nimmt die Zahl der Verfahren heute wieder zu. Über das Prinzip, dass es nicht um die billigste Planungsleistung, sondern um das beste Projekt geht, herrscht weitgehend Konsens. Nur so können derartige Verfahren tatsächlich zur Innovationsförderung im alltäglichen Baugeschehen beitragen. Ihr Erfolg hängt dabei wesentlich von der Qualität der Organisation ab, von der Formu­ lierung der Aufgabenstellung über die Auswahlkriterien der Teil­ nehmer bis hin zur Höhe der Preisgelder. Seit die Wettbewerbsordnung der Architektenkammer abge­ schafft wurde, um dem EU-Druck zur Deregulierung nachzu­ kommen, gibt es dafür allerdings eine beachtliche Bandbreite. Auf der einen Seite finden sich aufwendig gestaltete Wettbewerbe, begleitet von Forschungsprogrammen und Veranstaltungen, in denen die Anliegen des Wettbewerbs öffentlich diskutiert werden. Ein vorbildliches Beispiel dafür ist derzeit im steirischen Gleisdorf zu beobachten. Unter dem Titel „Generationen Wohnen“ ist hier ein Wettbewerb für rund 80 Wohneinheiten in zentraler Lage ausgeschrieben. Das Projekt, initiiert vom Verein ARTIMAGE und der Wohnbauabteilung des Landes Steiermark, versteht sich als Prototyp für die Revitalisierung von Ortskernen, die durch die Verlagerung von Einkaufsmöglichkeiten an die Peripherie 20

zunehmend ihre zentrale Funktion verlieren. Speziell für Wohn­ bedürfnisse außerhalb der klassischen Kleinfamilie wie Senioren­ gemeinschaften, Alleinerziehende und Singles, und für betreutes Wohnen sollen hier Angebote geschaffen werden. Der zweite Innovationsaspekt betrifft die Ökologie, für die ein integratives Konzept zu entwickeln ist, das vom Wohnklima bis zu langfristigen Betrachtungen der Energieeffizienz reicht. In diesem Aspekt wird das Projekt von Brian Cody von der Technischen Universität Graz in einem eigenständigen Forschungsprojekt begleitet, das am 11. September in Gleisdorf in einer Fachtagung über „Innovative Konzepte der Energieeffizienz“ vorgestellt wird. Im Dezember folgt eine weitere über „Innovative Wohnformen“. Die Ähnlichkeit dieses Prozederes mit dem EUROPAN-Wettbewerb, der alle zwei Jahre europaweit ausgeschrieben wird, ist kein Zufall: Bernd Vlay, Geschäftsführer von EUROPAN Österreich wirkt in Gleisdorf an Konzept und Organisation mit. So viel Aufwand ist sicher nicht bei jedem Wettbewerb gerecht­ fertigt. Am anderen Ende des Spektrums finden sich allerdings – vor allem im öffentlichen Bereich, wo Konkurrenzverfahren vom Bundesvergabegesetz vorgeschrieben, von manchen Auftraggebern aber als lästige Pflicht gesehen werden – Verhandlungsverfahren, bei denen Planungen im Wesentlichen über den Preis vergeben werden. Das Hochbauamt Wiener Neustadt lädt gerade zu einem Verhandlungsverfahren für den Neubau einer Schule, bei dem aus Bewerbungen drei Teilnehmer ausgewählt werden, die in der zweiten Stufe ihrem finanziellen Anbot „Skizzen“ eines Entwurfs beilegen sollen. Ein Preisgeld oder eine Entschädigung für den Aufwand dieser Ausarbeitungen ist nicht vorgesehen. In Nieder­ österreich – das andererseits vor Kurzem sehr erfolgreich eine Wettbewerbspflicht für alle größeren Wohnbauten eingeführt hat, die Förderungen erhalten – ist das kein Einzelfall. Innovative

Ein Vorschlag für das Seoul des Jahres 2028. Aber was machen wir mit Gleisdorf in der Steiermark? Foto: Mass Studies

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Ergebnisse darf sich bei solchen Verfahren freilich niemand erwarten. Der Trend geht aber in die andere Richtung. Die Architektenkammer hat in jüngster Zeit mit wichtigen öffentlichen Auftraggebern wie der Gemeinde Wien und der Bundesimmobi­ liengesellschaft Vereinbarungen getroffen, wie im Rahmen des Bundes­vergabegesetzes faire und effektive Verfahren zu gestalten sind. Im Internet findet man seit Kurzem eine von der Kammer besorgte Dokumentation des gesamten österreichischen Wettbe­ werbsgeschehens. Verfahren, die außerhalb der Spielregeln durchgeführt wurden, sind dort speziell markiert. Die Ergebnisse sprechen für sich.

07 / 07 / 2007   

WURSTELN IM PRATER Nächste Woche wird in Ohio mit dem Akron Art Museum von Coop Himmelb(l)au ein neues Wahrzeichen eröffnet. Wien plant seines mit einer Kitschkulisse zu rahmen.

Im 21. Jahrhundert angekommen: Akron Art Museum von Coop Himmelb(l)au in Ohio Foto: Roland Halbe

Jugendstilbarock: Entwurf für das „RealitätenTheater“ als neuer Vorbereich für den Wiener Wurstelprater Fotomontage: explore 5D

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anche Städte träumen vom Bilbao-Effekt. Sie laden die Oberliga unter den Welt­architekten zu Wettbe­ werben ein, um ihre Stadt mit einem Projekt im internationalen Städtewettbewerb zu positionieren, so wie es Bilbao mit Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum geglückt ist. Aus Österreich spielen in dieser Liga nur Coop Himmelb(l)au mit: Nächste Woche wird ihr Akron Art Museum in Ohio eröffnet, 2009 das 100 Millionen Euro teure Musée des Confluences in Lyon. Die BMW-Welt in München und der Sitz der europäischen Zentralbank in Frankfurt, ebenfalls Coop Himmelb(l)au-Entwürfe, die in den nächsten Jahren realisiert werden, sind zwar keine kommunalen Projekte, werden zum Image ihrer Städte aber wesentlich beitragen. Durch direkte

Vergabe haben die Architekten keinen dieser Aufträge erhalten: Jedem Projekt ging ein Sieg in einem Architekturwettbewerb voraus, teilweise hart über mehrere Stufen erkämpft. Wien hatte bisher wenig Lust, sich an diesem architektoni­ schen Städtewettlauf zu beteiligen. Hier begnügt man sich mit dem Ruhm vergangener Jahrhunderte, selbst dann, wenn es gilt, das offizielle Wahrzeichen der Stadt zu ergänzen. Der Riesenrad­ platz, der den neuen Eingang zum Wurstelprater bilden soll, geisterte als Projekt schon seit einiger Zeit durch die Medien, ein Konglomerat aus historischen Versatzstücken, das den Besucher mit der Storyline „Der Zauberer kehrt zurück“ ins „Wien um 1900“ versetzen soll. Auf dem Stadtplan gibt es den Platz noch nicht. Er wird zwischen Kaisergarten und der Straße-des-ErstenMai auf der Achse des Gabor-Steiner-Wegs liegen. Von Gabor Steiner, der 1895 auf dem Kaisergarten nach Londoner Vorbild die Kulissenstadt „Venedig in Wien“ errichtete, stammte die Idee, ein Riesenrad nach Wien zu bringen. Ein anderer Steiner, Eduard, der letzte rechtmäßige Besitzer des Riesenrads, ist hier nicht in einem Straßennamen verewigt: Er wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet. Dass die Stadt bereit ist, Geld zu investieren – immerhin 16 Millionen Euro, zu denen weitere 16 aus zukünftigen Erträgen kommen sollen –, um den Wurstelprater durch diesen baulichen Auftakt zu erneuern, ist grundsätzlich klug. Die Aufwertung des Gebiets durch die verlängerte U-Bahn-Linie U2 hat eine neue Situation geschaffen, die einen hochwertigen Vergnügungspark wie den Kopenhagener Tivoli verdient hätte. Der Weg dorthin dürfte durch das aktuelle Projekt, das bis zur EM 2008 fertig gestellt sein soll, jedoch dauerhaft verbaut sein. Es stammt von der Firma Explore, vertreten durch den Architekten Martin Valtiner mit einem Büro in Lienz, Osttirol, das sich unter anderem mit Villenentwürfen zwischen Lederhosen- und französischem Landhausstil profiliert hat. Die letzten Mai bekannt gewordenen Pläne für den Riesenradplatz sind auf demselben Niveau, mit dem Unterschied, dass das Ausgangsmaterial aus Fassadenteilen von Schönbrunn und dem Belvedere besteht. Als Valtiner zu­ sammen mit der Mentorin des Projekts, der Wiener Vizebürger­ meisterin Grete Laska, letzte Woche den aktuellen Planungsstand vorstellte, gab es im Detail zwar erst ein Stück Wiener Kaffeehaus im selben Stil zu sehen: Die übrigen Teile würden analog dazu erst in Abstimmung mit den einzelnen Pächtern entwickelt. Das ganze Ausmaß des Grauens lässt sich jedoch erahnen, wenn man die Machart des Kaffeehauses auf die Baumassenstudie über­ trägt, die einen Komplex von immerhin 16.000 m2 Nutzfläche darstellt. Architekturkritik ist hier sicher fehl am Platz. Dass die Firma Explore in den letzten Jahren zwei spektakuläre Flops im Enter­ tainment-Bereich geliefert hat, wird eher das Kontrollamt der Stadt Wien interessieren: Die „Anderswelt“ in Heidenreichstein musste nach wenigen Saisonen und 4,5 Millionen Euro Investment – ein Drittel davon Landesförderung – ihren Betrieb einstellen. Der 5,4 Millionen Euro teure „Blue-Dome“ am Wolfgangsee, im 23

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Mai 2005 eröffnet, hatte ein ähnliches Schicksal und wurde nach einer Sperre erst kürzlich, von einem deutschen Büro umgestaltet, neu eröffnet. Die Sorge, dass Wien sich mit einer möglicherweise auch noch dysfunktionalen Nostalgik-Inszenierung anlässlich der Fußball-EM zum Gespött machen wird, dürfte den verant­ wortlichen Unternehmen, allesamt 100 % Töchter der Gemeinde Wien, noch genug schlaflose Nächte bereiten. Nicht unwidersprochen dürfen aber zwei Aussagen der Vize­ bürgermeisterin bei der erwähnten Pressekonferenz bleiben: Es handle sich erstens nicht um eine architektonische Aufgabe, sondern „um einen Industriebau mit vorgehängten Kulissen“, weshalb „der Fachbeirat für Stadtgestaltung nicht mit dem Projekt zu befassen sei“. Und zweitens hätte die Firma Explore bei einem früheren Wettbewerb einen Preis erhalten, weshalb vom Vergaberecht her nichts gegen die Beauftragung spreche. Zum Ersten: Wenn ein Projekt dieser Dimension vor dem Wahrzeichen der Stadt nicht vor den Fachbeirat muss, kann man ihn gleich auflösen. Dazu kommt, dass Erlebniswelten heute zu den zentralen Aufgaben der Architektur gehören. Frank Gehry hat für Disney gebaut, die BMW-Welt in München ist nichts anderes als ein automobiler Themenpark. Die Schweizer EXPO 2002 war von Architekten wie Jean Nouvel, Diller + Scofidio und Coop Himmelb(l)au gestaltet. Gut vorbereitet könnte auf dem Riesenradplatz ein Projekt entstehen, das neue Raum-, Wahr­ nehmungs- und Erlebnisformen zum Inhalt hat und statt des „Wien um 1900“-Images eines entstehen lässt, das im 21. Jahrhundert angekommen ist. Zum Zweiten: Wie schon ein Kontrollamtsbe­ richt 2006 bestätigte, gab es für den Masterplan zur Entwicklung des Praters nie ein reguläres Verfahren. Zwar befasste sich der Bericht mit dem Auftrag an Emmanuel Mongon, der für sein Prater­konzept – von dem heute nicht viel mehr übrig ist als das Motto „Wien um 1900“ – schließlich 1,35 Millionen Euro plus Spesen kassierte. Dieselbe Erkenntnis gilt aber auch für die Firma Explore, die im damaligen „Ideenfindungsprozess“, in dem es weder Jury noch klare Beurteilungskriterien gab, einen Geldpreis erhalten hat, auf den man sich jetzt beruft. Der Architekturwett­ bewerb – zu dem sich die Gemeinde Wien in einer vorbildlichen, im Gemeinde­rat einstimmig verabschiedeten Leitlinie bekannt hat – ist ein zu wertvolles Instrument, um ihn mit dem Pfusch in einen Topf zu werfen, den sich die Stadt hier geleistet hat. Dem Vorplatz des Wurstelpraters hilft diese Erkenntnis wenig. Um den zu retten, bräuchte man heute wohl einen echten Zauberer.

19 / 05 / 2007   

KARSTADT IN BUXTEHUDE Was heißt Ensembleschutz? Das neue „Kaufhaus Tyrol“ und wie es sich zur ehrwürdigen Maria-Theresien-Straße hin artikulieren soll: ein Beispiel aus Innsbruck.

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nnsbruck steht vor einer Entscheidung über die Zukunft seiner Innenstadt. Im Jahr 2004 kaufte der Immobilien­ entwickler René Benko das heruntergewirtschaftete „Kaufhaus Tyrol“, das an der Maria-Theresien-Straße im Zentrum der Stadt liegt. Im angrenzenden Hof soll das Kaufhaus um 20.000 m2 zu einem Shoppingcenter erweitert werden. Der Investor wollte zwar keinen Wett­ bewerb ausschreiben, einigte sich mit der Stadt aber auf eine Projektbegleitung durch einen Gestaltungsbeirat, den sich Innsbruck – mangels eines eigenen – aus Salzburg „lieh“. Vorsitzende des Salzburger Beirats ist die aus Tirol stammende Architektin Marta Schreieck, die zusammen mit ihrem Partner Dieter Henke den Innsbrucker Qualitätsmaßstab für zeitge­nös­ sisches Bauen im historischen Umfeld gesetzt hat – die 1999 fertig­ gestellte sozialwissenschaftliche Fakultät. Das Ergebnis der ersten Projektphase ist ein amöboides Gebilde, das den Hof weitge­­ hend aus­füllen wird. Formal orientiert sich der von Johannes Obermoser entworfene „Blob“ an erfolgreichen Artgenossen wie dem Kunsthaus Graz und dem Kaufhaus Selfridges in Birmingham, die ihre weichen Rundungen ebenfalls in einer kantigen Nach­ barschaft ausbreiten dürfen und beim Publikum enormen Zuspruch finden. Dass die drei bestehenden Gebäude des Kaufhauses zur MariaTheresien-Straße weder formal noch – aufgrund der Geschoss­ höhen – funktionell ein geeigneter Abschluss für diesen Blob sein würden, war offensichtlich. Man einigte sich mit der Stadt darauf, zwei der drei Häuser abzureißen und für deren Ersatz samt An­ schluss an den Blob einen Wettbewerb auszuschreiben. Noch wäh­ rend der Ausschreibung wurde bekannt, dass der Leiter der Tiroler Denkmalschutzbehörde, Landeskonservator Franz Caramelle, für die Maria-Theresien-Straße ein Ensembleschutzverfahren

Innsbruck, MariaTheresien-Straße: Fassadenentwürfe von Neumann / Hueber ... Foto: Staschen / Neumann + Partner

… sowie der Gruppe BEHF … Foto: BEHF

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… und das künftige Dahinter: der Blob von Johannes Obermoser Foto: Johannes Obermoser

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eingeleitet hatte und dieser Schutz im September 2006 ausge­ sprochen worden war. Man entschied sich, den Wettbewerb trotz­ dem durchzuführen. Ziel des Ensembleschutzes ist ja der Schutz eines Gesamteindrucks und nicht der jedes einzelnen Elements, das zu diesem Eindruck beiträgt. Angesichts der wechselvollen Baugeschichte der Straße, in der vieles aus dem 20. Jahrhundert stammt, hoffte man auf ein zeitgemäßes Projekt, das den spezifischen Rhythmus der Straße aufnimmt, ohne etwas Bestehendes zu kopieren. Das Ergebnis des Wettbewerbs war von Anfang an kontroversiell. Das Wiener Architektenteam BEHF hatte eine Art Gletscherwand entworfen, mit großformatigen, rechteckigen Öffnungen und vielen runden Bullaugen, die ein Motiv der Blob-Fassade wiederholen. Die Anbindung an einzelne Linien der Nach­ barschaft ist zwar vorhanden, ebenso die Teilung der Fassade in drei durch Knick­ falze voneinander abgesetzte Bereiche, insgesamt überwiegt aber der Eindruck einer liegenden Figur. Andere im Wettbewerb favorisierte Projekte wie etwa jenes von Rainer Pirker hatten zurückhaltender auf den Rhythmus des Ensembles reagiert, aber auch sie hätten den Betrachter spüren lassen, dass hinter ihnen etwas für den Ort bisher Unerhörtes liegt, nämlich eine Einkaufswelt von 20.000 m2. Der Aufschrei des Denkmalamts folgte prompt. Der Investor, René Benko, versprach eine Weiterentwicklung des BEHFProjekts. Parallel dazu wandte sich die Berufungsbehörde an den Denkmalbeirat, ein vom zuständigen Ministerium bestelltes ehrenamtliches Expertengremium, das vor jedem Abbruchbescheid gehört werden muss. Dessen Vorsitzender, Friedmund Hueber, wurde per Schreiben vom 7. Februar 2007 ersucht, ein Gutachten über die „Ensembleverträglichkeit des geplanten Objektes und gegebenenfalls Skizzierung einer Lösungsvariante“ zu erstellen. Am 12. April lag das Gutachten vor, in dem Hueber bereits zu einem neuen Lösungsvorschlag Stellung nehmen konnte, den Benko beim Wiener Architekten Heinz Neumann in Kooperation mit Hueber selbst in Auftrag gegeben hatte. Dass Hueber damit gewissermaßen über sich selbst urteilen durfte, ist vom Denkmal­ schutzgesetz gedeckt, in dem sogar explizit darauf verwiesen wird, dass Mitglieder des Denkmalbeirats als Konsulenten heran­ gezogen werden können. Wenn es einen Anlass gebraucht hat, das Gesetz in diesem Punkt zu ändern, ist er jetzt gefunden. „Karstadt in Buxtehude“ gehörte noch zu den harmloseren Kommentaren, die unter Innsbrucker Architekten zirkulierten, als das Projekt vor zwei Wochen öffent­ lich wurde. Die ganze Lebendigkeit der umgebenden Fassaden ist hier zu einer Ansammlung von Phrasen erstarrt. Das sieht auf den ersten Blick harmlos aus, erzeugt aber bei längerem Hinsehen Depressionen. Die Vergangenheit, auf die Hueber sich hier beruft, war immer schon vergangen und tot, ohne Widersprüche

und innere Spannungen. Dieses Phantom eignet sich bestenfalls als Dekor für eine Shoppingwelt, in der auch Atmosphäre, Rituale und räumliche Qualität zur Ware geworden sind. Ob das Bundesdenkmalamt (BDA) dieser Fassade seinen Segen erteilt hätte, ist unklar: Der Bescheid ist direkt von der zustän­ digen Ministerin, Claudia Schmied, unterschrieben. Da sich die führenden Beamten des BDA stets gegen jede Art des „Fassadismus“ ausgesprochen haben, also gegen die Praxis, nur die Fassaden historischer Gebäude zu erhalten, sollte das Urteil in diesem Fall klar sein: Ein „Fassadismus“ zweiter Ordnung, der dem Bestand das eigene tiefe Niveau unterstellt und ihn damit herabwürdigt, ist noch weit weniger zu tolerieren. Der Ball liegt derzeit beim Investor, der ein Danaergeschenk in Händen hält: einen Abbruchbescheid für die beiden Bestands­ bauten, der allerdings zwingend an die Errichtung des Neumann/ Hueberschen Projekts gebunden ist. Jüngste Ankündigungen lassen vermuten, dass er das den Innsbruckern nicht zumuten will. Von weiteren Verhandlungen mit dem Ministerium und seinen Beamten, von einer grundsätzlichen Diskussion über den Umgang mit dem Ensembleschutz und von einem neuerlichen Wettbewerb mit internationaler Starbesetzung ist die Rede. Dass es möglich ist, sogar unter noch strikteren Bedin­gun­gen anspruchsvolle Projekte im geschützten Ensemble zu reali­sieren, hat sich vor Kurzem in Graz gezeigt. Dort vergrößert das traditions­ ­reiche Kaufhaus Kastner & Öhler seine Verkaufs­flächen im Zentrum der Stadt von 30.000 m2 auf 40.000 m2 nach einem Wett­ bewerbsentwurf des spanischen Teams Nieto/Sobejano. Kritik gab es auch hier, aber nach einigen Veränderungen, die dem Projekt nicht geschadet haben, kann sich Graz auf eine spannende Bereicherung seiner Dachlandschaft freuen – und das alles mitten im UNESCO-Weltkulturerbe der Grazer Altstadt.

AUSGEFÜHRT WURDE SCHLIESSLICH KEINER DER BEIDEN ENTWÜRFE: DER INVESTOR VERGAB DEN AUFTRAG DIREKT AN DEN BRITISCHEN ARCHITEKTEN DAVID CHIPPERFIELD.

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05 / 05 / 2007   

BAROCK FÜR DIE FISCHE

Zwei Entwürfe für ein Flusskraftwerk in Salzburg: das Kraftwerk als schöne Maschine und ein ästhetischer Tribut an die Kraft des Wassers. Die Jury hat sich für den barocken Überschwang entschieden.

W

ird heute von „Kunst“ gesprochen, so bezieht sich das so gut wie immer auf die Welt der Konzertsäle, Museen und Theater. Kaum jemand erinnert sich daran, dass es einmal durch­aus üblich war, zwischen „schönen“ und „nützlichen“ Künsten zu unter­ scheiden. Im 18. und 19. Jahrhundert 27

hat sich im Bereich des Bauens aus dieser Unterscheidung eine Demarkationslinie zwischen Architekten und Ingenieuren entwi­ ckelt, die bis heute nachwirkt. Fürs Schöne, so die geläufige Meinung, sind die Architekten zuständig, fürs Nützliche die Inge­ nieure. In Bereichen wie dem Straßenbau oder dem Wasserbau ist die ästhetische Komponente damit in der allgemeinen Wahr­ nehmung fast vollständig in den Hintergrund getreten. Wer wollte schon ernsthaft behaupten, dass eine Autobahn oder ein Kanal schön sein müssten? Die geringen ästhetischen Ansprüche, die an sogenannte „Infrastrukturbauten“ gestellt werden, wären verschmerzbar, würde es sich dabei tatsächlich um unsichtbare Strukturen handeln. Das ist freilich nicht der Fall: Außerhalb der historischen Zentren von Städten und Dörfern sind es vor allem diese Bauten, die unserem Lebensraum Gestalt geben, und nur einer kollektiven Technisches Implantat mit Auwald-Anknüpfung: Kraftwerk-Siegerprojekt von Erich Wagner / Max Rieder Foto: Max Rieder

Autosuggestion ist es zu verdanken, dass wir das oft gar nicht mehr wahrnehmen. Erst wenn diese Infrastruktur in kurzer Zeit zu wuchern beginnt und ins gewohnte Bild drängt, wie das derzeit an Österreichs Autobahnen durch den Einbau von Lärmschutz­ wänden geschieht, wird die Öffentlichkeit ein wenig unruhig. Da sind die Fehler aber meist nicht mehr korrigierbar. Denn die ästhetische Qualität eines Infrastrukturbauwerks ist nichts, das sich im Nachhinein dazukaufen ließe. Sie wird bereits in Projektphasen geformt, in denen noch nichts zu sehen ist, vor allem in der raumplanerischen und städtebaulichen Konzeption, aber auch auf Nebenschauplätzen, die scheinbar nichts mit Ästhetik zu tun haben. So geht der aktuelle Bauboom bei Lärm­ schutzwänden auf eine unscheinbare Ziffer zurück, mit der der damalige Wirtschaftsminister Johannes Farnleitner 1999 den zulässigen Lärmpegel für die Anrainer von Autobahnen um fünf Dezibel und damit auf den strengsten Wert Europas herabsetzte: Sicher eine Entlastung für die Anrainer, vor allem aber eine Freude für die Bauwirtschaft, die heute im Auftrag der ASFiNAG Lärmschutzmaßnahmen von über 400 Millionen Euro pro Jahr ausführen darf, ein beträchtlicher Teil davon zur Sanierung von Mängeln in der Raumplanung und Flächenwidmung. Die Lehre aus solchen Entwicklungen kann nur darin bestehen, die saubere 28

Trennung zwischen Schönheit und Nützlichkeit aufzugeben und auch Infrastrukturbauten von Anfang an als sowohl technische wie gestalterische Problemstellungen zu behandeln. Wie produktiv die Diskussion sein kann, in die man dabei gerät, zeigt der soeben entschiedene Wettbewerb für das neue Flusskraftwerk im Salzburger Stadtteil Lehen. Ähnlich wie beim Beispiel der Lärm­ schutzwände geht es auch hier nicht nur um den primären Nutzen, nämlich die Energiegewinnung, sondern zugleich um die Sanierung von Umweltfolgen. Denn an sich liegt die erreichbare Fallhöhe des Wassers an dieser Stelle mit 6,5 Metern deutlich unter dem Wert von neun bis zehn Metern, ab dem üblicherweise ein solches Kraftwerk errichtet wird. Sein Zweck besteht allerdings nicht nur in der Energiegewinnung, sondern auch in der Erhaltung des Schotterbetts der Salzach, das inzwischen gefährlich dünn geworden ist. Würde die Strömung nicht durch eine neue Stau­ stufe verlangsamt, wären umfangreiche und teure Sanie­rungs­­ maßnahmen an der Fluss-Sohle nötig gewesen, um die Gefahr eines Einbruchs der Uferböschungen zu verhindern. Technisch besteht ein solches Kraftwerk aus einem Wehr, dessen Tore im Hochwasserfall geöffnet werden können, einem Krafthaus mit Kaplanturbinen, einer Wartungsbrücke, die für einen 90-Tonnen-Kran zum Austausch von Systemteilen befahrbar sein muss. Dazu kommt eine Fischtreppe, die eine Unterbrechung des Ökosystems verhindert. Städtebaulich liegt das Kraftwerk an einem spannenden Punkt: Auf der einen Seite befindet sich ein dicht besiedeltes Wohngebiet, auf der anderen ein Stück Auwald, das die bisherige Flussregulierung überlebt hat. Im geladenen Wettbewerb, den die Salzburg AG ausgeschrieben hatte, blieben nach der ersten Phase noch zwei Projekte übrig, die völlig unterschiedlich an die Aufgabe herangingen. Dietmar Feichtinger, aus Graz stammender Architekt mit Büro in Paris, gestaltete das Kraftwerk als schöne Maschine: Die Wehrpfeiler stemmen sich gegen die Wasserwand, alle Energie fließt ins Kraft­ haus, das mit seinen elegant abgerundeten Kanten eine eigen­ ständige Figur am Ufer am Auwald bildet. Die Verbindungsbrücke ist eine leichte Stahlkonstruktion mit aufgelöstem Tragwerk, über dem mittig eine befahrbare Betonplatte mit beiderseitig beglei­ tenden, begehbaren Holzrosten liegt. Erich Wagner und Max Rieder geht es dagegen vor allem darum, die Kraft des Flusses zu zeigen, als würde er über die Schwelle stürzen und sprudeln. Ihre Wehrpfeiler sind weit fluss­ abwärts gezogen, wie von der Strömung mitgerissen, und bäumen sich über dem Wehr zu mächtigen, zur Stadt blickenden und von dort sichtbaren Skulpturen auf. Im Projekt der ersten Stufe bestanden diese Skulpturen noch aus zwei Teilen, 70 Meter langen, schmalen Metallsegeln, die auf dynamisch geformten Wehr­ pfeilern aus Beton auflagerten. Im endgültigen Projekt sind die Wehrpfeiler deutlich verkürzt, die Skulpturen vereinfacht und aus den Metallsegeln ist eine spiegelnde Verblechung der Schnitt­ flächen geworden. Rüdiger Lainer, der Vorsitzende der Jury, hatte Max Rieder in Anspielung an zwei Barockarchitekten unterschied­ lichen Temperaments ersucht, sein Projekt in der Überarbeitung 29

„von Borromini in Richtung Bernini zu domestizieren“. Am Ende hat sich die Jury gegen die schöne Technik und für den barocken Überschwang entschieden. Das Projekt von Wagner und Rieder ist jedenfalls die signifikantere Lösung: Nachts beleuchtet, wird es weithin sichtbar sein, und die kleinen, über Treppen erreichbaren „Strandkörbe“, die Rieder in die Pfeiler integriert hat, bieten den Spaziergängern umgekehrt einen Blick übers Wasser. Auch die Anknüpfung an den Auwald ist geschickt gelöst, das Kraftwerk wirkt als hartes technisches Implantat, in dem die Fischtreppe pulsiert und den Fischen ein wenig Ausblick auf den Barock bietet. Jetzt muss die Salzburg AG nur noch beweisen, dass sie auch die Kosten für ihren Ausflug ins Skulpturale zu tragen bereit ist. In einer Stadt, die mit der „schönen Wasserbaukunst“ schon seit dem frühen 17. Jahrhundert vertraut ist, als der Fürsterzbischof Markus Sittikus im Schlosspark von Hellbrunn die berühmten Wasserspiele anlegen ließ, sollte das kein Problem sein.

31 / 03 / 2007   

DIE GUTEN, DIE BÖSEN UND DIE DUMMEN

Projekte, Proteste und weit und breit kein Konzept: Der Augartenspitz soll bebaut werden, nur wie? Die jüngsten Pläne lassen nichts Gutes erwarten.

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n Unfälle solcher Art hat man sich inzwischen gewöhnt: Architektur, die aussieht, als wäre sie aus einem Zusammenprall entstanden, voller schräger Durchblicke und dramatischer Zuspitzungen. Das Projekt, mit dem die Wiener Sängerknaben sich im Augarten endlich eine eigene Spielstätte schaffen wollen, fällt in diese Kategorie. Johannes Kraus vom Atelier archipel, von dem der Entwurf für den kleinen, zur Hälfte unter die Erde abgesenkten Konzertsaal für 430 Plätze stammt, hat bei Coop Himmelb(l)au gearbeitet, unter anderem am Dresdner UFA-Palast. Dass er auch bei Hans Hollein studiert und assistiert hat, merkt man seinem Entwurf dort an, wo er die Zackigkeit mit ein wenig Zuckerguss garniert, etwa an der Eingangslösung mit dem kleinen versenkten Wasserbecken, das den äußersten Augartenspitz markiert. Für die Wiener Sängerknaben wäre dieses Projekt eine Revolution, wenn es denn tatsächlich ihren Aufbruch zu einem neuen Selbstbild jenseits des klassischen Repertoires bedeuten würde. Das scheint zwar so wahrscheinlich wie Lipizzaner, die nach einer Choreografie von Pina Bausch tanzen, aber umso mehr würde man diesem Denkmal der österreichischen Identität einen innovativen Schub wünschen. Wirklich froh kann man mit dem Projekt trotzdem nicht werden. Es zwängt sich zu sehr auf sein Eckgrundstück und

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Dekonstruktive Zuspitzung, mit Zuckerguss abgemildert: Entwurf für den neuen Konzertsaal der Wiener Sängerknaben auf einer Eckparzelle des Augartens, am Horizont die beiden Flaktürme Foto: archipel

hat kein angemessenes Vorfeld. Dazu kommt ein städtebauliches Problem. In Kürze wird in unmittelbarer Nähe eine Station der verlängerten U-Bahn-Linie U2 eröffnet. Das ist optimal für die Erreichbarkeit, zugleich würde sich aber an dieser Stelle ein logischer neuer Zugang in den Augarten ergeben. Eine Baumasse genau hier ist ein falsches Signal, auch wenn das Projekt einen seitlichen Zugang am Saaleingang vorbei vorsieht. Die städte­ baulich sinnvollere Lösung liegt auf der Hand: Der Spitz bleibt frei, somit auch der Blick in den Park und auf ein gründerzeitliches Gebäude, das mit seinem Turm und schrägem Baukörperzuschnitt genau auf diese Situation reagiert. Und der Saal wird in den Augarten zurückversetzt, immer noch nahe genug zur U-Bahn, aber dann mit einem angemessenen Vorfeld und eingebettet in die Gartenlandschaft. Dass diese Lösung nicht gewählt wurde, kann man allerdings nicht den Architekten vorwerfen. Denn die Geschichte des Projekts ist eine Schleuderfahrt, die seit dem Jahr 2000 andauert und bei der schon so viele Akteure ins Lenkrad gegriffen haben, dass es schwerfällt, die Übersicht zu behalten. Im Zeitraffer: Eine von den Gartenarchitekten Maria Auböck und János Kárász im Jahr 2000 für den Bereich des Augartenspitzes verfasste Studie schlägt vor, anstelle der bestehenden Flächenwidmung, die hier die Errichtung eines viergeschossigen Schulbaus gestattet hätte, eine Bebauung von 30 % der Fläche zuzulassen, allerdings mit einer deutlichen Beschränkung der Bauhöhe. Das ist vom histo­ rischen Bestand her durchaus legitim, befanden sich hier doch bis in die 1970er-Jahre die ehemaligen Gesindehöfe des Augarten­palais. Eine entsprechende Widmung wird 2002 im Gemeinderat beschlossen. Als voraussichtlicher Nutzer sieht sich das Filmarchiv Austria, das in den straßenseitigen Gesindetrakten untergebracht ist und einen eigenen Kinosaal und Ausstellungsflächen zu errichten plant. Sein Direktor, Ernst Kieninger, beginnt mit dem Architektenteam Fasch & Fuchs ein entsprechendes Projekt zu entwickeln. Dafür gibt es aber nach dem Regierungswechsel im 31

Jahr 2000 kein Geld mehr vom Bund, und die Stadt Wien möchte nicht als Alleinfinanzier auftreten. Vier Jahre später tritt ein anderer Interessent auf den Plan. Die Wiener Sängerknaben haben in Peter Pühringers POK Privatstiftung einen Sponsor gefunden, der zuerst die Sanierung des Augartenpalais unterstützt und dann einen kompletten neuen Konzertsaal zu finanzieren bereit ist. Ein erstes Projekt, den Saal direkt vor dem Palais unter die Erde zu verlegen, scheitert an zu hohen Kosten. Die Idee, die bestehende Widmung am Spitz zu nutzen, ist nahe liegend. Denn der Eigentümer ist auch dort der Bund, der den Park über die Burghauptmannschaft und über das Bundesgartenamt verwaltet. Die POK beauftragt die Architekten von archipel, Vorstudien für zwei Standorte zu entwickeln, einerseits auf den Flächen der ehemaligen Gesindetrakte, andererseits am Augartenspitz. Die Gesprächsbasis mit dem Filmarchiv ist anfangs gut, beide Partner lassen von ihren Architektenteams Studien ausarbeiten, wie eine gemeinsame Realisierung ihrer Vorhaben aussehen könnte. Fasch & Fuchs erweitern im Auftrag Kieningers ihr Projekt um einen Saal für die Sängerknaben, wobei allerdings die vorgeschrie­ bene 30 %-Grenze überschritten wird. Archipel schlagen 2005 ein durchaus attraktives Landschaftsrelief mit aufgefalteten Ebenen im Garten vor, das beide Nutzungen parallel zum derzeitigen Filmarchiv unterbringt. Dass in diesen Projekten die Erwartungen der jeweils anderen Seite auf dem knappen Grundstück nicht ohne Abstriche befriedigt werden, ist nicht weiter verwunderlich und hätte eine vermittelnde Moderation gebraucht. Grund für den bald erfolgten Abbruch der gemeinsamen Projektentwicklung ist letztlich die Tatsache, dass das Filmarchiv kein Budget für einen Zubau hat und die POK nicht daran interessiert ist, zusätzlich zum Saal für die Sänger­ knaben eine Erweiterung des Filmarchivs zu finanzieren. Am 16. Februar 2002 findet eine Sitzung mit Vertretern des Bundes, der Stadt, des Denkmalamts und der Bundesgärten statt, bei der sich Georg Rizzi und Brigitte Mang, die Vertreter von Denkmal­ amt und Bundesgärten, strikt gegen eine Verbauung im Park aussprechen und nur den Standort am Spitz akzeptieren. Auf dieser Basis verfolgt die POK das Projekt weiter. Mit der Konkretisierung des Projekts wächst auch der Unmut der Bürgerinitiativen in der Umgebung, die schon lange vergeblich ein Augartenkonzept gefordert haben, in dem Bund, Stadt und Bezirk deklarieren, wie eine verstärkte Öffnung des Augartens für die Anrainer aussehen könnte. Dem „bösen“ Investor Pühringer, der die Halle, die nach 67 Jahren ins Eigentum des Bundes übergehen wird, mit elf Millionen Euro finanziert, wird unterstellt, privatwirtschaftliche Interessen mit dem Projekt zu verfolgen. Er wolle hier einen Konzertbetrieb aufziehen und damit massiven zusätzlichen Verkehr in den Bezirk bringen. Die Initiative Bau­ stopp will daher jede Verbauung des Areals verhindern. Parallel dazu erwacht allerdings das Projekt des Filmarchivs in einer Allianz mit der Viennale und dem Stadtkino zu neuem Leben. Ernst Kieninger erhält zuerst in Gesprächen mit den Stadträten Mailath und Schicker und im Juni 2006 mit Bürgermeister Häupl Signale, 32

dass die Stadt das Projekt unterstützt, und lässt von zwei weiteren Architektenteams, Delugan-Meissl und Oskar Leo Kaufmann, Vorschläge ausarbeiten. Den spektakulären, 25 Meter hohen Gerüstturm mit minimalem Parkverbrauch, den Kaufmann vor­ schlägt, wagt Kieninger der Öffentlichkeit gar nicht vorzustellen. Für das Projekt von Delugan-Meissl, eine sanfte Faltung, die dem Landschaftsrelief von archipel nicht unähnlich ist, gelingt es ihm aber sogar, die Unterschriften der Bürgerinitiativen in der Umgebung zu bekommen. Womit die Situation einigermaßen verfahren scheint. Der Bürgermeister hat in der „Kronen Zeitung“ inzwischen erklärt, dass „der Platz für die Sängerknaben“ ist. Einen Plan, steuernd einzugreifen, hatte die Stadt in der Sache offenbar nie. Einen städtebaulichen Plan auch nicht, sonst hätte sie ihre Beamten, die eine Bebauung des Spitzes für eine schlechte Lösung halten, nicht aus Angst vor Bürgerprotesten daran gehindert, klar für eine ebenfalls widmungskonforme Bebauung im Park zu plädieren, statt der starren Haltung von Denkmalamt und Bundesgärten kampflos das Feld zu überlassen. Die jüngst erfolgte Erklärung der Sängerknaben, ihr Projekt mit Rücksicht auf das Denkmalamt noch einmal überarbeiten und damit verharmlosen zu lassen, lässt nichts Gutes erwarten, genauso wenig wie die angelaufene Kampagne, das „gute“ Film­ archiv gegen die „bösen“ Sängerknaben und ihren reichen Sponsor auszuspielen. Die Projektbetreiber sollten sich nicht in eine Konfrontation jagen lassen, sondern von der öffentlichen Hand, also von Bund und Stadt gemeinsam, verlangen, was schon seit Jahren deren Aufgabe wäre: die öffentliche Sache zu vertreten und sich dabei weder von der lautesten Bürgerinitiative noch von der großzügigsten privaten Spende die Verantwortung abnehmen zu lassen. Das verlangt professionelle Verfahren, auch einen nach den von der Fachwelt anerkannten Regeln durchgeführten Architek­ turwettbewerb, den es trotz der vielen Projekte hier bisher nicht gab. Die Gefahr, dass die Möglichkeiten, die dieser Ort für die Stadt und den Bezirk bietet, überhaupt nicht genutzt werden, ist groß. Die Dummen, das wären am Ende wir alle.

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24 / 02 / 2007   

OPERATION GELUNGEN, PATIENT TOT

Das Hanuschkrankenhaus hat endlich eine Garage und einen behindertengerechten Zugang bekommen. Wie das Gebäude nun aussieht? Egal, scheint’s. Wie man einen historischen Ort ruiniert – mit dem Segen des Denkmalamts und der Wiener Stadtplanung.

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er Patient war schon einigermaßen in die Jahre gekom­ men: Geboren 1914, als geistiges Kind zweier OttoWagner-Schüler, der Architekten Hermann Aichinger und Heinrich Schmid, hatte er als Truppenspital der k.u.k. Armee gedient, bevor er 1918 in zivile Dienste übertrat. Nach einem militärischen Zwischenspiel während des Zweiten Welt­ kriegs steht er seit 1945 im Dienst der Wiener Gebietskranken­ kasse. Aus dem Erzherzog-Rainer-Spital der Monarchie wurde das Hanuschkrankenhaus der Zweiten Republik. Die Anatomie dieses Gebäudes ist außergewöhnlich. Es besteht aus vier, ursprünglich nur durch Loggien verbundenen Pavillons mit jeweils eigenem Eingang. Drei Pavillons bilden eine geschwun­ gene Fassadenflucht nach Südosten, während der vierte als mächtiger Block hinter dieser Front aufragt. Die Architektur­ sprache des Gebäudes ist weit konservativer als jene, die die beiden jungen, zur Errichtungszeit knapp 30-jährigen Architekten bei Otto Wagner gelernt hatten. Sockelzone und Portale geben sich noch ganz klassizistisch, obwohl die Risalite darüber bereits eine höchst eigenwillige Formensprache entwickeln, die ursprünglich durch die dunkle Putzfarbe der Obergeschosse akzentuiert wurde. Auf dem hangabwärts angrenzenden Grundstück errichteten Aichinger und Schmid 1927–29 eines ihrer Hauptwerke, den Somogyihof, mit dem sie sich als eines der wichtigsten Architek­ tenteams des „Roten Wien“ aus­weisen. Die großzügige, geschickt ins Gelände gesetzte Abfolge von Wohnhöfen ist maßstäblich äußerst sensibel und wirkt trotz ihrer weitgehenden Symmetrie weniger monumental als andere Anlagen der Zeit. Mit dem Krankenhaus und dem Somogyihof stehen sich zwei herausragende Projekte derselben Architekten aus unterschiedlichen Epochen gegenüber. Dass die Hauptachse des Wohnhofs genau auf den Mittelrisalit des Krankenhauses ausgerichtet ist, versteht sich

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beinahe von selbst. Beide Objekte stehen unter Denkmalschutz. Der Somogyihof wurde kürzlich inklusive der Gartenanlagen minutiös restauriert. Für ein Krankenhaus ist der Denkmalschutz naturgemäß eine größere Herausforderung als für den Wohnbau. Das Hanusch­ krankenhaus ist zwar kompakt und äußerst effizient organisiert. So gibt es etwa keine repräsentativen Treppenhäuser, sondern – typisch für den Nutzbau der späten Monarchie – ein rein funk­ tionell bestimmtes Erschließungssystem. Die Anpassung an neue Anforderungen der Logistik und Behindertengerechtigkeit ist aber naturgemäß schwierig. Dazu kam das Problem der Zugäng­ lichkeit des Krankenhausareals insgesamt. Aichinger und Schmid hatten dem Baukörper eine Art breites „Glacis“ nach Südosten vorgelagert, das über eine ansteigende Zufahrtsstraße durch­ quert werden musste, bevor man einen der Pavillons betreten konnte. Die Anforderungen des PKW-Verkehrs hatten die Architekten dabei nicht voraussehen können. Die Freiflächen vor dem Gebäude entwickelten sich zusehends zu einem Parkplatz fürs Personal, während in den umgebenden Straßen jener Teil der täglich insgesamt 1.500 Ambulanzbesucher auf Parkplatzsuche kreiste, der unbedingt mit dem PKW anreisen wollte. Für eine Garage, die dieses Problem lösen könnte, kam aufgrund des beengten Grund­ stücks nur die Fläche des „Glacis“ in Frage. Und wenn man hier schon eine Tief­garage plant, so dachte sich die Krankenhausleitung, dann sollte man sich doch gleich um einen neuen Eingang ins Gebäude kümmern, mit behindertengerechtem Zugang und einer Cafeteria für die Patienten. Weil für die Gebietskrankenkasse die Finanzierung einer Garage aus eigenen Mitteln nicht in Frage kam, entschied man sich dafür, einem privaten Immobilienentwickler, der MID-Gruppe

Beton- und Edelstahlgewitter über der Tiefgarage, konzeptlose Collage als Eingangslösung: der neue Zubau zum Hanuschkrankenhaus … Fotos: Anna Blau

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… und das zerstörte Eingangs-Glacis, hier auf einer Aufnahme von 1932

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des Kärntner Investors Walter Moser ein Bau­ recht für 99 Jahre zur Errichtung einer Garage zu übertragen. Das neue Eingangsgebäude auf diesem Garagensockel steht wieder im Eigen­ tum der Krankenkasse. Beide wurden von Walter Bachner, Haupt­gesellschafter der KordonRoth Ziviltechniker-Ges.m.b.H. geplant. Die Garage mit 400 Stellplätzen erhielt eine Genehmigung durch die Planungsbehörden, ohne dass eine umfassende Machbarkeitsstudie oder ein Ideenwettbewerb für stadträumlich und denkmalpflegerisch verträglichere Alter­ nativen verlangt worden wäre. (Dass eine Garage im Hang auch anders aussehen kann, wird etwa jeder Besucher des Landeskranken­ hauses Feldkirch bestätigen können.) Seit Kurzem kann das Ergebnis besichtigt werden. Am glücklichsten dürfen sich Besucher schätzen, die von der Heinrich-Collin-Straße aus direkt in die Garage und mit dem Lift weiter ins Gebäude fahren. Ihnen bleibt der Anblick erspart, der sich Fußgängern bietet, die das Areal durch das alte Torgebäude betreten. Anstelle der von Bäumen gesäumten Auffahrt findet sich eine steile Treppe mit begleitendem Rampen-Zick-Zack. Wer dieses Beton- und Edelstahlgewitter – an dem die angekündigte Begrünung nicht viel verbessern wird – überwunden hat, steht vor dem neuen Eingangsgebäude, einer jämmerlich konzeptlosen Collage von Versatzstücken aus Architekturjournalen der letzten 15 Jahre. Wo – so fragt sich der Besucher – waren hier das Denk­ malamt und die Magistratsabteilung 19, im Wiener Magistrat zuständig für Architektur und Stadtgestaltung? Das Denkmalamt erklärt sich für die Veränderung des Zugangs für unzuständig: Geschützt sei die Bausubstanz und nicht das Ensemble. Daher hätte man darauf gedrängt, den Anschluss an den Altbau mit einer leichten, demontabel wirkenden Glasbrücke zu bewerkstelligen. Alles andere, Garage und Eingangspavillon, sogar der durch die Hebung des Geländes entstandene Burggraben vor dem Altbau, gehe das Denkmalamt nichts an, so die zuständige Landeskon­ servatorin Barbara Neubauer. Die MA 19 beruft sich auf Anfrage darauf, dass sie eh das Schlimmste verhindert hätte: Die Garage hätte noch um eineinhalb Meter höher werden sollen. Die jetzige Lösung sei ein Kompromiss, da aufgrund von bestehenden Einbauten eine weitere Absenkung nicht möglich gewesen wäre. Und das Eingangsgebäude sei, so die beteiligten Beamten, ja eh ganz ordentlich geraten. Sind also am Ende gleichgültige Eigentümer und Investoren und ihre gestalterisch unfähigen Architekten schuld an diesem Desaster? Sicher zum Teil. Zerstört wurde die Qualität des Orts aber letztlich durch ein Multiorganversagen, bei dem Stadt­planung, Denkmalamt und MA 19 zwar formal korrekt, aber vorbei an ihrem eigentlichen Auftrag gehandelt haben.

27 / 01 / 2007   

SCHAUFELN FÜR DIE BAUKULTUR

Zum Thema Baukultur hat die neue Regierungserklärung nicht viel Konkretes zu bieten. Das Bekenntnis zur Förderung einer „qualitativen Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens“ macht zumindest Hoffnung.

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un wird alles anders: Ein neu geschaffenes Ministerium ist zuständig für „Umwelt, Innovation und Baukultur“. Ein unabhängiges „Kuratorium für Baukultur“ wird als Koordi­ nationsstelle die ganzheitliche Bewältigung der Querschnittsaufgabe Baukultur unter­ stützen. Und schließlich gibt es ein „ImpulsPaket für Baukultur“, das mit immerhin 73 Millionen Euro pro Jahr dotiert ist und von der Innovationsund Forschungsförderung bis zu einer Bildungs­offensive und zur Förderung des Planungsexports für die rasche Umsetzung bau­ kultureller Strategien sorgt. Ganz so, wie es sich die „Plattform für Architekturpolitik und Baukultur“, eine gemeinsame Initiative von Berufsvertretungen, Bildungseinrichtungen und Architekturzentren, im Herbst 2006 vor den jüngsten Nationalratswahlen gewünscht hat, ist es bekanntlich nicht gekommen. Im aktuellen Regierungsprogramm ist Baukultur nur mit einem Satz erwähnt. Im Kapitel über „Medien, Kunst, Kultur und Sport“ findet sich unter dem Stichwort „Architektur“ die lapidare Aussage: „Ausgehend vom Baukultur­ report wird die Bundesregierung Maßnahmen zur Verankerung qualitativer Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens setzen und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitge­ nössische Architektur forcieren.“ Das ist immerhin umfassend, wenn auch wenig konkret. Wer das Programm genauer liest, findet aber an unerwarteten Stellen Aussagen mit Architektur­ bezug: Die beabsichtigte Förderung von „Vielfalt im Wohnbau“, „umweltschonendem Wohnen“ und „erschwinglichen Wohnungen für junge Menschen“ hat im Justizkapitel Platz gefunden; die „thermische Sanierung sämtlicher Nachkriegsbauten bis 2020“ und die Ankündigung, dass ab 2015 nur noch Wohnungen gefördert würden, die dem „Klima-Aktiv-Passivhaus-Standard“ entsprechen, im Kapitel „Ländlicher Raum, Energie und Umwelt“; die Umsetzung harmonisierter Bauordnungen – beschränkt auf den Bereich „barrierefreies Bauen“ – im Kapitel „Soziales“; und die „Optimierung der Raumplanungspolitik zwischen Gemeinden, Land und Bund“ im Kapitel „Forschung, Technologie und Infrastruktur“. Es bleibt also alles beim Alten: Die Querschnitts­ materie Baukultur ist – ohne als solche genannt zu werden – 37

Honoratioren beim feierlichen Spatenstich: Wirtschaftsförderung und Klientelpolitik, das klassische Spiel. Und die Baukultur? Foto: media wien

aufgeteilt auf eine Vielzahl von Ressorts, und wenn das Wort Baukultur explizit ins Spiel kommt, wird es reflexartig dem Kunstbereich zugeordnet. Dort hat es aber nur wenig zu suchen. Baukultur muss ähnlich verstanden werden wie die Esskultur eines Landes. Esskultur beginnt dort, wo man nicht mehr allein deshalb isst, um satt zu werden. Sie drückt sich im persönlichen Geschmack aus, in der Lieblingsspeise, aber auch im Sozialen, in der Inszenierung eines gemeinsamen Essens oder eines Fests. Esskultur ermöglicht regionale kulturelle Unterscheidungen und stärkt damit lokale Identitäten. Weiter gefasst, bezieht sie heute auch globale Fragen mit ein, etwa ob die Zutaten unter ökolo­ gisch und sozial akzeptablen Bedingungen hergestellt und fair gehandelt wurden. Eines ist dabei wichtig: Schnitzel, Sushi und Spaghetti stehen für unterschiedliche Esskulturen, über deren jeweilige Vor- und Nachteile man diskutieren kann. Eine Tiefkühlpizza in der Mikro­welle zu wärmen und beim Fernsehen zu verschlingen, ist dagegen keine andere Esskultur, sondern gar keine. Wer nur isst, um satt zu werden, hat keine Kultur. Dasselbe gilt fürs Bauen: Wer nicht mehr will als ein Dach über dem Kopf und ein warmes, sauberes Zimmer, hat keine Baukultur. Sparsamkeit und Zweck­ mäßigkeit sind wichtig, aber wenn sie zu den zentralen, alles andere bestimmenden Faktoren werden, bleibt die kulturelle Qualität auf der Strecke. Zu Recht bedauern wir jeden, der sein Essen nur nach ihnen ausrichten muss. Beim Bauen sollte es nicht anders sein: Ohne ein Überschreiten des rein Zweckmäßigen gibt es keine Kultur. Das gilt auch für Bereiche des Bauens, die scheinbar wenig mit Baukultur zu tun haben. Eine Straße dient nicht nur dem Zweck, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Sie ist zugleich ein wichtiges Element der Kulturlandschaft und muss entsprechend sorgfältig trassiert und gestaltet werden. In der Landwirtschaft – aus deren Domäne der Begriff der „Kultur“ ja ursprünglich stammt – hat man dieses Prinzip längst begriffen. Österreichs Bauern sehen ihre Leistung nicht mehr allein im Ertrag ihrer Felder, sondern auch in ihrem immateriellen Beitrag zur Pflege der Kulturlandschaft, für den sie durchaus selbstbewusst 38

öffentliche Förderungen beanspruchen. Die Forderung der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur nach einer direkten, massiven Förderung der Baukultur war, so betrachtet, weniger überzogen, als sie auf den ersten Blick erscheint. Schon heute fließen ins Bauen enorme öffentliche Mittel, freilich ohne klare Qualitätsbindung. Im Jahr 2005 betrugen die Bruttoinvestitionen der öffentlichen Hand inklusive der immer zahlreicheren ausge­ gliederten Gesellschaften 5,5 Milliarden Euro, also rund 2 % des Bruttoinlandprodukts, dazu kommt die Wohnbauförderung. Die Verantwortung der öffent­lichen Hand, diese Beträge nicht nur zweckdienlich, sondern auch im Sinn der Baukultur einzusetzen, ist entsprechend groß. Um sie wahrzunehmen, müsste das klassi­ sche Spiel, Wirtschaftsförderung mit gut im Wahlkampf verkauf­ barer Klientelpolitik zu kombinieren, um den Faktor Bau­kultur erweitert werden. Dann ginge es freilich nicht mehr so sehr um Quantität, sondern vor allem um Qualität, also nicht nur darum, wie viele Alten­heime, Ortsumfahrungen und Volksschulen errichtet oder saniert wurden, sondern auch um die Frage, wie gut diese konzipiert, entworfen und ausgeführt sind. Das ist politisch aber riskant, weil Qualitätsdiskussionen gerne emotional und kontro­ versiell geführt werden. Die Absicht in der aktuellen Regierungserklärung, „qualitative Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verankern und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur zu forcieren“, ist, aus dieser Perspektive betrachtet, ein wesentlicher und sogar mutiger Schritt. Es wird darauf ankommen, wie er umgesetzt wird. Der Baukulturreport, von dem laut Regierungsprogramm dabei ausgegangen werden soll, liegt seit November 2006 vor. Seine breite Veröffentlichung als Buch und im Internet hängt – so die Gerüchteküche – nur noch von Budgetfragen ab, die in den nächsten Wochen geklärt sein sollten. Die Empfehlung, die Querschnittsmaterie Baukultur besser zu koordinieren und ein Impulsprogramm zu ihrer Förderung in die Wege zu leiten, wird sich wohl auch dort finden. Damit wären die nächsten Schritte vorgegeben. Es geht vor allem um die Bereit­ schaft, sich der ebenso mühsamen wie spannenden Qualitäts­ diskussion zu stellen und Investitionen der öffentlichen Hand so zu koordinieren, dass sie an Qualitätskriterien gebunden sind. Auf die erste gemeinsame Erklärung der Minister Schmied, Bartenstein, Pröll und Faymann zum Thema Baukultur darf man jedenfalls gespannt sein.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 40

23 / 12 / 2006   

WIE GUT IST GUT GEMEINT?

Kann Architektur die Welt verbessern? Oder ist das neokolonialer Zynismus? Eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum versucht, Antwort zu geben.

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berflächlich betrachtet könnten die beiden Projekte kaum unterschiedlicher sein: Auf der einen Seite ein kleiner Holzbau, von Studie­ renden der TU Wien als Kindergarten an der äußersten Peripherie Johannesburgs errichtet. Auf der anderen Seite eine Stahlskulptur über den Dächern von Wien, im Rahmen eines Entwurfsprojekts an der Universität für angewandte Kunst als Unterkonstruktion für eine künstliche Gartenlandschaft entwickelt. Hier sollen Migranten und Asylwerber einen Rückzugs- und zugleich Überblicksort finden. Zusammen mit einem ebenfalls auf die Bedürfnisse von Migranten angelegten Parkentwurf am Gaudenz­dorfer Gürtel ist der Dachgarten Teil des von Peter Sellars kuratierten New Crowned Hope Festivals anlässlich des MozartJahrs. Was die Projekte vereint, ist die Überzeugung, durch Architek­ tur zu einer besseren Welt beitragen zu können. Ein so hehres Ziel schützt in der Regel vor Kritik, und so fühlten sich viele der Beteiligten etwas vor den Kopf gestoßen, als das Architektur­ zentrum Wien kürzlich eine Ausstellung eröffnete, die zwar im Untertitel „Bauen für eine bessere Welt. 9 Projekte für Johannes­ burg“ heißt, jedoch unter dem kryptischen Haupttitel „Un Jardin d‘Hiver präsentiert. Bottom up“ zu einer radikalen Ideologiekritik architektonischer Weltverbesserungsversuche ansetzt. In der Ausstellung geht es um die Projekte, die in den letzten Jahren unter Vermittlung von Christoph Chorherr im Rahmen von Übungen an inzwischen fünf Architekturschulen – TU Wien, TU Graz, Kunst­ universität Linz, RWTH Aachen, TU Innsbruck und der Fach­ hochschule Kuchl – geplant und errichtet wurden. Peter Sellars’ New Crowned Hope Projekt kommt in der Ausstellung zwar nicht direkt vor, ist aber von der Kritik uneingeschränkt betroffen. Denn im Grunde, so schreibt Kurator Johannes Porsch im Begleit­ text zur Ausstellung, handle es sich um ein neokolonialistisches Unternehmen, das die prekäre Situation der Betroffenen „als ‚Rohstoff‘ von Kommunikation in Schauwerte verwandelt“ und so „kulturindustriell repräsentiert zirkulieren lässt“. Entsprechend bösartig interpretiert, wäre das Projekt, das Gregor Holzinger aus der Prix-Klasse für das Dach des Integrationshauses entworfen hat, nichts anderes als ein Monument des eigenen guten Willens, 41

Bauen für eine bessere Welt: auf dem Dach des Wiener Integrationshauses … Abbildung: Gregor Holzinger

das angesichts der realen Asylpraxis Österreichs nur als Zynismus gewertet werden kann. So wie in dem für die Ausstellung titelge­ benden Wintergarten des 19. Jahrhunderts Exotisches versam­ melt wurde, um „das Fremde“ für die eigene Weiterentwicklung zu vereinnahmen, würde sich – so Porsch – der Architektur- und Kunstbetrieb durch eine „rhetorische Kolonisierung in Wort und Bild“ zu erneuern versuchen. An den tatsächlichen Macht­ verhältnissen und Lebensbedingungen der Betroffenen ändere das nichts. In der Ausstellung sind die neun Bauprojekte folgerichtig an den Rand gedrückt, während im Zentrum der Ausstellung eine Materialsammlung über die Aneignung des Wilden und Fremden in der Architektur seit dem 19. Jahrhundert steht, die auch im Katalog abgedruckt ist. Wer bereit ist, sich durch den Jargon zu quälen, mit dem Porsch sich in der Einleitung uneingeweihte Leser vom Leib halten möchte, wird hier durchaus interessantes Material finden. Betrachtet man das Bild des Kindergartens genauer, scheint sich Porschs Verdacht zu bestätigen. Wird hier nicht jedes Klischee vom „armen Afrika“ bedient? Die beiden Schwarzen, die sich kein Auto, sondern nur einen Eselskarren leisten können. Der Müll, der Schlamm, die niedrige Hütte am Bildrand, in der bisher der Kindergarten untergebracht war, und dann endlich das Signal des Fortschritts, das die Wiener Architekturstudenten hier abge­ setzt haben, zweigeschossig mit diagonalem Schwung, sauber konstruiert und in nur sechs Wochen im Selbstbau errichtet. Bei allem Respekt vor der guten Absicht: Wessen Identität wird hier wirklich gestärkt? Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Das Bild stammt aus einem hervorragend aufgemachten Buch, in dem das KindergartenProjekt im Detail dokumentiert und die übrigen acht Projekte kurz vorgestellt werden. Pathetische Weltverbesserungsprosa sucht man hier vergeblich. Peter Fattinger, der an der TU Wien für die Orange-Farm-Projekte verantwortlich ist und dort mit Studierenden bereits vier Objekte errichtet hat, beschränkt sich auf eine sachliche Darstellung des Planungs- und Bauprozesses, Franziska Orso analysiert die städtebauliche Zonierung von Johannesburg und die spezielle Situation von Orange Farm als Beispiel der Stadtentwicklung nach Aufhebung der Apartheid. 42

… und in Orange Farm, Südafrika Foto: Peter Fattinger

Otto Kapfinger liefert schließlich in seinem Beitrag gewissermaßen eine Antwort auf Johannes Porschs Kritik. Tatsächlich gehe es in den Projekten nicht um Entwicklungshilfe, sondern um die Suche nach „fundierten Alternativen zu dem in der Publizistik wie in der universitären Pädagogik allgemein weit überschätzten und überrepräsentierten techno-narzisstischen Akademismus“. Spätestens seit Richard Buckminster Fuller die Architekten des 20. Jahrhunderts darauf aufmerksam gemacht hätte, dass sie auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben, sei das Thema vorgegeben: „To save this planet, we must learn to live more and more with less and less.“ Die Alternative zwischen dem Ingenieur als Weltbaumeister und dem „Bricoleur“ – also dem improvisie­ renden Bastler – sei heute überholt. Vielmehr würde die Bewälti­ gung der ökologischen Herausforderungen eine Verschmelzung von „rationalem“ und „wildem“ Denken erfordern, eine Intelligenz, die sich durch beide Sphären konkret durcharbeitet und dabei „Industriewelt und Bricoleurwelt eben nicht wechselseitig miss­ versteht oder nachahmt, sondern beides radikal – im tätigen Lernen voneinander – weiterentwickelt.“ In der Erkenntnis eines gemeinsamen Problems von so genannter „erster“ und „dritter“ Welt unterscheiden sich die aktuellen Versuche, Architektur als „soziale Kunst“ zu erneuern, grundlegend vom Exotismus des 19. Jahrhunderts, aber auch von den Tendenzen des 20. Jahrhunderts, das Wilde als „Rohstoff“ einer Zivilisationskritik zu instrumentalisieren. Welchen Über­ schuss an Form und Raum sich die Welt trotz aller ökologischen Herausforderung noch leisten kann, ist dabei eine zentrale Frage für die Architektur. Die dynamische Geste des Kindergartens oder den skulpturalen Überschwang des Dachgartens auf dem Integrations­haus von vornherein als Selbstverwirklichung der beteiligten Architekten oder als eitle Denkmäler guter Absichten zu denunzieren, greift zu kurz. Wenn Architektur ein Medium bleiben soll, das Menschen hilft, sich in der Welt zu orientieren, darf sie sich nicht aufs Anbieten des Existenzminimums beschränken: Das Überflüssige gehört zum Kern jeder Kultur. Über seine Verteilung zu streiten ist für den Architekturdiskurs sicher frucht­ barer als auf den Spuren Adornos in sich hineinzumurmeln, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ gibt.

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09 / 11 / 2006   

SCHÖN SCHIACH Nach Architektur sieht es nicht aus, aber was ist es dann? Das „Fluc“ am Wiener Praterstern: über den fast gelungenen Versuch, ein Haus zu bauen, ohne es zu gestalten.

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uch wenn es kaum mehr wahrnehmbar ist: Der Prater­ stern, einer der großen Verkehrsknotenpunkte Wiens, hatte einmal eine Form. Unter Josef II. 1786 als Sternplatz angelegt, folgte sein Grundriss einem Drei­ viertelkreis, aus dessen Zentrum strahlenförmige Alleen in die Aulandschaft führten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Form ausradiert, um die Funktion des Platzes zu verbessern. Die Bahn, die bis dahin der Kreisform gefolgt war, führt seit der Umgestaltung 1956 bis 1959 in Hochlage quer über den Platz, die sternförmigen Straßen sind in einen Verteilerkreis umgelenkt. Wer dessen Kontur genauer ansieht, entdeckt in der scheinbar rein funktionellen Verkehrsführung eine formale Präferenz, nämlich für die weich abgerundeten Geometrien der 1950er-Jahre. Man darf vermuten, dass im Radio gerade „Roll over Beethoven“ von Chuck Berry lief, als diese Nierentischkurve schwungvoll aufs Papier gebracht wurde. Seine ursprüngliche Konnotation als Grenze zur Wildnis ist der Praterstern nie ganz losgeworden, auch wenn die Stadt längst über diese Grenze hinausgewachsen ist. Hier haust das Unheimliche, „Entrische“, dessen ausgelassenes Gesicht im Wurstel­ prater zum Vorschein kommt. Erst in der jüngeren Vergangen­ heit hat sich die Stadtplanung im Zuge des U-Bahn-Baus wieder des „verkommenen“ Platzes angenommen: Der Gleisbrücke wird gerade ein neues Bahnhofsgebäude nach einem Entwurf von Albert Wimmer übergestülpt, und Boris Podrecca darf sich um die Platzgestaltung zur „schönen“, zur Stadtseite hin kümmern, Glasbaldachin, Grünpergolen und lasierte Bodenplatten inklusive. Man kann diese Geschichte als eine Abfolge von Versuchen lesen, das Wilde, Andere in den Griff zu bekommen, zuerst mit formalen, dann mit funktionellen Mitteln und schließlich – im jüngsten Verschönerungsversuch durch Podrecca – wieder mit formalen.

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Schick? Dynamisch? Klaus Stattmanns hellblau lackierte „Fluc“Komposition in der Computervisualisierung ... Foto: Klaus Stattmann

... und in Wirklichkeit Foto: Christian Kühn

Zwischendurch hat dieser lange vernachlässigte Platz an der Grenze eine Szene angezogen, die auf der Suche nach Raum für ihre Kunst- und Musikprojekte war. Die Künstlergruppe [dy’na:mo], die sich mit Klangarchitekturen und Soundinstallationen befasst und dafür den Begriff „fluctuatedrooms“ prägte, gründete 2002 das „Fluc“, einen Eventraum, der sich bald zu einem Brennpunkt der neuen Wiener Musikszene entwickelte. Als das „Fluc“ im Zuge des Bahnhofsumbaus aus seinem Provisorium ausziehen musste, entstand die Idee, eine Straßenunterführung in Richtung Wurstel­ prater für die eigenen Zwecke zu adaptieren und den Architekten Klaus Stattmann mit einem Konzept dafür zu beauftragen. Stattmann ist ein Schüler des Coop-Himmelb(l)au-Gründers Wolf Prix, der zum entschiedenen Formalismus seines Meisters auf Distanz zu gehen versucht. „Performativer Materialismus“ statt Form lautet die Devise, mit der er 2003 bei der Architektur­ biennale in São Paulo zusammen mit „the next ENTERprise“ und Wolfgang Tschapeller ausstellte. Das neue „Fluc“ sollte möglichst so roh und ungestaltet aussehen wie das Vorgängerlokal. Diese formale Absichtslosigkeit musste aber schon allein aus baurecht­ lichen Gründen exakt geplant werden. Als Architekt gerät man hier in ein prinzipielles Dilemma: Ist eine absichtslose Ästhetik überhaupt möglich? Und gibt es am Ende einen Unterschied zur konventionellen Architektur, außer dass es sich eben um eine andere Konvention handelt, statt „schön“ eben „schön schiach“? Mit ähnlichen Fragen hat sich ein Wiener Architekt befasst, den Stattmann als Referenz nennt: Hermann Czech. In einem Text über „Manierismus und Partizipation“ erklärte Czech schon 1977, dass es ihm nicht um eine Ästhetik des Hässlichen gehe. Architektur müsse aber offen sein fürs Zufällige, für Störungen, für den Einbruch des Fremden ins eigene Projekt. Diese Haltung fordert einerseits die Bescheidenheit zuzugeben, dass Architektur unsere Umwelt- und Lebensprobleme „nicht lösen wird, so 45

wenig wie Musik unsere Lärmprobleme löst“. Und andererseits den Mut, trotzdem formale Entscheidungen zu treffen, die das Zufällige und Irreguläre enthalten. Der Manierismus – im Wort­ sinn die Auflösung eines Stils durch die persönliche Handschrift eines Künstlers – wird bei Czech zu einer Methode, sich den Zugang zur Wirklichkeit nicht durch Stile und Konventionen zu verstellen und auch dem Benutzer Raum für Interpretationen zu lassen. Architektur müsse robust genug sein, um sich anzulehnen, ansonsten aber im Hintergrund bleiben und nur sprechen, wenn sie gefragt wird. In diesem Sinn kann man das neue „Fluc“ als fast geglückt bezeichnen. Es besteht aus Stahlcontainern, die teilweise modifi­ ziert sind, um einen stützenfreien größeren Raum zu ergeben. Ein schräger Gitterträger überspannt den Wurzelbereich des angrenzenden Baumes, der besonders zu schützen war, und trägt zusätzlich einen Schanigarten über der Treppe, die hinunter in die Passage führt. Die Passage selbst bleibt unter der Straße unverändert. Am anderen Ausgang wurden allerdings einige Tonnen Beton herausgeschnitten, um über der Bühne einen über­ höhten Aufbau mit großem Fenster zum Riesenrad zu schaffen, und der frühere Ausgang wurde in eine Tribüne mit Sitzstufen verwandelt. Im Vergleich zu den Computervisualisierungen, mit denen die Stadt überzeugt werden konnte, das „Fluc“ de facto zum Auftakt des Wurstelpraters zu machen, ist die Realität weder schick noch dynamisch, was zu so viel Unmut bei der zuständigen Vizebürgermeisterin, Grete Laska, führte, dass die Containeran­ sammlung mit einem Eins-zu-eins-Modell eines roten Riesenrad­ waggons garniert werden musste. Das fügt sich allerdings gut zu den blauen Sperrholzaufbauten, mit denen Stattmann selbst sein Projekt überzogen und damit die unabhängigen Teile, aus denen es besteht, ohne Grund wieder in ein Ganzes zusammen­ gebunden hat. Könnten diese Formen – die aus einem früheren Projekt von Stattmann, einer „Riffstruktur“ für den Donaukanal, abgeleitet sind – sprechen, hätten sie wohl nicht mehr zu sagen als: Wir sind himmelb(l)au. Ganz ohne Stil scheint der „Performative Materialismus“ halt doch nicht auszukommen.

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30 / 09 / 2006   

KEIN GERUCH NACH GUMMI Eine Mischung aus Autohaus und Museum, KFZ-Werkstätte und Entertain­ mentcenter: Das Salzburgr Autohaus Pappas leistet sich eine neue Konzernzentrale.

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aufhausmusik, das ist unter Komponisten ein Schimpfwort, mit dem verkaufsfördern­ der Hintergrundklang ohne künstlerischen Wert abqualifiziert wird. Analog dazu sollte auch Architektur, die primär dem Verkauf dient, keinen allzu hohen Status genießen. Hier ist die Sachlage aber etwas komplizierter. Die Insze­ nierung von Konsumerlebnissen ist in den letzten Jahren zu einer immer wichtigeren und unter Architekten zugleich hoch angese­ henen und begehrten Bauaufgabe geworden. Luxusmarken wie Prada lassen ihre Flagshipstores bei Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron arbeiten. Coop Himmelb(l)au planen für BMW ein Gebäude, das funktional zwar nicht mehr als ein theatralisch auf­ gezwirbeltes Auslieferungslager ist, formal aber genauso gut ein Kunstmuseum sein könnte. Ben van Berkel durfte kürzlich in Stuttgart für die Konkurrenz sogar ein echtes Museum errichten, das als das schönste Schaufenster im ganzen Daimler-ChryslerKonzern gelten darf. Eine ernst zu nehmende Architekturgeschichte des späten 20. Jahrhunderts wird solchen Bauaufgaben deutlich mehr Raum geben müssen als etwa dem Sakralbau, sofern sie zu Letzterem überhaupt noch nennenswerte Beispiele findet. Sich von Abgren­ zungen frei zu machen, wie sie Nikolaus Pevsner im Jahr 1976 formuliert hat („Ein Fahrradschuppen ist ein Gebäude, die Kathedrale von Lincoln ist ein Stück Architektur“), empfiehlt sich für Architekturhistoriker also schon aus Selbsterhaltungstrieb. Pevsners Verdikt war damals selbst Reaktion auf eine funktio­ nalistische Moderne, die die Gleichheit aller Bauaufgaben vor den Gesetzen der Baukunst postuliert hatte. Auch hier könnte man auf Seiten des Historikers Selbsterhaltungstrieb vermuten: Wenn Kirchen wie Fahrradschuppen aussehen, gibt es für den Historiker nicht mehr viel zu tun, außer vielleicht die eine oder andere Verwechslung aufzuspüren. Charles Jencks hat das in seinem epochemachenden Buch über die „Sprache der postmo­ dernen Architektur“ anhand von Mies van der Rohe vorexerziert, dessen Kapellen aussehen wie Heizhäuser und vice versa. Mit dem umgekehrten Problem, dass Auto- und Modehäuser heute aussehen wie Kathedralen und Museen, kann die Disziplin jedenfalls besser leben. Die Verwechslungen sind zwar nach wie vor das eigentlich Interessante. Zusätzlich gibt es aber auch

Pappas-Konzernzentrale, Salzburg: Verkaufsraum mit Schleuderbewegung und mehrdeutigen Flügeln, entworfen von KadaWittfeldArchitektur Foto: Pappas

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für eine Architekturgeschichte, die sich primär als Formenge­ schichte versteht, wieder reichlich Stoff. Dass ein Auto- oder Mode­ haus mit großen formalen Ambitionen geplant wird, ist heute also keine Besonderheit mehr. Spannender ist die Frage, wie weit ein solches Projekt zu einem künstlerischen Eigenwert findet. Bei den Extrembeispielen der architektonischen Kaufhausmusik ist das Teil der Aufgabe. Sie werden dafür von Gucci und Prada mit märchenhaften Budgets und Freiheiten ausgestattet, um Eingang in die Architekturgeschichte zu finden und damit die Marke zu stärken. Das wirkt bis zu einem gewissen Grad ansteckend und hebt in vielen Branchen die Nachfrage nach Architektur, wobei die Ansprüche an Repräsentation und Effekt freilich um einiges schneller wachsen als die Budgets und die Freiheiten. Die neue Konzernzentrale der Pappas-Gruppe am Salzburger Flughafen ist ein bemerkenswertes Beispiel für diesen Trend. Das durchaus konservative „Familienunternehmen mit 2000 Beschäf­ tigten“ hat sich hier ein Gebäude geleistet, in dem unterschiedliche Funktionen auf insgesamt 36.000 m2 Nutzfläche übereinander gestapelt sind. Auf der untersten Ebene befindet sich eine KFZWerkstätte, darüber eine Verkaufszone für die verschiedenen Marken des Daimler-Chrysler-Konzerns. Über diesem breit gela­ gerten Baukörper liegt ein schmälerer, zweigeschossiger Verwal­ tungstrakt. Wie immer, wenn bei einem Verkaufsgebäude mehrere Geschosse übereinander liegen, stellte sich auch hier die Aufgabe, die Kunden nach oben zu locken. Erschwerend war in diesem Fall die erforderliche Geschosshöhe der KFZ-Werkstätte, die bis zur Verkaufsebene einen Höhensprung von sechs Metern zu überwinden vorgab. Der Entwurf für das Gebäude stammt von KadaWittfeldArchitek­ tur, dem Aachener Büro, das Klaus Kada, langjähriger Professor an der Technischen Hochschule Aachen, zusammen mit Gerd Wittfeld betreibt. 2001 hatten sie einen Wettbewerb gewonnen, den Pappas für ein anderes Grundstück ausgeschrieben hatte. Zwei Jahre später folgte der Auftrag, für ein leicht reduziertes Raum­ programm auf dem neuen Grundstück ein Projekt zu entwickeln. Dessen Grundidee besteht darin, die Straße aufs Verkaufsniveau hinauf- und rund um das Gebäude herumzuführen. Damit diese Zufahrt nicht zu banal und vor allem – als offener Schauraum – auch von den umgebenden Straßen aus gut einsehbar ist, neigt sie sich in einer leichten Schleuderbewegung nach außen und dann nach unten, bevor sie artig in die Horizontale übergeht. Dass Kada, dessen Affinität zu schnellen Autos legendär ist, Spaß an dieser Idee hatte, darf angenommen werden. Interessenten flanieren außen auf dieser Rampe und können über mehrere, den verschiedenen Marken des Konzerns zuge­ ordnete Eingänge die Verkaufshalle betreten, die mit dem Servicefoyer auf der unteren Ebene über Rolltreppen verbunden ist. Die Halle wird von einem ausladenden Dach überspannt, das im mittleren Bereich verglast ist. Die Raumhöhe erlaubt einen zweigeschossigen Bereich, in dem Büros untergebracht sind, die sich über Glaswände zum Servicefoyer öffnen und auch von dort belichtet werden. In den Verkaufsraum eingebaut ist ein 48

aufwendiger Cafébereich, der nicht von KadaWittfeld, sondern von einem Schauraumspezialisten geplant wurde und den groß­ zügigen Raumeindruck mit seinem halbhohen, dunkel furnierten Wall nicht gerade bereichert. Eine Erklärung brauchen auch die diagonalen Elemente, die wie Flügel zwischen die Fahrebene der Rampe und die Dach­ kante gespannt sind. Ursprünglich als Teil des Tragwerks geplant, um das Dach zu stützen, haben sie in der ausgeführten Version keine statische Funktion mehr. Dekor sind sie trotzdem nicht: Ihre raumbildende Wirkung ist wesentlich, um die Aufmerksam­ keit der Besucher nach innen zu lenken und dem Baukörper nach außen jene Mehrdeutigkeit zu geben, die ihn erst interes­ sant macht. Und wie ist das jetzt mit dem künstlerischen Eigenwert, der den Rahmen der Bauaufgabe sprengt? Vielleicht wäre ein bisschen weniger Glanz näher bei der Kunst gewesen, ein bisschen mehr Gummigeruch, asphaltierte Ruppigkeit und verzinktes Blech statt Edelstahl. Vielleicht führt der Weg zur Baukunst ja überhaupt in die andere Richtung und beginnt dort, wo ein Autohaus als Auto­ haus geplant wird und nicht als Mischung aus Museum und Entertainmentcenter.

HIER TANZT DER BETON 05 / 08 / 2006   

Technisch komplex, formal ambitioniert: ein Schwimmbecken als schwebende Betonskulptur. Das Freibad im Südtiroler Kaltern – von den Wiener Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs.

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ie kleine Gemeinde Kaltern in Südtirol ist bekannt für guten Wein und landschaftliche Schönheit. Wer vom Norden über den Brenner hierher kommt, spürt, dass er die Alpen hinter sich hat und dass es endlich nach Süden zu riechen beginnt. Die Berge, weniger beherrschend als im Norden, aber immer noch imposant, bilden den Hintergrund einer abwechslungsreichen Kulturland­ schaft, die ihre Qualität jahrhundertelanger liebevoller Pflege verdankt. Der Kalterer See, nach dem die bekannteste Weinsorte der Region benannt ist, liegt ein wenig außerhalb des Gemeinde­ zentrums inmitten von sanften Hängen, auf denen Weinstöcke und Obstbäume wachsen. Am schönsten Badestrand des kleinen Sees – er lässt sich zu Fuß leicht in zwei Stunden umrunden – hat 49

Freibad in Kaltern, Südtirol: Wie man Wasser in der Schwebe hält … Foto: Lukas Schaller

die Gemeinde als Erweiterung des bestehenden Lidos ein neues Freibad errichtet, mit Sport- und Kinderbecken, einer Bar und einer Tribüne für Veranstaltungen. Ursprünglich hätte hier ein Hallenbad entstehen sollen, für das im Jahr 2002 ein Wettbewerb ausgeschrieben wurde, aus dem die Wiener Architekten MarieTherese Harnoncourt und Ernst Fuchs – die zusammen unter dem Namen „the next ENTERprise“ firmieren – als Sieger her­ vorgingen. Ein wenig hatte die Gemeinde bei diesem Projekt ins Schweizerische Vals geschielt, das sein internationales Renommee und seine touristische Attraktivität durch die von Peter Zumthor geplante Therme beträchtlich steigern konnte. Aus dieser Pers­ pektive war die Wahl des Entwurfs von the next ENTERprise eine kluge Entscheidung. Das Projekt war so außergewöhnlich, dass es bereits 2003 in Graz in der an Spektakulärem nicht gerade armen, von Zaha Hadid und Patrik Schumacher kuratierten Ausstellung über „Latente Utopien“ auffiel. Während die Mehr­ zahl der Beispiele dort eher nebulos als Vorahnungen neuer Technologien und einer neuen Formensprache der Architektur posierten, zeigten the next ENTERprise eine reifes Projekt, das technisch komplex, formal ambitioniert und vor allem konkret war. Auch bei der Architekturbiennale in Venedig 2004 konnte man einem Modell des Projekts begegnen, das sich inzwischen allerdings vom Hallenbad zum Freibad verwandelt hatte. Verant­ wortlich dafür waren lokalpolitische Auseinandersetzungen, die in dem Kompromiss geendet hatten, das Projekt nur in reduzierter Form zu verwirklichen. Das Grundkonzept des Entwurfs blieb trotz dieser Reduktion erhalten. Um das Grundstück möglichst wenig zu verbauen, ist das Bad auf mehreren Ebenen organisiert. Auf Seeniveau liegen die Umkleidekabinen und kleine, in der tragenden Konstruktion verborgene Räume mit Wasserspielen und Erlebnisbecken. Darüber liegt das „Sonnendeck“, eine weit ausladende Plattform mit dem großen Schwimmbecken, auf der ein leichter, transparent wirkender Holzkiosk Bar und Shop auf­ nimmt. Der freie Blick auf den See bleibt damit von der Seepro­ menade fast vollständig erhalten. So einfach dieses Konzept klingt, hat es doch eine Konsequenz, aus der the next ENTERprise die Qualität ihres Entwurfs entwickelt 50

haben. Da die Oberkante der Schwimmbecken rund fünf Meter über dem Boden liegt und dieser eigentlich nicht bebaut werden soll, stellt sich die Frage, wie man das Wasser in Schwebe halten kann, ohne den Raum darunter mit einer Stützkon­ struk­tion zu verstellen. Die Ar­ chitekten haben das gelöst, in­ dem sie diese Kon­struk­tion in eine Betonskulptur verwandelt haben, die nur an wenigen Stellen aus dem Boden heraus­ wächst, das Gewicht des Wassers aber mit weit ausladenden Gesten auffängt. Besonders beeindruckend sind die Räume unter den Schwimmbecken mit ihren präzise gefalteten Decken. Zwei verglaste, kreisrunde Öff­ nungen im Boden des Sport­ beckens erlauben einen Blick auf die Schwimmer und bringen zusätzliches Licht nach unten. Weitere Verbindungen zur Oberwelt öffnen sich aus den kleinen Räumen, in denen der Whirlpool und ein „Regenraum“ mit Wasserspielen untergebracht sind. Sie verengen sich trichterförmig nach oben und durchdringen die Wasseroberfläche, wo sie wie Inseln aus dem Wasser aufragen. Mit Edelstahl verkleidet, wirken sie wie kleine Modelle der Bergspitzen in der Umgebung. Beton derart zum Tanzen bringen, wie es hier mit der Becken­ konstruktion vorgeführt wird, ist konstruktiv keine geringe Leis­ tung. Das statische Konzept für das Tragwerk stammt vom Wiener Büro der Ingenieure Bollinger und Grohmann, die Tragwerks­ planung von Bergmeister und Partnern aus Vahrn. Die Herstellung von Stahlbeton für Formen dieser Komplexität gleicht dem Gießen einer Skulptur, bei dem genau geplant werden muss, wie beim Einbringen des Betons die Luft aus den spitzen Winkeln der Gussform entweichen kann und welche Betonmischung für welchen Abschnitt die richtige ist. Die Ingenieure haben das Anliegen der Architekten, das Erscheinungsbild eines homoge­ nen Gusskörpers zu erzeugen, bis ins Detail mitgetragen. Die Schalung ist perfekt, die Kanten scharf, und kein Spannanker hat Spuren des Herstellungsprozesses in der Oberfläche hinter­ lassen. Die Betonkörper enthalten Hohlräume, in denen die aufwendige Technik für die Versorgung der Becken untergebracht werden konnte. Von solchen Anstrengungen merken die Besucher nichts. Sie genießen den Blick vom Sonnendeck, finden es praktisch, dass Bar und Shop nicht nur vom Bad, sondern auch von der Promenade aus benutzt werden können, und wenn sie nach Betriebsschluss

… ohne den Raum darunter mit Stützen zu verstellen Foto: Lukas Schaller

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vorbeiflanieren, wird ihnen vielleicht auffallen, mit wie viel Raffi­ nesse die Architekten das leidige Thema der Abzäunung des Areals gelöst haben. Einige Elemente müssen noch Patina ansetzen, etwa die breiten hölzernen Handläufe der Reling auf dem Sonnen­ deck, die zu den Betonflächen passen werden, sobald sie ihre Farbe von gelb auf grau gewechselt haben. Und manches wird man vielleicht noch verbessern, etwa die Garderobekästchen, die nicht ganz an die einzigartige Atmosphäre des Raums heran­ kommen, in dem sie aufgestellt sind. Sicherlich hätte man das alles auch viel einfacher haben können, wie unzählige Freibäder beweisen, die aus nichts anderem bestehen als aus einem im Boden eingelassenen Becken und einer Baracke für die Umkleidekabinen. Aber es hängt wohl mit dem liebevollen Umgang mit der Landschaft zusammen, mit der über Jahrhunderte gewachsenen Kultivierung des Raums, dass man sich hier nicht mit einer solchen Lösung zufrieden geben wollte. Das Freibad ist in Kaltern nicht das einzige Beispiel dafür, dass diese Kultivierung nicht in der guten alten Zeit abgeschlossen wurde. Schräg gegenüber findet sich das grandiose Seehotel Ambach von Othmar Barth aus dem Jahr 1973, und in den letzten Jahren hat sich Kaltern mit dem Manincor-Weingut von Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday, dem Weinhaus Punkt von Hermann Czech und dem Weincenter der Kellerei Kaltern von feld72 zu einer ersten Adresse für Architekturinteressierte entwickelt.

08 / 07 / 2006   

ALLE AUF EINEN BLICK Hier das T-Center in Wien, ein Raumgedicht, übersetzt in die harte Prosa des Büroalltags. Dort ein Bürogebäude im Tiroler Stans, mit einem Innenraum, der einer Landschaft gleicht. Was sie gemeinsam haben: Sie teilen sich den Staatspreis für Architektur.

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nterschiedlicher könnten die beiden Projekte kaum sein, die sich heuer den Staatspreis für Architektur teilen: Das T-Center in Wien St. Marx, Sitz der Großunternehmen T-Mobile und T-Systems, geplant vom Architekten­ team Domenig/Eisenköck/Peyker, und das Verwal­tungsgebäude des Reiseveran­stalters Travel Europe in der kleinen Tiroler Gemein­ de Stans, geplant von den Vorarlberger Architekten Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf. Auf der einen Seite eines der größten Bürogebäude Österreichs mit einer Länge von über 250 Metern und einer Nutzfläche von rund 120.000 m2, eine monumentale Skulptur, die eine Höhe von 60 Metern erreicht. Auf der anderen Seite ein eingeschossiges, ruhiges Gebäude für 120 Mitarbeiter, das auf schlanken Stahlstützen ganz selbstverständlich über dem

Gelände zu schweben scheint. Das T-Center muss an dieser Stelle nicht lange vorgestellt werden: Es ist das Produkt einer höchst individuellen Architektursprache, eine Übertragung von Günther Domenigs Steinhaus vom Ossiacher See nach Simmering, vom empfindsamen Raumgedicht in die harte Prosa des Büroalltags. Die Ausnüchterung hat dieser Sprache durchaus nicht geschadet. Was an Poesie verloren geht, macht das Projekt durch Dimension und Dramatik mehr als wett. Sicher: Es gibt gemütlichere Büro­ häuser, in denen sich besser Sonntagsreden darüber halten lassen, dass der Mensch im Mittelpunkt stünde. Hier ist es das System. Menschen sind in dieser Umgebung auf der Durchreise, vielleicht in die Chefetage, vielleicht zum nächsten Job. Den Architekten ist es geglückt, diesen Bedingungen nicht mit einem neutralen, im besten Fall adrett eingekleideten Hochhaus zu begegnen, sondern mit einem einzigartigen Baukörper, einigen der stärksten Innenräume Wiens und mit einer trotz aller Monumentalität sensiblen Anbindung ans lokale Umfeld mit seinen denkmalge­ schützten Markthallen. Ganz andere Bedingungen haben das Gebäude von Travel Europe in Stans geformt. Es symbolisiert einen Wendepunkt in der Geschichte eines mittelständischen Unternehmens. Noch unter dem Namen „Tirol Hotels“ hatte Travel Europe vor 20 Jahren mit der Vermittlung von Reisen nach Tirol begonnen. Innerhalb weniger Jahre gelang es den Firmeneignern, den Brüdern Anton und Helmut Gschwendtner, die Aktivitäten des Unterneh­ mens auf ganz Österreich und in der Folge auch auf die Nach­ bar­länder, allen voran Tschechien und Ungarn, auszudehnen. Inzwischen bietet Travel Europe Reisepakete in ganz Mittel- und Osteuropa sowie in Südosteuropa an und verfügt außer der Zentrale in Stans über acht weitere Büros in verschiedenen euro­ päischen Ländern. Die neue Firmenzentrale sollte diesen Auf­ bruch auch räumlich vermitteln, nicht zuletzt an die Mitarbeiter. Deren Geschäftspartner – zum überwiegenden Teil andere

Wie viel Baukunst verträgt der Büroalltag? Verwaltungsgebäude von Travel Europe in Stans, Tirol von Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf Foto: Adolf Bereuter

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Reiseveranstalter, denen Travel Europe komplette Pakete von Fernreisen zum Weiterverkauf anbietet – sind in europäischen Großstädten angesiedelt. Um mit diesen Kunden auf einer Augenhöhe verhandeln zu können, sollte die Atmosphäre der neuen Firmenzentrale den neuesten Bürostandards in Paris oder Hamburg entsprechen, eingebettet allerdings in eine Erholungs­ landschaft, von der man in der Großstadt nur träumen kann. Die Brüder Gschwendtner entschieden sich für einen Architek­ turwettbewerb mit einer kleinen Zahl von geladenen Büros. Bei der Auswahl der Büros und der Fachpreisrichter in der Jury ließen sie sich vom Architekten Andreas Orgler beraten, besich­ tigten aber auch selbst Referenzprojekte, unter anderem das Gebäude der „Montfort Werbung“ in Klaus in Vorarlberg von Oskar Leo Kaufmann. Im Wettbewerb, zu dem sechs Architekten geladen waren, setzte sich Kaufmann mit einem Entwurf durch, der die Ideen dieses Referenzprojekts weiterführt. Alle Büroräume liegen auf einer Ebene, darunter ein offenes Parkgeschoss für die PKWs der Mitarbeiter, darüber ein Dachgarten als Erholungs­ zone. Der annähernd quadratische Grundriss von rund 50 mal 40 Metern ist von drei Lichthöfen durchbrochen. Was auf den ersten Blick wie ein neutraler Großraum aus­ sieht, ist in Wirklichkeit eine fein abgestufte, aber dennoch flexibel nutzbare Raumfolge. Das Dach folgt mit einem leichten Knick dem Gefälle des Hangs, wodurch sich im Inneren größere Raumhöhen im Eingangsbereich und eine zusätzliche Belich­ tungsmöglichkeit durch ein Lichtband ergeben. Weil auch die Niveaus im Inneren leicht differenziert sind, kommt nirgendwo das Gefühl auf, in einer einfachen Glaskiste zu sitzen. Der Raum gleicht eher einer Landschaft, ein Eindruck, der durch die Innenwände und Fassaden aus Glas verstärkt wird. „Wenn ich morgens das Büro betrete“, berichtet ein Mitarbeiter, „sehe ich sofort die ganze Firma, alle Kollegen auf einen Blick.“ Die Glas­ wände schließen wenige Einzel- und viele Gruppenbüros ab und bieten dazwischen noch genug Freiräume für informelle Bespre­ chungen. Kaufmann und Rüf, 1969 beziehungsweise 1968 geboren, haben mit diesem Projekt nicht zuletzt ihre Meisterschaft als Konstruk­ teure unter Beweis gestellt. Nach seinem Studium an der Techni­ schen Universität Wien ist Kaufmann mit innovativen, präfabri­ zierten Holzbauten bekannt geworden. Seine jüngeren Projekte sind nicht mehr auf ein Material fixiert und haben auch die strengen Raster der konventionellen Vorfertigung elegant hinter sich gelassen. Im Travel-Europe-Gebäude finden sich mehrere präzise getaktete Achsmaße. Konstruktiv handelt es sich um eine Mischung aus einem Stahlbau mit einer neuartigen Betondecke, in die große Kunststoffbälle als verlorene Schalung eingelegt sind, um die Konstruktion leichter zu machen und die Wärme­ dämmung zu erhöhen. Man darf gespannt sein, ob es Kaufmann und Rüf bei ihrem ersten Wiener Projekt, einem „Boarding House“ für die Lenikus Bauträger Ges.m.b.H. in prominenter Lage am Hohen Markt, für das sie 2005 den Wettbewerb gewannen, gelingen wird, dieses Niveau zu halten. 54

Sicher hätte in Stans auch ein weniger anspruchsvolles Gebäude ausgereicht, um Büroraum für Travel Europe zu schaffen. In einer Branche, deren wichtigstes Kapital kompetente und motivierte Mitarbeiter sind, dürften die vergleichsweise geringen Mehrkosten aber gut angelegt sein. In diesem Gebäude signalisiert jedes Detail, dass die Menschen, die hier arbeiten, ihr Bestes geben, um ganz vorne mitzuspielen. Weniger kann man sich im globalen Wettbe­ werb wahrscheinlich gar nicht mehr leisten.

10 / 06 / 2006   

EIN KULT BRAUCHT SEINE TEMPEL

Ein Grundriss in Form eines Wankelmotorkolbens, handgeglätteter Stahlbeton, Geometrien, die nur noch der Computer fasst. Schöne neue Welt des Automobils: das Mercedes-Museum bei Stuttgart.

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n den knapp über 100 Jahren seit seiner Erfindung hat sich das Automobil von einer rollenden Maschine zum Gegenstand einer fast kultischen Verehrung ent­ wickelt. Henry Ford hatte von seinem „Model T“, dem ersten am Fließband hergestellten Auto, noch gesagt, man könne es in jeder beliebigen Farbe haben, solange die Farbe schwarz sei. Ende der 1920er-Jahre über­ nahm ein neuer Berufsstand, der Industriedesigner, die Gestaltung in seine Hände. Automobile wurden bunter und verspielter, bekamen aerodynamische Heckflossen und mächtige Kühlergrills und hatten sich spätestens in den 1950er-Jahren zum schönen Gesicht des industriellen Kapitalismus entwickelt. Diese Rolle wurde mit der Ölkrise und dem steigen­ den Umweltbewusstsein nach 1974 etwas zwiespältig, und die Hersteller setzen seither alles daran, das Auto­mobil als ein Objekt sui generis zu positionieren, eine Synthese aus maschineller Kraft, elektronischer Steuerung und avanciertem Design. Die Ansage der Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass die rohe Kraft eines aufheulenden Rennwagens schöner sei als die Nike von Samothrake, wurde von den Automobildesignern in einem Ausmaß sublimiert, von dem Architekten nur träumen können. In der Kotflügelgestaltung eines neuen Sportwagens steckt mehr Entwurfsaufwand als in einem durchschnittlichen Ein­familienhaus. 55

Turm mit Signalwirkung: Mercedes-Museum, Stuttgart von UN-Studio Foto: Christian Kühn

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In der Mythenbildung rund ums Automobil spielt Architektur neben der kon­ ventionellen Werbung eine eigene Rolle. Ein Kult braucht seine Tempel, und so dürfen wir heuer in Deutschland die Einweihung von gleich zwei einschlägigen Kultstätten erleben, der BMW-Welt in München nach Plänen von Coop Himmelb(l)au und dem Mercedes-Museum in Stuttgart von „UN studio“, dem Atelier von Ben van Berkel und Caroline Bos. Im Rennen um die Fertigstellung hatte Mercedes die Nase vorn: Seit 20. Mai ist das Museum in unmittelbarer Nähe des Stammwerks Untertürkheim eröffnet und darf im ersten Jahr mit rund einer Million Besuchern rechnen. UN studio haben ein vertikales Museum entworfen, das als kompakter Turm eine starke Signalwirkung aufweist. Das Museum basiert auf einigen, für sich genommen, einfachen Ideen, deren Überlagerung aber zu einem räumlich und technisch äußerst komplexen Bauwerk führt. Das Grundkonzept des Entwurfs besteht darin, zwei Straßen übereinander zu legen und diesen Doppelpack spiralförmig um ein zentrales Atrium nach oben zu führen. Eine der beiden Straßen ist seitlich nach außen geöffnet und daher hell und extravertiert, die andere ist nach außen geschlossen, aber zum Atrium hin geöffnet und daher dunkler und introvertiert. Auf der hellen Straße wird die Sammlung in einer thematischen Ordnung präsentiert, die dunklere Straße gliedert sich in Mythenbereiche, die chronologisch organisiert sind. Zwischen den beiden Straßen, die als Rampen übereinander laufen, ohne sich je zu kreuzen, bieten seitlich angesetzte Treppen die Möglichkeit, vom Sammlungs- in den Mythenbereich und zurück zu wechseln. So weit das Prinzip. UN studio haben aber erkannt, dass eine durchgehende Rampe, wie man sie etwa im GuggenheimMuseum in New York von Frank Lloyd Wright findet, zwar ein­ drucksvoll ist, die Präsentation der Exponate aber eher eintönig macht. Daher haben sie die Idee der kontinuierlichen Rampen modifiziert und die Ausstellungsbereiche als großteils ebene Flächen angelegt, die nur seitlich von einer Rampe begleitet werden. Im Grundriss ergibt das die Figur eines dreiblättrigen Kleeblatts oder – hier vielleicht nahe liegender – eines Wankel­ motorkolbens. Überlagert man diese Figur mit der Idee, die Rampen zur Seite hin abwechselnd zu öffnen und zu schließen, ergeben sich Geometrien, die nur noch mit Hilfe der leistungsfähigsten Computer-Aided-Design-Systeme zu bewältigen sind. Für ein Auto­ mobilmuseum ist das durchaus passend, sind doch diese Systeme für den Automobilbau zur Beherrschung seiner gekurvten

Geometrien entwickelt worden. Was wir bei einem Auto als plas­ tische Form längst gewohnt sind, ist in der Architektur aber eine enorme Herausforderung an die Bautechnik und an die Vorstellungskraft. Eindrucksvoll sind vor allem die an der Fassade liegenden, zweigeschossig ver­ glasten Verbindungsräume zwischen der Sammlungs- und der Mythosrampe. Die mehrfach gekrümmten Oberflächen aus Stahlbeton mussten hier teilweise von Hand geglättet werden, um kontinuierliche Übergänge zu erhalten, und die schrägen Säulen sind in Stahlmäntel gegossen, die auf der Baustelle individuell auf den Millimeter genau justiert werden konnten. Es ist kein Zufall, dass sich unter den Credits für das Gebäude neben der Tragwerksplanung von Werner Sobek und der Aus­ stellungsgestaltung von HG Merz als gleichwertige Kategorie die Erstellung des parametrisierten Geometriemodells findet, für die Arnold Walz verantwortlich war. Solche parametrisierten Modelle definieren eine Geometrie nicht mit fest eingestellten Koordinaten, sondern ermöglichen über Parameter eine schrittweise Entwick­ lung auch derart komplexer Entwürfe. Was erlebt der Besucher nun in diesem Museum? Zuerst einmal eine Enttäuschung. Das Atrium ist zwar hoch, aber wenig attraktiv, vor allem weil es in 40 Meter Höhe von einem Lüftungs­ einbau und weißen Sonnensegeln abgeschlossen wird, die den Blick versperren. Drei Lifte, die eher hilflos den Raumkapseln alter Science-Fiction-Filme nachempfunden scheinen, bringen die Besucher auf die oberste Etage. Aber dort beginnt die Seligkeit, zumindest für alle, die im Auto mehr sehen als ein Transport­ mittel: Die ältesten, die schönsten, die schnellsten Automobile, ein Mythos jagt den anderen, und dazwischen kann sich das Auge in den Kollektionsräumen ein wenig ernüchtern. Dass es hier ausschließlich um das Auto als Objekt geht und weder um das Prinzip Mobilität noch um das Gesamtsystem Verkehr, sollte nicht verwundern. Schließlich ist man nicht in der Zentrale von Greenpeace. Wer über eine verstaute Autobahn hierher angereist ist, wird sich sowieso fragen, ob das Automobil nicht überhaupt im Museum am besten aufgehoben wäre. Trotzdem: UN studio und ihre Partner haben mit diesem Projekt die Grenzen des tech­ nisch und architektonisch Möglichen hinausgeschoben. Allein das lohnt einen Besuch.

In der Kathedrale des Individualverkehrs: Verbindungsraum zwischen Sammlung und Mythosrampe Foto: Christian Kühn

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22 / 04 / 2006   

ELF TONNEN HEISSE LUFT

Architektur als Skulptur, Marketing als Malerei und Geldverdienen als Kunst. Eine Ausstellung im Museum Moderner Kunst verwischt die Grenzen zwischen den Disziplinen. Im Mittelpunkt: eine Bronzeskulptur, die Museum werden will.

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lamen Dejanoff, 1970 in Sofia geboren, ist ein Meister der schwerelosen Kunst. Seine bekannteste, zusammen mit Swetlana Heger entwickelte Arbeit stammt aus dem Jahr 1999: Die beiden Künstler vereinbarten mit dem BMW-Konzern, alle Flächen, die sie im Zeitraum eines Jahres in Ausstellungen und Katalogen zur Verfügung haben würden, an BMW zu vermieten, um im Gegenzug einen fabrikneuen Z3-Roadster zu erhalten. Im Kunstverein München, wo ihr Ausstellungsbeitrag präsentiert werden sollte, wurde von BMW ein Präsentations­ stand mit allen für solche Zwecke üblichen Werbemedien einge­ richtet. Wie erhofft, kam es zu einem moderaten, aber doch imageträchtigen Skandal: Der Direktor der Kunsthalle ließ den Stand zuerst entfernen, dann nach Protesten wieder aufstellen, ergänzt um eine Tafel, in der sich die Kunsthalle vom Ausstel­ lungsobjekt distanzierte. Der Z3 wechselte den Besitzer und wurde, durch die Aktion mit einer besonderen Aura geadelt, schließlich von einem Museum als Kunstwerk angekauft. Was die Kunstszene in diesem Fall aufschreckte, war nicht die Implantierung von alltäglichen Objekten in einen musealen Kontext – die hat Marcel Duchamp schon vor bald 100 Jahren vorexerziert –, sondern der ostentative Kurzschluss zwischen den Praktiken der Kunstwelt und der Warenwelt. In den 1990er-Jahren waren die Grenzen zwischen diesen Welten in zweierlei Hinsicht fließend geworden: einerseits durch den vermehrten Einfluss des Sponsorings auf den Kunstbetrieb, andererseits durch die Tatsache, dass sich Waren immer weniger durch ihren Gebrauchs­ wert und immer mehr durch ihren symbolischen Wert zu definieren begannen. Zwischen den Marken Nike und Picasso besteht aus dieser Perspektive kein Unterschied: Der eigentliche Wert liegt nicht in objektiven Qualitäten, sondern im Branding, ganz gleich, ob es sich dabei um einen Turnschuh handelt oder um ein Ölbild. In seiner aktuellen Ausstellung im Wiener MUMOK spielt Plamen Dejanoff mit beachtlichem Einfallsreichtum auf der Klavi­ atur dieses Themas. Da finden sich Keramikfiguren in Form von

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M&M-Männchen in unter­ schiedlichen Variationen, auf deren Rücken unüber­ sehbar der Schriftzug „Dejanoff“ prangt. Ein High­ light der Ausstellung ist ein schwarzer Porsche Cayenne, geparkt vor einer Sammlung kleiner Glasautomobile, die Dejanoff in Kleinserie herstellen ließ und hier in einer Anzahl aufgebaut hat, deren Marktwert abzüg­ lich der Herstellungskosten genau dem Wert des Cayenne entspricht. Vor dem Porsche, der Dejanoff nach der Ausstellung überlassen wird, baumelt an langen Elektrokabeln eine Wiese aus beleuchteten Holzblumen von der Decke, die das ganze Ensemble samt Keramikfiguren auch als idyllisches Wunschterzett von Auto, Eigenheim und Gartenzwergen lesbar machen. Wenn Dejanoff die Geschichten zu seinen Objekten erzählt, bleibt offen, wie viel davon Realität und wie viel frei erfunden ist. Der Witz der Inszenierung besteht im diskursiven Abwägen des künstlerischen Gewichts heißer Luft. Das eigentliche Zentrum der Ausstellung bildet allerdings ein Objekt von beachtlichem Eigengewicht, ein Käfig aus Bronze­ gittern mit fünf Türöffnungen, insgesamt elf Tonnen schwer. Das Objekt ist ein erster Teil eines kleinen Museums, das Dejanoff in Bulgarien als Dependance des MUMOK errichten lassen will. Der Standort dafür liegt in der Altstadt von Veliko Tarnovo, vom 12. bis zum 14. Jahrhundert Hauptstadt Bulgariens und nach Konstantinopel die zweitwichtigste Stadt des Balkans, bis sie schließlich 1393 von den Osmanen zerstört wurde. Le Corbusier skizzierte die Stadt auf seiner Reise in den Orient. Dejanoff tritt in Veliko Tarnovo in der Rolle eines Künstlers als Sammler auf, der das sammelt, was üblicherweise ihn in einen Rahmen stellt, nämlich Kunstinstitutionen. Im historischen Kern der Stadt hat Dejanoff einige Häuser geerbt und weitere erworben, die als Dependancen von Kunstakademien, Galerien und Museen dienen sollen. Für die Sanierung und Neugestaltung konnte eine Reihe von jüngeren Architekten gewonnen werden, Kühn/Malvezzi und Grüntuch/Ernst aus Berlin, Gruppo A12 aus Mailand und Cocktail aus Lyon. Als Pilotprojekt für eine Dependance des MUMOK ist ein erstes Projekt von Gerold Wiederin entstanden, dessen Pläne auch in der Ausstellung zu sehen sind. Nach Bedenken des bulgarischen Denkmalamts, das eine Anknüpfung an lokale Bautraditionen verlangte, ohne diese genauer zu spezifizieren, suchte Dejanoff in Kooperation mit den Wiener Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass eine eigene Annäherung an diese Tradition. Hubmann und Vass sind für Sondereinsätze im historischen Kontext einschlägig qualifi­ ziert: Nach der 1997 realisierten neuen Zugangslösung für die

Gitterraum, entwickelt von Erich Hubmann und Andreas Vass für Plamen Dejanoff, MUMOK, Wien Foto: MUMOK, Wien

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Alhambra in Granada (zusammen mit Peter Nigst) haben sie 2002 den Wettbewerb für eine ähnlich komplexe Aufgabe für das Schloss Rivoli in Turin gewonnen, mit deren Umsetzung heuer begonnen wird. Mit ihrem Projekt für Veliko Tarnovo haben Dejanoff, Hubmann und Vass dem Denkmalamt kein Gebäude geliefert, sondern einen selbsttragenden Baukasten aus einem traditio­ nellen Material (Bronze) in einer traditionellen Form (angelehnt an Ornamente, die in der lokalen Architektur bei Wandvertäfe­ lungen zu finden sind). In welcher Art dieses Gitter letztlich zum Einsatz kommen wird, ob als tragende Struktur oder doch als vorgesetzte Hülle, ist noch offen. Mit seinen elf Tonnen hat es jedenfalls eine Präsenz, die sich nicht so leicht wegdiskutieren lässt. Edelbert Köb, als Direktor des MUMOK auf der Suche nach Sponsoren für das Projekt, ist optimistisch, auf dieser Grundlage die 150.000 Euro, die für die nächste Bauetappe nötig sind, bald auftreiben zu können. Einen Bilbao-Effekt wird das Projekt um diesen Betrag wohl kaum auslösen. Dass es einen positiven Beitrag zur kulturellen Entwicklung der Region leisten kann, steht aber außer Frage. Ob Plamen Dejanoffs Marktwert von einer so gut gemeinten, langfristig angelegten Investition profitieren kann, ist fraglich. Als autonomes Kunstwerk wäre die Bronze­ struktur jedenfalls ein Mehrfaches dessen wert, was sie als Bauteil kostet. Aber vielleicht spekuliert Dejanoff ja darauf, dass das Guggenheim eines Tages das ganze Projekt wieder als eigenstän­ diges Kunstwerk ankauft.

11 / 03 / 2006   

RINGSTRASSE IST ÜBERALL

Der Plan für das Areal des Flugfelds Aspern: Klassischer Stadtraum oder offene Partitur? Psychogramme der Wiener Stadtplanung, 1992 bis 2006.

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lugfeld Aspern: Begann dort nicht vor einigen Jahren die Zukunft des Wiener Städtebaus? 1995 stellte die Stadt ein Leitprojekt für die Entwicklung dieses rund 200 Hektar großen Areals im Nordosten Wiens vor, die Weiterent­ wicklung eines Entwurfs von Rüdiger Lainer aus dem Jahr 1992: Ausgehend von den Diagonalen der stillgelegten Landebahnen des Flugfeldes, glich das Leitbild einem bunten Schnittmuster­ bogen mit geheimnisvollen Linien, durchsetzt von bunt markierten Punkten für besondere öffentliche Nutzungen. Der Plan war durchzogen von Grünflächen und einem Verkehrssystem mit

Hybridgaragen, in denen Parken mit anderen Nutzungen kombi­ niert werden sollte. „Die Form“, schrieb Rüdiger Lainer damals zur Warnung an alle, die sich zu sehr in die Buntheit dieses Bildes verlieben könnten, „ist nur Erläuterung. Die Stadt ist bestimmt durch den gesellschaftlichen Gebrauch. Das Projekt entwickelt daher eine Methode zur Steuerung eines offenen Systems.“ Beim bunten Bild handle es sich um eine Partitur für das große Orchester der Stadtentwicklung, in dem Investoren, Bürger, Land­ schafts- und Verkehrsplaner, Architekten, Politiker und viele andere zusammenspielen müssten. Dirigenten braucht dieses Orchester auch, und 1992, in der Ära des Planungsstadtrats Hannes Swoboda, konnte man sich in Wien noch vorstellen, dass die Stadtplanung diese Aufgabe übernehmen würde. Vor wenigen Wochen stellte die Stadt einen neuen Plan für das Areal vor. Wenn Stadtpläne Psychogramme einer Gesellschaft sind, dann zeigt der Vergleich der beiden Pläne eine tief greifende Veränderung. Während das Projekt des Jahres 1992 beinahe in die Welt zu explodieren scheint, ist der aktuelle Plan auf sich selbst bezogen: ein See in der Mitte, eine Ringstraße mit Allee rundherum, dazwischen Blockrandbebauung mit eingestreuten Plätzen. Die U-Bahn-Linie fährt außen um das Areal und bietet zwei Stationen in Randlage, womit zwar nach Meinung der Jury „das Erschließungspotenzial dieses Verkehrsmittels nicht optimal genützt, der entstehende städtebau­ liche Ansatz jedoch als interessant beurteilt“ wird. Immerhin gibt diese Lösung Anlass für eine Bahnhof­ straße, die in die Mitte des Stadtteils führt, ganz nach dem vertrauten Muster des 19. Jahrhunderts. Das Projekt stammt vom schwe­ dischen Büro Tovatt Architects & Planners, zum Zeitpunkt der Aus­ schreibung 2004 noch ein Gemein­ schaftsbüro mit dem im vergangenen Jahr 91-jährig verstorbenen Ralph

Figur oder Partitur: Entwicklungspläne für das Flugfeld Aspern von Tovatt / Erskine (links) sowie Max Rieder, 2006 Grafik links: Tovatt/Erskine Grafik rechts: Max Rieder

Flugfeld Aspern, Leitprojekt 1992 von Rüdiger Lainer Grafik: Rüdiger Lainer

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Erskine, Mitglied des legendären „Team 10“ und einer der klügeren Kritiker selbstgefällig gewordener Modernisten und Postmodernisten. Dass dieses Büro sich die Wiener Ringstraße zum Vorbild genommen hat, ist kaum anzunehmen. Man fühlt sich eher an aktuelle Stadtentwürfe europäischer Büros für China erinnert, und vielleicht mussten die Tovatt-Architekten ja wirklich nur ein Projekt für Jiangsu oder Jilin auf 50 % skalieren und über die Asperner Ebene kippen. Die Assoziation zur Ringstraße wird das Projekt trotzdem nicht so leicht loswerden, mit allem, was daran hängt: Denn immerhin verläuft die Ringstraße auf der Spur der Bastionen, mit denen sich Wien gegen äußere Feinde verteidigt hat. Als Symbol für Zukunftsorientierung und entschiedenen Blick über den Teller­ rand, zum Beispiel ins nahe Pressburg, ist diese Figur jedenfalls nicht zu gebrauchen. Noch vor zehn Jahren hätte dieses Projekt nicht den Funken einer Chance in einem österreichischen städte­ baulichen Wettbewerb gehabt. Heute wird es einstimmig zum besten Projekt erklärt, von einer Jury, zu der unter dem Vorsitz des renommierten Stadtplaners Carl Fingerhuth nicht nur der aktuelle Planungsstadtrat Rudi Schicker und sein Planungsdirektor Arnold Klotz gehörten, sondern auch Rüdiger Lainer. Alternativen hätte es gegeben, das Projekt von Heiner Hierzegger etwa oder jenes von Max Rieder, das auf den Ideen des Leitprojekts aus dem Jahr 1992 aufbaut. Dass Max Rieder, der persönlich gerne als personifizierter Genieblitz auftritt, chancenlos ist, wo Sicherheit statt Utopie gefordert wird – oder, zugespitzt gesagt: alle die Hosen voll haben vor der Zukunft –, verwundert nicht. Sein Projekt hat jedoch die Qualitäten, die ich mir von einem Entwicklungsplan an diesem Ort wünsche: Es stellt die Landschaftsplanung an den Anfang, definiert Grünzonen, die an die Erholungsgebiete in der Umgebung anschließen, und dichte Bebauungsfelder, die im Lauf der nächsten 20 Jahre ihre eigene Charakteristik entwickeln können. Eine große Figur gibt es nicht, dafür den Partiturcharakter, der offen ist für zukünftige Entwicklungen. Aber Achtung, höre ich da meine Kollegin Karin Tschavgova rufen. Die bunten Schnittmusterbögen mögen ja der Architektur­ schickeria und dem Feuilleton gefallen, aber was ist mit den Bürgern? Warum sollen wir ihnen nicht die Straßen geben, die sie gewohnt sind? Den Stadtpark, wie sie ihn kennen und lieben, von mir aus mit Johann-Strauß-Denkmal. Warum sollen wir Verwaltung und Bauträger quälen, unsere schwülen Utopien von einer besseren Welt umzusetzen, wo alles doch viel einfacher geht? Sicher: Darüber sollte man diskutieren, interdisziplinär, offen, mit Bürgern und Experten. Mein Standpunkt dazu ist klar: Ein System, das nichts mehr riskiert und nur noch auf scheinbar Bewährtes zurückgreift, gefährdet seine Zukunft. Es vertreibt seine Innovatoren und verspielt Chancen, weil es blind wird für neue Entwicklungen, sich in den alten Strukturen aber oft nicht mehr zu Hause fühlt. Ein Besuch auf dem Wiener Leberberg, einem Stadtentwicklungsgebiet der 1990er-Jahre, das exakt dieselben 62

stadträumlichen Prinzipien verfolgt, wie sie jetzt für Aspern vor­ geschlagen sind, hätte die Jury nachdenklich stimmen müssen: So grausig kann traditioneller Stadtraum sein, wenn man mit ihm nicht mehr umgehen kann. Eine öffentliche Diskussion zu diesen prinzipiellen Fragen hat die Stadt Wien in diesem Fall mit der Wahl des Verfahrens vermieden. Statt einen Wettbewerb auszuschreiben, bei dem es ausschließlich um das beste Projekt geht und bei dem auch gemeinsame Diskussionen mit den beteiligten Teams erlaubt sind, wählte sie den Weg des Verhandlungsverfahrens. Hier sind Bieter­ kontakte verboten, und das Urteil über das Projekt mischt sich mit allen finanziellen Fragen der Leistungserbringung, die bei einem Wettbewerb erst nachgeschaltet sind. Für Carl Fingerhuth wäre bei einem Projekt dieser Dimension – immerhin geht es um 25.000 Arbeitsplätze und 8.500 Wohnungen – überhaupt ein längerer Prozess mit Workshops und Fachdiskussionen sinnvoll. (So etwas gab es in Wien bereits: Der Wettbewerb des Jahres 1992 wurde vom damaligen, international und interdisziplinär besetzten Fachbeirat für die Stadtentwicklung unter der Leitung von Ottokar Uhl begleitet.) Dass beim aktuellen Verfahren eine Entschädigung von 10.000 Euro pro geladenem Büro für ausrei­ chend erachtet wurde, ist ein Indiz dafür, dass sich der Auftrag­ geber de facto nicht viel mehr erwartete als ein hübsches Bild. Aber vielleicht wird die Diskussion am Flugfeld Aspern ja doch noch weitergeführt. Nach Aussage von Carl Fingerhuth ist die Ringstraße dort „das Unwichtigste“. Großartig: Dann weg damit. Und die Lage der U-Bahn lässt sich „ohne Reduktion der städte­ baulichen Qualität“ korrigieren. Bestens: Legen wir sie quer durch. Dann wäre nur noch ein dem Ort angemessenes landschafts­ planerisches Konzept zu entwickeln. Und wenn wir schließlich die Akteure der Wiener Stadtplanung austauschen, könnte aus dem Flugfeld Aspern tatsächlich noch was werden.

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14 / 01 / 2006   

IM ZEICHEN DES PIXELS Eine Serie von Ausstellungen und Workshops in neun europäischen Ländern: Ins Leben gerufen von einer Gruppe österreichischer Architekten, derzeit zu Gast in Zagreb.

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er bunte Strichcode, von Rem Koolhaas und seiner Denkfabrik OMA als visuelles Symbol für die europäische Union entwickelt, beginnt sich im Rahmen der österreichischen EU-Rats­ präsidentschaft ins allgemeine Bewusstsein einzuprägen. Es ist das erste Mal, dass dieses Logo im offiziellen Kontext Verwendung findet. Dass die österreichischen Nationalfarben anlassgemäß ein klein wenig aus der Reihe hervorragen, ist unerheblich. Alle sind gleich wichtig, will das Logo suggerieren, und werden in ihrer 63

Junge Architektur mit Schneeballeffekt: Ausstellungseröffnungen in Bratislava, Prag, Berlin, Amsterdam, Paris, Venedig (im Uhrzeigersinn von links oben) Foto: Peter Gula, Filip Slapal, Werner Huthmacher, Maureen Sandbergen, Peter Schreckensberger, Francesca Pellicciari

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Vielfältigkeit respektiert. Die Form des Strichcodes weist allerdings auch dezent darauf hin, dass die EU primär als ökonomische Union wahrgenommen wird und nach der Meinung vieler Bewohner auch bleiben soll. Eine Gruppe junger österreichischer Architektinnen und Architekten hat sich vor vier Jahren aufgemacht, die europäische Architekturlandschaft auf eine Art zu erforschen, die diesem Bild entspricht: Europa als kulturell vielfältiges Gebilde, das von der ökonomischen Sphäre wenn schon nicht dominiert, dann zumindest determiniert wird. Die Initiatoren lassen eine Ausstel­ lung durch europäische Länder reisen, die von Land zu Land im Schneeballsystem wächst. Jedes Mal kommen elf junge Büros dazu, die ihre Arbeiten auf kleinen Ausstellungstafeln von 40 mal 40 cm präsentieren dürfen. Die Tafeln sind auf Stäben befestigt und lassen sich damit leicht an unterschiedliche Situationen anpassen. Da ihre Anzahl gleich bleibt, ist dieses System nicht sonderlich gerecht: Am Ende, wenn 99 Teilnehmer aus neun Ländern ihre Arbeiten bei der Schlussausstellung zeigen werden, stehen jedem Büro nur noch je vier Tafeln zur Verfügung. Kompensiert wird diese Reduktion dadurch, dass sich der Schwerpunkt des Projekts immer mehr von der Ausstellung in Richtung Workshops und Publikationen verlagert. Wonderland geht auf eine Initiative der jungen Kärntner Architektengruppe spado architects zurück, hinter der Helmut Rainer, Harald Weber und Hannes Schienegger stehen. Im Jahr 2002 wurden Spado von einem ihrer Auftraggeber, Fundermax, für den sie die expressive Fassade des Funderwerks in St. Veit / Glan entworfen hatten, eingeladen, ihre Projekte in einer Ausstellung zu präsentieren. Spado nahmen die Einladung zum Anlass, ihrerseits weitere zehn Büros zu kontaktieren und eine

gemeinsame Ausstellung vorzuschlagen. Das Team mit dem bezeichnenden Namen „SHARE“, das aus Silvia Forlati, Thomas Lettner und Hannes Bürger besteht, gewann einen internen Wett­ bewerb für das Ausstellungskonzept mit der Idee der Pixel und erfand den Titel „Wonderland“, über dessen tiefere Bedeutung man nur spekulieren kann. Ist es das Ziel junger Architekten, die Welt zum Staunen zu bringen? Oder fühlen sie sich vielleicht oft so verwirrt wie Alice im Wunderland, wenn sie die Universität verlassen und sich mit einer Praxis konfrontiert sehen, die in hinterhältiger Weise zugleich pragmatisch und irrational sein kann? Die Ausstellung wurde dreimal erfolgreich in Österreich gezeigt und nach gründlicher Überarbeitung mit Unterstützung der Kunstsektion des Bundeskanzleramts auf eine Europareise geschickt, die in Pressburg und Prag begann. Als weitere Stationen folgten Berlin, Amsterdam, Paris und Venedig. Derzeit gastiert die Ausstellung in Zagreb, reist dann nach Laibach weiter, wo sie am 10. März eröffnet wird, und kehrt im Juni 2006 nach Österreich zurück. Die Idee, sich für weitere Büros zu öffnen, behielten die Organisatoren bei und baten Kontaktteams in diesen Ländern, weitere Büros für die Ausstellung zu gewinnen. Die Teamaus­wahl beruht auf persönlichen Beziehungen, die oft bei postgradualen Studien, etwa am Rotterdamer Berlage-Institut, geknüpft wurden. Die intellektuellen und formalen Wurzeln der Büros sind daher durchaus verwandt, treffen aber auf völlig unterschiedliche lokale Produktionsbedingungen. Die Länder des ehemaligen Ostblocks erlebten einen Bauboom, in dem sich auch Nachwuchs­ büros rasch etablieren konnten. Junge slowenische Architekten konnten oft noch vor Abschluss des Studiums erste Projekte realisieren. Ganz anders die Situation in Deutschland, wo die neuen Länder zwar eine enorme Bautätigkeit entfalteten, die aber von etablierten Büros aus dem Westen dominiert wurde und inzwischen dramatisch zurückgegangen ist. Junge deutsche Büros müssen sich heute ihre Arbeit oft in Grenzbereichen zur bildenden Kunst selbst schaffen, wenn sie eigenständig überleben wollen. Eine drastische Veränderung der Zukunftsperspektive ist auch in den Niederlanden zu beobachten, dem Architekturwunderland der 1990er-Jahre, wo der Verdrängungswettbewerb unter den Büros nach Wegfall der massiven staatlichen Förderung, die nicht zuletzt die Jungen stärken sollte, als besonders brutal empfunden wird. Vor diesem Hintergrund entstand unter den Initiatoren von Wonderland die Idee, den Schwerpunkt von der Ausstellung auf den Erfahrungsaustausch zwischen Büros einer bestimmten Generation und damit ähnlicher Entwicklungsstufe zu verlegen. Aufbauend auf einer EU-Förderung im Rahmen des „European Architectural Network Development“, gelang es, Workshops zur Ausstellung inklusive der Reisekosten für die teilnehmenden Teams zu finanzieren und die Aktivitäten auf einer Website (www.wonderland.cx) zu dokumentieren. Gestaltet ist die Website von „nan architects“, einer Gruppe, deren Portfolio typisch ist für die Wonderland-Generation und vom Webdesign bis zur 65

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Land­schaftsgestaltung reicht. Dass hinter solchen spartenüber­ greifenden Aktivitäten keine Einzelpersonen stehen können, sondern Gruppen, versteht sich von selbst: Durchschnittlich hat ein Wonderland-Team 2,75 Chefs – mit allen Problemen, die sich in Marketing und Organisation daraus ergeben. Von den 99 Teams firmieren 76 unter mehr oder weniger fantasievollen Marken­ namen. Nur 23 tragen den Namen der Architekten, einige bleiben aber auch so originell, wie etwa der Italiener Francesco Matucci, der sich als Ein-Mann-Büro mit Standorten in Kopenhagen, Florenz und Madrid deklariert. Von ihm stammt auch die Anregung, Wonderland als virtuelles Großbüro zu organisieren und damit in China auf Auftragssuche zu gehen. Für Roland Gruber von „noncon:form“, gemeinsam mit Elisabeth Leitner für die Organisation der „Wonderland Europa­ tour“ verantwortlich, ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Die nächste Stufe im Konzept ist die von Silvia Forlati und Anne Isopp – für künftige Architekturhistoriker: Letztere ist Mitglied der Gruppe „morgenbau“ – betreute Herausgabe einer Zeitschrift, die als Beilage zu Hans Ibelings Europäischem Architekturmagazin „A10“ zweimal im Jahr erscheinen wird und sich speziell mit den Problemen junger Büros in Europa befasst. Die Ausstellung gastiert Anfang Juni noch einmal in Wien, parallel zur Tagung des Euro­ päischen Forums für Architekturpolitik und zur Eröffnung der „Österreichischen Architekturtage“ am 8. Juni. Auf dem Programm für hartgesottene Architekturfreaks: 99 Kurzvorträge der Wonder­ land-Architekten.

200720 0620052004  2003200220   0120001999 1998199719 9619951994 19931992 67

31 / 12 / 2005   

DAS HAUS DES JAHRES

Keine Highlights, dafür business as usual in der Stadtentwicklung. Wien, Schwarzenbergplatz 5: wie private Interessen auf öffentlichem Grund die Stadt gestalten. Ohne städtebauliche Studie, ohne Projektwettbewerb, mit sattem Gewinn.

Wien, Schwarzenberg­­ platz 5, an der Stelle des ehemaligen Steyr-Hauses: projektierter Baukörper von Sepp Frank, Fassade von Martin Kohlbauer Foto: Martin Kohlbauer Visualisierung: Christoph Schiener

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berstanden. Das „Architekturjahr 2005“, auf Initiative von Planungsstadtrat Rudi Schicker ausgerufen, um Wien zur „Architekturmetropole“ zu entwickeln, ist vorbei. An Worten hat es nicht gefehlt: ein Architek­ tursymposion „Architektur für die Stadt“, die UNESCOKonferenz „Welterbe und zeitgenössische Architektur“, der Stadt­ dialog mit seinen Diskussionsrunden. Architekturrundfahrten führten gratis an wichtigen Bauten vorbei, und zur Förderung der jungen Wiener Architektur­ schaffenden wurde das Ausstellungsprojekt „Young Viennese Architects – Yo.V.A.“ gestartet. Eine Zeitschrift mit dem originellen Namen „Capacity“ wurde vierteljährlich als Beilage zu großen Tageszeitungen verbreitet. Ein Höhepunkt des „Architekturjahres“ war die „Wiener Architekturdeklaration“, mit der die Haltung der Stadt zu Architek­ tur und Stadtplanung akzentuiert werden soll: „Es ist das politische Anliegen der Stadt Wien, durch die Weiterentwicklung der Instrumente die Verwirklichung gesamtgesellschaftlicher Ziele sicherzustellen, für breite und hohe Architekturqualität zu sorgen und zugleich den Spielraum für innovative Architektur offen zu halten“, heißt es hier. Investorenarchitektur müsse das Potenzial des jeweiligen Ortes nutzen, dabei räumliche Qualitäten schaffen und zu einer langfristig tragfähigen Entwicklung beitragen. Zentrales Instrument zur Sicherung von Qualität und Transparenz im Planen und Bauen sei der Architekturwettbewerb, der sich nicht

auf den Bereich der öffentlichen Hand beschränken solle: „Zusätz­ lich sind auch private Bauträger zu entsprechenden Verfahren zu motivieren.“ Mit konkreten Umsetzungen war das Jahr 2005 nicht gesegnet. Die Architekturdatenbank nextroom weist für 2004 in Wien 47 rezensierte Bauwerke aus, für 2005 nur 23. Auch bei den Highlights des Jahres tut man sich schwer: 2004 war mit dem T-Center von Domenig/Architektur Consult ein herausragender Kandidat vorhanden. Heuer muss man sich an Projekte halten, etwa an Jean Nouvels Entwurf für ein Hotel am Donaukanal. Oder man ver­ zichtet darauf, nicht das spektakulärste Projekt zum Haus des Jahres zu erklären, sondern sucht eines, das charakteristisch ist für die Art, wie in Wien allen Architekturdeklarationen zum Trotz nach wie vor Stadtentwicklung betrieben wird. Für den Schwarzenbergplatz 5 wurde kürzlich das Projekt für ein neues Büro- und Wohngebäude an der Stelle des sogenannten „Steyr-Hauses“ vorgestellt. Die Vertreter der Stadt zeigten sich beglückt darüber, dass Wien wieder um ein „Stück spannende Architektur reicher“ werde. Gerüchte über das Projekt kursierten bereits länger. Der planende Architekt, Sepp Frank, hätte dem Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung bereits vor mehreren Jahren eine Studie vorgelegt, in der die Baulinie um zehn Meter in den Platz vorrückt. Der Fachbeirat und die für Stadtgestaltung zuständige Magistratsabteilung 19 sahen die Symmetrie des Platzes nicht gestört, womit einer Änderung des Flächenwidmungsplans nichts im Weg stand. Als Frank aber heuer seinen konkreten Entwurf für die Fassade vorlegte – eine einfalls­ lose Glashaut mit diagonal versetzten Ziergliedern –, hätte der Fachbeirat diesen als unpassend abgelehnt. Der Investor war bereit, für die Fassade noch Entwürfe von Manfred Wehdorn und Martin Kohlbauer einzuholen, die vom Fachbeirat begutachtet wurden. Kohlbauers Entwurf, eine routinierte, zwischen Moder­ nismus und klassischer Tektonik eingependelte Gliederung, wird ab kommendem Jahr zur Ausführung gelangen. Weit bemerkenswerter als diese Fassade ist die Geschichte des Grundstücks. 1938 wurden die Parzelle und das dort befindliche Wohnhaus „arisiert“ und ins Eigentum der NSDAP übergeführt. Das Haus wurde im Krieg zerstört, das Grundstück ging 1945 in den Besitz der Republik über. 1947 – die Adresse lautete inzwi­ schen Stalinplatz 2 – wurde es an die früheren Besitzer restituiert und von diesen 1954 um zwei Millionen Schilling an die SteyrDaimler-Puch AG, also an ein Unternehmen der verstaatlichten Industrie, verkauft. Jenseits dieser Möglichkeit, die Kriegsruine zum Marktpreis zu verkaufen, scheint es keine weitere Kompen­ sation an die Vorbesitzer gegeben zu haben. Die Steyr-DaimlerPuch AG gründete eine gemeinnützige Wohnbaugesellschaft, die 1958 auf dem Grundstück ein Wohnhaus für Mitarbeiter nach den Plänen der Architekten Schlacher und Zicha errichtete. Die Grün­ fläche vor dem Haus, annähernd symmetrisch zu jener vor der französischen Botschaft, wurde an die Stadt übertragen und in eine Nebenfahrbahn umgewandelt. Das alte Steyr-Haus galt zu Recht als das hässlichste Gebäude am Schwarzenbergplatz. Umbauten, 69

die dem Haus seine zeittypisch abgeschrägten Stützen im Erdge­ schoss raubten und seine Fassade schließlich in einen Mantel aus Fertigteilen hüllten, folgten. Den Wert der Immobilie hatte die Steyr-Daimler-Puch AG aber längst erkannt: Spätestens seit Rudolf Streicher, zuvor SPÖ-Kandidat für das Amt des Bundes­ präsidenten und später ÖIAG-Chef, 1992 Generaldirektor des Unternehmens wurde, gab es Überlegungen, an diesem Standort ein neues Gebäude, im Idealfall ein Hochhaus, zu errichten. Derartige Überlegungen scheiterten jedoch am Widerstand des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung. Aber auch so bot das Grundstück noch genug Potenzial für das, was Projektentwickler „Phantasie“ nennen. Sie war vor allem in jener ehemaligen Grünfläche zu finden, die 1958 an die Stadt übertragen worden war. Konnte man die Stadt davon überzeugen, diesen Grund zurück zu übertragen und mit einer Bauland­ widmung auszustatten, ließe sich die Nutzfläche des Projekts beachtlich vergrößern. Wieso der Fachbeirat für Stadtgestaltung in der Vorrückung der Baulinie in den Platz um zehn Meter keine Beeinträchtigung der Symmetrie erkennen konnte, wird ein Geheimnis bleiben: Die Sitzungsprotokolle des Beirats werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Die Magistratsabteilung 19 dürfte überhaupt einer Autosuggestion erlegen sein. Sie gibt bis heute die Auskunft, dass durch die neue Bebauung die „frühere Symmetrie“ des Platzes wiederhergestellt werde. Mit dem Studium der Stadtkarte dürfte man sich dort nicht lange aufgehalten haben: Wiederhergestellt wurde das Eigentum an den Grundstücken, aber keineswegs die Platzkontur. Eine entsprechende Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans erfolgte im Wiener Gemeinderat am 1. März 2002. Unmittelbar davor, im Februar 2002, war das alte Steyr-Haus in den Besitz der Investorengruppe um Rudolf Streicher überge­ gangen. Der Grundstücksteil mit Nebenfahrbahn und Grünfläche befand sich zu diesem Zeitpunkt als öffentlicher Grund aller­ dings noch im Besitz der Stadt. Ein Anspruch auf automatische Rückübertragung war bereits 1988, 30 Jahre nach der Abtretung, erloschen. Damit kommt die Abteilung für Liegenschaftsbewer­ tung der Magistratsabteilung 69 ins Spiel, die in Wien nicht der Stadtplanung, sondern dem Ressort „Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung“ des Stadtrats Werner Faymann untersteht. Sie muss einen „ortsüblichen Marktpreis“ bestimmen, zu dem der Grund verkauft wird. Angesichts der erzielbaren Nutzfläche schätzen Immobilien­ experten den Wert des Grundstücks auf 3,2 bis 4,8 Millionen Euro. Tatsächlich wechselte es aufgrund eines Amtsgutachtens der MA 69 im Dezember 2002 jedoch um knapp unter 1,2 Millionen Euro den Besitzer. Im Februar 2004 wurde das Projekt schließlich an den Investor Breiteneder verkauft. Für die Projektentwickler ein voller Erfolg: Bei der Vorstellung des Projekts konnte der planende Architekt, Sepp Frank, stolz berichten, dass die Nutzfläche von 6.000 m2 im alten Steyr-Haus auf 10.000 m2, also um 66 %, gestei­ gert werden konnte. Für die Wiener eine Niederlage: Abgese­ hen von den Widmungsgewinnen, die weit überproportional 70

von Privaten lukriert wurden, gab es weder eine unabhängige städtebauliche Studie noch einen Projektwettbewerb, es sei denn, man wollte die Wahl zwischen Fassaden der Marken Frank, Wehdorn und Kohlbauer als solchen gelten lassen. Das Muster, das bei diesem Projekt erkennbar wird, findet sich bei vielen großen Wiener Stadtentwicklungsprojekten der letzten Jahre. Beim Millenniumstower stand hinter Georg Stumpf, Franz Vranitzky, bei Monte-Laa der ehemalige Vizebürgermeister Hans Mayr als Aufsichtsratsvorsitzender der PORR, am Wienerberg Friedrich Kadrnoska, einer der Vorstände der Bank Austria, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von Wienerberger. Alle Projekte widersprechen den Stadtentwicklungsplänen oder haben sich – wie der Millenniumstower – über Widmung und Baulinien so lange hinweggesetzt, bis das Ergebnis durch neue Bebauungspläne legalisiert wurde. Die Stadtplanung war in keinem Fall stark genug, sich dem politischen Druck zu widersetzen. Als Nebeneffekt dieser Entwicklung sind besser geeignete, dem Stadtentwicklungs­ plan entsprechende Areale wie das Nordbahnhofgelände und die Aspanggründe bis heute unbebaut. Eine „Wiener Architekturdeklaration“ allein wird an dieser Situation nichts ändern. Aber vielleicht legt die Stadt das „Architek­ turjahr 2006“ ja anders an, sachlicher und selbstkritischer, wirk­ lich transparent und ohne Tabuzonen. Hoffen wird man ja noch dürfen.

17 / 12 / 2005   

QUICKNESS STATT SPEED

Selbstverständliches braucht oft länger, als man glaubt. Aus Anlass der 50-Jahr­Feier des Staatsvertrags bekam das Wiener Parlament einen neuen Eingang. Dort, wo er hingehört. Ein Himmelfahrtskommando, bravourös bewältigt.

I

n seinen „Memos für das kommende Jahrtausend“ hat Italo Calvino vor 20 Jahren drei Leitbegriffe für die Kunst des 21. Jahrhunderts formuliert: Leichtigkeit, Schnelligkeit und Exaktheit. Zwei dieser Begriffe, Leich­ tigkeit und Exaktheit, hatten in der Architektur der Moderne immer schon einen guten Ruf. Für den dritten, die Schnelligkeit, gilt das nicht. Er klingt in der Architek­ tur nach der erstbesten Lösung, im schlimmsten Fall nach Pfusch. Schnelligkeit ist allerdings ein vieldeutiger Begriff. Calvino spricht im englischen Original – die Memos waren als Vorlesung an einer amerikanischen Universität konzipiert – nicht von 71

Im historischen Unterbau des Wiener Parlaments ... Foto: Christian Kühn

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„Speed“, sondern von „Quickness“. Nicht die Stei­ gerung der Reisegeschwin­ digkeit sei das Merkmal für die Kunst des 21. Jahr­ hunderts, sondern ein hohes Reaktionsvermögen, um blitzschnell die scheinbar unmöglichsten Wendungen auszuführen und plötzliche Widerstände kreativ zu verwerten. An der Geschichte, wie das Wiener Parlament zu seinem neuen Eingang kam, hätte Calvino jeden­ falls seine reinste Freude. Sie beginnt mit einem Bau­ schaden: Der Pallas-AtheneBrunnen, das Wahrzeichen des Parlaments zur Ring­ straßenseite, war schon seit Jahren undicht und hatte die Fundamente der beiden symmetrisch hinaufführen­ den Rampen so weit durch­ feuchtet, dass deren General­ sanierung notwendig wurde. Zugleich sollte die Lüftungsanlage für das Parlament, die in den Gewölben unter der Rampe und dem Säulenportikus unterge­ bracht war, erneuert werden. Der Portikus hatte zur Errichtungszeit des Parlaments, als man hier mit Pferdewagen vorfuhr, noch als Haupteingang gedient. Für den Winter gab es einen zweiten, sogenannten Schlechtwetter­ eingang, eine Durchfahrt auf Straßenniveau unter dem Portikus, die es den Fahrgästen erlaubte, im Gebäudeinneren auszusteigen und über ein Vestibül und zwei nach oben führende Treppen in die Eingangshalle zu gelangen. Diese Eingänge waren aber schon seit langem so gut wie stillgelegt. Parlamentarier benutzten Seiteneingänge ins Parlament, die zumindest halboffiziell bestimm­ ten Parteien zugeordnet waren. Die Rampensanierung bot die Möglichkeit, den alten Schlechtwettereingang zu reaktivieren und damit einen gemeinsamen Zugang ins Parlament zu schaffen. Im Jahr 2002 wurde ein erster Wettbewerb für die Sanierung ausgelobt, den der Architekt Herbert Beier mit der Idee gewann, die Lüftungsanlage abzusiedeln und dadurch unter der Rampe mehr Platz für zusätzliche Nutzungen zu schaffen. Der Vorschlag von Manfred Wehdorn, hinter dem Brunnen einen direkt auf die Ringstraße gerichteten zentralen Eingang anstelle des für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbaren Schlechtwettereingangs zu schaffen, kam zwar in die engere Wahl. Mit dem absehbaren Widerstand des Denkmalamts wollte man die Sanierung aber

dann doch nicht belasten – immerhin sollte der neue Eingang pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum der StaatsvertragsUnterzeichnung fertig sein. In der Folge entwickelte das Projekt eine beachtliche Eigendynamik. Die Fundamente für die Rampen mussten tiefer gelegt werden, neue nutzbare Räume entstanden. Zu den geplanten Funktionen – Eingang, Garderoben für Besucher­ gruppen und multimediale Informationswände – kamen ein neuer Tiefspeicher für die Bibliothek des Hauses, ein Raum für Vorträge und Pressekonferenzen sowie neue Studios des ORF. Aus der bautechnischen Sanierung wurde so ein umfangreiches architek­ tonisches Projekt mit beachtlicher symbolischer Bedeutung für das Parlament. Mitten im laufenden Baubetrieb beschloss der Bauherr im Sommer 2004, einen weiteren Wettbewerb für die architektonische Ausgestaltung des Projekts auszuloben, da die von Herbert Beier inzwischen entwickelte Lösung zwar technisch entsprach, ästhetisch aber zu wünschen übrig ließ. Um den Betrieb nicht aufzuhalten, war zuerst nur an einen Wettbewerb für Möblierung, Licht und Material gedacht. Die Architektenkammer konnte aber erreichen, dass auch bauliche Veränderungen zulässig waren. Knapp sechs Wochen hatten die Projektanten Zeit, Lösungen zu entwickeln, während auf der Baustelle bereits die Fundamente betoniert wurden. Das Siegerprojekt von Kinayeh und Markus Geiswinkler punktete mit einer klaren Organisation und dramatischen verti­ kalen Durchblicken, die den Weg vom Foyer in den Vortragssaal zwei Stockwerke tiefer zu einem Erlebnis machen. Zu diesem Zeitpunkt blieb gerade noch ein Jahr bis zur Eröffnung. Mitten in einem laufenden Bauprojekt Umplanungen vorzunehmen, noch dazu angesichts eines staatstragenden Fertigstellungstermins, ist ein Himmelfahrtskommando, das in diesem Fall bravourös bewältigt wurde. Nicht alle Leistungen sind dabei so sichtbar wie

… entstehen dramatische Durchblicke mit neuen Nutzungsoptionen Foto: Anna Blau

Dem Denkmalschutz abge­rungen: Eingang ins Hohe Haus an sinnfälligster Stelle Foto: Manfred Seidl

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die präzise detaillierten Übergänge zwischen Alt und Neu oder die raffinierte Belichtung, die von Bartenbach Lichttechnik konzipiert wurde. Genauso wichtig ist das, was unsichtbar bleibt: die Lüftung, die so umgeplant werden konnte, dass sie den vertikalen Raumeindruck nicht mehr stört, oder die statischen Kunstgriffe, mit denen im Vortragsraum eine Nische geschaffen wurde, die dem Raum erst die richtige Proportion gibt. In einer letzten plötzlichen Wendung setzte sich schließlich doch noch der zentrale Eingang durch, der schon im ersten Wett­ bewerb vorgeschlagen worden war. Gegen die Logik, das Hohe Haus an der sinnfälligsten Stelle betreten zu dürfen, konnte sich selbst das Denkmalamt nicht auf Dauer sperren. Die Geiswinklers haben dafür eine raffinierte Lösung mit vertikalen Falttoren aus Edelstahl entwickelt, die im offenen Zustand ein Vordach und im geschlossenen Zustand eine ruhige Fläche bilden. Den Gestaltungs­ vorschlag, den die Architekten für die Umgebung des Brunnens gemacht hatten – zwei Natursteinschwellen, die trapezförmig auf den Eingang hinführen –, lehnte das Denkmalamt dagegen ab. Den positiven Gesamteindruck kann das freilich nicht trüben. Die plötzlichen Wendungen haben dem Projekt genützt, weil alle Beteiligten die Krisen als Chance erkannt haben, etwas Außerge­ wöhnliches zu erreichen. Einzig, dass es im Land der großen Söhne­ töchter aufgrund des Zeitdrucks nicht mehr möglich war, die bildende Kunst stärker in das Projekt einzubeziehen, ist schade. Aber daran lässt sich ja noch arbeiten.

01 / 10 / 2005   

BARBIE, PINK UND MÖRTEL Dass die Stadt, statt geplant zu werden, sich selbst plant, soll vorkommen. Und trotzdem: Auch so kann ein Stück Architektur entstehen, das es mit Otto Wagner aufzunehmen vermag. Neues vom Wiener Neubaugürtel.

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or wenigen Jahren noch, da gehörte der Gürtel den Autos, der Stadtbahn und dem Rotlicht­ milieu – ein breiter, grauer Straßenraum mit ein paar verstaubten Bäumen, geteilt durch die Stadtbahn mit ihren markanten, von Otto Wagner geplanten Stationsgebäuden, Bögen und Brücken. Im Bereich des Neubaugürtels, wo die Bahn in Tieflage geführt ist, waren davon nur die kleinen Pavillons mit den Abgängen auf die Bahnsteige zu sehen. Wer heute hier Richtung Westbahnhof unterwegs ist und die Burggasse kreuzt, begegnet einem völlig veränderten Bild. Fast sieht es aus, als hätte die Shopping City Süd eine Dependance eröffnet: Wagners Stationsgebäude duckt sich vor der Stirnseite der Wiener Hauptbücherei, die breitbeinig über die Bahntrasse stelzt. Rechter Hand hat die Lugner-City den Sprung auf den Gürtel geschafft und lockt Besucher in ihr neues Kinocenter mit angeschlossener Großgastronomie, 1.600 Sitzplätze in 26 Restaurants.

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Aus dem Kinocenter, einem Stück anspruchsloser Kommerz­ architektur, ragt eine verglaste, in der Nacht hell beleuchtete Brücke quer in den Gürtel. Kurz bevor sie die Stadtbibliothek erreicht, wendet sie sich, einen Kurzschluss zwischen Kommerz und Kultur vermeidend, zurück in die Längsrichtung des Gürtels und ent­ lässt das Publikum über Rolltreppen auf eine Verkehrsinsel mit Anschluss an Stadtbahn und Bus. Die Vorgeschichte dieses Ensembles ist ein Lehrbeispiel dafür, dass eine Stadt heute nicht mehr geplant wird, sondern sich gewissermaßen selbst plant. Die Geschichte beginnt mit einer typisch funktionalistischen Planervision. Dem ehemaligen Vize­ bürgermeister Hans Mayr wird die Idee zugeschrieben, den un­ genutzten Raum über der Stadtbahn mit Parkgaragen zu füllen: Wo viel Verkehr ist, kann mehr Verkehr nicht schaden. Diese Idee hätte den Gürtel als Stadtraum endgültig ruiniert und ver­ schwand dankenswerterweise in der Versenkung. Mit geänderter Nutzung tauchte sie jedoch Mitte der 1990er-Jahre wieder auf. Von Hans Mayr inspiriert, schlug der Baumeister und Betreiber des nahen Shopping-Centers, Richard Lugner, eine Überbauung des Stations­ bereichs mit einem eingeschossigen

Gebäude vor, das Geschäfte und Restaurants aufnehmen und ganz nebenbei eine direkte Anbindung des Shopping-Centers an die Station erlauben sollte. Das Projekt scheiterte am Einspruch des Wiener Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der sich nach wie vor gegen jede Verbauung der Innenzone des Gürtels aussprach. Erst die Idee, den Schwung der EU-Förderungen aus dem Urban-Plus-Programm zu nutzen und die Hauptbücherei als kulturelle Nutzung hierher zu verlegen, konnte diese stadtgestal­ terischen Argumente ausstechen. Seit 2003 thront die Bücherei breit und behäbig im Gürtelraum, in der äußeren Erscheinung eine klare Themenverfehlung, aber mit angenehmem Inneren und nicht zuletzt deshalb ein durchschlagender Erfolg beim Publikum. Lugner versuchte lange, eine Anbindung seines Shop­ ping-Centers an die Bibliothek zu erreichen, stieß mit dieser Idee aber auf keine Gegenliebe. Für eine Brücke über den Gürtel, die Passanten direkt beim Stationsausgang abholt, fand sich aber

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Wozu überflüssige Stützen? Brücke über den Wiener Neubaugürtel von Aneta Bulant und Klaus Wailzer Fotos: Rupert Steiner

Bei Nacht ein Werbe­ träger in Märchenblau und Barbiepink

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schließlich ein zwingender Grund: Bereits ohne die Besucher­ ströme aus dem Kinocenter kam es hier einmal pro Monat zu einem Unfall mit Personenschaden. Und so bekam Lugner am Ende fast geschenkt, wofür er noch vor ein paar Jahren inklusive Stationsüberbauung ein Vielfaches investiert hätte: Einen Werbe­ träger quer über den Gürtel, nachts märchenblau und barbiepink beleuchtet. Dass diese Brücke zugleich das einzige Bauwerk in weitem Umkreis ist, das es architektonisch mit Otto Wagners Stadtbahn­ station aufnehmen kann, ist ein Zufall, der gut zu einer derart verwickelten Geschichte passt. Lugner hatte ursprünglich eine unförmige Betonkonstruktion mit mehreren, die Rolltreppe tragenden Stützen vorgelegt, folgte dann aber einer Empfehlung der für Stadtgestaltung zuständigen Magistratsabteilung 19 und beauftragte die Architekten Aneta Bulant und Klaus Wailzer mit der Planung. Bulant und Wailzer, die mit eleganten, international ausgezeichneten Glasbauten aufgefallen waren, schlugen vor, das Tragwerk in Stahl zu konstruieren, auf überflüssige Stützen zu verzichten und die Brücke über zwei Stahlkabel vom Kinocenter abzuhängen. Das Besondere an der Brücke ist die raffinierte Beziehung zwischen Tragwerk, Baukörpergeometrie und Hülle. Die Seiten­ flächen der Brücke sind nicht parallel, sondern leicht gegenein­ ander verschwenkt, wodurch sich im Inneren ein eigenwilliger, perspektivisch veränderter Raumeindruck ergibt. Zugleich haben Bulant und Wailzer die Rasterung der Außenhaut auf einem rechtwinkligen Liniennetz aufgebaut, das nur auf der Innenseite des Brückenknies mit der Baukörpergeometrie übereinstimmt, sich von dort aus aber einfach über die restlichen Oberflächen wickelt. Einzelne Rasterfelder werden dadurch über die Kanten gebogen, was konstruktiv nicht unaufwendig ist und eine große Exaktheit in der Herstellung erfordert. Die kontrapunktische Überlagerung der Systeme von Baukörper und Hüllenraster hat aber einen besonderen Reiz, den die Besucher auch dann spüren, wenn sie ihn gar nicht bewusst wahrnehmen. Der Erfolg einer derartigen, nur auf den ersten Blick einfachen Idee hängt wesentlich davon ab, dass der Bauherr das Konzept versteht und bei der Umsetzung keine Abstriche macht. In diesem Fall war die Kooperation zwischen dem Bauherrn, dem Trag­ werksplaner Lothar Heinrich aus dem Büro Vasko und den aus­ führenden Firmen Waagner-Bíro und Eckelt mit den Architekten durchwegs produktiv, was man dem Produkt in der Detailqualität auch ansieht. Man darf hoffen, dass die Architekten bei ihrem nächsten Projekt, einer weiteren Brücke mit Otto-Wagner-Berüh­ rung – dem Sky-Walk zwischen 9. und 19. Bezirk – mit der Stadt Wien als Bauherrn ähnlich viel Glück haben. Bleibt die Frage, ob der traditionelle Stadtraum des Gürtels durch die diversen Einbauten am Ende nicht doch ruiniert wurde. Sicher hätte es kultiviertere Möglichkeiten gegeben, den alten grauen Gürtel aufzuwerten. Aber ob die auch zeitgemäß gewesen wären? Richard Lugner, der seinen Spitznamen „Mörtel“ mit Stolz trägt, bereichert immerhin seit Jahren den Wiener Opernball, 76

wo er werbewirksam mit Gattin Mausi und einem Stargast auftritt, der davor – wie zuletzt Spice Girl Geri Halliwell – in der Lugner­ City vorgeführt wird. Getoppt wurde diese Leistung von der MöbelLutz-Kette, die für ihre aus der Fernsehwerbung bekannte „Familie“ eine eigene Loge anmietete. Ihre Präsenz auf dem Opern­ ball sollte signalisieren, dass die Marke Lutz inzwischen auch gehobenere Käuferschichten anspricht. Und da sollen am Gürtel kultivierte Zustände herrschen?

09 / 09 / 2005   

AUTISTISCHE TÜRME, DIFFUSE KONTUREN Ein windschlüpfriges Oval; ein lustiger Turm mit Schnabel; eine palmen­ bekrönte High-Tech-Skulptur; und welche Entwürfe sonst noch gegen Jean Nouvels Siegerprojekt für ein Hochhaus am Wiener Donaukanal angetreten sind.

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ie nördliche Kante des Wiener Donaukanals zwischen Rossauerbrücke und Aspernbrücke könnte zu den besten Adressen der Stadt gehören: Es gibt Blick aufs Wasser, die Altstadt liegt gleich gegen­ über, und die Verkehrsanbindung ist erstklassig. Das dennoch bis heute eher bescheidene Image des Gebiets lässt sich aus der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg erklären. Zwar hatte es radikale Vorschläge zur Modernisierung gegeben, etwa von Lois Welzenbacher, realisiert wurde jedoch eine unglückliche Mischung aus gründerzeitlicher Parzellierung und einigen großvolumigen Einzelobjekten. Dazu kommt das niedrige technische und gestalterische Niveau der meisten Bauten, wie es für die unmittelbare Nachkriegszeit in Wien typisch ist. Georg Lipperts Zentrale der ehemaligen Bundesländerversi­ cherung von 1961, ein parallel zum Donaukanal breit gelagerter Quader, wirkte in diesem Umfeld zur Zeit ihrer Entstehung gerade­ zu progressiv. Zur Rechtfertigung der größeren Bauhöhe ist das Gebäude hinter die vordere Baulinie gerückt; man schenkte damit der Stadt eine wenig einladende „Plaza“ Richtung Schweden­ brücke. Lipperts Bau war aber signifikant genug, um Hans Hollein bei seinem 2001 fertiggestellten Media-Tower als grundsätzliche Referenz für Bauhöhe und Fassade zu dienen. Dass Hollein seinen Nachbarn mit einem leicht geneigten Glasturm an Höhe noch übertreffen durfte, lag schlicht daran, dass die Stadt Wien über kein stadtgestalterisches Konzept für dieses Gebiet verfügte. (Wenn man von der ziemlich allgemeinen Festlegung der Hochhausstudie absieht, dass an hochrangigen Knoten des öffentlichen Verkehrs zusätzliche Verdichtungen möglich sind, solange sie keine Schutzzone beeinträchtigen.)

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Damit steht bei jedem Einzelprojekt eine Neuverhandlung der umgebenden Stadtstruktur mit dem Investor auf dem Programm. Besser als ein schlechtes Konzept mag diese Konzeptlosigkeit allemal sein. Trotzdem bedeutet sie nichts anderes, als bei jedem Projekt auf eine Architektur zu hoffen, die aktiv zur Stadtent­ wicklung beiträgt und nicht primär vom Interesse an Gewinn­ maximierung getrieben ist. Holleins schlanker Turm hat jedenfalls einen neuen Maßstab für die Höhenentwicklung am Donaukanal gesetzt, der sich inzwischen flussabwärts an der Aspernbrücke im neuen Haupt­ quartier der Uniqa – der Nachfolgerin der Bundesländerversiche­ rung – schon in wesentlich massiverer und in Bezug auf die Umge­ bung weit weniger sensibler Form manifestiert. Anlässlich eines jüngst entschiedenen Wettbewerbs durfte man gespannt sein, wie die nächste Etappe in diesem Prozess des konti­ nuierlichen Neuverhandelns des Stadtbilds ausgehen würde. Nach der Übersiedlung aller Mitarbeiter in die neue Konzern­zentrale plant die Uniqa-Versicherung, Lipperts Bau abzureißen und auf dem Grundstück ein multifunktionales Gebäude mit Büro- und Hotelnutzung zu errichten. Der Bauherr lud 13 Architekten ein, in einem zweistufigen Verfahren Projekte auszuarbeiten. Eine wesentliche Vorgabe war die optimale Einbindung des Bauwerks in den zweiten Bezirk sowie die Förderung der Anbindung an die Innenstadt. Für den repräsentativen Standort sollte ein ent­ sprechend repräsentatives Gebäude mit attraktiver und öffentlich zugänglicher Sockelzone in Vernetzung mit den umliegenden Straßen­räumen entstehen. Zugleich sollte die Verschattung der benachbarten Fassaden gegenüber dem Bestand verbessert werden. Die Wettbewerbsergebnisse, die noch bis 12. September im Architekturzentrum Wien ausgestellt sind, lassen sich in zwei Gruppen gliedern: autonome Großplastiken auf der einen und aus dem Kontext entwickelte Strukturen auf der anderen Seite. (Dass auch die Großplastiken auf den Standort reagieren müssen und dass jeder Kontextbezug auch über eine plastische Form hergestellt werden muss, schwächt diese Unterscheidung nicht prinzipiell.) In einer speziellen Situation war hier Hans Hollein, der mit dem Media-Tower den Kontext vor Jahren wesentlich mitgestaltet hat und nun zu einer kraftschlüssigen skulpturalen Verbindung mit sich selbst ansetzte, die von der Jury aber schon in der ersten Stufe als überzogene Geste ausgeschieden wurde. Autonome Türme mit markanter Figur wurden von rund der Hälfte der Projektanten angeboten. In die zweite Stufe kamen ein windschlüpfriges Oval von Helmut Jahn, das an fast jeden Ort der Welt gepasst hätte, ein lustiger Turm von Gustav Peichl mit gieß­ kannenartigem Hausschnabel und eine palmenbekrönte HighTech-Skulptur von Richard Rogers. Warum sich die Jury das Urteil „Vergewaltigung des Orts“ ausgerechnet für die kompromisslo­ seste Großskulptur, einen beeindruckenden oktogonalen Kristall von Adolf Krischanitz, der in der ersten Stufe ausgeschieden wurde, aufgespart hat, bleibt rätselhaft. Die Entscheidung fiel am Ende zwischen einem sehr kultivierten Entwurf von Paul Katzberger, 78

einer schräg gestellten Hochhausscheibe, und dem Projekt von Jean Nouvel, einem auf den ersten Blick wenig harmonisch wirkenden, leicht gekippten Block auf einem Sockel mit schräg geneigter Glashülle. Nouvel, der seine Arbeit immer schon als Generalangriff auf die autistische „autonome Architektur“ gesehen Hochhäuser, aus dem Kontext entwickelt oder autonom positioniert: Entwürfe von Hans Hollein, Helmut Jahn, Adolf Krischanitz und das Siegerprojekt von Jean Nouvel Fotos v.l.n.r.: Hans Hollein, Helmut Jahn, Adolf Krischanitz, Jean Nouvel

hat, stellt hier seine Meister­ schaft unter Beweis, ein Projekt aus dem jeweiligen Kontext zu entwickeln und trotzdem einen absolut eigenständigen Beitrag zu leisten. Nouvel arbeitet nicht mit Baukörpern, sondern mit Linien und Flächen, die Sicht- und Beschattungslinien aufnehmen. Der Betrachter soll keine Gesamtfigur mehr wahrnehmen, sondern diffuse, scheinbar widersprüchliche Konturen, Spiegelungen und fließende Übergänge von Außen- und Innenräumen. Wie Nouvel den Hoteltrakt, von zwei verspiegelten Pfeilern getragen, auf den Glaskörper kippt, wie er die Untersichten von Baukörpern zu Projektionsflächen macht, die weit in den Stadt­ raum hineinwirken, oder wie er die vier Fassaden des Hotels je nach Himmelsrichtung unterschiedlich ausbildet, stellt viele eingefah­ rene Regeln der Architektur auf den Kopf, ohne in eine selbst­ verliebte Virtuosenarchitektur abzugleiten. Wenn Nouvel die Stimmungen, die er in seinen Zeichnungen andeutet, tatsächlich erreicht, könnten in diesem Gebäude Räume entstehen, die zu den innovativsten der letzten Jahre gehören und unsere Vorstellungen von Architektur verändern. Wer von der Umsetzung von Nouvels Projekten in Wien bisher ein wenig enttäuscht war, darf diesmal aufs Maximum hoffen: Bauaufgabe und Bauherr sollten für ein adäquates Budget sorgen. Und dass „die Materialisierung der Fassade mit der zuständigen Magistrats­ abteilung abzustimmen ist“, wie man im Juryprotokoll liest, wird das Projekt wohl auch überleben.

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27 / 08 / 2005   

BLECHBLITZE IN DER KALKPUTZSTADT Wenn in hundert Jahren von der Kalkputzstadt Wien nur Reste übrig sind, werden Wohnbau-Projekte wie die von ARTEC und Geiswinkler & Geiswinkler als Kristallisationskerne eines neuen städtischen Gewebes gewirkt haben.

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as Gebiet zwischen Triester Straße und Laxenburger Straße in Favoriten, dem zehnten Wiener Gemeinde­ bezirk, ist eines der typischen Stadterweiterungsgebiete, wie sie im späten 19. Jahrhundert außerhalb des Gürtels entstanden. Während die Fassaden mit dicken Schichten aus Putz und Ornament ein gutbürgerliches Gesicht zeigten, verriet der Stadtgrundriss seine Bestimmung als Paradies für Spekulanten: Ein rechtwinkliger Blockraster mit dichtester Bebauung, in dem nur ab und zu ein „Beserlpark“ – wie die Wiener diese Ausspa­ rungen im Raster nennen – für etwas Grün sorgt. Die Haltung der Stadtplanung zu solchen Gebieten hat sich in Wien seit den 1960er-Jahren radikal geändert. Anstelle von Flächensanierungen, also dem Abriss und Neubau von möglichst großen, zusammenhängenden Arealen, wurde die „Sanfte Stadt­ erneuerung“ durch Sanierung des Bestands in den 1970er-Jahren zur dominierenden Doktrin. Sie bezog sich ursprünglich auf den Umgang mit historisch „wertvollen“ Gebieten, wie er im Wiener Schutzzonengesetz aus dem Jahr 1972 geregelt wurde. 1978 räumte Bürgermeister Leopold Gratz in seiner Regierungserklärung dieser Art der Stadtentwicklung grundsätzlich Priorität vor Stadt­ erweiterung und Flächensanierung ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich mit dem „Planquadrat“ im vierten Bezirk bereits ein Pilotprojekt der „Sanften Stadterneuerung“ etabliert, und der Wiener ÖVP-Chef Erhard Busek hatte gezeigt, dass man mit dem Thema politisch gegen die Bagger-Fraktion punkten konnte. „Sanfte Stadterneuerung“ beschränkt sich aber nicht auf eine Sanierung des Bestands. Gerade in Gebieten mit schlechter Bau­ substanz und längst aller gründerzeitlicher Verzierungen beraubten Fassaden müssen Impulse von Neubauten ausgehen, die versuchen, das Wohnen in der Stadt zeitgemäß zu definieren. Urbanität, also „städtisches Lebensgefühl“, braucht neben einer hohen Dichte auch Faktoren wie Theatralik und Hybridität: Die Stadt lebt von der Koexistenz unterschiedlicher Lebensentwürfe, die sich im Stadt­ raum ausdrücken und in ihrer gegenseitigen Überlagerung den spezifischen Rhythmus einer Stadt bilden. Die hoch spekulativen

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gründerzeitlichen Erweiterungsgebiete außerhalb des Gürtels konnten über ihre differenzierten Fassaden nur einen Anschein davon vermitteln. Für eine zeitgemäße Urbanität braucht es hier gezielte Irritationen, die jenseits der Reparatur des Bestehenden ein neues städtisches Gewebe knüpfen. Eine erstaunliche Häufung von in dieser Hinsicht ambitio­ nierten Wohnbauten findet sich in Favoriten in den Baublöcken um den Paltramplatz, einem typischen „Beserlpark“ zwischen der Siccardsburg- und der Van-der-Nüll-Gasse. Die guten Geister der beiden in den Straßennamen verewigten Architekten der Wiener Oper haben offensichtlich gewirkt: Zu den viel publizierten Wohnbauten von Delugan-Meissl direkt am Paltramplatz und von Patricia Zacek in der Siccardsburggasse aus den Jahren 2002 und 2003 sind heuer in der Alxingergasse zwei neue Nachbarn hinzu­ gekommen. An der Ecke zur Hardtmuthgasse haben die Architekten Geiswinkler & Geiswinkler für den Bauträger „Neues Leben“ geplant, schräg gegenüber findet sich eine Baulückenverbauung von ARTEC für die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, GPA. Geiswinkler & Geiswinkler beweisen, dass sich das Prinzip der „gestapelten Einfamilienhäuser“ auch in diesem Umfeld erfolgreich realisieren lässt. Die Wohnungen sind zweigeschossig angelegt und verfügen jeweils über einen raffiniert angelegten Freibereich, der aus einer kleinen Terrasse, einem Stück Wiese und einem „Vertikalgarten“ besteht und einen Puffer zwischen der Wohnung und dem Straßenraum bildet. Einblick in diesen Freibereich ist immer nur von Räumen der eigenen Wohnung aus möglich. Das Konzept ergibt für die Wohnräume eine erstaunliche Balance aus Öffnung und Intimität, die sich noch steigern wird, wenn die fünf Meter hohen Rankgerüste der seitlichen Loggienwände bewachsen sind. Die oft von Bauträgern geäußerte Behauptung, dass Bewohner in der dicht verbauten Stadt keine Loggien und Balkone wünschen, weil man diese nicht nutzen könne, wird hier eindrucksvoll widerlegt. Voraussetzung ist die Bereitschaft des Bauträgers, aus seinem Grundstück nicht das Maximum an Nutzfläche herauszupressen, sondern Raum für eine begrünte Zwischenzone zu lassen. Dass sich auf dem Dach zusätzlich ein gemeinsam zu nutzender Dach­ garten mit schönem Blick über Wien findet, ist ein geradezu luxuriöses Extra. Ähnlich großzügig ist der Bauherr mit dem Erd­ geschoss verfahren. Statt hier noch ein – in diesem Viertel sowieso kaum vermietbares – Geschäftslokal oder eine schlecht belichtete Wohnung vorsehen zu müssen, durften die Architekten beim Eingang viel Straßenraum ins Haus ziehen und im Erdgeschoss einen großen Gemeinschaftsraum anlegen, der sich zu einem Hof­ garten öffnet. Auch im Wohnbau von ARTEC wird das Verhältnis zwischen Straßenraum und Gebäude neu ausgelotet. Die Baulücke liegt im Gefälle an der Schnittstelle zwischen zwei Bauklassen mit

Was Wohnbau sein kann: Gestapelte Maisonetten mit Eigengarten, in Aluminium verpackt von Geiswinkler & Geiswinkler Foto: Manfred Seidl

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Außen Titanzink, innen Sperrholz, HightechFenster: zeitgemäße Stadterneuerung von ARTEC Foto: Margherita Spiluttini

unterschiedlicher Bauhöhe. Der Entwurf löst den kompakten Block in eine rhythmisch gegliederte Anordnung von vor- und zurückspringenden Kuben auf. Durch diese Staffelung erhält einerseits der Straßenraum mehr Licht, andererseits entstehen bereits ab dem vierten Obergeschoss großzügige Dach­ terrassen. Die Wohnungen im ersten und zweiten Geschoss teilen sich einen vorspringenden Baukör­ per mit Fenstern, die einen Blick in die Tiefe des Straßenraums erlauben. Die Erdgeschosswohnungen haben entsprechend dem Gefälle bis zu vier Meter Raumhöhe und hofseitige Gärten. Die Gebäudehülle wird von einer hinterlüfteten Leichtwand gebildet, die aus Stahlkassetten mit Wärmedämmung besteht und zur Straße hin mit Platten aus Titanzink und raumseitig mit Sperrholz verkleidet ist. Die Fenster sind spezielle Holz-Alumi­ nium-Konstruktionen. In der Material- und Farb­ wahl (besonders hervorzuheben: das glänzend rot gestrichene Treppenhaus, das im Straßenraum hervorblitzt) ist das Projekt typisch für die räumliche Choreographie von ARTEC: plötzliche Materialwechsel, unvermitteltes Aneinanderstoßen von Raum­ schichten und im Inneren eine Kombination aus kräftigen Farben und Texturen. Beide Projekte sind beispielhaft für das exzellente Niveau, das der geförderte Wohnbau in Wien in konzeptioneller, formaler und technischer Hinsicht erreichen kann. Dass man im frei finanzierten Bereich (zu höheren Kosten) kaum Vergleichbares findet, ist ein Indiz dafür, dass die Regulierungssysteme der öffentlichen Hand im Interesse der Nutzer, aber auch im Sinne der Stadtentwicklung funktionieren: Wenn von der Kalkputzstadt Wien in 100 Jahren nur noch Reste übrig sind, werden Projekte wie diese als Kristallisationskerne des neuen städtischen Gewebes gewirkt haben.

16 / 07 / 2005   

SECHSTES GESCHOSS, BERGSEE

Ein Wohnwagen, ein Whirlpool, ein Musikzimmer, eine Werksküche. Alles im offenen Gerüst. „Add on“, die begehbare Skulptur auf dem Wiener Wallensteinplatz: nur ein weiteres Dauerspektakel auf einem öffentlichen Platz?

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ls vor ein paar Wochen die ersten Teile des Gerüsts aufgestellt wurden, das heute den Wallensteinplatz im 20. Bezirk beherrscht, waren die Anrainer ein wenig ratlos: Ein 20 Meter hohes Baugerüst, wie es sonst bei der Sanierung von Fassaden verwendet wird, aber mitten auf dem Platz, weit weg von jeder Fassade, die es hätte einrüsten können?

Aufgebaut wurde es von einer Gruppe von Architek­ turstudenten der Techni­ schen Universität Wien, gefördert von einer Initia­ tive der Stadt für „Kunst im öffentlichen Raum“, gesponsert von privaten Unternehmen, die Bau­ material und Maschinen zur Verfügung stellten. In diesem Gerüst verfangen haben sich auf unterschiedlichen Höhen­ lagen ein Wohnwagen, ein Whirlpool, ein Musikzimmer, eine Inter­ netlounge, Toiletten, eine Werksküche und auf der höchsten Ebene ein winziger Bergsee mit künstlichen Seerosen und einem Felsen aus Kunststoff, über den man in ein Panoramacafé für zwei Personen klettert. Weil dort kein Ober mehr hineinpasst, kommt der Kaffee aus einem Münzautomaten. Der Aufstieg lohnt sich offenbar trotzdem. 600 Besucher pro Tag klettern über die Stufen und Terrassen nach oben, und das

Wohnträume ohne Wände …

Publikum ist genauso bunt gemischt wie die Versatzstücke des Wohnens, aus denen sich diese räumliche Collage zusammen­ setzt. Wer sich hier etwas länger aufhält, beginnt sich nach und nach wie in einem Haus ohne Wände zu fühlen, und bald kommen ihm die umgebenden Häuser mit ihren blickdichten Gründer­ zeitfassaden gar nicht mehr so selbstverständlich vor. Vielleicht wäre ein offenes Gerüst mit ein paar Biwakschachteln doch eine Alternative zu den „eigenen vier Wänden“, die schützen, aber immer auch einschließen? Für die Kinder, die mit Begeisterung

… an die Luft gesetzt auf dem Wiener Wallensteinplatz

Foto: Michael Nagl

Foto: Peter Fattinger

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in diesem vertikalen Erlebnispark herumtollen, ist diese Frage klar zu beantworten: Das Gerüst ist besser als jedes Baumhaus, und wenn man noch selbst daran weiterbasteln dürfte, wäre es der optimale Abenteuerspielplatz. Die anderen Besucher werden das Spektakel genießen und dann nach Hause gehen, vielleicht die Vorhänge aufziehen und sich fragen, warum sie von ihren Nachbarn eigentlich kaum mehr kennen als den Namen auf dem Türschild. Für Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper, die für Konzept und Realisierung von „add on“ verantwortlich zeichnen, ist das delikate Verhältnis zwischen öffentlichem Leben und angeb­ lich ausschließlich privatem Wohnen ein zentrales Thema. Im normalen Wohnalltag verdichten sich seit einigen Jahren zwei scheinbar gegenläufige Phänomene: Auf der einen Seite die völlige Auflösung aller Grenzen zwischen öffentlich und privat in den Spektakeln der „Big-Brother“-Inszenierungen, auf der anderen Seite eine immer stärkere Abkapselung der individuellen Wohn­ einheit als Festung gegenüber einer bedrohlichen Außenwelt. Das „add-on“-Gerüst ist eine begehbare Skulptur, die darauf hinweist, dass gerade die Zwischenzonen und Hybride, in denen sich auch Zufälliges ansiedeln kann, die eigentliche Qualität des Wohnens ausmachen. Ein von Vitus Weh kuratiertes Rahmen­ programm von Performances über Vorträge und Modeschauen bis zu Filmvorführungen macht den Wallensteinplatz noch bis 31. Juli für 42 Tage zum kulturellen Zentrum des Bezirks. Für Künstler, die an diesen Veranstaltungen teilnehmen, gibt es im „add-on“-Gerüst kleine Artists-in-Residence-Boxen, in denen für ein paar Tage halböffentliches Wohnen geprobt werden kann. Inwiefern unterscheidet sich dieses Projekt von Dauerspekta­ keln wie etwa am Wiener Rathausplatz, die aus der Stadt einen großen Erlebnispark machen wollen? Auf den ersten Blick ist der Unterschied nicht groß: viele Menschen, viel Lärm, viel Licht. Auf dem Rathausplatz geht es um eine Umcodierung des öffent­ lichen Raums, der mit Macht und Autorität assoziiert wird, in einen Raum des reinen Spektakels. Trotz allen Wirbels bleiben die Besucher passive Zuschauer und Konsumenten. Die Aktion auf dem Wallensteinplatz hat dagegen zumindest den Anspruch und das Potenzial, die Besucher zum Nachdenken über ihre Position in der Welt zu bringen. Und weil sie trotz aller perfekten Logistik einen improvisierten Eindruck macht, vermittelt sie das Gefühl, dass die Welt gestaltbar auch für die ist, die nicht an irgend­ welchen Schalthebeln der Macht sitzen. Ob es sich dabei um eine Illusion handelt, sei dahingestellt. Peter Fattinger hat nach seinem Studium ein Jahr im Atelier von Joep van Lieshout (AVL) in Rotterdam gearbeitet, dem zurzeit eine Ausstellung im Wiener Museum für angewandte Kunst gewidmet ist. Lieshout hatte 2001 mit seinem Atelier einen „Staat“ als Kunstwerk gegründet. Auf eigenem Territorium baute das Kollektiv Nahrungsmittel an, sorgte für eigene Energieproduktion und Wohnmöglichkeiten. Als „AVL-Ville“ schließlich ankündigte, auch staatliche Errungenschaften wie Waffen und Bomben herstellen zu wollen, stoppte die Rotterdamer Stadtverwaltung 84

das Projekt. Einiges von der Idee der improvisierten Selbstbe­ stimmung hat sich in den Projekten Fattingers erhalten. Dass „add on“ letzte Woche von Sympathisanten des Ernst-KirchwegerHauses – eines seit 1990 besetzten Hauses in Favoriten, das letzten Herbst von der kommunistischen Partei an private Investoren verkauft wurde und nun wahrscheinlich vor der endgültigen Räumung steht – für einen Abend lang besetzt wurde, entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie. Joep van Lieshout befasst sich inzwischen mit der Umkehrung seiner selbst bestimmten Welten. Werktitel wie „Der Disziplinator“ weisen in die Richtung eines gesellschaftlichen Albtraums, der zwar immer noch improvisiert wirkt, aber darum nicht weniger bedrohlich. Der „Disziplinator“ ist ein Arbeitslager für 72 Insassen, denen 24 im Drei-Schicht-Betrieb genutzte Betten zur Verfügung stehen. Ziel des Betriebs ist die Herstellung von Sägemehl durch die Bearbeitung von Baumstämmen mit kleinen Feilen. Der fröhlichen Wohnskulptur am Wallensteinplatz ist im Unterschied zu solchen apokalyptischen Inszenierungen ein Erfolg beim breiten Publikum sicher. Dass sie im Kunstdiskurs wenig Neues zu bieten hat, mag sein. Als Beitrag zur Durchlüftung des einigermaßen selbstgefälligen Wiener Wohnbaudiskurses hätte sie allerdings einiges beizutragen. Die Initiative „Kunst im öffent­ lichen Raum“ wird immerhin nicht nur von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, sondern auch von den Stadträten für Wohnbau und für Stadtentwicklung, Werner Faymann und Rudolf Schicker, getragen. Vielleicht finden die beiden Letzteren ja noch Zeit für ein Gipfeltreffen im Panoramacafé für zwei.

11 / 06 / 2005   

WIE VIEL SPIEL VERTRÄGT DIE STADT? Vom Gründerzeitraster zum „Wiener Block“: „Lösungsorientiert und flexibel“ habe Karl Schiller die Bauordnung geprägt, befindet die Wiener Architektenkammer. Und verleiht ihm den Ehrenring.

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auordnungsgesetze sind nicht unbedingt ein Lieblings­ thema von Architektinnen und Architekten. Die Tat­ sache, dass sich ein Land von der Größe Österreichs neun unterschiedliche Bauordnungen leistet, ist inzwischen als Teil der österreichischen Folklore akzep­ tiert, an der nur im Rahmen einer Generalreform des Födera­ lismus zu rütteln wäre. Ansonsten gelten Bauordnungen als lästige Randbedingungen der Architekturproduktion, mit denen man möglichst geschickt umzugehen hat. Umso erstaunlicher ist, dass die Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland Ende Juni den ersten 85

Ehrenring ihrer Geschichte an Obersenatsrat Karl Schiller verleihen wird, jenen Juristen, der seit über 40 Jahren – von 1964 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2004 – als Beamter der Gemeinde Wien maßgeblich an der Verfassung der Wiener Bau­ ordnung beteiligt war. Als Begründung für die Auszeichnung wird einerseits das Bemühen Schillers genannt, in der Bauord­ nung möglichst große Freiheit der architektonischen Gestaltung zuzulassen, andererseits generell die Bedeutung des Gesetzes für die Entwicklung der Stadt in formaler wie funktioneller Hinsicht hervorgehoben. Die Wiener Bauordnung, die im vollen Wortlaut „Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuch“ heißt, regelt nämlich nicht nur die Bautechnik und Mindestmaße für Raumhöhen, sondern ist zugleich gesetzliche Grundlage für die Stadtentwicklung inklusive Flächenwidmungs- und Bebauungs­ planung. Wie groß die Bedeutung dieses Regelwerks für das städtische Leben ist, zeigt beispielsweise die Einführung der Schutzzonen in einer Novelle aus dem Jahr 1972, durch die besonders erhaltens­ werte Gebiete der Stadt in ihren „prägenden Bau- und Raum­ strukturen und in der Bausubstanz“ erfasst und unter Schutz gestellt werden können. Was auf den ersten Blick wie ein Gesetz zur erweiterten Denkmalpflege aussieht, war der Versuch, die Innenstädte vor Verödung und spekulativer Vernachlässigung zu bewahren, indem in diesen Zonen unabhängig vom Denkmal­ schutz der Abriss von Gebäuden verhindert wurde. Ebenso wichtig ist aber eine zweite Regelung, die auch die Nutzung der Immobi­ lien in Schutzzonen insoweit einschränkte, als bestehende Wohnungen nicht oder nur zu einem sehr geringen Anteil als Büroflächen genutzt werden dürfen. Diese Beschränkung von Eigentümerinteressen hat der Wiener Altstadt das Schicksal vieler Innenstädte etwa in Deutschland erspart, die überwiegend kommerziellen Nutzungen dienen und nach Büro- und Geschäfts­ schluss schlagartig veröden. Dass derartige Gesetze von Juristen nicht erfunden werden, sondern Ergebnis einer politischen Willensbildung sind, ist klar. Der Einfluss der Beamten darf dabei jedoch nicht unterschätzt werden. Die Architektenkammer begründet die Auszeichnung für Schiller vor allem damit, er sei „immer lösungsorientiert und konstruktiv“ gewesen und hätte prinzipiell nach Regelungen gesucht, die Spielräume zulassen. Die normative Kraft des Faktischen spielt dabei oft eine Rolle: Die ursprüngliche Formu­ lierung der Bauordnung, Neubauten in Schutzzonen müssten sich an den Bestand angleichen, wurde nach der Errichtung von Hans Holleins Haas-Haus am Stephansplatz, das sich nur mit viel gutem Willen als „angeglichen“ charakterisieren lässt, dahin­ gehend verändert, dass Neubauten sich auch „auf zeitgemäße Weise in das Stadtbild einordnen“ dürfen. Ein Bereich, in dem die Schaffung von Spielräumen besondere Brisanz hat, ist die Stadtplanung. Mit einem Bebauungsplan kann die zukünftige Bebauung eines Grundstücks theoretisch bis ins Detail festgelegt werden, von der Baulinie, Bauklasse und dem Ausnutzungsgrad bis hin zu Details der Farbgebung oder 86

der Gestaltung von Vorgärten. Das sichert ein bestimmtes Stadt­ bild, bietet aber auf der anderen Seite wenig Möglichkeit für Innovation. In der Wiener Bauordnung finden sich eine Reihe von Möglichkeiten, flexiblere Festlegungen zu treffen. Seit 1976 besteht die Möglichkeit einer sogenannten „Strukturwidmung“, in der im Prinzip nur die Maximalkubatur und Bebauungsfelder vorgegeben sind, die exakte Ausformung des Stadtraums aber der weiteren Planung überlassen bleibt. Bei Bauträgern ist diese Widmung allerdings keineswegs beliebt, da sie explizit weitere Ausnahmeregelungen ausschließt, etwa nach dem Paragrafen 69 für „unwesentliche Abweichungen von den Bebauungsbestim­ mungen“, der zu den Zeiten seiner liberalsten Handhabung Mitte der 1990er-Jahre bis zu 20 % zusätzliche Kubatur bringen konnte und etwa den Millenniumstower um 20 Meter Bauhöhe (und damit sechs gewinnbringende Etagen) nach oben schießen ließ. Eine Idee, diese Strukturwidmung auch auf den gründerzeit­ lichen Stadtraster zu übertragen, der sogenannte „Wiener Block“, wurde in einer Arbeitsgruppe aus beamteten Stadtplanern und externen Experten 2001 entwickelt und von den Architekten Mascha und Seethaler ausgearbeitet. Für zusammenhängende Grundstücke von mindestens 2.500 m2 Fläche sollte die Möglich­ keit bestehen, eine aufgrund der bestehenden Widmung ermit­ telte Kubatur anders zu verteilen, als es die Baulinien vorgeben. Eine Überprüfung des Projekts durch die Magistratsabteilung für Stadtgestaltung sollte sicherstellen, dass die Planung das Stadt­ bild bereichert und nicht beeinträchtigt. Eine solche Regelung könnte nordöstlich gelegene Parzellen sinnvoll bebaubar machen, aber auch energetisch effizientere Kubaturen und Ausrichtungen erlauben. Dass diese Regelung sich bis heute nicht in der Bauordnung findet, liegt nicht zuletzt an den Bedenken auch vonseiten der Architektenschaft, ob die Stadtplanung, die sich ja um das „große Ganze“ zu kümmern hätte, damit nicht ihre wichtigsten Instru­ mente an private Interessen und deren ästhetische Vorlieben auslagert. Ein hohes Maß an Flexibilisierung, bei der viele Ent­ scheidungen letztlich bei einzelnen Beamten liegen, braucht als Ergänzung eine Stadtplanung, die klare Ziele vorgibt, sich zu stadtgestalterischen Prinzipien bekennt und deren Erreichung möglichst transparent betreibt. Wien hat in der Stadtplanung seit den 1990er-Jahren eine Tradition des Sich-nicht-festlegen-Wollens, die alles möglich macht und auf die stadtplanerische Kompetenz der „unsichtbaren Hand“ der Marktkräfte vertraut. Dass die flexibleren Instrumente, die unter Karl Schillers Ägide implementiert wurden, grundsätzlich sinnvoll sind, steht aber außer Zweifel. Vielleicht sollte die Architektenkammer die nächste Auszeichnung jenen Personen in der Wiener Stadtplanung versprechen, die auf diesen Instrumenten auch verantwortungsvoll zu spielen verstehen.

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06 / 05 / 2005   

ZU JUNG, UM GUT ZU SEIN? Wem mit 25 zur Architektur nichts einfällt, dem wird auch mit 50 nichts einfallen. Wider den Mythos, dass große Ideen erst im Alter entstehen – am Beispiel der Gruppe „Caramel“.

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rchitektur gilt traditionell als Beruf, in dem man die magische Altersgrenze von 40 Jahren über­ schritten haben muss, um ernst zu nehmende Werke schaffen zu können. Zugegeben: Architek­ tur, die sich nicht auf die schöne Verpackung beschränkt, ist ein komplexes Unternehmen, das viel Erfahrung braucht. Allerdings zeigt eine genauere Betrachtung, dass die meisten guten Architekten ihre zentralen Ideen sehr viel früher entwickelt haben. Wem mit 25 Jahren zur Architektur nichts einfällt, dem wird auch mit 50 nichts einfallen. Einige Jahre Mitarbeit in guten Büros, wie sie auch die Architek­ tenkammer als Voraussetzung für die Ziviltechnikerprüfung vor­ schreibt, sind sicher sinnvoll und notwendig. Aber dann brauchen Architekten Aufträge, um sich entwickeln zu können, so früh und so eigenständig wie möglich. Dass größere Projekte oft erst jenseits der 40 akquiriert werden, liegt daran, dass erst dann Mitglieder der eigenen Altersklasse in Positionen zu finden sind, in denen sie Entscheidungen als Bauherren treffen oder als Jurymitglieder beeinflussen können. Die Architektengruppe Caramel, zu der sich Günter Katherl, Martin Haller und Ulrich Aspetsberger 2001 zusammengefunden haben, darf das Attribut „jung“ jedenfalls zu Recht für sich bean­ spruchen. Ihre Mitglieder sind (in der Reihenfolge der Namens­ nennung) Jahrgang 1965, 1966 und 1967. Haller und Katherl haben bereits 1998 ein gemeinsames Büro in Wien gegründet, das vor allem durch Wettbewerbserfolge aufgefallen ist. Im Wett­ bewerb für die neue Hauptbibliothek am Wiener Gürtel erreichten sie 1998 den zweiten Platz mit einem Projekt, das die vertrackte städtebauliche Situation für eine wirklich innovative Lösung genutzt hätte. Man darf vermuten, dass die Jury in diesem Fall geahnt hat, dass ein solches Projekt nur von jüngeren Architekten kommen konnte, und kein Risiko eingehen wollte. Im selben Jahr konnten Caramel den Wettbewerb für ein Büro­ haus der renommierten, auf Glaskonstruktionen spezialisierten Firma Seele in Augsburg für sich entscheiden. Bald stellte sich jedoch heraus, dass es dem Auslober weniger um eine Realisierung als um die Publicity in Architektenkreisen durch einen aufwendig beworbenen Wettbewerb gegangen war. Insgesamt weist das Werkverzeichnis von Caramel 29 Wettbe­ werbserfolge auf, darunter sechs zweite und acht erste Preise. Ihre bekannteste realisierte Arbeit ist ein Einfamilienhaus in Linz, das sie zusammen mit Friedrich Stiper als Innenarchitekten realisierten, ein hart am Wind des Zeitgeistes segelndes Projekt

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mit einer spektakulär über den Hang auskragenden Stahlkonstruk­ tion. Im Vergleich dazu ist ihre größte bisher aus einem Wett­ bewerb hervorgegangene Arbeit, eine Erweiterung der Zentral­ werkstätte für die MA 48 in Hernals, eher zurückhaltend. Die funktionelle Grundidee des Entwurfs war die Aufteilung des Raum­ programms auf zwei Baukörper, zwischen denen – geschützt von einem Membrandach – die Abfahrt in eine Tiefgarage liegt. Beim kleineren Bauteil handelt es sich um die Erweiterung einer bestehenden Halle, der größere steht frei auf dem extrem beengten Baugrund zwischen gründerzeitlichen Industriehallen aus Ziegel­ mauerwerk und folgt mit seinen beiden abgerundeten Ecken den Wendekreisen des Verkehrsflusses. Auf Straßenniveau finden sich in diesem Gebäude zwei Meisterbüros, 18 Montageplätze in der großen Halle sowie eine eigene Waschanlage. Im Zwischen­ geschoss liegt das Besprechungszimmer mit Ausblick in die um­ gebenden Baumkronen. Büros, Umkleidekabinen und ein großer Speisesaal für die Mitarbeiter mit dazugehöriger Küche sind im obersten Geschoss untergebracht. Das auffälligste Merkmal des Gebäudes ist seine Oberfläche aus vorbewittertem, schwarzem Zinktitanblech. Um den Effekt einer dünnen Haut zu unterstreichen, sind die Fenster in einer Ebene mit der Verblechung eingesetzt. Die Halle im Erdgeschoss ist beidseitig verglast, wobei in die Glaswand geschlossene Rolltore eingesetzt sind, die einen überwiegenden Teil der Fläche ein­ nehmen. Die verbleibenden Glasstreifen reichen jedoch aus, um die Halle zu belichten und vor allem durchlässig erscheinen zu lassen. Angesichts der sehr beengten Situation ist dieser Effekt sowohl für den Innen- als auch für den Außenraum wichtig: Eine geschlossene Box hätte an dieser Stelle klaustrophobische Zustände bewirkt. Besonders erfreulich ist die Intention, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, und zwar nicht nur am eigentlichen Arbeitsplatz, sondern auch in den Nebenräumen. Ein Speisesaal mit einem Panoramablick über Wien, wie er den Mitarbeitern der MA 48 hier geboten wird, ist sicher nicht Standard für die Müllabfuhren und Straßenreinigungen dieser Welt, kostet aber nicht mehr als ein schlecht belichteter mit Blick auf eine Feuermauer. Der Weg aus den Werkstätten dorthin führt über ein Treppenhaus, das über ein vertikales Fensterband belichtet ist und dessen Geländer durch die Überlagerung der gelochten Stahlbleche psychede­lische Muster erzeugen – ein im besten Sinn des Wortes „billiger“ Effekt,

Fotogene Architektur, gestaltet von Optimisten: Wohnhaus am Hang in Linz ...

… und Zentralwerkstätte für die Wiener Müllabfuhr Fotos: Hertha Hurnaus

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der den Weg zu den Pausenräumen ohne Zusatzaufwand zu einem besonderen Erlebnis macht. Bedauerlich ist jedoch, dass die Bauherren die Architekten nicht in die Einrichtung des Gebäudes involviert haben und sich auch bei der Lichtgestaltung die Standards im Nutzbau der Gemeinde Wien durchgesetzt haben. Das übliche Braun-Beige dominiert die Meisterbüros und die Bestuhlung des Speisesaals, und auch die Garderoben hätten mit geringer Anstrengung einen besseren Start in den Arbeitstag vermitteln können. Wenn mit einem aufwendigen Wettbewerbsverfahren eine hochwertige Architektur gesucht und sogar realisiert wird, ist es absurd, bei Mobiliar und Beleuchtungskonzept auf ähnliche Maßstäbe zu verzichten. Durch falsche Entscheidungen in diesem Bereich werden gute architektonische Ansätze manchmal bis zur Unkennt­ lichkeit neutralisiert. Ähnliche Probleme gibt es gerade bei öffentlichen Bauherren oft am anderen Ende des Spektrums, nämlich bei der Tragwerks­ planung. Das Werkstättengebäude in Hernals wäre prädestiniert für eine Leichtkonstruktion in Stahl und war von den Architekten im Vorentwurf in Zusammenarbeit mit dem Tragwerksplaner Peter Bauer auch als solche konzipiert. In konstruktiver Hinsicht herrscht jedoch in Wien nach wie vor Bunkermentalität, und so blieb es am Ende bei der konventionellen Lösung in Stahlbeton. Die Gesamtqualität des Projekts können diese Punkte aber kaum schwächen. Caramel sind Optimisten, die sich trotz der vielen gewonnenen, aber nicht realisierten Wettbewerbe nicht davon abhalten lassen, ihre Aufträge weiterhin über den Wettbewerb zu suchen. Als Optimisten dürfen sie auch an die Lernfähigkeit der öffentlichen Bauherren glauben.

02 / 04 / 2005   

DER SWING DER MASCHINE Wie eine glitzernde, in Aluminium und Glas gehüllte Maschine steht der Bau in der Landschaft. Keine lauten Töne, dafür Gestalt, Gesicht und ein Dialog mit der Außenwelt. Ein Industriebau in Lustenau.

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n der Geschichte der modernen Architektur spielt der Industriebau eine besondere Rolle. Einerseits verdankt die Moderne der „Ingenieurarchitektur“ des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wesentliche Anregungen, andererseits fand sie im Industriebau ein von Konventionen unbelastetes Experi­ mentierfeld für ihre gestalterischen Prinzipien. Das „kunstvolle,

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Kühle Maschinenästhetik mit feinen Obertönen, zum Schwingen gebracht von Ernst Steinmayr und Richard Dünser Foto: Bruno Klomfar

korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Körper“, als das Le Corbusier Architektur definiert hat, konnte sich im Industriebau ebenso entfalten wie die harmonische Einheit von Form, Funktion und Konstruktion – für die Moderne ein klassisches, vom Historismus nur verschüttetes Ideal. Das nun in der zweiten Baustufe fertiggestellte Produktionsund Verwaltungsgebäude der Walter Bösch KG in Lustenau, Vorarlberg, scheint diese Tradition fortzuführen. Von der pla­s­ tischen Wirkung der Baukörper über die Gliederung der Fassade bis zu den Materialien drückt das Gebäude zurückhaltende Ele­ ganz aus. Es gibt keine lauten Töne, selbst der Haupteingang zum Verwaltungsgebäude verschwindet in der Glasflucht des Erdge­ schosses, nur durch ein schmales Vordach markiert. Wie eine glitzernde, in Aluminium und Glas gehüllte Maschine steht der Bau in der Landschaft. Für die Architekten Erich Steinmayr und Richard Dünser ging es aber um mehr als das elegante Erscheinungsbild. Das Projekt lässt sich auch als Versuch lesen, Kräfte zu zähmen, die nicht nur in Vorarlberg die Kulturlandschaft radikal transformieren. Das Industriegebiet, in dem sich die Walter Bösch KG Ende der 1980er-Jahre als eines der ersten Unternehmen angesiedelt hat, liegt am östlichen Ortsrand der Gemeinde Lustenau. Hier befand sich ein weitgehend intakter Landschaftsraum mit alten Obst- und Laubbäumen, der den Übergang vom Ortszentrum zum Luste­nauer Ried, einem der letzten Feuchtgebiete, bildete. Will man in 91

dieser sensiblen Zone die Zusammenhänge zwischen Ort und Landschaft zumindest teilweise erhalten, darf die Industriezone nicht zu einem undurchdringlichen Niemandsland werden. Was dort gebaut wird, muss Gestalt und Gesicht haben, und es muss ausreichend dimensionierte Korridore zur öffentlichen Nutzung übrig lassen. Erich Steinmayr hat sich dieser Aufgabe gestellt, die Nutzfläche kompakt organisiert und den Fassaden eine Physio­g­ nomie gegeben. „Ich wollte nach Möglichkeit alle Fassaden als Gesichter sehen, sodass ein Dialog zwischen innen und außen, wenn immer möglich, entsteht“, schreibt er in seinen Entwurfs­ gedanken über den „Wandel vom Landschaftsraum zum Industrie­ gebiet“. Im jetzt fertiggestellten zweiten Bauabschnitt bildet der Verwal­tungstrakt die Randbebauung zum Ried und erlaubt den Mitarbeitern einen ungehinderten Blick in den angrenzenden Naturraum. Die knapp 90 Meter langen und 18 Meter tiefen Großraumbüros sind durch und durch rationalistisch: weiße Wände und Säulen, grauer Teppichboden, eine Decke aus Metall­pa­ neelen und graues Mobiliar. Nur der Blick in die Landschaft relativiert diesen calvinistisch-nüchternen Eindruck. Steinmayr verwendet hier vertikale Aluminiumpaneele, die er als „Bretter“ bezeichnet, zur Gliederung der Fassade und zur Vermeidung von Erwärmung und Blendung im Inneren. Die nach Osten orientierte, raum­hohe Glaswand ist dadurch gut vor der Sonne geschützt, sodass die Mitarbeiter auf zusätzliche, den Ausblick störende Beschattungen verzichten können. An der südlichen Schmal­ seite des Verwaltungstraktes, wo die Sonne in steilerem Winkel einfällt, erfolgt die Beschattung dagegen mit horizontalen Gitterrosten. Steinmayr hat mit ähnlichen Elementen schon bei früheren Projekten gearbeitet, etwa zusammen mit Friedrich Mascher beim Studien- und Forschungsgebäude für die Wiener Albertina und mit Richard Dünser bei der Erweiterung des Rathauses von Lustenau. Auch dort verband er kühle technische Perfektion mit subtilen Proportionen und feinen Materialabstufungen. Der Unterschied liegt in der Dimension. Bei einem Industrie­ bau dieser Größe – die Außenmaße der Gesamtanlage betragen rund 100 mal 140 Meter – ist die Harmonie zwischen Form, Funktion und Konstruktion nicht mehr in derselben Weise auf­ recht zu erhalten wie bei den beiden anderen Projekten. Die eigentliche Struktur des Gebäudes für die Walter Bösch KG ist für den Betrachter überhaupt nicht mehr nachvollziehbar: Den Kern der Anlage bildet ein Hochregallager, das allseitig von Produktionshallen umschlossen wird. Die Verwaltungsbauten als äußerste Schicht bilden zwar das Gesicht nach außen, machen aber nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Gesamtkubatur aus. Dass es Steinmayr gelungen ist, angesichts einer Nutzfläche von 22.750 m2 den Eindruck von Kohärenz über mehrere Bau­ stufen zu erhalten, ist eine besondere Qualität des Projekts. Die architektonische Leistung geht dabei weit über das Ästhe­ tische hinaus. Sie umfasst Logistik, Technik und nicht zuletzt die Einhaltung des Budgets unter den üblichen Bedingungen des 92

Industriebaus. Auffällig sind nur die Unterschiede in den Kon­ struktionssystemen zwischen erster und zweiter Baustufe. Hatte Steinmayr in der ersten Baustufe noch einen Stahlbau geplant und dabei vor allem in den weit gespannten Produktionshallen mit ihren eleganten Oberlichten Qualität erzielt, so handelt es sich bei der zweiten Baustufe – vor allem aus Brandschutzgründen – um einen Stahlbetonbau. Geänderte Bauordnungsbestimmun­ gen lassen heute nur noch diese Lösung wirtschaftlich erscheinen. Auf Wunsch des Bauherrn finden sich in der zweiten Ausbau­ stufe im Erdgeschoss, einem aktuellen Trend folgend, Wände mit Lehmoberfläche. Dieses Material gibt dem Eingangsbereich und dem Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum einen erdigen Charakter – ein effektvoller Kontrast zur kühlen Rationalität des sonstigen Gebäudes. Die eigentliche Überwindung des rein Ratio­ nalen findet jedoch auf einer subtileren Ebene statt, wenn die kühle Maschinenästhetik durch Lichtführung, Proportion und feine Abstufungen von Material und Oberflächen zum Schwingen gebracht wird. Erst dadurch wird dieser Industriebau zur Bau­ kunst. Ob weitere Nachbarn im Lustenauer Industriegebiet diesem Beispiel folgen und damit einen dem 21. Jahrhundert angemessen Stadt- und Landschaftsraum entstehen lassen, wird sich zeigen.

19 / 03 / 2005   

TIROL, GEWELLT, GEFALTET Die Kämpfe zwischen „Lederhosenstil“ und „modernem Ausdruck“ interessieren

kaum mehr. Tirol ist in der postindustriellen Gesellschaft angekommen, auch in der Architektur. Zum neuen Gewerbepark in Aldrans bei Innsbruck.

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utochthone Architektur: Mit diesem Begriff sollte Anfang der 1990er-Jahre eine „Neue Tiroler Architektur“ international bekannt gemacht werden. Abgesehen von der urtirolerischen Laut­ kombination „chth“, die diesem Schlagwort einen besonderen regionalen Charme verleiht, war unter autochthoner – im wörtlichen Sinn bodenständiger oder alt­ eingesessener – Architektur eine Architektur mit tiefen Wurzeln gemeint, die vom Alpinen Haus der anonymen Tradition über Heroen wie Lois Welzenbacher und Franz Baumann bis zu Josef Lackner reicht. Etwas boshaft ließe sich diese Charakterisierung als „alteingesessen modern“ übersetzen, entsprechend zurückhal­ tend war auch die internationale Resonanz. In den letzten Jahren hat sich das Bild jedoch deutlich gewan­ delt. Die neue Tiroler Architektur ist experimenteller und viel­ schichtiger geworden, zugleich findet sie auch in der breiten Öffentlichkeit ein verstärktes Interesse. Internationale Stars wie Zaha Hadid und Dominique Perrault haben zu diesem Image beigetragen. Zugleich hat sich durch die kontinuierliche Leistung der lokalen Szene ein Qualitätsniveau eingestellt, das mit jenem Vorarlbergs durchaus konkurrieren kann. Die M-Preis-Märkte 93

werden zu Recht als Modell einer anspruchsvollen, sozial verträg­ lichen und trotzdem ökonomisch erfolgreichen Architektur im Bereich des Handels gepriesen. Und mit dem Umbau des Inns­ brucker Adambräu – eines denkmalgeschützten Industriebaus von Lois Welzenbacher – hat das Land kürzlich ein Bekenntnis zur zeitgenössischen Architektur abgelegt: In prominenter Lage sind hier das Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck und das ehemalige Architekturforum Tirol unter seinem neuen Namen „aut – architektur und tirol“ untergebracht. Letzteres hat sich seit seiner Gründung 1993 zu einem „Hot Spot“ der österreichischen Architekturszene entwickelt, der auch international ausstrahlt. All das ist kein Zufall, sondern die Konsequenz einer kulturellen Modernisierung und internationalen Öffnung, die zwar wesentlich auf den Tourismus zurückzuführen ist, sich aber längst nicht mehr darauf beschränkt. Tirol ist in der postindustriellen Gesell­ schaft angekommen, auch in der Architektur. Die alten Graben­ kämpfe zwischen „Lederhosenstil“ und „modernem Ausdruck“ interessieren kaum mehr. Relevant sind Fragen nach neuen Wohn- und Arbeitsformen, nach der Beziehung zur Landschaft und vor allem nach der Siedlungs- und Raumordnungspolitik. Denn ähnlich wie das Rheintal in Vorarlberg ist auch das Inntal in Tirol von einer scheinbar unkontrollierbaren Entwicklung geprägt, in der sich Siedlungen und kommerzielle Nutzungen ohne überregionale Abstimmung in die Landschaft fressen. Große Figur im Dialog mit der Landschaft: Gewerbepark Aldrans, Tirol Foto: Atelier Wiesflecker

Die ambitionierte Gestaltung von Einzelobjekten kann an den ästhetischen, ökologischen und sozialen Problemen, die sich daraus ergeben, nicht viel ändern. Beklagt wird das schon seit Jahren. Alternativen scheitern meist an den – ökonomisch auf den ersten Blick verständlichen – Egoismen einzelner Gemeinden, die durch großzügige Widmungen und geringe Auflagen Betriebs­ ansiedlungen anzuziehen versuchen. Eine neue Raumordnungsnovelle, die das Land unlängst beschlossen hat, soll die Schaffung von Planungsverbänden anre­ gen, in denen die Gemeinden überörtliche Raumplanung nicht in Konkurrenz, sondern kooperativ betreiben, ohne ihre Autono­ mie aufzugeben. Zu den ersten Gemeinden, die sich in dieser Form zusammenschließen wollen, gehören die sieben Gemeinden 94

der Region 17 südlich von Innsbruck. Ein Grund dafür ist ein Projekt eines Gewerbeparks, der von den drei Gemeinden Aldrans, Sistrans und Lans gemeinsam errichtet wird. Dieses Projekt unterscheidet sich deutlich von allem, was üblicher­weise mit dem Begriff Gewerbepark verbunden wird. Anstelle einer Agglomeration von Einzelobjekten soll hier eine große Figur entstehen, die im Dialog mit der Landschaft den Ort prägt, ohne ihn zu zerstören. Die Anlage sieht drei rund 200 Meter lange, ins Gelände gefaltete Großstrukturen vor, die durch ein unterirdisches Garagenbauwerk verbunden sind. Hier können sowohl Produktion als auch Büronutzungen untergebracht werden. In der obersten Zeile ist eine Wohnanlage vorgesehen. Zwischen diesen Strukturen sind fünf Ateliergebäude mit loftartiger Nutzung für Kleingewerbe und Büros eingestellt. In der letzten Ausbau­ stufe umfasst das Projekt 40.000 m2 Nutzfläche. Für Walter Peer, bei der Porr Infrastruktur GmbH als Developer für das Projekt verantwortlich, ist die Signifikanz der Anlage entscheidend für das Erreichen der Zielgruppe von innovativen Produktionsbetrieben und Dienstleistern. Diese Zielgruppe ist am Image und an einer hohen Qualität der Arbeitsplätze interes­ siert. Der exzellente Ruf, den sich Tirol als Fremdenverkehrsland aufgebaut hat, kann zu einem Standortfaktor auch bei internatio­ nalen Betriebsansiedlungen werden, wenn entsprechend auf die Landschaft reagiert wird. Das Projekt bezieht nicht zuletzt aus diesem Grund den Blick von oben mit ein: Die Struktur ist groß genug, um auch vom Flug­ zeug aus deutlich wahrgenommen zu werden. Ein Beleuchtungs­ konzept soll diese Wirkung verstärken. Für den städtebaulichen Entwurf der Anlage zeichnet der Innsbrucker Architekt Johannes Wiesflecker verantwortlich. Er spielt dabei ein prominentes architektonisches Thema der letzten Jahre – Architektur als Land­ schaft – gegen die kartesianische Geometrie aus: auf der einen Seite die gefalteten Dächer, auf der anderen die klaren Kuben der Ateliergebäude. Was im Modell locker hingeworfen erscheint, ist das Resultat einer intensiven Beschäftigung mit dem Potenzial des Geländes und den möglichen Bedürfnissen der zukünftigen Nutzer, die ja vorab nicht bekannt sind. Flexibilität ist daher eine zentrale Forderung, die sich durch die offenen Geometrien gut herstellen lässt, ohne bei jeder Änderung eine Beeinträchtigung des Konzepts befürchten zu müssen. Aus demselben Grund wird die Planung der einzelnen Bauteile von einem vorgegebenen „Architekten­ pool“ übernommen werden, aus dem die Unternehmen auswählen können. Das mag nach Einschränkung aussehen, ist aber letztlich eine Voraussetzung für Qualität. An Interessenten, die sich auf dieses Konzept einlassen, mangelt es jedenfalls nicht. Im Sommer soll der erste Bauabschnitt begonnen werden.

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NISCHEN, GLOBAL 19 / 02 / 2005   

Ein Kunst- und Kongresszentrum in Nanjing, ein Museumsaufgang in Rivoli, das Porsche-Museum in Stuttgart und ein Bahnhof für Brünn: globale Exporte der jungen österreichischen Architektur. Ein Trend?

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rchitektur war schon immer ein Exportartikel, sofern man unter dem Begriff nicht Ziegel und Beton versteht, sondern Ideen und Techniken, die sich rasch über nationale und sprachliche Grenzen hinweg verbreiten. Das galt schon in der Gotik und im Barock, und es gilt vermehrt unter den aktuellen Bedingungen der Globalisierung. Dass Architekten wie Hans Hollein und Coop Himmelb(l)au auf einem internationalen Markt agieren und seit Jahrzehnten ihre Netz­ werke pflegen, ist bekannt, ebenso, dass in Österreich seit einigen Jahren internationale Stars wie Zaha Hadid oder Dominique Perrault zu Aufträgen kommen. Der nationalen Architekturszene hat das nur genützt. Von einer österreichischen Architektur als Stil würde heute niemand mehr ernsthaft sprechen, sehr wohl aber von einer spezifischen Baukultur, die sich über Schulen, Netzwerke und regional differenzierte Praktiken der Architektur­ produktion im internationalen Austausch definiert. Seit Kurzem verdichten sich die Anzeichen, dass es einer jüngeren Generation österreichischer Architektinnen und Architek­ ten gelingt, ihrerseits international Fuß zu fassen. „Jung“ ist dabei relativ: Es handelt sich um die Generation der 40- bis 50-Jährigen, die auf sehr unterschiedliche Art die Gelegenheiten nutzt, die sich aus der Globalisierung und Öffnung von Grenzen ergeben. Dass Rainer Pirker und sein architeXture-Team im chinesischen Nanjing ein Kongresshotel mit integrierter Kunstgalerie planen, verdanken sie einer glücklichen Kettenreaktion. Der Architektur­ vermittler Volker Dienst hatte eine Ausstellungs- und Vortragsreihe für junge österreichische Architekten in China organisiert, aus der sich 2004 eine Gastprofessur Pirkers in Nanjing ergab. Ein lokaler Investor war von Pirkers Projekten so angetan, dass er ihm den Entwurf eines seiner ambitioniertesten Projekte anvertraute. Die Funktionsmischung lässt einige Zukunftsvisionen der chine­ sischen Eliten erahnen: Die Kunstgalerie bildet, umschlossen von Kongressräumen, den Kern des Gebäudes. Die Hotelsuiten liegen

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Exportgut österreichische Architektur: Kunstund Kongresszentrum in Nanjing Abbildung: Rainer Pirker

Bahnhof in Brünn Abbildung: Ceska Priesner

Museumsaufgang in Rivoli bei Turin Foto: Martin Feiersinger

Porsche-Museum in Stuttgart Abbildung: Delugan-Meissl

in den obersten beiden Geschossen und gruppieren sich um himmelsnahe Gartenhöfe. Pirker hat das Gebäude als einen Kristall konzipiert, der auf wenigen tragenden Scheiben und Stützen über einem künstlichen See und weitläufigen Garten schwebt. Die Trag­ werksplanung stammt von Peter Bauer von Werkraum Wien und wird – so wie die weitere Ausführungsplanung – von chinesischen Partnerbüros detailliert. Baubeginn ist der Sommer 2005, zeit­ gleich mit einem von Arata Isozaki koordinierten Wohnbauprojekt desselben Investors. Pirkers ähnlich ambitionierte Projekte in Österreich blieben unerfüllte Träume, selbst dort, wo er im Wettbewerb den 1. Preis erhalten hatte. Ein Feuerwehrhaus in Osttirol scheiterte an mangelnder Satteldachkompatibilität, eine Glashülle für das Büro­ gebäude der Statistik Austria an den Kosten, und die Planungs­ vision für die KDAG-Gründe verkam zu einem eher unappetit­ lichen Bauträgerbrei. (Eine Leistung, für die sich die Stadt Wien seit letzten Dezember absurderweise mit dem Otto-Wagner-Städte­ baupreis schmücken darf.) Dass Pirkers Architektur in China, dessen Baukultur nach wie vor mit Massenproduktion assoziiert wird, auf mehr Gegenliebe stößt als in Österreich, sollte jedenfalls zu denken geben. In einem anderen Maßstab agieren Erich Hubmann und Andreas Vass bei ihrem Projekt für einen neuen Aufgang auf das Schloss in Rivoli bei Turin. Ausgelöst durch eine U-Bahn-Verlän­ gerung, will die Stadt eine neue Verbindung zu dem im Schloss untergebrachten Museum – der bedeutendsten Sammlung zeitge­ nössischer Kunst in der Region – schaffen. Hubmann und Vass haben vor Jahren eine ähnliche Aufgabe, die Zugangslösung für die Alhambra im spanischen Granada, mit Bravour gelöst. In Rivoli vernähen sie die Stadt mit dem Schloss, indem sie ein Muster aus Rolltreppen in den Berg schneiden, die an strategischen Punkten Ausblicke auf Türme und Wegachsen bieten. Der Entwurf, dessen Realisierung diesen Sommer beginnt, 97

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lebt wesentlich von feinen Details in der Kombination von Stahl­ beton, Naturstein und dem Cortenstahl für Dächer und Rolltrep­ penwangen. Zur Sicherung der Ausführungsqualität mussten Hubmann und Vass als Generalplaner jedes Detail im Vorfeld präzise definieren, um dem für die Ausführung verantwortlichen Generalunternehmer keinen Spielraum nach unten zu lassen. Unterstützt wurden sie dabei von den Wiener Tragwerksplanern Gmeiner und Haferl, die auch die technische Lösung für die Abstützung der Bergflanke entwickelten. Einer weit weniger kontemplativen Art der Fortbewegung verdanken Roman Delugan und Elke Delugan-Meissl ihren bisher imageträchtigsten Auftrag. 170 Büros hatten sich zur Teilnahme am Wettbewerb für das neue Porsche-Museum in Zuffenhausen beworben, aus den zehn ausgesuchten Büros gingen DeluganMeissl schließlich als Sieger hervor. Porsche hat im Wettbewerb nicht auf internationale Stars gesetzt, sondern ausschließlich auf deutsche Büros – Staab, Allmann Sattler Wappner, Lamott-Witt­­foht, Friedrich Poerschke Zwink, Dinse Feest Zurl, Wandel Hoefer Lorch + Hirsch – und neben Delugan-Meissl zwei weitere Zula­ dungen aus dem deutschsprachigen Ausland, nämlich Morger & Degelo aus der Schweiz und BKK3 aus Wien. Im Unterschied zu den gerade entstehenden Konkurrenz­ bauten wird das zukünftige Porsche-Museum nur lose mit dem Markenimage verknüpft sein: Es zeigt weder die wirbelnde Dynamik des Coop Himmelb(l)au-Entwurfs für BMW noch die manische Technologieverliebtheit von Ben van Berkels Museum für Daimler-Chrysler. Gerade deshalb bleiben für Ausstellung und Bespielung aber größere Freiheiten. Wenn es sich bei der Konkurrenz nach ein paar Jahren ausgestaunt hat, könnte das für das Porsche-Museum durchaus zum Vorteil werden. In der Tradition der klassischen Moderne bewegt sich schließ­ lich das Siegerprojekt für den neuen Bahnhof in Brünn. Das ist kein Zufall, ist die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts durch die Brünner Funktionalisten und das Haus Tugendhat von Mies van der Rohe immer noch identitätsstiftend für die Stadt. Das Wiener Architektenteam mit teilweise tschechischen Wurzeln – Eva Ceska, Friedrich Priesner, Jiri Vendl und Andreas Fellerer – legt einen eleganten Riegel mit Warteräumen und Sekundärnutzungen quer über die Bahnsteige, unter denen sich eine Verteilerebene mit den lokalen Verkehrsanschlüssen befindet. Ein Hochhaus akzentuiert den Bahnhofsplatz und bildet den Auftakt für die städtebauliche Entwicklung in Richtung Stadtzentrum. Die ruhige, funktionalistische Sprache ist der Aufgabe und dem Ort ange­ messen, und die Architekten haben in ihren bisherigen Arbeiten bewiesen, dass sie in dieser unspektakulären Sprache durchaus zu substanziellen Aussagen fähig sind. Stilistisch haben diese vier Projekte wenig miteinander zu tun. Die gemeinsame Marktnische, die sie besetzen, heißt Qualität. Dass österreichische Architektur international ein wichtiger Image­faktor ist, wird kaum mehr bestritten. Dass sie auch im Export relevant ist, muss sich erst bestätigen. Eine letztes Jahr von Robert Krapfenbauer, dem Präsidenten der Architekten- und

Ingenieurkammer, mitbegründete Arbeitsgemeinschaft „Planungsund Beratungsexport“ argumentiert, dass jeder Euro Planungs­ leistung das Siebenfache an zusätzlicher Wertschöpfung im Export bringt. Anerkennung als Wirtschaftsfaktor hätte die Baukultur jedenfalls verdient.

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GHIBERTI UND DIE JETTI-TANT

Für die einen ist er eine Vergeudung von Talent und Energie, für die anderen der Garant für den kreativsten Entwurf: der Wettbewerb. Eine Abwägung aus aktuellem Anlass.

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b Wettbewerbe eine Plage oder ein Segen für die Bau­ kultur sind, ist in der Architektur­ szene immer wieder Gegenstand leidenschaftlicher Debatten. Wettbewerbe liefern dem Auslober den besten Entwurf aus einer breiten Palette von Ideen, sagen die Befürworter. Durch die Publikation und Diskussion der Ergebnisse würden Wettbewerbe überdies zur Entwicklung der Architektur beitragen, oft auch durch nicht prämierte Projekte, weil sie ihrer Zeit voraus waren. Die Gegner sehen im Wettbewerb dagegen eine Vergeudung von Talent und Energie, einen Potlatsch, in dem mit enormem Auf­ wand an Genie und Fleiß eine Vielzahl von Ideen geboren wird, von denen am Ende alle bis auf eine unrealisiert bleiben. Für den Auftraggeber sei es sicherer, einen Auftrag direkt an den Architekten oder die Architektin seiner Wahl zu vergeben, statt sich womöglich mit einem unbekannten oder gar unerfahrenen Preisträger abfinden zu müssen. Das Thema ist derzeit in mehrfacher Hinsicht aktuell. Einerseits freut sich die heimische Szene darüber, dass ein österreichisches Büro einen der renommiertesten Wettbewerbe der letzten Jahre gewonnen hat: Coop Himmelb(l)au stehen nach einer langen, von Kämpfen hinter den Kulissen geprägten dritten Wettbewerbs­ phase als Architekten des neuen Gebäudes für die Europäische Zentralbank in Frankfurt fest. Dem Bewerb war ein Auswahlver­ fahren vorausgegangen, bei dem aus weltweit 300 Bewerbungen 70 „etablierte“ und zehn „junge“ Büros als Teilnehmer ausgewählt wurden. Aus deren Projekten wählte im Sommer 2003 eine Jury unter dem Vorsitz der an der Technischen Universität Wien

Wer findet den Sieger? Beiträge im Wettbewerb für den neuen Sitz der europäischen Zentralbank, Frankfurt Foto: EZB

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lehrenden Architektin Françoise-Hélène Jourda zwölf Kandidaten für die zweite Phase aus, die bis Dezember ihre Projekte weiterzu­ entwickeln hatten. Im Jänner 2004 wurden aus diesen zwölf drei Preisträger gekürt, die ihre Projekte nochmals zu überarbeiten hatten. Coop Himmelb(l)au erhielten schließlich den Zuschlag mit einem Entwurf in zwei Varianten, die sich in Konstruktion und Nutzfläche und damit in den Kosten unterscheiden. Welche gebaut wird, ist immer noch fraglich. Einen ähnlich aufwendigen Prozess der Projektfindung gibt es in keiner anderen Disziplin. Viele „kreative“ Dienstleistungen kennen Hearings, bei denen einige Büros geladen werden und persönlich präsentieren, Unternehmen bieten ihre Leistungen im Wettbewerb an, aber sie stellen sich dabei nicht einer Jury, sondern dem Markt, auf dem meist der bessere Preis den Ausschlag gibt. Dass sich in der Architektur ein Verfahren, bei dem Chancen und Aufwand in der Regel in keinem Verhältnis zueinander stehen, bis heute gehalten hat, hängt mit der besonderen Stellung der Architektur zwischen Kunst und Dienstleistung zusammen. Die Historikerin Hélène Lipstadt sieht im neuzeitlichen Wettbe­ werb eine Autonomiebestrebung, bei der sich das Handwerk des Bauens für einen Moment die Freiheit anderer Künste heraus­ nimmt. Als Meilenstein dieser Entwicklung nennt Lipstadt den Wettbewerb für die Bronzetüren des Baptisteriums in Florenz im Jahr 1401, bei dem alles zu finden ist, was den Mythos des Architek­ turwettbewerbs ausmacht: junge Künstler ohne große Referenz­ projekte, die ihre Chance nutzen (der Sieger, Lorenzo Ghiberti, ist gerade 20 Jahre alt), und mit dem revolutionären Entwurf Filippo Brunelleschis ein zweiter Platz, der zwar nicht realisiert wird, aber die Kunstentwicklung nachhaltiger prägt als der Sieger. Die Aufregung um einen anderen derzeit in Wien laufenden Wettbewerb, die Funktionssanierung des Ronacher-Theaters, ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Das Ronacher ist in der Architekturszene Symbol für eine knappe Niederlage der Kreativität gegen den berüchtigten Beharrungstrieb der Wiener Seele: 1987 hatten Coop Himmelb(l)au einen Wettbewerb mit einem Projekt gewonnen, das in der Architekturgeschichte heute etwa den Status von Gehrys Museum in Bilbao hätte. Helmut Zilk hatte sich für das Projekt stark gemacht, den Denkmalschutz vorerst in Schach gehalten und am Ende doch – in eigener Diktion – vor der „ Jetti-Tant’“ kapituliert, der die Wiener Innen­ stadt am Ende auch noch zu gefallen hätte. Das Haus wurde schließlich von Luigi Blau ohne große Veränderungen saniert. Ursprünglich als Kabarettbühne konzipiert, war es als Ort für experimentelles Musiktheater – wie Coop Himmelb(l)au ihren Entwurf verstanden hatten – ebenso wenig brauchbar wie als klassisches Musicaltheater: Der Zuschauerraum hat keine ausrei­ chende Neigung, es gibt weder Hinterbühne noch Bühnen­ maschinerie. Womit nach knapp 15 Jahren eine weitere Generalsanierung des Ronacher um rund 30 Millionen Euro ansteht. Unter anderem soll das Parkett des Zuschauerraums abgesenkt und eine völlig neue Bühne errichtet werden, was massive und technisch höchst 100

komplizierte Eingriffe in die Bausubstanz mit sich bringt. Im Wettbewerb wird ein Generalplaner gesucht, der Architektur, Tragwerksplanung, Bühnentechnik und technische Gebäudeaus­ stattung übernimmt. Derartige Leistungen werden in der Regel von Arbeitsgemeinschaften angeboten, die sich für ein Projekt zusammenschließen. Dass die IG Architektur, eine Interessenvertretung großteils jüngerer Architekturbüros, sich nun mit heftigem Protest gegen das Verfahren zu Wort gemeldet hat, liegt an den Kriterien: Einen Mindestumsatz des Architekturpartners von zwei Millionen Euro pro Jahr und zumindest ein Referenzprojekt aus dem Theater- und Veranstaltungsbau mit über 15 Millionen Euro Bausumme kann in Österreich nur eine Handvoll Architekten wie etwa Wilhelm Holzbauer nachweisen. Nach dem Protest wurde die Umsatz­ summe auf eine Million Euro reduziert, die Einschränkung in Bezug auf die Referenzprojekte blieb aufrecht. Im Prinzip hat die IG Recht: Die Tendenz, nicht offene Wett­ bewerbe mit immer engeren Kriterien auszuloben, um nur noch etablierte Büros zum Zug kommen zu lassen, ist fatal. Ob es klug war, gerade den Spezialfall des Ronacher-Projekts als Zielscheibe zu nehmen, sei dahingestellt: Die Architekturleistung steht hier – anders als beim Wettbewerb 1987 – sicher nicht im Mittelpunkt, und junge Büros haben die Chance, sich in Partnerschaften zu bewerben. Auf jeden Fall abzulehnen ist die Beschränkung von Referenzprojekten auf eine einzige Bauaufgabe. Architektonische Kompetenz ist nie auf eine bestimmte Funktion beschränkt. Dass gerade junge Architekten und solche, die sich zum ersten Mal mit einer bestimmten Aufgabe befassen, oft die interessantesten und auch funktionell innovativsten – weil vorurteilsfreien – Beiträge liefern, ist kein Mythos, sondern vielfach belegt. Der Wettbewerb mit möglichst offenem Zugang ist für öffent­ liche wie private Auftraggeber nach wie vor das beste Instrument, um in der Architektur Qualität und Innovation zu erhalten. Eine Zugangsbeschränkung mag aus praktischen Gründen manchmal nötig sein: Aber selbst unter den für öffentliche Aufträge geltenden rigiden Bestimmungen des EU-Vergaberechts ist eine Auswahl nach qualitativen und nicht quantitativen Kriterien möglich. Auch dann können – wie das Beispiel EZB beweist – die Großen zum Zug kommen. Aber die anderen haben zumindest eine Chance.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 102

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WARM UND SAUBER Ein „Meilenstein der zeitgenössischen Architekturentwicklung“: das ehemalige Laborgebäude der Universität für Bodenkultur. Die Sanierung erhält Teile der Substanz, aber nur wenig von der Idee.

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ielleicht ist es ja nichts anderes als Sentimentalität. Aber das große, rostige Haus geht mir ab. Es stand versteckt hinter den historischen Gebäuden der Universität für Bodenkultur an der Peter-JordanStraße, ein eigentümlicher Bau mit vorgehängten Stahlrahmen und Schrägverglasungen. Zur Zeit seiner Errichtung, 1974, galt er als Zeichen der Modernisierung der Universität, ein „Experimentalbau“ mit 17,5 Meter weit spannen­ den Trägern auf schlanken Stützen. 1976 erhielten der Architekt Anton Schweighofer und der Tragwerksplaner Wolfdietrich Ziesel dafür den europäischen Stahlbaupreis. Konzipiert war das Gebäude als Ausschnitt eines modularen Rasters, der das gesamte Gelände der Universität überzog und Erweiterungs­fähigkeit in alle Rich­ tungen garantieren sollte. Die großen Spannweiten erlaubten es, auch im Erdgeschoss Nutzungen wie den Hörsaal unterzubringen, der an die „anatomischen Theater“ alter Universitäten erinnerte. Das rostige Äußere war kein Bauschaden, sondern Absicht: Sowohl die Verkleidung als auch die tragende Konstruktion bestanden aus einer speziellen Stahlsorte, die als korrosionsfest galt, da sie zwar oberflächlich rostet, sich durch diese Rostschicht aber selbst vor weiterer Korrosion schützen sollte. Ich habe es natürlich leicht, dem Gebäude nachzutrauern: Ich war weder Benutzer noch Betreiber, habe nie heiße Sommer darin verbracht und musste nie darüber nachdenken, wie man eine rostende Fassade daran hindert, sich aufzulösen. Der verwendete Stahl erwies sich nämlich als keineswegs rostfest, sondern korro­ dierte weiter, was vor allem die filigranen vorgehängten Teile an der Fassade in Mitleidenschaft zog. Zu einem weiteren Problem wurde der Asbest, der hier wie bei vielen Stahlbauten aus dieser Zeit zum Brandschutz eingesetzt wurde. Niemand lebt gerne mit dem Risiko, dass Spuren dieses Krebs erregenden Materials in die Atemluft gelangen. So wurde das Gebäude schrittweise abge­ siedelt und stand schließlich Mitte der 1990er-Jahre, nur 20 Jahre

Experimentalbau mit zeittypischen Schwächen: Von der ursprünglichen Idee eines offenen Gerüsts ...

... ist nach der Sanierung nichts mehr zu sehen Fotos: Franz Hubmann

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nach seiner Eröffnung, leer. Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) als Besitzer war sich bewusst, dass es hier nicht um eine simple Asbestsanierung ging, sondern – wie es in einer BIG-­ Broschüre zum Projekt heißt – einen „Meilenstein der zeitgenös­ sischen Architektur­entwicklung“. Obwohl die Geschosshöhe von 4,5 Metern, die sich aus den großen Spannweiten und der Installationszone für die Labors ergeben hatte, für eine reine Büro­ nutzung mehr als großzügig bemessen war und man in einem Neubau bei gleicher Gesamthöhe mehr Geschosse untergebracht hätte, entschied man sich für die Sanierung. Die BIG beauftragte Anton Schweighofer zusammen mit den Architekten SchwalmTheiss, Gressenbauer und Bohrn, die für die Umsetzung zuständig sein sollten, mit einem Sanierungs- und Erweiterungsprojekt. Schweighofer plante zuerst, das gesamte Gebäude mit einer Glas­ haut auf hölzerner Unterkonstruktion einzukleiden. Dahinter sollten nur jene Fassadenteile erneuert werden, die völlig korro­ diert waren. In einem zweiten Konzept, das auf gestiegene Flächenan­forderungen reagierte, entwarf Schweighofer ein Glas­ haus mit schrägen Wänden, das sich über den Bestand stülpte. Die ursprünglich nach allen Richtungen offene Struktur sollte damit in einen gerichteten Körper eingehaust werden, eine Art „Arche Noah“ aus Glas, in der zwischen rostigem Bestand und neuer Haut eine Klimahülle mit Bepflanzung hätte entstehen sollen. Unter dem First war eine über alle Geschosse reichende Innenzone mit Brücken und Arbeitsgalerien vorgesehen. Angesichts solcher Ideen bekamen es die zukünftigen Nutzer mit der Angst zu tun. Nach Jahren in der „Rostlaube“ nun im Glashaus sitzen zu müssen erschien ihnen als eine Zumutung, für deren Charme sie auch durch bauphysikalische Berechnungen nicht zu gewinnen waren. BIG und Universitätsleitung, die unter dem Druck standen, die in Baracken untergebrachten Nutzer rasch mit neuen Räumen zu versorgen, wollten keinen mühsamen Planungsprozess riskieren. Schwalm-Theiss, Gressenbauer und Bohrn hatten inzwischen ein Alternativprojekt entwickelt, das die Stahlkonstruktion weitgehend erhält und mit flankierenden Anbauten aus Stahlbeton ergänzt. Im Inneren sollte durch Entfer­ nung der Geschossdecken im mittleren Rasterband eine Passage mit Kaskadentreppe, zwei Liften und Brücken entstehen. Diese Lösung erwies sich als konsensfähig und kann seit kurzem im Ergebnis besichtigt werden. Im Inneren ist der Umbau durchaus geglückt. Er lebt dabei primär von den großen, für einen Büro­ bau geradezu imperialen Raumhöhen. Die Stahlkonstruktion ist sichtbar und in der großen Halle besonders freigespielt, indem die Oberlichtbänder einen respektvollen Schwenk hinter die Trägerachse machen. Die Kaskadentreppe knickt etwas unsicher durch den Raum, bietet aber schöne Ein- und Durchblicke in die verglasten Seminarräume zu beiden Seiten der Halle. Die Arbeits­ plätze sind großzügig, das Lüftungssystem mit Low-Tech-Maßnah­ men gut zu regulieren. In der Außenansicht ist vom Vorgängerbau aber nichts mehr zu sehen. Das Ziel, den „architekturhistorischen Wert zu sichern“, wie es die BIG formuliert, hat man verfehlt und stattdessen ein 104

paar Stahlträger erhalten. Schweighofers Sanierungskonzept hätte den Altbau und dessen zeittypische Schwächen – etwa das mangelnde ökologische Bewusstsein – kommentiert und aus dem Dialog eine inhaltliche Aussage gemacht. Das jetzt realisierte Projekt schweigt oder sagt bestenfalls, dass wir es alle gern warm und sauber haben. Das ist in Ordnung, aber Architektur ist es noch lange nicht. Vielleicht gelingt es dem Denkmalamt, das auch in diesem Fall den bestehenden Denkmalschutz aufhob, zumindest bei Schweighofers Stadt des Kindes in Wien Penzing, der ein ähnliches Schicksal droht, eine angemessenere Sanierung durch­ zusetzen.

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SCHULE, NEU GEDACHT Wer Schule als lebendigen, offenen Teil des Gemeinwesens will, der sollte die Chance nutzen, das auch räumlich auszudrücken. Die Salzburger Gemeinde Mattsee plant ein mutiges Projekt. Und kämpft nun mit der Angst vor der eigenen Courage.

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ie Schule neu denken: Unter diesem Titel hat der deutsche Pädagoge Hartmut von Hentig 1993 seine Reflexionen über das Bildungs­ system im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert zusammengefasst. Ein Grundgedanke Hentigs ist die Verwandlung der Schule von einem Ort der Belehrung in einen Ort der Erfahrung, an dem die Schüler Selbstbestimmung und Solidarität als gleicher­ maßen zentrale Werte begreifen lernen. Diese Schule ist keine Aufbewahrungs- und Gleichrichtungsanstalt, sondern lebendiger, offener Teil des Gemeinwesens. Mit Architektur hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun. Auch in einem konventionellen Schulgebäude lassen sich neue Formen des Unterrichts erproben. Aber wer die Schule wirklich neu denken will, wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das auch räumlich auszudrücken. In den 90er-Jahren haben sowohl das Wiener Schulbauprogramm als auch die Schulen, die von der Bundesimmobiliengesellschaft in ganz Österreich errichtet wurden, den Schulbau auf ein neues Niveau gehoben. Wirklich neu gedacht wurde die Schule dabei nur selten, zu sehr bauen die meisten Projekte auf konventionellen Typologien und Betriebsformen auf. Das soll die Leistung nicht schmälern: In seiner regionalen Viel­ falt von den Städten bis zu ländlichen Gemeinden ist der öster­ reichische Schulbau auch im internationalen Vergleich durchaus vorbildlich. Die Schule auch architektonisch neu zu denken, geht aller­ dings über ästhetische Fragen hinaus. Wenn die Schule wirklich ein integraler Teil des Gemeinwesens werden soll, dann muss sie auch zum Teil des öffentlichen Raums werden, sich mit anderen 105

Große, besteigbare Skulptur. Entwurf für die Schule in Mattsee von Thomas Forsthuber und Christoph Scheithauer Foto links: Thomas Forsthuber Foto rechts: Stefan Kaindl Hönig

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Nutzungen verbinden und neue Betriebsformen entwickeln. Beispiele dafür sind noch selten. Umso erfreulicher ist es, wenn einmal nicht die Stadt, sondern eine Landgemeinde die Vorreiter­ rolle für ein solches Experiment einnimmt, wie es die Gemeinde Mattsee gerade mit ihrer neuen Polytechnischen Schule vorhat. Aus einem Wettbewerb ist hier ein Projekt hervorgegangen, das so gar nicht aussieht wie ein Schulhaus. Im Anschluss an einen bestehenden Turnsaal haben die Architekten Thomas Forsthuber und Christoph Scheithauer drei klar ablesbare Baukörper arran­ giert: Ein Sockelgebäude mit Werkstätten, die U-förmig einen Werkhof umschließen; einen quer dazu angeordneten Klassen­ trakt, der den Weg zum See begleitet; und einen auf Stützen über dem Werkstättensockel schwebenden Körper, in dem ein kleines Jugendzentrum untergebracht ist. Der Klassentrakt wird seitlich von einem verglasten Treppenhaus erschlossen, der als Gelenkund Verteilerraum auch die Verbindung zum Altbau herstellt. Das Sockelgebäude mit den Werkstätten nutzt geschickt den Gelände­ sprung: Sein Dach ist eine öffentliche, begehbare Fläche, die unmittelbar die Straße erweitert. Ein paar Oberlichten für die Werkstätten wachsen als schräge Körper aus dem Asphalt heraus. Dass die Jugendlichen diese Elemente auf vielfältige Art in Gebrauch nehmen werden, ist ganz im Sinne der Architekten. Kritiker des Projekts stoßen sich daran, dass es nicht nur nicht wie ein Schulhaus aussieht, sondern nicht einmal wie ein Haus. Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren, also die wesentlichen zukünftigen Nutzer des Gebäudes, haben damit wohl keine Schwierigkeiten. Sie würden sich wahrscheinlich für viel abseitigere Formen der Schule begeistern: Warum soll man nicht auf einem Schiff in die Schule gehen oder in der Eisenbahn? Das Schulhaus als fest gemauerte, nach außen klar abgegrenzte Institution ist wahrscheinlich für Lehrer und Direktoren ein viel wichtigeres Anliegen, gerade weil die Schule heute derartig unter Druck steht. Diesem Druck versucht das Projekt aber nicht durch Abgrenzung zu begegnen, sondern durch eine fließende Einbindung in den umgebenden öffentlichen Raum, wie sie mit konventionellen Formen gar nicht möglich wäre. Forsthuber hat bereits in einem anderen Projekt, dem Kinderund Jugendhaus in Salzburg Liefering – das neben vielen inter­ nationalen Auszeichnungen auch den Architekturpreis des Landes Salzburg erhalten hat –, bewiesen, dass ein solches Konzept funktio­ niert. Auch dieses Haus ist eine große, besteigbare Skulptur mit

mehreren Eingängen für unterschiedliche Altersgruppen, die im Inneren ein dichtes Gewebe von Aktions- und Rückzugsräumen anbietet. Die Schule in Mattsee bietet ähnliche Qualitäten in Ergänzung zu all den Funktionen, die von einer polytechnischen Schule erwartet werden. Und so wie das Jugendhaus in Liefering sehr genau auf die Struktur – nicht die Form – der umgebenden städtischen Bebauung reagiert, so reagiert auch das Schulprojekt für Mattsee präzise auf den umgebenden Landschaftsraum. Der Bauplatz bildet mit einer kleinen Allee eine Art von Landschafts­ schleuse zwischen dem Seeufer und dem von dort ansteigenden Buchberg. Durch die geschickte Staffelung der Baukörper lässt das Projekt diese Schleuse offen und gibt ihr durch das schwebende Jugendzentrum noch einen besonderen Akzent. Ob sich die Gemeinde wirklich mit dem Projekt anfreunden kann, ist noch nicht ganz sicher. Obwohl die Jury sich einstimmig dafür ausgesprochen hat, keinen zweiten, sondern nur zwei dritte Preise zu vergeben, hat der Gemeinderat beschlossen, auch diese Projekte nochmals zu einer Präsentation einzuladen. Dass die Gemeindevertreter ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekommen haben, ist nachvollziehbar. Unkonventionelle Lösungen haben immer ein gewisses Konfliktpotenzial. Aber die Erfahrungen, die gerade kleine Gemeinden mit solchen umstrittenen Projekten gemacht haben, sind überwiegend positiv. Gerade weil diese Projekte Diskussionen auslösen und eine Auseinandersetzung der Bürger mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten verlangen, steht am Ende die Akzeptanz und oft genug der Stolz darauf, dass man sich zu etwas Neuem entschlossen hat. Sollte das Projekt noch gestoppt oder klein gekocht werden, wäre das jedenfalls ein schlimmes Signal für die Salzburger Bau­ kultur: Es gab ein anonymes Wettbewerbsverfahren mit einer ausgewogenen Jury, in der neben renommierten Architekten auch Gemeindevertreter und die Schuldirektorin stimmberechtigt waren; die Jury hat einstimmig ein Projekt ausgewählt und zwei andere nur als eindeutig nachrangig auf die Plätze verwiesen. Auch Jurys können sich irren. Aber ein besseres Verfahren zur Einbindung von lokaler Verantwortung und fachlicher Kompetenz hat bis jetzt niemand erfunden. Die Landesregierung, die einen Großteil der Kosten trägt und das Projekt nicht zuletzt wegen seiner architektonischen Qualität für eine baldige Realisierung gereiht hat, trägt hier auch eine Verantwortung für die zukünftige Entwicklung. Wer die engagiertesten Architektinnen und Architek­ ten als Projektanten und Jurymitglieder gewinnen will, muss auch in der Umsetzung Konsequenz beweisen. Mattsee wird einer der schönsten Orte Salzburgs bleiben, auch wenn es sich ein Bauwerk leistet, das anders aussieht als alles, was bisher am Ort Brauch gewesen ist. Aber es könnte damit ein Signal an seine Jugendlichen aussenden: Das 21. Jahrhundert hat auch bei uns begonnen.

MATTSEE HAT SICH ENTSCHLOSSEN, DAS 21. JAHR­ HUNDERT ANDERS ZU BEGEHEN: AM 10. APRIL 2008 ERFOLGTE DER SPATENSTICH FÜR DIE NUN REALISIERTE SCHULERWEITE­ RUNG, EINE RUHIGE, RICHTUNG SEE AUSKRAGENDE BOX VON DANIELA ERTL UND ADRIAN TSCHERTEU.

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PRINZIP HOFFNUNG Lange galt sie als Wiener Vorzeigeprojekt mit Symbolkraft: die „Stadt des Kindes“. Jetzt soll sie verkauft und umgenutzt werden. Das Denkmalamt zieht sich aus der Affäre. Ein Plädoyer gegen die Macht der schleichenden Sachzwänge.

Wohnblöcke wie freundliche Riesen mit einladend geöffneten Armen: Stadt des Kindes, Wien-Penzing Fotos: Christian Kühn

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s war einmal eine Stadt, die wollte ein Zeichen setzen. Anlässlich des 50. Geburtstags der Republik Österreich im Jahr 1969 beschloss die Stadt Wien, in Penzing, an der Wiener Westeinfahrt, ein Kinder­ heim zu errichten, wie es die Welt bisher nicht gese­ hen hatte: keine Bewahrungsanstalt für „schwer erzieh­ bare Kinder“, sondern eine zur Umgebung hin offene Struktur mit Einrichtungen wie Schwimmbad und Sporthalle, Theater und Café, die allen Bewohnern des Bezirks offen stehen sollten. Schlafsäle sollte es keine mehr geben, sondern Familieneinheiten nach dem Vorbild der SOS-Kinderdörfer, freilich als „Stadt des Kindes“ in eine urbane Form übertragen. Das Zeichen, das hier unter der Patronage der damaligen Stadt­ rätin für Soziales, Maria Jacobi, gesetzt wurde, sollte nicht zuletzt die Reformfähigkeit der Wiener Sozialisten signalisieren. Während die junge Generation nach 1968 den langen Marsch durch die Institutionen antrat, der sie inzwischen zu Bürgermeistern und Stadträten gemacht hat, versuchten die alten Institutionen mit derartigen Projekten, neue Wege zu gehen. Es ist bezeichnend, dass die „Stadt des Kindes“ aus dem Magistrat ausgegliedert und einem unabhängigen Verein übertragen wurde, der außerhalb eingefahrener Bahnen agieren durfte. Das Ergebnis ist eines jener Bauwerke geworden, denen Ernst Bloch in seiner unter dem Titel „Das Prinzip Hoffnung“ erschie­ nenen Geschichte der Utopie ein eigenes Kapitel widmet: „Bauten, die eine bessere Welt abbilden.“ Die „Stadt des Kindes“, wie sie

1969 bis 1974 nach den Plänen von Anton Schweighofer errichtet wurde, symbolisiert eine wohlgeordnete und sichere Welt, die als letzter Abglanz der heroischen Zeiten des Roten Wien gesehen werden kann. Die Abstufung von öffentlichen, halböffentlichen und privaten Räumen ist vorbildlich gelöst, die Nutzungen sind sinnvoll zugeordnet und durch ein Wegesystem auf mehreren Ebenen verflochten, das sich durch die Spannung zwischen klarer Orien­ tierung und überraschenden Wendungen auszeichnet. Entlang der Hauptachse stapeln sich Wege, Brücken und Treppen, ein schwebender Baldachin aus rot gestrichenem Stahl begleitet die Zugänge zu den Wohnungen und folgt dem sanft abfallenden Gelände. In der Mitte der Anlage verdichtet sich der Raum zu einem Labyrinth, in dem man sich geschützt, aber nicht gefangen fühlt. Die Familiengruppen sind in fünf südseitig orientierten Wohnblöcken untergebracht, die in der Ansicht wie freundliche Riesen mit einladend geöffneten Armen aussehen. Die Innen­ treppen der Wohneinheiten zeichnen sich nach außen als schräge Glasprismen ab, auf denen die weiß gestrichenen Betonkuben der Obergeschosse zu ruhen scheinen. Jede Wohneinheit hat direkten Blick auf die Bäume des angrenzenden Parks sowie kleine Gärten und Terrassen als individuelle Freibereiche. Dass diese scheinbar idealen Voraussetzungen nicht zum gewünschten pädagogischen Erfolg geführt haben, hat viele Gründe. Schon bald nach der Eröffnung wurde die „Stadt des Kindes“ wieder in die Strukturen des Magistrats integriert und als „normales“ Heim betrieben, das mit denselben Problemen in Bezug auf Drogen und Gewalt zu kämpfen hatte wie andere Großheime. Als die Stadt Wien in den 1990er-Jahren beschloss, alle Heime zu schließen und nur noch kleine, in normale Wohnbauten integrierte Ein­ heiten zu betreiben, wurden die Bewohner der „Stadt des Kindes“ sukzessive abgesiedelt. 2002 wurde das Heim endgültig geschlossen, mit ihm die öffentlichen Einrichtungen wie Theater und Schwimmbad. Warum die Stadt Wien mit dieser Anlage nichts Besseres anzufangen weiß, als sie an Private zu verkaufen, ist schwer nach­ zuvollziehen. Immerhin hat die „Stadt des Kindes“ für eine bestimmte Epoche denselben Symbolwert wie der Karl-Marx-Hof für eine andere. Es hätte sich aber – so behaupten zumindest die Verantwortlichen der Gemeinde – beim besten Willen keine adäquate öffentliche Nutzung gefunden. Bereits im Frühjahr 2002 wurde ein Auswahlverfahren ausgelobt, bei dem Investoren eingeladen wurden, Vorschläge für die Verwertung des Areals und der Gebäude einzureichen und einen Kaufpreis zu bieten. Als Sieger aus diesem Verfahren ging die Arbeitsgemeinschaft der Bauträger Wiener Heim/Mischek und ARWAG mit einem Angebot von 4,7 Millionen Euro hervor. Das architektonische und städtebauliche Konzept dazu stammte von Margarete Cufer. Der entsprechende Bebauungsplan mit flankierenden Wohnge­ bäuden wurde vor wenigen Wochen im Gemeinderat beschlossen. Verkauft ist die „Stadt des Kindes“ aber bis heute nicht, und 109

unklar ist auch, wie der Altbestand tatsächlich saniert und adaptiert werden soll. Wer die öffentlichen Einrichtungen betreiben wird und ob Bereiche wie das Schwimmbad je wieder zu bezahlbaren Preisen zugänglich sein werden, ist ebenso offen. Zwar wird von allen Seiten der gute Wille zu einem sensiblen Umgang mit der Substanz beteuert und darauf verwiesen, dass Anton Schweighofer ja als Berater und Juror in das Projekt eingebunden bleibe. Ob nach einem Verkauf der Druck der Sachzwänge nicht doch zu groben Veränderungen führen wird, ist aber nicht abzusehen. Klare Verhältnisse könnte hier das Denkmalamt schaffen. Der Stellenwert der „Stadt des Kindes“ in kultur- wie architekturhisto­ rischer Hinsicht ist in der Fachwelt unumstritten. Sie ist ein in Österreich einzigartiges Beispiel für eine internationale Architek­ turströmung, die mit Namen wie Alison und Peter Smithson und Aldo van Eyck verbunden ist. Charakteristisch für diese Architektur sind die souveräne Verbindung von klassischen und anti-klassischen Prinzipien und ein besonderer sozialer Anspruch, der jedoch nie in die Banalität des nur gut Gemeinten kippt. Die „Stadt des Kindes“ vermittelt die Absichten ihrer Zeit, lässt sich aber – wie jede große Architektur – nicht wirklich aus ihnen erklären oder gar auf sie reduzieren. Umso befremdlicher ist eine vom Präsidenten des Denkmal­ amts, Georg Rizzi, verfasste Stellungnahme, dass „ein öffentliches Interesse an der Erhaltung nicht gegeben“ sei. Die „Stadt des Kindes“ hätte, so Rizzi in seiner Begründung, „ihre inhaltliche sozialpädagogische Widmung verloren, die als Identitätsträger in sozialhistorischer Hinsicht auch einen Teil der Bedeutung aus­ machte“. Dem Objekt sei in seinem „gegenwärtigen Baubestand zwar durchaus architektonische Bedeutung beizumessen, doch kann sie angesichts der für die weitere Existenzfähigkeit des Baukom­ plexes absehbaren unumgänglichen Veränderungen nicht die Grundlage für ein öffentliches Interesse an der Erhaltung abgeben“. Der Zirkelschluss ist evident: Weil eine bevorstehende Umnut­ zung das Objekt gefährde, könne es leider nicht geschützt werden. Rizzi beruft sich dabei auf einen Paragrafen des Denkmalschutz­ gesetzes, der besagt, dass ein Denkmal nicht unter Schutz gestellt werden kann, wenn es nach den Maßnahmen zu seiner Erhaltung so verändert wäre, dass ihm keine Bedeutung als Denkmal mehr zukäme. Dieser Passus bezieht sich aber ausdrücklich auf Maßnahmen, die durch den „statischen oder sonstigen physischen Zustand“ erforderlich werden und nicht auf die Folgen einer Umnutzung. Das Denkmalamt wird nicht darum herumkommen, sich auch in Österreich ernsthaft mit Baudenkmälern der jüngeren Vergan­ genheit auseinanderzusetzen. Nach der kürzlich angekündigten Unterschutzstellung der Z-Filiale von Günther Domenig aus dem Jahr 1979 muss auch die Debatte über die „Stadt des Kindes“ neu aufgerollt werden. Ein Denkmalschutzbescheid würde den guten Absichten aller Beteiligten den Rücken stärken. Die ARWAG als Projektträger hätte damit kaum ein Problem: Sie hat am Meisel­ markt und bei der Remise Kreuzgasse bewiesen, dass sie durchaus im denkmalgeschützten Bestand zu agieren versteht. 110

03 / 07 / 2004   

KEINE ZEIT ZUM FEIERN Mit dem Steinhaus am Ossiacher See hat er eine Messlatte seines Anspruchs gelegt, wie sie höher nicht sein könnte. Von der Zentralsparkasse in Favoriten bis zum T-Center am Rennweg: Günther Domenig zum 70. Geburtstag.

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b und zu leistet sich die Architekturge­ schichte einen Aus­ bruch. Die klaren Formen der Renais­ sance lösen sich im Manierismus auf; die Stilkopien der Gründer­ zeit in den forcierten Neuschöp­ fungen des Jugendstils; der Funk­ tionalismus nach 1945 in der kurzen Blüte der Pop-Architektur in den 1960er-Jahren. Immer schwingt in diesen Antithesen der Gegensatz zwischen Massenpro­ duktion und künstlerischer Einzel­leis­tung mit. Auf hunderte gute Baumeister der Renaissance kommt ein Michelangelo, auf tausende solide Architekten der Gründerzeit ein Antoni Gaudí. Architekten dieser Gewichts­ klasse sind notorische Verfechter des Überflusses. Sie liefern Formen, nach denen niemand gefragt hat, und Räume, die sich davor oft niemand vorstellen konnte. Über Qualität ist damit noch nichts gesagt. Aber weil wir zu 99 % in recht­eckigen Räu­ men ohne Besonderheiten leben, ist dieser Architektur zu­min­ dest Aufmerksamkeit sicher. Und oft genug gilt nur sie als „Architektur“, während alles andere aufs reine „Bauen“ redu­ ziert wird. Günther Domenig hat sich stets am äußersten Ende dieses Spannungsfelds positioniert. Mit der Zentralsparkasse in WienFavoriten wurde er für ein breites Publikum zum Inbegriff des Künstlerarchitekten. Dieses Gebäude besitzt alle Attribute, mit

„Investorenarchitektur“ mit Visionen: das T-Center am Wiener Rennweg Foto: Christian Kühn

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denen moderne Architektur schon immer den Volkszorn erregt hat: eine Fassade aus Stahl und Glas, Sichtbeton im Inneren. Aber hier ist die Fassade organisch geschwungen, wölbt sich nach außen und ist beim Eingang hochgezogen wie ein leichter Vorhang. Im Schalterraum der Bank werden die Lüftungsrohre zu Eingeweiden, und um keinen Zweifel daran zu lassen, dass man es hier mit etwas Organischem zu tun hat, wird ein Teil des Stiegenhauses von einer großen, in Beton modellierten Hand gestützt. Man darf annehmen, dass es Domenigs eigene ist: Auf nichts anderes stützt sich dieses Gebäude als auf den persönlichen Gestaltungswillen seines Architekten. Die Zentralsparkasse war das erste größere Projekt Domenigs nach der Auflösung seiner Partnerschaft mit Eilfried Huth 1974, die zehn Jahre gedauert hatte. Skulptural waren die Projekte dieser Partnerschaft von Anfang an gewesen. Das Pfarrzentrum in Ober­wart etwa ist eine Betonskulptur im Stil des „Brutalismus“, der mit einiger Verspätung in den 1960er-Jahren auch nach Österreich kam. Mit Brutalität hat diese Architektur ursprünglich nichts zu tun, sondern mit dem charakteristischen rohen Beton, dem Béton brut. Dass der Begriff des „Brutalen“ als Angriff auf herrschende Gemütlichkeiten hier mitschwingt, ist aber beabsichtigt. So wie viele andere Vertreter ihrer Generation, deren Arbeiten aus den 1960er-Jahren derzeit im Architekturzentrum Wien unter dem Überbegriff des „Austrian Phenomenon“ zu besichtigen sind, suchten Domenig und Huth nach einer radikalen Erweiterung des Architekturbegriffs. „Medium Total“ heißt eine ihrer Arbeiten, die in der Galerie nächst St. Stephan ausgestellt war. Dass ein solches Medium organisch, netzwerkartig, selbstgenerierend und in gewisser Weise formlos sein müsste, stand im Widerspruch zum architektonischen Anspruch, ihm trotz allem eine Form geben zu wollen. Mit dem Idealprojekt für Graz Ragnitz, in dem sie eine technoide Großstruktur mit organischen Zellen kombinierten, gewannen Domenig und Huth 1969 den Grand Prix International d’Urbanisme et d’Architecture, der sie auch international bekannt machte. 1970 verhalf ihnen dieser Erfolg zum Auftrag, Pavillons in die Schwimmhalle für die Olympiade in München einzubauen, leichte Strukturen aus Stahl, die wie versprengte Zellen aus dem Ragnitz-Projekt aussehen. „Holt mal die Artisten her“, soll Günter Behnisch, der zusammen mit Frei Otto für die Planung der Olympiabauten verantwortlich war, damals gesagt haben. Die Partnerschaft mit Huth musste an dem inneren Konflikt zwischen der Formlosigkeit eines „Medium Total“ und dem architektonischen Gestaltungswillen Domenigs zerbrechen. Huth konzentrierte sich nach der Trennung auf die Frage der Partizi­ pation, also auf das Bauen als Kollektivanstrengung der späteren Nutzer. Domenig blieb der Künstler, der seine Architektur als individuelle Äußerung zelebrierte. Nun ist Architektur aber die Kunst, die am stärksten von externen Einflüssen abhängig ist. Radikale Künstlerarchitekturen sprengen daher nur selten den Maßstab, den die Gesellschaft für Experimente zu finanzieren 112

bereit ist. Domenig ist es allerdings gelungen, in Dimensionen und Bauaufgaben vorzudringen, die ansonsten meist den Pragma­ tikern vorbehalten bleiben. Die Erweiterung der Architektur­ fakultät in Graz, wohin er 1980 als Professor berufen wurde, war ein erster großer öffentlicher Auftrag. Anfang der 1990er-Jahre folgten unter anderem die Rechts- und Sozialwissenschaftlichen Institute der Karl-Franzens-Universität in Graz, eine 300 Meter lange Megastruktur mit eingeschobenen Hörsälen, und das Landes­ krankenhaus in Bruck an der Mur. Grundlage dafür, Projekte dieser Komplexität anvertraut zu bekommen, war die Partnerschaft Domenigs mit Hermann Eisenköck, die später um den Partner Herfried Peyker erweitert wurde und heute unter dem Namen „Architektur Consult ZT Ges.m.b.H.“ firmiert. Über 20 Jahre hat diese Partnerschaft die Spannungen zwischen Vision und Umsetzung bearbeitet und da­ raus gelernt. In den ersten großen Projekten sind Kompromisse oft noch leicht abzulesen, wenn zwar gewisse Bauteile expressiv durchgeformt sind, anderswo aber die Pragmatik regiert. Mit dem Steinhaus, dem work in progress einer Bauskulptur am Ossiacher See, hat Domenig überdies eine Messlatte seines Architekturan­ spruchs gelegt, wie sie höher nicht sein könnte. Die ersten Projekte, bei denen dieser Anspruch auch im großen Maßstab eingelöst wurde, waren dem Kulturbereich zuzuordnen: die Landesausstellung in Kärnten 1995 und vor allem das Doku­ mentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, 2001. Für Domenig, der eine Kindheit im Nationalsozialismus hinter sich hat, ist dieses Projekt auch eine persönliche Abrechnung. Dass es gelingen kann, auch bei einer reinen „Investorenarchitektur“ Visionen umzusetzen, haben Domenig und die Architektur Consult vor kurzem mit dem T-Center am Wiener Rennweg bewiesen. Mit 120.000 m2 Nutzfläche ist dieses Objekt eine der größten Büro­ immobilien in Wien. Zugleich ist das T-Center eine liegende Skulptur, die von einem der besten halböffentlichen Räume durch­ zogen ist, die sich in der neueren Wiener Architektur finden lassen. Zu seinem 70. Geburtstag wird Domenig die Ehrenkreuzver­ leihungen und Feiern widerwillig über sich ergehen lassen, wie es sich für einen Künstlerarchitekten seiner Generation gehört. Immerhin kann er zu Recht behaupten, zum Feiern keine Zeit zu haben: Mit einem jungen Team hat er gerade ein neues Büro gegründet, das die Neugestaltung des A1-Rings in Spielberg bearbeitet. Noch ist das Projekt unter Verschluss. Man darf auf das Resultat gespannt sein.

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19 / 06 / 2004   

WEM DAS REICHT Das Problem besteht nicht in der mittelmäßigen Dekoration, sondern in den vielen Fragen, die hier nicht gestellt wurden: der neu gestaltete Schwarzenbergplatz – eine erste Bilanz zwei Wochen nach der Eröffnung.

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er Schwarzenbergplatz ist den Wienern im Grunde nie aufgefallen. Er ist ein Platz ohne feste Grenze, der an der Ringstraße beginnt und 400 Meter weiter zu beiden Seiten des Hoch­ strahlbrunnens verschwindet. Auf halbem Weg verliert er sich beinahe in der quer zur Platz­ achse laufenden Lothringerstraße, die ihn an Breite um ein gutes Stück übertrifft. Für einen großen Wiener Platz ist es nichts Ungewöhnliches, keine Kontur zu haben. Auch vom Karlsplatz und vom Heldenplatz wissen wir ja nur vage, wo sie sind, aber nicht, wo sie beginnen oder enden. In seiner ursprünglichen, von Heinrich von Ferstel 1863 geplanten Anlage war der Schwarzenbergplatz allerdings ein gut proportionierter, um das Reiterstandbild des Fürsten Carl Philipp zu Schwarzenberg herum angelegter urbaner Raum, der stadtauswärts vom damals noch offen fließenden Wienfluss begrenzt wurde. Erst mit der Einwölbung des Flusses verlor der Platz seine Proportion und wurde zu einer breiten Straße, die sich stadtauswärts aufweitet. In der allgemeinen Wahrnehmung war der Schwarzenbergplatz seit Jahrzehnten nichts anderes als ein Verkehrsknoten, den inzwischen täglich über 60.000 Autos passieren. Seine legendären Bodenwellen sind Autofahrern noch bestens in Erinnerung. 1997 wurde der Verkehrsplaner Werner Rosinak von der Stadt mit einem neuen Verkehrskonzept beauf­ tragt, das vorschlug, die den Platz vor dem Hochstrahlbrunnen querende Straße aufzulassen. Eine Verkehrsinsel, die dem Wiener Stadtgartenamt für schrullige Inszenierungen wie Blumenuhren und Stadtäcker gedient hatte, konnte so gewissermaßen ans Festland – den Platz um den Hochstrahlbrunnen – angebunden werden. Auf der Basis dieses Konzepts wurden vier Architektenteams zu einem Wettbewerb für die Platzgestaltung eingeladen, den der Spanier Alfredo Arribas gewann. Sein Plan sah vor, den recht­ eckigen Teil des Platzes um das Reiterstandbild durch schlanke, dicht gestellte Laternenpfähle zu markieren. Bei Nacht sollte eine Lichtinszenierung den Platz völlig verwandeln. In Arribas’ eigener Architektenpoesie: „Am Tag scheint der Platz unverändert – abgestufte Grauschattierungen verschmelzen Fassaden und Boden. Bei Nacht verwandelt sich die Symmetrie der Gebäude in Leucht­ spuren. Funkelnde Laternenpfähle akzentuieren den dunkel­ grauen Asphalt, ein Lichtstrahl vereint die fragmentierten Boden­ beläge. Strahlend rote Lichter zwischen den Schienen heben die Gleise hervor und warnen vor ankommenden Straßenbahnzügen;

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fluoreszierend grüne Lichter betonen und markieren die Über­ gänge.“ Seit Kurzem kann man besichtigen, was aus Arribas’ Konzept geworden ist. Am positivsten fallen sicher die Änderungen unmittelbar um den Hochstrahlbrunnen und das dahinter liegende Denkmal der Soldaten der Sowjetarmee auf. Die dichten Büsche, die bisher den Blick versperrten, wurden entfernt, die Bäume in Form gebracht. Die neu entstandene „Landzunge“ in der Haupt­ achse wurde nicht begrünt, sondern mit einem befestigten Boden versehen, in den Lichtstreifen eingelassen sind, die den Platz von unten beleuchten. Nach Aussage der Stadt soll diese Fläche nur ausnahmsweise, und nicht – wie etwa vor dem Rathaus – kontinuierlich für öffent­ liche Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Stadtbewohner und Touristen werden sich hier wohl fühlen und im Sommer den leichten Nebel des Hochstrahlbrunnens genießen – solange sie nicht auf Details achten. Denn Arribas hat sich zwar bemüht, Elemente wie Randsteine und Begrenzungsmauern mit mehr Liebe zu behandeln als sonst in Wien üblich. Die Ausführung bleibt aber stellenweise deutlich hinter der Ambition zurück, etwa dort, wo eine gekurvte Mauer aus identischen geraden Elementen zusammengesetzt ist und dicke Mörtelfugen die entstehenden Probleme „lösen“ sollen. So geht ein Häuselbauer vor, dem das Geld ausgegangen ist. Eine Großstadt sollte sich ein anderes Niveau leisten können. Ähnliches gilt auch für die Lichtinszenierung. Arribas’ Konzept ist auf ein Minimum reduziert. Kein Licht, das sich je nach Verkehrs­ lage ändert, keine Haltestellen, die sich rot verfärben, bevor eine Straßenbahn einfährt. Die im Boden eingelassenen Lichterketten sind zwar programmierbar, blitzen aber eher eintönig vor sich hin. Und aus den schlanken Masten rund um das Reiterstandbild sind plumpe Rohre geworden, die vor allem in der Ansicht von vorne eine unangenehme Wirkung entfalten. Die Beleuchtungskörper an diesen Masten sind zusätzlich über eine Seilabspannung gehalten, wodurch das Drahtgewirr über

Lichtinszenierung im Konflikt mit der Geschichte: der Wiener Schwarzenbergplatz, neu gestaltet von Alfredo Arribas Fotos: Christian Kühn

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der Straße unnötig vermehrt wird. Jede Peitschenlampe aus den 1950er-Jahren hat mehr Eleganz. Gescheitert ist Arribas’ Licht­ konzept vor allem am hinhaltenden Widerstand der Wiener Linien gegen größere Lichtspektakel und an allgemeinen Bedenken in Hinblick auf die Verkehrssicherheit. Ursprünglich war eine diffusere Allgemeinbeleuchtung vorgesehen, um die Lichteffekte deutlicher hervortreten zu lassen. Der Schilder- und Ampelwald, der im Zuge der Neugestaltung noch leicht gewachsen ist, hat nur indirekt mit der Verkehrssicherheit zu tun. Er wächst im selben Maß, in dem Autofahrer nach einem Strafmandat die Behörden erfolgreich wegen mangelnder Beschilderung verklagen. Insgesamt ist der neue Schwarzenbergplatz weder besonders geglückt noch besonders verunglückt. „It works“, sagte der Architekt bei der Eröffnung auf die Frage, ob er mit dem Ergebnis zufrieden sei. Wem das reicht, wird sich an die neue Gestaltung gewöhnen. Das eigentliche Problem besteht aber nicht in der mittelmäßigen Dekoration, sondern in den vielen Fragen, die hier gar nicht gestellt wurden. Was ist mit der „Kulturmeile“, die sich quer zum Platz an der Lothringerstraße vom Musikverein und vom Wien Museum bis zum Akademietheater und zum Konzerthaus entwi­ ckeln könnte? Wie sieht überhaupt das Nutzungskonzept für den Bereich um den Hochstrahlbrunnen aus? Ist es sinnvoll, die Verkehrsplanung vor der Platzgestaltung abzuschließen, statt interdisziplinär eine Lösung zu entwickeln? Und was ist mit der Geschichte des Platzes, die Arribas der „poetischen“ Idee opfert, die graue Tagesaktualität gegen einen nächtlichen Lichterzauber auszuspielen? Denn weder das Reiterstandbild noch das „Russendenkmal“ sind beleuchtet, da sie sonst den Lichterketten Konkurrenz machen würden. Aber können wir sie wirklich so einfach aus dem öffentlichen Bewusstsein wegknipsen? Im Wettbewerb hatten die Architekten PAUHOF und der Künstler Hans Kupelwieser vorgeschlagen, die beiden Denkmäler von ihren Standorten zu entfernen und im vorderen Teil des Platzes einander gegenüber aufzustellen. Der Bereich um den Hochstrahlbrunnen wäre damit offen für eine völlig neue architektonische Lösung geworden. Allein die Idee hätte Diskussionen ausgelöst, die den Platz, seine Geschichte und Zukunft ins öffentliche Bewusstsein gebracht hätten, und vielleicht hätte sich am Ende eine Antwort gefunden, die einer selbstbewussten Großstadt angemessen ist. An derart grundsätzlichen Diskussionen zeigt die Wiener Stadtplanung aber schon lange kein Interesse mehr.

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15 / 05 / 2004   

NEUFERT TRIFFT BUSTER KEATON Der EUROPAN-Architekturwettbewerb suchte Auswege aus der baulichen Ödnis der sogenannten „Speckgürtel“. Ergebnis: Es gibt Alternativen zu den Stereotypen des tristen Stadtrand-Massenwohnbaus. 

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ines der augenfälligsten urbanistischen Phänomene der letzten Jahre ist die Verwandlung der ehemaligen Stadt­ ränder. Der Stadtplaner Thomas Sieverts hat dafür den Begriff der „Zwischenstadt“ geprägt, eine charakteristische Ansammlung aus Shopping- und Entertainmentzonen, Betriebs­ gebieten, konturlosen Wohnsiedlungen und einem entsprechend raumgreifenden Verkehrssystem. In der Öffentlichkeit ist zuletzt immer öfter vom „Speckgürtel“ die Rede. Diese Metapher ist durchaus treffend: die Stadt als Herr in mittleren Jahren, dem beinahe unvermeidlich der Speck um die Mitte wächst. Eine Zeit lang wird mit „Brust-raus-Bauch-rein“-Übungen vor dem Spiegel die Illusion der schlanken Linie am Leben erhalten, aber letzt­ endlich fügt sich das Selbstverständnis der Schwerkraft. Die Stadt ist aus den Fugen, und wir haben uns daran gewöhnt. Amerika­ nische Stadtforscher stellen zwischen Fettleibigkeit und „Suburbia“ übrigens sogar eine direkte Beziehung her: Weil das Häuschen im Grünen dazu zwingt, auch die alltäglichsten Besorgungen mit Vermeidbar: typischer Massenwohnbau am Ortsrand, mit Krüppelwalm notdürftig als „regional“ getarnt Foto: Christian Kühn

dem Auto zu unternehmen, ist der Anteil der Übergewichtigen dort inzwischen signifikant höher als in anderen Siedlungsformen. So finde, meinte kürzlich Ellen Dunham-Jones bei einer Konferenz an der Kunstuniversität Linz, der „Urban Sprawl“ seine Fortsetzung im „Human Sprawl“. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei um kein großstädtisches Phänomen mehr handelt. Der Speckgürtel ist überall, selbst in kleineren Gemeinden mit ein paar Tausend Einwohnern. Wer heute mit offenen Augen durchs Land fährt, findet die immer gleichen Strukturen des Gleichgültigen, Kommerzschachteln ohne Beziehung zur Umgebung, die sich nur durch ihre Firmenlogos 117

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unterscheiden. Ausnahmen wie die „M-Preis“-Märkte in Tirol – die daher durchaus zu Recht als einer der österreichischen Beiträge zur diesjährigen Architekturbiennale nach Venedig ausgewählt wurden – bestätigen nur die Regel. Der Wohnbau, der sich im Speckgürtel ausbreitet, ist entspre­ chend trist. Auf der einen Seite gibt es die üblichen Einfamilien­ hausteppiche in immer engerer Parzellierung. Auf der anderen Seite nutzen viele Wohnbaugenossenschaften das Fehlen jeglicher Strukturvorstellung für diese Zonen zum Bau geradezu skandalö­ ser Stereotypen, die ihren Bewohnern alles vorenthalten, was eine zeitgemäße Wohnung zu kaum höheren Kosten an Komfort, Offenheit und Schönheit bieten könnte. Dabei bietet gerade das Fehlen von etablierten Strukturvor­ stellungen eine Chance für Innovationen. Es ist kein Zufall, dass einer der wichtigsten Architekturwettbewerbe Europas, EUROPAN, seit Jahren auf dieses Thema ausgerichtet ist. Der EUROPANWettbewerb, zu dem junge Planer bis 40 zugelassen sind, hat sich seit 1988 zu einer Institution entwickelt, die neue Ideen zum Wohnbau erforscht, diskutiert und umsetzt. Gerade in der Architek­ tur, in der oft nur von Einzelprojekt zu Einzelprojekt gedacht wird, ist der langfristige Aufbau eines internationalen Netzwerks zur Reflexion über Ziele und Methoden ein Beitrag, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. EUROPAN 7, der aktuelle Wettbewerb, dessen Ergebnisse letzte Woche beim EUROPANForum in Athen diskutiert wurden, befasste sich mit dem Thema „Suburban Challenge – Urbane Intensität und Vielfalt des Wohnens“. Damit ist EUROPAN endgültig in „Suburbia“ ange­ kommen, nachdem sich frühere Wettbewerbe mit „Der Stadt über der Stadt“, also der Verdichtung innerstädtischer Räume, und mit dem Thema „Zwischenorte – Architektur im Prozess der urbanen Erneuerung“ befasst hatten. Das Besondere des EUROPAN-Wettbewerbs liegt in seiner Organisation. Ein wissenschaftlicher Beirat legt alle zwei Jahre ein Thema fest. Dann bewerben sich in den inzwischen 16 Partner­ ländern Städte, die entweder direkt über die Gemeinde oder bereits über einen Bauträger Grundstücke anbieten und zugleich die Finanzierung der Jury und der EUROPAN-Administration übernehmen. Aus dieser Liste werden dann vom regionalen EUROPAN-Büro – dem in Österreich Klaus Kada als Präsident und Bernd Knaller-Vlay als Sekretär vorstehen – die Partnerstädte für den Wettbewerb ausgewählt. Die Jurierung erfolgt zweistufig: Zuerst wird etwa ein Fünftel der eingereichten Arbeiten – insge­ samt über 2000, allein für die österreichischen Standorte 168 – von den lokalen Jurys ausgewählt und dann bei einem europa­ weiten Treffen aller Juroren diskutiert. Dann erfolgt die Endjury in den Ländern, bei der jeweils ein Projekt zur Ausführung, weitere Projekte für die Publikation vorgeschlagen werden. Bisher sind europaweit 200 Projekte realisiert oder befinden sich – wie etwa ein Wohnbau in Innsbruck von Frötscher/Lichtenwagner, ein Preisträger des Jahres 1996 – in Realisierung. Beim aktuellen EUROPAN-Verfahren wurden in Österreich Projekte in Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck und Krems bearbeitet.

Einer Umsetzung am nächsten ist das Projekt in Salzburg-Lehen, wo die Gruppe Nil (Herold/Touzimsky) Wohnen für Senioren mit anderen Nutzungen in einer offenen Großform zusammen­ führt. In Innsbruck wird das Siegerprojekt von „architektur bn“ (Bradic/Nizic) in Hinblick auf eine höhere Dichte überarbeitet. In Krems könnte auf der Basis der Projekte von Sammer/Streeruwitz mit ihren „Vorstadtzutaten“ und den diagrammatischen Ansätzen von Müller/Quednau ein neues Konzept für ein erweitertes Planungsgebiet entstehen. In Wien hat das expressive Siegerprojekt von Pallarés, Castellanos und Molina (Alicante/London) gute Chancen auf eine Weiterbearbeitung in einem „Optimierungs­ verfahren“, in dem zuerst die wesentlichen Qualitäten des Projekts generell spezifiziert und dann von Bauträgern unterschiedliche Varianten der Umsetzung ausgearbeitet werden. Am weitesten von konventionellen Vorstellungen entfernt ist das Grazer Projekt mit dem Titel „Das nachgeholte Treffen von Neufert, Tessenow und Buster Keaton: Situationismus 2003“ von Benze/Kutz. Für Spezialisten: Eine simple Hülle (Tessenow) wird mit einem Katalog an Elementen (Neufert) gefüllt, deren Programmatik jedoch etwas bizarr anmutet (Buster Keaton). Das Ergebnis lässt höchst vergnügliche Wohnkombinationen erwarten, die alle Standards sprengen. Der EUROPAN-Wettbewerb beweist, dass eine Weiterentwick­ lung des Wohnbaus auch jenseits rein marktgetriebener Strukturen möglich ist und dass es noch genug Architektenteams gibt, die bereit sind, ihre Kompetenz dabei einzubringen. Ähnlich intelli­ gente Verfahren auch außerhalb von EUROPAN zu fördern sollte ein öffentliches Anliegen sein. Immerhin fließt ja – in Form von Wohnbauförderung und bereitgestellter Infrastruktur – auch in die übelsten Beispiele des Massenwohnbaus öffentliches Geld.

28 / 02 / 2004   

ZIEGEL, SORGFÄLTIG VERPACKT

Architektur: eine kostspielige Sache für besondere Anlässe? Oder doch vielleicht eher etwas, was jeden Häuslbauer interessieren sollte? Ein Plädoyer aus gegebenem Anlass.

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auen – daran ließ kürzlich die Wiener Messe für Bauen und Energie keinen Zweifel aufkommen – ist eine komplexe Angelegen­ heit. Auf zwei große Hallen verteilt fand man hier die Einzelteile, aus denen sich das durch­ schnittliche österreichische Wohnhaus zusam­ mensetzt: Wälder von Fertigkaminen, dicht arrangierte hölzerne Einbautreppen, die in ein nicht vorhandenes Obergeschoss führen, kleine Labyrinthe aus Hauseingangstüren und Sprossenfenstern, daneben Herden von Öltanks und Heizkesseln. In einer eigenen Halle plätscherten Wasserlandschaften aus Whirlpools und Schwimmbecken. 119

Zwischen Wärmepumpe und Wintergarten? Wohin mit der Kreativität der Architekturschaffenden? Foto: Christian Kühn

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Das alles sah ein wenig danach aus, als hätte jemand nach fachkundiger Sprengung der Fertighausausstellung „Blaue Lagune“ in Vösendorf deren Bruchstücke nach Gruppen sortiert und wieder aufgebaut. Naturgemäß wurden auch Fertighäuser in allen Varianten angeboten, schlüsselfertig zum Fixpreis „mit Bestpreisgarantie in wenigen Wochen aufgestellt“. Inzwischen ist das Angebot auf diesem Sektor technisch und ästhetisch kaum mehr zu überblicken, bis hin zu Holzkonst­ ruktionen mit einer dünnen innenliegenden Schicht aus Ziegel „zur Optimierung des Raumklimas“. Wer sich mit solchen einzigartigen, von Marketingexperten erdachten Synthesen von Leicht- und Massivbau noch nicht zufrieden geben will, kann sein Haus mit einem Dach aus Recycling-Kunststoff eindecken, das in Farbton und Form einem Ziegeldach täuschend ähnlich sieht und auf Wunsch mit eingelegten Solarzellen geliefert wird. Energetisch optimiertes Bauen ist ein zentrales Verkaufs­ argument, auch wenn der Grenznutzen zusätzlicher Wärmedäm­ mungen inzwischen vernachlässigbar ist, zumindest in Relation zum Energieverbrauch des von peripheren Siedlungen erzeugten Pendlerverkehrs. Angesichts von Außenwänden, bei denen auf 25 cm Ziegelmauerwerk eine ebenso starke Wärmedämmung auf­ gebracht ist, möchte man jedenfalls Mies van der Rohes berühmten Ausspruch vom Anfang der Architektur als dem „sorgfältigen Zusammensetzen zweier Backsteine“ modifizieren: Architektur beginnt heute mit dem sorgfältigen Verpacken eines Ziegelsteins in einer Schicht Dämmstoff. Eingestreut zwischen die Produktanbieter dieser Messe waren Beratungsinseln, auf denen verschiedene Interessensverbände und „Cluster“ ihre Dienstleistungen anboten. Das Institut für Bau­ biologie- und Ökologie versprach Antwort auf die Frage, was „wirklich ökologisch, natürlich, wohngesund und baubiologisch“ ist, und zeigte neben Prototypen von Niedrigenergie- und Passiv­ häusern als Attraktion das 1:1-Modell einer innen mit Lehm verputzen Holzriegelwand. Niederösterreich war mit zwei „Clustern“ vertreten – Töchtern der Regionalentwicklungsagentur ecoplus –, dem Holzcluster und dem Ökobau-Cluster, die mit Landes- und EU-Förderung versuchen, Klein- und Mittelbetriebe zu vernetzen und zu „innovativen Projekten“ zu ermutigen. Zum Programm gehören Qualifizierungsmaßnahmen für Handwerker, mit denen die hohen Anforderungen an die Ausführungsqualität, wie sie bei energetisch optimierten Gebäuden gestellt werden, erreicht werden sollen. Ein ähnliches Netzwerk ist die IG Passivhaus Ost, in der Planer und Ausführende ihr spezielles Know-how auf diesem Sektor gemeinsam bewerben. In diesem Wald von Spezialisierungen fand sich eine Beratungs­ insel unter dem schlichten Titel „Architektur“. Eingerichtet wurde sie von der IG Architektur, einer Plattform mit heute rund 150 Mitgliedern, die zur Neudefinition des Berufsbildes des

Architekten beitragen und die Rahmen- und Arbeitsbedingungen für die Architekturschaffenden verbessern möchte. Mit ihrer Präsenz auf der Messe wollte die IG Architektur die oft gezogene Grenze zwischen Bauen als Handwerk und Architektur als Kunst gezielt ignorieren. Auf dieser Beratungsinsel wurden weder Einzelteile noch Fertighäuser angeboten, sondern Informationen darüber, was Architekten überhaupt leisten und was diese Leistung kostet. Und davon hatten die meisten Besucher der Messe nur wenig Ahnung. Oft genug wird in den Beratungsgesprächen nach dem Produkt „Kreativität“ gefragt, als ob sich diese irgendwo zwischen Wärmepumpe und Wintergarten einbauen ließe. Ange­ sichts der vielen Spezialisierungen rundum war das verständlich: Warum sollte man sich mit dem Architekten nicht einen Spezia­ listen für Lifestyle und Schönheit leisten? Architektur beginnt aber ganz woanders: nämlich bei der Entwicklung der Aufgabenstellung zusammen mit dem Bauherrn, der Analyse der Bedingungen und Bedürfnisse in einem konkreten Anlassfall. Und sie reicht weit ins Technische und in Fragen der Bauabwicklung und Kostenkontrolle hinein. Dass Architekten sich mit ihren Häusern Denkmäler setzen wollen, ist ein längst über­ holtes Klischee. Gerade jüngere Architekten haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt an der Gestaltung von vorfabri­ zierten Bauteilen und Bausystemen beteiligt, die den Spielraum für individuelle Gestaltung nicht einengen, und damit die Grenze zwischen dem Fertighaus und dem individuellen Maßhaus zum Verschwimmen gebracht. Dass die Dienstleistung Architektur etwas kostet, ist klar, aber die Beträge sind, in Bezug zu den Gesamt­ kosten gesetzt, nicht hoch: beim Einfamilienhaus rund 15 % der Bausumme oder 7 % der Kosten inklusive Grundstück, Steuern und Abgaben. Nimmt man die Lebenszykluskosten des Hauses, also die Kosten inklusive Energie und Instandhaltung, zum Maß­ stab, ist der Prozentsatz noch geringer. Mit solchen Vergleichszahlen argumentiert die Architekten­ kammer freilich schon seit Jahrzehnten, ohne dass es sich besonders positiv auf die Situation der Architekten ausgewirkt hätte. Kreative Dienstleistungen gehören zu den weichen Faktoren, an denen man gerne zu sparen beginnt, vor allem, wenn die Konsequenzen guter Planung schwer quantitativ darstellbar sind und oft nur langfristig über den Lebenszyklus eines Objekts zum Tragen kommen. Was die Aktion der IG Architektur aber auszeichnete, war der Mut, sich auf das Terrain der „Häuslbauer“ zu wagen, zu dem sicher ein Großteil der Bauwilligen unter den rund 40.000 Besuchern der Messe zählte. Dass sich viele davon kurzfristig animieren ließen, ihr Haus mit einem Architekten zu planen, ist wohl kaum anzunehmen. Aber die bloße Präsenz in diesem Umfeld kann dem Trend entgegenwirken, Architektur nur mehr als eine kostspielige Sache für besondere Anlässe wahr­ zunehmen. Ein breites Architekturverständnis braucht nämlich beides: die Stars, die – hoffentlich zu Recht – im öffentlichen Rampen­ licht stehen und an Aufgaben tätig sind, bei denen eine gewisse Aufregung nicht nur toleriert, sondern gefordert wird; und es 121

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braucht eine selbstverständliche Akzeptanz im Alltag, damit auch dort nicht allein das Zweckdienliche und Nützliche, sondern auch jene Überschüsse an Raum und Form, ohne die es im Alltags­ leben eng wird, Platz finden dürfen. Das Beispiel der positiven Architekturentwicklung in Vorarlberg zeigt, wie wichtig es ist, ein breites Interesse für Architektur auf dieser Ebene zu wecken. Warum sollte das in Ostösterreich unmöglich sein?

03 / 01 / 2004   

CAFÉ GESPENST Als Mythos hat es 100 Jahre überlebt, obwohl kaum eine Schraube vom Original mehr erhalten war: das 1899 von Adolf Loos gestaltete Café Museum. Jetzt ist es rekonstruiert – und doch nicht mehr als eine Kulisse.

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ach einigen trostlosen Monaten, in denen man seinen kleinen Schwarzen anderswo trinken musste, hat das Café Museum am Karlsplatz wieder geöffnet. „Das Museum“ ist eine Institution: Nur Zugereiste und andere Ignoranten dürfen auf die Frage „Treffen wir uns im Museum?“ mit der Gegenfrage „In welchem?“ antworten, denn ohne weitere Bestimmungen wie „kunsthistorisch“ oder „technisch“ kann gar nichts anderes gemeint sein als das Café. Seit 1899 besetzt es einen strategisch wichtigen Punkt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Secession mit Blick auf die Karlskirche, kultur­ geographisch nicht zum alten Zentrum, sondern zur Vorstadt hin orientiert. Seinen Namen hat das Café von den Hofmuseen mitgebracht, in deren Nähe der erste Besitzer bereits ein Café betrieb, das er – samt Namen – hierher übersiedelte. Mit der Gestaltung des neuen Lokals wurde ein junger, knapp 30-jähriger Architekt beauftragt, der zwar erst kleinere Umbauten realisiert hatte, aber 1898 durch eine Artikelserie in der „Neuen Freien Presse“ aufgefallen war, in der er anlässlich einer Ausstel­ lung des Österreichischen Kunstgewerbes seine Ideen über zeit­ gemäßen Lebensstil formuliert hatte: Adolf Loos. Beeinflusst von englischen Vorbildern und von einem dreijährigen Aufenthalt in den USA von 1893 bis 1896 wandte er sich dabei sowohl gegen den damals dominierenden Historismus als auch gegen alle Versuche, mit Hilfe der bildenden Künste einen neuen Stil zu erschaffen. Ein neuer Stil – so Loos – sei schon längst da, in den zweckmäßigen, ornamentlosen und materialgerecht geformten Alltagsgegenständen, die das Handwerk überall dort hervor­ bringen könne, wo es sich von den bildenden Künstlern nicht bevormunden lasse. Zu den Bevormundern rechnete Loos zeitlebens auch die Mehr­ heit der Architekten, nicht nur die historisierenden, sondern auch die modernen. Sein Freund Karl Kraus lieferte dazu in einem Aphorismus die knappste Zusammenfassung: Loos hätte nichts

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anderes getan, als auf den Unterschied zwischen einer Urne und einem Nachttopf hinzuweisen, während die anderen entweder – im Historismus und bei den Wiener Werkstätten – den Nachttopf zur Urne oder – im Funktionalismus – die Urne zum Nachttopf hätten machen wollen. Loos war bereit, traditionelle Lösungen zu übernehmen, wenn sie ihm für den „Menschen mit den modernen Nerven“ noch verwendbar erschienen. Aber Tradition war für ihn kein Wert an sich. Seine Architektur war radikal gegenwarts­ bezogen, ohne Sentimentalität für eine angeblich bessere Vergan­ genheit, aber auch ohne das utopische Erlösungspathos der klassischen Moderne. Das Café Museum war das erste größere Werk, in dem Loos seine Ideen umsetzen konnte. Auf den historischen Fotogra­ fien ist ein Raum ohne Beson­ derheiten zu erkennen, ein­fache Thonetsessel, dunkle Wand­ verklei­dungen aus Holz bis zur Höhe der Sessellehnen, darüber eine gestreifte Tapete, oben mit einer Messingleiste abge­ schlossen. Die gewölbte, weiße Decke ist durch weitere Messingleisten gegliedert, die elektrische Leitungen abdecken. Gruppen von Glühbirnen sind an Kabeln von diesen Leisten abgehängt, weitere Beleuchtungskörper – offensichtlich mit Gas betrieben – befinden sich an den Wänden, wobei die offen geführten Gasrohre zugleich als Garderobestangen verwendet werden. Spiegel kommen mehrfach zum Einsatz, an den Stirnwänden und an der Kasse, um den Blick der über den Eckeingang eintretenden Besucher diagonal in die beiden Haupt­ räume zu lenken. Die Thonetsessel hat Loos nicht selbst entworfen, sondern Elemente aus mehreren verfügbaren Typen zu einem besonders leichten und eleganten Stuhl kombiniert. Das verwendete Bugholz hat elliptische anstelle von runden Querschnitten und war – wie sich an erhaltenen Originalen nachweisen lässt – in einem hellen Rot gebeizt. Loos hat hier nichts neu erfunden, aber vieles weggelassen, was seinen Zeitgenossen als unverzichtbar erschien: Ornament und Plüsch, jede Art von forcierter Gestaltung. Was Karl Kraus über die Kritiker des Hauses am Michaelerplatz schrieb, gilt auch für jene, die schon das „Museum“ als „Café Nihilismus“ denunzierten: „Er hat ihnen dort einen Gedanken hingebaut. Sie aber fühlen sich nur vor den architektonischen Stimmungen wohl.“ Gar nicht gemütlich ist auch die Fassade des Cafés, an der Loos auf alle Zierelemente verzichtete und nur eine weiß verputzte Wand mit großen Fensteröffnungen übrig ließ, auf der in Goldbuchstaben der Schriftzug „Café Museum“ angebracht ist. Diese Fassade ist das einzige Element des ursprünglichen Lokals, das die Zeit halbwegs unbeschadet überdauert hat. Schon in den

Was ist ein Original? Das nach historischen Fotografien rekonstruierte Café Museum Foto: Christian Kühn

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1930er-Jahren wurde das Lokal von Josef Zotti, einem Schüler Josef Hoffmanns, völlig umgebaut. Seither hat es mehrfache Adaptierungen gegeben, die dem Lokal eine unverwechselbare, leicht verwegene Physiognomie verpassten. Als das Lokal im Frühjahr 2003 „wegen Renovierung“ geschlossen wurde, war zuerst davon die Rede, dass Eichinger oder Knechtl eine Sanierung durchführen sollten, und man durfte hoffen, dass den historischen Schichten und Mythen nun neue, aktuelle folgen würden. Diese Hoffnung hat sich mit der Wiedereröffnung einer anhand der alten Fotografien aus dem Jahr 1899 erstellten Rekonstruktion zerschlagen. Das spekulative Motiv dieser Rekonstruktion, den großen Namen, der so gut ins „Wien um 1900“-Klischee passt, umsatz- und gewinnbringend auszuschlachten, ist offensichtlich. Wissenschaftlich hat die Rekonstruktion nichts erbracht, was nicht auch bei einer korrekten Bauaufnahme hätte herausgefunden werden können. Farbe und Material der gestreiften Tapete konnten an zwei Stellen entdeckt werden: grün gestrichenes Baumwoll­ gewebe und nicht Velourstapeten, wie in einer zeitgenössischen Schilderung zu lesen ist. Bei der Beleuchtung zeigt sich aber die Unmöglichkeit, den historischen Zustand zu rekonstruieren: Die Beleuchtungskörper anstelle der Gasbeleuchtung mögen in den Abmessungen korrekt sein, wirken aber größer und plumper, von der Lichtcharakteristik gar nicht zu reden. Dasselbe gilt von den die originalen Kohlefaserlampen ersetzenden Glühbirnen. Der Fußboden, der auf den Fotos am ehesten nach dem braunen Linoleum aussieht, das in zeitgenössischen Amtsgebäuden verlegt war, wurde ratlos mit einem Eichenparkett belegt, weil sich im Schichtenaufbau kein Linoleum nachweisen ließ. Aber das sind Details. Selbst wenn die Fälschung echter wäre als das Original: Das Café Museum von 1899 war ein Schritt nach vorn, das neu-alte Café Museum ist ein Schritt zurück. Dass gerade ein Architekt wie Loos, der wie kein anderer an der Gegenwart interessiert war, bei einer solchen Scharade vorgeführt wird, tut besonders weh. Aber Loos scheint geahnt zu haben, dass die Angst der Wiener vor der Gegenwart unheilbar ist. „Mir bangt nicht für mich“, sagt er in einem Vortrag über das Haus am Michaelerplatz aus dem Jahr 1911, in dem er mit seinen Kritikern abrechnet. „Mir bangt für die Baukünstler in 100 Jahren. Wen werden sie davon in 100 Jahren mit dem Haus am Michaelerplatz erschlagen?“

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28 / 11 / 2003   

DURCH UND DURCH UND DURCH

Beratungsinseln statt eines durchgehenden Verkaufspults, ein großer Bereich für Selbstbedienung, ein „gläsernes“ Labor: „Zum Löwen von Aspern“, die etwas andere Apotheke von ARTEC.

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er alte Ortskern von Aspern – das klingt ein wenig nach guter alter Zeit. Hier hat im Jahr 1809 Erzherzog Karl in einer erfolgreichen Schlacht den Mythos von der Unbesiegbarkeit Napoleons zerstört, und weil Österreich an erfolgreichen Mythenzerstörern nicht gerade reich ist, führen ihn unsere Schulbücher seither als den „Löwen von Aspern“. Dem Ort hat das ein Denkmal und einen Namen mit gutem Klang beschert, auch wenn das ehemalige Angerdorf heute längst in die Gemeinde Wien eingegliedert ist. Von der guten alten Zeit ist in Aspern heute wenig zu spüren. Durch die enge Hauptstraße wälzt sich der Verkehr, viele Häuser haben ihre letzte Renovierung schon einige Zeit hinter sich. Seit Kurzem findet sich hier ein Neubau, der zur Aufwertung des Orts beiträgt, gerade weil er sich – in architektonischer wie in funktio­ neller Hinsicht – nicht an die Spielregeln der guten alten Zeit hält. Wilhelm Schlagintweit, der Bauherr, hat nur bei der Namens­ gebung eine Konzession an den Genius Loci gemacht: „Zum Löwen von Aspern“ heißt die Apotheke, die er hier von ARTEC Architekten entwerfen ließ. Das inhaltliche Programm weicht aber einigermaßen von dem ab, was man sich üblicherweise unter einer Apotheke vorstellt. In den meisten Apotheken bildet die „Tara“, das große Verkaufspult, eine natürliche Grenze zwischen dem Apotheker und seinen Kunden. Platz für Beratungen ist knapp, in der Regel gibt es kaum Möglichkeiten für den Kunden, sich im Kosmetik- und Nahrungsmittelbereich selbst zu bedienen, wie er es heute aus den meisten Einzelhandelsgeschäften gewohnt ist. Dass Apotheken sich in ihrer Struktur weit weniger verändert haben als die Geschäfts­ lokale anderer Branchen, liegt nicht an der besonderen Ware, die hier verkauft wird, sondern vor allem an der geringen Konkurrenz

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auf einem staatlich geregelten Markt. Aber auch hier ändern sich die Rahmenbedingungen: Die Handelsspannen sinken, und auch der Internethandel wird zumindest mittelfristig den Umsatz reduzieren. Um hier wirtschaftlich zu bestehen, positioniert sich die Apo­ theke in Aspern als Gesundheitszentrum: Im Verkaufsraum finden sich Beratungsinseln anstelle eines durchgehenden Verkaufs­ pults und zusätzlich ein großer Bereich für Selbstbedienung. Die Kunden können bei der Herstellung von Salben und Tink­turen zusehen. Ein kleiner Vortragssaal dient für Beratungs- und Kultur­­ veranstaltungen, und am Samstag wird das Angebot durch einen „Bauernmarkt“ ergänzt. Auf dem Dach hat Schlagintweit einen Kräutergarten nach benediktinischem Muster anlegen lassen, in dem die Pflanzen nach den Krankheiten, zu deren Heilung sie eingesetzt werden können, geordnet sind. Ein Cartoon, mit dem

die Apotheke für sich wirbt, zeigt einen zufriedenen Kunden mit dem Ausspruch: „Das ist keine Apotheke, das ist ein Event.“ Es ist kein Zufall, dass die Apotheke Anfang November nicht von der Gesundheitsstadträtin, sondern von Wiens Planungs­ stadtrat Schicker eröffnet wurde. Private Initiativen zur Schaffung von öffentlichem Raum sind gerade in den Randbezirken besonders wichtig, denen das Zentrum immer noch kulturelle Identität absaugt. Eine Apotheke mit Programm kann genauso gegen diesen Abfluss beitragen wie eine Schule oder ein Sozialzentrum. Architektonisch haben ARTEC das anspruchsvolle Konzept ihres Bauherrn kongenial umgesetzt und eine Apotheke entworfen, durch die man durch und durch sehen kann. Streng genommen, hat sie weder Wände – wenn man von den beiden Feuermauern absieht – noch ein Dach, denn die halbrunden Betonelemente, mit denen das Gebäude an den Schmalseiten abgeschlossen wird, lassen sich kaum in die Kategorie „Dach“ einordnen. Eigentlich handelt es sich um Träger, die die ganze Breite des Grundstücks von rund 15 Metern überspannen und es ermöglichen, die Fassade darunter stützenfrei auszubilden. Um die von den Architekten geforderte glatte und wasserdichte Oberfläche zu erzielen, mussten sie als Fertigteile hergestellt und auf der Baustelle mit der Ort­ betondecke verbunden werden. Das klingt einfach, ist allerdings bei größeren Spannweiten höchst kompliziert umzusetzen.

Fremdkörper im Zentrum von Aspern: Dachträger mit 15 Metern Spannweite aus Sichtbeton Fotos: Margherita Spiluttini

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Oskar Graf, der bei diesem Projekt für die Tragwerksplanung und die Bauphysik verantwortlich war, hat in dieses Detail viel Zeit investiert. Teurer als ein konventionelles Konzept mit Mittel­ stützen ist die Lösung aber nicht geworden, denn immerhin hat man sich die zusätzlichen Fundamente erspart, die für die konventionelle Lösung nötig gewesen wären. Das Thema des stützenfreien Raums haben ARTEC konsequent durchgezogen. Im Verkaufsraum hängen die Regale des Selbstbe­ dienungsbereichs von der Decke und wirken durch ein raffiniertes Beleuchtungskonzept wie Lichtkörper. Dahinter schließt einer der beiden Höfe an, die ARTEC in den Baukörper eingeschnitten haben. Im Sommer lässt sich dieser Freiraum durch große Schiebe­ türen in den Verkaufsraum einbeziehen. Auf der zweiten Ebene liegen die Sozialräume, das Büro für den Chef und der Ausgang in den Kräutergarten. Dass es ARTEC auch hier gelungen ist, die räumlichen Grenzen zwischen den Funktionsbereichen aufzuheben, ohne die Funktionen zu beein­ trächtigen, ist ein besonderes Kunststück. Weder die Garderoben noch der Schlafbereich für die Nacht- und Wochenenddienste sind räumlich fix abgetrennt, ohne dass sich daraus Nachteile ergeben würden. Der Gewinn besteht in einer räumlichen Groß­ zügigkeit, die jedem der Funktionsbereiche gewissermaßen gratis zugute kommt. Besonders wichtig ist in solchen offenen Strukturen eine gute Haustechnikplanung, für die hier Christian Koppensteiner, ein langjähriger Partner von ARTEC, verantwortlich war. Großflächige Heizung und Kühlung über die Betondecken sorgen für ein angenehmes Raumklima. Seit der Eröffnung der neuen Apotheke hat sich der Umsatz – gegenüber dem Vorgängerlokal, das sich in einem Altbau befand – um 30 % erhöht. Die Kunden schätzen die Offenheit und Großzügigkeit, den Wegfall der Barrieren und die bessere Beratung. Nur wenige fragen angesichts der Sichtbetonober­ flächen an Decke und Feuermauern, warum man den Bau nicht zu Ende geführt habe. Für mehr Aufregung sorgen die glatten Betonträger, die das Erscheinungsbild der Apotheke zur Straße hin prägen. „In einem Vorarlberger Bauerndorf würde man solche Architekten mit Mistgabeln davonjagen“, schrieb ein auf­ ge­brachter Anrainer. Dass Vorarlberger Bergdörfer inzwischen für ihre Dichte an guter zeitgenössischer Architektur bekannt sind, hat sich offenbar noch nicht bis in den 22. Bezirk herum­ gesprochen. Zur Beruhigung: Hier wollte niemand provozieren, niemand sich ein Denkmal setzen. Bauherr und Architekten haben mit heutigen Möglichkeiten versucht, auf die Bedingungen und Bedürfnisse der Zeit zu reagieren. Unter Vorarlberger Berg­ bauern – immer schon pragmatischer als wir Ostösterreicher – gibt es darüber schon längst keine Debatte mehr: Wer sich in der trügerischen Sicherheit überkommener Formen einmauert, hat keine Zukunft.

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03 / 10 / 2003   

ES BLEIBT ALLES BESSER Ein ambitionierter Bauherr, eine kluge Wettbewerbsausschreibung, ein raffinierter Entwurf: Der Kaipalast von Henke und Schreieck beweist, dass dem guten Alten ein noch besseres Neues folgen kann.

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n der historischen Altstadt neu zu bauen war immer schon schwierig. Einerseits ist die Konkurrenz hier besonders hoch: Wer Geld und Macht hatte, wollte das von jeher im Zentrum der Stadt zum Ausdruck bringen und beauftragte die besten Architekten der jeweiligen Epoche. Anderer­ seits ist die Öffentlichkeit hier besonders wachsam: Die Altstadt ist immer schön, wie sie ist, und jeder Neubau steht grundsätzlich unter dem Verdacht, ein vertraut gewordenes Bild zu zerstören. Dieses Spannungsfeld zwischen Baulust und Bildbewahrung ist seit dem 19. Jahrhundert ein Faktor der Stadtentwicklung, inzwischen verregelt in einer Vielzahl von Gesetzen zum Denk­ mal- und Ensembleschutz. In Wien erlaubt die Bauordnung die Einrichtung von Schutzzonen, zu denen der erste Bezirk selbst­ verständlich gehört, und seit dieser auch noch zum Weltkulturerbe erklärt wurde, darf der Wiener sich im Gefühl sonnen, dass die Welt mit Argusaugen beobachtet, was er mit seiner Innenstadt anstellt. Und siehe da: Trotz Schutzzone und Weltkulturerbe wird hier noch immer gebaut. Der Entwicklungsdruck ist höher als je zuvor. Wer Geld und Macht hat, drängt wie gehabt ins Zentrum, das Hotel Sacher will ein bisserl was draufsetzen, Häuser werden entkernt, um den Bedürfnissen des Handels nach großen Flä­ chen entgegenzukommen, und in der Dachzone der Innenstadt – deren üppige skulpturale Ausstattung nach dem Krieg nie wieder hergestellt wurde – entstehen luxuriöse Wohnungen. Kurz: Die Stadt lebt und verändert sich. Und ab und zu darf, wie derzeit am Franz-Josefs-Kai zu besichtigen, sogar ein ganzes Haus abgerissen und neu gebaut werden. Das abgerissene Haus, der sogenannte „Kaipalast“, 1912 nach einem Entwurf des Architekten Ignaz Nathan Reiser errichtet, war durchaus denkmalverdächtig. Es handelte sich um eines der frühen Stahlbetongebäude in Wien, bei denen dieses Material sowohl im Inneren als auch an der Fassade zum Einsatz kam. Sti­l­is­ tisch dem Späthistorismus zuzuordnen, war das Gebäude zugleich ein Experimentalbau, bei dem die Möglichkeiten des neuen Mate­ rials Stahlbeton ausgereizt wurden. Die Decken maßen an den dünnsten Stellen nur 8 cm und hatten im Lauf der Jahre immer 129

Foto: Henke/Schreieck

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neue Schichten aufgedoppelt bekommen, um den statischen Vorschriften zu genügen. Ein Brand in den letzten Tagen des Zweiten Welt­ kriegs hatte das Gebäude noch zusätzlich in seiner Substanz belastet. Als bekannt wurde, dass sein Abbruch geplant war, formierte sich eine Initiative zur Rettung des Kaipalasts. Die MA 19 – Magistratsabteilung für Stadtgestaltung – beauftragte ein Gutachten, das eine Sanierung für möglich erklärte, wenn auch unter hohen Kosten. Die Zürich Kosmos Versicherung als Eigentümerin des Objekts hatte allerdings wenig Lust, den Bau, den sie bereits 1930 erworben und seither betrieben hatte, instand zu setzen. Für ein zeitgemäßes Bürohaus war er vom Grund­ riss her veraltet, das Treppenhaus dunkel, eine bauphysikalisch korrekte Sanierung der Fassade unter Bewahrung ihres alten Erscheinungsbilds so gut wie unmöglich. Und außerdem hatte die Versicherung den Ehrgeiz, den schon alle früheren guten Bauherren in der Innenstadt hatten, nämlich ein besonderes Gebäude zu realisieren, das seine Nachbarn an Qualität übertrifft. Ob das gelungen ist, wird die Öffentlichkeit ab nächster Woche beurteilen können, wenn der neue Kaipalast offiziell eröffnet wird. Noch sind die geschosshohen Lamellen aus satiniertem Glas, die jeweils paarweise vom Innenraum aus gesteuert werden können, geschlossen. Hinter dieser scheinbar hermetischen – aber im Gebrauchszustand durch die unterschiedlichen Stellungen der Lamellen sehr lebendigen – Fassade haben die Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck ein raffiniertes Raumkunstwerk errichtet. Die beiden unteren Geschosse sind durchgehend verbaut und werden als Geschäft vermietet. Die Ebenen darüber sind um einen überdachten Hof herum gruppiert, an dem auch das gut belichtete Treppenhaus liegt. Trotz der scheinbaren Homogenität der Fassade ist jede dieser Ebenen etwas unterschiedlich. Es gibt zwei Durchbrüche vom Hof nach außen, die sich in der Fassade als große Öffnungen abzeichnen. Die Arbeitsplätze, die tief im Gebäude am Innenhof liegen, erhalten dadurch einen Blick nach außen auf den Kai, und weil sie zusätzlich noch am gut proporti­ onierten und durch einige Terrassen auch gut nutzbaren Innen­ hof partizipieren, sind sie erstaunlicherweise mindestens ebenso attraktiv wie ein Fensterplatz an der Straße. Durch das zentrale Stiegenhaus sind die Bürogeschosse leicht teilbar und können jeweils in zwei unabhängigen Einheiten vermietet werden. Überhaupt war die Flexibilität der Grundrisse ein wesentliches Anliegen: Alle technischen Einrichtungen bis hin zur Klimatisierung wurden so ausgeführt, dass jederzeit eine Umrüstung vom Großraum zu Einzel- oder Gruppenbüros erfolgen kann. Zur Flexibilität trägt auch das Konstruktionssystem bei, das mit wenigen Stützen auskommt und dafür im Parapetbereich der Fassade Träger anordnet, mit denen sich beispielsweise die weite Auskragung an der Ecke bewältigen lässt. Als Tragwerksplaner sind

die Bauingenieure Gmeiner und Haferl zu nennen, bewährte Partner von Henke und Schreieck, die von der Konzeptphase an in ihre Projekte eingebunden sind. Als besondere Ingenieurleistung schwebt über dem Gebäude parallel zum Kai ein verglaster Quader, der in den Skizzen der Architekten mit dem Ringturm in Verbindung gebracht wird. So wie der vertikale Quader des Ringturms nach oben hin aus der Gründerzeitlogik ausbricht, aber nicht mehr sein will als ein Eck­ stein der Ringstraße, bricht auch die kleine freche Schachtel über dem Kaipalast aus dieser Logik aus und bleibt trotzdem im Rahmen der sehr heterogenen Wiener Dachlandschaft. Der Ausnahmegenehmigung, die wegen einer Überschreitung der Baulinie dafür nötig war, haben auch die Anrainer rasch zuge­ stimmt. Denn vom Volumen her unterschreitet das Gebäude in der Dachzone bei weitem das, was an dieser Stelle möglich gewesen wäre. Hätte der Bauherr darauf bestanden, dieses Volumen auszu­ nutzen, wäre bereits die obere Dachkante um ein Stück höher; und wäre dann noch unter 45 Grad nach oben gebaut worden, hätte das den Dachwohnungen in der Nachbarschaft viel Licht und Ausblick geraubt. Dass hier nicht das Maximum an Kubatur erzwungen wurde, liegt auch an einer klugen Wettbewerbsausschreibung. Im Bewusst­ sein, dass es um ein höchst sensibles Projekt geht, ließ sich die Zürich Kosmos Versicherung dahingehend beraten, auf ein genaues Raum- und Funktionsprogramm für ihr Büro- und Geschäftshaus zu verzichten, und gab auch keine Mindestkubaturen vor. Das hat sich gelohnt: Gewonnen hat ein Projekt, das bei weitem nicht

Beim Aufwachen: der neue Kaipalast mit geschlossenen und offenen Lamellen Foto: Margherita Spiluttini

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die größte Fläche erreichte, aber die höchste Qualität. Wenn das Weltkulturerbe Wien Innere Stadt trotz des massiven Entwicklungs­ drucks bleiben will, was es ist, nämlich ein Ensemble herausra­ gender Bauten aus allen Jahrhunderten, wird es sich am Kaipalast ein Beispiel nehmen müssen.

15 / 09 / 2003   

JENSEITS DES LOFTS

Braucht es wirklich eine neue Gesellschaft, um die typologische Einfalt im heutigen Wohnbau sinnvoll zu durchbrechen? Nasrine Serajis Wohnbau in Wien-Penzing beweist, dass etwas Baukunst dafür ausreicht.

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tandardisierung im Wohnbau ist für viele Bau­ träger die natürlichste Sache der Welt. Sind Menschen nicht annähernd gleich zugeschnit­ ten, leben in Kleinfamilien und haben alle ein Bedürfnis nach Licht, Luft, Sonne und ein bisschen Grün? Mehr als drei Wohnungstypen braucht man im Grunde für sie nicht, und stapelt man die übereinander, so hoch es die Bauordnung eben zulässt, ist ein Wohnbau entstanden. Ein Unbehagen an dieser Form des Wohnens hat es schon immer gegeben. In der Gründerzeit wurden die immer gleichen Grundrisse der Mietskasernen in vielfältig variierte historische Fassaden verpackt, um ihren eigentlichen Charakter zu verschlei­ ern. Der soziale Wohnbau nach dem Zweiten Weltkrieg war sich seiner guten Sache so sicher, dass er glaubte, auf diese Camouflage verzichten zu können, und hat damit jämmerlich Schiffbruch erlitten, nicht nur in ästhetischer, sondern auch in sozialer Hin­ sicht. Neue Verpackungen für den nicht nur in den Städten, sondern immer öfter auch an den Rändern kleinerer Gemeinden wuchernden Geschosswohnbau sind längst gefunden, von post­ modern bis rustikal. Die Inhalte sind aber nach wie vor von deprimierender typologischer Einfalt, woran auch die wenigen ambitionierten Ausnahmen nichts ändern können. Aber warum sollte sich überhaupt etwas ändern? Hat nicht auch die anonyme Architektur, etwa das bäuerliche Wohnhaus im alpinen Raum, jahrhundertelang die gleichen Typologien verwendet? Und werden nicht auch im Einfamilienhausbau, der den Bauherren doch weit größere Freiheiten bieten würde, in der Regel nur die üblichen Stereotypen wiederholt? Warum sollte im Geschosswohnbau Vielfältigeres entstehen? Darauf gibt es zumindest zwei Antworten. Erstens haben sich die sozialen Strukturen verändert. An die Stelle der Familie als kleinste Einheit der Gesellschaft und damit des Wohnbaus ist der neutralere Begriff des Haushalts getreten, der höchst unterschiedliche Formen des Zusammenlebens bezeichnen kann: traditionelle Familienstrukturen, Alleinerziehende, Singles

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unterschiedlichen Alters, Kinder, die nach einer Scheidung in zwei Haushalten gleichzeitig leben. Alle haben sie spezifische Wohnbedürfnisse, die noch dazu einem raschen Wandel unter­ liegen und im Einfamilienhaus kaum bedient werden können. Eine andere Antwort findet sich auf der symbolischen Ebene. Anders als in der anonymen Architektur, in der Typologien Geborgenheit in einer Tradition ausdrückten, sind die Standards des heutigen Wohnbaus ein Ausdruck der Durchrationalisierung der Welt nach rein ökonomischen Gesichtspunkten. Keine noch so bunte Fassade kann darüber hinwegtäuschen, dass das hoch gestapelte, rationalisierte Glück nicht mehr sein kann als das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl. Nur wenn eine Wohnung auch unbestimmten Raum – ja sogar Einschlüsse von Unvernunft – ent­ hält, Raum, den sich die Bewohner erst lang­ sam aneignen müssen, bietet sie die Chance auf eine eigenständige Bestimmung von Glück. Der Wiener Wohnungs­

Inszenierte Vielfalt: Nasrine Serajis dreidimensionales Wohnpuzzle in WienPenzing Fotos: Pez Hejduk

markt hat auf diese Entwicklungen nur in Ansätzen reagiert. Es gibt Themensiedlun­ gen, die sich einzelner Aspekte annehmen und sich als „frauen­ gerecht“ oder „autofrei“ positionieren, es gibt Versuche, durch das Angebot von „Loftgrundrissen“ ein flexibleres Wohnen zu ermöglichen, und es gibt radikale Konzepte, den Warencharakter des Wohnens auf die Spitze zu treiben und nur noch neutrale Hüllen zu bauen, die erst durch schicke Oberflächen und flotte Werbesprüche mit Bedeutung aufgeladen werden. In der breiten Masse des Angebots dürften sich alle diese Strategien in abge­ schwächter Form durchsetzen: simple Grundrisse, heftiger Ober­ flächenzauber und professionelles Marketing, das jedem Projekt eine besondere „Story“ mitgibt, die es einzigartig erscheinen lässt. Dass sich auf diese Art alles verkaufen lässt, haben die Wohnungen 133

in den Gasometern in Wien-Simmering eindrucksvoll bewiesen. Angesichts dieses Trends ist es erfreulich, auf ein Projekt zu stoßen, das höchst erfolgreich eine ganz andere Strategie verfolgt, die typologische Starre des Wohnbaus aufzubrechen. Nasrine Seraji, bis vor einem Jahr Leiterin einer Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste und heute Dekanin der renom­ mierten Architekturschule der Cornell-University in den USA, hat in Wien-Penzing für die Firma Mischek einen Wohnbau mit 50 Einheiten entworfen, dessen Qualität auf nichts anderem beruht als auf dem etwas antiquiert klingenden Begriff der „Bau­ kunst“: kein neues soziales Konzept, aber sorgfältig gestaltete Übergangsbereiche zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen; keine neutralen Lofts, aber ein enormes Angebot an unterschiedlichen Wohnungstypen mit eigenwilligen Grundrissen; kein plakatives Thema, dafür ebenso präzise wie sensibel ins Gelände gesetzte Baukörper. Das Grundstück liegt an der Linzer Straße in Gehweite der U-Bahn-Station Hütteldorf. Im Westen ist es vom Ferdinand-WolfPark und einem kleinen Bach begrenzt. Die Baukörper orientieren sich an der Logik des Grundstücks: Während sie im Süden von der Grundstücksgrenze abrücken, um einen besonnten Freiraum zu bilden, folgen sie ansonsten genau der Baulinie. Seraji hat diese mehrfach ihre Richtung ändernde Linie zum Ausgangspunkt für die Geometrie der Gebäude gemacht, was im Grundriss verwirrend aussieht, in natura aber einen selbstverständlichen Eindruck macht. Jedes der drei Gebäude hat ein eigenes, gut belichtetes Foyer, in dem man sich gerne länger aufhält. Hier ist tatsächlich alles Architektur, sogar der Abstellraum für die Fahrräder, der raffinierte Durchblicke zum Treppenhaus erlaubt und sich an einer Stelle zu einer Raumhöhe von fünf Metern aufschwingt. „Verschwendung“ in der Vertikalen ist ein Thema, das Seraji auch in vielen Wohnungen in diesem Projekt durchspielt, in denen ein Teil des Wohnraums plötzlich die doppelte Raumhöhe erhält. „Constructing the Void“ – das Herstellen des Leerraums – ist ein zentrales Thema in Serajis Architekturauffassung. „Void“ bezeichnet dabei nicht einfach ein bisschen mehr Luft, sondern das Unbestimmte, Offene und Namenlose, das sich der schnellen funktionellen und symbolischen Zuordnung entzieht. Aus der Kombination von schrägen Raumachsen und über mehrere Geschosse reichenden Wohnungstypen hat Seraji ein räumliches Puzzle geschaffen, das sie virtuos und ohne Rest auflöst. Während bei vielen Beispielen dekonstruktiver Architektur die – manuell oder vom Computer – gezeichnete Linie unangenehm spür­­bar bleibt, ist hier der Raum entwurfsbestimmend. In Serajis Wohnungen sitzen Blickbeziehungen und Bewegungsfolgen, es gibt keine Schräge, die nicht räumlich sinnvoll eingesetzt wäre. Nur in einem Punkt ist die Aussage, an diesem Bauwerk sei alles Architektur, zu relativieren: Die Qualität im Großen setzt sich nicht in den Details fort. Das liegt nicht am mischekschen Fertigteil­ system, das auch hier zum Einsatz gekommen ist, sondern an der generell niedrigen Erwartungshaltung, die man in Ostösterreich 134

ans Detail stellt – in Vorarlberg wären einheitliche Fensterprofile aus Kunststoff, wie sie einem hier ganz gleich für welches Fenster­ format zugemutet werden, schlicht unvorstellbar. Der für einen frei finanzierten Wohnbau in dieser Lage relativ moderate Preis von 2.200 Euro pro Quadratmeter hätte nur um ein paar Prozent überschritten werden müssen, um hier auch im Detail Architektur zu realisieren. Die Gesamtqualität des Projekts schmälert das aber nur unwe­ sentlich. Es beweist, dass Baukunst auch heute noch im Wohnbau möglich und sinnvoll ist. Schade, dass Nasrine Seraji nicht mehr Gelegenheiten bekommen hat, in Wien architektonische Spuren zu hinterlassen.

16 / 08 / 2003   

STRATEGIE DES ANPICKENS Fünf Millionen Kubikmeter Stadt zeigt eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Städte­bau zeigt sie nicht. Vielleicht, weil es ihn nicht gibt? Ein Zuruf ins Sommerloch. 

S

tädtebau – schreibt Rem Koolhaas in seinem Essay „Whatever happened to Urbanism?“ aus dem Jahr 1994 – ist eine tote Disziplin. Ihre Vertreter sind Spezialisten für Phantomschmerzen geworden: Ärzte, die über den Gesundheitszustand eines längst amputierten Körperteils disku­ tieren. Das Wachstum der Städte hat die Disziplin überrollt. Eine Zeit lang habe sie sich noch der Hoffnung hingegeben, durch massenhafte Wiederholung ihre alten Ideale von Ordnung und Schönheit am Leben erhalten zu können. Immer wieder habe sie behauptet, aus ihren Fehlern zu lernen und mit einem neuen, besseren Anfang aus der Misere ausbrechen zu können. Erreicht habe sie damit nicht mehr, als auch noch die Idee eines neuen, besseren Anfangs endgültig zu diskreditieren. Heute leben wir, so Koolhaas, in einer Welt, in der es keinen Städtebau mehr gibt, sondern nur noch Architektur, sogar mehr Architektur als je zuvor, immer hübscher herausgeputzt, um einen Anschein von Ordnung zu wahren. Aber dieser lenke nur vom Verlust der städte­ baulichen Dimension ab, die als Nährboden von Erneuerung und Erfindung durch kein noch so schönes Objekt kompensiert werden könne. Die aktuelle Situation Wiens, wie sie derzeit in einer Ausstellung im Architekturzentrum dokumentiert ist, liefert einen Beleg für Koolhaas’ Thesen. Unter dem Titel „5 Millionen Kubikmeter Wien“ werden 16 Projekte präsentiert, die laut Pressetext „große 135

Wiener Türme: Entwürfe von Hollein / Neumann, Zechner / Zechner, Hollein / Wimmer und Fritsch, Chiari / Peichl Fotos v.l.n.r.: WED uma information technology AG, Zechner & Zechner, PORR Immoprojekt, MBG

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städtebauliche Auswirkungen haben und somit das künftige Gesicht dieser Stadt prägen werden“. Von Stadtplanung ist in der Ausstellung aber nichts zu sehen. Eine Übersichtskarte zeigt zwar, wo sich die Projekte befinden. Warum sie aber jeweils gerade dort entstehen, inwiefern sie dabei mit dem Stadtentwicklungs­ plan übereinstimmen, und was für Konsequenzen sie für die Bewohner des Umfelds haben, davon erfährt man in der Ausstel­ lung nichts. Wie überhaupt die Besucher mit der Frage allein gelassen bleiben, was sie von der gezeigten Entwicklung halten sollen. Kritik kommt in der Ausstellung nicht einmal in Ansätzen vor. Aber vielleicht wollte das AzW jede Illusion darüber vermeiden, die Stadtbewohner hätten noch einen wirklichen Einfluss auf das, was da vor ihren Augen entsteht. Das vorläufig gescheiterte Projekt Wien Mitte – das in der Ausstellung nicht zu sehen ist – dürfte die Ausnahme sein, die die Regel bestätigt. Und dort ging es ja eher um den Schutz der Vergangenheit vor der Architektur als um die Sicherung der Zukunft durch sie. Und nur letzteres sollte man zur Stadtplanung rechnen. Dass die Verwertungslogik der Immobilienentwickler heute die Stadtentwicklung bestimmt, steht außer Frage. Dass die bisherigen Konzepte der Stadtplanung nicht mehr funktionieren, ebenso. Wenn niemand mehr an die Verbindlichkeit der Planung glaubt, dann heißt das aber noch lange nicht, dass es keine Planung mehr gibt. Sie verwandelt sich nur – wie Koolhaas argumentiert – von einer technischen Leistung in eine kulturelle, ideologische und politische. Sie muss Risiken eingehen, Potenziale und Freiräume eröffnen, in denen sich mit der Gier nach Renditen Katz und Maus spielen lässt. Von diesem Zustand ist Wien noch ein gutes Stück weit entfernt. Zumindest ist der Ausgang des Katz- und Mausspiels in den meisten Fällen ebenso simpel erklärbar wie vorhersehbar. Woran liegt es etwa, dass nahe liegende und gut erschlossene Entwick­ lungsgebiete wie der Nordbahnhof, Wien Mitte und die Aspang­ gründe, für die bereits seit Jahren Projekte vorliegen, nicht vom

Fleck kommen, während auf schlechter gelegenen Arealen der Bau von Tausenden Quadratmetern bereits begonnen hat? Wie kann es sein, dass die PORR AG am Laaerberg die Bewilligung zur Errichtung von 200.000 m2 Nutzfläche an einem Standort bekommt, der weit weg von hochrangigen öffentlichen Verkehrs­ mitteln liegt und die A23 massiv mit zusätzlichem Verkehrsauf­ kommen belastet? Dass der ehemalige Vizebürgermeister Hans Mayr bis vor Kurzem Vorsitzender des Aufsichtsrats der PORR war, wird der Flächenwidmung nicht geschadet haben. Die von den Projektbetreibern betonte Intention, „zwei Stadtteile, die durch die A23 getrennt waren“, endlich wieder zusammenwachsen zu lassen, ist dagegen mehr als fragwürdig – als ob man nicht schon immer über eine Fußgängerbrücke bequem in den Laaer Wald kommen konnte. Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Eine offensive Einmischung der Politik in die Stadtplanung ist unter den heutigen Bedingungen notwendig und berechtigt, um die Investitions­ströme im Interesse der Stadt zu lenken. Angesichts der meisten (und vor allem der größten) im AzW gezeigten Projekte gewinnt man aber den Eindruck, dass die Politik gar nicht mehr artikulieren kann oder will, worin die Interessen der Stadt bestehen. Haupt­sache, es wird investiert, so viel und so rasch wie möglich, und am besten von den richtigen Leuten. Dass dabei immer wieder dieselben Akteure – sowohl Investoren wie Architekten – profitieren, regt längst niemanden mehr auf, genauso wenig die Tatsache, dass Hans Hollein als Architekt in viele jener Großprojekte involviert ist, für deren kritische Bewertung er als Vorsitzender des Fach­bei­ rats für Stadtplanung und Stadtgestaltung zuständig wäre. Wenn die peripheren Standorte aber erst einmal entwickelt sind, wird es für die innere Stadtentwicklung aufgrund des Über­ angebots viel schwerer werden, Renditen zu erwirtschaften, vor allem wenn der aktuelle Büroflächenboom, in den sich die Branche hineinsteigert wie einst beim Bau von Kinocentern, wieder realistischeren Erwartungen gewichen ist. Die Architektur nimmt in diesem Spiel brav die Rolle ein, die ihr Koolhaas in seinem Essay vorgeworfen hat. Sie versucht auf hohem Niveau zu kaschieren. Freilich hat man kaum je die Entwurfsstrategie des „Anpickens“ in so reiner Form gesehen: Neutraler Investorenraster als Unterbau, oben drauf das gewisse Etwas in charakteristischer Handschrift. Viel mehr als ästhetisches Mittelmaß wird in der Summe aber nicht herauskommen, nicht zuletzt, weil die Mietpreise in Wien einfach nicht hoch genug sind, um Hochhäuser umzusetzen, die auch in der Ausführung mit den besten der Welt konkurrieren können. In der Ausstellung machen daher auch jene Projekte den besseren Eindruck, die sich in der Horizontalen entwickeln wie etwa das T-Center von Domenig/Eisenköck/Peyker oder das Forum Schönbrunn von BUSarchitektur und Atelier Podsedensek. Dass der Blick durch ein offenes Fenster in einen gut gestalteten Innenhof interessanter sein kann als durch die Fixverglasung eines klimatisierten Hoch­ hauses in St. Marx aufs Kraftwerk Simmering, wird vielleicht erst den Benutzern auffallen, die in ein paar Jahren ihre Büros beziehen. 137

Alles in allem hinterlässt die Ausstellung einen zwiespältigen Eindruck. Immerhin ist die Bereitschaft da, wieder zu investieren, und nichts braucht die Branche so sehr wie Optimismus. Zugleich hat sich an der kraftlosen Patchwork-Ideologie der Stadtent­ wicklung, wie sie seit Jahren charakteristisch für Wien ist, nichts geändert. Sie hat nur monumentale Ausmaße erreicht. Ob das der Stadt gut tut, darf bezweifelt werden. Und die Stadt ist, so Rem Koolhaas am Ende seines Essays, „mehr als je zuvor alles, was wir besitzen“.

04 / 07 / 2003   

WAS HEISST SCHON RESIDENZ?

Was kann Architektur beitragen, um ein „Altern in Würde“ zu ermöglichen? Neue Antworten darauf bietet Anton Schweighofers geriatrisches Zentrum im Wiener Kaiser-Franz-JosefSpital.

Ü

bers Altwerden spricht man nicht gern. Auch wenn Altern an sich keine Krankheit ist, so wird doch im Alter die Welt kleiner, stiller und einsamer. Wohnfor­ men für das Alter müssen daher vieles kompensieren: den Verlust an Mobilität und sozialem Umfeld, an Selbstbestimmung und an Prestige. Es ist kein Zufall, dass die Immobilienbranche den Begriff der „Seniorenresidenz“ erfunden hat, in dem altersbedingte Unbeweglichkeit eine Art imperialer Aufwertung erfährt. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wer je eine geriatrische Station besucht hat, weiß, wie schwer es ist, die Idealvorstellung von einem Altern in Würde zu realisieren. Das Gesundheitssystem hat auf den Wohnbedarf der immer größer werdenden Zahl alter Menschen, die zusätzliche medizinische Betreuung brauchen, nur langsam und unter dem Druck der hohen Kosten reagiert, die dadurch anfallen, dass teure Spitalsbetten von Pflegepatienten belegt werden. Als die Gemeinde Wien 1996 über ihren Krankenanstalten­ verbund einen Wettbewerb für die Planung eines geriatrischen Zentrums im Franz-Josef-Spital ausschrieb, ging es nicht nur um 240 neue Pflegeplätze, sondern auch um die Suche nach einem Bautyp, der zwar kein Spital sein sollte, aber auch mehr als ein reines Pflegeheim. Wie immer im Krankenhausbau waren hohe Dichte, niedrige Baukosten und ein effizienter Betrieb maßgebliche Kriterien. Die Komplexität der Aufgabe wurde im konkreten Fall noch dadurch gesteigert, dass auf dem knappen Grundstück neben den Bettentrakten auch eine Großküche unterzubringen war, die mit 2.200 Mahlzeiten pro Tag das gesamte Spital versorgen kann,

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sowie eine neue Haupteinfahrt mit angeschlossener Tiefgarage. Die Gesamtkosten lagen bei knapp 50 Millionen Euro. Als Sieger aus dem Wettbewerb ging Anton Schweighofer hervor. Er ist kein „Krankenhausexperte“, auch wenn er Ende der 1970er-Jahre mit dem Krankenhaus in Zwettl einen der wichtigsten, auch international nachgeahmten Beiträge zu diesem Thema geliefert hat. (Wie sich überhaupt zeigt, dass die herausragenden Kranken­ hausprojekte in Österreich nicht von den sogenannten Spezialisten stammen: Man denke etwa an die Krankenhäuser von Klaus Kada in Hartberg, von Günther Domenig in Bruck an der Mur oder von Katzberger und Loudon in Innsbruck.) Hervorzuheben ist auch, dass Schweighofer im Franz-JosefSpital als Generalplaner mit seinem leitenden Mitarbeiter Peter Weber 240 Pflegeplätze im 120 Meter langen Bau­körper: Anton Schweighofers Geriatriezentrum im Kaiser-FranzJosef-Spital Fotos: Anna Blau, Christian Kühn

für die Gesamtkoordi­ nation verantwortlich war, bei einem Projekt dieser Komplexität eine höchst strapaziöse Aufgabe. Aber ohne die Übernahme der planerischen Gesamtver­ antwortung wären viele zentrale Anliegen des Projekts nicht durch­ zusetzen gewesen. Nähert man sich heute der Geriatrie über die neue Einfahrt ins Franz-Josef-Spital, erscheint – auch wenn das wohl kaum beabsichtigt war – der Begriff „Residenz“ nicht unangemessen. Es gibt eine imposante Auffahrt mit einer Pergola und einer Reihe großer Bäume (für die in der Tiefgarage ent­ sprechender Wurzelraum geschaffen wurde) und eine insgesamt symmetrische Gliederung des Baukörpers. Konterkariert wird dieser Eindruck von den verwendeten Materialien: Die Pergola besteht aus verzinktem Stahl, die Fassade aus Holzpaneelen, die mit großen Glasflächen abwechseln. Als zusätzliche Schicht ist ein schmaler, durchlaufender Balkon mit Geländern ebenfalls aus verzinktem Stahl vorgeschaltet, der dem Schutz der Holz­ fassade und der Reinigung der Fenster dient. Die meisten Zimmer verfügen über kleine Wintergärten, deren Türen auf den Balkon aufgehen und damit im Sommer einen erweiterten Frei­ raum bilden. Da es sich um den neuen Hauptzugang zum Franz-Josef-Spital handelt, hat Schweighofer besonderes Augenmerk auf die städtebauliche Situierung und die Ausformung der Freiflächen gelegt. Das geriatrische Zentrum orientiert sich nicht am Raster 139

des Kranken­­hauses, sondern an der angrenzenden Wohnbe­ bauung. Als Drehpunkt zwischen den Systemen dient der Aufgang von der Tiefgarage, der als verglaster Pavillon ausgeführt ist. Die Betten­stationen sind in einem sechsgeschossigen, rund 120 Meter langen Baukörper untergebracht, dem ein niedriges, von der begrünten Pergola überspanntes Sockelgeschoss vorgelagert ist. Im Erdgeschoss sind die beiden Trakte verbunden und nehmen Speisesäle, einen Andachtsraum und Räume für die ambulante Betreuung auf. Eine besondere Innovation des Projekts liegt in der Raum­ aufteilung der Bettenstationen. Sie bietet den Bewohnern in der Diktion des Architekten nicht nur Zimmer und ein paar abge­ trennte Sozialräume, sondern ein „Milieu“, einen erweiterten Lebensraum mit breiter Mittelzone als Gemeinschaftsraum, die ein gutes Drittel der Baukörpertiefe einnimmt und sich an einigen Stellen bis zur Fassade aufweitet. Umgekehrt ragen Nebenräume als niedrige, schrankartige Elemente in diese Mittelzone hinein und geben ihr eine rhythmische Gliederung. Die Idee, die Wände der Zimmer zu dieser Mittelzone aus Glaselementen herzustellen, konnte Schweighofer nach langen Kämpfen mit den Betreibern zumindest teilweise durchsetzen. Auch bettlägerige Patienten sollten ursprünglich die Möglichkeit haben, ihr Zimmer in den halböffentlichen Raum zu erweitern, indem sie vom Bett aus per Knopfdruck die Wand ihres Zimmers öffnen. Jetzt kann zumindest von gehfähigen Patienten oder von den Schwestern eine vor das Glas gesetzte Faltwand aus Holz geöffnet werden, um einen Sichtkontakt herzustellen. Auch die kleinen Wintergärten an der Fassade waren beim Bauherrn – der stets das Kontrollamt der Gemeinde Wien als Kontrollinstanz gegen jede Art der Verschwendung hinter sich fühlte – nicht leicht durchzusetzen. Ausschlaggebend waren schließlich sehr pragmatische bauphysikalische Argumente. Dass für die Bewohner hier eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen wurde, sich ihren Lebensraum durch Pflanzen zu gestalten, konnte allein nicht überzeugen. Gerade die Aktivierung der Bewohner war für den Architekten aber ein zentrales Anliegen. Architektur kann das naturgemäß nicht allein leisten, aber sie kann die Möglichkeit dazu anbieten, und das bedeutet vor allem, Bereiche zu schaffen, deren Nutzung nicht von vornherein festgelegt ist. Ein Beispiel dafür sind die lichtdurchfluteten Vorbereiche vor den Stationen direkt neben Treppe und Aufzügen: Ob dort in Zukunft Sitzgarnituren Hotel­ atmosphäre verbreiten werden oder ob es Arbeitstische für Gärtnerei und andere Hobbys geben wird, steht noch zur Debatte. Aber gerade im Angebot solcher Offenheiten liegt wie bei vielen anderen Bauten Schweighofers eine besondere Qualität. Die Gemeinde Wien als Bauherr kann stolz sein, mit diesem Projekt eine außergewöhnliche, offene Architektur für alte Menschen realisiert zu haben. Jetzt muss sie deren Potenzial nur noch nutzen.

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12 / 04 / 2003   

SELBER SCHULD?

Als „Künstlerarchitekten“ verdächtig: Das Architektenduo „PAUHOF“ plant monumentale Großbauten und realisiert Installationen für den Augenblick.

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rchitekten sind zum Optimismus verurteilt. Wer anderen Leuten die Umwelt herrichten möchte, hat gefälligst an eine bessere Zukunft zu glauben und entsprechend gestimmte Produkte in die Welt zu setzen: Wohnhäuser, die Harmonie und Sicherheit ausstrahlen, Bürogebäude, die als Symbole ewiger Prosperität in den Himmel ragen, oder öffent­ liche Bauten, denen Bürgernähe und Transparenz ins Gesicht geschrieben stehen. Je chaotischer und absurder die Welt rund­ herum erscheint, desto stärker wird die Sehnsucht nach etwas Ordnung zumindest im eigenen Haus. Künstler sind an diesen stillschweigenden Vertrag zwischen Auftraggeber und Produzent nicht gebunden. In der Kunst gilt forcierte Harmonie als Kitsch und Ordnung nicht als primäres Ziel. Ernst zu nehmende Kunstwerke sind keine dekorative Ergänzung der Welt, sondern eine Herausforderung, die eigene Weltsicht neu zu bestimmen. Dass Architekten die Grenze zwischen Kunst und Architektur, wie ich sie gerade dargestellt habe, oft überschreiten, ist klar. Sie haben dafür allerdings einen Preis zu bezahlen, der sich nicht zuletzt im negativen Beigeschmack des Worts „Künstlerarchitekt“ äußert. „Künstlerarchitekten“ interessieren sich bekanntlich nur für die Form und nicht für die Funktion, verstehen nichts vom Bauen und halten es für ein Zeichen ihres Künstlertums, das Budget um mindestens die Hälfte zu überziehen. Wer sich mit so jemandem einlässt, ohne ihm zumindest einen gestandenen Bau­ meister zur Seite zu stellen, ist selbst schuld. Selbst schuld an seiner schlechten Auftragslage ist folge­ richtig auch jeder Architekt, der sich offen als Künstler deklariert. Und die meisten Architekten haben inzwischen die Konsequenz gezogen und stellen die künstlerische Komponente ihrer Arbeit als private Liebhaberei dar, von der man besser nicht spricht. Das beruhigt so manchen Bauherren, macht es aber immer schwie­ riger, die Intention, die sich hinter der schlechten Nachrede des „Künstlerarchitekten“ verbirgt, aufzuklären. Der Schutz des Konsumenten vor wirren Ideen ist dabei nämlich nur ein vorge­ schobenes Argument. In Wirklichkeit geht es darum, die Aufgabe der Architektur auf schöne Verpackung zu reduzieren und ihr andere Verantwortungen zu entziehen: die kritische Auseinander­ setzung mit der funktionellen Aufgabenstellung; die wechselseitige Abstimmung von Form und Funktion, die keineswegs immer reibungslos sein muss, sondern ganz im Gegenteil auch Konflikte fassbar machen kann, die sich sonst nur verbergen, aber nicht auflösen lassen; und schließlich ein Kostenbewusstsein, das nicht die billigste, sondern die beste Lösung sucht. 141

Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger, die zusammen unter dem Kürzel PAUHOF firmieren, sind seit Jahren mit dem Etikett „Künstlerarchitekten“ versehen. Bekannt wurden sie in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren mit einer Serie von außergewöhnlichen Wettbewerbsprojekten, unter anderem für das Wiener Museumsquartier, für die EXPO in Wien und den österreichischen EXPO-Pavillon in Sevilla, für die Bibliothek in Alexandria, das Regierungsviertel in Berlin, die Revitalisierung der Linzer Tuchfabrik und die Kansai-Kan-Bibliothek in Japan.

Eines der raren gebauten Projekte von PAUHOF: Wohnhaus in Oberösterreich, abgebildet in einem Fotoblock von Walter Niedermayr Fotos: Walter Niedermayr

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Diese Projekte, in der Regel durch aufwendige Metallmodelle repräsentiert, sind alles andere als Dienstleister-Architekturen. Für das Museumsquartier planten PAUHOF beispielsweise, die Hofstallungen von Fischer von Erlach zum Stadtzentrum hin mit einem Baukörper zu verdecken, der in seiner Dimension auf die beiden Hofmuseen reagiert, und Teile des Museums in zwei über den Dächern schwebenden Brücken in den sechsten Bezirk unterzubringen. Der Altbestand wäre weiterhin für die freie Szene zur Verfügung gestanden – im Vergleich zum heutigen, hinter Fischer von Erlach zusammengestauchten und zu Tode sanierten MQ eine visionäre Lösung. Die Hoffnung, über diese Wettbewerbsbeiträge zu Aufträgen zu kommen, erwies sich als zu optimistisch. Realisiert haben PAUHOF ein Wohnhaus in Oberösterreich, international viel beachtet und 1999 bei der Ausstellung „The twentieth-century house“ in Glasgow neben einem Projekt von Herzog & de Meuron als wichtigstes privates Wohnhaus des letzten Jahrzehnts gewürdigt. Mit dieser Diskrepanz zwischen internationaler Reputa­ tion und desperater Auftragslage im Bereich der Architektur haben PAUHOF zu leben gelernt und ihren Schwerpunkt erfolg­ reich in die Kunstszene verlagert, einerseits mit eigenen Ausstel­ lungsbeiträgen, andererseits mit Ausstellungsgestaltungen, die sie in den letzten Jahren vor allem für die Wiener Secession und für die Kunsthalle Wien realisiert haben. Das jüngste Beispiel dieser Serie ist die Gestaltung der Walter-Niedermayr-Retrospektive in der Kunsthalle. Zu Niedermayrs Arbeit haben PAUHOF eine besondere Beziehung, nicht nur weil er zu ihrem berühmten Wohnhaus einen eigenen Fotoblock geschaffen hat. (Dass dieser vor drei Jahren, zusammen mit einigen von PAUHOF Stahlmodellen beim

Transport zu einer Ausstellung in Tokio zerstört wurde, ist derzeit Gegenstand eines ebenso bizarren wie skandalösen Gerichtsver­ fahrens zwischen den Architekten und dem Außenministerium, das den Transport beauftragt hatte.) Architektur und Foto­grafie werden ja oft an entgegengesetzten Enden des künstlerischen Spektrums vermutet: Architektur als Produktion von Raum, Fotografie als dessen Abbild. Die Ausstellung zeigt, wie wenig Gültigkeit diese Differenzierung hat. Die leicht überbelichteten und dadurch flach wirkenden Fotografien Niedermayrs erzeugen durch die Gruppierung von unterschiedlichen Perspektiven desselben Motivs neue Räume, die vom räumlichen Aufbau des realen Motivs abweichen. Niedermayrs Blick erfasst Artefakte, die nicht zum Anschauen gemacht wurden – Skilifte, Krankenhaus­ gänge, Baustellen –, und zeigt deren autonome Kraft. Eine ähnliche Recherche nach Strukturen, die dem Menschen nicht mehr vorspielen, die Welt sei nur für ihn und seinen Optimismus hergerichtet, zeichnet die Arbeiten von PAUHOF aus. Dass dabei keine menschenfeindliche Architektur entstehen muss, beweist die kongeniale Installation, die PAUHOF für Niedermayrs Fotoblöcke (und zwei Videoinstallationen) in die Kunsthalle gesetzt haben, zwei labyrinthische Eingangszonen und ein großer, gut proportionierter Raum im Zentrum. Fotografieren lässt sich diese Architektur kaum, aber das Erlebnis eines Rund­ gangs macht klar, dass es PAUHOF virtuos gelungen ist, die räumlichen Defizite der Kunsthalle zu überwinden. Es bleibt zu hoffen, dass man ihren Arbeiten bald wieder auch außerhalb des Museums begegnen wird.

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15 / 03 / 2003   

SWEET HOME ALABAMA

Material: alte Autoreifen, Filzfliesen, Strohballen; Entwurfs- und Bauprozess: kollektiv; Ziel: „Let’s make things better“. Das „Rural Studio“, dessen Arbeiten in einer Wiener Ausstellung zu sehen sind.

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ie „Wohnung für das Existenzminimum“ war eine jener Aufgaben, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Avantgarde der Architekten verschrieben hatte. Für die Wohnungsnot in den großen Städten schien die einzig mögliche Antwort in der Industrialisierung und Standar­ disierung zu liegen, in der Verwandlung der Wohnung in ein massenhaft hergestelltes, billiges Industrieprodukt. Dass die quantitative Verbesserung der Wohnbedingungen nicht zwangsläufig zu einer besseren Welt führt, war nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch bald klar, und an Gegenbewegungen fehlte es nicht. „Die gerade Linie ist gottlos!“, postulierte Friedensreich Hundertwasser in seinem „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ aus dem Jahr 1958 und reihte 143

Ökonomisch „Wohnung fürs Existenzminimum“, räumlich ud formal weit darüber hinaus: „Rural-Studio“Projekt Foto: Timothy Hursley

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sich damit in eine Ableh­ nungsfront ein, die von konservativen Kritikern wie Hans Sedlmayr bis zu marxistischen wie Ernst Bloch reichte. Wenn das Architekturzentrum Wien in seiner aktuellen Aus­ stellung Häuser zeigt, die aus alten Autoreifen, Windschutzscheiben, Filzfliesen und verputzten Strohballen bestehen, rührt es eine Diskussion innerhalb der Architektur­ szene auf, die seit vielen Jahrzehnten virulent ist und immer wieder auf­ bricht. Anstelle von Meisterwerken der Baukunst, von einsamen Genies entworfen, sind im Architekturzentrum Gebäude zu sehen, die Gruppen von Architekturstudenten der Auburn University gemeinsam geplant und errichtet haben. Seit 1992 gehört ein Aufenthalt in Hale County, einem der ärmsten Bezirke des „Cotton State“ Alabama im Süden der USA, zum Ausbildungs­programm der Architekturfakultät im Rahmen der „Studios“, wie in den USA die Entwurfsübungen heißen. Das „Rural Studio“ sollte den Studierenden die Möglichkeit geben, statt am Bauhof der Fakul­ tät auf einer echten Baustelle mit echten Bauherren zu arbeiten. Bisher haben rund 400 Studierende im zweiten Studienjahr und über 100 Diplomanden das „Rural Studio“ absolviert. Indem er mit dem „Studio“ nach Hale County übersiedelte, verfolgte Samuel Mockbee, der vor zwei Jahren verstorbene erste Direktor dieses Programms, aber noch eine zweite Agenda: Er wollte seine Studenten aus dem Mittelschichtmilieu, aus dem die meisten von ihnen stammen und das in der Regel auch ihren architek­ tonischen Horizont bestimmt, herausführen und sie mit einer anderen sozialen Realität konfrontieren. Die Studierenden bekamen es dabei mit Bauherren zu tun, die mit ihren Familien in undichten Hütten ohne Sanitäreinrich­ tungen wohnten und vorerst nichts anderes wollten als ein Haus, in dem sie die Möbel bei Regen nicht in eine trockene Ecke des Zimmers schieben mussten. 1994 war das erste Projekt fertigge­ stellt, ein Wohnhaus für ein altes Ehepaar, das zuvor mit seinen Enkelkindern in einer derartigen undichten Hütte gewohnt hatte. Die Wände des Neubaus bestehen aus Heuballen, die in PU-Folie gewickelt und mit Draht gesichert sind. Eine dicke Putzschicht gibt dieser Konstruktion eine beachtliche Vertrauenswürdigkeit. Das Haus bietet eine große Veranda unter der offenen Holz­kon­ struktion des Dachstuhls, der teilweise mit Blech, teilweise mit Kunststoffplatten gedeckt ist. Für die Kinder gibt es drei tonnen­ förmige Nischen, die an der Rückseite an das Haus angedockt sind. Finanziert wurde das Haus – wie alle Projekte des „Rural

Studio“ – teilweise aus Spenden, teilweise aus Mitteln von Sozial­ programmen. Für Andrew Freear, den heutigen Direktor des „Rural Studio“, vereint bereits dieses erste Haus die zentralen Qualitäten: Neuinterpretation lokaler Traditionen, kollektiver Entwurfs- und Bauprozess, Verwendung von Recycling-Materialien. Die Wände eines anderen Wohnhauses bestehen etwa aus alten Nadelfilzfliesen, bei einer Kapelle kamen Autoreifen zum Einsatz, deren Kontur noch unter einer Betonschicht zu erkennen ist, bei einem Gemeindezentrum ist ein Teil des großen Flugdachs mit alten Chevrolet-Windschutzscheiben gedeckt, die wie Glas­ schuppen auf der Holzkonstruktion sitzen. In den letzten Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt des „Rural Studio“ vom Wohn­ bau auf Spielplätze und kleinere öffentliche Bauten, wie etwa einen Jugendclub und ein Beratungszentrum. Ökonomisch betrachtet, sind alle diese Projekte Architektur für das „Existenzminimum“, räumlich und formal gehen sie aber über die Mittelschichtästhetik, von der staatliche Wohlfahrtsprogramme in der Regel geprägt sind, weit hinaus. Bei den meisten der Projekte ist auf den ersten Blick klar, dass es sich nicht um anonyme Architektur handelt, also nicht um Beispiele einer „Architektur ohne Architekten“, deren Qualitäten Bernhard Rudofsky in den 1950er-Jahren in seinem berühmten Buch in Erinnerung rufen wollte, um die ästhetische Armut des Bauwirtschaftsfunktionalismus bloßzustellen. Es handelt sich um Architektenentwürfe, in denen sich Spuren der internationalen Entwicklung der letzten 20 Jahre mit einer spezifisch amerikani­ schen Tradition verbinden, die von Frank Lloyd Wright über Bruce Goff bis zu den Selbstbauhäusern der Hippies aus den 1970erJahren reicht. Aus einer ähnlichen, spezifisch amerikanischen Tradition begründet sich auch die Selbstverständlichkeit, mit der im „Rural Studio“ soziale Probleme in einer „Let’s-make-thingsbetter“-Haltung adressiert werden, ohne die strukturellen Hinter­ gründe besonders zu reflektieren: Dass im reichsten Land der Welt Menschen unter Verhältnissen leben müssen, die man sonst nur in einem Slum antrifft, erscheint dabei nicht als Skandal, sondern als individuelles Schicksal, aus dem man eben das Beste zu machen hätte. Aus europäischer Perspektive ist man mit dem Vorwurf der Sozialkosmetik, die nichts an den Ursachen zu ändern vermag, rasch zur Stelle. Das streitet Andrew Freear gar nicht ab, trotzdem handle es sich um mehr als Kosmetik, nicht zuletzt, weil man nicht abschätzen könne, welche Folgen die Erfahrungen der Studierenden in Hale County auf deren zukünftige Praxis haben würden. Dass alle Wiener Architekturschulen zugesagt haben, in den nächsten Monaten mit eigenen Projekten am Begleit­ programm zur Ausstellung mitzuwirken, wird Gelegenheit zum Vergleich der Ansätze geben. Mit der Ausstellung über das „Rural Studio“ ist das Architektur­ zentrum seiner „glanzlosen“ Linie treu geblieben. Das ist sicher ein Risiko. Die nächste publikumswirksame Ausstellung über zeitge­ nössische Architektur ist ab Ende April ausgerechnet im Kunst­ historischen Museum zu sehen: Eine Retrospektive über Santiago Calatrava wird mehr als genug Gelegenheit geben, dem Starkult 145

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zu frönen. Umso dringender ist zum Besuch des AzW zu raten, nicht nur für diese, sondern auch für die nächste Ausstellung, die ab Juni Arbeiten von Anna Lacaton und Jean Philippe Vassal unter dem bezeichnenden Titel „ Jenseits der Form“ zeigen wird. So einfach und offen kann Architektur sein, so alltäglich und bereichernd. Sicher: Alles ist Architektur. Aber jenseits des Starkults ist sie es noch ein bisschen mehr.

04 / 01 / 2003   

WENN DIE MITTE IM WEG STEHT

Die Stadtpfarrkirche von Korneuburg ist kein Meisterwerk. In den Blickpunkt öffentlichen Interesses rückte sie freilich durch eine kürzlich abgeschlossene Umgestaltung. Ein Pfarrer, ein Kardinal, das Denkmalamt und 700 Unterschriften: Geschichte einer Erregung.

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ie ist kein herausragendes Meisterwerk des Kirchenbaus, die Stadtpfarrkirche von Korneuburg. Im 13. Jahrhundert als romanische Wehrkirche mit zwei niedrigen Seiten­ schiffen und einem hohen Mittelschiff errichtet, wurde sie im 14. Jahrhundert um einen lang gestreckten Chor in den schlankeren Bauformen der Gotik erweitert. 1850 erhielt die Kirche ein Gewölbe im Langhaus, wobei auch die Höhen der drei Schiffe einander angenähert wurden. Um 1900 errichtete man schließlich einen neugotischen Abschluss nach Westen. Der Versuch, das Langhaus durch die schlankeren Säulen und neuen Gewölbe an den Charakter des gotischen Chors anzugleichen, hat die spannungsvolle historische Substanz der im Mittelschiff ursprünglich flach gedeckten Anlage zwar grob beeinträchtigt, aber immerhin ist dem entstandenen Kirchen­ raum eine gewisse Großzügigkeit nicht abzusprechen. Seit der jüngsten Renovierung, die im September vergangenen Jahres abgeschlossen wurde, hat die Geschichte dieses Raums mit einer neuen Facette aufzuwarten. Der Volksaltar befindet sich nun direkt im Hauptschiff auf einer oktogonalen Insel. Die Bänke im Langhaus sind so umgeordnet, dass die Gläubigen nun von drei beziehungsweise – wenn man die Bestuhlung auf den Stufen

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„Für ‚Nachahmungstäter‘ keinesfalls Vorbild“: Altar im Hauptschiff der Stadtpfarrkirche Korneuburg

zum Chor mitzählt – von vier Seiten her der Messe beiwohnen können. Auch im Chor hat sich eine Veränderung ergeben: Das Taufbecken befindet sich nun direkt vor dem neugotischen Hochaltar in der Apsis des Chors und damit in der Hauptachse des Kirchenraums. Diese Anordnung mit einem zentral aufgestellten Altar ist alles andere als revolutionär. Unter Berufung auf frühchristliche Zentralkirchen ist sie seit dem frühen 20. Jahrhundert im Gespräch und seit der Liturgiereform im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils auch offiziell zulässig. Ausgeführt wurde sie nicht nur bei vielen Neubauten, sondern auch bei Revitalisierungen. Eines der bedeutendsten Beispiele dieser Art in Österreich ist St. Martin in Dornbirn, ein klassizistischer Bau, der 1967 durch Emil Steffann, neben Rudolf Schwarz der bedeutendste Kirchenbauer Deutschlands im 20. Jahrhundert, umgewandelt – oder besser: umgedeutet wurde. Denn an der Bausubstanz selbst hat Steffann in Feldkirch kaum etwas verändert, sondern vor allem an der Positionierung der liturgischen Elemente. Altar und Taufbecken stehen gewisser­ maßen als Brennpunkte auf der Mittelachse des Hauptschiffs und spannen zwischen sich einen rechteckigen liturgischen Aktions­ raum auf. Die Bankreihen sind um 90 Grad gedreht und zu zwei großen Blöcken entlang der Seitenwände des Hauptschiffs zusammengefasst, ein dritter, kleinerer Block schließt die Figur an der Schmalseite zum Eingang hin ab. Chorraum und Hochaltar liegen damit zwar außerhalb der Brennpunkte des liturgischen Geschehens, verlieren aber in der Gesamtfigur keineswegs an Bedeutung. Architektonisch reicht die Lösung, die in Korneuburg gefunden wurde, nicht an St. Martin in Dornbirn heran. Das liegt zum einen am minimalen Budget von 350.000 Euro, das für die Gesamt­ renovierung des Innenraums mit neuem Boden und Heizung zur Verfügung stand, zum anderen an subtilen Fragen von Proportion und Material, die man auch zu diesem Budget hätte anders lösen können. Liturgisch erfüllt die Lösung aber die Anliegen, die auch die Neuordnung in St. Martin erreichen wollte: Die Gläubigen sitzen nicht in Bankreihen hintereinander, sondern erfahren einander als Gemeinde mit dem Altar im Zentrum. 147

Auch die Beziehung zwischen Priester und Gemeinde ist insofern verändert, als der Priestersitz zu einem Teil des den Altar umschließenden Kreises wird, wenn auch zu einem durch seine besondere Position auf der Hauptachse herausgehobenen Teil mit Chor und Hochaltar im Rücken. Alles in allem also eine Veränderung, die nachvollziehbar ist, die sich großer Zustimmung in der Gemeinde erfreut und der man vielleicht einen einfallsreicheren Architekten gewünscht hätte, der auch mit einem kleinen Budget eine im Detail schlüssigere Lösung zustande gebracht hätte. Berichtenswert an dieser Umge­ staltung ist freilich vor allem eines: Der Pfarrer der Gemeinde, Wolfgang Jöchlinger, hält einen vom Präsidenten des Bundes­ denkmalamts, Georg Rizzi, unterzeichneten Brief in Händen, dass er die Versetzung des Altars unverzüglich rückgängig zu machen habe, da „durch die gesetzten Maßnahmen das historisch geprägte Erscheinungsbild des Kircheninneren und seine künstlerische Wirkung nachhaltig gestört sind“. Im Übrigen, so führt der Präsident weiter aus, stelle „die eigen­ mächtige Anordnung zur Versetzung des gegenständlichen Altars eine nicht legitime und nicht tolerierbare Vorgehensweise dar, die keinesfalls als Vorbild für ,Nachahmungstäter‘ dienen sollte“. Die Verärgerung des Denkmalamts ist insofern verständlich, als der Pfarrer nicht nur eigenmächtig gehandelt hat, sondern auch entgegen der schon vorab in Gesprächen geäußerten Meinung des Denkmalamts. Zu berücksichtigen ist allerdings die Vorgeschichte: Die heftigste Ablehnung der neuen Altaraufstellung kam nämlich nicht vom Denkmalamt, sondern von der Erz­ diözese, zuerst in Person der Diözesankustodin Hiltigund Schreiber, schließlich auch direkt durch Kardinal Schönborn, wobei für den Kardinal nicht die Denkmalpflege, sondern das Abgehen von der zum Hochaltar hin orientierten „Wegkirche“ ausschlaggebend war. Ein Mitarbeiter des Denkmalamts hatte allerdings angedeutet, mit der Aufstellung leben zu können, wenn sie „temporären Charakter“ habe, und darauf berief sich der Pfarrer in seinem Antrag ans Denkmalamt, die Veränderungen nachträglich zu genehmigen. Das hölzerne Podest um den Altar sei ja offensicht­ lich nicht für die Ewigkeit gebaut. Für das Denkmalamt wäre diese Genehmigung sachlich kein Problem. Die künstlerische Bedeutung des neugotisch geprägten Innenraums ist nicht herausragend, und nachhaltig gestört ist der Raum durch die neue Anordnung höchstens dann, wenn man eine bestimmte Art der Nutzung zum Teil des Denkmals erklärt – eine absurde Argumentation, bietet doch sogar das Denkmalschutz­ gesetz für religiöse Gebäude die Möglichkeit, bauliche Verände­ rungen zuzulassen, wenn sie liturgisch begründet sind. Dass sich das Denkmalamt in diesem Fall so bereitwillig zur Exekution in einem an sich innerkirchlichen Streit hergibt, mag mit einem Anlassfall zu tun haben, der schon einige Jahre zurückliegt. In der Wiener Augustinerkirche findet sich ein Altar aus dem Jahr 1999, den zu weihen sich Kardinal Schönborn bis heute weigert. Der Entwurf stammt von den Architekten Henke 148

und Schreieck, ein schlanker Tisch aus zentimeterdünnen, massiven Stahlplatten, zwei Seitenwände und eine Platte darüber, darunter freistehend eine mehrschichtige transluzente Glasplatte, in deren einer Ecke das Reliquiar eingelassen ist. Das Denkmal­ amt hatte sich damals sehr für diesen Altar eingesetzt, obwohl die Patres der Augustinerkirche einen massiven marmorierten Block als Volksaltar vorgezogen hätten. Dieser hätte allerdings den Blick in den frisch renovierten Chor verstellt. Henke und Schreieck versuchten mit ihrem Entwurf, einen Volks­altar zu schaffen, der gewissermaßen nur während der Messfeier in Erscheinung tritt, ansonsten aber als zarter, dunkler Rahmen beinahe verschwindet. Henke und Schreieck respektierten dabei, traditionelle Aspekte des Altaraufbaus, etwa die ausgewogene Beziehung zwischen Altem und Neuem Testament, indem für die beiden Seitenteile und die Platte exakt dieselbe Stahlmenge verwendet wurde, aber auch bei der Oberfläche des Stahls, die für die Salbung bei der Altarweihe geeignet sein sollte. Die Patres schienen dieser Idee nach vielen Diskussionen folgen zu können, verlangten aber, dass die ursprünglich nur als schmale Stele geplante Glasscheibe mit dem Reliquiar beinahe auf die gesamte Breite des Altars verbreitert wurde, ein Kompromiss, der den angestrebten Durchblick deutlich beeinträchtigt. Nachdem der Altar unter großem Zeitdruck für die geplante Einweihung am 1. November 1999 fertiggestellt war, verweigerte der Kardinal die Weihe und beschränkte sich auf eine Segnung, offiziell mit der Begründung, die Bodenarbeiten um den Altar seien noch nicht abgeschlossen. An diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert, und aus dem Umfeld der Gemeinde ist zu hören, dass der Altar durch einen anderen ersetzt werden soll. Die beiden Fälle sind auf seltsame Art miteinander verwoben. In Korneuburg geht es um grundsätzliche liturgische Fragen, um eine für die Gemeinde deutlich spürbare Neuordnung des Gottes­ diensts. In der Augustinerkirche geht es scheinbar um eine rein formale Auseinandersetzung und eine Neuinterpretation konven­ tioneller Standards. Die Reaktion der kirchlichen Stellen lässt in beiden Fällen auf eine große Verunsicherung schließen. Das ist kein Wunder: Kirchenbau ist Theologie ohne Worte, aber mit großer sinnlicher Wirksamkeit. Deshalb fürchten die Schriftgelehrten und Kopf­ menschen – und seien sie auch Kardinäle – diese Disziplin wie der Teufel das Weihwasser und fühlen sich im Bewahren des räumlichen und rituellen Status quo auf der sicheren Seite. In Korneuburg haben inzwischen fast 700 Gemeindemitglieder eine Petition für die Beibehaltung der neuen Aufstellung unter­ schrieben. Es wäre fatal, wenn die Entscheidung durch einen Bescheid des Denkmalamts fiele und nicht in einer längst fälligen, offen geführten Debatte zwischen den wirklich Betroffenen.

DER ALTAR VON HENKE UND SCHREIECK IN DER AUGUSTINER­ KIRCHE WURDE VON DEN PATRES IN ALLER STILLE ENTSORGT. AM 30. MÄRZ 2003 KONNTE DER NEUE ALTAR GEWEIHT WERDEN, EIN TONNENSCHWERER, VOM BILDHAUER OSKAR HÖFINGER GESTALTETER STEINBLOCK.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 150

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WIE MAN WINKEL ZIEHT „Twist Tower“: Der Name ist Programm. Denn Georg Driendl hat die Geschossebenen seines Bürohauses in der Schönbrunner Straße jeweils um einige Grad gegeneinander verschwenkt – nicht nur für das Gebäude ein Gewinn, sondern auch für den Straßenraum.

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ine weniger inspirierende Bau­ aufgabe kann es kaum geben: ein Bürohaus in der Schönbrun­ ner Straße im fünften Wiener Gemeindebezirk, eingeklemmt zwischen alten Gründerzeithäusern. Der Bauherr, ein privater Bauträger, verlangt naturge­ mäß die maximale Ausnutzung des Grundstücks. An der Straßenseite erlaubt der Bebauungsplan ein achtgeschossiges Gebäude, tief in den Hof hinein ist eine maximal zweigeschossige Bebauung zulässig. Gute Beispiele für derartige Baulückenfüllungen im gründer­ zeitlichen Bestand sind selten. In den sechziger und siebziger Jahren wurden diese Löcher meist mit billiger funktionalistischer Massenware gefüllt, in den Achtzigern mit unbeholfenen Versu­ chen, sich ans historistische Stadtbild anzugleichen. Derart miss­ handelt, drohen auch zentrumsnahe Stadtteile mit hoher Standort­ qualität herunterzukommen. Die Schönbrunner Straße mit ihrem dichten Verkehrsaufkommen und den beinahe ausgestorbenen Geschäftslokalen im Erdgeschoss gehört in diese Kategorie. Mit reiner Bestandssanierung ist hier nichts mehr auszurichten: Um das Image eines solchen Gebiets zu verbessern, braucht es auch deutliche Veränderungen, die den Ort neu interpretieren und ihn in einem anderen Licht erscheinen lassen. Genau das ist Georg Driendl mit seinem „Twist Tower“ gelungen. Der Name spielt einerseits auf die „Twin Towers“ am

Baulückenfüllung der virtuosen Art: Georg Driendls Twist Tower im 5. Wiener Gemeindebezirk Fotos: Pez Hejduk

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Wienerberg an – eine mutige Analogie, da der Twist leicht 20-mal in den Twin Towers Platz fände und von einem Tower über­ haupt nur dann die Rede sein kann, wenn man sich die umgebende Bebauung wegdenkt – und andererseits auf eine Eigenart des Grundrisses: Die annähernd quadratischen Geschossebenen des Hauptgebäudes sind jeweils um wenige Grad gegeneinander verschwenkt, was sich in den Fassaden deutlich abzeichnet: So wie sich an den Häusern nebenan Erker in den Straßenraum vor­ schieben, sind hier ganze Fassadenflächen gegeneinander verschwenkt und geben dem Gebäude seine charakteristische Erscheinung. Völlig irrational ist diese Verschwenkung nicht: Da nach der Wiener Bauordnung Erker bis zu 80 cm in den Straßenraum vor­ springen dürfen, gewinnt man so ein paar Quadratmeter Nutz­ fläche. Aber der eigentliche Witz der Sache ist nicht in Zahlen zu fassen. Man kann die Fassade als ironischen Kommentar zur verbreiteten Illusion interpretieren, dass in der gründerzeit­lichen Stadt alles mit rechten Winkeln zuginge. Orthogonal sind die Parzellenzuschnitte aber bestenfalls in den großflächigen Erwei­ terungsgebieten außerhalb des Gürtels. In der Schönbrunner Straße sind uralte Feldgrenzen und der Verlauf des Wienflusses für die Zuschnitte der Parzellen verantwortlich, und so gibt es auf dem ganzen für den Twist Tower zur Verfügung stehenden Grundstück keinen einzigen rechten Winkel. Noch in einem weiteren Punkt unterscheidet sich der Twist Tower von seinen Nachbarn. Statt Treppe und Aufzug im Inneren des Gebäudes zu verbergen, lässt Driendl sie an der Fassade zur Schönbrunner Straße sichtbar werden. Dahinter steht die Idee, den Straßenraum zu beleben und die vertikale Erschließung zur halböffentlichen Verlängerung des Gehsteigs zu machen. In seinen ersten Entwürfen wollte Driendl die Öffnung zu dem dahin­ ter liegenden begrünten Hofraum noch deutlicher betonen. Immerhin gibt es jetzt einen schmalen zweigeschossigen Durch­ blick, der Tiefe erahnen lässt. Die oben erwähnte Forderung, „den Ort in einem neuen Licht erscheinen“ zu lassen, darf man hier durchaus wörtlich nehmen: Driendl ist stolz darauf, dass um die Mittagszeit ein Lichtstreifen in die Schönbrunner Straße fällt und den Straßenraum auf­hellt. VALIE EXPORT, die als Künstlerin eingeladen war, für das Gebäu­ de eine Installation zu entwerfen, hat diesen Gedanken aufge­ nommen. In dem vertikalen Schlitz, den Driendl zwischen dem Treppenhaus und den Hauptnutzflächen offen lässt, sind gelbe, in der Nacht hinterleuchtete Streifen in die Außenhaut des Gebäudes eingelassen, die in einem unregelmäßigen Rhythmus nach oben steigen. Die Differenzierung der Geschosse vom Straßenniveau bis zur Attika ist ein besonderes Charakteristikum des Gebäudes. Der Grund dafür ist einfach: Auch wenn die Nutzung auf allen Geschossen gleich ist, sind die Randbedingungen verschieden. Die unteren Geschosse erhalten weniger Licht und sind daher mit größeren Fensterflächen gut bedient. Auch der vertikale Schlitz an der Fassade, in dem sich VALIE EXPORTs Lichtinstallation 152

befindet, ist auf Straßenniveau am breitesten und verengt sich nach oben hin bis auf einen halben Meter. Dafür werden die Podeste der Treppe mit jedem Geschoss etwas tiefer und wachsen so bis aufs erlaubte Erkermaß von 80 cm in den Straßenraum hinaus, was in der Fassade zu einer leichten Schrägstellung der Verglasung führt. Man ahnt bereits, dass ein derart zugleich in der Horizontalen wie in der Vertikalen differenziertes Konzept konstruktiv nicht ganz einfach zu bewältigen ist, schon gar nicht zu den Kosten eines konventionellen Bürohauses. Dass Driendl hier erfolgreich war, ist eine Meisterleistung, auch wenn er Abstriche bei manchen Materialien und Details – etwa beim Verzicht auf die Verglasung des Aufzugs – in Kauf nehmen musste. Mit diesem Bürohaus und dem Neubau der Österreichischen Schule in Budapest, die heuer eröffnet wurde, hat Driendl bewiesen, dass er zur ersten Liga der österreichischen Architekten gehört. Dass dorthin mit Dieter Henke und Marta Schreieck zumindest noch zwei andere Architekten dieser Generation auf­ gestiegen sind, die aus Roland Rainers Schule kommen, wird den alten Meister freuen. Das Irrationale und Spielerische hat Driendl aber nicht bei ihm gelernt, sondern eher bei einem Vorbild wie Rudolf Schindler, an dessen spielerisch-gelassenen, technisch auch bei beschränkten Mitteln virtuosen Umgang mit räumlichen und formalen Problemen höchster Komplexität man sich erinnert fühlt. Für den Auftraggeber, Kallco-Projekt, der gerade für ein anderes Gebäude in ähnlicher Lage den Bauherrenpreis erhalten hat, hat sich das Spiel jedenfalls gelohnt: Trotz geringer Nachfrage auf dem Büromarkt ist das Gebäude zu 90 % vermietet.

10 / 08 / 2002   

ALLES NICHT SO SCHLIMM, ODER? Ein Landeshauptmann lässt sich von der „Kronen Zeitung“ vorschreiben, wie er über Architektur zu urteilen hat. Über „gesundes Volksempfinden“ und wie es in die Welt kommt: ein Lokalaugenschein in Salzburg anlässlich der Nicht-Verleihung des Landesarchitekturpreises.

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arüber lacht das ganze Land: Seit Monaten beklagen sich die Salzburger Bürger ein­ hellig über den ,schwarzen Block‘. Das Heiz­ kraftwerk Mitte gilt längst als Schandfleck mitten im Zentrum der Mozartstadt. Nur die Architekten sehen das anders: Ein Teil des Industrie-Klotzes soll sogar den LandesArchitekturpreis 2002 erhalten!“ In ihrer Ausgabe vom 25. Juni berichtet die Salzburger Ausgabe der „Kronen Zeitung“ erstmals über einen sich ankündigenden Skandal. Unter den drei 153

Stein des Anstoßes: SEG-Heizkraftwerk und angeschlossenes Betriebsgebäude von Bétrix & Consolascio, Salzburg Stadt Fotos: Margherita Spiluttini

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Preisträgern, die von der Jury für den Landes-Architekturpreis gekürt wurden, befinde sich das Heizkraftwerk Mitte, ein Industrie­ komplex, dessen Front zur Salzach – ein mächtiger Körper aus anthrazitgrauem Stahlbeton – gerade fertiggestellt wird. Aber noch, so berichtet die „Kronen Zeitung“ einen Tag später, sei Hoffnung: Auch der Landeshauptmann selbst – vom Chefredakteur der Salzburg-„Krone“ telefonisch befragt – halte „den ganzen Komplex für hässlich“ und habe bisher „keine Gelegenheit gehabt“, den Regierungsbeschluss zu unterschreiben. Ob die Preisverleihung am 1. Juli, für die bereits die Einladungen ausgeschickt sind, stattfinden werde, sei ungewiss. Am 29. Juni gibt die „Krone“ Entwarnung: „Seit Freitag ist es fix: Fürs Heizkraftwerk Mitte gibt es keinen Architekturpreis vom Land Salzburg! In der Regierung verweigerte die ÖVP ihre Zustimmung, und die SPÖ wollte die Auszeichnung nicht im Alleingang beschließen – das hätte in Salzburg wohl zu viele Sympathien gekostet.“ Die Veranstaltung am 1. Juli findet zwar statt, allerdings ohne Preis­ verleihung: Kulturlandesrat Othmar Raus hatte sich – im Einvernehmen mit der Jury – dem Wunsch des Landeshaupt­ manns verweigert, für die an­ deren beiden Preis­­­träger und die Anerkennungen gesonderte Regierungsbeschlüsse auszu­ stellen. Alles nicht so schlimm, oder? Warum soll eine Landes­ regierung sich bei einem Preis des Landes nicht auch einmal über das Urteil einer Fachjury hinwegsetzen dürfen, wenn dieses Urteil das „gesunde Volks­ empfinden“ beleidigt? Gehört es nicht zur Aufgabe der Politik, Entscheidungen zu treffen und sie nicht den Experten zu über­ lassen? Hat der Landeshauptmann hier nicht sogar Mut gegenüber elitären Fachzirkeln bewiesen, die „völlig abgehoben von den Menschen“ agieren? Das Gegenteil ist der Fall. Die Entscheidung zeugt nicht von Mut, sondern von Inkompetenz und Opportunismus. Dass Franz Schausberger das Heizkraftwerk Mitte hässlich findet, ist ihm unbenommen. Dass Landeshauptmann Schausberger sich von der auflagenstärksten und daher für ihn gefährlichsten (beziehungs­ weise hilfreichsten) Zeitung vorgeben lässt, wie er sich im Rahmen eines öffentlichen Verfahrens sein Urteil über ein Projekt zu bilden hätte, ist jedoch unverantwortlich und wird nicht ohne Folgen auf andere Entscheidungen bleiben. Die Vorgänge um den Landesarchitekturpreis sind ein Musterbeispiel dafür, wie die Mechanik des Populismus den Handlungsspielraum der Politik einschränkt und letztlich die politische Kultur ruiniert. Ein Teil dieser Mechanik besteht in der gezielten Fehlinfor­ mation: Die Jury für den Landesarchitekturpreis hatte nicht den

noch unvollendeten „schwarzen Block“ des Kesselhauses ausge­ zeichnet, sondern ein anderes Gebäude auf dem Areal, das von denselben Architekten stammt. Der erste Artikel in der „Kronen Zeitung“ trägt jedoch den Titel: „Lob für ,perfekte Harmonie‘ im schwarzen Block an der Salzach!“. Im nächsten Artikel werden Unregelmäßigkeiten bei der Jury insinuiert: Das Kesselhaus hätte nur durch „blanken Zufall“ nicht den Preis bekommen. Erst als entschieden ist, dass es zu keiner Preisverleihung kommt, wird klargestellt, dass die Architekten „das Betriebsgebäude beim Heiz­ kraftwerk Mitte, einen der drei Bauteile des heftig umstrittenen Industriegeländes“, eingereicht hätten. Die Infamie besteht nicht zuletzt darin, dass in den ersten Artikeln die Begründung der Jury durch diese falsche Zuweisung lächerlich gemacht wird. Zwar wird korrekt aus dem Juryprotokoll zitiert: Das Gebäude mute „in seiner Klarheit überzeugend und selbstverständlich an“ und erreiche „in seinen baulichen Nuancen

eine – fast möchte man sagen – perfekte Harmonie“. Es sei ein herausragendes Beispiel dafür, wie „klar und funktionell, ästhetisch und gleichzeitig persönlich und liebenswürdig erzählend“ gebaut werden könne. Auf das Kesselhaus bezogen – das gänzlich andere, eigenständige Qualitäten hat als das Betriebsgebäude – sind diese Aussagen freilich absurd. Diese Missachtung der Jury, der sich der Landeshauptmann mit seiner Entscheidung angeschlossen hat, ist jedenfalls beispiellos. Ein Preis, den ein Land vergibt, um hervorragende kulturelle Leistungen öffentlich als vorbildlich zu würdigen, braucht eine seriöse, also nachvollziehbare und diskutierbare Begründung. Die Jury hat ihre Arbeit entsprechend seriös geleistet. Mit ihrer Entscheidung hat sie Bauaufgaben ins Rampenlicht gestellt, die – anders als Museen und Theater – oft nicht einmal mit Architektur in Verbindung gebracht werden: zwei Sozialbauten und einen Industriebau. Das Altenwohnheim in Neumarkt am Wallersee von Klaus Kada und Gerd Wittfeld mit seiner klassischen Eleganz ist offensichtlich für Senioren gebaut, die schon in der Moderne alt geworden sind. Das Kinder- und Jugendhaus in Liefering von Thomas Forsthuber, 155

eines der außergewöhnlichsten Projekte der letzten Jahre, ist schon mehr im 21. Jahrhundert zu Hause: eine ruppige, in Stahl­ blech verkleidete Bauskulptur, die als offenes Milieu für Kinder und Jugendliche funktionell perfekt auf die Aufgabe zugeschnitten ist. Mit dem Betriebsgebäude von Bétrix & Consolascio und Eric Maier hat die Jury schließlich einen Industrie- und Verwaltungs­ bau ausgezeichnet, der ohne jeden Zweifel zum Besten zählt, was auf diesem Sektor in Österreich zu finden ist. Explizit weist die Jury – bestehend aus Marianne Burkhalter, Hannelore Deubzer, Maria Flöckner, Otto Kapfinger und Margherita Spiluttini – darauf hin, dass ihre Entscheidung nicht allein von ästhetischen Kriterien bestimmt ist. In einem Protest­ brief an die „Kronen Zeitung“ schreibt Otto Kapfinger, das Betriebsgebäude sei „vor allem auch im Inneren für die Mitarbei­ terInnen eine der attraktivsten modernen Arbeitsstätten, die ich in Salzburg und darüber hinaus kenne. Es wäre lohnenswert, wenn hier ein Tag der offenen Tür allen vorschnellen, uninfor­ mierten Lästermäulern zeigen könnte, wie funktionale Arbeits­ stätten heute gestaltet werden können.“ Spielt alles keine Rolle. Der Populismus braucht keine denkenden Bürger, sondern verärgerte. Ich gehe eine Wette ein, dass jeder Besucher, der die Bauten von Bétrix & Consolascio in Salzburg etwas näher kennenlernen darf, zumindest Respekt haben wird: vor der plastischen Durchbildung der Baukörper, vor der Qualität der Innenräume, der funktionellen Lösungen und der Details. In der „Kronen-Zeitung“-Passanten-Umfrage werden die Men­ schen von der Straße“ dagegen zu Karikaturen reduziert: „Meine Meinung: Es ist schiach, einfach schiach!“ „A Katastrophe, eigent­ lich a Schweinerei!“ „Wenn man privat etwas machen will, machen sie einem das Leben schwer.“ „So was sollen sie ins Ruhrgebiet stellen!“ „Es ist eine Qual, wie es ausschaut“, wird die „Inhaberin des wunderschönen Blumengeschäfts ‚Pusteblume‘ genau gegen­ über dem Bauwerk“ zitiert. Für den „Krone“-Redakteur Anlass für ein wenig Pathos: „In ihrem Geschäft ist Schönheit Trumpf, ihre Blumen stehen für Wärme und Menschlichkeit, aber dieses Gegenüber! Eine schwarze Masse, ein finsterer Block, kalter Beton, Fenster wie Schießscharten.“ Wer so schreibt, hat einen Leser vor Augen, der dumm genug ist, nicht zwischen einem Blumengeschäft und einem Kesselhaus mit einem inneren Lärmpegel von 90 Dezibel unterscheiden zu können. Dass die Salzburger den dunklen Block nicht ins Herz schließen würden, war zu erwarten. Aber vielleicht werden sie bald akzeptieren, dass dieser Teil ihrer städtischen Infrastruktur einfach da ist, eine schmucklose, mächtige Figur, eine Betonkulisse, die es mit anderen Felsformationen in ihrer Nähe durchaus aufnehmen kann. Und vielleicht werden sie irgendwann sogar anerkennen, dass Bétrix & Consolascio mit den Projekten, die sie seit 1987 auf diesem Areal und an anderen Orten im Stadtgebiet realisieren konnten, Architekturgeschichte geschrieben und wesentlich zum Image Salzburgs jenseits des Barocks beigetragen haben. 156

Für die aktuelle Diskussion ist diese Perspektive freilich zu lang­ fristig. Die Mitglieder der Landesregierung, die ihre Unterschrift für den Landesarchitekturpreis verweigert haben, sollten erkennen, dass sie dadurch beim Mediaprint-Konzern unter Vertrag stehen. Wenn die Politik die offene und seriöse Diskussion über die Qualität der gebauten Umwelt dem billigsten Populismus opfert, verliert sie ihren Handlungsspielraum in einem Gebiet, das im Alltagsleben der Bürger immer noch zu den wichtigsten gehört. Dass die Bürger klüger sind, als es die „Kronenzeitung“ erlaubt, stellt sich vielleicht bei den nächsten Wahlen heraus.

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SOLITÄR ODER IM RUDEL? In die Vertikale wachsende Knoten im Stadtgeflecht, vielschichtig in Gestalt und Nutzung, die „neue urbane Qualitäten für den angrenzenden Stadtraum schaffen sollen“: Das Innsbrucker Hochhauskonzept versucht die Neuinterpretation eines umstrittenen Bautyps.

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as Hochhaus als amerikanische Steigerungsform des Städtischen hat in Europa nach wie vor einen zweifel­ haften Ruf. Es ist eine genuine Erfindung Amerikas, geboren aus der radikalen Ausnutzung neuer tech­ nischer Möglichkeiten: Stahlkonstruktion, Aufzug, künstliche Belichtung und Belüftung. Der Unterschied zum euro­ päischen Hochhaus liegt vor allem im Städtebaulichen. Während in Amerika die Agglomeration sehr hoher Häuser über einem rechtwinkeligen Raster zum urbanen Leitbild wurde, tendiert das Hochhaus in der europäischen Stadt zum Solitär. Je nach kultu­ reller Großwetterlage wird es daher als Signal der Modernisierung oder als Bedrohung des historischen Bestands wahrgenommen. Der Antrieb zur Errichtung von Hochhäusern geht in der Regel von kapitalkräftigen Bauherren aus, die nach dem simplen Prinzip agieren, auf einem möglichst zentrumsnahen Grundstück eine möglichst große Anzahl identischer Geschosse zu stapeln. Wenn die Stadt kein eigenes Hochhauskonzept vorzuweisen hat, gilt in der Folge eine einfache, in Wien am Stumpf’schen Millenniumstower abzulesende Spielregel: Das höchste Hochhaus baut immer der Investor mit den besten Beziehungen. Die in Wien inzwischen verfolgte Strategie, Sichtkorridore festzulegen, die nicht durch Hochhäuser verstellt werden dürfen, und die Kreuzung möglichst vieler Verkehrsströme zum Haupt­ kriterium für einen Hochhausstandort zu machen, ist ein 157

defensiver Weg zur Bewältigung des Problems, der auf ein klares Szenario für die zukünftige Entwicklung verzichtet. An diesem Weg ist alles durch und durch vernünftig, und gerade das ist seine Schwäche. Nach einem ähnlich vernünftigen Prinzip hatte schon der letzte Wiener Stadtentwicklungsplan eine Verdichtung entlang von Verkehrsachsen vorgesehen. Am Ende fand die Entwicklung zwischen den Achsen statt, weil dort die Grundstückspreise niedriger blieben. Um mit den Hoch­ haus-Investoren, deren Motivation stets aus einer kreativen Mischung von Geldgier und Gestaltungswillen besteht, mithalten zu können, muss die Stadtplanung konkretere und zugleich kreativere Regulierungen entwickeln. In Innsbruck wurde kürzlich ein Hochhauskonzept vorgestellt, das einen Schritt in diese Richtung versucht. Anlass dafür war die Entwicklung eines Siedlungsleitbildes für den Raum Innsbruck, in dessen Rahmen die Hochhausfrage als besonders heikles Unterthema erkannt und an eine eigene Planungsgruppe ausge­ lagert wurde. Das Architekturforum Tirol wurde beauftragt, ein EU-weites Bewerbungsverfahren für die Erstellung einer Hochhaus­ studie zu veranstalten und die ausgewählten Teams in mehreren Workshops unter Einbeziehung der Öffentlichkeit zu koordi­ nieren (www.hochhausinnsbruck.at). Ausgewählt wurden drei Architektenteams – Pietro Caruso/rainer pirker ARCHItexture, Hermann Czech/Rainer Köberl, Jourdan & Müller PAS – und ein Team für Sozial- und Kulturwissenschaften: helix (Hebertshuber, Marchner und Schoibl). Moderation und Konzeption der Workshops lagen bei Max Rieder. Die Verfasser der Studie stellten sich zwei grundsätzliche Fragen. Erstens: Braucht Innsbruck aufgrund von Wirtschaftsent­ wicklung oder Baulandverknappung neue Hochhäuser? Zweitens: Können Hochhäuser für einen konkreten Ort besondere Syner­ gien und städtische Vielschichtigkeit erzeugen? Die Antwort auf die erste Frage fällt in der Studie klar negativ aus. Allerdings sehen die Autoren gerade darin eine Chance: „Weil Innsbruck sich einer trivialen Hochhausentwicklung verweigern kann, besteht für anspruchsvolle Qualifikation von speziellen ,Ausnahmen‘ in dieser Stadt eine besondere Chance.“ Die Kriterien für die anspruchs­ volle Qualifikation ergeben sich aus der positiven Antwort der Autoren auf die zweite Frage: Richtig geplant, können Hochhäuser zur städtischen Vielschichtigkeit beitragen. Die Studie schlägt vor, im Talboden keine neuen konventio­ nellen Hochhäuser zu errichten. Keine neuen deshalb, weil Innsbruck zwar im Vergleich zu anderen österreichischen Städten einen hohen Anteil an Hochhäusern aufweist, die vor allem in den 60er- und 70er-Jahren für Wohnzwecke errichtet wurden. Nur wenige der über 60 Objekte, die baurechtlich über der Hoch­hausgrenze liegen, sind aber hoch genug, um als „echte“ Hochhäuser wirksam zu werden. Von den umliegenden Bergen aus betrachtet, ist die städtische Baumasse zwar in der Höhe differen­ziert, aber doch einheitlich geblieben. Als Standorte für konventionelle Hochhäuser bis zirka 90 Meter Höhe werden vier Zonen ausgewiesen, von denen drei am Rand 158

des Talbodens entlang der Autobahn liegen. Die vierte Zone am Westbahnhof erlaubt wegen der Nähe zum Flughafen nur eine reduzierte Bauhöhe. Die Situierung an der Autobahn wird einer­ seits mit stadtgestalterischen Argumenten begründet: Nahe an die Gebirgswände gerückt, würden Hochhäuser eine dramatische Erscheinung gewinnen, die sie mitten im Talboden nie erreichen könnten. Andererseits sprechen die gute Verkehrsanbindung, die ausreichende Zentrumsnähe und nicht zuletzt der Werbeeffekt durch die Autobahn für den Standort. Dass diese nicht auf dem Talboden, sondern in der Bergflanke etwa auf der Höhe des sechsten Geschosses geführt ist, wird aus dieser Perspektive zur Qualität. Das Besondere der Situation ließe auch bei konventio­ neller Bauweise der Einzelobjekte ein außergewöhnliches Ergebnis erwarten. Für die innerstädtischen Bereiche (mit Ausnahme von Schutz­ zonen) schlagen die Autoren einen neuen Typus von Hochhaus vor, den sie als „Urbanissima“ bezeichnen. Es handelt sich dabei um einen in die Vertikale wachsenden Knoten im Stadtgeflecht, vielschichtig in Gestalt und Nutzung, der „neue urbane Qualitäten für den angrenzenden Stadtraum und das Quartier schaffen soll“. Wenn ein Investor sich für ein derartiges Projekt interessiert, sollen die konkrete Höhenentwicklung, der Nutzungsmix sowie die räumliche Zuordnung der öffentlich zugänglichen Flächen in einem verbindlich in den Richtlinien festgelegten „Kontext­semi­ nar“, in das auch Anrainer eingebunden sind, festgelegt werden. Die Obergrenze für diesen Gebäudetyp ist mit 60 Meter festge­ legt. Im Stadtgebiet verteilt würden sie nicht als vertikale Spitzen, sondern eher als Inseln im Häusermeer erscheinen. Die „Urbanissima“ ist die Steigerungsform der europäischen Stadt und ihrer Qualitäten. Die Autoren der Studie versprechen sich von ihr „sozialen Mehrwert, Intensivierung und Attraktivie­ rung von Stadtleben und Stadtkultur, Kompensationschancen zum grassierenden Flächenverbrauch und ressourcenbewusste Vertikalität, Schaffung eines dynamischen Elements im Interesse sich wandelnder Bedürfnisse der StadtbewohnerInnen, stadt­teiloder themenbezogene Identitätsbildung“. Spätestens hier schleicht sich die Frage ein, ob eine derartig geballte Ladung

Stadt gesteigert: urban, urbaner – „Urbanissima“, ein maximal 60 Meter hoher Haustyp soll die Innsbrucker Baumasse attraktivieren. Rechts im Bild der von Lois Welzenbacher 1926 entworfene funktionalistische Hochhausblock für die Elektrizitätswerke. Der regionalistische Hut ist eine spätere Zutat Foto: Rainer Pirker ARCHItexture

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von guten Absichten unter den Bedingungen der kapitalistischen Stadtentwicklung eine Chance hat. Oder etwas pointierter: Fällt die Studie nicht in einen längst überholten, weltbaumeisterlichen Erlösergestus zurück, über den nicht nur die Investoren, sondern auch eine an Rem Koolhaas’ antiplanerischer und antipolitischer Haltung geschulte, marktorientierte jüngere Architektengenera­ tion nur milde lächeln? Vielleicht. Dass die europäische Stadt aber keine andere Chance hat, als sich solch scheinbar naiv-optimistischer Vorwärts­ strategien zu bedienen, war vor einer Woche bei einem Symposium zu erfahren, das vom Haus der Architektur Graz im Rahmen seines Jahresthemas „europe.cc – changing cities“ veranstaltet wurde. Walter Siebel, deutscher Stadtsoziologe, sprach dort über die gewandelte Situation der europäischen Stadt, die Auflösung der Begriffe Peripherie und Zentrum und die zunehmende Autono­ mie des Umlands, das als verstädterte Landschaft nicht mehr auf ein Zentrum angewiesen sei. Pendler- und Besiedlungsströme, die von Umlandgemeinde zu Umlandgemeinde unter Auslassung der Zentren führen, lassen in den Kernstädten vor allem soziale Probleme zurück. Aus Bürgern werden Kunden, die städtische Dienstleistungen in mehreren Gemeinden einkaufen, ohne sich einer öffentlichen Körperschaft verantwortlich zu fühlen. Wo der Tourismus die Hülle der europäischen Stadt konser­ viert, droht wiederum einer ihrer essenziellen Bestimmungs­ gründe verloren zu gehen, nämlich ein kontinuierlich geführtes Geschichtsbuch ihrer Bürger zu sein. Als verbleibende Chance für die Kernstädte sieht Siebel die Schaffung „innovativer Milieus“, die eine Voraussetzung des heutigen Wirtschaftssystems darstellen und von Ökonomen mit denselben Begriffen beschrieben werden, mit denen Stadtsoziologen die Qualitäten der europäischen Stadt darstellen – oder die Autoren der Innsbrucker Studie ihre „Urbanissima“. Und die Investoren? Beim Grazer Symposium ließ ein Vertreter von McDonald’s mit der Bemerkung aufhorchen, dass es ihm in erster Linie um klare, langfristig stabile Vorgaben und weniger Bürokratie gehe. Mit anspruchsvolleren Strukturen habe er kein Problem: In Vorarlberg, wo die Ansprüche an Architektur generell hoch sind, sehe jeder McDonald’s eben anders aus. Klug umge­ setzt, könnte die Innsbrucker Strategie auch ihre ökonomische Bestätigung finden.

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15 / 06 / 2002   

DIE DEKORIERTE SCHUPPENENTE

Das unternehmerische Selbstbild der High-Tech-Firma „Semperit Technische Produkte“ – von Najjar & Najjar umgesetzt in eine biomorphe Baufigur. Über Möglichkeiten und Grenzen der Superzeichen-Architektur.

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em amerikanischen Architekten Robert Venturi verdankt die Architekturtheorie die Unterschei­ dung von Gebäuden in „Enten“ und „dekorierte Schuppen“. Bei letzteren sind bauliche Struktur und inhaltliche Aussage klar voneinander getrennt: Dem Schuppen ist ein Zeichen aufgesetzt, das auf die Bestimmung des Gebäudes verweist, sei es ein Zunftzeichen, ein klassischer Giebel oder eine monumentale Leuchtwand wie in Las Vegas. „Enten“ sind dagegen Gebäude, deren Form mit der Botschaft verschmolzen ist, etwa ein Würstelstand in Form einer Aluminium-ArchitekturPreis 2002: SemperitForschungsgebäude von Karim und Rames Najjar, Wimpassing Foto: Manfred Seidl

Wurst oder – Venturis begriffsprägendes Beispiel – ein Geschäft für Lockenten in Form einer großen Ente. Venturi ging es nicht primär um diese offensichtlichen Skurrilitäten, sondern darum, die moderne Architektur generell als eine „Enten-Architektur“ zu entlarven. Tatsächlich war es das erklärte Ziel des Modernismus, Form und Funktion so miteinander zu verschmelzen, dass die Form als Aussage über die Funktion jedes Gebäudes gelesen werden kann. Ihre Rechtfertigung suchte diese Art von Funktionalismus nicht zuletzt in der Natur: Louis Sullivan, jener amerikanische Architekt, von dem die Formel „Form follows function“ stammt, illustrierte seine Behauptung nicht etwa anhand von Maschinen, sondern anhand von Naturphänomenen wie dem Aufbau eines Vogel­ flügels. Die Idee der organischen Einheit von Form und Funktion ist zwar grundsätzlich inspirierend, führt in der Architektur je­ doch rasch zu dem Problem, dass die Funktionen von Gebäuden in der Regel unklar definiert, von widersprüchlichen Interessen 161

verschiedener Nutzergruppen abhängig und über längere Zeit­ räume betrachtet so gut wie nie stabil sind. Die funktionalistische Architektur ist daher dazu verurteilt, mit beachtlichem Aufwand eine nur scheinbare Einheit von Form und Funktion aufzubauen, eine „Als-ob-“, oder, in Venturis Worten, eine „Enten-Architektur“. Die Postmoderne, zu deren Vätern Venturi zählt, bekannte sich zum „dekorierten Schuppen“ und damit zu einer erneuerten Auffassung von Architektur als Sprache: Die „Ente“ ist – semio­tisch ausgedrückt – ein „ikonisches“ Zeichen, bei dem der Signifikant (die Form) bestimmte Merkmale mit dem Signifikat (dem Inhalt) gemeinsam haben muss. Der „dekorierte Schuppen“ ist dagegen als „symbolisches“ Zeichen abhängig von erlernten Bedeutungen und damit offen für jede Art von Sprachspiel, Bedeutungsver­ schiebung und Subversion – ein Potenzial, von dem die Post­mo­ derne so ausgiebig Gebrauch machte, dass fast zwangsläufig eine Gegenbewegung einsetzen musste, die im begrifflichen Umfeld von Bionik, Blobs und Biomorphismus Projekte und in jüngster Zeit auch vermehrt Gebautes hervorbringt. Nach den endlosen Sprachspielen von Postmoderne und Dekonstruktion scheint der biomorphe Blob endlich wieder natürliche Sicherheit in der architektonischen Formfindung zu versprechen. Das Forschungs- und Entwicklungsgebäude, das Karim und Rames Najjar für die Firma Semperit Technische Produkte in Wimpassing, Niederösterreich, entworfen haben, ist ein hervorra­ gendes Beispiel für diesen Trend. Semperit Technische Produkte – nicht zu verwechseln mit der inzwischen eingestellten Reifen­ produktion – ist ein höchst erfolgreiches Hightech-Unternehmen, das sich mit dem Neubau der Forschungszentrale ein neues, diesem Image entsprechendes Gesicht geben wollte. Im Jahr 1999 wurde ein Gutachterverfahren ausgeschrieben, aus dem das Projekt von Najjar & Najjar, eine röhrenförmige glänzende Struktur, die sich diagonal an die Grundstücksgrenze vorschiebt, als Sieger hervorging. Die Hülle aus Aluminium schwingt sich in einer Wellenbewegung zu einer beinahe monumen­ talen, schräg über zwei Geschosse angeschnittenen Öffnung zur Bundesstraße hinauf, hinter der ein Großraumbüro mit eingezo­ gener Galerie liegt. Auf dem oberen Niveau – also innerhalb der Aluminiumhülle – sind weitere Büros angeordnet. Im fast durchgehend verglasten Erdgeschoss liegen Laborräume. Eine großzügige zentrale Halle mit Oberlicht verbindet die Ebenen räumlich miteinander. Das Gebäude ist eine geglückte Umsetzung eines unterneh­ merischen Selbstbilds: Die Perfektion der Oberfläche suggeriert entsprechend hohe Standards der Produktion, die geschwungene Linienführung verweist auf die Kernkompetenz des Unternehmens Semperit, die Verformung von Kautschuk und Kunststoffen, die Raumschiffmetapher auf die globale wirtschaftliche Ausrichtung. Es verwundert also nicht, dass der Vorstand sich im Wettbewerb für dieses Projekt begeisterte. Dass er diese Begeisterung bis zuletzt durchgehalten und dem jungen Architektenteam genug Vertrauen auch in der Umsetzungsphase entgegengebracht hat, ist dagegen besonders hervorzuheben. 162

Die Auszeichnung des Gebäudes mit dem diesjährigen „Alu­ minium-Architektur-Preis“ ist nicht zuletzt eine Anerkennung für die Konsequenz, mit der hier ein bestimmtes, im ersten Entwurf vorgestelltes Bild zur Realisierung gebracht wurde. Bis auf den Wegfall eines Semperit-Logos, das im ersten Entwurf die große Frontöffnung wie einen Kühlergrill geteilt hätte, scheint das ausgeführte Projekt vom Entwurfsmodell kaum abzuweichen. Dass Najjar & Najjar aber mehr wollten, als nur ein plakatives Bild zu schaffen, zeigt ein Blick auf ihre früheren Arbeiten wie etwa die kinematische Skulptur BUG, die sie 1998 beim „steirischen herbst“ vorführten: eine beweglich gelagerte Metallrüstung mit Flügeln aus Aluminium, in deren Innerem der Umriss einer menschlichen Figur zu erkennen war. Im gesteigerten Pathos dieser Inszenierung manifestierte sich eine Vision von Architektur als „Natur aus Stahl“, die im SemperitGebäude genauso angelegt ist. Aber im großen Maßstab stößt der Versuch, eine solche künstliche Natur zu schaffen, offensichtlich an seine Grenzen. Organische Einheit zwischen Form und Funktion würde ein Gebäude voraussetzen, das wirklich dynamisch ist und nicht nur so aussieht. Das Ziel der biomorphen Architek­ tur, authentischer zu sein als der „dekorierte Schuppen“, verkehrt sich so in sein Gegenteil: Ihre Produkte werden zu aufwendigen Superzeichen, die zwar als solche höchst erfolgreich sein können, aber dabei ihre eigentliche Intention aufgeben müssen. Blob-Architektur wird so lange Als-ob-Architektur bleiben, bis neue Materialien und Herstellungsverfahren existieren, die eine wirklich dynamische Architektur zulassen. Als Versuch in diese Richtung hat das Semperit Forschungszentrum jedenfalls Anerken­ nung verdient.

04 / 05 / 2002   

BASTELSTUBE IM IRRENHAUS

Wann wird aus einem Geschmacksurteil ein Argument? Wo beginnt eine deutliche Mehrheit? Ist demokratische Entscheidungsfindung ab einer gewissen Medienkonzentration schlicht nicht mehr möglich? Grundsätzliche Fragen zum Anlassfall Wasserturm Hainburg.

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ber Geschmack lässt sich bekanntlich schlecht streiten. Ich halte das Wittgensteinhaus für ein Kunstwerk und das Hundertwasserhaus für Kitsch. Meine Nachbarin, mit der ich sonst oft einer Meinung bin, sieht das anders. Sie fühlt sich nicht wohl angesichts der schmucklosen Fassaden des Wittgensteinhauses; ich freue mich über die Klarheit des Bau­körpers, die ruhige Wirkung der Oberfläche und die ausgewo­ genen Proportionen. Das Hundertwasserhaus löst in ihr Erinne­ rungen an das bunte Spielzeug ihrer Kindheit aus; ich sehe dort nichts anderes als einen missglückten Abklatsch jener Häuser, die 163

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Gaudí vor 100 Jahren in Barcelona errichtet hat. Um meine Nachbarin zu überzeugen, könnte ich mich auf meine Autorität berufen: Immerhin habe ich Architektur studiert und betreibe seit vielen Jahren Architekturkritik. Du kleiner Fachidiot, sagt meine Nachbarin mitleidig, Häuser werden nicht für die Kritiker gebaut, sondern für den Mann von der Straße, an der sie stehen. Im Übrigen halte sie Helmut Zilk für eine größere Autorität in Fragen der Stadtgestaltung als mich: Der sei immerhin Bürger­ meister gewesen und habe als solcher schon gewusst, warum ein Hundertwasserhaus für Wien wichtiger war als ein Ronacher-­ Theater von Coop Himmelb(l)au. Also gut. Dann besser keine Autoritäten mehr. Aber wer soll entscheiden, wenn es nicht um ein Urteil im Nachhinein, sondern um die Frage geht, ob etwas in einer bestimmten Form gebaut werden soll oder nicht? Dafür gibt es demokratische Regeln, sagt meine Nachbarin, die darauf hinauslaufen, eine Mehrheit für eine Sache zustande zu bringen: Statt einer Hierarchie von Auto­ ritäten ein freies, öffentlich ausgetragenes Spiel der Meinungen. Wer schließlich die Entscheidung fällt, ist eine andere Frage. Das kann eine Behörde sein, ein politisches Gremium oder alle Betroffenen per Volksabstimmung. Immerhin hätten sich sogar die Bauten auf der Akropolis in Athen einem Plebiszit stellen müssen, und da könne man wirklich nicht behaupten, dass die Architektur darunter gelitten hätte. Gut, sage ich. Aber um in der Öffentlichkeit über eine Sache zu streiten, müssen wir Geschmacksurteile in Argumente verwandeln. Unsere Urteile über das Wittgenstein- und das Hundertwasser­ haus vorhin waren eine Mischung aus Gefühlen, Erinnerungen und Kenntnissen. Dass ich die Architektur von Gaudí kenne, hat nichts mit Autorität zu tun, sondern mit Wissen, das du vielleicht nicht hast. Und selbstverständlich hat jedes Urteil einen Bezugs­ rahmen, der flexibel ist. Das Wittgensteinhaus hat neben einem Gemeindebau aus den fünfziger Jahren eine andere Bedeutung als neben dem Palais Stoclet von Josef Hoffmann. Ein Geschmacks­ urteil in Argumente zu verwandeln, die einem demokratischen Entscheidungsprozess förderlich sind, heißt anzuerkennen, dass unsere Urteile nicht absolut sind. Sie ändern sich durch Erfah­ rung, durch Verschiebung des Bezugsrahmens und durch den allgemeinen Zeitenwandel. Richtig, sagt meine Nachbarin. Aber etwas hast du vergessen: Es geht nicht zuletzt um Macht. Demokratie ist kein Paradies. Denk an das AKW Zwentendorf, denk an die Hainburger Au. Nicht Argumente haben dort den Ausschlag gegeben, sondern eine Politik der Gefühle, die sich mit Hilfe der Medien gegen die Macht des Staats durchsetzen konnte. Es braucht heute mehr denn je starke Überzeugungen und Menschen, die mit allen Mitteln für ihre Überzeugungen eintreten. Sonst setzen sich doch erst wieder die Mächtigen gegen die Interessen der kleinen Leute durch. Das ist doch reinster Fundamentalismus, kontere ich. Und erzähle ihr die Geschichte vom Wasserturm in Hainburg. Dort fand 1999 ein Wettbewerb für das Besucherzentrum des National­ parks Donau-Auen statt, den Coop Himmelb(l)au für sich

entscheiden konnten. Als geeigneter Standort hatte sich in einer Studie ein Turm der mittelalterlichen Befestigungsanlage gefun­ den, neben den die Architekten ein verglastes Stiegen- und Lift­ haus projektierten, das über eine ebenfalls verglaste Brücke mit dem Turm verbunden ist. Finanziert wird das Projekt von der Nationalparkgesellschaft, an der Bund, Land Niederösterreich und Gemeinde Wien beteiligt sind. Die Gesamtkosten betragen 2,58 Millionen Euro, wobei in diesem Betrag nicht nur die Bau­ kosten, sondern auch die Kosten für die Ausstel­ lungsgestaltung enthalten sind. Funktionell bietet der Aufstieg auf den Turm einen Überblick über das Nationalpark­ gelände, im Inneren soll eine inszenierte Liftfahrt nach unten – gestaltet von den Mediendesignern Nofrontiere – die ökolo­ gischen und historischen Zusammenhänge des Nationalparkprojekts präsentieren. In einem niedrigen Gebäude neben dem Turm erhält die Verwaltung des Parks ihre Büros. Von Anfang an gab es Stimmen, die sich gegen das Projekt wandten. Warum ist das Gebäude so expressiv und aus Materialien errichtet, die gefühlsmäßig nichts mit dem Thema Natur zu tun haben, nämlich Stahl, Glas und Beton? Und mit welchem Recht überragt es den alten Wehrturm? Auf beide Einwände gibt es plausible Antworten: Der Nationalpark in seiner Gesamtheit ist ein komplexes politisches, juristisches und wasserbautechnisches Projekt. Warum sollte man für das Besucherzentrum nicht eine entsprechend komplexe Architektursprache wählen? Das Projekt lässt den alten Turm zwar in seiner Substanz bestehen, verändert aber seine Symbolik in einer Weise, die durchaus bedeutsam ist: Aus einem Turm, der zur Abwehr von Fremden erbaut wurde, wird eine symbolische Einladung, ein „Tor in die Zukunft“, wie die Architekten etwas pathetisch, aber angesichts der Fernwirkung des Gebäudes durchaus schlüssig formulieren. Dazu kommen wirtschaftliche Argumente: Im Tourismus spielt nicht mehr allein die Konservierung des Bestands eine Rolle, sondern auch die Attraktivität des Neuen. In dieser Kategorie könnte Hainburg mit der Realisierung eines „Star-ArchitektenProjekts“ punkten, noch dazu, wenn einer der „Stars“, nämlich Wolf D. Prix, aus Hainburg stammt. Der Gemeinderat von Hainburg gab dem Projekt seinen Segen, zuerst 1998 in einer Grundsatzentscheidung, dann 1999 durch den einstimmigen Beschluss, der Nationalparkgesellschaft das Baurecht auf dem Grundstück zu übertragen. Auch das Bundes­ denkmalamt prüfte die Pläne und gab seine Zustimmung. Am 3. September 2001 erfolgte der Spatenstich durch Landeshaupt­ mann Erwin Pröll. Doch nun traten die Kritiker erneut auf den

Baustopp nach Medienkampagne: Besucherzentrum Nationalpark Donau-Auen von Coop Himmelb(l)au Abbildung: Coop Himmelb(l)au

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Das Projekt in einer fotorealistischen Visualisierung ... Abbildung: Coop Himmelb(l)au

... und in der Darstellung durch die Bürgerinitiative Montage: Bürgerinitiative

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Plan, forderten eine Volksbefragung und begannen, unterstützt von der „Kronen Zeitung“, eine Kampagne gegen die Realisie­ rung. Am 17. März 2002 fand diese Befragung statt, bei einer Beteiligung von 36 % sprachen sich 60 % gegen das Projekt aus. In der Sitzung vom 22. März beschloss der Gemeinderat, das Projekt dennoch weiterzuverfolgen: Die Beteiligung sei zu gering gewesen, und das Ergebnis besitze laut Gemeindeordnung kei­ nerlei bindende Wirkung. Auch in Hinblick auf die Geschichte des gesamten National­ parkprojekts war diese Entscheidung konsequent: 1993 hatte eine Volksbefragung in den betroffenen Gemeinden bei doppelt so hoher Wahlbeteiligung eine Ablehnung des Nationalparks von 80 % ergeben. Auch damals hatten sich die politisch Verant­ wortlichen entschieden, dieser Volksmeinung nicht zu folgen. Nun zeigte die „Kronen Zeitung“, was mediale Macht bedeutet. In beinahe täglichen Brandartikeln wurde Stimmung gegen das Pro­ jekt gemacht: Bernd Lötsch – für den die Architektur von Coop Himmelb(l)au einer „Bastelstube aus dem Irrenhaus“ entstammt – warnte vor einem „architekto­ nischen Super-GAU“, einer „Todesfalle für geschützte Vogelarten“ (ein Punkt, den die Projektbetreiber längst durch den Einsatz von bedrucktem Glas zu lösen versprochen hatten), der Stadt­his­ to­riker Stefan Scholz vor einer „Verschleuderung von Steuer­ geld“. Eine „Mehrheit von 60 Prozent der Bevölkerung“ – so war wahrheitswidrig zu lesen – hätte sich gegen das „Wahnsinns-Pro­ jekt“ ausgesprochen. Als die „Kronen Zeitung“ berichtete, die Gegner des „BetonMonsters“ würden sich – wie damals in der Au – an die Bagger­ schaufeln ketten, gab Carl Manzano, Direktor des Nationalparks und selbst ehemaliger Hainburg-Aktivist, am 23. April auf und ließ die Bauarbeiten bis auf Weiteres einstellen: Das Image des Nationalparks würde unter der Situation zu sehr leiden. Nach dem aktuellen Stand der Dinge werde man die bisher in das Projekt investierten 500.000 Euro abschreiben und das Besucherzentrum in einer anderen Gemeinde errichten. Zugegeben, sagt meine Nachbarin, eine hässliche Geschichte. Aber ist es denn wirklich wichtig, ob dieses Projekt so oder anders realisiert wird? Ja, denke ich. Denn was hier verraten wird, sind nicht elitäre Architekturvorstellungen, sondern demokratische Prinzipien. Ein etwas von der Norm abweichendes Gebäude in Hainburg zu verhindern ist für die Populisten und ihre Partner aus dem Mediaprint-Konzern nur eine Fingerübung. Man sollte lernen, sich rechtzeitig zu wehren.

30 / 03 / 2002   

WENN DIE STADT SICH TOT STELLT

Zum „Kunstplatz“ sollte der Karlsplatz im Windschatten des U-BahnAusbaus werden. Von allen guten Geistern verlassene Peripherie im Zentrum wird er wohl auch in Zukunft bleiben. Über eine vergebene Chance, intelligente Stadtgestaltung zu betreiben.

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an muss es offen sagen: Der Wiener Karlsplatz entwickelt sich zusehends von der „Gegend“ – als die ihn Otto Wagner einmal charakterisierte – zur „Gstätten“, auf der liegen bleibt, was niemand mehr haben möchte. Die Drogenszene, deren angebliche Eskalation von der „Kronen Zeitung“ gerade wieder thematisiert wird, ist nicht die Ursache, sondern nur eines der Symptome für seine zunehmende Verwahrlosung. Ein intelligent konzipierter städtischer Raum von der Dimension mehrerer Fuß­ ballfelder sollte problemlos 200 Sandler und Süchtige aufnehmen können, ohne dass sich das sonstige Publikum bedroht fühlen müsste. Die ästhetische Verwahrlosung des Karlsplatzes und des gesamten Stadtraums bis zur Opernpassage ist offensichtlich. Das Stadtmobiliar ist abgewirtschaftet, die Kinderspielplätze – eine der spannendsten Gestaltungsaufgaben überhaupt – sind lieblos mit Gerätschaften verstellt, das Grün wuchert und bemüht sich, Aulandschaft zu spielen. Neben der Karlskirche wurde jüngst ein Marmorblock aufgestellt, der Kaiserin Elisabeth auf das Wesent­ liche – ihren Fächer – reduziert zeigen soll. Dass dieses Gebilde von der Stadt Wien um knapp über 100.000 Euro als Skulptur angekauft wurde, ist Skandal genug. Es neben die barocken Statuen der Karlskirche zu platzieren lässt sich höchstens mit der Behauptung entschuldigen, man hätte den symmetrisch auf der anderen Seite aufgestellten Waschbetontrögen ein würdiges Gegenüber bieten wollen. Auf ähnlichem Niveau bewegen sich die in den Boden einge­ lassenen bronzenen Musikerporträts in der Opernpassage. Tröst­ lich sind diese naturalistischen Darstellungen großer Männer nur für die Sandler: Sogar Claude Debussy ist offenbar nicht davor gefeit, einmal ganz unten im Dreck zu landen. Nun klingt das alles so, als wäre der Karlsplatz ein ästhetisches Problem auf der Ebene

Stadtautobahn zwischen Barock und Jugendstil: Die leer stehenden Räume über der U-Bahn warten auf bessere Zeiten Foto: Clemens Fabry

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der Stadtmöblierung. Das ist er natürlich nicht. Der Karlsplatz ist primär ein Verkehrsproblem, bei dem die Gewichtung zwischen öffentlichen Verkehrsmitteln, motorisiertem Individualverkehr und Fußgängerverkehr über die Jahre aus der Balance gekommen ist. Seit der Überbauung des Wienflusses und der Errichtung der Stadtbahn ist der Karlsplatz ein gigantisches und in seiner Kom­ plexität faszinierendes Verkehrsbauwerk, der eigentliche „Haupt­ bahnhof“ des Wiener U-Bahn-Netzes, an dem drei U-Bahn-Linien (U1, U2 und U4) zusammentreffen. Durch die Verlängerung der Linie U2 nach Transdanubien wird sich diese Bedeutung noch vergrößern. Schon heute kommen hier täglich 50.000 Passagiere an, die sich vor allem durch die unterirdischen Passagen bewegen. An der Oberfläche kreuzen sich wichtige Verkehrsströme des Individual­ verkehrs mit Straßenbahnen und einer Buslinie, die einen eigenen „Stationshügel“ besetzt. Es hat den Anschein, als wäre der Karlsplatz das Resultat von Verkehrsflüssen, die sich hier beinahe von selbst ihren Raum geschaffen hätten, ähnlich wie ein Fluss sich sein Flussbett schafft. In Wahrheit ist er das Resultat jener Ideologien, die in den 70erJahren bestimmend für die Verkehrsplanung waren: weitgehende Trennung von Verkehrsströmen und Funktionen möglichst auf mehreren Ebenen, Schaffung von großzügigen Reserven für den Individualverkehr. Jan Tabor, der gerade im Künstlerhaus eine Ausstellung zum Thema „mega: manifeste der anmaßung“ vorbe­ reitet, hat kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im Architektur­ zentrum Wien einen passenden Vergleich gefunden: So wie das Militär den Truppenübungsplatz in Allentsteig brauche, so würden die Verkehrsplaner den Wiener Karlsplatz als Übungsplatz nutzen, um ihre jeweils aktuellen Ideologien zu erproben. Die sechsspurige Stadtautobahn, die direkt vor dem Künstler­ haus den Karlsplatz quert, um dann unvermittelt in ein- bis zwei­ spurige Straßen zu münden, ist keine funktionelle Notwendigkeit, sondern ein Manifest der 70er-Jahre, die sich anmaßten, jedes Strömungsproblem durch Vergrößerung des Kanals lösen zu können. Bei der Podiumsdiskussion ging es freilich vor allem um das Schicksal des Projekts „Kunstplatz Karlsplatz“, das alle am Karls­ platz angesiedelten öffentlichen Einrichtungen (die Secession, die Technische Universität, den Musikverein, das Künstlerhaus und das Historische Museum) zu einer Interessengemeinschaft zur Aufwertung des Karlsplatzes zusammenführen sollte. 1998 hatte Manfred Nehrer, der Präsident des Künstlerhauses, die Idee, die anstehende Verlängerung der U-Bahn-Linien zum Anlass zu nehmen, wieder einmal konkrete Konzepte zur Neuge­ staltung des Karlsplatzes ausarbeiten zu lassen. Für das Künstler­ haus bot die Verlängerung der U2 eine besondere Chance: Da die neue Wendeanlage großteils in offener Bauweise errichtet wurde, bleiben Hohlräume zurück, die sich ideal für Ausstellungs­ zwecke nutzen lassen. Ein international bekanntes Beispiel ist die Erweiterung des Lenbachhauses in München, das in einem derartigen Raum eine attraktive neue Galerie eingerichtet hat. 168

Nehrer schlug auch eine gemeinsame Nutzung mit dem Histori­ schen Museum der Stadt Wien vor, das trotz kürzlich erfolgter Über­ dachung des Hofs an einem Mangel an hochwertiger Ausstellungs­ fläche leidet. Unterstützt vom damaligen Planungsstadtrat Bernhard Görg, wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der eine detaillierte Bearbeitung des unmittelbaren Umfelds des Künstlerhauses und ein allgemeines Konzept für die Neuordnung des Karlsplatzes zum Inhalt hatte. Als Sieger aus dem Wettbewerb gingen die Architekten Jabornegg und Pálffy hervor. Für das Künstlerhaus schlugen sie eine Schließung des unwirtlichen „Atriums“ und der nicht behindertengerechten Rampe vor, die in den 70erJahren als Aufgänge von der Passage errichtet worden waren. In diesem Bereich sieht das Projekt eine Oberlichthalle und eine großzügige Erschließung der neuen Ausstellungsräume über der U-Bahn vor. Der Aufgang von der Passage sollte so weit wie möglich nach oben geöffnet und durch einen zusammen mit dem Künstler Heimo Zobernig entworfenen 40 Meter langen Glas­ körper betont werden. Für den gesamten Karlsplatz entwickelten Jabornegg und Pálffy ein neues Konzept, das den Rückbau der sechsspurigen Stadt­ autobahn auf je zwei Fahrspuren und eine Verlegung der derzeit sinnloserweise diagonal über den Karlsplatz am Künstlerhaus vorbeiführenden Straßenbahntrasse vorsieht. Damit wäre auf dem Karlsplatz Spielraum für eine Neukonzeption des Stadtraums geschaffen, die nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern radikal neue Chancen eröffnet. Die Kosten für diesen Umbau bewegen sich in der Größen­ ordnung von 30 Millionen Euro. Ein beachtlicher Betrag, gewiss, der sich aber im Vergleich zu anderen Infrastrukturmaßnahmen und aufgeteilt auf mehrere Jahre relativiert. 1999 schien auch vonseiten der Stadt durchaus Bereitschaft vorhanden, dieses Leitbild langfristig zu übernehmen und kurzfristig die Maßnahmen beim U-Bahn-Bau vor dem Künstlerhaus darauf abzustimmen. Eine Zusage von Stadträtin Ederer über 4,3 Millionen Euro war vorhanden – freilich gekoppelt an die Voraussetzung, dass von­ seiten des Künstlerhauses genügend Sponsoringmittel einge­worben werden könnten. Inzwischen ist viel Zeit vergangen: Das Künstlerhaus befindet sich nach der Einstellung der Bundesförderung in einer finan­ ziellen Krise, das Nulldefizit macht den Kampf um private wie öffentliche Mittel noch härter als je zuvor, und scheinbar staats­ tragende Institutionen wie die Albertina und das Kunsthistorische Museum haben in diesem Wettrennen bessere Chancen als das Künstlerhaus, auch wenn sich dieses in den letzten Jahren mit einem innovativen Programm profilieren konnte. So bleibt es vorläufig bei großen Worten: Noch Ende Jänner dieses Jahres hat Kulturstadtrat Mailath-Pokorny die „Aufrüstung des Kunstraums Karlsplatz“ zu einem wichtigen Ziel erklärt. Aber nach heutigem Stand werden die Wiener Linien ihre Baustelle abbauen und nicht mehr tun, als die Rampe notdürftig wiederherzustellen, das Stadtgartenamt wird neue Bodendecker pflanzen, und als einzige 169

Neuerung wird ein weiterer Lüftungspilz vor dem Künstlerhaus zurückbleiben. Immerhin: Für die nächsten fünf Jahre haben sich die Wiener Linien verpflichtet, die neuen, jetzt leer stehenden Räume an niemand anderen zu vermieten. Also doch ein Erfolg: Es bleiben alle Möglichkeiten offen. Und zugleich eine Bankrotterklärung: Ohne private Investoren ist offensichtlich keine Verbesserung des Stadtraums mehr denkbar, ja nicht einmal ein neuer behindertengerechter Zugang zum Künstlerhaus. Im armen reichen Wien wird bis auf Weiteres für die sozialen Probleme des öffentlichen Raums die Polizei und für die ästhetischen das Stadtgartenamt zuständig bleiben. Aber wäre der Karlsplatz mit seinen vielfältigen Herausforderungen in sozialer, technischer und kultureller Hinsicht nicht die ideale Probe für eine zeitgemäße Stadtpolitik, die durch eine integrale Herangehensweise den größten Effekt für die Bürger erreicht?

23 / 02 / 2002   

ZU DICHT – GIBT’S DENN DAS? 404 Wohnungen in vier achtgeschossigen, parallelen Zeilen, durch die quer zwei dreigeschossige Riegel durchgesteckt sind: ein Prototyp für zeitgemäßen urbanen Wohnbau in Wien-Favoriten, entworfen von Bettina Götz und Richard Manahl alias ARTEC.

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Gewebt, nicht gestapelt: Wohnhaus von ARTEC, Wien, Ecke Laxenburger Straße und Dieselgasse Foto: Paul Ott

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er neue Wohnbau an der Ecke Laxenburger Straße/Dieselgasse im zehnten Wiener Gemeindebezirk versucht gar nicht erst, seine Dimension zu kaschieren: 404 Wohnungen in einem einzigen großen Bauwerk, gegliedert zwar, aber mit der kühlen Logik des Maschinenbaus. Vier achtgeschossige, parallele Zeilen sind in Nord-Süd-Rich­ tung angeordnet, in Querrichtung durchdrungen von zwei drei­ geschossigen Riegeln, die an den Enden gefährlich auskragen. Einer der beiden Riegel schwebt bodennah an der Nordseite und bildet eine breite gedeckte Passage. Der andere setzt auf der Höhe des vierten Geschosses an und überbrückt die zwischen den Zeilen liegenden begrünten Zwischenräume. Bettina Götz und Richard Manahl – die zusammen unter dem Namen ARTEC firmieren – haben mit diesem Wohnbau für die Genossenschaften GSG und Heimbau ihr bisher größtes Projekt

realisiert. In Wien sind sie zuvor vor allem durch einen Schulbau in der Zehdengasse bekannt geworden, bei dem sie zu einer eigen­ willigen poetischen Sprache fanden: plötzliche Materialwechsel, unvermitteltes Aneinanderstoßen von Raumschichten und im Inneren eine Kombination aus kräftigen Farben und Texturen. Der Wohnbau in der Dieselgasse ist in einem einheitlicheren Takt komponiert. Als Grundmaß könnte man die schweren, unbe­han­ delten Betonbrüstungen ansehen, die – jeweils von zwei kreis­ runden Öffnungen durchbrochen – als Balkongeländer das Fassa­ denbild zu den Höfen hin bestimmen und auch in den inneren Erschließungshallen den Takt vorgeben. Der Massivität dieses Elements steht die Leichtigkeit der sonstigen Fassadenkonstruktion gegenüber, die zu großen Teilen aus einer glänzenden Metall­ schale besteht, die üblicherweise im Industriebau zum Einsatz kommt. Es lohnt sich, den ARTEC-Bau mit Martin Kohlbauers unmittel­ bar angrenzendem Wohnbau zu vergleichen, einer weiß verputzten, klassische Stadtmuster zitierenden Anlage von annähernd gleicher Dichte. Der wesentliche Unterschied ist, dass ARTEC versuchen, eine dieser Dichte angemessene Bebauungsstruktur zu finden und nicht einfach noch mehr Wohnungen noch höher übereinander­ zustapeln. Sie variieren dazu den Typus des „Passagenwohnhauses“: In den nord-südgerichteten Zeilen ist je eine über alle Geschosse reichende, mit einem Glasdach gedeckte Halle mit Galerien angeordnet, von denen aus die Wohnungen erschlossen werden. Dieser Typus ist keine neue Erfindung: In der Wiener DonauCity ist er beispielsweise – unter ähnlichen Dichtevorgaben – von Mike Loudon erfolgreich eingesetzt worden. Durch die Kombi­ nation mit den quer zu den Zeilen durchgesteckten Baukörpern bekommen diese Hallen allerdings eine neue Qualität. Über dem dritten Geschoss gelangt man zur Dieselgasse hin aus jeder Halle auf eine durchgängige, 150 Meter lange Dachterrasse, die allen Bewohnern zur Verfügung steht. Auch über dem zweiten Riegel findet sich, auf der Ebene des siebten Geschosses, eine solche Terrasse mit Ausblick über ganz Wien. Durch dieses Erschließungssystem wird ein halböffentlicher Raum erzeugt, der sich als Netzwerk durch das Gebäude zieht. Im Unterschied zu konventionellen Stiegenhäusern ist dieses Netz­ werk nicht nur ein Verkehrsweg, der von der Straße auf möglichst kurzem Weg in die Wohnung führt. Es bietet eine große Anzahl von potenziellen Ruhe- und Begegnungspunkten und mehrere Wege, vom öffentlichen Raum der Straße zur eigenen Wohnung zu gelangen. Ob die Bewohner diese Möglichkeiten nutzen und die zufälligen Begegnungen als Bereicherung oder Bedrohung erleben, wird sich zeigen. Aber schon das Angebot dieses halb­ öffentlichen Raums ist wichtig. Die Grundsatzdebatte, ob eine solche Dichte sozial überhaupt verträglich ist, wurde lange mit ideologischer Inbrunst geführt, etwa in der Polarisierung zwischen der Gartenstadt Roland Rainers und den terrassierten Hochhausapparaturen Harry Glücks. Heute scheint diese ideologische Diskussion durch einen Woh­ nungsmarkt überholt, auf dem es – in der Donau-City, in den

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Gasometern oder bald in den Wohntürmen auf dem Wienerberg – offenbar genug Interessenten für das Wohnen in dichten Struk­ turen gibt. Man könnte nun behaupten, dass diese Nachfrage keines­ wegs die wirklichen Bedürfnisse der Bewohner widerspiegelt, sondern die harten Zwänge der Ökonomie. Das mag sein: Immer noch träumt die große Mehrheit vom Häuschen im Grünen. Aber die flächenhafte Agglomeration dieses Traums führt nicht nur zu einem ökologisch völlig unverantwortlichen Bodenverbrauch, sondern in der Regel auch zu einer Trostlosigkeit, wie man sie vor kurzem in Ulrich Seidls Film „Hundstage“ prototypisch vor Augen geführt bekam. Etwas Artifizielleres als eine jener Siedlungen im Süden Wiens, die im Film eine desperate Hauptrolle spielen, ist kaum mehr vorstellbar. Insofern kann man das Interesse für dichte Wohnformen durchaus als ein unsentimentales Bekenntnis verstehen: Wenn schon künstlich, dann mit allen Vorteilen städtischen Lebens, einer gewissen Anonymität, in der man seine Nachbarn grüßen kann, aber nicht muss, und vor allem mit kurzen Wegen zu verschiedenen städtischen Angeboten. Einer der großen Vorteile des Standorts an der Dieselgasse ist die unmittel­ bare Nähe zu einem der größten Schulzentren Wiens, das über ein Netz von begrünten Wegen kreuzungsfrei zu erreichen ist. Die gesamte Anlage ist damit ein Prototyp für zeitgemäßes urbanes Wohnen. Im Vergleich zu den Großstrukturen im sozialen Wohnbau der 70er-Jahre ist sie besser an die städtische Infra­ struktur angebunden, in höherer Qualität ausgeführt (etwa mit Holz-Aluminium-Fenstern) und auch in den Grundrissen wesent­ lich intelligenter konzipiert. Immerhin gibt es Wohnungstypen mit zwei Eingängen, in denen eine Generationswohnung oder eine Ordination als eigene Einheit betrieben werden kann, oder – in den unteren drei Geschossen – kleine, unabhängige Räume, die als Büro angemietet werden können. Eine größere Anzahl solcher flexibler Zonen wäre der nächste Schritt zu einer zeitgemäßen urbanen Dynamik. Mit diesem Anliegen stößt man aber rasch an die engen Grenzen der heutigen Baugesetze und Förderungsmechanismen. Die Anpassung der Raumhöhen von Büro- und Wohnbauten und die Einbeziehung halböffentlicher und erst langsam auszubauender Zonen in die Wohnbauförderung sind längst fällig und seit Jahren in Diskussion. ARTEC haben sich mit einigen Kollegen – Jabornegg/Pálffy, MA-null, Max Rieder, PAUHOF, Elsa Prochazka, Manfred WolffPlottegg, Maria Welzig, Gerhard Steixner – zu einer interdiszipli­ nären Gruppe zusammengeschlossen, die diesen Reformstau durch Forschung und Projekte auflösen möchte. Gerade weil Wien sich in den nächsten Jahren in hohen Dichten entwickeln wird, ist die Botschaft an Bauträger und Politik wichtig: Dichte allein ist keine Qualität, sondern nur ein Potenzial für reichhaltigere, im Raum gewebte Strukturen. In der Dieselgasse kann man ein Modell dafür besichtigen.

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26 / 01 / 2002   

UND DAS OHNE BLUMENKÜBEL! Technisch: die kreative Verbindung von Ensembleschutz und Innovation. Politisch: die projektbegleitende Einbeziehung von Bürger- und Anrainer­ interessen. In Summe: ein preisgekröntes Projekt mit hoher Akzeptanz. Ernst Beneders „Stadtprojekt Waidhofen“.

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rovinz und Zentrum zu unterscheiden ist manchmal schwieriger, als man glaubt. Wien versteht sich als kultu­ relles Zentrum Österreichs, aber die Kärntner Straße ist einer der am provinziellsten eingerichteten Stadträume des Landes: ein Shopping-Center ohne Dach, garniert mit skurrilen Trinkbrunnen und sternförmigen, berühmte Musiker abbildenden Einlegearbeiten im Straßenbelag, in denen die Ästhetik des ehemaligen Ostblocks wieder auflebt. Waidhofen an der Ybbs liegt dagegen geographisch in der Provinz, kann sich aber seit kurzem offiziell rühmen, einen der am besten gestal­ teten Stadträume des Landes zu besitzen: Ernst Beneder hat für das seit 1991 von ihm architektonisch betreute „Stadtprojekt Waidhofen“ einen der wichtigsten österreichischen Architektur­ preise erhalten, den Otto-Wagner-Städtebaupreis. Dieser vom Architekturzentrum Wien und der Österreichi­ schen Postsparkasse ausgelobte Preis ist benannt nach jenem Architekten, der das Wien der Jahrhundertwende als Metropole geprägt und ihm die Entwicklung zur „unbegrenzten Großstadt“ vorhergesagt hat. Den heutigen Tiefstand der Stadtmöblierung im Zentrum Wiens konnte Wagner nicht ahnen, ebenso wenig, dass dieselbe Wiener Innenstadt vor Kurzem zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Seine Warnung vor „Phrasen wie Heimatkunst, Einfügen in das Stadtbild und Erhaltung desselben“, mit der er sich gegen all jene wandte, die „den Begriff der Kunst mit jenem der Archäologie verwechseln“, hat damit jedoch an Aktualität gewonnen. Welche Auswirkungen der neu erworbene Status als Weltkultur­ erbe haben wird – die Forderung nach musealen Kulissen oder jene nach höchstem Niveau bei allen zeitgenössischen Projekten –, werden die nächsten Jahre zeigen. Die Stadt Waidhofen und Ernst Beneder haben den Otto-Wagner-Preis nicht zuletzt für den kreativen Umgang mit der historischen Substanz erhalten. Eine wesentliche Qualität des Projekts besteht in der Verbindung von Denkmalpflege, Ensembleschutz und Innovation zu einem über Jahre laufenden Gesamtprojekt, das in vielen Etappen um­ ge­setzt werden kann. Im ersten Entwicklungskonzept, mit dem 173

Beneder 1991 einen städtebaulichen Wettbewerb für sich ent­ scheiden konnte, ist ein urbanistisches Gesamtziel beschrieben, das die allgemein anerkannten Gestaltqualitäten einer historischen Kleinstadt aus ihrer Bildhaftigkeit befreit und als lebendiges städte­ bauliches Kraftfeld in Szene setzt. Zum Gesamtkonzept gehörten neben der Gestaltung der Platz- und Straßenräume auch eine Lösung der Verkehrsfrage mit einer – noch nicht ausgeführten – Garage im Stadtgraben in unmittelbarer Nähe des historischen Zentrums, die Erschließung stadtnaher Naturräume und die radikale Neugestaltung des Rat­ hauses, die Beneder bereits in den Jahren 1993 bis 1995 umsetzen konnte. Der im Kern aus dem 13. Jahrhundert stammende Bau stellte höchste denkmalpflegerische und konstruktive Herausforde­rungen. Um die älteste Bausubstanz mit ihren Tram- und Gewölbedecken erhalten zu können, konzipierte Beneder ein brücken­artiges Fachwerk, das den Baukörper von Außenwand zu Außenwand überspannt und die Lasten über einem im Biedermeier errichteten Theatersaal abträgt. Mit der Kombination von alter Substanz mit zeitgenössischen Konstruktionen und Materialien – die in der vorherrschenden Routine-Denkmalpflege oft nicht mehr darstellt als eine ungekonnte Pflichtübung – gelingen Beneder in diesem Gebäude außergewöhnlich riskante und spannungsvolle Momente. Dass sein „Offenes Rathaus“ durch innere Erweiterungen und die Verwendung leichter Tragkonstruktionen über den massiven Bauteilen über 32 % mehr Nutzfläche aufweist als vor dem Um­ bau, ist ein erfreulicher Nebeneffekt. Auch in der Gestaltung des öffentlichen Raums kann man von einem glücklichen Zusammentreffen von innovativer Gestaltung und Pragmatismus sprechen. Auf den ursprünglichen Plan, die Altstadt als Fußgängerzone zu musealisieren, hat die Gemeinde auf Drängen der Geschäftsleute nach kurzer Diskussion verzichtet. Die Forderung, den Straßenraum mit jenem Mobiliar zu verstellen, das in den meisten Fußgängerzonen unverzichtbar erscheint, also Blumenkübel, Sitzbänke und Kandelaber, trat damit von Anfang 174

Eine historische Kleinstadt, als lebendiges städtebauliches Kraftfeld in Szene gesetzt von Ernst Beneder: Waidhofen an der Ybbs, Oberer Stadtplatz Foto: Margherita Spiluttini

an in den Hintergrund. Die Plätze sind weiterhin befahrbar, allerdings mit einer raffinierten Markierung der Parkflächen, die anstelle von Farbmarkierungen mit kleinen Metallhülsen arbeitet, die in den Boden eingelassen sind und bei Bedarf als Halterungen für temporäre Stadtmöblierungen dienen können. Die Stadträume sind ansonsten frei von der üblichen Stadtmöblierung und von ornamentalen Bodenbemusterungen. Das heißt nicht, dass die Verlegung nicht bis ins Detail durch­ geplant wäre: Pflastersteine unterschiedlicher Größe und Feinheit sind nach einem genauen, aus der jeweiligen Situation entwickelten Plan verlegt. Ein zurückhaltendes Beleuchtungskonzept, das auf die üblichen Laternen verzichtet, unterstützt die stadträumliche Wirkung durch eine gezielte Steigerung der Lichtintensität an bestimmten räumlichen Knotenpunkten. Der wesentlichste Eingriff in den Stadtraum ist überhaupt nur nachvollziehbar, wenn man alte Fotografien zur Hand nimmt: Die Platzräume, die ursprünglich pombiert – also in der Mitte erhöht – waren, wurden im Zuge der Neugestaltung und der gleich­ zeitigen Erneuerung der technischen Infrastruktur wannenförmig ausgebildet, sodass nun die Platz- und Straßenflächen zur Mitte hin abfallen. So kam die Mariensäule auf dem Oberen Stadtplatz knapp einen Meter über dem neuen Niveau zu liegen und erhielt ein paar neue Stufen. Diese scheinbar unspektakuläre Maßnahme der Umkehrung des früheren Straßenquerschnitts ist der eigent­ liche Erfolgsfaktor des Projekts: Die Straße wird vom Verkehrs­ träger wieder zum öffentlichen, gemeinsamen Raum. Die Neugestaltung ist auch ein exemplarisches Beispiel dafür, wie ein durchaus kontroversielles Projekt nach demokratischen Spielregeln umgesetzt werden kann. Das Gesamtprojekt und die einzelnen Bauphasen wurden mehrfach öffentlich präsentiert, in Bürgerforen, Ausstellungen an den jeweiligen Bauplätzen und in einem eigenen Leitprojekt, in dem die einzelnen Planungselemente 175

ZU IHREM ENDE KAM DIE BRUNNENSCHLACHT ERST JAHRE SPÄTER. ANGEFÜHRT VOM ORTS­ ANSÄSSIGEN ZUCKERBÄCKER, DER SCHON IMMER FÜR EINE „LIEBLICHE GESTALTUNG MIT BANKERLN UND BLUMENTRÖGEN“ PLÄDIERT HATTE, SETZTEN SICH DIE BRUNNENGEGNER IN EINER VOLKSBEFRAGUNG DURCH. AM 15. OKTOBER 2007 WURDE DAS OBJEKT DES ANSTOSSES ENTFERNT.

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konkretisiert wurden. Das Gesamtprojekt hat mehreren Wellen der Herausforderung durch andere Sichtweisen (vonseiten der NÖ Stadterneuerung, des City Marketings etc.) standgehalten. Das „Offene Rathaus“ und die Gestaltung des „Y bbsufers I“ konnten noch ohne besondere Diskussionen realisiert werden. Die Platzgestaltungen sollten dagegen noch zu Beginn des Jahres 2000 durch eine von einer privaten Gruppe initiierte Bürger­ befragung verhindert werden. Nach einem beispiellosen Wahl­ kampf, in dem sich alle Parteien – ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Bürgerliste – hinter das Projekt stellten, wurde im März 2000 bei einer Beteiligung von 38 % ein Votum von 78 % für das Projekt durchgesetzt, das danach in verkürzter Bauzeit innerhalb weniger Monate umgesetzt werden konnte. Die durch die Bürgerbefragung gedrängte Logistik des Umbaus und die projektbegleitende Einbeziehung von Anrainerinteressen wurden von Ernst Beneder wöchentlich in öffentlichen Versamm­ lungen dargelegt. Auf dieser ständigen und mitunter heftigen Auseinandersetzung baut jedoch auch die hohe Akzeptanz des Projekts auf. Architektur und Städtebau sind inzwischen ein Thema des kulturellen Lebens. Das ist nicht nur gut für die Qualität der Architektur. Die Debatte über den öffentlichen Raum ist zugleich als demokratische Praxis ein Wert für sich: Der gemeinsam erstrittene Stadtraum in Waidhofen ist eben kein Kompromiss, der nieman­ dem weh tut, weil er alle Kontroversen im Kitsch erstickt, sondern eine Leistung, auf die man noch in Jahrzehnten genauso stolz sein wird wie auf das, was schon heute als „kulturelles Erbe“ außer Streit steht. Der vorläufig letzte Akt in der Gestaltung der Plätze ist die heftige Debatte um die beiden Brunnen, die Ernst Beneder für den Oberen und den Unteren Stadtplatz entworfen hat. Die Leistung eines guten Brunnens besteht seit der Barockzeit in nichts anderem, als Wasser in Bewegung zu bringen: Je aufwendiger die Wasserführung, je charakteristischer der Klang, desto besser. Auf dem Unteren Stadtplatz lässt Beneder das Wasser kontemplativ auf eine kreisrunde Glasscheibe fließen und durch Bohrungen in ein quadratisches Becken plätschern. Auf dem Oberen Stadtplatz ist der Brunnen ein schmaler Waschtisch aus Glas und Stahl, ein räumlicher Auftakt für die Zeile von Ständen, die an Markttagen auf dem lang gestreckten Platz aufgebaut wird. Dass Stahl und Glas im historischen Kontext anfangs zu Protesten führen, ist nicht wirklich überraschend. Den Brunnen auf dem Oberen Stadtplatz zu verschieben, wie das nun als Kom­ promiss im Raum steht, um einer neuerlichen Bürgerbe­fragung zur Entfernung der Brunnen auszuweichen, wäre dagegen ein Schildbürgerstreich, der nicht nur die Architektur, sondern auch die Demokratie beschädigt.

200720 0620052004  2003200220   0120001999 1998199719 9619951994 19931992 177

01 / 12 / 2001   

DENKMALSCHUTZ MIT DER BRECHSTANGE

Nur noch dort investieren, wo es dem Patienten direkt zugute kommt, heißt die Sparmaxime im Krankenhauswesen. Dass es sich dabei lohnt, das Geld in guter Architektur anzulegen, zeigt der Umbau eines Pavillons im „Otto-WagnerSpital“ durch Runser / Prantl.

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ie Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geistesund Nervenkranke „Am Steinhof“ in Wien waren zu ihrer Zeit die größte derartige Anlage der Welt. Auf einem Areal von fast einer Million Quadratmetern entstanden zwischen 1905 und 1907 Pavillons mit rund 2000 Betten, gegliedert in ein Sanatorium für Adel und Großbürgertum und einen doppelt so großen Teil für die weniger begüterten Kranken. Der Lageplan für die Anlage stammt von Otto Wagner, der auch die Anstaltskirche „Am Steinhof“ entwarf, eines der bedeutendsten Bauwerke des Wiener Jugendstils. In seinem Lageplan versinnbildlicht Wagner, was seine Zeit unter einer vernünftigen Ordnung versteht. Die Anlage ist streng symmetrisch beiderseits einer Hauptachse, die vom schlossartigen Verwaltungsbau am Eingang bis zur Kirche führt, angeordnet, eine „weiße Stadt, überragt von der goldenen Kuppel einer weiß­ marmornen Kirche“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Die Rationalität der Anlage verfolgt therapeutische Absichten, ähnlich wie das auf ein Minimum reduzierte Ornament in Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf zur Heilung der dort behan­ delten Hysteriker beitragen sollte. Wagner hat stets das „peinlich genaue Erfüllen des Zwecks“ als eine Hauptaufgabe der Architektur dargestellt. „Sola artis domina necessitas“ – nur einen Herrn kennt die Kunst, das Bedürfnis – lautete das auf Gottfried Semper zurückgehende Motto, das er auf seinem Wohnhaus anbringen ließ. Dass er die Forderung nach maximaler Vernunft gerade in einer Irrenanstalt exemplarisch umsetzen durfte, ist weniger irritierend als die Tatsache, wie viele seiner Überlegungen zur Disziplinierung jeder Unordnung sich auch in den „normalen“ städtebaulichen Konzepten Wagners wiederfinden – etwa im Entwurf für den 22. Wiener Gemeinde­ bezirk als Teil einer unbegrenzten Großstadt – und von dort ihren Weg in die klassische Moderne gefunden haben, die dazu tendiert, alles Dunkle und Irrationale zu verdrängen. Ähnliches gilt für manche Details in den (nicht von Wagner entworfenen)

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Pavillons am Steinhof, etwa die abgeschrägten Fenster­ bänke, die das „unordent­ liche“ Abstellen von Gegen­ ständen verhindern sollten und sich heute etwa in Werkstätten und Schulen wiederfinden. Etwas überspitzt ließe sich behaupten, dass die weiße Stadt „Am Steinhof“ den Charakter eines Irren­ hauses deshalb nie ganz abschütteln kann, weil sie durch und durch vernünftig angelegt ist. Nachdem die Psychiatrie zu großen Teilen abgesiedelt und durch geriatrische und neurologische Stationen ersetzt worden war, konnte das Spital immerhin seinen Namen ändern und wird derzeit als „Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe – Otto-Wagner-Spital“ saniert. Für den Umbau der großteils unter Denkmalschutz stehenden Pavillons wurde 1997 ein Wettbewerb veranstaltet, aus dem drei Büros – Beneder/Fischer, Runser/Prantl und Sarnitz/Silber/Soyka – als Sieger hervorgingen. Sie sollten an ausgewählten Pavillons unter­ schiedliche Konzepte erproben, die alte Substanz auf zeitgemäßen Stand zu bringen. Als erster Pavillon wurde nun jener von Christa Prantl und Alexander Runser fertiggestellt. Die Architekten haben sich der Aufgabe mit einem Rationalismus genähert, der dem Wagner­ schen nicht nachsteht. Die Grundidee ihres Entwurfs besteht im Wesentlichen darin, dem Gebäude Masse zu entziehen, indem die Mittelmauern entfernt werden. Rational argumentiert, bedeutet diese Maßnahme einen Flächengewinn, der es erleichtert, den Zimmern die notwendigen Bäder zuzuordnen. Viel wesentlicher ist jedoch der Gewinn an Transparenz durch Lichtbänder über den Bädern, die Licht von der Südseite in den Gang bringen und diesen größer erscheinen lassen. An den Enden des lang gestreckten Pavillons weitet sich der Gang zu je einem Tagraum, was ebenfalls erst durch die Entfernung der Mittelmauern in den Quertrakten möglich wird. Da es sich um eine geriatrische Station handelt, ist die Qualität dieser inneren Straße, die zwischen den Tagräumen hin und her führt, von großer Bedeutung für das Wohlbefinden der Patienten. Das alles klingt wenig spektakulär. Aber wie so oft, wenn das Ergebnis besonders schlüssig und

Gewinn an Fläche und Transparenz durch Entfernung der Mittel­ mauern: von Runser / Prantl umgebauter Pavillon, Otto-Wagner-Spital Fotos: Margherita Spiluttini

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selbstverständlich aussieht, stehen dahinter eiserne Konsequenz in der Planung und die Bereitschaft, eine Idee gegen jeden Widerstand zu verteidigen. Das Denkmalamt ließ sich erst durch Sachargumente wie die Wendekreise von Rollstühlen davon überzeugen, dem Abriss der Mittelmauern zuzustimmen. Und als die Bewilligung von dieser Seite vorlag, war der Tragwerksplaner gefordert, eine konstruktive Lösung für die Unterfangungen zu finden, die auch ästhetisch Sinn hat. Oskar Graf schlug dafür eine Mischbauweise aus schlanken Ortbetonstützen und Stahl­ trägern vor. Während diese Konstruktion eingebracht und das Mauerwerk entfernt wurde, mussten alle Deckenlasten über eine Stützkonstruktion in die Fundamente abgetragen werden – ein sehr labiler Zustand, der aber sogar ein leichtes Erdbeben überstand, das sich genau in dieser kritischen Phase ereignete. Der Aufwand hat sich gelohnt. Trotz geringer Gesamterrich­ tungskosten von 20.500 Schilling (1.490 Euro) pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche haben die Stationen eine Detailqualität, die für das Wohlbefinden älterer, in ihrer Wahrnehmung teilweise eingeschränkter Patienten entscheidend ist. Die scheinbar luxuriöse Ausführung von Mobiliar, Licht und Oberflächen – etwa die durchgängigen Ulmenholzfurniere – ist deshalb kein Luxus, sondern Zeichen von Respekt vor den Patienten. Dasselbe gilt für das kleine Glashaus, das die Architekten als Eingangsfoyer an den Pavillon gesetzt haben. Auch hier ist ein Detail symptomatisch: Um den wuchtigen Rammschutz zu vermeiden, der in ähnlichen Situationen zum Schutz gegen Transportwagen eingesetzt wird, verwenden die Architekten vorgespannte Stahlseile. Zu Recht hat das Projekt beim jüngsten Staatspreis für Consul­ ting eine lobende Erwähnung erhalten: So viel unspektakuläre Intelligenz dürfte nicht nur im Wiener Krankenhausbau eine Seltenheit sein.

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MEHR STURM, WENIGER RUHE BITTE!

In Wien allein gibt es mehr Avantgarde-Architekturbüros als in den ganzen Niederlanden. Freilich: Nach dem dritten Geschäftslokal den Sprung zur nächstgrößeren Dimension zu schaffen, das wird nur wenigen gelingen. Über junge und etablierte Szene – und mangelnde Debattenkultur.

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uf dem Plakat steht: „Sturm der Ruhe“. Und: „What is architecture?“ Das Architekturzen­trum Wien, kurz AzW, schon in den ehema­ligen Hofstallungen angesiedelt, als es dort außer heruntergekommenem Barock, ein paar Messe­ ­hallen und dem Glacis-Beisel keinerlei Attrak­ tionen gab, liegt heute im Zentrum eines

Kulturbezirks, der sich zu den zehn größten der Welt rechnet. Entsprechend hoch hat sich das AzW die Latte für seine Eröff­ nungsausstellung nach der jüngsten Renovierung und Erweite­ rung gelegt. Warum die Frage, was Architektur ist, auf Englisch gestellt werden muss, bleibt unklar. Die Antwort findet sich in der Ausstellung jedenfalls auf Deutsch: „Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst und es sagt etwas in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“ Direkt neben diesem Zitat von Adolf Loos wird dessen Skizze für das eigene Grab präsentiert, ein Würfel aus grauem Granit. Ewigkeit überall: „Zu den Gebirgsformationen, die sich nicht mehr aus dem Gedächtnis drängen lassen, gehört der Dachstein“, wird Laurids Ortner mit einer Inspiration zitiert, der wir den benachbarten Basaltblock des Museums Moderner Kunst zu verdanken haben. Architektur mit Ewigkeitsanspruch auch bei Raimund Abraham: „Elementare Architektur“, das Buch mit Fotografien anonymer Bauten von Josef Dapra, erschienen 1963. Ein Stück Außenwand des Kunstmuseums Liechtenstein in Vaduz: spiegelglatt polierter, grünlich-schwarzer Beton. Als Gegen­ pol dazu das Alltägliche und Ephemere: David Franck fotografiert von Kindern im Wald errichtete Hütten, Bas Princen Wohnungs­ interieurs mit kunstvoll beiläufig arrangiertem Hausrat in einem Wohnbau von Riegler Riewe. Eine Vitrine dokumentiert Thomas Bernhards Bauernhof in Ohlsdorf, daneben findet sich eine Fotoserie über den minimalistischen Umbau einer Farm in Essex von John Pawson. Videos zeigen unter anderem Donald Judds „Chinati Foundation“ und die „Tate Modern Gallery“ in London von Herzog & de Meuron. Für wen diese in der Präsentation unscheinbar wirkende Ausstellung gemacht ist, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Kuratoren. Auch der Katalog – eine unkommentierte Antho­ logie von Texten über Körper, Raum und Subjekt – hilft nicht weiter: Wie die Auswahl zustande gekommen ist, kann mangels eines Vorworts nur geraten werden. Hinter dieser Ungenießbarkeit blitzt jedoch die Andeu­ tung hervor, dass die Ausstellung sehr wohl weiß, wogegen sie auftreten möchte: gegen die fortschreitende Einbindung der Architek­ tur in die Mechanismen der Kulturindustrie, gegen die Reflexionsverweigerung jener, die Architektur auf die Formel Hochbau plus Haustechnik reduzieren möchten, gegen die Propheten der radikalen Beschleunigung. Für das breitere Publi­ kum sind diese Themen aber kaum nachvollziehbar, weil es in der Ausstellung nirgendwo dem angekündigten „Sturm der Ruhe“ begegnet, sondern nur einer Anzahl von Fragmenten. (Am ehesten vermag noch das Restaurant des AzW – von den französischen Architekten Lacaton & Vassal gestaltet – diesen Eindruck zu vermitteln.) Aus demselben Grund fehlt der Ausstellung aber auch

Wer kriegt das größte Stück vom Kuchen? Pre-Opening-Dinner im „Architekturzentrum Wien“… Foto: Pez Hejduk

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… und „Architektur in Progress“, vertreten durch Wojciech Czaja, Manuela Hötzl und Volker Dienst Foto: Selbstauslöser

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die Kraft, die potenziell höchst spannende fachinterne Debatte über diese Themen zu provozieren. Gerade die Wiener Szene könnte von dieser Debatte profitieren. Am selben Abend, an dem im AzW die Etablierten zum obligaten Pre-Opening-Dinner gela­ den waren, präsentierte der von Volker Dienst initiierte Verein „architektur in progress“ im Semper Depot ein Buch, in dem je drei Projekte von 20 „jungen österreichischen Architekten“ im Alter zwischen 30 und 50 Jahren vorgestellt werden. Auch das AzW kümmert sich seit vergangenem Jahr um dieses Thema (die aktuelle Auflage von „Emerging Architecture“ wird derzeit in Budapest gezeigt), aber es ist bemerkenswert, mit welcher Energie die Szene selbst daran arbeitet, ihr „Sichtbar­ keitsproblem“ zu lösen. Eine ähnliche Initiative ist die Ausstellung über die „innere szene wien“, die vom Verein „podroom“ initiiert und unter anderem in St. Petersburg gezeigt wurde. Als offene Plattform konzipiert, in die auch andere künstlerische Disziplinen einbezogen sind, produziert „podroom“ eine CD mit einer Projektauswahl von 44 jungen Büros, die Anfang nächsten Jahres der Zeitschrift „Wohnen“ mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren beigelegt wird. So wichtig Sichtbarkeit und Marketing sind, so können sie doch allein keine strukturellen Probleme lösen. In Wien gibt es mehr Avantgardebüros, die eine Karriere nach dem Modell von Coop Himmelb(l)au anstreben, als in den ganzen Niederlanden. Nach dem dritten Geschäftslokal den Sprung zur nächst größeren Dimension zu machen wird aber nur wenigen gelingen, weil die Netz­ werke dafür fehlen. Sich als Altersgruppe zu formieren, ist dafür nicht genug. Eine Debatte, in der die Jungen inhaltlich – und damit zwangsläufig auch gegeneinander – Position beziehen, könnte der Szene jedenfalls weit mehr Profil und Struktur geben. Voraussetzung für den Erfolg sind inhaltliche Konzepte, fach­ liche Kompetenz und geeignete Netzwerke, die weit über die eigene Berufsgruppe hinaus­gehen. Fehlt einer dieser Faktoren, nützt auch die beste Öffentlichkeitsarbeit nichts. Das Haus der Architektur Graz hat mit seinem aktuellen Programm unter dem etwas kryptischen Titel „HDAX“ – einer Anspielung auf den deutschen Aktienindex – versucht, eine Diskussion in diese Richtung auszulösen. In der soeben erschie­ nenen Publikation mit Reflexionen über den „Mehrwert“ der Architektur empfiehlt der Developer Ludwig Morasch den Architek­ ten, sich aufs Design von Hüllen zu beschränken, der Hamburger Großarchitekt Hadi Teherani spricht vom Haus als „ganzheitlich zu gestaltender Marke“, während Joost Meuwissen die Idee des Mehrwerts künstlerischer Produktion zuerst auf John Ruskins „Politische Ökonomie der Kunst“ zurückverfolgt und dann auf den Kopf stellt: Nicht die „perfekt gelösten“ Stellen des Entwurfs, sondern die offen gebliebenen, ungelösten seien heute die wertvollen.

Mit derart kontroversiellen Debatten ist der Architektur mehr gedient als mit der Nabelschau alternder Nachwuchsarchitekten. Als Anlass für eine solche Debatte genommen, könnte auch die Ausstellung im Architekturzentrum Wien – trotz aller Defizite – noch Folgen haben. Mehr Sturm, weniger Ruhe ist gefragt.

13 / 10 / 2001    

PROVOKATION UND KONUS Wie behaust man den Menschen des 21. Jahrhunderts angemessen? Und warum findet das breite Publikum die Antworten der klassischen Moderne auf diese Frage scheußlich? Und was hat das alles mit der Revitalisierung und Erweiterung von Lois Welzenbachers Turmhotel Seeber in Hall zu tun?

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as Wissen der Europäer über ihre Architekturgeschichte wird sich mit der Einführung des Euros schlagartig erhöhen: Die neuen Geldscheine zeigen einen Quer­ schnitt dessen, was in der EU gerne als unser „architek­ tonisches Erbe“ bezeichnet wird. Auf den Vorderseiten der Scheine finden sich Portale und Fenster, auf den Rückseiten Brücken­bauwerke jeweils einer Epoche. Eine eigenwillige Stilge­ schichte führt von der „Klassik“ auf dem Fünf-Euro-Schein über Romanik, Gotik und Renaissance zu Barock und Rokoko, dann etwas holprig zur „Eisen- und Glasarchitektur“ und schließlich, auf dem 500-Euro-Schein, zur „modernen Architektur des 20. Jahr­ hunderts“. Eine besondere Herausforderung für die Gestaltung bestand darin, keine spezifischen Objekte abzubilden – wodurch einzelne Länder bevorzugt worden wären –, sondern generelle, aus verschiedenen Vorbildern abgeleitete Typen. Wenn man bedenkt, dass derartige Generalisierungen immer schwächer sein müssen als konkrete Einzelobjekte, ist es dem österreichischen Banknotengestalter Robert Kalina für die meisten Epochen leidlich gelungen, generische Stilbeispiele zu schaffen. Nur bei der „modernen Architektur des 20. Jahrhunderts“ ist dieser Versuch derart missglückt, dass man über die eher geringe Verbreitung der 500-Euro-Scheine froh sein muss: Eine Stahl- und Glasfassade, die verdächtig an eine Brüsseler Tintenburg erinnert, wird von einem im Schrägriss abgebildeten Portal überlagert, das in seiner gestalterischen Unbedarftheit dem Katalog eines Baumarkts entsprungen sein könnte. Diese Darstellung ist symptomatisch für ein Grundmisstrauen gegenüber der Architektur des 20. und wohl auch des 21. Jahr­ hunderts, das in Österreich deutlicher zu spüren ist als in anderen 183

Tektonik oder Design? Entwurf Wiederin /  Konzett … Grafik: Wiederin / Konzett

... oder Henke /  Schreieck? Grafik: Henke / Schreieck

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europäischen Ländern. Das liegt nicht etwa daran, dass es hierzu­ lande gröbere Fehlleistungen der Moderne gegeben hätte als an­ derswo. Eher im Gegenteil: Die klassische Moderne in Österreich war selbstkritischer und reflektierter als der europäische Durch­ schnitt. Architekten wie Adolf Loos und Josef Frank sahen ihre Auf­ gabe nicht in der Zerstörung aller Tradition, sondern darin, den Menschen des 20. Jahrhunderts mit seinen – wie Loos sich ausdrü­ ckte – unumkehrbar „modernen Nerven“ angemessen zu behau­ sen. Dass dabei viele Traditionen zum Einsturz kamen, erschien ihm als evolutionäre Notwendigkeit. Auch die Auswüchse des „Bauwirtschafts-Funktionalismus“ nach dem Zweiten Weltkrieg – in formaler Hinsicht eine brutale Vergröberung der klassischen Moderne – waren hierzulande weniger dramatisch als etwa in Deutschland. Es muss also einen anderen Grund haben, dass die breite Mehrheit österreichischen Publikums Bauten der klassischen Moderne schlicht scheußlich findet. Am ehesten ist dieser Grund in der für österreichische Verhältnisse unerhörten Provokation zu finden, die diese Gebäude nach wie vor ausstrahlen: Sie sind Symbolbauten einer Kultur, die schöpferisch sein möchte, ohne sich permanent an großen Vorbildern der Vergangenheit messen zu müssen. Wer Zweifel daran hat, dass derartiges heute noch eine Provokation des „gesunden Volksempfindens“ ist, braucht nur die Kulturdebatten im Hohen Haus zu verfolgen, wo im vergan­ genen Jahr die Kultursprecherin der Freiheitlichen Partei – im Hauptberuf Fachärztin – ihre Rede folgendermaßen eröffnete: „Meine Damen und Herren! Österreich ist eines der traditions­ reichsten Länder, was Kunst und Kultur betrifft. Sogar die Venus von Willendorf, eines der ältesten Kunstwerke der Welt, wurde in Österreich gefunden.“ Wer seinen Anker in solchen Tiefen auswirft, hat keine Lust auf Neues, bestenfalls auf Alt-Neues, wie es in Wien bei der Sanierung der Gasometer und beim Museumsquar­ tier salonfähig geworden ist. Als Provokation dieser Haltung und nicht nur wegen ihrer Seltenheit sind die Baudenkmäler der klassischen Moderne in Österreich schützenswertes Kulturgut ersten Ranges. Aus der Zeit nach 1918 sind hier nur wenige Beispiele jener Richtung erhalten, die von Henry-Russell-Hitchcock und Philip Johnson in ihrer im Wortsinn epochemachenden New Yorker Ausstellung des Jahres

1932 als Internationaler Stil bezeichnet wurde. Meist weiß ver­ putzt, flach gedeckt und mit Bandfenstern belichtet, zeigten diese Bauten genug Gemeinsamkeiten, um daraus einen neuen Stil zu konstruieren. Als einziger Österreicher fand der Tiroler Lois Welzenbacher mit zwei Bauten Aufnahme in die New Yorker Ausstellung: mit dem Haus Schulz in Krefeld (1928/29) und dem Haus Treichl in Innsbruck (1929/31), beide heute durch Umbau­ maßnahmen zerstört. Das eigentliche Hauptwerk Welzenbachers aus dieser Periode ist jedoch das Turmhotel Seeber in Hall in Tirol, 1930/31 für einen privaten Auftraggeber unmittelbar neben dem kurz zuvor ent­stan­­denen Kurhaus im Stadtpark errichtet. Im kollektiven Gedächtnis der österreichischen Architektur ist dieses Gebäude vor allem durch eine Entwurfsskizze und eine Reihe hervorragender Fotografien präsent, mit denen Welzenbacher seinen Entwurf nicht einfach abbildete, sondern unter verschiedenen Lichtverhältnissen und Perspektiven analy­ sierte. Der knapp 25 Meter hohe, sechsgeschossige Turm ist im Grundriss annähernd quadratisch, wobei allerdings zwei gegen­ überliegende Seiten leicht gekrümmt sind, wodurch einmal eine konkave und einmal eine konvexe Fassade entsteht. Vor diesen Fassaden sind schmale Balkone geführt, die sich an den Ecken vom Baukörper lösen und frei auskragen. An der Westfassade löst sich schließlich der blockhafte Kern des Gebäudes in Flächen auf, die symmetrisch über Ecken gezogen sind und das windmüh­ lenartige Spiel der auskragenden Balkone unterstützen. Weder die gekrümmten Fassaden noch das freie Spiel der Balkone haben etwas mit Funktion zu tun: Welzenbacher lotet hier – Giuseppe Terragni viel näher als den Bauhaus-Funktiona­ listen – in manieristischer Weise die Möglichkeiten der neuen Architektur jenseits funktionalistischer Scheinzwänge aus. Dass Hitchcock und Johnson nicht dieses, sondern das zeitgleich fertig­ gestellte Haus Treichl in ihre Publikation aufnahmen, ist kein Zufall: Welzenbacher bricht im Turmhotel Seeber beinahe un­ merklich alle Codes des Funktionalismus, an denen die Autoren die Moderne festmachen wollten. Derartige Überlegungen zum Turmhotel Seeber ließen sich bislang nur anhand von Skizzen und zeitgenössischen Fotos anstellen: Das Haus selbst ist seit 1945 kontinuierlich heruntergekommen, die Dachterrasse zuge­ baut, die auskragenden Balkone abgeschnitten, durch mehrere Anbauten und eine bräunliche Färbelung bis zur Unkenntlich­ keit entstellt. 1997 kaufte die Stadt Hall das desolate Gebäude, um es mit einer Erweiterung als Seminarhotel zur Ankurbelung des Tourismus zu nutzen. Bruno Sandbichler, Feria Gharakhanzadeh und Inge Andritz, die als Architekten eines Schulzentrums in Hall ein erstklassiges Beispiel für die neue Vitalität der Tiroler Baukultur realisieren konnten, erfuhren von dem Vorhaben und konnten die Gemeinde davon überzeugen, das einfältige Projekt ihres touris­ tischen Beraters zu sistieren und einen Wettbewerb auszuschreiben, in dem die Revitalisierung des Turmhotels und seine Verbindung mit der zu schaffenden Erweiterung ein zentrales Kriterium 185

darstellte. (Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Überzeu­ gungsarbeit eine österreichweite Unterschriftenaktion für die Erhaltung des Hotels, ein kleines Symposium sowie eine Exkursion mit Gemeindevertretern und dem Leiter des Architekturforums Tirol zu neuen Hotelbauten in der Schweiz einschloss.) Der erste Preis im Wettbewerb ging einstimmig an Gerold Wiederin und Andrea Konzett: Sie schlugen einen frei im Park stehenden, im Grundriss leicht trapezförmig verzerrten Block mit einer strengen Fassadengliederung vor, die allerdings durch ein leichtes Zurückspringen der inneren Glasfassade von den Ecken zur Mitte hin gelockert ist. Welzenbachers subtile Behand­ lung der Fassaden wird hier ohne jede Anbiederung weiterge­ dacht. Auf den zweiten Rang kamen Dieter Henke und Marta Schreieck mit dem Projekt eines kreisrunden, leicht konischen Turms mit Glasfassade und Metalllamellen, der Welzenbachers Turm noch um ein Stück überragt. Die Vertreter des Bauherrn in der Jury verlangten einige funktionelle Änderungen am Projekt von Wiederin/Konzett, die Fachjuroren schlugen vor, diese Überarbeitung der Jury noch­ mals vorzulegen. Eine solche zweite Vorlage eines ersten Preises dient vor allem dem Schutz des Projekts vor Zudringlichkeiten des Bauherrn: Wiederin/Konzett konnten die Anbindung zwischen Neubau und Turmhotel konzeptionell schlüssig umsetzen, die geforderte Verbindung zum Kurhaus mit einem Küchentrakt, die eine beidseitige Umklammerung des Turmhotels mit Ergänzun­ gen zur Folge hat, verweigerten sie jedoch. Stattdessen versuchten sie, unterstützt von Fachberatern aus dem Hotelmanagement, den Bauherrn von organisatorischen Alternativen zu überzeugen. Der Bauherr hatte zu diesem Zeitpunkt aber bereits die Zweitge­ reihten zur Überarbeitung ihres Projekts eingeladen. Henke/ Schreieck willigten ein, forderten allerdings, dass die Jury beide Überarbeitungen begutachte. Die Architekten in der Jury wollten mehrheitlich an ihrer ursprünglichen Entscheidung für den ersten Preisträger festhalten, wurden aber schließlich überstimmt. Welzenbachers Turm wird also einen jüngeren Bruder aus Stahl und Glas erhalten, der sich der architektonischen Konkur­ renz durch die Auflösung der Tektonik ins Objekthafte geschickt entzieht. 2003, zur 700-Jahr-Feier der Stadt Hall, wird man sich, wenn alles läuft wie geplant, davon überzeugen können, ob dieses Konzept aufgegangen ist.

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WARUM NICHT VON DER STANGE? Trotz einer aktiven Architekturszene und Bauaufgaben wie dem Stadion, Museen und der Mehrzweckhalle auf dem Messegelände bleiben Salzburg bei öffentlichen Groß­projekten Erfolge versagt. Die Baugeschichte des neuen Kongresshauses lässt die Gründe ahnen.

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anche Gebäude sind stumm, andere sind geschwätzig, nur ganz wenige singen. Wer am neuen Salzburger Kon­ gresshaus vorbeikommt, wird unwillkürlich an diese Unterscheidung aus Paul Valérys Dialog „Eupalinos oder Der Architekt“ erinnert. Viel stummer kann ein Gebäude kaum sein: ein kantiges Ensemble aus prismatischen Körpern, das trotz aller Verglasungen wenig einladend wirkt. Wer sich vom Großkaufhaus-Ambiente der Fassaden nicht abschrecken lässt und das Haus betritt, ist angesichts mancher Details und Materialkombinationen froh, dass es zumindest an Fluchtwegen nicht fehlt. Interessanter als das Gebäude ist seine Vorgeschichte. 1992 war in einem Gutachterverfahren das Projekt des spanischen Architekten Juan Navarro Baldeweg zur Ausführung empfohlen worden, ein räumlich raffinierter Entwurf mit polygonaler Außenhaut, von oben belichteter Erschließungshalle und einem Saal, der von einer außergewöhnlichen, diagonal geführten Konstruktion getragen wird. Räumlich, konstruktiv und in der äußeren Erscheinung hätte nach diesem Entwurf eines der raren „singenden“ Gebäude entstehen können. Zwei Jahre lang entwickelte Baldeweg sein Projekt weiter, bis der Gemeinderat 1995 auf Betreiben des VP-Klubobmanns Erwin Klemm mit knapper Mehrheit beschloss, ihm den Auftrag zu entziehen. Die Kosten des Projekts von 440 Millionen Schilling (32 Millionen Euro) seien zu hoch, die Auskragungen der Obergeschosse in den Hofgarten würden den Bebauungsbestim­ mungen widersprechen, außerdem fehle es dem Projekt an Fluchttreppen. Friedrich Brandstätter, einer der Preisträger aus dem ursprüng­lichen Verfahren, erhielt den Auftrag, sein Projekt baureif zu machen. Aber nicht er allein: Die Hypo-Bank Niederösterreich als Bauträger bildete mit dem Salzburger Büro Zipperer eine Arbeits­ gemeinschaft für die Projektsteuerung, garantierte für die Kosten und eine Fertigstellung im Sommer 2000 – für die öffent­ liche Hand allem Anschein nach eine Ideallösung, bei der sie die Verantwortung in finanzkräftige Hände auslagern konnte. Im Dezember 1997 geschah freilich etwas Unerwartetes: Die ARGE kündigte Brandstätter den Architektenvertrag, weil er durch

Keine Chance in Salzburg? Entwurf für das Kongresshaus von Juan Navarro Baldeweg Foto: Atelier Baldeweg

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verspätete Planlieferung die rechtzeitige Fertigstellung des Projekts gefährde. Brandstätters Sicht der Dinge sieht anders aus: Schon im Frühjahr 1997 habe er der ARGE empfohlen, den Entwurf noch vor der Einreichung der Salzburger Altstadt-Sach­ verständigenkommission vorzulegen. Dies sei jedoch mit dem Hinweis, die Kommission werde sich bei einem Projekt dieser Dringlichkeit dem politischen Willen beugen, nicht erfolgt. Als die Kommission am bereits eingereichten Projekt Verände­ rungen forderte, waren Umplanungen erforderlich, die den Projekt­verlauf verzögerten. Nachdem die ARGE in Brandstätter einen Schuldigen gefunden hatte, beauftragte sie den Architek­ ten Ernst Maurer aus Hollabrunn, dessen zu etwa 70 % abge­ schlossene Planung fertigzustellen und die Bauaufsicht zu über­ nehmen. Ein Protest namhafter österreichischer Architekten – unter anderem Volker Giencke, Rüdiger Lainer, Laurids Ortner und Helmut Richter – bei den verantwortlichen Politikern blieb ohne Erfolg: Wie die ARGE das Projekt umsetze, sei schließlich ihre Sache. Unter den Händen Maurers reifte der Entwurf zu jenem traurigen Ergebnis, das heute in Salzburg zu sehen ist. Wo die technoide Ästhetik Brandstätters einer perfekten Umsetzung bedurft hätte, regiert hier die grobe und im Zweifelsfall überzogene Lösung. Die absurde Pointe der Geschichte: Die Fertigstellung des Gebäudes war um fast ein Jahr verspätet, und die Kosten lagen mit knapp über 700 Millionen Schilling deutlich über den ursprünglich geplanten 529 Millionen. Man könnte annehmen, dass eine solche Erfahrung die Verantwortlichen veranlassen sollte, die Kontrolle über Groß­ projekte nicht an finanzkräftige Bauträger mit zweifelhafter Sachkompetenz auszulagern. Umso befremdlicher ist es, dass in Salzburg bei einem weiteren Großprojekt ein ähnlicher Weg eingeschlagen wurde. Ähnlich wie beim Kongresshaus spielt auch in diesem Fall eine bankennahe Firma, die Sabfinanz, als Bau­ manager eine zentrale Rolle. Vor einem Jahr konnten sich die Wiener Architekten Krismer und Waldhart in einem Wettbewerb für die Mehrzweckhalle auf dem Salzburger Messegelände gegen Konkurrenten wie Massimiliano Fuksas und Bétrix & Consolascio durchsetzen. Heute haben sie den Auftrag an das nicht am Wettbewerb beteiligte deutsche Großbüro KSP Engel und Zimmer­ mann verloren, das eine bereits in Braunschweig errichtete Veranstaltungshalle für Salzburg adaptieren wird. Dass es so weit kommen konnte, hat mehrere Ursachen, unter anderem, dass die Halle auf einem inzwischen neu erworbenen, rund 100 Meter entfernten Grundstück errichtet wird. Der Haupt­ grund ist aber die Tendenz, Gebäude entweder von bekannten Stararchitekten planen zu lassen oder eben risikominimierend von der Stange zu kaufen. Krismer, der immerhin mit der Eishalle in Wien-Kagran (zusammen mit Müller und Berger) sein Talent für große Bauaufgaben bewiesen hat, war dieser Mentalität gegenüber chancenlos. Noch während er seinen Entwurf für den neuen Standort adaptierte, besuchten die Bauherren bei einer Exkursion die Braunschweiger Halle und beschlossen, dieses Muster für 188

Salzburg zu übernehmen. KSP bot Krismer und Waldhart vorerst an, die Behördenwege für sie in Salzburg zu erledigen; nachdem der Gestaltungsbeirat vermittelnd eingegriffen hatte, zeichnete sich als Kompromiss eine Projektpartnerschaft ab. Die aber daran scheiterte, dass Krismer die Federführung im Entwurf beanspruchte und sich nicht von vornherein auf eine ovale Halle festlegen wollte. – Und der Wettbewerb? Obwohl zu je einem Drittel im Eigentum des Landes, der Stadt und der Wirtschaftskammer, sieht sich die SAZ, die Salzburger Ausstellungs­ zentrum G.m.b.H., nicht an die Vergaberichtlinien für den öffentlichen Sektor gebunden und hat den Auftrag direkt an KSP vergeben. Abgesehen vom negativen Signal für die Wettbewerbskultur: Dass sich die mächtigen Männer im SAZ-Aufsichtsrat, unter anderem Bürgermeister Schaden und Wirtschaftskammerpräsident Gmachl, mit einer Kopie zufrieden geben, statt für das best­ mögliche Original zu kämpfen, lässt für Salzburgs Architektur wenig Gutes erwarten.

14 / 07 / 2001   

WER STETS DIE TREPPE VERGISST

„Zwischenorte – Architektur im Prozess zur urbanen Erneuerung“ war das Thema des EUROPAN-Wettbewerbs 2000/2001. Mit Projekten für Wien, Graz und Villach bewährte er sich als Großlaboratorium der innovativen europäischen Architekturszene.

Europareife Wettbewerbsbeiträge für Graz und Wien: „Curly Landscape“ und „Out of Africa“

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n Gustave Flauberts „Wörterbuch der Gemeinplätze“ findet sich unter dem Stichwort Architekten der Eintrag: „Lauter Trottel. Vergessen immer die Treppen.“ Tatsächlich: Auftrag­ geber aus gehobenem bürgerlichem Milieu können ein Lied davon singen, woran Architekten zu denken vergessen haben. Zuoberst in der Rangliste stehen Fragen der Reinigung, dann die stets viel zu geringe Dimension der Abstellräume – von der unter Architek­ ten verbreiteten Abneigung gegen Vorhänge ganz zu schwiegen. Aber Treppen: Geht das nicht zu weit?

Grafik links: Oman / Rogel / Konstantinovic Grafik rechts: Kadarik / Koov / Valner / Vallner

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Ein „Nugget“ für Wien: das zur Ausführung empfohlene Projekt von PPAG Grafik: PPAG

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Vielleicht nicht. Beim jüngsten EUROPAN-Wettbewerb, einer euro­ päischen Initiative für innovativen Wohnbau mit einer Altersgrenze für die beteiligten Architekten von 40 Jahren, war unter den für den Standort Wien prämierten Projekten eines zu finden, das den Eindruck vermittelte, die Architekten hätten die Treppen vergessen. Für das Grundstück in Simmering schlug das estnische Team aus Tallin – Ott Kadarik, Katrin Koov, René Valner und Siiri Vallner – eine Gruppe schlanker Türme mit jeweils einer Wohnung pro Geschoss vor. In die Wohnungen gelangt man direkt über einen Lift, der die einzige Vertikalverbindung im Turm darstellt. Rund um die Türme findet sich eine wild wuchernde Vegeta­ tion, aus der das Projekt seinen Namen ableitet: „Out of Africa“ – für das Grundstück an der Simmeringer Hauptstraße, mit Remise, Gewerbebauten und Wohnhausscheiben aus den 70er-Jahren dispers bebaut, eine nachvollziehbare Assoziation, zumindest vom Zentrum Wiens oder gar von Tallin aus betrachtet. Statt diesen, wie man in Wien sagen würde, „entrischen“, also etwas unheimlichen Ort zu domestizieren, möchte das Projekt den fremdartigen Charakter noch steigern. In Bezug auf das Thema des EUROPAN-Wettbewerbs, „Zwischenorte – Architektur im Prozess zur urbanen Erneuerung“, trifft dieses Konzept jeden­ falls eine klare Aussage: Zwischenorte an den Randzonen der Städte sollten nicht mit den üblichen Mitteln verdichtet, sondern eigenständig entwickelt werden, als künstliche Landschaften mit Implantaten ohne Ewigkeitsanspruch. Der Turm als individu­ eller Fluchtpunkt mit Blick über den Dschungel ist dafür die an­ gemessene Wohnform. Den ersten Preis gewonnen hat freilich ein ganz anderer Ansatz. Anna Popelka und Georg Poduschka schlagen eine Struktur mit hoher Dichte vor, die den Straßenraum zur Fickeysstraße mit einem viergeschossigen Trakt schließt und von dort aus zu einem achtgeschossigen Volumen ansteigt, das schließlich zur Grund­ stücksmitte hin nach Süden und Westen in Terrassen abfällt. Über dieses Projekt gab es in der Jury eine intensive Diskussion. Ist es eine Wiederaufnahme von Stadthügelideen der 70er-Jahre, eine terrassierte Megastruktur im Geiste Harry Glücks? Joost Meuwissen, Jurymitglied und Professor für Städtebau an der TU Graz, interpretiert das Projekt ganz anders: Man dürfe es nicht als Baumasse betrachten, sondern als Ergebnis der unsentimen­ talen Auseinandersetzung mit städtebaulichen Parametern. Popelka und Poduschka machen eine Bestandsaufnahme: Baulinien und Bauhöhen, Belichtung der Nachbarbauten, beste­ hende Bäume. Daraus ergibt sich ein Maximalvolumen, an dem dann die weitere räumliche und funktionelle Bearbeitung erfolgt.

Nicht in jedem Punkt deckt sich dieses Maximum mit dem bau­ rechtlich möglichen: An der Fickeysstraße bleiben die Architekten deutlich unter der möglichen Traufhöhe, um die Belichtung der gegenüberliegenden Wohnbauten nicht einzuschränken. Das imaginäre Volumen bezeichnen Popelka und Poduschka (wohl mit Seitenblick auf den Investor) als „Nugget“ und haben sich von dieser Idee dazu verführen lassen, ihr Gebäude auch in den Visualisierungen als goldfarbenen Batzen darzustellen. Die Qualitäten des Projekts liegen aber gerade nicht in der Masse, sondern in den Leerräumen, die das Gebäude durchziehen und ein System von öffentlichen Zonen bilden, die sich nach verschiedenen Richtungen öffnen und so Licht ins Innere des großen Volumens bringen. In diesen Räumen kommt das Interesse der Architekten an formalen Fragen, das in der Ableitung des „Nuggets“ zumindest argumentativ hintangestellt wurde, wieder deutlich zum Vorschein. Diese Spannung zwischen objektiven Parametern und künstlerischem Eigensinn ist für Popelka und Poduschka charakteristisch: Es gehe ihnen darum, das „Normale“ anzunehmen und dann radikal, also vom Grundsätzlichen her, zu verändern. Der EUROPAN-Wettbewerb wurde Ende der 80er-Jahre ins Leben gerufen, um solchen Anliegen Chancen zu geben, innovative Ansätze für den Wohnbau aus ganz Europa zu bündeln, zu publizieren und, wenn möglich, auch zu realisieren. Daraus leitet sich die reichlich komplexe Organisation des EUROPANVerfahrens ab. Ein wissenschaftlicher Beirat legt alle zwei Jahre ein Thema fest; in den Partnerländern beginnt die Suche nach Städten, die bereit sind, ein geeignetes Grundstück zur Verfügung zu stellen und neben den lokal anfallenden auch die Kosten für die zentrale EUROPAN-Organisation zu übernehmen, die sich pro Land auf 750.000 Schilling (54.500 Euro) belaufen. Nachdem Österreich aus finanziellen Gründen beim vor­letzten EUROPAN-Verfahren nicht mehr als Auslober vertreten war, konnte Bernd Knaller-Vlay als neuer österreichischer EUROPANSekretär diesmal mit Wien, Graz und Villach drei Städte zur Teil­ nahme gewinnen und mit dem von Heidi Pretterhofer betreuten Forschungsprojekt „habitat plus“ auch zum ersten Mal eine wissen­ schaftliche Begleitung des Verfahrens und der Umsetzung ins Leben rufen. Beim Eröffnungskongress zum Wettbewerb, der im November vorigen Jahres in Berlin stattfand, wurden neben den Grund­ stücken auch die Jurys der einzelnen Länder vorgestellt: jeweils vier Architekten, ein städtischer Beamter, ein Vertreter der Bauwirtschaft, ein Vertreter des Landes und zwei „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“. Die österreichische Jury bestand diesmal aus Nasrine Seraji, Klaus Kada – zugleich Präsident von EUROPAN Österreich –, Joost Meuwissen und Thierry Verdier als Architekten, Wolfgang Krejs als Stadtvertreter, Hartmut Spiluttini als Vertreter der Wirtschaft, Johannes Voggenhuber als Vertreter der Republik sowie der britischen Künstlerin Angela Bulloch und dem Philosophen Peter Sloterdijk. Die Jurierung erfolgt zwei­ stufig: Zuerst wird etwa ein Fünftel der eingereichten Arbeiten 191

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ausgewählt und bei einem Treffen aller europäischen Juroren und des wissenschaftlichen Komitees – das diesmal in Karlskrona, Schweden, stattfand – diskutiert. Dann erfolgt die Endjury in den einzelnen Ländern, bei der pro Standort ein Projekt für die Ausführung vorgeschlagen wird und zusätzlich Ankäufe und lobende Erwähnungen vergeben werden, die in die europäische Gesamtpublikation aufgenommen werden. Für das Siegerprojekt sollte danach die Suche nach einem Bauträger beginnen. In Wien, wo mit der Grundeigentümerin Michaela Mischek ein auch architektonisch ambitionierter Bauträger bereits feststeht, stehen die Chance für eine Umsetzung gut. Allerdings ist die Realisierung nicht immer das Hauptmotiv für die Beteiligung der Städte. Oft ist die öffentliche Diskussion über einen Standort und über neue Konzepte im Wohnbau für die teilnehmenden Städte der kurzfristig wichtigere Grund für die Teilnahme. Bei Graz und Villach steht dieses Motiv im Vor­ dergrund, obwohl man auch dort um Realisierungen bemüht sein wird. In Graz erhielt ein slowenisches Team – Rok Oman, Spela Rogel und Josip Konstantinovic – den ersten Preis für ein Projekt mit dem Titel „Curly Landscape“. Das Areal im Entwicklungs­ gebiet Graz West ist eine Industriebrache der besonderen Art: Nach der Absiedlung einer Brauerei stehen hier agrar-industrielle Flächen zur Disposition, das Gebiet soll mit Fachhochschulen und Betrieben aus dem tertiären Sektor entwickelt werden. Die „Curly Landscape“, die in der Draufsicht einem Teppichmuster aus den 50er-Jahren ähnelt, transformiert die übliche Ein­familien­ hausdichte in eine neue Form kollektiven Wohnens, ein Netz­ werk aus Abgeschiedenheit und Öffentlichkeit, das sich in der aufgefalteten Landschaft ausbreitet. Das Areal in Villach ist ebenfalls ein Zwischenort, obwohl es nur wenige Minuten vom Zentrum entfernt liegt. Hier war vor allem eine langfristige Strategie gefordert, um ein Gebiet mit sehr heterogener Eigentümerstruktur, das teilweise zwar profitabel, aber für den zentralen Standort höchst unangemessen als Parkierung für die Einkaufsstraßen des Zentrums genutzt wird, im Lauf der nächsten 20 Jahre zu einem attraktiven Standort zu entwickeln. Den ersten Preis erhielt hier ein Team aus Berlin – Zeynep Ayse Hicsasmaz, Thorsten Bunk und Jahn Monner – mit einem Projekt, das diesen abstrakten Prozess mit einprägsamen Bildern zu vermitteln versteht. Am Anfang steht die „Entsiegelung“ einer inneren Zone quer über die Eigentumsgrenzen hinweg und die Umlegung der Parkierung. Dann werden im Bebauungsplan Zonen festgelegt, die sich in der Folge in Innenhöfe verwandeln sollen. Um diese Zonen zu markieren, könnten hier in Zusammen­ arbeit mit Künstlern temporäre Installationen entstehen, die im Laufe der baulichen Realisierung sukzessive wieder abgebaut werden. Im Meer der architektonischen Gemeinplätze des heutigen Wohnbaus zeigt EUROPAN mit diesen Ergebnissen ernsthafte Alternativen. – Und die vergessenen Treppen? Dafür wird sich eine Lösung finden.

26 / 05 / 2001   

FLACH AUF DEM BAUCH

Architektonischer Triumph oder doch nur gefälliges Kunsthandwerk des Medienzeitalters? Hans Holleins Bürohaus in der Wiener Leopoldstadt: vom Sieg des lebenslangen Marketingfeldzugs eines Architekten über seine Architektur.

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er Wiener Donaukanal ist innerstädtisches Entwick­ lungsgebiet, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Vielleicht liegt es nur am Namen: Würde man den Bereich zwischen Roßauer Brücke und Aspern­ brücke in Anlehnung an den ersten Bezirk nicht „Kanal“, sondern „Innere Donau“ nennen – wie es letztes Jahr eine Gruppe jüngerer Wiener Architekten in einer Entwicklungs­ studie über den gesamten Verlauf des Donaukanals vorgeschlagen hat –, dann könnte ein ähnlicher Effekt eintreten wie beim „Entlastungsgerinne“, das den Wienern erst nach seiner Verwand­ lung in eine „Donauinsel“ samt „Copa Cagrana“ ans Herz gewachsen ist. Tatsächlich findet derzeit am nördlichen Ufer des Schweden­ platzes eine Aufwertung der Bausubstanz statt, die eine Umbe­ nennung in „Innere Donau“ rechtfertigen würde. Die massive Betonscheibe des IBM-Hauses wird von Rudolf Prohazka in eine leicht gekrümmte Glashaut eingekleidet, die Uniqa-Versicherung saniert einen ganzen Baublock und wird hier nach Plänen des Büros Neumann ein Hochhaus errichten, wobei im Erdgeschoss eine großzügige öffentliche Zone entsteht: Hier sollen sich die Wiener so zu Hause fühlen, dass sie auch ihre Pensionsmilliarden gerne beim Hausherrn anlegen. Wenn der neue Wiener Planungsstadtrat, Rudolf Schicker, seine Ankündigung wahr macht, die Entwicklung im Bereich der „Inneren Donau“ zu fördern und dabei in Zukunft bei der Bewilligung von Aufzonungen die Bauträger dazu zu verpflichten, einen Teil ihrer Widmungsgewinne in die Sanierung des öffent­ lichen Raums zu investieren, dann könnte der Schwedenplatz zu einem der interessantesten Punkte der Stadt werden. Als erster Neubau fertiggestellt wurde jüngst das Bürohaus von Hans Hollein, das ursprünglich für die Generali-Versicherung geplant war und nun an den News-Verlag vermietet wurde. Hollein gewann 1995 das Gutachterverfahren unter anderem gegen Jean Nouvel, der ein eher kompaktes Gebäude mit einer mehrschichtigen, an den Ecken abgerundeten und im Sockel­ bereich konkav nach innen gezogenen Glasfassade vorgeschlagen hatte. Die unterschiedlich transparenten, leicht gekrümmten Gläser sollten „ein lustvolles Spiel von Realität und Virtualität“ in Gang setzen. Hollein setzte dagegen auf die skulpturale Wirkung einer dreidimensionalen Collage, die aus diversen Versatzstücken der Umgebung gebildet ist. Auf die gründerzeitliche Bebauung der 193

Aus Versatzstücken der Umgebung dreidimensional collagiert: Bürogebäude der Generali-Versicherung von Hans Hollein, gemietet vom News-Verlag, Ecke Obere Donaustraße und Taborstraße Foto: Christian Kühn

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Taborstraße reagiert Hollein mit einem die Traufhöhe aufnehmenden, mit Stein verkleideten Block mit Lochfassade. Dann springt das Gebäude etwas zurück und setzt sich zum Donaukanal hin in einem Block fort, der die Fassadenteilung der früheren Bundesländerversiche­ rung von Georg Lippert aus dem Jahr 1961 in leicht modifizierter Form übernimmt. Zur Häuser­zeile an der Oberen Donaustraße schließt Hollein wieder mit einem Zwischen­ element an, in dem ein Fluchtstiegenhaus untergebracht ist. Der höchste Gebäudeteil ist ein schlanker, leicht geneigter Turm, der von einer leuchtenden Anzeigetafel gekrönt wird, einem 14 Millionen Schilling (zirka eine Million Euro) teuren Gerät mit beeindruckender Leuchtkraft, auf dem sich im abwechselnden Aufleuchten der Titel „profil“, „Format“, „News“ und „TV-Media“ der jeweils aktuelle Stand der Konzentration in der österreichischen Medienlandschaft ablesen lässt. Darunter hat Hollein die Ecke zum Schwedenplatz bis zum fünften Stock in Glas aufgelöst und schräg aus der Fassade gezogen, eine Bewegung, mit der die Neigung des Turms ausbalanciert wird. An die Fassade zur Taborstraße hat Hollein auf einer Stele noch einen metallisch schillernden, aber ansonsten am klassischen Vorbild orientierten Markuslöwen platziert. An derselben Fassadenseite hat Hollein einen Erker angebracht, der aus einem der Bürogeschosse des News-Verlags herausragt und nicht – wie oft vermutet wird – das Fellner’sche Büro, sondern einen Besprechungsraum aufnimmt. (Die Verlagsleitung residiert im obersten Stockwerk des schlanken Turms mit beneidenswertem Blick über Wien.) Auf das Dach des vorderen Bauteils hat Hollein unter ein metallisches, vielfach gekrümmtes Dach einen Veranstaltungsraum gesetzt, dessen Kontur in der Frontalansicht die ebenfalls leicht konkave Dach­ linie des Lippert’schen Baus nebenan aufnimmt. Hollein versteht sich als Bildhauer im Großen. Architektonische Elemente verschmelzen ihm zu einer skulpturalen Masse, die geformt, geschichtet, angeschnitten und aufgedoppelt wird, bis eine Balance hergestellt ist. Stadträumlich hat das Ergebnis hier durchaus Sinn, wenn man es darauf anlegt, die unglückliche städtebauliche Situation zu kaschieren, die halbherzig zwischen der zurückgesetzten modernistischen Scheibe des Lippert’schen Baus und der geschlossenen Verbauung an der Oberen Donau­ straße entstanden ist. Für sich betrachtet, fehlt dem Gebäude aber die Substanz. Es erinnert ein wenig an die Geschichte von dem Mann, der sich seinen Maßanzug vom Schneider abholen möchte. Der Anzug wirft bei der Anprobe überall Falten, und als sich der Kunde beim Schneider beschweren will, bekommt er zur Antwort, dass er den Anzug nur nicht zu tragen verstehe: Eine Schulter nach vor, die Hüfte etwas heben, den linken Arm nach unten strecken

und so weiter. Stolz und faltenlos geht der Mann auf die Straße. Da kommen zwei Passanten: „Schau, so ein armer Krüppel.“ Darauf der andere: „ Ja, aber einen phantastischen Schneider hat er!“ Das ist nun sicher eine Grundsatz­ frage. Ich wünsche mir bei einem Gebäude zumindest die Auseinander­ setzung mit dem Zweck jenseits eines eindimensionalen Funktionalismus, ich wünsche mir rationale und ökonomische Konstruktion und im Sinne Jean Nouvels eine Erforschung der neuesten, nicht nur technischen, sondern auch poetischen Möglichkeiten der Gebäude­ hülle, also kurz: zeitgemäße Tektonik. Keines dieser Kriterien kann Holleins Bau erfüllen. Aber vielleicht ist meine Forderung altmodisch. Hollein hat bereits in den 60er-Jahren geschrieben, dass es beinahe gleichgültig sei, ob die Akropolis oder die Pyramiden in Wirklichkeit existieren, da die meisten Menschen sie ohnehin nur von Bildern und nicht aus eigener Erfahrung kennen würden. Eigentlich müsse man Gebäude gar nicht bauen: Es sei ausreichend, sie zu simulieren. Die Schlussfolgerung, die Hollein damals zog, war die Idee einer „absoluten Architektur“, die nur nach ihren eigenen Gesetzen zu bilden sei, und wenn man schon ein Haus bauen müsse, dann würde es irgendwann „seine Verwendung finden“. So betrachtet, ist es vertretbar, unter „Fassade“ nicht mehr zu verstehen als die Oberflächenschicht einer Skulptur, die ihrerseits gar nicht als Skulptur, sondern nur auf einer fotografischen Abbildung zur Wirkung zu kommen braucht. Den Gedanken, dass die Bedeutung und die Rolle eines Bauwerks auf dem Effekt der medialen Vermittlung beruhen, hat Hollein auf eine spezifische Art weitergedacht. Als er 1999 von einem Wodkahersteller zu einem Beitrag zur Serie „Absolut Originals“ eingeladen wurde, die als Inserat im „Time-Magazine“ erschien, wurde als Text ein Interview abgedruckt, in dem Hollein gefragt wurde, ob er schon einmal an einer Werbekampagne teilgenommen habe. „Nein“, war die Antwort, aber „als Architekt ist man dauernd auf einem Werbefeldzug für sich selbst.“ Holleins Beitrag bestand in einer Fotomontage des Haas-Hauses, dessen vorderer Turm durch eine riesige Wodkaflasche ersetzt wurde. „Alles ist Architektur“: Auch das ist ein Satz Holleins aus den 60er-Jahren. „Absolut“ im ursprünglichen Sinn ist diese Architektur freilich längst nicht mehr, sondern dienstbares Kunsthandwerk des Medienzeitalters. In dieser – und nur in dieser – Hinsicht ist Holleins NewsGebäude tatsächlich ein Triumph. Sein lebenslanger Marketing­ feldzug ist so gelungen, dass auch ein ansonsten klar argumentie­ render Kritiker wie Jan Tabor im „Falter“ vor diesem Gebäude flach auf dem Bauch liegt (und für diese gymnastische Übung von seinem Kollegen Dietmar Steiner im „profil“ in einer noch

Holleins Beitrag zu „Absolut Originals“ Foto: The Absolut Company

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gesteigerten Eloge auf Holleins Gesamtwerk umgehend als Wiens „originellster Architekturkritiker“ apostrophiert wird). In Bauch­ lage ist freilich die Sicht etwas beschränkt: So undifferenziert von Österreichs bestem Architekten seit 1945 und von einem Meister­ werk zu sprechen fördert nicht gerade die Kritikfähigkeit des Publikums. Innerhalb von Holleins Oeuvre ist das Gebäude etwa im Vergleich zu dem für seine Zeit innovativen Mönchengladbacher Museum oder zu dem tatsächlich riskanten und räumlich irritie­ renden Museum für Moderne Kunst in Frankfurt bieder und gefällig. Und jemanden kurzerhand zum besten, wichtigsten und erfolgreichsten Architekten des Landes zu küren ist noch unse­ riöser als die sonst im News-Verlag üblichen Rankings zu allen möglichen Themen. Diese Verflachung der kritischen Auseinandersetzung hat Konsequenzen. Nicht zufällig heißt der Hollein des kleinen Mannes Friedensreich Hundertwasser. Mit ihm teilt Hollein die unge­ bremste Verzierungslust und das collageartige Vorgehen. Wenn in Zukunft in der breiten Öffentlichkeit reflexartig an dieser Art von Architektur Maß genommen wird, läuft der Diskurs in die falsche Richtung.

17 / 04 / 2001   

BEGRÄBNIS LETZTER KLASSE Dass Richard Lugner die Renditen seiner Projekte wichtiger sind als deren architektonische Qualität, ist ihm schwerlich vorzuwerfen. Das Versagen der Wiener Planungspolitik ist hingegen sehr wohl zu monieren. Ein Einwurf aus gegebenem Anlass.

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ernhard Görg – zum damaligen Zeitpunkt wahlkämp­ fender Stadtrat für Planung und Zukunft – freute sich: Ganz ohne öffentliche Mittel werde es gelingen, eine Brücke über den Gürtel zu errichten, die den Fußgängern endlich den sicheren Übergang an der gefährlichen Kreuzung mit der Gablenzgasse ermögliche. In der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs erschien dazu eine farbige Abbildung, die stutzig machte. Eher unbeholfen in ein Foto hineinmontiert war hier eine verglaste Bücke zu sehen, die zielstrebig auf die Flanke der neuen Stadt- und Landes­ bibliothek zuläuft, an deren Außenwand plötzlich abknickt und in einer beinahe endlos langen, nun aber nicht mehr glasgedeckten Treppe parallel zum Gürtel endet. Das andere Ende der Brücke war auf der Abbildung nicht zu erkennen, was insofern mysteriös ist, als auf dem Gehsteig gegenüber weder für Auflager

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noch für Treppen Platz ist. Das Rätsel klärt sich auf, wenn man erfährt, welchem Wohltäter die Fußgänger diese Brücke zu verdanken haben: Richard Lugner erweitert seine Lugner-City um ein Kinocenter und verbindet dieses durch die Brücke auf kürzestem Weg mit der U-Bahn-Station Burggasse. Mittelfristig ist eine Verbindung bis zur Stadthalle vorgesehen, um Fußgängerverkehr und damit Kaufkraft dorthin zu bringen, wo Lugner sie am liebsten sieht. Für den Straßenraum der Umgebung bedeutet das zwar Konkurrenz, aber es wäre weltfremd, gerade hier den Verlust von Öffentlichkeit zu beklagen: Lugner hat mit seinen Investitionen sicher viel zur Sanierung des Gebiets beigetragen und zugleich verhindert, dass noch mehr Kaufkraft an die Peripherie abfließt. Vorwerfen kann man Lugner allerdings, dass alles, was er bisher am Gürtel realisiert hat, vollständig architekturfreies Gebiet ist. Das gilt schon für die Lugner-City, und auch das neue „Lugner­ plex“ wird keine ästhetische Bereicherung darstellen. Die Brücke ist schließlich auf beinahe groteske Art verunglückt: die drei Auflagersäulen neben der Bibliothek, die seltsamen Verknickungen des Glasdachs und schließlich die Treppe, die im Unterschied zur Fotomontage natürlich nicht als normale Treppe (über die niemand freiwillig hinaufsteigen würde), sondern als Rolltreppe ausgeführt werden soll – mit allen Konsequenzen in Bezug auf zusätzliche Konstruktionen und Maschinerie. Mit der Transparenz der Brücke ist es ohnehin nicht weit her: Lugner wird kaum darauf verzichten, die Brücke als Werbeträger zu nutzen. Dass Lugner die Renditen seiner Projekte ein größeres Anliegen sind als deren architektonische Qualität, ist unerfreulich, aber nicht mehr. Besorgniserregend ist dagegen das bei diesem Beispiel symptomatische Versagen der öffentlichen Hand, von den politischen Entscheidungs­trägern bis zu den für Stadtplanung und Stadtgestaltung zuständigen Behör­ den. Denn die Brücke ist nur das letzte Glied in einer Entwicklung, die sich bis ins Jahr 1995 zurückverfolgen lässt. Richard Lugner war damals mit einem ersten Projekt zur Nutzung des Gürtelraums aufgetreten, nämlich einer Parkgarage, von der aus eine Brücke in die Lugner-City führen sollte. Der damalige Planungsstadtrat, Hannes Swoboda, lehnte diese Idee, die den Gürtelraum noch mehr als Verkehrsträger abgestempelt hätte, ab. Eine Überbauung der Stadtbahn wurde jedoch grund­ sätzlich positiv aufgenommen, allerdings nur für eine Nutzung, die mit der Idee einer „Jugend- und Kulturmeile“, die im Rahmen des von der EU geförderten URBAN-Projekts am Gürtel entstehen sollte, kompatibel wäre. Swoboda empfahl Lugner auch einen Architekten für ein solches Projekt, nämlich Adolf Krischanitz,

„Wolkenspange“: nicht realisiertes Projekt zur Gürtel-Überbrückung von Adolf Krischanitz Foto: Atelier Krischanitz

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der sich bereits in den 70er-Jahren zusammen mit Otto Kapfinger in typologischen Studien mit der Stadtbahn beschäftigt hatte. Krischanitz entwarf ein über der Stadtbahn schwebendes Gebäude, das – in Anlehnung an die Wolkenbügel-Projekte, die der russische Konstruktivist El Lissitzky und der Schweizer Ingenieur Emil Roth für das Moskau der 1920er-Jahre entworfen hatten – „Wolkenspange“ getauft wurde: ein 200 Meter langes, eingeschos­ siges Brückenbauwerk über der Stadtbahntrasse, getragen von vier Scheibenpaaren entlang der Futtermauern der U-Bahn. Die Außenwände waren aus Gläsern unterschiedlicher Transparenz gedacht, hinter denen sich die Silhouetten der Besucher abzeichnen sollten. Die Unterseite der Wolkenspange sollte im Bereich der Bahntrasse mit Lichtbändern versehen und zusätzlich in wechselnden Lichtinszenierungen bespielt werden. Nach dem Wechsel von Hannes Swoboda nach Brüssel hatte das Projekt seinen politischen Fürsprecher verloren. Bald wurden Bedenken laut, dass Lugner unter der von ihm angekündigten Nutzung der Wolkenspange als „Jugend- und Kulturzentrum“ in Wahrheit eher eine Art von besserer Spielhalle verstehen würde und zumindest mittelfristig eine rein kommerzielle Nutzung über öffentlichem Grund entstehen würde. Ob diese Spekulationen zutreffen, ist schwer zu sagen: Im Projekt von Krischanitz war ein Nutzungsmix vorgesehen: Geschäfte, Bars, Discotheken und Internetcafés ebenso wie explizit „konsumfreie“ Zonen, die tatsächlich als Jugendzentrum zu bespielen gewesen wären. Bevor es notwendig wurde, sich über die Frage zu einigen, was denn heute unter Jugendkultur zu verstehen wäre, lieferte eine andere Institution einen willkommenen Anlass, das Projekt zu begraben: Der Wiener Fachbeirat für Stadtplanung und Stadter­ weiterung sprach sich aus Gründen des Stadtbildes gegen eine Überbauung des Neubaugürtels aus. Zwar gab es unter der Wiener Architektenschaft einigen Protest gegen diese Entscheidung, aber ohne Erfolg. Die Idee, den Gürtel durch neue bauliche Ein­ richtungen an dieser Stelle zu beleben, schien ad acta gelegt. Allerdings nur für kurze Zeit: Anfang 1998 kam die Idee auf, statt der Wolkenspange eine neue Hauptbibliothek für die Wiener Städtischen Büchereien zu errichten. Dass ein solches Bauwerk ein Mehrfaches des Volumens der Wolkenspange einnehmen würde, schien plötzlich nicht mehr zu stören. Von einem Aufschrei des Fachbeirats war zumindest öffentlich nichts wahrzunehmen. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, den der Wiener Architekt Ernst Mayr für sich entscheiden konnte. Das Projekt besetzt den Gürtelraum massiv und reagiert auf den Urban-LoritzPlatz mit einer gigantischen Treppe, die zu einem kleinen Tempel auf dem Dach der Bibliothek führt – offensichtlich eine Metapher für Bildung, mit der sich die verantwortlichen Stadt­ politiker identifizieren konnten, vielleicht in Erinnerung an jene Zeiten, als man in den Wiener Städtischen Büchereien nur dann ein belletristisches Buch entlehnen konnte, wenn man zusätzlich ein Sachbuch mit nach Hause nahm. Dass keines der zahlreich vorhandenen besseren Projekte gewählt wurde, lag an 198

den Kosten: Wer Bücher (Deckenbelastung pro Quadratmeter: rund 2,3 Tonnen) unbedingt an der lautesten Stelle Wiens frei­ schwebend über die Stadtbahn hängen möchte, dem bleibt kein Geld mehr für Architektur. Wenn Richard Lugner nun doch seine Brücke erhält, ist das nur die traurige Pointe dieser Geschichte. Die Brücke selbst lässt sich mit etwas gutem Willen vielleicht noch so gestalten, dass sie die Passanten nicht beleidigt. Skandalös wird aber bleiben, was der Stadt entgangen ist: die private Investition Lugners von über 200 Millionen Schilling (14,53 Millionen Euro), die ausnahms­ weise in hochwertige Architektur geflossen wären, und eine Bele­ bung des Stadtraums in einer Form, die der aktuellen kulturellen Entwicklung entsprochen hätte und nicht der in Wien nach wie vor herrschenden Fürsorge-Mentalität des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl, die statt Glück nichts anderes erzeugt als dumpfe Unzufrie­ denheit. Wenn die neue Landesregierung das jüngste Wahlergebnis als Bestätigung dieser Mentalität interpre­ tiert, kann man der Architekturentwicklung in Wien harte Zeiten vorhersagen. In den letzten Jahren wurden stadtplanerische Entscheidungen nicht vom zuständigen Ressort, sondern dort getroffen, wo Macht und Budget zu finden waren. Bernhard Görgs Nachfolger wird Stadtplanung in Wien erst wieder zu einer ernstzunehmenden und ernst genommenen Größe machen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass er sich auch als Kulturstadtrat verstehen und die richtigen Verbündeten für diese Aufgabe suchen wird. Neben der Reform und internationalen Öffnung des Fach­ beirats ist eine Auffrischung auf Beamtenebene längst überfällig. Eine erste Gelegenheit dazu ergibt sich bei der Magistratsab­ teilung 19, der Abteilung für Stadtgestaltung. Wer dort nach der Pensionierung Dieter Pals mit welchen – in der Ausschreibung geforderten – „konzeptiven Vorstellungen über die zukünftigen Schwerpunkte“ der Abteilung als neuer Leiter zum Zug kommt, wird ein erstes wichtiges Signal sein.

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Restlverwertung: Was von der Idee einer Gürtelüberbrückung überbleibt, wenn die Stadtplanung ihre Chance verschläft Foto: MA 21

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03 / 02 / 2001   

DER SILBERNE MITTELWEG

Ob Gestaltungsbeiräte nur als Hürde im Bauverfahren wahrgenommen werden oder als von allen Seiten akzeptierte Schiedsrichter, hängt von der Rücken­ deckung der Politik ab. Die Arbeit des Feldkircher Fachbeirats für städtebauliche und architektonische Fragen liefert Lehrstücke geglückter Moderation.

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Implantat im historischen Zentrum: Furtenbach-Areal von Bruno Spagolla und Walter Ritsch Foto: Bruno Klomfar

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rchitektur ist so gut wie immer mit Konflikten verbunden. Das liegt in der Natur der Sache: Grund und Kapital sind knappe Güter, und gerade öffentliche Bauvorhaben müssen sich ihre demokratische Legitimation oft hart erkämpfen. Das Niveau der damit verbundenen Auseinandersetzung ist stets auch ein Gradmesser der Konfliktkultur: Das unwürdige Gezerre um das Wiener Museumsquartier ist noch in schlechtester Erinnerung, ebenso die Art, wie jüngst das Linzer Musiktheater verhindert wurde. Monika Forstinger, neue Infrastrukturministerin, scheint nun diese Strategie von Oberösterreich auf die Bundespolitik übertragen zu wollen, wenn sie der Bahnhofsoffensive der ÖBB ein ähnliches Schicksal voraussagt: Man solle sich, ließ sie kürzlich verlauten, besser um die Sanitäranlagen der Bahnhöfe kümmern, statt architektonische Selbstdarstellung zu betreiben. Vor der Anregung der Grünen, Forstinger möge sich bei ihrem Vorgänger, dem Ar­ chitekten Schmid, Anregungen zum Umgang mit dem Thema Architektur holen, ist zu warnen. Dessen Beitrag als zuständiger Landesrat in der Steiermark bestand im Versuch, die steirische Baukultur auf Provinzniveau abzusenken. Empfehlenswert wäre jedoch eine Nachfrage in Vorarlberg, wo die systematische Qualifikation des Baugeschehens von allen Parteien getragen wird. Eine jüngst von der Stadt Feldkirch herausgegebene Publikation über die Arbeit des dortigen Fachbeirats für städte­ bauliche und architektonische Fragen könnte als einführende Lektüre dienen. Walter M. Chramosta, selbst seit 1995 Mitglied dieses Beirats, hat darin das Wechselspiel zwischen Bauherren, Architekten, demokratisch gewählten Entscheidungsträgern und externen Experten anhand ausgewählter Projekte dargestellt. Der Gestaltungsbeirat, schreibt Bürgermeister Wilfried Berchtold im Vorwort, sei in den acht Jahren seines Bestehens von der „anfänglich als weitere ,Hürde‘ im Bauverfahren wahr­ge­nom­­ menen Rolle in die Position eines von allen Seiten akzeptierten

,Schiedsrichters‘ hineingewachsen“. Er habe „nicht nur einige drohende ,Bausünden‘ zu verhindern gewusst, sondern Vorhaben ermöglicht, die sonst möglicherweise auf der Strecke geblieben wären“. Das gilt besonders für die heikle Frage des Bauens im historischen Zentrum, wo mit den Projekten der Braugaststätte Rössle Park, die schließlich vom Atelier Rainer + Amann realisiert wurde, und dem Wohn- und Geschäftshaus Furtenbach-Areal von Bruno Spagolla und Wolfgang Ritsch Maßstäbe gesetzt wurden. Im Fall der Braugaststätte konnte dem Bauwerber deutlich gemacht werden, dass die von einem Spezialisten für Erlebnis­ gastronomie projektierte Fassadenkulisse als Ersatz für ein 1994 niedergebranntes altes Gebäude eine Beleidigung der historischen Substanz darstellte. Der daraufhin abgehaltene Wettbewerb brachte 1996 ein respektables Ergebnis, das im Gestaltungsbeirat noch zwei Begutachtungsrunden zu absolvieren hatte. Für den Beirat war dieses Projekt ein Meilenstein: Dass sich die Frastanzer Brauerei als „alteingesessener“ Bauherr zu einer derart anspruchs­ vollen Lösung durchringen konnte, erregte Aufsehen und wurde durch die in allen Altersschichten hohe Akzeptanz der neuen Braugaststätte belohnt. Beim Furtenbach-Areal war die Aufgabe des Beirats noch wesentlich heikler. Einer­ seits galt es, den für die Belebung der Altstadt dringend benötigten Investor

in seinen ökonomischen Ansprüchen zu befriedigen, andererseits dieselbe Altstadt vor den zerstörerischen Neben­ effekten einer rein ökonomischen Logik zu bewahren – ein drei Jahre dauernder Balanceakt mit einer Vielzahl von Abstimmungen im Großen und in den ebenso bedeutsamen Details, etwa der Ausbildung der Geschäftsportale. Der Beirat sieht in seinen oft pointiert formulierten Einwen­ dungen den Versuch, die Kompetenz der Architekten herauszu­ fordern. Nur in wenigen Fällen fühlen sich die Planer dabei bevormundet, viel öfter sehen sie sich in ihren Anliegen gegen den Druck des Auftraggebers bestärkt, der gerade bei Geschäfts­ bauten meist nur in quantitativen Kriterien zu denken gewohnt ist. Aber auch er kann in der Regel davon überzeugt werden, dass die totale Ausschlachtung eines Grundstücks seinen eigenen Interessen zuwiderläuft: Zumindest im Vorarlberger Umfeld, das Qualität zu schätzen weiß, lassen sich mit Brachiallösungen keine Renditen mehr erzielen. Ein Projekt von der Komplexität des Furtenbach-Areals zeigt freilich auch die Grenzen des Fachbeirats auf, der sich für eine solche Materie zu selten und zu kurz trifft. „Für derartige

Braugaststätte Rössle Park – ursprüng­ licher Entwurf … ... und nach der Behandlung im Gestaltungsbeirat, entworfen von Rainer + Amann Foto: Albrecht Schnabel

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Großvorhaben“, schreibt Chramosta, „wäre ein mit dem Fach­ beirat koordinierter Projektbeirat mit eigener Geschäftsordnung und interdisziplinärer Besetzung empfehlenswert.“ Dass der Bürgermeister von einem spezifischen „Feldkircher Beiratsmodell“ sprechen kann, liegt vor allem am engen Kontakt zwischen Beirat und politischen Entscheidungsträgern. Anders als bei vielen Beiräten, deren Mitglieder zwar eng mit Beamten kooperieren, aber kaum mit gewählten Mandataren zusammen­ kommen, gibt es in Feldkirch ein interessiertes politisches Gegenüber in Form des Planungsausschusses. Unmittelbar nach jeder der alle zwei Monate stattfindenden Sitzungen des Beirats werden diesem Ausschuss die behandelten Projekte, die Befunde und die Stellungnahmen des Beirats erläutert: bisher 81 positive, 72 bedingte – also mit Auflagen verbundene – und 150 negative Stellungnahmen, wobei rund 10 % aller Bauvorhaben dem Beirat vorgelegt werden. Weil die meisten dieser Projekte noch vor der formalen Einreichung behandelt werden können, ist der Beirat auch ein nützliches Instrument, um Verfahrensab­ läufe für den Bauherrn zu erleichtern und mitunter auch zu beschleunigen. Die Publikation gibt einen guten Einblick in die Arbeit des Beirats: Das Auf und Ab der einzelnen Projekte wird nachvoll­ ziehbar, die Abfolge von positiven und negativen Zwischen­ befunden, die Bedeutung der präzisen, auch allgemein verständ­ lichen Begründung. Die beginnt schon bei der Formulierung der jeweils den spezifischen urbanistischen Bedingungen ange­ passten Ziele: „das historische Zentrum ertüchtigen, die öffentliche Dienstleistung verorten, die urban-alpine Landschaft weiter­bauen, die Siedlungsränder verdichten“. Gerade im letztgenannten Bereich, der für die besondere Situation im Rheintal strategisch bedeutsam ist, finden sich interessante Beispiele, etwa ein Verbrau­ chermarkt in der Nähe einer alten Kapelle, der dem Beirat fünf Mal vorgelegt wurde. Schrittweise gelang dabei die „Bewältigung der schwierigen, weil die Umformung einer dörflichen in eine vorstädtische Struktur radikalisierenden Bauaufgabe“. Das Ergebnis beweist, dass derartige Entwicklungen nicht sich selbst überlassen bleiben müssen, sondern durchaus Gelegenheit für gestaltende Eingriffe bieten. Gerade an solchen Beispielen wird deutlich, dass die Arbeit des Beirats als Lehrstück geglückter Moderation nur möglich war, weil er die volle Rückendeckung einer wohlinformierten Politik hinter sich wusste. Als Mitglieder des Beirats, die laut Statuten nicht in Vorarlberg niedergelassen sein dürfen, hat die Stadt immer Personen gewählt, die Statur genug haben, sich weder von Politikern noch von „Star-Architekten“ beeindrucken zu lassen: Marcel Meili, Hanno Schlögl, Ernst Beneder, Rudolf Prohazka, Andreas Egger, Margarethe Heubacher-Sentobe, Max Rieder sowie die drei aktu­ ellen Mitglieder: Carl Fingerhuth, Marta Schreieck und Walter M. Chramosta. Direkte Beeinflussung ist freilich weniger das Problem. Fingerhuth gehört beispielsweise auch dem Salzburger Gestaltungs­ beirat an, der nicht an Beeinflussung leidet, sondern daran, dass 202

er in wichtigen Fragen, etwa der Situierung des neuen Stadions schlicht übergangen wurde. Schon Ende 1998 hat er sich gegen den Standort beim Schloss Kleßheim ausgesprochen, ein Jahr später auf die „verkrampfte Tarnkappen-Ästhetik“ des siegreichen Wettbewerb-Projekts aufmerksam gemacht und den Vorschlag er­ neuert, das Stadion in Liefering zu situieren. Und für die Altstadt, die in Feldkirch zum Ausgangspunkt der Auseinander­ setzung mit zeitgenössischer Architektur wurde, ist der Salzburger Beirat überhaupt nicht zuständig. In Wien gibt es zwar nominell einen Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der jedoch durch seine beinahe sozialpartnerschaftliche Besetzung mit ortsansässigen Mitgliedern kaum als Instrument der Stadt­ gestaltung in Erscheinung tritt. Auch wenn man Kleinstädte wie Feldkirch nicht mit Salzburg oder Wien in einen Topf werfen darf: Fachbeiräte sind, wie Chramosta schreibt, unverzichtbar als „silberner Mittelweg zwischen vollständiger Verregelung und vollständiger Liberalisierung“. Je größer der ökonomische Druck auf die Bauproduktion wird, desto mehr wird es in Zukunft eine unabhängige, fachlich kompe­ tente Moderation brauchen, um die öffentlichen Ansprüche an den Stadtraum durchzusetzen. Die Politik kann die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen – oder zerstören, wenn sie Qualitätsansprüche mit architektonischer Selbstdarstellung verwechselt.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 204

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RETTET DAS TIROLERHAUS! Kann es in den Alpen neben Schnee- und Stimmungskanonen auch lebendige zeitgenössische Kultur geben? St. Anton vor der Skiweltmeisterschaft: von Architektur, die Anlass zur Hoffnung gibt.

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tellen Sie sich ein Feriendorf in den Alpen vor. 2.400 Einwohner, 1.400 Saisonarbeiter, 120 Kilometer Piste mit 40 Liften, 250 Skilehrer, 8.500 Touristen in der Hochsaison: „Zwischen Genuss und Gipfelglück liegt St. Anton am Arlberg.“ Am Austragungsort der alpinen Skiweltmeisterschaften 2001 werden längst keine Betten mehr vermietet, sondern Erlebnisse verkauft: Von weißem Rausch, Spaß im Schnee und gleißend vergletscherten Bergen, die sich felsig in den blauen Himmel recken, erzählt das Gäste­ magazin. Tourismus hat hier Tradition. Den Skiklub Arlberg gibt es seit 1901, die erste Skischule seit 1921. Damals hätte sich niemand träumen lassen, dass der Tourismus eines Tages zu den wichtigsten Wachstumsbranchen gehören würde. Nach Angaben des „World Travel and Tourism Council“ produziert der Tourismus heute mehr als 11 % des weltweiten Bruttosozialprodukts und wird seinen Anteil bis 2008 auf mehr als 20 % verdoppeln. Die welt­ weite Reise- und Tourismusindustrie ist damit die Avantgarde eines neuen Kapitalismus, der seine Renditen immer weniger mit Sachgütern erwirtschaftet als vielmehr mit Erlebnissen und Träumen. Einer dieser Träume, das Bergdorf mit den kernigen Einhei­ mischen, verliert zunehmend an Attraktivität. Er lässt sich auch nur schwer weiterträumen, wenn auf jeden Einheimischen vier Gäste kommen und von diesen – wie in Tirol – 93 % aus dem Ausland stammen. Wie die Zukunft jenseits dieses Klischees aussehen könnte, lässt sich in St. Anton anhand einiger bemerkenswerter Neubauten erkennen. Die Ski-WM ist dabei nur der unmittelbare Anlass. St. Anton hat dieses Ereignis geschickt mit dem Ausbau des Bahntunnels durch den Arlberg verbunden, dem der Ort seinen frühen touristischen Aufstieg verdankt. Seit 1880 quert die Bahn den Arlberg, von der Vorarlberger Textilindustrie als neuer Absatzweg mitfinanziert. Mit dem 1998 begonnenen zweigleisigen Ausbau des Arlberg­ tunnels bot sich für den Ort eine einmalige Chance: Der Bahn­ hof konnte aus der Ortsmitte 200 Meter auf die andere Seite der Rosanna verlegt werden. Damit verschwand eine Barriere, die bisher den Ort geteilt hatte. Zugleich wurde aus dem Bahn­ hofs­areal eine Freifläche in bester Lage, an deren Rändern Neubauten errichtet wurden, die alle alpinen Klischees elegant hinter sich lassen: das neue Zielstadion, eine Sporthalle mit angeschlossenem Wellness-Bad und das Hotel Anton. Zuerst aber ein Blick auf den neuen Bahnhof: Hier haben die ÖBB ihr Versprechen, Einrichtungen der neuen Hochleistungsstrecken 205

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Disneyland-Konserve oder Zeitgenossenschaft? Wolfgang Pöschls Hotel Anton … Foto: Christian Kühn

… und das Wohnhaus der Hoteliersfamilie Falch, St. Anton am Arlberg Foto: Christian Kühn

Feuerwehr in Gaimberg, Osttirol, von Rainer Pirker Foto: Rainer Pirker

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nicht nur technisch, sondern auch architektonisch auf höchstem Niveau zu errichten, eingelöst. Der Bahnhof – nach einem Ent­ wurf von Gerhard Manzl, Manfred Sandner und Johann Ritsch errichtet – wirkt als lang gestreckte Skulptur, die zwischen zwei Tunnelbauwerken eingespannt ist. Die Architekten haben die Lärmschutzwand und das Bahnhofsgebäude zu einer ruhigen Großform zusammengefasst, deren Außenhaut mit dünnen Edel­ stahlnetzen verkleidet wird. Wenn sie bis zur Ski-WM fertigge­ stellt ist, wird sie wie ein vereister Wasserfall wirken, durch den man die Schalterhalle betritt. Als technisches Objekt mit hoher

Ortsbindung ist dieser außergewöhnliche Bahnhof mehr gestaltete Landschaft als Gebäude. Die Bahn hat hier bewiesen, dass sie neben technischen und organi­ satorischen Spitzenleis­ tungen im Trassenbau – die 6 km lange und 1,6 Milliarden Schilling (116 Millionen Euro) teure Teilstrecke wurde inklusive aller Behördenverfahren in zehn Monaten geplant und in zweieinhalb Jahren errichtet – auch im Hochbau höchste Standards erreichen kann. Vom selben Architektenteam, das den neuen Bahnhof geplant hat, stammt der Entwurf für das Zielstadion, das schon im vergangenen Winter in Betrieb war, ebenfalls ein ruhiger Bau­ körper, holzverkleidet und sanft in den Hang geschoben. Für die WM ist er derzeit von zusätzlichen Tribünen überwuchert. Frei geblieben ist das große Fenster zum Zielhang, hinter dem bereits bei den Rennen in der vergangenen Saison die im Fernsehen gezeigten Interviews mit Blick auf die Piste stattfanden. Direkt daneben befindet sich die neue WM-Halle von Much Untertrifaller und Helmut Dietrich, eine geschickt in den Hang platzierte große Box mit einer Sport- und Veranstaltungshalle und einem Wellness-Bad, das im Herbst in Betrieb gehen wird. Zur Frei­ ­fläche des ehemaligen Bahnhofs hin haben die Architekten der Halle eine Art Paravent vorgesetzt, eine mit Holzlamellen verklei­ dete Stahlkonstruktion, die der Box mehr Leichtigkeit gibt. Ein gerahmtes Freibecken an der Seite sorgt für zusätzliche Belebung.

Hangseitig ist das Gebäude vollständig in den Berg gegraben, sodass die Skiabfahrt direkt aufs Dach führt. Vom Hang aus sind vom Gebäude nur drei kleine mit Holzlamellen verkleidete Aufbauten zu sehen, in denen Ruheräume der Sauna und eine Bar untergebracht sind, sowie die Oberlichtbänder der Sport­ halle, die quer zum Hang stehen und das Gebäude optisch im Berg verankern. Am anderen Ende des ehemaligen Bahnhofs findet sich das einzige privat errichtete Objekt in dieser Reihe von Neubauten, das Hotel Anton. Es verdankt sein Entstehen ebenfalls der Bahn­ hofsverlegung: Die Besitzerfamilie Falch hatte sowohl ihr Wohnals auch ihr Gästehaus auf dem Areal des neuen Bahnhofs und musste beides aufgeben. Mit der Ablöse wurde zuerst am Hang ein neues Wohnhaus errichtet. Weil sich die Verhandlungen mit den ÖBB in die Länge zogen und der Baubeginn für den neuen Bahnhof näher rückte, wurde die Zeit knapp. Erst im Frühjahr 1999 war ein Grundstück gefunden, mit Unterstützung des Architekturforums Tirol machte man sich auf die Suche nach einem Architekten. Wolfgang Pöschl aus Innsbruck legte im Juni einen ersten Entwurf vor – und im Dezember desselben Jahres wurde das Haus bezogen. Dieser knappe Zeitplan hat der Qualität nicht geschadet, im Gegenteil: Es blieb keine Zeit für Kompromisse. Im Querschnitt ein Terrassenhaus auf zwei Ebenen, zeigt sich das Gebäude vor allem an der Eingangsseite unkonven­ tionell. Statt einer Garage findet sich ein großes Flugdach aus Stahltrapezblech, statt eines Satteldachs ein Flachdach mit einem aufgesetzten, beidseitig verglasten und innen verspiegelten Kasten, der Licht von der Südseite bis in den Wohnraum auf der unteren Ebene reflektiert. Hangseitig sind die beiden Ebenen großteils bis zum Boden verglast. Konstruiert ist das Gebäude in einer Mischbauweise: An ein Rückgrat aus Stahlbeton sind Holz­ elemente angedockt, Stahl und Glas sind zweckmäßig damit kombiniert. Die Auftraggeber waren mit ihrem Haus derart zufrieden, dass sie bei der Planung des Hotels nur kurz überlegten, den konventionellen Standards des Tirolerhauses zu folgen. Warum sollten ihre Gäste schlechter wohnen als sie selbst? Das Hotel, das Wolfgang Pöschl für sie entworfen hat, überträgt die Qualitäten des privaten Wohnhauses auf die Gastronomie. Ein funktionell perfektes Haus mit Zimmern, die sich durch Schiebewände verwandeln lassen und die Träume eines urbanen Publikums erfüllen. Die Fassade ist als Filter ausgebildet, große Glaswände, kombiniert mit Alkoven, die in die Fassade gestülpt sind und so zusätzlich zu den normalen Betten einen besonderen Liegeplatz mit Ausblick in die Berge bieten. Dass solche Bauten nicht ohne Widerspruch bleiben, ist klar: „Bürger von St. Anton! Es ist höchste Zeit, gegen die weitere Verschandelung des Tiroler Stils unseres Ortes etwas zu unter­ nehmen“, war kürzlich im Gemeindeblatt zu lesen. Dass es dabei nicht um den alten Streit zwischen Tradition und Moderne geht, zeigt der Nachsatz: „Noch kommen die Gäste zu uns. Aber wie lange noch?“ Geht es also bloß um unterschiedliche 207

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Marketingkonzepte, ob man eher eine traditionelle oder eine urban-moderne Zielgruppe ansprechen möchte? Nicht nur. Es geht vor allem um die Frage, ob es in der Welt des Tourismus noch eine Identität außerhalb der kalkulierten Wirkung gibt. Die Tiroler Baukultur beweist nicht nur in St. Anton, dass sie dieser Herausforderung gewachsen ist: Wenn in einem Dorf wie Gaimberg in Osttirol ein Feuerwehrgebäude wie jenes von Rainer Pirker einen Wettbewerb gewinnen kann, dann besteht Hoffnung. An solchen Tirolerhäusern werden auch die Gäste des 21. Jahr­ hunderts erkennen, dass sie nicht in einer Disneyland-Konserve gelandet sind, sondern in einer lebendigen Kultur.

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ES GEHT AUCH OHNE KICHERN

Kostenoptimierung mehrgeschossiger Wohnbauten: Unter diesem Motto stand die Errichtung einer Siedlung im Süden Wiens. Und Puchhammer, Krischanitz, Prohazka & Co. stellten eindrücklich unter Beweis, dass sie auch die Kunst des Sparens beherrschen.

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ien ist, zumindest was die Bausubstanz aus dem 20. Jahrhundert betrifft, im Wesentlichen vom Wohnbau geprägt. Bedeutende öffentliche Bauten, die nach dem Ersten Weltkrieg errichtet wurden, sind rar, während sich die Gemeinde Wien nicht nur zum größten „Hausherrn“ Österreichs entwickelt hat, sondern mit den Gemein­ debauten des „Roten Wien“ auch einen respektablen Beitrag zur Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts geleistet hat. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnbau­ tätigkeit vor allem von quantitativen Kriterien bestimmt: „Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl“ lautete die utilitaristische Devise. Wenn diese Entwicklung irgendwo ihren Höhepunkt gefunden hat, dann in Harry Glücks Wohnhausscheiben in Alt-Erlaa am Südrand des Wiener Stadtgebiets. Soziologische Studien attestieren diesen Bauten seit Jahren, Orte des größt­ möglichen Glücks im Sinne der „Wohnzufriedenheit“ zu sein, und über die größtmögliche Zahl kann es angesichts von über 3.000 Wohneinheiten in einer Anlage keine Diskussionen geben. Seit die U-Bahn-Linie U6 bis Siebenhirten ausgebaut ist, ist das Gebiet südlich von Alt-Erlaa attraktiv für neue Wohnbe­bauung geworden. Unmittelbar anschließend an die terrassierten Hochhäuser liegt das Areal „In der Wiesen“, das als städtebau­liche Antithese zu Glücks utilitaristischer Vorstellung konzipiert wurde. Der Bebauungsplan von Franziska Ullmann mit seinen Höfen und Straßenräumen ist zwar gut gemeint, das gebaute Ergebnis jedoch alles andere als glücklich: Jenseits einer bestimmten

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Gebäudehöhe funktioniert der Städtebau nach den mühsam adaptierten Vorbildern des 19. Jahrhunderts einfach nicht mehr. Was im Lageplan vertraut aussieht, wirkt in der Realität so zwang­ haft, dass die Hochhausscheiben daneben eine vergleichsweise poetische Ausstrahlung bekommen. Im städtebaulichen Wettbewerb für „In der Wiesen“ gab es im Übrigen durchaus Projekte, die sich der Herausforderung des Orts stellten, insbesondere einen Vorschlag von Rudolf Prohazka, der sich den Dimensionen der Glück’schen Hochhausscheiben zwar annäherte, jedoch eine typologisch vielfältigere Bebauung und einen urbanen Park zwischen parallelen Zeilen vorschlug. Dieser öffentliche Raum hätte sich von Glücks Abstandsgrün unterschieden, ohne auf traditionelle, bei der geforderten Dichte aber unbrauchbare Muster zurückgreifen zu müssen. Zwei U-Bahn-Stationen weiter stadtauswärts findet sich ein Beispiel für eine Urbanisierung, die im Gegensatz zu „In der Wiesen“ ihren Namen verdient. Am Anfang stand hier zu Beginn der 90er-Jahre die Idee eines „Multifunktionalen Zentrums Perfektastraße“, das im Rahmen der U-Bahn-Verlängerung entstehen sollte. Raimund Abraham hatte ein monumentales Leit­ konzept entwickelt, das sich als nicht realisierbar erwies, Hans Puchhammer und Rudolf Prohazka konzipierten schließlich für einen Teil des Areals eine neue städtebauliche Figur. Puchhammer schlug entlang der U-Bahn-Trasse zwischen zwei Stationen eine gestaffelte Abfolge von fünf Türmen vor, denen niedrige, nach Süden orientierte Zeilen vorgelagert sind. Rudolf Prohazka entwickelte für den Abschluss des Areals im Süden eine Randbebauung, die zur U-Bahn-Station überleitet. Das alles ist nicht spektakulär, aber im Detail raffiniert: Puchhammer hat die 26-Meter-Türme nicht einfach neben die Zeilen gesetzt, sondern jedem Turm einen niedrigeren Baukörper angefügt, der die Höfe zwischen den Zeilen abschließt und typo­ logische Variationen der Türme herausfordert. Die interessanteste Variation ist Puchhammer selbst gelungen, ein Bau mit starker Physiognomie und vertrackten Symmetrien, die aber insgesamt ein spannungsvolles Gleichgewicht halten. Im Erdgeschoss führt eine Passage durch das Gebäude zu einer gut belichteten inneren Halle mit zwei einander gegenüberliegenden offenen Treppenhäusern. Von Puchhammer stammt auch noch der Kopf­ bau der anschließenden Zeile, die das nach Norden hin schmäler

Ohne Effekte, aber mit hohem Nutzwert: urbane Zeile von Adolf Krischanitz, Dernjacgasse …

… und Arkadenabschluss zur Perfektastraße von Rudolf Prohazka, WienLiesing Fotos: Margherita Spiluttini

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werdende Grundstück abschließt. Die Zeile selbst ist von Ganahl / Ifsits/Larch entworfen, ein typologisch interessanter, fünf­ geschossiger Bau: Im ersten und zweiten Stock liegen Geschoss­ wohnungen, im dritten Stock eine gut 80 Meter lange Straße mit Zugängen zu 21 sehr großzügigen Maisonetten. In diesem Gang macht sich das Motto der Siedlung – „Kostenoptimierung mehrgeschossiger, ökologisch sinnvoller Wohnbauten“ – freilich unangenehm bemerkbar: Die vorgesehenen Fenster, die diesen halböffentlichen Raum mit den Küchen visuell verbunden hätten, konnten aus Kostengründen nicht realisiert werden. Sie sind tatsächlich „unnötig“ und von den Bewohnern angeblich gar nicht gewünscht, aber selbst rüschenverhangen hätten sie diesem Gang ein soziales Potenzial gegeben, das man nun schmerz­ lich vermisst. Dass man bei dieser Siedlung versucht hat, die Kosten zu reduzieren, ist an sich begrüßenswert. Es handelte sich um einen der ersten „Bauträgerwettbewerbe“, bei denen bereits in der Wettbewerbsphase Architekt und Bauträger gemeinsam antreten müssen. Die Kosten konnten durch diese Konkurrenzform um bis zu 10 % gesenkt werden. (Beim Wohnbau von Ganahl/Ifsits/ Larch betragen die monatlichen Mieten 60 Schilling [4,36 Euro] inklusive Betriebskosten pro Quadratmeter, bei einem Bauund Grundkostenanteil von 5.700 Schilling. Nach zehn Jahren besteht die Möglichkeit, die Wohnung ins Eigentum zu über­ nehmen.) Die Drohung, bei Überschreiten der Baukosten die gesamte Förderung zu streichen, hat jedoch den unangenehmen Neben­ effekt, dass oft für wenige Prozent Ersparnis entschei­dende Qualitäten jenseits der funktionellen Grundanforderungen gestri­ chen werden. Die Kunst des Sparens will unter diesen Bedin­ gungen gelernt sein. Adolf Krischanitz hat in seinem Bauteil eine Lösung gefunden: Das Projekt muss von Anfang an Elemente enthalten, auf die man ohne gravierende Verluste verzichten kann. Krischanitz hatte in seinem Wettbewerbsprojekt eine auf­ wendige, schräg vor die Fassade gestellte Solarzellenwand vorge­ sehen. Im Lauf der Planung ist sie aufs Dach gewandert und spielt dort kaum mehr eine visuelle Rolle. Geschadet hat das dem Bau nicht: Er ist der zurückhaltendste in der ganzen Anlage, eine urbane Zeile ohne Effekte, aber mit hohem Nutzwert, etwa den großzügig bemessenen Terrassen. Die formalen Effekte, mit denen Krischanitz arbeitet, sind gerade deshalb wirkungsvoll, weil sie nicht sofort ins Auge springen – im Gegensatz etwa zu den Nachbarbauten von Hermann & Valentiny, die sich an der russischen Revolutionsarchitektur zu orientieren scheinen und mit einem entsprechenden Arsenal an Farben, Materialien und Formen auffahren. Bei Krischanitz finden sich Stahlbeton und warm-grauer Putz und als Hauptthema die Spannung zwischen der lang gestreckten Zeile und den tragenden Querwänden. Eine Verschränkung von Baukörpern in den obersten beiden Stockwerken gibt dieser Zone eine besondere plastische Qualität. Die Innenräume sind gut proportioniert und zeigen im Übrigen, dass man auch ohne 210

vollflächige Verglasungen zeitgemäße Raumqualitäten herstellen kann. Krischanitz verwendet dieselben Bandfenster auch auf der Nordseite, wo sie ohne Variation durchlaufen. Tristesse? „Gemütlich bin ich selbst“, sagt Karl Kraus. Der strenge formale Kanon der frühen Moderne, den Krischanitz hier transformiert, steht dem Leben jedenfalls nirgends im Weg. Wenn ein Haus schon „auf ewig“ gebaut sein muss, dann ist diese Reduktion noch allemal erträglicher als das Kichern der Postmoderne. Ein völlig anderer Ansatz findet sich im Bauteil von Rudolf Prohazka, der die Anlage nach Süden, zur Perfektastraße hin, abschließt. Prohazkas Thema ist die Verschränkung von Räumen mit dem Ziel, auf der symbolischen wie auf der konkreten Ebene Begegnungen zu ermöglichen. Die Idee, die Perfektastraße als Straßenraum mit einer breiten Arkade abzuschließen, verdient Respekt, ist diese Straße doch der Prototyp der „bösen“, weil vielbefahrenen Verkehrsstraße – und doch kein bisschen lauter als die Wiener Ringstraße im Frühverkehr. Diese Arkade ist ein urbanistisches Signal gegen neue Funktionstrennung in der „Zwischenstadt“, die zu autonomen Inseln inmitten eines breiten Verkehrsstroms führt. Die hängenden Lärmschutzwände aus Glas, mit denen Prohazka südorientierte Höfe zu diesem Straßen­ raum schafft, sind ein weiteres Signal in diese Richtung. In den Ecken der Höfe hat er Stiegenhäuser und Lifte teilweise offen platziert, um den Kontakt zwischen den Bewohnern zu fördern. Auch die übrigen Bauteile – von NFOG und Georg Feferle – erreichen ein erfreulich hohes Niveau. Die sehr unterschiedlichen formalen Ansätze lassen den Besucher zwar mit dem Gefühl zurück, eine Oper in fünf Akten gesehen zu haben, die zuerst nach Verdi, dann nach Prokofjew und schließlich nach Krenek klingt. Im Vergleich zu „In der Wiesen“, wo ganz andere Melodien viel zu laut und meist schlecht intoniert auftreten, scheint an der Perfektastraße die Urbanisierung der „Zwischenstadt“ gelungen zu sein.

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ES ENTSTEHT HALT ÜBERALL WAS

Es sind scheinbar kleine Projekte: U-Bahn-Abgänge, Straßenbahn-Stationen, Kioske. Aber sie haben große Auswirkungen auf die Stadt. Über Höhe- und Tiefpunkte der Wiener Stadtmöblierung. Eine Polemik.

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ls der parlamentarische Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit endlich seine Entscheidung für das neue Wahrzeichen des österreichischen Parlaments getroffen hatte, herrschte Erleichterung. „Hohes Haus“ – wie ließe sich dieser Begriff besser vermitteln als durch die direkte Überset­ zung ins Räumliche? Kein Hochhaus, sondern ein Haus hoch oben, schlicht 211

gestaltet, eine Urhütte über den Dächern. Für die nächsten Jahre wird es uns mit seiner schnörkellosen und doch bodenständigen Sachlichkeit als Wahrzeichen des allgemeinen Spar­ willens und symbolische Bauhütte für den Umbau unseres Landes begleiten. Diese Geschichte ist natürlich frei Kultivierter Umgang mit dem Stadtraum? Stadtmöb­ lierung im Weltkulturerbe Wien „Innere Stadt“ Fotos: Christian Kühn

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erfunden. Was staunende Passanten seit einigen Wochen vom Ring aus bewundern können, ist ein Schutzhaus für die Reno­ vierung der acht bronze­ nen Pferdege­spanne auf dem Dach des Parlaments, die in einem so schlechten Zustand sind, dass sie nicht mehr transportiert, sondern nur noch an Ort und Stelle renoviert werden können. Weil diese Arbeit pro Gespann etwa ein halbes Jahr in Anspruch nimmt und das Schutzhaus dann zum nächsten Gespann übersiedelt, ist in den nächsten vier Jahren für immer neue surrealistische Effekte im Stadtbild gesorgt. Selbst wer es grundsätzlich richtig findet, dass eine Hütte nicht mehr sein will als eben eine Hütte, wird sich in diesem Fall fragen, ob es nicht andere, technologisch avanciertere und vielleicht sogar preiswertere Wege gegeben hätte, einen Witterungsschutz für die Renovierungen zu errichten. Die Gleichgültigkeit gegenüber den größeren städtebaulichen Auswirkungen einer temporären Installation, mit der hier vorge­ gangen wurde, ist in Wien leider kein trauriger Spezialfall, sondern verbreitet. Die „Stadttore 2000“, die seit dem National­ feiertag die Wiener Innenstadt umgeben und bis Mitte Jänner stehen bleiben sollen, sind ein weiteres Beispiel. Auf Initiative von Vizebürgermeisterin Laska und bezeichnenderweise im Auftrag der „Stadt Wien Marketing Service GmbH“ durften junge Künstler und Künstlerinnen die wichtigsten Zufahrtsstraßen zur City dekorieren – als gelte es, eine Shopping-Mall fürs Weih­ nachtsgeschäft aufzurüsten. Derartige Dauerspektakel führen zu keiner neuen Erfahrung von Stadt, wie es etwa die kurzfristig rot gefärbelte Secession getan hat; sie haben jedoch eine fatale Konsequenz: Wo dauernd dekoriert wird, braucht sich niemand mehr über Gestaltung ernsthafte Gedanken zu machen. Am deutlichsten wird das im Moment im Umfeld der Wiener Oper. Nicht, dass man hier keine ambitionierten Architekten beschäftigt hätte: Henke und Schreieck haben den Abgang zur Opernpassage umgestaltet und um einen verglasten Lift ergänzt. Luigi Blau hat den neuen Kiosk für die Vereinigten Bühnen Wien mit integriertem Abgang und Lift zur behinderten-freund­ lichen Erschließung der Tiefgarage entworfen. Ein Ersatz für den von Maria Auböck für eine Mozart-Ausstellung entworfenen Pavillon der Vereinigten Bühnen, der seit Jahren wie ein verirrtes Kulissenteil vor der Oper stand, war tatsächlich längst überfällig.

Luigi Blaus erster Entwurf sah einen kleinen Pavillon auf dreieckigem Grundriss mit einem kreisrunden Dachschirm vor, einen noblen, dem besonderen Ort angemessenen Verwandten der Straßenbahn­ stationen, mit denen Blau seinen bisher gelungensten Beitrag zur Wiener Stadtmöblierung geleistet hat. Vor Baubeginn stellte sich jedoch heraus, dass der Betreiber der Operngarage ein paar Meter weiter einen Lift an die Oberfläche führen wollte. Die MA 19, in Wien zuständig für Stadtgestaltung, schaltete sich ein: Blau solle eine kombinierte Lösung finden. Das Ergeb­ nis ist ein Edelstahlflugdach, unter dem sich – wie Blau sagt – die diversen Nutzungen „parasitär ansie­ deln“. Ob dieses Thema vor der Oper klug gewählt ist, sei dahingestellt: Für den unvorbereiteten Betrachter sieht die Lösung einerseits aufwendig, andererseits reichlich verquetscht aus, und die nachts bestrahlten Edelstahloberflächen, die den Dialog mit Henke und Schreiecks Lösung ein paar Meter weiter aufnehmen sollen, erzeugen alles andere als angenehme Reflexionen. Immerhin ist es Blau gelungen, die Abtragung der bollwerkartigen Einfassung der Tiefgaragenabfahrt zu bewirken. Wenn nichts dazwischenkommt, wird nächstes Jahr an ihrer Stelle ein Geländer aus Edelstahl angebracht. Trotzdem: An einem Gestaltungskonzept für das gesamte Umfeld der Oper scheint niemand ernstlich interessiert zu sein. Auf Anfrage bei der MA 19 erhält man dazu eine reichlich resignative Antwort: „Überall entsteht halt irgendwas.“ Und da versuche man eben, das Beste daraus zu machen, wie etwa im Falle des Pavil­ lons der Vereinigten Bühnen. Bei diesem Anspruch gelingt in der Summe nicht einmal das Mittelmäßige. Und von dort geht es dann rasch weiter ins Inferiore: Kürzlich wurde, direkt neben dem von Henke und Schreieck gestalteten Abgang, die „Vienna Opera Toilet“ eröffnet. Ein privater Betreiber, der im HundertwasserHaus die „Vienna Art Toilet“ führt, hat die Toilettenanlage mit rotem Plüsch und Theaterplakaten dekoriert, spielt Musik vom Band und verlangt dafür den stolzen Preis von sieben Schil­ ling. Die Holzverschalung neben diesem Tiefpunkt der Wiener Gastlichkeit markiert übrigens den Ort, an dem eine Video­ installation von „museum in progress“ geplant ist: Überall entsteht halt was. Zyniker werden in diesem Aufeinandertreffen ein natürliches Phänomen sehen: Jede Stadt bekommt, was sie verdient, und morgen sieht alles wieder anders aus. In einer pluralistischen, vom Markt beherrschten Gesellschaft von gestalterischer Einheit zu träumen sei – selbst wenn man nur von den 100 Metern zwischen Kärntner Straße und Opernpassage spricht – schlicht naiv. Aber was ist daran naiv, von der öffentlichen Hand zu verlangen, dass sie eine Toilettenanlage ohne Plüsch betreibt? Oder dass sie das Café in der Opernpassage nicht an eine Fast-Food-Kette vermietet, nur weil das ein paar tausend Schilling im Jahr mehr an Mietein­ nahmen bringt? Welche Nutzung diesem zentralen Raum der Opernpassage gegeben wird, ist nämlich eine Frage, von der die

Hohes Haus: Bauhütte auf dem Eckrisalit des Parlaments an der Ringstraße Foto: Bronco Bollmann

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Qualität des gesamten städtebaulichen Umfelds wesentlich abhängt. Auch der scheinbare Pluralismus bei der Gestaltung der diversen Abgänge und Kioske, mit dem sich die MA 19 vor einer Qualitäts­ diskussion drückt, ist alles andere als selbstverständlich. Als nächster wird Kurt Schlauss zum Zug kommen. Sein Entwurf für die Überdachung der Badner-Bahn-Station auf der anderen Seite des Rings ist eine bizarre Kombination aus einem Flugdach – das von über dem Dach liegenden, nach hinten abgespannten Fachwerksträgern in Position gehalten wird – und einer Glastonne, die an den bestehenden schlichten Aufgang anschließt: Überall entsteht halt was. Nun gibt es in Wien seit kurzem einen „Strategieplan“ – vom Stadtrat für Planung und Zukunft initiiert und als wesentliches Instrument einer neuen Stadtplanung vorgestellt –, in dem diese Fragen durchaus angesprochen werden. Wien müsse einen „kultivierten Umgang mit dem Stadtraum“ pflegen, der auch die „Rücknahme funktioneller und gestalterischer Überfrachtung“ mit einschließe. Der Stadtraum sei nicht nur Erlebniswelt, sondern auch ein „Medium für Vertiefung und Reflexion“. Die „Qualitätssuche im Wettbewerb“ wird ausdrücklich befürwortet, ebenso die „Managementorientierung in der Planung“. Solange dieser Plan als Liste frommer Wünsche belächelt und nicht als Kampfschrift gegen die herrschenden Zustände gefürchtet wird, darf man sich freilich nicht allzu viele Hoffnungen machen. Um eines klarzustellen: Es geht hier nicht um Stadtbildschutz und Ortsbildpflege. Was im Umfeld der Oper zu sehen ist, sind die Spuren von Geldgier, Dummheit, Frustration, Zynismus und vor allem Gleichgültigkeit. Gute öffentliche Räume entstehen dort, wo um Qualität gekämpft wird, in Wien etwa zuletzt auf dem Judenplatz, einem der wenigen wirklich urbanen Plätze Wiens. Er wäre ein Modell: nicht in der Art der Gestaltung, denn nicht jeder urbane Platz muss autobefreit und hochkonzentriert sein – sondern im kompromisslosen Qualitätsanspruch, mit dem hier der Stadtraum in Auseinandersetzung mit kontroversiellen Interessen als öffentliche Sache verhandelt wurde.

14 / 10 / 2000   

IRONIE IM HAMSTERRAD Ausgelobt war ein Ideenwettbewerb zum Thema „Wohnen“. Die 357 Einsendungen zu „Future Vision Housing“, die in Linz zu sehen sind, zeigen vor allem eines: Beim Haus der Zukunft kommt es nicht darauf an, wie es aussieht, sondern wie es sich verkauft.

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ie Architekten der klassischen Moderne verstanden sich als professionelle Visionäre. Ihre Hausentwürfe waren Lebensentwürfe, ihre Stadtplanungen Skizzen neuer Gesellschaftsformen. Le Corbusiers Schlachtruf „Baukunst oder Revolution!“ zeugt von der Hoffnung,

die Gesellschaft verändern zu können, indem man ihr neue Häuser baut. Gegen diese Hoffnung lassen sich viele Argumente anführen. Der Philosoph Ernst Bloch, der architektonische Utopien als „Bauten, die eine bessere Welt abbilden“, durchaus zu würdigen wusste, diagnostizierte in ihr eine Verkehrung von Ursache und Wirkung: „Eben weil die Architektur weit mehr als die anderen bildenden Künste eine soziale Schöpfung ist und bleibt, kann sie im spätkapitalistischen Hohlraum überhaupt nicht blühen.“ Zuerst, bitte, eine andere Gesellschaft, die Architektur wird dann schon folgen.

So lässt sich freilich nur aus einer zähflüssigen Gegenwart heraus argumentieren. Wenn sich die gesellschaftliche Entwicklung beschleunigt, steigt auch in der Architektur der Bedarf nach visionären Entwürfen. Motiv dafür ist weniger der Wunsch nach einer Vorhersage der Zukunft als vielmehr jener nach einem besseren Verständnis der Gegenwart und ihrer Potenziale. Das „Art & Tek Institute“ an der Universität für Gestaltung in Linz, dem Herbert Lachmayer vorsteht, hat sich vor zwei Jahren mit Visionen für die Arbeitswelt auseinandergesetzt: „Future Vision Work“ hieß eine Ausstellung, die von einem internationalen Ideenwettbewerb begleitet war. Zusammen mit dem Architektur­ forum Oberösterreich hat das „Art & Tek Institute“ diesen Wett­ bewerb zu einer von Lachmayer zusammen mit Margit Ulama kuratierten Biennale weiterentwickelt, die der visionären Ausein­ andersetzung mit architektonischen Grundproblemen dienen soll. „Future Vision Housing“ hieß das diesjährige Thema. Erholung und Verkehr stehen für die nächsten beiden Wettbe­ werbe auf dem Programm. Die Auslober bedienen sich damit – wenn auch nur als „Orientierungsfolie in einer zunehmend orientierungslosen Gegenwart“ – einer Gliederung, die von den Hauptvertretern der klassischen Moderne als Lösung für die funktionellen Probleme der Stadt gesehen wurde. Dieser implizite Rekurs auf den Funktionalismus ist geradezu eine Einladung, ironische Beiträge zu liefern. Die Jury, bestehend aus Olaf Gipser, Odile Decq, Hans Frei, Bettina Götz und Margit Ulama hat Humor bewiesen, indem sie eine derartige Einrei­ chung mit dem dritten Preis auszeichnete. Das Team TTT&T aus Berlin reichte eine „Future Vision Wohnpaste“ ein, komplett mit Verpackung und Warnung vor unerwünschten Nebenwirkungen.

Visionäre Provokation? „Haus der Zukunft“ von SOLID und ... Foto: SOLID

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… „urban.sushi“ der Wiener Gruppe AWGAllesWirdGut Foto: AWG

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Neu ist diese ironische Abrechnung mit dem Funktionalismus freilich nicht: Schon Hans Hollein und Peter Noever haben Ende der 60er-Jahre den Raumspray „Svobodair“ kon­ zipiert, der statt simplem Tannenduft eine ganze Büroumwelt hervorzaubern sollte. Unter den Preisträgern, auf die das von Sponsoren aus der Industrie beigestellte Preis­ geld von beachtlichen 17.500 Euro aufgeteilt wurde, finden sich noch andere, die in die 60er-Jahre zurückweisen. Der erste Preis tarnt sich als Werbebroschüre für ein „Haus der Zukunft“, allerdings unter dem paradoxen Slogan: „SOLID – we don’t build houses.“ Das Produkt selbst ist nur schemenhaft dargestellt, eine pneumatische Hülle mit abgerundeten Ecken, deren Oberfläche chamäleonartig jede beliebige Textur anneh­ men kann. Was in den 60er-Jahren ein Ausbruch aus den Konven­ tionen war, ist hier, ganz im Gegenteil, die bedingungs­lose Kapi­ tulation des Wohnens vor der Konsumgüter­industrie. Wie das SOLID-Haus aussieht, ist völlig gleichgültig: SOLID passt in jede Lücke, übernimmt jedes Muster, das gerade gefällt, ermöglicht den Partnerlook mit dem eigenen Haus. Wichtig ist das Lebens­ gefühl, das mit ihm verkauft wird. Heimat wird zur Dienstleistung: Während SOLID übersiedelt wird, wohnt der Besitzer gratis in einem Fünf-Sterne-Hotel. Direkt aus den 60er-Jahren importiert wirkt auch das „urban.sushi“ der Wiener Gruppe „AWG-AllesWirdGut“, eine Art Hamsterrad aus Kunststoff, in dem alle Wohnfunktionen auf kleinstem Raum bereitstehen. Als durchgedrehte Tonne des Diogenes hat das Objekt, dessen Prototyp kürzlich in der Ausstel­ lung „Den Fuß in der Tür“ im Wiener Künstlerhaus zu sehen war, einen hohen Unterhaltungswert. Ob es tatsächlich „realistisch konzipiert“ ist, wie der Wettbewerbsbericht hervorhebt, darf jedoch – trotz aller Referenzen zur Autoindustrie und zu Produk­ ten wie dem „Smart“ – bezweifelt werden. Aus den weiteren Projekten ragen zwei hervor, die weitgehend ohne Ironie auskommen. Im Beitrag „swap“ wird von den Autoren – Christoph Falkner, Thomas Grasl, Georg Unterhohenwarter und Rainer Fröhlich – ein Experiment über nomadisches Wohnen dokumentiert. Der Name „swap“ ist Programm: Zwölf Testper­ sonen wechselten in einem Rhythmus von zwei Tagen ihre Woh­ nungen, um die Notwendigkeit der „eigenen“ Wohnung zu hinter­ fragen. Sie übersiedelten dabei jeweils mit einem „Survival-Kit“, in den sie alles für sie Lebens- und Arbeitsnotwendige gepackt hatten. Im Unterschied zum SOLID-Projekt kommt „swap“ ohne Lifestyle-Vorgaben aus und zielt nicht allein auf gesteigerte Indi­ vidualität ab, sondern auf ein offenes Netzwerk von Individuen. Auf die Chance, damit der massenhaften Individualität der Lifestyle-Inszenierungen eine Alternative entgegenzusetzen, hat schon Vilém Flusser hingewiesen: „Die offene Vernetzung ist eine Alternative zur inkompetent gewordenen Vermassung. Die Hände, die sich an keinen Ast mehr klammern können, woanders

„Sensible House“ von Frederike Putz, Hamburg Grafik: Frederike Putz

hin können sie langen als in Richtung der Hand des Anderen?“ Auf diesen Satz bezieht sich auch das poetischste der prämierten Projekte, das „sensible house“ von Frederike Putz aus Hamburg. Neuen Wohnraum zu schaffen bedeute, neue Beziehungen herzustellen. Ihr Beitrag dazu ist eine Maschine, die Wahrneh­ mungen verwandelt und in den Herstellungsprozess von Kultur eingreift. Die Stadt, von Flusser einmal als Wellental in der Bilder­ flut bezeichnet, wird in dieser Maschine als Interferenz zwischen Gewohntem und Ungewohnten generiert.

12 / 08 / 2000   

WIE EIN GEBÄUDE AUF DIE WELT KOMMT

Direktauftrag oder Ideenkonkurrenz? Es gibt kein Rezept für die glückliche Begegnung zwischen Architekt und Bauherr. Wie das Beispiel der Mittelschule Wolkersdorf zeigt, hat der Wettbewerb aber einen unbestreitbaren Vorzug: Er eröffnet einen Spielraum für die Architekturentwicklung.

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ann kommt ein Gebäude auf die Welt? Bei der Eröff­ nung? Bei Baubeginn? Wenn die erste Skizze entsteht? Oder noch früher, wenn der Bauherr den Wunsch äußert, etwas zu bauen? Die Architekturkritik legt den Geburts­ termin in der Regel auf den Tag der Eröffnung: Da steht das Gebäude ohne Gebrauchsspuren da, schön wie ein fabriks­ neues Auto, und lässt sich publikationsgerecht fotografieren. In die Zeitung kommt es erst wieder, wenn es undicht wird oder einstürzt – und vielleicht eines Tages, bevor es abgerissen werden soll. Seine spannendsten Zeiten erlebt ein Haus aber viel früher, wenn noch fast alles möglich ist. Es ist die Stunde des Bauherrn: Weiß er überhaupt, was er wirklich braucht? Diese Frage ist schon für einen privaten Bauherrn schwer genug zu beantwor­ ten; beim öffentlichen Bau multiplizieren sich die Probleme mit der Anzahl der Betroffenen. Bei jedem Schulbau wollen sich Schüler und Lehrer, Schulwarte und mitnutzende Sportvereine 217

Mittelschule Wolkersdorf: Das Siegerprojekt von Architektur Consult und die Einreichungen von ... Foto: Domenig-Eisenköck

berücksichtigt wissen, und wenn es um die äußere Erscheinung geht, kommen noch Anrainer hinzu, denen jede Veränderung zum Problem wird. Könnte man eine Schule kaufen und wie ein Auto Probe fahren, wären diese Probleme leichter zu lösen. Aber Häuser haben ihre individuelle Geschichte, ihren besonderen Ort und ihre kultur­ellen Bedingungen. Sie sind weder Ware noch Designobjekt, sondern entstehen aus der spezifischen Begegnung eines guten Bauherrn mit einem guten Architekten im Rahmen einer gut definierten Bau­ aufgabe. Gut

… Ullmann / Ebner … Foto: Franziska Ullmann, Peter Ebner

… Kohlbauer … Foto: Martin Kohlbauer

… und Szyszkowitz / Kowalski Foto: Michael Szyszkowitz, Karla Kovalski

definiert heißt dabei nicht, dass jede Anforderung im Detail beschrieben ist, sondern dass das Wesentliche zu einer Hierarchie von Wünschen geordnet ist, die auch für unkonventionelle Antworten offen bleibt. Für die glückliche Begegnung zwischen Architekt und Bauherr gibt es kein Rezept: Unter den herausragenden Bauten finden sich Direktaufträge ebenso wie Ergebnisse offener Wettbewerbe. Die Ideenkonkurrenz hat aber unbestreitbare Vorteile. Abgesehen davon, dass sie dem Bauherrn ein breiteres Spektrum an Lösungen anbietet, ist die Möglichkeitswelt, die sie dabei eröffnet, einer der wesentlichen Orte der Architekturentwicklung. Die Konkurrenz für den Neubau einer Mittelschule im nieder­ österreichischen Wolkersdorf ist ein Paradebeispiel dafür. An Bauherren fehlt es hier nicht: Da ist einmal die Bundesimmobi­ liengesellschaft als Auftraggeber, dann das Bildungsministerium als oberste Vertretung der Nutzer; der Bürgermeister der Gemeinde hat ein verständliches Interesse an einem Neubau, der auch seinen Wählern gefällt; und dann gibt es noch die Nutzer, Schüler und Lehrer, und zumindest letztere wollen bei „ihrer“ Schule mitreden. Gleich zu Beginn stellte sich heraus, dass eine Grund­ frage noch nicht geklärt war: Die Gemeinde verfügte über mehrere Grundstücke, aber über kein Entwicklungskonzept, aus dem sich 218

zwingend ein Standort hätte ableiten lassen. Gerade in einer kleinen Gemeinde im Gravitationsbereich einer Großstadt, die von massiver Zersiedlung betroffen ist, stellt eine Schule eine Chance zur städtebaulichen Neuordnung dar. Der Bürgermeister von Wolkersdorf beauftragte den Architekten Erich Raith mit einer Studie, die empfahl, ein Grundstück auf der Entwicklungsachse zur Katastralgemeinde Obersdorf zu wählen. Anstelle des üblichen, mehr oder weniger zufälligen Zusammentreffens klein­ gliedriger Siedlungsformen könnte so eine zentrale Einrichtung in einem langsam anwachsenden Siedlungsband entstehen. Auf dieser Grundlage schrieb die Bundesimmobiliengesell­ schaft ein Verhandlungsverfahren aus, also eine Konkurrenz mit beschränkter Teilnehmeranzahl. Nach einer EU-weit offenen Bewerbungsphase wird dabei eine beschränkte Anzahl von Büros ausgewählt, die gegen eine finanzielle Entschädigung Konkur­ renzprojekte ausarbeiten. Nach welchen Kriterien die Auswahl der Büros stattfindet, ist freilich problematisch. Üblicherweise zählen Referenzprojekte, Anzahl der Mitarbeiter und wirtschaft­ liche Potenz. In Kennziffern gefasst, bleibt bei immateriellen Leistungen das Kriterium der Qualität leicht auf der Strecke. Als rechnerisch bester Bewerber ergab sich etwa in diesem Fall das Büro Peter Czernin, das unter anderem architektonische Tief­ punkte wie das Bundesamtsgebäude in der Wiener Radetzkystraße zu verantworten hat. Keine Jury kann sich über diese Spielregeln hinwegsetzen. Sie kann allerdings den Kreis der Bewerber ausweiten, und in diesem Fall gelang es Marta Schreieck als Vorsitzender, die Bauherren davon zu überzeugen, zu den geplanten acht sechs weitere Bewerber zuzulassen. Das kostet zwar Geld, im Vergleich zu den Baukosten ist dieser Betrag aber verschwindend klein, und die Ergebnisse zeigen, dass er durch die Lösungen leicht aufgewogen wird. Einige Projekte nutzten die Tiefe des Grundstücks und schlugen lang gestreckte Baukörper vor: Bei Boris Podrecca entsteht dabei eine urbane Skulptur mit großer Rhetorik, bei Martin Kohlbauer eine feingliedrigere, manieristisch durchgeformte Komposition. Hans Mesnaritsch trennt Schule und Turnsaal in zwei scheinbar hermetische Blöcke mit einer überraschenden Offen­ heit im Erdgeschoss. Franziska Ullmann und Peter Ebner schlagen eine mäanderartige Struktur mit ungewöhnlichen Innenräumen vor. Die Entscheidung fiel letztlich zwischen zwei kompakten Projekten, die sich auf einen Teil des Grundstücks beschränkten: Den Zuschlag erhielt die Architektur Consult Ziviltechniker GmbH, hinter der Namen wie Günther Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker stehen. Sie öffnen in drei parallel geführten Klassentrakten zwei verschränkte Hallenräume, die sich in einer überzeugenden Abfolge zum seitlich angesetzten, teilweise in die Erde eingegrabenen Turnsaal staffeln – ein im besten Sinn gefälliges Musterschülerprojekt, bei dem keine Fragen offen bleiben. Szyszkowitz/Kowalski schlugen dagegen eine nur zweige­ schossige Anlage mit wellenförmigen Dächern und fünf Höfen vor, ein Schüleruniversum abseits des Konventionellen, mit Widersprüchen und Irritationen, dessen großes Potenzial in der 219

Jury aber keine Mehrheit finden konnte. Angesichts solcher Konkurrenzen auf hohem Niveau beweist sich die Republik, vertre­ ten durch die Bundesimmobiliengesellschaft, als kompetenter Bauherr. Die BIG, die in den acht Jahren seit ihrem Bestehen immerhin vier Bauherrenpreise erhalten hat, wird in Zukunft eine noch größere Verantwortung bekommen: Bis Anfang 2001 soll ihr auch die Bundesbaudirektion unterstellt werden. Im derzeit in Begutachtung befindlichen Gesetzesentwurf zur Ausgliederung der Bundesimmobilien finden sich freilich bedenkliche Anzeichen jener österreichischen Tendenz, Richtlinien festlegen zu wollen, wo Entscheidungen gefordert wären. In Zukunft sollen der BIG vom Wirtschaftsministerium zu erarbeitende „bundeseinheitliche Standards für architektonische Gestaltung“ vorgeschrieben werden – im schon jetzt überreich verregelten Milieu des Bauwesens eine absurde Idee. Dass in Zukunft bei allen größeren Projekten anonyme baukünstlerische Wettbewerbe vorgeschrieben sind, ist dagegen zu begrüßen. Dafür spricht beispielsweise, dass beim jüngst durchgeführten zweistufigen Wettbewerb für die Erweiterung der Wiener U2 nicht die Platzhirsche, sondern mehrere junge Büros in die Letztaus­ wahl kamen. Maßnahmen zur Förderung jüngerer Architekten gibt es aber auch im Bewerbungsverfahren, indem etwa eine Quote für Bewerber ohne einschlägige Referenzprojekte eingeführt wird. Ob die amtliche Festlegung einer numerischen Grenze von 70 Millionen Schilling (5,09 Millionen Euro) Bausumme, ab der in Zukunft anonyme Wettbewerbe vorgeschrieben sein sollen, eine Architekturpolitik ersetzt, die auf klare Zielvorgaben flexibel mit der jeweils besten Strategie reagiert, ist jedoch mehr als fraglich.

22 / 07 / 2000   

WER SPRICHT HIER SCHON VON SIEGEN? Er versteht sich als Chronist des Zerfalls urbaner Strukturen in den Vereinigten Staaten: Camilo José Vergara. Kühl dokumentiert er, wie dicht verbaute Viertel verwahrlosen, wie sie abgerissen und durch vorstädtische Strukturen ersetzt werden. Im Grazer „Haus der Architektur“ ist derzeit eine Ausstellung seiner Fotozyklen zu sehen.

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ie Ausdehnung der Städte gilt als unaufhaltsamer Prozess. Tatsächlich leben heute mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, oder allgemeiner gesagt in urbanen Strukturen unterschiedlichster Art. Das Entwicklungstempo dieser Strukturen ist am höchsten in Asien. Am niedrigsten ist es in Europa, wo der kulturelle Wert der Städte im Allgemeinen an historischen Stadtzentren gemessen wird, die sich zum letzten Mal im 19. Jahrhundert massiv verändert haben. Das Spannungsfeld

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von „Erinnerungswerten“ und „Gegenwartswerten“, vom Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl in seiner Schrift über den „Modernen Denkmalkultus“ aus dem Jahr 1903 eingeführt, hat die Entwick­ lung der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert trotz aller Zerstörungen maßgeblich beeinflusst. Erneuerung geschieht hier in der Regel an der Peripherie, ohne an Image und Selbstbild der Stadt Wesentliches zu verändern. Amerikanische Städte konnten sich dagegen weitgehend ungebremst von denkmalpflegerischen Vorstellungen, die Eingriffe ins Privateigentum erforderlich gemacht hätten, entwickeln. Anders als in Europa, wo Stadtentwicklung als kontinuierlicher Prozess der Verdichtung wahrgenommen wird, geht die Entwick­ lung in den USA potenziell in beide Richtungen: auf rasches Wachstum kann ein ebenso rascher Verfall folgen, wenn sich die

wirtschaftliche Lage ändert. Das berüchtigtste Beispiel ist Detroit, die einstige Hauptstadt der Automobilindustrie. Im Jahr 1989 wurden bei einer Aufnahme des baulichen Zustands 15.215 in Folge der Rezession leer stehende, mit Sperrholz und Blech versiegelte Häuser gezählt. Darunter befanden sich unter anderem auch große Teile des ehemaligen Stadtzentrums mit seinen architekturhistorisch zum Teil bemerkenswerten Hochhäusern. Der aus Chile stammenden amerikanische Fotograf Camilo José Vergara versteht sich als Chronist der Vernachlässigung und des Zerfalls urbaner Strukturen in den USA. Als studierter Soziologe betrachtet Vergara diese Prozesse vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die immer größere soziale Ungleichheit in Kauf zu nehmen bereit ist. Sein Interesse gilt dem „Neuen ameri­ kanischen Ghetto“, über das er 1995 ein gleichnamiges Buch veröffentlichte. Dazu gehören jene heruntergekommenen Viertel mit Sozialwohnungen, die in den Jahren 1950 bis 1970 mit der Hoffnung errichtet wurden, die soziale Situation der Bewohner aus den Slums durch die Umsiedlung in menschenwürdigere Hochhausblocks verbessern zu können. Vergara dokumentiert diese Orte der Hoffnungslosigkeit kühl und ohne Voyeurismus, wobei er sich nicht auf Momentaufnahmen beschränkt, sondern dieselben Orte immer wieder besucht, teilweise seit über 25 Jahren. Er dokumentiert, wie dichte, verwahrloste Strukturen abgerissen und durch neue „townhouses“ oder durch Einfamilienhäuser ersetzt werden, um so etwa mitten in der South Bronx ein Stück normiertes Suburbia entstehen zu lassen. Das gepflegte Bild hat eine Kehrseite: Hier können trotz hoher Förderungen nur die wirtschaftlich stärksten Bewohner der ehemaligen Ghettos leben. Die unausgesprochene Hoffnung der Stadtverwaltungen – schreibt Vergara in seinem Begleittext – ist, dass die ärmsten Bewohner schließlich in eine andere Stadt übersiedeln, während

Vom städtischen Wohnraum zum künstlichen Suburbia: 178. Straße und Vyse Avenue, South Bronx, 1980 bis 1994, fotografiert von C. J. Vergara Foto: Camilo José Vergara

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das aufgeräumte Stadtbild das Vertrauen der Investoren in den Stadtteil wiederherstellt. Dass in diesem Prozess aber auch viel an alter sanierbarer Bausubstanz zerstört wird, nehmen die Kommunen in Kauf: Es geht weniger um die Lösung, sondern um das Verdrängen sozialer Probleme. Vergaras Interesse beschränkt sich nicht auf die soziologische Dimension der Prozesse, die er dokumentiert. Er ist ebenso fasziniert vom Schicksal der Häuser: Wie im Lesesaal einer 1905 errichteten öffentlichen Bibliothek in Camden nach Jahren der Verwahrlosung eine kleine Baumgruppe wächst. Oder wie der Zuschauerraum des Michigan Theaters in Detroit zu einer mehr­ geschossigen Garage wird: Über den parkenden Cadillacs auf dem obersten Parkdeck schwebt eine dünne Stukkaturschale mit verblichenen Fresken. Die Winteraufnahme eines sozialen Wohn­ baus in Chicago zeigt ein achtgeschossiges Gebäude, an dessen Fassade vereiste Wasserfälle aus zerborstenen Leitungen herab­ laufen. Die Architekten der 50er-Jahre hatten hier von Nachbar­ schaften auf jedem Stockwerk, von Spielfluren und Gartenland­ schaften geträumt. Mit der Sprengung ähnlicher Blocks – der Pruitt-Igoe-Siedlung in St. Louis – im Jahr 1972 hat der Architek­ turtheoretiker Charles Jencks das Ende der Moderne und den Beginn der Postmoderne datiert. In Chicago, der Stadt Mies van der Rohes, leistete die Moderne offenbar länger Widerstand. Die Blocks wurden 1995 gesprengt. Vergaras Aufnahme aus dem Jahr 1998 zeigt postmodern verzierte, niedrige Wohnhäuser am selben Ort. In seinem 1999 erschienen Buch „American Ruins“ konzent­ riert sich Vergara auf einen anderen Aspekt der verlassenen Bauten. Ein Rilke-Zitat steht am Anfang: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.“ Der Zustand des Verfalls sei keiner Kultur so unerträglich wie der amerikanischen, und gerade deshalb fordert Vergara die Erhaltung der großen amerikanischen Ruinen, etwa im Zentrum von Detroit. Vergara sieht in den verfallenden Hoch­ häusern ein Ruinenfeld, das es atmosphärisch mit den Ruinen Roms aufnehmen könne, und schlägt vor, das gesamte Zentrum in seinem ruinösen Zustand unter Denkmalschutz zu stellen. Mit dieser Vorstellung ist Vergara offensichtlich nicht allein: Im Internet finden sich Websites wie www.infiltration.org, die Tipps für illegale Exkursionen in verlassene Bauten in Detroit und anderen Städten der USA anbieten. Trotzdem ist die „Renaissance“ des Zentrums von Detroit bei anspringender Konjunktur wohl kaum aufzuhalten. Hudson’s, seinerzeit der größte Department Store der Welt, ein 25 Stock hoher, mächtiger Block aus dem Jahr 1911, wurde 1998 gesprengt. Die Stadtverwaltung nannte das Gebäude, in dessen besten Jahren 3.500 Mitarbeiter bis zu 100.000 Kunden pro Tag bedient hatten, einen „Mühlstein am Hals Detroits“. Als das Gebäude – zu Kosten von 12 Millionen Dollar – in sich zusammenstürzte, verkündete der Bürgermeister: „Jetzt kann die Zukunft beginnen.“ Mit der Ausstellung der Fotozyklen Camilo José Vergaras setzt das Haus der Architektur in Graz seinen aktuellen Versuch fort, Architektur aus einer geänderten Perspektive zu betrachten. 222

Nicht die Objekte und ihre Ästhetik stehen dabei im Mittelpunkt, sondern die Prozesse, in die Architektur bei ihrer Entstehung und Benutzung eingebunden ist. Was bedeutet Architektur für die Investoren, die Politiker, die Bauindustrie? Brauchen sie den Begriff noch, oder operieren sie lieber in einem Feld zwischen Lifestyle und Infrastruktur? Wie funktioniert Architektur in einer funktional immer mehr differenzierten Gesellschaft? Für Vergaras durch die Erfahrung der amerikanischen Ghettos geschärften Blick ist bereits diese Frage suspekt: Er fordert ein Grundrecht auf Dysfunktionalität – für die nicht funktionierenden Häuser ebenso wie für ihre nicht funktionierenden Bewohner – als Basis für eine sanfte Sanierung der Verhältnisse.

17 / 06 / 2000    

DAS ANDERE BAUEN Mehr Ethik, weniger Ästhetik: Das Motto der heurigen Architektur­biennale von Venedig bietet Gelegenheit, an einige wenig bekannte Kapitel der österreichischen Architekturgeschichte zu erinnern. – Von KZs, ihren Planern und der heimischen Gedenkkultur.

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s ist die siebente Internationale Architekturausstellung, die in Venedig von heute an bis Ende Oktober zu sehen sein wird. Die erste Biennale geriet 1980 zur Inauguration der Postmoderne: Aldo Rossis Beitrag, das Teatro del Mondo, bezeichnete den Sieg der Architektur als bedeutungsvolle Sprache über eine geschichtslose, im Utilitarismus erstarrte Moderne. Die zweite Biennale war der islamischen Welt gewidmet, die dritte den Regionen Veneto und Friaul, die vierte einer Retrospektive über das Werk des niederländischen Architekten Hendrik Petrus Berlage. Die fünfte Biennale war international in der Ausrich­ tung, aber lokal im Thema: Projekte für Venedig zeigten einen Querschnitt durch die aktuellen architektonischen Positionen. Die architektonische Postmoderne war da bereits am Ende. Noch immer fühlten die Architekten den Zeitgeist durch sich wehen, aber niemand wusste mehr so recht, aus welcher Richtung. „Der Architekt als Seismograph“ hieß folgerichtig die sechste, von Hans Hollein kuratierte Ausstellung, in der die vielen Epizentren der zeitgenössischen Architektur zutage traten. Es ist kein Zufall, dass mit dem Titel der heurigen, von Massimiliano Fuksas kuratierten Biennale versucht wird, wieder eine Richtung zu finden. „Die Stadt: weniger Ästhetik, mehr Ethik.“ Die Stadt, die Aldo Rossi noch ein letztes Mal als harmonische Versammlung der Institutionen zu definieren versucht hatte, ist 223

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heute in ihrer Ausprägung als Megastadt zu einem scheinbar unlösbaren Problem geworden. In einer zentralen Abteilung der Ausstellung werden Megastädte wie Kairo und Kalkutta, Hongkong und Mexico City ebenso präsentiert wie symptomatische Un-Orte: Flughäfen und Shopping Malls, die überall gleich aussehen und ähnliche Probleme mit sich bringen. Vor diesen Problemen, so suggeriert der Untertitel, müsse die ästhetische Diskussion hinter der ethischen zurücktreten. In seinem Einführungstext zur Biennale beruft sich Fuksas auf Joseph Beuys: Letztlich seien Künstler und Architekten doch das „Rote Kreuz“ der Welt. Wann immer ein solches individuelles Credo durch einen Berufsstand vereinnahmt wird, ist Vorsicht geboten. Die Entwick­ lung vom Seismographen zum Sanitäter klingt verdächtig nach einer raffinierten Wunschvorstellung. Gut gemeint haben es die Architekten im vergangenen Jahrhundert oft genug. Dass eine bessere Welt sich nicht planen lässt wie ein Haus, haben sie meist übersehen. Befreiend kann Architektur nur wirken, wenn sie auf eine konkrete Freiheitspraxis der Menschen trifft – und darauf haben Architekten als Architekten kaum Einfluss. So schleicht sich der Verdacht ein, dass die lautstark geforderte Gewichtsverlage­ rung von der Ästhetik zur Ethik nichts anderes ist als ein probates Mittel, den eingefahrenen ästhetischen Karren wieder flott zu machen. Und das hätte mit Ethik rein gar nichts zu tun. So will Fuksas den Untertitel allerdings auch nicht verstanden wissen: „Weniger Ästhetik, mehr Ethik“ sei keine axiomatische Aussage, sondern eine Aufforderung zur Diskussion. Umso gespannter darf man sein, wie das Thema in den einzelnen Länder­ pavillons interpretiert wird. Österreichs von Hans Hollein kuratierter Beitrag setzt sich kritisch mit der Frage einer nationalen Architektur auseinander: „Österreich – Aktionsfeld für Interna­ tionale Architekten. Ausländer lehren, planen und bauen in Österreich.“ Entwickelt hätte er das Konzept schon lange vor den aktuellen politischen Turbulenzen, sagt Hollein. Schon Gotik und Barock seien internationale Stile gewesen, und auch heute sei Österreich „eine Arena für die Spitzenarchitekten der Welt“. In der Arena wird bekanntlich gekämpft, um Aufmerksamkeit und um Aufträge: Greg Lynn zeigt im österreichischen Pavillon ein Projekt für ein Ausstellungsgebäude der ÖMV, Zaha Hadid ist mit Projekten für Wohnbauten in Wien und mit der Sprungschanze für das Bergisel-Stadion in Innsbruck vertreten, Peter Cook und Colin Fournier mit ihrem siegreichen Wettbewerbsbeitrag für das Kunsthaus Graz und Ben van Berkel mit dem Haus für Musik und Musiktheater, ebenfalls in Graz. Realisierte Projekte zeigen Tom Mayne mit der Hypo-Alpe-Adria-Zentrale Klagenfurt, Jean Nouvel mit der Interunfall Landesdirektion Bregenz und Massimiliano Fuksas mit dem Europark SPAR Salzburg und den Wiener TwinTowers am Wienerberg. Norman Foster ist mit dem EUROGATE Masterplan für die Wiener Aspanggründe vertreten. Parallel dazu werden im Österreichischen Pavillon Projekte gezeigt, die auf die aktuelle politische Situation direkt Bezug nehmen. Unter dem Motto „Für Frieden und Freiheit der Kunst – gegen Rassismus und Fremdenhass“ zeigen einige der im Pavillon

präsentierten ausländischen Architekten – van Berkel, Hadid, Lynn, Mayne und Nouvel – und die Österreicher Hermann Czech und Adolf Krischanitz Entwürfe für einen „Ort der Toleranz“. Podiumsdiskussionen und ein Symposium dazu sind für September geplant. Die Projekte und die Ergebnisse des Symposiums sollen im Herbst in einem eigenen Katalog präsentiert werden. Mit einer Würdigung des österreichischen Pavillons wird man wohl bis dahin warten müssen. Vorerst bietet das Konzept die Gelegenheit, einige wenig bekannte Kapitel der österreichischen Architekturgeschichte in Erinnerung zu rufen, die in Venedig nicht zu sehen sind. Wenn Fremdenhass und Rassismus explizit angesprochen sind, sollte ein dritter Aspekt nicht fehlen: der Umgang mit der Geschichte. Ein weitgehend unbekanntes Werk ausländischer Architekten eignet sich dafür besonders. In der Nähe von St. Georgen an der Gusen in Oberösterreich findet sich eine Gedenkstätte, entworfen von den wichtigsten Nach­ kriegs­architekten Italiens, der Gruppe BBPR, gegründet 1932 von Lodovico Barbiano di Belgiojoso, Gian Luigi Banfi, Enrico Peressutti und Ernesto Nathan Rogers. Berühmt wurden BBPR in den 50er-Jahren mit dem Torre Velasca, einem Hochhaus in der Nähe des Mailänder Doms, das in Material und Form auf den historischen Kontext Bezug nimmt und damit die Regeln der klassischen Moderne bricht. 1945 haben BBPR auf dem Mailänder Friedhof ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust errichtet, das zu den überzeugendsten seiner Art gehört: Ein zartes, würfelförmiges Gerüst aus weiß gestrichenen Stahlrohren, in das Marmorplatten eingehängt sind. In der Mitte des Objekts steht, beschützt von den schwebenden Steinplatten, eine Urne mit Asche aus Auschwitz. Die Gedenkstätte in Gusen, die im Mai 1965 anlässlich des 20. Jahrestags der Befreiung des Lagers eröffnet wurde, hat einen völlig anderen Charakter: Ein düsteres Labyrinth aus Stahlbeton­ scheiben, die von 2,5 Meter auf 8,5 Meter Höhe ansteigen, während sich der Weg immer mehr verengt und leicht nach unten führt. Der Besucher gelangt in einen größeren Hof, der den Kern des Labyrinths umgibt: die beiden erhaltenen Krematoriumsöfen des Konzentrationslagers Gusen I. „Der Besucher, der diesen Weg beschreitet, wird von den Gefühlsregungen der Märtyrer, die diesen Weg zuvor gegangen sind, erfasst“, schreiben die Architekten über ihr Projekt. Auftraggeber war ein Verein ehemaliger Lager­ insassen, der das Grundstück kaufte und für die Errichtungskosten aufkam. Die Wahl der Architekten war kein Zufall. BBPR bestand seit 1945 nur noch aus drei Partnern: Pier Luigi Banfi war in Mauthausen ermordet worden. Lodovico Belgiojoso war in Gusen interniert, hatte aber überlebt. Bemerkenswerter als das Denkmal selbst ist seine Einbet­tung in die Umgebung: eine Siedlung mit Einfamilienhäusern, zwischen denen das Denkmal zwar als Fremdkörper, aber doch mit erstaun­ licher Selbstverständlichkeit steht. Das Lager Gusen I, bis zum Staatsvertrag 1955 unter sowjetischer Aufsicht als Granitwerke Gusen betrieben und in seiner Substanz kaum verändert, wurde nach Abzug der Sowjets privatisiert. Nachdem Baracken und 225

Bahnanlagen abgetragen waren, wurde das Gelände für eine Wohnbebauung parzelliert. Den Betreibern des Memorial-Projekts gelang es, das Grundstück von einem privaten Vorbesitzer zu kaufen und die Nachbarn davon zu überzeugen, dem Projekt zuzustimmen. Bedenken gab es erst von Seiten der Gemeinde. Es sei zu prüfen, inwieweit das Denkmal „in der bestehenden Siedlung vertretbar ist“. Die Vertretbarkeit der Siedlung auf dem Gelände des Lagers wollte offenbar niemand in Zweifel ziehen. Tatsächlich war

Vernichtung durch Arbeit: Lageplan des KZ Gusen, 1944 Nachgeschichte des Faschismus: Siedlung auf dem KZ-Gelände ... ... mit integrierter Gedenkstätte von BBPR Abbildung: BBPR

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das Lager Gusen nur ein kleiner Teil einer Vernich­ tungsmaschine, die groß­ flächig in die Landschaft um St. Georgen eingeschrieben ist. Schon kurz nachdem im August 1938 die ersten Baracken des KZs Mauthausen errichtet worden waren, veranlasst die österreichische Zentrale der DESt, der Deutschen Erd- und Steinwerke, einer SS-Firma, den groß ange­ legten Aufbau einer Infrastruktur in St. Georgen. Die errichteten drei Lager in Gusen waren vorerst für den Granitabbau in den nahe gelegenen Steinbrüchen bestimmt. Ab 1943 wurden in Gusen Flugzeugteile hergestellt, gegen Kriegsende Flugzeuge montiert. Die Instrumentierung der Lager zur „Vernichtung durch Arbeit“, der allein in Mauthausen 120.000 Menschen zum Opfer fielen, kulminierte in Gusen mit dem Bau der Stollenanlage „Berg­ kristall“. Mit Beginn des Jahres 1944 wurden von den Häftlingen in nur 12 Monaten rund 50.000 m2 Stollen aus dem Sand- und Granitstein gehauen. Albert Speer, Architekt und Rüstungsminister, hatte 1943 für die Konzentrationslager eine materialsparende Primitivbauweise empfohlen, nach der das Lager Gusen II errichtet wurde. Die dort für das Bergkristall-Projekt internierten 16.000 Häftlinge waren in rund 20 Holzbaracken eingepfercht, für die nur ein einziger Wasseranschluss zur Verfügung stand. Die Frage nach den Architekten der Konzentrationslager bekommt durch derartige Fakten eine besondere Brisanz. Haben sie nur Orte geschaffen, an denen Verbrechen stattfanden – von denen sie nach dem Krieg behaupten konnten, kaum etwas gewusst

zu haben – oder war bereits die Schaffung dieser Orte Teil des Verbrechens? Am besten erforscht ist diese Frage für das Konzen­ trationslager Auschwitz, dessen Bauarchiv beinahe vollständig erhalten ist. Robert Jan van Pelt, amerikanischer Architekt und Historiker niederländischer Herkunft, hat zusammen mit Debórah Dwork die bisher umfassendste Dokumentation über die Bau­ geschichte von Auschwitz vorgelegt. Bei einem Seminar, das van Pelt im Rahmen einer Gastprofessur an der TU Wien vor zwei Monaten hielt, wies er auch auf die Rolle zweier Österreicher hin, die in der Zentralbauleitung des Lagers unter der Direktion des Architekten Karl Bischoff tätig waren, Fritz Ertl und Walter Dejaco. Der aus Linz stammende Ertl, ein Absolvent des Bauhauses, zeichnete den Plan für das Lager Auschwitz-Birkenau, das aus einem Quarantäne-Lager für 17.000 Personen und einem Haupt­ lager für 80.000 Personen bestehen sollte. Der funktionalistische Plan ordnete die Baracken um einen gigantischen Apellplatz an, jeweils in Gruppen von 12 Einheiten mit einer Küchen-, einer Wasch- und einer Latrinenbaracke. Das Projekt war Teil eines Plans von SS-Führer Heinrich Himmler zur Entwicklung der durch die Teilung Polens erwor­ benen Ostgebiete. Hier sollten Sklavenarbeiter untergebracht werden, vorrangig für den Bau einer Fabrik für künstlichen Kautschuk, die in Auschwitz von der IG-Farben errichtet wurde. Mit dem Auftrag, das bestehende Lager Auschwitz in Birkenau um eine Kapazität von zusätzlichen 100.000 Personen zu erweitern, wollte Himmler im März 1941 die Verantwortlichen der IGFarben davon überzeugen, dass er die notwendige Anzahl an Zwangsarbeitern für die Errichtung des Werks und den Ausbau der Stadt bereitstellen könnte. Wen das Lager tatsächlich beher­ bergen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch streng geheim: Himmler wusste, dass der Angriff auf die Sowjetunion für Juni 1941 geplant war und rechnete mit einer großen Zahl russischer Kriegsgefangener. Die Pläne, die Ertl und Bischoff ausgearbeitet hatten, sahen unmenschlich enge Schlafstellen in drei Etagen von Stockbetten und nur eine Latrine pro 7.000 Insassen vor. Zu einem Ort des Holocaust entwickelte sich Auschwitz erst, als der Russlandfeldzug ins Stocken geriet. Himmlers Hoffnung auf Tausende russischer Kriegsgefangener hatte sich zerschlagen. Zugleich war auf der Wannsee-Konferenz im Jänner 1942 die endgültige Entscheidung für den Holocaust gefallen. Damit war die Voraussetzung dafür geschaffen, aus der deportierten jüdischen Bevölkerung die nicht arbeitsfähigen Menschen zu selektieren, sie zu ermorden und die übrigen als Zwangsarbeiter mit demselben, nur aufgeschobenen Schicksal einzusetzen. Zu diesem Zweck wurden die schon 1941 geplanten Krematorien an einer ande­ ren Stelle in Birkenau nahe den Bahngleisen und mit einigen Änderungen ausgeführt, die in den Archiven der Bauabteilung von Auschwitz dokumentiert sind. Ein Plan, unterzeichnet von Walter Dejaco im Dezember 1942, trägt die Bezeichnung „Verlegung des Kellerzugangs an die Straßenseite“. Statt einer schmalen Treppe und einer Leichenrutsche ist nun nur noch eine breite Treppe eingezeichnet, die zu einem Vorraum führt, von dem Leichenkeller 227

abzweigen. Bei jenem Keller, der als Gaskammer benutzt wurde, hat Dejaco die Aufgehrichtung der Türe verändert: Sie schlägt nun nach außen auf, damit sie nicht durch die Körper der Ermordeten blockiert wird. Die Opfer kamen über die Treppe, mussten sich im ersten Raum auskleiden und wurden dann im zweiten Raum mit Zyklon-B ermordet. Über einen Lift gelangten die Leichen zu den ein Niveau höher gelegenen Verbrennungsöfen. Dass diese Anlage alles andere als „optimal“ war, wird in der revisionistischen Literatur oft als Beweis gegen die Existenz von Gaskammern angeführt. Der tatsächliche Grund dafür ist, dass es sich um eine Umplanung handelte. Die von Dejaco entworfenen Krematorien III und IV, die wenig später errichtet wurden, sind auf einer Ebene perfekt organisierte Werkzeuge des Massenmords. Ende 1943 wurden die Lager Kulmhof, Sobibor, Belzec und Treblinka, in denen zusammen rund 1,6 Millionen Juden ermordet worden waren, aufgegeben. Übrig blieb Auschwitz, das der Ermordung der verbliebenen jüdischen Gemeinden aus Polen, Italien, Frankreich, Ungarn und dem übrigen besetzten Europa dienen sollte. Im Mai und Juni 1944 überschritt die Zahl der Opfer die offizielle Kapazität der Krematorien von 132.000 Leichen pro Monat. Walter Dejaco kehrte nach dem Krieg nach Tirol zurück und ließ sich erfolgreich als Architekt nieder. 1972 wurde er zusammen mit Fritz Ertl in Wien wegen Beihilfe zum Massenmord vor Gericht gestellt. Dejaco behauptete, erst nach der Planung der Kremato­ rien von deren Funktion erfahren zu haben. Ertl, der mit dem Bau der Krematorien nie direkt zu tun hatte, gab an, dass er durch inneren Widerstand versucht hätte, die Fertigstellung der Anlagen zu verhindern, sobald ihm klar wurde, dass es sich nicht um Lager für Kriegsgefangene, sondern um ein Vernichtungs­ lager handeln würde. Beide Angeklagten wurden mangels Beweisen freigesprochen, obwohl dem Gericht in Dejacos Fall die beschriebenen Pläne vorlagen. Die eingeholten Gutachter kamen zum Schluss, dass aus den Plänen der Zweck der Anlagen nicht ablesbar gewesen sei. Die politische Situation um 1972 wird zu dieser Lesart beigetragen haben. Wer heute im Internet nach Dejaco und Ertl sucht, stößt auf revisionistische Websites, auf denen die Freisprüche als Beweis gegen die Existenz von Gaskammern angeführt sind. Für den Historiker van Pelt steht Auschwitz auf eine perverse Art als Monument neben den Pyramiden und den großen gotischen Kathedralen: Schon immer hätte Architektur den Zweck gehabt, das zu dokumentieren, was eine Kultur für ihre zentralen Werte hielt. In Himmlers berüchtigter Rede vor SS-Führern in Posen vom 4. Oktober 1943 wird die Auslöschung des jüdischen Volks als das ungeschriebene Ruhmesblatt der deutschen Geschichte bezeichnet: Das Morden ausgehalten und dabei – „mit Aus­ nahme von Fällen menschlicher Schwäche“ – ihre Anständigkeit behalten zu haben, das sei die historische Leistung der SS. Dass im Österreich des Jahres 2000 der SS-Spruch „Unsere Ehre heißt Treue“ wieder augenzwinkernd in den Sprachschatz von 228

Politikern einer Regierungspartei aufgenommen werden kann, ist eine Entwicklung, die Angst macht. Um so wichtiger sind Signale eines anderen Österreich, zu denen auch jener Verein gehört, der sich in Gusen gebildet hat, um die Spuren des KZs in der Landschaft zu erhalten.

03 / 06 / 2000   

BANK AUS STAHL, DACH AUS LUFT

Gegen etablierte Standards setzten sie wieder einmal auf eine eigenwillige Maß-Lösung: Jabornegg und Pálffy schufen beim Umbau des SchoellerbankHauptsitzes im Zentrum Wiens eine Leichtigkeit, die nachdrücklich kultur­ topographische Akzente setzt.

B

auen und Zerstören gehören enger zusammen, als es manchen Architekten und Bauherren lieb ist. Man kann nicht bauen, ohne Bestehendes zu verändern, die Erde aufzureißen und den Horizont umzustellen. Gerade im historischen Stadtkern, wo in der Regel nichts anderes gewünscht ist als liebevolle Ergänzung, steht und fällt so manches Projekt mit der Frage, was abzureißen und was zu erhalten ist. Der Gebäudekomplex im Zentrum Wiens, in dem die SKWB-Schoellerbank ihren neuen Hauptsitz errichtet hat, ist ein solcher Fall. Er besteht aus einem Vorderhaus an der Renngasse und einem Hinterhaus, das an den Hof des Schottenstifts grenzt. Durch Einbauten war diese klare Anlage im Lauf der Zeit zu einem Labyrinth geworden, das den Bedürfnissen eines modernen Bank­ gebäudes nicht mehr entsprach. Eine Möglichkeit wäre der Abriss des gesamten Innenlebens unter Erhaltung der Fassaden gewesen, ein Verfahren, mit dem beispielsweise der Hochholzerhof auf der Tuchlauben, der Hauptsitz der BAWAG, zu Tode saniert wurde. Das andere Extrem wäre die technische Aufrüstung des Bestandes im Rahmen einer vorsichtigen Entkernung gewesen. Die Lösung, mit der die Architekten Jabornegg und Pálffy auf dieses Problem reagiert haben, besticht durch ihre klare Organi­ sation. Der Bestand bleibt von den Fassaden weg bis zur Mittel­ mauer erhalten. In den erweiterten Zwischenraum wird ein recht­ eckiger, überdeckter Innenhof gesetzt, an dessen längeren Seiten die neuen Büroräume zu liegen kommen. Die zwei Schmalseiten dienen der Erschließung: Auf der einen Seite verbindet ein schmaler Gang die Büros der jeweiligen Etage, auf der anderen Seite ist Platz für zwei Lift- und Sanitärtürme und ein äußerst großzügiges, zweiläufiges Treppenhaus. Eine zusätzliche Glasdecke 229

Offenlegen von Konstruktion und Material: die Innenhof-Überdachung und das zweiläufige Treppenhaus des … Foto: Werner Kaligofsky

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über dem Erdgeschoss erlaubt es, die Eingangshalle ohne akustische Störungen für Veranstaltungen zu nutzen. Mit wenigen Linien verbindet dieser Grundriss bestehende und neue Teile wie selbstverständlich zu einem Ganzen. Solche typologisch klaren, aber zugleich hochspezifischen Lösungen sind charakteristisch für die Arbeit von Jabornegg und Pálffy. Schon mit ihrem ersten größeren Bau, der Generali Foundation in der Wiedner Hauptstraße, haben sie einen Raum für Kunstausstellungen geschaffen, in dem sich die Architektur nie in den Vordergrund spielt. Trotzdem hat der Besucher den Eindruck, Kunst an einem bestimmten Ort gesehen zu haben und nicht in einer weißen Schachtel. Der Erfolg der Generali Foundation, die sich in den letzten Jahren zu einer der aktivsten Kunstinstitutionen Wiens entwickelt hat, verhalf Jabornegg und Pálffy zum Auftrag für die Ausstellungsarchitektur der documenta X in Kassel. Sie entwickelten ein Konzept, das statt vieler kleiner Raumnischen großzügige Raumsequenzen vorsah. Die geforderte Klimatisierung der Räume erreichten sie mit einfachsten Mitteln: Fensterdichtungen wurden entfernt, die Ausstellungswände so ausgeführt, dass sie für die nötige Luft­ zirkulation sorgten, und die bestehende Fußbodenheizung vorüber­ gehend nicht durch einen Heizkessel, sondern durch den kalten Brauchwasserstrang geführt. In der Schoellerbank wird der Hof zur Wärmerückgewinnung genutzt, wodurch die notwendige Heizleistung für die neuen Büroflächen praktisch auf Null redu­ ziert werden konnte. Intelligentere Lösungen gegen etablierte

Standards durchzusetzen ist freilich ein mühsames Unter­ fangen. In der Schoellerbank haben die Architekten zusam­ men mit ihrem Tragwerks­ planer, Karlheinz Wagner, eine Konstruktion gewählt, die sich angesichts des engen Bau­ platzes angeboten hat. Nur Liftkerne und Feuermauern sind aus Stahlbeton, Decken und Treppen dagegen aus Stahl konstruiert. Weil Stahl bei höheren Temperaturen seine Tragfähigkeit verliert, wird er üblicherweise mit brand­ hemmenden Materialien um­ mantelt. Die zweiläufige Stahl­ treppe der Schoeller­bank – das einzige Fluchttreppenhaus im Gebäude – kommt ohne solche Maßnahmen aus: In einer Computersimulation konnte nachgewiesen werden, dass bei einem Brand des übrigen Hauses die Tempera­ tur der Stahlträger 90 Minuten lang nicht über den geforderten Grenzwerten liegen würde. Durch das Offenlegen von Konstruktion und Material überträgt sich die Präzision des Stahlbaus auf den Raum. Neben Sichtbeton, Edel­ stahl und Glas finden sich in den Büroräumen Akustikplatten aus Ahorn. In der Glasdecke über der Eingangshalle kommen spezielle, mit Flüssigkristallen versehene Gläser zum Einsatz, die von einem matten auf einen transparenten Zustand umgeschaltet werden können. Die visuelle Höhe des Raumes lässt sich damit zwischen fünf und 20 Metern regulieren. Bankschalter wird man in der Halle übrigens vergeblich suchen: Für die normalen Schaltergeschäfte, die in Zukunft großteils elektronisch abgewickelt werden, gibt es gerade noch einen kleinen Raum neben dem Eingang. In der Halle finden sich nur ein Empfangspult und einige Schiebewände für Veranstaltungen. Eine technische Sonderleistung ist die Überdachung des Innen­ hofs. Statt Glas kommen hier pneumatische Kissen aus durch­ sichtigen Kunststofffolien zum Einsatz, die im Prinzip wie Luft­ matratzen funktionieren. Weil die Folie im Vergleich zu Glas leicht und gegen Verformungen unempfindlich ist, kann auch die Unterkonstruktion wesentlich zarter ausfallen. Die luftgefüllten Kissen werden durch Bögen aus Stahlprofilen in Form gehalten, die bei asymmetrischer Belastung durch Wind oder Schnee die entstehenden Kräfte über zarte Verbindungsglieder auf fünf horizontal liegende Seile von nur zwei Zentimeter Dicke

… Schoellerbank-Hauptsitzes von Jabornegg und Pálffy, Wien – Innere Stadt Foto: Werner Kaligofsky

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übertragen, die mit je 18 Tonnen Zug vorgespannt sind. Jabornegg und Pálffy sind die wichtigsten unsichtbaren Architekten Wiens: Weder die Schoellerbank noch die Generali-Foundation, noch der Umbau des Misrachi-Hauses am Judenplatz mit dem Zugang zu den Ausgrabungen unter dem Holocaust-Mahnmal, noch die großteils unterirdische Erweite­ rung des Künstlerhauses, die sie in den nächsten Jahren realisieren werden, hat eine Außenfassade. In der kulturellen Topographie der Stadt werden sie trotzdem deutliche Spuren hinterlassen.

Verbindet mit wenigen Linien Bestand und Neues: Grundriss Foto: Jabornegg / Pálffy

29 / 04 / 2000   

ARCHITEKTUR MACHT SCHULE

Lifestyle oder Philosophie? Dekoration oder Moral? Mit Architektur assoziieren Laien ent­schieden andere Begriffe als Fachleute. Architekturunterricht als fächer­­­über­ greifendes Thema, das bewusste Raumwahrnehmung vermittelt, könnte diesen kategorialen Differenzen abhelfen. Eine erste Bilanz heimischer Initiativen.

K

ennen Sie den Unterschied zwischen einem Fach­ werkhaus und einem Fachwerkträger? Wissen Sie, was man unter einer Gaube, unter einer Maiso­ nette oder unter Sichtbeton versteht? Können Sie die Namen von mindestens drei lebenden Architek­ ten nennen? Falls Sie diese Fragen nicht beantworten können – und nicht zufälligerweise selbst Architekt sind –, sind Sie zumindest keine Ausnahme. Bei einer Studie, die an der Universität Münster durchgeführt wurde, konnten ganze zwei Prozent der Befragten drei lebende Architekten nennen, Fachbegriffe wie die oben angeführten waren nur etwa einem Fünftel bekannt. Befragt wurde dabei kein Querschnitt aus der Gesamtbevölkerung, sondern Studierende verschiedener Fachrichtungen, also durchwegs Personen mit Gymnasialabschluss. Die Studie beschränkte sich allerdings nicht darauf, den Wissensstand von Laien abzufragen: Ihr eigentlicher Gegenstand war die Kommunikation zwischen Experten und Laien. Daher wurde auch erfragt, wie Architekten ihrerseits die generelle Verbreitung des Wissens über Architektur

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einschätzten, und dabei zeigte sich, dass Architekten das Laien­ wissen in den meisten Bereichen krass überschätzten: Die Ant­ wort auf die Frage nach den drei lebenden Architekten trauten sie immerhin 20 % der Befragten zu, und bei den Fachbegriffen schätzten sie auf 60 %. Erschwerend für das Gespräch zwischen Experten und Laien kommt dazu, dass Architekten Gebäude meistens in anderen Kategorien betrachten als ihre Nutzer. Die Psychologen ließen die beiden Gruppen Beispiele nach frei wählbaren Kategorien ordnen. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Während Laien etwa ein rotes Holzhaus und ein rotes Ziegelhaus in die Kategorie „rote Häuser“ zusammenfassen, teilen die Experten nach abstrakteren, visuell weniger deutlichen Kategorien der Konstruktion und des Materials. Generell haben Laien kaum einen Zugang zu einer Kategorie, die für Architekten bereits in der Ausbildung zentrale Bedeutung hat, zur Kategorie des Konzeptionellen, mit der die verschiedenen, oft einander widersprechenden Aspekte einer Bau­ aufgabe geordnet werden sollen. Für Laien steht das Konkrete, Sichtbare und Benutzbare im Vordergrund, während Architekten in komplexeren Zusammenhängen denken. Komplex heißt dabei nicht unbedingt besser: Es gibt richtige und falsche, sinnvolle und unsinnige Konzepte. Der springende Punkt ist, dass die meisten Laien für eine Diskussion auf der konzeptionellen Ebene kein Verständnis haben, schon gar nicht, wenn andere, handgreiflichere Kategorien durch eine konzeptionelle Überlegung in den Hinter­ grund treten müssten. Als zusätzliches Problem erweist sich, dass sich viele architek­ tonische Begriffe mit Alltagsbegriffen decken, ohne dass dasselbe gemeint wäre. Die Kommunikation unter Architekten erfolgt oft jenseits der begrifflichen Ebene über die Referenz auf Beispiele, Richtungen oder einzelne Persönlichkeiten. Es ist für Architek­ ten – so die Autoren der Studie – kaum vorstellbar, wie man als Laie mit Architektur umgehen kann, ohne wenigstens einige dieser herausragenden Referenzpunkte zu kennen. Schließlich zeigte die Studie auch eine gravierende Diskrepanz auf der prinzipiellen Ebene. Auf die Bitte, den Begriff Architektur mit anderen zur Auswahl stehenden Begriffen zu assoziieren, sahen die Laien signifikant stärkere Zusammenhänge zu Begriffen wie Lifestyle, Mode, Dekoration und Luxus, während die Architekten Begriffe wie Moral, Gesundheit, Aktivität und Berührung, Technik, Philosophie und Natur öfter nannten als die Laien. Der oft beklagte Mangel an „guten Bauherren“ dürfte zu einem guten Teil auf derartige kategoriale Differenzen zurückzuführen sein. Mit der Aufforderung an die Architekten, sich doch besser zu erklären und bei der Vermittlung ihrer Absichten die Perspektive von Laien zu berücksichtigen, wird es aber allein nicht getan sein. Architektur gehört als Thema in den Schulunterricht, am besten bereits in die Grundschule – und natürlich nicht nur, um Architek­ ten bessere Voraussetzungen für ihre Arbeit zu bieten. „Ein intaktes Raumbewusstsein ist Teil des Rüstzeugs zu einer mündigen Existenz“, beschreibt Walter M. Chramosta den umfas­ senderen pädagogischen Rahmen einer Architekturerziehung in 233

der Schule. In Österreich gibt es bereits seit mehreren Jahren Ansätze, das Thema Architektur verstärkt in den Unterricht einzubeziehen, die vom Österreichischen Kulturservice, einer Initiative des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, gefördert werden. Eine wichtige Vorbildwirkung hat der Arbeitskreis Architektur und Schule der Salzburger Architekten­ kammer, in dem an Ausbildungskonzepten für verschiedene Schultypen experimentiert wurde. Seit zwei Jahren kooperiert der ÖKS mit der Architekturstiftung Österreich, einer Institution, die von österreichischen Architekturhäusern und Initiativen als gemeinsame Plattform gegründet wurde. Seit 1998 läuft in ganz Österreich das seit neuestem auch von der Architektenkammer geförderte Pilotprojekt „RaumGestalten“, in dessen Rahmen Architekten zusammen mit Lehrern ein Semester lang den Unter­ richt mitgestalten. Die Architekturstiftung betreut die geförderten Projekte und übernimmt die Dokumentation. In den nächsten Jahren sollen die Erfahrungen in Workshops an interessierte Lehrer und Architekten weitergegeben werden. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Bemerkens­ wert ist vor allem, dass einige Projekte über den engeren Rahmen des Fachs „Bildnerische Erziehung“ hinausgehen und die besondere Chance nutzen, an einem Querschnittsthema wie Architektur Projektunterricht zu betreiben. Kombinationen mit Fächern wie Deutsch und Psychologie geben die Möglichkeit, sich einerseits mit der eigenen Wahrnehmung von Architektur auseinanderzusetzen, andererseits erlauben sie, Ansprüche an die Architektur zu reflektieren und sprachlich auszudrücken. Gerade der beschleunigte Bilderwechsel der neuen Medien macht eine solche kritische Auseinandersetzung mit dem Raum als Grundlage jeder visuellen Kultur wichtiger als je zuvor. Architektur­ unterricht wird so zu einer Schule des Sehens, die hinter der oberflächlichen Wahrnehmung zusätzliche Wirklichkeitsschichten vermittelt. Das eigenständige architektonische Gestalten – das im öster­ reichischen Fach „Bildnerische Erziehung“ tendenziell stärker im Vordergrund steht als in der bundesdeutschen „Kunsterziehung“ – kann im Unterricht nur ansatzweise gelingen und wird immer nur eine kleine Zahl begabter Schüler ansprechen können. Eine Gefahr, von der die Studie der Universität Münster spricht, dass nämlich die Schüler eine heile Welt der Gestaltungsfreiheit vorgegaukelt bekommen könnten, stellt sich in der Praxis nicht, wenn tatsächlich an eine Umsetzung kleiner Veränderungen gedacht wird. Dass dann die Reflexe der Ablehnung genauso greifen wie sonst auch überall, ist für die Schüler ebenso lehrreich wie vielleicht frustrierend – etwa bei jenem Salzburger Beispiel des Gymnasiums Zaunergasse, wo eine von den Schülern mit Unterstützung des Architekten Thomas Forsthuber und des Lehrers Klaus Fleischhacker geplante Adaption der Aula am Widerstand des Lehrerkollegiums scheiterte. Ein anderes Schülerprojekt, das Forsthuber mit der Architektin Maria Flöckner und dem Lehrer Wolfgang Richter unter dem Titel „Swinging Liefering“ am Privat­ gymnasium der Herz-Jesu-Missionare in Salzburg betreut hat, 234

eine Laube im Schulgarten, scheiterte an der Finanzierung und an der Skepsis der Lehrer. Bis sich die Schule so weit als Ort des Experiments versteht, dass solche „außerplanmäßigen“ Verände­ rungen nicht nur geduldet, sondern begrüßt werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Derartige Projekte werden immer die Ausnahme bleiben. In den allgemeinen Unterricht sollte Architektur als aktive Raumer­ fahrung und Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswirk­ lichkeit Eingang finden, als fächerübergreifendes Thema, an dem sich konzeptionell-gestalterisches Denken ebenso vermitteln lässt wie das Verstehen ökonomischer Abläufe und letztlich der Umgang mit Fragen der Macht. Ob die bisherigen Pilotprojekte ausreichen werden, um im Unterrichtsministerium eine größere Öffnung für dieses Thema zu bewirken, bleibt abzuwarten.

01 / 04 / 2000   

VERWERTUNGSLOGIK UND INSPIRATION Auratisches Objekt oder schlicht veredelte Infrastruktur? Seit man die Künste in schöne und nützliche einteilt, führt die Architektur ein seltsames Zwitterdasein. Extreme Positionen beziehen in dieser Frage Sir Norman Foster und Daniel Libeskind. Zwei Markenartikel im Vergleichstest.

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eit man die Künste in schöne und nützliche einteilt, führt die Architektur ein seltsames Zwitterdasein. Zwar ist sie durch den Zwang zur Nützlichkeit belastet, zugleich jedoch dadurch ausgezeichnet, dass, im Gegensatz zu den anderen schönen Künsten, niemand ohne sie auskommen kann. Adolf Loos hat mit seiner Feststellung, dass außer dem Denk­ mal und dem Grabmal kein Bauwerk zur Kunst gezählt werden dürfe, die Demarkationslinie zwischen Kunst und Architektur zu bestimmen versucht. Das ist lange her. Kein Künstler kümmert sich heute mehr um Grenzen dieser Art, außer um sie zu verwischen. Trotzdem – die Spannung zwischen Schönheit und Nützlichkeit verfolgt die Architektur noch immer. Während andere Kunstformen die Nützlichkeit für ihre Zwecke umformen können – wie etwa jene österreichischen Beiträge bei der letzten Kunstbiennale in Venedig, die sich als Sozialprojekte ausgaben –, hat die Architektur nach wie vor keine andere Wahl, als nützlich zu sein. Liegt ihre aktuelle Bestimmung vielleicht darin, das Nützliche zur Kunst zu erheben? Kürzlich konnte man in Wien an zwei aufeinanderfolgenden Abenden die Vorträge zweier Architekten hören, die extreme Positionen zu dieser Frage markieren. Beide zählen zu den renommiertesten Figuren der internationalen Architekturszene: 235

Was vom Plan des Meisters blieb. Central Park und Klein-Manhattan, wie von Foster 2000 präsentiert ... ... und Planungsstand des Jahres 2007: Blockrand mit isolierten Zwillingstürmen Abbildungen: Eurogate, Vienna; BIG

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Sir Norman Foster, der nach Wien gekommen war, um einem Immo­ bilienprojekt am Land­ straßer Gürtel ein wenig Glanz zu verleihen, sprach im Rathaus vor angeblich 2.000 geladenen Gästen. Daniel Libeskind hielt seinen Vortrag vor 600 zahlenden Hörern im Museum für ange­ wandte Kunst, das einige Zeichnungen des Architekten besitzt und kürzlich Modelle für Libeskinds jüdisches Museum in Berlin in seine Schausammlung aufgenommen hat. „Is it infrastructure or is it architecture?“ war die rhetorische Frage, die Norman Foster mehrmals in seinem Vortrag stellte, als hinter ihm Bilder des Stansted-Flughafens, des Funkturms in Barcelona oder der U-Bahn von Bilbao erschienen. Der Unter­ schied hätte sich erledigt, ist Fosters implizite Antwort, mit der er die klassische Theorie des Schönen auf den Kopf stellt. Sein Leit­ motiv, die Veredelung der Infrastruktur, muss vor dem Hinter­ grund eines „Angriffs auf die Welt der akademischen Architektur“ gesehen werden, den er – wie Martin Pawley im jüngst erschienenen Werkbuch mit dem Titel „Norman Foster – A Global Architecture“ schreibt – seit den 60er-Jahren unternimmt. Es handelt sich, so Pawley, um eine selbstbewusst „unkreative Architektur“, die das Nützliche so lange zur Perfektion treibt, bis es jede spezifische künstlerische Äußerung überstrahlt. Diese Architektur ohne Ideen lässt sich nur scheinbar leicht imitieren: Qualitätsmaßstab ist die Konsequenz der Umsetzung, und darin ist Foster seiner Konkur­ renz immer um Jahre voraus. Im Vortrag hört man viel über den Einfluss von Richard Buckminster Fuller, einer der schärfsten Kritiker des architekto­ nischen Establishments. Dessen Rolle eines Weltingenieurs versucht Foster heute weiterzuspielen, freilich längst aus dem innersten Zirkel der Disziplin heraus. Andere, weniger technologiegläubige Repräsentanten der Anti-Architektur vergisst er zu erwähnen: Cedric Price etwa oder Walter Segal, der in den 50er-Jahren Hoch­ häuser mit hängenden Gärten entwarf, aber sich schließlich darauf beschränkte, für seine Kunden Selbstbau-Häuser zu entwi­ ckeln, die billig aus den Halbfertigprodukten der Bauindustrie gezimmert werden konnten. Fosters erster großer Coup als Angriff auf die akademische Architektur ist das Sainsbury Centre for Visual Arts in Norwich, ein aluminiumverkleideter „Flugzeughangar“, der sich im Vergleich zum expressiven Kraftakt des Centre Pompidou in Paris auf eine glänzende, tragende und versorgende Hülle beschränkt. Die globale Ästhetik perfekter Nützlichkeit eroberte sich hier die letzte Bastion der „schönen Baukunst“, den Museumsbau. Der Erfolg

scheint Foster Recht zu geben. Foster Associates beschäftigt knapp 500 Mit­ arbeiter und hat in den letzten vierzig Jahren über tausend Projekte bear­ beitet. Der so erworbene Markenname ist denn auch der eigentliche Grund für Fosters Besuch in Wien. Für die Aspanggründe, ein Areal am Land­ straßer Gürtel, haben Foster Associates im Auftrag einer Investorengruppe im vergangenen Jahr eine Studie vorge­ legt – zur Überraschung der Wiener Stadtplanung und des Bezirks, die nichts davon wussten, dass hier abseits der Stadtentwicklungsachsen und der Brennpunkte des öffentlichen Verkehrs ein neues Zentrum mit Hochhäusern um einen künstlichen Teich herum entstehen soll. Städtebaulich ist das Projekt mehr als fragwürdig: Vielleicht hätte man in Linz nachfragen sollen, wo Roland Rainers Konzept für die Solar City Pichling nicht zuletzt unter Fosters Einfluss zu einem seichten Allerweltsprojekt geworden ist. Aber hier wie dort geht es nicht um Qualität, sondern um die Erfüllung einer Verwertungslogik, in Wien konkret um die Kompensation von Spätfolgen des verunglückten EXPO-Projekts. Auf dem Grund­ stück am Gürtel sollte ursprünglich die Maschinenbaufakultät der TU Wien entstehen. Ein Wettbewerb war entschieden und die Planung bereits weit fortgeschritten, als man sich – gegen die Interessen der zukünftigen Nutzer – entschloss, das Projekt und die damit verbundene Investition in die Donau-City umzulenken. Dass die Bundesimmobiliengesellschaft die Kosten für diese aufwendige Rochade wieder einbringen muss, ist klar, und so tritt sie jetzt zusammen mit der Donau-City-Entwicklungsgesellschaft WED, der Bank Austria und den ÖBB als Betreiber eines Projekts auf, das zumindest den Buchwert der Aspanggründe etwas freundlicher aussehen lassen soll. Foster wird seine Studie jetzt zum Vorprojekt ausarbeiten: Städtebau, wie er heute überall auf der Welt als Liegenschaftsverwertung betrieben wird, freilich mit dem nicht unbedeutenden Unterschied, dass die Investoren in Wien großteils aus dem öffentlichen Sektor kommen und daher die Renditen nicht das primäre Ziel sein müssten. Daniel Libeskind könnte sich im Schlusssatz seines Vortrags auf diesen Fall bezogen haben: Der Boden der Stadt sei heute tatsächlich nichts anderes mehr als eine der Verwertungslogik der Investoren ausgelieferte Ansammlung von Liegenschaften. Die Fundamente seiner Architektur befänden sich freilich immer „einen Zentimeter über oder unter dieser Ebene“. Noch vor ein paar Jahren hätten Großarchitekten wie Foster über solche esoterischen Sprüche eines Architekturprofessors, dessen Werk nur aus Zeichnungen und Modellen besteht, milde lächeln können. 1989 gewann Libeskind jedoch den Wettbewerb für das Jüdische Museum in Berlin. Mit diesem Projekt konnte er beweisen, dass seine Visionen realisierbar sind und dass er fähig

Libeskind: Zubau zum Victoria & Albert Museum, London Abbildung: Atelier Libeskind

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ist, sie auch unter komplexesten Bedingungen umzusetzen: Das Jüdische Museum hat ein halbes Dutzend Kultursenatoren und Museumsdirektoren und immer neue inhaltliche Konzepte erlebt, ohne an Qualität zu verlieren. Trotzdem blieben die Bau­ kosten um 15 % unter dem veranschlagten Budget. Heute ist Libeskind verantwortlich für eine ganze Reihe großer Kultur­ bauten, unter anderem für das Musicon in Bremen, das Imperial War Museum in Manchester und den Erweiterungsbau für das Victoria & Albert Museum in London. Libeskind vertritt in jeder Hinsicht die Antithese zu den Produkten von Foster Associates: Er predigt Architektur als spezi­ fisches Kunstwerk, als auratisches, bedeutungsvolles Objekt, das die Geschichte eines Orts vermittelt und zugleich eine eigene erzählt. Beim Imperial War Museum in Manchester ist diese Geschichte simpel und plakativ: Eine zerbrochene Weltkugel, deren Scherben zu einer Großskulptur aufgehäuft sind. Im Inneren realisiert Libeskind ein Museumskonzept, das vor allem von projizierten Bildern getragen wird und militärisches Gerät nur sehr sparsam einsetzt. Die Dynamik neuer Medien in den architekto­ nischen Raum zu integrieren ist seit Le Corbusiers Philips-Pavillon bei der Brüsseler Weltausstellung Ende der 50er-Jahre kaum in dieser Konsequenz versucht worden. Noch spektakulärer ist Libeskinds Entwurf für den Zubau zum Victoria & Albert Museum in London. Ein mit Keramikplatten verkleidetes, spiralförmig geknicktes Band windet sich zwischen denkmalgeschützten Altbauten in die Höhe und kragt weit über die Dächer des Bestands aus. Trotz dieser abstrakten Grund­ idee ist die innere Logik des Gebäudes bestechend: Die Erschlie­ ßung ist selbstverständlich und klug geführt, die Räume sind geeignet, konventionelle Objekte zu präsentieren, wenn sie auch mehr auf eine Kunst neugierig machen, die erst im Entstehen begriffen ist. Dass es Libeskind gelungen ist, die konservativen Kräfte in London von seinem Projekt zu überzeugen, ist eine besondere Leistung. Ausschlaggebend dafür war, dass Libeskind sich nicht auf die arrogante Position einer überlegenen Moderne zurückge­ zogen hat, sondern sein Projekt als „Verbindung von Inspiration und Wissen in der Tradition der großen viktorianischen Denker“ darzustellen verstand. Die Eröffnung des Zubaus ist für 2003 geplant. „The Spiral“ – so der offizielle Name des Erweiterungsbaus – hat das Potenzial, zum ersten Gebäude des 21. Jahrhunderts werden. Schade, dass es in London stehen wird, denkt man sich, nach dem Vortrag am Ronacher vorbeigehend, wo Coop Himmelb(l)au vor 13 Jahren knapp daran waren, das Millennium vorzufeiern.

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19 / 02 / 2000   

WEICHEN, HÖRT DIE SIGNALE! 8,2 Milliarden Schilling investieren die ÖBB in die Modernisierung ihrer Bahnhöfe. Die Bahnhofsoffensive zeitigte bisher ein gestalterisch durchwegs hohes Niveau – eine dubiose Vergabepraxis lässt jedoch für die anstehenden Wettbewerbe wenig Erfreuliches erwarten.

H

elmut Draxler, Generaldirektor der Österreichischen Bundesbahnen, ist ein erklärter Architekturlieb­ haber. Das kleine Haus in den Alpen, das er sich von Johannes Spalt entwerfen ließ, findet sich auf dem Titelblatt des Katalogs zur Ausstellung über österreichische Architektur des 20. Jahrhunderts, die 1995 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen war. Als Generaldirektor der ÖBB hat Draxler sich von Anfang an dazu bekannt, den Ausbau der Bahn nicht nur als verkehrstechnische, sondern auch als architektonische Aufgabe wahrnehmen zu wollen. Von dem 140 Milliarden Schilling (10,17 Milliarden Euro) umfassenden Investitionspaket für die „Neue Bahn“ werden in den nächsten fünf Jahren 8,2 Milliarden Schilling in die bauliche Modernisierung der 43 meistfrequentierten Bahnhöfe Österreichs fließen. Die ÖBB sind damit einer der wichtigsten Bauherren des Landes, wobei nicht die Investitionssumme allein ausschlag­ gebend ist: Wegen der zentralen Lage der meisten Bahnhöfe geht es auch um folgenschwere stadtgestalterische Entscheidungen. Bereits unter Draxlers Vorgänger, Heinrich Übleis, hatten die ÖBB eine Initiative zur „Bahnhofsverbesserung“ begonnen. Die Architekten Zechner und Zechner entwickelten ein Handbuch für die Gestaltung von Perrondächern, Passagen und anderen Teilbereichen. Zur „Bahnhofsoffensive“ umgetauft, bekam diese Aktion eine neue Gewichtung, als die ÖBB – wie viele andere europäische Bahnlinien – den Wert ihrer Liegenschaften auf dem Immobilienmarkt erkannten: Auf den meisten Bahnhöfen 239

entstanden beachtliche Baulandreserven, als der Güterverkehr in neue Verschubbahnhöfe an der Peripherie verlagert wurde. Ursprünglich verfolgten die ÖBB daher die Strategie, den Ausbau der Bahnhöfe großteils über Immobiliengeschäfte zu finanzieren. Das Zauberwort für derartige Projekte hieß in den 90erJahren „Public Private Partnership“, also die Verbindung öffent­ licher und privatwirtschaftlicher Interessen zum beiderseitigen Vorteil. Das klingt zwar durchaus vernünftig, macht die Planung jedoch nicht einfacher: Für Investoren ist der ideale Bahnhof ein Büro- und Geschäftszentrum mit Gleisanschluss, bei dem das Umsteigen von einem Verkehrsmittel zum anderen durch die Geschäftspassage führt. Für den Anbieter von Verkehrsdienstleistungen sind dagegen kurze Wege und die Signifikanz des Abfertigungsgebäudes entscheidend. Die Architekturwettbewerbe im Rahmen der Bahn­ hofsoffensive waren daher von einem Zielkonflikt geprägt: Wie lässt sich die Maximierung vermietbarer Flächen mit der Optimie­ rung von Verkehrsströmen und dem Charakter des Bahnhofs als signifikanter Ort öffentlichen Lebens in Einklang bringen? Als zusätzliches Problem erwies sich, dass eine Maximierung von Flächen allein nicht die erhoffte Finanzierung sichert. Was sich tatsächlich vermieten lässt, hängt vom Immobilienmarkt ab. Als sich die hohen Erwartungen der in dieser Branche uner­ fahrenen ÖBB als unrealistisch erwiesen, mussten für mehrere Standorte neue Planungen durchgeführt werden. In einigen Fällen – wie etwa beim Bahnhof Innsbruck – folgte auf einen bereits entschiedenen Wettbewerb ein Gutachterverfahren unter neuen Bedingungen. Insgesamt scheint der Versuch, den Bahn­ hofsausbau primär als groß angelegtes Immobilienprojekt zu betreiben, die Bahnhofsoffensive um mehrere Jahre zurückge­ worfen zu haben. In qualitativer Hinsicht war das nicht unbedingt ein Nachteil: Die neue Doktrin der ÖBB, sich vornehmlich auf das Abfertigungsgebäude und auf die möglichst enge Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel zu konzentrieren, hat jeden­ falls mehr architektonisches Potenzial als das „Geschäftszentrum mit Gleisanschluss“. Zur Umsetzung dieser Doktrin haben die ÖBB vor wenigen Monaten Norbert Steiner, zuvor für das Land Niederösterreich verantwortlicher Bauherrenvertreter beim Bau der neuen Landeshauptstadt in St. Pölten, zum Leiter der Bahnhofsoffensive bestellt. Steiner wird in dieser Funktion eine Reihe vielverspre­ chender Projekte zu betreuen haben. Der Salzburger Haupt­ bahnhof, der gerade einen übersichtlich und ruhig gestalteten Vorplatz erhalten hat, wird bis 2004 nach einem Entwurf von Klaus Kada umgebaut. Er erhält neue Bahnsteige für den Nahverkehr und eine Passage mit Geschäften und Reise-Kundenzentrum auf dem Niveau des Südtiroler Platzes, die von der Bahnhofstraße bis zur Lastenstraße reichen wird. Unter einer geschwungenen Glaskonstruktion, die an den Altbau anschließt, entsteht so eine großzügige Bahnhofshalle. Ob sich das Projekt in dieser Form umsetzen lässt, hängt von einer Entscheidung des Denkmalamts 240

ab: Um Platz für die neuen Bahnsteige zu schaffen, muss das auf dem jetzigen breiten Mittelbahnsteig stehende Restaurant abge­ rissen werden. Der denkmalgeschützte Marmorsaal und das Kaiserzimmer sollen in einen anderen Teil des Altbaus übersiedelt werden. In Innsbruck entsteht bis zum Jahr 2003 ein komplett neuer Bahnhof nach Plänen der Grazer Architekten Riegler Riewe. Wie in Salzburg wird auch hier die Hauptebene der neuen Halle unter dem Gleisniveau liegen, um eine direkte Anbindung zu den angrenzenden Tiefgaragen zu ermöglichen. Riegler Riewe haben einen ruhigen Baukörper mit einer 18 Meter breiten und 75 Meter langen Halle entworfen, ein städtebaulich klares und einprägsames Projekt, das stark von der Qualität des Lichts in der großen Halle leben wird. Insgesamt zeigen die bisherigen Projekte der Bahnhofsoffensive ein erfreulich hohes Niveau, wobei Architekten verschiedener Generationen und Architektursprachen zum Zug kommen: neben Klaus Kada und Riegler Riewe – die jeweils mit einem weiteren Projekt, nämlich den Bahnhöfen in Klagenfurt beziehungsweise Bruck an der Mur beauftragt sind – planen unter anderem Henke und Schreieck in Baden bei Wien, Zechner & Zechner in Graz und Feldkirch, Hermann Czech in Wien-Hütteldorf, Luger und Maul in Wels und NFOG in Leoben. Als jüngstes Projekt wurde im Jänner die Entscheidung über den Bahnhof Linz vorgestellt: Wilhelm Holzbauer soll das neue Abfertigungs­ gebäude planen. Etwas in den Hinter­ grund trat dabei, dass Holzbauer beim Wettbewerb 1997 nur den vierten Platz gemacht hatte. Das siegreiche Büro Neumann + Steiner hatte das Projekt seither weiterentwickelt, einen Vorentwurf ausgearbeitet und im Juli des Vorjahres den Auftrag für die weiteren Architektenleistungen erhalten. Bereits im März war der Entwurf vom Linzer Gestaltungs­ beirat bewilligt worden. Die Umsetzung drohte jedoch an den hohen Baukosten zu scheitern, die sich vor allem aus der in der Wettbewerbsaus­ schreibung geforderten Erhaltung der bestehenden Bahnhofshalle ergaben. Da erwies es sich als günstig, dass der Denkmalschutz für das alte Gebäude im November 1999 aufgehoben wurde. Für die ÖBB kam das nicht überraschend, hatte sie doch nach ihrer Privatisierung den ex lege für Bundesbauten bestehenden Denk­ malschutz in jedem Einzelfall durch das Denkmalamt überprüfen lassen. Neumann + Steiner wurden über dieses Faktum, das wesent­ liche Einsparungen und organisatorische Verbesserungen für den Neubau ermöglicht, von den ÖBB erst informiert, als der Bescheid schon auf dem Tisch lag – gleichzeitig mit der Nach­ richt, dass Wilhelm Holzbauer mit einem neuen Vorentwurf beauftragt würde. Immerhin dürften sie noch innerhalb von vier

Neue Reisewelt: Projekte für Salzburg von Klaus Kada und für Innsbruck von Riegler Riewe Abbildungen: ÖBB

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Wochen eine Überarbeitung ihres Projekts vorlegen. Die Entschei­ dung würde vom Generaldirektor getroffen werden, beraten von einem Gestaltungsbeirat der ÖBB, dem Johannes Spalt, Klaus Kada und Hermann Czech angehören. Die Wahl fiel auf Holzbauers Projekt, eine Abfolge von Tonnendächern, die zum Bahnhofsplatz hin schräg angeschnitten sind. Der Entwurf macht kaum den Eindruck, als hätte sich der Architekt einem Qualitätswettbewerb stellen wollen. Formal erinnert er in der

Direktauftrag vom Generaldirektor: Wilhelm Holzbauers Adaption des Hongkonger Flughafens für die Linzer Bahnhofshalle ... … und das unterlegene Projekt von Neumann + Steiner

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Hauptansicht an Norman Fosters neuen Flughafen in Hongkong, ohne dessen Qualität auch nur annähernd zu erreichen. Sind dort alle Tonnenschalen über die gesamte Länge des Bauwerks leicht variiert, bleibt es hier bei einer plumpen Aneinander­ reihung von Elementen. Auch städtebaulich kann man der beab­ sichtigten Herauslösung des Bahnhofsgebäudes aus der Gesamt­ figur – sie stammt noch aus dem ursprünglichen Bebauungsplan von Neumann + Steiner – nicht viel abgewinnen. Was immer die Entscheidung der ÖBB bestimmt hat – von diesem Verfahren und seinem Ergebnis geht ein falsches Signal aus. Bei den noch heuer anstehenden Wettbewerben für den Wiener Westbahnhof und den Praterstern wird sich zeigen, ob die ÖBB auch bei den großen Projekten in Wien die Weichen für gut vorbereitete und transparente Verfahren zu stellen imstande sind. Ob sie dafür in der Gemeinde Wien den geeigneten Partner finden, sei dahingestellt. Für den Bereich des Westbahnhofs gibt es bereits eine vielpublizierte städtebauliche Vorstudie im Auftrag der Gemeinde. Einer der Autoren: Wilhelm Holzbauer.

200720 0620052004  2003200220   0120001999 1998199719 9619951994 19931992 243

24 / 12 / 1999    

AVANTGARDE MIT BODENHAFTUNG

Themen wie Ökologie und Soziales galten in der Architekturdiskussion bis vor Kurzem als verstaubt – für die Avantgarde eine Gelegenheit, sich gerade dort neu zu positionieren: William Alsop versucht das mit einer Neuinter­ pretation der Community Architecture.

A

n der Oberfläche ist alles in bester Ordnung: Architektur hat sich in den letzten Jahren zu einem florierenden Teil der Kultur­in­dus­ trie entwickelt. Ausstellungen, Symposien und Vorträge zum Thema sind allein in Wien unüberschaubar geworden. Neben dem Architekturzentrum Wien bemühen sich auch das Künstlerhaus und seit neuestem die Albertina verstärkt um Architekturschwerpunkte. Weil Architekten sich in diesem Umfeld – entsprechend der Ökonomie der Aufmerksamkeit – heute grundsätzlich als Stars positionieren müssen, ist ein diversifizierter Publikationsmarkt entstanden, indem selbst schmale Œuvres, theoretisch unter­ füttert und glänzend präsentiert, ihren Platz finden. Architekturtheorie hat sich als schillernde Subdisziplin mit enormem publizistischem Output etabliert, was beim Publikum zu beachtlichem Stress führt: Zwar lesen Architekten laut Angabe der Verlage nur ungern, aber selbst das Durchblättern des Jahres­ outputs an bedrucktem Papier und die Aneignung der wichtigsten Schlagworte ist heute nicht mehr zu leisten. Das freut wiederum den Kritiker, kann er sich doch in den beschleunigten Richtungs­ kämpfen innerhalb der Disziplin als Orientierungs­gehilfe wichtig machen. Das geschilderte System genügt sich selbst. Ins Extrem getrie­ ben, könnte es auf real gebaute Architektur mit all ihren ökono­ mischen Beschränkungen, kunstfeindlichen Bauordnungen und ewig nörgelnden Nutzern getrost verzichten. Die oft beschworene Trennlinie zwischen Architektur und Bauen wäre damit neu gezogen. Architektur wäre eine abgehobene Disziplin, die gele­ gentlich als Nebenprodukt bauliche Manifestationen hervor­ brächte, während das Bauwesen sich um die massenhafte Bereit­ stellung klimatisierter Infrastruktur zu kümmern hätte. Der Großteil jener Bauten, an die heute ein architektonischer Anspruch gestellt wird, hat in diesem Szenario denselben kulturellen Stellen­ wert wie eine Autobahn oder das Kanalsystem. Für sentimentale Geister mag das nach Untergang des Abendlandes klingen. Aber welche Nachteile hätte die Abschaf­ fung der Architektur aus dem Bauen tatsächlich? Technische

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Herausforderungen, die einer grundlegenden architektonischen Bearbeitung bedürfen, sind kaum mehr zu erwarten. Das Hightech-Design hat sich längst zu einer manieristischen Verfei­ nerung bekannter Figuren entwickelt, die man den Ingenieuren überlassen kann. Und im formalen Bereich? Innovation findet hier bestenfalls in einigen avancierten Gebieten der Geometrie statt, deren konstruktive Alltagstauglichkeit mehr als bescheiden ist. Ansonsten sind die Archive gefüllt mit Musterbüchern für jeden Anlass, deren Variation keine Herausforderung mehr darstellt. Bevor man die Architektur endgültig in einer erhöhten Nische am Rande der Bauindustrie deponiert, sollte man sich freilich die Frage stellen, ob es nicht doch Themen jenseits des Technischen und des Formalen gibt, die eine innovative architektonische Bearbeitung verdienen. Zwei Themen bieten sich an, die in der Architekturdiskussion zumindest bis vor Kurzem als reichlich verstaubt galten: Ökologie und Soziales. Verstaubt sind sie deswe­ gen, weil eine halbe Generation von Architekten sich in den 70er- und 80er-Jahren an ihnen zu schaffen gemacht hat und am Versuch, einen Idealzustand der Welt baulich wiederherzustellen, gescheitert ist. Wer heute von ökologischen und sozialen Fragen spricht, darf sich daher an keinen Ideologien mehr orientieren. Er kann aber davon ausgehen, dass jedes technische Problem der Architek­ tur primär als ökologisches zu betrachten ist und jedes formale Problem als soziales: Im radikalen Umbruch fortgeschrittener Gesellschaften haben Architektur und Städtebau das Potenzial, als wesentliches Medium zur geistigen und kulturellen Bewältigung des gesellschaftlichen Wandels zu funktionieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Disziplinen ihre erhöhten Nischen verlassen und sich jenen Kräften aussetzen, in denen dieser Wandel sich manifestiert: den angeblich engstirnigen Nutzern, den klischeehaft inkompetenten Beamten und den Niederungen knapper Budgets. William Alsop, Architekt mit Büros in London, Hamburg und Moskau – die er gemeinsam mit seinem Partner Jan Störmer betreibt – und Professor für Hochbau an der TU Wien, gehört zu jenen Architekten, die man eher in der sicheren Nische vermuten würde. Er zeichnet sich durch eine Entwurfsmethode aus, die sich dem architektonischen Projekt über die Malerei nähert, oft in Zusammen­ arbeit mit anderen Künst­ lern. Seine Bauten sind technologisch anspruchs­ voll, erheben aber im Unterschied zum HightechDesign nicht den Anspruch auf die Überhöhung einer konstruktiven Idee. Selbst die größten unter ihnen – etwa die

Jubilee Arts Project West Bromwich. Erstes Entwurfsschema: Tisch mit abgehängten Objekten Abbildung: Atelier Alsop

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Regionalverwaltung in Marseille oder die U-Bahn-Stationen in London – sind bemerkenswert vielschichtige Gebilde, die sich viel vom leichten Charakter der ersten freien Entwürfe bewahrt haben. Umso überraschter durfte man sein, als Alsop kürzlich einen Vortrag in Wien mit dem Titel „Community Architecture“ ankündigte. Der Begriff wird heute unter britischen Architekten abwertend für eine Bewegung verstanden, die eine sozialverträg­ liche kleinteilige Architektur zum Ziel hatte, traditionell im Maßstab, vorsichtig modern in der Form. Dennoch stellte Alsop seine jüngsten Arbeiten bewusst unter diesen Titel und forderte die gezielte Verstrickung des architek­ tonischen Projekts in gesellschaftliche Prozesse. In einer unruhigen Gesellschaft wie der britischen finde sich unter Nutzern und Bauherren zumindest bei öffentlichen Bauaufgaben eine Bereit­ schaft zum Experiment, von der die Architektur nur profitieren könne. Ein gerade fertiggestelltes Beispiel ist Alsops Bibliothek in Peckham, einem benachteiligten Stadtteil in der inneren Peripherie Londons. Im Unterschied zur Behutsamkeit dessen, was man üblicherweise unter „Community Architecture“ versteht, ist die Bibliothek ein in jeder Hinsicht extravagantes Gebäude. Der Lesesaal schwebt auf schlanken Stützen drei Geschosse über dem Boden und liegt an der Nordseite auf einem schmalen, mit bunt gefärbten Gläsern verkleideten Baukörper auf, in dem sich Treppen, Lifte und Nebenräume befinden. In den Lesesaal, von dem aus sich ein Blick über die Dächer des Viertels bis zum Zentrum Londons bietet, sind holzverkleidete Rundkörper eingestellt, in denen sich Leseräume für Kinder und ein vermietbarer Seminarraum befinden. Die Rundkörper durchbrechen das Dach und erhalten Licht von oben. Weil die Peckham Library täglich bis zehn Uhr abends geöffnet sein wird, legte William Alsop besonderen Wert auf die Wirkung des Gebäudes bei Nacht: Ein blau beleuchtetes Metallgitter, das die Untersicht des Lesesaals bildet und sich als Vorhang über die Hauptfassade zieht, soll dem Gebäude ein magisches Aussehen verleihen und den vom Lesesaal überspannten öffentlichen Raum zu einem attraktiven Treffpunkt machen. Ein ähnliches Projekt, allerdings in einem wesentlich größeren Maßstab, wird voraussichtlich nächstes Jahr in West Bromwich in Bau gehen. Für „Jubilee Arts“, einen halböffentlichen Kunst­ verein, plant William Alsop seit zwei Jahren ein Kulturzentrum mit rund 10.000 m2. Ein erstes Schema gleicht der Peckham Library, ein gigantischer Tisch mit abgehängten Objekten, der einen öffentlichen Raum unter sich freigibt. Inzwischen hat sich das Projekt mehrfach transformiert, der Tisch ist verschwunden, der öffentliche Raum in eine über ein tragendes Gestell gezogene Klimahülle integriert. Ein turmartiges Gebilde mit einem Boulevard, der nur sonntags zugänglich sein sollte, wurde als Ergänzung zum liegenden Baukörper entwickelt und verschwand wieder. Das Erschließungssystem verwandelte sich in eine komplizierte Doppelspirale, um schließlich wieder auf ein einfacheres System zurückgeführt zu werden. Am Ende steht ein Entwurf für einen kompakten Bau, durch dessen mit 246

meterhohen Fotos von Anwohnern bedruckte Hülle in der Nacht ein kompliziertes Innenleben durchschimmern wird. Eine aberwitzige, ziellose Planung also, eine einzige Abfolge von Kompromissen? Keineswegs. Nur solche offenen, im formalen Ergebnis unvorhersehbaren Prozesse können helfen, sozialen Wandel zu bewältigen und neue institutionelle Bedingungen zu schaffen. Die Architektur der nächsten Jahrzehnte wird an ihrem Beitrag dazu gemessen werden.

GLEICHAUF MIT DEM FLAKTURM

23 / 10 / 1999    

Generalisierende Antworten auf die Frage, was Schulbau leisten soll, hat Adolf Krischanitz schon bei seinen bisherigen Projekten verweigert. Auch sein jüngstes, der Lauder Chabad Campus im Wiener Augarten, gehorcht eigenen Spielregeln.

N

ehmen wir einmal an, Architektur sei mehr als reine Zweckerfüllung. Wir werden mit dieser Meinung nicht alleine stehen: Für die meisten Menschen soll Architektur die Welt zu einem schöneren Platz machen, erfreulicher fürs Auge, wärmer fürs Gemüt. Jenseits der Gemüt­ lichkeit werden sich andere Mehrwerte finden: die Verherrlichung einer klaren Ordnung der Welt beispielsweise oder auch ihr Gegenteil, die Kritik am herrschenden System. Gerade der Schulbau ist prädestiniert für weitschweifige und ideologisch belastete Diskussionen dieser Art. Muss er kindge­ recht sein in dem Sinn, dass er die Schule bunt und fröhlich als einnehmenden Baukörper gestaltet? Oder soll er eine klare und vielleicht sogar strenge Ordnung zum Ausdruck bringen? Oder eine offene Struktur bilden, die sich auflöst in ein freies Spiel von Formen und Räumen, in dem Kinder sich ebenso frei entfalten können? Derartiger Rhetorik hat sich Adolf Krischanitz in seinen Wiener Schulbauprojekten stets entzogen. Die „Neue Welt Schule“ im Prater aus dem Jahr 1994 ist ein schwarz verputzter Bau, dessen Innenräume mit ihren Sichtbetonwänden eher Werkstätten als 247

Kindergarten, Volks- und Mittelschule in einem: Lauder-Chabad-Campus von Adolf Krischanitz, Wien-Leopoldstadt

Öffentlich zugänglich: die Bibliothek Fotos: Margherita Spiluttini

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Klassenzimmern gleichen. Mit dem Entwurf für die Volks­ schule in der Steiner­ gasse hat Krischanitz 1996 einen Beitrag geliefert, dessen komplexe räumliche Organisation inner­ halb einer hermeti­ schen Figur ihn zu einem der spannends­ ten, leider nicht realisierten Projekte im Rahmen des Schulbau­ programms 2000 macht. Der vor zwei Wochen eröffnete Lauder Chabad Campus am Rande des Augartens – Kindergarten, Volks­ schule und Mittelschule in einem kompakten Baukörper – ist das jüngste Werk in dieser Reihe: ein lang gestreckter, hell verputzter Bau mit regelmäßigen Fensteröffnungen in einem einheitlichen Format, die teilweise bündig, teilweise in tiefen, mit Unters­ berger Marmor ausgekleideten Laibungen sitzen. Keines dieser Projekte ist auf den ersten Blick einnehmend oder gar in einem vordergründigen Sinn kindgerecht. Krischanitz arbeitet mit klaren Ordnungssystemen, die jedoch weder aus konstruktiven noch aus funktionalen Prämissen abgeleitet sind. Er stellt damit den Anspruch auf eine Autonomie der Architektur, der kritischer gegenüber der herrschenden Ordnung sein kann als jede noch so wild sich gebärdende Dekonstruktion. Was bedeutet das konkret? Erstens Autonomie gegenüber allen unreflektierten Forderungen nach Schönheit und Stil, die in Wahrheit nichts anderes meinen als das leicht konsumierbare Bild; zweitens eine Absage an jede Form der vielleicht spektaku­ lären, aber kurzlebigen Virtuosenarchitektur; und drittens – als methodische Voraussetzung – eine Lockerung der Beziehung zwischen Form und Funktion, die bis zur bewussten Irritation gehen kann. Wer das Gelände des Lauder Chabad Campus durch einen breiten Durchbruch in der Ziegelmauer des Augartens betritt, wird Schwierigkeiten haben, den Eingang in das Gebäude zu finden. Vor ihm liegt eine dreieckige Grünfläche mit einer hohen alten Platane, die sich in der lang gestreckten Glaswand

des Klassentrakts spiegelt. Die Eingänge in die Klassenzimmer sind hinter der Glaswand zu sehen. Der Haupteingang findet sich aber nicht in der Achse und auch nicht dort, wo das Gebäude am transparentesten ist, sondern seitlich in einem Kopfbau, zu dem eine leicht geneigte Rampe hinunterführt. Die Eingangstüren selbst sitzen ohne besondere Betonung in Öffnungen, deren Dimension sich von jener der Fenster nicht unterscheidet: Man spürt, dass dieses Haus nicht primär um Funktionen herum gebaut ist, sondern eigenen Spielregeln gehorcht. Solche Strategien der Reduktion sind nichts Neues: Von Louis Kahn bis zu den sogenannten Schweizer Minimalisten finden sich Beispiele dafür. Krischanitz weiß freilich, dass Autonomie in der Architektur etwas anderes bedeutet als in der Kunst. Der Lauder Chabad Campus hat äußerst komplexe Anforderungen zu erfüllen: Ziel der Institution ist es, ein hohes Unterrichtsniveau in Harmonie mit jüdischer Religion und Kultur zu vermitteln. Das Raumprogramm umfasst neben den Räumen für den Kinder­ garten und die verschiedenen Schultypen eine Synagoge und ein rituelles Bad, zwei Speisesäle, Bibliothek, Werkstatt und einen Turnsaal. Als Begegnungsstätte zwischen jüdischen und nicht­ jüdischen Kindern stehen die zuletzt genannten Räume auch Interessenten aus dem Bezirk offen. In einem ersten Entwurf für ein kleineres Raumprogramm plante Krischanitz ein Pavillonkonzept. Im ausgeführten Projekt liegen alle Haupträume für die Kinder im 90 Meter langen Klassen­ trakt: der Kindergarten im Erdgeschoss, die Volksschule im ersten und die Mittelschule im zweiten Stock. Die Klassen werden von einer Zone mit Erschließungs- und Nebenräumen wie Garde­ roben und WCs begleitet, die jeweils direkt den einzelnen Klassen zugeordnet sind. Nach Osten endet der Klassentrakt in der über die gesamte Höhe des Baukörpers reichenden Eingangs­ halle mit offenem Stiegenhaus, im Westen schließt sich ein durch einen schmalen Lichthof geteilter Quertrakt mit allen Zusatzfunktionen an. So schlicht und diszipliniert dieser Quertrakt von außen aus­ sieht, so komplex ist sein Inneres organisiert. Auf der einen Seite des Lichthofs liegen Turnsaal und Synagoge übereinander, auf der anderen Seite die Speisesäle und die Verwaltung. Zwei aufge­ setzte Lichtgaden, die den Speisesaalbereich und die Synagoge zusätzlich belichten, geben diesem Bauteil seine charakteristische Silhouette. Anders als mit seiner „Neuen Welt Schule“ wird Krischanitz mit diesem Bau kaum jemand vor den Kopf stoßen. Trotzdem: Hinter der freundlich hellen Putzhaut und der beinahe klassischen Erscheinung verbirgt sich ein autonomes Objekt, das es mit seinem unmittelbaren Nachbarn, der mächtigen Betonskulptur des Flakturms, aufnehmen kann. Damit hat Krischanitz einen bei dieser Bauaufgabe an diesem Ort zentralen Auftrag erfüllt: ein Haus für eine andere, bessere Ewigkeit zu bauen.

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25 / 09 / 1999   

BAUKUNST IN DER KOSTENSCHERE

Mit verschiedenen Wettbewerbsvarianten versucht der Wiener Kranken­ anstaltenverbund im Spitalbau auch Maßstäbe zu setzen. Wie die eben fertiggestellte Erweiterung des Sophienspitals zeigt, mit Erfolg. Aber mit ungewisser Zukunft.

I

m Jahr 1995 publizierte die britische „Royal Fine Art Commission“ ein Buch mit dem Titel „What Makes a Good Building?“. Die Antwort, die dort auf diese Frage gegeben wird, ist einfach. Ein gutes Gebäude entsteht, wenn es eine gute Spezifikation der Aufgabe, einen guten Bauherrn und einen guten Architekten gibt. Die ersten beiden Voraussetzungen gehören eng zusammen: Ein guter Bauherr weiß, was er will und was er sich leisten kann. Ein guter Architekt respektiert diese Rahmenbedingungen und entwickelt mit dem Bauherrn die bestmögliche architektonische Lösung. Das ist sicher eine Idealvorstellung. Wünsche und Budgets verändern sich, architektonische Konzepte bekommen eine Eigen­ dynamik. Spannungen sind daher oft unvermeidlich. Trotzdem: Ohne ein Grundvertrauen zwischen dem Bauherrn und den Planern kann kein gutes Gebäude entstehen. Umso wichtiger ist daher die Frage, wie der gute Bauherr den passenden guten Architekten finden kann. Was den öffentlichen Sektor betrifft, hat sich aber in den letzten Jahren vor allem mit dem EU-Beitritt vieles verändert. Seit geistig-schöpferische Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, ab einem Schwellenwert von 200.000 Euro ausgeschrieben werden müssen, gibt es selbst für kleine Planungs­ aufträge keine Direktvergabe mehr. Öffentliche Bereiche, die sich über Jahrzehnte jedem Wettbewerb hatten entziehen können, gerieten durch diese neuen Rahmenbedingungen unter einen spürbaren Anpassungsdruck. Zu diesen Bereichen gehört der Spitalbau der Gemeinde Wien, seit 1993 dem Wiener Krankenanstaltenverbund zugeordnet – mit einem Jahresbudget von rund 30 Milliarden Schilling (2,18 Milli­ arden Euro), wobei 2,5 Milliarden auf den Bereich Bauten und Einrichtung entfallen, nicht gerade ein kleiner Bauherr. Dennoch blieb der Wiener Spitalbau bisher tief unterhalb der architek­ tonischen Wahrnehmungsschwelle, Resultat einer gut eingespielten hermetischen Vergabepraxis auf niedrigem gestalterischem Niveau. 1994 wurde im KAV ein eigener Bereich Architektur geschaffen mit dem Ziel, die Qualität zu verbessern und zugleich den EUVorschriften für die Auftragsvergabe zu genügen. Bei einer Reihe

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von Projekten wurden ver­ schiedene Varianten erprobt, vom offenen zweistufigen Wettbewerb bis zum Gutachter­ verfahren. Fertiggestellt wurde vor Kurzem die Erweite­ rung des Sophienspitals, Ergebnis eines Wettbewerbs, den Martin Kohlbauer 1996 für sich entscheiden konnte. Eine Besonderheit des Sophienspitals ist seine Lage genau gegenüber dem West­ bahnhof. Zur Zeit seiner Ent­ stehung grenzte das Spital an den Linienwall, wo heute der Gürtel, also eine der verkehrsreichsten Wiener Straßen, vorbeiführt. Als Ergänzung zu den bei den bestehenden Pavillons, zwischen denen ein kleiner Park mit altem Baumbestand liegt, war ein verbin­ dender Trakt direkt am Gürtel zu planen. Kohlbauers Entwurf arbeitet mit dem Motiv einer mehrfach abgestuften, den Park zum Gürtel hin begrenzenden Wand aus dunklem Klinker. Patientenzimmer liegen gartenseitig, Neben­ räume sind zur Straße hin orientiert. Kohlbauer nutzt die Mauer nicht zur Abriegelung, sondern zur Schaffung von präzisen Zwischenbereichen, an denen der halböffentliche Raum des Spitals mit dem Stadtraum zusammenfließt. An einem Ende löst sich der Baukörper in eine Glaskonstruktion auf, die in mehreren Stufen hinter die Baulinie zurückspringt, während die Mauer als niedriger Paravent am Gürtel weitergezogen ist. Dazwischen entsteht ein schmaler baumbestandener Hof, der den Park auch vom Gürtel her spürbar werden lässt. Am anderen Ende läuft der Baukörper spitz zu und erlaubt einen diagonalen Einblick in den Park und umgekehrt von den Tagräumen aus den Blick zum Gürtel. Kohlbauer wollte hier, ebenso wie mit dem großen, über zwei Geschosse reichenden Fenster am Gürtel, hinter dem die Haupttreppe liegt, die belebte Straße als aktivierenden Kontrast zum Parkblick einbeziehen. Der Bau bietet genau jenen Mehrwert, der aus dem Zusam­ mentreffen eines guten Bauherrn mit einem guten Architekten entstehen kann: Optimale Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pfleger, keine Aneinanderreihung von Funktionen, sondern ein wohlorganisiertes räumliches Kontinuum und schließlich eine vorbildliche Bereicherung des öffentlichen Raums. Lauter Qualitäten also, die sich nur schwer direkt in Zahlen ausdrücken lassen. Darauf hinzuweisen ist wichtig. Denn der Bau hat mehr gekostet, als im Budget veranschlagt war. Anfangs war von 100 Millionen Schilling die Rede, abgerechnet wurde jenseits von 125 Millionen. Der Sprung von der architektonischen Niveaulosigkeit in das, was man heute von einem öffentlichen Bauherrn erwarten darf, hat den KAV bei einem anderen Projekt in arge Probleme gebracht. Auch beim Zubau eines OP-Traktes im Kaiserin-Elisabeth-Spital

Wohlorganisiertes räumliches Kontinuum: Martin Kohlbauers Erweiterung des Sophienspitals in Wien Mariahilf Foto: Rupert Steiner

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ging man von einem unrealistisch niedrigen Budget aus. Die jungen Architekten Hemma Fasch und Jakob Fuchs haben den Wettbewerb gewonnen. Als sich im Vorentwurf eine Kosten­ steigerung von 210 auf 290 Millionen Schilling abschätzen ließ, wurden die Architekten unter äußerst unschönen Begleitum­ ständen gekündigt. Letztlich dürften sie nicht an den angeblichen Fundierungsproblemen, sondern an einem Strukturproblem des KAV gescheitert sein: Die an sich vernünftige Dezentrali­ sierung kann bei komplexeren Projekten dazu führen, dass zwar alle mitreden wollen, aber niemand mehr weiß, wer etwas zu entscheiden hat. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen die Stadt Wien aus diesen Erfahrungen zieht. Jüngste Aussagen über eine „gestückelte Vorgangsweise“ zur Unterschreitung von EU-Schwel­ lenwerten und das „Outsourcing“ von Bauherrenfunktionen an externe Berater lassen wenig Gutes erwarten.

31 / 07 / 1999   

BIS ZUR ALLERLETZTEN SCHRAUBE!

Murau könnte sich glücklich schätzen: über zwei Bauten außerordentlicher Qualität – wenn die beiden einander nicht in die Quere kämen. Über einen nicht alltäglichen Konflikt oder: Wie untergräbt man eine Brücke?

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ie Aufregung ist groß: Ein Bauwerk, bis zur letzten Schraube aus seiner Situation und seinen Verkehrsbeziehungen heraus entwickelt, in Architekturzeitschriften gelobt als ebenso poetischer wie konstruktiv inno­ vativer Beitrag zum Brückenbau, ist in seiner Substanz bedroht durch einen rücksichts­ losen Eingriff, der drei Jahre lang im Geheimen vorbereitet wurde. Abhilfe schaffen kann nur eine breit abgestützte Protestaktion, ein Appell an das Kulturbewusstsein der Verantwortlichen und der Bürger, die ihre Gemeinde doch als Touristenort profiliert sehen wollen. Gefordert wird ein sofortiger Baustopp und die Suche nach einer besseren Lösung. Es geht um den Mursteg im steiermärkischen Murau, eine Fuß­ gänger- und Radfahrerbrücke, die vom Murauer Bahnhof über den Fluss zur Stadt hinüberführt. Die Schweizer Architekten Marcel Meili und Markus Peter haben die Brücke zusammen mit dem Tragwerksplaner Jürg Conzett geplant. Nach einem Wettbe­ werb im Jahr 1993 konnte sie 1995 ihrer Bestimmung übergeben werden. Die Geburtswehen für das Projekt waren beachtlich: Murau veranstaltete damals die Ausstellung „Holzzeit“, und die Brücke, die unter anderem als eine Art Demonstrationsobjekt für

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konstruktiven Ingenieurbau in Holz gedacht war, entsprach nicht so ganz dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellte. Sie ist keine Skelettkonstruktion, sondern ein massives Objekt, zusammengesetzt aus zwei vertikalen scheibenartigen Hohlkästen, die aus Dreischichtplatten aufgebaut sind, und einem massiven Ober- und Untergurt aus Brettschichtholz. „Die weitgehende Unterdrückung der holztypischen tektoni­ schen Gliederung“, schreiben die Planer, „schafft die Voraus­ setzung für eine gelassene und elementare Beziehung zwischen dem Material, der Brückenform und der Umgebung.“ Es bedurfte einiger Überredungskunst, auch vonseiten des Landes, um die Veranstalter der „Holzzeit“-Ausstellung, die eher an eine Fachwerks­ konstruktion mit flotten Hightech-Details gedacht hatten, vom Projekt zu überzeugen. Weil ihre Lösung das Budget bei weitem sprengte, verzichteten die Planer auf ihr Honorar und trieben noch eine Reihe von Sponsoren auf, unter anderem Hermann Kaufmann, dessen Holz­ baufirma in Reuthe in Vorarlberg die Brücke errichtete. Die

industriell gefertigten Träger wur­ den als Fertigteile aus Vorarlberg an die Mur gebracht – auch das nicht ganz im Sinne der Organi­ satoren, die grüne Steiermark als Ort der Holzverarbeitung zu bewerben. Das Ergebnis ist jeden­ falls außerordentlich. „Die Brücke versammelt die Erde als Land­ schaft um den Strom.“ Dieser Satz aus Martin Heideggers „Bauen, Wohnen, Denken“ ließe sich mit dem Mursteg ebenso trefflich illustrieren wie jener, dass die Brücke in ihrem Geviert Himmel und Erde versammelt und das Strömen unter sich für einen Moment anhält. Das hölzerne Zimmer mit den großen, liegen­ den Öffnungen, das Meili und Conzett über dem Fluss entste­ hen ließen, erzeugt genau einen solchen Punkt der Ruhe. Für Heidegger ist die Brücke eine Metapher für die Kraft des Men­ schen, einen Ort zu schaffen, der zuvor noch gar nicht existiert hat: „Von der Brücke selbst her entsteht erst der Ort.“ Die ursprüngliche Welt, die hier vorausgesetzt wird, gibt es natürlich so gut wie nirgends mehr. Auch in Murau besetzt der Steg eine Kulturlandschaft, in der viele frühere Maßnahmen in Schichten und Brüchen an- und übereinander liegen und zu einer Neuinterpretation einladen. Der Mursteg verbindet nicht nur zwei Ufer, sondern zwei Stadtteile: den Bahnhof auf

Der Murauer Konfliktpunkt: Wo die bereits bestehende seitliche Treppe von Meili und Conzett der projektierten Bezirkshauptmannschaft von Tschapeller und Schöffauer ins Gehege kommt Abbildung: Tschapeller / Schöffauer

Ausgeführtes Bauwerk: Zwei Lesarten desselben Orts Foto: Wolfgang Retter

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der einen Seite und die zuerst locker bebaute und rasch sich verdichtende Altstadt auf der anderen Seite. Da der Bahnhof ein gutes Stück über der Stadt liegt und die Böschungen mehrere Stufen aufweisen, verbindet die Brücke unterschiedliche Niveaus. Auf der Stadtseite spannt sich vom Brückenkopf weg eine Verlän­ gerung des Stegs zur Hauptstraße, während eine quer zur Brücke gesetzte Treppe hinunter zum Ufer der Mur führt. Auf der Bahnhofsseite endet das Haupttragwerk der Brücke im Hang: Radfahrer können den Höhensprung zum Bahnhof auf einer seitlich wegführenden Straße überwinden, während Fuß­ gänger über eine an der anderen Seite in einem geschlossenen Kasten angesetzte Treppe nach oben kommen und von dort auf direktem Weg zum Bahnhof gelangen. Dieser Punkt, an dem die seitliche Treppe wie ein leichtes Tentakel auf dem Bahnhofsvorplatz auflagert, ist der Gegenstand der derzeitigen Aufregung. Im Mai 1996 wurde ein Wettbewerb für eine Bezirkshauptmannschaft vor dem Bahnhof ausgeschrieben, den das Wiener Team Wolfgang Tschapeller und Friedrich Schöffauer für sich entscheiden konnte. Der Standort wurde in einer Vorstudie gerade wegen des Murstegs und der damit gege­ benen direkten Verbindung zum Stadtkern als ideal erkannt. Das Einsatzmodell, das für den Wettbewerb gebaut wurde, zeigt deutlich die Gesamtsituation mit Flussraum, Steg und Bahnhof. Im Juryprotokoll ist nachzulesen, dass für die Juroren unter dem Vorsitz von Irmfried Windbichler der gelungene „Anschluss an den bestehenden Fußgängerübergang“ eines der fünf maßgeb­ lichen Kriterien war, dessen Nichterfüllung bei einigen Projekten auch explizit kritisiert wird. Das Projekt von Tschapeller und Schöffauer wird von der Jury als „außerordentliche Lösung“ gelobt, die von „einer intensiven Analyse der Potenziale des Bauens in dieser Landschaft ausgeht“. Durch eine schräg in die Böschung geschnittene Abgrabung gelingt es, den Verwaltungsbau teilweise ins Erdreich zu legen und die Baumassen vor dem Bahnhof klein zu halten. Die Treppe des Murstegs wird in ihrem oberen, flachen Teil von zwei niedrigen Baukörpern flankiert, während ein dritter, höherer Baukörper so gesetzt ist, dass der Weg vom Mursteg Richtung Bahnhof frei bleibt, vom vorkragenden Dach dieses Baukörpers dort geschützt, wo der Eingang in die Bezirkshauptmannschaft liegt. Tschapeller und Schöffauer, die schon einmal mit dem TrigonMuseum ein Projekt bis zur Detailplanung gebracht haben, um es dann durch politische Ränkespiele verhindert zu sehen, haben um den Bau in Murau drei Jahre gekämpft. Zuerst musste nach­ gewiesen werden, dass die Kosten nicht über dem Üblichen liegen würden, dann sollte das Projekt – um besser zum Murauer Image zu passen – aus Holz errichtet werden. Die Architekten konnten nachweisen, dass die Herstellungskosten im Rahmen bleiben würden, und legten zusätzlich ein Energiekonzept vor, das die besondere Bauweise nutzt, um die Betriebskosten niedrig zu halten. Als alle Hürden nach langwieriger Überzeugungsarbeit über­ wunden waren, konnten schließlich vor sechs Wochen in der Landesregierung die endgültigen Beschlüsse für den Bau gefasst

und die Aufträge an die Firmen vergeben werden. Nun setzt sich Wolfgang Tschapeller mit Jürg Conzett in Verbindung, um ihn bezüglich der notwendigen Unterbauung des letzten Brücken­ ausläufers und eventueller seitlicher Durchgangsöffnungen zu befragen. Conzett, der zum ersten Mal vom Bau der Bezirks­ hauptmannschaft hört, bittet um Unterlagen. Ein weiteres, bereits gespanntes Gespräch zwischen Meili und Tschapeller folgt. Tschapeller bietet an, nach Zürich zu kommen. Meili und Conzett sind an einem persönlichen Gespräch nicht interessiert und beginnen ihre Kampagne gegen das Projekt. Kollegen in ganz Europa erhalten Faxe mit dem eingangs erwähn­ ten Anliegen: Baustopp und Verhinderung des Projekts von Tschapeller und Schöffauer. Das Fax enthält drei Pläne im Format A4, auf deren Grundlage immerhin 60 Kollegen glauben, das Projekt negativ beurteilen zu können. Ein Fax nach dem anderen langt bei Tschapeller und beim Murauer Bürgermeister ein. Dass Meili und Conzett in die Bearbeitung des neuen Auflagers ihrer Brücke eingebunden werden sollten, steht außer Zweifel. Es ist wahrscheinlich, dass sie dabei in Kooperation mit Tschapeller und Schöffauer zu einer Lösung kommen werden, die auf die neue Situation mit Gewinn reagiert. Ihr Anspruch, das ganze Umfeld der Brücke bestimmen zu dürfen und ein korrekt abge­ laufenes Verfahren außer Kraft zu setzen, ist dagegen vermessen und unverständlich. Tschapellers Projekt verändert den Ort, indem es ihn auf seine Art interpretiert, so wie jede qualitätvolle, nicht angepasste Architektur. Am Ende wird der alltägliche Benutzer in Murau mit zwei Lesarten eines Orts konfrontiert sein. Im Zeitalter der durchgän­ gigen Inkohärenz sollte das niemanden wirklich irritieren. Außer vielleicht jene Architekten, die noch an das Absolute glauben.

04 / 06 / 1999   

NOCH WAS ZU BESTELLEN? Zwei Symposien, eines zum Thema „Cyberspace“, eines zum Thema „Peripherie“ – ein Befund: Als Großmeister der Ordnung haben Architekten ausgespielt. Ihre Zukunft liegt in einem kritischen Eingehen auf konkrete Lebenswirklichkeiten.

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on zwei Veranstaltungen ist zu berichten, die Ende vergangener Woche in Wien stattfanden: Im Museumsquartier wurde im Rahmen der Ausstellung „Synworld“ ein Symposium abge­ halten, bei dem auch Architekten zum Thema „Cyberspace“ zu Wort kamen. Parallel dazu veranstaltete die „Sargfabrik“, eines der inno­ vativsten Wiener Wohn- und Kulturprojekte der letzten Jahre, ein Symposium unter dem Titel „Peripherie im Fokus“, bei dem es um die Bedeutung von Randzonen und Randgruppen für die 255

Neuer Ästhetizismus? Datenblüte von Karl Chu Abbildung: Karl Chu

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Entwicklung der Städte ging. Dass die Ausstel­ lung im Museumsquar­ tier mehr Zulauf hatte, ist klar. Neue Medien sind zu Recht ein „Mainstream“-Thema: Sie sind Voraussetzung für die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft und für die rasche Transformation unserer Berufs- und Freizeitwelt. „Play­ work:Hyperspace“ hieß der Untertitel der Ausstellung, die der Medienindustrie die Möglichkeit bot, sich im Kontext von Kunst und Wissenschaft zu präsentieren. Die Illusion, dass durch die neuen Medien Spielen zum Lernen wird und produktive Arbeit zum Spiel, wurde einmal kräftig genährt. Es verwundert nicht, dass der Hauptsponsor der Veranstaltung Libro Online hieß. Die Förderung der Medienkompetenz, die der Sponsor laut Presseaussendung als Grund seines Engagements angibt, wird es ohne Kritik aber nicht geben können. Nur in den tieferen Ästen der CD-ROM zur Ausstellung finden sich Ansätze in diese Richtung. Interessant sind vor allem die Beiträge über Japan, wo sich aus einer anderen visuellen Kultur auch ein anderer Zugang zum Cyberspace und zur virtuellen Realität entwickelt. Die Beiträge der Architekten zum Symposium waren beispielhaft für die Tendenz, in einer unsicheren Welt zu einer neuen Hand­ lungsbasis für die Architektur zu kommen. Mit dem Funktio­ nalismus, der eine klare Beziehung zwischen Form und Funktion definieren wollte, hätte sich auch die Idee der stabilen Form aufgelöst. An ihre Stelle tritt das parameterabhängige Feld, das seine Gestalt dauernd ändert. Für Lars Spuybroek von der niederländischen Architekten­ gruppe NOX – der in dieser Hinsicht stellvertretend ist für eine Generation von Architekten wie Winy Maas oder Greg Lynn – können sich die Parameter architektonischer Formen aus allen möglichen, am besten zufälligen Einflussfeldern herleiten: Fußgängerströmen, dem Sonnenstand, den Geräuschen von Fahr­ zeugen auf einer Autobahn. Dem Dilemma, dass die gebaute Realität dann doch wieder statisch ist, entzieht er sich elegant: Architektur im engeren Sinn ist die Formel, das Bauwerk nur eine zufällige Momentaufnahme. Das dürfte den Bewohner eines solchen Objekts freilich wenig interessieren. Man gewinnt den Eindruck, dass die Architekten dieser Richtung ihre zentrale Position als Großmeister der Ordnung nicht aufgeben wollen, sondern versuchen, sie in geän­ derter Form – abgesichert durch Chaostheorie und Fraktale – zu erhalten. Deutlich wurde das beim Vortrag von Karl S. Chu, einem amerikanischen Theoretiker und Architekten, der diesen kosmologischen Anspruch der Architektur direkt ansprach und die Verwendung des Computers als neue Chance für das alte

„gnostische Streben nach Erfüllung“ bezeichnete, ein Gedanke, den auch Charles Jencks, früher erster Kammerdiener der Post­ moderne, in seinem jüngsten Buch, „The Architecture of the Jumping Universe“, ausführt. Was Chu dann präsentierte, sind zweifellos schön anzusehende Verräumlichungen mathematischer Formeln, die aber völlig irrelevant werden, wenn man die beige­ packte esoterische Theorie nicht zu akzeptieren bereit ist. Wer über Architektur und Stadtleben etwas Konkretes erfahren wollte, war mit einem Besuch in der Sargfabrik besser bedient. In einem ersten, ebenfalls von Roland Schöny konzipierten Symposium im Mai hatte sich „Peripherie im Fokus“ mit der Wiener Peripherie und mit dem eigenen Wohnumfeld auseinan­ dergesetzt. Spannend waren dabei vor allem Diskussionen über die Hausbesetzerszene und ein Vortrag des deutschen Sozio­ logen Wolfgang Pohrt, der das soziale Konzept der Sargfabrik mit einer heftigen Polemik bedachte: Zu sehr geschützt, zu sehr Altersheim, zuwenig Blick auf das weitere soziale Umfeld. Gerade den letzten Vorwurf widerlegte der zweite Teil des Symposiums, der sich mit Peripherien in London, São Paulo und auf dem Balkan auseinandersetzte. Es ging dabei einerseits um die soziale Peripherie, um den Umgang mit Randgruppen in England und Deutschland beziehungsweise auch um die unterschiedlichen Formen der Selbstdefinition dieser Randgruppen. Da war zu hören, wie wenig Positives der Begriff der Integration für eine britische Kultur­ theo­retikerin mit pakistanischem Hintergrund beinhaltet: Integra­ tion hätte in England stets den Beigeschmack des sozialen Drucks; für englische Asiaten und Schwarze sei kulturelle Konkurrenz auch im Rahmen einer gemeinsamen Sprache ein wesentlich verständlicherer Ansatz. Im Falle São Paulos ging es auf der anderen Seite um globale Peripherie. Wie gewinnt eine Stadt mit 16 Millionen Einwohnern Identität angesichts des langsamen Verfalls des Mittelstands und immer stärker werdender sozialer Gegensätze? Dass die klassischen Mittel der Architektur dazu nicht mehr taugen, zeigte ein Beitrag über das America-Latina-Memorial, ein Spätwerk von Oscar Niemeyer, das mit Bibliothek, Theatersaal und Ausstel­ lungsräumen ein identitätsstiftendes Monument sein wollte und dabei völlig an der Realität gescheitert ist. Viel überzeugender waren Beiträge von Künstlern, etwa von Giselle Beiguelman, die mit ihrer Gruppe eine Ausstellung in einer von ihr umgestalteten Fabrik durchführte und das Publikum ausschließlich mit ange­ mieteten Eisenbahnwaggons dorthin brachte – eine subversive Aktion in einer Stadt, deren Autoindustrie gezielt den Verfall des öffentlichen Verkehrswesens bewirkt hat. Architekten hatten auch auf diesem Symposium nur wenig Spannendes beizutragen. Aber vielleicht müssen sie akzeptieren, dass sie zu einer kulturellen Randerscheinung werden. Das ist weniger tragisch, als es vielleicht klingt: Von den Rändern her – das konnte man beim Symposium in der Sargfabrik lernen – kommen die wesentlichen Entwicklungen.

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08 / 05 / 1999   

WO ORTE ZUR SPRACHE KOMMEN Architektur ist Teil der Alltagskultur: dies einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen, ist Roland Gnaiger seit Jahren bemüht. Das aktuellste Architekturvermittlungsprojekt, an dem er beteiligt ist, „LandLuft“, peilt mit Video und CD-ROM auch ein jüngeres Publikum an.

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Architekturvermittlung, mulitmedial und authentisch: Roland Gnaiger erzählt die Geschichte seiner Volksschule in Warth

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er Gegensatz von Stadt und Land, einst prägendes Moment der euro­ päischen Kulturgeschichte, ist heute so gut wie bedeutungslos. Angesichts der immer ähnlicher werdenden kulturellen Leitbilder hat das „authentische Land­ leben“ auch noch den letzten Rest an Substanz eingebüßt, der ihm nach der Ausschlachtung durch Heimatfilm und Tourismus geblieben war: Kitsch ist – wie Milan Kundera einmal schrieb – die Umsteigestation zwischen dem Sein und dem Vergessen. Was die ländliche Kultur anlangt, sind wir in der Phase des Vergessens angekommen. An ihre angestammten Qualitäten zu erinnern bleibt den Volkskundlern überlassen. Das heißt freilich noch lange nicht, dass wir in einer flächen­ deckend urbanen Kultur leben. Von ein paar Weltstädten abge­ sehen, ist heute überall Provinz oder – um einen freundlicheren Begriff zu gebrauchen – Region. Natürlich gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen Wien, St. Pölten und Ischgl, aber die bewegen sich eben längst im gemeinsamen Rahmen des Provin­ ziellen, wenn auch mit jeweils spezifischen Färbungen. Zu den ländlichen Gebieten in Österreich, denen es offen­ sichtlich gelungen ist, auf die veränderte Wirklichkeit zu reagieren, gehört Vorarlberg. Es gibt hier ein grundsätzliches Einvernehmen, dass Architektur Antworten auf aktuelle Probleme finden soll, ohne auf Klischees Rücksicht zu nehmen. Die Architekten des Landes haben sich in den letzten zwanzig Jahren schrittweise das Vertrauen der Bevölkerung erworben, nicht zuletzt durch intensive Medienarbeit. Auch wenn sich gerade hier – sehr zum Missfallen der Architektenkammer – die freie und damit an keine Standesvertretung gebundene Berufsbezeich­ nung „Baukünstler“ etabliert hat, so haben diese „Baukünstler“ stets das Gefühl vermittelt, sich mit den tatsächlichen Lebensbe­ dingungen und Bedürfnissen der Menschen auseinanderzusetzen und nicht mit ihrer eigenen Positionierung im Kulturbetrieb. Roland Gnaiger, Architekt in Bregenz und heute Professor an der Universität für Gestaltung in Linz, hat sich schon in den frühen 80er-Jahren neben seiner Planungstätigkeit bemüht, einer breiteren Öffentlichkeit Architektur nicht als etwas Außerge­ wöhnliches für teure Sonderfälle, sondern als Teil der Alltags­ kultur nahezubringen. Er hat Vorträge gehalten, Beratungen

durchgeführt und regelmäßige Berichte im Regionalfernsehen gestaltet. Mit einer Mischung aus Sendungsbewusstsein und Pragmatismus hat er eine praxisorientierte Theorie des Bauens außerhalb der Ballungszentren entwickelt, die weit über die leidige Polarität zwischen Ortsbildschutz und „zeitgemäßer Architektur“ hinausgeht. In ihrer knappsten Formulierung lautet sie: „Die Produktion von Architektur, ob in Stadt oder Land, unterscheidet sich nicht wesensmäßig. Wer jedoch den speziellen Orten Raum gibt, sich auszusprechen, bekommt vieles zu hören, was bis dahin von unseren Monologen übertönt wurde.“ Aus der Summe der genau beobachteten lokalen Voraussetzungen wird jeder Bauplatz für den Architekten zum Mittelpunkt der Welt. „Und es wäre Ignoranz oder Dummheit, auch nur eine einzige der Ressourcen, aber auch Hemmnisse eines Ortes nicht zu nutzen.“ Klarerweise entsteht aus der Beachtung des Kontexts allein noch keine Architektur. Aber für Gnaiger empfiehlt es sich gerade auf dem Land, den Begriff der Kunst nicht zur Durchsetzung eines architektonischen Anspruchs zu verwenden. „Kunst ist besser das Ergebnis der Arbeit als der Anfang der Diskussion.“ Aber wo liegt der Anfang der Diskussion? Auch außerhalb Vorarlbergs ist ja viel über das Bauen auf dem Land geredet worden, es gibt Architekturzentren in allen Bundesländern, mehr als genug Publikationen über regionales Bauen, und trotzdem hat es eher den Anschein, dass nach dem Verschwinden der Tradition im Kitsch kaum eine tragfähige neue Baukultur entsteht. Nach Gnaigers Theorie ist das wenig verwunderlich: Solange sich die Diskussion in der Stadt-Land-Problematik verfängt und nicht das Faktum der universalen Provinz mit jeweils spezifischen Chancen akzeptiert, wird sie sich darauf beschränken, traditionelle Leitbilder in immer blasserer Form abzuwandeln. Das jüngste Projekt der Architekturvermittlung, an dem Gnaiger beteiligt ist, hat seinen Ausgang konsequenterweise nicht auf dem Land, sondern in der Stadt genommen, mit einer Ausstellung an der Technischen Universität in Wien. Aus einer ursprünglich geplanten Ausstellung über die Arbeiten Gnaigers entwickelte sich ein Konzept, in dessen Mittelpunkt die Vernetzung steht: Im Vordergrund stand ein Symposium, bei dem nicht nur Architekten und Raumplaner, sondern auch Kabarettisten und Musiker, Lehrer, Bürgermeister und Landwirte zu Wort kamen. Ergänzend gab es einen „Burgenländer“- und einen „Niederösterreicher-Tag“, die in Zusammenarbeit mit den Architek­ turzentren dieser Bundesländer veranstaltet wurden. Eine Ausstellung gab es zwar, aber sie zeigte keine Bildtafeln und Modelle, sondern ein Video, in dem Gnaiger Bauten aus ganz Österreich kommentiert, sowie eine interaktive CD-ROM, auf der vier seiner eigenen Bauten dokumentiert sind. Dabei kommen in kleinen Videoclips auch Bürgermeister und Bauherren zu Wort, etwa Hubert Vetter, dessen Bauernhof in Lustenau zu den wenigen herausragenden jüngeren Beispielen auf diesem Gebiet gehört. Ein Interesse an der Gestaltung im weitesten Sinn, das optimistisch stimmen könnte, ist hier dokumentiert. Die Schule 259

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in Warth ist beispielsweise weit mehr als ein schönes Gebäude – eben auch ein Ort der Identifikation für eine Gemeinde, deren 200 Einwohner sich im Winter unter 2.000 Gästen beinahe selbst wie Fremde fühlen müssen, so sehr sie auch den Tourismus als Lebensgrundlage akzeptieren. Als einklassige Hauptschule für die 10- bis 14-Jährigen des abgelegenen Ortes ist sie auch eine pädagogische Innovation. Und auf der CD-ROM kann man sich von einem der Lehrer erzählen lassen, wie wichtig es war, mit dem Architekten über die Prinzipien eines solchen Typus zu reden, lange bevor es noch ums eigentliche Bauen ging. Ähnlich interessante Begeg­ nungen erlaubt die CD-ROM auch mit Bauherren der anderen drei Projekte. „LandLuft“ soll als Projekt im Büro Gnaigers in Linz weiter­ geführt werden und sich zu einer permanenten Kooperation von Kulturmanagern, Landschaftsplanern, Architekten und Medien­ leuten entwickeln. Die Liste der an der Wiener Veranstaltung Beteiligten bietet ein Bild möglicher Vernetzung: Die Konzeption stammt von Erich Raith vom Institut für Städtebau der TU Wien; die Projektleitung lag bei Thomas Moser und Roland Gruber von der Universität für Gestaltung in Linz; die Ausstellungsgestaltung besorgten dunkl/erhartt/sapp/zinner; das Video wurde von ZONE produziert; Musik kam von Attwenger, die Graphik von Büro X, die Gestaltung der CD-ROM von althaler + oblasser. Es ist zu hoffen, dass die Veranstalter mit diesen Medien das angepeilte jüngere Publikum tatsächlich erreichen.

30 / 04 / 1999   

VON BUNKERN UND HÜHNERSTÄLLEN

Was steckt hinter den Aggressionen, die moderner Architektur hierzulande immer noch entgegenschlagen? Die tief verwurzelte Angst vor dem Offenen, Unfertigen, die Ablehnung gestalterischer Eigenverantwortung. Eine Anamnese aus aktuellem Anlass.

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alzburg, 28. Februar 1999, Vorwahlzeit: In der Salzburger „Kronen Zeitung“ erscheint unter dem Titel „Anrainer gegen neue ,Bunker‘“ ein Artikel, der sich im Speziellen gegen ein Wohnbauprojekt in Sam am Söllheimer Weg, allgemein gegen die „arrogante Architektur- & Planungs- & Bauschickeria“ und die von ihr zu verantwortenden „Ausgeburten des Planungsirrsinns“ wendet. Illustriert wird der Artikel mit einem anderen Projekt der in Sam tätigen Architekten Gerhard Sailer und Heinz Lang, die zusammen

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Nicht ohne individuelle Zutaten: Wohnregal von Helmut Wimmer in der Koppstraße, Wien Ottakring Foto: Gregor Titze

als „Architekturbüro Halle 1“ firmieren: ein dreigeschossiger Wohnbau, durchgehende tiefe Balkone an der Südseite, Glas­ fassade. Abgesehen von den betonierten Treppenhäusern handelt es sich um eine reine Holzkonstruktion. Davor posiert eine junge Dame („unsere Simone“), in der Hand sinnigerweise eine ausführliche Broschüre über das in der Fachwelt einhellig positiv bewertete architektonische und ökologische Konzept des Bauwerks, und wird mit dem Satz zitiert: „In einem Hühnerstall möchte ich nicht wohnen ...“ Die politisch-provinziellen Aspekte dieser Geschichte – Gerhard Sailer ist der Ehemann einer Salzburger Bürgerlisten-Kandidatin und wird im Rest des Artikels in einer Art und Weise diffamiert, die inzwischen den Presserat beschäftigt – brauchen uns hier nicht weiter zu interessieren. Spannender ist die Frage nach dem Ursprung der tiefen Aggression gegen eine Architektur, deren Formensprache inzwischen auch bald 100 Jahre alt ist. Um ein rein ästhetisches Problem geht es sicher nicht: Wer ein Holzhaus als Bunker tituliert, der hat sich kaum die Mühe gemacht hinzu­ sehen. Diese Polemik hat tiefere Wurzeln: Hier wird etwas als Bedrohung empfunden oder zumindest als solche inszeniert. Aber was ist an dieser Architektur so bedrohlich? Vordergründig ist die Antwort klar: Es geht um „unsere Heimat“, deren vertraute Bilder durch „nihilistische“ Strukturen ersetzt werden. Dieser Vorwurf ist nicht neu. Am klügsten hat ihn Ernst Bloch – nun auch schon vor über 50 Jahren – formuliert: Architektur sei ein „Produktionsversuch menschlicher Heimat“. Die Moderne hätte stattdessen Maschine und Haus gleichge­setzt und sich auf Abstrakta wie Licht, Luft und Sonne berufen. Herausgekommen sei dabei nicht mehr als blendender „Licht­ kitsch“. Aber Achtung: Hier herrscht extreme Verwechslungsgefahr. Mit den Klischees von Heimatstil und Lederhosenarchitektur hat Blochs Heimatbegriff nichts zu tun. Es geht ihm nicht um ein 261

fertiges Bild, das man nur festzuhalten bräuchte. Im Gegenteil: Heimat sei etwas, worin noch nie jemand gewesen sei, obwohl sie „jedem in die Kindheit scheint“. Was Bloch an der modernen Architektur kritisierte, war nicht ihre Form, sondern ihr Wahn, im perfekten Objekt ein für alle Mal herstellen zu können, was nur als dauernder Prozess gelingen kann. Echte Heimat muss man sich kritisch erarbeiten: Das setzt offene Strukturen und Bewohner voraus, die sich in diesen Strukturen zu artikulieren verstehen. Genau in diesem Punkt liegt die eigentliche Wurzel für die Aggression, von der oben die Rede war. Das Offene, Unfertige, auf die Eigenverantwortlichkeit des Menschen Vertrauende fordert hierzulande eine tief verwurzelte Ablehnung heraus. Dann lieber „Tirolerhaus“, Hundertwasser oder die gerade aktuelle Virtuosenarchitektur – jedes Klischee ist besser als ein Prozess mit offenem Ausgang. Ob diese Ablehnung wirklich noch die Position der Mehrheit ist, darf freilich bezweifelt werden. Ein im Vergleich zum Salzburger Beispiel ungleich „härterer“ Wohnbau des Architekten Helmut Wimmer befindet sich in Wien Ottakring gerade in Fertigstellung. Das Konzept, architektonisch nur eine Grund­ struktur anzubieten, die innen wie außen verändert werden kann, kommt auf dem Wohnungsmarkt offenbar an. Von den rund 250 Wohnungen sind fast alle verkauft, obwohl das derzeitige Äußere noch wenig einladend aussieht. Wimmer hat ähnliche Konzepte aber schon mehrmals realisiert: äußerst erfolgreich in der Brünner Straße, wo hinter einer über 100 Meter langen Glasfassade mit Loggien und Wintergärten unterschiedliche Wohnungstypen kombiniert sind; mit zweifel­ haftem Ergebnis in der Donaufelder Straße, wo ein sehr dichter räumlicher Raster von Stegen und Terrassen eine mediterrane Stimmung evozieren soll, die von den in ihrer Privatheit beein­ trächtigten Bewohnern nicht angenommen wird. Die Wohnungen in der Koppstraße liegen in drei achtgeschos­ sigen Wohnregalen aus Betonfertigteilen, die zu einer u-förmigen Figur kombiniert sind. Zwei Meter breite Balkone ziehen sich über die volle Länge der Südwestseite, ebenso breite Lauben­ gänge führen zu den Wohnungen, denen zusätzlich jeweils eine zweigeschossige Loggia vorgelagert ist. Das „Zuwachsen“ der Balkone und Loggien mit Markisen, zusätzlichen Verglasungen und Pflanzen ist ausdrücklich erwünscht und soll in einigen Jahren ein lebendiges Bild der Fassade ergeben, das sich dann nur noch langsam, aber kontinuierlich ändert. Auf eine eigene Haut verzichtet diese Architektur bewusst. Ob bei der beträchtlichen Größe des Projekts auch der Verzicht auf eine Differenzierung des Baukörpers klug war, ist eine andere Frage. Auch die große, zurückhaltende Ordnung könnte ja als baukünstlerisches Thema behandelt werden, statt sich wie hier in einem gleichförmigen Raster zu erschöpfen. Wimmer versteht seinen Bau als radikales Statement für die Befreiung des Bewohners von der Bevormundung durch den Architekten. Sein Vertrauen in die Bildung seiner Bewohner und 262

ihre Fähigkeit, ihre Umwelt unvoreingenommen zu gestalten, ist beinahe naiv: Wer lernt heute noch Wohnen jenseits von Klischees, wie sie in den Massenmedien zwischen Hundertwasser und Hühnerstall abgehandelt werden? Eine große Ordnung, die nicht nur Freiheit gibt, sondern auch dabei hilft, sich in ihr zu artiku­ lieren, das wäre der nächste Schritt.

13 / 03 / 1999   

SHOPPING MALL, PARLAMENT?

Eine äußerst heikle, weil symbolträchtige Bauaufgabe: Der Berliner Reichstag war für das Parlament des wiedervereinigten Deutschland zu adaptieren. Norman Fosters transparente Lösung ist eine Aussage zur Idee der Demokratie.

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nter all den Bauaufgaben im wiederverei­ nigten Deutschland ist der Umbau des Berliner Reichstags wohl die symbolträch­ tigste. Die Entscheidung, keinen Neubau zu errichten, sondern aus dem leichten Glashaus in Bonn in das wilhelminische Gemäuer im Zentrum Berlins, einen Bau von Paul Wallot aus dem Jahr 1894, zu übersiedeln, ist dem deutschen Bundestag nicht leicht gefallen. Bis 1932 hatte hier das demokratisch legiti­ mierte Parlament getagt. Der Brand des Reichstags im Jahr darauf war für Hitler Anlass, die Weimarer Republik endgültig auszulöschen und durch Notverordnungen die Grund- und Freiheitsrechte in Deutschland außer Kraft zu setzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude beschädigt und von der Roten Armee gestürmt. Eine Sanierung in den 60er-Jahren beschränkte sich darauf, es wieder notdürftig nutzbar zu machen. Diesen historischen Ort für das Parlament der jungen „Berliner Republik“ zu adaptieren führte zwangsläufig zur Auseinander­ setzung mit der deutschen Geschichte unter den Gesichtspunkten von Kontinuität und Differenz. Sir Norman Foster, von dem die Planung für den Umbau stammt, hat sich vordergründig an eine Metaphorik gehalten, die jeder Politiker versteht: Weil Transparenz einer Demokratie gut ansteht, sollen auch ihre Gebäude trans­ parent und vom Licht der Aufklärung durchflutet sein. So hinge­ schrieben, ist das natürlich reinster Kitsch. Als gebaute Hoffnung hat es aber durchaus Berechtigung. Schon Günter Behnischs gläserne Kiste in Bonn hatte ähnlich Symbolisches zu bieten. Ihre Qualität lag vor allem in der Zerbrechlichkeit, die sie ausstrahlte und die der Vorläufigkeit des geteilten Deutschland entsprach. Dass die Gläser in Wahrheit granatensicher waren, änderte nichts 263

Riesiges „Messinstrument“: der verglaste Stahlkorb des Berliner Reichtags Foto: Christian Kühn

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an der Botschaft. Hätte sich Foster in Berlin darauf beschränkt, die schweren Massen des Altbaus einfach durch­ sichtiger und lichter zu machen, wäre kaum mehr herausgekom­ men als eine Konzern­ zentrale für die wieder­ vereinigte Deutschland AG. Seine große Leis­ tung besteht darin, mit der vertikalen Sequenz von Plenarsaal und Kuppel einen der unge­ wöhnlichsten und irritierendsten Räume geschaffen zu haben, die je gebaut wurden. Foster gelang es, seinen Bauherrn von der anfangs gewünschten Rekonstruktion der alten Kuppel abzu­ bringen und von einer Lösung zu überzeugen, bei der Plenarsaal und Kuppel zu einer über 40 Meter hohen vertikalen Sequenz zusammengefasst sind. Diese Lösung ist auf den ersten Blick simpel: Der Plenarsaal wird mit einem Glasdach gedeckt, darüber sitzt die Kuppel als leichter, verglaster Stahlkorb. An dessen Innenseite entlang führen zwei öffentlich zugängliche Rampen zu einer Aussichtsplattform, die frei in den Kuppelraum gehängt ist – eine Anordnung von einigem symbolischen Witz: Wenn das Volk über die Rampe zur Aussichtsplattform aufsteigt, ist es für die Parlamentarier stets präsent und kann ihnen umgekehrt durch die Glasdecke bei der Arbeit zusehen. Seine besondere Qualität bekommt der Kuppelraum erst durch zwei Einbauten, die ihre ästhetische Bestimmung hinter äußerst vernünftig-funktionellen Bezeichnungen verbergen: einen Lichtkonus und einen Sonnenschutz. Der Lichtkonus, ein spitz zulaufender Rotationskörper, bildet das räumliche Gegen­ gewicht zur Schalenform der Kuppel. Seine Außenseite ist mit Hunderten von Spiegeln verkleidet, die einerseits die Besucher auf den Rampen in ebenso vielen Facetten reflektieren und andererseits Licht in den Plenarsaal leiten. Der Lichtkonus durch­ dringt die Glasdecke über dem Plenarsaal und schwebt so wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Parlamentarier. In seinem Inneren befindet sich eine Lüftungsanlage für den Plenar­ saal, die über Öffnungen in der Kegelspitze die warme Luft von dort absaugt. Der Sonnenschutz, ein blattförmiges, organisch anmutendes Gebilde, ist ebenfalls frei von der Plattform abge­ hängt. Angetrieben von kleinen Elektromotoren, bewegt er sich in einer langsamen, dem Sonnenstand folgenden Bewegung die Innenseite der Kuppel entlang.

Diese Einbauten machen die Kuppel zu einer beinahe surre­a­lis­ tischen Inszenierung: ein dichtes Geflecht aus konkaven und konvexen Kurven, ein Spiegelraum mit eingebautem Chrono­ meter, zugleich ein Augapfel, in den der Keil des Lichtkonus bedrohlich hineinragt. Hanno Rauterberg hat in der „Zeit“ kritisiert, dass dieser Raum zu sehr den spektakulären Innenräumen der Shopping Malls gleiche, dass er wie sie um die Aufmerksamkeit der Schaulustigen buhle und damit die Demokratie zu einem Dienstleistungs­ betrieb degradiere. Nicht Bedeutung, sondern Erlebnis präge die neue Kuppel. Vom geheimnisvollen Zukunftsversprechen, das sich hinter Christos und Jeanne-Claudes Verhüllung des Reichstags verborgen habe, seien nur Show und Spektakel übrig geblieben. Aber diese Kritik wird dem Kuppelraum nicht gerecht: Während die Inszenierung der Shopping Mall nichts anderes leisten soll, als den Besucher zu blenden, ist er hier ein Beobachter, der in ein gigantisches Messinstrument einsteigt – und sich dann plötzlich selbst in einer der spiegelnden Facetten wahrnimmt. Mit den beschränkten Mitteln, die der Architektur zur Verfügung stehen, um eine abstrakte Idee auszudrücken, macht Foster hier eine überzeugende Aussage zur Idee der Demokratie. Die Implantation einer neuen Aussage in einen historisch brisanten Altbestand: damit ist in Berlin ein Schritt zur kulturellen Identitätsfindung mit den Mitteln der Architektur gelungen, der in Wien sowohl beim Ronacher als auch bei den Redouten­ sälen (um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen) verweigert wurde. Immerhin gibt es in Berlin einen österreichischen Beitrag: Die Ausführung der Kuppel stammt vom Wiener Stahlbauunter­ nehmen Waagner-Biró, das in Berlin auch die technisch noch weit komplexere Überdachung des Sony-Centers baut. Dass Waagner-Biró beim Reichstag zum Zug gekommen ist, liegt vor allem an der Fähigkeit, dem bedingungslosen Qualitätsanspruch des Büros Foster folgen zu können. Die surrealistische Wirkung des Kuppelraums lebt von der Qualität im Detail, von der Art, wie alle Elemente voneinander abgesetzt sind und zu schweben scheinen. Rampen, Lichtkonus und Plattform sind mit dünnen Verbindungselementen von den Stahlrippen der Kuppel abgehängt, und auch das große Blatt des Sonnenschutzes ist nur mit seinem oberen Ende an der Plattform befestigt und dreht sich ansonsten frei im Raum. Dieses Freispielen der Elemente stellte höchste Anforde­ rungen an Konstruktion und Ausführung. Komplizierte, für jede horizontale Position eines Kuppelsegments unterschiedliche Guss- und Strangpressteile stellen die Verbindungen her. Als höchst komplex erwies sich auch die Ausführung der beiden Spiral­ rampen, in deren schlanken Querschnitten sowohl die Entwässe­ rung als auch die Leitungen für die Klimatechnik geführt werden mussten. Wer sich die Fotos vom Bauablauf ansieht, ist fasziniert davon, wie zwischen Computern, Schweißrobotern und hydraulischen Bühnen immer noch die Archaik des Bauens spürbar wird. Die Kuppel, die Brunelleschi im Florenz des frühen 15. Jahrhunderts

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für den Dom errichtete, hat konstruktiv mit jener des Reichstags nur wenig gemein (obwohl sie ihr ziemlich exakt in den Dimensi­ onen entspricht); als zugleich künstlerische wie konstruktive und organisatorische Leistung aber sehr viel. Dass auch das Werk eines „Stararchitekten“ zu einem großen Teil darin besteht, einen Qualitätsanspruch an eine große Zahl von möglichst kongenialen Partnern zu vermitteln, hat schon Brunelleschi erkannt. Seine legendäre Auseinandersetzung mit den zünftig organisierten Baumeistern und Steinmetzen hatte das Ziel, diese auf „Innova­ tionskurs“ zu bringen. Im heutigen globalisierten Wettbewerb wird diese Qualität immer entscheidender. Der gute Ruf, den Waagner-Biró sich mit den Berliner Projekten erworben hat, lohnt sich: Derzeit arbeitet dieselbe Projektgruppe unter der Leitung von Johann Sischka, die schon den Reichstag betreut hat, an einem neuen Projekt nach dem Entwurf von Foster Associates, der Überdachung des Innenhofs im British Museum in London. Der Entwurf sieht ein gekrümmtes Stahltragwerk vor, das eine Fläche von 6.000 m2 bedeckt. Unter den rund 5.000 Knoten gibt es über 1.800 unter­ schiedliche Typen, die nur mit computerunterstützten Produkti­ onsverfahren erzeugt werden können. An Innovation wird es auch dort nicht fehlen.

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200720 0620052004  2003200220   0120001999 1998199719 9619951994 19931992 267

24 / 12 / 1998    

„MACH DOCH DIE BUDE GROSS“

Als „das Kompromissloseste, was es derzeit gibt“, bezeichnete Rudolf Schwarz seine Aachener St.-Fronleichnam-Kirche aus dem Jahr 1929. Mit St. Theresia in Linz-Keferfeld schuf er den schönsten modernen Kirchenraum Österreichs.

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om Bau der Kirche“: Unter diesem Titel erschien im Jahr 1938 ein Buch, in dem Rudolf Schwarz, Jahrgang 1897, seine Theorie des Kirchenbaus formulierte. Es ging ihm dabei weder um eine Geschichte noch um ein praktisches Handbuch, sondern um eine grundsätzliche Betrachtung sakralen Bauens. Seine Konzepte für Sakralräume lesen sich wie Versuche, das Unsagbare doch in Worte zu fassen: vom „Heiligen Ring“ ist da die Rede, vom „Lichten Kelch“ und von der „Heiligen Fahrt“, vom „Lichten Gewölbe“ und vom „Dom aller Zeiten“, der „den ganzen Ablauf der Zeit in sich vereint“. Bei dem Symposium, das im Architekturzentrum Wien anlässlich der Eröffnung der Ausstellung über Rudolf Schwarz abgehalten wurde, kam die Rede sehr bald auf diese Metaphern und auf die „dunkle“ Sprache des Architekten. Als Raumschöpfer sei Schwarz über jeden Zweifel erhaben, aber wozu braucht ein Architekt derartige Sprachbilder? Ist Schwarz mit seiner Suche nach dem Eigentlichen, nach dem Wesen der Dinge nicht eine hoffnungslos konservative Figur? Wolfgang Pehnt, der zusammen mit Hilde Strohl die hervor­ ragende Monographie über Schwarz geschrieben hat, die als Katalog zur Ausstellung dient, sieht Schwarz als Vertreter einer „anderen“, jedoch keineswegs „gemäßigten“ Moderne. Das „andere“ vermutet Pehnt gerade in jenem „bildhaften“ Umgang 268

mit den Aufgaben, der bei der Diskussion in Wien so viel Befrem­ den ausgelöst hat. „Bewohnte Bilder“ heißt auch der Untertitel des Katalogs: Nicht um die leicht konsumierbaren Bilder der Postmoderne gehe es dabei, sondern um Bilder als „Baufiguren, die ihren Sinn in sich tragen“. Die Sprache spielt für diese Bilder eine wichtige Rolle. Sie sei, sagt Schwarz im „Bau der Kirche“, „voll von ermunternden und anweisenden Ausdrücken, die sich wie helfende Hände unter die Dinge legen“. Der idealistische Versuch, dem Bauen einen neuen Sinn zu geben, ist ein gemeinsamer Zug der deutschen Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg. Der Expressionist Hans Poelzig, in dessen Meisterklasse Schwarz nach seinem Doktorat an der Technischen Hochschule Berlin studiert hat, wäre hier zu nennen, aber auch das frühe Bauhaus, das ja durchaus seine „dunkle“, theosophische Seite besaß. Erst um 1930 hatte sich die „Neue Sachlichkeit“ mit dem Ideal einer funktionalistischen Architektur auf wissenschaftlicher Basis als bestimmende Richtung der Avantgarde durchgesetzt. Die Nationalsozialisten haben die Neue Sachlichkeit zwar als Stil geächtet, die Methoden des Systembaus und der ratio­ nalen Ordnung im Städtebau aber durch­ aus übernommen. Der bedeutendste frühe Bau von Schwarz, St. Fronleichnam in Aachen aus dem Jahr 1929, lässt sich formal dieser Richtung der Neuen Sachlichkeit zuordnen: eine innen und außen weiß verputzte Schachtel mit einem sehr niedrigen Seitenschiff und einem schmucklosen Turm, der über eine Stahlbrücke mit dem Hauptschiff verbunden ist – „das Kompromissloseste, was es derzeit gibt“, wie der junge Schwarz nicht ohne Stolz schrieb, eine „Wiedergeburt der Baukunst aus der Armut“. Der Theologe Romano Guardini, ein enger Freund des Architekten, sah in der asketischen Beschränkung einen Gewinn an Intensität: „Das ist keine Leere; das ist Stille! Und in der Stille ist Gott. Aus der Stille dieser weiten Wände kann eine Ahnung der Gegenwart Gottes hervorblühen.“ In diesem Umfeld entfalten die einfachsten Gesten eine starke Wirkung, etwa das „Herabsteigen“ der Fenster im Altarbereich, ein Motiv, das Schwarz auch in seinen späten Kirchen verwendet. Für St. Fronleichnam hat Schwarz eine Vielzahl von Varianten entwickelt. Auf einem Skizzenblatt zeigen die tanzenden Grund­ rissfiguren immer neue Kombinationen von massiven und transparenten Wandzonen, die dem Raum jene Dynamik geben, die ihn von der banalen Schachtel unterscheidet. In den Skizzen zu St. Fronleichnam wird auch die geistige Verwandtschaft zwischen Schwarz und Mies van der Rohe deutlich, die Suche nach einer absoluten Form des Bauens. Das neutrale, vom Alltäg­ lichen abgerückte Bauwerk ist beiden Architekten ein Anliegen.

St. Theresia, Linz-Keferfeld, von Rudolf Schwarz, 1963 Foto: Klaus Kinold

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Mies hat seinem Freund Hugo Häring gegenüber eine eher saloppe Begründung geliefert: „Mensch, mach doch die Bude groß, da kannst du hin- und herlaufen und nicht nur in einer vorgezeichneten Bewegung.“ Bei Schwarz heißt es gesetzter: „Nicht dort, wo dem Leben vorgesagt wird, wie es sich zu verhalten habe und schon die weichen Gehäuse einer Spontaneität vorgeplant werden, sondern dort, wo es unter das Firmament eines großen Gesetzes gestellt wird, erwacht es zu seinen höchsten Einsichten und zu seiner wirklichen Freiheit.“ Mies war der einzige unter den Bauhaus-Architekten, den Schwarz immer geschätzt hat, ein Urteil, das im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte: „Denken und Bauen zeugen von der einzigartigen Größe unseres verstorbenen Freundes“, heißt es im Nachruf, den Mies für seinen 1961 verstorbenen Kollegen ver­ fasst hat. Gegen Gropius entfachte Schwarz Anfang der 50er-Jahre eine heftige Polemik, als er von „vorlauten und aufgeregten Terroristen“ sprach, die er für einen Bruch in der abendländischen Überlieferung verantwortlich machte. Ebenso verabscheute er Le Corbusiers Wallfahrts-Kapelle in Ronchamp: Er sei „zu lange in Westwallbunkern gesessen“, um zu verstehen, wie Corbusier „aus einem Bunker samt Kanonenrohren eine Kirche“ bauen könne. Die Tendenz der 50er-Jahre, die jeweils interessan­testen Bauformen für den Kirchenbau zu nutzen, widersprach seinem Anliegen, „die kristallklare Ordnung der christlichen Welt groß und sichtbar Bau werden zu lassen“. Die Suche nach einer „kristallklaren Ordnung“ beschränkte sich bei Schwarz nicht auf den Kirchenbau, sondern umfasste auch die Stadtplanung. Wäh­ rend des Zweiten Weltkriegs hatte er an Planungen in besetzten Teilen Frankreichs teilgenommen und dort an differenzierten Bandstadtmodellen gearbeitet, die er mit großer Einfühlsamkeit in die Landschaft setzte. Dass die kristallklare Ordnung im Kontext des National­ sozialismus von einer totalitären Ordnung kaum mehr zu unter­ scheiden ist, scheint für Schwarz kein Thema gewesen zu sein. 1947 publizierte er sein Buch „Von der Bebauung der Erde“, das ursprünglich „Vom Bau der Welt“ hätte heißen sollen – in Analogie zum „Bau der Kirche“. Sein Bandstadtkonzept – eine innere Industriezone mit satellitenartig mit ihr verbundenen Siedlungen – setzt er darin in Beziehung zum Grundriss-Schema einer Kathedrale mit Seitenkapellen. Schwarz hat nach dem Krieg als Generalplaner von Köln Gelegenheit gehabt, seine Ideen in der Praxis zu erproben. An eine reale Durchdringung des Profanen durch das Sakrale scheint er, zumindest auf der urbanen Ebene, kaum mehr geglaubt haben. In einem Brief an Mies van der Rohe spricht er vom Wunsch, „noch einmal einen letzten Schimmer des alten untergehenden Lichtes über die Welt (unsere Welt, die so klein wurde) leuchten zu lassen“. Mit seinen Kirchenbauten ist ihm das jedenfalls gelungen. Im Werkverzeichnis finden sich über 60 Kirchenentwürfe aus der Nachkriegszeit, in denen Schwarz die Prinzipien, die er im 270

„Bau der Kirche“ aufgestellt hat, variiert. Diese Kirchen sind „reicher“ als seine aus dem „Geist der Armut“ entstandenen Pro­ jekte der 20er-Jahre, vielfältiger in den Materialien und teil­weise organisch geformt. Ein herausragendes Beispiel ist St. Theresia in Linz-Keferfeld, ein lang gestrecktes Oval, in dessen beiden Brennpunkten sich jeweils Altar und Taufstein befinden. Der Ein­ gang liegt beinahe beiläufig an der Seite. Auch für Wien hat Schwarz eine Kirche entworfen, St. Florian in der Wiedner Hauptstraße, die leider nicht nach seinen ursprüng­ lichen Plänen, sondern in einer stark vergröberten Variante gebaut wurde. Das kleine Modell des Entwurfs mit seinen vier das Kirchenschiff gliedernden Lichthöfen ist allein einen Besuch der Ausstellung wert. Dass die Welt für seine Entwürfe zu klein geworden ist, hat Schwarz geahnt. Im heutigen gespaltenen Katholizismus würden sie überall anecken: zuwenig bodenständig für die einen, zu sehr Gottes- und zuwenig Gemeindehaus für die anderen. Als Raum­ kunst werden sie ihre Aktualität aber nie verlieren.

14 / 11 / 1998   

DIE HOHE KUNST DER SCHRÄGE

Obschon im Vergleich zu früheren Projekten beinahe zurück­­haltend, wirkt er allemal wie eine durchkomponierte Skulptur: der Wohn­turm von Coop Himmelb(l)au an der Wagramer Straße. Mit ihm sprengt das Architektenduo die Vorstellungen vom Wohnen im Wolkenkratzer.

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er Flammenflügel aus dem Jahr 1980: Das war für mich stets der Inbegriff der Architektur von Coop Himmelb(l)au. Eine 15 Meter hohe Skulptur aus Stahlrohren, an Drahtseilen abgehängt und mit Flüssiggas befüllt, wurde damals unter dem Motto „Architektur muss brennen“ im Hof der TU Graz entzündet. Das war eine Kampfansage an die vermeintlichen Grundlagen der Architektur: an Schwerkraft, an Dauerhaftigkeit, an eindeutige Form. So sehr mich der brennende Flügel fasziniert hatte, so wenig konnte ich seinen ruhiggestellten Nachfolgern abgewinnen, die in den 80er-Jahren in vielen Projekten von Coop Himmel­b(l)au als Motiv auftauchten. Die skulpturale Qualität dieser Ent­würfe war zwar offensichtlich, aber warum sollte man derartiges jemals als Architektur realisieren? Die Frage stellt sich heute nicht mehr: Mit dem UFA-Kinozentrum in Dresden und dem 271

Über 14 Geschosse reichender Wintergarten: Wohnturm von Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky, Wien, Wagramer Straße Foto: Gregor Titze

Wohnturm an der Wiener Wagramer Straße haben Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky sich vom avantgardistischen Rand ins Zentrum des Baugeschehens bewegt. Im Vergleich zu den Projekten der 80er-Jahre wirkt der Turm an der Wagramer Straße beinahe zurückhaltend. Dennoch ist auch dieser Bau eine durchkompo­ nierte Skulptur. Man kann den Turm wie frühere Coop-Projekte als ein Ensemble von schrägen, raumbildenden Elementen inter­ pretieren: An den Baukörperkanten sind die Glashüllen deutlich als selbstständige Ebenen abzulesen. Zugleich ist aber das Körper­ hafte herausgearbeitet: Der Lüftungsturm ist der Kopf einer rie­ sigen, archaisch anmutenden Figur. Die Unbestimmtheit zwischen diesen Lesarten trägt wesentlich zur besonderen Ausstrahlung des Gebäudes bei. Man betritt den Turm unter einem zwanzig Meter weit aus­ kragenden Vordach, das von zwei aus dem neunten Stock abge­ spannten Stahlkabeln gehalten wird. Der Eingang liegt axial und führt in ein zweigeschossiges Foyer, vorbei an einer Portiers­loge, zu den Aufzügen. Der Grundriss überzeugt auf den ersten Blick – 272

eine rationale Dreiteilung: ein Erschließungskern an der Nord­ seite und ein daran anschließender dreieckförmiger Zwickel, der sich entsprechend der Abschrägung des Baukörpers immer mehr verkleinert. Diese Teilung hat den Vorteil geringer Deckenspann­ weiten – und damit Konstruktionshöhen zwischen den tragenden Betonscheiben: So ließ sich im selben Volumen deutlich mehr Nutzfläche realisieren. Abgesehen von der kleinsten Einheit haben alle Wohnungen Ausblick auf zumindest zwei Seiten und eine gute Querlüftung. Allen Geschosswohnungen ist eine Loggia vorgelagert, die mit verstellbaren Glaslamellen vor dem Wind geschützt ist. Das gesamte neunte Geschoss kann als „Skylobby“ von den Bewohnern für Feste und als Kinderspielraum genutzt werden. – All das wäre schon eine respektable Leistung: Die erhöhte Nutzfläche erfreut den Bauherrn, die Wohnungsgrundrisse sind klar und leicht an individuelle Wünsche anzupassen, und die große Skulptur mit ihren leichten Schrägen könnte einen Stadtraum von hoher Qualität erzeugen, wäre sie nicht von bestenfalls bemühten bis halblustigen oder, wie im Fall der drei MischekTürme, geradezu infamen Nachbarn umgeben. In den Budgets kann dieser Qualitätsunterschied nicht begründet sein: Auch Coop Himmelb(l)au errichteten ihren Turm im Rahmen der Wohnbauförderung. Wer den Turm an der Ostseite genau betrachtet, wird ab dem neunten Geschoss eine etwas veränderte Fassadenkonstruktion erkennen, hinter der sich ein durchgehender Luftraum befindet. Dieser Luftraum hat einerseits bauklimatische Funktion: Im Winter wird die hinter der Glaswand aufgeheizte Luft zu einem Wärmetauscher aufs Dach geführt und trägt zur Heizung bei. Der Überhitzung im Sommer wird durch Zuführung kalter Luft vorgebeugt, die von einem Trichter im Gebäudekopf eingefangen und nach unten geleitet wird. Andererseits entsteht hinter dieser Klimafassade, die mit einigem Abstand wie ein leichter Glasflügel über den Stahlbetonkern gefaltet ist, tatsächlich so etwas wie eine vertikale Stadt. Wer von seinem Wohnzimmer auf die große, zweigeschossige Loggia hinaustritt, steht in einem über 14 Geschosse reichenden Wintergarten, auf dessen unterstem Niveau sich der Hauptraum der Skylobby befindet. Kommunikativ im sozialromantischen Sinn ist diese vertikale Stadt nicht: Man kann seinem Nachbarn weder zuwinken noch ihm schnell über einen künstlichen Dorfplatz einen Besuch abstatten. Und trotzdem könnte der Unterschied zum Leben in der isolierten Schachtel nicht größer sein. Man merkt, dass sich Bau­ herr und Architekten mit der Grundsatzfrage des Wohnhoch­ hauses auseinandergesetzt haben und zu einer Antwort gelangt sind, die die konventionelle Typologie dieser Bauaufgabe sprengt. Eine Fortsetzung ist übrigens geplant: In der Vorgarten­ straße errichten Coop Himmelb(l)au – ebenfalls für die SEG – eine Blockrandbebauung, mit der sie diesen Typ neu definieren wollen. Aber was ist aus dem brennenden Flügel geworden? Sind Coop Himmelb(l)au am Ende zu Pragmatikern mutiert? 273

Man hat eher den Eindruck, dass die Architekten konzeptionell zu ihren Ansätzen aus den 60er-Jahren zurückgefunden haben. „Architektur ist Inhalt, nicht Hülle“, haben sie damals geschrieben. Auch wenn ihre Projekte aus dieser Zeit den Charakter architek­ tonischer Apparate hatten, so waren sie doch immer vermittelnd um den Menschen herum gebaut. Mit einem Dekonstruktivismus, der selbstreferenziell die „Anthropozentrik“ der Architektur überwinden möchte, hat das nichts zu tun. Was Coop Himmelb(l)au in den 80er-Jahren im Umfeld des Dekonstruktivismus als formale Sprache entwickelt haben, ist also nicht Inhalt, sondern Mittel zum Zweck: So virtuos, wie sie diese Sprache inzwischen beherrschen, ermöglicht sie ihnen Freiheiten, die dem heutigen Stand der Technologie und Produktion entsprechen und von den klassischen Ausdrucks­ mitteln kaum mehr geboten werden.

26 / 09 / 1998   

WENN DIE WELT INS HAUS BRICHT

Um Lebensformen, erst in zweiter Linie um Bauformen geht es Rem Koolhaas bei seinen Wohnbauten. An den Villen, die derzeit im Architekturzentrum präsentiert werden, lässt sich eine Tendenz ablesen: ein immer radikalerer Umgang mit den Themen der Moderne.

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Das Innere nach außen, das Obere nach unten gekehrt: Patiovilla von Rem Koolhaas, Rotterdam, 1988 Foto: Hans Werlemann

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n einer Welt flüchtiger Bilder wird Architektur gerne als Bastion des Dauer­ haften verstanden: Festgefügt und jedem Sturm trotzend, teilt sie die Welt ein in Öffentliches und Privates, in gefähr­ liche Außenwelt und sicheres Innen. Von der Villa Rotonda bis zur Villa Kunterbunt dasselbe Schema – das Haus als schützendes, klar abgegrenztes und fassbares Objekt in der Landschaft. Was soll aber dieses Foto? Abgebildet ist offensichtlich ein Innenraum. Auf einem Parkettboden steht ein kubisches Volumen, auf einer Seite mit Wellblech abgeschlossen, auf den anderen Seiten verglast. Die Verglasungen sind unterschiedlich geteilt: Die dem Betrachter nächste Ebene ist in vier Felder geteilt, die hintere in acht. Die rechte Seite ist ohne Unterteilung mit opakem Glas geschlossen. Der Boden des Kubus ist ebenfalls aus Glas und wird gerade von unten erleuchtet. Nach oben ist der Kubus offen und erlaubt den Blick auf ein Stück Himmel: Offensichtlich handelt es sich um einen kleinen Hof. Eine Treppe, rechts angedeutet durch die zwei schwarzen Linien des Geländers, führt ins untere

Stockwerk. Verwirrung stiften die Bäume und die Horizontlinie, die in den Raum eingeblendet erscheinen und das Bild wie eine Szene aus einem Film von Andrej Tarkowski wirken lassen. – Eine Fotomontage, eine Doppelbelichtung? Oder ist das Foto von außen durch eine weitere Glasscheibe aufgenommen, in der sich die Außenwelt spiegelt? Das Objekthafte tritt in diesem Bild völlig hinter dem Atmo­ sphärischen zurück. Die kleine Villa, die es eben nicht abbildet, sondern darstellt, scheint den Spielregeln der klassischen Moderne zu gehorchen, wie sie Mies van der Rohe in seinem „Tugendhat Haus“ in Brünn und dem „Barcelona Pavillon“ formuliert hat: klare Linien und Proportionen, edle Materialien unterschiedlicher Dichte und Transparenz. Erst in der Verfremdung wird der konzeptionelle Bruch klar. Wo sich die Architektur der Moderne noch der Welt öffnet, um sie mit ihren Mitteln in Ordnung zu bringen, da bricht hier die Welt ins Haus ein, kehrt das Innere nach außen und das Untere nach oben. Die kleine Villa mit dem Innenhof – 1988 fertiggestellt – ist das älteste unter den fünf Wohnhaus-Projekten des holländischen Architekten Rem Koolhaas, die derzeit im Architekturzentrum Wien unter dem Titel „Living – Reading“ präsentiert werden. Wer sie chronologisch bis zum jüngsten Projekt, einer gerade fertiggestellten Villa in Bordeaux, betrachtet, wird einen immer radikaleren Umgang mit den Themen der Moderne feststellen. Die „verkrustete Definition von Architektur als etwas, das ein für allemal festschreibt“, wird für Koolhaas immer fragwürdiger. Aber wie lässt sich zwischen Ordnung und Freiheit die richtige Balance finden? Als Theoretiker hatte Koolhaas in seinem Buch „Delirious New York“ noch die Vorzüge des amerikanischen Hochhauses preisen können, die neutrale, offene Struktur, deren Hülle sich vom Inhalt längst abgelöst hat. In seinen Bauten macht er sich – scheinbar im Widerspruch zu seinem Loblied auf die neutrale Stadt ohne Eigenschaften – immer auf die Suche nach der spezifischen, einzigartigen Lösung. Das ist weniger inkonsequent, als es vorerst klingt. Koolhaas trennt Architektur und Städtebau in zwei unabhängige Disziplinen: Der Städtebau hätte Potenziale zu schaffen, die dann von der Architektur ausgelotet und genutzt werden müssten. Koolhaas hat bewiesen, dass er imstande ist, dieses Konzept auch in der Praxis durchzuhalten – wenn die politischen Voraussetzungen stimmen. Zum Milliardenprojekt Eurolille, dem vergangenes Jahr eine eigene Ausstellung im Architekturzentrum Wien gewidmet war, wurde er von den Verantwortlichen nicht geholt, um die Dinge zu vereinfachen, sondern um jene „höllische Dynamik“ zu entfesseln, die große Projekte zu ihrer Verwirk­lichung brauchen. So war es in Lille möglich, Bauträger mit unterschiedlichen Nutzungsinteressen auf mehreren Ebenen übereinander vorzu­ sehen – eine Idee, die Koolhaas selbst als so riskant einschätzte, dass er sich über die Zustimmung wunderte. Aber die Verquickung aller Interessen bis zu einem Punkt, der nur gemeinsames Scheitern oder gemeinsamen Erfolg möglich machte, war ganz 275

im Sinne der Auftraggeber. Der Erfolg von Eurolille hat Koolhaas und sein OMA (Office for Metropolitan Architecture) zu einem gefragten Stadtplaner im asiatischen Raum gemacht, wo sich derzeit die größten Herausforderungen an die Urbanistik stellen. Für Koolhaas ist der Begriff Stadt freilich mit soviel historischen Schlacken belastet, dass er sich kaum mehr als Bezeichnung für diese Agglomerationen eignet. Das Institut, an dem er in Harvard forscht und unterrichtet, heißt bezeichnenderweise „Institute for the study of what used to be the city“. Um das Auftragsvolumen bewältigen zu können, hat Koolhaas OMA inzwischen zu 50 % an ein großes holländisches Ingenieur­ büro verkauft. In Hongkong arbeitet eine OMA-Filiale als Fran­ chise-Unternehmen, das sich, den örtlichen Bedingungen der Architekturproduktion entsprechend, in erster Linie auf das Pro­ blem der Gebäudehülle konzentriert. – Aber zurück zum kleinen Maßstab: In der Ausstellung präsentiert Koolhaas seine Wohn­ häuser unter dem Titel „Living“. Es geht um Lebensformen, erst in zweiter Linie um Bauformen. Und es geht um das Planen und Bauen als Prozess: Koolhaas nennt Architektur eine aus­zehrende und süchtigmachende Tätigkeit, und ausnahmslos alle Bauherren der gezeigten Häuser waren genauso süchtig nach Architektur wie ihr Architekt. Der Bauherr der Villa Dall’Ava bei Paris führte den Prozess um seine Baubewilligung bis zum obersten Gerichtshof – und gewann. Der Bauherr des „Dutch House“ hat sich ein Haus bauen lassen, das an vielen Stellen Geschichten erzählt, statt einfach problemlos zu funktionieren: Das Schlafzimmer, auch hier an einem kleinen Innenhof gelegen, lässt sich nur über eine Zugbrücke erreichen; die Zimmer der Töchter, die nur ab und zu auf Besuch kommen, liegen im Tiefgeschoss mit Blick auf eine Betonwand. Eine Rampe hebt ein dreieckiges Stück aus dem Boden des Haupt­ geschosses so in die Höhe, dass der vorprogrammierte Blick über die Terrasse empfindlich gestört wird. Die Störung gehört freilich zum Konzept: Erst was nicht funktioniert, wird lebendig. Das Haus in Bordeaux – das jüngste in der gezeigten Serie – hat eine besondere Geschichte. Nachdem Koolhaas den Auftrag bereits erhalten hatte, erlitt der Auftraggeber einen schweren Unfall und ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Er wollte nun nicht mehr – wie zuvor – ein sehr einfaches Haus, sondern im Gegenteil ein sehr komplexes: Es werde schließlich seine Welt sein. Koolhaas hat ein Haus auf drei Ebenen entworfen: eine Zufahrtsebene mit höhlenartigen Räumen, darüber eine verglaste Plattform, über der ein schwerer Block aus Beton mit kreisrunden Fensterlöchern schwebt. Verbunden sind diese Ebenen durch eine Wendeltreppe und einen Lift mit einer Grundfläche von 3 mal 3,5 Metern – das Arbeitszimmer des Bauherrn, das an einer Bücherwand entlangfährt und an alle anderen Ebenen des Hauses niveaugleich andocken kann. Mit diesem Haus hat sich Koolhaas am weitesten von den ruhigen Kuben Mies van der Rohes und dessen Definition, Bau­ kunst beginne mit dem sorgfältigen Zusammenfügen zweier Ziegel­ steine, entfernt. Das Haus ist ein unglaublicher konstruktiver 276

Gewaltakt, die pure Lust am Überspielen aller statischen Regeln. Der Betonblock liegt auf drei Punkten auf und ist zusätzlich von einem Stahlträger abgehängt, der aber seinerseits über dem Gebäude zu schweben scheint. Das Material zu diesen Einfamilienhäusern und zu der verdich­ teten Gruppe von 24 Wohneinheiten im japanischen Fukuoka ist in der Ausstellung, die vom Architekturzentrum Arc en Rêve in Bordeaux übernommen wurde, nach den unterschiedlichen Präsentationsformen geordnet. In einem Raum finden sich alle Modelle, im nächsten Raum alle Pläne, im dritten groß­ formatige Fotos und Videos zu einigen der Bauten. Im letzten Raum schließlich gibt es den Übergang zum zweiten Thema der Ausstellung, dem Lesen. Hier sind die Wände tapeziert mit Seiten des 1995 erschienenen Buchs „S,M,L,XL“ von Rem Koolhaas und Bruce Mau, dessen graphische Gestaltung wesentlich zum Erfolg des Buches beigetragen hat. Mau ist anschließend ein eigener Raum mit seinen Arbeiten für ZONE Books gewidmet. Die großen und ganz großen Projekte hätten, so schreibt Koolhaas in „S,M,L,XL“, seine Architekturauffassung radikal verändert. Trotzdem erweisen sich die kleinen Wohnbauten als unabdingbare Experimentierfelder einer Architektur, die sich unter härtesten Bedingungen immer noch als Baukunst begrei­ fen will. Wer an dieser exotischen und vom Aussterben bedrohten Disziplin Interesse hat, dem sei die Ausstellung wärmstens empfohlen.

19 / 09 / 1998   

VIELE HÄUSER SIND NOCH KEINE STADT

Der Andromeda-Tower ist eröffnet, eine Reihe von Wohnbauten so gut wie fertiggestellt: An der Wiener Reichsbrücke wächst ein Stadtteil in den Himmel. Von der EXPO-Euphorie über die „Platte mit Loch“ zur Donau-City: Eine Jahrtausendchance – und was in Wien aus ihr wird.

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mmerhin: ein Turm. Die WED, die Wiener Entwick­ lungsgesellschaft für den Donauraum, hat endlich Anlass zu feiern. Waren andere große Bauvorhaben wie das Museumsquartier stets heftig umstritten und oft am Rande des Abgrunds, so war das Immobilienprojekt vor der UNO-City weniger Zankapfel als vielmehr anhaltende Peinlichkeit. Hier gab es nichts mehr zu verhindern: Die Baugrube war längst ausgehoben, die Infrastruktur geschaffen. Was fehlte, war das Vertrauen der Inves­ toren. Das Projekt mühte sich dahin, mit immer neuen Ideen für attraktive „Ankernutzungen“, vom Guggenheim-Museum über ein Ost-West-Wirtschaftszentrum bis zur Fakultät für Maschinen­ bau. Längst hatte man einen Teil des Areals an den geförderten 277

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Wohnbau vermittelt, um zumindest irgendeine Bewegung in das Projekt zu bringen. Und jetzt also der Turm. Wilhelm Holzbauer hat mit dem Andromeda-Tower ein sehr wienerisches Hochhaus entworfen, nicht nur wegen der eher bescheidenen Höhe von 110 Metern. Louis Sullivan, der amerikanische Architekt, auf den der fatal missverstandene Satz zurückgeht, dass die Form nur der Funktion folge, hat vor hundert Jahren zum Thema Hochhaus eine immer noch gültige Formel geprägt: „It must be tall, every inch of it tall!“ In jedem Zoll müsse sich die Idee der Höhe ausdrücken, kein Element dürfe die vertikale Bewegung hemmen. Für Sullivan war das Hochhaus Ausdruck von Verwegenheit, ein Produkt unheimlicher und geradezu bedrohlicher Bedingungen. Im Andromeda-Tower ist das Foyer gemütlich, das Portal ein nettes Motiv, und die herausgekippten „Erker“, hinter denen sich längst nicht mehr die großen offenen Hallen befinden, die Holzbauer im Vorentwurf geplant hatte, sondern gewöhnliche Büro­etagen, sind Zierrat. Wer ein Hochhaus sehen möchte, das Sullivans Definition gerecht wird, muss sich eine U-Bahn-Station weiter zum Wohnturm von Coop Himmelb(l)au bemühen. Aber solche Überlegungen sind bei einem kommerziellen Bauvorhaben dieser Art völlig nachrangig. Irgendwann wird der Andromeda-Tower einer von vielen sein und in der hinteren Reihe seinen Platz gefunden haben. Viel wichtiger ist, dass es der WED gelungen ist, die Immobilie zu rentablen Preisen zu vermieten, noch dazu an internationale Großkonzerne, die als „anchor ­tenants“ den Ruf der Adresse für die Zukunft aufwerten. In die Freude über den Erfolg mischt sich leise das Bedauern, dass man den Turm heute dreimal hätte vermieten können. Allerdings werden frühestens zeitgleich mit dem Konkurrenzprojekt am anderen Donauufer, wo mit dem Millennium Tower Wiens höchstes Büro- und Wohnhaus entsteht, weitere Flächen in der Donau-City zu mieten sein. Zumindest ist nun das Vertrauen der Investoren in den Stand­ ort und seine internationale Attraktivität wieder vorhanden. Man darf erwarten, dass sich in den nächsten Jahren die Lücke zwischen den gerade fertiggestellten Wohnbauten am Donau­ park und der Reichsbrücke füllen wird: sicher mit weiteren Büro­ häusern, wahrscheinlich auch mit der Maschinenbaufakultät. Vielleicht entstehen sogar die rund 140 Meter hohen Zwillings­ türme nach den Entwürfen von Isozaki und Peichl und schließlich das große, von allen kleinen Mitterands dieses Landes herbei­ gesehnte Kulturbauwerk, das formal und inhaltlich die Welt so in Staunen versetzen soll, wie zuletzt das Guggenheim-Museum in Bilbao. Also doch eine Erfolgsgeschichte? Gemessen an den Zeiten, in denen die WED auf einer „Platte mit Loch“ saß, die sich nicht vermarkten ließ, sicher. Gemessen an den Erwartungen, die man in die Entwicklung Wiens durch das Projekt und seine Verknüpfung mit der Weltausstellung 1995 gesetzt hatte, ganz sicher nicht. Der pathetische Name der WED, eine „Gesells­chaft zur Entwicklung des Donauraums“ zu sein, ist vielleicht die letzte Reminiszenz an diese Erwartungen und zugleich ein

Anknüpfungspunkt für einen Exkurs in die Vergangenheit. Die Aufwertung des Donauraums als Jahrtausendchance für Wien zu begreifen, geht auf eine Anregung des Schriftstellers Jörg Mauthe Mitte der 80er-Jahre zurück. Unter Donauraum ist natürlich mehr zu verstehen als die Parzelle vor der UNO-City. Mauthe hatte diesen vieldeutigen Begriff gewählt, um gleich mehrere Entwick­ lungschancen für Wien anzudeuten. Einerseits träumte er von einer grundsätzlichen Umorientierung der Stadtentwicklung, von einer Verlagerung des urbanen Schwerpunkts Richtung Donau. Mit dem Donaudurchstich im vergangenen Jahrhundert war der Fluss, der zuvor gefährlich oft einen neuen, mäandernden Weg durch die Aulandschaft gefunden hatte, zwar gezähmt, aber er blieb in seinem kanalisierten Bett den Wienern fremd. Mit der Donauinsel hatte sich das geändert, und die Chancen zu einer wirklich urbanen Belebung der kilometerlangen Öde standen Mitte der 80er-Jahre nicht schlecht, als man glaubte, von einer „Neuen Gründerzeit“ sprechen zu dürfen. Andererseits steht der Begriff des Donauraums auch für ein geopolitisches Konzept: die Schaf­ fung eines mitteleuropäischen Selbstverständnisses, in dem die alten Bindungen zwischen den Staaten an der Donau neu aufleben. Als der Wiener Vizebürgermeister Hans Mayr die Idee ins Spiel brachte, als Motor für die Entwicklung des Wiener Donau­ raums eine Weltausstellung abzuhalten, war es nur ein kleiner Schritt zur Verbindung all dieser Vorstellungen in einer gemein­ samen EXPO in Wien und Budapest. Die Parteien stellten sich in seltener Einmütigkeit hinter das Projekt. Erhard Busek durfte als Wissenschaftsminister und Vertreter des Bundes hoffen, die Ideen seines inzwischen verstorbenen Mentors Jörg Mauthe umzusetzen. Man schien ein Projekt gefunden zu haben, bei dem tatsächlich alle gewinnen konnten. Wien durfte sich vorgezogene Investitionen des Bundes in seine Infrastruktur erwarten; die Banken und Versicherungen, die das Projekt finanzieren sollten, hofften auf Gewinne aus der Nachnutzung des Geländes für ein Immobilienprojekt; der wirtschaftliche Impuls für die Region hätte in Österreich rund 50.000 Arbeitsplätze geschaffen. Und dass Wien als EXPO-Standort bessere Chancen hatte, nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ wirklich zum viel beschworenen „Tor nach Osten“ zu werden, war evident. Bund und Stadt gründeten eine EXPO-Gesellschaft, die nach den ersten wesentlichen Entscheidungen vollständig an private oder zumindest nominell private Investoren übergehen sollte. Bis auf den japanischen Nomura-Konzern handelte es sich durchwegs um österreichische Banken und Versicherungen, von der Z über die BAWAG bis zu Raiffeisen sowie die Wiener Holding. 1990 war das Projekt soweit gediehen, dass man einen internatio­ nalen Architektur-Wettbewerb für die EXPO und die Nachnutzung des Geländes ausschreiben konnte. Vorprojekte, in denen die heimischen Stars ihre Ideen präsentieren durften, hatten die Optionen aufgezeigt. In Erinnerung bleibt ein Entwurf von Hans Hollein und Coop Himmelb(l)au mit monumentalen Kuben am Ufer der Donau, drei auf der Copa Cagrana und einer jenseits 279

der Reichsbrücke, verbunden durch Skywalks: Ein faszinierendes Konzept, eine EXPO zum Staunen, aber ein Alptraum für die Investoren. Im Wettbewerb belegten Hollein und Coop Himmelb(l)au mit einem arg aufs Realistische zusammengekochten Projekt den zweiten Platz. Das Siegerprojekt aus dem Büro von Sepp Frank sah eine Überplattung des Areals durch ein „Basisbauwerk“ mit Garagen vor, auf dem unter großen wellenförmigen Dächern die Pavillons der Nationen Platz gefunden hätten. Die Qualität des Projekts lag in seiner klugen Zonierung: Nach der EXPO wären nur auf einem schmalen Streifen direkt vor dem Konferenzzentrum einige Ausstellungs- und Freizeit-Nutzungen verblieben, der Rest als freigeräumtes Areal für die weitere Verwertung zur Verfügung gestanden. Als der Wettbewerb juriert wird, hat sich die politische Wetter­ lage in Wien für die EXPO aber bereits verdüstert. Die FPÖ ändert ihren Kurs und betreibt ein Volksbegehren gegen das Projekt. Es reicht, alle tatsächlichen Risiken der EXPO aufzuzählen: steigende Immobilienpreise, Verkehrsproblematik, Kosten. Dazu kommt das generelle Misstrauen gegen Großprojekte: Zu gut ist der AKH-Skandal noch in Erinnerung. Und schließlich wendet sich die FPÖ noch an die latente Xenophobie aller anständig Gemütlichen. Von zigtausenden Russen wird gesprochen, die einen EXPO-Besuch zur illegalen Immigration nützen würden, und von kriminellen Elementen, die von einer solchen Veranstaltung angezogen würden wie die Motten vom Licht. Das Volksbegehren der FPÖ allein hätte die EXPO nicht verhindern können. Meinungsumfragen zeigten für Gesamt-­ Österreich eine solide positive Mehrheit, für Wien allerdings nur einen leichten Überhang der Befürworter. Außerdem stand die Übertragung der Anteile an der EXPO-AG an eine private Gesell­ schaft bevor, und keine Volksbefragung hätte ein privates EXPO-Vorhaben mehr verhindern können. Die entscheidende Wende kommt erst, als auch der neue ÖVP-Chef Heinrich Wille glaubt, die EXPO parteipolitisch nutzen zu müssen. Er befürwortet eine Volksbefragung in Wien, die mit der Befragung über das Kraftwerk Freudenau gekoppelt werden soll. Die SPÖ kann sich nicht weniger demokratisch geben als die Opposition. Wille beweist in jeder Hinsicht Mangel an taktischem Geschick: Vor der Abstimmung lässt er sein Konterfei mit dem Slogan „Der Wille zur Stadt“ plakatieren, mit entsprechend negativen Auswir­ kungen auf die linken Wähler, die eine solche Vereinnahmung des Projekts durch die ÖVP mit einem „Nein“ abstraften. Die EXPO-AG ist völlig damit überfordert, in wenigen Wochen eine Kampagne für das Projekt durchzuführen. Während die Donaukraftwerke AG seit zwei Jahren mit jeder Form der Werbung Stimmung für das Kraftwerk Freudenau machen konnte, bleiben der EXPO-AG letztlich die Dreiecksständer aus dem Wahlkampf. Werbezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Österreichs sind ein reguliertes und daher knappes Gut. Dazu kommt eine beispiellose Kampagne gegen das Projekt durch die gerade neu gegründete Wochenzeitung „Die Ganze Woche“. Ihr Besitzer 280

Kurt Falk, der noch eine offene Rechnung mit Hans Mayr zu begleichen hat, beschließt das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden und macht seine Neugründung auflagensteigernd zu einer Plattform gegen das Projekt. Unter dem Titel „EXPO: Verkehrshölle, Einbrecher und Taschendiebe“ erfahren die Leser der „ganzen Woche“, dass in Banja Luka, dem „Ausbildungs­ zentrum der Taschendiebe Europas, mehr Nachwuchs denn je geschult“ wird. Pro Monat dürfe Wien mit zusätzlich 21.600 Eigen­ tumsdelikten rechnen. Das Ergebnis der Volksbefragung ist entsprechend eindeutig: bei 43 % Wahlbeteiligung sprechen sich 64 % der Befragten gegen die EXPO aus. Die Frustration bei den Betreibern ist groß. Nur die Schönfärber unter den Investoren freuen sich über eine Nachnutzung ohne EXPO-Vornutzung. Die Realisten erkennen, dass es schwierig sein wird, den Standort ohne EXPO-Trubel attrak­tiv zu machen. Ein Zurück gibt es nicht mehr: Die Sanierung der Mülldeponie, die unter einem Großteil des Areals liegt, ist bereits beauftragt. Um eine knappe Milliarde Schilling – von der allerdings ein großer Teil als Deponiegebühr wieder an die Stadt zurückfließt – werden hunderttausende Kubikmeter Schutt und Müll entsorgt und hinterlassen auf dem Grundstück ein Loch von rund 250 mal 500 Metern. Während sich die Wiener Betonindustrie schon darauf freut, dieses Loch mit einem großen Garagenbauwerk schließen zu dürfen, denkt die WED, die aus der EXPO-AG hervorgegangen ist, über die Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens nach. Ohne EXPO sind vorerst weder die Platte noch die Garagen nötig. Überplattet wird daher nur die Autobahn. Für das Baugelände selbst sucht man nach einer vernünftigeren Lösung. Adolf Krischanitz und Heinz Neumann erhalten den Auftrag, einen „Masterplan“ für die Bebauung auszuarbeiten. Krischanitz hatte beim EXPO-Wettbewerb ein Projekt eingereicht, das sich vor allem mit der Nachnutzung beschäftigte und eine Kombination von Wohnungen und Büros in einer Abfolge von monumentalen, quer zur Donau gestellten Scheiben vorsah – ein Konzept, das Ludwig Hilberseimers Hochhausstadt aus den 20er-Jahren aufnimmt, freilich auch Assoziationen zu Alt Erlaa erlaubt. In den Masterplan übernommen wurde davon die konsequente Entwicklung einer Stadt mit mehreren öffentlichen Ebenen: Wenn man schon eine gigantische Grube hatte erzeugen müssen, dann sollte daraus auch das Spezifische dieses Ortes entstehen. Der Masterplan sieht die Haupterschließung für Fußgänger auf der Höhe jener Baumkronen vor, die bis zu zwei Geschosse tiefer „in der Grube“ gepflanzt werden können. Die exakte Umsetzung dieses Konzepts bleibt jeweils dem Investor überlassen. Von Seiten der WED werden nur die notwendigsten Erschließungen und Kollektoren mit technischer Infrastruktur errichtet. Im Grundriss entwickelte der Masterplan eine Grammatik von möglichen Bebauungsformen im orthogonalen Raster, der von einer auf das Projekt Hans Holleins zurückgehenden Diagonale unterbrochen wird. Insgesamt ist der Plan eine bemerkenswert gut geglückte Balance zwischen abstraktem Regelwerk und 281

konkreter Vision. 1993 fanden – begleitet vom beginnenden Gerangel um die Ansiedlung des Guggenheim-Museums am Ende der Hollein’schen Diagonale – zwei Gutachterverfahren auf dieser Grundlage statt: Für die beiden Hochhäuser, die im Masterplan in der ersten Reihe an der Reichsbrücke vorgesehen sind, werden Entwürfe von Arata Isozaki und Gustav Peichl ausgesucht. Die Errichtung scheiterte aber vorerst an einer grundsätzlichen Schwäche der WED: In einer Immobilien-Flaute die Entscheidung für den Bau von zwei mal 25.000 m2 Nutzfläche in bester Ausstat­ tung zu fällen, ist an sich schon schwer genug; weil hier aber ein ganzes Konsortium von Banken und Versicherungen mit jeweils eigenen, oft auch konkurrierenden Immobilien-Engagements diese Entscheidung zu treffen hatte, wagte man sich vorerst an nicht mehr als den Andromeda-Tower. Rascher zu realisieren erwiesen sich dagegen die Wohnbauten. Hier hatte das Gutachterverfahren für rund 1.000 Wohnungen zu einem gemeinsamen Leitprojekt von Hermann Czech, Michael Loudon, Delugan-Meissl und Cufer, Bammer und Balogh geführt. Hermann Czech, der renommierteste aus dieser Gruppe, verliert schließlich den Auftrag, nicht zuletzt, weil er unwillig ist, den von den Bauträgern geforderten Honorarnachlass von 25 % im ganzen Umfang zu gewähren. An seiner Stelle übernimmt Eric Steiner die Federführung des Projekts. Wer heute vom Andromeda-Tower zu den neuen Wohnbauten blickt, sieht hinter der nach wie vor dominierenden Grube die gebänderten Ostfassaden der Bauteile von Steiner und Cufer und vorne, an der Donauseite, die Schmalseite des Bauteils von Delugan-Meissl, der die Anlage zur Donau abschließt. Dahinter liegen zwei annähernd quadratische Hoffiguren: Der hintere Hof wird durch den Wohnturm von Margarethe Cufer gewaltig nachverdichtet, der vordere soll laut Prospekt noch „intensiv durch­ grünt“ werden. Zur Donauparkseite hin gibt es wiederum eine gerade, gebänderte Front. Hermann Czech hatte hier eine durch­ laufende zweigeschossige Arkade vorgesehen und damit eine halböffentliche gedeckte Zone, die an der Westseite zum Donau­ park sicher großen Reiz gehabt hätte. In den jetzt realisierten Bauten sind solche Zonen ins Innere der Gebäude gelegt: glasge­ deckte, begrünte Passagen, die über alle Geschosse durchgehen und die Treppen und Erschließungsgänge aufnehmen. Formal können die Bauten großteils überzeugen. Auch das Marketing des Projekts ist professionell und offensichtlich ist man schon im Vorfeld bemüht, soziale Probleme aufzufangen. Der Spielplatz wird regelmäßig von Animateuren betreut werden, ein Servicezentrum für die Mieter wird an prominenter Stelle einge­ richtet. Sogar die Straßennamen sollen diesmal wieder imagever­ bessernd wirken: Wurden am Leberberg die Straßen noch nach verdienten Simmeringer Bezirksräten benannt, wohnt man in der Donau-City immerhin an der Leonard-Bernstein-Straße. Die Kosten für die Wohnungen sind mit etwas über 5.000 Schilling Eigenmitteln und einer Miete von 65 Schilling pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten und Rückzahlung vergleichsweise günstig. Nach zehn Jahren können die Wohnungen ins Eigentum 282

übernommen werden. Aber selbst wenn hier die schönste Wohn­ hausanlage Wiens entstanden wäre, ist es eben nur eine Wohnhaus­ anlage und keine Stadt. Zur oft geforderten realen Durchmischung von Wohnen und Arbeiten, die gerade hier durch die große Dichte und die Höhe der Bauten möglich gewesen wäre, ist es wieder einmal nicht gekommen. Das Büroviertel nebenan wird abends kaum lebendig sein können. Und so wird sich der „Wohnpark Donaucity“ nicht mit der Innenstadt messen dürfen, sondern mit seinem Namensvettern in Alt Erlaa und den 3.000 Wohnungen, die Harry Glück dort in 90 Meter hohen, teilweise terrassierten Hochhausscheiben untergebracht hat. Wirtschaftlichkeit durch Dichte ist hier wie dort das Anliegen. Ob die Bewohner die Innen­ passagen in der Donau-City als halböffentliche Zonen nutzen werden, oder doch lieber individuelle Pflanzentröge hätten, ob sie die Höfe als urban oder als eng empfinden, bleibt abzuwarten. Wie überhaupt das Spiel um die Donau-City noch offen ist. Die jüngsten Gestaltungsvorschläge für ein Experimentarium und den Freizeit- und Shopping-Bereich lassen Zweifel aufkommen, ob das Bekenntnis zur Qualität dem Druck der Investoren standhalten wird. Und auch das aktuelle Gerede vom „zeitge­nös­ sischen österreichischen Symbolbauwerk“ das zur kulturellen Krönung des Projekts werden soll, lässt nichts Gutes vermuten. Außerdem ist es überflüssig: Was könnte das Österreich des aus­ gehenden 20. Jahrhunderts besser symbolisieren als die Geschichte der Donau-City selbst, von der EXPO-Idee bis zu ihrem heutigen Zustand?

25 / 07 / 1998   

KUNST ODER HÜLLE?

An welchen Kriterien ist „Fortschritt“ in der Architektur zu messen? An neuen Bautechniken? Am Wohlbefinden der Nutzer? An Form oder Funktion? Mit seinen Wohnbauten in Judenburg versucht Hubert Rieß eine ganzheitliche Antwort.

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n welchen Kriterien ist „Fortschritt“ in der Architektur zu messen? An neuen Bautech­ niken? Am Wohlbefinden der Nutzer? An Form oder Funktion? Mit seinen Wohnbauten in Judenburg versucht Hubert Rieß eine ganzheit­ liche Antwort. Wenn wir in der Architektur von Fortschritt reden, dann unterscheidet sich dieser Begriff deutlich von dem, was man in den Natur- oder Ingenieurwissenschaften darunter versteht. Eine Maschine über­ trifft ihre Vorgänger, eine Erkenntnis setzt eine andere außer Kraft – aber ist ein Haus von heute einem Haus des Jahres 1850 überlegen? Natürlich haben wir heute bessere Heizungen und dichtere Fenster, aber das sind technische Errungenschaften, die sich ohne größere Probleme ins Haus des Jahres 1850 einbauen 283

lassen. Auch die Übereinstimmung von Form und Funktion kann kein Argument sein: Oft genug finden sich neue Funktionen gut in alten Gebäuden zurecht. Vieles spricht dafür, den Fortschritt in der Architektur an anderen Kriterien zu messen als jenen von Maschinen oder Werk­ zeugen. Man kann argumentieren, dass Häuser auch Kunstwerke sein können und sich ihren Rang ganz anders erkämpfen müssen. Aber unabhängig davon sind Häuser jedenfalls mehr Schutzzeug als Werkzeug, eine besondere Art der Hülle, die dem Bedürfnis nach Geborgenheit eine materielle Form gibt und daher eher zum Konservativen tendiert. Der Anteil der Menschen, die ihr Haus genauso fortschrittlich gestaltet haben wollen wie ihr Auto, hat in den letzten 50 Jahren sicher geschwankt – die überwiegende Mehrheit parkt in ihren Träumen aber allemal den Porsche vor dem Wochenendhäuschen im französischen Landhausstil. Kann in der Architektur also Fortschritt nur gegen den Willen der Mehrheit passieren? Das wäre denn doch eine zu einfache Einteilung der Welt in böse Verhinderer und avantgardistische Gestalter, die sich heroische Gefechte um die gute Form liefern. Dieses Spiel haben die Architekten lange genug gespielt und ihr Selbstverständnis daraus gewonnen, aber es ist heute hoffnungs­ los überholt. Das Bemühen um architektonische Qualität darf nicht auf der Ebene der guten Form ansetzen, sondern muss den Gesamtprozess der Bauproduktion umfassen. Wenn Auftrag­ geber und Benutzer spüren, dass sie es nicht mit einem HüllenDesigner, sondern wirklich mit einem Architekten zu tun haben, dann werden sie ihm auch auf riskanteres Gelände folgen. Avantgarde im klassischen Sinn wird dann zwar nicht entstehen, aber vielleicht doch so etwas wie Fortschritt. Wozu diese lange Vorbemerkung? Der Wohnbau, den Hubert Rieß für die WAG in Judenburg errichtet hat, ist ein Beispiel für diese unspektakuläre Art von Fortschritt. Zwei schmale Zeilen, Nord-Süd-orientiert, mit konventionellen Treppenhäusern, die pro Geschoss zwei Wohnungen erschließen. Was auffällt, ist die offene Erdgeschosszone aus Stahlbeton, in der sich keine Woh­ nungen, sondern nur verglaste Gemeinschaftsräume und Abstell­ räume befinden. Die drei Stockwerke darüber sind holzverkleidet. Vor der Fassade hängen an einer Stahlkonstruktion Balkone mit gläsernen Brüstungen; mit einer ähnlichen Konstruktion sind auch die Treppen vor Wind und Regen geschützt. Bemerkenswert ist an diesem Gebäude vieles, was nicht sichtbar ist: Die drei oberen Stockwerke sind nicht nur mit Holz verkleidet, sondern aus Großtafeln in Holzkonstruktion zusammengesetzt, die in der Fabrik vorgefertigt wurden. Die Decken sind Brett­stapel­ decken, also massive Decken aus dicht aneinander gesetzten Brettern, die hier in Kombination mit einem Estrich Schalldämm­ werte ergeben, die die vorgeschriebenen Normen weit übertreffen. Die Treppen sind massive Eichentreppen, die ebenfalls in der Fabrik gefertigt und dann in wenigen Stunden per Kran versetzt wurden. Der Bau von mehrgeschossigen Holzwohnhäusern hat sich in den letzten Jahren so weit entwickelt, dass jede Assoziation zur 284

Einheitlicher Wohnungstyp: drei Zimmer und eine große Wohnküche auf 65 Quadratmetern …

… Hubert Rieß’ Wohnbauten in Judenburg, Steiermark Fotos: Damir Fabijanic

zugigen und unwohn­ lichen Baracke verschwun­ den ist. Hubert Rieß hatte mit diesem Thema erst­ mals in Bayern zu tun, wo er 1992 zu einem Wettbe­ werb für „Mietwohnungen in Holzsystembauweise“ geladen war. Die bayrische oberste Baubehörde ver­ folgte mit diesem Projekt zwei Ziele: erstens die Holzindustrie zu fördern und zweitens kostengünstigen Wohn­raum für Aussiedler zu schaffen. In einem von der Baubehörde selbst geplanten Prototyp war es gelungen, die Baukosten um ein Drittel zu senken, freilich unter Qualitätseinbußen, etwa beim Schallschutz. Für den Wettbewerb wurde daher ein Ziel von 1.700 Mark (12.000 Schilling, 863 Euro) vorgegeben. In Schwabach bei Nürnberg konnte Hubert Rieß seinen ersten reinen Holzbau unter diesen Bedingungen realisieren. Als Experi­ ment war der Bau ein Erfolg, aber es war klar, dass ein Qualitäts­ sprung notwendig sein würde, um neben den konventionellen Bau­ methoden bestehen zu können. Auf der technischen Ebene stellte die Vorfertigung eine Reihe von Koordinations­problemen, und viele Einsparungen waren durch logistische Probleme im Ausbau wieder verschenkt worden. Ästhetisch galt es, das Billig-Image, das dem Prototypen noch anhaftete, loszuwerden. Das hieß nicht zuletzt, die Möglichkeiten, die sich aus der Fertigung in der Fabrik ergaben, auch auszunutzen. Am Wohnbau in Judenburg, der das jüngste in der Reihe von ähnlichen Projekten ist, die Rieß seit Schwabach realisiert hat, erkennt man, was das bedeutet. Eine über vier Geschosse führende, massive Eichentreppe ist für den sozialen Wohnbau eine außer­ gewöhnliche Bereicherung: Die weichen Oberflächen und der Geruch des Holzes erzeugen eine Stimmung, in der man seine Nachbarn einfach eine Spur freundlicher grüßen muss. Die zarte Stahlkonstruktion, von der die Balkone und die Glaswände vor den Treppenhäusern getragen werden, steht im spannungsvollen Kontrast zu den Holzoberflächen und trägt zusätzlich zum eleganten Charakter bei.

Billig-Image überwunden: Vorfertigung in Holz Foto: Damir Fabijanic

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Die Wohnungen selbst sind bis auf wenige Ausnahmen 65 m2 groß und bieten auf dieser Fläche drei Zimmer und eine große Wohnküche an. Das klingt eher spartanisch, aber durch den großen Balkon und die Möglichkeit des Durchblicks über die Tiefe der Wohnung kommt kein Gefühl der Enge auf. Auch der Verzicht auf das im sozialen Wohnbau übliche Angebot mehrerer Typen hat sich bewährt. Für die meisten Singles sind 65 m2 durchaus finanzierbar, während viele Familien froh sind, auf etwas engerem Raum mit weniger finanzieller Belastung zu leben. Die Sozialund Altersstruktur in den Häusern ist daher eher besser als in Beispielen mit scheinbar „maßgeschneidertem“ Typenangebot. Wo steckt in diesem Bau nun der versprochene Fortschritt? Ein wesentlicher Punkt ist die Art, wie Hubert Rieß sich den geänderten ökonomischen Rahmenbedingungen des Bauens gestellt hat. Nach seinen Arbeiten in Bayern, die noch alle unter eher experimentellen Vorzeichen standen, wollte er hier den Holzsystembau in die Normalität des Bauens hineinholen. Das Motiv, unbedingt billiger sein zu müssen als der Massivbau, hat ihn dabei nicht mehr interessiert. Der Bau ist nicht teurer, aber auch nicht billiger als das, was im sozialen Wohnbau heute als vertretbar gilt: Die Kosten lagen (ohne Baugrundanteil) bei 16.500 Schilling (1.187 Euro) pro Quadratmeter inklusive Honorare und Mehrwertsteuer. Der Unterschied liegt in der Qualität. Man braucht sich nur im geförderten Wohnbau der letzten Jahre umzusehen: Der Versuch, die Kosten zu senken, hat nicht zu Innovationen, sondern zu immer primitiveren Lösungen und höheren Dichten geführt. Was hier in Judenburg zu denselben Kosten an Wohnqualität geboten wird, ist jedenfalls außerordentlich. Voraussetzung dafür ist die Kooperation zwischen Planern und Ausführenden im Rahmen einer industriellen Bauproduktion, die sich nicht auf Bauteile beschränkt, sondern den Gesamtprozess des Bauens mit einbezieht. Die Bauteilindustrie hat ja mit der sonstigen industriellen Entwicklung zumindest annähernd Schritt gehalten: Es gibt immer bessere Gläser, leistungsfähigere Verbin­ dungen und Dämmstoffe. Zusammengebaut wird all das aber überwiegend mit rückständigen Methoden, die in erster Linie auf billiger Arbeitskraft basieren. Es scheint den Baustoff Holz gebraucht zu haben, um die Systembauweise von ihrem schlechten Ruf zu befreien. Dass die Zukunft des Bauens in der Verlagerung von immer mehr Arbeiten von der Baustelle in die Fabrikhalle liegt, scheint offensichtlich. Profitieren kann davon nicht nur die Industrie: Vorfertigung bedeutet höherwertige Arbeitsplätze unter besseren Bedingungen, mehr Forschung und Entwicklung und für die Architekten – wenn sie bereit sind, sich in die Produktionsverfahren offensiv einzumischen – einen größeren Spielraum unter knappen Budgets. Die nächste Avantgarde wird sich in diesem Kontext bewähren müssen.

13 / 06 / 1998   

DIE UNHEILBARE HAUSKRANKHEIT

Von den Lebensentwürfen der Nachkriegsfamilie bis hin zum regionalistischen Barock der Gegenwart: Österreichs „Häuslbauer“ stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Kritische Anmerkungen zu einem Phänomen und seiner Präsentation. Vier Generationen Wohnhausträume: von den bescheidenen 1950erJahren (links oben), über die boomenden 1970er und die sentimentalen 1980er bis hin zur ideologiefreien Gegenwart (rechts unten) Fotos: Katalog

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rchitektur ohne Architekten: Dieses Thema hat die Moderne immer schon fasziniert. In ihren Anfängen, als sich die moderne Architektur vom akademischen Geist und seinen Stilen lösen wollte, galten die Inge­ nieure und ihr formal unbelasteter Funktionalismus als vorbildlich. Später, nachdem der Funktionalismus in den 60erJahren definitiv in die Krise gekommen war, war es die anonyme Architektur, an deren Produkten man den verlorenen Zusammen­ hang von geistiger und materieller Welt neu zu erlernen hoffte. Die Häuser der Primitiven oder das bäuerliche Wohn- und Wirt­ schaftsensemble der alpinen Tradition wurden zu Leitbildern eines besseren Lebens. Das Häuslbauerhaus, obwohl ebenfalls ohne Architekt erbaut, erschien vor diesem Hintergrund nur als Symptom einer kranken Gesellschaft, als Ausdruck der freiwilligen Unterwerfung von Lebensentwürfen unter die Regie der Leistungsgesellschaft. In diesen stereotypen Gebäuden konnte sich das beschädigte Leben ungebremst in Szene setzen. Wenn die Häuslbauer ins Blickfeld der Architekten und Raumplaner gerieten, dann folgerichtig als Objekte reformatorischer Belehrung zum Besseren: Verschont die Landschaftsräume von ausufernder Bebauung, baut dichtere 287

Siedlungen, verzichtet auf die Gartenzwerge und baut regionalis­ tisch (aber bitte im Sinn eines kritischen Regionalismus)! An der Liebe der Österreicher zum Einfamilienhaus hat all das nichts geändert. Nach einer Studie der Bausparkassen aus dem Jahr 1997 ist das Einfamilienhaus für 73 % der Wohnraum­ suchenden „die grundsätzlich beste Art des Wohnens“. Und der Traum geht offenbar in Erfüllung: Gab es 1971 nur 578.000 Ein­ familienhäuser in Österreich, waren es 1991 bereits 967.000. Der Häuslbauer bedient sich dabei immer öfter des industriell vorge­ fertigten Hauses: Der Marktanteil der Fertighäuser steigt stetig und liegt derzeit bei 28 %. Das Architekturzentrum Wien hat sich dieses Themas bereits im vergangenen Jahr angenommen, mit einer Ausstellung über Standardhäuser, in der die Standardisierungsideen der Moderne dem realen Fertighaus der 90er-Jahre gegenübergestellt wurden – eine ernüchternde Bilanz. Nun ist im AzW der zweite Teil der Ausstellung zu besuchen, der sich allgemein mit den Häusl­ bauern befasst. Grundlage der Ausstellung ist ein noch in den 80er-Jahren unter der Federführung von Dietmar Steiner, dem Leiter des AzW, begonnenes Forschungsprojekt über „Architek­ tonische und soziokulturelle Leitbilder von Eigenheimen der Nachkriegszeit“. Dietmar Steiner ist bekanntlich ein ungebremster Postmo­ derner. Für den missionarischen Eifer der Raumplaner und Architekten gegen die Zersiedelung hat er nur milden Spott übrig. „Seit den sechziger Jahren“, so heißt es im Katalog, „mahlen die Gebetsmühlen der Architekten und Raumplaner die Apokalypse der Zersiedelung und Landschaftszerstörung, des Flächenfraßes, der Bodenversiegelung, des Mobilitätskollapses.“ Die Wirklichkeit sieht nach Steiner anders aus: Noch immer gäbe es genug Landschaft, genug Flächen, Mobilität sei genug vorhanden. Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus sollte daher endlich als „eine nicht veränderbare mehrheitsfähige Konstante“ akzeptiert werden. Schließlich habe sich verdichtetes Siedeln längst als Ersatzhandlung für eine kleine Zielgruppe erwiesen. Vielleicht sei das Einfamilienhaus doch das richtige Modell für ein Leben im dispersen „urban sprawl“, der über kurz oder lang auch Europa überziehen werde. Ein großräumiger Landschaftspark mit Ein­ familienhäusern auf minimalen Grundstücken im Umkreis von 100 km um jedes Nebenzentrum, angereichert mit Themen­ siedlungen und touristisch optimierten Nutzflächen im weiteren Umkreis – das sei die Vision für die Jahrtausendwende. Disney­ fizierung und Landschaftspflege würden schließlich zur totalen Urbanisierung führen. Die Ausstellung will das Phänomen des Häuslbauens als Wirt­ schafts-, Sozial- und Kulturgeschichte darstellen, unter bewusster Ausklammerung architekturtheoretischer Positionen, deren Instrumente für ein Verständnis völlig untauglich seien. Das Bauen als Festigung von Identität, als oftmals skurriler, aber letztlich liebens­werter Lebenssinn – das soll der Besucher vornehmlich vermittelt bekommen. Da gibt es eine Pyramide aus Einfamilien­ hausmodellen, von einem Beamten in jahrelanger Arbeit 288

gebastelt: Träume einer besseren, vor allem übersichtlicheren Welt. In einer Vitrine liegen Ausgaben von Wüstenrot-Zeitschriften, nach Jahrgängen von den 50er-Jahren bis heute geordnet: kom­ plette Lebensentwürfe für die Nachkriegsfamilie („Das Haus eines tapferen Herzens“ für den Heimkehrer) bis hin zum regionalis­ tischen Barock. Der einfache, von den Siedlungshäusern der Zwischenkriegszeit beeinflusste Grundriss mit nutzungsneutralen Räumen wird immer funktionalistischer und hängt sich schließlich ein alpines Mäntelchen um. Mit steigendem Einkommen finden sich im Lauf der Zeit in der Zeitschrift auch „Architektenhäuser“ und zuletzt immer mehr Fertighäuser, schließlich ist die Industrie ein wichtiger Inserent. Die immer wieder in Umfragen ermittelten Geschmacksvorlieben der Häuslbauer dürften zu einem guten Teil selbst erzeugt sein: Die Auflage des „Wüstenrot Heims“ geht in die Hunderttausende, und wer als Sparer jahrelang mit den entsprechenden Bildern versorgt wurde, weiß schließlich, was er zu wollen hat. Nur sein zweites materielles Lebensziel, das Auto, mag er dann doch wieder modern. Gezeigt wird auch ein Computerprogramm zur Planung des individuellen Hausgrundrisses, wie es heute beispielsweise Lager­ häuser anbieten. 1,2 Millionen Variationen, Planung gratis, wenn das Material beim Anbieter gekauft wird. Schon immer hat der Häuslbauer den Plan lieber um ein paar Hundert Schilling im Pfusch beim Ingenieur gekauft als beim Architekten – es sollte ja sein Haus werden. Der entpersonalisierte Plan aus der Maschine mit abgeglichener Materialliste ist der endgültige Sieg der Bauund Bauteilindustrie über die Spezies der Planer. Die Epochen, in die laut Steiner die Häuslbauer-Geschichte seit 1945 zerfällt, werden in der Ausstellung in fünf Kojen vor­gestellt. Nach den spartanischen Fünzigern die Phase der „Mobilität von Caorle nach Amerika“; der Ölschock und der „Eternit-Hut“ der 70er-Jahre; zeitgleich das Erwachen eines Tra­ ditionsbewusstseins, das sich in der darauf folgenden Phase der 80er-Jahre im Touristischen erschöpft; schließlich in den 90erJahren das Haus als „Ware in einer künstlichen Landschaft“. In der letzten Koje werden wir mit der oben skizzierten Entwick­ lung bekannt gemacht: Themensiedlungen, Disney und Land­ schaftspflege. In dieser Zeitreihe finden sich auch Interviews mit Häusl­ bauern, die großteils während einer „Heimreise“ aufgenommen wurden, einer Aktion, die von Steiner quasi als Ausweg aus einer Sackgasse des Forschungsprojekts erklärt wird. Wie kommt man direkt an ein Untersuchungsphänomen heran, das sich aus der Distanz nie so recht fassen lassen will? Eine fünftägige Busreise, an der Architekten, Journalisten und Kritiker teilnahmen, führte durch Häuslbauer-Landschaften von Niederösterreich bis Vorarlberg. Im Katalog sind Ausschnitte aus den Gesprächen mit Bauherren abgedruckt, aus denen deutlich wird, dass die Selbstbestätigung durch eigene Leistung dem Häusl­ bauer wichtiger ist als die Qualität des Produkts. Hier werden auch die pathologischen Seiten des Häuslbauens deutlich: die 289

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Belastung der Familien durch die „Hauskrankheit“; die wahren Kosten des Häuslbauens, das eine teure Wohnform ist und de facto einen Doppelverdienerhaushalt voraussetzt, wenn nicht ein Großteil der Einkünfte ins Bauen fließen soll; die Folgen der Zersiedelung, die kein primär ästhetisches Problem ist, sondern ein ökologisches und kulturelles. In der Ausstellung verschwinden diese Aspekte hinter einer scheinbar neutralen, an den Oberflächen der Gebäude und Personen verbleibenden Zugangsweise. Der Gag, dem Besucher die zwangsläufige Entwicklung der Baukultur in Richtung Disney­ land vor Augen zu führen, blendet zu viele Aspekt aus, die nicht zuletzt zum Verständnis der Entwicklungsoptionen wichtig wären. Warum fehlt etwa in der Ausstellung die Vorarlberger Architektur­ landschaft, wo tatsächlich Strategien gefunden wurden, um das Auseinanderfallen von Architekturkultur und Häuslbauerkultur aufzuhalten? Gerade am Beispiel Vorarlbergs hätte sich zeigen lassen, dass architektonische Beiträge zu einer höchst ökonomischen Bauweise existieren und auch angenommen werden. Am Beispiel Vorarlbergs hätte sich auch einiges über Energiepolitik im Bauwesen sagen lassen – aber das hätte wohl nicht in die postmoderne Doktrin gepasst, dass sich große Systeme längst nicht mehr gestalten ließen. Ausgeblendet bleibt auch der Einfluss zwischen Architektur und Häuslbauen, der ja in beide Richtungen zu finden wäre. So bleibt unklar, was das eigentliche Ziel der Ausstellung ist. Die Vision einer Marginalisierung der Architektur im zukünftigen Disneyland Österreich ist ein Szenario, an dem zynische Gemüter Gefallen finden werden. Die Alternativen dazu hätten sich aber zumindest eine ernsthafte Diskussion verdient.

02 / 05 / 1998   

DER SCHÖNE NAME „ARCHE“

Die räumliche Umsetzung eines zeitgemäßen Verständnisses von Gemeinde: Nichts weniger ist Christoph Thetter mit dem evangelischen Pfarrzentrum am Leberberg in Wien Simmering gelungen.

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uf der grünen Wiese Stadtplanung betreiben zu dürfen hat nichts von seiner Faszination verloren. Am Anfang stehen alle Möglich­ keiten offen: Gemüsefelder, ein paar Straßen, Gstätten und Glashäuser. Dann kommen die Zahlen: Bodenpreise, Bebauungsdichte, Verkehrsströme. Je größer das Areal, desto größer die Chance, mit diesen Parametern zu spielen, Kontraste zu schaffen, Ruhe und Bewegung gegen­ einander zu setzen, weite Grünräume und dicht bebaute Zonen. Die Zahlen verwandeln sich in städtischen Raum, der im glück­ lichsten Fall, wie es Le Corbusier einmal ausgedrückt hat, „als Quelle der Poesie unseren Geist aktiviert“. Auch die Wiener 290

Stadterweiterungsgebiete der letzten zehn Jahre aktivieren den Geist, allerdings nicht als Quelle der Poesie, sondern als Quelle der Enttäuschung über vergebene Chancen. An der nötigen Dimension hätte es nicht gefehlt, auch nicht an diskussionsfreu­ digen Beiräten und wohlmeinenden Konzepten. Aber letztlich hat sich die Mentalität der Liegenschaftsverwerter durchgesetzt und die Stadtplanung marginalisiert. Wo Zusammenhänge zu schaffen gewesen wären, steht Stückwerk in der Landschaft herum; wo es um die Konzentration auf die Übergangs- und Zwischen­ bereiche gegangen wäre, dominieren banale urbane Figuren, zwischen denen sich ungelöste Restflächen auftun. Ein Musterbeispiel für diesen Verlust städtebaulicher Kultur ist der Leberberg in Wien-Simmering. Hier hat man auf ein konservatives, den klassischen Stadtraum scheinbar wiederbele­ bendes Konzept gesetzt: ein annähernd halbkreisförmiger Park in der Mitte, darum herum eine Art Ringstraße mit bis zu siebenge­ schossiger Bebauung. In natura bleibt die klassische Figur eine oberflächliche Geste: Trotz großer Dichte entsteht kein klar kontu­ rierter Stadtraum, vor allem deshalb, weil die Beziehung zwischen Stadtgrundriss und Bautypologie nicht stimmt. Die Wohnhäuser selbst sind – mit wenigen ambitionierten Ausnahmen – modifizierte Zeilenbauten, die von der Banalität ihrer Grundrisse durch grelle Farben und ornamentale Details ablenken wollen. In einem solchen Kontext einen Sakralbau zu errichten ist eine besonders heikle Aufgabe. Weder in der Baumasse noch in der Höhe kann eine Pfarrkirche hier mit der Umgebung konkurrieren: Entscheidend ist die richtige Situierung. Ursprünglich wäre am Leberberg die zentrale Lage am Park dafür vorgesehen gewesen. Dort steht jetzt die Volks- und Hauptschule: ein kühler, sehr eleganter Bau der Architekten Henke und Schreieck. Der Stand­ ort für die evangelische und die katholische Kirche wurde aus

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Zwölf mal zwölf mal zwölf Meter: Der Kubus des Kirchenschiffs überragt die um einen Hof … Foto: Margherita Spiluttini

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… gruppierten Teile des Gemeindezentrums: Kindergarten und Pfarrerwohnung Foto: Margherita Spiluttini

der Achse versetzt und nimmt nun annähernd die Fläche eines jener Baublocks ein, von denen die Ringstraße gesäumt ist. Vom Park getrennt ist das Areal durch eine Erschließungsstraße und die Trasse der Straßenbahn. Im Osten anschließend entsteht gerade ein großes Einkaufszentrum. Funktionell ist dieses Ensemble durchaus legitim: Es liegt in der Mitte der Siedlung, die öffentlichen Bauten reihen sich entlang der inneren Erschließungsstraße auf. Räumlich ist die Lösung allerdings vollständig entgleist, ein ungeordnetes Nebeneinander von Formen, die aufeinander keinerlei Rücksicht nehmen. – Natürlich kann man das städtebauliche Konzept dafür nicht allein verantwortlich machen. Das Denken in größeren räumlichen Zusammenhängen wird von den Bauträgern kaum je als ein Wert erkannt. Auch beim Wettbewerb für die katholische Kirche hatte das in dieser Hinsicht überzeugendere Projekt keine Chance. Der Entwurf des Ateliers in der Schönbrunner Straße sah vor, zwischen katholischer und evangelischer Kirche einen öffentlichen Platz aufzuspannen und den zusätzlichen Nutzungen für Kindergärten und Pfarrerwohnungen eigene, intimere Freibereiche zuzuordnen. Das bauliche Konzept für die Kirche nahm das Papst-Wort von der Kirche als „gläsernem Haus“ zum Anlass, den Kirchenraum in eine Glashaut einzukleiden, hinter der es aber durchaus eine Folge von Abschirmungen gegeben hätte, ohne die ein Sakralraum nicht funktionieren kann. Ob es nun an der Idee der Transparenz an sich lag oder an der schlichten kubischen Form der Kirche: Das Projekt wurde von Kardinal Groër entgegen dem Vorschlag der Jury abgelehnt. Zur Ausführung kam der Entwurf des Dombaumeisters von St. Stephan, Wolfgang Zehetner, bei dem sich drei Baugruppen ängstlich um einen ovalen Platz zusammendrängen und der Außenwelt den Rücken kehren. Walter Michl und Walter Zschokke, die das Projekt für die Ausführung zu überarbeiten hatten, haben 292

viele Details verbessert, an dem in jeder Hinsicht kleinlichen, angesichts des Kontexts geradezu absurden Grundkonzept konnten sie aber nicht rütteln. Das evangelische Gemeindezentrum mit dem schönen Namen „Arche“ zeigt nebenan jedenfalls einen weit schlüssigeren Ansatz, mit den widrigen städtebaulichen Umständen fertig zu werden. Geplant wurde es von Christoph Thetter, der als Mitglied des Ateliers in der Schönbrunner Straße schon am Projekt für die katholische Kirche beteiligt war. Er hat alle Teile des Pfarrzentrums – die Kirche, den Kindergarten und die Pfarrer­ wohnung – in eine lang gestreckte Großform mit Innenhöfen und überdeckten Laubengängen zusammengefasst. Das Kirchen­ schiff erhebt sich als lärchenholzverkleideter Kubus von zwölf mal zwölf mal zwölf Metern aus einem hell verputzten Sockel von Nebengebäuden. Bis zur Höhe von 2,5 Metern ist der Kirchen­ raum rundum verglast, der Luftraum darüber wird von einem umlaufenden Oberlicht erhellt. Proportionen und Details sind stimmig, die Atmosphäre ist leicht und freundlich – im Umfeld der plumpen Wohnbebauung rundum tatsächlich eine Oase. Man kann sich gut vorstellen, dass ein solches Hofkonzept in einem größeren Maßstab imstande gewesen wäre, auch in der Simmeringer Heide einen sakralen, ganz besonderen Ort entstehen zu lassen. Zur Definition eines solchen Orts ist das Gemeindezentrum, wie es jetzt in seinem Umfeld steht, aber doch um eine Nummer zu klein. Auf den Fotos, die geschickt die Umgebung ausblenden, wird das nicht so deutlich spürbar. Im Überblick wirken aber selbst die gut proportionierten Baumassen der evangelischen Kirche kaum weniger verloren als jene der katholischen. Die geringe Dimension wirkt sich auch auf die Qualität der Höfe aus, die hier in ihrer axialen Anordnung mit Wasserbecken und im Raster gesetzten Bäumen schematisch und nicht wirklich brauchbar wirken. Dass ein Hofkonzept auf so engem Raum anderen Spielregeln gehorchen muss, hat Roland Rainer in einer Kirche vorgeführt, die zu den besten Beispielen eines zeitgenössischen Sakralbaus in Wien gehört, der evangelischen Kirche in der Braunhubergasse aus dem Jahr 1962. Es ist kein Zufall, dass sich Themen dieser Kirche am Leberberg wiederfinden: Es handelt sich um dieselbe Gemeinde, und einige Mitglieder des Baukomitees für den Leber­ berg waren schon damals beteiligt. Vergleicht man die beiden Kirchen, fällt vor allem auf, dass Rainer die Wege in der Anlage wesentlich präziser gefasst hat. Während es am Leberberg mehrere gleichwertige Eingänge gibt, hat Rainer den Haupteingang deutlich markiert und inszeniert von dort aus in einer spiralförmigen Bewegung die Annäherung in den Kirchenraum. Statt die Räume an einer Hauptachse aufzureihen, ordnet er sie rund um den Innenhof an und gibt der Anlage damit eine Dynamik, die den kleinen Maßstab vergessen macht. Dass die spezifische Spielart der Moderne, wie sie Rainer repräsentiert, eine elementare Kraft hat, die heute noch beein­ druckt, hat viele Gründe. Sie war sicher weniger schematisch 293

und weniger ins elegante technische Detail verliebt, und sie hat ganz allgemein mehr riskiert. Die neue Kirche am Leberberg ist technisch perfekter, ihre Formensprache ist durch viele Destilla­ tionsvorgänge seit den 60er-Jahren gereinigt, aber sie hat damit auch an Atmosphäre verloren. Bei Rainer merkt man dagegen, dass er sich einer Tradition verbunden fühlt, die er in vielen Studien zum Thema Hofhaus und Garten in verschiedensten Kulturkreisen untersucht hat. Dieser Vergleich soll die Qualität der Kirche am Leberberg nicht schmälern. Sie gehört zum wenigen, das dort architektonisch eine Rolle spielt. Als räumliche Übersetzung einer zeitgemäßen Vorstellung von Gemeinde ist sie in ihrer Transparenz und der konsequenten Ausbildung des Kirchenschiffs als Zentralraum durchaus innovativ. Gegen ihr Umfeld und gegen das Unvermögen der Stadtplanung, sie an den richtigen Ort zu stellen, kann sie freilich nichts ausrichten.

11 / 04 / 1998   

DIE SKULPTUR IM ZAUBERGARTEN

Ein mit Aluminium verkleideter Dachausbau auf dem Stall eines alten Marchfelder Bauernhauses: zwanghafte Neigung zum Besonderen? Für die Architekten Bettina Götz und Richard Manahl ist es schlicht und einfach eine zeitgemäße Lösung.

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ichts ist für Architekten schwieriger, als ein einfa­ ches Haus zu bauen. Die zwanghafte Neigung zum Besonderen ist einer der Vorwürfe, mit denen sich die Profession schon immer konfrontiert sah. Dass die meisten Architekten von sich behaupten, von diesem Zwang frei zu sein, löst das Problem nicht: Was für den einen die selbstverständlichste Sache der Welt ist, kann dem anderen als außergewöhnlich oder gar bizarr erscheinen. Ist die Frage der richtigen Form also doch nicht mehr als eine Geschmacksfrage? Das jüngste Projekt von Bettina Götz und Richard Manahl, die zusammen unter dem Namen ARTEC firmieren, könnte Anlass zu einer Diskussion dieses Problems geben. Auf das Wirtschafts­ gebäude eines alten Bauernhofes im Marchfeld, bei Raasdorf gelegen, haben sie ein neues Dach gesetzt, eine leichte, in Alumi­ nium verkleidete Holzkonstruktion, die sich in Form und Material deutlich vom Bestand abhebt. Für ihr Projekt haben ARTEC letzten Monat den „Aluminium Architekturpreis“ zugesprochen bekommen, der von der Architektenkammer, der Architektur­ stiftung Österreich und dem Aluminiumfenster-Institut ausgelobt

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wird. Was hat ein solches Objekt, wird sich mancher Betrachter fragen, in einem doch noch ländlichen Umfeld verloren? Wie passt es zu einem traditionellen, über Generationen gewachsenen Bauernhof? Für die Architekten sind diese Fragen allesamt irrele­ vant: Sie sehen in ihrem Entwurf nicht den spektakulären Kontrast, sondern einfach eine zeitgemäße Lösung, die um nichts weniger selbstverständlich ist als der Bestand. Dieser Behauptung nachzugehen ist umso interessanter, als der Bauernhof, den es hier umzubauen galt, zu jener Tradition des anonymen Bauens gehört, die in der modernen Architektur stets als vorbildlich hingestellt wurde. Zwar handelt es sich hier um kein herausragendes Beispiel, sondern um einen schlich­ ten Hof, der bis in die 50er-Jahre immer wieder ergänzt und erweitert wurde. Aber er besitzt doch großteils jene Qualitäten, die der anonymen Architektur immer zugeschrieben werden: unverkrampfte, beinahe natür­ liche Beziehung zwischen Funk­ tion und Form, Angemessenheit der Mittel, Stimmigkeit im Ganzen und im Detail. Dass es zu diesen Qualitäten keinen einfachen Weg zurück gibt, ist

längst erwiesen: Alle Versuche, an die anonyme Tradition direkt anzuknüpfen, sind an den veränderten technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen gescheitert und haben nur dazu geführt, dass diese Tradition heute fast vollständig im Kitsch ertränkt ist. Gerade Niederösterreich hat sich in dieser Hinsicht – unter dem Motto „Schön erhalten, schöner gestalten“ – einen traurigen Ruf erworben: Am liebsten hat man das Neue hierzu­ lande immer noch als Steigerungsform des Alten. Derartige Sentimentalitäten waren der Auftraggeberin, Zita Kern, im konkreten Fall fremd. Sie hatte beschlossen, ihr knappes Budget nicht in eine Generalsanierung zu investieren, sondern am Bestand nur die notwendigsten Erneuerungen durchzuführen und eine neue Heizung einzubauen, sich zugleich aber zwei lang gehegte Wünsche zu erfüllen: ein großzügiges Bad und ein noch großzügigeres Studierzimmer. Weil für sie beide Dinge nicht als Steigerungsformen des Bestands, sondern nur als etwas ganz Neues denkbar waren, beschloss sie, sich nach namhaften Architekten für diese Aufgabe umzuhören – das sei für sie im Übrigen eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und so schwer sei ihr die Wahl unter den Architekten ihrer Generation schließlich

Glas und Pappelsperrholz: Zita Kerns Studierraum im von ARTEC gestalteten Dachgeschoss, Raasdorf Präzise Konturen: Aluminiumschale über altem Stallgebäude Fotos: Margherita Spiluttini

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auch nicht gefallen. Die Randbedingungen für den Entwurf waren jedenfalls klar. Die Auftraggeberin versteht sich einerseits als Bäuerin und betreibt bis heute eine kleine Landwirtschaft. Sie züchtet Kräuter und hat in ihren besten Zeiten Wiener Restaurants mit 16 verschiedenen Sorten Basilikum beliefert. Zugleich befasst sie sich mit Literaturwissenschaft und braucht einen eigenen Platz zum Lesen und Schreiben. Wer von ihr durch den alten Hof geführt wird, merkt bald, dass ihre Beziehung zu den Dingen alles andere als pragmatisch ist, dass sie alltägliche Gegenstände mit einer Zärtlichkeit berührt, als wären sie alte Freunde. Der vorsichtige und entspannte Umgang mit dem Alten macht aber offensichtlich Mut, notwendige Erneuerungen radikal anzugehen. Es war klar, dass der Studierraum am besten auf dem Niveau des Dachgeschosses untergebracht werden sollte: In der Ebene des Marchfelds sind drei Meter über Niveau schon ein Ausguck. Weil das Dach über dem ehemaligen Stall sowieso baufällig war, stellte sich die Frage nach einer neuen Konstruktion. ARTEC konzi­ pierten – zusammen mit dem Statiker Oskar Graf – eine hölzerne Schale ohne aussteifende Diagonalen, die den Raum beeinträchtigt hätten. Die Form dieser mit Aluminiumblech verkleideten Hülle ergab sich aus geometrischen Operationen, die ARTEC schon bei früheren Projekten erprobt haben: versteckte Symmetrien und Verschiebungen, leichte Schrägen, an der Hofseite ein deutlicherer Knick, der dem Volumen hier etwas von seiner Masse nehmen soll und die Morgensonne vorbeilässt. Die Metallhaut ist über die Treppe gezogen, die unter einer Schrägverglasung seitlich am Baukörper entlang führt. Hier zeigt der Knick in der Hülle seine zweite Funktion: Er lenkt die Bewegung um 180 Grad zurück zur vollständig verglasten Stirnwand des Studierzimmers. Nach Osten zu gibt es nur ein schmales liegendes Fenster, das die Morgen­ sonne tief in den Raum lässt. Von der verfügbaren Fläche über dem Altbau ist nur eine Hälfte ausgebaut, die andere bleibt frei als Terrasse zwischen dem Studierraum und der Giebelwand des benachbarten Dachs. Ein Oberlicht an der Nordseite der Terrasse bringt Licht hinunter in den zweiten geforderten Funktionsraum, das Badezimmer. Hier finden sich dieselben Materialien wie im ersten Stock: ein grüner Gummiboden und Pappelsperrholz, zusätzlich Aluminiumplatten an den Wänden. Die Beschränkung bei der Farb- und Material­ wahl wirkt aber keineswegs spartanisch: Weil durch die leicht getönten Gläser Licht aus verschiedenen Richtungen auf die Ober­ flächen fällt, entstehen feine Farbnuancen und -überlagerungen. Auch die Außenflächen werden sich im Lauf der Jahre verändern: Die Aluminiumplatten sind nicht eloxiert und werden je nach Bewitterung eine dunklere Tönung bekommen. Im kleinen Metallmodell, das ARTEC von ihrem Projekt gemacht haben, ist die skulpturale Qualität ihrer Lösung deutlich zu erkennen. Diese Qualität spielt sich aber nicht in den Vorder­ grund, sie verhilft nur einem Bauwerk zu guter Proportion und Massenwirkung. Am Sprung vom Modell zur Ausführung wird deutlich, wie viel Gedankenarbeit in kluge Detaillösungen investiert 296

werden musste, um dem Bau die präzisen Konturen zu erhalten, denen er seine skulpturale Wirkung verdankt. Irgendwann wird das neue Dach genauso leicht bemoost und vertraut dastehen wie die alten Teile. Wird es dann auch die gleiche Qualität des Selbstverständlichen besitzen oder doch immer ein Kunstprodukt bleiben? In vielen Punkten ist der Unterschied zur anonymen Tradition gar nicht groß: Form und Funktion fügen sich unspek­ takulär zueinander, der Aufwand steht im richtigen Verhältnis zur Aufgabe, und es gibt sicher eine Stimmigkeit im Ganzen und im Detail. In einem Punkt muss sich jede wirklich heutige Lösung aber von der anonymen Tradition unterscheiden: Jene Sicherheit, die im romantischen Bild einer besseren „Architektur ohne Architek­ ten“ beschworen wird, kann sie nicht bieten. Sie bleibt riskant, weil es keine homogene Kultur mehr gibt, in der sie Stabilität gewinnen könnte. Das Bewusstsein dieses Risikos haben ARTEC einmal als eines ihrer Prinzipien benannt: Sie würden „das kraft­ volle Scheitern der sicheren Bank vorziehen“. Man sollte der verlorenen Sicherheit der anonymen Tradition trotzdem nicht allzu sehr nachtrauern. Der größeren Gefahr des Scheiterns steht eine ungleich größere Bandbreite an Lösungs­ möglichkeiten gegenüber: Die konzeptionellen Ansätze für gute Architektur sind heute so vielfältig, wie sie es wahrscheinlich nie zuvor waren. Dass gute Architektur so selten realisiert wird, ist ein kulturelles Problem: Wenn Architekturfragen einmal auf Geschmacksfragen reduziert sind, erübrigt sich die mühsame, kontinuierliche Diskussion um Qualität. Bei ihrem Haus in Raasdorf hatten ARTEC das Glück, in ihrer Auftraggeberin einen Partner zu finden, der bereit war, sich ohne Vorurteile auf diese Diskussion einzulassen. Solche Bau­ herren findet man selten – vielleicht genauso selten wie Leute, die 16 Sorten Basilikum voneinander unterscheiden können.

07 / 02 / 1998   

OASEN IN DER ZWISCHENSTADT

Stadtränder: dichte kommerzielle Zonen, deren dynamische Entwicklung sich scheinbar jeder Planung entzieht. Dass dabei nicht zwangsläufig ein urbaner Brei aus Industrie und Handelszentren entstehen müsste, zeigen Bauten im Süden Wiens.

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en Stadtrand gibt es nicht mehr. Eine leidlich scharfe Grenze zwischen dicht bebauter Stadt und ländlichem Grün ist ja schon seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kaum mehr zu finden, immer weniger kann man aber auch von einem fließenden Übergang sprechen. Die Dichte nimmt am Rand wieder zu: Außerhalb der Stadtgrenzen – längst ein 297

rein juristischer und kein räumlicher Begriff – entstehen dichte kommerzielle Zonen. Der deutsche Städteplaner Thomas Sieverts hat dieses Gebiet als „Zwischenstadt“ bezeichnet: weder Stadt noch Land, ein Gemenge aus Industrie, Handel und Verkehrs­ flächen, dazwischen ein paar Wohngebiete und die Reste längst abgestorbener Ortschaften. Städtebau lässt sich hier mit den konventionellen Mitteln des Flächenwidmungs- und Bebauungs­ plans kaum mehr betreiben. Wer gewaltige Investitionsströme so kanalisieren möchte, dass nicht nur die Investoren profitieren, darf sich nicht darauf beschränken, Linien aufs Papier zu ziehen. Vösendorf und Wiener Neudorf etwa haben sich längst in einem urbanen Brei aus Industrie und großen Handelszentren aufgelöst, der ungebremst immer weitere Verkehrsströme an sich zieht. Dass es zu dieser Frage nach wie vor keine Regionalpolitik, sondern nur eine Wiener Stadt- und eine Niederösterreichische Landespolitik gibt, ist nur eine Facette des Problems. Dass keine planerischen Strategien gefunden wurden, um aus einer dynamischen kommerziellen Entwicklung mehr zu machen als ein amorphes Gemenge, ist eine andere. Dabei könnte die Zwischenstadt ein Labor zur Erprobung unkonventioneller Strukturen sein. Beispiele dafür finden sich sogar im urbanen Brei im Süden Wiens: Etwas südlich dessen, was früher einmal der Ortskern von Wiener Neudorf war, hat die Grazer Metallbau-Firma Heidenbauer ihr Wiener Werk errichtet, einen klassischen Typus aus einer Produktionshalle und einem vorgelagerten Bauteil mit Büros, Garderoben und Wohnräumen für Wochenpendler, die aus Graz kommen und zur Montage auf Wiener Baustellen eingesetzt sind.

Front mit Logo-Qualität: Industriebau des Ateliers Domenig-Eisenköck Foto: Paul Ott

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Das Atelier Domenig-Eisenköck hat den Auftrag, ein signifi­ kantes, imagesteigerndes Objekt zu entwerfen, mit wenigen, aber starken Gesten umgesetzt: eine symmetrische Front mit zwei scheinbar schwebenden Metallkuben, der Spalt dazwischen über­ deckt von einem weit auskragenden Glasdach. Eine asymmetrisch angesetzte Rampe bricht die Symmetrie und vermittelt Dynamik. Diese Front hat die Qualität eines Logos, ganz ähnlich wie Karl Schwanzers Philips-Haus, das noch immer die Wiener Südein­ fahrt beherrscht, auch wenn sich heute hinter ihm die peinlichen Hochhauskarikaturen des „Business Park Vienna“ erheben.

Aber natürlich ist ein Logo noch keine Architektur, und so wie Schwanzers Bau erst durch seine konstruktiven und räumlichen Eigenheiten als Ganzes überzeugen kann, sind auch die Qualitäten des kleinen Industriebaus von Domenig-Eisenköck erst bei genau­ erer Untersuchung zu entdecken.

Ungewöhnlich ist die Durchdringung der einzelnen Stock­ werke, die ausschließlich räumlich durchgespielt wurde, weil es funktionell keine Beziehung zwischen ihnen gibt. Das obere Stock­ werk, in dem sich hinter der perforierten Metallfassade die Schlaf­ räume für die Mitarbeiter befinden, wird von einem kleinen, mit matten Scheiben verglasten Lichtschacht durchdrungen, der im Erdgeschoss einen doppelt hohen, von weichem Licht durchfluteten Bereich entstehen lässt. Ein Glasboden leitet das Licht von hier weiter ins Untergeschoss, wo ein heller Vorbereich zu den Umkleideräumen und zur Sauna für die Mitarbeiter entsteht. Das gesamte Erdgeschoss des vorderen Traktes ist im Wesent­ lichen eine große, verglaste Halle, in der es bis auf das Büro der Betriebsleitung keine abgeschlossenen Büroräume gibt. Der Besucher sieht rechter Hand den Sekretariatsbereich, links das Planungsbüro mit mehreren offenen Arbeitsplätzen und vor sich einen zentralen Besprechungsraum. Ein kurzer Stichgang stellt die Verbindung zur Werkshalle her. Die Treppen in den Keller und in den ersten Stock haben die Architekten besonders akzentuiert. Die Werkshalle und der Vorder­ trakt sind genau um eine Treppenbreite auseinandergerückt, und in diesem glasgedeckten Spalt führen die Treppen hinunter zu den Garderoben beziehungsweise, zusätzlich über einen eigenen Eingang erschlossen, in den ersten Stock. Dort ist den Wohnräumen eine kleine, introvertierte Terrasse vorgelagert, auf der man im Sommer sitzen kann, ohne den Blick auf die umgebenden Bauten ertragen zu müssen. Sicher ist dieses Erschließungssystem aufwendiger als sonst im Industriebau üblich, aber es schafft klare Zuordnungen von Wegen und hat überdies einen räumlichen Reiz, der den Zusatzaufwand vertretbar erscheinen lässt.

Zehn Monate Bauzeit: Verkaufshalle von Heinz, Mathoi, Strehli, Orgler Foto: Gregor Titze

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Konstruktion und Material des Gebäudes ergaben sich aus dem Wunsch des Auftraggebers, hochwertige Metallverarbeitung von der Primärkonstruktion bis zum Ausbau vorzuführen. Der Stahlskelettbau ist überall klar durchgearbeitet, der Brandschutz nicht durch Verkleidungen, sondern durch einen Anstrich gesichert. Die Oberflächen sind, abgesehen von den Glasflächen, innen und außen weitgehend aus Metall, wobei die unterschiedlichen Typen zu einer faszinierenden Lichtmodulation führen, die die „Kälte“ des Materials vergessen machen. Die durchgängige Edel­ stahlhülle der Werkshalle wird sich freilich aus Kostengründen wohl kaum als Standard im industriellen Hallenbau etablieren können. Ein paar Autominuten weiter nördlich ist unter ganz anderen ökonomischen Bedingungen eine Halle entstanden, die ebenfalls zu den wenigen unkonventionellen Strukturen in diesem Gebiet zählt. Hier handelt es sich um keinen Industriebau, sondern um eine große Verkaufshalle. Die Firma Kastner & Öhler hat die Innsbrucker Architekten Heinz, Mathoi, Strehli und Orgler beauftragt, das Konzept für die neuen GigaSport-Märkte architek­ tonisch umzusetzen. Die Märkte sollen dem Besucher den Eindruck einer großen Messehalle vermitteln, in der Produkte verschiedener Hersteller angeboten werden. Gefordert war also eine möglichst flexible Halle mit großen Stützweiten und guter natürlicher Belichtung. Zusammen mit dem Vorarlberger Holzbauunternehmen Kaufmann und dem Tragwerksplaner Konrad Merz haben die Architekten eine Lösung entwickelt, die diese Kriterien erfüllt. Attraktiv wirkt das Gebäude vor allem durch eine schräg geneigte, völlig verglaste Front zum vorgelagerten Parkplatz, die den Blick bis tief ins Innere erlaubt. Innen fällt die gute Belichtung durch die Shed-Dächer auf, und ein kurzer Blick nach oben zeigt eine unspektakuläre, aber äußerst präzise und schlank ausgeführte Holzkonstruktion. Die 2,5 Meter hohen Fachwerkträger erreichen eine Spannweite von 23 Metern. Um Volumen zu sparen, ist die Hallendecke unter die Träger gehängt, während die Shed-Dächer als ausstei­ fende Sekundärkonstruktion über die Träger gestülpt sind – ein im Prinzip aus dem Stahlbau bekannter, äußerst ökonomischer Querschnitt. Innovativ ist hier das Material: Es handelt sich nicht um konventionelle Leimbinder, sondern um Paralam, einen aus den USA importierten Holzwerkstoff, der aus langen verleimten Pappelholzfasern hergestellt wird. Dieses Material ist besser bere­ chenbar und unter bestimmten Bedingungen um 50 bis 60 % höher belastbar. Außerdem erlaubt es komplexe Holz-Holz-Ver­ bindungen, die computergesteuert aus dem Material gefräst werden können. Das Zusammenspiel derartiger neuer Technologien war auch die Voraussetzung, um Holz überhaupt unter den extrem knappen Zeitvorgaben einsetzen zu können: Von der Auftragserteilung bis zur Übergabe der fertigen Halle vergingen keine zehn Monate. 300

Dass ein derart veredelter Holzwerkstoff trotz der hohen Trans­ portkosten im Vergleich zur lokalen Konkurrenz bestehen kann, sollte der österreichischen Bauindustrie zu denken geben. Überhaupt kann man die beiden Bauten als eine kleine Attacke auf die viel zu sehr auf den Massivbau beschränkte Wiener Bau­ kultur interpretieren. Einen so effizient und elegant durchkon­ struierten Holzbau wird man in Wien kaum mehr finden, und als Stahlbau fällt mir im Grunde nur Helmut Richters Schule am Kinkplatz ein – und an deren Stahlkonstruktion hat schließlich auch die Firma Heidenbauer mitgewirkt. In der gestalterischen Wüste, von der die beiden Bauten umgeben sind, erscheinen sie als Oasen. Dennoch hätten sie in einem konventionellen urbanen Umfeld nie entstehen können. Es kann also gar nicht darum gehen, die Dynamik der Zwischenstadt planerisch „in den Griff“ zu bekommen und endlich wieder Ordnung zu schaffen. Niemand wird sich nach der Langeweile zurücksehnen, wie sie die benachbarte „Südstadt“ als ideale Stadt­ erweiterung der Nachkriegszeit vorexerziert hat. Ob es aber nicht doch Wege gibt, die aggressive Zusammen­ ballung von Investitionen in weniger chaotische Bahnen zu lenken? Würden Planer und Politiker aktiv Szenarien für die Entwicklung der Zwischenstadt vorgeben, dann hätten die dort wirksamen Kräfte endlich einen kompetenten Widerpart.

10 / 01 / 1998   

DAS, WAS SICH NICHT FASSEN LÄSST

Bühnenbildner, Ausstellungsgestalter, Bildhauer, Architekt: Friedrich Kiesler entzieht sich jeder Zuordnung. Das Wiener Historische Museum stellt diesen „Gesamtkünstler“ mit einer umfassenden Ausstellung vor. Eine Empfehlung.

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m mit dem Ende anzufangen: Friedrich Kiesler starb im Alter von 75 Jahren am 27. Dezember 1965 in New York. Bei seinem Begräbnis rollte Robert Rauschenberg einen Autoreifen durch das Kirchen­ schiff, stellte ihn in der Nähe des Sargs auf und bemalte ihn blau, gelb, grün, weiß und rot. E. E. Cummings hielt eine Rede, und das Juilliard-Streichquartett spielte Kompositionen von Mozart und Schönberg. Geboren wurde Kiesler 1890 in Czernowitz, aufgewachsen ist er in Wien. Er studierte ein Jahr Architektur an der TU Wien, danach Malerei an der Akademie. Über Professionsgrenzen hat er sich stets hinweggesetzt, vielleicht mehr als jeder andere Künstler dieses Jahrhunderts. Kiesler war Bühnenbildner und Ausstellungs­ gestalter. Er war Maler, Architekt und Bildhauer, und er verstand sich zumindest in den 30er- und 40er-Jahren auch als Vertreter 301

Friedrich Kiesler, 1890 bis 1965, in der von ihm gestalteten SurrealistenGalerie, New York, 1942

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einer neuen Wissenschaft der Gestaltung, die er als „Correalismus“ zu etablieren suchte. Aber keine dieser Zuordnungen wird Kiesler wirklich gerecht: Wer seine Skulpturen als das Werk eines Bildhauers betrachtet, seine von ihm „Galaxies“ genannten Bildensembles als Werk eines Malers und seine Theorien als wissen­ schaftliche Abhandlungen, wird seltsam unbefriedigt bleiben. Kiesler war „Gesamtkünstler“, aber er hat, wie Dieter Bogner schreibt, die traditionelle Ästhetik des Gesamtkunstwerks weit hinter sich gelassen zugunsten „einer Architecture Magique, die in der Totalität des menschlichen Wesens wurzelt“. Hauptwerke sind zum größten Teil nur über Fotografien und Werkskizzen erfahrbar: Die Bühnenbilder und Ausstellungs­ gestaltungen, für Kiesler ein wesentliches Experimentierfeld, waren temporär; das wenige, das er tatsächlich gebaut hat, ist, abgesehen vom Schrein des Buches in Jerusalem, zerstört; viele Architekturprojekte sind kurz vor der Umsetzung gescheitert. Auf Philip Johnsons spitze Bemerkung, er sei „der größte nicht­ bauende Architekt“ unserer Zeit, erwiderte Kiesler, dass er es vorziehe, nicht zu den vielbauenden Nicht-Architekten zu gehören. Die Beziehung Kieslers zu seiner alten Heimat ist ein beson­ derer Fall: Er reiste1926 zusammen mit seine Frau Stefi nach New York, um dort eine von ihm zusammengestellte Ausstellung über neue Theaterkonzepte aufzubauen. Die Reise sollte einige Wochen dauern, aber Kiesler ist nie mehr nach Wien zurückge­ kehrt. Er konnte sich in der New Yorker Kunstszene etablieren, erhielt Lehraufträge an Universitäten und erfuhr schließlich seit Beginn der 50er-Jahre umso größere Beachtung, je deutlicher der Kontrast zwischen seiner Architekturauffassung und dem funk­ tionalistischen Mainstream der amerikanischen Moderne erkennbar wurde, die sich an Gropius und Mies van der Rohe orientierte. Die Bedeutung der Wiener Architekturszene für sein eigenes Werk hat Kiesler vor allem am Anfang seiner New Yorker Zeit betont. Gegen Ende seines Lebens hat er eine Einladung Clemens Holzmeisters zu einer Ausstellung nicht ohne Rührung beant­ wortet: „Kein Brief der letzten 30 Jahre hat mich so gefreut wie der Ihre. Und glauben Sie mir, ich bin nicht sentimental. Es war wie eine Heimkehr.“ Zu einer ersten Ausstellung in Wien ist es freilich erst lange nach Kieslers Tod gekommen. Oswald Oberhuber hat sie 1975 für die Galerie nächst St. Stephan zusammen­gestellt. 1988 fand im 20er-Haus eine von Dieter Bogner kuratierte umfassende Gedenk-Ausstellung statt, deren Katalog nach wie vor das Standardwerk zu Kiesler darstellt. Dass nun auch der Nachlass Kieslers nach Wien gebracht werden konnte, ist eine Folge dieser Bemühungen um die KieslerForschung. Nach langen Verhandlungen mit Kieslers zweiter

Frau Lillian, die Kiesler ein Jahr vor seinem Tod geheiratet hatte, konnte eine befriedigende Lösung gefunden werden: Der Nachlass wird in eine Privatstiftung eingebracht, die vom Bund, der Stadt Wien, der Nationalbank und von privater Seite finanziert wird. Bei einem Kaufpreis von 3 Millionen Dollar haben es auch die Privaten verdient, vor den Vorhang zu treten: Zu den Stiftern gehören Bank Austria, die Postsparkasse, die BAWAG, die Wiener Städtische Versicherung, die Österreichischen Lotterien, die Firma Wittmann sowie der Rechts­ anwalt Hannes Pflaum, der Galerist John Sailer und Dieter Bogner. Lillian Kiesler selbst hat auf ein Drittel des Kaufpreises verzichtet, nachdem die Republik Österreich und die Stadt Wien die Ausrichtung eines alle zwei Jahre zu vergebenden und mit 750.000 Schilling dotierten „Kiesler-Preises für Kunst und Architek­ tur“ vereinbart hatten. Das Archivmaterial umfasst 2.500 Zeichnungen, dazu Notizen und Briefe sowie rund 1.000 Fotografien – angesichts des vergleichs­ weise kleinen noch erhaltenen Œuvre seine unabdingbare Grund­ lage für die weitere Kiesler-Forschung. Im Historischen Museum der Stadt Wien sind jetzt 400 Exponate zu sehen, präsentiert in großen, ruhigen Vitrinen in einer Ausstellungsgestaltung von BKK-2, die aus dem Gewinkel des Museums zumindest einen homogenen Raum macht und mit ihrer einheitlichen fleischfar­ benen Oberfläche wohl auf die für Kiesler zentralen Themen des Raumkontinuums und des Organischen anspielt. Zumindest ist der Besucher nicht von den Exponaten abge­ lenkt, die ihm in weitgehend chronologischer Abfolge dargeboten werden, von den Materialien zur Ausstellung neuer Theatertechnik, die Kiesler 1924 in Wien im Rahmen des Musik- und Theater­ festes gestaltet hat, bis zu den letzten, beinahe ausführungsreifen Plänen für das „Endless House“, dazwischen Briefe und Entwurfs­ zeichnungen sowie Skizzen. Zwar sind die Einflüsse der zeitgenössischen Strömungen, von den russischen Konstruktivisten über die De-Stijl-Gruppe, deren Mitglied er als enger Freund Theo van Doesburgs war, bis zum Surrealismus deutlich abzulesen. Aber stets hat man das Gefühl, dass Kieslers Interesse nicht dem Objekt an sich gilt, sondern der Beziehung zwischen den Objekten, der Differenz und dem Inter­ vall, also letztlich dem, was sich nicht fassen lässt. Ein für die Entwicklung in diese Richtung wesentlicher Schritt war die Gestaltung der Surrealisten-Galerie für Peggy Guggenheim im Jahr 1942: Die Bilder sind aus den Rahmen genommen und mit Distanz vor die hölzernen Schalen gesetzt, die den Raum seit­ lich begrenzen. Wer Kiesler vor allem als den Schöpfer des organisch geformten „Endless House“ in Erinnerung hat, wird in dieser Ausstellung einige Überraschungen erleben. Da ist beispielsweise ein Vortrags­ manuskript, in dem er Adolf Loos als einen der anonymen

Kieslers Skizze für einen Ausstellungsraum, 1942 Abbildungen: Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung

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Meister bezeichnet, die stets die großen Stile aller Zeiten geschaffen hätten. Oder die Spuren seiner Arbeit an der Columbia University, wo er von 1937 bis 1941 ein Laboratory for Design Correlation leitet. Als Ergebnis des ersten Forschungsjahres entsteht aufgrund einer umfassenden Analyse von Nutzungsbedingungen eine mobile Bibliothekswand, die hier mit Arbeitsfotos und Detail­ zeichnungen dokumentiert ist. Der Versuch, Gestaltung und Wissenschaft in einer Art von „Biotechnik“ wieder zu verbinden, ist im Amerika der 30erJahre durchaus en vogue, und Kieslers Beitrag wird von den führenden Proponenten gewürdigt. Als er 1931 den Wettbewerb für ein Theater in Woodstock gewinnt, eine leichte, demontier­ bare Struktur, schreibt Buckminster Fuller einen enthusiastischen Kommentar zum Projekt. Kiesler hat seinen wissenschaftsähn­ lichen Ansatz auch danach nicht aufgegeben. Im Manifest des Correalismus, 1949 in Paris veröffentlicht, finden sich die mobile Bibliothekswand und die zugehörige Analyse jedenfalls ebenso wie seine surrealistischen Arbeiten. Kieslers Werk ist heute in jeder Hinsicht aktuell: Die Idee des kontinuierlichen Raums ohne Trennung in Decke, Wand oder Stütze findet sich in den jüngsten Projekten der heutigen Avant­ garde, beispielsweise im viel publizierten Schiffsterminal in Yokohama von Foreign Office Architects. Die Ähnlichkeit ist dabei weniger auf einen direkten formalen Einfluss zurückzuführen als auf eine verwandte biotechnische Methode. Kiesler hat diesen aktuellen Tendenzen, die ihre Formen aus Kraftflüssen und Bewegungsströmen abzuleiten versuchen, aber doch etwas voraus. Auf dem Weg von der Funktion zur Form nimmt er noch den Umweg über die Vision, über das Magische und Mythische: „Form folgt nicht der Funktion. Form folgt der Vision. Vision folgt der Wirklichkeit.“

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200720 0620052004  2003200220   0120001999 1998199719 9619951994 19931992 305

20 / 12 / 1997   

NUR KEINE HANDSCHRIFT, BITTE!

Steht wieder einmal das Ende der Architektur bevor? Liegt die Rettung in der Spezialisierung? Angesichts einer Kultur, in der es keine fixen Bezugssysteme mehr gibt, plädiert Manfred Wolff-Plottegg für permanente Grenzüberschreitung.

K Seite 301  

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aum beginnen Architekten über ihre Profession nach­ zudenken, geraten sie in eine Krise. Das ist kein neues Phänomen: Man könnte die Geschichte der Architek­ tur als eine Geschichte von Krisen beschreiben, die seit dem 18. Jahrhundert etwas häufiger auftreten als zuvor. Bauinge­ nieure sind gegen dieses Phänomen vergleichsweise immun. Schlimmstenfalls leiden ihre Geschäfte unter einer schlechten Konjunktur: Vom bevorstehenden Ende ihrer Profession zu spre­ chen – „Apocalypse Now“ lautet der Titel einer gerade erschiene­ nen Aufsatzsammlung zur Situation des Architektenberufs – ist den Bauingenieuren aber noch nie eingefallen. Das liegt sicher an der zweifelsfreien Nützlichkeit des Ingeni­ eurs. Wozu Architekten wirklich gut sind, ist dagegen vergleichs­ weise unklar. Machen sie Häuser schöner? Oder praktischer? Von Friedrich Kiesler, jenem großen Visionär unter den Architekten des 20. Jahrhunderts, dessen Nachlass gerade im Wiener Histori­ schen Museum ausgestellt ist, stammt die Definition, dass der Architekt das „Überflüssige notwendig“ mache. Das wäre noch verzeihlich. Aber Kiesler setzt hinzu, dass er auch „das Notwendige überflüssig macht“. Braucht man sich da noch zu wundern, dass die Mehrheit des Publikums dem Architekten ein herzliches „Selber überflüssig!“ entgegenruft und sich an den nächstbesten Baumeister oder Generalplaner wendet? Man kann die gegenwärtige Situation des Architekten – wie es Alfons Flatscher vor kurzem in der Zeitschrift „Report“ gemacht hat – aus dieser Perspektive analysieren: Mangel an ökonomi­ schem Denken, geringe Kundenorientierung, zu wenig Speziali­ sierung. Am härtesten trifft die Kritik die Architekturschulen, die nach wie vor Generalisten ausbilden wollen, technisch ver­ sierte Künstler, womöglich noch mit sozialem und politischem Anspruch – eine zum Aussterben verurteilte Spezies. Natürlich werde kaum ein Architekt in der Praxis diesen hehren Zielen gerecht, und zum vorprogrammierten Misserfolg komme dann noch ein schlechtes Gewissen, das unter den gegenwärtigen

Marktbedingungen in blanken Zynismus umschlagen oder direkt in den Ruin führen müsse. Bevor man die Zukunft des Architekten im spezialisierten „Dienstleister mit bauspezifischer Sachkompetenz“ sieht, empfiehlt sich ein nochmaliger Blick auf das Phänomen der Krise in der Architektur. Könnte sie nicht die notwendige Folge der Differenz zwischen Architektur und Tech­ nik sein? Nach einer Definition Kants ist die technische Einheit eine empirisch gewonnene, nach zufällig sich darbietenden Absichten, die architektonische dagegen eine apriorische, nach Ideen. Architektur löst nicht ein­ fach Probleme, sondern versucht auch, ein umgreifendes Ganzes erfahrbar zu machen, innerhalb dessen Probleme erst einen Sinn und Lösungen einen Wert bekommen. Dass sie dabei seit über 200 Jahren von einer Krise in die nächste stürzt, ist die natürliche Folge einer kulturellen Situa­ tion, in der es keine fixen Bezugssysteme mehr gibt. Für eine Architektur der Moderne gibt es keinen Weg aus der Krise. Sie kann diesen Umstand aber als Chance begreifen, sich die eigenen Fundamente permanent neu zu schaffen, vorurteilsfrei und oppor­ tunistisch, also jede sich bietende Gelegenheit nutzend. Spezialisierung ist dafür kein taugliches Mittel. Wenn der Architekt beginnt, sich als Spezialist – etwa für „Bauformgebung“ – zu begreifen, wird er bestenfalls neue Moden erfinden, in der Regel aber nur die jeweils aktuellen Schnittmuster variieren. Aber was wäre das Gegenteil des Spezialisten? Der „Homo universalis“ der Renaissance? Von dem wagen Architekten heute nicht einmal mehr zu träumen. Der geniale Dilettant? Schon eher, aber diese Figur kann immer nur eine Ausnahme sein und kein Modell für eine Profession. Ein anderes – freilich gefährlich heroisches – Bild bietet sich an: der Architekt als notorischer Grenzgänger. Manfred Wolff-Plottegg, der kürzlich den Architekturpreis des Landes Steiermark zugesprochen bekam, hat sich seit 30 Jahren als ein solcher Grenzgänger betätigt. Er hat gebaut, die Sanierung des Schlosses Trautenfels etwa oder einen Wohnbau in Seiersberg; er hat allein und in Arbeitsgemeinschaft mit Künstlern Projekte realisiert, zuletzt mit Peter Kogler eine Installation in der Grazer Galerie & Edition Artelier beim „steirischen herbst“. Und er hat sich bemüht, sein Grenzgängertum theoretisch zu begründen, zuletzt in einem Buch mit dem Titel „Architektur Algorithmen“, das im Passagen Verlag erschienen ist. Den steirischen Architek­ turpreis hat er folgerichtig für seine Arbeiten zum „erweiterten Architekturbegriff“ erhalten. „Architektur Algorithmen“ ist eine Aufsatzsammlung mit einem Vorwort, das Plottegg zusammen mit Peter Weibel verfasst hat. Hier werden einige der Grenzen angesprochen, um deren Über­ schreitung es geht, in erster Linie zu den Systemtheorien und zur

„Nicht schwerkraftgebunde Umwelt“: Raumfüllende Schlauchinstallation von Manfred Wolff-Plottegg mit einer Textur von Peter Kogler Foto: Michael Schuster

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Kunsttheorie. Hinter den hier versammelten Reizworten von Chaostheorie über genetische Algorithmen bis zu autokata­ lytischen Prozessen steht ein einfacher Gedanke: „Zukunft und Freiheit fordern ein offenes System.“ Die Reizworte darf man getrost wieder vergessen, den Satz sollte man sich merken, weil er bei Plottegg keine Phrase ist, sondern Programm. Wer sich durch das Vorwort durchgekämpft hat, wird mit einer Sammlung von Aufsätzen belohnt, die neben jenen von Hermann Czech zum Originellsten gehören, das in Österreich in den letzten 30 Jahren an Architekturtheorie geschrieben wurde. Die Forderung nach dem „offenen System“ findet sich gleich im ersten Aufsatz aus dem Jahr 1969, ebenso die Diagnose, dass wir uns „in einer umfassenden, nicht schwerkraftgebundenen Umwelt befinden, in der die Bautätigkeit nur mehr eine Neben­ erscheinung ist“. Beide Aussagen sind für die späten 60er-Jahre nichts Unge­ wöhnliches, aber Plottegg interessiert sich mehr für den Planungs­ prozess als für die wohlmeinende Definition neuer Leitbilder. Projekte wie die „Metamorphose einer Stadtwohnung“ sind als Handlungsanweisungen formuliert, wobei einfache Regeln zu äußerst komplexen Raumbildungen führen: Zuerst werden alle Möbel mit einem Tuch verdeckt, dann wird Torfmull ausgestreut und bepflanzt, schließlich werden in die frei gebliebenen Wandflächen Nägel eingeschlagen. Plotteggs Programm ist eine Revolte gegen die bürgerlichen Codes der Architektur, in denen Konsumenten wie Produzenten gefangen sind. „Die völlige Geschmacklosigkeit ist mir ein Rezept gegen die permanenten Restaurierungs-, Verbesserungs-, Verschönerungstendenzen des Architektenvereins.“ Wenn das repressive Moment des guten Geschmacks überwunden ist, entstehen neue Freiräume der Gestaltung: „Ob etwas ein Entwurf ist, zeigt sich am Kriterium der Grenzüberschreitung.“ Mit dem Text „Hybridarchitektur“ erweitert Plottegg seine Theorie um den Aspekt der Digitalisierung. Die Handlungsan­ weisungen werden als Algorithmen erkannt und der Computer zum Durchbrechen oder Neuinterpretieren von Codes eingesetzt. Statt von Entwurf spricht Plottegg nun lieber von Interaktion. Der Computer wird zum Partner, der Handschrift und Stil zu vermeiden hilft. Einen ähnlichen theoretischen Ansatz vertritt auch Peter Eisenman, dessen Texte ebenfalls in der Architektur-Reihe des Passagen Verlags unter dem Titel „Aura und Exzess“ erschienen sind. Trotzdem verfolgt Eisenman ein Ziel: nämlich die „Instabili­ täten und Dislozierungen zur Darstellung zu bringen, die heute Wahrheit ausmachen“. Letztlich bildet Eisenmans Architektur doch wieder etwas ab, wenn auch nur eine Idee. Sie läuft damit Gefahr, zum Vorbild eines neuen „guten Geschmacks“ und letztlich zu einem Stil zu werden, der eine Zeitlang die Titelblätter der Architekturjournale erobert. Als Dienstleistung für den Investor wäre diese Architektur nicht mehr als das Kunsthandwerk des Medienzeitalters. Eine solche doch wieder abbildende Funktion der Architektur ist für Plottegg völlig absurd. Ihm geht es primär 308

um die Öffnung des kreativen Prozesses, um die erhöhte Beweg­ lichkeit einer „handschriftlosen, geschmacklosen, stillosen, ORT­ losen Architektur“. In seinen Bauten und Projekten sind die „autorlosen“ Algorithmen freilich in einen nach wie vor persön­ lichen Entwurfsprozess integriert. Plottegg ist der zwangsläufige Widerspruch zur theoretisch geforderten „Autorlosigkeit“ bewusst, wenn er über sein ideales Gebäude resümiert: „Ein entscheidendes intellektuelles Problem belastet mich dennoch: Dieses Gebäude würde schließlich doch an einem ORT stehen, es würde vermutlich meine Handschrift tragen, es würde so geschmacklos sein, dass es sogar mir gefallen könnte.“ Als Antwort bleibt Plottegg nur noch das Paradoxon: „Daher arbeite ich immer am übernächsten Projekt.“ Die Gedanken Friedrich Kieslers über das Notwendige und das Überflüssige in der Architektur sind nun vielleicht besser verständlich. Wenn wir die Unterscheidung ein für alle Mal zu treffen wüssten, bräuchten wir tatsächlich keine Architektur mehr. In einem solchen geschlossenen System gäbe es weder Freiheit noch Zukunft. Architektur hat nicht zuletzt die Aufgabe, die eingefahrenen Codes, mit denen diese Trennung festgelegt wird, immer wieder zu hinterfragen. Kann es etwas Erfreulicheres geben, als das notwendig Geglaubte plötzlich als überflüssig zu erkennen?

22 / 11 / 1997   

VON HIGHWAYS UND SACKGASSEN Sind Städte heute noch planbar? Kann sich die Architektur gegen den Motor der Stadtentwicklung, die Ökonomie, noch behaupten? Internationale Beispiele zeigen: Es ist möglich – politischen Willen und Lust am Gestalten vorausgesetzt.

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ien ist ruhig, Wien ist musikalisch, Wien ist weit weg – das sind die Stichworte, die amerikanischen Managern zum Thema Wien einfallen. Bei einer Städte­ bewertung im „Fortune Magazine“ kam Wien zwar kürzlich bezüglich Kultur und Lebensqualität auf den dritten Platz, als Standort für Unternehmen hat die Stadt aber einen ebenso bescheidenen Ruf wie das ganze Land: Die direkten ausländischen Investitionen, ein wichtiger Indikator für wirtschaftliche Attrakti­ vität, haben sich in den letzten Jahren kaum erhöht. Als Haupt­ ursache werden unflexible bürokratische Abläufe genannt. Die Bewilligung einer Produktionsanlage dauert in Österreich für die 309

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Hälfte aller Antragsteller länger als ein Jahr, in Deutschland nur sechs Monate. Solche Bremsmechanismen als Preis für hohe Lebensqualität hinzustellen ist gefährlich: Auf Dauer lässt sich Qualität nicht durch Verhindern sichern, sondern nur durch Gestalten. Das erfordert keineswegs die Abschaffung der Bürokratie, sondern flexiblere Verfahren und eine Mentalität, die Innova­ tionen gegenüber aufgeschlossen ist. Wenn ein Konzern wie IBM seine Osteuropa-Aktivitäten aus Wien abzieht und in Zukunft von Paris und Stuttgart aus betreiben möchte, ist das ein deutliches Zeichen, dass man diese Innovationskraft hierzulande nicht mehr vermutet. Was haben solche ökonomischen Entwicklungen mit Städtebau zu tun? Die radikalste Antwort ist, dass sie den Städte­ bau im klassischen Sinn längst ersetzt haben: die Ökonomie als dominanter Faktor einer Stadt- und Regionalentwicklung, in der Politiker und Architekten bestenfalls an der Oberfläche ein paar Akzente setzen können. Wer Milliarden zu investieren verspricht, wie Frank Stronach in den Ebreichsdorfer Magna-Globe, trifft auf eine Öffentlich­ keit, die keine eigene Vision von innovativem Unternehmertum entwickelt hat und sich deshalb dankbar deren monströse Karika­ tur verkaufen lässt. Kaum hat die Ebreichsdorfer Kugel konkrete Formen angenommen, finden sich auch in Wien Investoren für ein nicht weniger wahnwitziges Konkurrenzprojekt. Angesichts solch sprunghafter Entwicklungen stellt sich die Frage, ob Städte überhaupt noch planbar sind. Unterstellt man, dass Politiker sich in ihren Nebensätzen offenbaren, ist die grundsätzliche Skepsis jeder Planbarkeit gegenüber evident: Wo der letzte Bundeskanzler im Falle von Visionen den Arztbesuch empfahl, ließ sein Nachfolger sich gerne mit dem Satz von der Müßigkeit jedes Lebensplans zitieren. Aber natürlich geht es Politikern hier ähnlich wie Architekten: Voraussetzung für ihre Tätigkeit ist die Lust am Gestalten, und die setzt einen Plan voraus. Heute verschieben sich freilich die Gewichte: War es früher üblich, ein Ziel genau zu benennen und dann direkt darauf zuzusteuern, gilt das Interesse von Politikern wie Architekten immer mehr der richtigen „Strategie“ – ein nach außen hin möglichst gene­ rell formuliertes Ziel, dafür schnelle Positionswechsel, Ausnutzen gegnerischer Schwächen. Seine architektonische Strategie hat Adolf Krischanitz einmal in einem Interview so beschrieben: Es gehe ihm nicht länger darum, „die Widerstände der Realität zu brechen, sondern ihre Kraft vielmehr – wie in der Judo-Technik – mit einem Minimum an Aufwand umzulenken“. In diesem Trend lag auch der Wiener Stadtplanungsdirektor Arnold Klotz, als er bei der Schlussdiskussion des fünften Wiener Architekturkongresses erklärte, in Zukunft würde in Wien die „klassische Stadtplanung in die Offensive gehen“, um sich „strate­ gisches Denken und Managementdenken“ anzueignen. Dabei stellt sich vorerst die Frage, welches Denken bisher zur Anwen­ dung kam. Nachgedacht wurde ja seit Mitte der 80er-Jahre ausgiebig, vorerst über die EXPO 95, dann in einem eigenen Fachbeirat über

die Stadterweiterung – all das zusätzlich zum Stadtentwicklungs­ plan. Aber das operative Grundmuster hinter allen Entwicklungs­ plänen und den Leitzielen des Fachbeirats blieb nach der miss­ glückten EXPO-Volksbefragung die Patchwork-City, die Stadt der kleinteiligen, autonomen Lösungen. Sie zeichnet sich durch Unverbindlichkeit aus: Grundsätzlich ist alles überall irgendwie möglich oder auch nicht. Als Königsweg der Wiener Stadtplanung gepriesen, war die Patchwork-City – so Erich Raith – doch nie mehr „als die zum Highway erklärte Sackgasse konzeptioneller und formaler Belie­ bigkeit“. Die Strategie der Patchwork-City ist bestenfalls, dass man keine hat. Arnold Klotz hat konsequenterweise seine Ankündi­ gung einer stärkeren strategischen Ausrichtung der Wiener Stadt­ planung mit einer Absage an die Patchwork-City abgeschlossen: Stattdessen werde man sich stärker mit dem „Gesamtbild und mit dem öffentlichen Raum“ befassen. Sofort stellt sich die Frage: Was ist heute ein Gesamtbild? Beim Kongress im Architekturzentrum Wien präsentierten Soziologen, Politiker und Architekten Städteporträts, Stadtbilder also, aber wie schon der Titel des Kongresses vermuten ließ, ging es weniger ums Bild als um Prozesse und Operationen: „Hearts of Europe – Bypasses, Implants and Magnets for the Cities“. Damit ist angedeutet, dass es sich bei radikalen Operationen oft um Notfälle handelt. Wenn Barcelona heute zu Recht als Paradebeispiel einer offensiven Stadtgestaltung gilt, muss man sich die Situation der Stadt nach der Franco-Diktatur in Erinnerung rufen: Die Risiken einer radikalen Erneuerung waren weit geringer als jene einer Stagnation auf dem niedrigen, durch den Madrider Zentralismus der Franco-Ära verstärkten Niveau. Oriol Bohigas, Architekt der urbanen Erneuerung Barcelonas, formulierte eine plakative, reichlich generelle Zielvorgabe: „Das Zentrum hygie­ nisch, die Peripherie monumental.“ Die Umsetzung begann Anfang der 80er-Jahre mit einem „Putsch“, bei dem die bisherige Hierarchie der beamteten Stadt­ planung entmachtet und durch ein Team von jungen Architekten ersetzt wurde. Man beauftragte sie mit konkreten, rasch umsetz­ baren Projekten für Platzgestaltungen, die bald international Aufsehen erregten. 1986 erhielt Barcelona den Zuschlag für die Olympischen Spiele 1992. Die massiven Investitionen in Infra­ struktur, Sportstätten und Wohnbau wurden unter anderem dazu genutzt, benachteiligten Stadtteilen, wie dem desolaten Hafen­ viertel, eine neue Identität zu geben. Auch wenn nicht alle Reali­ sierungen gleichermaßen überzeugen, ist die Stadterneuerung und Erweiterung Barcelonas ein Beweis dafür, dass Stadtplanung nach wie vor möglich ist. Die enormen Herausforderungen, denen sich die Planer in diesem Prozess stellen mussten, hatten einen wichtigen Neben­ effekt: die höhere Qualifizierung der Planer selbst. Das jüngste Stadterweiterungsprojekt, der Delta-Plan für ein Gebiet südlich des Montjuic, in dessen Rahmen bis zum Jahr 2025 unter anderem ein neuer Flughafen und ein Logistikzentrum errichtet werden, wurde in allen seinen Prozessen nach der Qualitätssicherungsnorm 311

ISO 9000 zertifiziert. Im Bestreben, eine „kollektive Kultur der Antizipation“ zu erreichen, schließt dieser Plan Maßnahmen zur postgradualen Fortbildung von Architekten und Planern mit ein. Das Konzept von Barcelona ist nicht ohne weiteres auf andere Städte übertragbar: Zu unterschiedlich sind die Probleme, die finanziellen Mittel, die Mentalität und die lokale architektonische Kultur, von deren hohem Niveau Barcelona besonders profitierte. Eine Stadt wie Bilbao mit 25 % Arbeitslosigkeit und einer desolaten Industrie, deren Ruinen das Zentrum prägen, braucht andere Strategien. In einer Art Schocktherapie hat man sich hier entschlossen, mitten ins verwahrloste Zentrum neue kulturelle Einrichtungen zu setzen: Frank Gehrys Museum ist eröffnet, eine neue Oper soll 1998 fertiggestellt werden. Die Präsenz der Architek­ tur, die Rolle des Architekten als Identitätsstifter und Werkzeug des Stadtmarketings hat in Bilbao ein beinahe unheimliches Aus­ maß erreicht. Ob diese neuen Bauten nicht doch zu isoliert sind, um eine neue Identität zu schaffen, wird sich erst zeigen. Innen­ räume wie jene von Gehrys Museum haben aber in jedem Fall das Format, das kollektive Gedächtnis einer Stadt zum Träumen zu bringen. Ob Barcelona, Bilbao oder Neapel, wo die Substanz der Stadt durch temporäre Installationen von Künstlern wie Mimmo Paladino oder Yannis Kounellis neu ins allgemeine Bewusstsein gehoben werden soll: Am überzeugendsten sind jene urbanen Projekte, die sich als künstlerische Herausforderung deklarieren. Erfolg ist damit keineswegs gesichert: Aber zumindest bleibt ein Freiraum für ein ehrenvolles Scheitern jenseits von Technokratie und bleierner Stadtbild-Etikette.

26 / 10 / 1997   

IM LAND DER VERGOLDETEN ASCHE Kaum waren im November 1992 die letzten Glutnester in den Redoutensälen gelöscht, brach auch schon der Glaubenskrieg los: rekonstruieren oder neu gestalten? Herausgekommen ist ein Kompromiss. Fünf Jahre nach dem HofburgBrand: ein Lokalaugenschein.

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is zum Brand im November 1992 waren die Redoutensäle aus dem öffentlichen Bewusstsein so gut wie verschwunden. Von den Aufführungen der Staatsoper, die nach dem Zweiten Weltkrieg im großen Saal stattfanden, schwärmen Opernfreunde zwar noch heute, 1974 zog hier jedoch die KSZE ein und verwandelte die Räume in ein von der Öffentlichkeit hermetisch abgeschirmtes Konferenzzentrum. So war das lustvolle

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Ein Kompromiss passt immer: Der rekonstruierte Redoutensaal mit Bildern von Josef Mikl, darüber der modernistische Dachausbau mit Konferenzkugel Fotos: Hofburg Wien

Entsetzen angesichts des Brandes nicht größer als bei anderen Großbränden auch, und als staatsgefährdend wurde vorerst nur der Wasserschaden in der Winterreitschule angesehen, deren durchfeuchtete Decke die Lipizzaner zu erschlagen drohte. Als schließlich die letzten Glutnester gelöscht waren, stellte sich die Frage: Was ist da eigentlich aus- respektive abgebrannt? Die erste Erweiterung der alten Hofburg an dieser Stelle, der „Komödiensaal“, datiert aus der Zeit um 1630 und brannte schon 1699 wieder aus. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden zuerst die unmittelbar angrenzenden Bauten der Nationalbiblio­ thek und der Winterreitschule errichtet, bevor der Redouten­ trakt von Jean-Nicolas Jadot renoviert wurde: Auf Jadot gehen die Gliederung in großen und kleinen Redoutensaal und die ursprüng­ liche Ausstattung der Säle zurück. Der kleine Redoutensaal blieb seither im Wesentlichen unver­ ändert, während der große Saal immer wieder umgestaltet wurde: Balkone und Treppen wurden ein- und später wieder ausgebaut, die Pilastergliederung Jadots wurde verändert, verschwand im klassizistischen Plan Höhenrieders von 1838 ganz, um schließlich 1892 in Ferdinand Kirschners Umgestaltung wieder aufzutauchen. Die gemalte barocke Decke aus dem 18. Jahrhundert wurde durch eine Stuckdecke in wechselnden Dekors ersetzt. Die Diskussion um die Redoutensäle hatte einerseits diese historischen Fakten und damit den kunst- und kulturhistorischen Wert der einzelnen Bauteile und andererseits deren Zustand nach dem Brand in Erwägung zu ziehen. Man hätte diese Diskussion rational führen können. Aber schon bald war in den Medien von einer bösen Ahnung zu lesen: Zuerst kommt das Feuer, dann das Löschwasser – und schließlich kommen die Architekten und geben dem schönen alten Saal den Rest. Wollte tatsächlich jemand den Versuch wagen, in die Mauern der Hofburg einen Repräsen­ tations- und Veranstaltungsraum des späten 20. Jahrhunderts zu implantieren? Solche Themen lassen sich prächtig emotionalisieren. Schon bald nach dem Brand hatte der damalige Wirtschaftsminister Schüssel die Hofburg zu einem „nationalen Symbol“ erklärt. Gustav 313

Peichl stellte klar, dass „moderne Architektur dort stattfinden sollte, wo sie hingehört“, und Erhard Busek ließ als Wissenschafts­ minister „definitiv“ bekanntgeben, „dass es sich um eine Rekon­ struierung und nicht um moderne Architektur“ handeln werde, „aus dem einfachen Grund, weil nicht so viel zerstört wurde, wie man zunächst angenommen hatte“. Im Frühjahr 1993 beginnt der Streit zu eskalieren. Gottfried von Einem warnt vor der „Verschandelung“ durch eine vielleicht doch drohende „moderne“ Neugestaltung. Die Gegenseite kontert mit der Furcht vor „historischem Firlefanz“ und einem „Trugbild im Geiste des Sentimentalen“ und lobt die Vorge­ hensweise der britischen Denkmalpflege nach dem Brand von Schloss Windsor: Dort sei bereits ein Wettbewerb unter „moder­ nen“ Architekten für den Wiederaufbau im Gange. Was sich übrigens später als Märchen herausstellt: Heute kann man in Windsor eine historisierende Rekonstruktion der übelsten Sorte besichtigen. Bei einer denkwürdigen Podiumsdiskussion Ende März 1993 werden alle Argumente noch einmal vorgebracht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung aber schon gefallen: Manfred Wehdorn hatte kurz zuvor den Auftrag als Generalplaner für die Sanierung der Redoutensäle erhalten. Die notwendige Diskussion, warum in Österreich ein „nationales Symbol“ nicht entwicklungs­ fähig ist, sondern nur konserviert werden darf, bleibt aus. Von der Politik wird die Chance, Identität einmal nicht in der Vergan­ genheit, sondern in der Gegenwart zu suchen, nicht einmal ignoriert. Nur auf einer kleinen Nebenfront läuft die Diskussion weiter: Sind tatsächlich „80 Prozent der alten Konstruktion trotz des Feuers erhalten“, wie die „Kronen Zeitung“ zu berichten weiß? Für den kleinen Redoutensaal traf das sicher zu. Dort waren nur Teile der Decke eingestürzt, ansonsten aber kaum grobe Schäden zu verzeichnen. Der große Saal war dagegen offensichtlich schwer beschädigt: Decke und Dachstuhl waren völlig eingestürzt, die Sockelzone bis auf viereinhalb Meter Höhe zerstört. Scheinbar gut erhalten war nur die mittlere Zone der Wand mit ihren Stuck­ arbeiten. Aber schon bald stellt sich heraus, dass dieser ober­ flächliche Eindruck trügerisch ist. Der Stuck entzog sich jedem konventionellen Restaurierungsversuch, indem er sich bei Berüh­ rung in Staub auflöste. Hitze und Löschwasser hatten ihn in der Substanz zerstört. Kunsthistorisch wäre das kein Unglück gewesen. Stuck dieser Qualität aus dem Jahr 1892 ist in Wien noch öfter anzutreffen. Aber politisch war die Wiederherstellung eine absolute Notwen­ digkeit, wäre doch sonst die ganze Diskussion von Neuem losge­ brochen. Im Mai 1993 wurde daher ein Probefeld wiederherge­ stellt, nach dessen Vorbild die Gesamtsanierung erfolgt. Die Reste des Stucks wurden an der Wand chemisch gefestigt und teilweise in situ ergänzt. Kompliziertere Teile wie Säulenkapitelle, die schon 1892 als Versatzstuck zuerst gegossen und dann an der Wand befestigt worden waren, mussten anders behandelt werden. Ihre Reste wurden von der Wand abgenommen und in Formen gelegt, 314

die dann neu ausgegossen wurden. Sensationell daran war weniger das Verfahren an sich, sondern die Bereitschaft, so viel Aufwand in die Erneuerung und Ergänzung eines kunsthistorisch so unbe­ deutenden Bestandes zu investieren. Dort, wo im großen Saal nichts mehr erhalten war, sollte, ganz im Sinne einer wissenschaftlich orientierten Denkmalpflege, im „Stile unserer Zeit“ gearbeitet werden. In diesem Punkt hat sich Wehdorn gegen das Bundesdenkmalamt durchgesetzt, das eine Rekonstruktion der Decke des großen Saals für durchaus machbar gehalten hätte. Vor Jahren entschied das Denkmalamt bei einem anderen Bau Jean-Nicolas Jadots, der heutigen Akademie der Wissenschaften, in einer ähnlichen Frage noch für die Rekonstruk­ tion: 1962, nach dem Brand des Festsaals, hätte Oskar Kokoschka dort die Decke neu malen sollen. Stattdessen kam eine Kopie des Barockfreskos nach alten Fotos zur Ausführung. Josef Mikls Deckenbild im Redoutensaal ist freilich ein anderer Fall. Es ist keine architekturbezogene Monumentalmalerei, die Kokoschka noch zuzutrauen gewesen wäre, sondern einfach ein sehr großes, an der Decke befestigtes und durchaus schön anzu­ sehendes Bild. Da ist es nur konsequent, dass Mikl sich weigerte, die Kabel der Beleuchtungskörper durch sein schönes Bild zu führen (obwohl das in der Ausschreibung für den Wettbewerb so gefordert war); jetzt hängen die Lampen am Rand und müssen sich dort einigermaßen schlank machen. Das alles geht freilich auf Kosten des räumlichen Gesamtein­ drucks. Zwar sind überall die historischen Schichten klar heraus­ gearbeitet, das Ergebnis ist jedoch mehr ein Präparat als ein Raum, in dem sich die Teile – wie im kleinen Redoutensaal – zu einem Ganzen verbinden. Ähnlich verhält es sich auch mit vielen Ergänzungen, die um die eigentlichen Säle herum eingefügt wurden. Überall, so sagt der Architekt, wo Neues eingefügt wurde, sei „in der Sprache des Jahres 1997“ gearbeitet worden. Aber beschränkt sich die wirklich auf Edelstahl, Glas und polierten Marmor? Ist nicht diese Zuord­ nung von Materialien zu einer Epoche überhaupt unmöglich und bedient letztlich nur die gängigen Klischees, die sonst gegen die Moderne vorgetragen werden? Im Dachgeschoss führt Wehdorn vor, was er selbst unter moderner Ästhetik versteht. Hier ist das Pressefoyer entstanden, ein Raum, der über die ganze Länge der beiden darunterlie­ genden Säle geht. Eine Leimbinderkonstruktion, aufgeladen mit Hightech-Accessoires, trägt das Dach. An der Nordseite belichtet ein riesiges Fenster den Raum. Dann, etwas im Hintergrund und ein Halbgeschoss abgesenkt: die Kugel mit der Verkleidung aus blauem Glas. Hier, in einem hermetisch abgeschlossenen Konferenz​raum, soll während der EU-Präsidentschaft Österreichs der EU-­ Ministerrat tagen. Zwei Brücken verbinden das Kugelinnere mit der Außenwelt der wartenden Journalisten. Der ikonologische Gehalt dieser Anlage ist schwer zu bestimmen: Sie hat jedenfalls gute Chancen, zum Symbol eines postmodernen Kakanien zu werden. 315

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Wenn die Redoutensäle am Nationalfeiertag ausgerechnet mit Ausschnitten aus Opern Leopolds I. eröffnet werden, sollte man sich an einen Satz von Gustav Mahler erinnern: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche. In Wien ist es in den letzten 50 Jahren meisterhaft gelungen, die Asche zu vergolden. Kompromisse wie hier in den Redoutensälen oder beim viel wichtigeren Projekt des Museumsquartiers werden daran nicht viel ändern.

27 / 09 / 1997   

DIE MASCHEN DER WIRKLICHKEIT

An der hiesigen Bautradition hat sich Jean Nouvel bei der Planung seiner Wohnhaus­ blöcke in Wien-Floridsdorf orientiert. Und hat dabei zwischen Schrebergärten und Schnellstraßen so etwas wie städtische Ordnung hergestellt.

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tararchitekten sind Markenartikler. Wer bei Richard Meier kauft, wird stets denselben im Quadratraster arrangierten Corbusier-Ver­ schnitt bekommen, ganz gleich, ob er ein Rat­ haus für Amsterdam oder ein Museum für Barcelona bestellt hat. Frank Gehry garantiert skulptural-dekonstruktive Lieferungen eher organischen Zuschnitts, während bei Zaha Hadid Ähnliches in kantenbetonter Ausführung zu erhalten ist. Natürlich haben diese Architekten Qualitäten jenseits solch ober­ flächlicher Zuordnungen: Ihr internationaler Marktwert gründet sich jedoch in erster Linie auf formale Exklusivität. Jean Nouvel, der sicher zur Spitzengruppe internationaler Architekturstars gehört, fällt in dieser Hinsicht aus dem Rahmen. Seine Bauten zeigen kein gemeinsames Repertoire, Formen und Materialien wechseln von Projekt zu Projekt: Das Kulturzentrum in Nantes ist ein schwarzer Quader mit einer Außenhaut aus Gitter­ rosten; die Fondation Cartier in Paris ein reiner, entkernter Glas­ kubus; die Mediathek in Nîmes wollte Nouvel völlig unter Erd­ niveau legen; mit dem „Tours sans fins“ in La Défense mit seiner Fassade aus schwarzem Marmor und bedrucktem Glas lieferte er den Entwurf für das höchste Hochhaus Europas. Nouvels bekanntester Bau ist das Institut du Monde Arabe in Paris, bei dem er formale Elemente der islamischen Architektur in eine technoide Struktur übersetzt hat, die sich auf den zweiten Blick als ironischer Kommentar zur Ideologie des Hightech zu erkennen gibt: kein kraftvoller Organismus, wie es noch das Centre Pompidou sein wollte, sondern ein kunstvoll arrangiertes Neben­ einander technischer Finessen. Für Wien hat Nouvel einen Entwurf zur geplanten EXPO 96 gemacht und einen für den

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Neubau der Generali-Versicherung am Schwedenplatz. Sein Versuch, einem sachlichen Bürohaustypus ausschließlich durch die Behandlung der Fassade Würde und Poesie zu verleihen, konnte in Wien auf kein Verständnis treffen. Der Auftrag ging an Hans Hollein und damit an einen Wiener Markenartikler mit Hang zum Skulpturalen. Als Kompensation darf Nouvel für denselben Bauherrn ein Bürohaus in Vorarlberg bauen. Im Wohnbau hat Nouvel in Wien zuletzt mit seinem Beitrag für den Umbau der Gasometer in Simmering von sich reden gemacht. Sein Projekt ist das einzige unter den jetzt geplanten, bei dem das Industriedenkmal nicht zur Kulisse degradiert wird, sondern die Einbauten sich der strukturellen Logik der Gasometer

anpassen. Der faszinierende Innenraum des Nouvel’schen Entwurfs mit seinen spiegelnden Metallverkleidungen könnte zumindest klaustrophobieresistente Gemüter überzeugen. In der Leopoldauer Straße im 21. Bezirk hat Nouvel eine Anlage mit 75 Wohnungen geplant, die eben fertiggestellt wurde. In einer Umgebung, die im Wesentlichen aus Schrebergärten und Schnellstraßen besteht, versuchte Nouvel hier so etwas wie städ­ tische Ordnung herzustellen. Viergeschossige Zeilen bilden eine Art Blockstruktur, die an den Ecken offen bleibt, um Stiegenhäuser und Durchgänge aufzunehmen. Im Inneren dieses lockeren Blocks findet noch ein freistehendes Gebäude Platz. Den geringen Anteil an gemeinsamen Grünflächen, der sich aus der dichten Bebauung ergibt, hat Nouvel durch die Schaf­ fung von jeweils den Wohnungen zugeordneten Freibereichen kompen­siert. Jede Wohnung im Erdgeschoss hat zur Straße hin einen Garten und auf der Hofseite eine Terrasse. Markiert sind diese Bereiche nicht durch den üblichen Maschendrahtzaun, sondern durch tiefe Tröge aus Stahlbeton, die von den Bewohnern bepflanzt werden sollen.

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Poesie der Vorstadt mit monumentalen Zügen: Wohnbau Leopoldauer Straße von Jean Nouvel Foto: Gregor Titze

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Als Trennung zwischen den einzelnen Gärten beziehungsweise Terrassen hat Nouvel ein Element entwickelt, das den Charakter der Siedlung wesentlich bestimmt: meterhohe Rankgerüste aus Stahl, die im jetzt noch unbepflanzten Zustand eher an ein Umspannwerk erinnern, aber im Lauf der Zeit zu grünen Wänden werden sollen. Im Zusammenhang mit diesem Element muss auch die Wahl der dominierenden Gebäudefarbe gesehen werden: Alle Außenwände sind in einem dunklen Weinrot gestrichen, die Betontröge vor den Wohnungen ebenso wie die Holzverschalung der Fassade und die Verblechung des Dachs und der Gesimse. Das dunkle, erdige Rot gibt dem an sich schon gedrungenen Bau­ körper zusätzliche Schwere, vor der die Bepflanzung umso stärker zur Wirkung kommen wird. Um Freibereiche auch für die Bewohner der oberen Geschosse zu schaffen, hat Nouvel seine Baukörper terrassiert: Das erste und zweite Geschoss bilden einen breiteren Sockel, die beiden Ober­ geschosse springen zurück. Bis auf die Räume im Dachgeschoss verfügt damit jeder Wohn- beziehungsweise Schlafraum über seinen eigenen vorgelagerten Freibereich. Große Fenstertüren erlauben in diesen Räumen eine enge Verbindung zwischen Innen und Außen. Schiebeläden mit verstellbaren Lamellen sorgen bei Bedarf für die nötige Abschirmung. Die Wohnungen selbst sind großteils Maisonetten. Bei den meisten Typen führt der Eingang über einen kleinen Windfang direkt ins Wohnzimmer, Nassbereiche sind in der dunklen Kern­ zone der tiefen Baukörper zusammengefasst. Dieser Grundriss­ zuschnitt ist ungewohnt, spart aber Erschließungsfläche und macht die Wohnungen großzügig – „Nur eine große Wohnung ist eine schöne Wohnung“, hat Nouvel einmal das Leitmotiv seiner Wohnungskonzepte umrissen. Trotzdem geht es in diesen Grundrissen nicht nur um Fläche: Nouvel legt offensichtlich großen Wert auf symmetrische und manchmal geradezu klassische Zuschnitte, beispielsweise bei einigen Maisonette-Typen mit zentraler Wohnhalle. In seiner Projektbeschreibung weist Nouvel darauf hin, dass er durchaus eine persönliche Interpretation des Wiener Kontexts im Sinne hatte. Wien ist für ihn ein Ort, an dem sich byzanti­ nischer Überschwang mit dem Gefallen an der Strenge der Geome­ trie trifft, zugleich jene Stadt, der es „innerhalb zweier kurzer Jahrzehnte gelungen ist, Psychoanalyse, Zionismus, Zwölfton­ musik, Expressionismus, moderne Architektur und Kunst­kritik zu erfinden oder wiederzuentdecken, und die während der zweiten Jahrhunderthälfte mit Pichler, Hollein, den Haus-­Ruckern und Coop-Himmelb(l)au den Traum der Avantgarde auferstehen ließ“. Er selbst habe sich in seiner Interpretation des Genius loci an der „Radikalität von Adolf Loos und der Freiheit von Josef Frank“ orientiert, weil sie das „moderne“ Wien am greifbarsten repräsen­ tierten: „Der Fremde muss sich hier bescheiden, ja sogar etwas schüchtern verhalten und versuchen, seinen Beitrag, der auf jeden Fall exotisch sein muss, respektvoll anzupassen.“ Exotisch ist Nouvels Wohnbau schon deswegen, weil er viele gängige Trends unterläuft: eine elementare tektonische Lösung, 318

zugleich aber ein Baukörper mit klarer Physiognomie, der bewusst historische und symbolische Referenzen sucht. Die Qualität von Nouvels Arbeit liegt generell in der Verweigerung jedes Konfor­ mismus, in der radikalen, forschenden Auseinandersetzung mit einer vielfältigen und jeweils einzigartigen Realität. „Ich glaube nicht an Generalisierungen, an kein Modell. Mich interessiert die Poesie einer Situation und das Aufspüren von Bedeutungen in einem Kontext der Pluralität.“ Dass die Realität des Wohnbaus in Wien nicht an den Qualitäts­ ansprüchen von Loos oder Frank gemessen werden darf, musste Nouvel bei der Ausführung seines Projekts gleich in mehreren Punkten erfahren. In der Durchführung durch einen General­unter­ nehmer blieben einige Elemente, wie die ursprünglich geplanten schlanken Kamine, die dem Gebäude eine ganz andere Silhou­ ette gegeben hätten, gänzlich auf der Strecke. Anderes wurde in veränderter Qualität ausgeführt, die Rankgerüste etwa, wo statt glänzendem Edelstahl eine matte, pulverbeschichtete Lösung zum Einsatz kam. Verändert wurde auch das Erschließungssystem. Ursprünglich hätten die Treppenhäuser nur überdacht werden sollen; um Auseinandersetzungen mit Baupolizei und zukünftigen Mietern zu vermeiden, wurden sie schließlich völlig geschlossen – eine teure und ästhetisch unglückliche Maßnahme. Dass auch die räumliche Qualität und die Logik der Bewegung zum Komfort eines Treppen­ hauses zu rechnen sind, hat bei dieser Entscheidung offenbar keine Rolle gespielt. Wer jetzt aus dem geschützten Treppenhaus erst wieder auf eine offene Terrasse muss, bevor er seine Wohnung betreten kann, wird zu Recht irritiert sein. Die nachträgliche „Einhausung“ der Treppe zeigt Nouvel schließlich als das, was sie ist: Der Glas­ kobel reicht so knapp an das weit vorkragende Dach, das ursprüng­ lich zum Schutz der Treppe vorgesehen war, heran, dass es weh tut. Noch in einem anderen kleinen Detail wird die Psychopatho­ logie der heutigen Wohnbau-Realitäten deutlich: Weil Nouvel alle Freibereiche baulich markiert hat, wären zusätzliche Abgren­ zungen eigentlich überflüssig. Trotzdem wurden entlang der Grenzlinien Zäune aus Maschendraht errichtet, die streckenweise die Pflanzentröge begleiten, dann wieder einen Hofbereich in zwei ungleiche Teile zerschneiden, als wollte die Juristerei der Architektur zeigen, wer Herr im Haus ist. Man darf nur hoffen, dass sich dieses Verhältnis irgendwann wieder umkehrt.

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03 / 05 / 1997   

KOMFORT MIT ECKEN UND KANTEN

Wohnen im Raum, nicht im Zimmer: Nach diesem Prinzip hat Anton Schweighofer in Wien-Simmering ein Haus gebaut – und die Behauptung widerlegt, im geförderten Wohnbau gehe es nur darum, standardisierte Grundrisse kostengünstig zu reproduzieren.

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rüher einmal, da wohnte der Wiener in Zimmer, Küche, Kabinett. Der gründerzeitliche Spekulationsbau hat diese Kombination aus quadratischem Wohnraum und zwei schmalen Nebenräumen tausendfach addiert, zu Mietshäusern gestapelt und ganze Stadtviertel aus ihnen errichtet. Dass dieser Typus auch Qualitäten besitzt, ist unbestritten. Die Raumproportionen sind gut, und die einfache, repetitive Geometrie bietet die Möglichkeit zur Anpassung an geänderte Bedürfnisse. Als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse ist das gründer­ zeitliche Zinshaus weit weniger sympathisch. Es ist eine Degene­ rationsform des bürgerlichen Wohnhauses, in der nicht das Wohnen, sondern die Rendite im Mittelpunkt steht. Während das bürgerliche Wohnhaus das vielfältige Wechselspiel zwischen öffentlichen und privaten Verpflichtungen zum Ausdruck brachte und damit um sich herum Urbanität erzeugte, beschränkt sich der Beitrag des Zinshauses zur Stadt auf die Fassade. Dahinter reiht sich Zimmer an Zimmer, monoton geordnet, ohne jene eigenständige Verfassung, die aus den Zimmern erst eine Wohnung und aus der Wohnung eine Heimat machen könnte. Ist die heutige Wohnbaupraxis dieser Haltung tatsächlich so weit überlegen, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat? Was den Komfort, die Wohnungsgröße und die technische Ausstat­ tung betrifft, ist das natürlich keine Frage. In all diesen Punkten haben sich Standards eingebürgert, die kein Bauträger zu unter­ schreiten wagt. Die prekäre Beziehung zwischen privater und öffentlicher Sphäre ist dagegen ein Thema, dessen Vernach­ lässigung kaum jemandem Kopfzerbrechen zu bereiten scheint. Solange es um Reihenhäuser oder verdichtete Teppichsied­ lungen geht, ist das weniger problematisch: Hier impliziert die Aufgabe an sich das Nachdenken über Grenzen und Übergange

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vom Öffentlichen zum Privaten. Beim mehrgeschos­ sigen Wohnbau dagegen, der ja derzeit aus ökono­ mischen Gründen in Wien wieder absolute Priorität hat, scheint man in dieser Frage aber ungestraft noch unter das Niveau des Zinshauses zurückfallen zu dürfen. Jedenfalls über­ wiegen nach wie vor die Fälle, bei denen – angeblich Urbaner Block mit inneren Schrägen: Gesamtansicht und Grundrissausschnitt mit zentralen Wohnräumen Foto: Margherita Spiluttini

im Interesse der Bewohner – nur die Maximierung von Nutzfläche betrieben wird. Wie sehr letztlich auch die Bewohner davon profitieren können, wenn man die Beziehung zwischen Haus und Stadt ernsthaft thematisiert, beweist ein jüngst nach dem Entwurf von Anton Schweighofer fertiggestelltes Wohnhaus in Wien-­ Simmering. Es ist ein Bau von eindeutig urbanem Charakter, ein lang gestreckter, zur Kaiser-Ebersdorfer Straße hin fünfgeschos­siger Riegel mit markant ausgeformten Ecken, der an den Seiten auf drei Geschosse reduziert ist und dort präzise an die gründerzeit­ liche Bebauung anschließt. Was sofort auffällt, ist der tiefe Vorgarten an der Hauptstraße, der jetzt noch etwas kahl wirkt, aber im Laufe der Zeit einen grünen Filter vor das Haus setzen wird. Der Vor­ garten ist teilweise den Wohnungen im Erdgeschoss zugeordnet, teilweise schafft er großzügige Vorbereiche vor den Eingängen ins Haus. Das Flächenpotenzial ist damit zwar nicht ganz ausgeschöpft, der Bauherr ließ sich aber davon überzeugen, dass der tiefe Vorgarten die Qualität der Wohnungen steigern würde. Im Erschließungssystem setzt sich diese Großzügigkeit fort: Statt das Stiegenhaus auf ein Minimum zu reduzieren, hat Schweighofer daraus einen lichtdurchfluteten Raum gemacht, der durchaus auch zum Verweilen einlädt. Abgeschlossen ist dieser Raum durch einen gläsernen Wintergarten, der als großer, ruhig proportionierter Kasten genau so weit über die Putzfassade vorspringt, dass man beim Begehen der Treppe immer wieder aus dem Baukörper herauszutreten vermeint und einen Blick nicht nur auf die andere Straßenseite, sondern weit in die Kaiser­-Ebers­ dorfer Straße hinein werfen kann. Die Stiegenpodeste sind hier über das notwendige Maß hinaus zu kleinen, zwischen den Stockwerkniveaus schwebenden Plattformen erweitert, die sich 321

Studentenheim in Wien Favoriten: Wohnen in der Box, gemeinsame Innenzone

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die Bewohner im Lauf der Zeit aneignen werden. Mit ihrem raffinierten Spiel aus Symmetrie und Asymmetrie prägen zwei solcher verglaster Stiegenhäuser den Mittelteil der Fassade. Die Ecken des Baukörpers sind dagegen als massive Blöcke ausgeformt. Im obersten Stock lösen sich diese Blöcke in ein Gerüst aus Rahmen auf, die ihrerseits einen achteckigen Turm einfassen. Eine solche Verbindung zwischen der Sprache der klassischen Moderne und einer in der klassischen Tradition verankerten Geometrie hat Schweighofer schon oft durchexerziert. Bemerkenswert ist hier allerdings, wie sich diese Spannung bis in die Grundrisse der Wohnungstypen verfolgen lässt. In den Ecktypen findet sich eine Variante dessen, was Schweighofer als „Kreuzgrundriss“ bezeichnet: Vier annähernd quadratische, in ihrer Nutzung nicht genau vorbestimmte Raum­ einheiten umschließen einen kreuzförmigen Innenbereich, der zum gemeinsamen Wohnen und zur Erschließung der umliegen­ den Einzelräume dient. Bei seinen Wohnbauten der späten 80er­Jahre hat Schweighofer dieses Prinzip erprobt, und es hat sich trotz anfänglicher Bedenken bezüglich der Möblierbarkeit und der Belichtung gut bewährt. Dass dieser Wohnungstyp nicht nur einfach eine gemeinsame Innenzone, sondern auch eine geometrisch klar definierte Mitte hat, auf die sich die anderen Räume beziehen, wird bei den Dach­ wohnungen mit ihrem achteckigen Turmaufbau, der den Zentral­ raum noch überhöht, deutlich. Einem verwandten, aber in der räumlichen Wirkung gänzlich anderen Prinzip gehorchen die Wohnungen an den verglasten Stiegenhäusern. Auch hier gibt es ein gemeinsames Innen, aber es gibt keine geometrisch fixierte Mitte mehr. Indem einer der vier umliegenden Einzelräume um 45 Grad gedreht wird, löst sich der Kreuzgrundriss auf: Es entsteht eine fließende Innenzone, die hier noch durch zwei diagonal eingestellte, tragende Säulen an Komplexität gewinnt. Zur Fassade hin ist diese Innenzone durch einen im Grundriss trapezförmigen Wintergarten erweitert. Natürlich ist ein Raumgrundriss mit elf oder mit fünf Ecken für die übliche Wohnvorstellung eine gewisse Zumutung: Als Abstellraum für das standardisierte Programm der Möbelhäuser taugt diese Wohnung nur bedingt. Dafür sieht Schweighofer ein größeres Potenzial zur individu­ ellen Gestaltung, und wer Mobiliar tatsächlich als leicht und mobil versteht, hat hier sicher mehr Freiheiten als üblich. Die Idee einer fließenden, gemeinsamen Innen­ zone, die zwischen individuell genutzten Einzel­ räumen entsteht, hat Schweighofer bei seinem wichtigsten jüngeren Bau, einem Studentenheim im zehnten Bezirk, entwickelt. Dort lag die Zumutung an die Bewohner vor allem darin, sich für ihren privaten Bereich auf einen Raum von 2,3 mal 2,8 Meter – wenn auch bei einer „hochbettfähigen“ Raumhöhe von drei Metern – zu beschränken. Obwohl man dem Gebäude anfangs zwar guten Willen, aber Unkenntnis der tatsächlichen, angeblich rein individualistisch

geprägten Bedürfnisse studentischer Nutzer nachgesagt hatte, hat sich das Konzept zum allgemeinen Erstaunen ausgezeichnet bewährt. Die Bewohner haben dort praktisch umgesetzt, was Anton Schweighofer mit der Idee eines „Wohnens im Raum und nicht im Zimmer“ zu umschreiben versucht: Wo das „Wohnen im Zimmer“ den individuellen Besitzanspruch an ein paar Quadrat­ metern Fläche benennt, versteht Schweighofer unter „Wohnen im Raum“ eine Form des Wohnens, die ihre Qualität aus dem Zusam­ menspiel der Räume gewinnt. Die kleinste individuelle Einheit ist zwar durchaus abschließbar; indem sich diese Einheiten zum gemeinsamen Innenbereich öffnen, können sie aber, im Gegen­ satz zu einer Gang-und-Zimmer-Lösung, zueinander in Beziehung treten. Von einem kollektiven Wohnen kann man dabei aber nur bedingt sprechen. Der Ausgangspunkt der Betrachtung ist für Schweighofer stets das Individuum, dem die Möglichkeit geboten wird, sich seinen Wohnraum aktiv anzueignen und über die Grenzen hinaus zu erweitern. Dieses Prinzip gilt in der Kaiser­-Ebersdorfer Straße im Inneren der Wohnung genauso wie im räumlichen Überfluss der Erschließungsbereiche. Dass vom Bewohner dabei Offenheit und Konfliktfähigkeit erwartet werden, ist sicher auch eine gewisse Zumutung. Ob die Wiener Mentalität damit zurechtkommt, bleibt abzuwarten. Die Behauptung, innerhalb der engen und immer enger werdenden Grenzen des geförderten Wohnbaus gebe es, wenn überhaupt, nur noch eine einzige Aufgabe für die Architektur, nämlich standardisierte Grundrisse immer kostengünstiger zu reprodu­ zieren, hat Schweighofers Bau jedenfalls schon jetzt widerlegt.

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22 / 03 / 1997   

AM ENDE DER WILDEN JAHRE Mit dem Versuch, eine Kunsthalle nach ihrem Geschmack durchzudrücken, setzen steiermärkische Landespolitiker das internationale Ansehen des Landes als Standort hochwertiger Architektur aufs Spiel. Eine Intervention.

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rst Salzburg, dann Linz und jetzt Graz: Kultur in den Berg zu bauen ist offensichtlich in Mode. In Salzburg hätte es das GuggenheimMuseum werden sollen, in Linz der Neubau eines Landestheaters im Schlossberg. Da darf Graz nicht zurückstehen: Direkt unter dem Uhrturm soll eine Kunsthalle als Erweiterung der Neuen Galerie in den Fels gesprengt werden. Der Standort mag zwar für all jene Kunstliebhaber seinen Reiz haben, die im Museum die Schätze der abendländischen Kultur sicher geborgen sehen wollen. Ausstellungstechnisch ist er insofern weniger ideal, als Berge im Allgemeinen keine Fenster haben. 323

Das lässt sich freilich ändern. Der Architekt Klaus Gartler, auf den der Plan zurückgeht, hinter dem Palais Herberstein den Fels auszuhöhlen und die Öffnung mit einer geneigten Glas­ fläche abzudecken, rühmt die „Unique Selling Proposition“ dieser Idee, also die einzigartige Anziehungskraft, die Graz durch diese Maßnahme auf dem Tourismusmarkt entwickeln könnte: „Die Architektur des Schlossbergfensters als vorgestellte Fassade lässt eine diesem stadthistorisch bedeutsamen Ort adäquate, einzig­ artige städtebauliche Lösung im Sinne des viel zitierten USP erwarten.“ Das klingt vielversprechend. Trotzdem fragt sich der Beob­ achter, ob es in Graz nicht andere geeignete Standorte für das Projekt „Kunsthalle“ gibt. Klaus Gartler hat im Auftrag der Stadt Graz eine Standortuntersuchung durchgeführt, und sein Schlossbergfenster ist nur eine der in dieser Studie genannten Möglichkeiten. Als gleichwertig bezeichnet Gartler den Pfauen­ garten, ein lang gestrecktes Grundstück, das auf dem Niveau der alten Befestigungsmauern direkt an den Stadtpark angrenzt. Eine Kunsthalle an dieser Stelle käme an der Verbindung zwischen dem Stadtpark und dem dicht bebauten alten Stadtkern zu liegen und würde sich mit dem Schauspielhaus, dem Künstlerhaus und dem Forum Stadtpark zu einer schlüssigen urbanen Struktur ergänzen. Ein einziges Argument spricht gegen diesen Standort: dass nämlich hier bereits eine Kunsthalle geplant war. 1988 wurde dafür ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die Architekten Schöffauer und Tschapeller für sich entscheiden konnten. Als für das Projekt 1995 endlich alle baurechtlichen Bewilligungen vorlagen, wurde es Opfer der Pattstellung, von der die steiermär­ kische Politik seit dem Verlust der absoluten Mehrheit der ÖVP im Jahr 1991 geprägt ist. Hatte die SPÖ ursprünglich dem Projekt zugestimmt, verlegte sie sich jetzt aufs Blockieren: Die bereits gesicherte Finanzierung wurde eingefroren. Als nach der Wahlniederlage 1995 das Kulturressort an die SPÖ überging, sah der neue Landesrat für Kultur, Peter SchachnerBlazizek, die Chance, mit einem neuen Projekt eigenständiges Profil zu zeigen. Der neue Standort ist freilich nicht ohne Tücken: Jener Teil des Schlossbergs, unter dem das Museum errichtet werden soll, wurde erst vor zehn Jahren als „geschützter Landschaftsteil“ gewidmet; die ersten Proteste von Umweltschützern gegen Verän­ derungen an der Oberfläche haben bereits eingesetzt. Ähnliche Argumente werden aus der Sicht des Ensembleschutzes vorge­ bracht, gilt doch die Dachlandschaft in diesem ältesten Teil der Stadt als besonders schützenswert. Von einem großzügigen Schloss­ bergfenster ist schon längst keine Rede mehr. Auch wirtschaftlich ist die Entscheidung für den neuen Stand­ ort fragwürdig. Zwar soll das Museum im Schlossberg annähernd gleich viel kosten wie das Trigon; während dort aber über 4.400 m2 Nutzfläche geplant waren, sind es im Schlossberg nur 2.500 m2. Eine Untersuchung über die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts liegt jedenfalls bis heute nicht vor. 324

Nun würde man es einem Privatmann nicht verübeln, wenn er seine Meinung ändert und beschließt, sein Geld eben an einem anderen Ort zu verbauen. In diesem Fall liegt die Sache aber anders: Immerhin geht es um öffentliche Mittel, zu denen auch noch die verlorenen Planungskosten für das Trigon kommen, und die betragen bereits über 16 Millionen Schilling. Für diesen Betrag liegt ein praktisch baureifes Projekt höchster architektonischer Qualität vor, das über mehrere Jahre konzeptio­ nell verfeinert wurde, ohne an künstlerischer Substanz eingebüßt zu haben, was im Übrigen auch in Gartlers Studie dezidiert fest­ gehalten wird. Dort findet sich auch eine weitere Anmerkung: Falls die neue Kunsthalle bereits für die Landesausstellung im Jahr 2000 genutzt werden soll, „ist das Projekt im Pfauengarten das einzig machbare“. Der Beschluss der Landesregierung vom 25. September 1996, alle Planungen am Trigon-Museum zugunsten des Schlossbergs einzustellen, ist zwar mit Hinweis auf Gartlers Studie begründet; trotzdem wird ausdrücklich festgelegt, dass die neue Kunsthalle im Jahr 2000 fertiggestellt sein muss. Was das bedeutet, kann man bereits jetzt, in der ersten Phase der Projektabwicklung, beobachten. Die Ausschreibung des Wett­ bewerbs geriet zum Chaos: Von neun Jurymitgliedern waren bei einer konstituierenden Sitzung gerade drei – Gustav Peichl, Vittorio Magnago Lampugnani und Georges Calteux – fixiert, und die konnten mangels brauchbarer Unterlagen nichts anderes empfehlen, als den Abgabetermin in den Herbst zu verschieben. Ob überhaupt qualifizierte Architekten teilnehmen werden, ist trotz eines hohen Preisgeldes von zusammen drei Millionen Schilling fraglich: Denn parallel zum Architektenwettbewerb hat das Land Steiermark schon jetzt nicht nur die Statik und die Haus­ technikplanung ausgeschrieben, sondern auch die Ausführungsund die Detailplanung. Wer immer aus dem Architektenwettbe­ werb als Sieger hervorgeht, wird zwar den Entwurf liefern dürfen, die Detailplanung aber nicht mehr selbst durchführen können. In welche Richtung der Auslober damit das Projekt treiben will, liegt auf der Hand. „Bewährte, gängige technische Lösungen sind Experimenten vorzuziehen“, heißt es lapidar in einer Machbar­ keitsstudie der Landesregierung. Dass dieses Prinzip nicht nur im Detail zur Anwendung kommt, dafür soll die Präsenz Vittorio Magnago Lampugnanis in der Jury sorgen. Lampugnani hat sich in Berlin einen Namen gemacht als Proponent einer klassischen Formensprache, einer Architektur, die mit dem sorgfältigen Aneinanderfügen zweier Ziegelsteine beginnt, wie das Mies van der Rohe einmal formuliert hat. Auch von einem Museum hat Lampugnani klare Vorstellungen: „Bietet es nichts als schlichte rechteckige Räume mit vier weißen Wänden und ein Oberlicht, und dies in einem klaren Rundgang, dann stellt es alle zufrieden.“ Das passt gut ins Bild der neuen steiermärkischen Architektur­ politik: Nach den wilden Jahren, in denen es schon als Kunst gegolten hat, zwei Stahlträger schräg aneinanderzuschweißen, soll wieder die Vernunft einkehren. Aber ist diese simple 325

NACH EINEM WEITEREN WETTBE­ WERB FIEL DIE ENTSCHEIDUNG SCHLIESSLICH DOCH FÜR DIE TOURISTENATTRAKTION, DEN 2003 IM RAHMEN DES KULTUR­ HAUPTSTADTJAHRES ERÖFF­ NETEN „FRIENDLY ALIEN“, EINEN ZWAR SPEKTAKULÄREN, ABER ALS KUNSTHALLE NUR BEDINGT BRAUCHBAREN BLOB VON PETER COOK UND COLIN FOURNIER.

Polarisierung zwischen dekonstruktivistisch schräg und wertkon­ servativ aufrecht wirklich stichhaltig? Die Domenigs, Kadas und Plotteggs, die jetzt von allen öffentlichen Aufträgen ferngehalten werden sollen, sind alles andere als eine homogene Gruppe und lassen sich schon gar nicht auf jenen Stil reduzieren, mit dem ihre Epigonen die Grazer Schule in Verruf gebracht haben. Den Schritt vom Experiment zur souveränen Beherrschung ihrer Mittel haben die besten steirischen Architekten auch ohne Zutun der Politik schon längst vollzogen. Das Trigon-Museum hat in dieser spezifisch grazerischen Polarisierung schon gar nichts verloren. Denn das Projekt von Tschapeller und Schöffauer ist so ganz und gar nicht „dekons­t­ ruktiv“: Seine Qualitäten liegen in der präzisen städtebaulichen Einfügung, in der poetischen Interpretation des Orts, in der außergewöhnlichen skulpturalen und räumlichen Durchbildung. Welche Räume die Kunst des 21. Jahrhunderts tatsächlich braucht, weiß heute natürlich niemand: vielleicht neutrale, vielleicht dramatische, vielleicht gar keine. Im Zweifelsfall sollte man sich aber gegen die Touristenattraktion entscheiden und für die Architektur.

08 / 02 / 1997   

SANIERUNG MIT TOTALSCHADEN

Das alte Technische Museum barg eine ganze Sammlung von Beweisstücken für das tragische Schicksal österreichischer Erfinder. Das umgebaute neue ist selbst ein Beweisstück – für das tragische Schicksal österreichischer Architektur.

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ein Zweifel: Österreich ist das Land der tragischen Erfinderschicksale. Von heimtückischen Nach­ ahmern um seine geniale Idee betrogen, stirbt der österreichische Erfinder vereinsamt und verarmt, während das böse Ausland den Gewinn einfährt. Das alte Technische Museum, so wie es vielen Wienern noch von sonntäglichen Besuchen in Erinnerung ist, war eine Ansamm­ lung von Beweisstücken für dieses Klischee: Mitterhofers Schreib­ maschine, Ressels Schiffsschraube, die Madersperger’sche Näh­ maschine, Marcus-Wagen und Etrich-Taube. Ansonsten zeigte das Museum Technik aus der Perspektive und mit den Mitteln des späten 19. Jahrhunderts: Dampfmaschinen, Lokomotiven und Autos als Bubenträume von der rohen Kraft der Maschine und der Macht des Menschen über die Natur. Zwei Weltkriege und eine Ökologiekrise später ist diese Perspektive obsolet (obwohl sie für „echte“ Buben – wie wir ehrlich zugeben müssen – nichts von ihrer Faszination verloren hat).

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Durch den Graben in den Keller: der neue Eingang ins Technische Museum Foto: Gregor Titze

Sie ist genauso veraltet wie die kühle Distanz, mit der die Tier­ welt noch heute im Wiener Naturhistorischen Museum gezeigt wird. In endlosen Reihen von Vitrinen wird dort eine Sicht der animalischen Natur demonstriert, die sich auf eine Folge von Abschießen, Ausstopfen und Ausstellen zu beschränken scheint. Aber diese Sicht, der wir einen guten Teil unserer heutigen ökologischen Misere verdanken, ist im Naturhistorischen Museum auf eine einzigartige Weise dokumentiert, und die derzeitige Aufstellung gilt daher zu Recht als kulturhistorisch erhaltenswert. Das Technische Museum in seiner alten Form hätte einen vergleichbaren Status beanspruchen dürfen. Das Museum geht auf die Initiative Wilhelm Exners zurück, der sich bereits 1879 mit der Gründung der ersten Höheren Technischen Lehranstalt der Monarchie um die Förderung der Technik verdient gemacht hatte. 1907 wurde auf sein Betreiben hin ein Komitee für die Errichtung eines Technischen Museums geschaffen. Exner selbst arbeitete ein Museumskonzept aus, das technikhistorische mit pädagogischen Zielen vereinen sollte. Der Architekt Emil von Förster legte auf dieser Grundlage einen ersten Entwurf für das Gebäude vor. Und nun folgt eine Reihe von Ereignissen, die für die spätere Geschichte des Hauses symptomatisch ist: 1909 fordert der Ingenieur- und Architekten­ verein einen öffentlichen Wettbewerb für das Museum; Exner will aus Zeitgründen trotzdem Försters Entwurf ausführen lassen und stimmt dem Wettbewerb erst nach dessen plötzlichem Tod zu; 27 Architekten, darunter Otto Wagner, Adolf Loos und Robert Oerley, nehmen am Wettbewerb teil; der erste Preis geht aber an jenen Architekten, der am wenigsten von Försters Entwurf abweicht, Hans Schneider. Das Museum wird in einer ersten Ausbaustufe noch während des Weltkriegs im Jahr 1918 eröffnet. Von Anfang an trägt man sich mit Erweiterungsplänen, aber bis zur Mitte der 80er-Jahre reicht die Finanzierung gerade für die notwen­digsten Umbauten. 1987 gibt der Verein der Freunde des Tech­nischen Museums eine erste Studie in Auftrag: Anton Schweighofer schlägt eine Sanierung und moderate, teilweise unterirdische Erweite­ rungen zu beiden Seiten des Altbaus vor. Als mit Peter Rebernik 327

ein neuer Direktor für das Museum bestellt und gleichzeitig im Wirtschaftsministerium, das für den Bundeshochbau zuständig ist, eine „Museumsmilliarde“ für die Sanierung und Erweiterung der Bundesmuseen in Aussicht gestellt wird, bricht sich das mangelnde Selbstbewusstsein des österreichischen Erfindergeists Bahn und schlägt in sein Gegenteil um: Endlich soll die wirklich große, international Maßstäbe setzende Erweiterung realisiert werden. Rebernik, der wohl nicht aufgrund museologischer Kompetenz zum Direktor bestimmt wurde, sondern wegen der in ihn gesetzten Hoffnung, durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit Industrie­ sponsoring ins Haus zu bringen, setzt 1989 eine Wettbewerbsaus­ schreibung durch, die von vornherein zu einem vom Bund allein kaum finanzierbaren Ergebnis führen muss. Das Siegerprojekt in diesem Wettbewerb stammt vom Atelier in der Schönbrunner Straße, und es benutzt an neuester Bautechnik alles, was gut und teuer ist. Die Jury hat damit bewusst jenes Projekt gewählt, das die höchsten technischen Herausforderungen stellt, auch wenn es vom Räumlichen her in einigen Punkten nicht wirklich über­ zeugen kann. Nach einem Haus-im-Haus-Prinzip ist das Museum in eine doppelte gläserne Hülle eingebaut und schließt als gläserner Block von beinahe denselben Ausmaßen wie das alte Museum im rechten Winkel an dieses an. Bestehende Bäume werden umbaut und sollen die Verbindung von Natur und Technik illustrieren, ein aus­ geklügeltes Energiekonzept soll die neuesten Möglichkeiten der Gebäudetechnik nutzen. Für den Altbau schlagen die Architekten eine behutsame, etappenweise Sanierung vor. Von Anfang an wird dieses Projekt vom Wirtschaftsministerium bekämpft. Die Architekten arbeiten unter Mitwirkung internatio­ naler Experten mehrere Varianten aus, um die Kosten zu senken. Eine Machbarkeitsstudie wird in Auftrag gegeben. Die Autoren Oberndorfer und Reismann kommen zum Schluss, dass der Bau nur unter bestimmten Bedingungen zu befürworten sei. Eine davon ist, „dass der Bauherr ein Zeichen in Richtung moderner Museumsarchitektur setzen wollte“ und dabei „die Risiken, die ohne Zweifel mit der Realisierung eines solchen Projekts verbunden sind, bewusst trägt“. Das Ergebnis der Studie bleibt schwammig: Wenn alles gut geht, könnte der Termin – noch ist eine Eröffnung im unseligen Millenniumsjahr 1996 vorgesehen – eingehalten werden; technisch ist der Bau wahrscheinlich beherrschbar; die Kosten könnten im vertretbaren Bereich bleiben. Eines ist aber bald klar: dass der Bauherr nicht daran denkt, irgendein Risiko zu tragen. Schließlich bringt die Idee einer „inneren Erweiterung“ das endgültige Aus für den Neubau: Durch Hebung der Kuppeln in den zwei Höfen des Museums soll Platz gemacht werden für umlaufende Galerien mit rund 3.500 m2 zusätzlicher Ausstel­ lungsfläche. Den Auftrag für die Sanierung erhält Suter + Suter als Generalplaner, das Atelier in der Schönbrunner Straße soll die Neugestaltung des Eingangsbereichs übernehmen. Ab nun nimmt das Unglück seinen Lauf. 328

Ohne klares Konzept für eine Wiederaufstellung wird das Museum hastig geräumt, die Bestände in Hallen des Bundes­ heers eingelagert. Die Kuppelhebung bleibt die einzige technisch bemerkenswerte Leistung beim Bau: Die neuen Galerien werden trotz Einspruch des Denkmalamts aus Brandschutzgründen in Beton ausgeführt. Der Versuch, sie auf Pilzstützen unabhängig in den Raum zu stellen, ist gründlich misslungen: Ein gröberer, geometrisch unglücklicherer Kontrast lässt sich kaum denken. Wie man auf den schmalen Galerien überhaupt ausstellen soll, ist bis heute unklar. Noch dazu leiden die Galerien genau an dem Problem, das man zuvor der Glaskiste vorgeworfen hat: Sie erhalten über die Kuppel viel zu viel Licht. Noch problematischer ist die neue Eingangslösung. Um mehr Platz für Garderoben, Museumsshop und Toiletten zu erhalten, ist das Museum auf Kellerniveau um ein verglastes Foyer erweitert worden. Oben, zwischen den Säulen des Mittelrisalits, wo von außen nach wie vor jeder Passant den Haupteingang vermuten würde, findet sich nur noch der Notausgang für das Café. Zum neuen Eingang hinunter führen zwei lang gezogene Rampen, die einen Graben zwischen Museum und Straße bilden. Funktionell ist das nicht unbedingt eine Verbesserung: Wenn hier im strömenden Regen eine Schulklasse aus dem Bus steigen möchte, darf sie zuerst über zwei lieblos detaillierte Stahltreppen hinunterklettern, bevor sich im neuen Foyer der Anspruch auf „moderne Museums­ architektur“ einlöst: endlich ein (beinahe) flaches Glasdach. Dafür geht es nun in eine ziemlich tiefe Dunkelzone, bis es die Besucher über eine steile Treppe in die zentrale Halle hinauf drängt. Was den Besucher hier erwartet, ist noch unklar. Im jüngst vom neuen, seit 1994 amtierenden Direktor, Thomas Werner, vorge­ stellten Konzept sind zwar Bereiche definiert und Exponate bestimmt, zur Ausstellungsgestaltung sollen jedoch erst jetzt Ideen­ wettbewerbe ausgeschrieben werden. Im Konzept finden sich bisher nur einige Skizzen, die in ihrer Unbedarftheit das Schlimmste befürchten lassen. Das „skulpturhaft Mythische“ der Maschinen, das eine „Aura der Adoration“ erzeugte, soll jedenfalls nicht mehr betont werden. Stattdessen droht der neue Direktor mit „Inszenierungen und Klangcollagen, die das Verhältnis zwischen Maschine, Besucher und Umwelt in mehrschichtig assoziativer Form“ herstellen sollen. Für die Neuaufstellung rechnet er allein in der ersten Phase mit Kosten von mindestens 200 Millionen Schilling. Ob das alles nicht vielleicht doch teurer ist als ein Neubau, wird man erst in ein paar Jahren sagen können. Dass das jetzige Ergebnis zumindest in architektonischer Hinsicht eine Blamage für Österreich als Kulturland ist, steht aber fest. Von einem Ort, der dem Klischee vom österreichischen Erfinderschicksal eine positive Vision entgegensetzt und sie auch baulich an ein breites Publikum vermittelt, wird man wohl erst in 100 Jahren wieder träumen dürfen.

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18 / 01 / 1997   

VOM NUTZEN DER UNWIRTLICHKEIT Elementare Erfahrung von Material, Raum und Licht: Wie man mit einem vergleichsweise kleinen Bau die Freiheiten im Chaos der Peripherie nützen kann, zeigen ARTEC mit ihrer Schule in Wien Donaustadt.

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rinnerungen an die Volksschule haben immer etwas seltsam Traumartiges an sich. Vielleicht liegt es daran, dass damals alles viel größer war, die Farben und Gerüche intensiver und dass höchstes Glück und größte Angst ausgelöst werden konnten durch Anlässe, die man später nicht einmal mehr wahrnehmen würde. Meine eigene Volksschule war ein großer Bau aus der Gründer­ zeit, streng symmetrisch geteilt in eine Mädchen- und eine Knaben­ schule. Die Klassen waren hell und freundlich, es roch nach Linoleum und Schulkakao. Das Stiegenhaus erschien mir damals geradezu gigantisch – während der Stunde alleine ins nächste Stockwerk geschickt zu werden, um etwas aus der Direktion zu holen, hatte etwas von einem Abenteuer. Eingebettet war diese Schule in den Ordnungsraster der gründerzeitlichen Stadt, mit einem kleinen Respektabstand vom Blockrand zurückgesetzt und damit deutlich als öffentlicher Bau erkennbar. Wie das urbane System, deren Teil sie war, hatte auch diese Schule einen zwiespältigen Charakter: Sie war wohl­ geordnet, aber zugleich repressiv. Der Zusammenhang zwischen dem öffentlichen Bau und seinem Kontext spielt auch dort eine Rolle, wo sich die traditio­ nelle Stadt längst aufgelöst hat und anstelle eines geplanten urbanen Rhythmus die zufällige Verbindung von Strukturen den Ton angibt. Beträchtliche Teile der Wiener Stadterweiterungs­ gebiete fallen in diese Kategorie: Wer sich jenseits von Kagran in das Gebiet zwischen Rennbahnweg und Großfeldsiedlung verirrt, wird zwischen verödeten alten Ortskernen, vierspurigen Schnell­ straßen und Plattenbauten so etwas wie Stadt vergeblich suchen. Dabei fehlt es nicht an urbaner Masse: Immerhin wurde hier erst kürzlich mit der Veterinärmedizinischen Fakultät eines der großen Universitätsareale Wiens geschaffen. Aber wieder einmal hat man sich darauf beschränkt, Kubaturen beziehungslos im Gelände abzustellen. Wie man mit einem vergleichsweise kleinen Bau die Freiheiten im Chaos der Peripherie nützen kann, haben Bettina Götz und Richard Manahl, die zusammen als ARTEC-Architekten firmieren, mit ihrem Schulbau in der Zehdengasse bewiesen. Nur ein paar Gehminuten von der neuen „Vetmed“ entfernt, liegt diese Volks­ schule an einer für die Aufgabe denkbar unwirtlichen Stelle:

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Im Osten, also dort, wohin üblicherweise die Schulklassen orien­ tiert werden, führt unmittelbar die Eipeldauer Straße vorbei, eine vierspurige Schnellstraße. Das Grundstück liegt außerdem gut zwei Meter tiefer als dieser Verkehrsträger, und auf der gegenüberliegenden Straßen­ seite bilden die Parkdecks der angrenzenden Gemeindebauten eine Mauer. Ein weiteres Problem ergab sich aus der extrem knapp bemessenen Grundstücksfläche, die für die Situierung der Schule praktisch keinen Spielraum ließ. Das von ARTEC gewählte Prinzip für die Organisation der Schule ist einfach. Weniger lärmempfindliche Bereiche wie die Turn­säle und ein kleiner Pausenhof wurden an die Eipeldauer Straße gelegt, die Klassen dagegen nach Westen, zum angren­ zenden Sportplatz hin. Dazwischen liegt als verbindendes Rück­ grat ein lang gestreckter, dreigeschossiger Erschließungsbereich. Was an der Schule sofort auffällt, sind die „harten“ Materialien: Stahlbeton, Verkleidungen aus Titanzink, Aluminiumfenster, Glas. Idyllische Gegenwelt zur Unordnung rundum ist das Gebäude sicher nicht, und es braucht einen genaueren, zweiten Blick, um seine Qualitäten zu erkennen. Es sind vor allem die feinen Nuancierungen der harten Schale, die sich einprägen: Gläser unterschiedlicher Transparenz, die Feinstruktur der Blechverkleidung, die aus schuppig übereinander gesetzten Lamellen besteht, ein paar kräftige Farben, die aus dem Inneren hervorblitzen. Wenn das Zinktitanblech, das jetzt noch glänzt wie Aluminium, seine matte Patina angesetzt hat, wird sich dieser differenzierte Eindruck noch verstärken. Im Inneren haben die Architekten die harten Oberflächen beibehalten, aber durch Lichtführung und Farbgebung Räume erzeugt, die kräftiger und „kindgerechter“ sind als das meiste, was es im jüngeren Wiener Schulbau zu sehen gibt. Das dominierende Material der Grundstruktur ist Beton, freilich in verschiedenen Formen: einmal mit rauen Brettern geschalt, einmal als Fertig­ teil, feinporig und von hellerer Tönung, dann wieder glänzend

Harte Schale mit feinen Nuancen: Schuleingang und Turnsaal bei einer Abendveranstaltung Foto: Rupert Steiner

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Stahlbeton und kräftige Farben. Pausenzone im Klassentrakt Foto: Rupert Steiner

lackiert. Die Ausfachungen zwischen den tragenden Elementen bestehen aus gestrichenen Holz- und Gipskartonplatten. An den Klassenwänden dominieren dabei zwei kräftige Gelbtöne: ein sattes, dunkles Melonengelb und ein helles Zitron. Alle Metallteile, also die Handläufe und das Lochblech der Brüstungen, sind signalorange, das Linoleum der Böden graugrün meliert. Das Licht wird vor allem im mittleren Erschließungsbereich kalkuliert eingesetzt, um verschiedene Zonen zu schaffen, die jeweils mit einem der drei L-förmig an das Rückgrat angeschlos­ senen Klassentrakte korrespondieren. In der ersten Zone fällt das Licht von der Seite ein und wird durch Glasstreifen im Boden nach unten gefiltert. In der mittleren Zone belichtet ein Oberlicht eine über alle drei Geschosse reichende Wand aus Stahlbeton, mit der die Architekten so etwas wie eine Felswand in die trans­ danubische Ebene bringen wollten, und tatsächlich wird das für viele Kinder der erste Innenraum mit dieser Erstreckung in der Vertikalen sein. Ans Ende der Erschließungszone haben die Architekten im Erdgeschoss den Bereich für die Nachmittagsbetreuung gelegt: einen kleinen Speisesaal, die Küche und einen Aufenthaltsraum. Diese Räume sind geschickt mit zwei ganz unterschiedlich ausge­ formten Freiflächen verbunden: dem geschlossenen, durch eine Mauer zur Eipeldauer Straße geschützten Innenhof und einer kleinen, nach Westen offenen Spielfläche zwischen zwei Klassen­ trakten. Dass die Möblierung dieser Freiflächen schließlich mit rustikalen Bänken erfolgte, ist bedauerlich. Wahrscheinlich hätte man hier gar keine Möbel gebraucht, sondern einfach einen geschälten Baumstamm und ein paar große Steine, aber überall dort, wo freies Spielen auch nur mit minimalem Risiko verbunden ist, setzt sich offensichtlich die normgemäße, aber phantasielose Lösung durch. Auch die Klassen selbst folgen dem starren Schema, das von der Wiener Schulbaubehörde als Norm vorgeschrieben 332

ist und bis zur Lage des Waschbeckens jedes Detail vorgibt. Die Klassentiefe beträgt generell sieben Meter, ganz gleich, ob es sich um eine große Stammklasse oder um eine kleine Integrations­ klasse für nur sechs Schüler handelt. Die oft unsinnigen Propor­ tionen, die dabei entstehen, sind nur ein Nachteil dieses rigiden Systems. Neue Formen des Schulbaus lassen sich so nicht erproben, und das viel gelobte Wiener Schulbauprogramm hat ja bisher auch eher formale Fortschritte gebracht, als die Schulbautypologie weiterzuentwickeln. Dass es auf diesem Gebiet durchaus Bewegung gibt, zeigt beispielsweise die Diskussion in den Niederlanden oder in Japan, und man wird auch bei uns nicht darum herumkommen, über neue, stärker gemeinwesenorientierte und offenere Formen des Schulbaus nachzudenken. Um diese Diskussion anzuregen, hat die Österreichische Gesellschaft für Architektur übrigens ihr mit 50.000 Schilling dotiertes Wilhelm-Schütte-Stipendium 1997 für Forschungsarbeiten zum Thema „Innovation im Schulbau“ ausgeschrieben. Immerhin ist es den Architekten gelungen, auch in dieser Beziehung in ein paar Punkten vom Üblichen abzuweichen: Verglaste Vitrinen bieten zumindest in einigen Klassen eine Sicht­ verbindung zwischen Klassenraum und Pausenbereich, und beim Eingang gibt es einen großen, auch öffentlich nutzbaren Veran­ staltungssaal, der direkt von außen zugänglich ist. Mit ihren technoiden Oberflächen und ihrer sperrigen, eher das Abstrakt-Skulpturale betonenden Geometrie ist die Schule von ARTEC sicher nicht die im konventionellen Sinn schönste unter den jüngeren Wiener Schulbauten. Aber sie reagiert klug auf den unwirtlichen Ort und nutzt dessen offensichtlichen Schwächen für eine starke architektonische Aussage. Ihre Innenräume sind auf eine sympathische Weise „arm“ und frei von jener oberfläch­ lichen Fröhlichkeit vieler neuer Schulen, die bei längerem Hinsehen zwanghaft wirkt. Stattdessen bietet sie die elementare Erfahrung von Material, Raum und Licht, und darin liegt wahrscheinlich ihre größte Stärke.

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28 / 12 / 1996   

DER EDLE WILDE UND SEINE VILLA

Der Schweizer Kunsthistoriker Adolf Max Vogt legt in einer Studie über die Archäologie der Moderne die Wurzeln von Le Corbusiers „Schachtel auf Pfahlstützen“ frei. Bis in die feinsten Verästelungen.

U

nter den Texten über die Architektur unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts werden mir zwei immer die liebsten bleiben: Julius Poseners „Vor­ lesungen zur Geschichte der neuen Architektur“ und Adolf Max Vogts knapp gefasster „Entwurf zu einer Architekturgeschichte 1940 bis 1980“. Vogts Text – das Einleitungskapitel einer kritischen Zusammenschau von Beispielen, die er unter dem Titel „Architektur 1940 bis 1980“ am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich herausgebracht hat – geht von zwei Grundpositionen zur weiteren Entwicklung der Architektur aus der Sicht des Jahres 1945 aus: einerseits die Hoffnung, dass sich nun endlich die Konzepte der Vorkriegs-Avantgarde allgemein durchsetzen würden, wie es Sigfried Giedion in seinem noch vor Kriegsende geschrie­ benen Buch „Raum, Zeit und Architektur“ als geradezu zwangs­ läufige Folge einer sich abzeichnenden Kongruenz zwischen Wissenschaft und Kunst darstellt. Mit der Benennung von Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe und Alvar Aalto bevölkert Giedion auch gleich das Pantheon der modernen Architektur mit jenen Meistern, die dann tatsächlich für die nächsten Jahrzehnte bestimmend bleiben. Die Gegenposition dazu findet Vogt in Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“, geschrieben zwischen 1938 und 1947, also praktisch zeitgleich mit „Raum, Zeit und Architektur“ und ebenfalls im amerikanischen Exil. Giedions Idealbild der modernen Architektur ist für Bloch angesichts der gesellschaftlichen Realität „verchromte Misere“ und „Lichtkitsch“. Architektur definiert er schlicht als „Produktionsversuch menschlicher Heimat – vom gesetzten Wohn­ zweck bis zur Erscheinung einer schöneren Welt in Proportion und Ornament“. Wo Giedion also von der Architektur endgültige (Er-)Lösungen erwartet, zählt für Bloch der Versuch sich der Utopie anzunähern, auch und gerade in Hinblick auf den Begriff der Heimat als „etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“. Vogt lässt keinen Zweifel an seiner grundsätzlichen Sympathie für Blochs Position. Seine „Architekturgeschichte 1940 bis 1980“ gerät ihm trotzdem nicht zu einer Abrechnung, sondern zu einer einfühlsamen Verteidigung der Moderne – gegen selbst­ zerstörerische Erlösungsversprechen ebenso wie gegen die „allzu 335

sichtbaren, allzu verketteten Mächte“, denen die Architektur sich immer stärker ausgesetzt sieht. Und so gelangt er schließlich zu einer Definition von Kunst und Architektur, wie sie einer Zeit der massiven Entfremdung angemessen sei: als prozesshaftes – und damit immer nur partielles – Bloßlegen von Wahrheit im Rahmen eines grundsätzlich offenen Utopieverständnisses. Nun hat Adolf Max Vogt ein neues Buch herausgebracht, in dem er scheinbar einen völlig anderen Zugang beschreitet. Statt die Architektur- in die Kulturgeschichte einzubetten und damit Übersicht zu gewinnen, beschränkt er sich auf einen einzigen Architekten und sogar in dessen Werk auf nur einen Aspekt, nämlich das Abheben des Bauwerks vom Boden. „Le Corbusier, der edle Wilde“ (Vieweg Verlag, Wiesbaden), so der auf Rousseau verweisende Titel des Buchs, befasst sich mit dem Thema der „Schachtel auf Pfahlstützen“, das sich durch das gesamte Werk Le Corbusiers verfolgen lässt. Wo liegen die Wurzeln dieses Themas, und was hat Le Corbusier beinahe obsessiv an diese Idee gefesselt? Vogts These ist, dass Le Corbusier schon in seiner Schulzeit mit diesem Thema konfrontiert wurde: Die Pfahlbauten der La-Tène-Kultur, deren Reste 1854 bei extrem niedrigem Wasser­ stand am Ufer vieler Schweizer Seen aufgetaucht waren und seither systematisch erforscht wurden, hatten in der Schweiz ein regel­ rechtes „Pfahlbaufieber“ ausgelöst, und sie waren verpflichtend in den Lehrplan aufgenommen worden, kurz bevor Corbusier die Volksschule zu besuchen begann. Was die Schüler über die Pfahlbauten zu sehen bekamen, waren freilich phantasievolle Rekonstruktionen nach dem Vorbild pazifischer Hütten, die Ferdinand Keller, einer der führenden ersten Pfahlbau-Forscher, in einem gewagten Schritt von Neuguinea in die prähistorische Schweiz übertragen hatte. Dass Le Corbusier sich mit diesem Thema intensiver befasste, kann Vogt anhand von viel späteren Zeichnung nachweisen, die nur von einem näher in die Pfahlbauforschung Eingeweihten stammen können. Es wäre zu einfach, diese These als „Entlarvung“ von Le Corbusiers berühmter Villa Savoye als Pfahlbau oder gar seiner städtebaulichen Entwürfe als ins Gigantische vergrößerte Pfahl­ baudörfer zu verstehen. Vogt will keine formale Ableitungs-Kunst­ geschichte betreiben, und die wäre hier auch besonders frag­ würdig. Die Idee der vertikal zonierten Stadt hat viele Wurzeln, ebenso der einfache schwebende Kubus, und Vogt zeigt selbst am Beispiel der Orientreise, die Corbusier 1911 nach Istanbul geführt hat, wie sehr die traditionelle osmanische Holzarchitektur im Allgemeinen und die leichten, am Ufer des Bosporus platzierten Kioske ihn fasziniert haben. Aber Vogt macht plausibel, dass Le Corbusier für alle diese formalen Eindrücke durch seine frühen Erfahrungen sensibilisiert war, und diesen Gedanken nimmt er nun zum Anlass, die Wurzeln des „internationalen“ Architekten Le Corbusier in der Schweizer Romandie genauer zu untersuchen. Le Corbusiers Heimatstadt, La Chaux-de-Fonds, nördlich des Neuenburger Sees gelegen, ist um die Jahrhundertwende die Hauptstadt des Schweizer Uhrenbaus. 90 % der weltweiten 336

Uhrenproduktion kommen damals aus der Schweiz, und dort wieder 60 % aus La Chaux-de-Fonds – ein Bergstädtchen als Zentrum der Hochtechnologie. Der Konflikt zwischen Kunsthand­ werk und Industrie treibt Corbusiers Vater, der eine Manufaktur zur Bemalung von Zifferblättern besitzt, schließlich in den Konkurs. Hier sieht Vogt eine Ursache für Corbusiers stete Versuche einer Harmonisierung von Kunst und Industrie, die ja immer einen eher symbolischen als systematischen Charakter haben. Die nächste Schicht, die Vogt freilegt, ist die Bedeutung des Genfers Jean-Jacques Rousseau für Le Corbusier, und zwar sowohl durch die direkte Lektüre als auch indirekt über die Pädagogen Pestalozzi und Fröbel. Vogt kann hier auf jüngere Forschungen zurückgreifen, die nachweisen, dass für Corbusier – ebenso wie Frank Lloyd Wright – die geometrischen „Spielgaben“ Friedrich Fröbels zur räumlich geometrischen Grundschule wurden. Fröbel, der Erfinder des Kindergartens, entwickelte ein Spiel­ system aus Elementargeometrien, die sich als reine Volumina und als Musterkombinationen in Le Corbusiers Entwürfen wieder­ finden. Der direkte Einfluss Rousseaus spricht aus vielen Schriften Le Corbusiers: Dass die Idee des edlen Wilden in den Pfahlbau­ funden noch einen lokalen Anknüpfungspunkt finden konnte, ist ein glücklicher Zufall. Damit kann Vogt jene Aufgabe benennen, die für ihn die „eigentliche Lebensarbeit“ Le Corbusiers ausmacht: das „rationalvorstellungsmäßig Primäre der Geometrie und das geschichts­mäßig Primäre der Anthropologie und der Archäologie zu vermitteln und zu versöhnen“. Der auf Pilotis aufgestelzte Kubus ist geomet­ risch rein, weil er auch noch seine Unterseite zeigt und daher vollständig erfahrbar ist, und zugleich erinnert er an das ursprüng­ liche Leben, auf einer leichten Plattform abgehoben über dem Grund. Dass Corbusier diese Vision nicht irgendwo, sondern am Genfer See beinahe hätte realisieren können, fügt sich gut ein in den Versuch zur lokalen Verankerung, den Vogt an Le Corbusier unternimmt: der Völkerbundpalast, auf Pilotis so leicht zwischen die Bäume ans Ufer des Genfer Sees gesetzt, dass Corbusier mit Recht sagen konnte, ihn „lufthaltig“ konzipiert zu haben. Entsprechend groß ist die Enttäuschung, als das Projekt schließ­ lich anhaltenden Intrigen zum Opfer fällt: Kein Monumental­ bau ähnlicher Leichtigkeit scheint Corbusier mehr zu gelingen, und in seiner Verzweiflung an den demokratischen Prozessen streift er so nahe ans Regime des Marschall Pétain an, dass ihm später die Teilnahme am Wiederaufbau beinahe vollständig verwehrt bleibt. Vogts Buch ist ein faszinierendes Labyrinth, das von der scheinbar so abstrakten Idee der einfachen aufgestelzten Schachtel in immer feinere Verästelungen führt. Es eröffnet neue Einblicke in die Innenwelt des Architekten Le Corbusier, der bei seiner ganz persönlichen, unbewussten Suche nach jener Heimat gezeigt wird, die „allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“. 337

16 / 11 / 1996    

BODENLOSE PUNKTE DER STILLE

Vor einigen Jahren noch galt sie als große, defekte Maschine. Heute ist der Blick auf die Stadt wieder pragmatischer. In Wien-Meidling versuchte ein Projekt von Rüdiger Lainer, die Strukturelemente der Stadt neu zu definieren.

S

elten zuvor hat es in Wien so viele Veranstaltungen zum Thema „Stadt“ gegeben. Im Architekturzentrum läuft derzeit ein Kongress über den „European Sprawl“, die europäische Variante jener Auflösung der Stadt in die Region, wie sie in den USA längst zur Regel geworden ist; vor einer Woche veranstaltete die Österreichische Gesellschaft für Architektur ein Symposium über die „Stadt mit beschränkter Haftung“, ein doppeldeutiger Titel, mit dem die zunehmende funktionale und soziale Entmischung der Stadt angesprochen war und zugleich die unklare Verantwortung dafür, die sich Architekten, Investoren und Politiker gegenseitig zuschieben. Und nächsten Freitag wird im Rahmen des Europaforums ein Vortrag Saskia Sassens über „Städte und die neue Geographie der Macht“ zu hören sein, der eine Reihe von Workshops zu diesem Thema einleitet. Worum dreht sich heute die Diskussion um die Stadt? Offensichtlich nicht mehr darum, ob die Stadt funktioniert. Noch vor ein paar Jahren galt sie ja als eine große defekte Maschine, die sozial, ökologisch oder stadträumlich repariert oder verbessert werden müsse. Heute steht vielmehr die Idee der Stadt als jenes Gebilde in Frage, das die moderne Gesellschaft zusammenhält. Der Soziologe Alain Touraine spricht in diesem Zusammen­hang vom Verschwinden der Stadt: Sie habe zuerst durch das Entstehen der großen Nationalstaaten ihre Bedeutung als politische Institution verloren und schließlich durch die Globalisierung der Wirtschaft ihre verbindende Rolle als Ort der Produktion. Natürlich haben wir, behauptet Touraine, noch den Eindruck, in Städten zu leben, aber wir leben nicht in „unseren“ Städten, sondern in längst vergangenen Stadtmodellen. Während die Stadt uns noch vorgaukelt, ein „Ganzes“ zu sein, wächst die Kluft zwischen jenen, die einem globalisierten Leben gewachsen sind, und jenen, die arm und unqualifiziert sind und sich auf lokale Gemeinschaften zurückziehen. Was wir im Moment erleben, sei daher das Verschwinden der Gesellschaften und insbesondere dessen, was wir seit dem 12. Jahrhundert geschaffen haben, der Stadt. Nun ist die Krise der Stadt sicher so alt wie die Stadt selbst. Sie war zu allen Zeiten ein Ort der Kontraste und nicht der Harmonie. Insofern ist Touraines Argument überzogen, und es ist auch kaum glaubhaft, dass zwischen dem privaten und dem globalen Bereich nichts Urbanes mehr übrig bleibt. Aber in einem Punkt wird man Touraine recht geben müssen: Architektur und Städtebau sind nicht länger Instrumente der Weltverbesserung.

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Sie allein können weder unsere sozialen noch unsere politischen oder ökologischen Probleme lösen. Das klingt hart für eine Disziplin, die Corbusiers Schlachtruf „Baukunst oder Revolution!“ verinnerlicht hat, aber es lässt sich durchaus als Angelpunkt ihrer Erneuerung umdeuten. Denn ohne den selbstzerstörerischen Reflex der Moderne, immer das „große Ganze“ ins Lot bringen zu müssen, eröffnet sich ein unvoreingenommener Blick auf die Realität und damit die Option auf eine Stadt, die den Bedingungen ihrer Zeit besser angepasst ist. Was kann das konkret bedeuten? Zum Beispiel den Ausbruch aus einem System, in dem es nur noch Getriebene gibt, die das Scheitern ihrer großen Ideale an Sachzwängen betrauern und sich gegenseitig die Schuld dafür zuschieben: Investoren, die zwar gerne Qualität schaffen wollten, aber leider an der Trägheit der öffentlichen Verwaltung scheitern; Architekten, deren große Visionen angesichts des allgemein inferioren Geschmacks und der Renditewünsche ihrer Auftraggeber bestenfalls als Karikaturen realisiert werden; und Politiker, die immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Partikularinteressen anstreben dürfen. Ein von Rüdiger Lainer – er hatte mit seinem Projekt für das Flugfeld Aspern versucht, Bauträger und öffentliche Verwaltung aus ihren festgefahrenen Positionen zu locken – konzipierter und organisierter Workshop machte es sich zur Aufgabe, aus einer solchen Pattsituation herauszukommen. Ohne falsche Bescheiden­ heit wurde das ganze Unternehmen „Millenniumsworkshop“ getauft mit dem Anspruch, „konkrete Utopien“ zu entwickeln und die Strukturelemente der Stadt neu zu definieren. Als konkreter Ort wurde ein Areal im 12. Bezirk gewählt, das ehemalige Gelände der Kabel und Draht AG, ein verkehrsmäßig durch die verlängerte U6 gut erschlossenes Gebiet, auf dem rund 1.000 Wohnungen errichtet werden sollen. Eingeladen waren Beamte verschiedener Magistratsabteilungen, die Direktoren mehrerer großer Bauträger, Vertreter des Bezirks und sechs Planungsteams. Gemeinsam sollten Leitbilder entwickelt und immer wieder an den konkreten gesetzlichen Bedingungen und auf ihre Finanzierbarkeit hin geprüft werden, nicht um diese Leitbilder auf ein „machbares“ Maß zurechtzustutzen, sondern um sinnvolle Veränderungen der Rahmenbedingungen zu formulieren. Ein wesentliches Leitbild, das sich bei allen sechs der schließ­ lich ausgearbeiteten Konzepte findet, ist das Ideal einer funktio­ nell durchmischten Stadt. Nicht 1.000 Wohnungen, auch nicht ein vordefinierter Mix von Wohnungen und Büro- oder Betriebs­ flächen sollten angeboten werden, sondern eine flexible Bau­ struktur, die beides zulässt. Das ist natürlich nichts Neues. In Stadterweiterungsgebieten scheitert diese Nutzungsvielfalt aber an einer ganzen Reihe von Problemen: an Bestimmungen zum Arbeitnehmerschutz, die bei Raumhöhen und Stiegenbreiten zwar nur minimal über die Festlegungen in der Bauordnung hinausgehen, aber trotzdem eine neutrale Nutzung unmöglich machen; an einer Praxis der Flächenwidmung, die immer noch

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einer Entmischung der Stadt den Vorzug gibt; und schließlich an unterschiedlichen Instrumenten der öffentlichen Förderung, die eine Kombination von Wohn-, Gewerbe- und Bürobau zusätzlich erschwert. In Wien gibt es außerdem unterschiedliche Fonds für den Grundstückskauf für Wohn- oder Gewerbenutzung. Ein weiteres Charakteristikum der Konzepte ist der Versuch, Wohnformen zuzulassen, die außerhalb des Standards liegen. Die Architektengruppe „Poor Boys Enterprise“ hat in ihrem Konzept versucht, Funktionen aus der Wohnung in einen öffentlichen Bereich auszulagern und eine Art von Stadthotel zu entwickeln, das Arbeitsplätze für Teleworker und Gemeinschaftsflächen aus der Isolation der Einzelwohnung herauslöst und ins Wohnumfeld integriert. Formal tendieren die meisten der Konzepte dazu, jedes vorge­ fertigte und leicht konsumierbare Stadtbild zu verweigern. Mascha und Seethaler schlagen als Alternative zum Bebauungsplan eine offene Bebauungsmatrix vor, die durch systematische Verknüp­ fungen über die Parzellengrenzen hinweg nur noch sachliche Erfordernisse wie Lichteinfall, Emissionen und Infrastruktur fest­ legt, aber jeden Einfluss auf Form, Funktion oder Ästhetik aus­ schließt. Im Gegensatz zu diesem Totalverzicht auf jeden Städtebau entwickeln ARTEC eine neue städtebauliche Figur, ein klares, räumliches Gitter, das sie als Adaption der gründerzeitlichen Stadt mit einer differenzierter abgestuften Hierarchie der Verkehrswege verstehen. Lebendigkeit bekommt diese Struktur durch die Möglichkeit der späteren Verdichtung, die das ursprüngliche Gitter überlagert. Zeitlose Idee der verdichteten Stadt: Shebam, Jemen Foto: Rüdiger Lainer

Insgesamt zeigen die Konzepte ein klares Bekenntnis zur Groß­ stadt, wie sie Robert Musil einmal beschrieben hat: ein Geflecht von „Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen gegen­ einander, eine kochende Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaften Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht“. Das Bild der jemenitischen Stadt Shebam, das auf dem Plakat zum Millenniumsworkshop zu sehen war, ist klug gewählt. Die Idee der Stadt ist zeitlos, und sie wird ihren Wert behalten als Vermittler 340

zwischen der globalen und der individuellen Sphäre. Zu ihrer Weiterentwicklung wird es allerdings radikal veränderter Rahmen­ bedingungen bedürfen. Aber da ist Hoffnung: In einem Presse­ text zum Workshop wird Planungsstadtrat Hannes Swoboda mit der gewagten Bemerkung zitiert, in Wien gehe es „im Allgemeinen mit der Umsetzung von Visionen viel schneller“ als anderswo. Sein Nachfolger wird den Wahrheitsbeweis antreten müssen.

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02 / 11 / 1996   

WIE KLINGT EINE HAUPTSTADT?

Ist der neue Regierungssitz in St. Pölten das versprochene Jahrhundert­er­eignis – oder doch nur Stein gewordene Mittelmäßigkeit? Ein Lokalaugenschein.

D

as ist also St. Pölten: 50.000 Einwohner, die „Barock­ stadt“ Prandtauers und Munggenasts, die schon immer besser war als ihr Ruf, eine Kleinstadt mit ihrem ganz eigenen urbanen Rhythmus, mit einem charakteristischen Maß. Und da ist die Jahrhundertchance: die eigene Landeshaupt­ stadt für Niederösterreich, der feierliche Auszug aus der Wiener Herrengasse in einen Regierungssitz im geographischen Zentrum des Landes, Verwaltungsbauten für 3.000 Beamte, dazu ein Kulturforum mit Bibliothek, Museum und einem Festspielhaus. Nachdem St. Pölten 1986 zur Landeshauptstadt erhoben worden war, sollte ein Architektenwettbewerb klären, wie diese Aufwertung städtebaulich und architektonisch umzusetzen sei. Die älteren Rechte der bestehenden Stadt blieben von Anfang an gewahrt: Bürgerbeteiligungsverfahren und ein städtebauliches Leit­ bild, das ein integriertes Regierungsviertel eindeutig gegenüber einem Einzelmonument bevorzugte, sollten eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung garantieren. Der Standort war im Wettbewerb noch nicht eindeutig festge­ legt: Zur Disposition standen das gesamte Gebiet beiderseits der Traisen im Osten des Stadtkerns und ein kleines Areal jenseits der Bahntrasse, die den Stadtkern im Norden tangiert. Der undra­ matische Flussraum der Traisen hatte für die innere Struktur der Stadt bisher keine besondere Rolle gespielt. Der Umgang mit diesem Flussraum wurde nun zu einem zentralen Thema des Wett­ bewerbs: Würden die neuen Baumassen ausreichen, um eine urbane Uferkante zu definieren? Oder sollte der Flussraum in seiner naturnahen Form erhalten und nur durch Brückenbauten oder Solitärformen verändert werden? Die Ergebnisse der ersten Wettbewerbsstufe 1989 waren alles andere als viel versprechend. Die innovativeren Beiträge schieden 341

Eintönig und unverbindlich trotz symbolischer Gesten: Straßenraum im Regierungsviertel St. Pölten Fotos: Margherita Spiluttini

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durchwegs in den ersten Runden aus. Sie haben eine kurze Gedenkminute verdient: die großzügige Überbauung der Traisen von Prohazka/Hiesmayr, die ein präzise gerahmtes Stück Fluss­ landschaft zu einem urbanen Raum einzigartiger Qualität gemacht hätte; Anton Schweighofers Konzept, Landhaus und Verwaltung an und über der Bahntrasse zu errichten und den Kulturbezirk als grüne Verbindung vom bestehenden Stadtpark bis zur Traisen auszubilden; ähnliche, weniger klassisch angelegte Versuche in diese Richtung von Rieder/Wörndl und Heidulf Gerngross. Und dann gab es da noch das Projekt von Bily/Katzberger, das mit seinen langen, parallel zur Traisen geführten Verwal­ tungsbauten der jetzt ausge­ führten Lösung ähnelt, aber die Verbindung zur Stadt durch eine differenzierte Wohnbebauung herstellt und die Kulturbauten in einen spannungsvoll komponierten Platzraum direkt an den Fluss setzt. In der letzten Stufe des Wettbewerbs waren es schließ­ lich zwei Projekte, zwischen denen die Entscheidung fallen sollte: ein monumentaler Solitärbau von Wilhelm Holzbauer, 24 Stockwerke hoch die Büroetagen, daran angelagert im Oval die Kulturbauten; und eine flächige Stadtreproduktion von Ernst Hoffmann, im Geist der metaphernfreudigen 80er-Jahre zusammengesetzt aus Boulevard und Passage, Anger und Platz. Holzbauers Projekt hätte eigentlich nie so weit kommen dürfen, denn bei aller Symbolkräftigkeit sagte es vor allem eines: Ich bin wichtig! Von Bürgernähe war da nichts zu spüren, und die Idee, den Landtagssaal in einer hermetisch abgeschlossenen Kugel unterzubringen, war bestenfalls ein bitterer Scherz über den Wunsch des Auslobers, politische Offenheit sichtbar zu machen. Genau auf diese Wünsche ist das Projekt Ernst Hoffmanns eingegangen: kein Monument, sondern ein Stadtviertel mit langen Zeilen von Verwaltungsbauten parallel zur Traisen, die eine urbane, befestigte Uferkante herstellen. Der Landtagssaal, mittig ganz an den Fluss geschoben, markiert den Beginn einer in die Stadt führenden Querachse, an der die Kulturbauten liegen. Die konsequente Umsetzung der Idee eines lockeren städtischen Ensembles, in dem jede Verwaltungseinheit gewissermaßen ihr Haus mit eigenem Eingang erhalten konnte, gab den Ausschlag für dieses Projekt, und die Jury empfahl es zur Weiterbearbeitung. Und dann gab sie ihm noch eine kleine Hypothek mit auf den Weg: „Zu bemängeln ist die Eintönigkeit und die Unverbindlich­ keit der Architektur.“ Ernst Hoffmann hat sich jede Mühe gegeben, dieses Urteil zu widerlegen. Aber gerade das hat dem Projekt nicht gutgetan. Statt zu einer präzisen und zurückhaltenden Sprache

zu finden, pendelt die Architektur unentschlossen zwischen moder­ nistischen Figuren und postmoderner Kraftmeierei. Die Fassaden der Verwaltungsbauten, ursprünglich als leichte Glasfassaden in einem tragenden Skelett angedeutet, bekamen ein Rahmenmotiv aus Kunststein vorgesetzt, das ihnen eine unnötige Schwere verleiht. Der Landtagssaal selbst, in der Terminologie der Planer gerne als „schwebendes Schiff“ bezeichnet, erweist sich in natura als hohle Geste, deren dynamischer Schwung vollkommen ins Leere läuft. Was das Innere dieses Bauwerks mit seinem Äußeren Schwung ins Leere: Sitzungssaal des Landtags mit Blick auf die Traisen

zu tun hat, bleibt unklar, und sein statisches Konzept der Auskra­ gung – eine sehr, sehr dicke Betonplatte auf runden Stützen – ist alles andere als innovativ. Ein Stück dahinter erhebt sich der Klangturm, eine Erfindung Hoffmanns, die dem flächigen Ensemble eine vertikale Achse gibt. Der Turm soll symbolisieren, dass hier neben dem adminis­ trativen und politischen auch das geistige Zentrum des Landes zu finden sei: ein Symbol dafür, dass nicht nur die nützlichen Dinge im Leben einen Wert haben. Deshalb ein Turm für den vergäng­ lichsten Ausdruck unserer Kultur, den Klang. Ein schöner Gedanke, und doch sagt er nichts Gutes über den Geist des Projekts aus: Die Zeiten, als man Architektur selbst als Stein gewordene Musik, als poetischen Akt verstehen durfte, sind längst vorbei. Statt das Schöne im Nützlichen zu suchen, lassen wir das Nützliche nützlich sein, und wenn die Budgets ausreichen, errichten wir der Schön­ heit daneben ein Denkmal. Was wird also vom St. Pöltner Landtag in der Architektur­ geschichte Österreichs übrig bleiben? Die Tatsache eines perfekt administrierten, termingerecht und im Kostenrahmen durch­ geführten Bauvorhabens im allergrößten Maßstab. Das ist keine geringe Leistung und gebietet Respekt. Bleiben wird sicherlich die Idee eines bürgernahen Dienstleistungsviertels, wenn auch seine Anbindung an die Stadt in der Realität viel weniger geglückt ist, als es im Plan suggeriert wurde. Die poetische Umsetzung dieser Idee in architektonische Form wird man in St. Pölten freilich vergeblich suchen. 343

03 / 08 / 1996   

EIN PARKPLATZ ALS PARADIES

Erich Hubmann, Peter Nigst und Andreas Vass haben das Zugangsareal zur Alhambra im spanischen Granada neu gestaltet – und damit die Sinnhaftigkeit eines architektonischen Zugangs zur Landschaftsgestaltung unter Beweis gestellt.

E

in unberührtes Landschaftsparadies, das durch einen Akt der rücksichtslosen Ausbeutung gefährdet ist: Kaum ein anderes Thema hat in unserer ökologie­ bewussten Zeit einen ähnlichen Erfolg beim Publi­ kum. Wo sonst gibt es noch die Chance auf einen eindeutigen Standpunkt: Wenn man die Natur sich selbst überlässt, braucht man über ihre Gestaltung nicht weiter zu diskutieren. Der Kampf für ein bedrohtes Ökosystem wird damit nebenbei zu einem bequemen Ventil für das Unbehagen in der Zivilisation, zu einem Symbol für die Hoffnung, sich der totalen Entfremdung doch noch irgendwie entziehen zu können. In dieser Auseinandersetzung zwischen der „Natur an sich“ und den „zerstörerischen Mächten der Zivilisation“ ist eines immer mehr verdrängt worden: das Gefühl für die Qualität der Kultur­ landschaft. Glücklichere Zeiten, die noch etwas von Gartenkunst verstanden, waren sich bewusst, dass die „Natur an sich“ eine grausame und gefährliche Angelegenheit ist und ein Paradies daher niemals entdeckt, sondern bestenfalls künstlich angedeutet werden kann, als höchste Stufe der Kultivierung einer natürlichen Vor­ gabe. Die Kulturlandschaft als Ergebnis intensiver Bewirtschaftung war in dieser Auffassung ein Schritt in Richtung Paradies – und daher, bewusst oder unbewusst, auch eine Gestaltungsfrage. Wo dagegen die unberührte Natur als einzig denkbares Paradies gilt, wird die Bewirtschaftung zu einem mechanischen Akt der Ausbeutung ohne jede ästhetische Implikation. Folgerichtig ist Landschaftsplanung hierzulande im Vergleich mit den ihr eigentlich untergeordneten Aufgaben des Land­ schafts- und Naturschutzes ein zweitrangiges Thema. Beim Neubau einer Straße wird zwar erwartet, dass der Landschaftsschutz sagt, wo die Straße nicht durchführen soll; dass eine Streckenführung aber auch eine wichtige Gestaltungsaufgabe ist, erscheint alles andere als selbstverständlich. Und auch im sensiblen Bereich am Übergang von der städtebaulichen zur landschaftsplanerischen Dimension sind in Österreich keine nennenswerten Beispiele zu entdecken. (In Wien wird dieses Thema offenbar vom Stadt­garten­ amt abgehandelt, dessen Beiträge zur fortschreitenden Verkrau­ tung, etwa mit der rustikalen Naturwiese rund um die Minoriten­ kirche, freilich nur als bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist Erwähnung verdienen.) Dass auch bei uns das entspre­ chende Potenzial vorhanden ist, haben nun die Architekten

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Erich Hubmann, Peter Nigst und Andreas Vass mit ihrer Neu­ gestaltung des Zugangs­areals zur Alhambra im spanischen Granada bewiesen. 1990 konnten sie einen Wettbewerb für dieses Areal für sich entscheiden; heute sind die Baumaßnahmen großteils abgeschlossen, die Bepflan­ zung ist so weit angewachsen, dass sich der angestrebte Endzustand zumindest erahnen lässt. Ausgangspunkt des Projekts war eine verkehrsplanerische Maßnahme: Um die Innenstadt Granadas vom Fahrzeugverkehr zu entlasten, wurde eine neue Umfahrungs­ straße angelegt, die auch eine neue Zufahrt zur Alhambra ermöglichte. Statt durch die Altstadt sollten die motorisierten Touristen nun an die Ostseite des Alhambra-Palastes geleitet und von dort durch die Gärten innerhalb der Befestigungsmauern zu den berühmten maurischen Höfen und dem Palast Karls V. geführt werden. Eine leicht zum neuen östlichen Eingang abfallende Fläche, die in jüngster Zeit ungenutzt geblieben war, wurde so zu einem neuen, wichtigen Vorbereich des Palastes. Die vielen Abstellplätze und Verkehrswege hätten diesem Gebiet leicht den Charakter eines besseren Shopping-Center-Parkplatzes verleihen können; der Wettbewerb des Jahres 1990 sollte stattdessen für eine der Bedeutung des Ortes angemessene Lösung sorgen. Hubmann, Nigst und Vass haben diesen Wettbewerb gewonnen, weil sie ihr Projekt aus einer genauen Beobachtung der Situation entwickelt haben, ohne dabei jemals formale Anleihen bei einer touristisch eingängigen maurischen Sprache zu nehmen. Sie selbst beschreiben ihre Vorgangsweise als ein „Aufspüren nicht bild­ hafter Wirklichkeitsschichten“: der alten maurischen Nutzgärten, die östlich der Alhambra angelegt waren, der Bewässerungs­ systeme, der teilweise noch vorhandenen Zisternen. Mit ähnlichen Mitteln strukturiert die neue Anlage den etwa 800 Meter langen Geländestreifen: Im präzisen Raster mit Bäumen bepflanzte Terrassen sind durch aufgeständerte Bewässerungsanlagen aus Stahlbeton voneinander getrennt, die quer zur Bewegungsrichtung in den Hang hineinführen. Zwischen den teilweise durch Beton­ elemente überdachten Rinnen und den leicht geböschten

Durch Schatten und Wasser gegliederter Parkplatz: Modellansicht der Alhambra und Detail der Wasserführung Fotos: Atelier Hubmann / Vass

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Stützmauern zur jeweils höherliegenden Terrasse sollen schattige Zwischenräume zu einem Umweg verführen – oder zu einer Pause beim Anmarsch zur touristischen Attraktion. Das Bewässerungssystem selbst ist in zwei Ebenen angelegt: Die voluminösen Tröge, die den Wasserkörper für die Bewässe­ rung speichern, sind durch flache, offene Betonrinnen abgedeckt. Hier fließt das Wasser sichtbar und fällt in mehreren Stufen bis auf das unterste Niveau, von wo die Restwassermenge über Pumpen wieder nach oben gelangt. In der Nähe des Eingangs wird Wasser in einer großen, schwebenden Wasserplattform gefangen, die das Thema auf eine neue Art abwandelt. Im ursprünglichen Konzept hätte diese Anlage als „funktionsloser“ Park errichtet werden sollen, der von den noch weiter außerhalb liegenden Parkplätzen aus zu durchqueren gewesen wäre. Nicht der direkte, widerstandslose Zugang, sondern der Zugang als Filter, als schützender Hain um den Palast war das Ziel der Architekten. Zuletzt hat sich freilich auch hier Nützlichkeit breit­ gemacht: Zwischen den Baumreihen liegen nun die Parkplätze, und auch eine vor Jahren angelegte Allee, die direkt auf den Ein­ gang zielt, musste in das Konzept einbezogen werden. Man kann dem aber auch positive Seiten abgewinnen: Die widerstrebenden Kräfte bleiben so zumindest deutlich erkennbar. Dass Hubmann, Nigst und Vass hier auf die formale Anknüp­ fung an die maurische Architektur verzichten konnten, liegt nicht zuletzt an ihrer intensiven Beschäftigung mit den Grund­ lagen der islamischen Bautradition. Noch als Studenten hatten Vass und Hubmann einen längeren Studienaufenthalt in Fes dazu genutzt. Peter Nigst war damals ihr Assistent in der Meisterklasse von Gustav Peichl. Die berühmten Innenhöfe der Alhambra mit ihren Brunnen und Wasserläufen waren für sie leicht als jene kultivierte Andeutung des Paradieses zu verstehen, von der eingangs die Rede war. Mit der Gestaltung des neuen Vorbereichs setzen sie genau am richtigen Punkt an – keine unnötige Kopie zu schaffen, sondern einen Hauch des Paradieses in die Alltäg­ lichkeit hinüberzuretten. Hubmann und Vass haben sich in ihren jüngeren Arbeiten noch mehrmals mit der Durchbildung von Landschaftsräumen auseinandergesetzt. In einem Projekt für die Magadinoebene im Schweizer Tessin zwischen Bellinzona und Locarno haben sie diesen der Zersiedlung ausgesetzten Landschaftsraum mit einem ähnlichen Verfahren der genauen Beobachtung bearbeitet. Ihre Methode ist ein vielschichtiger und wählerischer Kontextua­ lismus, der landschaftlich wirksame Achssysteme, Kanäle und Bepflanzungen auf ihren Ursprung hin befragt. Das Ergebnis dieser Maßnahmen ist eine heilsame Desillusio­ nierung: Das trockengelegte Land, der Natur abgerungen, ist schon immer einer Ästhetik des Gebrauchs unterworfen. Will man dem Entwicklungsdruck durch kommerzielle Interessen begegnen, kann das nur über eine neue Form der Bewirtschaftung gelingen. Neben den Vorschlägen zur Verkehrs- und Bebauungsstruktur empfehlen Hubmann und Vass daher für die großen landwirt­ schaftlichen Flächen, die zu immer größeren Teilen brachliegen, 346

eine neue Nutzung: schnellwüchsiges Schilfgras, das in Blockheiz­ kraftwerken zur Energieerzeugung verwendet werden kann – eine Landschaft, die ihren Charakter jedes Mal plötzlich verändert, wenn das meterhohe, im ebenen Gelände jeden Ausblick versper­ rende Schilfgras geerntet wird. Dieser Vorschlag steht keineswegs im Gegensatz zu den sub­ tilen Bewässerungsanlagen und Wegführungen beim Eingang zur Alhambra. Es handelt sich – im größeren Maßstab – um dieselbe Methode: Wirklichkeitsschichten aufzuspüren und zu aktivieren, die hinter dem oberflächlich Wahrnehmbaren verborgen liegen. Wer an die bevorstehenden Umbrüche auch in der heimischen Landwirtschaft denkt und an die Wunden, die der kommerzielle Entwicklungsdruck an den Rändern der Gemeinden schon jetzt hinterlassen hat, wird hier eine der wichtigsten gestalterischen Aufgaben für die nächsten Jahrzehnte entdecken.

SO ODER DOCH GANZ ANDERS 29 / 06 / 1996   

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein einfacher Terrassenbau: Ernst Beneders Einfamilienhaus in Waidhofen an der Ybbs. Im Inneren jedoch entpuppt es sich als komplexes Raumkunstwerk.

S

o sollte ein Einfamilienhaus eigentlich nicht aussehen: ein abgetreppter grauer Kubus; breite Fensterbänder; Zwillingsrauchfänge aus Edelstahl. Davor ein großer Trog aus Stahlbeton, in dem sich das Regenwasser der Flachdächer sammelt. „Es muss nicht aussehen wie ein Haus.“ Gleich zu Planungs­ beginn, so berichtet der Architekt Ernst Beneder, habe ihn sein Bauherr mit diesem Satz überrascht. Man kann das leicht falsch interpretieren: Wollte der Bauherr ein Haus, das anders aus­sieht als die anderen, ein richtiges modernes Bürgerschreckhaus, 100­-prozentig „bourgeois-proof“, wie das der amerikanische Kriti­ ker Tom Wolfe in seiner Abrechnung mit der Bauhausarchitektur spöttisch bezeichnete? So oberflächlich war dieser Satz natürlich nicht gemeint. Es geht hier um eine andere Idee, die Ernst Beneder schon in den 347

Komplexes Raumkunstwerk trotz einfacher Grundfigur: Terrassenhaus in Waidhofen/ Ybbs Foto: Ernst Beneder

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späten 80er-Jahren – anknüpfend an die Theorie des „kritischen Regionalismus“ – in einem Aufsatz so formuliert hat: „Orten wir die initiale Zündung des Entwurfes nicht erst in der Artikulation einer Lösung, vielmehr schon in der Formulierung der Problem­ stellung, also in der Gegenüberstellung zu dem Prätext, den Wünschen, den Grenzen, dem Bauplatz, dem politischen und sozialen Spannungsfeld mit all jenen Kriterien, die erst eine ein­ malige und unwiederhol­ bare Herausforderung ent­ stehen lassen, vielleicht sogar in der bewussten Stei­ gerung des Schwierigkeits­ grades, um dann mit den plausibelsten Methoden eine Lösung herbeizuführen, die in ihrer Stimmigkeit, im scheinbar Nicht-AndersSein-Können alle formalis­ tischen Spuren abgestreift hat. Ironisch aus­­ge­drückt: Ein Problem wird manieris­ tisch provoziert und modern aufgelöst. Ernst­haft aus­ge­ drückt: Freiräume, die zunächst dem Pragma­­tiker schon unbrauchbar erschei­ nen, werden noch ange­ nommen.“ Der erste Entwurf für das Haus, das Ernst Beneder in Waidhofen an der Y bbs für eine heute fünfköpfige Fami­ lie geplant hat, entstand zeit­ gleich mit diesem Text. Beneder wurde schon bei der Auswahl des Grundstücks beigezogen, und das schließlich gewählte ist tatsäch­ lich eine „bewusste Steigerung des Schwierigkeitsgrades“, ein steiles Hanggrundstück, noch dazu ein gutes Stück weg von der Erschließungsstraße und mit dieser nur durch eine schmale Grund­ stücksfahne verbunden. Eine glasgedeckte Stahlbrücke führt von der Straße zu dem eigentlichen, seitlich ans Haus gesetzten Eingang. Was auf den ersten Blick wie ein einfaches Terrassenhaus aussieht, entpuppt sich im Inneren als ein komplexes Raumkunst­ werk: Die drei Wohnebenen sind durch einen über alle Geschosse laufenden, acht Meter hohen Vertikalraum verbunden, der Licht bis in den untersten, schon weit im Hang liegenden Bereich fallen lässt. Hier liegt eine kleine Bibliothek als innerster Kern des Hauses, ein Rückzugsbereich an heißen Sommertagen, für den Winter steht ein gemauerter Ofen bereit. Quer dazu liegt an der verglasten Außenwand der Sitz- und Essbereich mit direktem Ausgang in den Garten. Im nächsten Geschoss befinden sich das Eltern- und das Kinderschlafzimmer,

im Eingangsgeschoss noch ein kleines Studio mit einer tonnen­ förmig gedeckten Empore, die nur über eine Leiter zu erreichen ist, ein luftiger Rückzugsraum als Gegengewicht zu jenem auf der untersten Ebene: zur Höhle im Berg das Fass des Diogenes. Verbunden sind diese Ebenen durch zwei Treppen. Eine Wendeltreppe ist in einem eigenen Turm hangseitig an das Haus angefügt. Im unteren Teil ist der Turm verglast und lässt so auch von dieser Seite noch Licht in den Kern des Hauses dringen. Die Haupttreppe ist in Verbindung mit dem offenen Zentral­ bereich genau in der Fall-Linie des Hangs geführt. Sie durchbricht dabei das System des abgetreppten Baukörpers, unterschneidet

dessen Kanten und erzeugt auf den Terrassen die schmalen, drei­ eckförmigen Aufbauten. Im Inneren entsteht dabei eine diago­ nale Verbindungszone, deren Dynamik vom massiven Block des Wasser­beckens aufgefangen wird. Wenn das Becken gefüllt ist, reflek­tieren die Wellen das Sonnenlicht bis zur Decke des obersten Geschosses. Die Spannung, die sich aus dem Ineinandergreifen der zwei divergierenden Systeme von Baukörper und Erschließung ergibt, ist auch im konstruktiven System sichtbar. Dessen Prinzip scheint ganz einfach zu sein: massive Wandscheiben an den Seiten und gegen den Hang, die innere Konstruktion und die Fassade aus Holz. Aber wiederum zerschneidet die Treppe diese Ordnung. Teile der Deckenkonstruktion werden von oben ange­ hängt, die Hierarchie von tragenden und lastenden Elementen durchein­ander gebracht. In den Details spürt man das Vergnügen, mit dem diese komplizierten Knoten gelöst wurden. Die meisten sind das Ergebnis einer langen Entwicklung, und Beneder legt Wert darauf, die Rolle seiner Mitarbeiter, Heinz Plöderl und Anja Fischer, zu betonen. 349

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Man spürt hier aber auch die Intensität, mit der sich der Bau­ herr selbst hand- und kopfwerklich am Bau beteiligt hat. Bei dieser Arbeit habe er begonnen, sich mit Adolf Loos zu beschäf­ tigen, mit dessen ökonomischem Ansatz, der Entwicklung der Form aus dem Gebrauch und der radikalen Absage an alle formalen Motive. Es bleibt die Frage, ob dieses Haus mit dem gleichen Recht am Rande einer niederösterreichischen Kleinstadt steht wie seine so offensichtlich bodenständigen Nachbarn. „Region“ und „Kontext“, argumentiert Beneder, seien nichts Gegebenes, man muss sie sich erarbeiten; im Extremfall kann dabei, so wie hier, eine persönliche Region entstehen, die vielleicht auf den ersten Blick fremd wirkt. Die kreative Bestimmung von Region und Kontext als erste Aufgabe des Architekten: Es liegt auf der Hand, dass man mit dieser Auffassung den selbsternannten und den beamteten Orts­ bildpflegern in die Quere kommt. So hat man sich bei der Bau­ bewilligung für Beneders Haus auch gleich vorsorglich darauf geeinigt, das Bauwerk eher als Terrasse für das dahinter liegende, in jeder Hinsicht ortsbildkonforme Gebäude zu interpretieren denn als eigenständiges Haus. Inzwischen hat sich die niederösterreichische Bauordnung geändert: Durfte früher das Ortsbild durch einen Neubau nicht gestört werden, so ist nun eine „harmonische Einbindung“ verlangt, die aber explizit nicht an Dachformen, Stilelemente, Materialien gebunden ist. Vielleicht besteht also Hoffnung, dass in abseh­barer Zukunft die Betrachter eines Hauses wie jenes in Waidhofen nicht großteils mit Befremden reagieren, sondern mit Offenheit: „So sollte ein Einfamilienhaus aussehen. Oder vielleicht ganz anders.“

06 / 04 / 1996   

DIE STADT DER SCHÖNEN WORTE

Neue Stadtteile schießen in Wien aus dem Boden – etwa das Stadterweiterungs­ gebiet Langobardenstraße Süd zwischen Stadlau und Aspern. Das Konzept: klingende Namen, fixfertige Vielfalt. Ein Einwurf.

N

ur der Tourist kann eine Stadt betrachten wie ein Kunstwerk. Sein Blick fügt Monumente zusammen zu einer Erinnerung, an die er zurückdenken kann wie an den Besuch in einem Museum. Der Bewohner dagegen erlebt seine Stadt ganz anders: Für ihn ist sie so allgegenwärtig und zugleich so unfassbar wie die Luft, die er atmet. Die Stadt altert mit ihm, verwandelt sich mit ihm, teilt sein

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Schicksal, während sie dem Touristen nur Augenblicke zu schenken vermag. Der neugierige Blick des Touristen ist immer auf das Besondere gerichtet. Der öffentliche Raum erscheint ihm als eine Abfolge wichtiger Stationen, um die herum sich die gewöhnliche Stadt als eine kaum wahrgenommene Masse ohne Kontur ausbreitet. Es ist dies dieselbe Art von Wahrnehmung, mit der auch das Stadtmarketing rechnet. Im internationalen Vergleich wird Wien hier nicht schlecht abschneiden: Denkmal­ pflege und Stadterneuerung haben sich zu Recht einen guten Ruf erworben. Die aktive Neugestaltung des öffentlichen Raumes kommt wohl etwas zu kurz, aber immerhin beweisen wir mit dem Haas-Haus Mut zur Innovation auch in der historischen Stadt: Hätte Paris es gewagt, Notre-Dame derartiges gegenüber­ zustellen? In der Stadterweiterung teilt Wien mit vielen anderen europäischen Städten die leidvollen Erfahrungen mit dem funk­ tionalistischen Städtebau der 60er- und 70er-Jahre: monofunktio­ nale Großsiedlungen ohne ausreichende Verkehrsanbindung und soziale Infrastruktur. Aber haben sich nicht auch hier in den letzten Jahren Modelle durchgesetzt, nicht mehr Siedlungen, sondern neue Stadtteile mit klingenden Namen wie ErzherzogKarl-Stadt und Themenstädte vom „Naturnahen Wohnen“ bis zur „Frauen-Werk-Stadt“ hervorgebracht haben? Und was ist gegen Leitmotive wie Vielfalt und Pluralismus einzuwenden, die neben einheimischen Spezifika wie dem Hundertwasserhaus auch geför­ derte Wohnbauten von Architekten wie Zaha Hadid oder Jean Nouvel zulassen, die eindrucksvoll die interna­tionale Offenheit Wiens unter Beweis stellen? Nun ist gegen Stadtmarketing im Prinzip nichts einzuwenden, nichts gegen Stararchitekten und auch nichts dagegen, den Dingen einen schönen Namen zu geben. Wer würde nicht lieber zwischen „Copa Cagrana“ und „Donauinsel“ als in einem „Entlas­ tungsgerinne“ baden, wer würde nicht das „Donauspital“ einem „Sozialmedizinischen Zentrum Ost“ vorziehen? Auch die Schaffung „vielfältiger und lebendiger Stadtteile“ ist ein legitimes Leitziel jeder Stadterweiterung. Freilich: Architektur und Stadt sind keine abstrakten Themen, sondern sinnlich und konkret. Um sie zu erfahren, muss man hinausgehen, die schönen Worte vergessen, die Augen öffnen und die Stadt einatmen. Begeben wir uns also an die Peripherie, wo die versprochenen neuen, lebendigen Stadtteile liegen: 3.000 Woh­ nungen an der Brünner Straße, 1.800 am Leberberg, 2.900 zwischen Stadlau und Aspern. Dem touristischen Blick – falls je ein solcher auf die genannten Gebiete fallen wird – bieten sich tatsächlich vielfältige Strukturen, ein Patchwork aus architektonischen Ein­ fällen und Zufällen, viele Farben und Formen im Vergleich zu den grauen Betonwüsten der 70er-Jahre. Leberberg und Brünner Straße sind noch Mischformen. In seiner reinen Gestalt ist das von der Wiener Stadtplanung propa­ gierte Konzept der Patchwork-City jedoch zwischen Stadlau und Aspern zu bewundern. Hier beginnt östlich und nördlich des „Sozialmedizinischen Zentrums Ost“ ein zusammenhängendes 351

Stadtentwicklungsgebiet etwa in der Größe des 8. Bezirks. Nörd­ lich des SMZ-Ost wurde schon in den 80er-Jahren das Spiel des Patchworks eröffnet. Ein Wohnblock von Viktor Hufnagl, in dem sich glasgedeckte innere Straßen und Wohnhöfe abwech­ seln, grenzt an ein Stückchen Gartenstadt von Roland Rainer, das wieder in eine zitathafte Anordnung von Plätzen, Angern und Gässchen zerfällt und eine stadträumliche Tristesse erzeugt, die Rainers größeren Siedlungen fremd ist. Denn wo diese großzügig Bezug zum angrenzenden Landschaftsraum aufnehmen können, ist hier gerade Platz genug für ein trockenes städtebauliches Manifest. Den Hintergrund für Rainers und Hufnagls Wohnbauten bildet ein Pensionistenheim der Gemeinde Wien, ein Exemplar eines standardisierten Typs: ein mehrfach abgewinkelter fünfge­ schossiger Bau, der verdreht auf seinem rechteckigen Grund­ stück sitzt und mehrere dreieckige, mit Maschendraht von der Umgebung abgegrenzte Restflächen übrig lässt. Eine Verknüpfung mit den angrenzenden Bereichen ist nicht einmal im Ansatz versucht. Ebenfalls noch aus der Zeit vor der jüngsten Welle der Stadterweiterung stammt ein Wohnbau von Boris Podrecca am Kapellenweg, der das Areal des SMZ-Ost östlich begrenzt. Der lang gestreckte Bau sollte eine Art Stadtkante definieren, ein Gedanke, über den die Entwicklung längst hinweggegangen ist: 2.200 Wohnungen wurden in den letzten Jahren jenseits dieser Kante errichtet. Gleich neben Podreccas langer Zeile stößt ein weiteres Stück Gartenstadt von Roland Rainer an die drei unför­ migen Finger eines Wohnbaus von Harry Glück und an eine Volks- und Sonderschule, für die Hannes Lintl verantwortlich zeichnet. Vor der Architektur dieses Baus muss die Kritik kapitu­ lieren: Was gibt es zu Säulen im Design zugespitzter Bleistifte noch zu sagen? Mit ihrer Breitseite sperrt sich diese Schule gegen einen Park, der das Gebiet als „Grünzug“ in zwei Teile trennt. Er folgt zuerst den alten Flurformen, knickt dann aber plötzlich diagonal aus. Auch hier wurde schon gestaltet: Ein Serpentinenweg ist angelegt, Laternen und Bäume sind locker verteilt, ein kleiner Buckel in der Mitte soll noch von einem Salettl gekrönt werden. Im östlich angrenzenden Teil werden wieder zwei verschiedene Stadtkonzepte durchgespielt: einerseits eine Variante des konven­ tionellen Straßenraums, andererseits die zusammenhängende, von mehreren Architekten gestaltete Großform. Das erste Konzept leidet daran, dass noch lange keine Straße entsteht, wenn man für den Zeilenbau konzipierte Bautypen enger zusammenschiebt. Man hätte sich Podreccas Wohnbau genauer ansehen sollen, der ohne jedes Gegenüber eine Straße zu definieren imstande ist. Hier kann dagegen kein Gebäude den Straßenrand halten: Unter dem Motto der Vielfalt spricht jeder seine eigene Sprache, machen sich Elemente und Farben selbstständig. Das zweite Konzept ist im Ansatz ebenso fragwürdig: Eine autonome, kompliziert gegliederte Großform mit mehrgeschos­ sigen Durchfahrten lässt sich kaum ohne schmerzhafte Brüche 352

auf verschiedene Architekten aufteilen. Gerade die besseren Teil­ lösungen – wie etwa Helmut Wimmers ruhiger Hoftyp mit seinen flexiblen Wohnungsgrundrissen – machen die Schwächen des gemeinsamen Korsetts noch deutlicher. Was wäre hier alles möglich gewesen, wenn man die Vielfalt nicht fix eingeplant, sondern in einem viel einfacheren System einfach zugelassen hätte. Mit diesem Gedanken verlassen wir endgültig den Weg einer retrospektiven, touristischen Betrachtung. Alles Gesagte war ja eine Kritik aus sicherer Distanz. Nichts zwingt mich, jemals wieder in die Gegend zwischen Aspern und Stadlau zu fahren, und selbst wenn ich für das Stadtmarketing verantwortlich wäre, blieben viele Wege offen: Ich könnte andere Bildausschnitte wählen, spie­ lende Kinder in den Vordergrund bringen, schöne neue Namen erfinden – noch für den langweiligsten Baublock. Die Bewohner können all das nicht. Sie werden ihrem Stadtteil trotzdem verbunden sein: Das Bedürfnis nach Heimat misst nach eigenen Kriterien. Aber das darf nichts an einer prospektiven Kritik an der fixfertigen Vielfalt ändern, die hier als pluralistisch oder gar demokratisch verkauft werden soll. Denn echte Vielfalt ist stets das Ergebnis von Freiheit, nicht ihr abstraktes Abbild. Die Freiheit der Architekten, ihre Formvorstellungen durchzusetzen, ist da sekundär. Es geht um die Reserve an Freiheit, die in einem Stadt­ teil verblieben ist, um zukünftige Entwicklungen zu bewältigen, die wir heute kaum erahnen können: vielleicht die Umwandlung einer hedonistischen Gesellschaft in eine solidarische; die Bewäl­ tigung ökologischer Krisen; veränderte Formen von Arbeit und Freizeit. All das wird auch seine räumlichen und baulichen Konsequenzen haben, wird Platz brauchen für Experimente mit neuen Formen des Zusammenlebens und wandlungsfähige Institu­ tionen wie Schulen und Kindergärten in flexiblen Bauten. Groß ist die Reserve dafür in den neuen Stadterweiterungen nicht. Zu oft haben sich hier die alten Seilschaften von unbeweglichen Bauträgern, gleichgültigen Architekten und einer das Risiko meidenden öffentlichen Verwaltung durchgesetzt. Aber eine Stadt ist ja nie fertig: Die nächste Welle der Stadterweiterung wird kommen, und auch die nun wieder angesagte Verdichtung im Inneren kann von einer offenen Kritik der jüngsten Erweiterungen nur profitieren.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 354

25 / 11 / 1995   

DAS ENDE DER KALKPUTZSTADT?

Eine neue Form der Urbanität – ohne jeden Bezug zur imperialen Vergangenheit Wiens? Mit ihrem Schulzubau in der Zinckgasse setzen die Rainer-Schüler Georg Driendl und Gerhard Steixner einen Schritt in diese Richtung.

V

ergangenes Jahr hat die „Königliche Kommis­ sion für die Schönen Künste“ Großbritanniens ein Buch herausgegeben, das unter britischen Architekten für einiges Aufsehen sorgte. Sein Titel lautete schlicht: „What makes a good building?“ Auf die Frage, was für das Gelingen eines guten Gebäudes notwendig sei, bietet dieses Buch eine äußerst einfache Antwort: ein gutes Raumpro­ gramm, ein guter Bauherr und ein guter Architekt. Architektur als kulturelle Positionsbestimmung könne nur gelingen, wenn diese drei Faktoren zusammenstimmen. Diese einfache Antwort stellt die Frage nach der Qualität von Architektur in den Kontext der vielfältigen und oft widersprüch­ lichen Kräfte, die an der Entstehung eines Bauwerks beteiligt sind. Dass dabei neben dem Architekten und dem Bauherrn auch das Raumprogramm als ein eigenständiger Faktor bezeichnet wird, ist bemerkenswert, gelten doch Raumprogramme meist als objektive Vorgaben, die getrennt vom Entwurfsprozess erarbeitet werden können. In Wahrheit ist das kaum je der Fall. Raumprogramme sind nichts wissenschaftlich Objektives, sondern das Ergebnis von Konventionen und Erfahrungswerten und verschiedensten, oft irrationalen Einflüssen. Sie sind nur ein erster Ansatz, um menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte in Bezug auf einen bestimmten Ort quantitativ und qualitativ zu formulieren. Ein guter Bau­herr zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er von seinem Architekten erwartet, das Raumprogramm im Entwurfs­ prozess nicht nur zu erfüllen, sondern über die bisherige Erfah­ rung hinaus kritisch weiterzuentwickeln. Wenn es der Wiener Stadtverwaltung in letzter Zeit irgendwo gelungen ist, sich als guter Bauherr in diesem Sinn zu erweisen, dann im Rahmen des Schulbauprogramms 2000, jener Summe von rund 60 Einzelprojekten, in die bis zur Jahrtausendwende über neun Milliarden Schilling investiert werden sollen. Dabei ist bisher eine erstaunliche Anzahl qualitätsvoller Schulbauten entstanden und in der Öffentlichkeit heftig diskutiert worden. Die Feststellung der seit einem Jahr amtierenden Vizebürger­ meisterin und Stadträtin für Jugend, Familie, Soziales und Sport, Grete Laska, dass „architektonische Kinkerlitzchen nicht 355

wichtiger sein dürfen als ein ordentlicher Schulbetrieb“, markiert zusammen mit dem lustvollen Auswalzen von Kontrollamtsbe­ richten die unterste Grenze des Diskussionsniveaus. Dagegen steht am anderen Ende die differenzierte Auseinandersetzung, die sich unter den Benutzern und in der Fachwelt entwickelt hat. Dass man nicht nur in, sondern auch von diesen Schulen lernen kann, ist unbestritten; und das ist ein gutes Zeichen. Architektonische Kinkerlitzchen? Erst die Details machen die Schule für sehbehinderte Kinder im dichtbebauten Gebiet zu einem Ort der Lebensfreude Fotos: James H. Morris

Die Schule in der Zinck­ gasse im 15. Bezirk, ein Entwurf der Architekten Georg Driendl und Gerhard Steixner, ist das jüngste Bei­ spiel dieser Entwicklung. Driendl und Steixner haben 1992 mit einem Wettbe­ werbsbeitrag für die Haupt­ schule in der Langobarden­ straße auf sich aufmerksam gemacht. Ihr Projekt – im Wettbewerb leider sang- und klanglos untergegangen – war der interessanteste Beitrag zur Schulbautypologie, der in Wien in den letzten Jahren entstanden ist. War in der Langobardenstraße ein Neubau auf der grünen Wiese gefordert, für den Driendl und Steixner ein urbanes Raumgerüst vorschlugen, so handelt es sich in der Zinckgasse um einen Zubau zu einer bestehenden, innerstädtischen Schule aus dem 19. Jahrhundert. Dieser Zubau sollte speziell für den Unterricht sehbehinderter Kinder konzipiert werden. Zur Verfügung stand eine enge Baulücke, auf der einen Seite begrenzt vom bestehenden Schulbau, auf der anderen von einem privaten Wohnhaus. In ihrem ersten Entwurf schlugen die Architekten vor, an die Schule mit einem leichten Verbindungsbau anzuschließen und vom Nachbarhaus ein Stück abzurücken. Dieser Gedanke, das Gebäude zumindest optisch frei in die Baulücke zu stellen, hatte einerseits ganz pragmatische Gründe: Der Zustand des 356

Nachbarhauses ließ mittelfristig einen Verkauf der Liegenschaft erwarten, was die Möglichkeit geboten hätte, dort eine für die Schule dringend benötigte Freifläche zu schaffen. Zugleich war dieses Abrücken aber auch ein Ausdruck der Ablehnung gegen­ über dem festgefügten, geschlossenen Baublock der Gründerzeit. Der Versuch, über ein Schulprojekt so etwas wie Städtebau von unten zu betreiben, erwies sich jedoch bald als unrealisierbar. Die Forderung nach Nutzflächenmaximierung machte eine fast vollständige Überbauung des Grundstücks notwendig, selbst ein kleiner Lichthof, der den im Keller untergebrachten Turn­ saal erstaunlich gut mit Seitenlicht versorgt, musste in den oberen Geschossen – bis auf einen winzigen Rest von 6 m2 – mit auskra­ genden Gebäudeteilen überdeckt werden. Um im Inneren trotz dieser hohen Dichte nirgendwo das Gefühl von Beengtheit aufkommen zu lassen, haben sich die Architekten bemüht, die umliegenden Straßen- und Hofräume durch geschickte Orientierung und großzügige Verglasung ein­ zubeziehen. Oberlichten und einige klug gesetzte, verglaste Innen­ wände erlauben immer wieder Durchblicke durch das Gebäude, die aber nicht als jeweils für sich inszenierte Bilder wirken, sondern erst in ihrer Summe eine gesteigerte Raumerfahrung vermitteln. Wer an große Gesten gewöhnt ist, wird hier nicht auf seine Rechnung kommen. Dafür stellt sich rasch das Gefühl ein, in einem harmonisch aufgebauten Gehäuse zu sein, das den Benutzer schützt, ohne ihn einzuschließen. Für die Grundrissanordnung ließ die enge Baulücke nur wenig Dispositionsfreiheit. Pro Stock­ werk sind zwei Klassen an die Straßenseite gelegt, ein schmaler Pufferraum dient als Garderobe. In die Grundstückstiefe schiebt sich ein etwas verschmälerter Quertrakt, der eine weitere Stamm­ klasse, das Treppenhaus und Sonderunterrichtsräume aufnimmt. Die Straßenfassade ist, dieser Anordnung entsprechend, sym­me­ trisch gegliedert, nur im Erdgeschoss wird das leicht zurückge­ setzte Fensterband der Lehrküche über die Mitte hinaus bis zum Haupteingang geführt. Dieser durchaus konventionellen Anord­ nung steht eine konstruktive und formale Durchbildung gegen­ über, die das Gebäude von seiner Umgebung abhebt. Um den Klassen möglichst viel Licht zu geben, ist die Straßenfassade fast vollständig verglast. Wegen der großen Höhe der Stock­werke wurde eine Fixverglasung vorgesehen, vorgehängte Balkons erlauben eine einfache Reinigung. Für die Belüftung sorgen etwas schmälere, nicht verglaste Elemente. Aus dieser Trennung der Funktionen des Fensters – in Belich­ tung und Ausblick auf der einen und Belüftung auf der anderen Seite – entsteht eine ungewöhnliche, auf den ersten Blick irritie­ rende Ordnung der Fassaden, die durch die ursprünglich vor­ gesehene Ausführung als Holzriegelwand noch verstärkt worden wäre; die jetzt ausgeführte Aluminiumkonstruktion, zusammen mit dem grau gefärbten Putz, gibt dem Gebäude von außen einen technoiden Charakter. Wenn die vorgesehene Begrünung der Fassade als zusätzliche organische Schicht tatsächlich realisiert wird, könnte der ursprünglich angestrebte Eindruck zumindest annähernd Wirklichkeit werden. 357

Im Inneren beweist die Materialwahl deutlich, dass die glatt polierte Fassade nicht die erste Wahl der Architekten gewesen sein kann. Hier stoßen massive Klinkerwände an Fichtenholz­ verschalungen, Solnhofener Platten an Terrazzo. Diese Mischung von Materialien, die nicht nur optisch, sondern auch bei der Berührung sehr unterschiedlich wirken, ist in einer Schule für sehbehinderte Kinder besonders gerechtfertigt. Wer andere Bauten von Driendl und Steixner kennt, weiß, dass sie diese sich hart an der Grenze zur Dissonanz bewegende Materialkombination aber in jedem Fall gewählt hätten. Als Schüler von Roland Rainer haben sie keine übertriebene Ehr­ furcht vor dem, was oft als „Genius loci“ Wiens bezeichnet wird, vor der „Kalkputzstadt“ und deren Klassizismus. Es gibt in dieser Hinsicht eine Verwandtschaft zwischen Rainers gerade in Fertig­ stellung begriffenem Akademiehof und der Schule in der Zinckgasse. Hier wie dort wird eine andere Form von Urba­nität gesucht, eine Urbanität ohne jeden Bezug zur imperialen Vergan­ genheit Wiens, und daher auf den für Wien typischen Versuch einer Verbindung von Moderne und Klassizismus verzichtet. Es ist erstaunlich, dass Bauten wie diese im Wiener Kontext nach wie vor „fremd“ erscheinen, zumindest im Vergleich mit so typisch „wienerischen“ Bauten wie den Ringstraßengalerien oder dem Plaza-Hotel. Auch wenn die genannten Beispiele dazu jeden Anlass geben: Der „Genius loci“ kann nicht emigrieren. Aber er kann sich verändern und entwickeln. 80 Jahre nach dem Ende der Monarchie ist dafür vielleicht die Zeit gekommen.

23 / 09 / 1995   

HOLZ UND 1000 JAHRE

In Schweden hat sich der Grazer Architekt Hubert Rieß mit der Kultur des Holzbaus vertraut gemacht. In Bayern hat er nun den unterschätzten Werkstoff bei der Errichtung von Fertigteilhäusern eingesetzt.

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ichts fürchten Fertighaushersteller mehr, als dass man ihre Erzeugnisse als das erkennen könnte, was sie sind: erstens Industrieprodukte und zweitens – zu­ mindest in den meisten Fällen – aus Holz. Die Mehrheit der Bauherren wünscht sich Individualität und bleibende Werte, und beides wird hierzulande eher einem massiven Ziegelbau zugetraut. Holz darf zwar gewisse rustikale Assoziationen wecken, etwa als Blockhaus fürs Wochenende, aber ansonsten bleibt da immer ein Geruch von Stadel oder gar Baracke. Als städtisches Material ist Holz bei uns so gut wie undenkbar.

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Fertighäuser verstecken ihre wahre Natur daher meist hinter einer seriös wirkenden Putzschicht, und die meisten österreichischen Bauordnungen sorgten bis vor Kurzem dafür, dass Holz im Wohnbau nur für kleine und maximal zweigeschossige Bauten zum Einsatz kam. Die Gründe dafür liegen nicht im technischen, sondern im kulturellen Bereich. Schon westlich des Arlbergs gilt ein Holzhaus bekanntlich als „echtes“ Haus. In den USA ist der überwiegende Teil des Wohnbaus in Holz konstruiert, auch wenn das auf den ersten Blick oft nicht sichtbar ist, und selbst fünfgeschossige Holz­ bauten sind dort nichts Ungewöhn­liches, da der Brandschutz durch eine Sprinkler­anlage nachge­wiesen werden darf. Skandi­ navien hat überhaupt eine von Holz­konstruktionen geprägte Bau­ kultur, wobei Holz auch in manchen gar nicht so kleinen Städten als vorherrschendes Baumaterial zu finden ist. Dass man sich seit einigen Jahren allgemein wieder mehr für Holz als Baustoff mehrgeschossiger Gebäude zu interessieren beginnt, hat zwei Gründe: Erstens zeigen vor allem die amerika­ nischen Beispiele, dass man mit Holz unter bestimmten Bedin­ gungen sehr billig bauen kann. Zweitens wird Holz immer mehr als ein technologisch avantgardistisches Material erkannt. Das war es natürlich im Schiffsbau schon immer, und auch eines der größten Flugzeuge, das je gebaut wurde, die Spruce Goose des amerikanischen Millionärs Howard Hughes, hatte Rumpf und Tragflächen aus Holz. (Die Goose ist zwar nur ein einziges Mal geflogen, für die Holztechnologie war dieses Projekt aber ein wichtiger Impuls). Heute sind es in erster Linie neue Produktionsmethoden, die Holz für den Geschossbau interessant machen. Vorfertigung erlaubt die Verlagerung des Bauens von der Baustelle in die Fabrikhalle bis hin zu computergesteuerten Fertigungs­straßen. Das klingt im Prinzip nicht gerade neu, im Vergleich zu Beton­ tafelbauten ist die Vorfertigung in Holz aber flexibler und kann auch von kleineren und mittleren Betrieben geleistet werden. Dazu kommen ökologische Argumente: gute Wärmedämmung, wenig Probleme mit Bauschutt, geringer Energieverbrauch in der Produktion (wenn die Trocknung des Materials entsprechend durchgeführt wird). Die steiermärkische Landesregierung hat schon vor zehn Jahren für ein Grundstück in Zeltweg einen Wettbewerb unter dem Titel „Holz im Wohnbau“ ausgeschrieben. Gewonnen hat damals Hubert Rieß, der keine reinen Holzbauten, sondern eine gemischte Bau­ weise mit massiven Wänden, aber Decken und Wintergärten aus Holz vorsah. Rieß hatte sich in Schweden, wo er mehrere Jahre lang bei Ralph Erskine arbeitete, mit der dortigen Kultur des Holz­ baus vertraut gemacht. Erskine, ein gebürtiger Engländer, der sein Büro bezeichnenderweise in einem Schiff eingerichtet hatte, das er von der Themse nach Schweden brachte und im Hafen von Drottningholm vor Anker legte, hat seit Ende der 40er-Jahre sehr eigenständige Beiträge zu dieser Kultur geleistet. Bekannt wurde er durch Vorschläge für Städte in der Arktis und vor allem durch ein Skihotel in Lappland aus dem Jahr 1949, einem fröhlichen 359

Bauwerk mit befahrbarem Dach und schrägen Stützen, das aus der Doktrin des „internationalen Stils“ ausbrach, ohne direkt an traditionelle Formen anzuknüpfen. Hubert Rieß kehrte nach dem gewonnenen Wettbewerb aus Erskines Atelier nach Graz zurück. Was schließlich in Zeltweg realisiert wurde, war enttäuschend, nicht zuletzt, weil die Bauord­ nung sogar für dieses gar nicht so radikale Konzept zu wenig Spielraum bot und auch das Interesse der Industrie an den Vorfertigungsmöglichkeiten gering war. Immerhin hatte Rieß sich auf diesem Sektor einen Namen gemacht, und 1992 lud ihn die bayrische Oberste Baubehörde zusammen mit anderen Architekten ein, Prototyp-Vorschläge für „Mietwohnungen in Holz­system­­­bau­ weise“ zu erarbeiten. Man war dabei vor allem am kostengüns­tigen Bauen interessiert: Aussiedlerunterkünfte, die Ende der 80erJahre in Holztafel­bauweise errichtet worden waren, hatten gezeigt, dass sich die reinen Baukosten von den üblichen 2.300 auf unter 1.500 Mark pro Quadratmeter senken ließen – allerdings unter beachtlichen qualitativen Einbußen, etwa beim Schallschutz, und auch ästhetisch war der Eindruck gestapelter Baracken kaum zu leugnen. Um diese Bauweise auf den sozialen Wohnbau übertragen zu können, wurden Kosten von 1.800 Mark als Ziel festgelegt, und über das Gutachterverfahren nach ästhetisch befriedigenden Lösungen gesucht. Zugleich begann man eine Reform der Bauordnung in Hinblick auf mehr „Holzgerechtigkeit“. Hubert Rieß schlug als Typ eine südorientierte, dreigeschossige Zeilenbebauung vor, nordseitig Laubengänge zur Erschließung, südseitig Balkone. Küche und Essplatz liegen am Laubengang, alle anderen Räume öffnen sich nach Süden. In Schwabach bei Nürnberg wurde nach diesem Konzept ein Pilotprojekt mit 56 Woh­ nungen errichtet. Integriert wurden 16 Altenwohnungen im Erdgeschoss und sechs Wohnungen für Alleinerziehende. Die Mon­ tage für eine Rohbaueinheit mit 14 Wohnungen erfolgte durch fünf Monteure in neun Tagen, die Vorfertigung dauerte etwa einen Monat. Die Baukosten blieben mit knapp über 1.700 Mark pro Quadrat­meter noch unter dem angestrebten Limit. Problemlos war das ganze Unternehmen dennoch nicht. Das Grundstück liegt zentrumsnah in einer vergleichsweise teuren Wohngegend, und die Ablehnung der Bewohner der umgeben­ den Einfamilienhäuser gegen den Sozialbau, der ihnen da vor die Nase gesetzt wurde, wurde durch die Holzbauweise nicht gerade vermindert. Die blau gestrichenen Sperrholzhäuser mit den orangen Säulen wurden als Kaninchenställe apostrophiert, und dass alle Fenster nach außen aufgingen, war überhaupt der Beweis, dass es sich nur um bessere Baracken handeln konnte. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Die Bewohner sind groß­ teils zufrieden, und auch die Nachbarschaft muss zumindest aner­ken­nen, dass die Häuser mit ihren Grasdächern und Regen­ zisternen vielleicht wirklich ökologischer sind als ihre eigenen, und dass vor allem die Mischung mit Senioren­wohnungen eine bessere Bewohnerstruktur herstellt, als sie sonst im sozialen Wohn­ bau zu finden ist. Auch die technischen Probleme waren, wie bei einem Pilotprojekt nicht anders zu erwarten, beachtlich. 360

Die Vorfertigung stellt für den Ausbau eine ganze Reihe von ungewohnten Koordinationsproblemen, und so wurde an der Baustelle einiges vom Einsparungspotenzial wieder verschenkt. Auch das verwendete Verkleidungs­material, ein amerikanisches Sperrholz, erwies sich als weniger witterungsfest als angenommen. Die Erfahrungen aus Schwabach und den anderen Projekten des Modellvorhabens werden sowohl von der Industrie als auch von den öffentlichen Auftraggebern systematisch ausgewertet und in neue Vorgaben und Entwicklungen umgesetzt. Hubert Rieß hat für Waldkraiburg am Inn ein neues Projekt entwickelt, das nächstes Jahr realisiert wird. Das Grundstück liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik mit angeschlossenem Arbeitslager. Waldkraiburg wurde nach dem Krieg großteils von Sudeten­deutschen neu errichtet, und auch das Gelände des Arbeitslagers wurde parzelliert und mit Einfamilienhäusern bebaut. In der Mitte, in unmittelbarer Nachbarschaft des Bau­ platzes, stehen noch ein monumentales Wachgebäude und eine u-förmige Wohnanlage der SS. Assoziationen zu Baracken­wären hier doppelt untragbar gewesen. Rieß hat sich daher bemüht, den Bauten des tausendjährigen Reichs einen urbanen Holzbau entgegenzusetzen, der seine technologischen Qualitäten deutlich nach außen darstellt. Das Konzept entspricht im Prinzip jenem von Schwabach, hintereinander gestellte südorientierte Zeilen, ohne Keller und teilweise vom Boden abgehoben. Aus den Loggien wurden Winter­gärten, statt Sperrholz kommt eine Lärchenver­ kleidung zum Einsatz. Die Fenster öffnen sich immer noch nach außen, aber der Reinigung wegen mit einer technisch aufwendi­ geren Konstruktion. Wo die Zwischenwände an die Fassade stoßen, erlauben kleine Innenflügel eine Sichtverbindung zwischen den Räumen und erweitern den Blick nach außen. Die Kosten sollen sich durch verbesserte Produktionsplanung im angestrebten Bereich um die 1.800 Mark pro Quadratmeter halten lassen. Das Ergebnis sieht im Modell fast ein bisschen zu perfekt aus. Um den Raum zwischen Gefühl und Technologie auszuloten, wird es auch im Holzbau noch viele Experimente brauchen. Hubert Rieß hat jedenfalls gezeigt, wie man diese Experimente auch dann durchführen kann, wenn es vordergründig nur ums Sparen geht.

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20 / 05 / 1995   

KNOTEN IM WALD

„Spaces before, spaces between and spaces after“: Unter der Leitung des Bau­ ingenieurs Neil Thomas und des Architekten Ian Ritchie haben Studenten der TU Wien Objekte zum Thema Raum entwickelt. Zu sehen im Architektur­ zentrum Wien.

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ekanntlich leben in Wien die besten Architek­ ten der Welt. Sie sind an der Akademie der bildenden Künste ausgebildet, lehren dort oder an der Hochschule für angewandte Kunst und haben überall auf der Welt Freunde, die auch die besten Architekten der Welt sind. Zu diesen gehört Helmut Richter nicht. Er ist Professor an der Wiener Technischen Univer­ sität und der Ansicht, dass das architektonische Niveau in dieser Stadt bei weitem nicht so hoch ist, wie oft behauptet wird, sondern geprägt von Selbstgefälligkeit und von Ignoranz gegenüber den technologischen, aber auch den philosophischen Grundlagen des Bauens. Richters eigene Bauten können als Versuch interpretiert werden, all das zu verwirklichen, was im technologiefeindlichen österreichischen Umfeld üblicherweise keine Chance hat. Darin liegt ihre Qualität, aber natürlich auch ein beachtliches Risiko. Denn anders als in Frankreich oder England, wo Architekten, Inge­ nieure und die Bauindustrie ein zumindest im Prinzip kooperatives Verhältnis verbindet, wird in Österreich ein Architekt, der aus den gewohnten Normen ausbricht, rasch zum Störenfried in der prästabilierten Harmonie des Mittelmaßes. Dass sich dieses Umfeld nicht zuletzt durch Helmut Richters konsequentes Bemühen verändert hat, beweist ein Vergleich zwischen seinem ersten Wohnbau auf den Gräf & Stift-Gründen, wo praktisch kein Detail in seinem Sinn realisiert wurde, und der Schule in der Waidhausenstraße, die ihm als Manifest eines tech­ nologisch orientierten Bauens großartig gelungen ist. Als Lehrer ist Richter bemüht, Ingenieure verstärkt in die Architektenausbil­ dung zu integrieren. Zugleich hat er seine Beziehungen zur Architekturszene jener Länder, in denen diese Kooperation in der Baukultur stark verankert ist, genutzt: Peter Cook und Christine Hawley haben auf seine Einladung hin zweimal als Gastprofessoren an der Technischen Universität unterrichtet. Eine Vortragsserie hat eine Reihe von Architekten und Ingenieuren, die aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln über die Bedeutung der Tech­nolo­ gie für ihre Arbeit referierten, nach Wien gebracht. Einer dieser Vortragenden war William Alsop, dessen gerade fertiggestellte Bezirksverwaltung in Marseille zu den spektakulärsten Bürohaus­ bauten der letzten Jahre gehört – und der inzwischen für die Nachfolge von Hans Puchhammer als Professor für Hochbau an

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der Wiener Technischen Universität nominiert wurde. Auch im letzten Semester haben an Helmut Richters Institut im Rahmen des normalen Studienbetriebs zwei international besetzte Veran­ staltungen stattgefunden. Beeindruckend sind vor allem die Ergebnisse eines Entwurfsseminars, das von dem Bauingenieur Neil Thomas und dem Architekten Ian Ritchie gemeinsam betreut wurde. Ritchie und Thomas hatten schon zu Beginn des Seminars einen Sponsor mitgebracht, der sich bereit erklärte, die Reali­ sierung einiger Studentenprojekte zu finanzieren – und das Architekturzentrum Wien versprach, diese Objekte in einem Hof des Messepalastes auszustellen. Abgesehen von dieser konkreten Vorgabe, blieb die Aufgabenstellung, wie sie aus dem Titel des Seminars – „Spaces before, spaces between and spaces after“ – abzulesen ist, äußerst abstrakt. In der ersten Arbeitsphase sollte ein Konzept entwickelt werden, den Begriff Raum, wie er sich aus der Sicht der einzelnen Studenten darstellte, sinnlich erfahrbar zu machen. Mit diesem Problem ist ein Architekt natürlich bei jeder Aufgabe implizit konfrontiert, und die explizite Auseinander­ setzung mit der Frage des Raums gehört zu jeder Grundlehre der Architektur. Raum muss dabei in unterschiedlichsten Erscheinungs­ formen erforscht werden, als objektiver geometrischer Raum, als subjektiver Raum des individuellen Erlebens oder als Resultat sozialer Abläufe. Ritchie forderte die Studenten auf, in der weiteren Arbeit über die Grenzen einer rein architektonischen Betrachtungsweise hinauszugehen und sich auch mit der Darstellung von Raum in der Literatur, im Film und in der Philosophie auseinanderzusetzen. Schließlich sollte auch der Einfluss der Medien – vor allem auf den städtischen Raum – untersucht werden. Eine derartig megalomane Aufgabenstellung führt oft genug zu oberfläch­lichen Ergebnissen, die nur den Anschein philosophischer Tiefe erwecken. Ritchies Forderung nach einer objekthaften Realisie­ rung hat die Studenten jedoch großteils vor dieser Gefahr bewahrt. Der „space after“, der jetzt im Messepalast zu sehen ist, repräsen­ tiert das, was sich von ihren Ideen nach der Auseinandersetzung mit Material und Konstruktion, mit Behörden und Sponsoren als realisierbar erwiesen hat, und diese Herausforderung hat den meisten Projekten ganz offensichtlich gut getan. Natürlich ist die Qualität der Objekte, die von acht Gruppen von Studenten geschaffen wurden, unterschiedlich. Es gibt eine aus quadratischen Teilen zusammengeschweißte Metallspirale, gläserne, faltbare Paravents, einen schwarzen Betonblock, eine Videoanimation. Eine Gruppe hat vier quadratische Glaspaneele unterschiedlicher Transparenz dazu verwendet, an verschiedenen Orten in Wien räumliche Situationen aufzubauen und fotografisch zu doku­ mentieren. Jetzt liegen die Paneele flach auf dem Boden und haben die Spuren ihrer räumlichen Vergangenheit in sich einge­ schrieben. Die außergewöhnlichste Realisierung ist freilich jene, die den ganzen Hof vor dem Architekturzentrum mit einem Wald von Kunststoffrohren ausfüllt. Am Anfang dieses Konzepts stand die Idee, kein eigenes Objekt zu entwerfen, sondern den Raum 363

zwischen den Objekten der anderen Gruppen zum Thema zu machen. Das Ergebnis ist eine Umkehrung der üblichen Verhält­ nisse: Zwar ist die räumliche Spannung zwischen den im Hof aufgestellten Objekten noch spürbar, aber jedes einzelne Objekt muss sich seinen Platz im Raum erkämpfen. Dasselbe gilt für den Besucher, der sich zwischen den Rohren durch Raumver­ drängung seinen Weg bahnen muss. Die Rohre sind aus einem flexiblen, transluzenten Kunststoffmaterial und können von den Besuchern verbogen und sogar verknotet werden, wodurch dauerhafte Störungen des sonst homogenen Raumfelds entstehen. Die Idee, 1.500 Rohre in einem einfachen Raster in die Luft zu hängen, klingt einfacher, als sie schließlich zu realisieren war. Die Stahlseile für die Aufhängung konnten nicht an den umge­ benden Gebäuden verankert werden, und so wurde eine eigene Primärkonstruktion aus schräg gestellten Stahlträgern notwendig, die wiederum nach Fundamenten verlangten. All das überstieg die vom Hauptsponsor zugesagten Mittel um ein Vielfaches, und die Studenten mussten sich um zusätzliche Geldquellen für die Finanzierung des Unternehmens kümmern. So ist jetzt jedes Rohr mit einer transparenten Hülle überzogen, auf der die Logos der verschiedenen Sponsoren aufgedruckt sind. Das tut der Gesamtidee keinen Abbruch: Der Raum, der sich selbstständig gemacht und die anderen Objekte beinahe absorbiert hat, wird so seinerseits parasitär genutzt. Dass unter diesen Bedingungen Kompromisse eingegangen werden mussten, ist verständlich. Die verwendeten Stahlträger hätten um einiges leichter ausgeführt werden können, aber man musste sich auf die vom Sponsor produzierten Maße beschränken. Viel schmerzlicher ist ein Zugeständnis an die behördlichen Auflagen: Um den ungehinderten Durchgang und die Zuliefe­ rung für Lkws durch den Hof zu ermöglichen, mussten – obwohl die Flexibilität der Rohre wahrscheinlich jedem Sattelschlepper genug Platz gelassen hätte – breite Schneisen in den Wald geschlagen werden, und das beeinträchtigt das Konzept spürbar. Was hat diese Installation nun mit Architektur oder gar mit den aktuellen Fragen des Bauens zu tun? Ian Ritchie spricht dezidiert von einer architektonischen Arbeit: Es ginge um kons­ truktive und organisatorische Probleme, um den Umgang mit Raum, Licht, Schatten, aber auch um Fragen der Symbolik. Der Wald aus Kunststoffrohren ist für ihn die Antithese zum archaischen Säulenwald, in dem das vertikale Element aus der Erde wächst, während es hier im Himmel verankert ist und den Boden nicht berührt. Vor allem aber, betont Ritchie, wollte er seine Studenten auf eine Welt vorbereiten, in der Formen niemandem mehr gehören. Die übliche Art der Architektenausbildung, bei der Studenten ihre Projekte als ihre persönliche Errungenschaft betrachten, die sie gegen Kritik von außen verteidigen müssen, lehnt er ab. Das Ergebnis sei nur Selbstsüchtigkeit, und die ist für Ritchie „die Nemesis der Architektur“. Die Zusammenarbeit in Gruppen und der Kontakt nach „außen“, zu anderen künstlerischen und technischen Disziplinen 364

ebenso wie zur Bauindustrie und zu den Behörden ist für Ritchie ein zentrales didaktisches Anliegen. Denn die besten Architekten der Zukunft würden sich nicht durch formale Originalität und persönliche Handschrift auszeichnen, sondern vor allem durch Kooperationsfähigkeit und Offenheit über Disziplingrenzen hinaus. Von einer solchen Entwicklung könnte auch die Baukultur nur profitieren.

04 / 02 / 1995   

EDLE WILDE UND HUNDERTWASSERS HOSENTRÄGER Der Wiener Donaukanal ist architektonisch ein Katastrophengebiet. Auch die neue Brücke für die U6 hat das Niveau dort nicht gehoben. Aber durfte man das erwarten?

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ie schönsten Brücken über den Donaukanal kenne ich nur von Zeichnungen: Otto Wagner hat sie im Rahmen seines Stadtbahnprojekts für den Bereich des Schweden­ platzes entworfen, leichte Stahltragwerke mit steinernen Pylonen, die den Übergang vom 2. Bezirk zur inneren Stadt markieren sollten. In der ersten Variante aus dem Jahr 1896 sind die Brückenträger noch reich mit floralen Ornamenten geschmückt und teilweise auch nach dem Vorbild von Pflanzen geformt. 1905, in einer späteren Variante, sind davon nur einige streng geometrisierte Kränze und Girlanden übrig geblieben, offensichtlich als selbstständige Schmuckelemente über die Konstruktion gehängt. Auch in der Art der Menschendarstellung in den Zeichnungen gibt es eine bemerkenswerte Radikalisierung. Im ersten Projekt macht Wagner seine Brücke zu einer Kulisse für eine äußerst naturalistische Szene, in der Zeichnung von 1905 bilden Stadt, Brücke und Passanten dagegen eine stilistische Einheit. Obwohl die Rationalität der Konstruktion und die (in Wagners Worten) „peinlichste Erfüllung des Zwecks“ in seinen Bauten immer deutlich spürbar sind, bleibt Schönheit für ihn das eigentliche Ziel. Architektonische Schön­ heit ist dabei eine eigenständige Qualität, die dem rohen Material vom Künstler-Architekten auf der Grundlage von tradierbaren, aber begrifflich nicht fassbaren Regeln aufgeprägt werden muss. Aus dieser Grundhaltung rechtfertigt sich bei Wagner der Anspruch auf eine totale Stilisierung der sichtbaren Welt. Die Architektengeneration nach dem Ersten Weltkrieg glaubte freilich, eine ganz andere Art von Schönheit entdeckt zu haben, deren Wirkung nicht auf einer „Veredlung“ des Materials durch

Entwürfe von Otto Wagner für die Ferdinandsbrücke über den Donaukanal, 1896 und 1905

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eine künstlerische Form beruht, sondern auf der möglichst reinen Darstellung der Wechselwirkung zwischen dem Material und den einwirkenden Kräften. Das Ideal dieser Ästhetik waren die Schöp­ fungen des Ingenieurs, in erster Linie natürlich die Präzision der Maschine. Le Corbusier verglich den Ingenieur mit einem „edlen Wilden“, der unbelastet von tradierten Vorurteilen zur reinen, natürlichen und exakten Form gelangen könne. Die Formen, die von Ingenieuren für sogenannte Zweckbauten, für Lagerhäuser, Wasserbehälter und Silos entwickelt wurden, galten als Vorboten einer neuen Architektur, die auf ähnlich wissen­ schaftlicher Basis zu einer zeitlosen Ästhetik gelangen sollte. Daraus ist nicht viel geworden: Die komplexen und widersprüch­ lichen Randbedingungen der Architektur ließen sich nicht ohne Verluste in eine wissenschaftliche Formel zwängen. Unter den Händen der Architekten verwandelte sich die ingenieurmäßige Formensprache in einen neuen, internationalen Stil, der genauso kurzlebig war wie seine Vorgänger. Geblieben ist die Idee einer selbstständigen Ästhetik des Ingenieurbaus. Überall dort, wo es in erster Linie um die Beherrschung von Kräften geht, gilt die Ableitung der Form aus einer ingenieurmäßig korrekten Durch­ arbeitung als selbstverständlich. Die neue Brücke über den Donaukanal, die jetzt im Zuge der Verlängerung der U6 nach Floridsdorf errichtet wurde, gibt wieder einmal Anlass, über die Frage einer autonomen Ästhetik des Ingenieurbaus nachzudenken. Bei der Brücke handelt es Der Meister wurde schon gesichtet: Spannseilbrücke, geplant von Pauser und Biberschick. Im Hintergrund die Müllverbrennungsanlage Spittelau, verkleidet von Friedensreich Hundertwasser Foto: Monika Seidler

sich um eine asymmetrische Schrägseilbrücke, deren Kabelbündel vom Brückenträger weg strahlenförmig zu zwei rund 30 Meter hohen Pylonen aus Stahlbeton führen. Die Pylone selbst sind zur anderen Seite hin abgespannt, um ihre Belastung zu minimieren. Als Überbrückung eines relativ schmalen Gewässers ist diese Konstruktion jedenfalls ungewöhnlich: alle anderen Brücken am Donaukanal kommen für die Spannweite von knapp 60 Metern mit viel einfacheren Mitteln aus. Auf den ersten Blick liegt die Vermutung nahe, dass hier mit einer aufwendigen Konstruktion ein besonderes Signal gesetzt werden sollte. 366

Eine Anfrage beim Bauingenieur, von dem das Konzept für die Brücke stammt, klärt das als Irrtum auf. Peter Biberschick, Partner von Manfred Pauser, einem der bekann­ testen österreichischen Brückenbauer, begründet die Entschei­ dung für die gewählte Konstruktion Punkt für Punkt aufgrund besonderer Voraussetzungen. Es handelt sich eigentlich nicht um eine, sondern um drei Brücken: die mittlere dient der U-Bahn; die stromaufwärts liegende ist eine Abfahrtsrampe von der Gürtelbrücke zur Brigittenauer Lände für den Autoverkehr; strom­ abwärts bildet ein drittes Tragwerk einen Fußgängersteg mit direkter Anbindung an die neue Station „Spittelau“. Alle drei Trag­ werke liegen auf Querträgern auf, die ihre Last über die Kabel­ bündel an die Pylonen weiterleiten. Die Schrägseilkonstruktion selbst ist durch den weiteren Streckenverlauf der U-Bahn bedingt. Da die nächste Station unterirdisch angelegt werden musste, ist die U-Bahn­-Trasse schon im Brückenbereich mit der maximal erlaubten Neigung von 4 % nach unten geführt und verschwindet am Brigittenauer Ufer in einem überschütteten Rampentunnel. Um das Schifffahrtsprofil des Donaukanals nicht unnötig einzu­ schränken, musste das Tragwerk über das Fahrbahnniveau der Brücke gelegt werden. Eine erste Grundentscheidung bestand darin, die drei Funktionsbereiche der Brücke knapp nebeneinander zu legen und zwischen ihnen Raum für eine übergeordnete Tragkonstruktion zu lassen. Als Alternativen dafür boten sich eine Bogenkonstruk­ tion und die nun ausgeführte Schrägseillösung an. Die Idee der Bogenbrücke wurde aus ästhetischen Gründen nicht weiter­ verfolgt, wie Peter Biberschick betont: Die schräg geführten Fahr­ bahnen seien als unverträglich mit der Bogenform angesehen worden. Die Schrägseilkonstruktion erfüllte dagegen nicht nur alle äußeren Anforderungen, sie hatte vom Ingenieursstand­ punkt aus auch den zusätzlichen Reiz, dass sich das anschließende Tunnelbauwerk zur Verankerung der Abspannseile mitbenutzen ließ. Von diesem Punkt an ist die Gestalt der Brücke das Ergebnis von Berechnungen: Die Höhe der Pylonen ergibt sich aus der sinnvollen Neigung der Seilabspannung, ihre Dimension aus den angreifenden Lasten und die Form der seltsamen stählernen Aufsätze auf den Pylonen aus der Notwendigkeit, die Kabelauf­ hängung für Wartungszwecke zugänglich zu halten. Die Architekten Holzbauer, Marschalek, Ladstätter und Gantar, als Architektengemeinschaft U-Bahn schon für die Strangpress­ ästhetik der ersten U-Bahn-Bauten zuständig, haben dieser Darstellung der Gestaltfindung für die neue Brücke kaum etwas hinzuzufügen. Heinz Marschalek ist zwar über die Dicke und die Farbgebung der Abspannseile nicht gerade glücklich, eine Durchfärbung der Polyäthylenhülle in einer anderen als der schwarzen Materialfarbe wäre jedoch zu teuer gekommen. Und was die Höhe der Pylonen betrifft, so ist er mit dem Tragwerks­ planer einig, dass es sich hier eben um einen reinen Zweckbau handelt, bei dem skulpturale Überlegungen keine Rolle gespielt hätten. Überhaupt scheint sich die AGU dieses Bauwerks nicht besonders angenommen zu haben: Die einzig merkbaren Zutaten 367

sind ein plump gelöster Stiegenaufgang zum Fußgängersteg (eine Brücke weiter stromaufwärts hätte man nachsehen können, wie leicht eine Stahlbetontreppe konstruiert sein kann) und das Tunnelportal, in dem die U-Bahn nach der Brücke verschwindet. Dieses Portal ist im Grunde nicht mehr als die Überdachung einer Abfahrtsrampe, und doch vermittelt es mit seinen Beton­ massen den Eindruck, als müsse es sich gegen den Mont Blanc stemmen. (Mit der hinteren Abspannung der Kabelbündel haben diese Betonmassen im Übrigen keinen zwingenden Zusammen­ hang: Deren Widerlager liegt eine ganze Konstruktionsebene tiefer.) Wenn man von diesen den Architekten anzulastenden Zutaten einmal absieht, ist freilich alles an dieser Brücke begründ­ bar. Schön ist sie deswegen aber noch lange nicht. Die Propor­ tionen sind grob, der visuelle Eindruck unruhig. Alle Details sind auf ein einziges Kriterium hin optimiert, das mit einer Ingenieur­ ästhetik der minimierten Konstruktion gar nichts zu tun hat, nämlich auf geringste Kosten. Innovativ ist dabei höchstens, dass auch die Erhaltungskosten in die Rechnung einbezogen wurden: daher die mehrfache Polyäthyleneinbettung der Kabel und die Verdoppelung der Abspannung. Aber hätte man sich denn bei einem solchen Bauwerk überhaupt mehr erwarten dürfen? Ich denke schon. Der U-Bahn-Bau ist eines der größten öffentlichen Projekte der Stadt Wien. Im Rahmen eines solchen Projekts gibt es eine große Anzahl von Standardsituationen, die allein auf­ grund ihrer Wiederholbarkeit auf einem nicht nur konstruktiv, sondern auch ästhetisch hohen Niveau gelöst werden können. Und es gibt außergewöhnliche Punkte, die als besondere Heraus­ forderung erkannt und angenommen werden müssen. Der Bau­ abschnitt, in dem die neue Donaukanalbrücke liegt, ist aus dieser Perspektive betrachtet wahrscheinlich der interessanteste der ganzen U6: Er schließt direkt an die alte Wagner’sche Stadtbahn an, muss eine Flussquerung und zugleich den Wechsel der Streckenführung von Hoch- in Tieflage bewerkstelligen und ist durch seine Lage an einer der Wiener Stadteinfahrten auch ein markantes Element im Stadtbild. Um diese Herausforderung anzunehmen, hätte es den Mut gebraucht, sich von einer Ingenieurästhetik zu befreien, die sich für wissenschaftlich hält und dabei doch nur für eine Ideologie der minimierten Kosten vereinnahmt wird. Natürlich hätte mehr Qualität auch mehr gekostet, und bei einer Gesamtsumme von 1,3 Milliarden Schilling, die für die 672 Meter dieses Bauab­ schnitts projektiert sind, ist jedes Prozent ein beachtlicher Betrag. Freilich: Der beste Beweis, dass selbst die pervertierteste Form von Schönheit öffentlich finanziert werden kann, steht in unmit­ tel­barer Nachbarschaft – Hundertwassers Kostüm für den Ver­ brennungsturm hat den Steuerzahler mindestens 85 Millionen Schilling gekostet. Der Meister wurde übrigens schon in der Nähe der Brücke gesehen. Wird er die Pylonen mit Kacheln verzieren, oder werden die schwarzen Abspannseile bald bunt bemalt als Hundertwassers Hosenträger ins Wiener Stadtbild eingehen?

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28 / 01 / 1995   

BLITZENDE ZAHNSPANGE MITTEN IM GESICHT?

Hermann Czechs neue Verglasung der Opern-Loggia.

Netz um die Statuen: Hermann Czechs umstrittene Intervention an der Wiener Oper Foto: Harald Schönfellinger

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er Schock geht offenbar tief: Zwar handelt es sich bloß um eine temporäre Verglasung, aber kaum eine Bau­ maßnahme der letzten Monate hat ein solches mediales Echo gefunden. In der „Kronenzeitung“ sinniert deren Reimkünstler, dass sich Eduard van der Nüll, einer der Architekten der Wiener Oper, „angesichts der Spiegelscheiben wohl zum zweiten Mal entleiben“ würde; der Kultursprecher der ÖVP, Franz Morak, nennt die neue Verglasung einen „Schandfleck“, hier werde mit einer Fassade „konstruktivistisches Schindluder“ getrieben; und allgemein reagiert die Öffentlichkeit zumindest irritiert, so als hätte die alte Dame Oper, bisher für ihr vornehmes Lächeln berühmt, plötzlich eine blitzende Zahnspange mitten im Gesicht. Für Hermann Czech, von dem der Entwurf für die neue Verglasung stammt, ist es eine eher ungewohnte Erfahrung, dass seine Architektur als aufdringlich kritisiert wird, gilt er doch allgemein als Meister der subtilen, den Kontext respektierenden Intervention. Er selbst sagt von seiner Architektur, dass sie nur dann spricht, wenn sie gefragt wird. Dieses Versprechen löst Czech nicht nur durch raffinierte Details und Rauminszenierungen ein: 369

Immer wieder finden sich auch Anspielungen, die aus den engen Grenzen einer sich als autonom verstehenden Architektur hinaus­ weisen. So etwa beim Café im Museum für angewandte Kunst, in dessen Portal Czech einen Beleuchtungskörper aus der Samm­ lung – eine Leuchte, die auf der Wiener Reichsbrücke zum Ein­ satz kam – so integriert hat, dass er wie ein riesiges Auge wirkt, das auf die Ringstraße leuchtet. Oder beim Musikgeschäft in den Wiener Opernarkaden, dessen Name ARCADIA in großen Lettern wiederholt den Sockel der Schaufensterscheiben bildet, wodurch sich beim Eingang recht zwanglos durch Wegfall der Buchstaben CAD ein Hinweis auf den Geschäftszweck geben lässt. Im Fall der Loggia-Verglasung musste vor allem der temporäre Charakter der Konstruktion angedeutet werden: Die Verglasung dient ja nur für wenige Monate im Jahr als Schutz für die Fresken von Moritz von Schwind. Dass Czech daher seine Konstruktion in Material und Farbe von den anderen Fensterelementen der Oper absetzt, ist nur nahe liegend. Bemerkenswerter ist dabei die geometrische Lösung: Auf der Höhe der Kapitelle folgt die Kon­struk­tion zwischen den Bögen einer Art durchhängender Kettenlinie, in deren Knickpunkten die Teilung für die Bogen­ felder aufsitzt. Die Verglasung springt dann zurück, um den Statuen mehr Raum zu lassen. Dass sie im unteren Bereich dann wieder nach außen gestülpt wird, ist weniger einsichtig. Czechs Argument, dass ein gerader Abschluss zu banal gewesen wäre und er eben ein Glasnetz und keine Glaswand in die Loggia setzen wollte, kann mich nicht so recht überzeugen. Denn anders als die durchaus glückliche Lösung im oberen Bereich ist die untere praktisch nur in der Frontalansicht verständlich und hat den zusätz­ lichen Nachteil, dass der Blick vom Innenraum auf die Statuen behindert wird. Ansonsten ist der Innenraum ein wesentlicher Fortschritt. War die Außenansicht der alten Verglasung aus dem Jahr 1983 viel­ leicht wirklich – wie Otto Kapfinger es seinerzeit ausgedrückt hat – ein „Pyrrhussieg der Denkmalpflege“, so konnte man im Inneren nur von einer Niederlage sprechen. Wer sich heute nach der Banalität der alten Lösung, deren scheinbare Unaufdringlichkeit in Wahrheit nichts als Gleichgültigkeit war, zurücksehnt, kann die Konstruktion nie von innen gesehen haben: Seitliche Fresken­ felder wurden von den Konstruktionsprofilen beschnitten, hinter den Säulen geführte Blechkästen dienten als Lüftungskanäle. Czech ist es gelungen, Lüftungs- und Heizungskanäle, Rauch­ klappen und Fluchttüren schlüssig zu integrieren. Wenn nächstes Jahr der scheußliche grüne Spannteppich gegen einen sand­far­ benen ausgetauscht ist, wird die Loggia auch im verglasten Zustand dem Charakter einer Oper gerecht werden. Man hätte diese Aufgabe auch anders lösen können, vielleicht zeitgeistiger, aber wohl kaum besser. In ein paar Jahren wird man die verglaste Loggia akzeptiert haben, und wahrscheinlich kann man bei einem so symbol- und geschichtsträchtigen Bau auch erst dann ein unvoreingenommenes Urteil über Czechs Intervention abgeben. 370

200720 0620052004  2003200220   0120001999 1998199719 9619951994 19931992 371

15 / 10 / 1994   

STIL, ORNAMENT UND ANDERE VERBRECHEN In seinem fünfbändigen Opus über Otto Wagners Architektur versucht der Kunsthistoriker Otto Graf nichts Geringeres als eine Neukonstruktion der gesamten Architekturgeschichte.

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rnament und Stil sind in der heutigen Architektur allem Anschein nach tote Begriffe. In der Mytho­ logie der Moderne erscheinen sie als böse Unge­ heuer – als „Verbrechen“ und „Lüge“ –, die von einsamen Helden wie Adolf Loos und Le Corbusier unerschrocken zu Fall gebracht wurden, um der architektonischen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Die Auseinandersetzung mit der Architekturgeschichte des 19. Jahr­ hunderts hat unter diesem Mythos arg gelitten. Im Rückblick erschien die Französische Revolution als baukünstlerischer Wende­ punkt, von dem an – beginnend mit Ledoux, Boullée und Schinkel – alles der modernen Architektur zustrebte, gehemmt freilich durch die politische und künstlerische Restauration nach 1815. Erst im späten 19. Jahrhundert hätte sich zuerst die Theorie von „Kern­ form“ und stilistischer „Hülle“ und schließlich um die Jahrhun­ dertwende eine neue, von historischem Ballast befreite Baukunst entwickeln können. Konservative Historiker sahen die Entwick­ lung ganz analog, mit dem Unterschied freilich, dass sie in der Revolutionsarchitektur den Beginn allen Übels zu erkennen glaubten. Die Laufbahn Otto Wagners, geboren 1841, scheint in dieses Schema vorzüglich zu passen: Anfangs dem Historismus im Stil der Neurenaissance verpflichtet, hätte er im Zuge der technolo­ gisch anspruchsvollen Aufgabe des Stadtbahnbaus zu einer Architektursprache auf der Grundlage von Funktionalität und Konstruktion gefunden, von der man nur noch die letzten Verzie­ rungen abräumen musste, um zu jenem „Zukunftsstil“ zu gelangen, von dem Wagner immer geträumt hatte. Weder er noch seine Schule haben diesen Schritt freilich durchgeführt: Die eigentliche Modernisierung der Wagnerschule bleibt nach dieser Lesart dem italienischen „Futurismus“ eines Antonio Sant’Elia vorbehalten. 1985 hat der Wiener Kunsthistoriker Otto Graf, Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der bildenden Künste, im Böhlau Verlag die bisher umfangreichste Publikation des Wagner’schen Gesamtwerks in zwei Bänden herausgebracht. Streng chrono­ logisch und ohne jeden interpretierenden Kommentar werden Projekte, Bauten und Schriften des Architekten in Plänen und Skizzen vorgestellt. Auf den damals angekündigten dritten Band, „Baukunst des Eros“, der eine Analyse des Wagner’schen Werks versprach, durfte man vor allem wegen einer früheren Arbeit des Autors gespannt sein.

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1983 war unter dem Titel „Die Kunst des Quadrats“ Grafs furiose Auseinandersetzung mit dem Werk Frank Lloyd Wrights erschienen. Graf versucht darin die künstlerische Arbeitsweise offen zu legen, das Wrights Architektur zugrunde liegt. Der Hauptteil der Analyse beschäftigt sich mit dem „Imperial Hotel“ in Tokio. Graf gelingt hier einerseits eine Systematik der verwen­ deten ornamentalen Formen. Vor allem aber liefert er eine Theorie über die Beziehung zwischen Ornament und räumlicher Ordnung, in der die Vorstellung vom Ornament als einem schmückenden Beiwerk aufgegeben wird: Dieselben elementaren Grundformen und Grammatiken, aus denen Wrights Ornamente gebildet sind, strukturieren, ins Räumliche übersetzt, auch seine Architektur. Zurück zu Otto Wagner: Grafs These ist, dass das „gestalterische Geschehen“ im Werk Wagners als „Erräumen“ elementarer Grundformen zu verstehen ist und nicht als Weiterführen der klassischen Tradition. Diese These hat Graf zum Anlass genommen, die gesamte Architekturgeschichte neu zu konstruieren, zuerst in dem 1990 erschienenen dritten Band des Wagner-Werks, der „Weltgeschichte der Grundformen 1“ und nun, im vierten Band über „Sicard und van der Nüll“, die beiden Lehrer Wagners. (Der fünfte Band, der dann endlich unter dem Titel „Baukunst des Eros“ die Analyse des Wagner’schen Oeuvres beinhalten soll, ist für 1996 angekündigt.) Dass Graf mit der „Weltgeschichte der Grundformen“ mehr im Sinn hatte als eine Geschichte primärer Geometrien, geht schon aus dem Untertitel des Buchs hervor: Es geht um die „Einheit der Kunst“, und zwar von den ersten neolithischen Ritzzeich­nungen bis ins 19. Jahrhundert. Die Grundformen – Kreuze, Sterne, Wellenlinien und miteinander verflochtene Bänder – sind primär erotischen Ursprungs, symbolische Darstellungen von Fruchtbar­ keit und Geschlecht. Zum Träger künstlerischer Entwicklung werden sie durch geometrische und numerische Abstraktion, in deren äußerster Stufe sie sich alle auf ein System einander über­ schneidender Kreise abbilden lassen. Graf verfolgt diese Grund­ formen und ihren Inhalt, die liebende Umarmung, durch verschiedenste Transformationen über die Jahrtausende, von sumerischen Schalen bis zur Hagia Sophia, von ägyptischen „Schilf­ bündelsäulen“ bis zu Guarinis Kuppelbauten. In diesem System ist jedes Element mit jedem anderen verwandt, und es verwundert nicht weiter, dass Graf auch die übliche Ikonologie gehörig in Bewegung bringt, wenn er Isis mit Maria und die Pharaonen mit den Päpsten gleichsetzt. Der nun erschienene vierte Band über „Sicard und van der Nüll‘‘ präsentiert das Werk der beiden Architekten als eine weitere Stufe jener Entwicklung, die Graf die „Modernisation der Grund­ formen“ nennt. Während der Stilbegriff des 19. Jahrhunderts aus der „Schatzkammer der Geschichte“ jenes Warenlager des Eklektizismus gemacht hat, aus dem sich die Bauindustrie des ersten Maschinenzeitalters nach Belieben bedienen konnte, suchten Sicard und van der Nüll mit den Prinzipien, nicht den Formen der Vergangenheit, einen eigenständigen „Stil“ zu erarbeiten. 373

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Graf zeigt anhand wesentlicher Werke – der Ausmalung der Altlerchenfelder Kirche, anhand des Arsenals und der Oper – mit welcher Sicherheit die Architekten ihr Ziel umzu­setzen imstande waren. Ihre Architektur ist kein romantisie­rendes Gemisch aus byzantinischen und Renaissanceformen, sondern eine – zumin­ dest in Grafs Architekturgeschichte – logische und in sich konsis­ tente Entwicklung. Die vielleicht überraschendste Untersuchung befasst sich mit dem Wiener Arsenal, das in Originalplänen und alten Fotos eines der faszinierendsten Bauwerke seiner Zeit erahnen lässt. Graf spricht hier von einer „numerischen Ornamentation“, die er durch das Abzählen von Achsen, Flächen und Raumpartikeln nachzu­ weisen versucht. Dabei ist schon die graphische Darstellung reichlich verwirrend; dem begleitenden Text vermag man allen hymnischen Formulierungen zum Trotz absolut nicht mehr zu folgen. Graf scheint das erkannt zu haben: Zur Wiener Oper, dem Hauptwerk Sicardburgs und van der Nülls, finden sich im Text nur einige Stichworte. Die Arbeit der Analyse bleibt vollends der graphischen Darstellung überlassen. Unter den meisten Kunsthistorikern ist eine Auseinanderset­ zung mit Grafs Theorien – um es vorsichtig und mit einer in dieser Disziplin beliebten Vokabel auszudrücken – nicht gerade ein Desideratum. Sein holistischer Anspruch und seine manchmal eigenwillige Diktion stehen dem ebenso im Weg wie seine funda­ mentale Kritik an der herrschenden Meinung. Die etablierte Kunstgeschichte wird sich wahrscheinlich erst in ein paar Jahren ernsthaft mit Otto Grafs Werk auseinandersetzen, wenn man nämlich dahintergekommen ist, dass sich aus der Reinzeichnung und Weiterbearbeitung von so mancher der bisher über 2.000 in Grafs Werk publizierten analytische Skizzen eine ganze Dissertation gewinnen lässt – und sei es nur, um ihn zu widerlegen.

20 / 08 / 1994   

NACH DEM SALTO MORTALE

Der Wohnbau in der Steiermark zeichnete sich jahrelang durch besondere architektonische Vielfalt und Qualität aus. Manfred Wolff-Plotteggs Siedlung in Seiersberg als Beispiel für ein bedrohtes Förderungsmodell.

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ch glaube, dass ich bin. In Robert Altmanns Film „Short­ cuts“ setzt sich eine Sequenz auf drastische Art mit der veränderten Perspektive des Wohnens auseinander: Ein eifer­süchtiger Mann dringt in das Haus seiner Ex-Frau ein, während diese mit ihrem klei­nen Sohn das Wochen­ ende am Meer verbringt. Mit einer Säge beginnt er, das

gesamte Mobiliar und den Hausrat zu zerkleinern und entlang der Wände des Wohnzimmers auf­zu­häufen. Einzig der Fern­seher bleibt verschont und wird in der leeren Mitte des Raums aufge­ stellt. Als die Frau nach Hause kommt, bleibt sie sprachlos an der Türe stehen. Ihr kleiner Sohn dagegen wirft nur einen kurzen Blick auf das zerstörte Interieur, setzt sich dann seelenruhig vor den Fernseher und schaltet zwi­schen den Program­men hin und her. Diese Geschichte beleuchtet eine inhaltliche Krise des Wohnbaus, die unabhängig ist von den aktuel­len quantita­tiven Problemen. Um diese Krise richtig zu verstehen, ist es hilfreich, sich die existenzi­elle Bedeutung des Wohnens als „Grundzug des Mensch­seins“ in Erinnerung zu rufen, wie sie der Philosoph Martin Heidegger in seinem Vortrag „Bauen Wohnen Denken“ be­schrieben hat. Heidegger leitet den Begriff des Wohnens vom gotischen „wunian“ ab, das er als „Zufrieden-Sein“ übersetzt, und gelangt von dort zu den Begriffen der „Ein-Friedung“ und der „Schonung“: Das Bauen stellt Zufrieden-Sein her, indem es einfriedet, also durch Schonung bewahrt, und ermöglicht so das Wohnen. Die radikale Verwandlung des Raumbegriffs, die wir heute erle­ben, macht diesen Zu­sammenhang fragwürdig. Je mehr sich die Kate­gorien von drinnen und draußen, von nah und entfernt, von öffent­lich und privat auflösen, desto weniger zwingend erscheint die Verbindung zwischen dem Wohnen im existenziellen Sinn und dem realen Raum. Fern­seher, Fax und Computer­ netzwerke schaffen – als Werkzeuge der Entgrenzung – einen

Radikale Verwandlung des Raumbegriffs: Manfred Wolff-Plotteggs Wohnsiedlung im steirischen Seiersberg (vier unabhängige Häuser unter einem Dach) Foto: Michael Schuster

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bewohnbaren Raum außer­halb des gebauten. Schon für die nächste Genera­tion könnte dieser virtuelle Raum der wesentliche Bezugsraum ihres Wohnens sein. Statt sich auf diese Problema­tik ernsthaft einzulassen, rea­giert die Mehrheit der Architek­ten mit Skepsis. Können ein paar neue Kommunikations­techniken denn wirklich die bewährten Grundriss­typolo­gien durcheinander bringen? Gibt es überhaupt spürbare Aus­wirkungen auf die Funk­tionsabläufe des Wohnens? Werden wir nicht weiterhin „Wohnzimmer“, „Schlaf­zim­mer“ und „Küche“ in die Pläne unserer Wohnungen schrei­ben, ganz gleich, ob es dort einen Fern­seher oder ein Fax oder ein Compu­termodem gibt? Diese Einwände sind freilich nur solange sinnvoll, als man Bauen und Wohnen als einen Prozess von Produktion und Konsum versteht. Spricht man vom Wohnen jedoch im Heidegger’schen Sinn als von einem „Grundzug des Menschs­eins“, dann stellen sich ganz andere Fragen: Was bedeutet Wohnen angesichts eines virtuel­len Raums? In wel­chem Verhältnis steht dieser zum realen Raum? Und was sind schließlich die Konse­quenzen für die Architektur als künstlerische Disziplin, wenn immer mehr Lebens­ funktionen unabhängig werden von den konkreten räumlichen Bedin­gun­gen? An diesem Punkt setzen die Arbei­ten des Grazer Architek­ten Manfred Wolff-Plottegg an. Seit Mitte der 80er-Jahre beschäf­tigt er sich mit der Suche nach architektonischen Handlungs­­wei­sen, die der Revolution der Wahr­nehmung durch die digitalen Me­dien angemessen sind. Für Plottegg ist die Architektur heute „kultu­ rell und wissen­schaftlich schon lange nicht mehr auf dem Laufenden, die benutzten Archi­tekturtheorien abgekoppelt vom Objekt“. Er misstraut einer Architek­tur, die ihre wesentliche Aufgabe im Zuordnen von Symbolen sieht: „Es gibt nicht mehr den sakralen Ort, den magischen Ort, den Ort als Bedeutungs­ träger. Der Himmel ist nicht mehr ‚oben‘ und die Hölle nicht mehr ‚unten‘. Der Raum ist keine Schachtel mehr und das Zimmer kein Rechteck.“ Indem konventionelle Ent­wurfsme­thoden ununter­brochen etwas festlegen wollen, geraten ihre Produkte oft genug zu leb­ losen forma­len Konstrukten. Plottegg operiert dagegen mit Begriffen wie der „digitalen Architektur“ und dem „binären Haus“, dessen formale Festlegung so spät wie möglich erfolgt und die sich auch dann noch Frei­heitsgrade bewahren. Sein Medium ist der Computer, der es erleichtert, auf verfrühte Festle­gungen zu verzichten und durch seine Indifferenz gegenüber allen Symbo­ lismen „die Formensprache und damit die analoge Architektur auf­löst“. Dass man gerade nach einem sol­chen architekturtheore­­­­­ti­schen Salto Mortale wieder mit beiden Beinen am Boden auf­ kommen kann, hat Plottegg mit seiner Wohnbebauung in Sei­ersberg südlich von Graz be­wiesen. Das Gesamtkonzept, das für insgesamt 165 Geschosswohnungen und 65 Reihenhäuser konzipiert ist, zeichnet sich durch eine außerge­wöhnliche städti­ sche Qualität aus. Die bestehende Bebauung aus den 70er-Jahren –

viergeschossige Blöcke, die beziehungslos am Ostrand des Grundstücks auf­ge­reiht sind – wird durch eine quer über das Grundstück lau­fende Parkanlage und ein neues Fußwe­gesystem ein­gebunden. Die Anordnung der neuen Bebauung orien­tiert sich nicht an den bekann­ten Konzepten von Block oder Zeile: Durch sorgfältige Aus­bildung der Berührungs­punkte zwischen den Baukör­pern, durch klug kalku­lierte Verdrehungen und durch Fußwege, die immer wieder auch durch die Bebauung hin­durch­ ge­­führt werden, entsteht ein urbanes Geflecht mit span­nungs­ reichen räumlichen Be­ziehungen, die auf symboli­sche Etikettie­ rungen – im Sinn von „Platz, Anger, Straße“ – getrost verzichten können. Bisher ist erst ein Abschnitt dieses Konzepts ausgeführt worden, ein lang gestreckter, West-Ost-orien­tierter Bau mit 24 Wohnungen auf vier Geschossen. An der Südseite sind von einem Gitter­ träger durch­laufende Balkone abge­hängt, die eine halb öffent­­ li­che, halb private Raumschicht vor der eigentlichen Fassade erzeugen. Der Gitterträ­ger selbst ist leicht schräg geführt und steigt über die Länge der Fassade um ein halbes Geschoss an, um einen Niveau­sprung, der sich aus der inneren Organisation ergibt, auszugleichen. Nähert man sich dem Gebäude, löst sich die monolithische Erscheinung auf: Man er­kennt vier unabhängige Häuser unter einem Dach, zwischen denen die Treppen so geführt sind, dass man beim Hinaufsteigen immer wieder aus dem Baukörper ins Freie gelangt und dabei die verschiedenen Raumschichten durchdringt. Ein ähnliches Prinzip der Durchlässigkeit charakte­ risiert auch die Wohnungsgrundrisse: Türen und Fenster sind raumhoch und so gesetzt, dass räumliche „Endlosschleifen“ entstehen und die Wohnungen bei aller im geförderten Wohn­ bau notwendigen Sparsamkeit eine ungewöhnliche Großzügig­ keit erhalten. Eine geschickte Verdrehung zweier Achssysteme macht die Zimmer zusätzlich leicht trapezförmig. Diese Manipu­ lation des Raums mani­puliert die Wahr­nehmung: trotz der geringen Tiefe des Baukörpers erscheinen die Räume großzügig dimensio­niert. Ästhetisch passt dieses Ge­bäude in keine der gängigen Rich­ tungen. Trotz der klaren Ordnung der Süd­fassade mit Pfeilern und regelmä­ßigen Öffnungen ist es nicht klas­sisch. Ebenso wenig ist es de­konstruktiv: die Schrägen, die Überlagerungen, die Brüche sind nicht selbstbezügliche formale Übungen, sondern in­stru­ mentell. Und trotz der Ver­wendung von industriellen Materialien wie Trapezblech und verzinkten Stahl­profilen ist es technisch beinahe roh, aber zugleich ohne ästheti­sche Verluste veränderbar, ergänz­bar. Trotzdem ist dieses Gebäude kein Experimentalbau, son­dern eine direkte, von keinerlei symbolischen und histori­schen Phan­ tasmagorien ver­stellte Auseinandersetzung mit der Aufgabe. Plottegs Architektur bezieht ihre Recht­fertigung nicht aus dem forma­len und ideologi­schen Fundus von Palladio bis Corbusier, sondern aus dem schöpferi­schen Potenzial des kon­kreten Jetzt. Das gibt ihr Kraft und Lebendigkeit, sich in einer aperspek­tivischen 377

Welt zu behaup­ten, in der alles Sicht­bare zum gleichgültigen Bild zu werden droht. Es gibt freilich nur wenige Bau­trä­ger, die im Wohnbau mehr sehen als eine Frage von Quadratmetern und Förde­­rungsmitteln. Auch in Seiersberg hat die verantwort­liche Wohnbaugenossen­schaft im Rah­men von Plotteggs Bebauungsplan in­zwischen Reihenhäuser errich­ten lassen, deren gestalteri­sche Arm­seligkeit den Absich­ten dieses Plans hohnspricht. Und auch jener Pluralismus, der den steirischen Wohnbau bisher ausge­ zeichnet hat, ist zwar nicht ganz verschwun­den, aber doch politisch unter Druck geraten. Die Zeiten, so hört man, seien so ernst, dass man sich auf „architektonische Extravagan­zen“ nicht mehr einlassen könne. Man sollte sich freilich daran erin­nern, was Martin Heidegger 1951 – also in einer Zeit größter Woh­nungs­­ not – zu diesem Thema zu sagen hatte: „Genug wäre gewon­nen, wenn Wohnen und Bauen in das Fragwürdige gelangten und so etwas Denkwürdiges blieben.“

25 / 06 / 1994   

GRÜSSE VOM VERSCHÖNERUNGSVEREIN

Jeder Umbau ist eine Auseinander­setzung mit dem Bestehenden. Im Extremfall zerfällt dabei ein Gebäude, das über Jahrzehnte als ein unver­rückbares Ganzes wahr­ge­nommen wurde, in seine ele­men­taren Bestandteile: Fassaden und Tragwerk, Dach und Wände stehen zur Disposition, sie können inter­pretiert, verändert und in den bestehenden Kontext zu ei­nem neuen Gesamtbild zu­sammenge­fügt werden.

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in Beispiel, wie man alle Chancen auf eine echte Aus­einanderset­zung mit dieser Aufgabe verspielen kann, ist jetzt am Dr.-Karl-Lueger-Ring gegenüber der Wiener Uni­versität zu begutachten. Dort steht – an einer städtebauli­chen Bruch­stelle, wo mit der Mölkerbastei ein kleines Stück der alten Stadtmauer erhalten geblieben ist – ein Verwal­ tungsbau von annähernd wür­felförmiger Proportion. Carl Appel, aus dessen Büro sowohl der Kraftakt des alten Steyr-Hauses als auch das seltsam anämische Hotel Inter­continental am Stadt­park stammen, hat ihn in den 60er-Jahren entworfen. Wie bei vielen Bauten aus die­ser Zeit wurde auch bei diesem Büro­haus Asbest als Brand­schutzma­terial verwendet, was schließ­ lich eine Totalsa­nierung notwendig machte. Dabei stellte sich

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heraus, dass die dünnen Fassadenplatten aus wei­ßem Ortler-­ Marmor durch Wasser­aufnahme un­brauchbar geworden waren. Nun ging es nicht mehr ein­fach ums Sanieren, sondern ums Bewerten: Die gesamte Er­schei­nung des Baus, sein spezifischer Charakter und seine Rolle im Stadtbild waren plötzlich zur Diskus­ sion freige­geben. Diese Diskussion fand freilich nicht statt. Ein Gutachten unter der Beteiligung von Friedrich Achleitner, dass die alte Fassade nicht schutzwür­dig sei, war rasch eingeholt, und auch die architekto­ nische Lösung stand für alle Beteilig­ten von vornherein fest: Das schwebende Plattenge­woge sollte durch Einführung einer klassisch gegliederten Stein­fas­sade und eines Sockelgeschosses wieder auf die Erde gebracht und damit ins Ring­ straßenensemble einge­gliedert werden. Das Resultat ist erschreckend b ­ anal: unter Beibehaltung der alten Fenster­ öffnungen hat der für die Sanierung ver­

ant­wortliche Archi­tekt Sepp Frank dem Gebäude eine Gliederung verpasst, die bestenfalls als Ka­rikatur einer klassischen Ord­nung gelten kann. Erdge­schoss und erster Stock sind zu einem Sockel zusammenge­fasst, wobei jeweils zwei Fen­ster des ersten Stocks mit ei­nem Blindfenster verbunden werden, um eine Art Mezzanin vorzutäuschen. Mit demselben Kunstgriff entsteht aus dem zweiten und dritten Geschoss etwas, das der Architekt „die Andeutung eines piano no­bile“ nennt. Darüber sitzen die Fenster­löcher in einer bis auf ein paar Zierfu­gen glatten Stein­haut, deren oberer Abschluss einer Industriehalle angemes­sen wäre. Die alte Fassade war mit Si­cherheit nicht schön, und sie hat ebenso sicher nichts zu ei­nem homogenen Ringstra­ßenensemble beigetragen. Aber sie war immerhin eine klare Aussage, die mit der gleich­mäßigen Sta­pelung identischer Bürogeschosse im Einklang stand. Wer eine solche Grundstruktur historistisch kostümiert, statt sich auf die Herausforde­r ung einzulassen, eine wirklich bessere, nicht nur leichter legitimierbare Architektur zu realisieren, handelt im Geist eines provinziellen Verschö­ne­ rungs­vereins. Einer Groß­stadt angemessen ist eine sol­che Vorgangs­ weise nicht.

Vom Plattengewoge zur Schachtel mit „Andeutung eines Piano Nobile“: Carl Appels Ursprungsbau, links darunter die 1994 erfolgte Neugestaltung, rechts die Fassade im aktuellen Zustand des Jahres 2008 mit Fensterband im obersten Geschoss Fotos: Christian Kühn, Gregor Titze

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18 / 06 / 1994   

VON FALSCHER IDYLLE UND ECHTEM LEBEN

Ein feministisches Projekt der besonderen Art: von Frauen konzipiert, von einem Mann geplant, im Sinne der Mitmenschlichkeit bewohnt – der Brahms­hof in Zürich.

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as darf man von einer Wohnung im Rahmen des geförderten Wohn­baus verlangen? Ein paar Zimmer und fließendes Wasser? Licht, Luft und Sonne? Ausblick ins Grüne? Selbstverständlich! Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten mit den Nachbarn? Großzügige Gemein­schaftseinrichtungen? Flexible Grundrisse, die nicht nur für Klein­familien, sondern auch für Wohngemein­ schaft und Altenwohnung geeignet sind? Oder gar Mitspra­che bei der Vergabe der Wohnun­gen? Nun ja, das klingt doch alles ein wenig nach längst überwun­denen Ideologien. Und selbst in Wien, wo einmal „ideologischer“ Wohnbau im großen Stil betrieben wurde, ist in den letzten siebzig Jahren viel Wasser die Donau hinuntergeflossen: ein Karl-Marx-Hof mit seinen Innenhöfen und Gemeinschaftsbädern ist letztlich ein Produkt vergangener Zeiten. Die heute gängigste Form des Wohnens sieht anders aus: ein Zimmer für Vater und Mutter, eines für jedes Kind und eines für den Fernseher, im Falle des „vollwerti­gen Wohnens“ ergänzt durch eine Terrasse mit überdimensionalem Pflanzkübel, dazu ein Swimming­pool auf dem Dach als Club Méditer­ranée im Kleinen. Es scheint, dass der Wohnbau seine Rolle als Mittel zur geistigen und kulturellen Positionsbestimmung großteils an andere Medien hat abgeben müssen. Das Bild der Stadt ist nicht mehr das Ergeb­ nis konkreter Empfindung und Einfühlung, sondern gezielten Marketings: Die glücksstrahlenden Menschen, die in „Unser Wien“, dem großformati­gen Informationsblatt, das jeder Haushalt allmonatlich zugesandt bekommt, posieren, sind Realität; jene bedauernswerten, die verein­samt in ihren Wohnungen sterben und erst Monate später entdeckt werden, nur makabre Schauer­ ge­schichten für den Lokalteil der Tageszeitungen. Die architektonischen Trends der letzten zwanzig Jahre haben auf diese Entwertung sehr unter­schiedlich geantwortet. Postmo­derne und Dekonstruktion waren kurzlebige Versuche, die schrillen Medien von Druck und Fernsehen noch zu über­ treffen. Die aktuelle, auch von der Bauindustrie nicht ungern gesehene Antwort ist freilich jene Reduktion zur „Neuen Einfach­ heit“, die sich allen Symbo­lismen zu verweigern glaubt, und dabei doch nur – wie jüngst im Wiener Prater – den Unsinn eines grau-braun gestrichenen Kinder­gartens zusammenbringt, in dessen Gruppenräumen man die Fenster nicht öffnen kann. In der medialen Begleitung dieses Bauwerks durch die Kritik, wie 380

man sie im Architektur- und Bau­ forum vom Mai dieses Jahres lesen konnte, wird die Legitima­ tion dafür nachgeliefert: „Um aus der passi­vierenden Trägheit der Heile-Welt-Parolen auszubre­ chen, kann ein Bau wie dieser ein katalytischer Anstoß sein.“ In der Sprache gewöhnlicher Men­schen ausgedrückt, wird damit der Architektur die Auf­ gabe zugewie­sen, auf Probleme nur aufmerksam zu machen und sie so klar wie mög­lich darzustellen. Freilich: Die Bewältigung dieser Probleme muss nach wie vor im Rahmen des Gebauten geschehen. Wenn der Versuch, Architektur aus der einfühlsamen und optimistischen Interpretation der Bedürfnisse ihrer Benutzer zu entwickeln, von der Avantgarde als Flucht in ein falsches Idyll denunziert wird, dann haben Hundertwasser und seine Kollegen die Architektur als Diszi­plin endlich in jenes Eck gebracht, wo sie sie immer schon vermutet haben. Dass qualitätvolle Architektur jenseits dieses Spannungsfelds zwischen falscher Idylle und entrückter Verweigerung möglich ist, zeigt ein Wohnbauexperiment in der Schweiz: der Brahmshof in Zürich. Auf einem Grundstück in Albisrieden, im locker bebauten Stadtgebiet, hat der Evangelische Frauenbund Zürich einen exempla­rischen Wohnbau errichtet. Siebzig Wohnungen, drei Ateliers, ein Café, drei Kinderkrippen und ein Mütter­zentrum sind hier ebenso unterge­bracht wie eine Schule zur Kran­ken­ pflege-Ausbildung. Typologisch ist die Anlage den Wiener Wohn­ hö­fen der Zwischenkriegszeit nicht unähnlich: Ein Innenhof, in dessen Mitte ein mächtiger alter Linden­baum steht, wird an drei Seiten von fünfgeschossigen Gebäudetrakten umschlossen; die vierte Seite wird von drei kleinen, zweigeschossigen Atelierhäusern gebildet. Im Brahmshof leben unterschied­lichste Bevölkerungsgruppen zusammen: Neben dem normalen Gemisch von Familienwoh­ nungen gibt es Wohngemeinschaften, eine Integrationswohnung von Behin­derten und Nichtbehinderten sowie 50 Zimmer, die von der Vereinigung für Jugendwohnhilfe an Lehrlinge und Studenten vermietet werden. Ein solches Gemisch entsteht nicht von selbst: Schon zu Beginn des Projekts hatte sich die Bau­kommission des Evangelischen Frauenbundes mit verschiedensten Organisationen und Gruppen in Verbindung gesetzt und Wohnbe­dürfnisse und Idealvorstellungen diskutiert. Um den Architekten, die 1987 zu einem Wettbewerb eingeladen wurden, ihre Vorstel­lungen zu vermitteln, ließen die Ausloberinnen ein Szenario über den Alltag im zukünftigen Brahmshof verfassen und legten es den Wettbe­ werbsunterlagen bei. Da ist im Stil eines Reiseberichts wenig von Architektur, aber viel vom Leben und Zusammenleben die Rede, von den Bedürfnissen der Kinder und der alten Bewohner, aber auch von den Konflikten, die sich zwangs­läufig ergeben, wenn

Flexibles Erschließungsgerüst als Grundlage für eine gemischte Nutzung Foto: kfp architekten

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die üblichen Grenzen zwischen öffentlich und privat auch nur ein wenig aufgebro­chen werden. Für diese besonderen Anfor­ derun­gen hat der Architekt Walter Fischer aus dem Büro Kuhn, Fischer und Partner einen robusten und unsentimentalen Rahmen geschaffen. Alle Wohnungen werden von hofseitigen Lauben­ gängen aus erschlossen, die auf der Ebene des ersten und des dritten Stockwerks liegen und mit einem Abstand von knapp zwei Metern vor die eigentliche Fassade in eine Stahlkonstruktion gehängt sind. In der Raumschichte zwischen Laubengang und Fassade liegen Verbindungsstege, Balkone und Stichtreppen, die vom Laubengang im ersten Geschoss zu jeweils zwei Wohnungen im Geschoss darüber führen. Das Thema der Verzahnung zwischen Innen und Außen wird hier exem­plarisch durchgespielt: Jede Wohnung hat drei vorgelagerte Freiflächen, eine vor dem Eingang, eine zweite, halböffentliche als Terrasse zur gemeinsam Hofseite und eine dritte, private als Balkon zur Straßenseite. Die Grundstruktur der Wohnungen wird von gut proportio­ nierten, annähernd quadratischen Räumen gebildet, die links und rechts einer mittleren Erschließungszone ange­ordnet sind. Diese Räume mit ihren 14 m2 sind nutzungs­neutral, also als Elternschlafzim­mer genauso brauchbar wie als Kinderzimmer oder als Grundein­heit im Jugendheim. Durch Zusam­menlegung der Grundeinheiten mit der Innenzone entstehen je nach Bedarf die größeren Wohnräume. Typenvielfalt entsteht hier nicht durch das Mischen vorkonfektio­nierter Raumgruppen, sondern durch freie Kombination von Einze­lräumen. Dieses Konzept hat den Vorteil einer großen Flexibilität, die bei einem Projekt dieser Art vor allem in der Planungs- und Errich­tungs­phase von enormer Bedeu­ tung ist: Noch bis zwei Monate vor der Fertigstellung konnten Wohnungsgrößen und Raumzuord­nungen ohne Probleme verän­ dert werden. Obwohl die Mieter in vielerlei Hin­sicht unterschiedlich sind, kommt die überwiegende Mehrheit mit den Bedingungen einer Wohnform, bei der sich die Bewohner vertraglich verpflichten, „ je nach den indivi­duellen Möglichkeiten am Sied­lungsleben teil­ zunehmen“, offenbar gut zurecht. Das liegt sicher an den Mitspra­ chemöglichkeiten bis hin zur Auswahl der Nachmieter, wobei jeder Bewohner ab sechzehn volles Stimmrecht hat. Es liegt aber nicht zuletzt an der Architektur, die trotz aller Präzision im Detail ganz bewusst nicht „fertig“ wirkt, sondern den Charakter von Leichtigkeit und Veränderbarkeit vermittelt. Der Brahmshof ist als Idee viel­leicht zeitgemäßer, als es zuerst den Anschein hat: Wenn die küm­merlichen Surrogate eines Gemein­schaftslebens, wie sie durch die Medien vorge­gaukelt werden, sich in immer mehr Fern­sehkanälen verlieren, könnte die Sehnsucht nach lokalen Bindungen wieder wachsen. An eine solche Sehnsucht zu glauben und auf sie nicht symbo­lisch, sondern konkret zu antworten, ist der Beitrag, der mit diesem Projekt geleistet wurde. Der Brahmshof ist kein Idyll, son­dern eine realistische Alternative zu den eingefahrenen Bahnen des konventionellen Wohnbaus. Er hat Nachahmung verdient. 382

23 / 04 / 1994   

ORDNUNG UND VERORDNUNG

Kann man Baukultur verord­nen? Lassen sich aus der Tra­dition verbindliche Vorschriften ableiten? Fallbei­spiel: Otto Wagners frisch renovierte Länderbank in Wien.

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n unruhigen Zeiten ist nichts stärker als die Sehnsucht nach Harmonie. Vittorio Magnago Lampugnani, Direktor des Deut­ schen Architekturmuse­ums in Frankfurt, hat Ende letz­ten Jahres in einem seither vieldiskutierten Spiegel-Essay die entsprechende Parole ausgegeben: Man brauche heute in Architektur und Stadtplanung keine neuen Ideen, keine Träume, keine Visi­ onen, sondern klare Ordnungen, Konven­ tionalität und Dauerhaftigkeit. Auf den Vorwurf, er würde damit das „gesunde Volks­empfinden“ zum ästhe­ tischen Maßstab machen, konterte Lampugnani mit dem Argu­ment, dass dieses Volksemp­finden im Gegenteil gerade vom Schrägen, Bunten und Auf­ fälligen angezogen werde. Es gälte daher, die Qualitäten einer angemessenen und ein­fachen Gestaltung gegen jene Tenden­ zen zu verteidigen, die sich im geschickten Arrangie­ren von ein paar pastellfarbe­nen Halbsäulen oder im schrä­gen Aneinanderschweißen zweier Stahlträger erschöpf­ten. Dass ein solcher Appell nicht auf der Ebene abstrakter Begriffe bleiben kann, son­dern sich Vorbilder aus der Vergangenheit holen muss, liegt auf der Hand. Wer Konventionalität und Ver­ständ­ lichkeit verlangt, braucht einen kulturell etablierten Bezugspunkt. Im Fall von Berlin ist das bei Lampugnani die Architektur Schinkels, der ruhige Baublock, die glatte Fassade mit vielen Reihen rechteckig geschnittener Fenster. Den persönlichen Wunsch nach Ordnung und Harmonie kann man Lampugnani nicht verwehren. Problematisch wird er aber dann, wenn die bewusste Herstellung dieser Har­monie zu einer öffentlichen Aufgabe gemacht wird. Lässt sich Baukultur durch den regu­lativen Verweis auf eine noch so bedeutende Vergangen­heit erzwingen? Lassen sich ästhetische Qualitätskriterien

Klassische Formensprache, visionäre Architektur: Otto Wagners Länderbank

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Knick im Grundriss: ideale Lösung in schwieriger Lage

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amtlich festlegen, oder kommt es nicht vielmehr zu einer Diktatur der Schlagworte, die dann von Gestaltungsbeiräten und Beamten nach Belieben interpretiert werden können? Ich möchte diese Fragen nicht abstrakt abhan­ deln, sondern anhand eines konkreten Bau­­ werks, dessen herausragende Qualität es zu einem regu­lati­ven Vorbild geradezu präde­stinieren würde: Otto Wagners Länderbank in der Wiener Hohenstaufengasse, 1884 nach nur eineinhalb­ jähriger Bauzeit eröffnet, letzte Woche nach zehnjähriger schleppen­der Renovierung wieder als Bürogebäude in Betrieb ge­nommen. Betrach­ ten wir zuerst das Gebäude als solches, und versuchen wir anschließend, Spielregeln für harmonisches Bauen zu formulieren. Bekannt ist das Gebäude der Länderbank vor allem wegen der geschickten Grundrissdis­position auf einem denkbar ungünstigen Grundstück. Die knapp 40 Meter breite Baulücke führt nur ein kurzes Stück im rechten Winkel zur Straße in die Tiefe und ist dann schräg nach hinten abgewinkelt. Wagner löst den Straßentrakt konventionell mit einer Flucht recht­ eckiger Räume, die zwi­schen der Außenwand und einer massiven Mittelmauer gespannt sind. Daran anschließend setzt er achsial einen kreisrunden Erschlie­ßungsraum, in dem die Achs­drehung zwischen Vorder- und Hintertrakt bewältigt wird. Nach hinten zu liegen die Büroräume an einem Umgang, der – zuerst gerade, dann in einem Halbkreis geführt – einen groß­zügigen Lichthof umschließt. So beachtenswert die Raf­finesse dieser Grundrissgeo­metrie ist, wird sie doch von der räumlichen Umsetzung noch weit über­ troffen: Der kreisrunde Gelenksraum ist ein über alle Geschosse gehender Zylinder mit Umgängen. Das Licht, das hier von oben durch ein Glasdach einfällt, wird auf der Ebene des ersten und des dritten Geschosses durch zusätzliche Kuppeln gefiltert, die inmitten der Umgänge wie große gläserne Blasen aufsteigen. Eine ähnliche zusätzliche Glasdecke bildet den oberen Abschluss der Kassenhalle, die im Eingangs­geschoss ursprünglich den ganzen Hoftrakt ausgefüllt hat. Die unschönen Trennwände, die bei der Renovierung hier eingezogen wurden, haben immerhin gläserne Füllungen, und so blieb die ursprüngliche Großzügigkeit weitge­ hend erhalten. Unverändert sind jedoch alle Geschosse darüber, die schon immer für Büros genutzt wurden: Durch die leichte Konstruktion aus Holz und verschiedenartigen Gläsern ergibt sich eine uner­wartete Transparenz und Helligkeit der Büroräume. Tatsächlich gibt es so gut wie keinen Raum ohne natürliche Belichtung: selbst der Vorraum zu den Tresoren im Keller wird durch einen gläsernen Fuß­boden im vorderen Teil der Kassen­ halle in mattes Licht getaucht. Diese außergewöhnliche Transparenz kann Wagner nur errei­ chen, indem er sich der fortgeschrittensten techni­schen Möglich­ keiten seiner Zeit bedient. Statt massivem Mauerwerk verwendet er im hinteren Teil für die Innenstüt­zen dieselben schlanken

Walzeisenprofile, mit denen auch alle Decken konstruiert sind, und integriert sie in die hölzernen leichten Trenn­wände. Ganz unverkleidet ist die Konstruktion der Glasdä­cher, und zwar auch dann, wenn sie von oben gesehen werden kann, wie etwa bei den beiden Zwischenkuppeln im Gelenksraum, wo die dünne Glas­ haut unter ein tragendes Gerüst gehängt ist. Außen bleibt das Gebäude auf der Straßenseite einer klassi­ schen Ordnung verpflichtet: die untere Hälfte der Fassade ist als rustizierter Sockel ausgebildet, die Geschosse darüber als Kolossal­ ordnung mit korinthischen Kapitellen. Auffällig im Vergleich zu den Nachbarhäusern sind freilich die besondere Feinheit der Proportion sowie die Dimen­sion und schlichte Teilung der Fenster. Anders verhält es sich mit der Fassade des großen halbrun­den Baukörpers auf der Hof­seite. Hier gibt es keine Spur von Orna­ ment, nur aufstre­bende, vorspringende, glatt verputzte Pfeiler, zwischen denen sich Fenster und Para­petbänder abwechseln. Der vollständige Verzicht auf jedes Ornament ist nicht allein durch die Lage zu erklären, sind doch die Fassaden der anderen Gebäude, die in den Hof hinausgehen, durchaus ornamentiert. Man kann diese glatte Fassade als einen unbewussten Vorgriff auf das 20. Jahrhundert deuten, man kann sie aber auch – wie es der Kunsthistoriker Otto Graf in seiner Analyse getan hat – in engem Zusam­menhang mit der übrigen ornamentalen Behandlung des Gebäudes sehen. Aus der vorderen, flächig durchgebil­deten Fassade wölben sich dem Passanten auf Augen­höhe halbrunde Fensterkörbe aus Schmiedeeisen entge­gen, deren Teilung die Struk­tur des Hoftraktes vorweg­nimmt. Im Hof, wo diese Struk­tur schließlich selbst sichtbar wird, ist jedes Ornament über­flüssig. Ähnliche Bezüge zwi­schen Detail und Bauform finden sich mehrfach: in den Türgriffen zum kreisförmigen Verteilerraum, deren Schraublinien die vertikale Entwicklung im Inneren erahnen lassen, oder in den Geländern der prachtvollen halbkreisförmig gewendelten Treppe. Mit diesem organischen Ansatz, und nicht durch teilweisen Verzicht aufs Orna­ment, gelingt Wagner der entscheidende Schritt zur Modernisation. Er überwindet damit die Stildiskussion des 19. Jahrhunderts, wo ja unter­schiedliche Schmuckformen als literarischer Verweis auf historische Epochen gebraucht wurden, und – zum Beispiel bei den drei Ringstra­ßenbauten Rathaus, Parla­ment und Universität – auf praktisch identische Grund­riss­ typen aufgesetzt wurden. Wagners Länderbank ist insgesamt ein Bürohaus, wie man es sich auch heute nur wünschen kann: die Wegfüh­rung im Inneren ist übersicht­lich und klar, die Räume gut belichtet und flexibel nutzbar; die Konstruktion ist solide und bedient sich der neuesten Technologien; das Grundstück ist optimal, aber nicht spekula­tiv genutzt; und schließlich ist der Bau von jener klaren, selbstver­ ständlichen Erschei­nung, von der Lampugnani spricht. Aber nach all diesem Enthusi­as­mus – wo sind die konkre­ten Regeln, die sich in gre­miale oder amtliche Kontroll­mechanismen umsetzen ließen? Das strukturelle innere Ordnungssystem der Länder­bank ist – wie bei jedem anderen Werk der Baukunst –

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viel zu komplex und vor allem zu speziell, um für eine exeku­ tierbare Verordnung zu tau­gen. Was bleibt, sind nicht mehr als ein paar Schlagworte: Solidität, Einfügung in den Kontext, harmonische, klare Gestaltung, und so weiter. Der Beamte, der aufgrund solcher Begriffe den politi­schen Willen nach einer har­monisierten Stadt zu exekutieren hätte, würde in eine Rolle ge­drängt, die er nie ausfüllen kann: Er erhält die letzte Ver­antwortung für die Qualität der Architektur, die – sofern man eine lebendige Bau­kultur wirklich anstrebt – nur bei den Architekten und ihren Bauher­ren liegen darf. Die unerträgliche Reglemen­tie­r ung der Baukultur auf der Basis wohlklingender Schlag­worte, der Lampugnani kraft seiner Position Vorschub geleistet hat, muss ein Ende nehmen. Die Erfah­ rung hat gezeigt, dass alle einschlägigen Versuche nicht einmal imstande sind, das Schlimmste zu verhin­dern: Wien verdankt ihnen – um nur einige Beispiele zu nennen – so Unsägliches wie das Marriot- und das Plaza-Hotel und den traurigen Protz der Ring­ straßengalerien; in Niederösterreich ist ein populi­stisch verstan­ dener Ortsbild­schutz dabei, die ländliche Tradi­tion endgültig im Kitsch zu erträn­ken. Eine lebendige Baukultur braucht von Politik und Verwaltung keine vorge­gebenen Lösungsmu­ster, sondern innovative Problem­stellungen: geringster Land­schafts- und Ener­ giever­brauch, ökologisch optimierte Bautechno­logien. Und sie braucht vor allem Randbedin­gungen, in denen die formen­den Kräfte – gute wie schlechte – erkennbar bleiben.

26 / 02 / 1994   

DIE ZEIT, DER SAND UND DIE REALISIERER

Gibt es ein Recht der Bewoh­ner, den Charakter eines Stadtteils auch gegen öko­nomische Vernunft zu verteidigen? Ein Beispiel für Bürgerbeteiligung: die Umge­staltung des Linzer Stadtteils Alt-Urfahr-Ost. Hier lassen sich Chancen und Grenzen einer sanften Stadterneuerung erkennen.

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ede Stadt existiert zweimal: zum einen als mess­ bare Reali­tät, als Ansammlung von Mauern und Dächern, von Straßen und Plätzen. Dane­ben gibt es eine andere Stadt, die nur in den Köpfen ihrer Bewoh­ner existiert. Hier haben Häuser und Plätze einen subjektiven Wert, sind ver­bunden mit Erinne­ rungen persönlicher und kultureller Art, mit Leidenschaften und mit Ängsten. Diese subjektive Stadt ist resi­stent gegen die vielen kleinen, schleichenden Veränderungen, aber jeder radikale Eingriff, jeder Abbruch einer Häuserzeile, jeder etwas bedeuten­ dere Neubau wird vorerst als ein Anschlag auf sie empfunden, und es stellt sich die Frage nach der Legitima­tion der Veränderung:

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Wer bestimmt eigentlich in einer Demokratie, wie eine Stadt auszusehen hat? Gibt es jenseits von Denkmal- und Ensembleschutz ein Recht der Bewohner, den Charakter, das ver­traute Milieu eines Stadt­teils auch gegen ökonomische Vernunft und Sach­ zwänge zu verteidigen? Der Wettbewerb für das Gebiet von Alt-Urfahr-Ost, dessen zweite Stufe 1988 zugunsten eines Projekts von Walter Michl und Klaus Leitner entschieden wurde, hat damals nicht zuletzt wegen der Art der Bürgerbe­teiligung im Wett­bewerbsver­fahren Auf­se­hen erregt. Ein knappes Viertel der stimmbe­rechtigten Jurymitglieder waren Bewoh­ner des von der Planung betroffenen Gebiets. Und obwohl einer dieser Juroren erklärte, auch dem Abriss seines gerade renovier­ten Hauses zustimmen zu wollen, falls es einer guten städtebau­lichen Lösung im Wege stünde, wurde dem Ver­fah­ren mit einiger Skepsis begegnet. Die Geschichte des Areals zu beiden Seiten der Linzer Nibe­ lun­genbrücke ließ ein solches Experi­ment aber nur zu berechtigt erscheinen. Die Brücke selbst und zwei Bauten, die auf der Linzer Seite ein Tor zum Hauptplatz bilden, stammen aus der NS-Zeit und sind Relikte eines Plans, der eine Reihe von Monumentalbauten an den Donauufern vorgesehen hatte. Auf der Urfahrer Seite führte die Brücke zur Zerstö­r ung des alten Ortskerns, der einer breiten Verkehrs­schneise geopfert wurde, und auch das Schicksal der beider­seits angrenzenden Areale schien durch Dimension und Höhenlage der Brücke besie­gelt. Aber es dauerte über dreißig Jahre, bis man sich zu einer Neuregulie­rung des Gebiets durchringen konnte. 1977 wurde ein Wettbe­werb für ein neues Linzer Rathaus und für eine städtebau­ liche Gesamtlö­sung des Brückenkopf­areals ausgeschrieben. Das Sie­ger­projekt von Rupert Falkner sah eine annähernd symme­ trische Lö­sung vor, mit großen Bauten, die dem Maßstab der Brücke entspre­chen, aber – um demokratisch zu wirken angesichts der als autoritär empfundenen Blöcke am gegen­überliegenden Ufer – vor jeder klaren Kontur zurückschrecken. Dem 1984 fertig­ gestellten Rathaus merkt man den Versuch an, durch Abtrep­ pungen und Abrun­dungen im Großen wie im Kleinen jeden Eindruck von Monumentalität zu vermeiden. Trotz der klaren konstruktiven Ordnung ist so kein klarer Baukörper entstanden, sondern eine träge fließende Baumasse, die scheinbar noch nicht ganz zum Stillstand gekom­men ist. Seine Bürger­nähe bringt dieser Bau vor allem auf der meta­phorischen Ebene zum Ausdruck: ein System von Treppen und schütter begrünten Terrassen macht das Gebäude von außen begehbar, und alle zehn Meter wölbt sich auf der Höhe des zweiten Stockwerks ein kleiner Volksredner­ balkon auf die Straße. Gegen die Verdopplung dieses Prinzips auf der ande­ren Seite der Brücke regte sich bald Widerstand. Sowohl die Bewohner als auch Kultur­initiativen wie die „Stadtwerk­statt“, die in einem der baufälli­gen Häuser ihre Heimat gefunden hatte, forderten für Alt-Urfahr-Ost eine Stadter­neuerung, bei der die klein­tei­lige und differenzierte Nut­zungsstruktur des Gebiets erhal­ten bleiben sollte. Hinter diesem abstrakten Begriff stand freilich mehr als der 387

Wunsch nach bloßer Bürger­beteiligung: Es ging auch um die Erhaltung einer autonomen kulturel­len Nische, um Selbst­ bestimmung und nicht zuletzt um den besonde­ren Charakter eines Ortes, der gerade in seiner Unvollkommenheit als Gestal­ tungsfreiraum erlebt wurde. Die Forderung nach einer sanften Stadterneuerung wurde von der Stadtverwal­tung positiv aufge­nommen und führte schließlich zu einem neuerlichen Wettbe­werb für Alt-Urfahr. Auf eine genaue Fest­legung, welche Bauten schützens­wert bezie­hungsweise abzubre­chen wären, wurde in der Aus­schreibung verzichtet. Das zwei­stufige Verfahren erlaubte eine öffentliche Diskussion über diese Frage, noch bevor eine end­gült­ige Entscheidung getroffen war und damit eine bessere Einbindung der von der Planung Betroffenen in den Entscheidungsprozess. Nach der ersten Stufe standen im Wesentlichen zwei Ansätze zur Disposition: zum einen das Projekt von Schremmer/Jell, das eine voll­ständige Erhal­tung der bestehen­den Substanz vorsah und mit Neu­bauten ans Donauufer vorrückte, und zum anderen die Projekte von Michl/Leitner und Nobl/Sackmauer, die dem Gebiet unter Einbeziehung von Teilen der alten Substanz eine neue Ordnung zu geben versuch­ten. In der zweiten Stufe konnte schließlich nur das Projekt von Michl und Leitner sowohl städte­ baulich als auch architektonisch über­zeugen: Es definiert in der Verlängerung der Brücke einen klaren, städtischen Straßenraum, indem eine schon im letzten Jahr­hundert begonnene Hauszeile parallel zum Rathaus bis zum eigentli­chen Brückenkopf geführt wird. Das Rathaus erhält so ein angemessenes Gegenüber, während die Reste der Bebauung in Alt-Urfahr vom Verkehrslärm abge­ schirmt werden. Geschickt gesetzte Durchgänge und ein teilweise transparentes Erdgeschoss stellen Verbindungen zwi­schen diesen klar definier­ten Bereichen her. Die Realisierung, wie sie sich heute dem Besucher darbie­tet, beweist die Richtigkeit dieses Konzepts. Noch ist das eigentliche Kopfge­bäude, das ursprünglich die Graphiksamm­lung der Linzer Neuen Galerie hätte beherbergen sollen und schließlich – bei weit­ gehend unverändertem Äußeren – in das Ars Electronica Center umgewidmet wurde, im Bau. Aber die Häuserzeile, deren Abschluss das AEC bilden wird, ist fertig: eine anspruchsvolle Fassade von un­r uhigem Temperament, in der die archi­tektonischen Paradig­ men­wechsel der letzten Jahre ablesbar sind. Bleistiftartig zuge­ spitzte Säulen aus Stahl­beton bestimmen die Sockel­zone, darüber spannt sich eine Haut aus grauem, geäder­tem Sandstein. Ein hell verputztes Geschoss bildet den Abschluss nach oben. Dort, wo gegen­über das Rat­haus bis ganz an die Straße vor­tritt, wölbt sich ein Teil der Fassade in einem Kreissegment hervor, um den Straßenraum optisch zu verengen. Im Sockelbereich verschneidet sich das Seg­ment mit einem vorgebauten Kiosk, der diesen Effekt verstärken soll. Während die Fassade eine fast atekto­ni­sche, formale Behandlung in der Fläche erfährt, ist der Kiosk eine elementare Konstruktion im Sinn der neuen Beschei­denheit, mit verzinkten Stahl­profilen und einem Dach aus Wellblech. Fertig­ gestellt ist auch ein kleiner, dreigeschossiger Bau, den Michl und 388

Leitner als Übergang zu den renovierten alten Gebäuden hinter ihre Haus­zeile gestellt haben. Er ist – so wie die Rück­ seite der Zeile – einfach und unkapri­ziert gestaltet und gut propor­tioniert. Von der alten Substanz ist freilich weniger übrig geblieben als vorge­sehen: Als Randbe­ bauung an der Friedhofstraße und an der Schul­straße wurde nach einem Entwurf der Zweitund Drittplazierten des Wett­ bewerbs statt der vorgese­henen gemischten Wohn­nutzung ein gehobenes Seniorenheim reali­ siert , des­sen in die Tiefe des Grund­stücks hineingeführten Trak­ten einige ältere Gebäude – unter anderem jene der Stadtwerkstadt – weichen mussten. (Dass die Friedhof­straße den Betreibern des Seniorenheims zuliebe in Friedrich­straße umbenannt wurde, ist eine gewissermaßen amt­ liche Verände­r ung der inneren, der erinnerten Stadt.) Von der Erhaltung „gebiets­typischer Milieuqualität“ oder gar von inner­ städtischen Frei­räumen, die experimentell und autonom genutzt werden könnten, kann letztlich keine Rede sein. Auch das Café Landgraf, dessen Erhaltung eines der wichtigen Anliegen der Bürger­initiativen war, ist, wenn schon nicht abgerissen, so doch ins 19. Jahrhundert zurückrenoviert worden. Das charakteristische Por­tal aus den 30er-Jahren und die spartanische Inneneinrichtung sind verschwunden. Und so ertappe ich mich schließlich – vom anderen Donau­ ufer nach Alt-Urfahr zurückblickend – bei dem Gedanken, man hätte doch auf die paar mittelmäßigen Häus­chen, die da östlich der Brücke als Relikte der alten Bebauung übrig­geblieben sind, auch noch verzich­ten und stattdessen parallel zur neuen Rand­ be­bauung eine zeitge­mäße Lösung finden können. Aber das wäre wohl ungerecht: Die Be­deutung dieser Häuser liegt weni­ger in ihrem Denkmalwert, sondern darin, dass sie Sand im Getriebe der schnellen Reali­sierer waren; dass sie Politiker und Planer gezwungen haben, sich Mühe zu geben, auch den Betroffenen zuzu­hören und sich Zeit zu neh­men auf der Suche nach einer qualitätvollen Lösung.

Der Altbestand im Schutz des Neuen: behutsame Stadterneuerung von Walter Michl und Klaus Leitner, Alt-Urfahr, Linz Foto: Josef Pausch

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12 / 02 / 1994   

DER STOFF AUS DEM DIE ÖSTERREICHERWITZE SIND Über Baumeister, Architekten und den kleinen Unterschied.

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etzt ist es also Gesetz: Jeder Baumeister mit mindestens zehnjähriger Praxis und Matu­ra­ abschluss wird sich in Zukunft für Planungs­ tätigkeiten im Ausland „gewerblicher Architekt“ nennen können. Im Grunde hatten die österreichischen Baumeister die Planungs­be­fugnis im Ausland ja schon mit der vor zwei Jahren ausge­handelten Regelung im Rah­men des EWR abgesichert. Damals hatte man angesichts der Tatsache, dass in fast allen Ländern Europas eine Univer­sitäts- bzw. Fach­ hoch­schul­ausbildung für die Pla­nungsbefugnis im Bauwesen Voraussetzung ist, darauf ver­zichtet, ein bestimmtes Ausbildungs­ niveau vorzu­schreiben. Jeder in einem der Mitgliedsländer befugte Planer wird im EWR dasselbe Recht erhalten. Mit dem jetzigen Vorstoß sollte freilich der Gefahr vorgebeugt werden, dass einige europäi­sche Länder doch noch zwi­schen Architektur und Bauen einen Unterschied zu machen wüssten und österreichischen Baumeistern den Zugang zu Architekturwett­ bewerben versperren wollten. Wie windschief die jetzt getrof­fene Regelung tatsächlich ist, wird klar, wenn man sie in einen anderen Kontext über­trägt. Ziehen wir – wie das in den letzten Wochen ja oft genug versucht worden ist – ein Beispiel aus der Medizin zum Vergleich heran: neben den Zahnmedizinern mit Fach­arztaus­bil­ dung gab es in Öster­reich bis vor nicht allzu langer Zeit Dentisten, die im Rahmen einer Lehre ausgebildet wurden und von der Plombe bis zur Prothese ähnliche Leistungen anbieten konnten wie ein Arzt. Dieser Zustand wurde abgelöst durch eine klare Arbeitsteilung zwischen dem Arzt, der eine Prothese verschreibt und dem Zahn­techniker, der sie ausführt. Die jetzt getroffene Regelung im Bauwesen wäre dagegen mit folgender Analogie zu beschreiben: Immer dann, wenn ein ausländischer Pati­ent dezi­ diert von einem Arzt behandelt werden möchte, dann dürfen sich österreichi­sche Dentisten eben auch als Zahnärzte ausgeben. Das ist der Stoff, aus dem in der Schweiz Österreicherwitze gemacht werden. Aber halt! Gerade in der Schweiz ist doch der Architek­tentitel überhaupt nicht geschützt. Und hat dieser Umstand nicht sogar auf die Nachbarn in Vorarlberg abge­färbt, wo auch Baumeister an Architekturwettbewerben teilnehmen dürfen und dabei oft genug

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erfolgreich sind? Warum sollten sich nicht einfach im freien Wett­ bewerb die Besseren durchsetzen, gleich ob sie jetzt Architekt oder Baumeister heißen? Weder die Zugehörigkeit zu einer Kammer oder zu einem Architektenbund noch die Absolvierung eines Studiums ist eine Garantie für Qualität, letztlich zählt doch nur die individuelle Leistung. Jede Reglementierung fördert eher das Mittelmaß als die herausra­gende Qualität. So hat schon Otto Wagner argumentiert, als er sich 1917 – im Feuilleton der Neuen Freien Presse – vehement gegen die Ein­ richtung von Architektenkammern aussprach: „Das Kunstniveau der Architektenschaft wird durch die Einrichtung von Architekten­ kammern zweifel­los tief herabgesetzt, also die Kunst schwer geschädigt.“ Und tatsächlich war die geringe Überzeugungskraft der Argu­mentation der Architekten­kammer im öffentlichen Disput der letzten Wochen nicht zuletzt darin begründet, dass den meisten Kammerfunktio­nären angesichts ihrer eigenen Praxis die Schamröte ins Gesicht steigt, sobald sie das Wort Baukunst in den Mund nehmen. Aber nochmals halt! Wer redet denn hier von Kunst? Haben denn Häuser nicht vor allem zu funktionieren, müssen sie denn nicht vor allem preiswert und solide gebaut sein? Diese Punkte sind sicher zu berück­sichtigen, aber um Architektur zu sein, braucht ein Gebäude weit mehr. Dabei ist eine Trennlinie zwischen Bauen und Architektur heute sicher nicht mehr so leicht fest­ zule­gen wie zu Wagners Zeiten. Wir können heute nur noch ironisch von den „Schönen Künsten“ sprechen, und schon Adolf Loos hat festge­stellt, dass Architektur abgese­hen vom Grabmal und vom Denkmal nicht mehr zu den Künsten gehören kann, wenn diese die Zerrissenheit und Entwurzelung des modernen Menschen zu ihrem Thema machen müssen. Aber ganz sicher ist Architektur nach wie vor eine Tätigkeit, die an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technik und gesellschaftlicher Verpflichtung angesiedelt ist, und damit unterscheidet sie sich grundsätzlich vom Bau­gewerbe. Die jetzt per Verordnung getroffene Gleichsetzung von Begrif­ fen, die eben nicht das Gleiche bedeuten, war ein falsches Signal und wird wohl revidiert werden müssen. Die sinnvollerweise sehr unter­schiedlichen Ausbildungs­wege von Architekten und Bau­ meistern sind dafür allein Grund genug. Dass wir heute angesichts der zunehmenden emotionalen und physischen Unbehaustheit des Menschen Architektur in ihrer geistigen und künstlerischen Dimension benötigen, und nicht nur in Form von Flächen und Kubatu­ren, sollte dabei jedoch den Ausschlag geben.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 392

31 / 12 / 1993   

SUITEN MIT ZEN

Was hat ein kleiner Ort im südlichen Wiener Becken architektonisch schon zu bieten? Im Fall Ebreichsdorf Beachtliches: eine Wasserburg, ein Klubhaus von Hans Hollein – und seit Kurzem den interessantesten österreichischen Hotelbau der letzten Jahre.

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ls die österreichischen Geld­scheine noch schön anzu­sehen waren, zeigte einer von ihnen eine Abbildung der Semmeringbahn: Vor den eindrucks­ vollen Gebirgsmas­sen der Kalkalpen kämpfte sich da eine Lok über ihre mutig in den Fels geschnit­ tene Trasse. Karl Ritter von Ghega, dessen Porträt auf der Rückseite des Geldscheins zu bewundern war, hat im vorigen Jahrhundert beim Bau der Süd­bahn-Strecke der Natur den bequemen Zugang zu dieser Region abgerungen und damit den Grundstein für ihre touristische Erschließung gelegt. Die bürgerliche Kultur der Sommer­frische, die am Semme­ring bis zum Ersten Weltkrieg hoffen durfte, Bad Ischl den Rang abzulaufen, ist längst vergangen. Und auch von der ihr eigen­tüm­ lichen Wahrneh­mung der Natur, die in der land­schaftlichen Dramatik ihre Erfül­lung suchte, sind nur noch einige Begriffe wie „Naturschauspiel“ oder „Bergkulisse“ geblieben. Ebreichsdorf, im südlichen Wiener Becken östlich von Baden gelegen, hat solche Reize von vornherein nicht zu bieten. Die Landschaft ist flach und geprägt von früher Industrialisie­ rung: Im Ort befindet sich neben der Wasserburg, die nach der Zerstörung durch die Türken Ende des 16. Jahrhunderts im Renaissancestil wiederaufgebaut wurde, eines der wenigen noch erhaltenen großen barocken Manufakturgebäude. Wasser­ läufe wurden damals umgeleitet und betrieben eine Baumwoll­ spin­nerei nach engli­schem Vorbild und Mühlen, in denen Krapp, der rote Farbstoff zum Färben der Baumwolle, herge­­ stellt wurde. Dass gerade hier der interessante­ste österreichische Hotel­ bau der letzten Jahre entstehen konnte, ist dem Umstand zu verdanken, dass sich im Park des Ebreichsdorfer Schlosses eine der renommierte­sten Golfanlagen Österreichs befindet. Der Schloss­ herr, Richard Drasche-Wartinberg, dessen Ahnen als Besitzer der Wienerber­ger Ziegelei das gründerzeitliche Wien mit Bau­ material versorgten, hat schon bei der Errichtung des Clubhauses architektonischen Anspruch bewiesen. Hans Hollein durfte ein pavillonartiges Gebäude mit fähnchengekrönten Türmen und ausladendem Holzdach entwerfen, das auf einem künstlichen Hügel sitzt, von dem aus man die Greens überblicken kann. Für das Hotelprojekt, das nach dem Erfolg des Golfplatzes 1990 in Angriff genommen wurde, suchte der Bauherr eine Lösung jenseits gängiger Klischees. Denn je mehr der Massentourismus 393

auch exoti­sche Ziele erfasst, die früher dem Jet-Set vorbehalten waren, umso größer werden die Chancen für qualitätvolle alternative Konzepte. Der Wiener Architekt Walter Ifsits erhielt daher den Auftrag, die Bauaufgabe „Hotel“ unter den Bedin­ gungen einer geänderten Freizeitkultur grundsätzlich zu über­ denken. Einige Vorgaben waren klar: Das Hotel sollte nur Suiten anbieten, also Einheiten, die aus zumindest zwei Bereichen – zum Wohnen und zum Schlafen – bestehen. Da die Anreise der Gäste vor allem mit dem eigenen Wagen erfolgen würde, war auf die besonderen Bedingungen des Parkens Rück­sicht zu nehmen. Als Bauplatz wurde schließlich ein schmaler Grundstücksstreifen entlang jenes schnur­ geraden künstlichen Wasser­laufs festgelegt, an dem einmal die Mühlen der Baumwoll­ manufaktur gestanden sind. An seinen Ufern befinden sich hohe, in regelmäßi­gen

Suiten wie Reihenhäuser: Hotel von Walter Ifsits, Ebreichsdorf Fotos: Rupert Steiner

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Abständen gepflanzte Bäume. Eine Brücke verbindet das Grund­ stück mit dem Golfplatz auf der anderen Seite und dem Club­ haus, das in einiger Entfernung zu sehen ist. Das Konzept, das Walter Ifsits und seine Mitarbeiter Hanno Ganahl und Werner Larch entwickelten, sieht parallel zum Wasser einen gut 100 Meter langen linearen Baukörper vor, in dem die Suiten wie Reihen­häuser aneinandergesetzt sind. Quer dazu ist das Empfangs- und Restaurantgebäude angefügt. Haupteingang und Rezeption liegen an der Ecke der so entstehenden L-förmigen Gesamtanlage. Das Restaurant und die Suiten öffnen sich zu einer lang gestreckten Frei­fläche, die nach Süden von den Bäumen an der Uferkante begrenzt wird. Ungefähr in der Mitte dieser Frei­ fläche wurde ein rechteckiger Schwimmteich angelegt, in den einige kleine Felsen so absichts­voll-zufällig gesetzt sind wie in einem japanischen Zen-Garten. Das Hotel bietet drei verschiedene Größen von Suiten an. Die klein­sten sind rund 30 m2 groß und liegen direkt an der Frei­ fläche. Im Sommer werden ihnen hölzerne Gitterroste wie kleine Terrassen vorgelegt, um die Vorbeigehenden auf Distanz zu halten. Die nächst­größeren Suiten sind an die 50 m2 groß und sowohl direkt vom Autoabstellplatz an der Rückseite als auch –

über einige Stufen – von einem inneren Erschließungs­gang aus zu erreichen, der das ganze Gebäude durchzieht. Durch die geschickte Anlage der kurzen inneren Quertreppen sind eine natür­liche Belichtung und eine gute Gliederung dieses Ganges gewähr­leistet. Die größeren Suiten verfügen über einen kleinen Vorraum, von dem aus man über einige Stufen in den eineinhalbgeschos­ sigen Wohnbe­reich mit der vorgelagerten Ter­rasse gelangt. Zu dieser Seite hin ist die Fassade vollständig ver­glast, ein weit vorspringendes Holzdach schützt den Raum vor Überwärmung und die Fassade vor Regen. Wiederum einige Stufen höher liegt die Schlafebene. Hier sorgt ein Oberlicht, das sich nach außen in charakteristischen drei­ecksförmigen Dachaufbauten abzeichnet, für zusätzliche Belichtung. Ein Teil der Schlafe­bene und das anschließende Bad kragen beachtliche fünf Meter weit nach hinten aus und überdecken so den Autoabstellplatz. Die rück­wärtige Fassade ist bis auf das Fensterband der Bäder und schmale Licht­ schlitze im unteren Geschoss geschlossen. Einmal wird die Abfolge der Woh­neinheiten unterbrochen, um eine zusätzliche Verbindung vom Innengang ins Freie zu schaffen und damit den Weg von den oberen Suiten zum Schwimmteich nicht zu lang werden zu lassen. Diese Unter­ brechung wird zugleich genutzt, um die Enden der lange Hori­ zon­talen durch eine Erhöhung um ein weiteres Geschoss zu akzen­tuieren. Hier befinden sich jeweils die Luxus-Suiten des Hotels, die über einen weiteren Wohnraum und eigene Dach­ terrassen verfü­gen. Die Suiten sind zum Großteil komforta­bel eingerichtet. Jede Suite sollte einen eigenständigen Charakter erhalten. Dieser Ansatz ist einem standardisierten Konzept sicher vorzuziehen und hat überdies den Vorteil einer größeren Entwick­lungsfähigkeit. Dass die eine oder andere Suite dabei von einer Innenarchitektin eine Ausstattung verpasst bekommen hat, die – um es dezent zu formulieren – den besonderen Effekt über die archi­tektonische Qualität stellt, lässt sich da verschmerzen und wird sich vielleicht durch das Spiel von Angebot und Nachfrage von selbst regeln. Wer von seiner Suite in den Speisesaal möchte, gelangt über den inneren Erschließungsgang zuerst ins Foyer, dessen Eckver­ glasung über die volle Gebäude­höhe geführt ist. In die Achse des Erschließungsgangs ist hier ein raumhoher Rahmen aus Stahl­ beton gesetzt, der eine Art großes Eingangstor bildet. Er trägt zugleich das Dach, das sich weit in den Vorplatz hinausschiebt. So sehr der Wunsch nach einem Element mit besonderer Signal­ qua­lität an dieser Stelle verständlich ist, so wenig kann die gewählte Lösung in der Gesamtstruktur der Anlage befriedigen. Es wäre klüger gewesen, diesen Foyerraum nicht so sehr als Kopfelement des Suitentraktes, sondern mehr als Gelenk zwischen den beiden orthogonal zueinander stehenden Bauteilen auszubilden. Er hätte damit automatisch das richtige Maß bekommen, während er sich jetzt mit großer Geste zu einem Vorbereich öffnet, der zu dieser etwas aufgesetzt wirkenden Grandezza in keinem Verhältnis steht. 395

Der innovativen Qualität des Hotels kann das aber nicht wirklich etwas anhaben. Der Besucher wird sich vor allem an der Großzügigkeit der Suiten erfreuen, am Ausblick, den er von seinem Bett genießen kann und am Restaurant, in dem man angeblich so gut isst, wie es von der Gestaltung her gelungen erscheint. Der Freiraum zwischen den Suiten und dem Wasserlauf hat überdies durch die poetische Gegenüber­setzung von gebauter und natürli­ cher Umwelt einen eigentümlichen, kontemplativen Charakter – ein Raum für Ebenenstürmer und erfolgreiche Träumer.

24 / 12 / 1993   

LEICHT IST SCHWER ZU MACHEN

Die höchst komplizierte Kunst des Einfachen: Johannes Spalt und Aneta Bulant planen die Landesrettungszentrale des Roten Kreuzes in Salzburg.

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ie Landesrettungszentrale des Roten Kreuzes in der Salz­burger Sterneckstraße wird eine Vielzahl von Funk­ti­­­ o­nen zu beherbergen haben: Aufenthaltsräume für die Rettungs­mannschaften, eine Ordi­nation, ein Schulungs­ ­zen­trum, einige Wohnungen, eine Funkleit­stelle und die Garagen für sechzig Rettungsfahr­zeuge. Zusätzlich soll – zur leichteren Finanzierung des Baus – ein großes Geschäfts­lokal für das benach­ barte Auto­haus integriert werden. In der Regel sind Architekten über eine solche Vielfalt von Funktionen gar nicht unglück­lich. Folgt man der Gleichung „Form follows Function“, ergibt sich aus einer größeren Anzahl von Funktionen zugleich ein größerer formaler Reichtum: Die Funkti­ onen können ihren jeweils eigenständigen Ausdruck erhalten und dann zu einer größeren Kom­posi­tion zusammen­gefügt werden. (Und je heterogener die Funk­tio­nen, desto interessanter wird nach dieser Gleichung das Gebäude.) Johannes Spalt und Aneta Bulant, die nach einem gewon­ nenen Gutach­terverfahren ihr überarbeitetes Projekt der Öffent­ lichkeit vorstellen konnten, sind offensichtlich einen anderen Weg gegangen. Sie entwarfen einen schlichten u-förmigen Bau, der einen Hof umschließt. Zur stark befahre­nen Sterneckstraße liegen ebenerdig die Geschäfts­räume, darüber die Verwal­tung der

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verschiedenen Einrichtungen des Roten Kreuzes und in einem Dach­aufbau die Räume der Funkleit­stelle. Im quer dazu liegenden Trakt an der Dr.-Karl-Renner-Straße befinden sich der Hauptein­ gang mit einem kleinen Wartebereich und die Bereitschaftsräume, darüber die Schulungsräume, denen hofseitig als Pausenzone ein kleiner Erker vorgelagert ist, und die Wohnun­gen. Im dritten, am wenigsten vom Verkehrslärm belasteten Flügel liegen die Ruhe­ räume für die Einsatzmannschaften. Angesichts dieser einfachen und wie selbstverständlich wirken­ den Lösung könnte man glauben, die Architekten hätten sich ihre Sache leicht gemacht. Tatsächlich ist es mit dem Verzicht auf oberflächli­che Effekte allein nicht getan: Die Schwierigkeit besteht darin, Einfachheit nicht in Banali­ tät kippen zu lassen. Im konkreten Fall ist dieses Pro­blem dadurch gelöst, dass jeder Bereich das richtige Maß hat und dass sich die verschie­denen Bereiche nicht bloß addieren, sondern in ihrer Wirkung verstär­ken. So gibt es einen zwar kleinen, aber gut proportionierten Ein­ gangsraum, der durch seine Verglasung zum Hof durchläs­sig und damit großzü­gig wirkt. Nach demselben Prinzip erfolgt die Erschließung der Räume in den oberen Geschossen über schmale Gänge, die aber an der Hofseite entlanglaufen und so nicht eng wirken, da sie räum­lich den ge­samten Hof mitein­beziehen. Und trotz der ruhi­gen Erscheinung des Baukör­pers sind die Geschosse nicht einfach übereinander gestapelte Ebenen: Durch ein geschick­tes Spiel mit Niveaus gelingt es, den Vortragsräu­men des Schulungszentrums eine ange­messene Höhe zu geben. Schon allein wegen dieser Qualitä­ten hätte der Entwurf Beach­ tung verdient. Beim genaueren Hinse­hen entdeckt man jedoch eine Reihe von bewussten Störungen der Einfachheit und absicht­ liche Inkonsequenzen, die neugie­rig machen. Offensichtlich ist der Bau symmetrisch und hat eine Haupt­achse, die hofseitig durch den Er­ker markiert wird. Aber wieso sitzt die Funkleit­ zentrale dann auf dem Trakt, der zur Sterneckstraße ori­en­tiert ist und schafft dort jenen erhöhten Mittelteil, den man sich nach den klassischen Kompositionsregeln doch in der Hauptachse erwartet hätte? Und hätte die Asymme­trie der beiden Erschlie­ ßungs­türme nicht mit ein paar simplen Maßnahmen vermie­den werden können? Mehrdeutigkeit und Unschärfe sind offensichtlich ein Prinzip dieses Entwurfs: Auch die Fenster sind scheinbar auf die elemen­ tarsten Formen – Kreis und Quadrat – reduziert; aber das qua­ dratische Fenster tritt sowohl als selbststän­dige Öffnung in der Wand als auch in einer rhythmischen Anein­ander­reihung auf, in der es als Teil eines über die ganze Länge der Fas­sade laufenden

Rot-Kreuz-Station von Johannes Spalt und Aneta Bulant Foto: Atelier Bulant / Spalt

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Fensterban­des lesbar ist. Der Entwurf, der auf den ersten Blick eher die Qualitä­ten der anonymen, im besten Sinne bau­meister­ lichen Tradi­tion besitzt – und das wäre heutzutage schon keine geringe Leistung –, knüpft damit geistig an das Werk Josef Franks an. Johannes Spalt hat die­sen frühen Kritiker des „Internatio­ nalen Stils“ und seine Theorie des Akziden­tismus ja für die erste Genera­tion der österreichischen Nachkriegsmoderne wieder­­ent­ deckt. Dieselbe Leichtig­keit, die den Charakter von Franks Entwür­fen ausmacht, ist auch in der Salz­burger Rot-Kreuz-Station zu spü­ren. Und diese Leichtigkeit ist, wie ich glaube, ein Maßstab für die Tragfähigkeit aller formal und tech­nologisch vielleicht in eine ganz andere Richtung tendie­renden Ver­suche, die Ver­kram­p ­ fung von Postmoderne und Dekonstruktion hinter sich zu lassen.

20 / 11 / 1993   

PRÄDIKAT: ORGANISCH

Die Fassade: Kunststoff, Aluminium, Glas. Die Trag­konstruktion: Stahl­ beton. Das Wohnhaus der Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck ist dennoch ein organischer Bau.

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ie gerade Linie“, so predigt uns Friedens­ reich Hundert­wasser, der größte Architekt unter Österreichs Kunst­malern, „ist gott­ los.“ Sein Haus in der Löwenstraße, nach diesem Prinzip erbaut, ist entspre­chend krumm und schief und über­laden mit inszenierten Zufälligkei­ten. Weil auf seinem Dach außer­dem ein wenig Gras sprießt, gilt es vielen als Muster­ beispiel für eine lebendige, für eine „organische“ Architektur. Das Wohnhaus im 17. Bezirk in der Frauenfelder­straße, von dem hier die Rede sein soll, ist offensichtlich am anderen Ende des architekto­nischen Spektrums angesie­delt. Seine Fassade besteht aus Glas, Aluminium und Kunststoff, seine Tragkon­struk­ tion aus Stahlbeton. Es baut auf einer äußerst exakten Geome­ trie auf, in der bis auf wenige Ausnahmen nur gerade Linien zu entdecken sind. Und trotzdem verdient dieses Haus das Prädikat „organisch“ in einem unver­gleichlich höheren Ausmaß als die Touristenattraktion in der Löwenstraße. Organisch ist zunächst einmal die Einbindung des Hauses in seine Umgebung. Die Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck haben ein Eckgrundstück mit zwei sehr unterschied­­li­chen Straßen­fronten vorgefunden. Der kürzere, nach Westen orien­tierte Flügel an der Kainzgasse schließt an eine reich­lich triste Bebauung aus den 70er-Jah­ren an, die auch den Innenhof des Baublocks prägt, und blickt auf den Fußballplatz des Wiener Sportklubs. Da es hier kein direk­tes Gegenüber gibt, bietet sich aus den oberen Geschossen ein groß­zügiger Blick auf die Hänge des Wiener­ walds. Der andere Flügel in der Frauenfelder­straße ist nach Süden 398

orien­tiert und grenzt an einen viergeschossigen Bau aus dem vorigen Jahrhundert. Der Straßenraum ist hier etwas breiter als in den gründerzeitli­chen Wiener Stadterweiterun­gen üblich, da die Häuserzei­len Vorgärten besitzen. Die Architekten haben aus dieser Situation einige Anfor­de­ rungen abgeleitet: Zum schlecht belichte­ten und unattraktiven Hof sollten möglichst keine Aufenthalts­räume orientiert werden. Alle Wohnungen sollten Querlüf­tung erhalten und Aus- und Durch­ blick in mehrere Richtungen. Henke und Schreieck schlugen daher für den kürzeren Flügel durch­gängige Geschosswoh­nungen und für den längeren Flügel Nord-Süd-orientierte zwei­ geschossige Maisonetten vor,

Wie vergnüglich kann eine Fassade sein? Wohnhaus von Henke und Schreieck, Wien Hernals Fotos: Margherita Spiluttini

die mit ihren hohen Räumen den Maßstab des benach­ barten Altbaus aufnehmen. Zwischen die beiden Bau­ teile setz­ten sie eine Treppe, von der aus die Wohnungen über offene Lauben­gänge erschlossen werden. Ein solches Konzept eines Laubenganghauses mit Maisonet­ten ist an sich nichts Neues. Außergewöhnlich ist jedoch die geglückte Verbin­dung einer Vielzahl verschie­dener Wohnungs­typen – es gibt bei 34 Wohnungen 10 verschiedene Typen – mit einem äußerst raffinierten Erschließungssystem. Anstelle eines Treppenhauses öffnet sich ein Spalt zwischen den beiden Bau­teilen, in dem die Treppe nach oben geführt ist. Vom Straßenniveau aus gelangt man über einen breiten, geraden Treppenlauf ein Stockwerk höher auf das begrünte Dach der Hofüber­bauung und von dort weiter über eine zweiläufige, schmä­lere Treppe zu den Lauben­gängen der einzelnen Geschosse. Ein solches Konzept hat sicher Nachteile: Trotz der leichten, ele­ganten Glasdächer, die sowohl Treppe als 399

auch Laubengänge schützen, kann einen ein ordentli­cher Sommer­­ regen auch im vierten Stock überraschen und im Winter wird hier mehr als einmal Flug­schnee liegen. Aber dafür hat jede Wohnung ihre eigene Türe ins Freie, was besonders die Maisonet­ten wie eigene, kleine Häuser wirken lässt. Außerdem braucht es nur einen einzigen Lift für alle Bewohner des Hauses und ein einziges Haupt­ treppenhaus, das mit seinen verbreiterten Podesten zu einer zwanglo­sen Kontaktzone wird. Für die Erschließung des längeren Flügels mit den Maisonetten sind insgesamt nur vier Zugangsebenen erforderlich: eine für die Garconnie­ren im Parterre, zwei weitere für die darüber liegen­ den Maisonetten und schließ­lich eine für das Dachgeschoss. Statt hier einfach Lauben­gänge übereinander zu stapeln, haben die Architekten jeder Zugangsebene eine charakteristi­sche Ausfor­ mung gegeben. Im Parterre gelangt man über einen breiten, nur teilweise über­deckten und damit ausrei­chend von oben belichteten Korridor zu den einzel­nen Wohnungen. Eine Wand aus alten Ziegeln und ein breiter Grün­streifen, in dem Farne gepflanzt sind, begleiten diesen Zugang. Im ersten Stock geht man auf dem Dach der Hofüberbauung auf einem mit Granitplatten belegten Weg, von dem Brücken zu den Maisonet­ten abzweigen. Der nächste Laubengang ist erst wieder im dritten Stock nötig: Er ruht auf schlanken Stützen, die vom Erdgeschoss nach oben wachsen. Im obersten Geschoss schließlich ist der Zugang auf das Dach des Baukörpers gelegt. Alle diese versetzten Erschlie­ßungswege werden am Ende wieder in einer Fluchttreppe zusammenge­führt. Um den engen Lichthof des Nachbar­hauses nicht mit einer Feuer­mauer abzu­ schließen, son­dern ihm weiterhin Licht und Luft zu geben, haben Henke und Schreieck hier einen weniger tiefen Sondertyp von Maisonette, der genau mit dem Nachbarhaus abschließt, entwickelt und dafür auf etwas Kubatur verzichtet. (Da braucht man freilich einen Bauherrn, der eine solche Entscheidung mitträgt, und der stand in der ÖBV-Immobili­engesellschaft zur Verfü­gung. Johann Hauf, als Generaldi­rek­tor der ÖBV Initiator für das Projekt und den vorangegan­genen Wettbewerb, hat eine ebenso einfache wie schlüs­sige Formel ausgegeben: „Nicht die maximale, sondern die optimale Ausnutzung ist wichtig!“ Allein dafür hat er sich den Bauherrenpreis, der seiner Gesellschaft heuer für das Haus zugesprochen wurde, verdient.) Wer respektvolles Bauen im Kontext in dieser Art auffasst, kann auf formale Angleichun­gen bei Fassaden und Woh­nungs­ typolo­gien getrost verzichten. Alle Wohnungen haben freie Grundrisse, die sich durch Schiebewände verändern lassen. Türen gibt es nur zu den Kinderzimmern. Die Fenster gehen ausnahms­ los bis zum Boden, Innen­räume und vorgela­gerte Außenräume gehen stufenlos ineinander über. Bei den eingeschossigen Wohnun­gen zur Kainzgasse müssen Jalousien und Vorhänge vor neugierigen Blicken der Passanten schützen. Den Maisonetten sind dagegen tiefe, über zwei Geschosse reichende Loggien vorgelagert, die sich durch gut vier Meter hohe, verschieb­bare Aluminiumrahmen mit horizontal verstellbaren 400

Lamel­len fast völlig abschließen lassen. Obwohl sie auf den ersten Blick so gar nicht in die Welt der verputzten Ziegel­mauern rund­ um zu gehören scheint, gelingt dieser Fassade ein spannungsvoller Dialog mit der Umgebung: Die Loggien sind die Wiederho­lung des Vorgartens im nächst kleineren Maßstab, und die Aluminium­ rahmen können es in Dimension und Proportion mit der Fassade des gründer­zeitlichen Nachbarhauses auf­nehmen. Was soll nun an diesem Haus organisch sein? Sicher nicht die Form. Henke und Schreieck haben bei Roland Rainer stu­diert und von ihm den klaren Blick für die archi­tek­tonischen Ausdrucks­ mittel jenseits ober­flächlicher Forma­lismen vermittelt bekommen. Wenn man Geduld hat und das Spiel des Lichts auf den verschie­ denen Materialien eine Zeit lang verfolgt, beginnt das Haus leben­ dig zu werden. Organisch ist auch die Flexibilität des Hauses: Die Fassade erlaubt den Bewohnern, ihre Bezie­hung zur Außen­ welt zu regulieren, von völli­ger Offenheit bis zur Abkapse­lung gegen die Außenwelt, und auch die verschiebbaren Trennwände in den Wohnungen bieten Optionen für unterschiedli­che Lebens­ be­dürfnisse. Das Haus ist nicht nur funktio­nell, sondern auch ein ästhe­­­ti­sches und nicht zuletzt ein intellektuelles Vergnügen für den, der nach­ zuvollziehen versucht, wie hier aus für sich genommen ein­fachsten Elementen ein äußerst kom­plexes, stimmiges Ganzes ent­standen ist, ein Markstein zumindest der öster­reichischen Architek­tur der 90er-Jahre.

09 / 10 / 1993   

IM STILE UNSERER ZEIT

Die „Erste österreichische Spar-Casse – Bank“ am Wiener Graben wurde nach einem Umbau offiziell wiedereröffnet. Die Neugestaltung wirft die Frage auf, wozu wir eigentlich noch Architektur brauchen.

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ie Beziehung zwischen den Banken und der Masse ihres Publi­kums hat sich in den letz­ten Jahr­zehnten grundlegend verändert. Aus „Bankbeam­ten“ wurden Banker, aus „Sparern“ Kunden, und die wollen nicht von einem Kas­sier, sondern von einem Bera­ter bedient werden. Diese Wandlung im Bank­geschäft ist nicht ohne Auswir­kungen auf das Erscheinungsbild geblie­ben: Die Schalter­ halle als zentraler Kontaktpunkt zum Kunden wurde offener, Bera­tungs­inseln traten an die Stelle von Pult­formationen und sollen die Mög­lichkeit zum intensiven Kundenge­spräch bieten. Die Erste Österreichische hat in ihrem 1835 erbauten Stamm­ haus am Graben, einem klassizistischen Bau von Alois Pichl, erst­ mals 1972 auf diese neuen Bedingungen reagiert. Roland Rainer verwan­delte das Erdgeschoss des Hauses in einen Großraum, ersetzte das Glasdach des Innenhofes durch eine Betonplatte und fasste den Raum durch eine Rasterdecke aus stählernen 401

Jede Fälschung bringt das Echte in Verruf: die Erste am Graben Foto: Gregor Titze

Gitterrosten und einen grauen Granitboden zusammen. Vor den Haupteingang setzte er eine schwarze Stahlkonstruk­tion, die sich als schwebendes Vordach in den Straßenraum schob. Diese im Umgang mit dem Bestand zwar alles andere als sen­ sible, aber zumindest in sich schlüssige Lösung hatte nur kurzen Bestand. Im Inne­ren machte sich bald standar­disiertes Büro­ mobiliar breit, die schwarze Platte des Vor­dachs musste Anfang der 80er-Jahre der ersten Welle der Postmoderne weichen und wurde schamhaft entfernt. Als kleinere Umbauten in der Folge ohne befriedigendes Ergebnis blieben, war es 1991 endlich Zeit für die große Lösung. Die Beratungsfirma Suter + Suter erstellte ein Vorkonzept. Ein geladener Wettbewerb wurde veranstal­tet. Der Entwurf von Franz Fehringer erhielt den Zuschlag. Was macht nun den Reiz dieses Entwurfs aus? Lassen wir den Architekten selbst zu Wort kommen: „Beim jetzigen Umbau wurde versucht, die Formenspra­che des Bieder­meier aufzugreifen und im Geiste und mit den Materia­lien unserer Zeit abzuhandeln. Der Innenhof mit dem Oberlicht wurde wieder eingeführt. Die historische Stiege wurde wiederhergestellt, die Kabine des histo­ rischen Liftes blieb als Exponat erhalten und die altehrwürdige Marienstatue erhielt ihren angestammten Platz. Durch die Verwen­ dung wertvoller Materia­lien (Granit – Rosso Multicolor, Hima­laya Blue; Marmor – Rosa Porto­gallo; Säulen aus Stukkolustro; Messing und für die Einrich­tung Birne) wird versucht, eine gediegene Atmosphäre zu vermit­teln.“ Nun gibt es in der Architektur ein unerbittliches Gesetz: Jede Fälschung bringt auch das Echte in Verruf. Wenn sich wie hier aus Birnenholzpulten kunststoffbe­schichtete Qua­der hervorschie­ben, deren Oberfläche nach dunklem Stein aussieht, und dann zur Krönung noch ein Messing­knopf vorn draufgesetzt wird, dann beginnt auch der Marmor rundum nach Talmi auszuse­hen. Und wenn an einem Geländer klassizistische Blumengirlanden durch 402

plumpe Messingringe nach­empfunden werden, dann wirkt auch die echte klassizistische Treppe daneben wie ein billiger Nachbau. Man kann dem Vorstand der Ersten, der sich für diesen Entwurf entschieden hat, im Grunde keinen Vorwurf machen. Die Atmosphäre der neuen Halle wird von Mitarbei­tern und Publikum äußerst positiv aufgenommen. Besser als jeder Architek­ turkritiker haben die Bau­herren den architektonischen Stil unserer Zeit erkannt: er ist nach außen hin konservativ, aber ohne tieferes Verständnis für die Leistungen der Vergangen­heit; aus grund­ sätzlichem Misstrauen gegenüber der eige­nen kulturellen Potenz scheut er jedes Risiko; Architektur ist für ihn keine geistige oder gar künstlerische Disziplin, son­dern Werkzeug zur Erzielung ober­ flächlichen Effekts. Die inter­national und in Wien ganz beson­ders zerfahrene Archi­tekturdis­kussion der letzten Jahre hat das ihre zu dieser Haltung beigetragen: Die Ent­scheidung für eine Architek­ tur, die ihren kulturellen Auftrag ernst nimmt, verlangt heute offen­bar mehr Mut, als man von einem institutionellen Bauherrn verlan­gen darf. Mit der sparsamen, klaren Ord­nung seiner Fassade gehört das Stamm­haus der Ersten zu den schönsten Gebäuden am Wiener Graben. Der Umbau in seinem Inneren beweist, dass sich unsere Zeit mit ihrem Überfluss nichts Rechtes anzu­fan­gen weiß. Wir werden auf härtere Zeiten mit knapperen Budgets warten müssen: Wenn es darum geht, mit sparsamen Mitteln Qualität zu erreichen, dann ist Architektur vielleicht wieder ein Thema.

17 / 07 / 1993   

DIE SEHNSUCHT DES GLOBALEN DÖRFLERS Weil unsere Welt klein geworden ist, nämlich global vernetzt, müssen wir Wohn- und Arbeitsort nicht mehr voneinander trennen. Was geschieht jetzt mit unseren Städten? Was wird aus ihren Zentren?

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n Reformvorschlägen für städti­sches Leben hat es in der Geschichte nie gemangelt. Die industrielle Revolution musste fast zwangs­ läufig zu jenem Alternativ­konzept führen, das Ebenezer Howard Ende des vorigen Jahr­­ hunderts entwickelte. Den beiden Polen Stadt und Land setzte er einen dritten ent­gegen: die Garten­stadt mit maximal 30.000 Ein­ woh­nern, umgeben von Ackerland. Mehrere dieser Städte sollten in Gruppen zusammengefasst und durch ein Netz von Eisen­­ bahn­linien verbunden die Lebensqualität des Landes mit dem kulturellen Ange­bot und den Beschäftigungsmög­lichkeiten der 403

Stadt vereinen. Das Fernziel der genossen­schaftlich organisierten Gartenstadtbewe­gung war die Auflösung der großen Metro­­polen: London, so hoffte Howard, würde unter dem Druck massiver Stadt­ flucht in eine Viel­zahl kleiner Garten­städte zerfallen. Dieser europäischen Vision einer Vermählung von Stadt und Land steht Frank Lloyd Wrights Broadacre City gegenüber. Broadacre City ist das Stadtmodell für die Bewohner von „Usonia“, einer Wortschöpfung Wrights, in der sich die Begriffe „USA“, „Vision“ und „Utopia“ vermi­schen. Als Ausdruck des amerikani­ schen Pioniermythos ist Wrights Utopie auf rein individualistischen Prinzipien aufgebaut: „Das wahre Zentrum, die einzig zulässige Zentralisierung Usoniens ist das einzelne usonische Haus. Alle Formen der Produktion und Distri­bution, der Erzie­hung und des Genusses sind aber so arrangiert und so miteinander verwoben, dass sie jeder usonische Bürger schnell im Umkreis von 10 oder 20 Meilen mit dem eigenen Auto, Luftfahr­zeug, oder öffentlichen Verkehrs­mittel erreichen kann.“ Die Land­schaft tritt in diesem Konzept an die Stelle des öffentlichen Raums. Ihre Gestaltung wird, neben jener des Einfamilien­hauses, zur zentra­len Aufgabe des Architekten. Diese Beispiele belegen die enge Verbindung zwischen den Techno­logien einer Zeit und den städte­baulichen Visionen, die sie hervor­bringt. Eine Technologie kann dabei, wie im Falle der Gartenstadt, als Feindbild fungieren: Die rauchenden Schlote der Indu­strie sind für Howard ein Hauptgrund für die Abkehr von der kapitalistischen Stadt. Sie kann aber auch ein wesent­­li­cher gestaltender Faktor sein: Ohne die Aussicht auf unbe­schränkte Mobilität durch das Automobil wäre Wrights Vision einer sich flächig ausbreiten­den „Landschaftsstadt“ gar nicht denk­bar. Wie sehen die Stadtvisionen unserer von Informations­tech­­ no­logien geprägten Gesell­schaft aus? Die grundlegen­den Faktoren sind bekannt: Durch immer leistungsfähigere elektronische Vernetzung ist der Zugang zu Information potenziell von jedem Punkt der Welt aus möglich. Arbeitsplätze müssen – zumindest für die Berufe im tertiären Sektor – nicht länger an einem möglichst zentralen Standort zusammengefasst sein. Durch Video­ konferenz und Datennetze verbunden können kleine Einheiten ihre individuellen Stärken kurzfri­stig auf globaler Ebene zusam­menschließen und so flexibler auf Marktanforderun­gen reagieren. Auf den ersten Blick eröffnen sich dadurch vor allem erfreu­ li­che Per­spektiven: da Wohnen und Arbei­ten nicht länger getrennt sein müssen, verrin­gern sich sowohl die täglichen Weg­ zeiten als auch die damit verbundene Umweltbela­stung. Die individuelle Freiheit in der Gestaltung von Arbeitsort und Arbeits­ zeit wird durch die Teleprä­senz in einem bisher nicht gekann­ten Ausmaß möglich. Bei näherer Betrachtung stel­len sich jedoch viele kritische Fragen. Bis zu welchem Grad sind persönli­che Begegnun­gen durch telemati­sche ersetzbar? Ist eine Gesell­schaft vorstellbar, die sich nicht auch über einen konkreten Raum definiert? Schließlich bleibt 404

die Frage, wer denn überhaupt Zugang zu den neuen Tech­ nologien erhal­ten wird. Die Kosten für den Eintritt ins Globale Dorf sind sowohl von der Infrastruktur als auch vom Bildungs­ niveau her enorm und können nur von den reichsten Nationen bestritten werden. Die städtebaulichen Visionen, mit denen Architekten auf diese neuen Bedingungen reagieren, sind entsprechend wider­ sprüchlich. Die Vertreter der europäischen Avant­garde kündigen das Ende der funk­tional bestimmten Stadt an: Gibt es noch eine Begründung für festge­fügte räumliche Strukturen, wenn die wirksamen Grenzen nicht mehr im realen, sondern im virtuellen Raum verlaufen? In dieser Unab­hängigkeit von räumli­chen Beschränkungen sehen Architek­ten wie Cedric Price eine Chance zur sozialen Innovation. Wenn Zentralität kein Kriterium mehr ist, so wird die Peripherie der Städte zum eigentlichen Schwerpunkt der zukünftigen Entwicklung. Hier, so behauptet Price, könnten Formen gesellschaft­lichen Lebens entste­hen, die man bisher für undenkbar gehalten hat. Die Stadt der Zukunft ist für ihn – ähnlich wie für Wright – ein lockeres Netzwerk aus Einzellösungen, die aufgrund indi­vidueller Be­dürfnisse unter minima­len überge­ ordneten Vorgaben entstehen. Amerikanische Architekten können dieser Vision in der Regel wenig Positives abge­winnen. Denn für sie ist Wrights Stadtutopie längst Realität – wenn auch in einer ganz anderer Form, als der es vorausse­hen konnte: Die unbeschränkte individuelle Mobilität hat weder zur sozialen Innovation noch zur Schaffung eines locker bebauten Land­schaftsparks geführt, son­dern zur rücksichts­ losen und mono­tonen Ausbreitung der Stadt in die Region. Sie ist charakte­risiert durch den Verlust der räumlichen Struktur im Inneren und den Weg­fall jeder klaren Grenze nach au­ßen. Der Zerfall der städtischen Ordnung ist aus amerikanischer Sicht das Abbild eines gesell­schaft­lichen Zerfallsprozesses. Die Telekommu­ ni­kation könnte diesen Effekt noch verstärken, indem sie globale intellektuelle Vernetzung mit weiterer emo­tiona­ler Isolierung verbindet. An Vorschlägen, diesen Zustand durch die Implantation von neuen Strukturen zu verbessern, fehlt es nicht. Nur wenige, die nach dem Vorbild von Paolo Soleri nach neuen gesellschaft­ lichen Grundla­gen für die Stadt suchen, kommen jedoch an den umfassenden Anspruch der Konzepte eines Ebenezer Howard heran. In der Regel beschränken sie sich ideo­logisch auf eine Mischung aus Sentimentalität und Ökologiebe­wusstsein: Viktoria­ nisch anmutende Reihenhäuser an gewun­denen Straßen bilden intro­vertierte, selbsterhaltende Siedlungen, die die Sehn­sucht nach Zusammenge­hö­rigkeit und Heimat befriedigen sollen. Aber schon die Gartenstadtbewegung konnte das Wachs­tum der Metro­ polen nicht stoppen. Sie werden, so ist zu vermuten, rund um diese Implantate weiter­wuchern. Die eingezäunten und bewachten Seniorensiedlungen Kalifor­niens dürften so zum unge­wollten Vorbild der neuen Garten­städte werden. Vieles scheint also für die Zukunftsvision des französi­schen Städtebautheoretikers Paul Virilio zu sprechen: „Meiner Ansicht 405

nach wird die zukünftige Stadt von zwei Wohnformen beherrscht werden: dem ‚nomading‘ und dem ‚cocooning‘. Die letztge­nannte wird die Wohnform für die in extrem geschützten Wohnungen lebenden Menschen sein, die über politische und wirtschaftliche Macht verfügen, die erstgenannte wird die Wohnform jener Menschen sein, die ihre Sesshaftigkeit und damit ihre klas­sische soziale Identität verloren haben.“ Dennoch, so bleibt zu hoffen, ist Virilios Vorstellung vom Leben im Globalen Dorf nur eine von vielen denkbaren. Das Veränderungspo­tenzial der neuen Technologien ist jedenfalls immens und noch lange nicht ausgelotet. Eines ist jedoch klar: Die grenzen­lose Kommunika­tion im Globalen Dorf bringt viele vertraute Grenzen zum Verschwin­den und schafft damit die Sehn­ sucht nach neuen identitätsstif­tenden Markierungen. Es wird – nicht nur in der Architektur – ent­scheidend darauf ankom­men, diese Sehnsucht nicht durch Mau­ern und Stachel­draht, sondern durch die behutsame Ausformung von Schwellen­be­reichen zu erfüllen.

24 / 04 / 1993   

IRONIE MIT WELLBLECH

„The City inside us“: Im Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt Vito Acconci, was Häuser tun, wenn wir ihnen den Rücken zukehren.

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Erkenntnisbäumchen in der Schräge – Vito Acconcis Installation in der zentralen Halle des MAK Foto: MAK

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rgendwie kam alles anders als geplant. Ein Künstler, der bekannt ist für seinen subver­ siven Humor, für seine Ten­denz, stets das Unterste zuoberst zu kehren, wird eingeladen, eine Installation in der zentralen Halle des Muse­ums für angewandte Kunst zu machen. Der Künstler ist erklär­ter Tabubrecher („Ich fürchte, die Leute beachten meine Kunst nur, wenn sie etwas mit Sex zu tun hat“) mit Wurzeln in der Perfor­ mance-Kunst der 60er-Jahre, der sich über die Objektkunst in den Grenz­bereich zur Architektur bewegt hat. Unter seinen jüngsten Arbeiten finden sich versunkene und zerborstene Häuser, Alb­ traumhäuser, die auf dem Kopf stehen, und Platzge­staltungen, bei denen sich die Fragmente der scheinbar zersplit­terten Umge­ bung in der Mitte des Platzes wiederfinden. Verglichen damit ist die Instal­la­tion im MAK von seltsamer Harm­losigkeit: In die Ausstel­lungshalle ist eine penible und in allen Details exakte Wieder­holung des beste­henden Raums gesetzt,

deren Achse jedoch schräg aus der Vertika­len gekippt ist, als hätte sich die Halle verdoppelt und aus sich selbst gelöst und sei dann langsam schräg nach unten geglit­ten. Eine weitere Kopie der Halle steigt ihr aus dem Boden entgegen und durch­ dringt sie. Die ursprüngliche Halle zerfällt dadurch in zwei räumlich getrennte Teile: Im unteren Teil bewegt sich der Besucher in einem Zwickelraum zwischen dem Glasdach der herabgesunkenen und jenem der aufsteigenden Halle. Um in den oberen Teil zu gelangen, muss er diesen Raum seitlich verlassen. Sein Weg führt von hier u-förmig um die Mitte herum zu jener Stelle, wo die Oberseite der herabgesun­kenen Halle durch die gegen­über­ liegende Tür dringt. Von hier aus steigt er auf grasbe­wachsenen Rampen und auf dem Gitterrost, der die Vergla­sung der unteren Halle schützt, hinauf, bis er das ursprüngliche Glasdach beinahe berühren kann. Subversion und aggressiven Witz sucht man in dieser Instal­ lation vergeblich. Die Hallen durchdringen einander schmerzlos, und das Bäum­chen der Erkenntnis, das oben durchs Dach hinauswachsen will, wirkt bestenfalls als Aus­druck melancholischer Ironie. Und dennoch sprengt dieser Raum den Rahmen der gängi­gen dekonstruk­tiven Manipu­lationen. Wo jene die Fragmente der Welt wieder zu einem hübschen Ganzen montieren und dieses so appetitlich aufberei­ten, dass es vom Betrachter mühe­los kon­sumiert werden kann, lautet Acconcis Botschaft ganz anders: Nicht die Welt ist frag­mentiert, son­dern der Betrach­ter. Die Rettung der Kunst durch die Anti-Kunst, jeder Versuch, die Fragmen­tierung unserer Erfahrung sichtbar zu machen und damit aufzu­he­ben, ist ein hoffnungsloses Unterfangen: Der Riss geht mit­ten durch uns und kann daher nicht von außen wahr­genom­men und damit beherrscht werden. Das Imaginäre und das Sur­reale, die letzten Waffen, die die Kunst unseres Jahrhun­derts aufzubieten hatte, sind damit paraly­ siert. Die Arbeiten Acconcis, die in den Räumen um die zentrale Installa­tion herum ausgestellt sind, setzen diese Waffen zwar noch ein: Hier finden sich verwandelbare Muschelrefugien, gigan­ tische Büstenhalter aus Draht und Mörtel, die wie Paravants in unterschiedli­chen Positionen aufgestellt sind, unbenutzbare Betten und Tische aus Alumi­nium und Neonröhren. Aber diese Waffen, die gegen eine als bedrohlich empfun­dene Realität benutzt werden konnten, um sie zu verwan­deln, taugen nichts mehr in einer Kultur der Simulation, in der Reales und Imaginäres ineinander verschwimmen. Das öffentliche Leben findet längst im simulierten Raum der elektroni­schen Medien statt. Die Aktien­börse ist zum Termi­nal implodiert, der Konzertsaal zum Walkman. Das Fernsehen schafft kollektive Ereignisse ohne reale Beteiligung, der Telefonsex schafft eine Situation körperloser Intimität. Und doch ist in bei­den Fällen die Reali­tät quanti­fizierbar: Es wird Umsatz gemacht und Gewinn realisiert. Damit stellt sich die Frage nach dem kulturellen Fundament der Architektur: Muss sie nicht zwangsläufig ihre Funktion als 407

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Ausdruck einer Kultur verlie­ren, wenn ein immer größerer Teil des Lebens außerhalb des realen Raums stattfindet? Natürlich werden wir auch weiterhin Spitäler und Schulen, Kasernen und Wohn­häuser bauen; aber werden wir diesen Artefakten auch in Zukunft eine höhere kulturelle Bedeutung zuspre­chen als einer Autobahn oder dem Kanalnetz einer Stadt? Als letzten Raum, der nicht von der Simulation zerfressen ist, sieht Acconci den Raum, der auf der Flucht ist. Auf der Straße vor dem MAK parkt seine „Mobile Linearstadt“, ineinanderge­ schach­telte Con­tainer aus Wellblech, die von einem Lastwagen in den Stra­ßenraum gezogen wurden, Behältnisse, die schützen, ohne eine Heimat zu bieten. „Der heimat­lose Körper ist irgendwo zwischen dem explodierenden Körper und dem Staat angesiedelt. Es ist der Körper, der weder elek­tronisch aufgelöst noch poli­tisch bestimmt ist. Es ist der Körper, der intakt bleibt, aber unterwegs und flüchtig ist.“ Wien, die Welthauptstadt der Simu­lation, wird diese Ausstel­ lung mühelos absorbieren. Aber wir wissen jetzt zumin­dest, was unsere festgefügten Häuser tun, wenn wir ihnen den Rücken zukeh­ren: Sie schlüpfen aus sich heraus, verdrehen und verdop­ peln sich und fallen wieder in sich zurück. Scheinbar unver­än­ dert, ist doch ihr Innerstes nach außen gekehrt, hat die Kopie die Realität ersetzt. Nur manchmal, wie bei den nieder­­­ge­ brannten Redoutensälen, die sich bald wieder „intakt“ präsen­ tieren werden, dürfen wir diesen Vorgang – gleich­sam in Zeit­ lupe – beob­achten.

30 / 01 / 1993   

WOHIN MIT DEM FAHRBAREN HAUS?

Die Quadratur des Kreises: zwei neue Großsiedlungen in Simmering und Aspern.

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tadtplanung ist stets auf der Suche nach der Quadratur des Kreises: Sie muss so viel festle­ gen, wie nötig ist, um eine geordnete Entwick­ lung zu ermöglichen, und dabei so flexibel bleiben, dass in Zukunft auch neue, unvor­her­ seh­bare Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Architekten und Politiker neigen bei dieser Grat­wanderung naturgemäß zur Überre­gulierung: Detail­lierte und konkrete Vorga­ben scheinen auf den ersten Blick fasslicher und besser kalku­lierbar zu sein als abstrakte, aber dafür dynami­sche Vorgaben für die viel­fäl­tigen Prozesse der Stadt­entwicklung. Angesichts von Prognosen einer stagnierenden Bevöl­kerungszahl hatten derartige Überlegungen

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in Wien bis vor Kurzem eher theoretischen Charakter. Getrost konnte man sich hier in den 80er-Jah­ren auf die Stadt­erneue­ rung konzentrieren, die durch eine maßvolle Stadter­weite­r ung in maßvoller Dichte (und leider oft ebensolcher Qualität) ergänzt wurde. Geänderte Wohnbedürf­nisse und vor allem die jüngsten geopolitischen Umbrüche machen jedoch Stadterweite­ rung in größe­rem Ausmaß notwendig: Die Bevöl­kerung Wiens wuchs zuletzt um 30.000 Personen pro Jahr, bis zum Jahr 2010 sollen allein im geförderten Wohnbau 120.000 neue Wohnungen entstehen. Im vergangenen Frühjahr wurde unter der Leitung von Ottokar Uhl ein „Beirat für die Stadtentwick­lungsgebiete“ eingesetzt, um zusammen mit den Referenten des Magistrats sowohl allgemeine planerische Leitlinien als auch Empfehlungen für die einzelnen Gebiete zu erarbei­ten. Uhls knappe Definition einer unseren Problemen angemessenen Stadtpla­nung lau­tet: „Nicht alles wird bis zum letz­ten Detail geplant, sondern immer nur das gerade Nötigste und so geht es Schritt für Schritt weiter mit dem nur gerade Nötigsten.“ Stadt­planung ohne Visionen also? Nicht ganz: „Das Nötigste für das Planungs-Bau-Handeln ist, dass das Ganze als Ziel nicht verloren geht.“ So viel zur Theorie. In der ersten großen Realisierung, der Siedlung am Simmeringer Leberweg, wo schon Anfang 1994 auf der Basis einer Planung aus den frühen 80er-Jahren mit dem Bau von 4.000 Wohnungen begonnen werden soll, wird von solchen Ideen freilich nichts zu spüren sein. Hier gibt es im Wesentlichen nur eine einzige Wohnform, die sich als Wiederaufnahme der Superblocks der Zwischen­kriegszeit versteht. Die Blocks sind hier zu beiden Seiten einer im Halbkreis geführten Straße angeord­net, die offensicht­lich von der Wiener Ringstraße inspiriert ist und einen Grünraum mit Schule und Seelsorge­­zen­trum umschließt. Der städte­bauliche Ansatz ist ebenso naiv metapho­risch wie er im Detail – etwa in den platz­artigen Erweiterungen der Ringstraße – schlecht gemacht ist. Hier ist tatsäch­lich alles bis zum bitteren Ende geplant, die einzel­nen Bauabschnitte müssen nur noch in bewährter Weise tranchiert und verwertet werden. Das Urteil über diese Planung ist dabei längst gesprochen und stammt dabei von einem, auf den sich deren Verfas­ser nur zu gern berufen würden: „Die so beliebten Schlag­worte von Heimatkunst, Einfügen in das Stadtbild, Gemüt im Stadt­bilde etc. in dem Sinne, wie sie von Personen ausgesprochen werden, welche die Kunst nur aus Lehr­ büchern kennen und beurteilen, sind nichts als Phrasen, an die sich diese Perso­nen klammern, weil sie der Groß­stadtbaufrage ratlos gegenüber stehen“, schreibt Otto Wagner im Jahr 1911. Sein eigener Plan für den 22. Wiener Gemeindebezirk als Teil einer „Unbegrenzten Groß­stadt“ sieht ebenfalls Blockrand­bebauung vor, aber in einem ortho­gonalen Raster, der sich nicht aus forma­ listischen Absichten ergibt, sondern aus der „peinlichsten Erfül­ lung des Zweckes“. Die Uniformität seiner Groß­stadt – die durch künstleri­sches Bemühen im besten Fall zur Monumentalität erho­ben werden könne – ist für Wagner die logische Folge der Uni­formität der 409

Postmoderne Figur, an der Ringstraße orientiert: Siedlung Leberberg, Wien Simmering

Selbstregulierender Organismus? Rüdiger Lainers Stadtkonzept für das Flugfeld Aspern Abbildung: Atelier Lainer

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Wohnbau­ten. Das hat sich heute geändert: Eine städ­ tische Ordnung, die der Vielfalt unserer heutigen Wohn-, Fortbe­wegungs- und Kommunikations­formen ge­recht werden will, kann nicht mehr auf die Unifor­ mität ihrer Elemente zählen und sie daher auch zu keinem monumentalen Ganzen mehr verbinden. Hier – und nicht in der Uniformität an sich – liegt der Grund für unsere intuitive Ableh­nung eines Modells der Stadterwei­te­ rung, wie Wagner sie für seine Zeit vorgeschlagen hat. Dass die Zukunft der Stadt anders aussehen könnte, hat Wagner zumindest geahnt: Im selben Text spricht er von Entwicklun­gen, die vieles hervorbringen würden, von dem seine Zeit noch kaum eine Vorstellung besitze, „so etwa das fahr­bare Haus oder das zusam­menstellbare Haus auf von der Stadtverwaltung gemiete­tem Gelände“. Müssen wir also die Idee einer einprägsamen Stadt­gestalt, die stets mehr ist als die Summe ihrer Teile, aufgeben, oder gibt es neue Wege, sie jenseits des monumentalen „großen Ganzen“ zu entwickeln? Auf diese Frage versucht Rüdiger Lainers städtebau­ liches Projekt für das ehemalige Asper­ner Flugfeld eine Antwort zu geben. Auf einer Fläche, die annähernd der Innenstadt inner­ halb des Rings entspricht, sollen hier 4.000 Woh­nungen und ein Gewer­begebiet entstehen. Der Plan, der auf den ersten Blick wie ein zufäl­ liges Muster aussieht, basiert auf der klug kalkulierten Überlagerung mehrerer Regulierungssy­steme. Da ist zum einen das Stra­ßennetz für den Indi­ vidual­verkehr, das im Wesentlichen orthogonal geführt ist und 16 Sammel­ garagen versorgt, die in einem Rastersystem ange­ ordnet sind. Das zweite System entsteht durch soge­ nannte Sichtachsen, die – schräg über das Gelände geführt – von Bebau­ung frei bleiben sollen. Das dritte System wird von den wesent­lichen öffentlichen Bereichen gebildet: Von der Schnell­bahnstation im Nor­den führt eine Verbindung, an der vor allem Zentrumsfunktionen

angelagert werden sollen, zu einem lang gestreckten Grünbereich, der das Gelände von Westen nach Osten durchzieht. Für die Wohnbe­bauung werden Felder ausgewie­sen, die nicht aufgrund von Flucht­li­nien, sondern nach bestimm­ten Regeln – hinsichtlich Dichte, Hö­henentwicklung und Charakter der Über­gangszonen zu den benach­barten Feldern – zu bebauen sind. Im letzten Ordnungssy­stem, den „Definitionspunkten“, die künstle­rischen, spirituellen und sozialen Ausdruck ermöglichen sollen – ihre Funktion ist beschrieben als „der Weg zur Transzendenz, für den ders will“ – kippt das Projekt dann in einen unnötigen Formalis­ mus. Denn hier verlangt aus­schließlich die formale Kom­position aus Linie und Fläche nach dem krönenden Punkt; die Transzen­ denz wird sich für eine derartige Einweisung in Reservate freilich schön bedan­ken. Der größte Gewinn dieses Projekts ist sicherlich, dass es alle Beteilig­ten, von den Behörden über die Archi­tekten bis zu den Bauträgern, zum Hinterfragen des Selbst­ver­ständlichen zwingt. Nach einer ursprünglichen reflex­artigen Ablehnung scheinen auch hier die Dinge in Bewe­gung zu kommen. Damit wird man in den nächsten Jahren beobachten können, ob eine derart offene Planung im Chaos endet oder sich zu jenem selbstre­gu­lie­ renden Organismus entwickelt, von dem ihre Proponen­ten träumen.

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200720 0620052004 2003200220 0120001999 1998199719 9619951994 19931992 412

14 / 11 / 1992   

NUR EIN TÜRSCHILD Das neue Domizil der Generali Foundation in Wien-Wieden verzichtet auf vordergründige Effekte.

V

or rund vier Jahren übertrug die Versicherungs­ gruppe EA-Generali ihre Aktivitäten zur Förderung zeitgenössischer, bildender Kunst an einen eigens geschaffenen Verein, die EA-Generali Foundation. Von einem engagierten Vorstand geführt, baut diese Stiftung unter anderem schwer­punktmäßig eine Sammlung österreichischer Skulp­tur auf und ist in diesem Bereich mit Publikationen und Ausstel­lungen aktiv. Neben einer großzügigen finanziellen Ausstattung erhielt sie zu Beginn ihrer Tätigkeit auch das Versprechen, nicht auf Dauer in der dritten Etage eines Bürohauses am Bauernmarkt logieren und für größere Ausstellungen externe Räume – wie zuletzt zweimal die Secession – anmieten zu müssen. Ein Haus, das die Versiche­r ung eigentlich nur in der Absicht erwor­ben hatte, Büroraum zu schaffen, bot schließlich Gelegen­ heit, die­ses Versprechen einzulösen: die ehemalige Habig-Hut­­ fa­brik in einem Innenhof zwischen Wiedner Haupt­straße und Frankenberg­gasse, kaum fünf Gehminu­ten von Secession, Künst­ lerhaus und Kunsthalle ent­fernt. Eine beste­hende, von oben belichtete Halle auf trapezförmigem Grundriss, de­ren Reiz vor allem darin bestand, dass sie für einen gänzlich anderen Zweck errichtet und damit unver­dächtig war, die ausgestellte Kunst domestizieren zu wollen, versprach rund 700 m2 Ausstellungs­fläche. Der an die Halle angrenzende, aber 3 Meter höher gelegene Garten mit altem Baumbe­stand erschien für die Aufstel­lung von Teilen der Skulp­turensammlung prädestiniert. Ende 1990 wurde die Entscheidung zugunsten der Generali Foun­dation getroffen. Deren Vorstand kam nun mit den Architekten ins Gespräch, die bereits den Umbau des Objekts für Bürozwecke zu planen begonnen hatten. Die Qualität dieses Entwurfs ermutigte die Auftraggeber zum Verzicht auf die sichere Werbewir­kung, die mit der Beauftragung eines großen Namens der heimischen Architek­ turszene verbunden gewesen wäre: Die jungen Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy wurden zusammen mit Georg Schönfeld mit der weiteren Planung betraut. Am kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellten Projekt, das bis Ende 1994 realisiert sein soll, fällt zunächst der Verzicht auf große Gesten auf: Die Verkaufsräume der Hutfabrik an der Front zur Wiedner Hauptstraße, die ein reprä­senta­tives Foyer hätten abgeben können, werden wieder einer kom­merziellen Nutzung zugeführt, der Eingang in die Ausstellungs­räume erfolgt daneben durch die alte Einfahrt. Nach außen hin wird – abgesehen von einem zusätzlichen Türschild am Haus Wiedner Haupt­straße 15 – alles 413

Ausstellungshalle, nahtlos eingepasst in die umgebenden Baumassen: Generali Foundation, Wien Fotos: Werner Kaligofsky, Augustin Fischer

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beim Alten bleiben. Dieses Under­ sta­tement hat seinen guten Grund: Die ober­flächlichen Effekte, mit denen ähn­liche Institutionen oft auf sich aufmerksam machen, sind ja stets auch Auftakt für die Musea­ lisierung der ausge­stellten Objekte. (Man denke nur an die vergoldete Kugel, die über dem Eingang zum Kunst­forum auf der Freyung klebt, oder an jenes Fenster, das sich vor dem Museum für ange­ wandte Kunst samt Sockel und Mauerwerk auf den Weg in den Straßenraum gemacht hat.) Understatement allein ist freilich noch keine architek­tonische Haltung. Nachdem sich die beste­hende Halle als unbrauchbar für eine Kunst­sammlung herausge­stellt hatte, galt es, eine neue Konstruktion zwischen die erhal­tenen Mauern einzu­passen. Für die Architekten stellte sich die Frage, wie eine Museumsarchitektur beschaffen sein soll, in der die Objekte durch den Akt des Sam­ melns und Ausstel­lens nicht ihrer Eigenständig­keit beraubt werden. Eine mögliche Antwort ist die völlige Neutralität, wie sie die nahe Kunsthalle am Karls­platz vorexer­ziert. Deren Ausstellungs­ raum ist funktio­nell wie das Innere eines Kühlschranks und etwa genauso inspirierend. Trotz aller radikalen Gestik bleibt die Kunsthalle dabei doch recht wienerisch bequem: Der Container, der als herme­tisches Objekt durchaus beeindrucken könnte, wird durch das Brücken­rohr und durch den ausproportio­nier­ten Glaspavillon, der an der Eingangsseite vermittelnd vor ihm schwebt und das obligate Kaffee­haus beher­bergt, seiner Wirkung beraubt. Auch beim Projekt für die Generali Foundation wird, der Intention entsprechend, die ausgestellte Kunst nicht zu entschärfen, auf jede weihe­volle Umrahmung verzichtet. Aber die Architekten haben hier im Wechselspiel von Verdichten und Entspannen des Raumes, das der Besu­cher bei der Bewegung erle­ben wird, ein eigenes Thema gefunden, das sich organisch aus den Bedingungen des Orts entwickelt.

Der lang gestreckte Durch­gang von der Wiedner Hauptstraße führt in einen durch ein Oberlicht erhell­ ten Vorraum, der die Trapez­ form der eigentlichen Ausstel­­lungshalle vorweg­ nimmt und den Besucher ins Foyer umlenkt. Hier wird die aus statischen Gründen notwen­dige Auswechslung einer Mittelmauer benutzt, um die Axialität der Anlage durch vier, die neuen Unterzüge tragende Pfeiler zu betonen. Linker Hand liegt quer zur Achse ein rechteckiger, kleinerer Aus­ stellungsraum, rechts die große, sich nach hinten ver­ jüngende Halle, die durch eine parallel zur Achse geführte Stahlbetonscheibe in zwei Teile geteilt ist. Die Träger des Glasdachs, dessen verschie­dene Schichten zur optimalen Lichtsteuerung auf einer minimalen Bauhöhe unter­gebracht werden mussten, ruhen punktförmig auf dieser Scheibe auf und sind noch ein Stück über sie hinaus ge­führt, um eine beidseitige Belichtung unterschiedlicher Charakteristik zu erreichen. Bei der vorletzten Achse der Halle, wo sich ihr Schnitt von einer liegenden Proportion bereits auf eine stehende verengt hat, führt eine Treppe im rechten Winkel hinauf in den annähernd quadrati­schen Skulpturen­garten. Viel wird hier von der Qualität des Details abhängen. Die Reduktion auf wenige Mate­rialien und klare, nachvoll­ziehbare Konstruktionen verlangt ein hohes Niveau der Aus­führung und darf gleichzeitig nie in bloßen Ästhetizismus abgleiten. Wenn all dies gelingt, könnte die Generali Foundation zu einem Ort der persönlichen Auseinanderset­zung mit Kunst werden, zu einem Ort, den man regelmäßig besucht, um Kunst­werke in wechselnden Gegenüber­stellungen in Räumen von eigenständiger Charakteristik zu erleben.

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17 / 10 / 1992   

WIDERSPRUCH MIT FOLGEN Bauen in Sooß, Niederösterreich: Wie aus einem grasgedeckten Pultdach ein Satteldach wird.

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m Ortsrand von Sooß, jener kleinen Ort­ schaft in Nieder­österreich, die ansonsten vor allem wegen der Qualität ihres Weines bekannt ist, liegt ein Grundstück mit einem wunderbaren Ausblick. Hier steht, nach bald anderthalb Jahren Bauzeit, der Rohbau eines lang gestreckten, schlichten Hauses mit einem steilen Satteldach. Erst auf den zweiten Blick fällt ein Wintergarten auf, der, hang­abwärts an die Giebelwand gefügt, mit seinem First das Haus selbst um ein gutes Stück überragt. Das Glasdach des Wintergartens steigt gegen­ läufig zur Dachfläche an und verschneidet sich mit dieser in einer Art, die keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass die Dissonanz beabsich­tigt ist. Vom Hang her betrach­tet erscheint neben dem Win­tergarten ein kleiner Anbau aus Holz, dessen liegendes Fenster ums Eck gezogen ist und so das Panorama einfängt. So hart und unvermittelt Wintergarten und Anbau im Osten an den einfachen Hauptbau gefügt sind, so ruhig wird dieser im Westen geschlossen: eine glatte Giebelmauer mit einem Fen­ster im ersten Stock und drei großen Öffnungen im Erdgeschoss, zu klein, um als Tore einer Dreifachgarage gelten zu können, und zu groß, um sie als Öffnungen eines Wohn­raums zu interpretieren. Entsteht hier, wie Passanten vermuten, ein Wirtshaus, oder vielleicht eine Re­para­turwerk­stätte für Zweiräder? Der zweite, genauere Blick enthüllt so hinter dem einfa­chen Haus ein Haus mit Rätseln. Sie erklären sich groß­teils aus der Auseinanderset­zung zwischen den besonde­ren Anforderungen der Bewohner und deren Umset­zung durch die Architekten auf der einen Seite und den Auf­lagen der Behörden auf der anderen. Eine solche Ausein­andersetzung mündet beinahe zwangs­läufig in mehrmalige Umplanungen und zermürbende Verzögerungen des Baubeginns, und es bedarf einer außerordentli­chen Hart­ näckig­keit, will man, wie im konkreten Fall, auch nur einen Kompromiss erzielen. Der Konflikt zwischen den Interessen ist umso erstaunli­cher, als beide Seiten sich auf dieselbe Instanz – wenn auch in jeweils eigener Interpreta­tion – berufen, nämlich die traditionelle Architektur des ländlichen Raums. Ursprüng­lich hatte der Bau­ herr keines­wegs die Absicht, ein neues Gebäude zu errichten: Der Grund sollte verkauft und aus dem Erlös ein altes Haus erworben und adaptiert werden. Als auch nach einigen Jahren Suche kein Haus gefunden werden konnte, das den Bedürfnissen der vier­ köp­figen Familie entsprochen hätte, entschloss man sich endlich zu einem Neubau, der jedoch möglichst die Qualitä­ten, die der Bauherr und seine Familie an der traditionellen Architektur

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der Region schätz­ten, aufweisen sollte: Einfü­gung in die natür­ lichen Gege­benheiten, ökologische Bau­weise, sparsame und korrekte Anwendung der verfügbaren Mittel und eine einfache Kon­struktion, die einen großen Anteil an Eigenleistung ermöglicht. Neben der eigentlichen Wohnung sollten im Haus auch die Werkstatt des Bauherrn – er ist gelernter Tischler – und straßen­ seitig ein Raum für Ausstellungen und Workshops untergebracht werden. Das Haus, das die Architekten Martha Enriquez-Reinberg und Georg Reinberg anhand dieser Vorgaben entwarfen, hat formal mit einem traditionellen Haus wenig Ähnlichkeit: eine einfache Schachtel mit gras­gedecktem Pultdach, nach Norden weitgehend geschlos­sen, nach Süden um einen Wintergarten erweitert. Zwar wussten die Architekten, dass ein Pultdach laut Bebauungs­plan nicht zulässig war. Sie konnten ihrem Bauherrn aber verständlich machen, dass die Qualitäten, die er in der regio­nalen anonymen Tradition erkannt hatte, unter geänder­ten Bedingungen gerade dann erreicht werden konnten, wenn man sich formal nicht an dieser Tradition orientierte. Und der Bauherr war einver­standen, denn er hatte die Architekten nicht auf ein Bild verpflichtet, sondern auf eine Haltung. Nun folgte das Behördenver­fahren. Hier erfuhr der Bauherr, dass diese Haltung durchaus seine Privatsache sei, das Erschei­ nungsbild des Hauses jedoch eine des öffentlichen Interesses und damit des guten Geschmacks. Die Autonomie der Gemein­den auf dem Gebiet des Geschmacks regelt sich in Niederösterreich im allgemei­nen so, dass alles, was nicht den inzwischen etablierten Codes des angepassten Bauens entspricht, auf Landesebene zur Entschei­dung gebracht wird. So erschien einer der Beamten des Landes, die für den Orts­bildschutz zuständig sind, vor Ort und beschied dem Bauher­ren und den Architekten, dass der Entwurf an dieser Stelle völlig unpassend und keines­wegs mit den Zielen des Ortsbild­schutzes zu vereinba­ren sei. Die Argumente der

Was passt ins Ortsbild: links das grasgedeckte Pultdach, wie von Bauherr und Architekt geplant, rechts die ausgeführte Version Abbildung: Atelier Reinberg

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Architekten, gerade der Bau­platz an der Ortskante, am Über­ gang zwischen Bau- und Grünland, würde das grasge­deckte Pult­ dach erlauben, wurde vom Beamten des Lan­des elegant pariert: Argu­mente seien uninteres­sant, denn argumentieren könne man für alles. Auch die Erklä­r ung, dass die Form des Pult­dachs ebenso eng mit dem Ziel einer passiven Solarener­gienutzung in Beziehung stehe wie die Bauformen der anonymen Architektur mit den Bedürfnissen, denen sie dien­ten, blieb ungehört. Im Falle einer Einreichung werde er, so bedauerte der Beamte, ein negatives Gutachten über das Projekt verfassen müssen. Und das, so ließ er durchblic­ken, könne dauern, vielleicht ein halbes Jahr, und es sei daher viel klüger, gleich ein neues Projekt zu entwerfen. Die Architekten, die erst kurz davor einen Auftraggeber aus ähnlichen Gründen an die Fertighausbranche verloren hatten, erhielten diesmal von ihrem Bauherrn volle Unter­stützung. Zum Satteldach aber gab es trotz zäher Verhand­lungen keine Alternative, und alles, was vom Wintergarten blieb, ist der kleine Turm aus Glas, an dem die Widersprüch­lichkeit des Entwurfs abzu­lesen ist. Noch steht das Haus im Roh­bau. Bis zum Winter soll das Dach gedeckt sein. Im Frühjahr werden die Außenwände mit Kork verklei­det und verputzt. Und vielleicht kann der Bau schon im Herbst bezogen werden. Dann dürfen alle Beteiligten zufrieden sein: Der Bauherr, der ein Haus nach seinen Wünschen erhält, das nicht nur sein Besitz ist, sondern auch sein Werk. Die Architekten, die ein kluges, bescheidenes Haus entworfen haben, mit einer geschickt dem Hang angegli­chenen Folge gut proportionierter Räume. Und natürlich der Ortsbild­schützer, der sein Ortsbild vor Störung bewahrt hat. Aber darf der wirklich zufrieden sein? Hat er denn nicht in Wahrheit gerade noch zuge­lassen, was eigentlich Standard sein sollte, und alles verhindert, was vielleicht weni­ger schön, dafür aber umso „richtiger“ gewesen wäre? Anstelle der Scheingefechte über Dachnei­gungen und Gaupenfenster sollte sich der Ortsbild­ schutz auf das besin­nen, was sein eigentliches Fundament ist: Der ernsthafte Ver­such, sich mit den Phäno­menen von Identität und Hei­mat in einer wechselvollen Zeit auseinanderzu­setzen.

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Personenregister A Abraham, Raimund 209 Acconci, Vito 406f Aichinger, Hermann 34 Alsop, William 244f, 362 Andritz, Inge 185 Appel, Carl 378f archipel 30 Architektur Consult ZT siehe Domenig/ Eisenköck/Peyker architeXture-Team siehe Pirker, Rainer Arribas, Alfredo 114f ARTEC 81f, 126f, 170f, 294f, 330f, 340 Aspetsberger, Ulrich siehe Caramel Atelier in der Schönbrunner Straße 328 Atelier Podsedensek 137 Auböck, Maria 31, 212 AWG-AllesWirdGut 216 B Bachner, Walter 36 Baldeweg, Juan Navarro 187 Bauer, Peter 90 Baumann, Ludwig 14 BBPR 225 BEHF 26 Behnisch, Günter 263 Beier, Herbert 72 Beneder/Fischer 173f, 179, 202, 347f Benko, René 26 Benze/Kutz 119 Berchtold, Wilfried 200 Beuys, Joseph 224 Biberschick, Peter 367 Bily/Katzberger 342 Blau, Luigi 100, 212 Bloch, Ernst 108, 215, 261, 335 Bogner, Dieter 302 Bollinger, Klaus 18 Bradic/Nizic 119 Brandstätter, Friedrich 187 Brunelleschi, Filippo 100 Buckminster Fuller, Richard 43, 236 Bulant, Aneta 396 Bulant/Wailzer 74f Bulloch, Angela 191 Bunk, Thorsten 192 Bürger, Hannes 65 Burkhalter, Marianne 156 BUSarchitektur 137 Busek, Erhard 80, 279, 314

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C Calatrava, Santiago 145 Calteux, Georges 325 Calvino, Italo 71 Caramel 88f Caramelle, Franz 25 Caruso, Pietro 158 Ceska/Priesner 98 Cho, Minsuk 19 Chramosta, Walter M. 200, 202, 233 Chu, Karl S. 256 Conzett, Jürg 252f Cook, Peter 224, 362 Coop Himmelb(l)au 16f, 22, 30, 99f, 164f, 182, 238, 271f, 279

Cufer/Bammer/Balogh 282 Cufer, Margarete 109 Czech, Hermann 45, 52, 158, 225, 241f, 282, 308, 369f D Decq, Odile 215 Dejaco, Walter 227 Dejanoff, Plamen 58f Delugan-Meissl 33, 98, 282 Deubzer, Hannelore 156 Dienst, Volker 96 Dietrich, Helmut 206 Domenig/Eisenköck/Peyker 52, 113, 137, 219, 298. Domenig, Günther 53, 110, 111f, 139, 326 Draxler, Helmut 239 Driendl, Georg 151f Driendl/Steixner 355f Dünser, Richard 91 E Ebner, Peter 219 Ederer, Brigitte 169 Egger, Andreas 202 Eichinger oder Knechtl 124 Eisenköck, Hermann siehe Domenig/Eisenköck/ Peyker Enriquez-Reinberg, Martha 417 Erskine, Ralph 61f, 359 Ertl, Fritz 227 Exner, Wilhelm 327 F Falk, Kurt 281 Falkner, Christoph 216 Falkner, Rupert 387 Farnleitner, Johannes 28 Fasch & Fuchs 31, 252 Fattinger, Peter 42f, 84f Faymann, Werner 70, 85 Fehringer, Franz 402 Feichtinger, Dietmar 29 Fellerer, Andreas 98 Fingerhuth, Carl 62, 202

Flaubert, Gustave 189 Fleischhacker, Klaus 234 Flöckner, Maria 156, 234 Flusser, Vilém 216 Foreign Office Architects 304 Forlati, Silvia 65 Forsthuber, Thomas 105f, 155, 234 Forstinger, Monika 200 Foster, Norman 224, 235, 263 Fournier, Colin 224 Frank, Josef 184, 318 Frank, Sepp 69, 280, 379 Frei, Hans 215 Fröhlich, Rainer 216 Fuchs, Ernst 49 siehe auch Poor Boys Enterprise bzw. the next ENTERprise Fuchs, Jakob 252 Fuksas, Massimiliano 223, 224 G Ganahl, Hanno 394f Ganahl/Ifsits/Larch 210 Gartler, Klaus 324 Gaudí, Antoni 111 Gehry, Frank O. 312, 316 Geiswinkler & Geiswinkler 73f, 81f Gharakhanzadeh, Feria 185 Ghiberti, Lorenzo 100 Giedion, Sigfried 335 Gipser, Olaf 215 Glück, Harry 171, 190, 208, 283, 352 Gmeiner/Haferl 98, 131 Gnaiger, Roland 258 Görg, Bernhard 169, 196 Götz, Bettina 215 siehe auch ARTEC Graf, Oskar 180, 296 Graf, Otto 372 Grasl, Thomas 216 Gratz, Leopold 80 Gropius, Walter 270 Gruber, Roland 260 H Hadid, Zaha 93, 224, 316 Haller, Martin 88 siehe auch Caramel Harnoncourt, Marie-Therese 49 siehe auch Poor Boys Enterprise bzw. the next ENTERprise Hawley, Christine 362 Heidegger, Martin 375 Heinrich, Lothar 76 Heinz/Mathoi/Strehli 300 Henke/Schreieck 25, 129f, 148, 153, 186f, 212, 241, 291, 398f Hermann & Valentiny 210 Herold/Touzimsky 119 Heubacher-Sentobe, Margarethe 202 Hicsasmaz, Zeynep Ayse 192 Hitchcock, Alfred 11 Hoffmann, Ernst 342

Hoffmann, Josef 124, 178 Hofstätter, Michael siehe PAUHOF Hollein, Hans 15, 30, 77, 86, 137, 193f, 216, 223, 224, 279, 317, 393

Holzbauer/Marschalek/Ladstätter/Gantar 367 Holzbauer, Wilhelm 101, 241, 278, 342 Holzmeister, Clemens 302 Howard, Ebenezer 403 Hubmann/Vass 59f, 97f, 344f Hueber, Friedmund 26 Hufnagl, Viktor 352 Hundertwasser, Friedensreich 143, 196, 262, 381, 398 Huth, Eilfried 112 I Ifsits, Walter 394f Isopp, Anne 66 Isozaki, Arata 278 J Jabornegg/Pálffy 169f, 172, 229f, 413f Jacobi, Maria 108 Jadot, Jean-Nicolas 313 Jahn, Helmut 78 Jöchlinger, Wolfgang 148 Johnson, Philip 302 Jourda, Françoise-Hélène 100 Jourdan & Müller 158 K Kada, Klaus 118, 139, 191, 240f, 326 siehe auch KadaWittfeldArchitektur Kadarik, Ott 190 KadaWittfeldArchitektur 48, 155 Kadrnoska, Friedrich 71 Kant, Immanuel 307 Kapfinger, Otto 43, 156, 370 Kárász, János 31 Kardinal Groër 292 Kardinal Schönborn 148 Katherl, Günter 88 Katzberger, Paul 78 Katzberger/Loudon 139 Kaufmann, Hermann 253 Kaufmann, Oskar Leo 33, 52f Kieninger, Ernst 31 Kiesler, Friedrich 301f, 306 Klemm, Erwin 187 Klotz, Arnold 62, 310 Köb, Edelbert 60 Köberl, Rainer 158 Kohlbauer, Martin 68f, 171, 219, 251f Konstantinovic, Josip 192 Konzett, Andrea 186 Koolhaas, Rem 47, 135f, 160, 274f Koov, Katrin 190 Koppensteiner, Christian 128 Krapfenbauer, Robert 98

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Kraus, Johannes siehe archipel Kraus, Karl 122 Krejs, Wolfgang 191 Krischanitz, Adolf 78, 197f, 208f, 225, 247f, 281, 310 Krismer/Waldhart 188 KSP Engel und Zimmermann 188 Kuhn/Fischer/Partner 382 Kupelwieser, Hans 116 L Lacaton & Vassal 181 Lachmayer, Herbert 215 Lainer, Rüdiger 29, 60, 339, 410 Lampugnani, Vittorio Magnago 325, 383 Lang, Heinz 260 Larch, Werner 394 Laska, Grete 23, 46, 212, 355 Le Corbusier 11, 91, 214, 270, 290, 335f, 366, 372 Leitner, Klaus 387 Lettner, Thomas 65 Libeskind, Daniel 235f Lintl, Hannes 352 Lippert, Georg 77, 194 Lipstadt, Hélène 100 Lloyd Wright, Frank 11, 145, 337, 373, 404 Loos, Adolf 14, 122f, 181, 184, 235, 303, 318, 372, 391 Lötsch, Bernd 166 Loudon, Mike 171, 282 siehe auch Katzberger/Loudon Lugner, Richard 75, 196 Lynn, Greg 224, 256 M Maas, Winy 256 Mahler, Gustav 316 Mailath-Pokorny, Andreas 85, 169 Manahl, Richard siehe ARTEC Mang, Brigitte 32 MA-null 172 Manzano, Carl 166 Manzl, Gerhard 206 Mascha/Seethaler 87, 340 Maurer, Ernst 188 Mauthe, Jörg 279 Mayne, Tom 224 Mayr, Ernst 198 Mayr, Hans 71, 137, 279 Meier, Richard 316 Meili, Marcel 202, 252 Merz, Konrad 300 Mesnaritsch, Hans 219 Meuwissen, Joost 182, 190, 191 Michl, Walter 292, 387 Mies van der Rohe, Ludwig 47, 120, 270, 275, 302 Mischek 109, 134, 192, 273 Mockbee, Samuel 144 Monner, Jahn 192 Morak, Franz 369

422

Moser, Thomas 260 Moser, Walter 36 Müller/Quednau 119 Musil, Robert 340 N Najjar & Najjar 161f Nehrer, Manfred 168 Neubauer, Barbara 36 Neumann, Heinz 26f, 281 Neumann + Steiner 241 NFOG 241 Nieto/Sobejano 27 Nigst, Peter 344 Nobl/Sackmauer 388 Noever, Peter 216 Nouvel, Jean 24, 77f, 193, 224, 316f, 351 O Obermoser, Johannes 25 Oman, Rok 192 OMA (Office for Metropolitan Architecture) siehe Koolhaas, Rem Orgler, Andreas 54, 300 Orso, Veronika 84 Ortner, Laurids 181 P Pal, Dieter 199 Pálffy, András siehe Jabornegg/Pálffy Pallarés/Castellanos/Molina 119 PAUHOF 11f, 116, 142f, 172 Pauser, Manfred 367 Pauzenberger, Wolfgang siehe PAUHOF Pawley, Martin 236 Peer, Walter 95 Pehnt, Wolfgang 268 Peichl, Gustav 78, 278, 314, 325 Perrault, Dominique 93 Peter, Markus 252 Peyker, Herfried siehe Domenig/Eisenköck/ Peyker Pirker, Rainer 26, 96, 158, 208 Podrecca, Boris 44, 219, 352 Poduschka, Georg 190 Poelzig, Hans 269 Poor Boys Enterprise 340 Popelka, Anna 190 Porsch, Johannes 41 Pöschl, Wolfgang 207 Prantl, Christa siehe Runser/Prantl Pretterhofer, Heidi 191 Price, Cedric 236 Priesner, Friedrich siehe Ceska/Priesner Prix, Wolf D. 18, 165 siehe auch Coop Himmelb(l)au Prochazka, Elsa 172 Prohazka/Hiesmayr 342 Prohazka, Rudolf 193, 202, 209

Pröll, Erwin 165 Puchhammer, Hans Pühringer, Peter 32 Putz, Frederike 217

209, 362

Q querkraft architekten (dunkl/erhartt/sapp/zinner)

260

R Rainer + Amann 201 Rainer, Helmut 64 Rainer, Roland 153, 171, 293, 352, 401 Raith, Erich 219, 260 Raus, Othmar 154 Rauterberg, Hanno 265 Reinberg, Georg 417 Reiser, Ignaz Nathan 129 Richter, Helmut 188, 301, 362f Richter, Wolfgang 234 Rieder, Max 29f, 61f, 158, 172, 202 Riegl, Alois 221 Riegler Riewe 241 Rieper, Michael 84 Rieß, Hubert 283f, 358f Ritchie, Ian 362 Ritsch, Johann 206 Ritsch, Wolfgang 201 Rizzi, Wilhelm Georg 32, 110, 148 Rogel, Spela 192 Rogers, Richard 78 Rosinak, Werner 114 Rossi, Aldo 13, 223 Rudofsky, Bernhard 145 Rüf, Albert 52 Runser/Prantl 179 Rural Studio 143 S Sailer, Gerhard 260 Sandbichler, Bruno 185 Sandner, Manfred 206 Sant’Elia, Antonio 372 Sarnitz/Silber/Soyka 179 Schausberger, Franz 154 Scheithauer, Christoph 105f Schicker, Rudolf (Rudi) 62, 68, 85, 127, 193 Schienegger, Hannes 64 Schiller, Karl 85 Schindler, Rudolf 153 Schlagintweit, Wilhelm 126 Schlauss, Kurt 214 Schlögl, Hanno 202 Schmid, Heinrich 34 Schöffauer/Tschapeller 254f, 324 Schreiber, Hiltigund 148 Schreieck, Marta 25 siehe auch Henke/Schreieck Schremmer/Jell 388

Schwalm-Theiss/Gressenbauer/Bohrn 104 Schwanzer, Karl 17 Schwarz, Rudolf 268 Schweighofer, Anton 103f, 109f, 320f, 327, 342 Segal, Walter 236 Seidl, Ulrich 172 Sellars, Peter 41 Semper, Gottfried 178 Seraji, Nasrine 132, 191 Siebel, Walter 160 Sieverts, Thomas 117 Sischka, Johann 266 Sloterdijk, Peter 191 Smithson, Alison und Peter 110 Sobek, Werner 57 Soleri, Paolo 405 spado architects 64 Spagolla, Bruno 201 Spalt, Johannes 242, 396 Spiluttini, Hartmut 191 Spiluttini, Margherita 156 Spuybroek, Lars 256 Stattmann, Klaus 45f Steffann, Emil 147 Steiner, Dietmar 195, 288 Steiner, Norbert 240 Steinmayr, Erich 91f Steixner, Gerhard 172 siehe auch Driendl/Steixner Stiper, Friedrich 88 Streicher, Rudolf 70 Strohl, Hilde 268 Stronach, Frank 310 Stumpf, Georg 71 Sullivan, Louis 278 Suter + Suter 402 Swoboda, Hannes 61, 197, 341 Szyszkowitz/Kowalski 219 T Tabor, Jan 168, 195 Teherani, Hadi 182 Terragni, Giuseppe 185 the next ENTERprise 50 Thetter, Christoph 290, 293 Touraine, Alain 338 Tovatt Architects & Planners 61 Tschapeller, Wolfgang siehe Schöffauer/ Tschapeller Tschavgova, Karin 62 U Uhl, Ottokar 63, 409 Ulama, Margit 215 Ullmann, Franziska 208, 219 UN studio 56 Unterhohenwarter, Georg 216 Untertrifaller, Much 206

423

V Vallner, Siiri 190 Valner, René 190 Valtiner, Martin 23 van Berkel, Ben 56, 224 van der Nüll, Eduard 369 van Doesburg, Theo 303 van Lieshout, Joep 84 van Pelt, Robert Jan 227 Vass, Andreas siehe Hubmann/Vass Vendl, Jiri 98 Venturi, Robert 161 Verdier, Thierry 191 Vergara, Camilo José 220f Virilio, Paul 405 Vlay, Bernd 21, 118, 191 Voggenhuber, Johannes 191 Vogt, Adolf Max 335 von Einem, Gottfried 314 von Ferstel, Heinrich 114 von Förster, Emil 327 von Hentig, Hartmut 105 Vranitzky, Franz 71 W Waagner-Biró 265f Wagner, Erich 29 Wagner, Karlheinz 231 Wagner, Otto 14, 34, 74, 167, 178, 365f, 372f, 383f, 391, 409 Wailzer, Klaus siehe Bulant/Wailzer Walz, Arnold 57 Weber, Harald 64 Weber, Peter 139 Wehdorn, Manfred 69f, 314f Weh, Vitus 84 Weibel, Peter 307 Welzenbacher, Lois 11, 77f, 93, 159, 183f Welzig, Maria 172 Wiederin, Gerold 186 Wiener Sängerknaben 30 Wiesflecker, Johannes 95 Wille, Heinrich 280 Wimmer, Albert 44 Wimmer, Helmut 262, 353 Wittfeld, Gerd siehe KadaWittfeldArchitektur Wolff-Plottegg, Manfred 172, 306f, 326, 374f Wonderland 64 Z Zechner & Zechner 239, 241 Zehetner, Wolfgang 292 Ziesel, Wolfdietrich 103 Zilk, Helmut 100 Zobernig, Heimo 169 Zotti, Josef 124 Zschokke, Walter 292

424

Sachregister A Akron Art Museum 22 Akropolis 164 Alabama 143 Alt Erlaa 19, 208 Am Steinhof 178 Anonyme Tradition 93, 132f, 145, 181, 287, 295f, 398, 417 Apotheke 126 Architektenkammer 15, 22, 73, 85, 88, 99, 234, 294, 391 Architekturexport 96 Architekturstiftung Österreich 15, 234, 294 Architekturvermittlung 40, 232f, 258f Architekturwettbewerb 15f, 17, 19f, 25f, 60f, 68, 73, 99f, 106f, 117f, 185f, 187f, 189f, 217f, 250, 341

Architekturzentrum Wien 135, 144, 173, 180f, 275, 287, 362 Ars Electronica Center 388 Aspanggründe 237 Aspern, Flugfeld 60f, 410f Ästhetik des Hässlichen 45 Augarten 247 Auschwitz 227 Ausstellung 41f, 58f, 63f, 135, 143, 180f, 215, 220f, 223f, 276, 287f, 301

Automobil

16f, 47f, 55f, 284, 404

B Bahnhofsoffensive 239 Bank Austria 237 Barcelona 311 Bauherrenpreis 400 Baukultur 37 Baukulturreport 37 Baukunst 47, 52, 132f, 214, 269, 372f, 385, 391 Baukünstler 124, 258 Baumeister 390f Bauordnung 85f, 360, 399 Bauträgerwettbewerb 210 Bauwirtschafts-Funktionalismus 184 Berliner Reichstag 263f Bilbao-Effekt 22 Biomorphismus 161, 162 BMW 16f, 58 Bricoleur 43 Brücke 75f, 196f, 252f, 365f Brünn 98 Brunnen 176 Brutalismus 112 Bulgarien 59 Bundesimmobiliengesellschaft 104, 219 Bürgerbeteiligung 32f, 62, 156f, 166, 173f, 207f, 260f, 280f, 386f Bürohaus 52f, 129f, 151f, 193f, 229f, 378, 383f C China 62, 96 Cyberspace 255

D Dekorierter Schuppen 161 Denkmalschutz 25f, 32f, 34f, 60, 72f, 100, 103f, 108f, 110, 129f, 146f, 148, 165f, 173f, 178f, 220f, 240, 312f, 315f, 329, 370, 387

Detroit 222 Dienstleister 100, 120, 142, 307, 308 Donau-City 277 E EA-Generali 413 Edler Wilder 336, 365, 366 Einfamilienhaus 12, 347, 416 Erlebniswelt 23, 74, 214 Ersatzgrün 20 Esskultur 38 Eurolille 275 EUROPAN 21, 117f, 189f EXPO 95 Wien-Budapest 279

J Jetti-Tant 100 Judenburg 283 Judenplatz 214 Junge ArchitektInnen

F Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung 27, 69, 137, 199, 203 siehe auch Gestaltungsbeirat Feldkirch 200 Flexibilität 95, 130, 382, 401 Form follows Function 161, 396 Fortschritt 283, 333 Fotografie 143, 274 Freibad 49 G Gasometer Simmering 134, 184, 317 Genieblitz 62 Geriatrie 138f, 178f Gestaltungsbeirat 63, 200, 203f, 242, 384 siehe auch Fachbeirat Gesundes Volksempfinden 153, 184, 383 Gewerbepark 90, 93 Gleisdorf 20 Globales Dorf 406 Granada 344 Graz 113, 323 Großstadt 379 Gründerzeit 77, 80, 83, 87, 131, 132, 151, 330 GSG 170 Gusen 225 H Hall in Tirol 183f Haus der Architektur Graz 160, 182 Häuslbauer 119f, 287f Historisches Museum (Wien Museum) Hochhaus 77, 157 Holocaust 225 Hotel 77f, 183f, 207, 393f Hybridarchitektur 308

I IG Architektur 101, 120 IG Passivhaus Ost 120 Industriebau 90, 93, 154, 297 Infrastrukturbauten 28 Innovation 286, 310, 333, 351, 405 Innsbruck 25f, 157f Inntal 94

63f, 88f, 96, 182, 220

K Kaffeehaus 23, 122f Kaipalast 129f Kalkputzstadt 80, 355 Kallco-Projekt 153 Karl-Marx-Hof 380 Karlsplatz 122, 167f Kaufhaus Tyrol 25f Kirche 146, 268 Kitsch 141, 163, 176, 258, 259, 261, 263, 295, 386 Klassische Moderne 184, 335 Kongresshaus 187 Konsumerlebnis 47 Korneuburg 146 Kraftwerk 27f Kräutergarten 127 Kritischer Regionalismus 288, 348 Kronen Zeitung 33, 153f, 166f, 314, 369 Künstlerarchitekt 112, 141f L Landesarchitekturpreis 153 LandLuft 260 Landschaftsplanung 344, 393 Lärmschutzwand 28 Lauder Chabad Campus 247f Leberberg, Wien 62, 282, 290f, 351, 410 Licht, Luft und Sonne 132, 261, 380 Lifestyle 121, 216, 232f Linz 237, 272, 386f Lugner-City 197

301

M Medium Total 112 Mistgabel 128 M-Preis 93, 118 Multiorganversagen 36 München 16 Murau 252 Museum 17, 25, 55f, 122, 237, 278, 323, 326f Museumsquartier 142, 200

425

N Nationalsozialismus 69, 113, 225f, 269 Naturverlust 20 Neue Sachlichkeit 269 Nugget 191 O ÖBB 205, 237, 239f, 400 Ökobau-Cluster 120 Ökologie 245 Ökonomie 286, 310 Optimismus 138, 141, 143 Organisch 112, 303 Ornament 123, 178, 291, 335, 372, 385 Ortsbildschutz 418 Österreichische Gesellschaft für Architektur 333, 338

P Parlament 71f, 213, 263f Partizipation siehe Bürgerbeteiligung Patchwork 8, 138, 311, 351 Peckham Library 246 Performativer Materialismus 45 Peripherie 255f, 311, 405 siehe auch Zwischenstadt Pfarrzentrum 290 Platzgestaltung 44, 114f, 167f, 173f, 214, 311 podroom 182 Porsche 59, 96 Postmoderne 162 Postsparkasse 173f Public Private Partnership 240 R Redoutensäle 312f Rheintal 202 Ringstraße 15, 61f, 131, 291, 379, 409 Ronacher 100, 265 Rotes Wien 109 S Salzburg 27f, 47f, 105f, 119, 153f, 187f, 240, 261, 396f Sanfte Stadterneuerung 80 São Paulo 257 Sargfabrik 255 Schönheit 248, 365 Schule 39, 105f, 217f, 232f, 247f, 259, 330f, 355f Schwabach bei Nürnberg 285, 360 Schwarzenbergplatz 114f Seiersberg 374 Shopping 25, 74, 212 Sooß, Niederösterreich 416f Sophienspital 250 Sparsamkeit 38 Speckgürtel 117 Sprawl 288 Staatspreis für Architektur 52 Stadt des Kindes 108f

426

Stadtentwicklung 221 Stadterneuerung 386 Stadterweiterung 350, 353, 409 Stadtmöblierung 211 Stadtplanung 290, 298, 311, 338 Stadtplanung Wien 60f, 85f, 237, 277, 309f, 350f St. Anton am Arlberg 205f Steinhaus 113 Stil 96, 122, 308, 372, 401f St. Pölten 341 Stararchitekten 121, 145, 188 Stuttgart 55 Südtirol 11, 49 Surrealismus 303 swap 216 T T-Center 111 Technisches Museum 326f Themenpark 24 Tirol 25f, 52, 93, 157f, 183f, 205f, 228 Tirolerhaus 262 Tourismus 94, 160, 165, 205, 258, 324, 350, 393 Transparenz 179, 263, 275, 292, 384 Turin 97 Turmhotel Seeber 183f TU Wien 362 Twist Tower 151f U U-Bahn 168, 211, 367 Universität 103 Urbanissima 159 V Vielfalt 37, 118, 351, 353, 382 Vienna Opera Toilet 213 Villa Savoye 336 Volksaltar 146 Volksbefragung siehe Bürgerbeteiligung Vorarlberg 52f, 90f, 200f, 253, 258f, 290, 300 Vösendorf 298 W Waidhofen an der Ybbs 173f, 347 Wasserbaukunst 30 WED 237, 277 Weltkulturerbe 68, 129, 173 Weltverbesserung 41, 338 Wettbewerb siehe Architekturwettbewerb Widmungsgewinn 70 Wiener Architekturdeklaration 68 Wiener Krankenanstaltenverbund 250 Wiener Neudorf 298 Wien-Simmering 320 Wohnbau 20f, 37, 80f, 117f, 132f, 170f, 189f, 208f, 214, 260f, 271f, 274f, 283f, 316f, 320f, 374f, 380f, 398f

Wohnturm

271f

Wolkenkratzer 271 Wolkenspange 198 Wolkersdorf 217 Wonderland 64 X Xenophobie

280

Z Zeltweg 359 Zürich 380 Zürich Kosmos Versicherung Zwischenstadt 211, 298

130

427

Impressum Christian Kühn, geboren 1962, studierte Architektur an der TU Wien (Dipl.Ing.) und an der ETH-Zürich (Dr.sc.tech.). Er ist Professor für Gebäudelehre und Studiendekan für die Studienrichtung Architektur an der TU Wien sowie Vorsitzender der Architekturstiftung Österreich, Mitherausgeber der Architekturzeitschrift UmBau und Autor für Architekturjournale und Tageszeitungen (u. a. Architektur- und Bauforum, ARCH+, Architecture d’aujourd’hui, Die Presse, Salzburger Nachrichten). [email protected] Acquisitions Editor: David Marold, Birkhäuser Verlag, A-Wien Project & Production Editor: Angelika Heller, Birkhäuser Verlag, A-Wien Layout, Covergestaltung und Satz: buero bauer, www.buerobauer.com, Erwin K. Bauer, Manuel Radde, A-Wien Library of Congress Control Number: 2018964325 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Fotos auf der hinteren Umschlagseite (im Uhrzeigersinn von links oben): Twist Tower Wien (S. 151, Foto: Pez Hejduk), Freibad Kaltern (S. 49, Foto: Lukas Schaller), Parlament Wien (S. 71, Foto: Christian Kühn), Bürohaus Schwarzenberg­ platz (S. 68, Visualisierung Christoph Schiener), T-Center Wien (S. 111, Foto: Christian Kühn), Hauptplatz Waidhofen (S. 173, Foto: Margherita Spiluttini), Wohnhaus Raasdorf (S. 294, Foto: Margherita Spiluttini), Wohnhaus Brixen (S. 11, Foto: Matteo Piazza), Mercedes-Museum Stuttgart (S. 55, Foto: Christian Kühn). Das Bild links zeigt einen Ausschnitt aus einem Foto von Peter Fattinger (S. 43). Zitat auf dem hinteren Umschlag aus der Einleitung von Christian Kühn.

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ISBN 978-3-0356-1912-6 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-1919-5 Open Access © 2019 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 9 8 7 6 5 4 3 2

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